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German Pages 237 [242] Year 2006
C L A U D I A STACHEL
Schutzpflichten der Mitgliedstaaten für die Grundfreiheiten des EG-Vertrags unter besonderer Berücksichtigung des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaft
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera und Detlef Merten
Band 121
Schutzpflichten der Mitgliedstaaten für die Grundfreiheiten des EG-Vertrags unter besonderer Berücksichtigung des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaft
Von Claudia Stachel
Duncker & Humblot • Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
Die Juristische Fakultät der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Arbeit im Wintersemester 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-12183-X 978-3-428-12183-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 © Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meiner Familie
Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2005 von der Juristischen Fakultät der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. Sie behandelt ein sehr vielgestaltiges Thema aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, das - angesichts der allgemeinen Tendenz, die Unionsbürger als direkte Adressaten der ursprünglich staatsgerichteten Grundrechte und Grundfreiheiten anzusehen - auch in den nächsten Jahren der fortschreitenden Integration von Bedeutung sein wird. Das Thema der staatlichen Schutzpflichten für die Grundfreiheiten verlangt eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Funktionen und der Bedeutung von Grundfreiheiten und Grundrechten in der Europäischen Wirtschaftsverfassung, ihrem Verhältnis zueinander und mit der Frage, ob und wie sich die Schutzpflichten in das System des Europäischen Wettbewerbsrechts einordnen lassen. Ich möchte allen danken, die mich bei der Erstellung dieser Arbeit mit Wort und Tat unterstützt haben und mir die Zeit in Würzburg lebenswert gemacht haben. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Eckhard Pache, an dessen Lehrstuhl ich während der Erstellung dieser Arbeit tätig war und dem ich vielfaltige inhaltliche Anregungen verdanke, meinem Würzburger Doktorandenkolloqium, darunter vor allem Joachim Bielitz, das mich durch zahlreiche interessante Diskussionen beflügelt und ermutigt hat, und nicht zuletzt meinen Eltern, die an meiner Arbeit großes Interesse gezeigt haben und mich bei ihrer Korrektur tatkräftig unterstützt haben. Stuttgart, im Juli 2006
Claudia Stachel
Inhaltsverzeichnis Einleitung und Gang der Untersuchung
13
Erster Teil Begriff der Schutzpflichten und seine Abgrenzung zu ähnlichen Funktionen der Grundfreiheiten
16
A. Begriff der Schutzpflichten
16
B. Abgrenzung zu Teilhabe- und Verfahrensrechten
17
I. Teilhaberechte
17
II. Verfahrensrechte
19 Zweiter Teil
Kurzer Überblick über Schutzpflichten in anderen Rechtsordnungen
20
A. Deutschland
20
B. Andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union
23
C. EMRK
25
D. Schutzpflichten im universellen Volkerrecht
27
E. Zusammenfassung
29 Dritter Teil
Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten A. Das Binnenmarktziel und die Bedeutung des Verhaltens Privater im Binnenmarkt... I. Die Wirtschaftsordnung der EG II. Das Verhalten Privater im Binnenmarkt HI. Die Verordnung 2679 798/EG
30 30 30 33 35
6
Inhaltsverzeichnis
B. Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten I. Unmittelbare Verpflichtungen der Unionsbürger durch Gemeinschaftsrecht II. Rechtsprechung des EuGH zu einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten HI. Die unmittelbare Drittwirkung im System des EG-Vertrags
37 37
38 40
1. Wortlaut des EG-Vertrags
40
2. Historisch
42
3. Systematische Auslegung
43
a) Die Rechtfertigungsgründe
44
b) Das Wettbewerbsrecht
46
aa) Das Wettbewerbsrecht als Ausnahme vom Prinzip der Selbstregulierung
46
bb) Übertragung des Spürbarkeitskriteriums auf die Drittwirkungsfälle ...
48
4. Teleologische Auslegung
49
5. Ausnahmen für intermediäre Gewalten?
55
a) Übertragung von Hoheitsaufgaben
55
b) Public Private Partnerships
58
6. Zusammenfassung IV. Verhältnis zwischen Drittwirkung und Schutzpflicht
59 60
1. Das „Drei- Ebenen-Modell" von Alexy
60
2. Doppelbindung
61
V. Gegenüberstellung von unmittelbarer Drittwirkung und Schutzpflichten
64
C. Abwehrrechtliche Lösung
67
D. Das Wettbewerbsrecht als Ausdruck eines bewussten Regulierungsverzichts
69
I. Vollständige Erfassung von Störungen des Binnenmarktes durch Privatpersonen? II. Verhältnis zwischen Schutzpflichten und Wettbewerbsrecht
69 72
Inhaltsverzeichnis
7
Vierter Teil Dogmatische Herleitung der Schutzpflichten
77
A. Die Rechtsprechung des EuGH zu den Schutzpflichten
77
B. Wortlautinterpretation
79
I. Der Wortlaut der Grundfreiheiten
79
II. Der Wortlaut der Bestimmungen über die Vertragsziele der Gemeinschaft C. Systematische Betrachtung
81 82
I. Die Pflichten der Mitgliedstaaten aus Art. 10 EGV II. Sonstige Vorschriften des EG-Vertrags D. Teleologische Erwägungen
82 87 88
I. Die Notwendigkeit der effektiven Verwirklichung der Vertragsziele
89
II. Die Grenzen der dynamischen Auslegung
92
HI. Die objektive Wirkung der Grundfreiheiten
94
IV. Das den Grundfreiheiten übergeordnete Binnenmarktziel
95
E. Schutzpflichten für alle Grundfreiheiten des EG-Vertrags?
96
F. Zusammenfassung
97 Fünfter Teil
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht A. Grundfreiheiten als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote
98 98
B. Das Problem des weiten Tatbestandes der Grundfreiheiten in ihrer negatorischen Funktion 100 C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes I. Rechtsprechung des EuGH II. Probleme des weiten Beschränkungsverbotes bei den Schutzpflichten
102 103 104
8
Inhaltsverzeichnis DI. Versuch der Beschränkung des Tatbestandes
107
1. Ziel der Beschränkung vor dem Hintergrund der Wirtschaftsverfassung der EG
107
a) Verständnis der Grundfreiheiten als Marktzugangsrechte
110
b) Ansätze im Schrifttum
112
c) Vornahme einer Einschränkung auf der Grundlage des Meinungsspektrums 113 d) Auswirkung auf die Schutzpflichten 2. Weitere Möglichkeiten zur Begrenzung des Tatbestandes
114 117
a) Kriterium der Rechtswidrigkeit
117
b) Berücksichtigung der Grundrechte auf der Tatbestandsebene
118
c) Das Erfordernis eines Ereignisses
121
d) Das Unterlassen privater Marktteilnehmer
122
e) Eingriffe in den institutionellen Kern der Privatautonomie
123
f) Spürbarkeitskriterium
125
aa) Spürbarkeitskriterium zur Vermeidung eines Wertungswiderspruches?
126
bb) Das Spürbarkeitskriterium als sachgerechte Tatbestandsbeschränkung 127 3. Stellungnahme D. Gefahrenquellen I. Ausschluss des Staates als Urheber der Beeinträchtigung II. Gemeinschaftsrechtlich determinierte Abgrenzung
130 133 133 134
1. Nicht hoheitliches Handeln von Staatsorganen
135
2. Dem Staat zurechenbare Maßnahmen aufgrund seiner Einflussnahme
136
3. Vom Staat Beliehene und intermediäre Gewalten
137
4. Maßnahmen Privater, die sich auf mitgliedstaatliches Zivilrecht stützen
138
5. Hoheitliche Genehmigungen
140
6. Subventionen und andere staatliche Begünstigungen
142
HI. Zusammenfassung
142
Inhaltsverzeichnis IV. Störungen durch andere Ursachen
143
1. Schutzpflichten auch bei anderen als von Personen hervorgerufenen Störungen? 143 2. Natürliche Ursachen
145
3. Störungen durch Drittstaaten
147
4. Störungen anderer Mitgliedstaaten
149
E. Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung
150
I. Gefahrenbegriff im deutschen Recht
151
II. Möglicher Gefahrenbegriff im Gemeinschaftsrecht
152
1. Schutzpflichten im Vorfeld eines Schadenseintritts
152
2. Wahrscheinlichkeitsgrad
153 Sechster Teil
Die Rechtsfolgen der Schutzpflichten A. Adressaten der Schutzpflichten I. Die Mitgliedstaaten als alleinige Adressaten der Grundfreiheiten II. Die Adressaten der Schutzpflichten innerhalb des Gefüges der Gewaltenteilung B. Inhalt und Reichweite der Schutzpflichten I. Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten
156 156 156 158 159 159
1. Entschließungsermessen
161
2. Auswahlermessen
162
a) Weites Auswahlermessen der Mitgliedstaaten
162
b) Kontrolldichte des EuGH
164
II. Allgemeine Erwägungen zum möglichen Inhalt der Schutzpflichten
165
1. Schutz durch Eingriff
167
2. Bestehen einer Erfolgspflicht?
168
10
Inhaltsverzeichnis Siebter Teil Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
170
A. Geschriebene und ungeschriebene Rechtfertigungsgründe
170
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
171
I. Grundrechte als Rechtfertigungsgrund
173
1. Einordnung des Grundrechtsschutzes in die bestehende Dogmatik
174
2. Nationale Grundrechte oder europäische Grundrechte?
175
a) Begriff und Geltungsgrund der europäischen Grundrechte
176
b) Unterschiedliche Gewährleistungsgehalte europäischer und nationaler Grundrechte 177 c) Ansicht des EuGH
178
d) Die verschiedenen Auffassungen im Schrifttum
179
e) Die Verordnung 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes
181
f) Gemeinschaftsrechtliche Determinierung der Ausnahmeklauseln
181
g) Gewährleistungsgehalte von Grundrechten und Grundfreiheiten
182
aa) Grundfreiheiten als Grundrechte?
