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German Pages 272 [274] Year 2012
Günter Müchler Achtzehnhundertdreizehn
Deutsche Landkarte des 19. Jahrhunderts, die das Napoleonische Reich 1810 zeigt (unten der Zug nach Moskau 1812).
Günter Müchler
Achtzehnhundert dreizehn Napoleon, Metternich und das weltgeschichtliche Duell von Dresden
Meiner Familie
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ISBN 978-3-534-25157-5 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Theiss Verlag www.theiss.de
ISBN 978-3-8062-2623-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72976-0 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-72977-7 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-8062-2669-0 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-8062-2670-6 (Buchhandel)
Inhalt Inhalt
1. Kapitel Ein magischer Moment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Kapitel Smorgoni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kapitel Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Kapitel Napoleon . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Leben als Drama . . . . . . General der Republik . . . . . . Alles ist möglich . . . . . . . . . Kaiser der Franzosen . . . . . . Gegenkräfte . . . . . . . . . . . Eine österreichische Prinzessin
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5. Kapitel Metternich . . . . . . . . . Mann im Strom . . . Der Equilibrierte . . Wo fällt Manna? . . . Irrtum und Aufstieg .
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6. Kapitel Die letzte Schlacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Zurück in Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Eine neue Armee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
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Inhalt
7. Kapitel Der Abfall . . . . . . . . . . . . . . . Nicht alles auf eine Karte setzen Kalisch . . . . . . . . . . . . . . Der Frühjahrsfeldzug . . . . . . Ein Kriegseintrittsbillett . . . .
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8. Kapitel In den Ebenen Sachsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Dresden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Im Hauptquartier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 9. Kapitel Das Duell . . . . . . . . . . . . . . . Ohne Zeugen . . . . . . . . . Die Ohnmacht des Mächtigen Der Sohn des Glücks . . . . .
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10. Kapitel Finale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Karte: das Napoleonische Reich 1813 . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
1. Kapitel
Ein magischer Moment Ihr Zweikampf ist vielleicht die dramatischste Episode unserer modernen Geschichte. Jahrelang haben sie im Verborgenen gearbeitet, um den Tag zu erwarten, an dem sie vor aller Öffentlichkeit gegeneinander antreten. Albert Sorel Kapitel Ein magischer1.Moment
Napoleon Bonaparte hat nie aufgehört, unsere Phantasie zu beschäftigen. Obwohl letztlich gescheitert und elend gestorben, gehört er zum Titanengeschlecht der Menschheitsgeschichte, vergleichbar Alexander dem Großen, dem er nacheiferte. Er war Eroberer, Staatsmann und Reformer. In welcher Rolle er am meisten glänzte, wird der Betrachter je nach Standpunkt entscheiden. Napoleon selbst zog den Code civil all seinen Siegen vor, allerdings erst dann, als vom Ertrag seiner Eroberungen nichts mehr geblieben war. Herausragend ist ohne Zweifel die Breite seines Schaffens. „Einem Großen traut man gern Größe in jeder Hinsicht zu. Da scheint fast nur Licht, kaum Schatten zu sein“, beobachtet Christian Meier. Das Helldunkel gehört aber nun einmal zur condition humaine. Friedrich II. von Preußen war ein Menschenverächter. Cäsar konnte feige sein. Auch bei Napoleon variiert die Beurteilung je nach Stand der Sonne. Nimmt man die moralische Person, überwiegt wohl der Schatten. Über sich hat er gesagt: „Ein Mensch wie ich ist ein Gott oder ein Teufel“1. Napoleons Leben ist gleich groß im Aufstieg und im Fall. Das macht die Besonderheit seiner Biographie aus. Wie eine einzige Herausforderung, ja Lästerung der Erfahrung erscheint uns sein Aufstieg, wie ein donnerndes Memento menschlicher Begrenztheit sein Fall. Bei Alexander bewundern wir das kühne Ausgreifen. Er starb, ehe er untergehen konnte. Cäsar wurde im Zenit von Macht und Ansehen ermordet. Friedrichs letzte Lebensjahrzehnte verliefen unspektakulär. Dagegen mußte Napoleon den vollen Preis für seine Überhebung entrichten. Zunächst kennt seine Lebensbahn nur ein Immer-höher, Immer-weiter. Dann kommt die Peripetie der russischen Katastrophe. Von nun an ist alles nur noch ein Herabstürzen. Und seltsam, hier setzt die Unwiderstehlichkeit seiner Biographie ein. Im Niedergang
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1. Kapitel
gewinnt sie an Höhe. Wie sich der taumelnde Riese gegen das Unvermeidliche stemmt, im Revancheversuch des Jahres 1813, in der Kampagne von Frankreich 1814, schließlich im phantastischen Abenteuer der Hundert Tage: Erst durch die Verstoßung des Glücklichen aus dem Olymp gewinnt das Lebensdrama Napoleons die Eindringlichkeit einer Tragödie, erst im Scheitern wird es zum Gleichnis. Warum gelang es Napoleon nicht, das Errungene zu halten? Die meisten Ursachen sind tausendfach benannt: Die Überspannung der Kräfte Frankreichs, die Gegenkräfte, die die Fremdherrschaft in den Vasallenstaaten weckte, eklatante Fehler wie die spanische Intervention und der russische Krieg. Außerdem fielen Napoleons Erfolge schädigend auf ihn zurück. Der Lauf seiner militärischen Siege war das Lernprogramm der Verlierer. Doch weder die Addition seiner Mißgriffe noch die Fortschritte seiner Gegner erklären ausreichend, weshalb er scheitern mußte. Den Schlüssel fi nden wir in der ersten Hälfte des Jahres 1813. In der Spanne von sechs Monaten schafften die Widersacher Napoleons, was ihnen in zwanzig Jahren des Krieges gegen die Revolution nicht gelungen war: Sie schlossen sich zu einem umfassenden Bündnis zusammen, einem Pakt ohne Kündigungsrecht. Den ersten Schritt dazu tat der Zar mit seinem Entschluß, es nicht bei der Vertreibung der Grande Armée vom russischen Boden zu belassen, sondern den Krieg nach Mitteleuropa zu tragen. Den endgültigen Durchbruch bewerkstelligte die österreichische Diplomatie. Die Herauslösung des Habsburgerstaats aus dem Bündnis mit Frankreich und die Kehrtwende zum Kriegsalliierten von Rußland, Preußen, England und Schweden war eine politische Glanzleistung. Metternich vollbrachte sie in einem sich hinziehenden, verdeckt geführten und jederzeit mit Handlungsalternativen versehenen Prozeß. Dieser kam am 26. Juni zum Abschluß. An diesem Tag empfi ng Napoleon Metternich im Dresdner Palais Marcolini zu einer Unterredung. Sie dauerte achteinhalb Stunden. Als Metternich Dresden verließ, war der Weg in den Krieg frei. Österreich würde sich auf die Seite der Feinde des Grand Empire schlagen. Es entstand die Weltkriegskoalition, der Napoleon unterliegen mußte. Es ist lohnenswert, einen genauen Blick auf die legendäre entrevue von Dresden zu werfen. Wie es die Geschichte nach einem Wort Jakob Burckhardts bisweilen liebt, sich auf einmal in einem Menschen zu verdichten, so schafft sie dann und wann ein singuläres Ereignis, das blitzlichtartig eine diffuse Szenerie erhellt. Das sind Augenblicke seltener Klarsicht, magische Momente, in denen schwer verständliche Taten und Unterlassungen plötzlich einen Sinn erhalten. Im besten Fall brechen sie die Siegel einer ganzen Epoche auf und offenbaren die Gebundenheit menschlichen Handelns. Die Dresdner entrevue war solch ein magischer Moment.
Ein magischer Moment
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Die meisten Geschichtswerke schlagen einen Bogen um die Begegnung im Palais Marcolini. Das hat Gründe. Während des gesamten Gesprächsmarathons waren der Kaiser der Franzosen und der österreichische Außenminister unter sich. Die Unterredung hatte also keine Ohrenzeugen. Über Inhalt und Verlauf sind wir nur durch die natürlich gefärbten Erzählungen der Akteure informiert. Außerdem endete das Treffen ohne Aplomb. Bis zur Kriegserklärung schleppte sich der Waffenstillstand weitere sechs Wochen dahin. Zuerst mußten die Rüstungsanstrengungen abgeschlossen werden. Außerdem bedurfte der von Metternich mit Formstrenge betriebene Koalitionswechsel Österreichs noch der Schlußinszenierung einer von niemandem ernst genommenen Friedenskonferenz, ehe die Waffen sprechen konnten. In seinen autobiographischen Schriften beschreibt Metternich seine Beziehung zu Napoleon als Schachpartie, „während welcher wir uns nicht aus den Augen ließen, ich, um ihn matt zu setzen, er, um mich sammt (sic) allen Schachfiguren zu zermalmen“2. Bezogen auf die erste Jahreshälfte 1813 ist der Vergleich nicht zu hoch gegriffen. In dieser Phase lieferten sich Metternich und Napoleon einen Zweikampf, der mit großer Subtilität und bei höchstem Einsatz ausgetragen wurde. Zunächst ein Fernduell, steuerte er zwingend auf das Finale in Dresden zu. Es handelte sich um ein Kräftemessen zweier Männer, die nach Wesen und Herkommen gegensätzlicher nicht sein konnten: hier Metternich, der galante Genußmensch; dort Napoleon, der rastlos und rücksichtslos Schaffende. Hier der selbstgewisse Grandseigneur, dort der aus dem Nichts gestiegene Usurpator. Der eine diente einem Kaiser, der andere wurde Kaiser. Der eine trug den Frack des Diplomaten, der andere den Rock des Soldaten. Zum Sinnbild wird das Duell dadurch, daß in ihm die unversöhnlichen Gegensätze der Epoche aufeinanderprallten: das Alte und das Neue, Ordnung und Bewegung. Das Ergebnis konnte nur in der Niederwerfung des einen oder des anderen Prinzips bestehen. Von Ebenbürtigkeit waren die Akteure zunächst weit entfernt. Napoleon war trotz der Niederlage des Jahres 1812 noch immer der Hegemon Europas, Metternich der Minister einer bestenfalls zweitrangigen Macht, die froh sein konnte, daß sie überhaupt noch existierte. Seine Bilanz als Diplomat und Politiker wies bis dahin keine außergewöhnlichen Erfolge auf, statt dessen eine Reihe markanter Fehler. Der Stern des Staatsmannes Metternich ging erst 1813 auf. Dagegen war Napoleon schon lange die alles überstrahlende Erscheinung der Zeit. Als General hatte er die Gegner der Revolution in die Knie gezwungen, als Erster Konsul den Bürgerkrieg im Land beendet, als Kaiser ein Großreich geschaffen, wie es Europa seit Karl dem Großen nicht gesehen hatte. Er war Bändiger und zugleich Fortsetzer der Revolution, Feldherr und
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1. Kapitel
homme d’état, ein Soldatenkaiser, dessen Leben nur dem einzigen Zweck zu folgen schien, Grenzen zu überschreiten und die Bewegungsgesetze der Politik zu widerlegen. Seine Anhänger versahen ihn mit allen Superlativen. Selbst Christuszüge wurden ihm zugeschrieben. Von ähnlicher Kraßheit waren die Verdammungsurteile, die über ihn gesprochen wurden. Für seine Gegner personifi zierte er das Böse schlechthin. „Satans ältesten Sohn“ nannte ihn Ernst Moritz Arndt. In seiner letzten Phase glich der Kampf gegen den Imperator einem Kreuzzug. Es ist die Maßlosigkeit der Beurteilung durch Freund und Feind, die uns hilft, die Wirkung Napoleons auf seine Zeitgenossen zu ermessen, eines Menschen, der selbst kein Maß kannte. Wenn ein Spötter wie Heine in ihm stets den „großen Kaiser“ sah, Goethe ihn zum „Kompendium der Welt“ erklärte und Hegel beim Vorbeiritt des Mannes auf dem Schimmel die Fassung verlor, erahnt man die Faszination, die von Napoleon ausgegangen sein muß. Das Empfi nden des eigenen „Knirpstums“, das nach Burckhardt das untrügliche Zeichen für die Anwesenheit historischer Größe ist, befiel bei ihm selbst grundkritische Geister. Mit niemandem wurde das Beiwort „genial“ so verschwenderisch verbunden wie mit Napoleon. Uns Heutige beschleicht hierbei ein Unbehagen. In Anbetracht des schrecklichen 20. Jahrhunderts haben wir ein Problem mit der schieren Größe einer Herrschergestalt. Das frühe 19. Jahrhundert dachte da unschuldiger. Noch nicht ernüchtert durch die Erfahrung des Mißbrauchs, statt dessen durch die bewunderten Marmorgestalten der Antike mit dem Titanischen vertraut, erblickten die Menschen in Napoleon erschauernd den stupor mundi. Dieser Staunenswerte war nach der Pulverisierung seiner Großen Armee in Rußland ein Gezeichneter. Doch noch einmal raffte er sich auf. In dem Irrglauben, das Rad der Zeit lasse sich zurückdrehen, stampfte er mit ungeheurer Energie eine neue Grande Armée aus dem Boden. Eine letzte Schlacht sollte seinen Nimbus wiederherstellen und das Großreich retten. Bei Lützen und bei Bautzen bewies er noch einmal seine überlegene Feldherrnkunst. Aber die Kraft reichte nicht aus, seine Feinde zu Boden zu werfen. Unterdessen war ihm in Metternich ein großer Gegenspieler erwachsen. In der Manier eines Entfesselungskünstlers führte Metternich Österreich zunächst aus der Bindung an Frankreich heraus. Eine Vermittlung, um die ihn niemand gebeten hatte, verschaffte ihm Handlungsfreiheit zwischen den Konfl iktparteien. Von allen Seiten umworben, wartete er klug ab, bis der Habsburgerstaat seine Rüstung vollendet hatte und stark genug war, sein Gewicht in die Waagschale zu werfen. Napoleon durchschaute Metternichs Spiel nicht von Anfang an. Als er es durchschaute, blieb er in fatalistischer Weise untätig. Er unterließ es, die Abschreckungswirkung seiner militärischen Anstrengungen durch eine politi-
Ein magischer Moment
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sche Offensive zu flankieren. Um den Stellungswechsel Österreichs zu verhindern, hätte er Konzessionen anbieten und größere Teile seines Reiches opfern müssen. Davon hielt ihn nicht nur sein Starrsinn ab. Was als politische Lähmung erscheint, war in Wirklichkeit die Ohnmacht des allmächtigen Diktators3. Klar und frei von Selbstmitleid erkannte Napoleon, daß er aus der Bahn seiner Biographie nicht heraustreten konnte. Er war ein Eroberer, und für den Eroberer ist Nachgeben Aufgeben. Er war ein Emporkömmling, und für den Emporkömmling gibt es im Stürzen kein Halten. Weder sein Kaisertum noch die Vermählung mit einer habsburgischen Prinzessin und die Geburt eines Erben hatten den Mangel an Legitimität, der seine Herrschaft zerbrechlich machte, zu beseitigen vermocht. Wettmachen ließ sich der Mangel nur, solange seine Feinde ihn fürchteten. Metternich erfaßte Napoleons Schwachstelle. Der Kaiser werde keinem Verzichtsfrieden zustimmen. Er werde alles wagen, um nichts zu verlieren. Auf bauend auf diesem Kalkül, konnte der Diplomat sein kaltblütiges Doppelspiel wagen. Das Dresdner Aufeinandertreffen bestätigte seine Rechnung. Napoleon unternahm im Palais Marcolini keinen ernsthaften Versuch, Österreich durch Verlockungen auf seine Seite zu ziehen. Kaiser Franz werde nicht Beihilfe leisten zur Vernichtung des Vaters seines Enkels. An diese Hoffnung klammerte er sich. Die entrevue erbrachte keine Wende. Die Ereignisse waren vorgezeichnet. Zwanzig Jahre Revolutionskrieg ließen sich nicht ungeschehen machen, die Logik der napoleonischen Herrschaft nicht verändern. Insofern liegt die Bedeutung der entrevue weniger im Ereignishaften als in der Sichtbarmachung. An diesem 26. Juni wurde nicht Geschichte gemacht, wohl aber eine Geschichte entschlüsselt, die Geschichte vom notwendigen Fall Napoleons. Hinter den geschlossenen Türen der Sommervilla in der Dresdner Friedrichstadt rollte ein Psychodrama ab. Den Höhepunkt erreichte es, als Napoleon Metternich erklärte, warum er nicht anders könne, als der Spur seines Fatums zu folgen: „Eure Majestäten, die auf dem Thron geboren sind, halten es aus, zwanzigmal geschlagen zu werden. Jedesmal kehren sie zurück in ihre Hauptstadt. Ich bin nur der Sohn des Glücks. Ich würde von dem Tag an nicht mehr regieren, an dem ich aufhörte, stark zu sein, an dem ich aufhörte, Respekt zu erheischen.“ In seiner Unbedingtheit hatte dieses Geständnis etwas Erschütterndes. Der Herr der Welt räumt ein, daß er ein Gefangener ist. Er hat verloren, was für den Feldherrn wie für den Politiker die Voraussetzung des Erfolgs ist: die Wahl der Mittel. Ihm bleibt nur der Krieg. Darin, daß Napoleon seine Blöße ausgerechnet dem Hauptwidersacher vorzeigt, so als könne nur dieser ihn verstehen, liegt das Überwältigende dieser Szene. Der Sieg im Dresdner Duell gehörte Metternich. Der Diplomat bezwang
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1. Kapitel
den Eroberer. Das ist erstaunlich im Ausgang eines Zeitabschnitts, der ganz von Gewalt geprägt war. Natürlich bewirkte den Sturz Napoleons nicht Metternich allein. Es bedurfte zweier Kriegsjahre, bis der Beunruhiger Europas unschädlich gemacht und als prisonnier de guerre auf der Felseninsel St. Helena weggesperrt war. Aber als Konstrukteur der Weltkriegskoalition ist Metternichs Anteil an Napoleons Fall größer als der Blüchers und Wellingtons oder gar des preußischen Landsturms. Letztlich ging das Grand Empire unter, wie noch jedes Reich untergegangen ist, das auf Zwang und Unterdrückung beruhte. Metternich hatte es kommen sehen. In einem wurde der Pragmatiker und Glaubens-Minimalist niemals wankend, nämlich in der Überzeugung, daß Napoleons Universalreich gegen die natürliche Ordnung verstieß und deshalb keinen Bestand haben würde. Es war diese Überzeugung, die ihm im magischen Moment von Dresden den entscheidenden Vorteil verschaffte.
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Smorgoni 2. Kapitel Smorgoni
Am 5. Dezember 1812 verlassen drei Reisewagen Smorgoni. Es ist Nacht und der Weg nicht einfach zu halten. Hier und da hemmt eine Schneewehe gefährlich die Fahrt. Dessen ungeachtet schlagen die Kutscher ein hohes Tempo an. Fast gehetzt rollen die Wagen Richtung Westen, und schon bald haben sich die wenigen Lichter der kleinen Stadt in der Dunkelheit verloren. Smorgoni liegt ungefähr auf halber Strecke zwischen Minsk und Wilna. Mehr ist über die Ansiedlung nicht zu sagen, als daß sie einst polnisch war, jetzt russisch ist und über eine ansehnliche jüdische Gemeinde verfügt. An diesem Tag aber tritt Smorgoni, ohne es zu wissen oder gar dafür zu können, aus der Bedeutungslosigkeit heraus und wird zum Sinnbild menschlicher Vergeblichkeit. Die Nacht ist eisig und still. Der Schnee verschluckt den Hufschlag der Pferde. Vom Mondschein nur spärlich beleuchtet, gleiten die Kutschen wie ein Geisterzug dahin. Im ersten Wagen sitzen, unkenntlich in ihre Pelze gedrückt, zwei Männer. Es sind der Kaiser Napoleon und Caulaincourt, Herzog von Vicenza, sein Großstallmeister. Vor ihnen auf dem Bock sitzt neben dem Kutscher der Leibwächter Roustam, ein Mameluck, den Napoleon einst aus Ägypten mitgebracht hat. Im zweiten Wagen folgen die Generäle Duroc, Herzog von Friaul, und Mouton, Graf von Lobau; im dritten General Lefèbvre-Desnouettes, der polnische Dolmetscher Graf Wonsowicz sowie der Sekretär Baron von Fain und Constant, der Diener des Kaisers. Den Abschluß bildet eine Kavallerieeskorte. Die berühmteste Schlittenfahrt der Geschichte beginnt also tatsächlich im Reisewagen. Erst am 7. Dezember wechselt der Kaiser die vergleichsweise bequeme Berline gegen einen Schlitten. Caulaincourt hat ihn aufgetrieben. Es ist ein wunderliches Gefährt, ein einstmals rot gestrichener Kasten, den man auf Kufen gesetzt hat, in dem es zieht und der den Schnee fast ungehindert eindringen läßt. Immerhin erlaubt der Umstieg, das Tempo zu beschleunigen, und darauf kommt es an. Am Ende wird man für die 2200 Kilometer bis zum Fahrtziel Paris ganze 13 Tage gebraucht haben, obwohl
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2. Kapitel
Unfälle die Reisenden aufhalten. Einmal bricht der Schlitten halb auseinander, ein andermal kracht die Deichsel. Wie riskant die Reise ist, zeigt sich gleich am Anfang. Gegen Mitternacht erreicht der geheimnisvolle Zug Oszmiana. Die Ortschaft war am Abend zuvor von einem Kosakenschwarm angegriffen worden. Kosaken sind auch jetzt überall in der Nähe. Wer genau hinschaut, erkennt ihre Biwakfeuer nicht weit rechts und links der Straße. Kosaken sind die Meister des Kleinen Krieges. Sie tauchen aus dem Nichts auf, schlagen zu und sind wieder fort. Ihre Brutalität ist gefürchtet. Sich zwischen ihren Nachtlagern hindurchzuschlängeln, ist lebensgefährlich. Aber es muß sein. Nach kurzer Rast befiehlt Napoleon um 2 Uhr den Auf bruch. Eine Schwadron polnischer Lanzenreiter, die in Oszmiana gelagert hat, soll den Treck decken. Der Kaiser verteilt Pistolen und gibt den Polen eine Order, die sie erbeben läßt: Sie sollen ihn erschießen, falls er in die Hand des Feindes geriete. In Smorgoni hat sich Napoleon von seiner Armee abgesetzt. Armee ist eigentlich das falsche Wort, denn von der riesigen Heerschar, mit der der Kaiser Ende Juni über den Njemen gegangen war, um Rußland in die Knie zu zwingen, existieren nur noch versprengte Reste. Ein Blitzsieg sollte es werden. In drei Monaten würden sie sich wiedersehen, hatte Napoleon der Kaiserin Marie-Louise geschrieben. Ein halbes Jahr später haben verlustreiche Kämpfe, mehr noch aber Kälte und Krankheit, Hunger und heillose Panik das an die 400 000 Mann starke Invasionsheer ausradiert1. Nicht viel mehr als 10 000 Halbtote sind übriggeblieben, genau weiß es niemand. In Smorgoni hat Napoleon den Oberbefehl dem König von Neapel, Murat, übertragen. Der soll die Heerestrümmer auflesen, sich nach Wilna zurückziehen und warten. Warten auf die Rückkehr des Kaisers. Wie eine Flucht erscheint die Abreise Napoleons. So kommt es, daß die Verzweiflung derer, die den Rückmarsch bis zu diesem Tage überlebt haben, in Empörung umschlägt. Und es geschieht das Unvorstellbare. Soldaten verhöhnen und vermaledeien ihren Anführer, der stets ihr Idol gewesen war. Noch vor wenigen Tagen, im Überlebenskampf an der eisigen Beresina, hatten sie aus heiseren Kehlen ihr vive l’Empereur herausgeschrien und sich mit versiegender Kraft aufs andere Ufer gerettet. Die Beresina! Vor dieser letzten Schlacht vertraut Napoleon Caulaincourt an: „Sollten wir nicht übersetzen können, werden wir uns die Kugel geben“2. Drei Tage dauert das desperate Manöver. Es wird zum Inferno. Alles scheint sich gegen die elend Zurückflutenden verschworen zu haben: Die Beresina, ein Rinnsal, ist zum reißenden Fluß geworden, mit schweren Eisschollen bedeckt. Der Versuch, die einzige Brücke zu verteidigen, scheitert. Hastig werden zwei Behelfsbrücken gebaut, nur eine hält. Nachdem sie gesprengt ist, bleiben Tausende auf dem falschen Ufer zurück, dem Feind
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«Übergang über die Beresina». Der Rückzug der französischen Armee am 26.–28. November 1812 auf einem Gemälde von January Suchodolski (um 1859).
zur Beute. Später wird man trotzdem von einem Sieg sprechen. Die Russen waren an Zahl dem Kaiser turmhoch überlegen. Nur aus Furcht vor dem „Ruf seiner Waffen“ hätten sie die Schlinge nicht zugezogen, urteilt Clausewitz3. Wie auch immer, der Durchbruch an der Beresina war der letzte Dienst, den Napoleon seiner ehemals stolzen Grande Armée leisten konnte. Schon vorher ist sein Entschluß gefaßt, die Flucht nach vorn zu wagen. Nicht vor den Russen fl ieht Napoleon. Er fl ieht vor dem entsetzlichen Anblick dieser Trümmer-Armee, der ihn anklagt. Er kann diesem Klumpen zerlumpter Soldaten nicht mehr nützlich sein. Er muß nach Paris! Dieser Gedanke ist in seinem Kopf, seit er am 6. November von einem Putschversuch in der Hauptstadt erfahren hat. Das Umsturzunternehmen des Ex-Generals Malet, das mit der Behauptung operierte, Napoleon sei tot, ist zwar im Keim erstickt worden. Aber wenn schon ein Irrer den Thron ins Wanken bringen kann, dann ist der Kaiser in der Hauptstadt nötiger als in Litauen, gleich wie man im Heer darüber denkt. Die Männer im Schlitten schweigen. Jeder hängt seinen Gedanken nach. In Wilna und Kowno war gerade mal Zeit für einen Pferdewechsel und eine kurze Mahlzeit. Napoleon will nicht aufgehalten werden. Nur jetzt keine
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2. Kapitel
Erklärungen! Er wird sie geben, zur rechten Zeit. Das 29. Bulletin hat er fertig in der Tasche. Am 3. Dezember hat er es in Molodetschno fertiggestellt. Das Bulletin wird vom Sterben der Grande Armée berichten, der größten Streitmacht, die die Geschichte gesehen hat. Es wird beweisen, daß allein die mörderische Natur den Kaiser bezwungen hat. Und es wird mit dem Satz enden: „Die Gesundheit Seiner Majestät war nie besser“. Napoleon vergräbt sich tiefer in seinen grünen, mit Goldquasten besetzten Pelz. Selten war er auf die wunderbare Maschine seines Verstandes so angewiesen wie jetzt. Wie kein anderer besitzt er die Fähigkeit, sich auf ein Ziel zu konzentrieren und diesem alles unterzuordnen. Diese Gabe hat ihm in kritischen Momenten jenen winzigen Vorsprung verschafft, den der Sieger braucht. Ganz nebenbei hilft sie, störende Bilder zu bannen und Selbstzweifel auszuroden. Bei ihm, so hat er einmal gesagt, ordneten sich die Gegenstände wie die Schubladen eines Schrankes. „Wenn ich eine Angelegenheit unterbrechen will, schließe ich ihr Fach und öffne das einer anderen. Wenn ich schlafen will, schließe ich alle Fächer und schlafe ein“4. Auch jetzt fi ndet er Schlaf. Der Mechanismus funktioniert. Aber ganz läßt ihn das Geschehene nicht los. Wie konnte es zu der Katastrophe kommen? Bis Moskau war der Feldzug ein Siegeszug gewesen. Gewiß, den entscheidenden Schlag hat er nicht setzen können. Ein Sieg, so überwältigend wie Austerlitz, dann der Friedensschluß. Das war sein Plan gewesen. Es ist anders gekommen, Gott weiß, warum. Aber nirgendwo hat das Heer des Zaren die Szene beherrscht. Niemand kann behaupten, den Unbesiegbaren besiegt zu haben. Selbst Borodino läßt sich mit einiger Mühe als Erfolg deuten. Die Schlacht hätte besser geschlagen werden können, das ist nicht zu bestreiten. Doch am Ende hat der russische Generalissimus, der einäugige Kutusow, das Weite gesucht. Die Weite, diese unendliche Weite des russischen Riesenreiches! Er hat sie unterschätzt. Er hat die strategischen Möglichkeiten nicht gesehen, die sie dem geduldigen Verteidiger bietet. Rußland ist so ganz anders als die Kriegsschauplätze, auf denen seine Adler triumphiert haben. In Italien, in Deutschland hat er mit untrüglichem Blick die Bedingungen des Raums gelesen, hat er die Feinde so gestellt, wie er sie brauchte. Durch die Sicherheit und Schnelligkeit seiner Operationen hat er die Aktion selbst dann diktiert, wenn seine Armee an Zahl unterlegen war. In Rußland war er es, der über die größere Streitmacht verfügte. Doch selbst das war zu wenig, um einen Gegner zu fassen, der einfach nur zurückwich und verbrannte Erde hinterließ. Wäre er nicht ein Meister des Verdrängens, Napoleon wüßte sehr wohl, welche Fehler er gemacht hat. Falsch war es, nicht in Wilna oder spätestens in Smolensk haltzumachen. Aber nach der Eroberung von Smolensk lag
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Moskau verführerisch nahe und damit die Aussicht, durch die Einnahme der Stadt den Krieg zu beenden. Dann der Horror, Moskau menschenleer vorzufi nden, bar jeder Vorräte, in Brand gesetzt vom eigenen Gouverneur. 26 Tage hat er in Moskau gewartet, in der Annahme, Alexander sei nur allzu bereit, Frieden zu machen. Als er am 19. Oktober mit nur noch 90 000 Mann Moskau verließ, um den Rückmarsch anzutreten, war es zu spät. Der Winter brach aus. Dieses Warten war sein Kardinalfehler. Es ist der einzige, den er im Schlittengespräch mit Caulaincourt zugibt. Ein barbarisches Reich ist dieses Rußland. Es widerspricht jeder Erfahrung. Dabei hatte Napoleon geglaubt, die Russen zu kennen. Er hat ihre Armeen besiegt und ist ihren Diplomaten begegnet. Vom Zaren Alexander war er damals, 1807, beim Rendezvous auf dem Njemen, geradezu bezaubert. Wäre er eine Frau, er würde sich in Alexander verlieben, hatte er Joséphine von Tilsit aus geschrieben. Nun gut, über die Jahre ist ihm Alexander zu eigenmächtig geworden. Trotzdem hätte er niemals mit einer so unerbittlichen Kriegführung gerechnet. Aber stehen die Russen auf heimischem Boden, werden sie zu Barbaren. Die Zivilisiertheit fällt von ihnen ab wie Stuck von der Decke. Mit eigener Hand haben sie Moskau niedergebrannt, das heilige Moskau, seine Paläste in Schutt und Asche gelegt. Wie soll ein Franzose das verstehen? Ohne Pause zieht der Schlitten mit Herrn von Reyneval – um nicht erkannt zu werden, hat der Kaiser den Namen eines ehemaligen Legationssekretärs von Caulaincourt adoptiert – seine Bahn. Inzwischen ist man in Polen angelangt. Die strenge Kälte hält an. Zeitweilig fällt das Thermometer auf minus 35 Grad Celsius. Wenigstens muß man nicht mehr befürchten, streunenden Kosaken in die Hände zu fallen. Das Großherzogtum Warschau ist vergleichsweise sicherer Boden; es bildet den östlichsten Bezirk im Orbit des Gand Empire. Formell dem sächsischen König untertan, handelt es sich um ein Satellitengebilde, das man den Rheinbundstaaten vergleichen kann. Der Unterschied besteht darin, daß die Polen in Napoleon den Heiland sehen, der gekommen ist, nach Rußlands Unterwerfung ihr altes Reich wiederherzustellen. Nun, da die Kunde vom Rückzug der Grande Armée Warschau erreicht hat, ist die Ernüchterung groß. Die entspannte Sicherheitslage hat die Atmosphäre im Schlitten-Kasten gelockert. Je länger die Reise dauert, desto mehr staunt Caulaincourt über die Contenance des hohen Reisegefährten. Der Kaiser ist wieder er selbst. Er doziert über Strategie, er beginnt Wortgefechte mit seinem Großstallmeister. Der ist ein mutiger Mann, keiner der Schönredner, die Napoleon sonst umschwärmen. Caulaincourt hat vom Rußlandfeldzug abgeraten, schon deshalb, weil dahinter nie ein überzeugender politischer Plan stand. Auch jetzt hält er mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg. Napoleon läßt den
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2. Kapitel
Widerspruch gelten, er braust nicht auf. Scherzhaft zupft er den Herzog von Vicenza, wenn der sich allzusehr ereifert, am Ohrläppchen. Kein Wort verliert er während der ganzen Reise über die Zerstäubung seiner Armee, über die Leiden der Soldaten, über das Los der bei Murat Zurückgebliebenen. Die Schublade mit dem Kapitel Katastrophe hat er geschlossen. Warschau wird am Vormittag des 10. Dezember erreicht. Von der Pradabrücke gehen Napoleon, Caulaincourt und der Dolmetscher Wonsowicz zu Fuß durch die Vorstadt. Der Mann im grünen Pelz mit der Zobelmütze steigt in einem Hotel ab, das wie zum Hohn den Namen seines Alptraums England trägt, im Hotel d’Angleterre. Von Caulaincourt läßt er den französischen Geschäftsträger zum Rapport einbestellen. Der Abbé de Pradt fällt aus allen Wolken, als er plötzlich vor dem Kaiser steht. Napoleon kanzelt ihn ab. Aus dem Großherzogtum sei viel zu wenig Unterstützung für die Armee gekommen. Dann macht er den Gesandten zum rhetorischen Sparringspartner. Er erprobt an ihm die Argumente, die in den nächsten Tagen und Wochen mantrahaft das russische Debakel erklären sollen: Der Winter habe den sicheren Triumph geraubt. Tausende von Pferden habe die Armee jede Nacht verloren und so weiter. Dann verblüfft er den Abbé mit einem Satz, der wie eine Vanitas-Gravur über der Schlittenfahrt des „Herrn von Reyneval“ stehen könnte: Du sublime au ridicule il n’y a qu’un pas. Er wiederholt ihn wenig später gegenüber einer Gruppe polnischer Magnaten, die er in aufgeräumter Stimmung im l’Angleterre empfängt. „Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es nur ein Schritt! Nicht wahr, meine Herren?“ Die Selbstironie verfängt. Sie täuscht vor, der Kaiser sei Herr der Lage. Für einen Moment richtet er die Kleinmütigen auf. Die Gräfi n Anna Potocka, deren Schwiegervater Stanislas Potocka an der Begegnung teilnimmt, notiert: „Der verführerisch-blendende Eindruck, den dieser außerordentliche Mann auf seine Zuhörer auszuüben pflegte, hatte sich abermals gezeigt: Mein Schwiegervater, der uns völlig niedergeschlagen verlassen hatte, kehrte voller Hoffnung zurück – und dabei war er doch über das Alter hinaus, in dem man sich Illusionen hingibt!“5 Napoleon ist ein glänzender Schauspieler. Wahrscheinlich war er niemals besser als jetzt in der Rolle des gestolperten Schlachtengotts. Es ist nicht wirklich etwas geschehen! Das muß er sich selbst glauben machen, damit es die anderen glauben können. Die Wahrheit würde lauten: „Meine Herren, soeben ist die größte Armee der Geschichte untergegangen.“ Doch die Wahrheit verbietet sich. Sie wäre der endgültige Untergang. Sein Großreich, das weiß er, wird durch Zwang und Überlegenheit zusammengehalten. Die Verbündeten werden in dem Augenblick abfallen, in dem er Schwäche zeigt. „Mein Reich ist zerstört, wenn ich aufhöre, Furcht zu erregen“6. Das ist das unerbittliche Gesetz seiner Herrschaft. Deshalb darf er die Dinge
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nicht beim Namen nennen. Ein Kaiser, so erklärt er Caulaincourt in einem seltenen Augenblick der Offenheit, müsse immer en scène sein7. Das gilt jetzt mehr denn je. Die Scharade ist existenznotwendig. Aber sie birgt die Gefahr in sich, daß Rolle und Wirklichkeit sich unentwirrbar vermischen. Wie weit ist Napoleon vom Selbstbetrug entfernt? Von Warschau jagt der Schlitten nach Dresden. Du sublime au ridicule.An keinem Ort tritt der jähe Absturz des Kaisers so brutal hervor wie in Dresden. Von hier aus war er vor einem halben Jahr nach Rußland aufgebrochen. Zuvor hatte die kursächsische Residenzstadt die glanzvollste Revue des Empire gesehen. Der Fürstentag vom 17. bis zum 28. Mai war eine Inszenierung des paneuropäischen Imperators gewesen und zugleich eine Ansicht der durch die Ereignisse von 1789 umgepflügten Welt: Napoleon Seite an Seite mit Kaiser Franz von Österreich. Bonaparte und Habsburg. Revolution und Legitimität. Der homme nouveau aus dem korsischen Irgendwo und der Souverän des ehrwürdigsten europäischen Staates. Mit dieser Begegnung machten die gloriosesten und verrücktesten zwei Jahrzehnte, die der Kontinent erlebt hat, gleichsam Inventur. Für einen Moment schien der blutige Riß der Zeit verklammert, die Koexistenz des Neuen mit dem Alten möglich. Dresden war für zwei Wochen der Mittelpunkt des Universums und Napoleon der Augustus. Jetzt, sechs Monate später, steht das Universum auf dem Kopf. Des Kaisers Schlitten erreicht Dresden am 13. Dezember um Mitternacht. Es ist stockfi nster, niemand ist auf der Straße, so daß der Postillon eine Weile braucht, bis er das Anwesen des französischen Gesandten fi ndet. Wie der Abbé de Pradt in Warschau, so erschrickt der Graf de Serra, als er im Sekretär de Reyneval den Kaiser erkennt. Ein paar flüchtige Worte werden gewechselt. Herr de Serra fi ndet seine Fassung wieder, Napoleon macht sich an die Arbeit. Er diktiert eine Depesche an Kaiser Franz, eine an König Murat, eine weitere an Berthier, den Generalstabschef. Ein Bote wird ins Schloß geschickt, um den König zu holen. Als Friedrich August eintrifft, hat Napoleon eine Stunde geschlafen. „Die Monarchen blieben drei viertel Stunden beieinander“, heißt es in Caulaincourts Erinnerungsprotokoll8. Um fünf Uhr, immer noch bei Dunkelheit, verläßt der Schlitten Dresden. Die Reise ist eine Tortur. Tag und Nacht ist man unterwegs von Poststation zu Poststation. Pferdewechsel, eine warme Suppe oder ein Becher Kaffee, dann zurück in die drangvolle Enge des „Käfigs“. Am ärgsten setzt die beißende Kälte zu. Napoleon schreibt einen Brief. Weil seine Finger vom Frost erstarrt sind, kommt nur Unleserliches heraus. Ein zweiter Versuch, wieder muß er den Brief zerreißen. Bei jedem Halt die Hoffnung auf Nachrichten. Sind Stafetten da, schaut der Kaiser ungeduldig zu, wie Caulaincourt mit steifen Fingern versucht, die Geheimziffern einzustellen, die den Postsack sichern. Welche Neuigkeiten gibt es aus dem Lager der Verbünde-
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ten? Ist Paris ruhig? Was schreibt Marie-Louise? Nichts verbessert die Laune Napoleons so sehr wie ein Brief der Kaiserin. Je weiter es nach Westen geht, desto mehr drehen sich die Schlittengespräche um die Zukunft. Napoleon ist voller Tatendrang. Er gibt Einblick in seine Pläne. Verfassungsreformen sind notwendig. Er will die Industrie heben, die letzten Spuren des Bürgerkriegs tilgen. Was er geschaffen hat, ist gut, aber noch instabil. Das gilt auch für das Fundament der Dynastie. „Frankreich braucht mich noch zehn Jahre“, erklärt Napoleon Caulaincourt. „Stürbe ich früher, dann wäre alles, ich sehe es deutlich, ein Chaos, und alle Throne würden stürzen, wenn der meines Sohnes fiele“9. Für seine Pläne benötigt Napoleon Frieden. Zuvor aber braucht er noch eine letzte Schlacht.
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Am 5. Dezember, dem Tage, an dem in Smorgoni die Pferde für Napoleon angespannt werden, trifft am Wiener Ballhausplatz, dem Amtssitz des Außenministers, eine Depesche aus Wilna ein. Stirnrunzelnd liest Metternich das Schriftstück, das gerade dechiffriert worden ist. Metternich liest die Depesche ein zweites Mal. Sie stammt von Floret. Er schätzt den jungen Diplomaten, den er noch aus seiner Zeit als Botschafter in Paris kennt. Floret war damals Botschaftssekretär. Er hat einen klaren Verstand, begreift, was von ihm verlangt wird, ist diskret und absolut vertrauenswürdig. Um dieser Vorzüge willen sitzt er jetzt als vorgeschobener Beobachter Metternichs in Wilna. Die Stadt ist Umschlagplatz für alles, was von der russischen Front kommt. Hier halten sich neben viel Kriegsvolk zahlreiche Diplomaten auf, denn in Wilna hat der französische Außenminister Maret, Herzog von Bassano, sein Hauptquartier aufgeschlagen. So stimmt also, was seit einiger Zeit schon an Mutmaßungen aus der russischen Steppe herüberweht und was er, Metternich, bis heute nicht glauben wollte! Napoleon hat in Rußland eine Niederlage erlitten. Die Grande Armée ist auf dem Rückmarsch! Einen anderen Schluß läßt das, was Floret in Wilna von eintreffenden Militärs aufgeschnappt oder der Umgebung Marets abgelauscht hat, nicht zu. „Die Aussagen derer, die von der Armee kommen, mögen sehr übertrieben sein, aber wenn nur die Hälfte von dem, was man erfährt, wahr ist, so begreift man nicht, wie Napoleon den Winter diesseits des Njemen soll bleiben können, wie es ihm mit all seinem Genie gelingen soll, neu zu schaffen, was dieser Feldzug zerstört hat“, schreibt Floret1. „Die Reiterei zu reorganisieren, die vollständig vernichtet sein soll, der Armee das Selbstvertrauen wiederzugeben, um sie nach einem von allen erdenklichen Leiden begleiteten Rückzug, nach einem Winter ohne Rast und ohne Hilfsmittel, auf denselben Kriegsschauplatz zurückzuführen, wo sie so viel Elend gelitten gegen einen Feind, der obgleich seine Verluste unermesslich sind, mehr Aussicht hat, sich zu erholen und dessen Geist von einem nie geahnten Schwung belebt wird? Das sind Fragen, auf die ich mir nicht zu antworten gestatte.“
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Nachdenklich legt Metternich die Depesche aus der Hand. Man müßte Genaueres wissen. Dann wären die Folgen besser auszurechnen. Hat Napoleon eine Schlacht verloren oder den ganzen Krieg? Träfe das letzte zu, die Erde würde beben wie zuletzt 1789, als diese unselige Revolution ausbrach, die Europa seither nie mehr hat zur Ruhe kommen lassen. Alles könnte sich ändern. Die verhängnisvolle Präponderanz dieses Mannes, das ungesunde Übergewicht Frankreichs, all das, woran man sich in den letzten Jahren gewöhnen mußte, könnte mit einem Schlag beendet sein. Vermutlich würden die Vasallenstaaten auf begehren. Die neuen Könige von Napoleons Gnaden, deren Hermelin so künstlich ist, würden von ihrem Beschützer abfallen. In Preußen müßte man mit revolutionären Volkserhebungen rechnen. Eine keineswegs angenehme Vorstellung! Genauso beunruhigend wie die, daß Rußland an die Stelle Frankreichs treten, der Zar Napoleon als Hegemon beerben könnte. Aber vielleicht sind die Nachrichten aus Rußland auch übertrieben. Vielleicht ist Napoleons Rückzug nur eine taktische Maßnahme. Dem genialen Feldherrn ist zuzutrauen, daß er eine zweite Angriffswelle vorbereitet, um das Zarenreich endgültig und dauerhaft zu unterwerfen. Zugegeben, Florets Mitteilungen sprechen eher dagegen. Sie deuten darauf hin, daß Napoleon diesmal wirklich für seinen unverantwortlichen Leichtsinn bestraft worden ist. Überfällig wäre das, und doch – die rechte Freude will nicht aufkommen. Dazu sind die politischen Verhältnisse zu kompliziert, viel komplizierter, als man in gewissen Hofkreisen, die jetzt triumphieren werden, ermessen kann. Denn Österreich ist, bei allen Hintergedanken, dem Grand Empire in vielfältiger Weise verbunden. Kaiser Franz ist der Schwiegervater Napoleons und Großvater des kleinen, knapp zweijährigen Bonaparte, der den phantastischen Titel eines Königs von Rom trägt. Außerdem ist der Habsburgerstaat im russischen Krieg Bündnispartner Napoleons, in einer seltsam inaktiven Weise zwar, aber völkerrechtlich unzweifelhaft. Das Hilfskorps unter Schwarzenbergs Kommando gehört zur Grande Armée. Ist der Verband, der immerhin 30 000 Mann zählt, noch intakt, und was soll aus ihm werden? Wird Napoleon Verstärkung fordern? Wie soll sich Österreich stellen, wenn es zu einer Zweitauflage des russischen Krieges kommt? Metternich weiß, daß seine Politik der vorsichtigen Anlehnung an Frankreich in Wien niemals populär gewesen ist. Das erschwert die Lage. Man wird jetzt mit Fingern auf ihn zeigen. Aber diese Politik war alternativlos. Vier Kriege nacheinander hat Österreich gegen Napoleon verloren. Wer der Übermacht nicht gewachsen ist, muß sich ihr zugesellen, wenigstens vorübergehend. Das war seine Devise nach der Niederlage von
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1809 gewesen. Ihr folgte konsequent das Bündnis von 1812. Es war ein Pakt der praktischen Vernunft, ausgestattet mit der Chance, endlich einmal auf der Gewinnerseite zu sein. Wer hatte schon auf die russische Karte setzen wollen? Allein die Kolossalität der von Napoleon aufgebotenen Invasionsarmee war wie die sichere Bürgschaft seines Sieges erschienen. Dagegen stand Rußlands Militärkraft nicht hoch im Kurs. Die Zerstrittenheit der Generalität war notorisch, genauso wie die Neigung des Zaren, sich in alles Militärische einzumischen. So war die Wette auf Napoleon gut begründet gewesen. Den Zusammenprall Frankreichs mit dem Zarenreich hatte Metternich seit 1810 kommen sehen. Das war das Jahr des österreichisch-französischen Honigmondes gewesen. Metternich hielt sich damals lange in Paris auf, angeblich, um der blutjungen österreichischen Erzherzogin Marie-Louise bei ihren ersten Schritten als Gattin des großen Imperators zu helfen. In Wirklichkeit wollte er die Möglichkeiten einer special relationship ausloten, eines Sonderverhältnisses, das sich wenigstens theoretisch aus der neuen verwandtschaftlichen Beziehung ergeben konnte. Aber der schwer auszurechnende Kaiser zeigte sich desinteressiert. Dennoch war der Parisaufenthalt nicht nutzlos. Denn in zahlreichen Gesprächen mit Napoleon gewann Metternich den Eindruck, daß dieser die Zeit des guten, ja freundschaftlichen Einvernehmens mit Zar Alexander für beendet ansah. Keine Rede war mehr von einem europäischen Kondominium Frankreichs und Rußlands gewesen. Statt dessen klagte Napoleon darüber, daß Alexander die Kontinentalsperre, also den Wirtschaftskrieg gegen England, nur noch lustlos führe und die Hand nach Konstantinopel ausstrecke, was nicht zu billigen sei. Waren das hinreichende Gründe für einen Krieg? Metternich sind Kriege zuwider. Sie sind brutal und stören seinen Ordnungssinn. Aber er ist Realist. Er pflegt die Welt so zu nehmen, wie sie ist. Daß man sie verändern könne, hält er für eine „Mythe“. Kriege wird es immer geben. Man kann sie so wenig aus dem Leben der Staaten bannen wie die Krankheit aus dem Leben des Menschen. Selbst Kant, der große Optimist, war ja so vorsichtig gewesen, seine Spekulationen über den Ewigen Frieden mit einem Generalvorbehalt zu versehen: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts Gerades gezimmert werden“2. Aber Metternich ist kein Bewunderer der Kriegskunst. Die Anbetung des Militärischen geht ihm vollständig ab. Über den Preußenkönig Friedrich Wilhelm, zu dessen Lieblingsbeschäftigungen das Entwerfen von Uniformen gehört, kann er nur den Kopf schütteln. Im übrigen sind die meisten Kriege töricht. Sie kommen zustande, weil die Staatsmänner ihr Handwerk nicht verstehen. Ein Musterbeispiel da-
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für ist jener Krieg, der jetzt allem Anschein nach einen vollkommen unerwarteten Ausgang nimmt. Als er begann, hat er ihn „unpolitisch“, weil ohne Notwendigkeit, genannt. Hochpolitisch werden seine Ergebnisse sein. In Dresden, am Rande des Fürstentags, hatte ihm Napoleon in seltener Offenheit seinen Feldzugsplan erläutert. Bis Wilna werde er vorrücken, höchstens bis Smolensk, weiter nicht. Tatsächlich war er, statt haltzumachen und zu überwintern, in unglaublichem Tempo nach Moskau vorgestoßen. Was für ein Mutwille! Genauso unverantwortlich hatte der Zar gehandelt. Alexander unternahm nicht die geringste Anstrengung, der Konfrontation auszuweichen. Statt dessen provozierte er Napoleon. Viel zu spät beendete er seinen Konfl ikt mit der osmanischen Pforte, viel zu wenig tat er, um Bündnispartner zu werben. Empört über so viel Unbesonnenheit, hatte Metternich bei Kriegsausbruch an den russischen Gesandten Stackelberg geschrieben: „Ich könnte nicht schildern, mein lieber Graf, was in mir vorgeht: Europa auf eine Karte zu setzen und sie so auszuspielen, das übersteigt alles, worauf wir gefasst sein konnten“3. Alles auf eine Karte setzen: Eine schädlichere Disposition als diese kann man in der Politik nicht haben. Leider ist sie Alexander so zu eigen wie Napoleon. Das macht ein vernünftiges Zusammenwirken mit beiden so schwer. Ist sie vielleicht ein Ausdruck der Zeit? Auch die sogenannten „Patrioten“, die in Preußen auf eine Volkserhebung hinarbeiten, sind Abenteurer, allen voran der ehemalige Minister vom Stein. Friedrich Wilhelm tat gut daran, ihn in die Wüste zu schicken. Das war eine der wenigen klugen Entscheidungen dieses Monarchen, der so bejammernswert willensschwach ist. Als Unglück könnte sich allerdings erweisen, daß Stein inzwischen den leicht entzündbaren Zaren berät. Nein, wer alles auf eine Karte setzt, ist kein Staatsmann. Daher auch hat sich Metternichs Bewunderung für Friedrich II. stets in Grenzen gehalten. Der wollte sich nach Kunersdorf die Kugel geben! Es kann kein Zufall sein, daß in Napoleons Arbeitszimmer eine Büste des Preußenkönigs steht. Denn ein Glücksritter ist auch Napoleon. Sonst hätte er das Errungene gesichert, anstatt sich in das russische Abenteuer zu stürzen. Metternich gehört nicht zu denen, die Napoleon, weil er keinen Stammbaum besitzt, verachten, die ihn als ogre de Corse, als korsisches Ungeheuer, schmähen und sich einbilden, damit alles gesagt zu haben. Er weiß um sein Genie, weiß auch, obwohl er das nie aussprechen würde, daß die legitimen Monarchen dem Emporkömmling nicht das Wasser reichen können. In Paris hat er Napoleon abweisend und grob erlebt. Aber er ist auch dutzendfach Zeuge der Zauberkraft geworden, mit der Napoleon Menschen gewinnt und sie für seine Pläne einspannt. Welch eine Fülle von Gaben Fortuna ihrem Günst-
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ling geschenkt hat! Und doch ist Napoleons Dominanz durch Glück allein nicht zu erklären. Während seiner Zeit als Botschafter hat Metternich über die Virtuosität gestaunt, mit welcher der Kaiser die öffentliche Meinung dressiert, jene neuartige Potenz, die sich auch in Österreich zu regen beginnt. Er war angetan von der Effektivität des Polizeiapparats, beeindruckt von der Wirtschaftskraft des nachrevolutionären Frankreich. Wer die schwerfällige Bürokratie des Habsburgerreichs kennt, muß neidisch sein auf die straffe Verwaltung, über die Napoleon verfügt. Noch Jahre später bemerkt Metternich anerkennend: „Der Kaiser erfreute sich in Frankreich jener Popularität, die immer einem Staatsoberhaupt zuteil wird, welches zugleich mit fester und gewandter Hand die Zügel der Gewalt zu halten versteht“4. Trotzdem bleibt Napoleon ein Hasardeur. Kein Mensch kann mehr erreichen, als er erreicht hat. Aber Machtgier verleitet ihn zu immer höherem Einsatz. Kein Sieg, der ihn zufriedenstellt, kein Friedensschluß, der ihm Grenzen setzt. Er ist kreatürlich Revolutionär. Die Kaiserkrone, die er sich frivol selbst aufs Haupt setzte, war eine Irreführung. Metternich ist ihr nie erlegen. Gewiß, es hat Zeiten gegeben, da hat er für möglich gehalten, daß Napoleon seine Leidenschaft zu drosseln vermag. Aber dann kam der Rußlandfeldzug und mit ihm der Beweis, daß in diesem Mann der Vulkan mit den schrecklichen Ziffern „1789“ noch immer tobt. Metternich ist kein Philosoph. Das Theoretisieren über das Wesen der Revolution überläßt er anderen, zum Beispiel seinem Freund Friedrich Gentz. Sein Weltverständnis ist empirisch. Es gibt ewige Gesetze, es gibt eine natürliche Ordnung. Sie werden durch die Revolution herausgefordert, aber nicht widerlegt. In Metternichs Augen ist die Revolution ein verantwortungsloses Abenteuer, ein Taumel. Ruhe erträgt sie nicht. Nie zufrieden, wird sie immer friedlos sein. Ihr Wesenszug ist Maßlosigkeit. Sie hat Napoleon geerbt. An seiner Maßlosigkeit wird er zugrunde gehen, irgendwann. Schon einige Male schien der Zeitpunkt gekommen. Aber immer wieder hat Napoleon es geschafft, die Oberhand zu behalten. Geholfen hat ihm das Unvermögen seiner Feinde. Noch jede Koalition gegen das anmaßende Frankreich ist am Egoismus der Höfe gescheitert. Saft- und kraftlos haben die alten Mächte auf den Hexensabbat der Revolution geantwortet. Nein, Metternichs Blick zurück ist unsentimental. Warum die Revolution in Napoleon trotzdem besiegt werden muß? Weil nur so wieder Ruhe und Recht in die Welt einkehren können. Weil in der bewährten, auf Legitimität beruhenden Ordnung die Träger der Macht ihre Existenz nicht ständig durch spektakuläre Taten rechtfertigen müssen. Und weil, wenn die alten Sitten wieder in Gebrauch sind, Streitigkeiten zwischen den Staaten kühl
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und zweckmäßig ausgetragen werden können, ohne den auf Vernichtung zielenden Furor patriotischer Leidenschaften. Metternich traut sich zu, den Kampf gegen die Revolution zu Ende zu führen. Es ist ein Ziel, das die Anstrengung lohnt, das aber Ausdauer und Umsicht verlangt. Er hat aus Fehlern gelernt. 1809 gehörte er zur Kriegspartei. Man hat zu früh losgeschlagen. Nach der Niederlage hat er als neuer Außenminister die Bewegungsart der Schlange zur Staatsraison erhoben. Kein törichter Heroismus mehr, statt dessen geduldiges Abwarten. „Vom Tage des Friedens an unser System auf ausschließendes Lavieren, auf Ausweichen, auf Schmeichelei zu beschränken … um vielleicht unsere Existenz zu fristen bis zum Tage der allgemeinen Erlösung5“. Für diese Politik hat er damals seinen Kaiser gewonnen. Die Gangart, die er Österreich verordnet hat, ist gebückt, das Programm ein Langstreckenlauf. Nichts anderes kam nach der Inventur von 1809 in Frage. Österreich war am Tiefpunkt seiner Geschichte angelangt, die Wehrkraft gebrochen, seine Finanzkraft erschüttert. 1811 mußte der Staatsbankrott erklärt werden. Schuld an der Misere waren nicht nur die verlorenen Kriege, sondern auch die schlechten Friedensschlüsse. Gebietsverluste führen zu Einnahmerückgängen. Die Liste der Verluste, die Österreich seit dem ersten Krieg gegen die Revolution 1792 hinnehmen mußte, ist endlos. Die italienischen Besitzungen hat man verloren und die habsburgischen Niederlande. Die Bayern sitzen in Tirol und in Salzburg. Von der Beute, die man bei der letzten polnischen Teilung machte, ist kaum noch etwas übrig. Die Provinzen an der adriatischen Ostküste heißen jetzt „Illyrien“ und gehören Frankreich. Damit ist man Binnenstaat und von den Meeren vertrieben, so wie man aus Deutschland vertrieben wurde durch die Bildung des Rheinbundes. Verloren, immer nur verloren! Die Lektion aus alledem konnte nur lauten: abwarten. Abwarten und stets bereit sein, sich bietende Möglichkeiten zu nutzen. Die erste bot sich 1810. Metternich hat die Heirat der Erzherzogin Marie-Louise mit Napoleon nach Kräften gefördert. Nicht wenige haben ihn deswegen verachtet, haben die Verbindung als Verrat an Marie Antoinette, der „Märtyrer-Königin“, verurteilt. „Frankreichs Lakai“ nennen ihn böse Zungen. Metternich weiß, was in den Salons gezischelt wird. Aber was kümmert ihn der Schmäh! Wenn die Existenz des Staates gefährdet ist, braucht man Verstand, keine Gefühle. Die Verheiratung der Prinzessin war ein Gebot der Vernunft. Sie hat Österreich die Atempause gebracht, die es brauchte. Jetzt ist die Atempause wohl vorüber. Napoleon kommt geschlagen aus Rußland zurück. Vielleicht liegt der „Tag der allgemeinen Erlösung“ gar nicht mehr so fern. Man wird sehen. Im Arbeitszimmer am Ballhausplatz entwirft Metternich eine Antwort-
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depesche an Floret. Sie enthält den Grundriß einer österreichischen Friedensinitiative. Die Depesche geht am 9. Dezember heraus. Drei Tage später erfährt Metternich, daß Napoleon seine Armee verlassen hat und sich auf dem Weg nach Paris befi ndet.
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Es wäre ein Schauspiel, die Philosophen und Gottesleugner eines Tages zähneknirschend Bonaparte zur Messe folgen und die Republikaner vor ihm kratzfüßeln zu sehen. Sie hatten freilich geschworen, jeden niederzustoßen, den es nach der Krone gelüstete. Es wäre ein Schauspiel, ihn eines Tages Großkreuze stiften zu sehen, um Könige damit auszuzeichnen, ihn Fürsten ernennen und sich einem Königshause durch Heirat verbinden zu sehen … Doch wehe ihm, wenn er nicht immer Sieger bleibt. Antoine de Rivarol
Ein Leben als Drama Anfang 1813 ist Napoleon 43 Jahre alt. Seit dem Putsch vom 18. brumaire, des 9. November 1799, regiert er Frankreich de facto als Alleinherrscher, zunächst als Erster Konsul, danach als Konsul auf Lebenszeit, schließlich als Kaiser. In diesen 13 Jahren errichtet er ein Imperium, das das Reich Karl des Großen an Raum und Macht weit übertrifft. Vom Januar 1813 bis zur Ankunft auf Sankt Helena verbleiben ihm noch 33 Monate. Die restlichen fünf Jahre und sieben Monate verbringt er in englischer Gefangenschaft. 51jährig stirbt er am 5. Mai 1821. „Welch ein Roman war doch mein Leben!“ soll er kurz vor seinem Tod ausgerufen haben. Man möchte eher von einem Drama sprechen. Es ist ein Leben in extremis, voll lodernder Aktion, gewaltig im Aufstieg, furchtbar im Untergang. Im Zenit seiner Macht gehorcht ihm der größte Teil des europäischen Festlandes. Am Ende kommandiert er nur noch das Gesinde am Ort seiner Verbannung. Er stirbt einen jämmerlichen Tod, wahrscheinlich ist Magenkrebs die Ursache. Aber vergessen ist er nicht. Seine märchenhaften Taten leben weiter in den Erzählungen der alten Gardisten, der grognards, und beunruhigen seine Nachfolger auf dem Thron Frankreichs, die im Spiegel der napoleonischen
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Überlieferung nichts anderes erblicken als ihre Mittelmäßigkeit. 1832 schreibt Heine aus Paris, für die Franzosen sei Napoleon „ein Zauberwort, das sie elektrisiert und betäubt. Es schlafen tausend Kanonen in diesem Namen“1. Den größten Anteil an seiner verstörenden Gegenwärtigkeit hat Napoleon selbst. Bis zum letzten Atemzug arbeitet er auf der Insel daran, die Deutungshoheit über sein Werk zu gewinnen. Feindliche Armeen kann der ewige Kämpfer nicht mehr in die Knie zwingen. Wohl aber kann er sich literarisch gegen die einsetzende Dämonisierung durch seine Bezwinger zur Wehr setzen. So wird der Basaltfelsen des Exils zum Feldherrnhügel, von dem aus er eine Propagandaschlacht entfesselt, die seinen Nachruhm retten und seinen Platz in den Herzen der Franzosen zurückgewinnen soll. Eine Autobiographie schreibt er nicht, was zu bedauern ist. Denn ohne Zweifel verfügt er über schriftstellerisches Talent. Statt dessen hält er den ihm gebliebenen Gefährten vorlesungshafte Monologe, die diese festhalten und zu Büchern verarbeiten. Die stärkste Wirkung erzielt das Mémorial des Grafen Las Cases. Es wird zu einem der größten Bucherfolge des Jahrhunderts und leitet die Ikonisierung des Ex-Kaisers ein. An der Legende seines Lebens beginnt Napoleon in früher Zeit zu weben. Die Eigenpropaganda, die er schon als junger General betreibt, ist vielgestaltig und hochmodern. Sie reflektiert das neuartige Phänomen der öffentlichen Meinung, das man in den Stäben der feindlichen Armeen noch gar nicht erkannt hat. Preußischerseits wird sich das erst durch Gneisenau ändern. Intuitiv erfaßt Napoleon, daß in der neuen Zeit nicht allein die Taten zählen, sondern auch, wie über die Taten gedacht und gesprochen wird. Die öffentliche Meinung, sagt er einmal zu Las Cases, „ist eine unsichtbare, mysteriöse Macht, der nichts widersteht“2. Daß diese geheimnisvolle Macht geformt werden kann, beweist er als erster. Zeitungen, die er während des Italienfeldzugs ins Leben ruft, verbreiten seinen Namen und streichen seinen Anteil an den Siegen heraus. Armee-Bulletins, die er selbst verfaßt, beeinflussen die Stimmung in der Heimat. Das ist von großer Bedeutung, denn die Kriegführung der Republik beruht auf der Volksbewaffnung. Sie braucht also ein günstiges Meinungsklima. Die Bulletins schaffen ein unsichtbares Band zwischen Armee und Heimat. Durch sie erfahren die Familien zu Hause von den Heldentaten ihrer Söhne und Männer. Sie spenden Trost und lassen sich wie ein Vermächtnis des Ruhms auf bewahren, dann, wenn die Soldaten nicht mehr für sich sprechen können. Stilistisch sind die Bulletins Bravourstücke. In den Theatern werden sie von Schauspielern deklamiert, auf den Kanzeln von Pfarrern erläutert. Ihre Manipulationskraft ist groß, weil die protokollhafte, Amtlichkeit suggerierende Form den durchaus legeren Umgang mit den Fakten verschleiert.
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Die Eigenpropaganda, die der junge Bonaparte in Italien zu handhaben lernt, wirkt als Treibsatz seiner Karriere. Am Anfang fördert sie seinen Bekanntheitsgrad. Später wird sie ihm als Mittel zur Zementierung seiner cäsarischen Herrschaft unverzichtbar sein. Wahre Meisterschaft erreicht er in der Selbststilisierung. Der Liebhaber des Theaters versteht es, sein Auftreten sorgfältig zu arrangieren. Als Napoleon 1811 durch den Hofgarten von Düsseldorf reitet, erkennt ihn der 14jährige Heine sofort an bestimmten für ihn typischen Accessoirs: „Der Kaiser trug seine scheinlose grüne Uniform und das welthistorische Hütchen“3. Bei dieser Kopf bedeckung handelt es sich um einen Zweispitz, wie er bei französischen Offi zieren durchaus üblich war. Normalerweise wurde er so getragen, daß die Flügel nach vorn und nach hinten wiesen. Napoleon jedoch dreht ihn seit 1802 um 90 Grad, so daß die Spitzen parallel zu den Schultern stehen. Da immer mehr Devotionalien in Umlauf gebracht werden, die den Konsul und Kaiser mit Hut zeigen, entsteht mit der Zeit aus dem Petit Chapeau, von dem er jährlich vier bei der Firma Poupard Cie. bestellt4, ein Markenzeichen. Ähnliche Bewandtnis hat es mit der „scheinlosen grünen Uniform“. Es ist der Habit der chasseurs de garde, den er auf Reisen und im Feld bevorzugt, wenn er seine Nähe zu den einfachen Soldaten betonen will. Auch dem berühmten grauen Mantel, den er bei Marengo getragen hat, kommt eine imageprägende Funktion zu. Jedem Schulkind vertraut ist das Bild Napoleons mit der in die Weste geschobenen Hand. Die Pose, die der Maler Ingres für ein Porträt des Ersten Konsuls gewählt hat, wird bald zum Sinnbild des Heroischen: Ein Beispiel ist der von Franz von Defregger gemalte Anführer des Tiroler Aufstandes gegen Napoleon. Da er keine Weste trägt, hat Andreas Hofer die Hand unter den Träger seiner Lederhose geschoben. Im beginnenden 19. Jahrhundert sind es vor allem die bildenden Künstler, die den Menschen eine Vorstellung von ihren Idolen verschaffen. Jacques Louis David war schon in der Konventszeit die unumstrittene Malerautorität. Mit Bildern wie dem vom sterbenden Marat und seinen Choreographien für die auf bauenden Massenspektakel auf dem Marsfeld verherrlichte er die Revolution. Jetzt stellt er seine Kunst in den Dienst des Diktators. David bekommt den Auftrag für das offi zielle Porträt der Kaiserkrönung. Von seiner Hand stammt auch das Heldengemälde Bonaparte beim Übergang über den Sankt Bernhard. Wie Antoine-Jean Gros, ein anderer Lieblingsmaler Napoleons, erhält David genaue Vorgaben für seine Arbeiten, und zwar auf schriftlichem Weg. Nicht nur, weil Napoleon zum Modellsitzen die Zeit fehlt: Anders als Ludwig XIV., der Wert darauf legte, daß seine Gesichtszüge naturgetreu wiedergegeben wurden, steht Bonaparte auf dem Standpunkt, daß eine realistische Darstellung bei Männern der Geschichte weder nötig noch angebracht sei. „Ihr Genie muß man malen“5. Daran hält sich David
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beim Sankt-Bernhard-Gemälde. Napoleon hatte den Paß auf einem Maultier überwunden. Im Bild setzt ihn David auf einen feurigen Schimmel. Der ist zwar etwas unterproportioniert, eignet sich aber zweifellos besser für die Apotheose des unbezwinglichen Feldherrn als ein treuherziges Muli6. Der Wettbewerb für Die Schlacht von Eylau, den Gros gewinnt, gibt die Botschaft en détail vor: „Der zu malende Augenblick ist der, wo Seine Majestät das Schlachtfeld besucht, um für seine Verletzten erste Hilfsmaßnahmen zu organisieren. Ein junger verletzter Litauischer Husar erhebt sich beim Anblick des Kaisers und sagt zu ihm: ,Cäsar, man möge mich heilen – Dir werde ich treu dienen, so wie ich Alexander gedient habe‘“7. Napoleons Alleinherrschaft steht auf vergleichsweise dünnem Eis. Sie ist nicht in Tradition und Überlieferung verankert, sondern beruht auf dem Charisma des Machthabers. Das heißt, sie bedarf der ständigen Pflege. Für Napoleon ist Propagandakunst deshalb weitaus wichtiger als für die eingesessenen Erb-Monarchen. Sie erfüllt auch einen anderen Zweck. Wenn in früherer Zeit Potentaten Kunst in Auftrag gaben, taten sie es, um Macht und Reichtum zur Schau zu stellen. Dagegen geht es, wenn Napoleon Künstler beschäftigt oder Zeitungen für sich schreiben läßt, ganz elementar um Herrschaftssicherung. Die Kunst wird zum Kitt der porösen Legitimität. Nur gut, daß sich dienstbare Maler und gefällige Journalisten nicht besonders verbiegen müssen, um Napoleon zu glorifi zieren. Dessen Errungenschaften sind für jedermann sichtbar. Hat er nicht den Bürgerkrieg in Frankreich beendet? Und steht Frankreich nicht ruhmvoller da als jemals zuvor in seiner Geschichte? Als staunende Zuschauer erleben die Zeitgenossen, wie vor ihren Augen ein neues, sich immer weiter spannendes Großreich entsteht. Die Erklärung für dieses wunderbare Geschehen fi nden sie in Napoleons „Genie“. Tatsächlich ist Napoleons Überlegenheit das Produkt unermüdlicher Arbeit und außerordentlicher Geistesgaben. Ein moderner Forscher wie Hagen Schulze attestiert dem Korsen den „erstaunlichsten Intellekt, den die Welt in neuerer Zeit hervorgebracht hat“8. Für den Marxisten George Lefebvre ist Napoleons „Gehirn eins der vollkommensten, die je existierten“9. Caulaincourt, der Schlittenpartner, rühmt Napoleons unvergleichliche Konzentrationsfähigkeit und sein phänomenales Ortsgedächtnis: „Das Kartenbild eines Landes schien in seinem Kopf eingemeißelt zu sein“10. Ist Napoleon mit einem Gegenstand beschäftigt, versenkt er sich in ihn mit allen Sinnen. „Er tat alles mit Leidenschaft. Daher der ungeheure Vorteil, den er über seine Gegner hatte. Denn nur wenige Sterbliche geben sich so ganz und gar dem Gedanken oder der Tat eines Augenblicks hin“11. Wie alle Kopfarbeiter, die als Dauerläufer unterwegs sind, kann Napoleon auf Knopfdruck einschlafen. Einer seiner Generäle beobachtet ihn wäh-
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Napoleon I. in der Uniform eines Oberst der Garde-Grenadiere. Gemälde (um 1812) von François Pascal Simon Gérard.
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rend der Schlacht bei Bautzen. Nachdem er mittags durch die Stellung geritten ist, bemerkt der Kaiser: „Man muß die Sache gehen lassen. Die entscheidenden Schläge kann ich erst in zwei Stunden führen.“ Dann legt er sich schlafen12. Napoleon schläft im Schnitt sieben Stunden, aber in mehreren Abschnitten. Ist er in Paris, steht er um sieben Uhr auf, läßt sich aus Zeitungen und Polizeiberichten vorlesen, um dann seinen Sekretären zu diktieren13. Zum Frühstück genehmigt er sich ein Glas Chambertin, das ist sein Lieblingswein aus dem Burgund, den er meistens mit Wasser verdünnt (sic!) trinkt. Zurück im Arbeitszimmer, studiert er die ihm vorgelegten Dossiers, vertieft sich in Akten und Kartenmaterial, das ihm Bacler d’Albe, der kaiserliche Kartograph, vorsortiert hat. Am frühen Nachmittag besucht er Sitzungen des Staatsrats oder anderer Gremien. Gespeist wird um fünf Uhr oder später. Am Abend kehrt er in sein Arbeitszimmer zurück und nimmt sich die übriggebliebenen Akten vor. Gegen Mitternacht geht er zu Bett. Um drei Uhr wacht er wieder auf. Die folgenden zwei Stunden, nach denen er sich wiederum zwei Stunden Schlaf gönnt, sind die produktivsten. Er nennt sie die „Geistesgegenwart nach Mitternacht“. Sie nutzt er, um besonders schwierige Probleme zu wälzen. Im Feld behält er seine Angewohnheiten soweit möglich bei. Was das Essen betrifft, ist er mäßig. Das Nachtessen hat aus kaltem, gebratenem Huhn zu bestehen, einer halben Flasche Chambertin, Eis und einer Portion Schokolade. Napoleon ist kein Feinschmecker, in dieser Hinsicht also durch und durch unfranzösisch. Die Gabe zu genießen geht ihm ab. Feste bei Hof sind ihm zuwider, es sei denn, es läßt sich damit ein Zweck verbinden. Abendgesellschaften zur Pflege des Diplomatischen Korps delegiert er an Talleyrand. Angeblich verpfl ichtet er ihn, auf seinem Schloß in Valençay jede Woche vier Essen für mindestens 36 Personen zu geben14. Für diesen Mann, der Zerstreuung für Vergeudung hält, kommt die Verbannung dem Todesurteil nahe. Auf Elba ist ihm wenigstens die „Souveränität über ein Gemüsebeet“ geblieben, wie Chateaubriand spottet15. Kaum angekommen, beginnt er zu planen und zu administrieren, als wäre das kleine Eiland ein Frankreich en miniature. Auf Sankt Helena ist er dagegen ein Gefangener. Schwerer als die Demütigungen durch seinen englischen Aufseher, den kleinkarierten Sir Hudson Lowe, erträgt er die erzwungene Langeweile. Verzweifelt versucht er, den Tag zu gliedern. Er bestimmt Zeiten für das Ausreiten und für die Lektüre. Von Las Cases läßt er sich regelmäßig Englischlektionen geben. Conquêtes sur le temps („Eroberungen über die Zeit“) nennt er mit bitterer Ironie die Stundenplanung auf Sankt Helena. Schon als junger Mann, in einem Alter, in dem die Kameraden Frauen nachstellen und über die Stränge schlagen, praktiziert Napoleon eine fast mönchische Arbeitsdisziplin. Der 19jährige schildert der Mutter, wie sein
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Tag in der Garnison abläuft: „Ich gehe um 10 Uhr schlafen und stehe um 4 Uhr morgens auf. Ich esse nur einmal am Tage: das bekommt mir sehr gut“16. Um ein Großer zu werden, müssen viele Eigenschaften zusammenkommen. Disziplin ist eine davon. Sie hat der junge „Nabulione“.
„Nabulione“ ruft die Mutter Letizia ihren zweitgeborenen Sohn, der am 15. August 1769 in Ajaccio auf Korsika zur Welt kommt. Acht Kinder haben die Eltern Carlo und Letizia Buonaparte. Sie gehören dem korsischen Kleinadel an. Wie in allen archaischen Gesellschaften besitzt der Clan auf Korsika einen hohen Stellenwert. Er ist Mittel- und Bezugspunkt des sozialen Lebens und Strebens. Die Buonapartes sind in diesem Punkt exemplarisch. Napoleon ist der Familiensinn eingeboren. Als er in die Lage kommt, Güter und Positionen zu verteilen, macht er vollkommen unverstellt davon im Sinne der Familie Gebrauch, übrigens längst nicht immer zu seinem Vorteil. Alle Geschwister werden aus der Fülle ihres Clan-Führers schöpfen. Er wird sie zu Königen machen und glänzend verheiraten. Die meisten von ihnen werden sich, anders als ihr Bruder, bereichern. Fast alle werden ihn enttäuschen. Keines der sieben Geschwister teilt seinen Weg ins Exil. Napoleon irrt, wenn er die Familienbande für eine absolut krisenfeste Lebensversicherung hält. 1813 wird er für diesen Irrtum teuer bezahlen. Korsika ist aufgrund seiner geographischen Lage als Bollwerk ein Objekt der Begierde für alle Mächte, die das Mittelmeer beherrschen wollen. Anfang des 18. Jahrhunderts gehört die Insel zur Republik Genua. 1829 drängt ein Aufstand die Genuesen zurück auf die befestigten Küstenstädte. Leitfigur der Autonomisten ist Pascal Paoli. Der populäre Paoli führt eine Reihe von Neuerungen ein. Er baut Straßen und einen Hafen, setzt Sozialreformen durch und läßt sogar eine Verfassung erarbeiten. Rousseau ist begeistert. Im Contrat social sagt er voraus, Europa werde von Korsika noch hören. Das Orakel wird eintreffen, freilich anders, als der Philosoph gedacht hat. 1768 wird Genua, das bei Frankreich in der Kreide steht, zum Abtreten der Insel genötigt, bis die Schulden bezahlt sind. Paoli nimmt sogleich den Befreiungskampf gegen die neue Besatzungsmacht auf, kann sich aber nicht durchsetzen und muß bald nach England fl iehen. Im Gegensatz zu ihm schlägt sich der Anwalt Carlo Buonaparte auf die Seite Frankreichs. In diesen wirren Zeiten zerrinnt der Wohlstand der Buonapartes. Um so heißblütiger stürzen sich Carlo und seine ältesten Söhne in die innerkorsischen Turbulenzen. Wenigstens ein Clan-Mitglied soll in eine einflussreiche Stellung bugsiert werden, damit die Familie ihren Rang behaupten kann. Durch Beziehung gelingt es dem Vater, Napoleon mit einem Stipendium
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nach Frankreich zu bringen, zuerst an das Collège von Autun, wo der Zögling aus Korsika erst einmal Französisch lernen muß. Auf Autun folgt die königliche Militärschule von Brienne-le-Château in der Champagne. Napoleon wird die Schule, die er 1784 mit überwiegend schlechten Erinnerungen verläßt, 1814 wiedersehen, bei den blutigen Schlachten der Kampagne von Frankreich. Im fi nsteren Schulhaus von Brienne führt Napoleon ein isoliertes Leben. Mit den später erreichten 168 Zentimetern Körpergröße hat er es bei Raufereien mit den Kameraden schwer. Er ist Hänseleien ausgesetzt. Der Spott gilt mehr dem schlechten Französisch, das er spricht, als seinem Status als Ausländer. Die Stunde des Nationalismus hat noch nicht geschlagen. Ironischerweise wird es Napoleon sein, der als Eroberer dem nationalistischen Aberwitz die Tür öffnet, indem er den Unterworfenen und Abhängigen den Virus des Franzosenhasses injiziert. Um die Jahrhundertwende dominiert aber noch ein weltbürgerlich-tolerantes Denken. Europas Eliten zirkulieren, so daß ein Schwabe aus Schorndorf, Reinhard, Außenminister Frankreichs werden kann. Der Rheinländer Metternich tritt in österreichische Dienste, die russische Armee wird von Offi zieren geführt, die Phull oder Diebitsch heißen, keiner der großen Reformer Preußens ist eingeborener Preuße. Insofern muß man sich Napoleon nicht als zurückgestoßenen Migrantenjungen vorstellen. Wenn er sich in Brienne von seinen Kameraden fernhält, dann deshalb, weil er arm ist. Der Vater hat, als Bedingung der Einschulung, seine Mittellosigkeit nachweisen müssen. Für eine Schule junger Adliger ist das kein gutes Eintrittsbillett. Napoleon kann nicht mithalten, wenn es ans Geldausgeben geht, und fühlt sich gedemütigt. Er ist noch nicht einmal zwölf, da schreibt er seinem Vater einen Brief, in dem er seinen ganzen verletzten Stolz ausbreitet: Mein Vater, wenn Sie oder meine Beschützer mir nicht die Möglichkeiten geben, meinen Unterhalt in dem Hause, in dem ich mich befinde, anständig zu bestreiten, so rufen Sie mich nach Hause, aber sofort. Ich habe es satt, als armer Schlucker herumzulaufen und das unverschämte Lächeln meiner Mitschüler zu sehen, die weiter nichts über mich stellt als ihr Reichtum, denn nicht einer von ihnen ist auch nur annähernd von den aristokratischen Gefühlen beseelt, die in mir wohnen … Laßt mich, wenn nötig, ein Handwerk lernen, damit ich meinesgleichen um mich habe. Bald würde ich verstehen, unter ihnen der erste zu sein. Aus diesem Vorschlag können Sie meine Verzweiflung sehen. Aber, ich wiederhole es Ihnen nochmals, ich will lieber der erste Arbeiter in einer Fabrik als der verachtete Künstler einer Akademie sein17.
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Der letzte Satz klingt nach Cäsar, den der aufgewühlte Knabe vielleicht gerade gelesen hat. Verbürgt ist, daß Napoleon in dieser Zeit anfängt, sich in die Bücherwelt zu vergraben. Sie ist sein Zufluchtsort in einer Umgebung, die er als abweisend erlebt. Den Büchern bleibt er sein Leben lang treu. In Longwood auf Sankt Helena ist die immerhin 2000 Bände umfassende Bibliothek sein größter Schatz. Bevorzugt läßt Napoleon seine Phantasie von den Darstellungen bedeutender Männer der Geschichte anregen. Ein früher Lieblingsautor ist Plutarch, in dessen Biographien er Vorbilder für den eigenen Lebensplan fi ndet. Napoleons „ständige Gier nach Büchern“18 hebt sich ab von der gewöhnlichen Triebstruktur eines Waffenhelden. Man denke an Blücher, den Gegner von 1813, der unbelesen ist wie ein Bauer. Oder man denke an Napoleons spätere Marschälle und Generäle. Sie sind überwiegend einfacher Herkunft und dürften über ihren Anführer, der die üblichen soldatischen Zerstreuungen meidet und statt dessen Bücher wälzt, manchesmal den Kopf geschüttelt haben. Von einer gerundeten Bildung wird man bei Napoleon dennoch nicht sprechen können. Sein Bildungshunger ist der eines Menschen, der nach oben will. Er liest mit Bleistift und Papier, macht Anmerkungen und Auszüge und führt Hefte mit Zitaten und Fakten, die er bei Gelegenheit anbringt. Oft und gern beeindruckt er, in diesem Punkt den Verhaltensmustern von Aufsteigern folgend, durch sein enormes Detailwissen. Seine Lektüre ist eklektisch. Geschichtliche, militärhistorische und geographische Titel überwiegen. Philosophisch beeinflussen ihn die Schriften des Abbé Raynal, den er in Marseille besucht, und vor allem Rousseau. Mit seiner Begeisterung für den Genfer Erfolgsautor, der er in einem Essay freien Lauf läßt, liegt er im Trend der Zeit. Die Begeisterung schwindet, als Napoleon auf eigenen Füßen steht und Rousseaus Philosophie ihm mehr und mehr weltfremd vorkommt. Wer viel liest, ist nicht automatisch ein guter Schüler. Die Zeugnisse Napoleons sind mittelmäßig. In Mathematik, Geschichte und Geographie schneidet er noch am besten ab, das Lateinische ist nicht seine Stärke. Deutsch, das in Brienne ein Monsieur Bauer lehrt, interessiert ihn überhaupt nicht19. Immerhin wird ihm die Eignung für die École militaire du Champs-deMars bescheinigt, die führende Militärschule Frankreichs. Auch hier reißt er keine Bäume aus. Unter 58 Zöglingen absolviert er als 42. Mit dem Dienstgrad eines Sekondeleutnants tritt er in das Artillerieregiment von Valence ein. Inzwischen ist sein Vater gestorben. 1786 nimmt Napoleon Urlaub, verlängert ihn zweimal. Er strengt sich an, die fi nanziellen Probleme der Familie in den Griff zu bekommen, die durch einige unternehmerische Fehlversuche des Vaters noch drückender geworden sind. In Paris buhlt er vergeblich um Unterstützung. Sein Regiment ist mittlerweile nach Auxonne gewech-
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selt. In der burgundischen Stadt hört er vom Sturm auf die Bastille: „Gestern erfahre ich Neues aus Paris; es ist höchst erstaunlich und alarmierend … Man weiß nicht, wohin das führt“20. Doch noch im August bittet er erneut um Urlaub und schifft sich nach Korsika ein. Warum Korsika zu diesem Zeitpunkt? Er kann nicht ahnen, daß Frankreich gerade jetzt zum großen Sprung ansetzt. Außerdem langweilt er sich in der Garnison zu Tode. In den 15 Monaten von Auxonne füllt er nicht weniger als 27 Notizhefte mit Auszügen, Verweisen und eigenen schriftstellerischen Versuchen. Noch sieht er seine Zukunft auf Korsika. Korsika ist sein Vaterland. Hier will er den Namen Buonaparte zum ersten machen. Frankreich ist für ihn nur ein Parkplatz, eine Startrampe. Bis 1793 springt er ruhelos zwischen Insel und Festland hin und her, verschafft sich Urlaub, läßt den Urlaub verlängern und überschreitet ihn, mit der Folge, daß er aus der Stammrolle seines Regiments gestrichen wird. Auf Korsika gärt es mehr denn je. Paoli ist aus dem Londoner Exil zurückgekommen. Der Bannerträger der korsischen Freiheit muß allerdings feststellen, daß seine Zeit vorüber ist. Das Spiel, das auf der Insel gespielt wird, ist ein anderes geworden. Es heißt nicht länger Autonomisten gegen Besatzer. Die Revolution ist auf Korsika gelandet, und schon bald bestimmt das Grundmuster des großen Gesellschaftskonfl ikts die Frontlinien im insularen Mikrokosmos. Auch auf Korsika ringen jetzt Jakobiner mit den Anhängern der alten Ordnung. Napoleon schlägt sich auf die Seite der ersteren. Seinem glühenden Patriotismus tut das keinen Abbruch. Auf dem Mastbaum seiner Fregatte flattert die Kokarde im Verein mit der altkorsischen Mohrenkopfflagge. Er fängt an, eine Geschichte Korsikas zu schreiben. Zugleich stürzt er sich gemeinsam mit seinem älteren Bruder Joseph in den Parteienkampf. Er überwirft sich mit Paoli, verstrickt sich in kaum entwirrbare Abenteuer und verliert den Machtkampf. 1793 wird Napoleons Geburtshaus in Ajaccio bei einem Racheakt gebrandschatzt. Im Juni fl ieht er mit der ganzen Sippe nach Toulon. Das Kapitel Korsika hat ein abruptes Ende gefunden. Viel Glück hat die Revolution dem jungen Korsen also noch nicht beschert. Die entwurzelten Buonapartes sind froh, daß sie in einem Vorort von Toulon eine bescheidende Bleibe fi nden. Aber Toulon ist kein sicheres Pflaster. Die Radikalisierung der Verhältnisse in Paris, die Ausschaltung der Girondisten und die Machtübernahme durch den Wohlfahrtsausschuß führen zu einer Rebellion der Hafenstadt. Marseille schließt sich an, aus Lyon werden die Jakobiner vertrieben. Aber nicht nur im Süden brennt es. In der Vendée herrscht Krieg. Der ganze Westen droht abzufallen. Im Osten geht der 1792 begonnene Krieg gegen Österreicher und Preußen weiter. England tritt der antirevolutionären Allianz bei, die Koalitionsheere stoßen auf das linke
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Rheinufer vor und erobern die habsburgischen Niederlande, also Belgien, zurück. Die dem Vielfrontenkrieg ausgesetzte Republik befi ndet sich in diesem Sommer des Jahres 1793 in einer lebensbedrohenden Situation. Ob sie das Jahresende erreichen wird, ist eine offene Frage. Der allmächtige Wohlfahrtsausschuß nutzt die Krise auf seine Weise. Der große Terror beginnt. Er ist ein Lernprogramm für alle diejenigen, deren Phantasie nicht ausreicht sich vorzustellen, daß man auch mit schönen Ideen häßliche Dinge anrichten kann. Im Namen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wird zermalmt, was sich in den Weg stellt, der halsstarrige Opponent wie der unbequeme Nebenbuhler. Die terreur ist die Stunde der Denunzianten. Der Pöbel feiert Hexensabbat. Robespierre, Marat und Danton, die führenden Männer der „Tugendregierung“, werden allesamt nur noch wenige Monate leben. Dann wird das Höllenfeuer, das sie entfachten, auch sie verzehrt haben. Bis dahin tun sie ihr Bestes, damit die Köpfmaschine des Klavierbauers Schmidt nicht zum Stillstand kommt. Im Clan der Buonaparte ist Napoleon der einzige, der Geld verdient. Noch vor der Flucht nach Toulon ist es ihm irgendwie gelungen, den Wiedereintritt in die Armee zu bewerkstelligen. Mag sein, daß die Vorgesetzten über seine Unzuverlässigkeit hinwegsehen, weil nun jeder Mann gebraucht wird. Man weiß es nicht. Jedenfalls kehrt Napoleon als Hauptmann in sein Regiment zurück. Die Ernennungsurkunde hat Ludwig XVI. unterschrieben. Es ist eine der letzten Unterschriften, die der unglückliche König leistet. Am 21. Januar 1793 haucht der rex christianissimus als Louis Capet sein Leben unter dem Fallbeil aus. Wie gut oder wie schlecht der Artilleriehauptmann Buonaparte* über die Pariser Vorgänge im Bilde ist, darüber läßt sich nur spekulieren. Äußerungen aus dieser Zeit sind rar. Findet die Ermordung des Königs seine Zustimmung? Schockiert ihn die Kunde, daß Marie Antoinette ihrem Mann auf das Schafott gefolgt ist? Napoleon hat später den Königsmord mehrfach gegeißelt. Erwiesen ist, daß Napoleon am 10. August 1792 Zeuge war, als ein blutrünstiger Mob die Schweizer Garden vor den Tuilerien abschlachtete und die Toten in schrecklicher Weise verstümmelte. Dieses Erlebnis vergißt der junge Korse nie; es impft ihm einen bleibenden Horror vor steuerlosen, aufgeputschten Massen ein.
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Diese Schreibweise des Namens behält er bis 1802 bei. Nach der Heirat mit Joséphine wird das „u“ gestrichen. Erst als Kaiser, also ab 1804, unterschreibt er mit „Napoleon“.
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General der Republik Vermutlich erlebt Napoleon die Revolution zuallererst als Unordnung. Selbst die Hauptakteure im Konvent handeln ja nicht nach Plan. Sie sind zerstritten, ihre Ziele sind unscharf und können jederzeit durch die mehr als 2000 Jakobinerclubs im Lande, deren radikalsten die Pariser Sektionen sind, manipuliert werden. Was bei den einfachen Menschen ankommt, ist zunächst, daß auf nichts mehr Verlaß ist. Autorität und Gewohnheit haben ausgedient. Die Anrede lautet jetzt „Bürger“ und nicht mehr „Monsieur“. Die Männer sind jetzt sansculottes; sie tragen lange Hosen statt die den Adel kennzeichnenden Kniebundhosen (culottes). Die Frauen geben ihre Korsetts auf den Trödel und vertauschen die ausladenden Rokoko-Roben mit glatt herabfallenden Kleidern. Nicht überall ist der Fortschritt so klar erkennbar wie in der Mode. Städte werden umgetauft. Aus Lyon wird die Ville affranchie, aus der Pariser Ile Saint Louis die Ile de la Fraternité. Die Königsgärten der Tuilerien werden zu Äckern umgepflügt. Erschließt sich schon bei dieser Barbarei an Blumen und Bäumen der revolutionäre Sinn nicht recht, bleiben aus der Römerzeit importierte Symbole wie die rote phrygische Mütze oder das Liktorenbündel weithin rätselhaft. Abgeschafft wird der vertraute gregorianische Kalender. Das Jahr hat zwar noch immer zwölf Monate, aber die haben jeweils nur 30 Tage. Fünf Ergänzungstage, die jours sansculottes, stopfen die Fehlstellen. Die Zeitrechnung beginnt nicht mehr mit Christi Geburt, sondern mit dem 1. vendémaire 1792. Sogar die Uhr wird neu erfunden. Sie funktioniert jetzt nach dem Dezimalsystem, was bedeutet, daß der Tag 10 Stunden à 100 Minuten à 100 Sekunden hat. Evident ist der Erneuerungsbedarf beim Kartenspiel: Die fluchwürdige Königskarte wird durch Genien ersetzt, aus den Damen werden Freiheitsgöttinnen. Victor Hugo hat den Neuerungswahn inklusive der hahnebüchenen Mode, Kindern die Vornamen römischer Helden zu geben, in dreiundneunzig mit beißendem Spott beschrieben21. Am einschneidensten sind die Auswirkungen des Kirchenkampfes. Ungezählte Kirchen werden geschändet, Kathedralen gehen in Staatsbesitz über oder sie werden vermietet wie der gotische Dom von Metz. Die in der Basilika von St. Denis ruhenden Gebeine der Könige werden in ein Massengrab geschüttet. Selbst Heinrich IV., den Schöpfer des Toleranzedikts von Nantes, verschont man nicht. Der Schädel des bon roi wird gestohlen und erst 2010 wiederentdeckt. Es ist eine vandalische Zeit. Die Bilderstürmerei der Revolutionskommissare schädigt den kulturellen Besitz Frankreichs mehr, als je eine fremde Armee vermag. Auf Widerstand stößt die Dechristianisierungspolitik vor allem auf dem
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Land. Hier leben 85 Prozent der Franzosen, hier schlägt das Herz Frankreichs. Auf dem Land ersetzt das Geläut der Dorfkirche die Uhr. Der Angelus ruft die Bauern zu den Mahlzeiten. Die religiösen Feste geben dem Jahr seine Gliederung. Jetzt schweigen die Glocken, und mit den gewohnten Feiertagen fehlen plötzlich die Märkte und der Tanz auf dem Dorfanger und damit die Fixpunkte im Dahinrauschen des Lebens. An vielen Orten wird der als Trost- und Segensspender und oft auch als Lehrer benötigte curé schmerzlich vermißt, weil nur noch regimetreue „konstitutionelle“ Priester die Sakramente spenden dürfen und viele Gemeindegeistliche lieber in die Verbannung gegangen sind, als den Eid auf die Verfassung zu leisten. Um mit der Gewohnheit zu brechen, daß der siebte Tag der Woche dazu da ist, dem Herrgott die Ehre zu erweisen, wird der Monat in Dekaden zu dreimal zehn Tagen eingeteilt. Diese ganzen geschraubten Veränderungen, zu denen auch die Einrichtung des theosophischen Vernunftkults gehört, wirken künstlich und teilweise lächerlich. Den überzeugten Revolutionären dagegen sind sie bitterernst. Für sie ist die damnatio memoriae, die Auslöschung des sozialen Gedächtnisses, ein unabdingbares Vorprogramm. Erst wenn dieses Programm absolviert ist, kann der neue Mensch geschaffen werden. Allein, der alte Mensch pfeift auf die zweifelhaften Errungenschaften. Vor allem die einfachen Leute möchten am Hergebrachten festhalten, schon weil die Flut der Veränderungen sie überfordert. Es ist gar nicht so einfach zu begreifen, daß es die Monate Juli und August nicht mehr geben soll, man sich statt dessen an den „Wärmemonat“ thermidor gewöhnen muß, der als elfter Monat im republikanischen Jahreszyklus vom 20. Juli bis zum 18. August dauert, um dann vom „Fruchtmonat“ fructidor und dem „Nebelmonat“ brumaire abgelöst zu werden. Unsicherheit und die Angst, aus purer Ahnungslosigkeit gegen die gerade gültige Tagesparole zu verstoßen, züchten eine geduckte Haltung, die dem Wunschbild vom selbstbewußten citoyen entgegengesetzt ist. Man zieht den Kopf ein und wartet ab, wann der Sturzbach der Veränderung zum Halten kommt. Auch Napoleon wartet ab. Sein Regiment ist der Armée d’Italie zugeordnet. Die Bezeichnung täuscht allerdings, denn im Augenblick hat die Armee einen Inlandsauftrag. Sie soll für den Konvent die Unruhen im Rhônetal niederschlagen. Die Begeisterung der Sodaten hält sich in Grenzen. Schließlich sind die Aufständischen in Toulon, in Marseille oder in Lyon Franzosen. Wie können sie Feinde Frankreichs sein? Das Problem ist, daß der Bürgerkrieg Neutralität nicht vorsieht, schon gar nicht für das Militär. Auch der Hauptmann Buonaparte muß Farbe bekennen. Gefühlsmäßig steht er auf seiten der Revolution. Hat er nicht in Brienne unter der Anmaßung verzogener Aristokratensöhne gelitten? Er kennt die Thesen der Aufklärer. Sie bestim-
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men den Zeitgeist und nehmen für den jakobinischen Standpunkt ein. Sie beeinflussen auch den jungen Mann aus Korsika. Die Abschaffung der Adelsprivilegien nennt er einen „Schritt zum Guten“22. Noch vor dem Bastille-Sturm wirft er die Frage auf, ob die erbliche Monarchie wirklich ein Segen für die Völker sei. Seine Antwort lautet: „Nur wenige Könige hätten es nicht verdient, abgesetzt zu werden.“ In einem schriftlichen Versuch vertritt er Rousseaus Vertragstheorie. Entweder stammen die Gesetze vom Volk, das sich seinem Fürsten freiwillig unterworfen hat, oder sie stammen vom Fürsten. Trifft das erste zu, hat sich der Fürst an den Vertrag zu halten. Im zweiten Fall müssen für den Fürsten Ruhe und Glück des Volkes die Richtschnur sein. Napoleons Fazit ist abstrakt, rechtfertigt aber zur Not die revolutionäre Praxis: „Was die menschlichen Gesetze angeht, so kann es deren keine geben, sobald der Fürst sie mit Füßen tritt“23. Aus den Pariser Fraktionsstreitereien zwischen Girondisten und den Anhängern der Bergpartei hält er sich heraus. Allerdings fi ndet er, die Jakobiner seien „ohne gesunden Menschenverstand“24. Eine sonderbare, aber folgenreiche Schrift verfaßt er 1793. Im „Souper de Beaucaire“ unterhalten sich ein Fabrikant aus Montpellier, zwei Bürger aus Nîmes und Marseille und ein Offi zier über die Zwistigkeiten im Süden. In dem fi ktiven Gespräch wirbt der Mann aus Marseille um Verständnis für den Aufstand gegen den Konvent. Marseille sei nicht gegen die Republik an sich, vielmehr vertrete sie die wahre Republik. Der Offi zier, der zweifellos die Ansichten Napoleons zum Ausdruck bringt, sieht davon ab, Öl ins Feuer zu gießen. Auf eine Erörterung der ideologischen Standpunkte im Bürgerkrieg läßt er sich nicht ein. „Schüttelt das Joch der Handvoll Aristokraten ab, die euch führen, nehmt gesunde Grundsätze an, und ihr werdet keine wahreren Freunde haben als die Soldaten“, entgegnet er dem Sprecher der Aufständischen. Statt das Schwert des Propheten zu ziehen, appelliert er an die praktische Vernunft: Aus welchen Motiven heraus die Marseiller auch handeln – sie tun es vergeblich. Denn gegen die reguläre Armee haben sie keine Chance25. Das „Souper“ gefällt in jakobinischen Kreisen. Offenbar hat der Autor den richtigen Ton getroffen. Der jüngere Bruder des „Unbestechlichen“, Augustin Robespierre, der als Kommissar des Konvents die Entwicklung im Süden überwacht, ist angetan. Er fördert von nun an den jungen Hauptmann, der auch bald bei der Belagerung von Toulon die Gelegenheit erhält, sich auszuzeichnen. Toulon ist der wichtigste Kriegshafen Frankreichs. Mit Hilfe der Aufständischen hat eine englisch-spanische Flotte den Hafen besetzt und 17 000 Soldaten angelandet. Das bedeutet die höchste Gefahrenstufe und hat eine ganz andere Qualität als die Kämpfe in Marseille, wo es nur galt, den Widerstand von Rebellen zu brechen. In Toulon geht es darum, eine Invasion zu verhindern.
