Sein und Bewusstsein: Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang der Erscheinungen in der materiellen Welt [Fünfte unveränderte Auflage, Reprint 2022] 9783112646960


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Table of contents :
Vorwort des Herausgebers
Vorwort des Verfassers zur deutschen Ausgabe
Inhalt
I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang der Erscheinungen in der materiellen Welt
II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität. Das Problem der Erkenntnis
III. Psychische Tätigkeit und Gehirn. Die Determination der psychischen Erscheinungen
IV. Psychische Tätigkeit und psychische Eigenschaften des Menschen
Zusammenfassung
Namenverzeichnis
Sachverzeichnis
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Sein und Bewusstsein: Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang der Erscheinungen in der materiellen Welt [Fünfte unveränderte Auflage, Reprint 2022]
 9783112646960

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S. L. R U B I N S T E I N • S E I N U N D B E W U S S T S E I N

SERGEJ

L.RUBINSTEIN

SEIN UND BEWUSSTSEIN Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang der Erscheinungen in der materiellen Welt

Bearbeitet und in deuUcher Sprache herausgegeben von

Prof. Dr. Hans Hiebsch Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-TJniversitftt Jena

Fünfte unveränderte

Auflagt

AKAD EMI E-VE RLAG

1968



B E R L I N

C. JI. PyÖHHIHTeltH BblTHe H C03HftHHÖ O MecTe n c H X M i e c K o r o BO Bccoömett B3SHM0CBH3H IUBJieHHft MaTepHSJIfaHOrO MHpa

Herausgegeben vom Verlag der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Moskau 1957 Aus dem Russischen übersetzt von Maria Uhlmann, Berlin

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, leipziger Straße 3—i Copyright 1962 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/558/68 Offsetnachdruck: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza Bestellnummer: 6451 • KS 3 C 1

Vorwort des Herausgebers Wenige Wochen, nachdem SERGEJ LEONIDOWITSCH RÜBINSTEIN das folgende Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Werkes „Sein und Bewußtsein" geschrieben und uns übersand t hatte, am 11. Januar 1960, beendete eine schwere Krankheit sein schöpferisches, von reicher Arbeit erfülltes Leben im 71. Lebensjahre. Es bewegt uns schmerzlich, daß er die von ihm so sehr gewünschten Auswirkungen seiner hervorragenden wissenschaftlichen Leistung, die das vorliegende Werk darstellt, nicht mehr erleben kann. Wir übergeben es dem deutschen Leser, besonders der jungen Generation der Philosophen und Psychologen, in der Hoffnung und mit dem Wunsche, daß es dazu beitragen möge, insbesondere die Psychologie zu einer echten dialektisch-materialistischen Wissenschaft weiterzuentwickeln. „Sein und Bewußtsein" ist eines der letzten Werke S. L . RUBINSTEINS. E S erschien im Jahre 1957 in der Sowjetunion und wurde dort von der Fachwelt als eine der hervorragendsten philosophisch-psychologischen Arbeiten, als Meilenstein auf dem Wege zu einer wissenschaftlichen Psychologie beurteilt. Das Werk unternimmt es, die komplizierte und umstrittene Frage nach der Natur des Gegenstandes der Psychologie zu lösen. RUBINSTEIN geht dabei einen besonderen, von allen früheren Versuchen abweichenden Weg. Ohne Rückgriff auf Spekulationen, was das Psychische, das Bewußtsein „an sich" sein könnte, untersucht er den Ort des Psychischen im universellen Zusammenhang aller Erscheinungen in der materiellen Welt. Die wesentlichen Zusammenhänge, in die die psychischen Erscheinungen in der Welt verflochten und mit dieser verbunden sind, dienen ihm sodann als Ausgangspunkt für eine umfassende und jede Einseitigkeit vermeidende exakte Definition des Psychischen, des Bewußtseins. Die solcherart gefundenen Bestimmungen werden — das ist im Grunde der Inhalt des ganzen Werkes — im einzelnen untersucht und auf die verschiedenen psychischen Prozesse und die psychischen Eigenschaften der menschlichen Persönlichkeit angewandt. RUBINSTEINS Werk ist ein schöpferischer Beitrag zur marxistisch-leninistischen Philosophie und zur dialektisch-materialistischen Psychologie. Es befreit in der Tat die Psychologie von der „Last des Provinzialismus" (wie R U B I N S T E I N die gegenwärtige Situation der Psychologie selbst einschätzt) und von der Zersplitterung in viele und einander widersprechende Gruppen und Schulen. Es eröffnet unserer Wissenschaft die Möglichkeit, sich auf festem philosophisch-weltanschaulichem Fundament so zu entwickeln, daß sie den gesellschaftlichen Forderungen unserer Zeit gewachsen ist. Leipzig, im Juli 1961

H A N S HIEBSCH

Vorwort des Verfassers zur deutschen Ausgabe Der Verlag der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin hat mir liebenswürdigerweise vorgeschlagen, ein Vorwort zur deutschen Ausgabe von „Sein und Bewußtsein" zu schreiben. Ich benutze gern diese mir gebotene Möglichkeit, mit den deutschen Lesern in Verbindung zu treten. Ich habe in meinem Leben die Werke der großen deutschen Denker studiert und weiß das wahrhaft Große, das sie der denkenden Menschheit gaben, gebührend, wahrhaftig hoch zu schätzen; ich habe überhaupt mein Leben lang die Entwicklung der deutschen Wissenschaft mit der größten Aufmerksamkeit verfolgt und habe sicher viel von ihr gelernt. Wenn nun dank der Übersetzung meiner Bücher, vor allem von „Sein und Bewußtsein", etwas von den Grundgedanken, die in ihnen vertreten sind, irgendeinen Nachhall in der deutschen Wissenschaft, im philosophischen Denken ihrer Vertreter — insbesondere der jüngeren Generation — finden sollte, würde das für mich eine große Freude sein. Ich hoffe, daß ein solches Zusammenarbeiten und gegenseitiges Aufeinanderwirken der Wissenschaft zugute kommen und vielleicht darüber hinaus in irgendeinem Maße auch den weiteren Interessen des gegenseitigen Verständnisses und der Freundschaft zwischen unseren Völkern dienen wird. Moskau, Oktober 1950

S. L . RUBINSTEIN

Inhalt Vorwort des Herausgebers Vorwort des Verfassers zur deutschen Ausgabe I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang der Erscheinungen in der materiellen Welt Zur Problemstellung II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität Das Problem der Erkenntnis

V VII

1 28

1. Die Theorie der Widerspiegelung 2. Das Psychische als das Ideelle

28 37

3. Da« Psychische als das Subjektive 4. Der Erkenntnisprozeß. Die Wahrnehmung als sinnliche Erkenntnis der äußeren Welt 5. Das Denken als Erkenntnis

49 65 98

III. Psychische Tätigkeit und Gehirn. Die Determination der psychischen Erscheinungen 161 1. Theorie der reflektorischen Tätigkeit

161

2. Die psychische Tätigkeit als reflektorische Tätigkeit des Gehirns . . . . 1 7 9 3. Das Verhältnis des Psychischen zum Neurophysiologischen in der reflektorischen Tätigkeit des Gehirns 200 4. Die Determination der psychischen Erscheinungen

206

5. Die Rolle der psychischen Erscheinungen in der Determination des Verhaltens 220 IV. Psychische Tätigkeit und psychische Eigenschaften des Menschen 1. Psychische Tätigkeit und Bewußtsein des Menschen a) b) c) d)

Der Prozeß, die Tätigkeit als grundlegende Existenzform des Psychischen Psychische Prozesse und psychische Gebilde Psychische Prozesse und Regulation der Tätigkeit Das Bewußtsein

232 232 232 237 240 247

2. Die psychischen Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen

261

3. Der Mensch: Das Persönlichkeitsproblem in der Psychologie

279

Zusammenfassung

288

Sachverzeichnis

293

I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang der Erscheinungen in der materiellen Welt Zur Problemstellung Der forschende und suchende Menschengeist, der mit wachsender Leidenschaft und mit zunehmendem Erfolg in die Tiefen des Weltalls eindringt, erkennt die materielle Welt — im Großen und im Kleinen — in ihrer Unendlichkeit, er erfaßt den Aufbau des Atoms und des Universums und löst ein Problem nach dem anderen, das ihm die Natur auf Schritt und Tritt stellt. Dieses forschende, suchende Denken des Menschen mußte sich auch auf sich selbst richten, mußte auch beim Verhältnis zwischen Denken und Natur, zwischen Ideellem und Materiellem, verweilen; denn das ist die Grundfrage der Philosophie. Ihre unterschiedliche Lösung unterscheidet den Idealismus vom Materialismus, die Hauptrichtungen, die in der Philosophie im Widerstreit liegen. Die theoretische Bedeutung dieser Frage ist offenbar. Aber die Fragen der hohen Theorie sind, richtig gestellt und richtig verstanden, zugleich auch praktische Fragen von großer Bedeutung. Die großen theoretischen Probleme richtig sehen heißt sie in ihrem Verhältnis zu den Grundfragen des Lebens betrachten. Das Problem der Beziehung des Psychischen zum Materiellen, der Abhängigkeit des Psychischen von den materiellen Bedingungen, ist nicht nur eine Frage der Erkennbarkeit, sondern auch der Lenkbarkeit der psychischen Prozesse. Die Lösung der Frage, inwiefern ein bestimmter Ablauf psychischer Prozesse von den objektiven Bedingungen abhängt, bestimmt die Wege der Formung, der gerichteten Veränderung, der Erziehung der menschlichen Psyche. Die richtig gestellten Fragen nach dem Erkennen der Welt sind letztlich mit der Aufgabe ihrer revolutionären Umgestaltung verbunden. Ähnlich wie bei zwei Linien, die, am Anfang nur unbedeutend voneinander abweichend, dann aber immer weiter auseinanderlaufen, wächst auch in der Theorie die anfangs nur unbedeutende Abweichung vom richtigen Weg unvermeidlich mit der Einführung der theoretischen Grundfragen ins Leben, in die Praxis. Darum ist die Verteidigung der richtigen Linie in den theoretischen Grundfragen nicht nur eine Sache der wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit, sondern letzten Endes auch der moralischen, politischen Verantwortung für das Schicksal der Menschen. So haben sich die Begründer des Marxismus zu den Grundfragen der Theorie ver1 Rubinatein

2

I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

halten. So und nur so darf man sich zu diesen Fragen verhalten. Sonst lohnt es nicht, überhaupt in sie einzudringen. Wie alle übrigen Erscheinungen sind auch die psychischen mit allen anderen Erscheinungen des Lebens, mit allen Seiten und Eigenschaften der materiellen Welt verbunden. I n ihren verschiedenen Beziehungen treten sie in unterschiedlicher Qualität hervor: bald als reflektorische, höhere Nerventätigkeit, bald als das Ideelle im Gegensatz zum Materiellen oder als das Subjektive im Gegensatz zum Objektiven. Um die Natur des Psychischen allseitig und richtig zu enthüllen, darf man nicht von einem abstrakt-allgemeinen Begriff des Psychischen ausgehen, der das Psychische von vornherein einseitig in einer Eigenschaft fixiert und in dem es nur in einem bestimmten Verhältnis in Erscheinung tritt (als das Ideelle im Gegensatz zum Materiellen oder als das Subjektive im Gegensatz zum Objektiven). Man muß vielmehr die psychische Erscheinung konkret erforschen, muß sie in allen wesentlichen Zusammenhängen und Vermittlungen betrachten, muß ihre verschiedenen Charakteristika darstellen und diese mit der objektiven Logik jener Verbindungen und Beziehungen, in denen jedes Charakteristikum erscheint, in Übereinstimmung bringen. Dies ist der Ausgangspunkt einer wirklich wissenschaftlichen Untersuchung, die die verschiedenen und in ihrer Einseitigkeit willkürlichen „Gesichtspunkte" überwinden kann. Die psychischen Erscheinungen treten vor allem in Verbindung mit dem Gehirn auf. Ihre Entstehung ist durch das Gehirn bedingt. Die psychischen Erscheinungen entstehen und existieren nur als Funktion oder Tätigkeit des Gehirns. Ihre Existenz als ein Prozeß, als Tätigkeit, und zwar als Tätigkeit des Gehirns, ist die primäre Existenzweise alles Psychischen. Wenn man die Natur der psychischen Erscheinungen erforscht, besteht die Aufgabe oder zumindest eine der wesentlichsten Aufgaben darin, den Zusammenhang zwischen den psychischen Erscheinungen und dem Gehirn zu untersuchen. Das Problem besteht nicht darin, ob es einen solchen Zusammenhang gibt — das ist unbestritten —, sondern welcher Art er ist, wie die psychische Tätigkeit mit dem Gehirn zusammenhängt und welche spezifischen Merkmale ihr eigen sind. Beim Versuch, diese Aufgabe zu lösen, zeigt sich, daß sie nur gelöst werden kann, wenn zugleich auch das Verhältnis der psychischen Erscheinungen zur Außenwelt aufgedeckt wird. Die psychische Tätigkeit ist Tätigkeit des Gehirns und zugleich Widerspiegelung, Erkenntnis der Welt; immer treten ein und dieselben psychischen Erscheinungen sowohl in dieser als auch in jener Qualität auf. Es sind zwei Fragen — verschieden und scheinbar sogar heterogen. Die eine, die erkenntnistheoretische, fragt nach der gnostischen (erkenntnismäßigen) Beziehung der psychischen Erscheinungen zur objektiven Realität, die andere, die naturwissenschaftliche, nach dem Zusammenhang des Psychischen mit dem Gehirn. Beide Seiten sind wechselseitig so eng miteinander verbunden, daß man, wenn die eine auf bestimmte Weise gelöst wurde, auch die andere nur auf eine entsprechende und streng festgelegte Weise lösen kann.

Zur Problemstellung

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Auf keinen Fall darf man das Verhältnis des Psychischen zum Gehirn vom Verhältnis des Psychischen zur Außenwelt isolieren und beide einander entgegensetzen, vor allem deshalb nicht, weil die psychische Tätigkeit eine Tätigkeit des Gehirns ist, das mit der Außenwelt in Wechselwirkung steht und auf ihre Einwirkungen antwortet. Darum ist der richtig verstandene Zusammenhang des Psychischen mit dem Gehirn zugleich auch der richtig begriffene Zusammenhang zwischen Psychischem und Außenwelt. Nur dann, wenn man den Zusammenhang des Psychischen mit der Außenwelt richtig erfaßt hat, kann man auch seine Verbindung zum Gehirn richtig verstehen. 1 Die Aussage, daß die psychische Tätigkeit eine Tätigkeit des Gehirns ist, das mit der Außenwelt in Wechselwirkung steht und das auf deren Einwirkung antwortet, bedeutet im Grunde, daß sie eine reflektorische Tätigkeit ist. Die These, derzufolge das Psychische eine Tätigkeit oder Funktion des Gehirns und damit zugleich die Widerspiegelung der objektiven Realität ist, setzt notwendigerweise die Auffassung voraus, daß die psychische Tätigkeit eine reflektorische Tätigkeit ist. Die psychische Tätigkeit ist die Funktion des Gehirns und die Widerspiegelung der äußeren Welt, denn die Hirntätigkeit selbst ist eine durch die Einwirkung der Außenwelt bedingte reflektorische Tätigkeit. Die psychische Tätigkeit des Gehirns kann nur insofern Widerspiegelung der Welt sein, als sie reflektorischen Charakter trägt, als die psychischen Erscheinungen selbst in ihrer Entstehung durch die Einwirkung der Dinge bestimmt werden, deren Widerspiegelung sie sind. Die Behauptung, daß das Psychische eine Funktion des Gehirns ist, bedeutet nicht, daß das Psychische ein völlig von innen her determiniertes Produkt des Gehirns, seiner Zellstruktur ist. Wenn die psychischen Erscheinungen solche „reinen" Produkte des Gehirns oder der Sinnesorgane wären, müßten sie unweigerlich als Ausdruck für den Zustand des entsprechenden Organs (eines Rezeptors oder des Gehirns) angesehen werden. Somit verlören sie ihre gnostische Beziehung zur Welt und verwandelten sich bestenfalls in bedingte Zeichen für die Dinge. Die Vorstellung vom Psychischen als einem „reinen" Produkt des Gehirns führt, wie die Geschichte lehrt, unvermeidlich zum physiologischen Idealismus. Der gnostische Zusammenhang der psychischen Erscheinungen mit der Außenwelt (der objektiven Realität) bleibt nur dann erhalten, wenn jene nicht als nur von innen her determinierte Produkte des Gehirns angesehen werden, sondern als dessen Antworttätigkeit, die mit der Einwirkung der Außenwelt auf das Gehirn beginnt. Das Gehirn ist nur das Organ der psychischen Tätigkeit und nicht ihre Quelle. Die Quelle der psychischen Tätigkeit ist die Welt, die auf das Gehirn einwirkt. 1

Wenn man beispielsweise in idealistischer Weise die Empfindung (als Erfahrung) an die Stelle des Seins setzt, so führt das mit innerer Logik zwangsläufig zur Trennung der Empfindung vom Gehirn. Der Kampf Avenamus' gegen die „Introjektion" wird von dessen erkenntnistheoretischer Position diktiert. Um die Etnpfindung, das Bewußtsein als Erfahrung an die Stelle des objektiven Seins setzen zu können, muß man sie vorher vom Subjekt, von der Tätigkeit des Gehirns trennen.

1*

4

I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

Der Zusammenhang zwischen den psychischen Erscheinungen und der Außenwelt zeigt sich sowohl, wenn m a n den Zusammenhang zwischen den psychischen Erscheinungen und dem Gehirn, als auch, wenn man ihr gnostisches Verhältnis zur objektiven Realität betrachtet. I n der folgenden Untersuchung wollen wir das abstrakt herausgegliederte erkenntnistheoretische Verhiältnis der psychischen Erscheinungen zum Sein analysieren, um danach den Mechanismus ihres Entstehens aufzudecken. Die psychischen Erscheinungen entstehen, wenn im Verlauf der reflektorischen Tätigkeit des Gehirns (im Prozeß der Differenzierung der Reize) Empfindungen entstehen und der in ihnen widergespiegelte Reiz als Objekt auftritt. Gerade damit hängt der „Sprung", der Übergang zu den psychischen Erscheinungen zusammen. Deshalb bestimmt das erkenntnistheoretische Verhältnis zum Objekt das grundlegende ontologische Charakteristikum des Psychischen. 2 Während die Auffassung, d a ß die psychische Tätigkeit eine reflektorische Tätigkeit ist, die natürliche Entstehung der psychischen Erscheinungen umfaßt, bestimmt ihr gnostisches Verhältnis zur objektiven Realität das „Wesen" der psychischen Erscheinungen. Die genannte gegenseitige Abhängigkeit zwischen diesen beiden Auffassungen bedeutet somit eigentlich die Verbindung und wechselseitige Abhängigkeit der Auffassungen von de? natürlichen Entstehung der psychischen Erscheinungen und ihrem erkenntnistheoretischen Wesen. Jeder psychische Prozeß h a t eine gnostische Seite, in der er sich jedoch nicht erschöpft. Das Objekt, das in den psychischen Erscheinungen widergespiegelt wird, berührt in der Regel die Bedürfnisse und Interessen des Individuums u n d erzeugt deshalb eine bestimmte emotionale und volitive Beziehung (Streben, Fühlen) zu diesem. Jeder konkrete psychische Akt, jede wirkliche „Einheit" des Bewußtseins enthält beide Komponenten, sowohl die intellektuelle oder gnostische als auch die affektive (dies nicht im Sinne der modernen Psychiatrie, sondern der klassischen Philosophie des 17. Jahrhunderts, z. B. SPINOZAS, und auch der utopischen Sozialisten des 18. Jahrhunderts). Jedoch ist gerade bei der gnostischen Seite des Prozesses der Zusammenhang der psychischen Erscheinungen mit der objektiven Welt besonders ausgeprägt. I n der Lösung des erkenntnistheoretischen Problems liegt der Schlüssel zur Überwindung der subjektivistischen Auffassung von der psychischen Tätigkeit. Wenn m a n von der psychischen Tätigkeit als einer Tätigkeit des Gehirns spricht, das mit der Außenwelt in Wechselwirkung steht, darf man nicht vergessen, daß das Gehirn nur das Organ ist, das die Wechselwirkung des Organismus, des Indi1

Für die gesamte nichtmarxistische Philosophie ist der entgegengesetzte Standpunkt typisch: die Charakterisierung des Psychischen als eines Seins eigner Art (sui generis) ohne jede Berücksichtigung seines gnostischen Verhältnisses zum materiellen Sein. Diese Tendenz war besonders stark ausgeprägt im psychologischen „Existenzialismus" TITCHENERS. TITCHENER war bemüht, das psychische Sein (existence) in reiner Form zu erhalten, nachdem er aus den psychischen Erscheinungen jedes gnostische Verhältnis zum Objekt ausgeschlossen, ja es geradezu ausgerottet hatte.

Zur Problemstellung

5

viduums, des Menschen mit der Außenwelt verwirklicht. Die Tätigkeit des Gehirns selbst hängt von der Wechselwirkung zwischen den Menschen und der Außenwelt ab, von der Korrelation seiner Tätigkeit zu den Bedingungen seines Lebens, zu seinen Bedürfnissen. (Diese Abhängigkeit drückt sich in der Signalbedeutung der Reize, die sich je nach den Lebensbedingungen ändert, und in den Gesetzen der Signaltätigkeit des Gehirns aus.) Das Gehirn ist nur das Organ der psychischen Tätigkeit, der Mensch ist ihr Subjekt. Die Gefühle wie auch die Gedanken des Menschen entstehen in der Hirntätigkeit. Aber nicht das Gehirn, sondern der Mensch liebt und haßt, erkennt und verändert die Welt. Die Gefühle bzw. die Gedanken drücken das emotionale bzw. das gnostische Verhältnis des Menschen zur Welt aus. Die psychischen Erscheinungen entstehen im Prozeß der Wechselwirkung zwischen Mensch und Welt. Sie gehören in diese Wechselwirkung als notwendige Komponente, ohne die sie sich in den höheren, spezifisch menschlichen Formen nicht vollziehen kann. Die psychische Tätigkeit als reflektorische Tätigkeit des Gehirns ist die durch das Gehirn verwirklichte psychische Tätigkeit des Menschen. Die Wechselwirkung des Individuums mit der Welt, sein Leben, dessen Bedürfnisse auch zur Entstehung des Gehirns als des Organs der psychischen Tätigkeit geführt haben, die Praxis — das ist die reale materielle Grundlage, auf der sich das gnostische Verhältnis zur Welt offenbart, das ist die „ontologische" Grundlage, auf der sich das Verhältnis des Subjekts zur objektiven Realität bildet. Wie aber offenbart sich dieses Verhältnis? Auf die Frage, welcher Art der Zusammenhang des Psychischen mit dem Gehirn ist, lautet die Antwort: Das Psychische ist die reflektorische Tätigkeit des Gehirns und folglich die aktive Verbindung des Individuums mit der Welt. Nur bei einer solchen Auffassung von der psychischen Tätigkeit kann von ihrem gnostischen Verhältnis zur Welt gesprochen werden. Nun muß geklärt werden, wie dieses Verhältnis gesehen werden muß. Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen der Lösung des erkenntnistheoretischen Problems und der Frage nach der reflektorischen Herkunft der psychischen Tätigkeit muß also von einer anderen Seite her betrachtet werden. Die Frage, wie das gnostische Verhältnis der psychischen Erscheinungen zur objektiven Realität beschaffen ist, kann mit einem Satz beantwortet werden: Die psychischen Erscheinungen sind die Widerspiegelung der Welt, der objektiven Realität. Diese These enthält nicht nur die Aussage, daß jene zu dieser in einem gnostischen Verhältnis stehen, sie besteht nicht allein in der Behauptung, daß ein solches Verhältnis existiert, sondern auch in der Bestimmung seiner Eigenart. Ebenso wie sich die Theorie der psychischen Hirntätigkeit als einer reflektorischen Tätigkeit nicht darin erschöpft, den Zusammenhang des Psychischen mit dem Gehirn anzuerkennen, sondern eine ganz bestimmte Auffassung dieser Verbindung einschließt, ebenso erschöpft sich auch die Widerspiegelungstheorie nicht darin, das Vorhandensein eines bestimmten gnostischen Verhältnisses der psychischen Erscheinungen zur Welt zu konstatieren, sondern sie besteht in einer ganz be-

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I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

stimmten Auffassung von der Natur, dem Charakter, dem Wesen dieses Verhältnisses.3 Kurz und zunächst in groben Umrissen kann man das Wesen der Widerspiegelungstheorie folgendermaßen darlegen: Empfunden und wahrgenommen werden nicht die Empfindungen und Wahrnehmungen, sondern die Dinge und Erscheinungen der materiellen Welt. Mittels der Empfindungen und Wahrnehmungen werden die Dinge erkannt, aber die Empfindungen und Wahrnehmungen sind nicht die Dinge selbst, sondern nur deren Abbilder; die Empfindungen und Wahrnehmungen können nicht unmittelbar an die Stelle der Dinge gesetzt werden. Man darf nicht, wie es sehr oft geschehen ist, von der Empfindung oder der Wahrnehmung als einem ideellen Dinge sprechen, das, von jeder materiellen Realität losgelöst, in der ideellen Welt des Bewußtseins ebenso existiert, wie die Dinge, die Gegenstände in der materiellen Welt existieren. Die Empfindungen, Wahrnehmungen usw. sind Abbilder der Gegenstände. Ihr gnostischer Gehalt existiert nicht unabhängig vom Gegenstand. Die dialektisch-materialistische Theorie der Widerspiegelung schließt also eine subjektivistische Auffassung des Psychischen vollständig aus. Um die erkenntnistheoretische Fragestellung bei der Behandlung der psychischen Tätigkeit verwirklichen zu können, muß man begreifen, daß die materielle Welt von vornherein an der Entstehung und an der Determination der psychischen Erscheinungen beteiligt ist. Eben diese Forderung enthält die Theorie der psychischen Tätigkeit als einer reflektorischen Tätigkeit, nach der die psychischen Erscheinungen im Prozeß der Wechselwirkung des Individuums, seines Gehirns, mit der Außenwelt entstehen, der Wechselwirkung, die mit der Einwirkung der Außenwelt auf das Gehirn beginnt. Wenn man aber von vornherein auf dem Standpunkt steht, daß die psychische Tätigkeit ihrer Herkunft nach nur ein „reines" Produkt des Gehirns ist, endogen durch dessen Zellstruktur deter8

Zwischen der Theorie der psychischen Tätigkeit als einer reflektorischen Tätigkeit und der Widerspiegelungstheorie als einer erkenntnistheoretischen Lehre besteht, wie wir noch sehen werden, ein sehr enger wechselseitiger Zusammenhang. (Man darf sie jedooh nicht, wie es in letzter Zeit häufig geschieht, zusammenwerfen, indem man die Termini „reflektorisch" und „widerspiegelnd" einfach als ein und dieselben Begriffe auffaßt.) Um sich davon zu überzeugen, muß man sich dem konkreten Inhalt zuwenden, der dem Terminus „reflektorisch" bzw. „widerspiegelnd" in der Lehre von der höheren Nerventätigkeit und in der marxistischen Erkenntnistheorie gegeben wird. I. P . PAWLOW schrieb: „Wir wissen, daß die Haupttätigkeit des Zentralnervensystems eine sogenannte reflektorische, widerspiegelnde Tätigkeit ist, das heißt, die Übertragung, Überführung der Erregung von den zentripetalen Bahnen auf die zentrifugalen." (I. P. PAWLOW, Sämtliche Werke, Akademie-Verlag, Berlin 1953, Bd. III/1.S.137. Hervorgehoben vom Verf.-S. R.) Hier wird klar, daß die reflektorische oder widerspiegelnde Tätigkeit nach PAWLOW keineswegs unmittelbar mit der Bedeutung zusammenfällt, die die marxistisch-leninistische Erkenntnistheorie dem Begriff der Widerspiegelung gibt. Dabei kommt es nicht auf die Etymologie, nicht auf die Bedeutung der Wörter an. Um den Zusammenhang zwischen der „reflektorischen" Theorie und der Widerspiegelungstheorie aufzudecken, bedarf es keiner sprachwissenschaftlichen Übungen, sondern einer gründlichen Analyse des Wesens dieser Theorien.

Zur Problemstellung

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minierfc, oder nur eine rein subjektive Tätigkeit eines isolierten Individuums ist, werden unvermeidlich alle Versuche, die vorher zerrissene Verbindung der psychischen Tätigkeit mit der Außenwelt äußerlich wiederherzustellen, vergeblich sein. Die subjektivistische Auffassung von der psychischen Tätigkeit schließt die Möglichkeit des Erkennens im wahren Sinne des Wortes aus. Der Ausgangspunkt dafür, die subjektivistische Auffassung von der psychischen Tätigkeit zu überwinden, besteht in der Anerkennung dessen, daß die psychischen Erscheinungen im Prozeß der Wechselwirkung zwischen Individuum und Außenwelt entstehen (der Wechselwirkung, die mit der äußeren Einwirkung beginnt), daß also die Außenwelt von vornherein an der Determination der psychischen Erscheinungen beteiligt ist. Im Verlauf unserer Überlegungen erwies sich, daß die These vom reflektorischen Charakter der psychischen Tätigkeit in eine Reihe philosophischer Ausgangsthesen eingeschlossen ist, welche die Lösung der Grundfrage der Philosophie, nämlich die nach der Stellung der psychischen Erscheinungen in den Wechselbeziehungen zwischen allen Erscheinungen der Welt, bestimmen. Wenn vom reflektorischen Charakter der psychischen Tätigkeit gesprochen wird, so werden damit die physiologischen Mechanismen dieser Tätigkeit überhaupt noch nicht berührt. Die Behauptung, daß die psychische Tätigkeit reflektorischen Charakter trägt, bedeutet lediglich, daß damit die Art und Weise ihrer Determination gekennzeichnet ist. Die reflektorische Tätigkeit ist immer eine Tätigkeit, die von außen her determiniert ist. In der Reflextheorie (reflektologischen Theorie), die vom mechanistischen Determinismus ausgeht (z. B. die Auffassung des Reflexes bei D E S O A B T E S und seinen unmittelbaren Schülern), gilt als Ursache ein äußerer Anstoß, der den Endeffekt der Einwirkung unmittelbar determinieren soll. Zum Unterschied von diesem mechanistischen Determinismus betrachtet der Determinismus im dialektisch-materialistischen Sinne jede Einwirkung als Wechselwirkung. Der Effekt jeder äußeren Einwirkung hängt nicht nur von dem Körper ab, von dem sie ausgeht, sondern auch von dem Körper1 der dieser Einwirkung ausgesetzt ist. Die äußeren Ursachen wirken durch die inneren Bedingungen hindurch (die sich in Abhängigkeit von den äußeren Einwirkungen herausbilden). Die Theorie, von der hier gesprochen wird, besteht im wesentlichen darin, das Prinzip des Determinismus in seinem dialektisch-materialistischen Sinn auf die psychische Tätigkeit des Gehirns anzuwenden. Die gemeinsame Voraussetzung für diese Theorie der psychischen Tätigkeit und für die Theorie der Widerspiegelung ist die dialektisch-materialistische Auffassung des Determinismus. Sie vereinigt letztlich die Vorstellungen von der psychischen Tätigkeit als Widerspiegelung der Welt und als Punktion des Gehirns. Aus der Konzeption vom reflektorischen Charakter des Psychischen wird nur ein Glied in die Sphäre der philosophischen Theorie gehoben, und zwar die dialektisch-materialistische Auffassung von der Determiniertheit der psychischen Hirntätigkeit. Gemeinsame Voraussetzung für diese Theorie als Lehre von der natürlichen Entstehung der psychischen Tätigkeit und für die Theorie der Wider-

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I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

Spiegelung, die deren gnostische Beziehung zur objektiven Realität bestimmt, ist Bomit die Anwendung des deterministischen Prinzips im dialektisch-materialistischen Sinne auf die psychische Tätigkeit des Gehirns. Das Prinzip des Determinismus im dialektischen Materialismus tritt in diesem Zusammenhang als methodologisches Prinzip auf, das den Aufbau einer Wissenschaft, einer wissenschaftlichen Theorie bestimmt, und zwar dient es deshalb als methodologisches Prinzip, weil es die Natur der Erscheinungen selbst widerspiegelt, weil es den Charakter ihrer Wechselbeziehung mit der Wirklichkeit ausdrückt. Alle Erscheinungen der Welt hängen wechselseitig miteinander zusammen. Jede Wirkung ist Wechselwirkung, jede Veränderung einer Erscheinung spiegelt sich in allen übrigen Erscheinungen wider und ist selbst Antwort auf die Veränderung anderer Erscheinungen, die auf sie eingewirkt haben. Jede äußere Einwirkung wird durch die inneren Eigenschaften der Erscheinung „gebrochen"3", die dieser Einwirkung ausgesetzt ist. Jede Wechselwirkung ist in diesem Sinne Widerspiegelung einer Erscheinung durch andere. Nicht umsonst schrieb L E N I N : „Es ist aber logisch, anzunehmen, daß die ganze Materie eine Eigenschaft besitzt, die dem Wesen nach der Empfindung verwandt ist, die Eigenschaft der Widerspiegelung."4 Die Eigenschaft der Widerspiegelung, die alles Bestehende besitzt, kommt darin zum Ausdruck, daß sich an jedem Ding die äußeren Einwirkungen zeigen, denen es ausgesetzt war. Die äußeren Einwirkungen bedingen die innere Natur der Erscheinungen und werden in ihr gleichsam abgelegt und bewahrt. So werden in jeder Erscheinung alle auf sie einwirkenden Gegenstände „dargestellt", widergespiegelt. Jede Erscheinung ist gewissermaßen „Spiegel und Echo des Universums". Außerdem hängt der Effekt dieser oder jener Einwirkung auf eine beliebige Erscheinung von deren innerer Natur ab. Die innere Natur der Erscheinungen ist jenes „Prisma", durch das sich ein Gegenstand oder eine Erscheinung in anderen widerspiegelt. Darin drückt sich eine grundlegende Eigenschaft des materiellen Seins aus. Auf sie gründet sich die dialektisch-materialistische Auflassung von der Determiniertheit der Erscheinungen als Wechselwirkung und wechselseitige Abhängigkeit. Besäße die Materie diese Eigenschaft nicht, so erwiese sich der mechanistische Determinismus als richtig. Dann wäre der Effekt einer Wirkung nur von der äußeren Ursache abhängig, die als Impuls von außen her wirkt. Nach der mechanistischen Theorie von der Ursache als eines äußeren Anstoßes gehen die äußeren Einwirkungen durch das Objekt, auf das sie einwirken, hindurch, ohne von ihm „gebrochen", ohne von ihm widergespiegelt zu werden. Alle Tatsachen der Wissenschaft und des tagtäglichen Lebens widerlegen jedoch einen solchen mechanistischen Determinismus. Sie sprechen dafür, daß der Effekt einer beliebigen Einwir3A

4

RUBINSTEIN verwendet diesen Ausdruck (russ. nepejiOMTbCH) im ähnlichen Sinn, wie Lichtstrahlen durch ein Prisma gebrochen und dadurch verändert werden. (Anm. d. Red.) W . I. LENIN, Materialismus und Empiriokritizismus. Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 82.

Zur Problemstellung

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kung nicht nur von der Natur des Gegenstandes abhängt, der als Ursache wirkt, sondern auch von dem Gegenstand, auf den er einwirkt. Lediglich die mechanische Bewegung, die Ortsveränderung (und auch diese n u r in bestimmten Grenzen), ist eine rein äußere Veränderung. Aber die mechanische Bewegung ist keine selbständig existierende Form der Bewegung oder Veränderung, sie ist keine selbständige Art der Existenz irgendeines Objektes. Die mechanische Bewegung ist nur eine durch Abstraktion herausgelöste Seite einer jeden Veränderung (der physikalischen und chemischen Veränderung von Molekülen und Atomen). Bewegung (Veränderung) ist die Daseinsweise der materiellen Dinge, ist eine immanente Eigenschaft der Materie. Demzufolge ist der Zusammenhang der Erscheinungen auch Wechselwirkung. Bewegung oder Veränderung entsteht nicht unter dem Einfluß eines äußeren Impulses als einer einseitigen Wirkung, die ein Ding auf ein anderes ausübt, sondern ist das Ergebnis der Wechselwirkung, in der die Dinge miteinander stehen. Insofern die Einwirkungen eines Dinges auf ein anderes durch dessen Eigenschaften „gebrochen" werden, „widerspiegeln" die Dinge einander. Wenn die Einwirkung der Dinge, Erscheinungen und Prozesse dem Prinzip des Determinismus in seiner mechanistischen Bedeutung entspräche, dürfte man die Wechselwirkung aller Erscheinungen in der Welt nicht als Widerspiegelung bezeichnen. Wenn man von der Widerspiegelung als einer allgemeinen Eigenschaft der materiellen Welt spricht, so ist damit auch gesagt, daß nur das Prinzip des Determinismus in seiner dialektisch-materialistischen Bedeutung den wirklichen Wechselbeziehungen des gesamten Geschehens in der Welt gerecht wird. Darin besteht der einfache, genaue und strenge Sinn des Begriffs „Widerspiegelung" als einer allgemeinen Eigenschaft der gesamten materiellen Welt. Die konkreten Erscheinungsformen zu klären, in denen diese allgemeine Eigenschaft in den verschiedenen Sphären der Wechselwirkung auftritt, ist Aufgabe der Einzelwissenschaften, die sie untersuchen. Dieser weite Begriff der Widerspiegelung, einer Eigenschaft, die die gesamte Materie besitzt, bedeutet nicht, daß man der gesamten Materie Bewußtsein zuschreiben kann, indem man die psychischen Erscheinungen in die Grundlagen der materiellen Welt hineinprojiziert. 5 Widerspiegelung als allgemeine Eigenschaft der Materie bedeutet, daß die Empfindungen, die psychischen Erscheinungen, ihre Grundlage und Voraussetzung in der materiellen Welt haben. Sie sind also in der Welt nicht isoliert, sie schweben nicht im luftleeren Baum, sie sind, ungeachtet ihrer Besonderheiten, in ihrem Verhältnis zu allem Existierenden nicht absolut andersartig. Sie brauchen darum nicht von außen hereingetragen zu werden. Die Voraussetzungen für ihre natürliche Entstehung liegen in der materiellen 5

Ebenso wie die Gleichsetzung der höheren mit den niederen Formen und die Negierung der höheren ein spezifisches Verfahren des mechanistischen Materialismus ist, ist die Projizierung der Besonderheiten der höheren Formen auf die niederen ein spezifisches Verfahren des Idealismus.

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I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

Welt selbst. Sie sind die höchste spezifische Form, in der sich die Eigenschaft äußert, über die in qualitativ anderen, elementaren Formen die gesamte Natur verfügt.4 Das allgemeine Prinzip der wechselseitigen Abhängigkeit der Erscheinungen verwirklicht sich in ebenso vielfältigen Formen, wie die Erscheinungen, die miteinander in Wechselwirkung treten, vielfältig sind. Der unterschiedliche Charakter der Gesetzmäßigkeiten auf jedem Gebiet der Erscheinungen bringt die spezifischen Unterschiede der Widerspiegelung zum Ausdruck, die den betreffenden Erscheinungen eigen sind. Von Stufe zu Stufe verändern sich die Wechselbeziehungen zwischen den äußeren Einwirkungen und den inneren Bedingungen, durch die jene widergespiegelt werden. Je weiter wir in der Stufenleiter nach „oben" gehen — von der anorganischen Natur zur organischen, von einfachen Organismen bis zum Menschen —, um so komplizierter wird die innere Natur der Erscheinungen, um so größer wird die Bedeutung der inneren Bedingungen im Verhältnis zu den äußeren. In der unbelebten Natur tritt die Widerspiegelung als äußere (physikalische, chemische) ßeaktion des Körpers auf, der der Einwirkung unterworfen ist. In der anorganischen Natmr fallen die äußeren Reaktionen der Körper, die der äußeren Einwirkung unterliegen, mit den Veränderungen ihres inneren Zustandes zusammen. „Die mechanische, physikalische Reaktion (alias Wärme etc.) erschöpft sich mit jedem Reaktionsakt. Die chemische verändert die Zusammensetzung des reagierenden Körpers und erneuert sich nur, wenn ein neues Quantum desselben zugesetzt wird. Nur der organische Körper reagiert selbständig — natürlich innerhalb seiner Kraftsphäre (Schlaf) und unter Voraussetzung des Nahrungszusatzes —, aber dieser Nahrungszusatz wirkt erst, nachdem er assimiliert ist, nicht wie auf niedrigen Stufen unmittelbar, so daß hier der organische Körper eine selbständige Reaktionskraft hat, die neue Reaktion durch ihn vermittelt werden muß." 7 In der belebten Natur tritt eine neue spezifische Form der Widerspiegelung auf — die Reizbarkeit als eine Form der Reaktion.8 Die Reizbarkeit ist die Fähigkeit, durch einen Zustand innerer Erregung auf eine äußere Einwirkung zu ant" Die Thesen von der Widerspiegelung als einer allgemeinen Eigenschaft der materiellen Welt, von der Veränderung ihrer Formen auf den verschiedenen Entwicklungsstufen und von der Empfindung und dem Bewußtsein als der höchsten Form dieser allgemeinen Eigenschaft wurden von TODOB PAWLOW und danach auch von A . KISSELINTSCHEW vertreten. Vgl. T. PAWLOW, Theorie der Widerspiegelung. Grundfragen der Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus. Erstes Buch: „Die Einheit von Materie und Bewußtsein", Moskau 1949, S. 1—112 (russ.); A . KISSELINTSCHEW, Die marxistisch-leninistische Theorie der Widerspiegelung und die Lehre I. P . PAWLOWS von der höheren Nerventätigkeit. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1957. * F . ENGELS, Dialektik der Natur. Dietz Verlag, Berlin 1 9 5 2 , S. 3 1 4 . • Vgl. W . A . PAWLOW, Die Reizbarkeit und ihre Erscheinungsformen. „Sowjetskaja nauka" (Sowjetwissenschaft), Moskau 1954, besonders §5, Kap. I: „Haupttypen der Reaktion auf Einwirkungen von kurzer Dauer", S. 12—16 (russ.).