183
(1) Ähnliche Dogmatik und Bedeutung in der Gemeinschaftsrechtsordnung
184
(2) Grundfreiheiten als institutionelle Gewährleistung
185
(3) Grundfreiheiten als Marktzugangsrechte
186
(4) Überschneidungen ihrer Gewährleistungsgehalte
188
bb) Rangverhältnis
188
(1) Auffassungen im Schrifttum
189
(2) Rangverhältnis nach der Rechtsprechung des EuGH
191
(3) Schaffung eines Ausgleichs im Rahmen von Schutzpflichten
194
II. Andere Rechtfertigungsmöglichkeiten
197
1. Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
197
2. Schadenskompensation
199
3. Schutzmaßnahmen nach Art. 297 EGV
199
4. Vertragsverstöße anderer Mitgliedstaaten
200
Inhaltsverzeichnis
11
Achter Teil Rechtsschutz
201
A. Subjektives Recht auf Wahrnehmung der Schutzpflichten?
201
B. Prozessuale Geltendmachung
203
I. Anspruch auf Vornahme einer Schutzhandlung II. Staatshaftung
203 203
HI. Vertragsverletzungsverfahren
207
Zusammenfassung und Ausblick
209
Literaturverzeichnis
213
Sachverzeichnis
236
*
*
*
Benutzungshinweis: Wegen der in dieser Arbeit verwendeten i Abkürzungen wird auf das ,Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache" voi »Abkürzungsverzeichnis von Kirchner, Hildebert/Butz, Cornelie, 5. Aufl., Berlin 2003, Bezug genommen.
Einleitung und Gang der Untersuchung Eines der Hauptanliegen der Europäischen Gemeinschaft ist die Errichtung und Erhaltung eines Binnenmarktes, dessen wesentlicher Bestandteil die Gewährleistung der Grundfreiheiten ist. Im Mittelpunkt der Bestrebungen zu seiner Entwicklung steht seit jeher der Abbau der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Handelshemmnisse staatlichen Ursprungs, während den durch nicht-staatliche Akteure verursachten Hindernisse zunächst keine große Bedeutung beigemessen wurde. Die Grundfreiheiten werden im Grundsatz als allein an die Mitgliedstaaten adressierte Verbotsnormen angesehen, die auf den Abbau bestehender und auf die Unterlassung der Errichtung neuer Hindernisse gerichtet sind. Das Gemeinschaftsrecht kennt eine ausdrückliche Bindung Privater nur im Anwendungsbereich des europäischen Wettbewerbsrechts, das in erster Linie Unternehmen mit großen Marktanteilen erfasst, die mit erheblichen Auswirkungen auf den Binnenmarkt Wettbewerbsbeeinträchtigungen hervorrufen. Die Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft wird aufgrund der Existenz der Wettbewerbsregeln und des Fehlens anderer Private unmittelbar verpflichtender Vorschriften als eine marktwirtschaftlich geprägte Wettbewerbsordnung angesehen, die auf den freien Wettbewerb als das primäre Instrument zur Steuerung der Wirtschaftsabläufe setzt1. Das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht stellt insoweit eine Ausnahme dar, da es steuernd in die Wirtschaftsabläufe eingreift und in diesem Bereich nicht auf die Selbstregulierungskräfte des Binnenmarktes vertraut. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ein Bedürfnis für Schutzpflichten schon deshalb zu verneinen ist, weil das Wettbewerbsrecht schon Handlungen Privater erfasst, die den Zielen des EGVertrags zuwiderlaufen und insoweit abschließend sein könnte. Im Zuge der fortschreitenden Integration wurde deutlich, dass nicht alleine die Mitgliedstaaten für Handelsbarrieren verantwortlich sind, sondern dass auch Privatpersonen erhebliche Störungen der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeiten auf dem Binnenmarkt verursachen können. Gerade die seit Jahren anhaltende Diskussion um die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten und die Rechtsprechung des EuGH zu den Schützpflichten zeugt davon, dass in bestimmten Fällen ein Bedürfnis dafür besteht, dem Verhalten von Privatpersonen auf dem Binnenmarkt Grenzen zu setzen. Der EuGH nahm bis vor etwa fünf Jahren in aller Regel nur eine direkte Bindung von Organisationen an, die aufgrund ihrer Macht zur Rechtsetzung staatsähnlich auftreten, hat diese Bindung aber mittlerweile auf andere Private ausgedehnt2, ohne dass gegenwärtig feststeht, wie sich seine Recht1
Zur Wirtschaftsordnung der Gemeinschaft Dritter Teil, A I . 2 Vgl. EuGH, Slg. 2000,1-4139, Rn. 36 -Angonese.
14
Einleitung und Gang der Untersuchung
sprechung in dieser Hinsicht weiterentwickeln wird. Im Grundsatz bestehen drei verschiedene Möglichkeiten, auf Hemmnisse des Binnenmarktes durch Private zu reagieren: Sie hinzunehmen, die Privaten selbst als Adressaten der Grundfreiheiten anzusehen oder von den Mitgliedstaaten zu verlangen, sich diesen Hindernissen entgegenzustellen. In diesem Fall sind die Grundfreiheiten in ihrer Funktion als Schutzpflichten einschlägig. Alle drei Möglichkeiten sind auf dem Binnenmarkt gegenwärtig zu finden, ohne dass sich bisher eine kohärente Lösung für das Problem der nicht-staatlich verursachten Störungen des Binnenmarktes gefunden hätte oder Klarheit darüber bestehen würde, in welchen Fällen welcher der Lösungsansätze heranzuziehen ist. Die Schutzpflichten der Mitgliedstaaten für die europäischen Grundfreiheiten stellen eine relativ neue rechtliche Dimension der Grundfreiheiten dar, die erst in den letzten Jahren durch die Rechtsprechung des EuGH Anerkennung gefunden hat. Die Schutzpflichten sind ein weiterer Baustein in der sich entwickelnden Dogmatik der Grundfreiheiten und vermögen es unter Umständen, bestehende Lücken in vom EG-Vertrag nicht explizit erfassten Fällen von Beeinträchtigungen des Binnenmarktes zu schließen. Schutzpflichten sind zwar schon aus dem deutschen Recht und aus anderen Rechtsordnungen für Grund- und Menschenrechte bekannt, jedoch kann die Schutzpflichtdogmatik aus anderen Rechtsordnungen nicht ohne weiteres auf das Gemeinschaftsrecht übertragen werden. Es besteht sonst die Gefahr einer unreflektierten Übernahme rechtlicher Erwägungen, die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen oder dem System des EG-Vertrags widersprechen. Andererseits können die aus anderen Rechtsordnungen gewonnenen Ergebnisse der Untersuchungen zu den Schutzpflichten zu einem Erkenntnisgewinn führen und möglicherweise in einigen Fällen auf das Gemeinschaftsrecht übertragen werden. Die vorliegende Untersuchung hat zum Ziel, einen Beitrag zu der Entwicklung einer Dogmatik der Schutzpflichten im Gemeinschaftsrecht zu leisten, da auch nach der Rechtsprechung des EuGH und den überwiegend zustimmenden Äußerungen im Schrifttum im Hinblick auf die Annahme von Schutzpflichten die Aufgabe bestehen bleibt, sie dogmatisch klar zu begründen, ihre Inhalte und Reichweite festzustellen und sie in das Gefüge des bestehenden Rechtes einzuordnen. Eine zentrale Fragestellung dieser Untersuchung ist, ob es überhaupt ein Bedürfnis für die Annahme staatlicher Schutzpflichten gibt, da möglicherweise im EG-Vertrag ausreichende Rechtsinstrumente vorhanden sind, den Störungen des Binnenmarktes durch Privatpersonen Einhalt zu gebieten. Es soll daher untersucht werden, ob und unter welchen Voraussetzungen Private schon selbst im Wege einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten zu ihrer Beachtung verpflichtet werden können. Es soll auch geklärt werden, ob sich die Problematik der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten durch die Annahme von Schutzpflichten als weiterer Dimension der Grundfreiheiten verändert darstellt und wie sich diese beiden unterschiedlichen Möglichkeiten der Reaktion auf nicht-staatlich verursachte Binnenmarktstörungen zueinander verhalten. Im Schrifttum wird teil-
