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German Pages [236] Year 1998
Slawische Buchillustration im 20. Jahrhundert Rußland - Polen -Tschechien - Slowakei
Literarische Bilderwelten Internationale Buchgraphik in Europa und Übersee Band VI
Herausgegeben von Ulrich von Kritter und Bodo Zelinsky
Slawische Buchillustration im 20. Jahrhundert Rußland - Polen - Tschechien - Slowakei
Herausgegeben von Ulrich von Kritter unter Mitarbeit von Bodo Zelinsky
1998 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Sämtliche Illustrationen dieses Bandes stammen aus der Sammlung von Kritter. Die Bearbeitung und Drucklegung des Bandes wurde ermöglicht durch die Unterstützung der „Stiftung Buchillustration Inge und Ulrich von Kritter".
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Literarische Bilderwelten : internationale Buchgraphik in Europa und Übersee / hrsg. von Ulrich von Kritter und Bodo Zelinsky. - Köln ; Weimar ; Wien : Böhlau Bis Bd. 5 u.d.T.: Literarische Bilderwelten des 20. Jahrhunderts Bd. 6. Slawische Buchillustration im 20. Jahrhundert: Rußland-Polen-Tschechien-Slowakei. - 1998 ISBN 3-412-12497-4 Einbandabbildung: Georgij Narbut Schlußvignette: Sergej Tschechonin Umschlaggestaltung: Karin Krause Redaktion: Ulrich von Kritter, Bodo Zelinsky, Angelika Lauhus Layout und Buchgestaltung: Ulrich von Kritter Gesamtherstellung: Goltze Druck, Göttingen © 1998 by Böhlau-Verlag GmbH & Cie, Köln Für die Texte alle Rechte beim Herausgeber ISBN 3-412-12497-4
Inhalt
Ulrich von Kritter
I.
Einleitung
Rußland
Natalia Borissowskaja
3 Russische und sowjetische Buchillustration im 20. Jahrhundert
5
Buchbeschreibungen Nr. 1-1 - 1-35
12
II. Polen Maria Faas Piotr Hordynski
75 Die polnische Buchillustration von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Jahrhundertwende
77
Über die polnische Buchgraphik im 20. Jahrhundert
80
Buchbeschreibungen Nr. II-1 -11-27
88
III. Tschechien Vilem Stränsky
Blanka Stehlikova
135 Die Entwicklung der Buchkunst in den tschechischen und slowakischen Gebieten bis 1945
137
Das tschechische Buch in den letzten fünfzig Jahren
139
Buchbeschreibungen Nr. III-l - 111-20
142
IV. Slowakei Eva Sefcakova
BodoZelinsky
1
183 Buchillustration des 20. Jahrhunderts in der Slowakei
185
Buchbeschreibungen Nr. IV-1 - IV-10
188
Nachwort
207
Literaturverzeichnis
213
Kurzbiographien der russischen, polnischen, tschechischen und slowakischen Illustratoren
216
Verzeichnis der Illustratoren
233
Verzeichnis der Autoren und Buchtitel
234
Verzeichnis der Mitarbeiter
237
Einleitung Die Beschäftigung mit den Besonderheiten der Buchillustration im slawischen Kulturraum hat mehrere Ansätze: Ausgangspunkt kann das literarische Werk sein, es kann aber auch die Illustration als graphische Interpretation östlicher wie westlicher Literatur den Schwerpunkt bilden. Die Auswahl der illustrierten Texte und auch die Gestaltung der Editionen geben einen anschaulichen Einblick in die nationalen Unterschiede der vier hier vorgestellten östlichen Länder. Schon die auf das 20. Jahrhundert beschränkte Bilderschau zeigt im Vergleich mancherlei charakteristische Unterschiede, zum Beispiel wie die Verlage das lesende Publikum interessieren und anziehen wollen und welchen „Stellenwert" das illustrierte Buch in der jeweils aktuellen Umwelt hat. Das betrifft in gleicher Weise den Autor wie auch den illustrierenden Künstler, also auch die Interdependenz zwischen Ost und West. Buchgraphik verlangt eine speziell interessierte Schicht von Lesern, die sich beides wünschen: einen lesenswerten Text und eine optimale Ergänzung durch Bebilderung. Vielleicht ist noch ein weiterer Aspekt wichtig: die Verbindung von Künstlern verschiedener Nationen über die Grenzen des eigenen Landes hinaus. Abgesehen davon können Text und Bild ein Mittel offener oder versteckter Opposition gegen die gesellschaftliche oder politische Umwelt in einer Zwangssituation sein und die Möglichkeit schaffen, eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu bilden. Auch bietet die illustrierende Interpretation sich an für Historie, für grenzüberschreitende Literatur der Gegenwart oder der Vergangenheit, karikierende Heiterkeit, oder sie vermittelt eine Traumwelt, um die Gegenwart auszusperren. Dies alles ist hier in den Buchillustrationen aus Schätzen des europäischen Ostens zu finden. Weitgehend handelt es sich bei dem hier Vorgestellten um ein unbekanntes Feld außerhalb der europäischen Mitte. Das beruht nicht zuletzt auf Sprachschwierigkeiten, wenn keine Übersetzungen greifbar sind. Nur in bezug auf die Weltliteratur gilt dies nicht. Auch gibt es bisher wenig slawistische Fachliteratur zum Thema Text/Bild. Für universitäre Studien wäre dies ein ergiebiges und anregendes Thema und somit vielseitiges Hilfsmittel. Aber eine solche Arbeit, zugleich in Verbindung mit der fremden Sprache, setzt ein anspruchsvolles Interesse voraus. Zur Ergänzung und Vertiefung der Kenntnisse nationaler Eigenheiten bieten sich heutzutage, seit dem Ende des „Kalten Krieges", unbeschränkte Reisemöglichkeiten an. Wie sehr kulturelle und politische Einflüsse für die Buchillustration eine Rolle spielen, zeigen schon die wenigen hier bearbeiteten Beispiele. Die russische Bilderwelt im ersten Viertel des Jahrhunderts, die von Jugendstil und Expressionismus geprägt ist, zeugt von den engen Verbindungen und wechselseitigen Anregungen zwischen Rußland und Deutschland im buchkünstlerischen Bereich. Im Osten war es die Reaktion auf die Befreiung vom Absolutismus des riesigen Zarenreiches, im Westen ein Spiegelbild des stilkritischen Unabhängigkeitsbedürfnisses gegenüber tradierten Leistungen des vorangehenden Jahrhunderts. Die Malerin Natalja Gontscharowa als Protagonistin dieser Zeit, die in diesem Band als Illustratorin des Dichters Alexander Puschkin hervortritt, erlangte Weltruhm. Ein künstlerischer Niedergang für den Bereich der Buchillustration beginnt
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nach den Revolutionsjahren mit der kulturfeindlichen Ideologie, die auch auf die benachbarten Satelliten ausstrahlte. Die Bücherwelt wird in den Dienst der politischen Propaganda gestellt, die Lehranstalten, die um ihre Existenz kämpfen, verlieren ihr traditionelles, wissenschaftliches Profil. Künstlerisch Wichtiges aus dieser Periode zwischen beiden Weltkriegen ist in allen östlichen Ländern kaum zu finden. Nicht nur der Mangel an Anerkennung buchkünstlerischer Aktivität, auch das zunehmende geistige Vakuum im Verlagswesen verdichtet die Unergiebigkeit der amtlich geprägten Ideologie. Man sieht in den Beispielen der vier Kapitel, daß Märchenwelt und Volkskunst, z.T. im Lubokstil, sich noch am besten von politischer Bevormundung freihalten konnten, und auch der Humor hatte eine Chance, mit einer bescheidenen illustrierenden Narrenfreiheit am Leben zu bleiben. Hier zeigt sich Polens Bücherwelt besonders vielseitig, auch im Rückblick auf die Historie. Selbst für den Text der „Divina Comedia" gibt es einen karikierten Teufel. In der tschechischen Buchillustration ist eine bemerkenswerte Spannweite von psychologisch realistischer Darstellung bis zu einer malerisch textbezogenen Farbskala mit zarten konturfreien Übergängen zu beobachten. Als charakteristisch erkennt man zwar einen slawischen Ursprung, aber auch eine Nähe zur mitteleuropäischen Romantik. Man fühlt die Zugehörigkeit Böhmens zum Habsburger Imperium. Den slowakischen Bildbeispielen sieht man an, daß diese Volksgruppe es verstanden hat, sich gegenüber der aufgezwungenen Bruderschaft mit den Tschechen einen eigenen, farbenfrohen, fröhlichen und auch geheimnisvollen Stil zu bewahren. Mit einigen wenigen Strichen sollen Beispiele von Unterschiedlichkeiten in der Buchgraphik der vier slawischen Länder angedeutet werden, wie sie sich für den Sammler einer internationalen Reihe darstellen, aber nicht mit wissenschaftlichem Anspruch, sondern sozusagen impressionistisch subjektiv. Für den Kreis der Bibliophilen ist es eine weitere Etappe auf der Reise durch Europa. Die nachfolgende Bilderwelt in den romanischen Ländern wird eine kontrastierende Facette der Buchillustration zeigen. U. von Kritter
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Großartig in ihrer technischen Perfektion sind die Silhouetten von Lew (Leon) Bakst, dem wichtigsten Künstler der Zeitschrift, - leicht und elegant wie über das Blatt geworfene Brüsseler Spitzen. Die Linienführung seiner Zeichnungen steht deutlich unter dem Einfluß von Aubrey Beardsley, der sich überhaupt im Werk von Bakst stärker als bei dessen Kollegen bemerkbar macht. Von Bakst stammt auch das Emblem des Journals (Abb. 1), das symbolisch dessen Programm zum Ausdruck bringt: „Mir iskusstwa" steht über allem Irdischen, bei den Sternen, thront dort erhaben, geheimnisvoll und einsam wie ein Adler auf schneebedecktem Berggipfel. Bei Alexander Benois, dem früheren Ideologen der Gruppe, geht die kunstfertige Ornamentik der Zeichnung, die in ihrer linearen Raffinesse eine ganze Welle stilistischer Assoziationen hervorruft, mit der feinen Rhythmik des Druckbilds eine Symbiose ein. Der hochentwickelte ästhetische Geschmack der einzelnen Künstler, ihre kulturelle Vielseitigkeit und ihr reines Stilempfinden drängten sie geradezu zum Theater und zur Buchkunst - Bereiche, in denen sie auch sehr erfolgreich waren.
Natalia Borissowskaja
Russische und sowjetische Buchillustration im 20. Jahrhundert Der erste Anstoß zur Begründung und Entwicklung der modernen russischen Buchgraphik ging von den Künstlern der Gruppe „Mir iskusstwa" (Welt der Kunst) aus. Diese Künstlervereinigung entstand um die Jahrhundertwende aus einem Freundeskreis junger Petersburger, der „Pickwicker vom Newskij". „Mir iskusstwa" war gleichzeitig auch der Name der von der Gruppe herausgegebenen Zeitschrift und ihrer Ausstellungen. Unzufrieden mit dem zeitgenössischen Kunstleben in Rußland, begabt und mit einem wachen Interesse an der Geschichte der Malerei, der Literatur und Musik, der Philosophie und des Theaters, vor allem jedoch an der neuesten europäischen Kunst, wurde die Gruppe bald tonangebend im russischen Kulturleben. Der Begründer der berühmten „Ballets Russes", Sergej Diaghilew, schloß sich den Pickwickern frühzeitig an und wurde leitender Herausgeber der Zeitschrift. Die jungen Künstler und Kritiker vertraten eine neue Ästhetik, neue schöpferische Grundsätze und Ideen. Ihre Zeitschrift markierte eine neue Etappe in der Kunstkritik und Kunstgeschichte des Landes und nicht zuletzt auch in der russischen Buchgestaltung. Kunst, Literatur und Design - diese weit gespannte Ausrichtung teilte die Zeitschrift „Mir iskusstwa" mit vielen europäischen Publikationsorganen jener Zeit. Die bewußte Nachahmung bereits existierender Vorbilder, zum Beispiel des englischen „Studio", der französischen „Plume", des Wiener „Ver sacrum", des Berliner „Pan" und natürlich des Münchner „Simplicissimus" (gerade er wurde zum Paradebeispiel erkoren), verhalf dem Journal zu baldiger Reife. Die Herausgeber waren bestrebt, sich bei der Aufmachung an die für den modernen Buchdruck richtungweisende Konzeption des Engländers William Morris (1834-1896) zu halten, die auch vom deutschen Jugendstil aufgegriffen worden war: Danach sollte das Buch ein Kunstwerk, ein homogener Organismus aus gleichwertigen Komponenten sein. Die besondere Aufmerksamkeit der Redaktion galt daher der Aufmachung und drucktechnischen Ausführung. Die Zeitschrift erschien in Lettern aus den Zeiten der Zarin Elisabeth (18. Jahrhundert) mit einem Druckbild von erstaunlicher Klarheit und Prägnanz. Prachtvoller Randschmuck im Verein mit der Kalligraphie von Vignetten, Initialen und Kopfleisten am Buchund Kapitelanfang - so präsentierten sich die einzelnen Buchseiten. Alle Elemente der Buchgestaltung ordneten sich dem Prinzip der stilistischen Einheit unter. In der Aufmachung bildete sich ein eigentümlicher passeistischer" Stil heraus, der sich in mancherlei Hinsicht an barocken und klassizistischen Mustern des Buchschmucks orientierte.
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Abb. 1
Im ewigen Streit darüber, welchen Platz der Illustrator neben dem Buchautor einnehmen soll - ob er Mitautor oder nur eine Stimme des Autors ist, ob er, wie es der Dichter Wassilij Shukowskij über den Übersetzer sagte, „Sklave" ist oder „Konkurrent" schrieben sich die Künstler von „Mir iskusstwa" eine andere Rolle zu: nicht die des Interpreten, sondern des Dekorateurs, dem die stilistische, schmückende, ja ornamentale Einheit der ganzen Ausgabe oblag.
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zu einer Blütezeit in der Buchgraphik. Eine neue Ästhetik des Buches war geboren, sogar das Verhältnis zum Buch änderte sich. Entsprechend einem der wichtigsten Programmpunkte von „Mir iskusstwa", der Gesellschaft Kultur und künstlerischen Geschmack beizubringen, galt das Buch fortan als ein graphisches und verlegerisches Gesamtkunstwerk.
Abb. 2
Es gab im Schaffen der Künstlergruppe ein Lieblingsthema, von dem alle Mitglieder leidenschaftlich ergriffen waren: ihre Heimatstadt Sankt Petersburg. Für Alexander Benois und seine Freunde wurde sie zum Symbol für die klassische russische Kultur. Mit dieser Vorliebe standen sie im Gegensatz zu vielen anderen Menschen des vergangenen Jahrhunderts, wie bespielsweise den nichtadligen, intellektuellen „Rasnotschinzy"-Schriftstellern, die in Petersburg eine kalte und feindselige Beamtenund Bürokratenstadt sahen. Das Pathos der ästhetischen Rehabilitierung der alten, aristokratischen, vorbürgerlichen Stadt brachte, gemischt mit historischer Sentimentalität, erstaunlich schöne Ausgaben hervor, wie den Stadtführer durch Petersburg von Walerij Kurbatow mit Holzdrucken von Anna Ostroumowa-Lebedewa (Abb. 2) oder die Illustrationen von Alexander Benois zum „Ehernen Reiter" von Alexander Puschkin (Abb. 3). Die für Benois programmatische Arbeit, die von einem Kenner als das „Hauptereignis der Gruppe ,Mir iskusstwa' vom Anfang bis zum Ende ihres Bestehens" bezeichnet wurde, entsprach in ihrer emotionalen Komplexität und inneren Dramatik in höchstem Maße der gespannten Atmosphäre in Puschkins Poem. Was die künstlerische Innovation angeht, eröffnete der „Eherne Reiter" eine neue Etappe in der russischen Buchillustration: Es war der erste konzeptionell durchdachte und ästhetisch sinnvoll gestaltete ganzheitliche Illustrationszyklus im modernen russischen Buchwesen. Vielleicht ist es kein Zufall, daß eine dieses Konzept weiterentwickelnde Illustrationsfolge von Mstislaw Dobushinskij gleichfalls Petersburg gewidmet war. Gemeint sind die Illustrationen zu Dostojewskijs „Weißen Nächten" (Abb. 4): Schwarze Silhouetten lassen Visionen von der metaphysisch grübelnden Stadt entstehen; das Weiße der Buchseite verwandelt sich dagegen in das gespenstische Schimmern der weißen Nächte.
Abb. 3
Paradoxerweise haben erst die Futuristen, die künstlerischen Antipoden der Gruppe „Mir iskusstwa", deren Konzept vom Buch als einheitlichem Organismus mit letzter Konsequenz verwirklicht. In dem bemerkenswerten Phänomen der avantgardistischen, ganzheitlichlithographischen Bücher wurde das Prinzip der formalen Einheit bis zum Äußersten getrieben. Nicht nur die Illustration, sondern auch der Text selbst wurde vom Künstler, der manchmal zugleich auch Autor war, gestaltet. Details wie der typographische Schmuck beim traditionellen Buch wurden von vornherein ausgeschlossen. Ein Schriftsatz, bei dem die Lettern „in Reih und Glied gestellt und alle gleichermaßen farblos-grau" seien, beraubte nach Meinung der Schöpfer solcher Bücher das poetische Wort seiner graphischen Individualität. Selbstverständlich konnte ein derartiges Phänomen nur in einem Milieu entstehen, in dem die Künstler zugleich Dichter waren und die Dichter auch zeichneten. In der Tat können die Maler Michail Larionow, Olga Rosanowa, Pawel Filonow, Kasimir Malewitsch, Jelena Guro und David Burljuk gleichermaßen als Literaten und Künstler gelten.
Durch die Aktivitäten von Alexander Benois, Leon Bakst, Konstantin Somow, Jewgenij Lanzeraj, Mstislaw Dobushinskij u.a. wandelte sich das Erscheinungsbild des Buches allgemein. Der Künstler wurde bei Buchausgaben jeder Art - seien es populäre, bibliophile oder wissenschaftliche Ausgaben - ein unverzichtbarer Mitarbeiter, Herausgeber und Verlage waren bereit, sich von den neuen Prinzipien der Buchgestaltung leiten zu lassen. So führte die Regsamkeit eines Kreises von Enthusiasten
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Überschriften, die zum Bestandteil der Abbildung wurden (ein Verfahren, das für den Volksbilderbogen typisch ist), war ein Widerhall von archaischen, uralten Kulturen herauszuhören, und gleichzeitig fand eine Suche nach verbalen und bildhaften Archetypen statt. Die Bedeutung, die der handschriftlichen Zeichnung, ihrem willkürlichen Rhythmus und den gedrängten oder freien Zeilenabständen beigemessen wurde, und die Bewertung der Spontaneität als wichtigstes Merkmal des Schaffensprozesses griffen den Ansichten der Surrealisten weit voraus. Bemerkenswert ist, daß die russischen Futuristen im Gegensatz zu ihren italienischen Kollegen der Maschinenzivilisation und dem Maschinenkult gegenüber gleichgültig blieben. Erst die folgende, nachrevolutionäre Generation von Künstlern und Ingenieuren geriet in den Bann der Maschine. Sie war geradezu berauscht von der Produktivität der Technik und von ihrer revolutionären Rolle bei der Erweiterung der Möglichkeiten des Menschen und der Veränderung seiner Mentalität. Der Konstruktivismus profanisierte die Kunst, führte sie zurück in die Alltäglichkeit, drückte sie auf ihr funktionelles Niveau herab. Das Ergebnis des künstlerischen Schaffens war nun nicht mehr ein Kunstwerk, sondern ein Gegenstand. Wörtlich „Gegenstand" (Weschtsch) hieß auch die erste konstruktivistische Zeitschrift, die El Lissitzky und Ilja Ehrenburg in Berlin herausgaben. Während früher die Aufmachung eines Buches - das künstlerische Ornament, der Schriftsatz, die Illustration - seine gegenständliche Natur maskierten, sie verbargen, waren die Konstruktivisten bestrebt, sie zu entblößen und die funktionale, utilitäre und rational-technologische Zweckmäßigkeit des Buches hervorzuheben. So entstand das charakteristischste und vielleicht beste Buch von El Lissitzky, der Majakowskij-Gedichtband „Für die Stimme", ein Nachschlage-Büchlein, dessen Effekt trotz gewisser traditioneller künstlerischer Züge ausschließlich mit polygraphischen Mitteln erzielt wurde (Abb. 6).
Abb. 4
Die ersten gänzlich lithographierten Ausgaben erschienen 1912 auf Initiative des Dichters und Zeichners Alexej Krutschonych. Ihr stark ausgeprägtes Bestreben, das Publikum zu brüskieren, war offenkundig - billiges, rauhes, graues Papier und Kartoneinbände mit grellen Collagen betonten ihre gewollte Anti-Ästhetik, ihre AntiBürgerlichkeit (Abb. 5). Die Herausbildung einer neuen Stilistik ist jedoch nicht nur am veränderten Erscheinungsbild des Buches zu erkennen, das Illustrieren wurde vielmehr grundsätzlich in Frage gestellt. Allein durch die Abkehr von der traditionellen Methode der Textbegleitung, durch die Hinwendung zum Prinzip einer nichtwiderspiegelnden Darstellung, zum Prinzip der Gegenstandslosigkeit zeigte sich die Buchgraphik imstande, in ein qualitativ neues Verhältnis zum Wort zu treten. Zwei Bildreihen - die verbale und die visuelle - verschmolzen zu einer Einheit. David Burljuk sagte: „Wir begannen, die Wörter entsprechend ihrem visuellen und phonetischen Charakter mit Inhalt zu füllen." Bei all ihrem erklärten Avantgardismus waren die Futuristen aber auch nicht frei von einem gewissen „Passeismus". Ihre lithographierten Bände hatten etwas von der Harmonie der wie aus einem Guß gedruckten Bücher aus der Zeit vor Gutenberg an sich. In der sich am Klangbild orientierenden Schreibweise, die sich zuweilen in eine Art Piktogramm verwandelte, mit Texteinschüben und
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Abb. 6
Die Form des „visuellen Buches" beruhte, entsprechend seiner spezifischen Funktion, auf dem Wechselspiel von Schrift und einzelnen Buchstaben, auf der ausgeklügelten Wechselwirkung von Graphik und Rhythmus der Schrifttypen und der akzentuierenden Verwendung von Rot. All diese Mittel entsprachen in höchstem Maße der Stilistik und dem Geist der Dichtung Majakowskijs. Das Credo des Designers El Lissitzky lautete: „Unsere Palette ist die modern ausgerüstete Druckerei." Die Zeitschrift „LEF" (Lewyj front iskusstwa - Linke Kunstfront)
sprach ihm nach: „Die Illustrationsweise der Montage von gedrucktem und photographiertem Material macht jede künstlerisch-graphische Illustration sinnlos." Diese neuen Ausdrucksmittel - Schrifttypen, Drucksatz und Photographie - erreichten unter der geschickten Handhabung Alexander Rodtschenkos eine gewaltige Kraft. Seine Photomontagen für die Bücher Majakowskijs (Abb. 7) ließen hyperbolische oder emotional-lyrische, in jedem Fall textnahe Bilder entstehen. Seine Bucheinbände (Abb. 8) - meist ein Konglomerat aus Schriftsatz, Photomontage und auf dem Kontrast von zwei bis drei Farben beruhender, graphischer Gestaltung - definierten die konstruktivistische Stilistik im Buchdesign. Im Grunde beruhte die neue Richtung auf der Analyse, der Fragmentierung und Absonderung vom Ganzen, auf der Aussonderung einzelner Mittel und ihrer Hyperbolisierung, d.h. auf einer „destruktiven" Grundlage. Die Abkehr von alten Normen führte zur Aufstellung neuer, höchst rigoristischer Regeln.
Der^o'nstruktivismus erwies sich als kurzlebig. Die Krise der Avantgarde war unvermeidlich, da eine Kunst, die auf dem Rationalismus, dem Technizismus und einer illusionären Sozialutopie beruhte, beim Zusammenprall mit der vielschichtigen Wirklichkeit ihre Möglichkeiten ziemlich bald erschöpfte. Die Stilkrise fiel zeitlich in die Atmosphäre des sich im Land verhärtenden TotalitarisAbb. 7
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nachlassender Energie das ganze Buch hindurch einen gewissen Rhythmus zu bewahren, hier beschleunigend, dort durch gleitende Übergänge verlangsamend", wie eine der grundsätzlichen Forderungen, die Wladimir Lebedew seinen Kollegen stellte, lautete, wobei er die Eigentümlichkeiten des einzelnen Künstlers keineswegs beschränken wollte.
mus, der in der Kunst zur Gleichmacherei und zu einem direkten Verbot formaler Experimente führte. Zu Beginn der zwanziger Jahre war das Kunstleben aber noch recht bunt, und erst anfangs der dreißiger Jahre wurde dieser Buntheit der Richtungen und künstlerischen Gruppierungen durch den berüchtigten Beschluß des Zentralkommitees der Kommunistischen Partei „Über die Reorganisation künstlerischer Organisationen" (1932) der Garaus gemacht. Alle künstlerischen Vereinigungen wurden aufgelöst und statt dessen zwei monolithische Verbände gegründet: der Sowjetische Künstlerverband und der Sowjetische Schriftstellerverband. Die Lage im Buchwesen war noch relativ günstig, weshalb viele Maler und Graphiker, der freien Schaffenskraft beraubt, ihre Zuflucht beim Buch suchten, ähnlich wie Schriftsteller und Dichter sich in die Übersetzung flüchteten. Diese Kunstarten galten den Behörden als „zweitrangig" und wurden folglich einer weniger strengen Kontrolle unterzogen.
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Die russische Schule der Illustration in sowjetischer Zeit war, wie man sehen kann, von Anfang an höchst vielseitig. Im Laufe der Geschichte der Sowjetunion lassen sich im Buchdesign für die einzelnen Jahrzehnte keine dominierenden Tendenzen im Wechsel der Stile feststellen. Die Wurzeln der meisten Stilrichtungen, die sich in vielen Fällen parallel zueinander entwickelten, reichen bis in die zwanziger Jahre zurück. Mit einer gewissen Einschränkung lassen sich beim Buchschmuck neben der erwähnten konstruktivistischen zwei weitere Entwicklungsrichtungen feststellen: die Illustration als Zeichnung und als Gravur. Die Tradition der Illustrationszeichnung setzte die jüngere Künstlergeneration von „Mir iskusstwa" fort - Sergej Tschechonin (Nr. 1-17 und 1-18), Georgij Narbut (Nr. 1-19 und 1-23), Dmitrij Mitrochin (Nr. 1-31), außerdem die Künstler aus dem Umfeld des Leningrader Kinderbuchverlages Detgis, der hervorragende Kinderbücher herausbrachte. Der Verlag beschäftigte ganz unterschiedliche Künstler: den Schriftsteller und Tiermaler Jewgenij Tscharuschin; Jurij Wasnezow (Nr. 1-25), einen großartigen Koloristen, dessen Bilder der Volkskunst nahestehen; Wladimir Lebedew, einen bekannten Illustrator von Kinderbüchern und Mitarbeiter der Zeitschrift „Satirikon", in dessen Arbeiten äußerste Klarheit, plastisches Denken, Energie und konstruktive Einfachheit in der Farbgebung ihren Ausdruck finden; die Anhänger der von Pawel Filonow begründeten analytischen Schule, Pjotr Sokolow, Alissa Poret und Tatjana Glebowa; und den unermüdlichen, erfindungsreichen Erzähler von Bildgeschichten Wladimir Konaschewitsch. Ein neuer Typ unterhaltsamer „Lernbücher" entstand (Abb. 9), in dem das Bild aus Wort und Darstellung zusammengesetzt ist.
Abb. 9
In Moskau legten die Künstler der Gruppe „Dreizehn" interessante Arbeiten vor: Nikolaj Kusmin (Abb. 10), Wladimir Milaschewskij und Tatjana Mawrina kultivierten eine freie künstlerische Strichzeichnung, die einen lebendigen, unmittelbaren Eindruck vom Gesehenen bewahrte und ein Gefühl für das eigentliche Tempo der Zeichnung vermittelte, eines Tempos, das mit dem Rhythmus des im Bild erfaßten Lebens scheinbar übereinstimmte.
Abb. 10
In dieser Zeit verbreitete sich in der Massenliteratur immer stärker die rein nacherzählende, in realistischer Manier meist in schwarzem Aquarell ausgeführte Illustration. So arbeiteten Sergej Gerassimow, die „Kukriniksy" (Nr. 1-22) und viele andere. Dieser konservative Illustrationstyp, der die Besonderheiten des Buches nicht berücksichtigt und eher einer freien Zeichnung ähnelt, wurde zwischen 1930 und 1950 leider dominierend. Dies geschah nicht nur, weil er offiziell gefördert wurde. Mit der Durchführung von Bildungsprogrammen im Land dehnte sich der Kreis der Leser und im weiteren Sinne
Der Einfluß des Künstlers war so groß, daß sich zuweilen sogar die Reihenfolge der Arbeitsabläufe änderte. Nicht der Künstler illustrierte einen schon fertigen Text, sondern erst seine Skizzen gaben dem Dichter oder dem Schriftsteller den poetischen Impuls. Das Buch sollte ein in sich geschlossener, konstruktiv gestalteter Organismus sein, wobei es als unerläßlich galt, „bewußt und mit nicht
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fen und durch Endvignetten ins Gleichgewicht gebracht. Gleichzeitig leitet das in sich geschlossene System des Dekors vom bedruckten Raum zur weißen Fläche des Blattes über. Alle Strukturelemente des Buches sind bei Faworskij inhaltlich bedeutsam, jedes hat seine Aufgabe. Er sagte einmal über andere Buchkünstler: „Sie machen Illustrationen, ich aber mache Bücher."
der Kulturkonsumenten aus. Der traditionell hohe Rang der Literatur in der russischen Kulturhierarchie hatte zur Folge, daß die Literatur für diese „neugebackenen" Leser zum Spiegelbild oder gar „Lehrbuch" des Lebens wurde. In diesem Fall hatte die Illustration keinen Bezug mehr zum Text, sondern zum Leben selbst, am Text und an der sich in ihm widerspiegelnden Realität vorbei. Die Kultur der Textrezeption und der künstlerischen Form mußte dem Druck der Popularisierung der Kunst einerseits und dem Druck der einzig erlaubten Stilistik, der bedingten Glaubwürdigkeit des sozialistischen Realismus andererseits, nachgeben.
Auch als reiner Illustrator bleibt Faworskij ein unübertroffener Meister. Für jedes Buch, für jeden Autor entdeckte er im Holzdruck neue Ausdrucksmöglichkeiten und schuf Graphikserien, die in ihrer Bedeutsamkeit zum Teil den Text übertreffen. Faworskij illustrierte nicht ein Sujet, das Wichtigste am Buch war für ihn vielmehr das Weltempfinden, das einem gegebenen Werk jeweils eigen ist, und für jedes einzelne fand er eine besondere Weise, die Beziehung von Held und Umwelt, von Raum und Mensch zu übertragen. Der Raum war für ihn eine philosophische Kategorie, die er mit zusätzlichem Sinn erfüllte. Niemals bildete er einen illusionären Raum ab, der den Buchumfang oder die Fläche der Buchseite sprengte, sondern gestaltete den geistigen Raum des Kontextes.
In der Moskauer Schule nahm der Holzdruck, die älteste und dem Buch am meisten entsprechende Technik, die sich natürlich und organisch mit dem Buchdruck und allen anderen Elementen des Buches verbindet, den zentralen Platz ein. Die führende Rolle im Holzdruck spielte das Universalgenie Wladimir Faworskij mit der von ihm begründeten Schule (Nr. 1-13). Die Wiederbelebung des Holzdrucks nach fast drei Jahrhunderten seines Niedergangs und die Anhebung dieser Technik auf das Niveau hoher Kunst ist das Verdienst Faworskijs, der ein umfangreiches künstlerisches und theoretisches Erbe hinterließ. Die von ihm im Laufe seines langen Lebens erarbeiteten Grundsätze der Drucktechnik und der Kunst bilden ein in sich schlüssiges System.
Faworskij war der Begründer einer großen Schule; mehrere Generationen von Buchkünstlern waren zu verschiedenen Zeiten seine unmittelbaren oder geistigen Schüler. Wenn seine theoretischen Ansichten für ihn selbst Grundlage eines Schaffens waren, das im wesentlichen in der Verwandlung von subjektiven Empfindungen in eine objektive Vorstellung bestand, so verwandelten sie sich für viele andere in eine Sammlung von Dogmen. Der Künstler pflegte zu sagen, daß er Gesetzmäßigkeiten lehrte, aber viele sie sich als Regeln vorstellten".
Faworskij setzte sich von allen großen Buchkünstlern als erster das Ziel, ein Buch zu schaffen, bei dem alle Elemente eine komplexe Einheit bilden und dessen Illustrationen und Ornamente den Rhythmus und die Logik des Lesens bestimmen sollten. Er faßte das Buch architektonisch auf, baute es logisch, räumlich und ästhetisch vollendet auf. Der Begriff des „Buchmodells", ohne den heutzutage kein Verleger mehr auskommt, wurde von Faworskij eingeführt. Er definierte das Buch als „eine bildhafte Darstellung eines in der Zeit ablaufenden literarischen Werkes durch räumliche Mittel". Der Zeitfaktor diktiert eine räumlich-dynamische Auffassung der Buchstruktur. Die Aufgabe des Künstlers ist es dabei, die Gespaltenheit des Buches zu überwinden: Der Gegenstand muß demnach nur entdeckt werden, und schon eröffnen sich seine innere Welt und sein literarischer Raum. Gerade deshalb ist im Buch der Einband so wichtig, der den Übergang von der äußeren Welt in die innere Atmosphäre des Werks vollzieht. Schon mit dem Titel beginnt der Weg nach innen. Unterschiedliche Rollen spielen die linke und rechte Buchseite. Die rechte ist dynamischer - beim Umblättern der rechten Seite vollzieht sich im Buch eine Bewegung , die linke ist statisch. Deshalb meinte Faworskij, daß Illustrationen, die eine aufmerksame Betrachtung verlangen, sich auf der linken Seite befinden sollten, während Bestandteile des Buches, die den Text untergliedern, wie Titelblatt, Überschriften, Kopfleisten, Endvignetten, vorzugsweise rechts zu positionieren seien. Bewegung entsteht aus der Horizontalen und der Vertikalen, der Zeilenanordnung und der Form des Druckblockes. Diese horizontal-vertikale Bewegung wird von Anfangsvignetten aufgegrif-
Was ist unter einer Tendenz in der Buchgraphik zu verstehen? Es ist wohl eine Verwandtschaft des schöpferischen Impulses, eine geistige Nähe beim verständigen Aufnehmen der Literatur, die die Meister verschiedener Generationen miteinander teilen; eigentlich sind es die Tradition und Kontinuität in der Kunst. Man kann dabei eine Richtung der „Lebensnähe" erkennen, des Glaubens an die Realität der vom Schriftsteller geschaffenen Welt. Zu ihren Anhängern gehören Künstler wie Dmitrij Schmarinow, Sergej Gerassimow, Jewgenij Kibrik, Wladimir Minajew (Nr. 1-21), denen die klassische Literatur, besonders die russische, am nächsten war. Künstler, die virtuos in einer freien malerischen Weise zeichnen, die imstande sind, eine besondere emotionale Atmosphäre zu gestalten, stehen meistens einer Literatur anderer Art näher: Drama und Lyrik, der undefinierbaren Welt der Romantik und der Phantastik. Unter ihnen finden wir Wladimir Bechtejew, Alexej Krawtschenko, Nikolaj Kusmin, Alexander und Walerij Traugott (Nr. 1-32 und 1-33), Witalij Piwowarow und Nikolaj Popow. Daneben steht die Gruppe der LiteratenKünstler, angefangen bei Wladimir Majakowskij und Alexander Dejneka bis hin zu den ihre Linie fortsetzenden Anhängern des „strengen Stils" - Lew Brodata, Dmitrij Biksti, Boris Markewitsch.
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Folge von Graphiken, die quasi außerhalb des Buches existierten. Solche Extreme zu vermeiden, gelang nur wenigen Künstlern wie Alexander Koschkin (Nr. 1-14) und Nikolaj Popow. Trotz aller äußeren Anzeichen des Gedeihens der Buchkunst in Rußland zu Zeiten der Sowjetunion - hohe Auflagen, eine bedeutende Anzahl von Neuerscheinungen, internationale Anerkennung und Auszeichnungen - geriet das Genre zunehmend in eine Krise.
Die poststalinistischenTauwetterjahre gegen Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre brachten das verbotene kulturelle Erbe wieder zum Vorschein. In der Buchkunst dominierte nun das Bestreben, zu den Quellen zurückzukehren, nach den Wurzeln zu suchen. Eine Begeisterung für das Alte breitete sich aus, das im Vergleich zum Zeitgenössischen prononcierter und aktueller erschien. Die Rückbesinnung auf das Vergangene rief gleichzeitig eine stärkere Selbsterkenntnis des Genres hervor und erweiterte das Aufgabenfeld des Illustrators. Nicht die hinter dem zu illustrierenden Text stehende Wirklichkeit, sondern seine formalen Besonderheiten, der literarische Stil des Autors wurden zum Gegenstand seiner Aufmerksamkeit. Nach den Worten eines Kritikers war „das Buch keine Sache, die man sieht, sondern durch die man hindurchsieht". Schon bald wurden die entdeckten Mittel unbarmherzig vervielfältigt. Es entstand eine Menge höchst professioneller, eleganter und technisch makelloser, jedoch kalter Arbeiten, die sogenannte „zusammengesetzte Illustrationen" imitierten, indem sie deren äußere Merkmale stilisierten: eine komplizierte, irrationale Raumaufteilung, ein Nebeneinanderstellen von zeitlich auseinanderliegenden Handlungen und von Gegenständen verschiedener Größenordnungen, ein Übermaß an Allegorien. Die Versuche, die literarischen Vorlagen verstärkt assoziativ-metaphorisch zu behandeln, führten in der Buchillustration zu einer eigenartigen Distanzierung vom Buch. Die Literatur gab lediglich den Anlaß und wurde ein Vorwand für die Anfertigung einer
Nach dem Zerfall der Sowjetunion befindet sich Rußland in einer Phase tiefgreifender politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Umwälzungen. Die Frage nach der weiteren Entwicklung der russischen Buchgraphik, nach dem Verhältnis zwischen Bild und Text, zwischen Illustrator und Autor stellt sich daher heute im Schatten dieses Umbruchs, der auf das Verlagsund Buchwesen und auf die Kunst insgesamt erheblichen Einfluß hat. Viele russische Verlage - und mit ihnen viele Illustratoren - sind in finanzielle Not geraten, und der Buchmarkt wird von westlicher Massenliteratur niedrigsten Niveaus überschwemmt. In dieser turbulenten Zeit ist es schwierig, längerfristige künstlerische Tendenzen in der russischen Buchillustration auszumachen. Solche Strömungen werden wohl erst in einer Phase der Konsolidierung im nachhinein sichtbar werden. Übersetzung aus dem Russischen vonXenia Werner
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ließ Wladimir mit Unterstützung byzantinischer Priester Massentaufen für das Volk veranstalten und ordnete gleichzeitig die Entfernung der heidnischen Götterbilder an. Die Statuen wurden auf Wladimirs Befehl vor versammeltem Volk von ihren Sockeln gestoßen, mit Stangen geschlagen, teils zerhackt und verbrannt, teils von Pferden geschleift und zuletzt in den Dnjepr geworfen. An der Stelle der einstigen Idole ließ der Fürst die Kirche des Heiligen Basilius errichten, der später viele weitere Kirchen in Kiew folgten. Wladimir, so die Chronik, habe in der Folgezeit noch mehrere erfolgreiche Kriege und persönlich ein gottgefälliges Leben geführt.
1-1 Metschew, Mjud Powest wremennych let (Chronik der vergangenen Jahre, auch: Nestorchronik) Übersetzung in die russische Gegenwartssprache von D. Lichatschow Mit Acrylschnitten illustriert von Mjud Metschew Petrosawodsk, Karelia, 1991 191 S„ 4°, OKLdr., vom Künsüer signiert „M.M.91" Abb. S. 61, 83
Die „Nestorchronik", ein Werk altrussischer Geschichtsschreibung, berichtet von Geschehnissen aus der Zeit der Kiewer Rus: von der Gründung Kiews im 7. bzw. 8. Jahrhundert, von der Ankunft der Waräger in Rußland im Jahre 862, von den Streitigkeiten und Kämpfen zwischen den russischen Fürsten um die Jahrtausendwende, von der Taufe des Großfürsten Wladimir und der Einführung des Christentums im Jahre 988. Sie berichtet auch vom Bau der Kirchen und Festungen, von den Kriegen Kiews gegen Byzanz und von den Kriegen der Russen gegen ihre Nachbarstämme im Osten, von Bränden, Verwüstungen und anderem.
Die Illustrationen des Graphikers Mjud Metschew geben Inhalt und Zeitgeist der Chronik in thematisch sorgfältig ausgewählten Bildern wieder. Der Künstler greift dabei Einzelheiten auf, die offenbar auch der Chronist für besonders wichtig gehalten und entsprechend ausführlich dargestellt hat. Hierzu gehören die Illustrationen zu den für die heidnischen Götter in Kiew errichteten Holzstatuen (Abb. rechts unten). In Metschews Gestaltung tragen die Holzidole vornehmlich häßliche und bedrohliche Züge. Sie entsprechen damit historischen Vorbildern, aber auch einer spezifischen Funktion solcher Gottheiten in der Zeit um die Jahrtausendwende. In dieser Zeit war das Christentum bereits nach Rußland eingedrungen, und das demonstrative Aufstellen der Idole sollte die Betrachter davor warnen, sich von den alten Gottheiten loszusagen und die alten Normen und Glaubensvorstellungen zu mißachten. Sie sollten wohl auch die geltende hierarchische Ordnung und die Autorität der Fürstenherrschaft festigen.
Die Chronik wurde um 1113 vermutlich von dem russischen Mönch Nestor im Kiewer Höhlenkloster Feodossi in altrussischer Sprache als ein für die Zeit ungewöhnlich umfangreiches (in neueren Ausgaben einige hundert Seiten umfassendes) Schriftstück niedergeschrieben. Der Verfasser hat hier sowohl Aufzeichnungen früherer Berichterstatter als auch Volkserzählungen und Legenden festgehalten. Er hat dieses Material als Geistlicher der russisch-orthodoxen Kirche unter Verwendung von Zitaten aus der Bibel und zugleich als Geschichtsschreiber des jungen, sich entwickelnden Feudalstaates Kiew in einer beeindruckenden poetischen Bildersprache wiedergegeben.
Die Slawen verbanden mit den Gottheiten aber nicht nur Furcht und Schrecken vor ihrer Macht oder ihrem Zom, sondern auch Vorstellungen von ihren den Menschen nützlichen Kräften. In der Chronik werden die Namen von sechs Gottheiten genannt: Perun, als Hauptgott der Slawen, Gott des Donners und der Blitze, Schutzgott der Fürsten und ihrer Truppen (in der Chronik heißt es, die Statue habe einen silbernen Kopf und einen goldenen Bart gehabt), Chors, Gottheit der Sonne und Spenderin des Lichts, Dashbog, Spender des Heils, Stribog, Gott der Winde und der Stürme, Simargl, Gottheit der Setzlinge, der Wurzeln und Samen, und Mokosch, Göttin der Erde und der Fruchtbarkeit. Die Statuen erheben sich in Metschews Darstellung über den Häusern der Stadtbürger als Symbole einer unheimlichen Macht. Der Illustrator hat diese Wirkung differenziert gestaltet und sie vor allem in der Haltung der umstehenden Betrachter zum Ausdruck gebracht. Die Personen im Vordergrund, in geschmückte Gewänder gekleidet, kommen anscheinend aus den Kreisen der Patrizier, sie nehmen den Göttern gegenüber eine zwar devote, letztlich aber selbstbewußte und feierliche Haltung ein. Die Leute aus dem gewöhnlichen Volk wiederum halten sich im Hintergrund auf, suchen sich ängstlich hinter den Rücken der Vornehmen zu verstecken. Das Bedrohliche der Standbilder bezieht das einfache Volk anscheinend in erster Linie auf sich.
Einen Schwerpunkt der Chronik bilden Ereignisse aus der Herrschaftszeit des Großfürsten Wladimir (9801015) sowie Begebenheiten, die sich an die Christianisierung Rußlands knüpfen. Der Chronist überliefert in mehreren ausführlichen Abschnitten die Erwägungen und Anlässe, die den Großfürsten zur Einführung des Christentums bewogen, aber auch seine Zweifel. Dabei wird ein insgesamt zwiespältiges Bild des Herrschers vermittelt. Vor der Annahme des Christentums erscheint er als Despot, danach aber als weiser Fürst, der für das Wohl des Kiewer Rußland gewirkt hat. So wird geschildert, wie Wladimir bei seinem Machtantritt (980) in hinterhältiger Weise seinen Bruder umbringen ließ, welch ausschweifendes sexuelles Leben er führte, wie er noch kurz vor der Einführung des Christentums auf einem Hügel in Kiew große Holzstatuen heidnischer Götter aufstellen ließ, denen Menschenopfer dargebracht werden sollten, und wie er jene grausam bestrafte, die sich der Opferung widersetzten. Doch unmittelbar nach seiner Taufe (die er längere Zeit hinausgezögert hatte)
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Die rechte Abbildung zeigt das Ende dieser Macht. Das Bild wird von Unruhe beherrscht: Die alte Ordnung ist ins Wanken geraten. Die Götterfiguren erscheinen jetzt isoliert, nicht mehr von der Stadt eingerahmt wie auf dem ersten Bild. Die Statue des Perun stürzt ins Nichts. Die Stadtbürger Kiews fliehen angesichts des Göttersturzes in geschlossener Schar. Ihre Ehrfurcht haben sie eingebüßt, sie sind nur noch von Furcht erfüllt. Metschew hat jene Situation eingefangen, die in der Chronik wie folgt beschrieben wird: Groß bist Du, Herr, und wunderbar sind Deine Werke! Gestern erst wurde er [Perun] verehrt, heute wird er geschmäht. Als er gewälzt wurde zum Dnjepr, wurde er beweint von den Ungläubigen, denn sie hatten die heilige Taufe noch nicht empfangen. Und als sie ihn herbeigeschleift hatten, stürzten sie ihn in den Dnjepr... Die Erschütterung über den Wandel der Zeiten, die im Bericht des Chronisten spürbar wird, hat der Illustrator in einprägsamer Weise nachgestaltet. Metschews Illustrationen zur „Nestorchronik" enthalten Elemente byzantinischen Formengutes, teilweise auch russischer Ikonenmalerei. Die dekorativ und feierlich starr wirkenden Darstellungen korrespondieren mit dem Gestus und der Intention des Chronisten, historisch Bedeutsames zu überliefern. Sie vermitteln nicht nur Ereignisse aus der russischen Geschichte schlechthin, sondern auch einiges vom Geist der Epoche, den sozialen Beziehungen, den Anschauungen und Haltungen vor einem Jahrtausend.
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1-2 Noskow, Wladimir
Kirche vielen Künstlern darum, den eigenen Wert jeder Nationalkultur wiederzuentdecken, zu bewahren und zu pflegen. So erhalten Noskows Illustrationen auch eine aktuelle Dimension.
Slowo οpolku Igorewe (Das Igorlied) Drewnerusskij tekst i perewody (Altrussischer Text und Übersetzungen) Mit Illustrationen von Wladimir Noskow Moskau, Sowjetskaja Rossija, 1981
Die Illustration unten zeigt die Wehklage der Fürstin Jaroslawna um Igor. Mit erhobenen Armen in Gebetshaltung, eine überdimensionale, das Bild beherrschende Gestalt, ruft sie die kosmischen Kräfte Sonne, Wind und Dnjepr-Fluß um Hilfe bei der Errettung Igors aus der Gefangenschaft an. Später zeigt sich, daß ihr Flehen von der mitfühlenden Natur erhört wird. Den Hintergrund bildet - in einer kubistischen, collagenhaften Raumdarstellung - eine Stadt aus Holzhäusern. Aufflatternde Tauben versinnbildlichen die Intensität des Gebets, und
287 S., 8°, OPp. Abb. S. 145, 166, 167 Lit.: Ja. Bejlinson, Raduga tschomo-beloj palitry, in: Mir knigi Nr. 4, Moskau 1977.
Die vorliegende Ausgabe des Igorlieds stellt den Versuch einer literarisch-künstlerischen und wissenschaftlichen Synthese dar. Insgesamt neunmal wird der Inhalt des Igorlieds vorgestellt - in Textvarianten, Übersetzungen und Chronikauszügen, was den Künstler vor die schwierige Aufgabe gestellt hat, „Vielfalt in Einheit" und „Einheit in Vielfalt" aufleuchten zu lassen. Mit Ausnahme der altrussischen Fassungen werden die Texte durchgehend wie ein einheitliches Werk illustriert. Schon die erste Ausgabe des Igorlieds von 1800 stand unter dem Vorzeichen eines wiedererwachenden Nationalbewußtseins, und auch die vorliegende Ausgabe steht in dieser Tradition. Der Künstler schafft ganz- und doppelseitige Illustrationen, aber auch zahlreiche kleinere ikonographische Einsprengsel mitten im Text sowie jeweils die ausgeschmückte Initiale Η (russ. für N) am Textanfang. Er handhabt diese Kompositionen sehr frei, indem er eine zeichenhafte, oft dramatisch zugespitzte Ikonographie entwickelt und auf naturalistische Darstellungen verzichtet. Animierte Naturkräfte, die im Igorlied eine große Rolle spielen, stellt Noskow in immer wiederkehrenden Motiven dar, so daß auch ikonographisch - analog zum Text - eine epische Bandbreite geschaffen wird. Der Wind erscheint als zerzauster, bärtiger, aus allen Kräften blasender Patriarchenkopf, die Sonne als eine Maske mit menschlichen Gesichtszügen, und ein Baum in anthropomorpher Gestalt gestikuliert wild mit seinen Ästen. Die Kirchenkuppeln und Glockentürme und die überdimensional ins Bild schwingenden Glocken führen dem Betrachter vor Augen, daß der Kampf des russischen Heeres gegen die heidnischen Polowzer auch ein ideologischer Feldzug war. Der von Blitzen und dramatischen Schwarzweiß-Kontrasten zerrissene Himmel beschwört eine apokalyptische Stimmung herauf (Abb. Mitte). Diese Stimmung sowie die drohende Gefahr eines verheerenden Verteidigungskrieges sind in starken Bildern eingefangen, die auch eine Betroffenheit des Künstlers vermuten lassen. Die spürbare Liebe zu russischen Sitten und Gebräuchen, zum ländlichen Kolorit und zur christlichen Kirche ist nicht nur eine nostalgische Schwelgerei. Die Besinnung auf die eigene Geschichte und Kultur verbindet sich mit einer momentanen Standortbestimmung. Nach Jahren der systematisch betriebenen Nivellierung geht es heute nach erneuter Anerkennung der
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flammenartig im Wind „auflodernde" Bäume bringen eine emotionale Gespanntheit zum Ausdruck. Stilistisch fallt die Nähe zu Faworskij, dem „geistigen Großvater" des Illustrators, ins Auge. (Noskow war ein Schüler Andrej Gontscharows, der seinerseits ein Schüler Faworskijs war.) Wie dieser bereichert Noskow die Ausdrucksfähigkeit graphischer Illustrationen, indem er auf Techniken der Ikonenmalerei zurückgreift und zeitlich wie räumlich auseinanderliegende Szenen ineinander
komponiert. So wird z.B. der Innenraum eines Gewölbes von Miniaturszenen umgeben, die dem Betrachter zeigen, was zu gleicher Zeit im Lande geschieht (Abb. rechts). Von Faworskij hat Noskow auch die raffinierte Handhabung der Schwarzweiß-Kontrastierung übernommen: schwarze Schraffur auf weißem Untergrund und, umgekehrt, weißer Strich auf schwarzem Grund. Beide Extreme treten gleichberechtigt auf wie die Mächte des Lichts und der Finsternis.
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1-3 Wolowitsch,
auf den anderen Illustrationen dem Genre des Schlachtenbildes gerecht, ohne jedoch dessen distanzierende Wirkung zu haben. Die Perspektive richtet sich aus Bodennähe auf die Kämpfenden und Gefallenen in der Bildmitte. Ihr Sterben korrespondiert mit dem Untergang
Witalij
SIowo οpolku Igorewe (Das Igorlied) Herausgegeben von Andrej Komlew Mit 18 Radierungen von Witalij Wolowitsch Swerdlowsk, Sredne-Uralskoje knishnoje isdatelstwo, 1985 210 S., 4°, dunkelbraunes Leinen Abb. S. 134/135 Lit.: G. und S. Golynez, W. Wolowitsch, in: Sowjetskaja grafika 1978, S. 60-68; O. Woronowa, W. Wolowitsch, in: Iskusstwo knigi 1972-1980, hrsg. v. G. Demosfenowa, Moskau 1987.
Das altrussische Igorlied wurde vermutlich zwischen 1185 und 1187 von einem unbekannten Verfasser am Hof des Kiewer Großfürsten geschrieben. Die einzige überlieferte Handschrift, die im Jahr 1800 ediert wurde, verbrannte 1812 in Moskau. Seitdem ist die Diskussion über die Echtheit des Igorlieds nicht verstummt. Das „heroische Poem" enthält eine Schilderung des unglücklich verlaufenen Heerzugs Igors, des Fürsten von Nowgorod-Sewersk, gegen die Kumanen sowie Belehrungen, Bitten und schließlich den Heilruf auf den Fürsten und seine Gefolgschaft, „die kämpfen für die Christen gegen die heidnischen Heerhaufen". Aufgrund seiner reichen Sprache genießt das Poem hohen literarischen Rang. Groß ist die Zahl seiner Kommentatoren und Übersetzer, zu denen so berühmte Dichter wie Shukowskij, Majkow oder Rilke gehören. Die Lebensfülle, die das Igorlied in seiner engumgrenzten Handlung zum Ausdruck bringt, rief auch viele Illustratoren auf den Plan, darunter auch Wladimir Faworskij. Die vorliegende Ausgabe ist von besonderem philologischen und ästhetischen Wert. Sie enthält neben dem modernen russischen Text sowohl einen Nachdruck der Ausgabe von 1800 in altrussischer Sprache als auch 16 Illustrationen des Swerdlowsker Buchkünstlers Witalij Wolowitsch. Die doppelseitigen Abbildungen sind zwar nicht in den Text integriert, sind aber durch die kurzen, am Seitenrand vermerkten Zitate der jeweiligen Textstelle richtig zuzuordnen. Ihre Ausdruckskraft ist so anschaulich, daß die Bilderfolge das Geschehen wie einen Film vor den Augen des Betrachters abrollen läßt. Wolowitsch konzentriert sich bei der Illustrierung besonders auf den ersten Teil des Poems, den Verlauf des Heerzuges. Seine Darstellungen sind aber keineswegs heroisch. Sie zeigen das Grauen des Krieges - auf dem Schlachtfeld und für die Zivilbevölkerung. Krieg bedeutet: brennende Kirchen, leidende Verwundete, mißbrauchte Frauen, weinende Kinder. Die Sonne wird verdrängt, das Land von der Nacht beherrscht. Von drastischer Expressivität ist die Darstellung weinender Frauen, unter ihnen eine Schwangere, deren Kopf matt, mit ausdruckslosem Gesicht auf ihrer Schulter liegt. Die linke Hand ruht kraftlos auf ihrem Bauch, während der rechte Arm schlaff herunterhängt. Die Abbildung zeigt eine Szene aus der Schlacht. Wolowitsch wird hier wie auch
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der Sonne. Durch die kubistische Darstellungsweise werden die Einzelheiten des bewegten Geschehens flächig miteinander verbunden. Der gesamte Vorgang ist hier wie auf den übrigen Illustrationen durch einen Halbkreis eingeschlossen, der die Geschlossenheit der
mittelalterlichen Welt symbolisiert. Dem Anspruch, altrussische Literatur nicht als totes Sprachdenkmal zu behandeln, sondern ihre Lebendigkeit sichtbar werden zu lassen, wird Wolowitsch mit seinen Illustrationen zum Igorlied völlig gerecht.
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1-4 Pikow,
Die Abbildung rechts unten schließlich stellt das Paradies dar: Im 31. Gesang hat die himmlische Lichtkraft das Dunkel endgültig besiegt. Den Großteil des Bildes nimmt die weiße Himmelsrose ein, die vom Kristallhimmel durch die Reflexion des göttlichen Lichts gebildet wird. Die diagonale Linienführung im Bildaufbau erzeugt dabei den Eindruck von Höhe und großer Entfernung zwischen Himmel und Erde. Der Mittelpunkt des Allerheiligsten ist dem Bild entrückt, ist aber offenbar der alleinige Ursprung des Lichts, das die gesamte Szene überflutet. Diese Lichtfülle gibt Pikow durch feine, helle Linien wieder. In der Mitte der Lichtfluten schwebt Beatrice, der die Gestalt Dantes, des Irdischen, in Schwarz gehüllt, gegenübergestellt wird.
Michail
Dante Alighieri Boshestwennaja komedija (Die göttliche Komödie) Übersetzung von Michail L. Losinskij Mit 105 Holzstichvignetten und 32 Holzstichen von Michail Pikow Moskau, Chudoshestwennaja literatura, 1974 3 Bde., 312, 302 u. 326 S„ 8°, braunmelierter KLdr.-Einband Abb. Bd. 1, S. 183; Bd. 2, S. 199; Bd. 3, S. 233 Lit.: Ju. Kusnezowa, Michail Iwanowitsch Pikow, Moskau 1971; W. Schmidt, Russische Graphik des XIX. und XX. Jahrhunderts, Leipzig 1967; Knishnoje iskusstwo SSSR, Bd. 1, hrsg. v. M. Tschegodajewa, Moskau 1983.
Die „Divina Comedia" Dante Alighieris (1265-1321) steht am Beginn der italienischen Literatur und gilt zugleich als deren Hauptwerk. Sie ist ein großes Mysterienspiel der Seele, die im Jenseits den Weg von der Sünde zum Heil findet. Dabei umfaßt das Werk in enzyklopädischem Ausmaß die gesamte Welt des Mittelalters. Die Bildhaftigkeit seiner Darstellung und seine große Bedeutung für die Weltliteratur riefen zahlreiche Vertreter der Buchkunst auf den Plan, zu denen unter anderem auch Botticelli gehörte. Die vorliegende Ausgabe wurde in den Jahren zwischen 1961 und 1966 von Michail Pikow illustriert. Pikow, der in den zwanziger Jahren die Staatliche Kunsthochschule WCHUTEMAS (ab 1926: WCHUTEIN) in Moskau besuchte, zeigt sich hier ganz als Schüler Wladimir Faworskijs, durch den der russische Holzschnitt seine Berühmtheit erlangte. Wie sein Lehrer, der gleichfalls Dantes Werk illustrierte, versucht Pikow, nicht nur Äußerlichkeiten, sondern auch die poetische Atmosphäre ins Bild zu bringen. Dabei erweist sich die Faworskijsche Schwarzweiß-Technik als hervorragend geeignet, die Welt der Sünde von der des Heils abzusetzen. Die nebenstehende Abbildung zeigt Dante auf seinem Weg durch die Hölle: Wie im 24. Gesang geschildert, wird er von Vergil zu dem siebenten Graben geführt, in dem die Diebe büßen. Von Schlangen zerfressen und zu Asche zerfallend, müssen sie sich immer wieder erheben. Pikow legt das Reich des Bösen in tiefstes Dunkel. Allein Vergil tritt als Lichtgestalt hervor, während das höllische Feuer nur schwach züngelnd das grausige Geschehen beleuchtet. Die Abbildung rechts oben zeigt eine Szene aus dem Purgatorium: Im 27. Gesang folgt Dante der Aufforderung des Engels, das Feuer zu betreten, in dem die Wollüstigen büßen. Pikow läßt das Geschehen, das den Dichter zur Läuterung führt, schon in hellerem Licht erstrahlen, das sowohl von dem hell lodernden Feuer als auch von der untergehenden Sonne ausgeht.
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nicht auf der vorliegenden Abbildung (rechts unten), die einen Empfang am Hofe des Zaren darstellt. Bilibin gelingt diese Harmonie im Ausdruck durch mehrere Techniken: Auffallend ist der Helldunkel-Kontrast bei gleichzeitiger Farbabstufung. Der hellrote Teppich im Vordergrund und die Dunkelheit des Hintergrundes schaffen ein ausgleichendes Gegengewicht zu der Lebhaftigkeit der prächtig gestalteten Gewänder, deren Muster und Ornamente der auch als Bühnen- und Kostümbildner bekannte Bilibin nach der Vorlage altrussischer Volkstrachten zeichnete.
Bilibin,Iwan
Alexander Puschkin
Skaska ο zare Saltane (Das Märchen vom Zaren Saltan) in: Skaski Puschkina (Puschkins Märchen) Mit 20 Vignetten, 11 farbigen Lithographien und einem Frontispiz von Iwan Bilibin St. Petersburg, Expedizija Sagotowlenija Gossudarstwennych Bumag, 1907 20 S., 4°, Pp. mit färb. Illustr. Abb. S. 9, 11 Lit.: G. Golynez, Iwan Bilibin, Leningrad 1981; ders., Die Märchen A. Puschkins, in: Iskusstwo Nr. 5, 1976; Ausstellungskatalog Leningrad 1977; A. Puschkin, Märchen, Deutsch von F. Bockenstedt, Berlin 1985.
Die Geschichte vom Zaren Saltan, seinem Sohn, dem Fürsten Gwidon, und dem zauberkräftigen Schwan ist ein langes Versepos mit vielen wundersamen Ereignissen. Sein Inhalt sei hier kurz geschildert: Zar Saltan hört zufällig ein Gespräch dreier Schwestern mit, die laut überlegen, wie sie sich ein Leben als Gattin des Zaren vorstellen. Von der dritten, die erklärt, sie würde dem Zaren so bald wie möglich einen stattlichen Sohn schenken, ist Zar Saltan so angetan, daß er beschließt, sie zur Frau zu nehmen. Es wird Hochzeit gefeiert, und die Braut wird noch in der Hochzeitsnacht schwanger. Bald darauf muß der Zar in den Krieg ziehen. Die neidischen Schwestern nutzen seine Abwesenheit, um gegen die junge Zarin zu intrigieren. Als diese einen kräftigen Sohn gebärt und Zar Saltan durch einen Boten davon unterrichtet werden soll, tauschen sie die frohe Botschaft gegen die falsche Nachricht aus, die Zarin habe eine schreckliche Mißgeburt zur Welt gebracht. Zar Saltan antwortet traurig, man möge seine Rückkehr abwarten. Aber diese Botschaft wird von den bösen Schwestern gegen einen Befehl an die Bojaren eingetauscht, Mutter und Kind zu töten. Die bestürzten Bojaren finden einen Ausweg. Anstatt sie zu töten, überlassen sie die Ausgestoßenen in einem Faß dem Wohlwollen des Meeres. Gelenkt von einem Zauber, strandet das Faß bald auf einer kleinen Insel. Innerhalb eines Tages ist das Kind zum Jüngling herangewachsen. Kaum an Land rettet er sogleich einen weißen Schwan aus den Klauen eines schwarzen Geiers. Mutter und Sohn fallen darauf in tiefen Schlaf. Der Schwan ist in Wirklichkeit eine verzauberte Prinzessin und zudem im Besitz von Zauberkräften. Zum Dank für ihre Errettung will sie dem Jüngling und seiner Mutter alle Wünsche erfüllen. Aus dem Schlaf erwacht, erblicken die beiden in der Ferne eine prachtvolle Stadt. Als sie zu deren Toren kommen, wird Gwidon begeistert als neuer Fürst empfangen. Die Schwanenprinzessin vollbringt noch vielerlei Wunder, von denen auch Zar Saltan erfährt, als reisende Kaufleute an seinem Hof zu Gast sind, die ihm von der Pracht der fernen Stadt erzählen. Als entzauberte Prinzessin heiratet sie bald darauf den jungen Fürsten Gwidon, dem zu seinem Glück nun nur noch der Vater fehlt. Durch die Kaufleute läßt er den Zaren Saltan immer wieder grüßen und weckt damit schließlich dessen Neugier. Trotz des starken Widerstands der bösen Schwestern besteigt Zar Saltan schließlich sein Schiff, um die sagenhafte Insel endlich selber in Augenschein zu nehmen. Dort findet er seine verloren geglaubte Familie wieder, die intriganten
In der Romantik schenkte man der Volksdichtung besondere Aufmerksamkeit. Gerade das Märchen, das eine wunderbar harmonische Welt entwirft, in der übernatürliche Kräfte walten, galt als tiefste und reinste Poesie aus der Seele des Volkes. Bedeutende Dichter der Romantik versuchten, nach dem Muster der volkstümlichen Formen Kunstmärchen zu schaffen. So auch Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799-1837). Puschkin beschäftigte sich intensiv mit der russischen Folklore und nahm viele volkstümliche Motive in sein Werk auf. Seine „Skaski" (Märchen), die er zu Beginn der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts verfaßte, gelten aufgrund der natürlichen Sprache und der ihnen immanenten Märchenlogik als wahre Meisterwerke in der Gattung des Kunstmärchens. Zu Puschkins Lebzeiten fanden sie wenig Beachtung, da sich der zeitgenössische Leser eher zum Realismus der „Natürlichen Schule" hingezogen fühlte. Ihre eigentliche Entdeckung erfolgte am Ende des 19. Jahrhunderts, als volkstümliche Motive in allen Bereichen der Kunst eine bedeutende Rolle zu spielen begannen. Auch Iwan Jakowlewitsch Bilibin, der hautpsächlich auf dem Gebiet der Buchillustration tätig war, wählte seine Themen aus dem Bereich der Volkskunst und blieb diesem Sujet sein Leben lang treu. Bilibin war vielseitig ausgebildet: Er hatte in der Werkstatt des berühmten Ilja Repin die realistische Zeichenkunst erlernt, auf Reisen durch Rußland die Volkskunst studiert, interessierte sich für die Kunst der westeuropäischen Renaissance und der japanischen Xylographie (Holzschnittkunst). Zeitweise Schloß er sich der Künstlergruppe um die Zeitschrift „Mir iskusstwa" (Welt der Kunst) an. Bilibin vereinte die gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen in dem ihm eigenen Stil, der dem westeuropäischen Jugendstil nahesteht. Mit seinem an klassischen Vorbildern geschulten zeichnerischen Können und seiner Vorliebe für volkstümliche Motivik war Bilibin wie kein anderer dafür geeignet, Puschkins Märchen zu illustrieren. Dem „Märchen vom Zaren Saltan" von 1831 widmete sich Bilibin in den Jahren 1904/05. Trotz ihrer starken Farbigkeit wirken die Illustrationen niemals grell - auch
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Schwestern werden fortgejagt, und von nun an leben alle glücklich und zufrieden... Kennzeichnend für Bilibins gesamtes Werk ist die Ausdruckskraft der schwarzen Linien. Sie vor allem bewirken die charakteristische Bewegtheit der Illustrationen. In Verbindung mit den durch diese Linien eingerahmten Farbflächen entsteht eine starke Plastizität, obwohl alle Körper flächig dargestellt sind und jegliche Schraffierung fehlt. In den ganzseitigen Landschaftsbildern Bilibins wird der umrißbetonte Flächenstil noch deutlicher, wie es die Abbildung rechts oben mit dem Fürsten am Meeresufer zeigt, der dort in sehnsüchtige Gedanken an die Heimat versunken scheint. Der in folkloristische Schmuckleisten eingefaßte Text und die großflächigen Illustrationen ergeben zusammen eine ideale Verbindung von Wort und Bild, die ganz in der Tradition der mittelalterlichen Buchkunst steht. Bilibins Märchenbücher hatten Vorbildcharakter für die Entwicklung des Kinderbuchs: Einfach und einheitlich gebunden, waren sie preiswert zu erstehen. Allerdings waren sie in ihrer Heftform nicht sehr haltbar und dürften bald von Kindern zerlesen worden sein. Für den Sammler stellen daher Erstausgaben wie die vorliegende, die im Jahre 1907 von der Kaiserlichen Druckerei in Petersburg meisterhaft gearbeitet wurde, eine große Rarität dar. Η·ΡΗΑΜΡΜΗΈ.ικ·
1963 erschien die Ausgabe im Gosnak-Verlag in einer Neuauflage von 100.000 Exemplaren.
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tscharowa im Vergleich zu den Illustrationen von Iwan Bilibin zu diesem Märchen. Zum Inhalt der Geschichte, die in den umfangreichen russischen Märchenerzählungen einen bedeutenden Platz einnimmt, wird auf die kurze Zusammenfassung in der Legende zur BilibinAusgabe (Nr. 1-5) verwiesen.
1-6 Gontscharowa, Natalja Alexandre Pouchkine
Conte de Tsar Saltan et de sonfilsle glorieux et puissant prince Gvidon Saltanovitch et de sa belle princesse cygne
Die Künstlerin, eine Urenkelin Puschkins, gehörte gemeinsam mit ihrem Ehemann Michail Larionow zur russischen Avantgarde und bestimmte die Entwicklung des russischen Primitivismus maßgeblich mit. Schon früh fühlte sie sich zur heimischen Volkskunst hingezogen, und seit 1916 gestaltete sie Bühnendekorationen und Kostümentwürfe für Diaghilews „Ballets Russes". Die in Farbe und Komposition bühnenhafte Darstellung vom „Zaren und dem weißen Schwan" zeugt von dieser Bühnenerfahrung. Für den gesamten Buchschmuck und die ganzseitigen Bilder verwendete Gontscharowa Originalfarben und Schablonen. Die Anwendung des PochoirVerfahrens, in der Frankreich damals führend war, machte eine größere Auflage des Buches möglich.
(Das Märchen vom Zaren Saltan, seinem Sohn, dem ruhmreichen und starken Prinz Gwidon Saltanowitsch, und der schönen Schwanenprinzessin) Mit 29 farbigen Vignetten, 10 mit farbigen Schmuckleisten gerahmten Textseiten und 10 handkolorierten Textillustrationen, sämtlich im Pochoir-Verfahren koloriert, von Natalja Gontscharowa Paris, Edition de la Sirene, 1921 50 S., 4°, mehrfarbiger HLdr.- Einband Abb. S. 9 , 1 1 , 1 2 , 1 3 , 2 1 , 3 7 Lit.: C. Gray, Das große Experiment. Die russische Kunst 1863-1922, Köln 1974; Russische Avantgarde 1907-1921. Vom Primitivismus zum Konstruktivismus, hrsg. v. B. Zelinsky, Bonn 1983; Natalja Gontscharowa, Michail Larionow. Wospominanija sowremennikow, Moskau 1995.
Wie stark sich die bildnerische Auseinandersetzung mit einem literarischen Stoff innerhalb von zwei Jahrzehnten entwickelt, zeigt diese Ausgabe des „Märchens vom Zaren Saltan" in der Buchgestaltung von Natalja Gon-
Die Abbildung unten zeigt die junge Zarin mit ihrem Sohn. Sie erinnert an Darstellungen der Gottesmutter in der russischen Ikonographie. Gontscharowa hatte letztere, beeindruckt von ihrer Formenstrenge, intensiv
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studiert, was auch in ihrer Illustration zum Ausdruck kommt. Die im Hintergrund dargestellte Kampfszene bindet die Hauptszene der Mutter mit dem Kind in den historischen Kontext ein - ein Kunstgriff, den Gontscharowa dem Volksbilderbogen, dem Lubok, entlehnt hat. Typisch für Gontscharowa ist die Wahl und Zusammenstellung der Farben. Hier wählt sie warme Gelb- und Brauntöne, die mit kaltem Weiß gegenüber saftigem Grün und starkem Rot kontrastiert werden.
Der stolze Schwan, der in Bilibins Illustrationen nur eine unbedeutende Rolle spielt, stürzt raumfüllend über dem vom Pfeil des Prinzen getroffenen Geier zu Boden, umgeben vom heiteren Schmuck der sich kräuselnden Meeresoberfläche und den Schäfchenwolken (3. Abb.).
Die Illustration, welche die Zarin und ihren Sohn im Holzfaß darstellt (Abb. unten), ist mit einem Schmuckrahmen versehen: Fische und andere Meerestiere weisen auf die Reise durch das Wasser hin, erwecken aber nicht den Eindruck einer Gefahr. Ohne dramatische Züge sind auch die Gesichter gezeichnet. Die Zarin hat nicht einmal ihre Krone abgenommen. Alles deutet darauf hin, daß die Fahrt für das Leben der beiden Eingesperrten nicht bedrohlich war. In starken, frohen Farben zeigt die Künstlerin, wie der Märchenprinz unbeschadet aus der Tonne steigt und dabei wie ein aus dem Ei schlüpfendes Küken wirkt. Gott hat ihn vor dem Tod bewahrt und ihm somit ein zweites Leben, eine zweite Geburt beschert.
In der 5. Abbildung hockt das Gold spendende Eichhörnchen unter einer großen Tanne und häuft die von ihm geknackten Goldnüsse um sich herum. Zwei Dienerinnen, rechts und links außerhalb des Bildrahmens stehend, tragen die Nüsse in Körben fort. Im Hintergrund des Geschehens ist die Zauberstadt zu sehen.
Die Textseite (4. Abb.) hat einen Schmuckrahmen von Blüten und Blätterflor. Die Elemente Wasser und Erde werden mit ihren Bewohnern dem jungen Prinzen zu Diensten sein.
Die letzte Abbildung zeigt den Fürsten Gwidon glücklich vereint mit der Schwanenprinzessin, die beide den Segen der Zarin empfangen. Auch hier ist hinter dem Geschehen im Vordergrund die Zauberstadt angedeutet. Die in Dreiecksform angeordneten Figuren erinnern an den Bildaufbau von Ikonen.
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p a s possible q u e D i e u les abandonne. S o n ills se levant sur ses petites j a m b e s , pressant avec s a petite tete le fond du tonneau fait un leger e f f o r t : — S i j'ouvrais ici une fenetre sur le m o n d e ? dit-il. II creve le tonneau et sort. MpT^L,-Λ A mere et le fils sont maintenant en WitVl V' · < liberte; ils voient une colline d a n s un j j vaste champ que la mer bleue entoure. U n chene vert est sur la colline. L e fils rellechit: « U n bon souper ferait bien notre affaire. » II casse une branche de chene, la courbe en un a r c dur. D u cordon de soie de s a croix, il fait la corde de l'arc. II prend une mince branche, l'aiguise en ileche legere. E t il v a au bord de la vallee, pres de la mer chercher du
i ^ W Ä ^ S i r p peine arrive-t-il a la mer, qu'il entend comme un g£missement; tout n'est P a s calme sur la mer. II regarde; il f B s S ^ Ü w voit un draine affreux: un cygne se debat d a n s la houle; un vautour est au-dessus de lui; l'infortune s'agite; l'eau alentour ecume et se trouble. D e j a le vautour tend ses serres; le bee sanglant s'acere, mais juste a ce
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Die Abbildung zeigt die Eingangsszene, ein Festmahl am Zarenhof Iwans des Schrecklichen, der im vollen Ornat auf dem Thron sitzt, und seine zechende Leibgarde. Unten links sieht man den niedergeschlagenen „Opritschnik", dem weder Speise noch Trank schmecken wollen. Nur nach der schönen Kaufmannsfrau hat er Verlangen. Schon erregt seine Geistesabwesenheit die Aufmerksamkeit der Anwesenden, sogleich wird ihn der Zar zur Rede stellen.
1-7 Blinow, Walentin Michail Lermontow
Pesnja pro zarja Iwana Wassiljewitscha, molodogo opritschnika i udalogo kupza Kalaschnikowa (Das Lied vom Zaren Iwan Wassiljewitsch, dem jungen Leibgardisten und dem kühnen Kaufmann Kalaschnikow) Mit Illustrationen von Walentin Blinow Moskau, Sowjetskaja Rossija, 1984
Auffallend ist die Lust des Illustrators am dekorativen Detail: Eine wahre Flut von Farben und Mustern ergießt sich über die Bildfläche. Daß der Illustrator aus einer alten Ikonenmalschule kommt, ist an der Darstellungsweise des Zarenthrons und des pultähnlichen Tisches zu erkennen. Sie erscheinen in der sogenannten umgekehrten Perspektive, die die Ansichten von verschiedenen Standpunkten aus vereinigt und den Betrachter nicht ins Bild hinein, sondern gleichsam aus ihm heraus führt. So gibt es auch keinen Fluchtpunkt, von dem aus die Größenverhältnisse der in Vordergrund, Mittel- und Hintergrund dargestellten Figuren aufeinander abgestimmt wären, sondern alle Personen sind in gleicher Größe abgebildet. Bemerkenswert ist auch der dekorative, wie ein Vorhang gestaltete Rahmen, der mit Motiven aus mittelalterlichen Handschriften geschmückt ist.
45 S., r , OPp. Abb. S. 8 Lit.: G. Golenkij, Rasruschennaja obydjennost. Ο twortschestwe grafika W. Blinowa, in: Twortschestwo Nr. 11, 1969; A. Krestinskij, Grawjor i gorod, Awrora Nr. 6, 1975.
Ein Gedicht über den Tod Puschkins hatte Michail Lermontow (1814-1841) in die kaukasische Verbannung geführt. Dort schrieb er im Jahr 1837 „Das Lied vom Zaren Iwan Wassiljewitsch". Das Poem folgt in Stil und Sprachgestus dem altrussischen Heldenepos, und es enthält wie dieses zahlreiche volkstümliche Redensarten und Wendungen, bildhafte Metaphern und liedhafte Elemente. Das Thema bei Lermontow ist jedoch eher romantisch als mittelalterlich.
Die Vitalität des Bildes beruht hauptsächlich auf dem temperamentvollen Rotgrün-Kontrast, den typischen Farben der russischen Volkskunst. Die Buntheit, die ausladenden Gesten der Figuren und der flächige, kulissenhafte Bildaufbau verleihen der Szene etwas Beschwingtes und Opernhaftes.
Im Märchen wird berichtet von der unglücklichen Liebe eines mächtigen Adligen, eines „Opritschniks" aus der Leibgarde des Zaren Iwan des Schrecklichen, zur Ehefrau des Kaufmanns Kalaschnikow. Der Adlige lauert der schönen Frau beim Heimgang von der Abendmesse auf und umarmt und küßt sie ungestüm gegen ihren Willen. Zu Hause angekommen, berichtet sie ihrem Ehemann von dem Vorfall. Der beschließt, die ihm zugefügte Schande zu rächen. Als der Zar zur Belustigung des Volkes einen Faustkampf veranstaltet, nutzt Kalaschnikow die Gelegenheit zur Abrechnung und tötet seinen Rivalen im Zweikampf. Vom Zaren zur Rede gestellt, bekennt er seine Schuld, verschweigt jedoch die Motive seiner Tat. Zum Sterben bereit, bittet er den Herrscher um Schutz und Hilfe für seine zurückbleibende Familie. Der Zar verspricht ihm, diese Bitte zu erfüllen. Dann läßt er Kalaschnikow öffentlich enthaupten, da er den Tod seines besten Recken nicht ungestraft hinnehmen kann. Entsprechend dem mittelalterlichen Habitus des Poems, das schon von Β iiibin, Kustodiew und Wasnezow illustriert wurde, folgt der Petersburger Künstler Walentin Blinow in Sujet und Darstellungsmitteln altertümlichen Vorbildern. Die Skala seiner Farbpalette, der Bildaufbau und die Formensprache gehen auf die Ikonenmalschule von Palech zurück, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Blütezeit erlebte und heutzutage durch die Lackmalerei auf schwarzen Holzschachteln weltbekannt ist.
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1-8 Kurkin,
Kaufmanns den Jüngling zu sich. Sie gibt ihm einen Kiesel, der ihm helfen soll, wenn er in Not gerät. Am nächsten Morgen geht es auf den goldenen Berg hinauf. Der Jüngling schürft den ganzen Tag über Gold. Als der Kaufmann genug hat, läßt er ihn allein auf dem Berg zurück. Da der Jüngling den Rückweg nicht kennt, rechnet er bereits mit einem langsamen Hungertod, als er sich plötzlich des Kiesels erinnert, den ihm das schöne Mädchen gegeben hat. Er schlägt auf den Kiesel, und schon erscheinen zwei Burschen, die ihn zum Ufer tragen, wo ihn ein Schiff aufnimmt und in seine Heimatstadt zurückbringt. Nach einiger Zeit sucht der böse Kaufmann erneut nach Arbeitern. Wieder fährt der Junge mit ihm, und die ganze Geschichte wiederholt sich. Doch diesmal läßt der Junge den Kaufmann allein auf dem Berg zurück, wo er von schwarzen Krähen zu Tode gehackt wird. Der Jüngling aber übernimmt alle Güter des Kaufmanns, heiratet seine Tochter und zieht mit ihr und ihrer Mutter in die Hauptstadt.
Alexander
Alexandre Afanassiev
Trois royaumes. Contespopulaires russes (Drei Königreiche. Russische Volksmärchen) Übersetzt von Harold Lusternik Mit 68 Vignetten und 68 Illustrationen von Alexander Kurkin Moskau, Editions Radouga, 1985 159 S., 4°, grüner Leinen-Einband Abb. S. 120, 121 Lit.: Μ. Sokolnikow, Puschkins Märchen in den Illustrationen der Künstler von Palech (russ.), in: A. Puschkin, Skaska ο zare Saltane, Leningrad 1972.
Die Märchensammlung, die der russische Historiker und Literaturwissenschaftler Alexander Afanassjew (18261871) zusammenstellte, gilt bis heute als klassisches Beispiel russischer Folkloristik. Das umfangreiche Werk, das zwischen 1855 und 1863 erschien, stellt die erste umfassende Edition russischer Volksmärchen dar. Afanassjew, den man aus diesem Grund den „russischen Wilhelm Grimm" nennt, trug sie aus dem reichen Archiv der „Russischen Geographischen Gesellschaft" wie auch aus handschriftlichen Sammlungen privater Liebhaber zusammen. Die mehr als 640 Texte zeugen von dem großen Schatz der russischen Volksdichtung. Sie entstammen den unterschiedlichsten Landschaften, sind oft heroisch-legendär, zuweilen auch orientalisch-phantastisch. Von den Lesern wurde die Märchensammlung begeistert aufgenommen, und sie wurde so häufig wie keine andere übersetzt. Besonderen Anklang fand sie in Deutschland.
Wie andere Buchkünstler, die sich auf Märchen spezialisiert haben, lehnt sich auch Kurkin bei seiner Arbeit an die russische Volkskunst an. Sein Stil ist an dem der Schule von Palech orientiert. Wie die berühmten Lackmaler benutzt Kurkin reine, kräftige Farben, die auf schwarzem Untergrund zu besonderer Geltung kommen. Und wie die Malerei der Palech-Schule zeichnen sich auch seine Arbeiten durch die Feinheit und Bewegtheit der Linien aus, die das flächig dargestellte Geschehen umreißen. Diese Arbeitsweise erinnert an den Stil des berühmten Märchenbuchillustrators Iwan Bilibin. Auch wenn Kurkins ganzseitige Illustrationen eine Fülle von Szenen enthalten, wirken sie dennoch nie überladen. Dem Künstler gelingt dies durch die Dominanz eines bestimmten Färb tons. Durch diesen Kunstgriff wird eine Einheitlichkeit erreicht, die der Geschlossenheit der Welt des Märchens entspricht. Der gesamte Text wie auch der Bucheinband aus grüner Leinwand sind mit zarten Vignetten versehen.
Auch die vorliegende Ausgabe zeugt davon, daß sich Afanassjews Märchen nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen. Sie stellt eine französische Übersetzung dar, die 1985 im Moskauer Raduga-Verlag erschien, der darauf spezialisiert ist, russische Volkskunst in besonderen Ausgaben für das Ausland herauszugeben. Die Sammlung enthält eine Auswahl von 34 Märchen, wobei der Schwerpunkt auf der Gattung des Zaubermärchens liegt. Besonderen Wert erhält das Buch durch die zahlreichen Illustrationen des Künstlers Alexander Kurkin. Jedes Märchen wird durch zwei Bilder illustriert, wobei das erste dem Text vorangestellt ist und eine Szene des Märchens darstellt (Abb. rechts unten), das zweite hingegen in einer Vielfalt von Szenen die gesamte Handlung erfaßt (Abb. rechts oben). Die beiden Abbildungen beziehen sich auf das Märchen vom „Goldenen Berg": Ein junger Kaufmannssohn steht plötzlich mittellos da und beschließt, sich zu verdingen. Auf dem Marktplatz, wo die Arbeitsuchenden sich eingefunden haben, engagiert ihn ein reicher, aber seltsamer Kaufmann, für den niemand sonst zu arbeiten bereit ist. Am folgenden Morgen fahren die beiden auf einem Schiff übers Meer bis zu einer Insel mit hohen Bergen. Am Ufer steht der goldene Palast des reichen Kaufmanns. Am Abend wird getafelt. Nach dem Essen ruft die unsagbar schöne Tochter des
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1-9 Kassijan,
Die vorliegende Ausgabe ist mit Illustrationen verschiedener ukrainischer Buchkünstler versehen. Die Mehrzahl zeigt Szenen aus dem Alltagsleben und solche mit historischem Inhalt. Mehrfach ist der Graphiker Wassilij Kassijan vertreten. Seine rechts abgebildete Illustration zeigt die „Gajdamaki", die ukrainischen Steppenkrieger. Sie lauschen dem Kobsaren, der wie eine Lichtgestalt in ihrer Mitte sitzt. Jede einzelne Figur ist individualisiert: verzagt, in Gedanken versunken oder voller Hoffnung. Kassijans Darstellung ist in der Zeichnung sehr realistisch. Sein Material, die schwarze Tusche, ermöglicht ihm ein feines Herausarbeiten von Oberflächenstrukturen, etwa der des Waldbodens, der Baumrinde oder der Stoffe. Die Bewegungen der Gestalten scheinen natürlich und ungezwungen. Besondere Wirkung erhält der Sänger durch die großen ihn umgebenden Lichtflecken und durch die drei schwarzgekleideten Kosaken, die ihn in ihre Mitte genommen haben. Der Kobsar ist in enger Verbindung mit dem Knaben am rechten Bildrand zu sehen, der wie er als Lichtgestalt und somit als Hoffnungsträger erscheint.
Wassilij
Taras Schewtschenko Kobsar (Der Kobsar) Herausgegeben von R. Tschumak Mit 22 Vignetten und 24 Illustrationen von Wassilij Kassijan u.a. Kiew, Showten, 1964 378 S., 4°, hellgrauer KLdr.-Einband Abb. S. 53 Lit.: W. Schmidt, Russische Graphik des XIX. und XX. Jahrhunderts, Leipzig 1967; Knishnoje iskusstwo SSSR, hrsg. v. M. Tschegodajewa, Moskau 1983.
Taras Schewtschenko (1814-1861), Sohn leibeigener Eltern, wurde 1838 von seinen Freunden, dem Dichter Wassilij Shukowskij und dem Maler Alexander Briullow, von seinem Gutsherrn losgekauft. An der Petersburger Universität wurde er in der Klasse für historische Malerei ausgebildet und hörte Vorlesungen über geschichtliche Themen. Neben seiner Arbeit als Maler entwickelte er sich zu einem bedeutenden Dichter, der sich dem Kampf seiner ukrainischen Heimat für Gerechtigkeit und Freiheit verschrieb. Seine Volkslieder und Balladen - oft mit sozialkritischem und historischem Inhalt - zeigen auch sensiblen lyrischen Charakter. Schewtschenko schuf eine von der traditionellen Volksdichtung ausgehende poetische Literatursprache und wird heute als Begründer des kritischen Realismus in der ukrainischen Literatur angesehen.
Kassijan, der in der UdSSR mehrere Kunstpreise erhielt, widmete sich in seinem Werk besonders der ukrainischen Literatur und ukrainischen Themen, womit er einen Beitrag zum Erhalt der kulturellen Identität seines Volkes leistete. Bekannt wurde er auch durch seine Illustrationen zu Gogols „Abenden auf einem Weiler bei Dikanka".
DIE TARASNACHT Der Gedichtzyklus „Kobsar", der erstmals im Jahr 1840 erschien, gilt als das bedeutendste Ereignis der ukrainischen Literatur im 19. Jahrhundert. Er wirkte gleichermaßen wegweisend auf das literarische wie auf das nationale Bewußtsein des Landes. Der Autor läßt darin die romantische Vision vom mittelalterlichen Dichter und Volksliedsänger, dem Kobsaren, wach werden. Die Kobsaren sangen vom Schicksal des ukrainischen Volkes und der Unterdrückung seiner Freiheit. Dabei begleiteten sie sich selbst auf der Kobsar, einem der Laute ähnlichen ukrainischen Zupfinstrument. Die an der Volksdichtung orientierte Lyrik verknüpft Vergangenheit und Gegenwart, den Ruhm einstiger Freiheit mit der Klage über den Zustand nationaler Unterdrückung durch den russischen Zaren. Schewtschenkos leidenschaftliches Plädoyer für die Selbstbehauptung der Ukrainer fand sogleich großen Anklang in breiten Schichten des Volkes. Kirchliche Würdenträger und Vertreter aus den oberen Rängen von Armee und Verwaltung fürchteten sich jedoch vor Schewtschenkos publizistischen Aktivitäten und erwirkten 1847 bei Zar Nikolaus II. eine zehnjährige Verbannung des Künstlers wegen „revolutionärer Tätigkeit". Schewtschenko wurde nach Zentralasien geschickt, Schreiben und Malen wurden ihm verboten. Drei Jahre nach seiner Rückkehr starb er 1861 in St. Petersburg.
Still sitzt der Kobsar am Kreuzweg, Läßt die Saiten rauschen; Rings die Mädchen und die Burschen Blühn wie Mohn und lauschen. Spielt und singt, wie die Kosaken Einst die Säbel zogen, Auf die Russen, auf die Türken, Auf die Polen flogen... Und er spielt, und wie durch Tränen Lächeln seine Lieder. Der Kosaken, stolze Freiheit? Wo sind die Shupane? Wo? Verbrannten sie zu Asche? Wo sind ihre Särge? Weißt nicht, ob sie ruhn im Meere, Ob im Schoß der Berge? Braust das Meer, die Berge tauern. Die Kurgane schweigen, Die Kosakenkinder müssen Fremden Herrn sich neigen. Rauscht nur, Wogen, schweigt nur, Berge! Sturmwind, feg wie Feuer! Weint mit mir, KosakenkinderSolches Los ist euer!