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Worten. Bei den lebenden Organismen lassen sich die Veränderungen des inneren Zustandes von den äußeren Reaktionen unterscheiden. Der Effekt jeder äußeren Einwirkung auf einen Organismus hängt also nicht nur von der konstanten Natur des Körpers ab, der ihr unterliegt, sondern auch von dessen sich veränderndem inneren Zustand. Dieser — und nicht nur die konstanten Eigenschaften des Körpers, der einer Einwirkung unterliegt — gehört zu den inneren Bedingungen, von denen der Effekt der äußeren Einwirkung auf einen Organismus abhängt. Darum kann die Einwirkung gleichartiger Reize auf Organismen, die zu verschiedenen Arten gehören, auf verschiedene Individuen derselben Art, ja auf ein und denselben Organismus zu verschiedener Zeit und unter verschiedenen Bedingungen sehr unterschiedliche Effekte hervorrufen.® In der höchstorganisierten Materie — der Großhirnrinde — tritt die Widerspiegelung (als allgemeine Eigenschaft der Materie) in Form der reflektorischen Tätigkeit auf, deren Produkt die Empfindungsfähigkeit ist. Die Widerspiegelung im weiteren Sinne erhält einen besonderen, spezifischen Sinn. Jede psychische Erscheinung ist im Grunde durch eine äußere Einwirkung bedingt, aber eine äußere Einwirkung bestimmt die psychische Erscheinung nur mittelbar, weil sie durch die Eigenschaften, den Zustand und die Tätigkeit der Persönlichkeit, die dieser Einwirkung unterliegt, „gebrochen" wird. Da sich der allgemeine Zusammenhang der Erscheinungen in eine Reihe hierarchisch angeordneter Wechselwirkungssphären gliedert, taucht die Frage auf, in welchem Verhältnis diese zueinander stehen. Der heutige Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse bringt genügend Gründe für die Behauptung, daß die allgemeineren Gesetzmäßigkeiten der „niederen" Bereiche auch in allen „höheren" wirksam bleiben. Das schließt die Existenz spezifischer Gesetzmäßigkeiten der spezielleren Bereiche nicht aus. I n jedem spezifischen Bereich, in jeder Sphäre der Wechselwirkung wirken sowohl allgemeine als auch spezifische Gesetzmäßigkeiten. Damit taucht aber sofort die Frage auf: Was geschieht mit den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten (z. B. den physikalisch-chemischen) beim Übergang zu spezielleren Erscheinungen, zum Beispiel zu den biologischen? Die Antwort auf diese Frage lautet dann wohl, daß sich dabei die Bedingungen verändern, unter denen die Gesetze wirken, und dadurch auch der Effekt ihrer Wirkung. Die Gesetze selbst behalten aber ihre Wirksamkeit.

' Im Gegensatz zu den Pflanzen führt die Veränderung des inneren Zustands bei Lebewesen, die sich fortbewegen können, zur Veränderung der Gesamtheit der auf das Lebewesen einwirkenden Reize, indem diese eine gerichtete Bewegung zu bestimmten Reizen hin und Veränderungen anderer Reize hervorruft. Dadurch, daß sich das Lebewesen von der Stelle bewegt, schließt es selbst gleichsam bestimmte Reize ein und andere aus, verstärkt die einen und schwächt die anderen ab. Auf diese Weise bedingt hier der innere Zustand nicht nur, welche Wirkung die betreffenden Reize haben, sondern in gewissem Maße auch, welchen Reizen das Lebewesen ausgesetzt ist.

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I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

Während sich die spezifischen Besonderheiten der neuen Sphären des materiellen Seins, die in der Entwicklung der materiellen Welt entstehen, in spezifischen Gesetzmäßigkeiten ausdrücken, manifestiert sich die Einheit der Welt, die Gemeinsamkeit aller Erscheinungen, in der Gültigkeit der allgemeineren, „niederen", elementareren Gesetze auch für die „höheren", komplizierteren Erscheinungen. In diesem Zusammenhang wird offensichtlich, daß die Frage nach dem Verhältnis zwischen den physiologischen Gesetzen der höheren Nerventätigkeit und den psychologischen Gesetzen kein Problem ist, das nur bei den psychischen Erscheinungen auftritt. Bei all seiner Besonderheit ist es zugleich ein Glied in einer Kette anologer Probleme, und seine Lösung unterliegt den allgemeinen Prinzipien, die das Verhältnis zwischen allgemeinen und spezifischen Gesetzmäßigkeiten bestimmen. Eine auf diesem Fundament errichtete Psychologie steht mit der grundlegenden weltanschaulichen Problematik aller anderen Wissenschaften in Zusammenhang. So kann die Psychologie die Periode ihrer Isolation und Sonderstellung beenden und sich, wenn sie das auf ihr lastende Joch des Provinzialismus abgeworfen hat, im System aller Wissenschaften organisch in das Gesamtbild der Welt einreihen. Das Verhältnis der psychischen Erscheinungen zu den anderen Seiten der materiellen Welt stand und steht auch heute noch im Zentrum des philosophischen Denkens. Die Lösung gerade dieser Frage bestimmte das Schicksal der psychologischen Theorie. 10 Auf der Basis der sich im 17. Jahrhundert entwickelnden Naturwissenschaften tauchte im System der metaphysischen Denkweise jener Zeit (besonders zugespitzt bei DESCARTES) die Frage nach dem Verhältnis der psychischen Erscheinungen zu den anderen Erscheinungen der materiellen Welt in Form des sogenannten psychophysischen Problems auf. In ihrer Anfangsperiode umfaßte die moderne Naturwissenschaft nur die anorganische Natur. Daher erschien damals die materielle Welt dem philosophischen Denken als Welt des Physischen, das auf die mechanische Bewegungsform reduziert wurde (bei DESCARTES auf nur eine Dimension als Haupteigenschaft der materiellen Welt). Die organische Natur und besonders das höchste Produkt in der Entwicklung der organischen Materie, das Gehirn, waren zu jener Zeit noch nicht Gegenstand gründlicher naturwissenschaftlicher Forschungen. Unter diesen Bedingungen reduzierte sich für die Philosophie der Begriff des Materiellen auf den

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Der gesamte nachfolgende Exkurs trägt seiner Anlage und seinem Sinn nach nicht historischen, sondern analytischen Charakter; er stellt nicht eine Geschichte der verschiedenen Lösungen der „Grundfrage" der Philosophie dar (eine solche Geschichte der philosophischen Theorien würde vor allem die Darlegung der gesellschaftlich-historischen

Uedingungen

erfordern, unter denen jede dieser philosophischen Theorien entstanden ist), sondern lediglich eine theoretische Analyse der verschiedenen Fragestellungen, die in ihrem inneren Zusammenhang betrachtet werden sollen.

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Begriff des Physischen, und die Frage nach den Wechselbeziehungen zwischen den psychischen und den anderen Erscheinungen auf eine Gegenüberstellung des Psychischen und des Physischen; sie nahm also die Form des psychophysischen Problems an. Dabei wurde das Psychische, das noch nicht Gegenstand naturwissenschaftlichen Forschens geworden war, ebenso wie in der vorangegangenen Epoche der christlichen, augustinischen Philosophie als der auf sich selbst gewendete Geist aufgefaßt. Da die materielle Welt nur in ihren elementaren Formen, nämlich als anorganische Natur, das Psychische jedoch in seinen höchsten, kompliziertesten und abgeleiteten Formen bekannt war, bildete sich zwischen diesen beiden Positionen unweigerlich eine unüberbrückbare Kluft. Es kam zu einer äußerlichen, dualistischen Gegenüberstellung des Psychischen, Geistigen zum Materiellen, Physischen. Dieser Dualismus, zu dem man so gelangte, verstärkte sich durch die für die Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts charakteristische Gewohnheit des metaphysischen Denkens. Als sich in der Folgezeit die Forschung dem Studium konkreter psychischer Erscheinungen in ihrer Entstehung und Formung zuwandte, stieß sie je nach dem Grade ihres Eindringens auf Schritt und Tritt auf Zusammenhänge zwischen den psychischen und den verschiedenen anderen materiellen Erscheinungen. Aber das bloße Operieren mit den abstrakten Begriffen des Psychischen und des Physischen führte unweigerlich zu der Schlußfolgerung, daß das Psychische das NichtPhysische und das Physische das Nicht-Psychische sei. Dadurch verschärfte sich der Dualismus noch mehr, der im 18. Jahrhundert durch den Stand der Wissenschaften bedingt war. Die Welt erschien als in zwei völlig andersartige Sphären gespalten. Bei DESCABTES treten diese Sphären in Form von zwei Substanzen auf, der materiellen und der geistigen. Von DESCABTES ausgehend erhielt dann dieser Dualismus bei LOCKE einen neuen, empiristischen Ausdruck in der Gegenüberstellung zweier Bereiche der Erfahrung, der äußeren und der inneren Erfahrung. Der wesentliche Unterschied zwischen den Positionen von LOCKE und DEShängt mit deren Beziehung zu den „angeborenen" Ideen zusammen. Die Ideen als besondere Art des ideellen Seins wurden bereits im Idealismus PLATONS den sinnlich gegebenen Dingen gegenübergestellt. Die Lehre von der Apriorität der Ideen beschränkt sich nicht nur darauf, die empirische, sinnliche Herkunft der Ideen zu negieren, sondern sie postuliert die Abhängigkeit des Psychischen von einem bestimmten ideellen Gehalt. Das Psychische erscheint so bei DESCABTES als das Geistige. Dies steht als das Ideelle dem Materiellen entgegen. Geistiges (als Ideelles) und Materielles werden nur dort entgegengesetzt, wo das Psychische als irgendwie mit einem ideellen Inhalt des Wissens zusammenhängend gedacht wird. Dadurch, daß LOCKE die Apriorität der Ideen negierte, hat er zum Unterschied von DESCABTES nicht nur deren empirische Herkunft bejaht, sondern gleichzeitig den Weg gebahnt für eine vorwiegend funktionelle Betrachtung des Psychischen als eines Prozesses der Empfindung oder der Reflexion. Diese Betrachtungsweise wurde in der Folgezeit von der experimentellen Psychologie beibehalten, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf der Grundlage CABTES

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I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgeführten Untersuchungen der Nerven- und Sinnesfunktionen entwickelt hatte. Die bedeutendsten Vertreter der experimentellen Psychologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, WUNDT, EBBINGHAUS, TITCHENER, JAMES, gingen von dualistischen Standpunkten aus. JAMES erklärte u , daß er bei der Entgegensetzung psychischer und physischer Prozesse auf der Position LOCKES stünde. Dasselbe kann man von TITCHENER in der ersten Periode seiner wissenschaftlichen Tätigkeit sagen.12 Dabei muß man berücksichtigen, daß sich, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnend, mit den Untersuchungen zur Physiologie des Nervensystems und der Sinnesorgane ein wesentlicher Fortschritt in der Fragestellung vollzieht. Das psychophysische Problem, das ursprünglich das Verhältnis der psychischen Erscheinungen des Menschen zu den physischen Erscheinungen seiner Umwelt berührt, wird zum psychophysiologischen Problem, zur Frage nach dem Verhältnis zwischen psychischen und physiologischen Prozessen. Das Problem des Psychischen tritt als Frage nach der zwiefachen Natur des Menschen auf. Der weiterreichende (ontologische und erkenntnistheoretische) Aspekt des Problems entfällt überhaupt. In der umfangreichen philosophisch-psychologischen Literatur am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwandelt es sich in das LeibSeele-Problem (vgl. BINET 1 3 , DBIESCH 1 4 , ERDMANN 1 5 , STUMPF 1 8 U. a.). Bei dessen Lösung geht man vom Verhältnis zwischen Seele und Leib, zwischen den psychischen und den physiologischen Funktionen aus, ohne aber die Beziehung des Menschen und dessen psychischer Tätigkeit zur Umwelt zu berücksichtigen. Das macht es unmöglich, das Leben des Organismus im ganzen und dessen psychische Tätigkeit im besonderen zu begreifen und das Problem auf diese Weise zu lösen. Dabei muß man berücksichtigen, daß der Dualismus (psychophysiologischer Parallelismus) in der entstehenden experimentellen Psychologie einen ganz anderen, viel reaktionäreren Sinn hat als bei DESCARTES. Das betrifft besonders die Untersuchungen zur Lokalisierung der psychischen Funktionen, bei denen die psychische Tätigkeit mit der Zellstruktur des Gehirns in Zusammenhang gebracht wird (MÜNK und andere Vertreter des sogenannten Psychomorphologismus). Betrachtet man die Philosophie DESCARTES' in historischer Perspektive, so ist es nicht schwer, die fortschrittlichen Tendenzen aufzufinden, mit denen sein Dualismus verbunden war. DESCARTES war hauptsächlich bestrebt, die psychischen Funktionen in einem solchen Maße in die Wirksamkeit der Naturgesetz11

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Vgl. das psychologische Hauptwerk von W. JAMES, The Principies of Psychology. London 1907, vol. I, p. VI. Vgl. E . B. TITCHENER, An Outline of Psychology. New York 1907. A. BINET, L'âme et le corps. Paris 1908. H. DRIESCH, Leib und Seele. Eine Untersuchung über das psychophysische Problem. Leipzig 1920. B. ERDMANN, Wissenschaftliche Hypothesen über Leib und Seele. Köln 1907. C. STUMPF, Leib und Seele, Leipzig 1903.

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mäßigkeiten einzubeziehen, wie es für seine Zeit überhaupt möglich war. Der Dualismus D E S C A S T E S ' war der philosophische Ausdruck dafür, daß es unmöglich war, diese Bestrebungen beim damaligen Stand der Naturwissenschaften zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Einen ganz anderen Sinn erhält der Dualismus in der Psychologie und Physiologie gegen Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Dualismus verliert zu dieser Zeit seine relative Rechtfertigung durch den nunmehr von der Wissenschaft erreichten Stand und die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnis und erhält einen immer prägnanter werdenden agnostizistischen Gehalt: Die Bejahung der Vielfalt der psychischen und aller übrigen Funktionen des Organismus verwandelt sich in die Behauptung, die Zusammenhänge und Wechselbeziehungen dieser Funktionen seien prinzipiell unerkennbar. Das weltanschaulich wichtigste Problem des wissenschaftlichen, philosophischen Denkens wird als unlösbar angesehen, als ein Problem, das jenseits der wissenschaftlichen Erkenntnis liegt. (Sehr ausgeprägt tritt diese agnostizistische Position bei S H E R R I X G T O N hervor.17) Im Rahmen dieser dualistischen Konzeption haben sich zwei „Theorien" entwickelt, 1. die des Parallelismus und 2. die der äußeren Wechselwirkung. Für beide ist das Psychische ebenso wie das Physische je eine Reihe andersartiger Erscheinungen. Der Parallelismus schließt die Möglichkeit einer realen Abhängigkeit zwischen den Gliedern der einen und denen der anderen Reihe aus. Trotzdem behauptet er, daß zwischen ihnen eine gleichrangige Entsprechung bestehe, wobei unbekannt ist und bleibt, worauf sich diese gründet und wie sie entsteht. Die zweite Theorie ist bestrebt, die Tatsachen des wirklichen Lebens zu berücksichtigen, das heißt das Bestehen realer Abhängigkeiten zwischen den physischen (physiologischen) und den psychischen Erscheinungen. Sie erkennt eine äußere Wechselwirkung zwischen ihnen an, obwohl sie von der Voraussetzung ihrer Andersartigkeit ausgeht. Auf diese Weise gelangt sie dazu, alle inneren Gesetzmäßigkeiten sowohl der psychischen als auch der physischen, materiellen Erscheinungen aufzuheben. Diese offensichtlich unhaltbaren Theorien, die um die Jahrhundertwende weitverbreitet waren, sind noch nicht ganz von der philosophisch-psychologischen Arena verschwunden.18 17

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Vgl. insbesondere CH. SHERRINGTON, Man and his Nature. Cambridge University Press, 1946. Der Dualismus SHERRINQTONS, der bereits auch in seinen früheren Arbeiten, besonders in "The Brain and itsMechanism" (Cambridge University Press, 1934) hervorgetreten war, hat I . P. PAWLOWS scharfen Protest hervorgerufen. I . P PAWLOW brachte den Standpunkt SHERRINQTONS mit dem Dualismus von D E S C A S T E S in Zusammenhang. Siehe I . P. P A W LOW, Ausgewählte Werke. Akademie-Verlag, Berlin 1953, S. 415—417. So nennt J A M E S P R A T T in dem Artikel „Die gegenwärtige Lage des Leib-Seele-Problems" nur drei mögliche Lösungen dieses Problems: Wechselwirkung, Parallelismus oder schließlich Materialismus, wobei er einen mechanistischen Materialismus meint, der das Problem löst, indem er es beseitigt, da er die Existenz psychischer Erscheinungen, die nicht auf physische (physiologische) zurückführbar sind, negiert. Vgl. PRATT, The present Status o f the Mind-Body-Problem. "The Philosophical Review", 1936, vol. X L V , pp. 144—166.

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I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

Eine Abart der dualistischen Theorie des Parallelismus, die mit der Identitätstheorie zusammenhängt, ist der Isomorphismus der Gestalttheorie ( K Ö H L E R ) 1 * . Nach der Theorie des Isomorphismus sind die zwei Arten von Erscheinungen — die physiologischen Hirnprozesse und die phänomenalen, psychischen Prozesse — dadurch vereinigt, daß sie immer eine gemeinsame dynamische Struktur haben. Der Isomorphismus der Gestalttheorie reduziert ebenfalls das gesamte Problem des Verhältnisses zwischen der psychischen und der materiellen Welt auf ein einziges, eben das psychophysiologische Problem, das er losgelöst vom erkenntnistheoretischen Problem zu lösen versucht. Dem Dualismus, der in der Philosophie der Neuzeit entstand und von DESC A S T E S stammte, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer entschiedener der Monismus entgegengestellt. Er ist, angeblich „neutral", eine Fortsetzung des Berkeleyanismus, der die Empfindungen, das Bewußtsein an die Stelle des Seins setzt. Der Machismus ist seine erste Abart.20 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenden sich solch bedeutende Vertreter der psychologischen Wissenschaft wie W U N D T 2 1 , T I T C H E N E R 2 2 , J A M E S dem Standpunkt des Machismus zu. 18

W. K Ö H L E R , Gestalt-Psychology, New York 1 9 4 7 , pp. 6 1 - 6 3 . Als bezeichnender Beweis für die Lebensfähigkeit des Machismus kann die Tatsache dienen, daß in "Contemporary Psychology", 1956, vol. I , Nr. 6, ein Überblick über MACHS „Beiträge zur Analyse der Empfindungen" gegeben wird, die bekanntlich 1886 erschienen sind. Darin lesen wir: „Die Physik ist die Wissenschaft von den Empfindungen. Wenn das revolutionär klingt, so möge sich der zweifelnde Leser fragen, was die Physik noch sein könnte." 21 W U N D T stellte Bich bereits in seinem „Grundriß der Psychologie" auf den machistischen Standpunkt, indem er behauptete, daß die Psychologie und die Physik ein und dieselbe „Erfahrung", lediglich von verschiedenen Gesichtspunkten aus, untersuchen. Mit einem idealistischen Monismus bei der Lösung des erkenntnistheoretischen Problems verbindet WTJNDT einen dualistischen Parallelismus in der Frage der Wechselbeziehungen zwischen den psychischen und den physiologischen Prozessen. Siehe WUNDT, Grundriß der Psychologie. Leipzig 1918, 13. Aufl., S. 4 - 6 . 42 In seinem „Abriß der Psychologie" behandelt TITCHENER die Psychologie noch als die Wissenschaft von den seelischen Prozessen. Dabei definiert er den seelischen Prozeß als einen Prozeß, der sich im Bereich unserer inneren Erfahrung abspielt. Von den seelischen Prozessen unterscheidet er die physischen Prozesse und unterstreicht, daß das Physische von uns tinabhängig ist: „... die Bewegung dauerte an, auch wenn es uns, die wir sie empfinden, nicht gäbe." „Oder nehmen wir folgendes Beispiel: Die geometrische Ausdehnung ist unabhängig von uns; sie wird von Gesetzen gelenkt, die unabhängig davon wirken, ob wir sie kennen oder nicht." Vgl. E. B. TITCHENER, Abriß der Psychologie, Petersburg 1912, S. 4 (russ.). In den folgenden Jahren vollzieht TITCHENER eine jähe Wendung. Im „Lehrbuch der Psychologie" („Textbook of Psychology", New York 1912) begegnen wir bereits ganz anderen, deutlich machistischen Gedankengängen. „... zwischen dem Stoff der Physik und der Psychologie kann kein wesentlicher Unterschied bestehen. Materie und Geist, wie wir sie nennen, müssen im Grunde genommen identisch sein"; „... Physik und Psychologie haben ihren 40

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I n seinem abschließenden historisch-theoretischen W e r k 4 3 , das ein Versuch ist, der „neuen", machistischen Orientierung der Psychologie eine s y s t e m a tische Grundlage z u geben, bezeichnet T I T C H E N E R W U N D T z u s a m m e n m i t A V E N A R I U S 2 4 u n d M A C H als ihre Begründer. Besonders weitreichende Folgen brachte es m i t sich, d a ß sich J A M E S d e n machistischen S t a n d p u n k t zu eigen m a c h t e . 2 5 Als die Machisten, die ihre Lehre v o n der P h y s i k ableiteten, das A x i o m aufstellten, daß „die Materie verschwunden" sei, erklärte der v o n der Psychologie ausgehende Machist J A M E S in seinem bekannten Vortrag „Gibt es ein B e w u ß t sein?" 2 6 , den er 1904 auf d e m Kongreß in R o m hielt: „ D a s B e w u ß t s e i n ist verGegenstand gemeinsam; die Wissenschaften sind einfach — und hinreichend — durch ihre Gesichtspunkte verschieden." Das Kapitel über den Gegenstand der Psychologie im Lehrbuch T I T C H E N E R S stellt im wesentlichen eine „Popularisierung" der Ansichten von A V E N A R I U S dar. Vgl. E. B. T I T C H E N E R , Lehrbuch der Psychologie. Leipzig 1910, Teil I, S. 6 und 8. 33 E. B. T I T C H E N E R , Systematic Psychology. Prolegomena, New York 1929. 24 A V E N A R I U S widmete der Frage des Gegenstandes der Psychologie eine besondere Arbeit „Bemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie" in der Zeitschrift „Vierteljahresschrift für Wissenschaftliche Philosophie" Bd. X V I I I (1894) und (1895). L E N I N schrieb daß diese Arbeit von AVENARITTS die für das Verständnis seiner Philosophie wohl wichtigste Arbeit ist. Vgl. W. I. L E N I N , Materialismus und Empiriokritizismus. Dietz Verlag, Berlin 1949, S. 46. 25 In seinem grundlegenden psychologischen Werk "The Principles of Psychology", 1890 erschienen, stand J A M E S im allgemeinen auf dem Standpunkt eines offenen LocKEschen Dualismus. Die philosophische Grundlage seines Werkes charakterisierend, schrieb J A M E S : „Dies ist ein durchweg dualistischer Standpunkt. Er nimmt zwei Elemente a n : den erkennenden Geist und das zu erkennende Ding, und behandelt sie als miteinander unvereinbar. Keines davon geht aus sich selbst hervor oder geht in das andere über. Keines stellt in irgendeiner Weise das andere dar oder bringt das andere hervor. Sie stehen einander direkt gegenüber in einer gemeinsamen Welt — das eine erkennt einfach, und das andere, das Korrelat, wird erkannt." Vgl. W. J A M E S , The Principles of Psychology. London 1907, vol. I, p. 218. Anfang des 20. Jahrhunderts vollzog sich bei ihm eine radikale Umstellung. I n einer Reihe von Vorträgen und Artikeln der Jahre 1904 und 1905 (die später in dem Sammelband "Essays in radical Empiricism", New York 1912, erschienen) formulierte J A M E S eigentlich schon die machistische Konzeption der „reinen Erfahrung". „loh behaupte", schreibt er, „daß ein einheitlicher Teil der Erfahrung, in einem bestimmten Kontext betrachtet, die Rolle des Erkennenden, des seelischen Zustands, des .Bewußtseins' spielt, während derselbe einheitliche Abschnitt der Erfahrung in einem anderen Kontext die Rolle des erkannten Dinges, des objektiven Inhalts spielen wird. Kurz gesagt: In einer Verbindung figuriert er als Gedanke, in einer anderen als Ding" (W. J A M E S , Essays in radical Empiricism. New York 1912, pp. 9—10). „In einem Komplex stellt er nur das Bewußtsein, im anderen nur den Inhalt dar"; „Die Gedanken . . . sind aus derselben Materie (stuff — S. R.) gemacht wie die Dinge." Vgl. W. J A M E S , Gibt es ein „Bewußtsein"? Sammelband „Neue Ideen in der Philosophie". St. Petersburg 1913, Nr. 4, S. 113, 127 (russ.). M Vgl. den Sammelband "Essays in radical Empiricism", New York 1912, und die russische Übersetzung des zitierten Artikels von J A M E S in dem Sammelband „Neue Ideen in der Philosophie", St. Petersburg 1913, Nr. 4. 2 Bublnsteiu

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dunstet." Wenn natürlich das Bewußtsein (als „Erfahrung") an die Stelle seines Objektes, des Seins, gesetzt wird, muß es in der Tat „verdunsten". Als Objekt der psychologischen Untersuchung verbleiben dann nur die äußeren Reaktionen des Menschen, die jeglichen spezifisch psychischen Inhalts entbehren. So hat die philosophische Entwicklung von JAMES, sein Übergang zum Standpunkt des Machismus, der Bewußtseinspsychologie, zu deren bedeutendsten Vertretern er selbst gehörte, den Boden entzogen und den Behaviorismus als die bloße Verhaltenspsychologie vorbereitet. In der Philosophie führt die Linie von J A M E S zum Neorealismus und danach zum Pragmatismus, der die philosophische Grundlage für mehrere Richtungen des Behaviorismus bildet. Man kann ohne weiteres behaupten, daß das Schicksal dieser späteren Spielarten des „neutralen" Monismus — Neorealismus und Pragmatismus — mit dem Schicksal der Psychologie ebenso eng verknüpft ist, wie die ursprüngliche Spielart des „neutralen" Monismus — der Machismus — mit der Entwicklung der Physik zusammenhängt. Die Neorealisten P E R R Y , der den „radikalen Empirismus" von J A M E S in der Philosophie fortsetzte, und H O L T verkündeten als erste die Grundsätze des Behaviorismus. 27 Die Pragmatisten D E W E Y und vor allem G. H . M E A D verbanden die pragmatistische Philosophie und die behavioristische Psychologie zu einem Ganzen. 48 Der Grundtenor ihrer Philosophie ist der Kampf gegen die cartesianische „Bifurkation" der Natur. Indem sie auf alle mögliche Art und Weise auf ihren Kampf gegen den Dualismus von DESCARTES hinweisen, versuchen sie, sich als philosophische „Revolutionäre" auszugeben, die mit veralteten Traditionen brechen. Der Kampf gegen die dualistische „Bifurkation" der Natur (um ihren Ausdruck zu gebrauchen) wird von den Positionen eines „neutralen" Monismus aus geführt, der ein epistemologischer Monismus ist. Er überträgt das Problem des Psychischen vollständig auf die erkenntnistheoretische Ebene. Da bei diesem das erkenntnistheoretische Problem dadoreh gelöst wird, daß man das Psychische an die Stelle seines Objektes setzt, wird das Psychische unweigerlich vom Subjekt, vom Menschen, von dessen Gehirn, getrennt. Durch eine solche Behandlung entfällt der psychophysiologische Aspekt des Problems entweder überhaupt (AVENARIUS' Kampf gegen die „Introjektion"), oder es bleibt ein Dualismus bestehen, der das Psychische vom Gehirn loslöst. Diese Verknüpfung des idealistischen „Monismus" (bei der Lösung des Problems des Psychischen auf epistemologischer Ebene) mit dem Dualismus (bei der Lösung des „psychophysiologischen" Problems) trat bereits bei W U N D T deutlich in Erscheinung. Er behauptete bei der Bestimmung des Gegenstandes der Psychologie — wobei er von der machistischen Auffassung der „Erfahrung" ausging —, daß die Psychologie und die Physik ein und dieselbe Erfahrung, nur von verschiedenen Gesichtspunkten aus, untersuchen. " Vgl. R. B. PERRY, A realistic Theory of Independence. New Realism. New York 1925, pp. 99—151, und E. B. HOLT, The Concept of Consciousness. London 1914. 28 Vgl. G. H. MEAD, Mind> Seif and Society from the Standpoint of a Social Behaviorist. Chicago University Press, 1946.

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Dabei verharrte er auf dem Standpunkt des sogenannten psychophysischen Parallelismus, das heißt des offenen Dualismus bezüglich des Verhältnisses zwischen den psychischen und den physiologischen Prozessen. Der „neutrale" Monismus wird gegenwärtig vor allem von R U S S E L L vertreten, der, wie er selbst erklärt, die Linie von J A M E S und der amerikanischen Neorealisten fortsetzt. 8 9 Bei R U S S E L L tritt besonders unverhüllt das Abgleiten der beiden Wege, die der Machismus und der Neorealismus beschritten hatten, in Erscheinung, nämlich die Auflösung der Materie einerseits und des Bewußtseins andererseits in neutrale Elemente der Erfahrung. 3 0 Im Vorwort zu „Analyse des Geistes" schreibt R U S S E L L ganz offen: Sein Ziel bestehe darin, zwei Tendenzen zu vereinigen, von denen die eine mit der Psychologie und die andere mit der Physik verbunden sei. 31 Nach R U S S E L L S Ansicht schränke einerseits die relativistische Physik die Materie immer mehr in ihrer Materialität ein, andererseits sei die behavioristische Psychologie bestrebt, das Psychische auf Physisches zu reduzieren. R U S S E L L behauptet ebenso wie M A C H und J A M E S , daß „sich Physik und Psychologie nicht dem Material nach unterscheiden", das den Gegenstand ihrer Forschung ausmacht. 8 2 „Geist und Materie sind logische Gebilde; die Elemente, aus denen sie bestehen oder abgeleitet werden, sind durch verschiedene Wechselbeziehungen miteinander verbunden, von denen die einen von der Physik und die anderen von der Psychologie erforscht werden." 3 3 R U S S E L L fügt jedoch hinzu: Während der Bereich der Physik nur aus logischen Gebilden besteht, schließt die Psychologie auch solche Daten ein, aus denen sich das Physische wie das Geistige aufbaut. Darum, so folgert R U S S E L L , sind alle Angaben der physikalischen Wissenschaften psychologische Daten. Eine grundlegende, alles vereinigende Wissenschaft, die imstande wäre, das zu verwirklichen, was die Metaphysik zu vollbringen sich vergeblich bemüht hatte — nämlich alle mit den Beziehungen zwischen Geist und Materia zusammenhängenden Probleme der Philosophie zu lösen und eine abschließende wissenschaftliche Antwort darauf zu geben, was in der Welt geschieht —, würde nach R U S S E L L in den entscheidendsten Punkten mehr der Psychologie als der Physik ähneln. 3 4 Verglichen mit dieser Grundwissenschaft wäre die Physik eine abgeleitete Disziplin. Dabei wären alle Wissenschaften mit der Psychologie insofern verbunden, als zur Kompetenz der Psychologie das Grundgewebe der Welt gehöre — die ein2

» Vgl. B. RUSSELL, The Analysis of Mind. London 1924, p. 6. Der Verwirklichung dieses Vorhabens sollte unmittelbar vor allem RUSSELLS Buch „Analyse des Geistes" (B. RUSSELL, The Analysis of Mind, London 1924) dienen, dem dann die „Analyse der Materie" (B. RUSSELL, The Analysis of Matter. London 1927, 2. Aufl.; in der Reihe "Dover Publications", New York 1954) folgte, die sich mit der Lösung derselben Aufgabe befaßte. S1 Vgl. B. RUSSELL, The Analysis of Mind. London 1924, p. 5. Si Ebenda, p. 307. » Ebenda. M Ebenda, p. 306. M

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I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

zige primäre Gegebenheit —, die Empfindungen oder ihnen ähnliche Elemente. Hier bleibt von der „Neutralität" des RüSSELLSchen Monismus nicht einmal der Schein übrig. Obwohl R U S S E L L angesichts des Kampfes zwischen Materialismus und Idealismus immer seine „Neutralität" zu unterstreichen suchte, mußte er doch selbst zugeben, daß sein neutraler Monismus in der Frage des Aufbaus der Welt „zum Idealismus tendiert". 3 5 Den Schein der Neutralität versucht R U S S E L L durch mechanistische Reduktion des Psychischen auf das Physische zu bewahren. Das Wesen seiner Konzeption tritt sehr aufschlußreich in seiner Auffassung von der Wahrnehmung in Erscheinung. Die Gesamttendenz des „neutralen" Monismus kommt hierbei in zwei Thesen zum Ausdruck: Einerseits „sind meine Wahrnehmungen in meinem Kopf", andererseits „besteht mein Kopf aus meinen Wahrnehmungen". 34 Diese beiden Thesen werden durch die Aufgliederung der Wahrnehmung in zwei Komponenten vereinigt: Wahrnehmung als Prozeß (perception) und Wahrnehmung als Gebilde (percept). Die Wahrnehmung wird in der ersten Bedeutung auf den physiologischen Prozeß reduziert, in der zweiten an die Stelle ihres Gegenstandes gesetzt. Die Wahrnehmung als Prozeß (von dem überdies noch das Ergebnis, das sinnliche Abbild, abgespalten wird) ist nach R U S S E L L kein psychischer, sondern ein rein physiologischer Prozeß, der sich im Kopf des Menschen vollzieht. Die Wahrnehmung als Gebilde, losgelöst von den Prozessen, durch die sie entsteht, losgelöst also vom Gehirn, vom Subjekt, wird an die Stelle ihres Gegenstandes gesetzt. 37 So erweist sich also der „Materialismus" der ersten These, nach der sich die Wahrnehmung im Kopf vollzieht, als nicht sehr gefährlich, da er sofort von einer anderen These überdeckt wird, nach der der Kopf und die gesamte materielle Welt als aus Wahrnehmungen bestehend erklärt werden. Dieser Operation mit den Empfindungen und Wahrnehmungen geht bei R U S S E L L noch eine andere vorweg, mit deren Hilfe er alles, was sich nicht auf die Empfindung reduzieren läßt (insbesondere Wünsche, Gefühle, Instinkte, Gewohnheiten), in Übereinstimmung mit dem extremen Behaviorismus unmittelbar auf das äußere Verhalten reduziert. Während also in der Periode, in der die Bewußtseinspsychologie vorherrschte, bei W U X D T und A V E N A R I U S der „neutrale" epistemologische Monismus bei der ** Vgl. B. RUSSELL, The Analysis of Matter. Dover Publications, New York 1954, p. 388. 84 Ebenda, p. 382. 87 Um die Möglichkeit zu erhalten, die Empfindungen, Wahrnehmungen usw. an die Stelle des Objekts zu setzen, unterzieht RUSSELL in der „Analyse des Geistes" BRENTANOS und MEINONGS Konzeption der „Akte" einer besonderen Kritik, mit deren Hilfe er die Entfremdung des Psychischen vom Subjekt verwirklichen will. RUSSELL folgt dabei JAMES, der das Bewußtsein auf den Fluß des Denkens (Erlebens) reduzierte, und versucht zu beweisen, daß nicht der Mensch (das Subjekt) denkt, sondern daß es in ihm denkt ("The Analysis of Mind", pp. 17—18). Im Kapitel seiner „Geschichte der westlichen Philosophie", das JAMES gewidmet ist,, erklärt er in diesem Zusammenhang, das Hauptverdienst JAMES' als Philosophen bestehe darin, daß er die Begriffe des Subjekts und des Objekts als etwas für die Erkenntnis Grundlegendes abgelehnt habe. Vgl. B. RUSSELL, A History of Western Philosophy. New York 1945, p. 812.

Zur Problemstellung

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Lösung des psychophysiologischen Problems mit einem Dualismus verknüpft war, verbindet RUSSELL den idealistischen Monismus bei der Lösung des erkenntnistheoretischen Problems mit einer mechanistischen Reduktion des Psychischen auf das Physiologische oder auf das Verhalten im Sinne des „radikalen" Behaviorismus WATSONS. SO zeigt die Analyse der verschiedenen Wege, die beschritten wurden, um das Problem des Psychischen zu lösen, daß dabei bald der erkenntnistheoretische, bald der psychophysiologische Aspekt des Problems in den Vordergrund tritt und daß in der Regel deren richtiges Verhältnis nicht gesehen wird. Nach dem Neorealismus tritt der Pragmatismus als Spielart des „neutralen", in Wirklichkeit des idealistischen Monismus auf den Plan. Er geht mit dem Behaviorismus, aber nicht mehr mit dem „radikalen" Behaviorismus WATSONS, sondern mit dem verfeinerten „sozialen" Behaviorismus (G. H. MEAD), eine Koalition ein. Das Hauptinstrument dieser Spielart des Monismus, die sich dem Materialismus und dem Idealismus gegenüber für „neutral" hält, ist die Semantik, der Begriff der Bedeutung, des Symbols. Die Voraussetzungen für den Semantismus schuf in der amerikanischen Philosophie bereits in den siebziger, achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts CH. PEIRCE. Den nächsten Schritt in dieser Richtung vollzog zu Beginn des 20. Jahrhunderts WOODBRIDGE, indem er behauptete, daß der Geist oder das Bewußtsein nichts anderes seien als die Erscheinungen selbst, da sie einander bedeuten oder vertreten. 38 D i e semantistische K o n z e p t i o n w u r d e in d e r F o l g e v o n D E W E Y und G . H . M E A D

weiterentwickelt und umfassend angewendet.39 Ihre Hauptthese besagt, daß die Dinge und die Gedanken oder Abbilder aus ein und demselben Material (stufF) gewebt sind. Der Unterschied zwischen ihnen ist nur funktioneller Art und läßt sich auf die Rolle reduzieren, die sie spielen. Die Erscheinungen der Erfahrung werden zu geistigen Erscheinungen, weil sie in die Beziehung zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten eingehen, weil sie hinsichtlich des Verhaltens (oder der organischen Funktionen) einander bedeuten oder symbolisieren.40 So wird das Bewußtsein einerseits auf ein Symbol für die Erscheinungen reduziert, andererseits werden diese und überhaupt das Sein als Erfahrung durch die semantischen Beziehungen idealisiert und in etwas Geistiges verwandelt. In Verbindung mit einer solchen Projektion des Geistigen in die Sphäre der Erfahrung macht man auch hier den Versuch, einen besonderen Zusammenhang der psychischen Erscheinungen mit dem Gehirn abzulehnen. Insbesondere hebt

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39

40

Vgl. F. J. E. WOODBEIDGB, The Nature of Consiousnesa. „Journal of Philosophy", 1905, II, pp. 119-125. Zur Geschichte des Problems vgl. CH. MORRIS, Six Theories of Mind, Chicago University Press, 1932, Kap. V, pp. 282-327. Vgl. J. DEWEY, Experience and Nature. London 1925, pp. 291,303,307,308; G. H.MEAD, A behavioristic Account of the Significant Symbol. "Journal of Philosophy", 1922, X I X ; G. H. MEAD, Mind, Seif and Society from the Standpoint of a Social Behaviörist. Chicago University Press, 1946, Part I I : "Mind and the Symbol", pp. 117 — 125.

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I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

G . H . M E A D den Umstand hervor, daß die Empfindungen durch den physikalischen Prozeß im Objekt (z. B. in einer Lautquelle) entstehen, ferner durch das Medium, durch das hindurch sich der vom Objekt herrührende physikalische Prozeß ausbreitet, durch die Prozesse in den peripheren rezeptorischen Leitungen, in denen sich die Erregung fortpflanzt, ehe sie zum Gehirn gelangt, und, nachdem sie dieses durchlaufen hat, durch die Reaktion des Organismus. Als Hauptglied in dieser Kette von Ereignissen oder Prozessen, mit denen die Entstehung von Empfindungen zusammenhängt, bezeichnet G. H. M E A D die Verhaltensreaktion des Organismus, aber nicht das Gehirn. MEAD, der das Bewußtsein mit der Erfahrung, insbesondere mit der sozialen Umwelt des Individuums, identifiziert, will nach derselben „Logik", die dem Kampf von A V E N A R I U S ' gegen die „Introjektion" zugrunde lag, das Psychische vom Gehirn trennen.41 (Als ob diese Reaktion nicht durch das Gehirn erfolgte, und zwar je nach den Reizen, die in der Empfindung widergespiegelt werden!). Ungeachtet aller „Neuerungen", ungeachtet der Verbindung zwischen Semantik und Behaviorismus und Pragmatismus bleibt doch die Grundlinie des „neutralen" Monismus in der Frage des Verhältnisses zwischen Materie und Bewußtsein im Prinzip ein und diesselbe. Neben dem scheinbar neutralen Monismus erhält auch der offene spiritualistische Monismus ein immer größeres Gewicht. Für den spiritualistischen Monismus treten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe führender Vertreter der idealistischen Psychologie und Philosophie ein. Nach der Ansicht von K R E T S C H M E R ist der spiritualistische Monismus die Weltanschauung, die dem modernen Denken am besten entspricht. Manche, wie zum Beispiel K L A G E S 42 und CASSIRER 4 3 , sehen die Lösung des psychophysischen Problems darin, daß sie den Leib des Menschen als symbolischen Ausdruck seines seelischen Wesens betrachten. Auch die Vitalisten führen zu Beginn des 2 0 . Jahrhunderts spiritualistische Tendenzen in die Psychologie ( D R I E S C H 4 4 u. a.) ein. Gestützt auf A R I S T O T E L E S wollen sie dem cartesianischen Dualismus ihren spiritualistischen Monismus entgegenstellen.48 Im Gegensatz zum „neutralen"

Vgl. G. MEAD, Mind, Seifand Society, Chicago University Press, 1946, § 15: "Behavioristn and psychological Parallelism", p. 112. 4 2 Vgl. L. KLAGES, Vom Wesen des Bewußtseins. Leipzig 1933, 3. Aufl. 4 3 E . CASSIRER, Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil: Phänomenologie der Erkenntnis. Berlin 1929, Kap. I I I : „Die Ausdrucksfunktion und das Leib-Seele-Problem", S. 1 0 8 - 1 2 1 . •*4 H. DRIESCH, Leib und Seele. Ein« Untersuchung über das psychophysische Problem. Leipzig 1920. 4 5 „Man darf nicht fragen", schrieb ARISTOTELES in der Abhandlung „Über die Seele", „ob Leib und Seele eine Einheit oder ob sie getrennt sind, der Mensch ist eine Einheit, er ist sowohl Seele als auch Leib." — Über die Bedeutung dieser These in der Geschichte des „psychophysischen Problems" und dessen Stellung in der Psychologie des ARISTOTELES vgl. „Die Geschichte der Philosophie" (Lehrbuch der Philosophie", hrsg. von M. DESSOIR; Zweiter Teil, Paragraph über die Psychologie; siehe insbesondere S. 192ff.).