Einleitung und Gang der Untersuchung
weise vertreten, dass nach dem ersten Urteil des EuGH zu den Schutzpflichten in der Rechtssache Kommission/Frankreich 3 eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten als obsolet anzusehen sei, und dass einschlägige Probleme nunmehr ausschließlich anhand der Schutzpflichten zu lösen seien4. Im Anschluss an diese Überlegungen soll untersucht werden, ob und wie sich Schutzpflichten dem EG-Vertrag entnehmen lassen und unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten aus einer Schutzpflicht für die Grundfreiheiten zum Einschreiten verpflichtet werden können. Bislang ist nicht geklärt, welche Verhaltensweisen der Privaten der Selbstregulierung des Marktes überlassen bleiben sollten oder müssen und welche nach einem Einschreiten der Mitgliedstaaten verlangen. Nicht jede Beeinträchtigung des Binnenmarktes kann eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten nach sich ziehen, da die grenzüberschreitende Privatautonomie und der freie Wettbewerb das Wesen des Binnenmarktes ausmachen. Wenn man zu großzügig Schutzpflichten annimmt, besteht außerdem die Gefahr einer ausufernden Pflichtenstellung der Mitgliedstaaten, die mit einer Verschiebung der vertikalen Kompetenzordnung einhergeht. Im nächsten Kapitel wird der Frage nachgegangen, welchen Inhalt die Schutzpflichten im Allgemeinen haben und wie weit dabei die Ermessensspielräume der Mitgliedstaaten gezogen werden. Dem schließt sich die Frage an, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten ihre Untätigkeit oder die unzureichende Erfüllung der Schutzpflichten rechtfertigen können. Da sie zur Erfüllung von Schutzpflichten häufig in Grundrechte der Störer eingreifen müssen, werden die Mitgliedstaaten sich zu ihrer Rechtfertigung regelmäßig darauf berufen, dass sie aufgrund ihrer Pflicht zur Wahrung der Grundrechte nicht die von ihnen verlangten Maßnahmen treffen konnten. In diesem Zusammenhang wird der Frage nachgegangen, ob es sich dabei um nationale oder europäische Grundrechte handelt und welche Bedeutung der Grundrechtsschutz in der Gemeinschaft vor dem Hintergrund hat, dass die Grundfreiheiten des EG-Vertrags nach Durchsetzung verlangen und der EuGH bislang nicht als sehr grundrechtsfreundlich angesehen wurde. Schließlich sollen auch alle weiteren möglichen Rechtfertigungsgriinde betrachtet werden, die im Falle der Nichtvornahme der geforderten Schutzhandlungen in Frage kommen. Abschließend soll untersucht werden, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen der Einzelne gegen den Staat ein subjektives Recht auf ein Einschreiten gegen einen anderen Bürger hat und welche Möglichkeiten es zur prozessualen Durchsetzung der Schutzpflichten gibt.
3 EuGH, Slg. 1997,1-6959 - Kommission/Frankreich. 4 Kluthy AöR 122 (1997), 557 (581); Burgi, EWS 1999, 327 (330); Hirsch, ZEuS 1999, 503 (508); Streinz/Leible, EuZW 2000,468 (469); Füller, Grundlagen und inhaltliche Reichweite der Warenverkehrsfreiheiten, S. 35.
Erster Teil
Begriff der Schutzpflichten und seine Abgrenzung zu ähnlichen Funktionen der Grundfreiheiten A. Begriff der Schutzpflichten Unter dem Begriff der Schutzpflichten werden nach der hier vertretenen Auffassung Handlungspflichten der Mitgliedstaaten zum Schutz der Rechte Einzelner gegen nicht-staatliche Beeinträchtigungen verstanden1. Die fünf 2 europäischen Grundfreiheiten mit ihren Verboten, Handelshemmnisse aufzubauen oder aufrechtzuerhalten, sind grundsätzlich alleine an die Mitgliedstaaten adressiert und sind in erster Linie von gleichheitsrechtlichen Elementen geprägte Abwehrrechte der Unionsbürger gegen die einzelnen Mitgliedstaaten, von denen eine Unterlassung der Störung verlangt werden kann3. Die Mitgliedstaaten haben aufgrund der Verbotswirkung der Grundfreiheiten alle Maßnahmen zu unterlassen, die Beschränkungen der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit darstellen. Schutzpflichten für die Grundfreiheiten sind demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass sie staatliche Maßnahmen gegenüber den Störern der Grundfreiheiten erfordern, die selbst grundsätzlich nicht an die Grundfreiheiten gebunden sind4. Schutzpflichten sind nicht die Konsequenz einer Zurechnung des Verhaltens Privater zum Staat, sondern sind selbständige Pflichten der Mitgliedstaaten, die sich aus ihrer Verantwortung für Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten durch nicht-staatliche Akteure ergeben. In Rahmen der stärker als im Gemeinschaftsrecht ausgeprägten deutschen Schutzpflichtdogmatik ist strittig, ob staatliche Handlungspflichten im Falle von anderen als durch Privatpersonen verursachten Störungen, wie etwa bei Störungen durch Naturgewalten oder Drittstaaten, dogmatisch überhaupt als Schutzpflichten 1
Für die Schutzpflichten gibt es im Gemeinschaftsrecht noch keine Definition, da eine solche häufig als gegeben und bekannt vorausgesetzt wird. Ansätze zu einer Begriffsbestimmung finden sich bei Suerbaum, EuR 2003, 390 (394 f.); Streinz/Leible , EuZW 2000, 459 (466 f.). 2 Zum freien Zahlungsverkehr als fünfte Grundfreiheit Börner, in: FS Ophüls, S. 19. 3 Vgl. Hoffmann , Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als koordinationsrechtliche und gleichheitsrechtliche Abwehrrechte sowie Streinz, Europarecht, Rn. 706 und Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 147 (164 ff.). 4
Inwieweit Privatpersonen an die Grundfreiheiten gebunden sind, wird ausführlich im Dritten Teil, B. behandelt.
B. Abgrenzung zu Teilhabe- und Verfahrensrechten
17
einzuordnen sind. Es wird die Auffassung vertreten, dass das Wesen von Schutzpflichten darin bestehe, die Rechtsordnung in Bezug auf das Verhältnis gleichgeordneter Rechtssubjekte auszugestalten5. In dieser Arbeit wird noch zu klären sein, ob die Mitgliedstaaten auch bei Beeinträchtigungen des Binnenmarktes, die weder auf den Staat noch auf private Akteure zurückzuführen sind, zum Einschreiten verpflichtet werden können. Es gehört jedoch nicht zwingend zum Wesen der Schutzpflichten für die Grundfreiheiten, einen Ausgleich der Rechte Privater zu schaffen, sondern es ist allein von Bedeutung, dass der einzelne Staat zu Schutzmaßnahmen verpflichtet werden kann, wenn Störungen des Binnenmarktes nicht aus seiner Sphäre stammen6.