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Der englisch-spanische Brückenkopf ist von Einheiten der Armée d’Italie eingekreist. Unter einem unfähigen Kommandeur ist die Belagerung jedoch nicht vorangekommen. Die Lage ändert sich, als Napoleon, protegiert durch den Kommissar Robespierre, einen Angriffsplan ausarbeitet und den Befehl über die Artillerie erhält. In wenigen Tagen wird die Stadt genommen. Die feindliche Flotte verläßt fluchtartig den Hafen. Der Sieg ist außerordentlich prestigeträchtig, der entscheidende Anteil Napoleons unstreitig. Es ist sein erster Sieg, der Startpunkt einer militärischen Karriere ohnegleichen. Noch in einer weiteren Hinsicht stellt Toulon gleichsam das Basislager seines Aufstiegs dar: Bei den Gefechten um die Hafenstadt schließt der Artilleriehauptmann Bekanntschaft mit anderen ehrgeizigen Jungoffi zieren, die er an sich bindet. Unter seinem Oberbefehl werden sie zum Schrecken der Feinde Frankreichs werden: Duroc, Marmont, Désaix, Junot. Im Dezember 1793 erhält Napoleon die Ernennung zum Brigadegeneral. Damit würdigt der Wohlfahrtsausschuß in der Hauptstadt seine Verdienste bei der Abwehr der Invasion im Golfe du Lion. Der Anfang ist gemacht! Nachdem die Armée d’Italie untätig zugesehen hat, wie die aus Paris entsandten Rächer, unter ihnen der spätere Polizeiminister Fouché, im „befreiten“ Toulon wüteten, wendet sie sich nun ihrer eigentlichen Bestimmung zu. Sie rückt gegen das mit Sardinien verbundene Piemont vor. Ein von Napoleon vorgelegter Feldzugsplan trägt erste Früchte, doch dann bleibt die Offensive stecken. Die Gründe liegen in Paris. Zunächst kann sich der Wohlfahrtsausschuß nicht über das weitere Vorgehen an der Front einigen, dann hat er andere Sorgen. Am 9. thermidor, dem 27. Juli 1794, ist Robespierre gestürzt worden. Die Diktatur des Wohlfahrtsausschusses hat ein Ende. Robespierre und seine Gefährten besteigen den Richtkarren. Für Napoleon bedeutet der Umsturz in Paris eine Beinahe-Katastrophe. Er wird verhaftet, was beweist, daß man ihn tatsächlich für einen Jakobiner hält. Fast zwei Wochen verbringt er in Haft. Die Anklage ist dünn und offensichtlich konstruiert. Das allein würde wohl nicht reichen, ihn vor dem Schafott zu retten, doch die neuen Herren, die Thermidorianer, verordnen im Zeichen der neuen Politik nur die allernotwendigsten Grausamkeiten. Außerdem wird man den talentierten jungen General vielleicht noch gebrauchen können. So kommt er frei und hat wieder eine Lektion gelernt: Die Revolution geht mit ihren Kindern um wie Saturn. Man muß auf der Hut sein, um nicht verschlungen zu werden. Die Männer, die den Schlag des 9. thermidor führen, sind keine Konterrevolutionäre. Sie haben die Schreckensherrschaft mitgemacht, nicht in der ersten Reihe, aber widerspruchslos. Geputscht haben sie, weil sie ihre Haut retten wollten, ehe man auch sie auf den Karren wirft. Von allein wird die terreur nicht zum Stehen kommen. Außerdem liegt der Umsturz im Inter-
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esse der Republik. Macht das „Tugendregiment“ weiter, droht am Ende der royalistische Gegenschlag und damit die Vernichtung jenes Teils des Vermächtnisses von 1789, der unbedingt erhalten werden muß. Dazu gehört für die Thermidorianer die Abschaffung der Adelsprivilegien und ebenso unbedingt die Erhaltung der Nationalgüter, das heißt die Masse des Kirche und Adel entrissenen Landbesitzes. Diese Beute ist zu Schleuderpreisen an neue Besitzer übergegangen. Die Nutznießer sind Bürger, Bauern und nicht zuletzt führende Revolutionäre. Sie eint das gemeinsame Interesse, den prekären Besitz zu sichern. Mit diesen Neureichen, den Notabeln, schließen die Thermidorianer ein Bündnis. Es wird ein paar Jahre halten, und dennoch ist das fünfköpfige Direktorium, das nun an der Macht ist, von Anfang an ein schwaches Regime. In den Augen der radikalen Jakobiner sind die Thermidorianer Verräter. Die Royalisten differenzieren nicht. Ihnen gelten alle, die seit 1789 das Rad gedreht haben, schlicht als Königsmörder. Napoleon hat den 9. thermidor überlebt, doch noch immer hängt ihm der Ruf eines Gefolgsmanns der Robespierre-Brüder an. Dieser Ruf mag ungerechtfertigt sein; gefährlich ist er allemal. Napoleon muß sich neu sortieren. Er hält sich im Hintergrund und knüpft Kontakte. Einem Stellungsbefehl zur Westarmee weicht er aus. Was in der Vendée Anfang 1793 mit lokalen Aufständen begann, hat sich zu einem regelrechten Krieg ausgewachsen, der mit größter Brutalität geführt wird. Rund eine viertel Million Opfer fordert die guerre franco-française26. Irgendwie gelingt es Napoleon, sich zu drücken. Ein Einsatz in der Vendée verspräche wenig Ehre und würde ihn tiefer in den Bürgerkrieg verstricken, als ihm lieb sein kann. Der Brigadegeneral der Artillerie zieht es vor, im Topographischen Büro unterzutauchen. Dort ist er aus der Gefahrenzone; außerdem kann es nicht schaden, sich mit elementaren Grundlagen der Kriegführung in fernen Ländern vertraut zu machen. Aber auf Dauer kann er dem Schlachtfeld Frankreich nicht entfl iehen. Es kommt zu den Ereignissen des 13. vendémaire. Den Royalisten haben der Umsturz und die blutige Abrechnung mit den Anhängern Robespierres Auftrieb gegeben. In mehreren Pariser Sektionen geben sie mittlerweile den Ton an. Sie glauben, nun sei die Reihe an ihnen. Das ist eine Fehlrechnung. Am 13. vendémaire, dem 3. Oktober 1795, gelingt es dem Direktorium ohne Anstrengung, ihren Aufstand niederzukartätschen. Napoleon hat sich der Regierung zur Verfügung gestellt. Sein Anteil am Erfolg der Operation ist nicht gering, wird aber von der Propaganda dermaßen vergrößert, daß er plötzlich als Retter der Republik vor der royalistischen Gegenrevolution gefeiert wird. Die Übertreibung nimmt der Général vendémaire, wie man ihn jetzt nennt, in Kauf. Anders als am 9. thermidor steht er diesmal auf der Seite des Siegers. Der Lohn läßt nicht lange auf sich warten. Am 24. Oktober wird Napoleon zum Divi-
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sionsgeneral ernannt; wenige Tage später erfolgt die Ernennung zum Oberbefehlshaber von Paris. Der nächste Schritt der Annäherung an die neuen Machthaber folgt auf dem Fuße, ist aber völlig anderer Art. Napoleon hat Joséphine de Beauharnais kennengelernt. Von der sechs Jahre älteren Kreolin aus Martinique heißt es, sie sei wenn nicht die schönste, so doch die aufregendste Frau von ganz Paris. Sie ist die Witwe eines Revolutionsgenerals, der das Unglück hatte, noch knapp vor dem Ende Robespierres hingerichtet zu werden. Joséphine, die zwei Kinder hat und selbst kurzzeitig inhaftiert war, übt großen Einfluß auf Barras aus. Barras, ein korrupter Altadliger, ist der starke Mann des Direktoriums, Joséphine war seine Geliebte. Weshalb sie dem Werben Napoleons nachgibt, ist nicht ganz klar. Vermutlich sucht sie einen sicheren Hafen und sieht in dem jungen Korsen, dem von vielen eine große Zukunft vorausgesagt wird, den Financier ihres extravaganten Lebensstils. Die Heirat fi ndet am 9. März 1796 statt. Bereits zwei Tage später reist Napoleon zur Italienarmee ab. Für ihn stehen bei der Verbindung Nützlichkeitserwägungen nicht im Vordergrund. Napoleon ist der in Liebesdingen weitaus erfahreneren Joséphine verfallen. Dennoch verschmäht er keineswegs die Vorteile, die ihre Verwobenheit mit dem neuen Establishment verspricht. Barras behauptet später großspurig, er habe den Oberbefehl über die Italienarmee, den Napoleon am 2. März erhält, dem Paar zur Hochzeit geschenkt. Mit der Beförderung zum Chef der Italienarmee nimmt Napoleon gleich mehrere Sprossen auf der Karriereleiter. Wie schnell sich das Glücksrad gedreht hat! Vor drei Jahren, nach der Flucht aus Korsika, stand er vor dem Nichts. Vor zwei Jahren entging er nur knapp dem Tod unter dem Fallbeil. In Toulon hat er als tüchtiger Offi zier auf sich aufmerksam gemacht. Seit dem 13. vendémaire kennt man seinen Namen auch in Paris, jener Stadt, in der nach einem Wort Rivarols, des Legitimisten und Emigranten, „die Vorsehung stärker wirkt als an jedem anderen Ort“27. Mit dem Italienfeldzug öffnet die Vorsehung Napoleon jetzt die Pforte zu einer höheren Sphäre des Ruhms. Er muß die Chance nur nutzen. Die Armée d’Italie verfügt über rund 40 000 Mann. Die verbündeten Österreicher und Piemonteser bringen es dagegen auf eine Stärke von 70 000 Mann. Der Zustand der französischen Truppen ist erbärmlich, die Moral ist schlecht. Verglichen mit den beiden anderen unter der Trikolore kämpfenden Armeen hat die von Napoleon übernommene Streitmacht kaum Erfolge vorzuweisen und wenig Hoffnung, die Anerkennung des Vaterlandes zu erringen. Das sind keine guten Auspizien für den neuen Oberbefehlshaber. Er muß sich entscheiden: Soll er die Verhältnisse hinnehmen, wie sie sind? Gerade erst avanciert, befi ndet er sich nicht in der Position desjenigen, der Forderungen stellen kann. Oder soll er der Regierung die Leviten lesen? Napo-
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leon schreibt dem Direktorium erst einmal eine drastische Eröffnungsbilanz. Die Armee sei „ohne Brot, ohne Disziplin, ohne Gehorsam“28. Selbstbewußt verlangt er den seit Monaten ausstehenden Sold. In Paris kann man über den forschen Ton nur staunen. Verblüfft sind auch die Soldaten, denn im ersten Armeebefehl verspricht ihnen der junge General das Land, wo Milch und Honig fl ießen: „Ich will euch in die fruchtbarsten Ebenen der Welt führen. Reiche Provinzen, große Städte werden in eure Hände fallen; dort werdet ihr Ehre, Ruhm und Reichtümer fi nden“. Dann zeigt Napoleon, was er kann. Nach einem Plan, den er im Topographischen Büro ersonnen hat, zerschneidet er die Verbindungslinien zwischen den beiden feindlichen Armeen. Österreicher und Piemontesen erhalten einen Vorgeschmack auf die siegbringende Kriegführung des aufsteigenden Sterns am Schlachtenhimmel: Basierend auf einer genauen Sondierung der Kampfzone, bringt er den Gegner vor allem durch die Schnelligkeit in Verlegenheit, mit der er seine Verbände bewegt29. Die Marschleistungen, die seine Soldaten vollbringen, sind außerordentlich. Rücksichtslos verlangt Napoleon das Äußerste an physischem Einsatz. Der Erfolg gibt ihm recht. Nach einer Serie von Blitzsiegen müssen die Piemontesen die Waffen strecken. Der Schlußpunkt wird bei Mondovi gesetzt. In einem mitreißenden Tagesbefehl eröffnet Napoleon seinen Männern, daß sie über Nacht zu Helden geworden sind: Soldaten, ihr habt binnen vierzehn Tagen in sechs Schlachten gesiegt, 21 Fahnen, 25 Kanonen, mehrere Festungen genommen, den reichsten Teil von Piemont erobert; ihr habt 15 000 Gefangene gemacht, mehr als 10 000 Mann getötet oder verwundet. Ihr hattet euch bis jetzt für unfruchtbare Felsen geschlagen, welche durch euren Mut berühmt geworden, aber dem Vaterland ohne Nutzen sind; ihr steht jetzt durch eure Dienste der Holländischen und der Rheinarmee gleich. Von allem entblößt, habt ihr alles ersetzt. Ihr habt ohne Kanonen Schlachten gewonnen, ohne Brücken Flüsse überschritten, ohne Schuhe Eilmärsche gemacht, ohne Branntwein und oft ohne Brot biwakiert. Nur republikanische Scharen, nur Soldaten der Freiheit waren fähig zu ertragen, was ihr ertragen habt30. Nachdem Piemont aus dem Krieg ausgeschieden ist, wirft sich Napoleon auf die Österreicher. Sie werden am 10. Mai 1796 bei Lodi schwer geschlagen. Mailand wird eingenommen. Aber die Österreicher wehren sich zäh; sie werfen neue Truppen in die Schlacht. Ein halbes Jahr lang dauert es, bis Mantua von den Franzosen eingenommen werden kann. Es bedarf noch der Siege bei Rivoli (14. Januar 1797) und bei Tagliamento (16. März 1797), wo Napoleon über Erzherzog Karl, den besten Feldherrn des schwer bedrängten Habsburgerstaates, triumphiert, ehe sich Österreich zum Präliminar-
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frieden von Loeben und schließlich zum Frieden von Campo Formio (17. Oktober 1797) bereit fi ndet. Die Armée d’Italie steht zeitweilig 30 Kilometer vor Wien, 40 Kilometer vor Rom. Der Papst tritt Bologna, Ferrara und die Romagna an Frankreich ab. Venedig kapituliert kampflos. Die Lombardei wird als „Cisalpinische Republik“ französisches Protektorat. Fast beiläufig wird Korsika eingenommen. Eine Division genügt, um die Engländer zum Rückzug von der Insel zu zwingen. Mutatio rerum: „Nabulione“, der einst die Freiheit seiner Heimat auch gegen die Franzosen verteidigen wollte, besiegelt die endgültige Inbesitznahme der Insel durch die französische Republik. In einem einzigen Jahr hat Napoleon Frankreich zur unumschränkten Herrin Obertaliens gemacht. Überall muß Österreich Positionen räumen. Das Habsburgerreich verzichtet auf seine niederländischen Besitzungen und sichert der Republik die Abtretung des linken Rheinufers zu. Endgültig soll darüber auf einem Friedenskongreß in Rastatt entschieden werden. Politisch hat Napoleon in weitgehender Unabhängigkeit vom Direktorium gehandelt. Die Verfassung der „Cisalpinischen Republik“ ist sein Werk, die Paragraphen des Vertrags von Campo Formio hat er in eigener Regie verhandelt. Auch das gehört zu den staunenswerten Hervorbringungen dieses Wunderjahres: Napoleon ist nicht nur auf dem Schlachtfeld ein Siegbringer. Er versteht es auch, das mit den Waffen erworbene Kapital gewinnbringend anzulegen. Im Italienfeldzug entsteht der Mythos des genialen Feldherrn Napoleon. Seinem großen strategischen und taktischen Vermögen gleichwertig ist die Leistung, die er als Truppenführer vollbringt. Als er zur Italienarmee stößt, trifft er neben anderen auf die Generale Masséna und Augereau. Beide sind dienstälter und erfahrener. Sie dürften in dem 26jährigen einen Günstling des Direktoriums gesehen haben, eine Art politischen Kommissar, von dem allerhand zu erwarten ist, nur nicht, daß er eine reichlich heruntergekommene Armee aus dem Schlamassel zieht. Aber Napoleon überwindet ihr Mißtrauen. Offenbar verfügt der junge Korse über ein ungewöhnliches Maß an natürlicher Autorität. Auch gelingt es Napoleon, die Herzen der einfachen Soldaten zu gewinnen. Bei Lodi glänzt er in kritischen Momenten durch persönliche Tapferkeit. Er ist der soldiers soldier31, der Anführer, für den man durch dick und dünn geht. Wenn Napoleon später sagt: „Ich gewinne meine Schlachten mit den Träumen meiner Soldaten“32, meint er das mystische Band, das ihn und seine Armee verbindet. Dieses Band wird die Katastrophe von 1812 überdauern, es wird seine Apotheose fi nden im berühmten Abschied des Kaisers von seiner Alten Garde im Schloßhof von Fontainebleau 1814 und in der Romanliteratur fortleben33. Selbstverständlich ist die napoleonische Propaganda an
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der Entstehung des Mythos beteiligt. Das Bild vom petit caporal, der sich für seine Leute in die Schanze schlägt, wird im Italienfeldzug von Zeitungen verbreitet, die der Oberbefehlshaber eigens gründet, Le courrier de l’armée d’Italie und La France vue de l’armée d’Italie. Natürlich sollen diese Blätter in erster Linie vom Ruhm des neuen Schlachtengottes künden. Sie tragen aber auch die Ruhmestaten der ganzen bisher scheel angesehenen Italienarmee nach Hause, nach Frankreich, und heben das Selbstwertgefühl der Soldaten. Der Korpsgeist, der auf diese Weise entsteht, trägt wesentlich zur Schlagkraft der Armee bei. Dabei ist Napoleon niemand, der sich durch Nachsicht die Zustimmung seiner Leute erkauft. Wo er auf Schwäche trifft, kennt er keine Milde. Den Soldaten der 39. und der 85. Division, die ihre Stellung nicht gehalten haben, läßt er auf die Fahnen schreiben: „Sie gehören nicht mehr zur Italienischen Armee“34. Im August 1796 benotet er in einem vertraulichen Bericht an das Direktorium sein Führungspersonal: Den General Sérurier nennt er geistvoll, aber „schlaff, ohne Tätigkeit, ohne Kühnheit“. Über Abbatucci heißt es kurz und knapp: „Kann nicht 50 Mann kommandieren“, über Gaultier: „Gut für eine Schreibstube“35. So formt er durch Anspruch und Beispiel eine Armee, der die nicht schlecht geführten Österreicher schließlich weichen müssen. Die Zeit ist vorbei, da die verbündeten Mächte wähnten, mit den wilden Haufen der Revolution kurzen Prozeß machen zu können. Die Republik hat sich Respekt verschafft. Daß ihr dies zuallererst durch ihre Waffentaten gelingt, wird für die weitere Entwicklung nicht folgenlos bleiben. Die Siege der dreifarbenen Armeen sind hart erarbeitet und müssen auch gegen innere Widerstände errungen werden. Die revolutionäre Generalität ist anfällig für Korruption. Die in der Hauptstadt abwechselnd den politischen Ton angebenden Fraktionen greifen ständig in die operative Kriegführung ein und stiften dadurch Schaden. Das Gespenst des Verrats ist allgegenwärtig. 1793 wechselt Dumouriez die Front und fl ieht zu den Österreichern. Einen qualitativen Sprung bedeutet die Einführung der Wehrpfl ichtarmee durch Carnot. Frankreich kann jetzt die humanen Ressourcen weit besser ausschöpfen als seine Widersacher. Das Volksheer wird zum Träger jenes eigentümlichen Revolutionspatriotismus, den die Soldaten im Gepäck tragen, wo immer sie marschieren. Die Armee ist nicht mehr nur ein Bollwerk zum Schutz des Vaterlandes. Sie kämpft zugleich „international“ für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Jedenfalls läßt sich das behaupten. Auch Napoleon nutzt das revolutionäre Pathos, wenn er in dem oben zitierten Tagesbefehl nach dem Sieg bei Mondovi seine Soldaten lobt: „Nur republikanische Scharen, nur Soldaten der Freiheit waren fähig zu ertragen, was ihr ertragen habt“36.
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Frankreich führt einen politischen Krieg. Später wird Napoleon das messianische Motiv mehr und mehr zurücknehmen. Im Italienfeldzug aber setzt er es als Offensivwaffe ein. So heißt es in einer Proklamation vom 7. floréal des Jahres IV (26. April 1796): Völker Italiens! Die französische Armee kommt, um eure Ketten zu zerbrechen! Das französische Volk ist der Freund aller Völker! Kommt ihm mit Vertrauen entgegen! Euer Eigentum, eure Religion und eure Gebräuche sollen geachtet werden. Wir führen den Krieg als edelmütige Feinde und wir wollen nur die Tyrannen bekämpfen, die euch unterdrücken37. Eine Adresse Napoleons an die Bewohner Tirols vom 26. prairial des Jahres IV (13. Juni 1796) suggeriert, die französische Armee marschiere nur für einen guten Zweck: Ich werde durch euer Gebiet marschieren, tapfere Tiroler, um den Wiener Hof zu einem Frieden zu zwingen, den Europa und seine Völker benötigen. Eure eigene Sache werde ich verteidigen. Lange genug seid Ihr durch die Schrecken eines nicht für die Interessen des deutschen Volkes, sondern für die Leidenschaften einer einzigen Familie unternommenen Krieges verletzt und erschöpft. Die französische Armee achtet und liebt alle Völker, aber ganz besonders die einfachen, ehrlichen Bewohner der Berge …38. Tatsächlich wird die Armée d’Italie an vielen Plätzen als Befreierin begrüßt. Noch hat die Revolution ihren Zauber nicht verloren. Noch hat sich nicht herumgesprochen, daß da, wo Toleranz stehen müßte, im Revolutionskatechismus eine Lücke klafft: „Man muß den Völkern, die ihre privilegierten Kasten unbedingt bewahren wollen, klar sagen: Ihr seid unsere Feinde. Und man muß sie entsprechend behandeln, denn sie wollen ja weder Freiheit noch Gleichheit“, hatte der Jakobiner Cambon im Dezember 1792 gedroht39. In der Lombardei weinen die Menschen den vertriebenen Österreichern keine Träne nach. Sie glauben an die Uneigennützigkeit der Revolutionstruppen und bauen darauf, daß der Friede ihnen die Selbstregierung bescheren werde. Doch es stellt sich heraus, daß das Freiheitsversprechen nicht viel mehr als Rhetorik ist. Die Republik ist fi nanziell klamm, und das Direktorium läßt Napoleon unmißverständlich wissen, daß der Reichtum der „befreiten“ Territorien abgezweigt werden muß, um in Paris die Kassen zu füllen. Den lombardischen Städten werden gewaltige Kontributionen auferlegt. Noch ärger ergeht es dem Papst. Weil Kirchenfeindlichkeit Teil des revolutionären Programms ist, braucht man dem Pontifex gegenüber noch nicht einmal den Schein zu wahren. Der Papst muß dafür, daß man ihm gnädig
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seinen Staat beläßt, neben einer hohen Geldsumme zusätzlich hundert Kunstwerke und fünfhundert wertvolle Manuskripte abliefern. Der organisierte Kunstraub im Namen der Freiheit wurde vom Wohlfahrtsausschuß eingeleitet. Napoleon führt ihn fort, und wohin die dreifarbigen Armeen ihren Fuß setzen, sind die Kunsträuber im Schlepptau und raffen Beute für den Louvre40. Napoleon erfüllt die Plünderungserwartungen der politischen Führung in Paris in vollem Umfang. Kaltschnäuzig läßt er die Kontributionen eintreiben. Sich regende lokale Proteste werden ignoriert, soweit es geht. Gelegentlich sind Zugeständnisse erforderlich. Als sich nicht mehr verbergen läßt, daß unter denen, die sich in Italien die Taschen vollstopfen, auch einige Generäle sind, setzt er eine Untersuchungskommission ein. Die soll der Verschleuderung der erpressten Gelder nachgehen. Zwischen sich und den mutmaßlichen Übeltätern zieht er einen dicken Trennstrich. Die von ihm gesteuerten Gazetten heben hervor, daß Napoleon, dieser Mann, der „fl iegt wie der Blitz und (zu-)schlägt wie der Donner“, trotz seiner einsamen Größe ein bescheidener Mensch geblieben sei: „Ich habe Könige zu meinen Füßen liegen sehen, ich hätte fünfzig Millionen mit nach Hause bringen können, ich hätte noch ganz anderes verlangen können; aber ich bin ein französischer Bürger, ich bin der erste General der Großen Nation; ich weiß, daß mir die Nachwelt Gerechtigkeit widerfahren lassen wird“, zitiert ihn La France vue de l’armée d’Italie. Für eine weitere der von ihm gegründeten Zeitungen, das in Paris erscheinende Journal de Bonaparte et des hommes vertueux, ist die Tugendhaftigkeit des Generals das zentrale Redaktionsprogramm41. Dem Direktorium, dessen Habsucht notorisch ist, muß die Selbststilisierung Napoleons als Saubermann ein Stein des Anstoßes sein. Überhaupt bereitet der staunenswerte Erfolg des jungen Generals manchem in Paris Kopfzerbrechen. Zwar ist der Vertrag von Campo Formio für Frankreich überaus vorteilhaft, da er die Gebietszuwächse der Republik festschreibt. Die Thermidorianer könnten also mit dem Friedensschluß ihre bisher nicht üppige Erfolgsbilanz auf bessern. Dem steht entgegen, daß Napoleon die Urheberschaft an Sieg und Frieden allzu offen für sich persönlich beansprucht. Das Verhältnis der Direktoren zu ihrem protégé kühlt ab. Weil sie selbst schwach sind, mißfällt ihnen Napoleons Popularität. Weil er in Italien wie ein Vizekönig agiert, bezweifeln sie seinen Gehorsam. Ihr Argwohn richtet sich gegen den politischen Ehrgeiz des Generals Bonaparte, und dieser Argwohn ist durchaus begründet. Im Mémorial zitiert Las Cases Napoleon mit der Bemerkung, während des Italienfeldzugs sei ihm der Gedanke gekommen, „daß ich wohl auf der politischen Bühne eine ausschlaggebende Rolle spielen könnte“42. Die politische Bühne, das ist Paris. Die Stadt bereitet dem Rückkehrer
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einen begeisterten Empfang. In den Theatern spielt man Die Brücke von Lodi. Die Straße, in der Napoleon und Joséphine wohnen, wird in Rue de la victoire umbenannt. Napoleon ist jetzt ein Star. Um so vorsichtiger muß er sein. Nur nicht den Verdacht auf sich ziehen, als strebe er die Militärdiktatur an! In dem nun folgenden Interim spielen alle Beteiligten mit verdeckten Karten. Öffentlich tritt Napoleon betont zurückhaltend auf. Fragt man ihn nach seinen Absichten, antwortet er ausweichend. Das Direktorium braucht ihn, möchte ihn aber nicht länger in Paris haben. Schließlich schickt man ihn an die Kanalküste. Er soll eine Invasion gegen England vorbereiten. Für Napoleon ist der Auftrag zweifellos attraktiv. Lorbeer verwelkt. Es kann nur gut sein, den in Italien erworbenen Ruhm aufzufrischen. Aber sehr rasch gelangt er zu der Einsicht, daß ohne eine gewaltige maritime Aufrüstung die Überquerung des Kanals mißlingen wird. Also überzeugt er das Direktorium davon, daß man England, den hartnäckigsten Widersacher der Republik, auch woanders treffen könne. Es beginnt das orientalische Abenteuer. Der Expedition nach Ägypten hat, weil ihr der Erfolg versagt bleibt, immer der Beigeschmack des Mutwilligen angehaftet. In Frankreich ist die Expedition jedoch populär. Das liegt an dem märchenhaften Reiz, der ihr innewohnt. Mit seiner uralten und geheimnisvollen Hochkultur spricht Ägypten, das zu dieser Zeit ottomanische Provinz ist und von der Kriegerkaste der Mamelucken regiert wird, die Phantasie der Nation weit stärker an als der westindische Kolonialbesitz, von dem Frankreich übrigens nicht viel geblieben ist. Geostrategisch läßt sich die Herausforderung Englands am Roten Meer gut begründen. Wenn Frankreich die Landenge von Suez unter seine Kontrolle bringt, kann es den Seeweg zum reichen Indien sperren. Langfristig bietet sich Ägypten als ideale Ausgangsbasis für ein Ausgreifen nach Fernost an. So könnte man England ins Mark treffen. Am 1. Juli 1798 landet die französische Flotte in Alexandria. Zum ersten Mal seit dem verhängnisvollen Kreuzzug Ludwig des Heiligen (1248) betritt ein christliches Heer wieder ägyptischen Boden. Im Gefolge der 38 000 Mann starken Armee befi nden sich 200 Wissenschaftler und Künstler. Sie werden forschen, malen, sammeln, ein Institut d’Égypte gründen und dafür sorgen, daß in Frankreich nach der Rückkehr eine wahre Ägyptomanie ausbricht. Am 21. Juli schlägt Napoleon unweit von Gize das Reiterheer der Mamelucken. „Soldaten! Bedenkt, daß von der Höhe dieser Pyramiden Jahrtausende auf euch herabschauen“. Mit diesem Appell soll er die Soldaten in die Schlacht geschickt haben. Wie viele berühmte Sätze, die man in den Geschichtsbüchern liest und die Ausstellungen schmücken, ist auch dieser nicht belegt. Zuzutrauen wäre er ihm. Denn es gehört zu den Zauberkünsten Napoleons, seinen grognards zu suggerieren, daß ihre Arena die Weltgeschichte ist.
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Nach dem Sieg bei Gize und dem Einzug in Kairo nimmt die Expedition eine unglückliche Wendung. Die hochsommerliche Hitze peinigt die Soldaten, der Wüstenkrieg kennt andere Gesetze als der in Tirol und in der Lombardei. Die Versorgung ist schwierig, und entgegen der Erwartung quittiert die Bevölkerung die Erlösung vom mameluckischen Joch keineswegs mit Jubelrufen. Dabei geben sich die Franzosen große Mühe, nicht als Eroberer aufzutreten. Napoleon, der zur Vorbereitung der Expedition den Koran gelesen hat, gibt strikte Order, Religion und Lebensart der Ägypter zu respektieren. Zum Fest des Propheten Ende August spielt eine französische Militärkapelle auf. Menou, ein General der Ägypten-Armee, heiratet die Tochter eines Bademeisters und tritt zum Islam über43. Mit gewohnter Tatkraft geht Napoleon daran, Straßen zu bauen, den Verkehr zu fördern und die Verwaltung zu verbessern. Doch trotz aller Anstrengungen lassen die Nachkommen der Pharaonen nicht davon ab, den Sendboten der großen abendländischen Revolution und ihren Motiven zu mißtrauen. Dann erleidet das Expeditionskorps einen Rückschlag, von dem es sich nicht mehr erholt: Der britische Admiral Nelson vernichtet die französische Flotte, die er in der Bucht von Abukir überrascht hat. Damit sitzen die Franzosen in der Falle, während England eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, daß ihm auf See niemand gewachsen ist. Inzwischen hat die Pforte, die osmanische Reichsregierung, auf Drängen Englands und Rußlands Frankreich den Krieg erklärt. Napoleon marschiert der feindlichen Heeresmacht, die in Syrien steht, entgegen. Die Kämpfe werden mit außergewöhnlicher Härte geführt. In Jaffa läßt Napoleon 2500 osmanische Kriegsgefangene erschießen. Er rechtfertigt sich damit, daß andernfalls die eigenen Truppen verhungert wären. Den Makel der brutalen Handlung, die allen soldatischen Ehrbegriffen entgegensteht, empfi ndet er durchaus, daher läßt er Gros ein sentimentales Bild malen, Bonaparte visitant des pestiférés de Jaffa. Der menschenfreundliche General, der ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit Pestkranke besucht, soll die Erinnerung an das unmenschliche Massaker übertünchen. Nachdem der Vormarsch der Franzosen bei Akko gestoppt worden ist, wird der Rückzug durch die Wüste zum Passionsweg. Die Armee verliert ein Drittel der gegen Syrien ausgerückten Soldaten. Am 25. Juli 1799 erringt Napoleon noch einmal einen glänzenden Sieg. Ausgerechnet bei Abukir, wo Nelson ein Jahr zuvor die französische Flotte zerstört hat, schlägt er vernichtend eine zweite türkische Armee. Doch schon am 22. August überträgt er den Armeeoberbefehl dem General Kléber, um einen Tag später Ägypten mit kleiner Begleitung auf zwei Fregatten zu verlassen. Zur Begründung gibt er folgende Erklärung ab: „Das Interesse des Vaterlandes, sein Ruhm, der Gehorsam und außerordentliche Ereignisse be-
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stimmen mich, allein, inmitten feindlicher Geschwader nach Europa zurückzukehren“44. Die Abreise von Ägypten nimmt paßgenau vorweg, was gut 13 Jahre später in Smorgoni geschieht: Nach einem militärischen Fehlschlag, herbeigeführt durch Klima und Krankheit, kehrt Napoleon plötzlich der Armee den Rücken. Und genauso wie 1812 sind es Ereignisse in Frankreich, die sein Verhalten diktieren: Der Krieg in Europa hat wieder Fahrt aufgenommen. Die italienischen Gewinne Napoleons sind verspielt worden. Der Autoritätsverfall des Direktoriums schreitet voran. Nach einer abenteuerlichen Slalomfahrt durch das Mittelmeer, immer in Gefahr, von Nelsons Jägern gestellt zu werden, landet Napoleon am 9. Oktober wohlbehalten im Golf von Fréjus, 16 Monate nachdem er Frankreich verlassen hatte. Als glücklicher Zufall erweist sich, daß im Augenblick seiner Rückkehr die Nachricht vom Sieg bei Abukir Paris erreicht. Die öffentliche Meinung glaubt die Expedition auf der Erfolgsspur. Als die Ägypten-Armee 1801 kapituliert, ist die Nation längst mit anderen Themen beschäftigt. Napoleon betritt die Hauptstadt am 16. Oktober. Sie gleicht einem brodelnden Wasserkessel, dessen Deckel jederzeit in die Luft fl iegen kann. Putschgerüchte aller Art schwirren herum. Man unterstellt wahlweise den Royalisten oder den Jakobinern, daß sie die Macht an sich reißen wollen. Der Heimkehrer aus dem Morgenland bunkert sich in der Rue de la victoire ein. Er hat mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen. Da ist einmal das sehr stürmische Verhältnis zu seiner Frau. Joséphine hat ihn betrogen. Napoleon weiß darüber Bescheid. Vertraute haben ihn informiert. Der Clan war immer gegen Joséphine. Jetzt fühlt er sich bestätigt. „Nabulione“ hat sein Herz einer Unwürdigen geschenkt. Vor allem die Mutter Letizia versprüht Gift. Weil Joséphine älter ist als ihr Ehemann, wird sie von der Schwiegermutter mit konstanter Bosheit la vielle tituliert. Der „Alten“ hält sie vor, daß sie außerstande sei zu tun, was nicht nur nach korsischer Auffassung vorrangige Pfl icht der Frau ist, nämlich dem Mann Kinder zu gebären. Die häuslichen Scherereien kommen ungelegen. Napoleons ganze Aufmerksamkeit ist durch die undurchsichtigen Verhältnisse in der Stadt gefordert. Wer wird den Schlag führen? Hat das Direktorium die Kraft, dagegenzuhalten? Jeder falsche Schritt, jede Fehleinschätzung kann verhängnisvoll sein. Im Haus an der Rue de la victoire machen jetzt viele ihre Aufwartung. Ständig sind Besucher da. Es kommen solche, die den populären General für irgendeine Fraktion anwerben wollen. Es kommen andere, die ihre Hoffnungen auf ihn selbst setzen und sich ihm als Unterstützer anbieten. Napoleon hält sich bedeckt. Äußerlich entspannt, nimmt er an den Sitzungen des Institut de France teil, das ihn als Mitglied aufgenommen hat. Trifft man ihn auf der Straße, trägt er nicht seine Generalsuniform, sondern den Gelehr-
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tenfrack, mit dem sich die Weisen des Instituts kostümieren. So bewegt er sich in Paris wie ein Schauspieler ohne Engagement. Er wartet ab, weicht aus, beobachtet. Dabei ist ihm klar, daß er im Eskalationsfall dem Konflikt nicht entrinnen kann. Kluge Bebachter wie Christine Reimarus durchschauen Napoleons Nonchalance. Die Ehefrau des aus Schwaben stammenden Ministers Reinhard vertraut ihrem Tagebuch am 16. brumaire (7. November) eine subtile Momentaufnahme an: „Ich fand Bonaparte, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, bescheiden wie ein Beherrscher, einfach wie jemand, der auf alles Anspruch machen kann“45. „Bescheidener Beherrscher“: Die Beschreibung würde ihm wohl gefallen. Ob er wirklich alles beanspruchen kann, ist jedoch die Frage. In vielen Rechnungen taucht er wegen seines Siegerimages als deus ex machina auf, das weiß er inzwischen. Aber kennt er alle Rechnungen? Was die republikanische Linke angeht, macht er sich keine Illusionen. Deren großer Alptraum ist die Militärdiktatur. Sie fürchtet den General, weil nur er für diese Rolle in Betracht kommt. Napoleon muß sich vorsehen. Wer will ausschließen, daß in diesen fiebrigen Novembertagen ein Brutus bereitsteht, um ihm ein cäsarisches Ende zu bereiten? Als das Direktorium dem Heimkehrer aus Ägypten in der ehemaligen, inzwischen zum Temple de la gloire umgewidmeten Kirche Saint-Sulpice ein Festessen mit 700 Gästen gibt, vertraut Napoleon aus Angst, vergiftet zu werden, allein dem Wein, den sein Brigadechef Duroc mitgebracht hat46. Die Initiative zu den Ereignissen des 18. brumaire (9. November 1799) geht nicht von Napoleon aus. Den Anstoß gibt der Abbé Sieyès, Mitglied des Direktoriums. Es ist derselbe Emmanuel Joseph Sieyès, ehemaliger Generalvikar von Chartres, der mit seiner Anfang 1789 erschienen Schrift Was ist der Dritte Stand? die Lunte zum revolutionären Gemisch geliefert hatte47. Sieyès nimmt Kontakt zu Napoleon auf. Die Republik ist in Gefahr, wenn nicht rasch und entschlossen gehandelt wird. Darüber sind sich beide einig. Der Abbé sucht einen starken Arm; der Général vendémaire hat seine Tatkraft schon einmal unter Beweis gestellt. Sieyès will den Staatsstreich, aber in möglichst legaler Form. Jedenfalls soll ein Blutvergießen vermieden werden. Er strebt eine neue Verfassung mit einer deutlich stärkeren Exekutive an. Dazu sollen die beiden Kammern der Gesetzgebungskörperschaft ihre Zustimmung geben. Diese Kammern sind der Rat der Alten und der Rat der Fünfhundert. Nur im Rat der Alten kann Sieyès auf eine Mehrheit bauen. Das Problem wird der Rat der Fünfhundert sein, dem zwar Napoleons jüngerer Bruder Lucien vorsitzt, in dem aber die jakobinische Partei den Ton angibt. Der Staatsstreich beginnt am festgesetzten Tag. Alles verläuft zunächst nach Plan. Napoleon werden die in Paris stehenden Truppen unterstellt. Der
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Rat der Alten erklärt sich einverstanden mit dem, was die Verschwörer empfehlen, und verfügt sich nach außerhalb der Stadt, nach Saint Cloud, wo man dem Druck der Straße nicht ausgesetzt ist. Doch im Schloß von Saint Cloud widersetzen sich die Fünfhundert. Als Napoleon mit dem Hut in der Hand den Saal betritt, wird er mit Rufen wie „Tod dem Tyrannen!“ und „Nieder mit dem Diktator!“ empfangen. Napoleon verliert die Fassung, er hält wirre Reden und läßt sich aus dem Saal herausdrängen. In dem allgemeinen Tumult rettet Lucien die Situation, indem er die Truppen, die das Schloß umstellt haben, mit einer dramatischen Ansprache gegen die Versammlung in Rage versetzt. Am Ende werden die Fünfhundert auseinandergejagt. Als Stunden später beide Kammern wieder zusammentreten, sind die Befürworter unter sich. Die Widerspenstigen haben es vorgezogen, sich in Sicherheit zu bringen. So kann nun auch das letzte Kapitel aus dem Drehbuch der Verschwörer abgespult werden. Die Nationalversammlung hebt die Verfassung des Jahres III auf; sie vertagt sich selbst und überträgt die Exekutivgewalt auf drei provisorische Konsuln: Sieyès, Roger-Ducos und Napoleon. Im Exil wird Napoleon den Vorwurf, man habe am 18. brumaire die Gesetze übertreten, als naiv abtun. Es habe eine „gebieterische Notwendigkeit“ zu handeln bestanden, erklärt er und fügt hinzu: „Ebensogut könnte man den Seemann beschuldigen, daß er sein Schiff beschädige, wenn er die Masten kappt, um nicht unterzugehen“48.
Alles ist möglich Man kann sich die Revolution, dieses Welturereignis, ohne Napoleon vorstellen, nicht aber Napoleon ohne die Revolution. Sie ist der Stempel auf seiner Brust, der Dreh- und Angelpunkt dieser außerordentlichen Biographie. Die Revolution ermöglicht Napoleons kometenhaften Aufstieg. Sie schafft die Bedingungen seiner Eroberungspolitik wie seines Cäsarismus. Sie ist seine Lehrmeisterin in allem, an sie bleibt er gekettet. Er sei das Kind der Revolution, ein „muttermörderisches“ allerdings, wie die böse Madame de Staël hinzufügt49. Er selbst hält sich für ihren Überwinder. Die Sieger von Waterloo dagegen werden behaupten, daß sie mit Napoleon die Revolution besiegt haben. Die Revolution: Das ist der dreifache Fanfarenstoß Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das sind die bürgerliche Verfassung und die Gleichheit vor dem Gesetz, sind das Rasen gegen Priester und Aristokraten und das Johlen des Pöbels, wenn der Kopf fällt, alles in einem. Unscharf im Programm, schwach im Auf bau, erreicht die Revolution beim Einreißen ihre größte Wirkung. Über den gefallenen Mauern weitet sich der Horizont ins Unend-
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liche. Alles ist möglich, alles ist formbar, alles ist erlaubt. So lautet die grandios anmaßende Verheißung der Revolution, die sie dem neuen Menschen als Geschenk in die Wiege legt. Die Botschaft kommt bei Napoleon gut an. Seinem Bruder Joseph schreibt er im September 1795: „Für die Zukunft sehe ich für mich nur angenehme Dinge voraus; sollte es aber anders kommen, dann muss man sich eben in das, was ist, schicken. Die Zukunft kann der Mann missachten, der Mut besitzt“50. Ein Jahr später feiert er in den Sümpfen von Arcole einen Sieg, den Antoine-Jean Gros in einem bemerkenswerten Bild verewigt hat. Napoleon erscheint hier als vorwärtsstürmender General, schön wie ein junger Gott, das Haar schulterlang, den Säbel in der einen, das Banner in der anderen Hand. Der Blick, den er zurückwirft, ist ein Abschied von der Vergangenheit, ein Abschied ohne Bedauern. Es ist der Blick eines Mannes, der sich erkühnt, alle Grenzen zu mißachten. Napoleon erfaßt die Revolution als auf die Spitze getriebene Möglichkeit. Wer den richtigen Augenblick erfaßt, kann jeden Gipfel erstürmen. Wer ihn verpaßt, dem droht der freie Fall. Napoleon hat beide Möglichkeiten kennengelernt. Um ein Haar hätte ihn der Sturz Robespierres mit in den Abgrund gerissen. Er ist davongekommen und profitiert jetzt von dem Umstand, daß sich Frankreich mit der Beseitigung der alten Führungsschicht und nun auch der neuen revolutionären Nobilität den Luxus eines enormen Elitenverschleißes geleistet hat. Dieser schafft Raum für Bilderbuchkarrieren, auch in der Armee. Es ist erstaunlich, wie gut es der Republik gelingt, fähige Heerführer zu rekrutieren. Napoleon ist nur einer davon, aber der herausragende. Tag für Tag zu erleben, daß alte Bindungen sich lösen, daß Stand und Geburtsrechte nichts mehr gelten, neue Hierarchien entstehen, neue Feste gefeiert und neue Kleider getragen werden – all das kann Menschen, die ehrgeizig und phantasievoll sind, in einen Rauschzustand versetzen. Bereitwillig wirft sich Napoleon der großen occasion in die Arme. Später ist es kein Zufall, daß er den aigle éployé, den Adler mit den ausgebreiteten Flügeln, zum Wappentier des Kaiserreiches macht. Und wiederum ist es kein Zufall, daß er das Bild des Adlers aufgreift, als er sich 1815 zum abenteuerlichsten seiner Abenteuer aufmacht, der Herrschaft der Hundert Tage. Am Beginn des Marsches vom Golfe Juan nach Paris, den Chateaubriand „das Wunder der Invasion eines einzelnen Mannes“ nennt51, erlässt er eine Proklamation, in der der Verbannte von Elba und das Wappentier zu einer Allegorie des „Alles ist möglich“ verschmelzen: „Der Sieg wird im Laufschritt vorrücken. Der Adler wird mit den Nationalfarben von Kirchturm zu Kirchturm fl iegen bis zu den Türmen von Notre Dame“52.
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Daß sich die Revolution in ihrer Bewegung so wenig hemmen läßt wie der Adler in seinem Flug, drückt am treffendsten das Kampfl ied Ça ira aus. Entstanden während des Föderationsfestes zum ersten Jahrestag des BastilleSturms, wird es zum Gassenhauer der unbegrenzten Möglichkeiten. Ah! ça ira, ça ira, ça ira, Les aristocrates à la lanterne! Ah! ça ira, ça ira, ça ira, Les aristocrates on les pendra! Le despotisme expirera, La liberté triomphera, Ah! ça ira, ça ira, ça ira, Nous n’avons plus ni nobles, ni prêtres, Ah! ça ira, ça ira, ça ira, L’égalité partout régnera. L’esclave autrichien le suivra, Au diable s’envolera. Ah! ça ira, Ah! ça ira, Au diable s’envolera.
Ah, wir werden es schaffen, Die Adeligen an die Laterne! Ah, wir werden es schaffen, Die Adeligen werden wir aufknüpfen! Die Tyrannei wird ihren Geist aushauchen, Die Freiheit wird triumphieren, Ah, wir werden es schaffen, Es gibt weder Adelige noch Priester mehr, Ah, wir werden es schaffen, Die Gleichheit wird überall herrschen. Der österreichische Sklave kommt auch noch an die Reihe, Er wird zum Teufel gehen. Ah, wir werden es schaffen, Er wird zum Teufel gehen.
Das Ça ira enthüllt den universalen, aggressiven Charakter der Revolution. Im eigenen Land wird debütiert, aber schon bald wird die Gleichheit „überall herrschen“. Auch der „österreichische Sklave“ kommt noch an die Reihe. Das ist Kreuzzugspropaganda. Eine neue Art des Krieges kündigt sich an. Früher schlugen sich die Könige um Landstriche, indem sie Erbansprüche geltend machten. Die Revolution hingegen nimmt für sich ein umfassendes Interventionsrecht in Anspruch und setzt das ganze europäische Haus in Brand. Napoleon läßt der revolutionäre Bekehrungseifer kalt. Zwar predigt er in Italien die Befreiung der Völker vom piemontesischen oder österreichischen Joch, aber die Botschaft ist nur Mittel zum Zweck. Er instrumentalisiert sie, wann und wo es passt. Faktisch folgt er jedoch dem Takt des Ça ira uneingeschränkt. Er respektiert weder Grenzen noch die geschichtliche Gestalt von Staaten. Rücksichtslos verjagt er Könige und nimmt Päpste gefangen. Dabei folgt er keinem System. Anders als bei den Maßnahmen, die er
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im Innern ergreift, die klug und durchdacht sind, haftet seinen territorialen Neuschöpfungen ein mutwilliger und vorbehaltlicher Zug an. Alles ist möglich. Das familiäre Führungspersonal, dessen er sich bei der Vergabe neuer Kronen und Würden bedient, wird nach Belieben hin- und hergeschoben. Ein Beispiel ist sein Schwager Joachim Murat. Ihn macht er eines Tages zum Großherzog von Berg, eines anderen Tages ernennt er ihn zum König von Neapel. Im Musterstaat Westphalen – hier wird sein jüngster Bruder Jérôme König – werden die Landesgrenzen immer wieder verändert. 1807 beträgt die Fläche 37 883 Quadratkilometer, drei Jahre später 65 652 und 1813, als das Königreich zusammenbricht, 45 427 Quadratkilometer. Die Einwohnerzahl schwankt in der nur sechsjährigen Geschichte des Kunststaats zwischen 1,95 und 2,6 Millionen. Die Kartographen haben unter Napoleon Hochkonjunktur, denn alles ist formbar, immer und zu jeder Zeit. Das heißt aber auch: Nichts kann als vollendet gelten. Vor Beginn des Rußlandfeldzugs äußert Napoleon einmal gegenüber dem Grafen Narbonne: „Täuschen Sie sich nicht; ich bin ein römischer Kaiser; ich entstamme dem besten Geschlecht der Cäsaren, dem Geschlecht der Gründer“53. Das ist eine der großen Selbsttäuschungen, denen er erliegt. Um Gründer zu sein, muß man einen Plan haben. Napoleon aber hat keinen Plan. Er ist der „Mann der Aktion“54. Ruhelosigkeit bleibt ein Merkmal seiner Außenpolitik bis zum Ende. Was für sein Handeln gilt, gilt auch für sein Denken. Nimmt man Maß an seiner Zeit, die enorm doktrinär ist, sind Napoleons politische Auffassungen erstaunlich vorurteilsfrei. Nur dadurch kann er die Zerrissenheit des Landes überwinden und Frankreich den inneren Frieden zurückgewinnen. Seine jugendliche Begeisterung für Rousseau war echt, kehrt sich aber bald in eine tiefe Abneigung gegen jede Philosophie um. Wenn er sich verächtlich über die „Ideologen“ ausläßt, meint er das endlose Diskutieren in revolutionären und anderen Konventikeln, das zu nichts führt. Politischen Glaubenslehren mißtraut er. Sie befehden einander, sie halten das Land im Würgegriff und sind schuld am Bürgerkrieg. Für Napoleon sind Jakobiner und Royalisten praktisch austauschbar. Die einen wie die anderen schwächen die Republik. Die Emigranten agitieren in den Ländern ihres Exils gegen die Heimat. Sie kämpfen in den Armeen der antifranzösischen Koalitionen und unterstützen die Aufstände in der Vendée oder in der Provence. Umgekehrt heizen die Jakobiner durch ihre Unversöhnlichkeit den Bürgerkrieg an. Sie zelebrieren ihren Haß auf Kirche und Kronen und scheuen sogar vor Leichenschänderei nicht zurück. Den 21. Januar, Tag der Enthauptung Ludwig XVI., erklären sie zum Nationalfeiertag. Statt für die Revolution und ihre Werte zu werben, pflegen sie deren Fratze und liefern damit den Feinden Frankreichs permanent Munition. Es ist der Parteigeist, der das Land lähmt und die Republik bedroht. Das weiß auch das Direktorium.
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Doch es ist schwach und vermag weder dem Bürgerkrieg Einhalt zu gebieten, noch den äußeren Frieden herzustellen. Das ist die Situation des Jahres 1799, als Napoleon die Bühne der „großen Politik“ betritt. Die Konstellation ist klar: Die Revolution hat ihre Zeit gehabt. Sie hat „keinen Atem mehr“55. Die Menschen sehnen sich nach Ruhe und Ordnung. Sie sind des Durcheinanders überdrüssig. Diktatur liegt in der Luft. Das verspürt man sogar im fernen thüringischen Weimar. Der alte Christoph Martin Wieland schreibt: „Ich interessiere mich höchlich für Buonaparte, der, seitdem es Menschen gibt, vielleicht nicht drey seinesgleichen gehabt hat, der Frankreichs u (sic!) des ganzen Europa Heiland werden würde, wenn die Franzosen den Verstand hätten, ihn auf Lebenslang zu ihrem Dictator zu machen“56. Der starke Mann, den das Land herbeisehnt, muß die Regierungsgewalt nicht usurpieren. Sie fällt ihm wie eine reife Frucht in den Schoß. Sein Versprechen ist Handlungsfähigkeit, sein Programm ist Macht. Wenn er sagt, man brauche zum Regieren „Stiefel und Sporen“57, kann er sicher sein, daß ihm die Nation nicht widersprechen wird. Im Gefolge des 18. brumaire handelt Napoleon nach seiner Art, das heißt schneller und entschlossener als alle übrigen. In wenigen Tagen hat er Sieyès und Ducos, seine Konsulatskollegen, an den Rand gedrängt. In die Verfassungsberatungen mischt er sich zunächst nicht ein. Sie nehmen auch ohne ihn einen guten Verlauf. Eine Verfassung, sagt er dem Staatsrat Roederer, müsse kurz und vor allem schwer auslegbar sein58. Deshalb gefällt ihm, daß sich die Kommission, die die Verfassung berät, für die Legislative eine Konstruktion von geradezu monströser Kompliziertheit ausdenkt. Nicht weniger als vier Kammern sollen für die Gesetzgebung zuständig sein. Das stärkt die Exekutivgewalt, und nur um diese geht es Napoleon. Die Exekutive müsse kraftvoll sein, erklärt er, sonst hätte man sich den Staatsstreich sparen können. In langen Nachtsitzungen, die er schon deshalb dominiert, weil niemand so ausdauernd ist wie er, ringt er der Kommission die gewünschten Befugnisse ab. Am Ende hat im Triumvirat der Konsuln, das mit der ausübenden Gewalt betraut ist, nur einer das Sagen: Als Erster Konsul mit einer Amtszeit von zehn Jahren ernennt Napoleon die Minister und hohen Beamten, er hat die Gesetzgebungsinitiative, er entscheidet über Krieg und Frieden. Nun, da die Verfassung die Prioritäten richtig setzt, läßt er sie dem Volk zur Abstimmung vorlegen. Das ist ein konsequenter Schritt. Die Macht kommt von oben, das Vertrauen von unten. So simpel lautet die Quintessenz der cäsarischen Herrschaft. Die Abstimmung bringt den erwarteten Erfolg und wird zum Muster. Künftig wird Napoleon alle Entscheidungen, die er für wichtig hält, durch ein Plebiszit bestätigen lassen. Mit der Volksabstimmung hat er die Form gefunden, die das Legitimationsproblem des
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charismatischen Führers lösen soll und diesen Zweck auch für eine gute Weile erfüllt. Im Geschwindschritt läßt Napoleon das Transitorium des provisorischen Konsulats hinter sich. Die Verfassung wird am 24. Dezember verkündet. Seit dem Staatsstreich sind ganze 44 Tage vergangen. Bereits am 15. Dezember hat der Erste Konsul in aller Form einen Schlußstrich unter die Revolution gezogen: „Bürger, die Revolution ist zu den Grundsätzen zurückgekehrt, von denen sie ausging; sie ist zu Ende“59. Das sind Sätze von beispielloser Kühnheit. Man muß sich vorstellen: Ein junger Mann, 30 Jahre alt, erklärt mit einem Federstrich die Revolution für beendet! Sie wird nicht etwa verworfen. Vielmehr wird sie, kraft des konsularischen Wortes, kanonisiert. Sie ist zurückgekehrt zu ihren Grundsätzen, also unbefleckt. Übersteigerungen, Terror und Anarchie werden bilanztechnisch abgeschrieben. Was bleiben soll von der Revolution, läßt sich am ehesten an der neuen Eidesformel ablesen. Sie lautet: „Ich schwöre der einen und unteilbaren Republik, die auf der Souveränität des Volkes, der Repräsentativverfassung, der Aufrechterhaltung der Gleichheit, auf der Freiheit und auf der Sicherheit der Person und des Eigentums beruht“60. Das sind nicht nur Phrasen. Es sind Grenzsteine, aber sie liegen weit auseinander, und es wird dem Ersten Konsul ein leichtes sein, die Räume dazwischen zu füllen. Er wird sich nicht damit begnügen, gleichsam der Schlußredakteur eines zu Ende gegangenen weltgeschichtlichen Abschnitts zu sein. Die Jakobiner irren, wenn sie glauben, Napoleon sehe sich als Militärdiktator, als eine Art Sulla. Solon will er sein, der Gesetzgeber, der ein eigenes Geschichtskapitel eröffnet: die Napoleonzeit. Jeder Neubeginn braucht neue Namen. Obwohl Napoleon über wenig administrative Erfahrung verfügt und in der praktischen Politik ein Anfänger ist, beweist er bei der Besetzung wichtiger Führungsämter eine gute Hand. Zum Außenminister ernennt er Talleyrand, Polizeiminister wird Fouché. Beide werden ihn verraten, beide wird er verachten. Beide sind jedoch dort, wo er sie hinstellt, Meister ihres Fachs. Talleyrand, ein Lebemann mit Klumpfuß, tat sich in der Nationalversammlung dadurch hervor, daß er als ehemaliger Bischof den Antrag auf Enteignung der Kirchengüter einbrachte. Der Schreckensherrschaft entzog er sich klug durch Aufenthalte in England und Amerika, so daß er mit den schlimmsten im Namen der Tugend begangenen Verbrechen nicht in Verbindung gebracht werden kann. Anders Fouché: Der einstige Oratorianer-Schüler, frömmlerisch in seiner Haltung, sicherte sich während der terreur den Ruf eines Bluthundes. Das Rachegemetzel, das er nach der Niederschlagung des Lyoner Aufstands im Auftrag des Konvents an den Unterlegenen verübte, wurde selbst von der an Grausamkeit gewohnten Umwelt als Exzeß wahrgenommen. Für den Rest
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seines Lebens verfolgt Fouché die Angst, einmal für seine Missetaten sühnen zu müssen. Diese Angst bindet ihn an Napoleon. Umgekehrt wird Fouché für Napoleon unentbehrlich, weil er ein Polizeisystem auf baut, das mit seinem Netzwerk von Spionen und Zuträgern auch die leiseste konterrevolutionäre Regung seismographisch erfaßt. Gegenseitige Abhängigkeit kennzeichnet auch das Verhältnis zwischen Napoleon und Talleyrand. Bei allen Ränken, die dieser schmiedet, bleibt er ein exzellenter Vertreter der diplomatischen Kunst, den Napoleon, kaum daß er ihn einmal kaltgestellt hat, gleich wieder vermißt. Talleyrand und Fouché sind Charaktertypen, wie sie nur eine aus den Fugen geratene Welt hervorbringt. Sie werden an Napoleons Fall beteiligt sein und diesen überstehen. Sie werden sogar das Unvorstellbare schaffen, nämlich in die Dienste Ludwig XVIII. treten, des Bruders jenes unglücklichen Bourbonen, der unter der Guillotine endete. Diesen Gipfel der Treulosigkeit und des Ideenverrats beschreibt Chateaubriand in den Mémoires d’outre tombe: Es ist unmittelbar nach der Schlacht von Waterloo. Der Dichter, der in seiner royalistischen Haltung nie geschwankt hat, eilt zum König, der sich in der Abtei von Saint-Denis auf seine Rückkehr nach Paris vorbereitet, um ihm seine Ehrerbietung darzubringen. „Man führte mich in einen der Räume vor jenen des Königs, wo ich mich allein fand. Ich setzte mich in eine Ecke und wartete. Plötzlich öffnet sich eine Tür: Schweigender Eintritt des Lasters, Arm in Arm mit dem Verbrechen. Monsieur de Talleyrand, gestützt von Monsieur Fouché. Die infernalische Vision gleitet langsam an mir vorbei ins Kabinett des Königs und entschwindet. Fouché hatte gerade seinem Herrn den Treueid geschworen; der treue Königsmörder auf den Knien, die Hände, die den Kopf Ludwig XVI. fallen ließen, zwischen den Händen des Bruders des königlichen Märtyrers. Der abtrünnige Bischof beglaubigte seinen Schwur.“ Minuten später will Ludwig von Chauteaubriand wissen, was dieser über das gerade Gesehene denkt. Der Dichter antwortet: „Sire, ich gehorche nur Eurem Befehl. Verzeiht mir die Offenheit, ich glaube, daß es mit der Monarchie vorbei ist“. Es entsteht eine Pause, dann sagt Ludwig XVIII. lakonisch: „Nun gut Monsieur de Chateaubriand, ich bin Eurer Ansicht“61. Einen guten Griff tut Napoleon mit Cambacérès. Den gemäßigten Revolutionär setzt er als zweiten Konsul durch und gibt ihm das Justizressort. 1804 wird Cambacérès Erzkanzler des Kaiserreichs und damit der Mann, der in Paris die Fäden in der Hand hält, wenn Napoleon im Felde ist. Berthier, der neue Kriegsminister, wird Napoleon als Chef des Generalstabs in allen Kriegen eine unverzichtbare Stütze sein. Er endet tragisch. Als Napoleon von Elba zurückkehrt, wird Berthier, der sich in seinem Schloß in Bamberg
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aufhält, von den bayerischen Behörden an der Ausreise gehindert. Vergeblich versucht er, zu seinem alten Kriegsherrn zu gelangen. Eines Tages, als er eine russische Einheit beobachtet, die auf dem Weg nach Frankreich Bamberg durchquert, stürzt er sich lebensmüde aus dem obersten Stockwerk des Schlosses. Mag sein, daß Waterloo anders verlaufen wäre, hätte Napoleon den vertrauten Generalstabschef an seiner Seite gehabt. Einen erstklassigen Finanzfachmann fi ndet Napoleon in Martin-Michel Gaudin. Nach Gaudins Erzählung erfolgt die Dienstverpfl ichtung auf folgende Weise: Napoleon bestellt Gaudin in den Luxembourg und fragt: „Sie haben sich lange mit Finanzangelegenheiten beschäftigt?“ – „Zwanzig Jahre, Bürger General.“ – „Wir brauchen dringend Ihre Mitarbeit; ich zähle auf Sie. Legen Sie rasch Ihren Eid ab, wir haben es nämlich eilig“62. Gaudin fi ndet eine leere Staatskasse vor. In kurzer Zeit beseitigt er Mißbräuche bei der Vereinnahmung der Steuern. Er modifi ziert das Steuersystem, indem er die Grundsteuer senkt und die direkten Steuern erhöht. Schon im ersten Monat führt er eine Kasse zur Schuldentilgung ein. Psychologisch klug ist, daß die Staatsrenten wieder in bar ausgezahlt werden. Dadurch wird das Heer der Rentiers für die neue Regierung gewonnen. Die für das Vertrauensklima ausdrucksstarke Rentenbewertung macht deutlich, wie enorm der Kredit für den Ersten Konsul ist. Einen Tag vor dem Staatsstreich notierte die Staatsrente bei 11,38, einen Tag nach dem Putsch liegt der Kurs bereits drei Francs darüber, am 24. brumaire wird ein Kurs von zwanzig Francs notiert. Als General haben die Franzosen Napoleon kennengelernt. Jetzt erleben sie einen Mann, der seinen ganzen Ehrgeiz daransetzt, zu gestalten und zu ordnen. Im Napoleon-Klischee kommt diese Seite kaum vor, dabei ist der Korse ein Administrator von Graden. Napoleon sieht den Staat als gigantische Maschine an, ein Getriebe, in dem alles aufeinander abgestimmt sein muß, weil jedes Aggregat auf ein anderes einwirkt. Und weil der Staat letztlich die Hilfsmittel für seine Pläne bereitstellen muß, arbeitet er mit Hingabe daran, die Effi zienz der Maschine zu verbessern. Die Einteilung Frankreichs in Departements hat die Revolution geschaffen. Doch der Erste Konsul erweitert die Reform um einen wichtigen Schritt, indem er die lokalen Verwaltungen abschafft. An die Spitze eines jeden Departements wird jetzt ein Präfekt gestellt, den der Erste Konsul ernennt. Der französische Zentralstaat mit seiner schwach ausgebildeten kommunalen Selbstverwaltung geht zu einem nicht geringen Teil auf Napoleon zurück. Eine andere Schöpfung von Dauer ist die 1800 gegründete Bank von Frankreich. Sie soll den Geldverkehr erleichtern und Unternehmen, die sich in der Klemme befi nden, mit Krediten helfen. Epochal ist auch die Wertfestsetzung des Francs auf fünf Gramm Silbergehalt. Der Franc germinal behauptet sich bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs.
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Die Revolution hatte Frankreich einen Demokratievorsprung vor allen Nachbarländern verschafft. Der Modernisierungsschub, der vom Konsulat ausgeht, ist ein administrativer. Die Institutionen, die in jenen Jahren geschaffen werden, sind das, was fortdauert, wenn die Universalmonarchie längst in Trümmern liegt und Napoleon sein letztes Exil bezogen haben wird. Das beste Beispiel dafür ist der Code civil, ab 1806 als Code Napoléon geführt. Frankreich kennt im 18. Jahrhundert keine einheitliche zivile Gesetzessammlung. Die Revolution versucht sich daran, scheitert aber. Der entscheidende Anstoß kommt von Napoleon. Er präsidiert den Beratungen. Er beteiligt sich an den Diskussionen, die zeitweilig bei ihm „zu Hause“ im Schloß Malmaison geführt werden. Doch anders als das Gemälde von Mauzaisse suggeriert, führt er nicht die Feder. Sein Verdienst besteht in dem Willensakt, Frankreich ein modernes Gesetzeswerk zu geben, das Identität stiftet und zugleich als Exportschlager dient. Was für ein Werk! Auf Sankt Helena erkennt Napoleon: „Waterloo wird die Erinnerung an so viele Schlachten auslöschen. Aber was durch nichts ausgelöscht werden kann, was ewig leben wird, ist mein Code civil“63. Tatsächlich übersteht der mehrfach fortgeschriebene Code zwei Kaiserreiche, zwei Königreiche, ein autoritäres Regime und fünf Republiken. In Deutschland, in Teilen Preußens, bleibt er bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahr 1900 in Kraft. Dabei ist er „französisch“, was spätestens ab dem Jahre 1813 keine Empfehlung mehr darstellt. Bei der deutschtümelnden Walpurgisnacht auf der Wachtburg 1817 landen Exemplare des Code civil auf dem Scheiterhaufen. Dabei hatte sich ausgerechnet der in patriotischen Kreisen hochgeschätzte Heinrich von Kleist zu Lebzeiten um das deutsche Druckprivileg des Code beworben! 64 Die Langlebigkeit des napoleonischen Zivilgesetzbuchs erklärt sich einerseits durch seine Modernität, die sich unter anderem im Prinzip der Erbteilung, der Einführung der Zivilehe und der Abschaffung der Feudalrechte niederschlägt. Hier und da ist er seiner Zeit sogar weit voraus, so wenn er in Art. 146 die Zwangsehe verbietet: „Ohne Einverständnis kommt die Ehe nicht zustande“. Darüber hinaus ist es der prägnante Stil des Code, der höchste Anerkennung fi ndet. Stendhal gestand, er habe bei der Komposition der Kartause von Parma „von Zeit zu Zeit ein paar Seiten des Code civil gelesen, um den richtigen Ton zu fi nden“65. Das Vertrauen, das ihm die ruhebedürftige Nation entgegenbringt, rechtfertigt das Konsulat schon im ersten Jahr. Das Straßenräuberwesen im Süden wird unterdrückt. Der Chouannerie in den westlichen Departements bereitet ein entschlossenes militärisches Vorgehen, das durch eine Generalamnestie flankiert wird, ein Ende. Zwar wird der Royalismus noch lange eine Herausforderung bleiben. Aber er hat aufgehört, eine bewaffnete Macht zu sein. Im Juni besiegt Napoleon nach der überraschenden Überquerung
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des Großen Sankt Bernhard die Österreicher bei Marengo (14. Juni 1800). Anfang Dezember komplettiert Moreau den Triumph der französischen Waffen, als er im Wald von Hohenlinden die Armee des Erzherzogs Johann vernichtet. Österreich muß alle im Frieden von Campo Formio zugestandenen Gebietsabtretungen bestätigen. Mit einem Mal steht Frankreich, aus einer Position innerer und äußerer Schwäche kommend, stärker da denn je. Die Franzosen schreiben die Wendung zum Besseren der Konsulatsregierung zu. Voller Zuversicht blicken sie in die Zukunft. Muß der Himmel nicht voller Geigen hängen, wenn schon der Start in das neue Jahrhundert so gut gelungen ist? Am Abend des 3. nivôse (24. Dezember) befi ndet sich der Erste Konsul auf der Fahrt in die Oper. Auf dem Spielplan steht Haydns „Schöpfung“. Da explodiert in der Rue Saint-Nicaise eine „Höllenmaschine“. Der Sprengstoffanschlag verfehlt Napoleons Kutsche, er ist aber so gewaltig, daß acht Menschen getötet, achtundzwanzig verwundet und sechsundvierzig Häuser beschädigt werden66. Wie durch ein Wunder bleibt der Erste Konsul unverletzt. Kaltblütig setzt er seinen Weg fort und zeigt sich dem Publikum scheinbar unbewegt von der Brüstung seiner Loge. Doch dann schlägt er zu. In den Kammern fordert er Ausnahmegesetze. Es müsse Blut fl ießen, sagt er und vergleicht sich mit Cicero, der, um die römische Republik zu retten, nach der Verschwörung Catilinas dessen Anhänger hinrichten ließ67. Tatsächlich wird kurzer Prozeß gemacht, die Täter werden zum Tode verurteilt, die Hintermänner deportiert. Die wirklichen Hintermänner? Der in Bedrängnis geratene Polizeiminister Fouché kann sehr bald nachweisen, daß das Attentat auf das Konto der Royalisten geht. Davon aber will Napoleon nichts wissen. Er beharrt darauf, daß als die wahren Täter nur Anhänger der Jakobinerpartei in Frage kommen. Die Schuldzuweisung ist nicht vollständig aus der Luft gegriffen. Anfang des Jahres hat die Regierung bis auf dreizehn alle in Paris erscheinenden Zeitungen verboten. Da die meisten der radikalen Linken zuzuordnen sind, ist die jakobinische Propaganda weitgehend gelähmt. Überhaupt fühlen sich die Jakobiner seit dem Umsturz unter Druck. Flugblätter erscheinen, in denen zum „Tyrannenmord“ aufgerufen wird. Warum soll der Anschlag mit der „Höllenmaschine“ nicht die Tat gewesen sein, die dem Wort folgt? Fouchés wohlbegründete Einwände weist Napoleon barsch zurück. 130 radikale Jakobiner werden in überseeische Territorien geschickt. In den meisten Fällen kommt das dem Todesurteil gleich. Für das eigensinnige Verhalten Napoleons gibt es neben dem Rachedurst des nur knapp dem Tod Entronnenen womöglich eine zweite Erklärung. Napoleon hat sich innenpolitisch auf die Rolle der pouvoir neutre festgelegt. Nur so kann er den Bürgerkrieg beenden. Programmatisch ist seine Prokla-
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mation vom 19. bromaire, in der es heißt: „Alle Parteien sind zu mir gekommen, haben mir ihre Ansichten anvertraut, ihre Geheimnisse kundgetan und mich um Unterstützung gebeten: ich habe abgelehnt, der Mann irgendeiner Partei zu sein“68. Nun hat er aber das Problem, daß er von vielen immer noch der linken Seite der politischen Skala zugeordnet wird. Bei seinen ersten Karriereschritten sei er nicht grundlos vom Robespierre-Lager protegiert worden, heißt es. Am 13. vendémaire habe er geholfen, die Royalisten niederzuknüppeln. Und muß man nicht auch die Befriedung des Westens als nachgeholten Sieg der Revolution gegen Gott und den König werten? Der Anschlag in der Rue Saint-Nicaise verschafft Napoleon die Gelegenheit, seinen Ruf zu balancieren. Mit der Zerschlagung der linken Opposition kann er beweisen, daß er sich nicht vereinnahmen läßt. Ganz im Geiste Montaignes will er weder als Ghibelline noch als Guelfe angesehen sein. Der Erste Konsul steht über den Parteien. In der Positur des großen Unabhängigen entspricht er dem Wunschbild der meisten Franzosen. Sie sind der Politisierung müde. Das Land will endlich entspannen. Klug unterstützt Napoleon diese gesellschaftliche Grundströmung. Bestimmte Verstiegenheiten der Revolutionsära werden zurückgenommen. Man redet sich wieder mit „Monsieur“ und „Madame“ an statt mit „Citoyen“ oder „Citoyenne“. Man darf wieder Kniehosen tragen, Schnallenschuhe und Seidenstrümpfe, ohne fürchten zu müssen, daß die Halskrause peinlich durchtrennt wird. Der Erste Konsul bezieht die Tuilerien, das alte königliche Stadtschloß, dessen Einrichtung der Pariser Pöbel zertrümmert hatte und dessen Gärten umgepflügt worden waren. All diese Veränderungen werden von der Öffentlichkeit unbeteiligt registriert. Kaum jemand nimmt Anstoß. Man betrachtet sie als Rückkehr zur Normalität und atmet auf wie über den Sonnenschein, der auf die Gewitternacht folgt. Nur in monarchistischen Kreisen mißversteht man Napoleons Symbolpolitik. Übereifrige träumen bereits von einer baldigen bourbonischen Restauration und halten für Wegbereitung, was doch nur nüchtern berechnete Versöhnungsgesten sind. Im Oktober 1800 werden 52 000 Namen von der Liste der verfemten Emigranten gestrichen. Viele Adlige, die sich dem tödlichen Bannkreis der Guillotine durch die Flucht entzogen und in England, in Deutschland oder woanders Unterschlupf gefunden haben, kehren ins Vaterland zurück. In hohem Maße angetan, spekuliert das royalistische Lager darüber, ob aus Napoleon ein französischer „Monk“ werden könne, ein Wiedergänger des englischen Feldherrn, der nach der Glorreichen Revolution die Rückkehr zur Stuart-Monarchie betrieb. Sie verrechnen sich. Sendboten, die nach dem Staatsstreich die Einstellungen des neuen starken Mannes erkunden wollen, bescheidet Napoleon kühl: „Ich bin kein Royalist“69. Noch deutlicher wird er gegenüber dem Bruder des ermordeten
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Königs, der ihm von England aus einen schmeichelnden Brief schreibt. Ihm antwortet er: „Sie sollten sich nicht wünschen, nach Paris zurückzukehren. Sie müssten über Hunderttausende von Leichen gehen“70. Die Denkfigur des „Monk“ beweist, daß der Erste Konsul für viele ein Rätsel ist. Über seinen Zielen liegt ein Nebelschleier. Wie weit reicht seine Ambition? Muß man auf Dauer mit ihm rechnen, oder ist er nur eine jener Zufallsgrößen, wie sie die Sturmflut der Revolution emporschleudert, um sie dann wieder zu verschlingen? Wer Napoleon zum erstenmal sieht, ist versucht, ihn zu unterschätzen. So geht es Hyde de Neuville, einem royalistischen Agenten, der ihn mit einem Domestiken verwechselt: „Die Tür ging auf. Instinktiv betrachtete ich den, der eintrat; klein, mager, das Haar klebte ihm an den Schläfen, sein Gang war zögernd. Der Mann, der da vor mit erschien, entsprach in nichts demjenigen, den sich meine Phantasie vorgestellt hatte. Es fehlte mir so sehr an Scharf blick, dass ich den Eintretenden für einen Hof beamten nahm. Mein Irrtum bestätigte sich noch, als er das ganze Zimmer durchschritt, ohne nur einen einzigen Blick auf mich zu werfen. Darauf lehnte er sich an den Kamin an und hob den Kopf. Jetzt aber schaute er mich so ausdrucksvoll, so durchdringend an, dass ich unter dem Feuer dieses forschenden Auges meine ganze Fassung verlor. Der Mann war plötzlich vor meinen Augen um 100 Ellen gewachsen“71. Erst allmählich wird man sich darüber bewußt, daß Napoleon keineswegs gesonnen ist, den Wegbereiter für welche Partei auch immer zu spielen. Sein Entspannungskurs, den er eine Zeitlang gegenüber den Emigranten steuert und der das bourbonische Lager blendet, ist frei von Emotionalität. Er balanciert die Parteien, er stellt sie ruhig und verfolgt nur ein Ziel, nämlich den Ausbau der eigenen Machtstellung. Diesem Ziel dient auch die Annäherung an die katholische Kirche. Die Revolution hatte die Kirche als Stützpfeiler des Ancien Régime bekämpft. Das Direktorium behielt die feindselige Haltung gegen die einstige Staatsreligion bei, konnte aber mit Ersatzangeboten wie dem Dekadenkult oder dem Kult des „Höchsten Wesens“ (être suprême) beim Volk nicht punkten. Wie sehr die Politik der Dechristianisierung ein Fehlschlag war, offenbart der stupende Erfolg, den Chateaubriand mit seinem Génie du Christianisme erzielt, einem Werk, das der Volksfrömmigkeit huldigt. Napoleon ist nicht fromm, aber gläubig. Er glaubt an Gott und ein Leben nach dem Tode. Der Katholizismus ist die Religion der Väter. Das Volk braucht die Religion, der Staat auch, vorausgesetzt, er kontrolliert ihre Organisation. Das ist sein Credo. Er betrachtet die Religion unter dem Nützlichkeitsaspekt. Im sozialen Raum hat sie die Bedeutung einer Deh-
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nungsfuge, da sie den Menschen hilft, die Ungerechtigkeiten der Welt hinzunehmen. „Wenn ein Mensch Hungers stirbt neben einem anderen, der im Überfluß lebt, so ist es ihm unmöglich, diesem Unterschied beizustimmen, wenn es nicht eine Autorität gibt, die ihm sagt: Gott will es so“, setzt er dem Staatsrat Roederer auseinander 72. Vor allem die Menschen auf dem Lande sehnen sich danach, ihr Leben wieder in Übereinstimmung mit den kirchlichen Gesetzen und Gewohnheiten zu bringen. „Man hatte damals ein Bedürfnis nach Glauben, eine Gier nach religiösem Trost, die eben daraus entsprang, daß man den Gläubigen jenen Trost so lange vorenthalten hatte“, schreibt Chateaubriand73. Napoleon erfaßt dieses Bedürfnis. Die Konkordatspolitik, so rechnet er, wird ihm die Sympathien des Volkes zuführen. Sie ist aber auch riskant. Nach Ansicht des Innenministers Chaptal ist sie „die mutigste Operation Bonapartes überhaupt“74. Tatsächlich hat Napoleon die Eliten des Landes fast geschlossen gegen sich. Geprellt fühlen sich, natürlich, die Alt-Jakobiner. Aber auch Liberale wie Benjamin Constant, Madame de Staël, Destutt de Tracy oder andere, die das philosophische Erbe des 18. Jahrhunderts verwalten, reagieren empört. In der Armeeführung rumort es; die meisten Generäle sind antireligiös eingestellt. Aus ganz anderen Gründen fühlen sich die Royalisten bedroht. Der Gedanke, Kirche und Republik könnten sich aussöhnen, ist ihnen ein Horror. Haben sie ihren jahrelangen Kampf gegen die Republik nicht auch für den lieben Gott geführt? Wenn der Heilige Vater jetzt seinen Frieden mit der Republik macht, werden sie ihren wichtigsten Verbündeten verlieren. Es ist ein geschickter Schachzug, daß Napoleon den Abbé Bernier in seine Verhandlungsdelegation für die Gespräche mit dem Vatikan beruft. Der Abbé gehörte einmal zu den Chefs der Widerständler in der Bretagne und hat beim Waffenstillstand mit dem Konsulat Anfang 1800 eine führende Rolle gespielt. Die Glaubwürdigkeit des ehemaligen Königstreuen ist ein wichtiges Kapital in den beginnenden Verhandlungen mit Pius VII. Der gerade gewählte Papst, dessen Vorgänger als Gefangener in Valence gestorben ist, will Frankreich, die älteste Tochter der Kirche, zurückgewinnen. Napoleon kommt es darauf an, den Royalisten den kirchlichen Rückhalt zu nehmen und zugleich eine Geste zu machen, von der er weiß, daß sie beim Volk gut ankommt. Das diplomatische Ringen ist zäh. Mal droht der Erste Konsul damit, Heinrich VIII. zu kopieren und die französische Kirche von Rom zu trennen, mal agiert er entgegenkommend und elastisch. Endlich, am 15. Juli 1801, ist das Konkordat unter Dach und Fach. Die Vereinbarung erklärt den Katholizismus zur herrschenden Religion in Frankreich. Die Bischöfe werden vom Ersten Konsul ernannt, vom Papst erhalten sie die kanonische Investitur. Bischöfe und Priester leisten der Republik den Treueid. Dafür
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erhalten sie vom Staat einen beamtenähnlichen Status einschließlich der Zahlung eines Gehalts. Bei der Neuverteilung der Bischofssitze werden ehemalige Eidverweigerer und sogenannte Konstitutionelle gleichermaßen berücksichtigt. Das Schisma des Kirchenkampfes ist damit aufgelöst. Am Pfi ngsttag des Jahres 1802, genau 18 Monate nach dem BrumaireStaatsstreich, erlebt Notre Dame de Paris ein großes Fest. In der gotischen Kathedrale, in der die Revolution einst mit Huldigungsakten für das obskure Vernunftwesen das christliche Zeitalter verabschieden wollte, wird mit einem Te Deum die „Rückkehr zum Frieden des Gewissens“74 gefeiert. Daß der Friedensbringer ein Spiel mit hohem Einsatz spielt, wird während des Festgottesdienstes sichtbar. Es kommt zu Handgreifl ichkeiten, weil führende Generäle sich nicht ihrem Rang entsprechend plaziert glauben. Masséna okkupiert eine Sitzgelegenheit, indem er einen Priester vom Stuhl zerrt. Ein anderer, General Delmas, äußert seine Verbitterung offen: „Nun fehlt weiter nichts“, zischt er Napoleon an, „als dass Sie uns Rosenkränze statt der Portepees geben, und Frankreich mag sehen, wie es sich über den Verlust der Million Menschen tröstet, die es vergeblich geopfert hat, um die Narretei los zu werden, die Sie wiederherstellen“75. Der General büßt seine Tollkühnheit mit der Verstoßung aus der Armee. Damit setzt der Erste Konsul ein unmißverständliches Zeichen: Die Generalität hat sich aus den Staatsgeschäften herauszuhalten. Den Primat der Politik wird Napoleon niemals in Frage stellen lassen. Das Konkordat ist ein schwer erkämpfter Sieg, aber ein Sieg so ganz nach dem Geschmack Napoleons. Bis ins letzte Dorf transportiert das Konkordat die Kunde von der Durchsetzungskraft und der Unabhängigkeit des starken Mannes an der Staatsspitze. Dieser Mann weist Linke wie Rechte in die Schranken. Er zerschmettert die Tagträume der Royalisten und schleift die ideologischen Bastionen der Jakobiner. Er mehrt den Ruhm Frankreichs auf den Schlachtfeldern und sichert der Republik die lange vermisste Ruhe. In einer Person ist er vainqueur et pacificateur76, Sieger und Friedensbringer. In dieser Doppelrolle will er gesehen werden. Es ist die fatale Widersprüchlichkeit seines Lebens, daß er dem Anspruch des Friedensbringers nur im Innern gerecht wird. Vor allem auf der Rechten ist man sich der Tragweite des Konkordats bewußt. Joseph de Maistre, einer der intellektuellen Bannerträger der Monarchisten, verflucht gar den Heiligen Vater: „Ich wünsche dem Papst von ganzem Herzen, dass er auf eben die Weise und mit derselben Begründung umkommt, wie ich es meinem Vater wünschte, wenn er mich morgen entehren würde“77. Den Ersten Konsul tangiert das Wutschnauben auf den Flügeln wenig. Es beweist nur, daß seine Rechnung aufgegangen ist. Kirche und Klerus fallen künftig als Hilfstruppen der Royalisten aus. Priester und
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Gläubige sind froh darüber, daß die Kirchenglocken wieder zur Sonntagsmesse läuten, und sie wissen Napoleon dafür Dank. Er hat dem Land den religiösen Frieden gegeben und damit la France profonde für sich eingenommen. Seine Stellung als charismatischer Führer ist gestärkt. Wem auf seiten der Linken die ganze Richtung nicht paßt, dem kann entgegengehalten werden, daß dem Konsulat in den Verhandlungen mit der Kurie ein entscheidender Durchbruch gelungen ist: Der Papst hat auf die Rückgabe der geraubten Kirchengüter verzichtet. Den Radikalen mag das zu billig sein. Diejenigen aber, die die Wirren genutzt und sich Land aus Kirchenbesitz angeeignet haben, läßt die Legalisierung der zweifelhaften Umverteilung durch das Konkordat aufatmen. Auf sie, auf die „Notabeln“, wird sich Napoleon lange Zeit verlassen können. Seit dem November-Putsch regiert Napoleon praktisch als Diktator. Hält er es für nötig, setzt er die Verfassungsorgane unter Druck, reglementiert die Presse und scheut auch vor Rechtsbrüchen nicht zurück. Die eklatantesten sind die Entführung und Erschießung des Herzogs von Enghien 1804, letzter Vertreter einer bourbonischen Seitenlinie, und des Nürnberger Buchhändlers Palm. Enghien wird die Beteiligung an einem Komplott zur Last gelegt. Palm erhält 1806 die Kugel, weil er eine antinapoleonische Streitschrift gedruckt hatte. Beide Fälle bezeugen Napoleons Schrankenlosigkeit, die im Laufe der Jahre zunimmt. Wenn er sich zügelt, geschieht das aus Klugheit und nicht, weil sein Gewissen ihm Schwierigkeiten bereiten würde. Der Popularität Napoleons tun gelegentliche Rechtsbrüche keinen Abbruch. Zu den Erblasten der Revolution gehört die Gewöhnung an Willkür. Wer erlebt hat, daß Eigentumsrechte nichts mehr gelten und daß Verleumdung ausreicht, um einen unsympathischen Nachbarn aufs Schafott zu bringen, dessen Rechtsempfi nden stumpft ab. Gemessen an den Standards der Zeit ist das Regiment Napoleons dennoch eher milde. Die bürgerlichen Freiheiten sind in Frankreich besser verankert als irgendwo sonst auf dem Kontinent. Und was die Presse angeht, muß das Frankreich Napoleons ungeachtet aller Eingriffe den Vergleich mit Preußen, Österreich oder gar dem fi nsteren Rußland nicht scheuen78. Zum Konsul auf Lebenszeit wird Napoleon 1802 bestellt. Er hat nun das Recht, dem Senat seinen Nachfolger vorzuschlagen. Der erste Schritt zur Erblichkeit ist damit getan. Die Legitimation besorgt er sich wiederum durch ein Plebiszit. Mit 3,6 Millionen Ja-Stimmen bei 8374 Ablehnungen fällt die Zustimmung deutlich genug aus. Das Votum ist ehrlich. Es spiegelt das ungeheure Ansehen, das sich der Erste Konsul erarbeitet hat. Der Mann, der zwei Jahre zuvor ein noch weithin unbeschriebenes Blatt war, ist zum Cäsar geworden. Auf ihn sind die Hoffnungen Frankreichs gerichtet, Hoffnungen der unterschiedlichsten Art. Was, wenn er nicht mehr da ist?
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Dieser Gedanke beschäftigt nicht zuletzt ehemalige Revolutionäre wie Fouché, Talleyrand oder Cambacérès. Für sie ist der Erste Konsul als Bollwerk gegen die Restauration unersetzlich. Fällt er, wird niemand die Rückkehr der Bourbonen aufhalten können. Dann droht die Rache der Sieger. Die ci-devants, die Ehemaligen, sorgen sich nicht ohne Grund um Napoleons Leben. Die Chancen, daß jemand wie er im Bett sterben wird, sind gering. Nicht bloß, weil jederzeit mit Anschlägen wie dem vom 3. nivôse gerechnet werden muß. Als Heerführer riskiert Napoleon permanent seine Gesundheit. Wird der Krieg niemals aufhören? 1802 kommt ein Friedensschluß mit England zustande, dem beständigsten Feind. Er wird die Waffen aber nur für kurze Zeit zum Schweigen bringen. In London nimmt Pitt das Ruder wieder in die Hand. Abermals stehen die Zeichen auf Krieg. Im Oktober 1803 fl iegt eine Verschwörung auf. Aufgrund ihrer Mischung aus politischen und persönlichen Motiven ist sie höllischer als eine „Höllenmaschine“. Haupt der Verschwörung ist Georges Cadoudal. In der Vendée hat er die königstreuen Bauern angeführt; nie konnte er gefaßt werden. Eingeweiht sind die Generäle Pichégru und Moreau, letzterer der gefeierte Sieger von Hohenlinden. Wenn ein Armeeführer je die Eifersucht Napoleons auf sich gezogen hat, dann ist es Moreau. Dessen republikanische Gesinnung gilt als tadelsfrei, was die Verbindung mit Cadoudal und dem inzwischen royalistisch gewordenen Pichégru rätselhaft und brisant macht. Das ungeschickt eingefädelte Komplott wird zwar rechtzeitig entdeckt, versetzt das Land aber in Alarmzustand. Also ist der Bürgerkrieg doch noch nicht vorbei! Bei denen, die viel zu verlieren haben, liegen die Nerven blank. Das sind die ehemaligen Revolutionäre, an deren Händen das Blut Ludwig XVI. klebt. Bezeichnenderweise ist es Talleyrand, der Napoleon drängt, den Herzog von Enghien aus dem badischen Ettenheim entführen zu lassen. Die Beteiligung des Herzogs an dem Komplott ist unbewiesen, seine Erschießung ohne Verfahren eine ruchlose Tat, die auf den Ersten Konsul zurückfällt. Die Empörung an den europäischen Höfen ist riesengroß. Dagegen reiben sich die „Königsmörder“ die Hände. Nun hat auch Napoleon die Unschuld verloren. „Ich bin entzückt“, ruft der ehemalige Jakobiner Curée aus. „Bonaparte ist jetzt ein Mann des Konvents geworden“79. Es sind sonderbare Allianzen, die zum Sturz des Ersten Konsuls geschmiedet werden. Noch sonderbarer sind die Koalitionen, die seine Erhebung zum Kaiser betreiben. Wieder verblüffen die ci-devants durch ihre enorme taktische Elastizität. Hatten die Jakobiner nicht den ewigen Haß auf die Monarchie gepredigt? Jetzt vollziehen einige von ihnen eine abrupte Kehrtwendung. Ihr Verrat ist schreiend, die Rechnung eiskalt. So denken sie: Seit es die Republik gibt, ist die Staatsspitze immer eine Leerstelle gewesen. Auch das Konsulat hat sie nicht gefüllt. Niemand im Ausland ver-
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steht, was ein Konsul ist. Insofern ist die Konsulatsverfassung ungeeignet, für Vertrauen und Stabilität zu sorgen. Ein Präsident nach amerikanischem Vorbild wird nicht ernsthaft erwogen80. Man befi ndet sich eben in Europa, und dort tragen die Staatsoberhäupter eine Krone. Im übrigen kann man kaum bestreiten, daß die Monarchie eine Staatsform von großer Widerstandsfähigkeit ist. In Österreich haben militärische Niederlagen und territoriale Einbußen die Dynastie der Habsburger vollkommen unerschüttert gelassen. Offenbar steht Dynastie für Dauer. Wäre es nicht klug, die stabilisierenden Elemente der Monarchie zu übernehmen, statt sich weiter vom Überleben eines Einzelnen abhängig zu machen? Was Frankreich braucht, äußert der Vizepräsident des Senats, Le Couteulx de Canteleu, in großer Klarheit: „Es ist unerlässlich, dass das Staatsschiff, wenn es seinen Lotsen verlieren sollte, einen Notanker habe, der, im Fall eines so großen Unglücks, es vor dem Schiff bruch rette“81.