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Zur Problemstellung

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Monismus, der ein „epistemologischer" Monismus ist, wird in den Konzeptionen des spiritualistischen Monismus das Problem des Psychischen von neuem in das Problem der Beziehung zwischen der geistigen und der materiellen Natur des Menschen verwandelt; der erkenntnistheoretische Aspekt des psychischen Problems, das spezifisch gnostische Verhältnis des Psychischen zur Umwelt als der objektiven Realität fällt wiederum heraus. Eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der spiritualistischen Tendenzen, die sich mit dem Anwachsen der Reaktion festigten, spielte JAMES46, der zunächst den Anstoß für die Entstehung neuer Spielarten des „neutralen" Monismus gegeben hatte. Die spiritualistischen Tendenzen von J A M E S kamen bereits darin zum Ausdruck, daß er sich mit den Konzeptionen B E R G S O N S solidarisierte, nach dessen Ansicht das Gehirn nicht das Organ des Denkens, sondern nur ein Instrument ist, mit dessen Hilfe das Denken in das Handeln übergeht. Nach B E R G S O N ist das Gehirn der Apparat, durch den das Denken die Bewegung steuert und sich in der materiellen Welt verkörpert ( B E R G S O N versucht, die seinen Ausgangspositionen entsprechende These durch die Interpretation einer Reihe pathologischer Fakten bei der Störung der Hirntätigkeit — Apraxie usw. — zu beweisen). Auf diese Weise hängt, nach seiner Meinung, das Denken mit dem Gehirn zusammen. Die Existenz dieses Zusammenhangs erzeugt, nach B E R G S O N , die Illusion von der Richtigkeit der materialistischen These, daß das Gehirn das Organ des Denkens ist; dieser Zusammenhang trägt jedoch nach B E R G S O N einen ganz anderen Charakter, der nicht der materialistischen, sondern der spiritualistischen Ansicht entspricht. (Diese philosophische Konzeption bestimmt seine Gedächtnisund Wahrnehmungstheorie.47) J A M E S solidarisiert sich vollständig mit B E R G S O N S Auffassung vom Verhältnis zwischen Denken und Gehirn. Nach dem ersten Weltkrieg verstärkten sich im Zusammenhang mit der verschärften politischen und ideologischen Reaktion die spiritualistischen Tendenzen erheblich. Deren militantester Träger wurde die katholische thomistische Psychologie, die in Frankreich, Italien und besonders in den USA großen Einfluß erlangte. Diese Philosophie erweckte die Ideen des Hauptvertreters der mittelalterlichen Scholastik, T H O M A S VON AQUINO, wieder.48 48

47 48

In der ideologischen Entwicklung von JAMES läßt sich ein mehrfacher Wandel seines Standpunktes feststellen. Einiges Tatsachenmaterial über JAMES' ideologische Entwicklung kann man in dem Buch " I n the Spirit of William James", Yale University Press, New Häven 1938, von R . B. P E R R Y finden. PERRY unterscheidet in JAMES' Entwicklung drei Phasen: eine psychologische, eine phänomenologische und eine metaphysische, Vgl. Abschnitt I I I des genannten Buches "The Metaphysics of Experience", S. 75 — 123. Vgl. besonders H. BERGSON, Materie und Gedächtnis, Jena 1919. Das Auftreten spiritualistischer Tendenzen bei JAMES hing zweifellos auch mit religiösen Motiven zusammen, aber nicht der katholischen, thomistischen, sondern der lutherischen Richtung. Mannigfache Beweise dafür findet man in dem von seinem Sohn veröffentlichten Briefwechsel (vgl. "The Leiters of William James", ed.by hisson Henry James, Boston 1920,

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I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen-Zusammenhang

(Einer der aktivsten Vertreter und Propagandisten dieser thomistischen Psychologie in den USA ist B R E N N A N 4 9 . ) Sein nicht sehr neues Reservoir psychologischer Ideen versucht der Thomismus durch eine Ehe mit dem Freudianismus zu erweitern.50 Dieses Bündnis der katholischen Kirche mit dem Freudianismus erscheint angesichts der positivistischen Tendenzen F R E U D S und angesichts der Rolle, die die Sexualität im System seiner Ideen spielt, verwunderlich. Es ist jedoch nicht zufällig. F R E U D S Lösung des psychischen Problems trägt in Wirklichkeit spiritualistischen Charakter. F R E U D vertritt bekanntlich einen ganz strengen psychologischen „Determinismus"; alles Psychische ist nach F R E U D immer durch Psychisches determiniert. (Das Unbewußte braucht F R E U D teilweise deshalb, weil offensichtlich auf der Ebene des Bewußtseins diese Kontinuität in der Reihe der psychischen Erscheinungen fehlt.) Ferner betrachtet F R E U D , der psychogene Erkrankungen auf seine Art und Weise erklärt und unzulässig verallgemeinert, die psychischen Erscheinungen als primäre und die somatischen, die körperlichen Veränderungen als sekundäre Erscheinungen, die durch psychische Erscheinungen hervorgerufen sind. Auf diese Weise sind die körperlichen Erscheinungen durch psychische, aber die psychischen immer nur durch psychische determiniert. Das ist im Grunde eine spiritualistische Konzeption. Dadurch ist der Freudianismus theoretisch der spiritualistischen religiösen Weltanschauung 51 vervol. I—II). Vgl. auch R. B. P E R R Y , The Thought and Character of William James, Boston 1 9 3 5 , vol. II, p. 3 3 0 , besonders J A M E S ' Brief vom 3 1 . März 1 9 0 1 an den Methodisten B O R D E N P. B O U N E , Professor an der Bostoner Universität, in dem er schreibt, er habe das „alte lutherische Gefühl" im Blut. 4 » Vgl. R. E. B R E N N A N , General Psychology. An Interpretation of the Science of Mind based on Thomas Aquinas. New York 1937; derselbe, History of Psychology from the Standpoint of a Thomist. New York 1945. — Diese Bücher sind mit Genehmigung der katholischen Zensur, mit dem Imprimatur der Erzbischöfe von New York und von Montreal erschienen. Als weiteres Beispiel für die „thomistische Psychologie" kann das Buch von J. F. D O N C E E L , Philosophical Psychology. New York 1955, gelten, das durch die Unterschrift des Bischofs von Scranton von der katholischen Kirche sanktioniert wurde. Dieses Buch enthält auch den Versuch, einige experimentelle Ergebnisse für die Festigung der Positionen der katholischen, thomistischen Auffassungen in der Psychologie auszunutzen. 50 Als lehrreiches Beispiel für dieses Bündnis kann ein Werk von M O R T I M E R A D L E R dienen. Vgl. M O R T I M E R A D L E R , What Man has made of Man. New York 1928. In diesem Buch lobt der Thomist A D L E R auf jede mögliche Weise F R E U D (vgl. besonders Lecture4: "Psychoanalysis as Psychology", pp. 94—123), und der Direktor des Psychoanalytischen (Freudschen) Instituts in Chicago, A L E X A N D E R , versieht das Buch von M O R T I M E R A D L E R mit einem Vorwort, in dem er den Standpunkt des Autors unterstützt (ebenda, S. IX—XVI). 51 Vgl. D O N A L D N I C H O L L , Recent Thought in Focus. A Catholic looks at recent Developments in Existentialism, Logical Positivism, Freudianism and other modern Philosophies. New York 1953. N I C H O L L schreibt: „ F R E U D bemerkte, daß eine große Anzahl physischer Störungen seelischen Konflikten des Patienten entstammt. Er sah, daß seelische Konflikte zu einer körperlichen Erkrankung führen können. Aus diesem Grunde zeigte F R E U D im Gegen-

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wandt, ebenso wie er auf der praktischen, politischen Ebene die reaktionären Kreise dadurch für sich gewinnt, daß er die psychische Natur des Menschen als unveränderlich hinstellt, daß er die organischen Instinkte für die Ursachen des gesamten menschlichen Verhaltens nicht nur im persönlichen, sondern auch im gesellschaftlichen Leben ausgibt. Der Freudianismus sieht die Gründe für das herrschende politische System, für die Kriege usw. in den in der Natur des Menschen angelegten Trieben und nicht in den gesellschaftlichen Verhältnissen und ist so eine der wirkungsvollsten Spielarten der reaktionären idealistischen psychologisierenden Soziologie, die unter dem Namen Sozialpsychologie auftritt. Im Gegensatz zu allen Spielarten des idealistischen Monismus — sowohl des „neutralen", verhüllten, als auch des offenen, spiritualistischen — und zu allen Formen des psychophysischen Parallelismus, d. h. des Dualismus, bejaht der Materialismus das Primat der materiellen Prozesse und den sekundären, abgeleiteten Charakter des Psychischen. Das große historische Verdienst der großen Materialisten des 17. und 18. Jahrhunderts ist es, diese These begründet zu haben. Ihre Ideen wurden von den russischen revolutionären Demokraten der zweiten Hälfte des f9. Jahrhunderts schöpferisch weiterentwicklet. Der Vulgärmaterialismus am Ende des vorigen Jahrhunderts (BÜCHNER, MOLESCHOTT), der die psychischen Erscheinungen als Absonderungen des Gehirns, wie die Absonderung der Galle durch die Leber, betrachtet, erkennt nicht die qualitative Eigenart der psychischen Erscheinungen; daher versucht er das eine Lösung erheischende psychische Problem eher zu beseitigen als zu lösen. Der Materialismus von BÜCHNER und MOLESCHOTT betrachtet das Problem des Psychischen in der abgeschlossenen Sphäje der innerorganischen Beziehungen; das gnostische Verhältnis zur Außenwelt geht bei ihm nicht in das grundlegende Charakteristikum der Natur des Psychischen ein. Weil dabei das Psychische (als von innen her determinierte Absonderung des Organismus) vom materiellen Sein, dessen Widerspiegelung es in Wirklichkeit ist, getrennt wird, verliert das Psychische jeden objektiven Charakter. Der vulgäre Materialismus gleitet deshalb leicht auf den Standpunkt einer subjektiv-idealistischen Betrachtung des Psychischen ab. Der Kampf zwischen Materialismus und Idealismus bei der Lösung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Geist und Materie, Seele und Leib, Bewußtsein und Natur dauert bis heute an. Und obwohl in der Philosophie der kapitalistischen Länder die verschiedenen idealistischen Strömungen überwiegen, treten auch fortschrittliche Denker auf, die bemüht sind, den „neuen" naturwissenschaftlichen Materialismus zu begründen (wie z. B. SELLARS52). Es gibt auch solche wie satz zur weitverbreiteten Meinung, daß ein rein physisches Herangehen an den Menschen inadäquat ist, und solidarisierte sich in dieser Frage mit THOMAS VON AQUINO" (S. 197). — Auch der thomistischen Psychologie von DONCEEL liegen in der Behandlung des Persönlichkeitsproblems psychoanalytische Auffassungen zugrunde (s. J. F. DONCEEL, Philosophical Psychology, New York 1955, Part Five: "Man as a Person", § 20, pp. 288—317). M

Siehe ROY WOOD SELLARS, The Philosophy of physical Realisra, New York 1932, Kap. X V I : "Consciousness and the Brain-Mind", pp. 406—443.

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I. Die Stellung des Psychischen im allgemeinen Zusammenhang

W A L L O N , die sich direkt auf den Standpunkt des dialektischen Materialismus stellen. 68 Diese kurze, allgemeine Übersicht zeigt, wie das Problem des Psychischen vom Dualismus, vom „neutralen" epistemologischen Monismus und vom spiritualistischen Monismus gesehen wurde. Welchen Weg werden wir einschlagen? Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, diesen „Ismen" dogmatisch eine Reihe gut bekannter Formeln des dialektischen Materialismus entgegenzusetzen, in denen gewöhnlich die Lösung der sogenannten Grundfrage der Philosophie zusammengefaßt wird. Das tun hieße, den Buchstaben, aber nicht den Geist des Marxismus als richtig zu demonstrieren. Die marxistische Philosophie ist untrennbar mit der Wissenschaft, d . h . mit der Untersuchung konkreter Erscheinungen, verbunden; ihre Thesen sind die zusammenfassende philosophische Verallgemeinerung der Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen. Wir beginnen daher nicht mit den formulierten Ergebnissen, sondern mit der Untersuchung der wesentlichen Zusammenhänge, in denen die psychischen Erscheinungen realiter auftreten, damit wir das Psychische in jedem Zusammenhangssystem charakterisieren und durch eine entsprechende Untersuchung zu verallgemeinerten philosophischen Thesen über die Natur des Psychischen gelangen können.

Eine solche Analyse der Natur des Psychischen und der Stellung der psychischen Erscheinungen im System der für sie wesentlichen Erscheinungen ist die prinzipielle Grundlage für die Lösung des Problems. Eine solche Grundlage ist die dialektisch-materialistische Auffassung vom Zusammenhang und von der Wechselwirkung aller Erscheinungen in der Welt. Das Prinzip des Determinismus, in dem sich diese dialektisch-materialistische Auffassung methodologisch ausdrückt, liegt auch der Theorie der psychischen Tätigkeit als einer reflektorischen Tätigkeit und der Widerspiegelungstheorie zugrunde, die auf diese Weise zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefügt werden. Unsere Analyse bestimmt auch die Kernfragen der weiteren Untersuchung. Das sind vor allem zwei miteinander eng zusammenhängende Fragen: das erkenntnistheoretische Verhältnis der psychischen Erscheinungen zur materiellen Welt und deren Zusammenhang mit dem Gehirn als dem Organ der psychischen Tätigkeit. Wenn das Gehirn das Organ ist, das die Beziehungen des Organismus, des Individuums, des Menschen zur Außenwelt herstellt, geht die Frage nach dem Zusammenhang der psychischen Erscheinungen mit dem Gehirn, richtig gestellt, zwangsläufig in das Problem über, wie die psychischen Erscheinungen von der Wechselwirkung des Menschen mit der Welt, von dessen Leben, abhängen. Die Wechselwirkung des Menschen mit der Welt, sein Leben, die Praxis, das ist die reale Grundlage, auf der sich die psychische Tätigkeit als eine Tätigkeit äußert

" Siehe H E N R I WALLON, Psychologie et matérialisme dialectique, Giugno 1 9 5 1 , Estratto dalla Rivista "società". Anno VII, Nr. 2. Vgl. auch H E N R I WALLON, Introduction à l'Etude de la vie mentale. Encyclopédie Française, t. VIII: "La vie Mentale".

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und bildet, die die Erkenntnis der Welt und die Steuerung des menschlichen Handelns verwirklicht. Von den beiden Kernfragen der weiteren Untersuchung muß, wie bereits betont wurde, zunächst das Problem der gnostischen Beziehung der psychischen Erscheinungen zur Welt, zur objektiven Realität analysiert werden. Im Erkenntnisprozeß vom Resultat zu den natürlichen, dieses bedingenden Ursachen fortschreitend, wird die Analyse sodann den Zusammenhang der psychischen Erscheinungen mit dem Gehirn ab dem Organ darlegen, das die Wechselwirkung des Menschen mit der Außenwelt ermöglicht. Betrachtet man die Ergebnisse dieser Untersuchungen im Zusammenhang, so wird es möglich sein, eine zusammenfassende philosophische Charakteristik des Psychischen zu formulieren.

II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität. Das Problem der Erkenntnis 1. Die Theorie der

Widerspiegelung

Die gnostische Beziehung des Menschen zur Welt entsteht mit der psychischen Tätigkeit des Gehirns als des Organs, das die Beziehungen zwischen dem Organismus und der Umwelt herstellt. Die Wechselwirkung des Individuums mit der Welt, das Leben, die Praxis ist die ontologische Voraussetzung für das Entstehen der gnostischen Beziehung des Individuums zur Welt. Im spezifischen Sinne als gesellschaftlicher, historischer Prozeß hängt die menschliche Erkenntnis mit der Sprache zusammen. Erst das Wort bietet die Möglichkeit, die Erkenntnisergebnisse zu fixieren und zu übertragen. Dadurch beschränkt sich die Erkenntnis nicht mehr auf sich wiederholende und in Wirklichkeit isolierte Akte, und es entsteht der historische Prozeß der Erkenntnis. Mit dem gnostischen Verhältnis des Individuums zur Welt, zur objektiven Realität tritt das erkenntnistheoretische Problem auf. Auf die Frage, was Erkenntnis ist, antwortet die Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus folgendermaßen: Erkenntnis ist Widerspiegelung der Welt als der objektiven Realität. Empfindungen, Wahrnehmungen, das Bewußtsein sind Abbilder der Außenwelt. Der Begriff „Abbild", „Bild" (imago, o6pa3, picture) wird in der philosophischen Literatur der verschiedenen Strömungen viel verwendet. Es genügt also nicht, die Formel zu wiederholen, nach der die psychischen Erscheinungen — die Empfindungen, Wahrnehmungen usw. — Abbilder der Außenwelt sind, die außerhalb des Bewußtseins und unabhängig von diesem existiert. Man muß außerdem — und das ist die Hauptsache — den positiven erkenntnistheoretischen Inhalt bestimmen, der mit dieser Formel in der Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus verbunden ist. Natürlich tragen alle Spielarten der „Bildtheorie" auch gemeinsame Züge. Sie bestehen vor allem darin, daß die Existenz der Dinge als von ihrem Bild unabhängig anerkannt wird, im Gegensatz zum idealistischen „epistemologischen" Monismus (Berkeleyanismus, Machismus usw.), der die Empfindung an die Stelle der Dinge setzt. Man darf, versteht sich, die grundlegende Bedeutung dieser gemeinsamen Züge aller Widerspiegelungstheorien nicht unterschätzen. Aber unsere Aufgabe besteht darin, unter Berücksichtigung der gemeinsamen Züge die spezifischen Besonderheiten der Widerspiegelungstheorie des

1. Die Theorie der Widerspiegelung

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dialektischen Materialismus aufzufinden, durch die sie sich von den älteren Arten der Bildtheorie unterscheidet. Daß Empfindungen, Wahrnehmungen, das Bewußtsein Abbilder der Außenwelt sind, bedeutet in der Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus, daß deren erkenntnistheoretischer Inhalt von ihrem Gegenstand nicht zu trennen ist. Das Abbild ist kein ideelles Ding, das neben dem Gegenstand besteht, sondern es ist ein Bild des Gegenstandes. Die Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus verwirklicht die Linie des materialistischen Monismus bei der Lösung der erkenntnistheoretischen Frage nach dem Verhältnis von Abbild und Ding. Insofern unterscheidet sich die Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus wesentlich von der Picture-theory (oder Bildtheorie) des sogenannten repräsentationistischen Realismus ( D E S C A R T E S , LOCKE und deren Schüler). 54 Ein Bild ist immer ein Abbild von etwas, das sich außerhalb von ihm befindet. Schon der Begriff „Abbild" setzt ein Verhältnis zu dem voraus, was es darstellt. Empfindungen, Wahrnehmungen usw. werden erst durch ihre Beziehung zum Gegenstand zu einem Abbild. Darum ist das Abbild kein ideeller Gegenstand, der in der inneren Welt des Bewußtseins so existiert wie ein realer Gegenstand in der materiellen Welt, und der Gegenstand ist kein exteriorisiertes Abbild. Das Abbild entsteht durch das gnostische Verhältnis des sinnlichen Eindrucks zur Wirklichkeit, die außerhalb von ihm existiert und die sich nicht in seinem Inhalt erschöpft. Im Mittelpunkt der gegenwärtigen erkenntnistheoretischen Diskussion in der ausländischen, insbesondere in der anglo-amerikanischen Philosophie steht der Kampf zwischen dem Repräsentationismus und dem Präsentationismus, das heißt einer Theorie, nach der nur das unmittelbar Gegebene, die sogenannten sens-data (vgl. das Kapitel über die Wahrnehmung), erkannt werden-kann. Die Auseinandersetzung zwischen diesen Theorien ist eigentlich eine Wiederholung des Kampfes zwischen B E B K E L E Y und LOCKE. Der Repräsentationismus bezeichnet sich als „Realismus"; er erkennt an, daß das Objekt der Erkenntnis die Dinge sind; da er aber die Ideen für rein subjektive Zustände hält, erscheint das Verhältnis der Ideen, der Empfindungen, der Gedanken zu den Dingen nur als eine Übereinstimmung zwischen wesensverschiedenen Gliedern zweier paralleler Reihen. Der Präsentationismus nutzt die Schwäche des Repräsentationismus aus und versucht zu beweisen, daß die einzigen der Erkenntnis zugänglichen Objekte das sinnlich unmittelbar Gegebene, die sens-data sind; der Präsentationismus ist also Phänomenalismus. Der sogenannte repräsentationistische Realismus geht von der Isolierung und äußeren Entgegensetzung von Bild und Gegenstand aus. Das Bild verwandelt sich in etwas Ideelles, das a priori unabhängig vom Gegenstand so im Bewußtsein 54

Zum sogenannten repräsentationistischen Realismus vgl. R . W . SELLARS, The Philosophy of physical Realism, New Y o r k 1932. Kap. I I : "Idealism an Interlude", § "Traditional representative Realism", pp. 31—38.

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

existiert wie ein materieller Gegenstand in der materiellen Welt. Bild und Gegenstand werden als zwei Dinge gedacht, die zwei Welten angehören: das eine der inneren, geistigen Welt des Bewußtseins, das zweite der äußeren Welt, der materiellen Wirklichkeit. Eine solche Auffassung vom Bild ist auch die Grundauffassung der introspektiven Psychologie. Der repräsentationistische Realismus bemüht sich zu beweisen, daß die subjektiven Bilder, die Ideen, die Dinge nur vertreten, „repräsentieren", ihnen „entsprechen". Auf Grund der dualistischen Voraussetzungen, von denen dieser Realismus ausgeht, hängt jedoch die Parallelität von Idee und Ding in der Luft. Es erwies sich als unmöglich, das Vorhandensein einer solchen Entsprechung festzustellen, wenn man von der Vorstellung des „repräsertationistischen" Realismus von den „Ideen" als reinen subjektiven Zuständen des Bewußtseins ausging: Das in die Sphäre seiner „Ideen" eingekapselte Bewußtsein konnte die Ideen in keiner Weise mit den Dingen „zusammenbringen". Der Idealismus, der versucht, die Wahrheit dahingehend zu reduzieren, daß Ideen nur Ideen entsprechen können, nutzte diesen Umstand aus. Das Hauptargument des Idealismus besteht in folgendem: Im Erkenntnisprozeß können wir keinesfalls aus den Empfindungen, den Wahrnehmungen, den Gedanken „herausspringen", das heißt, wir können nicht in die Sphäre der Dinge gelangen; darum müsse zugegeben werden, daß nur die Empfindungen und Wahrnehmungen das einzig mögliche Objekt der Erkenntnis sind. Diesem „klassischen" Argument des Idealismus liegt der Gedanke zugrunde, daß man, um in die Sphäre der realen Dinge zu gelangen, aus der Sphäre der Empfindungen, Wahrnehmungen und Gedanken „herausspringen" müsse, was der Erkenntnis natürlich unmöglich ist. Dieser Gedankengang setzt von vornherein voraus, daß Empfindungen und Wahrnehmungen subjektive Gebilde sind, die zu den Dingen, zur objektiven Realität, nur in einem äußeren Verhältnis stehen. Jedoch sind in Wirklichkeit die Dinge selbst an der Entstehung der Empfindungen beteiligt; die Empfindungen, die durch die Einwirkung der Dinge auf die Sinnesorgane, auf das Gehirn, entstehen, hängen genetisch mit den Dingen zusammen. Schon B E R K E L E Y vertrat'seinerzeit bei der Kritik des repräsentationistischen Realismus die Anschauung, die sinnlichen Daten seien die einzigen Objekte der Erkenntnis. Er suchte so die sinnlichen Daten an die Stelle der Dinge zu setzen. Jetzt schlägt der Neorealismus denselben Weg ein. Geht man von den Prämissen des repräsentationistischen Realismus aus, nämlich von der Annahme, daß die Bilder, die Ideen rein subjektive (wenn auch in unserem Bewußtsein durch äußere Einwirkung hervorgerufene) Zustände sind, so sind tatsächlich alle Versuche vergeblich, aus der Sphäre der subjektiven Welt, der Welt der Ideen, des Bewußtseins, in die Welt der realen, physischen, materiellen Dinge zu gelangen. Der Fehler des repräsentationistischen Realismus wird jedoch nicht korrigiert, sondern nur vergrößert, wenn das sinnlich Gegebene wie bei B E R K E L E Y und dem modernen Neorealismus als einziges, unmittelbares Objekt der Erkenntnis an die Stelle der Dinge gesetzt wird.

1. Die Theorie der Widerspiegelung

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Die dualistische Trennung der Abbilder, der Ideen, der Erscheinungen des Bewußtseins von den materiellen Dingen führt zum Parallelismus. Die Entsprechung von Idee und Ding kann dann nur eine — unbekannt wie und durch wen bewirkte — Korrelation verschiedenartiger Glieder zweier paralleler Reihen sein. Bei einem solchen Parallelismus zwischen den Erscheinungen des Bewußtseins und den Erscheinungen der materiellen Welt können die Bilder und Ideen bestenfalls Zeichen für die materielle Realität sein, die nur in einer formalen Korrelation zu ihr stehen, die infolge einer äußeren Beziehung zwar mit der Realität übereinstimmen, aber keineswegs das Wesen der Dinge darstellen. Die wirkliche Erkenntnis der Dinge wird unmöglich, und das erkenntnistheoretische Problem kann nicht gelöst werden. Eine solche Auffassung des Abbildes zieht verhängnisvolle Folgen nach sich. Macht man sie sich zu eigen, so kommt man aus Widersprüchen, aus fiktiven und deshalb unlösbaren Problemen nicht mehr heraus. Die Wahrnehmungslehre müßte dann zwangsläufig das Rätsel lösen, wie das innere Bild des Bewußtseins nach außen gelangen und aus der Welt der Erkenntnis in die äußere, materielle Welt der Dinge eindringen kann. Wenn das Abbild nach dieser Prämisse als ein besonderer, ideeller Gegenstand gedacht wird, der seiner inneren Natur nach von den Gegenständen der materiellen Welt unabhängig ist, wird die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Bild und Gegenstand von vornherein unlösbar. In Wirklichkeit existiert nicht das Bild als ein ideeller Gegenstand, der vom materiellen Gegenstand unabhängig ist oder an dessen Stelle gesetzt wird, sondern ein Abbild des Gegenstandes. Aber das Abbild eines Gegenstandes ist nicht sein Zeichen. Ein Bild an sich, unabhängig von dem Gegenstand, dessen Abbildung es ist, gibt es nicht. Wir nehmen nicht die Abbilder wahr, sondern die Gegenstände, die materiellen Dinge — in Abbildern. Man kann das Abbild nicht vom Gegenstand trennen, ohne das Abbild selbst zu zerstören. Der ursprüngliche Weg führt nicht vom Bewußtsein zum Gegenstand, sondern vom Gegenstand zum Bewußtsein. Darum ist die Frage, wie die Wahrnehmung von den Abbildern zu. den Dingen übergeht, falsch gestellt. Wollte man eine solche Frage zu beantworten versuchen, so ginge man in eine Falle und geriete zusammen mit dem Idealismus in eine Sackgasse 55. 65

Alles über die Wahrnehmung Gesagte kann im Prinzip auch auf die Vorstellung ausgedehnt werden. Die Vorstellungen erscheinen vorwiegend als „innere" Bilder und werden oft als von den Dingen losgelöst betrachtet, da sie im Unterschied zur Wahrnehmung Abbilder von Gegenständen sind, die im gegebenen Augenblick nicht vorhanden sind. Aber auch die Vorstellungen sind Abbilder von Gegenständen, die durch Einwirkung der Dinge entstehen: Ihre Reproduktion ist ursprünglich wiederum durch Einwirkung von Gegenständen bedingt, wenn nicht von denselben, dann von anderen, die früher mit dem Gegenstand verbunden waren, der in der Vorstellung reproduziert wird. Wenn ein Subjekt diese oder jene Vorstellung bei Abwesenheit des Gegenstandes, der sich in ihr abbildet, aktualisiert, so ist das dadurch bedingt, daß die beim Menschen im Wort objektivierte Vorstellung ohne direkte Einwirkung der Gegenstände (der Reize des ersten Signalsystems) durch das Wort (die Reize des zweiten Signalsystems) aktualisiert werden kann. Das bedeutet: Die Vor-

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

Der Dualist, der den inneren Zusammenhang zwischen Bild und Gegenstand zerstört, hat nur zwei Möglichkeiten : 1. Das Abbild, eingeschlossen in die innere Welt des Bewußtseins, wird dem Gegenstand entgegengesetzt (Dualismus zwischen dem Abbild als Bewußtseinserscheinung und dem Ding an sich, zwischen geistiger und materieller Welt oder innerer und äußerer Erfahrung. In der Erkenntnistheorie handelt es sich dabei um den repräsentationistischen Realismus, in der Psychologie um den Introspektionismus). 2. Das Abbild wird an die Stelle der materiellen Dinge gesetzt. Das ist der Weg von BEKGSON58, der Weg der Machisten, der Neorealisten, der positivistischen Phänomenalisten, der Pragmatisten, der verschiedenen Spielarten des epistemologischen Monismus usw. Die Widerspiegelungstheorie, die auf dem materialistischen Monismus beruht, überwindet alle Formen und Folgen des Dualismus zwischen Abbild und Ding, aber auch alle Spielarten des epistemologischen Monismus (der offenen Idealisten, der Neorealisten, Positivisten, Pragmatisten usw.), der darin besteht, daß die Abbilder, das sinnlich Gegebene, die Ideen mit den Dingen identifiziert werden, indem jene an die Stelle von diesen gesetzt werden. Ihren idealistischen Standpunkt geben die epistemologischen Monisten fälschlicherweise als eine Überwindung des Subjektivismus aus, weil die Ideen, die Abbilder aus dem Status der subjektiven Zustände in den Status der realen Dinge überführt werden. Daher stammt der „Realismus" dieser Idealisten. Der materialistische Monismus macht einen grundlegenden, prinzipiellen Unterschied zwischen der Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus und der sogenannten Picture-theory oder „Bildtheorie" des repräsentationistischen Realismus, die auf einer dualistischen Grundlage fußt. Der materialistische Monismus drückt sich in der Frage des erkenntnistheoretischen Verhältnisses zwischen Abbild und Ding konkret in der These aus: Das Abbild des Dinges ist die ideelle (das heißt im Subjekt, in dessen Gehirn, widergespiegelte) Form der widergespiegelten Existenz des Dinges. Diese These hat folgende Bedeutung: Das Abbild des Dinges ist weder das Ding selbst noch ein Zeichen für das Ding, sondern seine Widerspiegelung. Der prinzipielle Unterschied zwischen der Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus und der traditionellen Bildtheorie drückt sich weiterhin

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steU/ang ist keineswegs ein inneres Bild im Sinne der idealistischen introspektiven Psychologie, die das Bild, gleichsam zu einer abgeschlossenen inneren Welt des Bewußtseins gehörend, von der äußeren Welt der materiellen Gegenstände absondert. Die Kennzeichnung der Vorstellung als eines inneren Bildes ist nur insofern richtig, als sie den Unterschied zwischen der Vorstellung und der Wahrnehmung ausdrückt. Sie ist falsch, wenn das Abbild vom Ding, vom Gegenstand, der darin vorgestellt ist, getrennt wird. HENRI BERGSON, Matière et mémoire, Paris 1914, Ed. 2, Kap. I : "De la sélection des images pour la représentation. Le rôle du corps", pp. 58—71; Kap. IV: "De la délimitation et de la fixation des images. Perception et matière. Ame et corps", pp. 244—249.

1. Die Theorie der Widerspiegelung

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in dem grundlegenden Unterschied zwischen der dialektisch-materialistischen Lehre von der Wahrheit als Adäquatheit von Denken und Sein und der Vorstellung des repräsentationistischen Realismus von der Entsprechung von Denken und Sein aus. Nach dem repräsentationistischen Realismus behauptet jedes Urteil (A ist B) eine Beziehung zwischen meinen Gedanken. Dieses Urteil erweist sich als wahr, wenn sich herausstellt, daß sich die Sache in der Realität genauso verhält wie in meinen Gedanken. (Ungeklärt bleibt nur, wie sich das herausstellen kann, da nach der Ausgangsposition das Sein für mich nur als Gedanke, als Bewußtseinserscheinung auftritt). Hier wird die Adäquatheit von Denken und Sein, welche die Wahrheit kennzeichnet, im Geiste eines dualistischen Parallelismus als eine äußere Entsprechung von Gliedern zweier Reihen betrachtet. Tatsächlich ist ein Urteil aber nicht eine Bestätigung der Gedanken, sondern des Objektes dieser Gedanken, eine Bestätigung des Seins. Die Wahrheit von Urteilen besteht darin, daß unsere Aussagen über das Sein, über das Objekt unserer Gedanken, dem Sein selbst adäquat sind, und nicht in der Adäquatheit des Seins mit dem, was wir in unseren Urteilen behaupten. Diese letzte Konzeption schließt die Wahrheit in ihrer unverfälschten Bedeutung aus. Die Wahrheit ist in bezug auf die Erkenntnis nichts Äußeres, ebensowenig wie die Erkenntnis in bezug auf das Sein etwas Äußeres ist. Die Erkenntnis ist die Erscheinung des Seins im Subjekt, das nicht deshalb existiert, weil es denkt, erkennt, sondern das denkt, erkennt, weil es existiert. Die Aussage, daß Gedanken wahr sind, ist identisch mit der Aussage, daß sie die Erkenntnis ihrer Objekte sind. Die Erkenntnis ist in bezug auf das Sein nicht äußerlich, die Wahrheit ist in bezug auf die Erkenntnis nicht äußerlich, der normale Status des Gedankens ist es, Erkenntnis, das heißt, die Form der widergespiegelten Existenz seines Objektes zu sein. Die Wahrheit ist objektiv, weil sie ihrem Objekt adäquat ist, das vom Subjekt, dem Menschen und der Menschheit, unabhängig ist. Zugleich existiert sie als solche nicht außerhalb der und ohne die Erkenntnistätigkeit der Menschen. Die objektive Wahrheit ist nicht die objektive Realität, sondern sie ist die objektive Erkenntnis dieser Realität durch das Subjekt. So kommt im Begriff der objektiven Wahrheit verdichtet die Einheit von Erkenntnistätigkeit des Subjekts und Objekt der Erkenntnis zum Ausdruck. Wenn in der Ausgangsprämisse die reine Subjektivität der psychischen Erscheinungen behauptet wird, so läßt sich dieser Fehler durch keine späteren Argumente korrigieren. Dann kann weder der Zusammenhang des Psychischen mit der objektiven Realität hergestellt noch die Möglichkeit ihrer Erkenntnis erklärt werden. Eine solche subjektivistische Auffassung der psychischen Erscheinungen muß bereits in den Ausgangspositionen ausgeschlossen werden. Die psychischen Erscheinungen entstehen im Prozeß der Wechselwirkung des Subjekts mit der objektiven Welt, in einem Prozeß, der mit der Einwirkung der Dinge auf den Menschen beginnt. Die Dinge selbst sind die Quelle aller Vorstellungen von ihnen. Der Zusammenhang der psychischen Erscheinungen mit der objektiven Realität ist direkt in ihrer Entstehung angelegt, die Realität ist die Grundlage ihrer Exi3

Rubinstein

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II. Psychische T&tigkeit und objektive Realität

stenz. Seinem ganzen Sinn und Wesen nach ist das Bewußtsein immer ein Bewüßt-Werden dessen, was sich außerhalb von ihm befindet. Das Bewußtsein ist das Bewußt-Werden eines Objektes, das sich außerhalb von ihm befindet, das im Erkenntnisprozeß transformiert wird und in Form der Empfindung, des Gedankens auftritt. Dadurch wird der Unterschied zwischen Bewußtsein und seinem Objekt, dem Sein, natürlich nicht negiert, sondern damit wird die Einheit von Bewußtsein (Empfindung, Denken usw.) und Objekt und die Tatsache, daß das Objekt die Grundlage für diese Einheit ist, betont. Diese Auffassung von den psychischen Erscheinungen ist der Ausgangspunkt für die Erkenntnistheorie des materialistischen Monismus. Im gnostischen Verhältnis der psychischen Erscheinungen zu ihren Objekten tritt die Gegensätzlichkeit zwischen Subj ektivem und Objektivem hervor, die im erkennt nistheoretischen Bereich wesentliche Bedeutung hat. Damit jedoch die Betonung dieser Gegensätzlichkeit nicht zum Dualismus führt, muß auch die Einheit, in deren Rahmen sie auftritt, dargelegt werden. Darum soll man nicht nur den Gegensatz hervorheben, sondern auch die ursprüngliche Einheit der Empfindungen, der Gedanken, des Bewußtseins mit der objektiven Realität, deren Widerspiegelung, deren Bewußtwerden sie sind. Die idealistische Weltanschauung geht von einer in sich geschlossenen „Welt" der subjektiven psychischen Erscheinungen aus. Das in einer solchen Weltanschauung befangene philosophische Denken versucht erfolglos zu ergründen, wie und ob man aus dieser abgeschlossenen Subjektivität in die objektive Welt ausbrechen könne. Der materialistische Monismus des dialektischen Materialismus geht unmittelbar von der äußeren objektiven Welt aus. Von dort aus wendet sich die Widerspiegelungstheorie den psychischen Erscheinungen zu. Das ist die kopernikanische Wende, die sie vollzieht. So besteht also das erste grundlegende, kennzeichnende Merkmal der Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus darin, daß die Isolierung und dualistische Gegenüberstellung von Abbild und Gegenstand beseitigt werden. Der gnostische Gehalt des Abbildes (der Empfindung, der Wahrnehmung usw.) läßt sich nicht vom Gegenstand trennen. Ebensowenig wie vom Gegenstand darf das Abbild vom Prozeß der Widerspiegelung, von der Erkenntnistätigkeit des Subjekts, getrennt werden. Die Trennung des Abbildes vom Prozeß der Widerspiegelung führt zu einer fehlerhaften Substanzialisierung des Bildes und zur Vernichtung des eigentlichen Gegenstandes der psychologischen Forschung. Sie gibt allen möglichen irrigen Vorstellungen sowohl über das eine als auch über das andere Raum. 57 Der Wider" Die Unterscheidung des Bildes vom Prozeß, in dem jenes entsteht, besonders aber ihre Trennung voneinander, ist eines der Hauptmittel, mit dem die modernen anglo-amerikanischen Neorealisten und Pragmatisten ihre theoretischen Vorhaben realisieren. Sehr unverhüllt und grob tritt dies beispielsweise, wie bereits erwähnt, bei R U S S E L L in Erscheinung. So trennt er bei der Wahrnehmung das Bild (percept) vom Wahrnehmen (perception) a b

1. Die Theorie der Widerspiegelung

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spiegelungsprozeß wird auf diese Weise mystifiziert: Auf der einen Seite befindet sich der materielle, physiologische Prozeß, auf der anderen Seite das auf unbekannte Weise daraus entstehende ideelle Abbild. Dabei wird das Abbild als ein ideelles Bild unvermeidlich dem materiellen Prozeß entgegengesetzt und dadurch von ihm abgesondert. (Eben diese Absonderung vollzog R U S S E L L , als er den Standpunkt des objektiven Idealismus vertrat.) Es bedarf keines besonderen Beweises, daß die Meinung, etwas rein Ideelles existiere für sich, die Quintessenz des Idealismus ist. In Wirklichkeit begegnen wir nirgendwo dem Abbild als einem für sich existierenden, ideellen Abbild. Dieses existiert nicht ohne Widerspiegelungstätigkeit des Subjekts, d. h. dessen Gehirn. Dabei ist die Tätigkeit, in deren Verlauf das sinnliche Abbild des Gegenstandes auftritt, kein einzigartiger Akt der Schöpfung eines Abbildes, der sich von andersartigen materiellen, physiologischen Prozessen unterscheidet, sondern eine koordinierte Reihe von Sinnestätigkeiten, nämlich der sinnlichen Analyse und Differenzierung der verschiedenen Eigenschaften des Gegenstandes und der sinnlichen Synthese, die die einzelnen Sinnesqualitäten zu einem Gesamtbild des Gegenstandes verbindet. Das Abbild hängt mit der Widerspiegelungstätigkeit nicht nur seiner Entstehung, sondern auch seinem Wesen nach zusammen. Indem die Widerspiegelungstheorie das Abbild untrennbar mit der Widerspiegelungstätigkeit des Subjekts verbindet, bekämpft sie jede Substanzialisierung des Abbildes als eines Ideellen, bekämpft sie jede Hypostasierung desselben. Damit hängt ein zweites und nicht weniger wesentliches Merkmal der Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus zusammen, durch das sie sich von der Bildtheorie des metaphysischen Materialismus unterscheidet. „Das Hawptiibd" des metaphysischen Materialismus, schrieb L E N I N , besteht „in der Unfähigkeit, die Dialektik auf die Bildertheorie, auf den Prozeß und die Entwicklung der Erkenntnis anzuwenden" 48 . Für die Vertreter des vormarxschen Materialismus war die Widerspiegelung ein passiver Abdruck des Dinges, bewirkt durch die mechanische Einwirkung auf den „Apparat", in dem es widergespiegelt wird. D I D E R O T verglich das Gehirn mit

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Prozeß. Der Neorealist, der den Machismus fortsetzt, braucht die Trennung des Bildes vom psychischen Prozeß auch deshalb, weil sie ihm die Hände dafür frei macht, das Bild an die Stelle des Dinges zu setzen. Andererseits verliert dabei der Prozeß, aus dem das Bild herausgefallen ist, seinen psychologischen Gehalt, er hört auf, ein psychischer Prozeß zu sein. Das Psychische als Gegenstand der psychologischen Untersuchung „verdunstet". In der Psychologie der Neorealisten und Pragmatisten triumphiert darum der Behaviorismus: Das Bewußtsein wird aus dem Menschen herausgelöst und an die Stelle des Seins gesetzt. Der Mensch als der Gegenstand der Psychologie behält nur die Reaktionen! Die Aufgliederung der Wahrnehmung in Bild (percept) und Prozeß (perception) zieht RUSSELL als Beweis für seine „Neutralität" im Kampf zwischen Materialismus und Idealismus heran, als Beweis dafür, daß er gleichsam über diesen beiden miteinander streitenden Parteien stehe. W. I. LENIN, Aus dem philosophischen Nachlaß. Dietz Verlag, Berlin 1949, S. 288.

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

Wachs, in dem die Dinge ihren Abdruck hinterlassen. F ü r den vormarxschen Materialismus war die Widerspiegelung die passive Rezeption einer äußeren Einwirk u n g im Subjekt, in dessen Gehirn. Für den dialektischen Materialismus ist sie dagegen das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Subjekt und objektiver Welt, das Ergebnis der Einwirkung der Außenwelt und der dadurch bedingten Antworthandlung des Subjekts. Die Widerspiegelung ist kein statisches Abbild, das durch eine passive Rezeption der mechanischen Einwirkung eines Dinges ents t e h t ; die Widerspiegelung der objektiven Realität ist der Prozeß, die Tätigkeit des Subjekts, in deren Verlauf das Abbild des Gegenstandes seinem Objekt immer adäquater wird. Nur wenn man vom statischen Abbild, von der Idee, zum Prozeß, zur Erkenntnistätigkeit, zur konkreten dialektischen Wechselwirkung zwischen dem Subjekt und der objektiven Welt übergeht, kann man das Erkenntnisproblem, das Problem des Ideellen und des Materiellen — die Grundfrage der Philosophie —, adäquat lösen. Daß die psychische Tätigkeit Widerspiegelung ist, bedeutet zugleich, daß die Widerspiegelving eine Tätigkeit, ein Prozeß ist. Mit dieser These hängt die tiefgreifende Veränderung des eigentlichen Begriffs der Widerspiegelung zusammen, d e n der vormarxsche Materialismus als ein Verhältnis zwischen dem Ding und seinem ideellen Abdruck aufgefaßt hatte. Die Widerspiegelungstheorie des vormarxschen Materialismus betrachtet das unmittelbare Verhältnis zwischen Ding und Abbild als das Wichtigste. F ü r die dialektisch-materialistische Widerspiegelungstheorie ist die Wechselwirkung zwischen dem Menschen, dem Subjekt, und der Welt der Ausgangspunkt; das Verhältnis zwischen diesen beiden Realitäten ist das Grundlegende. Das Abbild, die Idee existiert nur in der Erkenntnistätigkeit des Subjekts, das mit der Außenwelt in Beziehung steht. Konkret betrachtet, erscheint das Verhältnis zwischen dem Psychischen und der Welt in der Einheit des Erkenntnisprozesses als Verhältnis zwischen Subjektivem und Objektivem. Das Verhältnis zwischen der Idee oder dem Bild (dem Ideellen) und dem Gegenstand (dem materiellen Ding) ist lediglich eine abstrakt herausgehobene Seite, ein Moment, ein Aspekt dieses Grundverhältnisses. Die Betonung dieses speziellen Aspektes ist eine Abstraktion, zwar eine richtige und notwendige, aber dennoch nur eine Abstraktion; sie offenbart lediglich einen Moment, einen Aspekt, eine Seite des realen, konkreten Verhältnisses zwischen der psychischen Tätigkeit und der Welt. Das Verhältnis selbst ist Prozeß, Tätigkeit, Wechselwirkung. Das in diesen Prozeß einbezogene und nur darin existierende Abbild ist von einem gleichsam statischen Verhältnis zum Gegenstand weit entfernt. Dieses Verhältnis t r i t t in seiner wahren Form als Prozeß der subjektiven Erkenntnistätigkeit in Erscheinung, bei dem eine Qualität des Abbildes von anderen abgelöst wird, die adäquater und tiefer sind. I n der Dynamik dieses Prozesses verwirklicht sich dialektisch die kontinuierliche Annäherung des Abbildes an den Gegenstand, vollzieht sich eine immer vollständigere Enthüllung des Gegenstandes im Abbild, in dem dennoch niemals dessen ganzer, unendlicher Reichtum ausgeschöpft werden k a n n (vgl. auch Kapitel I I I , § 2, und Kapitel IV, § 1 fb"|, des vorliegenden Werkes).

