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German Pages 160 [155] Year 2014
ALEXANDRA BLEYER
Das System Metternich Die Neuordnung Europas nach Napoleon
Inhalt Vorwort 1. Europa nach Napoleon: Von der Hegemonie zum Gleichgewicht Vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch: Der lange Weg nach Wien Kongressdiplomatie: Gleichgewicht, Restauration und Legitimität Der Kongress tanzt: Gesellschaftsleben, Alltag, Spionage Europas neue Grenzen: Das große Feilschen um Land und Herrschaft Der Deutsche Bund: Keine Auferstehung des Alten Reichs 2. Aufbruch in ein neues Zeitalter: Das Konzert der Großmächte Der Wolf im Schafspelz: Napoleons Herrschaft der 100 Tage Wiener Ordnung: Internationale Diplomatie und Friedenssicherung Versöhnung und Orientierung: Der Kongress von Aachen 1818 Meilensteine und Defizite: Eine Zwischenbilanz 3. Von der Wartburg nach Karlsbad: Die politische Entwicklung im Deutschen Bund Karl Ludwig Sand: Die Burschenschaft und das Erbe der Freiheitskriege August von Kotzebue: Vertreter des Establishments Mannheim, 23. März 1819: Das Attentat und seine Folgen
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Die Angst geht um: Antijüdische Ausschreitungen als Vorboten der Revolution? Sieg der Reaktion: Die Karlsbader Beschlüsse 4. Europa brennt: Revolutionäre Erschütterungen als Härtetest für die Wiener Ordnung Verfechter des Status quo: Metternich und das System der Reaktion Zerreißprobe: Die Interventionspolitik der Großmächte Verona 1822: Das Ende der Kongressdiplomatie Pragmatismus gefragt: Die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen
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5. 1848: Das große Finale
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Anhang Karten Zeittafel Anmerkungen Literaturverzeichnis Orts- und Personenregister Impressum
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Vorwort Nach dem Sieg über Napoleon brach in Europa das Zeitalter der Restauration an. Beginnend mit dem Wiener Kongress versuchten die Großmächte gemeinsam als europäisches Konzert den Frieden zu sichern. Doch die neue Ordnung war bedroht. Gefährlicher als russische Expansionsgelüste, liberale Eskapaden des Zaren und die britische „No Intervention“-Politik waren Revolutionen. In der napoleonischen Ära waren die Völker auf den Geschmack politischer Freiheit gekommen; so mancher Fürst hatte nationale und liberale Töne angeschlagen. „Geschwätz von gestern.“ Wie Goethes Zauberlehrling wollten die konservativen Eliten die gerufenen Geister wieder loswerden. Im Kampf zwischen alten und neuen Kräften übernahm Clemens Lothar Wenzel Fürst von Metternich die Rolle des Hexenmeisters. Der in Koblenz geborene Adelige hatte nach dem Besuch der berühmten Straßburger Diplomatenschule seine Karriere im Dienst des römisch-deutschen Kaisers Franz II. begonnen; nach dem Untergang des Heiligen Römischen Reichs diente er demselben Mann, der nun als Franz I. Kaiser von Österreich war. Die Urteile über Metternich reichen von Verdammung bis zu Verherrlichung. Unbestreitbar war er einer der größten Diplomaten seiner Zeit und bestimmte von seiner Ernennung zum Außenminister 1809 bis zu seinem Sturz 1848 die Außenpolitik Österreichs. „Mein Ehrgeiz ist, das gut zu machen, was ich tue, und das Böse überall da zu bekämpfen, wo ich es vorfinde“1, sagte Metternich über sich. Er setzte in Österreich wie auch im Deutschen Bund ein System der Überwachung und Verfolgung in Gang, das seinen Namen tragen sollte. Unterstützt wurde er dabei von Friedrich Gentz. Der wortgewaltige Preuße entstammte dem Bildungsbürgertum und trat nach einem abgebrochenen Studium der Rechte 1785 in den preußischen Staatsdienst ein. Seine Beamtenlaufbahn befriedigte ihn wenig, er fühlte sich zu Höherem berufen. Als politischer Publizist und erklärter Gegner der Revo-
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Vorwort
lution und Napoleons versuchte er, die Eliten von seinen Ansichten zu überzeugen, und fand endlich das Ansehen, nach dem er strebte. Doch Preußen hatte sich 1795 für die Neutralität entschieden, Gentz geriet zunehmend in Widerspruch zum außenpolitischen Kurs der Regierung und stellte mit seinen Schriften deren Autorität in Frage. Ein letztes Mal gewährte Friedrich Wilhelm III. Gentz einen Urlaub, wies aber dessen Vorgesetzten klar an: „Nach Ablauf dieses Urlaubs müsst Ihr mit Ernst darauf halten, dass der Gentz seinen Dienstpflichten überall ein Genüge leiste.“2 Eheprobleme, steigende (Spiel-)Schulden und die Aussicht, an den verhassten Kanzleischreibtisch zurückkehren zu müssen: Gentz hielt nichts mehr in Berlin; 1802 gelang ihm der Wechsel in den österreichischen Staatsdienst. Mit dem Titel eines Kaiserlichen Rats und einem jährlichen Einkommen ausgestattet, aber ohne Einbindung in den Behördenapparat, sollte er weiter bei Bedarf „für die gute Sache“3 schreiben. Ansonsten wusste man aber auch in Wien wenig mit ihm anzufangen. Eine politisch verantwortliche Funktion erhielt er nie. Erst als Gentz 1810 Metternichs unpopulärem außenpolitischen Kurs zustimmte und die Heirat Napoleons mit der Kaisertochter Marie Luise als notwendig beurteilte, gewann er das Vertrauen des Außenministers und wurde von ihm zunehmend zu Beratungen herangezogen. Damit begann seine bedeutende Zeit. Die beiden Rationalisten teilten politische Grundanschauungen, die im Ancien Régime wurzelten, und befürworteten ein Europa des Gleichgewichts; revolutionären Ideen und dem Konzept der Volkssouveränität standen sie kritisch gegenüber. Ungeklärt bleibt im Hinblick auf ihre Arbeitsgemeinschaft, ob der ältere Publizist den Staatsmann mit seinen Ideen beeinflusste oder Gentz „am Gängelband Metternichs“4 hing. Die Beziehung war jedoch asymmetrisch: Metternich war der Vorgesetzte, und Gentz blieb „Werkzeug“.5 Zudem verband sie aufgrund ihrer Persönlichkeiten ein kompliziertes Verhältnis; beide waren eitel und von ihrer geistigen Überlegenheit (auch dem anderen gegenüber) überzeugt. „Er [Gentz] ist wie alle Gelehrte – unpraktisch. Sie müssen ihn stets leiten und ihm unverhohlen den Punkt unterschieben, welchen er verfolgen soll“6, wies Metternich beim Wiener Kongress seinen Stellvertreter Hudelist an. Gentz
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wiederum zweifelte manchmal an Metternichs politischem Weitblick, attestierte ihm teils durch amouröse Abenteuer geförderte Zerstreutheit und Charakterschwäche und vertrat öfters die Meinung, er selbst sei sehr viel fleißiger als der Staatskanzler. Gentz blieb in Wien höchst umstritten. Kaiser Franz mochte ihn nicht. Wie viele Zeitgenossen hielt er den Publizisten für frivol, leichtfertig und verschwenderisch. Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein nannte Gentz gar einen „Mensch von vertrocknetem Gehirn und verfaultem Charakter“7, wie Wilhelm von Humboldt überlieferte. Besonders anrüchig schien, dass er sich – vergleichbar mit Lobbyisten heutiger Zeit – seine scharfen Stellungnahmen gegen das revolutionäre und napoleonische Frankreich von England bezahlen ließ; seit 1812 korrespondierte er mit Metternichs Einverständnis mit dem Fürsten (Hospodar betitelt) der Walachei und informierte die Osmanische Regierung (Hohe Pforte) gegen gutes Geld über die Angelegenheiten Europas. Nicht nur die Gräfin Fuchs-Gallenberg war der Meinung: „Der Kerl verräth noch die ganze Monarchie“, denn wer „seine Feder verkauft, verkauft auch sich“.8 Metternich und Gentz polarisierten. Die einen priesen ihren politischen Weitblick und den Erfolg, in Europa für mehrere Jahrzehnte den Frieden gesichert zu haben. In den revolutionären Stürmen zeigten sich viele Staatsmänner dankbar, dass Metternich die Zügel in die Hand nahm. Wenn er der „Kutscher Europas“ war, dann saß Gentz zwei Jahrzehnte lang mit der Straßenkarte in der Hand neben ihm, um an jeder Kreuzung über den richtigen Weg zu debattieren. Die anderen, vor allem liberal und national Gesinnte, sahen in den beiden wohl eher ein „Duo infernale“. Geschichte kann nicht auf einzelne Persönlichkeiten, auf „große Männer“, reduziert werden – der österreichische Staatskanzler war keinesfalls so allmächtig, wie seine erbitterten Gegner befürchteten oder er selbst manchmal in maßloser Selbstüberschätzung annahm. Die Konzentration der Erzählung auf Metternich und Gentz soll nicht den Eindruck erwecken, dass die beiden tatsächlich das Schicksal ganz Europas in der Hand hielten und alle anderen Staatsmänner nach ihrer Pfeife tanzen ließen; ebenso wenig soll ihr politisches Handeln beurteilt oder glorifiziert werden. Das Ziel dieser Schwerpunktsetzung besteht darin,
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Vorwort
einen lebensnahen Einblick in die Gedankenwelt und Motive jener konservativen Kräfte zu gewähren, die sich in einer Epoche des teils revolutionären Übergangs vom Ancien Régime in das bürgerliche 19. Jahrhundert gegen liberale und nationale Bewegungen stemmten. In der neueren Forschung wird aber vor allem auf die friedenssichernde Funktion der Kongressära hingewiesen. 1814 wurde in Wien der Grundstein für ein neues politisches System gelegt, das der internationalen Diplomatie und gemeinschaftlichen Krisenbewältigung einen größeren Stellenwert einräumte. Unter dem erschreckenden Eindruck von mehr als zwanzig Jahren Krieg wollte man wie nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Völkerbund oder nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem UN-Sicherheitsrat ein Mittel finden, um Krieg nicht länger als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Carl von Clausewitz) zu gebrauchen. Dabei bargen zwischenstaatliche Konflikte und Revolutionen, die einzelne Staaten erschütterten, das Potential für einen erneuten Krieg der Großmächte in sich. Wie heute standen schon damals die führenden Politiker vor dem Dilemma, die (noch sehr vage) Idee eines gemeinsamen Europas mit nationalstaatlichen Interessen in Einklang zu bringen. Erfolg und Scheitern der diplomatischen Bemühungen hingen auch vom Wollen, der Persönlichkeit und den Fähigkeiten der beteiligten Staatsmänner ab. Hundert Jahre später taumelte Europa in den Ersten Weltkrieg; politische Krisen der Gegenwart bergen erschreckenden Sprengstoff in sich. 1814 – 1914 – 2014. Friede ist eben nicht selbstverständlich.
1. Europa nach Napoleon: Von der Hegemonie zum Gleichgewicht Basierend auf ihren Bündnisverträgen wollten die Alliierten Napoleons Hegemonie durch ein gerechtes Gleichgewicht der Großmächte ersetzen. Doch bei der Aufteilung der „Beute“ gerieten sie selbst in Streit – und an den Rand des Krieges. Vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch: Der lange Weg nach Wien Als die Kongressteilnehmer im Herbst 1814 nach und nach in Wien eintrafen, waren viele Weichen schon gestellt. Die Verhandlungen begannen nicht bei Null. Es mussten Verträge und geheime Absprachen der Siegermächte England, Russland, Österreich und Preußen berücksichtigt werden; Vereinbarungen, welche die Grundlage für eine fragile Koalition gebildet hatten und auf deren Einhaltung die Betroffenen nun pochten. Als brisant erwiesen sich Fragen der territorialen Neugestaltung. Friedrich Wilhelm III. unterschrieb Ende Februar 1813 das Schutz- und Trutzbündnis von Kalisch nur, weil Zar Alexander I. in einem Geheimartikel versprach, „die Waffen nicht eher niederzulegen, bis Preußen [mit Ausnahme von Hannover] seinen ganzen früheren, statistischen, geographischen, finanziellen Zustand wieder erlangt haben wird und wieder geworden ist, was es vor dem Kriege gewesen“9; ebenso wurde der Habsburgermonarchie am 9. September im Vertrag von Teplitz die Wiederherstellung „auf dem status quo von 1805“10 zugesagt. Wie so oft lag der Teufel im Detail: Da Alexander Ansprüche auf das Großherzogtum Warschau erhob, das zum großen Teil aus ehemals preußischen Gebieten bestand, konnte man nicht einfach die alten Grenzbalken wieder aufstellen. Das gleiche Problem ergab sich auch in
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Bezug auf Bayern, das am 8. Oktober mit dem Vertrag von Ried zu den Alliierten wechselte. Da Österreich vorrangig Tirol, Vorarlberg und Salzburg von Bayern zurückverlangte, musste König Maximilian I. Joseph Kompensation garantiert werden, um ihn für das Bündnis zu gewinnen. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig traten die übrigen deutschen Rheinbundfürsten mit Ausnahme des mittlerweile gefangenen Königs von Sachsen der antinapoleonischen Koalition bei. Selbstverständlich ließen auch sie sich ihren Besitzstand zusichern. Mitteleuropa wurde plötzlich zu klein, um alle Ansprüche befriedigen zu können. Doch diese Fragen konnten bis nach dem Sieg aufgeschoben werden. Verlor man den Krieg, waren die Vereinbarungen ohnehin hinfällig – dann würde einmal mehr Napoleon die Grenzen ziehen. Anfang 1814 erwiesen sich die Wochen vor dem Einmarsch in Paris für die Diplomaten als gute Übung für den kommenden Kongress. Dabei ging es darum, im Kreis der Verbündeten den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden: Bevor man Napoleon Friedensbedingungen anbieten konnte, mussten sich die Alliierten selbst erst einig werden. Der österreichische Außenminister Metternich und sein britischer Kollege Robert Stewart Castlereagh Marquess of Londonderry, der Mitte Januar 1814 im alliierten Hauptquartier eintraf, stimmten in wesentlichen Grundsatzfragen überein und waren maßgeblich für den Erhalt der Koalition verantwortlich. Im Gegensatz zu Metternich, der die Wünsche seines ebenfalls anwesenden Souveräns berücksichtigen musste, hatte Castlereagh vom britischen Kabinett weitgehend freie Hand erhalten. Mitte Januar 1814 begann die Diskussion um einen Herrscherwechsel in Frankreich, die von der Frage dominiert wurde, inwieweit ein Eingreifen überhaupt legitim war. Die Bourbonen hatten aus Sicht der Verbündeten keineswegs ein historisches Recht auf den Thron, denn Napoleon galt als rechtmäßiger Herrscher Frankreichs. „Alle europäischen Souveräns (England zufälligerweise ausgenommen) haben ihn freiwillig und wiederholentlich anerkannt“11, schrieb Gentz Mitte Februar 1814, und Metternich gab zu bedenken, dass man sich in die Regierungsform unabhängiger Staaten nicht einmischen dürfe; die Thronfrage sei eine innerfranzösische Angelegenheit: „An dem Tag, an dem die Mächte sich auf den Standpunkt stellten, daß es – aus welchen nach-
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geordneten Gründen auch immer – zulässig sein könne, in die rechtmäßige Thronfolge in einem anderen Staate einzugreifen, ‚untergrüben sie die Existenz aller Throne‘.“12 Als die Friedensverhandlungen in Châtillon (9.2.–19.3.1814) scheiterten, wuchs jedoch auf Seiten der Verbündeten der Wunsch, Napoleon zu stürzen. „Ich habe gewiß zwischen Himmel und Erde keinen Grund, dem Kaiser Napoleon wohl zu wollen“, schrieb Gentz Mitte Februar an Metternich. „Die Erbitterung, das Bedürfnis der Rache, der Enthusiasmus für die Bourbons sind zu einer solchen Stärke angewachsen, daß heute weit mehr Mut dazu gehört, für Napoleon, als vor zwei oder drei Jahren, wider ihn zu sprechen. Dies alles weiß und fühle ich; ich weiß aber auch, daß andre Zeiten kommen und andre Ansichten Eingang finden werden.“13 Die Alliierten überließen es der provisorischen Regierung unter Charles Maurice de Talleyrand, Napoleon per Senatsbeschluss abzusetzen. Erstaunlich ist, dass gerade in der angespannten Situation zwischen Sieg und Niederlage mit dem Vertrag von Chaumont (unterzeichnet am 9. März, vordatiert auf den 1.) der Grundstein für eine langfristige diplomatische Zusammenarbeit zwischen England, Russland, Preußen und Österreich gelegt wurde, die ein auf 20 Jahre ausgelegtes Offensivund Defensivbündnis gegen Frankreich schlossen. Die Initiative kam von Castlereagh, der damit den Plan des früheren Premierministers William Pitt des Jüngeren aufgriff. Dieser hatte Zar Alexander bereits im Zuge des Dritten Koalitionskrieges 1804/05 eine „closest Union of Councils and Concert of Measures“14 vorgeschlagen; die wichtigsten Mächte Europas sollten gegenseitig ihre Rechte und Besitzungen anerkennen und so den Frieden wahren. Der Pariser Friede Napoleon dankte am 6. April ab; Talleyrand verhandelte mit den Alliierten. Die Souveräne Alexander, Franz und Friedrich Wilhelm hatten gehofft, die Neugestaltung Europas noch in Paris abschließen zu können. Doch jetzt traten all die Widersprüchlichkeiten zu Tage, die man vorab nicht geregelt hatte. Angesichts wachsender Spannungen kam von französischer Seite der Vorschlag, sich auf den Abschluss des Friedens zu konzentrieren und strittige Punkte auf einen späteren allgemeinen Kongress zu verschieben.
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Mit dem Ersten Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 konnte der französische König Ludwig XVIII. zufrieden sein. Unter der Zielsetzung eines stabilen Europas waren die Siegermächte auf Schonung bedacht, Frankreich sollte weder gedemütigt noch allzu sehr geschwächt werden. Wie Metternich in seinen Denkwürdigkeiten betonte, trug der Friede „das Gepräge der Mäßigung der Monarchen und ihrer Kabinette, einer Mäßigung, die nicht aus Schwäche entsprang, sondern aus dem Vorsatze, Europa einen dauernden Frieden zu sichern. […] Der mit Frankreich zu schließende Friede konnte nur unter dem Gesichtspunkte entweder einer an dem Lande zu nehmenden Rache oder des möglichsten politischen Gleichmaßes unter den Mächten ins Auge gefaßt werden.“15 Der Friedensvertrag entwarf die „grobe Skizze einer neuen politischen Ordnung in Europa, deren Details noch auszuarbeiten waren“.16 Zu den wichtigsten Punkten gehörte die Festlegung der französischen Grenzen auf den Status von 1792, durch Gebietsabrundungen und den Behalt der einst päpstlichen Enklaven Avignon und Venaissin gewann Frankreich aber doch rund eine halbe Million Einwohner hinzu. England erhielt wichtige Stützpunkte wie Malta; die Schweiz sollte neutral, Spanien und die italienischen Staaten souverän, die deutschen Länder in einem Bund vereinigt werden. Holland fiel an das Haus Oranien und sollte noch Gebietszuwachs erhalten, um ein Bollwerk gegen etwaige französische Expansionsgelüste zu bilden. Diese Regelungen waren größtenteils schon im Vertrag von Chaumont festgehalten worden. Gegen den Protest Preußens verzichteten die Alliierten, „um dem König von Frankreich einen neuen Beweis von ihrem Wunsche zu geben, alle Folgen dieser unglücklichen Kriegsperiode, soviel an ihnen ist, zu tilgen, […] auf alle Summen, welche die einzelnen Regierungen aus den Kriegen seit 1792 von Frankreich zu reklamieren hätten“;17 ebenso wenig wurde die Rückgabe der geraubten Kunstschätze gefordert. Der Vertrag hielt lediglich fest, dass Preußen die Quadriga des Brandenburger Tores zurückerhalten sollte. In Artikel 32 wurde bestimmt, dass „alle Mächte, welche an dem gegenwärtigen Kriege beteiligt waren, Bevollmächtigte nach Wien schicken“ würden, um dort „auf einem allgemeinen Kongreß die Bestimmungen des Vertrages zu vervollständigen“.18 Frankreich sollte laut einem Geheimartikel am Kongress teilnehmen, aber kein Mitspracherecht haben.
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Die Siegermächte wollten die Neuordnung unter sich aushandeln. Metternich: „Dieser Kongress [wird] weniger zum Negoziieren als zur Unterfertigung bestimmt sein.“19 Im Juni und Juli 1814 trafen Alexander, Friedrich Wilhelm und Metternich als Bevollmächtigter Österreichs in London mit dem englischen Prinzregenten, dem späteren König Georg IV., zusammen. Auch hier konnte die Neuregelung der europäischen Verhältnisse nicht abgeschlossen werden, wobei sich zunehmend Polen als Zankapfel herauskristallisierte: Mit seinem Anspruch auf das Großherzogtum Warschau schürte der Zar in England und Österreich Ängste vor einer russischen Hegemonie; hinzu kam am Wiener Hof die Furcht, dass Alexander mit seinen liberalen Plänen eine starke polnische Nationalbewegung auslösen und auch die unter habsburgischer Herrschaft stehenden Polen auf eine staatliche Wiedergeburt drängen könnte. Metternich und Castlereagh rückten noch näher zusammen. Weitab vom Geschehen blieb Gentz, der im Briefverkehr mit Metternich stand und verstimmt war, dass auf ihn so wenig Wert gelegt wurde. „In diesem Augenblick, wo ich vernehme, daß Ew. Durchl. Reise nach England entschieden ist, fühle ich doppelt die Kränkung, die Sie mir zugefügt haben, indem Sie mich nicht nach Paris beriefen und bei dieser großen Gelegenheit mich überhaupt so ganz, so unbedingt vergaßen“20, klagte er am 20. Mai. Ein wenig musste sich Gentz noch gedulden. Kongressdiplomatie: Gleichgewicht, Restauration und Legitimität „Die Leute hätten sich in den Kopf gesetzt, der Kongreß müsse kurz dauern und gleich aus sein; gescheitere Leute aber hätten es vorausgesehen, daß der Kongreß lang dauern müsse; gut Ding wolle Weile haben,“21 äußerte Wilhelm von Humboldt Mitte November. Man dachte, der Kongress werde in wenigen Wochen beendet sein. Doch obwohl die Teilnehmer ein gemeinsames großes Ziel verfolgten, konnten sie sich in vielen Einzelfragen nicht verständigen. Einig waren sich die Siegermächte, dass Frankreich nicht wieder zu einer Gefahr werden durfte und von einer direkten Beteiligung an den Verhandlungen ferngehalten werden sollte. Daneben verfolgte jede Großmacht ihre eigenen Ziele. England hatte in Wien keine weiteren territorialen Zugewinne zu erwarten und vertrat die Politik der „Balance of Power“. Ruhe und Friede
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auf dem Kontinent waren die Voraussetzung dafür, dass sich England auf seine See- und Kolonialmacht konzentrieren konnte. Österreich wollte die in den letzten Kriegen verlorenen Gebiete zurückerhalten und eine politisch einflussreiche Stellung in Deutschland und Norditalien erlangen. Als Befreier Europas, als der sich der Zar sah, wünschte er weiterhin eine bestimmende Rolle auf dem Kontinent einzunehmen; der Gewinn Polens sollte zu einer Westverlagerung des Zarenreiches beitragen. Preußen, das im Frieden von Tilsit von Napoleon halbiert und in den Jahren danach selbst als Verbündeter Frankreichs rücksichtslos ausgeplündert worden war, wollte durch die Wiederherstellung seines einstiges Umfangs wieder zur Großmacht aufsteigen. Durch die Einverleibung deutscher Gebiete wie Sachsen erhoffte sich Berlin zudem (gegenüber Österreich) eine stärkere Position im künftigen Deutschen Bund. Die Anwesenheit zahlreicher Souveräne sorgte für Glanz und Gloria in Wien. Bei gemeinsamen Auftritten demonstrierten die Monarchen Alexander, Franz und Friedrich Wilhelm Einigkeit und Zusammenhalt. Die Herrscher von England und Frankreich nahmen nicht am Kongress teil; Georg III. litt an einer psychischen Erkrankung, für Ludwig XVIII. musste die innenpolitische Stabilisierung Frankreichs Vorrang haben. An der praktischen Arbeit des Kongresses in den einzelnen Komitees hatten die Staatsoberhäupter wenig Anteil. Aber ihre Anwesenheit erleichterte die Verhandlungen, weil zur Einholung von Instruktionen keine langen Wege in Kauf genommen werden mussten. Darin liegt jedoch auch ein Nachteil für die Historiografie: Da vieles mündlich im Ballsaal oder am Buffet besprochen wurde, fehlen sonst übliche Quellen wie schriftliche Instruktionen. Die Hauptakteure des Kongresses waren also nicht unbedingt die Monarchen, sondern die jeweiligen Bevollmächtigten der Großmächte. Preußen wurde durch Karl August Fürst von Hardenberg vertreten, der als sehr fleißig galt. Obwohl prinzipiell nur ein Bevollmächtigter pro Staat zugelassen war, musste in seinem Fall eine Ausnahme gemacht werden, weil er „wegen seiner Schwerhörigkeit einen Dolmetscher benötigt[e]“22, wie Gentz an den Hospodar der Walachei, Caradja, schrieb. Allerdings war sich Hardenberg mit dem zweiten preußischen Delegierten, Wilhelm von Humboldt, nicht immer einig.
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Mehr als zufrieden war Gentz mit seiner neuen Rolle. „Ich bin seit einigen Wochen in einem Zustande, dem nichts von Allem, was ich in der Welt erlebt habe, zu vergleichen ist. Man hat mich gleich in einer der ersten Ministerialconferenzen par acclamation générale zum Sekretair des Congresses ernannt. […] Wann, wie, ob überhaupt je der Congreß al s so l c he r existiren wird, weiß ich nicht; […] Ich bin aber, in der That, eine Art von Mittelperson zwischen fünf oder sechs Ministern vom ersten Range, die in einem der entscheidendsten Augenblicke der Weltgeschichte über Angelegenheiten von ungeheurem Gewicht sich vereinigen sollen! – Mehr sage ich Ihnen nicht; […] Ponderiren Sie aber in einer ruhigen Stunde, was es für mich seyn muß, ein sol ches Geschäft zu führen“, schrieb er am 13. Oktober 1814 stolz an Adam Müller. Briefwechsel Gentz und Müller, 178 Varnhagen von Ense, Mitglied der preußischen Delegation und später preußischer Gesandter in Karlsruhe, bestätigte: „Der österreichische Hofrath [Gentz] stand sichtbar weit über diesem äußern Rang und genoß eines europäischen Ruhmes und Ansehens. Seine Stellung in den österreichischen Staatsgeschäften gab ihm schon Bedeutung genug, aber als Führer des Protokolls der Kongreßberathungen, als Mitglied so mancher Ausschüsse und Kommissionen, als kundiger Berather und lichtvoller Darsteller wurde er nach allen Seiten auch den höchsten Personen wichtig, und die ersten Staatsmänner gingen mit ihm auf dem Fuße der Gleichheit um.“ Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 223f.
Castlereagh hielt sich nur von Oktober bis Ende Januar 1815 in Wien auf; sein Nachfolger war Arthur Wellesley, der Herzog von Wellington. Der spätere Staatskanzler Nesselrode führte die russische Delegation an; als Gesandter Frankreichs erwies sich Talleyrand, am 13. Mai 1814 zum Außenminister berufen, als Glücksfall für Ludwig XVIII. Metternich nahm als Vertreter des Gastgeberlandes und Vorsitzender eine Sonderstellung ein. Mit seinem bewährten Lavieren und Taktieren konnte er auf dem diplomatischen Parkett brillieren. Dabei war seine Position am Wiener Hof alles andere als gesichert: Rund um den ehemaligen
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Außenminister Philipp Stadion, der nach der Niederlage gegen Napoleon 1809 seinen Stuhl für Metternich hatte räumen müssen, scharte sich eine entschlossene Oppositionspartei. „Herr von Raab von der Hofkammer sagt: ‚Herr v. Stadion und Graf Wallis sprechen ganz öffentlich und äußerst schimpflich von Fürst Metternich. Sie heißen den Fürsten geradezu einen Buben‘“, hielt Anfang November ein Polizeibericht fest. Die Intrigen gegen ihn gingen so weit, dass Metternich aufgeben wollte, wie Mitte Dezember aus höheren Kreisen verlautbart wurde: „Baron Wessenberg ist auch gar nicht zufrieden mit Fürst Metternich. Dieser hatte neulich um seine Entlassung gebeten. Kaiser Franz hat sie abgeschlagen, sagend: ‚So machen es alle meine Minister; wenn sie die Sache verderben, wenn sie sich nicht zu helfen wissen, dann nehmen sie ihre Entlassung.‘“23 Die Diplomaten trennten bei den Verhandlungen keine ideologischen Gegensätze, wie es in der Auseinandersetzung des Ancien Régime mit der Französischen Revolution der Fall gewesen war. Sie entstammten weitgehend derselben Generation und demselben Milieu, vornehmlich dem Adel oder dem zunehmend den Staatsdienst tragenden sogenannten Bildungsbürgertum. Sven Externbrink spricht in diesem Zusammenhang von einer „Generation Metternich“. Die Hauptakteure am Wiener Kongress wären demnach als „Angehörige einer durch gemeinsame kollektive Erfahrungen geprägten Generation“24 zu betrachten, zudem kannten sich viele bereits. Zum Zeitpunkt der Revolution standen Männer wie Talleyrand (geb. 1754), Castlereagh (geb. 1769), Karl August Fürst von Hardenberg (geb. 1750) und Gentz (geb. 1764) bereits am Beginn ihrer Karriere, Metternich (geb. 1773) erlebte die revolutionären Erschütterungen als Student in Straßburg mit. Die Französische Revolution, der Zusammenbruch des „Alten Europas“ und die Koalitionskriege waren die einschneidenden historischen Ereignisse dieser Zeit. Die Machtverhältnisse auf dem Kongress „Der eigentliche Congreß ist zwar noch nicht im Gange, aber seit dem 16. finden täglich Conferenzen zwischen den vier Hauptministern statt, denen bisher niemand als Humboldt beigewohnt hat“25, schrieb Gentz am 22. September 1814 an Adam Müller. An diesem Tag fand eine Konferenz der Siegermächte statt; im Protokoll derselben argumentierten die vier, dass sie als oberster Aus-
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schuss des Kongresses die Neuordnung Europas übernehmen wollten, da „unmöglich so viele zum Kongreß versammelte Vertreter die zu beratenden Gegenstände ordnen und Entwürfe zu Vereinbarungen abfassen können“.26 Im Separatprotokoll kommt zum Ausdruck, warum sich die Alliierten dazu berechtigt fühlten: „Die Bestimmung über die eroberten Provinzen gehört der Natur der Sache nach denjenigen Mächten, durch deren Anstrengungen die Eroberung vollzogen ist.“27 Talleyrand, der am 23. September in Wien eintraf, wurde zusammen mit dem spanischen Gesandten, dem Marquis Pedro Gómez de Labrador, eingeladen, am 30. September einer vertraulichen Sitzung der Siegermächte beizuwohnen. Als Verlierermacht sollte Frankreich kein Mitspracherecht besitzen. Doch Talleyrand wäre nicht Talleyrand – „ein wurmstichiges Herz, aber ein trefflicher Kopf“28, so Erzherzog Johann – gewesen, wenn er aus dieser ungünstigen Ausgangssituation nicht das Beste gemacht hätte. Unmissverständlich machte Talleyrand den Vertretern der Quadrupelallianz klar, was er von ihrem Protokoll vom 22. September hielt. Unter Hinweis auf den Friedensvertrag protestierte er gegen die Bezeichnung „Verbündete“ und beanstandete, dass nicht die Vertreter aller acht Signatarmächte (neben den großen Vier hatten auch Frankreich, Spanien, Portugal und Schweden den Friedensvertrag unterzeichnet) eingeladen worden waren. Talleyrand erreichte die Zurücknahme des Protokolls. Mit seiner Forderung nach einem Gesamtkongress konnte er sich indes nicht durchsetzen: Dieser trat nämlich nur ein einziges Mal zusammen, zur feierlichen Unterzeichnung der Kongressakte am 9. Juni 1815. Auf Drängen Talleyrands fand am 8. Oktober die erste Konferenz der acht Signatarmächte statt, auf der die Entscheidung getroffen wurde, die offizielle Kongresseröffnung auf Anfang November zu verschieben. Bis dahin fanden keine weiteren offiziellen Konferenzen statt. Wie Gentz am 11. Oktober an Caradja schrieb, war „dieses sogenannte Achterkomitee im Grunde bloß eine Form ohne tatsächlichen Inhalt, denn man weiß recht gut, daß die wichtigsten Angelegenheiten nur zwischen den vier Mächten verhandelt werden, die an der Spitze der einstigen Koalition standen“.29 Die großen Vier versuchten die Zeit zu nutzen, um intern zu einer Einigung zu gelangen: „Die geheimen Unterhandlungen
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zwischen den Ministern von Rußland, Österreich, Preußen und England sind seit einigen Tagen im Gange. Die Hauptgegenstände dieser Unterhandlungen sind die Angelegenheiten Polens und die Gebietsverteilung in Deutschland […] Bis jetzt ist es noch sehr zweifelhaft, ob die drei ersteren Mächte sich auch nur untereinander einigen können.“30 Für die praktische Arbeit entwickelte der Wiener Kongress moderne Verfahren mit Ausschüssen und Expertengruppen, die von den Vertretern der Großmächte dominiert wurden und selten mehr als acht Teilnehmer hatten. Während sich das „Deutsche Komitee“ der Organisation und Verfassung des künftigen Bundes widmete, ließ Metternich kein „italienisches“ Komitee zu – die Neuordnung Italiens wollte er nicht aus der Hand geben. Für die Schweiz und die Niederlande wurden eigene Kommissionen eingerichtet; die „Statistische Kommission“ erstellte auf der Basis von „Seelen“, also der Bevölkerungszahl, die Grundlagen für Grenzverschiebungen, wobei auch Wirtschaftsleben und Steuereinkünfte in Betracht gezogen wurden. Die Mitglieder der Komitees standen unter dem Druck diverser Interessenvertreter. Denn neben den konfliktträchtigen Fragen der territorialen Neuordnung Europas sollten weitere Punkte auf die Tagesordnung des Kongresses gebracht werden. Die Diplomaten waren nicht die Einzigen, die mit Wünschen und Forderungen nach Wien anreisten. „Wo man nur hinsieht, Widerspruch und Verwirrung, ohne Aussicht, daß es anders werden könne. […] Täglich häufen sich die Forderungen, wie immer mehr und mehr böse Geister aufsteigen, sobald ein Zauberer die Hölle beschwört und das Lösungswort vergessen hat. Wer verlangt und nichts erhält, ist unzufrieden und hetzt. – Sogar die von Napoleon Dotierten haben ihren Abgesandten, und die Marschälle fordern frech ihre Güter in Deutschland zurück“31, hielt Karl von Nostitz im Dezember 1814 in seinem Tagebuch fest. Verleger wie Johann Friedrich von Cotta und Carl Bertuch kamen als „Deputierte teutscher Buchhändler“, um sich für ein Verbot von Nachdrucken und die Aufhebung der Zensur einzusetzen. Der Johanniterorden bemühte sich um Restitution; die Kölner Schiffer schickten eine Abordnung; die Juden von Hamburg, Bremen, Lübeck und Frankfurt entsandten Delegierte, um über ihre bürgerlichen Rechte zu diskutieren. Als Vertreter des Heiligen Stuhls setzte Kardinal Ercole Consalvi die Wiederherstellung des Kirchen-
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staates durch, ein Konkordat erreichte er jedoch nicht. Ein Vertreter des Malteserordens zeigte sich unzufrieden mit den Ergebnissen, woraufhin ihm Talleyrand antwortete: „Recht so, jeder muß ein wenig unzufrieden von hier fortgehen, jeder irgend ein Opfer bringen. Aus diesen Opfern erwächst der Zusammenhang aller, das allgemeine Wohl.“32 Legitimität, Gleichgewicht, Restauration Wie weit sind diese Schlagwörter zutreffend? Der Begriff der „Restauration“ bezeichnet die Epoche zwischen Wiener Kongress und den Julirevolutionen 1830 und bezieht sich auf den Versuch, die Umwälzungen der Französischen Revolution und der Koalitionskriege zu revidieren. Grad und Ausprägung der Wiederherstellung der alten Zustände waren von Land zu Land verschieden. Wie der Kurfürst von Hessen, der die Jahre seiner Vertreibung aus dem Kalender und dem kollektiven Gedächtnis seines Landes zu streichen versuchte, kehrte auch Ferdinand VII. in Spanien zu einem absolutistischen Regierungsstil zurück und hatte daher, wie Varnhagen von Ense berichtete, keine Zeit, zum Kongress zu kommen: „Der König Ferdinand VII. von Spanien hatte in seinem Lande vollauf zu thun, das edle Volk zu knechten und zu strafen, das in dem heldenmüthigen Kampfe der Treue auch nothgedrungen zur Freiheit sich erhoben hatte.“33 Andere Länder setzten den reformorientierten Kurs der napoleonischen Ära fort und entwickelten sich zu Verfassungsstaaten. Auf europäischer Ebene versuchten die Diplomaten auf dem Wiener Kongress gar nicht erst, die Staatenwelt des Ancien Régime wiederherzustellen, sondern berücksichtigten die Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Ihre Leistung bestand „in der gelungenen Mischung von Alt und Neu, in der ‚métissage‘ [Verschmelzung] von Methoden, Ideen und Handlungsweisen“.34 Die Neuordnung und Restauration von Monarchien beruhte auf Macht, gegenseitigen Ansprüchen und Zugeständnissen. Legitim war, auf was sich die Großmächte verständigten. Es nützte dem König von Sachsen wenig, auf die Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft zu pochen, auch wenn Kaiser Franz feststellte: „’s ist halt ein hartes Ding, einen Regenten vom Thron zu stoßen.“35 Als Argument wurde Legitimität vor allem benutzt, um die revolutionäre Ideologie, die Idee der Volkssouveränität sowie nationale und liberale Strömungen, die sich in den Befrei-
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ungskriegen verstärkt hatten, zurückzudrängen. Die Souveräne und ihre Minister wollten das Kapitel Französische Revolution und politische Umwälzung von unten ein für allemal abschließen und das monarchische Prinzip als Basis für ein stabiles Europa stärken. Von einem Gleichgewicht der Großmächte kann ebenfalls nur bedingt die Rede sein. Russland war die militärisch stärkste Kontinentalmacht, England die Finanz-, Wirtschafts- und Seemacht; von Preußen heißt es sogar, dass es eigentlich gar keine Großmacht war. Politisches Gleichgewicht sei, so erklärte Gentz in seiner 1806 publizierten Schrift Fragmente aus der neusten Geschichte des Politischen Gleichgewichts in Europa, die Verfassung nebeneinander bestehender, mehr oder weniger verbundener Staaten, wobei keiner ohne Gefahr für sich selbst die Unabhängigkeit oder Rechte des anderen beschädigen könne. Wichtig war, dass keine Macht wie zuletzt Frankreich unter Napoleon so mächtig wurde, dass sie nicht durch die Gesamtheit der übrigen Mächte bezwungen werden konnte.36
Republikanische Grundsätze wie in den USA konnte man sich in Wien schwer vorstellen. Varnhagen von Ense berichtete, wie ein gewisser Bollmann in einer Gesellschaft von den Vereinigten Staaten Nordamerikas und ihrer Verfassung erzählte – und damit für Irritationen sorgte: „Das ganze Land war uns durch den langen Seekrieg fremd geworden, noch fremder die Vorstellung eines solchen Freistaats, dessen Entwicklung das fabelhafte, ja schreckbare Beispiel zeigte, daß gemeine Bürger eine Macht und Größe aufzustellen vermögen, die wir in Europa immer nur mit Adel und Königen zu verknüpfen pflegen. Durch die Naivität der Fragen eines anwesenden Diplomaten, dessen unermüdliche Wißbegier nie befriedigt werden konnte, wurde der Vortrag nach und nach ein vollständiger, mit schlagenden Beispielen ausgestatteter Kursus republikanischer Grundlehren und Vorbilder, wie man grade hier bei dem Monarchenkongresse am wenigsten für möglich gehalten hätte. Gentz fühlte sich durch das Gewicht der Sache wie zerschmettert, und beunruhigt wie bei einem Attentat, das in seiner Gegenwart versucht worden. Der gute Bollmann aber hatte keine Arg dabei.“ Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 253.
