Sektorale Strukturpolitik [2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Reprint 2018] 9783486788648, 9783486233575

In fast allen marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftssystemen ist heute die Strukturpolitik als dritte Säule neben

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur zweiten Auflage
Problemstellung
Teil 1: Allgemeine Grundlagen
Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen
Teil 3: Regulierungs-, gruppen- und interaktionstheoretische Grundlagen
Teil 4: Institutionelle Grundlagen
Teil 5. Zielanalytische und instrumentelle Grundlagen
Teil 6: Konzeptionelle Grundlagen
Teil 7: Reform sektoraler Strukturpolitik
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
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Sektorale Strukturpolitik [2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Reprint 2018]
 9783486788648, 9783486233575

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Sektorale Strukturpolitik Von

Prof. Dr. Hans-Rudolf Peters Ordinarius für Volkswirtschaftslehre

2., überarbeitete und erweiterte Auflage

R. Oldenbourg Verlag München Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Peters, Hans-Rudolf: Sektorale Strukturpolitik / von Hans-Rudolf Peters. - 2., Überarb. und erw. Aufl. - München ; Wien : Oldenbourg, 1996 ISBN 3-486-23357-2

© 1996 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Huber KG, Dießen ISBN 3 - 4 8 6 - 2 3 3 5 7 - 2

Inhaltsverzeichnis Vorwort zur zweiten Auflage

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Problemstellung

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Teil 1: Allgemeine Grundlagen 1.Kapitel: Bestimmung und Aufgaben sektoraler Strukturpolitik 1.1 Strukturpolitische Anlässe und A u f g a b e n 1.2 Definition „sektorale Strukturpolitik" 1.3 Abgrenzung sektoraler Strukturpolitik 2. Kapitel: Formen und Gegenstände sektoraler Strukturpolitik 2.1 Theoretische und praktizierende Strukturpolitik 2.2 Erkenntnis- und Handlungsobjekte sektoraler Strukturpolitik 2.2.1 Ökonomische Strukturen 2.2.2 Strukturwandel 3. Kapitel: Wissenschaftlicher Standort der Strukturpolitik 3.1 Zur Neugliederung der Volkswirtschaftslehre 3.2 Strukturpolitik als Teil der Mesoökonomie

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Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen 4. Kapitel: Theorie des Strukturwandels 4.1 Merkmale des Strukturwandels 4.2 Hauptursachen des Strukturwandels 4.3 Z u m T e m p o des Strukturwandels 4.4 Strukturwandel und Wirtschaftswachstum 5. Kapitel: Sektorale Entwicklungstheorie 5.1 Zur Problematik der Sektorenabgrenzung 5.2 Kriterien der Drei-Sektoren-Analyse 5.3 Sektorale ökonomische Entwicklungstrends 6. Kapitel: Methoden der Strukturanalyse 6.1 Input-Output-Tabellen 6.2 Strukturprognosen

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Teil 3: Regulierungs-, gruppen- und interaktionstheoretische Grundlagen 7. Kapitel: Regulierungs- und Deregulierungstheorie 7.1 Zu den Begriffen und Inhalten 7.2 Regulierungsanlässe: Markt- und Wettbewerbsversagen 7.2.1 Öffentliche G ü t e r 7.2.2 Externe E f f e k t e 7.2.3 Natürliche Monopole 7.2.4 Ruinöse Konkurrenz 7.2.5 Strukturkrisen 7.3 Deregulierungsanlässe 7.3.1 Strukturwandelbedingte Regulierungs-Entbehrlichkeit 7.3.2 Politikversagen statt Marktversagen 7.3.3 Eindämmung der Schattenwirtschaft

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4 8. Kapitel:

Inhaltsverzeichnis

Theorie des kollektiven Handelns (Olson) 8.1 Kerngedanken 8.2 Kollektives und individuelles Interesse 8.3 Marktorientierte und nicht-marktorientierte G r u p p e n . . 8.4 Mittelgroße und große G r u p p e n 8.5 Z u m Aussagewert Mesoökonomische Interaktionstheorie (Peters) 9.1 Interaktionen zwischen Gruppen und Staat 9.2 Allgemeinwohl und Partikularinteresse 9.3 Bezugsrahmen „Neue Politische Ökonomie" 9.4 Meso-Grundmodell „Markt für Strukturhilfen" 9.5 Interaktionsschema 9.6 Strukturpolitische Verhaltensmuster 9.7 Z u m Aussagewert

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Teil 4: Institutionelle Grundlagen 10. Kapitel: Träger sektoraler Strukturpolitik 10.1 Kriterien der Trägerschaft 10.2 Trägerpluralismus 10.3 Organisationsstruktur 11. Kapitel Beeinflussungskräfte der Strukturpolitik 11.1 Hauptsächliche Beeinflussungskräfte 11.2 Aufgaben und Macht der Verbände 11.3 Forderungen der Branchenverbände 12. Kapitel: Interaktionen zwischen strukturpolitischen Instanzen und Verbänden 12.1 Wege zur Durchsetzung von Gruppeninteressen 12.2 Verhaltensstrategien gegenüber Gruppenforderungen . . 12.3 Probleme der Abwehr von Gruppeninteressen

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9. Kapitel:

Teil 5: Zielanalytische und instrumentelle Grundlagen 13. Kapitel: Zielanalytische Grundlagen 13.1 Zielbegriff 13.2 Zielhierarchien und Zielketten 13.3 Zielbeziehungen 13.4 Zielbündel 13.5 Offene und verdeckte Ziele 13.6 Zielarten 13.6.1 Strukturerhaltungsziele 13.6.2 Strukturanpassungsziele 13.6.3 Strukturgestaltungsziele 14. Kapitel: Instrumentelle Grundlagen 14.1 Zielkonforme optimale Mittelwahl 14.2 Ordnungskonforme optimale Mittelwahl 14.3 Arten sektoraler Strukturpolitik 14.4 Hauptsächliche Instrumente der Strukturerhaltungspolitik 14.4.1 Erhaltungssubventionen 14.4.2 Preisfestsetzungen

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Inhaltsverzeichnis 14.4.3 Anbieterschutzordnungen 14.4.4 Außenhandelsprotektionismus 14.5 Hauptsächliche Instrumente der Strukturanpassungspolitik 14.5.1 Mobilitäts- und Umstellungshilfen 14.5.2 Forschungs-und Technologieförderung 14.5.3 Kapazitätsabbauhilfen 14.5.4 Engpaßbeseitigungshilfen 14.6 Hauptsächliche Instrumente der Strukturgestaltungspolitik 14.6.1 Sektorale Strukturplanungen 14.6.2 Regulierungen 14.6.3 Sektorale Unternehmensgrößengestaltung 14.6.4 Sektorale Eigentumsstrukturgestaltung

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Teil 6: Konzeptionelle Grundlagen 15. Kapitel: Wesen und Prägungsfaktoren strukturpolitischer Konzeptionen . 15.1 Konzeptionsbegriff und Operationalisierung 15.2 Konzeptionsprägende Faktoren 15.2.1 Wissenschaftliche Paradigmen 15.2.2 Parteipolitische Ideologien 15.2.3 Gruppeneinflüsse 16. Kapitel: Konzeption „indikative Strukturplanung" 16.1 Planification française 16.2 Charakteristika indikativer Strukturplanung 16.3 Planungsproblematik 16.3.1 Trägerbedingte Planungsproblematik 16.3.2 Informationsbedingte Planungsproblematik 16.3.3 Methodenbedingte Planungsproblematik 16.3.4 Bewertungsbedingte Planungsproblematik 16.4 Z i e l - u n d Ordnungskonformität 16.4.1 Prüfung der Zielkonformität 16.4.2 P r ü f u n g der Ordnungskonformität 17. Kapitel: Konzeption der Strukturwandel- und Anpassungsförderung .... 17.1 Werdegang der deutschen strukturpolitischen Konzeption 17.2 Ausgestaltung der Konzeption der Strukturwandelund Anpassungsförderung 17.2.1 Bezugsrahmen „Marktwirtschaft" 17.2.2 Strukturpolitische Ziele 17.2.3 Strukturpolitische Instrumente und Methoden 17.2.4 Bedingungen für Strukturhilfen 17.2.5 Konzeptionsschwächen

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Teil 7: Reform sektoraler Strukturpolitik 18. Kapitel: Schaffung strukturtheoretischer Konzeptionsgrundlagen 18.1 Ansatz zu einer Theorie optimaler Strukturflexibilität . . 18.1.1 Varianten von Strukturflexibilitäten 18.1.2 Unterschiedliche sektorale Strukturflexibilitäten 18.1.3 Prämissen vollkommener Strukturflexibilität 18.1.4 Definition „optimale Strukturflexibilität"

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Inhaltsverzeichnis

18.2 Strukturwandel und Wachstumsprozeß 18.2.1 Irreales gleichmäßiges Sektorenwachstum 18.2.2 Unvermeidbare partielle Ungleichgewichte 18.2.3 Produktivitätsentwicklung und Strukturwandel 18.2.4 Über- und unteroptimale Strukturflexibilität 19. Kapitel: Konzeption der optimalen Strukturflexibilität 19.1 Wirtschaftstheoretisches Fundament 19.2 Strukturpolitische Konzeptionselemente 19.2.1 Primäres Leitbildziel 19.2.2 Instrumentelle Ansätze 19.3 Institutionelle Konzeptionselemente 19.3.1 Rahmengesetz zur Strukturpolitik 19.3.2 Bildung eines Strukturfonds 19.3.3 Wissenschaftlicher Strukturrat

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Literaturverzeichnis

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Sachverzeichnis

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Vorwort zur zweiten Auflage Zwei Ereignisse von weittragender Bedeutung haben die sektorale Strukturpolitik erneut in das Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Zum einen sind nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme in der ehemaligen D D R und den osteuropäischen Staaten 1989/90 enorme Transformations- und ökonomische Umstrukturierungsprobleme zu bewältigen, die umfangreiche Maßnahmen zur Anpassung der Produktions- und Beschäftigungsstrukturen erforderlich machen. Zum anderen ist mit dem Vertrag über die Europäische Union von 1992 den Gemeinschaftsorganen und den Mitgliedsstaaten der EU die Aufgabe zugewiesen worden, eine Industriepolitik zur Wahrung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft zu entwickeln und zu praktizieren. Vielfach wird befürchtet, daß eine gemeinsame Industriepolitik, die in der Regel einer richtungweisenden Strukturplanung bedarf, plandirigistische Züge annimmt. Jedoch ermutigen die strukturplanerischen Mißerfolge und Erblasten der früheren sozialistischen Planwirtschaften nicht gerade zu neuen planartigen Experimenten zwecks staatlich-administrativer Strukturgestaltung. Für die Überarbeitung des Lehrbuches ergab sich damit das Erfordernis, die strukturplanerische Problematik sowie die strukturgestaltenden Möglichkeiten und ordnungspolitischen Grenzen der sektoralen Strukturpolitik stärker herauszuarbeiten und kritisch zu beleuchten. Zwecks vertiefter Darstellung der instrumentellen Grundlagen wurden die hauptsächlichen Instrumente sowohl der Strukturgestaltungs- als auch der Strukturerhaltungs- und der Strukturanpassungspolitik dargestellt und in ihrer Wirkung analysiert. Zudem wurden die konzeptionellen Grundlagen gründlich überarbeitet und erweitert. So wurden u. a. wissenschaftliche Paradigmen, parteipolitische Ideologien und Gruppeneinflüsse als Prägungsfaktoren strukturpolitischer Konzeptionen aufgezeigt. In einem neuen Teil 7 werden eigene Vorschläge zu einer Reform der sektoralen Strukturpolitik vorgestellt. Zur Schaffung operationaler strukturtheoretischer Grundlagen ist eine Theorie optimaler Strukturflexibilität entwickelt worden, die dann als wirtschaftstheoretisches Fundament für eine neue strukturpolitische Konzeption dient. Der Verfasser hofft damit der seit langem stagnierenden Diskussion über eine Reform der sektoralen Strukturpolitik zumindest einen Anstoß zu geben. Das bisher in der Bundesrepublik Deutschland geltende strukturpolitische Leitbild in Form der „Grundsätze der sektoralen Strukturpolitik" von 1968 entbehrt jeder strukturtheoretischen Grundlage und ist aufgrund vager Formulierungen kaum operabel. Die Folge ist, daß strukturpolitische Konzeption und praktizierte Strukturpolitik weit auseinanderklaffen. Um die weitere Ausuferung neomerkantilistischer Branchenschutzpolitik und wachstumshemmender Strukturwandelverzögerungspolitik einzudämmen, ist es höchste Zeit, ordnungs- und strukturpolitische Barrieren zu errichten. Hierzu sind operationale Leitlinien auf strukturtheoretischer Basis und in Orientierung an ordnungskonforme Rahmenbedingungen erforderlich, die dann auch mit der notwendigen Durchsetzungskraft zu versehen sind. An dieser Stelle danke ich einigen früheren Kollegen im Bundesministerium für Wirtschaft, die mir auch nach meiner dortigen Tätigkeit wertvolle Hinweise und Anregungen gegeben haben. Besonderer Dank gebührt meiner Assistentin, Frau Dipl.-Oec. Sylke Behrends, ohne deren stete und zügige Hilfe bei der Manu-

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Vorwort zur zweiten Auflage

skriptgestaltung der ständige Strukturwandel wissenschaftlicher Erkenntnisse möglicherweise den Inhalt des Lehrbuches mehrmals überrollt und dessen Erscheinen verzögert hätte.

Hans-Rudolf

Peters

Problemstellung In fast allen marktwirtschaftlich orientierten Ordnungen ist heute die Strukturpolitik als dritte Säule neben der Ordnungspolitik und der Konjunkturpolitik fest vera n k e r t . Strittig ist allerdings, ob von diesem Dreigespann die Strukturpolitik als jüngster Sproß, dessen Alter sich auf etwa zwei Jahrzehnte beziffern läßt, schon die volle ordnungspolitische A n e r k e n n u n g und praktische Anwendungsreife erlangt hat. Tatsache ist jedoch, d a ß der Einzugsbereich der sektoralen Strukturpolitik in der Anwendungspraxis ein exponentielles Wachstum aufweist. Schon allein die e n o r m e Ausdehnung zwingt zur Beschäftigung mit dem P h ä n o m e n , und zwar selbst dann, wenn man einer eigenständigen Strukturpolitik ordnungspolitisch skeptisch gegenübersteht und ihre Erfolge - gemessen an dem riesigen A u f w a n d - f ü r minimal hält. Erschwert wird allerdings die Betrachtung dadurch, daß weder der Bereich und die Grenzen noch der Inhalt dieser Teilpolitik exakt bestimmt und allgemein anerkannt sind. Als ich mich Ende der sechziger Jahre im Rahmen meiner Habilitationsarbeit mit diesem Fragenkomplex intensiv zu beschäftigen begann, hatte die Bezeichnung „Strukturpolitik" gerade Einzug in die praktizierende Wirtschaftspolitik gehalten und wurde sogleich von Politikern und Verbandsfunktionären in Erbpacht genommen. W ä h r e n d meiner damaligen Tätigkeit im Bundesministerium f ü r Wirtschaft in Bonn erlebte ich aus der Nähe, wie dieser noch weitgehend unbestimmte Begriff für ganz unterschiedliche wirtschaftspolitische Handlungen verwendet und häufig als fadenscheiniger Deckmantel f ü r marktwidrige Eingriffe mißbraucht wurde. Die sektorale Strukturpolitik schien grenzenlos zu sein und diente vielfach als ein Auffangbecken für ordnungspolitisch dubiose M a ß n a h m e n aus dem unerschöpflichen Arsenal des Protektionismus und der Gruppenbegünstigung zu Lasten Dritter. Sarkastisch prägten wir damals im Bundeswirtschaftsministerium den Slogan: Alles, was man ordnungspolitisch verstecken m u ß und nicht klassifizieren kann, sieht man zweckmäßig als strukturpolitisch an. D i e Wirtschaftswissenschaft, die hier eigentlich hätte Klarheit schaffen müssen, hinkte - wie so oft - hinter den pragmatischen Ausgestaltungen der wirtschaftspolitischen Praxis hinterher. Sie überließ es zunächst der praktizierenden „Strukturpolitik", die neue Worthülse beliebig mit Inhalt zu füllen. Das Bild hat sich jedoch inzwischen aufgehellt. So hat die Erforschung struktureller P h ä n o m e n e beachtliche Fortschritte gemacht, und manche Bausteine zur ökonomischen Strukturtheorie sind bereits zusammengetragen. Auch an strukturpolitischen Konzeptionen, die wissenschaftlich abgestützt sind, mangelt es nicht mehr. E h e r mangelt es an der Bereitschaft der strukturpolitischen Entscheidungsträger, überhaupt - und manchmal selbst den eigenen - Leitbildern zu folgen u n d die ü b e r k o m m e n e protektionistische Flickschusterei aufzugeben. W ä h r e n d inzwischen lehrbuchhafte Darstellungen über regionale Strukturpolitik reichlich vorhanden sind, mangelt es immer noch an Lehrbüchern über die ordnungspolitisch brisantere sektorale Strukturpolitik. Dieses kann zum einen daran liegen, daß kaum noch j e m a n d das weite Feld der sektoralen Strukturpolitik, das in der strukturpolitischen Praxis in viele branchenmäßige Parzellen aufgespaltet worden ist, zu überblicken vermag. W e r kennt sich noch aus in den unzähligen Regulierungen, finanziellen Strukturhilfen und speziellen Ordnungen der verschiedenen Sektoralpolitiken, angefangen von der Agrar-, über die Verkehrs-, Energie-, Binnenhandels-, Handwerks- bis zu der noch weiter aufgefächerten Industriepolitik?