2. Das Psychische als das Ideelle

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Die Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus ist eigentlich die Anwendung des deterministischen Prinzips in seiner dialektisch-materialistischen Ausprägung (wonach, wie bereits oben bemerkt wurde, die äußeren Ursachen durch die inneren Bedingungen hindurch wirken) auf den Erkenntnisprozeß. Jeder Prozeß ist durch äußere, objektive Bedingungen determiniert, die durch die inneren Gesetzmäßigkeiten des betreffenden Prozesses gebrochen werden. Das bezieht sich auch auf den Erkenntnisprozeß. Man kann die Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus als Anwendung des oben formulierten deterministischen Prinzips auf den Erkenntnisprozeß definieren. Das Denken wird durch sein Objekt bestimmt, aber das Objekt bestimmt das Denken nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch die inneren Gesetze der Denktätigkeit (der Analyse, Synthese, Abstraktion und Verallgemeinerung), welche die sinnlichen Daten umformen, die Wesenseigenschaften des Objekts nicht in reiner Form hervortreten lassen und zur Wiederherstellung des Objekts in Gedanken führen. 2. Das Psychische als das Ideelle Im gnostischen Verhältnis zur objektiven Realität treten die psychischen Erscheinungen als deren Abbild auf. Eben auf Grund dieses Verhältnisses lassen sich die psychischen Erscheinungen als ideelle Erscheinungen kennzeichnen; im erkenntnistheoretischen Bereich erscheint das Psychische als das Ideelle. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß die psychischen Erscheinungen aufhören, ideelle Erscheinungen zu sein, wenn sie in einem anderen Zusammenhang betrachtet werden, zum Beispiel als Funktion des Gehirns. Die Charakteristika der psychischen Erscheinungen hängen ebenso wie die aller anderen nicht davon ab, von welchem Gesichtspunkt aus sie betrachtet werden. Die psychischen Erscheinungen als solche stehen objektiv in einem gnostischen Verhältnis zur objektiven Realität; deshalb behalten sie immer das Charakteristikum des Ideellen. Aber eine irradiierende Ausweitung dieser Qualität des Psychischen über die Grenzen des Bezugssystems hinaus, in dem es in dieser Eigenschaft tatsächlich in Erscheinung tritt, auf das Psychische im ganzen, auf alle seine Zusammenhänge und Vermittlungen kann nichts anderes als theoretischen Wirrwarr hervorbringen. Dieses Charakteristikum des Psychischen bezieht sich vor allem auf das Produkt oder Resultat der psychischen Tätigkeit, auf das Abbild oder die Idee in ihrem Verhältnis zum Gegenstand oder Ding. Die Verwandlung des Verhältnisses zwischen Idee und Ding in ein grundlegendes erkenntnistheoretisches Verhältnis (das in Wirklichkeit die Wechselwirkung zwischen dem Menschen, dem Subjekt, und der Welt ist) bildet die Quelle für die universelle Ausweitung dieses Charakteristikums (vgl. die vorhergehenden Seiten). Als das Problem des Ideellen bei P L A T O aufkam, war es nicht zufällig mit der Gegenüberstellung der Ideen und der sinnlich gegebenen Dinge verknüpft. Durch ihren ideellen Charakter ist die Idee (oder das Bild) vor allem insofern gekennzeichnet, als sie sich im Wort objektiviert, sich in

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II. Psychische T&tigkeit und objektive Realit&t

das System des gesellschaftlich erarbeiteten Wissens einfügt und somit für das Individuum zu einer gewissen „objektiven Realität" wird und eine relative Selbständigkeit erhält, als ob sie sich aus der psychischen Tätigkeit des Individuums ausgliederte. Die psychische Tätigkeit erhält aber erst mittelbar, sekundär die Eigenschaft des Ideellen, weil ja erst ihr Produkt, ihr Ergebnis die Idee, das Abbild ist. Die psychische Tätigkeit ist vorwiegend in ihrem Resultat ideell. Dem Materiellen kann die psychische Tätigkeit nur insofern als geistige Tätigkeit entgegengesetzt werden, als sie mit einem ideellen Inhalt erfüllt ist, der im Prozeß der gesellschaftlich organisierten Erkenntnis erworben wird. Die analytische Ausgliederung des Verhältnisses zwischen Abbild und Gegenstand tritt ab Gegenüberstellung des Ideellen und des Materiellen auf. Dadurch entsteht die Gefahr der Isolierung des Ideellen vom Materiellen, ihrer äußerlichen, dualistischen Gegenüberstellung. Die Jahrhunderte währende Diskussion über dieses Problem begann bereits mit ARISTOTELES' Kampf gegen den „Chorismoa", gegen die Absonderung der Ideen von den Dingen bei P L A T O . Die Anerkennung der Existenz des Ideellen, seiner Spezifität und relativen Selbständigkeit im Verhältnis zur materiellen Welt sowie die Überwindung seiner Isolierung sind zwei miteinander zusammenhängende Aspekte. Der eine bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Abbild oder Idee und Gegenstand, der andere auf das Verhältnis der Idee zum Subjekt, zu dessen Erkenntnistätigkeit. Den Weg zur Lösung des ersten Aspektes des Problems zeigt die Widerspiegelungstheorie auf, die in der Erkenntnistheorie den materialistischen Monismus verwirklicht. Die These, daß sich der gnostische Gehalt der Empfindungen, Wahrnehmungen usw. nicht vom Gegenstand trennen läßt (und daß die Empfindungen und Wahrnehmungen Abbilder der Dinge sind, bedeutet eben dies), überwindet die Absonderung des Abbildes, der Idee vom Gegenstand. Sie bestimmt auch die Art und Weise, in der die Widerspiegelungstheorie des dialektischen Materialismus den bereits von ARISTOTELES begonnenen Kampf gegen die Verselbständigung der Ideen abschließt. Die Abbilder, die Ideen (Begriffe, Gedanken) lassen sich in ihrem gnostischen Gehalt nicht vom Gegenstand, von der objektiven Realität trennen, die unabhängig von ihnen existiert. Sie sind aber auch nicht mit dem Gegenstand identisch, erstens, weil sie niemals den ganzen unendlichen Reichtum, die ganze Fülle des Inhalts ausschöpfen, und zweitens, weil ihr ursprünglicher, unmittelbar sinnlich gegebener Inhalt sich im Erkenntnisprozeß verändert, und zwar durch Analyse und Synthese, durch Abstraktion und Verallgemeinerung, mit deren Hilfe das Denken zu einer immer allseitigeren und tieferen Erkenntnis des Gegenstandes fortschreitet. Die Tatsache, daß die Idee und der sinnlich gegebene Gegenstand nicht zusammenfallen, bildet den Ausgangspunkt and die Scheinbegründung für die Absonderung der Idee vom Ding. In engem Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Bild und Gegenstand, Idee und Ding steht das Verhältnis zwischen Abbild, Idee und Subjekt. Die Isolierung des Abbildes, der Idee, muß auch in dieser Beziehung

2. Das Psychische als das Ideelle

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überwunden werden: Ideen (Begriffe) entstehen nicht ohne die Erkenntnistätigkeit des Subjekts, das Abbild existiert nicht außerhalb der Widerspiegelung der Welt, der objektiven Realität, im Subjekt. Dabei ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Abbild, der Idee und dem Objekt und nach deren Verhältnis zum Subjekt ein und diesselbe Frage, nämlich die nach der Stellung und der Rolle der Abbilder (der Ideen) in der Wechselwirkung des Subjekts mit der objektiven Welt. Die relative Absonderung der Ideen von den Dingen, des Erkenntnisinhaltes vom sinnlich gegebenen Sein hängt damit zusammen, daß sich die Ideen in der Erkenntnistätigkeit des Subjekts bilden (durch Analyse und Synthese, durch Abstraktion und Verallgemeinerung), in einer Tätigkeit also, die die empirischen Ausgangsdaten, in denen die Objekte der Wirklichkeit unmittelbar erscheinen, verändert. Andererseits ist die Unabhängigkeit des ideellen Inhalts der Erkenntnis vom Subjekt, also seine Objektivität, durch seine Abhängigkeit vom Sein bedingt, dessen Widerspiegelung er ist. Die richtige Auffassung des Verhältnisses zwischen den Bildern, Ideen, Gedanken, dem ideellen Erkenntnisinhalt und den sinnlieb gegebenen Dingen und Erscheinungen, dem Objekt der Erkenntnis, setzt eine richtige Auffassung ihres Verhältnisses zum Subjekt, zu dessen Erkenntni»tätigkeit voraus, und umgekehrt, eine richtige Auffassung des Verhältnissts zwischen dem Erkenntnisinhalt und der Erkenntnistätigkeit des Subjekts ist unmöglich ohne eine richtige Auffassung von dessen Verhältnis zum Erkenntnisobjekt. Hat man das eine nicht richtig verstanden, kann man auch das andere nicht richtig verstehen. Die Verneinung der idealistischen Absonderung und der dualistischen Gegenüberstellung von ideeller und materieller Welt (der objektiven Realität) und dem mit dieser in Wechselwirkung stehenden Subjekt, schließt die relative Selbständigkeit des ideellen Gehalts der wissenschaftlichen Erkenntnis gegenüber den sinnlich gegebenen materiellen Dingen und dem Subjekt, also die Objektivität des ideellen Gehalts der Erkenntnis, nicht aus. Die Produkte der menschlichen Erkenntnistätigkeit (die sinnlichen Abbilder, Gedanken, Ideen) werden, indem sie sich im Wort objektivieren, selbst zu Objekten der weiteren Denkarbeit. Der Zusammenhang, die wechselseitige Abhängigkeit der Ideen, der Begriffe macht diese von der Denktätigkeit des Subjekts (und vom empirisch gegebenen Inhalt des einzelnen Objekts) relativ unabhängig. In diesem Zusammenhang erscheint der Inhalt der subjektiven Erkenntnistätigkeit in umgestalteter Form. Jedes Glied des Systems, das in dem potentiell unbegrenzten Reichtum seines dabei verwandelten Inhalts gedacht wird, tritt nicht mehr als Gedanke des Individuums auf, sondern als dessen Objekt. So wird zum Beispiel eine im Denkprozeß entstehende Zahl, die die quantitativen Beziehungen zwischen einer Vielzahl von Gegenständen aufdeckt, in ein System einbezogen, zum Beispiel in eine unendliche Zahlenreihe, mit der jede einzelne Zahl durch bestimmte Beziehungen verbunden ist. In einer jeden dieser zahllosen Verbindungen mit einer unendlichen Menge anderer Zahlen tritt jede Zahl in einer neuen Qualität auf (sagen

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

wir die 4 als 3 + 1,2 + 2, als 2 x 2 , 22, als 5 — I, 6 - 2, als usw.). In dieser Mannigfaltigkeit ist jede Zahl ein durch das Denken des Individuums nicht ausschöpfbares ideelles Objekt. Das System, in das die Gedanken des Individuums eingehen (wobei sie sieh verwandeln), das Produkt seiner Erkenntnistätigkeit ist das System der wissenschaftlichen Kenntnisse, das sich im Laufe der gesellschaftlich-historischen Entwicklung herausbildet. Es ist für das Denken des Individuums „objektive Realität", die es als von ihm unabhängig existierendes gesellschaftliches Eigentum vorfindet und die es sich durch seine Erkenntnistätigkeit zu eigen machen muß. Im Bildungsprozeß, dem gesellschaftlich organisierten Erkenntnisprozeß des Menschen, tritt das in der historischen Entwicklung entstandene System der Wissenschaft für das Individuum als Objekt der Aneignung auf. In den Produkten der psychischen, gnostischen Tätigkeit ist der Übergang aus der Sphäre des Psychischen als des Gegenstands der psychologischen Forschung in die Sphäre des ideellen Gehalts des Wissens, des mathematischen, physikalischen usw. Wissens, vollzogen (eben dieses ist ideell im eigentlichen Sinne des Wortes), das bestimmte Seiten des Seins widerspiegelt, das außerhalb und unabhängig von der Erkenntnistätigkeit existiert. Das heißt sowohl, daß die psychische Tätigkeit Widerspiegelung der objektiven Realität ist, oder anders ausgedrückt, daß sie im Endergebnis durch ihre Produkte in etwas qualitativ anderes, Spezifisches übergeht, in mathematisches, physikalisches usw. Wissen von diesen oder jenen Seiten der Eigenschaften des Seins. Das Wesen des sogenannten Psychologismus, eines Kernstücks des subjektiven Idealismus, besteht eben darin, daß er diese Fundamentalthese ignoriert, den objektiven ideellen Gehalt des Wissens auf das Denken des Individuums reduziert und dieses lediglich in seiner Abhängigkeit von den aufeinanderfolgenden Stufen des kognitiven (psychischen) Prozesses sieht, der zu diesen Kenntnissen geführt hat. Er läßt jedoch die wechselseitige Abhängigkeit des objektiven Gehalts der Gedanken, die die Gesetzmäßigkeit der objektiven Realität widerspiegeln, unberücksichtigt. Infolge der Abhängigkeit der Kenntnisse vom Sein und der gegenseitigen Abhängigkeit der verschiedenen Bereiche des Wissens wird der Inhalt der Kenntnisse in bestimmter Hinsicht vom Subjekt unabhängig. Das sind die erkenntnistheoretischen Wurzeln des Piatonismus, der klassischen Form, in der der sogenannte objektive Idealismus in der Geschichte auftritt. Das sind auch die erkenntnistheoretischen Wurzeln jedes objektiven Idealismus, der die Ideyn isoliert, den ideellen Gehalt des Wissens von den sinnlich gegebenen Fakten der materiellen Welt trennt und diese gleichzeitig dem erkennenden Subjekt, seiner Denktätigkeit, entgegensetzt. (Da der objektive Idealismus den ideellen Gehalt des Wissens von der Erkenntnistätigkeit, von der psychischen Tätigkeit des Subjekts isoliert, erscheint er in der Form des sogenannten Antipsychologismus, der ähnlich wie der sogenannte Psychologismus ein Kernpunkt des subjektiven Idealismus ist.) Die Positionen sowohl des objektiven als auch des subjektiven Idealismus (und letzten Endes auch des Antipsychologismus und des Psychologismus) sind mit einer

2. Das Psychische als das Ideelle

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falschen Alternative verknüpft. Danach sei der Inhalt des Wissens entweder objektiv — dann existiere er außerhalb der Erkenntnistätigkeit des Subjekts —, oder er sei das Produkt der Erkenntnistätigkeit des Subjekts — dann sei er nur subjektiv. In Wirklichkeit entstehen keinerlei Ideen, Begriffe und Kenntnisse ohne Erkenntnistätigkeit des Subjekts. Das schließt jedoch nicht deren Objektivität aus. Die Objektivität des Wissens setzt nicht voraus, daß es ohne menschliche Erkenntnistätigkeit entsteht. Der ganze ideelle Wissensinhalt ist sowohl die Widerspiegelung des Seins als auch das Resultat der Erkenntnistätigkeit des Subjekts. Jeder wissenschaftliche Begriff ist sowohl eine Gedankenkonstruktion als auch die Widerspiegelung des Seins. Für den platonischen objektiven Idealismus sind die Ideen, die Begriffe, der Inhalt der wissenschaftlichen Kenntnisse unmittelbar, intuitiv gegeben.89 Auf diese Weise wird die Denktätigkeit aufgehoben, durch die die Begriffe, die Ideen erst entstehen. Dementsprechend wird das Bewußtsein des Individuums als einfache Projektion des objektiven Wissensbestandes betrachtet. Alles, was zum objektiven Wissensbestand gehört, wird direkt in das indiViduelle'Bewußtsein übertragen und als etwas unmittelbar Gegebenes angenommen. Auf diese Weise wird eigentlich die Denktätigkeit aufgehoben, mit der der Mensch das wissenschaftliche System der Kenntnisse, das sich im Prozeß der gesellschaftlich historischen Entwicklung herausgebildet hat, arialysiert, in sein individuelles Bewußtsein überführt, sich aneignet und bei der Lösung der ihm gestellten Aufgaben anwendet. Die Denktätigkeit des Individuums, der Prozeß des Denkens, wird überhaupt beseitigt: Der objektive Idealismus liquidiert das Denken als Gegenstand der psychologischen Untersuchung völlig. Auf Grund dieses Standpunktes versuchten die Vertreter des objektiven Idealismus platonischer Richtung, jede Denkoperation zu leugnen, indem sie diese auf die Gesamtheit der Beziehungen zwischen den angeblich von Ewigkeit her gegebenen statischen Begriffen — den Gliedern dieser Beziehungen — zu reduzieren versuchten ( R U S S E L L , C O U T U K E ) 4 0 . Bei H E G E L erscheint im Unterschied zum platonischen Idealismus die Bewegung des Denkens als Tätigkeit und Vermittlung, die Idee selbst wird zum Subjekt gemacht und tritt an dessen Stelle. Auf diese Weise wird die Bewegung des ** Diese Position nimmt sowohl HUSSERL als auch RUSSELL ein. (Gemeint sind hier die Arbeiten RUSSELLS in der frühen Periode seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, als er noch zusammen mit WHITEHE^B Plato-Anhänger war, be*or er Hume- Anhänger und Berkeleyaner wurde.) ^ Dementsprechend entwickeln die Wissenschaftler, die auf dem Standpunkt des objektiven Idealismus stehen, die Zahlentheorie, die Grundlagen der Geometrie usw., in dem sie jede Tätigkeit bei der „Konstruierung" neuer ideeller Objekte ablehnen und alles auf die Wechselbeziehungen der a priori gegebenen Elemente reduzieren. Dem Standpunkt des objektiven Idealismus stellt PIAGET den „Operationalismus" entgegen, der zu BRIDGMAN führt. Uns scheint es, als ob PIAGET ohne ausreichende Gründe und gleichsam vorbehaltlos dem Operationalismus BRIDGMANS zustimmt, der auf dem Boden eines offenen Relativismus steht. BRIDGMAN stellt in den Mittelpunkt seiner

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

Denkens auf die Bewegung der Produkte des Denkens reduziert, das an die Stelle der Erkenntnistätigkeit des Subjekts gesetzt wird. Die geschichtliche Entwicklung des Wissens wird als Tätigkeit des Subjekts dargestellt. Unzweifelhaft beruht jede Denkoperation auf bestimmten, logisch formulierbaren Beziehungen und ihren Eigenschaften. So ist das Verhältnis der Implikation zwischen zwei Thesen (p > g; aus p ergibt sich g) eine logische Operation, die es erlaubt, aus zwei gleichzeitig gegebenen Hypothesen eine dritte abzuleiten (p > g, g > r, p > r), und zwar auf Grund ihrer Transitivität, durch die das Verhältnis der „Implikation" gekennzeichnet ist. Andererseits besteht aber kein Zweifel daran, daß auch die logischen Beziehungen als Ergebnis der Denktätigkeit, als Resultat der Denkoperationen aufgedeckt werden. Der Hauptfehler des objektiven Idealismus platonischer Prägung besteht darin, daß er — ohne die Erkenntnistätigkeit des Subjekts zu berücksichtigen — das als ein für allemal gegeben ansieht, was in Wirklichkeit das Ergebnis dieser Tätigkeit ist. Er gibt das niemals fertige Resultat der nie abgeschlossenen Erkenntnistätigkeit fiktiv als etwas ihr a priori Gegebenes aus. Der grundlegende Schluß, der aus der Einsicht in diesen Fehler resultiert, lautet: Die Erkenntnis, ihr ideeller Oehalt — wie objektiv 'er auch sein mag — entsteht niemals ohne die Erkenntnistätigkeit des Subjekts und existiert nicht unabhängig von ihr. Betrachtung die Abhängigkeit des Erkenntnisresultats von der Art und Weise der Erkenntnis (z. B. einer bestimmten Größe vom Meßverfahren usw.); dabei entfällt völlig die wesentlich stärkere Abhängigkeit der Erkenntnisresultate (des Messens usw.) vom Objekt selbst. Man soll zwar die Abhängigkeit der Erkenntnisresultate von der Art und Weise, wie sie erzielt werden, nicht ignorieren, aber diese Abhängigkeit vermittelt lediglich die grundlegende und entscheidende Abhängigkeit der Erkenntnisresultate vom Objekt, durch dessen Eigenschaften auch die Meßverfahren bedingt sind. Eben deshalb müssen bei der Anwendung verschiedener Meßverfahren und überhaupt bei der Erkenntnis ein und desselben Objekts bestimmte gesetzmäßige Beziehungen betrachtet werden, die den Übergang von einem Meßverfahren, einer Größenbestimmung, zu einem anderen so ermöglichen, daß die Invarianz des Resultats gewahrt bleibt. Aber die Invarianz selbst, die Hauptforderung an die Operationen, die zu einem wissenschaftlichen Begriff führen, leitet PIAOET lediglich aus den Wechselbeziehungen zwischen den Operationen und aus ihrem gegenseitigen Gleichgewicht ab. Effektiv ist dann die Invarianz nicht nur ein Kriterium, sondern auch die Grundlage für die Objektivität des im Denken konstruierten Begriffs, während die Invarianz in Wirklichkeit nur der Indikator für dessen Objektivität ist, die auf der Übereinstimmung mit dem Objekt beruht. Der Begriff ist nicht dann objektiv, wenn er invariant ist; er muß invariant sein, wenn er objektiv ist — das ist die Grundlage. In seinen Untersuchungen von Denkoperationen betont P I A O E T das Prinzip der Invarianz. Er betrachtet die Operationen als eine höhere Stufe bei der Herstellung des Gleichgewichts zwischen Individuum und Außenwelt; daher müsse die Erkenntnis der Außenwelt, die Berücksichtigung der objektiven Bedingungen des Lebens in den Vordergrund gerückt werden. Die Denkoperationen erscheinen bei PLAGET jedoch oft eher als Arten der Anpassung, als daß sie als eigentliche Arten der Erkenntnis auftreten. Dadurch nähert sich PIAOET BRIDGMAN. Vgl. J . PIAOET, Logic und Psychology. Manchester University Press, 1953, I : "History and Status of the Problem", pp. 1 - 8 .

2. Das Psychische als das Ideelle

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Damit diese Aussage eindeutig wird und, indem man sie dem objektiven Idealismus gegenüberstellt, nicht auf den Weg des subjektiven Idealismus, des Psychologismus, gerät und zur relativistischen Subjektivierung des menschlichen Wissens führt, müssen wir bei der Charakterisierung der Erkenntnistätigkeit das Verhältnis des Logischen zum Psychologischen noch präzisieren. Die Vertreter des objektiven Idealismus eliminieren in ihrem Bestreben, die Operationen auf die Beziehungen zwischen gegebenen Begriffen zu reduzieren ( R U S S E L L in seiner Anfangsperiode, C O U T U B E U. a.), jede Tätigkeit aus der Sphäre der objektiven Erkenntnis (dadurch schließen sie auch alles Objektive, alles Logische aus; in ihrer Konzeption der Erkenntnis/ä%iet7 sind sie Psychologisten). Sie sehen lediglich den subjektiv-psychologischen Aspekt der Erkenntnistätigkeit. Ihr Logizismus ist die Kehrseite des Psychologismus. Psychologismus und Antipsychologismus sind zwei Seiten ein und desselben Standpunktes, zwei Erscheinungsformen ein und desselben falschen Ansatzes. Um sowohl den Antipsychologismus des objektiven Idealismus als auch den Psychologismus des subjektiven Idealismus wirklich zu überwinden, muß man ihre gemeinsame Grundlage beseitigen. Man muß also das Verhältnis zwischen dem Psychologischen und dem Logischen in der Erkenntnis- oder Denktätigkeit richtig erfassen. Die Logik wie auch die Psychologie untersuchen das Denken im Prozeß seiner Entwicklung. Die Logik untersucht es im Prozeß der historischen Entwicklung der objektivierten Erkenntnisresultate; die Psychologie aber hat es nur mit dem Denken des Individuums zu tun. Jede Erkenntnis- (Denk-) Tätigkeit des Individuums ist eine psychische Tätigkeit, die als solche Gegenstand der psychologischen Untersuchung sein kann. Gegenstand der psychologischen Forschung ist das Denken des Individuums in der ursächlichen Abhängigkeit des Denkprozesses von den Bedingungen, unter denen er sich vollzieht. Die psychischen Gesetze sind die Gesetze des Denkens als eines Prozesses, als der Denktätigkeit des Individuums. Sie bestimmen den Verlauf seines Denkens in gesetzmäßiger (ursächlicher) Abhängigkeit von den Bedingungen, unter denen sich der Denkprozeß vollzieht. Die Logik aber formuliert jene Beziehungen zwischen den Gedanken (den Produkten der Denktätigkeit), die vorhanden sind, wenn das Denken seinem Objekt, dem Sein, der objektiven Realität, adäquat ist 41 . Also ist ein und dieselbe Erkenntnistätigkeit des Individuums sowohl Gegenstand der psychologischen als auch der logischen Untersuchung. Dabei sind der Prozeß und sein Ergebnis — das Abbild — in der Erkenntnistätigkeit des Individuums untrennbar miteinander verbunden. Deshalb darf man die psychologische Untersuchung nicht auf den Prozeß unabhängig von seinem „Produkt" oder Resultat beziehen, ebensowenig wie man M

Damit ist auch klar, daß die Logik keine normative Disziplin ist. Ihre Gesetze sagen nichts darüber aus, was sein soll, sondern sprechen vor allem davon, was ist, davon, welchen Bedingungen ein Gedanke entspricht, der seinem Objekt ad&quat ist. Darum kann man erst dann, wenn man die Gesetze der Logik in Normen umgewandelt hat, die sich nicht darauf beziehen, was ist, sondern darauf, was sein soll, behaupten, daß das Denken den Gesetzen der Logik folgen muß, damit es richtige Ergebnisse liefert.

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

bei der Analyse der Wechselbeziehungen der Gedanken im Erkenntnisinhalt diese vom Denkprozeß losreißen darf, dessen Ergebnis sie sind. Hauptgegenstand der psychologischen Forschung ist die Aufdeckung der ursächlichen Oesetzmäßigkeiten im Ablauf des Denkprozesses, der zu den Ergebnissen der Erkenntnis führt, die den in den Sätzen der Logik ausgedrückten Beziehungen entsprechen. Der Schlüssel zur wirklichen Lösung der Frage nach der Beziehung zwischen Psychologie und Logik (einer Lösung, die sowohl den Psychologismus als auch den Antipsychologismus überwindet), liegt darin, daß der Gedanke sowohl das Produkt des Denkens (der resultative Ausdruck des Denkprozesses) als auch die Form der widerspiegelten Existenz seines Objektes ist. Diese zwei Thesen bilden ein einheitliches Ganzes, weil auch der Denkprozeß durch das Objekt, das sich in ihm in Form des Gedankens manifestiert, determiniert ist. Das Denken vermittelt die Abhängigkeit des Gedankens vom Objekt und wird von diesem wiederum determiniert. Auf diese Weise wird die „Logik" des Seins (als des Denkobjekts) im Erkenntnisprozeß zur Struktur des Denkens. Das Denken formt sich in der individuellen Entwicklung des Menschen in dem Maße, in dem sich dieser Übergang vollzieht. Wenn das Denken der logischen Struktur des Objekts überhaupt nicht entspräche, gäbe es zweifellos auch im Gedanken keine Logik. Bei der faktischen Herausbildung des Denkens in der individuellen Entwicklung bestimmt die logische Struktur der Objekte den Aufbau des Denkens und dadurch auch die Logik des Gedankens. In der historischen Entwicklung des Systems der wissenschaftlichen Kenntnisse werden immer neue logische Formen hervorgebracht, die der Natur der Objekte entsprechen. So drückte die aristotelische Logik die Gesetzmäßigkeiten der In ähnlicher Weise ist auch die Ethik im wesentlichen keine normative Disziplin: sie sagt primär nichts darüber aus, was sein soll, sondern analysiert das, was ist. Sie ist nicht ein von außen aufgeklebtes Moralisieren, sondern eine Wissenschaft, die das innere Wesen des menschlichen Lebens, der spezifischen menschlichen Beziehungen, enthüllt. Sie zeigt die Bedingungen, die diesen Beziehungen entsprechen, und formuliert sie erst danach als Verhaltensnormen, als Forderungen, die in den Beziehungen zwischen den Menschen beachtet werden müssen. Bas Ideal, das die Ethik formuliert, erhält reale Bedeutung, wenn die Möglichkeit und die Perspektive der Entwicklung der menschlichen Beziehungen berücksichtigt werden. Die Ethik ist von der Politik nicht zu trennen, aber sie kann nicht auf die Politik reduziert werden. Die von der Ethik bestimmten menschlichen Beziehungen sind gesellschaftlich bedingt (wie alles beim Menschen), aber sie sind nicht gesellschaftliche Beziehungen im Sinne von Beziehungen, welche die Gesellschaft eingeht. Die ethischen Normen haben einen Kern, der bei allen Veränderungen der politischen Situation für die menschlichen Beziehungen wirksam bleibt. Die Ethik kann jedoch von den konkreten Realitäten der Politik nicht getrennt werden. Eine Ethik, die sich von der Politik absondert, ist Manilowerei, oder etwas noch Schlimmeres, Scheinheiligkeit und Heuchelei, der Wunsch, ein sittliches Ideal in aller Öffentlichkeit zu verkünden und insgeheim zu wünschen, daB es nicht verwirklicht wird, daß es nicht aufhört, nur „Ideal" zu sein, sondern etwas, das sein soll, das aber nicht existiert.

2. Das Psychische als das Ideelle

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klassifizierenden Naturwissenschaft aus. Neueste Untersuchungen der mathematischen Logik führten zu neuen logischen Operationen, die über die aristotelischen Syllogismen hinausgehen und die Lösung logischer Aufgaben ermöglichen, die mit Hilfe der traditionellen Logik (deren Basis die vorherige Entwicklungsetappe der wissenschaftlichen Erkenntnis bildet) nicht gelöst werden können. In der historischen Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis eignete sich die Menschheit, noch ehe sie die Gesetze der Logik erkannt und als solche formuliert hatte, faktisch die in diesen Gesetzen widergespiegelte objektive Logik des Seins (des Denkobjekts) im Gesamtprozeß der Welterkenntnis an. Das Denken der Menschen vervollkommnete sich in der T a t immer mehr, in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Logik, noch ehe die Menschen diese Gesetze erkannten und sie in ihrem Denken bewußt anzuwenden verstanden. Und auch nach der Entdeckung der logischen Gesetze denken die Menschen wie üblich, indem sie einfach der Logik des Denkobjekts folgen, ohne diese oder jene logische Formel anzuwenden. Es ist die objektive logische Struktur des Systems der wissenschaftlichen Kenntnisse, nicht aber die Regeln der Logik, die primär die Formung des menschlichen Denkens bestimmt. Die Regeln der Logik, die der Mensch dann kennenlernt, dienen dazu, das Denken zu kontrollieren und es beim Abweichen vom richtigen Weg zu korrigieren. Die Entwicklung der logischen Struktur des Denkens läßt sich analog zur sprachlichen Entwicklung verdeutlichen. In seiner individuellen Entwicklung eignet sich der Mensch die grammatische Struktur seiner Muttersprache primär nicht durch das Lernen und Anwenden der grammatischen Regeln an, sondern in der Praxis, im Prozeß der Verständigung, nämlich dadurch, daß die grammatische Struktur der Sprache selbst (und nicht die Gesetze oder Regeln der Grammatik, die sie widerspiegeln) die sich bildende grammatische Struktur der Sprache des Kindes determiniert. Die später erworbenen grammatischen Kenntnisse dienen lediglich dazu, die grammatische Struktur der Sprache zu erkennen und zu kontrollieren. Ebenso formt sich die Struktur des Denkens im Laufe der geistigen Entwicklung des Menschen nach den Gesetzen der Logik in dem Maße, in dem er sich das System der wissenschaftlichen Kenntnisse mit der in ihnen enthaltenen logischen Struktur aneignet, die die objektive Logik des Gegenstandes widerspiegelt. Wenn sich der heranwachsende Mensch im Bildungsprozeß das System der wissenschaftlichen Kenntnisse aneignet, eignet er sich praktisch die darin enthaltene logische Struktur der Gedanken an. Auf diese Weise entsteht eine Denkstruktur, die durch das Objekt der Denktätigkeit determiniert ist und immer genauer den immer komplizierter werdenden logischen Systemen entspricht. Deshalb läßt sich das erreichte Strukturniveau des kindlichen Denkens dadurch charakterisieren, daß man die Struktur der Gedanken mit den Mitteln der Logik kennzeichnet 62 . 44

PIAGET hat in seinen Arbeiten versucht, die verschiedenen Stufen der Entwicklung des kindlichen Denkens zu charakterisieren, indem er die auf jeder Stufe erreichte Denkstruktur

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II. Psychische T&tigkeit und objektiv« Realit&t

Deshalb hatten die „klassische" Logik und die „klassische" philosophische Psychologie nicht ganz unrecht, wenn sie behaupteten, daß die Gesetze der Logik in bestimmtem Maße auch die tatsächliche Struktur des Denkens ausdrücken. Obwohl die Gesetze der Logik die Struktur des Denkens ausdrücken, insofern als ihnen das Denken in dieser oder jener Form entspricht, bestimmen sie doch nicht ursächlich den Denkprozeß, wie die „Logizisten" in der Psychologie behaupten, ebensowenig wie die psychologischen Gesetze, die die objektive Gesetzmäßigkeit des Denkprozesses widerspiegeln, die Gesetze der Logik begründen, wie die „Psychologisten" in der Logik annehmen. Der Fehler des Psychologismus besteht nicht darin, daß er die Erkenntnistätigkeit des Individuums als einen psychischen Prozeß betrachtet, sondern daß er versucht, die logischen Beziehungen im Inhalt der Gedanken (als Bedingungen für deren Übereinstimmung mit dem Sein) auf das Verhältnis der verschiedenen Stufen des Denkprozesses zueinander und auf deren Abhängigkeit von den Bedingungen des Denkverlaufs zu reduzieren. Der Psychologismus ist deshalb nicht tragbar, weil er die Erkenntnistätigkeit nur unter dem Aspekt betrachtet, der für die psychologische Untersuchung charakteristisch ist (und nicht, weil er sie überhaupt unter diesem Aspekt betrachtet), weil er die logischen Beziehungen der Gedanken zueinander auf die psychologischen Gesetzmäßigkeiten reduziert, welche die Beziehungen zwischen den aufeinanderfolgenden Stufen des Denkprozesses ausdrücken. Er vermischt also letzlich zwei verschiedene Systeme von Beziehungen miteinander, die Welterkenntnis des Individuums und die Beziehungen, in denen diese untersucht werden müssen. Fixiert man aber einerseits die logischen Beziehungen, die zwischen den Gedanken (die dem Sein adäquat sind) bestehen, so darf man andererseits nicht ignorieren, daß es sich dabei um das logische Charakteristikum der Erkenntnistätigkeit in ihrem resultativen Ausdruck handelt. Entsprechend dem Fehler des Psychologismus in der Logik besteht der Fehler des Logizismus in der Psychologie darin, daß die logischen Gesetzmäßigkeiten, welche die Beziehungen der Gedanken zueinander ausdrücken, an die Stelle der Gesetzmäßigkeiten gesetzt werden, welche die Beziehungen zwischen den aufeinanderfolgenden Stufen des Denkprozesses darstellen. Eben diese Vertauschung oder Vermischung der verschiedenen Systeme von Beziehungen, in denen die Erkenntnistätigkeit des Individuums auftritt, muß abgelehnt werden, und nicht die Möglichkeit (und Notwendigkeit), die Erkenntnistätigkeit des Menschen sowohl psychologisch als auch logisch zu kennzeichnen. Das, was man gewöhnlich als logischen Prozeß bezeichnet — Analyse, Synthese, Induktionen usw. —, ist in Wirlichkeit nicht eine besondere, logische Tätigkeit, sondern die ¿Jrfcenn/nwtätigkeit, logisch ausgedrückt. Das ist

in Formeln der Logik darstellte. Vgl. J . PLAGET, Logic und Psychology. Manchester University Press, 1953, II: "Psychological Development of Operations", pp. 18—22; IV: "Conclusion: The psychological Meaning of the logical Structures", pp. 38—48.

2. Das Psychische als das Ideelle

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der spezielle Ausdruck für die allgemeine These von der Einheit der Logik und der Theorie der Erkenntnisprozesse. Besondere logische Prozesse, logische Prozesse in „reiner" Form (die, von den Erkenntnisprozessen losgelöst, nicht nur eine logische, sondern auch eine psychologische Charakteristik zulassen), gibt es beim Individuum nicht. (Das ist die objektive Grundlage dafür, daß Operationen, Prozesse, Tätigkeiten in der Sphäre der „reinen" Logik von R U S S E L L , C O U T U R E und anderen abgelehnt werden.) Die logische Operation — Analyse, Synthese, Schluß usw. — ist ein Erkenntnisakt, der durch die logischen Beziehungen, die dem Ausgangspunkt des Erkenntnisprozesses immanent sind, und durch dessen Ergebnis bestimmt ist. Auf der Ebene der psychologischen Untersuchung ist das Primäre und in diesem Sinne Grundlegende nicht die Operation, sondern der Prozeß. Die Operation ist ein psychischer Prozeß, der bereits eine bestimmte logische Struktur angenommen hat. Der psychische Prozeß aber ist, wenn es sich um einen Denkprozeß handelt, in der Regel eine Operation im Stadium ihrer Entstehung. In der logischen Untersuchung tritt der Erkenntnisakt als Operation, in der psychologischen als Prozeß auf; die psychologische Untersuchung muß bei jeder Operation den Prozeß ihrer Entstehung und Anwendung aufdecken. Wenn aber bei der psychologischen Untersuchung die Operationen in ursprüngliche Einheiten umgewandelt werden, besteht die Gefahr, daß jede Grenze zwischen der psychologischen und der logischen Untersuchung verwischt wird*3. Spricht man vom Erkenntnisprozeß, so darf man sich offensichtlich nicht nur auf den Prozeß der individuellen Erkenntnis, der Erkenntnis der Welt durch das Individuum, beschränken, sondern muß auch die historische Entwicklung des ° Das Problem der Operationen und Relationen wird durch ein anderes, damit zusammenhängendes Problem erschwert — das der Operation und der Handlung, des Denkens und der praktischen Tätigkeit. GOBLOT brachte in der Logik den Gedanken auf (E. GOBLOT, Traité de Logique. Paris 1929), daß der Kern jedes Urteils eine Handlung sei, und zwar keine besondere geistige, sondern eine geistig reproduzierte praktische Handlung. Diese falsche These, die eigentlich jeden Unterschied zwischen der praktischen und der theoretischen T&tigkeit, zwischen der Handlung und der Erkenntnis verwischt, versucht GOBLOT mit der richtigen und wichtigen These zu begründen, daß die Grundlagen eines Urteils nicht die Beziehungen der Prinzipien zueinander sind, sondern die Einführung neuer Objekte in den Verlauf des Urteilens, mit denen nach den Prinzipien operiert wird. Dadurch erweist es sich als unmöglich, das Urteil auf das Verhältnis der Prinzipien zu reduzieren, und als notwendig, mit den Objekten des Urteils zu operieren. Aber damit ist die Reduktion des theoretischen Erkenntnisaktes auf eine sich geistig vollziehende Reproduktion der praktischen Handlungen nicht zu beweisen. Nach dieser Konzeption bedarf die Handlung nicht der Erkenntnis, und die Erkenntnis fügt zur Handlung nichts hinzu. Ohne die Denkoperation bzw. die geistige Tätigkeit direkt mit der praktischen Tätigkeit zu identifizieren, betrachteten JANET und seine Nachfolger die Operation, die geistige Tätigkeit als „verinnerlichte" äußere praktische Tätigkeit, als Effekt des Übergangs dieser Tätigkeit auf die innere Ebene. Diese Konzeption führt zur Umwandlung des Denkens

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

Wissens i m Auge haben. Die individuelle Erkenntnis der Welt ist durch die Welterkenntnis der Menschheit, durch die historische Entwicklung der wissenschaftlichen Kenntnisse bedingt, genauso wie andererseits die historische Entwicklung der wissenschaftlichen Kenntnisse durch die Erkenntnistätigkeit der Individuen bedingt ist. (Die Erforschung dieses Erkenntnisprozesses, des individuellen Denkens, das durch die historische Entwicklung der Erkenntnis bedingt ist u n d dessen Ergebnisse sich das Individuum im Lernprozeß aneignet, ist Aufgabe der Psychologie. Die Untersuchung der historischen Entwicklung der Erkenntnis aber ist das Anliegen der Erkenntnistheorie, der Gnoseologie, der Epistemologie, der Theorie der wissenschaftlichen Erkenntnis.) Die historische Entwicklung der Erkenntnis ist eigentlich ein Prozeß der Wissensentwicklung; bei ihr handelt es sich vorwiegend u m das Verhältnis zwischen den objektivierten Resultaten der Erkenntnis, die historisch verifiziert u n d im System der Wissenschaft verankert sind. Hier treten gesetzmäßig die logischen u n d nicht die psychologischen Charakterzüge des Erkenntnisprozesses hervor. Ebenso jedoch wie die individuelle Erkenntnis durch die gesellschaftlich-historische Entwicklung des Wissens bedingt in em reduziertes Duplikat der Handlung; es reproduziert wohl ihre Besonderheiten, spiegelt aber nicht ihr Objekt wider. In der Denktätigkeit tritt dann wohl hervor, daß sie eine Tätigkeit ist, aber die Tatsache, daß sie Denken, Erkennen ist, wird mehr oder weniger auf ein Nichts reduziert. Indes bedarf die Tätigkeit des Menschen der Erkenntnis, jene ist ohne diese nicht möglich. Die praktische Tätigkeit kann nicht auf das äußere Handeln, auf das Manipulieren reduziert werden, auf ihren Ausführungsteil, auf die Bewegungen, durch die sie realisiert wird. Sie schließt notwendigerweise auch die sinnliche, kognitive Seite ein. Die Bewegungen, mit deren Hilfe die Tätigkeit realisiert wird, haben selbst ihre afferente Seite, denn sie werden von den sinnlichen Signalen, den Empfindungen geleitet, reguliert. Die sinnliche Erkenntnis gehört zur Tätigkeit als ein notwendiger Bestandteil, als ihr regulativer „Mechanismus". Deshalb darf man die Tätigkeit nicht dadurch, daß man die Einheit der wirklichen Tätigkeit sprengt und an die Stelle der Tätigkeit in ihrer Gesamtheit den äußeren Ausführungsteil der Tätigkeit setzt, so darstellen, als ob sie nur auf ihren Ausführungsteil reduziert wäre. Die Tätigkeit ist in diesem Sinne weder das Ursprüngliche, noch ist die von ihr losgerissene Erkenntnis das von ihr Abgeleitete, ihr ideelles „geistiges" Duplikat. Die praktische Tätigkeit geht tatsächlich der theoretischen voraus; die Ideen sind, wie M A B X sagte, in den Prozeß der historischen Entwicklung, in die praktische Tätigkeit eingeflochten, und erst später tritt die Produktion der Ideen als eine besondere theoretische Tätigkeit in Erscheinung. In seiner individuellen Entwicklung löst der Mensch (das Kind) seine Aufgaben zuerst auch durch Probieren, durch äußeres Tätigsein mit dem Gegenstand, und erst dann innerlich, auf der Ebene des Ideellen. Dieser Übergang von der AufgabenlöBung durch Probieren zur ideellen, inneren Lösung bedeutet jedoch nicht, daß aus einer praktischen Tätigkeit ohne Bewußtsein ein Bewußtsein ohne praktische Tätigkeit wird. Es ist vielmehr ein Übergang von der niederen Stufe der noch nicht verallgemeinerten Erkenntnis der Bedingungen der Tätigkeit, bei der die Lösung des Problems nicht anders erreicht werden kann als durch eine Reihe einzelner Proben, zu einer höheren, verallgemeinerten Stufe, bei der natürlich die einzelnen Proben wegfallen. Es ist ein Übergang, bei dem sich zwar der Charakter der Erkenntnis verändert, bei dem aber der wechselseitige Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Tätigkeit immer erhalten bleibt.