Kaiser der Franzosen Die Idee des erblichen Kaisertums tauchte erstmals nach Marengo auf, aber damals war die Zeit noch nicht reif. Erst nach dem Schock der Affäre Cadoudal werden alle Rücksichten fallengelassen. Anfang 1804 lautet das große Thema in den Salons, wie die Sicherheit des Status quo durch Legitimität gestärkt werden könne. Napoleon selbst nimmt das Wort „Kaisertum“ kein einziges Mal in den Mund. Er erklärt: „Die vielen Anschläge auf mein Leben erwecken keine Furcht in mir. Aber ich kann den schrecklichen Gedanken nicht loswerden, wie es heute um unser großes Volk bestellt wäre, wenn das letzte Attentat erfolgreich gewesen wäre“82. Das klingt vieldeutig. Eindeutiger ist eine von Fouché veranlaßte hymnische Adresse, die der Senat an den Ersten Konsul richtet: „Sie haben uns aus dem vergangenen Chaos gerettet, lassen Sie uns die Wohlfahrt der Gegenwart segnen, sichern Sie nun auch unsere Zukunft! Großer Mann, vollende dein Werk, mache es unsterblich wie deinen Ruhm!“83 Der Staatsrat wird aufgefordert, sich über die Einrichtung der Erblichkeit zu äußern. Die Mehrheit kommt zu einem positiven Schluß. Für den endgültigen Durchbruch sorgt ein Vorstoß aus dem Tribunat. Derselbe Curée, der sich nach der Hinrichtung des Herzogs von Enghien „entzückt“ über Napoleons Täterschaft geäußert hatte, stellt den Antrag, „Napoleon Bonaparte, den derzeitigen Ersten Konsul, zum Kaiser der Franzosen und die kaiserliche Würde in seiner Familie für erblich zu erklären“84. Carnot, dem Schöpfer des revolutionären Volksheeres, bleibt es vorbehalten, als einziger im Tribunat gegen den Antrag zu stimmen. Die Verfassungsänderung erfolgt am 28. floréal des Jahres XII, dem 18. Mai
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1804. Fünfzehn Jahre nach dem Sturm auf die Bastille, zwölf Jahre nach der Ausrufung der Republik wird Frankreich wieder von einem Monarchen regiert. Es ist eine Wendung, die außerhalb der französischen Grenzen größeres Aufsehen erregt als in Frankreich selbst. Beethoven soll, als er davon erfuhr, das Widmungsblatt seiner 3. Sinfonie Buonaparte zerrissen haben. Jahre später dediziert er die Eroica Erzherzog Karl, dem Bezwinger Napoleons bei Aspern85. Frankreich dagegen billigt die Wiederaufrichtung der Monarchie, ohne Überschwang, aber mit klarer Mehrheit beim Plebiszit. Die Zahl der Gegenstimmen beträgt ganze 2569. Selbstverständlich darf die neue Monarchie nicht als Restauration erscheinen. Daher muß der Souverän ein Kaiser sein. Zwar hat Frankreich seit Charlemagne keinen Empereur mehr gehabt. Aber „König“ scheidet aus, weil die Bezeichnung zu sehr an das Ancien Régime erinnern würde. Außerdem ist Kaiser mehr als König. Dennoch wirkt die allerhöchste Titulatur wie ein Kunstprodukt. Hat Frankreich überhaupt die Staatsform gewechselt? Auf Münzen, die 1804 geprägt werden, liest man République Française, Empereur Napoléon86. Das Nebeneinander des Gegensätzlichen beurkundet eine allseitige Verlegenheit, die nicht so leicht aus der Welt zu schaffen ist. Denn da Napoleon sich klugerweise zurückhält, stockt der Propagandaapparat. Die Urheber der Kaiser-Idee verhalten sich kleinlaut. Nachdem sie jahrelang das Königtum verteufelt haben, tun sie sich jetzt schwer damit, die Vorzüge des Kaisertums laut zu preisen. Doch ist die neue Monarchie kein simpler Rückfall in die alte Zeit. Die Proklamation vom 18. Mai macht den Wunsch nach einer Synthese deutlich. Dem Wortlaut entsprechend regiert Napoleon durch „Gottes Gnade und die Normen der Republik“ (par la grâce de Dieu et par les constitutions de la République). Sein Titel lautet nicht „französischer Kaiser“, sondern „Kaiser der Franzosen“. Die Formulierung stellt heraus, daß das Volk die Quelle der Souveränität ist und daß es kein Zurück hinter die Revolution geben soll. Das Doppelgesicht der neuen Herrschaft wird in der Zweiteilung des Krönungsaktes am 2. Dezember in Notre Dame de Paris sinnfällig. Nach dem sacre durch den Papst legt Napoleon einen Eid ab, in dem die wesentlichen Errungenschaften der Republik (sic!) aufgezählt werden. Die Eidesformel läßt keinen Zweifel zu: Der Kaiser ist Oberhaupt eines Reiches, das auf dem Amboß einer siegreichen Revolution geschmiedet wurde: „Ich schwöre, die Unversehrtheit des Staatsgebietes der Republik zu erhalten, die Gesetze des Konkordats und die Glaubensfreiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz, die politische und bürgerliche Freiheit, die Unwiderruf barkeit des Verkaufs der Nationalgüter selbst zu respektieren und dafür zu sorgen, dass dies alles respektiert wird, Steuern und Abgaben nur kraft Gesetzes zu
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erheben, die Institutionen der Ehrenlegion beizubehalten und nur unter dem Gesichtspunkt des Interesses, des Glücks und des Ruhmes des französischen Volkes zu herrschen“87. Ob Napoleon bei der Einführung des Kaisertums wirklich unbeteiligt war, ob er gar dazu überredet werden mußte88, läßt sich nicht einwandfrei beurteilen. Tatsache ist, daß er bei dieser Operation so gut wie keine Fingerabdrücke hinterließ. Unbestreitbar ist auch, daß es zur Machtsteigerung der Rangerhöhung nicht bedurfte. Als Konsul auf Lebenszeit hat er Rechte und Mittel genug, um Frankreich nach seinem Willen zu formen. Andererseits schmeichelt der kaiserliche Status natürlich Napoleons Einbildungskraft. Den Vergleich mit Charlemagne läßt er sich gern gefallen. Ist er nicht auf dem besten Weg, Europa nach Belieben zu dominieren, so wie es im bisherigen Geschichtsverlauf nur dem großen Karolinger möglich gewesen war? Höhepunkt des vielstündigen Zeremoniells in Notre Dame de Paris ist, daß nicht der Papst die Krönung vornimmt, sondern Napoleon sich die Krone selbst aufs Haupt setzt, um anschließend Joséphine zu krönen. Der weltliche Herrscher hat dem geistlichen Oberhaupt nichts zu danken, das soll die Szene ausdrücken. Im übrigen hat Napoleon Eile, die vierstündige Feier hinter sich zu bringen. Der schwere Krönungsmantel erdrückt ihn beinahe. 80 Pfund wiegt der Umhang aus karmesinrotem Samt, der mit Hermelin gefüttert und mit Bienen bestickt ist. Die Biene ist das persönliche Wappen Napoleons. Anknüpfend an eine merowingische Überlieferung, soll es geschichtliche Kontinuität symbolisieren. Als er nach dem Zeremoniell in seine Grenadiersuniform schlüpft, merkt er befreit an, er habe noch jeden Tag auf dem Schlachtfeld leichter ertragen als diesen. Und wirklich sieht er auf dem Kaiserporträt Gérards aus wie jemand, den man in ein falsches Kostüm gesteckt hat. Der Eindruck des Unbehaglichen verstärkt sich noch, stellt man das Porträt der Kaiserin dagegen. Es zeigt Joséphine in vollendeter Grazie und einer Sicherheit der Rolle, als sei sie nie etwas anderes gewesen als Kaiserin. Ist die Vermutung abwegig, daß Napoleon spürt, wie sehr das antiquierte Zeremoniell aus der Zeit heraustritt?
„Franzosen! Ihr habt ihn endlich ganz, diesen Frieden, den ihr durch so lange und so heldenmütige Anstrengungen verdient habt. Die Welt zeigt euch nur noch das Bild befreundeter Nationen, und auf allen Meeren eröffnen sich euren Schiffen gastfreundliche Häfen. Die Regierung hat sich, euren Wünschen und ihren Versprechungen getreu, weder vom Ehrgeiz der Eroberungen noch von den Lockungen der
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kühnen und außerordentlichen Unternehmungen hinreißen lassen. Es war ihre Pflicht, der Menschheit die Ruhe wiederzugeben, und die große, europäische Familie, deren Aufgabe ist, das Schicksal der Welt zu bestimmen, durch feste und dauerhafte Bande zu vereinen. So beginnt die hochgestimmte Proklamation89, die der Erste Konsul aus Anlaß des Friedens mit England an das französische Volk richtet. Napoleon hat sich für die Erklärung ein beziehungsreiches Datum ausgesucht, den 18. brumaire. Vor zwei Jahren ist das Direktorium gestürzt worden. Der Bürgerkrieg gehört der Vergangenheit an. Jetzt ist auch der äußere Friede eingekehrt. Die Zeit ist da, die Gesetze und Institutionen zu vervollkommnen und die öffentliche Wohlfahrt zu fördern: „Laßt uns in die Stätten des Ackerbaus und der Künste jenes Feuer, jene Ausdauer, jene Geduld tragen, die Europa in allen unseren schwierigen Verhältnissen in Erstaunen gesetzt haben,“ appelliert die Proklamation. Frankreich steht am Beginn des Goldenen Zeitalters. Glaubt Napoleon wirklich daran? Der Friedenszustand mit dem englischen Erzfeind wird bereits im Mai 1803 liquidiert. Noch nicht einmal zwei Jahre hat das Goldene Zeitalter gedauert. Die nächsten elf Jahre wird Frankreich ununterbrochen Krieg führen. Es war eine Illusion anzunehmen, die Republik sei plötzlich nur von Freunden umgeben. Politisch ist Europa immer noch Erdbebengebiet. Friedensverträge organisieren die Zeit zwischen den Kriegen. Sie schaffen Luft für neue Kraftakte mit dem Ziel, den Status quo zu verändern. Dieses Ziel verfolgen der Habsburgerstaat und vor allem England. 1802 erklärt der Oppositionsführer Sheridan im Unterhaus: „Schauen Sie die Landkarte an. Sie fi nden überall nur Frankreich“90. Das ist eine deutliche Übertreibung, selbst für Europa. Nimmt man die Weltkarte zur Hand, sieht man fast nur England. Das Inselreich hatte in den zurückliegenden Jahrzehnten die Schwäche der Nachfolger Ludwig XIV. genutzt und seine überseeische Stellung zu Lasten Frankreichs stark ausgebaut. Frankreich verlor im Frieden von Paris (1763) seine Besitzungen in Nordamerika. Auch in Westindien wurde der französische Einfluß zurückgedrängt. Auf dem europäischen Kontinent waren nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges die Kräfte fein austariert, das heißt, es herrschte Gleichgewicht und damit der Idealzustand aus englischer Sicht. Erst die Revolution entfachte die alte Rivalität zwischen England und Frankreich aufs neue. Zehn Jahre später hat die Republik verwirklicht, wovon die Bourbonen immer nur geträumt hatten. Frankreich ist in seinen „natürlichen Grenzen“ anerkannt und dabei, das kontinentale Gleichgewicht aus den Angeln zu heben. Das will England nicht hinnehmen. Zwar beherrscht es die neue Welt, aber dafür Frankreich die alte zu überlassen, wäre eine Art der Herr-
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schaftsteilung, die der englischen Staatsraison zutiefst widerspräche. Die Unabhängigkeit der Mündungen des Rheins und der Schelde von Frankreich zu behaupten, war stets Pfl ichtprogramm der englischen Politik. Jetzt ist Holland als Batavische Republik nicht viel mehr als ein französischer Filialstaat. Antwerpen / Anvers, die Hafenstadt an der Gegenküste, ist französisches Departement und, wie man sagt, die auf England gerichtete Pistole Frankreichs. Auch die ständige Dehnung des französischen Einflusses in Italien kann den Hof von St. James nicht gleichgültig lassen. Der Erste Konsul legt die Bestimmungen des Friedens von Lunéville sehr eigenwillig aus. Die Führung der Cisalpinischen Republik wird genötigt, Napoleon zu ihrem Präsidenten zu machen. Piemont und Elba werden annektiert. Geschickt mischt sich Napoleon als Schiedsrichter in die schweizerischen Wirren ein, mit der Folge, daß auch die Helvetische Republik in die Botmäßigkeit Frankreichs absinkt. Eine Weile sieht England der Expansion des Rivalen tatenlos zu. In London hegt man die Hoffnung auf den Abschluß eines Handelsvertrags, der Frankreich dem englischen Handel öffnen soll. Doch Napoleon ist Schutzzöllner durch und durch. Er denkt nicht daran, die noch schwache Industrie der Republik der überlegenen britischen Konkurrenz auszuliefern. Damit hat die Friedenspartei in London keine Argumente mehr. England verweigert die Rückgabe des strategisch wichtigen Malta an den Johanniterorden, was einen klaren Bruch des Vertrags von Amiens bedeutet. Wüste Pressekampagnen gegen little Bonney, wie man auf der Insel jenen seltsamen und zugleich beunruhigenden Konsul Bonaparte zu schmähen pflegt, heizen die Stimmung an. Napoleon antwortet mit scharfen diplomatischen Noten. Als die englische Kriegserklärung erfolgt, setzt sie einem Zustand ein Ende, der auf beiden Seiten des Kanals inzwischen als unhaltbar empfunden wird. „Ein Erster Konsul gleicht nicht diesen Königen von Gottes Gnaden, die ihre Staaten wie ein Erbstück betrachten: er braucht aufsehenerregende Taten, und das bedeutet Kriege“, soll Napoleon gesagt haben91. Das ist mehr als eine Redensart, und in den kommenden Jahren wird Napoleon vieles tun, was in diesen Sinnzusammenhang gehört. Doch noch hat er keinen einzigen Krieg mutwillig herbeigeführt. 1803 brechen die Feindseligkeiten wieder aus, weil weder Frankreich noch England dem Frieden trauen. Für Napoleon stellt der neue Krieg ein hohes Risiko dar. Verliert er, verliert Frankreich, was die Revolution gewonnen hat. Die Nation wird es ihm nicht verzeihen. Gewinnt er, verläßt er die Bahn, in die er als Verteidiger der Republik getreten ist. Er wird, auf Gedeih und Verderb, zum Eroberer geworden sein. Der Krieg beginnt als drôle de guerre. Französische Truppen besetzen Hannover, das durch Personalunion mit England verbunden ist. Georg III.
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ist Kurfürst von Hannover. Ansonsten tut sich zunächst nicht viel. Napoleon braucht Zeit für die Aufrüstung seiner Seestreitkräfte. Er hat die alten Invasionspläne reaktiviert und ist entschlossen, diesmal mit der Landung in England Ernst zu machen. Als zentralen Platz der Vorbereitung wählt er Boulogne. In den Werften der Kanalküste werden hunderte Schaluppen gebaut. Die flachen Schiffe, die mit Kanonen bestückt sind, sollen die Invasionstruppen an die englische Küste bringen. Doch das amphibische Unternehmen ist alles andere als trivial. Man braucht für die Überquerung zehn Stunden bei schönem Wetter, mehrere Tiden und die Garantie, daß man durch die überlegene englische Flotte unbehelligt bleibt. Versuche, die englischen Geschwader aus dem Kanal wegzulocken und sie fernab des Operationsgebietes in Kämpfe zu verwickeln, scheitern. In einem schweren Sturm am 20. Juli 1804 werden viele der bei Boulogne konzentrierten Flachschiffe zerstreut. Während die 200 000 Mann starke Englandarmee im Wartestand verharrt, treibt England die Bildung einer neuen, gewaltigen Festlandskoalition voran. Den Auftakt bildet ein Vertrag mit Schweden, der am 3. Dezember 1804 geschlossen wird. Vier Monate später gelingt es, Rußland zu aktivieren, ein großer Erfolg der britischen Diplomatie. Dafür greift die Londoner Regierung tief in den Staatssäckel. 1,25 Millionen Pfund werden Rußland für je 100 000 Mann in Aussicht gestellt, die es gegen Frankreich ins Feld führt. Der junge Zar Alexander greift gern zu. Er ist ein eitler und unruhiger Monarch, bei dem Schübe von Liberalität und Autokratismus einander abwechseln, je nachdem, wer gerade sein favorisierter Berater ist. Bei der Ermordung seines Vaters Paul I. war Alexander Mitwisser. Die Schatten, die deswegen auf seiner noch frischen Regentschaft lasten, möchte er durch militärische Triumphe bannen. Auch Neapel schließt sich dem anti-französischen Bündnis an. Österreich folgt am 17. Juni 1805. Das Habsburgerreich hat im letzten Jahr entschlossen aufgerüstet. In Wien ist die Erbitterung über Napoleon allgemein, seit dieser die Cisalpinische Republik in ein Königreich umgewandelt und sich selbst zum König von Italien gekrönt hat. Nur das von beiden Seiten umworbene Preußen hält sich vorerst heraus. Als Österreich mit dem Überfall auf Bayern die Feindseligkeiten beginnt, reagiert Napoleon umgehend. Das Invasionsunternehmen wird abgebrochen, die Englandarmee blitzartig vom Ärmelkanal nach Süddeutschland geworfen. Den Eilmarsch gegen die österreichische Nordarmee, die in Schwaben Aufstellung genommen hat, begünstigt der Umstand, daß sich Bayern und Württemberg auf die französische Seite geschlagen haben. Bei Elchingen erzwingt Marschall Ney den Übergang über die Donau. Am 17. Oktober kapituliert der österreichische General Mack mit drei Armeekorps im eingeschlossenen Ulm. 49 000 Österreicher geraten in Gefangen-
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schaft. Die in Ulm beheimatete Allgemeine Zeitung schildert den Einzug Napoleons in die Stadt: „Der Monarch war äußerst einfach gekleidet“92. In der Folge rücken die Franzosen auf Wien vor. Kaiser Franz hat die Hauptstadt verlassen. Napoleon drängt auf die Entscheidung. Er rechnet damit, daß Preußen im letzten Moment doch noch zur Koalition stoßen werde. Bei Austerlitz, einem Dorf in Mähren, kommt es am 2. Dezember 1805 zur „Dreikaiserschlacht“. Es ist der Jahrestag der Kaiserkrönung von Notre Dame, ein strahlender Wintermorgen, als 73 000 Franzosen 87 000 Russen und Österreicher angreifen. Napoleon durchstößt das feindliche Zentrum, umfasst den linken Flügel der gegnerischen Armee von hinten und schlägt ihn in die Flucht. Am Nachmittag ist der Sieg vollkommen. Auf dem Schlachtfeld, einem Rechteck von acht auf zwölf Kilometern, liegen 16 000 tote Österreicher und Russen; die französischen Verluste sind extrem gering. Vom Balkon des Schlosses Pratzen, das über dem Dorf Austerlitz liegt, ruft der Kaiser seinen siegreichen Männern zu: „Soldaten, ich bin mit Euch zufrieden … Wenn Ihr künftig sagt: ,Ich war dabei in Austerlitz‘, wird man antworten: ,Wahrhaftig, ein Tapferer‘“93. An die Kaiserin Joséphine schreibt er: „Die Schlacht von Austerlitz ist die schönste von allen, welche ich geliefert“94. Schloß Pratzen gehört der Familie Metternich-Kaunitz. Die Nacht nach der Ruhmestat schläft Napoleon im Bett des jungen Grafen Clemens Metternich. Unterdessen hat die „kaiserliche Republik“ fernab einen Rückschlag erlitten. Am 21. Oktober vernichtet Nelson bei Trafalgar vor dem spanischen Cádiz die französische Flotte. Napoleon muß anerkennen, daß England auf See nicht beizukommen ist. Doch der Erfolg auf dem Kontinent zählt mehr. Zwar bleibt Rußland im Krieg, Österreich aber muß sich beugen. Noch vor der Jahreswende wird der Vertrag von Preßburg geschlossen. Österreich tritt Venedig, Istrien und Dalmatien an das neue italienische Königreich ab. Es verliert Schwaben an Württemberg, Tirol an Bayern und muß hohe Kriegskontributionen zahlen. Der Vertrag ist von brutaler Härte. Napoleon hat Talleyrands Mahnung, sich zu mäßigen, in den Wind geschlagen. Ihm geht es vor allem um Italien und um den Symbolgehalt der Halbinsel. Hier stand die Wiege des ersten europäischen Großreichs. Rom, das die Könige verjagte und den freien Bürger schuf, war Teil der revolutionären Mythologie. Außerdem lassen sich im machtpolitisch zerklüfteten Italien zwei Symbolträger des Ancien Régime treffen: Habsburg, das den italienischen Norden gewohnheitsmäßig als seine Einflußzone betrachtet, sowie der über Neapel herrschende Zweig des Hauses Bourbon. Neapel hatte sich bei der Bildung der Dritten Koalition im letzten Moment denjenigen Bataillonen zugeschlagen, die Ferdinand IV. und seine ehrgeizige Ehefrau irrigerweise für die stärkeren hielten. Jetzt wird abgerechnet. Ein in schneidender Kälte formulier-
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ter Armeebefehl tilgt die bourbonische Dynastie wie einen Schreibfehler im Geschichtsbuch: „Die Dynastie von Neapel hat aufgehört zu regieren“95. Als neuer König zieht Napoleons Bruder Joseph in den Regierungspalast von Neapel ein. Damit ist Italien, sieht man vom Kirchenstaat ab, vollständig unter französischer Kontrolle. Österreich erleidet im Preßburger Frieden eine doppelte Amputation. Es wird nicht nur aus Italien verdrängt, sondern auch aus Deutschland. 1803 war mit der Neuordnung des Reiches begonnen worden. Der sogenannte Reichsdeputationshauptschluß vollzog die Bestimmung des Friedens von Lunéville, wonach die auf dem linken Rheinufer enteigneten weltlichen Fürsten rechts des Rheins entschädigt werden sollten, und zwar zu Lasten von Klöstern und Bischofsbesitz. Diese Revolution von oben lief in einer Weise ab, die unwürdiger nicht sein konnte. Die fürstliche Habgier, der plötzlich Tür und Tor offenstanden, machte sogar der betulichsten aller Institutionen, dem Regensburger Reichstag, Beine. In nicht mehr als 15 Monaten brachte es die „Reichsdeputation“ fertig, zwei geistliche Fürstentümer, 19 Reichsbistümer und 44 Reichsabteien fremden Herrschaften einzuverleiben und das alles mit einem rechtlichen Stempel zu versehen. Nutznießer dieser beispiellosen Umschaffung, bei der 10 000 Quadratmeter mit 3,2 Millionen Menschen den Besitzer wechselten, waren die großen und mittleren Landesherren. Sie profitierten auch von der zweiten Stufe der Neuordnung, die nach dem Preßburger Frieden angegangen werden konnte. Opfer waren diesmal die Reichsritter, d. h. ungefähr 350 Familien, die mit einem Schlag ihre jahrhundertealten Besitztitel verloren. Es ist Frankreich, das bei der gigantischen Flurbereinigung im Reich den Takt schlägt. Napoleon will einen Kordon von Mittelstaaten schaffen. Er soll groß genug sein, um einen Puffer gegen Österreich und Preußen zu bilden, doch auch so schwach, daß die neuen Mittelstaaten dauerhaft auf den Schutz Frankreichs angewiesen sind. So werden Bayern und Württemberg zu Königreichen befördert. Aus dem kleinen Baden wird ein Großherzogtum. Am 12. Juli 1806 schließen sich 16 deutsche Staaten zum „Rheinbund“ zusammen, zugleich treten sie aus dem Reichsverband aus. Die Rheinbundakte, die Verfassung des Staatenbundes, dem am Ende 39 Staaten angehören werden, wird bezeichnenderweise in Paris unterschrieben. Sie räumt Napoleon die Stellung eines „Protektors“ ein. Die Mitglieder verpfl ichten sich, Frankreich im Kriegsfall ein Kontingent von 63 000 Mann zu stellen. Franz II. hatte die Entwicklung kommen sehen. Bereits seit 1804 nennt er sich Erbkaiser von Österreich und nimmt den Namen Franz I. an. Jetzt legt er die deutsche Kaiserwürde nieder. Ohne Reichskirche und Reichsadel wäre sie nur noch ein Schemen gewesen, eine blasse Erinnerung. Sang- und klanglos verabschiedet sich das Heilige Römische Reich deutscher Nation
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aus seiner tausendjährigen Geschichte. Es macht Platz für das neue Kaiserreich. Allerdings verfügt der Kaiser der Franzosen über einen weitaus stärkeren Durchgriff auf die Ordnung Mitteleuropas, als ihn die deutschen Kaiser jemals hatten. Deutschland wird von Paris aus regiert.
In Potsdam verfolgen Monarch und Minister den rasanten Gestaltwechsel im süddeutschen Raum wie Zuschauer eines Daumenkinos, aufmerksam, aber untätig. Am Hof liefern sich die französische und die russische Partei Stellungskämpfe. Zu letzterer gehört neben dem Prinzen Louis Ferdinand, der es kaum erwarten kann, zu den Waffen zu greifen, auch die Ehefrau Friedrich Wilhelm III. Königin Luise ist eine stark empfi ndende Frau. Sie verabscheut Napoleon, während sie zu Zar Alexander seit der ersten Begegnung eine unübersehbare frauliche Neigung hegt. Die französische Partei hat ihren Anhang vornehmlich unter den zivilen Beratern des Königs. Sie können ins Feld führen, daß die seit zehn Jahren verfolgte Neutralitätspolitik sehr vorteilhaft war. Preußen hat von der Flurbereinigung rechts des Rheins kräftig profitiert, hat Erfurt und das Eichsfeld, Goslar und Nordhausen, die Fürstbistümer Hildesheim und Paderborn sowie Teile des Bistums Münster kassiert. Nun aber, in der Zuspitzung des Jahres 1805, gerät Preußen unter Bekenntnisdruck. Zunächst schließen Friedrich Wilhelm und Alexander am Sarg Friedrichs des Großen einen Allianzvertrag (3. November 1805). Ihm entzieht die österreichisch-russische Niederlage von Austerlitz die Grundlage. Jetzt wird Napoleon initiativ. Er offeriert Preußen die Inbesitznahme Hannovers und signalisiert sein Interesse an einem dauerhaften Bündnis mit Preußen. Talleyrand deutet sogar die Bereitschaft Frankreichs an, ein deutsches Kaisertum unter Friedrich Wilhelm III. zu akzeptieren. Doch der unbewegliche König scheut vor der Bindung zurück. Er glaubt, trockenen Fußes durch das Unwetter zu kommen, und verbarrikadiert sich. Erst als man in Potsdam erfährt, daß Napoleon bei Sondierungen, die allerdings folgenlos bleiben, England die Rücküberstellung Hannovers in Aussicht gestellt hat, bekommt die russische Partei Oberwasser. Wie für schwache Menschen typisch, macht Friedrich Wilhelm nun eine abrupte Kehrtwendung. Tausend Anlässe hat es gegeben, sich dem Ausgreifen Frankreichs entgegenzustellen. Jetzt plötzlich schlägt seine Unschlüssigkeit in überstürztes Handeln um. Er läßt die preußischen Streitkräfte mobilisieren und verlangt am 1. Oktober 1806 ultimativ, daß Napoleon seine noch vom Vorjahr in Süddeutschland stehende Armee, die die Russen abschrecken soll, hinter den Rhein zurückziehe.
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Der Kaiser hat den Krieg nicht gewollt und nicht erwartet. Noch am 12. September erklärt er in einer schmeichelnden Note, die Natur selbst habe Preußen zum Freund Frankreichs bestimmt. Seinem Außenminister schreibt er am selben Tag: „Der Gedanke, Preußen könne sich allein mit mir einlassen, erscheint mir so lächerlich, dass er gar nicht in Betracht gezogen zu werden verdient“96. Gerade als Preußen mobil macht, hat er sich dazu entschlossen, seine Austerlitz-Armee in die Heimat zurückzuführen. Die Soldaten wollen endlich nach Hause. Da überrascht ihn am 7. Oktober in Bamberg das preußische Ultimatum. Sofort läßt er kehrtmachen. Der Feldzug, der nun beginnt, ist hochgradig improvisiert. Napoleons Soldaten haben keine Mäntel, es fehlt an Schuhwerk. Die Lebensmittelrationen reichen nur für ein paar Tage. Aber diese paar Tage genügen, um Preußen niederzuwerfen. Am 14. Oktober ist der Feldzug entschieden. Der Krieg Preußens ist, wie Napoleon sagt, ein „Wahnsinn“. Es steht kein politisches Konzept dahinter. Selbst das Naheliegende hat man versäumt, nämlich die militärische Unternehmung mit Rußland abzustimmen. Der Befehl zum Losschlagen wird gegeben, noch ehe die Russen eintreffen können. In blindem Eifer vertraut man darauf, die Armee sei noch dieselbe wie die, die fünfzig Jahre zuvor unter Friedrich II. Großtaten vollbrachte. So werden die Preußen bei Jena und Auerstedt vernichtend geschlagen. Noch schwerer als die Schlappe auf den thüringischen Schlachtfeldern, schwerer auch als der Tod von Louis Ferdinand, der bei Saalfeld fällt, wiegt der moralische Zusammenbruch. Nacheinander ergeben sich fast widerstandslos die meisten preußischen Festungen. Am 27. Oktober marschiert der Kaiser in Berlin ein. Warum Preußen den Krieg ohne Alliierte dem Krieg mit Alliierten vorzog, wird ein ewiges Rätsel der Staatskunst bleiben. Ein Jahr vorher hätte Preußen durch einen Beitritt zur dritten Koalition den Siegeslauf Napoleons stoppen können. Auf sich allein gestellt steht es auf verlorenem Posten. Preußens politisches Versagen hat die paradoxe Folge, daß es die französische Expansion beschleunigt, statt sie zu bremsen. Der „wahnsinnige“ Krieg nötigt Napoleon zu weiterem Ausgreifen. Noch ist der Krieg nicht vorüber. Ein Waffenstillstandsabkommen lehnt Preußen ab. Es hat sich jetzt ganz und gar in die Abhängigkeit Rußlands begeben. Das Kriegstheater zieht weiter; Ostpreußen ist jetzt der Schauplatz. Der Winter behindert mit aufgeweichten Böden und eingeschränkter Versorgung zügige Operationen. Im Februar 1807 endet die außerordentlich verlustreiche Schlacht von Preußisch-Eylau unentschieden. Erst im Juni versetzt der Kaiser mit seiner inzwischen wiederhergestellten Armee Russen und Preußen bei Friedland den entscheidenden Schlag. Der Friede wird in Tilsit geschlossen. Kaiser und Zar, die beide Gefallen an theatralischen Aufführungen haben, treffen sich auf einem Floß mitten
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im Njemen. Bei den sich anschließenden Verhandlungen sitzt Friedrich Wilhelm am Katzentisch. Anfänglich war Napoleon entschlossen, die brandenburgische Dynastie zu eliminieren, wie er es mit der bourbonischen von Neapel gemacht hatte. Von dieser Absicht bringt ihn nicht etwa die schöne Königin Luise ab, die vor Napoleon als mater dolorosa auftritt. Es ist der Zar, der der Hohenzollerndynastie das Überleben rettet. Alexander will Preußen als Brandmauer zwischen seinem Reich und dem Empire erhalten. Napoleon gibt nach. Überhaupt beweist er dem Zaren gegenüber eine erstaunliche Mäßigung. So brutal er in Preßburg Österreich bestraft hat, so glimpfl ich läßt er in Tilsit Rußland davonkommen. Der einzige Preis, den das Zarenreich für den verlorenen Krieg zahlen muß, ist der Beitritt zur Kontinentalsperre, die Napoleon per Edikt vom 21. November 1806 von Berlin aus gegen England verhängt hat. Das Ringen mit England, dem letztverbliebenen Mitglied der dritten Koalition, wird endgültig zum Wirtschaftskrieg. Denn das ist die Kontinentalsperre. Für die englischen Industriegüter ist der Kontinent das wichtigste Absatzgebiet. Da Frankreich die meisten Häfen und weite Teile der europäischen Küsten kontrolliert, glaubt Napoleon, die Blockade werde Englands Wirtschaft ruinieren. Sie muß dazu allerdings lückenlos sein. Deshalb ist Rußlands Eintritt in die Sperrkette so wichtig. Natürlich wird auch von Preußen erwartet, daß es sich am Wirtschaftskrieg gegen England beteiligt. Das schädigt die ostelbische Landwirtschaft, die ihre Getreideüberschüsse nicht mehr exportieren kann. Im Gesamt der Kriegsfolgen ist das freilich nur eine Randposition. Napoleon behandelt Preußen gnadenlos. Es erhält einen Diktatfrieden. Als Friedrich Wilhelm sich in Tilsit darüber beschwert, daß er noch nicht einmal als Verhandlungspartner akzeptiert werde, antwortet der Kaiser kühl, es sei seine Absicht, Preußen als Macht aus dem europäischen Gleichgewichtssystem auszuschalten. An diese Linie hält er sich. Preußen muß alle Gebiete westlich der Elbe abtreten, genauso seine Erwerbungen aus den polnischen Teilungen. Sein Territorium wird halbiert. Friedrich Wilhelm bleibt mit Brandenburg, Pommern, Ostpreußen und Schlesien nur noch ein Reststaat. Was noch bedrückender ist: Frankreich behält die wichtigsten preußischen Festungen als Faustpfand. Sie sollen erst dann zurückgegeben werden, wenn die Reparationsschuld getilgt ist. Die Tücke besteht darin, daß deren Umfang absichtlich vage gehalten wird. Damit besitzt Frankreich ein Folterinstrument. Es kann die Reparationsschraube nach Belieben anziehen und sichert sich durch die Truppenpräsenz Einfluß auf Wirtschaft und Staatshaushalt Preußens. Der Vergleich mit dem späteren Friedensvertrag von Versailles ist nicht abwegig97. Napoleon steht 1807 im Zenit seiner Macht. „Ich hatte Wechselfälle des Glücks kennengelernt, hatte Sorgen gehabt … und nun sah ich mich sieg-
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reich, ich diktierte Gesetze, und Kaiser und Könige machten mir den Hof“, wird er auf Sankt Helena äußern, ohne zu übertreiben98. Fraglich ist, ob er sein Angebot einer europäischen Machtteilung an den russischen Zaren ernst meint. Alexander möchte daran glauben. Doch die Machtverhältnisse sind so, daß von einem echten Kondominium nicht die Rede sein kann. Rußland behauptet zwar seine Stellung. In der Rangliste der verbliebenen Kontinentalmächte steht es nun vor Österreich und mit weitem Abstand vor Preußen, dessen Platz auf der Landkarte gewissermaßen mit einem Kw-Vermerk versehen ist. Aber während Rußland vorerst eine periphere puissance bleibt, ist Frankreich von nun an machtpolitisch mit Europa nahezu identisch. Die Frage, ob Frankreich seine Kräfte überdehnt, stellt sich einstweilen den Zeitgenossen nicht. Sie sehen, daß Napoleon alles gelingt. Sie sind betäubt von seinem Glück. Die sich gegen ihn erhoben haben, liegen im Staub. Wer soll ihm widerstehen, da die Länder, die ihm tributpfl ichtig sind, immer zahlreicher werden? Der Kaiser selbst vertraut weiterhin seinem Stern. Der könnte ihm neue Ziele weisen. Wer hätte am 18. brumaire 1799 für möglich gehalten, daß der General Buonaparte, wie er sich damals noch schrieb, fünf Jahre später Kaiser der Franzosen sein werde? Am weitesten kommt der, der sein Ziel nicht kennt. So wie Cromwell gedacht hat, denkt auch Napoleon. Ein Ziel könnte Indien sein, vielleicht. An Indien hat er zum erstenmal vor den Mauern von Akko gedacht. War Alexander der Große nicht bis zum Indus vorgestoßen? Es ist nur ein Gedanke, er taucht jetzt wieder auf, als er am Njemen steht, an der Grenze des unermeßlichen Ostreichs. 1808 wird er dem Zaren allen Ernstes vorschlagen, gemeinsam gegen Indien zu ziehen. Ein Träumer ist er. Aber er ist auch Realist. Preußens Torheit hat Hohlräume geschaffen. Sie verlangen dringend nach Füllung. In Tilsit vereinbart Napoleon mit dem Zaren die Errichtung eines Großherzogtums Warschau, das aus Preußens polnischem Raub besteht, und überträgt es Friedrich August von Sachsen. Perspektivisch läßt er die Wiederentstehung eines Königreichs Polen in der Schwebe. In seiner unfertigen Gestalt besitzt das Großherzogtum die Möglichkeiten einer Drehtür: Es bedroht einerseits Restpreußen, weil es Sachsens Streben auf den Erwerb der schlesischen Landbrücke verweist. Zum anderen kann Napoleon, wenn es ihm paßt, den polnischen Nationalismus gegen Rußland mobilisieren, das noch über Teile des alten Polen verfügt. Ein gänzlich neues Konstrukt ist das Königreich Westphalen. Die Krone erhält Napoleons jüngster Bruder Jérôme. Westphalen wird zusammengestückelt aus den ehemals preußischen Territorien westlich der Elbe, aus Gebieten Kurhessens und Braunschweigs. Insgesamt gehen an die 40 früher souveräne Staaten in das neue Königreich ein. Kassel wird Hauptstadt. Die völlige Traditionslosigkeit Westphalens stört den Kaiser nicht. Sie ist viel-
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mehr das Markenzeichen des neuen Gebildes, das er zum Musterstaat machen will. Das ist revolutionär gedacht, und sogleich stimmt die Propaganda den entsprechenden Ton an. Im 27. Bulletin der Großen Armee liest sich die Verjagung des Kasseler Kurfürsten wie das Urteil eines Revolutionsgerichts: „Das Hessen-Kasselsche Haus hat seine Untertanen seit vielen Jahren an England verkauft, und dadurch hat der Kurfürst so große Schätze gesammelt. Dieser schmutzige Geist stürzt ihn nun: das Haus Hessen-Kassel hat zu regieren aufgehört“99. Nunmehr wird alles neu, ça ira: Westphalen erhält eine Verfassung – es ist die erste geschriebene Verfassung Deutschlands. Es erhält ein Parlament und Geschworenengerichte. Der Code Napoléon wird eingeführt. Stockschläge für Soldaten werden per Gesetz verboten, jeder Grenadier kann Offi zier werden. Die Juden werden gleichberechtigt. Das Königreich hat zwei Staatssprachen. Der Moniteur erscheint auf französisch und auf deutsch. Jede Urkunde wird zweisprachig ausgefertigt. Von Frankreich übernimmt Westphalen die Aufteilung in Departements, Bildungsreformen werden verfügt und ein modernes Statistik- und Katasterwesen eingeführt. So wird der Musterstaat mit Geschenken überhäuft. Er muß sie annehmen, ob er will oder nicht. Auf die Idee, die westphälische „Nation“ die Verfassung mitberaten zu lassen, kommt Napoleon nicht. Hier ist er ganz Sohn der Revolution, die ihre Fortschrittsmission als einen Dienst an Unmündigen versteht. So wie Balzac es den jungen Adjutanten Gérard in seinem Roman „Die Chouans“ ganz naiv ausdrücken läßt: Sollte denn unsere Revolution steckenbleiben? Wir sind doch nicht bloß berufen, das Gebiet Frankreichs zu verteidigen: wir haben eine doppelte Mission. Müssen wir nicht auch die Seele des Landes bewahren, die hohen Grundsätze der Freiheit und Unabhängigkeit, die menschliche Vernunft, die von unserer Nationalversammlung erweckt worden ist und die sich, wie ich hoffe, Schritt für Schritt ausbreiten wird? Frankreich gleicht einem Reisenden, der den Auftrag hat, ein Licht zu tragen; Frankreich hält es in der einen Hand, und es verteidigt sich mit der anderen …100 So ist es nur konsequent, wenn das westphälische Staatsvolk am Vorgang der Staatsbildung nicht beteiligt wird, so wie übrigens auch König Jérôme gehorsam entgegenzunehmen hat, was ihm der große Bruder zuteilt. Der Verfassungstext wird ihm per Kurier zugestellt. Der Kaiser schreibt dazu: „Lieber Bruder, in der Anlage fi nden Sie die Verfassung Ihres Königsreiches“101. Mit der Erschaffung des Königreichs Westphalen will Napoleon moralische Eroberungen in Deutschland machen. Er hält es für ein leichtes, die
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Menschen, die den neuen Staat bevölkern, von den Vorzügen der französischen Institutionen zu überzeugen. In einer langen Epistel an Jérôme erläutert er die Vorzeigefunktion, die er Westphalen zugedacht hat: Die deutschen Völker verlangen mit Ungeduld, daß die bürgerlichen Talente nicht gegen den Adel zurückgesetzt; daß jede Art von Leibeigenschaft abgetan werde; daß alle Schranken , welche den Landesherrn von der niedrigsten Klasse seiner Untertanen trennen; hinwegfallen … Die Wohltaten des Code Napoléon, die Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren, die Einführung der Schwurgerichte, werden die unterscheidenden Kennzeichen des westphählischen Staates sein. Es ist notwendig, daß das westphälische Volk eine Freiheit, eine Gleichheit und einen Wohlstand genieße, wie sie den Völkern Deutschlands bisher unbekannt waren. Eine solche liberale Regierungsart wird den günstigsten Einfluß auf die Machtstellung der westphälischen Monarchie ausüben, und eine mächtigere Schranke gegen Preußen sein, als die Elbe, die Festungen und der Schutz Frankreichs. Welche Provinz wird auch unter das despotische preußische Regiment zurückkehren wollen, wenn sie einmal die Wohltaten einer weisen und liberalen Regierung gekostet hat? Die Völker Deutschlands sehnen sich nach Gleichheit und liberalen Ideen, es kann gar nicht ausbleiben, daß Westphalen ein moralisches und geistiges Übergewicht über die benachbarten absoluten Könige erlangt102. Tatsächlich geht von der Staatsschöpfung in der Mitte Deutschlands anfangs eine beachtliche Werbewirkung aus, jedenfalls auf die intellektuelle Schicht. Männer von Rang stellen sich Jérôme als Berater zur Verfügung, so der Schweizer Historiker Johannes von Müller, der sich bisher als Gegner der Revolution einen Namen gemacht hatte, und die Brüder Friedrich und Karl Murhard, die als Liberale im Vormärz eine Rolle spielen werden. Es ist die Faszination der Stunde null, die diese Männer nach Kassel führt und die sie antreibt, als Pioniere am Auf bau eines Staatswesens mitzuarbeiten, das auf gewachsene Tradition keine Rücksicht nehmen muß. So schwärmt Karl August Malchus, der neue Finanzminister: „In einem Staate wie der unsrige auf Sieg gegründet, gibt es keine Vergangenheit! Es ist eine Schöpfung, in welcher wie bei der Schöpfung alles, was vorhanden ist, nur als Urstoff in die Hand des Schöpfers und aus ihr vollendet in das Dasein übergeht“103. Malchus wird als Finanzminister sehr bald die Schattenseiten des Modellstaates kennenlernen. Auf dem Königreich lastet von Anfang an ein außerordentlicher Steuerdruck, der dem wirtschaftlichen Gedeihen kaum eine Chance läßt. Jérôme verfügt nur über die Hälfte der Domänen seines Reiches. Die andere Hälfte nutzt Napoleon, um dem neuen französischen Verdienstadel ein gesichertes Einkommen zu verschaffen. Mehrfach be-
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stürmt Malchus den Kaiser, den fi nanziellen Druck zu mildern, doch er wird so wenig erhört wie Jérôme. Napoleon läßt nicht davon ab, Westphalen als eine Art Ersatzkasse für den enormen Finanzbedarf Frankreichs zu nutzen. Das schürt die Unzufriedenheit im Lande und schwächt die Attraktivität des Modells Westphalen. Noch mehr Schaden richtet die Rücksichtslosigkeit an, mit der Sitten und Gebräuche, an die sich vor allem die einfache Bevölkerung klammert, wie Unkraut ausgerissen werden. Es ist erstaunlich, wie wenig man aus den Fehlern der Revolution gelernt hat. So diskreditiert Napoleon selbst ein lohnenswertes Experiment. Mit einem prosperierenden und von Zustimmung getragenen Königreich Westphalen hätte er beweisen können, daß er wirklich zum Geschlecht der Gründer gehört.
Frankreich wächst unaufhörlich. Bis 1793 werden Avignon, Savoyen und Nizza dem französischen Staatsverband einverleibt. Napoleon setzt die Annexionspolitik fort. Im Verlauf der Jahre werden Belgien und Genf, Genua und Ligurien, Toskana und Parma, der Kirchenstaat, Illyrien und Katalonien, Hamburg, Bremen und Lübeck französisch. Außerdem wächst die französische Einflußzone dadurch, daß immer mehr Staaten in ein direktes Abhängigkeitsverhältnis gebracht werden. Der unerhörte Machtzuwachs ist das zwangsläufige Ergebnis der Tatsache, daß seit 1792 unaufhörlich Krieg geführt wird und Frankreich diese Kriege gewinnt. Wie immer in den Staatenbeziehungen, bezahlen die Verlierer. Bis 1807 ist nicht gänzlich falsch, was Napoleon auf Sankt Helena diktiert: „Europa hat niemals aufgehört, gegen Frankreich Krieg zu führen, gegen seine Prinzipien, gegen mich; wir mußten versuchen, es zu schlagen – auf die Gefahr hin, selbst geschlagen zu werden.“ Den Vorwurf, er habe die monarchie universelle zielstrebig angesteuert, weist er zurück: „Wenn ich die Universalmonarchie vollendet habe, dann nicht, weil ich so kalkuliert hätte, sondern weil man mich dorthin gebracht hat, Schritt für Schritt“104. Auch das kann man so sehen. Jedoch blendet der Kaiser im Rückblick einen wichtigen Punkt aus: Seine Friedensschlüsse sind in aller Regel maßlos. Sie veranlassen die Unterlegenen, deren Zustimmung man für überflüssig hält, auf Rache zu sinnen und sorgen dafür, daß der Krieg niemals endet. Insofern folgt nicht nur das Zustandekommen der Universalmonarchie einer Zwangsläufigkeit. Zwangsläufig ist auch ihre Selbstgefährdung. Bei der Organisation der Universalmonarchie bedient sich Napoleon des bonapartistischen Familienverbandes. Der Kaiser verspricht sich von diesem Ordnungsmuster vor allem Loyalität. Joseph, den ältesten Bruder, belehnt er zuerst mit dem Königreich Neapel, später mit Spanien. Sein Nachfolger in
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Neapel wird der mit seiner Schwester Caroline verheiratete Marschall Joachim Murat. Das Großherzogtum Berg, das Murat vorher anvertraut worden war, übernimmt der Kaiser ab 1808 in Personalunion. Bruder Louis wird König von Holland, Jérôme erhält, wie gezeigt, das Königreich Westphalen. Der einzige Bruder, der ohne Krone bleibt, ist Lucien, der dritte Sohn des Ehepaars Bonaparte, der als Präsident des „Rates der Fünfhundert“ am 18. brumaire große Kaltblütigkeit bewiesen hatte. Er zerstreitet sich mit Napoleon, ist aber beim Epilog der Hundert Tage wieder an seiner Seite und wird zum Prinzen von Frankreich ernannt. Elisa Bonaparte, die älteste der Bonaparte-Töchter, erhält das Großherzogtum Toskana. Die schöne Pauline wird mit einem Fürsten Borghese verheiratet und Herzogin von Guastalla. Sie macht Skandal, als sie sich nackt malen läßt. Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais wird Vizekönig des Königreichs Italien. Bindungen schaffen, Bindungen nutzen: Das ist die Methode, mit der Napoleon an den Bau der nachrevolutionären Gesellschaft herangeht. In dieser Gesellschaft ist wenig fest gefügt. Doch hat die Revolution Werte wie die égalité überliefert, auf die Napoleon Rücksicht nehmen muß, auch wenn sie seinen Gestaltungswillen hemmen. Dem Gleichheitsdenken entgegengesetzt ist die Einführung des Ordens der Ehrenlegion. Die Revolution hatte „jedes äußere Zeichen, das den Unterschied der Geburt anzeigt“, strikt verboten105. Kein Wunder, daß Napoleon, als er im Mai 1802 dem Staatsrat sein Projekt vorlegt, zunächst Widerspruch erntet. Der Tabubruch ist eklatant. Orden seien ein Spielzeug der Monarchie, hält Théophile Berlier politisch korrekt dem Ersten Konsul entgegen. Napoleon antwortet mit einer Epistel über die menschliche Natur, auf die sich die Jakobiner nie verstanden hätten: Ich wette, daß man mir keine Republik nennen kann, die keine Auszeichnungen verliehen hat. Man nennt das Spielzeug und Flitterstaat. Gut! Aber mit solchem Flitterwerk leitet man die Menschen. Ich würde das von der Rednertribüne herab nicht aussprechen, aber in einem Rat von weisen Staatsmännern kann man alles sagen. Ich glaube nicht, daß das französische Volk Freiheit und Gleichheit liebt. Die Franzosen haben sich auch in den letzten zehn Jahren der Revolution nicht geändert. Sie haben nur eine Leidenschaft, und diese nenne ich ,Ehre‘. Diese Leidenschaft muß man aber hegen und pflegen und deshalb Auszeichnungen verleihen!106 Obwohl die Lebensklugkeit, die aus diesen Sätze spricht, kaum zu widerlegen ist, passiert das Ordensprojekt nur mit knappen Mehrheiten Tribunat und Gesetzgebungskammern. Noch zwei Jahre vergehen, bis die ersten Orden verliehen werden. Die Zeremonie fi ndet im Invalidendom statt. Napoleon ist inzwischen Kaiser. Das erste Legionskreuz erhält, sicher nicht
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zufällig, ein einfacher Soldat, der Grenadier der Kaiserlichen Garde Coignet. Als sich Coignet in das Ordensbuch eintragen soll, muß ihm die Hand geführt werden. Er ist Analphabet107. Die Stiftung der Ehrenlegion ist beispielhaft für das schöpferische Handeln Napoleons. Einerseits bricht die Legion mit der revolutionären Vergangenheit, andererseits greift sie nicht einfach auf die Ordenstradition des Ancien Régime zurück, die Angehörige des einfachen Volkes als Empfänger hoheitlicher Ehrungen praktisch ausschloß. Napoleon läßt sich auf keine der historischen Vorlagen ein. Er nimmt einen dritten Weg. Dieser verweist auf das Eigenständige der „kaiserlichen Republik“, der sich die Legionäre durch Eid verpfl ichten. Die Eidesformel hebt, zumindest verbal, den Widerspruch zwischen Hervorhebung und égalité auf, indem sie die Ungleichen zur Verteidigung der Gleichheit verpfl ichtet. Die neuen Ordensträger schwören, sich „dem Dienst der Republik zu weihen, jedes Unternehmen … zu bekämpfen, das sich die Wiederherstellung des Feudalregimes zum Ziel setzt“, und bei der „Aufrechterhaltung der Freiheit und Gleichheit mitzuwirken“108. Der Orden wird ein großer Erfolg. Bis 1808 werden über 20 000 Kreuze verliehen. „Die Ehrenlegion ist die schönste von meinen Einrichtungen“, wird Napoleon später sagen109. Zumindest ist sie eine der klügsten. Die Erfi ndung der postrevolutionären Auszeichnung bildet den Prolog eines breit angelegten Purpurisierungs-Programms, das ab 1804 auf Touren kommt. Napoleon legt das Fundament für einen neuen Hochadel. Ihm gehören außer den kaiserlichen Brüdern sechs Großwürdenträger an, dazu 16 Marschälle, samt und sonders Personen, die etwas für die Republik getan haben und die noch mehr für das Empire tun sollen. Die neue Aristokratie ist im Kern also ein Verdienst- und Funktionsadel. Ganz im Einklang mit dem revolutionären Erbe steht, daß viele der neuen Granden einfachen Verhältnissen entstammen. Dieses Muster fi ndet man in besonderer Weise bei der Gruppe der Marschälle. Ney ist der Sohn eines Böttchers aus Saarlouis, Murats Vater war Kneipenwirt. Augereau ist der Sohn eines Obsthändlers, Lannes war vor der Revolution Färberlehrling, Junot Jurastudent, Bernadotte ist der Enkel eines Schneiders. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die Märschälle von Frankreich Mitdreißiger, ähnlich dem obersten Kriegsherrn. Sie alle werden mit klangvollen Titeln und reichen Dotationen ausgestattet. In der Summe verleiht Napoleon während seiner Kaiserzeit 30 Herzogs- und Fürstentitel, er ernennt über 1000 Barone und 400 Grafen110. Nur die wenigsten Titel sind erblich, auch sind mit ihnen keinerlei Privilegien verbunden. Kein Titel begründet die Befreiung von Steuern oder Gesetzen. Napoleon betreibt die Purpurisierung mit Augenmaß; ihr Zweck ist eindeutig. Sie soll ihm eine Art garde de l’Empire schaffen, ein Korps von
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Leistungsträgern, die ihm zu Dank verpfl ichtet, dem Kaisertum ergeben und als Elite multifunktional sind. Chateaubriand hat nicht unrecht, wenn er Napoleon den „größten Organisator der Aristokratie in der Demokratie“ nennt111. Zielstrebig versucht der Kaiser, den neuen Adel mit dem alten zu vermischen. Die Altadligen erhalten 1808 das Recht, ihre früheren Titel zu führen. Doch gelingt dieser Akt der „gesellschaftlichen Fusion“112 nur eingeschränkt. Die Blaublütigen fügen sich, weil mehr im Augenblick für sie nicht erreichbar ist. Aber viele von ihnen betrachten die neuen Fürsten und Grafen wie ihren Schöpfer weiterhin mit scheelem Blick und halten sich für den Tag der bourbonischen Restauration bereit, an dem, wie sie glauben, offenbar werden wird, was sie von den Emporkömmlingen unterscheidet.
Gegenkräfte Vier Jahre nach seiner Gründung ist das Kaiserreich zum Grand Empire aufgestiegen. Im Innern ist es eine konstitutionelle Monarchie mit einem Kaiser an der Spitze, den Verfassung und Gesetze am schrankenlosen Regieren hindern, dessen selbstherrliche Züge aber immer deutlicher hervortreten. Eine ernst zu nehmende Opposition muß der cäsarische Monarch nicht fürchten, solange er erfolgreich ist. Unzufriedene hält er dadurch in Schach, daß er jederzeit in der Lage ist, per Plebiszit den Volkswillen gegen sie zu mobilisieren. Nach außen ist das Empire ein Großreich. Sein Kraftzentrum bildet das territorial gewaltig erweiterte Frankreich, das umgeben ist von einem Netz abhängiger Staaten, die durch Verträge, familiäre Verflochtenheiten und letztlich durch Gewalt zusammengehalten werden. Die Gewalt liegt in den Händen eines Soldatenkaisers. Die Zurschaustellung des Grand Empire fi ndet 1808 in Erfurt statt. Der Fürstentag ist in einem gewissen Sinn das Nachfolgetreffen von Tilsit. Die Initiative geht von Alexander aus. Der Zar, der den von ihm verlangten Beitritt zur Kontinentalsperre vollzogen hat, ist unzufrieden. Er hat das pathetische Freundschaftsfest vom Njemen anders in Erinnerung als Napoleon. Bei der Einverleibung Finnlands fühlt er sich nicht hinreichend unterstützt, bei seinen südlichen Expansionsplänen, die auf Konstantinopel zielen, ausgebremst. Überdies beunruhigt ihn die fortdauernde militärische Präsenz Frankreichs im benachbarten Restpreußen. Auch Napoleon ist an einer Begegnung mit dem Zaren interessiert. Er hat sich auf einen Konfl ikt auf der iberischen Halbinsel eingelassen, der sich ganz anders entwickelt, als er erwartet hat. Spanien wird von einem Bourbonen regiert, von Karl IV. Tatsächlich hält der Minister Godoy die Fäden in der Hand, ein ehrgeiziger Mann, der außerdem der Geliebte der Königin ist.
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Die Bourbonen, erklärt Napoleon eines Tages Metternich, „sind meine persönlichen Feinde. Sie und ich können nicht zur selben Zeit auf Thronen sitzen“113. Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Das eigentliche Motiv für das Eingreifen des Kaisers ist der Wirtschaftskrieg mit England. Portugal ist von alters her englische Einflußzone. Um so mehr kommt es für Napoleon darauf an, daß er sich auf Spanien verlassen kann. Das ist nur bedingt der Fall. Vom Escorial dazu eingeladen, hat Napoleon eine kleine Armee nach Spanien entsandt. Frankreich steht also im Land, als der Infant, Prinz Ferdinand von Asturien, Godoy zu stürzen versucht. Der Putschplan wird entdeckt, der Prinz unterwirft sich seinem Vater. Wenig später versammelt sich die jammervolle bourbonische Familie im französischen Bayonne. Als eine Art Mediator soll Napoleon einen Ausweg aus der Krise weisen. Das Resultat ist, daß ihm die Krone Spaniens angetragen wird. Er reicht sie seinem Bruder Joseph weiter. Die spanischen Prinzen werden nach Schloß Valençay verbracht, wo Talleyrand die wenig schmeichelhafte Aufgabe hat, sie zu bewachen. Ob Bayonne wirklich ein „Hinterhalt“ war und Napoleon von vornherein die Absicht hatte, die spanischen Wirrnisse so zu lösen, wie es geschieht, ist schwer zu ermessen. Eine Torheit war Bayonne auf jeden Fall, eine Torheit mit weitreichenden Folgen. Außenpolitisch erleidet Napoleon einen Ansehensverlust. Es fällt leicht, ihn als Thronräuber abzustempeln. Der Krieg, in den er stolpert, ist unnötig und unprovoziert. Nicht einmal die eigene Propaganda kann ihn als Akt der Selbstverteidigung hinstellen. In der Verbannung wird Napoleon das spanische Abenteuer als seinen größten Fehler bekennen. „Der unglückliche Krieg in Spanien hat mich zugrunde gerichtet. Alle meine Niederlagen entspringen aus dieser Quelle“114. Es ist die Selbstherrlichkeit des Kaisers, die ihn den Fehler begehen läßt. Die Kette seiner Triumphe hat ihn unvorsichtig werden lassen. Spanien war ihm bis zu diesem Zeitpunkt so einerlei, daß er sich weder mit den für eine Kriegführung belangvollen topographischen Verhältnissen des Landes noch mit der besonderen Mentalität der Bevölkerung beschäftigt hat. Das rächt sich. Mit einer Volkserhebung hat er nicht gerechnet. Angefeuert von Mönchen tritt plötzlich eine Bauernarmee von 100 000 Mann auf den Plan. Sie bezwingt in Baylèn ein komplettes französisches Korps. Dieses Korps besteht zwar überwiegend aus Rekruten. Trotzdem muß Napoleon erkennen, daß es nicht ausreicht, die Hauptstadt Madrid zu kontrollieren. Er muß seine Pläne ändern und selbst in Spanien eingreifen. Dafür braucht er Ruhe in Mitteleuropa. Vor allem muß jemand Österreich in Schach halten, das energisch aufrüstet und nur auf ein Schwächezeichen des Kaisers zu warten scheint. Für diese Rolle will Napoleon in Erfurt Zar Alexander gewinnen.
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Von der hochpolitischen Agenda bekommt das Publikum in Erfurt nichts mit. Ganz ähnlich geht es den meisten Würdenträgern, die nach Thüringen geströmt sind, darunter die neuen Rheinbund-Könige. Sie haben an den vorwiegend nächtlichen Beratungen der „großen zwei“ keinen Anteil. Man zählt vier Könige, acht regierende und nicht regierende Herzöge, zahlreiche Marschälle und ungezählte weitere Magnaten. Sie bilden das „Parterre“ einer spektakulären Inszenierung und erfüllen ihre Pfl icht, die darin besteht, dem Kaiser der Franzosen und Beherrscher Europas zu huldigen115. Zur Zeit des Fürstentags (29. 9. bis 14. 10. 1808) beherbergt die 18 000 Einwohner zählende Stadt rund 20 000 Gäste. Dazu kommen 57 000 Soldaten, denn Erfurt ist eine bedeutende Garnison. Erfurt ist ein gutes Beispiel für die territorialen Verwirbelungen des Dauerkriegs. Vor acht Jahren noch lebte die Stadt unter dem kur-mainzischen Krummstab, dann wurde sie von Preußen vereinnahmt. Inzwischen ist Erfurt, seit Preußens Niederlage, domaine réservée à l’Empereur, gehört also zum Privatbesitz Napoleons. Es gibt daher einen geeigneten Schauplatz ab für das Feuerwerk der Macht- und Prachtentfaltung, mit dem der Kaiser dem Zaren imponieren will. Bestaunt werden die Großschauspieler des Théâtre français. Napoleon hat das komplette Ensemble mit seinem Star Talma nach Erfurt beordert und das Programm selbst zusammengestellt: 13 Stücke von Corneille, Racine und Voltaire, lauter Tragödien. Die erlauchten Gäste im neuen Theatersaal an der Futterstraße haben wenig zu lachen. Abend für Abend sind sie Objekte einer vom Kaiser verordneten „Erziehungsdiktatur“116. Die suggestive Kraft des Bühnenzaubers erzielt die gewünschten Wirkungen: Als am 3. Oktober bei der Aufführung von Voltaires Oedipe Talma den Satz deklamiert L’amitié d’un grand homme est un bienfait des dieux („Die Freundschaft eines großen Mannes ist eine Wohltat der Götter“), erhebt sich der Zar und umarmt überwältigt den Kaiser der Franzosen. Trotz der unvermeidlichen Militärparaden, an denen es auch in Erfurt nicht mangelt, möchte Napoleon beim Fürstentag nicht in seiner Standardrolle als Feldherr wahrgenommen werden. Demonstrativ tritt er als Zivilperson auf, als Staatsmann und Förderer der Künste. Man sorgt dafür, daß die Zeitungen, in denen die politischen Angelegenheiten natürlich keine Rolle spielen, geräumig über die Theateraufführungen berichten, über die prunkvollen Roben der großen und der kleinen Majestäten, die sich in der gewünschten Weise von der wie üblich bescheidenen Kleidung Napoleons abheben. Vermerkt wird, daß der Kaiser Goethe empfängt. Goethe erscheint zu seinem Termin in der Alten Statthalterei mit Schnallenschuhen und Säbel. Noch 16 Jahre später, als er die Begegnung endlich niederschreibt, erinnert er sich an jedes Detail:
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Der Kayser sitzt an einem großen runden Tische frühstückend; zu seiner Rechten etwas entfernt vom Tische Talleyrand, zu seiner linken ziemlich nah Daru, mit dem er sich über die Contributions-Angelegenheiten unterhält. Der Kayser winkt mir heranzukommen. Ich bleibe in schicklicher Entfernung vor ihm stehen. Nachdem er mich aufmerksam angeblickt, sagte er: vous êtes un homme; ich verbeuge mich117. Welch eine Szene! Der Kaiser und der Dichterfürst, Macht und Geist. Dazu Talleyrand, der noch am selben Tag in monströs-frecher Weise zum Verräter an seinem Herrn werden wird. Schließlich Daru, als Eintreiber der preußischen Kriegsschulden unerbittlich und verhaßt und zugleich respektiert als Übersetzer des Horaz. Eine knappe Stunde nimmt sich Napoleon für Goethe Zeit. Kenntnisreich spricht er über das französische Theater. Kein gutes Haar läßt er an Voltaires Mahomet. Goethe, der das Stück ins Deutsche übertragen hat, habe sich an einem schlechten Beispiel versucht. Überhaupt diese Schicksalsstücke! Was wolle man jetzt mit dem Schicksal auf der Bühne? fragt der Kaiser. „Die Politik ist das Schicksal.“ Der Werther interessiert ihn, er hat ihn bei der Expedition nach Ägypten im Gepäck gehabt. Napoleon hält Goethe eine Stelle vor, die ihm unlogisch erscheint. Großmütig räumt der Dichter einen Fehler ein. Ist das Erfurter Titanentreffen nur ein Beweis mehr für die Verführbarkeit des Geistes durch die Macht? Schon möglich. Napoleon weiß, wie man die Menschen ködert, sie bei ihren Schwächen packt. Andererseits ist seine Lust am intellektuellen Diskurs zu oft bezeugt, um darin nur eine Vorspiegelung zu sehen. Wenige Tage später in Weimar sucht Napoleon erneut das Gespräch mit Goethe. Er regt ihn an, ein Cäsar-Drama zu verfassen und nach Paris zu kommen. In Weimar läßt er auch den alten Christoph Martin Wieland zu sich holen, der im Hausrock anrückt, und trägt ihm seine Ansichten über Tacitus vor, so lange, bis Wieland nicht mehr stehen kann und um Dispens bittet. Beide, Goethe und Wieland, erhalten von Napoleon die Ehrenlegion. Goethe wird den Orden lange in Ehren halten, wie er auch dann noch von „meinem Kaiser“ spricht, als Napoleon, den er in Thüringen als „Kompendium der Welt“ erfahren hat, schon lange keiner mehr ist. Mit seiner demonstrativen Verbeugung vor dem deutschen Geistesleben sammelt Napoleon in Erfurt Punkte. Politisch ist der Fürstentag für ihn dagegen ein Schlag ins Wasser. Der Zar weiß den Gefühlsüberschwang, den er sich im Theater geleistet hat, in den Verhandlungen zu dosieren. Alexander ist plötzlich ganz kühl. Er erkennt die französischen Gebietserweiterungen in Italien an. Hingegen bleiben die Zusagen, die er für den Fall eines österreichischen Angriffs macht, hinter Napoleons Erwartungen zurück. Der Kaiser ist enttäuscht; er ahnt nicht, daß Talleyrand alles getan
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hat, den Freundschaftsbund zu sabotieren. Statt die Pläne des Kaisers zu fördern, hat Talleyrand sein Verhandlungsmandat dazu genutzt, den Zaren vor Napoleon zu warnen. Zu Alexander sagt er: „Sie müssen Europa retten, und Sie können das nur dadurch erreichen, daß Sie Napoleon Widerstand entgegensetzen. Das französische Volk ist zivilisiert, sein Herrscher ist es nicht; der russische Herrscher ist zivilisiert, sein Volk dagegen nicht; also muß der russische Herrscher der Verbündete des französischen Volkes sein.“ Frankreich sei saturiert, es habe seine natürlichen Grenzen mit dem Rhein, den Alpen und den Pyrenäen erreicht. „Alles übrige sind Eroberungen des Kaisers, an denen Frankreich kein Interesse hat“118. Mit seinen Einflüsterungen sichert sich Talleyrand einen prominenten Eintrag im Geschichtsbuch des Hochverrats. Besonders schmählich ist, daß er sich den Betrug erst durch Alexander und dann noch einmal durch Österreich bezahlen läßt. Der einstige Bischof ist durch und durch korrupt. Andererseits ist er zu klug, um sich allein von purem Eigennutz lenken zu lassen. Die Ermahnungen, die er dem Zaren zuteil werden läßt, entsprechen seiner Überzeugung: Napoleon droht jedes Maß zu verlieren. Um ihn zu zügeln, muß nach Talleyrands Auffassung vor allem Österreich als handlungsfähige Macht erhalten bleiben. Am 14. Oktober geht der Fürstentag zu Ende; die „Monarchenflut“ (Goethe) zerstreut sich. Ernüchtert verläßt der Gastgeber die domaine réservée à l’Empereur und wendet sich nach Paris. Bereits zwei Wochen später befi ndet er sich auf dem Marsch nach Spanien. 160 000 Mann zählt die Armee, die er mitführt. Er möchte die Affäre auf der iberischen Halbinsel, die er längst bereut und die zu entgleisen droht, rasch zu Ende bringen, mit einem Sieg natürlich. Warum für ihn ein Zurückweichen nicht in Frage kommt, hat er dem General von Vincent, dem Adjutanten des österreichischen Kaisers Franz, in Erfurt erklärt. Das Gespräch, das seine Denkweise charakterisiert, eröffnet Napoleon nach Vincents Erinnerung mit der Frage: Nun, man hat Sie in Wien beauftragt, mir etwas zu sagen. Um was handelt es sich? – Sire, man hat mit Bedauern das Unternehmen Eurer Majestät in Spanien gesehen. – Gewiß sind sie in Wien nicht ärgerlicher als ich darüber, denn das ist die größte Dummheit, die ich in meinem Leben gemacht habe. – Könnte man in diesem Falle, Sire, nicht sagen, dass die kürzesten Dummheiten die besten sind, und es klug wäre, auf sie zu verzichten? – Und wie, mein lieber General? Lassen Sie uns gemeinsam Mittel dazu suchen, bringen Sie mich auf eine Idee, wie ich mich aus einer so großen Verlegenheit herausziehen kann. –
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Aber es ist doch nicht so schwer, auf etwas zu verzichten, das für Eure Majestät und für ganz Europa so große Nachteile hat. – Ah, Sie haben gut reden. Bedenken Sie doch meine Lage. Ich bin ein Usurpator; um bis dahin zu gelangen, musste ich den besten Kopf und den besten Degen von Europa haben. Und um mich nun zu halten, muß jedermann ferner davon überzeugt sein. Ich darf das Ansehen dieses Kopfes und dieses Degens niemals sinken lassen! Ich kann mich nicht angesichts des Universums hinstellen und sagen, dass ich mich ernstlich getäuscht habe und mich nun mit einer geschlagenen Armee zurückziehe. Urteilen Sie selbst: ist das möglich?119 Der Degen ist noch immer der beste Europas. Schon am 4. Dezember fällt Madrid. Napoleon ist auf gutem Wege, das durch die Kapitulation von Baylèn angekratzte Prestige der französischen Waffen wiederherzustellen, da wird der so vielversprechende Vormarsch abrupt unterbrochen. Am Neujahrstag 1809 erhält der Kaiser beunruhigende Informationen aus Paris. Von einem Pakt zwischen Tayllerand und Fouché ist die Rede. Die beiden geschicktesten, zu allem fähigen Alt-Revolutionäre waren bisher verfeindet. Jetzt sollen sie verabredet haben, daß Murat an die Stelle des Kaisers treten solle, falls Napoleon das Leben verliere, wodurch auch immer. Kolportiert wird außerdem, Talleyrand denunziere offen Napoleons Spanienpolitik. In hohem Maße alarmiert, verläßt der Kaiser die Armee. Zurück in Paris, schreit er Talleyrand vor Zeugen an: „Ihnen ist nichts heilig. Sie würden selbst Ihren Vater verkaufen“. Es folgt der berühmte Satz: „Sie sind nur Scheiße in einem Seidenstrumpf“120. Napoleons Empörung ist auch deshalb so groß, weil er nicht vergessen hat, daß Talleyrand es war, der ihm ursprünglich geraten hatte, die spanischen Bourbonen abzuservieren. Trotzdem geschieht dem hinkenden Ex-Bischof nichts, außer daß er in Ungnade fällt. So ist Napoleon. Auch Fouché muß niemals fürchten, ob seiner ständigen Machenschaften vernichtet zu werden, was stets in der Macht des Kaisers gelegen hätte. Die erstaunliche Nachsicht mit Widersachern verbindet Napoleon mit seinem Vorbild Cäsar. „Ich weiß zu kämpfen, siegen, doch weiß ich nicht zu strafen“, läßt ihn Voltaire in Caesars Tod sagen. Das Stück stand auf dem Spielplan des Fürstentages121. Trotzdem ist die etwas nebelhafte Intrige für Napoleon ein Warnsignal. Talleyrand und Fouché sind für ihre Verschlagenheit bekannt, nicht für ihre Kühnheit. Wenn sie sich vom Kaiser absetzen, bedeutet das etwas. Ist die Lage in Spanien vielleicht bedrohlicher, als es den Anschein hat? Der Spanienkrieg ist in Frankreich unpopulär. Spanien hat Frankreich nicht überfallen. Das Empire ist nicht herausgefordert, schon gar nicht ist es die Republik, die übrigens seit 1806 als Bezeichnung für die Staatsform des Landes aus
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dem amtlichen Sprachgebrauch getilgt ist. Also, warum für Spanien sterben? Warum den mühsam gesicherten Wohlstand riskieren, statt endlich seine Früchte zu genießen? So denken viele in Frankreich. Napoleon, der über die Polizei stets bestens über das Meinungsklima informiert ist, hat Grund zur Sorge. Es ist nicht seine einzige. Anfang des Jahres ist in Wien die Entscheidung für den Krieg gefallen. Österreich hat gewaltig gerüstet. Dafür wurden die Reste des Staatsschatzes geplündert. Jetzt verlangt die Logik dieser Politik nach Entladung. Der Wiener Optimismus, der nach so zahlreichen militärischen Fehlversuchen erstaunt, hat eine Erklärung: Spanien. Die halbe Niederlage der Franzosen auf der iberischen Halbinsel wird in Österreich und nicht nur dort als Anzeichen einer bevorstehenden Schicksalswende gedeutet. Die Erfolge der guerilla haben ungeheuer imponiert. Wenn spanische Bauern, Handwerker und kleine Adlige eine ganze französische Armee in Schach halten, dann wird Österreichs Streitmacht mit dem erprobten Erzherzog Karl als Generalissimus den zersplitterten Streitkräften Napoleons wohl erst recht die Stirn bieten können! So lauten die hochfahrenden Reden, die in den Wiener Salons und Cafés geführt werden. Das spanische Beispiel entfesselt wahre Wunderkräfte. Flugblätter der spanischen Widerständler werden übersetzt und in Umlauf gebracht. Der Publizist Hormayr putscht die Stimmung mit Schriften auf, die Napoleon dämonisieren und die Revolution verdammen. Darstellungen, die die „reinen“ Volkskräfte in der Vendée oder in Spanien glorifi zieren, bereichern die Propaganda um einen neuen, beinahe demokratischen Unterton. Gleichheitsforderungen werden laut. Sie richten sich zuallererst an das Militärwesen. Erzherzog Johann, jüngerer Bruder des Kaisers, macht sich für die Volksbewaffnung stark. Der „grüne Rebell“122 ist beeindruckt von den Tiroler Schützenkompanien, die sich ihre Offi ziere selbst wählen. Auf das Betreiben Johanns, der bisher bei Hofe wegen seiner romantischen Neigungen Narrenstatus hatte, geht die Einführung von Landwehren im Frühjahr 1808 zurück. Auch der leitende Minister Stadion entdeckt das Potential des Demos. Es komme dem Staat zugute, wenn die Menschen wissen, wofür sie kämpfen. Anzustreben sei deshalb, plädiert der Minister, daß das Volk „den so schädlichen Sinn der persönlichen Neutralität und Untätigkeit verliert … und sich aus eigenem Interesse näher und wärmer um die Sache seines Landesfürsten und die Armee anschließt“123. Wie das geschehen soll, bleibt allerdings unklar. Der Reformwille ist da, aber er wird gelähmt durch die Angst, die neuen Ideen könnten den Bazillus der Revolution ins Land tragen. Diese Halbherzigkeit werden die Tiroler in schmerzlicher Weise zu spüren bekommen. Tirol hat seit dem letzten Frieden eine bayerische Besatzung, die sich durch Ungeschick und Besatzer-
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hochmut verhaßt gemacht hat. Deshalb fi ndet hier das ermutigende Beispiel des iberischen Widerstands besonderen Anklang. „Spanien und Tirol tragen keine Fesseln mehr“, heißt eine populäre Flugschrift124, die zum Aufstand bläst. Auch in Preußen blickt man gespannt auf die Entwicklung in Spanien. Das Land ist tief gefallen. Seit dem Tilsiter Diktat ist jeder zweite Preuße nicht mehr Preuße. Er lebt in neuen Staaten wie dem Großherzogtum Warschau, im Königreich Westphalen oder unter wessen Herrschaft auch immer. Doch auf dem Tiefpunkt wachsen dem Staat auf einmal neue Energien zu. Sie gehen weder vom König noch vom altpreußischen Adel aus. Preußens Wiedergeburt ist das Werk von Ausländern. Der Freiherr vom Stein stammt aus dem Nassauischen, Hardenberg aus dem Braunschweigischen, Scharnhorst aus Hannover, Gneisenau aus Sachsen. Gekommen waren sie, als Preußen stark und mächtig war. In seiner Existenzkrise leisten sie ihm ihre größten Dienste. Friedrich Wilhelm ernennt nur äußerst widerwillig Stein zum ersten Minister. Dem zaudernden Monarchen, der jeden Entschluß tausendfach bedenkt, ist der resolute, in seiner Ungeduld oft unbeherrschte Freiherr unbequem. Erst Anfang 1807 hat der König Stein, den er einen „widerspenstigen Diener“ nennt, in Ungnade entlassen. Ein halbes Jahr später ruft er ihn zurück an den nach Memel ausgelagerten Hof. Stein erhält freie Hand für Reformen. Ungesäumt geht er an die Arbeit. Kaum im Amt, erscheint das Edikt über die Bauernbefreiung. Der Programmsatz lautet: „Nach dem Martinitage 1810 gibt es nur freie Leute.“ In kurzem Takt folgen weitere Reformschritte. Stein ordnet die Zentralverwaltung neu: Die ineffi ziente und undurchsichtige Kabinettsregierung wird abgeschafft und durch Fachministerien ersetzt. Das Staatsgebiet wird systematisch in Kreise, Regierungsbezirke und Provinzen eingeteilt, mit Landräten, Regierungspräsidenten und Oberpräsidenten an der Spitze. Die Städte erhalten Selbstverwaltung. Die Bürger, soweit sie über Besitz verfügen, wählen die Stadtverordnetenversammlung und den Bürgermeister. Stein bezieht die Vorbilder für seine Reformen aus dem englischen Regierungssystem, wie er es versteht. Manches, was er unternimmt, ist vorgedacht, nicht alles ist zu Ende gedacht. Die Umsetzung der Edikte braucht Zeit, und die nutzt der Adel, der keine Veränderung will, für Quertreibereien und Verwässerungen. So bedeuten Steins Politikschritte im Einzelfall mehr Anstoß als Umformung. Trotzdem bleibt die Leistung enorm. In einem einzigen Jahr legt Preußen einen gewaltigen Modernitätssprung hin. Anders als in Frankreich wird er nicht vom Dritten Stand erzwungen. Die preußischen Reformen kommen von oben. Sie sind ein Erziehungsprogramm, das vor allem von
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Beamten getragen wird, Kantianern, die mit den Kerzen der Aufklärung die Nation entzünden wollen. Die deutsche Nation? Stein denkt deutsch, aber sein Handlungsraum ist Preußen. Deutschland existiert neben Preußen, neben Österreich. Es ist ein Land, das auch nach dem großen Aufräumen von 1803 aus einer Häufung von kleinen und mittleren Staaten besteht, verbunden nur durch die gemeinsame Sprache. Damit wollte man lange zufrieden sein. Das glückliche Jahrzehnt, das dem Frieden von Basel 1795 folgte, schuf einen Schonraum, in dem viel Gutes gedieh wie die Weimarer Klassik, aber auch die Illusion, Deutschland könne auf Dauer dem welthistorischen Ringen fernbleiben und sich auf seine Bestimmung als Instanz zur Pflege von Geist und Kultur konzentrieren. Die Katastrophe von Jena zerstört diesen Irrglauben. Auf der Suche nach den Ursachen der Niederlage vergleicht man sich mit dem siegreichen Frankreich, und im Vergleich verändert sich die Selbstwahrnehmung. Ein bohrendes Minderwertigkeitsgefühl stellt sich ein. Der Glaube an Deutschlands „Kulturberuf“ bleibt, doch er adoptiert ein aggressives Element, das die Weltbürgerlichkeit Goethes und Schillers zurückweist. Fichtes „Reden an die deutsche Nation“, gehalten im Winter 1807 / 08, reklamieren die geistige Weltherrschaft der Deutschen125. Das aufkeimende Nationalgefühl ist das einer Schicksalsgemeinschaft, sein Humus die wirtschaftliche Not. Sie mag in Preußen besonders groß sein, im übrigen Deutschland ist sie kaum geringer126. Die Besatzung häuft sozialen Zündstoff an. „Allenthalben drückt eine nie gekannte Abgabenlast, ein gehässiges, für fremde Zwecke, in fremden Formen erzwungenes Konskriptionssystem, die Geißel unablässiger Durchmärsche und unerschwinglicher Truppenverpflegung …“ So charakterisiert Friedrich von Gentz die Lage in Deutschland127. Selbst im Modellstaat Westphalen will es der Regierung nicht mehr gelingen, die neue Ordnung als Fortschritt darzustellen. Ohnehin sind im Jubel über die neuen Freiheiten die Gebildeten weitgehend unter sich geblieben. Das Volk spürt nur die Drangsalierungen. Die Warnung, die Jérôme 1811 an den Kaiser adressiert, beschreibt nur die Zuspitzung einer Entwicklung, die Jahre vorher begonnen hat: „Der Hauptgrund dieser gefährlichen Bewegungen ist nicht nur der Haß gegen die Franzosen und die Ungeduld, das fremde Joch abzuschütteln; er ist vielmehr im Unglück der Zeiten begründet, in dem völligen Ruin aller Klassen“128. Napoleon ist taub für derlei Warnungen. Als er 1808 genötigt ist, den Großteil seiner in Deutschland stationierten Truppen nach Spanien zu werfen, erklärt er kaltblütig, nun sei der Augenblick gekommen, „wo die Solidität meines Werkes von Tilsit geprüft werden muß“129. Dem äußeren Anschein nach hält das Werk der Prüfung stand, doch unter der Oberfläche gärt es. An vielen Orten in Deutschland bilden sich Widerstandsnester. In
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Ostpreußen fi ndet sich ein „Tugendbund“ zusammen, der aus der Deckung harmloser Vereinszwecke („sittlich-wissenschaftlich“) den Aufruhr schürt. Der „Tugendbund“ und geistesverwandte Vereinigungen rekrutieren ihre Mitglieder aus dem Bildungsbürgertum, wo man gern bereit ist, sich zu überschätzen. Politisch spielen die Bünde in einer leichten Gewichtsklasse, aber sie tragen dazu bei, daß widerständiges Gedankengut ins Land gestreut wird. Es regt sich Aufstandsbereitschaft. Sie wird genährt von namhaften Gelehrten, Publizisten und Geistlichen wie Fichte, Arndt oder Schleiermacher. Der Dichter Heinrich von Kleist überträgt den spanischen Catecismo civil ins Deutsche. Das wüste Machwerk, das Napoleon perhorresziert, fi ndet weite Verbreitung. Kleists Hermannsschlacht kann als Agitationsschrift gelesen werden. Der Aplomb des Stückes ist, daß der Held keinerlei moralische Schranken akzeptiert. Gegen den Feind sind alle Mittel recht. Kleist schafft damit eine Gegenposition zum humanistischen Idealismus. Ganz ohne Hüllen tritt sie auf in seiner Ode Germania an ihre Kinder. Wenn es dort heißt: „Schlagt ihn tot! Das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht“, weiß jeder, daß damit Napoleon gemeint ist. Stein fi ndet eine Aufgabe vor sich, die herkulische Kräfte verlangt. Napoleons Kriegskommissar Daru hat die Kontributionsforderungen an Preußen auf 154,5 Millionen Franken hochgeschraubt. Das entspricht dem Dreifachen der jährlichen Einnahmen Preußens. Friedrich Wilhelm schwankt wie üblich. Einerseits schreibt er Napoleon die demütigsten Briefe, nennt ihn le plus grand homme de notre siècle und bittet „den größten Mann unseres Jahrhunderts“ zu sagen, welche Rolle er dem König von Preußen in Europa zuzubilligen gedenkt130. Umgekehrt weigert er sich, die fi nanziellen Forderungen Frankreichs zu akzeptieren. Nur mühsam bringt Stein den König dazu, seinen Widerstand aufzugeben. Für ihn ist das alles überragende Ziel, die fünf Festungen, die Frankreich als Faustpfänder hält, so rasch wie möglich freizubekommen. Das setzt eine Verständigung in der Kontributionsfrage voraus. Erst im Frühsommer 1808 vollzieht Stein eine Kehrtwendung. Der Freiherr ist kein Mann für Halbheiten. Kompromißlos hat er über Monate auf die Karte des Ausgleichs gesetzt. Sie hat nicht gestochen. Jetzt wechselt er ebenso kompromißlos ins Lager der „Patrioten“. Gegenüber Frankreich wird die Fassade gewahrt. Insgeheim nimmt Stein Kontakt mit denjenigen auf, die auf eine Insurrektion hinarbeiten. Er ist sich bewußt, daß Friedrich Wilhelms Plazet für diesen radikalen Politikwechsel nur schwer zu haben sein wird. Stein betreibt jetzt ein Doppelspiel. In diesen Sommermonaten formiert sich in Preußen eine Art Parallelregierung, mit fl ießendem Übergang zur Gegenregierung. Ihr Zentrum bilden Stein, Scharnhorst und Gneisenau. Formal werden die Reste des Gehorsams gegenüber dem Souverän
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gewahrt. Man überschüttete Friedrich Wilhelm mit Denkschriften. Die Mémoires und Immediatberichte sagen niemals die ganze Wahrheit. Mit Andeutungen will man den König für den Bruch mit Frankreich gewinnen. Gelingt dies nicht, haben die Eingaben wenigstens den Nutzen, daß sie eine Aktenlage herstellen für Tatsachen, die man hinter dem Rücken des Königs schafft. Das ist illoyal, unpreußisch und erstaunlich. Denn Karl vom Stein wurde nicht als Rebell geboren. Sein Beispiel zeigt, wie fl ießend die Grenzen zwischen Gehorsam und Auflehnung, Revolution und Bekämpfung der Revolution geworden sind. Den Pakt mit dem Teufel schließt man nicht gratis. Den Volkskrieg wollen, heißt die Revolution riskieren. Stein glaubt, daß er die Ambivalenzen und Spannungen seines Doppelspiels aushalten kann. Er ist davon überzeugt, daß er keine andere Wahl hat. So denkt auch Gneisenau. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg hat er Eindrücke von den Möglichkeiten des Guerillakampfes gewonnen. Gneisenau bewundert Carnot. Dessen Levée en masse ist für ihn die Erklärung für Frankreichs militärische Suprematie, die allgemeine Wehrpfl icht das Kapital, mit dessen Zinsen der Korse Preußen im Unglück hält. Man muß daraus lernen, die Konzepte übernehmen. Gneisenau drängt auf Volksbewaffnung, Volkskrieg, Wahl der Offi ziere durch die Mannschaften: „Jede Hütte eine Burg, jeder Bewohner ein Soldat ohne Uniform – nur mit einer Nationalkokarde am Revers“131. In Preußen, wo die Offi ziere der Armee seit jeher den Ersten Stand bilden, klingen solche Parolen aufrührerisch. Die Mehrheit des Offi zierskorps steht dem Gedanken der Volksbewaffnung kühl gegenüber. Wie nahe man im Sommer 1808 einer Erhebung wirklich ist, wird man nie erfahren. Denn Stein begeht eine schreckliche Torheit. Im August werden von der französischen Polizei zwei Briefe Steins abgefangen. Die leichtsinnigerweise unverschlüsselten Briefe belegen unzweifelhaft, daß Preußens leitender Staatsmann in Aufstandspläne gegen die Besatzungsmacht eingeweiht ist und diese fördert. Napoleon nimmt die Vorlage sofort auf. Die Briefe werden im Moniteur abgedruckt. Stein ist nach dieser Eskapade nicht mehr zu halten. Am 24. November muß er den Dienst quittieren. Napoleon läßt den nommé Stein für vogelfrei erklären. Seine Güter werden eingezogen. An Aufstand ist jetzt nicht mehr zu denken. Ganz verschwinden die Pläne zwar nicht von der Bildfläche; für Friedrich Wilhelm aber bleiben sie „Poesie“. In diesem Punkt hat der König wohl recht. Preußen ist nicht Spanien. Während die Steinwüsten und die gebirgige Topographie auf der iberischen Halbinsel für den Volkskrieg prädestiniert sind, fehlen im flachgestreckten Preußen für den erfolgreichen Guerillakampf alle Voraussetzungen. Zwischen Elbe und Weichsel liegen 150 000 kriegserfahrene Männer der Grande Armée, gegen die die dezimierten preußischen Truppen wohl kaum
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etwas auszurichten hätten. Was die Erhebung des Volkes angeht: In einem seiner fatalen Briefe hatte Stein nebelhaft von „Verbindungen wohlgesinnter Männer“ geschrieben. Weitläufig können die verschwörerischen Netzwerke nicht sein. Der „Tugendbund“ zählt auf seinem Höhepunkt kaum mehr als 700 „wohlgesinnte Männer“, und ob Idealisten wie Fichte, der sich fünf Jahre später wahrhaftig mit Säbel und Pike beim Berliner Landsturm meldet, Napoleons grognards beeindruckt hätten, darf bezweifelt werden. Es war also richtig, daß sich Friedrich Wilhelm nicht auf das Vabanquespiel einließ. Ein Volksaufstand hätte wohl Preußens Ende herbeigeführt. Auf der anderen Seite zeigen das Taumeln der preußischen Politik und der in Deutschland um sich greifende Furor, wie labil die Verhältnisse in Mitteleuropa sind. Wenn Napoleon es ernst gemeint haben sollte mit der Absicht, Deutschland mit französischen Freiheiten zu gewinnen, dann ist er gescheitert.
Eine österreichische Prinzessin Der Krieg, den Österreich 1809 vom Zaun bricht, ist ein notwendiger Präventivkrieg. So sieht man es jedenfalls in Wien. Hier hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß mit dem Empire eine Koexistenz auf Dauer unmöglich sei. Habsburg werde unweigerlich Napoleons nächstes Beuteobjekt sein, wenn Frankreich den spanischen Konfl ikt erst einmal abgehakt habe. Nach den Wiener Berechnungen könnte der Zeitpunkt für ein Losschlagen günstiger nicht sein: Napoleon hat in Spanien zu tun, der Zar Alexander hat Zurückhaltung versprochen, England ist zur Hilfe bereit und Deutschland von den spanischen Ereignissen so elektrisiert wie Österreich selbst. Optimisten halten einen Volksaufstand in Deutschland als Parallelaktion für möglich und rechnen für diesen Fall damit, daß Preußen dann in den Krieg hineingezogen werde. Man sieht dieser Kalkulation an, daß sie mit der Tinte der Hoffnung geschrieben ist. Die diplomatischen Präparationen des Konfl ikts sind nicht halb so gut wie die militärischen. Das alles erinnert an den preußischen Krieg. Genauso wie Preußen 1806 bleibt jetzt Österreich ohne wirklichen Allianzpartner. Die Landung englischer Truppen im niederländischen Vlissingen hat keinen Einfluß auf den Kriegsverlauf. Zutreffend ist allein die Einschätzung Rußlands. Die Armee des Zaren scharmützelt in Galizien zwar etwas herum, aber Alexander will Österreich nicht ernsthaft weh tun. Die österreichische Feldzugsplanung sieht den Hauptstoß in Süddeutschland vor. Im Erfolgsfall sollen dann die Rheinbundstaaten wie Dominosteine dem früheren Kaiser deutscher Nation in den Schoß fallen. Am 10. April rükken österreichische Truppen unter Erzherzog Karl in Bayern ein, doch der
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Vorteil der Initiative verpufft, weil man gleichzeitig auch in Tirol und in Italien angegriffen hat und es dadurch der Hauptarmee an Masse fehlt. Auch hat man Napoleon gründlich unterschätzt. Wohl ist der Kaiser selten so schlecht vorbereitet auf einem Kriegsschauplatz erschienen, doch seine Schnelligkeit setzt ihn instand, binnen fünf Tagen (19. bis 23. April) die Österreicher fünfmal nacheinander zu schlagen (Thann, Abensberg, Landshut, Eckmühl und Regensburg). Abermals hat er sein Genie unter Beweis gestellt. Der Weg nach Wien ist frei. Am 10. Mai zieht er in der österreichischen Hauptstadt ein. Aber noch ist nichts entschieden. Der österreichische Generalissimus, der sich auf Böhmen zurückgezogen hatte, rückt zur Entsetzung der Hauptstadt vor. Nun stellt sich heraus, daß Karl seinen Ruf als ausgezeichneter Feldherr verdient. Napoleon ist nicht in der Lage, die Nachteile, die sich aus der Zersplitterung seiner auf ganz Europa verstreuten Streitkräfte ergeben, in vollem Umfang wettzumachen. Bei Aspern (21. und 22. Mai) wird er zum erstenmal in offener Feldschlacht besiegt. Es folgen sechs bange Wochen, ehe Napoleon den Spieß umdreht und den Erzherzog am 5. und 6. Juli bei Wagram besiegt. Es ist ein schwer errungener Sieg. Monate später, als bei einer Beratung in Paris jemand die Auffassung vertritt, Österreich sei keine nennenswerte Macht mehr, gibt Napoleon zurück: „Man sieht, Ihr wart in Wagram nicht dabei“132. Nach Wagram hält Karl die Sache Österreichs militärisch für verloren. Eigenmächtig schließt er in Znaim einen Waffenstillstand ab. Kaiser Franz zögert mit der Aufnahme der Verhandlungen. Erst nach vier Wochen lenkt er ein und gibt zugleich die Tiroler Bauern preis, die heldenmütig gekämpft haben und denen er ewige Treue geschworen hatte. Der Tiroler Volkskrieg, der die Hauptaktionen begleitete, endet also im Mißerfolg. Er war dennoch bei weitem bedeutender als drei zeitgleiche Erhebungen in Norddeutschland. Die Aufstandsversuche unter dem Major Schill, dem Obersten Dörnberg und dem Herzog von Braunschweig sind Aktionen von Hasardeuren. Das Volk bleibt abseits, die Sogwirkung auf Preußen bleibt aus. Der Habsburgerstaat verliert den Krieg, weil seine Diplomatie unzulänglich war und man zu sehr dem Prinzip Hoffnung vertraute. Im Feld schlug man sich, anders als Preußen 1806, bravourös. Aspern ist eine Scharte im Panzer der Unbesiegbarkeit Napoleons. Wie Spanien wird es in Zukunft die Phantasie derer beflügeln, die auf Revanche sinnen. Doch zunächst ist der Sieger am Zug. Wie eine Rache für Aspern mutet der Friede an, den Napoleon Österreich auferlegt. Das Land verliert ein Sechstel seines Bodens und den gleichen Anteil an Menschen. Kroatien, Dalmatien, Triest, Villach, Berchtesgaden, Krain und große Teile Galiziens müssen abgetreten werden. Dalmatien, Istrien und Kroatien werden als „Provinz Illyrien“ Frankreich direkt angegliedert. Westgalizien mit Krakau fällt an das Großherzogtum
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Warschau, Teile von Ostgalizien an Rußland. Bayern erhält Salzburg, Regensburg und das Innviertel. Österreich muß der Kontinentalsperre beitreten, es muß 815 Millionen Franken an Kontributionen bezahlen, seine Armeestärke wird auf maximal 150 000 Mann begrenzt. Der Staat ist bankrott, die Zukunft düster. Während der Konfl iktmonate ist die französische Diplomatie in Ungarn sehr rege gewesen. Niemand kann ausschließen, daß Napoleon als nächsten Schritt die völlige Zerschlagung des Reiches plant. In diesem Augenblick tritt eine sensationelle Wendung ein. Sie wühlt das durch zwanzig Jahre Erdbeben abgebrühte Europa auf wie zuletzt die Nachricht von der Hinrichtung Ludwig XVI. Napoleon heiratet die Nichte des „Märtyrer-Königs“, die habsburgische Prinzessin Marie-Louise. Der Kaiser trägt den Gedanken, sich nach 15 Jahren von Joséphine scheiden zu lassen, schon eine Weile mit sich herum. Die Ehe ist kinderlos geblieben. Napoleon hat zwischenzeitlich mit einer Vorleserin seiner Schwester Caroline einen Sohn gezeugt, Léon. Er weiß also, daß es nicht an ihm liegt. Doch er hängt an Joséphine. Es fällt ihm schwer, sich ein Leben ohne sie vorzustellen. Also schiebt er die Entscheidung vor sich her. Auf Anspielungen seiner Geschwister, die Joséphine hassen, reagiert er zornig; Bemerkungen seiner Räte, die ihn zur Staatsraison gemahnen, weist er unwirsch zurück. So geht das lange Zeit. Am Sachverhalt ändert sich nichts. Die Gesetze von 1804 räumen dem Kaiser das Recht ein, die Erbfolge notfalls durch Adoption zu sichern. Eine Weile hat er in diesem Zusammenhang an den kleinen Napoléon-Louis-Charles gedacht, den Sohn seines Bruders Louis und Hortense de Beauharnais. Doch der ist früh gestorben. Was tun? Napoleon erkennt, daß die Konsolidierung der Universalmonarchie mit deren rapidem Aufwuchs nicht Schritt hält. Durch die ständigen Feldzüge in Beschlag genommen, kann er sich nur ungenügend um die Verhältnisse im Innern kümmern. Die Ränke von Leuten wie Talleyrand und Fouché beunruhigen ihn; die Rivalitäten seiner Brüder ermüden ihn. Er ist zehn Jahre an der Macht und erfährt, daß Macht einsam werden läßt. Was wird sein, wenn er nicht mehr ist? Wird dann das Volk rufen: „Der Kaiser ist tot, das Reich auch“? Je mehr in ihm die Überzeugung heranreift, daß er einen leiblichen Sohn braucht, wenn das Empire seinen Schöpfer überleben soll, desto klarer wird ihm, daß er die Verbindung mit einer der großen europäischen Herrscherfamilien anstreben muß. Es klingt paradox: Er, der Kronen und Titel benutzt hat wie Glaskugeln beim Murmelspiel, glaubt wirklich, mehr für das monarchische Prinzip getan zu haben als irgendeiner auf dem Kontinent. Hat er nicht den revolutionären Wahnsinn beendet? Hat er nicht dem französischen Adel die Hand geboten? War nicht die Aufrichtung des Kaisertums ein Nachweis dafür, daß Frankreich seinen Frieden mit der gesellschaftlichen Ordnung gemacht hat? Dank hat man ihm dafür nicht gewusst. Der
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alte Adel sitzt wieder in den Hôtels du Faubourg St. Germain und pflegt seinen Hochmut. Unter den Trägern der großen Namen fi ndet sich kaum einer, der in den Dienst des Reiches tritt. Kaiser Franz, der Zar und der preußische König reden ihn, wenn sie mit ihm korrespondieren, mit „Mein lieber Herr Bruder“ an. Und doch sehen sie in ihm keinen Ebenbürtigen, Napoleon weiß es. Ginge es nur um ihn, sein Revolutionsstolz würde über die blaublütige Herablassung lachen. Aber es geht um die Dynastie, es geht um das europäische Reich, und deshalb muß er einen letzten, entschiedenen Schritt der Purpurisierung tun. Er muß eine Prinzessin heiraten. Erst dann wird der Makel der Illegitimität endlich getilgt sein. Zuerst hatte Napoleon an eine Verbindung mit dem Zarenhaus gedacht. Doch Alexander spielt nicht mit. Talleyrands Verrat trägt Früchte. Die von Napoleon ins Auge gefasste Großfürstin Katharina heiratet bald den Herzog von Oldenburg. Eine weitere Anfrage – diesmal geht es um die erst 15jährige Zarenschwester Anna – behandelt Alexander dilatorisch. Napoleon müsse zuerst sein Wort geben, daß Frankreich niemals die Wiederherstellung des Königreichs Polen fördern werde. Als Alexander, der sich einbildet, ein besonders raffi niertes Spiel zu spielen, seine Hinhaltetaktik fortsetzt, ist er bereits aus dem Spiel. Napoleon hat in Wien sondieren lassen, und hier ist man sich sehr rasch handelseinig. Kaiser Franz ist bereit, Napoleon die Hand seiner Tochter Marie-Louise zu geben. Marie-Louise ist 19. Zwei Jahre alt war sie, als ihre Tante, die Königin Marie Antoinette, von den Schergen der Revolution exekutiert wurde. Den Zeitplan für die geschäftlichen Erledigungen gibt der Bräutigam vor: Am 16. Dezember 1809 wird die Scheidung von Joséphine amtlich; die Ehe wird einen Tag später vom Kirchengericht der Diözese Paris annuliert. Das Konkordat, das den französischen Episkopat in die Abhängigkeit vom Staat gebracht hat, erweist seine Nützlichkeit. Bereits am 22. März betritt die Braut in Straßburg französischen Boden. Sechs Tage darauf teilt sie im Schloß von Compiègne mit dem Kaiser, der ihr entgegengeeilt ist, das Bett. Napoleon ist begeistert. Savary rät er: „Mein Lieber, heiratet eine Deutsche. Sie sind die besten Frauen der Welt! Süß, gut, naiv und frisch wie die Rosen!“ Am 1. April wird die Ziviltrauung vollzogen, die kirchliche Trauung fi ndet einen Tag später statt. Nicht nur Napoleon hat auf Eile gedrängt. Auch in Wien ist man bestrebt, die Verbindung so rasch wie möglich zustande kommen zu lassen, so sehr, daß offenkundige Peinlichkeiten in Kauf genommen werden: So wird der Ehekontrakt, der seinerzeit für die unglückliche Marie Antoinette ausgehandelt worden war, als Muster verwendet. Die Aufgabe, die Braut einzuholen, obliegt Berthier, ausgerechnet Berthier, den Napoleon nach dem Sieg über Österreich mit dem Titel eines Fürsten von Wagram geschmückt hatte.