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Der Kongress tanzt: Gesellschaftsleben, Alltag, Spionage „Treffend scherzte der alte Fürst von Ligne: ‚Les Congrès danse bien, mais il ne marche pas!‘ [Der Kongress tanzt, aber er marschiert nicht] und das glückliche Wort flog schnell durch ganz Wien, ja durch Europa.“37 Der in bürgerlichen Kreisen und in den Tanztempeln der Vorstadt beliebte Wiener Walzer wurde in der Hofgesellschaft selten getanzt; Nostitz klagte: „Der Tanz ist langweilig und verändert wie ganz Wien. Sonst schwebte Alles im Taumel des Walzers bunt durch einander […] jetzt fast nichts als Polonaisen, die von alten Damen mit den großen Herren durch die Reihen der Zimmer abgetanzt werden.“38 In Wien herrschte die seltsam aufgeladene Stimmung einer Umbruchzeit: Zur Freude und Erleichterung nach dem Ende der Kriege mischte sich die Furcht vor einer ungewissen Zukunft. Varnhagen von Ense sprach von der besonderen „Atmosphäre des Wiener Lebens […] die heitre, auf derben Genuß gerichtete Sinnlichkeit, die stark ansprechende Scherz- und Lachlust, die vergnügte, von Wohlbehagen genährte Gutmüthigkeit, der schon halb italiänische Müßiggang […] die naive, ausdrucksvolle Mundart, so rundlich bequem hinzuwälzen, und doch so leicht in scharfen Witz zuzuspitzen […] alles dies gehört so eigenthümlich zu dem Wiener Kongresse“.39 Weit über hundert Großveranstaltungen, zahlreiche kleinere Festlichkeiten und Privatfeiern, Theateraufführungen, Feuerwerke, Jagden, Konzerte und Schlittenfahrten boten Unterhaltung. „Auch das optisch-mechanische Theater in der Jägerzeile wird häufig besucht. Es enthält unter anderem den Brand von Moskau, die Schlacht bey Leipzig, den Übergang der verbündeten Armee bey Schaffhausen über den Rhein, den Triumpheinzug derselben in Paris, von mehreren 1000 beweglichen Figuren belebt“40, berichtete der Wiener Rechnungsbeamte Matthias Franz Perth. Anfang Oktober zog der Hof nach Bruck an der Leitha, um dort einem Artilleriemanöver beizuwohnen; die Monarchen unternahmen außerdem eine einwöchige Reise nach Ofen. All das lieferte die bunte Kulisse für das Treffen der Herrscher und ihrer Minister. Zu viel Geselligkeit, zu wenig ernsthafte Arbeit, dies wurde bereits von Zeitgenossen kritisiert: „Man sollte die Souveräne und die Minister in ein strenges Conclave sperren, es würde gleich vorangehen.“41 Dabei
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übersieht man leicht, dass die Bälle und Festivitäten hoch politisch waren. Nach den Sitzungen war der Feierabend eben kein Feierabend. Das Gesellschaftsleben schuf einen Rahmen abseits der Konferenztische, in dem Monarchen und Diplomaten ungezwungener miteinander verkehren konnten. Man lernte sich kennen, konnte Vertrauen aufbauen, sich in die Augen sehen. „Niemals sind ohne Zweifel wichtigere und verwickeltere Fragen inmitten so vieler Festlichkeiten verhandelt worden. Auf einem Balle wurden Königreiche vergrößert oder zerstückelt, auf einem Diner eine Schadloshaltung bewilligt, eine Verfassung auf der Jagd entworfen, und bisweilen brachte ein Bonmot, ein glücklicher Einfall einen Traktat zustande, den zahlreiche Konferenzen und geschäftiger Briefwechsel nur mit Mühe zum Abschluss hätte bringen können“42, betonte der Kongressbeobachter Graf Auguste Louis Charles de La Garde die politische Bedeutung der Feierlichkeiten. Nicht zu unterschätzen war die öffentliche Wirkung: Vor ganz Europa inszenierten die Monarchen ihre brüderliche Einigkeit; nach der napoleonischen Ära und den ständig wechselnden Bündniskonstellationen wurde hier bewusst Solidarität demonstriert. In den folgenden Monaten gaben sich die hohen Herren überwiegend volksnah. Man erlebte die Monarchen in völlig neuen Rollen, weniger als Herrscher von Gottes Gnaden, sondern als Menschen. „Man vergötterte sie beinahe anfangs. Allein bald nach den ersten Belustigungsfesten, wo man sie so oft zu sehen und so vieles von ihnen zu hören bekam, trat schon Gleichgültigkeit ein“43, und man verspottete ihre Schwächen und Eigenheiten. Der dicke, als homosexuell geltende König Friedrich von Württemberg ließ „sich wie ein Mastschwein in den Hofkutschen dahinrasseln“44 und zeigte sich, wie Perth vermerkte, im Gegensatz zu den anderen Monarchen wenig leutselig. Der Zar stieß in höchsten Kreisen auf Kritik: „Die sämtlichen in Wien anwesenden Könige und Souverains und derselben Kabinete und Minister haben diese Opinion vom K. Alexander: ‚Wäre er doch zu Hause geblieben, was hätte er für einen Namen behauptet! [...]‘ “45, informierte ein hochrangiger Gast die Polizeihofstelle; derselbe am 10. Januar: „In kleinen Cirkeln heißt es: ‚Der russische Kaiser ist ein zweideutiger, falscher, schwacher Mensch, ein schlechter Freund, ein schlechter Feind, ein Brausekopf, der, werden ihm die Zähne gezeigt, gleich die Fittige einzieht. Hat in Europa alle Considera-
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tion verloren. Sie schämen sich auch in Petersburg, einen tanzsüchtigen Nachtschwärmer zum Kaiser zu haben.‘ “46 Die Briten erschienen in Wien als seltsames Völkchen. Castlereagh benötigte oft einen Übersetzer, da er die Sprache der Diplomaten – Französisch – nur unvollkommen beherrschte. Auch die geografischen Verhältnisse des Kontinents waren ihm nicht sehr vertraut. „Ebenso wird gelacht über Lord und Lady Castlereagh, daß in den Häusern, in den Zimmern, auf den Straßen, in den Boutiquen sie Arm in Arm gehen,
Das älteste Gewerbe der Welt blühte auf. Während sich die österreichischen Erzherzöge vorbildlich verhielten, benahmen sich ausländische Herren, etwa Napoleons Stiefsohn Eugène Beauharnais und der Erbprinz von Darmstadt, angeblich unter ihrer Würde. „Auch ist kein Schlupfwinkel in der Stadt, wo selbe sich nicht zu den gemeinsten Weibspersonen bei Tag und Nacht verlieren. Und in dieser Hinsicht hat wirklich die Anwesenheit des Kongresses ein böses Beispiel gegeben und auf die Moralität einen nachteiligen Einfluß gehabt. Es haben sich eine Menge galante Frauenzimmer etabliert, von denen man vorher wenig oder gar nichts hörte, die nun große Wohnungen halten und reichlichen Verdienst haben und wieder andere Mädchen wegen der Leichtigkeit und Einträglichkeit des Verdienstes zum gleichen Handwerk verführen. Daß in dieser Art Unterhaltung und Ausschweifung die inländischen Kavaliere den fremden nicht ganz nachstehen und daß Andere dem Beispiele der Größeren folgen, ist eine bekannte Sache.“ Fournier, Geheimpolizei, 406. Skandalös ging es manchmal auch in besseren Häusern zu, wie einem geheimen Polizeibericht zu entnehmen ist: „(Bei der Fürstin Bagration war auch eine Tochter des Fürsten Starhemberg mit ihren Eltern beim Pfänderspiel anwesend. Sie geht während des Spiels mit einem Russen ins letzte Zimmer. Der Russe sperrt die Türe von innen ab, die der Fürst aufsprengt.) Die Leute sagen, bei der Bagration ist ein B……; dahin gehört keine Tochter mit ihrer Mutter.“ Fournier, Geheimpolizei, 263.
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daß in den Boutiquen sie alle Waren sich zeigen lassen und nichts kaufen. Man heißt sie die englischen Kleinstädter und sagt, so schmutzige Engländer als diese waren nie in Wien“47, konnte man in einem Polizeibericht lesen. Castlereaghs Halbbruder, Lord Charles Stewart, sorgte durch eine Prügelei mit einem Wiener Fiaker für Aufsehen; Wellington war zwar ein gefeierter Kriegsheld und schön anzusehen, galt aber als eingebildet. Für Klatsch und Tratsch sorgten nicht nur Metternichs „Weibergeschichten“48; er lieferte sich mit dem Zaren einen Hahnenkampf um die Fürstin Katharina Bagration und die Herzogin Wilhelmine von Sagan. Wie ein Informant der Polizeihofstelle berichtete, verspotteten die Preußen bei einem Treffen deutscher Kongressteilnehmer das Wiener Ministerium: „Sie sagen: ‚Metternich weiß vor Liebe und beleidigter Eitelkeit sich nicht zu fassen; er verliert jeden Vormittag, indem er nie vor 10 Uhr früh das Bett verläßt, und, kaum angezogen, zur Sagan seufzen gehet, 5–6 Stunden, behält kaum so viele Zeit, um unter 40 Menschen, die jeden Tag ihn zu sprechen haben, kaum 3–4 vorzulassen […] Dennoch ist er voll Überzeugung, die Welt zu regieren, so wie er vor 4 Jahren in Paris den ewigen Frieden zu machen den Irrwahn hatte.‘“49 Bei den Affären handelte es sich nicht um rein private Angelegenheiten, wie in einem Polizeibericht im Januar bestätigt wurde: „Sie [Bagration und Sagan] haben bis heute bei Weitem zu vielen Einfluß in dem Congreß, sind decidirte preußisch-russische Agenten.“50 Ein teures Pflaster Zur Zeit des Kongresses hatte Wien etwa 265 000 Einwohner; im Herbst trafen rund 30 000 Gäste ein, die untergebracht werden wollten. „Menschen, die kurz vorher über Mangel an Raum für sich und ihre Familien geklagt hatten, fanden auf einmal Platz genug, einen oder gar zwei Fremde für monatlich 100 auch 2–300 Gulden und darüber zu beherbergen, und es kam so weit, daß viele Bogen lange Verzeichnisse leerer Zimmer und Wohnungen ausgegeben wurden, weil jedermann, selbst die Vermöglicheren, ein Behagen in der Hoffnung fand, durch die Vermietung eines Zimmers auf ein paar Monate, den ganzjährigen Zins und noch etwas darüber hereinzubringen. Hierdurch geschah es auch, daß zwar die Ankommenden Anfangs über die Theuerung der Wohnungen (da die öffentlichen Gasthäuser mit dem Bei-
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spiele, das schlechteste Zimmer täglich um 4 bis 5, auch 7 f anzusetzen, vorausgegangen waren) klagten, aber doch mehr ein Überfluß als ein Mangel an Quartieren war.“51 Das Großereignis belebte die Konjunktur, auf der anderen Seite stiegen jedoch die Wohn- und Lebenshaltungskosten. Am 1. Januar wurde die Erwerbssteuer um 50 % erhöht. Inflation und höhere Lebensmittelpreise trafen vor allem die einfache Bevölkerung empfindlich, für die es ums Überleben ging, wenn der Laib Brot das Doppelte kostete. Interessant ist jedoch, dass sich die in den Quellen überlieferten Klagen über die Teuerung und die Kosten des Kongresses bis in die höchsten Kreise hinaufziehen. Als Rechnungsbeamter erhielt Perth eine freie Eintrittskarte für die große Hofredoute: „Ich leistete hierauf Verzicht, da die Ballkleidung vorgeschrieben war, ich mir vieles nun hätte anschaffen müssen, welches mit bedeutenden Kosten verbunden gewesen wäre.“52 Ende November wurde in der Hofreitschule ein spektakuläres Karussell veranstaltet, bei dem sich die Vertreter des höchsten Adels als mittelalterliche Ritter verkleideten. „In den Coterien beschäftigen sie sich sehr mit dem Caroussell. Sie sagen, die geringste Schärpe, die eine Dame ihrem Ritter schenket, kostet 1000 Gulden W. W. [Wiener Währung]. Die Damen und Cavaliere klagen entsetzlich über die Dépensen, die der Aufenthalt der auswärtigen Souveräne und die gar häufigen Feste ihnen verursachen. Sie sagen: ‚Die Damen können diese Dépensen nicht mit dem gewöhnlichen Nadelgeld bestreiten. Die Männer müssen zulegen.‘“53 Angesichts des Aufwands, der für solche Großveranstaltungen betrieben wurde, zeigte sich mancher Besucher verblüfft, wie ein Polizeiinformant berichtete: „Über das gestrige Carrousel sind die Fremden allgemein erstaunt, und zwar vorzüglich wegen des Reichthums an Schmuck bei den Damen. Die Preußen sagen mir: ‚Du mein Gott, da kann man ja damit drei Campagnen führen.‘“54 Bereits Anfang Oktober klagten die Abgeordneten der kleinen Höfe sowie der Korporationen und Städte über die Teuerung, „weil sie größtentheils schon ihre Baarschaft aufgezehrt haben“.55 Genuss- und Lebensmittel wie Zucker und Kaffee, Brot und Fleisch wurden empfindlich teuer; auch Kerzen stiegen im Preis. „Dieser auf unbestimmte Zeit verlängerte Aufenthalt der auswärtigen Souveräne in Wien macht in
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Als Gastgeber griff Kaiser Franz tief in die Kasse. Die meisten Souveräne wurden in der Hofburg untergebracht, während Franz selbst nach Schönbrunn zog. Perth schrieb in sein Tagebuch: „Das hiesige Volk, welches jede Gelegenheit ergreift, um seinen Witz zu zeigen, und weiß, daß der Kaiser von Rußland sehr gerne tanzt, der König von Preussen nachdenkend ist, der König von Dänemark über die hiesigen brillanten Feste viele Verwunderung zeigt, der König von Baiern gerne trinkt und jener von Würtemberg [!] viel zu essen pflegt, spricht nun von diesen Monarchen: Der Kaiser von Rußland tanzt für alle, Der König von Preussen denkt für alle, Der König von Dänemark verwundert sich für alle, Der König von Baiern trinkt für alle, Der Kaiser von Österreich zahlt für alle“ – nämlich über sieben Millionen Gulden. Perth, Kongresstagebuch, 62.
Wien und in ganz Deutschland einen äußerst schädlichen Eindruck. Sie sagen: ‚Das ist eine neue Art Krieg zu führen: den Feind auffressen.‘“56 Spionage Seit bekannt ist, dass sogar das Handy der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel von einer US-Behörde abgehört wurde, ist klar: Ausspioniert werden nicht nur Feinde, sondern auch Verbündete. Es verhandelt sich viel einfacher, wenn man weiß, was der andere plant und wer sich auf gut Wienerisch mit wem „auf a Packerl haut“ (= zusammentut). Die Wiener Polizeihofstelle hatte schon seit Jahren ein System der Überwachung etabliert: Sogenannte „Vertraute höheren Standes“ berichteten – natürlich gegen viel Geld – aus den besseren Kreisen; wichtige Informationen lieferten zudem die Agenten niederer Kategorien, die man als Dienstboten bei fremden Gesandtschaften einschleuste. Sie durchsuchten Papierkörbe; zerrissene oder verworfene Entwürfe wurden „kunstvoll durch Reihen winziger Siegellackplätzchen aneinandergefügt“57, Briefe geöffnet, abgeschrieben und erst dann zugestellt, wobei der Inhalt oft mühsam dechiffriert werden musste. Detektive über-
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wachten fremde Persönlichkeiten und hielten genau fest, wen sie besuchten und mit wem sie sprachen. Der Präsident der Polizeihofstelle, Franz Hager von Allentsteig, musste nur die Zahl seiner Spione erhöhen, um den Anforderungen des Wiener Kongresses gerecht zu werden. Selbstverständlich brachten auch die nach Wien kommenden Delegationen ihre Nachrichtendienste mit. Der Kongress wurde zu einem Tummelplatz für Spione. Schon damals spielten schöne Frauen eine Rolle: „[Der französische Delegierte Herzog Emmerich Joseph von] Dalberg hat dem [badischen Bevollmächtigten Karl Theodor von] Hacke erzählt, daß er ein Mädchen hier kenne, zu welcher auch Czernitscheff komme, und dieser hätte ihr Gold angeboten, um dem Dalberg Papiere, Briefe, kurz interessante politische Sachen herauszupraktiziren und sie ihm zu geben. Dalberg sagte, überhaupt hätten die Russen alle Mädchen in ihrem Sold“58, so konnte man Anfang Februar 1815 in einem Polizeibericht lesen. Die Liebhaberinnen einflussreicher Männer dienten als wertvolle Quellen, so etwa eine gewisse Frau Schwarz, die schon in St. Petersburg eine Affäre mit dem Zaren hatte und nach Wien gekommen war. Wie es in einem Polizeibericht vom 27. Januar hieß, war sie mehr als nur eine gewöhnliche Liebschaft des Zaren: „Allein dem dänischen Kabinet ist es bekannt, daß dieses Weib sammt ihrem Manne von Alexander zu den feinsten Staatsintriguen gebraucht werde.“ Daher erhielt Kammerjunker von Scholten den Auftrag, Kontakt zu ihr herzustellen und sie mit kostbaren Geschenken zu verwöhnen, „und so suchte er, besonders in schwachen vertraulichen Stunden, zu erfahren, was Alexander mit ihr spricht, da er sie hier zu Wien wenigstens alle Wochen zweimal besucht, und was er etwa ihr für geheime Aufträge gibt. Das Resultat hievon ist mir nur zum Theile bekannt geworden: Alexander mache sich oft bei ihr lustig über unsern Kaiser und noch mehr über den Kronprinzen.“59 So gut das Spionagenetz der Wiener Polizeihofstelle auch sein mochte, die „Abwehr“ ließ zu wünschen übrig. Ein „Vertrauter höheren Standes“ berichtete Mitte Oktober, wie unzufrieden viele in der Staatskanzlei waren und welche Folgen das hatte: „Alle diese Leute intriguiren gegen Fürst Metternich; sie verweben vielleicht die fremden Höfe in ihre Intriguen. Die Staatskanzlei ist wirklich nicht geschlossen. Ich weiß nicht, weiß unser Fürst Metternich, wie schlecht das Personale der
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Staatskanzlei das Dienstgeheimnis beobachtet, wie wenig sie dessen Person attachirt sind? B. v. Limpens erzählt uns aus der Staatskanzlei, was wir verlangen.“60 Europas neue Grenzen: Das große Feilschen um Land und Herrschaft Auch die territoriale Neuordnung Europas erfolgte nicht nach festgelegten Prinzipien, sondern beruhte auf machtpolitischen Ansprüchen und gegenseitigen Konzessionen. Gegenüber Caradja bezeichnete Gentz die Aufgabe des Kongresses schlichtweg als „Verteilung der dem Besiegten abgenommenen Beute unter die Sieger“.61 Die Grenzziehungen folgten aber der grundsätzlichen Idee des Ausgleichs und der Stabilität. Man wollte saturierte (Groß-)Mächte, um nicht erneut durch Expansionsgelüste einen Krieg heraufzubeschwören. Die Kongressteilnehmer hofften auf eine längerfristige Lösung, sodass nach der Einigung über die Neuordnung Europas künftige Veränderungen der Staatsgrenzen weitgehend ausgeschlossen werden sollten. „Friedenswahrung bedeutete nunmehr Bestandsgarantie auch der kleinsten Mitglieder der internationalen Gemeinschaft“62, sofern die Grenzen nicht auf diplomatischem, gemeinsamem Weg verschoben wurden. Die Neugestaltung der europäischen Landkarte ist am ehesten als Kompromiss zwischen dem traditionellen Streben der einzelnen Mächte nach Expansion und Machtgewinn auf der einen und dem übergeordneten, durch den Kongress vertretenen Ziel eines europäischen Konzerts auf der anderen Seite zu werten. Die Gebietsveränderungen sollen hier nicht im Detail nachgezeichnet, sondern nur die wichtigsten Entscheidungen aufgezeigt werden. Im Sinne der Quadrupelallianz hatte der Sicherheitsgedanke Vorrang. Castlereagh und Metternich waren sich einig, dass ein starkes holländisch-belgisches Königreich als Bollwerk gegen Frankreich dienen sollte; die nördlichen und südlichen Niederlande wurden daher unter dem Haus Oranien vereinigt. Auch die deutschen Provinzen sollten fähig sein, ihre Westgrenze gegenüber Frankreich zu behaupten. Die napoleonische Flurbereinigung blieb trotz einiger Arrondierungen und Verschiebungen weitgehend erhalten; unter anderem wurden das Haus
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Hannover unter dem britischen König, beide Mecklenburgs und Kurhessen restauriert. Österreich konnte seine Erblande zu einem territorial geschlossenen Gebilde abrunden und seine lange erstrebte Vormachtstellung an der nördlichen Adria ausbauen. Es erhielt Tirol, Vorarlberg und die „Illyrischen Provinzen“ (Oberkärnten, Osttirol, Krain, Dalmatien, Istrien) zurück. Metternich hielt es für sinnvoll, dem „Nationalgeist“ der Völker, die unter die Herrschaft Österreichs kamen, entgegenzukommen, und schlug für die südslawische Bevölkerung ein „Königreich Illyrien“ vor. Venedig wurde als unabhängiger Staat ausradiert; zusammen mit der Lombardei fiel es an Österreich, wobei Metternich die Italiener dadurch für die habsburgische Herrschaft gewinnen wollte, „daß man diesen Provinzen eine Verwaltungsform gebe, welche den Italienern beweise, man wolle sie nicht mit den deutschen Provinzen der Monarchie ganz gleich behandeln und sozusagen verschmelzen“.63 Im Herbst hoffte er sogar auf eine „Lega Italica“ getaufte Defensivallianz der souveränen italienischen Staaten (ähnlich dem Deutschen Bund) unter österreichischer Führung. Dieser Plan scheiterte jedoch am Kaiser. In der Toskana und in Modena wurden Sekundogenituren (habsburgische Nebenlinien) eingerichtet. Dänemark musste Norwegen an Schweden abtreten. Krakau wurde zur freien Stadt erklärt und die Neutralität der Schweiz bestätigt. Die ehemalige Republik Genua fiel an das Königreich Sardinien-Piemont. Der Kirchenstaat wurde weitgehend restituiert, erhielt aber die französischen Enklaven Avignon und Venaissin nicht zurück. Von einem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, wie es nach dem Ersten Weltkrieg zur staatlichen Neuordnung Europas propagiert wurde, war man rund 100 Jahre davor weit entfernt. Dass die Menschen aber schon damals Wünsche und Vorlieben bezüglich der politischen Herrschaft äußerten, ist klar. Nur beachtet wurden sie nicht. „[I]n Italien heißt es allgemein und einhellig in den sämmtlichen von uns occupirten Ländern: ‚Unter Napoleon waren wir besser daran als gegenwärtig unter Österreich.‘ So sprechen die in Wien anwesenden Italiener, so lauten die aus Italien in Wien anlangenden Briefe, so lese ich sogar in einem Artikel des ‚Moniteur‘ […], so gesteht selbst Baron Wessenberg ein unter vier Augen“64, schrieb ein „Vertrauter höheren Standes“ Ende Oktober für die Polizeihofstelle nieder.
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Teilweise zeigte sich der Versuch, die „Stimme des Volkes“ für eigene politische Zwecke zu instrumentalisieren, wie derselbe Informant, gestützt auf die Aussage des Buchhändlers Hurter aus Freiburg, am 10. November berichtete: „Die Mediatisirten [deutsche Fürsten, die im Zuge der territorialen Flurbereinigung des Alten Reiches ab 1803 ihre Reichsunmittelbarkeit verloren hatten] in Wien lassen das Schwabenland so sprechen, wie in ihren Kram es eben taugt.“65 Mit einer künftigen preußischen Herrschaft wollte man am linken Rheinufer keine rechte Freude haben, wie Mainzer Deputierte in Wien äußerten. „Am linken Rheinufer hat man allgemein die Pfälzer oder Bayern um deswillen lieber, weil sie weniger interessirt und schmutzig sind als die Preußen und weil vor dem französischen Kriege am linken Rheinufer mehrere Länder […] pfälzisch oder bayrisch gewesen sind.“66 Trotz dieser vereinzelten Stimmungsberichte kam es zu keiner breit angelegten Volksbewegung gegen die auf dem Wiener Kongress getroffenen territorialen Veränderungen. „If the people (that dangerous abstraction) called for anything en masse in 1815, it was for the same thing most princes and élites wanted, and what the congress gave them – peace and order under their traditional rulers.“67 Talleyrands Leibgericht: Zankäpfel „Mit dem Vertrag von Paris war Frankreich der Zerstörung entronnen; aber es hatte in dem allgemeinen politischen System noch nicht wieder den Rang eingenommen, den einzunehmen es berufen ist“68, meinte Talleyrand in seinen Memoiren. Das vorrangige Ziel der Verlierermacht musste es sein, der politischen Isolation zu entkommen. Auf die polnisch-sächsische Frage fanden die Alliierten keine Antwort. Der Zar verlangte das Großherzogtum Warschau, Friedrich Wilhelm forderte das Königreich Sachsen. Dessen König Friedrich August I. bat bereits Mitte September den mit ihm verwandten König Ludwig XVIII. um „Unterstützung für meine schleunige Wiedereinsetzung in meine Rechte […] Ich kann mir nicht denken, daß ich die Entziehung derselben zu befürchten habe oder daß die verbündeten Mächte oder irgendein anderer europäischer Hof eine Maßregel billigen kann, die dem soeben gestürzten Systeme nur zu ähnlich sieht.“69 Die sächsische Frage bot Frankreich, wie auch Varnhagen von Ense in seinen Erinnerungen festhielt, „den güns-
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tigen Ansatz neuen politischen Einflusses“.70 Talleyrand pochte bei der Verteidigung von Friedrich August auf das Legitimitätsprinzip. Die Alliierten hätten kein Recht, dem König von Sachsen seine Hoheitsrechte abzusprechen. Ganz bewusst suchte Talleyrand die Öffentlichkeit und verfasste mehrere Memoranden an die Vertreter der kleineren Mächte. Dabei gelang es ihm, den Siegermächten Doppelmoral zu unterstellen: Wenn es möglich wäre, durch Eroberung Legitimität zu erlangen – wie es die Verbündeten im Falle Sachsens versuchten –, dann wären doch auch Napoleons Eroberungen legitim gewesen. Die Frage der Rechtmäßigkeit wurde nicht nur in diplomatischen Kreisen diskutiert, sondern schlug sich beispielsweise auch im Tagebuch des Rechnungsbeamten Perth nieder. In seinem Eintrag vom 1. Dezember befasste er sich mit dem beunruhigenden Gerücht, Preußen wolle ganz Sachsen an sich reißen, und zeigte dabei, dass die vollmundigen Proklamationen der Verbündeten aus den Befreiungskriegen keineswegs vergessen waren: „Müßte Preussen nicht als wortbrüchig der Welt sich darstellen, wenn es auf dieser Forderung verharren würde? Die verbündeten Monarchen sprachen zu Europa bey dem neuerlichen Ausbruche des Krieges im Jahre 1813, daß sie nicht auf alte oder neue Arrondierungsprojekte ihr Augenmerk richten, nicht Eroberungen vornehmen, sondern nur der Übermacht Frankreichs Gränzen setzen, und den vorigen politischen Zustand wieder herstellen wollten. […] Daß der König von Sachsen so treu an Frankreich hing, nenne man tadelnswerth, wenn man ihn tadeln kann, da er umringt von Feinden nicht anders handeln konnte […] Wie ungerecht würde Preussen handeln, wenn es auf dieser Forderung bestehen sollte.“71 Die Siegermächte waren durchaus bereit, den sächsischen König zu opfern. Denn als Problem sah man Russland, das sich durch den Erwerb ganz Polens (zu) weit nach Westen ausdehnen und das europäische Gleichgewicht gefährden könnte; man wollte dem Zaren nur einen Teil Polens zugestehen. Metternich wollte den Preußen ganz Sachsen überlassen, wenn diese sich dafür gemeinsam mit Österreich und England gegen die russischen Ansprüche stemmten. Hardenberg und Humboldt waren dazu bereit, um die preußischen Ziele zu erreichen. Dass sie in dieser Sache auf ihren Landsmann Gentz nicht zählen konnten, war ihnen nur allzu schnell klar geworden; dieser war in seiner politischen
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Haltung ganz und gar „österreichisch“ geworden, wie u. a. Nostitz bemerkte: „Gentz ist alt und grau geworden; […] [z]udem ist der alte Diplomat eingeengt in die Beschränkung seines jetzigen Vaterlandes und erschrickt vor dem Geiste, der ihn sonst bewegte; […] der Gentz von Berlin ist ein anderer als der von Wien; man lese nur, was jener damals geschrieben.“72 Übrigens soll der „verdammte Kosmopolit Gentz“ auch die Sachsen sitzen gelassen haben, wie der sächsische Kammerherr Friesen behauptete, „obwohl keine kleinen Summen geflossen wären“; auf die Bemerkung hin, dass Gentz dies wohl auch ohne Bezahlung getan hätte, aus Hass auf Humboldt, schimpfte Friesen: „Teufel, der thut nichts umsonst. Und doch will er stets von mir noch Geld zu leihen.“73 Allerdings nutzte der Zar bei einem Essen mit Friedrich Wilhelm die Gelegenheit, auf dessen „Gefühlsklavier“ zu spielen und damit die sich anbahnende antirussische Dreierkoalition zu sprengen: „Unter tausend Beteuerungen schwor ihm Friedrich Wilhelm, in der Polenfrage an seiner Seite zu stehen.“74 Hardenberg wurde unter Druck gesetzt, sich an die Vorgaben seines Königs zu halten. Da Preußen nicht mehr bereit war, Österreich gegenüber Russland zu unterstützen, war für Metternich ausgeschlossen, dass es ganz Sachsen erhalten sollte. Interessant ist, dass der Zar anscheinend auch Metternich zu umgehen versuchte und eine direkte Verständigung mit Kaiser Franz anstrebte. Hoffte er, der Habsburger werde es dem preußischen König nachtun und seinen Chefverhandler zurückpfeifen? Der Freiherr vom Stein notierte in seinem Tagebuch: „29. Oktober–7. November (polnische Sache). Während des Aufenthalts der Monarchen in Ofen suchte der Kaiser von R[ußland] den von Ö[sterreich] für seinen Plan zu gewinnen; er sprach ihm über die Schwierigkeiten, die ihm Metternich in der polnischen Angelegenheit mache, seinen Wunsch, unmittelbar mit ihm sich zu vereinigen, um alle Möglichkeit eines Kriegs zu entfernen. Franz versicherte ihn, die Äußerungen seines Ministers seien seinen Entschlüssen vollkommen gemäß.“75 In dieser Pattstellung zwischen den Siegermächten wurde Frankreich zum Zünglein an der Waage, wobei sich Talleyrand aus Überzeugung auf die Seite Österreichs und Englands stellte: „Wir können es nicht zulassen, dass Russland mit 44 Millionen Einwohnern bis an die Oder heranreicht. Als Europa zu den Waffen griff, um einen Koloss zu ver-
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nichten, dann tat man das nicht, um einen neuen zu schaffen“76, schrieb er bereits am 4. Oktober in einem Privatbrief. Die wachsenden Spannungen zwischen den Verbündeten wie auch die neue Rolle Frankreichs wurden von den Zeitgenossen aufmerksam verfolgt. „Congreß. Alles dreht sich bis jetzt noch um Pohlen. Heftige Discussionen deswegen. Alexander gibt nicht nach. Oesterreich und Frankreich haben sich deswegen genähert“77, hielt Bertuch Mitte November in seinem Tagebuch fest. Dass Metternich dem Druck Preußens und Russlands standhielt, wurde ihm hoch angerechnet. „Viele Personen, welche bisher gegen F. Metternich waren, loben ihn nun, daß er so viel Charakter zeigt gegen den russischen Kaiser: ‚Sagt F. Metternich zu Allem Ja!, was Preußen und Rußland dictiren und gebieten, der Kongreß ist gleich aus. Aber Rußland und Preußen die Zähne zeigen, Widerstand leisten, Modificationen ertrotzen, Charakter zeigen, das bezeichnet keinen gemeinen, das bezeichnet einen großen Minister‘“78, berichtete ein „Vertrauter höheren Standes“ Mitte November aus den besten Gesellschaftskreisen.
Die Schuld am drohenden Krieg zwischen den Verbündeten wurde den Diplomaten und ihrem Ränkespiel zugeschrieben. „Als die Hoffnung eines friedlichen Ausgangs der Verhandlungen sehr getrübt war, und wohlmeinende Menschen den Gedanken kaum ertrugen, daß wieder Krieg, und Krieg zwischen den eben noch Verbündeten, entstehen könne, nahm auch mein trefflicher [Hauptmann Wilhelm Friedrich von] Meyern sich diesen Zustand tief zu Herzen, und behauptete in seiner bei aller Güte doch scharfen Weise, die Herrscher sollten festsetzen, daß, wenn wieder Krieg würde, alle Diplomaten, die vergebens am Frieden gearbeitet, unerbittlich mit zu Felde ziehen müßten, und zwar zusammen in eine Kompanie Jäger vereint, unter einem altgedienten Hauptmann, der sie nicht schonte; er wollte seinen Kopf zum Pfande geben, daß dann kein Krieg würde. Ueberhaupt fing in dieser Zeit die Gewohnheit an, die noch immer fortdauert, den Diplomaten, welche bis dahin eine äußerst geehrte und zart behandelte Klasse waren, alles Böse nachzusagen, sie herabzusetzen und lächerlich zu machen.“ Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 250.
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Im Dezember verschärfte sich die Situation. „Alles ist so in Spannung, daß man in 4–5 Tagen Entscheidung, Krieg oder Arrangement erwartet“79, schrieb Bertuch. In dieser kritischen Situation war es besonders wichtig, über Informanten in Erfahrung zu bringen, wie weit Preußen zu gehen bereit war. „Graf Reichenbach, welcher über vierzehn Tage nicht zu Äußerungen zu bewegen war, erzählte am 8. d[es Monats], der König (von Preußen) wäre von einem rheumatischen Fieber befallen, welches heftiger geworden, weil er sich ärgere und im Zorn nicht mäßigen könne. […] Der König glaube einzusehen, die Sache werde mit dem Schwerte ausgemacht werden müssen. Auch sei FM. [Gebhardt Leberecht von] Blücher über die Schlagfertigkeit der Armee gefragt worden und habe die befriedigendste Antwort gegeben“80, lautete ein Bericht vom 11. Dezember. Am 16. Dezember erfuhr Hardenberg von Ernst Graf von Münster, dem Vertreter Hannovers, dass sich zwischen Österreich, England und Bayern aufgrund der sächsisch-polnischen Frage eine Allianz bildete und sogar Frankreich einbezogen wurde. Das wirkte ernüchternd. In einem Polizeibericht vom 23. Dezember wird ein gewisser Veith zitiert, der als Kanzleidiener in Hardenbergs Diensten stand und zugleich als Informant diente: „Dieser äußerte kürzlich zu einem Vertrauten, der unter dem Namen eines ehemaligen preußischen Offiziers an ihn herangeschickt wurde: ‚Preußen wird es mit der Räumung Sachsens nicht aufs äußerte ankommen lassen. Einen zweiten Krieg können wir nicht aushalten, denn England gibt keine Subsidien. Daß wir viel fordern, ist uns nicht zu verargen, allein wir lassen mit uns handeln.‘“81 Da der Zar zunehmend bereit war, sich mit einem kleineren Teil Polens zufriedenzugeben, und die preußischen Ansprüche auf Sachsen nur lustlos unterstützte, geriet Preußen in eine heikle Lage. Als Metternich Preußen nur noch ein Fünftel Sachsens anbot, eskalierte die Situation. Hardenberg drohte damit, die bislang provisorische Verwaltung Sachsens durch Preußen in eine permanente Annexion umzuwandeln; jede Einmischung von außen werde er als Kriegserklärung an Preußen und Russland ansehen. Der Fehdehandschuh war geworfen. Österreich, England und Frankreich schlossen daraufhin am 3. Januar eine Defensivallianz, der Bayern, Hannover und die Niederlande beitraten. „Die Koalition ist aufgelöst; sie ist es für immer. Frankreich
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ist in Europa nicht mehr isoliert“82, jubelte Talleyrand hoch erfreut. „Die Sache war geheim betrieben worden, und geheim sollte auch der Vertrag bleiben. Oeffentlich mitgetheilt hat ihn zuerst Herr von Gagern“83, hielt Varnhagen von Ense in seinen Erinnerungen fest; das Bündnis war „auf der Stelle bekannt, und der preußische Kreis genugsam davon unterrichtet“.84 Die Defensivallianz vom 3. Januar stellte den Höhepunkt der Krise dar, die durch den Streit um die Beute ausgelöst worden war. Vor einem Krieg schreckten die Beteiligten jedoch zurück. Der Zar begnügte sich mit dem sogenannten „Kongresspolen“. Preußen erhielt etwa die Hälfte von Sachsen mit etwa zwei Drittel der Bevölkerung, für die fehlenden 50 000 „Seelen“ wurde im Rheinland und in Westfalen Ersatz gefunden. Die durch die polnisch-sächsische Krise erreichte Allianz mit England und Österreich war der größte Erfolg der französischen Diplomatie auf dem Wiener Kongress und von Talleyrands Strategie, sich als Fürsprecher der Kleinen zu positionieren. „Wie aus einer anderen Welt, sei es auch die höllische, sieht der alte Kämpfer [Talleyrand] auf die Bahn, und thut nichts, als daß er jeden Einzelnen durch die Noten, die er diesem oder jenem zusendet, auf seinen Vortheil aufmerksam und durch die bloße Ansicht des Vortheils sie bocksteif und stätisch gegen einander macht“85, schrieb Nostitz im Januar 1815 in sein Tagebuch. Dabei verfolgte Talleyrand das Ziel, traditionelle französische Einflussbereiche in Mitteleuropa und Italien zurückzugewinnen. Auch ein territorialer Konflikt zwischen Österreich und Bayern sollte sich noch als günstig für die Neupositionierung Frankreichs erweisen. Bayern sollte als Gegenleistung für Salzburg, das Inn- und das westliche Hausruckviertel, die an Österreich zurückfallen sollten, die Stadt Mainz, Hanau samt Umgebung und die Stadt Frankfurt erhalten. Auf dem Wiener Kongress wurde indes entschieden, dass Mainz deutsche Bundesfestung und Frankfurt freie Stadt wurde. Bayern wollte sich nun auf Kosten von Baden, Württemberg oder Hessen schadlos halten – und erntete wütende Proteste. Dass es Salzburg und das Inn- und Hausruckviertel nicht abtreten wollte, ist verständlich. In Wien zeigte man sich zunehmend ungeduldig und versuchte es mit einer Drohgebärde: Am 11. Januar 1816 befahl Kaiser Franz, österreichische Truppen an der Grenze aufmarschieren zu lassen.