3. Das Psychische als das Subjektive

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ist, ist die historische Entwicklung der wissenschaftlichen Kenntnisse durch die Erkenntnistätigkeit der Individuen bedingt, der Menschen also, deren Arbeit die Entwicklung der wissenschaftlichen Kenntnisse verwirklicht. So wird nunmehr das wechselseitige Verhältnis zwischen dem psychologischen, dem erkenntnistheoretischen und dem logischen Aspekt der Erkenntnistätigkeitklar. Dadurch wird sowohl der Antipsychologismus des objektiven Idealismus als auch der Psychologismus des subjektiven Idealismus überwunden. Die eben formulierte These, der zufolge das Wissen, sein ideeller Inhalt, wie objektiv er auch sei, niemals ohne die Erkenntnistätigkeit des Menschen als Subjekt der Erkenntnis entsteht und nicht unabhängig von ihr besteht, erhält jetzt einen Sinn, der jede Möglichkeit ausschließt, in Psychologismus, das heißt in subjektiven Idealismus, abzugleiten. Nach der Absonderung der Ideen von den sinnlich gegebenen Dingen entfällt auch ihre Absonderung von der Erkenntnistätigkeit des Subjekts. Die Ideen sind in die gnostische Beziehung des Menschen zur objektiven Realität, in die Erkenntnistätigkeit de3 Subjekts, das mit der Welt in Wechselwirkung steht, einbezogen. Das Verhältnis des Abbildes, der Idee zum Ding, in dem das Psychische eben als das Ideelle erscheint, ist nur ein Moment im Wechselverhältnis des Menschen, des Subjekts, zur objektiven Welt. Die Kennzeichnung des Psychischen als des Ideellen drückt eine durch wissenschaftliche Abstraktion ausgesonderte Seite aus, nämlich den Aspekt, unter dem wir das Psychische als das Subjektive charakterisieren. 3. Das Psychische als das Subjektive Das Verhältnis des Menschen als des Subjekts zur objektiven Realität ist der Ausgangspunkt, das Grundverhältnis bei der Erörterung des erkenntnistheoretischen Problems. In diesem Zusammenhang tritt das Psychische als das Subjektive in Erscheinung. Der marxistische dialektische Materialismus überwindet die Beschränktheit des gesamten vormarxschen Materialismus, für den, wie M A B X sagte ,4 , das Sein nur in der Form des Objekts in Erscheinung trat, so daß das Subjekt gänzlich dem Idealismus verfiel. Der Marxismus betrachtet das Sein nicht nur in der Form des Objekts und als dessen Anschauung, sondern auch in der Form des Subjekts und als dessen Tätigkeit. Die Einheit (Dialektik) von Subjekt und Objekt tritt sowohl in der praktischen als auch in der theoretischen (gnostischen) Tätigkeit des Menschen in Erscheinung. In seiner praktischen Tätigkeit kann der Mensch Ziele erreichen und diesen Zielen entsprechend das Objekt verändern, indem er sein Handeln mit der eigentlichen Natur des Objekts, auf das er einwirkt, in Übereinstimmung bringt. Beim Erkennen besteht die Tätigkeit des Subjekts M

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Vgl. K . M A R X und F . 1957, Bd. II, S. 376. Rubinstein

ENGELS,

Ausgewählte Schriften in zwei Bänden. Dietz Verlag, Berlin

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

darin, das Objekt hervortreten und dessen eigentliche Natur offenbar werden zu lassen. Damit wir aber das Sein nicht nur in der Form des Objekts, sondern auch in der Form des Subjekts materialistisch auffassen können, benötigen wir eine richtige, wissenschaftliche Auffassung von der Subjektivität. Die Psychologie ist das Forum, auf dem diese Aufgabe konkret gelöst wird. Es geht nicht darum, den subjektiven Charakter des Psychischen zu negieren, sondern darum, der falschen, idealistischen Auffassung von der Subjektivität des Psychischen die wissenschaftliche Auffassung von Subjektivität und Objektivität entgegenzustellen und damit den Subjektivismus in der Auffassung des Psychischen zu überwinden. Die Gegenüberstellung des Subjektiven und des Objektiven ist eine erkenntnistheoretische Gegenüberstellung. Es ist grundfalsch, wie es häufig geschieht, sie auf das Verhältnis des Psychischen zu seinem materiellen Substrat, zum Physiologischen, zu übertragen 46 . Betrachtet man das Verhältnis des Psychischen zum Physiologischen als das Verhältnis des Subjektiven zum Objektiven, so behauptet man damit, daß die Widerspiegelungstätigkeit des Gehirns nur in ihrem physiologischen Ausdruck objektiv ist, und leugnet die Möglichkeit einer objektiven wissenschaftlichen Erkenntnis des Psychischen, da man es dann gleichsam nur als das subjektive Erleben ansieht. Die Korrelation zwischen dem Psychischen und dem Physiologischen als Verhältnis zwischen Subjektivem und Objektivem führt zu dem Schluß, daß die Untersuchung der Widerspiegelungstätigkeit des Gehirns nur auf einem Wege berechtigt und möglich ist, und zwar ausschließlich auf dem Wege der physiologischen Analyse. Die Suche nach objektiven Methoden in der Psychologie ist auf dieser Grundlage gegenstandslos. Wenn man die „Verschmelzung" des Psychischen mit dem Physiologischen als Einheit von Subjektivem und, Objektivem auslegt, so schließt man tatsächlich die Möglichkeit des objektiven, Eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung dieses Standpunkts spielte der Vortrag von A. G. IWANOW-SMOLENSKI auf der Pawlow-Tagung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und der Akademie der medizinischen Wissenschaften. Der Referent stellte die These auf, daß die psychische Tätigkeit „die Einheit des Subjektiven und des Objektiven" ist. Bei der Begründung dieser These aber fährte IWANOW-SMOLENSKI Aussprüche von L E N I N an, die alle lediglich das Verhältnis des Psychischen als eines subjektiven Abbildes zur objektiven Welt betreffen, und unterstellte dann derselben Formel „die Übertragung von Erscheinungen der psychischen Tätigkeit auf physiologische Fakten, die .Verschmelzung' des Psychischen mit dem Physiologischen, die Herstellung von Wechselbeziehungen und die Übereinstimmung zwischen dem, was früher auf subjektiv-psychologischem Wege beschrieben wurde, und dem, was man durch objektiv-physiologische Untersuchung erhält" („Wissenschaftliche Tagung zu Problemen der physiologischen Lehre des Akademiemitglieds I. P. Pawlow"; Stenographischer Bericht, Moskau 1950, S. 69 und 70 russ.). Die These „Einheit des Subjektiven und des Objektiven" als Kennzeichnung für das Verhältnis zwischen dem Psychischen und seinem physiologischen, nervalen Substrat ist bei uns in letzter Zeit weit verbreitet und erhielt so gut wie allgemeine Anerkennung. Trotzdem ist sie falsch.

3. Das Psychische als das Subjektive

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das heißt des wissenschaftlichen psychologischen Erkennens aus. Eine solche Auffassung über das Verhältnis zwischen dem Psychischen und dem Physiologischen muß als falsch abgelehnt werden. Die Gegenüberstellung „subjektiv — objektiv" auf das Psychische und sein materielles physiologisches Substrat zu übertragen, bedeutet die Negierung der Psychologie als Wissenschaft, als objektives Wissen. In Wirklichkeit ist jedoch die Widerspiegelungstätigkeit des Gehirns im ganzen — sowohl in ihrer psychologischen als auch in ihrer physiologischen Charakterisierung — objektive Realität. Nur auf diese Weise wird dem psychologischen Erkennen der Weg geebnet und die erste Voraussetzung für den Aufbau der psychologischen Wissenschaft geschaffen. Der fehlerhafte Versuch, den Gegensatz zwischen subjektiv und objektiv auf das Verhältnis des Psychischen zum Physiologischen zu übertragen, ist eine beispielhafte Illustration für unsere Ausgangsthese (s. Kapitel I), daß das Psychische in jedem spezifischen Bezugssystem seine diesem entsprechende begriffliche Kennzeichnung (als das Ideelle, Subjektive usw.) erhält. Es ist falsch, irgendeine dieser Bestimmungen als universell zu fixieren und sie auf das Psychische im ganzen und in einem beliebigen Bezugssystem auszudehnen. Der Begriff des Subjektiven ist dem des Objektiven entgegengesetzt. Wie muß nun vor allem „Objekt" und „objektiv" aufgefaßt werdend Der Terminus „objektiv" wird gegenwärtig nicht eindeutig gebraucht. Unter den objektiven Eigenschaften des Seins, der Wirklichkeit u. ä. versteht man die eigentlichen Eigenschaften des Seins, der Wirklichkeit, dieser oder jener Erscheinung, wie sie sind, zum Unterschied davon, wie sie diesem oder jenem Subjekt erscheinen, wie sie von ihm wahrgenommen werden. Der Gegensatz zwischen objektiv und subjektiv bedeutet hier eine Abgrenzung dessen, was wirklich ist, von dem, wie es sich der inadäquaten Erkenntnis des Subjekts darstellt. Wenn die Erkenntnis ihrem Objekt adäquat ist oder sich asymptotisch dieser Übereinstimmung nähert, wird die Charakteristik des Objektiven auf die Erkenntnis selbst übertragen. I n diesem Fall ist der Gegensatz zwischen objektiv und subjektiv gleich dem Gegensatz zwischen adäquater und inadäquater Erkenntnis. Aber auch hinsichtlich der adäquaten und in diesem Sinne objektiven Erkenntnis bleibt die Gegenüberstellung von Erkenntnis und Objekt erhalten. Es ist unbestritten, daß im Sein immer alles objektiv ist (im ersten Sinne); es ist das, was es ist, unabhängig davon, wie es und ob es überhaupt erkannt wird. Aber daraus, daß das Sein in diesem Sinne „objektiv" ist, folgt keineswegs, daß die Begriffe „Sein" und „Objekt" gleichgesetzt werden dürfen. Daraus folgt gerade das Gegenteil. Für das Beumßtsein des Subjekts ist das Sein immer die ihm entgegengesetzte objektive Realität. Dort, wo es Bewußtsein gibt, existiert auch diese Entgegensetzung ; wo es Bewußtsein gibt, tritt ihm das Sein in dieser Eigenschaft gegenüber. Bewußtsein ist ohne Beziehung zum Sein als der objektiven Realität nicht möglich; das Sein, die Welt jedoch kann existieren, ohne für das Subjekt, für dessen Be4*

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

wußtsein zum Objekt zu werden, es kann bestehen, ohne in dieser Eigenschaft hervorzutreten. Die Gleichsetzung der Begriffe „Sein" und „Objekt" 86 , das heißt die Anerkennung des Seins nur in der Form des Objekts, war, wie oben bemerkt wurde, der Hauptmangel des ganzen vormarxschen Materialismus. Diese Identifizierung nutzte von anderer Seite her der Idealismus aus. Der subjektive Idealismus leugnet die v o m Subjekt unabhängige Existenz des Seins mit der Begründung, daß dieses für das Subjekt nur als Objekt existiert. Das ist ein falsches Argument: D a s Objekt existiert zwar als solches nur für das Subjekt, aber das Sein existiert nicht nur als Objekt für das Subjekt. U m Objekt sein zu können, muß es existieren, u m aber existieren zu können, muß es nicht unbedingt Objekt für das Subjekt sein. Verkehrt ist also nicht die Auffassung, daß das Objekt nur für das Subjekt existiert, sondern die, daß das Sein nur als Objekt für das Subjekt existiert. Das Sein existiert unabhängig vom Subjekt, aber als Objekt steht es nur mit dem Subjekt in Beziehung. Das v o m Subjekt unabhängig existierende Ding wird dann zum Objekt, wenn das Subjekt mit dem Ding in Beziehung tritt und das Ding im Prozeß 8

' Wir unterscheiden also den Begriff deB Objekts und den des Seins. Der erste ist erkenntnistheoretischer, der zweite ontologischer Art. Man darf weder das eine noch das andere verabsolutieren. Durch Hypostase der ontologischen Kennzeichnung entstanden alle falschen Probleme der Metaphysik, der bekannte ontologische Beweis eingeschlossen. Im Terminus „Sein" soll etwas dadurch bestimmt sein, daß es ist, dabei bleibt aber unbekannt, was es ist. Die Existenz dieses unbekannten Etwas ist in keiner Weise imstande, sein Wesen zu bestimmen. So wird am Ende das „Sein" in Wesen und Existenz gespalten. Die traditionelle Metaphysik hat — erfolglos — versucht, die Existenz aus dem Wesen herzuleiten. Der moderne Existentialismus weiß nichts Besseres, als denselben Begriffsapparat im Wesentlichen beizubehalten, die von der alten Metaphysik hergestellten Beziehungen umzukehren und die Priorität der Existenz und den abgeleiteten Charakter des Wesens anzuerkennen. Besonders deutlich kommt das bei S A R T R E zum Ausdruck (J. P. S A R T R E , L'Existentialisme est un Humanisme. Paris 1946). Dabei reserviert der Existentialismus den Terminus „Existenz" für den Menschen. Aber gerade für den Menschen ist dieser Terminus besonders unbefriedigend. Vom menschlichen Leben zu sagen, daß es ein Existieren sei, das ist eigentlich das Schlimmste und Vernichtendste, was man von ihm sagen kann. Leben, besonders das Leben des Menschen, ist unvergleichlich mehr als nur existieren. Es ist eine andere und viel radikalere Umgestaltung des philosophischen Denkens notwendig. Es kommt nicht darauf an, eine hypostasierte Abstraktion durch eine andere zu ersetzen (das Sein durch das Wesen oder das Wesen durch die Existenz); man muß sich überhaupt davon frei machen, diese oder jene hypostasierte Abstraktion als primäre Realität anzusehen. Das primäre reale Objekt aller „ontologischen" begrifflichen Charakterisierungen ist die Welt, der Kosmos, das AU. Ihr Fundament ist die anorganische Materie. Die Welt, der Kosmos, das AU haben ihre reale Geschichte. In deren Verlauf vollzieht sich der Übergang von der anorganischen Materie zur organischen Materie, zu immer komplizierteren und höheren Lebensformen, von denen jede ihre eigene Art des Existierens hat. Alle ontologischen Merkmale treten im System der Beziehungen in Ersche'p- ng, die sich im All bilden.

3. Das Psychische als das Subjektive

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der Erkenntnis und der Tätigkeit zu einem „Ding für uns" wird. Zur objektiven Realität im Sinne des Objekts für das Subjekt wird das Sein, die materielle Welt, in der Evolution, wenn im Prozeß der Entwicklung Individuen entstehen, die sich des Seins bewußt werden, es erkennen können. Dann tritt das Sein in dieser Rolle, in dieser Eigenschaft auf. (Die objektive Realität ist das unabhängig vom Subjekt existierende Sein, das Ding an sich, das zu einem Ding für uns wird.) Die objektive Wahrheit ist eine Erkenntnis, die dem Ding selbst adäquat ist, eine Erkenntnis, deren Inhalt die spezifischen Eigenschaften des Dinges unabhängig von der Willkür, vom „Gesichtspunkt" des Erkennenden ausdrückt. Objektiv ist eine Erkenntnis, wenn sie die spezifischen Eigenschaften des Dinges aufdeckt, die unabhängig vom Subjekt existieren. Die Objektivität ist somit ein Merkmal der Erkenntnistätigkeit des Subjekts. So wird also klar, daß es nicht möglich ist, „subjektiv" und „objektiv" äußerlich einander gegenüberzustellen. Daß das Subjektive nicht vom Objektiven getrennt werden darf, wird an der Unterscheidung sogenannter primärer und sekundärer Eigenschaften deutlich. Danach sollen die primären Eigenschaften objektiv, die sekundären aber subjektiv sein. Zu den primären zählte man beispielsweise die räumlichen Eigenschaften der Dinge, also Eigenschaften, die auf Grund ihrer Beziehung zu anderen Dingen bestimmt werden können (etwa indem ein Gegenstand auf einen anderen gelegt und ihre Kongruenz usw. festgestellt wird). Zu den sekundären Eigenschaften rechnete man zum Beispiel solche wie die Farbe, den Geschmack u. ä., weil das Ding Farbe, Geschmack usw. nicht unabhängig vom wahrnehmenden Subjekt mit den entsprechenden rezeptorischen Organen (den Sinnesorganen) aufweist. Die ersten Eigenschaften seien deshalb angeblich objektiv, die anderen subjektiv. Eine solche Auffassung von den primären und sekundären Eigenschaften leitet man gewöhnlich von LOCKE her. In Wahrheit aber ist die Theorie LOCKES nicht so simplifiziert. Primäre (oder „ursprüngliche") Eigenschaften der Körper sind nach LOCKE solche, ohne die kein einziger Körper existiert. (Zu diesen rechnet LOCKE Dichte, Ausdehnung, Gestalt und Beweglichkeit.) Diese Eigenschaften rufen in uns „Ideen" hervor, die deren „Ebenbilder" sind. Unter sekundären Eigenschaften versteht LOCKE „Eigenschaften, die in Wirklichkeit in den Dingen selbst nichts sind als die Kräfte, vermöge deren die primären Eigenschaften der Dinge, das heißt der Größe, Gestalt, Struktur und Bewegung ihrer nicht wahrnehmbaren Teilchen, verschiedenartige Sensationen in uns hervorrufen, zum Beispiel Farben, Töne, Geschmacksqualitäten usw." 47 . LOCKE meint weiter, „daß die Ideen der primären Eigenschaften der Körper diesen ähnlich sind, ... während die durch die sekundären Eigenschaften in uns erzeugten Ideen mit den Körpern schlechthin keine Ähnlichkeit aufweisen" S8 . LOCKE negiert also, daß die „Ideen" der sekundären Eigenschaften ihren Ursachen oder Grundlagen in den Körpern gleichen, aber er negiert nicht, daß die „Ideen" der sekundären Eigenschaften " J . LOCKE, Versuch über den menschlichen Verstand. Leipzig 1913, S. 141. 48 Ebenda, S. 143.

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ihre Grundlage oder ihre Ursache in den Dingen selbst haben. Die Theorie der primären und sekundären Eigenschaften ist also bei L O C K E komplizierter, als sie in üblicher Weise subjektivistisch ausgelegt wird, wo man sich lediglich auf ihre Schlußfolgerungen beschränkt, ohne den Gedankengang LOCKES ZU berücksichtigen. L O C K E meint, daß die primären Eigenschaften den Körpern selbst eigen sind und von ihnen nicht getrennt werden können, während die sekundären „in Wirklichkeit in den Dingen selbst nichts sind" 49 , aber er erklärt und präzisiert sogleich diesen Gedanken. In gewissem Sinne gehören nach L O C K E die sekundären Eigenschaften auch zu den Dingen, aber nur als „Kräfte", die in der Empfindung sinnliche Eigenschaften erzeugen (Farbe, Laut, Geruch), jedoch nicht als diese Eigenschaften selbst oder als deren „Ebenbilder". Nichtdestoweniger nahm L O C K E im ganzen gesehen einen subjektivistischen Standpunkt ein, demzufolge die sekundären Eigenschaften nicht den Dingen selbst innewohnen. Im Gegensatz zu den Vertretern der LocKEschen Auffassung behaupten ihre Gegner, daß beispielsweise auch die Farbe eine objektive Eigenschaft der Dinge ist. Der Streit um den subjektiven oder objektiven Charakter der sekundären Eigenschaften führte gewöhnlich in eine Sackgasse, weil er von einer falschen Antithese ausging. Die Frage wurde so gestellt: Entweder existieren Farbe, Geschmack u. ä. nur im Verhältnis zum Subjekt, dann sind sie subjektiv. Oder sie sind objektive Eigenschaften der Dinge, dann existieren sie unabhängig vom Subjekt. In Wirklichkeit existiert die Farbe als solche nur korrelativ zum Subjekt, zum Individuum, das über die entsprechenden Einrichtungen verfügt, jedoch ist sie zugleich objektiv. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Farbe die objektive Oberflächenbeschaffenheit des Gegenstandes wiedergibt, nämlich gewisse Lichtwellen zu absorbieren und andere zu reflektieren. Der Umstand, daß diese Oberflächeneigenschaft eines Körpers in Form der Farbe in Erscheinung tritt, ist auch deshalb objektiv, weil sie als Farbe in Wechselwirkung mit dem Auge, dem optischen Apparat des Individuums, erscheint, der ebenso Realität ist wie die Lichtwellen, die auf das Individuum einwirken, und wie die Oberfläche des Körpers, die sie reflektiert. Es liegt deshalb kein Grund vor, die ersten für objektiv und die zweiten nur für subjektiv anzusehen 70 . Die Meinung, daß die Eigenschaften, die bei der Wechselwirkung der Dinge in Erscheinung treten, objektive Eigenschaften der Dinge selbst, die Eigenschaften jedoch, die bei der Wechselwirkung der Dinge mit den Sinnesorganen in Erscheinung treten, nur subjektive Qualitäten der Dinge sind, *> Ebenda, S. 141. 70 Dem kann man hinzufügen, daß auch die primären Eigenschaften nur im Erkenntnisprozeß aufgedeckt werden. Wenn man — wie das die Verfechter der Subjektivität der sekundären Eigenschaften taten — alles das als subjektiv bezeichnet, was mit der Erkenntnistätigkeit des Subjekts zusammenhängt, dann müßte man die These von der Subjektivität der sekundären Eigenschaften notwendigerweise auch auf die primären ausdehnen.

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führt unweigerlich — bewußt oder unbewußt — zur Ersetzung der Sinnesorgane durch die Empfindungen, des Subjekts durch dessen Bewußtsein. Ohne diese völlig ungerechtfertigte Behauptung entfällt auch die falsche Alternative, auf die sich der Streit um die sekundären Eigenschaften gründet. Als Farbe erscheinen die Eigenschaften der Dinge nur in der Wechselwirkung mit dem Organismus, der über entsprechende Vorrichtungen (Sinnesorgane) verfügt. In der Wechselwirkung mit diesen Apparaten 71 treten jedoch die Eigenschaften der Dinge selbst in Erscheinung. Die Farben sind nicht nur subjektive Modiiikationen unserer Sensibilität. Unsere Umwelt selbst tritt uns in wunderbarer Farbigkeit entgegen, die den Blick des Menschen bezaubert und den Künstler in ihm weckt. Diesen Farbenreichtum erhielt die Welt im Prozeß ihrer Entwicklung, genauso wie sie in dieser Entwicklung mit der uns fesselnden Musik ihrer Töne erfüllt wurde. Die Farbenpracht und die Musik der Töne wurden zum Besitz der Welt, als im Lauf ihrer Entwicklung, mit der Entwicklung der anorganischen Welt und unter ihrer Einwirkung Organismen entstanden, die mit den entsprechenden Sinnesorganen ausgerüstet waren. In der Wechselwirkung mit diesen Sinnesorganen konnten die Eigenschaften der anorganischen Welt in Form von Farben, Gerüchen, Tönen in Erscheinung treten. Nach dem Gesetz des allgemeinen Zusammenhangs aller Erscheinungen in der Welt rief das Auftreten neuer Formen der Materie, insbesondere der organischen Materie (der Organismen), neue Erscheinungen aller anderen Formen des Seins hervor, mit denen diese neuen Formen in Wechselwirkung traten. Wenn man die These vom subjektiven Charakter der sogenannten sekundären Eigenschaften analysiert, wird deutlich, wie sich alles verwirrt, wenn man übersieht, daß das Subjekt selbst zur objektiv existierenden materiellen Realität gehört und keine isolierte Subjektivität, kein „reines" Bewußtsein oder körperloser Geist ist. Wenn wir zu einer richtigen Auffassung des wahren Verhältnisses zwischen Objektivem und Subjektivem gelangen wollen, müssen wir berücksichtigen, daß nicht nur das und nicht alles das objektiv ist, was dem Subjekt außerhalb seiner Tätigkeit gegeben ist. Das unmittelbar Gegebene kann im Gegenteil in diesem oder jenem Maße „subjektiv", scheinbar, bloßer „Schein" sein. Die objektiven Eigenschaften eines Gegenstandes treten in der Erkenntnistätigkeit des Subjekts in Erscheinung; die objektive Wahrheit ist immer die Frucht seiner Erkenntnistätigkeit. Das Subjekt, das die von der Menschheit angehäuften Kenntnisse erwirbt, kann in einem höheren Maße Träger der Objektivität sein als diese oder jene Einzeltatsache in den zufälligen Zusammenhängen, in denen sie manchmal in der Wahrnehmung gegeben zu sein pflegt. Die Objektivität der Wahrheit besteht nicht darin, daß sie sich ohne die Erkenntnistätigkeit des Subjekts enthüllt, sondern darin, daß das von der Erkenntnistätigkeit des Subjekts Enthüllte dem Objekt adäquat ist. " Diese Organe bildeten sich in der Entwicklung unter der Einwirkung der entsprechenden Eigenschaften der Dinge heraus.

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Der Gegensatz von subjektiv und objektiv hat lebenswichtige, fundamentale Bedeutung für die Erkenntnis: Die Erkenntnis ist in gewissem Sinne ein unaufhörlicher Prozeß der Abgrenzung des Subjektiven vom Objektiven, der Überwindung des Subjektiven und der Herausbildung des Objektiven, des Übergangs vom Subjektiven zum Objektiven. Darum ist es so wichtig, das Verhältnis des Subj ektiven zum Ob j ektiven richtig zu sehen. Vor allem muß man sich darüber klarwerden, daß das Subjektive, das immer eine „Brechung" des Objektiven ist, niemals vom Objektiven losgelöst werden kann. Die Loslösung des Psychischen als des Subjektiven von der objektiven Realität führt geradewegs zum Subjektivismus, zur falschen, subjektivistischen Auffassung des Subjektiven. Weder im Verhältnis der psychischen Tätigkeit zum Gehirn noch im erkenntnistheoretischen Verhältnis zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven ist Raum für irgendeinen Dualismus. Der materialistische Monismus macht nicht an der Schwelle der Erkenntnistheorie halt. Er gilt auch für das erkenntnistheoretische Verhältnis zwischen dem Subjekt und der objektiven Welt und bestimmt die richtige Auffassung von der Subjektivität. Worin besteht denn die Subjektivität des Psychischen? Im ersten, ursprünglichen Sinne besteht die Subjektivität des Psychischen in der Zugehörigkeit alles Psychischen zu einem Individuum, zu einem Menschen, zu einem Subjekt. Es gibt keine Empfindungen, Gedanken, Gefühle als solche72. Jede Empfindung, jeder Gedanke ist immer Empfindung oder Gedanke eines bestimmten Menschen. Subjektivität des Psychischen heißt also, daß die psychische Tätigkeit immer Tätigkeit eines Subjekts ist. In diesem allgemeinen Sinne des Wortes ist jede psychische, jede gnostische Tätigkeit subjektiv, auch die Tätigkeit, die dem Menschen die objektive Realität enthüllt und in der sich objektive Wahrheit ausdrückt. Es gibt also kein gegenseitig sich ausschließendes Verhältnis zwischen der Subjektivität als dem allgemeinen Merkmal jeder psychischen Tätigkeit, jeder Erkenntnistätigkeit als einer menschlichen Tätigkeit — und der Objektivität ihres Inhalts, ihres Ergebnisses. Subjektivität im obengenannten Sinne bedeutet in keiner Weise ein inadäquates Verhältnis zum Objektiven. Diese Auffasung von der Subjektivität kann keinesfalls Grundlage oder Ausgangspunkt des Agnostizismus sein73. ' 2 W. I. LENIN, Materialismus und Empiriokritizismus. Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 216. 73 Mit der Lösung des Problems wird im Prinzip zugleich auch die Streitfrage um Determinismus und Indeterminismus gelöst, die in der modernen Physik entbrannt ist. Die Verteidigung des Indeterminismus in der modernen Physik geht davon aus, daß die Vorrichtungen, deren sich der Experimentator bedient, selbst an der physikalischen Situation beteiligt sind, die mit Hilfe dieser Apparate untersucht wird. Die aus dieser These abgeleitete indeterministische Schlußfolgerung geht von der falschen Voraussetzung aus, daß die Natur der Dinge nicht aus deren Wechselwirkung hervorgeht, sondern die objektive Natur der Dinge sei etwas Gegebenenes, das jeglicher Einwirkung gegenüberstehe, die im Verhältnis zu ihr itwas Äußeres sei. Mit anderen Worten: Die indeterministische Schlußfolgerung in diesem Argument beruht auf der Negation der Wechselwirkung als solcher,

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Die Subjektivität des Psychischen als Erkenntnis des Seins hat noch eine andere, speziellere Bedeutung, nämlich die, daß das Psychische dem Sein, dem Objekt der Erkenntnis, nicht völlig adäquat ist. Subjektivität im ersten Sinne des Wortes auf der Vorstellung, daß jede Einwirkung ein äußerer Anstoß ist, der nur auf das Äußere dieser Gegebenheit abzielt. Sie ist also durch eine mechanistische Auffassung des Determinismus bedingt. Im Prinzip tritt jedoch die Natur der Dinge und der Erscheinungen in deren Wechselwirkung zutage; sie kann überhaupt nicht anders zutage treten. Man muß sich nur darüber klar sein und berücksichtigen, daß eine unmittelbar gegebene Erscheinung immer das Ergebnis der Wechselwirkung ist, und man muß die spezifische Natur der an ihr teilnehmenden Körper mittelbar bestimmen können. Aber die Überlegung über die Einwirkung der Apparate ist nur das erste Glied in der Argumentation für den Indeterminismus. Die Wirkung der Apparate auf die Situation, die mit ihrer Hilfe untersucht wird, wird besonders deshalb als Argument gegen den Determinismus verwendet, weil es sich dabei um das Verhältnis des erkennenden Subjekts zur objektiven Welt handelt. In einer der neuesten Arbeiten, die dem Problem des Determinismus und des Indeterminismus in der modernen Physik gewidmet ist, konzentriert sich dieses Problem letztlich auf einen einzigen Punkt : Der Indeterminismus, zu dem die Physik gelangt, macht es unmöglich, ein objektives Bild von der Außenwelt zu geben, das von der Tätigkeit des erkennenden Subjekts unabhängig wäre. Dieses ist selbst in die Situation einbezogen, die es untersucht. Auch das zu untersuchende physikalische System steht unter der Einwirkung der Operationen, die der Physiker ausführt, wenn er seine Messungen vornimmt, und die physikalische Theorie, in welcher der Physiken die Ergebnisse seiner Untersuchung formuliert, ist außerdem noch von der Denktätigkeit, von den Urteilen abhängig, welche die Theorie bilden. Diese Überlegungen beruhen auf der falschen Gegenüberstellung der Tätigkeit des Subjekts, mit der es die Welt erkennt, und der Objektivität ihrer Ergebnisse. Ihnen liegt ein positivistisches Dogma zugrunde, demzufolge nur das objektiv ist, was unmittelbar gegeben ist. Es ist eine falsche und trügerische Alternative, wenn gesagt wird: Entweder ist etwas objektiv und dann unmittelbar gegeben, ohne jede Tätigkeit des Subjekts, oder es ist ein Produkt der Erkenntnistätigkeit des Subjekts, des Menschen, dann ist es nicht objektiv, sondern nur subjektiv. In Wirklichkeit sind nicht nur die Thesen der modernen Physik, sondern überhaupt jeder Wissenschaft das Ergebnis der mit praktischer menschlicher Tätigkeit zusammenhängenden Erkenntnistätigkeit. Das schließt aber keineswegs ihre Objektivität aus. Die Behauptung jedoch, daß in der neuen Physik die Ergebnisse der experimentellen Untersuchung von den Handlungen des Experimentators abhängen, während sie in der klassischen Physik objektive Eigenschaften des zu beobachtenden physikalischen Systems zum Ausdruck gebracht haben (PATTLETTE F É V R I E R , Déterminisme et Indéterminisme. Paris 1955, p. 224), zeugt nur davon, daß die alte Physik mit der mechanistischen Auffassung des Determinismus und der äußerlichen Gegenüberstellung des Subjektiven und des Objektiven noch vereinbar war, während auf der gegenwärtigen Stufe der wissenschaftlichen Entwicklung der Übergang zur dialektischen Auffassung sowohl des Determinismus als auch des Verhältnisses von Subjektivem und Objektivem unvermeidlich ist. Was viele moderne Physiker als Zusammenbruch des Determinismus und als Triumph des Indeterminismus betrachten, ist in Wirklichkiet der Zusammenbruch des mechanistischen Determinismus, der nicht die Richtigkeit des Indeterminismus, sondern die Notwendigkeit des Übergangs zu einem dialektischen Determinismus beweist.

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

bedeutet, daß das Psychische zum Subjekt gehört; Subjektivität in der zweiten, spezielleren Bedeutung bezieht sich auf das mehr oder weniger adäquate Verhältnis des Psychischen zum Sein als dem Objekt. Die Subjektivität in diesem Sinne tritt insbesondere in der sinnlichen Erkenntnis, in der Wahrnehmung hervor. Die Erfahrung lehrt, daß ein und dasselbe Ding von verschiedenen Menschen zu gleicher Zeit, von ein und demselben Menschen zu verschiedenen Zeitpunkten, also unter verschiedenen Bedingungen, verschieden wahrgenommen wird. Damit hängt zusammen, daß sich der Mensch der Subjektivität (im spezielleren Sinne) seines Wahrnehmens bewußt werden kann. Die Subjektivitität der Wahrnehmung ist auch in diesem Sinne selbst objektiv, sie hängt gesetzmäßig von den Wahrnehmungsbedingungen ab. Da die Veränderungen des Abbildes von ein und demselben Ding gesetzmäßig von den sich verändernden Wahrnehmungsbedingungen abhängen, können wir unmittelbar die objektiven Eigenschaften des Dinges bestimmen. So läßt sich zum Beispiel die wirkliche Größe eines Gegenstandes, von dem wir uns entfernen, auf Grund der perspektivischen Veränderung seiner Abbildung bestimmen. Dies ist der übliche Gang der wissenschaftlichen Erkenntnis. Die subjektive Wahrnehmung des Dinges ist eine Stufe, und zwar eine notwendige Stufe, auf dem Wege zur objektiven Erkenntnis. Die Subjektivität wird nur dann „scheinbar", illusorisch, unwahr, wenn das Abbild des Gegenstandes unabhängig von den Bedingungen, die es objektiv bestimmen, untersucht und unmittelbar auf das Ding selbst bezogen wird, wenn also der Unterschied zwischen den Wahrnehmungs- und den Existenzbedingungen des Gegenstandes nicht berücksichtigt wird. Fehler, Unwahrheit sind nicht einfach ein Fehlen der Wahrheit, sondern Verletzung, Entstellung der Wahrheit. Fehler, Unwahrheit sind Tatsachen, die der Erklärung bedürfen. Wenn man den Inhalt der Erkenntnis von ihren Entstehungsbedingungen isoliert und ihn auf andere Bedingungen überträgt, so ist das eine Hauptquelle für alle möglichen Fehler. Daß wir die Sonne so sehen, wie wir sie sehen, ist an sich eine objektive Tatsache, die gesetzmäßig abhängt einmal von den objektiven Ausmaßen der Sonne als der äußeren Ursache, zum anderen von den Funktionsgesetzen des Sehanalysators als den inneren Bedingungen, durch die die äußeren Ursachen wirken. Das Abbild des Dinges ist ebenso objektiv wie das Ding, es hängt gesetzmäßig von den Wahrnehmungsbedingungen ab wie das Ding von seinen Existenzbedingungen. Die richtige Auffassung der Subjektivität besteht darin, daß man den Subjektivismus nicht rechtfertigt, sondern ausschließt, daß man also das Subjektive nicht aus der allgemeinen objektiven Gesetzmäßigkeit aller Prozesse und Erscheinungen in der Welt herauslöst. Der grundlegende Weg zur Überwindung des Subjektivismus besteht nicht in der Negierung, sondern in der richtigen Auffassung des Subjektiven als einer Erscheinungsform des Objektiven. Eine inadäquate Vorstellung von den tatsächlichen Ausmaßen der Sonne erhält man dann, wenn man die Ausmaße ihres Abbildes von den Bedingungen isoliert, unter denen sich die Wahrnehmung voll-

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zieht, und unmittelbar auf die Sonne selbst überträgt. Die tatsächlichen Ausmaße der Sonne dagegen stellen wir fest, indem wir von den sinnlichen Daten des Wahrnehmens ausgehen. Wir erhalten richtige Ergebnisse, wenn die Wahrnehmung den Bedingungen entspricht, die ihr zugrunde lagen, und wenn sie sich übereinstimmend mit den Veränderungen dieser Bedingungen verändert. Der Charakter des Illusorischen, Unwahren, Inadäquaten im Verhältnis zum Objektiven lastet nicht mit Notwendigkeit auf allem Subjektiven. Die Erkenntnis des Seins, die ständig überprüft und durch die Praxis bestätigt wird, ist ein Beweis für die Vereinbarkeit von Subjektivität und Objektivität, für den Zusammenhang zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven. Die wahre Erkenntnis ist die dem Sein adäquate, objektive Erkenntnis. Jedoch bedeutet eine richtig verstandene Objektivität keineswegs die Entfremdung vom Subjekt, von dessen Leben. Die objektive Wahrheit, nicht nur durch das Denken, sondern auch durch das Leben, durch das Erleben und Handeln des Menschen „gebrochen", geht in die Überzeugungen des Subjekts ein, von denen sein Verhalten bestimmt wird. Nur wenn die objektive Wahrheit in die Überzeugungen des Menschen eingeht, erhält sie Wirksamkeit; nur über das Subjekt und über das von ihr geleitete Handeln des Menschen gelangt die objektive Wahrheit in die Praxis, in das Leben der Menschen. Die Wahrheit, die im Leben verkörpert wird, die zur Überzeugung, zur Weltanschauung des Menschen geworden ist, trägt sowohl objektiven als auch subjektiven Charakter 74 . Eine isolierte Betrachtung des Psychischen, des Bewußtseins (als des Subjektiven) führt zu einer falschen, subjektivistischen Auffassung des Psychischen. Das ist auch der Kern der introspektionistischen Psychologie, die auf einer dualistischen Erkenntnistheorie beruht. Die idealistische Auffassung von der Subjektivität des Psychischen, die der introspektionistischen Psychologie zugrunde liegt, besteht darin, daß das Psychische als eine besondere, in sich abgeschlossene innere Welt des nur subjektiven Erlebens angesehen wird. (Von einer solchen Auffassung des Bewußtseins geht auch der sogenannte repräsentationistische Realismus in der Erkenntnistheorie aus.) Das Psychische wird von der äußeren, materiellen Welt losgelöst und seine Existenz auf das Erleben des Subjekts reduziert: Das Psychische existiert gleichsam nur insofern, als es bewußt wird, und so, wie es bewußt wird' 5 . Das Bewußt74

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H e g e l s Auffassung von der Objektivität der absoluten Idee, nach der das real existierende Subjekt in der Idee verschwindet, die an dessen Stelle gesetzt wird, und die Vorstellung vom Subjekt und seiner Existenz, die vom Begründer des modernen Existentialismus, S. Kierkegaard, ausgeht, nach dessen Ansicht der Mensch um so weniger existiert, je objektiver er denkt, das sind — bei all ihrer Gegensätzlichkeit — zwei Seiten ein und derselben Konzeption. Lediglich die subjektivistische Auffassung vom Subjekt und der Subjektivität, die sowohl dem Subjektivismus als auch jenem falschen Objektivismus, der dessen Kehrseite ist, gemeinsam sind, hindert das zu verstehen. Httsserl drückte diese These des Introspektionismus in dem Satz aus: Für das Psychische fallen Wesen und Erscheinung zusammen.

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I I . Psychische Tätigkeit und objektive Realität

sein löst sich von der Außenwelt und richtet sich auf sich selbst. Bewußtsein wird als Selbstbewußtsein ausgegeben. Wenn man die Introspektionskonzeption analysiert, dann findet man, daß ihr das Prinzip der Unmittelbarkeit des Psychischen als bestimmende These zugrunde liegt. Alles Materielle, Äußere, Physische ist durch das Bewußtsein, durch das Psychische vermittelt; dieses aber ist eine primäre, unmittelbare Gegebenheit. In seiner Unmittelbarkeit ist es in die innere Welt eingeschlossen und wird zu einem ganz persönlichen Besitz. Jedem Subjekt sind nur die Erscheinungen seines Bewußtseins gegeben; sie sind nur ihm gegeben und prinzipiell keinem anderen Beobachter zugänglich. Die Möglichkeit objektiver Erkenntnis des Fremdseelischen, die nur mittelbar erfolgen kann, entfällt unausweichlich. Gleichzeitig ist damit aber auch die objektive Erkenntnis des Psychischen von Seiten des erlebenden Subjekts unmöglich. Die extremen, im Grunde genommen einzig konsequenten Introspektionisten behaupten, daß die Daten der Introspektion absolut zuverlässig seien 76 . Das heißt, daß man sie nicht widerlegen kann. Ebenso berechtigt aber ist die Aussage, daß man sie auch nicht bestätigen kann. Wenn das Psychische unmittelbar ist und sein eigentlicher Inhalt nicht von objektiven Vermittlungen bestimmt wird, dann gibt es überhaupt keine objektive Instanz, welche die Daten der Introspektion überprüfen kann. Die Möglichkeit einer Überprüfung, die das Wissen vom bloßen Glauben scheidet, entfällt auf diese Weise für die Psychologie. Es ist aber notwendig, die Selbstbeobachtung als die auf sich selbst, auf Selbsterkenntnis gerichtete Beobachtung, von der eigentlichen Introspektion, das heißt einer ganz bestimmten, unrichtigen Auffassung von der Selbstbeobachtung, zu unterscheiden. Das Wesen des Introspektionismus und der introspektiven Selbstbeobachtung sowie ihre Fehler bestehen nicht darin, daß dabei die Erkenntnis des Subjekts auf sich selbst gerichtet ist. Die Möglichkeit und die Notwendigkeit der Selbsterkenntnis, des Selbstbewußtseins und der Selbstbeurteilung zum Zweck der Selbstkontrolle kann nicht geleugnet werden. Das Auf-sich-selbst-gerichtetSein ist kein ursprüngliches, grundlegendes, bestimmendes Merkmal der Introspektion, sondern ein abgeleitetes. Das Wesen der Introspektion besteht darin, die Reflexion des Psychischen in sich selbst zu behaupten: Das Psychische ist die abgeschlossene Welt des „reinen", von der materiellen Welt isolierten Bewußtseins. Es ist das Geistige, das sich durch sich selbst, unmittelbar, ohne jede materielle Vermittlung, erkennt. Offenbar ist es notwendig, andere Menschen durch ihr Verhalten, durch eine materielle Vermittlung zu erkennen. Der Tntrospektionismus wendet sich deshalb der Selbstbeobachtung zu, weil sie angeblich keiner Vermittlung durch das Ma" Sehr ausgeprägt und konsequent ist dieser Standpunkt in der russischen Literatur von G R O T formuliert worden. Siehe dessen „Grundlagen der experimentellen Psychologie", die als Einleitung zu der unter seiner Redaktion herausgegebenen Übersetzung von W U N D T S „Grundriß der Psychologie" (Moskau 1897) erschienen.