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Allein, die mariage autrichien ist ein Handel, ein Geschäft mit hoher Ertragserwartung, bei dem Dezenz und Feingefühl nichts verloren haben. Der Kaiser der Franzosen will einen leiblichen Erben, der Kaiser von Österreich will seine Krone behalten. Beide muten ihren Völkern viel zu. In Frankreich war die Kaiserin Joséphine stets populär. Sie gehörte zum Inventar der Revolution, deren Tollheiten man bedauert, die man aber in Ehren hält, weil sie den Grundstein zu Frankreichs neuer Größe gelegt hat. Zwar versteht man, daß Napoleon über sich hinausdenken muß. Aber braucht er für seine Zwecke unbedingt den Bauch einer österreichischen Prinzessin? Die Frage stellen sich nicht nur ehemalige Jakobiner. Auch in Österreich ist die Irritation groß. Erst vor wenigen Monaten hatte man sich von der patriotischen Propaganda in einen antifranzösischen Taumel versetzen lassen. Jetzt plötzlich soll das „Monstrum“ eine gute Partie für die Kaisertochter sein! Die „russische Partei“ am Hofe, die den Kaiser in den unheilvollen Krieg gedrängt hatte, berauscht sich geradezu an ihrer Empörung über den Gedächtnisverlust des Vaters. Der tragödische Chor erhebt Marie-Louise in den Stand einer modernen Iphigenie. „Man mußte dem Dinosaurus eine österreichische Jungfrau opfern, um ihn zu sättigen“, pestet Lady Castlereagh, die Frau des britischen Geschäftsträgers133. Der schwäbische Dichter Justinus Kerner, der sich gerade in Prag aufhält, notiert voller Verachtung: „Die Wiener sind toll wegen der Heirat; Napoleon ist nun ein Gott, man betet für ihn in den Kirchen; die Besiegung ist Gewinn; sie betrachten jetzt mit Entzücken die Ruinen von Wien (nach dem Frieden von Schönbrunn musste der innere Wall der Hauptstadt geschleift werden, A. d. V.), die zerriebenen Steine der Festungswerke streuen die Kaufleute zum süßen Angedenken an den göttlichen Mann in ihre Zimmer als Bodensand“134. Für Friedrich Gentz, der über Jahre zum Kreuzzug gegen Napoleon und die Revolution geblasen hatte, bricht eine Welt zusammen: „Der Abend, an dem die Hochzeitszeremonien stattfanden und Wien in Lichtern prangte, war einer der traurigsten meines Lebens“, schreibt er in sein Tagebuch135. Kerner beobachtet richtig. Beim Scherbengericht über die Heirat bleiben diejenigen, die schon immer den bedingungslosen Kampf gegen Napoleon gepredigt haben, weitgehend unter sich. Das launische Volk hingegen ist „toll wegen der Heirat“, und das nicht nur, weil man in Wien immer gern feiert. Kann es sein, daß die Hochzeit die Tür zum ersehnten Frieden aufstößt? Ist nicht sogar die Rückkehr zu alter staatlicher Größe denkbar, jetzt, da Habsburg mit dem Dominator Europas durch die Bande des Blutes verbunden ist? Im Lichte dieser Möglichkeiten erscheint vielen die Heirat wie ein Geniestreich. Am 20. März 1811 bringt die junge Kaiserin Marie-Louise einen Sohn zur Welt, den König von Rom. Napoleon hat nun einen leiblichen Erben. Sein
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heißer Wunsch ist also in Erfüllung gegangen. All das Kämpfen hat sich gelohnt! In seinem Sohn fl ießt das Blut des Alten und des Neuen. Er amalgamiert Revolution und Ancien Régime und vertreibt den Schatten der illegitimen Herrschaft, der solange auf dem Vater gelastet hat. Das hofft Napoleon. Im fernen Weimar freut sich Goethe mit „seinem Kaiser“. Er hält Napoleon für saturiert und sagt eine Friedensära voraus: Nun steht das Reich gesichert wie geründet. Nun fühlt Er froh im Sohne sich gegründet136. So weit würde Clemens Metternich nicht gehen. Der neue Außenminister Franz I. hat die mariage autrichien gefördert, wo er nur konnte. Das war schon deshalb nötig, weil die Alternative, nämlich eine Ehe Napoleons mit einer Tochter des Hauses Romanow, unbedingt vermieden werden mußte. Und zweifellos eröffnet die familiäre Verbindung Habsburg / Bonaparte hochinteressante Perspektiven. Nur ein Tor hätte die Chance ausgeschlagen. Aber Metternich bleibt Realist. Im Bild, das er von Napoleon hat, ist die plötzliche Verwandlung des Eroberers in einen erhaltenden Staatsmann nicht angelegt. Die Heirat wird den ewigen Frieden nicht bringen. Der existiert sowieso nur in der Phantasiewelt von Philosophen. Doch vielleicht verhilft die Heirat dazu, daß der nächste Krieg einen Umweg um Österreich macht. Für Österreich wäre damit schon viel gewonnen.
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Metternich Mein Leben ist in eine abscheuliche Periode gefallen. Ich bin entweder zu früh oder zu spät auf die Welt gekommen; jetzt fühle ich mich zu nichts gut. Früher hätte ich die Zeit genossen, später hätte ich dazu gedient, wieder aufzubauen; heute bringe ich mein Leben zu, die morschen Gebäude zu stützen. Metternich 1820
Mann im Strom 5. Kapitel Metternich
Es gehört zum Wesen der Revolution, daß sie nur gut oder böse gelten läßt, hell oder dunkel. Das Dazwischenliegende erkennt sie nicht an, nicht die Krümmungen noch das Zwiespältige, das doch die menschliche Existenz erst ausmacht. Statt dessen zerspaltet sie die Biographien, so wie sie die Zeit mit scharfem Schnitt zerteilt. Alles ist entweder morgen oder gestern. In diesem Sinne ist Metternich die Symbolfigur des Ancien Régime. Die alte Zeit hat im Sommer 1792 noch einmal einen großen Auftritt. Am 5. Juli wird zu Frankfurt Erzherzog Franz Joseph Karl aus dem Haus Habsburg-Lothringen als Franz II. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches erhoben. Für Salbung und Krönung des neuen Kaisers hat man ein spezielles Datum gewählt, den 14. Juli, den Bastille-Tag. Damit ist ein wichtiger Programmpunkt der Regentschaft markiert, die Konterrevolution. Die Revolution tritt unterdessen in Paris, einige hundert Kilometer weiter westlich, in ein neues Stadium ein. Die Schreckensherrschaft kündigt sich an. Am 10. August wird der König entmachtet. 500 Schweizer Gardisten, die sich in den Tuilerien verschanzt haben, werden niedergemetzelt. Wenige Tage später ist auf der Place du Carrousel eine seltsame Installation aus Holz zu besichtigen. Angeregt von Monsieur Guillotin, einem Arzt, handelt es sich um eine Vorrichtung des egalitären und schmerzfreien Tötens. Der deutsche Klavierbauer Tobias Schmidt hat das Instrument verfertigt.
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Die Köpfmaschine ist für den absehbar steigenden Bedarf zweifellos besser geeignet als Strick oder Richtbeil. Der Krönungsball in Frankfurt wird von einem reizenden jungen Paar eröffnet. Es sind die Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz und Clemens Wenzel Lothar Graf von Metternich. Die Prinzessin wird später als Gattin des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. zur Ikone „Königin Luise“ werden. Auch für Metternich hat das Schicksal eine wichtige Rolle reserviert. Als verantwortlicher Minister des gerade Gekrönten wird er einer Ära seinen Namen geben, in der es kein Heiliges Römisches Reich mehr geben und Franz unter dem subtrahierten Herrschernamen Franz I. nur noch Kaiser von Österreich sein wird. Es ist ein Totentanz in Rokokogewändern, der in Frankfurt aufgeführt wird. Nach fast tausend Jahren ist das Heilige Römische Reich lediglich ein Schatten seiner selbst, kein Vergleich mit dem Land der Revolution, das nicht bloß Hegel wie der „herrliche Sonnenaufgang“ vorkommt. Zersplittert in eine unübersehbare Menge von Zwergherrschaften und verschlissen von der Eifersucht der Vormächte Österreich und Preußen, wird es nur noch durch Ratlosigkeit und die Interessen von Reichskirche, Reichsadel und Reichsstädten zusammengehalten. Im europäischen Gleichgewichtsgefüge nimmt es jedoch die wichtige Funktion einer Knautschzone ein. Wer es schafft, seine Hand auf den Hohlkörper in der Mitte zu legen, wird Herr des Kontinents sein. Das Metternich-Geschlecht gehört dem Reichsgrafenstand an. Es hat seinen Besitz im Moselländischen. Mehrere Trierer Kurfürsten hat die Familie gestellt. Sie verfügt über Sitz und Stimme im westfälischen Grafenkolleg. Als Zeremonienmeister des katholischen Teils dieses Kollegs darf der junge Metternich am Krönungsball teilnehmen. Als Metternich am 15. Mai 1773 bei Koblenz geboren wird, regiert in Österreich Kaiserin Maria Theresia. Friedrich II. von Preußen, ihr Todfeind, hat noch 13 Regierungsjahre vor sich. Durch soziale Stellung und Sentiment ist der Graf eng mit dem alten Reich verbunden. Sein Vater Franz Georg ist ein Standesherr wie aus dem Bilderbuch. Er liebt das Leben, die Frauen und höfische Formen. Als Diplomat in österreichischen Diensten ist er nicht der Hellste; man nennt ihn einen „Phlegmaticus“. Über reichhaltigere geistige Mittel verfügt die Mutter Maria Beatrix Aloisia, die einem alten breisgauischen Geschlecht entstammt. Daheim im „Metternicher Hof“ in Koblenz gibt man sich weltläufig oder doch wenigstens französisch. Als Clemens 17 ist, weist der Vater ihn an, eifrig „teutsch“ zu lernen. Doch es bleibt dabei, daß sich Metternich am liebsten in der Sprache Voltaires ausdrückt. Mit der Mutter korrespondiert er bis zu deren Tod auf französisch. In religiöser Hinsicht herrscht Freizügigkeit; Franz Georg ist Freimaurer, seine Frau
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Fürst Clemens von Metternich. Gemälde (1820 –25) von Sir Thomas Lawrence.
katholisch. Die Eltern geben Clemens zwei französische Erzieher zur Seite, einen katholischen Geistlichen, den Abbé Bertrand, und Simon, einen Protestanten. Letzterer wird bald für die Lehre der Revolution entflammen.
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5. Kapitel
Mit 15 Jahren werden Clemens und sein jüngerer Bruder Joseph, genannt Pépé (es ist noch eine Schwester da, Pauline), samt den Erziehern nach Straßburg geschickt. Die dortige Universität ist eine Kaderschmiede für Diplomaten, und Diplomat soll Clemens werden. Er hört Staatsrecht bei Christoph Wilhelm Koch, was vordem auch Talleyrand getan hat. Im Kampf gegen Napoleon werden sich die beiden Männer begegnen. 1790 wechselt Metternich an die Mainzer Universität. Ein wichtiger Mentor wird ihm dort Nikolaus Voigt, der die Lehre vom Gleichgewicht als Regulativ der Staatenbeziehungen zu einer allgemeinen politischen Theorie entwickelt. Im Typenvergleich mit Demokratie und Monarchie schneidet bei ihm die Aristokratie am besten ab, weil sie sich „immer in der Mitte halten und auf Mäßigung und Erhaltung des Status quo bedacht sein“ muß1. Metternich wird sich niemals groß für Staatstheorien interessieren. Aber das temperierte, um Maß und Mitte kreisende Denken Voigts kommt seiner sanguinischen Anlage entgegen. Als konsequenter Anwender der Gleichgewichtsidee wird er einmal an vorderer Stelle daran mitwirken, daß Europa, nach Beendigung der Revolutionskriege, eine ungewöhnlich lange Friedenszeit zuteil wird. In Mainz verkehrt Clemens im Hause des Naturforschers Georg Forster, der als Weltumsegler im Gefolge des Captain Cook Berühmtheit erlangt hat. Der Umgang mit Forster entspringt wohl hauptsächlich der Neugier, zeugt aber auch von einer gewissen Unbefangenheit, vielleicht sogar von Naivität. Denn politisch ist der Forscher ein unruhiger Geist. In der „Mainzer Republik“ gehört er bald zu den führenden Jakobinern. Interessant ist auch Forsters Frau Therese, spätere Huber. Als Ausnahmeerscheinung in der frühen Journalismusgeschichte wird sie einmal Cottas „Morgenblatt für die gebildeten Stände“ redigieren. Im Städtedreieck Koblenz, Straßburg und Mainz beginnt Metternichs Persönlichkeitsbildung. Hier macht er auch die erste Bekanntschaft mit der Revolution. Koblenz ist unmittelbar nach dem Bastille-Sturm zu einem Sammelbecken der Emigranten geworden. Von Koblenz aus trommeln die bourbonischen Prinzen ein Heer der Vergeltung zusammen, das schnellstmöglich die alten Verhältnisse in Frankreich wiederherstellen soll. Ein Spaziergang werde die Rückeroberung von Paris sein, mehr nicht, so träumen sich die geflohenen Aristokraten schneidig die Lage zurecht. Für die Radikalen im Pariser Convent ist „Coblenz“ Chiffre der Gegenrevolution und zugleich ein probates Hilfsmittel der Angstpropaganda. Ein Dreh an der Schraube „Coblenz“ und die Erregung ist hergestellt, die man braucht, um im Namen des Ausnahmezustands das Recht zu suspendieren. In Straßburg beobachtet Metternich mit Abscheu, wie der Mob eine Feier im Rathaus zur Plünderung nutzt. Nach seinem Weggang verfolgt er
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aus der Ferne, wie sich die Verhältnisse in der elsässischen Kapitale mehr und mehr radikalisieren. Noch kann der maire Friedrich de Dietrich das Schlimmste verhindern. Der Bürgermeister stellt sich gut mit den örtlichen Jakobinern. Als sie den Turm des Münsters köpfen wollen, weil er mit seiner Höhe die égalité verletze, kann er die Ausführung des wahnwitzigen Plans in letzter Sekunde verhindern. Er läßt die Spitze des Turms mit einem Bronzehelm versehen, der einer phrygischen Mütze gleicht, einer revolutionären Kopf bedeckung. Die optische Konversion stellt die örtlichen Gleichheitsjünger zufrieden und rettet dem Münsterturm das Leben. Den zweiten geschichtlichen Eintrag verdient sich der Bürgermeister damit, daß unter seinem Dach die Marseillaise komponiert wird, das „revolutionäre Te Deum“, wie Goethe sagt. Doch am Ende ist alles appeasement umsonst. Dietrich läßt sein Leben unter dem Fallbeil. Mainz wird von Custine erobert, nachdem sich die Koalitionsarmee mit dem Schrecken von Valmy in den Gliedern erst einmal zurückgezogen hat. Unter dem Schirm der Franzosen wird die Bischofsstadt im März 1793 Ort der ersten kurzlebigen Republik auf deutschem Boden. Ein Dekret erklärt die Bindung an Kaiser und Reich für aufgelöst und „alle bisherigen angemaßten willkürlichen Gewalten“ für abgeschafft. Aber schon im Juli ist es mit der Republik vorbei. Die Österreicher ziehen in Mainz ein. Die alten Mächte haben sich mit der Rückeroberung Frankreichs für das monarchische Prinzip erstaunlich viel Zeit gelassen. Erst gut zwei Jahre nach dem Quatorze Juillet raffen sich die Majestäten von Österreich und Preußen zu einer gemeinsamen diplomatischen Aktion auf. In der Pillnitzer Erklärung vom 27. August 1791 drohen sie Frankreich mit dem Krieg, allerdings nur für den Fall, daß die übrigen europäischen Mächte mitmachen. Da England im Moment dafür nicht zu haben ist und die russische Zarin Katharina II., wenn sie den Blick westwärts richtet, vornehmlich an die Einverleibung Polens denkt, tut sich vorerst wenig. Das Bemerkenswerteste an dem Pillnitzer Ereignis ist, daß Österreich und Preußen überhaupt bereit sind, ihre Rivalität um des höheren Zieles wegen auszusetzen. Tätig werden die neuen Alliierten erst im Sommer 1792. Ludwig XVI. ist im August gestürzt worden. Im September formieren sich die Streitkräfte des Pillnitzer Bündnisses. Der erste Koalitionskrieg beginnt. Metternich sieht in Koblenz den Abmarsch der Preußen Richtung Champagne. Die österreichische Interventionsarmee konzentriert sich auf die Niederlande. Im April hat in Paris die Assemblée législative vorsorglich dem „König von Ungarn und Böhmen“ den Krieg erklärt. Es ist ein Akt, der auch aus innenpolitischen Gründen erfolgt. Mit der Behauptung, Frankreich stehe vor einem Kampf auf Leben und Tod, soll Öl ins revolutionäre Feuer gegossen werden.
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In feierlichem Ton verkündet die Nationalversammlung, man wolle einen Krieg der neuen Art führen. Auf keinen Fall werde es um Eroberung gehen oder darum, die „Streitkräfte gegen die Freiheit irgendeines Volkes einzusetzen“. Vielmehr sollen sich die Freiheitsfreunde aller Länder vereinigen. Frankreich werde alle Ausländer aufnehmen, „die der Sache ihrer Feinde abschwören, sich um ihre Fahne scharen und ihre Anstrengungen der Verteidigung ihrer Freiheit weihen“2. Das ist eine ungewohnte Sprache. Das Frankreich der Trikolore will seine Kriege nicht zum Zwecke von Gebietsgewinn und Machtsteigerung führen, wie es die Art der Könige war. Vielmehr sollen Eroberungen für die Freiheit gemacht werden. Was aber, wenn die Menschen sich nicht befreien lassen wollen? Einstweilen stellt sich diese Frage höchstens theoretisch, denn noch ist die Botschaft von mitreißender Kraft. Doch schon bald wird die reine Idee im Tauchbad der Wirklichkeit Schmutzstreifen bekommen, und nach weiteren Jahren werden die Befreiten den Drang verspüren, sich ihrer Befreier zu entledigen. Bemerkenswert ist, daß auch die Koalition ihren Krieg mit einem Befreiungsversprechen garniert. Hoch und heilig versichert das Manifest des Oberkommandierenden, des Herzogs von Braunschweig, die verbündeten Höfe hätten keineswegs die Absicht, „sich in die innere Regierung Frankreichs einzumischen“. Sie wollten lediglich den König, die Königin und die königliche Familie aus der Gefangenschaft retten. Werde man jedoch an diesem schönen Ziel gehindert, werde man „eine beispiellose und für alle Zeiten denkwürdige Rache nehmen und die Stadt Paris einer militärischen Exekution und dem gänzlichen Ruin preisgeben, die Verbrecher aber dem verdienten Tode überliefern“3. Das martialische Manifest täuscht eine Entschlossenheit vor, die schon dem ersten Test nicht standhält. Wie fest hatten die Preußen darauf vertraut, die wildgewordenen Haufen der sansculottes würden beim ersten Kanonendonner auseinanderlaufen! Und wie hatten die Emigranten geprahlt! Der Lohn der Überheblichkeit erwartet sie bei Valmy. Das Treffen vom 20. September ist gar keine ausgewachsene Schlacht. Ein Artillerie-Austausch reicht, und die Preußen treten den Rückmarsch durch die vom Regen zermatschte Champagne an. Die Franzosen sind die moralischen Sieger. Für beide Seiten markiert die „Kanonade von Valmy“, die Goethe in einer späteren Reflexion zur Zeitenwende erhebt, einen Einschnitt. Die „Königsbefreier“ stellen fest, daß die Revolution offenbar doch kein flüchtiger Zwischenzustand und nur das Werk „von ein paar Schurken“ ist, wie Kaiser Franz gemeint hat. Umgekehrt registrieren die Franzosen mit Staunen, welche Kräfte die nation une et indivisible mobilisieren kann. Als wenig später bei Jemappes die Österreicher von Dumouriez geschlagen werden, ist die Überraschung perfekt: Statt daß
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die Alliierten nach einem Spaziergang vor den Toren von Paris stehen, stehen die Truppen der Revolution in Mainz und in Belgien. Die Familie Metternich wird von den Kriegswirren in Mitleidenschaft gezogen. Franz Georg ist seit 1791 bevollmächtigter Minister bei der Generalregierung der österreichischen Niederlande in Brüssel. Clemens macht als Adlatus des Vaters seine ersten Schritte im diplomatischen Geschäft. Nach der Schlappe von Jemappes müssen die Metternichs Brüssel verlassen, um ein paar Monate später dorthin zurückzukehren, weil die Österreicher bei Neerwinden gesiegt haben. Inzwischen ist Ludwig XVI. geköpft worden, am 21. Januar 1793. Marie Antoinette folgt ihm am 16. Oktober auf das Schafott. Die Ermordung der Königin besudelt die Revolution noch mehr als die Guillotinierung Ludwigs. Der junge Metternich verfaßt einen flammenden „Aufruf an die Armee“: Krieger! Euer Mut, Eure Tapferkeit bedarf keiner Anfeuerung; verdoppelt aber den Eifer, die Begierde, die grässlichste Schandtat, das Blut Maria Theresiens an den Ungeheuern zu rächen, welche euch bekriegen. Maria Antonia von Österreich, Königin von Frankreich, haben sie ermordet, die Unschuld schlachteten sie auf dem Schafott, der Stätte des Lasters. Verderben über die Häupter dieser gottvergessenen Mörder, der Mörder ihrer Könige und ihres Vaterlandes4. Ob Metternich im jugendlichen Aufruhr der Gefühle erkennt, daß es der Koalition an Energie und Zielstrebigkeit fehlt? Wohl hat sich England inzwischen in das Bündnis eingereiht. Auch Spanien und die Niederlande und selbst das Reich haben Frankreich den Krieg erklärt. Aber die Strafexpedition gegen die Revolution kommt nicht voran. Das liegt daran, daß Österreich und Preußen über dem Wunsch, den Königsmord zu rächen, ihren Eigennutz nicht aus den Augen verlieren. So hat man in Wien alte Pläne aufgewärmt und möchte Belgien gegen Bayern tauschen. In Berlin gilt die erste Sorge Polen, das man soeben im Verein mit Rußland ein zweites Mal geteilt hat. Preußen kassiert bei der Gelegenheit unter anderem Danzig ein und die neue Provinz „Südpreußen“, die Kalisch und Posen einschließt. Weil die Polen die Stirn haben, sich den Teilungsmächten zu widersetzen, muß Preußen einen Aufstand niederschlagen. Das lenkt vom Dienst an der Gegenrevolution ab. 1795 verabschiedet sich Preußen endgültig aus der Koalition. Der Sonderfriede von Basel wird im Innern begrüßt. Er ist vorteilhaft für Preußen, weil es nun Vormacht im neutralisierten Norddeutschland wird. Er trägt dem Land aber auch den Ruf ein, nur an sich selbst zu denken. Frankreich profitiert von den Neben- und Hintergedanken, die seine Gegner an einer entschlossenen Kriegführung hindern. Zugleich nutzt es
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die Kraftreserven, die die levée en masse freisetzt. Das von Lazare Carnot geschaffene System der Volksbewaffnung ermöglicht eine gewaltige Truppenvermehrung. Junge Generäle praktizieren eine neue, bewegliche Kampfführung. Die Erfolge lassen nicht auf sich warten: Der Aufstand der Vendée wird mit größter Brutalität niedergeschlagen. Im Osten verbucht die Revolutionsregierung beachtliche Gebietsgewinne. Nach dem Sieg von Fleurus im Juni 1794 geht Belgien endgültig für Österreich verloren. Im Oktober besetzen die Franzosen Köln. Wenig später haben sie das gesamte linksrheinische Gebiet unter Kontrolle und geben es für zwei Jahrzehnte nicht mehr heraus. Auf den 21jährigen Metternich übt die Revolution eine Art Schreckensreiz aus. Einerseits verdammt er sie als mutwilligen Verstoß gegen die natürliche Ordnung. Andererseits spürt er ihre Vitalität. Er verfaßt eine Flugschrift, die 1794 ohne Angabe des Verfassernamens erscheint. Unter dem Titel „Über die Notwendigkeit einer allgemeinen Bewaffnung des Volkes an den Grenzen Frankreichs“5 intoniert er ein Thema, das fünfzehn Jahre später seine große Zeit haben wird, wenn die Guerilla Spaniens auftrumpft und man in Preußen und in Österreich über neue Mittel nachsinnt, sich vom napoleonischen Joch zu befreien. Als Minister wird Metternich dann vor dem demokratischen Virus, der in der Volksbewaffnung steckt, zurückschrecken. Jetzt aber ist er Feuer und Flamme für eine Mobilisierung der Massen. Man muß dem Feind abschauen, was ihn stark gemacht hat. Nur dann kann man ihn besiegen. Dafür plädiert der junge Graf. Doch als habe er Angst vor der eigenen Courage, versieht er die Parteinahme für das Neue sogleich mit Einschränkungen. Es gehe nicht darum, den Unbeschäftigten und Nichtbesitzenden Gewehre in die Hand zu drücken, die eine „dem Staate zu allen Zeiten so gefährliche Klasse“ darstellten, versichert er. „Man gebe oder erlaube vielmehr dem Bürger und dem sässigen Bauern, zu den Waffen zu greifen“. Trotz ihrer Widersprüchlichkeit ist die frühe Schrift ein aufschlußreiches Dokument. Sie bezeugt, daß Metternich ein gutes Auge für die Unzulänglichkeiten des eigenen Lagers hat und längst nicht alles, was der Vulkan im Westen ausspeit, ungeprüft ablehnt. Er ist bereit, vom Gegner zu lernen. Wie der Mann im Strom sucht und fi ndet er die Stellen, wo es ihn nicht fortreißt und wo sich Kraft schöpfen läßt. Diese Fähigkeit wird ihm in seinem lebenslangen Abwehrkampf gegen den Revolutionsgeist von Nutzen sein. Sie wird ihm nicht zum Sieg verhelfen, denn dieser Kampf ist ungewinnbar. Aber sie wird das „System Metternich“ elastisch machen und bewirken, daß die Stunde der unvermeidlichen Niederlage erst spät kommt. Die Flugschrift zeigt außerdem, daß Metternich anders als die meisten konservativen Parteigänger die Revolution keineswegs als eine nur vorübergehende Wet-
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tereintrübung oder eine bloße affaire française mißversteht. „Die französische Revolution hat jene Stufe erreicht, von welcher sie allen Staaten Europas den Untergang zu drohen scheint. Verbreitung einer allgemeinen Anarchie ist ihr Zweck, und ungeheuer sind ihre Mittel.“ Mit diesem Satz beginnt der Text. Der 21jährige hat die epochale Herausforderung durch die Revolution erkannt. Europa wird untergehen, wenn es sich nicht ermannt. Wie sehr die Revolution die alten puissancen korrumpiert hat, erfährt Clemens Metternich im badischen Rastatt. Hier tritt Ende 1797 ein Friedenskongreß zusammen, der die Grenze zwischen dem Reich und dem Unruheherd im Westen festlegen soll. In Rastatt unterstützt Clemens als Privatsekretär den Vater. Der vertritt den Kaiser in dessen Eigenschaft als Reichsoberhaupt als Bevollmächtigter auf dem Kongreß, freilich ohne genaue Instruktionen zu haben und in Unkenntnis längst vollzogener Tatsachen. Im Oktober hat Österreich unter dem Druck des jungen, siegreichen Generals Bonaparte den Frieden von Campo Formio unterzeichnet. Ein Geheimartikel enthält Österreichs Plazet zur Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich. Damit ist der Verhandlungsspielraum des Reichsbevollmächtigten in Rastatt gleich null, was der Unterhändler allerdings nicht weiß. Der Kongreß ist somit ein großer Schwindel. Vom eigenen Kaiser und seiner Regierung getäuscht, bleibt dem alten Metternich nichts anderes übrig, als sich zu beugen. Er ist desavouiert, obendrein wird ihm auch in privater Hinsicht ein Nackenschlag versetzt. Als Folge des Friedens von Campo Formio verliert die Familie Metternich ihre sämtlichen Besitzungen im Linksrheinischen, das sind 6200 Seelen und 50 000 Gulden Einkünfte pro Jahr6. Am Anfang der Zweierbeziehung Metternich-Napoleon steht für Clemens also der Verlust des Familienbesitzes. Der junge Mann nimmt das nicht persönlich. Er würde viel dafür geben, in Rastatt dem strahlenden General zu begegnen, von dem so viel gesprochen wird. Doch kaum, daß dieser beim Kongreß aufgetaucht ist, ist er schon wieder verschwunden. Vergeblich warten der Reichsbevollmächtigte und sein Sohn auf seine Rückkehr. „Bonaparte ist noch nicht zurück; das Direktorium hält ihn noch in Paris, aber man erwartet ihn jeden Augenblick“, schreibt Clemens am 21. Dezember 1797 seiner Frau7. Am 24. Dezember: „Wir sind immer noch in der Erwartung von Bonapartes Eintreffen.“ Am 1. Januar: „Bonaparte wird für Samstag oder Sonntag erwartet.“ Am 6. Januar: „Unsere Geschäfte hier nehmen ihren Gang; sie werden schneller vorankommen, wenn erst Bonaparte angekommen sein wird.“ Nur langsam begreift Clemens, daß der ganze Kongreß „nur das Trugbild eines solchen“ ist8. Das ersehnte Rendezvous mit dem Feldherrn der Revolution fällt aus. Es wird noch zehn Jahre dauern, bis Metternich dem Allgewaltigen erstmals gegenübersteht.
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In Ermangelung der Hauptperson muß sich Clemens in Rastatt damit begnügen, die Delegierten des Direktoriums in Augenschein zu nehmen. Sie schockieren ihn durch ihr Äußeres und ihre Umgangsformen. Ihre Schuhe sind schmutzig, die Kleidung ist bunt, die Haare sind ungepflegt. Offenbar macht es den Abgesandten der Republik Spaß, den Aristokratenschreck zu geben. Schmerzlich empfi ndet Clemens, wie der Vater sich lächerlich macht, indem er verzweifelt versucht, den Übermut der neuen Herren durch ein besonders strenges und deshalb besonders antiquiert wirkendes Zeremoniell zu parieren. Die Revolution ist eben auch eine Kulturrevolution. Sie läßt die Perückenträger schlecht aussehen. Das Hinwegdämmern des ehrwürdigen Reiches nimmt Clemens erstaunlich gelassen hin, bedenkt man, daß er Sproß eines alten Reichsgrafengeschlechts ist. Seine Trauer hält sich in Grenzen. Hinter das Reich müsse man „das Kreuz machen“, stellt er sarkastisch fest. Ebenso gleichmütig begegnet er der Enteignung des Familienbesitzes. Zum Michael Kohlhaas, der erbittert gegen das ihm angetane Unrecht ankämpft, fehlt ihm jedes Talent. Im übrigen macht ihn der Verlust der angestammten Güter nicht zum Bettelmann. Bereits 1795 ist er durch Heirat in die obersten Ränge der österreichischen Gesellschaft vorgestoßen. Eigentlich hatte er sich nicht so früh binden wollen. „Ich zählte einundzwanzig Jahre, und der Gedanke, so jung zu heiraten, war mir nie gekommen“9, stellt er in seinen Erinnerungen fest. Aber wie stets folgt er willig dem Drängen der Eltern. Seine Frau Leonore ist nicht besonders schön, aber reich. Vor allem ist sie die Enkeltochter des ehemaligen Staatskanzlers Kaunitz und damit Trägerin eines großen Namens. Der alte Kaunitz hatte im Siebenjährigen Krieg einen spektakulären Politikwechsel vollzogen, als er einen Strich unter die jahrhundertealte Gegnerschaft der Häuser Habsburg und Bourbon zog und Frankreich als Bundesgenossen gegen den machthungrigen Preußenkönig Friedrich II. gewann. Seither ist die „Kaunitzsche Wende“ das Synonym einer strategischen Partnerschaft Österreichs und Frankreichs. Wie eine Sternschnuppe wird die „Kaunitzsche Wende“ 1810 noch einmal aufscheinen, nach der durch Kaunitz’ Schwiegerenkel Metternich geförderten Heirat Napoleons mit der Kaisertochter Marie-Louise. Metternichs Eheführung ist wie sein moralisches Handeln im Ganzen, es changiert. Vorbildlich kann man die Beziehung beim besten Willen nicht nennen. Sie ist aber auch nicht einfach auf Berechnung gegründet. Denn obwohl Clemens Leonore von Anfang an betrügt, umsorgt er sie mit Achtung und Aufmerksamkeit. Bis zuletzt ist er der lebensklugen Frau aufrichtig zugetan. Die gemeinsamen Kinder haben an ihm einen zärtlichen Vater. Für Metternich ist das alles kein Widerspruch. Das Nebeneinander von Familienleben und Libertinage beschwert ihn nicht. Beides hat für ihn seine Berechtigung, beides praktiziert er mit Leichtigkeit, auch weil diese Lebens-
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weise durchaus den Standesgewohnheiten entspricht. Im übrigen fl iegen dem Mann mit den guten Manieren und den femininen Zügen die Frauen nur so zu. Er nutzt die Gelegenheit, wo er kann, steigt mit Schauspielerinnen ins Bett, genauso mit Frauen von Stand. Manche Liebschaften wie die mit der Herzogin von Sagan, der Gräfi n Lieven und erst recht die mit Caroline Murat, einer Schwester Napoleons, sind äußerst heikel und wohl deshalb für ihn von besonderem Reiz. Ganz anders als der Politiker spielt der Liebhaber Metternich gern mit höchstem Einsatz.
Der Equilibrierte Als Metternich 1801 die diplomatische Bühne betritt und den Dresdner Botschafterposten übernimmt, geschieht das ziemlich unvermittelt. Die Voraussetzung schafft ein Personenwechsel an der Spitze der Wiener Regierung. Nach dem beschämenden Friedensschluß von Lunéville muß der Minister Thugut seinen Platz räumen. Für die Metternichs, den alten wie den jungen, denen Thugut nicht wohlgesonnen war, ist damit ein Beschäftigungshindernis aus dem Wege geräumt. Trotzdem wäre es ein Irrtum anzunehmen, Clemens hätte mit allen Fasern des Seins auf diese Chance gewartet. Eigentlich ist der 28jährige hochzufrieden mit seinem Leben als Bonvivant. Er glänzt in den Salons, wird umschwärmt von den Frauen, so sehr, daß Lorel, wie er seine junge Ehefrau nennt, sich mit den Affären des Gatten abzufi nden beginnt wie mit einer Naturnotwendigkeit. Ihr sei schier unbegreifl ich, soll sie einmal gesagt haben, wie ein weibliches Geschöpf ihrem Mann widerstehen könne. So viel Einsicht bestätigt Metternich in seiner Überzeugung, daß die fröhliche Existenz eines Schmetterlings die ihm angemessene sei. Er ist ein verwöhnter junger Mann, ausgestattet mit einer gehörigen Portion Eitelkeit und einem frappierenden Selbstbewußtsein. Was hat er bisher geleistet? Er hat studiert, wie man es tut, wenn man auf einen Brotberuf nicht angewiesen ist. Die Naturwissenschaften, mit denen er in Mainz in Berührung gekommen ist, interessieren ihn wirklich. Ein ernsthafter Ehrgeiz entwickelt sich daraus aber nicht. In seinen Erinnerungen wird er behaupten, er habe eigentlich etwas anderes und besseres werden wollen als Diplomat, wozu ihn allein die Pfl icht bestimmt habe. Er wird auch behaupten, „daß ich von meiner frühesten Jugend bis in das sechsunddreißigste Jahr eines mühevollen Ministeriums, wo ich diese Zeile schreibe, nicht Eine Stunde mir gelebt habe“10. Aber damit trägt er sehr dick auf. Das Selbstbild des Kärrners, der sein wahres Ich dem Dienst am Kaiser opfert, ist eine in seinen späteren Jahren gewohnte kokette Stilisierung.
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Als Hilfskraft des Vaters hat er in die Tätigkeit eines Gesandten hineingeschnuppert. Über die Mittelmäßigkeit Franz Georgs, die ihm nicht verborgen geblieben sein kann, breitet er den Mantel des Schweigens. Hier tritt eine weitere Besonderheit seiner Persönlichkeitsausstattung hervor: Niemals begehrt er gegen die elterliche Autorität auf. Ein Generationenkonfl ikt fi ndet im Hause Metternich nicht statt. Clemens schlägt nicht über die Stränge. Weder im Privaten noch im Politischen wird man bei ihm auch nur die geringste rebellische Attitüde feststellen. Er ist einfach das Musterexemplar eines guterzogenen Sohnes. Auf diese Weise entzückt er neben den jungen auch die älteren Damen. Sie entgelten es ihm mit der Gunst der Protektion. Das Equilibrierte ist der beherrschende Zug seiner Persönlichkeit. Die Leichtlebigkeit sieht man ihm nach, weil sie stilvoll praktiziert wird und nie ins Lasterhafte abgleitet. Ganz anders als Napoleon, dessen sexuelle Aktivität triebhaft ist, bietet sich Metternich wie Goldmund den Frauen als Geschenk an. Er ist für sie geschaffen. Die Karriere betreibt er ohne Ungeduld. Niemand kann behaupten, er berste vor Tatendrang. Gewiß hat der junge Graf einen politischen Kompaß. Die Kompaßnadel weist in die der Revolution entgegengesetzte Himmelsrichtung. „Geboren zu Coblenz im Jahre 1773, fiel meine Jugend in die letzte Periode, welche der socialen Revolution in Frankreich voranging und ihr zur Einleitung diente“. Mit diesem Satz eröffnet er seine autobiographischen Schriften11. Die Revolution ist der Drehund Angelpunkt seines politischen Lebens. Von Jugend an, so schreibt er mit vollem Recht, ist er „ihr steter Zeuge (gewesen), dann ihr Gegner, und bin es immer geblieben, ohne daß ich jemals durch ihren Strudel mich habe fortreißen lassen“12. Indes wird er nie zum gegenrevolutionären Kreuzzügler werden, der sich mit Tonsur und Gelübde der Ausrottung des Bösen verschreibt. An Metternich ist nichts Zelotisches. Verbiestertem Freund-Feind-Denken steht seine Wesensart entgegen, die das Leben leicht nehmen will. Es fehlt ihm die gedankliche Strenge. Die Lust, allen Erscheinungen des Daseins mit Defi nitionen auf den Pelz zu rücken, geht ihm gänzlich ab. Was er gegen die Revolution hat? Zuallererst erscheint sie ihm als etwas Künstliches. Sie widerstrebt der natürlichen Ordnung. Ein „System“ ist sie, anders ausgedrückt eine Ideologie, mehr nicht. Dem geschichtlich Erprobten ist sie damit hoffnungslos unterlegen. „Ewige Gesetze“, so schreibt er einmal, „stehen außer und über dem, was mit Recht den Werth eines Systems hat“13. Auch ästhetisch geht ihm die Revolution gegen den Strich. Die Revolutionäre entsetzen ihn ob ihrer Frivolität. Über seinen Erzieher Simon schreibt er: „Die Lehren des Jacobiners und der Appell an die Volksleidenschaften flößten mir einen Ekel ein, den Alter und Erfahrung in mir nur verstärkt haben.“ Voll Abscheu
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erinnert er sich noch nach Jahrzehnten an jene wüste Szene, die er als Student erlebt hat: „Von einer Masse stumpfer Zuschauer, die sich das Volk betitelten, umgeben, hatte ich eben der Plünderung des Stadthauses zu Straßburg beigewohnt, die von einem trunkenen Pöbel, welcher ebenfalls sich als das Volk betrachtete, verübt worden war“14. Die unvorbereitete Begegnung mit der neuen Welt löst bei dem jungen Metternich allenfalls eine kurze Irritation aus. Was soll er mit Kommilitonen anfangen, die ihre Lektionen nach dem republikanischen Kalender aufzeichnen? „Ich fühlte, die Revolution würde mein Gegner sein, den ich fürder zu bekämpfen hätte“15. Zum Anti-Revolutionär wird er nicht nach harter innerer Prüfung. Er ist nicht zerrissen wie viele seiner Generation. Anders als Gentz oder Görres muß er nicht durch das Fegefeuer der Konversion gehen, um zum Konservativen zu werden. Er hat seinen Stand und weiß einfach, wo er hingehört. Sonderbar ist, wie unbeteiligt ihn der Ideenkampf läßt. Unter den französischen Philosophen habe ihn Montesquieu beeindruckt, behauptet er. Aber weder in seinen Äußerungen noch in seinen Handlungen fi nden sich Spuren, die auf den Lehrer der Gewaltenteilung verweisen. Angelegentlich einer Reise nach England, die er noch vor der Verheiratung unternimmt, lernt er den großen Burke kennen. Burkes „Reflections on the Revolution in France“ wird er gelesen haben, spätestens in der von Gentz besorgten Übersetzung ins Deutsche. Doch gibt es keine Hinweise darauf, daß diese Anklageschrift nachhaltig auf sein Denken eingewirkt haben könnte. Sein Festhalten an der alten Ordnung ist instinktiv und interessenbestimmt, seine Gegnerschaft zur Revolution gefühlt. Wenn Chateaubriand, diese Inkarnation des Edelmanns, die Aristokratie aufgrund ihrer Dekadenz verloren gibt, stützt Metternich sie schon deshalb, weil er ihre Privilegien genießt und sich eine andere soziale Ordnung gar nicht vorstellen will. Es ist wahr, für einen Staatsmann, der im Geleise seines Wollens einmal außerordentlich erfolgreich sein wird, befremdet Metternichs Oberflächlichkeit. Sein Charme ist nicht jedermanns Sache. Seine Lässigkeit bringt Kämpfernaturen wie den Freiherrn vom Stein gegen ihn auf. Doch erlaubt ihm diese Lässigkeit, Napoleon und Frankreich mit kühlem Verstand zu bekämpfen statt mit Haß, wie Stein und die „Patrioten“ es tun. Letztlich setzt ihn sein Mangel an Leidenschaft instand, das große Diplomatenschach des Jahres 1813 mit überlegener Kunstfertigkeit zu spielen. Drei Gesandtschaftsposten hat der neue Außenminister Johann Ludwig Graf von Cobenzl im Angebot: Kopenhagen, Regensburg und Dresden. Metternich entscheidet sich für die sächsische Residenzstadt. Sachsen ist zwar ein Staat von nachgeordneter Bedeutung, aber es ist ein Horchposten, dessen Antennen nach Berlin und nach Sankt Petersburg gerichtet sind.
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Somit ist Dresden ungleich attraktiver als die dänische Hauptstadt oder gar Regensburg, Sitz des Immerwährenden Reichstags, wo er, wie er später maliziös schreibt, nur „dem Leichenbegräbnis des edlen Deutschen Reiches“ hätte beiwohnen können. Taktisch klug, springt er nicht sogleich auf das Angebot an. Er spreizt sich mit gespielter Bescheidenheit, behauptet seine Ungeeignetheit und bittet schließlich den Kaiser um Erlaubnis, sich an jenem Tag aus dem Dienst verabschieden zu dürfen, an dem er erkenne, daß er ihm nicht gewachsen sei. Bevor er sich nach Dresden begibt, arbeitet er sich durch die Akten. Dabei kommt eine Schrift mit dem Titel heraus: „Übersicht über die politischen Verhältnisse in Europa von 1789 bis 1801“. Sie stellt eine Gratwanderung dar zwischen eigenständigem Denken und dem, was er seinen risikoscheuen und uninspirierten Vorgesetzten schuldig zu sein glaubt. Die Wiener Regierung betreibt eine Politik des Wunschdenkens. Hatte man nach dem thermidor auf eine Mäßigung der Revolution durch das Direktorium gehofft, setzt man jetzt auf den Ersten Konsul Bonaparte. Ihm traut man zu, Frankreich und Europa die Ruhe zu bringen. Diese Erwartung teilt der diplomatische Novize ganz und gar nicht. Vielmehr vertritt er den Standpunkt, die europäischen Turbulenzen würden erst dann ein Ende fi nden, wenn Bonaparte sich ganz Europa unterworfen habe. Das ist weitsichtig. Bemerkenswert ist auch, daß Metternich die Zerschlagung Polens tadelt. Der Wegfall des Pufferstaates werde nur zusätzlichen Zündstoff zwischen Rußland, Preußen und Österreich schaffen, argumentiert er. In einem anderen Punkt verharrt er jedoch einstweilen in den überlieferten Bahnen der österreichischen Politik: Preußen bleibt in Deutschland der Rivale, den es kleinzuhalten gilt. In der Sache gibt es also durchaus Reibungsflächen zwischen der Wiener Amtspolitik und den privaten Ansichten des jungen Botschafters. Spürbar werden sie allerdings nicht. Das liegt daran, daß Metternich als Neuling um ein dezentes Auftreten bemüht ist. Den offenen Konfl ikt scheut er auch später. Er ist einer, der lieber biegt als bricht. Im übrigen ist das einschläfernde Elbflorenz auch nicht der richtige Ort, politische Akzente zu setzen. Der Versuch, Sachsen stärker zu Österreich hinüberzuziehen, mißlingt, weil Kurfürst Friedrich August* Preußen nicht reizen will. Diplomatisch auf Schmalkost gesetzt, expediert Metternich Gesandtschaftsberichte nach Wien, deren Umfänglichkeit den politischen Informationswert bei weitem übertrifft. Die überschüssige Zeit nutzt er für Vergnügungen, an denen es in Dresden, das noch immer von den lockeren Sitten August des Starken geprägt ist, nicht mangelt. Seine Liaison mit der russischen Fürstin Bagration *
Friedrich August III. Mit dem Eintritt Sachsens in den Rheinbund 1806 zum König promoviert. Als Friedrich August I. regiert er Sachsen bis 1827.
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hat Folgen. Die Fürstin schenkt einer Tochter das Leben, deren Name Clementine ein unübersehbares Hinweisschild auf den Vater ist. Ein zweites bereicherndes Ereignis fällt in die Dresdner Zeit: Als Entschädigung für die Enteignungsverluste links des Rheins erhält das Haus Metternich mit Kloster und Herrschaft Ochsenhausen in der Nähe von Ulm konfisziertes Kirchengut. Franz Georg darf sich jetzt sogar „Fürst“ nennen. Clemens wird sich gefreut haben, daß der Vater nach mancherlei Zurücksetzungen jetzt einen so schönen Titel bekommt. Für sein eignes Fortkommen wichtiger ist das Kapital, das der Name Kaunitz bereitstellt. Die Zinsen, die dieses Kapital einbringt, machen es möglich, daß er seine Laufbahn auf der Überholspur fortsetzt. Dresden war ein angemessener Startplatz. Dort hat er zwar keine herausragenden Leistungen vollbracht, aber für einen eingeheirateten Kaunitz muß das kein Maßstab sein. Die nächste Station, die ihm offeriert wird, ist die Hauptstadt einer europäischen Großmacht. Als Metternich im November 1803 nach Berlin wechselt, haben sich die politischen Rahmenbedingungen erheblich verändert. Der Friede von Amiens gehört der Vergangenheit an. Amiens war der Versuch, einen zumindest teilweisen Interessenausgleich zwischen Frankreich und England herzustellen. Der Versuch ist gescheitert. Der Antagonismus dieser Mächte, die beide auf Expansion gepolt sind, ist mangels Einsicht und Willen auf friedliche Weise nicht aufzulösen. Die dritte Macht mit ausgreifender Disposition ist Rußland. Die unruhige Phantasie des jungen Zaren macht das Ostreich zu einem unberechenbaren Faktor. Alexander will die Gunst der Stunde, die das europäische Erdbeben bietet, zum Ausbau der russischen Machtstellung nutzen. Zwischen den drei Mächten mit großem Bewegungsdrang – Frankreich, England und Rußland – stehen die „Mittelmächte“ Preußen und Österreich. Für Preußen hat sich das teilnahmslose Beiseitestehen seit 1795, seit dem Sonderfrieden von Basel, bezahlt gemacht. Der Führung des Hohenzollernstaats fehlt jedoch der Weitblick, um zu erkennen, daß man nicht allezeit lavieren kann. Österreich hat in den Koalitionskriegen eins und zwei den Kürzeren gezogen. Es möchte die erlittenen Verluste wettmachen, weiß aber nicht wie.
Die Spanne von 1801 bis 1803 hat man in Wien mit Illusionen vertan. Eine Fehlrechnung war, auf den Ersten Konsul als pacificateur zu setzen. Die Kraft, die Frankreich im Innern durch die Zähmung der revolutionären Bestie und die Beendigung des Bürgerkriegs zuwächst, wird Bonaparte machtpolitisch investieren. Erst nach und nach erkennt man am Ballhausplatz, daß
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der Erste Konsul als Staatslenker genauso verfährt wie man ihn auf dem Schlachtfeld kennengelernt hat: rücksichtslos und mit überlegener Chancenauswertung. Ohnmächtig verfolgt die kaiserliche Regierung, wie sich die Kräfteverhältnisse weiter zu Lasten Habsburgs verschieben. Das Reich, von Österreich und Preußen verraten, bewegt sich in Richtung einer französischen Einflußzone. Die deutschen Mittelstaaten biedern sich in Paris an, um bei der Gebietsneuordnung rechts des Rheins möglichst große Stücke vom Verteilungskuchen abzubekommen. Selbst freche Übergriffe der französischen Republik wie die völkerrechtswidrige Entführung des Herzogs von Enghien aus Baden können die Bittprozessionen zum Ersten Konsul nicht stoppen. Österreich muß dem wehrlos zusehen. Es muß auch zusehen, wie Napoleon Italien Zug um Zug unter französische Kontrolle bringt. Ein Blick auf die Landkarte genügt, um festzustellen, das Österreich militärstrategisch die Umklammerung droht. Wenn es nicht gelingt, ein starkes Bündnissystem zu schaffen, wird es bald reif sein für die endgültige Zerschlagung. In dieser Situation setzt sich Bonaparte die Kaiserkrone aufs Haupt! Mit vielem hat man in Wien gerechnet, damit nicht. Elf Jahre ist es her, da haben die Jakobiner Ludwig XVI. hingerichtet und alle verbliebenen Könige zu Tode erschreckt. Jetzt haben sich die Jakobiner einen Kaiser zugelegt, und es ist der Papst, der bei der Krönung assistiert hat, das Oberhaupt jener katholischen Kirche, mit der gemeinsam man doch den Jakobinerspuk vom Erdboden tilgen wollte! Wie soll das traditionsgesättigte deutsche Kaisertum mit der ParvenüKrone umgehen? Metternich, der Gesandte in Berlin, bedrängt Cobenzl, die Anerkennung des „Kaisers der Franzosen“ zu verweigern. Gentz tobt. Der Papst habe in Notre Dame die Revolution legitimiert und geheiligt. Doch die Proteste verhallen ungehört. In Wien beschließt man, dem absehbaren Ende des jahrhundertealten Heiligen Reiches zuvorzukommen und ruft ein erbliches Kaisertum Österreich aus. Den deutschen Kaisertitel behält Franz I. pro forma noch bis 1806 bei. Nicht wenige nennen diese Haltung würdelos. Letztlich ist sie alternativlos. Was hätte die Weigerung, das neue Kaisertum anzuerkennen, am Sachverhalt geändert? Man hätte sich nur den Zorn des Jupiter zugezogen. Metternich sieht das schließlich ein. Mit leeren Demonstrationen läßt sich gegen den starken Mann in Paris nichts ausrichten. Dieser Bonaparte, der sich seit der Krönung Napoleon nennt, ist eine erstaunliche Person, offenkundig keine Figur des Übergangs, sondern jemand, mit dem man für eine gewisse Zeit rechnen muß. Wie hat man ihn einzuordnen? In Dresden hat Metternich Friedrich Gentz kennen- und schätzengelernt. Ursprünglich ein Bewunderer der Revolution, ist Gentz inzwischen zu ihrem glühenden
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publizistischen Widersacher geworden. Er erkennt in Napoleon nicht den Beendiger der Revolution, sondern ihren Fortsetzer, genauso zerstörerisch, genauso herausfordernd wie diese selbst. Mit Gentz unterhält Metternich eine enge Verbindung. Gentz ist sein Cato, der ihn immer wieder daran erinnert, daß man Napoleon nicht gewähren lassen darf. 1804 wird dieser Standpunkt in Wien mehrheitsfähig. Eine Umorientierung der österreichischen Politik kündigt sich an. Es formiert sich eine Aktionspartei, die den neuerlichen Kampf gegen Frankreich für unausweichlich hält und die Cobenzl unter Feuer nimmt. Dieser Aktionspartei schließt sich Metternich an. 1805 ist das bis dahin geschäftigste Jahr seiner Karriere. Metternich rät zum Kriege. Er dringt auf eine Verständigung Österreichs mit Rußland und Preußen. „Das Schicksal Europas hängt von der Entschlossenheit der Herrscher Österreichs, Rußlands und Preußens ab“, schreibt er am 15. Januar 1805“16. Der Satz ist weniger banal, als er klingt. Noch 1801 war Metternich weit davon entfernt gewesen, in Preußen etwas anderes zu sehen als den Konkurrenten in Deutschland. Jetzt wendet er sich von dieser Linie ab. Energisch arbeitet er darauf hin, daß Preußen sich der Offensivallianz anschließt, die Österreich und Rußland im August vereinbart haben. Dritter im Bunde ist England, das im Oktober unter Nelson die französische Flotte bei Trafalgar schlägt. Doch die Quadrupelallianz kommt nicht zustande, weil Preußen zögert und Napoleon blitzartig vollendete Tatsachen schafft. Die Dreikaiserschlacht von Austerlitz am 2. Dezember markiert nicht nur den Höhepunkt von Napoleons Feldherrngenie, sondern auch den Tiefpunkt der antinapoleonischen Diplomatie. Mit dem Separatfrieden von Preßburg sondert sich Österreich von der Allianz ab, was Friedrich Wilhelm III. den willkommenen Vorwand liefert, ihr erst gar nicht beizutreten. Zehn Monate später wirft Preußen, jetzt im Alleingang, seine Armee Napoleon entgegen und wird vernichtend geschlagen. Die Leistungsbilanz des österreichischen Botschafters in Berlin ist durchwachsen. Das unheilvolle Zögern Preußens kann man ihm nicht zur Last legen. Andererseits hat er den Krieg befürwortet. Somit ist die Niederlage Österreichs auch seine Niederlage. Die Nacht nach der Schlacht von Austerlitz verbringt Napoleon in Metternichs Schlafzimmer auf Schloß Kaunitz, ein ironischer Zufall, wie ihn die Geschichte mitunter fügt. Noch immer sind die beiden Männer einander nicht begegnet. Doch ihre Wege beginnen sich bedeutungsvoll zu kreuzen. Der nächste Kreuzpunkt ist bald erreicht. Metternich wird zum Botschafter Österreichs in Paris ernannt. Die Anbahnung der Ernennung trägt anekdotenhafte Züge. Ausgangspunkt ist ein großes Revirement in Wien. Die Schlappe im Dritten Koalitionskrieg, die Österreich zwei Fünftel des Territoriums kostet, will gesühnt sein. Also gibt Kaiser Franz Cobenzl den
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Abschied. Nachfolger Cobenzls wird Graf Philipp Stadion. Wie Metternich kommt Stadion aus dem Reich, ist somit Ausländer. Stadion hat als Botschafter in Sankt Petersburg mindestens ebenso eindringlich für den Krieg geworben wie Metternich in Berlin. Sonderbarerweise werden beide dafür belohnt, Stadion mit dem Amt des Außenministers, Metternich immerhin mit dem Großkreuz des Ordens des Heiligen Stephan. Er soll den durch Stadions Abzug verwaisten Botschafterposten beim Zaren einnehmen. Es kommt indessen anders. Verwaist ist auch die Pariser Botschaft. Napoleon möchte hier eine Person sehen, die „genetisch“ für die Freundschaft mit Frankreich steht. Seinem Außenminister Talleyrand schreibt er: „Man müßte jemanden aus dem Hause Kaunitz hierher entsenden, einem wirklich österreichischen Haus, das schon lange mit dem französischen System verbunden ist“17. Dieser Wunsch bringt den Wiener Hof in Verlegenheit. Der einzige „echte“ Kaunitz, der greif bar ist, ist ein Enkel, der aber verfügt über keinerlei Erfahrung und gilt als nicht vertrauenswürdig. Die Lösung aus der Schlinge verspricht Metternich. Als eingeheirateter Kaunitz ist er der Profi lanforderung Napoleons ziemlich nahe. Der absonderliche Handel kommt zustande, auch weil der französische Botschafter in Berlin den Kollegen als ordentlichen Mann beschreibt, jedenfalls nicht als „Hardliner“. Offenbar ist es Metternich gelungen, sein Werben für den Krieg im Konfl iktjahr 1805 vor der französischen Diplomatie zu verbergen. So kommt es, daß Napoleon den Aufstieg seines späteren Gegenspielers aktiv fördert.
Wo fällt Manna? Ein Aufstieg ist es wahrhaftig! Nach nur fünf Jahren im diplomatischen Dienst wird Metternich der wichtigste Auslandsposten anvertraut, den Österreich zu vergeben hat. Im Amt sorgt die Ernennung des 34jährigen für Aufsehen. Schon bisher hat es an Neidern nicht gefehlt. Metternichs neuer Karrieresprung vergrößert ihre Zahl, wie Clemens in einer Mitteilung an seine Frau durchblicken läßt: „Man muß zugeben, ich habe alle meine gleichaltrigen Kollegen aber gründlich überflügelt“18. Wer hoch steigt, kann tief fallen. Metternich sind die Risiken, die er als Missionschef am Hof des Kaisers der Franzosen eingeht, wohl bewusst. Noch nie war das Kräfteverhältnis zwischen Paris und Wien so ungleich zu Lasten Österreichs wie jetzt nach Austerlitz und Preßburg. Am 12. Juli 1806, drei Wochen vor seinem Dienstantritt in Paris, ist die Rheinbundakte unterzeichnet worden. Der Ausbau der französischen Machtstellung nimmt immer beängstigendere Formen an, die Einkesselung Österreichs auch. Nie-
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mand wird Napoleon daran hindern können, die Rheinbund-Satelliten gegen das einstige Oberhaupt des deutschen Reiches in Marsch zu setzen. Finis austriae: Metternich gehört zu jener Spezies glücklicher Menschen, die Schwermut nicht kennen und auch in verzweifelten Situationen ihren Optimismus behalten. Aber nach Austerlitz schließt selbst er das Ende Österreichs nicht mehr völlig aus. Austerlitz sei in seinen Auswirkungen noch katastrophaler als der Bastille-Sturm, klagt er am 21. Januar gegenüber Gentz. „Die Welt ist verloren, Europa brennt nun ab und aus der Asche erst wird eine neue Ordnung der Dinge entstehen oder vielmehr wird alte Ordnung neue Reiche beglücken“19. Die Verantwortung für den schlimmen Zustand der Welt lastet Metternich der amtierenden Politikergeneration an: Von Beginn an hat es den antirevolutionären Mächten an Eintracht und Stehvermögen gefehlt. Ihre Schwäche war die Stärke Napoleons. „Man wollte dem Mann Schranken setzen, ihn umzäunen; erobern musste man ihn wollen, zerstören und zerstückeln sein Reich“. Das ist ein übertriebenes, ungerechtes Urteil. Es ist das Urteil eines jungen Mannes, der sich seiner Umgebung turmhoch überlegen weiß. „Glauben Sie nicht“, versichert er dem Briefpartner, „dass ich an dem wirklichen Dasein der Mittel zweifle; ich kenne nur nicht einen Menschen, der sie anzuwenden fähig wäre, und fände sich einer, so ließen die allmächtigen Fraktionen ihn nicht aufkommen“. Die Anspielung ist eindeutig: Er, Metternich, könnte es richten. Er kennt die Mittel, er wüßte sie auch anzuwenden. Aber die Verhältnisse sind nicht so. Vielleicht werden sie sich eines Tages ändern. Bis dahin kann er nur Fragen stellen: „Wo fällt Manna? Wo senkt sich der Gott aus den Kulissen?“20 Die Annäherung Metternichs an seinen neuen Dienstort verläuft holprig. In Straßburg wird er für neun Tage festgehalten. Frankreich hat die Grenze für Ausländer vorübergehend gesperrt. Auch für solche mit Diplomatenpaß wird keine Ausnahme gemacht. Der Zwangsaufenthalt an seinem ehemaligen Studienort setzt Metternich trüben Gedanken aus. Sorgen bereitet die fi nanzielle Situation der Familie. Der Vater hat sich schwer verschuldet. Auch politisch bietet Straßburg nichts, was die Gemütsverfassung heben könnte. Der Anblick von hunderten Kanonen, die Napoleon in der „Dreikaiserschlacht“ erbeutet hat und die auf ihren Weitertransport an die Seine warten, gemahnt an die letzte Demütigung Österreichs. Aus dem Material der Beutekanonen wird man in Paris die Vendômesäule gießen, deren wechselhafte Geschichte zum Sinnbild des ewigen Widerstreits von Revolution und Restauration werden wird 21. Die erste Begegnung mit dem Kaiser der Franzosen fi ndet am 10. August 1806 in Saint-Cloud statt. Anlaß ist die Überreichung des Beglaubigungsschreibens als Botschafter.
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Ich führte mich bei Napoleon ein, ohne bei der ersten Audienz in St. Cloud eine Ansprache zu halten, wie es Sitte meiner Collegen war. Ich beschränkte mich darauf, ihm zu sagen, daß in Entsprechung seines eigenen Wunsches berufen, den Kaiser von Oesterreich bei ihm zu vertreten, ich bei jeder Gelegenheit bestrebt sein würde, die guten Beziehungen zwischen beiden Kaiserreichen auf denjenigen Grundlagen, auf welchen allein ein dauernder Frieden zwischen unabhängigen Staaten errichtet werden könne, zu befestigen. Napoleon antwortete mir ebenfalls in einfachen Ausdrücken, und in unseren späteren persönlichen Beziehungen wirkte die Stimmung dieser ersten Anknüpfung nach22. In seinen autobiographischen Schriften schildert Metternich die Begegnung mit Napoleon, als wäre sie für ihn etwas Geschäftsmäßiges, ganz und gar Unaufregendes gewesen. Die Nonchalance nimmt man ihm in dieser Situation nicht ab. Immerhin tritt er erstmals dem Menschen gegenüber, der seit Jahren seine Phantasie beschäftigt. Wie sehr war er schon in Rastatt, 1798, auf ein Rendezvous mit Bonaparte erpicht gewesen, der damals ein erfolgreicher General war und nicht mehr. In der Folgezeit, als Gesandter in Dresden und in Berlin, drehte sich notwendigerweise sein ganzes berufliches Tun und Denken um diesen Mann, der von ihm an anderer Stelle „der staunenswerteste Mensch, der je in der Welt erschienen“ genannt wird23. Inzwischen ist Napoleon Kaiser. Der Augenblick, dem Weltherrscher von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, kann ihn nicht kaltgelassen haben. In einer anderen Schilderung des 10. August geht Metternich mehr ins Detail24. Er hält fest, der Kaiser habe auf ihn einen unsicheren Eindruck gemacht. Sodann: „Er trug die Uniform der Gardeinfanterie und hatte den Hut auf dem Kopf“. Letzteres empörte ihn offenbar sehr. Es sei ihm „unangebracht, anmaßend und parvenühaft“ vorgekommen, daß Napoleon während des Gesprächs den Hut auf dem Kopf behalten habe. Auch mißfielen ihm des Kaisers „kurze, untersetzte Figur“ sowie seine „nachlässige Haltung“. Die Betonung von Äußerlichkeiten ist bezeichnend für Metternich. Wie jemand sich hält und sich kleidet, ist ihm außerordentlich wichtig. Dahinter steckt mehr als der Dünkel des Standesherrn. Für Metternich ist die äußere Form auch ein Mittel der politischen Distinktion. So wie er sich in Rastatt provoziert fühlte, als er die Delegierten des Direktoriums mit fettigem Haar und schmutzigen Schuhen sah, erscheint ihm Napoleon bei der Audienz im Sommer 1806 durch schlechte Haltung und eine nicht formgerechte Kopf bedeckung als falscher Kaiser, als Emporkömmling und Erzeugnis der Revolution.
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Am Ende der Audienz kommt es zu einem Wortwechsel. Napoleon: „Sie sind sehr jung, um die älteste Monarchie Europas zu vertreten“. Darauf Metternich: „Ich stehe im selben Alter wie Eure Majestät bei Austerlitz“25. Die Antwort ist schlagfertig, aber falsch. Metternich macht sich drei Jahre älter, als er ist. Tatsächlich beschwert ihn sein jugendliches Aussehen. Er legt Puder auf, um älter zu erscheinen. Soll die Tünche die politische Gravität vergrößern, oder opfert er der weiblichen Vorliebe für graue Schläfen? Paris ist, das darf man nicht vergessen, mehr als das Machtzentrum der Welt. Es ist ein großes Vergnügungszentrum. Die Jahre der Tugend- und der Schrekkensherrschaft haben einen Nachholbedarf geschaffen, der immer noch anhält. Die Frauen sind schön, die Sitten locker. Für Metternich muß Paris eine einzige Verheißung sein. Aus diesem Grund war Gentz bei der Nachricht von Metternichs Berufung an die Seine auch untröstlich gewesen. Was er befürchtete, waren weniger die vorhersehbaren politischen Risiken der Mission als vielmehr die ebenso vorhersehbaren Versuchungen, denen der Freund mit seiner „Porzellannatur“26 in der Stadt der Verführungskünste ausgesetzt sein würde. Metternichs Ruf als Galan ist notorisch. So wie Nesselrode, der spätere russische Außenminister, ihn in der gemeinsamen Berliner Diplomatenzeit erlebte, dürften die meisten Zeitgenossen Metternich gesehen haben: „Er hat mehr Geist als drei Viertel der Wiener Exzellenzen, er ist sehr liebenswürdig, wenn er will, von hübschem Äußeren, fast immer verliebt, aber noch öfter zerstreut, was in der Diplomatie so gefährlich ist wie in der Liebe“27. Es sind die gefährlichen Liebschaften, die ihn besonders anziehen. Nacheinander erobert er Caroline Murat, die wohl am wenigsten attraktive, aber klügste unter den Bonaparte-Schwestern, und Laura Junot. Caroline ist die Ehefrau des verwegenen Reitergenerals Murat, Großherzog von Berg, Laura die Gattin des Marschalls Junot, Herzog von Abrantès. Die Ehemänner sind also potentiell furchterregend, Metternichs Ausritte beinahe Mutproben, zumal in dem Moment, wo er zur Eroberung Carolines ansetzt, Junot selbst ein Auge auf die Schwester des Kaisers geworfen hat. Napoleon scheinen die amourösen Aktivitäten des österreichischen Botschafters zu amüsieren, er fördert sie sogar. Angeblich ermuntert er seine Schwester mit den Worten: „Zerstreue mir das Bürschchen“. Überliefert ist nicht nur die Aufforderung. Stendhal will gesehen haben, wie Metternich sich zu einer Audienz in SaintCloud begab, angetan mit einem Armband aus den Haaren Carolines28. 1810 betätigt sich Caroline als Brandstifterin, indem sie boshaft dem gehörnten Junot erzählt, mit wem Laura ihn schon seit geraumer Zeit betrügt. Metternich hat Glück, daß der auf brausende Marschall ihn nicht massakriert29. Viel spricht dafür, daß Napoleon am Anfang in dem jungen Diplomaten vor allem den Schönling sieht, der leicht zu dirigieren ist, wenn man seine
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Schwächen unterstützt. In der Folgezeit dürfte er sein Metternich-Bild mehr und mehr korrigiert haben, allerdings ohne zu ahnen, daß der junge Mann das Zeug hat, einmal ein ernster Widerpart zu werden. Besonders stark beschäftigt er sich nicht mit der Persönlichkeit des Botschafters. Man kennt aus dieser Zeit nicht viele Äußerungen des Kaisers über den Grafen, was angesichts des gewaltigen Rangunterschiedes nicht verwundert. Umgekehrt befaßt sich Metternich sehr intensiv mit Napoleon. Er will die Denkstrukturen des Mannes verstehen, vor dem Europa zittert, und die Mechanik seiner Machtausübung begreifen. Er begutachtet die Hofhaltung der purpurisierten Republik und fi ndet sie mal parvenühaft, mal glanzvoll. Er schließt Bekanntschaften, die Nutzen verheißen. Gute Drähte unterhält er bald zu Fouché, dem mächtigen Polizeiminister. Zu Talleyrand, der allerdings bereits kurz nach Metternichs Dienstantritt das Amt des Außenministers an den farblosen Champagny verliert, entwickelt sich allmählich ein enges Verhältnis. Les affaires, ce sont les hommes. So sieht Metternich das Geschäft des Diplomaten. Und wirklich nimmt in den Staatenbeziehungen des beginnenden 19. Jahrhunderts, anders als heute, der „Faktor Mensch“ noch die beherrschende Rolle ein. Die Heimat ist fern, die Instruktionen brauchen lang, bis sie den Empfänger erreichen. Nicht selten muß der Botschafter eine Entscheidung treffen, ohne zu wissen, wie seine Regierung den Fall betrachtet. Das bedeutet, daß er über sichere Informationsquellen verfügen muß und Zugang zu den einflußreichen Personen hat. Beim Auf bau nutzbringender Beziehungen kann Metternich seine erstklassigen gesellschaftlichen Fähigkeiten einsetzen. Le beau Clément ist in allen Salons ein gerngesehener Gast. Er ist taktvoll, diskret, ein ausgezeichneter Unterhalter, der immer gelassen bleibt, nie aus der Rolle fällt. Bald bewegt er sich in Paris wie ein Fisch im Wasser. Dabei will es scheinen, als stehe er mit Angehörigen des napoleon-kritischen Lagers auf vertrauterem Fuß als mit den Offi ziellen der kaiserlichen Regierung. Metternichs Urteil über Napoleon wird im Verlauf der Pariser Botschafterzeit differenzierter. Bei Beginn der Mission ist die Rollenverteilung eindeutig. „Napoleon erschien mir als die Fleisch gewordene Revolution, während ich in der Macht, die ich bei ihm zu vertreten hatte, die sicherste Hüterin der Grundlagen erblickte, welche allein die allgemeine Ruhe und das politische Gleichgewicht verbürgen“30. Doch bald schon wird das Bild des furchterregenden Revolutionärs ergänzt durch das des Bändigers der Revolution. Im Vordergrund steht jetzt der Schöpfer eines Regierungssystems, dem Metternich die Bewunderung nicht versagt. Unausgesprochen zieht er den Vergleich zu Österreich mit seiner altertümlichen Verwaltung, seiner Umständlichkeit und den diffusen Entscheidungsstrukturen. Wie anders ist doch Frankreich! Hier funktioniert der Verwaltungsapparat präzise und
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schnell. Bis in die entlegensten Winkel des Landes reicht der Durchgriff des Staates. Ausschlaggebend dafür ist nach Metternichs Ansicht die Einheitlichkeit des Willens in der Gestalt des Kaisers. Ohne Zweifel gefällt dem Grafen Napoleons autoritäre und zugleich effi ziente Führung. Das straffe Polizeisystem fi ndet er nachahmenswert, die Lenkung der Presse meisterhaft. „Die Zeitungen haben für Napoleon den Wert einer Armee von 300 000 Menschen“31. Der Kaiser, berichtet er dem Vater im März 1808, steigere gerade seinen despotisme; was Metternich durchaus anerkennend meint. Vor allem beeindruckt ihn, daß dieser despotisme höchst raffi niert ausgeübt wird, nämlich über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung, und keineswegs bloß auf Repression beruht. Für Frankreich unter Napoleon gelte: le souverain est tout. Noch 1844 ist er des Lobes voll für Napoleons Machtausübung: „Der Kaiser erfreute sich in Frankreich jener Popularität, die immer einem Staatsoberhaupt zuteil wird, welches mit gleichzeitig fester und gewandter Hand die Zügel der Gewalt zu halten versteht“32. Was Metternich bezeichnenderweise überhaupt nicht in den Sinn kommt, ist, daß der Modernitätsvorsprung Frankreichs vielleicht noch andere Voraussetzungen haben könnte als das administrative Genie des Kaisers. Zutreffend erkennt er Napoleons Fähigkeit, die Kräfte des Volkes zu bündeln. Daß sie erst freigesetzt werden mußten, übersieht er dagegen vollständig. Ist Napoleon nicht geradezu die Einlösung des Gleichheitsversprechens der Revolution? Bezeugt sein Beispiel nicht, welch ungeheure Möglichkeiten einem Staat zufl ießen, wenn erst einmal die Standesprivilegien beseitigt sind? Die Fragen stellen hieße, das eigene Denkgebäude zu untergraben. Also stellt er sie nicht. Stattdessen betrachtet er mit Wohlgefallen die restaurative Tendenz des Empire, die klar ersichtlich ist. Er registriert die Prachtentfaltung, die wachsende Bedeutung des Zeremoniells am Hof des Kaisers und die Verbesserung der Umgangsformen. All das bestärkt ihn in der Überzeugung, daß sich die ewige Ordnung, wie er sie sieht, am Ende doch immer durchsetzen wird. Die sociale Revolution bedroht Europa nicht mehr. Das ist der positive Schluß, den Metternich aus seinen Pariser Beobachtungen zieht. Ganz anders beurteilt er Napoleons Außenpolitik. Hier wäre Entwarnung ein unverzeihlicher Fehler. In seiner Staatenpolitik ist Napoleon „die Fleisch gewordene Revolution“ geblieben. Ein Ausgleich mit ihm sei prinzipiell unmöglich, schreibt er am 27. April 1804 Stadion. Deshalb habe sich noch jede Macht verrechnet, die mit Frankreich Frieden geschlossen und nicht sogleich Vorbereitungen für einen neuen Krieg getroffen habe33. Nur abschätzige Vokabeln kennt Metternich für den Außenpolitiker Napoleon. Er sei von unersättlichem Ehrgeiz getrieben, er dürste nach der Weltherrschaft, kurz, er sei ein verantwortungsloser Abenteurer, schlimmer noch ein
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homme sans système, ein Mann ohne Konzept. Obwohl es in der sichtbaren Welt keinen Anhaltspunkt dafür gibt, zweifelt Metternich keine Sekunde daran, daß das napoleonische Großreich über kurz oder lang zusammenstürzen muß. Es trägt den Keim des Zerfalls in sich. Warum? Hier stoßen wir wieder auf Metternichs unerschütterlichen Glauben an die „ewigen Gesetze“. Sie können zwar vorübergehend mißachtet oder durch Übermut verwirrt werden. Aber eines Tages werden sie wieder Geltung erlangen, irgendwann. An diesem Credo hält Metternich fest, sieht man von kurzen Schwankungen ab. Es unterliegt seinen Äußerungen und Einsichten über den großen Korsen wie ein basso continuo. Der Grundton ist immer da, aber nicht immer ist er hörbar. Denn so tief Metternich auch von Napoleons schließlichem Scheitern überzeugt ist, noch tiefer wurzelt seine Überzeugung, daß allzu feste Glaubenssätze einem Politiker nur hinderlich sein können. Wer Erfolg haben will, tut gut daran, die force des choses zu beachten.
Nach Austerlitz ist die Rettung der Eigenstaatlichkeit das primäre Ziel der österreichischen Politik. Der Friede von Preßburg war ein Schock, in den Augen Stadions fast so etwas wie ein Todesurteil. Auch Metternich sieht Österreich am Rande des Abgrunds. In seinen Augen stellt das Habsburgerreich all das dar, was Napoleon prinzipiell zuwider ist, weshalb der Eroberer es auf seine gänzliche Vernichtung abgesehen habe. Aber zu pessimistisch will er nicht sein. Er hat ja, wie er Gentz geschrieben hat, keinen Zweifel am „Dasein der Mittel“, die man braucht, um Napoleon niederzuringen. Und so empfiehlt der frischgebackene Botschafter seiner Regierung zum Zweck der Existenzsicherung eine Doppelstrategie. Zuallererst muß Österreich im Innern wieder zu Kräften kommen. Zugleich soll es ein Arrangement mit Frankreich anstreben. Es muß den Anschein erwecken, daß es guten Willens und bereit ist, mit Frankreichs europäischer Vorherrschaft zu leben. In diesem Sinne unterbreitet er wenige Tage nach seiner Akkreditierung den Vorgesetzten in Wien einen umwerfenden Vorschlag: Man soll dem Kaiser der Franzosen einen Ordenstausch anbieten! Bedenkt man, daß Metternich 1804 die Anerkennung der französischen Kaiserkrone beschämend fand, wird ersichtlich, welche Opfer er der force des choses notfalls zu bringen bereit ist. Napoleon als Ritter des Goldenen Vlies! Das fi ndet man in der Hofburg denn doch zu weitgehend. Aus Metternichs verwegener Idee wird nichts, dabei ist sie klug. Denn der Graf spürt, wo man Napoleon packen kann. Er glaubt, daß nichts den Kaiser so reizbar mache wie der Verdacht, die eingesessenen Monarchen könnten ihn als Ungleichen behandeln. Des-
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halb müsse man seinen Argwohn durch Gesten und äußere Zeichen zerstreuen. Metternich beweist hier sein gutes Einfühlungsvermögen. Es wird ihm 1813 helfen. Der preußisch-französische Krieg, der im Oktober 1806 ausbricht, läßt sein Konzept der Anlehnung an die überlegene Macht unberührt. Noch im Januar hatte Metternich eine Defensivallianz der drei Ostmächte angeregt. Davon ist nun keine Rede mehr. Der Zickzackkurs des Potsdamer Hofes lädt auch nicht dazu ein, sich für den Hohenzollernstaat zu schlagen. Metternich wirft Preußen vor, daß es sich zur Unzeit zum Kampf entschlossen habe, womit er zweifellos recht hat. Allein, auch als der Krieg in die zweite Runde geht, Preußen und Rußland Napoleon bei Preußisch-Eylau ein achtbares Unentschieden abringen, hält er, im Gegensatz zu Stadion, ein Abseitsstehen Österreichs für das Beste. Es fügt sich, daß Kaiser Franz ähnlich denkt. Er lehnt ein Bündnisersuchen der beiden Ostmächte ab. So nehmen die Dinge ihren Lauf. Im Juni 1807 macht Napoleon mit dem Sieg von Friedland alles klar. Der Dritte Koalitionskrieg endet wie seine Vorgänger mit einem Machtzuwachs Frankreichs. Ein weiteres Mal hat sich Rivarols Richterspruch über das Elend der legitimistischen Koalitionen bewahrheitet: „Die Verbündeten waren immer um ein Jahr, eine Armee und eine Idee im Rückstand“34. Hätte Österreich Russen und Preußen beispringen sollen, wie es Stadions Absicht gewesen war? Ehrenhaft wäre es gewesen, aber sicher auch hochriskant. Die Schwäche Österreichs und die berechtigte Sorge, eine abermalige Niederlage könne das Haus Habsburg den Thron kosten, rechtfertigten in den Augen Metternichs das Festhalten an der Neutralität allemal. Zwei Jahre später wird er anders argumentieren und seiner Regierung zum Alleingang raten, den er Preußen so übel angekreidet hatte. Aber das ist ein eigenes Kapitel. Es macht seinen Standpunkt von 1807 nicht falsch. Am 8. Februar 1807, dem Tag, an dem bei Preußisch-Eylau die vielleicht blutigste Schlacht in der Kette der Revolutionskriege geschlagen wird, präsentiert Metternich seiner Regierung, in Unkenntnis der Ereignisse, das Tableau einer Zukunftspolitik, die ganz auf ein enges Zusammengehen mit Frankreich setzt. Nach seiner Auffassung hat sich in Paris ein Stimmungswandel vollzogen. Man honoriere dort die Neutralitätspolitik von Kaiser Franz und wisse ganz allgemein die Vorteile einer Wiederbelebung des Modells Kaunitz zu schätzen. Napoleon hätten die Schwierigkeiten des Feldzuges im Osten gelehrt, daß dem expansiven Vermögen Frankreichs Grenzen gesetzt seien. Frankreich werde nicht auch noch Rußland unter Kontrolle bringen. Da aber das am Boden liegende Preußen kein Gegengewicht gegen das Zarenreich mehr darstelle, brauche Frankreich das maison d’autriche als Barriere. Metternichs Fazit: Verhalte sich Österreich in der
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gegenwärtigen Krise klug, könne das „Ergebnisse für unseren Hof hervorbringen, die bislang nicht vorherzusehen waren“35. Metternich ist ganz hingerissen von den Möglichkeiten, die sich seiner Meinung nach jetzt für eine aktive europäische Politik bieten. In der Folgezeit bemüht er sich in Paris nach Kräften, den Nutzen einer Allianz mit Österreich zu propagieren. Selbst die wenig entgegenkommende Haltung des neuen französischen Außenministers Champagny bei der Regelung von Grenzfragen, die im Preßburger Vertrag offen geblieben waren, kann ihn nicht entmutigen. Obwohl das Regelungsdokument, der Vertrag von Fontainebleau, alles andere als vorteilhaft für Österreich ist, verkauft Metternich das von ihm verhandelte Abkommen als gewaltigen Erfolg. Österreich befi nde sich erstmals seit langem „in einer abgerundeten und ganz und gar defi nierten Situation gegenüber Frankreich“36, gibt er zu Protokoll. Das ist wohl etwas übertrieben. Metternich neigt gelegentlich zu Wunschdenken. Andererseits ist es schon von einigem Wert, wenn ein zutiefst gefährdeter Staat frei von aktuellen Reibungsflächen mit der Vormacht ist. Zweifellos hat sich das Klima zwischen Frankreich und Österreich verbessert; Metternich profitiert davon. Napoleon versteht sich zu einigen Aufmerksamkeiten gegenüber dem jungen Botschafter. Dazu gehört eine Tabatière im Wert von 30 000 Francs, die er ihm als Geschenk zukommen läßt. Mitte 1807 ist Metternich bester Laune. Er glaubt sich im Besitz einer politischen Konzeption, die Österreich Schutz und Schirm gewährt, solange das postrevolutionäre Unwetter andauert. Das Wohlwollen, das der Kaiser der Franzosen ihm gegenüber an den Tag legt, wertet er als Beweis für die Richtigkeit dieser Konzeption. Selbst der französisch-russische Frieden von Tilsit mit seinen für Österreich beunruhigenden Aspekten kann seine Stimmung nicht trüben. An ein Zusammengehen der beiden Flügelmächte auf Dauer kann er nicht glauben, einfach deshalb, weil er Napoleon für außerstande hält zu teilen. Im Unterschied zu Metternich befi ndet sich Stadion in einer unkomfortablen Lage. Der Versuch des pro-russisch eingestellten Außenministers, Österreich im Herbst 1806 in den Krieg zu führen, war am Widerstand von Kaiser Franz gescheitert. Sodann mußte Stadion erleben, wie der Zar, im Krieg unterlegen, plötzlich einen Freundschaftsbund mit Napoleon einging. Enttäuscht und isoliert, vollzieht er nach dem Frieden von Tilsit im Juli 1807 eine Kehrtwendung: Er drängt Metternich, die Chancen für ein Bündnis mit Frankreich zu sondieren. Der ist skeptisch. Anfang des Jahres wäre Napoleon die aktive Unterstützung des Habsburgerstaats vielleicht etwas wert gewesen. Metternichs Februar-Denkschrift war jedoch in Wien unbeantwortet liegengeblieben. Jetzt ist das Fenster der Möglichkeit zugeschlagen. Als Gewinner des Ostkriegs und mit dem Zaren als neuem Freund hat
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Napoleon für Österreich als Barriere gegen Rußland keine Verwendung mehr. Die Sondierungen, von Metternich ohne innere Überzeugung betrieben, stoßen denn auch in Paris auf Desinteresse. Trotzdem bleibt der Botschafter bei seiner Linie der Annäherung an Frankreich. Er tut das Seine bei dem nur wenig aussichtsreichen Versuch, den Frieden zwischen England und Frankreich zu vermitteln. Als der Versuchsballon erwartungsgemäß platzt und Napoleon von Österreich den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum Hof von St. James verlangt, rät er nachdrücklich, der Forderung zu entsprechen. Nur ja dem Übermächtigen keinen Vorwand liefern! Momentan befi ndet sich Österreich in einer windstillen Zone. Das ist ein hohes Gut. Das übrige wird die Zukunft weisen. „Wir haben alles gewonnen“, schreibt er am 16. Oktober 1807 Stadion, „wenn wir unsere Unabhängigkeit und unsere territoriale Integrität bewahren, wir haben nichts verloren, wenn wir nur die Möglichkeit behalten, eines Tages die ungeheuren Mittel in die Waagschale zu werfen, die die Vorsehung in die Hände seiner Majestät gelegt hat. Dieser Tag wird kommen! Eine Macht wie die unsere muß das Leben eines einzelnen Mannes überdauern!“37. Abwarten, balancieren und, wenn nötig, die eigene Position neu justieren: So läßt sich die Einstellung Metternichs in den ersten achtzehn Monaten seiner Botschafterzeit beschreiben. In der Praxis geht das nicht ohne Widersprüche ab. Besonders deutlich wird das in der Frage der Bündnispolitik. Hier führt Metternich vor, daß er in der operativen Politik Prinzipien für eine Meßlatte hält, die so hoch liegen muß, daß man jederzeit aufrecht unter ihr hindurchgehen kann. Immer ist er auf der Suche nach Wegen, Österreich zurück ins europäische Spiel zu bringen. Das geht gegenwärtig nur mit und nicht gegen Frankreich. Die Politik des guten Willens habe Österreich enorme Vorteile verschafft, bilanziert er Ende 1807: „Für den Bestand der österreichischen Monarchie, ihr Ansehen und die Erhaltung der Stellung, die ihr in Europa zukommt, hat die Lage des Staates schon seit Jahren keine so glücklichen Aussichten mehr geboten wie zum gegenwärtigen Augenblick“38. Wem der Dank dafür gebührt, ist für ihn keine Frage.
Irrtum und Aufstieg Ein paar Monate später hat der Wind sich gründlich gedreht. Der Großteil der österreichischen Führung ist zum Krieg gegen Frankreich entschlossen. In der Rückschau gibt der abrupte Politikwechsel Rätsel auf. Wie ist zu verstehen, daß ein Mann wie Stadion, der noch Ende 1806 mit Österreichs
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Armee Rußland und Preußen zu Hilfe eilen wollte, der im darauffolgenden Sommer unbedingt ein Bündnis mit Frankreich anstrebte, wiederum ein halbes Jahr später dem Krieg mit Frankreich das Wort redet? Und abermals gefragt: Wieso läßt Kaiser Franz, dem 1806 die angebotene Dreier-Allianz nicht hinreichend war, Napoleon entgegenzutreten, sich jetzt zum Angriffskrieg gegen das Empire überreden, obwohl Österreich dabei aller Voraussicht nach auf sich allein gestellt sein wird? Der Gesamteindruck der österreichischen Politik seit 1792 ist der einer Mixtur aus unverbundenen Handlungen, zahllosen Brüchen und geradezu spasmischen Zuckungen. Gleiches läßt sich für das ganze legitimistische Lager sagen, sofern man hier von einem „Lager“ sprechen kann. Die Politik ist diffus, immer reaktiv und augenblicksbestimmt. Die Ursachen liegen einmal im neuen Typus des Kriegs, mit dem man es jetzt zu tun hat, und im ebenso neuartigen Charakter der Friedensschlüsse. Die Revolutionskriege sind dem Wesen nach Vernichtungskriege, die Friedensschlüsse nur Kriegsunterbrechungen. Auf diese dramatische Veränderung haben die legitimistischen Regierungen seit 1792 keine Antwort gefunden. Sie werden sie erst 1813 fi nden. Eine weitere Ursache ist die Planlosigkeit der napoleonischen Expansion. Sie trifft unwetterhaft mal die eine, mal die andere Macht, wobei Napoleon es meisterhaft versteht, die unterschiedlichen Interessen gegeneinander auszuspielen. Das sind keine günstigen Voraussetzungen für eine Politik der ruhigen Hand. Hinzu kommt die Eigentümlichkeit der Kabinettspolitik. Fußend auf dem Zusammenwirken weniger Personen hinter verschlossenen Türen, ist sie anfällig für die Nervenschwäche oder die mangelnde Weitsicht einzelner Akteure, die heute diesem, morgen jenem Impuls folgen, ohne die Bestrafung durch eine kritische Öffentlichkeit fürchten zu müssen. Ausgelöst wird der Kurswechsel des Jahres 1808 durch die französische Einmischung in die spanischen Thronwirren. Metternich hatte mit dieser Entwicklung nicht gerechnet, sondern ursprünglich angenommen, der nächste Eroberungsakt Napoleons werde auf die Türkei zielen. Wie immer, wenn er sich verkalkuliert hat, ist er um eine fl inke Erklärung nicht verlegen. In diesem Fall lautet seine Deutung: Napoleon muß die Intervention langfristig geplant und heimlich vorbereitet haben. Sodann hebt er, und auch das ist für ihn charakteristisch, die Ereignisse auf eine Metaebene. In Spanien, so berichtet er nach Wien, erweise sich unwiderleglich die Entschlossenheit des Kaisers der Franzosen, keine unabhängige Monarchie neben der seinen zu dulden. Nach der Vertreibung der Bourbonen aus Neapel im Jahre 1806 sei nun die Ausschaltung der spanischen Bourbonen der konsequente nächste Schritt. Die Schlußpointe seines Berichts vom 30. März bleibt unausgesprochen: Hat Napoleon erst die Verhältnisse auf
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der iberischen Halbinsel in seinem Sinne geregelt, wird Habsburg an der Reihe sein. Man muß sagen, daß Metternich seine Überraschung über die spanische Affäre in hochspekulativer Weise verarbeitet. Sein Urteil ist oberflächlich und falsch. Von einer langfristigen Planung der spanischen Intervention kann nun wirklich nicht die Rede sein. Napoleons Vorgehen krankt ja gerade daran, daß es ganz ungewöhnlich schlecht vorbereitet war. Falsch ist auch, die Intervention mit Napoleons Weltherrschaftsphantasien zu erklären und damit zu trivialisieren. Hätte Metternich gewusst, daß dem Kaiser die Idee, den spanischen Zweig des Hauses Bourbon abzuknicken, ausgerechnet von Talleyrand eingeflüstert worden war, hätte er wohl abwägender geurteilt. Zu Talleyrand, dem hinkenden ehemaligen Bischof von Autun, unterhält Metternich ausgezeichnete Kontakte. Das ist nicht unproblematisch. Ein entsandter Diplomat braucht Zugang vor allem zu denjenigen, die Handlungsvollmacht haben. Frankreichs Außenminister heißt aber inzwischen Champagny; Talleyrand ist seit seiner Demission nur noch ein „Ex“. Doch zu Champagny fi ndet Metternich keinen Draht. Champagny versteht sich als Sprachrohr des Kaisers und kann seinem Vorgänger nicht das Wasser reichen. Dieser ist immer noch die Spinne im Netz. Viele Informationen laufen bei Talleyrand zusammen, und er hat keine Skrupel, diese Informationen zu Geld zu machen. Metternich schöpft aus dieser vorzüglichen Quelle, die sich ihm eigennützig anbietet. Mag gegen Talleyrand ein großes Sündenregister sprechen, mag er ein Wendehals sein, wie er im Buche steht – es schmeichelt Metternich, von einem Mann ins Vertrauen gezogen zu werden, der schon jetzt als Diplomat eine Legende ist. Politisch schätzt er an Talleyrand, daß dieser europäisch denkt und ganz anders als der ungebärdige Korse ein homme à système ist. Kurz gesagt: Metternich läßt sich sehr stark auf Talleyrand ein. Er fährt gleichsam auf ihn ab, und es will scheinen, daß er dabei je länger desto mehr den Abstand verliert, die der Umgang mit dem niemals ganz durchschaubaren früheren Bischof erfordert. Ob Metternich über Talleyrand von den Überlegungen erfährt, den Kaiser durch Murat zu ersetzen, spätestens für den Fall seines plötzlichen Todes, ist zweifelhaft. Dagegen wird er wissen, daß Napoleon Talleyrand mittlerweile in den Stand der allerhöchsten Ungnade versetzt hat. Aber das stört Metternich nicht. Reichlich unkritisch nimmt er entgegen, was ihm Talleyrand gesprächsweise eröffnet: daß Napoleons Universalmonarchie nicht im Einklang mit den Interessen Frankreichs stehe. Daß für Frankreich nur die „natürlichen Grenzen“ essentiell seien, also Alpen, Pyrenäen, Atlantik und Rhein, mehr nicht. Genauso wie er den Zaren belehrt hat, sug geriert
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Talleyrand dem österreichischen Botschafter, daß es grundsätzlich zu trennen gelte zwischen Napoleon und Frankreich. Das Land sei in zwei Parteien gespalten, das Volk und immer größer werdende Teile der politischen Klasse auf der einen Seite, Napoleon und seine Generäle auf der anderen. Diese Aussagen elektrisieren Metternich. Wie die meisten Menschen ist er nur allzu bereit, sympathische Behauptungen mit zwei zu multiplizieren. Was ihm Talleyrand über die angebliche Spaltung des Landes und die wachsende Mißstimmung darlegt, entspricht seinem Wunschbild. Schon bei Ausbruch des Krieges mit Preußen war es Metternich so erschienen, als setzten die Franzosen auf baisse. Seinerzeit hatte er geradezu euphorisch nach Wien gemeldet: „Ganz Frankreich hat nur einen Gedanken, es äußert nur einen Wunsch, es zeigt nur ein Verlangen: die Pläne seines Herrschers scheitern zu sehen. Nachrichten von Niederlagen werden hier so freudig aufgenommen werden wie Siegesmeldungen woanders. Man glaubt in der Niederlage die Bürgschaft für die künftige Ruhe zu sehen, ein Gegengewicht gegen den Ehrgeiz des Kaisers“39. Das war damals ein Irrtum oder doch eine starke Überzeichnung. Aber vielleicht stimmt es heute? Die immer intimer werdenden Gespräche mit Talleyrand, seiner primären Informationsquelle, festigen in Metternich die Überzeugung, daß Napoleons Herrschaft wankt. Das Land sei des Krieges überdrüssig und nicht länger bereit, für die Träume des Kaisers Opfer zu bringen. Kriegsmüde ist Frankreich wohl wirklich. Das blutige Gemetzel von Preußisch-Eylau wird vielerorts als Signal verstanden, daß die Zeit der schnellen Siege vorüber ist. Die neureichen Notabeln fürchten um ihr Kapital. Bis hierher war man für das Kriegführen nicht sonderlich zur Kasse gebeten worden. Die französischen Armeen ernährten sich auf Kosten der Länder, in denen sie gerade standen. Im armen Spanien ist aber wenig zu holen. Man muß fürchten, daß der Krieg dort Frankreich teuer zu stehen kommen wird. Soweit liegt Metternich mit seiner Einschätzung richtig. Es gibt eine Unzufriedenheit in Frankreich, auch deshalb, weil Napoleons Motive, wie im Falle des iberischen Konfl ikts, kaum noch nachvollziehbar sind. Eine Chimäre ist hingegen die machtvolle Opposition, deren Vorhandensein ihm Talleyrand in dem Bestreben, seine Bedeutung aufzubauschen, vorgaukelt. Die kleinen Leute gehen für ihren Kaiser noch immer durch dick und dünn, wenn er sie ruft. Und was die Notabeln betrifft, so ist für die meisten unter ihnen keineswegs ausgemacht, daß sie ohne Napoleon besser dastehen würden als mit ihm. Aller Unzufriedenheit zum Trotz kann der Kaiser also immer noch ziemlich unangestrengt regieren. Es wird sich herausstellen, daß er sogar imstande ist, wenn auch nicht ohne Mühe, zwei Kriege gleichzeitig zu führen.