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Damit schürte er in Bayern Ängste vor einer Einverleibung des Landes durch Habsburg; Salzburg und das Innviertel galten als uralte bayerische Länder und sollten – so die flammende Propaganda – bis auf den letzten Blutstropfen verteidigt werden. Johann Christoph v. Aretin verfasste eine Flugschrift mit dem Titel „Entweder – oder!“ und forderte: „Jede Pflugschar soll sich in ein Schwert verwandeln, um die Zweiherrschaft Österreichs und Preußens zu bekämpfen.“86 Landsturm, Landwehr und Nationalgarde übten sich in den Waffen. Allerdings flaute die Aufregung rasch ab, als sich zeigte, dass Bayern vom Ausland keine Unterstützung erhoffen konnte und die Österreicher nicht einmarschierten. Im Vertrag von München Mitte April 1816 wurde ein Kompromiss erarbeitet. Das alte Erzstift fiel an Österreich zurück, aber ohne die am linken Ufer der Salzach und Saalach gelegenen Teile der Ämter Waging, Tittmoning, Laufen und Teisendorf und ohne Berchtesgaden. Zudem heiratete Franz I. im November desselben Jahres Karoline Auguste von Bayern. Die Spannungen zwischen Bayern und Österreich weckten in Frankreich die Hoffnung, wie schon in den Jahrhunderten zuvor über die deutschen Klein- und Mittelstaaten Einfluss in Deutschland zu gewinnen. In einer „Instruktion des französischen Außenministeriums für de la Garde“ vom 18. Dezember 1816 hieß es: „Die Bedeutung Frankreichs für die mittleren Staaten steht diesen klar vor Augen. Die Zeit ist gekommen, da Frankreich seine politischen Prinzipien wieder aufnehmen kann. Dazu ist gegenwärtig München vielleicht der wichtigste Beobachtungsposten Europas. Hier müssen die neuen Beziehungen Bayerns zu Österreich studiert werden. […] Bayern ist vermöge seiner geographischen Lage stets ein Gegenstand der Begehrlichkeit und Eifersucht Österreichs.“87 Napoleons Erben Die einstigen Modellstaaten Napoleons auf deutschem Boden, Westphalen und Berg, wurden aufgelöst. Was aber sollte aus Joachim Murat in Neapel, Eugène de Beauharnais sowie Napoleons Ehefrau und Sohn werden? Napoleons Schwager Murat regierte seit 1808 das Königreich Neapel. Im Januar 1814 hatte er sich den Alliierten angeschlossen und durch
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Bitterböse beurteilte Nostitz in Tagebucheinträgen vom Dezember und Januar die Vorgänge in Wien: „Die Politik erscheint auch hier wieder einseitig und kleinlich gewinnsüchtig theils aus dem Grunde bösen Willens, oft auch aus jenem von Verschiedenheit der Ansichten unter den hier zusammengetretenen Unterhändlern. […] Dringt man von der geglätteten, trügerischen Oberfläche in den Sinn ein, den das erhabene Schauspiel der großen Fürstenversammlung bieten soll, so trifft man auf heillose Ränke, wo man Offenheit, auf Neid, wo man Vertrauen, auf Kleinlichkeit, wo man Liberalität erwarten sollte. Scheint man doch kaum noch zu wissen, warum die Monarchen hier versammelt sind. […] Kurz, die großen Resultate des großherzigen Congresses werden nichts Anderes sein als eine Seelenverkäuferei wie die der Regensburger und Augsburger Versammlungen, wo durch die Mediatisirung nach dem Lüneviller Frieden die Fetzen rechts und links durch einander vertheilt wurden. Alles, was geschieht, ist um nichts besser, als was Napoleon auch gethan, weil man sich immer in demselben Dilemma von Eigennutz, Engherzigkeit und Beschränktheit herumdreht. […] Alles kommt auf die Begebenheiten der nächsten Jahre an; sind diese friedlich, so könnte sich wohl ein haltbarer Kitt ansetzen; erhebt sich aber ein neuer Sturm, so entwurzelt er alle Stämme, die jetzt in lockerer Erde stehen.“ Aus Karls von Nostitz Leben, 131ff.
einen Vertrag mit Österreich sein politisches Überleben gesichert. England und Spanien drängten auf dem Wiener Kongress jedoch auf eine Restauration der Bourbonen in Neapel; Frankreich schloss sich diesen Bemühungen an. Metternich fühlte sich zwar an die Verträge gebunden, geriet aber zunehmend unter Druck, und auch Kaiser Franz sprach sich für einen Thronwechsel in Neapel aus. Hinzu kamen Zweifel an der Verlässlichkeit Murats, der sich mit Geheimbünden wie der „Carbonaria“ verband und anscheinend eine nationale Einigung Italiens unter seiner Herrschaft anpeilte. „Daß aber der König Joachim von Neapel nicht [zum Kongress] erschien, hatte für ihn die bedauerlichsten Folgen; in Wien würde er persönlich aus der Verlegenheit, welche die an-
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dern Herrscher ihm gegenüber empfunden hätten, den größten Vortheil gezogen haben, und den Irrungen entgangen sein, welche sein Verderben wurden“88, meinte Varnhagen von Ense später. Die Wiener Regierung setzte daher auf eine bewährte Strategie im Umgang mit Problemen: aufschieben. Metternich riet, den Dingen ihren Lauf zu lassen, dann würde sich Murat sein Grab selbst schaufeln. Die Überlegungen am Wiener Hof brachte Gentz in einem Schreiben an Caradja von Anfang Dezember zum Ausdruck: „Mit einem Stücke Papier oder einer unhöflichen Maßregel verjagt man nicht einen Mann, der 60 000 Soldaten zur Verfügung hat. Niemand kann verlangen, daß Österreich angesichts des Allianzvertrages, welcher es mit dem König Joachim verbindet, zu den Waffen greife, um ihn aus seinem Königreich zu vertreiben.“89 Anders als Murat war Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais, der zugleich Schwiegersohn des bayerischen Königs war, nach Wien gekommen. Sollte der Feldherr Napoleons und ehemalige Vizekönig von Italien als Freund oder Feind betrachtet werden? Darüber gingen die Meinungen auseinander. Wie ein „Vertrauter höheren Standes“ der Polizeihofstelle berichtete, stand Beauharnais „mit Lady Castlereagh auf dem vertrautesten Fuße“90, der Kronprinz von Bayern nannte ihn „cher beaufrère“ (lieber Schwager). „Der cher beaufrère hat unendlich viel Verstand, Kenntnisse, jugendliche Eigenschaften, die es gut aufklären, warum er auf alle Prinzen, Minister, Weiber, die nicht sich sehr in Acht zu nehmen wissen, am meisten aber auf den sinnlichen und jugendlichen Kaiser Alexander, nothwendig einen sehr entscheidenden Einfluß gewinnen und behaupten muß.“91 Die Freundschaft des Zaren mit Beauharnais wurde in Wien nicht gern gesehen, hieß es in einem Stimmungsbericht der Polizei Ende Februar: „Des Kaisers [Alexander] Umgang mit dem Ex-Vicekönig von Italien, mit dem er Arm in Arm die Straßen durchläuft, setzt ihn ganz unter seine Würde, denn der sogen. Prinz Eugen steht beim Publikum im gehässigsten Andenken.“92 Beauharnais hoffte, dass bei der Verteilung des europäischen Kuchens auch für ihn ein paar Krümel – ein kleines souveränes Fürstentum – abfallen würden. Erzherzog Johann zeigte sich mitfühlend, was dessen unangenehme Lage betraf: „Beauharnais; mir gefiel dieser Mann ganz gut; wir sprachen von dem Feldzuge [1809], wo wir gegeneinander
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gestanden, von den Ereignissen usw. Er hat am redlichsten von allen Franzosen gehandelt; wie muß es ihm vorkommen; er vor einigen Monden an der Spitze Italiens, einer der ersten in Europa; jetzt kaum französischer Marschall, um irgend ein Stück Land bettelnd, so ist die Welt, darum weise jener, der nie so hoch steigt, daß es ihn schwindle.“93 Unterstützung fand Beauharnais beim Zaren, mit dem er (vorwiegend zu später Stunde) durch die Straßen von Wien zog. Der Kongress konnte sich betreffend Beauharnais zu keiner Entscheidung durchdringen; ebenso stieß der Vorschlag, Napoleons Ehefrau Marie Luise mit Parma und Piacenza auszustatten, auf Widerstand, „da man als Grundsatz anzunehmen scheint, daß keiner von der Napoleon. Dinastie [!] ferner regieren soll. Die gangbarste Idee ist, daß sie die Güter des Großherzogs von Toskana in Böhmen erhält“94, notierte Bertuch. Schließlich einigten sich die Großmächte darauf, Marie Luise auf Lebzeiten die italienischen Herrschaften Parma, Piacenza sowie Guastalla zuzusprechen; Napoleons Sohn wurde 1818 mit der kleinen böhmischen Herrschaft Reichstadt abgefunden. Der Deutsche Bund: Keine Auferstehung des Alten Reichs Was sollte mit dem 1806 auf Druck Napoleons untergegangenen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation geschehen? Da der Austritt der deutschen Rheinbundstaaten und die Auflösung des Reichs durch Kaiser Franz II. 1806 gegen die Reichsverfassung verstoßen hatten, konnte man – wie der Hannoversche Staatsminister Graf Münster – rechtlich argumentieren, dass das Reich noch fortbestand. An der deutschen Kaiserwürde, einem „leeren Titel ohne wirklichen Wert“95, so Gentz, zeigte man am Wiener Hof kein Interesse mehr. Ein machtloses Kaisertum war sinnlos, fand auch der Freiherr vom Stein und plädierte für ein starkes Kaiserreich, wie es im 12. Jahrhundert unter den Staufern bestanden hatte. Der Gedanke an einen deutschen Einheitsstaat fand wenig Anklang bei den Regierungen, da man darin eine potenzielle Gefahr für das Gleichgewicht und den Frieden sah. Daher hatten sich die Großmächte bereits im Ersten Pariser Frieden darauf geeinigt, dass die deutschen Staaten unabhängig bleiben und durch ein föderatives Band verknüpft
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werden sollten. Die Frage war, wie das neue Konstrukt verfassungsmäßig organisiert werden sollte: Wiederherstellung des Alten Reichs mit einer moderneren Reichsverfassung? Ein österreichisch-preußisches Kondominium [gemeinsame Herrschaft] mit dem Main als Grenze? Ein Bund, ähnlich dem napoleonischen Rheinbund? Im Deutschen Komitee, dem unter anderem Metternich, Hardenberg und Humboldt sowie Vertreter von Hannover, Bayern und Württemberg angehörten, wurden verschiedene Varianten diskutiert. Humboldt schlug einen Staatenbund mit starken bundesstaatlichen Elementen (ohne Kaisertum) vor, in dem Österreich und Preußen gemeinsam die Außenpolitik bestimmen sollten; innenpolitisch favorisierte er eine Viererhegemonie von Österreich, Preußen, Hannover und Bayern. Hardenbergs Plänen zufolge – seine „10 Artikel“ wurden zu einem umfassenden Entwurf erweitert („41 Artikel“) – sollte Deutschland zu einem Föderativkörper unter Doppelherrschaft von Preußen und Österreich verbunden werden. In den Verhandlungen des Deutschen Komitees zeigte sich, dass vor allem Bayern und Württemberg keine Einschränkung ihrer Souveränität oder Einmischung in innere Angelegenheiten hinzunehmen bereit waren. „Baiern will von allen den Bundesprojecten nichts wissen, die seine politische Existenz in einer deutschen Allgemeinheit beschränken könnten. Es strebt vielmehr durch Forderung neuer Erwerbungen nach dem Rang einer europäischen Macht und ist bereit, das Schwert nach allen Seiten hin zu ziehen, von wo ihm Widerspruch droht“96, schrieb Nostitz. In den Konferenzen setzte Metternich eine Reduktion des Hardenberg’schen Entwurfs auf die sogenannten „Zwölf Artikel“ durch, die als weitere Verhandlungsgrundlage dienten. Vorgesehen war ein ewiger Bund, in dem Österreich als geschäftsführendes Direktorium zusammen mit Preußen die Vorherrschaft ausübte. Die beiden deutschen Großmächte sollten im Rat der Kreisobersten je zwei Stimmen haben, Bayern, Hannover und Württemberg je eine Stimme. Wie bei der Neuordnung Europas wollten auch die fünf Mitglieder des deutschen Komitees den Verfassungsentwurf unter sich vereinbaren und den anderen deutschen Staaten, die als mindermächtig galten, lediglich mitteilen. Hier zeichnete sich innerhalb des Deutschen Bundes
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eine Pentarchie der fünf stärksten Staaten ab. Kein Wunder, dass sich unter den Vertretern der kleineren deutschen Staaten sowie der Mediatisierten Widerstand formierte. Einmal mehr versuchte sich Talleyrand zum Fürsprecher der Schwachen zu stilisieren und über diese an Einfluss in Mitteleuropa zu gewinnen. Häufig lud er Vertreter der kleinen Staaten ein, wie Johann Freiherr von Türckheim Ende Oktober berichtete: „Wir gehen nicht gerne dahin; es macht Aufsehen bei Österreich, Preußen und Rußland. […] Talleyrand gibt uns kleinen deutschen Gouvernements den ernstlichen Rath, die angetragene Constitution […] nicht zu acceptiren. Das wird auch geschehen. […] Wir wollen einen Kaiser haben, nicht fünf; wir wollen Österreich zum Kaiser haben.“97 In einer Versammlung am 14. Oktober bei Hans Christoph von Gagern, dem Gesandten des niederländischen Königs, hielt dieser mehr als eine Stunde lang eine Rede, „worin er zu beweisen suchte, daß Deutschland dringend einen Kaiser bedürfe, daß Kaiser Franz dieser sein müsse und daß jeder fremde Einfluß bei der Behandlung der deutschen Angelegenheiten zu entfernen sei“.98 Gagern dachte dabei an ein Wahlkaisertum, wie es bisher bestanden hatte, und forderte die Unterzeichnung einer Note, in der die Mindermächtigen scharf gegen ihren Ausschluss von den deutschen Verfassungsberatungen protestieren und Österreich die Kaiserwürde antragen sollten. „Mehrere Mitglieder bemerkten, daß man bei einem solchen Schritt sehr vorsichtig zu Werke gehen müsse, um nicht Preußen zu indisponiren und Rußland und Österreich in Spannung zu setzen, und daß man vorher die Einwilligung des hiesigen Hofes in der Stille sondiren solle.“99 In einer an Preußen und Österreich (Hannover erhielt eine Abschrift) gerichteten Gemeinschaftsnote vom 16. November, der sogenannten Kaisernote, protestierten die Mindermächtigen gegen die „Zwölf Artikel“ und das Exklusivrecht der im deutschen Komitee vertretenen Staaten, über die künftige Verfassung allein zu entscheiden. Sie verwiesen auf die ihnen in den Bündnisverträgen 1813 zugesagten Souveränitätsrechte, auf die Bestimmungen des Ersten Pariser Friedens und verlangten ein Mitspracherecht bei der künftigen Verfassung Deutschlands. Die Kleinen wollten sich nicht von den Großen überfahren lassen. Eine offizielle Antwort erhielten die Mindermächtigen nicht.
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Der Publizist Joseph Görres zeigte sich erbittert über die Entwicklung der Verfassungsdebatte. Liberale und nationale Hoffnungen, die durch die Publizistik der Befreiungskriege geschürt worden waren, wurden enttäuscht. Im Rheinischen Merkur vom 30. März 1815 forderte Görres den Habsburger Franz als starken deutschen Kaiser. „Ganz Teutschland hat gerufen nach einem Kaiser; der gemeinste Mann hat eingesehen, daß auf diesem Wege allein eine Einheit und Festigkeit zu gewinnen sey: der Rath aber hat es nicht für gut gehalten […] Zum Kriege hat man die Völker herbeigerufen; als es sich um ihr Wohl und die Erfüllung der gemachten Besprechungen handelte, da hat man alles heimlich und unaufrichtig betrieben; wir werden es schon selber machen, und bedürfen keines Rathes nicht. Die Völker sind bescheiden zurückgetreten, sie kommen jetzt und fragen, was fertig worden, und man hat nichts vorzuzeigen [...].“ Erhebung gegen Napoleon, Spies, 403.
Zu diesem Zeitpunkt zerbrach allerdings die Zusammenarbeit von Preußen und Österreich an der polnisch-sächsischen Krise, das deutsche Komitee stellte seine Arbeit ein. Erst nachdem dieser Konflikt gelöst war, legte Johann Freiherr von Wessenberg auf Anregung von Metternich seinen Plan vor, der entgegen den bisherigen hegemonialen Entwürfen die rechtliche Gleichstellung aller Bundesmitglieder vorsah und dem Souveränitätsstreben der süddeutschen Staaten entgegenkam. Damit schwenkte Österreich auf eine egalitär-staatenbündische Lösung um. Allen Mitgliedern wurden Allianzverträge erlaubt, sofern sie sich nicht gegen den Bund oder ein anderes Mitglied desselben richteten; zudem gab es einen Katalog deutscher Untertanenrechte. Ungeklärte Territorialfragen zwischen den einzelnen deutschen Staaten belasteten das Verhandlungsklima, doch Napoleons Flucht von Elba wirkte beschleunigend: Man wollte die Neuordnung Deutschlands vor Ende des neuen Krieges abschließen oder, wie der bayerische Gesandte Aloys Graf von Rechberg am 9. Mai 1815 an seinen König schrieb, „über die teutschen Angelegenheiten wenigstens etwas Provisorisches zu stande zu bringen. Die öffentliche Meinung verlange dieses laut, und
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der Kongreß könne nicht auseinandergehen, ohne nicht wenigstens die Hauptlinien festgestellt zu haben.“100 Zwischen 23. Mai und 10. Juni 1815 fand eine zweite Runde deutscher Konferenzen statt. Metternich war um Konsens bemüht; neben den bisherigen Vertretern von Preußen, Österreich, Bayern, Württemberg und Hannover wurden nun auch Gesandte aus Sachsen, Baden, Hessen-Darmstadt, Luxemburg, Holstein sowie eine fünfköpfige Delegation der Mindermächtigen hinzugezogen. Der Vertreter von Baden war aber bereits abgereist, und die württembergischen Gesandten glaubten, durch absichtliches Fernbleiben einen Abschluss der Bundesakte verhindern und zu einem späteren Zeitpunkt günstigere Bedingungen erreichen zu können. Die Schlussverhandlungen zum Deutschen Bund erfolgten unter großem Zeitdruck. Am 8. Juni wurden die Artikel der Bundesakte von den Bevollmächtigten abgezeichnet; Baden und Württemberg traten dem Bund erst im Juli bzw. September 1815 bei. Staatenbund mit bundesstaatlichen Beigaben Der Deutsche Bund „konnte und wollte kein Nationalstaat sein“101, zumal das Modell des nationalen Einheitsstaats im verfassungspolitischen Diskurs zu dieser Zeit noch keine Rolle spielte. Der Deutsche Bund war ein Kompromiss zwischen den bundesstaatlichen Ansätzen Humboldts und Hardenbergs und dem Souveränitätsbedürfnis der kleineren deutschen Staaten. Entgegen der im 19. Jahrhundert vorwiegenden negativen Meinung über den Deutschen Bund, der als Instrument der Repression und Stolperstein auf dem Weg zur deutschen Einheit 1870/71 erschien, wird er mittlerweile positiver gedeutet und vor allem seine friedenssichernde Funktion für Deutschland und ganz Europa hervorgehoben. Zweck des Bundes war laut Artikel II der Bundesakte die „Erhaltung der äussern und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten“.102 Durch eine gemeinsame Streitmacht, gewaltfreie Lösung von Konflikten unter den Mitgliedstaaten und ein politisches Gleichgewicht zwischen Preußen, Österreich und dem Dritten Deutschland sollte die Existenz der einzelnen Mitgliedstaaten gewahrt bleiben. Das Konzept des Gleichgewichts spielte auch auf europäischer Ebene eine entscheidende Rolle.
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Die Idee eines starken Mitteleuropas als Bollwerk gegen französische und russische Hegemonialbestrebungen befürwortete Gentz bereits Jahre vor dem Wiener Kongress in seiner Denkschrift für Erzherzog Johann von Oesterreich (1804): „Was soll, wenn nicht das vereinte Gewicht, und die vereinte Masse von Deutschland sich zwischen ihre Umarmungen wirft, der gemeinschaftlichen Macht dieser beiden Kolosse widerstehen?“103 Im gleichen Sinn betonte er in seinen Gedanken über die Frage: Was würde das Haus Oesterreich unter den jetzigen Umständen zu beschließen haben, um Deutschland auf eine dauerhafte Weise von fremder Gewalt zu befreien? (1808), Deutschland sei „der wahre politisch-militärische Zentral- und Schwerpunkt der zivilisierten Welt“104; ohne ein unabhängiges, starkes Deutschland könne es kein politisches Gleichgewicht in Europa geben. Der Deutsche Bund mit seinem defensiven Charakter wurde, wie Gruner betont, „nicht zur machtpolitischen Neutralisierung Mitteleuropas gegründet“, sondern sollte „als Schlussstein der europäischen Ordnung einen dauerhaften Frieden sichern“.105 Der Bund bestand aus 35 Fürstenstaaten und vier freien Städten. Der König der Niederlande war mit Luxemburg und später auch Limburg Mitglied des Bundes, der König von Dänemark war für die Herzogtümer Holstein und Lauenburg, der britische König in seiner Rolle als König von Hannover eingebunden. Durch die Grenzverschiebungen des Wiener Kongresses wurde Österreich an den Rand des Bundes gedrängt und Preußen infolge seiner Westverlagerung hineingezogen. Im Vergleich zu modernen Staaten fehlten dem Bund ein Staatsoberhaupt, eine Regierung mit Verwaltungsapparat, ein gewähltes Parlament und auch ein oberstes Gericht; es gab weder eine einheitliche Gesetzgebung noch einen gemeinsamen Wirtschaftsraum im Sinne einer Wirtschaftsoder Zolleinheit. „So ist es also gelungen, das getrennte Teutschland wieder zu vereinigen: freylich nicht auf jene Weise die den Wünschen aller entsprechen mag, aber doch gewiß so, wie es den vorliegenden Umständen nach auf die zweckmässigste Weise möglich war“, meinte der schaumburg-lippische und waldeckische Bevollmächtigte Günther Heinrich von Berg in seinem Schlussbericht vom 27. Juni 1815. „Politische Träumer hatten die Erwartungen hin und wieder zu hoch gespannt. Manche Forderung, die noch hätte befriedigt werden können, mußte dem Haupt-
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zwecke schneller Vereinigung weichen. Noch immer kann die Zukunft schöne Früchte tragen, und es ist zu hoffen, daß derselbe Eifer, der beim Abschlusse der Bundesacte Alle belebt, auch bey der Vervollständigung derselben wirksam seyn werde.“106 Die Bundesversammlung in Frankfurt lässt sich in der Tradition früherer Reichstage am ehesten „als ein ständiger Gesandtenkongress mit Geschäftsordnungsautonomie charakterisieren“.107 Unter dem Vorsitz Österreichs tagte sie entweder als „Engere Versammlung“ („Engerer Rat“) oder als Plenum, wobei die Verteilung der Stimmen so geregelt war, dass Preußen und Österreich gemeinsam keine Mehrheit hatten. Aus den Erfahrungen der napoleonischen Kriege hatte man seine Lehren gezogen: Die Mitglieder waren im Angriffsfall zum Beistand verpflichtet und durften keinen Separatfrieden schließen; Allianzen durften sich weder gegen den Bund als solchen noch gegen einzelne Mitglieder richten. Es gab auch kein Austrittsrecht. Zusätzlich enthielt die Bundesakte unverbindliche Absichtserklärungen, wonach der Bundestag über Handel, Verkehr und Schifffahrt beraten sollte, allerdings erreichte der Bund in weiterer Folge keinerlei Kompetenzen in der Zoll- und Handelspolitik. Ein Problem dabei war, dass die deutschen Großmächte Preußen und Österreich nicht mit ihrem gesamten Staatsgebiet zum Bund gehörten, auch wiesen die Mitgliederstaaten unterschiedliche ökonomische Strukturen auf. In wirtschaftspolitischer Hinsicht übernahm ab 1828 Preußen durch Zollverträge mit einzelnen Staaten die Initiative; 1834 wurde dann der Deutsche Zollverein gegründet, dem immer mehr Bundesstaaten außer Österreich beitraten. Zwischen 1815 und 1822 verhandelte man über eine Bundeskriegsverfassung, um eine gemeinsame Sicherheitspolitik des Bundes zu erreichen. Um eine einheitliche Regelung der Pressefreiheit zu erlangen, wie sie in der Bundesakte als Ziel formuliert wurde, musste es 1819 aber erst zu Mord und Totschlag kommen. Verfassungsfragen Die Bundesakte vom 8. Juni hatte provisorischen Charakter. „Die Urheber selbst aber erklärten ihr Werk für mangelhaft, übereilt im Drange der Noth, und künftiger Ausbildung vorbehalten“108, betonte Varnhagen von Ense. Ein weiterer Ausbau lag in der Ab-
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sicht der Verfasser; bis „hin zu einer bundesstaatlichen Ordnung“109 war vieles denkbar. Für die Zeit bis zur Wiener Schlussakte 1820 spricht man daher von der formativen Phase des Bundes, in der es um die inhaltliche Ausgestaltung zwischen den Polen Staatenbund und Bundesstaat ging. Der angedachte Ausbau scheiterte nicht allein an der Zurückhaltung Preußens und Österreichs; auch die deutschen Mittelstaaten wollten möglichst wenige Kompetenzen an den Bund abgeben. Wie sah es auf der Ebene der Mitgliedstaaten aus? Auf die in den Ländern sehr unterschiedlich verlaufende Reformpolitik und Verfassungsentwicklung kann hier nicht detailliert eingegangen werden; es sollen daher lediglich einige Grundzüge skizziert werden, um den Konflikt zwischen monarchischem Prinzip und liberalen und nationalen Kräften zu verdeutlichen. In Artikel XIII der Bundesakte hieß es kurz und bündig: „In allen Bundesstaaten wird eine Landständische Verfassung stattfinden.“110 Das ließ viel Interpretationsspielraum: Waren „altständische Verfassungen“ oder moderne Repräsentativverfassungen gemeint? Die alt- oder landständische Verfassung knüpfte an die in der frühen Neuzeit übliche politische Mitsprache der Stände an – meist Adel, Klerus und Stadtgemeinden, in Tirol beispielsweise auch die freien Bauern. Liberal gesinnte Besitz- und Bildungsbürger forderten jedoch Rechtssicherheit durch eine Verfassung, an die Fürst und Volk gleichermaßen gebunden waren, Menschen- und Bürgerrechte, Gewaltenteilung und Repräsentation der Staatsbürger durch eine Volksvertretung. „Was unter dem Druck der bürgerlichen Opposition und der napoleonischen Besatzungsmacht gewährt wurde, wird 1816 für die deutschen Landesfürsten eine gefährliche Bewegung.“111 Es regten sich die Geister der Befreiungskriege: Reformfreudige Beamte, Publizisten und bald auch Turner und Burschenschafter untermauerten ihre Forderungen mit dem Argument, das Volk habe seinen Fürsten im Kampf gegen Napoleon Beistand geleistet – der Erfüllung der Pflichten sollten nun die Rechte folgen. Im Kern ging es in der Auseinandersetzung zwischen liberalen Kräften und alten Eliten darum, wie viel Macht der Fürst in einer konstitutionellen Monarchie an das „Volk“ abgeben sollte. Problematisch erschien den Konservativen die Ansteckungsgefahr. Wenn ein Fürst eine Repräsentativverfassung erlaubte, gerieten andere
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Regierungen unter Zugzwang, da ihre Untertanen auf das Vorbild verweisen konnten. Als auf dem Wiener Kongress bekannt wurde, dass der König von Württemberg seinem Volk eine neue Verfassung versprochen hatte, war die Aufregung groß, wie ein Polizeibericht vom 17. Januar 1815 belegt: „Gestern Abend war Alles, was zum preußischen Hofe und der Legation gehörte, außerordentlich allarmirt über den Vorfall am Stuttgarter Hofe. Die Rede, mit welcher der König vom Thron herab die neue Konstitution seines Reichs den versammelten Ständen übergeben, wurde als Produkt der gefährlichsten demokratischen Grundsätze dargestellt. […] Man gestand dabei ein, daß dieser Schritt besonders für die preußische Monarchie höchst unangenehm sei, nachdem in solcher sonst keine Spur mehr von ständischer Verfassung vorhanden wäre, dennoch aber Preußen, nachdem nun schon die meisten deutschen Fürsten ähnliche Verfassungen (obgleich in einem ganz andern Sinne) ihren Völkern zugesagt hätten, bei einer unbeschränkten monarchischen Verfassung nicht wohl verbleiben könne.“112 Dennoch zeigte sich, dass die Regierungen – vor allem in Süddeutschland – durchaus Interesse daran haben konnten, den Weg zur konstitutionellen Monarchie zu beschreiten. In Sachsen-Weimar wurde 1816 eine liberale Verfassung eingeführt, es folgten Baden und Bayern 1818, Württemberg 1819 und ein Jahr später Hessen-Darmstadt. Diese Verfassungen sind weniger als Zugeständnis an den liberalen Zeitgeist zu sehen, sondern basierten auf der Notwendigkeit, angesichts der gravierenden Grenzveränderungen der napoleonischen Zeit und des Wiener Kongresses für landesweit einheitliche Gesetze und Normen zu sorgen und die neuen Untertanen in den Staat zu integrieren. Ziel war, in der Phase des Umbruchs und der Legitimitätskrisen durch Verfassung, Treueeid und auch gezielte Geschichtspolitik mit Fokus auf die herrschende Dynastie die Bindung zwischen Fürst und Volk zu stärken. Da man einen Kompromiss zwischen monarchischem Prinzip und Volkssouveränität suchte, waren die süddeutschen Verfassungen durch einen dualistischen Grundzug geprägt: Der Monarch vereinigte weiterhin alle Rechte der Staatsgewalt in seiner Hand und war Träger der Souveränität, aber seine Macht wurde durch die Verfassung beschränkt, die den Untertanen neben Grundrechten und einer unabhängigen Justiz Mitsprache an der Gesetzgebung und im Finanzwesen einräumte.
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Die neuen Verfassungen schufen hinsichtlich der Volksvertretung ein Zweikammersystem. Die erste Kammer war eine Art Oberhaus, in dem die alten Eliten ihren Einfluss wahren konnten, die zweite bestand aus gewählten Abgeordneten, wobei das Wahlrecht stark eingeschränkt war: Frauen blieben ausgeschlossen, und das Zensuswahlrecht setzte Grundbesitz oder eine gewisse Steuerleistung voraus. Innerhalb des Deutschen Bundes bestanden in den nächsten Jahren ganz unterschiedliche Herrschafts- und Verfassungsverhältnisse. Wie sah es in Preußen und Österreich aus? Kaiser Franz hatte sich anders als der preußische König nie dazu hinreißen lassen, seinen Völkern eine Verfassung zu versprechen. Hingegen hatte Friedrich Wilhelm in seiner Kabinettsorder vom 22. Mai 1815 versprochen: „Es soll eine Repräsentation des Volkes gebildet werden.“113 Nach 1815 geriet die Verfassungsentwicklung in Preußen ins Stocken; die konservativen Eliten bildeten eine starke Oppositionspartei und forderten ihre alten Rechte zurück, während Bürger und Bauern gerade dagegen ankämpften. Nach den traumatischen Erfahrungen mit der Französischen Revolution und ihren Auswüchsen versuchten die überwiegend gemäßigten Liberalen auch in Preußen, ihre Ziele in Kooperation mit dem Fürsten, ohne Gewalt und Revolution, zu erreichen. Allerdings bombardierten sie den König mit Petitionen, um ihn an die Erfüllung seines Versprechens zu erinnern. Der als Zauderer berüchtigte Friedrich Wilhelm wollte sich nicht drängen lassen und verbot in einer Kabinettsorder vom 21. März 1818 solche Bittschriften: „Weder in dem Edikte vom 22. Mai 1815 noch in dem Artikel 13 der Bundesakte ist eine Zeit bestimmt, wenn die landständische Verfassung eintreten soll. […] Wer den Landesherrn, der diese Zusicherungen aus ganz freier Entschließung gab, daran erinnert, zweifelt freventlich an der Unverbrüchlichkeit seiner Zusage und greift seinem Urteile über die rechte Zeit der Einführung dieser Verfassung vor.“114 In Preußen kam es zu einer reaktionären Wende. 1819/1820 war das Verfassungsprojekt gestorben. In Wien rühmte der Preuße Gentz – der selbst Protestant blieb! – Preußens „Fortschritte zum Guten“: „Es fehlte diesem Staate nichts als katholisch zu sein, und er ist neben uns [Österreich] die kräftigste Stütze der Welt.“115 1823/24 führte Preußen als schwachen Ersatz Provinziallandtage nach ständisch-konservativem
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Muster mit rein beratender Funktion ein. Hingegen wurde die unter Stein und Hardenberg begonnene Reformpolitik fortgesetzt, denn Reformen erschienen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als geeignetes Mittel, um revolutionäre Tendenzen zu entschärfen. Die zunehmend reaktionäre Politik in Wien und Berlin schlug sich im Deutschen Bund nieder. Im Spannungsfeld zwischen Revolution und Reaktion wurde er zum verhassten Symbol der Unterdrückung – mit Metternich als Galionsfigur.
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2. Aufbruch in ein neues Zeitalter: Das Konzert der Großmächte „Der Congreß hat einen fahren lassen“116, hieß es Mitte März mit typischem Wiener Schmäh. Napoleons Rückkehr stellte einen ersten Härtetest für die Quadrupelallianz dar. Napoleon selbst begründete seine Rückkehr damit, dass das französische Kabinett ihm nicht die vereinbarte jährliche Summe von zwei Millionen Francs zahlte. „Einige behaupten, Napoleons plötzliches Verschwinden von Elba habe darin seine Ursache, weil er sich seit dem an ihm durch einen Korsen versuchten Meuchelmordes [sic] auf Elba nicht mehr sicher glaubte, nur Mörder und Verräter um sich erblickte und daher die Flucht ergriff. Diesen Vorfall erzählten vor einigen Wochen schon mehrere Zeitungsblätter“117, notierte Perth. Es gab Gerüchte, dass Talleyrand und Castlereagh in Wien Napoleons Deportation auf eine abgelegene Insel vorbereiteten. Diesen düsteren Aussichten standen aus Napoleons Sicht positive Entwicklungen in Frankreich gegenüber: In der Armee wuchs die Unzufriedenheit mit dem neuen Herrscher; nach dem Ende des napoleonischen Kontinentalsystems, das die französische Wirtschaft begünstigt hatte, stieg die Arbeitslosigkeit; es gab noch viele Bonapartisten in Frankreich, die ihrem Kaiser nachtrauerten. Der Wolf im Schafspelz: Napoleons Herrschaft der 100 Tage Am 26. Februar verließ Napoleon Elba, am 1. März landete er an der französischen Küste. Das Bourbonenregime reagierte mit der Ächtung Napoleons – doch die Truppen liefen zu ihm über; selbst Marschall Ney, der „den Usurpator in einen eisernen Käfig zu sperren“118 versprochen hatte, wechselte die Seiten. Am 20. März zog Napoleon in Paris ein.
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Einen bösen Streich spielte Metternich seinem Freund Gentz, wie Gräfin Elise von Bernstorff überlieferte. Trotz der schlechten Nachrichten „siegte dennoch seine [Metternichs] spaßhafte Laune über den Ernst der Lage so sehr, daß er es nicht verschmähte, seinem Sekretär, dem Protokollführer des Kongresses, Herrn v. Gentz, durch eine Mystifikation einen beinahe tödlichen Schreck einzujagen. Er setzte nämlich ein Manifest auf, worin Napoleon eine Belohnung von vielen Tausenden (Dukaten) dem verhieß, der ihm Gentz tot oder lebendig ausliefere, oder nur Beweise seiner Ermordung beibringen werde. Dieses Manifest wurde in ein eigens für Gentz gedrucktes Zeitungsexemplar aufgenommen und dem feigen Mann wie gewöhnlich mit dem Morgenkaffee vor sein Bett gebracht. Es wirkte zum größten Gaudium seines Vorgesetzten beinahe lähmend auf den Unglücklichen.“ Wiener Kongreß, Freska, 30f.