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terielle bedarf. In ihr sieht er die illusorische Möglichkeit, das Psychische, die dem Subjekt eigenen Erlebnisse zu erkennen, ohne die Grenzen des Psychischen zu überschreiten, und gleichsam in der von der materiellen Welt losgelösten, abgeschlossenen Welt des reinen Bewußtseins zu verbleiben. Das ist die Wurzel des Übels; dagegen muß sich die Kritik richten und nicht gegen die Selbstbeobachtung. Wenn wir die Introspektion und den Introspektionismus ablehnen, so bedeutet das auf keinen Fall, daß wir auch die Möglichkeit zur Selbstbeobachtung (im Sinne der Beobachtung des eigenen Ichs) negieren. Eine Negierung der Selbstbeobachtung des Menschen wäre im Grunde gleichbedeutend mit der Negierung des Selbstbewußtseins, der Selbsterkenntnis. Selbsterkenntnis aber ist möglich und notwendig. Die Selbstbeobachtung kann zu realer Erkenntnis führen, wenn sie nicht in Introspektion im obengenannten spezifischen Sinne verwandelt wird, wenn sie sich, wie das Erkennen anderer Menschen, auf die psychologische Analyse der Daten des Verhaltens gründet 77 . Die Überprüfung unseres Lebens führt uns zur Selbsterkenntnis. Nicht selten öffnet uns irgendeine Handlung oder eine Reaktion auf das Verhalten anderer Menschen zum erstenmal die Augen für ein Gefühl, dessen wir uns bis dahin nicht restlos bewußt geworden waren. Die Selbsterkenntnis und der Prozeß des Selbstbewußtseins, wie sie in Wirklichkeit sind, entsprechen ebensowenig dem Introspektionismus und dem Ideal der Introspektion, der introspektiven Selbstbeobachtung, wie das psychologische Erkennen anderer Menschen. Die Introspektion als Methode war speziell dafür bestimmt, zu einem „reinen", von der materiellen Welt losgelösten, psychischen Inhalt zu gelangen. Die Hauptforderung, die von den Theoretikern der Introspektion und der introspektiven Erkenntnistheorie an die Selbstbeobachtung (die Introspektion) gestellt wurde, bestand gerade darin, psychische Inhalte ihrer „gegenständlichen Bezogenheit" zu entkleiden. Besonders unverhüllt trat diese Tendenz bei T i t c h e n e r auf. Nach Meinung Titchenebs besteht der Haupt„fehler" der „naiven", in der Introspek" Bei der Einschätzung der Untersuchungen, die sich auf Daten der Selbstbeobachtung gründen, muß jedoch ein wesentlicher Nebenumstand berücksichtigt werden. Diese Untersuchungen beruhen gewöhnlich auf Angaben der Selbstbeobachtung der Versuchspersonen. Der Mangel bei der Verwertung der Angaben aus der Selbstbeobachtung der Versuchspersonen durch den Versuchsleiter besteht vor allem in der eigenartigen Vermischung der Funktionen, kurz gesagt darin, daß der Versuchsleiter seine Funktionen der Versuchsperson überträgt und sich selbst in einen Protokollanten verwandelt, der Angaben registriert, die nicht das Ergebnis seiner Untersuchung sind. Die Angaben der Selbstbeobachtung von Versuchspersonen aber, die sich keine Forschungsziele stellen, genügen meist nicht den Anforderungen, die an eine wirklich wissenschaftliche Beobachtung gestellt werden, sie enthalten keine ausreichende Analyse der Beobachtungsergebnisse, die auf ihrer allseitigen Gegenüberstellung beruht. Indessen ist Selbstbeobachtung nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Die Beobachtung seiner selbst ist im Prinzip nicht weniger möglich als die Beobachtung anderer Menschen. Sie kann ebenso objektiv sein wie die Beobachtung anderer Menschen; sie muß nur den Anforderungen genügen, die überhaupt an jede Beobachtung gestellt werden, damit ihre Resultate als objektiv, das heißt als wissenschaftlich anerkannt werden können.

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

tion nicht besonders geübten Menschen, in Folgendem: Bittet man sie, zu berichten, was sie erleben, empfinden, denken, so richten sie dabei ihre Aufmerksamkeit auf das Objekt ihrer Wahrnehmungen und Vorstellungen, auf den Gegenstand ihrer Empfindungen und Erlebnisse, auf den Gegenstand ihrer Gedanken. Diesen „Fehler" bezeichnete T I T C H E N E R als Beizirrtum (stimulus error). Er besteht nach ihm darin, auf das Objekt, auf den „Stimulus" der Erlebnisse, Empfindungen, Gedanken usw. gerichtet zu sein, wenn verlangt wird, diese zu charakterisieren. Natürlich ist der Gegenstand des Gedankens und der Gedanke über den Gegenstand nicht ein und dasselbe. Aber der Introspektionist, der sich gelegentlich mit dieser These sozusagen bemäntelt, behauptet ja etwas anderes: Im Gedanken über den Gegenstand möchte er den Gedanken vom Gegenstand trennen. So kommt TITC H E N E R zu seinem psychologischen Existentialismus, der das Psychische als ein Sein besonderer Art postuliert, das irgendwie ohne Bezug auf die materielle, objektive Welt existiert. Somit ist klar, daß die Theorie der Introspektion und die Widerspiegelungstheorie Gegensätze sind: jene verneint das, was diese bejaht. Nur die Widerspiegelungstheorie und ihre Auffassung von der Subjektivität des Psychischen entsprechen der wirklichen Sachlage: Der Gedanke kann nicht von seinem Gegenstand, die Empfindung nicht vom empfundenen Objekt, das Bild, die Wahrnehmung nicht vom Ding, dessen Abbild sie ist, getrennt werden. Die Subjektivität des Psychischen ist daher nicht absolut, nicht metaphysisch; der Form nach subjektiv, ist das Psychische seinem gegenständlichen Gehalt, seiner Quelle nach objektiv. Das ist das erste. Damit hängt zweitens zusammen: Im subjektiven Abbild der objektiven Welt erkennt das Subjekt vor allem die objektive Welt, nicht aber sich selbst, nicht die subjektive Bedingtheit des Abbildes. Gerade die subjektive Bedingtheit erkennt es am wenigsten und am spätesten. Der Akt der Selbstbeobachtung, auf sich selbst, auf das subjektive Erleben gerichtet, kann fehlen, aber das im Subjekt entstandene Abbild der objektiven Welt wird realisiert, wird seine objektive Rolle spielen, um das Verhalten, die Handlungen des Menschen entsprechend zu regulieren. Diese objektive Rolle, die das Abbild im Leben und in der Tätigkeit des Menschen spielt, der Dienst, den das Abbild leistet, ist seine Existenz. Sie beschränkt sich keineswegs darauf, daß das Abbild subjektiv erlebt wird. Es kann existieren und wirken, ohne Gegenstand der Selbstbeobachtung zu werden. Wenn es Gegenstand der Selbstbeobachtung, des subjektiven Erlebens wird, so erschöpft sich seine Existenz nicht darin. Deshalb kann der psychische Zustand des Subjekts in der Selbstbeobachtung nicht adäquat in Erscheinung treten. Was die Menschen über sich selbst denken und wie sie tatsächlich sind, das stimmt bei weitem nicht immer überein. Außerdem ist das Bewußtwerden seiner eigenen Erlebnisse im Akt der Selbstbeobachtung nicht nur subjektives Erleben, sondern auch eine objektive Tatsache, die objektive Folgen hat. Ein Mensch, der sich seiner Erlebnisse, die Motive für sein Verhalten sind, bewußt wird, handelt anders als ein Mensch, der sich ihrer nicht bewußt geworden ist. Das eben ist das objektive Sein der Selbsterkenntnis, der Selbstbeobachtung.

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Auch in der eigentlichen Selbstbeobachtung reduziert sich das Sein des Psychischen nicht auf sein Gegebensein für das erlebende Subjekt. Die Überwindung des Subjektivismus in der Auffassung des Psychischen bedeutet keineswegs die Leugnung seiner Subjektivität. Im Gegenteil: Eine wirkliche wissenschaftliche Auffassung der Subjektivität führt notwendigerweise zur Überwindung des Subjektivismus, der in der Trennung des Subjektiven vom Objektiven besteht. Wenn wir den Subjektivismus ablehnen und überwinden, so heißt das nicht, daß wir das Subjekt und das Subjektive — die subjektive, persönliche, „innere" Welt des Menschen — ablehnen, sondern wir bestätigen sie. Es geht dabei nur darum, das Subjektive aus der Isolierung herauszuführen, durch die es verarmt, unweigerlich verkümmert und unfähig wird, die Weiten und Horizonte der Welt zu erschließen und der Subjektivität des Menschen zugänglich zu machen sowie die Verbindung der „inneren Welt" des Individuums mit der großen Welt der Menschheit, mit dem All, zu festigen. (Die Lyrik ist ein echtes, tief im Innern verborgenes Element des menschlichen Seelenlebens, sie ist eigentlich nichts anderes als die innerste, intimste Subjektivität, die imstande ist, die ganze Welt zu umfassen, wenn sie — vor allem angesichts eines anderen Menschen — aus ihrer Vereinsamung heraustritt.) Wenn wir den Subjektivismus überwinden und den wahren Begriff der Subjektivität bestätigen wollen, so müssen wir vor allem die Isolierung des Psychischen, des Bewußtseins von der Welt, von der objektiven Realität beseitigen. Wir sprachen bisher über die Idealität und Subjektivität des Psychischen im allgemeinen, ohne diese Qualitäten hinsichtlich der verschiedenen Formen oder Stufen der Erkenntnis zu spezifizieren. Indessen treten sowohl die Idealität als auch die Subjektivität in der Wahrnehmung und im Denken unterschiedlich in Erscheinung. Auf den verschiedenen Etappen oder Stufen der Erkenntnis werden sie selbst, aber auch ihre Beziehung verändert. Die Auffassung vom Psychischen als dem Ideellen im Verhältnis zum Ding, zum materiellen Gegenstand ist, wie eben gesagt wurde, nur ein Moment, eine Seite, ein Aspekt im Verhältnis des erkennenden und handelnden Subjekts zur objektiven Realität. Auf den verschiedenen Stufen der sinnlichen Erkenntnis gliedert sich der Aspekt des Ideellen aus einem komplizierten Ganzen — aus der gnostischen Beziehung des Subjekts zur objektiven Welt — nur bei seiner Analyse als Resultat wissenschaftlicher Abstraktion heraus. Die Lage ändert sich schon, wenn wir die Sprache einbeziehen. Der in ihr objektivierte sinnliche Inhalt wird objektiv vom Ideellen unterschieden. I n noch anderer Weise tritt das Ideelle des im Wort objektivierten und in das System der Wissenschaft einbezogenen Inhalts eines Begriffs auf. In den historisch entstandenen Wissenschaften erscheint der ideelle Inhalt dem Subjekt als „objektive Realität", die sich real herausgesondert hat (ähnlich wie nach einer Bemerkung von M A R X die Abstraktion der Arbeit überhaupt erst mit der Entwicklung der kapitalistischen Gesell-

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

schaft Realität erhielt). Vor allem der Begriff t r i t t real als etwas Ideelles in Erscheinung. Nicht zufällig isolierte ihn deshalb der objektive Idealismus und stellte ihn der materiellen Welt der sinnlich gegebenen Dinge gegenüber. Analog dazu erhält die These von der Subjektivität (und der Objektivität) der Erkenntnis in der Wahrnehmung und im Denken einen verschiedenen Sinn. Die Wahrnehmung ist in dem Sinne objektiv, als die Dinge und Erscheinungen der Wirklichkeit selbst ihr Objekt sind (darüber siehe später). Dabei aber k a n n der in der Wahrnehmung auftretende summarische Effekt der Wechselwirkung von Subjekt und Objekt der Erkenntnis nicht so aufgegliedert werden, als ob das sinnliche Abbild des Dinges und seiner Eigenschaften allein durch das Ding selbst eindeutig bestimmt wäre. Eine Wärmeempfindung, die durch die einen Gegenstand berührende H a n d vermittelt wird, charakterisiert zum Beispiel nicht eindeutig dessen Wärme, da sie nicht nur von der Wärme des Gegenstandes, sondern auch vom Zustand des Subjekts abhängt, von seinem Wahrnehmungsapparat, davon, welche — wärmeren oder kälteren — Gegenstände der Mensch vorher berührt hat. Die Unmöglichkeit, nur im Rahmen der sinnlichen Erkenntnis den summarischen Effekt der Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt restlos zu zergliedern und auf diese Weise zu einer eindeutigen, invarianten Bestimmung der Eigenschaften des Objekts zu gelangen, die nur von diesem allein abhängig ist, nötigt uns objektiv, in der Erkenntnis zum abstrakten Denken überzugehen. E s läßt sich natürlich eine allgemeine Bestimmung für die Objektivität der Erkenntnis geben, die für alle Formen und Stufen der Erkenntnis zutrifft: Objektivität der Erkenntnis in ihrer allgemeinen Bedeutung ist die Übereinstimmung von Erkenntnis und Sein. Es läßt sich auch ein allen Stufen oder Formen der Erkenntnis gemeinsames Kriterium der Objektivität nachweisen. Dieses Kriterium ist die Praxis. Gleichzeitig aber treten die Subjektivität und die Objektivität auf jeder Stufe der Erkenntnis auf verschiedene Weise in Erscheinung. Die Wahrnehmung in ihren ursprünglichen Formen ist vorwiegend Anschauung des mehr oder weniger unmittelbar gegebenen Objekts; der Prozeß der Wahrnehmung erscheint nicht als solcher im Bewußtsein (wenn m a n in die Wahrnehmung nicht die zielgerichtete Beobachtung einbezieht, die eigentlich ein sinnliches Denken ist). Das Denken t r i t t eher als Denktätigkeit des Menschen, des Subjekts der Denktätigkeit, auf. I n diesem Sinne t r i t t im Denken die „Subjektivität" — in der ersten, allgemeineren Bedeutung dieses Wortes — in stärkerem Maße hervor als in der Wahrnehmung. Gleichzeitig erreicht das abstrakte Denken dem Inhalt nach eine solche Objektivität, wie sie der Empfindung und der Wahrnehmung nicht zugänglich ist. Um das Problem des Subjektiven und des Objektiven (und auch des Ideellen) in seinen konkreten Formen zu zeigen, wenden wir uns nun der Analyse des Erkenntnisprozesses selbst zu.

4. Der Erkenntnisprozeß

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4. Der Erkenntnisprozeß. Die Wahrnehmung als sinnliche Erkenntnis der äußeren Welt Das Erkennen, vom Empfinden und Wahrnehmen bis zum abstrakten, begrifflichen Denken, ist ein einheitlicher Prozeß. Da Empfindung und Begriff wesenhaft voneinander verschieden sind, lassen sich in diesem Prozeß verschiedene Glieder unterscheiden. Man kann sogar einen gewissen „Sprung" feststellen, den die Erkenntnis beim Übergang zum abstrakten Denken vollzieht. Man darf aber trotzdem nicht — wie das oft geschieht — die sinnliche und die logische oder rationale Stufe der Erkenntnis voneinander isolieren und einander äußerlich gegenüberstellen. Eine solche äußerliche Gegenüberstellung hält der Kritik nicht stand und entspricht nicht dem wirklichen Verlauf des Erkenntnisprozesses. Unschwer kann man sich davon überzeugen, daß Sinnliches und Abstraktes miteinander zusammenhängen. Vor allem ist abstrakte Erkenntnis ohne sinnliche unmöglich. Das ist nicht nur in dem Sinn richtig, daß jedes theoretische Denken letzten Endes von den empirischen Daten ausgeht und auch zum abstraktesten Inhalt durch eine mehr oder weniger gründliche Analyse der sinnlichen Daten gelangt, sondern auch in dem tieferen Sinne, daß in das abstrakte Denken auch immer dieser oder jener, wenn auch sehr reduzierte sinnliche Gehalt eingeschlossen ist, gleichsam dessen Basis darstellt. In jede begriffliche Verallgemeinerung ist in der Regel eine sinnliche Generalisation einbezogen. Die sinnlichen Elemente, die in das abstrakte Denken eingeschlossen sind, treten in Form von sinnlichen Schemata, anschaulichen Lösungen abstrakter Probleme usw. zutage. Andererseits bereichert sich im Erkenntnisprozeß auch beständig dessen sinnliche Seite. Dadurch, daß die ursprünglichen Sinnesdaten in neue Zusammenhänge einbezogen werden, wird die Wahrnehmung ständig umgestaltet und vertieft. Diese Tatsache zeigt sich zum Beispiel, wenn man vergleicht, wie der Ausschlag eines wissenschaftlichen Geräts von einem Menschen, der die Erscheinung, die der Ausschlag bezeichnet, nicht kennt und von einem Wissenschaftler, der diesen Ausschlag deuten kann, wahrgenommen wird: Die gleichen sinnlichen Eindrücke erhalten hier eine neue Bedeutung, es wird in ihnen ein neuer objektiver Inhalt wahrgenommen. Dementsprechend wie die Wahrnehmung in neue Zusammenhänge einbezogen wird, offenbart sie neue Eigenschaften; diese werden in Begriffen fixiert, die ihr Wesen tiefer und allseitiger enthüllen. Auf diese Weise kehrt ständig der gesamte Erkenntnisprozeß, sein abstrakter, durch das Denken aufgedeckter Gehalt, gleichsam in die Sphäre des Sinnlichen zurück und schlägt sich darin nieder. Man darf sich also den Erkenntnisprozeß nicht als aus zwei einzelnen Abschnitten zusammengesetzt denken, die auf einer Geraden liegen. Auch die Vorstellung von einer geraden Linie, bei der sich ein Ende immer weiter vom anderen entfernt, ist inadäquat. Man kommt der Wahrheit näher, wenn man sich ihn als endlose Spirale vorstellt, auf der er sich vorwärts bewegt, indem er vom Sinnlichen zum Abstrakten und vom Abstrakten zum Sinnlichen übergeht: Nachdem er sich vom 5 Rublnsteln

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

Sinnlichen entfernt hat, kehrt er zu ihm zurück. Aber der Punkt, zu dem er zurückkehrt, verschiebt sich laufend, indem sich das, was durch die abstrakte Erkenntnis aufgedeckt wird, ständig im Sinnlichen, in der Wahrnehmung der Wirklichkeit niederschlägt. Alle Abstraktionen des Denkens dienen im Grunde dazu, das zu begreifen und zu erklären, was direkt oder indirekt auf der sinnlichen Oberfläche der Wirklichkeit, in der wir leben und wirken, zutage tritt. Je nachdem wie sich das theoretische Denken davon entfernt, was so oder anders, entweder indirekt oder entfernt, in der Sphäre der sinnlichen Erkenntnis durch sinnliche Daten der Praxis kontrolliert wird, bemessen wir nicht nur den Fortschritt des wissenschaftlichen Denkens, sondern auch sein Abweichen von den Forderungen, denen es gerecht werden muß. Natürlich fallen das wissenschaftliche, theoretische Wissen und die sinnliche Erkenntnis niemals unmittelbar zusammen. (Wenn sie zusammenfielen, bedürfte es keiner wissenschaftlichen, theoretischen, abstrakten Erkenntnis.) Sie geraten manchmal sogar in direkten Gegensatz zueinander. So demonstriert uns die sinnliche Erkenntnis tagtäglich die Bewegung der Sonne um die Erde; die wissenschaftliche Erkenntnis aber behauptet, daß sich nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne dreht. Eine vollständige und adäquate Vorstellung vom Erkenntnisprozeß erfordert, daß er als einheitlicher Prozeß im wechselseitigen Zusammenhang seiner Teile betrachtet wird. Aber das heißt natürlich nicht, daß man seine Bestandteile nicht zu differenzieren braucht. Im Gegenteil: Ohne Analyse der verschiedenen Glieder des Erkenntnisprozesses hinsichtlich ihrer spezifischen Besonderheiten erscheint der Erkenntnisprozeß nicht in seiner Konkretheit, im realen wechselseitigen Zusammenhang seiner Glieder. *

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Empfindung und Wahrnehmung sind so, wie sie tatsächlich existieren, vor allem reale Prozesse. In ihrem effektiven Ausdruck sind sie sinnliche Gebilde, die in ihrem gnostischen Verhältnis zu den Dingen und Erscheinungen, zur objektiven Realität, als deren Abbild, als Widerspiegelung, Erkenntnis, als Wissen erscheinen. Wir unterscheiden folgende Begriffe: a) Empfindung und Wahrnehmung als Funktionen eines Organs, das mit Reizen in Wechselwirkung steht; b) sinnliche Erfahrung des Menschen, der mit der objektiven Welt in Wechselwirkung steht. Die Begriffe „Empfindung" und „Wahrnehmung" im obengenannten Sinne sind psychologische Kategorien. „Sinnliche Erfahrung", „sinnliche Erkenntnis", „sinnliche Daten der menschlichen Praxis" sind erkenntnistheoretische Kategorien. Die sinnliche Erfahrung, die sinnliche Daten der Praxis sind Empfindungen und Wahrnehmungen, die als Abbilder in die Wechselbeziehung von Mensch und Welt, in die Praxis, einbezogen sind. Die sinnliche Widerspiegelung der Wirklichkeit beginnt mit der Unterscheidung und Differenzierung der Reize.

4. Der Erkenntnisprozeß

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In der Evolution bildeten sich bei Tier und Mensch für eine minimale Zahl von Reizen spezifische Vorrichtungen („Sinnesorgane") heraus, die zur Rezeption der betreffenden Reize fähig sind. Die sinnliche Abbildung einer ganzen Reihe anderer Eigenschaften der Wirklichkeit, wie Form und Größe der Gegenstände, ihre Entfernung voneinander sowie vom Beobachter und viele andere, entsteht durch die Wechselwirkung dieser Rezeptoren, durch die wechselseitige Verknüpfung ihrer Daten. Die einen wie die anderen sinnlichen Eigenschaften werden durch Signal Verbindungen mit anderen lebenswichtigen Eigenschaften der Gegenstände verknüpft, ursprünglich hauptsächlich mit solchen, die das Leben des Organismus, seine biologischen Funktionen unmittelbar beeinflussen. Beim Menschen verbinden sie sich zunehmend mit solchen Eigenschaften, die in der praktischen Tätigkeit der Menschen eine Rolle spielen78. Um den gnostischen Inhalt einer sinnlichen Widerspiegelung der Wirklichkeit richtig darzustellen, müssen auch diese Signalverbindungen berücksichtigt werden, da sie den objektiven Inhalt eines sinnlichen Abbildes und die Reaktion, die er beim Individuum hervorruft, wesentlich mitbestimmen. Die sinnliche Unterscheidung der Reize erfolgt durch das für die Rezeption geeignete Sinnesorgan entsprechend seinen erblich fixierten Struktur- und Funk" Eine Signalverbindung ist bekanntlich eine Verbindung zwischen einem indifferenten Reiz. — einer Erscheinung oder einer Eigenschaft eines Gegenstandes — und einer Eigenschaft, die für die Bedürfnisse des Individuums und die auf deren Befriedigung gerichtete Tätigkeit bedeutsam ist. Durch eine solche Verbindung wird eine Erscheinung, die f ü r das Individuum an sich indifferent ist, zu einem Signal f ü r etwas Wesentliches. In den Untersuchungen P A W L O W S über die Signalverbindungen traten zwei Tatsachen zutage, die unseres Erachtens f ü r die Theorie der Wahrnehmung besonders wichtig sind. Einmal wird eine Signalverbindung besonders leicht, fast augenblicklich, zwischen Eigenschaften ein und desselben Gegenstandes hergestellt, während zum anderen eine Signalverbindung zwischen zwei verschiedenen Gegenständen oder Erscheinungen einer langen Ausarbeitung bedarf (Versuche von WARTANOW). Auf Grund dessen kann man annehmen, daß die Signalverbindungen zur Wahrnehmung des Gegenstandes selbst gehören, daß durch sie nicht n u r die Eigenschaften der physikalischen Agentien in die Wahrnehmung einbezogen werden, die auf die Analysatoren unmittelbar einwirken, sondern auch die Eigenschaften, die von ihnen signalisiert werden. Diese Annahme wird durch eine andere Tatsache indirekt bestätigt. P A W L O W bemerkte wiederholt, daß ein H u n d eine elektrische Lampe ahleckte, die im Versuch zum Signal für Nahrung geworden war. Die Lampe wurde f ü r den Hund zu einem Nahrungsgegenatand. Wenn in den Versuchen als Signal für die Fütterung ein Laut ertönte, versuchte der H u n d ihn mit der Pfote zu erhaschen: Der L a u t wurde zum Nahrungsgegenstand. Auf Grund dieser Tatsachen kann man denken, daß unter den künstlichen Bedingungen des Versuchs eine der grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung entstellt wurde. Diese Gesetzmäßigkeit wirkt normal, wenn das Signalisierende und das Signalisierte Eigenschaften eines Gegenstandes sind. In diesem Normalfall wäre das Verhalten des Hundes, das P A W L O W erwähnt, keinesfalls paradox. Auf einen Gegenstand, der die Merkmale eines Nahrungsgegenstandes hat, wie auf einen solchen zu reagieren, ist mehr als normal. Auf diesem Prinzip beruht jedes Verhalten und jede Wahrnehmung.

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

tionseigenschaften, die sich in der Evolution unter Einfluß der für den Organismus lebenswichtigen Reize gebildet haben. Das Resultat der sinnlichen Unterscheidung könnte man bedingt als primären sinnlichen Eindruck bezeichnen, zum Unterschied von der eigentlichen Empfindung, mit der dieser gewöhnlich identifiziert wird. Unter Empfindung im engeren, speziellen Sinne wäre dann das Resultat der sinnlichen Differenzierung der Reize zu verstehen, das heißt ihre Analyse, die durch den synthetischen Akt der Koppelung mit der Antwortreaktion des Organismus, also durch die Schließung bedingter Verbindungen, verwirklicht wird. Eine Empfindung in diesem spezifischen Sinne des Wortes entsteht dann, wenn die unmittelbar bekräftigte unbedingt-reflektorische Grundlage des „Eindrucks" durch bedingte Verbindungen aufgestockt wird 79 . Auf Grund dieser bedingten Verbindungen signalisiert die Empfindung, die durch Differenzierung einer bestimmten Eigenschaft des Reizes in ihrem Verhältnis zu anderen Eigenschaften dieses und anderer Reize entstanden ist, auch andere Eigenschaften dieser und anderer lebenswichtiger Reize. Infolgedessen beschränkt sich der objektive gnostische Inhalt einer Empfindung im speziellen Sinne nicht mehr auf eine einzelne Reizeigenschaft, die durch den entsprechenden sinnlichen Eindruck widergespiegelt wird. E r schließt vielmehr auch dessen Verhältnis zu wesentlicheren Eigenschaften des Reizes ein, mit denen er im Leben und in der Tätigkeit des Individuums verknüpft war. Diese Tatsache bestimmt die Signalbedeutung der Empfindung und dementsprechend die objektive Reaktion, die sie hervorruft. Der Übergang von der Empfindung zur Wahrnehmung vollzieht sich in dem Maße, in dem die sinnlichen Eindrücke oder Empfindungen nicht mehr nur als Signale, sondern auch als Abbilder des Gegenstandes funktionieren. Unter Abbild im eigentlichen, erkenntnistheoretischen Sinne darf nicht jeder sinnliche Eindruck verstanden werden, sondern nur derjenige, in dem uns die Erscheinungen, ihre Eigenschaften (Form, Größe) und ihre Relation als Gegenstände oder Objekte. der Erkenntnis entgegentreten. Das eben ist das Grundmerkmal der Wahrnehmung im eigentlichen Wortsinne 80 . So wird insbesondere verständlich, warum wir auf

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Nur wenn man den üblichen Begriff der Empfindung solcherart in zwei Gebilde aufgliedert — in ein primitiveres, weniger differenziertes, das wir bedingt als Eindruck bezeichnet haben, und in die Empfindung im engeren, obengenannten Sinne —, kann die von K . M. BYKOW aufgestellte These aufrechterhalten werden, nach der es nur dann eine Empfindung gibt, wenn ein bedingter Reflex vorhanden ist. Siehe K . M. BYKOW und A. T. PSCHONIK. Über die Natur des bedingten Reflexes. „Fisiologitscheski jurnal SSSR im. I. M. SETSCHENOWA" (Setschenow-Zeitschrift für Physiologie der UdSSR), 1949, Bd. X X X V , Nr. 5, S. 509—524, [russ.]. Andernfalls muß diese These völlig fallengelassen werden, da man schwerlich daran zweifeln kann, daß die sinnliche Unterscheidung der Reize durch das geeignete Organ bereits nach den erblich fixierten Struktur- und Funktionseigenschaften dieses Organs erfolgt, also unbedingt-reflektorisch. SETSCHENOW schrieb: „Wenn von irgendeinem Gegenstand Licht in unser Auge fällt, empfinden wir nicht die Veränderung, die dieses auf der Netzhaut unseres Auges verursacht, wie man erwarten sollte, sondern die äußere Ursache für die Empfindung ist der vor uns (d. h.

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dem Gebiet der Intero- und Propriorezeption lediglich Empfindungen haben, daß Wahrnehmungen aber vorwiegend Sache der Exterorezeption sind. In den Exterorezeptoren werden alle Impulse, die Veränderungen im Zustand der Sinnesorgane signalisieren, das heißt die interorezeptiven Impulse der Exterorezeptoren, gehemmt und kommen uns nicht zum Bewußtsein. In unserem Bewußtsein entsteht deshalb nur das Bild des Gegenstandes. Auf Grund derselben Notwendigkeit, nämlich der, vor allem die Außenwelt widerzuspiegeln, um erfolgreich handeln zu können, werden die Impulse der Interorezeptoren (derjenigen Rezeptoren, die Impulse aus dem inneren Milieu des Organismus aufnehmen) in beträchtlichem Maße gehemmt und verbleiben zum größten Teil in der Sphäre des Unterbewußten 81 . Der Übergang von der Empfindung zur Wahrnehmung ist der Übergang von der Analyse, d. h. vor allem der Differenzierung der Reize zur Analyse (und Synthese) der in der Empfindung widergespiegelten sinnlichen Eigenschaften der Objekte. Wahrnehmung ist sinnliche Erkenntnis auf höherer Stufe. Das beweist eine Reihe von Tatsachen. Bei der Untersuchung des optischen Analysators hat P A W L O W 8 2 hervorgehoben, daß das „gegenständliche Sehen" (die optische Wahrnehmung) eine höhere Stufe der optischen Analyse und Synthese ist. Zu diesem Schluß kam er bei der Untersuchung einer Reihe von Fällen, in denen (bei Hunden) eine sehr feine Differenzierung von Lichtreizen verschiedener Intensität erhalten blieb, während das „gegenständliche Sehen" gestört war. Die Ergebnisse der Pathologie bei der Wiederherstellung der Sehfunktionen (bei Menschen), die durch verschiedenartige Traumata gestört waren, beweisen, daß das gegenständliche Sehen als erstes gestört und als letztes wiederhergestellt wird. Zuletzt gestört und zuerst wiederhergestellt wird die Lichtempfindung: Der Mensch kann zwar noch Licht und Schatten, aber nicht mehr die Formen der Gegenstände unterscheiden. Als letztes wird die Farbunterscheidung wiederhergestellt (zuerst die Unterscheidung der achromatischen und danach die der chromatischen Farben). Bei Wiedereinsetzen des gegenständlichen Sehens (der optischen Gegenstandswahrnehmung) ist das Bild des Gegenstandes anfangs unbeständig, gleichsam flimmernd. Der Gegenstand, der zuerst in schwachen

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außerhalb von uns) liegende Gegenstand." J . M. SETSCHENOW, Ausgewählte philosophische und psychologische Werke. Gospolitisdat, Moskau 1947, S. 433 (russ.). Bereits bei MARX lesen wir: „So stellt sich der Lichteindruck eines Dinges auf den Sehnerv nicht als subjektiver Reiz des Sehnervs selbst, sondern als gegenständliche Form eines Dings außerhalb des Auges dar." Vgl. MARX, Das Kapital. Dietz Verlag, Berlin 1947, Bd. I, S. 7 8 . Vgl. K. M. BYKOW und A. T. PSCHONIK, Über die Natur des bedingten Reflexes. „Fisiologitscheski jurnal SSSR im. I. M. Setschenowa" (Setschenow-Zeitschrift für Physiologie der UdSSR), 1949, Bd. X X X V , Nr. 5, S. 5 0 9 - 5 2 4 (russ.). I. P. PAWLOW, Vorlesungen über die Arbeit der Großhirnhemisphären. Sämtliche Werke. Akademie-Verlag, Berlin 1953, Bd. IV, 8. Vorlesung.

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Umrissen, undeutlich, wie im Nebel gesehen wird, gewinnt allmählich an Deutlichkeit, seine Kontur, die ihn aus dem Baum heraushebt, wird schärfer 83 . Bei der Wahrnehmung der äußeren Welt spielen die räumlichen Eigenschaften und Relationen der Gegenstände eine wesentliche Rolle. Der Gegenstand erscheint als ein aus dem Raum ausgegliedertes Ding im Zusammenhang seiner Eigenschaften. I . M. S E T S C H E N O W hob vor allem die Bedeutung der Kontur- und Abgrenzungslinien zweier verschiedener Medien, als das erste, wichtigste Merkmal der optisch-taktilen Wahrnehmung von Gegenständen der äußeren Welt hervor 84 . Die räumliche Heraushebung des Gegenstandes und der Zusammenhang der Eigenschaften, der den Gegenstand als ein einheitliches Ganzes kennzeichnet, sind die wichtigsten Besonderheiten der Wahrnehmung. Wir nehmen die Dinge als etwas wahr, daß außerhalb von uns in bestimmten räumlichen Beziehungen zu uns und zu anderen Dingen steht, wir nehmen ihre Form, Kontur, Größe, ihre Entfernung von anderen Gegenständen und von uns wahr 85 . Raum und Zeit können nicht losgelöst von den Gegenständen und Erscheinungen wahrgenommen werden, wie das in der Psychologie durchweg dargestellt wurde, und zwar unter dem direkten Einfluß der KANTSchen Auffassung von Raum und Zeit als apriorischen Formen, welche die mannigfaltigen nicht-räumlichen Empfindungen überformen und einen „Behälter" bilden, in dem dann die Dinge untergebracht werden. Eine solche Trennung von Raum und Gegenstand widerspricht den Tatsachen. Sie ist darauf gerichtet, die Sinnlichkeit von der Außenwelt zu trennen. Die Wahrnehmung eines Gegenstandes der äußeren Welt und die seiner räumlichen Eigenschaften lassen sich nicht voneinander trennen, ebenso wie die Wahrnehmung der Zeit nicht von den in der Zeit sich verändernden Erscheinungen losgelöst werden kann. " Vgl. N. S. PBEOBRASHENSKAJA, Zur Frage der Störung und Wiederherstellung der Sehfunktionen bei traumatischen Verletzungen der Okzipitallappen des Gehirns. Sammelband „Fragen der Physiologie und Pathologie des Sehens". Moskau 1950, S. 173—175 (russ.); B. G. A N A K J E W , Einige Probleme der Wahrnehmung. „Utschonyje sapiski LGU" (Wissenschaftliche Annalen der Staatlichen Leningrader Universität), Serie der philosophischen Wissenschaften, Leningrad 1949, Nr. 3, S. 7—9 (russ.). 84 I. M. SETSCHENOW, Eindrücke und Wirklichkeit. Ausgewählte philosophische und psychologische Werke. Gospolitisdat, Moskau 1947 (russ.). •6 Die neurodynamische Grundlage der Wahrnehmung der Dinge in ihren räumlichen Eigenschaften und Beziehungen sind Verbindungen, durch die verschiedene Reize zu einem einzigen Komplexreiz vereinigt werden. So beruht die Größenwahrnehmung auf Verbindungen zu einem Komplexreiz, der aus der Größe des Netzhautbildes und den Muskelsignalen besteht, die mit der Anpassung des Auges an die Entfernung des Gegenstandes zusammenhängen und durch die taktil überprüfte Größe des Gegenstandes bekräftigt werden. Die Wahrnehmung der räumlichen Eigenschaften und Beziehungen der Dinge oder der Dinge in ihren räumlichen Eigenschaften und Beziehungen erfolgt dadurch, daß die Wahrnehmung die sinnliche Analyse und Synthese, die Differenzierung der Reize und die Vereinigung zu einem einheitlichen Ganzen umfaßt.

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Eigenschaften wie Festigkeit, Dichte, Undurchdringlichkeit und dergleichen nehmen wir primär m i t dem Tastsinn wahr 8 4 . Gerade diese sind ein wesentlicher Bestandteil der Wahrnehmung des Gegenstandes als eines materiellen Dinges 8 7 . Die taktilen Wahrnehmungsqualitäten des Dinges werden auch in die optische Wahrnehmung einbezogen u n d wirken in ihr mit. Nur dadurch ist es übrigens möglich, Dinge auf einem Gemälde darzustellen: Wir nehmen optisch wahr, wir sehen die taktilen Eigenschaften des Gegenstandes als eines materiellen Dinges. Die Vereinigung v o n D a t e n verschiedener „Modalitäten" läßt uns mittels einer Modalität auch solche Qualitäten wahrnehmen, die sich auf andere beziehen; das ist ein wesentliches Merkmal der Wahrnehmungsstruktur 8 8 . Die Verknüpfung v o n optischen und taktilen Empfindungen erfolgt durch bedingt-reflektorische Verbindungen, deren Entstehen an sich nicht bewußt wird. I m Bewußtsein treten daher nicht optische plus taktile Qualitäten plus deren Verknüpfung hervor, sondern einheitliche, geschlossene optisch-taktile Gebilde, welche die Eigenschaften der betreffenden Gegenstände widerspiegeln. Der wechselseitige Zusammenhang der D a t e n des Gesichts- u n d des Tastsinns beruht darauf, daß die Gesichts- und die Tastempfindungen wenigstens teilweise 88

Damit hängt die Bedeutung der Theorie der Tastempfindungen für die gesamte Wahrnehmungstheorie zusammen. Die Theorie des Tastsinns in der dargelegten Weise wurde in der sowjetischen Psychologie von L . A. SCHIFMAN ausgearbeitet. Vgl. L. A. SCHIFMAN, Der wechselseitige Zusammenhang der Sinnesorgane. Sammelband „Untersuchungen zur Psychologie der Wahrnehmung", Moskau/Leningrad 1948 (russ.). 87 Bereits CONDILLAC hat bekanntlich die Rolle des Tastsinns im Zusammenhang damit unterstrichen, daß sich beim Tasten vor allem die Materialität der Dinge zeigt: Die Tastempfindung vermittelt die Haupteigenschaft aller Körper, die Undurchdringlichkeit. CONDILLAC schrieb, daß sich die Empfindung der Härte von den Laut-, Farben- und Geruchsempfindungen unterscheidet, welche die Seele, die ihren Körper nicht kennt, natürlicherweise als Modifikationen wahrnimmt, in denen sie sich befindet und in denen sie nur sich selbst findet. Da die spezifische Besonderheit der Empfindung der Härte darin besteht, sich gleichzeitig zwei Dinge vorzustellen, die einander ausschließen, vermag die Seele nicht, die Härte als eine der Modifikationen wahrzunehmen, in denen sie nur sich selbst findet. Bei der Betrachtung der Bedeutung der Kontur in der Gegenstandswahrnehmung hob SETSCHENOW völlig richtig hervor, daß die Kontur dabei als „Scheidegrenze zwischen zwei Realitäten" in Erscheinung tritt. „Die Empfindung einer Kontur", schrieb SETSCHENOW, „setzt zwei Dinge voraus: die Unterscheidimg zweier aneinanderstoßender verschiedenartiger Medien und ein Instrument, das die Form ihrer Grenzlinie bestimmt. Dem Unterschied der Medien, die das Auge empfindet, entspricht die sogenannte optische Verschiedenartigkeit der Stoffe, und dem Unterschied, der durch Tasten bestimmt wird, entsprechen die verschiedenen Grade der Dichte oder, genauer gesagt, der Widerstandsfähigkeit der Stoffe gegenüber einem Druck." Vgl. I. M. SETSCHENOW, Eindrücke und Wirklichkeit. Ausgewählte philosophische und psychologische Werke. Gospolitisdat, Moskau 1947, S. 335 (russ.). 88 So nimmt zum Beispiel ein Musiker, der Noten „vom Blatt" liest, die musikalischen Töne visuell wahr. Das innere Gehör ist eigentlich ein „Hören mit den Augen". Andererseits werden bei Musikern, Komponisten und Dirigenten gehörte Töne im Bewußtsein optisch als Notenschrift widergespiegelt.