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Problemstellung

Z u m a n d e r e n ist es auch f ü r Wissenschaftler o f t schwer, hinter die Kulissen d e s strukturpolitischen G e s c h e h e n s zu schauen. Nicht selten sind sowohl die s t r u k t u r politischen I n s t a n z e n als auch die E m p f ä n g e r von staatlichen Strukturhilfen gleic h e r m a ß e n d a r a n interessiert, daß die w a h r e n Motive f ü r die G r u p p e n b e g ü n s t i gung möglichst v e r b o r g e n bleiben. Bei der D u r c h l e u c h t u n g der sektoralen Strukturpolitik h a b e ich mich b e m ü h t , den Vorteil des Insiders, der sich aus m e i n e n strukturpolitischen E r f a h r u n g e n „vor O r t " im Bundeswirtschaftsministerium e r gab , zu n u t z e n . Z u d e m d ü r f t e n der Darstellung u n d A u f b e r e i t u n g des Stoffes nicht nur m e i n e langjährigen Forschungsarbeiten auf d e m G e b i e t e der S t r u k t u r p o l i t i k , s o n d e r n auch die stete didaktische R ü c k k o p p e l u n g in m e i n e n L e h r v e r a n s t a l t u n g e n an drei U n i v e r s i t ä t e n z u g u t e g e k o m m e n sein. Z u m i n d e s t h a b e n mich die g e t e s t e t e n R e a k t i o n e n d e r S t u d i e r e n d e n davor b e w a h r t , die Stoffülle ü b e r das M a ß d e r A u f n a h m e b e r e i t s c h a f t u n d der Verarbeitungsfähigkeit a u s z u d e h n e n . W a s d e n Lehrbuchcharakter anbetrifft, so w u r d e nicht d e m E h r g e i z g e f r ö n t , d e n zahlreichen didaktischen Konzepten eine n e u e u n e r p r o b t e , möglichst originelle Version h i n z u z u f ü g e n . Einzige Richtschnur f ü r die Stoffdarstellung war das stete B e m ü h e n u m Verständlichkeit bei klarer Gedankenführung. R e a l i t ä t s f e r n e M o d e l l k o n s t r u k t i o n e n u n d u n n ü t z e mathematische P r o d u k t i o n s u m w e g e , die e r f a h r u n g s g e m ä ß oft die wirtschafts- und strukturpolitischen P r o b l e m e verstellen, w u r den v e r m i e d e n . A u c h die theoretischen G r u n d l a g e n w u r d e n nicht rein abstrakt u n d u m ihrer selbst willen, s o n d e r n problem- und anwendungsorientiert dargestellt. Auf diese W e i s e h o f f t d e r Verfasser, u n f r u c h t b a r e n a k a d e m i s c h e n H a a r s p a l t e r e i e n e n t g a n g e n , k e i n e n strukturpolitischen S c h e i n p r o b l e m e n o d e r v e r k a p p t e n G r u p p e n i n t e r e s s e n aufgesessen zu sein und a n w e n d u n g s r e i f e strukturanalytische M e t h o d e n dargestellt sowie einige praktikable Reformvorschläge f ü r die s e k t o r a l e Strukturpolitik g e m a c h t zu h a b e n . Hans-Rudolf

Peters

Teil 1 Allgemeine Grundlagen 1. Kapitel Bestimmung und Aufgaben sektoraler Strukturpolitik 1.1 Strukturpolitische Anlässe und Aufgaben In dynamischen Marktwirtschaften sind erfahrungsgemäß Strukturwandlungen sowohl eine Voraussetzung als auch eine Begleiterscheinung der wirtschaftlichen Entwicklung. In der Regel lösen technologische und ökonomische Strukturänderungen bestimmte Impulse für wirtschaftliche Entwicklungs- und Wachstumsprozesse aus, die ihrerseits dann Anpassungsprozesse an den Strukturwandel notwendig machen. Daraus ergeben sich für die Wirtschaftspolitik in einem marktwirtschaftlich orientierten System prinzipiell noch keine Anlässe für strukturpolitisches Eingreifen, weil die Entscheidung über die Bemessung und Anpassung der Produktionskapazitäten den einzelnen autonomen Wirtschaftssubjekten obliegt und eventuelle Überkapazitäten oder Engpässe bei funktionsfähiger Marktsteuerung meist relativ schnell beseitigt werden. Erst wenn es - trotz im großen und ganzen in der Volkswirtschaft funktionierender Marktsteuerung - in bestimmten Wirtschaftssektoren wegen mangelnder Anpassungsfähigkeit zu langandauernden Disproportionen zwischen Produktionskapazität und Nachfragevolumen kommt, können strukturpolitische M a ß n a h m e n zur Unterstützung der notwendigen Anpassungsprozesse zweckmäßig sein. Bei derartigen Disproportionen, die über die Marktsteuerung und die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft n u r in einem für die Volkswirtschaft und die Gesellschaft zu langwierigen und sozial schmerzhaften Anpassungsprozeß abgebaut werden, muß der Staat eventuell mit strukturpolitischen Hilfsmaßnahmen die Anpassungsvorgänge abkürzen und für die vom Strukturwandel belasteten Wirtschaftssubjekte sozial erträglich machen. Der Strukturwandel kann also ökonomische und soziale Probleme mit sich bringen, die strukturpolitisches H a n d e l n des Staates erfordern. Dieses zeigt sich auch noch bei anderen Anlässen. So kann es aus beschäftigungspolitischen und sozialen G r ü n d e n erforderlich werden, den Strukturwandel in einem Sektor (z. B. im Steinkohlenbergbau) oder zwischen substitutiven Produktionen (z. B. zwischen Kohle und Mineralöl) zu verlangsamen, um den Anpassungszeitraum für die Betroffenen bis zur Umstrukturierung einer industriell monostrukturierten in eine branchenmäßig vielgestaltige Region zu strecken. Ferner kann es zur Steigerung des Wirtschaftswachstums und der volkswirtschaftlichen Produktivität geboten sein, strukturpolitisch die Mobilität der Produktionsfaktoren in und zwischen den Wirtschaftszweigen zu erhöhen und damit die brancheninterne Umstrukturierung u n d den intersektoralen Strukturwandel zu beschleunigen. Nicht immer führt die dezentrale Markt- und Wettbewerbssteuerung zu optimalen Angebotsstrukturen. So ist ziemlich unbestritten, daß zur Sicherstellung der Briefbeförderung von j e d e r m a n n an und nach jedem Ort zu sozial tragbarem Preis eine Sonderordnung, die der Post ein weitgehendes Brieftransportmonopol einräumt und damit die Angebotsstruktur staatlicherseits direkt ge-

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Teil 1: A l l g e m e i n e G r u n d l a g e n

staltet, unumgänglich ist. Noch auf einigen wenigen anderen Sektoren - namentlich der Energie- und Wasserversorgung sowie der öffentlichen Verkehrsbedienung k ö n n e n strukturbestimmende Sonderordnungen f ü r die Angebotsgestaltung angebracht sein, um beispielsweise sicherzustellen, daß sinkende Durchschnittskosten bei wachsender Ausbringung bis zur Kapazitätsauslastung auch im Preis der G ü t e r und Dienstleistungen an die Verbraucher weitergegeben werden. Manchmal versucht also der Staat, den Problemen struktureller Ungleichgewichte dadurch vorzubeugen, d a ß er von vornherein bestimmte Problemstrukturen von Wirtschaftszweigen durch kapazitätsbeeinflussende Eingriffe unmittelbar gestaltet. Der Staat kann sektorale Investitions- und Produktionsstrukturen auch mittelbar durch indikativc Strukturplanung beeinflussen. Es gibt also vielfältige Strukturprobleme und mancherlei Anlässe für sektorale Strukturpolitik. Die hauptsächlichen Anlässe sind: - sektorale Hemmnisse sowie mangelnde Mobilität der Produktionsfaktoren, die das Wirtschaftswachstum und Produktivitätssteigerungen schmälern, - strukturelle Ungleichgewichte in Form von Überkapazitäten und Engpässen in den Wirtschaftszweigen, die zu langandauernden Strukturkrisen führen k ö n n e n , - mangelnde Fähigkeiten der Wirtschaftssubjekte, sich den Strukturwandlungen in den Branchen und Berufen anzupassen, - soziale Härten, die mit notwendigen Strukturanpassungen verbunden sein können, - mangelnde Funktionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Lenkungs- und Koordinierungssystems auf einzelnen Wirtschaftssektoren, z. B. infolge anomalen Angebotsverhaltens oder Entstehung von „social costs" und negativer externer Effekte. A u f g r u n d der in der Realität aufgetretenen Strukturprobleme haben sich in der sektoralen Strukturpolitik hauptsächlich zwei Aufgabenkomplexe herausgebildet, die sich zum einen um Strukturwandel und Wachstum und zum anderen um Strukturerhaltung und Stabilität gruppieren. Z u m einen soll die sektorale Strukturpolitik wachstumsfördernden Strukturwandel erleichtern und das sektorale Entwicklungspotential für das volkswirtschaftliche Wachstum mobilisieren, zum anderen soll sie aber auch Strukturwandlungen, die zu überstürzten Umstellungsprozessen, struktureller Arbeitslosigkeit und sozialen H ä r t e n f ü h r e n , abbremsen und notfalls eine zeitweise Strukturerhaltung - auch unter Inkaufnahme von Wachstumseinbußen - betreiben. Bei dem einen Aufgabenkomplex geht es im wesentlichen um Beseitigung von sektoralen Wachstumshemmnissen, damit schlecht genutzte Produktionsfaktoren besser genutzt und eventuell volkswirtschaftlich günstigeren Verwendungen zugeführt werden sowie dem produktivitätssteigernden technischen Fortschritt zum Durchbruch verholfen wird. Zur Erfüllung dieser Aufgaben m u ß die sektorale Strukturpolitik erforderlichenfalls den wachstumsfördernden Strukturwandel in und zwischen den Branchen und Berufen vorantreiben, die Mobilität der Produktionsfaktoren und die strukturelle Anpassungsfähigkeit der Wirtschaftssubjekte an den Strukturwandel stärken und günstige Bedingungen für den produktivitätssteigernden technischen Fortschritt schaffen. Dieser A u f g a b e n k o m plex, dessen Einzelziele ein quantitativ h ö h e r e s und/oder qualitativ besseres Wirtschaftswachstum sowie größere Produktivitätsfortschritte anstreben, läßt sich der Wachstums- und produktivitätsorientierten Strukturpolitik zurechnen. A u f g a b e n einer E i n d ä m m u n g schrumpfender Produktionen und einer zeitweisen Strukturerhaltung drängen sich auf, wenn überstürzte Umstellungs- und A n passungsprozesse im Zuge unvorhersehbarer Strukturwandlungen zu schwerwie-

1. Kap.: Bestimmung und Aufgaben sektoraler Strukturpolitik

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genden sozialen Erosionen führen w ü r d e n . Ferner kann es zur Minderung der A b hängigkeit von ausländischen Rohstoffimporten ( z . B . beim Rohöl) und zur Steigerung der Versorgungssicherheit bei bestimmten Grundstoffen (z. B. Energie) geboten sein, einheimische Substitutionsproduktionen (z. B. den deutschen Steinkohlenbergbau) in gewissem Umfange - auch gegen den Markttrend - zu erhalten und eine stabilitätssichernde Grundstoffversorgung für volkswirtschaftliche Schlüsselbereiche anzustreben. Andersartige stabilitätspolitische Aufgaben ergeben sich bei Funktionsschwächen des marktwirtschaftlichen Lenkungssystems, z. B. infolge anomalen Angebotsverhaltens oder mangelnder Kraft zum A b b a u von Überkapazitäten und zur Beseitigung von Strukturkrisen. Summarisch läßt sich dieser Aufgabenkomplex, dessen Einzelziele vor allem auf Streckung von Anpassungszeiträumen, zeitweise Strukturerhaltung, sichere Rohstoffversorgung und Ausgleich von sektoraler Angebots- und Nachfragesituation gerichtet sind, der stabilitäts- und ausgleichsorientierten Strukturpolitik zurechnen. Beide Aufgabenkomplexe der sektoralen Strukturpolitik stehen oft in einem Spannungsverhältnis, können jedoch in Teilbereichen auch komplementäre Beziehungen aufweisen. Spannungen und Zielkonflikte treten bei gleichzeitigen Zielverfolgungen dann auf, wenn bei z u n e h m e n d e m Grad der Zielerfüllung auf einem Aufgabengebiet das A u s m a ß der Zielerreichung auf dem anderen Aufgabensektor beeinträchtigt wird. Dagegen werden komplementäre Zielbeziehungen daran deutlich, daß die zunehmende Zielerreichung in einem Bereich auch die Zielrealisierung des anderen Sektors fördert. Eine komplementäre Zielbeziehung kann z . B . zwischen dem Ziel der Versorgungssicherheit bei bestimmten Rohstoffen und dem ökonomischen Wachstumsziel vorliegen, wenn mit der Schaffung und dem A u s b a u einer sicheren Rohstoffversorgung kausal auch das Wirtschaftswachstum zunimmt. Andererseits lassen sich Zielkonflikte beobachten, wenn z. B. durch eine strukturkonservierende Subventionspolitik potentielle Produktivitätsfortschritte blockiert werden. Zwischen dem Ziel eines maximalen gesamtwirtschaftlichen Wachstums und dem eventuellen Erfordernis einer zumindest zeitweisen Strukturerhaltung bestimmter Produktionen besteht in der Regel ein gravierender Zielkonflikt, weil eine Strukturkonservierung durch massive Subventionen k n a p p e Produktionsfaktoren in volkswirtschaftlich suboptimalen Verwendungen festhält und erfahrungsgemäß die Innovationsanstrengungen der Subventionsempfänger schwächt. Die Folge ist, daß das potentielle Wirtschaftswachstum nicht erreicht wird. U m g e k e h r t können auch Zielkonflikte aufbrechen, wenn infolge einer forcierten wachstumsorientierten Strukturpolitik die unbewältigten Strukturanpassungsprobleme insgesamt zunehmen und immer mehr soziale Ausgleichsmaßnahmen mit produktivitätshemmender Wirkung erfolgen.

1.2 Definition „sektorale Strukturpolitik" Die Strukturpolitik ist neben der Ordnungs- und der Konjunkturpolitik der dritte P a r a m e t e r staatlichen Handelns in marktwirtschaftlich orientierten Systemen. Ü b licherweise unterscheidet man zwischen sektoraler und regionaler Strukturpolitik. W ä h r e n d die sektorale Strukturpolitik auf die Wirtschaftszweige gerichtet ist und hauptsächlich deren intra- und intersektoralen Strukturwandel zu beeinflussen versucht, ist die regionale Strukturpolitik auf die Regionen gerichtet und konzentriert sich auf deren ökonomische und infrastrukturelle Entwicklung. Sektorale und regionale Strukturpolitik weisen manchmal enge Verzahnungen auf. Dieses zeigt sich

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Teil 1: Allgemeine Grundlagen

besonders d a n n , wenn sektorale Strukturprobleme konzentriert in bestimmten Regionen a u f t r e t e n und staatliche Förderungsmaßnahmen gleichzeitig die sektorale und die regionale Wirtschaftsstruktur verbessern sollen. Neben die sektorale und die regionale Strukturpolitik wird gelegentlich noch eine betriebsgrößenbezogene Strukturpolitik gestellt, wenn die Strukturprobleme kleiner und mittlerer Untern e h m e n mittels spezifischer strukturpolitischer M a ß n a h m e n gelöst werden sollen. Letztere, f ü r die auch die Bezeichnung Mittelstandspolitik üblich ist, kann jedoch systemtheoretisch wegen ihrer regelmäßigen Branchenbezogenheit auch als Teil der sektoralen Strukturpolitik behandelt werden. In der Realität konzentrieren sich nämlich die kleinen und mittleren U n t e r n e h m e n meist auf bestimmte Sparten (wie z. B. H a n d w e r k , Teile des Einzelhandels, Gaststätten- und Fremdenverkehrsgewerbe). Demzufolge sind typisch mittelständisch strukturierte Gewerbezweige entstanden, die teils ähnliche Strukturprobleme aufweisen. Dennoch stößt der umfassende A u f b a u einer eigenständigen Strukturpolitik für kleine und mittlere U n t e r n e h m e n , der dann auch die U n t e r n e h m e n dieser Größenklasse in vorwiegend großbetrieblich strukturierten Wirtschaftszweigen einschließen müßte, auf B e d e n k e n . Z u m einen ist die U n t e r n e h m e n s g r ö ß e ein sehr relativer Begriff, der von Branche zu Branche schwankt und kaum lösbare Abgrenzungsprobleme aufwirft. Z u m anderen besteht die G e f a h r , d a ß allein schon die „kleine Betriebsgröß e " zum Anlaß f ü r staatliche Förderungsmaßnahmen genommen wird. Keine Betriebsgrößenklasse kann jedoch in der Marktwirtschaft einen Sonderstatus für sich beanspruchen, alle U n t e r n e h m e n - ob klein, mittel oder groß - müssen sich aus eigener Kraft im W e t t b e w e r b bewähren. Deshalb kann es ratsam sein, auch die vorwiegend mittelständisch strukturierten Gewerbezweige den allgemeingültigen Regeln der Ordnungspolitik zu unterwerfen und deren Strukturprobleme im R a h m e n der f ü r alle Wirtschaftszweige geltenden Grundsätze der sektoralen Strukturpolitik anzugehen. Nach diesen Vorklärungen läßt sich der Gegenstandsbereich sektoraler Strukturpolitik folgendermaßen eingrenzen: Die (praktizierende) sektorale Strukturpolitik umfaßt alle Bestrebungen und Maßnahmen strukturpolitischer Instanzen, die darauf abzielen, - strukturbestimmende Relationen (z. B. die Wettbewerbsverhältnisse) bestimmter Wirtschaftszweige und Ausnahmebereiche abweichend von den allgemeingültigen Ordnungsprinzipien zu regeln (Regulierungspolitik), - Strukturwandlungen innerhalb von und zwischen Wirtschaftszweigen in einer Gesamtwirtschaft prozeßpolitisch auszulösen, zu verstärken, abzuschwächen oder zu unterbinden (Strukturprozeßpolitik). Neben der Regulierungspolitik und der Strukturprozeßpolitik gibt es noch eine Struktursozialpolitik, die aber primär der Sozialpolitik zuzurechnen ist. Sie dient hauptsächlich dazu, sozial schädliche Folgen bei den vom sektoralen Strukturwandel betroffenen Branchenangehörigen zu beseitigen und soziale Härten im Zuge unvermeidbarer Strukturanpassungen oder als Folge strukturpolitischer Eingriffe bei den belasteten Wirtschaftssubjekten zu mildern. D i e Struktursozialpolitik wird nur randläufig behandelt, und zwar lediglich im Z u s a m m e n h a n g mit den Folgewirkungen strukturpolitischen Handelns und offensichtlicher politischer Fehlentscheidungen. Z u beachten ist, daß nicht nur strukturpolitische, sondern auch ordnungs- und konjunkturpolitische M a ß n a h m e n mehr o d e r weniger auf ökonomische Strukturen einwirken und Strukturwandlungen auslösen oder verzögern können. So beeinflus-

1. Kap.: Bestimmung und Aufgaben sektoraler Strukturpolitik

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sen ordnungspolitische M a ß n a h m e n zur allgemeinen Stärkung oder Reduzierung des Wettbewerbs in der Wirtschaft meist auch die Marktformen-, Einkommensund Absatzstruktur von Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen und können letztlich einen Strukturwandel in der Volkswirtschaft bewirken. Desgleichen kann die konjunkturpolitische Ä n d e r u n g der Kreditbedingungen mittels Diskontpolitik der Zentralbank, die auf kapitalintensive Wirtschaftszweige mit hohem Fremdfinanzierungsanteil stärker als auf lohnintensive Bereiche mit vorwiegender Selbstfinanzierung einwirkt, eventuell auch Ä n d e r u n g e n in der volkswirtschaftlichen Produktionsstruktur auslösen. Schränken nämlich die Kreditnachfrager kapitalintensiver Wirtschaftszweige infolge der nachfolgenden Kreditverteuerung bei den Geschäftsbanken ihre Investitionen stark ein, so ändert sich nicht nur die Produktionsstruktur dieser Branchen, sondern auch die Absatz- und Einkommensstrukturen ihrer Zulieferindustrien. Letztlich hat also die konjunkturpolitische M a ß n a h m e , die primär das Geld- und Kreditvolumen kurzfristig ändern sollte, auch langfristige Änderungen d e r volkswirtschaftlichen Produktionsstruktur bewirkt oder zumindest eingeleitet. Die meisten wirtschaftspolitischen M a ß n a h m e n wirken in der einen oder anderen Weise und oft ungewollt auf ökonomische Strukturen ein, so daß es kaum eine strukturneutrale Wirtschaftspolitik gibt. Zur Abgrenzung strukturpolitischer von anderen wirtschaftspolitischen M a ß n a h m e n ist es deshalb geboten, die jeweilige primäre Zielrichtung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen zugrunde zu legen. D e m n a c h gehören zur sektoralen Strukturpolitik nur jene Maßnahmen, die bewußt und gewollt darauf abzielen, strukturbestimmende Relationen von Wirtschaftszweigen zu ordnen sowie den Strukturwandel innerhalb von und zwischen Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen zu beeinflussen oder zu gestalten.