Einen Tag zuvor war Ludwig XVIII. aus den Tuilerien geflohen. Für die Kongressteilnehmer waren die Ereignisse ein Schock: König Ludwig XVIII. war offensichtlich unfähig. In seinem Wort von 1815 über die Franzosen ereiferte sich Arndt: „Nicht Napoleon Bonaparte, nicht der treulose und verbrecherische Korse ist unser erster Feind, sondern die treulosen und unruhigen Franzosen sind es. […] Wir wissen, daß sie gestraft und gedemüthigt werden müssen, wenn wir in Ruhe bleiben wollen; […] sie sind die eigentlichen Unheilstifter und Ruhestörer. Sie würden auch ohne ihn nicht lange still gesessen haben [...].“119 Jetzt erwies sich als Glücksfall, dass der Kongress länger als erwartet andauerte. „Allerdings hätte Napoleons Wiederkehr einen ganz andern Eindruck gemacht, und seine politische Arglist einen ungleich größeren Spielraum gehabt, wären die Häupter des Kongresses nicht mehr beisammen gewesen […] die Gemeinsamkeit der Entschlüsse und Maßregeln würde aus der Ferne höchst schwierig zu unterhandeln gewesen sein, die augenblickliche Schnelligkeit und nachdrückliche Kraft des Zusammenseins durch nichts zu ersetzen“120, schrieb Varnhagen von Ense. Das galt auch umgekehrt: „Von Talleyrand wird erzählt, er habe aus dem Anlaß von Napoleons Unternehmen gesagt: ‚Es beschleunigt sein
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und des Kongresses Ende.‘“121 Damit lag er richtig: Was waren die kleinlichen Streitigkeiten gegen die große Gefahr, die von Napoleon ausging? Durch den gemeinsamen Gegner wieder zusammengeschweißt, gelang es von Mitte März bis Anfang Juni sehr rasch, zu einem Abschluss zu gelangen. 100 Tage Napoleon wollte seine eigenen Fehler und die der Bourbonen vermeiden und versuchte, die Nation durch liberale Zugeständnisse zu vereinen. Am 13. März veröffentlichte er in Lyon mehrere Dekrete, in denen unter anderem die Trikolore wieder eingeführt und eine neue Verfassung versprochen wurde. Vielleicht hoffte Napoleon, mit dem politischen Kurswechsel die einstigen revolutionären Geister zu wecken, um sie erneut gegen die monarchischen Kräfte der Restauration ins Feld zu führen? Denn die Nation stand keineswegs geeint hinter dem Kaiser. Napoleon konnte sich auf Armee, Bauern und Arbeiter stützen, nicht aber auf das Bürgertum. Mitte April erklärte Fouché die ablehnende Stimmung der Notabeln damit, dass sich Napoleon ihrer Ansicht nach „in nichts geändert [habe], er ist immer noch gleich despotisch, siegbesessen und wahnsinnig wie eh und je. Ganz Europa wird über ihn herfallen; es ist unmöglich, daß er Widerstand leisten kann, und er wird innerhalb von vier Monaten geschlagen sein.“122 Unterstützt wurde Napoleon von seinen Brüdern Joseph, Jerôme und überraschend Lucien, der zuvor mit Napoleons Kaisertum nichts zu tun haben wollte, aber als überzeugter Republikaner nun sein Ideal einer konstitutionellen Monarchie umzusetzen hoffte. Er unterstützte den liberalen Publizisten Benjamin Constant bei der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes. Fouché wurde erneut Polizeiminister, Talleyrand verweigerte sich Napoleons Werben. Dessen Stiefsohn Eugène Beauharnais wurde in Wien misstrauisch beobachtet. Wie Gräfin Bernstorff in ihren Erinnerungen berichtete, spazierte Kaiser Alexander noch im Frühjahr „fortwährend mit seinem Herzensfreunde, dem Prinzen Eugène Beauharnais […] umher. Die Wiener, die von Anfang an diese Freundschaft mit scheelen Augen angeblickt hatten, waren jetzt wütend darüber. Man ist allgemein überzeugt, daß dieser Stiefsohn Napoleons Verrat gegen seine neuen Freunde und Schutzherren im Schilde führt, und hält seine demütige und seit dem
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Erscheinen Bonapartes sehr verweinte Miene für eine Larve.“123 Doch Beauharnais blieb seinem Wort treu, Wien nicht zu verlassen, und nahm die Überwachung offenbar mit Humor, wenn man einem Polizeibericht glauben darf: „Graf Stefan Zichy erzählte gestern: ‚Letzten Samstag, da der russische Kaiser und der König von Preußen, auch M. Beauharnais, bei Graf Karl Zichy, wie sonst alle Samstag, soupierten, sagte M. Beauharnais bei seinem Spiel: ‚So gut ich auch von der Polizei bewacht werde, so ist mir doch meine Brieftasche mit 500 Gulden Wiener Währung entwendet worden.‘‘“124 Gegenüber den Siegermächten gab sich Napoleon betont friedliebend. „Dieser Kaiser von Frankreich, wie er sich nennt, gebärdet sich nun, als wenn der Wolf ein Lamm geworden wäre, er gebärdet sich, als wenn Krieg und Raub ihm verhaßt seyen und als wenn er auf nichts sinne, als auf das Glück und den Frieden der Welt“125, schrieb Arndt im Nachwort zu ‚Was bedeutet Landsturm und Landwehr?‘ (Mai 1815). „Und so klingt es denn in seinen Erklärungen [,] Verkündigungen und Ausrufungen von eitel Friede und Gerechtigkeit und Freiheit und Menschlichkeit, die jetzt die Völker segnen sollen. Aber er und seine Franzosen haben zu viel und lange gegaukelt und gelogen und mit schönen Klängen und Scheinen betrogen. Es glaubt ihnen keiner mehr.“126 Napoleon pochte auf die Legitimität seiner Herrschaft und sprach den Alliierten das Recht ab, sich in die inneren Verhältnisse Frankreichs einzumischen. Er versprach, die Unabhängigkeit anderer Nationen zu respektieren, auf Hegemonialpolitik zu verzichten und den Ersten Pariser Frieden anzuerkennen. Zu solchen Bedingungen hätte er 1814 den Frieden haben können. Doch die Siegermächte wollten nicht (offiziell) mit Napoleon verhandeln. „Bonaparte hat, indem er den Vertrag brach, der ihm die Insel Elba zum Wohnorte anwies, den einzigen Rechtstitel vernichtet, an welchen seine Existenz geknüpft war. […] Die Mächte erklären daher, daß Napoleon Bonaparte sich von den bürgerlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen ausgeschlossen und als Feind und Störer der Ruhe der Welt den öffentlichen Strafgerichten preisgegeben hat“127, hieß es in der Deklaration vom 13. März, auf die sich die Siegermächte schließlich einigen konnten. Die ursprüngliche Formulierung, dass jeder Napoleon totschießen könne, erschien sowohl Kaiser Franz als auch den Briten zu
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harsch, wie Wilhelm von Humboldt seiner Frau berichtete, „und so ist die ganze Stelle weggeblieben, die mir eigentlich allein das Ganze lieb machte“.128 Die Aussicht auf einen neuen Waffengang gegen Napoleon erschien wenig reizvoll. Die Staatskassen waren leer, die Bevölkerung kriegsmüde. Man schwankte zwischen Krieg und Frieden. „Der Eindruck dieser Erklärung [vom 13. März] war groß, wurde aber bald geschwächt durch die Nachrichten, die in rascher Folge aus Frankreich einliefen und Napoleon’s reißende Fortschritte meldeten“, schrieb Varnhagen von Ense. „Napoleon, im Wiederbesitze der Macht und getragen von dem Sturme gährender Volksbewegungen, trat unerwartet friedlich und gemäßigt auf, und erbot sich den Frieden von Paris anzuerkennen. Ein solches Erbieten verdiente wohl Erwägung, und der Zustand Europas, die Verhältnisse der Mächte untereinander, mußten zu ernsten Betrachtungen auffordern.“129 Die Alliierten fürchteten, dass es Napoleon gelingen könnte, durch Separatverhandlungen ihr Bündnis zu sprengen. Bis auf England war immerhin jede Großmacht für eine gewisse Zeit mit dem Kaiser der Franzosen verbündet gewesen; Franz war immer noch sein Schwiegervater, und Napoleon bat in Briefen darum, Marie Luise und seinen Sohn zu ihm nach Paris zu schicken. Es gab sogar Gerüchte, wonach deren Entführung versucht wurde. „Daß er [Napoleon] bis zuletzt den Frieden anbot, daß er alles anwandte, um die Mächte einzeln zum Unterhandeln zu bewegen, war in seiner Lage gegründet. Ich wußte aus guten Quellen, daß in Oesterreich eine starke Meinung sehr zum Frieden neigte und es sogar beklagte, daß die Entführung des kleinen Napoleon aus Schönbrunn nicht gelungen sei“130, hielt Varnhagen von Ense fest. Am 25. März 1815 erneuerten England, Russland, Österreich und Preußen förmlich die Allianz von Chaumont, was einer Kriegserklärung gleichkam. „Man ist im Grunde bloß über einen einzigen Punkt einig: sich Bonapartes zu entledigen; darüber hinaus ist nichts festgesetzt und beschlossen“131, informierte Gentz am 24. April Caradja. Die militärische Entscheidung fiel am 18. Juni in Belgien. Waterloo war Napoleons letzte Schlacht und besiegelte endgültig sein Schicksal. Vergebens versuchte er danach, seinen Sohn zum Kaiser der Franzosen auszuru-
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fen; auch sein Bemühen um Asyl in England zeigte keinen Erfolg – er sollte sein Leben auf St. Helena beenden. Am 8. Juli kehrte Ludwig XVIII. in das von britisch-preußischen Truppen besetzte Paris zurück; „eklig ist nur die Verworfenheit dieses Volkes, die nun Ludwig XVIII. wieder mit eben dem Jubel empfangen, wie vor 3 Monaten Bonaparten“132, klagte Ludwig von Gerlach Mitte Juli in einem Brief an seine Mutter. Napoleons Abenteuer führte auch in Italien zu einer Revision der politischen Verhältnisse. Nach dessen Flucht von Elba versicherte Murat noch Anfang März 1815 gegenüber England und Österreich, sich an die Verträge halten zu wollen. Aber von den Erfolgen Napoleons und seinem eigenen Ehrgeiz beflügelt, stellte er sich kurz darauf gegen die Verbündeten. Im Manifest von Rimini erklärte er die Unabhängigkeit Italiens, wurde jedoch im Mai von den Österreichern geschlagen. Seine Armee schmolz dahin, er dankte ab und floh nach Frankreich. Nach Waterloo versuchte er, von Korsika aus Neapel zurückzuerobern; allerdings wurde er nach seiner Landung in Kalabrien Anfang Oktober gefangen genommen und am 13. Oktober auf Befehl des neuen Königs Ferdinand erschossen. Frankreich unter Kontrolle Dieses Mal wollte Metternich nicht auf Gentz verzichten, der am 15. August 1815 in Paris eintraf. Bei den seit Juli laufenden Friedensverhandlungen verfolgten die Alliierten einen deutlich härteren Kurs als 1814, zudem wurden Garantien für den Erhalt des Friedens verlangt. Allen voran die Preußen forderten Entschädigungen. „Die militärische Partei ist mit Recht wütend, daß diese Fürsten und Minister, was wir erobert haben, wieder [wie 1814 im Ersten Pariser Frieden] mutwillig verschwenden“133, schrieb Ludwig von Gerlach Ende Juli an seine Mutter. Der Vertragsentwurf der Alliierten vom 20. September enthielt als Bedingungen die Verkleinerung Frankreichs, eine militärische Besatzung des Landes, die Zerstörung von französischen Festungen und Kriegsmaterial sowie hohe Kontributionszahlungen. Talleyrand lehnte diesen Entwurf entschieden ab: Der Krieg sei nur gegen Napoleon geführt worden, die Bestimmungen des Ersten Pariser Friedens sollten weitgehend erhalten bleiben. Aus Protest trat er von seinem Posten als
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Außenminister zurück, sein Nachfolger wurde Armand-Emmanuel Herzog von Richelieu. Im Zweiten Pariser Frieden vom 20. November 1815 wurde das französische Staatsgebiet im Wesentlichen auf die Grenzen von 1790 beschränkt. Hinzu kam eine Kriegskontribution von 700 Millionen Francs; bis zur vollständigen Begleichung der Schuld sollte das Land besetzt bleiben und die Kosten der Besatzungstruppen tragen. Was die geraubten Kunstschätze betraf, wollte sich der preußische Feldherr Blücher nicht auf die Diplomaten verlassen. „Ehe noch die Monarchen in Paris waren, ließ er sogleich alles vormals preußische Eigenthum dieser Art zurückfordern und wegnehmen. An Widerstand war in diesem Augenblicke nicht zu denken, und der preußische Antheil war nicht so beträchtlich, daß die ungeheuren Pariser Sammlungen den Verlust nicht hätten verschmerzen können. Als aber, auf Blücher’s Anreiz, auch andere Beraubte ihre Zurückforderungen erhoben, und unter dem Schutz der preußischen Waffen bewirkten, nahm die Sache eine bedrohlichere Gestalt [an], und die Franzosen aller Partheien strengten alle Mittel an, den Verlust abzuwenden“134, berichtete Varnhagen von Ense. Auf diese Weise gelangten auch die Löwen von St. Markus nach Venedig zurück. Die Alliierten verständigten sich bereits Mitte Juli darauf, ihre Politik gegenüber Frankreich abzustimmen. Der Begriff „Konzert“ bezeichnet im 19. Jahrhundert einen „diplomatischen Prozess der Konsensfindung“135 mit dem Ziel, Gegensätze zu überwinden und eine einvernehmliche Politik der Großmächte zu erreichen. Die Vertreter der Siegermächte wollten eine Art europäische Aufsichtsbehörde bilden. Frankreich wurde für fünf Jahre ihrer militärischen Kontrolle unterstellt – das Kommando über die „Europäische Armee“ erhielt Wellington. Für Frankreich bedeutete die Besatzung einen wesentlichen Prestigeverlust. Am Tag des Friedensschlusses, dem 20. November, erneuerten die Alliierten zudem die Quadrupelallianz. Auf Initiative Englands wurde der Artikel 6 aufgenommen, demzufolge die Unterzeichner zur Durchführung des Vertrages übereingekommen seien, „in bestimmten Fristen entweder unter persönlicher Leitung ihrer Souveräne oder durch ihre Bevollmächtigten weitere Zusammenkünfte abzuhalten, um den großen gemeinsamen Interessen zu dienen und die Maßnahmen zu prüfen, die jeweils für die Ruhe und das Wohlergehen der Völker sowie
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für die Aufrechterhaltung des Friedens von Europa als heilsam erachtet werden“.136 Angesichts dieses Maßnahmenpakets zeigte sich Gentz überzeugt, dass die Aussichten für den Frieden in Europa nun weit besser waren als am Ende des Wiener Kongresses. Wiener Ordnung: Internationale Diplomatie und Friedenssicherung Mit dem Wiener Kongress wurde ein neues politisches System internationaler Beziehungen begründet: die „Wiener Ordnung“. Sie beruhte auf den Verträgen der Jahre 1814/15, nämlich dem Alliianzvertrag von Chaumont, dem Ersten Pariser Frieden, der Wiener Kongressakte sowie dem Zweiten Pariser Frieden und der ebenfalls am 20. November 1815 abgeschlossenen Quadrupelallianz. Anlässlich des Aachener Kongresses meinte Castlereagh dazu: „These transactions, to which all the States of Europe (with the exception of the Porte) are at this day either signing or acceding parties, may be considered as the Great Charte, by which the territorial system of Europe, unhinged by the events of war and revolution, has been again restored to order. The consent of all the European States, France included, has not only been given to this settlement, but their faith has been solemnly pledged to the strict observance of its arrangements.“ Diese Verträge bedeuteten zwar keine Allianz im strikten Wortsinn, aber „[t]hey do no doubt form the general pact“.137 Da sich bis 1820 noch 33 weitere europäische Staaten den Beschlüssen der Wiener Kongressakte von 1815 anschlossen, wurde die Wiener Schlussakte erst 1820 publiziert. Nach dem zweiten Sieg über Napoleon drängte der Zar, bestärkt von der Mystikerin Juliane von Krüdener, auf eine Union aller Monarchen. Am 26. September 1815 unterzeichneten Alexander, Franz und Friedrich Wilhelm in einem öffentlichen Akt die Heilige Allianz (Metternich überarbeitete hierfür den Entwurf des Zaren) und verpflichteten sich, einander zur Erhaltung der bestehenden politischen Ordnung christlich-brüderlich Beistand zu leisten. Auf Wunsch des Zaren sollte die Heilige Allianz die Grundlage einer Union aller europäischen Staaten bilden, eine „alliance générale“. Mit Ausnahme des Papstes, des Sultans Mahmut II. als Herrscher des Osmanischen
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Reichs und der britischen Regierung traten bis 1817 alle europäischen Monarchen der Heiligen Allianz bei; der englische Prinzregent Georg bekannte sich persönlich in einem Brief zu ihren Prinzipien. Die Heilige Allianz schuf indes keinen Mechanismus oder Konsultationsapparat, sie hatte „wenig praktische Bedeutung“138 – und der Begriff der christlichen Moral war dehnbar. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Heilige Allianz zu einem Kampfbegriff in der Auseinandersetzung zwischen liberalen und natio-
Zum Ende des Wiener Kongresses hob Gentz dessen Bedeutung für Europas Zukunft hervor: „Um über die Resultate dieses Kongresses ein gerechtes Urteil zu fällen, muß man die Umstände, unter denen er zusammentrat, die Aufgaben, die er zu lösen hatte, und die Begebenheiten, die während der letzten Monate in seine Wirksamkeit eingriffen, zu würdigen wissen. Es war kein kleines Geschäft, die sich mannigfaltig durchkreuzenden, auf mehreren Punkten einander ganz entgegengesetzten Ansprüche so vieler Interessenten auszugleichen, Staaten, die in den Ungewittern der letzten zwanzig Jahre zugrunde gegangen waren, wiederaufzubauen, andere, für das europäische System besonders wichtige, die einen großen Teil ihrer Besitzungen verloren hatten, zu ergänzen, zu gleicher Zeit den Forderungen der Gerechtigkeit und der Staatsklugheit Genüge zu leisten und weder das allgemeine Interesse über dem einzelnen noch das einzelne über dem Allgemeinen aus den Augen zu verlieren. […] Was der Kongreß unter günstigern Umständen zu leisten vermocht hätte, ergibt sich hinreichend aus dem, was er wirklich geleistet hat. Der wahre Wert seiner Resultate wird aber erst dann allgemein begriffen und anerkannt werden, wenn die neue Krisis [Napoleons Rückkehr] vorüber und das einzige große Hindernis des Friedens in Europa glücklich aus dem Wege geräumt sein wird. Dann wird sich deutlicher als heute offenbaren, welche mühsame Arbeit nun schon abgetan, welche Grundlagen einem künftigen Friedenswerke in den jetzt bestehenden Anordnungen gesichert, welch freies und weites Feld für jede wahrhaft große und wohltätige politische Maßregel nun geöffnet ist.“ Gentz, Revolution und Gleichgewicht, 345, 347.
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nalen Bewegungen auf der einen und reaktionären Kräften auf der anderen Seite. In seinen Denkwürdigkeiten versuchte Metternich, dem Bündnis eine reaktionäre Intention abzusprechen: „Die ‚heilige Allianz‘ war nicht eine Stiftung zur Niederhaltung der Volksrechte, zur Beförderung des Absolutismus und irgendeiner Tyrannei. Sie war lediglich der Ausfluß einer pietistischen Stimmung des Kaisers Alexander und die Anwendung der Grundlagen des Christentums auf die Politik.“139 Das europäische Konzert Den Schöpfern des Konzerts war bewusst, dass sie etwas Neues geschaffen hatten, aber wie sollte man es nennen? Spätestens mit der Wiederaufnahme Frankreichs 1818 passte der Begriff der Quadrupelallianz nicht länger. Metternich stellte sich eine „moralische Pentarchie“ vor; Castlereagh sprach in einem Schreiben an Liverpool vom 20. Oktober 1818 von einem „European Government […] giving to the great Powers the efficiency and almost the simplicity of a single state“140; er verwendete zudem Begriffe wie „European system“, „great alliance“ und „confederacy“. In der Sprache der Diplomatie etablierte sich zunehmend der Begriff des Konzerts als eine Art Schutzeinrichtung für die Wiener (Friedens-)Ordnung. „Der Konzertbegriff erschließt somit ein sich um 1813 − 1818 durchsetzendes Verständnis von Diplomatie nicht als Hilfswerkzeug der strategischen Staatskunst, sondern als kooperativen Annäherungs- und Abstimmungsprozess zur Erhaltung des Friedens.“141 In diesem Sinne regelten die Großmächte plurilateral (mehrseitig, aber auf bestimmte Akteure begrenzt) etwa vier Jahrzehnte lang die zwischenstaatlichen Beziehungen und versuchten, auftretende Konflikte und Krisen diplomatisch zu bewältigen. Nach mehr als zwanzig Jahren Krieg zeigten sich die Staatsmänner bereit, Kompromisse zu schließen und Machtambitionen zu zügeln. Allerdings blieben die Großmächte – Konzert hin oder her – Großmächte und verfolgten weiterhin egoistische außenpolitische Ziele und Interessen. Weitgehend ausgeschlossen blieben die Klein- und Mittelstaaten. Ihnen wurde auf den Kongressen und Konferenzen nur eine beobachtende Rolle zugestanden, mitbestimmen sollten sie nicht. Das Konzert „war gewiss mehr als eine Idee, denn eine Idee kann keine militärische Intervention durchführen lassen. Mit dem internationalen System war es nicht identisch, denn schließlich gab es noch
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andre Akteure im internationalen System außer den fünf Großmächten“;142 mit modernen Organisationen wie Völkerbund und UNO kann man das Konzert nicht vergleichen, aber es leistete einen wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung: Es gelang von 1815 bis zur Julikrise 1914, „einen gesamteuropäischen Krieg zu verhindern“.143 In diesem Zeitraum fanden mindestens 43 förmlich protokollierte Kongresse und Konferenzserien statt, die sich zum Teil über Jahre erstreckten. Die Beschlüsse des Konzerts wurden in der Regel auch umgesetzt. Ob und wann eine Konferenz stattfand, entschieden die Großmächte. Alexander und Metternich versuchten zwar in Aachen 1818, regelmäßige Treffen anzuregen, stießen damit jedoch auf Ablehnung. Die Großmächte konnten zu dritt oder viert eine Konferenz abhalten; man bemühte sich um Konsens, aber die Mehrheit entschied, es gab kein Vetorecht. „Das Konzert war kein Ort der Harmonie, sondern ein Rahmen, in dem Interessenskonflikte aufeinander prallten und ausbalanciert wurden. Ein Konsens entstand oft erst nach mühsamen Verhandlungen, in denen sich eine Mehrheitsmeinung herausbildete.“144 Das Handlungsrepertoire des Konzerts umfasste Maßnahmen von der Kollektivnote über das Ultimatum bis hin zur (militärischen) Intervention. Neben den großen Monarchen- und Ministerkongressen von 1818 bis 1822 ist auf die Bedeutung der ständigen Botschafterkonferenzen hinzuweisen, denn „sie hatten echte Kompetenzen“.145 In Paris wurde unter Wellingtons Leitung vorrangig die Politik der Siegermächte gegenüber Frankreich abgestimmt; auf der Londoner Botschafterkonferenz verhandelten die Großmächte über die Abschaffung des Sklavenhandels und Maßnahmen gegen Piraten im Mittelmeer, die sogenannten Barbaresken; in Frankfurt am Main befasste man sich mit territorialen Streitfragen der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes. Versöhnung und Orientierung: Der Kongress von Aachen 1818 Mit der Restauration der Bourbonen in Frankreich war klar, dass das Land eher früher als später in das europäische Konzert der Mächte aufgenommen werden würde. Österreich und England wollten Frankreich als Gegengewicht zu Russland positionieren. Der Heiligen Allianz war Lud-
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wig XVIII. bereits im November 1815 beigetreten, im Sommer 1816 wurden die Besatzungstruppen reduziert. Ab 1817 machte die französische Regierung ihren Wunsch, die Besatzung zu beenden, ihre Unabhängigkeit zurückzugewinnen und am Föderativsystem der Alliierten teilzunehmen, immer deutlicher. Dies war eine Frage jener Größenordnung, die eine offizielle Entscheidung durch das Konzert erforderte. In Aachen sollte ein Kongress stattfinden. Castlereagh sprach sich dafür aus, die Teilnahme auf die fünf Großmächte zu beschränken, eine Beteiligung der Mächte zweiten Ranges werde die Verhandlungen nur unnötig verkomplizieren; Metternich teilte diese Ansicht. Im Mai 1818 sandten die Mächte der Viererallianz eine Zirkularnote aus, in der die Bedeutung des Treffens heruntergespielt wurde: Den Staaten zweiten Ranges versicherte man, die Zusammenkunft in Aachen sei gar kein richtiger Kongress, sondern ein schlichtes Diplomatentreffen – daher sei eine Präsenz oder gar Mitsprache von Bevollmächtigten anderer Staaten nicht erforderlich. Seit dem Sommer 1816 wurde in der Pariser Botschafterkonferenz über eine Reduktion der Kriegsschulden beratschlagt, im April 1818 legte die Liquidationskommission ihr Ergebnis vor, die entsprechende Konvention wurde am 25. unterzeichnet: Die Forderungen an Frankreich sollten auf ein Drittel reduziert, die Kriegsschulden gelöscht und in eine verzinsbare Staatsschuld umgewandelt werden. Der Kongress von Aachen begann am 30. September. Gentz fungierte wiederum als Kongresssekretär; wie in Wien waren auch die Monarchen Franz, Alexander und Friedrich Wilhelm anwesend, während England durch Castlereagh und Wellington vertreten wurde. Am 1. Oktober erklärten sich die Siegermächte bereit, ihre Truppen so schnell wie möglich abzuziehen. Gegen den heftigen Protest Preußens wurde der Vorschlag der Liquidationskommission angenommen. Jetzt ging es darum, Frankreich in das europäische Staatensystem zu integrieren. Wie Metternich in einem Memorandum vom 7. Oktober darlegte, konnte man Frankreich nicht in die Quadrupelallianz aufnehmen: Das wäre paradox, da dieses Bündnis auf 20 Jahre explizit gegen die von Frankreich ausgehende Gefahr geschlossen worden war. Angesichts alarmierender Nachrichten über Unruhen in französischen Départements kam man im Gegenteil überein, die Quadrupelallianz zu erneuern.
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Zar Alexander wollte der von ihm initiierten Heiligen Allianz realpolitische Bedeutung verschaffen. Er schlug eine allgemeine Garantie territorialer Besitzstände und eine Absicherung der legitimen Herrscher gegen politischen Umsturz, „mithin einen Beistandsautomatismus gegen zwischenstaatliche Aggressionen sowie gegen Revolution“146 vor. So viel Einmischung in innere Verhältnisse anderer Staaten lehnte Castlereagh entschieden ab. Die Alliierten einigten sich darauf, Frankreich in einem Kongressprotokoll und durch eine öffentliche Deklaration offiziell in das als „Union“ bezeichnete Staatensystem aufzunehmen. Die Quadrupelallianz sollte davon nicht betroffen sein, sondern weiterbestehen – worüber Richelieu von den Siegermächten informiert wurde; die Bestimmungen des zusätzlichen Militärprotokolls wurden ihm verständlicherweise vorenthalten. Ludwig XVIII. akzeptierte den Vorschlag. Am 15. November wurden die Beschlüsse der Aachener Konferenz unterzeichnet: „Österreich, Frankreich, Großbritannien, Preußen und Rußland erklären: 1. daß sie fest entschlossen sind, sich weder in ihren Beziehungen zueinander, noch in denen zu anderen Staaten von dem Prinzip der engsten Verbundenheit zu lösen, das bisher ihr Verhältnis und ihre gemeinsamen Interessen bestimmt hat, eine Verbundenheit, die noch stärker und unauflöslicher geworden ist durch die Bande christlicher Brüderlichkeit, die die Souveräne untereinander geknüpft haben; […] 3. daß Frankreich […] sich verpflichtet, künftighin an der Aufrechterhaltung und Festigung eines Systems mitzuwirken, das Europa den Frieden gegeben hat und das allein seine Fortdauer sichern kann.“147 Im letzten Paragraph wurde festgehalten, dass die Souveräne, Außenminister oder Botschafter der Großmächte bei gegebenen Anlässen weitere Treffen abhalten würden. Kongresse sollten nicht länger die Ausnahme sein, sondern zur Regel werden. Am 15. Dezember schrieb Gentz an Adam Müller: „Der diplomatische Feldzug, den ich dort [in Aachen] in zwei Monaten zurückgelegt habe, war der strengste und arbeitsvollste, der mir noch je zu Theil geworden; es war aber zugleich der glücklichste, befriedigendste und rühmlichste. […] Ich betrachte diese Periode als den Culminationspunkt meines Lebens […] Wir sind in Aachen mit der Ueberzeugung auseinan-
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der gegangen, daß jetzt ein diplomatisches Jubeljahr (allgemeine Vacanzen) beginnt.“148 Nebenaspekte In Aachen wurden noch weitere offene Fragen geregelt. Inoffizielle Themen waren der Sklavenhandel und das Problem der Piraterie im Mittelmeerraum. Zudem trat das Konzert als Mediator in territorialen Konflikten auf. Der Streit zwischen Baden und Bayern um die rechtsrheinische Pfalz – der Großherzog von Baden bat um Vermittlung – konnte im Zuge des Kongresses gelöst werden. Die territoriale Integrität Badens wurde gegen Bayerns dynastische Ansprüche verteidigt. Auf der anderen Seite zeigte ein Konflikt zwischen Spanien und Portugal den Großmächten ihre Grenzen auf. Die Pariser Botschafterkonferenz hatte empfohlen, Montevideo an Spanien zurückzugeben, dafür sollte Brasilien eine Ausgleichszahlung erhalten. Aber in Madrid dachte man gar nicht daran, sich den Beschlüssen des Aachener Kongresses zu beugen. Der russische Staatsrat Graf Alexander Stourdza wollte in Aachen mit seiner Denkschrift über Teutschlands jetzigen Zustand auf die seiner Meinung nach besorgniserregenden Zustände an den deutschen Universitäten und das Problem der Pressefreiheit aufmerksam machen. Er verteufelte die Universitäten als „[g]othische Trümmer des Mittelalters, unverträglich mit den Anstalten und Bedürfnissen des Zeitalters“149, an denen die Studenten nichts lernten, sondern unter dem Deckmantel akademischer Freiheit verführt würden. „Was Stourdza von dem Zustande unserer Universitäten sagt, ist grundwahr“, schrieb Gentz Mitte Dezember an Adam Müller. „Wenn wir also in Deutschland nur noch Weisheit und Eintracht genug aufbringen können, um einen gründlichen Verbesserungsplan einzuleiten, so haben wir wenigstens die beruhigende Gewißheit, daß keines der großen Cabinette einem solchen Plan entgegen treten werde.“150 Meilensteine und Defizite: Eine Zwischenbilanz Was konnte beginnend mit dem Wiener Kongress abseits der großen Fragen erreicht werden, welche Probleme blieben ungelöst? Wichtig für die künftige Kooperation des europäischen Konzerts war die Regelung
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der diplomatischen Rangfolge. In der frühen Neuzeit verkörperten die Diplomaten ihre Monarchen; daher wurde sehr genau beobachtet, welchen Platz sie im Ranggefüge einnahmen, denn dies verdeutlichte die Stellung des jeweiligen Staats in der europäischen Mächtehierarchie. Große Friedenskongresse waren ein zeremonieller Alptraum. Es war daher wegweisend, dass auf dem Wiener Kongress am 10. Dezember eine Kommission eingesetzt wurde, die allgemeine Grundsätze für den diplomatischen Verkehr ausarbeiten sollte. „Baron Humboldt sagte vor einigen Tagen bei F. Hardenberg, als er im Begriffe stand, sich um 8 Uhr Abends in die Staatskanzlei zu begeben: ‚Ich gehe nun in die Rangconferenz; sie wird lange dauern, denn man muß abwarten bis jeder nach seinem Range gesprochen hat.‘ Dabei lachte er laut auf“151, hieß es in einem Wiener Polizeibericht Anfang Januar 1815. Die Rangkommission des Wiener Kongresses erarbeitete eine Lösung, die auf dem Aachener Kongress vertraglich abgesichert wurde. Die Diplomaten wurden in verschiedene Klassen eingeteilt (Botschafter, Gesandte, Geschäftsträger), innerhalb derer das Prinzip der Anciennität galt, also die Reihung nach dem Zeitpunkt, an dem die Diplomaten am jeweiligen fremden Hof akkreditiert worden waren. Ächtung des Sklavenhandels Die Abschaffung des Sklavenhandels war auf dem Wiener Kongress ein zentrales Anliegen der britischen Regierung. In England entstand im ausgehenden 18. Jahrhundert mit dem Abolitionismus eine der stärksten Massenbewegungen der neueren Geschichte. Vor dem Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) und dem Verlust der nordamerikanischen Kolonien war an eine Einstellung des transatlantischen britischen Sklavenhandels nicht zu denken. 1783 indes brachten Quäker eine erste öffentliche Petition vor; im Jahr darauf erreichten sie sogar eine Audienz bei Premierminister William Pitt dem Jüngeren, der die Zeit für die Abschaffung des Sklavenhandels noch nicht für reif hielt. Mit der Gründung der Society for Effecting the Abolition of the Slave Trade (the London Committee) 1787 gewann die Bewegung an Gewicht – und Breite. Eine Petition in Manchester erreichte im selben Jahr 10 600 Unterschriften, auch Arbeiter und Frauen engagierten sich. Die Aktivisten setzten auf verschiedene Strategien: Lebensgeschichten von Afrikanern machten die Öffentlichkeit auf deren Schicksal aufmerksam.
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Noch scheiterten die Petitionen an wirtschaftlichen Interessen und der Lobby der westindischen Zuckerplantagenbesitzer; 1791 wurde zum landesweiten Boykott von Zucker aufgerufen. Doch der Einfluss der Plantagenbesitzer sank mit einer Absatzkrise, zudem betrachtete man Afrika zunehmend als potenziellen Absatzmarkt für britische Erzeugnisse. Jetzt war die Zeit reif – 1807 wurde in England mit dem Slave Trade Act der Sklavenhandel verboten. Im Sommer 1814 erreichte die Abolitionsbewegung einen neuen Höhepunkt. Hunderttausende unterschrieben ein großes Petitionsbegehren; „the nation is bent upon this object. I believe that there is hardly a village that has not met and petitioned“152, stellte Castlereagh fest. Als sich die wirtschaftliche Lage nach den napoleonischen Kriegen änderte, konnte die Regierung den Abolition Act nicht mehr zurücknehmen. Sie trat die „Flucht nach vorn“153 an und versuchte, durch eine internationale Ächtung des Sklavenhandels Englands Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die Vermischung von humanitären Motiven und wirtschaftlichen Interessen fiel den anderen Mächten auf, und sie unterstellten den Briten Perfidie. Am 10. Dezember 1814 wurde auf dem Wiener Kongress ein Ausschuss der acht Signatarmächte des Ersten Pariser Friedens eingesetzt, der sich mit dem Sklavenhandel und der Piraterie im westlichen Mittelmeerraum befassen sollte. Österreich, Preußen und Russland fiel es nicht schwer, sich auf die britische Seite zu stellen, denn sie hatten mit dem transatlantischen Sklavenhandel nur indirekt zu tun. Frankreich zeigte sich aus politischen Erwägungen kooperativ, aber Spanien und Portugal als wichtigste sklavenhandelnde Nationen wehrten sich gegen wirtschaftliche Einbußen. Die Regierung Englands versuchte, mit dem Versprechen großzügiger Subsidien ihr Entgegenkommen zu erkaufen. Die britischen Abolitionisten waren auch auf dem Kontinent sehr aktiv, wiesen mit Flugschriften und Traktaten auf die Grausamkeiten des Sklavenhandels hin. Spätestens seit dem Wiener Kongress wussten Gebildete in ganz Europa über die unmenschlichen Zustände Bescheid. Nach seiner Rückkehr von Elba wollte auch Napoleon aus dieser öffentlichen Meinung Kapital schlagen und erließ ein Dekret gegen den Sklavenhandel, das Ludwig XVIII. nach seiner erneuten Restauration nicht zu annullieren wagte.
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Was aber wurde auf dem Wiener Kongress konkret erreicht? Die Regierungen sahen sich einem wachsenden öffentlichen Druck ausgesetzt und mussten etwas vorweisen. In der von Gentz verfassten Wiener Deklaration verurteilten die Kongressmächte den Sklavenhandel als inhuman und unmoralisch. Es wurde jedoch kein definitiver Zeitpunkt zur Abschaffung des Sklavenhandels genannt, und es blieb den Einzelstaaten überlassen, wann sie die Deklaration mit welchen Mitteln umsetzen wollten. Das Problem war, dass man den Sklavenhandel zwar als verwerflich betrachtete, aber gewichtige ökonomische Gründe für seine Beibehaltung sprachen. Die britische Regierung setzte ihre Bemühungen auf den folgenden Kongressen fort, ohne wesentlich über diese Ergebnisse hinauszugelangen. Am 4. September 1828 meinte der neue Premierminister Wellington, in der Frage des Sklavenhandels zähle vor allem der Eindruck, den man in der öffentlichen Meinung hinterlasse: „We shall never succeed in abolishing the foreign slave trade. But we must take care to avoid to take any step which may induce the people of England to believe that we do not do everything in our power to discourage and put it down as soon as possible.“154 Sklavenarbeit wurde in England selbst 1833 verboten; von einem Ende des transatlantischen Sklavenhandels kann man erst um 1860 sprechen. Defizite Mit dem Zerfallsprozess des Osmanischen Reichs wollte man sich auf dem Wiener Kongress nicht belasten, obwohl klar war, dass hier ein neuer Krisenherd entstand, der auch das Gleichgewicht Europas erschüttern konnte. Bereits 1804 bis 1812 kam es in Serbien zu einem Volksaufstand. Es gelang Karadjordje (Georg Czerny) mit Beistand des Zaren, die Serben in eine gewisse Unabhängigkeit zu führen; nach dem Abzug der russischen Truppen 1813 kam es jedoch zu weiteren Unruhen. Auf dem Wiener Kongress erbaten serbische Deputierte eine Intervention der Großmächte. Metternich lehnte unter Verweis auf die rechtmäßige Herrschaft der Hohen Pforte jede Einmischung ab. Die Begrenzung der Wiener Ordnung auf Europa führte zur Distanzierung von den (ehemaligen) Kolonien in Amerika. Die USA stiegen zur Schutzmacht des Doppelkontinents auf; Präsident James Monroe verwahrte sich unter dem Eindruck militärischer Interventionen durch
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das Mächtekonzert in Neapel und Spanien in seiner Neujahrsbotschaft 1823 (Monroe-Doktrin) sowohl gegen russische Besitzansprüche an der nordamerikanischen Pazifikküste als auch gegen vermeintliche Bemühungen der Heiligen Allianz, Spanien bei der Rückeroberung der abtrünnigen südamerikanischen Kolonien zu helfen. „We should consider any attempt on their part to extend their system to any portion of this hemisphere as dangerous to our peace and safety.“155 Was Metternich und seinen Mitstreitern weder auf dem Wiener Kongress noch in den Jahren danach gelang, war ein Ausgleich mit den liberalen und nationalen Kräften (in ihrer Frühphase gehörten Liberalismus und Nationalismus in der Verfassungsbewegung „wie ein Paar“156 zusammen), die als revolutionär galten. Zwischen Monarchie und Demokratie schien aus dem Blickwinkel der politischen Eliten kein Kompromiss möglich. Aus liberaler Sicht wurden die Kämpfe gegen Napoleon als Freiheitskriege interpretiert. Als Lohn erhoffte man sich politische Freiheiten und Rechte, die in heutigen Demokratien selbstverständlich sind, namentlich eine Verfassung mit Gewaltenteilung sowie Meinungs- und Pressefreiheit. Das in den Befreiungskriegen zwischen Volk und Fürst geschmiedete Band sollte im Frieden fortbestehen, das Bürgertum (Bildung und Besitz galten den Liberalen als Voraussetzung für politische Rechte) wollte Verantwortung im Staat übernehmen. „Das war die Tragik der Situation um 1815: Die Herrschenden wollten das Volk nach altem Muster so weit wie möglich aus der Politik heraushalten, aber die gesellschaftlichen Kräfte waren geweckt und drängten nach vorne, nicht zuletzt durch solch ein wichtiges Ereignis wie den Freiheitskrieg.“157 Die Jahrzehnte zwischen 1815 und 1848 sollten vom Kampf der alten gegen die neuen politischen Kräfte geprägt werden. Allerdings schwoll die von Gelehrten ausgehende liberal-demokratische Bewegung erst in den 1830er Jahren zu einer Massenbewegung an. Nach den Koalitionskriegen wünschte sich die europäische Bevölkerung nur Frieden; auch in den Kreisen des Bürgertums wollte man mehrheitlich die Ruhe des Biedermeiers genießen.
3. Von der Wartburg nach Karlsbad: Die politische Entwicklung im Deutschen Bund Engagiert bis kämpferisch zeigte man sich vorrangig in Geheimbünden, (Deutschen) Gesellschaften, vor allem aber in den neuen Burschenschaften und im Turnverein. Diese Gruppen blieben zwar eine Minderheit, waren aber in ihrem Tun und ihrer Außenwirkung nicht zu unterschätzen. Was die Regierungen ihren Völkern nicht freiwillig zugestehen wollten, wurde von diesen zunehmend gewaltbereit eingefordert: mit Terrorakten und Revolution. Karl Ludwig Sand: Die Burschenschaft und das Erbe der Freiheitskriege Mit seinem Geburtsjahr 1795 gehörte Karl Ludwig Sand einer neuen Generation an: einer Generation, deren Jugend durch Napoleon, den Untergang des Heiligen Römischen Reichs, französische Fremdherrschaft und die national getönte Lyrik und Publizistik der Freiheitskriege geprägt war. Im fränkischen Wunsiedel im Fichtelgebirge geboren, erlebte er die politischen Veränderungen hautnah mit: 1806 wurde das preußische Gebiet von den Franzosen besetzt, 1810 fiel es an Bayern. Die antifranzösische Stimmung in seinem Umfeld färbte auf ihn ab. Als Napoleon im Mai 1812 zu einer Truppenmusterung nach Hof kam, wo Sand das Gymnasium besuchte, verließ der damals Sechzehnjährige die Stadt, da es ihm eigener Aussage zufolge unmöglich gewesen wäre, mit dem Kaiser in einer Stadt zu sein, „ohne sein Leben an ihn [!] zu wagen“.158 Im Dezember 1813, als der Rheinbund bereits zusammengebrochen war und die Alliierten sich anschickten, in Frankreich einzumarschieren, wollte sich Sand als Freiwilliger melden, wurde aber von Freunden und seiner Familie abgehalten. Durch Napoleons Flucht von Elba erhielt er eine neue Chance. In Briefen an seine Eltern gab er seiner
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Sehnsucht nach dem Opfertod für das Vaterland Ausdruck, doch daraus wurde nichts. Die britisch-preußischen Truppen errangen bei Waterloo am 18. Juni den Sieg, bevor Sands Jägerkorps die Front erreichen konnte. Der Gedanke an den Dienst für die Nation und eine damit einhergehende Selbstopferung – Jesus und sein Opfertod beschäftigten ihn sehr – verließ ihn nicht mehr. 1814 begann Karl an der Universität Tübingen ein Theologiestudium. Das Lernen fiel ihm nicht leicht; er zeichnete sich mehr durch Fleiß als durch Begabung aus. Sand war, „vorsichtig gesagt, von auffallend melancholischer Disposition“159 und zeigte starke Stimmungsschwankungen. Im Nachhinein erscheint er als „seelisch-geistig nicht gesund“.160 Sand als Burschenschafter An den Universitäten fand Karl ein neues Kampffeld. In Tübingen war er Mitglied der Landsmannschaft Teutonia gewesen; 1816 wechselte er an die Universität Erlangen und versuchte hier, eine Zweigstelle der Burschenschaft aufzubauen. Diese selbst stand in enger Verbindung mit dem Turnen. 1811 hatte „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn in der Berliner Hasenheide seinen ersten Turnplatz eröffnet, um seine Ideale körperlicher Ertüchtigung und vaterländischer Erziehung umzusetzen. Die Turnbewegung war anfangs eine „Jugendbewegung“161 und ein überwiegend städtisches Phänomen; sie wies Merkmale einer ständefreien Gesellschaft auf, da alle einheitliche Kleidung aus ungebleichtem Stoff trugen und sich mit „du“ ansprachen. Von Anfang an wohnte dem Turnen ein gewisser Radikalismus inne, der sich in teils extremer „Deutschtümelei“ äußerte und unter dem Eindruck der französischen Fremdherrschaft und der Befreiungskriege eine stark antifranzösische Ausrichtung besaß. Eine einheitliche politische Linie gab es jedoch nicht, auch wenn der Wunsch nach nationaler Vereinigung der deutschen Staaten dominierte: Jahn selbst war monarchistisch gesinnt und träumte von einem starken, mittelalterlichen Kaisertum; andere Turner vertraten eine radikal-demokratische Richtung. Willibald Alexis (Georg Wilhelm Heinrich Häring), der 1815 am Feldzug gegen Napoleon teilnahm, schilderte in seinen Erinnerungen die Begeisterung der Jugendlichen: „Die Ideen des Turnertums waren mächtig, auch außerhalb der Hasenheide. Der
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Plumpsack, der dort jedem, welcher durch ein Fremdwort die deutsche Sprache entweihte, drei Streiche versetzte, ging auch moralisch in der jungen Gesellschaft um. Jahns Deutschtümlichkeit war uns kein Phantom, sondern eine Wahrheit, und wir hofften noch zuversichtlich auf die Realisierung unsrer Ideen von einem deutschen Volkstume, wenn wir auch über das Wie? weder mit andern noch mit uns im reinen waren.“162 1812 hatte Jahn zusammen mit Karl Friedrich Friesen die Ordnung und Einrichtung der deutschen Burschenschaften verfasst, in der die Aufhebung der Landsmannschaften, Orden und Kränzchen zugunsten einer einzigen Burschenschaft vorgeschlagen wurde. Nicht zuletzt aufgrund der Befreiungskriege konnte dieser Plan nicht weiterverfolgt werden; der Text wurde unter den Lützower Freiwilligen und an der „Salana“ (Friedrich-Schiller-Universität Jena) verbreitet. Obwohl die einzelnen Paragraphen nicht in die die erste Verfassung der Jenaer Burschenschaft
Publizisten, Professoren und Studenten galten unter Zeitgenossen als Träger der liberalen und nationalen Strömung, während die Masse des Volkes weitgehend passiv blieb. Anfang Dezember 1819 schrieb Agnes von Gerlach an ihre Schwester Marie von Raumer: „Diese Leute [die Demagogen] sind wahrlich alle keine Bösewichter, aber warum wollen sie mit Gewalt einen Umsturz erzwingen? […] Aber wenn Carl [Raumer] sagt, Anno 1812/13 beabsichtigte das Volk mehr als die Franzosen herunterzubringen, kann man es wohl geradezu leugnen. Freilich seine Partei, bestehend aus Gelehrten und Schriftstellern, beabsichtigte mehr. Aber das Dessauer Kontingent und unsere Bauern in der Mark gewiß nicht. Du führst ein redendes Beispiel hiervon an durch Arndts gedruckte Blätter, die abgesungen wurden und wodurch die Singenden elektrisiert werden sollten. Gut ist es, daß es nur bis zu den Studenten gedrungen und das Volk noch unangesteckt geblieben ist. Darum ist es auch lächerlich von diesen Gelehrten immer als vom Volk zu sprechen. Der Bürger und Bauer wünscht ihren Himmel nicht, in dem sie sich noch schlechter befinden würden als jetzt.“ Aus den Jahren preußischer Not, Schoeps, 603f.
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einfließen sollten, ging doch der Name „Burschenschaft“ auf diese Denkschrift zurück. Noch im Winter 1814/15 etablierte sich in Jena eine über die einzelnen Korporationen hinausgreifende Wehrschaft, bei der Leibesertüchtigung und Waffenübungen im Vordergrund standen; am 12. Juni 1815 gründeten 143 Studenten die Urburschenschaft. Mindestens acht der elf führenden Gründungsmitglieder waren Lützower; aus diesem Kreis stammte der Verfassungsentwurf, und auch die Farben Schwarz-RotGold gingen auf das berühmte Freikorps zurück – deutlich zeigt sich der von den Freiheitskriegen ausgehende Impuls. „Zwar hat die Natur uns Deutsche in einzelne Stämme getheilt […] aber sichtbar muß auf Universitäten das Volksgefühl in einer eignen Bildung hervortreten, damit wir uns stets des gemeinsamen Vaterlandes erinnern“163, lautete das Ziel. Die „zur nationalen Militanz neigende Burschenschaft“ war in den Jahren bis 1819 die „Avantgarde der deutschen Nationalbewegung“.164 Neben den großen Zielen Freiheit und Einheit stand jedoch auch die Reform des Studentenlebens auf dem Programm. Die studentische Freiheit hatte ihren jugendlich-oppositionellen Ausdruck vorwiegend im Saufen, Raufen, Duellieren und „Philisterprellen“ gefunden, wobei Nichtstudenten als Philister galten und vor allem Wirte, Vermieter und Geschäftsleute betroffen waren. Der neue Ehrenkodex wies in eine andere Richtung: Christlich-deutsch, redlich und bieder sollten die Burschen sein. In der Jenaer Burschenschaft konnte man zwei Richtungen unterscheiden. Auf der einen Seite standen die sogenannten „Altdeutschen“. „Sie zeichneten sich äußerlich durch ihre Tracht, deutschen Rock, bloßen Hals und langes Haar aus, besuchten meist den Turnplatz und strebten bei aller jugendlicher Fröhlichkeit, die Grundsätze der Burschenschaft, Gerechtigkeit, Sittlichkeit, Brüderlichkeit, in ihrem Leben durchzuführen“, schrieb A. Chr. Heinrich Clemen in seinen Erinnerungen; die aufgrund ihrer Stammkneipe „Lichtenhainer“ genannten Studenten „suchten dagegen das alte burschikose Studentenleben“.165 Sand versuchte in Erlangen, die Ideale der „Altdeutschen“ zu vertreten und gegen den Saufzwang anzukämpfen. Zu Kompromissen, wie sie die etablierten Landsmannschaften ähnlich wie an anderen Universitäten auch in Erlangen vorschlugen, zeigte Sand sich nicht bereit – lie-
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ber wollte er „für unsere heilige deutsche Sache als Märtyrer sterben“.166 Mehr als vierzig Mitglieder erreichte die Burschenschaft in Erlangen nicht, und es heißt, „Sands fanatische Leidenschaft, seine religiöse Schwärmerei“167 hätten manche an der Burschenschaft Interessierte abgestoßen. So extrem in der Haltung wie Sand waren nicht alle Burschenschafter. Auch wenn man die alten studentischen Unsitten abschaffen wollte: Als etwa 200 Burschenschafter am 18. Juni 1817 in Jena das zweite Stiftungsfest feierten (dieses wurde zum Gedenken an die Schlacht von Waterloo um ein paar Tage verlegt), endete – wie der Burschenschafter Treiber an Sand schrieb – das Spektakel gegen Mitternacht in einer „allgemeinen Besoffenheit“.168 Wichtig ist der Hinweis, dass die Burschenschaften nicht allein von den Studenten getragen wurden. In ihrer Weltanschauung und in ihren politischen Zielen waren sie von Anfang an stark durch Professoren geprägt, die zusammen mit ihren Schülern eine „politische Kommunikationsgemeinschaft“169 bildeten. Die Universität Jena wurde (auch aufgrund der aufgeklärt-liberalen Herrschaftspolitik im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach) neben Berlin und Gießen zu einem frühen Zentrum des politischen Professorentums und der liberal-nationalen Bewegung. Hier traten vor allem Heinrich Luden, der Naturphilosoph Lorenz Oken und Jakob Friedrich Fries als Wortführer und politische Ideengeber in Erscheinung. Luden, der Theologie studiert hatte, bekam 1810 den ersehnten Lehrstuhl für Geschichte und gilt in seinen Anschauungen als gemäßigt, er war kein Gegner der Monarchie oder des Adels. Er appellierte an die Einheit der Deutschen und rief in der napoleonischen Ära zum Kampf für das Vaterland auf. Zudem war er mit seiner Zeitschrift Nemesis als politischer Publizist tätig und erreichte damit eine größere Öffentlichkeit. Der Theologe und Philosoph Fries war ein Verfechter der konstitutionellen Monarchie, er wollte weder eine Revolution noch den „Pöbel“ stärken. Obwohl vom Charakter her eher schüchtern und zurückhaltend, hatte Fries in Jena den stärksten Zulauf von Burschenschaftern und übte durch seine Persönlichkeit großen, unmittelbaren Einfluss aus. Zu erwähnen sind hier die antijüdischen Hasstiraden, die in seinen Schriften immer wieder durchbrechen.