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ten Egmont und der herrischen Unerbittlichkeit von Herzog Alba als Repräsentant der kaiserlichen Macht unterstreicht der Künstler durch die unterschiedliche Konstruktion der Holzgerüste, die die beiden Protagonisten des Dramas umgeben. Unorganisch, mit senkrecht stehenden Balken, die mit horizontalen und diagonalen Querverbindungen wie ein riesiger Käfig die Hinrichtungsszene einfassen, erscheint das Gerüst wie ein Symbol für die problematische Staatenverbindung zwischen Spanien und den Niederlanden. Doch der Künstler erhellt Teile der Rahmenkonstruktion durch ein unerklärliches Leuchten und stellt so die Unantastbarkeit des düsteren Balkengewirrs in Frage. Herzog Alba dagegen steht starr und gepanzert vor dem stärker senkrecht und perspektivisch ausgerichteten Rahmen als Sinnbild des spanischen Herrscherreiches.
1-10 Wolowitsch, Witalij Johann Wolfgang von Goethe
Egmont. Tragedija w pjati dejstwijach (Egmont. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen) Übersetzt von Ν. Man Mit 20 ganzseitigen Radierungen von W. Wolowitsch Swerdlowsk, Sredne-Uralskoje knishnoje isdatelstwo, 1982 175 S., 2°, schwarzer Kunststoff mit Goldprägung, Einbandentwurf von E. Gannuschkin Abb. S. 134/135 Lit.: G. und S. Golynez, W. Wolowitsch, in: Sowjetskaja grafika 1978; O. Woronowa, W. Wolowitsch, in: Iskusstwo knigi 1972-1980, Moskau 1987.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) gestaltet das Schickai des Grafen Egmont nicht als Geschichtsdrama, sondern als Charakterdrama. Im Mittelpunkt des zwischen 1775 und 1787 entstandenen Trauerspiels steht die „große Natur" des Helden, die sich durch Großzügigkeit, Selbstbewußtsein und Freiheit auszeichnet und daher im Widerspruch zu dem Zwang des absolutistischen Staatswesens stehen muß. Hier soll eine Interpretation der Todesszene vorgestellt werden, wie sie der Künstler Witalij Wolowitsch dargestellt hat.
Es bleibt noch, die Bedeutung der beiden Perlenketten zu deuten, die vermutlich auch als symbolhaftes Element vom Künstler in beide Illustrationen eingefügt sind. In der Hinrichtungsszene fällt die Kette von dem oberen Querbalken zum Rücken des Henkers herab, während ein paralleler Kettenstrang, um einen tieferen Querbalken geschlungen, von seiner Fallrichtung abweicht und unter der Schneide des Henkers um das gesenkte Haupt des Verurteilten einen Kranz bildet, der wie ein Nimbus in Heiligendarstellungen wirkt. Der erwähnte Lichtschein auf dem benachbarten Stützbalken könnte aus dieser Quelle stammen. Albas Kettenstück, auf einem ebensolchen Gerüstelement aufgehängt, verschwindet dagegen nach kurzem Verlauf seitwärts aus dem Bild heraus. Es steht offensichtlich in Beziehung zu dem Kettenstück im linken Bild, das direkt zur Schulter des Henkers verläuft. Auf diese Weise entsteht eine sichtbare Beziehung zwischen dem brutalen Machthaber und dem Henker gegenüber dem in seinen Zielen gescheiterten Egmont, der aber dennoch einen mentalen Sieg errungen hat. Goethe läßt ihn seinem Volk zurufen:
Unabhängig von den historischen Umständen des niederländischen Freiheitskampfes gegen die spanische Gewaltherrschaft, vertreten in der Person des Herzogs Alba, läßt die sensible Haltung Egmonts vor der bevorstehenden Hinrichtung die Überlegungen des Künstlers nachvollziehen, wie im Rückblick auf die Entwicklung des Dramas diese Schlußszene mit der Gegenüberstellung der beiden Hauptpersonen psychologisch am zutreffendsten darzustellen sei. Auf den ersten Blick mag es zweifelhaft erscheinen, ob es sich bei dem Verurteilten um eine männliche oder eine weibliche Person handelt. Vermutlich hat der Künstler durch Haartracht und Kleidung, mit der demütig tief gebeugten Haltung, den gefalteten Händen und dem gesenktem Kopf des seinen Tod erwartenden Egmont eine weibliche Komponente in dessen Persönlichkeit ausdrücken wollen, und nur das scharf geschnittene Profil weist auf seine kämpferische Energie.
Im Rücken habt ihr Eltern, Weiber, Kinder, schützt eure Güter! Und euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich euch ein Beispiel gebe. Witalij Wolowitsch hatte ein besonderes Interesse an der Kultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Er beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte der jeweiligen Epochen, mit denen sich seine graphischen Werke befaßten. In seiner illustrierenden Bearbeitung des Goethe-Textes werden die handelnden Figuren als überzeugende Charaktere ihrer Zeit wiedergegeben. Menschen in ihrer Entwicklung gibt es in den Darstellungen von Wolowitsch nicht. Seine Interpretation der Textvorlagen sind sehr frei. Die als Faltblätter in den Text eingebundenen Bilder zeichnen sich durch große Selbständigkeit gegenüber dem Text aus. Das führt so weit, daß Wolowitsch das Geschehen des Dramas eigenständig fortsetzt: Er läßt die Gerüste der spanischen Herrschaft im Sturm des Volkes fallen.
Egmont ist als Kämpfer für die Freiheit des niederländischen Volkes und gegen die spanische Despotie ein entschlossener Streiter zum Schutz der Menschenrechte. Ritterlich und zielstrebig agierend, ist er zugleich, trotz aller Belastungen, fröhlich und optimistisch. Der Einsatz von Gewalt zum Erreichen berechtigter Forderungen ist ihm fremd, und mit einer gewissen Sorglosigkeit verdrängt er die Gefahr der gewalttätigen Gegnerschaft. Daß er gleichzeitig für weibliche Zuwendung offen ist und sie selber erwidert, beweist seine enge Verbindung mit Klärchen. Der Künstler läßt sie in seinem Bild in tiefer Verzweiflung zu Füßen des Todgeweihten zusammenbrechen. Die Charakterkontraste zwischen dem gescheiter-
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nen des Dichters ausgewählt, begleiten die Sammlung und bilden ein inhaltlich zwar ungebundenes, aber atmosphärisch stimmiges und zeitgeschichtlich erhellendes Anschauungsmaterial. Zu sehen sind vor allem russische Städte und Landschaften, teils mit, teils ohne Figuren, eine Straße in Tula oder der Rote Platz in Moskau, ein Cafe an einem Boulevard oder ein Schloß auf einem Berg. Hinzu kommen Darstellungen von Szenen im Familienkreis und Porträts der Künstler Skrjabin, Tolstoj und Rilke. Auch Boris Pasternak taucht mehrmals auf: als schlafender Gymnasiast, im Sonntagsanzug, den Hut in der Hand, im Gespräch mit seiner Mutter oder am Klavier sitzend. Jedes der stark verkleinerten und gelblich eingefärbten Blätter hat etwas ausgesprochen Skizzenhaftes. Kurze dynamische Striche, die sich an prägnanten Stellen zu dunklen Schraffuren verdichten, haben die Aufgabe, den flüchtigen Moment festzuhalten, ohne das Einmalige und Lebendige dieses Moments preiszugeben. Bis heute hat keine der Zeichnungen ihre Unmittelbarkeit verloren.
1-11 Pasternak, Leonid Boris Pasternak
Wosduschnyje puti. Prosa rasnych let (Luftwege. Prosa aus verschiedenen Jahren) Mit Zeichnungen von Leonid Pasternak Herausgegeben von Nikolaj Lawrentjew Moskau, Sowjetskij pissatel, 1982 496 S., 8°, OHLwd. Abb. S. 154,419,427,442 Lit.: Max Osborn, Leonid Pasternak, Warschau 1932.
Leonid Pasternak (1862-1945) war der erste, den Rilke aufsuchte, als er am 27. April 1899, kurz vor dem Osterfest, gemeinsam mit Lou Andreas-Salome und ihrem Mann in Moskau eintraf. Der bekannte Maler und Graphiker, der nach Lehrjahren in München seit 1893 als Professor an der Moskauer Kunstschule wirkte, führte den jungen Dichter in das russische Geistesleben ein und öffnete ihm die Tür zu bedeutenden Persönlichkeiten, darunter auch Lew Tolstoj, dessen Roman „Auferstehung" er damals gerade illustrierte. Daß der Rußlandaufenthalt „mehr als flüchtiges Ereignis" war, unterstrich Rilke in dem Brief, den er aus Deutschland an Pasternak schrieb. Schon in Petersburg hatte er das sichere Gefühl: „Um einen unabsehbaren Kreis ist meine Kunst reicher und mächtiger geworden, und ich kehre heim an der Spitze eines langen Zuges und schimmernder Beute." Durch das Erlebnis eines Landes, das noch im Einklang mit der Natur zu stehen schien, und eines Volkes, das von großer Ehrfurcht und tiefer Frömmigkeit erfüllt war, wurde sich der Suchende endgültig seiner Bestimmung bewußt.
Das in Kohle ausgeführte Porträt Rainer Maria Rilkes (Abb. oben rechts), das die Rilke-Passagen in Boris Pasternaks Schriften illustriert, entstand 1928, zwei Jahre nach Rilkes Tod. Der Künstler konnte sich dabei auf zwei Bleistiftzeichnungen stützen, die er seinerzeit in Moskau angefertigt hatte. Nach diesen Zeichnungen hatte er bereits ohne eine weitere Sitzung (er kannte Rilkes „Abneigung gegen das ,Porträtiertwerden'") sein berühmt gewordenes Ölbild geschaffen. Wie dort ist der Dichter auch hier als Sitzender dargestellt. Nur sein Kopf und Oberkörper sind zu sehen. Auch der Aufbau ist nicht verändert. Beidemal ist die Figur diagonal in die Bildfläche eingefügt, so daß eine doppelte Bewegungsrichtung entsteht: von links unten nach rechts oben und von rechts unten nach links oben. Gemeinsam haben Gemälde und Kohlezeichnung ferner die durch Diagonalität bedingte starke perspektivische Verkürzung der rechten Gesichtshälfte. Der Dargestellte blickt so am Betrachter vorbei, was in Verbindung mit der leichten Neigung des Kopfes das Für-sich-Sein der Gestalt verstärkt.
Nach Rilkes Rückkehr entstand das „Stundenbuch", das wie „Mir zur Feier" zu den Gedichtbänden gehört, die Boris Pasternak in der Bibliothek des Vaters entdeckte und die einen erheblichen Einfluß auf seine Entwicklung als Lyriker hatten. Das freundschaftliche Verhältnis, das Leonid Pasternak trotz der seltenen und meist zufalligen Wiederbegegnungen zu Rilke unterhielt, steigerte sich bei seinem Sohn zur Bewunderung, ja zur absoluten Verehrung. Davon zeugt der mit der Anrede „Großer, geliebtester Dichter!" beginnende Brief vom 12. April 1926 ebenso wie der sogenannte „Posthume Brief an Rainer Maria Rilke", der das Nachwort zu der 19291931 erschienenen Autobiographie „Geleitbrief' bildete. Dieser Brief ist zusammen mit Erzählungen, Künstleressays über Shakespeare, Kleist, Chopin oder Verlaine und der späteren autobiographischen Schrift „Menschen und Standorte" in dem vorliegenden Band enthalten, der bis auf den Roman „Doktor Shiwago" alle wichtigen Prosawerke des neben Mandelstam vielleicht bedeutendsten russischen Lyrikers dieses Jahrhunderts erfaßt.
Die Unterschiede liegen eher im Detail. Zwar sind die Arme auch hier über dem Knie gekreuzt, doch es fehlt der Hut, den Rilke dort in der Rechten hält. Außerdem verschwinden die Hände jetzt völlig unter einem Gewirr kreisender, einander ständig überschneidender Linien. Solche Linien, nur länger und kräftiger, laufen immer wieder, zu Bündeln zusammengefaßt, von Hals und Schultern über die Brust herab. Der Dichter wird als ein Energiezentrum gezeigt, das alle Kräfte aus sich selbst bezieht. Der geschlossene Kreis der Arme zeigt zusätzlich seine Abkapselung von der Welt, die ganz in den Hintergrund gerückt erscheint. Auf dem Ölbild noch deutlich als die Silhouette Moskaus mit dem Kreml zu erkennen, ist diese Welt hier lediglich in schemenhafter Andeutung vorhanden. Die Konzentration auf den Dichter als sein eigener Mittelpunkt wird durch das helle, aus sich selbst leuchtende Gesicht vollendet. Auffällig ist das
73 Zeichnungen Leonid Pasternaks, vornehmlich in Kohle und Bleistift, ebenso wie die Texte von den Söh-
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Fehlen von Merkmalen des älter gewordenen Menschen. Pasternak zeigt Rilke so jung wie in den früheren Darstellungen. So wie sein Sohn mit dem „Posthumen B r i e f wollte auch er sich mit der Zeichnung noch einmal des Verstorbenen versichern, und zwar in der Gestalt, in der dieser ihm einst entgegentrat. Die anderen Abbildungen zeigen den Moskauer Kreml (oben) sowie Porträts des Komponisten Alexander Skrjabin (unten links) und des Schriftstellers Lew Tolstoj (unten rechts).
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1-12 Alexejew,
Ein häufig verwendetes Motiv ist die Eisenbahn, die die endlos weite Landschaft zu durchfliegen scheint. Massenszenen haben, wie auf der Abbildung oben zu sehen ist, den Anschein von Unwirklichem. Die Menschen sind gesichtslos, getrieben, in der Menge vereinsamt. Die Abbildung illustriert jene Szene, in der der „geheim" zusammengestellte Zug die von revolutionären Banden umstellte Ortschaft in Richtung eines weniger gefährdeten Landesteils verlassen soll. In einer wilden Meute war „jeder nur bedacht, als erster das Ziel zu erreichen (...). Manche kletterten auf die Puffer und auf die Trittbretter, andere auf die Fenster und Wagendächer". Bevor der langsam rückwärts fahrende Zug anhielt, war er „bis auf den letzten Platz besetzt. Wie durch ein Wunder gelang es dem Doktor, sich auf eine Plattform durchzudrängen".
Alexander
Boris Pasternak Le Docteur Jivago (Doktor Shiwago) Mit 128 Illustrationen von Alexander Alexejew Paris, Gallimard, 1959 870 S., 8°, schwarzweiße OLwd. Abb. S. 286/287 und 458/459 Lit.: Who's Who in Graphic Art, hrsg. v. W. Amstutz, Zürich 1962.
1956 Schloß Boris Pasternak (1890-1960) seinen berühmten Roman „Doktor Shiwago" ab. Erzählt wird die Geschichte eines Dichters und Intellektuellen, der in Konflikt mit seiner Zeit lebt, allen Widrigkeiten zum Trotz seine Freiheit verwirklicht und dabei zugrunde geht. Da der Hauptteil der Handlung im nachrevolutionären Rußland spielt, wurde Pasternak von Seiten des Schriftstellerverbandes antisowjetischer Gesinnung bezichtigt. Eine Publikation des Werkes kam nicht in Betracht. Erst seit Beginn des Jahres 1988, also mehr als dreißig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in italienischer Sprache (1957), liegt der Roman auch den Lesem in der Sowjetunion gedruckt vor.
Alexejews Illustration scheint die Fluchtereignisse aus dem Winter 1945 seherisch vorweggenommen zu haben. Die Uhr am Eingang des Bahnhofsgebäudes treibt das Geschehen gleichsam an. Der Hochspannungsmast symbolisiert die neue Zeit. Die Bäume am oberen Bildrand stehen, unberührt in sich ruhend, im Kontrast zu den lebhaft agierenden Soldaten. Shiwago hofft, in ländlicher Zurückgezogenheit seine innere Freiheit wiederzugewinnen. Er fühlt sich zerrieben zwischen der politischen Organisation, die zur Anführung der Revolution entschlossen ist, und der wachsenden Gruppe von Partisanen - hungernden Bauern und Splittergruppen der kriegsmüden Soldateska - , die sich nach dem verlorenen Krieg weigern, militärischen oder zivilen Anordnungen zu gehorchen.
Die vorliegende französische Ausgabe von „Doktor Shiwago" erschien zwei Jahre nach der Erstveröffentlichung. Sie verdient aufgrund ihrer reichen Gestaltung durch Alexander Alexejew besondere Beachtung. Der aus Rußland gebürtige Graphiker wendet hier zum ersten Mal ein Verfahren an, mit dem er bisher nur beim Film gearbeitet hatte: den „ecran d'epingles". Bei diesem Verfahren, das er 1931 zusammen mit seiner Frau Ciaire Parker entwickelte, werden Tausende von Nadeln in eine auf Leinwand oder Dämmplatte aufgezogene Photographie gesteckt, so daß die unterschiedlich weit herausragenden Nadeln verschieden lange Schatten werfen. Eine erneute Photographie dieses Zustandes ergibt dann das endgültige Bild.
Nach langer Reise aus dem unruhigen Moskau ist Shiwago umgeben von einer neuen Welt. „Die Unberührtheit des Waldes und die sanfte Heiterkeit, die über dem Lande zu liegen scheint, läßt ihn aufatmen: (...) Ich hätte nie geglaubt, daß ich hier heil und sicher ankommen würde." Am Bahnhof werden die Reisenden mit einem offenen Pferdewagen abgeholt. „Das Pferd war eine weiße Stute, die gerade ein Fohlen geworfen hatte. Der Kutscher hatte zottiges Haar, das weiß war wie Schnee." Die Angekommenen müssen sich am Wagenrand festhalten (Abb. unten), wenn es durch eine Pfütze geht und die Räder plötzlich einen Sprung tun. „Ihr Herz war von Frieden erfüllt, ihr Traum wurde Wirklichkeit, sie näherten sich dem Ziel ihrer Reise."
Der Aufwand, den das „ecran d'epingles"-Verfahren erfordert, ist durch seine ästhetische Wirkung vollkommen gerechtfertigt. Die Darstellungen bekommen etwas Unwirkliches, auch wenn sie, wie auf den vorliegenden Abbildungen, realistische Geschehnisse zum Thema haben. Damit entspricht Alexejew ganz der Sichtweise des Helden, der in dieser Realität leben muß, sie aber für sich nicht akzeptiert. So wird auf den Illustrationen immer wieder die Natur in ihrer Ruhe und Beständigkeit mit der hektischen Bewegtheit des Zeitgeschehens kontrastiert. Alexejew bevorzugte Literatur, in der Wirkliches und Unwirkliches in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Bekannt sind unter anderem seine Illustrationen zu Werken Baudelaires und Gogols. Ein graphisches Meisterwerk sind seine hundert Lithographien zu Dostojewskis „Les Freres Karamasoff" (Paris 1929).
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1-13 Faworskij,
gehörte Faworskij dennoch nie, dafür finden wir aber in seinem Frühwerk deutlich kubistische Elemente. Meisterhafte Komposition, knappe Formulierung, starke Plastizität und Ausdruckskraft kennzeichnen die Kunst Faworskijs, die weltweit hohes Ansehen errang.
Wladimir
Lew Tolstoj Rasskasy ο shiwotnych (Tiergeschichten) Mit 13 Holzstichvignetten, einem Frontispiz und drei ganzseitigen Holzstichen von Wladimir Faworskij Moskau, Academia, 1932 30 S., 4°, hellbrauner Pappeinband Abb. S. 5 , 9 , 1 8 Lit.: J. Molok, Wladimir Faworski, seine Theorien und seine Holzschnitte, in: Dezennium 2. Zwanzig Jahre VEB Verlag der Kunst, Dresden 1972; W. Faworskij. Literaturno-teoretitscheskoje nasledie, Moskau 1988; F. Mullaby, 50 Years of Graphic Art, Ausstellungskatalog, London 1962.
Nach Fertigstellung seines großen Romans „Wojna i mir" (Krieg und Frieden, 1864-69) widmete sich Graf Lew Nikolajewitsch Tolstoj (1828-1910) wieder der Pädagogik. Als Anhänger Rousseaus sah er das Ideal der Erziehung darin, aus Kindern natürliche, lebenstüchtige und verantwortungsbewußte Menschen zu machen. Diese Vorstellung stand im Gegensatz zur bestehenden Erziehungspraxis in Rußland, die den Kindern ein ausgeprägtes Standesbewußtsein vermitteln wollte. Je weiter sich Tolstoj von seinen adligen Standesgenossen, deren sinnentleertes Dasein ihn abstieß, zurückzog, desto näher kam er den Bauern auf seinem Gut Jasnaja Poljana. Nach Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 erschien es ihm besonders wichtig, das Selbstbewußtsein der Bauern zu stärken. Für ihre Kinder, die als kommende Generation über die Zukunft Rußlands mitentscheiden würden, ließ er eine Schule bauen. Das damalige Lehrmaterial war jedoch für Tolstoj s Zwecke ganz und gar ungeeignet: Die Sprache war gekünstelt, und der Inhalt der Texte völlig der Realität enthoben. Also schrieb Tolstoj selbst eine Fibel „Asbuka" (Alphabet, 1872). Deren Texte standen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Leben der Bauernkinder, die Sprache orientierte sich an der einfachen Sprache des Volkes, die Tolstoj so begeisterte. Er, der auch als Schriftsteller ein großer Moralist war, prangerte in seinen Fabeln und Märchen das Böse an und hob das Gute hervor. In seinen Tiergeschichten beweist Tolstoj seine große Beobachtungskunst: Die Tiere werden in ihrem natürlichen Verhalten beschrieben, ihre Bewegungen werden exakt festgehalten, nichts wird beschönigt, vermenschlicht oder verniedlicht.
Tolstojs Erzählungen „Rasskasy ο shiwotnych" illustrierte Faworskij 1932. Seiner Vorliebe für Bewegung entsprechend stellt er vor allem dynamische Szenen dar. Dramatik bekommen Tolstojs Geschichten besonders da, wo Tier und Mensch aufeinandertreffen, wie auch in der Erzählung „Orjol" (Der Adler). Textgetreu zeigt Faworskij die Szene, in der Menschen einem Adler die Beute abjagen, die er seinen Jungen in den Horst bringen wollte (Abb. rechts oben). Die Dramatik des Geschehens verdeutlicht Faworskij durch Kontraste wie Nähe und Ferne, Himmel und Erde, Mensch und Tier und durch einander entgegenlaufende Bewegungen: Die Menschen werfen Steine in die Höhe, der Adler läßt den Fisch hinabfallen. Die Perspektive ermöglicht dem Betrachter den Einblick in jede der kontrastierenden Ebenen. Den Hauptteil des Bildes nimmt der Baum ein, der Erde und Himmel miteinander verbindet. Den Gegensatz zwischen Himmel und Erde verstärkt Faworskij dadurch, daß er die untere Hälfte des Stammes, die zum Bereich der Erde gehört, schwarz kontrastiert. Schwarze Flächen wie diese findet man in Faworskijs Spätwerk, in dem er dunkle Gegenstände mit feinen weißen Linien schraffiert darstellt, fast nicht mehr. Die Szene wirkt geschlossen durch die schwarze Umrahmung der ganzseitigen Illustration.
Einfachheit und Klarheit, dabei Dynamik und Kontraste sind auch Charakteristika der Kunst Wladimir Faworskij s (1886-1964). Tolstoj revolutionierte mit Natürlichkeit und Schlichtheit die russische Literatur, Faworskij den russischen Holzschnitt. Beide arbeiteten mit einem Realismus, der in seiner Schärfe die Grenzen der positiv erfahrbaren Wirklichkeit oft überschritt. Bei Faworskij wirkte sich hier zweifellos sein Aufenthalt in München (1906-1907) aus, wo er sich an der künstlerischen Auseinandersetzung um die Befreiung der „reinen Form" vom „Realismus" beteiligte. Zu den Expressionisten
Das Motiv der Illustration „Feuerwehrhund" - der Brand eines Hauses (Abb. rechts unten) - eignet sich besonders gut für die Technik des Holzschnittes: Die nach dem Schneiden in das Holz stehenbleibenden Umrißlinien
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treten im Druck als weiße Umrisse der dunklen Flächen hervor, so wie nachts Personen und Gegenstände bei scharfer Beleuchtung oder im Feuerschein hell umrissen erscheinen, wie dies auch in der vorliegenden Abbildung zu sehen ist. Die das Kind schützende Mutter, der Feuerwehrmann, welcher auf den Hund zugeht, und die anderen Brandhüter, die auf Leitern oder mit Brechstangen den Brand zu lochen versuchen, sie alle sind nur aufgrund ihrer weißen Umrisse erkennbar, die durch die einzige Lichtquelle, das nächtliche Feuer, hervorgebracht werden. Das ganze Buch ist mit kleinen Tier- und Pflanzenornamenten versehen, die zum Teil mit der Schrift verwoben sind.
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1-14 Koschkin,
Alexander
schmalen Mondsichel, werden farblich nicht unterschieden. Auch die allein zwischen den Kreuzen umherwandernde junge Frau im langen Gewand ordnet sich der dunklen Palette ein. Alles, Mensch, Ding und Natur, ist Teil eines einheitlichen Ganzen. Kompositionen stellen die knorrigen Bäume mit dem gespenstisch in den Himmel ragenden Gewirr der entlaubten Äste und Zweige die Verbindung zwischen Vordergrund und Hintergrund, der unteren und oberen Bildhälfte, her.
Wassilij Shukowskij Zwety metschty ujedinjonnoj. Stichotworenija i ballady (Blumen eines einsamen Traumes. Gedichte und Balladen) Einführung von W. Korowin Mit 15 Vignetten, 44 Farbillustrationen und einem Frontispiz von Alexander Koschkin Moskau, Detskaja literatura, 1984
Neben solchen Illustrationen aus warmen, kräftigen Farben, die den romantischen Inhalten von Shukowskijs Dichtung entgegenkommen, stehen Illustrationen aus hellen, kühlen Farben, die dem klassizistischen Formbewußtsein des Dichters entsprechen. Dazu gehört die Darstellung der Flöte spielenden Muse des Dichters (Abb. unten), die sich durch ihren festen zeichnerischen Umriß deutlich vom Bildgrund abhebt, während der Strand, auf dem sie schreitet, das ruhige Meer und der leicht bewölkte Himmel kaum voneinander abgegrenzt ineinander übergehen. Koschkin ist ein Meister im Umgang mit der Farbe und beherrscht die Kunst, ein Bild auf seine farbliche Einheit hin anzulegen. Damit wird er der Stimmungslandschaft Shukowskijs das eine Mal mehr auf romantische, das andere Mal mehr auf klassizistische Weise gerecht.
254 S., 8°, farbig illustrierter Karton Abb. S. 22, 112 Lit.: S. Bytschkow, A. Koschkin. Preobrashonnaja realnost, in: Kniga i iskusstwo w SSSR Nr. 4, 1985; S. Bytschkow, W mire skasotschnika, in: Ogonjok Nr. 18, 1988; Ju. Gertschuk, Sowjetskaja knishnaja grafika, Moskau 1990.
Mit der Elegie „Der Dorffriedhof" (1802), die diese Anthologie eröffnet, erlangte Wassilij Shukowskij (1783— 1852) frühen literarischen Ruhm. Es handelt sich dabei um die Nachdichtung von Thomas Grays „Elegy Written in a Country Church-Yard" (1742-1750). Wie Thompsons „Seasons" und Youngs „Night Thoughts" verband das berühmteste Werk der englischen Empfindsamkeit die Darstellung einer unheimlichen nordischen Nebellandschaft mit dem Themenkomplex von Vergänglichkeit, Leid, Tod und Schicksal - all dem, was später die Romantik so faszinierte. Shukowskij, der mit seinen „Gedichten und Balladen", den eigenen wie den übersetzten, zum wichtigsten Wegbereiter der russischen romantischen Dichtung wurde, gelingt es scheinbar mühelos, im ruhigen Fluß der sechsfüßigen jambischen Vierzeiler mit gekreuztem Reim den charakteristischen Stimmungsgehalt der Vorlage einzufangen. Bis in Details entwirft er eingangs ein Bild der Natur im Licht der Abenddämmerung, um dann dieses Bild ebenfalls als Einführung und zugleich als Hintergrund für Betrachtungen über das menschliche Schicksal, über die Vergänglichkeit des Lebens und die Unentrinnbarkeit des Todes zu benutzen. Der Tod enthüllt sich als das Hauptthema der Elegie. Die Erkenntnis seiner Unentrinnbarkeit, die zu der Schlußfolgerung von der Eitelkeit und Nichtigkeit alles äußeren Strebens führt, ist noch ganz barock. Schon ganz romantisch ist die melancholische Einfärbung der Todesthematik. Bei Gray und Shukowskij fehlt, anders als im Barock, der kalte Schauder vor dem Jenseits. Das Dasein des Bauern und des Dichters, die durch ihre Nähe zur Natur verbunden sind, endet in der Idylle eines einfachen Dorffriedhofes, wo es keine Marmorsärge und prächtige Mausoleen gibt wie für die Großen dieser Welt. Die milde Melancholie, die nicht nur für diese Elegie, sondern auch für die gesamte spätere elegische Dichtung Shukowskijs kennzeichnend ist, kehrt in Koschkins Illustration (Abb. rechte Seite) wieder. Eine fast monochrome Farbgestaltung aus braunen und blaugrünen Tönen erzeugt die abendliche Atmosphäre, in der die Gedanken zu schweifen beginnen. Vordergrund und Hintergrund, der Friedhof mit den schlichten Holzkreuzen und der tief herabhängende Himmel mit der
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1-15 Kardowskij,
Die „öffentliche Meinung" siegt über den einsamen Intellektuellen ohne Rang und Würden, dessen einzige Waffe der Verstand ist.
Dmitrij
Alexander Gribojedow Gore ot uma (Verstand schafft Leiden)
Die Abbildung zeigt die „Gerüchteküche" in Famusows Haus. Hinter vorgehaltener Hand macht die Sensation, Tschazkij habe den Verstand verloren, ihre Runde. Die Szene bringt die dramatische Zuspitzung seines Schicksals zum Ausdruck. Der Künstler Dmitrij Kardowskij hat die drei Klatschbasen in einer Weise ins Bild gesetzt, die sein Vergnügen beim Schaffensprozeß deutlich werden läßt. Der Mann links, offenbar der Bote, kann sein Mitteilungsbedürfnis kaum zügeln und rückt dabei seiner Nachbarin so nahe, daß er fast vornüber zu fallen scheint. Im Gesicht der Frau zeichnet sich fassungsloses Staunen ab. Sie ist dabei, das Gehörte zu „verdauen", während der andere Zuhörer auf der rechten Seite, in Erwartung des Kommenden völlig gebannt, die geflüsterte Nachricht kaum versteht und seine Hand an die Ohrmuschel legt, damit ihm ja nichts entgeht. Die angespannte, zentripetale Körperhaltung der Figuren, ihre Mimik und Gestik drücken verhaltene Erregung und die Freude an der Diffamierung aus. Kardowskij, der auch als Bühnenbildner tätig war, hat seiner Darstellung einen bühnenhaften Charakter gegeben. Alle Figuren sind dem Betrachter zugewandt, so daß das Bild wie eine Theaterszene wirkt.
Mit 13 Farbaquarellen, 14 Schwarzweiß-Illustrationen und einem Frontispiz von Dmitrij Kardowskij St. Petersburg, Verlag Golik und Wilborg, 1913 156 S., 18 S. Faksimile der Handschrift, 4°, OSeideneinband mit goldener Schmuckborte Abb. zwischen S. 80 u. 81 Lit.: Ο. Podobedowa, Dmitrij Nikolajewitsch Kardowskij, Moskau 1960.
In Gribojedows Verskomödie „Verstand schafft Leiden" (1823-1824) besucht Alexander Tschazkij, ein scharfsinniger Kritiker der zeitgenössischen Gesellschaft, nach längerer Abwesenheit das Haus des angesehenen Moskauer Staatsbeamten Famusow, um seine Jugendliebe Sofija wiederzusehen. Zu seinem Leidwesen muß er jedoch erfahren, daß sie inzwischen Moltschalin, dem Sekretär ihres Vaters, den Vorzug gibt. Tschazkij kann nicht begreifen, was sie an dem farblosen Schmeichler und Karrieremenschen findet, den er für strohdumm hält. Auf einer Abendgesellschaft, zu der Famusow in sein Haus eingeladen hat, trifft sich die Elite der Stadt. Tschazkij schaut sich um und erkennt: ringsum nichts als Dummheit, Eitelkeit und prinzipienlose Heuchelei. Weil Tschazkij aus seiner Mißbilligung und seinem Überlegenheitsgefühl keinen Hehl macht, wird er für viele zum „Stein des Anstoßes". Die auf einem ritualisierten Lügenspiel beruhende Welt kann seine Wahrhaftigkeit nicht ertragen. Im Nu verbreitet sich das Gerücht, Tschazkij habe den Verstand verloren. Plötzlich wollen es alle immer schon gewußt haben. Von der Gesellschaft als gefährlicher Sonderling gebrandmarkt, hält Tschazkij zum Schluß eine Schmährede auf Moskau und sucht dann fluchtartig das Weite.
Trotz der historisierenden Szenerie - die Kostüme und das Kanapee beschwören die frühe Biedermeierzeit herauf - deutet der Bildduktus mit den ausladenden, schwungvollen Linien und dekorativen Mustern und Schnörkeln auf Einflüsse des Jugendstils hin. Gleichzeitig macht sich eine Tendenz zu graphischer Konzentration und Pointierung bemerkbar - Silhouette, Bewegungslinien und Kompositionsschema drängen das Malerische in den Hintergrund. Die Handschrift des Künstlers zeigt bereits die emotionale Bewegtheit unseres Jahrhunderts.
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Oscar Wildes Märchen ist mit mystisch-christlichen und romantischen Vorstellungen durchsetzt. Es geht dem Dichter nicht um die Geschichte einer verschmähten Liebe, sondern um die bildhaft-erzählerische Veranschaulichung des Gegensatzes zwischen Kunst und Leben, Ideal und Wirklichkeit. Die Nachtigall steht gleichnishaft für die wahre Kunst, die sich in kompromißlosem Streben nach einem hohen Ideal verzehrt. Von den Menschen in ihrer Größe verkannt und scheinbar nutzlos, bleibt die Kunst Zweck für sich. Auf den Zwiespalt von Wildes Verhältnis zur Kunst als nur ästhetische Ablenkung von den Widrigkeiten des Alltags und andererseits sein sensibles, doch distanziertes Miterleben der traurigen Realitäten in der Gesellschaft und im eigenen persönlichen Leben wird auch im Text zur tschechischen Ausgabe von „Der glückliche Prinz" eingegangen (III-13). Wilde ist eine weiche Natur, der Härte des Lebens kaum gewachsen. In starkem Selbstbezug schildert er die Vergeblichkeit des altruistischen Opfers. Er zieht es vor, in der Position des Beobachters zu verbleiben.
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1-16 Kowaljow,
Stanislaw
Oscar Wilde Solowej i rosa (Die Nachtigall und die Rose) in: Skaski (Märchen) Mit zahlreichen Farbillustrationen von Stanislaw Kowaljow Swerdlowsk, Sredne-Uralskoje knishnoje isdatelstwo, 1985 286 S., 4°, OKLdr. Abb. S. 271 Lit.: Ν. Kasarinowa, Mir swetloj fantasii. S.R. Kowaljow, in: W mire knig Nr. 5, 1979.
Ein Student der Philosophie verliebt sich in die Tochter seines Professors. Als Zeichen seiner Liebe verlangt sie eine rote Rose. Da es Winter ist, kann er die ersehnte Blume nicht finden und versinkt in tiefe Schwermut. Eine Nachtigall hört sein Klagen und beschließt, ihm zu helfen. Dazu muß sie jedoch mit ihrem Herzblut einen erfrorenen Rosenstrauch zum Blühen bringen. Obwohl die Nachtigall an ihrem Leben hängt, ist sie zu dem Opfertod bereit. Zuvor ermahnt sie den Liebenden zur Treue, denn in der Liebe sei mehr Weisheit als in der Philosophie. Als der Student am nächsten Morgen der Angebeteten die Rose überreichen will, erfährt er, daß sie inzwischen einen reicheren Verehrer gefunden hat. Von ihr enttäuscht, wirft er die Rose weg, erklärt die Liebe für albem und vertieft sich wieder in seine verstaubten Bücher.
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Die dem Märchen vorangestellte emblemhafte Farbillustration zeigt die Hauptfiguren des Märchens. Wie bei einer Exposition erscheinen die wichtigen Elemente in bildhafter Verdichtung, ohne daß das Geheimnis des Märchens preisgegeben wird. Oben links ist der Student mit der Rose in der Hand zu sehen, rechts die junge Frau, die ihn lockt und ihm zugleich den Rücken zuwendet. Zwischen den Beiden, im Zentrum der Bildfläche, erscheint der Titel des Märchens in Schrift und Bild: die in voller Pracht sich entfaltende Rose im Zusammenspiel mit der Nachtigall, der ein Dorn in die Brust dringt. Nicht ohne Absicht hat der Künstler diesen Zusammenklang von Blumen- und Vogelwelt der Spaltung der menschlichen Wünsche gegenübergestellt. Ohne Kenntnis des Textes kann die Illustration lediglich als idyllische Szene mit den traditionellen Symbolen der Liebesromantik verstanden werden. Erst im nachhinein erschließt sich die Tiefendimension der Bildsprache, treten die Einzelheiten hervor und gewinnen an Bedeutung. Die Idylle entpuppt sich als blutige Opferszene und die Nachtigall als Symbol für die Kunst. Eine Anspielung auf die Entstehungszeit dieses Kunstmärchens sind die Jugendstilornamente, die den Text umranken. Oscar Wildes Stilepoche illustriert Kowaljow auch in der naturalistischen Darstellung von Vogel und Blumen sowie in der Kleidermode des Liebespaares. Die Farbskala erinnert an den Geschmack der „Präraffaelitischen Bruderschaft". Insgesamt beruht der Reiz des Bildes auf der Einfühlsamkeit des Illustrators, der die märchenhaft-symbolischen und die zeitbedingten Momente der literarischen Vorlage kongenial zum Ausdruck bringt.
1-17 Tschechonin, Sergej
Tschechonins Titelblatt kann als gelungen gelten: Es offenbart etwas Wesentliches vom Buchinhalt, weckt die Neugier des Betrachters und Lesers durch eine spielerische, „theatralische" Darbietung des Themas, indem es drei Mitspieler auftreten läßt: den Helden, die Kräfte der Finsternis und den unmittelbar angesprochenen Betrachter, der gleichsam selbst in den Spiegel zu blicken scheint.
Alexander Ismajlow Kriwoje serkalo (Der Zerrspiegel) Mit Illustrationen von Sergej Tschechonin St. Petersburg, Verlag Schipownik, 1912 Abb. des Titelblatts aus: A. Efros und N. Punin, Sergej Tschechonin, Moskau - Petrograd 1924, S. 47 (s. Nr. 1-18) Lit.: Bolschaja Sowjetskaja Enziklopedija, Bd. 29, Moskau 1978.
Lange bevor Sergej Tschechonin seine Kunst in den Dienst der sowjetischen Propaganda gestellt hatte, illustrierte er auf gelungene Weise die vorliegende Sammlung von Parodien Alexander Ismajlows (18731921). Eine groteske Gestalt im Narrenkostüm, die kopfüber, zu einem „A" verschlungen auf einer Hand und einem Fuß steht, ist eine der Vignetten, die den Text begleiten. (Als Schlußvignette beschließt sie den vorliegenden Band, S. 236.)
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Das nebenstehend abgebildete, eindrucksvolle Titelblatt präsentiert das literarische Werk in einer Art Ideogramm, das seinen Titel und somit das ganze Buch bildlich zum Ausdruck bringt: Aus einem gerahmten Spiegel grinst uns das verzerrte Abbild eines Menschen entgegen. Sein Gesicht ist „aus den Fugen geraten", seine Züge haben in der Verzerrung etwas Unmenschliches, ja Diabolisches angenommen. Wir können nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Am Anblick dieses androgynen Wesens ergötzen sich zwei Satanisken, die den Spiegelrahmen flankieren. Nur scheinbar außerhalb des Geschehens, nur scheinbar leblose Verzierung, sind sie tatsächlich Mitspieler: Sie wenden sich direkt an den Betrachter, fordern ihn mit hämischer Gestik und Mimik auf, in den Spiegel hineinzusehen. Alles an ihnen weist auf ihr Einbezogensein ins Geschehen hin. Sie sind offenbar imstande, aus einer Dimension der Realität in eine andere hinüberzuwechseln. Die schattenrißartige Darstellung dieser satanischen Randfiguren, ihre schnörkelhaft gekringelten Schwänze, ihr breites Grinsen und die wie Feuerzungen über ihren Köpfen aufsteigenden höllischen Dünste verleihen ihrer Bosheit einen leichtsinnigen, spielerisch-dekorativen Charakter.
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Die stilistischen Merkmale sowie das Sujet (Selbstspiegelung, Faszination durch psychologische Fragen, schwarze Magie) weisen auf die Jahrhundertwende, genauer auf die Zeit vor der Oktoberrevolution, hin, als die russische Kunst von der europäischen nicht zu trennen war. Tonangebend war die Ästhetik des Jugendstils, die in Rußland von der „Welt der Kunst" (Mir iskusstwa) propagiert wurde. Zu den Propheten der Epoche gehörten Oscar Wilde und Aubrey Beardsley, der in der graphischornamentalen Linienführung und in der psychologischen Betrachtung des Bösen vorbildhaft auf Tschechonin gewirkt hat.
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Jahrzehnte; der sich konsolidierende Sowjetstaat gefällt sich zunehmend im Drang nach Stabilität, Repräsentation und Festigung seiner Macht. Nicht mehr die „revolutionäre" Auflösung der Form, sondern ihre Petrifizierung und klassizistische Umhüllung werden Ziel und Gegenstand der offiziellen Kunst. Tschechonins Entwürfe im Dienst der sowjetischen Institutionen sind Vorboten des pathetischen Klassizismus der Stalinzeit mit seinen erstarrten Ausdrucksformen.
1-18 Tschechonin, Sergej Abram Efros und Nikolaj Punin
Sergej Tschechonin (Werkverzeichnis) Mit zahlreichen Abbildungen von Arbeiten des Künstlers aus den Jahren 1902-1923 Moskau - Petrograd, Gosudarstwennoje isdatelstwo, 1924 113 S.,4°, illustr. Pp. Abb. S. 21
„Proletarier aller Länder vereinigt euch!" fordert das girlandenartig gewundene Spruchband. Es ist mit stilisierten Eichenblättern geschmückt und schafft einen Bildrahmen für einen illusionären Raum. Im Zentrum der strahlenerfüllten Aura steht ein Matrose der revolutionären Baltischen Flotte. Deren zweijähriges Jubiläum war Anlaß und Gegenstand des abgebildeten Schmuckteller-Entwurfs mit der Beschriftung: „Rote Baltische Flotte 1917-1919. Petrograd, 7. November 1919. Politische Abteilung des Kriegsrats der Revolutionären Baltischen Flotte". Hinter dem Kopf des Matrosen geht wie eine Gloriole die Sonne auf. So erscheint der kühn vorwärts schreitende Revolutionsheld wie ein Heiliger aus alten Zeiten durch einen Nimbus erhöht. Das Band seiner Mütze flattert allegorisch im „Sturm der Zeiten", der Kopf blickt in die Zukunft. Seine Körperhaltung ist dem absolutistischen Herrscherkult entlehnt: mit angewinkeltem, in die Hüfte gestemmten Arm posierte auch Ludwig XIV. seinem Porträtisten. Das eklektische, mit historischen Klischees gestaltete Bild ist Ausdruck des beginnenden sowjetischen Heroenkults, der Versuch einer Mythologisierung der Revolution. Die neuen Machthaber strebten nach Selbstdarstellung, öffentlicher Anerkennung und Glorifizierung ihrer Macht. Das Bild will Beispiel dafür sein, wie eine bestimmte Weltsicht nicht nur verkündet, sondern auch beschworen und in ihrer Bedeutung sanktioniert wird. Sein demonstratives Pathos, seine „Ikonenhaftigkeit" soll Emotionen wecken, zur Identifizierung einladen. Wie bei anderen zeitgenössischen Künstlern macht sich auch in Tschechonins Graphik der Einfluß der revolutionären Propaganda bemerkbar, zum Teil in widersprüchlichem Stil: Formauflösende und „formverhärtende", avantgardistische und klassizistische Elemente gehen eine eigenartige Symbiose ein. Das zentrifugale Auseinanderbrechen der Strahlen und die unruhige Komposition vermitteln den Eindruck von Bewegtheit, während der Rahmen aus Spruchband, Schriftzeichen und Eichenblättern sowie das beherrschende Rot des Revolutionshelden das Gefühl der Dauer und Unabwendbarkeit der neuen Zeitströmung suggeriert. Diese hybride Ästhetik, die revolutionäre Fortschrittlichkeit und biedermeierlichen Geschmack vereint, wird richtungweisend für die offizielle Kunst der folgenden
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Die Abbildung oben zeigt ein mit Tusche gestaltetes Titelblatt der Zeitschrift, das die Vielseitigkeit des Künstlers zeigt. Der Geist des neuen Zeitalters wird durch das Nebeneinander von Volkskultur und Alltagsleben demonstriert, das durch den halbbogenförmigen Titel verklammert wird. Analog dazu erscheint in der Mitte der gespannte Leib von Pegasus, dem Dichterroß, das im Sprung den sitzenden Kobsar, den ukrainischen Volkssänger, mit der als Tempel gestalteten Fabrik verbindet. Vergangenheit und Zukunft werden umfangen. Die Ornamentik, derer sich Narbut bedient, ist typisch ukrainisch. Der Künstler schöpft sie aus der Tradition des nationalen Barock wie auch der Ornamentik und Heraldik alter Gravuren. Charakteristisch für Narbut sind die fein stilisierten Motive und die breiten schwarzen Silhouetten, die auch da Plastizität vortäuschen, wo sie in der Realität gar nicht vorhanden ist. Die Klarheit der Linienführung und die dekorative Komposition weisen ihn deutlich als Schüler Bilibins aus.
1-19 Narbut, Georgij (Jegor) Posmertna wistawka tworiw (Posthume Werkschau) Herausgegeben vom Ukrainischen Historischen Schewtschenko-Museum, Kiew 1926 168 S.,8°, Brosch. Abb. S. 41, 69 Lit.: G. Lukomskij, Jegor Narbut. Chudoshnik - grafik, Berlin 1923; P. Bilezkij, Georgij Iwanowitsch Narbut, Kiew 1959.
Am Vorabend der Oktoberrevolution zeichnete sich das kulturelle Leben in Rußland durch große Vielfalt aus. Neben Vertretern des klassisch-akademischen Stils gab es Gruppierungen, die sich in ihrem Schaffen von einem prosaischen, auf das Leben des Volkes ausgerichteten Wirklichkeitsverständnis leiten ließen. Die Volksnähe erschien folkloristisch stilisiert im ornamentalen Stil der „Welt der Kunst" (Mir iskusstwa), erdnah und derb bei den Vertretern des „Primitivismus" oder verherrlichend bei den Agitatoren der Revolutionskunst.
Das propagandistische Titelblatt der Zweiwochenschrift „Solnze truda" (Sonne der Arbeit) zieht den Betrachter durch seine kompositorische Geschlossenheit in ihren Bann (Abb. rechts unten). Der in der Bildmitte im Vordergrund schreitende Arbeiter bildet mit dem hinter ihm schwebenden gewaltigen Stern und der im Hintergrund sichtbaren Industrielandschaft eine Einheit. Hierbei ist der fünfstrahlige Stern - wenn auch durch den Mann fast ganz verdeckt - bildgestaltend: Seine beiden horizontalen Strahlen verlaufen parallel zu dem Gewehr, das auf den Schultern des Arbeiters ruht, während der obere Strahl fast wie ein spitzer Heiligenschein hinter seinem Kopf schwebt. Die beiden nach unten weisenden Strahlen des Sterns korrespondieren einerseits mit dem Kran im Hintergrund und andererseits mit dem nach links geneigten Körper des Mannes bzw. dem nach rechts geneigten schweren Hammer. Die Darstellung ist nicht realistisch, sondern idealisierend. So wirkt der gut gebaute Mann nicht wie ein grobschlächtiger Arbeiter, sondern eher wie ein Athlet, ein Halbgott oder ein Engel, ausgestattet mit körperlicher Kraft und mit Gewehr und Hammer, um durch Arbeit und Waffengewalt an der Errichtung eines irdischen Paradieses mitzuwirken. Ähnlich wie Tschechonin nutzt auch Narbut für den propagandistischen Zweck eine idealisierende Darstellungsweise des kämpferischen Arbeiters. Aber für den vielseitigen Narbut, dessen künstlerische Wurzeln im Jugendstil liegen, ist dies - im Unterschied zu Tschechonin, der von seiner Propagandakunst überzeugt war, - nur ein Tribut an die Erfordernisse der Zeit. Nach seinem frühen Tode geriet der Künstler wohl deshalb so schnell in Vergessenheit, weil seine Betonung des ukrainischen Erbes nicht in das gesamtrussische Konzept der Sowjetregierung paßte.
Der Ukrainer Georgij Narbut (1886-1920) fühlte sich seit seiner Schulzeit zur Graphik hingezogen und ging 1906 nach Petersburg, um sich an der regen Diskussion um die künstlerische Erfassung der Wirklichkeit zu beteiligen. Im Kreis der „Welt der Kunst" lernte er Persönlichkeiten wie Bilibin, Dobushinskij und Benois kennen, die ihm wichtige Anregungen gaben. Binnen weniger Jahre war Narbut einer der wichtigsten Vertreter der Gruppe. Er scheute keinen Aufwand, um die verschiedenen graphischen Techniken zu erlernen. So studierte er von 1909 bis 1910 an der Hollosyschen Schule in München die deutsche Holzstichkunst, namentlich die Methode Albrecht Dürers. Anders als die meisten seiner Kollegen und ähnlich wie Faworskij, der gleichfalls bei Hollosy gelernt hatte, konzentrierte sich Narbut ganz auf die Buchgestaltung. Besonders Märchen, die Fabeln Krylows und altrussische Heldenlieder hatten es dem an der Folklore interessierten Narbut angetan. Nach dem langjährigen, fruchtbaren Aufenthalt in Petersburg kehrte er 1917 in seine ukrainische Heimat zurück. Längst war er ein in ganz Europa anerkannter Künstler, der schon an vielen Ausstellungen, darunter in Venedig und Leipzig, teilgenommen hatte. Als Professor der Graphik nahm er an der neugegründeten Akademie der Künste in Kiew eine bedeutende Position ein. Unverkennbar ist der Einfluß, den die Ereignisse der Oktoberrevolution und des ukrainischen Befreiungskampfes auf sein Schaffen hatten. Der Künstler wirkte bei der Gestaltung verschiedener literarischer Zeitschriften mit, darunter bei „Mistestwo" (Kunst), einer Literatur- und Kunstzeitschrift, die von 1919 bis 1920 erschien. „Mistestwo" war nicht ausgesprochen radikal, beschäftigte sich aber mit Fragen der revolutionären Kunst und bekämpfte die akademische Doktrin. Hier wurden Werke aus der Zeit vor der Revolution und von Vertretern der Avantgarde veröffentlicht. So erschien hier eine ukrainische Übersetzung von Alexander Bloks Verserzählung „Die Zwölf".
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Inhalt, sondern ist ganz vertieft in die formgemäße Abfassung des Schriftstückes. Auch die übrigen den Tisch umstehenden Personen zeigen keinerlei Regung.
1-20 Masjutin,
Masjutin konnte dem Text Gogols einen adäquaten bildnerischen Ausdruck geben, weil sein Stil eine wichtige Übereinstimmung mit dem Gogols aufweist. Beide Künstler stellen das Wirkliche unwirklich und das Unwirkliche wirklich dar. Dies zeigt sich auch auf der folgenden Abbildung, die den grotesken Höhepunkt der Erzählung festhält: Kowaljow hat seine Nase in eine Kirche verfolgt und beobachtet sie in andächtigem Gebet. Den größten Raum auf der ganzseitigen Abbildung nimmt die Nase ein. Sie trägt groteskerweise die Uniform eines Staatsrates, die detailgetreu mit Stickereien und einem Federbusch am Hut dargestellt ist. Das Blendwerk erscheint in der teuflischen Welt real. Wo es regiert, gerät die Wirklichkeit aus dem Lot. Masjutin veranschaulicht dies durch die unruhige Strichführung, den scharfen Helldunkel-Kontrast und die Verschiebung der Ebenen. Der Innenraum der Kirche wird nahezu abstrakt dargestellt.
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Nikolaj Gogol Nos (Die Nase) Mit Illustrationen von W. Masjutin Moskau - Berlin, Helikon, 1922 69 S., 8°, blaugrauer Pappeinband, Reprint Moskau 1989 Abb. S. 27, 37, 55, 65 Lit.: W. Schmidt: Russische Graphik des XIX. und XX. Jahrhunderts, Leipzig 1967; Dictionaire des peintres, sculpteurs, dessinateurs et graveurs, hrsg. v. E. Benezit, Bd. 7, Paris 1976.
In dieser wie in den anderen hier abgebildeten Illustrationen gibt es keine konsequente perpektivische Darstellung. Der Eindruck des Flächigen, des Zweidimensionalen wird verstärkt durch die gleichmäßige Schraffierung von Personen, Gegenständen und Hintergrund. Die Schraffierung verhindert nicht nur ein plastisches Hervortreten der Figuren, sondern läßt auch alles gleichsam aus ein und demselben groben Material erscheinen.
Nikolaj Gogol (1809-1852) war nicht der sozialkritische Autor, für den ihn viele Leser hielten - und noch bis heute halten. Ihm ging es darum, den Trugcharakter einer Welt zu entlarven, die vom Teufel beherrscht wird. Der Mensch, der allein durch materiellen Besitz seinen Platz in der Welt zu behaupten glaubt, entfremdet sich von der Wirklichkeit und von Gott. Er ist zum Untergang verurteilt wie der kleine Beamte im „Mantel" (1842). Gogol reduziert die Bewertung des Menschen auf die Attribute, die ihm eine Bedeutung in der trügerischen Welt verleihen: Kragenspiegel und Degen, Backenbärte und Dreispitze, Fräcke, Uniformen und Reifröcke wandeln über den Newskij Prospekt, den Petersburger Prunkboulevard, wie Gespenster. In „Nos" (Die Nase, 1836) wird ein einzelner Körperteil gar zum Helden der Erzählung. Das Abhandenkommen seiner Nase ist für den Karrieristen und Mitgiftjäger Kowaljow ein existentielles Problem. Abenteuerlich sind die Umstände, unter denen er das kostbare Organ zurückgewinnt. Unbewußt betont er dessen eigentliche Zugehörigkeit, indem er es permanent zum Teufel wünscht. Wassilij Masjutin konzentrierte sich im ersten Jahrzehnt seines Schaffens auf phantastische Sujets. Während seines Studiums hatte er sich intensiv mit Goya, Rops und Daumier befaßt. In Deutschland, wo er seit der Oktoberrevolution lebte, gaben ihm die Expressionisten wichtige Anregungen, wie man an seinen Illustrationen zu „Nos" erkennen kann. Die erste Abbildung zeigt Kowaljow auf dem Weg zur Polizei, wo er den Verlust seiner Nase melden will. Der Beamte, der die Anzeige des Kollegienassessors aufnimmt, zeigt sich nicht sonderlich verwundert über ihren
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Die Nase, die sich bereits anschickte, mit der Kutsche nach Riga davonzufahren, wurde von einem gewissenhaften Polizisten aufgegriffen und ihrem Besitzer übergeben (Abb. rechts oben). So wieder in den Besitz seines Riechorgans gelangt, weist Kowaljow seinen Barbier an, dieses beim Bartscheren äußerst vorsichtig anzufassen. Der Barbier erscheint in seiner nahezu kubistischen Stilisierung unwirklich, nicht wie ein Körper, sondern eher wie eine aus schlecht aufeinander abgestimmten Teilen zusammengesetzte Puppe (Abb. rechts unten). Der etwas zu kleine Kopf scheint ebenso locker zu sitzen wie die Nase seines Kunden. Gogol hatte einen scharfen Blick für das Tragikomische, mit dem er täglich konfrontiert war. Er war sich darüber im klaren, daß er als Professor für russische Geschichte an der Petersburger Universität - in der Zeit nach dem ersten schriftstellerischen Erfolg mit den „Abenden auf dem Weiler bei Dikanka" - eine sehr schlechte Figur gemacht hatte. Auch an den Spott der Mitschüler im Gymnasium mag er sich erinnert haben. Ein Zeitgenosse schrieb über ihn: „Er war von kleiner Gestalt, die Beine zu kurz im Verhältnis zu seinem Körper, mit einer verdrehten Gangart körperlich schlecht ausgestattet. Eine Flut von Haaren fiel wie eine Pferdemähne tief in die Stirn, und seine lange, ausgeprägte Nase verlieh ihm ein lächerliches Aussehen." Und nun hat sich dieser Körperteil im Galaschmuck eines höheren Beamten selbständig gemacht! Die scheue und angsterfüllt demütige Haltung des Nasen-Menschen Kowaljow, der Opfer und Zeuge einer Verzauberung wurde, spiegelt somit wohl auch die psychischen Probleme des Autors.
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1-21 Minajew,
sandten" in weißen Kitteln lassen nicht lange auf sich warten und bringen ihn, wie er fest glaubt, ins „Königreich Spanien".
Wladimir
Nikolaj Gogol
Sapiski sumasschedschego
Die Abbildung unten zeigt den Kulminationspunkt der Entwicklung zum Größenwahn, die Unterzeichnung des Dokuments. Der Künstler Wladimir Minajew kombiniert Bild und Text, um die Szene in den Kontext des Tagebuchs einzuordnen und die Ausdruckskraft der Szene zu steigern. Das wahnwitzige Datum der Tagebucheintragung flattert wie ein Motto über dem Bild: „Märzober, den 86., zwischen Tag und Nacht". Poprischtschin im Vordergrund des Bildes erscheint als eine Art Don Quijote, der sich in seine eigene Welt eingesponnen hat. Er nimmt die anderen gar nicht wahr, die um ihn herumstehen und ihn angaffen, wie die Pharisäer Christus angafften, als Pilatus ausrief „Ecce homo!". Im Gegensatz zu diesen „Staffetten", die eine kollektive Einheit bilden, ist der Narr Poprischtschin ein Individuum, der sein Narrentum bis ins letzte auskostet. Seine Augen sind halb geschlossen, auf das Geschriebene gerichtet. Er sitzt zurückgelehnt, eingeschlossen in seine hermetische Welt. Er sieht und hört nichts.
(Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen) Mit Illustrationen von Wladimir Minajew Moskau, Chudoshestwennaja literatura, 1985 79 S., 8°, OLwd. Abb. S. 4, 69 Lit.: Μ. Tschegodajewa, Wladimir Minajew, Moskau 1975.
Vor dem Leser liegen die Zeugnisse der fortschreitenden Wahnvorstellungen Poprischtschins, eines kleinen Petersburger Beamten, der in Gedanken seinem grauen, trostlosen Alltag entflieht. Poprischtschins Tagebuch macht uns zum Mitwisser seiner Sorgen, Träume und Leidenschaften. Ziel seiner romantischen Sehnsüchte ist Sophie, die Tochter des Direktors, die ihm aufgrund ihrer sozialen Überlegenheit für immer unerreichbar bleiben wird. Eines Tages belauscht Poprischtschin das Gespräch zweier Hunde. So erfährt er von einem Briefwechsel, den Sophies Schoßhündchen mit einer Artgenossin führt. Poprischtschin bemächtigt sich dieser Korrespondenz in der Hoffnung, daraus etwas über Sophie zu erfahren. Er liest die Briefe mit einer schier unersättlichen Gier und unterbricht seine Lektüre lediglich durch den Gedankenstrom seiner Kommentare, die den Leser dieser wahnwitzigen Tagebuchaufzeichnungen, ähnlich wie den Helden, zum heimlichen Mitwisser eines fremden Intimlebens machen. Durch die hündisch-triviale Paraphrase der Beamtenromanze und die in den Briefwechsel eingestreuten Kommentare der Hunde über den (mitlesenden) Helden ergeben sich weiterhin ironische Brechungen und groteske Parallelen. Als Poprischtschin erfährt, daß ein Kammerjunker seinem Schwärm erfolgreich den Hof macht, ruft die in ihm aufsteigende Eifersucht schwerwiegende Gedanken über Wesen und Ursprung der sozialen Ungerechtigkeit hervor. Warum sollte der in der sozialen Rangordnung weit über ihm stehende Kammerjunker auch in der Liebe Privilegien haben? Die Phantasie des armen Toren macht nun gewaltige Luftsprünge und galoppiert mit atemberaubender Geschwindigkeit davon. Die spekulative Vorstellung „Was wäre, wenn ich General wäre?" wandelt sich zum absoluten Hirngespinst, zur völligen Gewißheit, er sei tatsächlich einer und lebe nur incognito. Aber warum eigentlich nur General? Eine Zeitungsmeldung über die Vakanz des spanischen Königsthrons bezieht Poprischtschin, ohne mit der Wimper zu zucken, auf sich selbst, wundert sich allerdings über das Ausbleiben der spanischen Gesandtschaft, die ihn zum Antrittsbesuch beim Zaren begleiten soll. Nach langer Pause geht er schließlich wieder zum Dienst. Im vollen Bewußtsein seiner königlichen Würde, aber zum Entsetzen aller Anwesenden unterschreibt er ein wichtiges Dokument mit „Ferdinand VIII.". Die „spanischen Ge-
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Wladimir Minajew arbeitet mit Chiffren, die den Seelenzustand des Helden und seine Beziehung zur Außenwelt deutlich machen. Der leere Bilderrahmen steht für dessen exzentrischen Individualismus. Der spiralförmig aufsteigende Dunst versinnbildlicht seine Hirngespinste und seine abgehobenen seelischen Energien. Auffallend ist auch Poprischtschins verschrobene Körperhaltung - ein sichtbares Merkmal seines Narrentums.
Die Christus-Ähnlichkeit des exzentrischen Helden und selbsterkorenen Königs kommt auf der Abbildung unten noch deutlicher zum Ausdruck. Dort sieht man, wie er im vermeintlichen Königreich mit langen Stöcken geschlagen wird. Poprischtschin steht an der Schwelle zur jenseitigen Welt. „Wozu quälen sie mich?!" fragt er verzweifelt. Fast scheint es, als wolle Minajew mit Gogol sagen, erst im Narrentum käme das wahre Menschsein zum Ausdruck.
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Kukryniksy
Kopf des Stadthauptmanns ohne Blutverlust vom Rumpfe getrennt worden sein? Hat sich der Stadthauptmann seinen Kopf selbst von den Schultern genommen und entleert? Ist es denkbar, daß der Kopf, nachdem er einmal außer Kraft gesetzt worden war, mit Hilfe eines bisher unbekannten Verfahrens wieder anwachsen könnte? Unglücklicherweise - so das Ergebnis des Arztes sei „die Frage, wie sich der Organismus eines Stadtoberhauptes zusammensetzt, von der Wissenschaft noch nicht hinreichend untersucht worden". Nachdem die Dummhauser von dem Ereignis erfahren haben, fühlen sie sich verwaist, und viele fürchten, bestraft zu werden, weil sie meinen, die Kopflosigkeit ihres Stadtoberhauptes sei durch die Durchsicht ihrer Akten verursacht worden. Andere dagegen meinen, daß es sich ohne den Kopf des Kommandanten ganz gut leben lasse und die Verursachung der eingetretenen Veränderung keine Strafe, sondern Lob verdiene.
Michail Saltykow-Schtschedrin
Istorija odnogo goroda (Die Geschichte einer Stadt) in: Isbrannyje proiswedenija w dwuch tomach (Ausgewählte Werke in zwei Bänden) Mit Illustrationen der Kukryniksy Moskau, Chudoshestwennaja literatura, 1984 446 und 656 S., 8°, OLwd. Abb. Bd. 1, S. 64, 192 Lit.: G. Demosfenowa, Kukryniksy, Moskau 1960; N. Sokolowa, Kukryniksy, Moskau 1962; Bolschaja Sowjetskaja Enziklopedija, Bd. 13, Moskau 1973.
Die „Geschichte einer Stadt" des großen russischen Satirikers Michail Saltykow-Schtschedrin (1826-1889) ist eine satirische Beschreibung des russischen Reiches und seiner Metropole, die hier unter dem Namen Glupow (soviel wie: Dummhausen) vorgestellt wird. Besonders aufs Korn genommen wird hierbei das Verhältnis von Volk und Macht. Die Macht ist personifiziert in einer Reihe von Stadtkommandanten, die sich lediglich durch die Art ihrer Grillen voneinander unterscheiden. Ihre Inkompetenz und Dummheit sowie die sklavische Untertänigkeit des Volkes schreien zum Himmel.
Die zweite Abbildung (rechts) zeigt den regierenden Stadtvorsteher und Geheimen Staatsrat Iwanow, der infolge von Gehirnaustrocknung (die wiederum als Resultat der Nichtinanspruchnahme dieses wichtigen Organs entstanden ist) an Kopfschwund leidet. ...[Iwanow] nahm eine so geringe Körpergröße an, daß er nichts Voluminöses mehr in sich aufzunehmen vermochte. Wie zum Hohn geschah dies ausgerechnet zu derZeit, als in unserer Gesellschaft die Leidenschaft für die Gesetzgebung geradezu gefahrliche Ausmaße angenommen hatte: die Kanzleistuben brodelten in einem Maße vor Erlässen über wie die sagenhaften Flüsse von Milch und Honig nie im Leben übergenossen sind, und jeder Erlaß hatte ein Gewicht von mindestens einem Pfund.
Die erste Abbildung bezieht sich auf den Stadtkommandanten, der seinen Kopf verlor: Den Dummhausern ist ein neuer Stadtkommandant angekündigt worden, über den man sich bereits vor seinem Eintreffen allerlei Anekdoten erzählt. Gleichzeitig setzt man bange Erwartungen in seine künftige Verwaltungspraxis. Wird der neue Stadtkommandant den Dummhausern weiterhin die altgewohnten Freiheiten gewähren? Wird dank seiner amtlichen Verbindungen und unter seiner Planung der Handel aufblühen? Schon beim Eintreffen des neuen Stadtoberhauptes gibt es statt freundlicher Begrüßung eine Enttäuschung: „Ich erwarte Aktivität und Schnelligkeit, Sparsamkeit und Härte zur Bewältigung aller Anforderungen. Wenn dies wie gewünscht geschieht, können wir an Feiertagen gemeinsam Pasteten essen", läßt der Kommandant verlauten und kehrt daraufhin der verblüfften Versammlung den Rücken. Die unbekümmerten, gutmütig-heiteren Dummhauser sind zutiefst beunruhigt. Als bald darauf die Vertreter der ortsansässigen Intelligenz zu einer Sitzung ins Stadthaus beordert werden, bietet sich dem Schriftführer, als er die Tür zum gefürchteten Zimmer des Stadthauptmanns öffnet, folgendes Bild (Abb. links):
Im Volk kursieren zwei Versionen von Gerüchten über Iwanows Machtverlust: der einen zufolge ist er vor Schreck über einen allzu umfangreichen Senatserlaß, den er wahrscheinlich nie begriffen hätte, gestorben, und der anderen zufolge ist er nicht gestorben, sondern, da sein Kopf in einen embryonalen Zustand übergegangen sei, in den Ruhestand versetzt worden. Danach habe er noch lange Zeit auf seinem Gut gelebt, wo es ihm gelungen sei, den Grundstock zu einer ganzen Rasse von Kleinköpfen (Mikrokephaloi) zu legen, die bis heute erhalten sei. Die drei Künstler, die als Kollektiv unter dem Namen „Kukryniksy" bekannt wurden, folgen der satirischen Übersteigerung bis in die Absurdität der Details. Sie bedienen sich einer Art von Karikatur, wie sie in den Revolutionsjahren als Mittel im politischen Kampf populär war. Betont wird die groteske Pointe, das Auseinanderklaffen der Proportionen, so daß die völlige Sinnlosigkeit und Lächerlichkeit der Situation deutlich wird: überdimensionale Akten und Büromöbel und ein verschwindend kleiner Beamter, der seine Nase kaum noch aus dem Uniformrock hervorstecken kann und in dem Aktenmeer unterzugehen droht. Sein Glatzkopf mit den drei aufrechten Haarsträhnen steht in absurdem Wi-
Der Körper des Stadthauptmanns saß, mit einer Uniform bekleidet, am Schreibtisch, und vor ihm auf einem Stoß Steuerrückstandslisten lag wie ein prunkvoller Briefbeschwerer sein vollkommen leerer Kopf... Bestürzt läuft der Sekretär ins Freie. Dem vom Chef des Polizeireviers schleunigst herbeigerufenen Oberamtsarzt werden eine Menge Fragen vorgelegt: Wie kann der
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derspruch zu dem stolzen Federbusch im Tintenfaß, zum schwülstig-wichtigtuerischen Schreibtisch mit den gewölbten Löwenpranken und dem Kanzleistuhl. Im Hintergrund dient das in allen Amtsstuben obligatorische Porträt des Vorgesetzten, von dem hier nur noch die Sporen an den Stiefeln sichtbar sind, zur Charakterisierung des geltenden Herrschaftsstils. In der Karikatur kommt es nicht auf ästhetische Grundsätze an - wiederholt beriefen sich die „Kukryniksy" auf ihren Vorgänger Auguste Daumier - , sondern auf Polemik. Hier sehen wir das Beispiel einer publizistischen Kunstform mit aktueller Stoßrichtung. Das Künstlerkollektiv, so ist anzunehmen, hat nicht nur aus historischem Interesse die Verhältnisse in Dummhausen illustriert, denn gerade zu seiner Zeit war die Gefahr der Bürokratisierung und Inkompetenz der Verwaltung leibhaftig zu spüren. Der literarische Kontext öffnet darüber hinaus auch den Blick für gewisse traurige Konstanten der russischen Geschichte.
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lingen umgebenen Lebens der Begriff vom Glück durch eine ungekünstelte Natur fremd geblieben. Beeindruckt von dem Gerücht über den wunderbaren Gesang einer Nachtigall versucht er, den Vogel zum Eigentum seines Hofstaats zu machen. Aber das graue Vöglein mit der goldenen Stimme entflieht der Gefangenschaft. Der zum Ersatz angefertigte edelsteinbesetzte technische Kunstvogel mit dem unveränderlichen Liedprogramm nutzt sich ab und versagt, als der todkranke Kaiser eine lebendige, wärmende Stimme dringend benötigt. Die Nachtigall, die dies aus der Ferne gespürt hat, singt am Fenster des Krankenzimmers und verhilft dem Kaiser zu einem tiefen, Genesung bringenden Schlaf.
1-23 Narbut, Georgij (Jegor) Hans Christian Andersen Solowjej (Die Nachtigall) Mit 3 ganzseitigen Illustrationen und 4 Vignetten von Jegor Narbut Moskau, Knebel Verlag, o.J. (1912) 9 S., 4°, OBrosch. mit illustriertem Titel (ein Heft der „Geschenkserie" des Verlages) Abb. S. 7 Reprint Moskau 1989 mit einer Einführung über die Tätigkeit des Knebel Verlags und seiner Kinderbuchillustratoren Lit.: G. Lukomskij, Jegor Narbut. Chudoshnik-grafik, Berlin 1923; P. Bilezkij, Georgij Iwanowitsch Narbut, Kiew 1959; L. I. Juniweig, Isdatelstwo I.N. Knebel i chudoshniki detskoj knigi, Moskau 1989.
Narbut hat in der zentralen Szene - in sensibler Anlehnung an Andersens Text - die Wundermedizin in Gestalt des winzigen, im kunstvoll geschnittenen Geäst der Prunkvase sitzenden Vogels mit den verschiedenen graphischen Stilmitteln seiner Illustrationskunst dargestellt. In den für die Heraldik maßgeblichen Grundfarben - Rot, Blau, Grün, Gelb (Gold) - prangen, umrahmt von einer floralen Silhouette, das Krankenbett mit dem Baldachin, die Schmuckvase, die Fahne in der einen Hand des Todes, die dem Kaiser geraubte Krone auf seinem Kopf und das Herrscherschwert in seiner anderen Hand. Die bedrückende Schwere des Silhouettenrahmens wird nur durch die beiden farblich zurückhaltenden großen Blüten im Baumgeäst etwas aufgelockert. Bizarr konturiert hockt der Tod in siegreicher Pose mit der geraubten Krone, dem gezückten Schwert und der triumphierend erhobenen Herrscherfahne auf der Brust des seiner Machtinsignien beraubten Kranken. Aber Wolken voller Wohlklang schweben aus der Kehle der Nachtigall zum Krankenbett. Bald werden sie es einhüllen und dem Kaiser zu einem tiefen Genesungsschlaf verhelfen. Beim Tod ruft die Vogelstimme ein Gefühl wach ...
Georgij Narbut gehört trotz seiner kurzen Lebenszeit zu den wichtigsten und vielseitigsten russischen Graphikern in den beiden ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts. Er stammte aus einer aristokratischen Familie litauischer Herkunft, die seit dem 17. Jahrhundert in der Ukraine ansässig war. Künstlerische Begabung, Phantasie und bildnerisches Färb- und Formgefühl verbinden sich bei ihm mit volkstümlicher Derbheit und sozialem Empfinden. Beide Wesenszüge kommen in sehr unterschiedlichen Perioden innerhalb seines graphischen (Euvres zum Ausdruck. Der Besuch der Kunstschule in Petersburg nach Abschluß der Schulzeit 1906 und die Bekanntschaft mit dem Künstlerkreis um Sergej Diaghilew, den Herausgeber der international beachteten Zeitschrift „Mir iskusstwa" (Welt der Kunst) und späteren Gründer der „Ballets Russes", prägt Narbuts graphisches Frühwerk. Er wohnte im Haus Iwan Bilibins, des um zehn Jahre älteren Künstlerfreundes, für den er Auftragsarbeiten zu Märchenillustrationen ausführte und dessen Buchillustrationen er sich zum Vorbild nahm. Narbut erfuhr reiche Anregungen durch das Studium altrussischer Volksbilderbogen (Lubok) und bäuerlicher Graphik.
für den stillen Gottesacker, wo die weißen Rosen wachsen und wo der Flieder duftet und das frische Gras von den Tränen der Überlebenden befeuchtet wird. Da bekam der Tod Sehnsucht nach seinem Garten und schwebte wie ein kalter, weißer Nebel aus dem Fenster.
Für den Moskauer Knebel Verlag schuf er in den Jahren 1909-1912 Aquarelle, Zeichnungen und Märchenillustrationen in sehr vielfältiger Darstellungsart zu Texten russischer und ausländischer Autoren. Sein starkes kulturelles Interesse am 18. und 19. Jahrhundert fand Niederschlag in seiner Silhouettengraphik, sowohl Porträts als auch szenischen Gestaltungen, wie beispielsweise zu Krylows Fabeln und Andersens „Nachtigall". Ein weiterer Anziehungspunkt für Narbut war die Heraldik, und dementsprechend umrahmte er gern die Bilddarstellungen oder die Textseite seiner Märchenbücher, wie beispielsweise die „Geschichte des hölzernen Adlers", mit üppigem dekorativem Schmuck.
Vielleicht wollen Narbuts Wolkenschwaden auch diesen Nebel verdeutlichen. Dem Leser bleibt es überlassen, über Andersens und Narbuts Versinnbildlichung des beseligenden Naturerlebnisses nachzudenken.
Wie alle Märchen Andersens dient das von der Nachtigall nicht nur der Unterhaltung der Kinder, sondern auch der „Belehrung" der Erwachsenen. Dem chinesischen Kaiser ist in der Isoliertheit seines von Pracht und Höf-
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erfüllt von pädagogischer Fürsorge. Der spitzbübische Hase erscheint in russischer Bauerntracht. Seine Läufe hat er leger übereinandergekreuzt, den Kopf keck in die Höhe gestreckt. Er blickt keck und freudestrahlend zur Base auf, sonnt sich in seinem Erfolg. Im Wald herrscht russischer Winter, der kahle Ast ist schneebedeckt.
1-24 Ratschow, Jewgenij Alexej Tolstoj
Häschen Prahlhans in: Kater Graustirn. Russische Volksmärchen Übersetzung ins Deutsche von Günter Löffler Mit Illustrationen von Jewgenij Ratschow Moskau, Progress Verlag, 1974
Ratschow ist ein Meister der typisierenden Tierdarstellung. In der Manier der russischen Volkskunst malt er in kräftigen Farben. Er liebt freizügige, schwungvolle Kompositionen, die oft über den Seitenrahmen hinausgehen, so daß Bild und Märchentext ineinandergreifen. Dadurch wirkt die Handlung zeitlos-gegenwärtig. Ähnliches kennen wir vom Lubok, dem altrussischen Bilderbogen, wo Bild und Text, ebenfalls pädagogischen Zwecken dienend, eine Einheit bilden. Die russischen Kinderbücher verkünden oft eine dem StruwwelpeterMoralismus entgegengesetzte Botschaft, derzufolge eine an Verboten orientierte Erziehung eigentlich gar nichts nützt, da sich die gesunde, eigenständige Natur doch immer wieder durchsetzt. Diesen Grundzug hebt auch die vorliegende Illustration hervor: Ratschow steht unverkennbar auf der Seite des Hasen, ohne jedoch dabei die Krähe zu verunglimpfen. Er zeigt den Hasen voller Schalk, in Siegerpose. Meister Lampe ist immer noch ein Prahlhans; allerdings hat er diesmal auch allen Grund, stolz zu sein.
158 S., 4°, OLwd. Abb. S. 60/61 Lit.: W.P. Tolstoj, Jewgenij Michailowitsch Ratschow, Moskau 1960; L. Oribowa, Sweri moi sa menja goworjat (Meine Tiere sprechen für mich), in: I.A. Krylow, Moskau 1965.
Das Märchen erzählt von der Prahlerei des kleinen Hasen, der die Überlänge seines Schnurrbarts, die Größe seiner Pfoten und die Stärke seiner Zähne preist. Er habe vor niemandem Angst, behauptet er. Die anderen Hasen im Wald berichten der Base Krähe von dem prahlerischen Geschwätz. Als diese dem Prahlhans die Leviten liest, verspricht er ihr, sein Laster aufzugeben. Bald darauf gerät die Krähe in Lebensgefahr, als wütende Hunde hinter ihr herjagen. Unerwartet beweist Hase Prahlhans Mut, Tatkraft und Opferbereitschaft, indem er die Hunde ablenkt und sich hakenschlagend in Sicherheit bringt. Nun ist die Krähe voll des Lobes für ihn. Nicht nur im russischen Märchen verkörpern die Tiere menschliche Eigenschaften und archetypische Beziehungen. In den Illustrationen von Jewgenij Ratschow posieren sie oft mit theatralischer Übertreibung, so daß der von ihnen verkörperte Typ in der gesamten Gestalt, in Mimik, Gestik und Kleidung zum Ausdruck kommt. In ihrem „Vor-Bild" teilt sich den Kindern die Lust am rollenhaften Agieren mit. So wird spielerisch Welterkenntnis vermittelt, und gleichzeitig wachsen Sympathie und Verständnis für die Tiere, die dem Menschen „verwandt" sind. Die Abbildung zeigt Hasen und Krähe in engem Einvernehmen. Die Krähe sitzt auf einem Ast und legt dem Hasen mit schwesterlicher Miene ihren rechten Flügel um die Schulter. In Gestalt und Kleidung wirkt sie zwar unansehnlich und matronenhaft, aber ihr Wesen ist
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1-25 Wasnezow,
können sie, wie auch Wasnezow es tut, verschiedene Objekte gleichzeitig aus unterschiedlichen Blickwinkeln darstellen.
Jurij
Pjotr Jerschow Konjok-Gorbunok (Das bucklige Pferdchen)
Die Illustration zum „Buckligen Pferdchen" von Pjotr Jerschow (1815-1869) gilt als ein Meilenstein im Schaffen von Jurij Wasnezow, er hat mit ihr erst richtig zu sich selbst gefunden, wie W. Petrow im Geleitartikel zur vorliegenden Ausgabe anmerkt. Wasnezows Vorliebe für russische Volkskunst und Märchenmotive geht auf seine Kindheitserinnerungen an seinen Heimatort Wjatka zurück, wo es keine Leibeigenschaft gab und das bäuerliche Kunsthandwerk seit jeher in hoher Blüte stand. Der Künstler kannte das reale Dorfmilieu und die märchenhafte Phantastik des russischen Lebens aus eigener Erfahrung.
in: Russkaja skaska w twortschestwe Ju.A. Wasnezowa (Das russische Märchen im Schaffen Ju.A. Wasnezows) Zusammengestellt und mit einem Geieitartikel versehen von W. Petrow Leningrad, Chudoshnik RSFSR, 1985 140 S.,4°, illustr. OPp. Abb. S. 49
Der dumme Iwan, eine bekannte russische Märchengestalt, ist ein großer Faulpelz, hat aber eine reine, gutmütige Seele und erlangt deshalb die Freundschaft und Gewogenheit von Tieren und Naturkräften, die ihm in mancherlei Notsituationen beistehen. Mit der Hilfe des buckligen Pferdchens löst er schier unlösbare, lebensgefährliche Aufgaben im Auftrag des machthungrigen und heiratslustigen alten Zaren. Bei der Suche nach einem kostbaren Kleinod begegnet Iwan einem riesigen Walfisch, auf dessen Rücken es sich - zu seinem großen Leidwesen - ein ganzes Dorf bequem gemacht hat:
Die auf 1933 datierte Farblithographie kann man durchaus in Zusammenhang mit zeitgenössischen Kunsttendenzen sehen, vor allem dem Surrealismus, der gleichermaßen aus dem individuellen und, wie die Volkskunst, aus dem kollektiven Unbewußten schöpft.
Seine Seiten sind durchstochen Und die Rippen ganz durchbrochen, A uf dem Sch wanze rauscht ein Wald, Vom Dorfes übem Rücken schallt, Auf der Lippe pflügen Bauern, Zwischen A uen Burschen kauern, Unter Eichen, dicht am Bart Suchen Mädchen Pilze zart. Der Künstler hat die genannten Einzelheiten so ausgemalt, daß sich die Akzente leicht verschieben - aber „die Kirche bleibt im D o r f (in Anspielung auf den christlichen Wortschatz im Märchenpoem?). Daß der Walfisch an den ihm zugefügten Zivilisationswunden leiden soll, merken wir ihm nicht an. Das ganze Bild strahlt überschäumende Lebensfreude aus. Die aus den Nüstern sprudelnde Wasserfontäne veranschaulicht die vitale Kraft des Riesen, der sich wie ein leichtsinniger Geck und Müßiggänger mit überschüssigen Kräften gebärdet und die auf seinem Rücken entstandene Bepflanzung und Besiedlung gleichmütig hinzunehmen scheint. Auf seinem Kopf sehen wir Iwan und das bucklige Pferdchen mit seinen überdimensional langen Ohren, im Hintergrund eine viermastige Galeere. Unten sitzen drei Männer in erwartungsvoller Haltung. Die Objekte und Gestalten auf dem Walfischrücken stehen kompositorisch in keinerlei Zusammenhang, sondern wirken wie zufällig zusammengewürfeltes Spielzeug aus der Spielzeugkiste. Das Bild führt eine Welt vor Augen, an die sich eine Menge praktischer Fragen knüpft, gibt darauf aber ebenso wie der Text keine Antwort. Die Welt ist eben voller Wunder, punktum. Die Malweise des Künstlers erinnert an die von Kindern, die ein Wunder ganzheitlich wahrnehmen, deren Verstand nicht „seziert". Deshalb
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1-26 Ostrow, Swetosar
die zaristische Zensur, den Druck zu verbieten. Erst 1840, drei Jahre nach Puschkins Tod, gelang es Shukowskij, das Märchen zu veröffentlichen. Freilich mußte der Geistliche zuvor durch die Gestalt eines Kaufmanns ersetzt werden.
Alexander Puschkin
Skaska ο pope i ο rabotnike ego Balde (Das Märchen vom Popen und seinem Knecht Schafskopf) In: Skaski (Märchen) Mit 15 Vignetten und 45 Illustrationen von Swetosar Ostrow Moskau, Sowjetskaja Rossija, 1985
Ostrow illustriert das groteske Geschehen mit karnevalistischen Elementen. Der Teufel, den zu überlisten der Knecht auszog, hat ebenso an Furchtbarkeit verloren wie der Pope an Erhabenheit. Die verdrehten Hörner, die überdimensionalen Ohren und die kleinen, mageren Ärmchen strafen den bösen Blick des Ungeheuers Lügen, Ihm gegenüber liegt bäuchlings der vermeintliche Narr, der dem Teufel mit der gleichen Respektlosigkeit begegnet wie seinem Herrn. Mit seinem gepunkteten Kittel und der eingedrückten Mütze gibt Ostrow der Figur etwas Eulenspiegelhaftes, das mit der mutwilligen Buntheit der Initiale korrespondiert.
118 S., 4°, roter KLdr.-Einband Abb. S. 61 Lit.: Β. Semjonow, Swetosar Ostrow, in: Awrora Nr. 7, 1973; ders., W dwishenii wperjod, in: Newa Nr. 2, 1982; A. Jerochin, Swetosar Ostrow. Priroda, klimat, obitateli, in: Detskaja literatura Nr. 12, 1986.
Die zwischen 1830 und 1835 entstandenen Kunstmärchen Alexander Puschkins gehören zu den bedeutendsten ihrer Gattung, die sich in der Epoche der Romantik besonderer Beliebtheit erfreute. Puschkin war von 1825 bis 1826 auf das Gut Michajlowskoje verbannt worden und nutzte die Zeit zu einem intensiven Studium der russischen Volksdichtung. Er sammelte die Märchen, die ihm vor allem seine Kinderfrau Arina Rodionowna, aber auch leibeigene Bauern erzählt hatten, und benutzte sie als Grundstock für die eigene Dichtung, die durch die Rezeption deutscher Märchen und der westeuropäischen Ritterromane eine weitere Bereicherung erfuhr. Die vorliegende Ausgabe enthält alle bekannten Märchen des Dichters, u.a. auch das fragmentarische „Märchen von der Bärin". Illustriert wurde das Buch von dem russischen Künstler Swetosar Ostrow, der im Westen wenig bekannt ist. Beachtlich ist die starke Farbigkeit der Illustrationen, die meist ganzseitig, mit ornamentalen Rahmen versehen, dem Text gegenübergestellt werden. Anders als die bekannteren Illustratoren der Puschkinschen Märchen pflegt Ostrow einen Stil, der nicht allein auf die russische Folklore zurückgreift, sondern seine Anregungen auch aus der Volkskunst fremder Völker bezieht. So sind in der Ornamentik arabische und indische Einflüsse unverkennbar, während die expressiven Farben an die der Indianerkunst erinnern. Doch wie so viele andere Gestalter von Märchenbüchern verzichtet Ostrow darauf, seine Figuren plastisch zu gestalten; er verschiebt die räumlichen Ebenen, um die Gesetze der Realität aufzuheben und die der Märchenwelt eigene Wahrheit zur Geltung zu bringen. Die Figuren sind teils zart stilisiert, teils erscheinen sie grob und grotesk. Dies gilt auch für die Abbildung rechts, die zu dem „Märchen vom Popen und seinem Knecht Schafskopf" gehört, das Puschkin im Jahre 1830 verfaßte. In volkstümlichem Versmaß gehalten, stellt es eine antiklerikale und sozialkritische Satire dar. Die Anspielung auf die Ignoranz und Unehrlichkeit der Geistlichen wird dadurch verstärkt, daß der vermeintlich törichte Knecht den Popen genauso überlistet wie den Teufel. Diese Anspielung auf die verhängnisvolle Rolle des Popen veranlaßte
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1-27 Ostrow,
Die erste zeigt den Fischer am Meer; in seiner Hand hält er den Butt, der um sein Leben bittet. Der Blick des Fischers ist gutmütig und ernsthaft zugleich. In diesem Moment ist er Herr über Leben und Tod, aber er nutzt diese Macht nicht aus. Er achtet das Leben des anderen Lebewesens, und diese Achtung wird dadurch unterstrichen, daß er gegenüber dem kleinen Butt in seiner Hand sehr groß dargestellt ist. In allen Illustrationen ist die Größe der dargestellten Figuren und Dinge bedeutsam. Die Größenverhältnisse verdeutlichen die Position, die ein Handlungsträger in bezug auf die anderen einnimmt. Die unersättliche Fischersfrau, die in ihrer Keiferei von einer Krähe unterstützt wird, erscheint groß, böse, wie von Sinnen und erinnert in ihrer Gestalt, Gestik und Mimik an eine Hexe. Unerbittlich weist ihr ausgestreckter Arm mit dem krummen Hexenfinger dem Mann den Weg zum Meer. Sie erscheint so mächtig, daß auf der Bildfläche kein Raum für den Fischer bleibt. Im nächsten Bild kniet er winzig klein vor riesig schäumenden Wogen. Diese Drohgebärde des Meeres ist eine Warnung: Geh nicht zu weit! Noch erfüllt der Butt die Forderungen der Alten, aber er wird zunehmend unwilliger.
Swetosar
Alexander Puschkin Skaska ο rybake irybke (Der Fischer und seine Frau) In: Skaski (Märchen) - Ausgabe wie 1-26
Abb. S. 46,47, 48,49,51,54 Jedes Kind kennt wohl den Spruch, mit dem sich der bedauernswerte Fischer in dem Märchen vom Fischer und seiner Frau immer wieder um Hilfe an den Butt wendet: Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttjein der See, Meine Frau die Ilsebill Will nicht so, als ich wohl will. Die unzufriedene Fischersfrau wünscht sich zunächst bloß eine größere Hütte. Als sie aber sieht, daß der Butt tatsächlich Wünsche erfüllen kann, wird sie maßlos: Nun will sie ein Schloß, dann den Thron und später sogar den Heiligen Stuhl für sich. All das wird ihr erfüllt. Am Ende aber geht sie zu weit: Sie will Gott werden und landet stattdessen wieder in ihrer alten, jämmerlichen Hütte.
Auf dem letzten Bild ist die Fischersfrau dann wieder klein geworden und sitzt vor ihrer alten, ärmlichen Hütte. Ihre Welt nimmt nun bloß noch ein Drittel des Bildes ein. Darüber erstreckt sich der große weite Himmel: Die Ordnung der Dinge ist wieder hergestellt.
Die ausgewählten Illustrationen untermalen verschiedene Etappen des dramatischen Geschehens.
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1-28 Pawlischin,
Es ist ein fast unbekannter Schatz, der fesselt und staunen läßt. Auch hier, wie in der klassischen Literatur, steht das Gute im Kontrast zum Bösen. Durch egoistisches Verhalten werden die Gesetze der Taiga verletzt. Der Griff nach dem Himmel, dessen Wolken die Brüder Kanda und Yegda mit hakenbewehrtem Tau herabziehen, bietet für sie nicht ungestraft eine Fortsetzung der von ihnen stets bedenkenlos übertretenen Jagdrechte der Sippen. Der Weg zurück zur Erde ist versperrt, und in rastloser Wanderschaft über die Milchstraße sind die Unersättlichen dazu verdammt, die Seelen der von ihnen unrechtmäßig getöteten Zobel einzufangen und in die Wälder zurückzuschicken. Faulheit, Hinterlist und Geiz, vor allem aber die Ausbeutung der Armen und Schwachen, erhalten die verdiente Strafe. Die leblosen Dinge wie Arbeitsgeräte und Waffen, aber auch Bäume und Steine stellen den Unterstützungsbedürftigen zauberkräftige Hilfe zur Verfügung, wie in der Legende vom armen Jungen Monokto.
