Servius als Sprachlehrer: Zur Sprachrichtigkeit in der exegetischen Praxis des spätantiken Grammatikerunterrichts 9783666252143, 9783525252147


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German Pages [17] Year 1998

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Servius als Sprachlehrer: Zur Sprachrichtigkeit in der exegetischen Praxis des spätantiken Grammatikerunterrichts
 9783666252143, 9783525252147

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I. Einleitung Mit der Alleinherrschaft Constantins des Großen (324-337) war für die Christenheit eingetreten, was die wenigsten für möglich gehalten hatten: Eine Verbindung zwischen Imperium, Kaiser und Kirche, zwischen Weltreich, Monarchie und christlichem Monotheismus schien gelungen; man konnte glauben, das Wirken der göttlichen Providenz sichtbar vor Augen zu haben. Und bestätigten nicht die Erfolge Constantins gegen innere wie äußere Feinde, daß Gott die Frommen, insbesondere die frommen Herrscher belohne? Wenn ein solcher Kaiser entschlossen in kirchliche Angelegenheiten eingriff, mußte das keinen Anstoß erregen. So dürften viele gedacht haben; Euseb von Caesarea gab dieser Stimmung in eindringlicher Weise Ausdruck. Doch die Harmonie zwischen Kaiser und Kirche währte nicht lange. Wenn ein Anhänger der Orthodoxie1 hundert Jahre nach Constantin auf die Geschichte des christlichen Kaisertums im Osten des Reiches zurückblickte, so bot ihm die Gegenwart zwar das erfreuliche Bild eines rechtgläubigen, frommen Kaisers, doch zeigte die Vergangenheit, daß dies keine Selbstverständlichkeit war: Vielleicht konnte ein Orthodoxer darüber hinwegsehen, daß Constantin gegen Ende seiner Regierung einen rechtgläubigen Mann wie Athanasios verbannt hatte, doch unübersehbar war, daß sein Sohn Constantius Π. (337-361) massiv zugunsten von Arianern in kirchliche Angelegenheiten eingegriffen hatte; dessen Nachfolger Julian Apostata (361-363) war gar zum Heidentum übergetreten; Jovian (363/4), den man zu den Rechtgläubigen rechnen konnte, starb wenige Monate nach seiner Ausrufung zum Kaiser; sein Nachfolger, der Arianer Valens (364-378), war berüchtigt für sein hartes Vorgehen gegen Andersgläubige. Erst seit Theodosius dem Großen (379-395) hielten sich nacheinander mehrere orthodoxe Kaiser an der Macht 2 . 1 Als "Orthodoxe" bzw. "Nizäner" werden im Folgenden diejenigen im Osten wie im Westen des Reiches bezeichnet, die sich den Beschlüssen des Konzils von Nizäa 325, dann auch den trinitarischen Aussagen des Konzils von Konstantinopel 381 verpflichtet fühlten; dies entspricht den Vorstellungen der Kirchenhistoriker (s. insbes. S. 53ff; 107fF; vgl. aber die folgende Anmerkung zum Problem der Theologiegeschichte des 4. Jahrhunderts). Es gelten demnach fur die Epoche Theodosius' II. die Antiochener Theologen ebenso als orthodox wie ihre Gegner aus Alexandria, obwohl Schriften Theodorets später als häretisch verurteilt wurden (s.u. Anm. 80); auch Socrates hätte nach späteren Maßstäben wohl nicht als orthodox gelten können (CHESNUT 1983, 301). Eine theologische Wertung ist mit dem Sprachgebrauch dieser Arbeit nicht verbunden. 2 Hingewiesen sei darauf, daß die moderne dogmengeschichtliche Forschung zu einem erheblich komplexeren Bild der Entwicklungen im vierten Jahrhundert gelangt ist, als es das Begriffspaar "orthodox" und "arianisch" vermittelt. Mit dem Ausdruck "Arianer" konnten von den jeweiligen Gegnern sehr verschiedene theologische Richtungen belegt werden, die eine unterschiedliche Nähe zur Orthodoxie aufwiesen (s. den Überblick bei RITTER 1978, bes. 693 zur Verwendbarkeit von "Arianismus"; vgl. die theologischen Erwägungen zur Begrifflichkeit von LLENHARD 1987): Die auch Anhomöer oder Neuarianer genannten Eunomianer trennten

2

I. Einleitung

Aber auch deren Herrschaft hatte nicht das Glück und die Sicherheit gebracht, die ein Orthodoxer erhoffen mochte; vielmehr hatte Theodosius I. sich verschiedentlich als jähzornig und grausam erwiesen. Unter seinem Sohn Arcadius mußte der rechtgläubige Bischof von Konstantinopel Johannes Chrysostomus in die Verbannung gehen. Und mochten die von außen kommenden Bedrohungen des Reiches im Osten weniger fühlbar sein als im Westen, so stand doch allen vor Augen, daß die Kirche selbst unter dem frommen und bemühten Theodosius Π. (408-450) innerlich so zerrissen war, daß nicht einmal Konzilien eine dauerhafte Einigung herbeizufuhren vermochten. Derartige Erfahrungen konnten nicht ohne Einfluß auf das Kaiserbild bleiben. Eine Untersuchung der Deutung dieser Entwicklungen im Osten des Reiches kann dazu beitragen, die Geschichte der christlichen Vorstellungen vom Kaisertum und damit ein zentrales Element des Staatsdenkens der Christen in der Spätantike präziser zu erfassen. Unter einem solchen Blickwinkel ist es wichtig, festzustellen, wie orthodoxe Beobachter das Kaisertum im fünften Jahrhundert sahen, welche Wandlungen zumal gegenüber Euseb von Caesarea eingetreten waren, inwiefern auch innerhalb der Orthodoxie divergierende Auffassungen galten. Unter allgemeineren Gesichtspunkten erscheint es wichtig, zu erörtern, ob sich Parallelerscheinungen zum Westen feststellen lassen. Denn die Unterschiede der politischen Entwicklung in den beiden Reichsteilen wurden seit dem Todesjahr Theodosius' I. 395 immer deutlicher spürbar. Der Westen war erheblich instabiler, hatte den auswärtigen Feinden weniger entgegenzusetzen als der Osten; ob auch die Vorstellungen vom Kaiser und von dessen Reich differierten, ob sich gar spätere Entwicklungen im Osten und im Westen bereits im fünften Jahrhundert abzeichneten, kann vor dem Hintergrund einer Untersuchung einschlägiger Werke des Ostens - der Westen, wo Orosius und Augustin wirkten, ist insgesamt besser erforscht 3 - zuverlässiger erörtert werden. Die Quellenlage für eine solche Untersuchung ist scheinbar ungünstig. Denn im Osten fehlen für die Spätantike Werke staatstheoretischen Charakters weit-

scharf zwischen dem Wesen Gottes und dem Christi, insofern sind sie eine extreme Richtung des Arianismus. Die Homöer erklärten, daß Gott und Christus δμοιοι seien (daher ihr Name); sie fanden Rückhalt bei den Kaisern Constantius II. und Valens. Die Homöusianer modifizierten, wie ihre Bezeichnung zeigt, das orthodoxe Homousios nur leicht (Theodoret unterscheidet sie in der Kirchengeschichte kaum von den Homousianem, s. BERGJAN 1994, 18f); aus ihnen heraus entwickelten sich die nach einem Bischof von Konstantinopel benannten Makedonianer, die in der Frage der theologischen Deutung des Heiligen Geistes von der Orthodoxie abwichen; s. zu den verschiedenen Richtungen, deren Unterschiede hier nur verkürzt angesprochen werden können, RITTER 1982, 185ff; LORENZ 1992, insbes. C 164ff; 178f; 192ff; ausführlicher SLMONETTI 1975 (insbes. 25Iff; 470f) und HANSON 1988 (insbes. 348ff; 557ff; 598ff; 760ff). 3