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Wartburg Von wem die Idee zu diesem Fest am 18. Oktober 1817 ausging, ist umstritten. Klar ist nur, dass sie aus dem Umfeld der Turner und aus dem radikal-demokratisch orientierten Zweig der Burschenschaft stammte, nicht aus den gemäßigt-liberalen Kreisen der studentischen Reformbewegung. Es kamen etwa 500 Studenten von zwölf deutschen Universitäten. Damals gab es etwa 8500 Studenten im Deutschen Bund; in der Frühphase der Burschenschaft gehörten ihr etwa 10 % der Studenten an. Professor Luden, der eigentliche Mentor der Burschenschaft, war nicht dabei. Er hatte Fries gegenüber dazu recht offen gemeint: „So etwas geht einem leicht zehn Jahre nach“170 – wie recht er damit hatte, sollte sich noch zeigen. Mit dem Fest sollten sowohl 300 Jahre Martin Luther als auch das Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig gefeiert werden. Dieses Spektakel ließ sich Sand nicht entgehen. Er verfasste das Manifest Zum Achtzehnten des Herbstmonats im Jahr nach Christo achtzehnhundert und siebenzehen auf der Wartburg, in dem er die Werte der Reformation zur Orientierung für die Burschenschaft pries. Seine Ausführungen gingen aber völlig unter, da wortgewaltigere Studenten und Professoren dem Wartburgfest ihren Stempel aufdrückten. Der Jenaer Student Heinrich Hermann Riemann wies in seiner Eröffnungsrede auf die im Befreiungskrieg geweckten und dann enttäuschten Hoffnungen des Volkes hin: „Vier lange Jahre sind seit jener Schlacht [von Leipzig] verflossen; das deutsche Volk hatte schöne Hoffnungen gefaßt, sie sind alle vereitelt; alles ist anders gekommen, als wir erwartet haben; viel Großes und Herrliches, was geschehen konnte und mußte, ist unterblieben; mit manchem heiligen und edlen Gefühl ist Spott und Hohn getrieben worden. Von allen Fürsten Deutschlands hat nur einer sein gegebenes Wort gelöst“171 – das sollte nicht hingenommen werden! Danach hielt Fries eine Ansprache, die er am nächsten Morgen in 200 Exemplaren als Rede an die deutschen Burschen verteilen ließ. Oken, der auf der Rückreise von Neuwied eher zufällig zum Fest stieß, hielt eine spontane Rede und appellierte an die Studenten: „Jetzt werdet ihr einig oder niemals!“172 Auch der Jenaer Philosophiestudent Ludwig Rödiger machte deutlich, dass den Teilnehmern an den Freiheitskriegen politische Mitwirkung im Staat zustand; die im Kampf gegen Napoleon gegebenen Versprechen der
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Fürsten müssten eingelöst werden: „In der Not versprach man, uns ein Vaterland zu geben, ein einiges Vaterland der Gerechtigkeit, aber der teuer erkaufte Bundestag ist noch nicht angebrochen […] Wer bluten darf für das Vaterland, der darf auch davon reden, wie er ihm am besten diene im Frieden.“173 Ein Nachspiel zur eigentlichen Feier fand am Abend auf dem Wartenberg statt. In Erinnerung an die Verbrennung der Bannbulle durch Luther wurden unter anderem der Code Napoléon und Sinnbilder der reaktionären Regierungen – ein hessischer Militärzopf, ein preußischer Ulanenschnürleib und ein österreichischer Korporalstock – ins Feuer geworfen. Mit dem Wartburgfest trat die Burschenschaft – „sichtbarster
„Wir haben den Fürsten ihre Krone wiedererobert, und was ist unser Lohn?“ In seinem Aufsatz Über das Wartburgfest weist Gentz die Forderungen der Burschenschafter zurück: „In welchem Sinne läßt sich behaupten, daß die akademischen Bürger, wie man sie sonst nannte, oder nach dem jetzigen Kunstausdrucke die Burschen der deutschen hohen Schulen, das Vaterland befreit haben?“ Selbst wenn, gäbe dies den Jünglingen das Recht, „bei Verhandlungen der öffentlichen Angelegenheiten eine Stimme zu führen?“. „Es hat immer etwas Gehässiges, nach gemeinschaftlich vollbrachter großer Tat zwischen den einzelnen Teilnehmern Parallelen zu ziehen oder mit karger Genauigkeit das Maß und den Wert ihrer wechselseitigen Mitwirkung bestimmen zu wollen. […] Wenn aber unberufene Volksadvokaten die Unternehmungen und Siege der letztverflossenen Jahre der Jugend oder den Völkern allein, ja auch nur vorzugsweise zuschreiben“, das Verdienst der Fürsten und ihrer Kabinette schmälerten und daraus politische Ansprüche ableiteten, die zur „Umkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ führen würden, müsse man widersprechen. Auf den Feldzügen 1813/14 hatten laut Gentz „[d]ie Fürsten und ihre Minister und ihre Feldherren, die an ihren Ratschlägen teilhatten, […] das Größte verrichtet. […] Die, welche heutigen Tages in jugendlicher Vermessenheit wähnen, sie hätten den Tyrannen gestürzt, hätten ihn nicht einmal aus Deutschland getrieben.“ Gentz, Revolution und Gleichgewicht, 354–358.
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Gegner der neuen alten Ordnung“174 – eindrucksvoll ins Licht der Öffentlichkeit. Ein solches Ereignis musste die Aufmerksamkeit der Regierungen auf sich ziehen, die sehr sensibel auf alle Anzeichen von Revolution reagierten. Der Direktor des Berliner Polizeiministeriums, Karl von Kamptz, sprach in einem Schreiben an Großherzog Carl August von Weimar von einem „Haufen verwilderter Professoren und verführter Studenten“175, die auf der Wartburg mehrere Schriften verbrannt hätten. Andere, wie der Weimarer Staatsminister Karl Wilhelm Freiherr von Fritsch in seiner Stellungnahme für den Großherzog, versuchten zu beschwichtigen, indem sie „den religiösen Ernst, die würdige Haltung, die Rührung, womit das Fest des 18. Okt. auf der Wartburg im ganzen gefeiert wurde“176, betonten; aus purem Übermut hätten Einzelne dann Schriften verbrannt, doch sei es unwahr, „daß man die Akte des Wiener Kongresses und der heiligen Allianz mit zu den verbrannten Schriften gezählt“.177 Luden bemühte sich um Schadensbegrenzung. Auf sein Anraten hin verfasste Riemann mit seinem Zimmernachbarn Müller in Jena die Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktober, die sogenannten Wartburgbeschlüsse. Sie sollten der Wartburgfeier ihre politische Sprengkraft nehmen. Luden betrachtete es als Pflicht der Burschenschaft, nun „alles aufzubieten, um die Welt zu überzeugen, daß wir keine Revolutionäre seien, die mit dem Vaterlande ein gefährliches und verderbliches Spiel zu wagen geneigt wären“, wie Riemann in seinen Erinnerungen schrieb; der Professor selbst überarbeitete den Entwurf der Studenten und strich „allzu scharfe Sätze“178. Die Wartburgbeschlüsse spiegeln nicht den tatsächlichen Charakter des Festes wider, sondern stellten eine „Einhegungs- und Zähmungsstrategie“179 dar, um den Regierungen den reaktionären Wind aus den Segeln zu nehmen. Die 36 Grundsätze enthielten typische frühliberale Forderungen wie konstitutionelle Erbmonarchie, Ministerverantwortlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz des Eigentums, einen einheitlichen Wirtschaftsraum, öffentliche Gerichte, Rede- und Pressefreiheit; hinzu kam die Forderung: „Ein Deutschland ist, ein Deutschland soll es sein und bleiben“180 – aber als sie im Winter 1817 einer Studentenversammlung vorgelegt wurden, lehnten viele die Beschlüsse als zu radikal ab.
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Die liberal-nationale Bewegung der Burschenschaften spaltete sich in eine gemäßigt-liberale Fraktion um Luden und Riemann und in einen radikal-demokratischen, republikanischen Flügel, dessen Fürsprecher Professor Fries und der Student Rödiger wurden. Das eigentliche Zentrum der Letzteren lag damals in Gießen, wo sich eine kleine Gruppe – der „Bund der Schwarzen“ oder die „Unbedingten“ – um die Brüder Karl und August Follen sammelte. Karl überarbeitete im Sommer 1818 den Entwurf seines älteren Bruders und verschärfte diesen, indem er die föderative Staatsstruktur durch eine unitarische Republik ersetzte. Wie Ries betont, atmeten Die Grundzüge für eine künftige teutsche Reichsverfassung mit ihrer Idee der Volksherrschaft und eines republikanischen Königtums viel „stärker den Geist der Wartburg und gaben viel deutlicher den radikalen Charakter des Festes wieder als etwa die Wartburgbeschlüsse“.181 Wenn schon Ludens Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktober von vielen Studenten als zu radikal empfunden wurden – wie extrem musste dann erst Follens republikanisches Programm sein? „Das Blut gerinnt einem in den Adern, wenn man in die Zukunft blickt und denkt, daß das höchste Ideal des Staates in den Augen aller unserer Aufgeklärten – die Republik der nordamerikanischen Heiden und Bailleul ihr politisches Evangelium ist. […] Jeder Feudalismus, selbst ein sehr mittelmäßig geordneter, soll mir willkommen sein, wenn er uns von der Herrschaft des Pöbels, der falschen Gelehrten, der Studenten und besonders der Zeitungsschreiber befreit“182, schrieb Gentz am 19. April 1819 an Adam Müller. Die Unbedingten Das Wartburgfest stellte für Sand eine Zäsur dar und markierte seinen Wechsel von der Universität Erlangen nach Jena, wo er sich für das Wintersemester 1817/18 einschrieb. In der dortigen Burschenschaft war er im Sommer 1818 Rechnungsführer und Zweiter Schreiber, doch glücklich war Sand mit ihren gemäßigten Positionen nicht. Gleichgesinnte fand er im Kreis um Karl Follen, mit dem er spätestens seit dem Frühjahr 1818 in Kontakt stand. Sartorius, ein Vertrauter Follens, schrieb ihm aus Gießen, was man von diesem engeren Zirkel zu halten habe: „Es wird die Besseren, die Festen und Unbedingten näher zusammenbringen und auch so für die Burschenschaft ein geistiger Mittelpunkt werden.“183 Nach diesem Vorbild gründeten
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ein paar Jenaer Studenten den sogenannten Frühlingsverein, dem unter anderen Robert Wesselhöft und Sand angehörten. Aus diesem ging der Sommerverein mit etwa 50 bis 80 Mitgliedern hervor, in dem Professor Jakob Friedrich Fries eine Führungsrolle einnahm. Zwischen 24. September und 17. Oktober begab sich Sand zusammen mit anderen „Unbedingten“ auf eine Reise nach Leipzig, Wittenberg und Berlin. Sie besuchten den Schauplatz der Völkerschlacht und betrieben Propaganda für ihre politischen Ziele; dabei verteilten sie Flugschriften, deren Inhalt für die Obrigkeiten besorgniserregend klang. Der Liederzyklus Das Große Lied enthielt unter anderem das Gedicht Teutsche Jugend an die teutsche Menge, in dem das Volk zum gewaltsamen Aufstand aufgefordert wurde. Währenddessen fand in Jena vom 10. bis 18. Oktober der Burschentag statt. Obwohl beispielsweise Preußen studentische Verbindungen und Geheimbünde verboten hatte, erlebten die Burschenschaften an den verschiedenen deutschen Universitäten weiter starken Zulauf. Sie schlossen sich am 19. Oktober 1818 als „freie und natürliche Verbindung der gesamten auf den Hochschulen sich bildenden deutschen Jugend zu einem Ganzen, gegründet auf das Verhältnis der deutschen Jugend zur werdenden Einheit des deutschen Volkes“184 zur „Allgemeinen Deutschen Burschenschaft“ zusammen. Das politische Programm wurde durch die Jenaer Wartburgbeschlüsse vorgegeben. Die „Unbedingten“ konnten sich damit nicht identifizieren. Im Winter 1818 gründeten sie einen neuen Verein, der nahtlos an den vorangegangenen Frühjahrs- und Sommerverein anknüpfte und bis Ostern 1819 bestand. Er wurde unter der Bezeichnung „Conversatorium“ von Fries geführt. Neben ihm trat zunehmend Karl Follen als Meinungsführer in Erscheinung. Dieser war, gerade einmal 22 Jahre alt, im Oktober 1818 als Privatdozent nach Jena gekommen. In den Diskussionen ging es vor allem um die Frage der eigenen Überzeugung, die – so Fries – jede Tat, sogar Mord, zumindest sittlich legitimierte. Man müsse der eigenen Überzeugung treu bleiben und danach handeln. Follen war der gleichen Meinung, drängte aber noch radikaler auf die Tat; es sei Feigheit, nicht nach seiner eigenen Überzeugung zu leben. Ende 1818 kam es innerhalb des Wintervereins zur Spaltung, da Follen und seine Anhänger, wohl nicht mehr als zehn Studenten, darunter
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Ferdinand Johannes Witt von Dörring und Sand, immer stärker darauf drängten, endlich zu handeln. Anfang Dezember brachte offenbar Follen die Idee auf, den preußischen König oder den Zaren auf ihrer Rückreise vom Aachener Kongress in Weimar zu ermorden. Wollte Follen tatsächlich zur Tat schreiten oder nur in einem Gedankenspiel ausloten, wer von seinen Gefährten zum Morden bereit war? Fries lehnte eine gewaltsame Revolution ab. Er zog sich Ende Dezember aus dem Verein zurück und überließ Follen die Leitung. Mit seinen extremen Positionen konnte dieser nur den harten Kern halten; etwa 25 Mitglieder hatte der Verein unter seiner alleinigen Führung. Die Diskussionen kreisten um das Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Follen hat seinen Grundsatz, wonach für den von der sittlichen Notwendigkeit Überzeugten alle Mittel erlaubt seien, nicht niedergeschrieben, sondern nur mündlich vertreten. Es scheint, als hätten sich die „Unbedingten“ in ihrer nahezu geschlossenen Runde gegenseitig in ihren radikalen Ansichten bestärkt: Witt meinte, er werde „für einen als gut erkannten Zweck nöthigenfalls seine Mutter aufzuopfern im Stande seyn“.185 August von Kotzebue: Vertreter des Establishments Kotzebue, 1761 in Weimar geboren, begeisterte sich bereits als Kind für die Theaterbühne. Sein Jurastudium absolvierte er mehr schlecht als recht, obwohl er mit seiner Streitlust zum Advokaten geeignet war. Als erfolgloser Theaterdichter versuchte er sich häufig an Spottversen, schoss dabei aber so manches Mal über das Ziel hinaus und galt in seiner Heimatstadt bald als Störenfried. Über die Kontakte seiner Mutter gelangte er nach Russland, wo er mittels einer Einheirat in den livländischen Adel und durch Eintritt in den Staatsdienst aufzusteigen hoffte. Im Russland jener Tage war es ratsam, seine Meinung an die der Regierung anzupassen. In seiner Schrift Über den Adel verteidigte Kotzebue die feudalen Zustände und die Obrigkeit und bezog gegen die Französische Revolution Stellung. Zunehmend konnte er als Schriftsteller auch außerhalb von Russland Erfolge feiern: Im 19. Jahrhundert zählte er zu den meistgespielten Theaterdichtern. Obwohl von Kritikern als trivial verdammt, gefielen dem Publikum die humorvollen, oft spöttischen Stücke. Er hielt sich unter anderem in Mannheim, Paris und
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Weimar auf. 1798 wurde er Hoftheaterdichter in Wien, verzettelte sich aber auch hier sehr bald in Streitigkeiten und wollte ins Zarenreich zurückkehren. An der Grenze wurde er jedoch fälschlich als politischer Schriftsteller und Jakobiner verdächtigt, verhaftet und nach Sibirien verbannt. Obwohl er wenige Monate später nach St. Petersburg zurückkehren durfte und dort sogar zum Direktor des Deutschen Hoftheaters ernannt wurde, erwies sich dieses Erlebnis als traumatische Erfahrung: Er litt zunehmend unter Verfolgungswahn und der ständigen Angst, es sich mit den politischen Machthabern zu verscherzen. In den Befreiungskriegen verfasste er für Russland antinapoleonische Schriften. Als sich nach dem Sieg über Napoleon und dem Wiener Kongress die Lage in Europa stabilisiert hatte, kehrte er 1817 nach Weimar zurück. In Publikationen wie seinem Litterarischen Wochenblatt vertrat er – Sibirien! – eifrig das monarchische Prinzip. Zudem sollte er im Auftrag des Zaren über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland berichten, was ihm den Ruf eines russischen Spions einbrachte. Feindbild „Der Haß der revolutionären Rotte gegen Kotzebue war alt, mannigfaltig motivirt, und mit teuflischer Kunst genährt“, schrieb Gentz Anfang April 1819. „Ich bin aber vollkommen überzeugt, daß das Attentat gegen sein Leben vorzüglich, ja wohl ausschließend, dem Wahn, daß Er eigentlich den Kaiser Alexander gegen die deutschen Volksschriftsteller und Universitäten aufgewiegelt und den liberalen Ideen abhold gemacht habe, seinen Ursprung verdankt.“186 Kotzebues Tätigkeit als Spion und sein politischer Einfluss im Deutschen Bund wurden maßlos überbewertet; als russischer Staatsbürger konnte er zudem kein „Verräter“ eines deutschen Vaterlandes sein. Aus welchen Motiven erwählte ihn Sand als Opfer? Nach den Befreiungskriegen positionierte sich der Dichter zunehmend als Vertreter des Establishments; in seinen Bühnenstücken und in seiner Publizistik bezog er für die Regierungen und gegen die neuen Strömungen des Nationalismus, Liberalismus und der Romantik Stellung; polemisch wetterte er gegen Turner und Burschenschaften. Im Zuge des Wartburgfests im Herbst 1817 wurde auch Kotzebues Geschichte des Deutschen Reiches von dessen Ursprunge bis zu dessen Untergange
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verbrannt – laut Sands späterer Aussage wurde er hier zum ersten Mal auf Kotzebue aufmerksam. Entscheidend war aber das Jahr darauf, in dem Kotzebue durch die sogenannten „Bulletin“- und „Mémoire“-Affären mehr öffentliche Aufmerksamkeit erregte, als ihm lieb sein konnte. Im Januar 1818 gerieten Auszüge aus dem zweiten Bericht Kotzebues an den Zaren in die Hände von Luden, der sie – mit einem bissigen Geleitwort versehen – in seiner Zeitschrift Nemesis veröffentlichte. Kotzebue ließ die Auszüge beschlagnahmen, konnte jedoch nicht verhindern, dass Ludwig Wieland den Text im Volksfreund abdruckte; Oken publizierte in seiner Zeitschrift Isis Ludens Anmerkungen ohne das eigentliche „Bullending“.187 Durch diese Affäre wurde erneut der Verdacht laut, Kotzebue sei ein russischer Spion. Sein gerichtliches Vorgehen gegen die beliebten Professoren Luden und Oken erregte vor allem an der Universität Jena größten Zorn. Unter dem Eindruck dieser „Bulletin“-Affäre schrieb Sand im Mai 1818 in sein Tagebuch, „es sollte doch einer muthig über sich nehmen, dem Kotzebue, oder sonst einem solchem Landesverräther das Schwert in’s Gekröse zu stoßen“.188 Als Kotzebue im Herbst 1818 Partei für Stourdza ergriff und dessen Mémoire über den besorgniserregenden Zustand der deutschen Universitäten verteidigte, war das Maß voll. Eine Gruppe von Studenten warf die Fenster von Kotzebues Haus in Weimar ein und hinterließ zudem einen Drohbrief, demzufolge vielleicht einmal Kotzebue selbst anstatt seiner Schriften verbrannt werden könnte. Der Dichter zog eilends nach Mannheim. Ende 1818 gelangte Sand zu der Überzeugung: „Soll es etwas werden mit unserem Streben, soll die Sache der Menschheit aufkommen in unserem Vaterlande, soll in dieser wichtigen Zeit nicht alles wieder vergessen werden und die Begeisterung wieder auflohen im Lande, so muß der Schlechte, der Verräter und Verführer der Jugend, August von Kotzebue nieder – dies habe ich erkannt.“189 Und der Überzeugung musste, so hatte Follen stets betont, so war es immer und immer wieder im Kreis der „Unbedingten“ diskutiert worden, die Tat folgen. „Wer soll auf diesen erbärmlichen Wicht, auf diesen bestochenen Verräter losgehen?“, schrieb Sand in seinem Abschiedsbrief an seine Eltern. „In Angst und bitteren Tränen zum Höchsten gewandt, warte ich schon
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seit geraumer Zeit auf einen, der mir zuvorkomme und mich, nicht zum Morde geschaffen, ablöse, der mich erlöse aus meinem Schmerz […] Es zeigt sich trotz all meines Gebetes keiner.“190 Sand zögerte. Einerseits quälten ihn Selbstzweifel, andererseits malte er sich den Märtyrertod für das Vaterland aus; er wünschte sich, „einen Brand zu schleudern in die jetzige Schlaffheit“191, die Gefühle von 1813 im Volk neu zu wecken und das Signal für die große Revolution zu geben – und mit seinem Opfer Unsterblichkeit zu erlangen. Als in der Zeitung stand, Kotzebue wolle Deutschland verlassen und nach Russland zurückkehren, geriet er unter Zeitdruck: Denn, wie er in seinem Abschiedsbrief schrieb, „wer soll uns von der Schande befreien, wenn Kotzebue ungestraft den deutschen Boden verlassen und in Rußland seine gewonnenen Schätze verzehren wird?“.192 Mannheim, 23. März 1819: Das Attentat und seine Folgen Die Magd bestellte den jungen Mann, der sich Heinrich aus Mitau im Kurland nannte und den berühmten Dichter besuchen wollte, für den Nachmittag wieder ein. Ebenso wenig wie der Bedienstete, der den Jüngling am selben Tag gegen 17 Uhr die Treppe hinaufführte, konnte sie ahnen, dass sie damit einen Mörder zu seinem Opfer brachte. Kotzebue empfing den Besucher allein im Wohnzimmer. Mit den Worten: „Ich rühme mich Ihrer gar nicht, hier, du Verräter des Vaterlandes!“193, versetzte Sand dem Dichter zuerst einen Stich ins Gesicht, um ihn dann, als er abwehrend die Hände hochriss, mit zwei tiefen Stichen in die Brust tödlich zu verwunden. Als der vierjährige Sohn des Opfers ins Zimmer kam und mit seinen Schreien andere herbeirief, stieß sich Sand den zweiten Dolch selbst in die Brust. Inmitten des Tumults – die ganze Aufmerksamkeit galt verständlicherweise dem sterbenden Dichter – konnte der verletzte Täter das Haus verlassen. Auf die Hilferufe hin waren schon einige Leute zusammengelaufen, Sand fand sich unversehens vor einem Publikum wieder. Jetzt konnte er sich als Märtyrer inszenieren. „Ein Christus kannst du werden!“194, hieß es in seinem Manifest Todesstoß dem August von Kotzebue. „Unsere Tage fordern Entscheidung für das Gesetz, das Gott seinen Menschen flammend in die Brust geschrieben hat. […] Auf, mein Volk, besinne dich,
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ermanne, befreie dich!“195 Er hatte die Schrift ursprünglich Luther gleich an eine Tür nageln wollen, jetzt übergab er sie einem Bediensteten. „Die Reformation muß vollendet werden!“196 Ein weiteres Mal versuchte er, sich selbst zu erdolchen; allerdings überlebte er und wurde ins allgemeine Krankenhaus gebracht. Sand hatte das Attentat akribisch geplant. Schon zu Weihnachten 1818 ließ er einen Dolch herstellen und besuchte Vorlesungen zur Anatomie. Mit einem Stück Holz erprobte er an seinem Freund Adolf Karl Gottlieb Asmis den Ablauf: Zuerst ein Hieb gegen das Gesicht, um das Opfer dazu zu bewegen, die Arme zu heben – dann der tödliche Streich gegen die schutzlose Brust. „Siehst du, so muß man es machen, wenn man einen erstechen will“197, erklärte er seinem Freund, der das Ganze als Scherz empfand. Sand ließ sich viel Zeit, um seine Angelegenheiten zu ordnen und Abschiedsbriefe zu verfassen. Auch seine Reise von Jena nach Mannheim, zu der er am 8. März aufbrach, dauerte ungewöhnlich lange. Er legte Zwischenaufenthalte bei Freunden in Frankfurt und Darmstadt ein. Wollte er aufgehalten werden? Immerhin konnten die von ihm hinterlegten Schriftstücke, in denen er seine Tat erklärte, jederzeit gefunden werden. Untersuchung und Prozess Die Obrigkeit nahm sofort Ermittlungen auf. In Mannheim wurde eine Untersuchungskommission eingerichtet, weitere Kommissionen gab es in Weimar, Gießen und Darmstadt. Da Sand aufgrund seiner Verletzungen noch nicht sprechen konnte, schrieb er sein Motiv nieder: „A. v. Kotzebue ist der Verführer unserer Jugend, der Schänder unserer Volksgeschichte und der russische Spion unseres Vaterlandes.“198 Er war geständig und zeigte keine Reue; im Gegenteil nutzte er die Zeit seiner Haft, um seine Ideale zu vertreten. Die Obrigkeit bemühte sich angesichts der Brisanz des Falls um eine korrekte Behandlung des Täters; auf Folter wurde verzichtet. Seine Haltung wurde von jenen, die mit ihm zu tun hatten, als freundlich und dankbar erachtet, selbst der Untersuchungsrichter beschrieb den Attentäter als gutmütig, wenn auch nicht als besonders geistreich. Sein Pflichtverteidiger Rüttger versuchte in einer umfangreichen Verteidigungsschrift, Sands Tat aus „Ideenverwirrung und irregehender Va-
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terlandsliebe“199 zu erklären, und forderte einen Freispruch. Dennoch stimmte das Hofgericht des Niederrheins am 11. April 1820 mit zwölf gegen zwei Stimmen für die Strafe der Enthauptung, das Oberhofgericht trat am 5. Mai diesem gutachtlichen Antrag bei, der am 12. Mai vom Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach bestätigt wurde. Sein schlechter Gesundheitszustand – Sand konnte nur noch auf dem Rücken liegen und sich mit Hilfe aus dem Bett erheben – hätte vielleicht eine Aufschiebung der Hinrichtung ermöglicht. Aber Sand wollte gar keine Begnadigung, sondern endlich den Märtyrertod. Von Sand stammt „die naivste Fassung des follenschen Grundsatzes: ‚Wer wird mir’s glauben, daß den Tod ich leiden will, wenn ich’s nicht wirkl. zeige?‘“.200 Opfer und Täter „Wie gewöhnlich wußten die Leute im ersten Augenblicke nicht, was sie darüber denken und sagen sollten“, schrieb Varnhagen von Ense. „Besonders verwirrte sie, daß der Mörder ohne alle Reue und sogar mit dem Scheine der Frömmigkeit sich seiner That rühmte, daß er die Kraft gehabt nach ihrer Vollbringung sich selber zu erstechen; dazu kam die Nachricht, in Mannheim sei fast die ganze Bevölkerung für ihn gestimmt, preise den begangenen Mord als die Heldenthat eines edlen vaterländischen Jünglings.“201 Sand wurde zum ersten Märtyrer des frühen deutschen Liberalismus. Angesichts der öffentlichen Meinung schrieb Gentz Mitte April an Metternich: „Ich würde es als ein wahres Unglück bejammern, wenn Sand nicht an seinen Wunden sterben sollte“, weil bei der herrschenden Stimmung anzunehmen sei, „daß Tausende und Tausende sich bis zur Schwärmerei für ihn exaltiren, ihn als einen Helden, als einen Märtyrer der guten Sache, als ein Schlachtopfer der Obscuranten schildern, und noch zehnmal rasender und strafbarer werden, als sie schon sind“.202 Die Hinrichtung am 20. Mai 1820 wurde zum Spektakel: „Manche Thräne floß auf Sand’s Grab“, notierte Andlaw in seinem Tagebuch, „überspannte Frauen und fanatische Männer tauchten ihre Tücher in des Gerichteten Blut.“203 Die aufgeregte Menge durchbrach die militärischen Absperrungen und versuchte, Reliquien zu ergattern: die vom Henker abgeschnittenen Haare Sands oder Holzsplitter vom Blutgerüst. Der Ort der Hinrichtung wurde im Volksmund bald Sands „Himmelfahrtswiese“204 genannt.
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Die Sympathien galten überwiegend dem Täter, selbst wenn die Tat als solche verurteilt wurde. „Der Irrthum wird entschuldigt und gewissermaßen aufgehoben durch die Festigkeit und Lauterkeit der Überzeugung, und die Leidenschaft wird geheiligt durch die gute Quelle, aus der sie fließt: daß beides der Fall bei Ihrem frommen und tugendhaften Sohne gewesen, bin ich fest überzeugt“205, schrieb der Berliner Gelehrte Wilhelm Martin Leberecht de Wette Ende März 1819 an Sands Mutter. Nicht einmal Gentz hielt, wie er am 23. April schrieb, Sand für einen „Bösewicht“; „desto schlimmer aber für Die, die ein an und für sich gutes und edles Gemüth bis zum ärgsten Verbrecher Excediren konnten! Die wahren Thäter sind und bleiben Fries, Luden, Kieser und andere Leute dieser Art, von denen die Universitäten um jeden Preis gereinigt werden müssen.“206 Wie viele andere auch spekulierte Andlaw über die geistige Gesundheit des Attentäters: „Ohne Zweifel hatte Sand als vorsetzlicher Meuchelmörder den Tod nach den Gesetzen verdient, aber war er auch völlig zurechnungsfähig? Schon der Wahn, durch die Ermordung Kotzebue’s Deutschland retten zu wollen, deutet auf eine seltsame Verwirrung der Begriffe.“207 Sand wurde als jugendlicher Held dargestellt, ein von religiös-politischem Fanatismus getriebener Schwärmer, der aus guter Überzeugung heraus eine böse Tat begangen hatte; Kotzebue hingegen verachtete man als Verräter der Idee der Volksnation und russischen Spion, der sich seine Ermordung letztlich selbst zuzuschreiben habe. In seinem Authentischen Bericht über die Ermordung des Kaiserlich-Russischen Staatsraths August von Kotzebue vertrat Carl Nicolai die Ansicht, dass der „Verlust für Kunst und Wissenschaft nicht so folgereich und unersetzlich ist, als es vielen auf dem ersten Augenblick schien“.208 In seinen Werken hielt sich Kotzebue „mehr an das Burlesk-niedrig-komische“209, aber auch persönlich warf Nicolai dem Dichter Feigheit in politischen Angelegenheiten vor: „Er selbst hatte eigentlich kein politisch festgestelltes Prinzip, keine entschiedene Meinung für Volkssinn oder monarchischen Sinn, und wagte bei großer Furchtsamkeit, so keck auch seine Feder schreibt, nicht, entschieden aufzutreten, sondern wollte nur gern hinter den Koulissen den Theatermeister machen.“210 Die Trauerfeiern auf den Bühnen Deutschlands standen eher im Zeichen der Pflichtschuldigkeit. Im Zuge der Totenfeier am Berliner Hof-
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theater wurde zwar die Büste des Dichters mit Lorbeer bekränzt, aber schon in Königsberg geriet eine ähnliche Feier zum Misserfolg. Die Angst geht um: Antijüdische Ausschreitungen als Vorboten der Revolution? „Ich für meinen Theil hege keinen Zweifel, daß der Mörder nicht aus eigenem Antriebe, sondern in Folge eines geheimen Bundes handelte“, schrieb Metternich, der sich noch in Rom aufhielt, am 9. April an Gentz. Zugleich stellte er klar, dass er aus diesem Mordfall das größtmögliche politische Kapital zu schlagen gedachte: „Hier wird wahres Uebel auch einiges Gute erzeugen, weil der arme Kotzebue nun einmal als ein argumentum ad hominem dasteht, welches selbst der liberale Herzog von Weimar nicht zu vertheidigen vermag. Meine Sorge geht dahin, der Sache die beste Folge zu geben, die möglichste Partie aus ihr zu ziehen, und in dieser Sorge werde ich nicht lau vorgehen.“211 Gab es Mittäter? Bedenkt man die Diskussionen, die im Kreis der „Unbedingten“ geführt wurden, liegt der Verdacht nahe, dass diese von seinem Vorhaben zumindest wussten. Follens Vertrauter Sartorius hatte Sand zudem auf der Etappe von Darmstadt bis kurz vor Mannheim begleitet. Sand bemühte sich in den Verhören, sich als Einzeltäter darzustellen; schon davor war er aus der Burschenschaft ausgetreten. Dem gewieften Juristen Follen, der im Herbst 1819 verhaftet wurde, konnten die Ermittler nichts nachweisen, obwohl er Sand das Geld für die Reise gegeben und von ihm ein Paket mit Manifesten entgegengenommen hatte. In den Verhören und bei einer Gegenüberstellung mit Sand gelang es Follen nicht zuletzt durch eine vorgebliche Gedächtnisschwäche, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Späteren Aussagen von Follens einstigen Freunden zufolge, beispielsweise vor der Untersuchungskommission in Mainz 1827, wusste der Privatdozent vor Sands Abreise nach Mannheim sehr wohl über dessen Plan Bescheid; obwohl er die Ermordung Kotzebues nicht für sinnvoll erachtete, tat Follen nichts, um Sand davon abzuhalten. Inwieweit Follen in den Mord verwickelt war oder Sand anstiftete, bleibt dahingestellt. Gewiss ist, dass er im Kreis der „Unbedingten“ den politischen Mord als Mittel im Kampf um die Republik empfohlen hatte. Verurteilt wurde Follen nicht, aber
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seine Karriere in Jena war zu Ende. Er emigrierte in die Schweiz und später in die USA. Falls es sich um eine Verschwörung handelte, musste man befürchten, dass die Ermordung Kotzebues nur der Beginn einer Serie von Attentaten war. Entsprechend groß war die Angst in konservativen und reaktionären Kreisen. Burschenschafter und Turner erschienen als potenzielle Gewalttäter. Als Geheimrat in Weimar fühlte sich Goethe, als ihn kurz nach der Ermordung Kotzebues ein junger Verehrer aufsuchen wollte, bedroht genug, um die Polizei zu verständigen. Auch Gentz erhielt einen anonymen Brief: „Kotzebues Schicksal warne Dich. Er starb durch den Dolch, Du wirst durch Gift fallen.“212 In Wien kursierte das Gerücht, er habe vor lauter Angst acht Tage im Bett gelegen, doch handelte es sich hierbei um den Scherz eines Freundes. Gegenüber Metternich betonte Gentz, keine Angst zu empfinden. „Daß mein Name auf allen Proskriptionslisten der Fanatiker und Bösewichter stehen muß, durfte ich aus diesem Vorfall nicht erst lernen.“213 Sorgen machte er sich durchaus, wie ein Brief von Ende April belegt, da verschiedene Drohschreiben eine Verschwörung vermuten ließen: „Pilat hat vor eini-
Drohten weitere Mordanschläge? Bereits am 24. März 1819 berichtete Varnhagen von Ense Tettenborn, man habe bei Sand eine Schrift gefunden, derzufolge dieser das Todesurteil gegen Kotzebue nach Beschluss der „Universität xx“ vollzogen habe. „Dieser Zusatz läßt auf eine Gemeinschaft und Verbrüderung schließen, die alle Gemüther mit furchtbaren Schrecknissen erfüllt; was will man gegen Menschen machen, die sich selbst umbringen? Soll sich im Abendlande der Orden der Assassinen [mittelalterliche Sekte im Raum Persien, die für politische Attentate berüchtigt war] wiedergebären? Bei uns, in Deutschland! Die Sache wird einen fürchterlichen Eindruck machen! […] Der russische Kaiser wird außer sich sein; aber was will er mit all’ seiner Macht anfangen? […] Alle Minister und Räthe werden sich bedroht glauben. Ich möchte jetzt nicht Herr von Stourdza und auch mancher Andere nicht sein! Ich bin so afficirt, daß ich nicht zu Mittag essen konnte, die arme Rahel ist außer sich vor Thränen und Krämpfen.“ MNP 2/1, 226f.