Gennadij
Dmitrij Nagischkin
Folktales of the Amur. 31 stories from the Russian Far East Mit einem Vorwort von A.P. Okladnikow Aus dem Russischen ins Englische übersetzt von Emily Lehrman Mit 103 Farbillustrationen von Gennadij Pawlischin New York, H.N. Abrams Inc., 1980 224 S„ 4°, OLwd. Abb. S. 109 Lit.: Τ. Michajlowa, ,Solotoje Jabloko' Gennadija Pawlischina, in: Detskaja literature Nr. 4, 1976; dies., Tajga kak dom rodnoj, in: W mire knig Nr. 5, 1977.
In der Welt der Fabel- und Märchenliteratur können die Geschichten der fernöstlichen Völker an den Ufern des Amur im südlichen Sibirien auf eine besonders frühe Entstehungszeit zurückblicken. Es sind Mythen und Legenden verschiedener Stämme - der Nanai, Niwchen, Oltschen, Udche u.a. - , die Dmitrij Nagischkin gesammelt und aus fünf oder sechs Originalsprachen ins Russische übertragen hat. (Die russische Ausgabe der Sammlung erschien 1975 in Chabarowsk.) Für jede dieser ethnischen Gruppen sind bestimmte Erzählungstypen charakteristisch, doch allen Geschichten gemeinsam ist die Beschreibung der östlichen Naturwelt mit ihren vielfältigen Tierarten und den Menschen der Taiga und der Wälder, die an den Ufern der Ströme und an den Meeresküsten leben.
Ähnlichkeiten mit Fabeln anderer Völker sind erkennbar, wie der Wettlauf des Hasen mit der Maus oder das Bündnis von zwei schwachen Tieren gegen den Starken. Die einleitende Erzählung vom tapferen Azmun erinnert an alte Legenden, in denen ein vom Fluß angeschwemmtes Findelkind zum Helfer seines Clans oder zum Retter eines ganzen Volkes wird. In steinzeitlichen Höhlen in der Gegend des Amur fand man Keramikfragmente und Felseinritzungen mit Ornamenten, Spiral- und Mäandermustern, die den heutigen Verzierungen von Gebrauchsgegenständen aus Birkenrinde oder Keramik gleichen. Felszeichnungen von Bären und Vögeln mit ausgebreiteten Schwingen, auch Frauengesichter mit schrägen, geschlitzten Augen ähneln stark der heutigen Volkskunst und der Bevölkerung in den abgelegenen Siedlungen der Nanajzen- und Oltschen-Stämme.
Im Mittelpunkt der Erzählungen stehen meist die engen Beziehungen der einheimischen Jäger und Fischer zu den Tieren und die wachsende menschliche Fähigkeit, sich Natur und Tierwelt nutzbar zu machen. Doch können Menschen und Tiere schnell ihre Gestalt verwandeln: Der Bär erscheint als Mensch, das stolze hoffärtige Mädchen verwandelt sich in eine Gans oder einen Schwan. Das Tier hilft dem Menschen, der in eine mißliche Lage geraten ist, und der Jäger steht der Tierwelt bei, soweit nicht seine Lebensbedürfnisse und seine Sicherheit etwas anderes fordern.
Der Illustrator der Erzählungen, der Künstler und Ethnograph Gennadij Pawlischin, hat sich in die Umwelt der Menschen am Amur-Fluß, ihre Kleidung, die Bauweise und Innenräume ihrer Holzhütten, die Ornamente der Textilien und hölzernen Gebrauchsgegenstände, vor allem auch in die Farbenwelt der engen Gemeinschaft von Mensch, Tier und Natur mit Kennerschaft und Einfühlungsvermögen vertieft. Nicht leicht findet sich ein illustriertes Legendenbuch mit einer so überzeugenden Qualität folkloristischer Illustration. Es ist deshalb auch kein Zufall, daß es auf internationalen Ausstellungen mehrfach ausgezeichnet worden ist. Die Ähnlichkeit der Darstellungen, Farben und Ornamentik mit den Kulturen der Himalayavölker in Bhutan und Tibet sowie der Mandschurei bis hinauf in den arktischen Norden fällt ins Auge und deutet auf die engen ethnischen Verbindungen zwischen den Völkern Ostasiens hin.
Diese Geschichten und Mythen sind seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben worden. Ihre Wurzeln sind nach Ansicht russischer Wissenschaftler erheblich älter als die Grundlagen der europäischen zunächst mündlich überlieferten, später kodifizierten Literatur. Die Erzählungen haben vielfach einen moralischen und für das Gemeinschaftsleben erzieherischen Gehalt. Mythische Gestalten wie „Der große alte Mann des Meeres" oder „Onku, der Herr der Gebirge und Wälder" entsprechen den Naturgottheiten vieler anderer Länder. Und auch das begreifliche Bedürfnis analphabetischer Völker, zu fabulieren und erregende Erlebnisse bei der Bewältigung von Naturereignissen zu vermitteln, tragen zu diesem bunten Bildteppich von Volksgut bei.
Die vorliegende Abbildung gehört zu der Erzählung von Solodo, einem reichen Mann aus dem Stamm der Niwchen, der für seine Geschäfte viele arme Bauern und Frauen arbeiten läßt, geizig und von unersättlicher Habsucht ist. Sie zeigt die tiefe Abneigung der sibirischen
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Taigabevölkerung gegen die benachbarten chinesischen Händler und Städter. Solodos nichtsnutziger Sohn Aluntka hat an allen Mädchen, die ihm als Braut vorgestellt werden, etwas auszusetzen. Als er erfährt, daß im angrenzenden China Bräute mit reicher Mitgift ausgestattet werden, macht er sich mit seinem Vater und mancherlei Geschenken auf die lange Reise. Dort aber ist man ihnen mit chinesischer Geschäftstüchtigkeit weit überlegen. In einem Boot mit Hochzeitsgaben bringt Aluntka eine reichgeschmückte, verschleierte Frau als angebliche Prinzessin heim. Die kostbaren Gewänder und die Mit-
gift werden ihm schon bald von gedungenen Piraten wieder abgenommen, und bei der Ankunft im Dorf erweist sich die verschleierte Braut als eine Frau im Großmutteralter. Den von dem Geizhals ausgenutzten Dorfbewohnern bleibt das Vergnügen des schadenfrohen Gelächters. Aluntka verschwindet auf Nimmerwiedersehen, und auch Solodos zwanzig Hundeschlitten können ihn in keinem Winkel der Welt wiederfinden: „Wenn du selbst nichts zu bieten hast, glaube nicht, auf Kosten anderer reich werden zu können."
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Viele Stoffe und Motive aus der vorliegenden Märchensammlung sind international, sie finden sich auch in den Märchen anderer Völker wieder. Nicht so bei „DadBedad". Dieses Märchen hat in der Volksliteratur der Welt keine Entsprechung. Die Herausgeber haben zur Illustrierung ein Bild Sarjans aus seiner in den zwanziger Jahren entstandenen Serie „Portraits der Heimat", also des Landes am Ararat-Gebirge, ausgewählt, in der er dem lange qequälten Land ein Denkmal gesetzt hat: „Ich bin bestrebt, das kleine Stück Land an den Hängen des Aragat, das uns wie eine Mutter Stärke und Willenskraft geschenkt hat, in seinem ganzen fühlbaren Sein auf die Leinwand zu bringen", sagte er über diese Bilder, die orientalische und okzidentale Einflüsse verbinden. Die leuchtenden Landschaften drücken Lebensfreude aus. Sie sind von Optimismus und einer tiefen Ruhe gekennzeichnet.
1-29 Sarjan, Martiros Dad-Bedad in: Armjanskije narodnyje skaski (Armenische Volksmärchen) Hrsg. und mit einem Vorwort von Aram Ganalanjan Mit 84 Illustrationen von Martiros Sarjan Jerewan, Sowjetskij Groch, 1983 320 S„ 4°, OPp., illustr. Schutzumschlag Abb. S. 109 Lit.: Μ. Woloschin, Sarjan, in: Apollon Nr. 9, 1913; A. Michajlow, Martiros Sergejewitsch Sarjan, Moskau 1958; R. Drampjan, M.S. Sarjan, Moskau 1964; Ausstellungskatalog Darmstadt 1986.
Die vorliegende Märchensammlung besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil ist den Zaubermärchen gewidmet, zu denen auch „Der Vogel Peri" (s. Nr. 1-30) gehört. „Dad-Bedad" hingegen ist der zweiten Kategorie, den Alltagsmärchen, zuzuordnen, deren Helden häufig einfache Menschen aus dem Volke sind: Jäger, Fischer, Hirten oder deren Söhne, die mit Bauernschläue das Böse überlisten. Wenn es bei den Zaubermärchen eher um den Kampf gegen das abstrakte, numinose Böse geht, so richten sich die Alltagsmärchen gegen das Böse im Leben und in der Gesellschaft, gegen Habgier etwa und Ungerechtigkeit.
Sarjans Kunst ist nur vor dem Hintergrund der Geschichte, der Kultur und der Landschaft Armeniens zu verstehen. Hier setzte der Bibel zufolge nach der großen Sintflut die Arche Noah auf, und von hier aus machte die Menschheit einen neuen Anfang. Als christliches Land im moslemischen Orient ist Armenien Mittler zwischen den Kulturen. Immer wieder wurde das Land von blutigen Feldzügen überrannt, immer stand es im Spannungsfeld der wechselnden Großmächte der Geschichte. Zu Beginn dieses Jahrhunderts fielen dann noch einmal über eine Million Armenier dem Völkermord in der Türkei zum Opfer. Zu einer relativen Ruhe kam Armenien erst, nachdem es 1920 zur sozialistischen Sowjetrepublik erklärt wurde. Sarjan kehrte daraufhin in das Land seiner Väter zurück und ließ sich für immer in Eriwan nieder.
Die Illustrationen des armenischen Künstlers Martiros Sarjan sind zum Teil kleineren Märchensammlungen aus den dreißiger Jahren entnommen, die der Künstler mit Landschaftsdarstellungen, zuweilen aber auch nah am Text illustriert hat, zum Teil stammen sie aus Sarjans großem Werk über Armenien. Die Auswahl des Bandes folgt dem Prinzip des Künstlers, wonach Märchen ideal durch die Darstellung von eigenem Land und Volk illustriert werden können.
Die Abbildung zeigt ein Ölgemälde von 1923 mit dem Titel „Armeniens Berge". Den größten Teil der Bildfläche nehmen die majestätischen Berge ein. Die Farbkomposition aus Blau, Lila, Grün und Ockertönen vermittelt eine Atmosphäre von Ruhe und Hitze. Farben und Licht harmonieren miteinander. An den Fuß der Berge schmiegen sich, wie schutzsuchend und ohne die Schönheit der Natur zu stören, ein paar Häuser. Der Mensch scheint in ehrfürchtiger Bescheidenheit in diesem Land zu leben. Die höchsten Gipfel (wie auch auf vielen anderen Landschaftsbildern aus dieser Periode in hellem Lila dargestellt) sind schneebedeckt, was einen kühlen Kontrast schafft zu der sichtbaren Hitze im Tal, wo die Bauern das Feld pflügen.
Den westlichen Leser mutet das vorliegende Märchen um den schlauen Hirtensohn Dad-Bedad ausgesprochen bizarr an: Eines Tages stößt ein Hirte zufallig auf eine Diamantmine und teilt dies seinem Vorgesetzten, dem Dorfschulzen, mit. Der aber befiehlt aus Habgier einem Arbeiter, den Hirten zu töten, jedoch erst, nachdem der Hirte alle Diamanten ans Tageslicht befördert und sie dem Dorfschulzen übergeben hat. Der Arbeiter widersetzt sich dem Befehl zwar nicht, hat aber doch Mitleid mit dem Hirten, so daß er ihm eine letzte Bitte erfüllen will: Drei Edelsteine, die der Hirte für sich behalten hat, soll seine Frau bekommen, die ein Kind erwartet. Das Kind, so es ein Junge werde, möge den Namen DadBedad erhalten, was übersetzt etwa bedeutet „Der Gerechtigkeit sucht". Das Kind wird ein Junge, und er wird seinem Namen am Ende auch wirklich gerecht: Der Dorfschulze muß sein Verbrechen mit dem Leben bezahlen. Bis dahin ist es aber ein langer, komplizierter Weg, über den offenbar nur Dad-Bedad selbst den Überblick behält, wobei er, wie für Alltagsmärchen typisch, ohne jeden Zaubergegenstand ans Ziel gelangt.
Auf dieser wie auf anderen Landschaftsdarstellungen zeigt sich, daß Sarjan vor allem ein Künstler der Farben war. Ihre nicht naturalistische Verwendung deutet auf seine Nähe zur russischen Avantgarde hin. Sarjan wollte die Farbe von ihrer dienenden Aufgabe befreien, sie sollte autonom sein: „Die Farbe muß singen, sie muß das im Menschen liegende Wissen vom Wesen des Lebens zum Ausdruck bringen", schrieb er in seinen Memoiren.
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1-30 Sarjan,
des 20. Jahrhunderts als eigenständige Kunstgattung wiederentdeckt wurde und viele Künstler inspirierte.
Martiros
Ptiza Peri (Der Vogel Peri)
Im Hintergrund sieht man den Zarensohn, der den Wundervogel beim Baden überrascht. Er versteckt sich am Teich hinter einem Hügel, während sein kluges Pferd zwischen den Bäumen weidet. Ähnlich wie in der Ikonenmalerei ist die Natur zu geometrischen Grundformen stilisiert: Vor uns erscheint kein realer, sondern ein archaisch-märchenhafter Raum. Ihre Vitalität bezieht die Illustration aus einer Synthese verschiedenartiger kultureller Einflüsse und Traditionen. Sarjan verwendet armenisch-persische Bildmotive (wie den Gesichtstyp mit den mandelförmigen Augen oder die Art der Naturdarstellung) sowie Motive aus der russischen Foklore und aus der westlichen Kunst.
in: Armjanskije narodnyje skaski (Armenische Volksmärchen) Hrsg. und mit einem Vorwort von Aram Ganalanjan Mit 84 Illustrationen von Martiros Sarjan Jerewan, Sowjetskij Groch, 1983 320 S., 4°, OPp., illustr. Schutzumschlag Abb. S. 37 Lit.: Μ. Woloschin, Sarjan, in: Apollon Nr. 9, 1913; A. Michajlow, Martiros Sergejewitsch Sarjan, Moskau 1958; R. Drampjan, M.S. Sarjan, Moskau 1964; Martiros Sarjan, Ausstellungskatalog Darmstadt 1986.
Ein erblindeter alter Zar sendet nacheinander seine drei Söhne aus, für ihn ein Heilmittel zu suchen. Als die beiden älteren unverrichteter Dinge wieder heimkehren, schickt er den jüngsten los. Der hat in einer Traumbotschaft den Rat erhalten, das Pferd, das Schwert und den Ring des Vaters auf die Reise mitzunehmen. Unterwegs findet er eine wunderschöne Feder und nimmt sie - entgegen der Warnung des klugen Pferdes - mit. Bald darauf kommt er in die Hauptstadt eines fremden Zarenreiches. Der Herrscher des Landes erblickt die ungewöhnlich schöne Feder und bedingt sie sich zum Geschenk aus. Nun beginnt für den Prinzen eine Zeit schwerer Prüfungen. Unter Androhung der Todesstrafe erteilt ihm der fremde Zar nacheinander drei Aufträge: Zunächst soll er den Vogel herbeischaffen, von dem die Feder stammt. Als der Zar erkennt, daß dieser Vogel eine verzauberte Prinzessin von atemberaubender Schönheit ist, will er sich mit ihr vermählen. Sie aber stellt zwei Bedingungen: Erstens müsse der junge Prinz ihre Dienerin aus der Gewalt eines Ungeheuers befreien, und zweitens solle er vierzig feuerspeiende wilde Stuten melken, in deren Milch der alte Zar zu baden habe, damit er sie heiraten könne. Mit Hilfe des klugen Pferdes gelingt es dem Königssohn, alle Aufträge zu erfüllen. Als der alte Herrscher jedoch in der Stutenmilch badet, wird er von lodernden Flammen verzehrt. Nun ist der mächtige Widersacher aus dem Weg geschafft. Der Königssohn heiratet das Vogelmädchen und kehrt mit ihr in seine Heimat zurück. Sie heilt nun den alten Vater von seiner Blindheit, indem sie ihm ihr Blut auf die Augen streicht. Damit ist nun auch der eigentliche Zweck der ganzen Reise erreicht. Der Zarensohn erhält die Krone und regiert fortan glücklich bis an sein Lebensende.
Das auf 1937 datierte und signierte Bild verrät, daß Martiros Sarjan in seiner Jugend Künstlergruppen wie den „Skythen", der Gruppe „Eselsschwanz" und den „Argonauten" nahestand, die sich besonders für die archaische Bild- und Formensprache der vorchristlichen Zeit und der außereuropäischen Kulturen interessierten. In dem zentralen Bildmotiv, der Figur des Schicksalsvogels Sirin, belebt der armenische Künstler tief in die Vergangenheit zurückreichende, im Märchen bewahrte mythologische Vorstellungen, die aus dem Orient über Byzanz auch bis nach Rußland gelangt sind.
Die ganzseitige farbige Abbildung zeigt - diagonal über die Bildfläche - die Gestalt des Vogelmädchens, eines Zwitterwesens mit dem Gesicht einer Frau und dem Körper eines buntgefiederten Vogels. Von ihrem gekrönten Haupt ringeln sich schneckenförmig lange Locken herab. Der Künstler Martiros Sarjan greift hier ein Motiv aus der russischen Folklore auf, den Schicksalsvogel Sirin, der auch aus der Mythologie der alten Griechen bekannt ist. In der graphischen Linienführung, die Andeutungen von räumlicher Tiefe vermeidet, und in der plakativen Farbgebung läßt er sich vom russischen Volksbilderbogen (Lubok) inspirieren, der in den ersten Jahrzehnten
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Schiffbrüchigen aus Seenot und dem Spuk mit der verzauberten Besatzung um die Mitternachts stunde, also von all dem, was die Traugot-Brüder in ein spannendes Bild umsetzen, ist in Mitrochins Darstellung nichts zu erkennen. Hauffs erzählerische Phantasie ist hier wohl mißverstanden worden.
1-31 Mitrochin, Dmitrij Wilhelm Hauff
Korablprisrak
(Das Gespensterschiff)
Skaska (Märchen) Mit 6 ganzseitigen Farbillustrationen, 8 illustrierten Kopfstücken und Vignetten von Dmitrij Mitrochin Moskau, Knebel Verlag, o.J. (1912/13)
Ohne vom Zugriff der unheimlichen Tiefe des Meeres bedroht zu erscheinen, nähern sich die Schiffbrüchigen dem rettenden Schiffsseil, das mit einigen dekorativen, aber seemännisch ungewöhnlichen Knoten und Schlingen versehen ist. Die Phantasie des Illustrators zu Jahrhundertbeginn beschäftigt sich auch mit anderen dekorativen Akzenten des Gespensterschiffs: einem schön gewirkten orientalischen Teppich, der über die Reeling gehängt ist, dem Kopf eines eigenartigen Tieres anstelle einer Gallionsfigur; seltsame Kormoran-ähnliche Meeresvögel mit schuppenartigem Gefieder umkreisen das Schiff, dessen augeblähte Segel teils kariert, teils mit Mond- und Sternmustern verziert sind. Kurzum, es gibt viel Buntes und Dekoratives, aber nicht sehr Glaubwürdiges zu sehen; das Bild erscheint fast wie eine Collage und wird sicher keinem Betrachter ein Gruselgefühl vermitteln. Offensichtlich hat sich in den sechs Jahrzehnten, die zwischen dieser und der Illustration der Brüder Traugot liegen, das psychologische Einfühlen in die Abenteuerphantasie vertieft.
9 S., 4°, OBrosch. mit illustriertem Titel (ein Heft der „Geschenkserie" des Verlages) Abb. S. 2 Reprint Moskau 1989 mit einer Einführung über die Tätigkeit des Knebel Verlags und seiner Kinderbuchillustratoren Lit.: Μ. Kusmin und W. Wojnoff, D.I. Mitrochin, Moskau 1922; J. Russakow, D.I. Mitrochin, Leningrad 1966; L. I. Juniwerg, Isdatelstwo I.N. Knebel i chudoshniki detskoj knigi, Moskau 1989.
Dmitrij Mitrochin hat Hauffs „Gespensterschiff' im Jahr 1912 in ganz anderer Art als die Brüder Traugot illustriert (s. Nr. 1-32, wo auch der Inhalt der Erzählung wiedergegeben wird). Das Frontispiz mit üppigem floralem Schmuck und einer Widmung Mitrochins zeigt Merkmale des aus dem Westen übernommenen Jugendstils, allerdings mit der Besonderheit, daß sich das Dekor an türkische und persische Fayencen anlehnt. Von den unheilschwangeren Ereignissen der Begegnung mit dem Gespensterschiff, der Errettung der zwei
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1-32 Traugot, Alexander und Walerij
in der Kajüte hockenden Schiffbrüchigen auf dem Deck Stimmen, Befehle, Waffenklirren, und der tote Kapitän tobt mit seiner Besatzung durch das Schiff. Der Spuk wiederholt sich jede Nacht, bis der Erzähler nach sechs Tagen durch günstigen Wind in einen Hafen getrieben wird und dort von einem weisen Mullay über die Geschichte des Frevels auf dem mit reichen Schätzen beladenen Freibeuterschiff aufgeklärt wird. Nachdem es gelungen ist, mit Koransprüchen und einer Bestattung zu Lande den Kapitän und seine verzauberte Besatzung von dem Fluch zu befreien, so daß diese nun in Frieden ruhen können, fällt die kostbare Ladung des herrenlosen Segelschiffes an den Erzähler, der sich nun in seiner Heimat eine wohlhabende Existenz aufbauen kann.
Wilhelm Hauff Korabiprisrak (Das Gespensterschifl) in: Skaski Wilgelma Gaufa (Hauffs Märchen) Zusammengestellt und mit einer Einleitung von V.R. Keller Mit 168 farbigen Vignetten und 129 ganzseitigen Farbillustrationen von Alexander und Walerij Traugot Leningrad, Verlag Chudoshnik, 1979 330 S„ 8°, OLwd. in illustr. Schuber Abb. S. 193 Lit.: Μ. Tschegodajewa, Knishnoje iskusstwo SSSR, Moskau 1983; G. Lawrenko, Rnisbnyj shiwopisez, in: Detskaja literature Nr. 12, 1988; U. v. Kritter, Buchillustrationen 1900-1945, Bad Homburg v.d.H. 1989.
Die Erzählung gehört als ein Kapitel zu einer Rahmengeschichte, in der sich durch die Wüste ziehende Kaufleute mit abwechselnden Erzählungen die Abende ihrer langen Reise verkürzen. Unter dem Sammeltitel „Die Karawane" haben die Märchen von Hauff große Verbreitung gefunden.
Die Märchen von Wilhelm Hauff (1802-1827) erschienen zusammen mit Grimms Märchen in einer Kassette im Leningrader Verlag Chudoshnik. Hunderte von farbigen Vignetten mit zierlichen Ornamenten und sonderbaren Fabelwesen begleiten den Text und vermitteln dem Leser eine unwirkliche und exotische Zauberwelt. Farbig getöntes Papier verstärkt diesen Eindruck und macht die Edition zu einer vorbildlichen Ausgabe der Märchen und Fabelerzählungen. Die von dem Romantiker Hauff gestaltete orientalische Welt wird in der farbenprächtigen Illustrierung der Brüder Traugot noch anschaulicher nachempfunden als der Text der Gebrüder Grimm (Nr. 1-33). Hauffs Erzählungen gehören zu der von jenen als subjektiv verschmähten Gattung der Kunstmärchen. Der junge Hauff wollte die von 1825-1828 erschienene Sammlung als „älteste Tochter der Königin Phantasie" zu neuem Ansehen bringen. Im Kunstmärchen muß es im Unterschied zum Volksmärchen die Harmonie der Gegensätze nicht geben, ein Triumph der dämonischen Mächte ist möglich. Das wird auf der Abbildung zur „Geschichte vom Gespensterschiff' deutlich, auf der die Dominanz der schwarzen Farbflecken eine dunkle unheimliche Atmosphäre schafft. Der Erzähler geht als junger Mann nach dem Tod seines Vaters auf See, um sein Glück zu versuchen. In einer Sturmnacht sieht er ein Schiff mit geisterhaft lärmender Besatzung gespenstisch vorbeigleiten, und sein Kapitän ruft entsetzt: „Dort segelt der Tod!" Erst später, nach glücklicher Errettung aus Seenot, wird er erfahren, daß dieses Schiff verflucht ist, weil sein brutaler Kapitän in trunkenem Zorn einen heiligen Derwisch ins Meer geworfen hat. Bald nach der unheimlichen Begegnung sinkt das Schiff des Erzählers im Sturm. Er kann sich zusammen mit einem Kameraden auf den Planken eines Rettungsbootes über Wasser halten. Erneut begegnet er dem unheimlichen Segelschiff und klettert an einem Tau auf dessen Deck. Er findet dort zahlreiche Leichname der Besatzung in türkischer Kleidung am Boden liegen. Der Kapitän ist mit einem großen Nagel durch die Stirn an einen Mast geschlagen. Um Mitternacht hören die beiden
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nigspaares. Nach einem Jahr verlangt es tatsächlich dieses Pfand von der jungen Königin. Rumpelstilzchen hatte ihr allerdings zuvor versprochen, sie könne ihr Kind behalten, sofern sie seinen Namen errate - im Glauben daß ihr niemals ein so ungewöhnlicher Name einfallen würde.
1-33 Traugot, Alexander und Walerij Gebrüder Grimm
Rumpelstilzchen in: Skaski bratjew Grimm (Märchen der Gebrüder Grimm) Mit 146 ganzseitigen Illustrationen und 160 farbigen Vignetten von Alexander und Walerij Traugot Leningrad, Verlag Chudoshnik, 1979
Die Abbildung zeigt Rumpelstilzchen, das noch nicht weiß, daß es sich selbst verraten hat: Der Bote, den die bedrängte Königin ausgesandt hatte, um den Namen des Zaubermännchens in Erfahrung zu bringen, hatte ihr von dem lächerlichen Männlein im Wald berichtet, das auf einem Bein um ein Feuer hüpfend sang: „Übermorgen hol' ich der Königin ihr Kind. Ach, wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß".
303 S., 8°, OLwd. Abb. S. 109 Lit.: Μ. Tschegodajewa, Knishnoje iskusstwo SSSR, Moskau 1983; G. Lawrenko, Knishnyj shiwopisez, in: Detskaja literature Nr. 12, 1988; U. v. Kritter, Buchillustrationen 1900-1945, Bad Homburg v.d.H. 1989.
Die Märchen der Welt haben von jeher Buchkünstler zur Gestaltung angeregt. Das Phantastische des von Zeit und Raum abgelösten Geschehens, die Unerschöpflichkeit der scheinbar so einfachen Wirklichkeit sowie die schillernde Symbolik geben den Künstlern jede Möglichkeit zu freier Entfaltung. Die „Kinder- und Hausmärchen", die Jacob (1785-1863) und Wilhelm Grimm (17861859) 1812 und 1815 in zwei Bänden herausgaben, sind trotz der philologischen Bearbeitung echte Volksmärchen. Den beiden Forschern war in einer Zeit des politischen Niederganges daran gelegen, „urdeutschen Mythus" schriftlich zu dokumentieren, damit er dem Volk ein Identitätsgefühl verleiht und nicht in Vergessenheit gerät
Die Illustrationen zu „Rumpelstilzchen" entsprechen ganz der Welt des Volksmärchens, das auf klaren Gegensätzen beruht. Der das Böse verkörpernde Gnom ist schwarz gekleidet und von einer Aura der Finsternis umgeben. Als Kontrast dazu markieren die kräftigen Farben die Fülle und Harmonie des Lebens, das letztlich über das sich selbst isolierende Böse triumphiert.
Die beiden Künstler Alexander und Walerij Traugot (sie arbeiteten gemeinsam unter dem Pseudonym „G. A.W. Traugot") sind in ihrem Schaffen ganz auf Märchen spezialisiert, wobei die Volks- und Kunstmärchen Westeuropas den Schwerpunkt bilden. Ihre Illustrationen zu den Werken von Andersen wurden mehrfach prämiert. Hervorzuheben ist ihre Einfühlungsgabe in die jeweilige Kultur und den Zeitgeist der Märchen. Moscheen, orientalische Märkte und Paläste werden ebenso farbig geschildert wie gotische Kathedralen, Fachwerkbauten und die Inneneinrichtung von Bürgerhäusern. Dabei verlieren sich die Künstler nie in einer Fülle von Details. Nur das Nötigste wird festgehalten. Besondere Wirkung erzielen die Illustrationen durch das Verlaufenlassen der kräftigen Aquarellfarben. Dank dieser Technik entstehen bizarre Formen und Farben, die das Wundersame der Märchenwelt noch hervorheben. Das Märchen vom Rumpelstilzchen berichtet von einem Müller, der dem König das verwegene Versprechen gibt, seine schöne Tochter könne für ihn aus Stroh Goldfäden spinnen. Der König läßt die arme Tochter in eine Kammer sperren und droht ihr die Todesstrafe an, falls sie ihre Aufgabe nicht erfüllt. In tiefe Verzweiflung versunken, erscheint ihr ein Zaubermännchen und hilft gegen ein Geschenk. Den habgierigen König kann aber weder das erste noch das zweite Goldwunder befriedigen. Für das dritte Gelingen stellt er schließlich den Preis seiner königlichen Heirat in Aussicht, doch das Männlein verlangt nun für seine Hilfe das erstgeborene Kind des Kö-
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1-34 Popow,
Jewgenij
Farbskala ist dagegen modern, die Violett-, Gelb- und Dunkelblautöne suggerieren die Atmosphäre eines Gruselkabinetts. Die historisierende Illustration in ihrer zeichnerischen, linienbetonten Ausführung mit scharfen, eckigen Konturen zeigt Realitätssinn und ein Gefühl für die Wahrhaftigkeit des Dekors; denn richtige Monarchen gab es ja nur bis zur Französischen Revolution, also zur Rokokozeit. Auch die theatralische Verspieltheit der Gesamtszene paßt in dieses Zeitalter.
Hans Christian Andersen Nowojeplatje korolja (Des Kaisers neue Kleider) in: Skaski (Märchen) Illustriert von Je.W. Popow Simferopol, Tawrija Verlag, 1984 192 S., 4°, illuslr. Pp. Abb. S. 63
Daß sich Gesellschaften kollektiv verdummen lassen und bereit sind, das Unwahre wahr zu nennen, ist ein zu allen Zeiten auftretendes soziales Phänomen. Sich dem schönen Schein zu überlassen, ist allemal leichter als mit Mut dem Sein die Stirn zu bieten. Als literarisches Motiv wird diese menschlich-allzumenschliche Schwäche besonders im Märchen gerne aufgegriffen. (Vgl. auch den nachfolgenden Artikel zu Alimow und E.T.A. Hoffmanns Märchen „Klein Zaches" sowie den Artikel zu Ostrow und Puschkins „Märchen vom Popen und seinem Knecht Schafskopf", Nr. 1-26.) Immer sind es nur wenige Menschen, die den Betrug erkennen oder bereit sind, ihn beim Namen zu nennen. Die Gesellschaft teilt sich in zwei Gruppen: Sehende und Nicht-Sehende. Wie die angeführten Beispiele zeigen, sind die Sehenden immer diejenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen - Kinder, Narren oder Künstler - und deshalb von vornherein weniger dem Anpassungsdruck unterliegen, der die ängstliche Masse beherrscht.
Das Märchen vom Kaiser, der sich von den Schmeicheleien seines Hofstaats und zweier Betrüger betören läßt, kennt jedes Kind. Um nicht als unfähig, respektlos oder dumm zu gelten, beteuert jeder, den man fragt, allen voran die Mächtigen im Staate, wie fein, schön und reich der Schmuck der neuen kaiserlichen Gewänder sei, obwohl in Wirklichkeit gar nichts zu sehen ist. Eine Autorität beruft sich auf die andere, wiederholt und lobt etwas, das es offenkundig gar nicht gibt. Am Ende findet eine prunkvolle Prozession statt, bei der sich das ganze Volk in Lobeshymnen auf die schönen Kleider ergeht. Nur ein Kind hat die Unbefangenheit, der Wahrheit ins Auge zu sehen und sie auch auszusprechen: Der Kaiser ist nackt. Die Abbildung zeigt den Angelpunkt der Handlung: Bisher hatte der Kaiser nur Kundschafter geschickt, um die Arbeit in der Schneiderwerkstatt zu prüfen, nun tritt er selbst vor den Spiegel. Vor uns ist ein „Bild im Bild", eine theatralisch wirkende Guckkastenszene. Wir sehen einen wesenüichen Ausschnitt aus dem Welttheater. Darauf weisen der Vorhang und die Schneiderutensilien hin, die Insigniencharakter haben: Metermaß, Schere und Kleiderpuppe. Im Spiegelmotiv sind Schein und Sein gegenübergestellt. Die exaltierten Gesten der selbstsüchtigen Lügner und Heuchler kennzeichnen ihre Absichten; nur der Hofnarr steht zu dem, was er sieht - eine Anspielung auf die Sprichwortweisheit: „Kinder und Narren sagen die Wahrheit". Er zweifelt nicht an der Wahrheit und mustert mit Schalk in den Augen des Kaisers Blöße. Dieser ist erstarrt in Selbstgefälligkeit. Es ist ein historischer Moment: Der Kaiser könnte der Wahrheit ins Auge sehen, wenn er nur wollte, und dem ganzen Spuk ein Ende machen. Die Andeutung eines Bilderrahmens, dessen Funktion jedoch gleichzeitig spielerischironisch aufgehoben wird, unterstreicht den dramatischen Schwebezustand des Augenblicks. Die Requisiten befinden sich außerhalb des Rahmens. Sie ignorieren ihn. Nur die Personen bleiben im magischen Viereck gefangen: ein Aufstand der Dinge gegen die Welt des schönen Scheins. Der Künstler kleidet die Märchenfiguren in Kostüme der Rokokozeit. Diese Gestalten erinnern an englische Karikaturen aus dem 18. Jahrhundert, besonders an Hogarth. Die meisten von ihnen erscheinen im Profil. Sie agieren vermeintlich unbeobachtet, nur wir, die „allwissenden" Leser und Betrachter, sehen ihnen amüsiert zu. Die
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der Natur zu vernehmen. In einer Welt, welcher der Sinn für Poesie fehlt und in welcher die Gelehrsamkeit an ihre Grenzen stößt, hat Zinnober leichtes Spiel. Sergej Alimows Illustration zeigt den literarischen Teenachmittag aus dem dritten Kapitel des Märchens. Abgebildet sind der Gastgeber Terpin, seine Tochter Candida, Balthasar und Zinnober. Balthasar, der soeben selbstgedichtete Verse vorgetragen hat, ist erschrocken und verwirrt darüber, daß nicht er, sondern Zinnober den Beifall der Anwesenden erntet.
1-35 Alimow, Sergej E.T.A. Hoffmann
Malenkij Zaches, po proswaniju Zinnober (Klein Zaches genannt Zinnober) Mit Gouachen von Sergej Alimow Priwolshskoje knishnoje isdatelstwo, 1983 Abb. aus: Jewgenij Gromow, S. Alimow. Multiplikazija knishnaja i stankowaja grafika Moskau, Sowjetskij chudoshnik, 1990
Den Unterschied zwischen den Sehenden und den NichtSehenden setzt Alimow durch ein einfaches Mittel um: Balthasar ist mit offenen Augen abgebildet, während Candida die Lider gesenkt hat. Sie gehört zu den NichtSehenden, wie auch ihr Vater, dessen Augen hinter seiner Brille versteckt sind. Es scheint, als würde gerade die Brille das Sehen verhindern. Der dunkle Hintergrund unterstreicht den Eindruck von Unwissenheit und mangelnder Erkenntnis. Nur schwach, durch einen Leuchter mit drei Kerzen, wird der Raum, in dem die Figuren stehen, erhellt.
175 S., 4°, OPp. Abb. S. 85
In dem 1819 erschienenen Märchen „Klein Zaches genannt Zinnober" nimmt E.T.A. Hoffmann zwei Erscheinungen seiner Zeit aufs Korn: den Phantasie und Poesie verdrängenden Glauben an die Wissenschaft und die Beschränktheit der spießbürgerlichen Gesellschaft. Schauplatz der Handlung ist ein kleines Fürstentum, in dem der Fürst die Aufklärung per Erlaß „einführt" und die Feen, in denen er die Hauptfeinde der Aufklärung sieht, des Landes verweist. Die Fee Rosabelverde, der es als einziger gelungen ist, der Verbannung zu entgehen, verleiht dem Titelhelden, einem kleinen, ungestalten Männchen, drei zinnoberrote Haare, die magische Kraft besitzen. Durch diese Magie erhält Klein Zaches, der in den Salons und Ämtern der bürgerlichen Gesellschaft unter dem Namen „Zinnober" auftritt, Lob und Anerkennung für die Fähigkeiten und Erfolge anderer.
Durch senkrechte Linien wirken Mosch und Candida in sich ruhend und selbstzufrieden. Sie sehen in Zaches nichts Abstoßendes. Balthasar hingegen, in leicht nach hinten geneigter Haltung, weicht vor der Verblendetheit der Terpins und der Frechheit Zinnobers zurück. Dieser hat sich in den Mittelpunkt gestellt und trennt die zwei künftigen Liebenden. Leicht nach vorn geneigt, schiebt er den Studenten förmlich aus dem Bild hinaus.
Doch nicht alle werden von den Zauberhaaren geblendet, die Menge der auftretenden Figuren teilt sich in Sehende und Nicht-Sehende: Zu letzteren gehören der Naturwissenschaftler Mosch Terpin und andere Gelehrte sowie die Mehrheit der aufgeklärt-bürgerlichen Gesellschaft. Künstler hingegen - der dichtende Student Balthasar und der um seinen Ruhm betrogene Geiger Sbiocca - erkennen den Zauber. Balthasar wird es sein, dessen Hilfe sich Alpanus, der Gegenspieler der Fee, am Ende bedient, um den Zauber zu brechen und den steten Aufstieg des Schein-Helden zu beenden.
Alimow setzt die leuchtende, rote Farbe von Zinnobers Frack in auffallenden Kontrast zu den übrigen graubraunen Tönen des Bildes. Wenn auch der Schnitt des Fracks exakt der Mode der Zeit entspricht, so wirkt die Farbe doch unpassend. Dies entspricht dem Auftreten des Teufels in Menschengestalt, wie es auch bei Gogol beschrieben wird: Die Verkleidung gelingt nie vollständig, immer riecht es leicht nach Schwefel, immer gibt es irgendein Detail, welches die Herkunft verrät. Daß der Teufel auf die Schlechtigkeit der Welt angewiesen ist, kommt in dem Bild durch zwei Dinge zum Ausdruck: Zum einen erscheint Zinnober bildkompositorisch mit der Gruppe der Verblendeten wie verwachsen. Er ist ein Teil von ihr. Zum anderen verdeutlicht seine Haltung - sein rechter Fuß steht quer vor den Füßen Mosch Terpins - , daß er in Terpin den nötigen Rückhalt bei seinem offensiven, in Fechtstellung gegen Balthasar gerichteten Schritt hat. Diese Haltung wird unterstützt durch den spitzen degenartigen Handstock in seiner linken Hand und durch die rechte, die er mit napoleonischer Geste in den Rock gesteckt hat. Ohne die aufgeklärte, bürgerliche Gesellschaft im Rücken könnte Zaches keinen solchen, wenn auch nur vorrübergehenden, Erfolg haben.
Daß es sich bei Zinnober um ein dem kochenden Erdinnern entstiegenes Teufelswesen handelt, legt neben anderen Hinweisen im Text vor allem der Name nahe: Zinnober (Quecksilbersulfid) ist ein schwarzrotes Mineral, das sich in heißen vulkanischen Quellen bildet. Außerdem enthält es Schwefel. Ein solches Teufelchen kann indes nur bei denen Unheil stiften, bei denen Ansätze von Übel und Schwäche vorhanden sind. Die Magie der roten Haare trifft auf eine Welt, in der Urteilsvermögen und Auffassungsgabe schon vor Zinnobers Erscheinen eingeschränkt waren: Ein Kammerdiener wird als fähig erachtet, Minister zu werden, einen weitgereisten Gelehrten versetzt das Zusammentreffen mit ausgelassenen Studenten in solches Erstaunen, daß er die Begegnung wie die Entdeckung einer neuen Käferspezies schildert, und der Naturwissenschaftler Terpin ist mit Wissenschaft und Büchergelehrsamkeit nicht in der Lage, die Stimme
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In den Jahren zwischen den gescheiterten Aufständen wuchs in Polen eine Künstlergeneration heran, aus der die wohl bedeutendsten Warschauer Illustratoren hervorgingen: Antoni Zaleski (1824-1885), Micha! Elwiro Andriolli (1836-1893), Juliusz Kossak (1824-1899). Am charakteristischsten für ihre Graphik war das Holzstichverfahren und die thematische Vorliebe für die spätbarocke Adelskultur. Bilder und Illustrationen im neosarmatischen Stil hatten ihre literarische Entsprechung in der gaw§da, einer Erzählung in Form einer Plauderei auf dem Gutshof, die eine lange mündliche Tradition hat und Polens literarische Gattung schlechthin ist. In dieser Art entstanden die neosarmatischen Genrebilder. Typische Merkmale der gaw§da zeigen einige Abschnitte des Versepos „Pan Tadeusz", das bis heute sehr populär ist und gern illustriert wird, sowie Juliusz Stowackis „Preliminaria peregrynacji do Ziemi Swi^tej JO. Ksigcia Radziwilla Sierotki" (Präliminarien zu einer Pilgerreise in das Heilige Land von Seiner Durchlaucht Fürst Radziwill Sierotka) und Henryk Rzewuskis „Pamiatki Soplicy" (Erinnerungen des Herrn Soplica).
Marta Faas
Die polnische Buchillustration von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Jahrhundertwende Eine Betrachtung der polnischen Buchillustration des 19. Jahrhunderts schließt den Bereich der Zeitschriftenillustration ein. Denn die Zeitschriften sind es, die das „goldene Zeitalter der polnischen Illustration" begründeten. In Polen waren nach der dritten Teilung von 1795 die Verbindungen zwischen Kunst und Literatur besonders eng. Gerade nach dem Verlust der staatlichen Existenz schufen bildende Künstler wie Juliusz Kossak, Antoni Zaleski, Micha! Elwiro Andriolli u.a. Illustrationen zu wichtigen Werken der polnischen Literatur, beispielsweise Juliusz Kossak für die historischen Romane von Henryk Sienkiewicz (1846-1916). Im Unterschied zur Kunst anderer Länder fiel der polnischen Kunst des 19. Jahrhunderts, bedingt durch die besondere Lage des in Unfreiheit lebenden Volkes, die „Ermutigung der Herzen" als Aufgabe zu.
Zur Befriedigung eines sozial heterogenen Leserpublikums mit seinen neuen Wünschen nach Bildung, Information und Unterhaltung entstanden neue Bereiche der Buchillustration. Großen Einfluß auf die Entwicklung der polnischen Illustration hatten die Zeitschriften, deren Aufschwung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann. Die Zeitschrift „Album Wileriskie" vermittelte in einer ganzen Serie von Skizzen und Bildern, Stichen und Lithographien, Stadtansichten und Landschaften beachtliche Illustrationsfolgen zu Werken der polnischen Literatur und Kenntnisse über die nationale Vergangenheit. Erstmalig wurde ein großer Leserkreis mit seiner eigenen Kulturtradition bekannt. Von 1849 bis 1857 veröffentlichte die von Jan Kazimierz Wilczyhski in Paris herausgegebene Zeitschrift die Tagebücher des Edelmannes und Soldaten Jan Chryzostom Pasek (16361701), die amüsant und farbenfroh geschriebene abenteuerliche Kriegsberichterstattung eines Teilnehmers der Feldzüge gegen Schweden und Rußland, mit Illustrationen von Antoni Zaleski.
In den Jahren zwischen den mißglückten Aufständen dem Novemberaufstand 1830/31 und dem Januaraufstand 1863/64 - befaßte sich die polnische Kunst vor allem mit historischen Themen. Durch die große Emigration nach dem Novemberaufstand 1830/31 hatte sich die Situation für die Künste verändert. Die namhaftesten der damals wirkenden Künstler schufen ihre Werke im Ausland. In Polen fanden Malerei, Literatur, Illustration und Zeitschriften ihre Motive in der Tradition des polnischen Landadels. Hiervon zeugen die Namen der großen Zeitschriften „Klosy" (Ähren), „Wieniec" (Kranz), „Strzecha" (Strohdach), „Biesiada" (Fest). Es entstand eine neue ästhetische Bewegung, die man mit dem Begriff Neosarmatismus oder Neotraditionalismus bezeichnen kann. Sie griff die Botschaft der romantischen Sehnsucht auf, aus der Adam Mickiewiczs Meisterwerk „Pan Tadeusz" entstanden war, und trat in der Form einer Abkehr von der unzureichenden Gegenwart die Flucht in die Wirklichkeit der eigenen nationalen Geschichte, der polnischen Landschaft, der nationalen Eigenart und des Alltagslebens an. Die neosarmatische Kunst behandelte historische Themen, jedoch ohne Pathos. Zwar bewahrte sie einige Wesenszüge der rornantycznosc (des Romantischen), lockerte aber ihre Bindungen an die Romantik und verflocht die historische Rückschau mit Darstellungen alltäglicher Situationen. Vor dem Hintergrund des polnischen adligen Freiheitsstaates, der Rzeczpospolita szlachecka, trat die Vorliebe für die Schlachta und ritterliche Tugenden in Genreszenen zutage. In den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts übernahm die Graphik die Rolle der Geschichtsdarstellung „in einem Maße, wie sie es zuvor und auch später nie wieder getan hat" (Jan Ostrowski). In diesem Kult der Vergangenheit entdeckte die polnische Kunstgeschichte eine Form des politischen Widerstandes.
Diese gaw^da szlachecka (Adelsgeplauder) zeigt Bilder und Illustrationen des Künstlers über die verlorene und unwiederbringlich vergangene Welt der alten polnischen Adelsrepublik, vor allem im östlichen Grenzraum (Kresy) des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die Mickiewicz im Nationalepos „Pan Tadeusz" und Henryk Sienkiewicz in seinen Romanen lebendig werden lassen. Antoni Zaleski verstand es, in einem Stil, der für die Kunst der vierziger bis siebziger Jahre charakteristisch war, einen Textinhalt in eine einfache, aber wirkungsvolle Bildsprache umzusetzen, die dem einfachen Volk zu Herzen ging. Die Illustrationen vermeiden alles Dekorative und konzentrieren sich auf die Anekdote. Nicht die großen, epochemachenden Gestalten und Taten der Polen, sondern die Intimität wohlvertrauter alltäglicher Situationen gehören zur Thematik seiner Kunst. Zaleski arbeitete in verschiedenen Vervielfältigungstechniken:
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gen künstlerischen Ausdrucksmittel gemacht hatte, regte er zur Nachahmung an und etablierte sich rasch in der polnischen Buchillustration. Mit der Anwendung dieser feinen, präzisen Schnitt-Technik erschien der Holzstich in Polen als eine neue, vielseitige Form der künstlerischen Graphik. Er wurde auch für die Abbildungen in den großen polnischen Wochenblättern und den Warschauer Zeitschriften verwendet. Auf Grund der steigenden Beliebtheit von Holzstichbildern begann eine Arbeitsteilung zwischen dem Künstler und dem Holzstecher. Der Künstler entwarf die Zeichnung, und der Holzstecher schnitt diese originalgerecht in das Hirnholz. Mit ihrer Fähigkeit, den Entwurf des Künstlers unverfälscht umzusetzen, erreichten die polnischen Holzstecher jener Jahre eine Meisterschaft, dank derer sie einen ebenbürtigen Platz neben den Künstlern verdienten. Zu den berühmtesten Xylographen des 19. Jahrhunderts gehörten z.B. Jan Styfi, Jozef Holewinski, Edward Gorazdowski, Aleksander Regulski und Edward Nicz.
Holzschnitt, Lithographie, Kupferstich, Stahlstich und Aquatinta. Für die oben erwähnte Zeitschrift schuf er beispielsweise in Aquarell ausgeführte und auf Lithopapier gezeichnete Darstellungen. Die Zeichnungen mußten auf Tonstein übertragen werden, und die Lithographien wurden dann bei Lemercier in Paris gedruckt. Als 1849 die ersten Pressestimmen zur Pasek-Chronik erschienen, erlebte Zaleski eine begeisterte Resonanz. Sein Schüler und Freund Michal Elwiro Andriolli rühmte Zaleski als Wegbereiter einer neuen ästhetischen Bewegung in der Kunst und schrieb in einem Nachruf 1885: „In jeder (...) Szene pulsiert echtes polnisches Leben, ursprünglicher Humor, Ritterlichkeit und Galanterie, Hochherzigkeit und Einfachheit." Andriolli zufolge hat man vorher nur schlechte Kopien nach fremden Vorbildern benutzt, und niemand habe gewagt, mit volkstümlichen Werken hervorzutreten. Mit dem Kult der swojskosc, der Hinwendung zum Heimischen und Vertrauten, befaßte sich auch Zaleskis Zeitgenosse Juliusz Kossak. Er war Illustrator bei verschiedenen Zeitschriften, u.a. beim Warschauer „Tygodnik Ilustrowany" (Illustrierte Wochenzeitschrift), wo er in den Jahren 1862 bis 1868 auch verantwortlicher Redakteur für den Bereich Kunst und für polnische Literatur des 19. Jahrhunderts war. Für seine Illustrationen bevorzugte er Holzsticharbeiten. Er zeigte die spezifische Atmosphäre der Ostgebiete Polens in milieugerechten und malerischen Szenen. In der polnischen Kunstgeschichte hat er als Künder des altpolnischen Lebens eine herausragende Stellung.
Ein wahrer Meister des Holzstichs war Michal Elwiro Andriolli. Er war für Polen von ähnlicher Bedeutung wie Gustave Dore für die Franzosen. Schwerpunkt seines künstlerischen Schaffens war die Illustrierung polnischer Literatur des 19. Jahrhunderts. Andriolli verkörpert in den Jahren 1872 bis 1885 ein ganzes Jahrzehnt polnischer Buchillustration. Die „goldene Periode des polnischen Holzstichs" war weitgehend von Andriollis Arbeiten geprägt. Die nach seinen Zeichnungen direkt auf das Holz übertragenen Stiche waren erstklassige Originale. So schuf Andriolli auch seine berühmtesten und gleichzeitig populärsten Illustrationen zu „Pan Tadeusz" von Adam Mickiewicz (1798-1855; s. Nr. II-8). Auch der Aufschwung der Warschauer Zeitschriftenillustration war ihm zu verdanken. Er illustrierte das, was er selbst schätzte, u.a. zehn besonders wichtige polnische Bücher, darunter den Zyklus über berühmte „Heldinnen der polnischen Poesie" (1880) von Wladyslaw Belza, der die Stimmung in Polen nach dem gescheiterten Januaraufstand 1863 widerspiegelte und noch heute oft gelesen wird. Dramatisch, ohne Karikierungen und Übertreibungen, waren seine Illustrationen reine Interpretation der literarischen Vorlage. Mit Hilfe von Schwarzweißkontrasten, von Licht und Schatten arbeitete Andriolli heraus, was für ihn moralisch und unmoralisch war, und unterstrich in dieser Form der Konfrontation seine Bewertung.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die Bedeutung der Zeitschriften- und Buchgraphik. Seit 1859 hatte Warschau die große illustrierte Wochenschrift „Tygodnik Ilustrowany" (1859-1939), die der Verleger Jozef Unger herausgab. Zu ihrem Programm gehörten insbesondere patriotische Erinnerungen. Sie druckte die besten polnischen Holzstiche in einer eigenen Holzschneidewerkstatt und Holzstecherschule. 1865 entstand die zweite, ebenso populäre Wochenzeitschrift „Klosy" (Ähren) von Salomon Lewental (1839-1902) gleichfalls mit einer verlagseigenen Holzschneidewerkstatt. Anspruchsvoll illustriert waren auch das politisch-didaktische Wochenblatt „Wieniec" (Der Kranz, 18721873) und das populäre konservativ-klerikale Presseorgan „Biesiada Literacka" (Literarisches Fest, 1876— 1917) von Wladyslaw Maleszewski (1832-1913). Im „Tygodnik Ilustrowany" waren die berühmtesten Maler, Graphiker, Lithographen und Journalisten der Zeit vertreten.
In den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts bahnte sich in Polen eine neue Tendenz in der Entwicklung der Buchkunst an: der dekorative Buchdruck. Die Technik des Holzschnitts wurde als künstlerisch ausdrucksvolles Mittel der Buchillustration neu entdeckt. Anders als der Holzstich gab der Holzschnitt jetzt Anstoß zu neuen künstlerischen Aussagen. Man empfing Anregungen durch die Holzschnitte der venezianischen Offizin des Aldus Manutius und auch von dem englischen Initiator dieser Bewegung, William Morris. Wie am Anfang der Druckkunst verstand man das Buch als einen Kunstgegenstand, der in allen Phasen
Mit dem Aufschwung der Zeitschriften begann die Blütezeit der polnischen Buchillustration. Auch in dieser Periode fand der Holzschnitt eine besondere Wertschätzung. Er war nicht nur eine geeignete Technik für schnelles und billiges Drucken, sondern ermöglichte auch Leistungen von hoher ästhetischer Qualität. Nachdem der englische Graveur Thomas Bewick (1753-1828) den Hirnholzstich entwickelt und zu einem eigenständi-
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seiner Entstehung eine sorgfältig durchdachte, harmonische Komposition erfordert, um eine einheitliche Ganzheit darzustellen, bei der Druckseite und Illustration sich gegenseitig harmonisch ergänzen. Die Idee der Erneuerung des Holzschnittes kam aus dem Künstlerkreis der Präraffaeliten. Gleichzeitig inspirierte der klassische japanische Holzschnitt den dekorativen Buchdruck. Es war eine Entwicklung, die in Europa zwischen 1890 und 1910 die literarisch-künstlerischen Zeitschriften sowie die Tätigkeit privater Pressen und engagierter Verlage als „europäische Buchkunst" prägte.
gardisten, die Formisten und Futuristen, für deren Aktivitäten das Jahr 1921 den Höhepunkt bildete. Ein programmatischer Wandel im polnischen Buchschaffen trat mit dem Aufkommen der funktionellen Typographie ein. Die funktionelle Graphik brachte etwas bisher Unbekanntes in die Buchgestaltung. In Abkehr vom dekorativen Buchdruck bedienten die Künstler sich einer neuen zweckbetonten Typographie. Ihre elementarsten Mittel sind verschiedene Schriftarten und -großen, die Groteskschrift in allen Größen und Graden, Zahlen, Zeichen, Kreise, Linien des Setzkastens und der Setzmaschine. All diese neuen formalen Möglichkeiten der Moderne nutzten die Künstler bei der graphischen Anordnung der Texte. Die graphische Gestaltung stand im Einklang mit der Aussage, sie illustrierte den Inhalt der Werke und kommentierte ihre ideelle Orientierung. Ihr Ziel war eine möglichst gute Lesbarkeit des Textinhaltes.
In Krakau wird 1901 auf Anregung des Buchkünstlers Edward Trojanowski (1873-1930) die Gesellschaft „Polska Sztuka Stosowana" (Polnische Angewandte Kunst) gegründet. Es ist ihr Ziel, ein künstlerisches Modell des polnischen Buches zu schaffen. In der Epoche der Mloda Polska (Junges Polen) gibt die Volkskunst Anregungen für die Ornamentik im Buch. Zum Durchbruch gelangt die Buchkunst in Polen erst mit der großen künstlerischen Leistung des Krakauer Dichters und Malers Stanislaw Wyspiariski (1869-1907). Sein Kunstideal war ein national und sozial engagierter Modernismus. In seinen Illustrationen erfährt der Wiener Jugendstil, zu dem sich auch französische Einflüsse gesellen, eine Umformung durch eine Verschmelzung mit Elementen der polnischen Volkskunst. Besonders charakteristisch sind die zahlreichen Blumenvignetten von Wyspiariski, Motive aus der einheimischen Flora, bei denen der neuartige Schwung und Überschwang der Linien sich den strengeren Stilisierungsgesetzen bäuerlicher Muster anpaßt. 1898 übernahm Wyspiariski die künstlerische Leitung der Krakauer Literatur- und Kunstzeitschrift „Zycie" (Leben), die durch ihn zu einer der schönsten graphisch gestalteten Zeitschriften der Jahrhundertwende wurde. „Zycie" war im polnischen Bereich das einzige Organ, das als Literatur- und Kunstzeitschrift nach westlichem Vorbild und als Vorläufer der von Zenon Przesmycki (Miriam) (1861-1944) in Warschau herausgegebenen Kunstzeitschrift „Chimera" (1901-1907) betrachtet wird.
Den größten Einfluß auf die Entstehung und Entwicklung des funktionellen Buchdrucks nahm in Polen die 1924 gegründete Gruppe „BLOK" (Der Block) und die gleichnamige Zeitschrift ein, die Künstler mit konstruktivistischer Richtung verband. Zu ihnen gehörten der Malewitsch-Schüler Wladyslaw Strzemiriski und seine Frau, die Bildhauerin Katarzyna Kobro, der Herausgeber der Zeitschrift „BLOK" Mieczyslaw Szczuka und seine Freundin, die Graphikerin Teresa Zarnower, der Begründer des funktionellen Drucks in Polen Henryk Berlewi, der Nestor der polnischen abstrakten Kunst Henryk Stazewski sowie Kazimierz Podsadecki und die AvantgardeDichter Tadeusz Peiper und Julian Przybos. Diese Künstler standen mit allen Strömungen des Auslands in Verbindung. Starken Einfluß auf das polnische Druckwesen hatten die Arbeiten der russischen UNOWIS-Gruppe (1919-1923), die Drucke von Kasimir Malewitsch und vor allem die Arbeiten von El Lissitzky wie auch der ihnen verwandte Stil des Weimarer Bauhauses. Die künstlerischen Tendenzen der zwanziger Jahre waren extrem im Hinblick sowohl auf die formalen Experimente als auch auf die Vielfalt der Richtungen. Doch im Gegensatz zu den nihilistischen Tendenzen der avantgardistischen Strömungen mancher Länder Europas brachen die Vertreter der polnischen Avantgarde nicht mit der Tradition ihrer Kultur, sie betonten vielmehr die Fortsetzung ihrer eigenen vielhundertjährigen Überlieferung. Symptomatisch für die Synthese traditioneller und avantgardistischer Strömungen war das gleichzeitige Erscheinen von Anatol Sterns Gedicht „Europa" im expressionistisch-konstruktivistischen Stil und der klassischen Originalholzschnitte von Tadeusz Kulisiewicz in einer Nummer der von Mieczyslaw Szczuka 1924 in Lublin redigierten literarischen Zeitschrift „Reflektor".
In Format und Aufmachung gleicht die „Chimera" der deutschen Jugendstil-Zeitschrift „Insel". In Rußland erscheint zu dieser Zeit nur eine ähnliche, nach westeuropäischem Vorbild gestaltete Zeitschrift: „Mir iskusstwa" (Welt der Kunst), von Sergej Diaghilew seit 1899 herausgegeben und als außerordentlich wichtiges Periodikumbis 1904 erschienen. Die zwanziger Jahre bedeuten für Polen im Bereich der Buchgestaltung eine Erneuerung. Im ersten Zeitabschnitt des wiedererstandenen Polen zeigten sich in der Literatur und Kunst avantgardistische Tendenzen, für die ein charakteristisches Merkmal die Zusammenarbeit von Künstlern war, die ähnliche Anschauungen vertraten, jedoch unterschiedlichen Kunstbereichen angehörten: Dichtung, Malerei, Skulptur und Architektur. Eine enge Zusammenarbeit von Künstlern und Dichtern bei der Herausgabe von Zeitschriften, beim Entwurf von Einbänden pflegte schon die erste Generation der polnischen Avant-
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Piotr Hordyiiski
Geschmack, ferner die Photomontage und Reproduktionstechniken wie Raster, Photogravüre, Offsetdruck und photographische Reproduktionen.
Über die polnische Buchgraphik im 20. Jahrhundert
Die Zwischenkriegszeit ist die letzte Epoche, in der die Originalgraphik eine relativ große Rolle in der Buchillustration spielt. Die Künstler der Gruppe Ryt wie Wladyslaw Skoczylas oder Edmund Barttomiejczyk (Abb. 1) verhelfen dem Holzschnitt zu einer vorrangigen Stellung. Später entwickelt sich der Holzstich von der eleganten Kunst eines Stanislaw Ostoja-Chrostowski bis zu den Phantasien von Tadeusz Cielewski jun. oder Stefan Mrozewskis Visionen zu Meisterwerken der Weltliteratur.
An der Entstehung eines schönen Buches sind drei Personen beteiligt: der Künstler, der Verleger und der Drukker. In der modernen polnischen Buchkunst steht der Künstler an erster Stelle. Ein typischer Buchgraphiker in Polen hat eine Kunsthochschule absolviert und übt neben der Illustration auch eine andere oder sogar mehrere andere künstlerische Tätigkeiten aus. Häufig hat er sich schon als Maler oder Graphiker einen Namen gemacht oder ist als Gebrauchsgraphiker tätig und entwirft Plakate und Szenographien. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg wurde das Studium der Buchkunst zum Unterrichtsgegenstand an der Warschauer und Krakauer Akademie der Schönen Künste. Nach dem Kriege wurde die Abteilung für Buchgestaltung an der Warschauer Akademie von so bedeutenden Illustratoren wie Jan Marcin Szancer und Janusz Stanny geleitet. Wenn man von Buchkunst in Polen spricht, ist der zweite Wortteil besonders hervorzuheben. Die Buchillustration wird in der Regel als eine persönliche Aussage des Künstlers verstanden. Das literarische Werk gilt nur als Inspiration, zuweilen ist es sogar eine Art Vorwand. Obwohl in der polnischen Buchillustration gewisse gemeinsame Züge erkennbar sind, wie die Vorherrschaft des Malerischen und der Phantasie, eine Neigung zum Metaphorischen und der ausgeprägte Humor, und obwohl man sogar eine Zeitlang von einer „polnischen Schule der Buchillustration" sprechen konnte, lassen sich gleichwohl unterschiedliche künstlerische Tendenzen und Techniken ausmachen. Zeitweilig scheint es auch, daß Buchillustration und Buchgestaltung als zwei unterschiedliche Kunstbereiche anzusehen sind. Eine Mannigfaltigkeit von Stilen und Techniken in der Buchkunst macht sich besonders in der Zwischenkriegszeit bemerkbar. Nebeneinander entwickeln sich traditionelle und moderne Richtungen. Die Buchgestaltung der Avantgarde ist funktional ausgerichtet: Als Gestaltungsmittel dienen Typographie, Elemente des Drucksatzes und einfache geometrische Figuren, aber keine Illustrationen (Wladyslaw Strzemmski, Henryk Stazewski, Henryk Berlewi). Andere Künstler des Konstruktivismus wie Mieczyslaw Szczuka beschäftigen sich mit der dynamischen Komposition der Buchseite und der Photomontage. In der avantgardistischen Buchkunst war eine enge Zusammenarbeit des Schriftstellers mit dem Graphiker die Regel.
Abb.
Die dreißiger Jahre bringen eine Art Synthese der traditionellen und der avantgardistischen Buchkunst. Manche Leistungen der Modernisten wie die funktionelle Typographie, der dynamische Aufbau der Seiten und die Photomontage breiten sich aus und sind sogar in den Zeitschriften und in der Werbung zu finden. Bedeutsam ist hier das Beispiel des Ateliers des Künstler-Duos GirsBarcz, die sowohl die traditionell arrangierte „Legenda ο masztowej sosnie" (Die Legende von der Mastkiefer) von Janusz St^powski mit handkolorierten Holzstichen (Abb. 2) als auch die dynamisch gefaßte Komposition der Photos im „Album der polnischen Legionen" entworfen haben.
In der traditionellen Strömung finden ihren Platz sowohl der volkstümlich stilisierte Holzschnitt, ungestüme, bunte Illustrationen wie die von Zofia Stryjeriska als auch lebhafte lineare Zeichnungen nach französischem
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Produktionen. Es gab in jener Zeit einige Verlage, die sich um Buchausgaben in schöner Form entscheidend mehr als andere bemühten. Zu nennen sind hier die Verlagshäuser PIW (Staatliches Verlagsinstitut), Czytelnik und der Kinderbuchverlag Nasza Ksi^gamia. Es ist kein Zufall, daß die Mehrzahl der in der vorliegenden Publikation präsentierten Bücher aus diesen drei Verlagen stammt. Man kann auch zwei Verlage aus Krakau, Wydawnictwo Literackie und PWM (Polnischer Musikverlag), hinzufügen, die darum bemüht waren, daß ihre Veröffentlichungen in schöner Form erschienen. Nicht ohne Bedeutung war auch die Tatsache, daß viele Graphiker in polnischen Verlagen angestellt waren. Nach dem Krieg wurden Ausstellungen der polnischen Buchillustration veranstaltet, außerdem nahmen viele polnische Künstler mit Erfolg an internationalen Wettbewerben teil. Das erste Jahrzehnt nach dem Kriege stellt gleichsam eine Fortsetzung der Buchkunst aus der Zeit vor 1939 dar. Eine Künstlergruppe beschäftigte sich weiterhin mit dem Holzschnitt, der im Druck jedoch vorwiegend als Reproduktion erschien. Es seien hier Maria HiszpanskaNeumann (Nr. 11-12), Waclaw Waskowski und Adam Mlodzianowski erwähnt. Außerdem wurde eine brillante zeichnerische Manier der Illustration betrieben, in der Antoni Uniechowski (Nr. II-9) ein Virtuose war. Seine Abb. 2
In dieser Zeit entstanden auch wichtige Beiträge zur Kinderbuchillustration, wie die Arbeiten aus dem Atelier Levitt-Him, z.B. für „Lokomotywa" von Julian Tuwim, und die Illustrationen von Franciszka Themerson, welche moderne Tendenzen ankündigen. Neben Malern wie Tadeusz Makowski und Zbigniew Pronaszko beschäftigten sich auch Schriftsteller mit der Buchillustration. Stellvertretend sei hier Tytus Czyzewski (Abb. 3) genannt, der in jungen Jahren mit der avantgardistischen Gruppe der Formisten in Verbindung stand. Interessant ist der Fall von Bruno Schulz, der seinen Zeichnungen zu „Sanatorium pod Klepsydr^" (Sanatorium zur Todesanzeige, 1937) den gleichen künstlerischen Wert beimaß wie dem literarischen Text. Schulz hat auch Witold Gombrowiczs Roman „Ferdydurke" illustriert. Wenn vom schönen Buch der Zwischenkriegszeit die Rede ist, darf man die Verdienste einiger Verleger wie Jakub Mortkowicz oder Gebethner und Wolff sowie mancher Druckereien und des Vereins der Bibliophilen nicht außer acht lassen. Die Nachkriegszeit brachte eine gewaltige Entwicklung der Buchillustration. Weiterhin spielte der Künstler eine wichtige Rolle. Aber die materiellen Faktoren der Buchkunst wie die Qualität von Druck, Farben und Papier ließen viel zu wünschen übrig - es überwogen billige
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bravouröse Linienführung erinnert an barocke Zeichnungen. Unter den Zeichnern repräsentierte Tadeusz Kulisiewicz die klassische Zeichnung, Adam Marczyriski dagegen einen modernen lebhaften Strich. In dieser Zeit begegnen wir häufig Anspielungen an die Kunst der Vergangenheit oder aber einer gewissen Stilisierung. Manchmal wurden auch Original-Illustrationen aus älteren Ausgaben einfach reproduziert, wie z.B. in einer Auflage von Dickens' „Pickwickier" von 1952. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre und in den sechziger Jahren gewinnt jene Generation an Bedeutung, welcher die Bezeichnung „polnische Schule der Illustration" verliehen wurde. Beinahe alle Künstler beschäftigen sich auch mit Plakaten und können daher ebenfalls als Vertreter der polnischen Plakatschule betrachtet werden. Zu den charakteristischen Merkmalen dieser Künstler zählen die lakonisch, scheinbar sorglos behandelte Form, ein rascher, energischer Strich und schnell hingeworfene Flächen. Als wichtigster Zug kann jedoch der Versuch betrachtet werden, durch die knappe, metaphorische, manchmal scherzhafte Aussageform den Geist des Betrachters in Anspruch zu nehmen. Vorläufer und Meister einer solchen Form der Illustration war Henryk Tomaszewski, langjähriger Professor an der Akademie der Schönen Künste in Warschau, der etwas älter war als die übrigen Künstler dieser Gruppe. Seine Zeichnungen für ein Buch von Stanislaw Dygat (Abb. 4) sind Beispiele für die Schlichtheit seines Stils. Der Strich zeigt die
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Treffsicherheit eines Cartoonisten oder Zeitungsgraphikers, ein Feld, auf dem sich Tomaszewski ebenfalls betätigte. Zu den Vertretern dieser Gruppe gehören unter anderen Jan Mlodozeniec, der die Vignette für „Tortilla Flat" von John Steinbeck gezeichnet hat (Abb. 5), sowie Jan Lenica und Janusz Stanny (Nr. 11-22). Diese Generation kann aber keinesfalls als Monolith betrachtet werden. Sie brachte eine Reihe malerisch orientierter Künstler hervor und auch solche, die sich nur schwer einer bestimmten Richtung zuordnen lassen. Charakteristisch für die Buchillustration dieser Zeit ist gerade ihre Mannigfaltigkeit. Ihre Geschichte ist aber nicht als eine Sequenz verschiedener aufeinanderfolgender Tendenzen zu sehen, sondern als vielerlei parallel laufende Strömungen, von denen einige anschwellen, andere zurückweichen, untertauchen oder auch verschwinden. Die polnischen Illustratoren lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Zur einen gehören die proteusartigen, welche Stil und Technik in Abhängigkeit vom jeweiligen Werk wechseln. Hierzu zählen Künstler wie Andrzej Strumillo (Nr. 11-24), der sich gleichermaßen gut der Linie, Farbe und Photographie bedient. Die Zeichnungen von Janusz Stanny können zart oder grob, lyrisch oder grotesk sein. In manchen Arbeiten dominieren zarte, knappe Linien, in anderen malerische Flächen. In einem Interview äußerte er: „Es ist der Text, der mich inspiriert, und nicht die freie Wanderung des Geistes." Es gibt aber auch Künstler, die durch die Illustration sich selbst darstellen möchten und stets ihrem eigenen Stil treu bleiben. Betrachten wir z.B. das Werk zweier Künstler, die sich einer Art von unorthodoxem Surrealismus annähern. Bei ihnen bemerken wir ein durchaus unterschiedliches Verhältnis zum Text: Daniel Mröz, dessen Strich immer derselbe bleibt und leicht zu erkennen ist, steht immer im Einklang mit dem jeweiligen Verfasser. Er schafft absonderliche Geschöpfe für die
Abb. 4
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phantastisch-philosophischen Fabeln von Stanislaw Lern und die schauerliche Atmosphäre der Gassen des alten Paris, in denen Jean Valjean von Inspektor Javert verfolgt wird. Franciszek Starowieyski hingegen zeichnet seine barock stilisierten Phantasien ohne Bezug zum Inhalt des Buches, was er selbst zugibt. Die Inschrift auf seiner hier reproduzierten Illustration (Abb. 6) lautet: „Meine liebe Eva, du sollst nicht denken, daß ich solche Dinge in Deinen Gedichten gefunden habe, sondern das geschieht ganz von selbst, und ich kann nicht anders."
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diesem Gebiet tätig und haben bedeutende Erfolge im Inund Ausland. Zuweilen wird ihnen vorgeworfen, ihre vordringliche Absicht sei der künstlerische Effekt und nicht die Bedürfnisse der Kinder. Doch finden sich in ihren Büchern auch viel Phantasie, Humor und einfache Formen. In der älteren Generation ist zweifellos Jan Marcin Szancer (Nr. II-7 und 11-10) der Meister. Der Vertreter der mittleren Generation Janusz Grabianski steht den realistischen Tendenzen näher. Seine Aquarelle zeigen die Pinselführung eines Virtuosen, wie z.B. die Illustrationen für die polnische Ausgabe des „Old Possum Katzenbuches" von T. S. Eliot (Abb. 8) veranschaulichen. Grabiariski arbeitete auch für Verlage in vielen Ländern Europas, in den Vereinigten Staaten und in Japan. Die Neigung zum Malerischen ist in der polnischen Kinderbuchillustration immer stark gewesen. Es seien hier nur die Arbeiten von Jozef Wilkon (Abb. 9) und die der Künstlerinnen Maria Soltyk und Bozena Truchanowska erwähnt, die durch ihre heiteren Kompositionen die Buchseiten gleichsam in feenhafte Gärten verwandeln.
Abb. 6
Zuweilen fertigt der Künstler keine neuen Illustrationen an, sondern bringt ein Buch in eine neue Ordnung, indem er aus bereits bestehenden, von ihm gefundenen Bildern eine Auswahl trifft und sie gegebenenfalls bearbeitet. Ein Beispiel dafür ist das Buch „Magie und Teufel in Polen" von Julian Tuwim, das von Stanislaw Zamecznik (Nr. 11-15) mit alten Holzschnitten oder mit Fragmenten von Holzschnitten versehen wurde. In manchen Büchern werden neben Zeichnungen auch Photographien verwendet, so z.B. in der polnischen Ausgabe von J. Duches „L'histoire de France", die von Bohdan Butenko, einem der begabtesten Künstler der mittleren Generation, gestaltet wurde. Butenko ist sehr vielseitig: Mit einem einfachen, scheinbar primitiven Strich, der Kinderzeichnungen ähnelt (Abb. 7), hat er auch Kinderbücher illustriert. Er spielt auch mit verschiedenartigen Formen der Schrift, was in der polnischen Buchkunst seltener vorkommt.
Andererseits zeigt sich in der polnischen Kinderbuchillustration stark das Element des Komischen und Absonderlichen. In den siebziger Jahren nähert sie sich dann einem internationalen Stil, so daß nun kaum noch von einer polnischen Richtung der Illustration gesprochen werden kann. Doch die Phantasie der Buchgraphiker
Die meisten illustrierten Bücher sind Kinderbücher. Nahezu alle führenden polnischen Graphiker sind auf
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terbuch" von Julian Tuwim (Nr. 11-18) oder Romuald Nowicki in den Illustrationen zu Tuwims „Cicer cum caule" (Nr. 11-19). Auch Antoni Uniechowski zeigte sich gelegentlich von einer sehr humorvollen Seite: Ein kleines Meisterwerk sind seine Illustrationen zu einer 1959 in Warschau erschienenen Ausgabe von Juliusz SIowackis „Preliminaria peregrynacji do Ziemi Swi^tej JO. Ksi^cia Radziwilla Sierotki" (Präliminarien zu einer Pilgerreise in das Heilige Land von Seiner Durchlaucht Fürst Radziwill Sierotka) - ein Pastiche des barocken Strichs, der auch wegen der phantasievollen Komposition der Seiten bemerkenswert ist. Heitere Laune finden wir ebenfalls in den Zeichnungen von Zbigniew Lengren und Maria Berezowska (Nr. II-3) und in der nächsten Generation etwa bei Bohdan Butenko. Die Künstler der Generation der sogenannten polnischen Plakatschule repräsentieren den Humor einer anderen, mehr intellektuellen Art. Die Zeichnungen von Henryk Tomaszewski oder Jan Mlodozeniec sind die besten Beispiele dafür. Alle wichtigen Aspekte des Grotesken finden wir bei dem schon erwähnten Daniel Mroz (Abb. 10). Mit seinem witzigen Zeichenstil, der an den Holzstich des 19. Jahrhunderts erinnert, schafft er eine Welt, in der neben Phantasie und Ironie, wie etwa in den Illustrationen zu Stanislaw Lems philosophischen Fabeln im Kostüm der Science Fiction, auch echter Ekel herrschen, wie z.B. in den Zeichnungen zu Kafkas „Verwandlung" (Nr. 11-25). Manchmal erinnert die Atmosphäre seiner Werke an die Graphik von Max Ernst. Abb. 8
ist nicht geschwunden, und es erscheinen immer wieder neue interessante Bücher und Namen neuer Künstler. Die Neigung zum Grotesken im weiteren Sinne des Wortes ist eine wichtige Konstante in der polnischen Buchillustration. Das Groteske läßt sich nicht leicht definieren, und man begegnet bei polnischen Künstlern den verschiedensten Arten der Interpretation dieses Begriffs. Es kann als eine Form der Abwehr gegen das Bedrohende und Grausame in der Welt oder - wie es bei den Romantikern der Fall war - als Gegenpol zur Erhabenheit verstanden werden, indem das Häßliche zu einer ästhetischen Kategorie erhoben wird. Es kann aber auch bloßes Spiel sein. Der lapidaren Formel Wielands nach ist das Groteske ein Gelächter, Ekel und Erstaunen erregendes Phänomen. Es muß betont werden, daß diese drei Faktoren in der polnischen Buchillustration eine sehr ungleiche Rolle spielen. Das Gelächter scheint einen sekundären Platz einzunehmen. Humor und Frohsinn, nicht von Bitternis und Besänftigung beeinträchtigt, trifft man eher bei den Künstlern der Vergangenheit, wie z.B. bei J. Przyluski, dem Illustrator der „Monachomachia" von Ignacy Krasicki im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts (Nr. II-4). Humor finden wir auch bei einer ganzen Gruppe von am Anfang des 20. Jahrhunderts geborenen Künstlern, die die leichte, kapriziöse Linie bevorzugen, wie z.B. Feliks Topolski in seinen Zeichnungen für das „Polnische Trinker-Wör-
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Das ernsthaft Groteske, das das Grauen und das Abscheuliche in der Welt widerspiegelt und gleichzeitig verspottet und verurteilt, treffen wir bei dem heute in Frankreich lebenden Maler Jan Lebenstein an. Seine Graphiken wurden 1985 in einer illegalen Ausgabe der „Farm der Tiere" von George Orwell verwendet.
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Manchmal ist das Groteske nicht mehr eine Konfrontation mit dem Unbekannten, sondern eher ein raffiniertes Spiel. Franciszek Starowieyski verblüfft durch seine zeichnerische Bravour, durch mitunter makabre, mit Tod und Sexualität verbundene Motive. Dabei spürt man in seinen Werken ein großes Maß an Theatralität. Abb. 11 Abscheu erregende Illustrationen sind häufiger, als man erwarten sollte, in der Kinderliteratur anzutreffen. Die Häßlichkeit des Bösen in der Zeichnung von Olga Siemaszko zum „Zauberlehrling" (Nr. 11-21) hat ihren Grund im Text. Ganz anders ist es im Falle einiger Illustrationen von Janusz Stanny zu Andersens Märchen. Die Hexe aus dem „Feuerzeug" ist gleichzeitig ein Baum und ein abscheulicher, zu einer bösen Grimasse verzerrter Kopf (Nr. 11-22), das Schloß im „Mitreisenden" ist auf einem riesigen Schädel erbaut. Die Stimmung dieser Bilder ist Andersens Märchen fremd. Die groteske Häßlichkeit ist hier nur eine Art Spiel des Künstlers. Ebenfalls als ein Spiel sollte man die Illustrationen der drei Künstler Andrzej Dudzinski, Marek Goebel und Andrzej Krause (Abb. 11) zu den Gedichten für Kinder von Stanislaw Jachowicz betrachten (Wiersze Stanislawa Jachowicza, Warschau 1979). Der Kontrast zwischen ihren abstoßenden Illustrationen und den moralisierenden Gedichten aus dem 19. Jahrhundert verstärkt den grotesken Effekt.
Das Phantastische, Groteske und Absonderliche erscheint oft in der polnischen Kinderbuchillustration. Die Bilder von Elzbieta Murawska zu den Märchen der Gebrüder Grimm haben mit ihren scharfen Linien etwas Drohendes an sich. Die komischen kleinen Wesen, die Joanna Zimowska-Kwak geschaffen hat, scheinen nur auf den ersten Blick lächerlich zu sein, werden aber bei genauerer Betrachtung als unheimlich empfunden. Auch einige Künstler der jüngeren Generation wie Adam Kurlowicz oder Zbigniew Kolaczek meiden das Absonderliche nicht. Häßlichkeit und Komik charakterisieren die Werke einer Gruppe von Künstlern, die Ende der sechziger Jahre die Pressezeichnung erneuert haben und sich auch mit der Buchillustration beschäftigen. Zu ihnen gehören Andrzej Czeczot (Abb. 12), Andrzej Krause und Andrzej Mleczko. Ihre Linienführung erscheint grob und plump, ihr Humor trivial - aber hinter dieser Grobheit verbirgt sich manchmal ein feiner Witz und das unbarmherzige Urteil des Satirikers. Bei manchen Illustrationen wird die Neigung zum Grotesken und Absonderlichen gleichsam vom Intellekt kontrolliert, und es entsteht eine zeichnerische Parallele zum literarischen Scherz. Zu dieser Kategorie gehören auch die komischen Tiere von Wojciech Wolyriski zu den Gedichten von Stanislaw Barariczak „Zwierz^ca zajadlosc" (Tierische Verbissenheit), die dem angelsächsischen Humor nahestehen, oder die von Wojciech Kolyszko (Abb. 13), gezeichnet zu „Arka Noego" (Arche Noah), einem „literarischen Spiel", das zu Beginn unseres Jahrhunderts eine Gruppe von Freunden verfaßt hat (Nr. 11-26). Hier wäre auch Andrzej Dudzinski anzuführen, der in seinen Zeichnungen Vielfalt und Zwanglosgkeit mit kühler Ironie vereinigt. Einen Gegenpol stellen jene Werke dar, die man als lyrische Groteske bezeichnen kann. Stasys Eidrigevicius, ein seit langem in Polen ansässiger Litauer, entwirft immer dieselben sonderbaren Wesen mit maskenhaften traurigen Gesichtern, mit starren Augen, von Leiden gezeichnet, ob er nun phantastische Erzählungen von Theophile
m ; Abb. 10
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Abb. 12
Abb. 13
Gautier oder die bitteren, reflektierenden Gedichte von Czeslaw Milosz illustriert (Abb. 14). Auch andere Künstler, wie z.B. Jerzy Czemiawski und Tomasz Wisniewski, verbinden das Groteske mit dem Tragischen.
Wojciech Wotyriski in den Vereinigten Staaten entwerfen Illustrationen für Bücher, die in Polen gedruckt werden. Bemerkenswert ist die bereits erwähnte Ausgabe von Orwells „Farm der Tiere", die mit farbigen Illustrationen des in Paris lebenden Malers Jan Lebenstein illegal im Untergrund (als sogenannter „zweiter U m l a u f ) erschien.
Die polnischen Illustratoren schaffen eine eigene Welt, die zumeist von den literarischen Vorlagen unabhängig ist, eine Welt der Phantasie, die ein bißchen komisch, häufiger jedoch traurig oder sogar erschreckend ist. Sie stehen der sogenannten metaphorischen Kunst nahe, die in der polnischen Malerei und Graphik stets eine wichtige Stellung hatte und die sich zum Teil der von den Surrealisten entwickelten Sprache bedient. Bei einigen Künstlern scheint das Groteske ein Geheimnis zu verbergen, andere lassen sich von der Vernunft leiten, manche machen nur ein Spiel mit dem Unbekannten oder wollen nichts weiter als sich amüsieren.
Man könnte die Feststellung wagen, daß das künstlerische Buch in den letzten Jahren nur im Hintergrund existiert, was vorwiegend daraus resultiert, daß es an einer breiteren zahlungskräftigen Käuferschicht fehlt. Es gibt verschiedenartige Veröffentlichungen, die eine Art Ersatz für die Malerbücher sind, wie z.B. illustrierte Miniaturausgaben, oder Bücher, in denen Graphiken oder reproduzierte Zeichnungen von hervorragenden Künstlern gezeigt werden, die aber keinen Zusammenhang zum Text haben. Es entstehen gleichzeitig aber auch richtige Malerbücher. Die besten erscheinen im Verlag Correspondence des Arts in Lodz und können - in perfektem Druck, mit Originalgraphiken versehen und mit kunstvoll gestaltetem Einband - durchaus als Gesamtkunstwerke bezeichnet werden. Man darf aber auch die ähnlichen Malcrbücherinicht außer acht lassen: Mit bescheidenen technischen Mitteln von Avantgardekünstlem gedruckt, sind sie wichtige Zeugnisse ihrer graphischen und literarischen Tätigkeit.
Spricht man über die moderne polnische Buchkunst, darf man die im Ausland lebenden Künstler, die mit der Heimat immer rege Kontakte pflegten, nicht außer acht lassen. In Florenz existierte lange Zeit die Offizin von Tyszkiewicz, drei andere Druckereien gab es in der Nachkriegszeit in London: die von Stanislaw Gliwa, die Offizin der Dichter Krystyna und Czeslaw Bednarczyk sowie die Gabberbocchus Press von Franciszka und Stefan Themerson. Im Ausland ansässige Künstler wie Janusz Cieslewicz und Jan Lebenstein in Frankreich oder Jan Sawka, Andrzej Dudziriski, Andrzej Czeczot und
Schließlich seien einige weitere Erscheinungen aus dem Grenzbereich des Buches erwähnt: Ein Unikum stellen
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erwähnen sind auch primitive, vorwiegend xerographisch illustrierte Veröffentlichungen mit rebellischen, nicht selten provokativen Inhalten, die dem Bereich der jugendlichen Subkultur entstammen. Die Einführung der freien Marktwirtschaft bleibt nicht ohne Einfluß auf das Veröffentlichungswesen. Alte Firmen kämpfen mit Schwierigkeiten, es werden neue kleine Verlage gegründet, die schnellen Profit suchen. Die Buchausstattung dient in erster Linie dem Zweck, Käufer zu finden. Die Schaufenster sind voll von Büchern mit kitschigen Einbänden mit Goldschrift. Die wachsende Kommerzialisierung läßt auch im Bereich der Buchillustration banale, künstlerisch uninteressante Produktionen entstehen. Nicht selten werden in Kinderbüchern Bilder ausländischer Künstler reproduziert. Die künstlerische Illustration verliert dennoch nicht an Bedeutung. Künstler der älteren Generation sind weiterhin tätig, z.B. erschien vor kurzem eine mit Illustrationen von Janusz Stanny versehene Ausgabe von Reymonts Roman „Das gelobte Land", und es treten junge talentierte Buchkünstler auf. In letzter Zeit sind auch neue Verlage entstanden, die Bücher mit wertvollen Illustrationen herausgeben. Auch Malerbücher erscheinen weiterhin. Bemerkenswert ist die Tätigkeit des Kunstverlags Kurtiak und Ley in Koszalin. All das läßt die Hoffnung zu, daß die gute polnische Buchkunst überleben wird.
Abb. 14
die handgeschriebenen und bemalten Bücher von Andrzej Bartczak dar. Außerdem gibt es Kunstgegenstände, die äußerlich die Form eines Buches haben, in Wirklichkeit aber kein Buch zum Lesen sind und am ehesten dem Bereich der konzeptuellen Kunst zuzurechnen sind. Zu
Übersetzung von Marta Faas
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Man sieht zunächst ein mittelalterliches Scriptorium, in dem ein Meisterschreiber und Illuminator eine Handschrift ausarbeitet. Am Pult sitzend führt er mit sicherer Hand die Feder über das Papier. - Die folgende Abbildung zeigt das Verfahren der Papiergewinnung in einer Papiermühle. Von einem Wasserrad wird ein hölzerner Apparat angetrieben, der zerfaserte Lumpen mit dem beigemischten Wasser zu einem feinen Brei verarbeitet. Dieser Papierbrei gelangt dann in die Bütte (das Holzschaff). Der Papiermacher schöpft mit der Schöpfform, einem Drahtsieb in einem Holzrahmen, die für ein Blatt nötige Menge an Brei und läßt das überschüssige Wasser abtropfen. Den Büttenbogen legt er zum Trocknen auf einen Stapel. Als weiteren Mitarbeiter bei der Buchherstellung sieht man den Buchstabengießer oder Schriftschneider die gewünschten Lettertypen für den Handsatz herstellen. Hier arbeitet er noch mit dem Handgießinstrument. In der linken Hand hält er den Gießkasten mit eingelegter Matrize und gießt mit der rechten das Metall in den Hohlraum der Buchstabenform. Nach Öffnen des Gießkastens nimmt er den fertigen Buchstaben heraus.
II-l Sopocko, Konstanty M. Ksigzeczka ο ksigzce (Das Büchlein vom Buch) Mit 6 Original-Holzschnitten von Konstanty M.Sopocko Warschau, Paristwowy Instytut Wydawniczy, 1961 29 S., kl. 8°, OBrosch. mit 8 Holzschnitt-Illustrationen
Ein Blick in die Druckstube zeigt den Setzer vor dem Setzkasten. Mit dem Tenakel und einem einfachen hölzernen Winkelhaken fügt er aus einem Vorrat gegossener Typen Letter an Letter zu einer Zeile zusammen.
Abb. S. 7, 11, 14, 18, 19, 23, 27 u. Einband Lit.: Museum der Bücher, hrsg. v. H.A. Halbey. Dortmund 1986.
Das von Hand gefertigte, aus vier Lagen geheftete „Büchlein vom Buch" ist dem Staatlichen Verlagsinstitut PIW zum fünfzehnjährigen Jubiläum seines Bestehens gewidmet. Es wurde in der Thorner Dzielowa-Druckerei in der Type „Thorner Antiqua" gedruckt. Neben der Normalausstattung gab es eine Vorzugsausgabe von 150 numerierten und signierten Exemplaren auf handgeschöpftem Papier der Warschauer Papiermühlen in Jeziorna. Die schönen Holzschnitte stammen von Konstanty Maria Sopocko, einem Schüler von E. Bartlomiejczyk und W. Skoczylas.
Ein junger Drucker im Standesgewand bedient die seit Gutenberg fast unveränderte Buchdruckerpresse. Der fertiggestellte Text- und Bildrahmen ist eingespannt, und die hervorstehenden Teile sind mit einer Walze eingefärbt. Die inzwischen getrockneten Papierbögen werden mit starkem Druck auf den Druckträger gepreßt, eine Arbeit, die eine zunftgemäße Ausbildung erforderte. Seine endgültige Form erhält das Buch in einer Buchbinderwerkstatt. Mit der sogenannten Bestoßlade bringt der Buchbinder den Buchblock hobelartig auf Format. Der Geselle im Hintergrund verknüpft in der Heftlade die einzelnen Lagen mit Schnüren. Der Buchbinder verbindet den Buchblock mit den beiden Deckeln und dem Rücken und bezieht das Ganze mit Leder oder Pergament. Die Illustration zeigt zwei Bücher mit Handeinbänden, wie sie zur guten Erhaltung der kostbaren Bücher üblich waren.