1.3 Abgrenzung sektoraler Strukturpolitik Die sektorale Strukturpolitik bedarf der Abgrenzung von der Ordnungs- u n d der Konjunkturpolitik. W ä h r e n d die für ein marktwirtschaftlich orientiertes System konstitutive (allgemeine) Ordnungspolitik die allgemeingültigen Prinzipien - wie z. B. das Wettbewerbsprinzip, die Gewerbefreiheit, die Konsumfreiheit u n d die freie Berufs- u n d Arbeitsplatzwahl - setzt und sichert, schafft und sanktioniert die Regulierungspolitik ordnungspolitische Ausnahmeregelungen für bestimmte Wirtschaftszweige u n d Berufsgruppen. Sektorale Sonderordnungen bzw. A u s n a h m e r e gelungen wirken meist strukturbestimmend für die internen Relationen und auf die externen Beziehungen und Verflechtungen der betreffenden Branchen und Berufsgruppen. Bei der (allgemeinen) Ordnungspolitik steht die Absicht im Vordergrund, eingriffsfreie Bereiche bzw. Freiheitsspielräume und Entfaltungsmöglichkeiten für alle Wirtschaftssubjekte zu schaffen. Deshalb unterbindet die Ordnungspolitik - insbesondere die Wettbewerbspolitik - Wettbewerbsbeschränkungen sowie über ein bestimmtes Maß hinausgehende Konzentrationen und Strukturbildungen in Form von Unternehmensverflechtungen, welche die Freiheiten und damit die Wahlmöglichkeiten der einzelnen Wirtschaftssubjekte beeinträchtigen. Die Regulierungspolitik hat einen anderen Charakter. Sie wirkt gezielt regelnd auf bestimmte Wirtschaftszweige und Berufsgruppen ein, wobei nicht die Sicherung bestimmter Freiheitsspielräume aller Staatsbürger, sondern allenfalls die bestimmter G r u p p e n - notfalls auch zu Lasten anderer G r u p p e n - angestrebt wird. So sind beispielsweise m a n c h e wettbewerbsmindernde Branchenordnungen so gestaltet, daß

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Teil 1: Allgemeine Grundlagen

sie die Freiheitssphären anderer Wirtschaftszweige, der Konsumenten oder der Steuerzahler vermindern, wenngleich dieses nicht bewußt angestrebt, sondern lediglich bei strukturpolitischen Regelungen zugunsten bestimmter Wirtschaftszweige in Kauf g e n o m m e n wird. D i e wesentlichen Unterschiede zwischen der Strukturprozeßpolitik, die sich auch als mesoökonomische Prozeßpolitik kennzeichnen läßt, und der K o n j u n k t u r politik (als makroökonomische Prozeßpolitik) liegen in folgendem: Die Strukturprozeßpolitik ist auf die Zusammensetzung (Struktur) des Produktionspotentials gerichtet, während die Konjunkturpolitik auf den Auslastungsgrad ( K o n j u n k t u r ) des Produktionspotentials abzielt. 1 D i e Konjunkturpolitik versucht, bei gegebenem Produktionspotential über eine globale Steuerung der Gesamtnachfrage auf relativ kurze, überschaubare Sicht das G e s a m t a n g e b o t und die Gesamtnachfrage im Gleichgewicht zu halten oder zum Ausgleich zu bringen. Die sektorale Strukturpolitik in Form der Strukturprozeßpolitik konzentriert sich dagegen auf das Produktionspotential der Wirtschaftszweige und versucht die Produktionsstrukturen so zu bemessen oder deren Entwicklung so zu beeinflussen, daß mittel- bzw. längerfristig das jeweilige sektorale Angebot unter Beachtung der Strukturwandeltrends der entsprechenden Nachfrage angepaßt wird. Die Konjunkturpolitik ist also primär nachfrageorientiert, während die sektorale Strukturpolitik vorwiegend angebotsorientiert ist. Hauptziel der Konjunkturpolitik ist es, extreme Konjunkturschwankungen 2 - wie sie sich in der Depression und im B o o m äußern - zu verhindern u n d die Beschäftigung der Produktionsfaktoren in der Volkswirtschaft auf möglichst hohem Niveau zu stabilisieren. Um U n t e r - und Überbeschäftigung und ein eventuelles Hineinschlittern in Depression oder K o n j u n k t u r ü b e r h i t z u n g z u vermeiden, bedient sich die Konjunkturpolitik antizyklischer Globalmaßnahmen, die in der Regel schon aufgrund ihrer Signaleffekte und ihrer Breitenwirkung verhältnismäßig schnell wirksam werden. O b j e k t der Strukturpolitik sind Strukturwandlungen, die als „Änderungen in der Zusammensetzung des Produktionspotentials" 3 auftreten. Während auf kurze Sicht ergriffene konjunkturpolitische M a ß n a h m e n in der Regel relativ rasch geändert oder wieder aufgehoben werden können - in ihrer Wirkung also kurzfristig steuerbar sind - , lassen sich strukturpolitisch initiierte längerfristige Strukturentwicklungen häufig k a u m mehr aufhalten oder in ihrer Richtung grundlegend ändern. Die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Konjunkturpolitik zielt ab auf die Beeinflussung volkswirtschaftlicher Kreislaufgrößen, und zwar unter Einsatz global ausgerichteter und indirekt wirkender Mittel. D a sich volkswirtschaftliche Kreislaufgrößen - wie die Gesamtnachfrage oder das volkswirtschaftliche Investitionsvolumen - nicht direkt steuern lassen, wird konjunkturpolitisch versucht, sie indirekt über Einwirkungen auf die Verhaltensweisen (wie z. B. die Konsum- oder die Investitionsneigung) einer Vielzahl von Wirtschaftssubjekten zu beeinflussen. Globalsteuerung bedeutet, d a ß sich die konjunkturpolitische Beeinflussung nicht auf bestimmte Wirtschaftszweige oder bestimmte G r u p p e n , sondern auf eine unbekannte Vielzahl von Wirtschaftssubjekten 1

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Vgl. Tuchtfeldt, Egon: Konjunktur-, Wachstums- und Strukturpolitik. Unterschiede und Z u s a m m e n h ä n g e , in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium (WiSt), Heft 3/1983, S. 128 ff. N a c h Tuchtfeldt handelt es sich bei Konjunkturschwankungen „um Schwankungen im Auslastungsgrad des Produktionspotentials". Tuchtfeldt, Egon: Konjunktur-, Wachstums- und Strukturpolitik, a . a . O . , S. 128. E b e n d o r t , S. 129.

1. Kap.: Bestimmung und A u f g a b e n sektoraler Strukturpolitik

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richtet. W ä h r e n d konjunkturpolitische M a ß n a h m e n das Niveau der Wirtschaftstätigkeit meist kurzfristig beeinflussen sollen, sind prozeßpolitische M a ß n a h m e n der sektoralen Strukturpolitik meist längerfristig angelegt und zielen auf Ä n d e r u n g von Branchenstrukturen. In der Realität existiert meist eine Reihe von speziellen Wirtschaftspolitiken f ü r bestimmte Wirtschaftszweige. Es fragt sich deshalb, o b diese Branchenpolitiken als eigenständige Sektorenpolitiken neben der sektoralen Strukturpolitik oder ganz bzw. teilweise als Bestandteil der sektoralen Strukturpolitik zu betrachten sind. Man könnte eventuell alle diejenigen M a ß n a h m e n , die ausschließlich auf einen Wirtschaftszweig gerichtet sind und deren Wirkungen über den betreffenden Wirtschaftssektor nicht hinausgehen, als branchenspezifische M a ß n a h m e n beispielsweise der Energie-, Verkehrs- oder Agrarpolitik zurechnen. Jedoch dürften solche M a ß n a h m e n , deren Wirkungen auf einen Sektor beschränkt bleiben und nicht in andere Bereiche diffundieren, nur selten vorkommen. Meist strahlen strukturpolitische M a ß n a h m e n , die auf bestimmte Branchen gerichtet sind, und ordnungspolitische Sonderordnungen bestimmter Wirtschaftssektoren auch auf andere Wirtschaftszweige aus. Wird beispielsweise die Energieproduktion, die vielen Bereichen als Produktionselement dient, strukturpolitisch beeinflußt, so hat dieses regelmäßig eine beträchtliche Breitenwirkung. Fast jede branchenpolitische M a ß n a h m e von Gewicht verschiebt die Proportionen der volkswirtschaftlichen Produktionsstruktur. Zweifellos gehören die einzelnen Sektorenpolitiken in ihren strukturbeeinflussenden und -gestaltenden Teilen zur sektoralen Strukturpolitik. Strukturneutrale branchenpolitische Maßnahmen kommen meist nur in der Struktursozialpolitik vor. Da die Wirtschaftspolitik stets die ökonomischen Interdependenzen beachten und mit eventuellen Folgewirkungen und Ausstrahlungen von branchenpolitischen M a ß n a h m e n rechnen muß, empfiehlt es sich, sektorale Strukturprobleme generell im R a h m e n der sektoralen Strukturpolitik und nicht in isolierten Branchenpolitiken zu behandeln.

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Teil 1: Allgemeine Grundlagen

2. Kapitel Formen und Gegenstände sektoraler Strukturpolitik 2.1 Theoretische und praktizierende Strukturpolitik Es gibt drei Formen der Strukturpolitik, nämlich - theoretische Strukturpolitik, - praktische Strukturpolitik, - angewandte Strukturpolitik. W ä h r e n d die theoretische Strukturpolitik wissenschaftlich geprägt ist, setzt sich die praktische Strukturpolitik aus ad hoc geschaffenen Elementen der strukturpolitischen Praxis zusammen. Die angewandte Strukturpolitik erstreckt sich auf die A n w e n d u n g der theoretisch vorgeformten Strukturpolitik in der strukturpolitischen Praxis. Die praktizierende Strukturpolitik, die in der Wirklichkeit betrieben wird, umfaßt sowohl die praktische und in der Regel pragmatische Strukturpolitik als auch die angewandte und mehr konzeptionell geprägte Strukturpolitik. Da sich die praktische und die angewandte zur praktizierenden Strukturpolitik zusammenfassen lassen, reduziert sich die Analyse de facto auf zwei H a u p t f o r m e n der Strukturpolitik. D i e theoretische Strukturpolitik darf nicht in Gegensatz zu praktikabler Strukturpolitik gebracht werden. Im Gegenteil, eine wohldurchdachte und ausgereifte theoretische Strukturpolitik zeigt sich am möglichst hohen Grad der Praktikabilität und dem U m f a n g ihrer tatsächlichen A n w e n d u n g in der strukturpolitischen Praxis. O h n e Hilfe der theoretischen Strukturpolitik sind die politisch-staatlichen Instanzen bei der Lösung von Strukturproblemen und der dafür notwendigen Mittelwahl allein auf ihre Erfahrung, eigene Wirkungsschätzungen beim Mitteleinsatz und notfalls ihre Intuition angewiesen. Selbst den günstigsten Fall unterstellt, daß bei wiederholten Strukturproblemen immer wieder die gleichen Mittel eingesetzt werden k ö n n e n , so bleibt immer noch das Problem der optimalen Dosierung der Mittel und der Findung des rechten Zeitpunktes für den Mitteleinsatz. Hierfür können wissenschaftliche Analysen wertvolle Anhaltspunkte geben. Z u d e m können die strukturpolitischen Instanzen oft kaum ohne Hilfe der Wissenschaft die vielfältigen Wirkungen des Mitteleinsatzes auf andere Variable quantifizieren oder fundiert abschätzen. Eine rationale Strukturpolitik muß ihre Grundsätze und Ziele eindeutig und widerspruchsfrei im Rahmen der wirtschaftspolitischen Gesamtkonzeption bestimmen und j e n e Mittel in Orientierung an dem aufgestellten Leitbild anwend e n , die bei gegebener Lage eine optimale Zielverwirklichung unter Berücksichtigung von Neben- und Fernwirkungen gewährleisten. In der Regel läßt sich eine solche rationale Strukturpolitik nur mit Hilfe der Wissenschaft erreichen u n d auf die D a u e r durchhalten. H a u p t a u f g a b e der theoretischen Strukturpolitik ist es, zur Erhöhung des Rationalitätsgrades der praktizierenden Strukturpolitik beizutragen. Sie kann Beiträge hierzu leisten, indem sie - wirklichkeitsgetreue strukturelle Situationsanalysen erarbeitet sowie strukturpolitische Probleme und eventuelle Scheinprobleme offenlegt, - verdeckte (interpretationsbedürftige oder getarnte) Ziele der Strukturpolitik in offene Ziele umwandelt,

2. Kap.: Formen und G e g e n s t ä n d e sektoraler Strukturpolitik

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- eventuelle Zielkollisionen innerhalb der Strukturpolitik und mit anderen Zielen der Wirtschaftspolitik aufzeigt, - zielkonforme Sachinstrumente vorformt, - flankierende Kommunikations- und Koordinierungsinstrumente ausprägt, - die Systemkonformität der Instrumente überprüft und den eventuellen Grad der Systemänderung beim Instrumenteneinsatz aufzeigt, - praktikable Kriterien für die optimale Dosierung und den zeitlichen Einsatz strukturpolitischer Mittel erarbeitet, - Aufwands-Nutzen-Vergleiche über alternative strukturpolitische M a ß n a h m e n anstellt, - Vergleiche zwischen strukturpolitischer Konzeption und praktizierter Strukturpolitik vornimmt und im Falle breiten Auseinanderklaffens von Konzept und Wirklichkeit Vorschläge zur A n n ä h e r u n g der praktizierenden Politik an das Leitbild der Strukturpolitik macht.

2.2 Erkenntnis- und Handlungsobjekte sektoraler Strukturpolitik Eine Teildisziplin im R a h m e n der Erfahrungswissenschaft setzt eigene Erkenntnisund Erfahrungsobjekte voraus. Z u d e m erfordert eine Teilpolitik eigene H a n d lungsobjekte, vor allem in Form arteigener Instrumente zur Erreichung spezifischer Ziele. Erst die Bestimmung der Erkenntnis- und Handlungsobjekte sowie die Umgrenzung des Gegenstandsbereichs einer Teilwirtschaftspolitik ermöglicht es, ihren wissenschaftlichen Standort im System der Volkswirtschaftslehre sowie ihre Rolle in der wirtschaftspolitischen Gesamtkonzeption zu bestimmen. Zentrale Erkenntnis- und Erfahrungsobjekte der sektoralen Strukturpolitik sind die ökonomischen Strukturen, der Strukturwandel und Strukturprobleme der Wirtschaftszweige und Berufsgruppen. Die sektorale Strukturpolitik verfügt über arteigene Handlungsobjekte in Form spezifischer Instrumente zur O r d n u n g , Beeinflussung und Gestaltung ökonomischer Strukturen sowie zur Lösung sektoraler Strukturprobleme. So sind z. B. wettbewerbliche Sonderordnungen f ü r bestimmte Wirtschaftszweige geschaffen und vielfältige Instrumente entwickelt worden, mit denen Strukturwandlungen ausgelöst, verstärkt, abgeschwächt oder u n t e r b u n d e n werden können. Es bedarf noch der genaueren Bestimmung der zentralen Phänom e n e „ökonomische Strukturen" und „Stukturwandel". 2.2.1 Ökonomische Strukturen Z u r Bestimmung ökonomischer Strukturen empfiehlt es sich, zunächst den Begriff „Struktur" ganz allgemein zu klären. Struktur (lateinisch structura) bedeutet im Wortsinn soviel wie Bauart, A u f b a u , G e f ü g e , Gliederung. Bei näherer Analyse offenbart sich das Wesen von Strukturen an der Art und Weise, wie Teile zu ihrer übergeordneten Gesamtheit und untereinander verbunden sind (qualitativer A s p e k t ) und an dem jeweiligen U m f a n g der Teile an der Gesamtmasse (quantitativer Aspekt). Allgemein läßt sich „Struktur" definieren als die Teile eines G a n z e n , die in einem bestimmten qualitativen und quantitativen Verhältnis zum G a n z e n und untereinander stehen. Jede einigermaßen entwickelte Volkswirtschaft besteht aus mehreren oder vielen Wirtschaftszweigen, die verschiedene G ü t e r oder Dienstleistungen erzeugen,

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Teil 1: Allgemeine Grundlagen

mit verschiedenen Waren oder Warensortimenten handeln und f ü r ihre Produktion oder ihren Warenvertrieb bestimmte Roh- und Betriebsstoffe sowie Arbeits- und Dienstleistungen nachfragen. In die Terminologie der ökonomischen Strukturtheorie übersetzt, heißt das, j e d e Volkswirtschaft weist in der Regel eine branchenmäßige bzw. sektorale Struktur auf, die sich nach verschiedenen Merkmalen weiter aufgliedern läßt. So lassen sich die Gesamtwirtschaft oder Teile der Volkswirtschaft beispielsweise nach den ökonomischen K o m p o n e n t e n Produktion, Absatz, Beschäftigung oder E i n k o m m e n in Teile aufspalten, wodurch die verschiedenen ökonomischen Strukturen entstehen. Die Teile der Gesamtheit bilden wiederum die Struktur der Gesamtheit. Einige Beispiele für ökonomische Strukturen werden im folgenden aufgeführt: - Volkswirtschaftliche Produktionsstruktur (Arten der Produktion und Produktionsanteile der Branchen an der Gesamtproduktion bzw. Beiträge der Wirtschaftszweige zum Sozialprodukt) - Energieproduktionsstruktur (Arten von Energieträgern und Anteile der Energieträger Kohle, Öl, Gas und Kernenergie an der Gesamtproduktion) - Volkswirtschaftliche Beschäftigtenstruktur (Arten bzw. Qualifikationen von Beschäftigten und ihre Verteilung auf die Wirtschaftszweige in der Volkswirtschaft) - Bergbaubeschäftigtenstruktur (Arten von Bergbaubeschäftigten und Anteile der Untertage- und Übertagebeschäftigten an der Gesamtzahl der Bergleute) - Volkswirtschaftliche Betriebs- und Unternehmensgrößenstruktur (Betriebsund Unternehmensgrößen und Anteile großer, mittlerer und kleiner Betriebe bzw. U n t e r n e h m e n an der Gesamtzahl der Wirtschaftseinheiten) - Agrarbetriebsstruktur (Betriebsformen und Anteile der Voll- und Nebenerwerbsbetriebe an der Gesamtzahl der landwirtschaftlichen Betriebe) - Handelsabsatzstruktur (Absatzarten und Absatzanteile der verschiedenen Zweige des Einzel- und Großhandels sowie des Binnen- und Außenhandels am gesamten Absatz des Handels) - Volkswirtschaftliche Einkommens- und Vermögensstruktur (Einkommens- und Vermögensarten und Anteile der Bevölkerungsschichten an der Verteilung der verschiedenen Arten von Einkommen und Vermögen) - Baugewerbelohnstruktur (Arten und Verhältnis der Löhne für bestimmte Bautätigkeiten und der jeweilige Lohngruppenanteil an der gesamten L o h n s u m m e des Baugewerbes) Im Mittelpunkt der sektoralen Strukturpolitik stehen die Produktionsstrukturen der verschiedenen Wirtschaftszweige und somit auch die volkswirtschaftliche Produktionsstruktur. 2.2.2 Strukturwandel Strukturwandlungen bewirken vor allem d a u e r h a f t e Veränderungen in der Zusammensetzung des Produktionspotentials. In der Regel ist die Entwicklung einer Volkswirtschaft von Wandlungen ihres inneren Gefüges, und hier insbesondere ihrer Branchenstruktur, sowie ihrer außenwirtschaftlichen Verflechtungen begleitet. Strukturwandlungen sind aber nicht nur eine Begleiterscheinung des ökonomischen Entwicklungsprozesses, sondern in der Regel auch eine Voraussetzung des Wirtschaftswachstums, bei dem sich die Relationen der ökonomischen Teilbereiche verschieben. Strukturwandlungen können beispielsweise infolge des technischen Fortschritts auftreten, und diese Strukturänderungen können wiederum den technischen Fortschritt vorantreiben. Weitere Ursachen für Strukturwandlungen

2. Kap.: Formen und Gegenstände sektoraler Strukturpolitik

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können z. B. Geschmacksänderungen und Wandlungen der G ü t e r n a c h f r a g e oder Ä n d e r u n g e n im Produktionsfaktorenangebot sein. Sichtbar wird der Strukturwandel im Produktionsbereich meist am Wachstum oder der Schrumpfung von Wirtschaftszweigen. Auf dem Arbeitsmarkt werden Strukturänderungen oft durch einen Wandel der Qualifikationsanforderungen angezeigt. Mit Strukturwandel wird gewöhnlich zum einen etwas Positives, wie z. B. technischer Fortschritt oder soziale Errungenschaften, assoziiert, zum anderen aber auch etwas Negatives, wie z. B. belastende Umstellungen, stärkere Mobilitätserfordernisse und eventuelle Verdrängung aus dem Markt oder vom angestammten Arbeitsplatz. Beispielsweise wird der Produzent, dessen Waren infolge einer revolutionären Erfindung reißenden Absatz finden, in dem von ihm selbst ausgelösten Strukturwandel etwas Positives sehen, während seine ehemaligen K o n k u r r e n t e n , die infolge veralteter Produkte absatzlos werden, sicherlich den sich über das Käuferverhalten äußernden Strukturwandel beklagen werden. Auch der Arbeitnehm e r , der infolge des Strukturwandels im Beschäftigtensystem seines W o h n o r t e s einen neuen und besseren Arbeitsplatz g e f u n d e n hat, wird den Strukturwandel begrüßen. Dagegen wird der A r b e i t n e h m e r , der infolge struktureller Schrumpfung eines Gewerbes in der Region seine Tätigkeit dort aufgeben und nun als umgeschulter Arbeiter in einem anderen (eventuell schlechter bezahlten) Beruf und als Pendler in einem weiter entfernten Ort sein Brot verdienen muß, sicherlich den Strukturwandel beklagen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht und unter wachstumspolitischem Aspekt wird der Strukturwandel durchweg als positiv beurteilt, weil ohne Strukturwandlungen in Form von Wanderungen der Produktionsfaktoren „zum besten Wirt" kaum Wirtschaftswachstum stattfindet. Allerdings kann wachstumsfördernder Strukturwandel in Verdichtungsräumen eventuell auch in ökologischer Hinsicht negativ wirken, wenn das forcierte Wirtschaftswachstum mit Umweltschäden verbunden ist. Die sektorale Strukturpolitik kommt also um eine Bewertung des Strukturwandels sowie eine Abwägung seiner positiven und negativen E f f e k t e im Einzelfall nicht herum.