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gen Tagen einen ähnlichen Brandbrief, wie früher ich, erhalten; und wie ich höre, hat man sogar an den Kronprinzen anonyme Briefe, mit Drohungen begleitet, geschrieben. Pilat wird ein verruchter Bösewicht genannt, für den nichts als der Tod bestimmt ist, wenn er nicht aufhört, seine schlechten Grundsätze zu verbreiten. Der Brief an mich mag ein schlechter Aprilspaß gewesen sein; wenn sich aber dergleichen Schritte wiederholen, so gewinnen sie doch eine ernsthaftere Gestalt.“214 Angesichts möglicher Attentate gab sich Metternich betont kämpferisch. Anfang April versicherte er Gentz: „Mein tägliches Kämpfen geht gegen Ultras jeder Art, bis mich endlich auch der Dolch irgend eines Narren erreicht. Wenn der Kerl mir aber nicht von rückwärts kommt, so kriegt er eine Ohrfeige, an welche er lange denken wird, selbst wenn er mich trifft.“215 Sorgen machte er sich allerdings um seine Familie, die im Herbst 1820 nach Paris zog. „Meinen Sohn möchte ich auch nicht nach Deutschland ziehen lassen, er könnte dort ermordet werden. Für solche Pläne bin ich den Angriffen der Radicalen aller Länder zu sehr exponirt.“216 Tatsächlich kam es zu einem weiteren Attentat. Am 1. Juli 1819 versuchte der Apotheker Karl Löning, den nassauischen Regierungspräsidenten Karl von Ibell in dessen Domizil in Langenschwalbach zu töten. Löning wollte Ibell durch ein Gespräch ablenken, doch verlief dieses so angeregt, dass sie sich etwa eine Viertelstunde unterhielten, bis sich der Apotheker an sein eigentliches Vorhaben erinnerte und mit dem Ausruf „Und du musst doch sterben“217 eine Schusswaffe zückte. Ibell wurde nur leicht verletzt, Löning brachte sich nach einigen Verhören am 11. Juli um, indem er Glassplitter schluckte. Im Gegensatz zu Sand fand er aber selbst in der liberalen Presse keine Befürworter mehr. Hep-Hep, Jud’ verreck’ War es schon Sand gelungen, einen „Brand zu schleudern“, so sahen sich die Regierungen bald mit einer noch größeren Herausforderung konfrontiert. Im Deutschen Bund kam es zu antijüdischen Ausschreitungen, die mit ihrem Gewaltpotenzial, ihrer Ausbreitung und dem hohen Grad an Selbstorganisation die Behörden entsetzten. War dies der Auftakt zur gefürchteten Revolution? Um 1820 lebten etwa 350 000 Juden auf dem Gebiet des Deutschen Bundes. In der napoleonischen Reformära hatten sie vielerorts Bürgerrechte erlangt, doch gelang es auf dem Wiener Kongress nicht, eine
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bundesweite Regelung für ihre (staats-)bürgerliche Stellung zu erarbeiten. Bei der Formulierung der Bundesakte 1815 flüchteten sich die Diplomaten in eine schwammige Absichtserklärung: Die Bundesversammlung werde „in Berathung ziehen, wie auf eine möglichst übereinstimmende Weise die bürgerliche Verbesserung der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirken sey […] jedoch werden den Bekennern dieses Glaubens bis dahin die denselben von den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte erhalten“.218 Wie der schaumburg-lippische und waldeckische Vertreter Berg berichtete, war „[f]ür die Bekenner des jüdischen Glaubens […] eine günstigere Bestimmung vorgeschlagen“219, sie fand aber zu wenig Zuspruch. Statt Fortschritten brachten die folgenden Jahre Stagnation und Rückschläge. In Hessen, Preußen und Mecklenburg wurden die Rechte der jüdischen Bevölkerung erneut eingeschränkt, in Hannover und Hamburg die Emanzipationsgesetze der napoleonischen Ära zurückgenommen. In Frankfurt hatte Karl Theodor von Dalberg als Fürstprimas bei seinem Regierungsantritt 1806 die Stellung der Juden verbessert und ihnen symbolträchtig auch den Zutritt zu den Spazierwegen gestattet. Nach dem Wiener Kongress diskutierte der Senat der nunmehr Freien Stadt die juristische Frage, „ob die Erteilung der Bürgerrechte unter der Regierung von Dalbergs, für die die Juden 440 000 Gulden gezahlt hatten, die Summe der Steuer, die sie im Laufe von zwanzig Jahren zu zahlen hätten, auch die an Dalbergs Stelle getretene Regierung verpflichtete“.220 Aus Lübeck und Bremen, wo sich Juden unter französischer Herrschaft ansiedeln durften, wurden sie 1816 ausgewiesen. Erst im Zuge der deutschen Reichsgründung 1871 erreichten alle deutschen Juden die (staats-)bürgerliche Gleichberechtigung. 1819 kam es erstmals seit Ende des Mittelalters wieder zu einer weiträumigen Judenverfolgung in Deutschland, wobei antijudaistische und antisemitische Motive zum Tragen kamen. Die Hep-Hep-Unruhen begannen am Abend des 2. August 1819 in Würzburg, wo das Militär die Ruhe erst drei Tage später wiederherstellen konnte. Die Ereignisse in Würzburg, durch private Berichte und vor allem Zeitungen schnell bekannt, wirkten „als Fanal“221: Wenige Tage später wurden in Bamberg Fensterscheiben jüdischer Häuser eingeworfen, in Bayreuth kam es ebenfalls zu Ausschreitungen. Die Unruhen und Exzesse konzentrierten
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sich im August auf Städte wie Darmstadt, Hamburg und Heidelberg. In Frankfurt platzte die Nachricht von den Würzburger Ausschreitungen in eine angespannte Situation, da die Regierung schon länger über die Rechtsstellung der Juden diskutierte. „Wer die gegen die Juden fast überall herrschende Stimmung kennt, der sagte schon bei der ersten Nachricht von den Auftritten in Würzburg eine Wiederholung derselben an anderen Orten voraus“222, war am 12. August in der Allgemeinen Zeitung zu lesen. Im September wurden Kopenhagen – hier erschreckte besonders der Ruf „Heute die Juden, morgen der König“223 – sowie Danzig Schauplätze schwerer Ausschreitungen. Allerdings waren auch ländliche Gegenden und kleinere Städte in Franken, Baden, Kurhessen, Westfalen und im Rheinland betroffen, ebenso kam es Ende August in Schlesien sowie in Leipzig und Dresden zu Zwischenfällen. Ohne nennenswertes Echo blieben die Hep-HepKrawalle in Österreich, in Berlin und im Großherzogtum Posen, wo etwa ein Drittel der preußischen Juden lebte. Die ursprüngliche Bedeutung des Rufs „Hep-Hep“ ist unklar, 1819 galt er als Losungswort. Eher spontanen Unruhen standen gezielte Aktionen gegenüber, die den Charakter einer groß angelegten Verschwörung unterstrichen. In Fulda fand man am 16. August ein Circular an die Bürger der Stadt Fulda, in dem diese aufgerufen wurden, es den Frankfurtern und Würzburgern gleichzutun und die Juden aus der Stadt zu prügeln. Ebenso wurde im württembergischen Ingelfingen im September ein Zettel mit folgendem Inhalt aufgefunden: „Nächsten Samstag, als den 11ten dieses Monats wird geliefert werden, eine große JudenSchlacht, wornach [sic] sich jeder Hepp richten kann. Jud Hepp Hepp, am Samstag mußt verrek.“224 Die Entwicklung und der Grad der Eskalation hingen zum großen Teil von der Reaktion der jeweiligen Behörden ab. In Regensburg, wo Anfang September Drohbriefe gefunden wurden, genügte die Verstärkung der Garnison, um Ausschreitungen zu verhindern. In Breitenbach bei Kassel verkündete ein Tagelöhner Anfang Oktober, „daß den 18ten October eine Schlacht sein solle, wo alle Juden geschlachtet werden sollten, er wollte auch noch in alle Wirthshäuser gehen, um es weiter bekannt zu machen“225; ähnliche Anzeigen gingen von anderen Orten ein. Für den Tag der Siegesfeier der Völkerschlacht bei Leipzig ergriffen
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die Behörden Vorsichtsmaßnahmen – diese zeigten Wirkung: „Gewiße Umstände zwingen Uns, den Hundstagen der Juden eine Galgenfrist zu gestatten. Furchtbar und Alles vertilgend wird alsdann der Würgeengel ueber Euch schweben wie an jenem Tage zu Jerusalem. So beschlossen im rothen Bunde, im October MDCCCXIX“226, hieß es in einer Flugschrift, die in Kassel verbreitet wurde. Die Behörden nahmen die Unruhen sehr ernst, versuchten aber in öffentlichen Verlautbarungen, die Angelegenheit zu bagatellisieren, um so die Erregung zu dämpfen. „Schon seit einigen Tagen hatten Handwerkspursche und Jungen einzelnen Juden das bekannte Hepp! Hepp! nachgerufen. Man hatte sich, da dergleichen Rufung durch Verbote gewöhnlich nur noch vergrößert werden [sic], darauf beschränkt, die hiesigen Juden aufzufordern, nicht darauf zu achten“227, lautete der Bericht des Stadtdirektors Ludwig Aloys Pfister über die Plünderung der Heidelberger Judengasse. Zynisch erscheint, dass manche Obrigkeiten den Juden (Mit-)Verantwortung für die Unruhen zuschrieben. Der Frankfurter Senat ermahnte die Judenschaft, dass sie „durch unbescheidenes Benehmen und Anmassen der christlichen Einwohnerschaft nicht Anlaß zu gerechten Beschwerden geben werde“.228 Meist verwüsteten die Täter Synagogen und warfen mit Steinen Fensterscheiben von Juden bewohnter Häuser ein; (systematische) Plünderungen und körperliche Misshandlungen waren eher die Ausnahme. Obwohl nur wenige Städte und Gegenden tatsächlich zum Schauplatz wurden, erschütterten die Krawalle weite Teile Deutschlands. Die Täter waren laut zeitgenössischer Einschätzung „meistens in Gant geratene Bürger, verabschiedete Soldaten, Taglöhner und Gassenjungen“.229 In den Quellen schlägt sich das Bemühen der Obrigkeit nieder, die Tumulte als Werk des Pöbels darzustellen und das Bürgertum von Verantwortung freizusprechen. Es waren aber sehr wohl auch Bürgerliche an den Ausschreitungen beteiligt. Vor allem im ländlichen Bereich wurden nicht alle Übergriffe aktenkundig; manche Schultheißen blieben untätig oder beteiligten sich sogar an den „Neckereien“ – so die Beschwerde von Juden im Oberamt Künzelsau. In Heidelberg machten sich die Studenten unbeliebt: Am 25. August zog, wie Pfister in seinem Bericht festhielt, „ein Trupp Handwerkspursche und Straßenjungen“230 in die Judengasse und begann, die Häuser
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wohlhabender Juden zu plündern. Doch die Studenten, angeführt von zwei liberalen Professoren, griffen ein und schützten die jüdischen Bewohner vor weiteren Misshandlungen. Am Tag darauf hieß es in der Stadt, man wolle nachts erneut die Juden plündern und „gegen die hiesigen Akademiker zu Feld ziehen“.231 Obwohl die Regierungen vor allem die Studenten und speziell die Burschenschafter revolutionärer Umtriebe verdächtigten, waren diese an den antijüdischen Ausschreitungen kaum beteiligt. Ihnen fehlte der unmittelbare Beweggrund. Allerdings zeigte sich, dass bei der Diskussion, ob Juden in die Burschenschaften aufgenommen werden sollten, meist zu deren Ungunsten entschieden wurde, da sie nicht dem christlich-deutschen Prinzip entsprechen könnten.
Vom mutigen Eingreifen der Studenten in Heidelberg berichtete die Neue Speyerer Zeitung, Nr. 103 vom 28. August 1819: „Keine verhindernde Maaßregel von Seiten der Policey oder der noch dazu grade bewaffneten Bürgergarde war bis nach gestilltem Lärm im entferntesten zu sehen und so hätten denn sicher alle jüdischen Häuser ein gleiches Schicksal ertragen müssen, wäre nicht plötzlich, als bereits drey ausgeplündert und bey einem vierten der Versuch gemacht worden, eine ungewöhnliche Hülfe gekommen. Die Studierenden der hiesigen Universität waren es nämlich, welche bewaffnet mit Hiebern, Säbeln oder Rapieren, die Räuber augenblicklich zerstreuten, diejenigen, deren sie habhaft werden konnten, der städtischen Behörde überlieferten, und so die Juden vor fernerer Mißhandlung, die Bürger vor größerer Schande, den Magistrat vor höherer Verantwortlichkeit sicher stellten.“ Neben der Kritik an den Behörden wurde die Frage nach den Tätern aufgeworfen. Wie andernorts war man auch in Heidelberg geneigt, zu sagen, dass es Straßenjungen und der Pöbel waren, welche die Exzesse begingen. „Aber es bleibt doch immer räthselhaft, was in so vielen Städten gerade die Gassenjungen allarmirte!!? Indessen werden wenigstens hier über 200 Studenten das Zeugniß ablegen, daß – es nicht Straßenjungen waren, die ihnen mit Unwillen darüber Vorwürfe machten, daß sie sich um fremde Angelegenheiten zu kümmern, und die Ruhestörer zu arretiren wagten!“ Zit. n. Katz, Hep-Hep-Verfolgungen, 117f.
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In Hamburg kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Tumultuanten und Juden, die sich gegen Übergriffe wehrten. Der jüdische Gemeindevorsteher wies gegenüber dem Senat darauf hin, dass unter den jungen Juden auch solche waren, die in den Befreiungskriegen ihr Leben für das Vaterland riskiert hatten und daher auf ihrem Platz in der Gesellschaft und in den umstrittenen Kaffeehäusern beharrten. Die tieferen Gründe für die Ausschreitungen sind schwer zu fassen. „Eine säuberliche Trennung der religiösen, sittlich-moralischen und ökonomisch-sozialen Motive ist selbst dort nicht ohne weiteres möglich, wo christliches Konkurrenzdenken und berechnender Eigennutz hinter den Beschuldigungen klar hervortreten.“232 Rohrbachers Ansicht nach spricht wenig dafür, dass das Volk seine Erbitterung und Wut über wirtschaftliche Not und politische Unterdrückung an den Juden auslassen wollte, es ging vielmehr vorrangig um „die spezielle Frage der Emanzipation der Juden“.233 Seit dem Wiener Kongress wurde über die rechtliche Stellung der Juden im Staat diskutiert, wobei diese Debatte auch in der Publizistik stattfand. Der Jenaer Professor Jakob Friedrich Fries polemisierte in seiner Schrift Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden gegen die Juden. Darin betonte er, dass man „die Juden mit der Judenschaft, dem Judenthum verwechselt“234 habe. „Nicht den Juden, unsern Brüdern, sondern der Judenschaft erklären wir den Krieg. […] Die Judenschaft ist ein Ueberbleibsel aus einer ungebildeten Vorzeit, welches man nicht beschränken, sondern ganz ausrotten soll. Die bürgerliche Lage der Juden verbessern heißt eben das Judenthum ausrotten, die Gesellschaft prellsüchtiger Trödler und Händler zerstören. Judenschaft ist eine Völkerkrankheit.“235 Seiner Ansicht nach waren Juden „1. Eine eigne Nation, 2. eine politische Verbindung, 3. eine Religionsparthey, 4. eine Mäkler- und Trödlerkaste“236, wobei die Nationalität „nur ihren physischen Ursprung von einem einen Volke“ bezeichnete und in diesem Bereich „am günstigsten für sie [die Juden] entschieden werden“237 müsse: „In jedem gebildeten Staate sollen jedem Eingebornen, mag er seinem Ursprunge nach Sachse, Wende oder Jude seyn, die gleichen Rechte des freyen Mannes, gleicher Schutz und gleiches Bürgerrecht zustehen“238, sofern er auch alle seine Pflichten gegenüber dem Staat zu erfüllen bereit sei. Dem
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stehe jedoch der jüdische Glaube entgegen. „So lang also die Juden ihre Religionslehre nicht von dem aus dem Vorurtheil, das einzig auserwählte Volk Gottes zu seyn, entspringenden Aberglauben und Cerimoniendienst befreyen, ist eine dauernd offene und ehrliche Duldung ihrer Religion unmöglich […] Sie sind eine durch theokratischen Despotismus eng verbundene, durch eine eigne Religion zusammen verschworene Krämer- und Trödlerkaste“239, die „mit Stumpf und Stiel ausgerottet“ werden müsse, „indem sie offenbar unter allen geheimen und öffentlichen politischen Gesellschaften und Staaten im Staat die gefährlichste ist“.240 Fries wetterte gegen die in der napoleonischen Ära eingeleitete verbesserte Rechtsstellung der Juden in den deutschen Rheinbundstaaten und griff hier auch ökonomisch motivierte Ängste und Vorurteile auf: „Im Verhältnis zu Bürger und Bauer hat der Jude über gar keine Arbeit nachzudenken, er lebt den ganzen Tag nur auf der Lauer, wie er jemand einen Vortheil abgewinnen kann, dabey vernichtet ihm seine Religion alles Ehrgefühl gegen Christen und erlaubt ihm alle Betrügereyen, die sich nicht vor dem Richter beweisen lassen. Wenn der Deutsche Bund nicht bald auf eine kräftige Weise eingreift, so werden nach dem schon gegebenen Beyspiel mehrerer Orte sämmtliche Capitale unsers Volks und ein großer Theil des Grundbesitzes in den Händen der Juden zusammengehäuft werden.“241 Daher forderte Fries von den Regierungen die „möglichste Verminderung“242 der Juden beispielsweise durch ein Verbot von Einwanderung, die Begünstigung von Auswanderung und Heiratsbeschränkungen. Diese Schrift wurde keineswegs nur in universitären Kreisen rezipiert, sondern auch in den Kaffee- und Wirtshäusern vorgelesen. Der Diskurs blieb zudem nicht auf einige wenige Gelehrte beschränkt, sondern schlug sich selbst in kleineren Dorfzeitungen nieder und erreichte ein großes Publikum. Die Juden erhofften sich volle bürgerliche Gleichstellung. Die Gegner der jüdischen Emanzipation führten unter dem Einfluss der politischen Romantik nicht nur traditionelle Vorurteile ins Feld, sondern argumentierten zunehmend ethnisch-religiös, Juden könnten am deutschen Nationalbewusstsein keinen Anteil haben. Zu den ideologischen Motiven kamen wirtschaftliche, da Juden durch ihre verbesserte Rechtsstellung zu wirtschaftlichen Konkurrenten wurden. Der Hamburger Senat be-
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tonte in seinem Bericht an die zentrale Untersuchungskommission des Deutschen Bundes im April 1820, dass die Ausschreitungen gegen die Juden keine politischen Ursachen, sondern „lediglich im Geschaeftsund Erwerbs-Neide und den, durch die oeffentlichen Blaetter mitgetheilten Nachrichten von Auftritten wider die Israeliten so unverkennbar ihren Grund hatten, dass Untersuchungen hinsichtlich eines politischen dafor liegenden Planes, gaenzlich nicht statt hatten“.243 In Würzburg lieferte eine wenige Tage zuvor im örtlichen Intelligenzblatt ausgetragene hitzige Debatte den konkreten Auslöser für die Krawalle, die Beweggründe lagen allerdings tiefer. Seit ihrer Vertreibung 1642 durften sich Juden in Würzburg nicht mehr niederlassen; hundert Jahre später wurde ihnen zwar der Handel in der Stadt erlaubt, aber dieser blieb stark eingeschränkt. In der napoleonischen Zeit erhielten einige jüdische Familien das Recht der Ansässigmachung; 1816 wurde Würzburg Teil Bayerns und das bayerische Judenedikt von 1813 auch auf das Gebiet des ehemaligen Großherzogtums Würzburg ausgedehnt. Jetzt fielen zahlreiche restriktive Bestimmungen, die den Aufenthalt und Handel der Juden in der Stadt regelten; der wirtschaftliche Wettbewerb verschärfte sich. Äußerlich sichtbare Zeichen der neuen Konkurrenz waren die Firmenschilder – sie wurden zum bevorzugten Angriffsziel bei den Krawallen. Anlässlich der Beratungen der bayerischen Ständeversammlung wurde die Judengesetzgebung thematisiert, da die rechtliche Situation der jüdischen Bevölkerung in Bayern sehr unterschiedlich war. Mit der bestehenden Rechtslage war keine Seite zufrieden. Die Juden erwarteten sich eine Verbesserung ihrer Lage, Gegner der Judenemanzipation wandten sich mit Petitionen und Beschwerden an den Landtag und forderten eine Begrenzung der Handelsrechte der Juden sowie ein Verbot des Hausiererhandels. Samson Wolf Rosenfeld verfasste die Denkschrift an die hohe Stände-Versammlung des Königreichs Baiern, die Lage der Israeliten und ihre bürgerliche Verbesserung betreffend, in der die Ständeversammlung auf die Ungerechtigkeit der entehrenden und ausschließenden Judengesetze hingewiesen wurde: „So sind wir in Hinsicht der Pflichten ganze Bürger, in Hinsicht der Rechte aber nur halbe Bürger geworden.“244 In Zusammenhang mit diesen Beratungen stand der öffentliche Disput zwischen dem Rechtspraktikanten Thomas August Scheuring, der
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in seiner aggressiven Schmähschrift Das Staatsbürgerrecht der Juden diesen alle staatsbürgerlichen Rechte absprach und die Einrichtung von „Judendörfern“245 forderte, und Sebald Brendel, Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Würzburg, der in der lokalen Presse gegen Scheurings Argumente Stellung bezog und diesem Intoleranz und Unmenschlichkeit vorwarf. „Die tägliche Erfahrung beweiset, daß jene Gegenden die glücklichsten sind, wohin jüdischer Wuchergeist und jüdisches Verderben sich nicht erstrecken“, polemisierte Scheuring. „Die Eingeborenen wandern in zahlreichen Haufen aus, nach Amerika, Rußland, u. s. w. Wozu noch asiatische Fremdlinge, Ausländer, die dem eingeborenen, einheimischen, dem nationalen Menschen den Erwerb, das Brod, seinen Unterhalt entreißen und sich auf Unkosten der Staatsbürger einnisten, und in auffallend steigender Progression sich vermehren?“246 Man kann sich vorstellen, wie Scheurings Worte (nicht nur) an den Stammtischen wiederholt wurden. In Würzburg mehrten sich die Anzeichen der Erregung, schon in den zwei Wochen vor dem Ausbruch der eigentlichen Krawalle am 2. August ertönten Hep-Hep-Rufe in den Straßen. „Als im Verlauf der Unruhen die Ohnmacht der Regierung, sie zu beenden, klar wurde, ergriff die Juden eine panische Angst vor der Menge.“247 Viele flohen in die umliegenden Dörfer und wagten erst zurückzukehren, als die Münchner Regierung energische Maßnahmen verlangte und das Militär verstärkt wurde. Die Beschimpfungen der Juden im Allgemeinen und von Professor Brendel als deren Verteidiger im Speziellen setzten sich in den Gast- und Kaffeehäusern fort; der Professor erhielt mehr als eine Morddrohung. Politisch motivierte Attentate und antijüdische Ausschreitungen: Dahinter musste eine geheime Verschwörung stecken. Die Regierungen sahen in den Gewaltausbrüchen des Jahres 1819 Vorboten einer großen Revolution. Was konnte man dagegen unternehmen? Sieg der Reaktion: Die Karlsbader Beschlüsse Sands Tat schleuderte tatsächlich einen „Brand in die Schlaffheit“: Allerdings wurde nicht das Volk aktiv, sondern die Regierungen reagierten. Die Fokussierung auf Metternich als „Kutscher Europas“ erweckt
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manchmal den Eindruck, er habe die deutschen Regierungen gegen ihren Willen zu einer reaktionären Politik gedrängt. Auch wenn er in diese Richtung arbeitete, die Revolutionsgefahr übertrieb und in seinen Selbstzeugnissen gerne seinen Einfluss auf andere betonte: Er rannte bei vielen offene Türen ein. Die reaktionäre Wende ging nicht von Wien, sondern, wie manche Zeitgenossen meinten, von Berlin aus. Bereits 1816 wurden vom preußischen König „als Vorbote der Karlsbader Beschlüsse“248 politische Gesellschaften und Vereine verboten. Die Burschenschaft hatte, wie es 1824 in der Amtlichen Belehrung über den Geist und das Wesen der Burschenschaft aus den Untersuchungs-Akten gezogen und zunächst zur Verwarnung für alle Studirende auf den Königlich Preußischen Universitäten heißen sollte, „wie entfernt sie auch bei ihrer ersten Bildung von staatsgefährlichen Zwecken zu seyn geschienen haben mag, doch sehr bald einen hochverrätherischen Charakter und Zweck angenommen“249; schon 1817 habe sie den revolutionären Zweck der „wissenschaftlich-bürgerlichen Umwälzung“250 verfolgt. Nach Kotzebues Ermordung ergriff die Berliner Regierung scharfe Maßnahmen gegen demagogische Umtriebe. Verdächtige Professoren, Studenten und Intellektuelle wurden überwacht oder verhaftet wie Jahn im Juli 1819, da er „auf den Turnplätzen demagogische Politik getrieben“ und versucht habe, „die Jugend gegen die bestehende Regierung einzunehmen“.251
Metternich erschien als Hexenmeister, dem man die Kompetenz zuschrieb, die liberalen und nationalen Geister zu bannen. „Zu den Seltenheiten meines Lebens gehört übrigens, daß ich von Rom aus berufen bin, stundenlange über die deutschen Universitäten zu arbeiten und von allen Seiten Kabinetschreiben aus Deutschland mit der dringenden Bitte erhalte, mich an den Laden zu legen, um dem Unfuge ein Ende zu machen, den jeder deutsche Fürst in seinem eigenen Lande provocirte, nährte und nun nicht mehr zu beschwichtigen im Stande ist“, mokierte er sich am 23. April in einem Brief an Gentz. MNP 2/1, 235.
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Auch Metternich war der Meinung, dass die Gefahr nicht vom Volk, sondern von Demagogen ausging, von „Männer[n] der höheren Gesellschaftsschichten, die sich der Revolution ergeben“252 hätten und das Volk verführten. Bereits auf dem Aachener Kongress hatte er dem preußischen Staatsminister und Chef der Geheimpolizei, Wilhelm Ludwig Reichsfürst Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, eine österreichisch-preußische Zusammenarbeit vorgeschlagen, um das Problem der Universitäten, Turner und allzu freimütigen Presse zu bekämpfen. Metternich wusste dessen Einfluss auf den preußischen König zu schätzen und urteilte: „Fürst Wittgenstein denkt wie ich.“253 Von seiner Italienreise zurückgekehrt, traf Metternich im Juli in Teplitz mit Friedrich Wilhelm zusammen. „Der Kaiser [Franz] sei, sagte ich, überzeugt, daß der Unfug in Deutschland eine solche Höhe erreicht hat, daß der Tag der Entscheidung zwischen dem Prinzip der Erhaltung oder der gänzlichen Hingebung, also dem rein politischen Tod, eingetreten ist“254, eröffnete er Friedrich Wilhelm. Metternichs Konzept? „Auf keine Weise von der bestehenden Ordnung, welches Ursprunges sie auch sei, abzuweichen; Veränderungen, wenn sie durchaus nötig scheinen, nur mit völliger Freiheit und nach reiflich überlegtem Entschlusse vorzunehmen; dies ist die erste Pflicht einer Regierung, die dem Unglücke des Jahrhunderts widerstehen will.“255 Das Ergebnis der österreichisch-preußischen Gespräche war die sogenannte Teplitzer Punktation vom 1. August 1819. Man einigte sich über Fragen der Universitätspolitik, Pressezensur und Verfassung. Dies war die antirevolutionäre Grundlage für die Konferenzen in Karlsbad vom 6. bis 31. August 1819, an denen die Vertreter von Österreich, Preußen, Hannover, Sachsen, Mecklenburg, Hessen-Nassau (später auch Hessen-Kassel) sowie Bayern, Württemberg und Baden teilnahmen. Sollte es keine Möglichkeit geben, den Deutschen Bund zu retten, zog Metternich sogar eine Loslösung Österreichs in Erwägung, um „sich im ärgsten Falle a llein zu retten“.256 In den Karlsbader Konferenzen zeigte sich, dass die Meinungen, wie man mit Burschenschaften, Universitäten und der Presse umgehen sollte, weit auseinandergingen. Die Nachrichten von den Hep-Hep-Unruhen in Würzburg und Frankfurt schockierten die Teilnehmer, da sie zeigten, wie groß das revolutionäre Potenzial in der Bevölkerung war.
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Jetzt einigte man sich rasch, und die Beschlüsse wurden am 20. September in der Frankfurter Bundesversammlung staatsstreichartig durchgepeitscht. Das Universitätsgesetz diente der Überwachung und Disziplinierung der Universitäten. Gefahr ging, davon waren Gentz und Metternich überzeugt, weniger von den Studenten selbst als von den sie beeinflussenden Professoren aus. „Der Bursche, für sich selbst genommen, ist ein Kind, und die Burschenschaft ein unpraktisches Puppenspiel. Auch habe ich nie – hievon sind Sie Zeuge – von Studenten gesprochen, aber wohl mein ganzes Augenmerk auf die Professoren gerichtet“257, schrieb Metternich seinem Wegbegleiter Mitte Juni. Neben dem Verbot der Burschenschaften zielte das Universitätsgesetz also darauf ab, Lehrer mit vermeintlich verderblichem Einfluss zu entlassen und eine Anstellung in anderen Bundesstaaten zu verhindern. Das Pressegesetz sah eine Vorzensur aller Schriften bis zu einem Umfang von 20 Druckbogen vor. Zudem wurde eine Central-Untersuchungs-Commission in Mainz eingerichtet, die sich mit der Untersuchung revolutionärer Umtriebe gegen den Bund sowie dessen Einzelstaaten befassen sollte. Die in Karlsbad versammelten Minister richteten am 30. August ein Schreiben als „Ausdruck unserer unbegrenzten Verehrung und Dankbarkeit“258 an Metternich: „Als Sie jenseits der Alpen das freche, unheilweissagende Geschrei zügelloser Schriftsteller und die Kunde einer Unthat vernahmen, in der nur seichte oder befangene Beobachter eine isolirte Handlung sehen konnten, da erkannten Sie mit derselben Klarheit den Grund des Uebels und die Mittel, ihm zu begegnen, und was wir hier vollbracht und in’s Leben gerufen haben, ist nur die Verwirklichung dessen, was Sie schon damals gedacht.“259 Hingegen notierte der Universitätsprofessor und Sprachforscher Johann Andreas Schmeller am 5. Oktober in seinem Tagebuch: „Ich las die Zeitungen. Der Ärger über das Carlsbader Concordat, das Deutschland zu einem Zuchthaus unter Österreichs Ochsenziemer machen will, ließ mich meine kleine persönliche Verlegenheit ein wenig vergessen.“260 An dieser Stelle sei nur kurz auf ähnliche Entwicklungen außerhalb des Deutschen Bundes hingewiesen. In Frankreich zog die Ermordung des Thronfolgers Charles Fernand, Herzog von Berry, im Februar 1820 einen deutlichen Umschwung der Politik in Richtung Reaktion nach
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sich; beispielsweise wurde die Zensur wieder eingeführt. In England, dem Vorbild für konstitutionelle Monarchie und Pressefreiheit, führten soziale Unruhen 1819/20 zu den Six Acts, einer Art „Karlsbader Beschlüsse auf ‚englisch‘“261; radikale Bewegungen sollten durch eine Einschränkung der Presse unterdrückt werden. Damit reagierte die Londoner Regierung auf Maschinenstürme der Ludditen und das „Massaker von Peterloo“ bei Manchester, bei dem das britische Militär eine Protestkundgebung blutig niederschlug. Schlussstein für den Deutschen Bund In einem Privatbrief vom 13. Oktober 1819 beklagte sich Metternich in Hinblick auf die Wiener Ministerialkonferenzen, die im November beginnen sollten: „Warum muß gerade ich unter so vielen Millionen Menschen der sein, der da denken soll, wo Andere nicht denken, handeln, wo Andere nicht handeln, und schreiben, weil es Andere nicht können.“262 In Wien wurde die Deutsche Bundesakte überarbeitet und die innere Ausgestaltung des Bundes durch die Schlussakte vom 15. Mai 1820 abgeschlossen. Auch auf Bundesebene vollzog sich eine reaktionäre Wende, die Interventionsbefugnisse des Bundes wurden erweitert, das Reformpotenzial deutlich beschnitten. Bezüglich weiterer Verfassungen wurde das monarchische
Metternich setzte seinen Willen durch, wie er in einem privaten Schreiben vom 2. Dezember herausstrich: „Meinen fünfundzwanzig Freunden sagte ich in sehr aufrichtiger und entschiedener Weise, wa s w i r w o l l e n und w as w i r n i cht w ol l en. […] Nun bin ich von Leuten umgeben, die über ihre eigene Willenskraft ganz entzückt sind, und doch gab es keinen unter ihnen, der noch vor wenigen Tagen das, was er gewollt oder wollen sollte, gewußt hätte. […] Ich werde wohl ebenso hier [Wiener Ministerialkonferenzen], wie in Carlsbad, Sieger bleiben, d. h. Alle werden das, was ich will, auch wollen, und da ich nur das will, was gerecht ist, so glaube ich meinen Sieg zu verdienen. Nun wird aber das Merkwürdige geschehen, daß diese Menschen in dem festen Wahne nach Hause kommen, sie hätten Wien mit denselben Ansichten verlassen, mit welchen sie gekommen waren.“ MNP 2/1, 298f.
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Prinzip festgeschrieben; bestehende liberale Verfassungen in Süddeutschland blieben davon indes unberührt. Wichtig war zudem die Beistandspflicht, falls es in einem Mitgliedsstaat zum Aufstand der Untertanen gegen ihre Regierungen kommen sollte – und zwar unabhängig davon, ob der Fürst um Hilfe bat oder nicht. Am 8. Juli nahm die Frankfurter Bundesversammlung dieses erweiterte Grundgesetz ohne eine Gegenstimme an. Wie in Karlsbad musste Metternich in Wien keine schwere Überzeugungsarbeit leisten. In den meisten deutschen Fürstenhäusern sowie in großen Teilen der Verwaltung und in den Spitzen der (aristokratischen) Gesellschaft zeigten sich Abwehrreaktionen gegen liberale und nationale Strömungen mit ihrer Forderung nach politischer Partizipation des Volkes. Preußen und Österreich schnürten in Karlsbad und Wien ein Maßnahmenpaket für den Deutschen Bund, das ihn vor der „Hydra der Revolution“263 schützen sollte.
4. Europa brennt: Revolutionäre Erschütterungen als Härtetest für die Wiener Ordnung Das Konzert der Großmächte wurde von Revolutionen und nationalen Unabhängigkeitskriegen herausgefordert und musste unter Beweis stellen, was es zu leisten vermochte. „The most difficult and crucial task any international system faces is dealing with change: adapting to new circumstances, responding to new problems, developing new rules and procedures for different circumstances, admitting new international players and forces and managing the relative rise and fall of old ones“264, stellte Schroeder fest. Verfechter des Status quo: Metternich und das System der Reaktion Es ist schwierig, sich Metternich unbefangen zu nähern. In seinen Briefen und Memoiren – die einen quellenkritischen Zugang erfordern – äußerte er sich selbst ausführlich und teilweise spöttisch zum Zeitgeschehen und zu seiner Politik. Gewiss verfügte er über eine große Portion Selbstbewusstsein; er war eitel, rechthaberisch und überheblich, voll und ganz überzeugt von der Richtigkeit seiner Ansichten und seiner politischen Macht. „Wenn ich die Sachen so bedenke, so kommt es mir sehr leicht vor, im Falle ich ein Radikaler oder Demagoge wäre, die Mächtigsten der Erde niederzuwerfen“265, prahlte er Ende November 1820 in einem Privatbrief. Aber er stand auf der anderen, der konservativen Seite. Mit zunehmenden Alter dachte er „immer mehr an seine von Gott gegebene Bestimmung, auch die verderbliche soziale Nachwirkung der Revolution zu vernichten“266; laut dem Zeugnis seiner dritten Ehefrau Melanie wurde der Apostel Paulus zu seinem Vorbild. Er glaubte ehrlich daran, für die Politik ganz Europas und die Rettung vor der „revolutionären Krankheit“267 verantwortlich zu sein.
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„Die Zeit hat mich dermaßen mit Bürden überhäuft, daß ich deren mehr zähle als Haare auf dem Kopfe. Meine Haare sind auch ganz weiß geworden, worüber ich weniger erstaunt bin als über ihre Zähigkeit, mich nicht verlassen zu wollen“268, schrieb Metternich bereits 1822. Sein gewaltiges Arbeitspensum konnte er nur bewältigen, indem er Aufgaben delegierte – „ich mache Nichts, was auch andere machen können“269, sagte er. Der Staatsmann war zugleich ein Liebhaber schöner Frauen und liebender Familienvater, der sich mit seinen Kindern im Wiener Prater Kasperle-Aufführungen ansah. Als seine jugendliche Tochter Clementine 1820 schwer erkrankte, ging ihm das sehr zu Herzen. „Wer selbst Kinder hat, weiß, welche Besorgnis ein krankes Kind einflößt.“270 Clementine starb noch im selben Jahr. Kaiser Franz wusste Metternichs Leistungen zu schätzen; 1813 machte er ihn zum Fürsten, 1821 erhob er ihn zum Haus-, Hof- und Staatskanzler. Dieser behauptete: „Titel und alle sogenannten Ehren sind mir gleichgültig.“271 Nicht gleichgültig waren sie Gentz, der – vielleicht etwas neidisch auf die Karriere seines Vorgesetzten – nach einer Rangerhöhung lechzte. Am 18. Januar 1816 erinnerte Gentz Metternich gekränkt an dessen Zusage, sich beim Kaiser für ihn einsetzen zu wollen: „Der Kaiser ist mir unleugbar eine Belohnung schuldig […] Der Charakter eines Staatsrats setzte mich im In- und Auslande auf mein wahres Niveau.“272 Gentz gab nicht so schnell auf und wiederholte seinen Wunsch mehrmals, so auch Mitte November 1818: „Ich bitte nur um den Charakter eines Staatsrates. […] Ich mache keinen Anspruch auf wirkliche Anstellung, noch auf höhern Gehalt, noch auf irgendeinen Vorteil oder irgendeine Prärogative.“ Doch er blieb ein kleiner Hofrat. Das System Zensur, Polizei- und Spitzelwesen prägten die Zeit des österreichischen Vormärz. Doch die Überwachung von (politischen) Gegnern und die Unterdrückung von Meinungen, die von der Regierungslinie abwichen, hielten nicht erst mit Metternich in Österreich Einzug. Im Zeitalter der Gegenreformation erschien die Zensur als geeignetes Mittel, um die gefährlichen Ideen eines Martin Luther abzuwehren; die Französische Revolution 1789 stellte eine weitere Zäsur
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dar, aus Angst vor ihren Ideen beendete die Wiener Regierung die unter Joseph II. eingeleitete Phase relativer Pressefreiheit und Toleranz. „Der Wandel in der politischen Kultur der Zeit nach 1792 wird oft als ‚franziszeische Reaktion‘ bezeichnet, doch die Verschärfung der Zensur und der polizeilichen Überwachung von Ausländern gehen bereits in das letzte Regierungsjahr Leopolds zurück.“273 Anfang 1793 wurde zur innenpolitischen Revolutionsbekämpfung die „Polizei-Hofstelle“ eingerichtet. Die Politik am Wiener Hof wurde „‚reaktionär‘ in dem exakten Sinn des Wortes, insofern als die Wiener Hofburg immer genau das verneint, was die Französische Revolution bejaht“. Metternich konnte sich bei seiner Amtsübernahme 1809 also auf einen vorhandenen Polizeiapparat mit seinem Spitzelwesen stützen – zudem hatte er über Überwachung und Verfolgung politischer Gegner in Paris viel gelernt: von Napoleon. „Metternich war ein europäischer Altkonservativer – kein Reaktionär. Er hielt Wandel, auch Anpassung und Reform staatlicher Strukturen, für unvermeidlich, aber er war geprägt durch die traumatische Erfahrung der Französischen Revolution, die er als Urkatastrophe wahrnahm.“274 Die Jahre von 1809 bis zur reaktionären Wende 1819/20 gelten als Metternichs „liberale“ Phase. An innenpolitischen Reformen gelangen die Einrichtung eines eigenen Finanzministeriums und die Vereinigte Hofkanzlei als zentrales Organ. Gentz bestärkte ihn – unter vier Augen. Der sonst so wortgewandte Publizist fürchtete, es sich mit dem Kaiser und den konservativen Eliten Wiens ganz zu verscherzen. „Öffentliche Kritik an staatlichen Mißständen entsprach zu dieser Zeit ebenso wenig seiner komfortablen Etablierung im Zentrum der Macht wie seinen Vorstellungen von effektiver und formvollendeter politischer Einflussnahme. Er zog es vor, hinter den Kulissen Metternich in seinem Engagement für innere Reformen zu bestärken oder aus eigener Fachkenntnis Beiträge zu leisten.“275 1817 legte Metternich Kaiser Franz seinen großen Reformplan vor, der die Habsburgermonarchie zum „Föderativstaat in politisch-administrativer Hinsicht“276 umwandeln sollte, also den Strukturen eines Vielvölkerreichs entgegenkam. Dieser sah zeitgemäße Zentralbehörden, eine Ministerialorganisation sowie einen „Reichsrat“ aus Repräsentanten aller Länder der Monarchie vor. Ob man damit das im weiteren
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19. Jahrhundert so brisante Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie hätte lösen können, bleibt Spekulation. Nein sagte der Kaiser dazu nicht. Er behandelte den Reformvorschlag „geradezu klassisch à l’autrichienne“277, wie Metternich in seinen Denkwürdigkeiten schilderte: „Der Kaiser Franz sah die Wichtigkeit der Sache ein, verschob aber deren Prüfung von Jahr zu Jahr […] Am Ende des Jahres 1834 erklärte mir der Kaiser, daß er sich vorwerfe, der Sache keine Folge gegeben zu haben, daß aber vor Ende des Jahres 1835 der Ausspruch gefällt sein müsse. Zwei Monate später war er nicht mehr!“278 Metternich war in seinen politischen Handlungen nicht frei. Er konnte nur so weit gehen, wie der Monarch es ihm gestattete. Der „gute Kaiser Franz“ verkörperte mit seinem biedermeierlichen Lebensstil den Typus des väterlichen „Volkskaisers“, der sich bei der Bevölkerung „einer persönlichen Sympathie [erfreute], um die ihn seine beiden Vorgänger hätten beneiden können“.279 In der Historiografie wird er zumeist negativ beurteilt: als unaufrichtig, kaltherzig und herrisch, „unfähig […] komplizierteren Gedankengängen zu folgen, rachsüchtig gegen seine Gegner und kleinlich in seinen Beziehungen zu seinen Ratge-
Ein wohl treffendes Charakterbild des Kaisers zeichnete Varnhagen von Ense: „Der Kaiser Franz stand allgemein in dem Rufe eines schlichten, guthmüthigen, wenig unterrichteten, aber klarsehenden und mit launigem Mutterwitze begabten Mannes, der aufrichtig das Wohl seiner Völker wünsche […] [S]ein unbeholfenes und doch zwangloses Benehmen, seine für jedermann freundliche Offenheit, und besonders seine ungezierte volksmäßige Mundart und Sprachweise, hatten ihm bei dem Volk eine zärtliche Theilnahme und herzliche Zuneigung gewonnen [...].“ Aber „Franz, ein geborner Italiäner und unter Italiänern aufgewachsen, hatte nur den Schein deutscher Gutmüthigkeit und Bescheidenheit […] im Hintergrunde hegte er ganz andre Eigenschaften. Er war eigensüchtig, verschmitzt und arglistig, voll Eifersucht auf seine Macht, mißtrauisch gegen seine Nächsten, gehässig und rachsüchtig gegen alles was ihn unangenehm berührte, daher ein Feind alles Ausgezeichneten.“ Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 216.