Das kleine Werk ist eine Sammlung von Aphorismen zum Thema Buch. Der jüdische Talmud, Dichter und Denker der Antike wie der europäischen Vergangenheit und Gegenwart würdigen die Bedeutung des Buches für das Leben des Menschen. Leonardo da Vinci, Petrarca, Voltaire, Ignacy Krasicki, J.W. Goethe, Adam Mickiewicz, Alexander Puschkin u.a. bezeichnen in dieser Apotheose der Buchkultur Bücher als Nahrung, Lehrund Lernmittel, Spiel und Freund. Bücher sind Brot, Wein und Flügel. Sie bedeuten Macht und geben Kraft. Sie allein sind unsterblich. Sie sind die Quelle und das Schwert des Wissens, Magie und Weisheit. Sie sind die größten Kostbarkeiten der Menschheit.
Die Schluß-Vignette des Büchleins (Abb. Mitte) zeigt eine babylonische Tontafel, einen ägyptischen Papyrus, römische Wachstäfelchen und ein Buch. Exemplarisch wird hier die Entwicklung des Schrifttums bis zum gedruckten europäischen Buch veranschaulicht.
Die sechs Holzschnitte von Konstanty M. Sopocko veranschaulichen die Entstehung des Buches in der Frühzeit des Buchdrucks. Sie stellen die Zunft der Papier- und Schriftschöpfer, der Drucker und Setzer sowie der Buchbinder in detaillierter Darstellung der einzelnen Arbeitsgänge vor.
Auf dem Holzschnitt des Einbandes übergibt die personifizierte Minne dem Menschen ein Buch als ein wertvolles Geschenk des frühen Mittelalters.
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II-2 Anonymi
Darstellung, in der sich die Lebensfreude des Renaissance-Menschen widerspiegelt. Die Laute als traditionelles Attribut des Dichters ist ein typisches Motiv. Es dient Ksiggi Humoru Polskiego od Reja do Niemcewicza dazu, den Ursprung der Poesie, insbesondere die Einheit (Bücher des polnischen Humors von Rej bis Niemcevon dichterischem Wort und Musik hervorzuheben. Der wicz) Lautenspieler hat in einem Saal Platz genommen. Auf Anthologie dem Tisch neben ihm steht ein Weinglas, außerdem finTextauswahl und Anmerkungen von Stanislaw Czernik, det man dort Karten, Würfel und ein Schachbrett, alles Jan Huszcza und Juliusz Saloni Symbole menschlicher Geselligkeit und Spielfreude. Mit 64 Holzschnitt-Illustrationen nach altpolnischen Drucken des 16.-18. Jahrhunderts Die Thematik des Bildes ist charakteristisch für die Zeit: Lodz, Wydawnictwo Lodzkie, 1958 Scherze, Lieder, Tänze und Spiele sind fester Bestandteil 521 S., 8°, OLwd. eines Trinkgelages in der Epoche der polnischen RenaisAbb. S. 19, 81 sance. Dem Dichter obliegt es, zur fröhlichen GeselligLit.: J. Tuwim, Cztery wieki fraszki polskiej, Vorwort v. A. Brückner, keit beizutragen. Ihm selbst wird dafür nach alter Sitte Warschau 1957. als Gegenleistung die Einladung zuteil. Die zweite Abbildung gehört zu dem Gedicht „Das Bauernfest" von Jan ζ Wychylowki, einem Dichter der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Über den Urheber des Holzschnitts, auf dem ein infernalisches Gelage dargestellt ist, ist nichts bekannt. Vorder- und Hintergrund des Bildes sind von höllisch lodernden Flammen beherrscht. In der Mitte tafelt ein Mensch, der dabei von zwei Teufeln bedient wird. Der rechte Teufel schenkt Wein ein, während der linke dem Mann eine Schlange reicht, in die er herzhaft hineinbeißt. Der Tisch ist voller Teller, auf denen Schildkröten und andere Tiere auf ihren Verzehr warten.
Es gibt nur wenige Anthologien des polnischen Humors, der nie zur offiziellen Literatur gerechnet, sondern lediglich als Begleiterscheinung der großen Dichtung betrachtet wurde. Als die Literaturwissenschaftler Stanislaw Czernik, Jan Huszcza und Juliusz Saloni beschlossen, eine Anthologie von Rej bis zur Avantgarde herauszugeben und als ersten Band Texte von Rej (1505-1569) bis Niemcewicz (1757-1841) veröffentlichten, konnten sie nur auf zwei Werke zum polnischen Humor zurückgreifen, auf Kazimierz Bartoszewiczs „Ksi§gi Humoru Polskiego" (Petersburg 1897) und auf Julian Tuwims „Cztery wieki fraszki polskiej" (Warschau 1937). Die Herausgeber Czernik, Huszcza und Saloni schöpfen aus der Anthologie von Julian Tuwim, fügen aber auch neues Material hinzu. Ihr hauptsächliches Anliegen war es, den Leser zu unterhalten.
Über die Herkunft der beiden Bilder gibt die Anthologie keine Auskunft. Das Bild aus dem Werk von B^czalski wurde vermutlich des öfteren abgedruckt. Unter dem Titel „Polnischer Lautenspieler" ist es auch in dem Buch „Nachbarn seit tausend Jahren. Deutsche und Polen in Bildern und Dokumenten" (von Richard Breyer, Peter E. Nasarski, Janusz Piekalkiewicz, Mainz 1976, S. 147) wiedergegeben.
Die chronologisch nach den Geburtsdaten der Autoren geordnete Auswahl stützt sich im wesentlichen auf die neuesten wissenschaftlich-kritischen Werkausgaben der Dichter des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, von Rej, Kochanowski, Opalinski, Krasicki, Trembecki, St. Potocki u.a. So entstand ein Überblick über die historische Entwicklung der polnischen humoristischen Literatur in diesem Zeitraum. In die Auswahl wurden nur typische Gattungen humoristischen Schaffens aufgenommen: Epigramme, Fraszki (Epigramme oder Spottgedichte), Fazetien sowie heroisch-komische Poeme, ferner Lieder, Anekdoten, Schwanke, Satiren, Märchen und Erzählungen. Der Umrißholzschnitt (Abb. oben) stammt aus dem Buch von Seweryn B^czalski „Fortuna albo szcz^scie", das im Jahr 1645 in Krakau erschien. Er gehört zu Jan Kochanowskis Epigramm „O zywocie ludzkim" (Vom menschlichen Dasein), einem durchweg in ernstem Ton gehaltenen, über das menschliche Dasein reflektierenden Gedicht. In dem vorliegenden Band leitet das Bild zugleich die gesamte Sammlung der hier abgedruckten Epigramme (Fraszki) des bedeutendsten polnischen RenaissanceDichters Jan Kochanowski (1530-1584) ein. Es handelt sich um eine thematisch nicht gebundene allegorische
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II-3 Berezowska, Maria („Maja") Jan Kochanowski
Fraszki (Epigramme) Herausgegeben von Antonina Jelicz Mit Illustrationen und 6 ganzseitigen, farbigen Bildern von Maja Berezowska Warschau, Panstwowy Instytut Wydawniczy, 1956 87 S., 4°, OLwd. Abb. S. 24 Lit.: J. Adler, Die Fraszka als literarische Gattungsform in den FRASZKI Jan Kochanowskis, in: Anzeiger f. slav. Philologie Nr. 6, 1970.
Jan Kochanowski (1530-1584), eine der markantesten Dichterpersönlichkeiten Polens, verlieh der polnischen Literatur hohes Ansehen und eine neue poetische Sprache. An antiken Vorbildern geschult, schuf der humanistische Dichter der Renaissance die erste, unter dem Titel „Fraszki" (Epigramme) erschienene Gedichtsammlung und damit zugleich eine neue Gattungsform der polnischen Lyrik. Kochanowskis Fraszki sind aus persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen am Hof des letzten Jagiellonenkönigs Sigismund August (1548-1572) entstanden. Sie zeigen - auf mitunter satirisch-humoristische Weise - sehr genau die Beschäftigungen und Spiele, mit denen die in den Palästen der Fürsten- und Feudalherren langsam dahinfließende Zeit ausgefüllt wurde. Nicht weniger kennzeichnend für sie sind die mit zeitkritischen Akzenten versehenen Reflexionen des Dichters über das menschliche Dasein und die Lebensideale der Renaissance.
Der vorliegende Auswahlband stützt sich auf Jan Kochanowskis Erstausgabe aus dem Jahre 1584. Wie diese trägt sie den vom Verfasser persönlich in Versalien gesetzten Titel „Fraszki" und beachtet auch die vom Dichter sorgfaltig gewählte Reihenfolge und Anordnung der Texte. Die abgebildete Zeichnung illustriert das Epigramm mit dem Titel „O pralacie" (Vom Prälaten). Sie gibt treffend die Atmosphäre der Zeit wieder und trägt damit zum Verständnis dieses kleinen literarischen Kunstwerkes bei. Die Fraszka, in deren Mittelpunkt die Geselligkeit und die Freuden des Gaumens stehen, schildert ein Gastmahl. Um eine Tafel sind allerlei Hofleute versammelt: Jungfrauen und verheiratete Damen, Rittersleute, ein Mönch und die Titelfigur, der Prälat. Ihre Fröhlichkeit erklärt Kochanowski mit einem Spiel, welches darin besteht, den einer Jungfrau geraubten Kuß von einem zum anderen weiterzugeben. Während die tafelnden Personen äußerst vergnügt sind, trägt der Prälat trotz seiner Feierlichkeit eine mißmutige Miene zur Schau. Das Spiel stört seine Hingabe an die lukullischen Genüsse. Das Interesse, das seine Tischdame an ihm bekundet, scheint er nicht zu erwidern; er ist ganz von der Schlemmerei in Anspruch genommen und fühlt sich doppelt gestraft: Nicht allein, daß ihn seine hochbetagte Tischdame durch das Spiel beim Essen stört, zu allem Übel muß er auch noch einen Klosterbruder küssen, der ihm schon mit breitem Grinsen sein Gesicht zugewandt hat. Ergeben fügt er sich in sein Schicksal und faltet die Hände vor der Tischkante, wo die Götzen Speis und Trank seine Aufmerksamkeit fesseln.
da einem Häuschen". Die Mönche führen ein Leben genußreichen Müßiggangs. Da läßt ein scholastischer Disput zwei Klöster, von denen eins dem Dominikanerorden, das andere dem der Karmeliter angehört, zu Kontrahenten werden, die gestern noch allenfalls im Essen und Trinken miteinander wetteiferten. Rasch artet das Wortgefecht in eine wüste, in homerischen Tönen geschilderte Schlägerei aus. Sie endet abrupt in dem Moment, da das vitrium gloriosum, ein riesiger Kelch, hereingetragen wird, vor dem sich die wackeren Gottesstreiter in gemeinsamer Anbetung versöhnen. Diese Pietätlosigkeit erregte in klerikalen Kreisen einen Sturm der Entrüstung.
II-4 Przyluski, J. Ignacy Krasicki
Monachomachia czyli Wojna mnichow (Monachomachia oder der Mönchekrieg) Heroisch-komisches Versepos in sechs Gesängen Mit 20 ganzseitigen farbigen Illustrationen von J. Przyluski aus den Sammlungen der Nationalbibliothek, Warschau Warschau, Czytelnik, 1984 95 S., 8°, OHLwd. Abb. S. 37
Über den Illustrator der „Monachomachia" J. Przyluski ist wenig bekannt. Die Illustrationen, die hier zum ersten Mal im Druck erscheinen, hat Przyluski 1822 geschaffen. Sie sind mit Pinsel in Aquarell und Tempera, die Details mit Feder und Tusche gemalt. Die Stellen in Temperafarbe überdecken die Vorzeichnung, so daß die Wirkung des Kolorits verstärkt wird. Der Künstler versah seine Bilder links mit der Angabe von Ort und Zeit ihrer Entstehung, rechts mit dem Signet „J Przyluski", und darunter setzte er jeweils zwei Zeilen des zugehörigen Textes mit der Nummer des betreffenden Gesangs. Auf diese Weise wird der Text gewissermaßen satirisch in Szene gesetzt. Besonders deutlich wird dies in der Illustration mit dem oben genannten Kelch (Gesang 5, Strophe 12): Die uneinigen „Söhne des Dominikus" und die „Kinder von Karmel" sind nicht individualisiert dargestellt. Alle wirken grob, dumm und plump. Ihr uniformes Aussehen und die gleiche, wie zum Gebet geneigte Körperhaltung suggerieren friedliche Eintracht. Tatsächlich verbindet die sonst zerstrittenen Helden ein gemeinsamer Orientierungspunkt: der Weinkrug, welcher beinahe Symbolcharakter hat und für Wohlbehagen sowie Sinnesfreude steht.
Der Dichter und Fürstbischof von Ermland Ignacy Krasicki (1735-1801) war ein bedeutender Vertreter der polnischen Aufklärung. Krasickis literarische Tätigkeit beschränkt sich auf 15 Jahre (1765-1780). Er lehnte den Schwulst des Barock ab und wandte sich dem klaren, einfachen Stil Jan Kochanowskis zu. Die Aufgabe des Schriftstellers sah er darin, als Moralist das menschliche Verhalten zu beeinflussen. Das Buch, das er dem Leser in die Hand geben wollte, sollte in klarem Stil geschrieben, kurz und belehrend, verständlich im Inhalt und in der Thematik polnisch sein. Krasicki führte einen literarischen Kampf gegen die Dummheit. Dafür genügten ihm maßvolle Worte und zupackende, aber taktvolle Ironie. Berühmt sind seine komisch-heroischen Versepen, wie zum Beispiel „Monachomachia oder der Mönchekrieg" (1778, deutsch 1782, 1870), ein Glanzstück der europäischen komischen Epik. Die im klassischen Versmaß der ottava rima verfaßten Zeilen berichten von einem Krieg unter Mönchen in einer Kleinstadt. Die Stadt besteht aus „drei Wirtshäusern, vier Torruinen, neun Klöstern und hie und
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II-5 Toepfer, Stanislaw Henryk Sienkiewicz
Krzyzacy (Die Kreuzritter) Mit 1 doppelseitigen und 21 ganzseitigen Holzschnittillustrationen von Stanislaw Toepfer Warschau, Panstwowy Instytut Wydawniczy, 1987 2 Bde., 494 u. 565 S„ 8°, purpurner Samteinband, 40. Auflage Abb. Bd. 2, S. 560/561
Er selbst wird von ihnen geblendet und verstümmelt. Sienkiewiczs Roman endet mit der Darstellung der Schlacht bei Tannenberg am 15. Juli 1410. Sie zählt zu den größten Schlachten des späten Mittelalters und gilt zugleich als eine der schwierigsten, die Polen und Litauer je zu bestehen hatten. Der Sieg über den Deutschen Orden leitete den Niedergang der Ordensmacht und ihrer Eroberungspolitik ein.
„Zur Ermutigung der Herzen" schrieb Henryk Sienkiewicz (1846-1916) seine historischen Romane, die dem Dichter Weltruhm und 1905 für „Quo Vadis?" sogar den Nobelpreis einbrachten. In der stolzen Erinnerung an ruhmreiche und entscheidende Momente im Werdegang der Nation schuf er die Vision einer Vergangenheit, in der Polen seine Identität wiederfand. Ein wichtiges Ereignis im polnischen Geschichtsbild ist „Grunwald", der Sieg Polens über den Deutschen Orden bei Tannenberg. Der Roman „Die Kreuzritter" (1900) schildert das rücksichtslose Vorgehen der Ordensritter am Schicksal des Ritters Jurando von Spychöw. Kreuzritter ermorden seine Frau und entführen seine Tochter.
Der Graphiker und Buchkünstler Stanislaw Toepfer illustrierte den Roman in der von ihm bevorzugten Holzschnittechnik. Die 22 ganzseitigen, dem Text gegenübergestellten Holzschnitte schuf der Künstler für die V. Internationale Buchkunst-Ausstellung 1965 in Leipzig.
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Toepfer behandelt das illustrierte Buch als einheitliches Kunstwerk. „Die Schlacht bei Grunwald" ist ein Zweifarbenschnitt, in dem es dem Künstler gelingt, die im allgemeinen schwer überschaubare Detailfülle bei Darstellungen mittelalterlicher Turniere in einer dichten Komposition gleichwohl transparent einzufangen. Dank Toepfers sparsamer Zeichnung von Figuren, Pferden und Waffen - vor allem im Hintergrund - wirkt das Bild trotz der Fülle von Helmbüschen, Schabracken, Straußenfedern, Teppichgehängen und gotischem Zierrat sowie Schwertern und Lanzen nicht überladen. In den mittleren Partien, im Zentrum der Schlacht, wütet der Nahkampf. Die Männer kreuzen die Klingen, fechten mit Lanzen, Speeren, Dolchen und Piken. Über der dichten Reihe der
berittenen Kämpfer - rechts im Bild - weht die polnische Fahne mit dem Zeichen des weißen Adlers, umringt von den heraldischen Bannern der polnischen Edelleute (Adler, Falke, Bär, Burg). Rechts herrscht Ordnung. Hier stehen die Ritter des Königs. Durch die Übermacht seiner Truppen bricht unter den Kreuzrittern - links im Bild Tumult aus. Ihre Ordnung ist bereits durchbrochen. Die Polen sind schon im Anmarsch, und die beiden vorderen Figuren lassen keinen Zweifel über den Ausgang der Schlacht: Der nach Rache dürstende polnische Ritter Macko durchbohrt den zu Boden gerissenen Großkomptur Kuno von Lichtenstein mit einem gezielten Dolchstoß. Es ist in ihrer patriotischen Emotionalität die ausdrucksstärkste Geste der ganzen Illustrationsfolge.
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II-6 Gronowski,
künstlerische Gestaltung wird gekrönt durch die in traditioneller Manier verwendeten Initialen.
Tadeusz
Adam Mickiewicz
Mit doppelseitigen Bildern in Farben, deren Leuchtkraft Tupfer und Linien aus reinem Rot, Grün, Gelb und Schwarz akzentuieren, verleiht Gronowski vor allem den Massen in Bewegung einen besonders suggestiven Ausdruck. So erhebt er zum Beispiel den Streit im fünften Buch zur Schlüsselszene eines Teils, der schon für Mickiewicz substantielle Bedeutung hatte. In einem bemerkenswert ausgewogenen Bildaufbau stellt Gronowski nur das Allgemeine - den Begriff der Konfrontation - dar.
Pan Tadeusz Mit 12 doppelseitigen Farbillustrationen und farbigen Faltblättern von Tadeusz Gronowski Warschau, Ksiazka i Wiedza, 1984 405 S., Fol., OLwd. Abb. S. 129 Lit.: Τ. Pien^zek, Tadeusz Gronowski, Grafika ksi^zkowa 1918-1978, Ausstellungskatalog Breslau 1978.
Der Regel entsprechend, daß jede Epoche das Recht auf ihre eigene, von Geschmack, Stil und Mode geprägte Interpretation literarischer Meisterwerke hat, entstanden in Polen immer wieder neue Illustrationen zu Mickiewiczs Werken, im 20. Jahrhundert vor allem zu „Pan Tadeusz". Das 1834 erstmals erschienene Versepos des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz (1798-1855) läßt nach dem gescheiterten Aufstand von 1831 die polnische Adelsnation wiedererstehen. Die Handlung spielt am Vorabend des napoleonischen Rußlandfeldzuges, an den Polen große nationale Hoffnungen geknüpft hatte. Sie wird beherrscht von dem Zwist der beiden Adelsfamilien Horeszko und Soplica, deren frühere Freundschaft durch einen lange zurückliegenden, ungeklärten Mord zerbrochen ist, den Jacek Soplica, der Vater des Titelhelden begangen hat. Streitpunkt und Schauplatz des Geschehens ist ein Schloß, das im besetzten Litauen liegt und das nach dem Mord an die Familie Soplica gefallen war. Als die Horeszkos ihr Schloß zurückerobern wollen, geraten sie mit der russischen Besatzungsmacht aneinander. Angesichts des gemeinsamen Feindes vergessen die beiden Familien ihren Zwist und schlagen die Russen in einer großen Schlacht. Durch die Verlobung Tadeuszs mit Zosia, der Enkelin des ermordeten Horeszko, wird schließlich auch der Friede zwischen den Familien wiederhergestellt. Als Tadeusz Gronowski (1896-1990) in den vierziger Jahren mit den Illustrationen zu „Pan Tadeusz" begann, beschloß er, ein Gesamtkunstwerk aus Text, Illustration und Typographie zu schaffen. Dieses Vorhaben verlangte außer einer tiefgreifenden geistigen Durchdringung der literarischen Vorlage eine Art Illustration, die über eine bloße Ausschmückung hinausgeht. Für die elegante, auf hochwertigem Papier in großem Album-Format im Jahre 1949 erschienene Jubiläumsausgabe, die hier als Reprint vorliegt, schuf er einen Zyklus von 12 Illustrationen in farbkräftigen Aquarellen und Gouachen. Sie stellen Schlüsselszenen der Handlung dar. Außerdem ziert jedes Buch des Werks in einer seinen Inhalt charakterisierenden Weise eine Vielzahl von Vignetten, Ornamenten und kleineren Illustrationen, welche, in der Breite des Satzspiegels gehalten, die typographische Anordnung der Textkolumnen unterbrechen oder begleiten. Diese buch-
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Der ganze Bildaufbau ist ein Spiel der Gegensätze. Im soeben entbrannten Streit um das Schloß bilden sich zwei kontrastierende Fronten: links die altpolnisch gekleidete, ältere, edle litauische Soplica-Gefolgschaft - rechts der junge Graf, der letzte Sproß der Horeszkos, in abweisend-starrer Haltung und modisch „fremdem" Gewand. Der wie eine Waffe ergriffene Stuhl zwischen den Kontrahenten symbolisiert den Anbruch einer neuen Zeit. Er steht an der Schwelle zum Raum wie an der Schwelle zu einer neuen Epoche, gleich einer Allegorie der Revolution. Links von der die Bildmitte beherrschenden Masse steht Pan Tadeusz. Er versucht, den Streit zu schlichten,
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den der junge Graf provoziert hat. Diese beiden jungen Menschen, die große Abneigung gegeneinander hegen, vertreten eine Generation, von deren Taten die Zukunft der Nation abhängt. Gronowskis Illustrationen wecken eine Fülle von Vorstellungen und lenken nachdrücklich die Wahrnehmung und das Verständnis des Epos. Auf intellektuelle Metaphorik gestützt, ziehen sie die gedankliche Verdichtung der bildlichen vor und werden Mickiewicz auch mit dieser metaphorischen Darstellungsweise gerecht.
II-7 Szancer, Jan Marcin DIE POL ONAISE Adam Mickiewicz
Zeit ist's zur Polonaise. - Der Kämmerer schreitet dahin schon, Wirft mit leichtem Schwung die Flügel zurück seines Kontuschs Und den Schnurrbart zwirbelnd, reicht er die Handjetzt der Zosia; Höflich sich neigend, bittet er sie zum ersten der Paare. Nach dem Kämmerer sammelt sich nun eine Reihe in Paaren; Dann kam das Zeichen, und man begann mit dem Tanzen er führte.
Pan Tadeusz Mit 12 farbigen Illustrationen nach Aquarellen von Jan Marcin Szancer Warschau, Wydawnictwo „Alfa", 1985 386 S , 8°, OLwd. in Schuber Abb. am Ende des XII. Buches
Nach dem Scheitern des November-Aufstandes 1830/31 begann Adam Mickiewicz 1832 im Pariser Exil mit der Arbeit an seinem Hauptwerk „Pan Tadeusz". Das Werk beleuchtet die Ereignisse im Litauen der Jahre 1811 und 1812. In den leuchtendsten Farben entfaltet der romantische Dichter die längst vergessene Welt der alten polnischen Adelsrepublik und konfrontiert sie mit der neuen Zeit, der Französischen Revolution und den Feldzügen Napoleons. Das Grundthema führt der Dichter mit der These ein, daß die Geschichte ihren Sinn nicht nur im Schicksal bedeutender Persönlichkeiten, sondern auch unbekannter Menschen erfülle. Eine Vielzahl von Figuren wird mit ihren individuellen Besonderheiten meisterlich, oft mit gutmütiger Ironie, dargestellt. Der Dichter weiß, daß er Verlorenes und unwiderruflich Vergangenes besingt, und aus diesem Bewußtsein heraus erfährt das Vergangene eine besondere Verklärung.
Über den grünen Rasen hin blitzen rotglänzend die Stiefel, Aus den Säbeln auch schlägt der Glanz, es glänzen die Gürtel, Langsam schreitet er gleitend, als wär es nur leichthin ein Tändeln; Aber ausjedem der Schritte, ausjeder gewählten Bewegung Kann man des Tänzers Gefühle, seine Gedanken leicht lesen: Jetzt bleibt er nachdenklich stehen, als wollt er die Dame was fragen, Neigt zu ihr seinen Kopf, er will ihr ins Ohr etwas flüstern, A ber sie wendet den Kopf von ihm ab, sie schämt sich und hört nicht, Lüftend die Konfederatka, verneigt er sich nun voller Demut, Aufzuschauen geruht da die Dame, doch hartnäckig schweigt sie. Er verlangsamt die Schritte, verfolgt mit den A ugen die Blicke, Schließlich lacht er hell auf- mit ihrer Antwort zufrieden. Schneller schreitet er jetzt, schaut von oben auf seine Rivalen, Und seine Konfederatka, geschmückt mit den Federn des Reihers, Zieht er tief in die Stime, er schüttelt sie über der Stime, Bis er sie auf ein Ohr schiebt und seinen Bart sich gezwirbelt. Alle beneiden ihn, wie er dahingeht, und folgen den Spuren,
Ein Abbild der Farbigkeit, Kraft und Fülle dieses polnischen Nationalepos sind die Aquarelle von Jan Marcin Szancer. In seinem 1972 geschaffenen Illustrationszyklus zu „Pan Tadeusz" ist das prächtige Bild der Polonaise am Schluß des XII. Buches für ihn eine Schlüsselszene. Diese Polonaise - Symbol für die Größe und Einheit des polnischen Volkes - , mit der Mickiewicz alles wie im Märchen enden läßt, erlaubt Szancer eine sehr dynamische Komposition. Auf der Wiese vor dem Herrenhaus sind Edelleute in altpolnischer Stilisierung beim Schreittanz dargestellt. Angeführt wird der farbenprächtige Aufzug von dem alten Kämmerer und der jungen Braut. Dem ersten Paar haben sich die anderen angeschlossen: die Herren innen, ihre rechte Hand der Dame dargeboten, auf die diese leicht die Finger ihrer linken Hand legt. So bewegen sie sich in gemessenem Gleiten mit Würde und Grazie nach vorn, auf den Betrachter zu. Wie der Dichter zu seiner bunten Parade brillant charakterisierter Figuren ein wirkungsvolles Kontrastpaar konzipiert hat, so stellt auch der Illustrator die beiden ungleichen Paare bildbeherrschend in den Vordergrund. Ihre Ungleichheit drückt sich augenfällig in ihrer Kleidung aus: rechts der Kämmerer in Zupan und Kontusch, der altpolnischen Nationaltracht der Edelleute, mit Zosia im volkstümlichen litauischen Trachtenkleid und links der junge Graf Horeszko, Pan Tadeuszs Antagonist, anglophil im Frack, mit seiner Begleiterin Telimena, ganz nach der neuesten französischen Mode gekleidet.
[...] Und sie um winden ihn rings mit den kreisenden Schlingen des Tanzes. Paar hinter Paarjeweils schreitet daher, garprächtig und fröhlich, Bald öffnet weitsich der Kreis und schließt sich dann wieder zusammen Wie eine Schlange, die sich in tausend Windungen schlängelt. Vielfaltig schillern getüpfelt die bunten Farben der Trachten All der Damen, der Herrn, der Soldaten wie schillernde Schuppen, Von den Strahlen vergoldet der untergehenden Sonne, Widergespiegelt vom dunklen Grün der Pfühle des Rasens. Heiß braust der Tanz, es rauscht die Musik, das Klatschen, die Vivatsf
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II-8 Andriolli, Micha! Elwiro Adam Mickiewicz
„Pan Tadeusz" wilustracjach („Pan Tadeusz" in Illustrationen) Herausgegeben von Alicja Bajdor und Haiina Natuniewicz Mit einem Index der Illustratoren Danzig, Krajowa Agencja Wydawnicza, 1984 259 S„ 8° Querformat, OLwd. Abb. S. 199 Lit.: J. Wiercmska, Andriolli. Illustracje do Pana Tadeusza, Warschau 1955; Andriolli. Swiadek swoich czasow. Listy i wspomnienia, bearb. v. J. Wiercinska, Breslau 1976; G. Socha, Andriolli i rozwöj drzeworytu wPolsce, Breslau 1988.
Dem polnischen Nationaldichter Adam Mickiewicz (1798-1855) war es sehr wichtig, daß seine Werke illustriert wurden. Seine Auffassung von den Aufgaben des künstlerischen Buchschmucks traf sich mit der romantischen Poetik und Ästhetik in der Ansicht, daß die Illustration die schönsten Stellen einer Dichtung betonen und wirksam das ergänzen solle, „was die Feder nicht darzustellen, nur der Pinsel zum Ausdruck zu bringen" vermag. Im Illustrator sah Mickiewicz einen Künstler, der zwischen Text und Bild einen vollkommenen Zusammenklang herstellt und die Wirkung des lebendigen Wortes fördert.
Dieses Bestreben ist auch in der vorliegenden Abbildung deutlich zu erkennen. Die ganzseitige Illustration, eine durch den Warschauer Bildhauer Andrzej Zajkowski in Holz geschnittene Zeichnung von Andriolli, entwirft das Porträt der beiden Hauptgestalten des romantischen Epos: des adligen Landmädchens Zosia und des Titelhelden selbst. Beide Figuren werden zum einen als Versinnbildlichungen sarmatischer Ideale dargestellt. Der junge Tadeusz ist in eine elegante Paradeuniform mit Ulanen-Tschako und Säbel gekleidet. Die rechte Hand hält er in einer Armbinde, die Taille ziert eine Schärpe mit Quasten, die seinen hohen militärischen Rang andeutet. Neben ihm steht seine künftige Gattin Zosia in litauischer Volkstracht mit einem Blumenkranz im langen, blonden, zu einem Zopf geflochtenen Haar. In der distinguierten Haltung des eleganten Ulanen verkörpert Tadeusz die ritterliche Tugend, die wichtigste Zierde eines vorbildlichen Sarmaten. Auch in der Erscheinung Zosias hält das Bild das Muster einer auf sarmatischen Idealen aufgebauten Verhaltensweise fest; sie erscheint nicht in einem bestimmten Augenblick ihres Lebens abgebildet, sondern als Sinnbild mädchenhafter Anmut und als Inbegriff der Polin. Darüber hinaus kommen in Andriollis Zeichnung auch Aspekte aus den Tiefen der Persönlichkeit zur Darstellung. Die in starrer Haltung abgebildeten Gestalten erwecken den Eindruck der Beziehungslosigkeit. Verstärkt wird dies durch die gebieterische Haltung des Mädchens und den gesenkten Blick des im Profil gezeichneten Titelhelden.
Sein Hauptwerk „Pan Tadeusz", das Mieczyslaw Jastrun „eine Enzyklopädie des polnischen Alltags" nannte, hat seit seinem ersten Erscheinen 1834 in Paris immer wieder die Phantasie polnischer Maler und Zeichner inspiriert. Die Bibliographie der illustrierten Ausgaben umfaßt 200 Positionen. Die große Zahl von Illustrationen ist dabei auch Ausdruck für den Kult um die Person des Dichters. Die wichtigsten buchkünstlerischen Auseinandersetzungen mit diesem romantischen Epos stammen von hochrangigen polnischen Künstlern wie Micha! Elwiro Andriolli (1881), Stanislaw Maslowski (1905), Antoni Uniechowski (1963), Jan Marcin Szancer (1972; s. Nr. II-7) oder Jozef Wilkoh (1973). Der Titel „Illustrator des Pan Tadeusz" ist bis heute jedoch nur einem Künstler zuteilgeworden, der die populärsten Illustrationen des „Pan Tadeusz" schuf: Micha! Elwiro Andriolli (1836-1893). Seine Gouachen und Zeichnungen auf großem Karton, die er 1881 im Auftrag der Lemberger Verlagsfirma Herman Altenberg anfertigte, verleihen dem Werk ein Gepräge, das für Generationen von Lesern das bildliche Verständnis seiner Inhalte formte. Sie illustrieren auch die deutsche Übersetzung des „Pan Tadeusz" von W. Panitz (Hamburg 1956). Andriollis besondere Leistung besteht darin, daß er die literarische Vorlage nicht nur zeichnerisch gestaltet, sondern auch interpretiert und in eine, wenn auch überkommene, symbolisch überhöhte Bildform umsetzt. Der Künstler wollte über das emotionale Erleben der künstlerischen Leistung der Illustration hinaus die geistige Auseinandersetzung mit dem Werk vertiefen.
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kennzeichnen die Stimmung des Bildes. Die typisierten Figuren sowie Mode und Requisiten des Paris um 1830 unterstreichen die realistische Darstellungsweise. Im Mittelpunkt steht die fröhliche Gestalt des tapferen, kleinen Gavroche. Dem Zug voran, mitten auf der Straße schreitend, in seiner Rechten den „entliehenen" Revolver schwingend, ist seine Gestalt als das unsterbliche Symbol des revolutionären Paris erfaßt.
II-9 Uniechowski, Antoni Victor Hugo N§dznicy (Die Elenden) Übersetzung nach der Ausgabe der Biblioteka Arcydziel Literatury (1931), überarbeitet und verbessert von Hanna Szumanska-Grossowa Gekürzte Ausgabe nach Maciej Zurowski Mit 16 ganzseitigen lavierten Feder- und Pinselzeichnungen von Antoni Uniechowski Warschau, Iskry, 1954
Die vorliegende Illustration wurde als Beispiel ausgewählt, weil sie einen Bezug zu Polen herstellt: An der Spitze des Marsches befindet sich rechts außen, mit dem Degen in der erhobenen Rechten, Feuilly, den der Dichter im literarischen Kontext ausrufen läßt: „Vive la Pologne! Es lebe Polen!"
2 Bde., 333 u. 439 S„ 8°, OLwd., farbig illustrierter Schutzumschlag Abb. Bd. 2, S. 225 Lit.: Antoni Uniechowski, Ausstellungskatalog Warschau 1974; K. Uniechowska, Antoni Uniechowski. Czyli magiczne widzenie swiata, Warschau 1993.
Nach dem Niedergang der Künste, der die Herrschaft Napoleons begleitet hatte, begann die glanzvollste Epoche der französischen Literatur. Eine große Zahl bedeutender Schriftsteller trat auf den Plan: Lamartine, de Vigny, Balzac, Merime, George Sand, Stendhal u.a. An der Spitze der großen Talente Frankreichs stand Victor Hugo (1802-1885). Seinem öffentlichen Eintreten für Polens Unabhängigkeit und seinen Kontakten zu polnischen Freiheitskämpfern wie Zenon Swi^toslawski und Stanislaw Worcell sowie seiner geistigen Nähe zu dem Dichter Adam Mickiewicz verdankte Hugo, der „Patriot der Menschheit", seine Popularität im Polen des 19. Jahrhunderts. Victor Hugos im Exil entstandenes Epos „Die Elenden" ist von einem Streben nach poetischer Moral und dem Glauben an die persönliche Vervollkommnung des Menschen aus eigener sittlicher Kraft durchdrungen, wie sie auch für Mickiewiczs Dichtung charakteristisch ist. Die Initialen A.U. am unteren Bildrand der Federzeichnungen, die das wechselvolle Geschehen und die Vielfalt der Gestalten des Romans kongenial vergegenwärtigen, verweisen auf einen Künstler, der zu Recht als ein „Illustrator von Natur und B e r u f bezeichnet wird: Antoni Uniechowski. Der künstlerische Stil dieses hochbegabten Zeichners ist durchweg erzählerisch. Uniechowski verfügte über eine seltene Gelehrsamkeit in Fragen historischer Stile und Requisiten. Er illustrierte Voltaires „Philosophische Märchen", Zeromskis „Popioly" (Asche), Prus' „Lalka" (Die Puppe), Mickiewiczs „Pan Tadeusz" in Hermann Buddensiegs deutscher Übertragung (München 1963) und entwarf die vorliegenden 16 Bildtafeln zu der hier stark gekürzten zweibändigen Ausgabe von Victor Hugos Roman „Die Elenden". In seinem ihm eigenen leicht „barockisierenden Stil" (Stanislaw K. Stopczyk) setzt Uniechowski die realistische Tradition auch in seinen für diesen Illustrationszyklus geschaffenen Bildern fort. Sie sind von leichter Lesbarkeit und einer gelösten, überaus dynamischen Linienführung bestimmt. Die Abbildung zeigt den Protestmarsch aufständischer Studenten durch das noble Marais. Pathetische Gebärden
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in der vorliegenden Ausgabe der populärste Illustrator für Kinderliteratur in Polen Jan Marcin Szancer. Zur Illustration dieser erstmals 1958 erschienenen Ausgabe wählte Szancer die Holzschnittechnik. 15 solcher Illustrationen schuf er zu den ausgewählten Kapiteln des ersten Buches über Gullivers Erlebnisse im phantastischen Lande Lilliput, 13 Holzschnitte für den zweiten Teil des Buches, der von Gullivers Abenteuern im Riesenland Brobdignag berichtet. Durch die Umkehrung der Größenverhältnisse verleiht Szancer den Riesen menschliches Aussehen und stellt ihnen Gulliver miniaturhaft verkleinert gegenüber. Wichtig scheint ihm also nur die Veränderung der Größenverhältnisse, obwohl es die Intention des Autors war, am Beispiel der Riesen die ganze furchterregende Ungeheuerlichkeit und abstoßende Körperlichkeit der Unmenschen zu zeigen.
11-10 Szancer, Jan Marcin Jonathan Swift Podroze Guliwera (Gullivers Reisen) Übersetzung für Kinder von Cecylia Niewiadomska Mit 28 teilweise ganzseitigen Holzschnitt-Illustrationen von Jan Marcin Szancer Warschau, Nasza Ksi^garnia, 1986 177 S., 8°, OPp. Abb. S. 127
Es erscheint wie ein Paradoxon, daß das bekannteste Werk des englischen Satirikers Jonathan Swift (16671745) „Gulliver's Travels" (Gullivers Reisen) eine der bittersten und menschenfeindlichsten Satiren der Weltliteratur und gleichzeitig ein sehr beliebtes Kinderbuch ist. „Travels into Several Remote Nations of the World in four Parts by Lemuel Gulliver, first Surgeon and then Captain of Several Ships" - so der Originaltitel - ist 1721-1726 entstanden. Es war weder für Kinder gedacht, noch hat Swift jemals Kinderbücher geschrieben. Im Gegenteil. Er wollte mit seinen Werken die Erwachsenen belehren und geißelte ihre Schwächen, um sie zu einer besseren Lebensweise zu bekehren.
Die Abbildung rechts stellt jene Szene dar, in der Gulliver auf einem Tisch im „Grünen Adler" öffentlich als ein „unbekanntes, besonderes Tierchen" präsentiert wird, das nicht größer ist als das kleinste Tier im ganzen Riesenlande. Gulliver muß auf Geheiß herumspazieren, reden, fechten, aus einem silbernen Fingerhut Wein auf das Wohl der Riesen trinken, sich vor dem Publikum verneigen und ähnliches mehr. Ein alter Bauer achtet darauf, daß niemand ihn anrührt, und sein neunjähriges Töchterchen bewacht seinen kleinen Spielzeugfreund. Szancer zeigt sich hier als hervorragender Porträtist. Das kindlich reine Gesicht von Gullivers Beschützerin spiegelt gläubiges Erstaunen - wie beim Anhören eines Märchens. Die beiden Männer mit ihren zerfurchten, von Arbeit gezeichneten Gesichtern und Händen dagegen können kaum fassen, daß es ein so kleines Spielzeug in derartiger Perfektion und mit solch vielseitigen Gaben gibt. Die Mutter des Mädchens im Hintergrund schlägt die Hände zusammen in Besorgnis, daß die dicken Pranken der Männer das winzige Lebewesen ungeschickt zerdrücken könnten. Wie soll es mit dem kleinen Mann nun weitergehen? Das Bild ist voll konzentrierter Spannung. Nur der Männerkopf im Hintergrund scheint das Gehabe der Übrigen für übertrieben zu halten. Der Kontrast zwischen dem kleinen Akteur und der gewaltig geballten Masse der Zuschauer ist dem Künstler gut gelungen.
Bei seiner raschen Verbreitung um die Welt kam das Buch auch nach Polen, wo es 1784 aus einer französischen Vorlage ins Polnische übertragen und 1949 neu übersetzt wurde. Dieser halb märchenhafte, Phantasie und Wirklichkeit in höchst origineller Weise verbindende Roman gefiel auch den polnischen Kindern. Für sie schuf Cecylia Niewiadomska schon im 19. Jahrhundert eine dem kindlichen Gemüt angemessene Bearbeitung des ersten und des zweiten der vier Bücher des englischen Werkes. Durch diese Auswahl wurde der Text zu einem Buch für Kinder, die es gerne lasen und zusammen mit Gulliver die ungewöhnlichsten Abenteuer im phantastischen Lande Lilliput und im Riesenland Brobdignag erleben konnten. Große Namen der polnischen Buchkunst haben zur Gestaltung dieses Kinderbuches beigetragen, so der bedeutende Buchillustrator und Graphiker Janusz Stanny und 102
11-11 Szancer, Jan Marcin Romain Rolland
Colas Breugnon Mit 28 teilweise ganzseitigen Holzschnitten von Jan Marcin Szancer Warschau, Panstwowy Instytut Wydawniczy, 1957
Breugnon verkörpert den Typus des anonym bleibenden mittelalterlichen Handwerker-Künstlers im Frankreich des 16. Jahrhunderts. Meister Colas widerfährt viel Unbill, doch gibt er sich nicht geschlagen. Noch im tiefsten Unglück, als er Frau, Besitz, Gesundheit und Unabhängigkeit verloren hat und seine Kunstwerke, die ihn überdauern sollten, verbrannt und zerstört sind, bewahrt er sich die alles besiegende Freude am Leben.
217 S„ 8°, OLwd. Abb. S. 29 Lit.: Μ. Bylina u.a., Polska ilustracja ksi^zkowa, Warschau 1964.
Romain Rolland (1866-1944), langjähriger Professor für Musikgeschichte in Paris, wurde vor dem Ersten Weltkrieg bekannt durch seinen mehrbändigen Entwicklungsroman „Jean Christoph" (1904-1912), der in deutscher Übersetzung mit bedeutenden Illustrationen des Flamen Franz Masereel Verbreitung fand. Neben seiner Überzeugung von der Bedeutung der Musik war die Vermittlung zwischen Frankreich und Deutschland nach der tiefen Entzweiung des Krieges und in Sorge vor dem wachsenden Chauvinismus und Nationalismus auf beiden Seiten Rollands Hauptanliegen. Seine Bemühungen um die Völkerverständigung durch Mitarbeit beim Internationalen Roten Kreuz in Genf nutzten seine Gegner zu einer Hetzkampagne, um die Nobelpreisverleihung 1915 an ihn zu verhindern. Schließlich wurde ihm der Preis 1916 gemeinsam mit dem schwedischen Nationaldichter Vemer von Heidenstam zugesprochen. „Colas Breugnon" erschien erst nach Kriegsende im Jahr 1919. Das Manuskript war schon sechs Jahre früher konzipiert worden. Inzwischen hatte der Autor im Schweizer Exil viele Verleumdungen als Vaterlandsverräter über sich ergehen lassen müssen. Aber als der Entwurf des Romans entstand, besaß Rolland noch die volle Lebenszugewandtheit der burgundischen Menschen, die sein Protagonist verkörpert. „Wir leben, also leben wir!" sagt Colas Breugnon in triumphierender Sorglosigkeit, und Colas Breugnon ist ein Burgunder aus echtem Schrot und Korn. Heroischer Optimismus und unbesiegbare Lebenskraft sind seine Natur. An Colas Breugnon zeigt sich die unzerstörbare Substanz dieses gallischen Menschenschlages im alles überwindenden Humor, der einer tiefen seelischen Ausgeglichenheit, einer glücklichen Veranlagung entspringt. Romain Rolland hat dieses Werk der alles Leid besiegenden Freude gewidmet. Aber es ist kein fröhliches Buch, weder Humoreske noch Schwank. Der Roman ist eine heitere Variante des bei Rolland immer wiederkehrenden Themas der Selbstbehauptung, der Selbstüberwindung und der kämpfenden Lebensbejahung. Seine Grundstimmung ist serenite, innerer Friede und Heiterkeit. Hauptpersonen sind die arbeitsamen, kleinen Leute in Romain Rollands Heimatprovinz Burgund. Ihr Leben verkündet die Botschaft des Dichters. Der Holzschnitzer
Unter den von Jan Marcin Szancer illustrierten Übersetzungen von Werken der Weltliteratur ist Romain Rollands Roman „Colas Breugnon" besonders hervorzuheben. In aussagestarken Holzschnitten setzt er das derbe, keineswegs sentimentale Pathos des Romans bildlich um. Ein volkstümliches Thema ist der Karnevalszug. Die Stadt Clamecy atmet auf nach dem Abzug der Soldaten des Herrn von Never. Die Nachbarn öffnen ihre Schlupfwinkel und Vorratsverstecke, so daß noch vor dem Beginn der Fastentage ein kleines Faß Chablis, das unter dem Pferdemist fast vergessen worden war, zutage gefördert wird. Von Haus zu Haus finden Nachbarschaftsbesuche statt, um den einen oder anderen glücklichen Fund zu feiern. Die Karnevalstage müssen traditionsgemäß begangen werden. Der Ruf der Stadt steht auf dem Spiel. Mit einem bunten Festzug aus der Unterstadt wird der vornehmen Oberstadt von Clamecy ein Besuch abgestattet. An der Spitze marschieren die Musiker, und Hellebarden drängen das Getümmel der Zuschauer zur Seite. Es folgen Kolonnen von Rüsselnasenmasken; Nasen mit Trompeten oder spitz wie Vogelschnäbel begleiten das Gefährt mit dem Herrscher der Fischesser. Der Künstler hält in seiner Illustration ganz die Bewegung des Zuges fest, der aus der rechten oberen Ecke kommt, die Bildmitte kreuzt und wieder von links nach rechts in den Vordergrund strebt. Zentrales Kompositionselement ist die Bewegung. Im Mittelpunkt des Maskenzuges sieht man eine Gestalt, die eine Pfanne über dem zerzausten Schöpf schwingt und mit ausgreifendem, grotesk-täppischem Schritt die Schar der Fischesser vorantreibt. Von ihnen sieht man nur Kopf und Oberkörper. Manche, mit ausgemergelten Gesichtern unter spitzen Kapuzen hervorschauend, sind in Mönchskutten eingehüllt. Andere haben Hauben von Fischköpfen, von Barsch oder Hecht, aufgesetzt. Die Standarte der Gruppe ist der abgenagte Fisch. Sie wird begleitet von der Eule, dem Vogel der Nacht, dessen Ruf im volkstümlichen Glauben irgendjemandes baldigen Tod bedeutet. Doch wirkt die Eule hier wie ein Symbol für die Quintessenz des Romans: die Weisheit der Selbstüberwindung durch Askese. Dem Wagen der Fastenzeit folgt die Heldin des Tages: die Königin der Würste. Auf einem Thron von Schinken, mit einer Krone aus Cervelatwürsten und einer Halskette aus kleinen aufgereihten Würsten bildet sie, Kultfigur der Fleischesser und Wurstvertilger, den Schluß des dargestellten Zuges.
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In regelmäßigen Abständen hält der Umzug an, damit Prinz Karneval der drängenden Zuschauermenge ein paar saftige Wahrheiten auf den Weg geben kann. Auf dem Markt gibt es schließlich ein großes Tanzvergnügen, und die Seßhafteren schauen in Grüppchen tief in den Becher.
einer Maske und großer Brille unter der tief in die Stirn gezogenen Kapuze und die Nase mit Salbe beschmiert. Aber auch von diesen drei Heilkundigen hat die Pest zwei Opfer gefordert. Zum Jahresende, nach all dem Auf und Ab, zieht Colas Breugnon Bilanz: „Ich habe binnen sechs Monaten alles verloren, mein Weib, mein Haus, mein Geld und die Beweglichkeit der Beine. Aber wenn ich eine Waage aufstelle, finde ich mich ebenso reich wie vorher. Ich habe das Mittel gefunden: reich, ohne ein Ding zu besitzen, habe ich Macht ohne Last. Ich bin ein reicher Schelm! Denn je weniger ich habe, desto mehr habe ich."
Doch dem heiteren Februar folgt ein finsterer Juli. Die Pest hat auf ihrem unaufhaltsamen Vernichtungszug das Städtchen erreicht. Die Vorsichtigen haben sich sofort mit Familie und Hausrat davongemacht. Eine Vorsorgeuntersuchung von Arm und Reich durch drei Ärzte wird angeordnet. Sie haben sich in wallende Kutten gehüllt, ganz ähnlich den Teilnehmern des Karnevalszuges, mit
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II-12 Hiszpanska-Neumann,
Maria
Frederico Garcia Lorca Wiersze i dramaty (Gedichte und Dramen) Anthologie Übersetzung von Zofia Schleyen Illustriert von Maria Hiszpanska-Neumann mit einer Titel- und 8 Holzschnittvignetten sowie 14 Originalholzschnitten Warschau, Ksi^zka i Wiedza, 1951 146 S., 8°, OBrosch. Abb. S. 82, 85 Lit:.: J. Bialostocki, Maria Hiszpanska-Neumann, Warschau 1963.
Zu den kostbarsten Schätzen der europäischen Gegenwartsliteratur gehört das lyrische Werk Frederico Garcia Lorcas (1898-1936). Charakteristisch für den Künstler sind seine Einbindung in die künstlerische Avantgarde und zugleich seine Hinwendung zur literarischen Tradition Spaniens. Mit Vertretern der „Generation von 1927" führte er die spanische Lyrik zu einem letzten Höhepunkt vor Ausbruch des Bürgerkrieges. Als Zeichner, Musiker, Redner und Rezitator war Garcia Lorca ein vielseitig begabter Künstler. Einige seiner Werke vertonte und illustrierte er selbst. Seine 1927 entstandenen „Canciones" (Lieder) vereinigen volkstümliche Liedformen mit Elementen der AvantgardeDichtung, traditionelle mit moderner Symbolik und Metaphorik zu einer Einheit. Andalusien, die Heimat Lorcas, ist eines seiner Hauptthemen. Früh machte er sich mit allen Formen der regionalen Volkskunst vertraut. Musik und Dichtung der Zigeuner, die ihn Zeit seines Lebens beschäftigten, fanden ihren Niederschlag in den 1924-1927 geschriebenen „Romanceros gitanos" (Zigeunerromanzen).
Wallfahrt. Am Wallfahrtsort gibt es auch die Gelegenheit, bei Gesang und Tanz andere Männer kennenzulernen. Yerma fragt ihren Mann, ob er den Sinn der anfeuernden Wallfahrtsgesänge verstehe, doch er entgegnet ihr, er wolle nur „in Frieden, ruhig und angenehm" mit ihr leben. Yermas Beherrschung ist am Ende. Sie stößt Juan zu Boden und erwürgt ihn. Den bestürzten, herbeieilenden Menschen schreit sie entgegen: „Nun habe ich selbst mein Kind ermordet." Die Graphikerin Maria Hiszpanska-Neumann hat das Werk mit eindrucksvollen Holzschnitten illustriert, in denen es ihr gelingt, die spezifische mediterrane Verbindung von katholischem Brauch, gleißender Hitze und archaischer Sinnlichkeit spürbar zu machen. Die Abbildung rechts zeigt eine Schlüsselszene des Dramas: Ein maskiertes Paar führt vor einem Kreis gespannt beobachtender alter und junger Frauen und aus dem Hintergrund herandrängender Männer einen erotischen Tanz auf. Der Tanz, ein Ritus dieser Wallfahrt, ist Ausdruck für den Wunsch nach Empfängnis. Seine sublime erotische Bedeutung zeigt sich in den werbenden Gesten der Frau und der angedeuteten Umarmung des Mannes wie auch in den Symbolen Rose und Stierhorn. Das plakative Schwarzweiß, das die Schlichtheit des Bildes unterstreicht, ist auch für die Darstellung des Kirchgangs (Abb. unten) angemessen. Es scheint, als hätten die Weihkerzen tragenden Frauen in ihrer religiösen Demut die ganze sie umgebende Landschaft in das schlichte Schwarz ihrer Mantillen gehüllt.
In der tragischen Dichtung „Yerma" (1934) wird das Schicksal einer andalusischen Bäuerin erzählt, deren elementarer Trieb zur Mutterschaft das arglose Geschöpf, einem ungeschriebenen Ehrenkodex folgend, schließlich zum Totschlag verleitet. Yerma ist eine Verkörperung des spanischen Naturells, gefestigt in bäuerlicher Tradition. Sehnlich wünscht sie sich ein Kind, doch schon drei Jahre ihrer Ehe wartet sie vergeblich auf diesen Segen. Ihr Mann zieht sich in seine Arbeit in den Olivenhainen zurück. Die tröstenden Worte der Nachbarinnen aus dem Dorf helfen nicht gegen ihre stets wachsende Niedergeschlagenheit, und sie macht ihrem Mann Vorwürfe, welcher sich nur „zur Seite dreht und schläft". Täglich sieht sie die anderen Frauen, die sich unermüdlich und voller Freude mit ihren Sprößlingen beschäftigen. Es entsteht der Verdacht, daß weibliche Unfruchtbarkeit der Grund für die Kinderlosigkeit sei. Yerma bittet Dolores, eine Geister- und Schicksalsbeschwörerin, der man magische Kräfte zuschreibt, um Hilfe. Sie folgt dem Zuspruch zur Teilnahme an einer
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11-13 Mazurek, Grzegorz Dobieslaw
Brama inWilna, an das Adam Mickiewicz in seinem Hauptwerk „Pan Tadeusz" erinnert. Die Himmelskönigin ist von einem Strahlenkranz umgeben. In diesem Glanz erscheint links oben im Bild der polnische Adler. Rechts oben ist ein Wappen sichtbar, das als Zeichen der intensiven Suche nach den Wurzeln der Nation gedeutet werden kann. Über diese traditionelle Ikonographie ist ein schachbrettartiges Gitter gelegt. Das Schachbrett ist ein integraler Bestandteil der Kunst Mazureks. Hier macht es den Eindruck eines hinter einer Glasscheibe liegenden Bildes im Bild. Als Bild im Bild charakterisiert die Gestalt Mariens eine höhere, durch die Kunst geschaffene Wirklichkeit. Bedeutsam ist die mit fingierten Einschüssen übersäte Glasscheibe. Solche Zeichen chiffrieren die Botschaft des Bildes in unserer Zeit. Es ist das Bestreben, im Kontext des Marienmotivs auch die Diskrepanz zwischen der christlichen Idyllik und der oft brutalen, desillusionierenden Realität aufzuzeigen.
Pod Twoj$ obronp. Matka Boza wpoezjipolskiej (Unter Deinem Schutz. Die Gottesmutter in der polnischen Dichtung) Anthologie polnischer Marienlyrik aus sieben Jahrhunderten Mit einem Frontispiz und 15 Schwarzweißabbildungen von Grzegorz Dobieslaw Mazurek u.a. Lublin, Wydawnictwo Kurii Biskupiej, 1986 122 S., 4°, Brosch. Abb. S. 56
In Polen ist der Marienkult seit dem Mittelalter untrennbar mit dem Begriff der nationalen Identität verbunden. Die Gottesmutter von Tschenstochau, deren Gnadenbildnis die Königsgeschlechter der Jagiellonen und der Wasa zum kostbarsten „Palladium des Königreiches Polen" erklärten, ist in den Texten der polnischen Marienlyrik Symbol der Hoffnung und Gegenstand der literarischen Verehrung. Im Vertrauen auf die Hilfe der Madonna greifen die Mariengedichte der Romantik das schon im polnischen Ritterlied „Bogurodzica" (Gottesmutter) gewählte Motiv der Gnade Marias wieder auf. Bei den Dichtern der nachfolgenden Epochen konnte das Marienmotiv indessen nie mehr eine so zentrale Rolle spielen wie bei den Romantikern. Von der Religionskritik des Zeitalters der Rationalität und eines auch in Polen politisch geförderten Atheismus unberührt, erfreut sich die Marienthematik auch im nichtkatholischen literarischen Bereich dank der poetischen Kraft des Stoffes ungebrochener Beliebtheit. Maria als überzeitliche Verkörperung vollkommenen Menschseins wird auch in der polnischen Gegenwartsliteratur als Figur der Schönheit, Reinheit und Erhabenheit gezeigt.
Mazureks Bild ist ein Beispiel für die lebendige religiöse Ikonographie in der polnischen Kunst der achtziger Jahre. In den von Solidarnosc und Kriegsrecht geprägten Jahren 1980-1986 kam es in Polen zu einer engen Bindung zwischen Kirche und avantgardistischer Kunst. Unter dem Schock der Verhängung des Kriegsrechts in Polen am 13. Dezember 1981 setzte eine massenweise Rückkehr in die Kirche ein. Künstler fanden hier einen Freiraum für kreative Experimente. Viele von ihnen nahmen die religiöse Thematik auf und verbanden diese mit märtyrerisch-nationalen und patriotischen Motiven. Trotz massiver Verfolgung legte die polnische Kunst in diesen Jahren ein Zeugnis für freiheitliches Denken ab.
Das Marienthema spiegelt sich auch in den Illustrationen der Lubliner Künstler Grzegorz Dobieslaw Mazurek, Barbara und Stanislaw Baldyga, Zbigniew Jozwik und anderen. Ihre religiösen Bilder ergeben eine Symbiose verschiedener Kunstrichtungen und erfassen, wie die Künstler selber betonen, lediglich einen Teil ihrer künstlerischen Interessen. Allen gemeinsam scheint die Suche nach einer zeitgemäßen Formel für die sakrale Kunst. So zeigt das in der vorliegenden Anthologie abgebildete Madonnen-Porträt von Grzegorz D. Mazurek eine interessante Lösung für die neuzeitliche Sicht der Gottesmutter. In seiner Darstellung gelingt es dem Künstler durch feine Punktierung der Matrize mit dem Skalpell dem Linolschnitt den Charakter einer Vorzeichnung mit Feder zu geben. Die traditionelle Dreigliederung der Bildfläche wird streng eingehalten. Im Bildsockel verlaufen diagonal die bizarren Konturen einer an die Ruinen des zerstörten Warschau gemahnenden dunklen Silhouette. Die Bildmitte beherrscht das Halbbildnis der Madonna. Es hat entfernte Ähnlichkeit mit dem Marienbild vom alten Stadttor Ostra
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theatralische Ausdrucksformen wie Gesten und Bewegung des Körpers. Die Linie wird zum Träger der künstlerischen Empfindungen. Seine Technik hielt Axer nicht lediglich für das Resultat wissenschaftlichen Fortschritts, sondern für eine Konsequenz verschiedener sozialer und nationaler Elemente.
11-14 Axer, Otto Daniel Defoe
Roxana czyli Szczgsliwa Kochanka (Roxana oder Die glückhafte Mätresse) Aus dem Englischen übersetzt von Janina Pawlowiczowa Vorwort von Jan Kott Mit 15 ganzseitigen Illustrationen nach Federzeichnungen von Otto Axer Warschau, Czytelnik, 1954
Man könnte den Inhalt seiner Bilder, Zeichnungen und Bühnenentwürfe „Metaphern des Menschen" und eine „Symbolisierung seiner Beziehungen" nennen, würden nicht die traditionellen Sujets immer wieder durch ironische Akzente gebrochen. Durch diesen parodistischen Grundton werden seine Werke zu zeit- und kulturkritischen Manifesten.
258 S„ 8°, OLwd. Abb. S. 192 Lit.: A. Matynia, Malarstwo Otto Axera, Einführungsvortrag zur Ausstellung: Otto Axer, Malarstwo, rysunek, in der Galerie „Zachfta", Warschau 1985; E. Moron, Otto Axer's World and Stage. Gallery Polish Cultural Institute, London o.J.
Axer gehörte der Avantgarde der polnischen Bühnenkunst an und war mit seiner Auffassung des Theaters als einer audio-visuellen Kunst Vorläufer der szenischen Bilderwelten von Tadeusz Kantor und Jerzy Szajna. Als der berühmte Theaterdekorateur am 7. Mai 1968 in der Galerie „Zach^ta" der Warschauer Öffentlichkeit sein künstlerisches Werk vorstellte, sahen ihn viele zum ersten Mal als Maler.
Bevor Daniel Defoe (1660-1731) mit fast sechzig Jahren seinen ersten und berühmtesten Roman „Robinson Crusoe" schrieb, war er Journalist, gab mehrere Zeitschriften heraus und verfaßte zeitkritische Pamphlete. „The Fortunate Mistress: or, A History of the Life and Vast Variety of Fortunes of Mademoiselle de Beleau (Roxana)" (1724) ist ein Schelmenroman mit weiblichem Helden: die Geschichte einer großen Kurtisane, die in Frankreich Geliebte eines Prinzen und in London Mätresse König Karls II. Stuart war. Als sie schließlich durch die Ehe mit einem holländischen Kaufmann in einer bürgerlichen Existenz ihren Frieden zu finden versucht, muß sie um die Aufdeckung ihrer Vergangenheit fürchten und duldet aus diesem Grund die Ermordung ihrer Tochter. Defoes schonungsloser Realismus, sein klarer, sachlicher Stil, seine knappe und fesselnde Erzählweise beeinflußten ein ganzes Jahrhundert der englischen Prosa. Dieser sarkastische, von allen Romanen Defoes boshafteste Roman ist im Grunde eine Schmähschrift gegen bürgerliche Scheinmoral, gegen den Umgang der Gesellschaft mit Tugend und Sünde. Die mit „oaxer" signierten Illustrationen sind nachträglich mit verdünnter Tusche ausgemalte Federzeichnungen von Otto Axer. Seine fünfzehn Bildtafeln erzählen Roxanas Rettung aus bitterster Not und ihren glücklichen Einzug in den Hafen bürgerlicher Ehrbarkeit. Eine der fesselndsten Szenen dieses Romans hält die vorliegende Abbildung fest. Nach ihrer Hochzeitsreise schreiten Kurtisane und Kaufmann wie zwei Kompagnons zur Schätzung ihres gemeinsamen Vermögens. Geld ist der wahre Maßstab aller Werte, Belohnung der Tugend und Rechtfertigung der Sünde. Nur niederländische Maler hätten ein ähnlich typisches Bild des bourgeoisen Bürgertums zu malen und den Triumph des skrupellosen Materialismus darzustellen vermocht, wie es Axer in dieser Schlüsselszene gelang. Kurtisane oder Kaufmann - die Früchte ihres Lebens sind die gleichen. Über die Art des Erwerbs macht sich niemand Gedanken. Das Hauptmotiv von Axers Bildern ist die menschliche Gestalt. Aus amorphen Farbflecken zusammengefügt, steht sie im Mittelpunkt einer Situation, belebt durch
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11-15 Zamecznik,
Wort kommen, die schon früh als Anwälte der Verfolgten auftraten und bei Hexenprozessen sehr entschieden gegen die Folter protestierten. So gelang es Jan Bohomolec mit dem oben erwähnten Buch, Stanislaw August Poniatowski zu bewegen, 1776 auf dem Sejm einen königlichen Erlaß zu verkünden, der die Folterungen bei Hexenprozessen einschränkte und die öffentliche Meinung bestärkte, den Hexenwahn als Irrglauben zu erkennen und Prozesse dieser Art zu verwerfen. Die Erstausgabe von 1924 versah Tadeusz Gronowski mit dem Kupferstich „Hexensabbat" (1613) des polnischen Malers und Kupferstechers Jan Ziarnko, einem Bildentwurf zu dem Traktat von Pierre de Lancre „Tableau de l'inconstance de mauvais anges et demons" (Paris 1619).
Stanislaw
Julian Tuwim
Czary i czarty polskie oraz wypisy czarnoksi§skie (Magie und Teufel in Polen sowie Auszüge aus Schwarzbüchern) Mit Zeichnungen von Stanislaw Zamecznik und Abbildungen mittelalterlicher Buchgraphik Warschau, Czytelnik, 1960 462 S„ 8°, OLwd. Abb. S. 210/211 Lit.: J.P. Davidson, Hexen in der nordeuropäischen Kunst 1470-1759, Freren 1988.
Julian Tuwim (1894-1953) war ein Dichter mit philologischen Interessen. Seine hier in zweiter Auflage vorliegende Anthologie der polnischen magischen Literatur für interessierte Laien befaßt sich mit dem Einfluß der Magie auf die Vorstellungswelt des einfachen Volkes. Als Einleitung gibt Tuwim einen Überblick über die Geschichte des Volksglaubens. Das Buch enthält Texte, die der bibliophile und passionierte Sammler aus 16 seltenen, nicht nur polnischen, Quellenwerken und Frühdrukken ausgewählt hat: vom scholastischen „Hexenhammer" bis zu dem aufklärerischen Werk „Der Teufel in seiner Gestalt" (1775-1777) von Jan Bohomolec. Tuwim gibt Einblicke in eine Welt voller Vorurteile, Aberglauben und Verblendung, in der sich makabre mit komischen Ideen zu einer düsteren Groteske verbinden. Nicht das Problem der Dämonologie stellt Tuwim in den Vordergrund, sondern die Opfer des Aberglaubens und einer rückständigen Geisteshaltung: die Hexen. Die gefolterten, an einem Strick ins Wasser getauchten, ausgestoßenen und lebendigen Leibes auf dem Scheiterhaufen verbrannten Hexen waren in Polen in der Regel Frauen aus armen, ungebildeten Schichten der Bevölkerung. In den Textauszügen läßt Tuwim verschiedene Verfasser zu
Die im Buch doppelseitige Abbildung beruht auf einem Detail aus dem nach Pieter Brueghel d. Ä. 1565 in Antwerpen gestochenen Blatt „Der Hl. Jakob bei dem Magier Hermogenes". Sie zeigt eine Hexe, die hüllenlos auf einem geflügelten Drachen durch die Luft fliegt. Hexenflüge waren zur Zeit der Verfolgung bei Katholiken und Protestanten ein unerschöpfliches Thema. Die Ästhetisierung der Nacktheit und ihre Verbindung mit dem Hexenthema hat auch kunstgeschichtliche Relevanz. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde das Aktbild in Anlehnung an das wiederentdeckte antike Aktbild zu einem Hauptgegenstand der Kunst. Auch Brueghel verwendete in Anlehnung an Dürer und Baidung Grien das Motiv des nackten Körpers als Attribut der Hexe. Doch seine Hexen- und Dämonenszenen sind, ebenso wie die niederländischen des 15./16. Jahrhunderts, eher in Bildern von christlich-religiöser Thematik zu finden. Wahrscheinlich war die biblische Versuchungsszene, wie hier die des heiligen Jakob, nur ein Vorwand, um Hexenvorstellungen ins Bild zu bringen.* * Die Bildvorlage, zu der Zamecznik keinen Hinweis liefert, konnte dank der umfassenden Dokumentation des Ausstellungskatalogs „Hexenwelten. Magie und Imagination vom 16.-20. Jahrhundert" (Hrsg. Richard van Dülmen, Frankfurt a. M. 1987, S. 190) ermittelt werden.
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11-16 Zieleniec,
Bogdan
Dante Alighieri Boska Komedia (Die Göttliche Komödie) Übertragung ins Polnische von Edward Por^bowicz Vorwort von Mieczystaw Brahmer Mit einem Frontispiz und 33 ganzseitigen, teilweise farbigen Illustrationen verschiedener Künstler Warschau, Paristwowy Instytut Wydawniczy, 1965 634 S., 8°, OLwd. Abb. S. 113
Dantes 700. Geburtstag nahm der Staatsverlag PIW zum Anlaß, 1965 eine illustrierte Ausgabe der „Divina Commedia" in der klassischen polnischen Übertragung von Edward Por^bowicz herauszubringen. 33 namhafte polnische Graphiker halfen mit, das mittelalterliche Lehrgedicht dem polnischen Publikum zu vermitteln. Die Herausgabe eines solch tief religiösen Werkes war in der „Ära Gomulka" ein Vorhaben, das gerechtfertigt werden mußte. Der verantwortliche Redakteur Mieczyslaw Brahmer verwies auf Karl Marx, der von allen Dichtern Dante am höchsten geschätzt und „das heilige Gedicht" mit Vorliebe stets im Urtext zitiert habe. Wenn es möglich sei, eine Vorstellung von der Größe der griechischen Tragödiendichter auch ohne Glauben an die Mythologie des alten Hellas und ohne antike Schicksalsauffassung zu gewinnen, so bedinge auch der Umgang mit Dante nicht zwangsläufig ein Bekenntnis zu den religiösen Dogmen, auf denen seine poetische Fiktion beruhe. Ob polnische Übersetzungen zur Popularisierung der „Göttlichen Komödie" beitrugen und wie bekannt sie Dante in Polen machten, ist schwer zu sagen. Hinreichend erforscht ist Dantes Wirkung auf die bedeutendsten Dichter der polnischen Romantik, Mickiewicz, Slowacki und Krasiriski, aber auch auf Norwid und Grottger, Lenartowicz und Asnyk. Die Romantiker verlegten Dantes Inferno in die Wirklichkeit. Sie sahen voraus, daß das Volk und die Revolution Polen befreien würden.
um. Dabei entstanden Illustrationen unterschiedlicher Stilrichtung. Nimmt man als Beispiel die Illustration zum 22. Gesang der Hölle von Bogdan Zieleniec, so stellt die Figur des Teufels Rubcante mit dem Bratspieß (Abb. oben) eine zeichnerisch eher sparsame Möglichkeit dar, die literarische Vorstellung der Hölle umzusetzen.
Die Konzeption der „Divina Commedia" beruht auf der geistigen Begegnung mit Vergil. Vergil war für Dante der Inbegriff höchsten Dichtertums, das berufen ist, die Menschheit zu führen. Vergil verkörperte für ihn alles, was der Mensch an Hohem und Edlem zu vollbringen vermag. Dantes Buch ist eine Synopse des mittelalterlichen Christentums. Mit seiner Neuveröffentlichung wollte der Verlag auf den lebendigen Fortbestand der großen geistigen Traditionen in Polens Kultur der Gegenwart aufmerksam machen.
Zieleniec hat keine Horrovision inszeniert. Im Bewußtsein, daß die Hölle ohnehin die Phantasie am unmittelbarsten und stärksten anspricht, genügt es ihm, die Erscheinung bis auf ein Signum zu verkürzen, um im Betrachter eigene Empfindungen auszulösen. Sein Teufel ist kein typischer Vertreter dämonischer Mächte mit der Ausstrahlung eines Folterers der in die Verdammnis gestürzten Seelen. Das Höllenfeuer ist nur als stilisierte Flamme angedeutet, die nicht verzehrt, sondern sich ruhig, wie eine Blüte entfaltet. Die Teufelsfigur ist eine eigenartige Mischung von Nadelgewächs und zottigem, gehörntem Tierkopf. Sie ist nicht die Verkörperung des teuflischen Herrschers der Hölle, sondern anscheinend eine von vielen teuflischen Kreaturen. Ihre bedrohliche
Mit astronomischer Präzision schuf Dante eine symmetrisch ideale Topographie der drei Welten Hölle, Läuterungsberg und Paradies, die er in je 33 Gesängen in Terzinen aus drei elfsilbigen jambischen Zeilen besang. In Fortsetzung dieser Zahlensymbolik setzten 33 polnische Buchillustratoren je ein Motiv der jeweils 33 Gesänge in 11 Abbildungen zu je einer der drei Welten graphisch
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Wirkung ergibt sich nur aus dem fünfzackigen Spieß, dem wütend aufgerissenen Auge und der weit herausgestreckten Zunge. Die beiden als Pferdehufe gestalteten Klumpfüße sind ihre weiteren Waffen. Man hat den Eindruck, daß der eine zum Tritt ausholt und, wenn er das Opfer trifft, keinen geringeren Schmerz verursachen wird als die Zacken des Spießes.
11-17 Rychlicki,
Zbigniew
Jonathan Swift Podroze Guliwera (Gullivers Reisen) Bearbeitet von Jacek Bochenski und Marian Brandys Mit 3 Titelvignetten und 38 teilweise ganzseitigen Federzeichnungen von Zbigniew Rychlicki Warschau, Nasza Ksi§garnia, 1972
Dieser Teufel wirkt nicht so erschreckend wie die von Dante beschriebenen, bei deren Anblick es die Wanderer, insbesondere die Betrüger, vorziehen, im Pech zu büßen als ihnen in die Hände zu fallen. Bei Zieleniec hingegen ist in die Darstellung des rabiaten Teufelsgesellen ein wenig polnischen Humors miteingeflossen: Sein Ausdruck ist eher keck, und das Fell erinnert fast an Igelstacheln.
250 S., 8°, OLwd., 4. Auflage Abb. S. 223 Lit.: Klechdy domowe. Podania i legendy polskie, gesammelt v. H. Kostyrko, Holzschnitte v. Zbigniew Rychlicki, Warschau 1987 (Bibliographie S. 331-333).
Die hier vorliegende polnische Ausgabe von „Gullivers Reisen", die alle vier Bücher des satirischen Romans von Jonathan Swift umfaßt, hat wenig Ähnlichkeit mit früheren Ausgaben. Der Publizist und Verfasser historischer Reportagen Marian Brandys (geb. 1912) und der Schriftsteller und Publizist J. Bocheriski (geb. 1926), die das gesamte Werk im Auftrag des Warschauer Kinderbuchverlages Nasza Ksi^garnia in den sechziger Jahren nacherzählten, verwandelten Swifts zornige Klage über den Zustand der europäischen Zivilisation in eine harmlose moralische Satire. Sie hatten nicht die Absicht, Swifts Porträt des Wilden in scheußlicher Menschengestalt und mit niederträchtiger Seele herauszuarbeiten. Zwar behalten sie die Position des unbeteiligten Beobachters bei und zeigen den Menschen in seiner Winzigkeit und Bedeutungslosigkeit. Aber anders als Swift geben sie ihn nicht der Lächerlichkeit preis. Spott und beißende Ironie weichen einem sachlichen Erzählton: Die Menschen scheinen nicht so dumm und unsympathisch wie in Swifts Pamphlet. Ihre Utopie taucht alles in ein freundliches Licht: das Licht der Vernunft. Dadurch weckt sie im Leser zwangsläufig die Bereitschaft, auch das Ungewöhnliche in der Schöpfung zu achten und zu akzeptieren. Graphisch und typographisch wurde das Buch von Zbigniew Rychlicki betreut, der sich nach dem Krieg in der polnischen Buchkunst einen Namen gemacht hat. Die Federzeichnung (links) zeigt jenen Moment, als Gulliver im Land der Houyhnhnms vier Vertreter der verachteten „Yahoos" vorgeführt werden und er in den degenerierten Gestalten menschliche Wesen erkennt. Die Darstellung der vier Gestalten enthält einige Zeichen und Symbole. Als ein Symbol der Unterjochung ist das Halsband anzusehen, das die Gestalt in der Bildmitte trägt und die Vorstellung von unsichtbaren Fesseln hervorruft. Die Gesten der Hilflosigkeit sind Zeichen der Unfreiheit. Man empfindet dies bei den halb aufgebäumten, wie von unsichtbaren Ketten zurückgehaltenen Körpern und den in der Luft Halt suchenden Klauen ebenso wie am vernunftlos animalischen Gesichtsausdruck der Yahoos. Hier nähert sich der Künstler Swifts Gedanken, daß der zivilisierte Mensch unter allen Tieren das gefahrlichste sei.
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II-18 Topolski, Felix Julian Tuwim
Polski Slownik Pijacki i Antologia Bachiczna (Polnisches Trinker-Wörterbuch und BacchusAnthologie) Mit 79 Illustrationen nach Federzeichnungen, 32 Titelvignetten und 8 ganzseitigen farbigen Illustrationen sowie illustriertem Schutzumschlag von Felix Topolski Warschau, Czytelnik, 1959 303 S., gr. 8°, OLwd., 2. Auflage Abb. S. 13,39, 117, 226
Julian Tuwim (1894-1953) betrachtete das Fehlen eines Trinker-Wörterbuches zwar nicht als eine Lücke in der polnischen Lexikographie, war jedoch der Ansicht, daß ein Dreißig-Millionen-Volk, das sich seine Freiheit erkämpft hat und ohne Übertreibung fünf Millionen Gewohnheitstrinker hervorbringt, ein Lexikon bzw. eine Enzyklopädie verdient, in der sich die ganze Erfindungsgabe seiner Muttersprache auf diesem Gebiet entfalten kann. Tuwim beschreibt die Geschichte des Trinkens (nicht seine Folgen!) in Polen mit solch gelehrter Selbstbeherrschung, vergnüglicher Gelehrsamkeit und Gründlichkeit, daß sein Trinker-Thesaurus sogar in den Augen der Abstinenzler bescheidene Anerkennung findet. Der erste Teil des 1935 erstmals erschienenen Buches, das Trinker-Wörterbuch, ist eine wahre Fundgrube für Begriffe und Redewendungen, Metaphern und Sprüche, Aphorismen und Sprichwörter rund um das Zechen. Nach eingehendem Studium zahlreicher alter und neuer Druckwerke und Schriften verschiedener Herkunft zusammengestellt, bietet das Nachschlagewerk natürlich auch Beispiele, die der Dichter seinen Zeitgenossen abgelauscht hat. Den Leser unterhalten eine Vielzahl von Beziehungen für das Trinken und Sich-Betrinken, für Wodka und andere geistige Getränke, Bilder für den Grad des Rausches, technische und metaphorische, ernste und komische Namen für den Alkoholkonsumenten. Der zweite Teil, die Bacchus-Anthologie, ist eine umfangreiche und mannigfaltige Sammlung ernster und heiterer Gedichte, Trink-, Volks- und Vagantenlieder zum Lobe des Weines und der Geselligkeit. Das Porträt Jan Kocha-
nowskis (1530-1584) symbolisiert die jahrhundertealte literarische Tradition dieses heiteren Motivkreises in der polnischen Literaturgeschichte. Tuwim interessiert vor allem, wie die Herren patres conscnptimit Glas, Becher oder Flasche dichterisch umzugehen wußten. Er verweist auf die großen und kleinen Sünden der „lieben Trinker" mit heiterem Verständnis und behauptet kühn, daß der einzige Ort, an dem man solche Sünden verzeiht, schon seit dem griechischen Dichter Anakreon (6. Jh. v. Chr.) kein anderer ist als - die Literatur. Das Buch ist mit Federzeichnungen des Warschauer Karikaturisten Felix Topolski illustriert. Tuwim selbst, zu dessen Freundeskreis Topolski gehörte, schätzte das „außergewöhnliche Talent" des satirischen Zeichners und Graphikers. Seine Idee, die er im „Polnischen Trinker· Wörterbuch" lebendig werden läßt, ist ausgesprochen schlicht und wirkungsvoll: Ein Trinker füllt in der stattlichen Pose des Kenners und Genießers seinen Becher und leert ihn in einem Zuge. Topolski hat ihn mit schnellen Strichen als einen Mann mit Leibesfülle und Lebensart skizziert. In die altpolnische Nationaltracht der Edelleute gewandet, ist die Figur auf der rechten Druckseite unterhalb des Satzspiegels so piaziert, daß sie beim Umblättern sofort auffallt. Der Künstler hat sie durch sechs typische Gebärden des Trinkens gekennzeichnet: Vom Füllen des Trinkbechers bis zum Ausdruck des Wohlbehagens nach genußreichem Trunk. Diese sechs Bilder wiederholen sich unverändert fortlaufend von der ersten bis zur letzten Druckseite des Trinker-Wörterbuches. Veränderlich ist lediglich die Geschwindigkeit der Bildfolge. Zu dieser Idee scheinen Topolski der Titel des Buches ebenso angeregt zu haben wie Klischees aus Comic Strips. Wer will, kann Tuwims Trinker-Lexikon in ein Daumenkino umwandeln. Er braucht nur beim Blättern das Tempo zu beschleunigen.
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II-19 Nowicki,
Volk, das die Bedeutung vieler Wörter, vornehmlich der Fremdwörter, nicht versteht, transformiert diese nach eigener Phantasie den phonetischen Gewohnheiten und Begriffsinhalten entsprechend. Dabei entstehen Wortspiele und Kalauer verschiedenster Art.
Romuald
Julian Tuwim Cicer cum caule czyligroch ζ kapustg. Panopticum i archiwum kultury (Kichererbse mit Kohl oder Kraut und Rüben. Panoptikum und Archiv für Kultur)
Nowicki stellt hier eine solche Wortbildung graphisch dar: Der Name der Pflanze „Pyscomordia Bencvalia" ist eine Verschmelzung dreier vulgärer polnischer Ausdrücke, die durch lateinische Umformung den Anstrich des gelehrten Wortschatzes erhalten sollen: „pysk" (Schnauze, Maul), „morda" (Fresse) und „bgcwat" (Trottel, Tölpel). Ähnlich ist der Name „Butellia Bimberensis" gebildet: aus „butel(ka)" (Flasche) und „bimber" (selbst gebrannter, hausgemachter Kartoffelschnaps). Schließlich zeigt die Zeichnung der Blume „Tiktaktia Zegarina", aus dem lautmalerischen „tik-tak" und dem Substantiv „zegar" (Uhr) gebildet, eine U(h)rpflanze aus dem Nonsense-Lexikon und die Zeichnung insgesamt ein exotisches Gewächs im Warschauer Blätterwald.
Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Jozef Hurwic Mit Zeichnungen von Romuald Nowicki Warschau, Czytelnik, 1958 317 S., 8°, OKart. Abb. S. 22, 23, 126 Lit: J. Stradecki, Julian Tuwim. Bibliografia, Warschau 1959.
„Kichererbse und Kohl" hieß die Rubrik, mit der die Leser des Warschauer Monatsblattes „Problemy" (Probleme) regelmäßig ihre Lektüre begannen. Verantwortlicher Redakteur dieses Feuilletons war von 1949 bis 1953 der polnische Dichter Julian Tuwim (1894-1953), der nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem amerikanischen Exil nach Polen zurückgekehrt war. Hier fand man Anekdoten, Witze, literarische Komik, vornehmlich aus älteren, originellen Veröffentlichungen anonymer Graphomanen, vermischt mit Berichten über die zwanziger Jahre. Kommentiert wurden aber auch wirtschaftliche Belange und das Weltgeschehen, wobei nur besonders interessante, spektakuläre und kuriose Begebenheiten herausgegriffen wurden. Der Erfolg dieser Rubrik bestärkte Tuwim in seiner These, daß neben der ernsthaften Dichtung auch die Nonsense-Literatur - nach dem Wort des Horaz „utile cum dulci" - belehrend und herzerfreuend sein kann und will. Die anhaltende Beliebtheit der Nonsense-Literatur und ihres engagierten Vermittlers veranlaßte Jozef Hurwic, die Perlen aus Tuwims Kuriositätenkabinett zu sammeln und als Buch zu veröffentlichen.
Die rechte Abbildung stellt uns den Begriff „Swinoprossia Pyramidalis" bildlich vor. Er ist abgeleitet von „swinia" (Schwein) und „prosi?" (Ferkel) und bezeichnet ein pyramidenförmiges Gewächs mit Blättern in der Form von Ferkeln. Die groteske Neubildung „Butta Cholevia Pantoflaris" entstand aus „but" (Schuh, Stiefel), möglicherweise auch aus „buta" (Hochmut, Überheblichkeit), und aus „cholewa" (Stiefelschaft) oder „cholewkarnia" (Schäftewerkstatt). Ihr Witz beruht auf der Wechselwirkung zwischen den Wörtern und ihren verschiedenen Bedeutungsvarianten. Das polnischlateinische Attribut „pantoflaris" erinnert an „pantoflarz", ein veraltetes Wort für Schuster, das heute einen „Pantoffelhelden" bezeichnet. Alles in allem steht die polnisch-lateinische botanische Nomenklatur ihrem englischen Vorbild in nichts nach.
Zur graphischen Gestaltung der Buchausgabe bemerkt Hurwic in seinem Vorwort, die Mehrzahl der Illustrationen sei der Zeitschrift „Problemy" entnommen. Der Verlag hatte Romuald Nowicki mit der Aufgabe betraut, der in den Jahren, als Tuwim die Rubrik redigierte, als Illustrator bei dieser Zeitschrift tätig war. In Nowickis Zeichnungen begegnet uns die polnische Lust am Fabulieren, an der phantasievollen Ausschmükkung. Dabei paßt sich der Künstler den literarischen Vorlagen an, für die ja Phantastik, Absurdität und Groteske kennzeichnend sind. Ein Beispiel dafür ist die abgebildete Illustration „Die groteske Botanik". Hier hat Nowicki versucht, bildlich darzustellen, was Tuwim in Anlehnung an Edward Lear (1812-1888) und dessen „Book of Nonsense" (1846) unternommen hatte, nämlich die anglo-lateinische botanische Nomenklatur in eine polnisch-lateinische Version umzusetzen. Tuwim bediente sich dabei der Methode der Volksetymologie. Das
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11-20 Srokowski, Jerzy Henryk Sienkiewicz
Wpustynii wpuszczy (In Wüste und Wildnis) Mit 16 ganzseitigen Farbillustrationen und 47 illustrierten Initialen von Jerzy Srokowski Warschau, Panstwowy Instytut Wydawniczy, 1959 302 S., 4°, OLwd. mit geprägter Illustration Abb. nach S. 224
Henryk Sienkiewicz (1846-1916), einer der bedeutendsten Vertreter des polnischen literarischen Historismus, schuf ein umfangreiches Werk, in dem er als Patriot den Polen sehr eindringlich Mut zur eigenen Geschichte zu vermitteln suchte. Weltruhm erlangte der Schriftsteller mit dem 1896 verfaßten historischen Roman „Quo vadis?", für den er 1905 den Nobelpreis erhielt. Er schildert eindrucksvoll den Verfall Roms in der Zeit Kaiser Neros und den Leidensweg der Urchristen in dieser Stadt. Als Repräsentant des polnischen Positivismus mit seiner Losung „praca u podstaw" (Arbeit an der Basis) wollte Sienkiewicz einen Beitrag zur nationalen Erziehung der Jugend leisten. Neben zahlreichen Erzählungen widmete er speziell den jungen Lesern den ursprünglich für seine Enkel gedachten exotischen Reiseroman „W pustyni i w puszczy". Diese spannende Robinsonade wurde von Kiplings „Jungle books" inspiriert und basiert auf Sienkiewiczs eigenen Reiseerfahrungen, die er als Korrespondent der Krakauer Zeitung „Slowo" (Das Wort) während einer Ostafrika-Expedition sammelte. Zwei Jugendliche, die Engländerin Nel Rawlison und der Pole Stas Tarkowski, deren Väter leitende Positionen in der Suezkanal-Kompanie innehaben, werden zur Zeit des Mahdi-Aufstandes (1881) von Aufständischen entführt. Ihnen gelingt die Flucht, mit der für sie, und besonders für Stas, die Zeit des Erwachsenwerdens beginnt. Die überall lauernden Gefahren fordern einen hohen Preis in Form von Angst, Krankheit und Verzweiflung. Unterwegs finden sie aber auch treue Gefährten: die Schwarzafrikaner Mea, Kali und Nasibu, die sie - entsprechend der positivistischen Devise „Arbeit an der Basis" - aufzuklären und zu bekehren suchen. Mit ihrer Hilfe, aber vor allem aus eigener Kraft, dank ihrem Willen, ihrem Kampfgeist und ihrer Geschicklichkeit, schaffen sie es, gestärkt und um vieles reifer, der gefahrlichen Irrfahrt doch noch ein glückliches Ende zu setzen. Sienkiewiczs Fähigkeit, sich in die Psyche des Kindes, seine Empfindungen und Probleme hineinzuversetzen, sowie der gelungenen Mischung aus patriotischen und allgemeinmenschlichen Aspekten und der humorvollpathetischen Sprache ist es zu verdanken, daß sich dieses Buch nach wie vor einer breiten Leserschaft erfreut.
Sienkiewiczs Roman „W pustyni i w puszczy" wegen ihrer Klarheit der Linienführung, der farblichen und auch der inhaltlichen Gestaltung, die ihre starke Wirkung auf Kinder nicht verfehlt, eine herausragende Stellung ein. Die Bilder sind gleichsam Momentaufnahmen, die einen Einblick in die wichtigsten - tragischen oder erfreulichen - Augenblicke der Romanhandlung bieten. Trotz ihrer scheinbaren Einfachheit oder gar Naivität enthalten sie viele Hinweise, die die Vision des Künstlers offenlegen. Die stilisierten Kinderdarstellungen machen deutlich, daß Srokowski die psychologische Wahrheit der Romanfiguren erfaßt hat: Es ist ihm gelungen, die subtile Empfindsamkeit des Kindseins und die aus den gemachten Erfahrungen resultierende psychische Stärke, also die Entwicklung der Helden im Rahmen der Romanhandlung, gekonnt umzusetzen. Stimmung und dramatische Spannung der Bilder werden durch die gezielte Farbwahl verstärkt: Srokowski verwendet kalte oder warme Farben, überwiegend Pastelltöne, die der Realität grundsätzlich entsprechen, diese jedoch nach expressionistischer Manier verfremden und entrücken. Die ausgewählte Illustration zeigt ein afrikanisches Dorf, in das die kleine von Stas angeführte Karawane gelangt. Das Bild ist dreigeteilt: Die linke Bildfläche im Vordergrund füllt ein Schamane mit farbenprächtiger Maske aus. Den mittleren Teil bilden zwei Krieger, die in einer Tanzbewegung mit erhobenen Speeren die Ankömmlinge zu erwarten scheinen. Im Hintergrund, genau in der Mittelachse, befindet sich der alles überragende Elefant King mit den Romanhelden auf seinem Rücken, umgeben von den Dorfbewohnern und ihren Behausungen. Der kompositorischen Dreiteilung des Bildes steht ihre thematische Zweiteilung gegenüber. Die zentrale Position der beiden thematischen Hälften nehmen die beiden Gestalten ein, die sich durch ihre Größe von den übrigen unterscheiden: der Schamane und der von Stas geführte Elefant, die als ebenbürtige Gegner aufeinandertreffen. Der thematische Antagonismus findet auch im farblichen Kontrast seinen Ausdruck: Das kräftige, mit braunen Strähnen durchzogene Rot der Schamanenmaske im Vordergrund hebt sich von der Gruppe um den Elefanten im Hintergrund ab. Das warme Gelb der Hütten, die nur schemenhaft skizzierten Dorfbewohner und die Distanz, welche Stas und Nel durch die Größe des felsenhaft erscheinenden King von ihnen trennt, strahlen eine gewisse Ruhe aus. Dieser Eindruck wird durch die Palmenblätter am oberen Rand der Zeichnung noch verstärkt. Ihr Grün scheint den Romanhelden zuteil zu werden - es bedeutet Hoffnung und verweist auf den positiven Ausgang dieser afrikanisch-europäischen Begegnung.