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Teil 1: Allgemeine Grundlagen

3. Kapitel Wissenschaftlicher Standort der Strukturpolitik 3.1 Zur Neugliederung der Volkswirtschaftslehre Bei der lange Zeit üblichen Einteilung der Volkswirtschaftslehre in Mikro- und Mak r o ö k o n o m i e standen hauptsächlich folgende Gegenstandsbereiche im Mittelpunkt: Die Mikroökonomie analysierte das ökonomische Geschehen von Einzelwirtschaften, wie es sich vor allem in der Nachfrage der Haushalte und dem Angebot der U n t e r n e h m u n g e n auf den Märkten zeigt. Die Makroökonomie untersuchte dagegen gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge, die vornehmlich an den Beziehungen von volkswirtschaftlichen Kreislaufgrößen deutlich werden. W ä h r e n d der MikroÖkonomie in den Individuen, Haushalten und Unternehmungen die Grundeinheiten ihrer Untersuchungsobjekte vorgegeben sind, findet die M a k r o ö k o n o mie keine originären Makrogrößen vor. D i e für ökonomische Kreislaufanalysen benötigten M a k r o g r ö ß e n müssen erst durch Aggregierung von Mikrogrößen zu statistischen G e s a m t g r ö ß e n gebildet werden. D i e MikroÖkonomie, und hier insbesondere ihr Kernstück, die Markt- und Preistheorie, kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Schon im Lehrgebäude der klassischen Ö k o n o m i e nahm sie eine zentrale Stellung ein. So verwendete Adam Smith seine Preislehre nicht nur zur Bestimmung der Preisvorgänge auf den nationalen M ä r k t e n und beim Freihandel auf dem Weltmarkt, sondern erhob sie faktisch zum dominierenden Erklärungsprinzip seines ganzen Wettbewerbssytcms. D e m z u f o l g e erschienen die Preise auch als die bestimmenden G r ö ß e n f ü r die Struktur der Produktion und die gesamte Einkommensverteilung. Die neoklassische MikroÖkonomie bewegt sich im Prinzip immer noch in den Bahnen der H a r monie- und Gleichgewichtslehre von A d a m Smith, deren Fixpunkt die angeblich n a t u r g e g e b e n e T e n d e n z zum ökonomischen Gleichgewicht auf freien Märkten ist. Die kleine und - weil ständig zum Gleichgewicht strebende - heile Welt der MikroÖkonomie legt es dem praktizierenden Wirtschaftspolitiker nahe, lediglich eine W e t t b e w e r b s o r d n u n g zu schaffen und ansonsten auf die ökonomische Selbststeuerung durch die M a r k t k o n k u r r e n z und deren Funktionen der Leistungsstimulierung und Machtausschließung zu vertrauen. Eine spezielle Strukturpolitik erscheint nicht notwendig, weil der Marktmechanismus auch für optimale Produktions- und A n g e b o t s s t r u k t u r e n sorgt. Demnach ist eine konsequente Ordnungspolitik, die für o f f e n e Marktzugänge und einen funktionierenden Marktpreismechanismus sorgt, die bestmögliche Strukturpolitik. Im Hinblick auf die mannigfachen Anpassungshemmnisse auf den Märkten erscheint die Gleichsetzung von Struktur- mit Ordnungspolitik allerdings fragwürdig. Eigentlich hätte die MikroÖkonomie bei der Konzentration auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Markt- und Preismechanismus den Gleichgewichtszustand herstellt bzw. nicht erreicht, die vielfältigen Marktanpassungshemmnisse - auch branchen- und gruppenbedingter Art - zutage fördern müssen. Die traditionelle Preis- und Markttheorie hat jedoch - a u ß e r der A u f d e c k u n g sachlich-qualitativer, zeitlicher und persönlicher Nachfragepräferenzen gegenüber den Anbietern und deren Güterangeboten sowie mangelnder Markttransparenz, welche einzeln und insgesamt die Märkte mehr oder weniger unvollkommen machen - kaum andere Hindernisse auf dem Wege zum Marktgleichgewicht entdeckt bzw. in ihre Modellbetrachtungen einbezogen.

3. Kap.: Wissenschaftlicher Standort der Strukturpolitik

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Die Makroökonomie, deren Geburtsstunde zwar schon mit der Aufstellung des Quesnayschen Tableau économique begann, erhielt ihre fundamentale Prägung erst durch die Lehren von John Maynard Keynes. Mit seiner General Theory of Employaient, Interest and Money von 1936, in der er die Erfahrungen aus der Weltwirtschaftskrise A n f a n g der dreißiger J a h r e theoretisch umzusetzen versuchte, stieß er weit in das Neuland der M a k r o ö k o n o m i e vor und leitete ein U m d e n k e n in der Volkswirtschaftslehre ein. Keynes bestritt zwar nicht eine T e n d e n z zum Gleichgewicht, sah diese aber mehr in Richtung auf ein Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung hinwirken. Dabei stützte er seine These auf die E r f a h r u n g , daß die aus der Mitwirkung am Produktionsprozeß resultierenden Einkommen teilweise gespart werden und deshalb nicht wieder voll als kaufkräftige Nachfrage nach erzeugten G ü t e r n in Erscheinung treten. Damit erschütterte Keynes die bis zu Jean Baptiste Say zurückreichenden Gleichgewichtsvorstellungen, denen zufolge sich das Angebot durch die zu seiner Produktion notwendigen Rohstoffeinkäufe und Arbeitskräfteentlohnungen selbst die kaufkräftige Nachfrage schaffe. Die beschäftigungspolitischen Empfehlungen von Keynes lauten demnach, bei Unterbeschäftigung die effektive Gesamtnachfrage vor allem durch Ausdehnung der Staatsaufgaben und -aufträge zu erhöhen. Die K o n j u n k t u r p h ä n o m e n e und das magische Dreieck der gesamtwirtschaftlichen Ziele, das stetiges Wirtschaftswachstum bei Vollbeschäftigung und Preisniveaustabilität fordert, drängen die Wirtschaftspolitiker zur antizyklischen Beeinflussung makroökonomischer Kreislaufgrößen. D a in der Regel zumindest immer eines der konjunkturpolitischen Ziele im Zielerreichungsgrad hinterherhinkt, ergibt sich ein gewisser Z w a n g zur ständigen Konjunkturbeeinflussung. Die aus der M a k r o ö k o n o m i e abgeleiteten Lehren beschwören die G e f a h r herauf, daß ständig global und oft auch sektoral über K o n j u n k t u r p r o g r a m m e mit Branchen-Schwerpunkten (z. B. werden zusätzliche Staatsaufträge meist an die Bauindustrie vergeben) in den Wirtschaftsablauf eingegriffen wird, ohne den „richtigen" Eingriffszeitpunkt mit optimaler Wirkungsweise zu finden. Z u d e m werden Strukturprobleme häufig durch konjunkturelle A n k u r b e l u n g s m a ß n a h m e n verdeckt, so daß gezielte strukturpolitische M a ß n a h m e n nicht für notwendig gehalten und deshalb auch nicht angestrebt werden. Erfolgreiche Konjunkturpolitik scheint dann die beste Strukturpolitik zu sein, weil sie angeblich auch die Strukturprobleme vermindert oder gar zum Verschwinden bringt. Dagegen zeigt sich, daß ungelöste Strukturprobleme, die nur zeitweise konjunkturpolitisch gemildert wurden, oft später mit um so größerer Druckkraft zutage treten. Bei der lange Zeit üblichen Einteilung der Volkswirtschaftslehre in Mikro- und M a k r o ö k o n o m i e und dementsprechende Konzentration auf einzel- und gesamtwirtschaftliche Fragen und Probleme blieben wesentliche gruppenbedingte und strukturelle Erscheinungen dem Blickfeld entrückt. In den parlamentarischen Demokratien mit marktwirtschaftlich orientierten Systemen macht sich zunehmend ein P h ä n o m e n b e m e r k b a r , nämlich die beträchtliche Prägung von Wirtschaft u n d Gesellschaft durch organisierte und spontane G r u p p e n . Trotz dieser offensichtlichen Gruppenstruktur der Gesellschaft wird häufig bei Analysen an der Fiktion einer individualistisch geprägten Industriegesellschaft festgehalten. Die traditionelle Volkswirtschaftslehre bewegt sich auf weiten Strecken noch immer in einem ökonomischen und gesellschaftlichen Wunderland, in dem es weder organisierte Interessengruppen noch gruppenbeeinflußte Partikularpolitiken gibt. In der üblichen MikroÖkonomie werden selbst bei der Monopolanalyse keine gruppenmäßigen E l e m e n t e problematisiert. So ist es bei dem statischen Modell der Monopolpreisbildung völlig gleichgültig, ob die Ableitung des Cournotschen Punktes am Einzel-

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Teil 1: Allgemeine Grundlagen

oder Kollektivmonopol erfolgt. Da das Monopol als gegebene G r ö ß e a n g e n o m m e n wird und nicht etwa die interne und die externe Problematik eines Kollektivmonopols analysiert w e r d e n , ist das abgeleitete Preis-Mengen-Resultat - unabhängig von der gewählten Bezeichnung des Modells als Einzel- oder Kollektivmonopol immer das gleiche. Desgleichen werden in der Wettbewerbspolitik - außer der Kartell- und Konzentrationsproblematik - k a u m gruppenwirtschaftliche Aspekte thematisiert, insbesondere wird die Beeinträchtigung der Ordnungspolitik durch pressure groups zuwenig beachtet. Die mangelnde Deregulierung von Wirtschaftssekt o r e n , denen o h n e sachliche Notwendigkeit eine wettbewerbsmindernde Sonderordnung zugestanden wurde, geht vor allem auf den Einfluß von organisierten Interessengruppen zurück. Auch in der M a k r o ö k o n o m i e , deren Herzstück die K o n j u n k t u r t h e o r i e und die Konjunkturpolitik ist, wird meist von gruppenwirtschaftlichen Beeinflussungsfaktoren abgesehen. Entsprechend unrealistisch geraten sind d e n n auch manche konjunkturpolitische Rezepturen, die zuwenig mit der G r u p p e n m a c h t von Interessenorganisationen (außer der von Lohntarifparteien) und mit keinen gruppenbedingten Querschlägen rechnen. Die heutige pluralistische Gruppengesellschaft wirft gravierende Probleme insbesondere im strukturpolitischen Bereich auf, die nicht einfach aus der Volkswirtschaftslehre ausgeklammert werden dürfen. In der Strukturpolitik spielen die Partialinteressen von Branchen und Gruppen, die von den einzel- und gesamtwirtschaftlichen Interessen abweichen und gruppenspezifische Verhaltensweisen erzeugen k ö n n e n , eine wesentliche Rolle. Für die Analyse dieser mesoökonomischen Phänomene bedarf es arteigener Analysewerkzeuge, welche weder die Mikronoch die M a k r o ö k o n o m i e zur Verfügung stellen können. Z u d e m weist die Zweiteilung der Volkswirtschaftslehre eine Gliederungslücke auf, weil sie den aggregatmäßig zwischen Mikro- und Makroökonomie liegenden mittleren Bereich ausspart bzw. die Erscheinungen dieses Mesobereiches einfach und manchmal ziemlich willkürlich den erstgenannten Bereichen zuschlägt. Beispielsweise setzen Analysen der wirtschaftsstrukturellen Entwicklung und M a ß n a h m e n der sektoralen und regionalen Strukturpolitik weder bei den Einzelwirtschaften noch bei der Gesamtwirtschaft an und können deshalb sinnvollerweise weder zur Mikro- noch zur Makroökonomie gerechnet werden. Hauptsächliche Ansatzpunkte der Strukturtheorie und der Strukturpolitik sind Branchen, G r u p p e n und Regionen - also mesoökonomische Einheiten - , die oft nur ziemlich willkürlich dem mikroökonomischen Bereich zugerechnet werden können, insbesondere dann, wenn das G r u p p e n v e r halten von den individuellen Verhaltensweisen der Wirtschaftseinheiten abweicht. Nach Auffassung des Verfassers empfiehlt sich sowohl aus klassifikatorischer Zweckmäßigkeit und strukturanalytischen G r ü n d e n als auch zur Entwicklung strukturpolitisch operationaler Instrumente die Schaffung einer Mesoökonomie, die als dritte Säule neben der Mikro- und Makroökonomie das Rüstzeug für die Analyse mesoökonomischer Phänomene und strukturpolitischer Strategien liefert. Inzwischen gibt es Anzeichen, daß sich die vom Verfasser vorgeschlagene Ergänzung der Mikro- und Makroökonomie durch die Mesoökonomie, die sich in den wirtschaftstheoretischen Bereich „Mesoökonomik" und den wirtschaftspolitischen Bereich „Mesopolitik" gliedern läßt, durchzusetzen beginnt. So wird im H a n d w ö r terbuch der Wirtschaftswissenschaft ( H d W W ) ausgeführt, daß „sich die Dreiteilung in Mikro-, Meso- und Makropolitik als zweckmäßig erwiesen (hat), um die immer mehr an B e d e u t u n g gewinnende Wirtschaftspolitik der mittleren Reichweite,

3. Kap.: Wissenschaftlicher Standort der Strukturpolitik

25

die sich auf einzelne Branchen, Regionen und Personengruppen erstreckt, besser einordnen zu k ö n n e n " . 4 D e r A u f - und Ausbau der Mesoökonomie, der nicht beim Stande Null beginnen mußte, hat bereits begonnen. Einzelne Bausteine - wie sie z. B. in Ansätzen zur ökonomischen Strukturtheorie, G r u p p e n - und Verbändetheorie sowie in der Theorie des kollektiven Handelns vorlagen - mußten nur aufgegriffen, ergänzt und mit der Formung weiterer Bausteine zu einem mesoökonomischen Theoriegebäude zusammengefügt werden. Diesem Weg folgend hat der Verfasser, der d e n Begriff „Mesoökonomie" in Anlehnung an die griechische Begriffsreihe „mikro = klein, meso = mittel und makro = groß" gebildet hat, die verstreut v o r h a n d e n e n Bausteine gesammelt und aufbereitet sowie einige neue Bausteine hinzugefügt. 5 Die F u n d a m e n t e , auf denen die Mesoökonomie basiert, sind also bereits vorhanden, so daß auf ihnen weitergebaut werden kann. Mit den bereits verfügbaren Werkzeugen der Mesoökonomie lassen sich die sektorale und die regionale Strukturentwicklung analysieren, die Ursachen und das Tempo des Strukturwandels aufzeigen, Strukturprognosen und Verflechtungsanalysen (Input-Output-Analysen) vornehmen, typische Interaktionen zwischen Interessengruppen und strukturpolitischen Entscheidungsträgern herauskristallisieren sowie Grundlagen f ü r strukturpolitische Konzepte und Strategien erarbeiten. In ihrer wirtschaftspolitischen Prägefunktion dient die Mesoökonomie hauptsächlich dazu, Wege zur Verbesserung der strukturellen Anpassungsfähigkeit der Branchen, Regionen und G r u p p e n an den ökonomischen Strukturwandel im R a h m e n ordnungskonformer strukturpolitischer Konzeptionen aufzuzeigen.

3.2 Strukturpolitik als Teil der Mesoökonomie Die Mesoökonomie umfaßt jene aggregatsmäßig mittleren Bereiche ökonomischpolitischer Erscheinungen, die vor allem auf G r u p p e n e b e n e zwischen Einzel- und Gesamtwirtschaft liegen. Dementsprechend ist die Mesoökonomie derjenige Teil der Volkswirtschaftslehre, der nach dem Kriterium „Ansatzpunkte wirtschaftstheoretischer Analysen und wirtschaftspolitischer Gestaltung" zwischen Mikround M a k r o ö k o n o m i e angesiedelt ist und primär der Erforschung struktureller Erscheinungen und Probleme von Branchen, Regionen und G r u p p e n - also mittleren Aggregaten und Analyseobjekten bzw. Wirtschaftssubjekten - und der Analyse von Interaktionen zwischen Interessengruppen und strukturpolitischen Entscheidungsträgern dient. „Meso-economics attempt to deal with the entire economy, but 4

5

Tuchtfeldt, Egon: Wirtschaftspolitik, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 9, 1982, S. 193. Erstmalig hat der Verfasser auf den „mesoökonomischen Bereich" in seiner Habilitationsschrift hingewiesen (vgl. Peters, H . - R . : Grundzüge sektoraler Wirtschaftspolitik, 1. Aufl., Freiburg 1971, S. 217). Ausführliche Erörterungen der Aufgaben der Mesoökonomie folgten, vgl. insbesondere Peters, H . - R . : Funktionen der Mesoökonomik, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 28/1977. Umfassend dargestellt wurde die Mesoökonomie sodann in der Monographie Peters, H . - R . : Grundlagen der Mesoökonomie und Strukturpolitik, Reihe: Uni-Taschenbücher ( U T B ) Nr. 1087, Bern und Stuttgart 1981. L e e E . Preston (University of Maryland/USA) führt aus: „Both time priority and the most extensive development of the elements and implications of meso-economics to date are due to Prof. Hans-Rudolf Peters." (Preston, Lee E . : A Perspective on Meso-Economics, discussion papers IIM/IP 8 4 - 2 8 , Wissenschaftszentrum Berlin 1984, S. 6).

26

Teil 1: Allgemeine Grundlagen

at an intermediate (industry/sector) level of aggregation, and to include political and behavioral variables within the analysis." 6 D i e Mesoökonomie umschließt einen wirtschaftstheoretischen Systembereich, der sich als „ M e s o ö k o n o m i k " bezeichnen läßt, und einen wirtschaftspolitischen Systembereich, der als „Mesopolitik" gekennzeichnet werden kann. Die sektorale Strukturpolitik ist Teil der Mesoökonomie u n d hat in der Systematik der Volkswirtschaftslehre ihren wissenschaftlichen Standort im Systembereich der Mesopolitik. Die nachfolgende Systematik gliedert die Volkswirtschaftslehre in Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik sowie nach d e n jeweiligen Ansatzpunkten und Systembereichen auf. Dadurch gelingt es, den wissenschaftlichen Standort der Mesoökonomik und der Mesopolitik sowie des Untersuchungsobjektes „sektorale Strukturpolitik" im System der Volkswirtschaftslehre sichtbar und bestimmbar zu machen.

6

Preston, Lee E.: A Perspective on Meso-Economics, a . a . O . , Abstract.

3. Kap.: Wissenschaftlicher Standort der Strukturpolitik

Systematik der Volkswirtschaftslehre Wirtschaftstheorie

Diszi-

Ansatz-

plin

punkte

System -

Sachbereiche

Unterneh-

Sachbereiche

Mikro-

Nachfragetheorie

Mikro-

Unternehmensordnungspolitik

Ökono-

- Bedürfnis und Nutzentheorie

politik

- Unternehmensverfassungspolitik

mik

- Einkommensverwendungs- und

mungen

- Betriebliche Mitbestimmungs-

Konsumtheorie des Haushalts

E

|

Systembcreiche

bereiche Haushalte

Wirtschaftspolitik

Märkte

politik

Angebotstheorie

Unternehmensablaufpolitik

- Kostentheorie

- Zentrale Investitions- und Pro-

- Produktionstheorie

1

£

duktionsplanung

Markt- und Preistheorie

- Punktuelle Eingriffe

Wettbewerbstheorie

Wettbewerbspolitik

Personelle Verteilungstheorie

Verbrauchcrpolitik Personelle Verteilungspolitik - Einkommenspolitik -Vermögenspolitik

Branchen Regionen

Meso-

Sektorale Strukturtheorie

Meso-

Sektorale Strukturpolitik

ökono-

- T h e o r i e des Strukturwandels

politik

- Regulierungspolitik (spezielle

mik

- Sektorale Entwicklungstheorie

Branchen- und Berufsordnungen)

- Regulierungs- und DeregulieGruppen

- Indikative sektorale Struktur-

rungstheorie

planung

Gruppen- und Interaktionstheorie

-Strukturprozeßpolitik (prozeß-

- Theorie des kollektiven

|

p o l i t i s c h e M a ß n a h m e n der

Handelns

c

Agrar-. Verkehrs-, Industrie-.