S. dazu Kap. VII.

I. Einleitung

3

gehend4, es gibt auch keine mit De civitate Dei des Augustin vergleichbare Schrift. Immerhin haben sich jedoch Schriften anderer Ausrichtung erhalten, die näheren Aufschluß über die Vorstellungen vom Kaisertum erwarten lassen: die orthodoxen Kirchengeschichten, die schon dadurch von Interesse sind, daß sie das christliche Kaisertum in seiner Geschichte thematisieren. Drei Werke dieses Genos sind aus der Regierungszeit Theodosius' Π. vollständig bzw. nahezu vollständig überliefert, die Kirchengeschichten des Socrates, des Sozomenus und Theodorets, die wegen der Ähnlichkeit ihrer Werke als "Synoptiker" bezeichnet werden. Diese Arbeiten stellen in ausdrücklicher Anknüpfung an die Εκκλησιαστική 'Ιστορία Eusebs5 die gut hundert Jahre zwischen der Erringung der Alleinherrschaft durch Constantin den Großen und ihrer eigenen Zeit aus orthodoxer Perspektive dar. Die Kaiser haben in ihnen zwangsläufig einen prominenten Platz, da alle drei deren herausragende Bedeutung fur die Entwicklung der Kirche anerkennen6. Wenn diese Schriften in der Deutung kaiserlichen Handelns voneinander abweichen, ergibt sich die Möglichkeit, verschiedene orthodoxe Interpretationen des christlichen Kaisertums in dieser Zeit zu fassen. Die Auswertung historiographischer Texte mit dem Ziel, die politische Gedankenwelt ihrer Autoren zu erschließen, hat in den Altertumswissenschaften Tradition: Erinnert sei lediglich an Beispiele aus der besonders ertragreichen Tacitus-Forschung7 sowie für die Spätantike an Untersuchungen zu Ammianus 4 S. KARAYANNOPOULOS 1975 (1956), 236, der allerdings einen strengen Maßstab anlegt und auch den Fürstenspiegel De regno des Synesius nicht als Ausnahme gelten läßt; unter den Quellen, die seiner Auffassung nach immerhin Gedanken zu diesem Thema bieten können (239f). nennt er die Kirchenhistoriker gar nicht erst. - Eine reiche, oftmals stark von hellenistischen Traditionen beeinflußte Produktion von Schriften, die Auskunft über das Staatsdenken geben, setzt unter Justinian ein, s. dazu MORIS1 1963, 145ff; DVORNIK 1966, II 706ff; PERTUS1 1985, 542ff; MAZZA 1986a, 240ff; KARAMBOULA 1993, 74ff.

Socr., 1,1 (der Name Eusebs ist das erste Wort des ganzen Werks); Soz., 1,1,12f; Theod., 1,1,4. 6 Wenn in dieser Arbeit von "Kirche" die Rede ist, so ist zu bedenken, daß diese zur Zeit Theodosius' II. im Vergleich zu späteren Jahrhunderten locker gefügt war. Vor allem hatte sie kein eindeutiges Oberhaupt, das mit dem mittelalterlichen Papst vergleichbar gewesen wäre, sondern es gab mehrere angesehene Patriarchen, die um den Vorrang stritten. Mit Autorität sprachen die großen Konzilien für die Kirche, doch sie bildeten keine ständige Institution; ansonsten konnte für den Kaiser jeder Bischof, aber auch jeder Heilige Mann einschließlich der Nichtkleriker den rechten Glauben und damit die Kirche repräsentieren (s. zu den entsprechenden Vorstellungen der behandelten Kirchenhistorikem S. 33ff), selbst wenn in der Zeit Theodosius' II. sich eine stärker vom Klerus her definierte Kirchenvorstellung durchzusetzen begann, s. dazu MARKUS 1975, 15; DE GIOVANNI 1980, 178. Die durchgehende Anwendung des Begriffspaares Imperium und sacerdotium, das im wörtlichen Sinne auf das Priesteramt abhebt, würde daher zu Mißverständnissen fuhren. 7

SYME 1 9 5 8 ; FLACH 1 9 7 3 ; CHRIST 1 9 7 8 .

4

I. Einleitung

Marcellinus 8 , zur Historia Augusta 9 , zu Orosius 10 und Zosimus 11 . Nicht zuletzt konnte ein Kirchenhistoriker, der lateinisch schreibende, um 400 wirkenden Rufin, in die religiösen Auseinandersetzungen seiner Zeit eingeordnet werden 12 . Derartige Forschungen sind nur möglich, wenn die in Rede stehenden Autoren nicht lediglich mehr oder weniger zuverlässig Quellen kompilierten, sondern zumindest in einem gewissen Maße bereit und fähig waren, ihren Stoff zu gestalten. Für die drei lange mißachteten orthodoxen Kirchenhistoriker der Zeit Theodosius' Π. hat die jüngere Forschung deutlich gemacht, daß es sich bei ihnen um durchaus ernstzunehmende intellektuelle Persönlichkeiten handelt 13 ; im übrigen zeigen schon die Proömien der Werke, daß alle drei geistige Ansprüche erheben 14 . In welchem Umfang es ihnen gelingt, kohärente Vorstellungen - regelrechte Theoriegebäude sind bei solchen Quellen nicht zu erwarten - zu den Fragen des Kaisertums zu entwickeln und diese in ihre Darstellungen einfließen zu lassen, kann erst im Zuge der Arbeit an ihren Texten verdeutlicht werden. Dafür, daß bei den drei Kirchenhistorikern keine in jeder Beziehung übereinstimmenden Auffassungen vom Kaisertum zu erwarten sind, sprechen ihre verschiedenartigen Prägungen; denn sie unterscheiden sich sowohl in Hinblick auf ihre soziale Stellung und kirchenpolitische Position als auch auf ihr intendiertes Publikum. Schon von daher lassen die Werke keine einheitliche Auffassung vom Kaisertum erwarten. Bedeutsam dürfte etwa ihre unterschiedliche Nähe zum Hof sein: Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß ein im Umfeld des kaiserlichen Hauses wirkender Autor wie Sozomenus den Kaiser in einem anderen Licht sehen mußte als Theodoret, der sich von ihm ungerecht behandelt fühlte 15 . 1923;

1965;

1975; R O S E N 1982a, 105ff.

8

ENSSLIN

9

JOHNE 1 9 7 6 , 6 6 f f ; 1 9 8 4 ; A L F Ö L D Y 1 9 7 8 ; S Y M E 1 9 7 8 .

DEMANDT

BLOCKLEY

10

LIPPOLD 1 9 6 9 ; G O E T Z 1 9 8 0 ; K O C H - P E T E R S 1 9 8 4 ; A L O N S O - N U N E Z 1 9 9 3 .

11

PASCHOUD 1975.

12

THELAMON 1981.