Die graphische Gestaltung der vorliegenden Ausgabe wurde dem Illustrator Jerzy Srokowski anvertraut, der in den fünfziger Jahren einige bekannte Kinderbücher illustrierte. Seine großflächigen, in Aquarelltechnik angefertigten Bildtafeln nehmen unter den Illustrationen zu
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11-21 Siemaszko,
Olga
Die Illustrationen der polnischen Künstlerin Olga Siemaszko aus dem Jahre 1984 bilden das Werden und Vergehen der Besengeister in unwirklichen, geradezu gespenstischen Farben ab. Schon in der ersten Zeichnung hebt sich von dem hellen Hemd des jungen Lehrlings der dunkle, faltige, Unheil prophezeihende Mantel ab. Daß der lange Besen den Kopf des Kindes überragt und an den Rahmen der Zeichnung stößt, läßt ahnen, daß er wohl kaum ein harmloses Kinderspielzeug ist. In der zweiten Illustration ist der Geist noch als Besenstiel erkennbar, über den ein langer Mantel geworfen ist. Mit einem Gesicht voller Unwillen folgt der Knecht dem Befehl des Kindes. Mit dem Ärmel anstatt eines Armes hält er unbeholfen den Wasserkübel. Ganz anders erscheinen die Reisiggespenster in den folgenden Abbildungen (rechts oben und Mitte). Aus einem Besen sind nach dem Versuch, ihn zu zerhacken, mehrere geworden, denen Hände mit scharfen Krallen gewachsen sind. Ihr breites Grinsen und die majestätischen, in geraden Falten herabhängenden Mäntel illustrieren, daß sie ihre Knechtschaft abgeworfen haben.
Johann Wolfgang von Goethe Uczen czarnoksi§znika (Der Zauberlehrling) Übersetzt von Hanna Hanuszewska Mit 19 farbigen Illustrationen von Olga Siemaszko Warschau, Nasza Ksi^garnia, 1984 21 S., 4°, OPp. Abb. S. 5, 6, 18, 19, 20 Lit.: Ο. Siemaszko, Pictures for Children, Warschau 1954; Ο. Siemaszko, Rysunki i ilustracje, Ausstellungskatalog Lublin 1987.
Als Johann Wolfgang von Goethe 1797 seine Ballade vom Zauberlehrling verfaßte, bediente er sich eines sehr alten Stoffes. Schon in dem Stück „Der Lügenfreund" des griechischen Dichters Lukian aus dem 2. Jahrhundert taucht die Erzählung vom Studiosus auf, der Mörser in diensteifrige Wasserträger verzaubert, sie aber nicht wieder zum Stehen bringen kann. Im „Lügenfreund" trägt Eukrates sein Erlebnis mit den Mörsern aus der Erinnerung vor. In Goethes Gedicht hingegen gibt der Zauberlehrling das Geschehen im spannungsreichen Präsens wieder. Einschübe von sehr kurzen Zeilen steigern das Tempo des Gedichtes. Geschlossenheit erhält der Text durch den Reim, der meist durch reimtechnisch naheliegendeWortpaare realisiert ist: Der Lehrling will, daß Wasser „fließe", sich „ergieße", dem Besenstiel befiehlt er „stehe!", darauf „gehe!", und als der Geist in stetem „Gusse" ihn mit Wasser aus dem „Flusse" zu ertränken droht, will er ihn „halten" und ihn „spalten" mit der Axt. Der Reim weist auch auf Beziehungen hin, welche die Dynamik und den Ausgang der Handlung bestimmen: Der Wortgleichklang legt nahe, wie schnell aus „Knechten" durch das Halbwissen des Menschen unkontrollierbare „Mächte" werden können. Solche „Geister" kann dann nur ein „Meister" wieder in die Schranken weisen.
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Die fünfte Zeichnung zeigt, wie das Wort des Meisters die gefahrlichen Mächte ihrer Kraft beraubt. Hier wird deutlich, daß der Meister mit der dunklen Welt der Geister in enger Verbindung steht. Nicht allein, daß das Kind sie beide als „Große" wahrnimmt und vor beiden Respekt oder gar Furcht hat, auch weist der Mantel des Meisters mit seinem umgeschlagenen Kragen und den langen Falten eine verdächtige Ähnlichkeit mit jenen schwarzen Umhängen auf, die auf seinen Befehl zu Boden gleiten. So bleibt trotz des guten Ausgangs, den der Spuk genommen hat, ein Schauder zurück. Ist vielleicht auch der Zauberer nur ein ummantelter Besenstiel?
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11-22 Stanny,
Janusz
Hexe treffen. Diese fordert ihn auf, aus einem hohlen Baumstamm ein Feuerzeug herauszuholen, das ihre Großmutter dort habe hineinfallen lassen. Durch diesen Dienst werde er zu großem Reichtum gelangen. Allerdings verschweigt die Hexe, daß das Feuerzeug von drei furchterregenden Hunden bewacht wird. Der erste, mit Augen so groß wie Teetassen, hockt auf einer Kiste mit Kupfermünzen. Er wird zahm, wenn man ihn auf eine Schürze stellt, die die Hexe dem Soldaten aushändigt. Bei der Suche nach dem Feuerzeug stellt der Soldat fest, daß sich nicht nur der erste, sondern auch der zweite Hund, mit Augen so groß wie Mühlräder, und der dritte, mit Augen in der Größe von Stadttoren, durch die Schürze zähmen lassen. So kann er sich die Taschen nicht nur mit Kupfermünzen füllen, sondern auch mit Silber- und Goldstücken aus den Kisten, auf denen die beiden anderen Hunde hocken. Vor Staunen vergißt der Soldat das Feuerzeug und muß sich nach seiner Rückkehr abermals von der Hexe in die Tiefe hinunterlassen. Aus Ärger, daß sie ihn erneut einer derartigen Mutprobe ausgesetzt hat, schlägt er ihr kurzerhand den Kopf ab. Nun hat der Soldat zwar viel Geld, aber wenig Verstand, so daß es ihm in der benachbarten Stadt rasch ausgeht. Unverhofft entdeckt er jedoch die Zauberkraft des angezündeten Feuerzeugs. Die drei aus der Tiefe des hohlen Baumes herbeigerufenen, nun zahm gewordenen Hunde erfüllen ihm jeden Wunsch, und mit ihrer Hilfe gewinnt er schließlich sogar die Hand einer Königstochter. So kommt die Erzählung schließlich zu einem glücklichen Ende.
Hans Christian Andersen Krzesiwo (Das Feuerzeug) In: Basnie (Märchen) Band 1 mit 21 farbigen ganzseitigen Illustrationen von Janusz Stanny Warschau, Panstwowy Instytut Wydawniczy, 1975 3 Bde., 238, 235 u. 230 S„ 4°, OLwd. Abb. Bd.l, S. 24 Lit.: Basil ο krölu, verfaßt und illustriert v. J. Stanny, Warschau 1971; A. Pach, Drzewiej pod Giewontem, illustriert v. J. Stanny, Warschau 1977 (mit Bibliographie).
Hans Christian Andersen (1805-1875) hat ein vielseitiges Werk hinterlassen. Er versuchte sich als Lyriker, Dramatiker und auch als Romanschriftsteller. Erst mit 30 Jahren beginnt er Märchen zu schreiben, jedoch stellen gerade sie all seine bisherigen schriftstellerischen Versuche in den Schatten. Die Märchendichtung war für Andersen die Repräsentantin aller Poesie, da sie Volksdichtung und Kunstdichtung in sich vereine. Sie verlange vom Autor, daß er das Tragische, das Komische, das Naive, die Ironie und den Humor beherrsche, wobei ihm das lyrische Instrument, das kindliche Erzählen und die Sprache des Naturbeschreibenden zur Verfügung stünden. Der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Autor, „die Sumpfpflanze aus der Tiefe", verkörpert mit seinem Lebenswerk, den Märchen, das ungeschriebene Gesetz des Genies: Um zur Herrschaft zu gelangen, muß man von außen kommen. Es gelingt Andersen, sublime Gedankendichtung in die einfache Form des Märchens zu kleiden. Mit seinem scharfen Blick für die Wirklichkeit des Alltags greift er der realistischen Literatur vom Ende des Jahrhunderts vor. Die Verbindung von Vernunft und naiv-kindlichem Glauben rückt Andersen Gogol näher als Byron. Der Reichtum an Motiven, Schauplätzen und Zeiten, die soziologischen Gegebenheiten des Lebens sowie die Mannigfaltigkeit der Stilebenen, die sich allesamt in seinen so phantastischen wie auch realitätsnahen Märchen wiederfinden, ist kaum zu überbieten.
Groteskes und Humor sind vielfach in der polnischen Buchillustration vertreten. Janusz Stanny, der sehr originelle Illustrationen zu Andersens Märchen geschaffen hat, greift hier verschiedene Einzelheiten aus der Erzählung auf und verbindet sie zu einem grotesken Bild. Mit dem dicken hohlen Baum ist der Kopf eines riesigen Ungeheuers verwachsen, welches offenbar den größten der drei Hunde darstellt. In seinem weit geöffneten Maul sitzt ein kleineres Ungeheuer mit Augen in der Größe von Teetassen. Aus dem Dickicht der gekräuselten Kopfhaare dieses Baumungeheuers schaut noch unentschlossen das Königspaar hervor, welches dem Soldaten schließlich die Hand der Königstochter überlassen wird, überzeugt von der Macht und Standhaftigkeit des Bewerbers. Der üppig blühende Rasen und die zierlichen Blätterzweige rings um den Kopf des Ungeheuers stehen in auffallendem Kontrast zu dem abschreckenden Maul des Baumwesen, welches wie ein furchtbarer Wachtraum in die gewöhnliche Realität verpflanzt erscheint, als solle hierdurch die Bedeutung von Märchen und Träumen für die Wirklichkeit angedeutet werden.
Noch zu Lebzeiten Andersens - im Jahr 1857 - wurde sein Werk ins Polnische übersetzt. Es genießt in Polen bis heute ungebrochene Popularität. Verantwortlicher Redakteur der vorliegenden dreibändigen, von 1956 bis 1975 in sechs Auflagen erschienenen Märchensammlung ist der Lyriker, Prosaiker und frühere Vorsitzende des polnischen Schriftstellerverbandes Jaroslaw Iwaszkiewicz (1894-1980). Von 1932 bis 1935 in diplomatischer Mission in Kopenhagen, hat Iwaszkiewicz Sören Kierkegaard, aber auch einige Märchen Andersens ins Polnische übertragen. Die dreibändige Ausgabe erschien 1975 zu Andersens 100. Todestag und gehört zu den letzten Werken Iwaszkiewiczs, dessen früheste Erinnerung an die Kindheit ein Märchenbuch von Andersen war. In dem Märchen „Das Feuerzeug" läßt Andersen einen auf einer Straße daherkommenden Soldaten auf eine
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11-23 Jaworowski, Jerzy
Gernegroß verzweifelt Rettung erflehend die Vorderbeinchen in die Luft. An den alten, auf dem Wasser dahintreibenden Schuh gefesselt und so der Lächerlichkeit preisgegeben, wirkt er klein und hilflos.
Hans Christian Andersen Zuk (Der Mistkäfer) In: Basnie (Märchen) Band 3 mit 24 ganzseitigen farbigen Illustrationen von Jerzy Jaworowski Warschau, Paristwowy Instytut Wydawniczy, 1976 3 Bde., 238, 235 u. 230 S., 4°, OLwd. Abb. Bd. 3, S. 33
Hans Christian Andersen fertigte zu seinen Märchen und Erzählungen auch Notizen über ihre Entstehung an. Diese Notizen sind aufschlußreich für das Verständnis seiner künstlerischen Persönlichkeit. Aus einer Anmerkung zu dem Märchen „Der Mistkäfer" (1861) geht hervor, daß Andersen die Idee Charles Dickens verdankt. Dieser habe in einer Nummer der „Household Words" arabische Sprichwörter und Redensarten zusammengestellt, unter denen sich auch das folgende befand: „Als des Kaisers Roß goldene Hufeisen bekam, hielt auch der Mistkäfer das Bein hin." Dickens hat dazu angemerkt: „Wir empfehlen Hans Christian Andersen, darüber ein Märchen zu schreiben." Neun Jahre später stieß Andersen zufallig auf Dickens' Worte und nahm sie tatsächlich als Anregung für dieses Märchen. „Allah sieht den schwarzen Mistkäfer in dem schwarzen Gestein auf dem schwarzen Berg" - so soll es im Koran stehen, und Andersen verwendet diese Sentenz auch in seiner Erzählung. Seine Titelfigur, ein eingebildeter, aufgeblasener Mistkäfer, will aber durchaus nicht so unauffällig bleiben. Da er in den Ställen des Kaisers gelebt hat, betrachtet er sich als „Person von Stand". Auf einer Reise, die er zur Erweiterung seiner Bildung unternimmt, erzählt er bei jeder Gelegenheit, er sei „mit goldenen Hufeisen zur Welt gekommen". Er hatte gesehen, daß mit solchen Hufeisen das kaiserliche Pferd beschlagen war. Doch mit seinen hochfliegenden Vorstellungen trifft er nur auf Unverständnis. Einmal gerät er in äußerste Gefahr, als er von zwei spielenden Knaben an den Mast eines aus einem Schuh gebastelten Schiffchens gebunden, von einem Windstoß erfaßt und fortgetrieben wird. Nur der Hilfsbereitschaft freundlicher Mädchen in einem Ruderboot verdankt er seine Rettung. Schließlich läßt das Schicksal den Mistkäfer in der Mähne des kaiserlichen Leibrosses landen. Er glaubt, inzwischen gelernt zu haben. „Hier sitze ich auf dem Roß des Kaisers, sitze als Kaiser auf ihm. Meinetwegen bekam das Roß die goldenen Hufbeschläge. Ich werde jetzt so lange zu Hause bleiben, bis das Roß seine goldenen Hufbeschläge abgetreten hat."
11-24 Strumillo, Andrzej Hans Christian Andersen
GtupiJasio (Tölpel-Hans) In: Basnie (Märchen) Band 2 mit 24 ganzseitigen farbigen Illustrationen von Andrzej Strumillo Warschau, Paristwowy Instytut Wydawniczy, 1976 3 Bde., 238, 235 u. 230 S., 4°, OLwd. Abb. Bd. 2, S. 121 Lit.: Andrzej Strumitlo, Ausstellungskatalog Warschau 1976; ders., Ausstellungskatalog Lodz 1993 (polnisch und englisch).
Das vorliegende, 1855 verfaßte Märchen „Tölpel-Hans" nimmt unter Andersens Märchen eine Sonderstellung ein, denn es ist das einzige nicht selbst erdachte oder biographisch motivierte Märchen, sondern ein frei nacherzähltes dänisches Volksmärchen. Das Thema des „Tölpel-Hans" sind drei ungleiche Brüder, die um eine Königstochter freien. Diese sucht nämlich einen Gemahl und hat verkündet, daß der sprachgewandteste aller Bewerber ihre Hand und den Thron bekommen soll. Die beiden älteren Brüder, von denen der eine das gesamte lateinische Wörterbuch, der andere die Zunftordnung auswendig kennt, brechen auf zum Hof des Königs, fein herausgeputzt und siegessicher, denn sie halten etwas auf ihr Wissen. Als der jüngste, nicht so „gelehrte" Bruder, ebenfalls die Heirat mit der Prinzessin ins Auge faßt, wird er wegen seines „dummen" Ansinnens von allen
Jerzy Jaworowski gehört zu den Künstlern der Nachkriegszeit, die einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der polnischen Plakatkunst und Jugendbuchillustration geleistet haben. Seine Illustrationen zu Andersens Märchen sind charakteristisch für seine Darstellungsweise. In der vorliegenden Abbildung streckt der gefesselte
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dunklen Tönen, teils mit groben Pinselstrichen, teils mit feinen Linien aufgetragen. Die hier in einem Ausschnitt abgebildete Illustration zeigt Tölpel-Hans auf dem Weg zum königlichen Hof. Der Ziegenbock, den er reitet, scheint aus den braunen, fast das gesamt Bild beherrschenden Erdmassen zu erwachsen. Einzig die durch seine zerzauste Mähne und das gehobene rechte Bein angedeutete Bewegung, die in dahinfließenden schwarzen Linien eingefangen ist, hebt ihn vom Hintergrund ab. Die Silhouette des Tieres erweckt einen diabolischen Eindruck, der durch das große rote Auge, die herausgestreckte Zunge sowie seine wilde Ungestalt noch verstärkt wird. Tölpel-Hans scheint ihm ein schnelles Tempo zu befehlen, den Mund aufgerissen, schwingt er die Geschenke für die Königstochter, Schuh und Krähe, wie eine Trophäe über dem Kopf. Hans' Gesicht ist hell und rund - es ist der einzige lichte Farbfleck in der eher finster gehaltenen Illustration, wodurch Optimismus und Freude ausgedrückt werden. Die Einfachheit und Naivität der Darstellungsweise entsprechen dem Charakter der Figur. Möglicherweise verweist der Boden, in dessen Farbton auch Hans' Jacke gezeichnet ist, auf die Erdverbundenheit des Bauernsohnes. Sein einfältiges Gesicht und die bizzare Gestalt des Ziegenbocks parodieren vortrefflich das Bild des edlen Ritters. Damit findet sich die oben erwähnte Doppelpoligkeit, die Andersen und seine Märchen prägt, auch in dieser graphischen Verarbeitung wieder.
verlacht. Doch er läßt sich nicht entmutigen, sondern schwingt sich auf einen Ziegenbock, seinen einzigen Besitz, und galoppiert - vom Erfolgsglauben beschwingt - seinen Brüdern hinterher. Unterwegs sammelt er allerlei scheinbar unnützes Zeug: eine tote Krähe, einen alten Holzschuh und Taschen voller Schlamm. Das alles will er der Königstochter zum Geschenk machen. Das Glück will es, daß die Prinzessin schon lange vom höfischen Zeremoniell, den langweiligen Höflingen und dem ständigen Klatsch am Hofe genug hat. So kann es geschehen, daß Tölpel-Hans dem Geschmack der Königstochter entspricht und zu guter Letzt sein Glück heimführt. Auch in diesem Märchen zeigt sich Andersens Vielseitigkeit. Hier modifiziert er das traditionelle Motiv der für die Handlung marginalen älteren Brüder: Andersen hebt sie aus ihrer Anonymität heraus, karikiert sie als Karrieremacher und Aufklärungsphilister und bringt somit ein satirisches Moment in die Erzählung ein. Die Ambiguität, die Andersen und sein Werk auszeichnet, begegnet als gestalterisches Mittel auch hier - in der Figur des Tölpel-Hans: Der unterschätzte Dummling erweist sich als der erfolgreichere. Vom Glücksglauben, der sich wie ein roter Faden durch das Märchen zieht, und seinem überschwänglichen Wesen getragen, erreicht er am Ende sein Ziel. Die Illustrationen des Malers und Graphikers Andrzej Strumilto zu diesem Band sind in kräftigen, zumeist
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11-25 Mroz, Daniel Franz Kafka Przemiana (Die Verwandlung) In: Mroz, Mrozek, Lern und andere (Eine Sammlung von Beiträgen von und über Daniel Mröz) Übersetzung von Karl Dedecius, Krzysztof Jachimczak, Jens Reuter, Ludwig Zimmerer (Texte zweisprachig) Mit zahlreichen Illustrationen von Daniel Mroz Krakau, Wydawnictwo Literackie, 1988 144 S., Fol., OLwd. Abb. S. 34, 35 Lit.: P. Hordyriski, Das Groteske und die Absonderlichkeit in der modernen polnischen Buchillustration, in: Imprimatur 1994, S. 155ff.
Der Graphiker Daniel Mröz ist in künstlerischer Hinsicht ein Nachfahre sowohl des großen französischen Zeichners Grandville als auch - ein Jahrhundert später - von Max Ernst. Über seine Jugendzeit schreibt er, wie er mit seinem Bruder im Redaktionsbüro einer Krakauer Tageszeitung, für die sein Vater als Journalist tätig war, eifrig in alten illustrierten Enzyklopädien geblättert hat. Die altväterlich anmutende Technik der Stiche und Zeichnungen mit der sorgsamen Ausarbeitung vielfaltiger Details gefiel ihm und reizte ihn frühzeitig zu zeichnerischer Nachahmung. Durch den Beruf seines Vaters fielen ihm später auch ausländische Zeitschriften in die Hand, u.a. das humoristische Blatt „Der Uhu", das in der Zeit der Weimarer Republik stark verbreitet war. Hierbei machte er erste Bekannschaft mit Arbeiten von Max Ernst, dessen graphische Technik ihn an die geschätzten Enzyklopädien erinnerte. Seine Umwelt betrachtete er nicht mit sachlichem Realismus, sondern eher etwas altmodisch gespiegelt und hierdurch für eine phantasievolle Verformung geeignet. Damit betrat Mröz den Bereich des Surrealismus, jedoch nicht in der üblichen Form intellektuell abgekühlter Abstraktion, sondern mit dem einnehmenden Reiz der Stilisierung und der humanen Freundlichkeit des 19. Jahrhunderts. Mit seinen subtilen und präzisen Federzeichnungen, deren Verdichtungen vielseitige GrautonEffekte ermöglichen, schlägt Mröz eine Brücke vom Kunstgeschmack der damaligen Zeit zum modernen Experiment, das auch der Parodie nicht abgeneigt ist. Mröz ist vor allem als Buchillustrator bekannt, doch weisen die beiden hier abgebildeten Beispiele aus dem ihm gewidmeten Sammelband auch auf einen Schwerpunkt in der freien Graphik hin.
weisen, die auch im Mittelpunkt der literaturwissenschaftlichen Diskussion über Kafkas Prosa stehen. Der so unbegreiflich in ein scheußliches Insekt verwandelte Gregor, der nicht nur seiner Familie die Existenzgrundlage entzog, sondern sie auch gesellschaftlich diffamierte, war nach einer Verkettung ärgerlicher Ereignisse schließlich verendet, teils infolge einer Verwundung, die ihm sein Vater in einem Wutanfall beigebracht hatte, teils als Folge dessen, daß er aus Lebensüberdruß die ihm ins abgesperrte Zimmer hineingeschobene Nahrung verweigerte. Seine sterblichen Überreste werden mit dem angehäuften Unrat von der Putzfrau zusammengekehrt und in die Mülltonne geworfen. Die Erzählung verrät nichts über den weiteren Verbleib des verendeten Sohnes und Bruders. Die drei Familienmitglieder begeben sich erleichtert auf einen Spaziergang, auf dem Pläne für eine neue Zukunft geschmiedet werden. Die Zeichnungen von Mröz zu Kafkas „Verwandlung" erschienen erstmals 1956 in der Wochenschrift „Przekröj". Die vom Illustrator zur Ergänzung von Kafkas Text erfundene Form der „Müllentsorgung" entspricht dem Schicksal der von der äußeren und inneren Welt abgestoßenen Kreatur, auf deren seelisches Empfinden von den Ihren in keiner Weise Rücksicht genommen wird. In makabrer Sachlichkeit sind die vier Mülltonnen der Wohnungseigentümer dargestellt. Die vordere läßt sich wegen Überfüllung nicht mehr schließen. Schemenhaft sieht man eine Person die Treppe hinuntersteigen. Man ahnt, was nun in einer der Tonnen verschwinden wird, und quälend ist die Vorstellung, daß Gregor in die bereits überfüllte Tonne hineingezwängt werden soll. Als ein derart schwer loszuwerdendes Etwas würde Gregor mit sadistischer Konsequenz sich noch im Tode als Störenfried des bürgerlichen Ordnungssystems erweisen. Seiner ansonsten eher familiär-freundlichen, leicht spielerischen Graphik aus einer surrealen Phantasiewelt hat Mröz mit diesen Illustrationen ein atemberaubendes Manifest entgegengehalten, welches die Bedrohung menschlicher Besonderheit und Sensibilität durch eine herzlose, rein materielle und egozentrische Umwelt anprangert.
Kafkas Erzählung „Die Verwandlung" gehört zu den am häufigsten illustrierten literarischen Werken unseres Jahrhunderts. Der traumähnliche Bericht von dem über Nacht in einen Käfer verwandelten Handlungsreisenden Gregor Samsa bietet ein breites Spektrum von Interpretationsmöglichkeiten. Der vielschichtige Text kann von Illustratoren aus soziologischer, pathologischer oder auch psychologischer Sicht behandelt werden - Sicht-
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Arka Noego
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der Volkskultur der Berge. Zum Kreis der lebendigen Zusammenkünfte und zugleich der Autoren gehörten auch seine beiden Söhne, Jan Gwalbert Henryk und Micha!, ebenfalls Schriftsteller, die drei Dichterinnen Maria Pawlikowska (bekannt als Pawlikowska-Jasnorzewska), Maryla Wolska und ihre Tochter Beata Obertynska sowie weitere nähere und fernere Familienangehörige. Die Entstehung ihrer Gedichte dauerte ein paar Jahrzehnte, von Anfang des Jahrhunderts bis in die Nachkriegszeit.
11-26 Kolyszko,
Die allseits beliebten Unterhaltungen, die sie „gereimte Sekretäre" nannten, waren schriftstellerische Spiele, eine Art dichterischer „Fingerübungen". Ihre Ergebnisse lassen sich verschiedenen literarischen „Gattungen" zuordnen. Eine bestand darin, daß jemand einen Zweizeiler erdachte, den ein anderer zu einem Vierzeiler weiterdichtete, eine andere darin, daß besonders schwierige Reime zu einem ganzen Gedicht ergänzt wurden {boutsrimes). Desweiteren verfaßte man gemeinsam literarische Parodien auf einen bestimmten Dichter oder Stil. Zum Thema des letzten „gereimten Sekretärs" wählte man die biblische Arche Noah, in der alle Tiere Aufnahme fanden. Diese Gattung bestand aus kurzen, einfachen Versen, die nicht den Anspruch erhoben, politisch, moralisch oder einfach nur klug sein zu wollen. Manche Verse wurden dennoch sehr populär, weniger wegen ihres Scharfsinns, als wegen ihrer lapidaren, frappierenden Komik.
Wojciech
Jan Gwalbert, Micha! und Jan Gwalbert Henryk Pawlikowski, Maryla Wolska, Waclaw Wolski, Beata Obertynska, Maria Pawlikowska u.a. Arka Noego, rymowana roznymi czasyi wroznych miejscach, zwiaszcza przy swietle lamp naftowych w Domu Pod Jedlami przez rodziny Pawlikowskich i Wolskich, co starannie wyjasnia poslowie do tej Arki Noego (Die Arche Noah, gereimt zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, besonders beim Licht der Petroleumlampen im Haus Unter den Tannen von den Familien Pawlikowski und Wolski, was im Nachwort zu dieser Arche Noah sorgfältig erläutert wird)
Die kurzen, nahezu trivialen Gedichte hatten vor allem den Zweck, den Autoren selbst Spaß zu machen. Ihr Humor ergab sich oft aus dem Spiel mit verschiedenen Wortbedeutungen, phantasievollen Wortneuschöpfungen, witzigen Wortverdrehungen oder grammatikalischen Abweichungen. Diese Sprachspiele und die Neigung zur Parodie und zum Absurden lassen ein „altpolnisch-dadaistisches Gemisch" entstehen.
Nachwort von Jacek Wozniakowski Illustrationen von Wojciech Kolyszko Krakau, Wydawnictwo ZNAK, 1994 59 S., 8°, OPp. Abb. S. 45,49 u. Einband
Das Buch „Die Arche Noah", zu dessen Entstehen viele Menschen beigetragen haben, ist kein Werk von ernsthafter Thematik. Es handelt sich hierbei um einen literarischen Spaß, das Ergebnis eines lust- und geistvollen Spiels der Mitglieder zweier Familien, Pawlikowski und Wolski, deren Namen in der polnischen Kulturgeschichte einen festen Platz einnehmen. Auch ihr Treffpunkt Zakopane, ein Erholungsort am Rande des Tatra-Gebirges, war bemerkenswert, weil er zur damaligen Zeit ein lebendiges Kulturzentrum war. Das im Titel genannte Haus „Unter den Tannen", das auf der Rückseite des Buches abgebildet ist, wird in der Geschichte der polnischen Architektur als ein wichtiges Beispiel des „Stils von Zakopane" angeführt.
In der Edition „Arche Noah" spielt die Illustration eine wichtige Rolle. Jedem Text steht ein Bild gegenüber, welches in spielerischer Weise seinen Inhalt aufgreift und erläutert. Es korrespondiert mit dem jeweiligen Gedicht, und die illustrative Darstellung spiegelt den dichterischen Humor wider. Manchmal ergibt sich die Komik der Darstellung aus einer wortgetreuen bildlichen Wiedergabe von idiomatischen Redewendungen. Die Tiere - von Kolyszko aus der Sicht eines Karikaturisten betrachtet - haben menschliche Züge. Mit ihren komischen Mienen und Attributen stellen sie verschiedene Typen und Charaktere dar. Auf den beiden folgenden Seiten sind zu den abgebildeten Illustrationen auch die dazu gehörenden Texte (übersetzt von Marta Faas) angeführt.
Als Verfasser der „Arche Noah" muß zunächst der Eigentümer des Hauses genannt werden, Jan Gwalbert Pawlikowski (1860-1939), Schriftsteller und Liebhaber
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„ Nein wahrhaftig wie die Pest (des Esels Stumpfsinn den Pegasus verletzt) die Farbe mag gehen, die Statur ist nicht übel, auch der Schweif und die Mähne - wozu aber Flügel? Sowas verabscheut gewißjeder Esel, Wie können denn Flügel dich irgendwie tragen, einen Schwung in die Lüfte wirst du doch niemals wagen." Daraufsagt der Pegasus ganz überlegen:
„Dies gerade, Herr Esel, ist der Unterschied eben. Ich zum Olymp will gem mich erheben, für Sie erfüllt Salami vollauf jedes Streben."
Von ferne sieht man schon den Ararat. Der Mandrill zückt den Apparat, dreht auf der Ferse sich herum, schießt Photos wahllos um und um von allem, was da liegt und knecht.
Er bittet Freundliches Gesicht! Von jeder Sorte stellt sich dann ein Paar gern vor der Kamera an.
Des Karpfens Schnurrbart ziert das Ganze, kokett vor seiner Nase schmollt die Wanze. Über die Gesellschaft staunt das Schwein, sein Schwänzchen bringtauch etwas Schwung hinein.
Die Schlange tut, als ob sie Beine hätt, doch mit den Sporen bedroht sie jegliches Parkett.
Geduld hat Chinas Panda nun genug. Rechtschwier'ge Gesellschaftistes eben, doch was verlangt wird, wollen wir auch geben.
Die Eule schaut sehr weise drein, zwei Damen wollen mit Flundern nicht benachbart sein.
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11-27 Dwurnik,
Edward
Bertolt Brecht
Rekin z§by ma na wierzchu (Der Haifisch, der hat Zähne) Eine Auswahl von Gedichten, Songs und Balladen Herausgegeben und aus dem Deutschen übersetzt von Robert Stiller Mit 16 Schwarzweiß- und 3 farbigen Zeichnungen von Edward Dwurnik Warschau, Nasza Ksi^garnia, 1986 84 S., 8°, OPp. Abb. S. 71 u. Einband Lit.: P. Rypson, Der Raum der Worte. Polnische Avantgarde und Malerbücher 1919-1990, Ausstellungskatalog Warschau - Wolfenbüttel 1991.
Bertold Brecht (1898-1956) gehörte zu jenen Künstlern, denen der Inhalt der Kunst wichtiger ist als ihre Form. Vielfach bestimmt die geschichtliche Thematik Inhalt und Form seiner Dichtung. Die Ästhetik steht bei ihm im Dienste der Wirklichkeit. Als Lyriker wurde Brecht lange Zeit kaum beachtet - zu sehr standen seine Dramen im Mittelpunkt des Interesses. Dabei ist sein dichterisches Werk sehr umfangreich und vielseitig. Auch hat er viel zur Gestaltung des Liedes als Gattung beigetragen. Brecht verstand seine Lyrik als „Zeit-Dichtung", in der die kollektiven Fragen der Zeit zur Sprache kommen. Damit setzte er sich in Gegensatz zur bürgerlichen Tradition, in der es doch immer um ein Ringen der Dichterpersönlichkeit nach Ausdruck geht, darum, das Innere nach außen zu kehren. Bei dem Lyriker Brecht steht jedoch nicht die Persönlichkeit des Dichters im Mittelpunkt, sondern die dargestellte Sache. Der Erlebnislyrik setzte Brecht eine praxisorientierte, kommunikative Kunst entgegen, deren Ziel ein Dialog zwischen Autor und Leser ist, durch den der Leser angeregt werden soll, seinerseits produktiv zu werden. Gedichte sollen Nutzen, Gebrauchswert haben. Dichtung ist Wahrheitssuche, und diese Suche dient dem Zweck, „die Dinge dieser Welt handhabbar zu machen". Die vorliegende Ausgabe bietet eine eher bunte Auswahl Brechtscher Gedichte, Lieder und Balladen, hauptsächlich aus den dreißiger und vierziger Jahren. Die graphische Gestaltung übernahm der Künstler Edward Dwurnik, der zu den polnischen Vertretern der Pop Art gehört. Die schwarzweißen Zeichnungen stehen dabei selbständig neben dem Text. Nur in seltenen Fällen sind sie eindeutig einem Text zuzuordnen. Dwurnik schafft einen Bildzyklus, in dem die Bilder sich aufeinander beziehen, Motive wiederkehren, einzelne Figuren und Konstellationen sich wie ein Leitfaden durch das Buch ziehen. Neben Figuren mit eindeutig wiedererkennbaren Gesichtszügen zeigt Dwurnik auch immer wieder Gruppen von großen, einander ähnlichen, die Bildfläche beinahe ganz einnehmenden Köpfen, deren Gesichtszüge eher abstrakt sind und die alles andere, Stadt und Menschen, überlagern. Meist blicken sie, hintereinander aufgereiht und im Profil dargestellt, starr zu einem unsichtbaren Gegner hin. Diese Gruppen können interpretiert werden
als Vertreter der Klassen im Klassenkampf, dem in Brechts Werk wesentliche Bedeutung zukommt. Um der Welt und der Weltsicht Brechts visuell Ausdruck zu verleihen, bedient sich Dwurnik einer Kommunikationsform, wie Brecht sie in seinem Modell des epischen Dramas entwickelt hat. In den Illustrationen der vorliegenden Gedichtsammlung taucht immer wieder ein Pfeife rauchendes Wesen auf, ein Mensch, ein Vogel, ein Hund oder eine undefinierbare Figur, in der wir Brecht selbst (der gerne Pfeife rauchte) zu erkennen glauben. Diese Figur wirkt wie ein Betrachter des Dargestellten, der wiederum das Gesehene aus dem Bild heraus uns, den Betrachtern der Illustration, weitervermittelt. Im epischen Drama findet, nach der Zerstörung des herkömmlichen Persönlichkeitsbegriffs, die Handlung nicht mehr zwischen Individuen statt, sondern zwischen Bühne und Zuschauerraum. Der Stückeschreiber wendet sich selbst an das Publikum, mit dem er sich über die vorgestellten Sachverhalte verständigt. Das Drama ist nicht länger eine Darstellung zwischenmenschlicher Aktion, sondern eine Untersuchung der Vorgänge, die der Wirklichkeit zugrundeliegen. Diese Wendung des Autors an das Publikum nimmt Dwurnik in dem Motiv der Pfeife rauchenden Figur auf. Die Abbildung oben steht im Buch zwischen Text und Noten des Liedes „Resolution der Kommunarden". Auch hier tritt ein Pfeife rauchender Vermittler in Erscheinung: ein in der rechten unteren Bildecke sitzender Hund mit Kappe auf dem Kopf. Vom unteren Bildrand blicken zwei katzenähnliche Gesichter den Betrachter an. Das linke trägt Hörner auf der Stirn, wodurch es an einen Teufel erinnert. Die dritte Bildebene zeigt einige der oben beschriebenen starr blickenden, unpersönlichen Großköpfe. Sie alle blicken mit steinernem Gesichtsausdruck nach rechts aus dem Bild heraus. In der Bildmitte läuft eine nackte, dünne, zerbrechlich aussehende Frau über die Gesichter, die nur halb so groß ist wie die riesigen Gesichter. Hocherhobenen Hauptes, mit langen, nach hinten wehenden Haaren schreitet sie, einer Jeanne d'Arc gleich, energisch aus. Der obere Bildrand schließlich zeigt die Stadt: Häuser, Bäume und eine Fahne auf dem Dach eines Hochhauses. Im Zentrum der farbigen Zeichnung vom hinteren Einbanddeckel (Abb. unten), einer Darstellung der Stadt als kaum erträglichem Chaos, steht die ins Bild hineinmontierte Photographie einer jungen Frau. Man glaubt, mit ihr den schrillen Lärm zu hören, die Hektik zu spüren und die lüsternen Blicke der Männer zu erleiden, die als übergroße Fratzen die Szene beherrschen. Wieder vermittelt die „Brechtgestalt" in der rechten unteren Ecke das Geschehen an uns weiter.
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Vilem Stränsky
Werk spiegeln sich Brauchtum, Lieder und Sagen des tschechischen Volkes wider. Er illustrierte eine „Fibel" („Slabikär"), umstrittene Handschriften (1884), im Jahre 1883 die Sammlung „Ohlas pisni ruskych" (Echo russischer Lieder) von Frantisek Celakovsky (1799-1852), vor allem aber die historischen Romane von Alois Jiräsek (1851-1930) wie „Psohlavci" (Die Hundsköpfigen, 1900).
Die Entwicklung der Buchkunst in den tschechischen und slowakischen Gebieten bis 1945 In den böhmischen Ländern hat die Buchkunst eine eigene Tradition. Bereits die ersten Drucker und Verleger bemühten sich um eine künstlerische Gestaltung ihrer Bücher, indem sie Schrifttypen entwarfen, Ornamente und Bilder verwandten. Der Name eines dieser begabten Handwerksmeister, Georg Melantrich (1511-1580), lebt bis auf den heutigen Tag in einem Verlag fort. Der Theologe und Pädagoge Johann Arnos Comenius (Komensky, 1592-1670) erkannte frühzeitig die pädagogische Funktion der Illustration für das Kind und brachte seinen „Orbis sensualium pictus" (1658) heraus, der schon, bevor er in Böhmen gedruckt werden konnte, weltweite Anerkennung gefunden hatte. Hier sind die Wurzeln für das tschechische und slowakische Kinderbuch zu suchen, wenngleich eine kontinuierliche Entwicklung für lange Zeit gehemmt war.
Einen neuen Aufschwung erlebte die tschechische Kultur um die Jahrhundertwende. Im Neubau des Nationaltheaters, an dem sich viele Künstler beteiligten, fand sie einen weithin sichtbaren Ausdruck. Die junge Generation wandte sich 1895 im Manifest der tschechischen Moderne gegen das Alte und Überkommene. Im politischen Rahmen machte der spätere Präsident der ersten tschechischen Republik Tomas Garrigue Masaryk von sich reden. In der Kunstwissenschaft gab der jüngere Frantisek Xaver Saida (1867-1937) in seinem Buch „Boje ο zitrek" (Kampf um das Morgen, 1905) die neue Richtung an. Als führender Kunstkritiker bezog er auch die Ausstattung des Buches in seine theoretischen Betrachtungen ein: Für die Zeitschrift „Typografia", die bis auf den heutigen Tag ununterbrochen erscheint, veröffentlichte er einen programmatischen Artikel über das Buch als Kunstwerk („Kniha jako umelecke dilo", 1905).
Den Grundstein für die tschechische Buchillustration legte Wenzel Hollar (1607-1677) mit seinen Radierungen, Veduten, Landschafts- und Tierbildern. Wie Comenius ein Emigrant aus religiösen Gründen, versah er 1664/65 in London die englische illustrierte Ausgabe von Äsops Fabeln mit Abbildungen. In Böhmen wurden andere Bücher mit Kupferstichen nach den Entwürfen des Malers Karel Skreta (1620-1674) illustriert. Ansonsten beherrschten französische und deutsche Vorbilder die Buchkunst des 18. Jahrhunderts.
Doch von einer eigentlichen Buchkultur konnte man in dieser Zeit noch nicht sprechen. Es gab teure, luxuriöse Ausgaben mit Schnallen und Beschlägen aus ungeeignetem Material. Nur wenige begeisterten sich für die bibliophile Gestaltung von Büchern. So begründete der Dichter Arnost Prochäzka (1869-1925) Ende 1894 im Rahmen der neu erscheinenden Zeitschrift „Moderni revue" eine Bücherreihe, die „Knihovna Moderni revue". Als Vorbild hatte ihm die Zeitschrift „Mercure de France", das Organ der französischen Symbolisten, gedient. Als erstes Büchlein erschien in dieser Reihe seine Sammlung „Prostibolo duse" (Das Freudenhaus der Seele, 1894) in einer kleinen Auflage von 200 Exemplaren. Diese Edition war nicht als kostbarer Druck gestaltet. Die Ausstattung der Reihe wurde von Frantisek Kobliha (1877-1962) in künstlerischem Sinn weiterentwickelt. Insgesamt kamen bis 1925, als das Erscheinen der Reihe eingestellt wurde, 75 Bände heraus.
Zu einer entscheidenden Wende sollte es erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommen, als auch die Tschechen und Slowaken während des sogenannten „Völkerfrühlings" sich von fremder Bevormundung und übermächtigen Einflüssen von außen zu befreien suchten. Die Werke der Volkskunst und die eigene historische Vergangenheit wurden wiederentdeckt. Beide Völker empfanden dies geradezu als nationale Wiedergeburt (iobrozeni.\ obrodenie). Auch die Buchillustration erhielt in dieser Zeit entscheidende Impulse für eine Weiterentwicklung. Von nationalromantischen Ideen erfüllt, stattete Josef Mänes (1820-1871), der Begründer der tschechischen Monumentalmalerei, die „Königinhofer Handschrift" (1861) aus, ein vermeintlich mittelalterliches Denkmal, das sich schließlich aber als Fälschung herausstellte.
Viele Verlage gaben nach diesem Vorbild Buchreihen zeitgenössischer heimischer Dichter und Schriftsteller heraus, aber auch Werke der Weltliteratur wurden mitaufgenommen. Es entstanden Vereine von Bücherfreunden, die sich die Herausgabe schöner Bücher angelegen sein ließen. Der Verein tschechischer Bibliophiler (Spolek ceskych bibliofilü) ließ 1909 als zweiten Druck die „Slezske pisne" (Schlesische Lieder) von Petr Bezruc (1867-1958) durch Vojtech Preissig (1873-1944) ausstatten. Es war das erste tschechische Buch mit Gedichten, das komplett graphisch gestaltet war. Das Druckund Verlagsunternehmen Ceskä grafickä unie, das auf internationalen Wettbewerben ausgezeichnet wurde, gab 1903 eines der wichtigen und grundlegenden Werke der
Die Illustratoren waren jetzt nicht mehr nur bestrebt, die literarische Vorlage optisch zu paraphrasieren, sondern mit eigenen, über die Texte hinausgehenden Mitteln die Aufmerksamkeit des Lesers zu wecken. Karel Purkyne (1831-1868), der um 1867 den „Don Quixote" gestaltete, galt als erster moderner Illustrator. Große Popularität erlangten die Illustrationen des vielseitig begabten Mikuläs Ales (1852-1913). In seinem reichen graphischen
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tschechischen Nationalliteratur, die „Babicka" (Die Großmutter) von Bozena Nemcovä (1820-1862), mit Illustrationen des damals noch wenig hervorgetretenen Adolf Kaspar (1877-1934) heraus.
1962) und Jan Zrzavy (1890-1977). Vaclav Späla (1885-1946) vermittelte er die Gelegenheit, das schon erwähnte klassische Werk von Bozena Nemcovä „Babicka" 1923 im Verlag Aventinum auszustatten.
Um die gleiche Zeit (1905) widmete sich Kamila Neumannovä, die ehemalige Gattin des Dichters Stanislav Kostka Neumann, der Buchkunst. Sie ließ das erste Büchlein der „Knihy dobrych autorü" (Bücher guter Autoren) von jungen Künstlern wie Frantisek Kobliha (1877-1962) und Josef Vächal (1884-1969) illustrieren, wobei der Einfluß des Jugendstils deutlich spürbar war. Auch ihr früherer Gatte versuchte sich auf diesem Gebiet und gab 1912 zwei Nummern der Zeitschrift „Philobiblon" in der Ausstattung von Method Kaläb heraus.
Gleich mit seinem ersten Buch - mit acht Holzschnitten zu Karel Hynek Mächas „Mäj" (Der Mai) - konnte Karel Svolinsky (1896-1986, Nr. III-4) auf der internationalen Ausstellung für dekorative Kunst in Paris 1925 den Grand Prix erringen. Cyril Bouda (1901-1980, Nr. III-8) gestaltete für Karel Janskys Verlag Hyperion den „Kleinen Zauberer" von Baudelaire (1929). Auf einem von The Limited Edition Club in New York veranstalteten Wettbewerb erhielt er für seine Kupferstiche zur Autobiographie Benvenuto Cellinis einen Preis. Das Schaffen von Antonin Strnadel (1910-1975) ist von der Folklore und von der Volkskunst geprägt.
Nach seinen anfänglichen Erfolgen vertraute der Verein der tschechischen Bibliophilen seinen dritten und vierten Band Vratislav Hugo Brunner an: Puschkins „Märchen vom Zarten Saltan" (1910) und das Werk von Viktor Dyk „Zmoudreni Dona Quichota" (Das Klugwerden des Don Quixote, 1911). V. Η. Brunner wurde zum Vorbild für Buchkünstler. Sein Name steht für qualitativ hochwertige Buchausstattung. Hatte der Erste Weltkrieg eine Zeit der Stagnation verursacht, so kam es nach der Entstehung des selbständigen tschechoslowakischen Staates, der die beiden nahe verwandten Völker einen gemeinsamen Weg betreten ließ, zu einem Umbruch und Neubeginn auf kulturellem Gebiet, der sich auch auf das Schaffen der Buchillustratoren auswirkte. Josef Lada (1871-1957) fand zu seinem Stil der klaren durchgezogenen Linien und der flächigen Farbgebung zunächst in „Ladüv vesely prirodopis" (Ladas fröhliche Naturkunde, 1917), ferner in seinem „Moje abeceda" (Mein ABC, 1918). Weltruhm erlangten dann seine Illustrationen zu den Abenteuern des braven Soldaten Schwejk („Osudy dobreho vojäka Svejka") von Jaroslav Hasek (Nr. III-19). Sie erschienen zunächst in der Sonntagsbeilage der Zeitung „Ceske slovo" (Tschechisches Wort, 1923-1925), später dann ab 1926 als Buch.
Eine ganze Reihe der damaligen Studenten der Kunstgewerbeschule in Prag wechselte über an die Prager Akademie für bildende Künste in den Fachbereich Graphik. Nach Absolvierung ihrer Studien wandten sie sich der Buchillustration zu. In den vierziger Jahren traten u.a. der auch durch seine Puppenfilme weltweit bekannte Jiri Trnka (1912-1969), ferner Zdenek Sklera» (1910-1986) und Adolf Zäbransky (1909-1981) hervor und stellten die Verbindung zur jüngeren und jüngsten Generation her. Der Zweite Weltkrieg erzwang eine Unterbrechung, bedeutete jedoch bei manchen im Verborgenen reifenden Talenten keinen Stillstand des künstlerischen Schaffens. Auswahl und Übersetzung aus dem Tschechischen von H.-J. Haertel
Josef Capek (1887-1945), der Bruder des Schriftstellers Karel Capek, trat 1919 mit einer ganz neuen Art der Illustration in Apollinaires „Zone" (tschechisch „Päsmo") an die Öffentlichkeit. In seinen Buchumschlägen greift er auf den Kubismus zurück sowie auf andere zeitgenössische französische Tendenzen auf diesem Gebiet (Derain, Matisse). Aus der Begeisterung für das schöne Buch heraus entstanden Verlage wie Aventinum, Odeon u.a., die zum Teil bis in die Gegenwart fortbestehen. Vratislav H. Brunner führte junge Talente in diesen Bereich ein und ebnete ihnen in vieler Hinsicht den Weg wie beispielsweise Pravoslav Kotik (1889-1970) oder dem Theoretiker des tschechischen Poetismus Karel Teige (1900-1951), später auch Vlastimil Rada (1895-
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Blanka Stehlikovä
Märchen aus dem Jahre 1954. Beide Künstler wurden auch auf der Internationalen Buchausstellung in Leipzig, die 1959 erstmals nach dem Krieg wieder stattfand, ausgezeichnet. Einen sensationellen Erfolg erzielte in jener Zeit der Staatsverlag für Kinderliteratur (heute „Albatros"), der den großen Preis der Brüsseler Weltausstellung von 1958 (EXPO) erhielt.
Das tschechische Buch in den letzten fünfzig Jahren Die Wiederherstellung der tschechischen Republik im Jahre 1945 und insbesondere die Ereignisse des Jahres 1948 brachten tiefgreifende Veränderungen mit sich, die natürlich auch unmittelbare Auswirkungen auf das Buchwesen hatten. Private Verlage wurden aufgelöst und neue große Staatsbetriebe gegründet. Die Publikationslisten dieser Verlage unterlagen einer zentralen Planung. Nicht nur der Großteil der trivialen Unterhaltungsliteratur, sondern auch Bücher und Autoren, die nicht in das ideologische Schema paßten, verschwanden praktisch über Nacht.
In den ersten Jahren nach dem Krieg erschienen auch die ersten Illustrationen von Zdenek Sklenär (1910-1986), Kamil Lhotäk (1912-1990), Ludmila Jirincovä (19121994, Nr. III-14), Josef Liesler (geb. 1912), Zdenek Seydl (1916-1978), Ota Janecek (geb. 1919, Nr. 111-13) u.a. Während dieser Zeit begann sich bereits eine Reihe unterschiedlicher Strömungen innerhalb der tschechischen Illustrationskunst bemerkbar zu machen. Deutliche Veränderungen zeigten sich jedoch erst um 1960, als allmählich ein „Tauwetter" in der staatlichen Kulturpolitik einsetzte und zugleich eine neue Generation von Künstlern auftrat, die ihre Ausbildung erst nach der Wiedereröffnung der Hochschulen nach dem Krieg hatten beginnen können.
Der Charakter der veröffentlichen Bücher wandelte sich, und die Auflagenzahl stieg steil an. Dank staatlicher Unterstützung konnten die Buchpreise gesenkt werden, so daß ein breites Publikum in ihren Genuß kam. Die fünfziger Jahre erlebten das Erscheinen großangelegter Editionsprojekte, die für das breite Publikum bestimmt waren und bei denen zumeist wenig Wert auf die künstlerische Gestaltung gelegt wurde. Anfangs waren deskriptive, realistische Illustrationen gefragt. Doch selbst zu dieser Zeit gab es Illustratoren, die es vermieden, sich gänzlich den damals herrschenden Kriterien unterzuordnen. Dies waren zumeist Künstler, die bereits in der Zwischenkriegszeit bekannt geworden waren und die ihren gewohnten Illustrationsstil fortsetzten, ohne ihr Genre zu modifizieren. Zu ihnen gehörten z.B. Josef Lada (1887-1957, Nr. 111-19), Karel Svolinsky (18961986, Nr. III-4), Cyril Bouda (1901-1984, Nr. III-8), Vlastimil Rada (1895-1962) und Karel Müller (18991977). Gelegentlich erschienen Bücher mit Illustrationen von sehr bekannten Künstlern wie den Malern Jan Zrzavy (1890-1977) und Frantisek Tichy (1896-1961), sporadisch auch Illustrationen von Vaclav Masek (1893— 1973), während Antonin Pelc (1895-1967) erst nach Jahren der Abstinenz zur Illustration zurückkehrte. Zur gleichen Zeit kamen Arbeiten jüngerer Künstler heraus, die ihre Laufbahn kurz vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatten, so Adolf Zabransky, Antonin Strnadel (1910-1975) und Jiri Trnka. Zabransky und Traka widmeten sich besonders der Kinderbuchillustration.
Die sechziger Jahre waren gekennzeichnet durch eine neue Welle in der Buchillustration ebenso wie in den anderen Bereichen der Kultur. Mit ihrer Betonung der Phantasie, der Ablehnung der Realität als einzig akzeptablem Vorbild und der Verwischung der Grenze zwischen dem Realen und dem Imaginären war sie eine Reaktion auf jene engstirnige Auffassung von Realismus, wie sie von offizieller Seite gefördert wurde. Die große Variationsbreite von veröffentlichten Büchern erlaubte es den Künstlern, solche Texte auszuwählen, in denen sie eine besondere Verwandtschaft mit ihrem eigenen Stil sahen. Hiermit ging eine wachsende Betonung der persönlichen Interpretation der literarischen Werke einher.
Die meisten dieser Künstler gingen in ihren Illustrationen von einer realistischen Wiedergabe der Wirklichkeit aus, die sie durch ihre persönliche Sicht und ihre persönliche Handschrift modifizierten. Häufiger als zuvor erhielten Künstler nun die Gelegenheit, an großen Illustrationszyklen zu arbeiten, und ihre Werke begannen ein gewisses Maß an öffentlicher Anerkennung zu erlangen. So erhielten in jenen Jahren zwei Illustratoren den Staatspreis: Karel Svolinsky für seine Illustrationen zu „Cesky rok" (Das tschechische Jahr, 1952), einer vierbändigen Enzyklopädie tschechischer Folklore, und Cyril Bouda für seine Illustrationen zu einer Ausgabe von Andersens
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Viele Illustratoren richteten in diesen Jahren ihr besonderes Augenmerk auf die Lyrik, weil sie ihnen den breitesten Raum für freien bildnerischen Ausdruck bot. Es gelang ihnen dabei, die Atmosphäre eines Gedichtes und ihre eigenen Gefühle bei dessen Lektüre in ihr künstlerisches Medium zu übertragen. Wie die Dichter drückten auch sie sich in Metaphern, Zeichen, Anspielungen und Symbolen aus. In diesem Zusammenhang sind besonders die Illustrationen von Ludmila Jirincovä, Ota Janecek und, in der jüngeren Generation, Vladimir Tesar (geb. 1924), Pavel Sukdoläk (geb. 1925) und Jaroslav Serych (geb. 1928) zu erwähnen. Auf ein wachsendes LyrikInteresse der Verlage, der Illustratoren und der Leserschaft ließ die Gründung des Buchklubs „Freunde der Dichtung" innerhalb des Verlages Ceskoslovensky spisovatel schließen, der bald zu einem der größten Buchklubs der Welt für Lyrik wurde. Seine Veröffentlichungen wurden ergänzt durch die bibliophilen Ausgaben der Bohemia-Presse, die bis heute erscheinen. Poetische Phantasie kennzeichneten jedoch auch die Illustrationen zu Prosawerken wie die von Eva Bednärovä (1937-1986, Nr. 111-10), Arnost Karäsek (1920-1969)
und anderen Künstlern. In reichem Maße trat sie in Kinderbüchern hervor, bei Gedichten, bei klassischen und modernen Märchen und Erzählungen, wie in den Werken von Dagmar Berkovä (geb. 1922), Kveta Pacovska (geb. 1928) und Alois Mikulka (geb. 1933). Mit der politischen Lockerung in den sechziger Jahren entstanden dann auch breitere Kontakte zu neuen intellektuellen Strömungen in Europa und andernorts. Es wurde sehr viel mehr als zuvor fremdsprachige Literatur übersetzt und publiziert, darunter eine stetig wachsende Zahl von Büchern aus fremden Kulturen, da die Künstler nun größere Reisefreiheit besaßen und sich von fremden Ländern inspirieren lassen konnten. Zdenek Sklenärs Chinareise z.B. hinterließ in seinem Werk deutliche Spuren und bereitete den Weg auch für andere Künstler. Humor erschien in diesen Jahren mit zunehmender Häufigkeit in der Buchkunst, besonders in den Werken von Illustratoren, die unter anderem Karikaturen, humoristische Zeichnungen und Zeichentrickfilme schufen. Vorerst blieb dies jedoch noch eine Seitenströmung. Die Erfolge, die tschechische Bücher erzielten, und das Interesse an ihrer weiteren Entwicklung veranlaßten die führenden tschechischen Verlage, jährliche Preise für Schriftsteller und Künstler auszuschreiben. Ein beträchtliches Verdienst an der hohen künstlerischen Qualität der Bücher jener Zeit ist einigen herausragenden künstlerischen Redakteuren zuzuschreiben, so Zdenek Seydl bei Ceskoslovensky spisovatel und Vaclav Sivko (1923 1974) bei MIadä fronta. Auch der Fremdsprachenverlag Artia in Prag übernahm in sein Programm die Verbreitung herausragend gestalteter tschechischer und slowakischer Ausgaben. Der stetig an Bedeutung wachsende jährliche Wettbewerb für das schönste Buch, bis dahin von der Tschechischen Bibliophilen Gesellschaft veranstaltet, wurde 1965 vom Nationalmuseum für Literatur und dem Tschechischen Institut für Buchwesen übernommen und im darauffolgenden Jahrzehnt vom Kulturministerium ausgeschrieben. Tschechische Illustratoren nahmen an internationalen Messen und Austellungen teil wie z.B. in Leipzig, Frankfurt, Nizza und Bologna. 1966 fand die erste Biennale für angewandte und kommerzielle Graphik in Brünn statt, die heute den Namen „Biennale für Graphikdesign" trägt, und 1969 wurde die Biennale für Kinderbuchillustration in Bratislava begründet, die ebenfalls bis heute fortbesteht.
ten von den Künstlern größere Aufmerksamkeit für die Realität, mehr Objektivität und eine stärkere epische Qualität ihrer Arbeiten. Es war nun nicht mehr möglich, Raum und Zeit der Vorlage einfach zu ignorieren, und die Charaktere rückten als Handlungsträger in den Mittelpunkt. Doch die Illustratoren hatten keineswegs die Absicht, zu traditionellen Darstellungen von Handlungsszenen zurückzukehren. Sie bemühten sich vielmehr um eine tiefere und bedeutungsreichere Interpretation der literarischen Texte und verwendeten neue, eigenständige Ausdrucksweisen: Sie ergänzten die Handlung um eigene illustrative Episoden, stellten neue Beziehungen zum Text her, gaben ihre eigenen bildnerischen Kommentare ab und verwendeten eine Vielzahl unterschiedlicher Blickwinkel und Zeitebenen. Besonders bei historischen Romanen schöpften sie ihre Inspiration zunehmend aus Sekundärquellen, indem sie zeitgenössische Vorlagen zitierten oder paraphrasierten. Mit dieser neuen Betonung von Erzähltexten erhielt die Zeichnung als Illustrationstechnik eine größere Bedeutung. So traten nun Illustratoren, die in der Flut der Lyrik und der Abstraktion der sechziger Jahre nicht genügend Spielraum für ihre Arbeit gefunden hatten, in Erscheinung - unter ihnen Jiri Kalousek (1925-1986) und Jindrich Kovarik (geb. 1928). Auch Künstler wie Adolf Born (geb. 1930, Nr. III-9 und III-18), Vaclav Kabät (geb. 1932) und Jiri Salamoun (geb. 1935) vervollkommneten ihre zeichnerischen Talente, während Zdenek Mezl (geb. 1934) druckgraphische Illustrationen schuf. Diese Zeichnungen waren oft humorvoll bis grotesk, und in der Tat wurde die Illustrationskunst nun mehr und mehr von Cartoons und Zeichentrickfilmen beeinflußt, was außer dem humoristischen Charakter auch Elemente der künstlerischen Übertreibung, der Verzerrung und der abrupten Verwandlungen mit sich brachte. Dank der wachsenden Bedeutung der wissenschaftlichen Literatur begannen einige Künstler, die sich der exakten Zeichenkunst verschrieben hatten, nun auch tschechische Bücher in dieser Weise zu illustrieren. Bis dahin waren Künstler wie Frantisek Severa (geb. 1920), Kvetoslav Hisek (geb. 1930) und das Ehepaar Knotek gezwungen gewesen, für ausländische Verlage zu arbeiten. Gedichte wurden nach wie vor vorwiegend von solchen Künstlern illustriert, deren Werk in der Imagination wurzelt. Zu den oben bereits genannten Namen kam nun eine neue Gruppe junger Künstler hinzu, von denen die meisten Schüler von Zdenek Sklenär waren, so Karel Demel (geb. 1942), Eva Haskovä (geb. 1946, Nr. III-3) und Helena Konstantinovä (geb. 1946). Ihre Illustrationen, in verschiedenen Techniken der Originalgraphik, besonders der Farbradierung ausgeführt, wurden vorwiegend in den Liebhaber-Editionen des Verlags Lyra Pragensis veröffentlicht.
1970 führten die Säuberungen in der Kommunistischen Partei zu einem massiven Personalwechsel in den Verlagen und zum Verbot zahlreicher Autoren und Künstler. Auch die Zusammensetzung der Publikationslisten änderte sich. Erzählende Prosa nahm nun die wichtigste Stelle ein, besonders mit politisch unproblematischen Ausgaben von Klassikern der tschechischen Literatur und der Weltliteratur. Zudem erschienen nun immer mehr historische Romane und Biographien. Sie verlang-
Nun wurde die Illustrationskunst auch Gegenstand von Artikeln in Zeitschriften wie „Vytvarnä kultura" (Bil-
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dende Kunst), „Typografia", „Ctenär" (Der Leser) und „Nove knihy" (Neue Bücher). Der Verlag Odeon widmete drei Bände in einer Serie „Soudobe ceske umeni" (Tschechische Kunst der Gegenwart) der Buchkunst. Mladä fronte, Albatros, Ceskoslovensky spisovatel und später, 1988, auch Odeon eröffneten eigene Galerien. In den siebziger Jahren gewannen tschechische Illustrationen auf internationalen Ausstellungen verschiedene Preise. Doch handelte es sich meistens um Originalblätter, und die tschechischen Verlage waren nicht in der Lage, für Reproduktionen in ausreichender Qualität zu sorgen. Neue Namen traten nun immer seltener hervor. Mit dem Ansteigen der Publikationskosten in den achtziger Jahren setzte sich diese unglückliche Tendenz weiter fort und verstärkte sich sogar, da die staatliche Unterstützung zunehmend geringer wurde. Die Verlage gingen mehr und mehr dazu über, lediglich bewährte alte Titel mit bewährten Illustrationen neu aufzulegen. Immerhin gelang es einigen wenigen neuen Künstlern, sich einen Namen zu machen, wie Marketa Prachatickä (geb. 1953, Nr. III-12), Boris Jirkü (geb. 1955, Nr. 111-17), Frantisek Skala Jr. (geb. 1956) und einige andere. Gleichzeitig endete in jenem Jahrzehnt die Laufbahn vieler, die in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen die tschechische Tradition qualitativ hochstehender Buchausgaben zu erschwinglichen Preisen begründen halfen. Die Revolution vom November 1989 brachte radikale Veränderungen im tschechischen Buchwesen mit sich. Die großen Verlagshäuser verloren ihre privilegierte Stellung. Neben ihnen schössen mehr als 2500 private Verlage aus dem Boden, von denen nur ungefähr ein Viertel bis heute überlebt hat und die meisten mit unzureichendem Kapital und steigenden Papier- und Druckkosten zu kämpfen haben. Der Markt ist überschwemmt von Literatur minderer Qualität in billigen Ausgaben, bei denen oft das originale Design direkt aus dem Ausland übernommen ist. Eine immer größere Zahl von Büchern erscheint ohne Illustrationen. Auch die Zusammensetzung der Verlagsprogramme hat sich verändert: Der Anteil an Belletristik ist, wie zu erwarten, zurückgegangen, während mehr Bücher belehrenden Inhalts sowie Lexika und Enzyklopädien erscheinen. Aufträge für Illustratoren bieten fast nur teure Liebhaber-Editionen. Nach dem Chaos der ersten Jahre wirkte der Wettbewerb um das schönste Buch im Jahr 1994 wie ein Zeichen der Konsolidierung. Gleichzeitig ist eine Reihe privater Verlage in ihrer Arbeit erfolgreich gewesen, und unter den Studenten und den jüngsten Absolventen der Kunstakademien zeigen sich vielversprechende neue Talente. Übersetzung aus dem Tschechischen von H.-J. Haertel
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III-l
Rotterovä,
Romana
Epos ο Gilgamesovi (Das Gilgamesch-Epos) Übersetzung von Lubor Matous Mit Illustrationen von Romana Rotterovä Prag, Mladä Fronta, 1971 125 S., 8°., OLwd. Abb. S. 48 Lit.: Soucasnä ceskä grafika, Katalog Prag 1989.
Uruk, in der Bibel Frech benannt, war eine Stadt am Unterlauf des Euphrat. Hier spielte sich nach den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung das GilgameschEpos ab. Erst 1922 wurde durch den Engländer Ch. Woolley im Ruinenhügel von Warka die alte Stadt Ur aufgrund mannigfaltiger Übereinstimmungen zwischen dem Text des Epos und den Abbildungen auf mesopotamischen Kunstdenkmälern identifiziert. Beim Abtragen der teilweise ca. 2,5 m hohen Sanddecke bis zu einer Erdschicht aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. fand man u.a. zylindrische Siegel vom Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. mit Darstellungen von Gilgamesch und einem jungen Löwen, von denen sich jetzt ein Exemplar im Louvre befindet. Bei weiteren Ausgrabungen fanden sich in großer Tiefe Gefäßscherben, Kriegsbeile und Schmuck, während die durchbrochene Sanddecke keinerlei Hinweise auf menschliche Bewohnung enthielt. Geologische Untersuchungen ergaben, daß an verschiedenen Stellen im Bereich Warka unter der derzeitigen Erdoberfläche eine 2-5 m dicke Schwemmschicht liegt. Hier ist ein Zusammenhang mit der biblischen Schilderung von der Sintflut zu vermuten.
Der Text über Gilgamesch und die magische Erzählung von der Sintflut ist eng mit der Bibel verbunden. Viele Überlieferungen alter Völker enthalten das Motiv eines Helden, der zwar ein Mensch, aber gleichzeitig auch mit göttlichen Kräften begabt ist und aufgrund seines einmaligen Ursprungs Unsterblichkeit zu erlangen strebt. Doch unter welchen Voraussetzungen könnte dies möglich sein? Gilgamesch besteht alle Prüfungen unter großen Qualen. Dennoch versagen ihm die Götter den Eintritt in ihren göttlichen Kreis. Die überzeitliche Vorstellung, daß der Mensch seinem Schicksal nicht entrinnen könne, hat sich hier schon sehr frühzeitig niedergeschlagen. Die Abbildung folgt der Erzählung vom Kampf des Gilgamesch mit dem himmlischen Stier, den die Göttin Ishtar aus Rache für die Ablehnung ihrer Werbung um ihn zur Erde geschickt hat. Doch Gilgamesch kann ihn mit Hilfe seines Freundes Enkidu nach hartem Kampf töten. Die Künstlerin Romana Rotterovä hat sich mit ihrer Illustration offenbar an die Inkrustation auf einem Rollsiegel aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. angelehnt, wie sie bei den Ausgrabungen am königlichen Hofe von Assurbanipal und an anderen Orten gefunden worden sind. Die Szene stellt den Höhepunkt des Kampfes mit dem Himmelsstier dar. Gilgamesch ist dem anstürmenden Stier ausgewichen. Dieser verfehlte sein Ziel, ... doch gleich stellte er sich auf die Hufe und drehte sich um. Aber Enkidu stand schon hinter ihm und packte ihn am Schweif, bis der Stier nicht mehr wußte, wie ihm geschah, er war betäubt... Gilgamesch stieß ihm sein Schwertin das Genick, genau zwischen die Hörner und den Nacken.
Ob aber das Epos über die Taten von Gilgamesch auf eine geschichtliche Person zu beziehen ist, mag offen bleiben. Es beruht ja auf der Überlieferung zahlreicher Generationen und ist aus der Zusammenstellung vieler Tontafelstücke mit Inschriften in Keilschrift, die aus verschiedenen Grabungen stammen, erwachsen. Seine große Bedeutung hat das Epos aber auch ohne eine personelle Zuordnung. Es zeigt die Anschauungen, Interessen, Ideale und die Götterwelt dieser frühen Vorzeit. Viele solcher Elemente sind mit mancherlei Details in die Folklore und Literatur der benachbarten Völker Mesopotamiens eingeflossen.
Die erste Veröffentlichung der Textzusammenstellung stammt von Tafelfragmenten aus der Bibliothek des Königs Assurbanipal und offenbart nach langwieriger Entzifferung ihren Ursprung im babylonischen, sumerischen und hethitischen Sprachraum mit allmählicher Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte. Details der Schilderung des Überlebens von Mensch und Tier nach einer großen irdischen Katastrophe hat die Bibel übernommen. Auch in der griechischen Mythologie der vorchristlichen Zeit kann man Vorstellungen finden, die aus dem Epos stammen können. So scheint die Sage kaum bemerkt als wichtiges Element unserer europäischen Kultur zu bewerten sein.
In den Ruinen von Chattusa (Türkei), der Hauptstadt des hethitischen Reiches, wurde ein altes königliches Archiv mit Tausenden von Tafelfragmenten mit der hethitischen Übersetzung des Gilgamesch-Epos ausgegraben. Auch in Charran (südöstliche Türkei) und in Nebtun (östlich von Bagdad) fanden sich solche in weichem Ton eingeritzte Keilschriftfragmente überwiegend babylonischen und auch assyrischen Ursprungs. Diese wurden erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, ausgehend von bekannteren vorderasiatischen Typen, schrittweise entziffert. Die endgültige Fassung der Sage wurde auf elf Tafeln unter Hinzuziehung solcher Ergänzungen zusammengestellt. Sie wurden erstmalig im Jahre 1970 veröffentlicht.
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III-2 Kolibal,
50 Gesängen 22 795 Verse umfaßt. Stets standen ihm Homers Epen vor Augen, als er diese Gemälde der heroischen Frühzeit entwarf. Sie trugen dazu bei, das Selbstbewußtsein des unter fremder Herrschaft stehenden finnischen Volkes zu stärken. Bildende Kunst, Malerei, z.B. der Maler Akseli Gallen-Kallela (1865-1931), und Musik, insbesondere der Komponist Jean Sibelius (1878— 1926), wurden durch dieses gigantische Werk inspiriert. Die zentralen Figuren der Handlung sind drei Brüder: der weise Sänger Väinomöinen, der starke Schmied IImarinen und der Stubenhocker Lemminkänen.
Stanislav
Ο trech bratrich ζ Kalevaly a kouzelnem mlynku Sampo. Podle lidovych karelskych a ffnskych pisni a Kalevaly Eliase Lönnrota vypravuje Vladislav Stanovsky (Über die drei Brüder aus der Kalevala und die Zaubertnühle Sampo. Nach karelischen und finnischen Volksliedern und der Kalevala des Elias Lönnrot nacherzählt von Vladislav Stanovsky) Mit 30 Illustrationen von Stanislav Kolibal Prag, Stätni nakladatelstvi detske knihy,1962
Die vorliegende Ausgabe enthält einige Texte aus der Kalevala in freier Nacherzählung und einige Lieder in wörtlicher Übersetzung. Letztere sind schon äußerlich vom übrigen Text abgehoben, da sie auf gröberem, gelblichem und nicht paginiertem Papier gedruckt sind und so den Eindruck des Archaischen erwecken. Die schwarzweißen Illustrationen von Stanislav Kolibal, in Leimfarbe auf zerknittertem Papier, verstärken diese Illusion des Urzeitlichen aus dem dunklen nordischen Winter.
106 S., 8°, OLwd. Abb. S. 3 0 , 3 1 Lit.: Ceskoslovensky biograficky slovnik, Prag 1992.
Der finnische Arzt Elias Lönnrot (1801-1884) sammelte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in den entlegenen Waldsiedlungen Kareliens alte Volkslieder, überlieferte Sprüche und Sagen. Im Geiste der Romantik schuf er daraus das finnische Nationalepos, die Kalevala, die in
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Väinemöinen ist der Sänger aus der mythischen Frühzeit des finnischen Volkes und eine Leitfigur der KalevalaGesänge. In Estland, Ingermanland und Südkarelien waren sehr unterschiedliche Varianten seiner Lieder verbreitet, die mit der Weltentstehung begannen. Überdies schrieb man Väinemöinen Zauberkräfte zu. Als er nach der legendären Überlieferung einst zu der Erkenntnis gekommen war, daß eine scharfe Axt, starke Muskeln und geschickte Hände nicht ausreichend seien, um das Leben zu meistern, macht er sich auf die Suche nach drei Zaubersprüchen, die ihm verstärkte Macht verleihen sollen. Er vermutet diese Zaubersprüche unter der Zunge eines weißen Eichhörnchens und in den Knochen einer Bärin. Er tötet die Tiere, ohne jedoch die Zaubersprüche zu finden. Einprägsam zeigen die Abbildungen den Augenblick, in dem der Held die Bärin zu erlegen sucht. Massig und in seiner ganzen Schwerfälligkeit ist das Tier dem Betrachter zugewandt, die Struktur seines Fells erinnert an die
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Jahresringe eines abgesägten Baumstammes. In kraftvoller Bewegung erscheint am rechten Bildrand im Profil der Kopf des Jägers mit seiner erhobenen Rechten, die einen Dolch oder Faustkeil reckt: eine lakonische, doch starke Aussage. Dem starken Schmied Ilmarinen gelingt es, die Tochter der Herrin Louhi von Pohjola zur Frau zu gewinnen, denn er hat das Wunderding Sampo, eine Mühle, die Wohlstand und Fruchtbarkeit spendet, angefertigt. Doch als die drei Brüder letztere aus dem Nordland zurückholen wollen, kommt es zum Streit mit Louhi, in dem sie zwar siegen, die Mühle aber zerbrochen wird. Lediglich Teile von ihr können aus dem Wasser gerettet werden und ermöglichen dem Volk der Seen und Wälder nur ein karges Leben. Schließlich weist die Nordlandherrin Louhi Väinemöinen den Weg zum greisen Anter Vipunen, der die in den Knochen der Bärin vergeblich gesuchten Zauberworte kennt.
III-3 Haskova,
Eva
Karl IV.
Vlastnizivotopis (Autobiographie) Übersetzung von Rudolf Mertlik Originalradierungen von Eva Haskova Prag, Supraphon, 1985 60 S., 4°, OLdr. in Schuber Abb. Frontispiz Lit.: S. Petrovä, Mladä grafika, Prag 1980; Β. Stehlikovä, Illustration, Prag 1984.
In dem sonst in abgestuftem Braun gehaltenen Bild ist der einzige pointierte Farbton das Rot des aufgeplatzten Granatapfels. Dieser ist ein mehrdeutiges Symbol des Mittelalters für Fruchtbarkeit, Kirche und Gnadenfülle. Ein beliebtes theologisches Werk mystisch-asketischen Inhalts aus der Zeit Karls trug den Titel „Malogranatum". So weisen verschiedene Symbole auf die einmalige kulturelle und politische Bedeutung der Herrschaft Karls IV. für Böhmen hin. Das zarte, an die Meisterwerke der böhmischen Gotik erinnernde Bild strahlt Ruhe und Wärme aus.
Unter Karl IV. erlebten die böhmischen Länder eine Zeit der kulturellen Blüte. Der aus dem Hause Luxemburg stammende König, der seit 1355 auch römischer Kaiser war, entfaltete eine rege Bautätigkeit, von welcher die Burg Karlstein, Prag und andere Städte ein beredtes Zeugnis ablegen. Auf seine Initiative hin wurde 1348 in Prag die erste Universität nördlich der Alpen gegründet. Berühmt war auch seine tiefe Frömmigkeit, die ihn dazu anhielt, Reliquien zu sammeln. Karl, der eigentlich auf den Namen des böhmischen Landespatrons Wenzel getauft war, verfaßte eine Autobiographie in lateinischer Sprache, die er neben anderen Sprachen ausgezeichnet beherrschte. Die vorliegende Ausgabe ist eine neue tschechische Übersetzung dieser Autobiographie, die 1985 in bibliophiler, handwerklich hervorragender Ausstattung in der Reihe „Lyra Pragensis" erschienen ist. Das Buch ist im Tiefdruckverfahren auf getöntem Papier gedruckt, wodurch die Illusion des Altertümlichen entsteht, und mit fünf ganzseitigen Illustrationen und einem Titelbild in kombinierter Technik von Eva Haskovä gestaltet. Die Illustrationen zeigen Karl IV. sowie seine vier Frauen Bianca, Anna von der Pfalz, Anna von Schweidnitz und Elisabeth von Pommern; auf dem Einband ist die edelsteingeschmückte Kapelle in der Burg Karlstein abgebildet. Die Abbildung zeigt ein Brustbild Karls IV. in traditioneller, von Tafelbildern und Fresken her bekannter Ikonographie. Auf dem Haupt die Kaiserkrone, ist er in den Königsmantel gehüllt, der von einer edelsteinbesetzten Spange zusammengehalten wird. Mit schräg gestelltem, leicht gewendetem Kopf richtet der Kaiser seinen nachdenklichen Blick auf den Betrachter. Wie aus einem Füllhorn quellen über den linken und oberen Rand des durch feinen Strich angedeuteten Rahmens Beeren, Zwetschgen, Äpfel. Deren Bewegung wird unten durch den Reichsapfel und eine Metallscheibe, eine goldene Patene, aufgehalten. Oberhalb des Kopfes, ihn leicht verdeckend, werden Weinlaub und eine Traube sichtbar. Am oberen Rand ist in der Mitte in eher skizzenhaften Strichen das Wappentier Böhmens, der Löwe, mit zweigeteiltem Schweif, allerdings seitenverkehrt angedeutet. In der rechten oberen Ecke erscheint das gekrönte Löwenhaupt mit mächtiger, wie ein Bart herabfallender Mähne, das sich in stark reduzierter Skizze außerhalb der Bildumrahmung wiederholt.
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III-4
DIEBALLADE
Svolinsky, Karel
VON DEN GEHÄNGTEN
Ihr Menschenbrüder, die ihr nach uns lebt, verhärtet euer Herz nicht gegen unsere Pein. Denn wenn erbarmend ihr den Blick zu uns erhebt, wird Gott euch desto eher gnädig sein.
Francois Villon Ja- Frangois Villon (Ich - Francois Villon) Übersetzung von Otokar Fischer Mit Illustrationen verschiedener Künstler Prag, Ceskoslovensky spisovatel, 1976
[...] So wisset denn: es traf uns der verdiente Lohn. Bedenkt, nicht jeder kann gesetzten Sinnes sein. Legt Fürbitt ein für uns bei Gottes hehrem Sohn, daß seine Huld und Gnade uns nicht sei verloren.
121 S., 8°, OLwd. Abb. S. 101 Lit.: F. Villon, Le Lais - Das kleine Testament, Memmingen 1984; F. Villon, Bibliographie und Materialien 1489-1988, München 1989.
Karel Svolinsky gehört neben Josef Lada, Jiri Trnka und Cyril Bouda wegen seiner vielseitigen Begabung und seines breiten Themenspektrums, das von der Geschichte Böhmens über die tschechische Literatur und Volkskunde bis zu naturkundlichen Atlanten reicht, zu den Klassikern der modernen tschechischen Buchillustration. Für das vorliegende Buch mit Balladen und Geschichten von Francis Villon sowie Essays über sein Leben und Schaffen, das von einer Reihe tschechischer Künstler mit Bildern aus verschiedenen Zeiten graphisch sehr vielseitig ausgestattet ist, hat Svolinsky ein Porträt des Dichters beigesteuert. Villon verwendete in seinen Balladen und Liedern über Tod und Vergänglichkeit, über Liebe und Haß oft die Volkssprache und den Gaunerjargon, wodurch der Leser noch nach Jahrhunderten ergriffen und in Bann geschlagen wird. Bert Brechts „Dreigroschenoper" verhalf dem Dichter zu neuer Populariät.
Die Todesstrafe wurde im Januar 1463 vom Obersten Gericht in Paris in zehnjährige Verbannung aus der Stadt umgewandelt. Von Villons späterer Existenz in der Verbannung fehlt jedoch jede Spur. Auf Karel Svolinskys in Holz geschnittenem Porträt Villons hat man dem Verurteilten die Schlinge um den Hals gelegt. Im Hintergrund wartet auf ihn schon der Galgen. Trotz seiner starren Haltung und dem in sich gekehrten Gesichtsausdruck eines vom Tod Bedrohten, trotz der äußerst kraftvoll gelegten Schnittlagen hat es der Künstler verstanden, den Zustand offenbarer Endgültigkeit eines individuellen Lebens im Kontrast zu dem ringsum unveränderten Weiterleben der Welt zu zeigen. Über dem Delinquenten kreisen zwei schwarze Galgenvögel. Den Luftzug der kreisenden Vögel um den Kopf des Verurteilten und auch unterhalb des Galgens zeigen die hellen, die Strichlagen des Holzschnitts unterbrechenden Felder. Traurig und schmerzlich tief liegen die Augen in dem jungen, aber verwitterten Gesicht. Der deprimiert abwärts gezogene Mund unterstreicht den Kummer über ein bei aller Wachheit, Energie und Begabung vergeudetes Leben. Der verhängnisvolle Zwiespalt seiner Natur, der sich in seinen leidenschafüichen Versen ausdrückt, ist Villon als unüberwindbares Fatum zutiefst bewußt. Dieses Porträt des tschechischen Künsüers kann sich mit Holzschnitten berühmter deutscher Expressionisten vollauf messen.
Francois Villons Leben zwischen 1431 bis nach Anfang 1463 liegt in weiten Abschnitten noch unerforscht im Dunkeln. Als Student hatte er sich an Meutereien in Paris beteiligt und 1455 im Streit einen Geistlichen getötet, der erste Gewaltakt eines heftigen, in schlechter Umgebung die gesellschaftlichen Regeln seiner Umwelt verachtenden, gleichzeitig aber genialen Menschen. Kaum hatte er als Magister Artium sein Universitätsstudium abgeschlossen, beteiligte er sich an einem Einbruch im Pariser College de Navarra, was zur Folge hatte, daß er die Stadt eilends verlassen mußte. In den Versen des „Kleinen Testaments" sucht er mit leidenschaftlichen Vorwürfen gegen seine treulose Geliebte Catherine de Vausselles einen Grund für seine Unruhe des Herzens und die Verwilderung seines Lebens. Nach sechs durch extreme Höhen und Tiefen geprägten Jahren seines Lebens, als er 1461 seine Verse für das „Große Testament" schrieb, brachte ihm während eines Aufenthaltes in Paris der frühere Diebstahl eine neue Verhaftung ein. Nur der Unterstützung der Theologischen Fakultät war es zu verdanken, daß er glimpflich davonkam. Aber sein hitziges Temperament verleitete ihn schon im folgenden Jahr zur Beteiligung an einem die Pariser Öffentlichkeit beunruhigenden Aufruhr. Als einen Mann ohne Respekt vor Gesetz und gesellschaftlicher Ordnung verurteilte ihn jetzt das Gericht zum Tod durch den Strang. Wahrscheinlich entstanden angesichts dieses Schicksals die folgenden Verse:
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III-5
Kulhänek, Oldrich
Nikolaj Gogol Portret (Das Porträt) in: Gogol/Odojewskij'/Garschin/Tschechow/Kuprin/ Schmeljov/Babel/Schklowskij/Kross/Kasakow, Malirske povidky (Malererzählungen) Mit 7 Illustrationen von Oldrich Kulhänek Prag, Svoboda, 1985 432 S , 8°, OPp.
Abb. S. 31
Die sorgfältig ausgestattete Anthologie enthält zehn Novellen über die Problematik des Künstlers und zehn Essays zum Schaffen bekannter Maler von überwiegend russischen Autoren - äußerlich durch verschiedenfarbiges Papier voneinander geschieden. In Gogols bekannter Novelle „Das Porträt" erwirbt der junge, mittellose, aber talentierte Maler Cartkov bei einem Trödler das Porträt eines Mannes von südländischem Aussehen. Seltsam stechende Augen in einem düsteren Gesichtsausdruck verfolgen jeden Betrachter. Aus diesem unheimlichen Feuer der Augen entsteht ein Handlungsablauf mit vielen schreckenerregenden Ereignissen. Unerwartet findet der junge Künstler im Rahmen des Bildes dort versteckte Golddukaten. Die mit diesem Reichtum ermöglichte Publizität verhilft ihm dazu, ein modisch begehrter Porträtmaler zu werden, wobei die Vernachlässigung emsthafter Studien sein ursprüngliches Talent verschüttet. Bald stellen ihn die Werke begabterer Künstler bei der Gunst des Publikums in den Schatten. Von Haß und Neid erfüllt, kauft er ihre Werke auf, um sie in blinder Wut zu zerstören. An sich selbst verzweifelnd endet er schließlich durch Selbstmord. Als das verhängnisvolle Bild später in einer Auktion auftaucht, zeigt sich unter den Bietern der Sohn des Malers der dämonischen Augen. Er will das Porträt erwerben, um es zu vernichten, und erzählt dessen Geschichte. Danach hatte ein seinerzeit berüchtigter Wucherer seinen unglücklichen Vater überredet, ihn zu malen. Dieser willigte ein, um das verderbte Gesicht als Verkörperung des Teufels für den Auftrag eines Kirchenbildes zu verwenden. Jener verhängnisvolle Entschluß stürzte den Künstler in der Folge, ebenso wie alle späteren Besitzer des Porträts, in tiefes Unglück.
Tochter verhalf er in einer plötzlichen Eingebung zu Leben und überzeugendem Charme, als er eine frühere Studie vom Köpfchen einer Psyche in die Hand nahm. Ohne prätentiöse Absicht hatte damals seine talentierte Hand das Ideal eines reizenden Mädchengesichts geschaffen. Diesen glücklichen Ausgang eines fast verdorbenen Auftrags zeigt Kulhänek in der senkrechten Achse der Köpfe von Mutter, Tochter und Psyche. Das zarte Übereinander wird brutal von dem dunklen, stechenden Blick des Wucherergesichts überlagert, ein Hinweis darauf, daß die Gewalt des dämonischen Porträts es dem jungen Künstler nicht gestatten wird, im Rückgriff auf sein wahres Talent Fortschritte zu machen und aus dem Gesicht der Menschen ein wahrhaftiges Spiegelbild des inneren Wesens werden zu lassen. Die Betonung von einer oder zwei Bildachsen gehört zu den einprägsamen Kompositionsmerkmalen des Illustrators. Durch Verwendung feiner Punkte und Linien, aber auch von Fingerabdrücken und schwarzen Flecken läßt Kulhänek realistische Details aus dem leicht getönten Hintergrund auf geradezu hypnotische Weise hervortreten.
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In sieben Lithographien konzentriert Oldrich Kulhänek die Erzählung auf das furchterregende Augenpaar. Die asymmetrische Stellung im Gesicht und die unterschiedliche Pupillengröße erzeugen besondere Lebendigkeit und eine den Betrachter packende Wirkung. Die dichten und nach oben gezogenen Augenbrauen verstärken die Dämonie des Blickes.
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Die hier abgebildete Illustration zeigt jene Szene, durch die der plötzlich reich gewordene junge Künstler Cartkov in Gesellschaftskreisen seinen Ruf eines hervorragenden Portätmalers begründet. Dem ausdruckslosen, aber durchaus realistisch gezeichneten Gesicht der jungen
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III-6 Kulhänek,
felsfinger schafft den blutsmäßigen Nachweis von Fausts Gefolgschaft zu den angebotenen Verführungen. Der Eindruck von Gewaltsamkeit, die Schärfe der gespreizten Finger und die Verlängerung der Mittelachse durch Schreibfeder und fallenden Blutstropfen lassen das Geschehen gefährlich und voll unwiderruflicher Konsequenz erscheinen, so als ob tatsächlich Fausts Seele mit einem Pakt an den Teufel gekettet sei, wie es den alten Volksüberlieferungen entspricht. Das Ende von Teil II der Faust-Dichtung zeigt schließlich, daß Mephisto die Wette verloren hat.
Oldrich
Kniha ο Faustovi (Das Buch über Faust) Buchschmuck von Jiri Behounek Mit 12 ganzseitigen Illustrationen von Oldrich Kulhänek Prag, Mladä Fronta, 1982 200 S. und 12 nicht paginierte Bildseiten, 4°, OLwd. Abb. Bildseite 9
Zu Goethes 150. Todestag erschien der vorliegende Band in Zusammenarbeit mehrerer Autoren unter der Redaktion von Hanus Karlach. Er stellt einen Kommentar zu Goethes Hauptwerk „Faust" dar. Auf den ersten 60 Seiten wird der Faust-Stoff in seiner Überlieferung als Volksbuch und Volkslied sowie in seinen literarischen Bearbeitungen behandelt, bevor man sich im zweiten Teil dem eigentlichen Thema, der Analyse dieses wichtigsten Werkes der deutschen Klassik, zuwendet. Den reichhaltigen Buchschmuck schuf Jiri Behounek unter Verwendung alchimistischer und magischer Zeichen. Als Beilage sind zwischen beiden Teilen des Buches zwölf Lithographien von Oldrich Kulhänek eingefügt. Wesentliches Element des alten Faust-Stoffes ist der Pakt mit dem Teufel, durch den Faust tieferes Wissen oder die Liebe einer Frau - gnostisches Symbol der Weisheit erlangen will. In Goethes Faust handelt es sich nicht um einen Vertrag im eigentlichen Sinne, sondern um eine Wette, daß Mephisto mit seinen Mitteln Fausts Lebensüberdruß nicht sättigen werde und ihn wunschlos das Ziel erreichen ließe: „Verweile doch! du bist so schön!" Faust verschreibt sich Mephisto nur bedingt. Dessen Eingehen auf die Wette läßt das Resultat der Absprache noch offen. Faust bietet als seinen Beitrag lediglich an: „Das Streben meiner ganzen Kraft ist das, was ich verspreche." Und am Schluß des Werkes heißt es: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen." Beide Partner der Wette setzen etwas aufs Spiel: Faust im Falle seines Versagens die irdische Existenz, Mephisto die Glaubwürdigkeit von der Unwiderstehlichkeit des Bösen. Da Faust die mit einem Pakt verbundene Verpflichtung nicht eingehen will, begnügt sich Mephisto mit einer Wette, glaubt aber, mit einem Blutsiegel eine paktähnliche Abhängigkeit sicherzustellen, denn „Blut ist ein besondrer Saft". Der Illustrator Oldrich Kulhänek scheint gerade die Unterscheidung zwischen einem Teufelspakt im herkömmlichen Sinn und dem von Mephisto gewünschten, durch einen Blutstropfen beurkundeten Abschluß einer in Leistung und Gegenleistung fest umrissenen Wette demonstrieren zu wollen. Fausts Hand mit der Schreibfeder liegt auf einem leeren Blatt. Es wird ein vereinbarter Text unterschrieben. Die ins Fleisch gestoßene Feder erzeugt lediglich den gewünschten Blutstropfen. Aber Fausts Hand scheint zu zögern und nur durch den nachhaltigen Zwang der Teufelskralle geführt zu werden. Nicht eine Schreibfeder, sondern ein dämonisch verlängerter Teu-
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Vladimir
Johann Wolfgang Goethe Faust a Marketa (Prvotni Faust) (Faust und Margarete. Urfaust) Übersetzung von Jindrich Pokorny Mit 6 ganzseitigen Farbillustrationen von Vladimir Vimr Prag, Odeon, 1982 103 S., 4°, OLwd.
schwinden des Erdgeistes besteht im Konzept des Fragments eine große Handlungslücke. Im Urfaust zeigt sich Mephisto nur als ein Zaubermeister. Seine Eigenschaft als Inkarnation des Teufels mit der Verführung Fausts zu Gretchens Untergang und zur eigenen Persönlichkeitsvernichtung ist erst schwach angedeutet. Für die Personifizierung Mephistos nach der Bearbeitung des Erdgeist-Themas fehlte offenbar noch ein ausreichendes Konzept. Rückblickend auf den Text des UrfaustFragments heißt es:
Abb. Frontispiz, S. 13, 65, 81 Lit.: A. Kapr, Stationen der Buchkunst, Leipzig 1985; Soucasnä ceskä kniha, Katalog Prag 1990.