B. Abgrenzung zu Teilhabe- und Verfahrensrechten I. Teilhaberechte Teilhaberechte haben mit den Schutzpflichten gemeinsam, dass sie auf positive Handlungen des Staates zielen7. Abgeleitete (oder „derivative") Teilhaberechte können dem Einzelnen ein Recht auf Beteiligung an schon vorhandenen staatlichen Vergünstigungen und Leistungen vermitteln 8. Sie können den Grundfreiheiten deshalb entnommen werden, weil das in ihnen enthaltene Diskriminierungsverbot die Vorenthaltung der Begünstigung dem berechtigten Bürger gegenüber verbieten und ihm einen Partizipationsanspruch einräumen kann, wenn einem anderen Bürger die geforderte Leistung gewährt wurde 9. Dagegen lassen sich originäre Teilhaberechte im Sinne von Ansprüchen auf Schaffung noch nicht vorhandener Einrichtungen oder noch nicht gewährter Begünstigungen nicht aus den Grundfreiheiten herleiten, da ihre Funktion neben dem Diskriminierungsverbot eine abwehrrechtliche ist, die keine derart weitreichende Umdeutung zulässt10. Die Grundfrei5 So etwa Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 118. Vgl. zum Inhalt der Schutzpflichten die Ausführungen im Sechsten Teil, B. II. 6
Ausführlich zu den Störungen durch nichtpersonale Gewalten Fünfter Teil, D. IV. Zur Terminologie der Teilhaberechte vgl. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 112, Rn. 5 ff. m. w. N., der darauf aufmerksam macht, dass der Begriff der Teilhaberechte mit dem Begriff der Leistungsrechte häufig synonym verwendet wird, wobei der Leistungsbegriff teilweise sehr weit, teilweise eng verstanden wird. 8 Vgl. etwa Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 71 f., 118 f.; Jarass, EuR 2000,705 (708 ff.), sowie Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV, S. 420 ff.; zu Teilhaberechten aus den Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten Riedel, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Vorbem. zu Kapitel IV, Rn. 1 ff.; für das deutsche Recht Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 60 ff. 9 Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 193; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, S. 159. 10 Dem widerspricht auch nicht die Annahme staatlicher Schutzpflichten, da auch sie sich auf die abwehrrechtliche Funktion der Grundfreiheiten stützen, vgl. Pieroth/Schlink, Grund7
2 Stachel
18
1. Teil: Schutzpflichten und Abgrenzung zu ähnlichen Funktionen
heiten gewähren im äußersten Fall nur die gleichberechtigte Teilhabe an bestehenden Einrichtungen oder Vergünstigungen, ohne dem Bürger einen Anspruch auf darüber hinausgehende positive Handlungen zuzuerkennen 11. Zudem würde bei der Annahme originärer Teilhaberechte die Pflichtenstellung der Mitgliedstaaten deutlich überstrapaziert, ihre finanziellen und administrativen Belastungen würden unüberschaubar. Würde etwa vom Staat verlangt werden, die Infrastruktur zu erweitern und auszubauen, um einen besseren und schnelleren Wirtschaftsverkehr zu ermöglichen, wäre dies keine Frage des Bestehens einer staatlichen Schutzpflicht, sondern beträfe originäre Teilhaberechte, die nicht bestehen und die daher dem Unionsbürger keinesfalls einen Anspruch etwa auf Erweiterung der mitgliedstaatlichen Autobahnkapazitäten einräumen. Es ist aber zumindest denkbar, dass sich in Einzelfällen aus den europäischen Grundrechten Leistungsrechte entnehmen lassen 12 , während eine solche Funktion dem Wesen der Grundfreiheiten fremd ist. Aufgrund der Tatsache, dass die Schutzpflichten vom Staat verlangen, zugunsten des Einzelnen aktiv tätig zu werden, liegt es nahe, sie als Teilhaberechte im weiten Sinne anzusehen. Teilhaberechte zielen anders als die Abwehrfunktion der Freiheitsrechte auf positive Handlungen des Staates. Teilhaberechte im engen Sinne betreffen Leistungen des Staates, die auf Partizipation und Rechtskreiserweiterung ohne zusätzliche Gütervermehrung gerichtet sind 13 . Sie nehmen den Staat als Leistungs- und Sozialstaat in Anspruch, um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse, eine Umverteilung oder die Einräumung von Teilhabemöglichkeiten an Gütern zu erreichen, die nicht per se der individuellen Freiheitssphäre zugeordnet werden können und die in hohem Maße abhängig von der Wirtschaftslage sind, und deshalb nicht selten relativiert werden 14. Schutzpflichten nehmen anders als die Teilhaberechte im engen Sinne den Staat als Rechtsstaat zur Abwehr von Rechtsbeeinträchtigungen in Anspruch, zielen auf den Bestand der Rechtsgüter und grundsätzlich nicht auf ihre Vermehrung und sind gerade nicht abhängig von der wirtschaftlichen Situation des Staates15. Da sie ebenfalls auf positive Handlunrechte, Rn. 94 f. Solche originären Teilhaberechte sind auch nicht aus den deutschen Grundrechten herzuleiten, da die Gewährung solcher Rechte eine politische Gestaltungsaufgabe ist, die dem Gesetzgeber zugewiesen ist (str.), vgl. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 112, Rn. 86 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; vgl. auch Dreier, Grundgesetz, Vorbem. vor Art. 1, Rn. 89 ff., 101 ff.; Hermes, Grundrecht auf Sicherheit, S. 56 ff. h Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 1, S. 85. 12 Dies ist insbesondere bei den sozialen Grundrechten der Fall, hierzu ausführlich Losch/ Radau, NVwZ 2003,1440 ff. 13 Vgl. Murswiek, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 112, Rn. 20; für das Gemeinschaftsrecht Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, S. 158 f. Allerdings lassen sich auch Teilhabe- bzw. Leistungsrechte im engen Sinne auf die abwehrrechtliche Funktion zurückführen, wenn deren Gewährung notwendige Voraussetzung für die Ausübung der Freiheitsrechte ist, vgl. Böckenförde, in: Böckenförde/Jekewitz/ Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte, S. 7 ff. 14 Murswiek, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 112, Rn. 20 ff. 15
Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 126 f. m. w. N.
B. Abgrenzung zu Teilhabe- und Verfahrensrechten
19
gen des Staates zielen, ist es sachgerecht, sie nicht dem klassischen Abwehrrecht zuzuordnen.
n. Verfahrensrechte Bedeutsam kann auch die Abgrenzung von Schutzpflichten zu Verfahrensrechten sein, die auch den Grundfreiheiten entnommen werden können 16 . Die Schaffung von Verfahrensgarantien kann ein Aspekt der Schutzpflichten für die Grundfreiheiten sein, da die Erfüllung der Schutzpflichten auch mit organisatorischen und prozeduralen Vorkehrungen einhergehen kann. Der Staat kann aber ebenfalls aus der negatorischen Dimension der Grundfreiheiten verpflichtet sein, die Verfahrenspositionen des Einzelnen auszubauen. Dies kann regelmäßig nicht durch ein bloßes Unterlassen erreicht werden, sondern erfordert regelmäßig positive Handlungen, wie etwa die Einführung einer Gleichwertigkeitsprüfung bei im Ausland erworbenen Diplomen 17 . Im Einzelfall kann es daher schwierig sein, die Grundfreiheiten in ihrer Funktion als Gleichheits- und Freiheitsrechte 18 von den Schutzpflichten abzugrenzen. Für die Abgrenzung erscheint die Differenzierung nach der Gefahrenquelle als sachgerecht, da das Wesen der Schutzpflichten darin besteht, den Staat zum Schutz gegen Störungen zu verpflichten, die nicht der Sphäre des Staates entspringen. Wenn und soweit der zu Schützende von der Handlung eines anderen Privaten in der Ausübung seiner Grundfreiheiten gestört wird und der Staat deshalb prozedurale Rechte gewähren oder ausbauen muss, sind demgemäß die Schutzpflichten einschlägig. Gleiches muss gelten, wenn der Staat im Vorfeld von konkreten Angriffen durch Private den Ausgleich zwischen Privaten durch präventive, abstrakt-generelle Normen untereinander regelt, wie etwa durch das Aufstellen von Verfahrensanforderungen bei der Genehmigung potentiell gefahrlicher Anlagen. Demgegenüber ist der Schutz durch Organisation und Verfahren 19 den Verfahrensrechten und nicht den Schutzpflichten zuzuordnen. Er betrifft den Schutz vor Gefahren, die von staatlichen Organen oder dem Staat zurechenbarem Verhalten herrühren 20.
16
Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 160 f. Vgl. die Entscheidung des EuGH Vlassopoulou, in der es um eine Gleichwertigkeitsprüfung ging, EuGH, Slg. 1991,1-2357, Rn. 22 - Vlassopoulou. 18 Zu den Funktionen der Grundfreiheiten vgl. den Vierten Teil, D. 19 Dieser Begriff entstammt dem deutschen Verfassungsrecht und betrifft den wirksamen Grundrechtsschutz gegen staatliche Angriffe durch Verfahrens- und Organisationsregelungen, vgl. Denninger, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdStRV, § 113, Rn. 4. 17
20
2*
Im Ergebnis ähnlich Krings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 21 ff.
Zweiter Teil
Kurzer Überblick über Schutzpflichten in anderen Rechtsordnungen A. Deutschland In Deutschland sind staatliche Schutzpflichten für die Grundrechte traditionell anerkannt. Maßgeblich geprägt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wird ein staatlicher Schutzauftrag grundsätzlich sämtlichen Grundrechten des Grundgesetzes entnommen, womit die ursprüngliche Grundrechtsfunktion, die sich im wesentlichen auf die Abwehr staatlicher Eingriffe beschränkt hat, in erheblichem Maße erweitert wurde. Aus der staatlichen Verpflichtung zum positiven Tun folgt ein subjektives Recht des Einzelnen, das jedoch aufgrund eines weiten Ermessensspielraums des betreffenden Staatsorgans in der Regel nicht auf eine bestimmte Handlung des Staates gerichtet sein kann1. Das grundlegende Urteil zu den Schutzpflichten des Staates ist das sogenannte erste Abtreibungsurteil, in dem das BVerfG eine Pflicht der Legislative zum Ergreifen von Schutzmaßnahmen für das ungeborene Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entnommen hat 2 . Begründet wurde diese Pflicht des Staates auf der einen Seite damit, dass es sich bei den Grundrechten um Grundsatznormen handele, die eine verbindliche Wertentscheidung des Verfassungsgebers beinhalteten und damit eine „objektive Wertordnung" darstellten 3. Daraus folge eine positive Pflicht des Staates, die objektive Wertordnung „vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren" und „rechtliche Regeln so auszugestalten, dass auch die Gefahr von Grandrechtsverletzungen eingedämmt bleibt" 4 .