13

S . d a z u d i e i n K a p . II a n g e f ü h r t e n A r b e i t e n v o n KAEGL, C R A C C O RUGGINI, M A Z Z A u n d

ALLEN. 14

S. MAZZA 1986b zu den Proömien des Socrates und des Sozomenus (sehr gerafft ist LIEBERICH 1898, 44f); das Proömium Theodorets ist kürzer als die der beiden anderen, aber durchaus eigenständig. Besonders gerühmt wird das Proömium des Sozomenus, s. MOMIGLIANO 1975 (1969), 50; MAZZA 1986b, 304ff; WARMINGTON 1986, 9f. Zur Datierung der Werke s. Anhang A. Für die Schrift des Socrates sind der terminus post quem 439 und der terminus ante quem 450 unbestreitbar; die stärksten Indizien scheinen für die Jahre 444/5 zu sprechen, doch gibt es auch gute Gründe für die Annahme, daß das Werk nicht lange nach 439 in der heute erhaltenen Form vorlag. Sozomenus setzt auf jeden Fall Socrates voraus, sein Werk gehört höchstwahrscheinlich in die Zeit vor 448; Theodorets Kirchengeschichte ist auf die Zeit zwischen 444 und 450 und am ehesten auf 448/9 zu datieren. In

I. Einleitung

5

Da bei den Kirchenhistorikern Exkurse zu Fragen des Kaisertums weitestgehend fehlen, ist die vorliegende Untersuchung darauf angewiesen, die jeweiligen Schilderungen kaiserlichen Handelns zu erörtern und auf die von den Autoren implizit oder explizit gegebenen Wertungen hin zu überprüfen. Die Ergebnisse dieser Einzeluntersuchungen müssen dann nach systematischen Gesichtspunkten geordnet werden. Ein solches Vorgehen erscheint, wie oben angedeutet, deswegen besonders vielversprechend, weil die Kirchengeschichten fast gleichzeitig entstanden sind und einen ungefähr identischen Zeitabschnitt behandeln, dabei z.T. voneinander abhängen16, zumindest aber über weite Strecken den gleichen Quellenbestand zur Verfugung hatten17. Lassen sich Divergenzen in der Darstellung herausarbeiten, müßten somit auch Unterschiede in der Bewertung deutlich werden. Ziel des Vergleiches zwischen den Kirchenhistorikern ist es also nicht, mittels einer historisch-kritischen Analyse geschichtliche Ereignisse zu rekonstruieren, vielmehr steht die Darstellung sowie die implizite oder explizite Deutung des kaiserlichen Handelns im Mittelpunkt. Daher wird bei den Begebenheiten und Entwicklungen, die die Kirchenhistoriker erwähnen, in der Regel nicht die Frage der historischen Faktizität erörtert. Wenn Parallelquellen zitiert werden, so geschieht dies auch nicht in der Absicht, den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen zu diskutieren18, sondern lediglich mit dem Ziel, das Spezifische der Deutung der Kirchenhistoriker kenntlich zu machen 19 , vor deren keinem der beiden letzteren Werke sind Brüche zu erkennen, die auf eine sehr lange Entstehungszeit ohne abschließende Glättung hindeuten würden. 16

Darüber, daß Sozomenus Socrates benutzt hat, herrscht Konsens, ebenso darüber, daß jener diesem nicht unkritisch folgte, sondern auch Ergänzungen und Korrekturen vornahm: ELTESTER 1 9 2 7 b , 1 2 4 7 ; HANSEN 1 9 9 5 b , X L I V F F ; DOWNEY 1 9 6 5 , 6 4 ; CHESNUT 1 9 7 7 ,

197;

SABBAH 1 9 8 3 , 6 9 f . 17

Dies zumindest gilt für Theodoret im Verhältnis zu Socrates und Sozomenus, vgl. PAR1911, LXXIIIff (mit SCHEIDWEILER 1954, XXIIIff), der gegen GÜLDENPENNING 1889, 41 ff vermutet, daß Theodoret Socrates und Sozomenus zwar gekannt, aber eher auf deren Quellen zurückgegriffen habe; eine stärkere Abhängigkeit von Socrates sehen etwa OPITZ 1934, 1799f; BARNES 1993, 209; auch HANSEN (1995a, XXXVf) trägt gewichtige Argumente zugunsten der Auffassung vor, daß Theodoret Socrates kannte; er geht davon aus, daß auch Sozomenus Theodoret vorlag. Wenn BARNES 1993, 209 es für chronologisch unmöglich erklärt, daß Theodoret Sozomenus kannte, so geschieht auf der Grundlage einer Datierung des Sozomenus, die anfechtbar ist, vgl. Anhang A. Iδ Daher wird bewußt auf eine systematische Erfassung der Parallelstellen verzichtet, die im übrigen unschwer den entsprechenden Nachschlagewerken entnommen werden können; ihre Anführung würde nur den Anmerkungsapparat unnötig aufblähen. 19 Dies wird immer nur exemplarisch belegt. Da es hier nicht um die Feststellung von Abhängigkeiten, sondern um die Herausarbeitung bestimmter Tendenzen der Bewertung geht, kann auch ein späterer Autor wie Zosimus herangezogen werden, zumal er sich bis 404 eng an Eunap, einen älteren Zeitgenossen der Kirchenhistoriker, anschloß, s. BLOCKLEY 1981, 2; 97f mit Lit. MENTIER

6

I. Einleitung

Hintergrund die Auffassungen der "Synoptiker" an einigen Stellen klarer herausgearbeitet werden können. Es ist demzufolge nur von untergeordneter Bedeutung, welcher der Kirchenhistoriker mit seiner Version "recht" hat: Auch wenn einer der Kirchenhistoriker etwas, was heute als historisch gesichert gilt, überliefert, muß dies nicht heißen, daß er es einfach als wahrheitsliebender Historiker notiert hätte, sondern es kann auch bedeuten - und diese Möglichkeit wird hier mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet -, daß ihm diese Version geeignet erschien, seine Vorstellungen zu untermauern 20 . Ein analoges Verfahren gilt auch fur die Frage der Quellen der Kirchenhistoriker: Sie zu erschließen ist nicht das Ziel dieser Arbeit. Keineswegs soll indessen die Bedeutung der Quellenforschung in Abrede gestellt werden, vielmehr kann die Arbeit auf die von theologischer und althistorischer Seite mit großer Sorgfalt betriebenen Quellenuntersuchungen des 19. und 20. Jahrhunderts aufbauen, in denen Gemeinsamkeiten und Eigenheiten der drei Kirchenhistoriker erfaßt und Abhängigkeiten von anderen Quellen ermittelt wurden 21 , aber auch unter dem Gesichtspunkt der Rekonstruktion bestimmter historischer Abläufe die Glaubwürdigkeit der Autoren Aufmerksamkeit fand 22 . Gleichwohl haben die Ergebnisse der Quellenforschung für die hier zu erstellende Untersuchung nur eine untergeordnete Bedeutung: Wenn etwa Sozomenus, wie er es oft genug tut, Material von Socrates ohne größere Eingriffe übernimmt, so ergibt sich daraus nicht, daß die entsprechenden Passagen fur unsere Fragestellung keine Bedeutung mehr hätten. Sozomenus traf eine Auswahl aus seinem Material und hielt sich keinesfalls sklavisch an eine einzige Quelle. Er muß sich somit auch dann "etwas dabei gedacht" haben, wenn er

2 0 Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Socrates und Sozomenus charakterisieren Valentinian I. als einen in religiösen Dingen duldsamen oder zumindest zurückhaltenden Herrscher; Theodoret zeichnet ihn als strengen Vorkämpfer der Orthodoxie. Vor dem Hintergrund der modernen Forschung dürfte man Socrates und Sozomenus recht geben. Doch fur die vorliegende Arbeit ist entscheidend, daß jeder ein bestimmtes, auch sonst bei ihm erkennbares Kaiserideal auf diese einhellig positiv beurteilte historische Gestalt projiziert, wobei Theodoret gezwungen ist, fur seine Darstellung Valentinians I. besonders frei mit dem Stoff umzugehen. 2 1 S. nur die Tabellen bei GÜLDENPENNING 1889, 62ff; GEPPERT 1898, 113ff; SCHOO 1911, 135ff. Diese Arbeiten, die die älteren Werke aufnehmen und weiterfuhren, sind weiterhin fundamental, auch wenn sie in einigen Punkten korrigiert werden mußten, vgl., um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen, PARMENTIER 1911, LXXIIIff; 1995a, XLIIIff; HANSEN 1995b, XLIVff.