Mit dem historischen Faust, dokumentiert in der „Historia von Johann Faust, gedruckt zu Frankfurt am Mayn durch Johann Spies. M.D.LXXXVII", einem mit Zaubersprüchen, Wahrsagungen und Horoskopen durchs Land ziehenden Halbgelehrten, hat der „Urfaust" so viel und so wenig gemein wie auch der endgültige Text des ersten Teils von Goethes „Faust" (1808). Die vorliegende tschechische Ausgabe heißt korrekt „Faust und Margarete", denn sie enthält nur das Ergebnis der ersten Arbeitsperiode Goethes am Faustthema aus den Jahren 17731776: die wichtigen Szenenfolgen der Gelehrten- und der Gretchentragödie. Die übrigen Szenen von Teil I stammen erst aus den nachfolgenden drei Jahrzehnten. In seinen frühen Jahren hatte sich Goethe mit der Literatur der sogenannten „Pansophen" befaßt, die sich um die Erkenntnis und die Naturwissenschaft des Universums bemühten. So schlägt Faust in seiner Studierstube ein Werk des französischen Astrologen und Naturforschers Nostradamus auf. Aber diese Wissenschaftler und Denker konnten mit ihren Forschungen über die Gesetze der Gestirne, ihren mutmaßlichen Einfluß auf die Schicksale der Menschen, über die Geheimnisse der Physik und Chemie dem wissensdurstigen jungen Goethe nur Teilergebnisse vermitteln, ihm aber keinen Aufschluß darüber geben, ob und inwiefern er in einer von Gott geordneten Welt lebe. So kennzeichnet die Gestalt des Faust seinen Wissensdrang, über den wissenschaftlichen und theologischen Stand seiner Zeit hinaus Erkenntnisse über die vielfachen Zusammenhänge des irdischen und überirdischen Seins zu gewinnen. Die Sehnsucht danach, die Grenzen seines unvollkommenen Wissens zu sprengen, verstrickt Faust in immer unsicherere Methoden, Verschlüsseltes zu erschließen oder Verwerfliches von Edlem zu trennen, um einen Schritt ins Übermenschliche zu tun. Der Pakt mit dem Teufel, die Verbindung von Faust mit Mephistopheles, ist in Goethes erstem Faustfragment noch nicht enthalten. Mephisto erscheint unvermittelt in Fausts Studierstube, wo er in der Hauskleidung eines Gelehrten mit dem „Studenten" zusammentrifft, der von dem allseits bekannten Dr. Faust wissenschaftliche Hilfestellung für seine Studienpläne erhofft. Das anschließende Gespräch zwischen dem Studenten und Mephisto entwickelt sich ohne Beteiligung von Faust, und ohne Übergang folgt dann die Szene in Auerbachs Keller. Auch zwischen Fausts Gespräch mit Wagner und dem obigen erstmaligen Auftreten Mephistos nach dem Ver-
Und dies geheimnisvolle Buch Von Nostradamus'eigner Hand Ist dir das nicht Geleit genug? Erkennest dann der Sterne Lauf Und wenn Natur dich unterweist, Dann geht die Seelenkraft dir auf, Wie spricht ein Geist zum andren Geist. Umsonst, daß trocknes Sinnen hier Die heiligen Zeichen dir erklärt. Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir, Antwortet mir, wenn ihr mich hört! Doch das Hochgefühl beim Anblick des MakrokosmosSymbols ist nur von kurzer Dauer. Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick auf einmal mir durch alle meine Sinnen. [...] Welch Schauspiel! aber, ach, ein Schauspiel nur! Wo faß ich dich, unendliche Natur? Das Symbol ist ja nur ein menschliches Signum, aber keine Erklärung für die große Unbekannte, die Existenz und die Ordnung des Weltalls. Als Faust unwillig das Buch umblättert, entdeckt er das Zeichen des Erdgeistes. In der Vorstellung des 18. Jahrhunderts stehen die Naturgeister in Beziehung zu den für den Erdball maßgeblichen vier Elementen. Fausts Bemühen um magische Erkenntnisse bleiben im ursprünglichen Entwurf der Tragödie noch außerhalb des Kontakts mit dem Bösen. Ich fühls, du schwebst um mich, Erflehter Geist! Enthülle dich! [...] Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben! Faust spricht das Zeichen des Geistes aus dem Buch geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, und der Geist erscheint in der Flamme. Doch Faust erschrickt vor der „schröcklichen" Gestalt des Geistes, der seine Schwäche verspottet: Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang, Der sich an mich mit allen Kräften drang? Du! der, den kaum mein Hauch umwittert, In allen Lebenstiefen zittert, Ein furchtsam weggekrümmter Wurm.
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Blickfang der Illustration ist die schneidend rote Flamme, in welcher der Erdgeist auf Fausts Forderung hin erscheinen wird. „Erflehter Geist, enthülle dich!" In der oberen Ecke des Bildes ist in schwacher Andeutung Gretchens Kopf zu sehen, der dann in ganzseitiger Größe in einer anderen Illustration (Abb. umseitig) erneut erscheint. Der Künstler deutet hier die beiden Kontraste des Urfaust-Fragments an. Da das Gelehrtenstreben keine Aussicht auf Erkenntnis der menschlichen Begrenztheit bietet, öffnet sich ein anderer Weg, die Liebe, um in einem mitmenschlichen Band die Gefangenschaft der egozentrischen Fesselung zu sprengen. Liebe ist primär Ergebnis von Emotionalität und erst sekundär eine Möglichkeit der Erkenntnis. Wenn der Erdgeist Fausts überhebliche Annahme von einer geistigen Verwandtschaft verwirft und ihn einen „furchtsam weggekrümmten Wurm" nennt, so zeigt dies der Illustrator durch die Vergrößerung des Umrißbildes von Fausts Oberkörper, über dem das magische Symbol des Makrokosmos schwebt, das wiederum deutlich in Kontrast zum Signum des „gekrümmten Wurm" neben dem Kopf des Wissensdurstigen steht. Das Signum wiederholt sich auf der Schulter von Gretchens Porträt, d.h., die Erkenntnis vom Wesen der Liebe liegt noch im Bereich dessen, was für Faust begreifbar sein kann. Nach der Enttäuschung über den strikten Ausschluß aus der Welt des Makrokosmos wendet sich Fausts Sehnsucht in begreiflicher Konsequenz zum weltlichen Gegenpol, dem männlich-weiblichen Spannungsfeld der Liebeskräfte. Vielleicht ist dies ein Weg, etwas von der Harmonie im Bereich des Seins zu erfahren? Die kurze Szene in Auerbachs Keller, die stark von der Fassung der endgültigen Faust-Tragödie abweicht, bringt erstmalig Fausts direkten Kontakt zu Mephistopheles als Teilnehmer der Trinkerrunde. Hier bedient sich Faust zum Erstaunen der trinkfreudigen Gesellen der teuflischen Zauberkräfte bei dem auf Wunsch gefüllten, nicht leer werdenden Weinfaß.
Faust fühlt sich mißverstanden. Der du die weite Welt umschweifst, Geschäft'ger Geist, wie nah fühl' ich mich dir! Doch der Geist verschwindet mit den Worten: Du gleichst dem Geist, den du begreifst! Nicht mir!
Die tragische Verführung Gretchens, nachdem Faust den Mächten des Bösen hörig geworden ist, stellt die zweite große Szenengruppe der Erstbearbeitung dar. Dieses Thema ist erst von Goethe mit dem Namen des historischen Faust in Zusammenhang gebracht worden. In den überlieferten Volksbüchern spielt es keine Rolle. Weit mehr als Fausts Ringen um Erkenntnis des Makrokosmos in seinem Studierzimmer ist die Versfolge der Gretchenszenen fast unverändert wörtlich in die endgültige Fassung des Werkes übernommen worden, abgesehen von den späteren Erweiterungen oder den ganz neuen Szenen wie „Wald und Höhle", „Hexenküche", „Walpurgisnacht" und „Trüber Tag". Diese Szenen setzen jedoch eine durchgearbeitete Charakterisierung der Mephistogestalt voraus, die in den einführenden Szenen des fragmentarischen Entwurfs noch nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erfolgt war. Auch in der Gretchen-Tragödie versteht es der illustrierende Künstler, starke psychologi-
Diesen Abschnitt des Faust-Fragments hat Vladimir Vimr für seine beiden ausdrucksvollsten Illustrationen des Werkes ausgewählt. Die das Frontispiz beherrschende hoch erhobene, helle menschliche Hand (Abb. oben) findet sich zurückhaltender auch in einer weiteren Illustration (Abb. umseitig), hier als surrealistisches Element im Dunkel der umgebenden Bilddarstellung. Was ist die Bedeutung dieses pars pro toto eines Menschen, das sich ins Ungewisse hinein erstreckt? Ist es eine Faustische Alternative zu Dürers „Betenden Händen", eine offene, die unbekannte Schicksalsmacht herausfordernde Hand des suchenden Menschen im Gegensatz zu Dürers demütigem, in Gottes Ratschluß sich bergendem Händepaar? Die große Hand des Frontispiz ist herausfordernd, aber offenbar nicht ohne Absicht - ohne klare Akzentuierung.
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sehe Kontraste im Bereich der diesseitigen sinnlichen Welt vor Augen zu führen.
dem wie ein schwarzer Keil sie bedrohenden Schuldgefühl. Durch den schwarzen Schleier scheint sie das Gesicht der Mutter anzublicken. Nichts ist - von heute auf morgen - von der leuchtenden Unberührtheit geblieben, die noch in ihrem Porträt zum Ausdruck gekommen ist. Nur das Signum des furchtsam weggekrümmten Wurmes verbindet sie noch mit Faust und ist in der Domszene vom Künstler düster nachhallend ins Bild gesetzt worden.
Margaretes Porträt erweckt, abweichend von der scheuen Mädchenhaftigkeit in den Textversen, die Vorstellung von einer vornehmen jungen Frau aus der Renaissancezeit. Auf dem nachfolgenden Bild kniet sie, nach der Verführung durch Faust, von der Umwelt verlassen und umgeben von einer Mauer riesiger Säulen bei der Totenmesse für ihre Mutter im Kirchenschiff, erdrückt von
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III-8 Bouda, Cyril Jonathan Swift Gulliverovy cesty (Gullivers Reisen) Mit zahlreichen Illustrationen von Cyril Bouda Prag, Albatros, 1934 342 S„ 8°, OLwd. Abb. S. 246/247 Lit.: J. Kvet, Cyril Bouda, Prag 1941; Fr. Dvorak, Cyril Bouda. Graficke d Ιο ζ let 1920-1980, Prag 1981; U. v. Kritter, Buchillustration 19001945, Bad Homburg v.d.H. 1989.
Wegen seiner aggressiven Schriften gegen die Politik der englischen Regierung hatte man Swift im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts auf einen kirchlichen Posten nach Dublin abgeschoben. Verbittert über die äußerst schlechten wirtschaftlichen Zustände in seinem Heimatland und enttäuscht durch seine Erfahrungen mit der herrschenden Schicht in England, ließ er als anonymer Verfasser die schnell bekannt werdenden „TuchhändlerBriefe" veröffentlichen, welche die Vernachlässigung irischer Interessen scharf anprangerten. Seine zunehmende Opposition verschaffte ihm gefährliche Feinde und ließ es ratsam erscheinen, seine scharfe Kritik in verhüllter Form zu publizieren. So entstanden „Gullivers Reisen" über die Erlebnisse einer fiktiven Person. Alle, die die versteckten Anspielungen verstanden und zu Gullivers Freunden gehörten, feierten Swift als scharfzüngigen Patrioten.
Mit diesem Werk haben sich ebenso zahlreiche wie unterschiedliche Illustratoren befaßt. Zu den bedeutendsten tschechischen Illustratoren gehört Cyril Bouda. Seine Darstellungen zu Gullivers Erlebnissen im Reich der Houyhnhnms haben große Ausdruckskraft. Im Vordergrund sind zwei primitive zweibeinige, menschenähnliche Lebewesen ins Bild gesetzt, die auf einer affenähnlichen Entwicklungsstufe stehengeblieben zu sein scheinen. Im Hintergrund tummelt sich die Jugend, die affenartige Turnübungen exerziert und gefräßig an Knochen nagt. Die beiden dichtbehaarten Zweibeiner sind offensichtlich überrascht durch die unerwartete Begegnung mit zwei herrschaftlichen Vertretern aus der oberen Klasse der ländlichen Tierwelt, wobei die linke Gestalt glotzäugig blickend und in verkrampfter Haltung mit eingeknickten Beinen dasteht und die rechte Gestalt in ihrer S-förmigen Haltung und lockerer Beinstellung schon etwas menschenähnlicher aussieht. Beide zeigen Neugierde und Staunen über die perfekte Schönheit der Pferde. Zwischen diesen beiden Tiermenschen steht der in die fremde Welt verschlagene Reisende, eine kümmerliche Gestalt, die beinahe nur dank der stattlichen Bekleidung ihre aufrechte Stellung zu bewahren scheint, das magere Gesicht schüchtern auf das schöne Pferdepaar gerichtet. Wie sehr ihn die eigene körperliche Unzulänglichkeit beschämt, kann man aus der verdrehten Beinstellung schließen. Dieser sonderbaren Zweibeinergruppe steht das stolze Pferdepaar gegenüber. Dem Hengst und der Apfelschimmelstute sind die häßlichen dicht behaarten Gestalten zwar bekannt, sie ziehen der-
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artige Landesbewohner wegen ihres muskulösen Körperbaus und ihrer offenkundigen Dummheit gelegentlich zu primitiven Arbeiten heran. Überraschend für sie ist aber der Anblick der äußerst mageren, durch reichliche Stoffgarnituren bis zur Unkenntlichkeit verhüllten Gestalt, die den beiden Gefährten zwar ähnelt, aber doch stark von deren üppiger Körperlichkeit abweicht. Auch in der Mimik zeigen sich merkliche Unterschiede. Das Pferdepaar ist völlig überrascht. Fragend wendet der Hengst seinen Kopf der Stute zu: „Was halst du von der neuen Zweibeinfigur, ist sie nicht komisch?" und zeigt mit dem schlanken Vorderhuf auf das unbekannte Wesen. Diese Gegenbewegung zu dem zurückgewandten Hals verstärkt die mokante Einstellung. Die Mimik der Stute dagegen zeigt, ähnlich wie das rückwärts angewinkelte Vorderbein, neben Verblüffung auch eine gewisse Vorsicht. Auf der einen Seite behaarte Primitivität und degenerierte, mühsam verhüllte Schwäche mit plumpen Beinen, die für schnellen Lauf sicher nicht taugen. Auf der anderen Seite herrlich entwickelte Geschöpfe der Natur von edlem Körperbau und mit leichtfüßigen, schlanken Beinen, geschmückt mit langen Mähnen und Schweifen.
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III-9 Born, Adolf Daniel Defoe
Robinson Crusoe Übersetzung von Albert Vyskocil und Timotheus Vodicka Mit 15 ganzseitigen farbigen Illustrationen von Adolf Born Prag, Odeon, 1975 518 S„ 4°, OLwd. Abb. S. 99 Lit.: Β. Stehlikovä, Adolf Born, Prag 1988; A. Born, Mym närodüm, Prag 1990; M. Macourek, Hovory s Bomem, Prag 1991.
Defoes Robinson Crusoe (erschienen 1719) gehört zu den ersten englischen Romanen. Als Vorbild dienten dem Autor das Schicksal und die Erlebnisse des Seemanns Alexander Selkirk, der nach einem Schiffbruch als einziger Überlebender auf eine unbekannte Insel im Pazifischen Ozean verschlagen wurde. Unter primitivsten Verhältnissen und unter Nutzung der natürlichen Ressourcen, mit handwerklichem Geschick und Erfindungsreichtum sicherte Robinson in jahrelanger Arbeit sein Überleben, bis er durch ein englisches Handelsschiff gerettet wurde. Dieses Ereignis erregte bei den Zeitgenossen großes Aufsehen und veranlaßte den Autor, im Vorwort seines Romans die Aktualität der Erzählung noch dadurch zu verstärken, daß er sie als Tatsachenbericht eines totgeglaubten Seemanns ausgab. Für die Ideologie der englischen Aufklärung wurde der Roman geradezu ein literarisches Leitbild. Der Inhalt entsprach ebenso wie Voltaires Fiktion in „Candide" - der Vorstellung von einer gottgewollten Schöpfung als „beste aller Welten". Notwendig sei gesunder Menschenverstand, Tatkraft und unerschütterliches Gottvertrauen. Mit solcher Veranlagung könne der Mensch auch scheinbar aussichtslose Situationen überstehen. Eine puritanische Lebensweise werde durch Gottes Gnade gewürdigt und belohnt.
stattet. Durch die Illusion alten, fleckigen und zerknitterten Papiers, auf dem die Bilder gezeichnet sind, wird eine Atmosphäre des Abenteuerlichen geschaffen: von alten Seekarten, Tage- und Logbüchern, Skizzen von Schatzinseln. Das Original dieser Darstellungen geht auf Aufzeichnungen des schiffbrüchigen Selkirk zurück. Der Charakter von Landkarten wird bisweilen durch den mit einer Gradeinteilung versehenen Rahmen verstärkt. Das zeichnerische Element steht deutlich im Vordergrund, und der braune Grundton wird hier und da durch wenige, behutsam eingesetzte Farbtöne aufgebrochen. Schmale, etwas in die Länge gezogene Gesichter sind untrügliche Kennzeichen für den Karikaturisten Born. Die Abbildung zeigt Robinson auf einem Streifzug über die Insel. Er trägt die Kleidung, Mütze und Schirm, die er sich zum besseren Schutz vor den pazifischen Regengüssen mühevoll aus Fellen geschneidert hat. Deren reichliche Behaarung wird in pointillistischer Weise durch Pünktchen verdeutlicht, ebenso wie bei dem behaarten Affenkopf. Das Äußere der anderen Lebewesen - der Panzer der Schildkröte und die Schuppen des Fisches wird kontrastierend in harten Strichlagen und Konturen dargestellt. Durch die drei Tiere - Fisch, Affe, Schildkröte - wird das Exotische von Robinsons Umwelt vor Augen gestellt. Die Schildkröte spielt als wichtigstes Nahrungsmittel für Robinson eine besondere Rolle. Nach Art eines wissenschaftlichen Werkes des 18. Jahrhunderts - vielleicht eine Anspielung auf die populäre Verwendbarkeit des Buches - sind die einzelnen Bildelemente mit Ziffern und der Abkürzung „Fig." für lateinisch „figura" versehen, als ob auf eine erklärende Legende verwiesen werden soll.
Robinson zähmt wilde Ziegen, und aufgefundene Körner nutzt er zum Getreideanbau, um daraus Brot zu backen. Ein einer angelandeten Kannibalenhorde entflohener Gefangener entgeht knapp dem Tod in deren Kochtopf. Robinson entdeckt ihn als willkommenen Helfer in der Einsamkeit und macht ihn für christliche Gedanken zugänglich. Aufgrund dieser humanistischen Grundlagen, der pädagogischen Ansätze und seiner spannenden Sprache wurde der Roman in mancherlei Bearbeitungen zu einem bekannten und beliebten Jugendbuch, obgleich er ursprünglich nicht als solches gedacht war. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts erschien eine für die Jugend zurechtgestutzte tschechische Übersetzung im Verlag V.M. Kramerarius. Bei der vorliegenden Ausgabe handelt es sich um eine neue Übersetzung beider Teile des vollständigen Werkes. Der vor allem durch seine Zeichentrickfilme, Comics und Karikaturen bekannt gewordene Adolf Born hat sie mit ganzseitigen Abbildungen und Buchschmuck ausge-
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III-ΙΟ Bednärovä,
Eva
lung benutzt der Autor geschickt, um humorvoll-ironisch, aber auch ernsthaft seine Kritik vorzutragen. Er nutzt diese Form, um gegenüber der sentimentalen Romantik seiner Zeit Stellung zu nehmen. Die existenzielle Langeweile einer vom Leben nicht geforderten Gesellschaftsschicht erscheint Puschkin als ein Grundübel und als Ursache für die Unfähigkeit zu persönlichem Engagement. Eine Ausnahme bildet die junge Tatjana. Ihr gelingt der Durchbruch aus der gesellschaftlichen Oberflächlichkeit. Ungewöhnlich und mutig ist ihr Brief an Onegin mit dem offenherzigen Bekenntnis ihrer tiefen Liebe und der Bereitschaft, sich ihm uneingeschränkt anzuvertrauen. Onegins Antwort ist enttäuschend: Trotz aller Bewunderung für ihre Schönheit und Weiblichkeit fühlt er sich nicht in der Lage, seine Freiheit durch eheliche und gesellschaftliche Verpflichtungen einzuschränken.
Alexander Puschkin
Eugen Onegin Mit 17 ganzseitigen Farbillustrationen von Eva Bednärovä Prag, Lidove nakladatelstvi, 1975 307 S., 8°, OLwd. Abb. S. 229 Lit.: Β. Holy, Eva Bednärovä, Prag 1988; Czech Illustrators of Books for Children and Young People, Prag 1989; Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 8, Leipzig 1994.
Die frühere Sommerresidenz des Zaren in der Nähe von St. Petersburg, Zarskoje Selo, erhielt nach der Revolution 1917 den Namen „Puschkino", womit man dem Schöpfer der neuen russischen Literaturform eines psychologisch vertieften Realismus ein Denkmal setzte. Der Versroman „Eugen Onegin" gilt als Hauptwerk des umfangreichen schriftstellerischen (Euvres Puschkins (1799-1837), dem sein früher Tod im Duell ein tragisches Ende setzte.
Wer ist bereit, die Welt zu schauen, wie unser Α ugenmaß es fügt?
[...] Mein lieber Leser, lieben Sie sich selbst! Sie müssen ehrlich sagen, daß keiner Sie so liebgewinnt, wie Sie der Liebe würdig sind.
Der aus einer angesehenen Adelsfamilie stammende Dichter lebte zur Zeit der Niederschrift dieses Werkes wegen kritischer Äußerungen über Regierungskreise in Verbannung auf einem abgelegenen Landgut. In den Versen des Romans spiegeln sich viele eigene Erfahrungen aus dem von der bunten Großstadtwelt abgeschnittenen eintönigen Leben, lyrische Natureindrücke, Streiflichter vom Alltag der Gutsbesitzer und den beschränkten Interessen der Provinzbevölkerung. Naturalistische Sachlichkeit, Sensibilität und ironische Ablehnung von egoistischem Mutwillen werden aus Puschkins eigenem Empfinden auf die Protagonisten der Handlung übertragen. Der Autor versteht es darüber hinaus, den Leser in den Kreis der Petersburger Gesellschaft einzubeziehen. Als Erzähler der Handlung und Schilderer des Ambientes stellt er sich einerseits als Freund Onegins und zugleich als Gesprächspartner des Lesers vor, den er verschiedentlich um seine Stellungnahme zu dem Geschehen fragt. Besonders stark ausgeprägt ist diese Darstellungsweise in dem Kapitel, welches Onegins unkameradschaftliches Verhalten gegenüber seinem Freund Lenski und seine Gewissenlosigkeit schildert, die zu dessen Tod im Duell führt.
Nach jahrelanger Abwesenheit, bedingt durch das Duell, in dem Lenski fiel, begegnet Tatjana als gesellschaftlich hochgeachtete Gattin eines fürstlichen Generals Onegin wieder. In ihrer Reife und Schönheit erscheint sie ihm jetzt als Ideal einer Lebensgefährtin, und er begreift nicht, daß er sie in ihrer früheren bescheidenen Mädchenhaftigkeit verschmäht hat. Nun sind die Rollen vertauscht. Onegin versucht, Tatjanas Liebe erneut zu gewinnen, aber Tatjana weist seine Werbung zurück, weil sie ungeachtet ihrer noch nicht erloschenen Liebe Onegins Egozentrik erkannt hat. Seine Zuneigung mißt sie mehr ihrer gesellschaftlichen Stellung bei, als daß sie an die Beständigkeit seiner Gefühle glaubt. So endet Onegins selbstgewähltes Außenseitertum als eine kaum ernstzunehmende Attitüde mit Selbstverlorenheit und gesellschaftlicher Niederlage. Eva Bednärovä gehört zu den bekanntesten tschechischen Illustratoren. Ihre fast monochromen, in sanften Schattierungen verlaufenden Darstellungen sind schwermütig und weiblich sensibel, erfüllt von einer nicht alltäglichen Melancholie und Trauer. Die Darstellung von Antlitz und Händen zeigt die besondere Fähigkeit der Künstlerin, Empfindungen auszudrücken.
Puschkins Entschluß, seinen Roman in Versform zu schreiben, hat den Hintergrund, daß zu jener Zeit die Prosaliteratur in Rußland noch wenig anerkannt war. Die romantische Verserzählung ausländischer Schriftsteller galt als modern. Puschkin läßt auch Tatjana, die junge Verehrerin des Dandys, Onegin mit literarischen Figuren wie Werther oder Grandison, dem Helden der englischen Literatur, vergleichen. Den in Wirklichkeit in seiner Ziellosigkeit und Langeweile und trotz schnell wechselnder Liebschaften des Lebens überdrüssigen Onegin vergleicht der Autor mit literarischen Figuren aus Byrons Werken, indem er ironisch den zeitgenössischen Publikumsgeschmack mit seinen gesellschaftlich revolutionären Ansichten kontrastiert. Die Versform seiner Erzäh-
Unter dem Aspekt der besonderen Begabung Puschkins für die Darstellung der Personen, hätte der Versroman mit Recht auch den Namen Tatjanas als Titel tragen können, aber gerade in der Person Onegins sollte das Gesellschaftssystem angegriffen werden. Demgegenüber stellen Bednäroväs Illustrationen die bei Puschkin erkennbare Zuneigung für das Denken und Fühlen der weiblichen Seite in den Vordergrund. Der Dichter und die Illustratorin schildern Onegins Überraschung beim ersten
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Wiedersehen mit Tatjana im vornehmen Gesellschaftskleid: ... dies Mädchen- oder ist's ein Traum?-, es steht vor ihm, er wagt es kaum, verwundert, fragend, hinzuschauen ist dies dieselbe, die ihn jetzt durch ihren Gleichmut so verletzt? ... Doch sie, sie fragt ihn würdevoll, ob ihm die Zeit wohl rasch vergangen... und blickt dann müd an ihm vorbei. Die Briefe, die Onegin der Fürstin schreibt, bleiben unbeantwortet. Tatjanas mehrseitiger Brief, mit dem sie einst als jung Verliebte Onegin beide Hände entgegenstreckte, liegt überdeckt von ihrem neuen Bild im Ballraum. Überrascht, aber gesammelt unterdrückt sie mit auf den Leib gepreßter Hand ihre zitternde Erregung. Onegin kann sie nicht aus seinen Gedanken entlassen und sucht ein klärendes Gespräch mit ihr. Die Vorzimmer der vornehmen Wohnung sind leer. ... An der Schwelle zu ihrem Zimmer bleibt er stehn und wagt es kaum, hineinzusehn: Da sitzt sie, blaß, verweint, anstelle der strengen Fürstin, sie, und liest... Ein Brief, der ihr das Herz erschließt? Wer könnte jetzt das Leid nicht lesen in ihrem traurigen Gesicht? Die Tanja, die sie einst gewesen, die arme Tanja - ist sie 's nicht? Von wilder Sehnsucht hingerissen, wirft sich Onegin ihr zu Füßen...
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„... Sie sehn mich weinen... Wenn Sie ahnten, was Ihre Tanja einst empfand, als Sie sie kalt und streng ermahnten und sie verzagt vor Ihnen stand, dann könnten Sie wohljetzt verstehen daß Ihre Briefe und Ihr Flehen, daß Ihre dreiste Leidenschaft mich härter als Ihr Vorwurf straft... Jetzt aber- welche Tändelei führt Sie zu mir? Bei Ihrer Kenntnis des Herzens und des Geistes: Sie ein Knecht so kleinlicher Manie? [...] Ich bin verheiratet. Undjetzt ist Ihre Pflicht, mich zu verlassen; ich weiß: Ihr Herz versteht genau das Ehrgefühl auch einer Frau. Ich liebe Sie; doch mich zu fassen hab ich gelernt; und was auch sei: ich bleibe meinem Gatten treu." (Übersetzung Ulrich Busch)
III-11 Behounek, Jiri Wilhelm Hauff Clovek- opice (Der Mensch - ein Affe; Originaltitel: Der junge Engländer) in: W. Hauff, Pohädky (Märchen) Mit 19 farbigen Illustrationen nach Aquarelloriginalen von Jiri Behounek Prag, Odeon, 1985 269 S., 4°, OLwd. Abb. S. 131 Lit.: V. Brabcovä, Jiri Behounek, Prag 1977; B. Stehlikovä, 35 tschechoslowakische Illustratoren 1953-1988, Prag 1988.
Manche Märchen der Art, wie Andersen und Hauff sie erzählten und die unbedenklich der Kategorie Jugendbuchliteratur zugeordnet werden, sind für den Literaturkenner - oder auch für die Gesellschaftswissenschaft verschlüsselte Kritik des Autors an Anschauungen und Lebensstil seiner Umwelt. Inwieweit bei der Illustration solcher Texte das phantastische Element der Erzählung oder das unrealistische Geschehen den Erfahrungen im gesellschaftlichen Umfeld entsprechen und dies bildhaft vom Künstler aufgegriffen wird, mag nützlich für die Beantwortung der oft diskutierten Frage sein, ob ein Text durch die Illustration erweitert oder sogar vertieft werden kann. In Hauffs Geschichte „Der junge Engländer" aus dem Zyklus „Der Scheik von Alesssandria und seine Sklaven" werden die kleinbürgerlichen und engstirnigen Bewohner einer süddeutschen Kleinstadt durch den Zuzug eines wortkargen Fremden in Unruhe versetzt. Dieser lebt lange Jahre völlig isoliert und befaßt sich mit geheimnisvollen Studien, bis dann eines Tages ein kleiner Wanderzirkus sein bemerkenswertes Programm mit einer Reihe gelehriger Tiere vorführt. Kaum ist der Zirkus am nächsten Tag weitergezogen, als der „fremde Herr" mit unbekanntem Ziel die Stadt verläßt. Am Abend kehrt er in seinem Mietwagen in Begleitung eines jungen Mannes zurück. Im Städtchen wird dieser nun von seinem Gastgeber beim Bürgermeister und den anderen Honoratioren als sein Neffe aus Übersee vorgestellt, der die deutsche Sprache, europäische Sitten und städtische Geselligkeit kennenlernen solle. Das Mißtrauen und der Ärger über die bisherige Absonderung des gelehrten Fremden verwandelt sich allseitig schnell in erfreute Kontaktaufnahme und gespannte Neugier auf die näheren Umstände des jungen Mannes mit seinen merkwürdigen Bewegungen, spontanen und skurrilen Einfallen, Sprachschwierigkeiten und gelegentlichen Zornesausbrüchen. Sein Äußeres, insbesondere sein Gesicht, findet man nicht anziehend, aber interessant: Die Kinnlade steht stark hervor. Er macht oft merkwürdige Grimassen und fletscht die Zähne, aber an Gelenkigkeit kann es ihm niemand gleichtun. Durch seine Ungewöhnlichkeit gewinnt er alle Herzen, nicht zuletzt auch die weiblichen. „Der Fremde" meldet den Neffen nach einiger Zeit bei einem französischen Tanzmeister
zum Tanzunterricht an. Dort erscheint dieser mit einem roten Frack, mit grünen Hosen an den auffallend kurzen Beinen und mit langen Handschuhen. Seine Ungebärdigkeit und oft unkontrollierten, kühnen Sprünge bei den Lehrstunden werden bald bekannt. Auch bei gelegentlichen Einladungen zu den Gesellschaften der örtlichen Prominenz beträgt sich der exotische Jüngling meist flegelhaft. Man schreibt dies alles seiner Herkunft aus Übersee zu und nennt ihn den „Engländer", offenbar in der Annahme, daß die Herrschaft über ein weltweites Kolonialreich der Jugend dieses Volkes internationale Sitten vermittelt habe, die als modern anzusehen seien, eine Annahme, die sich ja bis heute erhalten hat. Der alte Herr muß sich für die groben Ungehörigkeiten seines Neffen oftmals entschuldigen. Aber auch das Benehmen der Ortsjugend verwildert in Nachahmung des schlechten Beispiels zusehends, bis eines Tages - anläßlich einer großen Konzertveranstaltung in Anwesenheit seines Onkels und Erziehers - der junge Mann im roten Frack durch den Trubel erregt einen Wutanfall bekommt und nur mit starken Kräften gebändigt werden kann. Er verliert dabei Perücke und Halstuch, so daß sein Status als dressierter Orang-Utan nicht länger verborgen bleibt. Seinen Bewunderern verschlägt es die Sprache, doch die Jugend jubelt über das einzigartige Ereignis. Jiri Behouneks Illustration verdichtet die unverkennbare Kritik, die der Autor am gesellschaftlichen Verhalten seiner Zeitgenossen übt. Die Alteingesessenen sind stets tief gekränkt, wenn ein neu Hinzuziehender sie wie Luft behandelt und den Neugierigen keinerlei Gesprächsstoff liefert. Das Unbekannte, das Exotische und Ungewöhnliche, ist von einem geheimnisvollen Reiz umgeben. Oft wird ihm Respekt gezollt, und man bemüht sich, allem Ungewöhnlichen das Etikett des Modemen zu verleihen, um sich nicht dem Vorwurf der Rückständigkeit auszusetzen. Unglaublich schnell gelangt jemand ohne erkennbare Verdienste, nur mit Dreistigkeit und Lautstärke, auf einen besonderen Posten. Im nachhinein versteht niemand mehr, wer alles dazu beigetragen hat, da doch schon wegen der Physiognomie äußerstes Mißtrauen angebracht war. Der Künstler zeigt den exotischen Neuankömmling als übergroßen Beherrscher der kleinbürgerlichen Welt. Höhnisch verlacht er ihre Dummheit. Ihre Köpfe ragen nur bescheiden in den unteren Teil des Bildes hinein. In der linken Ecke, mit dem großen Zweispitz auf dem Kopf, scheint der Tanzmeister zu sein. Sein Gesichtsausdruck könnte Erinnerungen an turbulente Szenen spiegeln, die ihn wegen des unbändigen Verhaltens seines Schülers schon an dessen menschlicher Normalität zweifeln ließen. Aber die ansehnlichen Entschuldigungsgelder des „Onkels" hatten weiteres Nachdenken erübrigt. Das junge Mädchen über ihm ist die einzige Person, welche die Wundergeschichte noch nicht durchschauen will. Schwärmerisch blickt sie aufwärts, doch keineswegs in
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das grinsende Affengesicht über sich, sondern in die Ferne, wo ihr Traumbild von einem glänzenden jungen Mann aus dem reichen Ausland noch nicht ganz verschwunden ist. Das andere Frauengesicht am unteren Bildrand hat sich offenbar realistisch und ohne Emotion mit den veränderten Fakten abgefunden, anders als der biedermeierlich frisierte Mann neben ihr. Über den Rand des Kneifers hinweg blickt er verlegen am Betrachter vorbei, wobei sein Mund eine gewisse Bedrücktheit
verrät, daß er sich so hat nasführen lassen. Dem großen Kopf neben ihm aus dem Kreis der Stadtprominenz liegt solche Selbstkritik fern. Das wohlgeformte Doppelkinn in den großen Vatermörder gebettet, zeigt sein selbstbewußter Blick über den Kneiferrand, daß der kleine Irrtum und die allgemeine und nicht nur individuelle Blamage seine kommunale Bedeutung nicht beeinträchtigen kann. Fast scheint er den Betrachter zu fragen: „Wärest Du nicht ebenfalls auf den Schwindel hereingefallen?"
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tränenden Augen Alice und dem Greif von ihrem Schulunterricht erzählt, davon, daß ihr Unterrichtsprogramm besonders elitär gewesen sei und daß es außer Musik und Französisch auch Waschen umfaßt habe. Und in gewissen langsameren und sich windenden Bewegungen hätten sie Unterricht von einem Seeaal erhalten. Aber weder Mock Turtle noch der Greif können Alice dies vormachen. Sie sind zu steif.
111-12 Prachaticka, Marketa Lewis Carroll
Alenka ν kraji divu a za zrcadlem (Alice im Wunderland und hinter den Spiegeln) Übersetzung Aloya und Hanna Skoumal Mit 32 Illustrationen von Marketa Prachaticka Prag, Albatros, 1983
Mit äußerst sparsamen Mitteln wird die „Schildkrötengeschichte" in ihren drei wichtigsten Episoden zusammengefaßt. Durch die Betonung der Diagonale werden die drei Bilder miteinander verbunden und in eine gewisse Spannung gebracht. Die feine Schraffur erweckt den Eindruck von oben einfallendem Licht, das eine auf tschechischen Illustrationen häufig zu findende atmosphärische Stimmung des Entrücktseins vom realen Geschehen bewirkt.
161 S.,4°,OLwd. Abb. S. 57 Lit.: Toward a modem conception of Carroll's Alice. Komentar in: Zbomik BIB, Nr. 7, 1981, Bratislava 1982; U. v. Kritter (Hrsg.), Literarische Bilderwelten des 20. Jahrhunderts, Teil IV, Großbritannien und USA, Katalog Bad Homburg v.d.H. 1994.
Die beiden weltberühmten Kinderbücher des englischen Mathematikers Lewis Carroll - „Alices Abenteuer im Wunderland" und „Alice hinter den Spiegeln" - haben durch ihre surreale Phantasie, ihre Verfremdung der Sprache und ihre Wortspiele immer wieder Künstler zur Illustration angeregt, so auch Marketa Prachaticka, die sich insbesondere als Gestalterin von Kinderbüchern einen Namen gemacht hat. Ihre ganzseitigen, mit schwarzem Kugelschreiber angefertigten Zeichnungen machen bei allem Phantasiereichtum im Vergleich zu anderen Illustrierungen des Themas einen auffallend unterkühlten Eindruck.
In dem Irrgarten, in dem Alice alle möglichen Tiere und wunderlichen Personen antrifft, hat sie mit diesen lebhafte Diskussionen und ungewöhnliche Erlebnisse, bei denen ihre Auffassungsgabe, ihre Schlagfertigkeit und ihre Kraft zur Anpassung oder Ablehnung auf die Probe gestellt werden. Es zeigt sich, daß sie sich weder durch bizarre Logik verblüffen noch zur Inkonsequenz gegenüber ihrem eigenen Empfinden verleiten läßt. Sechs Jahre nach dem weltweiten Erfolg von „Alices Abenteuer im Wunderland" erschien 1872 die Fortsetzung „Alice hinter den Spiegeln". Die Regeln von Raum und Zeit sind hier auf den Kopf gestellt. Alle denkbar möglichen Ordnungen werden, sobald sie auftauchen, schon wieder durchkreuzt, wodurch komische Situationen, humoristische oder ambivalente Wortspiele ihren Schwung einbüßen. In „Hinter den Spiegeln" vertieft der Autor - Dozent für Mathematik und Logik an der Oxforder Christ Church Universität - noch die Einsicht, daß die Regeln der logischen Berechenbarkeit keine unwiderlegbare Zuverlässigkeit für sich in Anspruch nehmen können.
Die vorliegende Abbildung - aus drei selbständigen Zeichnungen in drei Ebenen zusammengesetzt - zeigt Alices Begegnung mit dem Greif und der Schildkröte. Der Einfluß des ersten Illustrators John Tenniel ist erkennbar, doch sind die drei Figuren hier skizzenhafter, weniger naturalistisch dargestellt. Alice ist das typische Schulmädchen jener Zeit, in langem Kleid und hohen Stiefelchen und mit langem, bis auf die Schultern fallenden Haar. Aufmerksam fragende und beobachtende Augen beherrschen das zarte Gesicht. Der Greif, ein Fabeltier, aus dem Altertum und aus der Kunst Mesopotamiens in die römische Sakralkunst übernommen, erinnert mit seinem großen Schnabelkopf, den überlangen Gliedmaßen, den Flügeln und dem langen, gewundenen Schweif an Reliefschmuck auf Säulenkapitellen in romanischen Kirchen und Klöstern. Der Autor hat auf eine genauere Schilderung dieses Wesens verzichtet und auf die bildliche Darstellung verwiesen. So wird die Zusammenarbeit von Erzähler und Illustrator, der Einklang von Wort und Bild geradezu gefordert.
Die kühle Exaktheit von Marketa Prachatickäs Illustrationen steht in deutlichem Kontrast zu der phantastischen Fülle von Dusan Källays Illustrationen zu Carrolls berühmtem Werk (s. Nr. IV-8).
Auf der obersten Bildebene sieht man Alice, die von der Königin zum Greif gebracht worden ist, der, aus dem Schlaf in der Sonne erwacht, sich die Augen reibt. Die Königin wendet sich, die überlange Schleppe nach sich ziehend, neuen Aufgaben zu. Im mittleren Bildteil sitzt die Schildkröte an den Uferfelsen gelehnt und blickt auf das heranwogende Meer hinaus. Man kann selbst aus der Rückenansicht feststellen, daß sie sich mit einem großen Tuch die Tränen aus den Augen wischt. Die untere Bildebene illustriert die Szene, in der die Schildkröte mit
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111-13 Janecek, Ota Oscar Wilde
St'astnyprinc
(Der glückliche Prinz)
Übersetzung aus dem Englischen von Arnost Vanecek Mit zahlreichen farbigen Illustrationen von Ota Janecek Prag, Artia, 1969
Nachtigall und die Rose" (vgl. Nr. 1-16) ebenso wie in „Der glückliche Prinz" verwendete Motiv der Selbstaufopferung eines Tiers, bei dem das Mitgefühl eines sensiblen Vogels mit dem Leid der Menschen als Beispiel für die Großherzigkeit des kreatürlichen Empfindens und die enge Verbindung von Tier und Mensch steht, findet sich auch schon in der frühen asiatischen Literatur.
51 S.,4°, OLwd.
In der Beschreibung vom glücklichen Prinzen gibt der Autor zunächst seiner ästhetischen Neigung nach und stellt den prunkvollen und publikumswirksamen Rahmen des Geschehens vor. Das auf einem hohen Sockel über die Häusergiebel hinausragende Prinzendenkmal ist mit unzähligen Goldplättchen bedeckt. Im Gesicht strahlen als Augen zwei große Saphire, und den Schwertgriff schmückt ein tiefroter Rubin. Der äußere Reichtum soll das Glück im Herzen unterstreichen. Der Autor übersieht dabei, daß die schmückenden Äußerlichkeiten den psychologischen Wert der Erzählung belasten und sie dem Bereich der Unterhaltungs- oder Jugendliteratur annähern. Der Kontrast zwischen leblos prunkendem Reichtum auf der einen Seite und bitterer Armut und aufopfernder Hilfsbereitschaft auf der anderen ist sentimental übersteigert. Wilde hat diese Schwäche seiner frühen Erzählungen selbst zugegeben.
Abb. S. 5, 20. Lit.: P. Hartmann, Biographies and studies, Prag 1973; L. Loubal, Ota Janecek, Prag 1988; L. Hlaväcek, Ota Janecek, Prag 1989.
Oscar Wildes Verhältnis zur Kunst war zwiespältig. Einerseits befürwortete er ein zweckfreies ästhetisches Empfinden und Erleben sowohl des Künstlers als auch des Kunstbetrachters, andererseits forderte er, die Kunst habe eine soziale Aufgabe zu erfüllen. In seiner Selbstdarstellung wie auch in seiner Arbeit schwankte er zwischen diesen beiden Polen. Abgesehen von früheren kunst- und literaturkritischen Essays begann Wildes eigentliche schöpferische Arbeit erst in seinem 38. Lebensjahr, als er seine Rezensionstätigkeit bei der Zeitschrift „Women's World" aufgab und begann, eigene Erzählungen und Märchen zu verfassen, von denen „Das Bildnis des Dorian Gray" ihn als Schriftsteller international bekannt machte. Am meisten lag Wilde am ästhetischen Effekt. Zuweilen scheint es ihm mehr auf eine originelle Form, verbunden mit zeitbezogenen Anspielungen als auf die Vertiefung einer künstlerischen Idee anzukommen. In der Literatur schätzte Wilde eine erdichtete Realität, die die Unzulänglichkeiten des Alltags übersieht. Andererseits konnte Wilde die sich zuspitzenden sozialen Probleme trotz seines starken Hangs zum Dandytum nicht völlig übersehen. Zur gleichen Zeit, als er seine Märchen und Erzählungen verfaßte, erschien eine Dokumentation des „Board of Trade" über das erschrekkende Elend in den Slums.
Als der steinerne Prinz eines Tages durch eine kleine Schwalbe auf seiner Schulter erfahrt, welche Not in der Stadt herrscht, bittet er sie, ihm bei der Linderung dieser Not zu helfen. Nach und nach löst das Vögelchen die Goldblättchen von seinem Panzer ab, bricht die Edelsteine heraus und bringt sie den Bedürftigen. Selbstlos verzichtet es dabei auf den lebenserhaltenden Flug in den wannen Süden und wird eines Tages erfroren am Fuße des nun unansehnlich gewordenen Prinzendenkmals gefunden. Die poetischen Illustrationen von Ota Janecek stehen dem anrührenden Märchenthema der Aufopferung eines Tieres für die menschlichen Nöte näher als Wildes Text. Die zart aufeinander abgestimmten und ineinander flie-
Seine Märchen lehnen sich deutlich an das Vorbild Hans Christian Andersens an, ohne jedoch dessen dichterische Ausstrahlung zu erreichen. Das in dem Märchen „Die
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ßenden Farben, die teilweise an Seidenmalerei erinnern, begegnen häufiger im tschechischen Illustrationsstil.
durch die pfeilschnell dahinfliegende Schwalbe kontrastiert, die nach verborgenem Leid hinter den beleuchteten Giebelfenstern sucht.
In ihrer Sehnsucht nach dem Süden flog die Schwalbe manchmal des Nachts über den Fluß und sah dort die Positionslampen an den Masten der Schiffe hängen....
Nicht das zunächst reich geschmückte und am Ende seiner Pracht beraubte Prinzendenkmal steht im Mittelpunkt von Janeceks Illustrationen, sondern eine Vielzahl an Vogelszenen, bis hin zum Abschied der Schwalbe von dem stummen Standbild, und Traumbildern, die an Janeceks freie Malertätigkeit erinnern.
Äußerst stimmungsvoll erfaßt Janecek die Atmosphäre dieser Szene: Die ruhige Statik der von der Takelage durchkreuzten Masten im feuchten Wasserdunst wird
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Jarmila Urbänkovä
Betreten wir nicht die Schwelle der Heimat? Ersehnte Landschaft, wir sind schon da! Wo die Brandung der Wellen mit der Promenade zusammenfließt, Erblickten wir die Möwe. Werden wir Tschechow begegnen? (Übersetzung H.-J. Haertel)
111-14 Jirincova, Ludmila Jarmila Urbänkovä Vsecky moje krajiny (Alle meine Landschaften) Mit Illustrationen von Ludmila Jirincova Prag, Ceskoslovensky spisovatel, 1986 57 S., 8°, OBrosch.
Eine ähnliche poetische Grundstimmung wie dieses Gedicht vermitteln die Illustrationen, die zum Teil mit den Texten korrespondieren, zum Teil jedoch auch für sich stehen. Das ausgewählte Bild hat keinen unmittelbaren Bezug zu den Gedichten, sondern bezieht sich auf die Miniatur auf dem Umschlag. Über eine üppige, blaugrüne südländische Landschaft geht der Blick auf das ruhige Meer, kaum abgelenkt durch zwei Schmetterlinge im Vordergrund, ein oft im Werk Ludmila Jirincoväs wiederkehrendes Detail. Im Dunstschleier, den die Sonne noch nicht zu durchdringen vermag, zeichnet sich die Silhouette eines phantastischen Schiffes ab. Dessen hoch aufragendes Heck erinnert an die Schwanzflosse eines an der Wasseroberfläche spielenden Fisches. In feinen Strichen, den einzigen linearen Elementen des überaus weich konturierten Bildes, sind die Ankerkette und der Mast, welcher die Mittelachse markiert, hervorgehoben. Ist es vielleicht das Schiff aus der griechischen Sage, die Argo, auf der Jason mit seinen Gefährten in die Kolchis fuhr, um das goldene Vlies zu rauben? Zwei Gedichte über die Krim, vor allem eines über Suchumi, in dem von Medea die Rede ist, rufen diese Assoziation hervor. Die Möwe in der letzten Zeile des Gedichts „Landung in Jalta" ist offenbar eine Anspielung auf das gleichnamige Theaterstück von Tschechow, der selbst zeitweise auf der Krim gelebt hat und in der abschließenden Frage sogar namentlich genannt wird. Charakteristisch für Ludmila Jirincoväs Kolorierung sind die gedämpften, sanft ineinander übergehenden Farbtöne, die eine geheimnisvolle, fast magische Stimmung vermitteln.
Abb. Umschlag, S. 33 Lit.: Encyklopedie ceskeho vytvameho umeni, Prag 1975.
Zwei wesensverwandte Vertreterinnen einer Generation, die Dichterin Jarmila Urbänkovä und die Graphikerin Ludmila Jirincova, haben gemeinsam dieses Album poetischer Landschaftsbilder geschaffen. In dreißig Gedichten zartfühlender Lyrik erstehen vor dem geistigen Auge des Lesers Städte und Landschaften in der Tschechoslowakei und in anderen Gegenden Osteuropas. LANDUNG INJ AL TA Perlmutterfarbe hat die Dämmerung auf das Meer gelegt, Sanft stößt die Flut an die Felsen des Landes, Wie aufSchwingen von Schwänen gleiten wir ans Ufer. Das Schiffhaben warme Bnsen in die Arme genommen. In spätem Lodern, wie aufniedergefallenen Flamingofedern Tragen uns die Wellen. Und Flaggen an der Mole hätten sich fast losgerissen, Als wollten sie uns entgegenfliegen wie Scharen von Vögeln. Dann entflammten plötzlich in jähem Dunkel Lichtkränze gleich einer Begrüßungsmusik -
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III-15 Kudlacek,
russischen Maler Alexandre Benois. Sie war dem Stil der russischen Bilderbögen (Lubok), der in dieser Zeit in der jungen russischen Kunst sehr beliebt war, nachempfunden. Bei der Aufführung wirkten berühmte Tänzerinnen und Tänzer der russischen Schule wie Tamara Karsawina und Waclaw Nijinski mit. (Die unten abgebildete Photographie Nijinskijs ist dem Katalog „The Art of Enchantment. Diaghilev's Ballets Russes 1909-1929", San Francisco 1988, entnommen.)
Jan
Igor F. Strawinsky - Alexandre Benois
Petruska Erzählt von Olga Hejnä Mit Illustrationen von Jan Kudlacek Prag, Artia, 1970 62 S., 8°, OLwd. Abb. S. 12 Lit.: Β. Stehlikovä, 35 tschechoslowakische Illustratoren 1953-1988, Prag 1988.
Für die Aufführung im Prager Nationaltheater schrieb Olga Hejnä die Geschichte von Petruschka in tschechischer Sprache. Gewöhnlich verfaßt der Choreograph für seine Darbietung ein eigenes Libretto, das in Details von anderen Darstellungen abweichen kann. Die Autorin hat die Erzählung von Petruschka, ein Produkt der russischen Jahrmarktskultur, aus Erzählungen ihrer Großmutter, die als Kind vor der Revolution in Rußland lebte, kennengelernt. Petruschka, eine Koseform des Namens Peter, ist, ähnlich wie das deutsche Kasperle, die wichtigste und beliebteste Figur des russischen Puppentheaters. Auf den Jahrmärkten und Plätzen wird das Stück vor allem in der Woche vor der Fastenzeit von Puppenspielern dargeboten. Die unkomplizierte Geschichte spielt im Petersburg des Jahres 1830. Durch sein Flötenspiel erweckt der Puppenspieler Scharlatan drei seiner Puppen zum Leben: Petruschka, die Tänzerin und den Mohren. Petruschka verliebt sich in die Tänzerin, diese aber wendet sich dem bösen Mohren zu. Als die beiden sich im Walzer drehen, tritt der eifersüchtige Petruschka dazwischen und wird von dem Mohren aus der Szene gestoßen. Im vierten Bild tötet der Mohr Petruschka im Duell. Dessen Geist erscheint über dem Bühnenrand, während sich die gleichgültige Menge zerstreut. Petruschka gehörte niemals zur Jahrmarktskultur Mitteleuropas. Entsprechende Protagonisten in diesem Raum waren Doktor Faustus, Kasperl und Eulenspiegel. Den beiden letztgenannten begegnete man auch auf Jahrmärkten in Böhmen, Mähren und in der Slowakei. Hier waren die Helden aktiv und besiegten ihre Gegner. Petruschka dagegen ist eine mehr leidende Figur und sieht oftmals eine Lösung im Tod. Insofern ist Petruschka dem Typus des Pierrot ähnlich. Diese innere Verwandtschaft ist leicht zu erklären, denn die französische Sprache und Kultur war im 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts in russischen Adelsfamilien allgemein gebräuchlich. Igor Strawinsky (1882-1971) schuf auf Anregung von Sergej Diaghilew, dem Organisator der „Balletts Russes", Libretto und Vertonung für das Ballett „Petruschka" als „burleske Szenen in vier Bildern", wofür er viele Motive der russischen Volksmusik verwandte. Am 13. Juni 1911 wurde das Ballett im Theatre du Chatelet in Paris uraufgeführt. Die Ausstattung stammte von dem
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In den Illustrationen von Jan Kudläcek kommt seine Liebe zum Puppentheater deutlich zum Ausdruck. Die abgebildete Illustration zeigt die Tanzszene in der Familie, in der Petruschka ursprünglich als Puppe lebte. Die Kleidung der Personen und die Bilder im Hintergrund, die auch an Lubok-Bilder erinnern, haben russisches Kolorit. Die großen Augen der Figuren sind für Kudläceks Stil typisch. Insofern folgt er dem Vorbild des Puppenspielers und Illustrators Jiri Trnka. Verglichen mit anderen Illustratoren herrscht bei Kudläcek das dekorative
Element vor. Zu den Klängen der Balalaika, die ein glatzköpfiger, bärtiger Mann spielt, tanzen ein junger Bursche in Stiefeln und ein Mädchen mit geblümtem Kopftuch, zwischen ihnen der kleine Titelheld in seinem bunten Gewand. Auf der dunklen Wand im Hintergrund der Szene sind drei Bilder in volkstümlichem Stil, links mit einem Reiter und rechts mit einem Blumenstrauß, zu sehen. In der Mitte hängt ein Lubok-Holzschnitt, ein Bild des Katers Alexander, welcher ein Freund des Titelhelden der Erzählung ist.
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Diese Beschreibung hat Vaclav Masek, einen Altersgenossen des Dichters, zu einer seiner neun ganzseitigen Lithographien angeregt. Zwischen emporstrebenden Wolkenkratzern steht eine rundliche Gestalt im Smoking an eine dunkle Wand gelehnt. Wie ein Ballon bläht sie sich auf und droht zu zerplatzen. Arme und Hände, Beine und Füße erscheinen dagegen ungewöhnlich klein - ganz und gar unnatürlich ist die Fettleibigkeit des Kapitalisten. Dies erinnert an die Karikaturen auf sowjetischen Flugbättern und Propagandaschriften. Majakowskij selbst hat derartige Agitationsplakate entworfen: Der Kapitalist ist stets ein dicker Mann in feierlichem Anzug, Weste und Zylinder. Das Gesicht nimmt deutlich Züge eines Schweins an. In den Versen heißt es: „die Künstler zeichneten die Wilsons, Lloyd-Georges, Clemenceaus als Fratzen mit und ohne Schnurrbart". Hinter der Gestalt wird, beleuchtet durch die Leuchtreklame, eine sich nach oben schwingende Treppe in einem Hotel sichtbar. Ein Page eilt einem imaginären Besucher entgegen, hinter ihm tauchen die Köpfe weiterer Diener auf. Darüber baut sich eine Phalanx von Lakaien in Livree und Dreispitz auf, als wollten sie jemanden abschirmen. Unter den gekreuzten Füßen des Dicken krümmen sich die Beine der Beherrschten, andere haben sich unter die Treppe gezwängt, als wollten sie diese stützen. Auf diese Weise soll die Brüchigkeit der kapitalistischen, aus dem Dunkel gespeisten Welt vorgeführt werden.
III-16 Masek, Vaclav Wladimir Majakowskij
150 000000 Übersetzung aus dem Russischen von Bohumil Mathesius Mit 9 ganzseitigen Illustrationen von Vaclav Masek Prag, Melantrich, 1945 103 S„ 8°, OPp. Abb. S. 41 Lit.: Κ. Divis, Knizni grafika Väclava Maska, Prag 1965.
Der russische Futurist Wladimir Majakowskij (18931930) stellt in seinem Poem „150 000 000", das er in den Jahren 1919 bis 1920 niederschrieb, den Entscheidungskampf der zwei Giganten Kommunismus und Kapitalismus in kraftvollen Vergleichen und phantastischutopischen Bildern dar. Das Poem, das in diesen suggestiven Bildern die brodelnde Atmosphäre einer amerikanischen Großstadt erstehen läßt und in stakkatoartigem Rhythmus den Vormarsch der Revolution schildert, fand dennoch nicht die Billigung Lenins, weil der Dichter keinen „rührenden Vers" geschrieben hatte und zudem Gorkij als „Pute" bezeichnete, die „ihre Epigonen-Kücklein befitticht". Daher gingen zunächst nur wenige Exemplare für Bibliotheken und für einige Sonderlinge in Druck. Bereits 1924 wurde das Poem von Johannes R. Becher deutsch nachgedichtet und auch ins Tschechische übersetzt. Majakowskij persönlich deklamierte es auf seine markante Art am 26. April 1926 in Prag im russischen Original. Die vorliegende Übersetzung stammt von dem führenden Russisten Bohumil Mathesius. Die Ausgabe erschien unmittelbar nach Kriegsende in dem traditionsreichen Verlagshaus Melantrich und knüpfte in Gestaltung und graphischer Ausstattung an den Stil der dreißiger Jahre an. Das von Revolution und Bürgerkrieg ausgemergelte russische Volk, auf das sich die Zahl des Titels bezieht, steht wie ein Mann geschlossen auf, um sich dem ungleichen Gegner zu stellen. Es verbinden sich die Überlieferung des russischen epischen Liedes, der Byline, mit dem „Mythos der Helden Homers", der an einer Stelle beschworen wird. Die beiden feindlichen Mächte gewinnen Gestalt in Ivan, der das russische Volk verkörpert, und in dem amerkanischen Präsidenten Woodrow Wilson, der das Symbol für den Kapitalismus schlechthin ist. Letzterer wohnt in der „elektro-dynamo-mechanischen Stadt" Chicago in einem Luxushotel in 300 Zimmern, abgeschirmt durch uniformierte Lakaien und Kuriere und umschwirrt von Whitemans, Edisons und Lincolns. Er ist dick wie ein Yorkshireschwein, setzt weiter Fett an und wächst von Etage zu Etage. Er trägt einen Zylinder, der wie ein Festungsturm in die Höhe ragt, Dynamit und Flammen spuckt.
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III-17
Jirkü, Boris
zieht sich in eine kleine Werkstatt seines Heimatortes zurück. Die dritte Phase von Macondos Geschichte ist geprägt durch den Bau der Eisenbahn und die Aktivitäten amerikanischer Gesellschaften beim Anbau und Export von Bananen. Ein Heer von ortsfremden Gelegenheitsarbeitern und ein schneller Geldumlauf verändern die Sozialstruktur Macondos. Schließlich fordern die Arbeiter ihren Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung und klagen ihre Rechte gegen Staat und Unternehmer ein. Aureliano steht auf ihrer Seite und führt einen Kampf gegen Wahl Verfälschung und Regierungstruppen. Das soziale Engagement des Autors und seine Auffassung, daß der Sozialismus sich allenfalls entsprechend den besonderen Bedingungen eines jeweiligen Landes entwickeln könne, finden ihren Niederschlag in dieser Phase des Verfalls von Macondo. Eine große Sintflut verursacht schließlich die Zerstörung des Städtchens und den Niedergang der Sippe. Auch das prophezeihte Schicksal der Folgen des generationenlangen Familieninzests stellt sich ein. Aureliano, der letzte Buendia, erkennt nach der Entzifferung der ältesten Familienschriften, daß Sippen, für die hundert Jahre Einsamkeit vorausbestimmt sind, keine Möglichkeit haben, in das kreisende Räderwerk ihrer Familiengeschichte, der gesellschaftlichen Entwicklung und des Weltgeschehens einzugreifen, um unheilvolle Wiederholungen verhindern zu können.
Gabriel Garcia Märquez Sto roku samoty (Hundert Jahre Einsamkeit) Übersetzung von Vladimir Medek Mit 34 ganzseitigen und doppelseitigen farbigen Illustrationen und mit farbigen Vignetten nach Tempera-Originalen von Boris Jirkü Prag, Odeon, 1986 346 S„ 8°, OLwd. Abb. S. 77 Lit.: Soucasnä ceskä kniha, Katalog Prag 1990.
In seinen international erfolgreichen Romanen versteht es Gabriel Garcia Märquez, Phantastisches und Wirkliches miteinander zu verbinden und eine eigentümliche imaginäre Welt zu entwerfen. Oft ist diese Welt roh, aber gleichzeitig auch zärtlich. Die vielfach unrealistische und fabulierende Erzählweise des Autors wurde entscheidend durch die magisch-phantastischen Erzählungen seiner Großmutter Tranquilina, bei der er die ersten sechs Jahre seiner Kindheit verbrachte, geprägt. Für diese Erzählungen gab es keine Grenze zwischen Diesseits und Jenseits. Politisch steht der Autor auf der Seite der Armen. Er wendet sich gegen die Unterdrückung und gegen die wirtschafüiche Ausbeutung durch das Ausland. Mit seinem 1967 in Argentinien erschienenen Roman „Hundert Jahre Einsamkeit" schuf Garcia Märquez ein für ganz Südamerika gültiges Nationalepos über die kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert.
Als der tschechische Kunststudent Boris Jirkü nach eigener Aussage Schwierigkeiten mit sich und dem Studium hatte, beschloß er, etwa 100 Illustrationen zu dem Roman „Herbst des Patriarchen" des kolumbianischen Schriftstellers Gabriel Garcia Märquez als Diplomarbeit vorzulegen. Von diesem erzählerischen Werk war er fasziniert. Wegen der hohen Qualität seiner Darstellungen wurde eine Verbindung zum Verlag Odeon hergestellt, für den Jirkü seitdem die Werke des südamerikanischen Nobelpreisträgers illustriert. Seine „Chronik eines angekündigten Todes" wurde als schönstes Buch des Jahres 1984 ausgezeichnet. Danach übernahm Jirkü die Gestaltung der dritten Auflage der tschechischen Übersetzung von „Hundert Jahre Einsamkeit".
Der Ort des Geschehens, das fiktive Dorf Macondo, das der Autor teilweise nach dem Vorbild seines Geburtsortes Aracataca zeichnet, steht exemplarisch für ein beliebiges südamerikanisches Dorf. Die Geschichte Macondos von seiner Gründung bis zum Untergang ist eng verbunden mit dem Schicksal der Familie Buendia, die dort seit Generationen untereinander geheiratet hat und deren Genealogie durch die Blutschande undurchschaubar geworden ist. Die Prophezeihung der Folgen eines solchen Inzestes durch einen Zigeuner wird am Ende durch die Geburt des „Kindes mit dem Schweineschwanz", das aus der Verbindung des letzten Aureliano Buendia mit seiner Tante hervorgeht und dann von Ameisen gefressen wird, erfüllt. Das Dorf Macondo geht unter.
Entsprechend dem brutalen und auch wieder poetischen Charakter des Werkes werden von Boris Jirkü die Figuren ausdrucksstark und dynamisch in hell leuchtenden Temperafarben gemalt. Auf der Abbildung sitzt die blinde hundertjährige Stammutter der Familie Buendia, Ursula, auf der Veranda ihres Hauses. Die Tochter Amaranta und die Stieftochter Rebeca lehnen sich an ihr Knie und ergreifen zaghaft die Hand der Urahnin. Wie durch ein Weitwinkelobjektiv gesehen, verschieben sich die Proportionen, und alles, was sich im Vordergrund befindet, erscheint unverhältnismäßig größer als das entfernter Liegende. Es ist eine für das ganze Illustrationswerk des Künstlers charakteristische Kompositionsweise. Wie durch Überbelichtung verschwimmen bewegte Körperteile zu Streifen oder Flächen. Die photographische Perspektive entspricht packend der eigentümlichen Struktur der Erzählung. Immer wieder lenken in der vorliegenden
Die Entwicklung Macondos vollzieht sich in fünf Phasen. Zunächst erweitert der Zuzug von Zigeunern die an einem glasklaren Fluß im dichten Tropenwald gelegene Ansiedlung von 20 Hütten. Angesichts des erfolgreich aufblühenden Handels drängen sich staatliche Autoritäten ins Dorf. Aureliano Buendia organisiert 32 Aufstände, die er alle verliert. Die Macht, die er schließlich doch erlangt, entfremdet ihn allmählich von seinen kämpferischen Zielen ebenso wie die aus seiner Unfähigkeit zu warmherziger Liebe gescheiterten zahlreichen Ehen. Er
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Abbildung die ernsten Gesichter der beiden Mädchen, vor allem ihre Augen, den Blick des Lesers auf sich. Indem der Künstler die zweidimensionale Ebene der Buchseite durchbricht, will er nach eigener Aussage nach dem
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Vorbild der mexikanischen Wandmalereien von Alfaro Siqueros und Jose d e m e n t e Orosco eine Raumtiefe erreichen, um den Leser unmittelbar in die Handlung miteinzubeziehen.
111-18 Born,
Adolf
Karel Capek Valka s mloky (Der Krieg mit den Molchen) Mit 35 farbigen Illustrationen von Adolf Born Prag, Ceskoslovensky spisovatel, 1986 237 S„ 4°, OLwd. Abb. S. 75 Lit.: Β. Stehlikovä, Adolf Born, Prag 1988; A. Born, Mym närodüm, Prag 1990; M. Macourek, Hovory s Bomem, Prag 1991.
Dieser Roman aus dem Bereich der Science fiction ist eine vielschichtige Satire auf die politischen, ökonomischen, sozialen, ethischen und kulturellen Verhältnisse Europas in der Zwischenkriegszeit. Zudem kann er auch als eine Zukunftsvision vom Schicksal der sich explosiv vermehrenden Weltbevölkerung und den immer krasser werdenden Unterschieden in den Lebensbedingungen der hochindustrialisierten und der unterentwickelten Länder betrachtet werden. Die Gültigkeit des Romans reicht bis in die heutige Zeit, da all diese Themen ihre Aktualität nicht verloren haben. Der Autor erfindet eine prädiluviale Amphibie, deren urzeitliche Existenz dem großen Schweizer Naturforscher des 18. Jahrhunderts Johann Jakob Scheuchzer entgangen ist und die ihm zu Ehren mit dem Namen des von ihm entdeckten fossilen Riesensalamanders Andrias scheuchzeri bedacht wird. Der Molch ist im Roman eine Gestalt mit mannigfaltigem Symbolgehalt. Als sensationeller Fund enthüllt er die Art und Weise, in welcher durch die Zeitung und andere Medien Sensationen geschaffen und vermarktet werden. Als tumbes Arbeitstier wird mit ihm die skrupellose Ausnutzung der arbeitenden Massen angeprangert. Schließlich wird mit dem Molch als machthungrigem Moloch ein politisches Kräfteverhältnis geschildert, das schon in der damaligen Zeit durchaus der Realität entsprach. Die Forderungen der Molche nach mehr Land, denen seitens der anderen Staaten kein entschiedenes Nein entgegengesetzt wird, erscheint wie eine Vorwegnahme des Münchener Abkommens, welches 1938 (zwei Jahre nach Erscheinen des Romans) geschlossen wurde. Entdeckt wird eine Horde dieser schwarzen, im seichten Wasser lebenden Salamander, die sich aber auch aufrecht mit zwei Beinen und dem känguruhartigen Schwanz am Strand bewegen können, von einem Handelssegler in der abgelegenen Inselwelt der malayischen Gewässer. Die neugierigen und kontaktfreudigen Amphibien verstreuen Perlen als Gastgeschenk an ihre Besucher. Der wackere Kapitän schenkt ihnen als Gegengabe handliche Messer und demonstriert damit, um wieviel leichter sich mit solchen Hilfsmitteln Perlenmuscheln öffnen lassen. Bald braucht man in den geheimgehaltenen Buchten keine Singalesen mehr zum Tauchen. Tonnenweise gelangen Perlen nach Europa. Ein geschäftstüchtiger Unternehmer, Herr Bondy, gründet alsbald ein weltweites Vertriebssyndikat.
Mit väterlicher Yacht und in Begleitung seiner goldblonden Freundin macht sich Mr. Abe, in den USA weithin bekannt als Baseball-Fred, erfolgreich auf die Suche nach den merkwürdigen Echsen. Seine Photoausbeute reicht zur Verbreitung in Hunderten von Journalen, Wochenschauen und Magazinen Amerikas aus. Die in Zoo-Aquarien gepflegten Molche beweisen erhebliche manuelle Geschicklichkeit, Nachahmungsfahigkeit und Sprechtalent. Sie lassen sich bei passender Anleitung für Erd- und Maurerarbeiten und insbesondere auch für Arbeiten unter Wasser vorzüglich verwenden. Als billigste Arbeitskräfte werden sie in großen Mengen nachts an systematisch erforschten Küstenstränden gefangen und international gehandelt. Große internationale Projekte für Landgewinnung, Dammbau, Fortifikation und Hafenerweiterung bieten jetzt keinerlei Probleme der Realisierung mehr. Als geradezu verblüffend erweist sich die Arbeitswilligkeit der Molche bei gleichzeitiger Anspruchslosigkeit hinsichtlich Ernährung, Bekleidung, Hausrat, Heizung, Wohnung, Urlaub, Freizeitunterhaltung u.a. All dies waren für die Molche unbekannte Dinge. Ihr Wohnungsbedarf wird durch Höhlungen und Tunnelstrecken an den Steilufern oder Abhängen unter Wasser trotz des unglaublich schnellen Zuwachses der Horde leicht geregelt. Das Salamandersyndikat, welches vorausschauend riesige Gewinne durch billigste Massenarbeit ohne regionale industrielle Infrastruktur kalkuliert, versorgt die Molche mit Lebensmitteln wie Mais, Rindertalg und Zucker, die unter Wasser als Luxusartikel gelten. Allerdings erregen die in Millionenzahl beschäftigten Molche als eine chaotisch wuchernde Gesellschaftsgruppe ohne Arbeitsverträge allmählich das Mißtrauen der Gewerkschaften. Den Unternehmern sollen soziale Verpflichtungen gegenüber den Salamanderkolonnen auferlegt werden: Freizeitgarantien, Urlaub während der Paarungsperiode im Frühjahr, auch Unterhaltsleistungen und Pflege für Kranke und Behinderte u.ä. Linksorientierte Medien fordern sogar Geburten- und Beschäftigungskontrollen und verweisen auf die kapitalistische Ausbeutung der unbeschränkt leistungswilligen Arbeitskräfte. An den Litfaßsäulen erscheinen Plakate mit der Aufschrift „Revolutionäre und unterdrückte Molche der Welt vereinigt Euch!" Mit Bestürzung wird registriert, daß durch die Kenntnis von Maschinenbedienung und einfachen Berechnungen und durch den Einsatz der Molche, welche sich rasch ins Unberechenbare vermehren, ein neuer Abschnitt der Weltgeschichte begonnen hat. Über die Molche ist nur bekannt, daß sie sich aus Vorsicht vor unterseeischen Feinden in Höhlen und eingedämmten Becken aufhalten. Aber in welchem Umfang benötigen sie Festland für ihren Nachwuchs? Gerüchte über kilometerlange Unterminierungen werden laut. Erdbeben und Vulkanausbrüche mit Schlammlawinen werden - nicht ohne wissenschaftliche Begründung - mit dem in die Randgebiete des Festlandes und in die Inseln eindringenden Meerwas-
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ser in Verbindung gebracht. Im Anschluß an ein Seebeben mit haushohen Uferwellen empfangen Radioamateure Botschaften wie:
Borns spielerisches, erotisch unterlegtes Plakatbild scheint auf den ersten Blick nichts von der dramatischen Entwicklung der Ereignisse zu verraten. Doch auch in diesem lustigen Bild gibt es einen versteckten Hinweis auf das Schlußbild des Romans, in dem ein Molchkopf wie eine Wassermine vor einer historischen Präger Brücke aus der Moldau auftaucht.
Nehmt Vernunft an, ihr Menschen, wir brauchen mehr Wasser, mehr Küsten, mehr Sandbänke, um zu leben. Wir sind zu viele. Deshalb müssen wir euer Festland zum Teil abtragen. Wenn wir mehr Buchten und Inseln darausmachen, läßtsich die Länge der Weltküsten vervielfachen. Ihr müßt euch auf die weit überlegene Zahl unserer Existenzen einrichten. Notfalls müßten wir euch mit Gewaltmaßnahmen dazu zwingen. Wir werden dann soweit wie möglich Menschenleben schonen, obgleich ihres uns gegenüber nie getan habt, solange ihr glaubtet, die Herren der Welt zu sein. Und nun beschreibt die Geschichte das Aufbegehren der ursprünglich so friedlichen Salamander, ihre erpresserischen Maßnahmen und schließlich die Gewaltakte mit Dynamit und Waffen, die ihnen in großen Mengen von geschäftstüchtigen Vermittlern geliefert worden sind. Das Ende der Weltherrschaft des homo sapiens steht am Horizont, gleichgültig ob prädiluviale, reaktivierte Molche in milliardenfacher Grabearbeit die Erdkruste von unterhalb der Oberfläche sprengen oder ob Milliarden unversorgter Menschen sich aufmachen, den Wohlstand einer kleinen Gruppe der Weltbevölkerung unter sich aufzuteilen. Adolf Born läßt seiner Phantasie bei der Illustrierung von Capeks Erzählung freien Lauf. Er hebt die parodistischen Züge der Geschichte hervor. Die Abbildung zeigt ein Kinoplakat für den Film des Mr. Loeb, den Vater des sportlichen Abe, vom Abenteuer seines Sohnes mit der blonden Lily auf der Insel Tana Masa beim ersten Zusammentreffen mit den Molchen, die freigiebig echte Perlen am nächtlichen Strand verstreuen. Da Abenteuer und Zukunftsvisionen wie jeder Film, der Erfolg haben soll, mit reichlich Erotik gespickt sein müssen, ist hier eine Gelegenheit, die häßlichen Molche im Zusammenspiel mit „Venus anadyomene" oder einer „neuzeitlichen Aphrodite" vorzustellen. Der glitschige, glatte Schädel des Molches mit den vorquellenden Augen kontrastiert wirksam mit Lilians üppigem Kopfschmuck über ihrem geheimnisvoll verschatteten Blick. Ihr kleines Mündchen, die steife Haltung mit den über der Brust gekreuzten Armen drücken gespannte Erwartung aus, deutlich jedoch in Distanz zu den freundlich grinsenden Gebissen der beiden Meeresbewohner. Ihre langen Handschuhe demonstrieren Abscheu davor, mit bloßen Händen mit der nackten glitschigen Haut des Salamanders in Berührung zu kommen. In der bizarren Kombination eines nackten Vamps mit einer glitschigen Amphibie und einer kleinen Maus, die an Disneys Mickey Mouse erinnert, greift Adolf Born Capeks Ironisierung der Geschmacklosigkeit auf, mit der die Vermarktung der Molchstory vorangetrieben wird.
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III-19 Lada, Josef Schwejk zeichnet die Fähigkeit aus, sich pfiffig aus jeder komplizierten Situation nahezu unbeschadet herauszumanövrieren. Mit seiner ausgeprägten Bereitschaft zum Gehorsam, die jeden Befehl und jede bürokratische Zumutung unterläuft, lächerlich oder sinnlos macht, erweist sich Schwejk als Stratege demokratischer Überlebensfähigkeit. Allerdings gelingt ihm das nur, indem er notfalls auch hart gegen sich und persönliche Unbequemlichkeiten ist. Die Rekrutierungen im Anschluß an den Mord in Sarajewo mahnen Schwejk zu demonstrativer Kampfbereitschaft. Von seiner Haushälterin läßt er sich eine Militärkappe kaufen und von seinem Nachbarn einen Rollstuhl ausleihen, mit dem dieser seinen Großvater ausgefahren hatte, dazu noch zwei verstaubte Krücken. Die anschließende Fahrt durch die Straßen von Prag rührt das Publikum angesichts einer derartigen patriotischen Loyalität. Die ärztliche Rheumatismusbestätigung erspart Schwejk allerdings nicht den Musterungsbescheid.
Jaroslav Hasek
Osudy dobreho vojaka Svejka za svetove valky (Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges) Mit Illustrationen von Josef Lada Prag, Ceskoslovensky spisovatel, 1984 507 S., 8°, Lwd. Abb. S. 72, 80, 97,424 u. 427 Lit.: J. Lada, Kronika meho zivota, Prag 1942.
In der Welt der Buchillustration, im besonderen bei der Bebilderung heiterer Texte, ergeben sich Spitzenleistungen, wenn der Autor seine Texte selbst illustriert. Wilhelm Busch ist ein überragendes Beispiel für den Zusammenklang von Text und Bild. Andererseits gibt es Partnerschaften von Autor und Zeichner, die dem Werk eine so unzertrennliche Einheit verleihen, daß eine andersartige Bebilderung den Text verkümmern ließe. Eine solche Partnerschaft zeigen Josef Ladas Illustrationen zu Haseks „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk". Sie gelangten bereits kurz nach den Jahren ihres Entstehens 1920-1923 zu weltweiter Berühmtheit. In Berlin wurde „Schwejk" nach dem Ersten Weltkrieg in der Darstellung von Max Pallenberg ein ebenso denkwürdiger Bühnenerfolg wie Brechts „Dreigroschenoper". Der Antimilitarismus war schon damals ein zugkräftiges Thema. Hasek hat eine humorvolle satirische Fabel über den privaten Kampf gegen die Militärmaschinerie und die Übermacht einer allgegenwärtigen Bürokratie geschrieben. Als einjähriger Freiwilliger des Prager 28. Regimentes diente er vor 1914 in einem abgetrennten Bataillon im italienisch-sprachigen Trient, wo er das Milieu der unteren und der gehobenen Dienstgrade aus nächster Anschauung studieren konnte. Auch die „brüderliche Gesinnung" zwischen den verschiedenen Nationen des kaiserlichen Vielvölkerstaates war ihm gut vertraut.
Die zur Überführung von Simulanten vom Militärarzt verordneten recht rigorosen Maßnahmen wie Magenauspumpen, Klistiere, Fasten, strenge Diäten u.a. erfordern die vorübergehende Einweisung in ein Lazarett, wo Schwejk das Glück hat, die Zuneigimg einer wohltätigen, adligen Generalswitwe zu gewinnen. Die Unbekömmlichkeit der humanitären Sonderzuwendungen soll von einer ärztlichen Kommission durch Begutachtung des
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Opfer unserer wackeren Krieger in den Kampflinien wären nicht möglich, wenn im Rücken der Armee Elemente auftauchten, die die Einheit des Staates zertrümmern ... usw." Von seinem vorgesetzten Oberst wird der kontaktfreudige Oberleutnant über die Stellungnahme des Divisionsgerichts zu der Rauferei auf der Straße informiert: „Schwejk hat bei der Untersuchung behauptet, daß der Brief nicht von Ihnen, sondern von ihm stamme, und wie er aufgefordert wurde, ihn abzuschreiben, um einen Handschriftenvergleich zu ermöglichen, hat er ihn aufgefressen." Aus den Akten habe sich außerdem Folgendes ergeben: „Der Angeklagte Schwejk weigerte sich, die diktierten Sätze zu schreiben, welche Weigerung er mit der Behauptung begleitete, er habe über Nacht das Schreiben verlernt!" Man kann in dem Gemeinschaftswerk von Jaroslav Hasek und Josef Lada eine enge Geistesverwandtschaft mit der Literatur und den Zeichnungen der mitteleuro-
Zungenzustandes bestätigt werden. „Schwejk streckte die Zunge soweit heraus, daß er eine blöde Grimasse schnitt und seine Augen sich schlossen ...", und als Antwort auf die unwilligen Blicke der Kommission erklärt er: „Melde gehorsamst, Herr Stabsarzt, ich habe keine längere Zunge"· Sein Geschick für die Bewältigung aller militärbürokratischen Hürden kann Schwejk aber auch altruistisch zum Nutzen eines Vorgesetzten einsetzen. Als sich die Aushändigung eines galanten Briefes seines österreichischen Oberleutnants an die Frau eines ungarischen Kaufmanns ungeplant - durch den Umtrunk mit einem alten Pionierkameraden aus Prag - vom Vormittag auf die Mittagszeit verzögert und dieser Brief den Zorn des tafelnden Ehemanns erregt, erklärt Schwejk auf dessen Drohung hin, den Brief dem Regimentsstab und der ungarischen Regionalzeitung zu übergeben, würdevoll: „Den Brief habe ich geschrieben, kein Oberleutnant. Die Unterschrift ist falsch. Ich bin in Ihre Frau bis über die Ohren verliebt!" Damit, daß der vollbärtige Pionierkamerad dem wütenden Hausherrn den fatalen Brief entreißt und den Kaufmann kurzerhand vor die Tür befördert, ist allerdings der Vorfall noch nicht erledigt. Im „Pest Lloyd" ist zu lesen, die Garantie für Österreichs Zukunft läge in der Achtung, welche die Angehörigen der verschiedenen Nationalitäten des Reiches sich gegenseitig zollen. „Die größten
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päischen humoristischen Zeitschriften erkennen. Im Hintergrund stehen natürlich die Bilderfolgen von Wilhelm Busch und die gestalterischen Einflüsse der Zeichner des Münchner „Simplizissimus". Josef Lada zeichnete im Jahr 1923 ähnliche Bilderfolgen aus dem Leben der Dorfkinder und der Haustiere. Im gleichen Jahr zeichnete er für die Sonntagsausgabe der Zeitung „Ceske slovo" eine Bilderfolge zu einer gekürzten Fassung von Haseks „Schwejk". Die 540 Bilder dieser Graphikfolgen sind Anlaß für die erste illustrierte Ausgabe aus dem Jahre 1926.
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Ladas graphisch lineare, naive und textgetreue Illustrationsfolge steht in Verbindung zu den Anfang des Jahrhunderts sich entwickelnden Comic strips. Während jedoch bei diesen die fließende Bilderfolge dominiert und der Text in den Sprechblasen eine untergeordnete Rolle spielt, unterbricht Lada mit seinen in den Text eingefügten Illustrationen die ungehemmte Erzählfreude Haseks, um mit seiner typisierten Gestalt des Soldaten Schwejk die jeweilige Szene zu verdichten und die facettenreichen komischen bis grotesken Begebenheiten noch farbiger und anschaulicher zu vergegenwärtigen.
Eva Sefcäkovä
Hoffmann (um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert tätig).
Buchillustration des 20. Jahrhunderts in der Slowakei
Eine beachtenswerte einheimische Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts ist der Ingenieur, Kartograph, Astronom und Graphiker Samuel Mikoviny (etwa 1700-1750), der die Wiener Ausgabe der „Notitia Hungariae Novae" von Matej Bei (1684-1749) mit zahlreichen Plänen und Veduten illustriert hat.
Das Gebiet der Slowakei, das bis 1918 ein Teil des ungarischen Königreichs und seit 1526 gemeinsam mit diesem ein Teil Österreichs, später Österreich-Ungarns war, zeichnete sich von den Anfängen der Besiedlung bis in die moderne Zeit durch einen beachtenswerten Zusammenklang kultureller Einflüsse aus. Gold- und Silbergewinnung in den mittelslowakischen Bergstädten und die Lage nahe den wichtigsten Handelsstraßen waren nicht nur die überwiegenden Quellen für die königliche Kasse, sondern sicherten auch dem Gebiet zwischen der Donau und dem nördlichsten Bogen der Westkarpaten, der Tatra, vor allem im Mittelalter Kontakte zum gesamten damaligen kultivierten Europa. Träger der kulturellen Tradition, der Bildung und künstlerischer Ambitionen wurde dank seiner unternehmerischen Initiative neben den Klöstern immer mehr das städtische Patriziat. Für die Bedürfnisse der städtischen Schulen entstanden Ende des 15. Jahrhunderts Bibliotheken, die aus Ankäufen in bedeutenden Verlagszentren, vor allem in Wittenberg und Nürnberg, zusammengestellt wurden. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts konnten die Buchimporte und die einmaligen Aktivitäten wandernder Buchdrucker die Wünsche der Leser schon nicht mehr befriedigen. Der Buchdruck wurde während der Reformationszeit in den Städten zum Mittel religiöser Auseinandersetzungen. Für die Situation im Gebiet der Slowakei ist charakteristisch, daß der erste vollständige einheimische Druck in der Volkssprache eine Übersetzung von Luthers „Kleinem Katechismus" war, den David Gutgesel (etwa 15401599) 1581 in Bartfeld (Bardejov) ohne Illustrationen herausgab, während der Stadtpfarrer Kanonikus Mikuläs Telegdi (1535-1586) von den Wiener Jesuiten eine Druckerei beschaffte und sie nach Tymau (Trnava) brachte. Die Stadt wurde 1543 wegen der drohenden Türkengefahr Sitz des Erzbischofs von Gran (Esztergom) und seines Kapitels. Telegdi druckte hier seit dem Jahre 1577 katholische Schriften, zunächst lateinisch, später auch ungarisch und deutsch, seine Nachfolger seit dem 17. Jahrhundert auch slowakisch. Die befürchtete türkische Expansion hat so auf paradoxe Weise der Stadt Tymau kulturelles Wachstum und eine ununterbrochene Tradition des Verlagswesens und des Buchdrucks bis hin zur Zeit der Aufklärung gesichert. Die graphische Ausstattung der Tyrnauer Drucke haben die Jesuiten, welche seit 1635 die Universität leiteten, mehr als neunzig professionellen Kupferstechern anvertraut. Unter den Augsburgern ragen Mauritius Lang (1646-1658 in Wien tätig), die Mitglieder der Familien Küssel und Kilian sowie Jeremias Gottlieb Rugendas (1710-1772) hervor, unter den Wienern Johann Jakob
Die wichtigsten Druckereien bestellten im 19. Jahrhundert ihre Illustrationen, hauptsächlich Porträts bedeutender Persönlichkeiten, bei professionellen Lithographen, vor allem bei Josef Kreihuber in Wien (1800?-l 876), und der hervorragende Porträtist des Zeitalters der slowakischen nationalen Wiedergeburt, Peter Michal Bohün (1822-1879), illustrierte 1848 mit Steingravuren das „Herbarium" des Josef Svatopluk Pressl in Prag. Für kleine Betriebe sind die Rückkehr zu von einem Holzstock gedruckten Illustrationen und die Verwendung eines Vorrats alter Holzschnitte charakteristisch. Sie ergänzen sie durch neue reizvolle graphische Entwürfe, die man in die schöpferische Kategorie „Imagerie populaire" oder unter die Xylographien Wiener und Prager Provenienz einreihen könnte. Große Verdienste für eine Renaissance der Illustration nach dem Jahre 1848 haben die humoristischen Zeitschriften und deren Mitarbeiter, der Zeichner und Gründer der Zeitschrift „Cernoknaznik" (Der Zauberer) Viliam Pauliny-Töth (1826-1877), der Prager Illustrator Karel Krejcik (1857-1901) und nach der Jahrhundertwende die markanteste Gestalt des schöpferischen Zeitalters der tschechischen nationalen Wiedergeburt und Bewunderer der slowakischen Landschaft und Folklore Mikoläs Ales (1852-1913). Im Jahre 1918 wurde die Slowakei ein Teil der Tschechoslowakischen Republik. Zusammen mit mehreren Lehrern, die aus der Tschechei gekommen waren, um bei der Erneuerung des Schulwesens zu helfen, ist auch Jaroslav Vodräzka (1894-1984) nach Martin übergesiedelt. Er wurde Hauptmitarbeiter an der Matica slovenskä bei der Herausgabe und Illustration von Zeitschriften und Büchern für Kinder und schrieb auch selbst viele Kinderbücher. Durch sein Verdienst begannen die bedeutendsten Gestalten des Zeitalters der Herausbildung der modernen slowakischen Malerei, Mikuläs Galanda (18951938) und L'udovit Fulla (1902-1980), sich 1930 der Buchillustration zu widmen, vor allem in den bibliophilen Editionen des Vereins der Bibliophilen der Slowakei. Ihr Interesse an der Herstellung schöner modemer Bücher regte auch die Arbeit an der Schule für Kunsthandwerk in Bratislava (1928-1939) an, die nach den Grundsätzen des Bauhauses in Dessau konzipiert war. Mikuläs Galanda gewann für die Slowakei den ersten internationalen Preis für Illustration, die Silbermedaille auf der Pariser Weltausstellung 1937. Vom Expressionismus inspirierte graphische Verfahrensweisen verwendete Koloman Sokol (geb. 1902) vorteilhaft für die Ausgestaltung von Büchern. Dieser neue
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Zugang zur Illustration wurde zum Programm für Maler und Dichter, die mit der surrealistischen Bewegung sympathisierten. Unter ihnen ragen der Maler Ladislav Guderna (geb. 1919) sowie der Dichter und Schöpfer von beachtenswerten Collagen Rudolf Fabry (1915-1982) als Illustratoren hervor. An seine Illustrationscollagen hat Julian Filo (geb. 1921) 1965 in einem wissenschaftlichen Buch angeknüpft.