1 Ausführlich zum subjektiven Recht aus den Schutzpflichten und zur Zuerkennung einfachrechtlicher Schutzansprüche Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 133 ff., 193 ff. 2 BVerfGE 39, 1 (1. Abtreibungsurteil, 1975). Indes sind staatliche Schutzpflichten schon in der früheren Rechtsprechung des BVerfG in einem obiter dictum angeklungen. In der sog. Fürsorge-Entscheidung stellte es fest, dass Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG den Staat nicht zum Schutz des Einzelnen vor materieller Not verpflichte, aber durchaus gegen Angriffe anderer Personen auf die Menschenwürde, BVerfGE 1,97 (104) (Fürsorge, 1951). 3 BVerfGE 39, 1,41 (1. Abtreibungsurteil, 1975). 4 BVerfGE 39, 1,41 (1. Abtreibungsurteil, 1975); eine ähnliche Argumentation findet sich in den Urteilen BVerfGE 49, 89 (142) (Kalkar, 1978); BVerfGE 6, 71 (Zusammenveranlagung von Ehegatten bei der Einkommenssteuer, 1957).
A. Deutschland
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Eine andere ebenfalls durch die Rechtsprechung des BVerfG 5 inspirierte dogmatische Konstruktion begreift sämtliche Grundrechte als Ausfluss des fundamentalen Grundrechts der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG, die zu achten und zu schützen in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich normiert ist, und folgert daraus eine Schutzpflicht für alle Grundrechte 6. Diese Konstruktion erweitert allerdings den Begriff der Menschenwürde so stark, dass die Gefahr der Entwertung dieses fundamentalen Grundrechts besteht7. Zudem ist es trotz der sehr großen Bedeutung der übrigen Grundrechte in der Verfassung jedenfalls zweifelhaft, ob alle Grundrechte auf die Menschenwürde zurückzuführen sind, auch wenn die gesamte Grundrechtsordnung Verbindungen zur Menschenwürdegarantie aufweist. Andere Grundrechtsgarantien enthalten zwar „Menschenwürdegehalte", die jedoch bei den verschiedenen Grundrechten unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Insbesondere der Schutz der körperlichen Unversehrtheit und die Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit sind eng mit der Menschenwürde verknüpft, während etwa die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit eher einen geringen Bezug zur Menschenwürde aufweisen 8. Eine weitere Grundlage für die Schutzpflicht wurde in der grundlegenden Staatsfunktion der Etablierung einer Friedensordnung gesehen, die dem staatlichen Gewaltanspruch und der Gehorsamspflicht des Einzelnen ein Recht auf Sicherung seiner Rechtsgüter gegenüberstellt. Der Bürger verzichte auf sein naturgegebenes Recht zur Verteidigung seiner Rechtsgüter, während an seiner Stelle der Staat die Verpflichtung zur Sicherung dieser Rechte übernehme. Aus diesem Grunde müsse sich der Staat schützend vor die Grundrechtsgüter stellen9. Im Schrifttum und in der Judikatur der Fach- und Landesverfassungsgerichte stieß die Annahme der staatlichen Schutzpflichten insgesamt auf breite Zustimmung 10 , während einige Stimmen Bedenken erhoben, die sich in erster Linie auf dogmatische Begründungsdefizite bezogen11. 5 BVerfGE 39,1 (1. Abtreibungsurteil, 1975). 6 BVerfGE 88, 203 (251) (2. Abtreibungsurteil, 1993); Unterstützung bekam diese Rechtsprechung im Schrifttum durch Dürig, Der Grundrechtssatz der Menschenwürde, S. 118 ff.; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 18 ff. 7 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 413. 8 Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1, Rn. 21 und 23. 9 Vgl. Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 21 ff.; Klein, NJW 1989,1633 (1635 ff.); umfassend zur Ideengeschichte des Menschenrechts auf Sicherheit Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 27 ff. sowie Unruh, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 37 ff. m. w. N. 10
Genannt seien hier nur Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 155 ff.; Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 34 ff.; Unruh, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 28 ff.; Stern, Staatsrecht EI/1, S. 915 ff.; BVerwG, NJW 1993, 3002, 3003; BVerwG, DVB1. 1998, 596, 597; BayVfGH, UPR 1986,185. 11 Umfassend zu möglichen Begründungsdefiziten bei der Herleitung der Schutzpflichten Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 62 ff. m. w. N.; Unruh, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 62 ff.; eingehend zum Einwand der rein richterrechtlichen Entwicklung der Schutzpflichten Stern, Staatsrecht m / 1 , S. 910.
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2. Teil: Überblick über Schutzpflichten in anderen Rechtsordnungen
Schutzpflichten sind weitgehend gesetzesmediatisiert, d. h. sie fordern in erster Linie Aktivitäten des Gesetzgebers, durch Rechtsnormen Schutz vor Übergriffen Privater zu gewährleisten 12. Hinsichtlich des Inhaltes und des Umfangs der staatlichen Schutzpflichten soll ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gegeben sein, der durch das so genannte Untermaßverbot begrenzt wird 1 3 . Das BVerfG hat dem Gesetzgeber unter Heranziehung des Untermaßverbotes im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch trotz dieses weiten Gestaltungsspielraums äußerst konkrete Vorgaben gemacht, wie er die Schutzpflicht im Einzelnen zu erfüllen hat 14 . Noch nicht abschließend geklärt ist, welche Qualität die Gefahr einer Beeinträchtigung der Grundrechte genau besitzen muss und ab welcher Gefahrenschwelle der Staat zum Einschreiten verpflichtet ist. Es besteht allein darüber Einigkeit, dass eine „totale" Schutzverpflichtung des Staates nicht in Betracht kommen kann, da eine umfassende Reglementierung jeglichen privaten Verhaltens nicht möglich und auch nicht wünschenswert ist 1 5 . Strittig ist insbesondere, ob bloße Belästigungen eine staatliche Schutzpflicht auslösen können und wie hoch ein Risiko für eine Beeinträchtigung sein muss, um eine Schutzpflicht zu aktivieren 16 . Eine Verpflichtung zum Schutz vor bloßen Belästigungen wird teilweise verneint 17 , während teilweise sogar der Umfang der grundrechtlichen Schutzverpflichtung auf einen grundrechtlichen „Minimalstandard" begrenzt wird 1 8 . Andere wollen im Falle bloßer Belästigungen ebenfalls Schutzpflichten zur Anwendung kommen lassen, da die Intensität des Eingriffs erst auf der Ebene der Rechtfertigung eine Rolle spielen könne 19 . Was die Behandlung von bloßen Risiken angeht, ist vor allem die Frage der so genannten Restrisiken Gegenstand von Meinungsdifferenzen. Restrisiken sind theoretisch denkbare, praktisch aber sehr unwahrscheinliche oder nahezu ausgeschlossene Gefahren wie etwa Reaktorunfälle oder Seuchen, die vor allem deshalb als nicht schutzpflichtrelevant angesehen werden, da es einen völligen Risikoausschluss nicht geben könne und gewisse zivilisationsspezifische Risiken hingenommen werden müssten20. 12 Dreier, in: Dreier, Grundgesetz, Vorbem. vor Art. 1, Rn. 102 f.; Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 206 ff. 13 Zum Untermaßverbot Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdStR V, § 111, Rn. 165; Merten, in: Hochschule f. Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Akad. Gedenkfeier f. Willi Geiger, S. 15 ff. 14 BVerfGE 88, 203; kritisch zu diesem Umgang mit dem Untermaßverbot Hesse, FS Mahrenholz, S. 541 ff. sowie Dirnberger, DVB1. 1992, 879 (881 ff.). 15
Vgl. etwa Murswiek, Die staatliche Verantwortung, S. 139 sowie Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 41 f. 16 Einen guten Überblick über den Streitstand in der Literatur gibt Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 105 ff. 17 Isensee, in: Isensee / Kirchhof, HdStR V, § 111, Rn. 107. 18 Vgl. Breuer, Grundrechte als Anspruchsnormen, S. 102; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 180; Kloepfer, DVB1. 1988, 305 (311 f.). 19 So Suhr, JZ 1980, 166 (168).