- M e s o ö k o n o m i s c h e Inter-

Energie-, Forschungs-und

aktionstheorie

1

Technologiepolitik)

Regionale Strukturtheorie

Regionale Strukturpolitik

- Regionale Entwicklungs-

- Raumordnungspolitik

theorie

- Industrieansiedlungspolitik

- Infrastrukturtheorie

-Entballungspolitik

- Umweltschutztheorie

- Infrastrukturpolitik - Umweltschutzpolitik

Volkswirt-

Makro-

Theorie des Wirtschaftskreislaufs

Makro-

Konjunktur- und Beschäftigungs-

schaftliche

Ökono-

und der volkswirtschaftlichen

politik

politik

Kreislauf-

mik

Gesamtrechnung

- G e l d - und Kreditpolitik

K o n j u n k t u r - und Beschäfti-

- Antizyklische Fiskalpolitik

gungstheorie

A u ß e n h a n d e l s - und Z a h l u n g s -

großen 1 c

£ £

Gesamt-

Volkswirtschaftliche Wachs-

bilanzpolitik

wirtschaft

tums* und Entwicklungs-

Volkswirtschaftliche Wachstums-

theorie

und Entwicklungspolitik

Geld- und Währungstheorie

Globale indikative Wirtschafts-

Außenhandels- und Zahlungs-

planung

bilanztheorie

Imperative Volkswirtschafts-

Funktionelle Verteilungsthcoric

planung

27

Teil 2 Strukturtheoretische Grundlagen 4. Kapitel Theorie des Strukturwandels 4.1 Merkmale des Strukturwandels Zur Klärung des Phänomens Strukturwandel ist es zweckmäßig, sich zunächst die G r u n d f o r m e n wirtschaftlicher Bewegungen vor Augen zu f ü h r e n . In der Realität beobachtbar sind periodische Bewegungen, die sich z. B. an Konjunkturschwankungen zeigen, und dauerhafte Veränderungen, die Strukturwandlungen anzeigen. Erfolgen die periodischen Bewegungen jahreszeitlich rhythmisch, so handelt es sich in der Regel um Saisonschwankungen. W ä h r e n d sich Saisonschwankungen in jahreszeitlich bestimmten Zeiträumen wiederholen, erfolgen K o n j u n k t u r schwankungen in der Regel zu einem vorher unbestimmten Zeitpunkt. D e r typische Konjunkturzyklus mit den K o n j u n k t u r p h a s e n Aufschwung, B o o m , Rezession und Depression vollzieht sich meist über einen Mehrjahreszeitraum. Eine zyklische Konjunkturbewegung kommt dadurch zustande, daß die Faktoren, die das Wirtschaftswachstum und den Beschäftigungsstand ausdehnen oder absinken lassen, zuerst K r ä f t e sammeln, die dann eine sich gegenseitig steigernde Wirkung entfalten. Irgendwann ist der höchste bzw. niedrigste Entwicklungsstand erreicht, und die Aufwärts- bzw. Abwärtskräfte büßen sukzessive an Kraft ein, bis sie einen W e n d e p u n k t erreichen, ab dem sie durch K r ä f t e , die in die entgegengesetzte Richtung wirken, ersetzt werden. Strukturwandlungen können entweder plötzlich eintreten, wie z. B. als Entwicklungsbruch aufgrund von Naturkatastrophen oder infolge von kriegerischen Ereignissen, oder stetig vor sich gehen und sich dann in der Entwicklung als Wachstum oder Rückbildung abzeichnen. Man kann demnach zwischen diskontinuierlichen und kontinuierlichen Strukturwandlungen unterscheiden. 7 Allgemein lassen sich Strukturwandlungen kennzeichnen als dauerhafte Veränderungen, die entweder plötzlich oder stetig vor sich gehen und deren Trend stabil ist. A u c h eine kontinuierliche Strukturänderung, die sich entwicklungsmäßig als Wachstum oder Rückbildung erweist, birgt keine Kräfte in sich, die den Trend der Aufwärts- oder Abwärtsbewegung umkehren. Oft ist es schwer zu erkennen, ob es sich um d a u e r h a f t e und trendmäßig nicht umkehrbare (irreversible) Strukturwandlungen oder um kurzfristige und jederzeit umkehrbare (versible) Verschiebungen im Zuge eines Konjunkturzyklus handelt. „Die wirkliche Wirtschaft tut ihren Analytikern selbstverständlich nicht den Gefallen, die Entwicklung säuberlich wie eine statistische Zeitreihe in Bewegungskomponenten zu zerlegen, in solche saisonaler, konjunktureller, trendmäßiger und absonderlicher A r t . Sondern alles greift ineinander. Saisons verwischen die K o n j u n k turen, diese die Trends - und die irregulären Schläge können diese Trends f ü r kür7

Vgl. W a g e m a n n , Ernst: Konjunkturlehre, Berlin 1928, S. 45.

30

Teil 2: S t r u k t u r t h e o r e t i s c h e G r u n d l a g e n

zere oder längere Zeiten verschütten." 8 So können beispielsweise Konjunktureinbrüche zu einem nachhaltigen Wandel der Branchenstrukturen infolge des unterschiedlichen Investitionsverhaltens nach einem konjunkturellen Rückschlag führen. O f t beginnt in der konjunkturellen Aufschwungsphase mit der einsetzenden Nachfragebelebung zunächst in den Wachstumsindustrien eine neue Investitionstätigkeit, wodurch die Investitionsgüterindustrie und das Baugewerbe angeregt werden. A n d e r e Wirtschaftszweige, die ihre Expansionsphase bereits überschritten oder sich schon in der Stagnations- oder sogar in der Rückbildungsphase befinden, verhalten sich dagegen meist abwartend. Manche U n t e r n e h m e n dieser Branchen, die infolge der vorangegangenen Depression in ihren sowieso langfristig eher pessimistischen Absatzerwartungen bestärkt worden sind, investieren selbst dann nicht, wenn sich die Nachfrage nach dem konjunkturellen Tief wieder erholt und sogar hier und da Lieferengpässe bei ihnen auftreten. Die konjunkturelle Entwicklung kann demnach wesentlich dazu beitragen, daß sich die Branchenstruktur ändert oder schneller wandelt. Strukturwandlungen lassen sich auf quantitative und/oder qualitative Änderungen von Strukturkomponenten zurückführen. So können beispielsweise Strukturwandlungen in der Beschäftigtenstruktur sowohl durch die quantitativ bestimmbare Z u - oder A b n a h m e der Erwerbsbevölkerung als auch durch die qualitative Verbesserung oder Verschlechterung der beruflichen Ausbildung bedingt sein. In der Regel läßt sich ein Strukturwandel an dauerhaften mengenmäßigen Veränderungen, aber auch an langfristigen Verschiebungen der Preis- oder Wertgrößenrelationen erkennen. So wird z. B. ein Strukturwandel auf dem Energiemarkt d a r a n sichtbar, daß der Anteil der Steinkohle am Gesamtenergieverbrauch ständig schrumpft, während sich der Anteil des Heizöls fortlaufend vergrößert. Ein Strukturwandel, der auf Änderungen von qualitativen Strukturkomponenten zurückzuf ü h r e n ist, kann sich ebenfalls in mengenmäßigen Verschiebungen niederschlagen. Nimmt der Anteil der Unternehmer zu, die von einer übertrieben sicherheitsbestimmten Verhaltensweise auf ein mehr unternehmerisch wagemutiges Verhalten ü b e r g e h e n , so bleibt dies sicher nicht ohne Wirkung auf die Produktion, den Absatz und a n d e r e ökonomische Faktoren des betreffenden Wirtschaftszweiges. Pion i e r u n t e r n e h m e r , die den Prozeß der schöpferischen Zerstörung - wie es Schumpeter ausdrückt - vorantreiben, indem sie h e m m e n d e Barrieren ökonomisch überholter Traditionen niederreißen, neue Produktions- und Absatzverfahren entwickeln und neuartige Erzeugnisse auf den Markt bringen, können einen nachhaltigen Strukturwandel bewirken. Bei exakten Strukturanalysen setzt die Bestimmung von Mengenstrukturen die Homogenität der Massen voraus. Manchmal lassen sich heterogene Massen durch Äquivalenzziffern vergleichbar machen. So kann man die Anteile verschiedener E n e r g i e a r t e n - w i e Steinkohle, Koks, Braunkohle, Torf, Erdöl, Erdgas und Kernenergie - am Gesamtenergieverbrauch in einem einheitlichen Maß, nämlich in T o n n e n Steinkohleneinheiten (SKE), ausdrücken. Die Meßeinheit „Tonne Steinkohleneinheit" ist die Energiemenge, die erforderlich ist, um aus einer beliebigen Energieart einen Heizwert zu b e k o m m e n , der dem einer Tonne Steinkohle entspricht. A n h a l t e n d e Verschiebungen in den Preisrelationen vergleichbarer Substitu8

H e r r m a n n , W a l t e r : Ü b e r die A u f g a b e n e i n e r industriellen S t r u k t u r p o l i t i k , in: B l ä t t e r f ü r G e n o s s e n s c h a f t s w e s e n , N r . 17/18, 1966, S. 291.

4. Kap.: Theorie des Strukturwandels

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tionsgüter, die häufig durch Verlagerungen der Verbrauchernachfrage bewirkt werden, können einen Strukturwandel o f f e n b a r e n . Anhaltspunkte für einen sich anbahnenden Strukturwandel im Handelsverkehr lassen sich unter U m s t ä n d e n aus den Ä n d e r u n g e n der Preisverhältnisse von G ü t e r n , die im Außenhandel zwischen Ländern ausgetauscht werden - den terms of trade - , gewinnen. Wertgrößenangaben, wie z. B. die in Geldeinheiten ausgedrückten Beiträge der Wirtschaftsbereiche zum Sozialprodukt, können ebenfalls einen Strukturwandel sichtbar werden lassen. Ein Strukturwandel auf dem Sektor der industriellen Forschung kann gegebenenfalls an der Patent- und Lizenzbilanz eines Landes offenkundig werden. Gehen die E i n n a h m e n im Patent- und Lizenzverkehr mit dem Ausland außerordentlich stark zurück, so kann dies unter U m s t ä n d e n 9 ein Zeichen für das Nachlassen der Forschungsanstrengungen im eigenen Land sein, was möglicherweise eine strukturpolitische Aktivität des Staates zur Beeinflussung der industriellen Forschung auslöst. Ein Strukturwandel auf dem Beschäftigungssektor kann daran deutlich werden, daß ein ständiger Mangel an qualifizierten Facharbeitern herrscht, während andererseits ungelernte Arbeiter auch bei guter Konjunkturlage keine Beschäftigung finden und somit die strukturelle Arbeitslosigkeit vergrößern. Bei einer Gliederung der Wirtschaft in große Bereiche werden sektorale Strukturwandlungen sichtbar, wenn sich im langfristigen Beobachtungszeitraum Verschiebungen der Sektorenanteile beispielsweise an der Gesamtproduktion, der Gesamtzahl der Beschäftigten oder an einer anderen wichtigen Meßgröße der G e samtwirtschaft registrieren lassen. Um den Strukturwandel in großen Zügen sichtbar zu machen, kann es deshalb nützlich sein, die Gesamtwirtschaft in wenige Sektoren zu gliedern und die Bereichsentwicklung zu analysieren. Von der Art und der Anzahl der Sektorenbildungen hängt es dann ab, wie sich der A u f b a u bzw. die Struktur einer Gesamtwirtschaft darstellt sowie welcher sektorspezifische und intersektorale Strukturwandel sichtbar wird. U m die großen Trends ökonomischen Strukturwandels aufzuzeigen, ist die Struktur der Wirtschaft manchmal durch nur zwei Sektoren charakterisiert worden. Für Analysen mittelalterlicher Stadtwirtschaften genügt oft schon eine Einteilung in Landwirtschaft und Handwerk, um die Austauschbeziehungen zwischen agrarischem Umland und Stadt sichtbar zu machen. Strukturanalysen der Industrialisierung arbeiten meist mit einer Einteilung der Gesamtwirtschaft in Landwirtschaft und Industrie, wobei der industrielle Sektor wiederum in Konsumgüter- und Investitionsgüterindustrie unterteilt wird. Beispielsweise teilt Karl Marx in seiner Strukturanalyse der Wirtschaft, die er zum Zwecke der Analyse der Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen G e samtkapitals vornimmt, die Produktion in zwei große Abteilungen ein, und zwar in die Produktionsmittel- und die Konsumgüter-Abteilung. Walther G . H o f f m a n n charakterisiert die Stadien der Industrialisierung durch das Verhältnis zwischen Konsum- und Kapitalgüterindustrien, indem er für das frühindustrielle Stadium ein Überwiegen der Konsumgüterindustrien und im fortgeschrittenen Industrialisierungsstadium eine Dominanz der Kapitalgüterindustrien annimmt. 111 Relativ einfache Methoden der Strukturwandelanzeige, wie sie beispielsweise

9

Eine negative Patent- und Lizenzbilanz ist jedoch nicht in jedem Falle ein sicheres Z e i c h e n für mangelnde Forschung und rückständige technische Entwicklung. Manchmal werden Patente und Lizenzrechte an ausländische Interessenten nicht verkauft, um den Export eigener Erzeugnisse nicht zu gefährden. Vgl. H o f f m a n n , Walther G.: Stadien und Typen der Industrialisierung, Jena 1931.

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Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen

von Colin Clark oder Jean Fourastie in F o r m einer Dreisektoren-Entwicklungsanalyse der Wirtschaft vorgenommen worden sind, können gewisse große T r e n d s des Strukturwandels sichtbar machen. Meist jedoch genügt ein solcher globaler Überblick über den ökonomischen Strukturwandel für spezifische strukturpolitische M a ß n a h m e n nicht. Systematische wissenschaftliche Diagnosen und Prognosen von Strukturwandlungen in der notwendigen Feinaufgliederung und im Systemzusamm e n h a n g stehen im Vergleich zu den Fortschritten auf dem Gebiete der Konjunkturdiagnose und -prognose noch ziemlich am Anfang ihrer Entwicklung. Zwar gibt es A n s ä t z e und Vorschläge für strukturrelevante Indikatoren, die beispielsweise inländische Nachfrageverschiebungen oder Ä n d e r u n g e n des Faktorangebotes anzeigen, aber bisher gibt es noch kein umfassendes Indikatorensystem, das Strukturwandlungen zuverlässig ex post registriert oder sogar sich anbahnende Strukturwandlungen ex ante anzeigt. Allerdings liegen bereits einzelne brauchbare Bausteine f ü r ein strukturelles Informations- u n d Indikatorensystem vor, wie z . B . die erstmalig von Wasily Leontief entwickelten Input-Output-Tabellen. Durch Einbau von Verflechtungs- bzw. Input-Output-Tabellen in Schemata der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist es bereits gelungen, die Entstehungs- und die Verwendungsseite des volkswirtschaftlichen Produktionsprozesses und des Sozialprodukts sektoral aufzuschlüsseln und analysemäßig für Prognosezwecke zu verwenden.

4.2 Hauptursachen des Strukturwandels D e r Strukturwandel kann endogen, d. h. aus dem Wirtschaftsgeschehen heraus, bedingt sein oder exogene Ursachen, insbesondere politischer A r t , haben. Endogene Ursachen sind z. B. Einkommensänderungen, Bedarfssättigungen, Geschmacksänderungen, Schaffung neuer oder Veränderung alter P r o d u k t e und rationellere Produktionsverfahren. Zu den exogenen, d. h. nicht unmittelbar aus dem Wirtschaftsgeschehen resultierenden, Ursachen gehören nicht nur j e n e immer wieder in der Literatur genannten relativ seltenen Anlässe, wie z. B. Naturkatastrophen, sondern insbesondere alle j e n e Regulierungen und andere strukturrelevante M a ß n a h m e n des Staates, die den Strukturwandel bewußt oder unbewußt beeinflussen. D e r endogen bedingte Strukturwandel läßt sich nach seinen Hauptursachen wie folgt gliedern: - Nachfragebedingter Strukturwandel: Dieser zeigt sich u. a. daran, d a ß einzelne Wirtschaftszweige infolge unterschiedlicher Einkommenselastizitäten der Nachfrage 1 1 nach ihren jeweiligen Produkten im Zuge von Einkommenssteigerungen e n t w e d e r schneller oder langsamer als im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt wachsen. Nachfrageverschiebungen resultieren daraus, daß entweder Geschmacksänderungen bzw. Modetrends die Nachfragerpräferenzen ändern oder bei Einkommensänderungen andere Güterbündel nachgefragt werden. So hab e n bereits Ernst Engel und H e r m a n n Schwabe nachgewiesen, daß bei steigend e m R e a l e i n k o m m e n die Ausgaben der Haushaltungen für lebensnotwendige Nahrungs- und Genußmittel relativ a b n e h m e n . 11

Die Einkommenselastizität spiegelt die quantitative Wirkung einer E i n k o m m e n s ä n d e r u n g auf die Nachfrage wider. Lebensnotwendige G ü t e r haben niedrigere Einkommenselastizitäten als entbehrliche G ü t e r , und dementsprechend nimmt bei steigendem E i n k o m m e n und gleichbleibendem Preis die Nachfrage im ersteren Fall kaum, im letzteren Fall stärker zu.