Graphik und Illustration einen technischen und formalen Perfektionismus. Zusammen mit Vladimir Gazovic (geb. 1938), der die Technik der Farblithographie im Buch für erwachsene Leser zur Vollendung brachte, hat er die in der Slowakei vergessene Disziplin des Exlibris als präzise graphische Miniatur zur Einführung in ein schönes Buch wiedererweckt. Beide Künstler haben zahlreiche internationale Erfolge erzielt.
Andrej Koväcik (1889-1953), Martin Benka (18881971), Karol Ondreicka (1898-1961), Jan Haid (1890 1959) und Aurel Kajlich (1901-1973) pflegten besonders eine traditionellere Genre-Illustration für Bücher, die in größerer Auflage erschienen. Diese hatte ihre Grundlagen in der linearen Zeitungszeichnung und bediente sich stilisierender Elemente des ausklingenden Jugendstils.
Zu den hoffnungsvollsten, bereits erfahrenen und geschätzten Illustratoren gehören die Absolventen der Schule aus den Jahrgängen 1944-1946 Kamila Stanclovä (geb. 1945), Dusan Källay (geb. 1948, Nr. IV-8), Karol Ondreicka (geb. 1944, Nr. IV-7), Dusan Greener (geb. 1944, Nr. IV-3), Veruna Melcäkovä-Junekovä (geb. 1945) und Igor Rumansky (geb. 1946).
In den Nachkriegsjahren widmeten L'ubomir Kellenberger (1921-1971), Stefan Cpin (1919-1971) und Alojz Klimo (geb. 1922) einen wesentlichen Teil ihrer Aktivität vor allem einer romantisch gestimmten Illustration von Kinderbüchern. Stefan Bednar (1909-1976) bereicherte die Buchkunst um einen sarkastischen Ton, Ernest Zmetak (geb. 1919) verwendete auf originelle Weise Anregungen aus der deutschen expressionistischen Graphik.
Das Gebiet der künstlerischen Buchkultur, vor allem des Kinderbuches, war zu Beginn der sechziger Jahre eine der wenigen künstlerischen Disziplinen, in denen es möglich war, der Zensur des sozialistischen Realismus, die von dieser Doktrin abweichende Malerei und Bildhauerei in Ateliers verbannte, zu entgehen. Imagination und künstlerisch-stilistische Experimente hat man in der freien und illustrativen Graphik mit ihrer Gebrauchs- und dekorativen Aufgabe begründet. Diese Freiheit und vor allem die große Anzahl qualitätvoller Illustratoren bereiteten zusammen mit den verbesserten polygraphischen Bedingungen die Grundlagen für die Erfolge des slowakischen illustrierten Buches in der Heimat und im Ausland.
Einen grundlegenden Wandel im Verständnis eines allgemein zugänglichen Buches als Synthese verschiedener künstlerischer Gattungen brachte im Jahr 1952 die Gründung der Abteilung für freie und Illustrationsgraphik an der Hochschule für bildende Künste unter der Leitung von Vincent Hloznik (geb. 1919, Nr. IV-1) und der Mitarbeit des Typographen Dusan Sulc (geb. 1912). Die Kraft der Invention Hlozniks, seine Toleranz und Vielseitigkeit eroberten seine Schüler, die systematisch in allen graphischen Techniken ausgebildet wurden. Die Illustrierung bemerkenswerter literarischer Texte wurde zu einem Bestandteil von Diplomarbeiten. Unter den ersten Absolventen der Schule ragen Viera Gergel'ovä (geb. 1930), Jan Lebis (geb. 1931), Viera Bonbovä (geb. 1932) und Miroslav Cipär (geb. 1935) als Illustratoren hervor. Bis in die Gegenwart hat die Abteilung für Graphik ungefähr hundert Absolventen ausgebildet. Die Mehrheit von ihnen widmet sich sowohl der freien Graphik als auch der Illustration als einer eigenständigen künstlerischen Disziplin. Neben der besonderen Abteilung für Gebrauchsgraphik und Design an der Hochschule für bildende Künste gab es eine Vorbereitung talentierter Schüler in einem vierjährigen Studium an der Mittelschule für Kunstgewerbe, die ihre Arbeit 1945 wiederaufgenommen hat. In den sechziger Jahren begannen hier die Professoren Rudolf Fila (geb. 1932) und Gabriel Strba (geb. 1932, Nr. IV-4 und IV-5) zu lehren.
Zu einem wichtigen Stimulans für Künstler und Verleger wurden die jährlichen Wettbewerbe um das schönste tschechoslowakische (1965-1991), ab 1992 slowakische Buch des Jahres. Der Erfolg der slowakischen Graphik auf zahlreichen internationalen Ausstellungen wie der Fiera del Libro per ragazzi in Bologna und der Internationalen Buchausstellung in Leipzig brachten die Freunde des Verlages Mlade leta in Bratislava auf den Gedanken, auch in Bratislava periodische Ausstellungen des internationalen Kinderbuches zu veranstalten. Nach einer Generalprobe, der Wettbewerbsausstellung tschechoslowakischer Illustratoren, wurde 1967 die erste Biennale ilusträcii Bratislava mit Unterstützung durch den International Board for Books for Young People der UNESCO verwirklicht. An der ersten BIB nahmen 305 Illustratoren aus 25 Ländern der Welt teil, und mit jeder weiteren Biennale wuchs die Zahl der eingeladenen Länder. Begleitende Veranstaltungen sind die Fachsymposien, die überwiegend auf die Bedürfnisse von Illustrationen für Kinder und ihre Bedeutung im Erziehungsprozeß ausgerichtet sind. Seit 1985 hat die BIB einen selbständigen satzungsmäßigen Veranstalter, das Internationale Haus der Kunst für Kinder in Bratislava. Neben den internationalen Ausstellungen graphischen Schaffens bietet gerade die BIB eine Gelegenheit zu einer anschaulichen technischen und künstlerischen Konfrontation der slowa-
Zum bedeutendsten und vielseitigsten zeitgenössischen slowakischen Illustrator wurde der Schüler Hlozniks und sein Nachfolger in der pädagogischen Arbeit Albin Brunovsky (geb. 1935, Nr. IV-6). Er bereicherte den existentiellen Expressionismus um Elemente des Surrealismus und des imaginären Realismus und betont in der
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kischen Graphiker mit der Welt. Die Möglichkeit einer Teilnahme an diesem Wettbewerb war sehr gesucht. Der imaginative Realismus, in dem sich Dusan Polakovic (geb. 1950), Katarina Sevellovä (geb. 1948), Peter Augustovic (geb. 1959) oder Marian Komäcek (geb. 1959) mit Virtuosität bewegen, wird von Robert Brun (geb. 1948, Nr. IV-9) und Robert Jancovic (geb. 1958) in der gleichen technischen Vollendung ironisiert. Svetozär Mydlo (geb. 1948), Marek Ormandik (geb. 1968) und Peter Kl'ucik (geb. 1953) gehen in ihrem Illustrationsstil andere Wege: Die beiden ersteren in einer weniger explosiven Expressivität, letzterer mit Darstellungen aus einer ungezügelten Phantasie. Unter dem Druck der Marktwirtschaft haben sich 1990 die Editionsmöglichkeiten der großen heimischen Verlage stark verringert. Es scheint, als verliere die slowakische Illustration, die aus der modernen Tradition schöpft, in Anlehnung an die jeweilige Kunstrichtung das Fundament der volksnahen Buchkunst und als kehre sie zum bibliophilen Autorenbuch in kleinen Auflagen zurück. Dieses ist mehr als je zuvor zu einem der begehrtesten künstlerischen Exportartikel geworden. Bücher mit künstlerischer Ausstattung durch slowakische Illustratoren erscheinen in Zusammenarbeit mit polnischen, ungarischen, nordischen und englischen Verlagen sowie traditionsgemäß mit Verlagshäusern der deutschsprachigen Länder. Sie sind auf dem internationalen Buchmarkt gern gesehen. Übersetzung aus dem Slowakischen von H.-J. Haertel
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IV-1 Hloznik, Vincent Dante Alighieri
Bozska Komedia. Raj (Die Göttliche Komödie. Das Paradies) Übersetzung und Kommentar von Viliam Turcäny Mit 65 Illustrationen von Vincent Hloznik Bratislava, Tatran, 1986 432 S., 4°, OLwd. Abb. S. 21 Lit.: Vincent Hloznik - ilusträcie. Martin 1969; Vincent Hloznik. Graficke dielo, Dom umenia, Bratislava 1990.
Dante Alighieri (1265-1321) hat in seiner „Göttlichen Komödie" auf geniale Weise die mittelalterliche Weltanschauung zusammengefaßt. Unter der Leitung des lateinischen Dichters Vergil und an der Hand der geliebten Beatrice durchwandert er das Jenseits von der Hölle über den Läuterungsberg zum Paradies aufsteigend. Theologie und Philosophie, Mystik und Mythologie, Kunst und Wissenschaft, aber auch politische Anschauungen schlagen sich in den Terzinen nieder. Wegen dieser Universalität, aber auch wegen seiner tiefen Menschlichkeit findet das Werk in aller Welt immer neue Leser. Eine von Michail Losinskij geschaffene Ausgabe in russischer Sprache (s. Nr. 1-4) wurde in der Sowjetunion ein großer Erfolg. In der Slowakei erschien 1986 diese neue Übersetzung des dritten Teils von Viliam Turcäny. Der ehemalige Professor an der Hochschule für bildende Künste in Bratislava Vincent Hloznik hat sie mit Federzeichnungen illustriert. Vor dem Dunkel des unendlichen Alls fällt ein Strahlenbündel auf Dante nieder, der an seiner traditionellen Ikonographie zu erkennen ist, an dem Kopf mit dem scharf geschnittenen Profil und dem Lorbeerkranz des Poeta laureatus. Hinter ihm erscheint vermittelnd die im Lichtstrahl stehende Beatrice. Sie weist auf die sieben Planetenhimmel, von denen sie gemeinsam den ersten, den des Mondes, betreten (Zweiter Gesang). Sie zeigt ihm die Sterne und Kreise der achten Sphäre, „die Leuchten und nach Stärk und Art dem Sinn von ganz verschiedenem Aussehn sich erweisen". Die Seelen derer, die ihr Gelübde nicht gehalten haben, umschweben den Lichtstrahl, von dem sie entbrennen. Hinter Dante und Beatrice tritt eine bartlose Gestalt hinzu, der Kaiser Justinian. Er wird Dante vom Schicksal des römischen Adlers, von der heilsgeschichtlichen Bedeutung Roms berichten. Wenngleich er nicht die rechte theologische Lehre vertrat, war er durch seine Rechtsreform ein Lichtbringer. In der Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser bezieht auch Dante Stellung. Dante steht fest auf der Erde und weist auf eine Pflanze hin, die dem Sonnenlicht entgegenstrebt. So entsteht eine vom Immateriellen ausgehende Bewegung. Der Lichtstrahl durchdringt das Dunkel des Alls, erleuchtet Sterne, Planeten und Sphären, bescheint die Erde. In dieser Spannung steht die Gestalt des Dichters, von der Erde aus ragt er in himmlische Räume.
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IV-2 Vojtasek,
der Auseinandersetzungen zwischen den Familien der Medici und der Pazzi finden sich die beiden im Heim für Leprakranke wieder. In dieser schrecklichen Umgebung kann sich Laurettas Sehnsucht endlich erfüllen.
Alexej
Ladislav Nädasi-Jege Vcom je radost zivota (Worin die Lebensfreude besteht)
Alexej Vojtasek will mit seinen Federzeichnungen zuallererst den zeitgeschichtlichen Hintergrund verdeutlichen: Das Florenz der Renaissance mit seiner blühenden Kunst und dem regen Handel. Daher ist es auch nicht so sehr eine Episode des Handlungsablaufs, welche die ausgewählte Abbildung zeigt. Vor einem dunklen Rundbogen hebt sich das Brustbild einer jungen Frau in Kleidung und Kopfschmuck der italienischen Renaissance ab. Vor sich hält sie einen nackten Knaben auf dem Arm und wird so zum Modell für ein Madonnenbild. Die schöne Lauretta war auch von Fra Filippi und Domenico Ghirlandajo in ihren Bildern gemalt worden.
Mit Illustrationen von Alexej Vojtasek Bratislava, Tatran, 1986 168 S., 8°, OLwd. Abb. S. 123 Lit.: Alexej Vojtasek, Katalog Galeria Arto, Bratislava 1993.
Mit besonderer Vorliebe wendet sich der slowakische Erzähler Ladislav Nädasi-Jege (1866-1940) historischen Themen zu. Wie in seinen anderen Novellen, so will auch in der Titelgeschichte „Worin die Lebensfreude besteht" der Mensch den Intrigen und Machtkämpfen seiner Zeit entkommen und einen Weg zur wahren Menschlichkeit finden.
Auf dem vom Passatwind gekräuselten Meer bewegt sich ein Handelsschiff mit geblähten Segeln aus dem Bild heraus. Der aus einer Wolke in heftiger Gegenrichtung blasende, personifizierte Sturm trennt die liebende Frau vom Treiben der Welt. In der offenkundigen Spaltung der Illustration wird der Unterschied zwischen dem persönlichen Glück der Protagonistin und den allgemeineren Interessen der Familie sichtbar.
Lauretta, Sproß der berühmten Florentiner Familie Prendilacqua, verliebt sich um 1478 in den verheirateten Sicco Bonatti. Tradition und Konvention verbieten eine offene Beziehung. Da nimmt Lauretta Zuflucht zu einer furchtbaren List: Sie besucht Leprakranke, wodurch sie sich und den Geliebten absichtlich infiziert. Isoliert von der Gesellschaft und fernab vom zeitgenössischen Getöse
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IV-3 Greener,
Dusan
Margita Navarskä (Margarete von Navarra) Heptameron Übersetzung von Miroslava Bärtovä Mit Illustrationen von Dusan Greener Bratislava, Tatran, 1982 247 S„ 4°, OLwd. Abb. S. 193 Lit.: J. Jassova, Dvanäst' grafik Dusana Grecnera, Bratislava 1988; Dusan Greener. Rekriminäcie 1969-1994. Katalog Zähorskä Galeria, Senica 1994.
Die Novellensammlung der Margarete von Navarra (1492-1549) stammt aus den Jahren 1542-1549. Sie wurde angeregt durch die 1542 erschienene französische Übersetzung von Boccaccios „Decamerone". Margarete war eine literarisch gebildete und fromme Frau. Bei ihr trafen sich Humanisten und Dichter, insbesondere auch solche, die gegenüber den Idefen der Reformation offen waren. Margarete kannte neben dem „Decamerone" auch andere italienische Novellensammlungen, doch die hier behandelten Gesprächsthemen in höfischen Kreisen, Liebesaffären und Intrigen erweckten in ihr nur religiöse Unruhe. So befassen sich ihre 72 Novellen vorwiegend mit Gedanken und Gefühlen bei der Begegnung männlicher und weiblicher Charaktere und mit Beispielen offenkundigen Fehlverhaltens. Die Erzählungen des „Heptameron" berichten von fünf Damen und fünf Herren aus der höfischen Gesellschaft, die, bedingt durch ein Unwetter, eine Woche eingeschlossen sind (daher der Name „Heptameron", d.h. Siebentagewerk) und sich über die Liebe und die verschiedenartigen Verhaltensweisen der Protagonisten unterhalten. Im Unterschied zu anderen bekannten zeitgenössischen Werken kreisen die Erzählungen um so grundlegende Themen wie die Begriffe Ehre, Wahrhaftigkeit, Moral und Gewissen und auch um christliche Verhaltensweisen. Alle Teilnehmer erzählen im täglichen Wechsel eine selbst erlebte oder gehörte Geschichte, zu der die Zuhörer im Anschluß Kritik oder Beifall bekunden und die moralische Aussage diskutieren. Durch die lebensnahe Auswahl des Stoffes bieten die unterschiedlichen Charaktere ein eindrucksvolles Panorama menschlicher Verhaltensweisen im Positiven und Negativen, das wiederum auch ganz verschieden aus männlicher und weiblicher Sicht beurteilt wird.
männlicher Askese oder der Furcht, öffentlich ins Gerede zu kommen oder sich dem Objekt der Liebeswünsche offen zu nähern? Ist es Rücksichtnahme auf anderweitige Bindungen oder auf Vorurteile der für die Wunscherfüllung erstrebten Person? Ist Verschwiegenheit einseitig wegen möglicher Indifferenz beim Gegenüber, oder ist sie beidseitig aus mancherlei vermuteten oder faktischen Gründen? Ist Verschwiegenheit fruchtbringend, oder führt sie einseitig oder beidseitig zum Unheil? Wie steht es mit dem Ehrbegriff: Ist „honneur" nur Einhaltung des äußeren Scheins oder gleichzusetzen mit „honnetete", also ein mit dem Gewissen zu vereinbarendes Verhalten, insoweit auch - wenn auch nicht unbedingt - ein durch christliche Lehre vorgeschriebenes Handeln? Die Vielseitigkeit solcher Probleme beweist, daß das „Heptameron" im Grunde ein Beitrag Margaretes zu der heiß diskutierten Frage nach dem Wesen echter Liebe ist. Schon in der vorangehenden Generation war ein poetischer Krieg um die Extreme: „leichtfertige und egoistische Liebhaberei" oder die platonische Geliebte „parfaite amie" entstanden. Margarete selber neigte wohl zu einer Mittelstellung in Liebesangelegenheiten in der Art eines Realismus verbunden mit platonischem Idealismus, doch es war ihr wohl bewußt, daß sie in der Minderheit war gegenüber der oft unbeherrschten Zielstrebigkeit rücksichtsloser Liebhaber, von der Umwelt überwiegend akzeptiert oder sogar für sich selber in Anspruch genommen. Aus einer psychologischen Untersuchung des Inhalts der Rahmenerzählung und des Unterschieds zu anderen Novellen jener Zeit ergibt sich, daß die ausgewählte Illustration nicht zu einer bestimmten Erzählung gehört, sondern einen künstlerischen Versuch darstellt, die Thematik des „Heptameron" bildlich abstrahierend vor Augen zu führen. Die Frau im Mittelpunkt des Bildes kann aufgrund ihrer Kopfbedeckung kaum mit Sicherheit einem großbürgerlichen oder höfischen Stand zugeordnet werden. Aber entgegen der Indifferenz der übrigen Gestalt hat ihr Gesicht einen vieldeutigen Ausdruck: Ist es nachdenklich, zeigt es geheimes Wissen mit liebevollen Gedanken, oder lächelt der Mund über mangelndes Zutrauen des Liebhabers für ein Geständnis? Sehr zurückhaltend ist das Kleid, nur der farbintensive Ärmel weist darauf hin, daß hiermit etwas symbolartig dargestellt ist, eine Heftigkeit, die plötzlich aufflackert.
Der Inhalt der meist kurzen Geschichten betrifft das Leben im 16. Jahrhundert, manche Einzelheiten stammen nachweisbar aus der unmittelbaren höfischen Umgebung der Autorin. Es zeigen sich die voneinander abweichenden Beurteilungen in den sozialen Klassen bezüglich der Freiheit der Sitten, insbesondere in der Oberschicht, am Beginn eines „modernen" Lebens, das ganz der Liebe und dem Vergnügen dienen soll.
Im verschwommenen unteren Bereich der Frau erscheinen die Köpfe von unangenehmen Kriechtieren. Sind es Salamander oder Schwanzlurche? Auf jeden Fall sind es keine Warmblüter, die hier häßlich und unappetitlich aus dunklen Höhlen hervorschnellen. In betontem Kontrast hierzu sieht man im oberen Bildteil einen Blütenstengel mit Knospen und einer zarten, sich öffnenden Blüte. In der gegenüberliegenden Ecke liegt ein vielblättriges Gewächs, das sich einer Einordnung
So gibt es Verschwiegenheit bei Liebesangelegenheiten in einer Zeit, da sich die Männer allzu gern mit ihrer Männlichkeit brüsten. Ist Schweigen nur die Folge 190
entzieht. Ein hauchdünn über das Bild gelegtes Netz weist auf die Surrealität und den Symbolgehalt der Illustration hin. Die Frau ist umgeben von hellem Licht. Der prächtige dreifarbige Ärmel trennt sie vom Bereich der tierhaften Schlüpfrigkeit der bedrohlich ausschwärmenden Lurche. Der graurote Farbton ringsum bildet einen
Übergang zum Licht hinter dem nachdenklichen Frauenkopf. Beide Extreme - leichtfertig schnelles Besitzergreifen und platonische Verinnerlichung - als Thema des „Heptameron" sind bildhaft angedeutet.
Achilles ist dort bestattet, auch Patroklos (des Achilles bester Freund), dort auch mein eigener (des Nestors) Sohn, der geliebte Antilochos...". So wird auch Achilles nach seinem todbringenden Sieg über Hektor, den Tapfersten der Trojaner, wegen seiner Unritterlichkeit gegenüber der Leiche des Gegners von den Göttern verurteilt. Anders als die zur Odyssee-Ausgabe ausgewählte Abbildung des Künstlers Strba (Nr. IV-5) ist die vorliegende Illustration erkennbar textbezogen. Beim Ansturm der Trojaner unter Hektars Führung gegen die Wälle des griechischen Lagers erschreckt sie ein Wunderzeichen: ein Adler, mit einer großen Schlange im Schnabel ringend, fliegt über ihre Köpfe und läßt diese infolge einer Verwundung der Brust plötzlich zur Erde fallen. Polydamas, Ratgeber und bewährter Kampfgefährte Hektars, hält dies für ein Unheil verkündendes Zeichen und rät zum Rückzug. Er vertraut der Voraussage des Zeus, daß die Trojaner den Krieg siegreich beenden würden.
IV-4 Strba,
Aber Hektor läßt sich nicht zurückhalten. Doch ihm begegnet Ajas, „der Tapferste nach Achill". Dieser wirft sich in funkelnde Waffen, „sobald er den Leib mit dem schweren Panzer umschlossen, stürmt er zum Kampfe ... den Trojern durchfuhr ein lähmendes Grausen die Glieder, selbst dem Hektor begann sein Herz im Busen zu pochen...".
Gabriel
Homer Ilias. XXIVspevov
(Ilias. XXIV Gesänge)
Im 7. Gesang (Vers 207-277) wird dann der erbitterte Kampf zwischen Ajas und Hektor beschrieben. Die stürmische Entschlossenheit des Ajas, geschützt von dem hell blinkenden Schild, und Hektars bedrängte Verteidigung hat der Künstler im Profil der beiden Streiter überzeugend dargestellt. Beide Merkmale wiederholen sich im Schmuck der Kampfschilde. Ajas' Schild zeigt ruhige, kreisförmige Darstellungen. Die Garnitur der Männergesichter auf der Oberkante gleicht einem kannibalischen Symbol für besiegte Feinde. Dagegen ist Hektars Schild mit unruhigen Gravuren verziert. Die flächigen Umrisse von zwei streitenden Männerköpfen an der Oberkante seines Schildes sind zwanghaft gegenüber den grimmigen Gesichtern auf Ajas' Schild. Der breite Vogelflügel über dem Angreifer erscheint wie Schutz und Unterstützung für ihn. Das im Hintergrund des Kampfgeschehens angedeutete Gesicht - gleichzeitig en face und im Profil - kann für die den Kampfausgang verfolgenden Götter stehen: Ares als Beschützer der Trojaner, Athene auf Seiten der Griechen.
Übersetzung von Miloslav Okäl Mit Farbillustrationen von Gabriel Strba Bratislava, Slovensky spisovatel, 1986 477 S., 4°, OLwd. Abb. S. 72, 389 Lit.: Ε. Trojanovä, Dvanäst' grafik Gabriela Strbu, Bratislava 1985.
Ein Angelpunkt des Ilias-Epos ist der Zorn des Achill darüber, daß der Feldherr Agamemnon ihm die schöne Sklavin Briseis entwendet hat mit den schwerwiegenden Auswirkungen auf den Ausgang des Feldzuges der Griechen gegen Troja. Achill hat dies als Entehrung empfunden und fleht seine Mutter, die Göttin Thetis, an, ihm eine Genugtuung bei den Griechen zu verschaffen. Die Göttin erhielt von Zeus die Zusage, die Trojaner so lange mit Unglück zu verfolgen, wie Achill seine Teilnahme am Kampfgeschehen verweigert. So dient das Epos dazu, die Wichtigkeit und den überragenden Kampfgeist des Achilles für den Ausgang des Streites gegen Troja ins rechte Licht zu setzen. Andererseits zeigt das Epos die Folgen menschlicher Hybris, die sich dadurch einstellen, daß Achill die von Agamemnon angebotene Versöhnung starrsinnig ablehnt und sogar seine Heimfahrt ankündigt. Hierdurch bringt er dem griechischen Volk nachhaltiges Unglück.
Helena, deren Schicksal die erbitterten Kämpfe verursacht hat, stellt Gabriel Strba im Titel des 4. Kapitels in sich zurückgezogen dar (s. Vignette). Sie ist voller Heimweh, müde, über ihr Geschick nachzudenken, daß sie wegen ihrer Schönheit in den Zwiespalt zwischen ihrem früheren Gemahl Menelaos und dem späteren Gatten Paris geraten ist. Beide, schöne und kampfkräftige Männer, sind nun Heerführer von zwei sich erbittert bekämpfenden Völkern mit vielen Todesopfern geworden.
Im dritten Gesang der Odyssee (Vers 112) heißt es: „Vor Troja fielen alle der Besten, Ajas, der göttliche Krieger,
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IV-5 Strba,
Gabriel
Homer Odysseia. XXIVspevov
(Odyssee. XXIV Gesänge)
Übersetzung Miloslav Okäl Mit Farbillustrationen von Gabriel Strba Bratislava, Slovensky spisovatel, 1986 421 S.,4°, OLwd. Abb. S. 245 Lit.: Ε. Trojanova, Dvanäst' grafik Gabriela Strbu, Bratislava 1985.
Homers Epos von den zehn Jahre dauernden Irrfahrten des Odysseus, zu denen ihn die Götter nach der Zerstörung Trojas verurteilt hatten, übte auf alle Nationalliteraturen aufgrund seines hohen künstlerischen Wertes und seines menschlichen Ethos einen nachhaltigen Einfluß aus. Ins Slowakische war es zunächst nur auszugsweise übersetzt worden, dennoch schätzten slowakische Dichter, die es im Original oder aus anderen Sprachen kannten, dieses Werk sehr und bezogen es in ihr Schaffen ein. Die erste vollständige Übersetzung stammt von Miloslav Okäl. 1962 erschien die Ilias und 1966 die Odyssee. Beide erlebten zwanzig Jahre später, 1982 bzw. 1986, eine Neuauflage, diesmal jedoch um die Graphiken des slowakischen Künstlers Gabriel Strba bereichert. Sie gelten als Höhepunkte seines Schaffens, als seine reifsten Werke.
Reich der Wasser" zu sein. In einer Bucht des tiefblauen Meeres tummeln sich unheimliche Ungeheuer, Schlangen, Fische, die sich ineinander verschlingen. Eine weibliche Gestalt mit Flügeln und einem Vogelkopf - Harpye oder Sirene - beherrscht die untere Bildhälfte. Ihr entspricht im oberen Teil das „schwärzliche Schiff des Odysseus oder das der Phaiaken, auf dem er nach Ithaka zurückkehrte. Eine nahezu skelettierte Gestalt bildet die Gallionsfigur, eine ebenso magere Gestalt sitzt auf dem Heck. Eine dritte Figur schwebt darüber und streckt hilfesuchend die dürren Arme nach vorne aus, vielleicht ist Odysseus in ihr zu erkennen. In der rechten oberen Ecke der Abbildung taucht eine fahle Scheibe auf, von der Strahlen ausgehen. Es ist die Sonne, und die Gestalt des Gottes Helios tritt aus ihr heraus. Weil die Gefährten des Odysseus die Rinder des Gottes in frevelhafter Weise geschlachtet und gegessen hatten, blieb ihnen die Rückkehr in die Heimat verwehrt. Konkrete Formen verselbständigen sich, werden zu dekorativen Elementen. Die Verbindung von verschiedenen graphischen Techniken bietet neue gestalterische Möglichkeiten, die eine Illusion von Raum und Zeit, von Bewegung und Klängen erwecken.
Strba verwendet für seine Illustrationen eine Mischtechnik, in der er Radierung, Kaltnadel, Mezzotinta und Farbätzung harmonisch zu verbinden weiß. Seine Bilder sind nicht leicht zu deuten, da die literarische Vorlage für ihn nur Ausgangspunkt für eine selbständige, dekorative Komposition ist. So bezieht sich auch dieses Bild nur mittelbar auf den 16. Gesang, dem es beigegeben ist, in dem sich Vater und Sohn, Odysseus und Telemachos, nach langer Zeit wiedertreffen. Als „Fremdling" auf dem Weg zu seinem Palast hatte Athena Odysseus verjüngt und mit schöner Kleidung versehen. Telemachos, sein Sohn, war über solche gottgegebene Verwandlung überwältigt, und nun hört er vom Vater nach jahrelanger Irrfahrt einige Erlebnisse: Schwierig waren die nächtlichen Winde, „Mörder der Schiffe". Plötzlich ein Sturmwind von Nord und West, der sich zu Orkanen steigerte, welche die Schiffe in Trümmer rissen. Als dann in den Schiffen der Vorrat zur Neige ging, fing man mit krummen Haken Vögel und Fische. Hunger quälte den Magen. Schließlich hatte Nausikaa den Schiffbrüchigen in das Land der Phaiaken geschickt, wo er von ihrem Vater Alkinoos längere Zeit gastlich aufgenommen wurde. Aber bei der Weiterfahrt nach Ithaka war das Schiff des Oysseus durch den Zorn Poseidons erneut in große Gefahr geraten, bis er schließlich das heimatliche Ufer erreichen konnte. Alles dies erfuhr Telemachos mit großer Anteilnahme. Die nebenstehende Abbildung scheint eine Art Zusammenfassung der „unnennbaren Leiden auf dem Meere" und der vielen Abenteuer des Odysseus im „wüsten 194
IV-6 Brunovsky, Albin Madame d'AuInoy Der gelbe Zwerg In: Französische Feenmärchen Mit 6 ganzseitigen und 4 doppelseitigen Farbillustrationen sowie zahlreichen Vignetten von Albin Brunovsky Hanau, Verlag Dausien, 1980 180 S„ 4°, OLwd. Abb. S. 169 Lit.: L. Peterajovä, Albin Brunovsky, Bratislava 1985, 2. Aufl. 1990; Albin Brunovsky. Labyrinth der Welt, Katalog Panorama Museum, Bad Frankenhausen 1995.
Die Vorliebe für Feenmärchen im Frankreich des 17. Jahrhunderts war eine Reaktion auf die geistige Bevormundung durch das Ancien Regime und gleichzeitig eine Abwendung vom klassizistischen Stil der vorangegangenen Herrschaftsperiode, die von den moralistischen und pädagogischen Neigungen der Marquise de Maintenon, der zweiten Gemahlin Ludwigs XIV., geprägt war. Am Hofe des Sonnenkönigs vertrieb man sich die Zeit mit Prunk und rauschenden Festen. Man wünschte sich phantastische Märchengeschichten, in welchen höfische Protagonisten gegen magische Kräfte zu kämpfen hatten, verbunden mit amourösen Themen, Zauberei und prächtigem Ambiente. Feen waren die Vermittler zwischen der phantastischen Welt der Erzählung und den unerwarteten Lösungen zu ihrer Aufhebung. Nicht moralische und pädagogische Resümees waren gefragt, sondern unverbindliche und farbenfreudige Tändelei.
der Bühne dargestellt. In Brunovskys Graphik sind nicht selten surrealistische Einflüsse festzustellen. Die literarische Vorlage macht ihn dementsprechend nicht ohne weiteres von den Details des Textes abhängig, vielmehr sind die Gestalten und das Ambiente der Erzählung Anstoß für ein Traumerlebnis: Hier ist der Schwerpunkt der Darstellung eine üppige blumenreiche Wiese, darüber schwebend die Prinzessin, erschrocken über ein Löwenpaar. Dieses wird jedoch keineswegs aggressiv gezeigt, sondern wie das schmückende Detail eines Wandteppichs, also ganz im Kontrast zur heiter wogenden Blumeninsel und der ängsüichen Haltung der Prinzessin. Alles wirkt wie ein kleines, vielfarbiges Gemälde, das jedoch mit bewußten Akzenten der Erzählung entnommen ist. Als Schwerpunkte sieht man die Farbenpracht der Wiese und das unübertreffliche Hochzeitskleid der kapriziösen Prinzessin, deren Kopf im Verhältnis zu diesem Kleid sehr klein ist. Der häßliche gelbe Zwerg, der die Prinzessin als Braut in seine strohgedeckte Hütte heimführen will, ist im Wipfel des Orangenbaumes kaum zu entdecken, so daß auch die bildliche Darstellung eine Zusammenkunft dieses in der Erzählung vorgestellten ungleichen Paares unmöglich scheinen läßt. Brunovskys Illustration enthält im Gegensatz zum literarischen Dilettantismus der Märchenautorin gewisse ironische Akzente.
1669 erschien die Sammlung der „Contes Nouveaux ou les fees ä la mode" der schreibgewandten Gräfin Madame d'Aulnoy. Diese war mit einem Mann von zweifelhaftem Ruf verheiratet und erregte zudem mit ihrer freimütigen Gesinnung den Unwillen der Marquise de Maintenon. Nach einer Reihe von Affairen mußte sie ihren Aufenthalt am Versailler Hof unterbrechen und im Ausland leben. Nun hatte sie Muße zu schreiben. So entstand das vorliegende Märchen von der wunderschönen „Toute-Belle", dem allerdings bei aller Weitschweifigkeit ein logischer Handlungsverlauf und die Konturierung der Figuren fehlen. Die Beschreibung der Kostbarkeiten in der Feengrotte, der prachtvollen Hochzeit mit dem „König der Goldminen" und insbesondere des unübertrefflichen Brautkleides sind ein Spiegelbild des Zauberrepertoires von Madame dAulnoy und gleichermaßen ein Zeichen dafür, wie weit sich das feenhafte Geschehen durch allzuviel oberflächlichen Ballast von den populären zeitgenössischen Volksmärchen Charles Perraults entfernt hat. Deren Wurzeln liegen in der Volksüberlieferung, aber auch in der neapolitanischen Märchensammlung „Pentamerone". Wie hat nun der Künstler Albin Brunovsky die Szene mit der hochmütigen Prinzessin und dem gelben Zwerg dargestellt? Seine Illustration entfernt sich offenkundig von der Textvorlage dieser Szene. Nicht ohne künstlerische Absicht ist die „Toute-Belle" wie eine Schauspielerin auf 196
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IV-7 Ondreicka,
Karol
Aus einer in fernem Land geschlossenen Ehe wächst ein begabter und schöner Sohn heran, auf den der Vater mit Stolz blicken kann. Untröstlich ist der Jüngling, als der Tod von Nur-ed-Din ihn fern von der Heimat, über die sie beide so oft gesprochen haben, zurückläßt. In tiefem Kummer am väterlichen Grab eingeschlafen, findet ihn eine Dämonin. (Der islamische Friedhof gilt als eine Stätte der rechtgläubigen Dämonen.) Von dem Wesen und der schönen Gestalt des Jünglings ist sie sehr beeindruckt. Ihr begegnet ein anderer im Jenseits kreisender Dämon und berichtet ihr von der unseligen Vorbereitung zur Hochzeit einer schönen Jungfrau mit einem häßlichen buckligen Mann. Im Heimatland von Hasan el-Basri will der Sultan des Landes diese Verbindung aus Ärger darüber erzwingen, daß der Vater des Mädchens die Werbung des Sultans um seine Tochter abgelehnt hat. Doch der Vater will das dem Bruder früher gegebene Versprechen einer Ehe seiner Tochter mit dem Vetter keinesfalls brechen. Die beiden Dämonen bringen nun den Jüngling, prächtig gekleidet, in das festliche Haus. Den buckligen Bräutigam, der mit einem menschlichen Bedürfnis den Abtritt auf dem Hof aufsucht, bringen sie rabiat durch eine große Schar von Haustieren in Bedrängnis, so daß diesem - verschreckt und unappetitlich - eine Rückkehr in die Hochzeitsgesellschaft unmöglich wird. Die Gäste sind vom Zauber der Präsentation eines der Braut würdigen Ehemanns überwältigt. Das Versprechen der beiden Wesirbrüder, ihre Kinder in der Tradition ihrer Väter ehelich zu verbinden, hat sich mit Allahs Hilfe trotz menschlicher Torheiten und Irrwege erfüllt.
Tisic a jedna noc. 1. Zväzok (Tausend und eine Nacht. 1. Band) Übersetzung von Jan Pauliny Mit 30 ganzseitigen farbigen Illustrationen und zahlreichen Farbvignetten von Karol Ondreicka Bratislava, Tatran, 1987 469 S., 4°, OLwd. Abb. S. 190 Lit.: Ondreicka - Piesefi zene, Katalog Galeria Cypriäna Majernika, Bratislava 1978; Karol Ondreicka, Katalog Galeria mladych, Bratislava 1981.
Noch immer hat die im 15. Jahrhundert unter dem Titel „Tausend und eine Nacht" in arabischer Sprache zusammengestellte Sammlung von Erzählungen, Sagen und Legenden persischer, indischer und ägyptischer Herkunft, die bis auf das 10. Jahrhundert zurückgehen, den Reiz unterhaltsamer Faszination nicht eingebüßt. Für die neue slowakische Übersetzung von Jan Pauliny, deren erster Band seit 1987 vorliegt, schaffen die kraftvollen und abwechslungsreichen Illustrationen von Karol Ondreicka zusätzliche Anziehungskraft. Die Ausgabe enthält mehrere Zyklen, die in den ersten 45 Nächten erzählt werden. Im ersten Drittel unseres Jahrhunderts, nach dem Ende der kolonialen Einengung, fanden in Ägypten im Zuge der Förderung landeseigener Kultur solche Überlieferungen neue Aufmerksamkeit. 1934 erschien das Lesedrama „Scheherezäd", in dem die Wortführerin eine gewisse Nähe zu der altägyptischen Himmels- und Liebesgöttin Isis zeigt. In späterer Zeit wurde Scheherezäd unter starkem innenpolitischen Druck als Symbol für die Freiheit des Denkens und für phantastische Alternativen zu politischen und gesellschaftlichen Verkrustungen literarisch etabliert. In ihrer Figur sah man auch den Prototyp weiblicher Klugheit und Emanzipation.
Der Künstler Karol Ondreicka scheint mit seiner Illustration dem gesellschaftspolitischen und islamischen Hintergrund der Märchenallegorie nachgegangen zu sein. In der Bildkomposition fällt die dem Satzspiegel der Textseiten entsprechende rote Rahmung auf, die von den Tieren und der Palme gesprengt wird, den beiden menschlichen Gestalten aber ihre Begrenzung aufzeigt. Tiere und Pflanzen folgen den ihnen naturgemäß vorgegebenen Grenzen. Das Schicksal des Menschen ist zusätzlich durch seinen Intellekt und seine Entscheidungsfreiheit wandelbar, es verläuft innerhalb eines Rahmens mit perspektivischem Hintergrund. Um innerhalb des Rahmens glücklich zu werden, bedarf es der Unterstützung durch Allah.
Der ägyptische Romancier Nagib Machfus (geb. 1911) veröffentlichte 1982 eine Sammlung „Die Nächte der tausend Nächte", in welcher Gestalten und Motive der Märchensammlung, mit Geistern und Zauberrequisiten durchsetzt, auch zu einer symbolhaften Moral- und Sozialkritik dienen. Dies trifft gleichfalls auf die Geschichte von den beiden Wesiren Nur-ed-Din und Schems-ed-Din zu, die als eng miteinander verbundene Brüder beschlossen, am gleichen Tag zu heiraten und für den Fall der Geburt eines Sohnes und einer Tochter diese ehelich miteinander zu verbinden. Nur-ed-Din erkundigt sich vorsorglich bei seinem Bruder, welche Brautgeschenke er bereithalten müsse, falls er für einen Sohn die Brautwerbung zu übernehmen habe. Scherns ed-Din äußert aber daraufhin derart habgierige Vorstellungen, daß sein jüngerer Bruder tief enttäuscht die Heimat verläßt. Dank seiner Tüchtigkeit erzielt er in verschiedenen orientalischen Ländern wichtige Vertrauensstellungen als Wesir und Sultanberater.
Der tieftraurige und einsame Hasan ed Basri hebt die Hände wie zum Gebet um göttliche Hilfe. Die Müdigkeit seines Gesichts wird durch die dunkelblaue Bahn des Gewandes betont. Aber wie von einem intensiven Sonnenstrahl aus der Höhe beleuchtet, entfaltet sich über ihm die Dattelpalme mit der reiche Ernte versprechenden Fruchttraube. Die rechte Seite seines Gewandes leuchtet, und golden schwebt vor ihm - wie ein Wappentier - ein stolzer Hahn, der sich kühn als Gegenspieler der grauen, hochgetürmten Herde großer und kleiner Haustiere zeigt, welche ihn aufmerksam und bewundernd anblicken. Forschend blicken auch die Augen der verschleierten Frau auf den in ungewöhnlichem Licht stehenden Mann. Sie und der Reichtum an Vieh und sonstigem materiellem Besitz sind die Erbschaft Scherns ed-Din, der oft genug
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seine Fehler bedauert und beklagt hat, durch seine materialistische und gewinnsüchtige Haltung den vertrauten Bruder verloren und eine Heiratsmöglichkeit ihrer Kinder verscherzt zu haben. Doch Allahs Gnade hat Getrenntes wieder zusammengefügt.
schen arm, zerstören menschliche Bindungen und eine Lebenseinstellung in traditionell religiöser Haltung. Verzweiflung andererseits darf nicht dazu führen, den Blick auf eine rettende Schicksalswende zu verlieren. Die Komposition der Illustration erinnert an den phantastischen Realismus, vor allem an den Lehrmeister des Künstlers, Albin Brunovsky. Trotz Beschränkung auf wenige Nuancen wirkt das Bild in seiner Farbigkeit, die bei slowakischen Künstlern immer wieder auffallt.
Man blickt zurück auf die mit dem islamischen Glauben eng verbundene Märchen- und Mythenwelt von Scheherezäds Träumen und Erzählungen. Die Gedanken nach Vermehrung von vorhandenem Besitz machen den Men-
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bildhaft fortgeführt. Die klassischen Szenen von Lewis Carrolls Text mit ihren surrealistischen Gedankenspielen sind in den ganzseitigen, dicht gedrängten Farbabbildungen völlig eigenständig komponiert. Sie sind so voll von Symbolischem und Hintergründigem, daß der Betrachter reichlich Zeit braucht, um sich ins Bild „hineinzusehen" und dessen Detailgestaltung, die symbolischen Andeutungen und Farbnuancen zu erfassen.
IV-8 Kailay, Dusan Lewis Carroll Alica ν krajine zazrakov (Alice im Wunderland) Übersetzung von Juraj und Viera Vojtek Graphische Gestaltung L'ubomir Krätky Mit Illustrationen von Dusan Källay Bratislava, Mlade leta, 1984
Während wir in unserer eigenen Traumwelt üblicherweise durchaus einen realen Bezug erkennen können, besitzt Alices Traumwelt nur ansatzweise mit der Realität Vergleichbares, bleibt dabei jedoch fern von abstrakter Gestaltung. Form, Farben und Ambiente sind traumhaft verschlüsselt, neu und inspirierend. Källay versieht die Textseiten mit einer Fülle bunter Marginalien: In einem grotesken Aufmarsch von phantastischen, an ein Bild von Hieronymus Bosch erinnernden Tieren und Kindern mit Keramikgeschirr, Blechtrichtern und Bürsten auf dem Kopf scheint der Künstler überzählige Teilstücke aus ganzseitigen Illustrationen, überbordend im horror vacui, über den Text zu verstreuen.
236 S„ 4°, OLwd. Abb. S. 143 Lit.: Dusan Källay - grafika, Bratislava 1978; V. Tomcik, Dusan Källay. Exlibrisy, Bratislava 1979.
Lewis Carrolls phantastische Erzählungen von „Alice im Wunderland" und „Alice hinter den Spiegeln" sind keine Märchen im gewöhnlichen Sinn, bei denen die Handlung einen mit realistischen Erfahrungen zwar nicht zu vereinbarenden, aber doch nachvollziehbaren Verlauf nimmt. Sie widersprechen allem Gewohnten, und auch die im Reich der Phantasie auftretenden Personen, Tiere, Blumen und Gegenstände verhalten sich paradox. Die Zeit läuft rückwärts, atemlos nach vorne strebend entfernt man sich doch nicht vom Ausgangspunkt, die Welt und ihre phantastischen Bewohner bilden - in „Hinter den Spiegeln" - ein Schachbrett ohne Anfang und Ende.
In der abgebildeten Szene macht Källay Alice zur kleinen Herrscherin über einen phantastischen Tierpark. Sie muß für ihre Bahnfahrt mit den bunten und vielgestaltigen Reisegenossen keine Fahrkarte lösen, obwohl das der Schaffner verlangt.
Alices Abenteuer in einer Wunderwelt sind vollkommen surrealistisch. Diese Welt, scheinbar ohne moralische Maximen, ist eine Traumlandschaft; in ihr herrscht ein babylonisches Sprachgewirr der verschiedenartigsten Lebewesen, die plötzlich erscheinen und ebenso plötzlich wieder verschwinden. Sie ziehen Alice in ihren Kreis, und schon wechselt das Bild wie auf einer Drehbühne.
Geld, Name und Fahrtrichtung spielen in dem Land hinter dem Spiegel keine Rolle - es besitzt mehr als drei Dimensionen. Aber aus der Ferne ist eine Stimme zu hören: „Vorsicht, kleines Mädchen!", und Alice wird in ihrer aufregenden Umgebung klar: „Ich gehöre überhaupt nicht in dieses Abteil."
Bemerkenswert ist die Anpassung an die spielerische und ausschweifende kindliche Phantasie, die Carroll mit beispielhaftem Einfühlungsvermögen wiedergibt.
Der Traum geht weiter, und die Spiegelinsekten bleiben zurück.
Neben den weltbekannten Märchen Andersens und der Gebrüder Grimm gehören die Traumerlebnisse der kleinen Alice zu den international am häufigsten illustrierten Jugendbüchern. Und mehr noch als bei den erstgenannten verhilft bei Carroll die Illustration dem Text zur vollen Lebendigkeit. Mit starkem Farbempfinden hat der slowakische Künstler Dusan Källay ein Kinderbuch in graphisch moderner Form geschaffen. Diese preisgekrönte, vom bibliophil hochgeschätzten Verlag Mlade leta äußerst sorgfältig gestaltete Ausgabe (eine deutsche Ausgabe erschien gleichfalls 1984 im Verlag Dausien, Hanau) ist unter den vielen AliceIllustrationen eine der phantasiereichsten. Källays Illustrationen stehen damit in scharfem Gegensatz zu den im vorliegenden Katalog ebenfalls besprochenen kühlen Illustrationen von Marketa Prachatickä (Nr. III-12). Der reiche Fluß der erzählerischen Phantasie des englischen Autors und das Umschlagen vom Realen ins Surreale werden vom Künstler in regelrechter Detailbesessenheit
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IV-9 Brun, Robert
ihre Gans zu entführen, hat die Besitzerin tief empört. Der Storch dagegen fliegt, unbesorgt um die Menschen unter sich, wie ein Pfeil durch die Luft.
Ole Lund Kirkegaard Maly Virgil (Der kleine Virgil)
Der Künstler hat den psychologischen Hintergrund der Erzählung verdichtet. Nur die Gemeinsamkeit eines weißen Federkleides kann die beiden Jungen auf den Gedanken gebracht haben, daß der Storch und die Gans ein passendes Ehepaar abgeben würden. Wie unterschiedlich sind aber ihre Temperamente! Der schlanke, schnelle, wanderlustige Storch, an geographische Szenenwechsel gewöhnt, ein Bewohner der Lüfte, steht der seßhaften Gans mit ihrem watschelnden Gang gegenüber, die sich in ihrer Gefangenschaft eingerichtet hat und der es genügt, daß sie regelmäßig gefüttert wird. Nicht weniger als Paar zueinander passend sind der poetische Nachbar mit seinem Geigenspiel im Mondschein und die prosaische Bäuerin im Nachtgewand, die verzweifelt ihre entfliehende Gans zurückzuhalten sucht. Die beiden hilfsbereiten Buben haben eben noch nicht das richtige Verständnis für die Bedeutung charakterlicher Unterschiede, auch bei gewissen äußerlichen Ähnlichkeiten.
Übersetzt von Peter Kerlik Mit 6 ganzseitigen und 14 kleineren Farbillustrationen von Robert Brun Bratislava, Mlade letä, 1977 75 S„ 8°, OPp. Abb. S. 15 Lit.: Maly slovnik slovenskych vytvamych umelcov, Bratislava 1981; Brun - Vyber 1985-1990, Katalog Provazskä Galeria Zilina 1990.
Der dänische Kinderbuchautor und Hauptschullehrer Ole Lund Kirkegaard (1949-1979) vermochte es, die Welt seiner jungendlichen Leser - Freunde, Familie, Schule und Nachbarn - aus ihrer Perspektive und in ihrer Sprache zu beschreiben. Seine Bücher hatten großen Erfolg und wurden in viele Sprachen übersetzt. In sieben Episoden werden im vorliegenden Buch die Streiche des kleinen Virgil und seiner beiden Freunde Oskar und Carl Emil geschildert. So wollen sie zum Beispiel für einen „einsamen Storch", der nachdenklich auf die Gasse mit den abendlich erleuchteten Hausfassaden schaut, eine passende Frau finden. Sie meinen, die Gans der Frau Madsen wäre wohl dafür geeignet und wollen diese eines Nachts zum Haus des musisch und poetisch veranlagten Nachbarn entführen, um sie dort mit dem Storch bekannt zu machen. Der Versuch mißlingt allerdings, und der Storch muß vor der wütenden Nachbarin auf das Strohdach des Musikanten fliehen, wohin ihm dann die Kinder mit einer Leiter zu Hilfe eilen.
„Maly Virgil" ist ein anprechendes Jugendbuch mit Illustrationen in einem lebhaften Kolorit, das der slowakischen Tradition entspricht.
Charakteristisch für den Künstler Brun, Schüler von Hloznik und Brunovsky, sind die großflächigen mit starken Farbkontrasten ausgearbeiteten Darstellungen, welche nur einen szenischen Ausschnitt von einem umfangreicheren Bild zu zeigen scheinen. Hier ist es eine stimmungsvolle nächtliche Szene mit einem friedlichen Geigenspieler, dessen Lied wie eine frohe Erscheinung das Dunkel der Landschaft umgibt. Heiter wirkt auch das Häuschen des Musikanten, dessen Strohdach hell im Mondschein leuchtet. Rechtwinklig zur Bildachse, welche ausgehend vom Ring der Sonnenblumen über das Dach hinaus zum Mond führt, verläuft die waagerechte, tiefschwarze Kontur der Wälder im Hintergrund. Eine solche bewußt geometrische Gliederung in der Komposition von starkfarbigen Bildern ist ein in vielen Illustrationen wiederkehrendes Merkmal des künstlerischen (Euvres von Brun. Der Kontrast von Hell und Dunkel steht in der ausgewählten Abbildung in auffallender Wechselwirkung zueinander. Über dem großen Hut des versonnenen Geigenspielers hebt sich die helle Abgrenzung des Gartens von Frau Madse mit einer scharfen Spitze ab, die wie ein Symbol für die Opposition der egozentrischen Nachbarin gegen Musik und poetische Stimmung in der Nacht anmutet. Der Versuch, 202
203
IV-10 Zelibska-Vancikova,
in seine Hütte steigert sich der Bauer in immer extremere Wunschvorstellungen hinein, bis er letztlich den Sinn für das Mögliche und Erreichbare ganz verliert. Er erweist sich als unfähig, die gute Gelegenheit angemessen zu nützen.
Maria
Kater Schnurre. Ein russisches Märchen in: Slawische Märchen Erzählt von O. Sirovätka und R. Luzik Ins Deutsche übersetzt von I. Kondrkovä und P. Cibuzätka Mit Illustrationen von Maria Zelibskä Hanau, Verlag Dausien, 1977
Beide Märchenvarianten thematisieren die Größe und Wehrhaftigkeit der Natur gegenüber gewinnsüchtigen Eingriffen durch den Menschen. In der erwähnten Illustration Ostrows zum Märchen „Vom Fischer und seiner Frau" sind es die immer höher schlagenden Wellen, die die zunehmende Wut des Meeres symbolisieren.
203 S., 4°, OLwd. Abb. S. 89 Lit.: V. Budskä, Maria Zelibskä, Bratislava 1981; Maria Zelibskä-Vanci, Katalog Galeria hlavneho mesta Bratislavy, Bratislava 1988.
Die Künstlerin Maria Zelibskä versteht es in dieser zunächst (1971) in tschechischer Sprache im Artia-Verlag in Prag erschienenen Ausgabe, mit reizvollen Harmonien und Kontrasten in der Farbgebung die große Verheißung malerisch zu gestalten. Den trübseligen Ausgang der Geschichte verschweigt ihre Illustration. Der Bauer ist von dem völlig unerwarteten Erlebnis überrascht und fasziniert zugleich. Gutmütig erwidert er den durchdringenden Blick des Katers. Seine Haltung drückt Bescheidenheit aus und die Bereitschaft, auf den Baum zu verzichten. In dieser Szene deutet noch nichts auf das mißliche Ende hin.
1914 entstand im Insel-Verlag eine bibliophile Ausgabe des Grimmschen Märchens vom „Fischer un siner Fru" in plattdeutsch mit Illustrationen von Markus Behmer (vgl. Teil IV „Großbritannien und USA" dieser Dokumentationsreihe, Nr. 115). Die Geschichte vom Fischer und seiner Frau handelt von schnell und unerwartet gewonnenem Reichtum und von grenzenloser Unersättlichkeit, die mit vollkommenem Verlust endet. Im Laufe der Zeit haben viele Buchkünstler in Bildern festzuhalten versucht, wie der Fischer in den Besitz eines zauberkräftigen Fisches gelangt und die immer größer werdenden Wünsche seiner Frau - wenngleich widerstrebend - an ihn weitergibt und wie sie schließlich beide wieder in ihrem alten „Pisspott" sitzen. Die Illustrationen des russischen Graphikers Swetosar Ostrow zu diesem Märchen aus der Sammlung Puschkins, die in ihrem populären Stil an den russischen Volksbilderbogen (Lubok) erinnern, sind im ersten Kapitel (Nr. 1-27) beschrieben. Variationen dieses Themas findet man in den Märchen anderer Völker. Im „Kater Schnurre" ist es ein schlichter Bauer, der im Wald eine kräftige Tanne fällen will. Dabei droht jedoch sein Vorhaben die Behausung eines großen schwarzen Katers zu zerstören, der sich aus der Höhe erschrocken herunterschwingt und den Bauern bittet, von seinem Vorhaben abzusehen. Für den Verzicht auf die Tanne, die sein Heim ist, verspricht er dem Bauern die Erfüllung eines Wunsches. Doch nach der Rückkehr
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Nachwort Der vorliegende Band setzt die Dokumentation internationaler Illustrationskunst des 20. Jahrhunderts aus der Sammlung von Kritter, die in Skandinavien beginnt und über Großbritannien und Deutschland bis in die USA und nach Japan führt, mit vier Ländern des slawischen Kulturraums fort. An den fast einhundert Beispielen aus Rußland, Polen, Tschechien und der Slowakei wird deutlich, daß der slawische Raum zwar über keine spezifisch eigene, von Westeuropa unterschiedene Ästhetik der Buchillustration verfügt, aber doch einige nationale Besonderheiten in Stil und Technik und vor allem eine Reihe eigenständiger Künstlerpersönlichkeiten von übernationaler Bedeutung aufweist. Blickt man auf die Auswahl der illustrierten Texte, dann zeigt sich kein merklicher Unterschied zwischen den Ländern. Drei Textgruppen kehren wieder: zum einen Klassiker der eigenen Literatur wie Puschkin, Gogol oder Tolstoj in Rußland, Kochanowski, Krasicki oder Mickiewicz in Polen, Hasek oder Capek in Tschechien (daß ein slowakischer Nationaldichter fehlt, liegt nur an der Begrenztheit des Materials), zum anderen Werke der Weltliteratur wie das Gilgameschepos oder die Epen Homers, wie Dantes „Divina Comedia", Margarete von Navarras „L'Heptameron", Goethes „Faust", Lewis Carrolls „Alice in Wonderland", Kafkas „Verwandlung" oder Gabriel Garcia Märquez' „Cien anos de soledad" und schließlich Literatur volkstümlicher Art, insbesondere Märchen, etwa aus „Tausend und einer Nacht" oder von Madame d'Aulnoy und Puschkin, von Grimm, Hauff, Andersen und Oscar Wilde. Vergleicht man die Illustrationen zu Märchen von Oscar Wilde, die im ersten Fall (1-16) von einem russischen Künstler und im zweiten Fall (III-13) von einem tschechischen stammen, dann ergeben sich erste Hinweise auf bestimmte Eigentümlichkeiten in der Buchgraphik der Länder. Stanislaw Kowaljow illustriert das von mystisch-christlichen Vorstellungen durchdrungene Märchen „Die Nachtigall und die Rose", in dem es weniger um eine verschmähte Liebe als um den am Beispiel des sich opfernden Tieres veranschaulichten Gegensatz von Kunst und Leben geht, im Stil und Geschmack der Jahrhundertwende. Das äußert sich in der Kleidermode des Liebespaares, in der naturgetreuen Wiedergabe von Vogel und Blumen, in der präraffaelitischen Farbgebung und in der Titel und Text umrankenden Jugendstilornamentik. Ota Janecek gestaltet dagegen das Märchen „Der glückliche Prinz", in dem das Motiv von der Selbstaufopferung des Tieres wiederkehrt, sich der Reduktion und Abstraktion bedienend, auf eher zeitlose Art und Weise. Der Vogel wird zu einem flächigen, schattenartigen Gebilde, die Takelage des Schiffs zum Spiel sich verselbständigender Linien. Die Konturen lösen sich auf; die Farben verschwimmen oder fließen ineinander. Alles verwandelt sich ins Atmosphärische und Stimmungshafte. Dieser zeitlose, poetische, abstrahierende Stil mit den an Seidenmalerei erinnernden verfließenden Farben findet sich häufiger in der tschechischen Illustrationskunst. Er begegnet unter anderem bei Vimr und Bednärovä, bei Jirincovä und Kulhänek. Ludmila Jirincovä (III-14) schafft durch ihn eine eigentümlich schwebende Stimmung, die das Sensible der lyrischen Landschaftsbilder Jarmila Urbänkoväs ins fast Magische überhöht, Eva Bednärovä (III-10) eine ihrer ins Monochrome zurückgenommenen Palette entspre-
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chende melancholische Gestimmtheit, in der sich das Gebrochene und zutiefst Problematische der Hauptfiguren von Puschkins „Eugen Onegin" widerspiegelt. Der andere Stil, der historisierende, der naturalistisch und zugleich ornamental ist, kennzeichnet eine breite Strömung in der russischen Illustrationskunst. Man trifft ihn früher bei Narbut, Lewizkij, Mitrochin, Tschechonin oder Kardowskij und heute in den Gogol-Illustrationen Spirins oder in Gennadij Pawlischins Illustrationen sibirischer Mythen und Legenden (I28). Er geht zurück auf Bilibin. Iwan Bilibin hatte, aus der realistischen Schule Ilja Repins kommend, Anregungen durch den westlichen Jugendstil, den japanischen Holzschnitt und die heimische Volkskunst verbunden und aus dieser Verbindung um 1900 einen ganz eigenen Stil entwickelt, flächig, ohne auf plastische Wirkungen zu verzichten, durch geschwungene schwarze Linien die Umrisse von Mensch und Ding betonend, in der Farbgestaltung trotz der Verwendung vieler Farben zurückhaltend, selbst bei realistischer Szenerie den Eindruck des Unwirklichen vermittelnd. Voll entfaltet sind Stil und Technik Bilibins in den zwischen 1905 und 1907 entstandenen Illustrationen zu Puschkins Märchen vom „Zaren Saltan" (1-5) und vom „Goldenen Hahn". Die „Kunst der schönen Linie", eine Formulierung Leon Baksts, mit der Bilibin die Buchgraphik gegenüber der Staffeleizeichnung absetzte, findet hier ihren höchsten Ausdruck. Dabei zeigt sich im Vergleich der beiden Editionen ein wichtiger Unterschied. Werden die Illustrationen zum „Märchen vom Zaren Saltan" noch isoliert gesehen, so daß sich auf gegenüberliegenden Seiten befindliche gelegentlich wechselseitig beeinträchtigen, sind die Illustrationen zum „Märchen vom goldenen Hahn" aufeinander bezogen und die Ornamentbänder mit ihnen zu einem einheitlichen visuellen Gesamtbild verschmolzen. In Puschkins Märchen sah Bilibin ein Muster für die Aneignung nationaler Traditionen. Wie Wasnezow, Wrubel und andere Künstler des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hatte er ein großes Interesse an der Folklore und an der Kultur des Mittelalters. Dieses Interesse wurde ein Hauptmerkmal der russischen Buchkunst und dokumentiert sich in zahlreichen Märchenausgaben und Ausgaben altrussischer Literatur. Volks- und Kunstmärchen, Bylinen, Heldenlieder, Historien, Chroniken, Legenden usw. erschienen immer wieder - und vor allem auch illustriert - in meist hohen Auflagen in Verlagen wie „Academia", „Detskaja literatura" oder „Chudoshestwennaja literatura". Die Ausgaben der „Nestorchronik", illustriert von Mjud Metschew (1-1), und des „Igorlieds", illustriert von Wladimir Noskow (1-2) und Witalij Wolowitsch (1-3), sind Belege aus neuester Zeit und zugleich Beispiele für die anhaltende Orientierung der Illustratoren an alten Kunstformen. Ist bei Bilibin bis in die Übernahme von Kompositionsschemata das Vorbild des Lubok, des russischen Volksbilderbogens, zu erkennen, so weisen die Figurenstatik und das Dekorative und Feierliche in der Darstellung von Szenen aus der Zeit der Christianisierung Rußlands bei Metschew auf die Verwendung byzantinischen Formengutes. Dabei ist im besonderen an die Ikonenmalerei zu denken, ebenso wie bei Noskow, wenn dieser, die Schilderung des Heerzugs Igors gegen die heidnischen Polowzer verbildlichend, zeitlich und räumlich getrennte Vorgänge ineinanderkomponiert. Was jüngere Buchkünstler wie Metschew, Noskow und Wolowitsch trotz des gemeinsamen Rückgriffs auf Altes letztlich von Bilibin unterscheidet, ist die Ablösung der schönen Linie durch die expressive. Statt des Jugendstils setzten Primitivismus, Expressionismus und Kubismus auch auf graphischem Gebiet die Normen für Stil und Technik. Hinzu kommt das Wirken Faworskijs, der nach Bilibin die zweite zentrale Gestalt, den anderen Angelpunkt, in der russischen Graphik des 20. Jahrhunderts darstellt. Wladimir Faworskij hatte in den zwanziger Jahren, als er in Moskau an den Höheren künstlerisch-technischen Werkstätten lehrte, den Holzschnitt erneuert und mit dieser Erneuerung die Ausdruckskraft der Illustration beträchtlich gesteigert. Im
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Unterschied zu anderen Künstlern, die den Holzschnitt der Radierung oder der Bleistiftzeichnung anzunähern pflegten, arbeitete er ganz aus dem Material heraus und versuchte, dessen spezifische Möglichkeiten auszuschöpfen. So erzielte er zum Beispiel durch die Gleichzeitigkeit tiefer und flacher Formen neuartige räumliche Wirkungen. Dabei wählte er stets die knappste Formulierung. Kein Strich ist bei ihm zuviel. Alles hat den Charakter lakonischer Einfachheit und lapidarer Eindringlichkeit. Viele russische Graphiker, nicht nur aus dem engeren Moskauer Schülerkreis, griffen die Neuerungen Faworskijs auf und entwickelten sie weiter. Das gilt für Andrej Gontscharow, Sergej Bigos und Michail Pikow, aber auch noch für Wladimir Noskow, einen Schüler des Faworskij-Schülers Gontscharow. In dessen „Igorlied"-Illustrationen (1-2) kehren die durch bewegte Schraffuren gebildeten Flächen ebenso wieder wie die ausdrucksvolle Schwarzweiß-Kontrastierung, bei der schwarze Striche auf weißem Grund und weiße Striche auf schwarzem Grund erscheinen. Dient die Kontrasttechnik hier dazu, die gleichzeitige Anwesenheit der Mächte des Lichts und der Finsternis zu veranschaulichen, nutzt Pikow sie in seinen Illustrationen zu Dantes „Göttlicher Komödie" (1-4) zur Unterscheidung zwischen der Welt der Sünde und der Welt des Heils. Wie Noskow begnügt er sich nicht mit der Wiedergabe der äußeren Handlung, sondern ist um die Vermittlung der poetischen Atmosphäre und des geistigen Gehalts der illustrierten Werke bemüht. Das trifft in besonderem Maße auch auf Wassilij Masjutin zu, der nach seiner Emigration 1921 in Berlin, parallel zu Faworskij in Moskau, einen an Holzschnitte erinnernden unverwechselbaren Typus von Zeichnung entwickelte. Er überzieht die dargestellten Menschen und Gegenstände gleicherweise mit Schraffuren aus schnellen, kurzen, in alle Richtungen weisenden Strichen, so daß Vordergrund und Hintergrund bis zur Ununterscheidbarkeit zusammenfallen und Räumlichkeit und Plastizität ganz ins Flächige zurückgenommen sind. Die unruhige, fast nervöse Strichführung ergibt eine irritierende, flackernde Atmosphäre, die der bildlichen Aneignung phantastischer Sujets entgegenkommt. Nicht zufällig illustrierte Masjutin neben Puschkin und Gribojedow, Tolstoj und Turgenjew, Dostojewskij und Tschechow vor allem Nikolaj Gogol, bei dem die Realität immer als etwas Verwirrendes und Rätselhaftes erscheint. In seinen Zeichnungen zu den Erzählungen „Das Porträt" und „Die Nase" (1-20) stellt er, wie Gogol vorher, nur mit eigenen Mitteln, das Unwirkliche als wirklich und das Wirkliche als unwirklich dar. Es gibt nicht allzu viele russische Künstler, denen es gelingt, die Irrealität des Realen auf so humoristische und zugleich erschreckende Weise zu visualisieren. Zu ihnen gehört das Moskauer Graphikerkollektiv der Kukryniksy, bestehend aus Michail Kuprijanow, Porfirij Krylow und Nikolaj Sokolow. In ihren Zeichnungen zu Saltykow-Schtschedrins satirischem Roman „Die Geschichte einer Stadt" (1-22), den 1935 schon Alexander Samochwalow meisterhaft illustriert hatte, betonen sie wie Masjutin das groteske Motiv der Verselbständigung eines menschlichen Körperteils. Während Masjutin die Szene, in der Gogols Held seiner eigenen Nase in der Gestalt eines uniformierten Staatsrats begegnet, abstrakter, mit den Mitteln der Schraffierung von Flächen und der Auflösung von Formen, gestaltet, zeigen die Kukryniksy den Helden Saltykow-Schtschedrins, den neuen Stadtkommandanten, der in Uniform am Schreibtisch sitzt und seinen leeren Kopf wie einen Briefbeschwerer auf einen Aktenstapel gelegt hat, mit den Mitteln realistischer Karikatur, so wie sie in den Jahren der Revolution zum Zweck politischer Propaganda verwendet wurde. Daumier ist hier wie dort das Vorbild, nur hier direkter und dort weniger direkt. Humor, Komik, Groteskes, in der russischen Buchillustration eher seltener, hat in der polnischen seit jeher eine große Rolle gespielt. Dies ist zunächst in der Literatur selbst begründet. Gattungen des humoristischen Schaffens wie Fraszki, Fazetien, Epigramme oder Schwänke, Satiren, Anekdoten und heroisch-komische Versepen sind in Polen seit
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der Renaissance reichlich zu finden. Davon zeugen unter anderem zwei umfangreiche Anthologien mit dem Titel „Bücher des polnischen Humors". Die erste wurde 1897 von Bartoszewicz, die zweite 1958 von Czernik, Huszcza und Saloni herausgegeben und mit Holzschnitt-Illustrationen nach altpolnischen Drucken des 16. bis 18. Jahrhunderts versehen (II-2). Humoristische Literatur drängt von sich aus nach Verbildlichung. Das bestätigen die Illustrationen zu Kochanowskis „Fraszki" (II-3) genauso wie die zu Krasickis „Monachomachia", einem heroisch-komischen Versepos in sechs Gesängen (II-4). Beidemal erscheint der Dichter, Müßiggang und Genußsucht der Menschen und der Geistlichen im besonderen darstellend, als Moralist, und die Illustratoren, Maria Berezowska und J. Przyluski, verstärken diesen Moralismus, ohne aber dabei nach satirischer Schärfe zu streben. Ihr naiver karikaturistischer Zeichenstil drückt Verständnis gegenüber den dargestellten Schwächen aus. Von den Federzeichnungen des Warschauer Karikaturisten Felix Topolski läßt sich das nicht unbedingt sagen. Der flüchtige und vielfach gebrochene Strich der skizzenhaft wirkenden Zeichnungen zu Julian Tuwims Ausgabe „Polnisches Trinker-Wörterbuch und Bacchus-Anthologie" (11-18), die im ersten Teil eine zugleich gelehrte und vergnügliche Geschichte des Trinkens in Polen und im zweiten Teil eine Sammlung ernster und heiterer Trink-, Volks- und Vagantenlieder ist, verdeutlicht, daß Zechen nicht nur eine Äußerung von Geselligkeit, sondern auch eine Volkskrankheit und ein gesellschaftlicher Mißstand sein kann. Humor geht hier in Satire über. Es gibt viele Spielarten des Humors in Polen. Eine Fundgrube für Texte grotesker, absurder und phantastischer Art ist eine Auswahl von Feuilletons, die Tuwim zwischen 1949 und 1953 für die Rubrik „Kichererbse und Kohl" in dem Warschauer Monatsblatt „Problemy" verfaßt hat (II-19). Der Zeichner Romuald Nowicki hat versucht, auch das Kurioseste ins Bildliche zu übersetzen, so zum Beispiel Tuwims Bemühungen, im Anschluß an Edward Lears „Book of Nonsense" mit Hilfe der Volksetymologie die anglo-lateinische botanische Terminologie in eine polnisch-lateinische umzusetzen. Die Nonsense-Bezeichnung „Tiktaktia Zegarina", gebildet aus lautmalerischem „tik-tak" und dem Wort „zegar" (Uhr), wird in der Verbildlichung zu einer Pflanze, bei der die Blätter durch Taschenuhren ersetzt sind. Diese groteske Botanik will vor allem unterhalten. Sie ist zuallererst ein literarischer und zeichnerischer Spaß wie zum Beispiel die illustrierte Ausgabe mit dem barocken Titel „Die Arche Noah, gereimt zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, besonders beim Licht der Petroleumlampen im Haus Unter den Tannen von den Familien Pawlikowski und Wolski, was im Nachwort zu dieser Arche Noah sorgfaltig erläutert wird" (11-26). Die kurzen, einfachen Gedichte auf die Tiere der biblischen Arche, die keinen Anspruch auf religiösen, moralischen oder politischen Tiefsinn erheben, gewinnen ihre komischen und parodistischen Wirkungen wie die Beispiele der grotesken Botanik aus dem spielerischen Umgang mit der Sprache selbst, das heißt aus Wortspielen, Wortverschiebungen oder Wortneubildungen. Und spielerisch ist auch die Art und Weise, in der Wojcech Kolyszko, Text für Text illustrierend, die Inhalte der Gedichte aufgreift und erläutert. Die in den Texten vorhandene Komik wird bei ihm verstärkt oder überhaupt erst freigesetzt, indem er die Tiere vermenschlicht und die sprachlichen Erfindungen wörtlich nimmt. Ins Düstere und Makabre gewendet erscheint die Komik in Tuwims Anthologie der polnischen magischen Literatur (11-15). Die Schilderung von Magie, Teufelsgestalten und Hexenszenen, ausgestattet mit Zeichnungen von Stanislaw Zamecznik und Abbildungen der mittelalterlichen Buchgraphik, wird zum Einblick in eine Welt der Vorurteile, des Aberglaubens und der Verblendung. Mit den textlichen und bildlichen Darstellungen von Frauen aus den unteren Schichten der polnischen Bevölkerung, die gefoltert, an einem Strick ins Wasser getaucht und bei lebendigem Leib als Hexen auf dem Scheiterhaufen
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verbrannt werden, werden Autoren und Illustratoren zu Anwälten der Opfer einer aus dem Aberglauben resultierenden rückständigen Geisteshaltung. Hier tritt selbst noch in der polnischen Lust an der humor- und phantasievollen Ausschmückung etwas sehr Typisches zutage: In Polen sind Literatur und Kunst von Bedeutung immer irgendwie mit der Geschichte verbunden. Das gilt natürlich auch für die Kunst der Buchillustration. Dabei erhielt diese eine ihrem Wesen entsprechende spezifische Aufgabe. Seit dem frühen 19. Jahrhundert wurden alle wichtigen Werke der polnischen Literatur illustriert, wobei die jeweilige Hauptfigur besondere Beachtung fand. Der Leser sollte sich vorstellen können, wie Slowackis Kordian oder Mickiewiczs Konrad Wallenrod und Pan Tadeusz aussehen. Andriolli (II-8) zeigt den jungen Tadeusz, in Paradeuniform, den Säbel an der Seite, die rechte Hand in einer Armbinde, eine Schärpe mit Quasten um die Taille, als eleganten Ulanen und Verkörperung ritterlicher Tugend. Neben ihm, als Inbegriff der Polin, seine künftige Gattin Zosia, mädchenhaft anmutig, in litauischer Volkstracht, mit einem Blumenkranz im langen blonden, zu einem Zopf geflochtenen Haar. So entstand im Laufe der Zeit ein Pantheon fiktiver Gestalten, die durch die Visualisierung in der Phantasie der Leser, der Kinder wie der Erwachsenen, fast zu realen Personen wurden. Zugleich lag in der Visualisierung ein patriotischer Aspekt. Das illustrierte Buch führte zur Identifikation mit dem Helden oder der Heldin und lieferte die Bestätigung, daß man in einer Zeit der staatlichen Teilung zu einem Volk, dem der Polen, gehörte. Die Buchillustration hatte also in Polen nach 1795 wie die Literatur selbst eine primär erzieherische Aufgabe. Sie trug zur Erweckung des Patriotismus und zur Stärkung der Identitätsgefühle bei. Das änderte sich erst ab 1918, nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit. Der alten Pflichten entledigt, konnten sich die polnischen Illustratoren ganz auf die Eigenarten der Werke konzentrieren und einem höheren künstlerischen Anspruch genügen. Witkiewicz und Bruno Schulz, beide Schriftsteller und bildende Künstler, beide ihre eigenen literarischen Werke illustrierend, stehen für diese Entwicklung, die erst unter kommunistischer Herrschaft mit der Wiederbetonung der erzieherischen Funktionen eingeschränkt, wenn auch nicht völlig rückgängig gemacht wurde. Dafür bot die Kirche einen Freiraum, in dessen Schutz schöpferische Experimente erfolgen und Darstellungen mit religiöser Thematik und patriotisch-nationalen Motiven entstehen konnten, wie sie für eine Anthologie polnischer Marienlyrik aus sieben Jahrhunderten verwendet wurden (11-13). Dafür war auch die angeborene Neigung der Polen zu satirischer Spottlust zu ausgeprägt. Sie brach immer wieder durch und fand ihren stärksten Ausdruck in den von Solidarnosc und Kriegsrecht geprägten Jahren zwischen 1980 und 1986. Auch in Tschechien und der Slowakei bezeugt gerade die Buchillustration, daß selbst in Zeiten der Unterdrückung des Geistes freiheitliches Denken und unabhängiges Schöpfertum nicht ganz verlorengehen müssen. Die Buchillustration gestattet, mehr als andere Künste, ein Ausweichen in unreglementierte Bereiche: vor allem in die der klassischen Texte und der einfachen Gattungen wie Mythen, Märchen und Legenden. Tschechische und slowakische Künstler haben davon, ebenso wie russische und polnische, reichlichen Gebrauch gemacht. Dementsprechend beginnt das Kapitel zur tschechischen Illustrationskunst in diesem Band mit Romana Rotteroväs Zeichnungen zum Gilgamesch-Epos (III-1) und das zur slowakischen Illustrationskunst mit Gabriel Strbas Radierungen zu Homers „Ilias" (IV-4) und „Odyssee" (IV-5). Und es folgen unter anderem deutsche, englische, französische, russische und dänische Märchen, die wie schon von ihren Verfassern jetzt auch von ihren Illustratoren oft als verschlüsselte Kritik an menschlichen Verhaltensweisen und gesellschaftlichen Zuständen verstanden werden. Dabei zeigt sich trotz der Nachbarschaft der beiden Länder ein gewisser Unterschied zwischen dem tschechischen und dem slowakischen Illustrationsstil. Der letztere ist häufig lebhafter, sinnlicher, farbenfroher und nicht selten auch inhaltlich komplexer als der erstere, der neben der erwähnten poetisch-abstrahierenden Dichtung noch eine zweite, psycho-
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logisch-realistische aufweist. Der Vergleich der Illustrationen zu Lewis Carrolls „Alice in Wonderland" durch die Tschechin Marketa Prachatickä (III-2) und den Slowaken Dusan Källay (IV-8) bestätigt diesen Unterschied. Gemeinsam ist der Buchillustration in den vier vorgestellten slawischen Ländern heute ihr durch die politischen Veränderungen bedingter vorübergehender Rückgang. Zur Zeit beherrschen Comics den Markt. Es fehlt an Geld, an Papier, an Druckereien. Infolge der zunehmenden Kommerzialisierung muß alles möglichst billig sein. Buchillustration aber hatte immer ihren Preis. So hat die Literatur ihre Bedeutung als Inspiration für den bildenden Künstler verloren. Verloren hat die Illustrationskunst damit auch eine ihrer wichtigsten Funktionen. An die großen Leistungen auf diesem Gebiet will der vorliegende Band erinnern - auch in der Hoffnung, damit Anregung und Ermutigung für einen Neuanfang zu bieten.
Bodo Zelinsky
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Zu Teil IV - Slowakei
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215
Bis 1915 weitere umfangreiche Arbeiten für Bühnen und Kostüme. Als erster Graphiker befaßte sich B. mit dem alten Rußland und machte die Buchkunst zu einem wesentlichen Bestandteil seines Schaffens. Er interessierte sich außerdem für japanische Holzschnittkunst und vermittelte diese auch an seine Schüler. Ab 1920 Wohnsitz in Ägypten. 1925 Übersiedlung nach Frankreich mit Hauptwohnsitz in Paris. Dort Bühnenausstattung für russische Opern am Theatre des Champs-Elysees. Ab 1936 Professor an der Leningrader Hochschule für Malerei, wo er bis zu seinem Tode lehrte. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche Illustrationen, vorzugsweise zur russischen Literatur.
Kurzbiographien Russische Buchillustration
Alexejew, Alexander
Nr. 1-12
geb. 18.04.1901 Kasan gest. August 1982 Paris Schüler des Bühnenbildners Sergej Sudejkin. Nach dem Studium orientalischer Sprachen übersiedelte A. Anfang der zwanziger Jahre nach Frankreich. In Paris Arbeiten für Theater und Film. Mitwirkung bei der Herstellung der ersten französischen Farbfilme. Als Illustrator entwickelte er zusammen mit seiner Frau Ciaire Parker Anfang der dreißiger Jahre eine eigene Technik graphischer Gestaltung, die er „ ecran d'epingles" (Stecknadelleinwand) nannte. A. illustrierte Werke russischer und französischer Literatur (u.a. das Igorlied, Werke Gogols, Dostojewskijs und Baudelaires). In Frankreich übte er zahlreiche Funktionen aus, war Direktor des Studios für Zeichentrickfilme, Mitbegründer der Cinematheque Fran^aise sowie des Comite National du Livre Illustre. Ausgezeichnet mit dem „Chevalier des Arts et des Lettres".
Blinow, Walentin Nikolajewitsch
Nr. 1-7
geb. 18.08.1944 Leningrad Studierte von 1964 bis 1966 am Repin-Institut in Leningrad. Lebt und arbeitet in St. Petersburg.
Faworskij, WladimirAndrejewitsch
Nr. 1-13
geb. 14.03.1886 Moskau gest. 29.12.1964 Moskau Alimow, Sergej
Nr. 1-35 1903-13 Kunststudium, zumeist in Moskau, 1906-07 in München. F. arbeitete hauptsächlich als Buchillustrator, zeitweilig auch als Maler und Bildhauer. In den zwanziger Jahren stand er unter dem Eindruck der russischen Avantgarde. Ab 1921 wirkte F. als Lehrer an verschiedenen Kunsthochschulen, u.a. an den WCHUTEMAS (Höhere künstlerischtechnische Werkstätten, dem Bauhaus ähnlich). In Verbindung mit dieser Tätigkeit erarbeitete er eine Theorie der Buchgestaltung, die von der funktionalen und ästhetischen Einheit eines Buches ausgeht. Zu Beginn der dreißiger Jahre entwickelte er vor allem in seinen Holzschnitten einen eigenen Stil realistischer Bildgestaltung. Diese zeigt sich auch in seinem umfangreichen Illustrationswerk zu russischer Poesie und Prosa sowie zu Shakespeares Sonetten. Für den sowjetischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung fertigte er Historiengemälde an. Mit seinem Werk wurde F. zum Begünder einer Schule, die von Graphikern wie Andrej Gontscharow, Michail Pikow, Wladimir Noskow u.a. fortgeführt wurde. Zahlreiche ausländische und sowjetische Auszeichnungen.
geb. 25.04.1938 Moskau 1953-57 Ausbildung an der Moskauer Kunstschule, bis 1963 Studium am Staatlichen Institut für Filmkunst. Arbeitete ab 1962 im Filmstudio „Sojusmultfilm" als Künstler und Spielleiter im Bereich der Zeichentrickfilme. Schuf Skizzen für Brechts „Dreigroschenoper", Gogols „Nase", Bulgakovs „Meister und Margarita", SaltykowSchtschedrins „Geschichte einer Stadt" und andere Trickfilme. 1967-79 unterrichtete A. am Staatlichen Institut für Filmkunst. Neben E.T.A. Hoffmanns „Klein Zaches genannt Zinnober" illustrierte er dessen „Lebensansichten des Katers Murr", Gogols „Die Toten Seelen", jugoslawische Märchen und weitere Werke.
Bilibin, Iwan Jakowlewitsch
Nr. 1-5
geb. 04.08.1876 Tarchowka bei St. Petersburg gest. 07.02.1942 Leningrad 1898-1900 zunächst Jurastudium, dann zwei Jahre Ausbildung bei Ilja Repin und an der privaten Kunstschule der Fürstin Tenischewa. Arbeitete u.a. für die Zeitschrift „Mir iskusstwa" (Welt der Kunst). Erste Illustrationen zu verschiedenen russischen Märchen. Ab 1907 Kostümentwürfe und Dekorationen. Zusammenarbeit mit Leon Bakst für die „Ballets Russes" in Paris. 1910 Professor an der Polytechnischen Hochschule in Leningrad.
Gontscharowa, Natalja Sergejewna
Nr. 1-6
geb. 04.06.1881 Gouvernement Tula gest. 17.10.1962 Paris G. gehört zu den bekanntesten Vertretern der russischen Avantgarde. Ab 1898 Ausbildung an der Moskauer Schule für Malerei, Bildhauerei und Architektur, u.a. in der Bildhauerklasse von Pawel Trubezkoj.
216
1901 Heirat mit Michail Larionow. 1905 Mitarbeit an der führenden Zeitschrift der russischen Symbolisten „Solotoje Runo" (Das Goldene Vlies). 1910-14 Teilnahme an fast allen Ausstellungen der russischen Avantgarde, u.a. „Venok" (Der Kranz), „Bubnovyj walet" (Karo-Bube), „Oslinnyj chwost" (Eselsschwanz). G. wirkte nachhaltig auf verschiedene bedeutende Künstler, u. a. Konstantin Malewitsch, ein. Zusammen mit Larionow gilt sie als Begründerin des russischen Primitivismus.
bedeutenden Platz ein. Besondere Popularität erlangten seine Illustrationen zu Werken Schewtschenkos und Gogols.
1913 verfaßte das Künstlerpaar, in Abgrenzung vom deutschen Expressionismus, das „Rayonistische Manifest". 1914 erschien G.s bekannte Litho-Serie „Mystische Kriegsbilder". Danach häufige Auslandsaufenthalte (Schweiz, Spanien, Italien, Frankreich). 1915 Übersiedlung nach Paris. G. wirkte hier hauptsächlich als Theaterkünstlerin und arbeitete jahrelang mit Diaghilew für dessen „Ballets Russes" zusammen. Sie entwarf Bühnenbilder und Kostüme. Die Themen und Motive ihres malerischen und graphischen Werkes sind meist mit der russischen Landschaft und Folklore verbunden. In manchen Arbeiten werden dekorative Elemente der Ikonenmalerei und der volkstümlichen Holzschnittkunst verwendet.
1976 Abschluß der staatlichen Surikow-Kunsthochschule in Moskau. Studium bei Ponomarjow und Sawostjuk. Arbeitete als Buchillustrator und Buchgestalter für die Verlage Detskaja literatura (Kinderliteratur) und Sowremennik (Der Zeitgenosse). Seine Illustrationen, darunter für „Aladin und die Wunderlampe", Werke Michalkows, Shukowskijs und Alexej Tolstojs, erhielten verschiedene Auszeichnungen. 1995 widmete die Moskauer Galerie Welta K. zwei Einzelausstellungen.
Kardowskij, DmitrijNikolajewitsch
1952-54 Ausbildung bei S. Meschtschewskij an der Leningrader Kunstschule. Arbeitete als Buchgestalter und Buchillustrator für verschiedene Verlage. Illustrierte eine Reihe von Schulbüchern, wobei er sich um eine Verbindung von künstlerischem und pädagogischem Anspruch bemühte. Für seine Arbeit, darunter auch einige Märchenillustrationen, erhielt er mehrere hochrangige sowjetische Auszeichnungen.
Koschkin, Alexander Amoldowitsch
Nr. 1-14
geb. 24.07.1952 Moskau lebt und arbeitet in Moskau
Kowaljow, Stanislaw Romanowitsch
Nr. 1-16
geb. 30.09.1935 Ufa lebt und arbeitet in Perm
Nr. 1-15
geb. 05.09.1866 Ossurowo gest. 09.02.1943 Ossurowo 1892-96 Studium an der Petersburger Akademie der Künste u.a. bei P. Tschistjakow und Ilja Repin, 1896-1900 bei Ashbe in München. Unterrichtete von 1903 bis 1918 an der Petersburger Akademie der Künste (ab 1907 als Professor), von 1920 bis 1930 an den Moskauer WCHUTEMAS/WCHUTEIN (Höhere künstlerisch-technische Werkstätten bzw. Höheres künstlerisch-technisches Institut). Arbeitete als Bühnenbildner für das Moskauer Malyj teatr. Als Illustrator steht K. in der Tradition der realistischen russischen Malerei des 19. Jahrhunderts. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen Illustrationen zu Werken Tschechows, zu Daniel Defoes „Robinson Crusoe" und zu Alexej Tolstojs „Peter I.". An den Illustrationen zu Gribojedows Komödie „Verstand schafft Leiden" arbeitete K. fünf Jahre lang.
Kukryniksy
Nr. 1-22
Anagramm des Moskauer Graphikerkollektivs, das seine Arbeiten seit den dreißiger Jahren unter diesem Pseudonym veröffentlichte. Es setzt sich zusammen aus den Anfangssilben der Namen seiner drei Mitglieder:
Kupnjanow, Michail Wassiljewitsch geb. 21.10.1903 Tetjusch (Tatarstan) gest. 11.11.1991
Krylow, Porfirij Niki titsch Kassijan, Wassilij Iljitsch
Nr. 1-9
geb. 01.01.1896 Dorf Mikulinz (Ukraine) gest. 26.06.1976 Kiew
geb. 22.08.1902 Dorf Schtschelkunowo bei Tula gest. 15.05.1990
Sokolow, NikolajAlexandrowitsch geb. 21.07.1903 Moskau oder Rybinsk Todesdatum und -ort nicht zu ermitteln
1920-26 Studium an der Kunstakademie in Prag bei M. Schwabinskij. 1927 Übersiedlung nach Kiew, wo er eine Professur erhielt. K. arbeitete hier hauptsächlich als Graphiker, vielfach im Auftrag sowjetischer politischer Institutionen. Für diese Arbeit, u.a. für die Gestaltung zahlreicher Plakate, erhielt er diverse hochrangige Auszeichnungen der UdSSR. In seinem Illustrationswerk nehmen Arbeiten zur Literatur und zum kulturellen Leben des ukrainischen Volkes einen
Studium in den Jahren 1921 bis 1929 in Moskau. In den dreißiger und vierziger Jahren wurde das Künstlertrio populär durch seine Karikaturen für die „Prawda", die satirische Zeitschrift „Krokodil" und andere sowjetische Zeitschriften. Die in der Presse veröffentlichten Zeichnungen des Kollektivs, u.a. seine satirischen Arbeiten gegen den deutschen Fa-
217
schismus, prägten maßgeblich den Stil der sowjetischen politischen Karikatur dieser Zeit. Künstlerisch anspruchsvolle Arbeiten schufen die Graphiker als Illustratoren von Werken der russischen und sowjetischen Literatur (Leskow, Tschechow, Gorkij u.a.), vor allem auch solcher satirischen Charakters wie der Prosa von Saltykow-Schtschedrin.
Kurkin, Alexander Michajlowitsch
Nr. 1-8
geb. 24.11.1916 Dorf Sibiljow bei Rostow Nach einer Ausbildung als Lokomotivmechaniker beschloß K., seinen Kindheitstraum zu verwirklichen, und ging nach Palech, dem ehemaligen Zentrum russischer Ikonenmalerei in der Nähe von Moskau, das seit den zwanziger Jahren seine charakteristische Kunst der farbigen Bemalung schwarzer Lackschatullen entwickelte. 1940 Abschluß der dortigen Kunstschule. Als Illustrator bediente sich K. gestalterischer Elemente und Techniken der Palecher Schule. 1941^44 Frontdienst. K.s Schaffen in dieser Zeit ist von der Thematik des Krieges beherrscht. Später gestaltete er u.a. Propagandaplakate für die Sowjetmacht sowie eine Dekoration zu Puschkins „Goldenem Hahn" für das Opernhaus in Saratow.