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Man kann sich denken, daß die auf Krise getrimmten Berichte, die der Pariser Botschafter in den ersten Monaten des Jahres 1808 nach Wien schickt, bei Stadion und den Anhängern der Kriegspartei gut ankommen. Für diejenigen in der österreichischen Hauptstadt, die unbedingt mit den Franzosen die Klinge kreuzen wollen, ist Spanien das Zauberwort. Es bauscht die Hoffnung und zerstäubt die Vorsicht. Wann waren die Karten, Frankreich für die Demütigungen der letzten sechzehn Jahre büßen zu lassen, jemals so gut wie jetzt, wo der Imperator auf der Halbinsel gebunden ist? Im September hat Napoleon das 1. und das 6. Armeekorps als Verstärkung auf den westlichen Kriegsschauplatz geworfen. Ende Oktober, nach dem Erfurter Fürstentag, begibt er sich selbst auf den Weg nach Spanien, um dort die Zügel in die Hand zu nehmen. Und tatsächlich heftet sich das Glück sofort an seine Fersen. Die ersten schnellen Siege, die die Franzosen unter seiner Führung erringen, veranlassen Wellington zu der anerkennenden Feststellung, des Kaisers Präsenz auf dem Kriegsschauplatz entspreche dem Gewicht einer Armee von 40 000 Mann. In Wien herrscht die Auffassung vor, daß Napoleon nicht mehr lange brauchen werde, um das spanische Kapitel in seinem Sinn zu beenden. Dementsprechend verliere Österreich das Momentum, wenn es noch länger zaudere. Mit dieser Begründung treibt Stadion die Entscheidung zum Losschlagen voran. Die militärischen Vorbereitungen sind längst angelaufen. Neue Reservebataillone wurden gebildet, Beschlüsse zum Bau neuer Festungsanlagen und zur Aufstellung einer Landwehr gefasst. Die Landwehr, jene der Revolution abgeschaute Spielart der Volksmobilmachung, nimmt in Stadions Kalkül eine wichtige Rolle ein. Der Außenminister spekuliert auf einen Nationalkrieg. Er ist jemand, der gern aufs Ganze geht und sich dabei nicht scheut, hierin Stein und Gneisenau ähnlich, ins Arsenal des Teufels zu langen. Von der Volksbewaffnung verspricht sich Stadion eine wesentliche Verbesserung der eigenen militärischen Schlagkraft, außerdem eine ansteckende Wirkung auf Deutschland. Wenn sich ganz Österreich erhebe, werde Deutschland dem Aufstand gegen Napoleon folgen. Metternichs Position zum Kriege ist nicht so eindimensional wie die Stadions. Im Frühsommer ändert sich die Tonlage seiner Berichte. Vielleicht spürt er, daß er mit seinen forschen Darlegungen über Machtkämpfe in Frankreich zu weit gegangen ist. Jetzt empfiehlt er der Regierung in Wien, zuallererst auszuloten, ob Rußland zu einem Bündnis bereit ist. Ein isoliertes Vorgehen gegen Napoleon wäre selbstmörderisch. Aber schon bald ändert er seinen Standpunkt aufs neue. Im November reist er nach Wien. Trifft ihn der fortgeschrittene Stand der Kriegsentschlossenheit in der Hauptstadt wirklich so unvorbereitet, wie er behauptet? Läßt er sich von der fieberhaften Erwartung des grand jour du jugement anstecken? Oder springt
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er einfach auf den Zug der Mehrheitsmeinung auf? Jedenfalls liegen am 4. Dezember Kaiser Franz drei Denkschriften aus seiner Feder vor, die nur eine Lesart zulassen: Es gilt, die Gunst der Stunde zu nutzen! In den Denkschriften begibt sich Metternich zunächst auf fremdes Terrain. Er ist kein Militärfachmann. Trotzdem behauptet er, mit einem calcul mathématique beweisen zu können, daß sich das Kräfteverhältnis zwischen Österreich und Frankreich seit Austerlitz im Verhältnis von 4 : 1 zugunsten des Habsburgerstaats verändert habe, und zwar durch die von Napoleon vorgenommene Verlagerung von 200 000 Soldaten nach Spanien bei gleichzeitiger Stärkung der Wehrkraft Österreichs. Günstig beurteilt er eine Annäherung an Rußland. Hier stützt er sich auf Talleyrand, der ihm den Inhalt für die These liefert, daß Napoleon innenpolitisch angeschlagen sei. Der Kaiser könne sich noch nicht einmal mehr auf seine Generäle verlassen, legt Metternich dar. Deshalb habe er den Oberbefehl in Spanien selbst übernommen. Talleyrand, der sich mit Fouché verbündet habe, sei chef d’opposition, Oberhaupt einer Opposition, die seit 1805 ständig an Einfluß gewonnen habe. Unretouchiert wirbt er für Talleyrands Behauptung, daß die Mächte, indem sie sich Napoleon in den Weg stellten, den wahren Interessen Frankreichs dienten. Metternichs Fazit: Wir sind also endlich an einem Zeitpunkt angelangt, wo sich uns Verbündete im Innern jenes Reiches selbst anzubieten scheinen. Diese Verbündeten sind keine niedrigen und gemeinen Intriganten; Menschen, die die Nation zu repräsentieren vermögen, bitten um unsere Unterstützung. In dieser Hilfe ist unsere Sache selbst beschlossen, unsere Sache ganz und gar und jene der Nachwelt40. Der Krieg gegen Napoleon als Bruderhilfe für Frankreich: Angesichts dieses pathetischen, sogar die Nachwelt bemühenden Plädoyers mutet es sonderbar an, daß unter Historikern Metternichs Anteil am Zug in das Desaster von 1809 umstritten ist41. Schon seine Gesandtschaftsberichte des Jahres 1808 waren für die Wiener Kriegspartei Gold wert. Mit den Dezembermémoires aber greift Metternich aktiv in den Entscheidungsprozeß ein. Kaiser Franz estimiert seinen Pariser Missionschef. Wenn dieser Napoleon zur lame duck erklärt und prophezeit, das französische Volk werde Österreich Dank wissen, wenn es den Empereur in die Schranken weise, dürfte das kaum seine Wirkung verfehlt haben. Richtig ist, daß sich Metternich in den Denkschriften nicht ausdrücklich für das Losschlagen erklärt. Das wäre aber auch nicht seine Art. Nie legt sich Metternich aktenkundig fest. Immer hält er sich einen Ausweg offen. Tatsächlich wird er in späteren Jahren seine Mitverantwortung für das fehlgeschlagene militärische Abenteuer stets
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bestreiten42. In seinen autobiographischen Schriften werden die DezemberDenkschriften unterschlagen, im Manuskript fehlt an der entscheidenden Stelle ein ganzer Bogen43.
Als Österreichs Niederlage feststeht, hat Metternich es geschafft. Er wird Außenminister. Die Promotion kommt zu diesem Zeitpunkt überraschend. Mit seiner Beratung vor Ausbruch des Krieges kann er sie sich nicht verdient haben. Metternich sieht das natürlich anders. Sein Selbstbewußtsein ist so gefestigt, daß er sich zutraut, die Geschicke Österreichs in dieser dunklen Phase besser zu lenken als jeder andere. Am „Dasein der Mittel“ hat er ja nie gezweifelt; jetzt kann er die Mittel endlich einsetzen. Sein Eröffnungszug ist klug berechnet. Er vereinbart mit Kaiser Franz, daß er erst dann die Diensträume im Amtshaus am Ballhausplatz beziehen muß, wenn der Friedensvertrag geschlossen ist. Bis dahin bleibt Stadion nominell auf seinem Posten. Auf diese Weise vermeidet er, daß er seine Unterschrift unter ein Abkommen setzen muß, das nur furchtbar für das Habsburgerreich ausfallen kann. Er ist jetzt 37 Jahre alt, und da der österreichische Staatsdienst nicht in dem Ruf gezielter Nachwuchsförderung steht, wird sein Aufstieg an die Spitze der Regierung weithin beachtet. Kein Wunder, daß hinter vorgehaltener Hand geredet wird, der eingeheiratete Kaunitz habe Stadions Sturz betrieben. Dieser Vorwurf geht fehl. Stadion ist als „Hauptkriegstreiber“ gebrandmarkt und nicht zu halten. Das weiß er selbst, und deshalb ersucht er von sich aus seinen Monarchen um die Entlassung aus dem Dienst. Kaiser Franz nimmt das Ersuchen an. Ihm ist bewußt, daß Napoleon den Verbleib Stadions im Amt niemals akzeptieren würde. Außerdem hat er eine Schwäche für Metternich, mag der in seinen Denkschriften auch schiefgelegen haben. Er braust nie auf, ist immer wohltemperiert und versteht es meisterhaft, ihm seinen Rat in einer Weise darzulegen, daß er ihn am Ende für den eigenen hält. „Der Kaiser tut immer, was ich will, aber ich will nie etwas anderes als das, was er zu tun hat“44. Mit dieser eleganten Formulierung beschreibt Metternich später sein Verhältnis zu dem charakterlich schwierigen Monarchen. Selten hat ein Diener seinen Herrn so einfühlsam und wirkungsvoll gesteuert wie Metternich Kaiser Franz, ohne je seine Rolle zu überziehen. Gemeinsam mit dem Kaiser hat Metternich die Schlacht von Wagram per Fernrohr verfolgt. Er ist entgeistert, als Erzherzog Karl das Feld räumt. Nach seiner Meinung war die Schlacht für Österreich so gut wie gewonnen. Kaiser Franz kann sich eine ganze Weile nicht entscheiden, ob er einem Waf-
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fenstillstand zustimmen soll, und tatsächlich haben die Historiker lange darüber gestritten, ob der Krieg bei größerem Geschick der militärischen Führung nicht erfolgreich für Österreich hätte enden können. Dennoch überrascht, in welch drastischer Weise Metternich sich über den Erzherzog äußert, der doch immerhin Napoleon bei Aspern die erste Niederlage überhaupt beigebracht hatte. Wagram, so Metternich, habe den „Ruhm der Armee und die Schande ihrer Führer“ gesehen. Seiner Mutter schreibt er gar: „Die Monarchie wäre siegreich, wenn ich acht oder vierzehn Tage früher in unserem Hauptquartier gewesen wäre“45. So empört und großspurig wie Metternich sich hier äußert, geht man wohl nicht fehl, wenn man ihm ein erhebliches Rechtfertigungsbedürfnis unterstellt. Er setzt eine kleine Dolchstoßlegende in die Welt: Der Krieg war gut gedacht, aber schlecht gemacht. Was von der Politik sinnreich und erfolgversprechend eingefädelt worden war, haben die Militärs verdorben. Bei Kaiser Franz verfängt der Versuch, bei Napoleon nicht. Zum alten Grafen Zinzendorf meint der Sieger, der Krieg habe „so unfähiger Männer bedurft wie Stadion und Metternich, um ihn herbeizuführen. Der letztere verkehrte in Paris in schlechter Gesellschaft, die sein Urteil beeinflußt hat“46. Demnach ist Napoleon Metternichs Nähe zu Talleyrand nicht verborgen geblieben. Trotzdem nimmt er die Ernennung hin. Dafür bieten sich zwei Erklärungen an. Zum einen ist ihm jeder andere lieber als der notorisch rußlandfreundliche Stadion. Möglich ist ferner, daß Metternich sich bereits zu diesem Zeitpunkt aufgeschlossen gezeigt hat für ein Projekt, das die Beziehungen der Kriegsgegner in kürzester Zeit auf den Kopf stellen wird47. Die österreichische Heirat Napoleons ist wohl der verblüffendste turnaround der ganzen an Wundern und Wendungen so reichen Zeit der Revolutionskriege. Eine bizarrere politische Verbindung als diese hätte auch die ausschweifendste Phantasie nicht ersinnen können. Gewiß zählt bei den Habsburgern Heiratspolitik zum klassischen Instrumentarium, und längst nicht immer kam im Vollzug zusammen, was sinnfällig zusammengehörte. Aber hier geht es um die Verbindung von Feuer und Wasser! Kaum daß der Kanonendonner von Wagram verhallt ist, hält der Sieger beim Verlierer um die Hand der Tochter an. Kaiser Franz vergißt, daß Napoleon ihn soeben noch vom Thron stürzen wollte. Die Tochter vergißt, daß sie den künftigen Gemahl als „Tyrannenmonster“ geschmäht und ihm den raschen Tod gewünscht hat. Das Oberhaupt der ältesten Monarchie Europas wird zum Schwiegervater des Schreckens aller Monarchen, der Sohn der Revolution zum Gatten einer Prinzessin, die Prinzessin zur Nachfolgerin ihrer Tante und Patin Marie Antoinette, der die Revolution den Kopf abschlagen ließ.
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Die Ursprungsidee stammt nicht von Metternich. Doch als sie einmal im Raum steht, greift er beherzt zu. „Vergessen wir nie, daß das Jahr 1809 das letzte einer alten oder das erste einer neuen Ära ist“, hatte er kurz vor Ausbruch des Krieges sybillinisch geschrieben48. Nach der Niederlage braucht Österreich die neue Ära wie der Verhungernde das Manna. Da fällt die Chance vom Himmel, das dem Einsturz nahe Herrscherhaus mit dem triumphierenden zu verschmelzen. Metternich läßt sich die Chance nicht entgehen. Improvisierend nutzt er die mariage autrichien als Einstieg in den unumgänglichen Politikwechsel. Ob er sich seiner mit heißem Herzen verfaßten Flugschrift über die Ermordung der Märtyrer-Königin Marie Antoinette erinnert? Das waren andere Zeiten. Damals war er jung; Österreich glaubte sich stark genug, um Strafgericht zu halten über die Revolution. Nun geht es nicht um Sentimentalitäten, sondern um die blanke Existenz des Staates. So wie er denken auch andere, zum Beispiel sein Nachfolger auf dem Pariser Botschaftsposten, Fürst Schwarzenberg. Für Schwarzenberg hat Österreich zu wählen „zwischen dem Ruin der Monarchie und dem Unglück einer Prinzessin“49. Es hat also nicht wirklich die Wahl. Nebenbei bemerkt wird sich das Unglück der Prinzessin in Grenzen halten. Sie hat nachgeplappert, was man bei Hofe über Napoleon so sprach, nannte ihn „Monstrum“ und „Antichrist“. Aber für die Rolle der dem Minotaurus geopferten Jungfrau hat sie nicht wirklich Talent. Die 19jährige ist ein leichtlebiges, oberflächliches Ding. „Sie hat Spaß daran zu gefallen, und mit dieser Einstellung gefällt man“, urteilt Metternich über sie50. Es wird ihr schon bald gefallen, sich im Glanze des Mannes des Jahrhunderts zu sonnen. Und ungerührt wird sie ihn fallenlassen, sobald er gefallen ist. Dann wird sie sich umgehend einen Liebhaber nehmen. Graf Neipperg, der Nachfolger, befi ndet sich ironischerweise in der üppigen Reisegesellschaft, die den Hochzeitszug der Erzherzogin nach Paris begleitet. Metternich beschweren bei dem Hochzeits-Geschäft keine Skrupel. Gentz’ Verzweiflung fi ndet er närrisch, die Erinnerungen an das Schicksal der Marie Antoinette wischt er beiseite. Genausowenig läßt er sich vom Halleluja der launischen Masse beeindrucken. Selten ist er so rasierklingenscharf rational gewesen wie in dieser Entscheidungssituation. Das Geschäft muß gemacht werden, es ist zwingend. Österreich braucht eine Atempause. Es braucht die Gewähr, daß Napoleon bei der Fortsetzung seines Beutezugs Habsburg verschont. Außerdem, und das ist fast genauso wichtig, treibt die Heirat einen Keil zwischen Napoleon und den Zaren. Sie verhindert die Einheirat des Franzosen-Kaisers in das Haus Romanow, die andernfalls durchaus möglich wäre, und damit die Wiederbelebung der alptraumhaften Konstellation von Tilsit.
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Nein, die Verbindung ist ein Imperativ. Sie ist ein Geschenk. Mögen die Empfi ndsamen bitter empfi nden. Sie sind ohnedies in der Minderheit. Die Mehrheit hofft, daß Österreich durch die Berührung mit dem Überstarken von der eigenen Schwäche genesen werde. Metternich hat die Stimmung in Wien richtig eingeschätzt. An seine Frau schreibt er: „Wenn ich der Retter der Welt wäre, könnte ich nicht mehr Glückwünsche und wahre Sympathiebeweise für den Anteil empfangen, den ich, wie man mit Sicherheit annimmt, daran genommen habe … Die neue Kaiserin wird in Paris gefallen und muß dies, schon durch ihre Güte, Sanftmut und Einfachheit. Eher hässlich als schön von Angesicht, besitzt sie eine sehr gute Figur, und wenn man sie ein wenig zurechtrichtet und aufputzt etc., wird sie ganz gut aussehen“51. Beim „Zurechtrichten“ kann Marie-Louise der Expertise des Erfahrenen vertrauen. So empfiehlt er ihr, sich in Paris gleich einen maître de danse zu nehmen und erst dann zu tanzen, wenn sie alle Schritte beherrscht. Metternich ist gerade ein halbes Jahr im Amt, da verläßt er Wien. Sechs Wochen will er in Paris bleiben, angeblich, um den Umzug seiner Frau zu organisieren, die während des Krieges an der Seine geblieben ist. Aus den sechs Wochen werden sechs Monate. Die Motive dieses Urlaubs sind rätselhaft. Schließlich warten in Österreich gewaltige Aufgaben auf den Grafen. Von amtswegen zuständig ist der Außenminister für die Staatenbeziehungen. Darüberhinaus braucht ihn sein Souverän in allen Angelegenheiten als Berater. Die Staatsfi nanzen müssen geordnet werden, die Verwaltungsorganisation muß verbessert, die Armee, die durch den Friedensvertrag auf ein Maximum von 150 000 Mann gesenkt wurde, braucht eine neue Perspektive. Doch statt sich darum zu kümmern, nimmt Metternich eine Auszeit. Die „besondere Mission“, wie er die halbjährige Abwesenheit von Wien in seinen Erinnerungen nennt, beschert Metternich viele Zerstreuungen. Es heißt, er verbringe selten eine Nacht zu Hause. Der Schmetterling flattert wieder durch die Salons. Die gefährliche Liaison mit Madame Junot, die beinahe mit Mord- und Totschlag geendet hätte, hat ihm die Lust auf erotische Eskapaden nicht ausgetrieben. Auch die zweite Seite der „besonderen Mission“ ist angenehm. Der frischvermählte Kaiser verhält sich dem Österreicher gegenüber außerordentlich zuvorkommend. Er stellt Metternich das Pariser Palais des Marschalls Ney als noble Bleibe zur Verfügung. Der Herzog von Elchingen ist kriegsbedingt in Spanien unterwegs. Das Klima zwischen Frankreich und Österreich hat sich deutlich verbessert. Metternich genießt den Honigmond. In Paris ist wieder viel vom „System Kaunitz“ die Rede. Wer immer sich nach friedlicheren Zeiten sehnt, und das sind viele, rollt Metternich den roten Teppich aus. Man sieht in ihm den Hauptdrahtzieher der kaiserlichen Verbindung auf österreichischer Seite, und bestimmt stellt Metternich seine diesbezüglichen Verdienste
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nicht unter den Scheffel. Bei wiederholten ausführlichen Gesprächen mit Napoleon äußert sich der Kaiser erstaunlich offen. Der Geehrte geizt seinerseits nicht mit bewundernden Äußerungen. Bei einer Brandkatastrophe erlebt er Napoleon als Mann der Tat. Am 1. Juli 1810 gibt Botschafter Schwarzenberg in seiner Residenz ein großes Fest. Dabei fängt ein Vorhang Feuer, und sogleich brennt der Ballsaal lichterloh. Napoleon, Festgast wie Metternich, bringt zuerst die Kaiserin durch einen Nebenausgang in Sicherheit, dann kommandiert er die Rettungsaktion. Seiner Kaltblütigkeit ist es zu danken, daß das Unglück nicht noch mehr Opfer fordert. Unter ihnen befi ndet sich die Fürstin Pauline von Schwarzenberg, die Schwägerin des Botschafters. Metternich ist dermaßen beeindruckt von der Tatkraft Napoleons, daß er darüber einen lobenden Beitrag für die offi ziöse Wiener Zeitung verfaßt. „Über Europas Zukunft lag ein Schleier gebreitet, den ich lüften wollte“, rechtfertigt Metternich rückblickend seinen langen Paris-Aufenthalt52. Er nutzt die Zeit, um den Mann, „dessen mächtiger Arm ganz Europa umfaßt“,53 genau zu beobachten. Glaubt er in diesem Augenblick, daß Napoleon die Stiefel des Eroberers ausziehen und sich mit dem Erreichten zufriedengeben werde? Ausgeschlossen ist das nicht. Zumindest sieht er gute Aussichten, den Beziehungen zu Frankreich eine neue Qualität zu geben und eine Art special relationship mit dem Reich Napoleons zu begründen. Früher geläufige Warnungen vor der Zügellosigkeit des Kaisers der Franzosen und seiner unausrottbaren Beutegier sucht man jetzt in seinen Berichten vergebens. Statt dessen meldet er Kaiser Franz, Napoleon befi nde sich „augenblicklich in der günstigsten Stimmung, sich Österreich nützlich und angenehm zu machen“54. Die Fakten belegen das nicht wirklich. Der Botschafter läßt sich von des Imperators guter Laune blenden. Persönlich kann er sich nicht beklagen. Die Metternichs bekommen den Besitz Ochsenhausen zurück. Das ist erfreulich für die Familie, nur hat Österreich nichts davon. Insgesamt wirft die Heirat für den Habsburgerstaat wenig Zinsen ab. Mehr wäre eventuell möglich gewesen, hätte man Bedingungen gestellt, als Napoleon um die Erzherzogin freite. Von sich aus gibt Napoleon nun einmal nichts her. Das ist eine große Schwäche Napoleons. Diesmal sorgt sie dafür, daß er eine Chance ausläßt. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, dem Schwiegervater durch Gesten des guten Willens entgegenzukommen und Sympathiepunkte in Österreich zu sammeln. Er hätte beispielsweise den gefangenen Tiroler Rebellen Andreas Hofer begnadigen können. Aber nichts dergleichen geschieht. Hofer wird erschossen, nur 13 Tage nach Bekanntgabe des kaiserlichen Ehevertrags. Dabei nähern sich die Beziehungen des Empire zu Rußland, zur anderen noch verbliebenen Kontinentalmacht, gerade dem
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Tiefpunkt. Metternich – und das ist der einzig wirkliche Ertrag, den er aus Paris mitbringt – gelangt zu der Überzeugung, daß die Partner von Tilsit über kurz oder lang zu den Waffen greifen werden. Er wird recht behalten. Aber der absehbare Konfl ikt ist für Napoleon noch lange kein Grund, auf Österreich zuzugehen. Vage deutet er an, daß Österreich seine ehemaligen Adria-Provinzen und damit den Zugang zum Meer zurückerhalten könne, falls es dafür im Tausch seinen Restanteil an Galizien hergebe. Aber dieses Geschäft ist Metternich nicht attraktiv genug. Das Sonderverhältnis Frankreich-Österreich, das nach der Heirat denkbar gewesen wäre, scheitert nicht an Metternich. Eindeutig scheitert es an der Arroganz Napoleons, der die mariage autrichien als wichtigen, aber isolierten Akt betrachtet. „Ich habe einen Bauch geheiratet“, sagt er, und: „Ich gebe mir dadurch Vorfahren“55. Damit drückt er seine Interessenlage präzise aus. Die Einheirat in das angesehenste aller Herrscherhäuser soll die Legitimitätslücke schließen, unter der er als Kaiser ohne Stammbaum leidet. Marie-Louise wird ihm den dringend benötigten Erben gebären. Mehr will Napoleon nicht. Mehr glaubt er nicht zu brauchen. Die Heirat als Ansatzpunkt für eine Konsolidierung des Empire kommt in seiner Rechnung nicht vor. Konsolidierung würde heißen, die Beunruhigung Europas zu beenden und die Universalmonarchie in ein Bündnissystem einzupassen. Doch diesen Schritt tut er nicht. Er hält die dynastische Verbindung für einen Selbstläufer. Der Großvater werde niemals der Zukunft des Enkels schaden, redet er sich ein. Aber ist das Buch der Geschichte nicht voll von Bruder- und Vatermorden? Ernüchtert kehrt Metternich nach Wien zurück. Wenn es sein Ziel war, in Paris den über Europa liegenden Schleier zu lüften, so ist er diesem Ziel kaum einen Schritt näher gekommen. In Wien ist die erste Euphorie über die Heirat verflogen, und da der Außenminister von seiner Reise keine Geschenke mitbringt, die er als Lohn für die „Opferung der Iphigenie“ ausgeben könnte, erhebt die Russenpartei allmählich wieder ihr Haupt. Metternich hat einen schweren Stand. Er unterdrückt den patriotischen „Alpenbund“, der an einer neuen Volkserhebung gegen Napoleon arbeitet. Er zerschlägt Versuche zu einer Nebenaußenpolitik, an denen Mitglieder der kaiserlichen Familie beteiligt sind. Das heißt, er tut alles, damit auf französischer Seite nicht der leiseste Hauch des Mißtrauens aufkommen kann. Kaiser Franz ist in dieser Zeit sein einziger Rückhalt. Die Heirat hat Österreich vorerst aus der Schußlinie gebracht, Sicherheit bedeutet sie nicht. Das Zukunftstableau, das Metternich Ende Juni 1810 für seinen Monarchen entwirft, ist ein Dokument nüchternen Realitätssinns:
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Man würde sehr irren, wenn man diese Zukunft ganz nach dem Maßstab der ersten Regierungsjahre des Kaisers der Franzosen berechnen wollte. In seiner Vermählung mit einer Erzherzogin liegt eine Garantie für Österreich, welche durch kein anderes Ereignis ersetzt werden könnte. Man würde sich jedoch nicht minder irren, wenn man dieser so glücklichen Verbindung eine Gewalt beilegte, welche sich auf alle Pläne Napoleons erstreckte oder diese vielleicht gänzlich zu modifizieren imstande wäre. Die Tendenz dieses Monarchen nach Alleinherrschaft liegt in seiner Natur; sie kann modifiziert, ihr können Zügel angelegt, vernichtet kann sie jedoch nie werden. Unüberhörbar ist in dem mémoire die Mahnung zur Wachsamkeit: Wenn der österreichische Staat ohne dieses Band vielleicht bereits gesunken oder doch wenigstens in seinem völligen Sinken begriffen wäre, so ist es dennoch nicht weniger wahr, dass ungeachtet der Heirat Epochen möglich sind, wo wir alle unsere Kräfte aufzubieten haben werden, um die uns bedrohende Gefahr der Unterjochung abzuwenden oder ihr zu widerstehen56.
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Die letzte Schlacht Er musste, wie Herr von Narbonne mir sagte, jetzt das ganze Gewicht dieses ungeheuren Unglücks seiner ersten Niederlage, die so groß war wie alles, was ihr vorausging, tragen, denn es schien, als sollte dieser Mann nicht so fallen wie andere. Die Herzogin von Abrantès
Zurück in Paris Kapitel Die letzte6.Schlacht
In ungebremstem Galopp durchquert die sechsspännige Kutsche den Triumphbogen an der Place du Carrousel. Die Wachen sind entgeistert und kapitulieren vor so viel Frechheit. Allein dem Kaiser ist die Passage erlaubt, und den wähnen die Pariser noch fernab bei den Tartaren. Ein paar Augenblicke später erreicht Napoleon die Tuilerien. Es ist der 18. Dezember, eine Viertelstunde vor Mitternacht. Seit der Abreise von Smorgoni sind 13 Tagen vergangen, 2200 Kilometer wurden zurückgelegt. Es war eine anstrengende, gefahrvolle Wettfahrt quer durch Europa, immer verfolgt von den apokalyptischen Bildern einer zerschmetterten Armee, die ungewisse Zukunft vor Augen. Endlich Paris! Für die Stadt sind monatelange Abwesenheiten Napoleons nichts Ungewöhnliches. Der Kaiser der Franzosen ist ein Soldatenkaiser, und in den letzten Jahren war immer Krieg. 1802 war das einzige Friedensjahr, das dem Jahrhundert bisher zuteil wurde, wer erinnert sich daran? Noch jedesmal kehrte der Kaiser zurück mit frischer gloire und nutzbringenden Verträgen. Paris feierte dann über Tage mit Pauken und Trompeten. Was waren das für strahlende Heimkehren gewesen nach Marengo und Austerlitz, nach Friedland und Wagram! Auch diesmal verkünden die Geschütze vor dem Invalidendom mit krachenden Salven, daß der Kaiser wieder in der Stadt ist. Aber diesmal wirft der Salut kein Echo zurück. Am 17. Dezember, am Tag vor Napoleons Eintreffen, stand das 29. Bulletin der Großen Armee im Moniteur. Es hat Paris in eine Schockstarre versetzt.
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Dabei sagt das Bulletin längst nicht alles. Aber man hat gelernt, das Staatsblatt richtig zu lesen, und erfasst die grauenvolle Wahrheit wenigstens in Umrissen. Die Grande Armée ist nicht mehr. Wie konnte das geschehen? Wieviele werden nach Hause kommen und wer? Das Ungesagte steigert noch das Grauen. Die Gräfi n Kielmannsegge, die in Paris lebt und eine genaue Beobachterin ist, trägt unter dem 18. Dezember in ihr Journal ein: „Ich ging heute nicht aus meinen Zimmern. Es war aber doch keine Minute Ruhe. Die Männer gingen hin und her, um Trauernachrichten einzuholen und mitzuteilen. Die Frauen schrieben und erhielten Billete gleichen Inhalts. Man sehnte sich nach Neuem und bereute das Verlangen“1. Eine Woge des Entsetzens hat die Stadt überschwemmt. Sie flutet zurück von den Mauern der Tuilerien, hinter denen die Ratgeber des Kaisers und die Domestiken so tun als ob. Mechanisch gehen sie ihren Geschäften nach und würgen die tausend Fragen herunter, die sie dem Kaiser gern stellen würden, aber nicht auszusprechen wagen. Napoleon bemerkt die quälende Verstellung seiner Umgebung, aber er verstellt sich ja selbst. Oder etwa nicht? Kann es sein, daß dem petit caporal das jämmerliche Hinsterben von zigtausenden seiner Männer vollkommen gleichgültig ist, daß er sich abgeschottet hat gegen das Mitgefühl, weil er sonst jeden Gedanken an die nächste, die letzte Schlacht abhaken müßte? Vor dem Corps législatif erklärt er: „Ich habe große Verluste gemacht. Sie hätten meine Seele zerrissen, wenn ich in diesen gewaltigen Umständen an etwas anderes hätte denken dürfen als an das Interesse, den Ruhm und die Zukunft meiner Völker“2. Napoleon hat für die in Rußland Gebliebenen keine Tränen. Keiner, der dem Kaiser in den Tagen nach seiner Rückkehr begegnet, gewinnt den Eindruck, daß ihre Schatten ihn belästigen. Was er über Rußland berichtet, hat immer denselben Refrain: Es war die Natur, die die Große Armee zur Strecke gebracht hat. Konsequent setzt er das Täuschungsmanöver fort, das er in Warschau, beim Zwischenstopp der Schlittenfahrt, erstmals ausprobiert hat. Die Täuschung ist übrigens keineswegs plump. Indem die Ursache der Niederlage beim Fatum verortet wird, wird die Katastrophe gleichsam zum zweiten Gesicht früherer Triumphe, die ja auch nicht allein mit Verstandeskräften erklärt werden konnten. Es ist nicht ohne Ironie, daß vor allem die Feinde Napoleons die Ansicht vertreten, in Rußland sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Bei Ernst Moritz Arndt tritt das Gottesgericht an die Stelle der strafenden Natur: „Der Herr hat sie geschlagen, mit Mann und Roß und Wagen“. In Prosa heißt das beim preußischen General von Yorck: „Die französische Armee ist durch Gottes rächende Hand zertrümmert worden“3. Leo Tolstoi, der in „Krieg und Frieden“ den Kaiser als verachtenswerte Figur auftreten läßt, stellt Kutusow den Herrgott als Waffengefährten an die Seite. „Gott selber“, schreibt er, habe alles getan, „die
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Eindringlinge von der russischen Erde zu vertreiben“4. Napoleon sieht die Dinge nüchterner. Am 19. Dezember, als ihm die Maskerade wohl selbst zuviel wird, äußert er gegenüber den Ministern Lacuée de Cessac und Decrès: „Das Glück hat mich geblendet. Ich war in Moskau und glaubte, den Frieden unterzeichnen zu können. Aber ich bin zu lange geblieben. Ich habe einen großen Fehler gemacht, aber ich werde die Möglichkeit haben, ihn wieder gutzumachen“5. Die Wiedergutmachung beginnt mit der Aufarbeitung der Affäre Malet. Dem General Claude François de Malet, einem entschiedenen Jakobiner, war es in der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober gelungen, sich aus der Haft, in der er sich seit 1808 unter anderem wegen der Verbreitung republikanischer Flugschriften befand6, zu befreien. In Generalsuniform und ausgestattet mit einem vorbereiteten Manifest, das Napoleon für tot erklärte, setzte er sich an die Spitze einer Gendarmerieeinheit, die er mit der Behauptung, er sei vom Senat eingesetzt worden, auf seine Seite gebracht hatte. Es gelang, den für die Sicherheit zuständigen Innenminister Savary auf die peinlichste Weise auszuschalten. Er wurde in seinem Schlafzimmer verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Allein der Kaltblütigkeit eines Majors namens Labordie war es zu verdanken, daß der Putsch nichts Schlimmeres anrichtete. Labordie erkannte in dem angeblichen Senatsbeauftragten den Ex-Gefangenen Malet und entwaffnete ihn. Malet sowie die Generäle Guidal und Lahorie, die in die Affäre verstrickt waren, wurden eine Woche später erschossen. Für Napoleon war die Nachricht von Malets Putschversuch, die ihn am 6. November, also während des Rückzugs, erreichte, ein wesentlicher Grund gewesen, die Armee bei Smorgoni zu verlassen. Noch immer ist er schokkiert. Alle Sicherungen haben versagt! Wenn man schon der erlogenen Todesnachricht Glauben schenkte, warum kam dann niemand auf die Idee, den König von Rom als Nachfolger auszurufen oder die Kaiserin als Regentin einzusetzen? Savary und Pasquier, der Polizeipräfekt, versuchen, ihre Hilflosigkeit als Panne hinzustellen, als das Ergebnis einer Verkettung unglücklicher Umstände. Malet hätte nicht wirklich eine Chance gehabt, versichern sie und behaupten, das Empire sei nicht in Gefahr gewesen. Zur allgemeinen Überraschung erfahren Minister und Polizeipräfekt die clementia caesaris. Sie bleiben im Amt. Dem zerknitterten Pasquier raunt Napoleon verständnisvoll zu: „Nun, Herr Präfekt, da haben also auch Sie Ihren bösen Tag gehabt. Den erlebt wohl jeder einmal“7. Dennoch, nichts von den Rechtfertigungen, die ihm serviert werden, beruhigt Napoleon. Offensichtlich hat er es nicht geschafft, sein Regime so zu festigen, daß es auch ohne ihn funktioniert. Er hat eine Kaiserin, die die Tochter eines Kaisers ist. Er hat einen Sohn, der König von Rom heißt. Er selbst ist Cäsar, und sein Wille ist Gesetz im ganzen Abendland. Und doch hat dieser Wille nicht
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vermocht, seinem Haus jene überpersönliche Bindekraft zu verschaffen, die den anderen Dynastien eigentümlich ist. Die alten Monarchen können Kriege verlieren, sie können ihre Länder ruinieren und behalten doch ihre Krone. Er kann das nicht. Seine Dynastie ruht weiterhin auf ihm allein und auf der Glaubwürdigkeit seiner Machtstellung. Mit Cambacérès, dem Erzkanzler, diskutiert er die Lehren aus der Oktober-Krise. Die Stellung seines Sohnes müsse unanfechtbar werden, sagt er. Angesichts der großen Gefahren, die ihm, dem Kaiser, zweifellos noch bevorstehen, ist dies unerläßlich. Gewiß, die Verfassung sieht die Erblichkeit vor. In der Affäre Malet hätten die Behörden jedoch so reagiert, als gäbe es die Verfassung nicht. Dann bringt er einen neuen Gedanken ins Spiel. Im deutschen Kaisertum sei es üblich gewesen, den Nachfolger schon als Kind zum König zu krönen. Das könne ein Vorbild sein. Ein großes Krönungsfest werde die Phantasie der Franzosen anregen und die Beamten ermahnen, an ihre Pfl icht zu denken8. Cambacérès widerspricht nicht. Der Erzkanzler hat wie viele einen weiten Weg hinter sich. Längst ist der ehemalige Revolutionär eine wichtige Stütze des Kaisertums. Als Abwesenheitsvertreter Napoleons nimmt er praktisch den zweiten Platz in der Hierarchie ein. Wie effektiv Cambacérès wirkt, kann man am 20. Dezember bewundern. Für diesen Tag, einen Sonntag, hat der Kaiser Staatsrat und Senat einberufen. Als er im großen Ornat, dem roten Kostüm und der bärenmützenartigen Toque mit Federn und Diamanten9 die Sitzung eröffnet, ist es der Senatspräsident Lacepède, der, scheinbar von sich aus, die Krönungsidee ins Spiel bringt. Lacepède beschwört die „Anfänge unserer alten Dynastien“. In diesen Zeiten habe man dem jungen Prinzen die Krone aufgesetzt, „als Zeichen seiner künftigen Autorität und als Symbol für die Kontinuität der Regierung“. In seiner Entgegnung nimmt der Kaiser den Ball, der ihm in so glücklicher Weise ins Feld gerollt wurde, wohlwollend auf: Er will die Anregung bedenken10. Zur Krönung des kleinen Napoleon wird es nicht mehr kommen. Die Zeit fl iegt, sie fl iegt für den Kaiser zu schnell. Allerdings setzt er, bevor er Frankreich für den neuen Feldzug verläßt, Marie-Louise als Regentin ein. Das ist die einzige institutionelle Konsequenz, die aus der Affäre Malet gezogen wird. In der Öffentlichkeit ist die Affäre vergessen, und wie „unsere alten Dynastien“ mit der Sicherung der Nachfolge umgegangen sind, interessiert die breite Masse in diesen letzten Dezembertagen keine Spur. Für sie gibt es nur ein Thema: Rußland. Jeden Tag erreichen jetzt neue Nachrichten Paris, und mit jeder Nachricht wächst das Entsetzen. Frauen erfahren, daß sie Witwen sind, Eltern wird bewußt, daß sie ihre Söhne wohl niemals wiedersehen werden. Die Briefe, die eintreffen, enthalten Geschichten, die eine ganz
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andere Wirklichkeit mitteilen, als sie das 29. Bulletin vermittelt11. Es sind Geschichten, die von hungernden und frierenden Menschen handeln, die führerlos auf sich gestellt sind und die in ihrer Not nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden, weil auf der Schwelle zwischen Leben und Sterben auch der Kamerad zum Wolf werden kann. Schon früher hat Frankreich Elendsgestalten heimkommen sehen. Man kennt die Kehrseite der gloire. Doch früher zeigten die Invaliden stolz ihre Scharten. Sie wurden bemitleidet, natürlich, aber auch beneidet, weil sie dabeigewesen waren bei Lodi, Marengo oder einem anderen Ort des Ruhmes. Diesmal wiegt kein Heldenepos die verlorenen Gliedmaßen auf. Die Regierung hat die Zeitungen fest im Griff. Deshalb suchen sich Anklage und Protest andere Wege. Flugschriften werden an Laternenmasten befestigt, bösartige Epigramme zirkulieren. In einem figuriert der Kaiser als schlechter Gärtner12. Warum? Car il avait laissé geler ses grenadiers et flétrir ses lauriers („Denn er hatte seine Granatbäume – Grenadiere – erfrieren und seinen Lorbeer verwelken lassen“). Ein anderes Wortspiel lautet: Ein Vater fragt seinen Sohn: „Was hast du mit den 400 000 kleinen Soldaten gemacht, die ich dir vor noch nicht einmal einem Jahr geschenkt habe? Wo ist die Armee?“ Der Junge antwortet: Je l’ai, papa, je l’ai („Ich habe sie, Papa, ich habe sie“; gesprochen klingt das wie „gelés“, also eingefroren). Auch in Deutschland reißt man über den soeben noch Gefürchteten hinter vorgehaltener Hand Witze. Le plus gelé, der Tiefgefrorene, ist ein Schmähwort, mit dem man in den Salons gut ankommt. Das hähmische Murmeln webt und wirkt. Die Polizeiberichte sind voll davon; auch am Hof wird es vernommen. Die hanswurstigen Sprüche haben für das Volk eine befreiende Funktion. Sie lockern den Alpdruck, den das Unfaßliche verursacht. Sind es die ersten Befreiungsversuche vom Übermenschen? Napoleon muß die Spottverse mehr fürchten als alles andere, wie die Herzogin von Abrantès, ihrerseits keineswegs eine Lobrednerin des Kaisers, zutreffend vermerkt: „Er musste, wie Herr von Narbonne mir sagte, jetzt das ganze Gewicht dieses ungeheuren Unglücks seiner ersten Niederlage, die so groß war wie alles, was ihr vorausging, tragen, denn es schien, als sollte dieser Mann nicht so fallen wie andere. Und doch musste er noch die Stiche von tausend Insekten ertragen, von Gewürm aller Art, die die Sonne vertrieben hatte und die wieder hervorkrochen, sobald eine Wolke diese verhüllte. Ihre Bisse waren umso schmerzhafter, da die Lächerlichkeit ihr Gift war, und diese wirkt in Frankreich tödlich. Das wusste der Kaiser recht gut“13. Da und dort nimmt der Unmut massive Formen an. Aus den belgischen Departements wird gemeldet, daß den neuen Konskriptionen offener Widerstand entgegenschlägt. Einmal, als Napoleon zu Pferde den notorisch
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jakobinischen Faubourg Saint-Antoine inspiziert, stellt sich ihm ein junger Mann in den Weg und pöbelt ihn an. Als die Polizei den Mann festnehmen will, wird sie von den Umstehenden daran gehindert14. Das sind Einzelerscheinungen; insgesamt bleibt die Lage im Lande ruhig. Doch sie zeigen, daß Napoleons Popularität schwindet. Schlimm sind die Nachrichten, die von der Front kommen. Wo ist die Front überhaupt? Als er Smorgoni verließ, hatte Napoleon geglaubt, daß Murat von Wilna aus eine haltbare Verteidigungsposition auf bauen könne. Doch Murat versagt auf der ganzen Linie. Napoleons Schwager ist ein ungestümer Reiterführer, der sich in phantastische Uniformen kleidet. Als Oberbefehlshaber ist er eine Fehlbesetzung. Überstürzt räumt er Wilna bereits am 10. Dezember. Auch in Königsberg hält er sich nicht. Die nächste Station des chaotischen Rückzugs ist Posen. Am 17. Dezember drängt Murat, ohne dazu befugt zu sein, Eugène de Beauharnais, dem Schwiegersohn des Kaisers, den Oberbefehl auf, um sich dann in Richtung Süden abzusetzen. Seine Gründe sind nicht besonders ehrenhaft. Murat, den Napoleon erst zum Großherzog von Berg, dann zum König von Neapel gemacht hat, fürchtet, beim Sturz des Kaisers mit in den Abgrund gerissen zu werden und seine Krone zu verlieren. „Euer Ehemann ist im Feld sehr mutig, aber wenn er den Feind nicht sieht, ist er schwächer als eine Frau oder ein Mönch“15, bemerkt Napoleon gegenüber Caroline Murat, seiner Schwester, mit mühsam unterdrücktem Zorn. Nach außen hin wiegelt er ab: „Der König von Neapel ist krank und hat darum gebeten, die Armee verlassen zu können“, schreibt er an Kaiser Franz16. Tatsächlich ist er beunruhigt, nicht bloß wegen Murat. Er erfährt, daß Marschall Ney, ausgerechnet der treue Ney, aggressive Reden über ihn geführt hat. Sind die Marschälle toll geworden? Berthier, der Generalstabschef, hatte dem Kaiser noch in Smorgoni eine Szene gemacht. Er wollte im Schlitten mit nach Frankreich und war erbost, als Napoleon ablehnte. Was für Berthier gilt und bei ihm zu nervösen Anfällen führt, gilt für viele der großartigen Armeeführer, die mit Napoleon Europa durchpflügt haben und nie von seiner Seite gewichen sind. Sie haben keine Kraft mehr. Sie wollen Ruhe und müssen doch weiter durch Schmutz und Morast. Der „burnout“ der kaiserlichen Generalität wird eine der Hypotheken des neuen Kriegsjahres sein. Ende Dezember geht Napoleon davon aus, daß sich die Reste der Großen Armee auf 150 000 Mann summieren. Die Hälfte ist richtig, selbst wenn man die 25 000, die in Danzig liegen, und die 30 000, die unter Marschall Augereau in Berlin stationiert sind, hinzuzählt17. Die Fehlrechnung ist weniger ein Produkt des kaiserlichen Wunschdenkens als vielmehr der unbeschreiblichen Unordnung, die spätestens mit dem Übergang über die Beresina ein-
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setzte. Vollkommen in den Sternen steht die Zukunft des österreichischen und des preußischen Hilfskorps. Beide Verbände sind noch einigermaßen intakt; sie umfassen immerhin 30 000 bzw. 20 000 Mann. Ob der Kaiser weiterhin über sie verfügen kann, ist eine politische Frage und im Augenblick unkalkulierbar. Napoleon spricht in dieser Zeit viel vom Frieden. Aber das ist reine Rhetorik. Mit wem soll er Frieden schließen? Mit Rußland? Mit England? Beide sind an Frieden nicht interessiert, jetzt wo er wankt. Wellington hat in Spanien die Initiative. Kutusow drängt Eugène immer weiter zurück. Von Preußen ist nichts zu erwarten, ob von Österreich, ist ungewiß. Die Verbündeten im Rußlandfeldzug werden beobachten, wie die Lage sich entwickelt. Genau dasselbe tun die Rheinbundstaaten. Alle schauen auf ihn, auf seine Fähigkeit und seinen Willen, sich nach dem Schlag der Winterkatastrophe noch einmal aufzuraffen. Das Problem ist: Frankreich fehlt eine intakte Armee. Ohne Armee gibt es keine Abschreckung. Ohne Abschreckung werden die Vasallen abfallen, wird es keinen Frieden geben, der mit der Ehre Frankreichs vereinbar ist. Die Antwort kann nur Aufrüstung heißen. Frankreich braucht eine neue Große Armee. Gegen diese Sichtweise läßt sich wenig einwenden. Sie ist in sich schlüssig, aber sie ist auch eindimensional. Darin liegt ihre Schwäche. Man könnte die Wiederherstellung der militärischen Stärke durch eine politische Initiative unterstützen. Preußen oder Österreich oder beiden zusammen könnte man Anreize bieten, die es ihnen erleichtern, im Bündnis zu bleiben, oder die wenigstens den Abfall erschweren. Aber die politische Option wird nicht ernsthaft erwogen. Auch die Berater des Kaisers treten nicht energisch dafür ein. Also bleibt nur die Konzentration auf die eigene Stärke. Das Aufrüstungsprogramm, das Napoleon startet, ist gigantisch. Die vielen Stunden im Schlitten hat er dazu genutzt, seine Möglichkeiten zu berechnen. Die reguläre Aushebung des Jahres 1813 verspricht 140 000 frische Soldaten. Die Nationalgarde wird man zur Reservearmee machen. Das ist zwar gegen das Gesetz, denn die Nationalgarde darf nur innerhalb Frankreichs eingesetzt werden. Aber dieses Tabu wird nun gebrochen. Am 11. Januar hebt der Senat die Einsatzbeschränkung auf. Aus den „Kohorten“ der Nationalgarde dürfen 100 000 Mann der Armee einverleibt werden. Neu skaliert werden die Konskriptionsjahrgänge 1809 bis 1812. Sämtliche Wehrdienstausnahmen werden aufgehoben. Nun müssen auch die Söhne von Reichen Wehrdienst leisten. Sie müssen sich auf eigene Kosten ausrüsten. Von den Rheinbundstaaten fordert der „Protektor“ vergleichbare Anstrengungen.
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Eine neue Armee Es spricht für die Effektivität der Verwaltung, daß Napoleons Vorgaben in kürzester Zeit umgesetzt werden. Die administrativen Reformen der letzten Jahre haben Frankreich zu einem Durchgriff-Staat gemacht. Das zahlt sich nun aus. Die verordnete Blutzufuhr kommt an; die Kasernen laufen voll. Frankreich, das man nach dem russischen Desaster für ausgepumpt gehalten hatte, stampft 300 000 Rekruten aus dem Boden18. Das Problem ist, aus den Rekruten kampffähige Soldaten zu machen. Es wird improvisiert. Aus Spanien, wo noch immer eine 250 000 Mann starke Armee steht, werden erfahrene Kader abgezogen, die als Ausbilder fungieren sollen. Den letzten Schliff sollen die Neu-Soldaten während des Aufmarsches erhalten. Das ist ein tollkühnes, ja verzweifeltes Curriculum, aber Napoleon muß rasch handeln. Er braucht eine schnelle, überzeugende Demonstration der wiedererlangten Stärke, sonst könnten die unsicheren Kantonisten unter den Verbündeten in Versuchung geraten. Zur Schaufensterpolitik gehören Briefsendungen an den Schwiegervater in Wien und an die „Zaunkönige“ des Rheinbundes. Sie sollen Eindruck machen und suggerieren, daß es für den Kaiser ein Leichtes ist, die leider abhanden gekommene Grande Armée durch eine neue zu ersetzen, die noch größer und mächtiger sein wird, als es die alte war. Die Marschälle und Generäle baut er moralisch auf, indem er sie mit Erfolgsnachrichten über Rüstungsfortschritte füttert. Ausländische Diplomaten in Paris erhalten gezielte Informationen. Sie sollen ihren Höfen berichten, daß Frankreich entschlossen ist und jeder Herausforderung gewachsen. Das Kernland des Grand Empire gleicht in den ersten Monaten des neuen Jahres einer gigantischen Waffenschmiede. 240 000 Gewehre werden 1813 produziert. Die Uniformfabriken in Nîmes, Toulouse und Montpellier arbeiten auf Hochtouren. Sorgen bereiten Artillerie und Kavallerie. Alles, was die Große Armee an Artillerie besaß, ist in Rußland geblieben. Glücklicherweise gibt es Reserven. In den Arsenalen Frankreichs lagern tausend Geschütze auf neuen Lafetten. Drückender, weil schwerer wettzumachen, ist der Mangel an Zugpferden, an Pferden überhaupt. Als man den Njemen überschritt, besaß die Armee mehr als 60 000 Pferde. Zurück kamen 3000. Die Kavallerie existiert praktisch nicht mehr. Sie ist noch wichtiger als die Artillerie, denn wenn die Russen etwas im Überfluß haben, dann sind es Pferde. Die Kosaken haben im Winter wie Piranhas den geschwächten Corpus der französischen Armee skelettiert. Napoleon läßt in großem Stil Pferde einkaufen, speziell in Westphalen und in Hannover. Und plötzlich regt sich Bürgersinn. In Paris schlägt ein
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Mitglied des Stadtrats vor, die Hauptstadt solle dem Kaiser auf eigene Kosten ein komplett ausgestattetes Kavallerieregiment zur Verfügung stellen. Der Antrag wird angenommen, der Beschluß im Moniteur veröffentlicht, und schon entzündet sich unter den Städten des Reiches ein Wettstreit in kavalleristischem Patriotismus. Das jähe Engagement offenbart den widersprüchlichen Gefühlzustand, in dem sich das Land befi ndet. Auf der einen Seite macht man Napoleon für die aktuelle Notlage verantwortlich, auf der anderen Seite darf man den Kaiser jetzt nicht im Stich lassen, „weil einzig er in der Lage ist, die schreckliche Masse der Feinde, die er auf Frankreich gezogen hat, zurückzuwerfen“19. Über die Finanzierung der Aufrüstung gibt es ein längeres Tauziehen. Die Kassenlage ist nach dem Rußlandfeldzug und aufgrund der immensen Kosten, die der Krieg in Spanien verschlingt, alarmierend. Für 1813 erwartet Finanzminister Mollien ein Defi zit von 149 Millionen Franken bei einem Gesamtbudget von 1,27 Milliarden20. Viele Vorhaben müssen geschoben werden, darunter auch Prestigeobjekte wie ein überdimensionierter Elefant, der auf dem wüsten Platz im Pariser Osten, auf welchem einmal die Bastille gestanden hatte, errichtet werden sollte21. Der tüchtige Mollien sieht kein anderes Mittel, als die indirekten Steuern anzuheben. Damit stößt er jedoch bei Napoleon auf Granit. Aus der Genesis der Revolution weiß der Kaiser, wie empfi ndlich die Franzosen bei diesem Thema sind. Die labile Stimmung darf um keinen Preis belastet werden. Der Ausweg, auf den man sich verständigt, ist so originell wie fragwürdig. Die Gemeinden verfügen über einen stattlichen Grundbesitz. Sein Gegenwert wird auf 370 Millionen Franken taxiert. Die überwiegend verpachteten Ländereien gehen jetzt in Staatsbesitz über. Der Fiskus wird sie an Privatleute verkaufen, das ist die Vorstellung. Die Gemeinden erhalten für die entgangenen Pachteinnahmen von 9 Millionen Franken pro Jahr Schuldverschreibungen. Bei genauem Hinsehen kommt die Transaktion einer Enteignung recht nahe, sie hat aber den Vorzug, daß sie den Gemeinden nicht wirklich weh tut, die Bürger nicht gegen den Kaiser auf bringt und das Haushaltsdefi zit zumindest prospektiv vermindert22. Frankreich erlebt Anfang 1813 einen Kaiser, den allem Anschein nach kein Unglück niederwerfen kann. Seine Tatkraft ist überall spürbar, sein Wille scheint Berge zu versetzen. Das Selbstvertrauen überträgt sich. Viele Franzosen, die ihn eben noch verwünschten, beginnen wieder an Napoleons Stern zu glauben. Verwundert berichtet ein österreichischer Diplomat, jetzt werde selbst die peinliche Schlittenflucht als Beleg für des Kaisers Genie angesehen, wegen ihrer Schnelligkeit. Innenpolitisch betreibt Napoleon Klimapflege, unnötigen Konfl ikten geht er aus dem Wege. Deshalb läßt er Mollien mit seinen Steuererhöhungsplänen leerlaufen. Nur deshalb übt er
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bei der Bereinigung der Affäre Malet Nachsicht. Savary wäre eigentlich für die Entlassung reif gewesen. Ein Polizeiminister, der sich von Putschisten im Bett überwältigen läßt, noch dazu im Ehebett, statt bei einer Geliebten, ist eine Witzfigur. Trotzdem hält Napoleon an Savary fest. Er kann jetzt keine Veränderungen im Regierungsapparat gebrauchen. Dem Zweck der inneren Abrüstung, die die militärische Aufrüstung abfedern soll, dient auch die Initiative, mit der Napoleon am 19. Januar überrascht. Der Kaiser nutzt eine Jagdpartie bei Fontainebleau für ein Rendezvous mit dem Papst. Pius VII. sitzt seit knapp einem Jahr in Fontainebleau in Haft. Was wie eine plötzliche Eingebung aussehen soll, hat Napoleon in Wirklichkeit gründlich vorbedacht. Bereits im Schlitten hatte er Caulaincourt anvertraut, daß er den Streit mit dem Pontifex ein für allemal beilegen wolle. Das Konkordat von 1801 hatte den Glaubenskampf zwischen der Revolution und dem Katholizismus beendet. Es ist ein Kompromiß gewesen, von dem beide Seiten profitierten. Der neue Konfl ikt ist ein rein politischer. Erste Spannungen treten auf, als Napoleon vom Papst verlangt, daß er sich als Landesherr dem Wirtschaftskrieg gegen England anschließt. 1809 wird der Kirchenstaat besetzt, wenig später annektiert. Der Papst antwortet mit der Exkommunikation Napoleons. Doch der ist kein Heinrich IV., und als scharfes Schwert zur Erzwingung des Gehorsams ist die Exkommunikation deutlich démodé. Kurzerhand wird der Papst gewaltsam von Rom entfernt und über die Zwischenstation Savona 1812 nach Fontainebleau umquartiert. Napoleon will den Widersacher während seiner kriegsbedingten Abwesenheit lieber nahe Paris haben. Seither residiert Pius, dem alle Ehren gelassen werden, im riesigen Schloß von Fontainebleau als Gefangener im goldenen Käfig. Jetzt geht es also um den zweiten Friedensschluß mit der Führung der Weltkirche. Fünf Tage lang bearbeitet Napoleon den Papst. Er bestrickt ihn mit seinem Charme und macht ihn gefügig durch seine Entschiedenheit. Den Kirchenstaat bekommt der Papst nicht zurück, er erhält aber eine Entschädigung. Offene Fragen der Bischofsinvestitur werden geregelt. Da Pius sich standhaft weigert, nach Paris überzusiedeln, wird ihm Avignon, das schon einmal Exil der Päpste gewesen war, als Sitz zugewiesen 23. Ein vorläufiger Vertragstext wird am 25. Januar vereinbart. Als Napoleon ihn in großer Aufmachung vom Moniteur bringen läßt, reagiert der Papst verstört und verlangt Nachbesserungen. Aber davon erfährt die Nation nichts. Napoleon hat einen innenpolitischen Erfolg erzielt. Das genügt für den Augenblick.
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Der Abfall Wie schwer ist doch der Sturz eines großen Mannes. Fürst Schwarzenberg
Nicht alles auf eine Karte setzen 7. Kapitel Der Abfall
Dem Hospo˘ dar der Walachei, dem er Politikberatung für großes Honorar liefert, erklärt Friedrich Gentz Metternichs diplomatischen Hochseilakt des Jahres 1813 in einem einzigen Satz: „Die einfachen Wege waren für uns nicht praktikabel“1. Der Satz reflektiert Österreichs Stellung am Beginn des Entscheidungsjahres. Sie ist schwach, und für die Schwachen ist alles kompliziert, auch in der Politik. Nur die Starken können sich eine Vorgehensweise ohne Schnörkel und Widersprüche leisten, auch ohne Täuschung. Im Krieg von 1812, den Metternich seit seiner „besonderen Mission“ hatte kommen sehen, stand Österreich zwischen Scylla und Charybdis. Es mußte, wie der französische Historiker Albert Sorel formuliert hat, zweierlei fürchten: „Erstens den Sieg Frankreichs, zweitens den Sieg der Feinde Frankreichs“2. Ein Sieg Napoleons würde die französische Hegemonie in Europa auf unabsehbare Zeit zementieren. Im Falle einer Niederlage drohte die französische gegen die russische Despotie eingetauscht zu werden, eine unangenehme Vorstellung angesichts der Tatsache, daß man es bei den Franzosen wenigstens mit Angehörigen einer zivilisierten Nation zu tun hatte. Österreich war, gebunden durch den Vertrag vom 14. März 1812, an der Seite Napoleons in den Krieg gegangen. Sich aus dem Konfl ikt herauszuhalten, wäre kaum möglich und auch nur schwer erklärbar gewesen. Metternichs Politik der Anschmiegung an das übermächtige Frankreich nach der Niederlage von 1809 legte das gemeinsame Marschieren in einem Kriegszug nahe, den der österreichische Minister zwar fatal fand, der aber nun einmal nicht verhindert werden konnte. Übrigens war es Metternich gelungen, eine recht günstige Vereinbarung abzuschließen. Bei einem Sieg der Großen
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Armee, worauf alle Wetten lauteten, winkten als Prämie die Rückgabe der strategisch und wirtschaftlich wichtigen Provinz Illyrien und die Wiedergewinnung Schlesiens, das unter Maria Theresia an Preußen verlorengegangen war. Die Gegenleistung war vergleichsweise gering. Sie bestand in der Stellung eines Hilfskorps von 30 000 Mann. Mit diesem Korps hatte es eine besondere Bewandtnis. Geführt von Schwarzenberg, war es dem persönlichen Oberbefehl Napoleons unterstellt. Es sollte nicht im Zentrum eingesetzt werden, sondern nur an der Südflanke des Stoßkeils. Damit war klargestellt, daß seine Zwecksetzung hauptsächlich politischer Natur war. Folgerichtig entkam es der Katastrophe nahezu unbeschadet. Metternich hatte sich nach Abschluß des Bündnisvertrags nicht gescheut, dem Hof in Sankt Petersburg unter der Hand die militärischen Verpfl ichtungen, die Österreich eingegangen war, mitzuteilen. Man werde zwar im Feindesgewande auftreten, aber nicht zum Schwert greifen. Auch werde sich das Hilfskorps in seinen Operationen auf den Raum der Bukowina beschränken, ließ man die russische Führung wissen. So war Österreichs Stellung im Feldzug alles andere als eindeutig. Der Form nach Kriegsgegner Rußlands, blieben die diplomatischen Beziehungen intakt. Österreich behielt seinen Botschafter in Sankt Petersburg. Der russische Botschafter Stackelberg verlegte seinen Aufenthaltsort nur optisch; er zog von Wien nach Graz. Für diese höchst eigenartige, in keinem Regelwerk auffi ndbare Rechtsposition erfand Gentz den Begriff der „aktiven Neutralität“. Drastischer drückt sich Metternich in seinen Erinnerungen aus: „Eine ähnlich exzentrische politische Stellung hat die Geschichte aller Zeiten nicht aufzuweisen und wird ein zweites Beispiel dieser Art wohl nie mehr zu verzeichnen haben“3. Der überraschende Ausgang des Feldzugs nimmt der Lage, in welcher Österreich sich befi ndet, nichts von ihrer Exzentrik. Anfang 1813 sieht sich Metternich einem Puzzle gegenüber, in dem kaum ein Teil zu einem anderen passt. Im Vergleich dazu hat es Napoleon weitaus leichter. Gewiß, seine Herrschaft wankt bedenklich. Doch glaubt er zu wissen, was geschehen muß, um sie vor dem drohenden Einsturz zu retten. Zuerst kommt die Revanche, das heißt die Wiederherstellung des status quo ante. Das übrige hat Zeit, auch der Frieden. Steht für Napoleon also die Marschroute fest, ist für Metternich alles verworren. Selbst wenn er wüßte, in welche Richtung er Österreich in dieser Situation steuern muß, bliebe die Bestimmung von Wegen und Mitteln außerordentlich schwierig. Denn das Habsburgerreich ist keinesweg imstande, die Gesetze seines Handelns selbst zu schreiben. Der Grundsachverhalt, von dem jeder Schritt, jede Denkübung auszugehen hat, lautet: Österreich steht immer noch im Krieg. Das Bündnis vom März 1812 gilt fort. Strenggenommen hat Österreich in der russischen
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Steppe ebenso verloren wie Frankreich. Rußland ist unverändert Kriegsgegner. Konsequent wäre, den Kampf an der Seite Frankreichs fortzusetzen, pour corriger la fortune. Aber was heißt schon Konsequenz in einer Zeit wie dieser, wo es üblich ist, Bündnisse mit auf dem Rücken gekreuzten Fingern zu schließen? Und muß man treu zu einem Pakt stehen, wenn dieser mit dem Teufel geschlossen wurde und der Teufel plötzlich auf der Verliererstraße steht? Einfach weiterzumachen scheidet für Metternich aus. Die Kräfteverhältnisse haben sich gründlich geändert. Insofern kann die Fortsetzung der französisch-österreichischen Allianz, wenn sie überhaupt in Betracht kommt, kein Automatismus sein. Ebensowenig selbstverständlich ist die umgekehrte Option, das Bündnis mit Rußland. Rußland drängt Österreich jetzt. Es erwartet von ihm den raschen Frontwechsel. Aber Kaiser Franz würde einen glatten Bruch des Vertrags mit Frankreich auf keinen Fall billigen. Metternich selbst denkt in diesem Punkt nicht so prinzipiell wie sein Herr, kommt aber zum selben Ergebnis. Man ist gut beraten, dem Zaren nicht blind zu vertrauen. Wer weiß schon, ob Alexander wirklich bereit ist, den Krieg über die Weichsel zu tragen? Auch bleibt abzuwarten, was Napoleon noch zu bieten hat. Gewiß, die Grande Armée ist zerstört, Napoleons Nimbus beschädigt. Aber noch immer muß man dem Empereur alles zutrauen. Seine Mittel sind und bleiben „wunderbar“, wie Metternich gegenüber seinem Vertrauten Floret formuliert. Viel spricht dafür, daß er bald mit einer neuen Streitmacht auf den Plan treten wird. Was, wenn er plötzlich als Sieger dasteht! Ein weiterer Punkt, den Metternich zu bedenken hat, ist das Ehrgefühl seines Gebieters. Kaiser Franz ist der Schwiegervater Napoleons. Das Schicksal seiner Tochter und seines Enkels wird ihm nicht gleichgültig sein. Das nächste Problem betrifft ihn selbst, seine Glaubwürdigkeit. Die Allianzpolitik mit Frankreich, die „Kaunitzsche Politik“ der Jahre 1810 bis 1812, trägt seinen Namen. Sie war seine Leistung, vielleicht die erste eigenständige Leistung seines Politikerlebens überhaupt. Sie hat ihm Kritik eingetragen. In London, in Sankt Petersburg und in Berlin ist er als franzosenfreundlich schlecht angeschrieben. In Wien, in gewissen Salons, wird er als „Lakai Frankreichs“ tituliert. Die Ablehnung reicht hinein bis in die österreichische Herrscherfamilie. Maria Ludovica, die Kaiserin, ist seine Erzfeindin. Die dritte Frau Franz I. stammt aus dem Geschlecht der Este, das seine italienischen Besitzungen an den „Landräuber“ Napoleon verloren hat. Sie empfi ndet die politische und familiäre Verbindung mit dem Kaiser der Franzosen als persönliche Schmach. Metternich hat die Anfeindungen bisher gelassen hingenommen. Es wußte ja niemand eine bessere Politik. Aber nun ist diese Politik durch die unerwartete Niederlage Napoleons desavouiert worden,
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und Metternich trifft der doppelte Vorwurf, Österreich auf eine unwürdige und obendrein erfolglose Bahn geführt zu haben. Um aus der Klemme herauszukommen, gibt es nur eine Möglichkeit. Er muß beweisen, daß Österreich ein eigenständiger Akteur sein kann. Metternich verfügt Anfang 1813 keineswegs über einen Generalplan, wie er später glauben machen will. Die Lage ist viel zu unübersichtlich. Jede Bewegung will bedacht sein. Wie ein Slalomläufer im Nebel hat er nur die nächsten Tore im Blick. Jederzeit kann es erforderlich sein, die Spur zu verändern. Ziellos ist sein Vorgehen trotzdem nicht. Vorrangig geht es darum, Mobilität zu gewinnen, das heißt, sich langsam von Frankreich zu lösen. Die geeignete Methode fi ndet Metternich darin, sich als Friedensvermittler anzubieten. Umsichtig und nicht ohne Chuzpe macht er sich ans Werk. Bei jedem Schritt, den er geht, hat er den nächsten und den übernächsten überlegt, und immer ist eine zweite Möglichkeit in Reserve. „Wir dürfen unsere Existenz nicht ausspielen auf einer einzigen Karte!“ schreibt er programmatisch dem preußischen Staatskanzler Hardenberg4. Er startet seine Vermittlungsinitiative, noch bevor sich mit letzter Klarheit herausgeschält hat, was tatsächlich in Rußland passiert ist. Metternich beunruhigt die Nachricht, der Empereur habe von Moskau aus seinen General Lauriston ins Hauptquartier des Zaren geschickt, um die Aussichten für einen Friedensschluß zu sondieren. Lauriston war vor dem Krieg Botschafter in Sankt Petersburg. Die Mission mißlingt, allein der bloße Gedanke, Napoleon könne sich mit Alexander verständigen, weckt bei Metternich die ungute Erinnerung an Tilsit. Der Graf zögert nicht lange. Österreich muß unbedingt ins Spiel gebracht werden. Wenn man nur besser über die Lage in Rußland informiert wäre! Man weiß von keinem einzigen Schlachtenerfolg der Russen. Gemeldet wurden bisher nur Siege der Grande Armée, von Smolensk bis Moskau. Wie ist das zu verstehen? Kann man sich zu Tode siegen? Das alles ist schwer zu durchschauen. Die Depesche, die Metternich am 4. November dem Vertrauensmann Floret in Wilna zukommen läßt, ist denn auch von beinahe stoffloser Abstraktheit. Er gebe sich, schreibt Metternich, in diesem Moment dem „politischen Traume“ hin, daß Österreich vom „allgemeinen Frieden“ reden könne. Von diesem Traum möge Floret dringend Napoleons Außenminister Maret, Herzog von Bassano, berichten und ihn fragen, was er davon hielte, wenn Österreich Friedensfühler nach London ausstrecke. Die Initiative ist ein Versuchsballon. Sie hat zu diesem Zeitpunkt keine nennenswerte Substanz. Der „allgemeine Friede“, das heißt eine Pazifi kation unter Einschluß Englands, ist noch weniger in Sicht als ein kontinentaler Friede, ein „politischer Traum“ eben. Trotzdem geht, was Metternich auslöst, über puren Aktionismus hinaus. Wenn Österreich sich jetzt nicht zu
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Wort meldet, dann, so fürchtet er, werden die Geschehnisse über das Habsburgerreich hereinbrechen und es zu einer erleidenden Rolle verdammen. Österreich darf aber, sollte Napoleons Krieg einen außerplanmäßigen Verlauf nehmen, nicht nur Zuschauer sein. Es muß in die Position eines Mitspielers kommen. Schon bald nimmt der Versuchsballon Fahrt auf. Das Drama in Rußlands Steppen schreitet rapide fort. Immer deutlicher zeichnet sich die Katastrophe des Rückzugs ab. Entsprechend deutlicher wird die diplomatische Aktion. Einen Monat nach der „Traum“-Depesche legt Metternich nach. Ohne eine Antwort Marets abzuwarten, läßt er am 9. Dezember eine weitere Instruktion5 an Floret abgehen. Sie ist „ostensibel“, das heißt für die Weitergabe an den Herzog von Bassano bestimmt. Ihre Eröffnungssätze klingen wie die Posaunen von Jericho: „Es gibt Epochen und Ereignisse, die entscheiden über das Schicksal der Reiche wie über das der Menschen. In solchen Zeiten wird jede Selbsttäuschung tödlich, und man muß der Wahrheit ins Gesicht sehen, so schmerzlich sie auch erscheinen mag.“ Was ist die Wahrheit des historischen Augenblicks? Rußland, so liest man in dem „ostensiblen“ Schriftstück, hat in jeder Weise überrascht. War es bisher für seinen Wankelmut bekannt und dafür, daß es seine Alliierten leicht im Stich läßt, präsentiert es sich jetzt, da es den eigenen Boden verteidigt, zäh und unnachgiebig. Der Zar denkt nicht an Frieden. Er setzt den Krieg trotz des Verlustes von Moskau fort und scheint das Kunststück fertigzubringen, aus lauter Niederlagen einen Sieg zu machen. Napoleon? Metternichs Ausdrucksweise wird honigsüß, wenn er auf den Kaiser der Franzosen zu sprechen kommt. Napoleon ist zweifellos „der erste Feldherr unseres Jahrhunderts“ (premier capitaine de notre siècle), und natürlich bleiben „die Mittel des Genies wunderbar“. Aber, fragt Metternich hinterhältig, kann diesem Genie in den Sinn kommen, einen zweiten Feldzug zu beginnen, einen Feldzug „auf demselben Boden, der die Anstrengungen des vereinigten Europa scheitern sah, gegen ein Heer und gegen ein Volk, das siegen gelernt hat, ohne sich zu schlagen …?“ Vorsichtig in der Wortwahl, doch klar im Sinn gibt Metternich zu verstehen, daß man in Wien vollkommen durchschaut, in welch verzweifelter Situation sich Napoleon befi ndet. Es ist nichts mehr wie früher. Das Empire ist existentiell gefährdet. Frankreich steht ohne Freunde da, schlimmer noch, ohne Armee. In dieser Schicksalsstunde bietet sich Österreich als Helfer in der Not an. Schließlich ist man verbündet und durch Blutsbande verschwistert. Daher werde der Kaiser den Wunsch Österreichs, eine Friedensinitiative einzuleiten, gewiß nicht falsch verstehen. Habe er, Metternich, nicht oft genug den Kaiser sagen hören, daß die Hochzeit mit der Erzherzogin das Antlitz Europas verändert habe? „Der Augenblick rückt näher,
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vielleicht ist er schon da, wo Napoleon den wirklichen Nutzen aus dieser glücklichen Verbindung ziehen kann.“ Die devot lackierte Botschaft hat einen harten Kern. Napoleon muß dankbar sein für Österreichs Friedensinitiative. Denn der Habsburgerstaat könnte auch anders: „Österreich hält durch die Ruhe und die unerschütterliche Festigkeit seiner Haltung 50 Millionen Menschen zurück, die bereit sind, sich zu erheben für eine Sache, die durch ein einziges Wort des österreichischen Souveräns als allgemeine Sache angesehen werden würde.“ In diesem Satz steckt Dynamit. Ein Wink, und in Österreich, in Deutschland und in Italien bricht der Volksaufstand los, die Revolution! Noch halten Kaiser Franz und sein Außenminister den Geist in der Flasche. Von Napoleon hängt es ab, ob der Korken springt. Für den Vertreter einer Macht zweiten Grades ist das eine kühne Sprache. Österreich hält den Aufruhr von 50 Millionen in Schach! Es hat den Finger am Abzug! Das ist eine Drohung. Es ist aber auch eine ernste Warnung. Metternich meint es immer todernst, wenn er spürt, daß das Gespenst des Volksaufstands umgeht. Im vertraulichen Teil der Instruktion vom 9. Dezember läßt er durchblicken, daß er über die Unruhe der „Völker“ wirklich besorgt ist. „Der Aufschrei der Erhebung gegen das aktuelle Übergewicht Frankreichs ist universell“, führt er aus. Dies könne der Regierung in Paris nicht unbekannt sein. Über ihren Botschafter Otto wisse sie bestimmt von der feindseligen Stimmung, die in Österreich herrsche und die wohl nur noch von der Feindseligkeit in Preußen übertroffen werde. „Wenn der Kaiser der Franzosen nicht bald den befreundeten Regierungen zur Hilfe kommt, und zwar durch Maßnahmen, die denen, die bisher seine Politik auszeichnen, sehr entgegengesetzt sind, werden diese Regierungen nicht mehr imstande sein, die Impulse zu unterdrücken, welche die Völker durch die augenblicklichen Geschehnisse erhalten.“ Es ist nicht schwer zu erraten, an welche „Geschehnisse“ Metternich denkt. Frankreichs verlustreicher Kleinkrieg in Spanien und die jetzt wohl amtliche Niederlage in Rußland geben denjenigen Auftrieb, die lange ohne Aussicht auf Besserung unter der französischen Fremdherrschaft gelitten haben. Niedergedrückt durch einen Gegner, der unverwundbar schien, werfen sie nun ihren Minderwertigkeitskomplex ab. An seine Stelle tritt ein gefährlicher Übermut, der nach Taten drängt. Diesen Tatendrang fürchtet Metternich, nicht bloß, weil jede Exaltation dem nüchtern agierenden Diplomaten die Arbeit erschwert. Für ihn ist der „Aufschrei der Erhebung“ nur der Anfang. Am Ende steht die Revolution. Die Revolution klopft jetzt überall an die Tür. Weil der Zwingherr in Bedrängnis ist, zerren die Sklaven an ihren Ketten. Leider gibt es genügend leichtsinnige Politiker, die glauben, von diesem Umstand lasse sich profitie-
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ren. Sie schüren die Volkserhebung als Mittel im Kampf gegen Napoleon. Was für ein Wahnsinn! Am Ende wird man vielleicht das Mutterland der Revolution besiegen, sich aber die Revolution ins eigene Haus geholt haben! Rücksichtslos geht Metternich deshalb gegen die Umtriebe des „Alpenbundes“ vor, von denen er durch die Polizeiberichte Kenntnis erhält. Es ist die Absicht dieses dubiosen Geheimbundes, Österreich durch eine Insurrektion in Tirol und Süddeutschland zum Krieg gegen Frankreich zu nötigen. Verwickelt in das Komplott sind unter anderem Erzherzog Johann, englische Diplomaten und patriotische Feuerköpfe wie der Publizist Hormayr. Der Aufstand ist für Ostermontag, den 19. April vorgesehen, doch bereits am 8. März wird das dilettantische Unterfangen durch die Verhaftung der Haupträdelsführer vorzeitig gestoppt. Für den Augenblick ist Metternich wieder Herr der Lage. Doch seinen Horror vor allem, was sich der staatlichen Autorität und Kontrolle entzieht, behält er. Er wird ihn sein ganzes Leben lang begleiten. Napoleon scheint das Ächzen und Beben in den Vor- und Hauptzimmern seines universalen Herrschaftsgebäudes nicht wahrzunehmen. Dabei ist Metternich keineswegs der einzige, der ihn warnt. Am 21. Januar sucht ihn Graf Hatzfeld auf. Hatzfeld ist ein in der Wolle gefärbter Frankophiler, einer der letzten dieses Schlages in der preußischen Führung. Er kommt nach Paris, um Napoleon daran zu erinnern, daß er Preußen noch Geld schuldet. Dieses Geld braucht der dezimierte Hohenzollernstaat dringend, zumal Napoleon König Friedrich Wilhelm soeben aufgefordert hat, den Umfang der preußischen Hilfstruppen um 10 000 Mann zu erweitern. Der Kaiser müsse unbedingt ein Zeichen setzen, er müsse dem bankrotten Preußen, das nirgendwo mehr Kredit habe, die Lasten erleichtern, „es sei denn auf die Gefahr, die ganze Nation sich erheben zu sehen, deren Beispiel bald von allen Völkern Deutschlands befolgt werden würde“6. Kniefällig bittet der Graf um Verständnis dafür, daß der König dem Drängen der Frankreich feindlich gesonnenen Kräfte nicht mehr lange standhalten könne. So armselig Preußen auch dastehe: Napoleon dürfe nicht verkennen, daß es nach dem „Unfall“, den die Große Armee in Rußland erlitten habe, der „Leitstern“ sei für ganz Deutschland: „Wenn es den Pfad der Volkserhebung beschreitet, so folgt ihm die ganze Nation“. Unbeeindruckt hört sich Napoleon den leidenschaftlichen Appell an. Ja, es sei ihm geläufig, daß es in Deutschland eine Menge „Sekten“ gebe, erklärt er Hatzfeld und entläßt ihn mit ein paar wertlosen Zusicherungen.
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Kalisch Den Lauf der Dinge hätte die von Hatzfeld erbetene Finanzspritze wohl kaum verändert. Noch während der Graf in den Tuilerien auf Napoleon einredet, tritt der Abfall Preußens in ein konkretes Stadium ein. Eingeleitet wurde er durch eine Einzelaktion. Sie erfolgte am 30. Dezember in einer Mühle nahe der Ortschaft Tauroggen in Litauen. Die Mühle von Poscherun existiert nicht mehr. Im Lauf der Geschichte muß sie irgendwann verschwunden sein. Heute erinnert an sie ein steinernes Denkmal, das wohl aus sowjetischer Zeit stammt. Die Inschrift lautet: „Hier, in der ehemaligen Poscheruner Mühle, unterzeichneten am 30. Dezember 1812 der königlichpreußische Generalleutnant Graf Yorck und der russische Generalmajor Diebitsch die Konvention von Tauroggen über das gemeinsame Handeln gegen die Armee des französischen Kaisers Napoleon“7. Yorck kommandierte das preußische Hilfskorps, das als Teil der Armee Macdonald den linken Flügel der sich auflösenden napoleonischen Streitmacht bildete. Diebitsch befehligte die Vorhut der russischen Armee Wittgenstein. Der preußische General hatte seine Truppe einigermaßen gut durch die Kriegsmonate gebracht. Er hatte in seinem Befehlsbereich nicht mehr getan als notwendig, das aber ehrenhaft. Von den ursprünglich 20 000 Mann büßte das Korps nur Bruchteile ein. Die Neutralisierung des Korps, die Yorck auf eigene Faust vornahm, bedeutet für die Sache Napoleons eine weitere militärische Schwächung. Noch folgenreicher ist der Alleingang des Generals in politischer Hinsicht. Mit seinem Hochverrat setzt Yorck seinen König massiv unter Druck. Es stößt das taumelnde Preußen endgültig in die Richtung, in die es ohnehin gravitierte, in die Richtung des Abfalls. Der erste Akt zur Bildung der Weltkriegskoalition gegen Napoleon fi ndet in der Poscheruner Mühle statt. Ausgerechnet Preußen! Von der friderizianischen Großmacht hat sich nur ein Schattenreich erhalten, mit einem König an der Spitze, der davor zittert, daß die Hohenzollernmonarchie mit ihm untergehen könnte. Als das Jahr 1813 beginnt, ist Preußen Überschwemmungsgebiet. Die rückflutenden Überbleibsel der Grande Armée sucht Murats Nachfolger Eugène de Beauharnais erst an der Weichsel, dann an der Elbe zum Stillstand zu bringen. Friedrich Wilhelm kann nur zuschauen. Wo hat sein königliches Wort noch Geltung? In Ostpreußen marschieren die Russen ein. In Küstrin, Stettin und Glogau unterhalten die Franzosen starke Garnisonen. In Berlin sitzt Napoleons Marschall Augereau. So zerrissen das Land, so zerrissen ist Preußens Führung. An Frankreich scheiden sich die Geister. Nicht daß es noch nennenswerte Gruppierungen gäbe, die dem französischen „System“ mit
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Überzeugung anhingen. Auf dieser Seite ist Hatzfeld inzwischen fast ein Solitär. Die eigentliche Demarkationslinie verläuft zwischen den Realpolitikern und jenen, die mit heißem Herzen und um fast jeden Preis zum Kampf gegen die Okkupationsmacht entschlossen sind. Zu den Realpolitikern gehört neben dem Staatskanzler Hardenberg auch Friedrich Wilhelm. Kein zweites Mal will er sich in ein politisches und militärisches Abenteuer manövrieren lassen wie 1806! Deshalb hatte er Stein 1808 in die Wüste geschickt und Gneisenau abblitzen lassen, als dieser ihm Pläne für eine Volkserhebung vorlegte. „Als Poesie gut“, hatte er an den Rand der Denkschrift gekritzelt. Gneisenau lebt inzwischen im englischen Exil, Stein ist Berater des Zaren. Aber die „Patriotenpartei“ hat nicht aufgehört, den König zu drangsalieren. Beamte, Offi ziere und Geistesarbeiter, die mit den Verhältnissen unzufrieden sind, versammeln sich in obskuren und schwer zu gewichtenden Geheimzirkeln wie dem „Tugendbund“ oder bei Jahns Turnern. Haßprediger gegen Napoleon und alles Welsche sind darunter wie Arndt oder Kleist, auch solche, die in der „Deutschen Literarischen Tischgesellschaft“ gern einmal aufreizende Reden gegen das Jüdische führen. Die „Patrioten“ wollen Reformen, mal mehr, mal weniger. Vor allem wollen sie die Befreiung vom napoleonischen Joch, am besten mit dem König, wenn es sein muß, aber auch ohne und gegen ihn. Eine operative Kraft, eine Fronde, sind sie nicht, aber sie machen Stimmung. Sie sind ein anschwellender Chor, der Friedrich Wilhelm, diesen so ungern sich entscheidenden Monarchen, zum Handeln ruft. Der 53jährige Yorck gehört nicht zu den Reformern. Das Anzetteln von Aufständen ist nicht seine Sache. Er ist gewohnt zu gehorchen. „Ew. K. M. kennen mich wie einen ruhigen, kalten sich in die Politik nicht einmischenden Mann, so lange alles in gewöhnlichem Gang ging“, heißt es in dem Rechtfertigungsschreiben, das er am 3. Januar an den König richtet. Aber, so fährt der Brief in beinahe herrischem Ton fort, „die Zeitumstände haben (…) ein ganz anderes Verhältnis herbey geführt und es ist ebenfalls Pfl icht, diese nie wieder zurückkehrenden Verhältnisse zu benutzen“. Es ist die Pfl icht des Königs, will Yorck sagen. Dieser muß die „nie wieder zurückkehrenden Verhältnisse“ nutzen. Er muß ihm, dem Diener des Staates, erlauben, „dass ich gegen den wirklichen Feind vorrücke“. Befi ndet der Souverän anders, wird er erleben, „dass ich auf dem Sandhaufen ebenso ruhig wie auf dem Schlachtfelde, auf dem ich grau geworden bin, die Kugeln erwarten werde“. Dann jedoch werde der König sein ganzes Volk hinrichten, prophezeit Yorck: „Ich spreche hier die Sprache eines alten, treuen Dieners, diese Sprache ist die fast allgemeine der Nation“8. Yorck muß nicht auf den Sandhaufen. Der König ist zwar außer sich über die Insubordination des Generalmajors und enthebt ihn seines Kommandos.
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Aber das bleibt ein Akt ohne Wirkung. Der Hochverrat geht unter im Strudel der Ereignisse. Endlich das Schwert gegen den „wirklichen Feind“ ziehen: das ist die Losung, auf die sich alle Unzufriedenen verständigen können. Die Aussicht darauf verschafft ein Hochgefühl, das in dem großen Durcheinander, das Anfang des Jahres herrscht, zu einem eigenen Wirkfaktor wird. Der Staatskanzler Hardenberg versucht, den Überschwang zu dämpfen. Auch ihm ist klar, daß Preußen im falschen Bündnis steht und sich daraus lösen muß. Doch noch ist es nicht so weit. Man muß kaltblütig sein und verhindern, daß der verrückte Yorck alles zerstört. So baut Hardenberg eine Fassade der Täuschung auf. Am 4. Januar diniert er beim Marschall Augereau, dem französischen Stadtkommandanten von Berlin. Beim Dessert wird das Sonntagsessen empfi ndlich gestört. Ein Bote meldet Augereau den Abfall Yorcks. Hardenberg tut überrascht und mimt Empörung. Falls die Nachricht überhaupt stimme, dann habe Yorck gegen Ehre und Absicht des Königs gehandelt, behauptet er und versichert, der Kaiser der Franzosen könne sich auf Preußen verlassen. Die Schauspielerei verfängt. Der beim Diner anwesende Botschafter Saint-Marsan depechiert nach Paris, die Loyalität des Staatskanzlers erlaube keinen Zweifel. Der Botschafter ist allzu gutgläubig. Noch am selben Tag zitiert Hardenberg den General von Natzmer zu sich. Natzmer soll eilends ins Feldlager Murats reiten und ihn über Preußens Haltung beruhigen. Murat ist zu diesem Zeitpunkt noch Oberbefehlshaber der klein gewordenen Großen Armee. Anschließend soll Natzmer unbemerkt weiterreisen und sich bis zum Zaren durchschlagen. Was er dem Zaren zu sagen habe, müsse „als das größte Staatsgeheimnis“ behandelt werden. Preußen sei zu einer Allianz mit Rußland bereit. Die einzige Bedingung: Rußland muß zusagen, daß es „ohne Aufenthalt die Weichsel und die Oder“ überschreitet9. Weiß Napoleon, was in Preußen, was in Österreich vor sich geht? Es ist ein Unglück, daß die französische Diplomatie ausgerechnet in dieser kritischen Phase in Berlin und in Wien schwach vertreten ist. Die Botschafter Saint-Marsan und Otto leiden beide unter der schlimmsten aller Diplomatenkrankheiten. Sie sind der Ansteckungsgefahr erlegen, die von einem langen Vertrautsein mit Persönlichkeiten und Denkweisen am Gesandtschaftsort ausgeht. Saint-Marsan, „dieser unverbesserliche Optimist“, wie Sorel schreibt10, glaubt an die Bündnistreue der preußischen Führung auch dann noch, als Preußen bereits mit einem Bein im gegnerischen Lager steht. Von dem Badener Otto, der Frankreich in Wien repräsentiert, sagt ein österreichischer Diplomat, seine Berichte atmeten eine so gute Gesinnung, daß man meinen könnte, sie seien von Metternich selbst verfaßt11. Das sind keine guten Voraussetzungen in Zeiten, wo es entscheidend darauf ankommt, Zwischentöne zu erfassen und sich nicht einlullen zu lassen.
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Am 2. Januar ruft Napoleon seine wichtigsten außenpolitischen Ratgeber zu einer Strategiesitzung zusammen. Es sind neben dem amtierenden Außenminister Maret, Herzog von Bassano, die ehemaligen Außenminister Talleyrand und Champagny, dazu Caulaincourt, der lange Botschafter am Hof des Zaren gewesen ist, der Erzkanzler Cambacérès sowie die leitenden Beamten des auswärtigen Departements, de la Besnardière und d’Hauterive12. In seiner Einleitung zeigt sich der Kaiser der fortdauernden Unterstützung Österreichs und Preußens sicher. „Österreich denkt nicht daran, eine Allianz zu brechen, von der es sich die größten Vorteile erhofft.“ Der König von Preußen habe angeboten, sein Hilfskorps zu verstärken, „und hat soeben den General von Yorck einem Kriegstribunal überantwortet“. Da Napoleon in diesem Kreis niemandem etwas vormachen muß, darf man unterstellen, daß er glaubt, was er sagt. Was die Frage von Krieg oder Frieden angeht, verwendet er eine Formel, die er in den kommenden Monaten so oder so ähnlich immer wieder verwenden wird: „Ich wünsche den Frieden, den Krieg fürchte ich nicht.“ Folgende Fragen stellt er dem Beraterkreis: Ist es klug, nachdem die Rüstungen abgeschlossen sind, die Friedensvorstellungen der gegnerischen Seite abzuwarten oder selbst solche Vorstellungen zu entwickeln? Und: Soll man direkt mit Rußland verhandeln oder sich der Vermittlung Österreichs bedienen? Die Ansichten der Berater gehen auseinander. Die erste Frage wird nicht wirklich beantwortet, bei der zweiten treten Caulaincourt, Talleyrand und Cambacérès für Direktverhandlungen mit Rußland ein, der Rest, mithin die Mehrheit, präferiert eine Vermittlung Österreichs. Napoleon läßt offen, wie er mit dem Rat der Fachleute umzugehen gedenkt. Tatsächlich kommt es in der Folgezeit zunächst zu keinerlei Kontaktaufnahmen mit Rußland. Der Austausch mit Österreich ist dagegen intensiv. Bereits am Silvestertag hat der Kaiser ein langes Gespräch mit dem Grafen Bubna geführt, Metternichs Sondergesandten. Das Ergebnis ist ernüchternd. Bubna stellt klar, daß für Österreich die von Napoleon gewünschte Aufstokkung des Hilfskorps auf 60 000 Soldaten, darunter 12 000 Kavalleristen, nicht in Frage kommt. Napoleon will die Weigerung nicht verstehen. Gerade dann, wenn Österreich mit Rußland über den Frieden sprechen wolle, müsse es dies aus einer Position der Stärke heraus tun, als puissance principale. Er gibt zu erkennen, daß ihn Metternichs Wunsch, als Friedensvermittler tätig zu werden, nicht gerade begeistert, daß er ihn aber akzeptiert. „Ich werde tun, was der Kaiser von Österreich will. Er ist mein Vater, mein Verbündeter, unsere Allianz ist für die Ewigkeit.“ Napoleon stellt die Familienverbindung als eine Art Grundversicherung hin, die Ansprüche erlaubt und Vertrauen rechtfertigt. Eine solche Assekuranz läßt über mancherlei Irritation hinwegsehen. Betrachtet sein Schwiegervater die Sache nicht ähnlich? In
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einem kurzen Handschreiben, das Bubna Napoleon übergibt, spricht Kaiser Franz vom „heiligsten Band“13, das ihn persönlich mit dem Kaiser der Franzosen verbinde. Für Metternich sind pathetische Anrufungen wie „heilig“ und „ewig“ Zierformeln. Er weiß, daß er die Verschwisterung der Häuser Habsburg / Bonaparte nicht auf die leichte Schulter nehmen darf, genausowenig das bestehende Bündnis. Für seinen Herrn sind das hochernste Sachverhalte. Doch am Ende wird man sie auf der Waage der Staatsinteressen auswiegen. Welches Gewicht Metternich ihnen beimisst, geht unmißverständlich aus der Instruktion hervor, die er Bubna vor dessen Abreise nach Paris an die Hand gegeben hat: „Der Kaiser ist einem Verbündeten viel, seinem Volke ist er alles schuldig“14. Im Klartext heißt das: Für Kaiser Franz hat die Staatsraison Vorrang vor familiären Bindungen. Die Staatsraison verlangt nach Metternichs Auffassung in diesem Augenblick nicht Bindung, sondern Lösung. Österreich muß heraus aus dem Bündnis mit Frankreich, das allerdings nicht abrupt und formlos, sondern durch behutsame Entfesselung. Dieses Verfahren braucht Geduld, es bedarf des verdeckten Handelns und einer subtilen Sprachführung. Zu seinen Hilfsmitteln gehören gewollte Mißverständnisse und sorgsam gestellte Fallen. Kurzum: Österreichs Interesse erzwingt ein Doppelspiel. Bubnas Mission erbringt den ersten Stich in diesem Doppelspiel. Der Sendbote hat nichts preisgegeben. Dafür bringt er eine Aussage Napoleons mit nach Wien, die Metternich bei großzügiger Lesart als Aufforderung interpretieren kann, mit Rußland in Sondierungen einzutreten. Die Wahrheit ist, daß die Unterhandlungen hinter dem Rücken Napoleons bereits begonnen haben. Sie betreffen das österreichische Kriegskontingent. Das Korps Schwarzenberg steht zur Jahreswende bei Pultusk und hat den Auftrag, Warschau zu decken. Bislang ist es von russischen Attacken weitgehend verschont geblieben. Aber die Armee des Zaren befi ndet sich in der Vorwärtsbewegung. In dieser brenzligen Situation nimmt Schwarzenberg Kontakt mit dem Feind auf. Zugleich wendet er sich mit der Frage nach Wien, ob er sich auf das linke Weichselufer zurückziehen dürfe. Metternich erkennt das politische Momentum. Die Gelegenheit ist da, Österreichs Rolle als Kriegspartei mit einem Federstrich zu beenden. Er gibt Schwarzenberg die Erlaubnis, den Rückmarsch auf Krakau anzutreten. In diesem Sinn schließt der Fürst am 30. Januar mit dem russischen Generalissimus Kutusow Waffenstillstand. Das Wiener Vorgehen ist kühn und mehr als das: Es ist glatter Vertragsbruch. Denn nach dem Abkommen vom März 1812 untersteht das Korps Schwarzenberg dem Kaiser der Franzosen persönlich. Niemals hätte dieser einer Bewegung zugestimmt, die Warschau und das ganze Großherzogtum dem Zugriff Rußlands preisgibt.