22

Mustergültige Beispiele für solche oft sehr erfolgreichen Bemühungen sind die Arbeiten vom SCHWARTZ, die zahlreichen Studien von BARNES und von theologischer Seite die Untersuchung von BRENNECKE 1988. Derartige Abhandlungen reißen gelegentlich die Frage der Weltanschauung der Kirchenhistoriker an, behandeln sie aber nicht systematisch; sie könnten ihrerseits natürlich von einer umfassenden Untersuchung des Denkens der Kirchenhistoriker profitieren.

I. Einleitung

1

Socrates folgte, und entsprechendes gilt auch für die beiden anderen, mit Einschränkungen vielleicht bei Socrates23. Allerdings unterliegt es keinem Zweifel, daß gerade das, was man als Eigengut der drei Autoren bezeichnen könnte, eine besondere Aufmerksamkeit verdient, da ihnen an den betreffenden Stellen etwas so wichtig gewesen sein mußte, daß sie ergänzende Bemerkungen fur erforderlich hielten. Von herausragendem Interesse sind gerade die falschen, die erfundenen Notizen, auf deren Ausscheidung die Quellenforschung drängt. Denn an jenen Stellen, wo die Autoren den Geschehensablauf am stärksten stilisieren24, kommen ihre Absichten am reinsten zum Tragen25. Wenn, wie es hier geschieht, die Kirchenhistoriker hauptsächlich als Autoren betrachtet werden, die bereit sind, ihren Stoff und das ihnen verfugbare Quellenmaterial zu stilisieren, so besteht zugegebenermaßen die Gefahr der Überinterpretation: Abweichungen zwischen den Autoren können auch darauf zurückgehen, daß an einzelnen Stellen die Vorlagen der drei Autoren verschieden waren, auch bloße Nachlässigkeit einerseits oder ein spezifisches Kunstwollen andererseits lassen sich keineswegs von vornherein von der Hand weisen; nicht zuletzt mußte die Bereitschaft oder auch die Fähigkeit zur Stilisierung irgendwo an ihre Grenzen stoßen, da die Kirchenhistoriker ebenso wie die Profanhistoriker den Anspruch der Wahrhaftigkeit erhoben26. Wenn aber hinter einer größeren Zahl von Abweichungen zwischen den Autoren bezüglich der Einschätzung des Kaisertums und der Stellung des Kaisers zur Kirche eine gewisse Tendenz erkennbar wird, so ist die Annahme berechtigt, daß dahinter auch entsprechende Vorstellungen stehen27. Bei einem solchen Vorgehen bie23

S. die Aufnahme von Material, das seinen ansonsten feststellbaren Intentionen widerspricht, in Hinblick auf Constantius II. (S. 67) und Valentinian I. (S. 95). 24

Das Wort "Stilisierung" wird hier in einem breiten Sinne verwendet; gemeint ist, daß ein Autor das vorgefundene Material durch Weglassungen, Hinzufügungen und Glättungen so überarbeitet, daß es seinen Intentionen entspricht. 25 Eine methodisches Problem bildet die Interpretation der Kephalaia, der Kapitelüberschriften, die bei Socrates und Theodoret mitüberliefert sind. SCHWARTZ 1909, CLIff hat die Auffassung vertreten, daß die Kephalaia in Eusebs Kirchengeschichte vom Autor selbst stammen, und übertrug diese Erkenntnis auch auf die beiden Nachfolger. Bei Socrates ist dies allerdings wohl nicht der Fall, s. HANSEN 1995a, LX. Die Kapitelüberschriften in Theodorets Kirchengeschichte schreibt Ρ ARMENTIER 1911, XLII dem Autor selbst zu, doch lediglich mit Berufung auf SCHWARTZ ohne eine nähere Analyse. Gegen diese Annahme spricht, daß es in der Überschrift des Kapitels 3,12 (p. 175,16f) heißt, Julian habe die Getreidespenden für christliche Gruppen, die Constantin eingeführt hatte, abgeschafft, dies aber im Kapitel selbst nicht erwähnt wird. 26 Socrates bezeugt immerhin, daß er sich gezwungen fühlte, seine Darstellung Constantins des Großen zu ändern, als er auf neue Quellen stieß, vgl. 2,1. 27 Da es für die Gattung der Kirchengeschichte charakteristisch ist, daß Originaldokumente wörtlich und insgesamt zuverlässig zitiert werden (S. 37f), entsteht eine interpretatorische

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I.

Einleitung

tet mithin die Gemeinsamkeit des Stoffes, die bisher eher davon abgelenkt hat, die Selbständigkeit der drei Kirchenhistoriker wahrzunehmen, den Ansatzpunkt, um genaue Beobachtungen über ihre jeweiligen Interpretationen anzustellen28. Abschließend sei der Aufbau der vorliegenden Abhandlung kurz erläutert: Nach einem Überblick über die bisherige Forschung zum Denken der drei Kirchenhistoriker (Π) wird die Stellung der Kirchengeschichten innerhalb der Gattungsgeschichte sowohl unter dem Aspekt der Stoffauswahl als auch unter dem der Methodik erörtert, da vor diesem Hintergrund genauer eingegrenzt werden kann, für welche Aspekte des Kaisertums von ihnen Aufschlüsse zu erwarten sind (DI). Das vierte und das fünfte Kapitel bilden den Hauptteil der Untersuchung. Das vierte widmet sich der Darstellung der einzelnen Kaisergestalten durch die drei Kirchenhistoriker, zielt also auf ihr Bild von der Geschichte des christlichen Kaisertums. Dies ist deswegen von Bedeutung, weil das oben hervorgehobene methodische Prinzip, aus der Darstellung von Handlungen und Ereignissen Normen der Kirchenhistoriker für das kaiserliche Verhalten herauszudestillieren, sich nur realisieren läßt, wenn im Detail herausgearbeitet wird, welches Verhalten als mustergültig und welches als kritikwürdig dargestellt wird 29 . Dafür bietet die Behandlung der einzelnen Kaiser den geeignetsten Ausgangspunkt: Die Kirchenhistoriker sind sich zwar grundsätzlich darüber einig, ob eine Kaisergestalt positiv oder negativ zu werten sei, setzen jedoch die Akzente verschieden und fuhren unterschiedliche Gründe an, um ihre Bewertung zu stützen. Auch die Darstellung Julians wird erörtert, obwohl er kein christlicher Kaiser war; denn als Gegenbild zum christlichen Kaiser gehört er durchaus in eine Arbeit, die das christliche Kaisertum behandeln will. Durch diesen Teil soll somit verdeutlicht werden, wie die Kirchenhistoriker zu den verschiedenen Formen der Verwirklichung des christlichen Kaisertums in der Vergangenheit stehen; oft ergeben sich jedoch bei diesen Erörterungen auch Resultate, deren Gewicht in einigen Fällen auf den ersten Blick vielleicht noch nicht deutlich wird. Auch sie sind jedoch Mosaiksteine, die im folgenden Abschnitt zu dem Gesamtbild beitragen sollen.

Schwierigkeit in der Frage der Bewertung der in diesen Partien enthaltenen Aussagen. Dabei ist genau darauf zu achten, mit welchem Beweisziel die Dokumente zitiert werden; keinesfalls dürfen zitierte Dokumente verwendet werden, um den Sprachgebrauch der Kirchenhistoriker zu analysieren. 28

Die theologische Position der Kirchenhistoriker wird in dieser Arbeit nur gestreift, für Socrates wird eine entsprechende Arbeit von M. WALLRAFF (Cambridge / Heidelberg) vorbereitet, Vorarbeiten hat CHESNUT 1977, 167ff geleistet, für Theodoret hat BERGJAN 1994, 18ff wichtige Beobachtungen gemacht. 29 Im Interesse einer klareren Herausarbeitung der Unterschiede läßt es sich gelegentlich nicht vermeiden, auch referierende Partien einzuschieben.