Masjutin, WassilijNikolajewitsch
1967-74 Arbeit an der Illustrierung des finnischen Nationalepos „Kalevala", für die er von der finnischen Regierung mit der Elias-Lönnrot-Medaille ausgezeichnet wurde. 1991 Publikation von 300 Lithographien für eine Edition der „Nestorchronik". Auszeichnung des Vatikans für seine Illustrierung des Matthäus-Evangeliums. Mitglied der russischen Akademie der Künste und Auszeichnung als „Verehrter Künstler Rußlands". M.s CEuvre umfaßt hunderte von Graphikblättern in verschiedenen Techniken, ferner Bleistift- und Federzeichnungen, Aquarell-, Gouache- und Ölmalerei, vor allem aber Holzstiche. Neben seiner Arbeit als Buchillustrator war M. Autor der Novellen „Saonegskaja Powest" und „The portrait of hero".
Minajew, Wladimir Nikolajewitsch geb. 21.02.1912 Moskau gest. 17.02.1993 Moskau
1934-40 Ausbildung an der staatlichen Surikow-Kunsthochschule in Moskau. 1942-45 Arbeit für Frontzeitungen. Nach dem Krieg illustrierte M. zunächst hauptsächlich Kinder· und Märchenbücher. Zu seinen bedeutendsten Arbeiten gehören die Illustrationen zu den Erzählungen „1941" (1966) von Boris Lawrenjow, zu Dostojewskijs Romanen „Die Sanftmütige" (1968/69) und „Die Brüder Karamasow" (1971) sowie zu Gogols „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen" (1985). M. schuf außerdem Porträts und Landschaftsbilder, darunter eine Serie italienischer Landschaften und den Zyklus „Die Schweiz. Auf Lenins Spuren".
Nr. 1-20
geb. 10.02.1884 Riga gest. 25.11.1955 Berlin-Wilmersdorf 1908-14 Studium an der Moskauer Hochschule für Malerei. Nach Kriegsausbruch kämpfte er gegen die österreichischen Truppen in Bessarabien. 1918 Professor für Graphik an den Freien Kunstwerkstätten (SVOMAS) in Moskau. Anschluß an die russische Avantgarde. 1921 Übersiedlung nach Berlin. Dort Illustrationsarbeiten für russische und deutsche Verlage, z.T. gemeinsam mit Kandinsky, Chagall, Larionow und Gontscharowa. 1931-32 Bühnenbildner am Theatre Michal Tschekhoff in Paris. 1936 Mitglied im Verein Berliner Künstler. Arbeitete als Gebrauchsgraphiker, u.a. für die Lufthansa. 1945^46 wegen früherer Verbindungen zu ukrainischen Nationalisten von den Sowjets im KZ Sachsenhausen interniert. Nach der Entlassung jedoch Arbeiten für die sowjetische Militärverwaltung.
Metschew, MjudM.
Nr. 1-21
Mitrochin, Dimitrij Issidorowitsch
Nr. 1-31
geb. 27.05.1883 Jejsk gest. 07.11.1973 Moskau 1902-04 Kunststudium in Moskau, 1905-06 an privaten Zeichenschulen in Paris. Lebte danach in St. Petersburg. Gehörte zur Künstlergruppe „Mir isskusstwa" (Welt der Kunst). Sein (Euvre umfaßt Illustrationen, vorwiegend zu russischen Autoren, Buchumschläge, Buchausstattungen und Exlibris. Der graphische Stil zeigt Einflüsse des Jugendstils. In späterer Zeit schuf M. auch Holzschnittgraphik.
Nr. 1-1
Narbut, GeorgijIwanowitsch
Nr. 1-19,1-23
geb. 31.08.1929 Moskau lebt in Moskau und Petrosawodsk (Karelien)
geb. 26.02.1886 Dorf Narbutowka (Ukraine) gest. 23.05.1920 Kiew
M. enstammte einer Künstlerfamilie. Sein Vater starb in einem stalinistischen Lager. 1945-49 Schüler an der Mittelschule für Kunstausbildung. Ab 1950 Studium am Stroganowskoje-Kunstinstitut bei Pawel Kosin.
Gilt als einer der größten russischen Graphiker dieses Jahrhunderts. Studium in St. Petersburg. Bekanntschaft mit Bilibin, dessen Schüler er wird. Eintritt in die Swanzewa-Zeichenschule.
218
Mitarbeit in der Vereinigung „Mir iskusstwa" (Welt der Kunst). 1906-17 arbeitete N. in Sankt Petersburg u.a. für die Zeitschrift „Iskusstwo" (Kunst). In den Jahren 1907 bis 1911 Illustrationen zu mehreren Kinderbüchern. Teilnahme an verschiedenen Ausstellungen. Ab 1917 Professor für Graphik an der ukrainischen Kunstakademie in Kiew. N.s Werk umfaßt hauptsächlich Buchillustrationen. Die Aquarelle, Tusche- und Federzeichnungen seiner Petersburger Zeit zeigen den Einfluß seines Freundes und Lehrers Iwan Bilibin sowie der russischen Avantgardisten. Seine späteren, nach 1917 in Kiew entstandenen Arbeiten sind vom ukrainischen Barock beeinflußt. N. starb 1920 an den Folgen einer Operation. 1922 fand in Petersburg eine Retrospektive seiner Werke statt.
Noskow, WladimirAlexandrowitsch
1952 Abschluß des Moskauer Instituts für Buchdruckerkunst, wo er Schüler von W. P. Ejges und Andrej Gontscharow war. Er illustrierte Werke der russischen und ausländischen Literatur, darunter Werke von Fielding, Dickens, Poe, Eisenstein und Goethes „Faust". In den sechziger und siebziger Jahren schuf N. Graphiken und Illustrationen insbesondere zu mythologischen Werken und zur Heldendichtung: „Beowulf', „Die ältere Edda", „Das Nibelungenlied", „Tristan und Isolde" und „Das Igorlied". In den siebziger und achtziger Jahren illustrierte er außerdem Werke Aitmatows. Mit seinen Holzschnitten setzt N. die Tradition Wladimir Faworskijs und Andrej Gontscharows fort.
Nr. 1-28
geb. 1938 lebt und arbeitet in Chabarowsk
Pikow, Michail Iwanowitsch
Nr. 1-4
geb. 30.09.1903 Dorf Schmonicha bei Wjatka gest. 20.01.1973 Moskau
Nr. 1-26,1-27
geb. 1941 Leningrad lebt und arbeitet in St. Petersburg Sohn der Künstlerin Lydia Alexandrowna Ostrowa. Studium an der Leningrader Akademie der Künste. Ausbildung in Zeichnen, Graphik und Radierung bei M.A. Taranow und W.M. Swonzow. Erste Veröffentlichung 1965. Mitarbeit bei den Zeitschriften „Kostjor", „Newa", „Awrora", „Pioner" und anderen. O. arbeitete viel im Bereich der Buchgraphik. Als Künstler ist er besonders an märchenhaften und phantastischen Themen interessiert.
Pasternak, Leonid Ossipowitsch
Pawlischin, GennadijDmitrijewitsch
Studium an der Kunstschule in Wladiwostok. Arbeitete einige Jahre an der fernöstlichen Außenstelle der Sibirischen Akademie der Wissenschaften. Sein Forschungsgebiet war die Kultur der kleinen Völker des Fernen Ostens. Seit 1967 illustriert er Märchen und Legenden dieser Völker. Dabei nutzt er die Techniken und Traditionen der Volkskunst der Amur-Region. P. trug in Chabarowsk eine große Privatsammlung von Gegenständen einheimischer Volkskunst zusammen, die u.a. Holzskulpturen, Schnitzereien aus Knochen sowie Gebrauchsartikel aus Birkenrinde oder Fischhäuten umfaßt.
Nr. 1-2
geb. 10.01.1926 Jewpatoria/Krim lebt und arbeitet in Moskau
Ostrow, Swjatosar Alexandrowitsch
Um 1900 gründete P. eine eigene Zeichenschule, an der er als Lehrer wirkte. 1905 Mitglied der Petersburger Akademie der Künste. Als Zeichner wurde P. breiten Kreisen der russischen Öffentlichkeit bekannt, als 1899 Tolstojs Roman „Auferstehung" mit seinen Illustrationen in der Petersburger Zeitschrift „Niwa" abgedruckt wurde. Zu seinen berühmten Arbeiten zählen auch die Federzeichnungen zu Lermontows „Maskerade" sowie Porträts bekannter russischer Persönlichkeiten. Ab 1921 lebte P. im Ausland, hauptsächlich in England.
1920 Studium an der Kunstschule in Wjatka. 1921-30 Studium der Malerei und Polygraphie an den Moskauer WCHUTEMAS/WCHUTEIN (Höhere künstlerisch-technische Werkstätten bzw. Höheres künstlerischtechnisches Institut), in der Konzeption vergleichbar dem Bauhaus. Ab 1925 Studium bei W.A. Faworskij. Arbeitete hauptsächlich als Buchillustrator, vor allem zu den Klassikern der Weltliteratur von Homer und Dante bis zum Igorlied und Puschkin. In seinen Holzschnitten bemühte er sich ähnlich wie Faworskij gleichermaßen um Lakonismus der Aussage wie um epische Substanz. Legte bei der Buchgestaltung Wert auf die Einheit von Einbandgestaltung, Druckbild, Vignetten und Illustrationen. Die Arbeit zu Dantes „Göttlicher Komödie" (1961-66) zählt zu seinen Hauptwerken.
Nr. 1-11 Popow, Jewgenij Wassiljewitsch
geb. 04.04.1862 Odessa gest. 16.07.1945 Oxford
geb. 29.11.1942 Studium in Moskau und München. Ab 1893 Professor an der Moskauer Kunstschule.
Lebt und arbeitet in Kiew.
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Nr. 1-34
Ratschow, JewgenijMichajlowitsch
Nr. 1-24
Ihre Illustrationen erschienen vorwiegend im Kinderbuchverlag Detskaja Literatura.
geb. 08.02.1906 Tomsk lebt in Moskau
Tschechonin, Sergej Wassiljewitsch
1928-31 Studium am Kunstinstitut in Kiew. Lebt und arbeitet ab 1935 als Illustrator in Moskau. Seit 1938 Mitglied des Künstlerverbandes. R. ist besonders bekannt für seine Tierdarstellungen mit menschlichen Charakterzügen. Für seine zahlreichen Märchenillustrationen (darunter russische, ukrainische, ungarische und die Märchen von Saltykow-Schtschedrin) erhielt er viele Preise und Auszeichnungen.
Sarjan, Martiros Sergejewitsch
Nr. 1-29,1-30
geb. 16.02.1880 Neu-Nachitschewan am Don gest. 05.05.1972 Erewan 1887-1903 Ausbildung an der Moskauer Schule für Malerei, Bildhauerei und Architektur, im Anschluß daran eineinhalb Jahre im Porträt-Atelier bei Serow und Korowin tätig. Teilnahme an Ausstellungen der Künstlergruppen „Blaue Rose", „Welt der Kunst", „Verein russischer Künstler" und „Vier Künste" teil. 1901-03 Reisen nach Armenien und Transkaukasien. 1902-04 Bühnenbilder für armenische Abende in Moskau. In den folgenden Jahren weitere Reisen, darunter nach Georgien, Konstantinopel, Ägypten und Persien. 1921 Übersiedlung nach Erewan. In S.s farbenprächtigen Ölbildern ist eine Vorliebe für märchenhafte orientalische Motive und dekorative Kompositionen zu erkennen. Der ihnen eigene expressive Lakonismus weist auf einen starken Einfluß von Gauguin und Matisse hin, vor allem in den Porträts und Stilleben der Jahre zwischen 1910 und 1920. Ab 1922 Teilnahme an zahlreichen internationalen Ausstellungen, u.a. in Berlin, Venedig, New York und Paris. 1926-28 Aufenthalt in Paris. Nach 1940 entstanden hauptsächlich Landschaftsbilder. Zahlreiche sowjetische und internationale Auszeichnungen. 1967 Eröffnung des Martiros-Sarjan-Museums in Erewan.
Traugot, Alexander Georgijewitsch geb. 19.06.1931 Leningrad
Nr. 1-32,1-33
Traugot, Walerij Georgijewitsch geb. 23.06.1936 Leningrad Die Brüder leben und arbeiten in St. Petersburg. Den ersten Zeichenunterricht erteilte ihnen der Vater Georgij Nikolajewitsch Traugot, ein bekannter Leningrader Maler. Beide Künstler haben seit ihrer Kindheit eine besondere Vorliebe für Märchen. Sie arbeiten gewöhnlich zusammen und haben sich in ihrem Schaffen auf Volks- und Kunstmärchen Osteuropas spezialisiert. Ihre Illustrationen zu den Märchen von Andersen wurden mehrfach prämiert. Walerij illustriert außerdem auch historische Sujets und Alexander Gedichte und antike Literatur.
Nr. 1-17,1-18
geb. 1878 Dorf Lykoschino bei Nowgorod gest. 23.02.1936 Lörrach 1897-1900 Ausbildung an der Zeichenschule der Petersburger „Gesellschaft zur Förderung der Künste", an der privaten Kunstschule der Fürstin Tenischewa und in der Werkstatt Ilja Repins. Mitglied der Künstlervereinigung „Mir iskusstwa" (Welt der Kunst). Tsch. arbeitete als Buch- und Zeitschriftengraphiker, ferner als Miniaturist, Porzellan- und Emailmaler sowie als Bühnenbildner und Möbeldesigner. In den ersten Jahren nach der Revolution aktive Zusammenarbeit mit der Sowjetmacht. Tsch. wurde zum maßgeblichen Schöpfer von Emblemen und Wappen der Sowjetunion (so des Staatswappens der UdSSR, von Geldscheinen und Briefmarken). Er entwickelte eine charakteristische Manier kalligraphisch raffinierter Pinselzeichnungen (häufig in der Kombination von Blumengirlanden mit revolutionären Spruchbändern) und prägte damit den „üppigen Stil eines sowjetischen Empire" (A.M. Efros). In den zwanziger Jahren nahm er futuristische Stilelemente auf. Tsch. war einer der ersten Schöpfer des sog. Agitationsporzellans, das in der Staatlichen Porzellanmanufaktur in Leningrad hergestellt wurde, deren Leitung er in den Jahren 1918-23 und 1925-27 innehatte. 1928 blieb Tsch. im Ausland und lebte hauptsächlich in Frankreich. Auf dem Weg nach Paris starb er in Lörrach. Wasnezow, Jurij Alexejewitsch
Nr. 1-25
geb. 23.03.1900 Wjatka gest. 03.05.1973 Leningrad 1921-26 Studium an der Leningrader Akademie der Künste (SVOMAS - Freie Künstlerische Werkstätten) bei A.E. Karjew, M.V. Matjuschin, N.E. Radlow und 1932-34 bei W.W. Lebedjew. W. war auch eine Zeitlang Schüler Malewitschs. Nach 1929 illustrierte er hauptsächlich Kinderbücher. Dabei arbeitete er für den Kinderbuchverlag Detgiz, der als der beste der zwanziger und dreißiger Jahre gilt, zusammen mit Charms, Wwedenskij, Schwarz, Lebedjew, Lapschin und anderen. Bis Kriegsende lebte W. in Perm, später in Sagorsk, wo er 1943^15 als leitender Künstler am wissenschaftlichen Forschungsinstitut für Spielzeugherstellung arbeitete. Er schuf Lithographien zu Themen russischer Volksmärchen. 1945 Rückkehr nach Leningrad. Danach wiederum Arbeit als Illustrator von Kinderbüchern. Wolowitsch, WitalijMichajlowitsch geb. 03.08.1928 Spassk im Fernen Osten lebt und arbeitet in Jekaterinburg
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Nr. 1-3,1-10
1948 Studienabschluß an der Kunstschule in Swerdlowsk. Danach zunächst Lehrtätigkeit an einer Zeichenschule und erste Auftragsarbeiten für Verlage. Erlernt als Autodidakt die Kunst des Buchdrucks und beschäftigt sich mit zeitgenössischer und älterer Graphik. W.s Werk zeigt eine Vorliebe für das europäische Mittelalter. Charakteristisch für seine frühen Arbeiten sind ein romantisches Pathos und betonte Expressivität, später vertiefte Reflexion des literarischen Stoffs und Aneignung neuer graphischer Techniken wie Linolschnitt, Kartondruck, Radierung und Lithographie.
Ansehen als Illustrator erwarb sich W. 1965 mit seinen expressiven Zeichnungen zu Gorkijs „Sturmvogel". Sein Arbeitsschwerpunkt liegt weiterhin auf Werken der Weltliteratur: 1968 Illustrationen zu „Richard III.", später zu anderen Dramen Shakespeares und 1982 u.a. zu Goethes „Egmont". Symbolträchtige Darstellungen der Epochenatmosphäre schuf W. mit seinen Illustrationen zur altrussischen Literatur, so zum Heldenlied „Slowo ο polku Igorewe" (Igorlied).
Polnische Buchillustration
1924-29 Studium an der Akademie der Schönen Künste in Krakau bei Wojciech Weiss (Malerei) und Karol Frycz (Szenographie und Bühnenbild). 1930-31 mit staatlichem Stipendium in Paris bei Jözef Pankiewicz. 1944 starb seine Frau, die Malerin Bronislawa Mroczkowska. 1948 heiratete er Olga Gewusz, Redakteurin der Monatszeitschrift „Polska" (Polen). A. wirkte hauptsächlich als Bühnenbildner, zunächst am Lemberger Stadttheater, wo er u.a. Bühnenbild und Kostüme zu Brechts „Dreigroschenoper" entwarf, später am Theater der Polnischen Armee und am Teatr Polski in Warschau. Als Avantgardist schuf er szenische Bilderwelten und wurde zum Vorläufer des „teatr plastyczny" (Theater als audio-visuelle Kunst) ä la Tadeusz Kantor und Jerzy Szajna. In Zusammenarbeit mit dem als „poeta sceny" (szenischer Dichter) bekannten Regisseur Leon Schiller (1887-1954), der poetisches Monumentaltheater, gleichzeitig aber auch politisches Zeittheater und Opern inszenierte, entwarf A. über 200 Bühnenbilder. Während seiner Tätigkeit als Bühnengestalter am Teatr Polski in Warschau 1949-73 arbeitete er mit den bedeutendsten Regisseuren, u.a. mit Jan Kreczmar, Aleksander Bardini und Erwin Axer, zusammen.
Andriolli, Micha! Elwiro
Nr. II-8
geb. 02.11.1836 Wilna gest. 23.08.1893 Nal?czöw Studierte zunächst an der Moskauer Schule für Malerei und Skulptur, dann bis 1857 an der Petersburger Akademie der bildenden Künste. 1857 Diplom für sein „Porträt eines Studenten" (Selbstbildnis?). Von 1858 bis 1860 wanderte er durch Litauen und Polen und beschäftigte sich mit realistischen Naturzeichnungen. 1860-61 Weiterbildung in Malerei, Graphik und Illustration an der Academia di S. Luca in Rom. Wurde 1864 wegen Teilnahme an der nationalen Erhebung von 1863 in St. Petersburg inhaftiert, floh nach London und später nach Paris. Dort war er 1864-66 als Illustrator tätig. 1866-71 in sibirischer Verbannung in dem Dorf Wjatka. Dort gab er Zeichenunterricht. Mit Zeichnungen bei A. begann der Vertreter der russischen Peredwishniki Wiktor M. Wasnezow (1848-26) seine künstlerische Karriere. 1869-71 führte er auch die polnische Bildnismalerin Anna Bilmska (1857-93) in die Zeichenkunst ein. 1871 Übersiedlung nach Warschau, dort bis 1881 als Illustrator vieler Bücher und Zeitschriften tätig. 1883-86 erneut als Illustrator in Paris, dann Rückkehr nach Brzegi am Swider. Populärster Illustrator seiner Zeit. In seinem Werk sind vor allem zwei stilistische Tendenzen erkennbar: einerseits ein Hang zum Realismus in einer schlichten, wahrheitsgetreuen Bildsprache und andererseits eine Hinwendung zur symbolischen Kunst. Die Illustrationen zu Adam Mickiewiczs „Pan Tadeusz" gelten als seine bedeutendste Arbeit.
Zwischen 1949 und 1953 hatte A. außerdem eine Professur an der Staatlichen Hochschule für Theater und Film in Warschau inne. Eine erste Ausstellung seiner Malerei fand 1968 im Warschauer Kunstverein „Zacheta" (Ansporn) statt. Sein Sujet war der Mensch, den er durch das dramatische Prisma der Bühne betrachtete. A. illustrierte Bücher von Calderon, Daniel Defoe und Garcia Lorca.
Berezowska(-Wolska), Maria (Maja)
Nr. II-3
geb. 24.09.1901 Lublin gest. 08.09.1985 Warschau
Axer, Otto
Nr. 11-14 Zeichnerin, Malerin, Illustratorin, Karikaturistin. Als Tochter eines Ingenieurs der Transsibirischen Eisenbahn verbrachte B. ihre Kindheit in Rußland. Erster Zei-
geb. 03.08.1906 Przemysl gest. 24.05.1983 Warschau
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Gronowski, Tadeusz Lucjan
chenunterricht in St. Petersburg bei Nikolaj A. Roerich, um 1910-12 an der privaten Künstlerschule für Frauen bei Maria Niedzielska in Krakau. Sie studierte ferner in München bei Heinrich Knirr und in Krakau bei Jozef Pankiewicz. 1916 erschienen ihre ersten Illustrationen zu Erzählungen von Kornel Makuschinskij. 1924 wurde sie Mitglied der Künstlergruppe „Rytm" (Rhythmus). B. illustrierte viele Werke der Weltliteratur, darunter von Heine, Boccaccio, Villon und Goethe, wie auch Werke von polnischen Autoren. Mit ihren Illustrationen zu Boccaccios „Decamerone" (1930) gelang ihr der künstlerische Durchbruch. Ab 1932 Illustratorin bei diversen Zeitschriften in Paris wie „Ici", „Le canard enchaine", „La vie Parisienne", „Le Figaro" u.a. 1937 kam sie nach Warschau. Wegen ihrer 1935 im „Ici" in Paris publizierten elf Karikaturen „Milosne przygody slodkiego Adolfa" (Die Liebesabenteuer des süßen Adolf) wurde sie 1942 verhaftet und ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Hier schuf sie eine Reihe eindringlicher Porträtzeichnungen ihrer Leidensgenossinnen. 1945 wurde sie vom schwedischen Roten Kreuz nach Stockholm gebracht. Hier und auch in Kopenhagen wurden ihre Lagerzeichnungen ausgestellt. Ab 1946 war die Künstlerin in Warschau maßgeblich an der Entwicklung der polnischen Buchillustration beteiligt. B. schuf überwiegend Federzeichnungen, Aquarelle und Gouachen. Ihre Linienführung ist weich und harmonisch.
Dwumik, Edward
Nr.II-6
geb. 05.10.1894 Warschau gest. 20.02.1990 Warschau Studium der Architektur, zunächst von 1917 bis 1925 an der Technischen Hochschule in Warschau bei Zygmunt Kaminski und Edmund Bartlomiejczyk, dann bis 1927 an der Academie des Beaux Arts in Paris. Arbeitete als Gebrauchsgraphiker und Plakatgestalter, befaßte sich außerdem mit Innenarchitektur, Ausstellungswesen, Bühnenbild und Malerei. Seine Bucheinbände für den Verlag Ignis 1921 gehören zu den größten Leistungen der polnischen Gebrauchsgraphik jener Zeit. 1923 war er zusammen mit H. Borman und J. Gelbhard Mitbegründer des Ateliers für Werbegraphik „Plakat". Bis Mitte der zwanziger Jahre Tätigkeit für die Literaturzeitschriften „Pro Arte et Studio" (1916), „Skamander" (1920) und „Wiadomosci Literackie" (Literarische Nachrichten, 1924). Während seiner zahlreichen Aufenthalte in Paris 192636 Graphiker und Dekorateur für die Kaufhäuser „Galerie Lafayette", „Au Printemps" und „Trois Quartiers". 1930-34 künstlerischer Redakteur der Zeitschrift „Graphik". 1933 Mitschöpfer der Vereinigung polnischer Gebrauchsgraphiker (K.A.G.R.). Sein Werk (Plakate, Graphik) wurde durch zahlreiche polnische und internationale Auszeichnungen gewürdigt, z.B. 1925 durch den Grand Prix auf der Exposition Internationale des Arts Decoratifs in Paris und 1939 durch eine Goldmedaille in New York. G. war Präsident des Vereins Polnischer Künstler.
Nr. 11-27
Hiszpanska-Neumann, Maria
Nr. 11-12
geb. 19.04.1943 Radzymin bei Warschau lebt in Warschau
geb. 28.10.1917 Warschau gest. 13.01.1980 Warschau
1963/64-70 Studium an der Akademie der Schönen Künste in Warschau bei Eugeniusz Eibisch (Malerei) und Jozef Pankulski (Graphik). Autor einer Reihe von Gemäldezyklen. Nahm seit 1971 an zahlreichen Ausstellungen in Polen und im Ausland teil, u.a. auf der Documenta 7 in Kassel (1982) und auf der XIX. Biennale in Sao Paolo. 1975 und 1983 Stipendiat des Ministeriums für Kultur und Kunst. 1984 am Atelierhaus in Worpswede. 1988 am Künstlerhaus in Edenkoben. Sein Werk ist insgesamt eine erzählende, fabulierende, visuelle Rundschau der siebziger und achtziger Jahre in Polen. D. gilt als Wegbereiter der Pop-Art in Polen. Als Buchillustrator nutzt er deren multimedialen Stil zur bildlichen Dokumentation gesellschaftlicher Fakten und auch als eine Parodie in den Formen naiver Kunst.
1935-39 Ausbildung in Graphik und Zeichnen an der Warschauer Akademie der Schönen Künste bei Karol Tichy und Mieczyslaw Kotarbinski und in Graphik bei E. Czerwinski. Schülerin des Bildhauers Stanislaw Ostoja-Chrostowski. Von 1942 bis 1945 im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Im Lager entstanden ca. 500 dokumentarische Skizzen, die 1944 entdeckt und in der Folge verbrannt wurden. 1945 kam sie wieder nach Warschau. 1 9 4 5 ^ 6 entstand der Dokumentationszyklus „Ravensbrück", bei dem sich H. für die Zeichnung entscheidet anstelle des sonst von ihr bevorzugten Holzschnitts. 1946^18 Studium der Kunstgeschichte, vor allem der mittelalterlichen Kunst, an der Universität Warschau bei M. Walicki und später bei Jan Bialostocki. Ihr Stil zeichnet sich durch die expressive bildliche Umsetzung von inhaltlichen Elementen aus und gab neue
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Anregungen für die polnische Buchillustration. Bevorzugte Themen sind Leben und Tod sowie die Spannung zwischen Sehnsucht und Erlösung. Im Rahmen der europäischen Illustration gilt H. als eine bedeutende Interpretin mittelalterlicher Legenden und Sagen. In Kenntnis romanischer, gotischer und byzantinischer Kunst vermittelt sie im Wechsel von Lyrismus und dramatischer Spannung ein lebendiges Bild der Welt des Mittelalters. Sie illustrierte u.a. Werke von Villon („Das große Testament", 1948), Garcia-Lorca („Gedichte und Dramen", 1951), S. Undset („Die Artus-Sage", 1956) sowie „Tristan und Isolde" (1966).
Nach der Ausbildung Lehrtätigkeit in Lublin und seit 1984 Dozent am Institut für Kunsterziehung der MarieCurie-Sklodowska-Universität in Lublin. Seit 1980 Teilnahme an polnischen und internationalen Ausstellungen. M. erhielt viele Auszeichnungen, u. a. 1987 den Ehrenpreis bei der „Hanga Annual '87" des Tokyo Metropolitan Museum für den Zyklus „Alle meine Freunde. IV".
Jaworowski, Jerzy
Nach Schulabschluß zweijährige Ausbildung an der Staatlichen Schule für graphische Künste und Kunstgewerbe in Krakau. Ab 1938 selbständige Fortbildung. Nach Kriegsbeginn wurde der Vater verhaftet und fand in Auschwitz den Tod. Die Mutter starb vor Kummer. Mit praktischen Arbeiten verdiente sich M. während der Kriegsjahre seinen Lebensunterhalt. 1946 Beginn des Studiums an der Akademie der Schönen Künste, Fakultät für Graphik und Bühnenbild, in Krakau. 1951-78 Beschäftigung als Graphiker und Illustrator bei der Wochenzeitschrift „Przekröj" (Profil). Daneben Entwürfe von Bühnenbildern für verschiedene Theater. Gemeinsam mit seiner Frau Plakatentwürfe und Collagen. Als Illustrator zahlreicher Bücher bekannt (u.a. von Slawomir Mrozek, Stanislaw Lern, Jerzy Szaniawski). Groteske, Ironie und schwarzer Humor kennzeichnen seinen künstlerischen Stil.
Mrnz, Daniel geb. 03.02.1907 Krakau gest. 21.01.1993 Krakau
Nr. 11-23
geb. 11.09.1919 Augustow (Kreis Bialystok) gest. 15.05.1975 Warschau 1950/51-55 Studium an der Akademie der Schönen Künste in Warschau. 1955 Diplom in Graphik. Arbeitete als Graphiker im Bereich von angewandter Kunst, Buchillustration und Plakatkunst. J. konzentrierte sich vor allem auf die Kinderbuchillustration, für die er neue Formen schuf. Seine sehr individuell gestalteten Illustrationen zeigen in klaren, knappen Formen eine starke Nähe zu Kinderzeichnungen wie auch Beziehungen zur abstrakten Kunst. J. war auch als Plakatzeichner tätig.
Kolyszko, Wojciech
Nr. II-26
geb. 19.04.1956 Danzig lebt in Danzig
Nowicki, Romuald
1976-81 Studium im Fach Graphik an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Danzig bei Marek Freudenreich und Witold Janowski. Beschäftigt sich mit Malerei, Zeichnung, graphischen Projekten, seit einiger Zeit auch mit Illustrationen. Ausgezeichnet für Kinderbuchillustration im Rahmen der Biennale der Kunst für Kinder, Posen 1984 und 1986, und dem Preis der Mlodziezowa Agencja Wydawnicza, Posen 1984.
Mazurek, Grzegorz Dobieslaw
Nr. 11-25
Nr. 11-13
geb. 14.05.1955 Lublin lebt in Lublin 1975-80 Studium an der Warschauer Akademie der Schönen Künste, bei Haiina Chrostowska (Graphik) und Eugeniusz Markowski (Malerei). 1980 erhielt M. ein Diplom mit Auszeichnung unter den „besten Diplomarbeiten der Hochschulen für bildende Kunst im akademischen Jahr 1979/80", die in der Galerie „Zachgta" in Warschau ausgestellt wurden.
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Nr. 11-19
geb. 08.08.1911 Wilna gest. 06.04.1987 Warschau Vor dem Krieg, von 1931 bis 1939, zunächst Architekturstudium in Lemberg und Danzig. In den Jahren 1946 und 1947 Ausbildung in Malerei und angewandter Kunst in Sudbury (Großbritannien) und von 1949 bis 1950 Studium im Fach Bühnenbild an der Akademie der Schönen Künste in Warschau. Assistent des bekannten Malers und Graphikers Wojciech Jastrz^bowski in Sudbury und des Bühnenbildners Wladyslaw Daszewski. 1951-54 Lehrauftrag im Fach Bühnenbild an der Akademie der Schönen Künste in Warschau. Zusammenarbeit mit dem polnischen Fernsehen. N. arbeitete als Illustrator für verschiedene Zeitschriften und Verlage.
Przyluski, J. oder I. (?)
Nr. II-4
Studierte zunächst von 1930 bis 1935 an der Kunstgewerbeschule in Krakau, dann bis 1939 an der Akademie der Schönen Künste in Warschau Malerei bei Mieczyslaw Kotarbiriski, Zeichnen bei Tadeusz Kulisiewicz, Gebrauchsgraphik bei Edmund Bartlomiejczyk und Graphik bei Stanislaw Ostoja-Chrostowski. Nach 1945 künstlerische Leiterin des Verlages Czytelnik sowie der Kinderzeitschrift „Swierszczyk" (Grille). Außerdem schuf sie Bühnenbilder für Theater in Warschau und Lodz. Als Buchillustratorin widmete sich S. vorwiegend der Kinder- und Jugendliteratur. Ihr eigenwilliger, persönlicher Stil zeigt sich besonders in der klaren Linienführung und in der Farbgestaltung zarte Pastelltöne werden mit lebendigen, aggressiven Farben kombiniert. Ihre poetischen Bilder lassen Humor erkennen. Präzision und Detailtreue verbinden sie mit der Miniaturkunst.
geb. ca. 1770 oder 1780 (?) P., über dessen Leben wenig bekannt ist, war hauptsächlich in Zytomir tätig. Er malte u.a. Porträts, Genreszenen und Karikaturen. Im „Katalog der polnischen Kunst 1764-1886", der 1894 in Lwow (Lemberg) erschienen ist, fanden sich zwei aus dem Jahre 1806 stammende Illustrationen von P. zum Haupwerk Ignacy Krasickis „Monachomachia oder der Mönchekrieg". Dieses Werk, das zuerst von I. Krasickis Nichte Anna Charczewska und als zweitem Illustrator von P. illustriert worden ist, schien auf diesen große Anziehungskraft ausgeübt zu haben, denn einige Jahre später, 1822, fertigte er erneut Illustrationen zu ihm an. Zwei von ihnen, die sich im Besitz der polnischen Nationalbibliothek befinden, hat P. mit zweizeiligen Textausschnitten des satirischen Lehrgedichts sowie den Liednummern versehen. Vermutlich stammen sie aus einer der beiden Werkausgaben: I. Krasicki, Dziela zbiorowe, Warschau 1812, oder der späteren, 1819 in Wilna erschienenen Krasicki-Ausgabe.
S. erhielt zahlreiche Preise, u.a. wurde sie 1986 durch einen Eintrag in die Hans-Christian-Andersen-Ehrenliste ausgezeichnet.
Sopocko, Konstanty Maria
Leichte Abweichungen vom Originaltext deuten darauf hin, daß P. die zitierten Verse aus dem Gedächtnis niedergeschrieben hat.
Rychlicki, Zbigniew
geb. 05.12.1903 Warschau gest. 24.03.1992 Komorowa bei Warschau Studium an der Technischen Hochschule in Warschau, Fakultät für Architektur, bei Stanislaw Nowakowski sowie an der Akademie der Schönen Künste bei Edmund Bartlomiejczyk und Wladyslaw Skoczylas in Warschau. 1934 Diplom. 1950-52 Professur an der Akademie der Schönen Künste, Lehrstuhl für angewandte Graphik. 1949-54 künstlerischer Leiter der Kinderzeitschrift „Plomyczek" (Flämmchen). Künstlerische Tätigkeit in den Bereichen Gebrauchsgraphik und Buchillustration. S. bevorzugte den Holzschnitt und das Exlibris.
Nr. 11-17
geb. 17.01.1922 Orzechowka (Woiwodschaft Rzeszöw) gest. 10.09.1989 Warschau 1941 und 1951-56 Studium an der Akademie der Schönen Künste, Fakultät für Graphik, in Krakau. 1956 Diplom. 1958-73 künstlerischer Leiter, danach stellvertretender Direktor des Kinderbuchverlags Nasza Ksi^garnia. Ab 1967 Mitglied des Internationalen Komitees der Biennale II in Bratislava. R. beschäftigte sich überwiegend mit Kinder- und Jugendbuchillustration und war außerdem noch in den Bereichen Gebrauchsgraphik und Plakatkunst tätig. In Farben, Formen und Interpretation der Themen zeigt sein individuell geprägtes Werk Geschlossenheit und Reduzierung auf das Wesentliche. Obwohl stark von der Phantasie geleitet, ist es doch nicht realitätsfern und trotz Einbeziehung traditioneller Ornamente im Gesamtcharakter zeitgemäß. R. erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. bei der IBA, Leipzig 1959 und 1965, und bei der internationalen Buchausstellung in Moskau 1971 und 1975.
Siemaszko, Olga
Nr.II-1
Srokowski, Jerzy
Nr. 11-20
geb. 25.09.1910 Warschau gest. 03.03.1975 Warschau Graphiker, Illustrator, Plakatkünstler, Bühnenbildner. 1931-35 Ausbildung an der Städtischen Schule für dekorative Kunst und Malerei, dann bis 1939 Studium an der Akademie der Schönen Künste in Warschau. Mitarbeit bei den Zeitschriften „Szpilki" (Stecknadeln), „Kurier Poranny" (Morgenkurier) und „Prosta ζ mostu" (Gerade heraus). 1944^15 Haft in den Konzentrationslagern Auschwitz und Mauthausen-Gusen. Nach dem Krieg zunächst (1945-48) künstlerischer Leiter des Verlages Czytelnik und der Zeitschrift „Miesi?cznik Polski" (Polnische Monatsschrift). 1964—68 Professor für Kunst an der Universität Damaskus.
Nr. 11-21
geb. 19.04.1914 Krakau lebt in Warschau
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In den fünfziger Jahren zahlreiche Kinderbuchillustrationen, u.a. zu J. Korczaks „Kreil Marius Pierwszy" (König Hänschen I., 1957) und zu Sienkiewiczs „W pustyni i w puszczy" (In Wüste und Wildnis, 1959). Der hier geschaffene Kinderbuchtypus und die Originalität und Farbgebung seiner Zeichnungen machten S. auch international bekannt. Als Illustrator zeichnet sich S. gleichermaßen durch Lyrismus wie Humor aus. Er verbindet malerische Freiheit mit festen graphischen Formen. Sein Werk ist von kalligraphischer Reinheit, ohne dabei kalt oder gefühllos zu wirken. Für sein Werk erhielt S. zahlreiche Preise, wie z.B. 1959 die Silbermedaille auf der IBA in Leipzig und 1960 die Goldmedaille auf der XII. Triennale in Mailand.
Stanny, Janusz
1951 an der Akademie der Schönen Künste in Krakau Assistent am Lehrstuhl für Malerei, danach bis 1953 an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Lodz. 1970 erscheint ein Band mit eigenen Gedichten und Illustrationen: „Moje slowa-obrazy 1947-1967" (Meine WortBilder 1947-1967). Das Buch ist als Niederschrift eines Arbeitsprozesses mit dokumentarischem Charakter konzipiert. S. besitzt die Fähigkeit, Stimmungen zu erzeugen. Er verknüpft realistische Darstellungsformen mit einer naiven Sichtweise. 1977-80 außerordentlicher Professor am Lehrstuhl für Malerei an der Akademie der Schönen Künste in Krakau. 1982-84 Leiter des Graphic Presentation Unit beim Sekretariat der UN in New York. Sein vielseitiges Schaffen in den Bereichen Malerei, Gebrauchsgraphik, Illustration, Bühnendekoration und Photographie wurde mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet.
Nr. 11-22 Szancer, Jan Marcin
geb. 29.02.1932 Warschau lebt in Warschau
geb. 12.11.1902 Krakau gest. 21.03.1973 Warschau
1951/52-57 Studium an der Akademie der Schönen Künste in Warschau bei Henryk Tomaszewski. 1957 Diplom. Dort 1957-59 Assistent, ab 1975 Dozent in der Abteilung für Graphik und Leiter des Ateliers für Buch und Illustration, heute Professor. Künstlerische Tätigkeit in den Bereichen Illustration, Plakat, Graphik und Trickfilm. Seit 1964 künstlerischer Berater des Verlages Ruch. Zusammenarbeit mit vielen Verlagen und Zeitschriften, u.a. den Kinderzeitschriften „Mis" (Teddybär), „Plomyk" (Flamme) und „Swierszczyk" (Grille). Originelle Illustrationen zu eigenen, äußerst witzigen Geschichten für Kinder. St. behandelt das Buch als Gesamtkunstwerk. Text und Bild sind wohlkoordiniert. Seine künstlerische Ausdruckskraft gestattet es ihm, jedes Thema individuell zu bearbeiten. Neben anderen Auszeichnungen erhielt St. 1973 die Goldmedaille bei der IBA in Leipzig und 1976 den Premio Europeo dell'Album zu Padua und 1996 den Grand Prix für einen Zyklus zur 400-jährigen Stadtgeschichte von Warschau.
Strumillo, Andrzej
Nr. II-7,11-10,11-11
Nr. 11-24
geb. 23.10.1928 Wilna lebt in Mackowa Ruda (Woiwodschaft Suwalki) 1945 ^ 7 Studium an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Lodz bei Wladyslaw Strzeminski, 1947-50 an der Akademie der Schönen Künste in Krakau bei Eugeniusz Eibisz und Adam Marczynski. 1950 Diplom in Malerei, Gebrauchs- und angewandter Graphik.
Graphiker, Bühnenbildner, Maler. 1920-26 Studium an der Akademie der Schönen Künste in Krakau bei Karol Frycz, Wladyslaw Jarocki, Ignacy Pienkowski, Jozef Mehoffer und Teodor Axentowicz. 1926 Diplom. Zwischen 1928 und 1930 verfaßte Sz. Feuilletons für das politisch unabhängige Krakauer Tageblatt „Ilustrowany Kurier Codzienny" (Illustrierter Tageskurier) und war von 1930 bis 1935 Mitarbeiter bei den Zeitschriften „Swiatowid" (Weltschau) und „Gazeta Artystow" (Künstlerzeitung). Von 1948 bis 1951 als Bühnenbildner am Teatr Nowy (Neues Theater) in Lodz tätig. 1950-52 künstlerischer Leiter des Verlages Panstwowy Instytut Wydawniczy. 1951 außerordentlicher Professor am Lehrstuhl für Buch und Illustration an der Akademie der Schönen Künste in Warschau. In den fünfziger Jahren Mitarbeiter im Verlag Ksi^zka i Wiedza, außerdem künstlerischer Leiter beim Fernsehen sowie Regisseur und Bühnenbildner bei experimentellen Theateraufführungen. Mitte der sechziger Jahre leitender Bühnenbildner am Teatr Wielki (Großes Theater) in Warschau. 1966 erschien sein Buch „Curriculum Vitae". Sz. war ein vielseitiger Künstler, der ein hohes Maß an technischem Können mit kompositorischem Einfallsreichtum verband. Er erhielt verschiedene nationale und internationale Preise.
Toepfer, Stanislaw geb. 08.10.1917 Wadowice (Kreis Krakau) gest. 22.06.1975 Warschau
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Nr. II-5
1936-39 Studium am Staatlichen Institut für bildende Künste, 1945^46 an der Akademie der Schönen Künste, Abteilung Graphik, in Krakau. Ab 1955 künstlerischer Leiter für Gebrauchs- und Buchgraphik beim Verlag Iskry. Neben seiner Tätigkeit als Buchgestalter und -illustrator beschäftigte sich T. mit Graphik (Holzschnitt und Radierung) und Gebrauchskunst. Er bevorzugte eine realistische Darstellungsweise, ließ aber gelegentlich auch phantastische Elemente einfließen. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 1965 die Silbermedaille bei der IBA, Leipzig.
Topolski, Feliks
Nr. 11-18
Langjähriger Illustrator für das Krakauer illustrierte Wochenmagazin „Przekroj" (Profil). Mitarbeiter verschiedener Verlage und Redaktionen. Seine Illustrationen zu über 120 Werken der Weltliteratur, vornehmlich polnischen des 18. und 19. Jahrhunderts, sind ein wichtiger Beitrag zur polnischen Buchkunst der Nachkriegszeit. Sie sind stilistisch der realistischen Tradition verbunden und zeigen eine subtile Kenntnis der historischen Epochen. Ein leicht barockisierender Stil, Liebe zum Detail und Präzision der Bildsprache wie auch dynamische Linienführung kennzeichnen seine Arbeiten. Der augenfällige Humor und die Satire seiner Bilder ergeben sich letztlich aus der Berührung mit der Tradition der satirischen Zeichnungen eines George Grosz oder Feliks Topolski. U. wurde mit zahlreichen Preisen im In- und Ausland ausgezeichnet.
geb. 14.08.1907 Warschau gest. 24.08.1989 London Graphiker, Porträtmaler, Karikaturist und Bühnenbildner. 1926 erster Unterricht an der Akademie der Schönen Künste in Warschau bei Tadeusz Pruszkowski. Von 1928 bis 1934 als Zeichner des satirischen Periodikums „Cyrulik Warszawski" (Der Barbier von Warschau) tätig. 1933 Studienaufenthalte in Frankreich und Italien. 1934 illustrierte er Julian Tuwims Anthologie „Polski Slownik Pijacki i Antologia Bachiczna" (Das polnische Trinker-Lexikon und Bacchus-Anthologie). 1935 Übersiedlung nach London, wo er u.a. Zeichnungen für die Magazine „Life", „Fortune", „Vogue", „Harpers's Bazaar" und „Observer" lieferte. 1937 Ausstellung seiner Karikaturen in der Londoner Galerie Wertheim und Teilnahme an der Weltausstellung in Paris im britischen Pavillon. Zwischen 1940 und 1945 reiste er als Kriegsberichterstatter und Offizier der polnischen Armee durch Europa, Afrika und Asien. Dabei entstanden die Alben „Britain in War" (1941), „Russia in War" (1942) und „Three Continents" (1945). 1947 Annahme der britischen Staatsbürgerschaft. Gab ab 1953 „Topolski's Chronicle" heraus, eine illustrierte Chronik der englischen Gesellschaft. Für das britische Königspaar, das eine umfangreiche Sammlung seiner Werke besitzt, schuf er 1958-60 das Monumentalwerk „Krönung Elisabeths II. im Buckingham Palast".
Uniechowski, Antoni
Nr. II-9
geb. 23.02.1903 Wilna gest. 28.05.1976 Warschau Graphiker und Illustrator. Von 1925 bis 1929 Ausbildung an der Akademie der Schönen Künste in Warschau in Illustration und Bühnendekoration für Theater, Film und Fernsehen sowie in Plakatkunst. Schüler von Karol Tichy und Wojciech Jastrz^bowski.
Zamecznik, Stanislaw
Nr. 11-15
geb. 10.03.1909 Warschau gest. 02.05.1971 Warschau Studierte von 1929 bis 1938 Architektur an der Technischen Hochschule, Warschau, und von 1948 bis 1949 Innenarchitektur an der Kunstakademie in Warschau. 1946-47 war Z. als Assistent an der Technischen Hochschule beschäftigt. Tätigkeit als Architekt und Bühnenbildner, als Gebrauchsgraphiker und Buchgestalter. Ab 1965 Professor an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Posen. Seine Kunst zeichnet sich durch einen knappen, prägnanten Stil und die Beschränkung auf das Wesentliche aus.
Zieleniec, Bogdan
Nr. 11-16
geb. 23.03.1917 Sosnowiec (Woiwodschaft Kattowitz) gest. 23.09.1973 Warschau Maler und Graphiker. Studierte von 1938 bis 1939 an der Akademie der Schönen Künste in Krakau und setzte sein Studium nach dem Krieg, von 1945 bis 1949, an der Akademie der Schönen Künste in Warschau fort. Schüler von Felicjan Szcz^sny Kowarski. 1950 Diplom. 1950 wurde Z. künstlerischer Redakteur im Verlag Nasza Ksiegarnia. 1965 ging er für drei Jahre als Professor nach Kuba, wo er die Nationale Schule und Hochschule für Formgestaltung in Havanna mitbegründete. Seine künstlerische Tätigkeit umfaßt die Bereiche Graphik (vornehmlich Holz- und Linolschnitt), Zeichnung und Malerei (Öl, Aquarell und Tempera). Z. wurde durch zahlreiche Preise gewürdigt.
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Tschechische Buchillustration Bednar ο νä, Eva
Nr. III-10
geb. 08.05.1937 Prag gest. 05.12.1986 Prag 1953-57 Ausbildung an der Schule für angewandte Kunst in Prag, anschließend bis 1963 an der Hochschule für angewandte Kunst bei Antonin Strnadel. Ihre Illustrationen, zunächst im Stil des Symbolismus, später zunehmend surrealistisch und phantastisch, zeigen großes Einfühlungsvermögen in die literarischen Vorlagen. Sie illustrierte vornehmlich Erzählungen aus dem Orient und phantastische Literatur. Auch schuf sie hervorragende moderne Illustrationen zu Puschkins Prosa und Poesie. In Graphik und Illustrationen bevorzugte sie die Technik der Radierung (auch der farbigen Radierung), für Kinderbücher Gouache oder kombinierte Techniken. Erhielt zweimal (1969 in Bratislava und 1972 in Brünn) den Grand Prix der Biennale sowie 1975 eine Auszeichnung bei der IBA in Leipzig.
Behounek, Jiri
Bouda, Cyril
Nr. IIIS
geb. 14.11.1901 Kladno gest. 29.08.1984 Prag Studierte 1919-23 bei Frantisek Kysela an der Prager Schule für angewandte Kunst und 1923-26 bei Max Svabinsky an der Akademie für bildende Künste, Abteilung für Graphik, wo er 1929-32 Assistent von T.F. Simon war. Lehrtätigkeit von 1932 bis 1946 am Polytechnikum in Prag, 1946-72 Professur an der Pädagogischen Fakultät der Karlsuniversität. Als einer der vielseitigsten tschechischen Künstler illustrierte er mehr als 700 Bücher. Bevorzugte Aquarell, Gouache und graphische Techniken. Seine Textillustrationen zeigen vielfach Sinn für Humor. Häufig zeigen seine Werke eine äußerst dynamische Komposition und enthalten Szenen mit einer Fülle von Figuren. 1930 erhielt B. beim Buchwettbewerb in New York einen Preis für seine Radierungen zur Biographie von Benvenuto Cellini, 1954 den Staatspreis für seine Illustrationen zu Andersens Märchen und 1959 eine Auszeichnung bei der IBA in Leipzig.
Nr. III-ll
geb. 24.11.1929 Prag lebt in Prag 1945-48 Ausbildung im Staatlichen Institut für graphische Kunst als Schüler von Karel Müller, 1948-53 an der Hochschule für angewandte Kunst bei Frantisek Muzika. Arbeitete als Maler, Illustrator und Graphiker. Seit 1960 konzentriert sich B. auf die Buchillustration, wobei er mit Vorliebe Klassiker der Weltliteratur und deutsche Literatur als Textvorlagen wählt. Dabei wechselt er, dem jeweiligen Text entsprechend, zwischen realistischen und imaginären Darstellungen. Neben Federzeichnungen bevorzugt B. kolorierte Darstellungen in Pastell, Acryl, Gouache, außerdem schuf er in limitierten Auflagen Radierungen. 1961 und 1962 Auszeichnungen bei der IBA Leipzig, 1987 Goldener Apfel bei der Biennale in Bratislava und Ehrung durch die Union of British Publishers.
Born, Adolf
Neben Malerei, Graphik und humoristischen Zeichnungen schuf B. auch Trickfilme und Buchillustrationen. Illustrierte mehr als 200 Bücher für Kinder und Erwachsene, die Klassiker der Weltliteratur und zeitgenössische Werke umfassen. B. bevorzugte zunächst Schwarzweißzeichnungen, später farbige Zeichnungen und kombinierte Techniken. Für limitierte Auflagen schuf er Lithographien. B. unterscheidet nicht zwischen hoher und volkstümlicher Kunst. Seinem erkennbar persönlichen Stil liegt ein trockener Humor zugrunde. Auszeichnungen 1979 bei der Biennale in Bratislava sowie 1982 und 1989 bei der IBA in Leipzig. Seine Beiträge für Kinderbücher wurden 1986 mit dem AndersenPreis prämiert.
Haskova, Eva
Nr. III-3
geb. 04.01.1946 Kladno lebt in Vsenory bei Prag
Nr. III-9, III-18
Ausbildung in Zeichnung und graphischen Techniken an der Hochschule für angewandte Kunst im Studio von Professor Sklenär. Für ihre Illustrationen und Graphikblätter zu bibliophilen Editionen verwendet sie schwerpunktmäßig Techniken wie Kaltnadel- und Farbradierung sowie Radierung mit Aquatinta gemischt. Ihre Arbeiten verbinden häufig Realität und Traumwelt. Verfeinerte Stilarten wie Manierismus und Techniken wie japanischer Holzdruck prägen ihren künstlerischen Ausdruck.
geb. 12.06.1930 Ceske Velenice lebt in Prag Studierte in Prag zunächst 1949-50 an der Pädagogischen Fakultät der Karlsuniversität, 1950-53 an der Hochschule für angewandte Kunst und bis 1955 an der Akademie für bildende Künste. Sein Lehrer war Antonin Pelc.
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Sie erhielt neben anderen Auszeichnungen 1964 in New York einen Preis für den besten Buchumschlag und 1970 den Grand Prix in Bologna.
Η. illustrierte viele Arten von Texten, Gedichte, Naturbeschreibungen, aber auch wissenschaftliche Literatur, die eine exakte Graphiktechnik erfordert. Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt sie 1980 bei der Biennale in Brünn den Preis der Vysehrad Editionen sowie 1982 eine Auszeichnung bei der IBA in Leipzig.
Janecek, Ota
Jirkii, Boris
Nr. 111-13
geb. 10.04.1955 Gottwaldov-Zlin lebt in Prag 1974-80 Studium in Prag an der Hochschule für angewandte Kunst bei Arnost Paderlik. Seit 1990 dortiger Leiter der Abteilung für figürliche Malerei. J. gilt seit 1980 in der tschechischen Kulturszene als Vertreter der Postmoderne. Seine Arbeiten bewegen sich zwischen Malerei und Zeichnung ohne scharfe Trennung zwischen beidem. Dies ist besonders in den Illustrationen zu Garcia Märquez erkennbar, die schon, bevor J. öffentliche Anerkennung fand, erschienen sind. Ausdrucksstarke Farbgebung und verzerrte Formen verleihen der Graphik eher den Charakter von freier Malerei als von Textillustration.
geb 15.08.1919 Pardubicky gest. 01.07.1996 1938-39 Ausbildung in der Abteilung für Graphik an der Polytechnischen Hochschule in Prag. Nach der Schließung der tschechischen Universitäten 1941-42 Fortbildung bei Josef Noväk an der Hochschule für angewandte Kunst. J.s (Euvre umfaßt Malerei, Graphik, Plastik, Keramik und Arbeiten für die Filmindustrie. Ab 1950 konzentrierte er sich vornehmlich auf die Illustration. Dabei verband sich eine poetische Vision von der Welt mit einer persönlichen Beziehung zum Text. Im Laufe der Zeit widmete er sich mehr und mehr der tschechischen Literatur. Für Liebhaberausgaben schuf er Linoldrucke und Farblithos. Seine Illustrationen zu Kinderbüchern und Gedichten zeigen ähnliche Techniken. Gerne verwendet J. als Stilmittel die Übertreibung bishin zur Karikatur. Neben verschiedenen anderen Preisen erhielt J. eine Auszeichnung bei der IBA in Leipzig, 1983 wurde er durch die Gesellschaft der tschechischen Bibliophilen geehrt.
Jirincovä, Ludmila
Nr. III-17
Kolibal, Stanislav
Nr. III-2
geb. 11.12.1925 Orlovä lebt in Prag 1946-51 Ausbildung an der Hochschule für angewandte Kunst in Prag bei Antonin Strnadel. 1951-54 Studium an der Musikhochschule und Ausbildung im Bereich Bühnenausstattung bei Frantisek Tröster. K. schuf Plastiken, Illustrationen und Bühnenbilder sowie freie Graphik und Typographie. Seit 1990 Professor für die Fachbereiche Skulptur und Bühnenbild an der Akademie für bildende Künste. Ab 1960 Hinwendung zur Buchillustration. Nach 1968 durfte K. aus politischen Gründen nur sporadisch veröffentlichen. Als Künstler konzentrierte er sich auf die Bildhauerei. Bei der Illustration von Literatur war er bestrebt, Charakter und Symbolgehalt der Werke graphisch umzusetzen. K. fertigte u.a. auch Illustrationen zu Märchen an. Auszeichnungen bei der IBA in Leipzig 1965 und in Bologna 1967. 1988 Ehrung durch das slovakische Kultusministerium für das beste Layout.
Nr. III-14
geb. 09.05.1912 Prag gest. 22.01.1994 Prag 1924-28 Ausbildung in Prag an der Privatschule von Rudolf Vejrych, 1934-35 an der Staatlichen Schule für Keramik und 1935-39 an der Akademie für bildende Künste bei T.F. Simon. Arbeitete als freie Graphikerin und Malerin und illustrierte über 250 Bücher, vor allem Klassiker der Weltliteratur. Erste Illustrationen 1940 zur Ausgabe von Jaroslav Seiferts „Pantoumy ο läsce" (Pantuns über die Liebe). Ihre sensiblen Zeichnungen zeigen eine starke künstlerische Verbindung zur Dichtung und die Fähigkeit, die literarische Vorlage in einer sehr persönlichen Form zu verarbeiten. Die vielfaltigen literarischen Vorlagen wirkten sich auf entsprechende Variationen in ihrer künstlerischen Ausdrucksweise aus, wenn auch eine poetisch-melancholische und meditative Grundstimmung ihr CEuvre prägt. J. arbeitete mit Bleistift, Kohle, Pastell und in kombinierten Techniken.
Kudläcek, Jan
Nr. 111-15
geb. 03.09.1928 Dolni Dubnany lebt in Prag 1944-45 Besuch der Privatschule von Emanuel Frinta, Prag.
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1945-49 Staatliche Schule für Graphik in Prag, anschließend Studium an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität, Abteilung für Kunstgeschichte. 1950-57 Akademie für bildende Künste in Prag bei Vlastimil Rada und Vratislav Nechleba. Arbeiten in den Bereichen Malerei, Graphik, Illustration, Gebrauchsgraphik und Trickfilm. K.s Illustrationen waren hauptsächlich für kleine Kinder bestimmt. In internationaler Zusammenarbeit entwickelte er das poetische und zeichnerische Konzept einer neuen Form des Kinderbuches. K. hatte eine Vorliebe für Wesen, die nahe dem Wasser wohnen. Mehrmals befaßte er sich mit der populären Figur des „Wassermanns". Auch Mythen von Himmelsbewohnern gehören zu den von ihm bevorzugten Themen. Auszeichnungen erwarb er bei der IBA in Leipzig 1970, auf der Biennale in Bratislava 1971 sowie auf Graphikwettbewerben in Bologna und Paris. Ehrenmitglied der Andersen-Gesellschaft IBBY.
Kulhanek, Oldfich
Nr. III-5, III-6
geb. 26.02.1940 Prag lebt in Prag 1954-58 Ausbildung an der Hochschule für angewandte Kunst bei Karel Svolinsky. Schuf Graphiken, Zeichnungen und Illustrationen. Gestaltete die neuen Banknoten in der Tschechischen Republik. K. konzentriert sich - auch im Bereich Buchillustration auf figürliche Darstellungen. Dabei beschäftigen ihn besonders Details des menschlichen Körpers wie Gesichtsaudruck und Hände. Solche Einzelheiten ermöglichen es ihm, Absurdes, Widersprüchliches und Kritikwürdiges aufzuzeigen. In den siebziger Jahren hatte K. aufgrund seiner kompromißlosen Haltung Publikationsverbot. Erst im darauffolgenden Jahrzehnt fertigte er zahlreiche Illustrationen zu Werken russischer Klassiker an. Seine Graphiken sind hauptsächlich mit Bleistift, Feder und Tusche angefertigt. 1982 wurden seine Graphiken bei der IBA in Leipzig ausgezeichnet.
Lada, Josef
Nr. 111-19
geb. 17.12.1887 Hrusice gest. 14.12.1957 Prag 1906 Buchbinderausbildung in Prag, dann kurzes Studium an der Hochschule für angewandte Kunst bei den Professoren Emanuel Dite und Arnost Hofbauer. Arbeitete als Maler, Illustrator, Bühnenbildner sowie als Autor und Herausgeber. Ladas Karriere begann mit seinen humorvollen Zeichnungen für französische und deutsche Zeitschriften wie den „Simplizissimus".
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1910 bildete sich sein charakteristischer Stil mit einfachen Formen und Umrißzeichnungen mit starker Flächigkeit heraus. Neben den Illustrationen zu Jaroslav Haseks Schwejk machten ihn auch seine Kinderbücher bekannt, für die er sowohl die Zeichnungen als auch den Text schuf. Die Thematik der farbigen Temperazeichnungen oder Gouachen ist zumeist Ladas Heimat Zentralböhmen. 1947 wurde er als hochrangiger Künstler der Tschechoslowakei geehrt. 1963 erhielt er den Jugendbuchpreis.
Masek, Vaclav
Nr. 111-16
geb. 26.05.1883 Bustehradbei Kladno gest. 26.05.1973 Prag Arbeitete als Maler, Illustrator und Buchgestalter und entwarf auch Plakate. M. ist ein Vertreter der tschechischen Avantgarde der zwanziger Jahre, die von der russischen Propagandakunst beeinflußt war. Er illustrierte Zeitschriften der Kommunistischen Partei und entwarf Buchumschläge in einem zugkräftigen Plakatstil. Höhepunkt seiner avantgardistischen Schaffensjahre waren 1925 die Illustrationen zu Bloks „Die Z w ö l f sowie zu Majakowskijs „150 000 000". Ein mehrjähriger Frankreichaufenthalt veränderte seine Orientierung. Danach schuf er hauptsächlich Originalgraphiken - Radierungen oder Holzschnitte - für Liebhaberausgaben. Seit 1930 erhielten seine Illustrationen regelmäßig Preise der Gesellschaft der tschechischen Bibliophilen. Für seine Verdienste um die Buchkunst wurde er als „Hervorragender Künstler" geehrt. In der Nachkriegszeit verlor sein CEuvre sowohl an Qualität als auch an Verbreitung.
Prachaticka, Marketa
Nr. III-12
geb. 04.12.1953 Prag lebt in Prag Als Tochter von Stanislav Kolibal und der Bildhauerin Vlasta Prachaticka wurde P. an der Kunstakademie nicht zugelassen, weshalb sie ihre künstlerische Ausbildung von den Eltern erhielt. P. illustrierte hauptsächlich Kinderbücher, zuweilen auch ohne verlegerischen Auftrag in eigener Auswahl nach ihrem Geschmack. Schon die frühen Illustrationen zu „Alice im Wunderland" zeigen ihren persönlichen Stil, die Besonderheit eines Werkes im Bild nachzuvollziehen. Auch in späteren Arbeiten, z.B. in sorgfaltigen Feder- und Tuschezeichnungen, versucht sie, alle Ebenen des literarischen Textes und seine plastische Vielfalt zu erfassen, was ihr oft mit den einfachsten Mitteln gelingt. Ihre Illustrationen, die auch im Ausland Verbreitung fanden, wurden vielfach preisgekrönt, so 1984 beim Graphischen Wettbewerb in Bologna, 1985 auf der Biennale in Bratislava und 1989 auf der IBA in Leipzig.
Rotterovä, Romana
Nr. III-l
Als Professor an der Hochschule für angewandte Kunst (1945-71) hat er viel zur Entwicklung auf diesem Gebiet beigetragen. Zu dem in diesem Band vorgestellten Buch mit Balladen und Gedichten von Francois Villon und Essays über dessen Leben und Werk, das mit Bildern verschiedener Künstler ausgestattet wurde, hat S. das Portrait des Dichters beigesteuert.
geb. 17.10.1931 Prag lebt in Prag Ausbildung bei ihrem Vater, dem Bildhauer Leonard Rotter, und bei der Bildhauerin Mary Durasovä. Arbeiten in freier Graphik und Buchillustration. Die meisten ihrer Illustrationen erschienen in der Zeit zwischen 1960 und 1975 und folgten dem Trend der abstrakten Illustration in der Tschechoslowakei. R.s Illustrationen zeigen meist verschiedene Techniken in der Kombination mit Bleistiftvorlagen. Sie stellte auch kontrastreiche wissenschaftliche Zeichnungen für naturhistorische Atlanten her.
Svolinsky, Karel
Vimr, Vladimir geb. 07.09.1954 Prag lebt in Prag
1974 Abitur an der Fachschule für Kunst. 1976-82 Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Prag. 1983-90 künstlerischer Leiter im Verlag Albatros. Arbeiten in Malerei, Graphik, Illustration und Typographie. V. illustriert vorzugsweise Gedichtsammlungen, darunter Radierungen für limitierte Ausgaben sowie Lithographien für preiswertere Editionen. In den letzten Jahren schuf V. vor allem typographische Arbeiten. 1982 erhielt er einen Preis auf der IBA Leipzig und wurde im Wettbewerb um das beste Layout vom tschechoslowakischen Kultusministerium ausgezeichnet.
Nr. III-4
geb. 14.01.1896 Svaty Kopecek bei Olmütz gest. 19.09.1986 Prag S. gehört neben J. Lada, J. Trnka und C. Bouda aufgrund seiner vielseitigen Begabung und des breiten Spektrums seiner Themen, das von der Geschichte Böhmens über die tschechische Literatur und Volkskunde bis zu naturkundlichen Atlanten reicht, zu den Klassikern der modernen tschechischen Buchillustration.
Mehrfach ausgezeichnet, u.a. bei der Interexlibris Frederikshavn (Dänemark), 1985 in Bornemio (Italien) und 1989 mit der Bronzemedaille bei der IBA in Leipzig.
Slowakische Buchillustration
Brun, Robert
Nr. III-7
Nr. IV-9 Brunovsky, Albin
geb. 02.11.1948 Zilina lebt in Zilina 1966-72 Ausbildung an der Hochschule für bildende Künste in Bratislava, Abteilung für freie und Illustrationsgraphik, bei Vincent Hloznik und Albin Brunovsky. 1974 Lehrtätigkeit an der Volksschule für bildende Kunst in Zilina. Charakteristisch für die Einflüsse seiner Lehrer sind die ausgeprägt phantasievolle freie Graphik und Kompositionen aus großen, die voll ausgefüllte Fläche beherrschenden Formen. Die Wirkung seiner Farbillustrationen beruht auf der Spannung zwischen geometrischen und organischen Formen, wodurch die Illusion eines geheimnisvollen Raumes erzielt wird. Die Radierungen und Mezzotinten haben stark satirische Ausstrahlung, oft an der Grenze zum schwarzen Humor.
Nr. IV-6
geb. 25.12.1935 Zohor lebt in Bratislava 1951-55 Studium an der Höheren Schule für Kunsthandwerk in Bratislava, 1956-61 an der Hochschule für bildende Künste, Fachbereich für freie und Illustrationsgraphik, bei Vincent Hloznik. Nach Beendigung des Studiums hier Assistent. 1972 Habilitation zum Dozent, 1974-90 Professor. Seine Graphik basiert auf Traumerlebnissen mit irrealen Gestalten und Gegenständen. Es sind technisch perfekte Zeichnungen für Illustrationen und Gemälde. Seine Werke zeigen eine spezifische, gelassen ironisierende Ikonographie. Ein unermüdlicher Pädagoge, engagierte sich B. für die Veröffentlichung slowakischer und internationaler graphischer Kunst.
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len Fragen des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens. Außerdem illustrierte H. mehr als 400 Buchtitel mit reinen oder aquarellierten Zeichnungen wie auch Linolund Holzschnitten. 1968 Ernennung zum Nationalkünstler. H. protestierte öffentlich gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei. Neben weiteren Preisen 1958 Auszeichnung auf der 29. Biennale in Venedig, 1959 auf der IBA in Leipzig und 1991 mit dem T. G. Masaryk-Orden III. Klasse in Prag.
Arbeit in verschiedenen graphischen Techniken wie Steingravur, Lithographie, Radierung und Mezzotinto mit dem Anspruch technischer Vollkommenheit. Er schuf auch Entwürfe für Banknoten, Briefmarken und begehrte Exlibris. Neben verschiedenen anderen Preisen erhielt B. Auszeichnungen bei der BIB 1967, 1977 und 1981, 1967 den Prix de la Ville de Paris und 1982 den Grand Prix sowie die Silbermedaille der IBA in Leipzig. Greener, Dusan
Nr. IV-3 Källay, Dusan
geb. 21.08.1944 Skalica na Slovensku lebt in Bratislava 1962-64 Studium an der Fakultät für technische und Kernphysik der Technischen Hochschule in Prag, die er, beeindruckt von Jan Zrzavys Arbeiten, verläßt. Bereitet sich 1964-66 privat auf das Grundstudium bei Gabriel Strba vor. 1966-72 Studium an der Hochschule für bildende Künste in Bratislava, zunächst bei Ladislav Cemicky, danach im Seminar für freie Graphik und Illustration bei Vincent Hloznik. 1973-75 Kunstredakteur im Verlag Mlade leta in Bratislava. Ursprünglich rein technisch orientiert, übernahm er die Verantwortung für die künstlerische Gestaltung bei großen slowakischen Buchverlagen und arbeitete phantasiereich in freier Graphik. Figuren und Teile der gegenständlichen Welt werden hyperrealistisch dargestellt. Bisweilen ist in den Kompositionen eine Anlehnung an die Graphik von Hloznik und Brunovsky festzustellen. G.s (Euvre umfaßt auch Buchumschläge und die graphische Ausstattung von Büchern. 1980 Auszeichnung bei der Interexlibris Frederikshavn (Dänemark). Hloznik, Vincent
Nr. IV-8
geb. 19.06.1948 Bratislava lebt in Bratislava 1962-66 Schüler an der Volksschule für bildende Kunst in Zilina. 1966-72 Fortsetzung des Studiums an der Hochschule für bildende Künste in Bratislava bei Vincent Hloznik, Albin Brunovsky und Jan Zelibsky. 1992 Dozent, 1993 Professor an der Hochschule für bildende Künste in Bratislava. Seine Illustrationen lehnen sind eng an das literarische Vorbild an und sind häufig von den Werken alter Meister beeinflußt. K. arbeitet außerdem auf den Gebieten Exlibris, Gebrauchsgraphik und Zeichentrickfilm. Neben vielen anderen Preisen erhielt K. 1982 und 1989 Auszeichnungen bei der IBA in Leipzig, 1984 einen Preis für Kinderbuchillustration in Barcelona sowie 1988 den Hans-Christian-Andersen-Preis in Oslo.
Ondreicka, Karol
Nr. IV- 7
geb. 23.04.1944 in Cachtice lebt in Bratislava
Nr. IV-1 1968-74 Studium an der Hochschule für bildende Künste in Bratislava, Abteilung Buchillustration und Graphik, bei Albin Brunovsky. 1990 Ernennimg zum Professor an dieser Abteilung. Beschäftigung mit freier Graphik und Illustration von Lyrik, auch für Lehrbücher mit slowakischer Thematik. Bevorzugung der Technik des Tiefdrucks, vor allem Radierung und Mezzotinto. In exakten Zeichnungen mit ausdrucksstarken Gesten setzt O. Prinzipien der surrealistischen Ästhetik fort. In Präzision und technischer Vollendung zeigt sich der Einfluß Brunovskys. Bei der Illustration von Märchen und Abenteuergeschichten ist die unkonventionelle Komposition der sachlich beschriebenen Figuren und Gegenstände bemerkenswert. Der Künsüer stattete mehr als hundert Bücher mit Illustrationen aus und entwarf zahlreiche Exlibris. 1991 erhielt er den Hauptpreis der Internationalen Comenius-Ausstellung in Prag.
geb. 22.10.1919 Svedernik lebt in Bratislava 1937^12 Studium an der Prager Schule für Kunsthandwerk bei F. Kysela und J. Noväk. 1960-64 Rektor der Hochschule für bildende Künste in Bratislava. Gilt als bedeutendster Künstler im Bereich der modernen slowakischen Graphik. Einflüsse seines Lehrers Kysela. Intensives Studium der graphischen Blätter von Francisco Goya und der modernen Kunst. Sein zeichnerisches, malerisches und bildhauerisches (Euvre bildet eine Form des politischen Protests. Obgleich nie überzeugter Surrealist, verwendet er auch Elemente des Surrealismus. Das Werk besteht aus mehreren hundert Gemälden und tausenden graphischer Blätter mit Themen zu existentiel-
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Strba, Gabriel
Nr. IV-4, IV-5
1936 dreimonatiger Studienaufenthalt im Pariser Atelier von Frantisek Kupka. 1937-38 Kunstakademie Prag bei Prof. T.F. Simon. 1939 Ecole des Beaux Arts in Paris. Arbeitete als Illustratorin für Bücher und Zeitschriften, als freie Graphikerin und als Malerin. Als Illustratorin widmete sich Z. hauptsächlich dem Kinderbuch, aber auch der Volksliteratur und der slowakischen Dichtung. Nach einer Ostasienreise begann sie, mit östlichen Versen zu arbeiten. Zumeist schuf sie Schwarzweiß- und farbige Zeichnungen sowie Graphiken, besonders in Kaltnadeltechnik. Zuweilen wandte sie jedoch auch komplizierte Verfahren an. So bedeckte sie z.B. eine Grundierung aus Wasserfarben auf Karton mit Kreide und zeichnete oder gravierte dann darauf. 1968 erhielt sie die Auszeichnung „Verdienter Künstler", 1969 einen Preis der Academia internazionale Tomasso Campanella in Rom und 1972 den Grand Prix Fiera del Libro per ragazzi in Bologna.
geb. 06.04.1932 Santov lebt in Bratislava 1952 Abschluß der Höheren Schule für Kunsthandwerk in Bratislava. 1952-59 Studium bei Karel Svolinsky, Fachbereich Graphik, an der Hochschule für Kunsthandwerk in Prag. 1958-92 Professor für graphische Techniken an der Hochschule für angewandte Kunst in Bratislava. S. illustrierte bedeutende literarische Werke wie auch Kinderbücher. Bevorzugte Techniken sind Aquarell und Zeichnung, auch auf gekratzter, mit Gips grundierter Platte. Großzügige, expressive, häufig unkonventionelle Verwendung graphischer Techniken. Entwürfe für Briefmarken, Plakate und Exlibris sowie für dekorativ-architektonische Verwendungen. Erhielt u.a. 1968 die Silbermedaille bei der Academia internazionale Tomasso Campanella in Rom und 1978 eine Auszeichnung in Prag für eine Briefmarkenkollektion.
Vojtäsek, Alexej
Nr. IV-2
geb. 13.12.1952 Roudnice nad Labem lebt in Bratislava 1973 Abschluß der Höheren Schule für Industriegraphik in Bratislava. 1974-1980 Studium an der Hochschule für bildende Künste, Abteilung für Buchgestaltung, bei Albin Brunovsky. 1985-90 Assistent an dieser Hochschule. V. bevorzugt die Tradition beschreibender Zeichnung und der illusionären Perspektive. Verwendet als Ergänzung der eigentlichen Bildkomposition auch phantastische Elemente. Neben der freien Graphik mit vorzugsweise Linolschnitten und Ätztechniken widmet sich V. auch der Illustration unter Verwendung von Aquarellzeichnungen. Arbeitet als Illustrator, u.a. für Zeitungen. Ab 1990 entwickelt V. neue Ausdrucksmittel für großflächige Objekte und bildnerische Lösungen für Innenräume. In den figürlich komponierten Werken finden sich vielfach geometrische Elemente und Zusätze aus Metall oder Holz. 1986 Auszeichnung auf der 3. Internationalen Triennale der Zeichnung in Nürnberg.
Zelibska- Vancikova (Vanci), Maria
Nr. IV-10
geb. 11.10.1913 Bystrice pod Hostynem gest. 10.12.1992 Bratislava Studienbeginn 1930 in Rom. 1931-37 Fortsetzung des Studiums an der Hochschule für angewandte Kunst in Prag bei Arnost Hofbauer und Frantisek Kysela.
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Lada, Josef Lissitzky, El
Verzeichnis der Illustratoren Alexejew, Alexander Alimow, Sergej Andriolli, Micha! Elwiro Axer, Otto Bakst, Leon Barcz, Boleslaw Bartlomiejczyk, Edmund Bednärovä, Eva Behounek Jiri Benois, Alexander Berezowska, Maria (Maja) Bilibin, Iwan Blinow, Walentin Born, Adolf Bouda, Cyril Brun, Robert Brunovsky, Albin Butenko, Bohdan
Nr. 1-12 Nr. 1-35 Nr. 11-8 Nr. 11-14 S.5 S. 80/81 S. 80 Nr. 111-10 Nr. III-ll S. 6, Nr. III-15 Nr. II-3 Nr. 1-5 Nr. 1-7 Nr. III-9,111-18 Nr. III-8 Nr. IV-9 Nr. IV-6 S. 83
Czeczot, Andrzej Czyzewski, Tytus
S. 85/86 S. 81
Dobushinskij, Mstislaw Dwurnik, Edward
S. 6/7 Nr. 11-27
Eidrigevicius, Stasys
S. 85/87
Faworskij, Wladimir
Nr. 1-13
Girs, Anatol Gontscharowa, Natalja Grabiaiiski, Janusz Greener, Dusan Gronowski, Tadeusz Lucjan
S. 80/81 Nr. 1-6 S. 83/84 Nr. IV-3 Nr. II-6
Haskovä, Eva Hiszpanska-Neumann, Maria Hloznik, Vincent
Nr. III-3 Nr. 11-12 Nr. IV-1
Janecek, Ota Jaworowski, Jerzy Jirincovä, Ludmila Jirkü, Boris Källay, Dusan Kardowskij, Dmitrij Kassijan, Wassilij Kolibal, Stanislav Kolyszko, Wojciech Konaschewitsch, Wladimir Koschkin, Alexander Kowaljow, Stanislaw Krause, Andrzej Krylow, Porfirij s. Kukryniksy Kudläcek, Jan Kukryniksy Kulhänek, Oldrich Kuprijanow, Michail s. Kukryniksy Kurkin, Alexander Kusmin, Nikolaj S.
Nr. 111-13 Nr. 11-23 Nr. 111-14 Nr. III-17 Nr. IV-8 Nr. 1-15 Nr. 1-9 Nr. III-2 S. 85/86, Nr. 11-26 S.9 Nr. 1-14 Nr. 1-16 S. 85 Nr. 1-22 Nr. III-15 Nr. 1-22 Nr. III-5, III-6 Nr. 1-22 Nr. 1-8 S.9
Masek, Vaclav Masjutin, Wassilij Mazurek, Grzegorz Dobieslaw Metschew, Mjud Minajew, Wladimir Mitrochin, Dmitrij Mlodozeniec, Jan Mroz, Daniel
Nr. 111-16 Nr. 1-20 Nr. 11-13 Nr. 1-1 Nr. 1-21 Nr. 1-31 S. 82 S. 84/85, Nr. 11-25
Narbut, Georgij (Jegor) Noskow, Wladimir Nowicki, Romuald
Nr. 1-19,1-23 Nr. 1-2 Nr. 11-19
Ondreicka, Karol Ostroumowa-Lebedewa, Anna Ostrow, Swetosar
Nr. IV-7 S. 6 Nr. 1-26,1-27
Pasternak, Leonid Pawlischin, Gennadij Pikow, Michail Popow, Jewgenij Prachatickä, Marketa Przyluski, J. Ratschow, Jewgenij Rodtschenko, Alexander Rotterovä, Romana Rychlicki, Zbigniew Sarjan, Martiros Siemaszko, Olga Sokolow, Nikolaj s. Kukryniksy Sopocko, Konstanty Maria Srokowski, Jerzy Stanny, Janusz Starowieyski, Franciszek Strba, Gabriel Strumillo, Andrzej Svolinsky, Karel Szancer, Jan Marcin Toepfer, Stanislaw Tomaszewski, Henryk Topolski, Feliks Traugot, Alexander und Walerij Tschechonin, Sergej Uniechowski, Antoni Vimr, Vladimir Vojtäsek, Alexej Wasnezow, Jurij Wilkori, Jözef Wolowitsch, Witalij Zamecznik, Stanislaw Zelibskä-Vancikovä (Vanci), Maria Zieleniec, Bogdan
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Nr. III-19 S. 7/8
Nr. 1-11 Nr. 1-28 Nr. 1-4 Nr. 1-34 Nr. III-12 Nr. II-4 Nr. 1-24 S. 8 Nr. III-l Nr. 11-17 Nr. 1-29,1-30 Nr. 11-21 Nr. 1-22 Nr. II-l Nr. 11-20 Nr. 11-22 S. 83 Nr. IV-4, IV-5 Nr. 11-24 Nr. III-4 Nr. II-7,11-10,11-11 Nr. II-5 S. 82 Nr. 11-18 Nr. 1-32,1-33 Nr. 1-17,1-18 Nr. II-9 Nr. III-7 Nr. IV-2 Nr. 1-25 S. 83/84 Nr. 1-3,1-10 Nr. 11-15 Nr. IV-10 Nr. 11-16
Verzeichnis der Autoren und Buchtitel Afanassiev, Alexandre Trois royaumes. Contes populaires russes (Drei Königreiche. Russische Volksmärchen) Nr. 1-8 Andersen, Hans Christian GlupiJasio (Tölpel-Hans) Nr. 11-24 Krzesiwo (Das Feuerzeug) Nr. 11-22 Nowoje platje korolja (Des Kaisers neue Kleider) Nr. 1-34 Solowjej (Die Nachtigall) Nr. 1-23 Zuk (Der Mistkäfer) Nr. 11-23 Arche Noah Arka Noego, rymowana röznymi czasy i w roznych miejscach, zwlaszcza przy swietle lamp naftowych w Domupod Jedlamiprzez rodziny Pa wliko wskich i Wolskich... (Die Arche Noah, gereimt zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, besonders beim Licht der Petroleumlampen im Haus Unter den Tannen von den Familien Pawlikowski und Wolski...) Nr. 11-26 Aulnoy, Madame d' Der gelbe Zwerg Nr.IV-6 Benois, Alexandre s. Strawinsky, Igor F. Brecht, Bertolt Rekin z§by ma na wierzchu (Der Haifisch, der hat Zähne) Nr. 11-27 Buch Ksigzeczka ο ksi^zce (Das Büchlein vom Buch) Nr. II-l Capek, Karel Välka s mloky (Der Krieg mit Nr. III-18 den Molchen) Carroll, Lewis Alenka ν kraji divü a za zrcadlem (Alice im Wunderland und hinter Nr. III-12 den Spiegeln) Alica ν krajine zäzrakov (Alice Nr. IV-8 im Wunderland) Dad-Bedad Nr. 1-29 Dad-Bedad Dante Alighieri Boshestwennaja komedija Nr. 1-4 (Die göttliche Komödie) Boska Komedia (Die göttliche Nr. 11-16 Komödie) Bozskä Komedia. Raj (Die göttliche Komödie. Nr. IV-1 Das Paradies) Defoe, Daniel Nr. III-9 Robinson Crusoe Roxana czyli Szcz$sliwa kochanka
(Roxana oder Die glückhafte Nr. 11-14 Mätresse) Efros, Abram und Nikolaj Punin Sergej Tschechonin (Werkverzeichnis) Nr. 1-18 Faust Kniha ο Faustovi (Das Buch Nr. III-6 über Faust) Gilgamesch-Epos Epos ο Gilgamesovi Nr. III-l (Gilgamesch-Epos) Goethe, Johann Wolfgang von Egmont Nr. 1-10 Faust a Marketa. (Prvotni Faust) (Faust und Margareta. Der Urfaust) Nr. III-7 Uczeri czarnoksi§znika (Der Zauberlehrling) Nr. 11-21 Gogol, Nikolaj Nos (Die Nase) Nr. 1-20 Nr. III-5 Portret (Das Porträt) Sapiski sumasschedschego (Aufzeichnungen eines WahnNr. 1-21 sinnigen) Gottesmutter Pod Twoj§ obron§. Matka Boza w poezji polskiej (Unter Deinem Schutz. Die Gottesmutter in der Nr. 11-13 polnischen Dichtung) Gribojedow, Alexander Gore ot uma (Verstand schafft Nr. 1-15 Leiden) Grimm, Gebrüder Nr. 1-33 Rumpelstilzchen Hasek, Jaroslav Osudy dobreho vojaka Svejka za svetove välky (Die Abenteuer des braven Soldaten Schweik während Nr. 111-19 des Weltkrieges) Hauff, Wilhelm Clovek- opice (Der MenschNr. III-ll ein Affe) Korabl prisrak (Das Gespensterschiff) Nr. 1-31,1-32 Hejna, Olga s. Strawinsky, Igor F. Hoffmann, Ε. Τ. A. Malenkij Zaches, po proswaniju Zinnober (Klein Zaches genannt Nr. 1-35 Zinnober) Homer Nr. IV-4 Ilias Odysseia Nr. IV-5 Hugo, Victor Nr. II-9 N§dznicy (Die Elenden) Humor Ksi^gihumoru polskiego od Reja do Niemcewicza (Bücher des polnischen Humors von Rej bis Niemcewicz) Nr. II-2
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Igorlied Slowo οpolku Igorewe (Das Igorlied) Nr. 1-2,1-3 Ismajlow, Alexander Kriwoje serkalo (Der Zerrspiegel) Nr. 1-17 Jerschow, Pjotr Konjok-Gorbunok (Das bucklige Pferdchen) Nr. 1-25 Kafka, Franz Przemiana (Die Verwandlung) Nr. 11-25 Karl IV. Vlastni zivotopis (Autobiographie) Nr. III-3 Kater Kater Schnurre. Ein russisches Märchen Nr. IV-10 Kirkegaard, Ole Lund Maly Virgil (Der kleine Virgil) Nr. IV-9 Kochanowski, Jan Fraszki (Epigramme) Nr.II-3 Krasicki, Ignacy Monachomachia czyli Wojna mnichöw (Monachomachia oder der Mönchekneg) Nr. II-4 Lermontow, Michail Pesnja pro zarja Iwana Wassiljewitscha, molodogo opntschnika i udalogo kupza Kalaschnikowa (Das Lied vom Zaren Iwan Wassiljewitsch, dem jungen Leibgardisten und dem kühnen Kaufmann Kalaschnikow) Nr. 1-7 Lönnrot, Elias s. Stanovsky, Vladislav Lorca, Frederico Garcia Wiersze i dramaty (Gedichte und Dramen) Nr. 11-12 Majakowskij, Wladimir 150 000 000 Nr. 111-16 Margarete von Navarra Heptameron Nr. IV-3 Märquez, Gabriel Garcia Sto rokü samoty (Hundert Lahre Einsamkeit) Nr. III-17 Mickiewicz, Adam „Pan Tadeusz" wilustracjach („Pan Tadeusz" in Illustrationen) Nr. II-8 Pan Tadeusz Nr. II-6, II-7 Nädasi-Jege, Ladislav V com je radost zivota (Worin die Lebensfreude besteht) Nr. IV-2 Nagischkin, Dmitrij Folktales of the Amur Nr. 1-28 Narbut, Georgij (Jegor) Posmertna Wystawka Tworiw (Posthume Werkschau) Nr. 1-19 Nestorchronik Powest wremennych let (Nestorchronik) Nr. 1-1
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Pasternak, Boris Wosduschnyje puti. Prosa rasnych let (Luftwege. Prosa aus verschiedenen fahren) Nr. 1-11 Le Docteur livago Nr. 1-12 Punin, Nikolaj s. Efros, Abram Puschkin, Alexander Eugen Onegin Nr. III-10 Skaska ο rybake irybke (Der Fischer und seine Frau) Nr. 1-27 Skaska ο zare Saltane (Das Märchen vom Zaren Saltan) Nr. 1-5 Conte de Tsar Saltan et de son fils leglorieux etpuissant prince Gvidon Saltanovitch et de sa belle princesse cygne (Das Märchen vom Zaren Saltan, seinem Sohn, dem ruhmreichen und starken Prinz Gwidon Saltanowitsch, und der schönen Schwanenprinzessin) Nr. 1-6 Skaska ο pope irabotnike jego Balde (Das Märchen vom Popen und seinem Knecht Schafskopf) Nr. 1-26 Rolland, Romain Colas Breugnon Nr. 11-11 Saltykow-Schtschedrin, Michail Istorija odnogogoroda (Die Geschichte einer Stadt) Nr. 1-22 Schewtschenko, Taras Kobsar (Der Kobsar) Nr. 1-9 Shukowskij, Wassilij Zwety metschty ujedinjonnoj. Stichotworenija i ballady (Blumen eines einsamen Traumes. Gedichte und Balladen) Nr. 1-14 Sienkiewicz, Henryk Wpustyni i w puszczy (In Wüste und Wildnis) Nr. 11-20 Krzyzacy (Die Kreuzritter) Nr. II-5 Stanovsky, Vladislav Ο trech bratrich zKalevalya kouzelnem mlynku Sampo. Podle lidovych karelskych a finskych pisni a Kalevaly Eliase Lönnrota... (Über die drei Brüder aus der Kalevala und die Zaubermühle Sampo. Nach karelischen und finnischen Volksliedern und der Kalevala des Elias Lönnrot...) Nr. III-2 Strawinsky, Igor F. - Alexandre Benois Petruska Nr. 111-15 Swift, Jonathan Podröze Guliwera (Gullivers Reisen) Nr. 11-10, II-l 7 Gulliverovy cesty (Gullivers Reisen) Nr. III-8 Tausend und eine Nacht Tisic a jedna noc (Tausend und eine Nacht) Nr. IV-7
i An tologia Bachiczna (Polnisches Trinker-Wörterbuch und Bacchus-Anthologie)
Tolstoj, Alexej
Häschen Prahlhans
Nr. 1-24
Tolstoj, Lew
Rasskasy ο shiwotnych (Tiergeschichten)
Nr. 11-18
Urbänkovä, Jarmila
Nr. 1-13
Vsecky moje krajiny (Alle meine Landschaften)
Tuwim, Julian
Cicer cum caule czyligroch ζ kapustg. Panopticum i archiwum kultury (Kichererbse mit Kohl oder Kraut und Rüben. Panoptikum und Archiv für Kultur) Nr. 11-19 Czary i czartypolskie oraz wypisy czamoksiQskie (Magie und Teufel in Polen sowie Α uszüge aus Schwarzbüchern) Nr. 11-15 Pol ski Slo wnik Pijacki
Nr. 111-14
Villon, Franfois
Ja- Frangois Villon (Ich- Francois Villon) Vogel Peri
Ptiza Peri (Der Vogel Peri)
Nr. III-4 Nr. 1-30
Wilde, Oscar
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St'astny princ (Der glückliche Pnnz) Solowej irosa (Die Nachtigall und die Rose)
Nr. III-13 Nr. 1-16
Mitarbeiter Der Herausgeber dankt herzlich allen Mitarbeitern für tatkräftige Unterstützung bei Text-/ Bildbeschreibungen, Kurzbiographien und Übersetzungen.
Rußland
Natalia Borissowskaja Birgit Harreß Xenia Werner Bodo Zelinsky Ruth Dickhoven Peter Krüger
Polen
Marta Faas Piotr Hordyriski Ruth Dickhoven Aleksandra Dabrowa Peter Krüger
Tschechien
Hans-Joachim Haertel Blanka Stehlikovä Vilem Stransky
Slowakei
Hans-Joachim Haertel Eva Sefcäkovä
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