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ein und dieselben Eigenschaften (Form, Größe usw.) des Gegenstandes in verschiedenen Modalitäten widerspiegeln. Sehen und Tasten sind also keine isolierten Sphären (Modalitäten) der Sinnlichkeit: sie haben ihre gemeinsame Grundlage in den Eigenschaften des Gegenstandes, den sie widerspiegeln. Das System der zwischen den Analysatoren bestehenden Verbindungen hängt primär von den Gegenständen ab, die widergespiegelt werden. Dagegen hängt die Widerspiegelung des Gegenstandes sekundär vom System der Verbindungen ab, die sich auf Grund der vorausgegangenen Erfahrung gebildet haben. Deshalb kann man die Tätigkeit der Analysatoren nur dann richtig verstehen, wenn man von der Notwendigkeit ausgeht, die sie gesetzmäßig hervorgebracht hat, nämlich von der Notwendigkeit, die Welt widerzuspiegeln, um in ihr leben und handeln zu können. Nur dann wird auch die biologische Rolle und die erkenntnistheoretische Bedeutung der Analysatoren verständlich. Die neurodynamische Grundlage für das Abbild des Gegenstandes ist ein System kortikaler Verbindungen, in dem die verschiedenen Analysatoren miteinander verknüpft sind. Das optische Bild eines Dinges enthält auch Tastqualitäten, weil dem Wahrnehmen zentrale kortikale Verbindungen zugrunde liegen, die nicht nur innerhalb eines Analysators, sondern auch zwischen den verschiedenen Analysatoren entstehen. Grundlage der optischen Wahrnehmung ist nicht das Netzhautbild an und für sich; dieses ist lediglich der Ausgangspunkt für die Entstehung einer optischen Wahrnehmung. Die „retinale", das heißt peripherische Psychologie des Sehens sowie aller anderen Sinnestätigkeiten ist zusammengebrochen89. Zum System der kortikalen Verbindungen, welche die neurodynamische Grundlage für das sinnliche Bild des Gegenstandes sind, gehören nicht nur die vorhandenen Erregungen, sondern auch Erregungsspuren — das Resultat früherer Erfahrung. Schon A. A. U C H T O M S K I schrieb: „Bei der optischen Rezeption der Gegenstände läßt sich der Mensch keineswegs nur von der dioptischen Struktur leiten, die in jedem Auge entsteht, sonden vor allem von der Projektion des Netzhautbildes auf die Großhirnrinde und von den Verbindungen, die bei dessen Formung in das kortikale Bild eingehen, und zwar von der gleichzeitigen Rezeption des Gehörs, des vestibulären, taktilen und propriorezeptiven Apparates. Das fertige optische Bild ist die Frucht vielfältiger praktischer Korrelation und Kontrolle™." Da die optische Wahrnehmung eines Gegenstandes nicht einfach eine subjektive Modifikation des Sehens, der optischen Sensibilität, sondern eine Wahrnehmung des Gegenstandes ist, nimmt sie gesetzmäßig nicht nur das in sich auf und schließt es zu einem einheitlichen Gebilde zusammen, was speziell und ausschließlich das Sehen als Form der Sensibilität kennzeichnet, sondern den wahrzunehmenden S. L. RUBINSTEIN, Die Lehre I. P. Pawlows und die Probleme der Psychologie. S. 160; K. N. SOKOLOW, Der wechselseitige Zusammenhang der Analysatoren bei der Widerspiegelung der Außenwelt. S. 207. Sammelband: Die Lehre I. P. Pawlows und die philosophischen Fragen der Psychologie. Verlag Volk und Gesundheit, Berlin 1955. A. A. UCHTOMSKI, Abriß der Physiologie des Nervensystems. Gesammelte Werke. Leningrad 1954, Bd. IV, S. 175 (russ.).

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Gegenstand. Das optische Abbild eines Gegenstandes ist nicht das Ergebnis der Tätigkeit des optischen Rezeptors allein, sondern auch das der menschlichen Erfahrung und Praxis. Für die wirklichkeitsadäquate Wahrnehmung spielt die sogenannte Wahrnehmungskcmstanz eine wesentliche Rolle. Die Größen-, Formkonstanz usw. besteht darin, daß wir die tatsächliche Größe, Form usw. des Gegenstandes, seiner wirklichen Größe, Form usw. entsprechend, als beständig wahrnehmen, und zwar in bestimmten Grenzen unabhängig von den Veränderungen der Wahrnehmungsbedingungen (Entfernung, Gesichtswinkel), obwohl sich das Netzhautbild dabei verändert. Diese Formulierung zeigt, weshalb die Tatsache der Konstanz zu einem Problem wird. Die Wahrnehmungskonstanz wird zu einem Problem, das eigentlich unlösbar ist, wenn wir das Abbild des Gegenstandes unmittelbar auf das "periphere (Netzhaut)-Bild beziehen. Wenn sich die Entfernung der Gegenstände vom Auge und der Gesichtswinkel, in dem sie betrachtet werden, verändern, so verändert sich auch die Projektion des Gegenstandes auf der Netzhaut. Deshalb kann die peripherische Theorie nicht erklären, wie eine beständige (konstante) Wahrnehmung der wirklichen Größe und Form des Gegenstandes zustande kommt. Das Konstanzproblem kann nur gelöst werden, wenn man die Konzeption der „Analysatoren" zugrunde legt, nach welcher der periphere Rezeptor, die Leitungsbahnen und das entsprechende zentrale Feld als einheitlich funktionierendes Ganzes aufgefaßt werden 91 . Die alte Auffassung versuchte, dieses Problem mit Hilfe einer merkwürdigen Zweifaktorentheorie zu lösen, nach der die Empfindung (als Ergebnis peripherer rezeptorischer Tätigkeit) „akonstant" ist: Sie verändert sich mit jeder Veränderung der Netzhautprojektion und entspricht nicht der wirklichen Größe und Form des wahrgenommenen Gegenstandes. Dieses „akonstante" Bild wird dann durch zentrale Faktoren korrigiert, „transformiert" u. ä., die nicht mehr sensorischer, sondern bereits intellektueller Natur sind und sich mit den peripheren vereinigen. Einem solchen, eigentlich „klassischen" Standpunkt begegnet man bereits bei H E L M H O L T Z . In diesen oder jenen Varianten ist er bis heute erhalten geblieben. Er hängt organisch mit der dualistischen Zweifaktorentheorie der Wahrnehmung zusammen, nach der die Wahrnehmung das Produkt zweier verschiedenartiger Faktoren ist, des peripheren und des zentralen, des sensorischen und des intellektuellen. Mit der dualistischen Wahrnehmungstheorie fällt auch ihre „Erklärung" der Konstanz. Entgegen den Versuchen, die Konstanz ausschließlich auf den äußeren Eingriff" intellektueller Faktoren zurückzuführen 92 , ist zu sagen, daß die Konstanz eine der " Über die Wahrnehmung der tatsächlichen Größe und Tiefe vgl. vor allem I. P. PAWLOW, Naturwissenschaft und Gehirn, Sämtliche Werke, Akademie-Verlag, Berlin 1953, Bd. III/l. Vgl. auch E. N. SOKOLOW, Probleme der Wahrnehmungskonstanz im Lichte der Lehre I. P. PAWLOWS. „Sowjetskaja pedagogika" (Sowjetpädagogik), 1953, Nr. 4, S. 67—77 (russ.). n Einen solchen Standpunkt nahm WYGOTSKI ein, der ihn ontogenetisch zu erhärten versuchte. Obwohl von einigen Autoren ein geringes Anwachsen der Wahrnehmungskonstanz

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Wirklichkeit entsprechende Wahrnehmung der räumlichen und anderer (sensorischer) Eigenschaften des Gegenstandes ist und primär durch die Organisation des sensorischen Prozesses der Wahrnehmung bedingt ist. Zum besseren Verständnis dieser Tatsache ist zu bedenken, daß, wie wir bereits bemerkt haben, das sinnliche Abbild des Gegenstandes als Ergebnis einer komplizierten kortikalen Tätigkeit entsteht und das Produkt vielfältiger Verbindungen mit den Rezeptionen anderer Apparate (des taktilen, des propriorezeptiven u. a.), in welche die Netzhautprojektion einbezogen wird, sowie der mannigfachen praktischen Korrelation und Kontrolle ist. Die intellektuellen Faktoren (Wiedererkennen des Gegenstandes, Kenntnis seiner Eigenschaften auf Grund früherer Erfahrung) begünstigen die Wahrnehmungskonstanz (wie das insbesondere B E I N S Daten über das Verhältnis der Wahrnehmung zur Größe der Gegenstände bezeugen 93 ). Aber erstens darf man die Größen- und Formkonstanz sowie die anderer Eigenschaften der Gegenstände nicht nur von diesen intellektuellen Faktoren her ableiten (isoliert betrachtet sind sie nicht imstande, die Erscheinung der Konstanz als Ganzes zu erklären), und zweitens bedingen die intellektuellen Faktoren — Vorstellungen, Kenntnisse über die Eigenschaften des wahrgenommenen Gegenstandes, die in der Praxis, in der Erfahrung entstanden sind — die Wahrnehmungskonstanz nicht in der Weise, daß sie die ursprünglich akonstanten sinnlichen Daten von außen her „transformieren", sondern bedingen sie im Prinzip genauso, wie das die Daten der anderen Rezeptoren tun, indem sie durch die kortikalen Verbindungen in den einheitlichen Prozeß der Gegenstandswahrnehmung einbezogen werden. Der Komplex der optischen und taktilen Qualitäten bildet das Skelett der Gegenstandswahrnehmung. Insbesondere durch das Tasten werden, wie bereits gesagt, die Haupteigenschaften des Gegenstandes als eines materiellen Dinges erkannt. Durch das aktive Tasten der sich bewegenden Hand werden außerdem die Ergebnisse des optischen Wahrnehmens anderer, insbesondere der räumlichen Eigenschaften der Dinge überprüft und kontrolliert. I m Zusammenhang damit zeigt die Untersuchung, daß die beim Betasten eines Gegenstandes gewonnenen Daten in das Bild des Gegenstandes eingehen, indem sie vorher visualisiert werden, einen optischen Ausdruck erhalten. Die bildhafte Wahrnehmung des Menschen ist vor-

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im Alter zwischen zwei und vier Jahren beobachtet wird, spricht eine ganze Reihe von Untersuchungen dafür (FRANK, BEYRL, KLIMPFINGER, BRUNSWIK), daß im allgemeinen die Größen-, Form- und Farbkonstanz bereits im Alter von zwei Jahren vorhanden ist. Nach den gleichen Untersuchungen sinkt sie im Alter von 16 bis 18 Jahren. Vgl. S. KIJMPFINGER, Die Entwicklung der Gestaltkonstanz vom Kind zum Erwachsenen. (In der Reihe: E. BRUNSWIK, Untersuchungen über Wahrnehmungsgegenstände) „Archiv für die gesamte Psychologie", Heft 88, S. 3 - 4 . Siehe E. S. BEIN, Zum Problem der Größenkonstanz. In: „Untersuchungen zur Psychologie der Wahrnehmung", Moskau/Leningrad 1948, S. 167 — 199 (russ.).

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wiegend optischer Natur. Das optische Bild des Dinges sammelt, synthetisiert und organisiert gleichsam um sich herum die Angaben der übrigen Sinnesorgane. Die grundlegenden Angaben, die das optische Bild in sich aufnimmt, sind die Daten des Tastsinns. Die Daten aller übrigen Rezeptoren gruppieren sich um dieses Zentrum, sie vereinigen die Eigenschaften des auf diese Weise umrissenen Dinges zu einem Erscheinungsbild. So orientieren sich beispielsweise die Gehörsempfindungen nach den optischen Daten des Gegenstandes als der Quelle, der die Töne entstammen. Eine solche Organisation der Wahrnehmung bildet sich während der Ontogenese in dem Maße, wie beim Kinde die entsprechenden bedingt-reflektorischen Verbindungen entstehen. Ungefähr im zweiten Lebensmonat kann man bereits beobachten, daß sich die Augen der Schallquelle zuwenden. Ein Ton beginnt optisches Suchen nach diesem Gegenstand hervorzurufen. Die Daten aller Arten von Sensibilität gruppieren sich um jene „Modalität", in welcher der Gegenstand der Wahrnehmung am ausgeprägtesten in Erscheinung tritt. Zahlreiche Tatsachen beweisen dies. So zeigen Beobachtungen über die Lokalisierung einer Rede in einem mit Lautsprechern ausgestatteten Saal, daß der Ton, der, solange der Hörer den Sprecher nicht sah, im nächstliegenden Lautsprecher lokalisiert wurde, in dem Moment auf den Sprecher bezogen wird, in dem dieser im Gesichtsfeld des Hörers auftaucht 9 4 . Die Bedeutung dieser Tatsache besteht nicht darin, daß die akustische Wahrnehmung der optischen untergeordnet ist, sondern daß sich jede Wahrnehmung, auch die akustische, nach dem Gegenstand orientiert, der in der Sensibilität dieser oder jener Art (Gesicht, Gehör, Tastsinn u. a.) am ausgeprägtesten in Erscheinung tritt. Das Wesen der Sache liegt darin, daß nicht die akustische Empfindung, sondern der Ton als eine im akustischen Abbild widergespiegelte physikalische Erscheinung lokalisiert wird. Darum wird ein Ton abhängig vom optisch wahrgenommenen Ort des Gegenstandes lokalisiert, der ihn hervorbringt 95 . I n ähnlicher Weise wird ein optisch wahrgenommener Gegenstand dort lokalisiert, wo er für das aktive Tasten, für die auf ihn gerichtete Tätigkeit, erscheint. Lokalisiert wie wahrgenommen werden eigentlich nicht die optischen Abbilder, sondern die optisch wahrgenommenen Gegenstände, die materiellen Dinge, genauso wie die Wahrnehmung selbst keine Wahrnehmung der Abbilder (Wahrnehmung der Wahrnehmung), sondern der Gegenstände, der materiellen Dinge, ist. •* Vgl. die Beschreibung einer von uns protokollarisch festgehaltenen Beobachtung in den „Grundlagen der allgemeinen Psychologie" (Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1961, S. 282/283), die in Untersuchungen von Kulagin, der den bedingt-reflektorischen Mechanismus dieser Erscheinung untersuchte, experimentell überprüft wurde. •5 Vgl. J. A. Kulagin, Experimentelle Untersuchungen zur Richtungswahrnehmung eines tönenden Gegenstandes. „Woprossy psychologii" (Fragen der Psychologie), 1956, Nr. 6 (russ.).

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I I . Psychische Tätigkeit und objektive Realität

Das gleiche kann auch auf dem Gebiet des Tastsinns und des kinästhetischen Sinns beobachtet werden. Wenn wir die Hand bewegen, beteiligen sich auch die Muskeln der Schultern und des Oberarms an der Bewegung, aber uns werden nicht die Signale von den Muskelverschiebungen bewußt, sondern die Gegenstände, welche die Bewegungen bedingen. Wenn wir mit einem Werkzeug arbeiten, das wir in der Hand halten, dann spüren wir die Besonderheiten des Materials, das wir mit dem Werkzeug berühren. So empfinden wir beim Schreiben den Widerstand. den die Oberfläche des Tisches dem Bleistiftdruck entgegensetzt; der Chirurg empfindet den Widerstand der Organe, die er mit dem Skalpell berührt. Ebenso werden wir uns beim Gehen nicht der Impulse bewußt, die von den Muskelkontraktionen ausgehen, sondern der Beschaffenheit der Oberfläche, auf der wir gehen. Für das Verständnis der Natur und des Mechanismus der Lokalisierung sind die sogenannten „Phantomgliederlebnisse", die Empfindungen, die in einer amputierten Hand oder in einem amputierten Bein lokalisiert sind, sehr lehrreich. Tatsächlich werden sie im Räume dort lokalisiert, wo die Hand gewöhnlich mit den Gegenständen in Berührung kommt. Beinamputierte mit Prothese empfinden, wenn sie mit dieser die Erde oder den Boden berühren, die Besonderheiten des Bodens, auf dem sie gehen, seine Unebenheiten u. dgl. Dabei dringen die Impulse von der durch die Unebenheiten des Bodens bedingten Beugung des Hüft- und des Kniegelenks in das Gehirn. Aber nicht die Gelcnkbeugung wird bewußt, sondern durch sie werden die Veränderungen des Bodens bewußt, welche die Beugung veranlassen96. Der zentrale Lokalisierungsmechanismus vermag durch die Signale, die aus dem Organ kommen, den Gegenstand, der die Veränderungen im Organ hervorruft, zu erkennen und zu lokalisieren. Mit Hilfe der Signale, die das Auge oder die Extremitäten (Hände und Füße) ins Gehirn entsenden, lokalisieren wir die Gegenstände, die Dinge und Erscheinungen der materiellen Welt, die wir optisch und taktil wahrnehmen, im Raum. Die Lokalisierung der Abbilder (der optischen, akustischen usw.) ist eigentlich das Problem der Lokalisierung der in ihnen widergespiegelten materiellen Gegenstände und Erscheinungen. Erst wenn man dies verstanden hat, kann man mit dem Wirrwarr in dieser Frage endgültig Schluß machen. Diese These bejahen heißt, mit dem Idealismus in der Wahrnehmungstheorie entschieden zu brechen. Eine ganze Reihe von Sinnesqualitäten kann man nicht anders bestimmen als mit Hilfe des Gegenstandes, dessen Eigenschaften sie darstellen. So verhält es sich mit allen Gerüchen (Geruch von Pfefferminz, Maiglöckchen, Veilchen, Rosen usw.), mit vielen Geschmacksqualitäten mit Ausnahme von vier verallgemeinerten Qualitäten (süß, sauer, bitter und salzig), mit den Klangfarben, die nach dem •• Vgl. M. S. LEBEDINSKI, Zum Problem der Natur des Phantomgliederlebens von Amputierten. „Utschonyje sapiski MGU" (Wissenschaftliche Annalen der Staatlichen Moskauer Universität), Moskau 1947, Nr. 111. (Psychologie): „Probleme der Wiederherstellung psychophysiologischer Funktionen", S. 112 — 115 (russ.).

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Gegenstand (Instrument) benannt werden, der sie hervorbringt (Klang einer Geige, einer Flöte, einer Orgel u. a.), mit einigen Farben (fliederfarben, türkisblau, ziegelrot usw.), in der Hauptsache mit Nuancen von Grundfarben. Ursprünglich wurden wahrscheinlich alle Farben nach den Gegenständen bezeichnet, für die sie charakteristisch waren. Verallgemeinerte, vom Gegenstand abstrahierte Bezeichnungen für Farben97 und andere sinnliche Qualitäten tauchten erst später auf. So lassen sich viele, ursprünglich wohl alle sinnlichen Qualitäten als Eigenschaften von Dingen bestimmen98. 47

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Die am spätesten entstandenen Farbbezeichnungen — orange und violett — haben bis jetzt ihre Gegenstandsbezogenheit bewahrt (orange — Apfelsine, violett — Veilchen). Dasselbe trifft auch für solche Farbbezeichnungen zu wie rosarot, himbeerrot und andere. Das altiranische „suxra" (rot) enthält die Wurzel „suk" = Feuer, brennen. Vgl. W. I. Abaj e w , Über die Prinzipien eines etymologischen Wörterbuchs. „Woprossy jasykosnanija"' (Fragen der Sprachwissenschaft), 1952, Nr. 5, S. 56 (russ.). Die rote Farbe wurde früher im Russischen mit dem Wort qepn.ieiiHbiti bezeichnet. Im Altrussischen bezeichnete iepBb nicht nur den „Wurm", sondern auch den roten Farbstoff. Das hängt damit zusammen, daß der rote Farbstoff im Mittelalter aus dem n e p B e i ; einem Tier aus der Reihe der Würmer, gewonnen wurde (s. J . M. I s s e r l i n , Geschichte des Wortes „ K p a c u i J i i " [rot]. „Russkij jasyk w schkole" [Russische Sprache in der Schule], 1951, Nr. 3 [russ.]). Das russische Wort für weiß (öejiuli) kommt nach A. J . Smirnitzki („Chrestomathie zur Geschichte der englischen Sprache", Moskau 1953 [russ.]) von den Wörtern „bale", „beil"'. die in den verschiedenen nördlichen Sprachen Lagerfeuer, insbesondere Scheiterhaufen, bedeuten. Das Wort ronyooii (blau) kommt von io.iyiibfdie Taube) usw. „Wirkliche Voraussetzungen für die Entstehung der Kategorie der Eigenschaft im Denken und der syntaktischen Kategorie des Attributs und des Adjektivs in der Sprache entstehen nur in dem Maße, wie die Sprechenden es lernen, diese oder jene Eigenschaften der Gegenstände zu reproduzieren, das heißt etwas rund, rot, bitter usw. zu machen. Da die Eigenschaften der Gegenstände mit Hilfe anderer Gegenstände aufgedeckt werden, sind ursprünglich die Bezeichnungen für diese oder jene Eigenschaften nichts anderes als Bezeichnungen für Gegenstände, die dem Sprechenden als hauptsächlichste Träger dieser Eigenschaft oder des Merkmals erschienen. So wird ursprünglich die Eigenschaft der Härte mit demselben Wort bezeichnet wie der Stein, der vom Standpunkt des Sprechers zum Hauptträger des Merkmals ,Härte' wird; dasselbe ist von der Bezeichnung des ,Roten' durch ,Blut' oder des .Blauen' durch .Himmel' (oder anderes) zu sagen. Daraus wird klar, daß in der ersten Etappe der Entwicklung des Attributs von einer besonderen Wortkategorie, die gegenständliche Merkmale ausdrückt, nicht die Rede ist und auch nicht die Rede sein kann; die Eigenschaften werden durch die grammatische Kategorie der Nomina, der Bezeichnungen für Gegenstände, ausgedrückt. Daraus ist auch klar zu ersehen, daß alle Adjektive genetisch relativ sind und semantisch von irgendeiner Gegenstandsbezeichnung abgeleitet wurden; durch die Beziehung zu diesem Gegenstand wird ein anderer Gegenstand oder werden andere Gegenstände charakterisiert. Es genügt, ein beliebiges qualitatives Adjektiv zu analysieren, um es, wenn entsprechendes Material vorhanden ist, in seinem Bezug zu einem konkreten Gegenstand zu zeigen. So entspricht dem russischen qualitativen Adjektiv K p y T O t t = ,steil', (altruss.: Kpyrb, altslav.: Kp>«Ti>) im Litauischen dasSubstantiv krantaa = ,Ufer'. Der Begriff,steil' entstand in diesem

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IL Psychische Tätigkeit und objektive Realität

Alle im Empfindungs- und Wahrnehmungsprozeß auftretenden Qualitäten sind widergespiegelte Eigenschaften der Dinge". Eine wesentliche erkenntnistheoretische Bedeutung h a t die bereits erwähnte, experimentell bewiesene psychologische Tatsache, daß die Empfindungen u n d Wahrnehmungen verschiedener „Modalitäten", beispielsweise der optischen und der taktilen, ein und dieselben Eigenschaften der Dinge widerspiegeln. Die Tatsache, daß Empfindungen und Wahrnehmungen verschiedener Modalität ein und dieselben Qualitäten der Dinge ausdrücken, daß sie ein und denselben gnostischen Inhalt haben, schließt die Möglichkeit aus, den Inhalt der Empfindungen u n d Wahrnehmungen auf den sensorischen Eindruck zu beschränken. Auf Grund dessen ist es auch unmöglich, die Empfindungen bzw. Wahrnehmungen an die Stelle der dinglichen Eigenschaften selbst zu setzen. Darum bemühen sich auch die weiterblickenden Idealisten, die Empfindungen voneinander zu isolieren, den zwischen ihnen bestehenden Zusammenhang bei der Dingerkenntnis aufzulösen. Diesen Weg ebnete bereits B E R K E L E Y ; die Vertreter der verschiedenen Arten des gegenwärtigen epistemologischen Monismus beschreiten ihn auch heute noch. Dem gewöhnlichen Begriff der Wahrnehmung, deren Objekt die äußeren Gegenstände sind, stellt B E R K E L E Y die Wahrnehmung „in der wahren und strengen Bedeutung des Wortes" gegenüber. Aus ihr schließt er als erstes alle räumlichen Qualitäten der Gegenstände aus, nämlich Entfernung, Lage und Größe. „In der wahren und strengen Bedeutung des Wortes", schreibt er, „sehe ich nicht die Entfernung an sich, und nichts von dem, was ich wahrnehme, befindet sich in einer Entfernung 1 0 0 ." Das gleiche behauptet er dann auch von der Größe und der Lage 101 . Zusammengefaßt behauptet B E R K E L E Y , daß das gesehene Objekt n u r in der Sphäre des Geistes existiert 1 0 2 . F ü r B E R K E L E Y ist der sinnliche Inhalt der Wahrnehmung das Objekt der Wahrnehmung. Seine Auffassung von der Wahrnehmung ist der Prototyp für die BeFall auf der Grundlage des Bildes ,steiles Ufer' (vgl. russ. 6eper, altslav. 6phrb und deutsch Berg). Erst allmählich, mit der Entwicklung des abstrakten Denkens, löst sich das Merkmal als solches vom Gegenstand und wird gesondert gedacht. Dann bildet sich das qualitative Adjektiv, in dem das Bild eines Gegenstandes bereits fehlt." — Vgl. L. P. JAKUBINSKI, Geschichte der altrussiBchen Sprache. Moskau 1953, S. 210 (russ.). *• Die verschiedenen sinnlichen Eigenschaften werden manchmal als Eigenschaften verschiedener Arten (Modalitäten) der Sensibilität behandelt (rot, grün usw. als Eigenschaften des Gesichtssinns, sauer, süß usw. als Eigenschaften des Geschmackssinns u. a.). Dies ist offensichtlich logisch verwirrt: Das Verhältnis des Roten zur Farbe oder des Sauren zum Geschmack ist ein Verhältnis des Einzelnen zum Allgemeinen. Rot und weiß sind verschiedene Farben, sauer und süß Geschmacksqualitäten; Eigenschaften sind sie nur in bezug auf die entsprechenden Dinge. 100 GEORGE BERKELEY, Versuch einer neuen Theorie der Gesichtswahrnehmung. F. Meiner Verlag, Leipzig 1912; russ.: Kasan 1913, S. 25. 101 Ebenda, S. 2 9 - 5 0 , ölflf. 1M Ebenda, S. 68.

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handlung der Empfindung in der nachfolgenden idealistischen Psychologie, die diese in das Objekt der Erkenntnis verwandelt. Die Eigenschaften der Objekte bzw. der Dinge werden als besondere „Objekte" oder „Dinge" 103 aufgefaßt, die Empfindung oder Wahrnehmung dieser Eigenschaften wird an deren Stelle gesetzt. Empfunden wird also die Empfindung, wahrgenommen die Wahrnehmung! Die Wahrnehmungen verlieren ihre Grundqualität, nämlich das Wissen um das Sein, um die Dinge als etwas, das außerhalb von ihnen existiert. Dadurch, daß B E R K E L E Y die Empfindung vom Objekt trennt und sie an dessen Stelle setzt, isoliert er unweigerlich auch die Empfindungen — die optischen, taktilen usw. — voneinander und negiert so die Möglichkeit, optisch und tastend ein und dieselben Eigenschaften der Dinge wahrzunehmen. Wenn man nämlich anerkennt, daß wir optisch und taktil ein und dieselben Eigenschaften erkennen (wie das der Wirklichkeit entspricht), so folgt daraus unweigerlich, daß das wahrgenommene Objekt weder mit dem optischen noch mit den taktilen (noch mit irgendwelchen anderen) Empfindungen identisch ist. Darum schreibt B E R K E L E Y auch: „Es kommt niemals vor, daß wir ein und dasselbe Objekt (Ding) sehen und tasten. Das, was gesehen wird, ist ein Ding, und das, was getastet wird, ist ein vollständig anderes Ding." Und weiter: „ . . . die Objekte des Sehens und die des Tastens sind zwei gesonderte Dinge 104 ." Indem B E R K E L E Y aus der Wahrnehmung alles das ausschließt, was durch den Zusammenhang der verschiedenen Empfindungen wahrgenommen wird, nimmt er aus der reduzierten Wahrnehmung alle räumlichen Qualitäten der äußeren Objekte heraus und verwandelt sie in „Objekte", „die sich nicht außerhalb des Geistes oder irgendwie entfernt von ihm befinden oder zu befinden scheinen 195 ." Die Trennung der Empfindungen voneinander, zu der deren Trennung von den Objekten unweigerlich führt, läßt diese Konzeption in einen verhängnisvollen Konflikt mit den Tatsachen, mit der real existierenden und experimentell feststellbaren Struktur der Wahrnehmung geraten, in der die Empfindungen verschiedener Modalität faktisch wechselseitig miteinander zusammenhängen und gleichsam ineinander eingeschlossen sind. Prinzipiell bildet die Tatsache, daß die Empfindungen wie bei B E R K E L E Y an die Stelle des Objekts gesetzt werden, den Grundzug der verschiedenen Spielarten des epistemologischen Monismus. Sie liegt besonders der Theorie der „sensorischen Daten" (sense-data-theory) zugrunde, die in den letzten Jahren in der ausländischen, besonders in der anglo-amerikanischen Philosophie im Mittelpunkt der erkenntnistheoretischen Diskussion steht 106 . G. MOORE, der neben 103

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In den verschiedenen Ausgaben seines „Versuchs" verwendet BERKELEY bald den einen, bald den anderen Terminus, bald „object", bald „thing". GEORGE BERKELEY, Versuch einer neuen Theorie der Gesichtswahrnehmung. F. Meiner Verlag, Leipzig 1912; russ.: Kasan 1913, § 49, S. 27 und 28. Ebenda, §§ 50, 51 u. a. Aus der umfangreichen Literatur zu dieser Frage weisen wir besonders auf die folgenden, vor allem in den letzten Jahren erschienenen Artikel hin: J . W. WOLTON, A Defence of

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

B. R Ü S S E L einer der Hauptvertreter, ja sogar der Schöpfer der Theorie der sensorischen Daten ist, hat direkt darauf hingewiesen, daß das, was er unter dem1 Begriffe der sensorischen Daten versteht, mit der Auffassung B E R K E L E Y S von den „direkten", unmittelbaren Objekten der Wahrnehmung in der „wahren und strengen Bedeutung des Wortes" übereinstimmt 107 . Die sensorischen Daten sind nach dieser Theorie die einzigen unmittelbaren, echten Objekte der Wahrnehmung, die ihr „direkt" in besonderen „Wesenheiten" (essences) gegeben sind. Das erkenntnistheoretische Problem der Wahrnehmung der äußeren, materiellen Welt wird in die Frage verwandelt, ob und wie sich der Übergang von diesen „direkten" Objekten der Erkenntnis zu den materiellen, physikalischen Objekten vollziehen kann. Die fiktiven „Objekte" — die sensorischen Daten — werden wie ein Vorhang zwischen die sensorische Erkenntnis und ihre wirklichen Objekte, die Dinge und Erscheinungen der materiellen Welt, gehängt. Die Theorie der sensorischen Daten sieht die sinnlichen Qualitäten der Dinge als Gegebenheiten außerhalb der sie differenzierenden analytischsynthetischen Tätigkeit der Erkenntnis an, sie verwandelt sie in isolierte „Essenzen" und bezeichnet sie als die einzigen direkten und „unbestreitbaren" Objekte der Erkenntnis. So stellt die Theorie der sensorischen Daten die falschen berkeleyanischen Behauptungen wieder auf: 1. Die Empfindungen und die Wahrnehmungen werden Sense-Data. „Mind", 1948, vol. LVII, Nr. 225, pp. 2—15; R. FIRTH, Sense-Data and the Percept Theory. „Mind", 1949, vol. LVIII, Nr. 232, pp. 4 3 4 - 4 6 5 ; 1950, vol. LIX, Nr. 233, pp. 35/36 (enthält eine Kritik an der Theorie der Sense-Data); A. D. RITCHIE, A Defence of Sense-Data. „Philosophical Quarterly", 1958, vol. II, Nr. 8; C. D. BROAD, Some elementary Reflexions on Sense-perception. „Philosophy", 1952, vol. XXVII, Nr. 100, (BROAD ist zusammen mit RUSSELL und MOORE einer der Vertreter der Sense-data-Theorie); A. J . AYER, The Terminology of Sense-data (ursprünglich veröffentlicht im Jahre 1945 in „Mind", vol. LIV, Nr. 216; nochmals wiedergegeben in dem Buch „Philosophical Essays", London 1954). Vgl. auch A. J . AYER, The Foundations of Empirical Knowledge. London 1940. I : "The Introduction of Sense-Data", § 3, pp. 19—28; I I : "The Characterization of Sense-Data", §§ 6—11, pp. 58—112; J . R. JONES, Sense-Data, a Suggested Source of the Fallacy. „Mind", 1954, vol. LXIII, Nr. 250. Die Theorie der Sense-Data drückt die Richtung BERKELEYS und HUMES in der gegenwärtigen Erkenntnistheorie aus. Von diesen Positionen aus führen ihre Vertreter mit RUSSELL und MOORE an der Spitze den Kampf gegen diejenigen, welche den repräsentativen Realismus von DESCARTES und LOCKE weiterführen, der besagt, daß das Objekt der Erkenntnis die Dinge selbst sind, der aber nicht imstande ist, diese These zu realisieren, weil er in seinen Ausgangsvoraussetzungen die „Ideen" — Empfindungen, Wahrnehmungen usw. — von den Dingen absondert. Vgl. dazu weiter oben den Paragraphen über die Theorie der Widerspiegelung. 107 "The Library of living Philosophers", vol. IV: The Philosophy of G. E. MOORE, 1942; vgl. besonders die Abschnitte I I I : "The Philosopher replies", und I I : "Sense-Perception", p. 629. Vgl. in demselben Band die Artikel von O. K. BOUWSMA, Moores theory of SenseData, und von C. A. MACE, On how we know that material Things exist, sowie den Schluß des Artikels von C. J. DUCASSE, Moores Refutation of Idealism.

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an die Stelle der Objekte gesetzt. 2. Die Eigenschaften der Objekte, der materiellen Dinge, verwandeln sich in besondere Objekte. Schließlich wird diese Unterstellung dazu ausgenutzt, die „Neutralität" der sensorischen Daten in ihrem Verhältnis zum Psychischen und zum Materiellen zu deklarieren. Analoge Gedankengänge beschreibt auch die Empfindungs- und Wahrnehmungstheorie des Neorealismus. Die Neorealisten erklären die Empfindungen direkt zu „Wesenheiten". Die Wahrnehmung weißer oder roter, harter oder weicher usw. Gegenstände wird aufgelöst; an Stelle der weißen und roten, harten und weichen usw. Gegenstände gibt es nach Vorstellung der Neorealisten nur die „Weiße", die „Röte", die „Härte", die „Weichheit". Diese mit Hilfe der Sprache entstandenen Abstraktionen sinnlicher Eigenschaften der Dinge setzt der Neorealismus an die Stelle der Dinge selbst und macht sie zu besonderen „Wesenheiten". Der sinnliche Inhalt der Empfindungen erhält (eine seltsame Mystifikation!) den Rang der platonischen Idee: Es entsteht ein sinnlicher Piatonismus. Die auf solche Weise präparierten Empfindungen hören auf, Wissen um die außerhalb und unabhängig von ihnen existierende Welt zu sein. Sie bleiben, wie es sich auch für hypostasierte „Essenzen" geziemt, in „sich" und sagen uns nichts über die Eigenschaften der objektiv existierenden Dinge und Erscheinungen aus. Die Empfindungen hören auf, das zu sein, was ihr eigentliches Wesen ist, und werden zu etwas, was ihrem Wesen widerspricht: zu einer „Wesenheit", zu einem Sein in sich. Kann man sich noch weiter von der Wirklichkeit entfernen? In Wirklichkeit kennzeichnen die sinnlichen Qualitäten die Eigenschaften der Dinge, sie sind Kenntnisse des Subjekts von diesen Eigenschaften. Sie drücken die Eigenschaften des Dinges als Realität aus, die sich nicht in der Vielfalt der dem Subjekt gegebenen Eigenschaften erschöpft. Im Prozeß der Wechselwirkung zwischen den Dingen und den Menschen sowie der Dinge untereinander bringt jedes Ding eine unendliche Anzahl immer neuer Eigenschaften hervor, da es in immer neue Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zu anderen Dingen tritt. Wesentlich dabei ist, daß in die Wahrnehmung des Menschen die Sprache einbezogen ist. Jedes Ding wird als Gegenstand wahrgenommen, dessen wichtigste Eigenschaften in Wörtern fixiert sind, die diese bezeichnen. Das Wort schließt in den wahrgenommenen Gegenstand auch Inhalte ein, die nicht unmittelbar, sinnlich gegeben sind. Diese werden durch den Mechanismus der sogenannten „sekundären Erregung" (oder der Erregung „zweiter Ordnung")108 in die Wahrnehmung einbezogen, durch diejenigen Verbindungen, die sich zwischen den unmittelbar wahrgenommenen Eigenschaften des Gegenstandes und dem Inhalt des Wortes bilden. 108

Unter „sekundärer Erregung" oder Erregung zweiter Ordnung versteht man die Erregung von Punkten der Binde, die nicht der unmittelbaren Einwirkung des Reizes unterworfen sind. Eine solche Erregung ist das Ergebnis der Irradiation der Erregung eines Punktes, welcher der Erregung unmittelbar ausgesetzt ist. Vgl. beispielsweise L. G. WORONIN, Analyse und Synthese komplexer Reize bei normalem und geschädigtem Großhirn des Hundes. Moskau 1948, S. 76 (russ.).

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Rubinstein

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Das Wort wird im Laufe der individuellen Entwicklung in das Wahrnehmen einbezogen. Im Prozeß der Aneignung der Sprache entstehen beim Menschen natürliche reflektorische Verbindungen zwischen dem Ding und seiner Bezeichnung. Infolgedessen tritt zum System der kortikalen Verbindungen, das die neurodynamische Grundlage für das Abbild der Dinge bildet, eine neue Komponente hinzu: die in der Wortbedeutung fixierten Verbindungen des zweiten Signalsystems. Das optisch-taktile Bild des Dinges beginnt den Inhalt, der in der Bezeichnung des Dinges fixiert ist, auf ähnliche Weise einzubeziehen, wie es den Inhalt der anderen Rezeptoren in sich aufnimmt. Es ist jedoch nicht so, daß die Wahrnehmung vom Wort begleitet ist (dann würde das Wort im Bewußtsein von der Wahrnehmung getrennt in Erscheinung treten), sondern so, daß sich der Sinngehalt des Wortes durch reflektorische Verbindungen mit dem sinnlichen Abbild des Gegenstandes vereinigt (sich zu einem einheitlichen Komplex zusammenschließt). Das Wort selbst wird dabei durchweg (um einen Ausdruck P A W L O W S ZU verwenden) maskiert; es wird als solches nicht bewußt. Sein Sinngehalt wird in die Wahrnehmung des Gegenstandes als eine Komponente einbezogen. Er wird als Sinngehalt des Gegenstandes selbst und nicht als Inhalt des Wortes bewußt. Infolge der Wechselwirkung zwischen dem ersten und dem zweiten Signalsystem nimmt die Wahrnehmung den Sinngehalt des Wortes in sich auf, wobei sie die Form und die Funktion des Wortes als eines spezifisch sprachlichen Gebildes unberücksichtigt läßt. Der sinnliche Inhalt des Abbildes wird zum Träger des Sinngehaltes. Das Wort bezieht sich nicht auf die Wahrnehmung als solche, sondern wie das Abbild selbst auf den Gegenstand, auf das Ding, das im Abbild bewußt wird. Deshalb erscheint das Ding in der Wahrnehmung als ein Gegenstand, der nicht nur die unmittelbaren, sinnlich gegebenen Eigenschaften besitzt. Dadurch — und infolge der historischen Entwicklung der Wahrnehmungsgegenstände selbst — reichert sich die Wahrnehmung des Menschen mit historischem Inhalt an und wird so zu einer historischen Kategorie. Auf diese Weise geht der Sinngehalt in die Gegenstandswahrnehmung ein. Bekanntlich wird die Bedeutung des Sinngehalts vor allem in der Wahrnehmungstheorie des semantischen Idealismus unterstrichen. Nun ergibt sich die Frage: Wodurch unterscheidet sich die materialistische Behandlung dieses Problems von der idealistischen? Beim Kampf des Materialismus gegen den Idealismus geht es hier um die Grundfrage: Was ist das Primäre? Der sinnlich gegebene Gegenstand als materielles Ding — oder der Sinngehalt, die Bedeutung des entsprechenden Wortes? Der Materialist sieht den Gegenstand, das sinnlich wahrnehmbare materielle Ding als primär und den damit verbundenen Sinngehalt als sekundär an; für den Idealisten dagegen ist der Sinngehalt, die Bedeutung primär, der Gegenstand dagegen abgeleitet, von der Bedeutung her konstruiert. In der idealistischen Wahrnehmungstheorie hat die Bedeutung eine konstituierende Funktion. I n ihrem Kampf gegen den Materialismus, gegen die wahrhaft wissenschaftliche Erkenntnis der objektiven Welt, ziehen die Vertreter des Idealismus vor allem

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gegen die sinnliche Erkenntnis der Welt zu Felde. Sie machen es sich zur Hauptaufgabe, in den sinnlichen Formen des Bewußtseins den Zusammenhang mit dem Gegenstand auszumerzen. Der bekannte englische Psychologe G. F . STOUT, ein Schüler und treuer Anhänger WARDS, dessen streitbaren Idealismus und Spiritualismus LENIN in seinem Werk „Materialismus und Empiriokritizismus" hervorgehoben hat, bezeichnet das sinnliche Bewußtsein geradezu als „anoetisch" — als nicht zum Erkennen befähigt, als gegenstandslos109. Der Gegenstand „präsentiert sich" dem Bewußtsein sozusagen nur im Ergebnis des Denkaktes, der sich dem gegenstandslosen sinnlichen Inhalt zugesellt. Der „Gegenstand" ist auf diese Weise nur das abgeleitete Korrelat des Gedankens. STOUT verhehlt auch nicht, daß der „Gegenstand", um den es sich dabei handelt, sowohl existent als auch nicht-existent sein kann. Die Existenz ist für ihn unwesentlich. HUSSERL, für den im allgemeinen die „Intention" (die Gerichtetheit) auf den Gegenstand ein bestimmendes Merkmal des Bewußtseins ist, macht bei dieser allgemeinen Charakteristik des Bewußtseins eine wichtige Ausnahme: er erklärt die Empfindung als nicht „intentional", als nicht auf einen Gegenstand gerichtet. Aus dem gesamten sinnlichen Inhalt des Bewußtseins wird jegliche Beziehung zum Gegenstand ausgemerzt. Der Gegenstand, auf den das Bewußtsein „intentional" gerichtet ist, wird gleichsam mit Hilfe der gegenständlichen Bedeutung, die der Denkakt auf dem nicht-gegenständlichen sinnlichen Inhalt aufbaut, reproduziert. Durch die „Bedeutung" werden also für uns die Empfindungen zu „Objekten". So macht der Semantismus, wenn er in .die Wahrnehmungstheorie eindringt, den Gegenstand zu einem von der Bedeutung abgeleiteten Ding. Eine solche Reproduktion des Gegenstandes, der nicht in den Empfindungen gegeben ist, stellt eine pure Mystifikation dar. Auf diese Weise kommt man natürlich nicht zum Gegenstand als Teil der objektiven Realität, sondern nur zu der Bedeutung „Gegenstand", also zu einem ideellen Gebilde, zu einem Bewußtseinsinhalt. Der Semantismus hängt mit den Grundlagen des Idealismus zusammen. Nicht umsonst reduziert schon B E R K E L E Y den Gegenstand auf ein Zeichenverhältnis zwischen den Empfindungen, nämlich auf die Tatsache, daß die optischen Empfindungen die Möglichkeit signalisieren oder markieren, entsprechende Tastempfindungen zu erhalten. (Wie wir sehen werden, behauptet einer der Führer des modernen amerikanischen Sozial-Behaviorismus und Pragmatismus, MEAD, der BERKELEYS Thesen wiederholt, eigentlich genau dasselbe.) Nicht zufällig war auch TITCHENER, der extremste Vertreter des Introspektionismus, dem er in einem eigenartigen psychologischen „Existentialismus" einen zugespitzten Ausdruck gab, ein eifriger Verfechter der sogenannten „meaning theory" — der „Bedeutungs109

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„Die Präsentation, als ein Wesen betrachtet, das vom Denken relativ unabhängig existiert, kann als Sinnlichkeit oder anoetisches Bewußtsein bezeichnet werden. Denken und Sinnlichkeit sind zwei grundlegend verschiedene seelische Funktionen". Vgl. G . F . S T O U T , Analytische Psychologie. Moskau 1920, S. 70—71 (russ.): „Konzeption des rein anoetischen Bewußtseins").