I. Einleitung

9

Dort (V) werden die Ergebnisse des IV. Kapitels systematisiert und mit anderen Beobachtungen verknüpft, die zwar die Vorstellungen vom Kaisertum bei den drei Kirchenhistorikern erhellen können, aber nicht einzelne Kaiser betreffen. Dieses Kapitel stellt die eigentliche "Nagelprobe" für den Ansatz dieser Arbeit dar: Daß es im einzelnen Differenzen zwischen den "Synoptikern" gibt, ist ja unbestritten, daß dahinter, wie hier vermutet, prinzipielle Unterschiede stehen, kann nur dann überzeugend dargelegt werden, wenn diese Divergenzen sich schlüssig mit bestimmten Ideen erklären lassen. Dabei wird zunächst die Einstellung gegenüber der monarchischen Ordnung sowie gegenüber der Legitimität einzelner Kaiser behandelt, dann die Frage, welche Verhaltensweisen an Kaisern gelobt bzw. kritisiert werden, soweit sie nicht ihr Verhältnis gegenüber der Kirche betreffen. Es geht somit um Aspekte, die keine für die Kirchengeschichte spezifische Problematik betreffen, die aber den Hintergrund für das Weitere bilden (V.A). Der nächste Schritt fuhrt in einen Kernbereich der Kirchengeschichten, nämlich zu der Frage, welche Aufgaben und Rechte nach Ansicht der Autoren dem Kaiser in religiösen Angelegenheiten, vor allem auch gegenüber der Kirche, zustehen und inwieweit die Gläubigen sich ihm widersetzen dürfen (V.B). Die hierbei sichtbar werdenden Unterschiede lassen sich vertiefen, wenn untersucht wird, ob und inwiefern der Kaiser von den übrigen Laien abgesetzt wird (V.C). Danach wird erörtert, welche Auswirkungen das Tun der Kaiser auf ihre Zeit insgesamt hat, d.h. nicht zuletzt, in welchem Umfang kaiserliches Wirken göttliche Gnade und göttliche Strafe auf sich und auf sein Reich lenkt. Diese Überlegungen ziehen weite Kreise, da mit ihnen auch das Problem berührt wird, inwiefern der einzelne Mensch Verantwortung fur das geschichtliche Geschehen trägt, inwieweit ein Kaiser einen irdischen Zustand des Friedens heraufführen kann und welche Auswirkungen dies für das Verhältnis zwischen seinem Reich und der Kirche hat. Im Rahmen dessen, was die Gattung der Kirchengeschichte zuläßt30, wird somit eine gewissermaßen heilsgeschichtliche Perspektive eröffnet, die bei christlichen Geschichtswerken nicht ignoriert werden kann (V.D). Anschließend sollen die Gedanken der "Synoptiker" zusammenfassend in den kirchenpolitischen, aber auch in den sonstigen zeitgeschichtlichen Kontext eingeordnet werden. Dabei soll ihre Haltung sowohl gegenüber dem drängenden Problem der religiösen Streitigkeiten erörtert werden als auch gegenüber den verschiedenen einflußreichen Bischöfen und Bistümern ihrer Zeit, ferner wird ihre Position gegenüber dem kaiserlichen Haus diskutiert, innerhalb dessen es unter Theodosius Π. erhebliche Konflikte gab. Dabei muß auch die Fra-

30 Theodoret erhält in diesem Kapitel erheblich mehr Raum als Socrates und Sozomenus, da seine theologischen Schriften zu einigen Bereichen Material bieten, von denen die Kirchengeschichten schweigen.

10

I. Einleitung

ge angesprochen werden, in welchem Umfang die Kirchenhistoriker bestimmte Gruppen und Richtungen repräsentieren (VI). Im letzten Kapitel soll in einem Ausblick auf Ergebnisse der Untersuchung hingewiesen werden, die den Vergleich mit Überlegungen zur Rolle des Kaisers und des Römischen Reiches, die zu jener Zeit im Westen geäußert wurden, erlauben; es soll verdeutlicht werden, wo Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede liegen, um so die Kirchengeschichten in den Zusammenhang der unterschiedlichen Entwicklungen im Osten und im Westen des Römischen Reiches einzuordnen (VII)31.

Exkurs: Biographie und Publikum der Kirchenhistoriker32 Über das Leben des Socrates ist wenig bekannt 33 , und was bekannt ist, stammt aus seinen eigenen Schriften. Man erfahrt, daß er in Konstantinopel geboren wurde, heranwuchs und tätig war 34 . Bei den nach der Zerstörung des alexandrinischen Serapeions 391 in Konstantinopel wirkenden grammatici Helladios und Ammonios nahm er in früher Jugend Unterricht 35 , was auf eine Geburt um, vielleicht etwas vor 380 schließen läßt. Dies kann auch mit den sonstigen Lebensdaten in Einklang gebracht werden und wird daher in der Forschung nicht angezweifelt 36 . Sichere Belege für Aufenthalte außerhalb von Konstantinopel fehlen, doch sind sie gut möglich 37 . Einen persönlichen Kontakt zum Kaiser hatte Socrates offenbar nicht38.

31 Bei der Schreibweise der antiken Namen läßt sich Einheitlichkeit nicht erreichen. In dieser Arbeit wird fur Autoren grundsätzlich die lateinische Schreibweise gewählt, ebenso für Politiker; bei östlichen Kirchenleuten wird in der Regel auf die griechische Namensform rekurriert; in Zweifelsfällen wird der lateinischen Schreibweise der Vorzug gegeben. Allerdings wird da, wo sich nach dem Eindruck des Verfassers im Deutschen eine bestimmte Schreibweise gebräuchlich ist, diese verwendet, auch wenn sie von den hier genannten Prinzipien abweicht.

32

Zu den verschiedenen kulturellen und politischen Milieus unter Theodosius II. haben AL. CAMERON 1982 und HOLUM 1982 wichtige Beobachtungen gemacht. Vgl. zum Publikum der Kirchengeschichten auch WINKELMANN 1976,183ff; CRACCO RUGGINI 1980,159f; 186. 33 S. dazu GEPPERT 1898, Iff; ELTESTER 1927a; BARDY 1941a; PLRE II 1018f; YOUNG 1983, 23ff; HANSEN 1995a, LV. 34

5,24,9.

35

5,16,9.

36

VALESIUS 1 8 5 9 ( 1 6 6 8 ) , 17f; GEPPERT 1 8 9 8 , 1; ELTESTER 1 9 2 7 a , 8 9 3 ; BARDY 1 9 4 1 a ,

2 3 3 4 ; KAEGI 1 9 6 8 , 1 7 7 ; CHESNUT 1 9 7 7 , 168. 37

S. zu den Indizien GEPPERT 1898, 3.

38

7,22,1 spricht er von der Möglichkeit, sich beim Kaiser einen Namen zu machen; dieser kennt Socrates also nicht.

/. Einleitung

Seinem ihm in einem Teil der Überlieferung beigegebenen Beinamen nach t

39

war Socrates σχολαστικός , also mit irgendeiner juristischen Funktion betraut40. Da sonst jeder Hinweis auf eine solche Tätigkeit fehlt und Socrates in einem erheblich geringeren Maße als Sozomenus, der sicher als σχολαστικός bezeugt ist, juristische Kenntnisse ins Spiel bringt, erscheint dieser Angabe gegenüber große Vorsicht geboten41. Hinzu kommt, daß Socrates das Gerichtswesen insgesamt als betrügerisch verurteilt - aus dem Munde eines Juristen sicherlich eine absonderliche Einschätzung42; möglicherweise wurde jene Berufsbezeichnung einfach von Sozomenus auf Socrates übertragen. Sein Mut zu theologischen Stellungnahmen43 und vor allem seine Kenntnis der älteren Theologen sprechen eher dafür, daß er sich im kirchlichen Bereich betätigte, was natürlich auch für einen scholasticus möglich gewesen wäre44, es erscheint nicht einmal ausgeschlossen, daß er zu den Klerikern zählte45.