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bern“.280 „Starrköpfig und argwöhnisch, einfallslos und pedantisch“, hielt er sich für fähig, alle Probleme persönlich zu lösen, „denn dem Geistlosen erscheinen alle Probleme gleichmäßig schwierig – und gleichmäßig leicht“.281 Von den Italienern wurde er angeblich als „Nero im Schlafrock“282 bezeichnet. Eifersüchtig auf seine begabten Brüder und voller Misstrauen, schloss Franz diese weitgehend von jeder Mitsprache in der Monarchie aus. Er und nur er war der Kaiser. Dass er trotz seiner so demonstrativ zur Schau gestellter Volksnähe nichts von einer politischen Mitbestimmung seiner Untertanen hielt, versteht sich von selbst. Franz war keineswegs ein schwacher Monarch oder „ein willfähriges Werkzeug seiner Berater“, sondern blieb „immer der Herr im eigenen Haus, auch gegenüber dem später scheinbar allmächtigen Staatskanzler Metternich“.283 Der Kaiser gab die restaurativ-konservative Richtung der Maßnahmen vor, die sein Staatskanzler (möglicherweise auch gegen seine eigene gar nicht so reaktionäre Gesinnung) ausführte. Daher müsste das „System Metternich“ korrekterweise den Namen des Kaisers tragen. Von Veränderungen hielt Franz wenig: „Ich will keine Neuerungen. Man wende die Gesetze gerecht an.“284 Seinem Nachfolger Ferdinand (er gilt als geistig beeinträchtigt, wurde aber „der Gütige“ genannt – „denn gnädig zu schauen vermochte er“285) riet er, nichts zu verändern und in politischen Fragen auf den Erzherzog Ludwig und den „treuen Freund Metternich“286 zu vertrauen. War Metternich ein verkappter Liberaler, der gegen seinen Willen eine Politik der Reaktion verfolgen musste? Nein. „Der Himmel hat mich neben einen Mann gestellt, der wie für mich geschaffen ist. Der Kaiser Franz verliert keine Worte, er weiß was er will, und sein Wille ist immer das, was zu wollen meine Pflicht ist. […] Auch ich bin wie dazu geschaffen, der Dienstgenosse des Kaisers auf seinem dornenvollen Wege zu bleiben“288, schrieb Metternich 1820. Auch wenn er reformbereiter war als sein Kaiser, blieb er doch ein Mann des Ancien Régime. Mit den Ideen des Nationalismus und Liberalismus und der Forderung nach Repräsentativverfassungen konnte er nichts anfangen; er war ein Gegner der Demokratie: „He simply equated it with Jacobinism.“289 Obwohl er die englische Verfassung zu schätzen wusste, zweifelte er grund-
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sätzlich am Urteilsvermögen des Volkes, das allzu leicht von Demagogen verführt werde. Wie Andlaw in seinem Tagebuch schrieb, war Metternichs „ganze Denk- und Gefühlsweise […] überwiegend conservativer Natur […] bei seinem Sinn für Recht und Billigkeit suchte er bei jedem Anlasse die über ihn verbreiteten Vorurtheile zu entkräften, machte deshalb nicht selten Zugeständnisse, oder versprach, was er später nicht immer gewähren konnte, und erweckte so bei Dritten Illusionen, die er wohl selbst oft theilte. Nur in einem Punkte war er von unbeugsamer Consequenz: in dem Hasse und der Bekämpfung der Revolution, in welcher Gestalt sie ihm auch immer entgegen trat.“290 Die Bekämpfung revolutionärer Umtriebe und der Erhalt der Wiener Ordnung – um nahezu jeden Preis – wurden zu den großen Leitmotiven seiner Politik. „Die Zeit rückt unter Stürmen vorwärts“, schrieb Metternich im Mai 1820 an den badischen Gesandten Wilhelm Ludwig Freiherr von Berstett, „ihren Ungestüm aufhalten zu wollen, würde vergebliches Bemühen sein. […] Das Ziel ist leicht zu bestimmen; in unseren Zeiten ist es nichts mehr und nichts weniger als die Aufrechterhaltung dessen, was vorhanden ist.“291 Das politische Programm müsse aus diesem Grund darin bestehen, „[a]uf keine Weise von der bestehenden Ordnung, welchen Ursprungs sie auch sei, abzuweichen; Veränderungen, wenn sie durchaus nötig scheinen, nur mit völliger Freiheit und nach reiflich überlegtem Entschlusse vorzunehmen; dies ist die erste Pflicht einer Regierung“.292 Angesichts der revolutionären Erschütterungen quer durch Europa zeigte sich Metternich zunehmend rigider und Veränderungen und Reformen als solchen abgeneigt. Keinesfalls sollte man im Augenblick „erregte[r] Leidenschaften […] reformieren. Die Klugheit erfordert, daß man sich in solchen Augenblicken darauf beschränkt, das Bestehende zu erh alt en .“293 Die reaktionäre Wende um 1819 bedeutete daher nicht nur den forcierten Kampf gegen die Revolution, sondern auch innenpolitischen Stillstand. Anfang Oktober 1820 schrieb Metternich seiner Freundin Dorothea von Lieven: „Mein Leben ist in eine abscheuliche Periode gefallen. Ich bin entweder zu früh oder zu spät auf die Welt gekommen; jetzt fühle ich mich zu nichts gut. Früher hätte ich die Zeit genossen, später hätte
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ich dazu gedient, wieder aufzubauen; heute bringe ich mein Leben zu, die morschen Gebäude zu stützen. Ich hätte im Jahre 1900 geboren werden und das zwanzigste Jahrhundert vor mir haben sollen.“294 So dominierend Metternich in der Europapolitik auftreten konnte: In der österreichischen Innenpolitik stieß er auf starken Gegenwind. Der Rheinländer genoss, abgesehen von seiner Einheirat in die Familie des früheren Staatskanzlers Wenzel Anton Fürst Kaunitz, wenig Rückhalt im einheimischen Adel der Habsburgermonarchie. In Franz Anton Graf von Kolowrat Liebsteinsky erwuchs ihm ein mächtiger Gegenspieler, der gemeinsam mit Josef Graf Sedlnitzky (seit 1817 Präsident der obersten Polizei und Censurhofstelle in Wien) vermutlich weit mehr Verantwortung für die Politik der Reaktion in Österreich trug als Metternich, der die Maßnahmen des Polizeiministers oft missbilligte. „Seine Eitelkeit verführte ihn dazu, seinen schwindenden Einfluß zu verdecken und sich auch zu innenpolitischen Unterdrückungsmaßnahmen zu bekennen, die weder auf ihn zurückgingen, noch seinen Absichten entsprachen“; und so wurde Metternich zum „allgemein verhaßten Symbol der Unterdrückung und der Reaktion“.295 Von der Wortverbindung „Metternichsches System“ wollte er aber nichts wissen. In Bezug auf seine Politik sprach er lieber von „Grundsätzen“. 1821/22 nannte er die Erhaltung des Friedens und der Ordnung in Europa und die Politik des Bewahrens „das System Österreichs“296, nach seinem Rücktritt im März 1848 schrieb er: „Das sogenannte Mette rnich sch e Syst em war kein System, sondern eine Weltordnung. Revolutionen ruhen auf Systemen, ewige Gesetze stehen außer und über dem, was mit Recht den Wert eines Systems hat.“297 Zerreißprobe: Die Interventionspolitik der Großmächte „Wird die Frage gestellt, ob die Revolution ganz Europa überschwemmen wird, so möchte ich nicht dagegen wetten, aber fest entschlossen bin ich, bis zu meinem letzten Athemzuge gegen dieselbe zu kämpfen“298, schrieb Metternich im April 1820 in einem Privatbrief. Auf den Kongressen von Troppau, Laibach und Verona standen die Revolutionen in Spanien und Neapel mit ihrem Streben nach Verfassung im Mittelpunkt, dann kam der griechische Unabhängigkeitskrieg hinzu.
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„Über ein Jahrzehnt war das Mittelmeer die Alptraumregion der internationalen Politik.“299 Durch diese Krisen wurde das europäische Konzert auf die Probe gestellt: Konnten sich die Großmächte auf eine gemeinsame Politik einigen, ein Übergreifen der Revolution und einen allgemeinen Krieg verhindern? Innerhalb der Pentarchie zeigte sich eine zunehmende Kluft zwischen den konservativen Ostmächten Preußen, Russland und Österreich und den eher liberalen Westmächten Frankreich und England: Intervention – ja oder nein? Der erste Testfall war Spanien, wo der restaurierte König Ferdinand VII. die liberale Verfassung von 1812 verwarf, seine absolute Herrschaft inklusive Inquisition wieder herstellte und die Liberalen verfolgen ließ. Dennoch dauerte es sechs Jahre, bis die Revolution in Form eines Militärputschs, der nicht der einzige in der spanischen Geschichte bleiben sollte, ausbrach. Auslöser war der Versuch Ferdinands, die spanischen Kolonien in Amerika mit Gewalt zurückzugewinnen – die für die Expedition vorgesehenen Truppen revoltierten im Januar 1820; im März setzten die Revolutionäre die Verfassung von 1812 durch und beschränkten damit die monarchische Gewalt. Wie sollten die Großmächte darauf reagieren? Die Ostmächte sahen in Revolutionen den Keim neuer Kriege; die monarchischen Regierungen mussten bewahrt bleiben, da die gesamte Wiener Ordnung auf der Stabilität der einzelnen Staaten ruhte. Aus Selbstschutz musste jeder Staat bemüht sein, eine Revolution im Nachbarland zu ersticken – bevor sich der Brand ausweitete. Die Französische Revolution von 1789 mit ihren Folgen blieb das große Schreckgespenst. Von 1818 bis 1822 dominierte die konservative Haltung der Ostmächte die Konzertpolitik; diese Jahre gelten zugleich als „Glanzzeit“300 in Metternichs Karriere. Preußen, das schwächste Glied der Pentarchie, war spätestens 1819 ebenso auf einen reaktionären Kurs umgeschwenkt, der sich in einer defensiven Außenpolitik niederschlug. Entscheidend war die Position Russlands, wobei alles vom Zaren abhing. Alexander hatte außerhalb von Russland mit liberalen Ansichten geliebäugelt. Er gab Kongresspolen im November 1815 eine Verfassung mit Grundrechten; noch im März 1817 zeigte er sich anlässlich einer Rede vor dem polnischen Reichstag liberaler Politik gegenüber aufgeschlossen. Allerdings trat im Sommer 1817 – unklar bleibt, warum – eine Wende ein. Der Zar war
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nun einer der Ersten, die anlässlich der spanischen Revolution eine Konferenz forderten und zur Zufriedenheit Metternichs (und von diesem eifrig bestärkt) einen zunehmend konservativen Weg einschlugen. „Unlängst machte Kaiser Alexander folgendes Geständnis: ‚Seit dem Jahre 1814 habe ich mich über den öffentlichen Geist geirrt, was ich für wahr hielt, finde ich heute falsch. Ich habe viel Uebles gethan, ich werde mich bemühen, es wieder gut zu machen‘“301, berichtete Metternich Anfang August 1820 in einem privaten Brief, um wenig später festzustellen: „Ich bin mit dem, was ich von allen Seiten erhalte, sehr zufrieden. Ich finde überall Echo in Europa.“302 Die Ostmächte befanden sich politisch auf einer Linie und besaßen damit im Konzert die Mehrheit. Die Westmächte vertraten aufgrund ihrer politischen Systeme einen anderen Ansatz. Frankreich war seit 1814 eine konstitutionelle Monarchie; die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren zudem nicht völlig vergessen, so dass die öffentliche Meinung und die liberale Opposition mit Verfassungsbewegungen in anderen Ländern sympathisierten, während ultraroyalistische Regierungsgegner eine Parteinahme für die Monarchen verlangten. Hinzu kamen Großmachtinteressen: Durch die Revolutionen in Südeuropa ergab sich die Chance, traditionelle Einflussgebiete in Spanien und Italien zurückzugewinnen. Entschiedener Gegner leichtfertiger Interventionen war England. Bereits im Zuge des Aachener Kongresses wies ein britisches Memorandum darauf hin, dass die Siegermächte nach dem Ende der Besatzung nicht mehr befugt seien, eine Änderung der inneren Verfassung Frankreichs automatisch als Verletzung des Friedens zu betrachten und daraus ein Interventionsrecht abzuleiten. In London befürwortete man eine gemäßigte Verfassungspolitik in den europäischen Staaten als Präventivmaßnahme gegen Revolutionen. Bereits 1816 beurteilte Gentz Castlereaghs außenpolitischen Spielraum als eingeschränkt; die britische Nation wollte sich nicht in Angelegenheiten verwickeln lassen, die wirtschaftliche und finanzielle Opfer erforderten, ohne britischen Interessen zu dienen. In einem zunächst unveröffentlichten State Paper vom 5. Mai 1820 formulierte Castlereagh klar Englands außenpolitische Haltung und sprach sich gegen eine von den Ostmächten gewünschte, quasi automa-
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tische Intervention in Revolutionsfällen aus. „When the Territorial Balance of Europe is disturbed, she [Großbritannien] can interfere with effect, but she is the last Gov[ernment] in Europe, which can be expected, or can venture to commit Herself on any question of an abstract Character. […] We shall be found in our place when actual danger menaces the System of Europe, but this Country cannot, and will not, act upon abstract and speculative principles of Precaution: – The Alliance which exists had no such purpose in view in its original formation: – it was never so explained to Parliament; if it had, most assuredly the sanction of Parliament would never have been given to it.“303 Solange einzelne Staaten außenpolitisch nicht aggressiv vorgingen und damit das Gleichgewicht Europas gefährdeten, bestand aus britischer Sicht kein Anlass, sich in die inneren Angelegenheiten der Staaten und konstitutionelle Bestrebungen einzumischen. Die Frontstellung zwischen den Ost- und Westmächten verschärfte sich in den weiteren Jahren. Sir James Mackintosh von den oppositionellen Whigs ging in einer Rede im Juni 1821 so weit, von einer Verschwörung der alliierten Souveräne gegen Völker und Völkerrecht zu sprechen. Neapel Nachdem Murat 1815 seine Herrschaft verspielt hatte, wurde Anfang Juni der Bourbone Ferdinand I. restauriert. Der Wiener Hof verpflichtete ihn vertraglich dazu, seine Politik an jene in den habsburgisch regierten Ländern Italiens anzugleichen. Im Dezember vereinigte Ferdinand Neapel verwaltungstechnisch mit Sizilien, wobei auf der Insel die sogenannte „englische Verfassung“ von 1812 aufgehoben wurde, was Unmut in der Bevölkerung erregte und in der Folgezeit zu Ausschreitungen führte. 1818 bestellte Ferdinand ausgerechnet General Guglielmo Pepe zum Militärkommandanten in den Provinzen Avellino und Foggia, der seine Kompetenzen dazu nutzte, in Kooperation mit dem Geheimbund „Carbonaria“ (Köhler) einen Umsturz vorzubereiten. Unter dem Eindruck der spanischen Revolution erzwangen Offiziere und Carbonari im Juli 1820 die Einführung des spanischen Verfassungstextes. Für den Wiener Hof hatten die Unruhen in Spanien zunächst keinen großen Stellenwert. Wie Gentz im Frühjahr 1820 an den Hospodar der Walachei, Alexander Soutzo, schrieb, konnte die spanische Revolution
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unter machtpolitischen Gesichtspunkten „nicht bedeutungsloser sein […], wenn sie im tiefsten Innern Afrikas stattgefunden hätte“.304 Metternich hoffte, dass die Ereignisse eine ernüchternde Wirkung in Frankreich und Russland entfalten und dort vorhandene liberale Gesinnungen dämpfen würden. Doch dann sprang der Funke der Revolte auf Neapel über. Jetzt sprach Gentz von Pest und Lava. Es drohte die Ausbreitung der Revolution und in letzter Konsequenz der Untergang des Abendlandes. Metternich und Alexander wollten eingreifen. Jetzt zeigte sich deutlich, wie schwierig es war, individuelle Großmachtinteressen und internationale Politik zu vereinbaren. Italien gehörte zu Österreichs Einflussbereich, Unruhen in Süditalien gefährdeten die habsburgischen Gebiete im Norden der Halbinsel. Der Wiener Hof betrachtete es daher als sein Recht, zu intervenieren. In einem Schreiben vom 26. Juli wies Metternich gegenüber Aloys Graf Rechberg, dem bayerischen Außenminister, auf die Rolle Österreichs hin: „Die im Jahre 1815 unter Gewährleistung aller europäischen Mächte gestiftete politische Ordnung der Dinge hat Oesterreich zum natürlichen Wächter und Beschützer der öffentlichen Ruhe in Italien berufen. Der Kaiser ist fest entschlossen, diesem hohen Beruf Genüge zu leisten, jeden Fortschritt ruhestörender Bewegungen von Seinen und Seiner nächsten Nachbarn Grenzen entfernt zu halten.“305 Auf Grundlage des Vertrags mit Ferdinand vom Juni 1815, in dem sich der Monarch von Neapel verpflichtet hatte, die Regierungsform nicht ohne Österreichs Zustimmung zu verändern, beschlossen der Kaiser und seine Minister in Wien bereits am 31. Juli 1820 die bewaffnete Intervention in Neapel. Sofort wurden militärische Maßnahmen getroffen – aber unauffällig. Denn die anderen Mächte argwöhnten, Österreich wolle die Situation in Italien zum Ausbau seiner Vormachtstellung ausnutzen. Ende August 1820 trafen die ersten Stellungnahmen der Großmächte in Wien ein. Castlereagh signalisierte seine Zustimmung und moralischen Beistand, an einer Intervention beteiligen könne sich England aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung jedoch nicht. Unterstützt durch Russland schlug die französische Regierung eine Konferenz der Großmächte vor. Selbstverständlich stimmte der Wiener Hof zu und
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beeilte sich, einen Fürstenkongress in Troppau zu organisieren. Auf diesem Kongress wollte sich Metternich von den Verbündeten die insgeheim schon beschlossene Intervention offiziell absegnen lassen. In Preußen und an den übrigen deutschen Höfen zeigte man sich eher erleichtert, dass von ihnen keine aktive Unterstützung erwartet wurde. Auf dem Kongress im oberschlesischen Troppau widmeten sich die Vertreter der Großmächte von Oktober bis Dezember 1820 den Revolutionen in Spanien, Neapel und bald auch Sardinien-Piemont. Hier zeigte sich wiederum die Bedeutung persönlicher Kontakte für die große Politik. Metternich verbrachte viel Zeit mit dem Zaren, der „heute auf dem Standpunkte [sei], auf dem ich vor dreißig Jahren war“.306 Bei mehr als einer Tasse Tee führten sie intensive Gespräche. Alexanders Abkehr von früheren liberalen Eskapaden und sein Einschwenken auf einen antirevolutionären Kurs lässt sich jedoch nicht auf den Einfluss Metternichs reduzieren, sondern auch mit Ereignissen in seinem eigenen Herrschaftsbereich begründen: Die polnische Nationalvertretung (Sejm) hatte im Herbst 1820 alle Regierungsvorlagen abgelehnt und damit gezeigt, wie unbequem die Gewaltenteilung sein konnte; hinzu kam die Meuterei einiger Armeeoffiziere in St. Petersburg im November, die zwar politisch unbedeutend war, den Zaren jedoch erschreckte und in seiner reaktionären Haltung sowie der Zusammenarbeit mit Metternich bestärkte. Allerdings war die Konferenz „kein Musterbeispiel für die Funktionsfähigkeit des neu geschaffenen internationalen Organs“;307 schon nach den ersten Konferenztagen war für Gentz klar, dass es den fünf Mächten nicht gelingen konnte, eine Einigung zu erzielen; er wäre schon zufrieden gewesen, wenn sich die Ostmächte auf eine Intervention in Italien einigen konnten, während Metternich noch auf Castlereagh hoffte. Im Troppauer Protokoll vom 19. November formulierten die Ostmächte ihre Doktrin: Revolutionäre Veränderungen im europäischen Staatensystem sollten nicht anerkannt werden, sondern einen Interventionsautomatismus auslösen. Damit waren die Westmächte nicht einverstanden, sie protestierten. Castlereagh wiederholte in einem nunmehr öffentlichen Rundbrief die Argumente seines State Papers vom 5. Mai. Daraufhin versuchten die Ostmächte, in einer Zirkulardepesche vom 8. Dezember 1820 ihre Position zu untermauern, wobei sie Argu-
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mente der britischen Regierung übernahmen und betonten, das Interventionsrecht solle nicht gegen die Unabhängigkeit von Staaten verstoßen und Reformen von oben sehr wohl zulässig sein. „Unstreitig steht den Mächten das Recht zu, gemeinschaftliche Maßregeln der Vorsicht gegen Staaten zu nehmen, deren Umformung [,] durch Aufruhr erzeugt, schon als Beispiel den rechtmäßigen Regierungen feindlich entgegentritt, vorzüglich wenn dieser Geist der Unruhe durch ausgesandte geheime Agenten den benachbarten Staaten mitgeteilt wird. Dem zufolge haben die in Troppau vereinten Monarchen [Franz, Alexander, Friedrich Wilhelm] die erforderlichen Maßregeln verabredet, und den Höfen von Paris und London ihre Ansichten mitgeteilt […] Dieses System hat nur den Zweck, den Bund der Mächte zu befestigen; es zielt weder auf Eroberung noch soll der Unabhängigkeit anderer Mächte zu nahe getreten werden. […] [N]ur die Ruhe wollen sie erhalten, nur Europa vor der Geißel neuer Revolutionen schützen, und diesen so viel als möglich zuvorkommen.“308 Castlereagh antwortete in einer Zirkularnote vom 19. Januar 1821 und sprach den Ostmächten das Recht ab, aus der Wiener Ordnung ein so weitreichendes Interventionsprinzip abzuleiten: „Die Regierung seiner Majestät glaubt nicht, daß die Alliierten nach den bestehenden Verträgen das Recht hätten, derart allgemeine Machtbefugnisse für sich in Anspruch zu nehmen. […] Hinsichtlich der in dem fraglichen Rundschreiben ausgedrückten Erwartung der Zustimmung von Seiten der Höfe von London und Paris zu allgemeinen Maßnahmen, deren Annahme auf Grund der bestehenden Verträge vorgeschlagen ist, muß die britische Regierung – getreu ihren Prinzipien und ihrer ehrlichen Überzeugung –, indem sie eine solche Zustimmung zurückweist, gegen jede derartige Interpretation der fraglichen Verträge protestieren.“309 Die Westmächte unterzeichneten die Abschlussresolution von Troppau nicht, aber ihr Widerspruch hatte für die Intervention in Neapel keine Bedeutung, da der Mehrheitsbeschluss der Ostmächte genügte. Zudem akzeptierte Ferdinand I. auf dem Folgekongress in Laibach Anfang 1821 das militärische Eingreifen Österreichs. Ob ein „Nein“ von ihm überhaupt Geltung gehabt hätte, bleibt dahingestellt. „Viele Könige glauben aber auch, daß der Thron nur ein Fauteuil ist, auf dem man bequem einschlafen kann. Im Jahre 1821 ist jedoch ein solcher Schlaf-
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sessel recht unbequem und schlecht ausgepolstert“310, klagte Metternich Anfang Januar. Die Ostmächte erteilten Österreich in Laibach quasi ein Mandat für das Eingreifen in Neapel und auch in Sardinien-Piemont, wo es im März 1821 zu einem Aufstand kam. Metternich freute sich über die Durchsetzung der antirevolutionären Linie und meinte am Ende des Laibacher Kongresses: „Der Chor der Liberalen wird nun schöne Weisen anstimmen, ich freue mich schon darauf; mir gefallen nämlich die Schmähungen von Leuten, denen ich geflissentlich auf die Füße trete.“311 Die österreichischen Kriegsvorbereitungen waren bereits im Dezember 1820 abgeschlossen. Es stand viel auf dem Spiel, wie Metternich bewusst war, der am 7. März schrieb: „Heute werden die ersten Schüsse fallen. Die Sachen werden gut oder schlecht ausgehen. Fällt Alles gut aus, so werden unsere Feinde über die Lächerlichkeit aufschreien, daß wir eine so große Militärmacht entfaltet haben; fällt es schlecht aus, so wird man sich wiederum über ein Unternehmen lustig machen, das weit über unsre Kräfte ging. Hätten wir nur zum Fenster hinausgeschaut, um zu sehen, was die Leute auf der Straße machen, so hätten dieselben braven Leute die Schwächlinge verhöhnt, die über das Alphabet der Re-
Im Kampf gegen die Revolution trug Metternich einmal mehr den Sieg davon. Er galt, wie er Anfang November 1821 nicht ohne Stolz schrieb, als Experte: „Seitdem ich so glücklich war, die Carbonari vertilgen zu lassen, glaubt man, ich brauchte nur zu erscheinen, um Alles umzubringen, was dem Einen oder dem Anderen im Wege ist. Jegliche Regierung ist heutzutage krank und alle aus eigener Schuld; seit meinen deutschen Conferenzen sehen sie mich als den obersten Gesetzgeber Deutschlands an, und seit 1821 als den Vertilger der Revolutionäre. Jeder bittet mich, ihm die seinigen umzubringen oder wenigstens ihm mein Recept mitzutheilen. Von der anderen Seite, und das ist die petite pièce, stellen sich die Revolutionäre, alles Lumpenvolk, so weit als thunlich mir vor, um mich der La ut e r k e i t ihrer Gesinnungen zu versichern.“ MNP 2/1, 451.
Das Ende der Kongressdiplomatie
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gierungskunst nicht hinausgekommen sind. Eine schöne Zeit für das métier eines Ministers.“312 Wie die österreichischen Truppen in ihren Proklamationen betonten, kamen sie als Beschützer und Freunde. Zu nennenswerten Kämpfen kam es nicht, was Metternich fast enttäuschte, da es die Signalwirkung abschwächte: „Denn wenn man schon den Aufständischen eine Lektion geben will, so soll sie auch kräftig ausfallen. Unter vier Augen nützt es nichts, das muß öffentlich geschehen.“313 Am 24. März zogen die habsburgischen Truppen in Neapel ein; Österreichs Vormachtstellung in Italien war gesichert. „Das größte Resultat der letzten neun Monate sind die guten Beziehungen zwischen den zwei Kaisern [Franz und Alexander]“, meinte Metternich am 13. April 1821. „Eine Sache ist heute gewiß: nichts kann sie mehr trennen, dafür lege ich meine Hand in’s Feuer. Dieses Resultat gehört ganz und gar mir.“314 Die Hand sollte er sich wenig später verbrennen. Verona 1822: Das Ende der Kongressdiplomatie 1822 verlor Metternich einen Partner im Konzert, mit dem er eine gute Gesprächsbasis hatte, auch wenn sie inhaltlich nicht immer konform gingen: Castlereagh beging Selbstmord. „Die Katastrophe ist eine der schrecklichsten, die mir hätte widerfahren können. Er war mir im Herzen und in der Seele ergeben, nicht nur aus persönlicher Zuneigung, sondern auch aus Überzeugung. Vieles, was mit ihm leicht gewesen wäre, wird nun mit seinem Nachfolger, wer immer er sei, neue Arbeit geben“315, klagte Metternich Ende August. Im April 1822 wandte sich der spanische König Ferdinand VII. hilfesuchend an die Großmächte, daher ging es beim letzten großen Monarchenkongress in Verona Ende 1822 vorrangig um Spanien. Auf Grundlage des Interventionsprinzips billigten die Ostmächte Frankreich das Recht zu, die Revolution in Spanien militärisch niederzuschlagen und die (monarchische) Ordnung wiederherzustellen, während England dagegen protestierte. Castlereaghs Nachfolger Canning entwickelte die Doktrin der Nichtintervention weiter; die „restless and meddling activity“316 der Ostmächte und die französische Intervention in
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Spanien beurteilte er als illegal. Die Kluft schien unüberbrückbar, wie auch Gentz in seinem Schreiben an Adam Müller Anfang 1823 beklagte: „Bei der politischen Stellung, die England seit fünf Jahren angenommen hat, und bei dem schwankenden, gährenden, prekären Zustand Frankreichs […] läßt sich von einem Congreß der fünf Mächte nichts mehr erwarten. Die Probe war eigentlich in Laibach schon gemacht. […] Dagegen sind die drei Höfe unverletzt, und ich denke mit allen Ehren abgetreten. Aus dem Schlußcircular werden Sie sehen, daß wir von unserer Linie um kein Haar breit gewichen sind; und daß die Einigkeit zwischen diesen drei Höfen eine enge, ihr Entschluß, die Revolution zu bekämpfen, und nichts als dieses zu thun, nie fester und stärker war als jetzt, glaube ich Ihnen verbürgen zu können.“317 Zäsur Die im Rahmen der Wiener Ordnung erarbeitete institutionalisierte Zusammenarbeit der Großmächte in Form großer Kongresse endete in Verona. Aber das europäische Konzert, das Erbe der Befreiungskriege und der Quadrupelallianz, lebte weiter. Auf anlassbezogenen Botschafterkonferenzen konnten Krisen wie der griechische Unabhängigkeitskrieg und die belgische Frage diplomatisch bewältigt werden. Österreich wurde in den 1820er Jahren zunehmend isoliert, Metternich verlor – nicht zuletzt durch den Tod von Castlereagh und Alexander, der 1825 starb – an Einfluss. Die Monarchen der Ostmächte trafen sich in den 1830er Jahren weiterhin, allerdings an weniger prominenten Orten wie im böhmischen Teplitz und möglichst ohne viel Aufsehen zu erregen. Die Zusammenkünfte hatten mehr den Charakter von Landpartien, da bewusst versucht wurde, die politische Tragweite des Zusammenseins zu verschleiern: sowohl vor England und Frankreich, um nicht den Verdacht eines formellen Dreierbündnisses zu erregen, als auch vor der Öffentlichkeit. „So viel muß in jedem Falle geschehen, daß das Zusammentreffen der 3 Monarchen keine, selbst entfernte Congreß Form, annehme!“318, schrieb Metternich Ende Juni 1833 an Wittgenstein. Mit den Revolutionen von 1848/49 taumelte das europäische Mächtekonzert in eine tiefe Krise. Anders als zu Beginn der 1820er Jahre, als europäische Randzonen betroffen waren, fanden die Revolutionen nun im Herzen Europas statt, sie betrafen mit Ausnahme von England und
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Russland die Großmächte selbst. So sinnvoll die Konzertierung der Politik wirken mochte, die Gefahr erschien größer: Kongresse galten in der Öffentlichkeit als Machtmittel der Reaktion, gar als Verschwörung der Monarchen und daher im Augenblick der Revolution als Provokation. Dementsprechend warnte der sächsische König Friedrich August II. am 24. März 1848 Friedrich Wilhelm IV. vor möglichen negativen Folgen eines Treffens, denn „jede Idee eines Fürstenkongresses [ist] jetzt so unpopulär, daß alles, was dem ähnlich, Mißtrauen und Besorgnis einer beabsichtigten Reaktion erwecken würde; jedes solche Mißtrauen würde aber im Augenblick von der Umwälzungspartei ausgebeutet werden und könnte uns neue Gefahren bereiten“.319 Von Bedeutung für die weitere Entwicklung war zudem ein Generationswechsel in den Reihen der führenden Politiker: Während die „Generation Metternich“ im weitestgehend friedlichen ausgehenden 18. Jahrhundert sozialisiert und von der Französischen Revolution, Napoleon und mehr als zwanzig Jahren Krieg geprägt worden war, konnten die nach 1790 Geborenen nicht mehr auf diese Erfahrungen und Eindrücke zurückgreifen. „Und konsequenterweise wäre zu fragen, ob die Wiener Friedensordnung nicht auch an einem Generationswechsel zerbrach?“320 Pragmatismus gefragt: Die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen Auf den Kongressen von Troppau bis Verona konnte sich die legitimistische, antiliberale Prinzipienpolitik, die Metternich vertrat, gegen das Londoner Prinzip der Nichteinmischung durchsetzen; nach 1822 ließ sich die Interventionsdoktrin der Ostmächte nicht mehr aufrechterhalten. Die Politik des Konzerts wurde zunehmend pragmatisch und offener; zwar galt weiterhin als oberstes Ziel, die Wiener Ordnung und das Gleichgewicht in Europa zu bewahren, doch wurden zunehmend Veränderungen erlaubt, sofern sie das große Ganze nicht zerstörten. Im Umgang der Großmächte mit dem griechischen Unabhängigkeitskrieg (1821–1829) zeigte sich der Versuch, zunehmend modernes Konfliktmanagement unter Berücksichtigung völkerrechtlicher und humanitärer Aspekte zu betreiben, wobei aber auch die nationalstaatlichen Ziele Russlands und England, deren Einflusssphären sich im östlichen Mittelmeerraum kreuzten, eine Rolle spielten.
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Der Krieg begann im März 1821 mit einem Aufstand in den Donaufürstentümern unter Führung des Fürsten Alexandros Ypsilantis. Zu Beginn zeigten sich die Mächte zurückhaltend. Zar Alexander sprach sich zur Erleichterung der anderen Mächte, die sein eigenmächtiges Vorgehen befürchtet hatten, für die Nichteinmischung Russlands aus. Österreich und Preußen stellten sich auf den Standpunkt der Legitimität und damit auf die Seite der osmanischen Herrschaft. Auf dem Kongress von Laibach beschränkten sich die Großmächte darauf, ihr Bedauern über die Unruhen auszusprechen, die von der osmanischen Herrschaft weitgehend niedergeschlagen wurden. Schon im April nahm der Aufstand „genozidale Dimensionen“321 an. Etwa 15 000 auf dem Peloponnes lebende Türken wurden von Griechen ermordet – eine Brutalität, die die Osmanen sofort erwiderten. „Die Türken fressen die Griechen auf und die Griechen köpfen die Türken“322, schrieb Metternich Mitte Juli. Der Zar nahm die Rolle des Schutzherrn für die orthodoxen Christen ein, Ende Juli brach Russland die diplomatischen Beziehungen zur Hohen Pforte ab. Österreich und England vermittelten, die Osmanen stimmten der Besetzung der Donaufürstentümer durch Russland zu. Im Januar 1822 verkündete eine in Epidauros zusammengetretene griechische Nationalversammlung die Unabhängigkeit und eine liberale republikanische Verfassung. „Was im Orient vor sich gehen kann, entzieht sich der Berechnung. Vielleicht ist nur wenig daran; über unsere Ostgrenzen hinaus zählen drei- bis vierhunderttausend Gehenkte, Erwürgte, Gepfählte nicht viel“323, schrieb Metternich Anfang Mai 1822. Österreich versuchte strikt neutral zu bleiben. Das zeigte sich auch, als Ypsilantis auf österreichisches Gebiet floh. An das Osmanische Reich ausliefern wollte man ihn nicht, da er dort hingerichtet werden würde; Asyl konnte man ihm nicht gewähren, ohne sich den Zorn der Pforte zuzuziehen. Die Lösung: Ypsilantis wurde inhaftiert und der Sultan mit der Aussage zufriedengestellt, er könne ihn als tot betrachten. Auf dem Kongress von Verona spielte der Krieg auf dem Balkan noch keine vorrangige Rolle. „Die türkisch-griechische Frage in aller Stille begraben zu haben, war kein geringer Gewinn und kein geringes Kunststück“324, lobte Gentz wenig später. Noch im September 1822 schrieb
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Metternich angesichts der russischen Zurückhaltung zufrieden: „Ich erhalte täglich mehr Beweise davon, daß Kaiser Alexander in meiner Schule Wurzel gefaßt hat.“325 Österreich, Preußen und Russland vertraten in einer Zirkulardepesche vom Dezember 1822 erneut ihre antirevolutionäre Politik des Status quo und stellten die Rebellion in Griechenland in eine Reihe mit den zeitnahen Aufständen in Südeuropa: „Das, was der Geist der Revolution in der westlichen Halbinsel begonnen, was er in Italien versucht hatte, gelang ihm am östlichen Ende von Europa“, es werde der „Feuerbrand der Empörung in das ottomanische Reich geworfen“.326 Ihrer Meinung nach konnte nur eine allgemeine Verschwörung hinter den Unruhen stecken: „Der Ausbruch desselben Übels auf so verschiedenen Punkten und allenthalben, wenngleich unter abwechselnden Vorwänden, doch von denselben Formen und derselben Sprache begleitet, verriet zu unverkennbar den gemeinschaftlichen Brennpunkt, aus welchem er hervorging.“327 Die Politik der Konzertmächte wurde jedoch nicht allein von ihren Regierungen, sondern zunehmend auch von der Presse und der öffentlichen Meinung bestimmt. Das von den Türken verübte Massaker auf der Insel Chios im April 1822 löste Empörung aus. In England und den deutschen Staaten wurden die griechischen Freiheitskämpfer von „Philhellenen“ romantisch verklärt. Zahlreiche Vereine im Deutschen Bund sammelten Spenden, bis 1828 kamen etwa 355 000 Gulden zusammen. Andere, wie der englische Dichter Lord Byron, schlossen sich als Freiwillige dem Kampf gegen die Osmanen an. Angesichts der öffentlichen Meinung geriet vor allem die Londoner Regierung unter Druck und erkannte die Griechen als kriegführende Partei an. Als selbsternannter Schutzherr der Griechen geriet Zar Alexander zunehmend unter Zugzwang; Ende 1823 legte er einen Autonomieplan für Griechenland vor, um die Krise durch das europäische Konzert zu regeln. Metternich vertrat weiterhin seinen antirevolutionären Standpunkt und pochte auf die Legitimität des Sultans. Tee zu trinken konnte nun auch nicht mehr helfen: Alexander näherte sich England an. Die bislang vorherrschende und die Politik des Konzerts bestimmende russisch-österreichische Kooperation wurde durch eine britisch-russische ersetzt. Selbstverständlich verfolgten Russland und England dabei auch ihre eigenen Großmachtinteressen. Alexanders Nachfolger Nikolaus I. ei-
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nigte sich 1826 mit der Londoner Regierung über eine Aufteilung der Einflusssphären im östlichen Mittelmeerraum. Frankreich schloss sich den beiden an. Damit hatten sich die Mehrheitsverhältnisse im Konzert entscheidend verändert: Standen zuvor England und Frankreich abseits, wurden nun Österreich und Preußen überstimmt. Zur politischen Isolation des Wiener Hofes notierte Gentz in sein Tagebuch: „Der Fürst [Metternich] ist nicht mehr gewohnt, in irgend einer großen Angelegenheit nicht mehr der Leiter des Ganzen zu sein, eine Art von Zuschauer abgeben zu müssen; dies beunruhigt und drängt ihn.“328 In der Konvention von St. Petersburg vom April 1826 verständigten sich die drei Großmächte auf ein unabhängiges, aber unter Oberherrschaft des Osmanischen Reichs verbleibendes Griechenland. Diese Konvention bildete im folgenden Jahr die Grundlage für den Londoner Vertrag, zu dessen Umsetzung die Zustimmung der Hohen Pforte nicht für notwendig erachtet wurde, weil das Konzert für sich die Autorität eines Sicherheitsrats in Anspruch nahm. „Die Bedeutung der griechischen Krise für die Geschichte des Konzerts ist damit kardinal.“329 Da der Sultan nicht einlenken wollte, zogen England, Russland und Frankreich ihre Kriegsflotten zusammen, die osmanische Flotte wurde im Hafen von Navarino versenkt. Russland erklärte 1828 der Pforte den Krieg, aber ein Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und eine Machtausweitung des Zarenreiches widersprachen dem Gleichgewichtsprinzip. Russland wurde zum Frieden von Adrianopel gedrängt und eine Botschafterkonferenz in London einberufen, auf der die Vertreter Englands, Russlands und Frankreichs über die Zukunft Griechenlands entschieden. In den Protokollen vom Februar 1830 wurde Griechenland als Völkerrechtssubjekt anerkannt, als Staatsform wählte man die Erbmonarchie. König sollte Prinz Leopold von Sachsen-Coburg-Gotha werden, der im Mai den Thron jedoch ablehnte, weil er den Widerstand der Griechen und weitere Verwicklungen mit dem Osmanischen Reich befürchtete. Im Februar 1832 boten die Großmächte die griechische Krone dem siebzehnjährigen Prinzen Otto von Bayern an. Seine Bedingungen: der Königstitel und ein Darlehen von über 60 Millionen französischen Francs durch die Konzertmächte, um damit die öffentlichen Finanzen Griechenlands sanieren zu können.
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1830 Am 26. Juli 1830 versuchte Karl X. in Frankreich, durch einen Staatsstreich eine politische Wende vom Liberalismus zurück in Richtung Absolutismus herbeizuführen: Er löste die oppositionelle Kammer auf, schaffte die Pressefreiheit ab und verkündete ein neues Wahlrecht. Drei Tage später musste er aus Paris fliehen. Dass drei Tage Aufstand in Paris („Les Trois Glorieuses“ vom 27. bis 29. Juli 1830) genügten, um die Regierung einer Großmacht zu stürzen, schockierte auch die anderen Großmächte. „Daß wir es noch einmal erleben würden, was vor 40 Jahren Paris, Frankreich und darauf ganz Europa in Bewegung setzte, hätte ich nicht geglaubt“330, schrieb Prinz Wilhelm von Preußen am 3. August 1830 an seine Schwester, die Zarin Alexandra Fjodorowna. Anfang August wurde der „Bürgerkönig“ Louis-Philippe aus dem Haus Orléans an die Spitze der neuen parlamentarischen Monarchie gewählt, womit die bürgerliche Partei immerhin eine weitere Radikalisierung und den Schritt hin zur Republik verhindern konnte. Russland wollte intervenieren, doch in London, Wien und Berlin fürchtete man, denselben Fehler zu begehen wie 1792, als mit dem Feldzug gegen das revolutionäre Frankreich die Koalitionskriege begonnen hatten. Solange Frankreich nicht aggressiv wurde, wollten sich die Großmächte nicht einmischen. Revolution war jedoch – wie Metternich immer und immer wieder gewarnt hatte – ansteckend. Alexanders Nachfolger, Zar Nikolaus I., hatte der Autonomie Polens eine Absage erteilt. Im November 1830 erhoben sich polnische Offiziere in Warschau gegen die russische Herrschaft; der Aufstand wurde im September 1831 niedergeschlagen. Das Konzert reagierte kaum. Preußen und Österreich ergriffen lediglich militärische Maßnahmen, um ein Übergreifen der Revolte auf ihre Territorien zu verhindern; Frankreich und England protestierten zwar gegen die brutale Vorgehensweise der russischen Truppen in Polen und die Verletzung der Wiener Kongressakte – immerhin hatten die drei Ostmächte Polen nationale Institutionen und eine nationale Versammlung versprochen –, aber wer wollte sich mit Russland anlegen? Den Revolutionären in Ober- und Mittelitalien erging es in der Auseinandersetzung mit der Habsburgermonarchie nicht viel besser; die Aufstände wurden durch österreichische Truppen niedergeschlagen. Hier galt das gleiche Prinzip wie im Fall Frankreichs: Solange die Auf-
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stände die internationale Sicherheit nicht gefährdeten, sondern von den jeweiligen Hegemonialmächten kontrolliert werden konnten, schien für das Konzert kein akuter Handlungsbedarf gegeben. Anders stellte sich die Lage in den Niederlanden dar, an deren Zukunft sowohl England als auch Frankreich größtes Interesse hatten. Die südlichen Niederlande waren auf dem Wiener Kongress mit den nördlichen vereinigt worden, doch gelang es König Wilhelm I. nicht, die Gegensätze zwischen dem calvinistischen Norden und dem katholischen, früh industrialisierten Süden zu überbrücken. Ende August 1830 brach in Brüssel ein Aufstand aus, die holländischen Truppen wurden vertrieben, eine provisorische Regierung errichtet. Am 4. Oktober erklärte Belgien seine Unabhängigkeit. Wilhelm wollte die Großmächte zu Hilfe rufen, doch Russland hatte genug mit Polen zu tun, und die übrigen Großmächte schreckten angesichts der revolutionären Stimmung in ganz Europa davor zurück, mit einer Intervention den berühmten Funken für das Pulverfass zu liefern. In dieser durchaus brisanten Lage gelang es den Großmächten, die belgische Krise diplomatisch zu lösen und Krieg zu verhindern. Im November 1830 begann in London eine Konferenz. Der Gegensatz zwischen dem Norden und Süden erschien unüberwindlich, und so beschloss man im Dezember 1830 die Trennung der beiden Landesteile. Wie auf dem Wiener Kongress traf das europäische Konzert die Entscheidung über die Grenzen des Landes. Monarch von Belgien wurde Prinz Leopold von Sachsen-Coburg-Gotha.