Grundrechte als
B. Andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union
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B. Andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union In vielen Mitgliedstaaten finden sich vergleichbare Ansätze im Hinblick auf die Annahme von staatlichen Schutzpflichten 21. In Österreich sind nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur Schutzpflichten für die Grundrechte der österreichischen Verfassung anerkannt 22. Der österreichische Verfassungsgerichtshof orientiert sich in seiner Rechtsprechung deutlich an der Rechtsprechung des EGMR, auch und gerade im Hinblick auf die Annahme mitgliedstaatlicher Schutzpflichten 23 . Im Schrifttum wird die Bejahung der staatlichen Schutzpflicht insbesondere auf die völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs durch die E M R K 2 4 oder auf den objektiven Gehalt der Grundrechte 25 gestützt. Der irischen Verfassung lassen sich zum Teil sogar ausdrückliche Schutzpflichten entnehmen. Gemäß Art. 40 Abs. 3 Nr. 1 der irischen Verfassung besteht eine ausdrückliche Verpflichtung des Staates, die persönlichen Rechte der Bürger vor Angriffen zu schützen. In ihrem Art. 40 Abs. 3 Nr. 2 heißt es: „Insbesondere schützt der Staat durch seine Gesetze nach bestem Vermögen das Leben, die Person, den guten Namen und die Vermögensrechte eines jeden einzelnen Bürgers gegen widerrechtliche Angriffe und verteidigt sie im Falle ihrer Verletzung" 26. Die Verfassung Spaniens27 regelt in ihrem Art. 9 Abs. 2: „Der öffentlichen Gewalt obliegt es, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass Freiheit und Gleichheit des Einzelnen und der Gruppen, denen er angehört, real und wirksam sind, die Hindernisse zu beseitigen, die ihre volle Entfaltung verhindern oder e r s c h w e r e n . . I n der Rechtsprechung der spanischen 20 Ausführlich zu der Frage der Restrisiken Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 237 f f Zu der Inkaufnahme von „Zivilisationsrisiken" Degenhart, Kernenergierecht, S. 146 ff. Gegen die Ausklammerung von Restrisiken aus den Schutzpflichten Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 108, der dies gerade bei sehr großen möglichen Schadensfolgen als bedenklich ansieht. 21 Die Auswahl der Länder ist indes kein repräsentativer Querschnitt der EU-Mitgliedstaaten, sondern ist notwendigerweise auf die im Hinblick auf die Schutzpflichten erforschten Länder begrenzt. Es war daher nicht möglich, die neuen Mitgliedstaaten in diese Untersuchung miteinzubeziehen. 22 Berka, Die Grundrechte, S. 59 ff. m. w. N.; Feik, in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel, S. 205. 23 Vgl. Szczekalla, Schutzpflichten, S. 911 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Zu den Schutzpflichten für die EMRK nach der Rechtsprechung des EGMR vgl. Punkt C. in diesem Teil. 24 Morscher, EuGRZ 1990,454 (460 f.). 25 Berka, Die Grundrechte, S. 84 f.; a.A. Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, S. 76 ff. m. w. N. 26 Der Text der Verfassung ist im Internet zu finden unter http: //www.oefre.unibe.ch/law/ icl/eiOOOOOhtml (zuletzt abgerufen am 22. 7. 2005) oder in deutscher Übersetzung bei Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, S. 213 ff.; näher zu den Schutzpflichten in der irischen Verfassung vgl. Szczekalla, Schutzpflichten, S. 918. 27 Die Verfassung findet sich in deutscher Übersetzung bei Kimmel, Verfassungen der EUMitgliedstaaten, S. 519 ff.
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2. Teil: Überblick über Schutzpflichten in anderen Rechtsordnungen
Gerichte wurde in enger Anlehnung an die Verfassungsentwicklung in Deutschland in den achtziger Jahren zur Herleitung von Schutzpflichten auf die objektive Dimension der Grundrechte zurückgegriffen, auf die in der Folge jedoch nicht mehr häufig Bezug genommen wurde 28 . In Frankreich herrscht ein Verständnis von Grundrechten als Bestandteile einer objektiven Ordnung vor, ohne sie als subjektive Rechte anzusehen. In der rechtsvergleichenden Literatur wurden dennoch staatliche Schutzpflichten für Leben und Gesundheit des Einzelnen herausgearbeitet 29. Problematisch ist in Frankreich indes, dass sein oberstes Verfassungsgericht (Conseil constitutionnel) aufgrund des Fehlens eines Schutzgesetzes nicht ohne weiteres angerufen werden kann 30 . Auch im vom common law 31 geprägten Vereinigten Königreich, das bis heute keine geschriebene Verfassung besitzt, sind Schutzpflichten des Staates bekannt32. In einem jüngeren vom House of Lords entschiedenen Fall ging es um die mögliche Verletzung einer staatlichen Schutzpflicht durch den angeblich unzureichenden Polizeischutz eines von Demonstranten angegriffenen Viehtransportes. Im Ergebnis wurde zwar die Verletzung einer staatlichen Schutzpflicht verneint, da der Polizei ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wurde, dessen Grenzen die Polizei nicht überschritten haben soll. Aufgrund der Tatsache, dass ein mehrtägiger Schutz eines Viehtransportes gegen militante Tierschützer mit einem großen Polizeiaufgebot einen sehr hohen Aufwand bedeuten würde, durfte die Polizei nach Ansicht des Gerichts einen solche Schutzmaßnahme als unverhältnismäßig ansehen33. Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass sich nach dem Recht vieler anderer Mitgliedstaaten der EU der Gedanke eines umfassenden Schutzes der Grundrechte auch vor nicht-staatlichen Beeinträchtigungen einer breiten Anerkennung erfreut 34. Allerdings herrscht im Grundsatz Einigkeit darüber, dass insbesondere Schutzpflichten des Gesetzgebers eher als exzeptionell angesehen werden müssen, die nur bei einem hohen Gefährdungsgrad eines sehr wichtigen Rechtsgutes in Betracht kommen, wobei die Einzelheiten bisher kaum geklärt sind 35 . 28 Cruz Villaion, in: Starck, (Hrsg.), Grundgesetz und deutsche Verfassungsrechtsprechung im Spiegel ausländischer Verfassungsentwicklung, S. 193 ff. 29 Szczekalla, Schutzpflichten, S. 919; Classen, JöR 36 (1987), 29 ff. 30 Arnold, JöR 38 (1989), 197 (208). 31 Zur Bedeutung des common law im Vereinigten Königreich Holznagel, ERPL 9 (1997), 78 ff. m. w. N. 32 Ausführlich zu den Schutzpflichten für Grundrechte nach britischem Recht Clapham, Human Rights in the Private Sphere, S. 298 ff.; Hunt, Public Law 1998,423. 33 So der Sachverhalt in einem vom House of Lords entschiedenen Fall: House of Lords, R. v. Chief Constable of Sussex, ex p. International Trader's Ferry Ltd, in: EuGRZ 1999, 333 (341). 34 Dies wird ebenfalls festgestellt durch von Bar, RabelsZ 59 (1995), 203 (208); Szczekalla, Schutzpflichten, S. 712 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 35 Vgl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 111 sowie Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 427; zum schutzpflichtauslösenden Gefahrenbegriff vgl. Fünfter Teil, E. 1.