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Am 3. Februar ist Bubna wieder bei Napoleon. Der Kaiser explodiert, als er den Brief liest, in welchem ihm sein Schwiegervater die Neutralisierung des Korps mitteilt. „Mein Herr!“ fährt er Metternichs Emissär an, „das ist ein übles Stück (une mauvaise pièce). Es ist gegen den Vertrag, es ist ein erster Schritt des Abfalls.“ Drei Stunden lang nimmt er Bubna ins Gebet. Er führt ihm die Folgen des österreichischen Verhaltens vor Augen. Er droht, Frankreich sei jederzeit imstande, sich mit Rußland zu verständigen. „Zwei Großmächte fi nden immer Mittel zur Verständigung, und Sie können nicht mehr auf mich zählen“15. Schließlich fi ndet er zu einem ruhigeren Ton. „Wohlan, General Bubna, hoffen wir das Beste.“ Bubna beurteilt die Wirkung der Causa Schwarzenberg auf Napoleon so: Der Kaiser werde nicht plötzlich gegen Österreich Front machen, meldet er in seinem Gesprächsrapport nach Wien. Dafür sei er zu sehr Staatsmann. „Aber der Keim des Misstrauens sitzt einmal in den Falten seines Herzens, und dieser Gährungsstoff wird mit dem Lauf der Ereignisse wachsen oder schwinden.“ Das Mißtrauen ist da. Mit so viel Dreistigkeit hat Napoleon nicht gerechnet. Schlimm ist, daß er momentan außerstande ist, Österreich für den Vertragsbruch zu strafen. Offenbar hat Metternich das vorausgesehen. Wächst ihm hier ein gefährlicher Gegner heran? Napoleon weiß nicht, was er denken soll. An ein Komplott der österreichischen Politik kann er nicht glauben. Er will nicht daran glauben. Wozu hat er die Tochter des Habsburgers geheiratet, mit allem Pomp und vor dem Altar? Dafür, daß der Vater die Seite wechselt, so wie man es mittlerweile von Preußen befürchten muß? Gewiß, er hat beim sacre in Notre Dame nicht den Verstand verloren. Ihm muß keiner sagen, daß Staaten sich zuallererst von irdischen Versprechungen leiten lassen. Und doch hat in seinen Augen die Heirat ein Sonderverhältnis mit dem Habsburgerreich begründet. Kaiser Franz wird nicht die Hand gegen den Vater seines Enkels erheben. Wer sagt, daß der ärgerliche Vorfall mit dem Schwarzenbergschen Korps wirklich Vorsatzhandeln gewesen ist? Womöglich war es ein Betriebsunfall oder eine von der „Russenpartei“ am Wiener Hof eingefädelte Intrige. In Paris ist bekannt, daß in Wien starke, von der Kaiserin Maria Ludovica geförderte Kräfte Österreich lieber heute als morgen Seite an Seite mit Rußland sehen wollen. Bestimmt hat Metternich einen schweren Stand. „Wir verkennen nicht die schädliche Einstellung der ganzen Umgebung der Kaiserin“, hat Maret im Januar dem Gesandten Otto geschrieben und hinzugefügt, das ganze Vertrauen Napoleons ruhe auf dem „Kaiser und seinem Minister“16. Das bleibt die offi zielle Einschätzung auch nach der Affäre mit dem Hilfskorps. Wie kann sich Napoleon des Wiener Hofes so sicher sein? Bei der Strategiekonferenz vom 2. Januar hat er erklärt, Österreich denke nicht daran, „eine Allianz zu brechen, von der es sich die größten Vorteile erhofft“. Be-
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gründet wird diese Behauptung nicht. Es mag ja Hoffnungen in Wien geben. Aber sie bleiben Hirngespinste, solange Napoleon sie nicht unterfüttert. Es ist erstaunlich, wie sehr er Anfang des Jahres die Zügel der Diplomatie schleifen läßt. Obwohl er weiß oder doch wissen müßte, daß nach der russischen Katastrophe seine wenigen verbliebenen Anhänger in Preußen, in Österreich und den Rheinbundstaaten mit dem Rücken zur Wand stehen, tut er nichts, um sie bei der Stange zu halten. Statt sie zu stärken, erwartet er von seinen widerwilligen Bundesgenossen neue Rüstungsanstrengungen, ohne ihnen zu sagen, was sie davon haben. Zweifellos ist der Kaiser weitgehend absorbiert durch das kolossale Aufrüstungsprogramm, das er durchzieht. Napoleon leistet in dieser Zeit schier Übermenschliches. Sich neben den militärischen und administrativen Dingen auch noch intensiv um Pflege der Bündnisbeziehungen zu kümmern, wäre eine zusätzliche Last. Der springende Punkt ist, daß er es überhaupt nicht versucht. Er sieht die Notwendigkeit nicht. Er macht sich nicht die Mühe herauszufi nden, was Österreich und Preußen im Inneren bewegt. Er ignoriert das Auf begehren in Preußen, er unterschätzt die Woge des nach Befreiuungstaten verlangenden Nationalgefühls, vor der der schwache König Friedrich Wilhelm nicht mehr lange weglaufen kann. Genausowenig begreift er, daß ein geschichtsstolzes Reich wie das habsburgische nach so viel Buckelei die Welt mit anderen Augen sieht, wenn erst die Angst nicht mehr da ist. Ein großer Staatslenker denkt die Gedanken anderer Staatslenker mit. Napoleon hat das nie für nötig gehalten. Diesmal kommt ihn die Unterlassung teuer zu stehen. Was Preußen angeht, ist die Gefahr des Abfalls am größten. Tauroggen war ein Menetekel. Friedrich Wilhelm steht unter starkem innenpolitischen Druck. Zugleich macht ihm der Zar Avancen. Das ist in Paris bekannt. Wie soll Napoleon reagieren? Die Lage ist kompliziert. Besteht die Gefahr wirklich, daß Preußen sich Rußland in die Arme wirft, wäre es töricht, dem Hohenzollernstaat fi nanziell beizuspringen. Man baut einen potentiellen Gegner nicht auf. Aus demselben Grund kommt eine Räumung der Festungen nicht in Frage. Sie sind nicht bloß politische Pfänder, sondern wichtige Haltepunkte, auf die Napoleon jetzt, vor dem Aufmarsch, unmöglich verzichten kann. Doch es gäbe für den Kaiser andere Möglichkeiten, auf die preußische Führung einzuwirken. Er könnte einen neuen Vertrag zu verbesserten Konditionen anbieten und territoriale Gewinne für den Fall eines Verbleibs im Bündnis in Aussicht stellen. Mit anderen Worten, er hätte die Möglichkeit, Preußen zu zeigen, daß es sich lohnt, auf die französische Karte zu setzen. Doch auf solche Signale wartet man in Potsdam vergeblich. Napoleon schaut dem Ringen um Friedrich Wilhelms Seele teilnahmslos zu. Auf inoffi ziellem Wege wird der preußischen Regierung mitgeteilt, unter Umständen sei Napoleon bereit, eine eheliche Verbindung des hohenzollern-
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schen Erbprinzen mit einer Prinzessin der Familien Beauharnais oder Murat in Betracht zu ziehen. Das ist alles an Sympathiewerbung, wozu sich die französische Diplomatie aufschwingt. Auch Österreich gegenüber verhält sich Napoleon spröde. Dabei erwartet er von seinem Schwiegervater verdoppelte Kriegsanstrengungen. Das Hilfskorps soll um weitere 30 000 Soldaten vergrößert werden, darunter 12 000 zu Pferde. So es Kaiser Franz wünsche, werde er dafür sorgen, daß Österreichs Finanzen durch die Zurüstung nicht belastet würden, läßt Napoleon wissen. Auf die Gretchenfrage, was Österreich eigentlich veranlassen solle, sich an einem neuen Kriegsabenteuer zu beteiligen, hat er die entwaffnende Antwort, es sei Österreichs nicht würdig, auf halbem Weg stehenzubleiben. Die Gebietsangebote, die er macht, beschränken sich auf die Rückgabe der Provinz Illyrien. Alles weitere, so scheint er anzunehmen, ergebe sich aus den Familienbeziehungen, die er zu stärken beabsichtigt. Er setzt Kaiser Franz von der bevorstehenden Übertragung der Regentschaft an Marie-Louise in Kenntnis und kündigt an, daß sein Sohn alsbald zum König gekrönt werde, wahrscheinlich durch die Hand des Papstes. Aus seiner Sicht muß das genügen, um seinem Schwiegervater die letzten Zweifel zu nehmen, wo er zu stehen hat. In einem handgeschriebenen Brief an Kaiser Franz vom 7. Januar17 erläutert Napoleon ausführlich seine Vorbereitungen auf den Krieg. Nichts an dieser Beschreibung ist prahlerisch. Jeden Schritt, den Napoleon ankündigt, wird er umsetzen. Der Empfänger des Briefes sieht jetzt klar. Der Eroberer gibt nicht klein bei. Er ist fest entschlossen, Revanche zu nehmen. Eine Ermunterung Österreichs, den Frieden zu sondieren, fi ndet Kaiser Franz nicht. Vielmehr engt Napoleon den Spielraum für mögliche Verhandlungen extrem ein. Er könne sich vorstellen, Rußland von den Pfl ichten der Kontinentalsperre zu entbinden. Vom Großherzogtum Warschau werde er dagegen nicht ein einziges Dorf abtreten. Noch in einem anderen Punkt legt sich Napoleon fest: Man müsse verstehen, schreibt er, „daß es nicht in meiner Macht liegt, irgendeine der Verfügungen aufzuheben, die die Weihe unserer verfassungsmäßigen Gesetze erhalten haben; keines der Länder, die durch Senatsbeschluß (sénatus-consulte) einverleibt worden sind, kann Gegenstand einer Unterhandlung mit Rußland noch mit England sein“. Damit nimmt er Gebiete, die sich Frankreich in den letzten Jahren angeeignet hat, wie Holland, die Staaten des Papstes und auch die deutschen Hansestädte, präventiv aus der Verhandlungsmasse heraus. Dieser Brief vom 7. Januar ist fatal und erhellend zugleich. Napoleon will keinerlei Konzessionen machen. Er will behalten, was er hat. Das also meint er, wenn er von einem „ehrenvollen Frieden“ spricht! Mit dem unmißverständlichen Ausschluß der durch Senatsbeschluß annektierten Gebiete entzieht er möglichen Friedensbe-
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mühungen den Boden, noch ehe sie begonnen haben. Das heißt aber, er brüskiert Kaiser Franz und mit ihm Metternich, dessen guten Willen er braucht. Unter den Fehlern, die Napoleon vor Beginn des Frühjahrsfeldzugs macht, ist dieser Brief wohl der schwerste. Ein kluger Diplomat hält seine Absichten bedeckt, solange es geht. Er jongliert mit mehreren Bällen gleichzeitig. Napoleon dagegen legt sich gleich bei Eröffnung der Partie fest. Er erklärt, wozu er bereit ist, und das ist bescheiden genug. Er verzichtet auf Verlockung und Vieldeutigkeit. Ohne Not schiebt er Optionen beiseite und bezieht eine Position, die einengender nicht sein könnte. Nur einen einzigen Ball läßt er im Spiel, die militärische Einschüchterung. Das ist zu wenig. Es ist die Absage an aktive Diplomatie. Damit manövriert sich Napoleon selbst in eine Sackgasse. Am 21. Januar verläßt Friedrich Wilhelm Potsdam. Lange konnte er sich nicht entschließen, dem Rat Hardenbergs zu folgen. Schließlich fügt er sich. Die Gefahr, von Augereau als Geisel genommen zu werden, erscheint als zu groß. Am 25. Januar erreicht er mit einem Hofstaat von 71 Personen Breslau. Metternich hat den Wechsel des preußischen Hofes nach Schlesien mit dem Argument unterstützt, in Breslau werde sich der König geographisch in der Mitte zwischen Russen und Franzosen befi nden. Politisch hat Preußen die Mittellage bereits verlassen. Die Schwerkraft drängt es in das russische Lager. Während Hardenberg den mit Blindheit geschlagenen Botschafter Saint-Marsan, der den Hof nach Breslau begleitet hat, an der Nase herumführt, verhandelt Knesebeck, der Adjutant des Königs, im russischen Hauptquartier die Konditionen eines Bündniswechsels. Am 8. Februar wird der Aufruf zur Bildung freiwilliger Jägerbataillone erlassen, angeblich um die profranzösischen Kräfte zu stärken. Nur Friedrich Wilhelm windet sich noch. Wäre es nicht besser, sich aus dem Endkampf der Großmächte herauszuhalten und mit Österreich gemeinsam einen dritten Weg zu gehen? Kurzzeitig flackert der Plan einer neutralisierten Zone zwischen Elbe und Weichsel auf, ein Wunschgebilde, das die Stunde der Entscheidung herauszögern soll. Im fernen Potsdam hat die alte Gräfi n Voß, Hofmeisterin der inzwischen verstorbenen Königin Luise, von den schlesischen Schattenspielen keine Ahnung. Der Tagebucheintrag der 83jährigen vom 11. Februar macht deutlich, daß die Untertanen des Königs Friedrich Wilhelm im Augenblick alles für denkbar halten. Nur an Preußens Freiheit können sie nicht glauben: „Kaum weiß man, ob wir französisch oder russisch werden, das Geschick steht noch immer so drohend und dunkel über uns!“18 Am 27. Februar ist es endlich soweit. Die Qualen des Königs haben ein Ende. In Breslau unterzeichnet er ein Abkommen mit Rußland, das am nächsten Tag in Kalisch die Unterschrift des Zaren erhält und deshalb Ver-
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trag von Kalisch genannt wird. Noch immer ist Friedrich Wilhelm voller Vorbehalte, zumal der Zar in einem kardinalen Punkt ausweicht. Preußen möchte im Falle eines Erfolgs über Frankreich mit Sachsen belohnt werden, das als Napoleons führender Vasallenstaat Strafe verdient habe. Doch der Zar hält sich bedeckt. Als Friedrich Wilhelm insistiert, fertigt ihn Alexander mit einem herablassenden Rat ab: „Freundschaft, Vertrauen, Beharrlichkeit und Mut; den Rest besorgt die Vorsehung“19. Aber der Zug ist nicht mehr aufzuhalten. Es gibt für den König kein Zurück. Die öffentliche Meinung, seine Berater, vor allem aber die Militärs verlangen die Entscheidung. So wird General Scharnhorst in Alexanders Hauptquartier nach Kalisch geschickt, um die militärischen Planungen zu koordinieren. Trotzdem läßt sich Preußen bis zur Kriegserklärung an Frankreich am 17. März noch drei Wochen Zeit, ein Beleg dafür, daß sich der König bis zuletzt ein Schlupfloch offenlassen will. Am selben 17. März erläßt Friedrich Wilhelm die Aufrufe „An mein Volk“ und „An mein Kriegsheer“. Damit tut er den ersten Schritt zur Wiedervereinigung mit seinem Volk. Die Enttäuschung darüber, daß der König sich so spät und nur widerwillig an die Spitze der patriotischen Bewegung gesetzt hat, verweht im allgemeinen Jubel. Man ist glücklich, daß Preußen jetzt endlich den „richtigen“ Krieg führen kann. Der Vertrag von Kalisch sieht die Wiederherstellung Preußens auf den Stand von 1806 vor. Allerdings soll es den größten Teil seiner ehemals polnischen Besitzungen an Rußland abtreten. Als Entschädigung dafür wird eine Gebietsverbindung zwischen Schlesien und Ostpreußen zugesagt. Daß dies nur auf Kosten Sachsens geschehen kann, bleibt unausgesprochen. Diese Unterlassung wird später den Wiener Kongreß stark belasten. Preußen soll im Krieg 80 000 Mann stellen, Rußland 150 000. Große politische Bedeutung kommt einer Klausel zu, die den Vertragspartnern ausdrücklich untersagt, eigene Wege zu gehen. „Frieden oder Waffenstillstand nur einvernehmlich“ (ni paix ni trêve que d’un commun accord) stipuliert Artikel sechs. Beide, Preußen und Russen, ketten sich durch diese Klausel unwiderrufl ich aneinander. Ob die Schicksalsgemeinschaft jedem Sturm trotzen wird, muß die Zukunft erweisen. Aber man zieht, wenigstens auf dem Papier, die Lehre aus den früheren antinapoleonischen Koalitionen, die allesamt unter ihrer Brüchigkeit litten. Der Kalischer Vertrag gibt die Initialzündung zu einer Serie weiterer Abkommen. England kontrahiert mit Schweden, mit Rußland, mit Preußen. Das Geld, das der Erzfeind des Empire investiert, ist für die Empfänger Lebenshilfe und bringt zugleich die wahren Abhängigkeitsverhältnisse zum Ausdruck. Preußen erhält 666 666 Pfund Sterling, Rußland das Doppelte. England liefert Gewehre und Monturen, so daß die neu formierten preußischen Einheiten eine Zeitlang in englischen Uniformen stecken. Besonders
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umworben ist Schweden. Der schwedische König, der keinen Erben besitzt, hat Bernadotte, den ehemaligen Waffengefährten und Rivalen Napoleons, als Kronprinz ins Land geholt. Schweden konkurriert zu diesem Zeitpunkt mit Dänemark um den Besitz Norwegens. Dänemark soll mit Holland und den Hansestädten abgefunden werden. Aber es weigert sich, auf Norwegen zu verzichten und schließt wenig später ein Bündnis mit Frankreich. Schweden erhält damit seitens der Alliierten endgültig den Anspruch auf Norwegen, dazu eine Million Pfund Sterling, also deutlich mehr als Preußen. Bernadotte ist sein Geld wert. Mit 30 000 Soldaten landet er bald in Vorpommern, doch es ist vor allem sein Name, den England kauft. Muß es nicht wie ein Omen wirken, wenn der berühmte Revolutionsgeneral seinen Degen gegen Napoleon zieht? Schon läßt der Zar verbreiten, Bernadotte sei sein Kandidat für die französische Krone. Frankreich soll moralisch von Napoleon getrennt werden. Diese Absicht spielt in der psychologischen Kriegsvorbereitung der Alliierten eine zentrale Rolle und steht auch hinter einer zweiten spektakulären Personalerwerbung. Sie betrifft Moreau, den ruhmreichen Sieger von Hohenlinden, auch er ein ehemaliger Rivale Bonapartes. Man holt ihn aus dem amerikanischen New Jersey, wohin er nach der Aufdeckung des Komplotts Pichegru-Cadoudal 1804 emigriert war. Im Juli wird Moreau zur Stelle sein, er kann seine Feldherrnkunst aber nicht mehr unter Beweis stellen. In der Schlacht um Dresden Ende August wird er schwer verwundet. Den Tod vor Augen bittet er darum, ihm die Uniform anzulegen, die er damals bei Hohenlinden trug. Sie liegt in seinem Gepäck. So kommt es, daß Moreau, der ausgezogen war, Napoleons Adler zu besiegen, sein Leben am 2. September in französischer Generalsuniform aushaucht. Es ist viel Schacher und Verrat in diesen Monaten! Im Frühjahr hat, läßt man das Osmanische Reich beiseite, fast jeder unabhängige Staat Europas Partei ergriffen, für oder gegen Napoleon und das Empire, die meisten dagegen. Napoleon kann nur einen einzigen Verbündeten vorweisen, das wenig machtvolle Dänemark. Mit Rußland, Preußen, England und Schweden steht ihm der halbe Kontinent gegenüber. Nur Österreich fehlt noch. Ihm haben die Vertragspartner von Kalisch die Türen weit geöffnet. Artikel sieben des Vertrags enthält die Einladung an Österreich, baldmöglichst der großen Allianz beizutreten.
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Der Frühjahrsfeldzug Im März wird Metternich krank. Er hütet über mehrere Wochen das Bett, so daß sein Monarch zur Beratung die Hof burg verlassen und den Minister in seiner Privatwohnung in der Staatskanzlei aufsuchen muß. Woran er leidet, ist unbekannt. Womöglich sind seine Beschwerden psychosomatischer Natur. Die Niederschlagung des „Alpenbundes“ hat Metternich viel Kraft gekostet. Anfang Februar ist er einem Attentat entgangen. Was dahintersteckt, wird nicht ganz klar. Vielleicht bauscht Metternich die Sache etwas auf. Der gefällige Gesandte Otto meldet die Gefahr, in der sich der Graf befunden habe, sogleich nach Paris. Es kann nur vorteilhaft sein, wenn man dort erfährt, daß der Minister Leib und Leben für seine frankreichfreundliche Politik riskiert. Das Doppelspiel zerrt an den Nerven. Gegenüber Napoleon muß Metternich den Bündnispartner herauskehren, der unbeirrbar Frankreichs wahre Interessen im Sinn hat, selbst wenn es manchmal anders aussieht. Russen und Preußen muß er signalisieren, daß Österreich ihrer Sache nahesteht, aber seine Handlungsfreiheit bewahren will. Das ist ein schwieriger Balanceakt. Es sind vor allem die Ostmächte, die ihn vom Seil holen wollen. Sie haben kaum Verständnis für die Behutsamkeit des österreichischen Vorgehens und halten Metternichs Friedensinitiative für dubios. Was sie wollen, ist ein Eintrittsdatum in den Krieg gegen Napoleon. Sie erwarten Taten. Dabei hat Metternich schon eine Menge getan. Nicht immer liegt sein Handeln so offen zutage wie bei der Neutralisierung des Schwarzenbergschen Korps, die der russischen Armee bedeutende Vorteile verschafft hat. Vieles geschieht subkutan. Er erteilt Ratschläge, er stachelt an und geriert sich bereits wie ein stiller Teilhaber der antinapoleonischen Allianz. So hat er zu einem frühen Zeitpunkt den Russen geraten, die Weichsel zu überschreiten, dann die Oder, also den Krieg fortzusetzen. Er hat Preußen das Bündnis mit dem Zaren nahegelegt und der preußischen Führung empfohlen, nach Breslau umzusiedeln. Mit dem Mandat des unparteilichen Vermittlers unvereinbar ist eine diplomatische Geheiminitiative, die er im Februar lanciert und die ihn in Teufels Küche bringt. In diesem Monat nimmt Metternich Kontakt zu den Höfen von München und Dresden auf. Bayern und Sachsen sind führende Mitglieder des Rheinbund-Protektorats. Außerdem grenzen sie territorial an den Habsburgerstaat. Als Verbündete Frankreichs könnten sie im Kriegsfall Österreich gefährlich werden. Die Stoßrichtung der Initiative ist klar: Bayern und Sachsen sollen sich aus der Umarmung des Empereur befreien. Das ist Anstiftung zum Verrat.
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Im Falle Sachsens hat sie zunächst Erfolg. Nach dem Vormarsch der Russen an die Elbe ist die Stellung des Königs Friedrich August unhaltbar geworden. Zum Feind überlaufen will er nicht, im Feindesland verharren kann er nicht. Also flüchtet er in die ausgebreiteten Arme Österreichs. Am 20. April wird in Wien eine Konvention unterzeichnet; Sachsen verpfl ichtet sich, der österreichischen Vermittlung beizutreten. Im Gegenzug garantiert Österreich Friedrich August den Besitz seiner Erblande. Das ist hoch gepokert, zu hoch, wie sich rasch herausstellt. Denn schon am 8. Mai erscheint Napoleon in der sächsischen Hauptstadt Dresden. Vorausgegangen ist sein Sieg über Russen und Preußen bei Lützen. Friedrich August hat, nach einem Ultimatum Napoleons, seinen Zufluchtsort Prag verlassen und ist Hals über Kopf nach Dresden zurückgekehrt. Ihm und seinem Außenminister Senfft bleibt nichts anderes übrig als zu beichten und Napoleon um Vergebung zu bitten. Papiere, die die Franzosen im Schloß gefunden haben, belegen ihren Verrat unumstößlich. Für Metternich ist das ein Fiasko. Nicht nur, daß sein Abwerbeversuch gescheitert ist – sein Komplott ist aufgeflogen. Es kennzeichnet die in jeder Hinsicht verzwickte Lage Metternichs, daß die Sachsen-Affäre ihm zuallererst den Ärger derer zuzieht, die die Nutznießer hätten sein sollen. Es ist ein ernster Konfl ikt, der sich nun entwickelt. Er hat eine spezielle und eine prinzipielle Dimension. Die spezielle ist, daß Preußen Sachsen kassieren will und es nicht dulden kann, daß seine Pläne durch Metternichs Besitzstandsgarantie an Friedrich August konterkariert werden. Außerdem offenbart Metternichs Machination, daß er für „Deutschland“ eine Agenda hat, die der, welche sich die Alliierten zurechtgelegt haben, grundsätzlich widerspricht. Metternich geht das Legitimitätsprinzip über alles. Dementsprechend sollen die Rheinbundfürsten geschont werden. Sie sollen behalten, was sie haben, wenn der Krieg vorüber ist. Dagegen sind Rußland und Preußen entschlossen, alle Rheinbundfürsten zu entthronen, falls sie sich nicht aktiv am Kampf gegen Napoleon beteiligen. In einem Aufruf vom 19. März werden die deutschen „Völker“ zum Aufstand ermuntert. Fürsten, die jetzt noch gemeinsame Sache mit Frankreich machen, werden mit dem Verlust ihrer Kronen und Schlösser bedroht. Den Aufruf haben die Berater des Zaren formuliert, Graf Nesselrode und der Freiherr vom Stein. Metternich ist entsetzt. Es ist eingetreten, was er befürchtet hatte. Die Alliierten spielen mit dem Feuer. Sie rufen die Massen auf, ihre Souveräne zu verjagen. Sie sprechen die Sprache der Revolution. Voller Empörung schreibt er an Stadion: „Der Baron Stein hat sich an die Spitze einer revolutionären Partei gestellt. Er will über die Hilfsquellen der besetzten Länder verfügen, durch sogenannte volkstümliche Mittel (moyens soi disant populaires). Wir dagegen können es nur auf die Behauptung der Sache der Souveräne abgesehen haben“20. In einem anderen Schreiben drückt er sich noch
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deutlicher aus. Eine Entthronung legitimer Fürsten komme für Österreich unter keinen Umständen in Betracht, „so wenig als irgendein Gedanke an revolutionäre Umwälzungen der unsrige werden kann“21. Metternichs Empörung ist auch deshalb so groß, weil er die Proklamation vom 19. März, jenseits ihres unvertretbaren Ansatzes im Prinzipiellen, für taktisch töricht hält. Was kann die „Zaunkönige“ des Rheinbundes fester an ihren Protektor fesseln als die Aussicht, bei einer Niederlage Napoleons von den eigenen Untertanen hinweggefegt zu werden? Tatsächlich bleibt der Herzog von Mecklenburg-Strelitz der einzige, der sich den Drohungen der Koalitionäre von Kalisch beugt. Am 15. April um fünf Uhr morgens verläßt Napoleon Paris. Jetzt geht es um alles oder nichts. Wieder führt der Weg nach Osten, wie vor einem Jahr. Doch anders als 1812, als nicht einmal er selbst genau wußte, welchen Preis es in der russischen Steppe zu gewinnen gab, ist das Kriegsziel diesmal fest umrissen: Er muß sein Reich vor dem drohenden Untergang retten. Das schuldet er seinem Sohn. In ihm muß sein Werk weiterleben. Dazu ist ein Sieg nötig, ein großer Donnerschlag. Dann mag Frieden sein. Was er tun konnte, hat er seit der großen Schlittenfahrt getan. Vor einhunderteinundzwanzig Tagen hat er die Armee bei Smorgoni verlassen. Es war der Ausbruch aus dem Nichts. Jetzt ist das Spiel wieder offen. Vom Erhabenen zum Lächerlichen und zurück! Gestern ist Marie-Louise als Regentin vereidigt worden. Er wird ihr aus der Ferne seine Ratschläge zukommen lassen. Natürlich wird die eigentliche Statthalterschaft Cambacérès innehaben. Der ist erfahren und treu. Die Regentschaft ist ein Unterpfand für den Fall des Falles. Verliert er in der Schlacht das Leben, wird der Kaiser von Österreich die Sache einer Dynastie, an derer Spitze seine Tochter steht, zu seiner eigenen machen. Die Armee ist so gut, wie sie unter den obwaltenden Umständen sein kann. Ihre Defi zite sind ihm bewußt. Trotz aller Anstrengungen ist die Kavallerie schwach an Umfang und Erprobung, während es um die Artillerie besser bestellt ist. Nur bei den Zugpferden herrscht Mangel. Ein Fragezeichen steht hinter den jungen Soldaten: Die Konskribierten des Aushebungsjahrgangs 1813 sind im Schnitt 19 Jahre alt, die des vorgezogenen Jahrgangs 1814 nur 18. Gewiß, sie sind begeistert, das hört er überall. Aber wer sagt, daß sie nicht bei der ersten Feuerprobe auseinanderlaufen? Es fehlen die kriegserprobten Kader, die Halt geben könnten. Es fehlen Offi ziere, denn die hat der russische Winter dahingerafft. Die Ausbildung der Rekruten war extrem kurz, den Dienstplan hat er selbst verfaßt. Vier Wochen Aufwärmen in den Depots mit Einkleidung und Ausrüstung und etwas Exerzieren. Zwei Schuß mit scharfer Munition auf die Scheibe, der Rest muß auf dem Vormarsch erfolgen. Das Reglement sieht fünf bis sechs Stunden
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Marschieren am Vormittag vor, am Nachmittag stehen zwei bis drei Stunden Exerzieren auf dem Programm. Es wird schon gutgehen! Auch der Armée d’Italie hat man nichts zugetraut. Als er sie übernahm, war sie verlottert, der letzte Haufen im Aufgebot der Revolution. Dennoch hat er sie zu den Gipfeln des Ruhms geführt. Lange hat Napoleon nicht mehr so häufig an Arcole und Marengo gedacht, an Lodi und Rivoli. Warum soll sich die Geschichte nicht wiederholen? Diesen Feldzug werde er nicht als Kaiser bestreiten, sondern als General, hat er Vertrauten gesagt. Den Generälen hat er jeden Plunder und Luxus im Feld verboten. Er selbst will mit gutem Beispiel vorangehen. Schon am 23. Februar hat er Duroc angewiesen: „Ich will ganz anders reisen als im vorigen Feldzug. Ich will weniger Leute haben, weniger Köche, weniger Geschirr, kein großes Reisebesteck, und das sowohl des Beispiels wegen als zur Vermeidung von Unordnung. Im Feld und auf dem Marsch soll das Essen für mich aus einer Suppe, Rindfleisch, Braten und Gemüse bestehen; kein Dessert“22. Am 28. April vereinigen sich bei Naumburg die Hauptarmee und die Truppen des Vizekönigs Eugène. Von den 170 000 Mann, auf die sie es zusammen bringen, sind ein Drittel Deutsche, dazu Italiener, Portugiesen, Polen, Holländer. Am 2. Mai kommt es zur Schlacht unweit von Lützen (Groß-Görschen in der deutschen Literatur). Bei Lützen hatte 1632 Gustav Adolf von Schweden den Tod gefunden. Die Franzosen sind der russischpreußischen Armee an Zahl überlegen, dennoch droht die Schlacht verlorenzugehen. Napoleon ist überall. Er treibt an, richtet auf. Das Erscheinen des Mannes mit dem grauen Mantel tut der Moral der jungen Soldaten gut. Wo er auftaucht, schallt ihm das Vive l’Empereur entgegen. Schließlich wendet sich das Blatt. Die Koalitionsarmee muß sich zurückziehen. Zu Duroc sagt Napoleon am Ende des Tages von Lützen: „Jetzt bin ich wieder Herr von Europa“23. Bei Friedrich Wilhelm III. weckt die Niederlage die Erinnerung an 1806: „Das ist ja wie bei Auerstedt24.“ Die alte Hackordnung im Felde scheint wieder zu stimmen. Am 20. und 21. Mai ist Napoleon ein weiteres Mal erfolgreich: Er siegt bei Bautzen. Nach der Schlacht setzen sich Russen und Preußen Richtung Oder ab, Breslau fällt in die Hände der Franzosen. Auffällig ist jedoch, daß Napoleon weder in Lützen noch in Bautzen imstande ist, den alliierten Armeen ein „Austerlitz“ zu bereiten. Vor allem die Preußen kämpfen diszipliniert und verbissen. „Die Tiere haben gelernt“, entfährt es Napoleon. Doch liegt die Hauptursache dafür, daß seine Siege diesmal nur halbe Siege sind, woanders. Die Kapazität seiner Kavallerie reicht einfach nicht aus, den Gegner zu verfolgen und aufzureiben. Trotzdem sind die Alliierten schwer getroffen, schwerer als Napoleon wissen kann. Ihre Erwartung, mit Hilfe von „Gottes rächender Hand“ die
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neue Grande Armée zu zertrümmern, so wie es mit der alten ein Jahr zuvor geschah, hat sich als pure Selbstüberschätzung erwiesen. Ernüchtert müssen sie die überlegene Feldherrnkunst Napoleons anerkennen. Mit Lützen und Bautzen hat sich die militärische Gesamtlage wesentlich verändert. Des Kaisers junge Armee hat ihre Feuertaufe bestanden. Ein Großteil des ostdeutschen Gebiets, das seit dem Jahreswechsel preisgegeben werden mußte, ist zurückerobert. Berlin steht sperrangelweit offen für die Inbesitznahme durch die Franzosen. Die Heeresmacht der Koalition, statt am Rhein von den befreiten deutschen „Völkern“ gefeiert zu werden, fi ndet sich an der Oder wieder. In dieser Situation läßt sich Napoleon vollkommen unerwartet auf einen Waffenstillstand ein. Er wird am 4. Juni in Pläswitz geschlossen und schreibt eine Friedenspfl icht bis zum 20. Juli vor. Unter Militärhistorikern gehen die Meinungen über den Waffenstillstand auseinander. Ohne Zweifel hat Napoleon gute Gründe, eine Auszeit zu nehmen. Die Verluste bei Bautzen und besonders bei Lützen waren immens. Die jungen Soldaten sind erschöpft, die Armee ist auf Verstärkungen angewiesen, die Zug um Zug aus Frankreich anrücken. Trotzdem wird Napoleon auf Sankt Helena den Waffenstillstand als großen Fehler bezeichnen. Mit Pläswitz versäumt er das Momentum. Die Zeit, die er gewinnen will, nutzen andere besser, vor allem Metternich. Das diplomatische Spiel des österreichischen Außenministers tritt in die fi nale Phase ein.
Niemand habe Napoleon so gut gekannt wie er, schreibt Metternich in seinen Erinnerungen. Das ist sicher übertrieben, doch waren die Studien, die er während seiner Botschafterzeit und dann später, während der „besonderen Mission“, in Paris trieb, zweifellos nutzbringend. Seine Beobachtungen helfen ihm jetzt, Napoleons Absichten richtig zu entziffern. Sie bewahren ihn davor, den Franzosenkaiser zu unterschätzen. Napoleons Siege im Frühjahrsfeldzug überraschen ihn nicht. Schon Anfang des Jahres war ihm klar gewesen, daß der Kaiser nach dem russischen Debakel keine Ruhe geben, sondern alles daransetzen werde, seine Machtstellung zu restaurieren. „Wie schwer doch der Sturz eines großen Mannes ist!“ In einem Brief vom 5. Januar an den russischen Botschafter Stackelberg zitierte er den Stoßseufzer Schwarzenbergs: „Dieses Wort ist so tief, dass alle Entwürfe der armen Mittelmächte sich darauf richten müssen, nicht zermalmt zu werden“. Mit dem ihm eigenen Selbstmitleid fuhr er fort: „Teilen Sie mit mir die Überzeugung, daß es Umstände geben kann, wo es für einen Menschen ein großes Unglück ist, an einem Platz wie dem meinigen zu stehen“25.
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Mit dem Resultat des Frühjahrsfeldzugs kann Metternich zufrieden sein. Dieses neue Kriegsgeschehen war aus österreichischer Sicht genauso wie der Feldzug von 1812 mit einem 360-Grad-Risiko behaftet gewesen. Österreich mußte jede Entscheidung fürchten, egal zu wessen Gunsten. Nun hat Napoleon im Mai zwei Bataillen gewonnen, aber nicht den Krieg. Die Alliierten haben einen Dämpfer bekommen. Das Gleichgewicht ist wiederhergestellt. Für Metternich ist dies das Wunschergebnis. Damit Österreich sein Gewicht wirkungsvoll in die Waagschale werfen kann, müssen die Schalen erst einmal im Lot sein. Militärisch ist das mittlerweile der Fall. Politisch geschieht jetzt Unerwartetes. Österreich geht noch enger zu den Alliierten auf Tuchfühlung. An sich hätte es nach Lützen und Bautzen heißen müssen, schleunigst den Abstand zu Rußland und Preußen zu vergrößern, den Metternich durch seine verdeckte Rheinbundpolitik in bedenklichem Maße verkürzt hatte. Der Abwerbeversuch Sachsens war ein hochriskanter Hilfsdienst für die Koalition gewesen, den diese mit ihren Mißerfolgen auf dem Kriegsschauplatz jedoch sehr schlecht entgalt. Besonders die russische Armee hat bitter enttäuscht. Kaiser Franz sei geradezu schockiert, beobachtet Graf Hardenberg: „Die Schnelligkeit, mit der Bonaparte eine neue Armee aufgebaut und ins Feld geführt hat, eine Armee, die der der Alliierten zahlenmäßig überlegen ist, die Fähigkeit, mit der er in der Bataille vom 2. Mai mit einer Kavallerie standgehalten hat, die bedeutend größer war als seine, die praktisch nicht existiert …“, all dieses habe in Österreich der Anti-Kriegspartei mächtig in die Hände gespielt und besonders bei Kaiser Franz die größten Befürchtungen geweckt. So sehr sei der Kaiser in Angst, daß er „die französische Armee bereits an der Weichsel oder im Zentrum seiner Staaten zu sehen glaubt“. Vollkommen anders beurteilt Hardenberg die Verfassung Metternichs. Der Graf hoffe immer noch auf den Erfolg der geplanten bewaffneten Vermittlung, habe aber mit seinem Kaiser „heftige Auseinandersetzungen“ (des scènes très vives) gehabt26. Es gibt keinen Grund, an der Darstellung Hardenbergs zu zweifeln. Ernst von Hardenberg, ein Verwandter des preußischen Staatskanzlers, ist Bevollmächtigter Hannovers in Wien, vertritt also britische Interessen. Er ist ein guter Beobachter und verfügt über beste Drähte zu Metternich. Hardenberg registriert die große Verunsicherung, die Napoleons Erfolge in Wien verursacht haben. Die Friedenspartei hat Auftrieb bekommen. Zu ihr gehört, jedenfalls im Augenblick, der Kaiser, nicht jedoch sein leitender Minister, den Hardenberg der Kriegspartei zuordnet. Hardenberg erlebt Metternich in diesen Tagen als geradezu aus den Fugen geraten (décomposé). Er ist mit seinem Kaiser über Kreuz. Er ringt mit dem Monarchen. Es kommt zu Szenen. Das alles ist in hohem Grad ungewöhnlich. Metternich ist bekanntlich keine Kämpfernatur, und Auseinandersetzungen mit Kaiser Franz
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gab es bisher nie. Kleinere Dissonanzen mit dem Souverän unterspült er sonst durch Verbindlichkeit. Aber diesmal kann er dem Konfl ikt nicht ausweichen. Warum? Die einzig mögliche Antwort lautet: Er fürchtet um den Kern seiner Politik. Metternich hat sich inzwischen auf die Koalition festgelegt. Wäre es anders, müßte er aus ihren militärischen Schlappen ähnliche Schlüsse ziehen wie Kaiser Franz. Tatsächlich aber beschleunigen ihre Rückschläge seine Aktion. In wenigen Wochen wird er Österreich in das Bündnis gegen Napoleon geführt haben. Nach Lützen ist die im Kalischer Vertrag ausgesprochene „Einladung“ an Österreich fordernder geworden. Auch der zu Überheblichkeit neigende Zar hat eingesehen, daß er für seine Mission, Europa zu befreien, die österreichische Armee braucht. Aber Metternich will nichts überstürzen. Zur Entlastung schickt er am 5. Mai seinen Vorgänger Stadion ins alliierte Hauptquartier nach Wurschen. Die Auswahl des Emissärs ist eine Demonstration. Wie kein anderer steht Stadion für die österreichische Kriegspartei. Sechs Tage später geht Bubna nach Dresden ab, wo Napoleon sich auf die nächste Schlacht vorbereitet. Optisch bleibt damit die Äquidistanz gewahrt. Allerdings gewinnt man in Wurschen den Eindruck, daß der Eintritt Österreichs in die antinapoleonische Phalanx näher rückt. Durch die eine oder andere abgezirkelte Bemerkung hat Metternich dafür gesorgt, daß dieser Eindruck entstehen kann. So klärt er am 2. April Stackelberg darüber auf, was Österreich unternehmen werde, sollte Napoleon die Vermittlung zurückweisen. Dann sei gewiß, daß Kaiser Franz die Kräfte, „welche die Vorsehung in seine Hände gelegt hat, einsetzen wird, um in größtmöglicher Übereinstimmung mit den alliierten Mächten zu kooperieren, und zwar auf der Grundlage … einer Vereinbarung, die auf den Prinzipien basiert, die Seine Kaiserliche Majestät für die Existenz seines Reiches und das Wohlergehen Europas für notwendig hält“27. Das ist umständlich formuliert, aber hinreichend klar im Sinn, so daß Stackelberg die Stufenfolge erkennen kann, die Metternichs Handlungskonzept zugrunde liegt. Mit den „Prinzipien“ sind die Bedingungen gemeint, die Österreich stellen wird und auf die Napoleon eingehen muß, will er den Bündniswechsel des Habsburgerstaats verhindern. Lehnt er sie ab, wird sich Kaiser Franz frei fühlen, „um in größtmöglicher Übereinstimmung mit den alliierten Mächten zu kooperieren“, gegebenenfalls militärisch. Und er wird sie ablehnen! Diese Vorhersage läßt Metternich überall dort zirkulieren, wo er es für opportun hält. So kann Graf Hardenberg unter Bezugnahme auf Metternich die Auffassung vertreten, „daß der Krieg zwischen Österreich und Frankreich ausbrechen muß, weil Napoleon ohne allen Zweifel die Friedensvorschläge ablehnen wird, welche Rußland, Preußen und Österreich ihm gemeinsam machen werden“28.
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Über die „Prinzipien“ äußert sich Metternich einmal, eher unbestimmt, gegenüber dem Gesandten Otto, dann, konkreter, gegenüber dem neuen französischen Botschafter. Ende März hat Napoleon Otto durch den Grafen Narbonne ersetzt. Narbonne kann eine Biographie vorweisen, wie nur Umbruchzeiten sie hervorbringen. Kriegsminister bereits unter Ludwig XVI., übt er dasselbe Amt unter dem Konvent aus. Nur anfangs eingefangen vom Reiz des Neuen, emigriert er 1792 nach London, wo er eine Verteidigungsschrift für den angeklagten Bourbonenkönig verfaßt. Dies und seine Umgangsformen, die er aus der Zeit des Ancien Régime bewahrt hat, prädestinieren ihn für den Wiener Posten, zumal er die deutsche Sprache beherrscht. Bei einer Audienz am 7. April blättert ihm Metternich den Katalog seiner Forderungen auf: Rückgabe der Provinz Illyrien, Auflösung des Rheinbundes sowie des Großherzogtums Warschau, Vergrößerung Preußens und Abtretung der sogenannten 32. division militaire, also der Departements l’EmsOriental, l’Ems-Supérieure, la Lippe, les Bouches-du-Weser mit Bremen und les Bouches-de-l’Elbe mit Hamburg29. Zugleich läßt Metternich durchblicken, daß die Forderungen Rußlands und Preußens noch weitaus umfangreicher seien, was sagen soll: Mit Österreichs moderaten Preisvorstellungen ist Napoleon gut bedient. Vorsichtigerweise schreibt Metternich die Friedensbedingungen, denen der Kaiser der Franzosen zustimmen soll, nirgendwo auf. Das hat den Vorteil, daß sie beliebig verschärft oder erleichtert werden können, was in der Folge auch mehrfach geschieht. Fünf Forderungen hat er Narbonne genannt. Neun Forderungen trägt Stadion im Hauptquartier der Koalition vor. Nach Lützen wird die Liste kürzer, vermutlich mit Rücksicht auf Kaiser Franz. General Bubna, der am 16. Mai von Napoleon in Dresden empfangen wird, erwähnt nur die Auflösung des Großherzogtums, den Verzicht auf die Annexionen in Norddeutschland und Illyrien. Von der Vergrößerung Preußens ist nicht mehr die Rede, von der Auflösung des Rheinbundes nur vage. Das Jonglieren mit Friedensbedingungen, die niemals protokollfest gemacht werden und stets unscharf bleiben, bestimmt die Pendeldiplomatie in den Wochen des Waffenstillstands. Die Rollenverteilung steht fest. Österreich verlangt immer weniger als die Koalition, die auch die Räumung Italiens, die Wiedereinsetzung der Bourbonen in Spanien und die Herausgabe Hollands durchsetzen will. Dieser Überbietungswettbewerb ist Teil des Konzepts. Er erlaubt es Metternich, die Pose des ehrlichen Maklers einzunehmen, der von Napoleon nur das Zumutbare verlangt. Scheinbar nimmt Metternich Napoleon gegen die Maßlosigkeit der Koalition in Schutz. Tatsächlich aber baut er eine Falle auf. Wenn der Kaiser der Franzosen selbst das österreichische Minimum ablehnt, ist ihm nicht mehr zu helfen.
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Das Ganze hat allerdings einen Haken: England bleibt außerhalb aller Betrachtungen. Es nennt keinen Preis für einen Frieden; es läßt überhaupt offen, ob es für einen Frieden zu haben ist. Metternichs Vermittlungsansinnen hat es brüsk zurückgewiesen und ihm damit praktisch die Grundlage entzogen30. Denn England ist keine Macht dritten Ranges. Als Financier des Krieges der Russen und der Preußen ist es der Schlüssel zu allem. Ohne England geht gar nichts. Ohne das Inselreich gibt es bestenfalls einen Präliminarfrieden der Kontinentalmächte, aber keinen paix générale, auf dem Napoleon besteht. Für den Franzosenkaiser bedeutet das: Solange Metternich nicht auch für England sprechen kann, ist das Hin- und Herschieben von kleineren oder größeren Forderungspaketen ohne Sinn. Liegt hierin der Grund für die Teilnahmslosigkeit, mit der Napoleon Metternichs Treiben verfolgt? Der Kaiser schließt nicht aus, daß die Aktivitäten des Wiener Ministers, in gute Bahnen gelenkt, irgendwann von Nutzen sein können. Deshalb läßt er ihn gewähren. Aber die Vermittlung wird keinen Frieden zu Konditionen herbeiführen, die er „ehrenhaft“ nennt. Der Krieg wird weitergehen. Er muß weitergehen, denn noch befi ndet sich Napoleon nicht in der Position dessen, der den Frieden diktieren kann. Die große Frage ist, wo Österreich bei der Fortsetzung des Konfl ikts stehen wird. Wird es mit Frankreich kämpfen, wird es neutral sein wollen oder in die Reihen seiner Feinde eintreten? In Wien gelangt Narbonne nach kurzer Zeit zu der Gewißheit, daß die Neutralität das Höchste ist, was Frankreich von Österreich zu gewärtigen hat. Für eine Reanimierung des Bündnisses von 1812 fi ndet er keinerlei Anzeichen. Im Gegenteil: „Ich sehe in den Cafés und allen Versammlungsorten nichts als den Haß auf den französischen Namen“, berichtet er nach Paris31. Selbst die Finanzkrise und das Daniederliegen des Handels werde Frankreich angelastet. Bei seinen Gesprächen mit Metternich glaubt er zu spüren, daß der Minister nie die ganze Wahrheit sagt. Doch was er sagt, reicht aus, um alarmiert zu sein. „Österreich kann sich nicht schlagen, damit Frankreich das Protektorat des Rheinbunds konservieren kann“, hat ihm Metternich am 7. April zu verstehen gegeben. „Alle seine Erklärungen kommen in der sanftesten und vertrauensvollsten Art daher“, bemerkt Narbonne. Anders als sein Vorgänger läßt er sich dadurch jedoch nicht blenden. Österreichs Bündnis mit Frankreich existiert nur noch auf dem Papier. Es ist Kaiser Franz in Person, der das mit einfachen Worten unmißverständlich zum Ausdruck bringt. „Es ist meine Überzeugung, daß ich nicht gleichzeitig im Krieg und Vermittler sein kann“, sagt er Narbonne am 21. April32. Mehr und mehr fühlt sich Narbonne in der Pfl icht, Napoleon über Metternich die Augen zu öffnen. Wo Otto verharmlost hat, tritt er als Warner auf. Es bestünden nur geringe Zweifel „über das Ausmaß der unterirdischen
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Verbindung, die zwischen diesem Kabinett und allen Souveränen bestehen, die aktuell im Krieg mit Eurer Majestät liegen“, schreibt er seinem Kaiser am 23. April33. Doch es hat den Anschein, als seien diesem die Mahnungen Narbonnes lästig. Napoleon hat momentan andere Sorgen. Er steht im Feld. Ein Sieg wird mehr bewirken als tausend Wiener Winkelzüge. Außerdem hat er Marie-Louise in Stellung gebracht. Sie soll dem Vater Briefe schreiben und in den wärmsten Farben ausmalen, wie sehr ihr Gatte den Kaiser von Österreich schätzt. Das muß genügen. Der Wiener Botschafter bekommt über Berthier einen Maulkorb verpaßt: „Narbonne soll nichts sagen, was dem Hof zu Wien missfallen könnte. Der Kaiser ist desselben sicher“34. Ist Napoleon plötzlich mit Blindheit geschlagen? Die Wahrheit ist, daß ihm Metternichs Doppelspiel keineswegs entgeht. Wahr ist aber auch, daß er im Moment Metternich nicht beikommen kann. Im übrigen fehlt ihm von mancherlei Schlichen des österreichischen Ministers einfach die Kenntnis. Zum Beispiel davon, daß Stadion, kaum daß er in Wurschen angelangt ist, an einem Kriegsrat der Koalition teilnimmt. Daraus entsteht ein Operationsplan, den Stadion nach Wien expediert. Die Propositions relatives au plan de campagne tragen die Unterschrift des Prinzen Volkonsky und des Generals von Knesebeck, der eine ist Generalstabschef der Armee des Zaren, der andere Friedrich Wilhelms Militärbevollmächtigter35. Das Unerhörte dieses Plans ist, daß er die österreichische Armee wie selbstverständlich in alle Operationen einbezieht und eine kombinierte Offensive vorschlägt. Metternich erhält die Propositions am 21. Mai. Er hat sie nicht in Auftrag gegeben, unterlässt es aber, gegen die Erstellung des brisanten Schriftstücks zu protestieren, das im Falle des Bekanntwerdens Österreichs Vermittlung in das denkbar schlechteste Licht rücken müßte. Zum Glück für Metternich bleibt der französischen Seite das militärische Vordenken von Wurschen verborgen. Die Nöte des Ministers sind auch so groß genug, seit seine Wühlarbeit bei den Konföderierten des Rheinbundes ans Tageslicht gekommen ist. In diesem Punkt würde die Faktenkenntnis ausreichen, um Metternich an den Pranger zu stellen. Aber Napoleon zieht es vor, sein Wissen für sich zu behalten. Er fährt fort, so zu tun, als sei das Verhältnis zu Österreich ungetrübt. Und tatsächlich würde ein Eklat den Stand der Dinge wohl kaum verbessert haben. Napoleon kann es sich einfach nicht leisten, Österreich in die Enge zu treiben, jetzt noch nicht. Statt dessen beschließt er, Metternich auszuspielen. In einer Blitzaktion sucht er die Verständigung mit dem Zaren. Diese Option war bekanntlich bei der außenpolitischen Konferenz vom 2. Januar diskutiert worden, ohne eine Mehrheit zu fi nden. Jetzt zieht Napoleon die Karte. Seit Lützen sind zwei Wochen verstrichen. Im Umkreis von Bautzen haben die gegnerischen Armeen ihre Stellungen für die nächste Schlacht bezogen. Die heikle Mis-
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sion, ins feindliche Hauptquartier vorzustoßen, überträgt Napoleon Caulaincourt, von dem er weiß, daß Alexander ihn schätzt. Die Instruktionen, die Caulaincourt erhält, lassen erkennen, wie groß der Zorn des Kaisers auf Metternich nach der Sachsen-Affäre ist. „Meine Absicht ist, ihm (dem Zaren) eine Goldene Brücke zu bauen, um ihn von Metternichs Intrigen zu befreien … Wenn ich schon Opfer bringen muß, möchte ich lieber, daß der Zar Alexander etwas davon hat, der mir einen guten Krieg liefert, und der König von Preußen, an dem Rußland viel liegt, als Österreich, das die Allianz verraten hat“36. Mit viel Optimismus erreicht Caulaincourt am 18. Mai die Vorposten der russisch-preußischen Armee. Die Lage ist angespannt. Jeden Augenblick kann die Kanonade losbrechen. Noch wären Mord und Totschlag vermeidbar. Doch Alexander verweigert sich. Er ist für Caulaincourt nicht zu sprechen. Statt dessen verweist er den Sendboten an Stadion, mit der Begründung, Österreich sei Vermittler. Alle Verhandlungen hätten ausschließlich über den médiateur zu laufen. Am 20. Mai wird die Koalitionsarmee geschlagen. Die Niederlage demoralisiert die Russen weit stärker als die preußischen Mitkämpfer. Dennoch bleibt der Zar bei seiner Linie. Es gibt keine Sonderverhandlungen mit Frankreich. Die Einverständnis-Klausel des Vertrags von Kalisch tut ihre Wirkung. Der Versuch Napoleons, Metternich matt zu setzen, ist gescheitert. Es ist Juni, als der Waffenstillstand beginnt. Wenn er am 20. Juli ausläuft, wird immer noch Sommer sein. Es bleibt genügend Zeit, mit einer dann erheblich verstärkten Armee dem Feind den fi nalen Schlag zuzufügen. So denkt Napoleon, als er nach der Rückkehr aus Schlesien sein Hauptquartier in Dresden aufschlägt. Realistisch betrachtet kann er mit dem Verlauf des Frühjahrsfeldzugs zufrieden sein. Die Milchbärte, aus denen im Eiltempo Soldaten gemacht worden waren, haben sich bravourös geschlagen. Er selbst hat bewiesen, daß er der alte ist. Er hat seinen Stern wiedergefunden. Wer denkt noch an Moskau? Um so enttäuschender ist das Scheitern der Mission Caulaincourt. Er hatte das feindliche Bündnis sprengen wollen. Allein, der Zar hat seine Werbung ausgeschlagen, auch nach der zweiten Niederlage. Man hätte die Welt noch einmal teilen können wie 1807 in Tilsit! Die einzig mögliche Erklärung für Alexanders Weigerung ist England. Er hat England sein Wort gegeben. Oder steht Österreich hinter seinem Starrsinn? Rechnet er damit, bald auch über Österreichs Streitkräfte verfügen zu können? Metternich! Ihm ist nicht zu trauen. Narbonne hat recht. Man darf sich von seiner sanften Salonsprache nicht irreführen lassen. Er verdeckt seine Absichten und verdreht die Tatsachen. Aber man muß seine Geschicklichkeit anerkennen. Daß Österreich jetzt plötzlich von allen Seiten umgarnt
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wird, ohne einen einzigen Schuß abgegeben zu haben, ist ärgerlich. Es beweist aber, daß mit Metternich nicht zu spaßen ist. Napoleons Österreich-Politik oszilliert das ganze Frühjahr über zwischen Vertrauen und Vorsicht, zwischen dem Glauben an den Familiensinn des Schwiegervaters und der Vorsorge für den Fall, daß Glaube und Vertrauen auf Sand gebaut sein sollten. Kaiser Franz wird der Stimme des Blutes folgen, und wenn nicht der Stimme des Blutes, dann der des Staatsinteresses! Bonaparte und Habsburg, Habsburg und Bonaparte: Das ist eine Vision, die einen geschichtsbewußten Dynasten wie den Kaiser von Österreich doch zum Träumen bringen muß! Die Warnung Schwarzenbergs erreicht Napoleon nicht. Schwarzenberg hatte dem Herzog von Bassano im April zu bedenken gegeben, daß man in Paris die Hochzeit mit der Erzherzogin nicht überbewerten dürfe37: „Die Politik hat sie geschlossen, die Politik könnte sie lösen“ (la politique l’a fait, la politique pourrait le défaire). Muß Kaiser Franz nicht an den Enkel denken, so wie er für seinen aiglon alles tun würde, weil er die Zukunft ist? Zwei Tage nach Lützen schreibt Napoleon dem Schwiegervater. Den kurzen Siegesbericht versieht er mit einem ungewöhnlichen Beisatz. Weil er beschlossen habe, alle Operationen selbst zu kommandieren, habe er sich mehrfach „in der Reichweite der Geschosse“ befunden, aber Glück gehabt. Der Kaiser von Österreich wird den Hinweis verstehen. Es kann gut sein, daß der Vater seines Enkels den Krieg nicht überlebt. In diesem Fall wird er, der Großvater, in der Verantwortung für den kleinen Napoleon stehen. Der Brief endet mit einer fast schalkhaften Bemerkung über die „Regentin“ Marie-Louise: „Sie ist heute mein Premierminister, und sie erfüllt diese Aufgabe zu meiner großen Zufriedenheit. Ich möchte, dass dies Eurer Majestät nicht unbekannt ist, da ich weiß, wie viel Freude es Eurem väterlichen Herzen machen wird“38. Ganz und gar mag Napoleon dem „väterlichen Herzen“ des Habsburgers aber nicht vertrauen. Wenn er auch geneigt ist, die Familienbeziehung als feste Burg zu betrachten, weiß er doch als Kriegsmann, daß keine Bastion uneinnehmbar ist. Je irritierender das Verhalten des Noch-Bündnispartners wird, desto konsequenter bemüht er sich, Österreich durch Abschreckung von weiteren Abirrungen abzuhalten. Seinem Kriegsminister Clarke nennt Napoleon am 2. Juni die beiden Gründe, die ihn zum Waffenstillstand genötigt haben, obwohl dieser „den Lauf meiner Siege bremst“: „Mein Kavalleriemangel und die feindliche Position Österreichs“. Gegen letztere könne eine Verdoppelung der Rüstungsanstrengungen helfen. Merke Österreich, daß Frankreich imstande sei, seine Feinde hinwegzufegen, werde es vielleicht zur Vernunft kommen39. Noch deutlicher äußert er sich am selben Tag gegenüber Eugène, der in seinem Auftrag in Norditalien eine Armee aufstellt. Es gebe keinen Aus-
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druck für die Frechheit Österreichs, schreibt er. Österreich sei dabei, für sich Dalmatien und Istrien und Teile Bayerns zu erpressen, und zwar „in einer honigsüßen Art“. Der Hinweis auf Metternich ist unmißverständlich. Lasse man Österreich gewähren, werde es am Ende ganz Italien und ganz Deutschland haben wollen. Deshalb sei es angeraten, daß Eugène in den ersten Julitagen 50 000 Soldaten mit hundert Kanonen bei Laibach konzentriere. Österreich werde dann wissen, daß es mit einem Angriff auf Wien rechnen müsse. Zugleich werde die Reservearmee, die zwischen Mainz und Bamberg stehe, verstärkt. Er selbst werde außerdem für eine weitere Armee ein Lager bei Pirna in Sachsen errichten, von wo aus Böhmen attackiert werden könne. „Wenn Österreich drei Armeen in unmittelbarer Nähe sieht, wird es ihm die Augen öffnen für seine Torheit und das Lächerliche seines Ehrgeizes“40. Mit Zuckerbrot und Peitsche will Napoleon Österreich im Zaum halten. Darauf legt er sich im April fest. Als Peitschenhieb war der Vorstoß gegenüber dem Zaren gedacht. Gut, der Hieb hat nicht gesessen. Dann muß eben militärische Einschüchterung helfen. Diese doppelgleisige Politik nötigt Napoleon ein hohes Maß an Selbstbeherrschung ab, da sie Metternichs Zweideutigkeiten hinnimmt und ihn selbst davon abhält zu tun, was er am liebsten tun würde, nämlich den Konfl ikt auf die Spitze zu treiben. Um Klarheit zu erhalten, müßte er Österreich zwingen, Farbe zu bekennen. Statt dessen wartet er ab, ob die Mixtur aus Abschreckung und Gefühlsappellen funktioniert. Seine Erwartungen hat er nach unten angepasst. Im bevorstehenden kriegerischen Finale wird er den Habsburgerstaat wohl kaum als puissance principale an seiner Seite fi nden. Es geht nur noch darum zu verhindern, daß Österreich in die feindliche Koalition abschwenkt. Mehr kann er nicht tun. Mehr will er nicht tun. Das Feilschen um Friedensbedingungen, die feinsinnige Unterscheidung, ob Österreichs Initiative eine Friedensvermittlung oder nur eine Friedensverwendung ist, die Rechtsqualität des Bündnisvertrags von 1812 – all das sind für den Kaiser „Subtilitäten“. Sie betreffen nicht den Kern der Sache. Der Versuch, sich mit dem Zaren auf eigene Faust zu verständigen, war die letzte eigenständige diplomatische Aktion, die er unternimmt. Danach tritt Stillstand ein. Warten, wie Österreich sich sortiert. Für Napoleon ist das jetzt das einzig Richtige, nicht so für seine Umgebung. Hier verlangt man nach starken Friedenssignalen. Das gilt für nicht wenige seiner Generäle, es gilt für Minister und hohe Beamte in Paris und überhaupt für all diejenigen, die dem Krieg ihre Titel und Besitztümer verdanken, solange er siegreich war. Die Angst, das Erworbene zu verlieren, verwandelt sie jetzt in Friedensapostel. Napoleon hat für seine kriegsmüden Armeeführer nur ein Achselzucken übrig. Wo wären sie denn ohne die Verdienste, die sie allein im Felde erwerben konn-
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ten? Obsthändler wären sie oder Handwerker oder Anwälte in der fi nstersten Provinz statt Marschälle, deren Namen in Europa jeder kennt und fürchtet. Aber er braucht seine Generäle, und wenn er seine Kriegsanstrengungen mit Friedensrhetorik garniert, dann geschieht das, um sie bei der Stange zu halten. Wenn das Täuschung ist, dann nur eine halbe. Er will ja selbst den Frieden, einen ehrenhaften Frieden allerdings. Und der setzt einen letzten militärischen Kraftakt voraus. Warum nur wollen sie das nicht verstehen?
Ein Kriegseintrittsbillett Einer der wenigen, die Napoleon verstehen, ist Metternich. In seinen nachgelassenen Papieren fi ndet sich eine Äußerung Napoleons, die er offenbar für so erhellend ansah, daß er sie niederschrieb und seinem Kaiser vortrug: „Die Mächte berechnen beim Beginn eines Krieges nie genug, dass ein Mann in meiner Lage keinen Frieden schließen kann, wenn er geschlagen wurde und die Scharte nicht auswetzte!“41 Die Äußerung wird von Metternich nicht datiert, aber es gibt Quellen genug, die belegen, daß Napoleons Gedanken in den letzten Jahren seiner Herrschaft immer jenen Punkt umkreisen, der das große Obligo seiner Erobererkarriere darstellt – den Zwang, Stärke zu beweisen. Zu Vincent sagt er beim Erfurter Fürstentag, auf die Schwierigkeiten in Spanien anspielend: „Ich bin ein Usurpator; um bis dahin zu gelangen, mußte ich den besten Kopf und den besten Degen von Europa haben. Und um mich nun zu halten, muss jedermann ferner davon überzeugt sein“42. Chaptal, der Innenminister, berichtet, der Kaiser habe sich häufig darüber beklagt, daß man in Frankreich die Einzigartigkeit seiner Stellung nicht begreife: „Fünf oder sechs Familien teilen sich die Throne Europas und sie sehen mit Schmerzen, dass ein Korse gekommen ist und sich auf einen davon gesetzt hat. Ich kann mich nur mit Gewalt darauf halten; ich kann sie nicht daran gewöhnen, mich als Gleichen anzusehen, der sie unterjocht. Mein Reich ist zerstört, wenn ich aufhöre, furchtbar zu sein.“ Und weiter: „Was einen König der alten Art kalt lassen würde, muß ich sehr ernst nehmen. Ich werde mich in dieser Haltung behaupten, solange ich lebe, und wenn mein Sohn kein großer Feldherr ist, wenn er nicht so ist wie ich bin, wird er den Thron verlieren, auf den ich ihn gesetzt haben werde“43. Immer wieder treibt ihn um, was ihn von den Königen des Ancien Régime trennt. Ludwig XIV. hätte trotz aller Erfolge am Ende seiner Tage das Szepter verloren, wäre er nicht der Nachkomme einer langen Reihe von Königen gewesen. „Für die alten Souveräne ging es im Krieg um die Abtrennung
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einer Provinz oder die Eroberung eines Platzes; bei mir geht es immer um die Existenz und die des ganzen Reiches“44. Zu Schwarzenberg, den er von allen Österreichern am meisten schätzt, sagt er am 7. April: „Die Engländer glauben, Frankreich sei zermalmt; sie fordern von mir Belgien … Meine Position ist schwierig. Würde ich einen unehrenhaften Frieden schließen, wäre ich verloren … Ich bin neu, ich muß auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen, weil ich sie brauche. Würde ein Friedensschluß dieser Art publik, würde man im ersten Moment, um die Wahrheit zu sagen, zunächst lauter Freudenschreie hören; aber schon bald würde man die Regierung lauthals kritisieren, ich würde die Achtung und zugleich das Vertrauen meiner Völker verlieren“45. Es ist nicht so, daß Napoleon unter dem Status des homme nouveau litte. Er häuft nicht Großtat auf Großtat, um eigene Komplexe zu bekämpfen. Er weiß, daß er, um von einem kleinen korsischen Emigranten zum Beherrscher der Welt aufzusteigen, tausendmal mehr leisten mußte als die Erbkönige um ihn herum. Es käme ihm nicht in den Sinn, seine bescheidene Herkunft zu verleugnen. Dazu gibt es eine hübsche Geschichte. Nachdem Kaiser Franz dem „Sakervolti“ seine Tochter, die Erzherzogin, zur Frau gegeben hat, läßt er in toskanischen Akten nach möglichen Ahnen des Schwiegersohnes suchen. Vielleicht fi ndet sich ja etwas, was dem Standesunterschied die äquatoriale Breite nimmt. Ganz erleichtert und in der Annahme, Napoleon eine frohe Kunde zu bringen, teilt er ihm bei ihrer Begegnung in Dresden mit, in den Akten der Stadt Treviso seien Urahnen aufgetaucht, die im 11. Jahrhundert den Stamm der Buonaparte begründet hätten. Darauf gibt ihm Napoleon kühl zur Antwort: „Danke, Sire. Ich ziehe vor, der Rudolf meines Geschlechtes zu sein“46. Wie der erste König aus dem Hause Habsburg sieht sich Napoleon als Begründer einer neuen Dynastie, einer modernen Monarchie, die anerkannt sein soll von den „gotischen“ Majestäten und sich doch von ihnen abheben will. Daß ihm diese Schöpferrolle verwehrt sein könnte, ist der böse Traum, der ihn spätestens seit dem Rückzug aus Moskau nicht mehr verläßt. Man kann fragen, wie viel Autosuggestion in dem Selbstbild des schicksalhaft Anderen steckt. Napoleons Verhalten im Frühjahr 1813 erscheint als eine Mischung aus Fatalismus und Realismus. Er glaubt nicht zu Unrecht, daß der Kampf, in dem er steht, Teil der epochalen Auseinandersetzung zwischen der alten und der neuen Welt ist. In diesem Ringen gibt es keine Kompromisse. Der Revolutionskrieg muß entweder mit dem Sieg des neuen Prinzips enden oder mit der Restauration des alten. Zeitweilig hat er gemeint, er könne dem Konfl ikt die antagonistische Natur nehmen. Die Purpurisierungspolitik war der Versuch, die Eroberungen der Revolution dadurch zu konsolidieren, daß er die neue Herrschaft mit Formelementen des
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Ancien Régime ausstattete. Aber seine Feinde haben darin nur Camouflage gesehen. Sie sagen, daß Frankreich seine Übermacht aufgeben müsse, dann sei alles gut. In Wirklichkeit wollen sie die Revolution ungeschehen machen. Beides läuft auf dasselbe hinaus. Diese Sicht der Dinge ist stark vereinfacht. Sie blendet eine Reihe von Faktoren aus. Im Kern wird sie jedoch durch die Anlage der Metternichschen Vermittlung bestätigt. Die Grundausstattung der Vermittlung ist ein Set kaskadierender Forderungen. Metternich selbst macht keinen Hehlen daraus, daß der Katalog der Konzessionen, den Österreich als sine qua non einer Friedensregelung angibt, nur einen Teil der Grausamkeiten umfaßt, die Rußland und Preußen im Sinn haben. Er kann auch nicht bestreiten, daß zu den österreichisch-russisch-preußischen Forderungen die noch ungenannten englischen addiert werden müssen. In diesem Strom ist kein Halten. „Mein Reich ist zerstört, wenn ich aufhöre, furchtbar zu sein.“ Es steckt viel Wahrheit in diesem Satz. Er deckt die große Schwachstelle der Herrschaft Napoleons auf. Ein Eroberer kann Frieden machen nur nach dem Sieg, und vielleicht ist auch das noch eine Illusion. „In der Niederlage würde er immer weiter zurückweichen müssen wie er im Sieg immer weiter vorrücken musste“, urteilt Sorel47. Napoleon ist der Gefangene seiner Lauf bahn. Sein Problem ist, das Metternich die Ohnmacht des Mächtigen entdeckt hat. Metternich erfährt am Nachmittag des 29. Mai vom Ausgang der Bautzener Schlacht. Einen Tag später richtet der Zar einen drängenden Appell an den Kaiser von Österreich. „Mögen sich Euer Kaiserliche Majestät doch der schönen Rolle bewußt werden; mit einem Wort könnten Sie über das Los Europas entscheiden … Noch einmal, die Zeit drängt“48. Metternich bedarf der Aufforderung nicht. Er ist über Napoleons versuchte Fühlungnahme mit Alexander informiert. Daß der Zar Caulaincourt abblitzen ließ, hat ihn nicht vollständig beruhigt. Wer weiß, wie der sprunghafte Herrscher aller Reußen reagieren wird, sollte sich die Lage der Koalition weiter verschlechtern. Die Zeit zum Handeln ist gekommen. In den folgenden Tagen eröffnet Metternich eine diplomatische Großoffensive. Sie beginnt damit, daß er seinen Kaiser aus der beschaulichen Sommerresidenz Laxenburg herauskomplimentiert. In den Morgenstunden des 1. Juni verlassen der Monarch und sein Minister das schlafende Wien, eskortiert nur vom absoluten höfischen Minimum. Die Reisewagen rollen in Richtung Böhmen. Unterwegs begegnet ihnen Nesselrode, den der Zar beauftragt hat, Kaiser Franz die Frage aller Fragen zu stellen: Wann endlich springt Österreich? Als Reiseziel hat Metternich Gitschin bestimmt. Das dortige Schloß, von Wallenstein erbaut, bietet nicht den allerersten Komfort. Es ist fi nster und kalt und wohl „seit Wallensteins Zeiten nicht mehr geheizt worden“, rappor-
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tiert Metternich seiner Frau49. Dafür birgt es aufgrund seiner Lage alle Vorteile, die Metternich für seine Zwecke benötigt. Gitschin liegt nur hundert Kilometer entfernt von Prag, wo Schwarzenberg unter Hochdruck an der Formierung der neuen Armee Österreichs arbeitet. Ähnlich nah ist es dem russisch-preußischen Hauptquartier im schlesischen Reichenbach und Dresden, der aktuell zweiten Hauptstadt des Grand Empire. Die Symbolik ist für Metternich wichtig. Die räumliche Äquidistanz soll Österreichs Stellung des unabhängigen Dritten unterstreichen, die bis zuletzt behauptet werden muß. Genau besehen ist Metternichs Mittlerposition nur noch eine Maske. In seinen Erinnerungen benennt der Minister den Sinn der Reise nach Gitschin klar und eindeutig: „Ich hatte meine Wahl getroffen. Es handelte sich darum, den Vormarsch Napoleons aufzuhalten und dem Kaiser Alexander wie dem König Friedrich Wilhelm jede Ungewissheit über die Entscheidung, die der Kaiser treffen würde, zu benehmen“50. Das ist die geglättete Rückwärtssicht des Geschichtsschreibers in eigener Sache. Ganz so einfach lagen die Dinge nicht. Tatsache aber ist, daß von nun an alles Schlag auf Schlag geht. Am 3. Juni treffen Kaiser Franz und Metternich in Gitschin ein. Am 4. Juni wird in Pläswitz der Waffenstillstand unterzeichnet. Am 7. Juni lädt Metternich die Alliierten ein, gemeinsam mit Österreich „Friedensgrundlagen“ (bases de paix) auszuarbeiten, die Napoleon mit Blick auf einen Friedenskongreß unterbreitet werden sollen. Die Einladung kommt zunächst schlecht an. In Reichenbach hat man erwartet, Metternich werde ein Datum für den Kriegseintritt Österreichs mitteilen. Einen Friedenskongreß halten Russen und Preußen für Zeitverschwendung. Hardenberg wird nach Gitschin geschickt. Er trifft dort auf einen Verhandlungspartner, der den preußischen Staatskanzler über die österreichischen Absichten beruhigt, aber kompromißlos auf der von ihm gewählten Vorgehensweise besteht. Napoleon soll ein Angebot erhalten. Das Angebot soll „vernünftig“ sein. Darauf bestehe Kaiser Franz nun einmal. Die Atmosphäre ist aufgeladen, als Metternich am 17. Juni in Schloß Opoˇcno, unweit von Gitschin, mit dem Zaren zusammentrifft. Alexander weiß nicht, was er von Metternich zu halten hat. Die Rolle, die dieser bei der Heirat Napoleons gespielt hat, hat er nicht vergessen. Bei seinen Beratern ist der Graf schlecht angeschrieben, „ein Kerl, der fi nassiert“ (Stein). Die Nerven liegen blank. Warum versucht Metternich aufzuhalten, was nicht mehr aufzuhalten ist? Im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld des Treffens von Opoˇcno sind aus Sicht der Koalition ganz wichtige Steine aus dem Weg geräumt worden. Am 14. hat England den Vertrag mit Preußen signiert. Am 15. kontrahiert es mit Rußland. Die Hilfsgelder, die die Kriegsmaschine braucht, werden fl ießen. England hat deutlich gemacht, daß der kommende
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Koalitionskrieg, der fünfte gegen die Revolution, der letzte sein soll. Der Dauerkonfl ikt muß jetzt zur Entscheidung gebracht werden. Auch England will ein Bündnis ohne Ausstiegsmöglichkeit. Zu diesem Zweck wird Artikel VI des Kalischer Vertrags, der den Vertragsparteien einen Sonderfrieden untersagt, fast wortgleich übernommen. Zu Metternichs großer Erleichterung gelingt es ihm, den Unmut des Zaren zu besänftigen. Noch immer wäre es Alexander lieber, wenn der Krieg ohne Umschweife wiederaufgenommen werden würde, verstärkt durch Österreichs Streitkräfte. Doch läßt er sich von Metternich überzeugen, daß der Vertragsweg, an dem vor allem Kaiser Franz so sehr gelegen ist, genausogut zum Ziel führen kann. Eine Sorge bleibt. „Was wird aus unserer Sache werden, wenn Napoleon seinerseits auf die Vermittlung eingeht?“ fragt er den Grafen. Metternichs Antwort läßt nichts zu wünschen übrig: „Lehnt er sie ab, so wird der Waffenstillstand zu Ende sein und Sie werden uns in den Reihen Ihrer Bundesgenossen fi nden; nimmt er sie an, so wird die Unterhandlung uns ganz bestimmt zeigen, dass Napoleon weder weise noch gerecht sein will, und das Ergebnis wird dasselbe sein“51. Ähnlich hatte sich Metternich schon früher gegenüber Stackelberg und dem Grafen Hardenberg geäußert. Seine Überzeugung, daß Napoleon nicht wirklich verhandeln werde, hat sich inzwischen weiter gefestigt. Gleichgültig wie die Forderungen lauten, Napoleon wird keine Konzessionen machen. Alexander kann beruhigt nach Reichenbach zurückkehren. Auf Österreich ist Verlaß. Das Interim wird reine Formsache sein, mehr nicht. Metternichs Darlegung ist logisch so zwingend, daß sie alle Bedenken des Zaren ausräumt. Opoˇcno bringt den Durchbruch. Danach setzt sich das Tauziehen zwischen den Partnern in spe noch eine Weile fort. Aber es geht nicht mehr um das Grundsätzliche, sondern lediglich um den Umfang der Zugeständnisse, die Napoleon akzeptieren muß, will er das Tor für einen Präliminarfrieden öffnen. Österreich setzt für den Verhandlungsfall seinen Vier-Punkte-Katalog durch: Auflösung des Großherzogtums Warschau, eine darauf bezogene Vergrößerung Preußens, das auch Danzig bekommen soll, Rückgabe der illyrischen Provinz an Habsburg, Unabhängigkeit für die Hansestädte sowie ein „Arrangement“ für die norddeutschen Departements. Zwei weitere Forderungen, nämlich die Auflösung des Rheinbundes und eine Vergrößerung Preußens ungefähr auf den Stand von 1805, will Österreich einstweilen zurückstellen. Daß Frankreich darüber hinaus Holland und Italien verlieren soll und daß die Bourbonen wieder auf den spanischen Thron gesetzt werden sollen, sind Positionen „im Sinn“. Sie sollen erst dann auf den Tisch kommen, wenn, unwahrscheinlich genug, über einen „allgemeinen Frieden“ verhandelt wird. Am 27. Juni wird der Vertrag von Reichenbach unterzeichnet. Art. I schreibt vor, daß Österreich „seine Waffen mit denen von Rußland
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und Preußen vereinigt, falls Frankreich die Bedingungen bis zum 20. Juli nicht angenommen hat“52. Da Metternich die Annahme durch Napoleon ausschließt, sind die Reichenberger vier Punkte keineswegs als „Basis eines allgemeinen Friedens“ anzusehen, wie der Vertragstext behauptet. Sie sind vielmehr der Hebel, der Österreich formgerecht das Kriegseintrittsbillett verschaffen soll.
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In den Ebenen Sachsens Es wäre wunderbar, wäre mein Haus gewählt worden, um hier einen allgemeinen Frieden zu unterschreiben. Man kann es kaum erwarten! Camillo Marcolini
Dresden Kapitel In den Ebenen8.Sachsens
Dresden ist für Napoleon bekanntes Terrain. Das erste Mal kommt er im Juli 1807 in die Stadt. Auf der Rückreise von Tilsit besucht er den König von Sachsen, der zu diesem Zeitpunkt der wichtigste Fürst des Rheinbundes ist. Er selbst befi ndet sich auf dem Gipfelpunkt der Macht. Knapp fünf Jahre später, vom 16. bis 29. Mai 1812, hält er in Dresden Hof. Am Ende des Fürstentages begibt sich die Große Armee von Dresden aus auf den verhängnisvollen Zug gen Rußland. Nach weiteren sieben Monaten ist eine der größten Katastrophen der Kriegsgeschichte Wirklichkeit. Inkognito und im Schlitten huscht der geschlagene Feldherr am 14. Dezember 1812 durch die nachtdunkle Stadt, sein dritter „Besuch“. Zum vierten Mal betritt Napoleon am 8. Mai 1813 Dresdner Boden, diesmal bekränzt mit dem frischen Lorbeer des Siegers von Lützen. Er bleiben zehn Tage. Sein fünfter Aufenthalt in der sächsischen Residenzstadt beginnt am 10. Juni. Unterdessen hat er Russen und Preußen bei Bautzen geschlagen. Dieser fünfte Aufenthalt wird sein letzter und zugleich der wichtigste sein. Dresden, das auf geheimnisvolle Weise mit den Höhen und Tiefen des Grand Empire verwoben ist, wird zu Napoleons Schicksalsstadt. Den Entschluß, sein Hauptquartier in Dresden einzurichten, faßt Napoleon am ersten Tag des Waffenstillstands. Von Neumarkt in Schlesien aus weist er am 4. Juni Außenminister Maret an, ihm eine passende Unterkunft in Dresden zu beschaffen. Anders als sonst will er diesmal nicht im königlichen Schloß wohnen. „Ich wünsche, in einem Landhaus untergebracht zu werden, eine viertel Meile vor der Stadt“1. Gemeinsam mit dem französischen Gesandten Saint-Cyr macht sich Maret auf die Suche. Die Wahl fällt
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Das Palais Marcolini in der Friedrichstadt auf einem zeitgenössischen Aquarell.
auf das Palais Marcolini im Vorort Friedrichstadt. Hier trifft der Kaiser am 10. Juni ein, morgens um fünf Uhr. Unverzüglich begibt er sich zu Bett. Er hat nächtelang nicht geschlafen. An Dresden ist der Krieg bis jetzt noch ziemlich gnädig vorübergegangen. Überhaupt war die Franzosenzeit für Sachsen per saldo gar nicht so übel. Gewiß, die Franzosen können herrisch auftreten. Den Völkerfrühling hat man sich auch in Sachsen anders vorgestellt. Die elenden Abgaben drükken den Wohlstand, die Aushebungen sind gefürchtet. Aber in unruhigen Zeiten wie diesen lernt man zu relativieren. Anderen geht es bedeutend schlechter. Von Preußen hat Napoleon wenig übriggelassen, was man als Sachse kaum bedauern muß. Den Fürstentag im vergangenen Jahr konnten die Dresdner als Auszeichnung verstehen. Von den Lustbarkeiten bekam man zwar nicht sonderlich viel mit, doch stellte das Großaufgebot an gekrönten Häuptern eine willkommene Abwechslung vom täglichen Einerlei dar. Als dann die Große Armee, dieser gewaltige, buntscheckige Lindwurm, nach Osten auf brach, übertraf die Schaulust der Gaffer das Grauen der Weitsichtigen. Mancher mochte sich fragen, was die jungen sächsischen Soldaten wohl in der russischen Steppe verloren hätten. Doch immerhin wähnte man sich auf der Seite der Sieger und feierte deshalb jede Erfolgsmeldung mit einem Te Deum in der Hofkirche. An den Rückzug der Grande Armée wollte
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man lange nicht glauben. Es gab auch niemanden, der mit Autorität gesagt hätte, wie die Dinge standen. Zufällig schnappte der junge Wilhelm von Kügelgen auf, wie der Vater durch seinen Stiefelputzer von der nächtlichen Schlittenankunft des halberfrorenen Franzosen-Kaisers erfuhr: „Wer sagt das?“ rief mein Vater, indem er aufsprang und den alten Brummbär bei den Schultern packte. „Nu, nu!“ erwiderte der, „wer soll’s denn sagen? Die Leute sprechen’s“2. Ernst wird es für Dresden erst im darauffolgenden März. Die Elbmetropole wird gleichsam aus den Angeln gehoben. Besatzungstruppen schwappen wie Flutwellen über die besinnungslose Stadt. Die Schäden, die sie anrichten, lassen sich am besten an der großen steinernen Brücke ablesen. Die Augustusbrücke wird am 19. März gesprengt. An diesem Tag räumt Marschall Davout die Stadt. Die militärische Lage zwingt die Franzosen zum Rückzug, an der Elbe bleiben ihnen jetzt nur noch Magdeburg und Hamburg. Davouts Sprengkommandos werden bei der Arbeit von protestierenden Bürgern behindert, doch der Krater, den die Minenexplosionen im Mittelteil der Brücke reißen, reicht dennoch aus, die Verbindung zwischen Alt- und Neustadt zu kappen. Nach dem Abzug der Franzosen schließen die Dresdner Bekanntschaft zunächst mit Kosakenschwärmen, dann rücken Teile der russischen und preußischen Hauptarmee ein. Die neuen Besatzer fl icken die Brücke; die Leerstelle wird mittels einer Holzkonstruktion provisorisch geschlossen. Doch die russisch-preußische Zeit ist nur von kurzer Dauer. Nach Napoleons Sieg von Lützen am 2. Mai geben die alliierten Heerscharen die Altstadt auf. Nun sind sie es, die tun, was bei Rückzügen immer geschieht: Sie brechen die Brücken hinter sich ab. Das hölzerne Behelfsteil der Augustusbrücke wird angezündet. Für die Dresdner ist das ein makabres déjà-vu, aber noch keineswegs das Ende des Brükkendramas. Am 8. Mai zieht Napoleon durch das Pirnaische Tor in die Altstadt ein. Zwei Tage später, nachdem er sich vergewissert hat, daß die Kosaken das andere Flussufer geräumt haben, befiehlt er die Instandsetzung der Brücke. Der zuständige sächsische Oberlandbaumeister namens Hauptmann veranschlagt für die Reparatur sechs Tage, vorausgesetzt, es sei genügend Holz da. Der Kaiser lacht nur. In Nachtarbeit wird Davouts Minenkrater erneut unschädlich gemacht. Im Fackelschein legt Napoleon persönlich mit Hand an. Am 11. Mai um 10 Uhr ist die Ausbesserung abgeschlossen. Noch am selben Tag überqueren an die 65 000 napoleonische Soldaten mit 140 Kanonen den Fluß und treten die Verfolgung der Russen und Preußen an3. Mittlerweile ist auch Friedrich August wieder in Dresden. Der arme König hat seinen Ausflug nach Prag und in die Arme Österreichs längst bereut. Sein Traum von der Neutralität mitten im Kanonendonner wurde
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durch das Vorrücken des Kaisers jäh beendet. Auf ein Ultimatum Napoleons, das ihn binnen zweier Tage nach Dresden befiehlt, andernfalls er die Krone verlieren werde, pariert Friedrich August ungesäumt. Reglos steht er neben dem Kaiser, als dieser dem angetretenen Magistrat erklärt, das die Stadt es nur dem König zu verdanken habe, wenn Frankreich Sachsen nicht als besetztes Territorium behandle. Das ist mehr Drohung als Ironie: Napoleon weiß genau, daß er den Rheinbund-Satelliten nur mit eiserner Faust an seiner Seite halten kann. Soeben erst ist der sächsische General Thielmann zu den Alliierten übergelaufen. Die rätselhaften Wallungen des Krieges haben die Menschen unsicher und mißtrauisch gemacht. Die aus Preußen hereindrängenden patriotischen Fieberschübe sind in Sachsen noch nicht wirklich angekommen. Gleichwohl wünscht man sich die Franzosen weg. Man möchte endlich wieder frei atmen können. Aber die Franzosen haben die Macht. Wie soll man sich verhalten? Auf die verbündeten Russen und Preußen zu hoffen, wie man es jetzt in Flugschriften lesen kann, hieße, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Die Preußen warten doch nur darauf, Sachsens Kassen zu plündern, wie Friedrich es im Siebenjährigen Krieg getan hat! Vorsichtige raten, auf die Karte Napoleon zu setzen. Vielleicht ist der Imperator des ewigen Eroberns müde und bringt dem Land die ersehnte Ruhe. Das kann so kommen, man weiß es nicht. Überhaupt weiß man so wenig. Die Mächtigen denken nicht daran, ihre Absichten kundzutun. Auf die Zeitungen ist kein Verlaß. Die Zeitungsschreiber haben im Wechselbad der letzten Monate die Orientierung verloren. Nach wessen Pfeife sollen sie heute schreiben, wo doch schon morgen eine ganz andere Melodie angesagt sein kann? Die Bürger wappnen sich mit Gleichmut. Sie jubeln, wenn sie jubeln sollen, und richten ihren Blick auf das Nächstliegende wie die Sicherung des täglichen Brotes. Unbeteiligt nehmen sie die changierenden Uniformen und Befehlssprachen auf den Straßen wahr. Erstaunt stellen sie fest, daß die französische Armee, kaum daß sie sich in der Stadt breitgemacht hat, diese schon wieder samt Kaiser und König verläßt. Kurz darauf wird in der Hofkirche erneut ein Tedeum gesungen. Es heißt, Napoleon habe bei Bautzen Preußen und Russen geschlagen. Der Abschluß des Waffenstillstands löst einen weiteren Lobgesang aus. Doch beim feierlichen Cantus schwingt wenig Hoffnung mit. Jeder kann mit eigenen Augen sehen, wie überall in der Stadt geschanzt und gerüstet wird. Wer soll da an Frieden glauben? Am besten, man glaubt an gar nichts, meidet die Straße und verschließt die Ohren vor allen Gerüchten, die die Geister nur verwirren. Als ein Leichnam mit militärischen Ehren durch die Stadt geführt wird, verbreitet sich wie ein Lauffeuer, im Sarg liege Napoleon. Tatsächlich hat man den Leichenzug des bei Bautzen tödlich verletzten
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Generals Duroc gesehen4. Erst Tage später, als der Kaiser im Ostragehege eine große Parade abnimmt, klärt sich der Irrtum auf.
Die Festlegung auf Dresden als Hauptquartier hat strategische Gründe. Für den Kaiser bildet die Elbe die Linie, die es unter allen Umständen zu halten gilt. Dresden soll die Startrampe seiner offensiven Bewegungen sein. Mit diesem Dispositiv stößt er in den Führungsrängen der Armee nicht nur auf Zustimmung. Überhaupt ist die Stimmung in der Generalität moros. Der Schock der russischen Katastrophe ist noch unbewältigt. Eine Müdigkeit der Seele lastet auf dem Korps der erfahrenen Armeeführer. Sie hat auch darin ihre Ursache, daß gerade jetzt der Tod einige der Besten hinweggerafft hat, zuletzt Duroc, der unter schrecklichen Qualen gestorben ist. Eine Kanonenkugel fuhr ihm in den Unterleib und zerfetzte ihm die Gedärme. Duroc hatte Napoleon besonders nahegestanden. Vor ihm war Bessières, der Liebling der Garden, bei Lützen gefallen. Wozu all diese Opfer, so weit entfernt von daheim? Es ist keine Rebellion unter Napoleons hochdekorierten Gefährten, wohl aber ein Rumoren. Eine innere Abwehrhaltung hat sich eingeschlichen. Sie äußert sich vor allem im trotzigen Verweigern des Enthusiasmus, nur selten in offenem Widerspruch. Eine Ausnahme macht die Fixierung auf die Elblinie. Hier kommt es zu einem Wortgefecht, das Baron Fain, der Privatsekretär des Kaisers, schildert: „Messieurs“, höhnt Napoleon, „ich merke, daß Sie nicht mehr Krieg führen wollen! Berthier möchte lieber im Gros Bois jagen. Rapp möchte in seinem schönen Pariser Haus wohnen. Ich muß zugeben, meine Herren, daß ich persönlich wenig Ahnung von den Freuden habe, welche die Hauptstadt zu bieten hat“5. Gegen die zentrale Aufstellung in Sachsen haben einige Generäle ins Feld geführt, man laufe Gefahr, von rückwärts umfasst zu werden, falls Österreich die böhmischen Pässe für die Alliierten öffne. Sie präsentieren einen Alternativplan, der den Rückzug auf die Saale-Linie, notfalls auf den Rhein vorsieht. Daß dem Gegenentwurf nicht allein militärische Überlegungen zugrunde liegen, ist leicht zu erkennen. Wer Deutschland preisgibt, stellt das Kaiserreich in der aktuellen Ausdehnung zur Disposition. So weit gehen die Generäle, zumindest einige. Sie pfeifen auf die ganze Universalmonarchie, von der niemand weiß, wo sie enden soll. Sie haben keine Lust mehr, ganz Europa kämpfend zu durchpflügen. Zurück an den Rhein – das ist ein politisches Gegenkonzept. Und es ist eine Warnung an Napoleon: Er soll seine Träume hinter den wahren Interessen Frankreichs zurückstellen. Der Kaiser antwortet zunächst mit einem historischen Repetitorium. In Marengo, Austerlitz oder Wagram habe man sich in einer weitaus gefährde-
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teren Position befunden, erinnert er seine Generäle. Deutschland aufgeben? Damit wäre nichts gewonnen. Es geht um Politik. „Die Frage ist nicht die Aufgabe dieser oder jener Provinz; es handelt sich um unsere politische Superiorität; sie soll erschüttert werden; für uns aber bedeutet sie die Existenz.“ Die Vorneverteidigung, das will Napoleon sagen, ist ein politischer Imperativ. Frankreich kann sich nichts leisten, was wie Verzicht aussieht oder als Schwäche gedeutet werden kann. Politische Überlegenheit ist eine Sache der Glaubwürdigkeit. Sie muß ständig vorgeführt und militärisch untermauert werden. Ein Rückzug, und sprächen auch taktische Vorteile dafür, scheidet deshalb aus. Er wäre der Anfang vom Ende der Glaubwürdigkeit. Damit hat Napoleon seine Karten aufgedeckt. Er wird keine Konzessionen machen. Fain unterlässt es, die Reaktionen der Generäle zu schildern. Sie wissen genug. Ihre Hoffnung auf einen baldigen Frieden war trügerisch. Der Waffenstillstand wird nur eine Durchgangsstation sein. Das letzte Wort in der Kontroverse hat, wie immer, der Kaiser. „Was wir brauchen“, läßt der Sekretär ihn sagen, „ist ein totaler Sieg (un triomphe complet)“. Es folgt ein Satz, wie mit dem Hammer der Vorsehung gehauen: „In den Ebenen Sachsens muß sich das Schicksal Deutschlands entscheiden (c’est dans les plaines de la Saxe que le sort de l’Allemagne doit se décider)“. Für Dresden heißt das: Es wird zur Großbaustelle. General Rogniat, der Chef der Genietruppen, muß Schwerstarbeit verrichten. In kurzen Takten erhält er detailgenaue Anweisungen des Kaisers. Es sind Brücken zu schlagen, Gräben zu ziehen, Palisaden aufzurichten. Eine weitere Baustelle, die auf Napoleons Geheiß in Angriff genommen wird, liegt wenige Kilometer östlich von Pirna. Im sogenannten Lager von Pirna hatte zu Anfang des Siebenjährigen Krieges die sächsische Armee vor Friedrich II. kapitulieren müssen. Schon in Neumarkt sammelte Napoleon Informationen über den ominösen Ort. Die Tafelberge Lilienstein und Königstein, die zur rechten und zur linken Seite der Elbe aufragen, ergeben eine Art Naturfestung. Um den Osten Sachsens gegen mögliche Angriffe Österreichs aus Böhmen zu schützen, läßt Napoleon ein Lager herrichten, das 60 000 Mann aufnehmen kann. Eine gewaltige Verteidigungsanlage entsteht. Der Kaiser diktiert Berthier Zahl und Kaliber der Geschütze, mit denen Lilienstein und Königstein zu bestücken sind; er bestimmt die Breite der Zuwege, die die Infanterie braucht, und befiehlt den Bau zweier Schiffsbrücken, die die beiden Erhebungen miteinander verbinden6. Napoleon kümmert sich um alles. Er beschwert sich beim Generalintendanten Daru. In den Hospitälern Dresdens fehle es am Nötigsten. Es gebe keine ausreichende Verpflegung, noch nicht einmal Verbandszeug. Daru habe alles eiligst zu beschaffen, wie auch immer, aber bis zum Mittag des
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nächsten Tages. Ferner solle er dafür sorgen, daß die Zahl der Verwundeten in der Stadt 5 bis 6000 nicht übersteigt. Mehr könne Dresden nicht verkraften. Die übrigen sollen in Dörfer auf dem linken Elbufer evakuiert werden7. Tatsächlich ist Dresden über und über voll mit Blessierten. Es mögen an die 20 000 sein; Bauernkarren transportieren ständig Nachschub heran. Die Ruhr bricht aus. Gegen sie soll Reis helfen, der aus Hamburg und Magdeburg beschafft wird. Die Lage verschlimmert sich, als die ersten Typhusfälle auftreten. Elbkähne schaffen die Kranken weg, irgendwohin. Den Zustand Dresdens im Juni beschreibt der Augenzeuge Wilhelm Adolph Lindau: „Die ganze Stadt bot den traurigen Anblick eines großen Krankenhauses. Die Verwundeten lagen in langen Reihen auf den Straßen, wo die Unreinlichkeit immer mehr zunahm, um Hülfe jammernd, und mitten auf öffentlichen Plätzen wurden ihnen, oft mit Verletzung allen Anstandes, Glieder abgenommen. Täglich geschah dieß in Spitälern an Hunderten, die aus den Wohnhäusern dahin schlichen, wo die leichtsinnige Eilfertigkeit der französischen Wundärzte sie oft unnötigh verstümmelte. Vor manchem Spitale lagen ganze Haufen von Fingern und anderen Gliedern, womit die Gassenbuben ein empörendes Spiel treiben konnten“8. In diesem Danteschen Höllenszenario, in dem das Wehklagen der Verwundeten mit dem Baulärm der Fortifi kationen wetteifert, wird natürlich auch Geld gemacht. Hunderte von Bauern, die zum Schanzen eingesetzt werden, verdienen gut. Geschäftemacher aller Art handeln profitabel mit den Besatzern. Die Angehörigen des horizontalen Gewerbes haben Hochkonjunktur. Von einem „goldenen Zeitalter für Huren und Kupplerinnen“ berichtet der Zeitzeuge Lindau. Dresden zählt 53 000 Einwohner. Jeder Zehnte wird das Kriegsjahr nicht überleben9. Eine ungeheure Last sind die Einquartierungen, auch dann, wenn man das Zahlenwerk des Magistrats für aufgebläht hält. Das Dresdner Quartieramt beziffert den „Betrag aller Köpfe“ der Einquartierten (wohl pro Tag) allein für den Zeitraum vom 8. Mai bis zum 14. Juni auf phantastische eine Million achtundachtzigtausend zweihundertdreiundneunzigeinhalb10. Der halbe Kopf bleibt unerklärt. Aufs Jahr gerechnet hat Dresden sieben Millionen dreihundertsechsundsiebzigtausend neunhundertsiebenundvierzig Einquartierungstage zu verkraften. Die Zwangsverköstigung der ungebetenen Gäste ist eine weitere Pein. Zwar müssen die hohen Offi ziere selbst für ihren Tisch sorgen, und viele Soldaten werden über Magazine versorgt, eines davon ist die Frauenkirche. Für den Rest aber haben die Dresdner Bürger einzustehen. Ein Befehl legt fest, daß Unteroffi ziere und Mannschaften täglich Anspruch auf eineinhalb Pfund Brot haben, zum Frühstück steht ihnen eine halbe Portion Gemüse zu, zum Mittagessen Suppe, ein halbes Pfund Fleisch und eine Flasche Bier, zum Abendessen ein Teller Gemüse11.
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Die übervolle Stadt stinkt fürchterlich. Die Soldaten verrichten ihre Notdurft, wo sie gerade stehen. Das sogenannte Ostragehege, ein Wiesengelände im Altstädter Elbbogen, das sich vorzüglich für Paraden und fürs Exerzieren eignet, ist eine einzige Düngestätte. Auf andere Weise verpestet der Gestank der Denunziation die Stadt. Voller Eifer klaubt die Geheimpolizei unter ihrem Chef Ludwig Christoph von Burgsdorff den Unrat des Schlechtredens und der Verdächtigungen auf, den eine geduckte und uninformierte Bevölkerung fast automatisch erzeugt. Die Polizei poliert die Beziehungen zu den Besatzungsbehörden, wo sie kann, aus Überzeugung oder weil der König glaubt, nach seinen Eskapaden den Musterverbündeten spielen zu müssen. Anzeigen gehen ein, so gegen einen reformierten Geistlichen, der zwei aufrührerische Predigten gehalten haben soll; gegen einen sächsischen Hauptmann, der angeblich ein berüchtigtes Blatt abonniert hat; gegen einen Beamten, der mit der preußischen Kokarde am Revers aufgefallen ist12. Armes Dresden! Armes Sachsen! Das Land teilt das Schicksal derer, die zu schwach sind zur Selbstverteidigung und zu reich, um der Begehrlichkeit der Starken zu entrinnen. Einst hatte man sich vorgenommen, durch Kunstförderung und Lebensart herauszuragen. Ein Gegenbild zum soldatenversessenen Nachbarn im Norden wollte man sein. Da fielen 1756 die Armeen des großen Friedrich über Sachsen her. Eine schreckliche Zeit; die Älteren haben sie nicht vergessen. Jetzt lernt das Land abermals sämtliche Plagen von Krieg und Besatzung kennen. Was bekommt Napoleon von alledem mit? Der Kaiser ist viel unterwegs, überwiegend zu Pferde. Acht bis neun Pferde stehen ihm in Dresden zur Verfügung. Napoleon reitet gern, obwohl er dabei keine gute Figur macht. Meist hängt der Körper zu einer Seite. Aber er braucht die Bewegung als Ausgleich zur geistigen Anspannung. Während der Waffenstillstandszeit verbringt er oft ganze Tage bei der Recognoszierung des Umlands oder bei Truppenbesuchen. Die Untätigkeit bei ruhenden Waffen drückt auf die Laune in den Lagern. Gegen die Langeweile ordnet Napoleon schriftlich Preisschießen und sogar Spiele an. Der hartgesottene Michel Ney glaubt, nicht richtig zu lesen. Das Scheibenschießen möge für die jungen Soldaten ja noch nützlich sein, aber Spiele? Besser, man würde den Leuten pünktlich den Sold auszahlen und sie kräftiger ernähren, schreibt er dem Marschallskollegen Berthier13.