5. 1848: Das große Finale Im Jahr 1819 begann auf Bundesebene die Epoche der Reaktion, maßgeblich getragen von Preußen und Österreich. Auf Druck der deutschen Großmächte wurden liberal Gesinnte aus der Frankfurter Versammlung verbannt; so musste etwa der König von Württemberg Karl August von Wangenheim fallen lassen. 1824 wurden die Karlsbader Beschlüsse ohne erkennbaren Widerstand verlängert. „Die Furcht vor den Gefahren von gestern regierte diese Politik. Es hat keinen Sinn zu spekulieren, wie die deutschen Dinge ohne Burschenschaft und Attentate sich entwickelt hätten, das Aufflammen radikaler Regungen jedenfalls hat die Restauration auf ihren Höhepunkt getrieben.“331 Der Kampf um politische Rechte, Pressefreiheit und Verfassung prägte den sogenannten Vormärz, die Jahre zwischen den großen Revolutionen 1830 und 1848. Die Auswirkungen der französischen Julirevolution blieben in Deutschland überwiegend auf lokale Unruhen beschränkt, allerdings wurden in vier Bundesstaaten leitende Minister bzw. Herrscher gestürzt und der Systemwechsel hin zur konstitutionellen Monarchie erzwungen. Hessen-Kassel, Braunschweig, Sachsen und Hannover erhielten zwischen 1831 und 1833 eine Verfassung. In anderen Staaten führte die Revolutionsfurcht zu einer Verstärkung der Reaktion, etwa in Bayern, das von seiner bis dahin eher liberalen Politik abrückte und die Pressefreiheit einschränkte. Auch in Preußen ordnete Friedrich Wilhelm schärfere Zensurbestimmungen an. Der Großteil der Opposition in den 1830er Jahren war den sogenannten „gemäßigten Liberalen“ zuzurechnen, doch Unterdrückung und Verfolgung stachelten die Radikalen in den (eigentlich verbotenen) Burschenschaften an, die endlich zur Tat schreiten und ein Ergebnis sehen wollten. In den Jahren zuvor hatten viele Burschenschafter mit den Revolutionen in Neapel und Piemont sympathisiert, so mancher reiste nach Griechenland, um als Freiwilliger in der Hilfslegion zu kämpfen.
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Ein Spottlied der Burschenschaft, in verschiedenen Versionen aus der Zeit des Vormärz überliefert, verhöhnte die Vertreter der Reaktion: „Friedrich Wilhelm, Preußens König, hat an Grütze gar zu wenig, denkt beim Glase Branntewein: Es müssen alles Demagogen sein! […] O Metternich, o Metternich, du Höllenfürst der Lüge! Ich wollte, daß ein Wetter dich in Grund und Boden schlüge! Kanaille du im schlechten Sinn, du Vaterlandsverräter! Vor dir muß selbst der Teufel flieh’n, du Fürst der Rabenväter! […] Alexander, Russlands Kaiser, ist ein rechter Hosenscheißer und der alte Kaiser Franz ist ein wahrer Affenschwanz. […] Bärte werden abgeschnitten, deutsche Röcke nicht gelitten und wer traget langes Haar kommt nicht in das Seminar.“ Zit. n. Lönnecker, Unzufriedenheit, 8ff.
1823 versuchten einige sogar, über England nach Spanien zu gelangen, um sich dort in den Krieg gegen den Absolutismus zu stürzen. 1830 sammelte man für den polnischen Novemberaufstand Geld und Verbandsmaterial. Unter dem alarmierenden Eindruck des Hambacher Festes Ende Mai 1832 auf der Schlossruine Hambach bei Neustadt an der Weinstraße wollte Metternich an seinen Erfolg von Karlsbad anknüpfen und die
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sich erneut so öffentlich zeigenden liberalen und nationalen Kräfte der Gesellschaft zurückdrängen und eindämmen. Der Stuttgarter Burschentag fasste im Dezember 1832 den Beschluss, revolutionäre Gewalt einzusetzen, um die nationale Zersplitterung Deutschlands zu überwinden. Der Zweck heiligt die Mittel. Mit dem Sturm auf die Haupt- und Konstablerwache in Frankfurt am Main am 3. April 1833 – ein Anschlag auf den Bundestag – sollte das Zeichen für die allgemeine Volkserhebung gegeben werden. Doch die beteiligten Studenten (vor allem Heidelberger und Würzburger Burschenschafter) und Bürger läuteten die Sturmglocke vergebens, der Großteil der Frankfurter Bevölkerung blieb passiv, und der Wachensturm wurde durch die Stadttruppen schnell beendet. Die Bundesversammlung rief daraufhin die 1828 aufgelöste Untersuchungs-Commission in Frankfurt wieder ins Leben; mehr als 2000 Verdächtige wurden bis 1842 unter die Lupe genommen. Am 15. Oktober 1833 bekräftigten die Monarchen der Ostmächte in einem geheimen Abkommen erneut die Prinzipien der Heiligen Allianz und das Interventionsrecht; sie wollten den Kampf gegen Liberalismus und Umsturz fortsetzen. Auf der anderen Seite unterzeichneten England, Frankreich, Portugal und Spanien im April 1834 einen Vertrag als Gegengewicht zum Bündnis der Ostmächte. Damit war das Konzert endgültig in zwei ideologische Blöcke zerfallen. Das Ende einer Freundschaft? Als ob Metternich nicht schon genug Sorgen gehabt hätte, verlor er seinen treuen Mitstreiter: Friedrich Gentz, der maßgeblich an den Karlsbader Beschlüssen beteiligt gewesen war, sympathisierte zunehmend mit dem französischen Konstitutionalismus. Im Mai 1830 notierte Gentz’ Vertrauter Anton Franz ProkeschOsten in seinem Tagebuch: „Über die Lebenskräfte unserer Monarchie sieht er [Gentz] schwarz und eigentlich keine Rettung, als den Tod des Kaisers, insoferne bei der Schwäche des Kronprinzen dadurch die Möglichkeit einer Regierung brauchbarer Minister eröffnet ist. Hält die Revolution für nicht mehr abzuwenden und bewundert die Talente der Liberalen in Frankreich, deren Grundsätze er verwirft.“332 Im Gegensatz zu Metternich gelangte Gentz nämlich zu der Ansicht, man müsse gegen das konstitutionelle Prinzip nicht länger ankämpfen und den neuen liberalen Kräften viel-
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Die schöne Tänzerin Fanny Elßler war Metternichs Meinung nach schuld daran, dass Gentz kein Interesse mehr an der Politik zeigte. Mit seinen 76 Jahren erlebte der Hofrat mit der 19-jährigen Balletttänzerin einen zweiten Frühling. „Er denkt nur an sie und was ist eine Revolution im Vergleich zu den unsagbaren Reizen einer Fanny!“, schrieb Metternich am 16. August 1830 an Melanie Zichy, und am 22. Oktober 1830: „Ich bin von zwei Seiten gepackt. Die Revolutionen greifen mich an der Front an und der Choleramorbus im Rücken. Diese schreckliche Krankheit überzieht eine russische Provinz nach der anderen. Eben habe ich Gentz diese Nachricht mitgeteilt, er aber lachte mir ins Gesicht: ‚Woß [sic] sind Revolutionen, woß ist die Cholera! Fanny lebe hoch!‘ Da habt ihr unseren Philosophen und unseren Staatsmann.“ Zit. n. Corti, Metternich, 350.
mehr einen Platz einräumen. Das politische System von 1814/15 habe „restlos ausgedient“.333 Metternich und Gentz fanden keinen Konsens mehr; ihre Diskussionen waren zunehmend von Kränkungen und Streit geprägt. Dennoch setzte sich Metternich beim Kaiser für eine Gehaltserhöhung für Gentz ein, der dringend Geld benötigte (auch für teure Geschenke an Fanny). „Ein Mann, der einmal so tief wie Gentz in den politischen Gang eines großen Staates eingeweiht ist, kann nicht mehr freigelassen werden“334, argumentierte der Staatskanzler. Befürchtete er, Gentz könnte österreichische Staatsgeheimnisse verkaufen? Als der Hofrat am 9. Juni 1832 hoch verschuldet starb, übernahm Metternich die Begräbniskosten. An Prokesch-Osten schrieb er am 15. Juni 1832: „Die Stelle, welche er einnahm, kann nicht ausgefüllt werden, und obgleich mir Gentz seit ein paar Jahren nur mehr Fantasiedienste leistete, so geht er mir in den wichtigsten Beziehungen ab.“335 1848 Als Anfang März 1848 Nachrichten von der französischen Februarrevolution im Deutschen Bund eintrafen, kam es zu jenem Umsturz, den Metternich seit Jahren befürchtet hatte. Die Revolutionen 1848/49 „bildeten für den europäischen Kontinent den dramatischen
Das große Finale
129
Schlussakt der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“336, im Deutschen Bund überwanden die liberalen Kräfte die Karlsbader Beschlüsse und beendeten das „System Metternich“. Er selbst floh nach England, kehrte aber 1851 nach Österreich zurück, wo er 1859 starb. Mit Zustimmung des Bundestages trat noch im März in Frankfurt am Main ein Vorparlament zusammen und beschloss eine Nationalversammlung, um eine deutsche Reichsverfassung auszuarbeiten; im Mai wurde die Deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche eröffnet. „Daß ich zu den Männern der Tat gehört, das habe ich im Verlauf meines vieljährigen Wirkens im Krieg wie im Frieden bewiesen. Warum habe ich mich sonach im Jahre 1848 von dem Kampfplatz zurückgezogen? Die Ursache kann nur in meiner Überzeugung gesucht werden, daß mir die Mittel nicht zu Gebot standen, der hereinbrechenden Revolution persönlich die Stirn zu bieten, dann in meiner Unfähigkeit, mit dem Übel in Verbindung zu treten“337, erklärte Metternich in seinen Denkwürdigkeiten. „Die Nachwelt wird mich beurteilen; das einzige Urteil, nach dem ich geize, das einzige, was mir nicht gleichgültig ist[,] und zugleich das einzige, das ich nie vernehmen werde“338, schrieb er im April 1820, und später: „Unsere Kindeskinder werden uns sehr töricht finden, und diese Überzeugung bedrückt nicht selten mein Herz; ich gehöre nämlich zu jener Klasse von Menschen, die mehr in der Zukunft als in der Gegenwart leben.“339
Anhang
Zeittafel 1789 Französische Revolution 1792–1797: Erster Koalitionskrieg (beginnend mit Österreich und Preußen gegen Frankreich, weitere europäische Großmächte schließen sich der Allianz gegen das revolutionäre Frankreich an, Russland bleibt neutral, Preußen scheidet mit dem Frieden von Basel 1795 aus der Koalition aus) 1799: Der erfolgreiche General Napoleon wird Erster Konsul 1799–1802: Zweiter Koalitionskrieg (u. a. Österreich, England und Russland gegen Frankreich, Preußen bleibt neutral) 1804: Kaiserkrönung Napoleons 1804: Schaffung des Kaisertums Österreich 1805: Dritter Koalitionskrieg (Österreich, Russland, England gegen Frankreich, Preußen bleibt neutral) 1806: Gründung des Rheinbundes unter dem Protektorat Napoleons 1806: Auflösung des Heiligen Römischen Reiches auf Druck Napoleons 1806–1807: Vierter Koalitionskrieg (Preußen und Russland gegen Frankreich) 1807: Friede von Tilsit – Halbierung Preußens 1809: Fünfter Koalitionskrieg (Österreich gegen Frankreich) 1809: Metternich übernimmt die Leitung der österreichischen Außenpolitik 1810: Eheschließung Napoleons mit der österreichischen Erzherzogin Marie Luise 1812: Russlandfeldzug Napoleons (u. a. sind Preußen und Österreich Verbündete Napoleons) 28.2.1813: Vertrag von Kalisch (Bündnis Russland und Preußen) 16.3.1813: Preußen erklärt Frankreich den Krieg
138
Anhang
4.6.1813: Der Waffenstillstand von Pläswitz beendet den Frühjahrsfeldzug 26.6.1813: Vieraugengespräch Metternichs und Napoleons in Dresden August 1813: Österreich tritt auf der Seite Russlands und Preußens in den Krieg gegen Frankreich ein 9.9.1813: Vertrag von Teplitz (Preußen, Österreich, Russland) – Vereinbarung der Wiederherstellung Preußens und Österreichs im Umfang der Grenzen von 1805 8.10.1813: Vertrag von Ried (der bayerische König wechselt gegen die Zusicherung seiner Souveränität und seines Besitzstandes zu den Alliierten über) 16.–19.10.1813: Völkerschlacht bei Leipzig November 1813: Weitere Rheinbundstaaten schließen sich der Koalition an Dezember 1813: Alliierte Truppen marschieren in Frankreich ein 9.2.–19.3.1814: Friedensverhandlungen in Châtillon scheitern an der ablehnenden Haltung Napoleons 1./9.3.1814: Vertrag von Chaumont (England, Russland, Österreich und Preußen schließen die Quadrupelallianz ab) 31.3.1814: Einzug der Alliierten in Paris 6.4.1814: Abdankung Napoleons 11.4.1814: Im Vertrag von Fontainebleau erhält Napoleon die Insel Elba und ein jährliches Einkommen zugesprochen April 1814: Wiedereinsetzung der Bourbonen – Ludwig XVIII. wird König von Frankreich 30.5.1814: Erster Pariser Friede Juni/Juli 1814: Londoner Gespräche 22.9.1814: Konferenz der großen Vier (England, Russland, Österreich, Preußen) in Wien 8.10.1814: Erste Konferenz aller acht Signatarmächte in Wien Anfang November: Offizieller Beginn des Wiener Kongresses 16.11.1814: „Kaisernote“ der mindermächtigen deutschen Staaten mit der Forderung nach Mitspracherecht im „Deutschen Komitee“ (Verfassungsfrage des Deutschen Bundes)
Zeittafel
139
3.1.1815: Aufgrund der sächsisch-polnischen Frage Spaltung der Alliierten, Bildung einer Defensivallianz (Österreichs, Englands, Frankreich) 26.2.1815: Napoleon verlässt Elba 1.3.1815: Landung Napoleons an der französischen Küste 13.3.1815: Achterklärung Napoleons durch die Alliierten 20.3.1815: Einzug Napoleons in Paris 25.3.1815: England, Russland, Österreich und Preußen erneuern die Allianz von Chaumont (= Kriegserklärung an Napoleon) März 1815: Murat erklärt im „Manifest von Rimini“ die Unabhängigkeit Italiens und stellt sich gegen die Alliierten 22.5.1815: „Verfassungsversprechen“ Friedrich Wilhelms III. 8.6.1815: Unterzeichnung der deutschen Bundesakte 12.6.1815: Gründung der „Urburschenschaft“ in Jena 18.6.1815: Schlacht bei Waterloo 8.7.1815: Rückkehr Ludwigs XVIII. nach Paris 26.9.1815: Gründung der „Heiligen Allianz“ auf Initiative des Zaren 20.11.1815: Zweiter Pariser Friede 20.11.1815: Erneuerung der Quadrupelallianz durch Österreich, Preußen, England und Russland 18.10.1817: Wartburgfest September–November 1818: Kongress von Aachen 10.–18.10.1818: Burschentag in Jena 19.10.1818 Gründung der „Allgemeinen Deutschen Burschenschaft“ durch Zusammenschluss der Burschenschaften verschiedener deutscher Universitäten 23.3.1819: Ermordung August von Kotzebues durch Karl Ludwig Sand 1.7.1819: Gescheitertes Attentat auf Karl von Ibell 1.8.1819: Teplitzer Punktation (Preußen und Österreich) als Grundlage für die Karlsbader Konferenzen 2.8.1819: Beginn der „Hep-Hep-Unruhen“ in Würzburg (antijüdische Ausschreitungen) 6.8.–31.8.1819: Karlsbader Konferenzen 20.9.1819: Annahme der Karlsbader Beschlüsse durch die Frankfurter Bundesversammlung
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Anhang
November 1819: Beginn der Wiener Ministerialkonferenzen (bis Mai 1820) Januar 1820: Beginn der Revolution in Spanien 14.2.1820: Ermordung des Herzogs von Berry in Frankreich März 1820: Die spanischen Revolutionäre setzen die Verfassung von 1812 durch 5.5.1820: In einem State Paper spricht sich England gegen die von Russland, Preußen und Österreich gewünschte Interventionspolitik aus – beginnende Spaltung der Großmächte in West- und Ostmächte 20.5.1820: Hinrichtung Karl Ludwig Sands Juli 1820: In Neapel erzwingen Offiziere und Carbonari die Einführung des spanischen Verfassungstextes 31.7.1820: Die Wiener Regierung beschließt (insgeheim) die bewaffnete Intervention in Neapel Oktober – Dezember 1820: Kongress von Troppau (Schwerpunkte: Revolutionen in Spanien und Neapel) 15.5.1820: Wiener Schlussakte (Abschluss der inneren Ausgestaltung des Deutschen Bundes) Januar – Mai 1821: Kongress von Laibach (Intervention Österreichs in Neapel und Sardinien-Piemont) März 1821: Aufstand in Sardinien-Piemont März 1821: Beginn des griechischen Unabhängigkeitskrieges (bis 1829) Januar 1822: Die griechische Nationalversammlung verkündet die Unabhängigkeit Griechenlands April 1822: König Ferdinand VII. von Spanien bittet die Großmächte um Hilfe im Kampf gegen die Revolution Oktober–Dezember 1822: Kongress in Verona (Intervention Frankreichs in Spanien) 1824: Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse 1826: England und Russland verständigen sich in Bezug auf den griechischen Unabhängigkeitskrieg über die Aufteilung der Interessensphären im östlichen Mittelmeerraum, Frankreich schließt sich an April 1826: Konvention von St. Petersburg (England, Russland und Frankreich) bezüglich Griechenlands Unabhängigkeit 1828: Russland erklärt dem Osmanischen Reich den Krieg
Zeittafel
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September 1829: Auf Druck der Großmächte schließt Russland mit dem Osmanischen Reich den Frieden von Adrianopel Februar 1830: Die Botschafterkonferenz (England, Russland, Frankreich) verständigt sich über Griechenland (Erbmonarchie) 27.–29.7.1830: Julirevolution in Frankreich, Ludwig XVIII. wird gestürzt August 1830: Der „Bürgerkönig“ Louis-Philippe wird in Frankreich an die Spitze der parlamentarischen Monarchie gewählt August 1830: Aufstand im Vereinigten Königreich der Niederlande 4.10.1830: Belgien erklärt seine Unabhängigkeit November 1830: Aufstand in Polen gegen die russische Herrschaft (1831 niedergeschlagen) November–Dezember 1830: Konferenz in London zur belgischen Frage, Anerkennung der Unabhängigkeit Belgiens Mai 1832: Hambacher Fest 9.6.1832: Friedrich von Gentz stirbt 3.4.1833: Frankfurter Wachensturm (Anschlag auf den deutschen Bundestag), daraufhin wird die 1828 aufgelöste Mainzer Untersuchungskommission wiederbelebt 15.10.1833: Monarchen Russlands, Preußens und Österreich bekräftigen im Kampf gegen den Liberalismus die Prinzipien der „Heiligen Allianz“ April 1834: Frankreich, England, Portugal und Spanien unterzeichnen einen Bündnisvertrag als Gegengewicht zu den Ostmächten Februar 1848: Revolution in Frankreich März 1848: Revolutionen u. a. in deutschen Ländern und in Österreich – Sturz Metternichs März 1848: In Frankfurt am Main tritt ein Vorparlament zusammen Mai 1848: Eröffnung der Deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche 11.6.1859: Tod Metternichs
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Metternich, Denkwürdigkeiten 2, 117. Zit. n. Zimmermann, Gentz, 157. Zit. n. Dorn, Gentz, 26. Stauber, 1815, 177. Kronenbitter, Gentz und Metternich, 71. Zit. n. Zimmermann, Gentz, 242. Wiener Kongreß, Freksa, 147. Fournier, Geheimpolizei, 379. Konferenzen, Rönnefarth, 243. Ebd., 245. Gentz, Gesammelte Schriften XI.3, 247. Sellin, Revolution, 101. Gentz, Gesammelte Schriften XI.3, 255. Zit. n. Schulz, Normen, 45. Metternich, Denkwürdigkeiten 1, 314f. Ilsemann, Politik Frankreichs, 73. Konferenzen, Rönnefarth, 253. Ebd., 254. Zit. n. Duchhardt, Wiener Kongress, 21f. Gentz, Gesammelte Schriften XI.3, 302. Fournier, Geheimpolizei, 252. Wiener Kongress, Dyroff, 45. Fournier, Geheimpolizei, 305. Externbrink, Kulturtransfer, 69. Briefwechsel Gentz und Müller, 175. Wiener Kongress, Dyroff, 33. Ebd., 35. Wiener Kongreß, Freska, 211. Wiener Kongress, Dyroff, 44.
30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
Ebd., 43. Aus Karls von Nostitz Leben, 139. Zit. n. Fournier, Geheimpolizei, 56. Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 220. Externbrink, Kulturtransfer, 74. Aus Karls von Nostitz Leben, 135. Gentz, Fragmente, 1ff. Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 209. Aus Karls von Nostitz Leben, 149. Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 181. Perth, Kongresstagebuch, 33. Fournier, Geheimpolizei, 297f. Zit. n. Duchhardt, Wiener Kongress, 69. Fournier, Geheimpolizei, 404. Perth, Kongresstagebuch, 75. Fournier, Geheimpolizei, 208. Ebd., 337. Ebd., 245. Srbik, Metternich 1, 185. Fournier, Geheimpolizei, 186. Ebd., 346. Ebd., 404. Perth, Kongresstagebuch, 45. Fournier, Geheimpolizei, 253f. Ebd., 268. Ebd., 161. Ebd., 319. Ebd., 22. Ebd., 379. Ebd., 351. Ebd., 181. Zit. n. Dorn, Gentz, 97. Erbe, Erschütterung, 8.
Anmerkungen
63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102
Metternich, Denkwürdigkeiten 2, 44. Fournier, Geheimpolizei, 232. Ebd., 247. Ebd., 329. Schroeder, Transformation, 576. Willms, Talleyrand, 216. Wiener Kongress, Dyroff, 67. Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 242. Perth, Kongresstagebuch, 70f. Aus Karls von Nostitz Leben, 162f. Fournier, Geheimpolizei, 385. Stamm-Kuhlmann, König, 400. Quellen, Linke, 59. Zit. n. Willms, Talleyrand, 232. Bertuch, Tagebuch, 53. Fournier, Geheimpolizei, 259. Bertuch, Tagebuch, 67. Fournier, Geheimpolizei, 299. Ebd., 312. Wiener Kongreß, Spiel, 73. Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 256. Ebd., 257. Aus Karls von Nostitz Leben, 157f. Zit. n. Buchmann, Militär, 198. Quellen, Pommerin/Marcowitz, 39. Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 220. Wiener Kongress, Dyroff, 196. Fournier, Geheimpolizei, 315. Ebd., 315. Ebd., 405. Wiener Kongreß, Freska, 207. Bertuch, Tagebuch, 124. Wiener Kongress, Dyroff, 112. Aus Karls von Nostitz Leben, 137. Fournier, Geheimpolizei, 232. Ebd., 184. Ebd. Entstehung, Treichel, 1276. Gruner, Beitrag der Großmächte, 190. Entstehung, Treichel, 1508.
103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138
Gentz, Zeit deutscher Not, 50. Ebd., 209. Gruner, Der Deutsche Bund, 27. Entstehung, Treichel, 1578. Kotulla, Verfassungsgeschichte, 333. Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 283. Gruner, Der Deutsche Bund, 24. Entstehung, Treichel, 1513. Koch, Rechtlich-politische Grundlagen, 15. Fournier, Geheimpolizei, 343. Einheit und Freiheit, Obermann, 65. Ebd., 76. Zit. n. Lutz, Habsburg und Preußen, 65. Fournier, Geheimpolizei, 425. Perth, Kongresstagebuch, 93. Zit. n. Tulard, Napoleon, 485. Ebd., 425. Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 274. Fournier, Geheimpolizei, 426. Zit. n. Tulard, Napoleon, 488. Wiener Kongreß, Freska, 33f. Fournier, Geheimpolizei, 439. Erhebung gegen Napoleon, Spies, 415. Ebd., 415. Wiener Kongreß, Spiel, 85. Wiener Kongreß, Freska, 170. Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 272f. Ebd., 287f. Wiener Kongress, Dyroff, 260. Aus den Jahren preußischer Not, Schoeps, 548. Ebd., 550. Varnhagen von Ense, Ausgewählte Schriften 4, 334. Schulz, Normen, 549. Quellen, Pommerin/Marcowitz, 38. Zit. n. Webster, Congress of Vienna, 187f. Stauber, 1815, 180.
143
144
Anhang
139 Metternich, Denkwürdigkeiten 1, 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179
328. Zit. n. Schulz, Normen, 70. Schulz, Normen, 35. Ebd., 10. Ebd., 4. Ebd., 568. Ebd., 552. Ebd., 545. Quellen, Pommerin/Marcowitz, 41f. Briefwechsel Gentz und Müller, 266. Quellen, Dross, 63. Briefwechsel Gentz und Müller, 269f. Fournier, Geheimpolizei, 333. Zit. n. Drescher, Abolition, 229. Berding, Aufklären, 273. Zit. n. Drescher, Abolition, 234. Zit. n. Schulz, Normen, 86. Ries, Wort und Tat, 17. Ebd., 213f. Zit. n. Müller, Sand, 20. Mattern, Allgewalt, 223. Neumann, Sand, 65. Ries, Wort und Tat, 314. Alexis, Kriegsfreiwilliger, 7. Zit. n. Ries, Wort und Tat, 292. Lönnecker, Unzufriedenheit, 2. Zit. n. Schröder, Jenaer Burschenschaft, 77. Zit. n. Müller, Sand, 67. Ebd., 69. Zit. n. Ries, Wort und Tat, 307. Ebd., 25. Zit. n. Ries, Wort und Tat, 334. Einheit und Freiheit, Obermann, 71. Zit. n. Ries, Wort und Tat, 347. Zit. n. Malettke, Bedeutung des Wartburgfestes, 9. Geisthövel, Restauration, 20. Quellen, Dross, 54. Ebd., 57. Ebd., 58. Zit. n. Ries, Wort und Tat, 363. Ebd., 363.
180 Zit. n. Asmus, Burschenschaften, 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220
23f. Ebd., 369. Restauration, Brandt, 216f. Zit. n. Ries, Wort und Tat, 408. Zit. n. Angelow, Deutsche Bund, 35. Zit. n. Ries, Wort und Tat, 413. MNP 2/1, 221. Zit. n. Ries, Wort und Tat, 395. Zit. n. Mattern, Allgewalt, 222. Zit. n. Müller, Sand, 136. Ebd., 148. Ebd., 149. Ebd., 148. Ebd., 163. Zit. n. Mattern, Allgewalt, 209. Zit. n. Schraut, politischer Mord, 146. Mattern, Allgewalt, 238. Zit. n. Müller, Sand, 139. Ebd., 168. Ebd., 187. Zit. n. Mattern, Allgewalt, 218. Zit. n. Schraut, politischer Mord, 147. MNP 2/1, 231f. Andlaw, Tagebuch, 74. Schraut, politischer Mord, 154. Zit. n. Schraut, politischer Mord, 159. MNP 2/1, 234. Andlaw, Tagebuch, 73. [Nicolai], Authentischer Bericht, 38. Ebd., 13. Ebd., 40. MNP 2/1, 227. Zit. n. Zimmermann, Gentz, 259. Gentz, Gesammelte Schriften XI.3, 387. Ebd., 418. MNP 2/1, 230. Ebd., 342. Zit. n. Mattern, Allgewalt, 250. Entstehung, Treichel, 1515f. Ebd., 1581. Katz, Hep-Hep-Verfolgungen, 43.
Anmerkungen
221 Rohrbacher, Gewalt, 98. 222 Zit. n. Katz, Hep-Hep-Verfol223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234
235 236 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 254 255 256 257 258 259
gungen, 45. Ebd., 71. Zit. n. Rohrbacher, Gewalt, 96. Ebd., 108. Ebd., 109. Zit. n. Katz, Hep-Hep-Verfolgungen, 115. Ebd., 48. Zit. n. Rohrbacher, Gewalt, 133. Ebd., 112. Ebd. Rohrbacher, Gewalt, 153. Ebd., 136. Fries, Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen, 10. Ebd. Ebd., 12. Ebd. Ebd. Ebd., 15. Ebd., 18. Ebd., 20. Ebd., 21. Zit. n. Katz, Hep-Hep-Verfolgungen, 96. Zit. n. Ludyga, Rechtsstellung, 49. Ebd., 102f. Zit. n. Katz, Hep-Hep-Verfolgungen, 27. Ebd., 31. Koch, Rechtlich-politische Grundlagen, 15. Jakob, Amtliche Belehrung, 5. Ebd., 6. Zit. n. Lutz, Habsburg und Preußen, 43. Metternich, Denkwürdigkeiten 2, 76. Ebd., 96. Ebd., 88. Ebd., 60. Ebd., 99. MNP 2/1, 251. Ebd., 284. Ebd.
260 Lauter gemähte Wiesen, Bauer/ 261 262 263 264 265 266 267 268 269 270 271 272 273 274 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296
Münchhoff, 110. Brandt, Europa 1815–1850, 170. MNP 2/1, 295. Gruner, Der Deutsche Bund, 42. Schroeder, Some Reflections, 29. Metternich, Denkwürdigkeiten 2, 142. Srbik, Metternich 1, 256. Zit. n. Aretin, Metternich-Winneburg. Metternich, Denkwürdigkeiten 2, 167. Zit. n. Srbik, Metternich 1, 252. MNP 2/1, 321. Metternich, Denkwürdigkeiten 2, 117. Gentz, Gesammelte Schriften XI.3, 319f. Stauber, 1815, 175. Rohden, Diplomatie, 43. Siemann, Metternich, 52. Dorn, Gentz, 305. Lutz, Habsburg und Preußen, 24. Stauber, 1815, 185. Metternich Denkwürdigkeiten 2, 21. Rauchensteiner, Österreichbewußtsein, 39.6 Kann, Geschichte des Habsburgerreiches, 197. Kissinger, Gleichgewicht, 401. Walter, Kaiser Franz I., 295. Rumpler, Chance, 29. Zit. n. Srbik, Metternich 1, 539. Siemann, Metternich, 95. Zit. n. Siemann, Metternich, 94. MNP 2/1, 341f. Sked, Metternich and Austria, 244. Andlaw, Tagebuch 176. MNP 2/1, 373. Ebd., 374. Metternich, Denkwürdigkeiten 2, 81. Ebd., 134f. Aretin, Metternich-Winneburg. Zit. n. Srbik, Metternich 1, 321.
145
146
Anhang
297 Metternich, Denkwürdigkeiten 2, 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307 308 309 310 311 312 313 314 315 316 317 318 319
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320 321 322 323 324 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338 339
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Orts- und Personenregister Aachen 62f., 65, 99, 111 Adrianopel 122 Alexander I., Zar 11, 13, 15f., 24, 28f., 32-34, 36f., 40f., 54, 59, 61-64, 68, 80-82, 110f., 113f., 117f., 120f. Alexandra Fjodorowna, Zarin 123 Alexis, Willibald (Georg Wilhelm Heinrich Häring) 71 Andlaw, Franz Freiherr von 85f., 108 Aretin, Johann Christoph von 38 Arndt, Ernst Moritz 53, 55 Asmis, Adolf Karl Gottlieb 84 Avignon 14, 31 Bagration, Fürstin Katharina 26 Bamberg 90 Bayreuth 90 Beauharnais, Eugène de 25, 38, 40f., 54f. Berg, Günther Heinrich von 46, 90 Berlin 8, 16, 34, 74, 86, 91, 98, 123 Bernstorff, Gräfin Elise von 53f. Berry, Charles Fernand Herzog von 100 Berstett, Wilhelm Ludwig Freiherr von 108 Bertuch, Carl 20, 35f., 41 Blücher, Feldmarschall Gebhardt Leberecht von 36, 58 Bonaparte, Joseph 54 Bonaparte, Jerôme 54 Bonaparte, Lucien 54 Bonaparte, Napoleon 7f., 11–13, 18, 31, 48, 52–57, 70, 105, 119 Bonaparte, Napoleon Franz, Herzog von Reichstadt 38, 41, 56 Breitenbach 91 Bremen 20, 90
Brendel, Sebald 97 Bruck an der Leitha 23 Brüssel 124 Canning, George 117 Caradja, Hospodar der Walachei 16, 19, 30, 40, 56 Carl August, Großherzog von Weimar 77, 85, 87 Castlereagh, Robert Stewart, Marquess of Londonderry 12, 15, 17f., 25f., 30, 52, 59, 61, 63f., 67, 111, 113– 115, 117f. Châtillon 13 Chaumont 13f., 59 Clemen, A. Chr. Heinrich 73 Consalvi, Ercole Kardinal 20 Constant, Benjamin 54 Cotta, Johann Friedrich von 20 Czerny, Georg (Karadjordje) 68 Dalberg, Herzog Emmerich Joseph von 29 Dalberg, Karl Theodor von (Fürstprimas) 90 Danzig 91 Darmstadt 84, 87, 91 De Wette, Wilhelm Martin Leberecht 86 Dresden 91 Elßler, Fanny 128 Erlangen 71, 73, 78 Ferdinand I. (der Gütige), Kaiser von Österreich 107 Ferdinand I., König von Neapel 112f., 115
156
Anhang
Ferdinand VII., König von Spanien 21, 110, 117 Follen, August 78 Follen, Karl 78–80, 82, 87 Fouché, Joseph 54 Frankfurt am Main 20, 37, 47, 62, 84, 90–92, 99, 127, 129 Franz II./I., Kaiser von Österreich 7, 9, 13, 16, 18, 21, 28, 31, 34, 37–39, 41, 43f., 50, 56, 59, 63, 99, 104– 107, 113, 117, 128 Friedrich, König von Württemberg 24, 49 Friedrich August I., König von Sachsen 12, 21, 32f. Friedrich August II., König von Sachsen: 119 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 8, 11–13, 15f., 28, 32, 34, 36, 50, 59, 63, 80, 98f. Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 119, 125 Fries, Jakob Friedrich 74f., 78–80, 94f. Friesen, Karl Friedrich 72 Fritsch, Karl Wilhelm Freiherr von 77 Fulda 91 Gagern, Hans Christoph von 43 Gentz, Friedrich (von) 7–9, 12f., 15–19, 22, 30, 33f., 40f., 46, 50, 53, 56f., 59f., 63–65, 76, 78, 81, 85–9, 98, 100, 104f., 111–114, 118, 120, 122, 127f. Genua 31 Georg III., König von England 16 Georg, Prinzregent, als Georg IV. König von England 15, 60 Gerlach, Agnes von 72 Gerlach, Ludwig von 57 Gießen 74, 78, 84 Goethe, Johann Wolfgang von 88 Görres, Joseph 44 Gomez de Labrador, Pedro Marquis 19 Hacke, Karl Theodor von 29 Hager von Allentsteig, Franz 29 Hambach 126 Hamburg 20, 90f., 94f. Hanau 37
Hardenberg, Karl August Fürst von 16, 18, 33f., 36, 42, 45, 51, 66 Heidelberg 91–93 Hudelist, Josef von 8 Humboldt, Wilhelm von 9, 15f., 18, 33f., 42, 45, 56, 66 Ibell, Karl von 89 Ingelfingen 91 Jahn, Friedrich Ludwig 71f., 98 Jena 72–75, 77–79, 82, 84, 88 Johann, Erzherzog 19, 40, 46 Joseph II., Kaiser von Österreich 105 Kalisch 11 Kamptz, Karl von 77 Karl X., König von Frankreich 123 Karlsbad 99, 100, 102, 126 Karoline Auguste von Bayern 38 Kassel 92 Kaunitz, Wenzel Anton Fürst 109 Koblenz 7 Königsberg 87 Kolowrat Liebsteinsky, Franz Anton Graf von 109 Kopenhagen 91 Kotzebue, August von 80, 81–83, 86– 88, 98 Krakau 31 Krüdener, Juliane von 59 La Garde, Auguste Louis Charles de 24, 38 Laibach 109, 115f., 118, 120 Langenschwalbach 89 Leipzig 12, 75, 79, 91 Leopold von Sachsen-Coburg-Gotha 122, 124 Lieven, Dorothea von 108 Ligne, Charles Joseph Fürst von 23 Liverpool, Robert Banks Jenkinson, 2. Earl of 61 Löning, Karl 89 London 15, 62, 111, 123 Louis-Philippe, „Bürgerkönig“ 123 Luden, Heinrich 74f., 77f., 82 Ludwig, Erzherzog 107
Orts- und Personenregister
Ludwig XVIII., König von Frankreich 14, 16f., 32, 53, 57, 62, 64, 67 Lübeck 20, 90 Luther, Martin 75, 84, 104 Mackintosh, James 112 Mahmut II., Sultan 59 Mainz 37, 100 Manchester 101 Mannheim 80, 82–84, 87 Marie Luise 8, 38, 41, 56 Maximilian I. Joseph, König von Bayern 12, 28, 40, 44 Metternich, Clemens Lothar Wenzel Fürst von 7–9, 12–15, 17f., 20, 26, 29–31, 33–36, 39f., 42, 45, 51, 53, 57, 59, 61–64, 68f., 85, 87–89, 97–101, 103–109, 111, 113f., 116–123, 127–129 Metternich, Clementine 104 Meyern, Wilhelm Friedrich von 35 Monroe, James 68f. Müller, Adam 18, 65, 78, 118 München 38 Münster, Ernst Graf von 36, 41 Murat, Joachim 38–40, 57, 112 Nesselrode, Karl Robert Graf von 17 Ney, Michel 52 Nicolai, Carl 86 Nikolaus I., Zar 121, 123 Nostitz, Karl von 20, 23, 34, 37, 39, 42 Ofen 23, 34 Oken, Lorenz 74f., 82 Otto von Bayern 122 Paris 12f., 32, 52, 57, 59, 62, 80, 123 Pepe, Guglielmo 112 Perth, Matthias Franz 23f., 27f., 33, 52 Pfister, Ludwig Aloys 92 Pitt, William der Jüngere 13, 66 Prokesch-Osten, Anton Franz 127f. Rechberg, Aloys Graf von 44, 113 Regensburg 91
Richelieu, Armand-Emmanuel Herzog von 58, 64 Ried 12 Riemann, Heinrich Hermann 75, 77f. Rödiger, Ludwig 75, 78 Rosenfeld, Samuel Wolf 96 Sagan, Wilhelmine Herzogin von 26 Sand, Karl Ludwig 70, 71, 73–75, 78– 87, 89, 97 Sartorius 78, 87 Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Wilhelm Ludwig Reichsfürst 99, 118 Scheuring, Thomas August 96f. Schmeller, Johann Andreas 100 Sedlnitzky von Choltic, Josef Graf 109 Soutzo, Alexander 112 St. Petersburg 81, 122 Stadion, Johann Philip Graf von 18 Stein, Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum 9, 34, 41, 51 Stewart, Lord Charles 26 Stourdza, Alexander 65, 82 Straßburg 18 Talleyrand, Charles Maurice de 13, 17– 19, 21, 32–34, 37, 43, 52f., 57 Teplitz 11, 99, 118 Tilsit 16 Troppau 109, 114f., 119 Türckheim, Johann Freiherr von 43 Varnhagen von Ense, Karl August 17, 21–23, 32, 35, 37, 40, 47, 53, 56, 58, 85, 88, 106 Venedig 31 Vernaissin 14, 31 Verona 109, 117–120 Wangenheim, Karl August von 125 Wartburg 75–78 Wartenberg 76 Waterloo 56, 71 Weimar 80–82, 84, 88 Wellington, Arthur Wellesley Herzog von Wellington 17, 26, 58, 62f., 68 Wesselhöft, Robert 79
157
158
Anhang
Wessenberg, Johann Freiherr von 31, 44 Wieland, Ludwig 82 Wien 8, 11, 15–19, 23, 34, 37, 39–41, 81, 88, 98, 101f., 123 Wilhelm I., König der Niederlande 124 Wilhelm I., König von Württemberg 125
Wilhelm I., Kurfürst von Hessen 21 Witt von Dörring, Ferdinand Johannes 80 Würzburg 90f., 91, 96f., 99 Ypsilantis, Alexandros 120
Die Historikerin Alexandra Bleyer promovierte 2013 mit einer Arbeit zur österreichischen Kriegspropaganda des Jahres 1809. Das Zeitalter Napoleons und der Vormärz bilden einen Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Forschungen. Bei Primus ist von ihr bereits erschienen: „Auf gegen Napoleon! Mythos Volkskriege“ (2013).
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