4. Kap.: Theorie des Strukturwandels

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- Angebotsbedingter Strukturwandel: Im harten Konkurrenzkampf versuchen sich die U n t e r n e h m u n g e n bestimmter Branchen mit heterogener G ü t e r p r o d u k tion o f t durch Produktvariation und Sortimentsausweitung zu behaupten. D a b e i werden meist keine grundlegend neuen Produkte geschaffen und angeboten, sondern in der Regel nur einzelne K o m p o n e n t e n des Produktes verändert. Manchmal erreicht eine, vom Produzentenstandpunkt aus gesehen, erfolgreiche Werbung, daß die technisch kaum veränderten Erzeugnisse von den Nachfragern dennoch als quasi neue, eventuell wegen eines Prestigenutzens begehrenswerte Güter angesehen werden. So k ö n n e n sowohl dauerhafte Umschichtungen der Nachfrage, beispielsweise zu bestimmten M a r k e n p r o d u k t e n , als auch W a n d lungen der Angebotsstruktur, z. B. durch den Trend zu Spezialisierungen auf Markenerzeugnisse, ausgelöst werden. - Technologisch bedingter Strukturwandel: Technisch verbesserte und arbeitsmäßig rationellere Herstellungsverfahren, die Erfindung materialsparender Verpackungsmethoden und rationellerer Transportketten, die Erschließung neuer Anwendungsgebiete für kostengünstige Substitutionsprodukte (z. B. Kunststoffe) oder die Schaffung technologisch grundlegend neuer P r o d u k t e können zu vielfältigen Strukturwandlungen führen. So können sich beispielsweise die Berufsstrukturen durch Wegfall von gewissen manuellen Tätigkeiten ändern, dauerhafte Rückgänge der Nachfrage nach bestimmten Roh- und Hilfsstoffen, Verpackungsmaterial oder Transportleistungen durch Rationalisierungseffekte ergeben oder Verdrängungen bestimmter N a t u r p r o d u k t e durch Kunststoffe u n d technisch veralteter Produkte durch qualitativ höherwertige Gebrauchsgegenstände stattfinden. D e r exogen bedingte Strukturwandel läßt sich nach seinen Hauptursachen folg e n d e r m a ß e n gliedern: - Ordnungspolitisch bedingter Strukturwandel: Ordnungspolitische M a ß n a h m e n zur Stärkung des Wettbewerbs beeinflussen meist die Marktformenstruktur und lösen möglicherweise Strukturwandlungen in der Einkommens- und Absatzstruktur von Wirtschaftszweigen aus. Beispielsweise kann die E i n f ü h r u n g eines Kartellverbotes und einer Fusionskontrolle, verbunden mit einer konsequenten Wettbewerbspolitik, nicht nur zu Ä n d e r u n g e n der M a r k t f o r m e n s t r u k t u r e n durch Auflösung von Kollektivmonopolen, sondern durch die Intensivierung des Wettbewerbs auch zu mannigfachen Strukturwandlungen, beispielsweise im Güterangebot (breitere Güterpalette) und in der Produktionstechnik (stärkerer Rationalisierungszwang), führen. - Regulierungsbedingter Strukturwandel: Regulierungen in Form von wettbewerbsreduzierenden Sonderordnungen für bestimmte Wirtschaftszweige und Ausnahmebereiche können dazu f ü h r e n , d a ß infolge des Erlahmens der Innovationstätigkeit ein ökonomischer Abwärtstrend in diesem Sektor und damit ein negativ zu beurteilender Strukturwandel ausgelöst wird. - Strukturprozeßpolitisch bedingter Strukturwandel: Beispielsweise k ö n n e n strukturpolitische M a ß n a h m e n , welche die sektorale und berufliche Mobilität der Produktionsfaktoren steigern, oder Förderungsmaßnahmen der Forschungsund Technologiepolitik, welche die Forschungs- und Innovationstätigkeit in bestimmten Wirtschaftszweigen anregen, wachstumsfördernden Strukturwandel bewirken. - Naturbedingter Strukturwandel: D a s Versiegen von Rohstoffquellen (z. B. Rohöl) kann zu enormen ökonomischen Strukturwandlungen auf vielen Sekto-

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Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen

ren (Verkehrswirtschaft, Automobilbau, Luftfahrzeugbau, Mineralölindustrie, Petrochemie usw.) f ü h r e n . Desgleichen können Naturkatastrophen mit bleibend e n Folgen, wie z. B. Fischartenvernichtung, Bodenverschlechterungen, Baumbestandszerstörung und dergleichen, in den betroffenen Bereichen Strukturwandlungen bewirken. So kann sich beispielsweise die Angebotsstruktur im Fischhandel durch Wegfall vernichteter Fischarten, die landwirtschaftliche Produktionsstruktur durch A n b a u bodenmäßig genügsamerer Getreideerzeugnisse o d e r die spätere Holz-Angebotsstruktur der Forstwirtschaft durch Anpflanzung schädlingssicherer Baumarten ändern. - Ideenbedingter Strukturwandel: Die s t r u k t u r ä n d e r n d e Kraft gesellschaftlicher Ideen kann Strukturwandel auslösen und hat ökonomische Strukturen oftmals geprägt. Im Laufe der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sind durch gesellschaftliche Ideen manchmal weitreichende Strukturumbrüche ausgelöst worden. So beispielsweise in Westeuropa durch die Naturrechtsphilosophie und das Individualprinzip des klassischen Liberalismus und später in Osteuropa durch das Kollektivismusprinzip des Marxismus. A u c h in unseren Tagen regen sich vereinzelt Neuansätze gesellschaftlicher Ideen (wie z. B. die Ideen von stärker ökologisch geprägten L e b e n s n o r m e n ) , die durchaus strukturverändernd wirken k ö n n e n .

4.3 Zum Tempo des Strukturwandels Besonders zur Gewinnung plausibler Prämissen für Strukturprognosen ist die Klärung der Frage wichtig, ob sich der Strukturwandel gegenüber früheren Epochen beschleunigt oder verlangsamt und welche Schlußfolgerungen daraus gezogen werden k ö n n e n . Häufig wird die Ansicht vertreten, daß sich der Strukturwandel infolge des technologischen Fortschritts der Neuzeit - der sich z. B. in der Automatisierung, der elektronischen Datenverarbeitung und der Kernenergieerzeugung zeigt beschleunige. Die Gegenthese von einem schleppender werdenden Strukturwandel wird dagegen manchmal damit begründet, daß die wirklich umwälzenden Erfindungen - wie z. B. die von Dampfmaschine, Eisenbahn, Elektrizität, Glühbirne und die des Telefons - bereits im 19. J a h r h u n d e r t gemacht worden sind. Will man sich nicht auf subjektive Wertungen verlassen, m u ß man nach objektiven Kriterien suchen, die eine Messung der Geschwindigkeit von Strukturveränderungen möglich machen. Empirische Untersuchungen, bei denen Geschwindigkeitsreihen des Strukturwandels bezogen auf verschiedene Bereiche und unterschiedliche Aggregatsstufen 1 2 errechnet wurden, haben bisher keinen Nachweis für eine langanhaltende generelle Beschleunigung der Strukturwandlungen in der Wirtschaft erbracht. 1 3 Allerdings würde selbst der Nachweis eines a b n e h m e n d e n Tempos des Strukturwandels keineswegs bedeuten, daß die von negativen Auswirkungen struktureller Ä n d e r u n g e n B e t r o f f e n e n notwendige Produktionsumstellungen, Umsetzungen an schlechtere Arbeitsplätze und Einkommenseinbußen als weniger einschneidend als 12

13

Bezogen auf Beschäftigte, Arbeiterstunden, Produktion, Anlagevermögen, Investitionen, Stromverbrauch, Patenterteilungen sowie auf die Gesamtwirtschaft, die gesamte Industrie, Teile der Industrie und auf die deutsche Wirtschaft sowie teilweise auf die amerikanische Wirtschaft. Vgl. Dinter, Hans-Jürgen: Zum Tempo von Strukturwandlungen, in: Mitteilungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Erlangen, Nr. 6, Februar 1969, S. 454.

4. Kap.: Theorie des Strukturwandels

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die Wirtschaftssubj e k t e f r ü h e r e r E p o c h e n e m p f i n d e n . E h e r trifft es zu, d a ß in einer stark sicherheitsorientierten G r u p p e n g e s e l l s c h a f t , in der die G r u p p e n a n g e h ö r i g e n ein h o h e s M a ß sozialer Sicherheit als Selbstverständlichkeit e m p f i n d e n , schon relativ gering belastende S t r u k t u r v e r ä n d e r u n g e n zu empfindlichen u n d massiven R e aktionen der b e t r o f f e n e n G r u p p e n und i h r e r I n t e r e s s e n o r g a n i s a t i o n e n f ü h r e n . D i e ö k o n o m i s c h e S t r u k t u r t h e o r i e ist deshalb a u f g e r u f e n , i n s b e s o n d e r e auch die Verh a l t e n s m u s t e r der G r u p p e n und ihre verbandspolitischen R e a k t i o n e n auf belastende S t r u k t u r ä n d e r u n g e n zu analysieren.

4.4 Strukturwandel und Wirtschaftswachstum Ein S t r u k t u r w a n d e l kann sich so vollziehen, d a ß sich zwar die P r o d u k t i o n s a n t e i l e einzelner Wirtschaftszweige ä n d e r n , a b e r das V o l u m e n der G e s a m t p r o d u k t i o n gleich bleibt. Wir h a b e n es dann mit einer wachstumslosen Volkswirtschaft, in d e r lediglich sektorale S t r u k t u r v e r s c h i e b u n g e n stattfinden, zu tun. U m g e k e h r t ist auch eine w a c h s e n d e Volkswirtschaft o h n e s e k t o r a l e S t r u k t u r w a n d l u n g e n d e n k b a r , da es nicht ganz ausgeschlossen ist, d a ß alle Wirtschaftszweige gleichmäßig w a c h s e n . Allerdings setzt ein gleichmäßiges sektorales Wirtschaftswachstum voraus, d a ß eine steigende G ü t e r n a c h f r a g e sich gleichmäßig auf die einzelnen Wirtschaftszweige verteilt und die sachlichen und zeitlichen Realisierungsmöglichkeiten f ü r Prod u k t i o n s e r w e i t e r u n g e n in allen B r a n c h e n gleich sind und auch gleichzeitig und in gleichem U m f a n g genutzt w e r d e n . Bei der Vorliebe der N a t i o n a l ö k o n o m i e , b e s t i m m t e wirtschaftliche P h ä n o m e n e mit Analogien und T e r m i n i aus der Biologie - wie z. B. Kreislauf, W a c h s t u m - zu erfassen, blieb es nicht aus, d a ß auch das Bild des S t r u k t u r w a n d e l s im W a c h s t u m s p r o z e ß auf diesem H i n t e r g r u n d gezeichnet worden ist. M a n ging davon aus, d a ß wirtschaftliches W a c h s t u m in etwa ähnlich erfolge wie das W a c h s t u m von P f l a n z e n , T i e r e n und M e n s c h e n . B e i m organischen W a c h s t u m s p r o z e ß wachsen die einzelnen O r g a n e des K ö r p e r s , die von vornherein in b e s t i m m t e n h a r m o n i s c h e n P r o p o r t i o n e n z u e i n a n d e r s t e h e n , in e i n e m a u s g e w o g e n e n , gleichmäßigen Verhältnis. A u f g r u n d der v o m organischen W a c h s t u m h e r r ü h r e n d e n Assoziation von H a r m o n i e , Gleichmäßigkeit und A u s g e w o g e n h e i t erscheinen S t r u k t u r w a n d l u n g e n dann als u n n o r m a l e V e r s c h i e b u n g e n in d e n P r o p o r t i o n e n der einzelnen G l i e d e r , die u n e r w ü n s c h t e A b w e i c h u n g e n von der a u s g e w o g e n e n , gleichmäßigen Entwicklung aller Teile b e w i r k e n . Wird gleichmäßiges sektorales Wirtschaftswachstum z u m e r s t r e b e n s w e r t e n Ziel und Postulat e r h o b e n , so erscheinen s e k t o r a l e S t r u k t u r w a n d l u n g e n als S t ö r u n g e n des gleichgewichtigen Wachstumsprozesses. A u s dieser Sicht sind also s e k t o r a l e S t r u k t u r w a n d l u n g e n , von d e n e n u. a. auch B e e i n t r ä c h t i g u n g e n einer a u f e i n a n d e r a b g e s t i m m t e n R o h s t o f f v e r s o r g u n g und sonstiger Z u l i e f e r u n g e n der Wirtschaftszweige b e f ü r c h t e t w e r d e n , u n e r w ü n s c h t . Sektorale S t r u k t u r w a n d l u n g e n müssen deshalb bei zielgerichtetem V e r h a l t e n b e k ä m p f t w e r d e n . E i n e solche strukturpolitische Strategie w ä r e j e d o c h n u r dann sinnvoll, wenn e i n w a n d f r e i feststeht, d a ß die b e t r e f f e n d e Volkswirtschaft bereits jetzt auf d e r Basis der gegenwärtigen G e g e b e n heiten und auch künftig bei gleichbleibender und nicht v e r ä n d e r b a r e r Basis ü b e r die d e n k b a r beste s e k t o r a l e Struktur v e r f ü g t . D a j e d o c h die ö k o n o m i s c h beste B r a n c h e n s t r u k t u r auf der G r u n d l a g e d e r jeweiligen wirtschaftlichen G e g e b e n h e i ten ( P r o d u k t i o n s f a k t o r e n - und I n f r a s t r u k t u r a u s s t a t t u n g etc.) sich i m m e r wieder dynamisch als E r g e b n i s des regelmäßig mit S t r u k t u r w a n d e l e i n h e r g e h e n d e n wett-

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Teil 2: S t r u k t u r t h e o r e t i s c h e G r u n d l a g e n

bewerblich bestimmten Markt- und Wirtschaftsgeschehens herausbildet, würde eine ausschließliche Strukturpolitik zur Unterdrückung von sektoralen Strukturwandlungen (sektorale Strukturerhaltungspolitik) zu suboptimalen Strukturbildungen führen. Mit dem Wandel der Produktionsstruktur ist jedesmal dann ein positiver Wachstumseffekt verbunden, wenn der W e t t b e w e r b um die knappen Ressourcen bewirkt, daß Produktionsfaktoren aus Wirtschaftszweigen mit keinen oder niedrigen Produktivitätsfortschritten zu solchen mit höheren Produktivitätssteigerungen abwandern. Strukturpolitisch betriebene Strukturerhaltung führt meist zu gesamtwirtschaftlichen Wachstumsverlusten, weil dadurch Produktionsfaktoren in volkswirtschaftlich weniger ergiebigen Verwendungen gebunden werden und damit eine optimale Allokation der Ressourcen verhindert wird. Zudem zeigt die Erfahrung, d a ß sogar mit forciertem Strukturwandel in bestimmten ökonomischen Schlüsselbereichen Wachstumsimpulse auf breiter Front ausgelöst werden können. Strukturwandlungen sind also nicht nur eine Begleiterscheinung, sondern auch eine Voraussetzung des wirtschaftlichen Wachstums. H e u t e herrscht deshalb in der Wirtschaftswissenschaft die Ansicht vor, daß sektorale Strukturwandlungen unumgänglich u n d als Signale einer dynamischen Wirtschaft im Wachstumsprozeß anzusehen sind. Aus dieser Sicht heraus wird der Strukturpolitik empfohlen, sektorale Strukturwandlungen möglichst nicht zu behindern. Sollte dies dennoch ausnahmsweise - z . B . aus sozialen G r ü n d e n - notwendig werden, so soll der Strukturwandel in d e m betreffenden Wirtschaftssektor nur so lange verzögert werden, bis eine ausreichende Anpassungsfähigkeit der Wirtschaftssubjekte hergestellt ist. H y p o t h e s e n , die einen engen Zusammenhang zwischen sektoralen Strukturänderungen u n d ökonomischem Wachstum a n n e h m e n , würden es im Falle einer empirisch bestätigten positiven Korrelation zwischen diesen Variablen eventuell sogar ratsam erscheinen lassen, strukturpolitische M a ß n a h m e n zur Steigerung der Flexibilität der volkswirtschaftlichen Produktionsstruktur zu ergreifen. Die angestellten empirischen Ü b e r p r ü f u n g e n , ob und inwieweit zwischen der H ö h e der Wachstumsrate der Industrie bzw. des Bruttosozialproduktes und dem A u s m a ß der branchenmäßigen Strukturverschiebungen ein Z u s a m m e n h a n g besteht, lassen den Schluß zu, daß „das A u s m a ß des Strukturwandels um so größer (ist), j e höher die Wachstumsgeschwindigkeit ist". 1 4 Daraus läßt sich folgern: „Je zahlreicher strukturveränd e r n d e K o m p o n e n t e n a u f t r e t e n , desto schwerer wiegt, vom Ziel möglichst h o h e r Produktivität her gesehen, eine unvollkommene Mobilität der Produktionsfaktoren, und desto mehr wird die Forderung nach hoher Strukturflexibilität wirtschaftspolitisch beachtet werden müssen." 1 5 D a s Postulat nach einer produktivitätsorientierten E r h ö h u n g der Produktionsstrukturflexibilität bedeutet nun aber nicht die generelle A u f f o r d e r u n g , die Expansion von Wirtschaftszweigen, die als wachstumsträchtig gelten oder angesehen werden, künstlich, d. h. ü b e r den R a h m e n des marktbedingten Wachstums hinaus, mit staatlichen Strukturhilfen anzureizen. In der Regel sollte bei v o r h a n d e n e r funktionsfähiger Marktsteuerung als oberstes Leitprinzip der sektoralen Strukturpolitik gelten, den marktbedingten Strukturwandel weder künstlich zu behindern noch zu forcieren, sondern statt dessen die Fähigkeit u n d den Willen der Wirtschaftssubjekte, sich den Strukturwandlungen in den Branchen und Berufen anzupassen, durch A b b a u von Anpassungshemmnissen

14

11

G ö r g e n s , E g o n : W a n d l u n g e n d e r industriellen P r o d u k t i o n s s t r u k t u r im w i r t s c h a f t l i c h e n W a c h s t u m , B e r n - S t u t t g a r t 1975, S. 26. C l a s e n , Sigvard: Die Flexibilität d e r volkswirtschaftlichen P r o d u k t i o n s s t r u k t u r , G ö t t i n g e n 1966, S. 115 f.

4. Kap.: Theorie des Strukturwandels

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- insbesondere protektionistischer und psychologischer Art - zu fördern. Nur ausnahmsweise kann es angebracht sein, einen Wirtschaftszweig, der aufgrund seiner Rationalisierungsprodukte auch Wachstumseffekte in anderen Branchen auszulösen oder zu verstärken vermag, speziell dann zu fördern, wenn ohne eine begrenzte staatliche Strukturhilfe der Ausbau dieser produktivitätssteigernden Produktion zum Nachteil der Volkswirtschaft unterbleiben oder zu langsam vonstatten gehen würde. Versuche, auf breiter Front zu geringe Wachstumsimpulse der Märkte durch sektorale Wachstumsförderung zu verstärken und die Entwicklungskräfte der Märkte beschleunigt in die gewünschte Richtung zu drängen, enden erfahrungsgemäß meist mit einem wachstumspolitischen Mißerfolg. Es gibt nämlich bisher keine wirtschaftstheoretisch fundierte und empirisch abgesicherte Basis für die Auffindung und eventuelle Beeinflussung des Strukturwandels, der zu einer wachstumsoptimalen Wirtschaftsstruktur führt. Deshalb läßt sich auch keine wachstumsorientierte Rangskala für die Förderprioritäten der Wirtschaftszweige aufstellen. Die Folge ist, daß bei einer sektoralen Wachstumsförderung die zu fördernden Wirtschaftszweige vorwiegend nach politischen Kriterien, die zumeist durch mächtige ökonomische und gesellschaftliche Interessengruppen beeinflußt werden, ausgewählt werden, wodurch der wachstumspolitische Mißerfolg oft schon vorprogrammiert ist.