39

Weder die Suda, s.v. Ά κ έ σ ι ο ς (A 843 Α) noch Photios scheinen diesen Beinamen gekannt zu haben, s. Bibl. 28; wenn Socrates wie Sozomenus bei Cassiodor in der Praefatio zur Historia tripartita (§ 2) als disertissimus vir dem Bischof Theodoret gegenübergestellt wird, so bedeutet dies lediglich, daß Cassiodor nichts Näheres über Socrates wußte. Der Beiname findet sich laut der Edition von HANSEN handschriftlich überliefert lediglich in F und in der armenischen Übersetzung, nicht aber in den Codices Μ und A. 40

Die Berufsbezeichnung hat ein breites Bedeutungsspektrum, verweist aber in der Regel auf eine Tätigkeit im juristischen Sektor, s. CLAUS 1965, bes. 63ff. 41

So schon GEPPERT 1898, 2. Erstaunlicherweise nimmt er 133f seine berechtigten Zweifel zurück, ohne seine eigenen Argumente zu entkräften. Vielfach geht man ohne jeden Vorbehalt davon aus, daß Socrates Jurist gewesen sei, und zieht oft weitreichende Schlüsse daraus, indem man etwa einen Zusammenhang zwischen seiner Kirchengeschichte und der Entstehung des Codex Theodosianus herstellt, s. CHESNUT 1977, 31; 167ff; MAZZA 1986b, 300ff; YOUNG 1983, 23 f; HARRIES 1986, 50; DOVERE 1994. Skeptisch äußern sich zu der These, daß Socrates scholasticus gewesen sei, CLAUS 1965, 73; FERRARINI 1979, 127f; HANSEN 1995a, LV. 42

6,3,2: Socrates berichtet hier zwar aus der Perspektive des Johannes Chrysostomus, doch kennzeichnet er diese Beurteilung nicht als subjektive Meinung, sondern als Erkenntnis. 43 S. etwa 2,21; 3,7,16-24; 3,10,12f; 3,23,27-29; 5,7,8; 5,19,10; 5,22,72-80; 7,32,9-22: Diese Kenntnisse dürften selbst bei einem Kleriker in jener Zeit keine Selbstverständlichkeit gewesen sein. In 1,22,14 wendet Socrates sich nur scheinbar grundsätzlich gegen theologische Erörterungen im Rahmen seiner Kirchengeschichte, vielmehr richten seine Überlegungen sich gegen theologische Spekulationen über die Theodizee und vergleichbare Themen. Bemerkenswert ist, daß ein ausgewiesener Theologe wie GRILLMEIER das Urteil des Socrates ernst nimmt, s. 1979, 279; 652. 44

CLAUS 1965, 127ff. Der im sechsten Jahrhundert wirkende Kirchenhistoriker Euagrius Scholasticus ist ein Beispiel dafür, s. ALLEN 1981, 2. 45 Für BARDENHEWER 1913-32, IV 140 und BARDY 1941a, 2334 gehört Socrates mit Sicherheit nicht zum Klerus; woher die beiden diese Sicherheit gewinnen, verraten sie nicht. Immerhin wird sich zeigen, daß Socrates durchaus eine ausgeprägte Sensibilität für säkulare Probleme besaß, s. S. 227ff.

I. Einleitung

12

Die Zugehörigkeit des Socrates zur Orthodoxie erscheint trotz seiner evidenten Sympathien für die Sekte der Novatianer und trotz seines eigenen Hinweises auf ein Gespräch mit dem arianischen Priester Timotheos46 sicher47. Dabei war der Kirchenhistoriker allerdings selbstbewußt genug, in der Frage des Bußpriestertums, das einige Jahre zuvor abgeschafft worden war, seine Distanz gegenüber der in seiner Umgebung herrschenden orthodoxen Auffassung zu zeigen48. Gleichwohl begegnete er dem zur Zeit der Abfassung seines Werks wirkenden orthodoxen Bischof Proklos mit deutlicher Sympathie49. Socrates hat seine Kirchengeschichte aufgrund der Anregung eines Theodoras verfaßt. Ihn bezeichnet Socrates als „heiligen Mann Gottes" (ιερός τοϋ Θεοϋ άνθρωπος) 50 , er dürfte demnach geistliches Ansehen besessen haben und am ehesten Kleriker oder Mönch gewesen sein51. Socrates rechnet also wohl mit Lesern aus diesem Milieu, doch will er anscheinend ebenso Leser ansprechen, die theologisch nicht versiert sind52. Auch was die Bildung seiner Leser betrifft, so scheint Socrates von einer gewissen Inhomogenität auszugehen; jedenfalls setzt er bei der Rechtfertigung 46

7,6,6.

47

Grundlegend immer noch VALESIUS 1859 (1668), 20ff. Vgl. etwa GEPPERT 1898, 2; 1941a, 2334; CHESNUT 1977, 176; ALLEN 1990, 285. Diese Argumentation erscheint mir weiterhin zutreffend. M . WALLRAFF (Cambridge / Heidelberg) erwägt mit bedenkenswerten Argumenten, daß Socrates doch Novatianer gewesen sei; doch die Grundfrage, warum ein Novatianer eine orthodoxe Kirchengeschichte schrieb, wo für Novatianer irrelevante Ereignisse wie das Konzil von Nizäa so eingehend gewürdigt werden, bleibt offen. Doch soll eine konkrete Auseinandersetzung erst erfolgen, wenn die Arbeit publiziert ist. Wenn WALLRAFF recht haben sollte, so würde dies den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit nicht ihre Grundlage entziehen, da Socrates eine enge Verbundenheit von Orthodoxie und Novatianertum voraussetzt; so beschreibt LIEBESCHUETZ, der 1993, 159 nicht ausschließt, daß Socrates Novatianer war, ihn gleichwohl als consistently and unambiguously upholding orthodoxy. BARDY

48 5,19,10. Hierbei plädiert Socrates fur die Beibehaltung einer Institution, von der er feststellt, daß sie bei den Novatianern nicht vorhanden war (5,19,4), die Distanzierung von der Großkirche impliziert also gerade nicht eine Annäherung an die Novatianer.

40 50

S. insbes. 7,41 und S. 232f. 2,1,6; 6,pr. 1; 7,48,7.

1977, 169; 194, dem sich BALDÜNI 1985, 127f; MAZZA 1986b, 300ff und Do1994, 85f anschließen, neigt dazu, ihn mit einem magister memoriae identifizieren, der Mitglied jener Kommission war, die den Codex Theodosianus erarbeitete (CTh 1,1,5; Th. II. Nov. 1,7; vgl. zu dieser Persönlichkeit PLRE II 1090, Theodorus 24; D E MARINI AVONZO 1985, 113). Dies ist rein spekulativ, da der Name sehr verbreitet war; die von Socrates verwendeten Epitheta sprechen jedenfalls dagegen, daß Theodoros einen weltlichen Beruf ausübte; skeptisch auch SABBAH 1983, 77 Anm. 22. 51

CHESNUT

VERE

52

l,18,15f. 1,27,1 lf rechnet er mit der Möglichkeit nichtchristlicher Leser. Eine Stelle, an der Socrates das Wort αναθεματίζω erläutert, wirkt wie an Nichtchristen gerichtet: 7,34,14f (allerdings hatte Socrates das Wort vorher verschiedentlich gebraucht, ohne eine Erläuterung fur nötig zuhalten, s. etwa 1,8,33; 1,9,15).