Im Hauptquartier Als Maret und Saint-Cyr für den Kaiser Quartier machen, ist Marcolini, der Kabinettsminister des Königs, sofort zur Stelle. „Es wäre wunderbar“, schreibt er im Juli einem Bekannten, „wäre mein Haus gewählt worden, um
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hier einen allgemeinen Frieden zu unterschreiben. Man kann es kaum erwarten!“ Dann kommt der Graf auf die wirklichen Dinge des Lebens zu sprechen. Die Freundschaft mit Frankreich sei ja ganz schön, fährt er fort, nur habe sie bisher für die Geldbörse nichts gebracht14. Offenbar baut er darauf, für die Überlassung seines Sommersitzes fürstlich entlohnt zu werden. Die Rechnung wird nicht aufgehen. Als Parteigänger Napoleons wird Marcolini noch 1813 verbannt werden. Ein Jahr später stirbt er im Prager Exil. Metternich hat unrecht, wenn er behauptet, Napoleon habe aufgrund der Mißstimmung in der Bevölkerung den Mut nicht aufgebracht, Logis im Zentrum der Stadt zu nehmen15. In Wirklichkeit kommt die abseitige Lage des Palais den Bedürfnissen des Kaisers entgegen. Zu Truppenbesichtigungen im Ostragehege sind nur ein paar hundert Schritte zu reiten. Außerdem lagert der größte Teil der Jungen Garde, die Napoleon besonders am Herzen liegt, in Friedrichstadt. Vor allem aber ist das Palais so gut abgeschirmt und zugleich so funktional, wie es für ein Hauptquartier nötig ist, in dem nicht nur die Befehlsstränge einer großen Streitmacht zusammenlaufen, sondern die Kommunikationswege eines ganzen Weltreichs. Allein der ständige Einund Ausgang von Depeschen sorgt für hohe Betriebsamkeit. Gäste sind zu empfangen. Einige sind sehr speziell wie Joseph Fouché, Herzog von Otranto. Der in Ungnade gefallene ehemalige Polizeiminister ist nach Dresden beordert worden. Dort erfährt er vom Kaiser, daß er dringend in Illyrien benötigt werde. Er soll den dortigen Provinzgouverneur ersetzen. Fouché ist klug genug, um zu erkennen, daß die Landverschickung nur ein Vorwand ist. Tatsächlich möchte Napoleon den intriganten Ex-Minister, dem er alles zutraut, in dieser unruhigen Zeit von Paris fernhalten. Das Palais Marcolini liegt in einer Ruhezone. Es ist in Friedrichstadt angesiedelt, so benannt nach dem Kurfürsten Friedrich August II., dessen Vorgänger Johann Georg II. hier, auf dem Terrain des Vorwerks Ostra, landfremde Handwerker ansiedeln wollte. Allerdings untergrub die Konkurrenzangst der Dresdner Innungen den Plan des Kurfürsten, so daß im Laufe der Zeit statt der Handwerker Hofbeamte und reiche Bürger in die Wiesenlandschaft des Altstädter Elbbogens zogen beziehungsweise hier ihre Sommervillen errichteten. Die Baugeschichte des Palais ist in ihrem ersten Kapitel ein Stück Sittengeschichte. Im Mittelpunkt steht Ursula Katharina Lubomirska, nachmalige Fürstin von Teschen. Sie war die Geliebte August des Starken und Mutter seines Sohnes, des Chevalier de Saxe. 1722 reichte August die inzwischen ausrangierte Mätresse an Herzog Friedrich Ludwig von Württemberg weiter, der als Generalmajor in sächsischen Diensten stand und zehn Jahre jünger war als Ursula
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Katharina. Als Lohn für die Regulierung des delikaten Verhältnisses wurde Friedrich Ludwig von August mit einem Grundstück in Friedrichstadt belohnt, auf welchem er wenig später das „Württembergische Palais“ errichten ließ: der Urspung des marcolinischen Schlößchens. Nach dem Tod des Herzogs veräußerte die Witwe den Besitz dem sächsischen Premierminister, dem Grafen Brühl. Der erweiterte das Palais unter anderem um eine Orangerie (in der zwischen 1847 und 1849 Richard Wagner lebte und am Lohengrin arbeitete); außerdem wurde ein französischer Garten angelegt. 1774 ging das Barockschlößchen in die Hände von Camillo von Marcolini über, der es in klassizistischer Manier umbauen und um ein Stockwerk erhöhen ließ. 1849 übernahm die Stadt das Palais und machte daraus ein Krankenhaus. Bei dieser Verwendung ist es bis heute geblieben. Es ist nicht ganz einfach, so etwas wie ein „Bewegungsprotokoll“ der entrevue vom 26. Juni 1813 zu erstellen. Die Beschreibung, die Metternich hinterlassen hat, ist die einzige, in der die Lokalitäten wenigstens gestreift werden. Auf Einzelheiten legte der Minister keinen großen Wert. Auch hat das Palais durch die Nutzung als Hospital im Lauf der Zeit natürlich bauliche Veränderungen erfahren, was die Rekonstruktion erschwert. Feststeht, daß Metternich, von der Kreuzstraße in der Altstadt kommend, um 12 Uhr vor dem Palais aus der Kutsche stieg. Wahrscheinlich wurde er von Generalstabschef Berthier, Herzog von Neufchâtel, vor dem Hauptportal in Empfang genommen. Das Hauptportal existiert heute nicht mehr. Wohl aber stehen noch die beiden Hermensäulen, die eingesäumt werden von zwei Sandsteinlöwen. Metternich durchquerte den hinter dem Portal gelegenen Innenhof und betrat dann einen geräumigen achteckigen Festsaal, der Napoleons hohen Offizieren als Versammlungsort diente. Hier stieß er, wie er in einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1820 schrieb, auf eine „goldbetresste Schar“ (troupe dorée) von Militärs, die den Besucher gespannt erwartete. In der Aufzeichnung heißt es weiter: „Sobald Napoleon von meiner Anwesenheit im Garten Marcolini informiert wurde, bestellte er mich in sein Kabinett“. Das Wort „Garten“ irritiert an dieser Stelle. Es ist kaum anzunehmen, daß der Staatsgast das Palais von der Gartenseite aus betrat, statt den Haupteingang zu benutzen. In Dresden sprach man damals, wenn man das Palais und seine Anlage meinte, gern vom grand jardin oder auch, immer noch, vom „Brühlschen Garten“, und es ist wahrscheinlich, daß sich Metternich dieses allgemeinen Sprachgebrauchs bedient. Um vom Festsaal in das Kabinett zu gelangen, mußte er einen kleineren Arbeitsraum passieren, der heute nur noch erahnt
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werden kann. Das Kabinett ist identisch mit dem heutigen „Chinesischen Zimmer“. Es ist weitgehend erhalten und wird volkstümlich auch „Napoleonszimmer“ genannt. Hier empfing der Kaiser seinen Besucher; hier fand der größte Teil der Unterredung statt16. Ein einziges Mal während der achteinhalb Stunden wechselte der Schauplatz. „Napoleon führte mich in sein Arbeitszimmer (cabinet de travail)“, heißt es dazu bei Metternich. Der Raum wird nicht näher beschrieben. Gemeint sein kann nur das Kartenzimmer, jener Raum, der Napoleon zur Analyse der militärischen Lage diente und der, wo immer er sich auf seinen Feldzügen gerade aufhielt, das Herzzentrum des Hauptquartiers bildete. Dafür spricht, daß der Kaiser während dieses Gesprächsabschnitts, der wohl gut eine Stunde in Anspruch nahm, Metternich mit Zahlen über die Stärke der österreichischen Armee und ihre Stellungen traktierte. Wo befand sich nun dieses cabinet de travail, der Kartenraum, im Palais Marcolini? Bei der Ortung ist der Bericht, den ein Major Otto von Odeleben vom 1813er Feldzug verfaßt hat, eine Hilfe. Odeleben war als sächsischer Militärbevollmächtigter dem Hauptquartier des Kaisers attachiert. Über die generelle Bedeutung des cabinet de travail für Napoleon schreibt er: „Wenn ich vom Kabinett des Kaisers spreche, so bedeutete dies während des Feldzugs das größte und schicklichste Gemach desjenigen Gebäudes, welches zum Aufenthalt und zum Schreibzimmer für ihn und für seine Kabinettssekretäre diente. Es schien ihm wichtiger zu sein als das Gemach, welches er selbst bewohnte“. Weiter heißt es bei Odeleben: „In der Mitte des Zimmers stand eine große Tafel, auf der die beste Karte des Kriegsschauplatzes ausgebreitet ward. In Sachsen war es die von Petri, weil sich Napoleon im Jahre 1806 an diese gewöhnt hatte und sie vorzüglich schätzte. Es war noch dasselbe Exemplar, gemeiniglich schon vor seinem Eintritt ins Haus gehörig orientiert und mit Stecknadeln, die bunte Kuppen hatten, überall bespickt, um die Stellungen der Armeekorps und des Feindes bemerklich zu machen. Dies Geschäft besorgte der Direktor seines Bureau topographique, welcher fast unablässig mit ihm arbeiten musste und am besten mit den Stellungen vertraut war. Lag diese Karte nicht bereit, so musste sie unmittelbar nach seiner Ankunft herbeigeschafft werden, denn sie war seine tragbare Heimat, schien ihm noch wichtiger am Herzen zu liegen als andere Bedürfnisse des Lebens und ward des Nachts mit vielleicht 20 bis 30 Lichtern besetzt, in deren Mitte der Zirkel lag … In den vier Ecken dieses Heiligtums waren, wenn sie zu haben waren, kleine Tischchen aufgestellt,
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an welchen seine Sekretäre arbeiteten, wohl auch er selbst und sein Direktor des Bureau topographique. Gemeiniglich diktierte er jenen, indem er, völlig angezogen, in seiner gewöhnlichen grünen Uniform und sehr oft mit dem Hut auf dem Kopf, im Zimmer auf- und niederging. Gewöhnt, alles, was aus seinem Kopfe strömte, mit der größten Schnelligkeit ausgeführt zu sehen, konnte ihm auch niemand schnell genug schreiben, und was er in die Feder sagte, musste deshalb in Chiffren geschrieben werden. Es ist unglaublich, wie schnell Napoleon beim Diktieren sprach, und zu welcher Fertigkeit es sonach seine Sekretäre gebracht hatten.“ Die beiden einzigen Räume des Palais, die aufgrund ihres Umfangs als „Heiligtum“ in Frage kommen, waren der Festsaal und der im 2. Stock darüberliegende Raum gleicher Größe, der heute als Konzertsaal genutzt wird. Da der ebenerdige Saal ausscheidet, weil sich hier die Entourage des Kaisers aufhielt und wohl auch ihre Kantine hatte, kann mit dem cabinet de travail nur der heutige, gut 100 Quadratmeter große Konzertsaal gemeint sein. Die beiden Männer mußten sich also über eine Treppe nach oben begeben. Diese Annahme wird durch eine pittoreske Episode gestützt: Sie dreht sich um eine gewisse Gräfin Kielmansegge, der wir schon einmal im Januar 1813 in Paris begegnet sind (S. 146) und die sich im Juni in Dresden aufhielt. Es ist nicht auszuschließen, daß sie den Kaiser gelegentlich in dessen marcolinischem Schlafzimmer aufsuchte. Viele Jahre später tauchte jedenfalls ein junger Mann auf, der sich als Sohn Napoleons und der lustigen Gräfin ausgab. Als in den vierziger Jahren das Mobiliar des Palais versteigert wurde, ermutigte die Gräfin von Kielmannsegge einen Bekannten, zwei Klingelzüge zu ersteigern, „welcher sich“, so gibt der Bekannte die Gräfin wieder, „Napoleon während seines Aufenthalts im gedachten Palais eigenhändig bedient habe, um mittelst des Einen nach dem höher gelegenen Militair-Bureau (Hervorhebung durch den Verf.) und mittelst des Andern nach seinem ersten Kammerdiener“ zu läuten. Der heutige Konzertsaal und das „Chinesische Zimmer“ sind also die beiden Räume des Palais, in denen Napoleon und Metternich die Klingen kreuzten. Das „Chinesische Zimmer“, das zum Garten heraus liegt, hat seinen Namen von den chinesischen Papiertapeten, die, wie auch das Parkett, noch erhalten sind. Erhalten ist auch der Kamin, auf den gestützt Napoleon angeblich wutentbrannt seinen Zweispitz zu Boden geschleudert hat. Zweifelhafter ist die Herkunft eines kleinen Holztisches, auf dem, mehr Toilettentisch als Schreibtisch, Napoleon am 30. Juni Österreichs Lösung aus dem Bündnis-
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vertrag von 1812 per Unterschrift besiegelt haben soll. „Wir setzten uns an einen kleinen Tisch …“, heißt es dazu in Metternichs Erinnerungen. Vom „Chinesischen Zimmer“ führt eine Tür in das „Pompejanische Zimmer“. Es war Napoleons Schlafraum und ist mit antikisierenden Malereien ausgestattet, wie sie damals à la mode waren. Zwei weitere Räume – sie sind den Umbauten zum Opfer gefallen – schlossen sich an. Im ersten hatte Roustam sein „Reich“. Der Leibmameluck schlief immer direkt hinter Napoleons Schlafzimmertür; das zweite Zimmer gehörte dem Sekretär Marchand. Es muß eine drangvolle Enge in Napoleons Hauptquartier geherrscht haben. Die Bewohner lebten dicht an dicht. Den Aufenthaltsort eines Weltbeherrschers stellt man sich anders vor. Auch hat das zierliche Palais so gar nichts Martialisches. Am Rande der aufgewühlten, übervölkerten und sich ahnungsvoll auf die schlimmsten kriegerischen Schrecken vorbereitenden Stadt muß es wie eine Insel des Frieden gewirkt haben. Napoleon, der sich im anmutigen Malmaison mit seinem Park stets wohler gefühlt hatte als in den Tuilerien oder im Schloß von Saint Cloud, wird den Französischen Garten genossen haben. Für ihn wurde der Spazierpfad, der damals geradezu auf den Neptunbrunnen führte, eine noch heute imposante Anlage, mit Steinplatten planiert. Ansonsten mußte er mit den bescheidensten Umständen zurechtkommen. Sein Empfangssalon, das „Chinesische Zimmer“, mißt ganze zwanzig Quadratmeter. Der Schlafraum des Empereur mit seinen neuneinhalb Quadratmetern wäre nach heutigen Maßstäben selbst als Kinderzimmer unterdimensioniert gewesen. Aber Napoleon war damit zufrieden. Als General, nicht als Kaiser wolle er in den Krieg ziehen, hatte er zu Beginn des Frühjahrsfeldzugs erklärt. Das Palais Marcolini genügte seinen Ansprüchen.
Ein anderer Fall ist Jérôme. Napoleon hat seinen jüngsten Bruder nach Dresden beordert. In seiner Begleitung kommt Karl Friedrich Reinhard, französischer Botschafter am Hof in Kassel. Reinhard, der aus Schwaben gebürtig ist, fungiert als eine Art Aufpasser des Kaisers beim unzuverlässigen König von Westphalen. Er fi ndet Napoleon „in seinem Embonpoint physisch kraftvoll und geistig konzentriert“ vor. Der Kaiser überzeiht ihn mit einem Schwall von Fragen nach Jérômes Fähigkeiten und nach der Stimmung im Königreich. „Glaubt man bei Ihnen an den Frieden?“ „Sire, man hofft ihn zumindest“. „Wünscht man ihn?“ „Alle Welt, Sire“ 17. Im Palais Marcolini wohnen außer dem Kaiser, der den rechten Flügel des Palais innehat, Generalstabschef Berthier, Großstallmeister Caulaincourt und Außenminister Maret. Marschall Soult hat im gegenüberliegen-
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Das chinesische Zimmer im Palais Marcolini, in dem der größte Teil der denkwürdigen Begegnung stattfand.
den Wallwitzschen Garten eine Bleibe gefunden. So hübsch die Sommerresidenz ist, so bescheiden sind die Räumlichkeiten, die zur Verfügung stehen. Im Parterre des Mittelpalais befi ndet sich ein achteckiger Saal, in dem sich die hohen Offi ziere versammeln und wo das Essen gereicht wird. Daneben liegt der Empfangssalon Napoleons, an den sich sein Schlafzimmer, ein Raum von miniaturhafter Größe, anschließt (siehe S. 210 ff.). Viele Stunden verbringt der Kaiser in seinem cabinet de travail. Es ist im 1. Stock angesiedelt und wird beherrscht von einem großen, in der Mitte stehenden Kartentisch. In den vier Ecken des etwa 100 Quadratmeter großen Raumes steht je ein Schreibtisch, dahinter sind die Sekretäre postiert, jederzeit bereit, die eiligen Diktate des Kaisers aufzunehmen. Am Kartentisch arbeitet Napoleon vorzugsweise mit Berthier zusammen, dem Generalstabschef, mit Soult und Bacler d’Albe, dem Leiter des topographischen Büros. Auf dem Tisch liegen wahlweise das Kartenwerk von Müller für Böhmen, für Sachsen sind es die „Backenbergschen Blätter“ und vor allem Petris Karte. Sie schätzt Napoleon besonders. Nadeln zeigen die Stellungen der einzelnen Einheiten an. Oft geht Napoleon bei Nacht noch einmal an den Kartentisch;
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dann geben zwei Dutzend Kerzen Licht, die an den Seiten aufgereiht sind. Für den Kaiser, der seine Schachzüge mit größter Exaktheit plant, sind Karten unentbehrliche Utensilien. Wenn er unterwegs ist, trägt der hinter ihm reitende Hofmarschall Caulaincourt Petris Karte in einer Tasche auf der Brust. Obwohl in diesem Jahr nach dem Urteil von Zeitzeugen Napoleons Spannkraft nachzulassen beginnt, ist seine Arbeitsleistung noch immer kolossal. Nur abends gönnt sich der Kaiser hin und wieder eine Stunde der Zerstreuung. Er hat tatsächlich das Théatre Français nach Dresden beordert. Es tritt in der Orangerie auf, die man kurzerhand in einen Theatertempel umgewandelt hat. Aufgeführt werden vornehmlich Lustspiele, was ungewöhnlich ist angesichts der Vorliebe des Kaisers für das tragische Fach. Das handverlesene Publikum wird von den Spitzen des Schauspiels unterhalten: Man sieht auf der improvisierten Bühne den großen Talma. Mademoiselle Georges ist eigens aus Petersburg angereist. Sie war vor vielen Jahren die Maitresse Napoleons. Fleury, Saint-Phal, Michot, Baptiste und Armand sind ebenso gekommen wie die Damen Emilie Contat, Mézeray und andere Zelebritäten, auch der Souffleur Maigneu. Zusammen mit dem Maschinisten, dem Geräteaufsteller, einem Schneider, einem Haarkräusler und einem Theaterdiener kommt die Truppe auf 25 Köpfe. Gegeben werden unter anderem Molières „Der Geizige“ und Beaumarchais’ „Barbier von Sevilla“18. Normalbürger haben natürlich keinen Zugang zu den Aufführungen, doch wird es sich in Dresden herumgesprochen haben, daß der große Herrscher abends im marcolinischen Garten Komödie spielen läßt, während in der Stadt Seuchen umgehen, Verletzte ächzen und einquartierte Soldaten die Eßtische der Bürgerhäuser abräumen. Wie sollen die einfachen Leute wissen, daß der kaiserliche Regisseur kein zynisches Spiel treibt, sondern ganz andere Zwecke verfolgt? Die Wahrheit ist, daß Napoleon das Theater als Theater inszeniert. Mit Thalias Hilfe soll der Welt vorgegaukelt werden, der Kaiser befi nde sich in Sachsen völlig entspannt. Wenn die Zeitungen in Paris nur kräftig über die Theateraufführungen berichteten, schreibt Napoleon dem Statthalter Cambacérès, werde das den Eindruck in London und in Spanien nicht verfehlen. „Man wird glauben, daß wir uns in Dresden amüsieren“19.
„C’est dans le plaines de la Sachse …“ Auch für Metternich verbinden sich mit dem Namen Dresden prägende Erinnerungen. Dresden ist der Ort seiner ersten diplomatischen Verwendung. Die Stadt, so schien es dem jungen Gesandten 1804, war wie aus der
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Zeit herausgetreten, einer „Oase in der Wüste“ gleich. Während sich die Schönen in Paris schon längst à la grècque kleideten, posierten die Damen am Hof zu Dresden noch immer im Reifrock. Metternich kommt es so vor, als seien Lichtjahre seither vergangen. Damals erlebte er eine unbeschwerte Zeit. Inzwischen fühlt er sich wie Atlas, die ganze Welt auf den Schultern. In Dresden fand auch seine vorerst letzte Begegnung mit Napoleon statt. Beim Fürstentag 1812 stand Metternich als Förderer der Familienverbindung Habsburg-Bonaparte und als Exponent einer frankreichfreundlichen Politik hoch in des Kaisers Gunst. Auch das ist lange her. In Rußland haben sie beide verloren. Napoleon büßte seine Armee ein, Metternich die Aussicht auf eine Gewinnbeteiligung im Falle des erwarteten Sieges. Inzwischen haben sich ihre Wege getrennt. Der Kaiser strebt verzweifelt danach, die alte Übermachtstellung zurückzuerobern. Metternich bietet seine ganze Kunst auf, um eben dies zu verhindern. Seine geduldige Kleinarbeit hat sich gelohnt. Im Juni hat das Habsburgerreich zwar nicht den Schlüssel zum Frieden in der Hand, so doch die Mittel, im wiederentbrennenden Krieg den Ausschlag zu geben. Es ist die am meisten umworbene Macht Europas. Der Kaiser hat Metternichs Winkelzüge genau verfolgt. Das Mißtrauen sitzt, wie Bubna richtig beobachtet hat, „in den Falten seines Herzens“, und es wächst unaufhörlich. Dennoch hat er keinen einzigen Versuch unternommen, den Grafen zu stellen. Obwohl er wissen müßte, daß sich in der österreichischen Politik ohne Metternich nichts bewegt, hat er den direkten Austausch vermieden und statt dessen geglaubt, das Wohlverhalten des Habsburgerstaats durch appellative Briefe an den kaiserlichen Schwiegervater sicherstellen zu können. Erst dann gibt er seine rätselhafte Zurückhaltung auf, als er erfährt, daß Metternich in Opoˇcna den Zaren getroffen hat. Bei seiner Rückkehr nach Gitschin erfährt der Minister aus einer Depesche Bubnas, daß Napoleon seinen Besuch in Dresden „mit Spannung“ erwarte20. Am 25. Juni um 14 Uhr trifft Metternich in der sächsischen Residenzstadt ein. Nach einjähriger Abwesenheit erkennt er die Stadt kaum wieder. Er sieht, was er sehen soll: Dresden wird zur Festung ausgebaut. Überall begegnet er Soldaten. Ihre Jugendlichkeit versetzt ihn in Erstaunen. Er sieht auch, was der Frühjahrsfeldzug angerichtet hat. „Du hast keine Idee von dem Elend und den Schrecknissen, die hier herrschen“, schreibt er seiner Frau. Er schätzt die Verluste der Franzosen in den letzten Schlachten auf 80 000 Mann, was übertrieben ist. „Wahrscheinlich gibt es in Dresden und den Vororten noch immer mindestens 25 000 Verwundete und Kranke“21. Die Ausdünstungen der überquellenden Stadt, der Odeur der Exkremente, der Geruch der Wundmittel, alles, was Metternich bei der Kutschfahrt durch die Straßen der vormals eleganten Stadt entgegenschlägt, verletzt seine Ge-
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fühle. Wie barbarisch ist doch der Krieg! Als der Waffenstillstand eintrat, hatte Metternich Zweckoptimismus verbreitet. Die Waffenruhe werde die Welt retten, hatte er erklärt22. Daran geglaubt hat er nicht. Napoleon wird nicht nachgeben. Davon ist er seit langem überzeugt. Und weil es keinen Frieden geben wird, hat er in den letzten Wochen zielstrebig darauf hingearbeitet, daß Österreich im unvermeidlichen Krieg auf der richtigen Seite steht. Leicht haben es ihm Rußland und Preußen nicht gemacht. Militärisch haben sie versagt, politisch sind sie unzuverlässig. Mit der Stein-NesselrodeProklamation und in der Krise um den sächsischen König haben sie dokumentiert, daß ihnen das Prinzip der Legitimität nichts wert ist. Sie haben die Völker zum Aufstand gegen ihre Fürsten aufgewiegelt! Metternich erschauert, wenn er daran denkt. Aber er hat seinen Zorn unterdrückt und seine Vorbehalte hintangestellt. Er hat seinen Kaiser, der nach Lützen die Sache der Koalition schon verloren gegeben hatte, wieder aufgerichtet. All das hat er getan nicht aus Sympathie für die Alliierten, sondern aus purer Notwendigkeit. Mitte Juni sind die Weichen für den Eintritt Österreichs in die Koalition gestellt, malgré tout. Man wird nicht sagen können, daß Metternich damit am Ziel seiner Wünsche angekommen wäre. Der Weg war lang und kurvenreich. Ob der Graf immer der Steuernde war oder auch ein Getriebener, läßt sich kaum entwirren. Die Dinge haben sich entwickelt, seit Gitschin mit hoher Geschwindigkeit. Inzwischen ist der Mittler eindeutig Partei. Der Operationsplan von Wurschen ist keine Banalität. Es bildet die Grundlage des Strategiekonzepts von Trachenberg, das am 12. Juli beschlossen wird und nach dessen Maßgabe die vereinigten russischen, preußischen und österreichischen Armeen wenig später Napoleon entgegentreten werden. Seine politische Weihe erhält das Kriegsbündnis mit der Reichenbacher Konvention. Die Konvention wird in mehreren trilateralen Konferenzen vorbereitet. Die erste fi ndet am 10. Juni statt; Teilnehmer sind Nesselrode (Rußland), Hardenberg (Preußen) und Stadion (Österreich). Abgesehen von Formulierungsfragen geht es bei den Verhandlungen um die abschließende Klärung, in welchem Verhältnis das österreichische sine qua non zu den weitergehenden Forderungen Rußlands und Preußens stehen soll. Die Lösung besteht darin, daß nur die vier Bedingungen Österreichs Napoleon vorgelegt werden sollen (Auflösung des Großherzogtums Warschau; Anteile aus der Auflösungsmasse sowie Danzig für Preußen; Rückgabe der illyrischen Provinzen an Österreich und Autonomie der Hansestädte). Zugleich erklären Rußland und Preußen in separaten, von Metternich gebilligten Noten, daß sie zwei weitere Bedingungen stellen, nämlich die Auflösung des Rheinbundes und die Vergrößerung Preußens auf ungefähr die territoriale Ausdehnung des Jahres 1805, und darauf niemals verzichten werden. Damit hat
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8. Kapitel
Metternich erreicht, was er haben wollte. Basierend auf einem Verhandlungskonzept, das sich wie eine Ziehharmonika praktizieren läßt, und im Vertrauen darauf, daß die Gegenseite ablehnen wird, was auch immer auf den Tisch kommt, muß unfehlbar der Schwarze Peter bei Napoleon landen. Er wird es sein, der den casus belli herbeiführt und Österreich praktisch zum Kriegseintritt zwingt. Alle Figuren sind jetzt so aufgestellt, wie Metternich es für richtig erachtet. Nur einen Pferdefuß hat die Reichenbacher Konvention: Es darf sie eigentlich nicht geben, nicht jetzt. Denn Österreich verbündet sich mit Frankreichs Kriegsgegnern zu einem Zeitpunkt, da es vertraglich noch an Frankreich gebunden ist. Das stand so nicht in Metternichs Drehbuch. Es ist Betrug, politische Bigamie. Die Peinlichkeit ist dem Minister durchaus bewußt. Am 11. Juni, einen Tag nach Konferenzauftakt, hat er seinem Reichenbacher Verhandlungsführer Stadion mit größtem Nachdruck aufgetragen, das Abkommen müsse um alles in der Welt geheim bleiben23. „Nur das Verlangen, uns dieser beiden Höfe (gemeint sind Rußland und Preußen, A. d. V.) zu versichern, kann uns bestimmen, ein Abkommen zu unterzeichnen, das im Grunde entweder überflüssig an sich, oder unverträglich mit unserer Haltung als Vermittler ist. Was würden die Verbündeten sagen, wenn sie erführen, dass wir mit dem französischen Cabinett solch ein Abkommen unterhandelten (Que diraient les alliés s’ils apprenaient que nous fussions en négotiation d’arrangement avec le cabinet français)?“ Stadion folgt der Weisung. In Artikel 11 der Konvention verpfl ichten sich die nunmehr verbündeten Höfe, über das Abkommen „auf ewige Zeiten das strengste Geheimnis zu bewahren“. Es darf auch England und Schweden nicht preisgegeben werden, es sei denn, Österreich gibt vorher seine Zustimmung24. Metternich selbst wird sich „auf ewige Zeiten“ an das Schweigegelübde halten. An keiner Stelle seiner Memoiren erwähnt er die Reichenbacher Konvention auch nur mit einem Wort. Er tut so, als existiere dieser Schlußstein seiner Bündnispolitik des Jahres 1813 gar nicht. Für Metternich ist Reichenbach gleich dem Sündenfall, den die Jungfrau dringend herbeigesehnt hat, der aber nicht stattgefunden haben darf. Seine Empfi ndlichkeit hat auch etwas mit dem Auftreten der Partner zu tun. Ihr aggressives Drängen seit Anfang Juni hat ihm überhaupt nicht gefallen. Schließlich ist es nicht Österreich gewesen, daß bei Lützen und Bautzen in die Flucht geschlagen wurde. Die Niederlagen haben sich allein Russen und Preußen zuzuschreiben, und deshalb ist die fordernde Sprache, die sie jetzt gegen Österreich führen, unangemessen. Noch stärker empfi ndet das Gentz. Wenn er bedenke, schreibt er Metternich am 5. Juni, wie schwach man Napoleon geredet habe! All dieses Gerede sei durch „die Begebenheiten eines einzigen Monats zu Boden geschlagen“ worden. Napoleon habe seine
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militärische Superiorität demonstriert, so sehr, daß er, Gentz, „einem sehr mittelmäßigen Frieden mit offenen Armen entgegengehen“ würde. Am 6. Juli schreibt er, Österreich sei von den Alliierten erpresst worden. In Opoˇcna habe er miterlebt, „wie vier der entschiedensten Kriegsapostel, Graf Stadion, Nesselrode, Lebzeltern und Humboldt, miteinander wetteiferten, um die Form herauszufi nden, die Österreich am stärksten binden und am stärksten kompromittieren konnte“25. Gentz ist in dieser Phase näher bei Kaiser Franz als bei Metternich. Aber auch der Minister hat ein ungutes Gefühl. Er sieht, daß bei Russen und Preußen Anspruch und Leistung auseinanderklaffen. Sie sind anmaßend und haben ihn mit dem Vertrag zu einer Festlegung genötigt, die er, wie er Stadion gegenüber festgehalten hat, an sich für „überflüssig“ hält. Andererseits kann er nicht bestreiten, daß er sich auf den Reichenbach-Prozeß eingelassen hat. Reichenbach liegt in der Logik seiner Politik, wie immer man es dreht und wendet. Metternichs Nerven sind hochgradig gereizt. Monatelang ist er auf dem Hochseil balanciert. Nun, nachdem ihm Netz und doppelter Boden abhanden gekommen sind, wird er inne, wie dünn die Luft ist, in der er sich bewegt. Zwar ist das Abkommen noch nicht unterzeichnet. Erst am 27. Juni wird es von Nesselrode, Hardenberg und Stadion ratifi ziert. Aber er hat den Schlußentwurf am 23. Juni abends in Gitschin gelesen, ein paar redaktionelle Änderungen vorgenommen und dann Stadion Prokura gegeben: „Nichts steht einer Unterzeichnung entgegen“ (Rien ne suppose à la signature) 26. Bei seinem Eintreffen in Dresden befi ndet sich Metternich in einer mulmigen Grundstimmung. Was hat er von Napoleon zu erwarten? Was, wenn der Kaiser, der überall seine Spione hat, von dem Vertrag weiß? Warum muß alles so schwierig sein? Von seiner Geliebten reklamiert er Mitgefühl: „Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie glücklich diese Reise mich macht“, hat er der Herzogin von Sagan kurz vor der Abfahrt geschrieben. Um dann die Ironie beiseite zu wischen: „Ich komme wie der sprichwörtliche Mann Gottes, der die Last der Welt trägt! Ich wünschte, ich wäre nicht mit dieser Bürde beschwert!“27. In Dresden steigt Metternich in der österreichischen Gesandtschaft ab, Kreuzstraße 54. Von Bubna läßt er sich auf den neuesten Stand bringen. Er trifft den Amtskollegen Maret zu einem kurzen Gespräch. Napoleon ist abwesend. Der Kaiser inspiziert den Tag über Befestigungsarbeiten in Königsbrück und ist erst gegen 22 Uhr zurück. Für Metternich heißt das Warten. Das Einladungsbillett Napoleons erreicht ihn am nächsten Morgen um 11 Uhr. 45 Minuten später betritt Metternich das Palais Marcolini. Es ist Samstag, der 26. Juni. Das Duell kann beginnen.
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Das Duell In Dresden standen sich der Willensmensch und der Mensch des Maßes ein letztes Mal gegenüber, und der Willensmensch wurde geschlagen, weil ihm die letzte Erkenntnis fehlte: die Anerkennung, daß es Grenzen gibt. Henry A. Kissinger 9. Kapitel Das Duell
Ohne Zeugen Die Entschlüsselung der Dresdner entrevue wird dadurch erschwert, daß die Hauptakteure die ganze Zeit unter sich waren. Metternich nimmt zunächst an, Napoleon werde Maret hinzuziehen. Der Herzog von Bassano besitzt das Vertrauen des Kaisers. Als Außenminister steht er auf derselben Protokollebene wie er selbst. Doch als es soweit ist, sieht er sich dem Kaiser allein gegenüber. Vielleicht hat Napoleon vor, Maret später kommen zu lassen. Vielleicht will er auch keinen Zeugen haben. Aber das sind Mutmaßungen. Der Wahrheit am nächsten dürfte folgende Erklärung kommen: Die Begegnung entwickelt sich ganz anders und dauert wesentlich länger, als Napoleon ursprünglich geplant hat. Darauf deutet ein Hinweis von Albert Schuermans hin. Demnach erscheint am Nachmittag der sächsische König vor dem Palais. „Der König, der den Kaiser besuchen will, wartet eineinhalb Stunden, um dann unverrichteter Dinge in sein Schloß zurückzukehren“1. Man kann sich kaum vorstellen, daß Friedrich August den Nachbarn, der in diesem Augenblick der wahre Souverän in Sachsen ist, unangemeldet aufgesucht hat. Er wird eine Verabredung mit dem Kaiser gehabt haben. Napoleon hält die Verabredung nicht ein, er läßt seinen Verbündeten wie einen Schuljungen vor der Tür warten. Eine derartige Unhöfl ichkeit begeht man nur dann, wenn die Umstände ein anderes Verhalten nicht zulassen. Friedrich August ist nicht der einzige, der am 26. Juni vor verschlossenen Türen steht. Alle, die Napoleon im Hauptquartier um sich hat, wissen oder ahnen zumindest, um welchen Einsatz es an diesem Tag geht. Entsprechend
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neugierig werden sie sein. Mit jeder Stunde steigt ihre Unruhe. Sie raunen einander zu, tauschen Vermutungen aus und starren wie gebannt auf die Tür, hinter welcher sich vielleicht in diesem Augenblick Entscheidendes tut. Es kann sein, daß jemand das Ohr an das Holz preßt oder daß dann und wann ein Wortfetzen nach außen dringt. Am Grundsachverhalt ändert das nichts: Das Gespräch hat keine Zeugen; somit gibt es auch keine vollkommen glaubwürdige Überlieferung. Was bleibt, ist der Versuch einer Rekonstruktion. Napoleon ist in seinen Memoiren erst sehr spät auf das Dresdner Treffen eingegangen. Er diktierte seine Version dem General Montholon am 23. März 1821, sechs Wochen vor seinem Tod. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits sterbenskrank. Der Text erschien erstmals 1823, in einem Werk, das von seinen Gefährten auf Sankt Helena herausgebracht wurde, den Mémoirs pour servir à l’histoire de la France sous Napoléon, écrits à Sainte-Hélène par les généraux qui ont partagés sa captivité, et publiés sur les manuscrits entièrement corrigés de la main de Napoléon. Das unübersichtliche und ungenügende Memoirenwerk erhielt 1867 als Commentaires de Napoléon Premier seine endgültige Fassung. Das Dresdner Treffen wird darin unter der Überschrift Notes sur des négotiations de 1813 à Drèsde abgehandelt2. Im Unterschied zu Napoleon hat Metternich die Unterredung unverzüglich dokumentiert. Von ihm liegt ein eigenhändiges Schreiben an den Kaiser von Österreich vor. Wenn die Zeitangabe auf dem Dokument stimmt, „Dresden, 26. Juni, 9 Uhr Abends“, dann muß sich Metternich gleich nach Verlassen des Palais Marcolini hingesetzt haben, um seinem Souverän, der sich noch immer in Gitschin aufhielt, den Vollzug des Treffens und dessen wichtigste Ergebnisse zu melden3. Dem Brief fügte er ein protokollartiges Précis sommaire d’une conversation avec l’Empereur le 26 Juin 1813 bei4. Sieben Jahre später, 1820, verfaßte er einen Erinnerungsbericht, den Entretien avec Napoléon à Drèsde, der bis auf marginale Abweichungen in seine autobiographischen Schriften aufgenommen wurde5. Auf Metternich geht auch eine Darstellung des Historikers Capefigue zurück. Der traf ihn 1839 auf dem Johannisberg und schrieb mit, als der Fürst, nun schon mit dem Abstand von 26 Jahren, das Dresdner Treffen für ihn nachzeichnete6. Metternich nahm also die geschichtspolitische Wertung der entrevue sehr ernst. Es war ihm sehr darum zu tun, seine Rolle bei der Unterredung in ein günstiges Licht zu rücken. Daß er sich dabei die Perspektive des um den Gang der Geschichte Wissenden zunutze machte, ist nur selbstverständlich. Für die Sichtweise des Napoleon-Lagers war lange Zeit eine von Napoleons Privatsekretär Baron Fain stammende Schilderung tonangebend7. Sie fi ndet sich in Fains 1825 veröffentlichtem Erinnerungsband Manuscrit de mil huit cent treize. Fain, der sich während der Unterredung im Palais aufgehal-
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ten haben dürfte, verdankte sein Wissen Maret, der wiederum von Napoleon informiert wurde. 1933, also einhundertzwanzig Jahre post festum, fand sich eine Niederschrift Caulaincourts, die von Jean Hanoteau veröffentlicht wurde8. Wie Caulaincourt schreibt, ließ ihn der Kaiser unmittelbar nach Metternichs Abgang zu sich rufen und gab ihm, noch ganz unter dem Eindruck des erregenden tête-à-tête, einen ausführlichen Bericht über Inhalt und Verlauf der Unterredung. „Weit davon entfernt, die Dinge nur im Lichte seines politischen Interesses darzustellen, wiederholte er mit der Offenheit eines Menschen, der sich belastet fühlt durch die gerade entgegengenommenen vertraulichen Mitteilungen, alles, was ihm Herr von Metternich gesagt hatte, sogar das, was seinen Ansichten und Standpunkten entgegenstand“, charakterisiert Caulaincourt die Gesprächssituation. Der Grand écurier und Schlittengefährte Napoleons diktierte darauf unverzüglich einem Sekretär 16 Seiten Folio unter der Überschrift Conversation de M. le Comte de Metternich avec l’empereur Napoléon, telle que S. M. me l’a racontée. Sein Gedächtnis sei so gut, daß er nichts vergessen habe und sogar glaube, „über weite Teile die genauen Formulierungen des Kaisers behalten zu haben“, notierte Caulaincourt. Die Quelle hat der Niederschrift Fains voraus, daß Caulaincourt von Napoleon selbst unterrichtet wurde, Fain dagegen über die Zwischenstation Maret. In Rechnung zu stellen ist auch, daß Caulaincourt ein durchaus kritischer Diener seines Kaisers war und im Juni 1813 zur Friedenspartei gehörte. Das erhöht den Wert der Schilderung. Vergleicht man die Wirksamkeit der beiden Quellenstränge Metternich / Napoleon, so dominiert in der Rezeption Metternichs Lesart. Der Sieger hat im Deutungsstreit immer die besseren Karten. Innerhalb der napoleonischen Vermittlung steht Fains Manuscrit im Vordergrund. Napoleons eigenes Diktat wird deutlich geringer gewichtet, mit Gründen, wie noch zu zeigen sein wird. Die Historiker haben sich wahlweise für den einen oder den anderen Quellenstrang entschieden, wodurch sich die unterschied lichen Lesarten perpetuierten. Einige wie Thiers, der Einblick in den Entretien hatte, mixten die vorhandenen Quellen, wieder andere verzichteten ganz auf den Versuch, das Gespräch wiederzugeben. Das Dresdner Treffen liegt somit hinter einem Schleier, der niemals ganz gehoben werden wird. Die zahlreichen Widersprüche, denen man in der Literatur begegnet, sind deshalb kein Wunder. Sie beginnen bei der Datierung. Beim Durchblättern von Reiseführern der Stadt Dresden kann es passieren, daß man mit dem 28. Juni als Datum der entrevue konfrontiert wird.9 Diesen Tag nennt auch Thiers in seinem noch immer unverzichtbaren Standardwerk10. Es scheint, als habe Fain die falsche Fährte gelegt11, absichtlich oder unabsichtlich. Ihr folgten beispielsweise Helfert12 oder MendelssohnBartholdy13, der Herausgeber des Briefwechsels Gentz-Pilat, und der Metter-
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nich-Gegner Hormayr14, der bei Fain abgeschrieben hat. Napoleon legte sich in seinen Memoiren nicht fest. Ende Juni (à la fin de juin) habe er sich mit Metternich getroffen, diktierte er Montholon in der Verbannung 15. Metternich hat das Durcheinander bereichert. Sein Entretien, also die Nacherzählung von 1820, die Helfert 1873 als erster publizierte, enthält die Zeitangabe le 23 juin 181316. Hätte Metternich, statt seinem Gedächtnis zu vertrauen, in die Akten geschaut, wäre er auf sein Handschreiben an Kaiser Franz gestoßen, das den 26. Juni als Tag der Unterredung ausweist. Es gibt keinen Grund, an dieser Datierung zu zweifeln. Für ihre Richtigkeit spricht die Unmittelbarkeit der Niederschrift. Auch die Zeitangaben über Metternichs Abfahrt in Gitschin und seine Ankunft in Dresden führen logisch auf den 26. hin. Der 28. scheidet schon deshalb aus, weil sich Napoleon an diesem Tag nur morgens in Dresden aufhielt. Für den Nachmittag verzeichnet Schuermans, der penible Zeitnehmer Napoleons, Besuche in Stolpe, Lilienstein, Königstein und Struppen17. Durcheinander herrscht auch hinsichtlich der Dauer des Gesprächs. Im Handschreiben Metternichs an seinen Kaiser heißt es, die Unterredung habe „von ½ auf 12 Uhr bis ¾ auf 8 Uhr“ gedauert, und zwar „ohne Unterbrechung“. Demnach hätte sich die entrevue über achtdreiviertel Stunden hingezogen. Später rundete Metternich auf neun Stunden auf18. Von acht Stunden spricht Oncken19, was Golo Mann übernahm, während Schnabel20 oder Nipperdey21 der Neun-Stunden-Version den Vorzug geben. Thiers22 verlegt das Gespräch in den Nachmittag und läßt es fünf bis sechs Stunden dauern, bei Helfert23 begann es „in den ersten Nachmittagstunden“, bei MendelssohnBartholdy24 dauerte es „vom Mittag bis in die Nacht“. Schuermans25 schreibt in seinem Itinéraire: „Mittags um 12 empfi ng er Herrn von Metternich, das Gespräch dauert acht Stunden“ und liegt damit nahe bei Metternich. Nach Hanoteau26 empfi ng Napoleon Metternich um 11.45 Uhr. Eine Viertelstunde später setzte die Unterredung ein; sie dauerte bis 20. 30 Uhr. Man macht also keinen Fehler, wenn man die Gesprächsdauer auf acht bis neun Stunden bemißt. Mit dem Handschreiben an Kaiser Franz und dem Précis sommaire besitzen wir zwei Urkunden, die sich als Grundriß für die Rekonstruktion der Unterredung eignen. Das Handschreiben hat folgenden Wortlaut: „Dresden, 26. Juni, 9 Uhr Abends. EW. Majestät! Ich bin gestern um 2 Uhr Nachmittags, also in 24 Stunden, hier eingetroffen. Der Kaiser war bis nach Königsbrücke (sic) abgefahren, von woher er am Abend 10 Uhr wieder eintraf. Ich habe mit dem Herzog von Bassano gesprochen, ihm meine Noten übergeben, über welche er keine Einwände machte, und habe heute früh um 11 Uhr meine Bestellung zum Kaiser erhalten. Er empfi ng mich gleich, als ich bei ihm angemeldet wurde, und unsere Unterredung dauerte
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von ½ auf 12 Uhr bis ¾ auf 8 Uhr ohne Unterbrechung. Sie bestand aus dem sonderbarsten Gemisch der heterogensten Gegenstände, der abwechselndsten Freundlichkeit und der lebhaftesten Ausbrüche: Ihr Resultat ist, dass ich noch nicht über das Ende meines hiesigen Aufenthaltes abzuurtheilen wage, da ich die directe Aufforderung erhielt, noch morgen hier zu bleiben, und ich auf der officiellen Antwort meiner Noten bestand, welche mir der Kaiser auf morgen versprochen hat, da er behauptete, diese Noten noch nicht gelesen zu haben, welches jedoch im höchsten grade unwahrscheinlich ist. Ich werde demnach auf keinen Fall vor Montag Nachts oder im Laufe des Dienstags eintreffen, und ersuche E. M. gehorsamst, vorher auf keinen Fall den Aufenthalt von Gitschin wegzuverlegen“27. Das Précis sommaire lautet: „Nachdem der Herzog von Bassano am Morgen des 26. Juni das beiliegende Billett an mich gerichtet, hatte ich Anlaß, zu erwarten, dass der Kaiser mich in seiner Gegenwart empfangen würde. Im Garten Marcolini angekommen, wurde ich sogleich gemeldet und S. M. empfi ng mich allein in Ihrem Cabinet. Sie kam mir entgegen und fragte mich mit sehr heiterer Miene nach dem Befi nden des Kaisers. Nach einiger Zeit eröffnete ich die Unterredung, indem ich sagte, ich stände vor ihm infolge seiner Einladung und nach meiner Überzeugung in dem wichtigsten Augenblick für die zukünftigen Beziehungen zwischen den beiden Reichen und für ganz Europa. Von Ew. Majestät, sagte ich, hängt es ab, der Welt den Frieden zu geben, Ihrer Regierung die festeste aller Grundlagen, die allgemeine Dankbarkeit, zu geben; wenn E. M. sich diesen Augenblick entgehen lässt, wo werden dann die Umwälzungen ihre Grenze und ihr Ziel fi nden? Der Kaiser antwortete mir, er sei bereit, Frieden zu machen; aber lieber werde er untergehen, als einen entehrenden Frieden schließen. ,Ich habe es dem Kaiser geschrieben – fuhr er fort – meine Ehre über alles und dann der Friede!‘ Ich erwiderte ihm, entehrende Vorschläge würden niemals in die Berechnungen des Kaisers Franz Eingang fi nden. ,Wohlan, was verstehen Sie unter Frieden‘ unterbrach mich der Kaiser, ,welches sind Ihre Bedingungen? Wollen Sie mich plündern? Wollen Sie Italien, Brabant, Lothringen? Ich werde nicht einen Zoll Erde abtreten; ich schließe Frieden auf den Status quo ante bellum. Ich werde sogar einen Theil des Herzogthums Warschau an Russland geben; Euch werde ich nichts geben, denn Ihr habt mich nicht geschlagen; auch an Preußen gebe ich nichts, weil es mich verraten hat. Wenn Ihr West-Galizien wollt, wenn Preußen einen Theil seiner alten Besitzungen will, so kann ich das machen, aber gegen Entschädigungen. Alsdann müsst Ihr meine Verbündeten entschädigen.
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Illyrien zu erobern, hat mir 300 000 Mann gekostet; wollt Ihr es haben, so müsst Ihr eine gleiche Anzahl Menschen verausgaben.‘ Nach diesem ersten Ausfall erwiderte ich, ich sei in keiner Weise berufen, hier die Bedingungen des künftigen Friedens zu erörtern, sondern einfach darauf zu bestehen, dass die Unterhändler unter Vermittlung Österreichs schleunigst zusammenträten oder dass der Kaiser ausdrücklich ablehne, unter dieser Vermittlung zu unterhandeln. Seien die Unterhändler einmal vereinigt, so werde Nichts der Erörterung der Grundlagen eines Friedens im Wege stehen, und in einer so ernsten Lage werde Österreich die Rolle des Vermittlers mit der größten Parteilosigkeit auszufüllen wissen“28. Metternichs Entretien avec Napoléon à Drèsde von 1820 unterscheidet sich vom Précis durch den erheblich größeren Umfang und seinen narrativen Stil. Der Gesprächsschilderung ist eine impressive Einleitung vorangestellt. Danach wird Metternich von Berthier in Empfang genommen und zum Kaiser geleitet. Beim Durchschreiten der Vorzimmer und Diensträume begegnet er hochrangigen Militärs und Zivilbeamten, in deren Gesichtern er tiefe Besorgnis über den Ausgang der Verhandlungen zu lesen glaubt. Berthier flüstert ihm zu: „Vergessen Sie nicht, dass Europa den Frieden braucht, noch mehr braucht ihn Frankreich, das nichts anderes will als den Frieden“29. Napoleon begrüßt den Gast in der Mitte des Konferenzraums, den Säbel an der Seite, den Hut unter dem Arm. Wahrscheinlich trägt er die Uniform der Gardejäger. Über die Kleidung Metternichs sind wir nicht informiert. Einen Tag später, am 27. Juni, sieht ihn der Vorwerksverwalter des Ostrageheges, Neu, im Gespräch mit Maret, in „grünem Rock mit Goldstickerei“30. Ist schon der Entretien deutlich farbintensiver als das trockene Précis sommaire, legte Metternich bei der Plauderei mit dem Historiker Capefigue 1839 erzählerisch noch einmal zu. Bei Capefigue liest man: „Der Kaiser, in seiner militärischen Kleidung, ging mit großen Schritten auf und ab, mit lebhaften Augen und heftigen, ruckartigen Gebärden. Er griff seinen Hut, legte ihn wieder hin. Von Zeit zu Zeit warf er sich, die Stirn mit Schweiß bedeckt, in einen breiten Sessel“31. Augenscheinlich ging es Metternich hier darum, die Unterschiedlichkeit der Duellanten in Auftreten und Gemütsverfassung hervorzuheben, wobei der Vergleich selbstverständlich zu seinen Gunsten ausfiel: Auf der einen Seite der „wilde Korse“, soldatisch und somit nichtstaatsmännisch, heftig und unbeherrscht; auf der anderen Seite der ruhige, jederzeit seiner selbst sichere Diplomat. Auffällig ist, daß Metternich im Précis sommaire die Gesprächseröffnung ausdrücklich für sich reklamiert: „Von Ew. Majestät hängt es ab, der
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Welt den Frieden zu geben“. Das ist ein Programmsatz, der vermutlich für die Akten berechnet ist. In knappster Form wird das Treffen als weltpolitisches Ereignis deklariert. Zugleich wird für den Fall, daß es zum Krieg kommen sollte, die Alleinverantwortung Napoleon zugeschoben. Diese Darstellung darf man bezweifeln. Napoleon ist der Ranghöhere. Er ist Gastgeber, und wenn man sein Temperament in Rechnung stellt, spricht alles dafür, daß er Metternich gar keine Chance ließ, das Gespräch zu eröffnen. Sieben Jahre später, im Entretien, überläßt Metternich denn auch die Introduktion Napoleon. Dieser ist es, der loslegt, und zwar mit einem Schwall von Angriffen. „Ihr wollt also den Krieg?“ fährt er Metternich an. „Nun gut, wir werden ihn haben. Ich habe in Lützen die preußische Armee zerstört, die russische habe ich in Bautzen geschlagen. Ihr werdet euren Teil abbekommen. In Wien sehe ich Euch wieder. Die Menschen sind unverbesserlich; sie werden aus Erfahrung nicht schlau. Dreimal habe ich Kaiser Franz wieder auf den Thron gesetzt. Ich habe ihm versprochen, dass ich mein ganzes Leben mit ihm nur in Frieden leben will. Ich habe seine Tochter geheiratet; ich habe mir damals gesagt, dass ich vielleicht einen Fehler mache. Ich habe ihn gemacht und bereue es heute.“ Brutaler kann eine Eröffnung kaum sein! Napoleon bezeichnet seine Ehe mit Marie-Louise als politische Torheit. Der Tor ist er; Metternich ist, unausgesprochen, der Fallensteller. Ihm ist er auf den Leim gegangen. Das will Napoleon sagen. Metternich läßt sich auf die raue Gangart nicht ein. Er reagiert abgeklärt. Seine Replik führt auf das hin, was aus seiner Sicht des Pudels Kern ist: „Es herrscht Unvereinbarkeit zwischen Europa und den Plänen, die Ihr bisher verfolgt habt. Die Welt braucht den Frieden. Um ihn zu sichern, müsst Ihr Eure Machtstellung so weit zurücknehmen, dass sie mit der allgemeinen Ruhe vereinbar ist, oder Ihr werdet untergehen. Heute könnt Ihr Frieden machen, morgen ist es zu spät.“ Hier unterbricht ihn Napoleon. „Also, was wollt Ihr von mir? Daß ich mich entehre? Niemals! Ich werde zu sterben wissen, aber niemals werde ich auch nur ein Daumenbreit Boden aufgeben.“ Es folgt der Satz: „Eure Majestäten, die auf dem Thron geboren sind, halten es aus, zwanzigmal geschlagen zu werden. Jedesmal kehren sie zurück in ihre Hauptstadt. Ich bin nur der Sohn des Glücks. Ich würde von dem Tag an nicht mehr regieren, an dem ich aufhörte, stark zu sein, an dem ich aufhörte, Respekt zu erheischen.“ An dieser Stelle hätte die entrevue eigentlich beendet sein können. Denn im Klartext gibt Napoleon zu verstehen, daß mit ihm über Konzessionen nicht zu sprechen ist. Statt dessen schlägt er ein neues Thema an. Beim Rußlandfeldzug habe er den Fehler begangen, die Elemente nicht in Rechnung
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zu stellen. Die Kälte sei schuld gewesen am Untergang der Großen Armee. Jetzt sei die neue Armee da; schon zweimal habe sie gesiegt. „Ich werde Sie Euch vorführen“. Aber sei es nicht gerade die Armee, die den Frieden wolle? wirft Metternich ein. „Nicht die Armee!“ fährt ihn Napoleon an, „aber meine Generäle. Die Moskauer Kälte hat sie um ihre Moral gebracht. Ich habe die Mutigsten weinen sehen; sie hatten keine Kraft mehr.“ Vor zwei Wochen noch hätte er Frieden schließen können. Nun, mit zwei Siegen im Rücken, könne er es nicht mehr. Darauf Metternich: Wenn der Kaiser die Dinge so sehe, beweise er nur, daß seine und die Interessen Europas wirklich unvereinbar seien. „Eure Friedensverträge waren stets nur Waffenstillstände. Ob Rückschläge oder Erfolge, sie drängten Euch immer in den Krieg“. Im Entretien wechselt Napoleon nun abermals den Gegenstand. Höhnisch fragt er, ob Metternich vielleicht glaube, auf die Alliierten bauen zu können? „Wie viele Alliierte seid Ihr? Vier, fünf, sechs, sieben? Je mehr, desto besser für mich. Ich akzeptiere die Herausforderung.“ Damit spielt er auf die bittere Erfahrung an, die Österreich in den zurückliegenden Jahren mit der Unzuverlässigkeit der Russen und Preußen gemacht hat. Er werde im Oktober in Wien sein, prahlt Napoleon, dann werde man ja sehen, wo sich Russen und Preußen befänden. Oder zähle Metternich gar auf Deutschland? „Bedenkt, was 1809 der Fall war.“ Darauf unterbreitet Napoleon einen Vorschlag: „Erklärt Eure Neutralität, haltet Euch daran, und ich werde Friedensverhandlungen in Prag akzeptieren. Wollt Ihr bewaffnete Neutralität? Von mir aus! Ihr plaziert 300 000 Mann in Böhmen, und ich verlasse mich auf das Ehrenwort des Kaisers, dass er friedlich bleibt, solange die Verhandlungen laufen.“ Geschmeidig weicht Metternich aus. Kaiser Franz habe den Mächten „seine Vermittlung angeboten, nicht seine Neutralität.“ Rußland und Preußen hätten die Vermittlung angenommen; jetzt sei es an Frankreich, es ihnen gleichzutun. „Wenn Ihr ablehnt, wird mein Kaiser und Herr sich als frei in der Wahl seiner Entscheidungen und seiner Haltung betrachten.“ Napoleon schweift dann ab. Er führt Metternich in das Kartenzimmer und verbreitet sich über die Stärke der österreichischen Armee. Um den Gast zu beeindrucken, extemporiert er Details über Stellung und Stärke der habsburgischen Einheiten. Das dauert mehr als eine Stunde. Zurück im Empfangssalon gelingt es Metternich, den monologisierenden Kaiser zu unterbrechen. Es könne ja durchaus sein, argumentiert er listig, daß Fortuna sich abermals von Napoleon abwende, wie in Rußland. Er habe die neuen Soldaten gesehen, das sei doch eine vorweggenommene Generation. Was werde der Kaiser tun, wenn auch diese Generation verheizt sei? Werde er dann die nächste zu den Waffen rufen?
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Diese Worte lösen einen Wutanfall Napoleons aus: „Ihr seid kein Militär, Ihr wisst nichts über die Seele eines Soldaten. Ich bin im Feldlager aufgewachsen, und ein Mann wie ich scheißt auf das Leben von einer Million Menschen“32. Zur Bekräftigung feuert er seinen Hut, den er bis dahin in der Hand gehalten hat, in eine Ecke des Zimmers. Währenddessen läuft das Gespräch weiter. Der Kaiser, immer noch außer sich, meint, die Franzosen könnten sich nicht beklagen. Schließlich seien die meisten von denen, die bei der Kampagne von Moskau ihr Leben gelassen hätten, Polen und Deutsche gewesen. „Ihr vergesst, Sire, dass Ihr mit einem Deutschen sprecht“, will Metternich an dieser Stelle eingeworfen haben. Es folgt Teil zwei der berühmten Hut-Szene. Napoleon, der, in hohem Grade erregt, den Raum mit heftigen Schritten durchmißt und dabei den Hut mehrfach passiert hat, hebt den malträtierten Zweispitz schließlich eigenhändig vom Boden auf. Er tut also etwas, was standesgemäß Aufgabe des Ministers gewesen wäre. In der Sache ist das Intermezzo vollkommen unbedeutend. In Metternichs Erzähldramaturgie aber wird sie zum Symbol der eigenen Überlegenheit: Im Ringen mit dem allgewaltigen Imperator bewahrt der Diplomat sang-froid. Um zu zeigen, daß er sich nichts gefallen läßt, verletzt der sonst so Formvollendete sogar die Etikette. Der Kaiser kommt noch einmal auf die Hochzeit zurück. Es entspannt sich folgender Wortwechsel: „Ich habe also eine schlimme Dummheit gemacht, als ich eine Großherzogin von Österreich ehelichte.“ „Da Eure Majestät ja meine Meinung hören will, antworte ich freimütig, dass der Eroberer Napoleon einen solchen gemacht hat.“ „Der Kaiser Franz will also seine Tochter entthronen?“ „Der Kaiser kennt seine Pfl ichten und wird sie erfüllen. Was immer das Schicksal seiner Tochter sein wird – an erster Stelle ist der Kaiser Monarch, und das Interesse seiner Völker wird für ihn immer obenan stehen“. „Ihr sagt mir nichts, was mich erstaunen würde, Ihr bestärkt mich nur in meiner Auffassung, dass ich falsch gehandelt habe, dass ich einen irreparablen Fehler begangen habe. Indem ich eine Erzherzogin heiratete, wollte ich das Neue mit dem Alten amalgamieren, die mittelalterlichen Vorurteile (préjugés gothiques) mit den Institutionen meines Jahrhunderts. Ich habe mich geirrt und ich erkenne heute das ganze Ausmaß meines Irrtums. Er kann mich den Thron kosten, aber ich werde die Welt in seinen Trümmern begraben.“ Napoleon verabschiedet seinen Gast „ruhig und sanft“. Es ist halb neun Uhr und schon so dunkel, daß Metternich den Gesichtsausdruck des Kaisers nicht genau erkennen kann. An der Eingangstür legt Napoleon die Hand auf Metternichs Schulter: „Wir werden uns wiedersehen“.
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„Ich stehe zu Eurer Verfügung“. „Und wollt Ihr wissen, was passieren wird? Ihr werdet mir nicht den Krieg machen!“ Darauf Metternich: „Ihr seid verloren, Sire. Als ich kam, habe ich es geahnt, jetzt weiß ich es.“ Berthier begleitet den Außenminister noch bis zur Kutsche. Auf seine Frage, ob er mit dem Kaiser zufrieden gewesen sei, antwortet Metternich: „Er hat mir ein Licht aufgesetzt; ich betrachte ihn als verloren.“ So also erinnerte sich Metternich 1820 an das Dresdner Treffen; genauer gesagt, so wollte er es erinnert wissen.
Vier Jahre später erschien das Manuscrit de mil huit cent treize des Barons Fain. Auch bei Fain eröffnet Napoleon die Partie, auch hier beginnt er mit einem Überwältigungsversuch. „Da seid Ihr ja, Metternich! … Aber wenn Ihr den Frieden wollt, warum kommt Ihr dann so spät? Wir haben schon einen Monat verloren, und Eure Mediation nimmt allmählich feindliche Züge an, weil sie zur Untätigkeit zwingt. Es hat den Anschein, als paßte es Euch nicht mehr, die Integrität des französischen Empire zu garantieren. Sei’s drum. Aber weshalb hat man mir das nicht früher erklärt, warum es mir nicht klipp und klar gesagt, als ich aus Rußland zurückkam, durch Bubna oder später dann durch Schwarzenberg? Vielleicht hätte ich rechtzeitig meine Pläne geändert; vielleicht wäre ich sogar überhaupt nicht ins Feld zurückgekehrt. Als Ihr zugelassen habt, daß ich mich durch neue Anstrengungen erschöpfe, habt Ihr wahrscheinlich nicht damit gerechnet, daß sich die Dinge so rasch entwikkeln. … Diese kühnen Anstrengungen sind siegreich gekrönt worden. Ich gewinne zwei Schlachten, meine Feinde sind gerade dabei, sich von ihren Illusionen zu trennen. Plötzlich schiebt Ihr Euch zwischen uns. Mir gegenüber habt Ihr von Waffenstillstand und Vermittlung gesprochen, den anderen gegenüber von Bündnis, und alles ist durcheinandergeraten … Ohne Eure verhängnisvolle Intervention wäre zwischen den Alliierten und mir schon heute Frieden.“ Bei Fain ist Napoleon bemüht, sein Mißtrauen, das er hinsichtlich der Vermittlung Österreichs hegt, zu begründen. Es fällt das Stichwort Reichenbach: „Was sind denn die bisherigen Ergebnisse des Waffenstillstands? Ich kenne nur die zwei Verträge von Reichenbach, die England gerade von Preußen und Rußland bekommen hat. Man spricht auch von einem Vertrag mit einer dritten Macht. Aber Ihr habt ja Stadion an Ort und Stelle, Metternich, und solltet darüber besser informiert sein als ich. Gebt doch zu: Seit
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Österreich den Titel des Vermittlers angenommen hat, steht es nicht mehr auf meiner Seite, es ist nicht mehr unparteiisch, es ist feindlich! Ihr wart schon drauf und dran, euch zu erklären, da hat Euch der Sieg von Lützen gebremst. Ihr habt gesehen, daß ich noch immer furchterregend bin und gespürt, daß Eure Streitkräfte noch vergrößert werden müssen; Ihr wolltet Zeit gewinnen … Heute habt Ihr 200 000 Mann unter Waffen; es ist Schwarzenberg, der sie kommandiert. Er vereinigt sie in diesem Moment, ganz in unserer Nähe, hinter dem Vorhang der böhmischen Berge. Und weil Ihr Euch imstande glaubt, das Gesetz zu diktieren, seid Ihr zu mir gekommen! Das Gesetz! Warum wollt Ihr es nur mir diktieren? Bin ich nicht mehr derselbe, den Ihr gestern verteidigt habt? Wenn Ihr Vermittler seid, warum haltet Ihr dann nicht die Balance?“ Die Vorwürfe werden heftiger, verletzender: „Ich habe Euch durchschaut, Metternich. Eure Regierung will aus meinen Schwierigkeiten Profit schlagen, sie nach Möglichkeit noch vergrößern, um das, was Österreich verloren hat, ganz oder teilweise einzukassieren. Euer großes Problem ist herauszufi nden, ob Ihr mich erpressen könnt, ohne Euch zu schlagen, oder ob Ihr Euch ohne Wenn und Aber auf die Seite meiner Feinde schlagen müsst. Ihr wißt noch nicht genau genug, welche der beiden Parteien Euch mehr Vorteile bietet, und vielleicht ist es das, worüber Ihr Euch jetzt Klarheit verschaffen wollt. Nun gut! Laßt uns sehen, erledigen wir das, ich bin einverstanden. Was wollt Ihr haben?“ So herausgefordert, zieht sich Metternich auf Allgemeinheiten zurück. Sein Herr erstrebe nicht mehr und nicht weniger, als die Regierungen Europas auf den Pfad der Mäßigung und des Rechts zu bringen: „Österreich will ein Ordnungssystem etablieren, welches, durch eine weise Aufteilung der Kräfte, den Frieden unter der Ägide einer Vereinigung unabhängiger Staaten garantiert.“ „Sprecht deutlicher“, unterbricht ihn der Kaiser. „Lassen wir zum Ziel kommen, und vergeßt nicht, daß ich ein Soldat bin, der es besser versteht zu brechen als zu biegen. Ich habe Euch Illyrien für die Neutralität geboten. Meine Armee ist stark genug, um die Russen und die Preußen zur Raison zu bringen. Von Euch verlange ich die Neutralität, nicht mehr.“ Darauf Metternich entwaffnend: „Weshalb wollen Eure Majestät denn im Kampf allein bleiben? Weshalb die Kräfte nicht verdoppeln? Ihr könntet es, Sire! Es liegt nur an Euch, ganz und gar über unsere Kräfte zu verfügen. Ja, die Dinge sind an einem Punkt, wo wir nicht neutral bleiben können. Wir müssen für Euch oder gegen Euch sein.“ Wie schon im Entretien führt Napoleon Metternich jetzt in den Kartenraum. Der Ton wird ruhiger, bis Napoleon wieder auf braust: „Was! Nicht nur Illyrien, sondern die Hälfte von Italien, die Rückkehr des Papstes nach Rom,
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Polen und Spanien und Holland, und der Rheinbund und die Schweiz! … Das nennt Ihr den Geist der Mäßigung? Ihr denkt nur daran, alle Karten auszureizen. Ihr transportiert Euer Bündnisangebot von einem Lager ins andere, um immer auf der richtigen Seite zu sein. Und Ihr kommt und sprecht mir von Eurem Respekt für die Rechte unabhängiger Staaten! … In einem Wort, der Friede ist nur ein Vorwand. In Wahrheit wollt Ihr nichts anderes als die Zerstückelung des französischen Reiches!“ Napoleon ereifert sich mehr und mehr. Er soll eine Kapitulation unterzeichnen. Er soll in Zukunft auf die Großzügigkeit derer hoffen, auf die er heute als Sieger den Fuß stellt! „Und das in einem Augenblick, wo meine Banner immer noch an der Mündung der Weichsel wehen und an den Ufern der Oder, wo meine triumphierende Armee vor den Pforten von Berlin und Breslau steht, wo ich selbst über 300 000 Mann gebiete – da schmeichelt sich Österreich, ohne einen Schuß abzugeben, ohne den Degen zu ziehen, mich überreden zu können, solche Bedingungen zu unterschreiben! … Ohne den Degen zu ziehen! Das ist eine Unverschämtheit! Und es ist mein Schwiegervater, der so ein Vorhaben begrüßt! Er ist es, der Euch schickt! Will er mich vor dem französischen Volk bloßstellen? Er täuscht sich gewaltig, wenn er glaubt, ein amputierter Thron werde ein Refugium für seine Tochter und seinen Enkel sein! … Ah, Metternich, wieviel hat euch England gezahlt, damit Ihr diese Rolle gegen mich einnehmt?“ Bei Fain löst der Bestechlichkeitsvorwurf die Hut-Szene aus, was nicht ganz logisch ist. Die Geste des Empörtseins käme eigentlich dem Beschuldigten zu. Allerdings wird in Fains Fassung der Hut nicht zu Boden geschleudert, er fällt einfach. Napoleon beruhigt sich und wird konzilianter. Er gebe den Friede noch nicht endgültig verloren, falls Österreich seinen wahren Interessen folge. Bei der Verabschiedung versichert er Metternich, die Abtretung Illyriens sei nicht unbedingt das letzte Wort. Die Darstellung Caulaincourts weicht in Einzelheiten von der Fains ab, doch sind die Schnittmengen sehr groß. Das entkräftet den Vorwurf der Unglaubwürdigkeit, der hier und da gegen das Manuscrit erhoben wurde33. Der Hauptunterschied betrifft die Form. Während Fains Manuscrit die entrevue bloß referiert, enthält die Conversation passagenweise Reflexionen des Autors. Recht eigentlich stellt die Conversation ein Gespräch Napoleons und Caulaincourts über die entrevue dar. In der Sache fällt bei der Niederschrift Caulaincourts das Fehlen der HutSzene auf. Mag sein, daß Napoleon sie Caulaincourt gegenüber nicht erwähnt hat. Denkbar ist auch, daß er sie für unbedeutend hielt. Im Großen und Ganzen läßt der Großstallmeister Napoleon argumentativer auftreten als der Sekretär. Folgt man der Conversation, so stellt der Kaiser die Unterscheidung zwischen dem Frieden unter Einschluß Englands (paix générale)
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und dem zwischen Frankreich einerseits, Rußland und Preußen andererseits (paix continentale) in den Vordergrund seiner Beweisführung. Napoleon erklärt, er sei auf den Krieg genauso vorbereitet wie auf den Frieden. Er mahnt Metternich, sich auf die wahren Interessen Österreichs zu besinnen. Ein weiterer Krieg werde „kein Spaß“ sein. Außerdem seien die Häuser Bonaparte und Habsburg familiär verbunden: „Mein Sohn ist der Enkel Eures Herrn, meine Frau seine Tochter.“ Für Frankreich wie für Österreich gehe es nicht um den Frieden an sich. Entscheidend sei der Frieden mit England. Dafür sei er bereit, Opfer zu bringen. Dann stellt er Metternich den Gretchenfrage: „Welchen Frieden wollt Ihr?“ Metternich muß einräumen, daß er für den Moment nicht an die Friedensbereitschaft Englands glaubt. Österreichs primäres Anliegen sei, eine Neuverteilung der Kräfte in Europa zu erreichen, die mehr dem Gleichgewicht entspreche (une répartition plus égale des forces) und Stabilität garantiere. Dem hält der Kaiser entgegen, daß es unfair sei, allein auf Frankreich zu schauen. Auch England und Rußland hätten ihre Stellung ausgebaut. Der eigentliche Feind des Kontinents sitze in London. „Ihr ignoriert vollkommen, was sich England beschafft hat, statt dessen soll ihm viel gegeben werden, während ich der einzige bin, dem etwas abgefordert wird“. In Reichenbach habe England Verträge mit Rußland und mit Preußen abgeschlossen. Ob inzwischen ein dritter auf dem Wege sei? „Ihr müßtet darüber etwas wissen, Herr von Metternich! Wieviel hat es (England, A. d. V.) Euch dafür gegeben?“ Metternich, erzählt Napoleon Caulaincourt, habe zu diesem Vorwurf eisern geschwiegen, „sei es, daß ich zu weit gegangen war, sei es, daß Herr von Metternich sich demaskiert sah oder weil er zu schockiert war, um darauf zu antworten. Ich faßte ihn fest ins Auge. Er blieb kaltblütig.“ Man spürt, daß Napoleon im nachhinein den Korruptionsvorwurf bereut. Beinahe entschuldigend sagt er zu Caulaincourt, es wäre nicht die erste Geldaffäre Metternichs. Daher sei der Österreicher wahrscheinlich gar nicht so sehr beleidigt. Dann streut er eine überraschende Betrachtung ein: „Metternich hat sich gut gemacht. Paris war für ihn eine gute Schule. Er ist zum Staatsmann geworden.“ Für die Neutralität bietet Napoleon Österreich Illyrien an. Das erwähnt auch Fain. Bemerkenswert ist jedoch, daß der Kaiser die Offerte gegenüber Caulaincourt zum bloß taktischen Schachzug abwertet. Es geht ihm einfach gegen den Strich, „einem Alliierten etwas ab(zu)treten ohne Motiv und ohne Kampf, nur damit er nicht zum Feind wird“. So zu handeln, heiße, „sich geschlagen geben, ehe man sich geschlagen hat. Ich aber bin Sieger“. Außerdem werde eine vorauseilende Konzessionsbereitschaft den Frieden mit England, um den es letztlich gehe, erschweren. „Man würde mit Recht in London sagen, daß ich Angst habe“.
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Napoleon resümiert die entrevue zurückhaltend positiv. Man habe sich in gutem Einvernehmen verabschiedet. Keiner habe etwas zugesagt, keiner etwas preisgegeben. Jetzt müßten die Kabinette an die Arbeit gehen. Ist das eine Beruhigungspille für Caulaincourt? Napoleon weiß, daß der Großstallmeister zum Frieden drängt, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß er Caulaincourt beschwichtigen möchte. Denn so sicher ist er seiner Sache nicht. Er rätselt, wie er Metternichs Unbewegtheit interpretieren soll. „Er ist solch ein Schauspieler, so gewohnt zu tricksen und zu sagen, was er nicht denkt, daß man nicht weiß, woran man bei ihm ist“, räumt er gegenüber Caulaincourt ein. Dennoch glaubt er, Metternich beeindruckt zu haben, und zwar durch seine Festigkeit. „Er wurde sofort wieder sanft, als er mich entschlossen sah, als ihm durch die Berechnung meiner Kräfte und die Details der Vorkehrungen, die ich getroffen habe, aufging, daß ich auf alles vorbereitet bin.“ Metternich, spekuliert Napoleon, habe nur versucht, das Terrain zu sondieren. Letztlich hätten die Siege von Lützen und Bautzen seine Pläne durchkreuzt. Österreich habe feststellen müssen, daß „dem Löwen zwar die Ohren erfroren, er aber noch nicht tot“ sei. Caulaincourts Aufzeichnung schließt mit einer Art Selbstermunterung Napoleons. Sollte er sich in Metternich getäuscht haben, sollte Österreich die Reihen seiner Feinde verstärken, werde die Entscheidung eben auf dem Schlachtfeld fallen. Der Zeitgewinn durch den Waffenstillstand berge den unschätzbaren Vorteil, eine Kavallerie aufzubauen, die ihm bei Lützen und Bautzen noch gefehlt hat. Dann werde er die Ereignisse diktieren: „In einem Monat“, so versichert er Caulaincourt, „werde ich stärker sein als Russen und Österreicher zusammen.“ Napoleons Diktat vom März 1821 (Notes sur les négociations de 1813 à Drèsde) deckt sich im ersten Teil fast bis aufs Wort mit den Darstellungen Fains und Caulaincourts. Aber natürlich reflektieren die Notes die politischen und militärischen Folgen des 26. Juni 1813. Die Botschaft, die der moribunde Ex-Kaiser mit seinem Bericht über das Gespräch im Palais Marcolini aussenden will, ist unzweideutig: Österreich hat betrogen. Er selbst sei ehrlich zum Frieden bereit gewesen, habe aber die überzogenen Bedingungen Habsburgs nicht akzeptieren können. Als Beleg führt er eine lange Liste von Provinzen und Territorien an, deren Abtretung Metternich ihm zugemutet habe. Am Kartentisch habe Metternich mit dem Finger seine Gebietsforderungen unterstrichen. Nimmt man die Liste zum Nennwert, dann hätte Metternich den Rückzug Frankreichs auf die vorrevolutionären Grenzen verlangt. Nun kennen wir den österreichischen Friedenskatalog, Napoleon kannte ihn im wesentlichen auch, und selbst wenn dieser Katalog mal größer, mal kleiner ausfiel, so besaß er doch zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd den Umfang, den Napoleon in den Notes behauptet.
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Glaubwürdiger klingt, was Napoleon gegen Metternichs Vorstellungen ins Feld geführt haben will. Er habe an das Familieninteresse des österreichischen Monarchen appelliert. Kaiser Franz irre, wenn er glaube, „daß mein verstümmelter Thron inmitten der Franzosen ein Refugium für seine Tochter und seinen Enkel sein könnte. Wenn ich einen derartigen Frieden unterschriebe, würde mein Reich schneller einstürzen, als es aufgebaut wurde. Man kann anhalten, wenn man aufsteigt, aber niemals, wenn man absteigt.“ Das österreichische Kabinett solle sich bewußt sein, fährt Napoleon in den Notes fort, „daß ich notwendig bin für die Aufrechterhaltung des monarchischen Prinzips. Daß ich es bin, der ihm seinen Glanz zurückgegeben hat, der es vor dem tödlichen Zugriff des Republikanertums gerettet hat. Meine Macht vollständig zerstören zu wollen, bedeutet, Europa unter das Joch Rußlands zu bringen …“ Diese Darlegungen hätten Eindruck auf Metternich gemacht, und damit seien zunächst alle Differenzen ausgeräumt gewesen. Man liest die Zeilen mit Staunen. Plötzlich soll Metternich vom Saulus zum Paulus geworden sein? Kraft der bestechenden Argumente Napoleons? Weil er auf einmal erkannte, daß allein der Kaiser die monarchische Staatsform für Europa retten könne? Die Notes bleiben die Auflösung des Rätsels schuldig. Statt dessen gibt Napoleon einen schweren Fehler zu und begründet damit, weshalb man trotz der zwischenzeitlichen Harmonie im Streit auseinandergegangen sei. Scherzhaft, glaubt Napoleon sich zu erinnern, habe er zu Metternich gesagt, er sei gesonnen, ihm zwanzig Millionen zu geben und vielleicht weitere zwanzig draufzulegen. Er solle nur sagen, was England ihm geboten habe. Die Reaktion Metternichs schildert er so: „Ein Blitz kann nicht rascher einschlagen. Eine tödliche Blässe überfuhr Metternichs Gesicht und bewies mir, daß ich einen enormen Fehler begangen hatte. Ich hatte mir soeben einen unversöhnlichen Feind geschaffen.“ Die Notes klingen aus in Form eines Reuebekenntnisses. Sein Temperament habe ihn in unentschuldbarer Weise fortgerissen. Aus purem Mutwillen habe er Metternich gedemütigt. „Man darf aber einen Menschen nicht demütigen, den man gewinnen will.“ Soweit Napoleons Darstellung. Sie trägt zur Aufhellung des Dresdner Duells wenig bei.
Die Ohnmacht des Mächtigen Die Synopse der Quellentexte und Zeugnisse hinterlässt alles in allem einen zwiespältigen Eindruck. Man weiß nicht recht, wie man die Unterredung klassifi zieren soll. Handelt es sich um eine Sondierung, um einen Meinungs-
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austausch, um Verhandlungen? Keine der Begriffl ichkeiten des diplomatischen Metiers ist anwendbar auf diese sonderbare Unterredung, die sich über acht oder gar neun Stunden hinzieht, die kein Protokoll hat und keine Pause, noch nicht einmal Zeit für einen Imbiß, und die zu keinem greifbaren Ergebnis führt. Außerhalb des Palais Marcolini hatte man anderes erwartet. Schließlich ist es fünf Minuten vor zwölf! 22 der 46 Waffenstillstandstage sind bereits verstrichen. In den verbleibenden 24 Tagen muß eine Lösung gefunden werden, sonst wird der Sturm furchtbar in die Glut fahren und den Kriegsbrand aufs neue entfachen. Das Dresdner Gipfeltreffen ist der letzte Hoffnungsanker aller, die den Frieden wollen. Wer außer Napoleon und Metternich sollte imstande sein, den gordischen Knoten zu durchtrennen? So denken nicht bloß des Kaisers kriegsmüde Generäle. Hochgesteckt sind die Erwartungen auch bei Gentz, dem Vertrauten Metternichs. Am 27. Juni gibt er Pilat, einem in Wien für Regierungspropaganda zuständigen Journalisten, seine Einschätzung der geheimen Mission, die Metternich nach Dresden geführt hat: „Diese Reise ist unstreitig der größte Punkt auf seiner ganzen politischen Lauf bahn. Von diesem Punkt aus muß die Welt, sei es nun durch Krieg oder Frieden, wieder in ihre Angeln gehoben werden“34. Anders als Gentz hat Goethe kein Vorwissen von den Ereignissen in Dresden. Aber auch er spürt die wachsende Spannung, auch er ahnt, daß das Zeitfenster für die Rettung der Welt nur noch einen Spalt offen ist. „Der Himmel gebe Frieden um tausend und aber tausend Ursachen“, schreibt er unter dem 28. Juni und drückt damit aus, was die meisten Zeitgenossen in diesen Tagen denken35. Allein, was tatsächlich bei der entrevue abläuft, entspricht in keiner Weise den hochgespannten Erwartungen der Mitwelt. Draußen ruft man die Mächte des Himmels an. Drinnen, hinter den Türen des marcolinischen Sommerschlößchens, tun die Mächtigen der Erde so, als hätten sie für ihre Geschäfte alle Zeit der Welt. Bei hohem Wellengang fl ießen die Stunden dahin. Nirgendwo ist Zielstrebigkeit zu erkennen, auf keiner Seite verspürt man die Leidenschaft, die erforderlich wäre, den drohenden Zusammenstoß in letzter Sekunde zu vermeiden. Vom Frieden ist während der ganzen üppigen Gesprächsdauer kaum einmal die Rede. Ginge es um ihn, müßte Metternich, statt Reichenbach totzuschweigen, dem Kaiser brutal vor Augen führen, wie weit sich Österreich bereits auf die Koalition eingelassen hat. Napoleon müßte endlich ein ernsthaftes Angebot auf den Tisch legen. Aber nichts dergleichen geschieht. Warum? Die Erklärung kann nur lauten: Beide, Napoleon wie Metternich, halten den Krieg für unausweichlich. Beide verfolgen mit der entrevue nur begrenzte Zwecke. Metternich hat sich nach Dresden begeben, um das hinderliche Bündnis vom März 1812 aus der
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Welt zu schaffen. Dazu braucht er die Zustimmung des Kaisers der Franzosen. Napoleon hat ihn eingeladen, weil er ihn einschüchtern, weil er ihm die zwangsläufige Niederlage Habsburgs einreden will, sollte es auf Kriegspfad gehen. Außerdem möchte er die Waffenstillstandszeit verlängern. Für den einen wie für den anderen ist Dresden kein Friedensgipfel, vielmehr ein Kriegsvorbereitungstreffen. Der Kaiser und der Minister erstreben, jeder für sich, die beste Ausgangsstellung für das, was sie für unvermeidlich erachten. Die Synopse liefert eine weitere Überraschung. Obwohl die Texte zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten verfaßt wurden und die divergenten Interessenlagen der Autoren offensichtlich sind, weisen sie doch einen erstaunlich hohen Grad an Gemeinsamkeit auf. Mögen Zitate ohne Gütesiegel bleiben, Einzelheiten unbelegbar sein: Die Texte ergeben ein schlüssiges Gesamtbild, und das ist viel bei einem Ereignis, daß keinen unabhängigen Zeugen hatte. Ohne Zweifel ist es Napoleon, der die entrevue dominiert. Er führt das Wort, er monologisiert sogar über weite Strecken. Seine Gesprächsführung ist sprunghaft, die Tonlage hoch. Wenn Metternich in seinem Handschreiben an Kaiser Franz behauptet, die Unterredung habe „aus dem sonderbarsten Gemisch der heterogensten Gegenstände“ bestanden, benotet er das Auftreten Napoleons noch rücksichtsvoll. Tatsächlich gibt sich der Kaiser auf brausend. Er provoziert und schreckt selbst vor Beleidigungen nicht zurück. „Ah! Metternich, wie viel hat England Euch gezahlt, damit Ihr diese Rolle gegen mich einnehmt?“ Bereits am Abend, im Gespräch mit Caulaincourt, bedauert Napoleon diese Äußerung. In den Notes von 1821 spricht er von einem unverzeihlichen Fehler, der die Begegnung schwer belastet habe. Interessanterweise spart Metternich den Korruptionsvorwurf in seinen Schriften aus, weshalb die Authentizität des Zitats auch bezweifelt worden ist36. Nun war Korruption zur damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches. Sie wurde bedeutend ungenierter praktiziert als heute. Gentz wäre ohne die „Aufmerksamkeiten“, die ihm regelmäßig der Hof von St. James oder der Hospodar zukommen ließen, außerstande gewesen, seinen Leidenschaften zu frönen. Talleyrand hatte wie gesehen kein Problem damit, seine Dienste für Geld und andere Währungen fremden Mächten anzubieten. Von Metternich ist solches unbekannt. Wenn Napoleon gegenüber seinem Großstallmeister auf Geldgeschäfte des Grafen hindeutet, kann er sich bestenfalls auf Gerüchte beziehen oder er schlußfolgert aus der schieren Beteiligung Englands, daß Metternichs Haltung durch Zuwendungsbescheide beeinflußt sein könnte. Englisches Geld war schon immer der Treibstoff, der den kontinentalen Widerstand gegen das revolutionäre Frankreich am Laufen hielt. Napoleon weiß, daß England gerade Subsidienverträge mit Rußland und
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Preußen abgeschlossen hat. Darüber hinaus hat er Anlaß zu der Vermutung, daß der Diplomat Wessenberg, der sich im Auftrag Metternichs seit März in London aufhält, dort nicht nur friedenspolitisch unterwegs ist, sondern auch auslotet, was England für einen Bündniswechsel Österreichs zahlen könnte. Für ihn ist es demnach kein größerer Gedankensprung, den „Verrat“ Metternichs mit englischem Schmiergeld zu erklären. Weshalb Metternich die England-Passage weder im Précis noch im Entretien erwähnt, ist leicht zu verstehen. Der Vorwurf ist peinlich. Er müßte sich verteidigen, was schwierig wäre. Also übergeht er den Angriff seines Duell-Gegners. Erst in späteren Jahren bestätigt er die Authentizität der England-Passage. Der Beleg fi ndet sich bei Capefigue. Der Historiker, der Metternich 1839 auf dem Johannisberg besuchte und nach diesem Besuch ein Porträt des Fürsten verfaßte, wiederholt das ominöse Zitat, und zwar unter ausdrücklichem Hinweis auf Metternich: „Soll ich wirklich diese Szene wiedergeben, wie sie mir der einzige Ohrenzeuge erzählt hat, der Fürst Metternich?“37 Aus Sicht Napoleons ist die Beleidigung natürlich eine arge Dummheit. Er braucht Österreichs Neutralität und dafür braucht er Metternich. Mit dieser Situation kann er nicht umgehen, sie ist neu für ihn. Er ist daran gewöhnt, in Habsburg ein zerfallendes Reich zu sehen, einen Spielball, mit dem man nach Belieben verfahren kann. Am Anfang hat er Österreichs Mediatorenrolle vielleicht als nützlich angesehen. Inzwischen fi ndet er sie nur noch anmaßend. Die Vorstellung, daß Wohl und Wehe des Empire von der Gefälligkeit des historisch für ihn längst erledigten Habsburgerstaats abhängen könnten, bringt ihn zur Raserei. Selbst wenn man seine Schauspielkunst in Rechnung stellt, erscheint er über weite Strecken des Gesprächs als ein Mann hors d’état. Unfähig, Metternich zu umwerben, versucht er, ihn durch Einschüchterung gefügig zu machen. Aber Metternich läßt sich nicht einschüchtern. Der Außenminister ist im Umgang mit dem Kaiser, dessen cholerisches Temperament er kennt, kein Novize. Er hat sich vorgenommen, die Hiebe Napoleons, wenn nötig, kühl zu parieren. Folgen wir dem Entretien, so tanzt er seinen Kontrahenten regelrecht aus und provoziert ihn durch seine Unerschütterlichkeit zu Fehlern. Beim Lesen entsteht der Eindruck einer geradezu kulturellen Differenz, und sicher ist dieser Eindruck vom Autor gewollt: Hier Metternich, der balancierte, niemals die Contenance verlierende Diplomat der alten Schule, dort der homo novus, der sich durch seine Ungehobeltheit selbst entlarvt. Jeder neue Ausbruch des Kaisers verstärkt Metternichs Überlegenheitsgefühl. Als Napoleon seine Ehe mit der Erzherzogin als politischen Irrtum einstuft, ist Metternich das keine Antwort wert. Im Entretien kommentiert er die Szene so: „Diese Eröffnung verdoppelte mein Vertrauen in die Stärke mei-
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ner Position. Ich sah mich in diesem Moment als Sprecher der ganzen menschlichen Gesellschaft (comme le Représentant du Corps social tout entier). Ich gebe zu, Napoleon erschien mir klein.“ Natürlich ist der Entretien ein Artefakt. Metternich drechselt ihn mit viel Geschick. Dramaturgisch besonders gelungen ist die Rahmenhandlung mit Berthier. Es ist gut möglich, daß der Generalstabschef den Gast vor dem Palais in Empfang nimmt und ihn, neun Stunden später, wieder zu seinem Wagen bringt. Vorstellbar ist auch, daß Berthier den Grafen ermuntert, jede Anstrengung zu unternehmen, die zum Frieden führen kann. Aber Metternich schildert Berthier fast wie einen Komplizen. Er läßt ihn sagen: „Vergessen Sie nicht, dass Europa den Frieden braucht, noch mehr braucht ihn Frankreich, das nichts anderes will als den Frieden“. Dem Sinn entsprechend müßte jetzt der Zusatz folgen: „Im Unterschied zum Kaiser“. Berthier stattet Metternich gleichsam mit einem zweiten Mandat aus. Er soll nicht nur für Österreich verhandeln, sondern auch für Frankreich, für das „wahre Frankreich“, daß von Napoleon, dem Störenfried, unterschieden werden muß. Mit diesem zweiten Mandat wird Metternich zum Sprecher einer übergreifenden Friedensbewegung, zu deren ideellen Mitgliedern Napoleons eigene Generäle gehören. Im Entretien reagiert er auf die dringliche Bitte des Generalstabschefs überrascht: „Ich sah mich nicht in der Pfl icht, ihm zu antworten“. Wie immer sich die Szene zugetragen haben mag, Metternich weiß, daß der Kaiser, wenn er auf die Fortsetzung des Krieges zusteuert, längst nicht alle Spitzenmilitärs hinter sich hat. Er bohrt in dieser Wunde, als er Napoleon vorhält, auch seine eigene Armee verlange den Frieden. Eine weitere Spitze ist sein Hinweis auf die „vorweggenommene Generation“, die der Kaiser ins Feld geschickt habe. Damit unterstellt er, daß Napoleon die jungen Soldaten als Kanonenfutter benutze. Napoleons Wutanfall zeigt, daß Metternich damit einen wunden Punkt getroffen hat. Zwar haben sich die hastig Rekrutierten in Lützen und Bautzen durch ihre Hingabe ausgezeichnet. Aber wenn Napoleon aufrichtig ist, wird er seinem General Rapp nicht grundsätzlich widersprechen. Von Rapp stammt der Satz, daß eine Armee mit jungen Generälen und alten Soldaten immer doppelt soviel wert ist wie eine mit alten Generälen und jungen Soldaten38. So jung wie jetzt war die Truppe nie. Die Chefs hingegen sind durch das jahrelange Kämpfen alt und müde geworden. Im Palais Marcolini ist Metternich der Schweigsamere. Er greift nur dann in das Gespräch ein, wenn es nicht anders geht. Ansonsten läßt er Napoleon kommen. Vor allem gibt er nichts preis, was er nicht preisgeben will. Wenn Napoleon Klartext verlangt, antwortet er wolkig. Auf die Nennung der österreichi-
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schen Friedensbedingungen läßt er sich nicht ein. Die gegenteilige Behauptung, die Napoleon in den „Notes“ aufstellt, ist wenig glaubwürdig. Der Kaiser müsse seine Machtstellung „so weit zurücknehmen, dass sie mit der allgemeinen Ruhe vereinbar“ sei, bemerkt Metternich unbestimmt. An anderer Stelle erklärt er, er sei „in keiner Weise befugt, hier die Bedingungen des künftigen Friedens zu erörtern.“ Es gehe einfach darum, „dass die Unterhändler unter Vermittlung Österreichs schleunigst zusammenträten oder dass der Kaiser ausdrücklich ablehne, unter dieser Vermittlung zu unterhandeln“. Man kann nicht sagen, daß Metternich Napoleon auf eine falsche Fährte lockte. Als der Kaiser die Frage einer Neutralität Österreichs aufwirft, repliziert er ohne Umschweife, Kaiser Franz habe nicht die Neutralität angeboten, sondern die Vermittlung. Ihr hätten Rußland und Preußen bereits zugestimmt. Lehne Napoleon ab, werde Kaiser Franz sich als frei in der Wahl seiner Entscheidungen betrachten. An anderer Stelle, als Napoleon die Pfl ichten ins Spiel bringt, die der Vater gegen seine Tochter habe, antwortet er: „Was immer das Schicksal seiner Tochter sein wird, der Kaiser ist in erster Linie Monarch, und die Interessen seiner Völker stehen immer im Vordergrund seiner Pläne.“ Auch in diesem Punkt gibt Metternich dem Wunschdenken Napoleons keine Nahrung. Und dennoch täuscht er Napoleon. Die Täuschung liegt nicht in dem, was Metternich sagt, sondern in dem, was er verschweigt. Er verschweigt, daß die österreichische „Vermittlung“ nur noch dem Anschein nach existiert und daß Österreich eine feste Bindung an die Alliierten eingegangen ist. In Fains Darstellung durchschaut Napoleon die Schleiertänze der Wiener Politik. „Mir gegenüber habt Ihr von Waffenstillstand und Vermittlung gesprochen, den anderen gegenüber von Bündnis, und alles ist durcheinandergeraten“, hält der Kaiser Metternich vor. Und wenig später: „Gebt doch zu: Seit Österreich den Titel des Vermittlers angenommen hat, steht es nicht mehr auf meiner Seite, es ist nicht mehr unparteiisch, es ist feindlich! Ihr wart schon drauf und dran, Euch zu erklären, da hat Euch der Sieg von Lützen gebremst.“ Dieser Passus taucht in den von Metternich verfaßten Texten ebensowenig auf wie das Stichwort „Reichenbach“, das Napoleon nach den Schilderungen von Caulaincourt und Fain in die Debatte wirft. Metternich läßt die Vorwürfe Napoleons nicht an sich herankommen. Sie tropfen an ihm ab. Natürlich ist ihm klar, daß er den Kaiser täuscht. Aber das beschert ihm keine Gewissensqualen. Man muß tun, was man zu tun hat. Auf das Resultat kommt es an. Ist nicht die Tatsache, daß er mit dem mächtigsten Mann der Welt die Kräfte mißt, Beweis genug für die Richtigkeit seiner Politik? Gestern war Österreich eine quantité négligeable im Konzert der Mächte. Heute wird es von allen umworben. Genausowenig wie Metternich geht es Napoleon bei der entrevue um Ver-
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handeln. Seine Frage que voulez-vous? ist pure Rhetorik, andernfalls müßte er nachbohren und dürfte sich nicht mit den Platitüden Metternichs zufriedengeben. Für die Neutralität Österreichs offeriert er Illyrien. Dabei weiß er spätestens seit dem Rapport Narbonnes über dessen Gespräch mit Metternich am 7. Mai, daß sich Österreich nicht durch die Rückgabe der adriatischen Provinzen oder ein anderes Geschäft aus der Vermittlung „herauskaufen“ lassen wird. Er kennt die Forderungen Österreichs. Mögen sie im einzelnen auch variieren: Am Ende laufen sie alle darauf hinaus, daß er das Grand Empire aufgeben muß. Nein, es lohnt sich gar nicht, die zahlreichen Opfer-Varianten, die im Umlauf sind, genauer zu erforschen. Die Opfer, die man ihm abverlangt, werden allemal zu groß sein. Er wird überhaupt keine Opfer bringen. Er wird auf die Überzeugungskraft der Waffen setzen. Er hat Metternich keineswegs in der Absicht nach Dresden eingeladen, mit ihm zu schachern. Er hat ihn sehen wollen, um ihn einzuschüchtern. Aber das ist mißlungen.