38

Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen

5. Kapitel Sektorale Entwicklungstheorie 5.1 Zur Problematik der Sektorenabgrenzung U m die ökonomische Strukturentwicklung in großen Zügen sichtbar zu machen, wird die Volkswirtschaft in der Regel in wenige große Sektoren aufgespalten oder die Vielzahl der Wirtschaftszweige wird zu größeren Wirtschaftsbereichen zusammengefaßt. Für einen Überblick des Strukturwandels genügt oft schon die Einteilung der Volkswirtschaft in einen primären (landwirtschaftlichen), sekundären (industriellen) und tertiären (dienstleistenden) Sektor. Die Sektorenbildung kann jedoch auch nach dem Status der Wirtschaftsbereiche im vertikalen Produktionsprozeß erfolgen. D e m n a c h wird z. B. zwischen Urproduktion, verarbeitendem Gewerbe und Handel unterschieden. Es können auch Entwicklungstendenzen der Wirtschaftszweige als Gliederungsmerkmal ökonomischer Sektoren benutzt werden. So werden beispielsweise die Wirtschaftszweige je nach steigenden oder fallenden Absatztendenzen zu Wachstums- oder Schrumpfungsbereichen zusammengefaßt. Gewöhnlich werden die Wirtschaftszweige nach dem materiellen Gehalt oder dem Produktionsverfahren abgegrenzt. Danach ergeben sich dann beispielsweise als Wirtschaftszweige: Textilindustrie, Mineralölindustrie, Kunststoffverarbeitung, Ziehereien und Kaltwalzwerke, Metallgießereien, Holzschliff-Industrie. Nicht immer lassen sich Wirtschaftszweige bzw. Sektoren eindeutig abgrenzen, oder die Abgrenzungsmaßstäbe ändern sich im Laufe der Zeit. Selbst auf den ersten Blick scheinbar eindeutige und feststehende Unterscheidungen, wie die zwischen Handwerk und Industrie, können sich mit der ökonomischen, technischen und soziologischen Entwicklung ändern und in Teil- und Grenzbereichen gewisse Abgrenzungsprobleme aufwerfen. Als typische Merkmale des Handwerksbetriebes, die ihn vom Fabrik- bzw. Industriebetrieb unterschieden, galten früher u. a. W e r k e n mit der H a n d , Fehlen von Maschinen und motorbetriebenen Werkzeugen, geringe Betriebsgröße (gemessen an der räumlichen A u s d e h n u n g der W e r k s t a t t , den Arbeitskräften, dem Kapitaleinsatz und dem Umsatz), Mitarbeit des Betriebsinhabers als Handwerksmeister, kaum Arbeitsteilung, dominierende Einzelanfertigung aufgrund individueller Bestellung und meist standortbezogener Absatz. Infolge des technischen Fortschritts und des ökonomischen Strukturwandels ist in manchen Wirtschaftszweigen, die traditionell und wirtschaftsrechtlich zum Handwerk gerechnet werden, bereits eine weitgehende A n n ä h e r u n g an industrielle Verhältnisse erfolgt oder sogar teilweise eine völlige produktionsmäßige Identität mit industriellen Fertigungsmethoden feststellbar. Wie schwierig eine Sektorenabgrenzung nach sozialökonomischen G r u p p e n sein kann, zeigt sich an dem Versuch, den gewerblichen „Mittelstand" zu bestimmen. Definitionen, die auf eine bestimmte Wirtschaftsgesinnung oder ethische G r u n d haltung abstellen, sind - abgesehen von ihrem zweifelhaften soziologischen Aussagewert - in der Regel für ökonomische Analysen und als Basis für strukturpolitische M a ß n a h m e n unbrauchbar. Auch mit einer generellen Zurechnung aller mittleren und kleinen U n t e r n e h m e n wird der Bereich der mittelständischen Wirtschaft k a u m treffend abgegrenzt. Die Unternehmens- und Betriebsgrößen, gemessen an der Beschäftigtenzahl o d e r der Umsatzgröße, differieren stark von Wirtschafts-

5. Kap.: Sektorale Entwicklungstheorie

39

zweig zu Wirtschaftszweig. Mittlere U n t e r n e h m e n der chemischen Industrie oder der Automobilindustrie sind in der Regel über die G r ö ß e eines typischen mittelständischen Betriebes, wie z. B. einer Bäckerei oder einer Änderungsschneiderei, weit hinausgewachsen. Umgekehrt gibt es Firmen des Baugewerbes, die Tausende Beschäftigte und einen beachtlichen Umsatz aufweisen. Auch der Betrieb eines Karosseriebauers, der in seiner Werkhalle A u f b a u t e n für Spezialfahrzeuge anfertigt, kann kapital- und beschäftigungsmäßig bereits dem typisch mittelständischen Gewerbebetrieb entwachsen sein. Je nach zugrundegelegtem Kriterium sind bestimmte Produktionen oder Branchen ganz unterschiedlichen Wirtschaftssektoren zuzurechnen. So gehören beispielsweise Gärtnereien und Baumschulen nach dem Kriterium der Produktionsstufe zusammen mit der Landwirtschaft zum primären Sektor der Urproduktion. Dagegen zählen sie nach dem Kriterium des Produktionsfaktoren-Inputs zum arbeitsintensiven tertiären Sektor, da sie auf relativ kleiner Bodenfläche eine arbeitsintensive Pflanzenkultur betreiben. Die große Flächen beanspruchende landwirtschaftliche Getreideproduktion ist dagegen nach wie vor zum primären Sektor zu rechnen. Zu bedenken ist auch, daß Güter je nach Art des Produktionskostenanteils oder dem Standort des Anbieters und des Nachfragers eventuell einem anderen Sektor zuzurechnen sind. So werden z. B. Eier, Obst und Gemüse, die direkt beim Bauern auf dem Lande gekauft werden, stets der Erzeugung des primären Sektors zuzurechnen sein. Dagegen ist es zweifelhaft, ob ursprünglich landwirtschaftliche Erzeugnisse, die bis zum Absatz an den Endverbraucher in den Städten hohe Transport-, Lager- und andere Vertriebskosten verursachen, nicht bereits als Handelsgüter zu klassifizieren sind. Der Städter, der üblicherweise Eier, Obst und Gemüse beim Einzelhändler, Obst- und Gemüsehändler, im Kaufhaus oder Supermarkt in der Stadt kauft, wird diese Erzeugnisse sicher als Handelsware und ein preiswertes Angebot als „Leistung" des Handels betrachten. In den Augen des Käufers ist sicherlich auch der vom Handel frei H a u s gelieferte Sack Kartoffeln durch die zusätzliche Dienstleistung ein höherwertiges G u t als Kartoffeln, die er beutelweise selbst nach Hause schaffen muß. Besonders bei sektoralen Absatzanalysen kann es wichtig sein, bei der Sektorbildung die Homogenität der G ü t e r aus der Sicht der Nachfrager zu berücksichtigen. Dadurch kompliziert sich die Sektorbildung und -abgrenzung aber enorm. Nahezu alle Sektorabgrenzungskriterien werfen in der Praxis mehr oder weniger große Probleme auf. Kaum einem Kriterium oder einer Kriterienkombination gelingt es, alle Überlappungen hinsichtlich der möglichen Z u o r d n u n g von Güterproduktionen oder Branchen zu verschiedenen Sektoren zu vermeiden. Bei der Wahl der Kriterien für die Sektorabgrenzung zum Zwecke von Strukturwandelanalysen ist besonders darauf zu achten, daß nicht schon quasi durch die Sektordefinition das erst noch zu erforschende Ergebnis des Strukturwandels vorprogrammiert wird. Werden beispielsweise die Wirtschaftszweige schon ex definitione nach ihren Produktivitätszuwächsen klassifiziert und sektormäßig zusammengefaßt, so ist es unsinnig, etwa den produktivitätsinduzierten Strukturwandel noch erforschen zu wollen. Dies hieße Begriffsnationalökonomie betreiben, indem das a priori in die Definition hineingelegte Ergebnis erforscht wird. A b e r auch analysemäßig nicht anfechtbare und theoretisch gut geeignete Kriterien scheitern oft in der Praxis an der mangelnden statistischen Feindosierung der verfügbaren D a t e n . Daher bleibt für die empirische Analyse in der Praxis meist nur die katalogisierende Methode übrig, welche die Wirtschaftszweige nach relativ einfach feststellbaren Merkmalen den Wirtschaftssektoren zuordnet.

40

Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen

In der heute meist gebräuchlichen Z u o r d n u n g umfassen die drei großen Wirtschaftssektoren im einzelnen folgende Teilbereiche: Primärer Sektor: Sekundärer Sektor:

Tertiärer Sektor:

Land- und Forstwirtschaft einschließlich Tierhaltung und Fischerei. Produzierendes G e w e r b e mit den Teilbereichen Energiewirtschaft, B e r g b a u , Verarbeitendes G e w e r b e , Baugew e r b e , Wasserversorgung. H a n d e l , Verkehr, Nachrichtenübermittlung, Kreditinstitute, Versichcrungsgewerbe, Wohnungsvermietung, Dienstleistungen der freien Berufe, staatliche und kommunale Gebietskörperschaften, Sozialversicherung, Organisationen ohne Erwerbscharakter, private Haushalte, sonstige Dienste.

Die Sektorenabgrenzung hängt wesentlich von dem jeweiligen Analysezweck, den vorhandenen oder auffindbaren Abgrenzungskriterien und nicht zuletzt von den verfügbaren statistischen Unterlagen ab. François Quesnay kam bei seinem Strukturbild der Wirtschaft und seiner Kreislaufanalyse im Ökonomischen Tableau noch mit einer Einteilung der Volkswirtschaft in drei Wirtschaftsgruppen aus, indem er zwischen der bodenbearbeitenden Landwirtschaft (la classe productive), den Eigentümern der Ländereien (la classe des propriétaires) und allen übrigen Berufen (la classe stérile) unterschied. Dagegen werden bei den heute üblichen InputOutput-Analysen je nach Untersuchungszweck und statistischen Unterlagen oft 30 bis 500 Sektoren zugrunde gelegt. Die Zahl der für eine Analyse relevanten Wirtschaftszweige ändert sich häufig im Zeitablauf. Der technische Fortschritt und der damit verbundene Strukturwandel lassen einerseits Wirtschaftszweige, deren Produktion technisch überholt ist und nicht m e h r nachgefragt wird, verschwinden und schaffen andererseits neue Produktionsbereiche. Infolge der fortschreitenden Arbeitsteilung und der zunehmenden Spezialisierung nehmen die Wirtschaftszweige zahlenmäßig eher zu. Eine möglichst exakte Bestimmung von Wirtschaftsbereichen ist gerade für eine sektorale Strukturpolitik, die ihre Mittel gezielt und rationell einsetzen muß, von entscheidender Bedeutung für die optimale Zielerreichung. Entsprechend dem ökonomischen Prinzip m u ß die sektorale Strukturpolitik beispielsweise Förderungsmaßnahmen so dosieren, daß ein angestrebtes Ziel mit dem geringstmöglichen Mitteleinsatz bzw. mit vorgegebenen Mitteln der höchstmögliche Grad der Zielerfüllung erreicht wird. Dies setzt voraus, daß der zu fördernde Wirtschaftsbereich bzw. der Kreis der Förderungsempfänger jeweils entsprechend der Zielsetzung genau abgegrenzt wird. Es muß ausgeschlossen werden, d a ß Wirtschaftsbereiche bzw. G r u p p e n von Wirtschaftssubjekten, die nach der Zielsetzung nicht unter die Förderung fallen sollen, unbeabsichtigt mitprofitieren. Vage Sektorabgrenzungen können zu zielinkonformen Entscheidungen und widersprüchlichen Maßnahmen der sektoralen Strukturpolitik und unter Umständen zu untragbaren finanziellen Belastungen der öffentlichen Budgets führen. Bei Sektorenabgrenzungen muß die sektorale Strukturpolitik auch auf den eventuellen Verflechtungsgrad der Wirtschaftszweige achten. Besteht beispielsweise eine enge Verflechtung zwischen U n t e r n e h m e n des Steinkohlenbergbaus und der Mineralölindustrie, so m u ß bei strukturpolitischen Hilfen zugunsten des Steinkohlenbergbaus überlegt werden, ob auch die „ f u ß k r a n k e n " U n t e r n e h m e n des Steinkohlenbergbaus eines insgesamt gut florierenden Konzerns von einer staatlichen

5. Kap.: Sektorale Entwicklungstheorie

41

Branchenförderung mitprofitieren oder ob die Hilfsmaßnahmen auf konzernfreie U n t e r n e h m e n des Steinkohlenbergbaus beschränkt werden sollen.

5.2 Kriterien der Drei-Sektoren-Analyse Colin Clark gliedert in seiner Drei-Sektoren-Analyse die Wirtschaft in einen primären, einen sekundären und einen tertiären Sektor und weist insbesondere aufgrund der intersektoralen Arbeitskräfteverlagerungen nach, daß der ökonomische Entwicklungspfad von der Agrar- über die Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft verläuft. 16 A n d e r e A u t o r e n , wie A. G. B. Fisher, M. Wolfe und Jean Fourastie, haben gleichfalls die Struktur der Wirtschaft durch drei Sektoren - allerdings aufgrund unterschiedlicher Kriterien der Sektorbildung - festgelegt und den Strukturwandel zu prognostizieren versucht. Fisher berücksichtigt das Engeische Gesetz 17 und die vom Einkommen abhängige Nachfrageelastizität. Danach gehören dem primären Sektor alle U n t e r n e h m u n g e n an, die lebensnotwendige Güter erzeugen und deren Güterabsatz von einer starren Nachfrage begrenzt wird. Der sekundäre Sektor umschließt die nichtlebensnotwendigen Produktionen, denen eine weniger starre Nachfrage gegenübersteht. Im tertiären Sektor werden dann die restlichen U n t e r n e h m u n g e n , die neue lebensverbessernde Güter und Dienstleistungen herstellen und denen eine elastische Nachfrage gegenübersteht, zusammengefaßt. Nach Fourastie ist für die strukturelle Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft primär der Einfluß des technischen Fortschritts auf die Produktion entscheidend. 18 D a n e b e n spielt von der Konsumseite her noch der Sättigungsgrad eine bedeutende Rolle. Fourastie legt demnach für die Abgrenzung der Wirtschaftssektoren zwei Kriterien zugrunde, und zwar zum einen die Intensität des technischen Fortschritts, gemessen an der Produktivität, und zum anderen die Bedarfssättigungen, gemessen an der Nachfrageelastizität. Der primäre Sektor, der wie bei Clark mit dem landwirtschaftlichen Bereich identisch ist, weist nach Fourastie auf lange Sicht einen mittelmäßigen technischen Fortschritt auf, und seine Produktionsausdehnung wird durch die relativ starre Güternachfrage begrenzt. D e r sekundäre Sektor, der praktisch die Industrie umfaßt, setzt sich zusammen aus den Wirtschaftszweigen mit großem technischem Fortschritt, der an den außerordentlichen Steigerungen der Arbeitsproduktivität abzulesen ist. Die Produktion des sekundären Sektors wird zwar irgendwann auch an die Grenze der Bedarfssättigungen stoßen, jedoch sind die Nachfrageelastizitäten lange nicht so starr wie im primären Sektor. Alle Wirtschaftszweige mit geringem oder keinem technischen Fortschritt rechnet Fourastie zum tertiären Bereich, zu ihnen zählt er hauptsächlich den Handel, die Verwaltung, das Unterrichtswesen, die freien Berufe und die traditionellen Handwerksberufe. Dieser tertiäre Sektor, dessen Wirtschaftszweige durch relativ geringe oder gar keine Steigerung der Arbeitsproduktivität gekennzeichnet wird, ist aufgrund einer außergewöhnlich elastischen Nachfrage von den Sättigungsgrenzen

16

17

18

Vgl. Clark, Colin: The Conditions of Economic Progress, London 1940, 3. Aufl. London 1957. Der Statistiker Ernst Engel wies nach, daß bei steigendem Einkommen der Anteil der Ausgaben für Grundnahrungsmittel an den Gesamtausgaben bei absolut steigenden Ausgaben sinkt. Vgl. Fourastié, Jean: Le grand espoir du XXe siècle (Edition définitive), Paris 1963, und die deutsche Ausgabe: Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts, 2. Aufl., Köln 1969.

Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen

42

weit entfernt. Nach Fourastie wird noch lange sowohl ein individueller als auch ein kollektiver Bedarf nach Leistungen des tertiären Sektors bestehen. Wolfe gruppiert die Unternehmungen nach dem Produktionsfaktoreneinsatz und den produktivitätsbegrenzenden Faktoren. 19 Somit gehören zum primären Sektor alle bodenintensiven Produktionen, deren Produktivitätsfortschritte durch natürliche Wachstumsbedingungen begrenzt sind. Z u m sekundären Sektor zählen alle kapitalintensiven Produktionen, deren Produktivitätssteigerungen durch mechanische und technische Faktoren eingegrenzt werden. Im tertiären Bereich sind alle Unternehmungen arbeitsintensiver Erzeugungen angesiedelt, deren Produktivitätszun a h m e im wesentlichen durch die manuellen Geschicklichkeiten und geistigen Fähigkeiten der menschlichen Arbeit bestimmt ist. In folgenden werden die hauptsächlichen Kriterien für die Z u o r d n u n g der Produktionen zu den drei großen Sektoren zusammengestellt. \ \ \ \

Zuordnungskriterien

Sektor

Primärer Sektor

Sekundärer Sektor

Tertiärer Sektor

Produktionsstufe

D o m i n a n z des Produktionsfaktoren-Inputs

G r a d d e s technischen Fortschritts

Existenzdauer der produzierten Güter

G ü t e r a r t und Nachfrageelastizität

U r - und G r u n d stoffproduktion

Bodenintensive Produktion

Mittelmäßiger t e c h n i s c h e r Fortschritt ( f ü h l b a r e Produktivitätszunahme)

Produktion kurzlebiger Konsumgüter

Produktion lebensnotwendiger G ü t e r mit s t a r r e r Nachfrage

Verarbeitende Produktion

Kapitalintensive Produktion

H o h e r technischer Fortschritt (große Produktivitätszunahme)

P r o d u k t i o n mittellebiger G e b r a u c h s güter

P r o d u k t i o n lebensverbessernder Güter mit g e r i n g e r elastischer N a c h f r a g e

Warenverteilende P r o d u k t i o n und Dienste

Arbeitsintensive Produktion

G e r i n g e r o d e r kein technischer Fortschritt (geringe bzw. keine P r o d u k t i v i tätszunahme)

P r o d u k t i o n langlebiger Investitionsgüter

P r o d u k t i o n von L u x u s g ü t e r n mit elastischer N a c h frage

\

5.3 Sektorale ökonomische Entwicklungstrends Die sektoralen Entwicklungstrends werden besonders deutlich, wenn die Entwicklung der Erwerbstätigenstruktur und des Anteils der Wirtschaftssektoren an der Bruttowertschöpfung über einen längeren Zeitraum aufgezeigt und analysiert werden. Die Bruttowertschöpfung ist die Wertschöpfung (Ergebnis der Produktionstätigkeit) vor Abzug der Abschreibungen.

19

Vgl. W o l f e , Martin: T h e C o n c e p t of Economic Sectors, in: T h e Quarterly Journal of E c o n o mics, Bd. 69 (1955).

5. K a p . : S e k t o r a l e E n t w i c k l u n g s t h e o r i e

43

Entwicklungskurven der Erwerbstätigenstruktur im Deutschen Reich und in der Bundesrepublik Deutschland

Kurve I: Kurve II: Kurve III:

Entwicklung des Anteils der Erwerbstätigen im primären Sektor Entwicklung des Anteils der Erwerbstätigen im sekundären Sektor Entwicklung des Anteils der Erwerbstätigen im tertiären Sektor

Die in der graphischen Darstellung der Erwerbstätigenstruktur über die Gegenwart hinausragenden Äste der potentiellen Entwicklungskurven sind natürlich nur hypothetischer N a t u r , die zwar durch Prognosen abstützbar sind und so verlaufen können, aber de facto auch anders verlaufen können.

44

Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen

Entwicklung der Erwerbstätigenstruktur in v.H. Primärer Sektor

S e k u n d ä r e r Sektor

T e r t i ä r e r Sektor

(Land- und Forst-

(Produzierendes

(Handel, Verkehr,

wirtschaft sowie

Gewerbe*)

Dienstleistungen, Staat u n d sonstige

Fischerei)

Bereiche) Deutsches Reich

1800

80,0

15,0

5,0

1895

36,6

38,9

24,9

1925

30,3

42,3

27,4

1939

25,0

40,8

34,2

Bundesrepublik

1950

24,6

42,9

32,5

Deutschland

1960

13,7

47,9

38,3

1970

8,5

48,9

42,6

1980

5,5

44,2

50,4

1990»

3,4

39,9

56,7

* Z u m produzierenden Gewerbe gehören die Energiewirtschaft, die Wasserversorgung, der Bergbau, das verarbeitende G e w e r b e und das Baugewerbe. ') nur alte Bundesrepublik (Westdeutschland)

Die vorstehenden Daten zeigen den sektoralen Strukturwandel im Bereich der Beschäftigung, der durch eine enorme Schrumpfung des Anteils der Erwerbstätigen im primären Sektor gekennzeichnet ist. Waren 1800 im Deutschen Reich 80 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt, so betrug 1990 in der alten Bundesrepublik (Westdeutschland) der Anteil der Erwerbstätigen in diesem Sektor nur noch 3,4 Prozent. Der Anteil der Erwerbstätigen im sekundären Sektor, der bis Anfang der 70er Jahre anstieg, ist danach in diesem industriellen Sektor ständig rückläufig. Dagegen hat der tertiäre Sektor eine kontinuierliche Zunahme zu verzeichnen. Inzwischen ist der Dienstleistungsbereich unter Einschluß verwandter Tätigkeiten zum dominierenden Bereich der Erwerbstätigkeit geworden.