I. Einleitung

13

seines Stil sowohl ungebildete als auch gebildete Leser voraus: Die Klarheit seines einfachen Stils erlaube es, daß auch die Masse der Leser, die nicht an literarischen Feinheiten interessiert seien, sein Werk benutzen könnten 53 . Allerdings ist bei der Interpretation dieser Stelle Vorsicht geboten, denn das Streben nach einem schlichten Stil war ein Topos der christlichen Literatur. Es erscheint daher zweifelhaft, ob Socrates tatsächlich mit Ungebildeten unter seinen Lesern rechnete. Auch über das Leben des Sozomenus lassen sich nur aus seinem eigenen Werk Informationen gewinnen. Salamanes Hermeias Sozomenos 54 stammte aus Bethelea bei Gaza. Schon sein Großvater war zum Christentum übergetreten; die Familie hatte zur Zeit Julians unter den Verfolgungen zu leiden55. Sozomenus selbst, der um 380 geboren sein dürfte 56 , war orthodox und hatte bei Abfassung des Werks bereits die Taufe empfangen 57 . Nicht vor 425/6 kam er nach Konstantinopel 58 , wo er als Rechtsanwalt praktizierte59. Vermutlich hat er Reisen nach Rom und anderswohin unternommen 60 . Gestorben ist er wohl nicht allzu lange nach 446 61 . Bevor er die Kirchengeschichte abfaßte, schrieb er eine zwei Bücher umfassende Epitome über die Zeit von der Himmelfahrt Christi bis zum Tod des Licinius62; von ihr ist nichts mehr erhalten63. Auch die Kirchengeschichte liegt

53 6,pr. 2-5. Die Argumente für den einfachen Stil tauchen in der Kritik an der Christentumsgeschichte Philipps von Side, mit der Socrates implizit sein eigenes Vorgehen rechtfertigt, noch einmal auf, s. 7,27,5. HANSEN 1965, 88f weist nach, daß Socrates trotz seiner Bekenntnisse einen ausgefeilteren Prosarhythmus anwendet als Sozomenus; dies ändert natürlich nichts an der leichten Verständlichkeit des Socrates. 54

Zu seinem Leben vgl. SCHOO 1911, If; BARDENHEWER 1913-32, IV 141f; BARDY 1941b; HANSEN 1995b, LXIVff; PLRE II 1023f; GRILLET 1983, 9ff. In der PLRE wird erwogen, den Kirchenhistoriker mit einem 435/6 bezeugten (Isid. Pel., Ep. I 300) domesticus des Prätorianerpräfekten der Präfektur Oriens zu identifizieren, EVIEUX 1995, 103f geht wohl zu recht davon aus, daß es sich hier um zwei verschiedene Persönlichkeiten handelt. 55

5,15,14-6.

56

GRILLET 1 9 8 3 , 1 2 .

57

Dies läßt sich aus Stellen wie 1,20,3 und 8,21,2 erschließen. In 5,15,17 verdeutlicht er, daß er schon in seiner Jugend fromm war. 58

GRILLET 1 9 8 3 , 21; HANSEN 1 9 9 5 b , L X V .

59

2,3,10. 60

Vgl. die Argumentation bei GRILLET 1983, 20ff.

61

GRILLET 1 9 8 3 , 2 4 f .

62 63

1,1,12.

Für die Zuschreibung weiterer, gewöhnlich in das dritte Jahrhundert datierter Schriften, nämlich der Verspottung der Heiden des Hermeias (CPG 1113) sowie der pseudojustinischen Cohortatio ad Graecos CPG 1083, an diesen Autor zieht BONIS 1987 und 1989 Indizien her-

14

I.

Einleitung

nicht in dem ursprünglich geplanten Umfang vor - mehrere Ankündigungen, die Sozomenus macht, bleiben unerfüllt 64 . Dabei ist eher zu vermuten, daß die Arbeit unvollendet blieb, als daß ein Teil verloren gegangen oder durch Zensur beseitigt worden ist65. Seine Kirchengeschichte widmete Sozomenus in einer ausführlichen, panegyrisch gestimmten Dedicatio dem Kaiser, den er sogar aufforderte, das Werk zu überprüfen und zu korrigieren66. Deutlich ist im neunten Buch auch seine Ergebenheit gegenüber der Kaiserschwester und Augusta Pulcheria, die noch einflußreich war, aber nicht mehr dieselbe Bedeutung wie zu Beginn der Herrschaft Theodosius' Π. besaß. Einige Rückschlüsse auf das Publikum, das Sozomenus im Auge hat67, läßt das Proömium zu: Ausdrücklich erwähnt er Leser, die als Mönche leben möchten68, zugleich rechnet er mit solchen, die es als lästig empfinden, Konzilsbeschlüsse und längere Schreiben im vollen Wortlaut zu lesen, und die innerkirchliche Auseinandersetzungen nicht von sich aus fur ein interessantes Thema halten 69 . Er setzt auch voraus, daß es unter seinen Lesern ungetaufte Anhänger des Christentums gibt, denen gegenüber er die Arkandisziplin zu wahren hat 70 . Es ist somit auch überhaupt an Laien zu denken, andere Partien zeigen in der Tat, daß Sozomenus denjenigen entgegenkam, die sich in kirchlichen Dingen schlecht auskannten 71 ; seine wiederholte Polemik gegen heidnian, die äußerst schwach sind und auch kumuliert nicht an Überzeugungskraft gewinnen. Ein schwerwiegendes Argument gegen seinen Ansatz ist, daß die scharfe, oft sarkastische antiheidnische Polemik dieser Werke in einem Gegensatz zu den moderaten Äußerungen des Sozomenus in seinem Geschichtswerk steht. 64

HANSEN 1995b, LXVI.

65

S. GRILLET 1983, 27ff; BARNES 1993, 305f; HANSEN 1995b, LXVIff; daß ein Teil verloren ging, vermuten ELTESTER 1927b, 1240; DUVAL 1984, 174 Anm. 322. Eine Selbstzensur durch Sozomenus vermutet GÜLDENPENNING 1889, 12ff in Auseinandersetzung mit der älteren Forschung, vgl. noch ZECCHINI 1989, 598; an eine Zensur durch den Kaiser denkt SCHOO 1911, 7f. 66

Ded. 18.

67

S. dazu SABBAH 1983, 78ff.

68

1,1,19.

69

1,1,14; 16.

70

1,20,3; 8,21,2. ALLEN 1987, 375 betrachtet die Betonung des Arkanums als einen Versuch, der christlichen Religion den Anstrich einer Mysterienreligion zu verleihen. Sie übersieht dabei die Bedeutung, die die Arkandisziplin für das Christentum auch nach Nizäa noch hatte, s. POWELL 1 9 7 9 , 6 f .

1,20,3. Dafür spricht auch der Abriß der Glaubenslehre, den Sozomenus in 1,3,4-6 gibt, wobei er dies in einer sehr unaufdringlichen Weise tut, indem er ihn in die Form einer Belehrung an Constantin den Großen kleidet. In 1,23,1 hält er es fur nötig, das Wort κανών zu erklären; in 9,2,11 geht er davon aus, daß das Wort αμβων erläuterungsbedürftig sei, während Socr. 6,5,5 das Wort mit aller Selbstverständlichkeit verwendet. Zur Möglichkeit, daß Laien zum Publikum gehörten, s. auch ELTESTER 1927b, 1243.