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theorie" — in der Wahrnehmungslehre. I m Prinzip vertraten auch die Anhänger der idealistischen Psychologie rationalistischer Richtung, wie z u m Beispiel MOORE, eine solche Bedeutungstheorie. Der Unterschied zwischen d e m „Rationalisten" M O O R E und dem „Empiristen" T I T C H E N E R ist nur ein Unterschied zehnten Ranges im selben idealistischen Lager; Bei den Rationalisten, beispielsweise bei MOORE, wird die Bedeutung auf der Empfindung aufgebaut und wird ihr durch den A k t des reinen Denkens, das in der Bedeutung verkörpert ist, beigefügt. Die These: „Die Bedeutungen konstituieren die Dinge", welche H U S S E B L in der Phänomenologie des Bewußtseins aufstellte und welche die Vertreter der „meaning theory" in der Wahrnehmungslehre weiterentwickelten, greift auch der moderne amerikanische Semantismus auf, der mit dem Behaviorismus eine Gruppe bildet ( D E W E Y , M E A D , MORRIS u. a.). N a c h M E A D ist das Ding nichts anderes als seine Bedeutung für das Verhalten; die Reaktion auf das D i n g bestimmt dessen Bedeutung. Indem die Bedeutungen auf der einen Seite die Dinge konstituieren, konstituieren sie andererseits das Bewußtsein und auch die Wahrnehmung der Dinge. Mit Hilfe der Bedeutung lösen sich sowohl die Dinge als auch das Bewußtsein, die Wahrnehmung u. ä. aus der „neutralen" Erfahrung heraus, in der sie noch nicht unterschieden sind 1 1 0 . 110

In diesem Zusammenhang muß man wenigstens kurz auf das Schicksal der „Bedeutung" in der idealistischen Philosophie der letzten Jahrzehnte eingehen. Die Bedeutung trat zuerst (bei HUSSERL u. a.) als Kern des Bewußtseins auf und diente dazu, mit den Dingen der materiellen Welt fertigzuwerden. Die Bedeutung „Gegenstand" wird an die Stelle des Gegenstandes, des realen Dinges, gesetzt. Die These, daß die Dinge von den Bedeutungen konstruiert seien, verwandelt die Dinge in Ableitungen aus dem ideellen Inhalt des Bewußtseins. Nachdem die Bedeutungen mit den Dingen, mit der materiellen Welt, fertiggeworden sind, wenden sie sich gegen das Bewußtsein: Das Bewußtsein wird als von den Bedeutungen abgeleitet erklärt. Es wird auf semantische Beziehungen zwischen den Teilen der „Erfahrung" reduziert, soweit sie einander vertreten oder bedeuten (MEAD, DEWEY). Der Semantismus wird zum Behaviorismus. Die Bedeutungen werden auf das Verhalten bezogen, werden als vom Verhalten abgeleitet erklärt. Die Bedeutung, dieses Ungeheuer der gegenwärtigen idealistischen Philosophie, endet, nachdem sie im Bündnis des Semantismus mit dem Behaviorismus das Bewußtsein „geschluckt" hat, notwendigerweise damit, daß sie auch sich selbst frißt. Nach der Liquidierung des Bewußtseins bleibt von der Bedeutung nur das Zeichen. Der Bedeutung beraubte Zeichen, das ist die nächste Etappe in der Entwicklung des Semantismus. Sie tritt zum Beispiel bei dem Schüler MEADB, MORRIS, deutlich zutage, der alle Spielarten des Semantismus, die sich auf den logischen Positivismus oder Pragmatismus und den Behaviorismus stützen, vereinen will. In seinen „Grundlagen der ZeichenTheorie" sagt MORRIS, der aus der von seinem Lehrer MEAD vollzogenen Verknüpfung des Semantismus mit dem Behaviorismus direkte Schlußfolgerungen gezogen hat, der Bedeutung den Kampf an. In der Bedeutung erblickt MORRIS die Hauptquelle für alle Irrungen des vorangegangenen philosophischen Denkens. Als letzte Bilanz bleiben nur der Bedeutung beraubte Zeichen. — Vgl. CH. W. MORRIS, Foundations of the Theory of Signa. "International Encyclopaedia of Unified Science", Chicago University Press, 1938, vol. I, Nr. 2; CH. W. MORRIS, Signs, Language and Behavior. New York 1950.

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Die idealistische Auffassung der Bedeutung als eines Faktors, der den Gegenstand oder auch nur das Abbild des Gegenstandes aus einem quasi ungegenständlichen Inhalt der subjektiven Sinnlichkeit hervorbringt, hält keiner Kritik stand. Die Tatsachen sprechen gegen eine solche These. I n der Entwicklung des Kindes entsteht das sinnliche Abbild des Gegenstandes vor der Aneignung des Wortes; es ist eine notwendige Voraussetzung für die sprachliche Entwicklung. Anders kann es auch nicht sein. I n der Tat verfügt ein Mensch, der sich die Sprache angeeignet hat, über eine Vielzahl verschiedener Bedeutungen. Warum wird in diesem oder jenem Fall eine bestimmte und nicht eine beliebige Bedeutung mobilisiert und in die Wahrnehmung einbezogen? Dafür kann es nur einen Grund geben: Die Wahrnehmung des betreffenden Gegenstandes mit bestimmten, in der Wahrnehmung gegebenen Eigenschaften bedingt eben die Einbeziehung der betreffenden Bedeutung. Wenn sich ein Kind im Umgang oder im Unterricht die Sprache aneignet, handelt es sich zuerst darum, die in der Wahrnehmung gegebenen Eigenschaften des Gegenstandes hervorzuheben, mit denen das Wort verbunden werden soll. Die Abhängigkeit des Wortes von der Wahrnehmung des Dinges ist primär. Und erst sekundär, in dem Maße, wie es sich festigt, beginnt das Wort, die Ausgliederung bestimmter Seiten in der Wahrnehmung des Gegenstandes und deren gegenseitige Verbindung zu beeinflussen 111 . Im sinnlich wahrgenommenen Ding werden solche Merkmale, Eigenschaften ausgegliedert, die als Signale seiner wesentlichen Eigenschaften fungieren, die es als eben dieses Ding bestimmen ; die übrigen Eigenschaften treten in der Wahrnehmung mehr oder weniger in den Hintergrund. (Das ist physiologisch dadurch bedingt, daß die in der Großhirnrinde durch Einwirkung bestimmter Eigenschaften des Gegenstandes entstehende Erregung die Einwirkung anderer Eigenschaften des Gegenstandes negativ induziert.) Bei der Behandlung der Beziehung der Dinge und ihrer Eigenschaften zueinander, die für die Wahrnehmungspsychologie von wesentlicher Bedeutung ist, taucht noch ein allgemeineres Problem auf: die Widerspiegelung der kategorialen Struktur der Dinge in der Wahrnehmung. In der psychologischen Literatur wird die „kategoriale" Wahrnehmung oder die Kategorialität der Wahrnehmung erwähnt. Dabei ging man jedoch in der Regel von der KANTschen Konzeption aus 112 : Kategorien sind Formen der Vernunft, sind ein Erzeugnis des Denkens, das der Sinnlichkeit entgegengesetzt ist, und werden gleichsam von außen durch Denken in die Erfahrung hineingetragen. I n 111

Vgl. G. L. Rosenoart-Pupko, Die Sprache und die Entwicklung der Wahrnehmung in der frühen Kindheit. Verlag der Akademie der medizinischen Wissenschaften der UdSSR, Moskau 1948. (russ.). II» Vgl. K. Goldstein, L'analyse de l'aphasie et l'étude de l'essence du langage. „Journal de psychologie normale et pathologique", Kr. special: „Psychologie du langage", Paris 1933, pp. 4 3 0 — 4 9 6 ; E . Cassirer, Le langage et la construction du monde des objecta, pp. 18 bis 44.

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realitât

Wirklichkeit aber drücken die Kategorien die objektive Struktur der Dinge aus, die vor allem in der Wahrnehmung und erst danach, verallgemeinert, im abstrakten Denken in Erscheinung tritt. Die Psychologie kann dies nicht unberücksichtigt lassen, sie kann nicht in der Wahrnehmungslehre die Frage übergehen, wie die kategoriale Struktur der Wahrnehmung entsteht, die den objektiven Aufbau des Seins widerspiegelt. Die genetische Psychologie muß, wenn sie diese Frage lösen will, zugleich genetische Erkenntnistheorie sein113. In der allgemeinen Wahrnehmungstheorie spielt es eine wesentliche Rolle, wie die Determination der Wahrnehmung aufgefaßt wird. Jeder Versuch, die Wahrnehmung lediglich als mechanischen Effekt einer äußeren Einwirkung oder allein einer irgendwie spontanen Tätigkeit des Gehirns zu betrachten, macht die Erkenntnis der Welt durch den Menschen unbegreiflich. Die Geschichte der Philosophie legt hierfür dokumentarisch Zeugnis ab. D E S C A R T E S lehnte die scholastische, von T H O M A S VON A Q U I N O ausgehende Theorie der sinnlichen Erkenntnis der materiellen Dinge ab 114 und setzte ihr die „Kausalitätstheorie" der Empfindungen und Wahrnehmungen entgegen. D E S C A R T E S ' progressive naturwissenschaftliche Betrachtung des Empfindungs- und Wahrnehmungsproblems wurde zum Ausgangspunkt aller Irrwege der folgenden idealistischen Philosophien und hatte für die Erkenntnistheorie katastrophale Folgen. Diese Folgen rührten von der mechanistischen Auffassung der Kausalität her, von der D E S C A R T E S ausging. D E S C A R T E S verband die Wahrnehmung unmittelbar mit den äußeren Einwirkungen der Dinge, indem er die Tätigkeit übersah, durch die sich die Erkenntnis der Dinge verwirklicht. Deshalb geriet die These, daß die Empfindungen und Wahrnehmungen ein Ergebnis der Einwirkung der Dinge sind, in Konflikt mit der These, nach der sie Erkenntnis der Dinge sind. Die mechanistisch verstandene „Kausalitätstheorie der Wahrnehmung" führte zu der Schlußfolgerung, daß wir nicht die Dinge erkennen, sondern nur den Effekt, den sie in uns, in unserem Bewußtsein, hervorbringen, also die „sinnlichen Daten" 115 . Die Existenz der Dinge und ihrer Eigenschaften „erschließen" wir angeblich nur aus den sinnlichen Daten als den einzigen unmittelbaren Objekten unserer Erkenntnis. Voraussetzung für diese Konstruktion ist die positivistische Gleichsetzung des Objekts der Erkenntnis mit dem unmittelbar Gegebenen. Die Idee der genetischen Erkenntnistheorie versuchte in letzter Zeit auch PIAGET ZU verwirklichen. Vgl. J . PIAGET, Introduction  l'épistémologie génétique. Paris 1950, 1.1: „La pensée mathématique". 114 Diese scholastische Theorie versuchte die Erkenntnis der Dinge zu begründen, indem sie von der Identität der dem Verstand gegebenen Wesenheiten ausging, die sowohl die Dinge als auch die Erkenntnis bestimmen. 1 1 5 Der Zusammenhang der Theorie der „sinnlichen Daten" mit der „Kausalitätstheorie" der Wahrnehmung tritt bei B. RUSSELL ganz unverhüllt zutage, der sowohl die Kausalitätstheorie als auch die Theorie der sinnlichen Daten verteidigt. Über die „Kausalitätstheorie" der Wahrnehmung bei RUSSELL vgl. B. RUSSELL, The Analysis of Matter. "Dover Publications", New York 1954, Part II, X X : "The Causal Theory of Perception", pp. 197—217. 115

4. Der Erkenntnisprozeß

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Objektiv ist gleichsam nur das, was außerhalb der Erkenntnistätigkeit gegeben ist. Aus der Erkenntnis ausgeschlossen werden Analyse und Synthese, die vom Gegebenen zum objektiv Existierenden führen. Die mechanistische Auffassung von der Determiniertheit der psychischen Erscheinungen unmittelbar durch äußere Einwirkungen, ohne Erkenntnistätigkeit des Subjekts, ohne die analytischsynthetische Tätigkeit des Gehirns, zieht eine positivistische Oleichsetzung des Objektiven und des unmittelbar Gegebenen nach sich. Diese These bildet die Grundlage für das idealistische Vorgehen, die sinnlichen Daten als die unmittelbaren Objekte der Erkenntnis an die Stelle der Dinge zu setzen. Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Rezeptionstheorie, nach der die Empfindungen als Ergebnis passiver Rezeption äußerer Einwirkungen entstehen, und der positivistischen Gleichsetzung des unmittelbar Gegebenen mit dem Objektiven in der Erkenntnistheorie. Dieser Kreis der idealistischen Ideen ist in seinem Ursprung, wie wir gesehen haben, von einer mechanistischen Vorstellung von den Empfindungen und Wahrnehmungen als den unmittelbaren Ergebnissen mechanischer Einwirkung der Dinge und von der positivistischen Doktrin bestimmt, nach der nur das erkannt werden kann, was dem Subjekt unmittelbar gegeben ist. Als einziges unmittelbares und unbestreitbares Objekt der Erkenntnis erweisen sich schließlich die „sinnlichen Daten". Die Erkenntnis ist somit eine Rezeption, die jede Tätigkeit des Subjekts — Analyse, Verallgemeinerung usw. — ausschließt. Wenn man von der mechanistischen Auffassung von der Einwirkung der Dinge auf das Gehirn ausgeht und sich das Gehirn als einen Apparat vorstellt, der nur die Einwirkungen, denen er unterworfen ist, passiv aufnehmen und mechanisch registrieren kann, dann werden Operationen wie Analyse, Synthese, Verallgemeinerung, in denen sich die Erkenntnis verwirklicht, zwangsläufig als eine rein geistige, bloße Verstandstätigkeit vom Gehirn abgesondert und damit als „Konstruierung" der Erkenntnisobjekte aufgefaßt. Das zeigt sich auch bei den Vertretern einer anderen, der kantianischen Spielart des Idealismus 116 . lM

Der in der Erkenntnistheorie des Auslands so weit verbreiteten Vorstellung, daß die wissenschaftliche Erkenntnis die Realität konstruiert, liegt der richtige Gedanke zugrunde, daß die Erkenntnis eine Tätigkeit des Subjekts ist. Aber diese richtige These wird dadurch entstellt, daß die Erkenntnistätigkeit des Subjekts dem objektiven Sein in falscher Weise entgegengesetzt wird. Nach dieser dualistischen Gegenüberstellung nämlich wird das Ergebnis der Tätigkeit des Subjekts fälschlich als Konstruktion des Seins angesehen; indessen ist dieses Resultat in Wirklichkeit die mehr oder weniger adäquate, mehr oder weniger tiefe Widerspiegelung des Seins. Die Anhänger der Theorie von der wissenschaftlichen Erkenntnis als Konstruktion der Realität argumentieren, wenn sie diese Konzeption verteidigen, gewöhnlich mit der ersten, richtigen These, daß die Erkenntnis des Seins das Ergebnis der Tätigkeit des Subjekts ist; die ergänzende Prämisse — die angeführte dualistische Gegenüberstellung der Resultate der Erkenntnistätigkeit des Subjekts und des objektiven Seins — bleibt im Hintergrund. Aber gerade das ist die Ursache für die falsche Schlußkonzeption. Ohne die zweite Voraussetzung kann die erste die Gesamtkonzeption nicht rechtfertigen.

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II. Psychische Tätigkeit und objektive Realität

Nach dieser Theorie setzt sich die Wahrnehmung der Dinge der äußeren Welt angeblich aus zwei Bestandteilen zusammen: 1. aus den unmittelbar durch äußere Einwirkung entstandenen „sinnlichen Daten", deren Rezeption keinerlei Tätigkeit wie Analyse, Synthese und Verallgemeinerung einschließt, und 2. aus der von ihnen ausgehenden Tätigkeit, die auf das Erkennen der äußeren, physischen Objekte gerichtet und als solches nicht durch äußere Einwirkung der Dinge bedingt ist. Es erweist sich jedoch, daß auf diese Weise eine Dingerkenntnis unmöglich ist: Die „sinnlichen Daten" können keine Erkenntnis der Dinge selbst vermitteln, die nicht die Tätigkeit der Analyse und Synthese (Differenzierung und Generalisierung) einschließt, welche die objektiven Eigenschaften der Dinge zur Erscheinung bringt. In Wirklichkeit sind auch die Empfindungen ein Produkt der analytischen Tätigkeit des Gehirns, der Differenzierung der äußeren Einwirkungen. Andererseits wird auch die Denktätigkeit durch die Einwirkung der Dinge bedingt. Weder das Wahrnehmen noch das Erkennen als ganzes setzt sich aus zwei verschiedenartigen Komponenten zusammen, von denen die eine gleichsam nur von außen, die andere nur von innen her bedingt ist. Empfinden, Wahrnehmen und Denken sind Formen der Verbindung des Subjekts mit der objektiven Welt. Sie entstehen durch die Einwirkung der Dinge auf das Gehirn und durch dessen Widerspiegelungstätigkeit im Prozeß der Wechselwirkung des Menschen mit der Welt, das heißt unter Kontrolle der Praxis. Die durch äußere Einwirkung der Dinge hervorgerufene Tätigkeit des Gehirns enthüllt auf dem Wege der Analyse und Synthese, der Differenzierung und Generalisierung die Natur der Dinge so, daß die materiellen Dinge außerhalb von uns, nicht aber die Effekte ihrer Einwirkung (die „sinnlichen Daten") als Objekte unserer Erkenntnis in Erscheinung treten. Jede Erkenntnis ist eine durch äußere Einwirkung bedingte, durch das Gehirn realisierte Erkenntnis

klären manche Physiologen, die Begriffe der Analyse und der Synthese, mit denen diePAWLowsche Lehre operiert, hätten nichts gemein mit den Begriffen der Analyse und der Synthese, mit denen es die Psychologie zu tun hat. Beides ist, wie wir erkannt haben, falsch. Die psychologischen Begriffe der Analyse und der Synthese können nicht auf die physiologischen Begriffe reduziert, sie können aber auch nicht von ihnen getrennt werden. Darum „überlagert" die psychologische Theorie des Denkens als einer analytisch-synthetischen Tätigkeit die physiologische Auffassung über Analyse und Synthese, zugleich aber beschränkt sie sich nicht darauf. Die spezifischen und für das abstrakte Denken charakteristischen Formen von Analyse und Synthese haben wir weiter oben analysiert (vgl. Kap. II). Das grundlegende unterscheidende Merkmal der Analyse beim Denken besteht darin, daß sie zur Abstraktion führt, die bestrebt ist, die Erscheinungen in reiner Form hervorzuheben, das heißt, daß sie auch zur Abstraktion von Nebenumständen führt, welche die Erscheinungen komplizieren und deren wesentliche Gesetzmäßigkeiten verhüllen.

13»

196

III. Psychische Tätigkeit und Gehirn

Frage stellen, in welchem Verhältnis diese Begriffe zu den Begriffen der Analyse, Synthese und Verallgemeinerung stehen, mit denen die Logik und die Erkenntnistheorie operieren. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich, wenn man sich daran erinnert, was wir über das Verhältnis zwischen Denkpsychologie und Logik sagten. Logik und Denkpsychologie beziehen sich auf denselben Erkenntnisprozeß. Die Denkpsychologie untersucht ihn in den Gesetzmäßigkeiten seines Ablaufs, in den gesetzmäßigen Abhängigkeiten dieses Prozesses von den Bedingungen, unter denen er abläuft. Die Logik fixiert die Beziehungen zwischen den Gedanken als den Resultaten des Erkenntnisprozesses, die auftreten, wenn das Denken mit dem Sein übereinstimmt. Demnach untersucht die Logik das Verhältnis zwischen den verschiedenen Produkten der Erkenntnis im System des Wissens, und zwar nach dem Grad der in ihnen enthaltenen Analyse. Die Theorie der wissenschaftlichen Erkenntnis untersucht dasselbe Verhältnis auf den verschiedenen Etappen der historischen Entwicklung des Wissens. Die Psychologie aber untersucht das Analysieren und Synthetisieren als Denkprozeß oder -tätigkeit eines Individuums in den kausalen Gesetzmäßigkeiten seines Ablaufs (vgl. Kapitel II, allgemeiner Teil, §2).

Analyse und Synthese (und die davon abgeleitete Abstraktion und Verallgemeinerung) sind die Grundprozesse des Denkens. Die Gesetzmäßigkeiten ihres Ablaufs und ihre gesetzmäßigen wechselseitigen Beziehungen sind die grundlegenden inneren Gesetze der Denktätigkeit. Der Sinn einer solchen Fragestellung besteht natürlich keineswegs darin, alle konkreten Denkoperationen (arithmetische, geometrische usw.) auf diese allgemeinen Kategorien zu reduzieren, da sie auf diese Weise ihre mannigfaltigen Besonderheiten verlieren würden. Jede der mannigfaltigen Denkoperationen muß in ihrer konkreten, spezifischen Gestalt aufgefaßt und erklärt werden. Man darf aber keine allgemeine Theorie des Denkens entwickeln wollen, ohne das Allgemeine aufzudecken, das alle diese Einzeloperationen vereinigt, ohne jede Einzeloperation als eine spezifische Erscheinungsform des Allgemeinen zu begreifen. Für eine allgemeine Theorie des Denkens ist es notwendig, jede einzelne Denkoperation als Bewegung und spezifische Erscheinungsform derselben allgemeinen Prozesse der Analyse und Synthese, der Abstraktion und Verallgemeinerung aufzufassen. Man muß zeigen, wie die Analyse und Synthese (und die von ihnen abgeleitete Abstraktion und Verallgemeinerung) selbst jedes Mal neue und spezifische Formen erhalten. Bei einer solchen Untersuchung des Denkens müssen die speziellen Denkoperationen als einzelne Formen der Analyse und Synthese auftreten. Andererseits müssen Analyse, Synthese usw. in bezug auf ihre entsprechenden Objekte und Bedingungen als deren Einzeloperationen erscheinen. Damit ist das Programm, die allgemeine Richtung der psychologischen Theorie des Denkens bestimmt. Ausgangs- und Bezugspunkt für die Theorie ist die oben formulierte These von der grundlegenden Existenzweise des Psychischen als Tätigkeit, als Prozeß. Die

2. Die psychische Tätigkeit als reflektorische Tätigkeit des Gehirns

197

Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten des Denkens als eines Prozesses ist darum die Hauptaufgabe der psychologischen Forschung. Alle „Gebilde" der geistigen Tätigkeit - - seien es Abbilder, Begriffe oder bereits gefestigte Handlungsweisen, Operationen, sogenannte geistige Handlungen — müssen in der psychologischen Untersuchung als Resultate psychischer Prozesse erklärt werden. An dieser These ändert sich im wesentlichen nichts durch die an sich natürlich fundamentale Tatsache, daß sich der Mensch in seiner geistigen Tätigkeit, im Kommunikationsprozeß und im Unterricht Kenntnisse, Erkenntnisse, Prinzipien und Handlungsweisen aneignet, welche die Menschheit in ihrer gesellschaftlichhistorischen Entwicklung ausgearbeitet hat. Diese Aneignung ist ihrer inneren psychologischen Besonderheit nach und nicht nur in ihrer resultativen Besonderheit selbst (die sich auf die bloße Tatsache der Existenz bestimmter Kenntnisse beschränkt) Synthese und Verallgemeinerung, und diese Tätigkeit muß Gegenstand der psychologischen Untersuchung beim Studium des Kenntniserwerbs sein. Kenntnisse, hinter denen nicht die eigene analytisch-synthetische, verallgemeinernde Denkarbeit steht, sind formale Kenntnisse. Wenn man sagt, daß der Mensch als Individuum die Kenntnisse nicht selbst erwirbt, sondern sich nur die von der Menschheit schon erworbenen Kenntnisse aneignet (obwohl es Menschen gibt, die sie selber erwerben), dann bedeutet das eigentlich nur, daß er sie nicht für die Menschheit erwirbt; für sich selbst muß er sie dennoch erwerben. Die Konzeption, die von der Untersuchung des Denkens als Prozeß, als Tätigkeit (des Analysierens, Synthetisierens, Verallgemeinerns) ausgeht und alle gedanklichen Gebilde als Produkte der Denktätigkeit erforscht, wobei sie hinter diesen Produkten den hinführenden Prozeß enthüllt, ist allen Konzeptionen von Grund auf entgegengesetzt, die das Resultat der Denktätigkeit als Ausgangspunkt, als etwas Gegebenes annehmen. Nur die erste dieser Konzeptionen vermag über den Rahmen phänomenalistischer Beschreibungen und bloßer Feststellungen hinauszugehen und die Denktätigkeit und ihre Ergebnisse richtig zu erklären. Als Beweis dafür kann die Gestalttheorie dienen (die in dem Buch W E B T 221 HEIMERS über das produktive Denken einen besonders geschlossenen und verfeinerten Ausdruck erhalten hat). Ihre erste bemerkenswerte Besonderheit besteht darin, daß sie alles auf das WechselVerhältnis so oder anders strukturierter „Situationen" reduziert, die der Mensch als gegebene Situation vor sich hat. Der Prozeß, die Denktätigkeit (das Analysieren, Synthetisieren, Verallgemeinern), als deren Effekt der Mensch die Situation, die geometrische Zeichnung usw. so oder anders sieht, verschwindet völlig aus dem Blickfeld. Das führt unweigerlich zu einer bloßen phänomenologischen Beschreibung der nacheinander auftretenden Ergebnisse der Denktätigkeit, ohne daß die Bedingungen und die zum Ergebnis führende Wege aufgezeigt werden. Das führt zur bloßen Feststellung der Tatsache, daß ein Mensch die Situation, die Zeichnung 521

M. WERTHEIMER, Produktives Denken. Frankfurt (Main)

1957.

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III. Psychische Tätigkeit und Gehirn

usw. zuerst so „sieht" und danach die objektiv gleiche Situation anders, in einer anderen Struktur „erblickt", ohne daß ausreichend erklärt wird, warum dies so ist. Untersuchungen 222 haben indes gezeigt, daß die Dynamik des unterschiedlichen „Sehens" derselben Zeichnung vom Verlauf der Denktätigkeit abhängt, in die diese Zeichnung einbezogen ist. Das bestimmte Auffassen einer Zeichnung, das Hervorheben einer Linie und das Zusammenfassen der hervorgehobenen Linien zu einer Figur, all das ist gesetzmäßig durch die Analyse der Aufgabenbedingungen bestimmt. Die Analyse erfolgt durch das In-Beziehung-Setzen der Aufgabenbedingungen und -forderungen, also durch einen synthetischen Akt. Das Hervorheben einer Linie, das Zusammenfassen dieser Linien zu einer Figur bei verschiedenem „Sehen" ist das Ergebnis der sinnlichen Analyse und Synthese. Die sinnliche Analyse und Synthese einer Zeichnung und die abstrakte begriffliche Analyse der Aufgabenbedingungen und -forderungen sind eigentlich ein einheitlicher Prozeß, der gleichzeitig auf verschiedenen Stufen abläuft. Man kann ihn nicht verstehen, wenn man das Sinnliche und das Logische, die Wahrnehmung und das Denken, voneinander isoliert. Nur wenn man sich der Untersuchung dieser komplizierten analytisch-synthetischen Tätigkeit zuwendet, kann man die objektiven Gesetzmäßigkeiten des Denkens aufdecken. Die Notwendigkeit, bei der psychologischen Untersuchung in jedem äußeren Ergebnis den psychischen Prozeß zu enthüllen, der sich darin verbirgt, tritt bei der Betrachtung der behavioristischen Theorie noch klarer zutage. Zur Illustration benutzen wir den für den Behaviorismus zentralen Begriff der „Übertragung" (transfer). I n der behavioristischen Konzeption hat dieser Begriff einen klaren Sinn. Übertragung bedeutet, daß eine bestimmte Handlungsweise, die in einer bestimmen Situation, bei der Lösung einer bestimmten Aufgabe vorkommt, danach in einer anderen Situation, bei der Lösung einer anderen Aufgabe auftritt. Das ist die einfache Feststellung einer unmittelbar von außen her zu beobachtenden Tatsache, weiter nichts. Der Behaviorist braucht auch nichts anderes. Er beschränkt sich auf die phänomenologische Feststellung der Tatsache und sucht nicht nach ihrer Erklärung, weil er von der positivistischen, pragmatistischen Methodologie ausgeht. Er strebt nicht danach, in den Wesenskern des Verhaltens einzudringen und es psychologisch zu analysieren, denn für den radikalen Behavioristen existieren prinzipiell nur äußere Reaktionen. Aber was bedeutet dieser Begriff der Übertragung im System unseres philosophischen und psychologischen Denkens, wenn man ihn für mehr hält als für die Feststellung einer äußeren Tatsache, die noch einer psychologischen Analyse bedarf? Er bedeutet, daß die Kennzeichnung der Denktätigkeit durch die Feststellung ihres Resultats ersetzt wird (von dem nicht bekannt ist, wie, d. h. in welchem Prozeß es entsteht). Die Übertragung eines Prinzips oder einer Handlungsüi Wir meinen Arbeiten, die wir in einem anderen Buch behandeln werden, das speziell dem Problem des Denkens und seiner psychologischen Erforschung gewidmet ist.

2. Die psychische Tätigkeit als reflektorische Tätigkeit des Gehirns

199

weise von einer Aufgabe auf eine andere ist ein Resultat, hinter dem ein Prozeß steht, der erst noch erforscht werden muß. Der „Übertragung" liegt eine Verallgemeinerung zugrunde 2i3 , die ihrerseits von Analyse und Synthese abgeleitet ist. Die „Übertragung" erklärt nicht, sie bezeichnet eine Tatsache, die selbst einer psychologischen Erklärung bedarf. Wie die in letzter Zeit bei uns vorgenommenen Untersuchungen zeigen, vollzieht sich die Übertragung einer Lösung von einer Aufgabe (Hilfsaufgabe) auf die andere (Grundaufgabe) nur, wenn diese beiden durch eine analytisch-synthetische Tätigkeit zusammengefaßt werden. Die Übertragung setzt eine Beziehung zwischen den beiden Aufgaben (einen synthetischen Akt) und die Bedingungsanalyse einer Aufgabe unter dem Aspekt der Forderungen der anderen voraus. In zwei (in bestimmter Hinsicht verschiedenen) Aufgaben kann ein und dieselbe Aufgabe gesehen werden, die ein und dieselbe Lösung zuläßt, wenn jede so analysiert wird, daß das ihnen Gemeinsame hervorgehoben wird. Das Prinzip, die Handlungsweise, der Gedanke liegen nicht wie ein Ding fertig, gegeben vor uns, so daß man sie, nachdem man sie an der einen Stelle gefunden hat, einfach auf einen anderen Ort übertragen könnte. Die „Übertragung", die für eine Erklärung des Denkens (der Aufgabenlösung) ausgegeben wird, verwandelt sich in eine Metapher, in einen bildlichen, metaphorischen Ausdruck. Ihren wirklichen Sinn muß die psychologische Untersuchung aufdecken, und das kann nur geschehen, wenn man den Prozeß, der ihr zugrunde liegt, erkannt hat. Wenn man die Ergebnisse des Denkens mit Hilfe der „Übertragung" erklären will, muß man zuerst die „Übertragung" selbst als gesetzmäßigen Prozeß der Denktätigkeit erklären. Die Hauptarbeit des Denkens bei der Übertragung der Lösung von einer Aufgabe auf eine andere ist die Aufgabenanalyse. Der Grad der Analyse bedingt die Schnelligkeit und die Leichtigkeit der Übertragung des in der Hilfsaufgabe enthaltenen Lösungsprinzips auf die andere Aufgabe. Diese Tatsache, die in Untersuchungen bei uns von K . A. S L A W S K A J A festgestellt wurde, bestätigt eindeutig, daß es unmöglich ist, die Denktätigkeit (die Aufgabenlösung) als Übertragung eines Prinzips zu erklären, gleichsam als seine Verlagerung von einer Stelle auf die andere, ohne die „Übertragung" durch den Prozeß der Denktätigkeit selbst, der zu diesem Resultat (zu dieser Lösung) führte, erklärt zu haben. Wir haben nicht die Absicht, bei detaillierten Ergebnissen unserer Untersuchungen über die „Übertragimg" einer Lösung zu verweilen. Dies sollte nur eine kleine Illustration sein, die wir hier lediglich deshalb eingeschoben haben, um die allgemeine, prinzipielle Linie klarzustellen: Die Auarichtung der psychologischen Forschung vor allem auf die Untersuchung des Denkens als eines Prozesses, als einer analytisch-synthetischen Tätigkeit. Dabei geht es uns nicht einfach um die Aner10

Im Zusammenhang damit sei auf die PAWL0Wsche Darstellung der „Transposition" (in den Bänden Q und III der „Mittwochkolloquien") verwiesen. Als Transposition einer Form bezeichnet PAWLOW die Verallgemeinerung von räumlichen und zeitlichen Beziehungen. Vgl. Pawlowsche Mittwochkolloquien. Akademie-Verlag, Berlin 1056, Bd. III, S. 380, u. a.

200

III. Psychische Tätigkeit und Gehirn

kennung einer, wenn auch sehr wichtigen These, der These vom Prozeß als der grundlegenden Existenzweise des Psychischen; es geht um die Grundlinie der psychologischen Forschung, um ihre Hauptrichtung, um das System des psychologischen Denkens. 3. Das Verhältnis des Psychischen zum Neurophysiologischen reflektorischen Tätigkeit des Gehirns

in der

Die Analyse der reflektorischen Nerventätigkeit des Gehirns zeigt, daß im Verlauf dieser Tätigkeit neue, eben die psychischen Erscheinungen entstehen (Empfindungen, Wahrnehmungen usw.). Damit entstehen auch neue Objekte der Forschung und neue Untersuchungsaufgaben — die Aufgaben der Psychologie. Der Verlauf der reflektorischen Tätigkeit selbst führt gesetzmäßig zur Entstehung der psychischen Erscheinungen. Das bedeutet auch, daß die Ergebnisse der physiologischen Erforschung der höheren Nerventätigkeit zu der Notwendigkeit führen, sie in einer neuen Form, in der psychologischen Untersuchung, fortzusetzen. Die reflektorische Tätigkeit des Kortex ist sowohl neurophysiologische als auch psychische Tätigkeit. Beide sind ein und dieselbe Widerspiegelungstätigkeit des Gehirns, die in verschiedenen Zusammenhängen betrachtet wird. Jede psychische Tätigkeit ist zugleich Nerventätigkeit; die höhere Nerventätigkeit ist zugleich psychische Tätigkeit. Deshalb ist sie nicht nur als eine von den physiologischen Gesetzen der Nervendynamik (von Prozessen der Erregung und Hemmung, ihrer Irradiation, Konzentration und wechselseitigen Induktion) bestimmte Tätigkeit, sondern auch als psychische Tätigkeit (wie der Wahrnehmung, des Einprägens oder des Denkens usw.) zu untersuchen. Jede Wissenschaft untersucht die Erscheinungen der Wirklichkeit in dem für die betreifende Wissenschaft spezifischen System von Zusammenhängen und Beziehungen. Für die Physiologie erscheint die Wirklichkeit als Gesamtheit der Reize, die auf das Gehirn, auf die Analysatoren einwirken; für die Psychologie ist sie die Gesamtheit der Objekte. (Daß die Welt für die Physiologie in der Eigenschaft von Reizen und für die Psychologie in der Eigenschaft von Objekten erscheint, schließt nicht aus, daß Gegenstand sowohl der physiologischen als auch der psychologischen Forschung Signalreize sein können, das heißt Reize als Signale und nicht nur als Reize an sich.) Vor der Entstehung von Organismen, die fähig sind, auf Reize zu reagieren, existierte das Sein, die Wirklichkeit in Form von Prozessen und Dingen. Mit der Entstehung von Organismen werden die Erscheinungen der materiellen Welt (die Dinge, Prozesse) in bezug auf die Organismen zu Reizen. Diese Wechselwirkung vollzieht sich auf „ontologischer" Ebene. Solange die Dinge nur als Reize auftreten, fehlt noch die gnostische Seite, da es weder Objekte noch Subjekte im eigentlichen Sinn des Wortes gibt. Indem die Reize auf Organismen wirken, die über Rezeptoren (Analysatoren, Sinnesorgane) verfügen, und indem jene darauf antworten, entstehen Empfindungen. Das Auftreten von Empfindungen bedeutet das Auftreten des Psychischen.

3. Das Verhältnis des Psychischen zum Neurophysiologischen

201

Die in den Empfindungen widergespiegelten Reize können als Signale wirken, ohne als Objekte bewußt zu werden. Ein experimenteller Beweis dafür sind Versuche, die zeigen, daß eine Versuchsperson auf ein sinnliches Signal richtig reagieren kann, ohne sich des Signals bewußt zu werden, auf das sie antwortet (E. THORXDIKE, L. I . KOTLJAREWSKI). Die Erscheinungen (Dinge, Prozesse),

die in bezug auf den Organismus, auf seine Organe (Analysatoren) als Reize auftreten, werden bewußt, wenn sie als Objekte zutage treten. Das Bewußtwerden eines Dinges oder einer Erscheinung als Objekt bedeutet den Übergang von der Empfindung, die nur Signal für eine Handlung, eine Reaktion ist, zur Empfindung und Wahrnehmung als Abbild des Gegenstandes 224 . Das Bewußtsein (im Unterschied zum Psychischen überhaupt) beginnt mit dem Auftreten des Abbilds des Gegenstandes (des Objekts) in der spezifischen erkenntnistheoretischen Bedeutung dieses Wortes. Da die psychische Tätigkeit zugleich reflektorische Tätigkeit des Gehirns ist, gelten für sie alle 'Gesetze der höheren Nerventätigkeit. Ohne diese zu berücksichtigen, können die psychischen Erscheinungen nicht vollständig erklärt werden. Die psychologische Forschung darf folglich nicht der physiologischen Untersuchung der höheren Nerventätigkeit entgegengesetzt und somit von ihr isoliert werden. Sie muß diese vielmehr fortsetzen und bei der Erklärung psychischer Erscheinungen alle Ergebnisse der neurodynamischen Untersuchungen bewahren und ausnutzen. Dieselben Prozesse aber, welche die physiologische Lehre von der höheren Nerventätigkeit erforscht, erscheinen in der psychologischen Untersuchung in einer neuen, spezifischen Qualität. In dieser neuen Qualität sind sie von Zusammenhängen determiniert, von denen die Physiologie abstrahiert. So besteht beispielsweise das Lernen, das organisierte Einprägen, physiologisch betrachtet , darin, die Darbietung der auf das Gehirn wirkenden Reize in bestimmter Form (Konzentration, Verteilung) zu organisieren. Deshalb gelten für den Lernprozeß (genauer gesagt für den Prozeß, der in anderer Beziehung als Lernen auftritt) alle Gesetze der kortikalen Neurodynamik. Wenn wir jedoch das 224

„Signal" und „Abbild" kennzeichnen die Empfindung in zweierlei Hinsicht. (Genauer gesagt, das Signal an sich ist nicht die Empfindung als solche, sondern der empfundene Reiz). Der Begriff „Abbild" drückt das Verhältnis der Empfindung (Wahrnehmung usw.) zur objektiven Realität aus, der Begriff „Signal" das Verhältnis zweier empfundener (wahrgenommener usw.) Realitäten in ihrem Zusammenhang mit der Handlung, die sie hervorrufen. Insofern als sich in der Empfindung der Reiz als physikalisches (chemisches) Agens in einen empfundenen Reiz verwandelt, kann man die Empfindung auch in ihrem Verhältnis zum Reiz — und nicht nur zum Objekt — mit dem Terminus „Abbild" kennzeichnen und dann das Abbild in seinem gnostischen Verhältnis zum Objekt als bewußtes Abbild oder als Abbild eines bewußt gewordenen Gegenstandes bezeichnen. Somit ist die Empfindung usw. in ihrem Verhältnis zur objektiven Realität immer ihr „Abbild", unabhängig davon, ob das Ding als Objekt oder als ein als solcher nicht bewußt gewordener Reiz erscheint. Der spezielle Inhalt des Begriffs „Abbild" gehört in die spezielle Sphäre der gnostischen Beziehung des Subjekts zum zu erkennenden Objekt.

202

III. Psychische Tätigkeit und Gehirn

Ergebnis des Lernens als eine Auswirkung dieser Gesetzmäßigkeiten erklären, dann betrachten wir es nicht als Lernen. Die Frage, ob ein Schüler im Laufe des ganzen Jahres gleichmäßig arbeitet oder ob er seine Arbeit am Lehrstoff auf die Zeit vor dem Examen konzentriert, und die Frage, wie die das Gehirn treffenden Reize verteilt werden und wie diese Verteilung die Arbeit des Gehirns beeinflußt, sind offensichtlich sehr verschieden. Die zweite Fragestellung abstrahiert von einer ganzen Reihe von Beziehungen, welche die erste einschließt. Die Physiologie als solche kennt in dem ihr eigenen Aspekt nicht das Lernen als solches, als Lerntätigkeit des Menschen. Wenn derselbe Prozeß, der physiologisch die Antwort des Gehirns auf die in bestimmter Weise organisierte Einwirkung von Reizen ist, als Lernen betrachtet wird, dann kommen unbedingt neue Formen der Abhängigkeit des Einprägens von der menschlichen Tätigkeit und von jenen Beziehungen hinzu, die der Mensch zum Gegenstand des Einprägens eingeht. Für die praktische Organisierung der menschlichen Tätigkeit ist die Kenntnis gerade dieser Abhängigkeiten und Gesetzmäßigkeiten besonders wichtig. Die Aufgabe, sie zu erforschen, fällt der Psychologie zu. Wenn wir die Geltung der neurodynamischen Gesetzmäßigkeiten auf die psychische Tätigkeit übertragen, so erscheinen die psychischen Vorgänge als Effekt der physiologischen Gesetzmäßigkeiten. Damit drücken wir lediglich in einer anderen Form die These aus, daß die physiologischen Gesetze der höheren Nerventätigkeit auch für die psychischen Erscheinungen gelten. Das setzt voraus, daß die höhere Nerventätigkeit und die psychische Tätigkeit ein und dieselbe Tätigkeit ist. Ebenso erscheinen zum Beispiel, wenn wir die chemischen Gesetzmäßigkeiten auf physiologische und überhaupt auf biologische Erscheinungen übertragen (Biochemie), diese als Effekte chemischer Gesetzmäßigkeiten. Dabei sind aber die physiologischen Gesetzmäßigkeiten eine neue, spezifische Erscheinungsform der chemischen Gesetzmäßigkeiten. Eben diese ihre neue, spezifische Erscheinungsform drückt sich in den Gesetzen der Physiologie aus. I n ähnlicher Weise gelten die neurodynamischen Gesetzmäßigkeiten für die psychischen Erscheinungen, sie erhalten darin eine neue spezifische Erscheinungsform, und diese ihre neue, spezifische Erscheinungsform drückt sich in den Gesetzen der Psychologie aus. Mit anderen Worten: Die psychischen Erscheinungen bleiben spezifische, psychische Erscheinungen und sind zugleich Erscheinungsformen der physiologischen Gesetzmäßigkeiten, ähnlich wie die physiologischen Erscheinungen als solche erhalten bleiben, auch wenn sie in biochemischen Untersuchungen als eine Erscheinungsform chemischer Gesetzmäßigkeiten auftreten. Indem die biochemische Natur der physiologischen Erscheinungen enthüllt \