5. Kap.: Sektorale Entwicklungstheorie

45

Entwicklung der sektoralen Wirtschaftsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland* Unternehmen Warenproduzierendes Gewerbe

Jahr

Alle LandEnergieWirtund und schafts- z u s a m m e n zusammen WasserForstverbereiche wirtschaft sorgung, Fischerei Bergbau

1

2

3

1950 1960 1970 1980 1984

97,2 302,2 645,9 1425,8 1699,2

1950 1960 1970 1980 1984

100 100 100 100 100

91,9 91,2 88,8 86,0 86,3

10,7 5,8 3,4 2,2 2,1

1950 1960 1970 1980 1984

251,8 586,4 923,7 1230,3 1270,5

205,6 502,5 802,5 1064,9 1096,3

18,7 26,6 30,3 32,5 38,0

1950 1960 1970 1980 1984

100 100 100 100 100

81,7 85,7 86,9 86,6 86,3

4,5 3,3 2,6 3,0

1950 1960 1970 1980 1984

19570 26063 26560 26251 25111

17579 23201 22937 21549 20206

4819 3581 2262 1436 1370

1950 1960 1970 1980 1984

100 100 100 100 100

89,8 89,0 86,4 82,1 80,5

24,6 13,7 8,5 5,5 5,5

1960 1970 1980 1984

175 271 365 394

89,3 275,6 573,4 1226,5 1465,6

185 300 423 464

10,4 17,7 21,8 30,9 35,3

4

Verarbeitendes Gewerbe

Baugewerbe

Handel und Verkehr

6

7

8

9

10

19,4 56,0 103,5 226,0 264,6

11,2 41,1 114,4 330,2 441,4

7,8 26,7 72,6 199,4 233,6

38,5 123,7 290,4 755,5 939,6

19,9 18,5 16,0 15,8 15,6

11,6 13.6 17,7 23,2 26,0

8,1 8,8 11,2 14,0 13,7

39,6 40,9 45,0 53,0 55,3

41,3 91,3 147,1 203,9 209,8

46,3 112,9 179,4 279,5 305,5

46,2 83,9 121,2 165,4 174,3

133,8 288,1 447,7 648,8 689,6

7,7 8,2 7,2 6,1 5,4

16,4 15,6 15,9 16,6 16,5

18,4 19,3 19,4 22,7 24,0

18,3 14,3 13,1 13,4 13,7

53,1 49,1 48,5 52,7 54,3

1355 2126 2319 2089 1880

3052 4795 4755 4953 4718

1319 2364 2933 3565 3702

1991 2862 3623 4702 4905

6362 9985 11311 13220 13325

15,6 18,3 17,9 18,9 18,8

6,7 9,1 11,0 13,6 14,7

10,2 11,0 13,6 17,9 19,5

32,5 38,3 42,6 50,4 53,1

143 231 308 333

138 176 226 238

12 7 145 152 154

138 190 235 248

B r u t t o w e r t s c h ö p f u n g in j e w e i l i g e n P r e i s e n Mrd D M 48,3 37,3 5,9 5,1 160,8 15,7 121,9 23,3 333,7 22,7 259,5 51,6 639,4 50,5 489,2 99,8 724,3 559,1 101,2 63,9 % aller W i r t s c h a f t s b e r e i c h e 49,7 38,4 5,2 53,2 5,2 40,3 3,5 40,2 51,7 44,8 34,3 3,5 42,6 3,8 32,9

6,1 7,7 8,0 7,0 6,0

B r u t t o w e r t s c h ö p f u n g in P r e i s e n v o n 1976 M r d DM 99,3 15,7 64,3 19,3 271,7 27,6 196,3 47,8 445,8 35,9 343,3 66,6 549,0 48,0 425,6 75,4 543,0 48,8 425,0 69,1 % aller W i r t s c h a f t s b e r e i c h e 39,4 6,2 25,5 46,3 4,7 33,5 48,3 3,9 37,2 44,6 34,6 3,9 42,7 3,8 33,5

7,4

192 346 587 718

5

8389 12497 12987 11595 10416

E r w e r b s t ä t i g e im I n l a n d D u r c h s c h n i t t in 1000 721 6313 747 9624 551 10117 501 9005 493 8043

% aller Wirtschaftsbereiche 42,9 32,3 3,7 47,9 36,9 2,9 48,9 38,1 2,1 44,2 34,3 1,9 41,5 32,0 2,0

6,9 8,2 8,7 8,0 7,5

Bruttowertschöpfung in P r e i s e n v o n 1976 j e E r w e r b s t ä t i g e n 1950 = 100 185 172 202 159 292 303 336 203 402 255 446 467 443 523 260 461

• Quelle: Wirtschaft und Statistik, Heft 6/1985, S. 437.

Staat, private Haushalte D i e n s t - u n d private leistungs- O r g a n i - Tertiärer sationen unterSektor nehmen (Sp.8 ohne bis 10) Erwerbszweck 11

46

Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen

Die Entwicklung der sektoralen Wirtschaftsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland macht den Strukturwandel in den letzten 35 Jahren deutlich. Es zeigt sich, daß der prozentuale Anteil des primären Sektors an der Bruttowertschöpfung (in jeweiligen Preisen) von 10,7 auf 2,1 v. H . im Analysezeitraum gesunken ist. Trotzdem hat sich aber der absolute Beitrag des primären Sektors zur Bruttowertschöpfung in konstanten Preisen im Zeitraum von 1950 bis 1984 von 18,7 auf 38,0 Mrd. D M nahezu verdoppelt. Dabei läßt sich feststellen, daß diese beachtliche Leistung von einer stark verminderten Zahl von Erwerbstätigen in der Land-, Forstund Fischwirtschaft erbracht worden ist. So schrumpfte die Zahl der Erwerbstätigen in diesem Sektor im Analysezeitraum von 4,8 Mio. auf 1,37 Mio. Waren 1950 noch 24,6 v. H . aller Erwerbstätigen (d. h. faktisch jeder vierte Erwerbstätige) in der Landwirtschaft beschäftigt, so waren es 1984 nur noch 5,5 Prozent aller Erwerbstätigen. Die beachtliche Leistungszunahme bei A b n a h m e der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft wurde ermöglicht „durch eine weit überdurchschnittliche Z u n a h m e der Arbeitsproduktivität, die sich gegenüber 1950 mehr als versiebenfachte, verglichen mit einem Anstieg auf rund das Vierfache in der Gesamtwirtschaft. Eine Voraussetzung hierfür wiederum war - neben der starken Z u n a h m e der Produktion landwirtschaftlicher Veredelungsprodukte - der vermehrte Einsatz von Maschinen und anderen Produktionsanlagen." 2 0 D e r von 1950 bis Mitte 1960 anhaltende kontinuierliche Wirtschaftsaufschwung in der Bundesrepublik Deutschland - auch als Wirtschaftswunder bezeichnet wurde insbesondere vom sekundären Sektor getragen. So erhöhte sich der prozentuale Anteil dieses Sektors an der Bruttowertschöpfung zu konstanten Preisen von 39,4 v. H. im J a h r e 1950 auf 46,3 v. H. im Jahre 1960, stieg dann noch auf 48,3 v. H . im Jahre 1970 an und verminderte sich erst in den nachfolgenden Jahren. Bemerkenswert ist, daß trotz des bereits in den 60er Jahren erreichten relativ hohen Versorgungsniveaus der Bevölkerung der sekundäre Sektor seinen Anteil an der Bruttowertschöpfung noch hat steigern können. Dieses Phänomen ist gelegentlich als „Überindustrialisierung" der Bundesrepublik Deutschland im Dienste anderer Volkswirtschaften gedeutet worden. Als einer der wesentlichen G r ü n d e wird manchmal die Unterbewertung der Deutschen Mark in den 60er Jahren angeführt, die angeblich zur Exportlastigkeit der westdeutschen Industrie beigetragen hat. Da aber auch nach Beseitigung der falschen Währungsparitäten der Export der westdeutschen Industrie auf relativ hohem Niveau verharrte, dürfte das eigentliche Stabilisierungselement das gute Image und der hohe technologische Standard der Produkte „Made in G e r m a n y " gewesen sein. D e r tertiäre Sektor, dessen prozentualer Anteil an der Bruttowertschöpfung (in jeweiligen Preisen) kontinuierlich gestiegen ist, hat sich in den 80er Jahren an die Spitze der Sektorenentwicklung gesetzt. Allerdings zeigt sich auch, daß diese Zunahme zum Teil preisbedingt ist; denn in konstanten Preisen war von 1950 bis noch in die 70er Jahre eine A b n a h m e und erst dann eine geringe Z u n a h m e des Anteils an der Bruttowertschöpfung zu verzeichnen. „Ein G r u n d für die überproportionale Z u n a h m e der Dienstleistungspreise kann darin gesehen werden, daß der die Produktionskosten senkende technische Fortschritt im tertiären Sektor nicht in gleichem Maße möglich ist wie im sekundären oder im primären Sektor. Für die Mehrproduktion von Dienstleistungen werden daher auch vermehrt Arbeitskräfte benötigt. Per saldo findet also permanent eine W a n d e r u n g von Erwerbstätigen vom pri-

20

Wirtschaft und Statistik, Heft 6/1985, S. 436.

5. Kap.: Sektorale Entwicklungstheorie

47

mären und zum Teil vom sekundären Sektor in die Dienstleistungsbereiche statt." 2 1 Betrug 1950 der prozentuale Anteil der Erwerbstätigen im tertiären Sektor erst 32,5 Prozent (es war also in etwa jeder Dritte dort erwerbstätig), so stieg der Anteil 1984 auf 53,1 Prozent. Somit ist also gegenwärtig schon mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen im tertiären Sektor beschäftigt. Bemerkenswert ist, daß - abweichend vom Trend - eine steigende Beschäftigung in Handel und Verkehr kaum mehr feststellbar ist; denn seit den 60er Jahren schwankt der Anteil dort zwischen 18 und 19 Prozent. Dabei hat sich die Bruttowertschöpfung in konstanten Preisen seit 1960 mehr als verdoppelt. Dieses zeigt, daß in Handel und Verkehr beachtlich rationalisiert worden ist. Analysen der sektoralen Wirtschaftsentwicklung in anderen westeuropäischen Ländern bestätigen im großen und ganzen die von Colin Clark, Jean Fourastie und anderen aufgezeigten Entwicklungspfade. Fest steht, daß die Entwicklung von der Agrar- zur Industriegesellschaft in Westeuropa, den USA und Japan weitgehend abgeschlossen ist. Auch zeichnet sich deutlich ab, daß nach der Expansion der Industrie zu Lasten der Landwirtschaft und der althergebrachten Gewerbe nunmehr in der industriellen Reifephase zusehends der Dienstleistungssektor unter dem Druck der geänderten Lebensbedürfnisse und Umwelteinflüsse zu Lasten hauptsächlich der Industrie und der weiter schrumpfenden Landwirtschaft expandiert. Dabei ist jedoch zu beobachten, daß der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft in manchen Ländern noch von einer anhaltenden Expansion bedeutender Wachstumsindustrien verdeckt ist.

21

Wirtschaft und Statistik, Heft 6/1985, S. 438.

48

Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen

6. Kapitel Methoden der Strukturanalyse 6.1 Input-Output-Tabellen D a es für Analysen über die Entwicklung der Produktions- und Absatzstruktur einer Volkswirtschaft und für strukturpolitische Maßnahmen erforderlich ist, die intersektoralen Lieferverflechtungen der Wirtschaftszweige zu kennen, werden im folgenden die Grundidee und das Grundschema von Input-Output-Tabellen vorgestellt. Eine einfache Input-Output-Tabelle in Form einer Transaktionsmatrix ermöglicht es, inter- und intrasektorale Interdependenzen hinsichtlich der Lieferbeziehungen zwischen den Wirtschaftszweigen und innerhalb der Branchen übersichtlich darzustellen. Dabei werden im Input eines Wirtschaftssektors alle fremdbezogenen und eigenerstellten Produktionseinsätze und im Output alle produzierten und gelieferten Waren und Dienstleistungen für den Fremd- und den Eigengebrauch zusammengefaßt. Einfache Input-Output-Tabelle Empfangender Industriebereich

Grundstoffindustrie

Investitionsgüterindustrie

Konsumgüterindustrie

Summe der Lieferungen (Output)

Liefernder Industriebereich Grundstoffindustrie

100

500

250

850

Investitionsgüterindustrie

400

100

450

950

Konsumgüterindustrie

250

300

100

650

Summe der empfangenen Vorleistungen (Input)

750

900

800

2450

Die vorstehende einfache Input-Output-Tabelle zeigt die inter- und intraindustriellen Transaktionen dreier Industriebereiche, wobei tabellarisch jede Lieferung nur einmal eingetragen wird. Die Zahlen einer (waagrechten) Reihe zeigen die Lieferungen einer Industrie an sich selbst und die anderen Industriebereiche, also den Output, und die Zahlen einer (senkrechten) Spalte die empfangenen Vorleistungen der betreffenden Industrie aus Eigenerzeugung und von anderen Industriebereichen, also den Input.

6. Kap.: Methoden der Stukturanalyse

49

Offensichtlich erfaßt die vorstehende Input-Output-Tabelle nur einen Teil der Transaktionen der Betriebe oder U n t e r n e h m u n g e n von Wirtschaftsbereichen. So verbrauchen beispielsweise die Produktionsbetriebe der Wirtschaftsbereiche neben den sekundären Inputs, die sie als Vorleistungen von vor-, gleich- und nachgelagerten Produktionsstufen der einheimischen Wirtschaft empfangen, auch primäre Inputs, wie z. B. Arbeitsleistungen und Kapitalnutzungen. Die mit Hilfe der primären und sekundären Inputs erzeugten P r o d u k t e und Dienstleistungen (Outputs) werden nicht nur an andere einheimische Wirtschaftsbereiche als Vorleistungen f ü r deren Produktion geliefert, sondern dienen zu einem mehr o d e r minder großen Teil der Befriedigung der E n d n a c h f r a g e . Die U n t e r n e h m u n g e n verkaufen also in der Regel auch G ü t e r und Dienstleistungen an private Haushaltungen, den Staat und ausländische A b n e h m e r . U m g e k e h r t beziehen sie auch G ü t e r und Dienste aus dem Ausland. Erst die Aufzeichnung und Einbeziehung aller dieser Transaktionen in einer erweiterten Transaktionsmatrix verschafft einen vollständigen Überblick. Im folgenden wird das Grundschema einer vollständigen Input-Output-Tabelle im R a h m e n der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dargestellt. Bei den üblichen Schemata dieser Art werden außer der Vorleistungsverflechtung zwischen den einheimischen Wirtschaftszweigen noch auf der Entstehungsseite der volkswirtschaftlichen Produktion der Faktor- und Anlagenaufwand (primärer Input) und auf der Verwendungsseite der gesamtwirtschaftlichen Produktion die volkswirtschaftliche Endnachfrage berücksichtigt. Zu den primären Inputs zählen die Bezüge von Gütern und Leistungen aus dem Ausland, also der Import (Im) und die A u f w e n d u n g e n für den Einsatz der P r o d u k tionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden. Einbezogen werden also die Löhne und Gehälter (Lö) und die Entgelte f ü r andere Faktorleistungen ( G ) , die neben den Entgelten f ü r Unternehmertätigkeit sowie f ü r Kapital- und Bodennutzung auch die einbehaltenen Gewinne der U n t e r n e h m u n g e n umfassen. Da die Entgelte f ü r den Einsatz der Produktionsfaktoren f ü r die Empfänger Einkommen sind, werden sie auch als Faktoreinkommen bezeichnet. Ferner müssen zum Zwecke der vollständigen Ermittlung aller A u f w e n d u n g e n , den Güter- und Faktorinputs noch die A b schreibung (A) für den Wertverzehr der Kapitalgüter im Produktionsprozeß hinzugefügt werden. A u ß e r d e m m u ß berücksichtigt werden, daß der Staat einerseits bestimmte Gütertransaktionen mit Kostensteuern (indirekten Steuern) belegt und andererseits mit Subventionen die Produktion verbilligen kann. Die A u f w e n d u n gen des Produktionsprozesses müssen also um die indirekten Steuern abzüglich d e r Subventionen ergänzt werden (St lnd minus Su). Z u den indirekten Steuern, die bei Produktion und Absatz anfallen, gehören die Verbrauchssteuern (z. B. Mineralölsteuer) und die Verkehrsteuern (z. B. Umsatzsteuer). In der Regel werden auch die Zölle und sonstigen Einfuhrabgaben wegen ihrer gleichen Wirkung den indirekten Steuern hinzugerechnet. Die staatlichen Subventionen wirken wie negative indirekte Steuern, indem sie die Kosten vermindern helfen. Wegen der schwierigen Feststellung, ob und inwieweit die Verbilligung der Produktion im Verkaufspreis an andere Wirtschaftseinheiten weitergegeben wird, werden die Subventionen zumeist bei den subventionsempfangenden Wirtschaftszweigen verbucht. Die volkswirtschaftliche Endnachfrage setzt sich zusammen aus dem Konsum der Haushalte (C H ), dem Staatsverbrauch (C S l ), den Brutto-Investitionen (I B ) u n d dem E x p o r t (Ex). Die Brutto-Investitionen umfassen die Anlage-, Lager- und E r satzinvestitionen. Anlageinvestitionen dienen der Erweiterung des Produktionsapparates. Die geplanten und die unbeabsichtigten Erhöhungen der G ü t e r b e s t ä n d e im Unternehmensbereich gelten als Lagerinvestitionen. Werden von den Brutto-

Teil 2: Strukturtheoretische G r u n d l a g e n

50

Investitionen die Ersatzinvestitionen, die verschlissene Kapitalgüter ersetzen, abgezogen, ergeben sich die Netto-Investitionen (I N ).

\

Output

Vorleistungsverflechtung

Volkswirtschaftliche Endnachfrage

GesamtInput

Primäre Inputs

Vorleistungsverflechtung

Bruttoproduktionswerte (Summe 1—7)

\

Exporte (Ex)

(L

.e CJ 3

Brutto-Investition (I B )

J

Konsum der Haushalte (CH)

\

Wirtschaftssektor n

N.

Wirtschaftssektor 2

i

Wirtschaftssektor 1

Input

Lieferung an

Gesamtoutput

(1)

(2)

(3)

(4)

(5)

(6)

(7)

(8)

CO

.ß 4) > co CO +

JB +

E x

_

I m

Das B r u t t o i n l a n d s p r o d u k t zu M a r k t p r e i s e n ist deshalb eine B r u t t o g r ö ß e , weil in ihm auf der Entstehungsseite die A b s c h r e i b u n g e n ( A ) und auf der Verwendungsseite die größengleichen Ersatzinvestitionen (I E ) enthalten sind. Z i e h t m a n diese jeweils ab, so erhält m a n das N e t t o i n l a n d s p r o d u k t zu Marktpreisen: N I P M = L ö + G + (ST ind - Su) bzw. N I P M = C H + C St + I N + Ex - Im Die W e r t s c h ö p f u n g d e r P r o d u k t i o n s f a k t o r e n im Inland o h n e eventuelle fiskalische V e r z e r r u n g e n der G ü t e r - u n d Dienstleistungspreise durch indirekte S t e u e r n und Subventionen spiegelt sich im N e t t o i n l a n d s p r o d u k t zu Faktorkosten w i e d e r , das sich aus d e r S u m m e der L ö h n e und G e h ä l t e r und den E n t g e l t e n für a n d e r e Faktorleistungen einschließlich der G e w i n n e z u s a m m e n s e t z t : NIPF = Lö + G

52

Teil 2: Strukturtheoretische Grundlagen

Die vorgenannten Inlandsprodukt-Begriffe, welche sich auf die gesamtwirtschaftliche Produktion im Inland beziehen, basieren auf dem sogenannten Territorialkonzept. Legt man ein personenbezogenes Konzept zugrunde, erhält man das Inländer- bzw. Sozialprodukt. Während beim Inlandsprodukt das von In- und Ausländern erwirtschaftete Produktionsergebnis innerhalb der geographischen Grenzen eines Landes ausgewiesen wird, umfaßt das Inländer- bzw. Sozialprodukt alle Sachgüter und Dienstleistungen, die von Produktionsfaktoren im Besitz von Inländern - gleich wo (also auch im Ausland) - erzeugt werden.

Schematische Zusammenstellung der Begriffe Output Vorleistungslieferungen

Gesamtoutput

Vorleistungen v o n inländ i s c h e n Wirtschaftssektoren

L i e f e r u n g e n an inländische WirtschaftsSektoren

Konsum der Haushalte

Staatsverbrauch

Bruttoinvestition

Exporte

Bruttoproduktionswert (BPW)

Sekundärer Input

'

Endverwendungslieferungen

Importe Q.

Indirekte Steuern minus Subventionen Entgelte für Faktorleistungen (Löhne, Zinsen, Gewinne)

-o e = CL