Der Sohn des Glücks Zu dieser Erkenntnis muß sich Napoleon im Verlauf der entrevue durchringen. Auch die übrigen Aufschlüsse, zu denen er gelangt, sind deprimierend. Sein Handlungsspielraum ist gleich null. Selbst wenn er sich bewegen wollte, er kann es nicht. Metternich hat sein Netz zu fein gesponnen. Die Vermittlung ist eine Spirale der Erpressung. Sie soll ihn lähmen, bis Österreich die eigene Rüstung vollendet hat. War der Waffenstillstand ein Fehler? Oder lag der Fehler noch früher? Hätte er Österreich Anfang des Jahres durch eine unwiderstehliche Offerte verführen sollen? Dafür ist es jetzt zu spät. Metternich hat ihn matt gesetzt. An diesem Eingeständnis führt kein Weg vorbei. Was immer Österreich tun will, er kann es nicht hindern. Ausgerechnet Österreich bietet ihm die Stirn, dieses Überbleibsel eines Zeitalters, mit dem Frankreich vor zwanzig Jahren abgeschlossen hat, dieses altertümliche Gebilde, das er nach jedem Krieg tranchiert hat wie einen Braten. Es ist weit gekommen! Nichts ist furchtbarer als die Wut des Mächtigen, der sich plötzlich in die Bande der Ohnmacht geschlagen sieht! Zehn Jahre und länger hat Napoleon mit Europa gemacht, was er wollte. Er hat die Fürsten zu Paaren getrieben, ihre Reiche zerteilt. Er hat mit dem Vermächtnis der europäischen Geschichte seinen Spott getrieben und die Kataster des Gottesgnadentums behandelt wie Kinderfibeln. Ihn will man nun auf einen Stand bringen, wo er angewiesen ist „auf das Wohlwollen derer, denen ich heute als Sieger gegenüberstehe“39.
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Das sei absurd, hält er Metternich vor. Soeben habe er zwei Schlachten gewonnen; 300 000 Mann stünden hochgerüstet in Sachsen. Da erdreiste sich Österreich, ihm das Gesetz zu diktieren! Keine Macht habe er so oft bezwungen wie Österreich. Es scheint Napoleon gleichgültig zu sein, ob er Metternich mit seinen Drohungen beeindruckt oder nicht. Übereinstimmend zeigen die Texte, daß er sich mehr und mehr in Rage redet. „Da schmeichelt sich Österreich, ohne einen Schuß abzugeben, ohne den Degen zu ziehen, mich überreden zu können, solche Bedingungen zu unterschreiben! … Ohne den Degen zu ziehen! Das ist eine Unverschämtheit!“ In diesem Ausbruch entlädt sich Napoleons ganze Wut. Er erträgt es nicht, daß Österreich sich Zug um Zug eine Schlüsselstellung erobert hat, die es dem Land erlaubt, ihm Forderungen zu stellen. Daher legt er es darauf an, Metternich zu verletzten. Er konfrontiert ihn mit dem Ehrenstandpunkt: Kampflos Gewinn einstreichen zu wollen, ist unehrenhaft. Nur wer auf dem Schlachtfeld siegt, hat Anspruch auf Entlohnung. Dem Zaren wird er einen Teil des Großherzogtums Warschau abtreten. Das ist ein ehrliches Geschäft. Denn Rußland hat gekämpft. Österreich hingegen werde leer ausgehen, wettert er. „Euch werde ich nichts geben, denn Ihr habt mich nicht geschlagen.“ Dann kehrt er den Soldaten heraus. Auch das ist ein persönlicher Angriff. „Vergeßt nicht, daß ich ein Soldat bin, der es besser versteht zu brechen als zu biegen“. Napoleon nimmt für sich die scheinbare Geradlinigkeit des Militärischen in Anspruch und stellt sie der Schlangenhaftigkeit des Diplomatischen, vertreten durch Metternich, gegenüber. Damit wendet er den Streit um die Sache ins Moralische. Auf diesem Terrain besitzt er allerdings schlechte Karten. Das stellt sich heraus, als er auf Metternichs boshaft Anmerkung, der Kaiser verpulvere Generation für Generation im Mahlwerk seiner Eroberungszüge, mit einer Äußerung reagiert, die einer moralischen Selbstverurteilung gleichkommt; „Ihr seid kein Militär, Ihr wisst nichts über die Seele eines Soldaten. Ich bin im Feldlager aufgewachsen, und ein Mann wie ich scheißt auf das Leben von einer Million Menschen.“ Dieses Zitat taucht nur im „Entretien“ auf, was nicht heißt, daß Metternich es frei erfunden haben muß. Übrigens überspielt Metternich in der von Helfert genutzten Textfassung die vulgäre Ausdrucksweise. „Ein Mann wie ich schert sich wenig“ (se soucie peu), formuliert er hier und läßt seine Leser den wahren Wortlaut nur erahnen: „Ich wage nicht, den sehr viel energischeren Ausdruck (le terme bien plus énergique) zu benutzen, dessen sich Napoleon bediente.“ Aber Wolfgang Siemann schlußfolgert wohl richtigerweise aus der Abkürzung „f“ (für fout) in der französisch abgefaßten Urschrift, welchen terme bien plus énergique Napoleon tatsächlich verwandte40.
Das Duell
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Der Kaiser poltert. Er redet nahezu pausenlos. Immer wieder springt er auf und durchquert angespannt den Salon. Das Bild vom Löwen im Käfig drängt sich auf. Die Urgewalt ist da, aber sie ist gefesselt und sie droht ihn zu zerreißen. Wie soll man sich Metternich in diesen Augenblicken der höchsten Erregung des Kaisers vorstellen? Wahrscheinlich sitzt er in seinem Sessel, die Beine übereinandergeschlagen, eine Hand auf der Sessellehne, die andere auf dem Knie, alles in lässiger Haltung. Seine Gesichtszüge sind ruhig, dann und wann riskiert er ein Lächeln, wie um zu zeigen, daß ihn nichts überrascht, nichts aus der Fassung bringt. Kramt er vielleicht seine Begegnung mit den Abgesandten des Konvents aus dem Gedächtnis, damals in Rastatt, als er über die sansculottische Rohheit der französischen Delegierten erschrak? Ja, er hat es immer gewußt. Der Kaiser ist nur Verkleidung. Napoleon ist Bonaparte geblieben, der General der Revolution. Doch nun sitzt er in der Klemme. Seine besinnungslose Wut beweist es. Ein Metternich muß vor ihm nicht erschrecken. Er kann es sich sogar erlauben, den malträtierten Zweispitz des Kaisers liegen zu lassen, wo er liegt. Die Kaltblütigkeit des Grafen ist bewundernswert. Sie imponiert auch Napoleon. Wie viele hat er vor sich zittern sehen, wie viele sind unter der Gewalt seiner Persönlichkeit in die Knie gegangen. Metternich bewegt sich kein Jota. Beleidigungen ignoriert er, dem Vorwurf des Falschspiels begegnet er mit einem Schulterzucken. Die Spinne hat keinen Grund, sich für die Meisterschaft zu entschuldigen, mit der sie ihr Netz gespannt hat. Metternichs ganze Diplomatie hat in ihrer emotionslos Soll und Haben abwägenden Manier etwas, das auf Napoleon aufreizend wirkt, nicht nur auf ihn. Auch Russen und Preußen, die künftig Verbündeten, hat er damit oft gegen sich aufgebracht. Seine Beherrschtheit ist vollkommen unheroisch. Welten trennen das mäandernde, stets die Möglichkeit der Zurücknahme einberechnende Vorgehen des Österreichers vom Sendungsbewußtsein, das der Kalischer Vertrag atmet. „Ein Kerl, der fi nassiert, ist wie ein Tier, auf dürrer Heide von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt, und ringsumher liegt schöne Weide“ 41. So pestet der Freiherr vom Stein, in Abwandlung eines Wortes aus dem Faust, gegen Metternich. Wie hat sich Humboldt entrüstet, als der Graf den Tod des Schwarmgeistes Körner mit der Kaufmannselle maß: „Körner, der so viel verhieß, war nicht mehr von Nutzen als irgendein Dummkopf“ 42. Die preußischen Patrioten halten den Österreicher für einen Schwächling. Weil sie das Wendige in ihm verachten, sind sie unfähig zu erkennen, daß Metternich mit seiner kühlen Rationalität den gemeinsamen Gegner ärger in Bedrängnis gebracht hat als sie mit ihrem ganzen Furor. Napoleon weiß nicht so recht, woran er mit Metternich ist. Als er am Abend Caulaincourt über die Redeschlacht unterrichtet, beklagt er einerseits die Schauspielerei des Österreichers, andererseits nennt er ihn einen
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9. Kapitel
Staatsmann. Was ihm an seinem Widerpart mißfällt, ist das habituell Diplomatische. Dieser Mann bewegt sich in einem fremden Element, aber er tut es mit größtem Geschick. Das erkennt er in den bewegten Stunden von Dresden. Es ist eine zähneknirschende Anerkenntnis. Sie bricht sich Bahn in den Beleidigungen, die er ausstößt, in den Entgleisungen, die er sich erlaubt. Am deutlichsten tritt sie hervor in dem unerhörten Bekenntnis, zu dem sich Napoleon hinreißen läßt. Eure Majestäten, die auf dem Thron geboren sind, halten es aus, zwanzigmal geschlagen zu werden. Jedesmal kehren sie zurück in ihre Hauptstadt. Ich bin nur der Sohn des Glücks. Ich würde von dem Tag an nicht mehr regieren, an dem ich auf hörte, stark zu sein, an dem ich auf hörte, Respekt zu erheischen. Diese drei Sätze springen einen regelrecht an. Sie variieren keines der Motive, die Napoleons Rede im Palais Marcolini prägen: Bedrohung, Belehrung oder Beleidigung. Sie sollen nichts zuwege bringen. Sie treten vollkommen heraus aus dem Reich der Zwecke. Im Stil einer confessio wendet der Kaiser sein Innerstes nach außen. Allen Schein hat er von sich abgestreift, jeden Hintergedanken verworfen. Der Mann, der sonst so wenig von sich preisgibt, der immer en scène ist, reißt die Hemdbrust auf und zeigt mit dem Finger auf die Stelle, an der er verwundbar ist. Sein Lindenblatt ist das Trauma des Eroberers, der Mangel an Legitimität. Die „Majestäten, die auf dem Thron geboren sind“, wie hat er sie, ganz im Geiste von 1789, verachtet. Wie welke Blätter eines absterbenden Baumes waren sie ihm vorgekommen, blasse Gestalten, die schon auf Charons Kahn Platz genommen hatten. Im Palais Marcolini, face à face mit dem Repräsentanten des scheinbar Anachronistischen, gesteht Napoleon seinen Irrtum. Er hat die Ausdauer des Alten gründlich verkannt. Die geborenen Majestäten sind nicht durch noch so viele Siege zu erschüttern. „Jedesmal kehren sie zurück in ihre Hauptstadt.“ Ihre Lebenskraft ist der Spiegel seiner Schwäche. Die größte Machtanhäufung reicht nicht aus, einer Herrschaft Dauer zu verleihen, deren dürre Wurzel die temporäre Übermacht ist. In einem Abschnitt seiner Erinnerungen, der von der „Notwendigkeit der erblichen Macht“ handelt, wird Napoleon behaupten, daß, wäre es nach ihm gegangen, er „noch immer als Erster Consul der Herr von Frankreich“ sein würde43. Und wirklich, das Kaisertum war ihm vor allem ein Mittel, dem Empire Halt und Dauer zu verschaffen, auch über den Tod hinaus. Mochte die Revolution dadurch ihr Antlitz verlieren, es mußte in Kauf genommen werden, so wie er später die Trennung von Joséphine in Kauf nahm. Er brauchte Legitimität, er brauchte einen leiblichen Erben. Dafür
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opferte er die Liebe seines Lebens. Doch weder die Heirat mit der österreichischen Kaisertochter noch die Geburt des aiglon gaben seinem Regime die Stabilität, um die er die „alten“ Reiche insgeheim beneidete. Den Putschversuch des Ex-Generals Malet und die Hilflosigkeit, mit der die kaiserlichen Statthalter in Paris darauf reagierten, las er als Flammenschrift an der Wand: Das Empire war ungesichert. Weiterhin hing es an seiner Person, an seinem Erfolg. Den Erfolg braucht er. Da er die Legitimitätslücke trotz aller Anstrengungen nicht schließen kann, bleibt der Erfolg die Nabelschnur seiner Herrschaft. Als „Sohn des Glücks“ ist er dazu verdammt, immer Stärke zu demonstrieren. Die „auf dem Thron geborenen Majestäten“ können sich Schwächen ohne Ende erlauben; für ihn war Rußland 1812 schon der halbe Untergang. Nichts hat sich seit 1789 verändert, nichts hat sich gefügt. Immer noch steht das revolutionäre Prinzip gegen die gewachsene Ordnung, die neue Welt gegen die alte Welt. „Indem ich eine Erzherzogin heiratete, wollte ich das Neue mit dem Alten amalgamieren, die gotischen Vorurteile mit den Institutionen meines Jahrhunderts. Ich habe mich geirrt und ich erkenne heute das ganze Ausmaß meines Irrtums. Er kann mich den Thron kosten, aber ich werde die Welt in seinen Trümmern begraben.“ Eine trotzige Geste ist die schreckliche Drohung, die Napoleon dem Eingeständnis des Irrtums hinterherschickt. Der Wankende reckt die Faust. Noch liegt er nicht im Staub. Er wird die letzte Chance nutzen. Mit dieser Szene erreicht die Dresdner Begegnung ihren Höhepunkt. Ob sie sich wirklich so und nicht anders zugetragen hat, kann niemand mit letzter Sicherheit wissen. Vielleicht sind die Sätze, die Metternich den Kaiser aussprechen läßt, so nie gesagt worden44. Aber das ist unerheblich. Es kommt nicht auf die Worttreue an. Auch Luthers „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ ist unverbürgt. Indem es die Haltung des Reformators auf den Begriff bringt, ist es authentisch. Napoleon und Luther: Der Vergleich wirkt auf den ersten Blick ganz und gar unstatthaft. Dabei könnte es reizvoll sein, ihn zu wagen. Beide waren Individuen von titanischer Kraft. Beide stellten sich dem Herkommen in den Weg und griffen tief in den Gang der Weltgeschichte ein. Man darf den Vergleich nicht zu weit treiben. Und doch, stellt man das Auftreten Napoleons im Palais Marcolini und das Luthers vor dem Reichstag zu Worms nebeneinander, sind die Gemeinsamkeiten frappierend. Wie Luther legt Napoleon eine confessio ohne Selbstmitleid und Überheblichkeit ab. Sein „Ich bin nur der Sohn des Glücks“ läßt so wenig Raum für Nachfragen wie das „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Wie Luther hat Napoleon seine Lebensentscheidung getroffen, und wie der Reformator teilt er den Entschluß nicht Freunden oder Vertrauten mit, sondern dem historischen Widerpart.
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9. Kapitel
Was genau Metternich 1820 veranlaßte, ein sieben Jahre zurückliegendes Ereignis nachzuerzählen, ist unbekannt. Feststeht, daß er sich 1820 intensiv mit dem niedergerungenen Imperator beschäftigt hat. Im selben Jahr verfaßt er ein Porträt Napoleons45. Es ist nach Art einer Charakterstudie geschrieben und unterstreicht Metternichs großes psychologisches Interesse an der Gestalt des Korsen, der zu dieser Zeit auf einer Felseninsel im Südatlantik vermodert. In dem Porträt erwähnt er ein Gespräch mit Napoleon in Compiègne, kurz nach der Heirat mit Marie-Louise. Napoleon sagt, ihm sei aufgefallen, daß seine junge Frau, wenn sie ihrem Vater schreibe, die Formel à sa sacré Majesté Impériale verwende („an seine geheiligte kaiserliche Majestät“). Er fragt den österreichischen Minister, ob diese Formel üblich sei. Metternich bejaht dies und erklärt es mit der Tradition des Heiligen Römischen Reiches. Darauf antwortet Napoleon in feierlichem Ton: „Die Sitte ist schön und verständig. Die Macht kommt von Gott, und nur dadurch ist sie dem Zugriff der Menschen entzogen. Irgendwann werde ich den Titel übernehmen“ 46. Metternich, der ein guter Psychologe ist, weiß um Napoleons Schwachstelle. In dem erwähnten Porträt urteilt er, Napoleon habe stets darunter gelitten, sich nicht „auf das Prinzip der Legitimität als Grundlage seiner Herrschaft stützen zu können. Wenige Menschen haben tiefer empfunden als er, wie prekär und zerbrechlich die Autorität ist und wie leicht sie angegriffen werden kann, wenn sie dieses Fundament nicht hat“ 47. Das Legitimitäts-Trauma Napoleons ist hinreichend bezeugt. 1802, nach dem erfolgreichen Plebiszit, sagt er zum Senator Thibaudeau: „Von diesem Augenblick an stehe ich auf der gleichen Höhe mit den anderen Herrschern … Sie und ihre Minister werden mich jetzt mehr achten. Die Gewalt eines Mannes, der alle Angelegenheiten Europas in seiner Hand hat, darf weder unsicher sein noch so scheinen“ 48. Damals glaubt er noch, daß die Zustimmung des Volkes zur Abstützung der cäsarischen Herrschaft ausreiche. Diesen Glauben verliert er bald. Je konkreter er anfängt, über sich hinauszudenken, desto stärker empfi ndet er, was ihm fehlt. Es ist die Entspanntheit, die sich die erblichen Könige leisten können. Sie neidet er den Königen und zugleich verachtet er sie dafür, daß sie herrschen dürfen ohne Leistung und Verdienst. Er zieht, das Beispiel erstaunt, über Heinrich IV. her, der von der Nachwelt als le bon roi Henri gepriesen werde, obwohl er ein Nichtsnutz gewesen sei. Die Könige von Geblüt könnten „faul in ihren Schlössern leben; sie können sich ohne Scham allen Perversitäten hingeben; niemand stellt ihre Legitimität in Frage; niemand versucht, sie zu verdrängen; keiner zeiht sie des Undanks, weil keiner mitgeholfen hat, sie auf den Thron zu heben“, äußert er gegenüber seinem Innenminister Chaptal49.
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Wie gänzlich anders ist seine Situation! „Es gibt keinen einzigen General, der nicht dasselbe Anrecht auf den Thron zu haben glaubt wie ich. Es gibt keinen einflußreichen Menschen, der nicht davon überzeugt ist, meinen Weg zum 18. brumaire geebnet zu haben.“ Er habe sich mit diesen Menschen verwandtschaftlich verbunden, habe sie gefördert, ihnen Kommandos gegeben. Doch sollte er eines Tages vom Schicksal nicht mehr begünstigt sein, wären sie die ersten, die ihn verlassen würden. „Innerhalb und außerhalb Frankreichs regiere ich nur durch die Angst, die ich einflöße. Würde ich dieses System aufgeben, wäre ich über kurz oder lang meinen Thron los. Voilà, das ist meine Position, das sind die Beweggründe meines Verhaltens“50. Es kommt Napoleon nicht in den Sinn, daß die Vergeblichkeit seines Werbens um die Anerkennung der Welt vielleicht einen anderen Grund hat als den, daß er kein Thronerbe ist. Daß Europa seinen Thron wohl akzeptieren könnte, aber das Übermaß seiner Eroberungen nicht erträgt. Daß die übrigen Monarchen ihn gegebenenfalls als Ihresgleichen annehmen würden, doch niemals als ihren Oberkönig. All das ist ihm keinen Gedanken wert. Wie sollte er sich auch darauf einlassen? Er müßte dann ja das Prinzip des Gleichgewichts respektieren, das unvereinbar ist mit der Existenz seiner Universalmonarchie. Er, der im Marschtritt des Ça ira das Laufen gelernt und Grenzen niemals anerkannt hat, müßte sein Wesen verkehren und seine Biographie verleugnen. „Ein Reich lässt sich nicht plötzlich umgießen“, hat der Monarchist und Epigrammatiker Rivarol bemerkt51. Ein Mensch mit Napoleons Lebenslauf auch nicht. So folgt er seiner Bahn. Er gehorcht dem Gesetz, das er durch seinen beispiellosen Aufstieg selbst geschrieben hat. Für den Eroberer gibt es keine Sicherheit. Ein Zurück kann er sich nicht leisten. Das ist sein Credo, und wie jeder feste Glaube hat auch dieser eine selbstschützende Funktion. Er impft gegen die Qual, eine Umkehr auch nur zu denken. Doch für das Verhalten eines Menschen macht es keinen Unterschied, ob das, was er sieht, wirklich ist oder nur in seiner Vorstellung existiert. Napoleon ist davon überzeugt, daß das Schicksal ihn dazu bestimmt hat, auf ewig Emporkömmling zu sein. Entsprechend muß er handeln. In der Sommervilla des Grafen Marcolini wirbt er bei Metternich dafür um Verständnis.
10. Kapitel
Finale 10. Kapitel Finale
Metternich hat das Duell mit Napoleon schadlos überstanden, den Zweck seiner Mission aber noch nicht erreicht. Die folgenden Tage verbringt er in hoher Anspannung. Er braucht Napoleons Ja zum Friedenskongreß unter Österreichs „neutralem“ Präsidium. Besonders dringend braucht er die Zustimmung zur Auflösung des Bündnisses. Das ist grotesk, weil der Vertrag von 1812 schon lange Makulatur ist. Aber der pedantische Kaiser Franz besteht darauf. Er will den Sprung ins Feindeslager formgerecht tun. Am Sonntag, 27. Juni, legt Metternich dem Amtskollegen Maret seine Wunschliste vor, der aber zögert. Die Sache kommt nicht voran. Napoleon tut so, als habe er die Anwesenheit Metternichs vergessen. Er geht den gewohnten Beschäftigungen nach. An diesem Sonntag empfängt er Friedrich August, den er am Vortag versetzt hatte. Zur Entschädigung darf der König samt Familie die abendliche Theateraufführung besuchen. Montag inspiziert Napoleon die Befestigungsarbeiten an Lilienstein und Königstein. Metternich wird immer nervöser. Er vertreibt sich die Zeit bei Spaziergängen durch die Altstadt, kauft seiner Frau einen Stoff und schaut sich in der Neustadt den Japanischen Garten an. Am Dienstag packt er ostentativ seine Koffer. Endlich, am Mittwoch, 30. Juni, läßt der Kaiser den Grafen kommen. Er zeigt sich von seiner entgegenkommenden Seite. Ohne zu feilschen, zeichnet er die Auflösungserklärung des Bündnisvertrags ab. Der Waffenstillstand soll bis zum 10. August verlängert werden. Metternich übernimmt es, den Alliierten diese wesentliche Veränderung zu vermitteln. Vor Ablauf der Waffenruhe soll in Prag ein Friedenskongreß stattfi nden. Dieser Kongreß ist von vornherein eine Farce. Bezeichnenderweise schicken die Kriegsparteien als Bevollmächtigte nicht ihre Minister. Preußen bevollmächtigt Humboldt, Rußland Anstett, letzterer ist als kompromißloser Kriegstreiber bekannt. Napoleon benennt Narbonne und Caulaincourt. Instruktionen bekommen die beiden vorerst nicht. Sie sollen überall verkünden, wie sehr der Kaiser der Franzosen den Frieden wünscht, einen ehrenhaften Frieden natürlich. Ansonsten sollen sie den Verkehr mit der Gegenseite auf das beschränken, was Etikette und Höfl ichkeit verlangen. Napoleon scheint es nicht eilig zu haben. Er ist mit vielen Dingen beschäf-
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tigt, zum Beispiel mit Spanien. Am 22. Juni hat Wellington den Franzosen bei Vittoria eine schwere Niederlage zugefügt. Madrid muß evakuiert werden. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer in ganz Europa. Sie ist Musik in den Ohren der Alliierten. Napoleon sind die Hände gebunden. C’est dans les plaines de la Saxe … Das einzige, was er für den iberischen Kriegsschauplatz tun kann, ist, das Oberkommando auszuwechseln. Von Dresden aus entsendet er Marschall Soult nach Spanien. Beunruhigendes hört er aus Paris. Dort werden die Friedensrufe immer lauter. Sogar Innenminister Savary soll in dem Chor mitsingen. Der Kaiser weist Savary scharf zurecht. Er kennt die Stimmungsanfälligkeit der Hauptstadt. Wenn Paris neben Spanien und Sachsen zur dritten Front wird, ist alles verloren. Von seinem Arbeitszimmer im Palais Marcolini aus versucht er, die Kontrolle über das schwankende Weltreich zu behalten. Prag hat Zeit. Zuerst gilt es, die Ausgangsposition für die unvermeidbare Erneuerung des Krieges zu optimieren. In immer höherer Frequenz diktiert er Befehle. Die Armeechefs erhalten Order, sich auf den 15. August vorzubereiten. Für dieses Datum rechnet er mit dem Ausbruch der Kampfhandlungen. Da der 15. August auch sein Geburtstag ist, werden die Feierlichkeiten vorverlegt. Am 10. August wird Napoleons 44. Geburtstag mit einer Truppenparade, an der 40 000 französische und sächsische Soldaten teilnehmen, im Ostragehege gefeiert. Derweil läuft die Kriegsvorbereitungsmaschine. Berthier muß transportable Mühlen beschaffen, um die Selbstversorgung der Armee mit Brot zu verbessern. Clarke, der Kriegsminister, wird gerüffelt, weil 15 000 Gewehre fehlen. Maret erfährt die Unzufriedenheit seines Herrn, weil die Agenten des Ministeriums nichts Genaues über den Stand der österreichischen Finanzen herausbekommen. Der Kaiser ist omnipräsent. Für den Monat Juli verzeichnet das Itinéraire Inspektionsreisen nach Moritzburg, Radeberg, Torgau, Wittenberg, Magdeburg, Leipzig und Guben. Daneben nimmt er Protokollpfl ichten wahr. Achtmal besucht er Theatervorstellungen im marcolinischen Garten. Auch für die Witwe des gefallenen Marschalls Duroc nimmt er sich Zeit. Er schreibt ihr einen bewegenden Brief und versichert ihr, daß er sich um die Familie kümmern wird. Am 25. Juli verläßt Napoleon Dresden. Einen Tag später erreicht er Mainz. Die plötzliche Entfernung vom Hauptquartier hat zwei Gründe: Zum einen ist Mainz Sammelplatz für den Transport frischer Truppen nach Osten. Zum anderen hält sich verabredungsgemäß Marie-Louise in Mainz auf. Die Begegnung mit der Kaiserin ist eine Demonstration, die in Wien wahrgenommen werden soll. Sie soll vorführen, daß die Lösung des politischen Bündnisses, die soeben vollzogen worden ist, die Substanz des Familienbundes Bonaparte-Habsburg nicht beeinträchtigt. Ganz in diesem Sinne hat Marie-Louise am 7. Juli ihrem Vater geschrieben: „Alle meine Wünsche sind, dass wir bald Frieden haben möchten“1.
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10. Kapitel
Das ist ein schöner frommer Wunsch. Was immer jetzt noch diplomatisch unternommen wird, ist Maskerade und nur von der Absicht bestimmt, der anderen Seite die Schuld für das Scheitern zuzuschieben. Alle wollen die militärische Entscheidung, Napoleon ebenso wie Russen und Preußen und nicht zuletzt die Engländer. Diese sind jetzt in Prag sehr aktiv und verstärken den Druck auf Österreich. Zwar hat Metternich den Handschlag mit mindestens vier Fingern bereits vollzogen, aber bei ihm kann man nie wissen. Als Caulaincourt am 28. Juli endlich am Kongreßort eintrifft, konfrontiert der englische General Nugent Metternich mit der Frage, wie Österreich reagieren werde, sollte Napoleons Bevollmächtigter wider Erwarten substantielle Kompromißvorschläge mitbringen. Darauf Metternich, das würde nichts ändern. Die österreichischen Bedingungen seien so, daß Napoleon sie nur schwer akzeptieren könne. „Und außerdem: Man kann sie verschärfen“2. Das Versteckspiel Metternichs nähert sich dem Ende. Nur das letzte Kapitel des Drehbuchs muß noch abgespult werden. Noch einmal gibt es Ärger mit den künftigen Verbündeten. Nach seiner Rückkehr aus Dresden weigern sich Russen und Preußen zunächst, der eigenmächtig von Metternich mit Napoleon vereinbarten Verlängerung des Waffenstillstands zuzustimmen, die der Reichenbacher Konvention entgegensteht. Der Graf nimmt für sich in Anspruch, im Sinne der gemeinsamen Sache gehandelt zu haben. Am 10. August werde Österreichs Armee bedeutend stärker sein als am 20. Juli. Das ist ein schwer zu schlagendes Argument, und so geben die Koalitionsmächte nach, zufrieden damit, daß Österreichs Haltung in der Hauptsache jetzt an Klarheit und Festigkeit nichts mehr zu wünschen übrig läßt. Das Barometer zeigt inzwischen überall auf Krieg, in Böhmen besonders, wo es von Emigranten nur so wimmelt. Wer für den Frieden ist, tut gut daran, vorsichtig zu sein. An seine Frau Christiane schreibt Goethe aus dem böhmischen Teplitz: „Die Verlängerung des Waffenstillstandes beruhigt uns hier, die Einrichtung des Schlosses Gitschin zu einem congreß giebt die besten Hoffnungen denen die Frieden wünschen. Worunter ich denn auch im Stillen gehöre. Denn laut darf man mit solchen Gesinnungen nicht seyn“3. Napoleon hat seine Vorkehrungen getroffen. Er hat Armeen in Norditalien und in Franken aufgestellt. Im Fall des Falles wird Österreich seine Kräfte teilen müssen. Er traut sich zu, Russen und Preußen zu schlagen und gleichzeitig in Dresden eine 100 000 Mann starke Observationsarmee mit Blick auf die „Rankünen“ Österreichs zurückzuhalten. Am 29. Juli schreibt er Caulaincourt: „Ihr kennt meine aktuelle Position gut genug, um zu wissen, daß ich mich gewappnet habe, selbst gegen die Österreicher“ 4. Den „Verrat“ des Hauses Österreich hält er jetzt ganz offen für möglich; auf Österreichs Neutralität hofft er noch immer. Man wird sehen, ob der Schwie-
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gervater es wirklich fertigbringt, das Schwert gegen den Mann seiner Tochter, gegen den Vater seines Enkels zu erheben! Als Caulaincourt am 28. Juli in Prag eintrifft, bleiben noch dreizehn Tage bis zum Auslaufen des Waffenstillstands. Ohne Handlungsanweisung ist der Bevollmächtigte nahe daran, die Nerven zu verlieren5. Erst am 4. August kehrt Napoleon nach Dresden zurück. Am 6. August erhält Caulaincourt per Depesche den Auftrag, herauszufi nden, „wie sich Österreich den Frieden denkt, und ob, falls der Kaiser Napoleon seinen Vorschlägen zustimme, Österreich gemeinsame Sache mit uns machen oder neutral bleiben würde“6. Drei Tage später, am 9. August, drei Uhr nachmittags, hält Napoleon das Antwortschreiben von Kaiser Franz in Händen. Österreich schraubt seine Forderungen hoch. Es liegt jetzt ganz auf der Linie Rußlands und Preußens. Metternich hat wahr gemacht, was er Nugent gesagt hatte: Österreich könne seine Bedingungen bei Bedarf verschärfen. Das Schreiben des Habsburgers ist ein Ultimatum. Weist Napoleon die Forderungen zurück, wird Österreich am 11. August den Krieg erklären. Die Schalen des Zorns sind randvoll. Die Politik dankt ab. Die diplomatischen Schlußübungen sind Aufführungen für die Galerie, ohne ernsthaften Hintergrund. Das Schreiben von Kaiser Franz erwähnt England mit keinem Wort. Schon deshalb kann Napoleon die österreichischen Forderungen unmöglich erfüllen. Dem Schwiegervater ist das wohl bewusst, so wie Napoleon weiß, daß seine Gegenvorstellungen in Prag niemanden beeindrucken werden. Das Großherzogtum Warschau will er jetzt auflösen, Danzig soll freie Stadt werden. Österreich soll die Provinz Illyrien erhalten, aber ohne Istrien. Caulaincourt überbringt Metternich Napoleons Antwort am 11. August. Zu diesem Zeitpunkt ist der Krieg bereits erklärt.
Acht Wochen später unterliegen die Franzosen der Koalition in einer dreitägigen Schlacht bei Leipzig. Während der Schlacht wechseln die Sachsen die Seite. Das Wort saxons wird in das Französische eingehen als Synonym für „Verräter“. Mit dem Verlust der zweiten Großen Armee binnen eines Jahres bricht das Grand Empire zusammen. C’est dans les plaines de la Saxe que le sort de l’Allemagne doit se décider. Napoleons Vorhersage ist eingetroffen, allerdings in einem gänzlich anderen Sinne. Für Deutschland geht die Napoleonzeit zu Ende. Einer der wenigen, die sich darüber nicht recht freuen können, ist Goethe. Sarkastisch notiert er7: Wir sehen endlich wieder Kosaken / Die haben uns vom Tyrannen befreit, Sie befrein uns wohl auch von der Freiheit.
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10. Kapitel
Der Fürst Karl Philipp zu Schwarzenberg verkündet den verbündeten Monarchen den Sieg in der Völkerschlacht bei Leipzig. Gemälde von Johann Peter Krafft, 1817.
Doch noch gibt „sein Kaiser“ nicht auf. Schwarzenberg behält recht. Der Sturz eines großen Mannes ist schwer. Im Frühjahr 1814, in der Campagne de France, schlägt Napoleon einige Schlachten, die zu den besten seiner Karriere zählen. Sie wenden jedoch die Niederlage nicht ab, sie schieben sie nur hinaus. Die Sieger spendieren dem Geschlagenen die Insel Elba als Besitz. In Paris, das nun nicht mehr die Hauptstadt der Welt ist, halten die restaurierten Bourbonen Einzug. Dann geschieht das Wunder der Hundert Tage. Napoleon verläßt Elba. Nach der Landung im Golfe Juan bricht er mit einer kleinen Schar Richtung Paris auf und gewinnt Frankreich, ohne einen einzigen Schuß abgegeben zu haben. Abermals wird Napoleon zum stupor mundi. Doch das Rad der Geschichte läßt sich nicht zurückdrehen. Bei Waterloo setzt Napoleon noch einmal aufs Ganze und verliert seine letzte Schlacht. Bei Waterloo wie vorher schon bei Leipzig mußte sich Napoleon überlegenen Gegnern beugen. Das Fundament dieser Überlegenheit wurde durch die Diplomatie Metternichs gelegt. Zum erstenmal seit Ausbruch der Revolutionskriege gelang der antirevolutionären Partei eine Blockbildung, die hielt. Mehrere Faktoren trugen dazu bei, allen voran der Vertrag von Kalisch, sodann das einspinnende Wirken der englischen Politik. Metternich ist insofern der Konstrukteur der Koalition gewesen, als er immer wieder Eile und Übertreibung im Lager der Verbündeten bremste, die Leiden-
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schaften durch seine kühle Rationalität mäßigte und den Zusammenfluß der Energien lenkte. Erst als Österreich stark genug war, um den Ausschlag zu geben, führte er den Habsburgerstaat in die Allianz, die damit zur Weltkriegskoalition wurde. Zwei zu eins lautete das Zahlenverhältnis zwischen den alliierten Streitkräften und der Grande Armée auf dem Leipziger Schlachtfeld. In der Verbannung äußerte Napoleon gegenüber Las Cases: „Es gibt nur zwei Mächte in der Welt, den Säbel und den Geist. Auf die Dauer wird der Säbel immer vom Geist besiegt“9. Napoleon wurde nicht von Generälen besiegt, sondern von einem Diplomaten. Schwarzenberg, Blücher, Gneisenau und Wellington fuhren die Ernte ein, die Metternich gesät hatte. Metternich hat Napoleons Genie immer anerkannt. Bekämpft hat er seine Maßlosigkeit. Als die Sieger von Leipzig entscheiden mußten, was sie mit ihrem Sieg anfangen sollten, war Metternich derjenige, der am stärksten auf einen Friedensschluß drängte. Er wollte Napoleon nicht entthronen. Doch der Kaiser schob die Frankfurter Friedensbedingungen beiseite. Bis zuletzt blieb er dem Gesetz seiner Existenz treu, wie er es verstand und wie er es dem Widersacher in Dresden erklärt hatte: Der Sohn des Glücks kann nicht haltmachen. Er muß siegen oder fallen. Im Palais Marcolini quittierte Metternich diese Festlegung mit dem Satz: „Sie sind verloren, Sire“. Er hatte Napoleon verstanden. Mit Sinn für das Tragische schilderte er seiner Frau Lorel den Abschied des abgedankten Kaisers von seiner Alten Garde im Schloßhof von Fontainebleau: „Er bewahrte Haltung bis zum letzten Moment, dann weinte er bitterlich. Die Stunde seines Auf bruchs war für 11 Uhr angesetzt. General Bertrand ging zu ihm, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass es bereits elf sei. Napoleon fragte ihn brüsk, seit wann er (Bertrand) die Gewohnheit habe, eine andere Stunde festzusetzen, als die von ihm bestimmte Zeit. Dann rief er seine Begleitung und stieg die Freitreppe des Schlosses hinunter. Im großen Schlosshof waren die verbliebenen Grenadiere der Alten Garde angetreten. Als er sie sah, verlor er die Fassung und brach in Tränen aus. Er bestieg seinen Wagen, und die Soldaten riefen ein letztes Mal vive l’Empereur!“10 Napoleon sagte auf Elba über Metternich: „Er ist der einzige Staatsmann, den es in Europa seit der Revolution gegeben hat“11. Metternich blieb zeit seines Lebens davon überzeugt, daß er 1813 Napoleon den „Todesstoß“ gegeben habe12. Den magischen Moment der entrevue von Dresden vergaß Metternich nie. Im Oktober 1858 besuchte er noch einmal das Palais Marcolini, das zu diesem Zeitpunkt schon ein Krankenhaus war. Er wollte den Ort, an dem er mit dem stupor mundi gerungen hatte, ein letztes Mal sehen. Neun Monate später starb er 86jährig. Er überlebte Napoleon um 38 Jahre.
KGR. NORWEGEN
Europa zur Zeit Napoleons I. KGR. SCHOTTLAND Edinburgh
Nordsee
KGR. DÄNEMARK
KGR. GROSSBRITANNIEN UND IRLAND
Dublin
Lübeck
1806
KGR. IRLAND
Hamburg
KGR. ENGLAND
WALES
1810
Amsterdam
London Dover
Kaiserreich Frankreich 1804 abhängige Staaten Erwerbungen bis 1812 Schlachten
Düsseldorf
Fsm. Erfurt Jena 1806
Brüssel
Boulogne
1815 Waterloo Ligny
Frankfurt Speyer
St-Cloud Fontainebleau
Befreiungsbewegungen auf der Iberischen Halbinsel 1808 –1812
Paris Straßburg
Stockach Basel
1805 Kap Finisterre
KAISERREICH FRANKREICH Bordeaux Bilbao
GALICIEN
1814
Toulouse
Saint-Amans
1813
Vitoria
Burgos
Marseille
Rep.Wallis 1810
Savona 1800
KGR. ITALIEN Genua Fsm. Lucca
Toulon
Rep. Andorra
1809
Oporto
ALTKASTILIEN
Torres Vedras 1810/11 Cintra 1808
Aranjuez
Lissabon
1809
KGR. PORTUGAL
Zürich
SCHWEIZ
1800 Marengo
La Coruña 1809
1800
Ulm
Nantes
Atlantischer Ozean
RHEINBUND
KATALONIEN Barcelona 1812
Korsika Ajaccio
Elba
Madrid Ocaña
KGR. SPANIEN KASTILIEN Sevilla
Balearen
KGR. SARDINIEN
Mittelmeer
ANDALUSIEN Trafalgar 1805
Gibraltar (engl.) Ceuta (span.) Algier
Karte: das Napoleonische Reich zur Zeit seiner größten Ausdehnung 1813
Tunis
Stockholm Moskau
LIVLAND Borodino
KGR. SCHWEDEN
1812
Riga
KURLAND Smolensk
Kopenhagen
Memel Ostsee Tilsit
1812
Wilna
Schwed.Pommern 1811
Rep. Danzig
KGR. PREUSSEN
Preuß.Eylau 1807
LITAUEN
G H Z M . Warschau WARSCHAU
Berlin
Breslau
1813
KAISERREICH RUSSLAND
Minsk
Königsberg
Dresden Krakau
Prag
BÖHMEN
GALIZIEN
Austerlitz 1805
WOLHYNIENPODOLIEN
BE
KAISERTUM ÖSTERREICH
SS
A
A
N
Pest
IE
MOLDAU
Ofen
R
B
KGR. Wien BAIERN München STEIERMARK
Kiew
(1812 russ.)
UNGARN
Venedig
WALACHEI
Illyrische Provinzen 1809
Schwarzes Meer
Belgrad
BOSNIEN Sarajewo
SERBIEN
Tos
BULGARIEN MONTENEGRO
ka
na
Rom
Konstantinopel
Adria
KGR. NEAPEL Neapel
1806
OSMANISCHES REICH Tarent
ALBANIEN Korfu
Smyrna
(franz.)
Athen
KGR. SIZILIEN
Mittelmeer
Kreta
Anmerkungen 1. Ein magischer Moment Anmerkungen 1. Ein magischer Moment
1
Eggs, Ekkehard und Fischer, Hubertus, Hrsg., „Die Kehrseite der Medaille“. Napoleon-Karikaturen aus Deutschland, Frankreich und England, Hannover 1985, S. 7 2 Metternich-Winneburg, Fürst Richard, Hrsg., Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren. Geordnet und zusammengestellt von Alfons v. Klinkowström (künftig abgekürzt NP = Nachgelassene Papiere), 3. Bd., Wien 1880, S. 150 f. 3 So der Titel eines Buches von Christian Meier: Die Ohnmacht des allmächtigen Diktators Cäsar. Drei biographische Skizzen, Frankfurt 1980. Napoleon hat sich stets gern mit Cäsar verglichen. 2. Smorgoni 2. Smorgoni
1
2 3 4 5 6 7 8 9
Die Angaben über den Umfang der napoleonischen Invasionsarmee schwanken stark in der Literatur. Vgl. Tulard, Jean, Napoleon und der Mythos des Retters, Tübingen 1978, S. 459. Fahrmeir spricht von 300 000 bis 400 000 Mann und gibt damit wohl den neuesten Forschungsstand wieder. Vgl. Fahrmeir, Andreas, Revolutionen und Reformen. Europa 1789–1850, München 2010, S. 224 Willms, Johannes, Napoleon, München 2007, S. 566 ebd., S. 568 Burckhardt, Jacob,Weltgeschichtliche Betrachtungen, Stuttgart 1935, S. 233, Anm. Wencker-Wildberg, Friedrich, Hrsg., Napoleon. Die Memoiren seines Lebens, Wien, Hamburg, Zürich, o. J. Bd. 7, S. 162 f. Chaptal, Jean-Antoine, Mes souvenirs sur Napoleon, Paris 2009, S. 86 Caulaincourt, Armand de, Unter vier Augen mit Napoleon. Denkwürdigkeiten des Generals Armand de Caulaincourt, Stuttgart 1956, S. 255 ebd., S. 209 ebd., S. 221
3. Wien
249
3. Wien 3. Wien
1
2 3 4 5
Oncken, Wilhelm, Österreich und Preußen im Befreiungskriege. Urkundliche Aufschlüsse über die politische Geschichte des Jahres 1813, Bd. 1, Berlin 1876, S. 33 Baruzzi, Arno, Kant, in: Klassiker des politischen Denkens, hrsg. von Hans Maier, Heinz Rausch, Horst Denzer, München 1968, S. 177 Luckwaldt, Friedrich, Österreich und die Anfänge des Befreiungskrieges von 1813, Berlin 1898, S. 36, Anm. Botzenhart, Manfred, Metternichs Pariser Botschafterzeit, Münster 1967, S. 94 Srbik, Heinrich Ritter von, Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, München 1925, S. 122 4. Napoleon 4. Napoleon
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
14 15 16
Müchler, Günter, Wie ein treuer Spiegel. Die Geschichte der Cotta’schen Allgemeinen Zeitung, Darmstadt 1998, S. 113 Las Cases, Comte de, Le mémorial de Sainte-Hélène par le comte de Las Cases, Paris, o. J., S. 214 Windfuhr, Manfred, Heinrich Heine. Revolution und Reflexion, Stuttgart 1969, S. 78 f. Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 4, S. 421, Anm. Eggs und Fischer, a. a. O., S. 9 Die Schilderung des Übergangs über den Sankt Bernhard bei WenckerWildberg, a. a. O., Bd. 3, S. 468 Eggs und Fischer, a. a. O., S. 10 Schulze, Hagen, Napoleon, in: Deutsche Erinnerungsorte, hrsg. von Etienne François und Hagen Schulze, Bd. II, München 2001, S. 28 Lefebvre, Georges, Napoleon, 3. Aufl., Stuttgart 2004, S. 58 Caulaincourt, a. a. O., S. 265 ebd., S. 257 ebd., S. 264 f. Die Angaben über Napoleons Tagesablauf entnehmen wir u. a. Tulard, a. a. O., S. 344; Lefebvre, a. a. O., S. 78 und Kleßmann, Napoleon, München 2003, hier S. 86 f. Vermutlich ist es jedoch falsch, sich den Tagesablauf als strenggegliedertes Ritual vorzustellen. Der langjährige Innenminister Chaptal schreibt: „Napoleon beobachtete in seiner Art zu leben überhaupt keine Regel. Weder für seine Mahlzeiten noch für seinen Schlaf gab es Fixpunkte. Ich habe ihn um 5 Uhr dinieren sehen oder um 11. Ich habe gesehen, wie er sich um 8 Uhr abends schlafen legte oder um 5 Uhr morgens“. Chaptal, Jean-Antoine, Mes souvenirs sur Napoléon, Paris 2009, S. 147 Das erfährt man heute bei einer Besichtigung des Schlosses von Valençay. Sieburg, Friedrich, Napoleon, die Hundert Tage, Stuttgart o. J., S. 149 Aretz, Paul und Gertrude, Napoleon I. Mein Leben und Werk. SchriftenBriefe-Proklamationen-Bulletins, Arenenberg 1936, S. 43
250 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40
41 42 43 44 45 46 47
48
Anmerkungen
Brief vom 4. 5. 1781, zit. nach Aretz, a. a. O., S. 7 Maurois, André, Avant-propos sur Le mémorial de Sainte-Hélène, in: Las Cases, a. a. O., S. X (Vorwort) Las Cases, a. a. O., S. 83 Ullrich, Volker, Napoleon, Hamburg 2006, S. 23 Hugo, Victor, dreiundneunzig, Leipzig 1954, S. 100 f. Die Position Napoleons im ideologischen Bürgerkrieg ordnet Jean Tulard ein, Les Français sous Napoléon, Hachette 1978, S. 71 ff. Aus der Schrift „Über Korsika“ (1786), zit. nach Aretz, a. a. O., S. 21 ff. Ullrich, a. a. O., S. 27 Das „Souper de Beaucaire“, abgedruckt bei Aretz, a. a. O., S. 94 ff. Burleigh, Michael, Irdische Mächte, göttliches Heil. Die Geschichte des Kampfes zwischen Politik und Religion von der Französischen Revolution bis in die Gegenwart, München 2008, S. 133 Jünger, Ernst, Rivarol, Frankfurt 1956, S. 13 Das Folgende bei Ullrich, a. a. O., S. 36 ff. Über Napoleons Kriegskunst sehr aufschlußreich Willms, a. a. O., S. 70 ff. Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 1, S. 347 Willms, a. a. O., S. 73 Sieburg, a. a. O., S. 123 Ein Beispiel dafür ist Honoré de Balzac, Le médecin de Campagne, Paris 1900, S. 195 ff. Aretz, a. a. O., S. 177 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 1, S. 466 ebd., S. 347 Aretz, a. a. O., S. 154 ebd., S. 159 Sorel, Albert, L’Europe et la révolution française, 8 Bde., Paris 1894, Bd. 8, S. 67 f. vgl. Bénédicte Savoy, Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien, Köln, Weimar 2011. Ein materialreiches Buch, das allerdings im Untertitel einen falschen Eindruck erweckt. Napoleon war nicht der Erfi nder des organisierten Kunstraubs. Die Praxis wurde in der Konventszeit begonnen. Tulard, Jean, Napoleon oder der Mythos des Retters, Tübingen 1978, S. 95 f. zit. nach Ullrich, a. a. O., 38 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 2, S. 408, Anm. Tulard, a. a. O., S. 111 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 3, S. 274, Anm. ebd., S. 275 Während der Schreckensherrschaft saß Sieyès im Konvent unter den Jakobinern. Auf die Frage, was er in dieser Zeit gemacht habe, erklärte er später lapidar: j’ai vécu, „ich habe gelebt“. Zit. nach Jacob Burckhardt, Werke. Geschichte des Revolutionszeitalters. Kritische Gesamtausgabe Bd. 28, München, Basel 2009, S. 444 Wencker-Wildberg, a. a. O. Bd. 3, S. 297
4. Napoleon 49
50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76
77 78
79 80
251
Burckhardt zitiert die boshafte Mme. de Staël: Plusieurs ont dit: il est l’enfant de la révolution! Oui, sans doute, mais un enfant parricide („Manche haben gesagt, er ist das Kind der Revolution! Ja, zweifellos, aber ein muttermörderisches Kind“). Burckhardt, Jacob, Geschichte des Revolutionszeitalters, Kritische Gesamtausgabe Bd. 28, München, Basel 2009, S. 829 Willms, a. a. O., S. 59 Sieburg a. a. O., S. 188 ebd., S. 211 Willms, a. a. O., S. 543 Jean Prévost in: Las Cases, Einleitung, S. XXVIII Tulard, a. a. O., S. 44 Christoph Martin Wieland am 11. 2. 1798, zit. nach Gustav Seibt, Goethe und Napoleon. Eine historische Begegnung, München 2008, S. 44 Wencker-Wildberg, a. a. O. Bd. 3, S. 332 Tulard, a. a. O., S. 131 zit. nach Ullrich, a. a. O., S. 51 zit. nach Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 3, S. 325 Chateaubriand, François René, Mémoires d’outre-tombe, Leipzig 1849, Bd. 7, S. 27 f. Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 3, S. 300 zit. nach Ullrich, a. a. O., S. 64 Carbonnier, Jean, Der Code civil, in: Erinnerungsorte Frankreichs, hrsg. von Pierre Nora, S. 159–178, München 2005, S. 163 Bürge, Alfons, Zweihundert Jahre Code Civil des Français: Gedanken zu einem Mythos, in: Zeitschrift für Europäisches Privatrecht, 2004, S. 6 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 4, S. 141, Anm. ebd., S. 149 Eggs, a. a. O., 18 Tulard, a. a. O., S. 148 Ullrich, a. a. O., S. 57 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 3, S. 314 Ullrich, a. a. O., S. 57 Chateaubriand, François René. Le génie du christianisme, Paris 1838, S. 2 Chaptal, a. a. O., S. 96 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 4, S. 301 f., Anm. „Vainqueur et pacificateur“, so lautete die Unterschrift unter einem Triumphbogen, der 1804 zu Ehren Napoleons bei einem Besuch der Stadt Aachen aufgestellt worden war. Symbolträchtig zeigte der Triumphbogen einen Genius mit den Namen Carolus Magnus und Napoleon, Schulze, a. a. O., S. 29 Tulard, a. a. O., S. 160 Schon in der „Erklärung der Menschenrechte“ von 1789 ist die freie Meinungsäußerung eingeschränkt. Sie darf die öffentliche Ordnung nicht stören. Vgl. Jürg Altwegg, Die Republik des Geistes. Frankreichs Intellektuelle zwischen Revolution und Reaktion, München, Zürich 1989, S. 11 Lefebvre, a. a. O., S. 161 Auf Sankt Helena äußert Napoleon, wenn überhaupt, wäre für Frankreich
252
81 82 83 84 85
86 87 88
89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99
100 101 102 103
104 105 106 107 108 109 110 111
Anmerkungen
nur ein „gekrönter Washington“ in Betracht gekommen. Vgl. Las Cases, a. a. O., S 233. Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 4, S. 431 Tulard, a. a. O., S. 190 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 4, S. 425 Tulard, a. a. O., S. 190 Über die ursprüngliche Widmung der „Eroica“ Hans Otto, Gneisenau. Preußens unbequemer Patriot, 1. Aufl., Bonn 1979, S. 122, und Schulze, a. a. O., S. 30. Oliver Jungen in der FAZ vom 21. 12. 2010, S. 32, bezeichnet die Darstellung als Legende. Beethoven habe zwar die Widmung der 3. Sinfonie ausradiert, aber erneut ergänzt: „geschrieben auf Bonaparte“. Altwegg, a. a. O., S. 13 zit. nach Tulard, a. a. O., S. 193 Diese Behauptung stellt Norvins auf, vgl. Norvins, M. von, Portefeuille von Achtzehnhundert und dreizehn. Ein Gemälde der politisch-militärischen Ereignisse dieses ewig denkwürdigen Jahres., Bd. I, Ilmenau 1826, S. 16 Aretz a. a. O., S. 258 f. Tulard, a. a. O., S. 166 ebd., S. 202 Müchler, a. a. O., S. 50 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 5, S. 153 zit. nach Aretz, a. a. O., S. 303 Botzenhart, a. a. O., S. 40 Ullrich, a. a. O., S. 76 f. Auf diese Parallele weist Ritter hin: Ritter, Gerhard, Stein. Eine politische Biographie, Bd. I, Der Reformer, Stuttgart, Berlin 1931, S. 203 Ullrich, a. a. O., S. 82 zit. nach Schmidt, Arno, Das Musterkönigreich, in: König Lustigk!? Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen, München 2008, S. 19. Honoré de Balzac, Die Chouans, Berlin o. J., S. 39 Brief Napoleons an Jérôme, zit. nach Sieburg, a. a. O., S. 22 zit. nach Schmidt, Arno, a. a. O., S. 19 Berding, Helmut, Imperiale Herrschaft, politische Reform und gesellschaftlicher Wandel, in: König Lustigk!? Jérôme, Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen, München 2008, S. 109 Las Cases, a. a. O., S. 418 Beschluß der Verfassungsgebenden Versammlung vom 30. 7. 1791, zit. nach Tulard, a. a. O., S. 365 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 4, S. 313 ebd., S. 317 Lefebvre, a. a. O., S. 127 f. zu Caulaincourt im Schlitten, Caulaincourt, a. a. O., S. 201 Sieburg, a. a. O., S. 197 f. Chateaubriand, François René, La fi n de Napoléon. Proposé par Max Gallo, Brüssel 2009, S. 7
5. Metternich 112 113 114 115
116 117 118 119 120 121 122 123 124 125
126
127 128 129 130 131 132 133 134 135 136
253
Lefebvre, a. a. O., S. 162 zit. nach Jacques Chastenet, Wellington, Paris 1945, S. 94 Aretz, a. a. O., S. 343 Über den Fürstentag in Erfurt Gustav Seibt, Goethe und Napoleon. Eine historische Begegnung, München 2008, S. 87 ff. und Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 6, S. 79 ff. Seibt, Goethe und Napoleon, S. 106 ebd., S. 121 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 6, S. 92 Aus den Denkwürdigkeiten des Barons de Brabante, zit. nach WenckerWildberg, a. a. O., Bd. 6, S. 85 Ullrich, a. a. O., S. 99 f. Seibt, Goethe und Napoleon, S. 140 Magenschab, Hans, Erzherzog Johann. Habsburgs grüner Rebell, Graz, Wien, Köln 1981 ebd., S. 161 ebd., S. 172 dazu Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, Bd. I, S. 59 Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, das 1806 den Fehler begangen hatte, mit Preußen in den Krieg zu ziehen, muß zeitweilig das Quartier für 80 000 Soldaten und 22 000 Pferde stellen. Dazu muß es 2,2 Millionen Franken Kontributionen entrichten, was in etwa den Staatseinkünften eines Jahres entspricht. Vgl. Seibt, Goethe und Napoleon, a. a. O., S. 16 zit. nach Golo Mann, Friedrich von Gentz. Geschichte eines europäischen Staatsmannes, Frankfurt-Berlin-Wien 1972, S. 174 zit. nach Seibt, a. a. O., S. 180 Burckhardt, Geschichte des Revolutionszeitalters, a. a. O., S. 994 Stamm-Kuhlmann, Thomas, König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. Der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992, S. 287 zit. nach Magenschab, a. a. O., S. 184 Sorel, a. a. O., Bd. 7, S. 431 Capefigue, Jean Baptiste H. R., Les diplomates européens, 1. Teil, 2. Aufl. Paris 1845, S. 24 zit. nach Varnhagen von Ense, Karl August, Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, 3. Aufl., Berlin o. J., S. 213 zit. nach Mann, a. a. O., S. 186 Seibt, a. a. O., S. 187 5. Metternich 5. Metternich
1 2
zit nach Srbik, a. a. O., Bd. I, S. 91 ff. zit. nach Walter Markov, Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789– 1799, Frankfurt / Main 1987, Bd. II, S. 234 f.
254 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
20 21
22 23 24 25
26
Anmerkungen
ebd. S. 262 f. vgl. Henry Valloton, Metternich. Napoleons großer Gegenspieler, München 1976, S. 22 NP, Bd. I, S. 340 ff. Valloton, a. a. O., S. 23 und Srbik, a. a. O., Bd. I, S. 77 f. Briefe an Leonore Metternich aus Rastatt, NP, Bd. I, S. 347 ff. So Metternich rückblickend, vgl. NP Bd. I, S. 25 NP, Bd. I, S. 23 ebd., S. 4 ebd., S. 8 ebd,. S. 9 ebd., Vorspruch S. III ebd., S. 10 f. ebd., S. 13 f. Sauvigny, Guillaume de Berthier de, Metternich. Staatsmann und Diplomat im Zeitalter der Restauration, München 1996, S. 67 ebd., S. 77 zit. nach Egon Cäsar Conte Corti, Metternich und die Frauen, Wien 1977, S. 41 Metternich an Gentz, 21. 1. 1806, zit. nach Wittichen, Friedrich Carl, und Salzer, Ernst (Hrsg.), Briefe von und an Friedrich von Gentz, München und Berlin 1913, Bd. 3, 1. Teil, S. 44 f. zit. nach Srbik, a. a. O., Bd. I, S. 111 Für die Säule wurden angeblich 185 Kanonen eingeschmolzen. Ursprünglich stand auf dem Vendôme-Platz ein Reiterstandbild Ludwig XIV. Es fiel natürlich dem Furor der Revolution zum Opfer. Auf die 44 Meter hohe Säule, die der Trajans-Säule nachempfunden ist, pflanzte Chaudet eine Statue Napoleons, die den Kaiser im Stil des römischen Imperators zeigt. Napoleon war ursprünglich gegen diesen Akt der Verewigung. Als er während der Hundert Tage gefragt wurde, was man anstelle der Statue auf die Säule setzen solle, antwortete er: „eine Wetterfahne“. Beim Einmarsch der Alliierten 1814 gedachten die Preußen, z. B. Gneisenau, die Säule zu sprengen. Sie wurden aber durch Wellington daran gehindert. Zwiespältig, wie Ludwig XVIII. generell verfuhr, ließen die restaurierten Bourbonen die Säule stehen, entfernten aber die Statue. 1831 erhielt sie ihren alten Platz zurück. Die Kommune machte dann 1871 ganze Sachen. Als Sinnbild des Cäsarismus-Monarchismus wurde die Säule samt Statue umgestürzt – nur um nach dem Ende der Kommune an selbiger Stelle wieder aufgerichtet zu werden. NP, Bd. I, S. 56 Botzenhart, a. a. O., S. 38, Anm. 50 In einem Porträt Napoleons, geschrieben 1820, NP, Bd. I, S. 276 So gegenüber dem französischen Diplomaten und Schriftsteller Capefigue, der Metternich 1839 auf Schloß Johannisberg im Rheingau besuchte. Vgl. Capefigue, a. a. O., S. 13 f. zit. nach Srbik, Bd. I, S. 113
5. Metternich 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41
42 43 44
45 46 47
48 49 50 51 52 53 54 55 56
255
ebd., S. 110 Valloton, a. a. O., S. 44 vgl. Corti, a. a. O., S. 92 f. NP Bd. I, S. 54 zit. nach Srbik, a. a. O., Bd. III, S. 46 vgl. Botzenhart, a. a. O., S. 94 ebd., S. 2 zit. nach Jünger, a. a. O., S. 99 zit. nach Botzenhart, S. 112, dessen Darstellung dieser Phase weitgehend gefolgt wird. ebd., S. 143 ebd., S. 163 ebd., S. 171 ebd., S. 89 ebd., S. 277 Srbik, der der historischen Gesamtgestalt Metternichs sehr viel mehr Gerechtigkeit widerfahren läßt als andere, sieht in ihm dennoch einen „Haupturheber“ des Krieges von 1809. „Verhängsnisvolle Irrtümer“ hätten ihn beherrscht (Bd. I, S. 117). Dem widerspricht mit Verve Botzenhart. Allerdings kommt auch er nicht umhin einzuräumen, dass man Metternich seit November / Dezember 1808 zur Kriegspartei zählen kann (Botzenhart, a. a. O., S. 278 ff.) NP, Bd. I, S. 228 ebd. Metternich an Gräfi n Lieven, 20. 12. 1817, zit. nach Metternich, Clemens Wenzel Nepomuk Lothar, Geist und Herz verbündet. Metternichs Briefe an die Gräfi n Lieven, Wien 1942, S. 81 Corti, a. a. O., S. 75 ebd., S. 65 Die Meinungen darüber, wann und von wem Metternich in die französischen Sondierungen eingeweiht wurde, gehen auseinander. Gegenüber dem Grafen Alexandre de Laborde soll er sogar geäußert haben, „dieser Gedanke stammt von mir“ (Berthier de Sauvigny, a. a. O., S. 122). Das ist aber wohl falsch. Metternich scheute sich nie, Ideen zu kapern, die er für nützlich und erfolgversprechend hielt. Tatsache ist, daß die Initiative zur mariage autrichien von französischer Seite ausging. nach Srbik, a. a. O. Bd. I, S. 118 Corti, a. a. O., S. 85 NP, Bd. I, S. 236 f. ebd. ebd., S. 107 Corti, a. a. O., S. 113 Valloton, a. a. O., S. 74 ebd., S. 72 ebd., S. 76 f.
256
Anmerkungen
6. Die letzte Schlacht 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 7, S. 173, Anm. zit. nachThierry Lentz, Nouvelle Histoire du Premier Empire. Bd. II L’effondrement du système napoléonien 1810 –1814, Paris 2004, Bd. 2, S. 358 zit. nach Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 23 vgl. Günther Elbin, 1812: Die Konvention von Tauroggen, in Zeitschrift „Damals“, 12 / 87 siehe Tulard, a. a. O., S. 444 f. Über die Affäre Malet vgl. u. a. Lentz, a. a. O., Bd. 2, S. 334 ff., und WenckerWildberg, Bd. 7, S. 117 ff. Wencker-Wildberg, Bd. 7, S. 175 Thiers, Adolphe, Histoire du Consulat et de l’Empire, Bruxelles 1845, Bd. 15, S. 112 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 7, S. 174 Thiers, Bd. 15, S. 112 f. Über die Lettres des grognards Lentz, a. a. O., Bd. 2, S. 332 f. Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 7, S. 178 f. ebd., S. 180 Thiers, Bd. 15, S. 162 Lentz, a. a. O., Bd. 2, S. 373 Napoleon an Kaiser Franz, 23. 1. 1813, Correspondance, a. a. O., Bd. 24, S. 449, Brief 19511 Die Zahlen nach Lentz, a. a. O., Bd. 15, S. 375 vgl. dazu Tulard, a. a. O., S. 445, Anmerkungen So Thiers, a. a. O., Bd. 15, S. 174 ebd., S. 180 Simon Schama, Der zaudernde Citoyen. Rückschritt und Fortschritt in der Französischen Revolution, München 1989, S. 19 f. Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 7, S. 194 f., Willms, a. a. O., S. 581 zum Konkordat vgl. Tulard, a. a. O., S. 410 ff. und Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 7, S. 194 f. 7. Der Abfall 7. Der Abfall
1 2 3 4 5 6 7
Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 33 ebd., S. 31 NP, Bd. I, S. 122 Oncken, a. a. O., Bd. 1, S. 18 ebd., S. 381 ebd., S. 95 ff. Zum Denkmal der Konvention von Tauroggen siehe www.reise-nach-ostpreussen.de / Tauroggen / WEG Z DENKMAL.htm 8 zit. nach Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600 –1947, 5. Aufl., München 2007, S. 416
7. Der Abfall 9
10 11 12 13 14 15 16 17 18
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
31 32 33 34 35 36 37 38
39
257
vgl. Karl August von Hardenberg, Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen, hrsg. von Thomas Stamm-Kuhlmann, München 2000, S. 760, Anm. Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 17 vgl. Oncken, a. a. O., Bd. 1, S. 56, Anm. 2 Zur Sitzung vom 2. Januar vgl. Thiers, a. a. O., Bd. 15, S. 151 ff. Brief von Kaiser Franz an Napoleon vom 20. 12. 1812, zit. nach Oncken, a. a. O., Bd. 1, S. 59 f. ebd., S. 57 ebd., S. 105 ff. Instruktion vom 7. Januar, zit nach Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 45 Oncken, a. a. O., Bd. 1, S. 74 Gräfi n von Voß, Neunundsechzig Jahre am Preußischen Hofe. Aus den Tagebüchern und Aufzeichnungen der Oberhofmeisterin Sophie Wilhelmine Gräfi n von Voß. Sachlich berichtigt und aus zeitgenössischen Quellen ergänzt, Berlin, 11. Aufl. 1935, S. 172 f. Brief Alexander an Friedrich Wilhelm vom 24. 2. 1813, zit. nach Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 61 Metternich an Stadion, 7. 5. 1813, zit. nach Oncken, Bd. 2, S. 287 Metternich an Lebzeltern, 3. 51813, ebd. S. 286 Wencker-Wildberg, a. a. O., Bd. 7, S. 200 f. ebd., S. 216 zit. nach Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. Der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992, S. 377 Luckwadt, a. a. O., S. 41 Graf Hardenberg an Münster, 24. 5. 1813, zit. nach Oncken, a. a. O., Bd. 2, S. 310, Anm. Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 85 Ernst von Hardenberg an den Grafen Münster, 9. 5. 1813, zit. nach Oncken, a. a. O., Bd. 2, S. 301 ff. Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 114 Hier kann man Oncken folgen: „Seit dem Eintreffen von Wessensbergs Depesche vom 9. April war man sich in Wien darüber im Klaren, dass eine der wesentlichen Vorbedingungen des Planes vom November und December 1812 in Wegfall gekommen sei“, a. a. O., Bd. 2, S. 301 Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 87 ebd., S. 92 f. ebd., S. 93 f. Oncken, a. a. O., Bd. 2, S. 299 ebd., S. 322, Volltext der Propositions S. 658 f. Sorel, a. a. O., S. 122 Thiers, a. a. O., Bd. 15, S. 262 Napoleon an Kaiser Franz, 4. 5. 1813, in: Correspondance de Napoléon Ier, publiée par ordre de l’Empereur Napoleon III., Paris 1868, Vol. 25, Nr. 19963, S. 268 f. ebd., Nr. 20070, S. 346
258
Anmerkungen
40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
ebd., Nr. 10071, S. 347 f. Vortrag bei Kaiser Franz vom 28. 11. 1811, NP, Bd. 1, S. 431 s. Anm. 115, Kapitel 4 Chaptal, a. a. O., S. 86 ebd. Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 81 zit. nach Emil Ludwig, Napoleon, Zürich 1952, S. 288 Sorel, a. a. O., S. 76 Corti, a. a. O., S. 161 McGuigan, Dorothy Gies, Metternich, Napoleon und die Herzogin von Sagan. Wien, München, Zürich, Innsbruck 1979, S. 60 50 NP, Bd. 1, S. 142 51 ebd., S. 147 52 Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 140 8. In den Ebenen Sachsens 8. In den Ebenen Sachsens
1 2 3 4 5 6
7 8 9
10
11 12 13 14 15 16
Napoleon an Maret, Correspondance de Napoléon Ier, a. a. O., Bd. 25, Nr. 20084, S. 359 Wilhelm von Kügelgen, Jugenderinnerungen eines alten Mannes, Zürich 1994, S. 170 Dresdner Geschichtsbuch, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Bd. 1, Altenburg 1995, S. 52 f. Lindau, Wilhelm Adolph, Darstellung der Ereignisse in Dresden, im Jahr 1813. Von einem Augenzeugen, Dresden 1816, S. 81 Das Folgende nach Fain, Bd. 1, S. 430 und Bd. 2, S. 15 ff. Dazu auch McGuigan, a. a. O., S. 57 Zum Lager von Pirna vgl. Lauber, a. a. O., S. 74 f. und Odeleben, Otto von, Mit Napoleon im Felde. Eine treue Skizze des französischen Kaisers und seiner Umgebung, Leipzig o. J., S. 122 Correspondance de Napoléon Ier, a. a. O., Bd. 25, Nr. 20112, S. 378 Lindau, a. a. O., S. 79 vgl. Gerald Kolditz, Von der Schlacht bei Dresden vom 26. / 27. August 1813 bis zur Kapitulation der Franzosen am 11. November, in: Dresdner Hefte 37, 12. Jg. 1 / 1994, hrsg. vom Dresdner Geschichtsverein, S. 67 „Summarische Übersicht der seit dem 26. Februar 1813 bis mit 31. Dec. 1813 bei den Einwohnern von Dresden einquartiert gewesenen Militairs, nach der Kopfzahl berechnet“, Lindau, a. a. O., S. 233 Tagesbefehl vom 14. Juni 1813, zit. nach Lindau, a. a. O., S 234 f. Vgl. Arthur Brabant, In und um Dresden 1813, Dresden 1913, S. 215 ff. Vgl. Georg von Schimpff, 1813. Napoleon in Sachsen. Nach des Kaisers Korrespondenz, Dresden 1894, S. 116 f. Marcolini an Baron Just, 13. 7. 1813, zit. nach Fiedler, a. a. O., S. 50 NP, Bd. II, S. 150 f. zum Palais Marcolini vgl. Otto von Odeleben, Mit Napoleon im Felde. Eine
9. Das Duell
17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
259
treue Skizze des französischen Kaisers und seiner Umgebung, Leipzig o. J., S. 122 ff., außerdem Fiedler, A., Zur Geschichte des Kurländischen Palais und des Marcolinischen Palais, Dresden 1913, S. 51. Zum Schauplatz der Unterredung Metternich, NP, Bd. 1, S. 150 ff. Weil die Wiedergabe der entrevue in den NP hier und da von Metternichs Originalniederschrift aus dem Jahr 1820 abweicht, wurde ergänzend auf die Veröffentlichung von Helfert zurückgegriffen, J. Alex. Freiherr von Helfert, Maria Louise. Erzherzogin von Österreich. Kaiserin der Franzosen. Mit Benützung von Briefen an ihren Älteren und Schriftstücken des K. K. Haus- Hof- und Staats-Archivs, Wien 1873 S. 363 ff. Zur Baugeschichte des Palais: Hentschel, Walter, Die ältere Baugeschichte des Marcolini-Palais, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Technischen Universität Dresden, Heft 14, 1965. Zur Episode mit der Gräfi n Kielmannsegge: E. M. Oettinger, Die Gräfi n Kielmannsegge und ihre geheimen Beziehungen zum Kaiser Napoleon I., Dresden 1863. Zu Napoleons Arbeitsweise in Dresden auch Schimpff, a. a. O., S. 98 Dresdner Geschichtsblätter 1902, Nr. 2, S. 95 Brabant, a. a. O., S. 211 ff. Brief vom 8. Juni. Correspondance de Napoléon Ier, a. a. O., Bd. 25, Nr. 20105, S. 374 Bubna an Metternich am 20. Juni, vgl. Oncken, a. a. O., Bd. 2, S. 384 McGuigan, a. a. O., S. 95 ebd., S. 67 zit. nach Oncken, a. a. O., Bd. 2, S. 341; Original ebd. S. 665 f. ebd. S. 367 Briefe Gentz’ an Metternich vom 5. Juni und 6. Juli 1813, zit. nach Wittichen und Salzer, a. a. O., S. 116 ff. Oncken, a. a. O., Bd. 2, S. 363, Anmerkung Brief vom 24.6., McGuigan, a. a. O., S. 84 9. Das Duell 9. Das Duell
1 2 3 4 5 6 7 8
Schuermans, Albert, Itinéraire générale de Napoléon Ier, Paris o. J, S. 326 Commentaires de Napoléon Premier, Bd. V, Paris 1867, S. 415 ff. Oncken, a. a. O., Bd. II, S. 384 f. ebd., Bd. II, S. 385 f. NP, Bd. I, S. 150 ff. Capefigue, a. a. O., S. 30 ff. Fain, a. a. O., Bd. 2, S. 26 ff. Hanoteau, Jean, Une nouvelle Relation de l’entrevue de Napoléon et de Metternich à Drèsde, in: Revue d’histoire diplomatique, publiée par la société d’histoire diplomatique, Paris 1933, S. 421 ff. 9 So im Internet: www.dresden-und-sachsen.de / dresden / friedrichstadt_palaisbruehlmarcolini.htm, Zugriff am 3. 12. 2008 10 Thiers, a. a. O., Bd. XVI, S. 45 11 Fain, a. a. O., Bd. 1, S. 27
260 12 13
14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
33
34 35 36
Anmerkungen
Helfert, a. a. O., S. 257 Mendelssohn-Bartholdy, Karl, Hrsg., Briefe von Friedrich von Gentz an Pilat. Ein Beitrag zur Geschichte Deutschlands im XIX. Jahrhundert, 1. Bd., Leipzig 1868, S. 28 Hormayr, Joseph von, Kaiser Franz und Metternich. Ein nachgelassenes Fragment, Leipzig 1848, S. 60 Commentaires, a. a. O., Bd. V, S. 416 Helfert, a. a. O., S. 363 Schuermans, a. a. O., S. 326 NP, Dritter Teil, S. 598 Oncken, a. a. O., Bd. II, S. 323 Schnabel, Franz, Das 18. Jahrhundert in Europa, in Propyläen, Bd. 6, Berlin 1931, S. 224 Nipperdey, Thomas, Deutsche Geschichte 1800 –1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 87 Thiers, a. a. O., Bd. XVI, S. 45 und 51, Anm. Helfert, a. a. O., S. 28 Mendelssohn-Bartholdy, a. a. O., S. 28, Anm. Schuermans, a. a. O., S. 326 Hanoteau, a. a. O., S. 421 Übersetzung bei Oncken, a. a. O., Bd. II, S. 384 ebd., S. 385 f. Helfert, a. a. O., S. 364 Brabant, a. a. O., S. 208 Capefigue, a. a. O., S. 30 Im „Entretien“ bedient sich Metternich einer Umschreibung. Bei Einsicht in den Autographen hat Wolfram Siemann kürzlich herausgefunden, daß Napoleon (laut Metternich) so formulierte: „… un homme comme moi se f de la vie d’un million d’hommes“. Das „f“ deutet er wohl zu Recht als Platzhalter für „fout“. Wolfram Siemann, Metternich. Staatsmann zwischen Restauration und Moderne, München 2010, S. 48 So Oncken, a. a. O., Bd. II, S. 387 ff. Für Oncken, dem Sympathie für Napoleon nicht nachzuweisen ist, hält das „Manuscrit“ schon deshalb keinem Vergleich mit den Darstellungen Metternichs stand, weil Fain bei der Unterredung nicht zugegen, aber Metternich Akteur war. Das wäre nur dann einsichtig, gäbe es Anzeichen dafür, daß er die Schilderung des Kaisers verfälscht habe. Durch Caulaincourts „Conversation“ wissen wir, daß das nicht der Fall ist. Die Versionen Fain / Caulaincourt sind damit als die Überlieferung Napoleons anzusehen, die der Metternichs grundsätzlich gleichzusetzen ist. Beide sind durch die Interessen des jeweiligen Erzählers gefärbt, die von Napoleon vermittelte vermutlich sogar weniger, weil sie durchaus kritische / selbstkritische Züge aufweist. Mendelssohn-Bartholdy, a. a. O., S. 24 Tümmler, Hans, Carl August von Weimar, Goethes Freund, Stuttgart 1978, S. 228 Beispielsweise von Srbik, a. a. O., Bd. 1, S. 716
10. Finale 37 38 39 40 41 42 43 44
45 46 47 48 49 50 51
261
Capefigue, a. a. O., S. 31 Jakob Burckhardt, Geschichte des Revolutionszeitalters, a. a. O., S. 1021 Fain, a. a. O., S. 52 Vgl. Anmerkung 32 zit. Nach Srbik, Bd. I, S. 160 f. McGuigan, a. a. O., S. 148 Commentaires, Bd. V, S. 447 Die Authentizität des Zitats „Sohn des Glücks“ wird von vielen Autoren bezweifelt, so von Volker Hunecke, Napoleon. Das Scheitern eines guten Diktators, Paderborn 2011, S. 309. Daß es psychologisch richtig ist und Napoleon sich so sah, steht außer Frage. Vgl. Kissinger, Henry A., Das Gleichgewicht der Großmächte: Metternich, Castleragh und die Neuordnung Europas 1812–1822, Zürich 1990, S. 148 NP, S. 275 ff. Das Porträt wurde von Gentz überarbeitet, schreibt Srbik, a. a. O., Bd. 1, S. 8 ebd., S. 282 ebd., S. 281 Ullrich, a. a. O., S. 62 Chaptal, a. a. O., S. 86 f. ebd. Jünger, a. a. O., S. 80 10. Finale 10. Finale
1 2 3 4 5
6 7 8 9 10 11 12
Helfert, a. a. O., S. 257 Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 163 Goethe am 1. Juli 1813 an Christiane von Goethe, zit. nach www. zeno. org / Literatur / M / Goethe,+Johann+Wolfgang / Briefe / 1813 an Caulaincourt 29. 7. 1813, Correspondance de Napoléon Ier, a. a. O., Vol. 25, 20317, S. 518 Metternich äußert gegenüber Anstett, Caulaincourt habe ihn geradezu angefleht: „Führen Sie uns nach Frankreich zurück, egal ob durch Frieden oder durch Krieg, und Sie werden von 30 Millionen Franzosen und allen wahren Dienern und Freunden Napoleons gesegnet werden.“ Vgl. Sorel, a. a. O., Bd. 8, S. 165 ebd., S. 169 Tümmler, a. a. O., S. 233 Luckwaldt, a. a. O., S. 41 Kleßmann, a. a. O., S. 92 McGuigan, a. a. O., S. 269 ebd., S. 272 NP, Bd. 3, S. 332
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Abbildungsnachweis
Akg-images: S. 2, 15; bpk Berlin: S. 33, 107; SLUB Dresden/Abt. Deutsche Fotothek: S. 194 (Aufnahme H. J. Koch 1955), 206 (Aufnahme: 1961, unbekannt); WBG-Archiv: S. 245. Karte S. 248/49: Peter Palm, Berlin
Personenregister Abbatucci, französischer General 48 Alexander d. Große 7 Alexander I., Zar 8, 17, 22 ff., 32, 76, 79, 80 ff., 86 f., 88–92, 99, 102, 119, 122, 130, 133, 139, 157 ff., 163–174, 179, 182 ff., 185 f., 188 ff., 208, 234 Anna Pavlovna, russische Großfürstin 102 Anstett, Johann Protasius, russischer Diplomat 241 Armand, Schauspieler 207 Arndt, Ernst Moritz 10, 97, 146, 163 Augerau, Pierre Francois Charles, französischer Marschall 47, 87, 150, 162, 164, 170
Personenregister
Bacler d’Albe, Louis-Albert-Guislain, Militärtopograph 34, 206 Balzac, Honoré de 83 Baptiste, Schauspieler 207 Barras, Paul Francois Jean Niclas, Vicomte 45 Bauer, Lehrer Napoleons 37 Beauharnais, Eugène, Vizekönig 86, 150 f., 162, 176, 184 f. Beauharnais, Hortense 101 Beauharnais, Joséphine, vgl. Joséphine, Kaiserin Beaumarchais, Pierre Augustin Caron 207 Beethoven, Ludwig van 72 Berlier, Théophile, Staatsrat 86 Bernier, Abbé 67 Bernadotte, Jean-Baptiste-Jules, französischer Marschall, König von Schweden 87, 172 Berthier, Louis Alexandre, Generalstabschef Napoleons 19, 61, 102, 150, 182, 197 f., 200, 205 f., 218
Bertrand, Henri Gatien, französischer General 346 Bertrand, Abbé 107 Besnardière, Jean Baptiste de la, Diplomat 165 Bessières, Jean Baptiste, französischer General 197 Blücher, Gerhard Leberecht 17, 37, 246 Bonaparte, Carlo 35–38 Bonaparte, Caroline 86, 115, 125, 150 Bonaparte, Elisa 86 Bonaparte, Jérôme 50, 82–86, 96, 205 Bonaparte, Joseph 56, 78, 85, 89 Bonaparte, Louis 101 Bonaparte, Lucien 54 f., 86 Bonaparte, Lutetia 34 f., 53 Bonaparte, Pauline 86 Braunschweig, Karl Wilhelm Ferdinand, Herzog von 110 Braunschweig, Friedrich Wilhelm, Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Oels 96 Bubna, Ferdinand von, österreichischer General 165 ff., 179 f., 208, 211, 222 Burckhardt, Jakob 8, 10 Burgsdorff, Ludwig Christoph von, Polizeichef von Dresden 200 Burke, Edmund 117 Cadoudal, George 70 f., 172 Cäsar 7 f., 37, 58, 91, 93 Cambacérès, Jean Jacques Régis 61, 70, 148, 165, 175, 207 Cambon, Pierre Joseph, Konventsmitglied 49 Canteleu, Jean-Barthélémy Le Coulteux de, Senator 71 Capefigue, Jean Baptiste, Diplomat 214, 218, 230 Carnot, Lazare 48, 71, 98, 112
Personenregister
Castlereagh, Lady 103 Catilina 64 Caulaincourt, Armand Augustin, französischer Diplomat und General 13 f., 17–20, 32, 154, 165, 183, 188, 205, 207, 215, 224 ff., 229, 232, 235, 241, 243 f. Cicero 64 Champagny, Jean Baptiste, Außenminister Napoleons 126, 130, 133 Chaptal, Jean Antoine, Innenminister 67, 186, 238 Chateaubriand, Francois René 34, 56, 61, 66 f., 88, 117 Clarke, Henry Jacques Guillaume, Kriegsminister 184, 242 Clausewitz, Karl von 15 Clementine, Tochter Metternichs 119 Cobenzl, Ludwig Graf von, österreichischer Politiker 117, 120 ff. Coignet, Grenadier 87 Constant, Benjamin 67 Constant, Diener Napoleons 13 Contat, Emilie, Schauspielerin 207 Corneille, Pierre 90 Cromwell, Oliver 82 Curée, Jean Francois, französischer Politiker 70 f. Custine, Renaud Philippe, französischer General 109 Danton, Georges 39 Daru, Pierre Antoine Noel Bruno, französischer Staatsmann 91, 97, 198 David, Jacques Louis 31 f. Davout, Louis Nicolas, General Napoleons 195 Defregger, Franz von 31 Delmas, französischer General 68 Désaix Louis Charles Antoine, General Napoleons 43 Destutt de Tracy, Antoine Louis Claude, Philosoph 67 Diebitsch, Iwan Iwanowitsch, russischer Feldmarschall 36, 162 Dietrich, Friedrich de, Bürgermeister von Straßburg 109 Dörnberg, Wilhelm von 96 Dumourier, Charles Francois, französischer General 48, 110
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Duroc, Géraud Christophe Michel, Marschall Napoleons 13, 43, 54, 176, 197, 242 Enghien, Louis Antoine Henri de Condé 69 ff., 120 Ferdinand IV., König von Neapel 77 Ferdinand, Prinz von Asturien 89 Friedrich August I., König v. Sachsen 19, 82, 118, 174, 195 f., 213 Friedrich August II., Kurfürst 201 Friedrich Wilhelm III. 23 f., 79, 81, 95, 97 ff., 102, 106, 121, 161 ff., 168, 170 f., 176, 182 f., 189 Fichte, Johann Gottlieb 96 f., 99 Fleury, Sschauspieler 207 Floret, Peter Johann von, österreichischer Diplomat 21 f., 27, 157 ff. Forster, Georg 108 Forster, Therese 108 Fouché, Joseph 43, 60 f., 64, 70 f., 93, 101, 126, 136, 201 Franz I., Kaiser von Österreich 11, 19, 22 f., 26, 77 f., 92, 99–103, 105 f., 110, 120 f., 124, 129 f., 132, 136 ff., 139, 150, 157, 160, 165 ff., 169 f., 175, 178, 180 –184, 186 ff., 208 f., 211, 214, 216, 219 ff., 227, 229, 232, 244 Friedrich II., König von Preußen 7 f., 24, 79 f., 106, 144, 196, 198, 200 Friedrich Ludwig, Herzog von Württemberg 201 Gaudin, Martin-Michel, Finanzminister 62 Gaultier, französischer General 48 Gentz, Friedrich von 25, 96, 103, 117, 120 f., 123, 125, 128, 139, 165 f., 210 f., 216, 228 f. Georg III., König von England 75 Georges, Mademoiselle, Schauspielerin 207 Gérard, Francois Pascal Simon 33, 73 Gneisenau, August Neidhard von 30, 95, 97 f., 135, 163, 246 Godoy, Manuel de, spanischer Politiker 88 f. Goethe, Christiane von 243
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Personenregister
Goethe, Wolfgang von 10, 90 ff., 96, 104, 109 f., 128, 243 f. Görres, Joseph 117 Gros, Antoine-Jean 31 f., 52, 56 Guidal, französischer General 147 Hanoteau, Jean 215 f Hardenberg, Karl August, Staatskanzler 95, 158, 163 f., 189 f., 209, 211 Hardenberg, Graf Ernst von 170, 178, 190 Hatzfeld, Franz Ludwig, preußischer General 161 ff., 163 d’Hauterive, französischer Diplomat 165 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 10, 106 Heine, Heinrich 10, 30 f., 50 Heinrich IV. von Frankreich 40, 154, 238 Heinrich IV., deutscher Kaiser 154 Heinrich VIII., König von England 67 Helfert, J. Alexander, Freiherr von 215 f., 234 Heyde de Neuville, Jean Guillaume 66 Hofer, Andreas 31, 141 Hormayr, Joseph von 94, 161, 216 Hugo, Victor 40 Humboldt, Wilhelm von 211, 235, 241
Kissinger, Henry A. 213 Kléber, Jean Baptiste, französischer General 52 Kleist, Heinrich von 63, 67, 163 Knesebeck, Karl Friedrich von dem, preußischer General 170, 182 Koch, Christoph Wilhelm 108 Körner, Theodor 235 Kügelgen, Wilhelm von 195 Kutusow, Michail Illarinowitsch, russischer Feldmarschall 16, 146, 151, 166
Jahn, Friedrich Ludwig 163 Johann Georg I., Kurfürst 201 Johann, Erzherzog 64, 94, 161 Joséphine, Kaiserin 17, 39, 45, 51, 53, 73, 77, 101 ff., 236 Junot, Jean Andoche, Marschall Napoleons 43, 87, 125 f. Junot, Laura 125, 140, 145, 149
Lacépède, Bernard Germain Etienne de, französischer Politiker 148 Lahorie, französischer General 147 Lannes, Jean, General Napoleons 87 Las Cases, Emmanuel de 30, 34, 50, 246 Lauriston, Jacques Alexandre Bernard, Marquis de, französischer General 158 Lebzeltern, Ludwig Baron von, österreichischer Diplomat 211 Lefebvre-Desnouettes, Charles, französischer General 13 Lefebvre, George 32 Léon, Sohn Napoleons 101 Lieven, Fürstin Dorothea 115 Lindau, Wilhelm Adolph 199 f. Louis Ferdinand, Prinz 79 f. Lubomirska, Ursula Katharina, Fürstin von Teschen 201 f. Ludwig d. Heilige 51 Ludwig XVI., König von Frankreich 31, 39, 58, 61, 70, 101, 109, 111, 120, 180 Ludwig XVIII., König von Frankreich 61 Luise, Königin von Preußen 79, 81, 106, 170 Luther, Martin 237
Kant, Immanuel 23 Karl d. Große 9, 29 Karl IV., König von Spanien 88 f. Karl, Erzherzog 46, 99 f., 72, 94, 137 Katharina II., Zarin 109 Katharina, russische Großfürstin 102 Kaunitz, Wenzel Anton, österreichischer Staatskanzler 114 Kerner, Justinus 103 Kielmannsegge, Gräfi n 146, 204
Mack, Karl Freiherr von, österreichischer General 76 Maigneu, Souffleur Maistre, Joseph de 68 Malchus, Karl August 84 Malet, Claude Francois de, französischer General 15, 157 f., 154, 237 Maret, Hugues Bernard, Außenminister Napoleons 11, 158 f., 165, 167, 193, 200, 205, 211, 213, 215, 218, 241 f.
Ingres, Jean-Auguste-Dominique 31
Personenregister
Mann, Golo 216 Marat, Jean Paul 31, 39 Marchand, Sekretär 205 Marcolini, Camillo 193 f., 200 ff., 239 Maria Ludovica, Ehefrau Franz’ I. 157, 167 Maria Theresia, Kaiserin von Österreich 106 Marie Antoinette, Königin von Frankreich 26, 39, 102, 111, 138 f. Marie-Louise, Kaiserin 14, 20, 23, 26, 101, 103, 140, 142, 148, 169, 175, 182, 184, 219, 238, 242 Marmont, Auguste Frédéric Louis Viesse, Marschall Napoleons 43 Masséna, André, französischer General 47, 68 Meier, Christian 7 Menou, Jacques Francois Baron de, französischer General 52 Metternich, Eleonore 113 f., 115, 208, 246 Metternich, Franz Georg 106 f., 111, 116, 119, 123, 127 Metternich, Joseph 108 Metternich, Maria Beatrix Aloisia 106 f. Metternich, Pauline 108 Mézeray, Schauspielerin 207 Michot, Schauspieler 207 Molière, Jean Baptiste Poquelin 207 Mollien, Nicolas Francois de, Finanzminister 183 Monk, George, Herzog, englischer Feldherr 65 f. Montaigne, Michel 65 Montholon, Charles Tristan de, General 214, 216 Moreau, Jean Victor, französischer General 64, 70, 172 Mouton, Georges Comte de Lobau, General Napoleons 13 Müller, Johannes von 84 Müller, Karthograph 206 Murat, Joachim, König von Neapel 14, 18 f., 58, 86 f., 93, 125, 133, 150, 162, 164, 169 Murat, Caroline 86, 115, 125, 150 Murhard, Friedrich 84 Murhard Karl 84
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Napoleon II., Herzog von Reichstadt 11, 22, 103, 147, 142, 148, 157, 167, 169, 184, 224 f., 227, 244 Napoleon-Louis-Charles, Sohn von Louis Bonaparte und Hortense Beauharnais 101 Narbonne, Louis, Botschafter 58, 145, 149, 180 ff., 233, 241 Natzmer, Oldwig Anton Leopold, preußischer General 164 Nelson, Horacio, Admiral 52 f., 77, 121 Nesselrode, Karl Robert Graf von, russischer Diplomat 125, 174, 188, 209, 211 Neu, Vorwerksverwalter 218 Neipperg, Adam Aldalbert de 139 Ney, Michel, Marschall Napoleons 76, 87, 140, 150, 200 Nipperdey, Thomas 216 Nugent, englischer General 243 f. Oncken, Wilhelm 216 Otto, Louis Guillaume, Diplomat 158, 164, 167, 173, 180 f. Palm, Johann Philipp, Buchhändler 69 Pasquier, Etienne Denis, Polizeipräfekt 147, 268 Paul I., Zar 76 Paoli, Pasquale, korsischer Freiheitskämpfer 35, 38 Phull, Karl Ludwig von, russischer General 36 Pichégru, Jean Charles, französischer General 70, 172 Pilat, Joseph Edler von 216, 228 Pitt, William 70 Pius VII. 67, 72 f., 154 Plutarch 37 Potocka, Anna Gräfi n 18 Potocka, Stanislas 18 Pradt, Dominique Georges Dufour de, Botschafter 18 f. Racine, Jean-Baptiste 90 Rapp, Jean, französischer General 197, 231 Raynal, Abbé, Guillaume Thomas Francois 37 Reimarus, Christine 54
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Personenregister
Reinhard, Karl Friedrich 36, 54 Reyneval, Sekretär Caulaincourts 17 f., 19 Rivarol, Antoine 29, 45, 129, 239 Robespierre, Augustin 42 f. Robespierre, Maximilien 39, 43 ff., 56, 65 Roederer, Pierre-Louis, Staatsrat 59, 67 Roger-Ducos, Pierre, Konsul 55 Rogniat, Joseph, französischer General 198 Rousseau, Jean-Jacques 35, 37, 42, 58 Roustam, Leibdiener Napoleons 13, 205 Sagan, Wilhelmine Herzogin von 115, 221 Saint-Cyr, Laurent de Gouvion, General Napoleons 193, 200 Saint-Marsan, Antoine Marie Philippe, Botschafter 164, 170 Saint-Phal, Schauspieler 207 Savary, Jean Marie René, Innenminister 102, 147, 154, 242 Scharnhorst, Gerhard von, preußischer General 95, 97, 171 Schill, Ferdinand von 96 Schiller, Friedrich 96 Schleiermacher, Friedrich 96 Schmidt, Tobias 105 Schnabel, Ernst 216 Schuermans, Albert 213, 216 Schwarzenberg, Karl Fürst von, österreichischer Feldmarschall und Diplomat 22, 139, 141, 155 f., 166 f., 173, 177, 184, 187, 189, 222 f., 245 f. Schwarzenberg, Pauline Fürstin von 141 Senfft, Ludwig Senfft von Pilsach, Minister 174 Sérurier, Jean Mathieu Philibert, napoleonischer General 48 Siéyès, Emmanuel Joseph, Abbé 54 f., 59 Sheridan, Richard, englischer Politiker 74 Siemann, Wolfgang 234 Simon, Johann Friedrich, Erzieher Metternichs 10 Solon 60
Sorel, Albert 7, 155, 164, 188 Soult, Jean de Dieu, Marschall Napoleons 205, 245 Stadion, Johann Philipp Karl, österreichischer Minister 94, 122, 127 f., 131, 135, 137 f., 174, 179 f., 182 f., 209 ff., 222 Stackelberg, Gustav Ernst, russischer Diplomat 24, 106, 156, 177, 179, 190 Stael-Holstein, Germaine de 55, 67 Stein, Karl vom 24, 95–99, 117, 135, 163 f., 189, 209, 235 Stendhal 63, 125 Sulla 60 Tacitus 91 Talma, Francois 90, 207 Talleyrand-Périgord, Charles Maurice, französischer Außenminister 43, 61, 70, 77, 79, 89, 91 ff., 101 f., 108, 122, 126, 133 f., 136, 138, 165, 229 Thibaudeau, Antoine Claire, französischer Politiker 238 Thielmann, Johann Adolph von, sächsischer General 196 Thiers, Adolphe 215 f. Thugut, Johann Amadeus Franz von 115 Tolstoi, Leo 146 Vincent, Karl Freiherr von, österreichischer General 92, 186 Voigt, Nikolaus 108 Voltaire 90 f. Voß, Gräfi n von 170 Wagner, Richard 202 Wallenstein 188 Wellington, Arthur Wellesley, Herzog von 12, 135, 151, 242, 246 Wessenberg, Johann von, österreichischer Politiker 230 Wieland, Christoph Martin 59, 91 Wonsowicz-Dunin, polnischer Offi zier 13, 18 Yorck von Wartenburg, Johann David Ludwig, preußischer General 146, 162–165