C.EMRK
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C. EMRK Auch aus den Rechten der EMRK hat der EGMR Schutzpflichten der Vertragsstaaten hergeleitet, die Bestandteil der so genannten positiven Pflichten sind, die allerdings auch Instituts- und Verfahrensgarantien umfassen und bislang noch keiner einheitlichen Dogmatik zugeordnet werden können36 . Der EGMR hat es in seiner Entscheidung Plattform „Ärzte für das Leben" gegen Österreich ausdrücklich abgelehnt, eine generelle Dogmatik für den schwer zu präzisierenden Bereich der positiven Pflichten zu entwickeln und hält an seiner Einzelfallrechtsprechung fest 37 . In der EMRK gibt es in Bezug auf das Recht auf Leben eine ausdrücklich normierte Schutzpflicht der Vertragsstaaten. In Art. 2 Abs. 1 EMRK heißt es: „Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt". Nach herrschender Meinung verpflichtet diese Norm den Staat zu einem positiven Tun, insbesondere wirksame strafrechtliche Vorschriften mit abschreckender Wirkung zu erlassen sowie eine Strafverfolgung zu organisieren und gegebenenfalls Schutzmaßnahmen für Personen zu treffen, deren Leben bedroht ist 3 8 . Darüber hinaus hat der EGMR aus einigen anderen von der EMRK garantierten Grundfreiheiten Schutzpflichten der Vertragsstaaten hergeleitet. Als Leitentscheidung des EGMR wird die Rechtssache Young, James and Webster angesehen, in der der EGMR anläßlich einer Kündigung, die drei Arbeitnehmern aufgrund ihrer Weigerung ausgesprochen wurde, einer bestimmten Gewerkschaft beizutreten, ein pflichtwidriges staatliches Unterlassen annahm, da die Gesetze des Staates solche Entlassungen ermöglichten 39. Allerdings ist die festgestellte Pflichtverletzung des Staates nur mit Vorbehalten als Verletzung einer Schutzpflicht einzuordnen, da der EGMR nicht problematisierte, dass es sich ausschließlich um ein Verhalten Privater handelte, während jedoch die Kommission sich durchaus mit dieser Frage beschäftigte und die Auffassung äußerte, die Vertragsstaaten hätten die in der EMRK niedergelegten Rechte auch gegen Angriffe von nicht-staatlicher Seite zu schützen40. In einer weiteren frühen Entscheidung X und Y gegen Niederlande nahm der EGMR eine Verpflichtung der Staaten an, der wirksamen Beachtung des Rechts auf Privatleben, das auch das Recht der physischen und psychischen Identität einer Person einschließlich ihres Geschlechtslebens umfasst 41, auch im Verhältnis von Privatpersonen zur 36 Jaeckel, Schutzpflichten, S. 125. 37 EGMR, A/139 (1988), § 31 - Plattform »Ärzte für das Leben" gegen Österreich = EuGRZ 1989, 522 (524). In dem Fall ging es um die Störung einer Demonstration durch Gegendemonstranten, die nach Ansicht des Gerichtshofes grundsätzlich staatliche Handlungspflichten zum Schutz der Demonstration erfordern kann. 38 Meyer-Ladewig, HK-EMRK, Art. 2, Rn. 7. 39 EGMR, A / 4 4 (1981), § 65 - Young, James and Webster; zur Bedeutung dieser Entscheidung Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 114 ff. 40 KomMR, EuGRZ 1980,450, §§ 162 ff. Meyer-Ladewig,
Hk-EMRK, Art. 8, Rn. 7.
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2. Teil: Überblick über Schutzpflichten in anderen Rechtsordnungen
Durchsetzung zu verhelfen. In diesem Fall ging es um die Vergewaltigung eines geistig behinderten Mädchens, die aufgrund einer Strafbarkeitslücke strafrechtlich nicht geahndet werden konnte 42 . Im Schrifttum werden Schutzpflichten aus sämtlichen Garantien der EMRK überwiegend bejaht 43 , wenn auch mit sehr unterschiedlichen Begründungsansätzen. Teilweise werden die Schutzpflichten dadurch hergeleitet, dass dem in Art. 5 Abs. 1 EMRK normierten Recht auf Sicherheit entgegen seiner allgemein anerkannten Beschränkung auf Freiheitsentziehungen44 eine positive Schutzfunktion entnommen wird 4 5 . In der Konsequenz müssten jedoch Schutzpflichten für spezielle Freiheitsrechte durch den Rückgriff auf Art. 5 EMRK hergeleitet werden, was der Systematik der EMRK nicht gerecht würde und zudem ein sehr weites Verständnis des Begriffs der Sicherheit voraussetzen würde 46 . Mitunter wird eine Schutzpflicht auch auf Art. 1 EMRK gestützt, der bestimmt, dass die Vertragsparteien allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in ihr niedergelegten Rechte und Freiheiten zusichern 47. Überzeugender ist eine teleologische Auslegung der Konvention, die sich insbesondere auf den Wortlaut der Präambel stützt, die eine Entschlossenheit der Vertragsstaaten verkündet, die „universelle und wirksame Anerkennung und Einhaltung der in ihr aufgeführten Rechte zu gewährleisten" und „eine kollektive Garantie" für die Durchsetzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu geben48. Ein Verständnis der Konventionsrechte dahingehend, dass allein der Staat sich Eingriffe enthalten muss, aber bei Eingriffen von anderer Seite unbeteiligt zuschauen darf, würde vor diesem Hintergrund nicht ausreichend sein, um sie in der Rechtswirklichkeit durchzusetzen. Die von def EMRK garantierten Rechte wären in diesem Fall nicht selten nur theoretisch vorhanden und damit weitgehend wirkungslos 49.
« EGMR A / 9 1 (1985), § 4 0 - X und Y gegen Niederlande = EuGRZ 1985, 297 ff. 43 Vgl. Bleckmann, FS Bernhardt, S. 309 ff. m. w. N. 44 Dies, weil er in systematischer Hinsicht im Zusammenhang mit dem Recht auf Freiheit steht und daher im Sinne eines Schutzes vor willkürlichen Verhaftungen verstanden wird; vgl. Meyer-Ladewig, HK-EMRK, Art. 5, Rn. 1; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 117 f. 45 Van Dijk/van Hof, Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, S. 345; Golsong, in: Institute d'Etudes Européennes (Hrsg.), Droit pénal européen, S. 25, 33. 46 Vgl. im einzelnen zu dieser Auseinandersetzung Murswiek, in: Konrad u. a. (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren, S. 227 m. w. N.; Trechsel, in: Macdonald/ Matscher/Petzold (Hrsg.), European System, S. 277 ff. 47 Matscher, FS Schmölz, S. 187 ff.; Nipperdey, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte II, S. 21 ff.
48 Die Präambel kann als Teil des Vertrags zu seiner Interpretation herangezogen werden, vgl. Frowein, in: Frowein/Peukert (Hrsg.), EMRK, Präambel, Rn. 5. 49 So auch der EGMR, A / 3 2 (1979), § 24 -Airey gegen Irland = EuGRZ 1979,626 (628); in diesem Sinne auch Bleckmann, FS Bernhardt, S. 309 (312); Matscher, FS Schmölz, S. 187 (189 ff.).
D. Schutzpflichten im universellen Volkerrecht
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Eine Schutzpflichtverletzung des Staates soll im Falle der Nichteinhaltung des erforderlichen Sorgfaltsmaßstabes durch den Staat anzunehmen sein, da es dem Staat faktisch unmöglich ist, alle Vorgänge in seinem Gebiet umfassend zu überwachen und zu kontrollieren. Dem Staat soll es jedenfalls zuzumuten sein, eine für die Gewährleistung des Schutzes der Menschenrechte ausreichende staatliche Organisation zu schaffen und aufrechtzuerhalten 50. Hinsichtlich des Gefahrenbegriffes verlangt die wohl überwiegende Meinung eine konkrete Gefahr, während vage und abstrakte Gefahren nicht genügen sollen 51 . Die genauen Voraussetzungen staatlicher Schutzpflichten sind indes bis heute nicht geklärt, da der EGMR bislang in verschiedenen Einzelfällen staatliche Schutzpflichten bejaht hat, die keinen Rückschluss darauf zulassen, welche genauen Verhaltensweisen Privater ab welcher Beeinträchtigungsschwelle Schutzpflichten auslösen. In einigen seiner Urteile zum Folterverbot nach Art. 3 EMRK hat der EGMR ein Mindestmaß an Schwere der Folterung verlangt 52. Es lässt sich dennoch keine allgemeine Tendenz des Gerichtshofs feststellen, Bagatellverletzungen wegen Geringfügigkeit aus dem schutzpflichtauslösenden Tatbestand herauszunehmen53.
D. Schutzpflichten im universellen Volkerrecht Im universellen Völkerrecht sind völkerrechtliche Pflichten der Staaten zur Verhinderung oder Ahndung bestimmter Handlungen Privater anerkannt. Begründet wird das Bestehen dieser staatlichen Pflichten insbesondere damit, dass die Territorialhoheit der einzelnen Staaten nicht nur Rechte der Staaten begründe, sondern auch Pflichten mit sich bringe. Dem exklusiven Recht des Staates zur Bestimmung der Geschehnisse in seinem Hoheitsgebiet korrespondiere die Pflicht, seine Bürger vor schweren Beeinträchtigungen durch Private zu schützen54. Die Staaten sind konkret dazu verpflichtet, einen gewissen Standard an innerstaatlichem Recht und innerstaatlicher Organisation zu schaffen und aufrechtzuerhalten, um völkerrechtlich missbilligtes Privatverhalten zu verhindern. Dabei soll sowohl eine Pflicht zur Ergreifung von Präventivmaßnahmen als auch die Pflicht zu repressiven Maßnahmen in Betracht kommen. Dem Staat soll eine gewisse Sorgfaltspflicht auferlegt werden, deren Verletzung nur im Einzelfall bei der Missach50
Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 168 f. 51 Holoubek, Gewährleistungspflichten, S. 288 f.; vgl. auch EGMR, A/161 (1989), § 93 ff. - Soering gegen Vereinigtes Königreich = EuGRZ 1989, 314. 52 EGMR, A/215 (1991), § 107 - Vilvarajah gegen Vereinigtes Königreich; EGMR, A/201 (1991), § 83 - Cruz Varas gegen Schweden = EuGRZ 1991, 203. 53 Vgl. Szczekalla, Schutzpflichten, S. 729 ff., der einen Überblick über wichtige jüngere Entscheidungen des EGMR zu den „positiven Pflichten" verschafft. 54 Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 254, sieht staatliche Schutzpflichten im Völkerrecht als etabliert an; Verdroß/Simma, Universelles Volkerrecht, § 1281; Wolf, ZaöRV 45 (1985), 232 (234 ff.).