I. Einleitung

15

sehe Geschichtsdeutungen 72 läßt vermuten, daß er auch Altgläubige unter seinen Lesern vermutete. Das Niveau seines Publikums kann Sozomenus nicht allzu niedrig angesetzt haben 73 , da er sich einer durchaus gepflegten Prosa bedient und gelegentlich auf die klassische Literatur anspielt74. Die Widmung an den Kaiser läßt vermuten, daß Sozomenus auch auf Leser in höfischen Kreisen hoffte. Theodoret ist unter den Historikern der Eusebnachfolge am besten bekannt. Sein erhaltenes Werk beschränkt sich nicht auf seine Kirchengeschichte, sondern umfaßt auch theologische Traktate, Briefe und weitere Schriften 75 . Außerdem ist unter den "Synoptikern" allein er als Handelnder in die Kirchengeschichte eingegangen. Der etwa 393 geborene Sproß einer wohlhabenden Antiochener Familie 76 wuchs in einer von Mönchen bestimmten Umwelt auf, eignete sich aber neben einer soliden theologischen Bildung auch Kenntnisse der heidnischen Tradition an. Schon vor seiner Geburt für eine religiöse Aufgabe bestimmt, wurde er Mönch und 423 Bischof von Kyrrhos. Während der christologischen Debatten des zweiten Viertels des fünften Jahrhunderts entwickelte er sich zum wichtigsten Vertreter der Antiochener. Dementsprechend zählte er zu den Teilnehmern des Konzils von Ephesus 431; damals begegnete er sogar Theodosius Π.,

72

Vgl. S. 246.

73 SABBAH 1983, 79f wendet sich zu Recht dagegen, aus den vielen Wundererzählungen bei Sozomenus auf ein leichtgläubiges, schlichtes Publikum schließen zu wollen. Wunder sind vielmehr für alle Christen (und nicht nur für die Christen, s. CRACCO RUGGINI 1977) seiner Zeit eine Selbstverständlichkeit. 74 Vgl. zum Stil SABBAH 1983, 81ff; ALLEN 1981, 49f schätzt das stilistische Niveau wohl zu niedrig ein. 75

Überblicke bei QUASTEN 1960,538ff; KOCH 1974,33ff; ALTANER / STOIBER 1980, 339ff; CPG 6200-6288. Die Exegese Theodorets, die in der Antiochener Tradition der Literalexegese steht (im Unterschied zu den allegorischen Deutungen, die in Alexandria vorgenommen wurden), hat in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit gefunden (grundlegend GUINOT 1995, der unterstreicht, daß Theodoret kein reiner Antiochener war; eine Einführung in deren Technik bieten GUINOT 1984a und SLMONETTI 1985, 190ff, von denen auch wichtige Spezialbeiträge stammen, sowie in populärerer Form V R A M E 1989). In diesen Arbeiten wurde die Selbständigkeit der Auslegung Theodorets gegenüber den übrigen Antiochenern so stark betont, daß dies schon wieder eine gegenläufige Tendenz ausgelöst hat, s. BERGJAN 1992. 76

Grundlegend zur Biographie Theodorets OPITZ 1934, 1791 ff; vgl. BARDENHEWER 191332, IV 219ff; B A R D Y 1946, 299ff; YOUNG 1983, 266fT; AZEMA 1991; vgl. fiir die Kindheit LEROY-MOULINGHEN 1980, für sein Wirken als Bischof BROWN 1992, 151 f. Aus der Antike stammt die knappe Biographie des Gennadius von Marseille, De script, eccl. 89 (PL 58,1112f). Sie erwähnt einige Schriften Theodorets und berichtet, daß er unter Kaiser Leo senior (457474) gestorben sei. Die entscheidende Quelle zu seinem Leben bildet indessen sein eigenes Werk, daneben gibt es andere historiographische Überlieferungen und nicht zuletzt die Konzilsakten.

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I. Einleitung

worüber er in einem Schreiben berichtet, das noch seine Enttäuschung über das Verhalten des Kaisers verrät77. 434 schloß auch er sich, wenn auch widerstrebend der Unionsformel von 433/4 an, auf welche die Parteien sich nach dem Scheitern des Konzils zunächst einigten. Doch dies führte nur scheinbar zu einer Beruhigung. Schon 444/5 hatte Theodoret Schwierigkeiten mit einem Nachbarbischof, die sogar in Konstantinopel Aufmerksamkeit fanden und zur Folge hatten, daß er zu einer Provinzialsynode nicht zugelassen wurde 78 ; spätestens seit dieser Zeit konnte Theodoret sich durch die kaiserliche Politik zurückgesetzt fühlen. In den folgenden Jahren verstärkte Theodoret den publizistischen Kampf; doch vermochten seine Feinde den Kaiser dazu zu bewegen, ihn in Kyrrhos zu konfinieren. Als Exponent der Antiochener wurde er 449 auf der sogenannten "Räubersynode" von Ephesus abgesetzt, was die Verbannung nach sich zog. In der Verbannung hat Theodoret vermutlich seine Kirchengeschichte geschrieben, demnach zu einer Zeit, als er in einem Gegensatz zur Kirchenpolitik des Kaisers stand. Auf dem Konzil von Chalcedon erlangte er 451 seine Rehabilitation und konnte bis zu seinem wohl im Jahre 460 erfolgten Tod 79 in Kyrrhos wirken. Auch wenn er manchen als Ketzer galt und später unter Justinian viele seiner Schriften verdammt werden sollten80, stand er auf der Basis der nizänischen Theologie, so daß er in den wesentlichen Zügen der Interpretation der kirchlichen Entwicklung im vierten Jahrhundert mit Socrates und Sozomenus übereinstimmt. Theodoret erklärt, von nahen Bekannten zur Abfassung seines Werkes veranlaßt worden zu sein81. Er spricht ohne Zweifel ein christliches Publikum an, das auch ein starkes Interesse für όνησιφόρα διηγήματα, also theologische Dokumente, nährt 82 , wie Theodoret sie in ausgiebigerer Weise als seine Vorgänger zitiert, und das bereit ist, sich in seine fromme Mönchsgeschichte zu

77

A.C.Oec. 1,1,7, p. 79f.

78

S. LEPPIN 1 9 9 6 .

79

So der gut begründete Ansatz von AZEMA 1984, der einen Uberblick über andere Datierungen gibt. 80

Den Hintergrund bildet der sogenannte Drei-Kapitel-Streit. Der Name bezieht sich auf die Werke bzw. Personen der drei Theologen Theodoret, Ibas von Edessa und Theodor von Mopsuestia. Die drei "Kapitel" wurden 553 auf dem Fünften Ökumenischen Konzil zu Konstantinopel verurteilt, s. JONES 1964,1 296f; WINKELMANN 1980,103f; DEMANDT 1989, 201 f. Das Ereignis gehört in den Zusammenhang der Bemühungen von Kaiser Justinian, die Monophysiten in seine Kirchenpolitik einzubinden, deren Lehre auf die wichtigsten Gegner jener drei verurteilten Theologen zurückging. 81 1,1,3. 82

1,1,2. Zu dieser Bedeutung des Wortes s. das Register in der Edition von PARMENTIER 1954,429.

I. Einleitung

17

vertiefen 8 3 . A n keiner Stelle setzt Theodoret voraus, daß sich unter seinen Lesern Heiden befinden könnten; auch mit A n s p i e l u n g e n a u f die klassische Tradition hält er sich zurück 8 4 .

0-3 84

Auf sie verweist er wiederholt, s. 1,7,4; 2,30,3; 3,24,1; 4,25,5; 4,27,2.

ALLEN 1987, 376f. Andere Werke Theodorets, vor allem die Curatio affectuum Graecorum, beweisen, daß er es nicht prinzipiell ablehnte, seine Kenntnisse der klassischen Tradition einzusetzen (s. CANIVET 1958, 141 ff; 257ff; ALLEN 1987, 377); er hat also eine bewußte Entscheidung für einen sparsamen Gebrauch solcher Anspielungen getroffen.