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2. Teil: Überblick über Schutzpflichten in anderen Rechtsordnungen
tung der nach den Umständen geforderten Sorgfalt („due diligence") festgestellt werden kann 55 . Der Staat muss seine innerstaatlichen Normen in jedem Fall so ausgestalten, dass es den einschlägigen Völkerrechtsnormen entspricht. Entspricht die Rechtsordnung nicht diesen Standards und ist dies die Ursache eines völkerrechtswidrigen durch Private ausgelösten Ereignisses, kann allein darin ein Verstoß des Staates gegen Volkerrecht liegen 56 . Fehlen dem Staat aufgrund ungenügender innerer Organisation die Möglichkeiten zum Eingreifen, kann er sich nicht auf die mangelnde Organisation als Rechtfertigung berufen. Insoweit besteht eine staatliche Pflicht zur Schaffung und Erhaltung eines ausreichenden Verwaltungsapparates57. Auch aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) leitet der UN-Menschenrechtsausschuss staatliche Schutzpflichten ab 58 . Er begründet dies mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den Individuen die Rechte aus dem Pakt zu garantieren, eine Verpflichtung, die ineffektiv wäre, wenn Menschenrechtsverletzungen durch Private von den Staaten ignoriert werden dürften 59 . Schon dem Wortlaut des Paktes lassen sich Schutzpflichten des Staates entnehmen. Nach Art. 2 Abs. 2 IPbpR werden von den Vertragsstaaten positive Leistungen verlangt, „um die gesetzgeberischen oder sonstigen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den in diesem Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen, soweit solche Vorkehrungen nicht bereits getroffen worden sind". In erster Linie soll der Gesetzgeber Adressat der Schutzpflichten sein, der die betreffenden Strafrechtsvorschriften erlassen muss 60 . Die bislang angenommenen Schutzpflichten betreffen häufig Mord und Folter, aber auch die Achtung der Privatsphäre, der Familie und der Wohnung61. Nicht zu verwechseln sind diese staatlichen Pflichten mit der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit, die durch Zurechnung der Handlungen Privater zum Staat begründet wird. Eine solche Zurechnung zum Staat begründet eine eigene Verantwortlichkeit des Staates für ein positives Tun. Sie kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn eine Handlung Privater vom Staat in der Weise für sich genutzt oder „übernommen" wird, dass sie schließlich als „Staatsakt" betrachtet werden 55 Strupp, Völkerrechtliche Haftung des Staates, S. 31; Epiney, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten, S. 207; zur Ausfüllung des Begriffs „due diligence" Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen, S. 237 ff. 56 Epiney, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten, S. 224. 57 O'Connell, International Law, S. 966. 58 Ausführlich Kälin, in: Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, 1994, S. 33 f.; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 136 ff. 59 UN-HRC, Communication Nr. 195 /1985 (1990), § 5.5 - Delgado Paez. Dieser Fall gilt als Präzedenzfall für die Herleitung staatlicher Schutzpflichten. Er betrifft das Unterlassen von Schutzmaßnahmen Kolumbiens gegen einen Lehrer, der von Todesschwadronen bedroht wurde.
60 Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen, S. 274. 61 Vgl. UN-HRC, Communication Nr. 79/1980 (1982) - S.v.Norway.
E. Zusammenfassung
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kann 62 , oder wenn siegreiche revolutionäre Gruppen die Regierung in dem Staat übernommen haben63.
E. Zusammenfassung Es konnte gezeigt werden, dass Schutzpflichten in zahlreichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und im Völkerrecht eine breite Anerkennung finden und zum Teil sogar explizit normiert worden sind. Trotz der weitgehenden Anerkennung einer Schutzpflichtdimension der betreffenden subjektiven Rechte ist jedoch zu bedenken, dass Schutzpflichten des Gesetzgebers nicht die Regel, sondern vielmehr eine Ausnahme bilden müssen. Der Gesetzgeber hat keine umfassende Pflicht inne, alle möglichen Fälle von Rechtsverletzungen Privater untereinander einer Regelung zuzuführen. Nur unter besonderen Voraussetzungen ist eine Pflicht des Gesetzgebers anzunehmen, in diesen Fällen positive Maßnahmen zu treffen. Im Einzelnen sind diese Voraussetzungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten und im Völkerrecht weitgehend ungeklärt. Fest steht bislang nur, dass es entscheidend auf den Wert des zu schützenden Rechtsguts und die Intensität des Eingriffs in Relation zu dem Interesse an der Durchführung des risikobehafteten Tuns ankommt. Dem Gesetzgeber können aufgrund seiner weitreichenden Einschätzungs- und Gestaltungsprärogative nur in wenigen Fällen konkrete Vorgaben gemacht werden, wie er eine bestehende Schutzpflicht zu erfüllen hat.
62 Christenson, in: Lillich (Hrsg.), International Law of State responsibility, S. 335; Brownlie, State Responsibility, S. 157. 63 In diesem Fall soll den revolutionären Gruppen bzw. dem Staat das Verhalten ihrer Mitglieder von Beginn ihrer Tätigkeit an rückwirkend zugerechnet werden, vgl. Epiney, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten, S. 252 ff.
Dritter Teil
Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten Will man den europäischen Grundfreiheiten eine neue rechtliche Dimension durch Auslegung der Verträge bzw. Rechtsfortbildung entnehmen, besteht die Notwendigkeit, ein Bedürfnis für eine solche festzustellen. Hierfür ist entscheidend, ob in der Rechtswirklichkeit ein Anwendungsbereich für Schutzpflichten der Mitgliedstaaten besteht, und wenn dies positiv beantwortet werden kann, ob die schon vorhandenen Dimensionen der Grundfreiheiten oder andere Vertragsnormen in der Lage sind, diese Fälle zu erfassen 1. Zur Klärung dieser Fragen soll die Bedeutung des Verhaltens Privater für die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes betrachtet werden, um im Anschluss daran zu untersuchen, welche der bestehenden Rechtsinstrumente für die Konstellation privater Störungen des Binnenmarktes zur Verfügung stehen und wie diese sich zu der Annahme staatlicher Schutzpflichten verhalten.
A. Das Binnenmarktziel und die Bedeutung des Verhaltens Privater im Binnenmarkt Der EG-Vertrag könnte durch Auslegung Hinweise geben, welche Rolle das Verhalten von Privatpersonen in der ihm zugrundeliegenden Wirtschaftsordnung spielen soll. Die Untersuchung der Bedeutung nicht-staatlicher Handelsbeeinträchtigungen in ökonomischer Hinsicht soll diese Erwägungen insofern ergänzen, als sie Hinweise auf ein Bedürfnis für eine neue Funktion der Grundfreiheiten geben kann.
I. Die Wirtschaftsordnung der EG Der Binnenmarkt ist ein Wirtschaftsraum ohne Binnengrenzen, der durch den Abbau sämtlicher Handelshemmnisse in den Mitgliedstaaten ermöglichen soll, dass die verschiedenen Märkte der Mitgliedstaaten für Personen und Wirtschaftsgüter aus anderen Ländern geöffnet werden und allmählich zu einem einheitlichen 1 So im Ergebnis auch Schilling, EuGRZ 2000, 3 (33) sowie Schilling, KritV 1999, 452 (456 f.).
A. Binnenmarktziel und Verhalten Privater im Binnenmarkt
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Markt zusammenwachsen2. Die wirtschaftlichen Freiheitsrechte der Grundfreiheiten bilden das Kernstück des Binnenmarktes, der als wesentliche Elemente außerdem das Wettbewerbsrecht (Art. 81 ff. EGV) und die Zollunion umfasst 3. Aus den Grundfreiheiten folgten von Beginn an alleine Unterlassungspflichten der Mitgliedstaaten, ohne dass sich ihre Verbotswirkung zusätzlich auf Privatpersonen erstreckte. Die den Binnenmarkt prägende Wirtschaftsordnung basiert auf der wettbewerbsgesteuerten freien Marktwirtschaft 4. Nach anderer Auffassung ist Grundlage des Binnenmarktes eine gemischte Wirtschaftsordnung, d. h. eine prinzipiell marktgesteuerte Wirtschaft mit planwirtschaftlichen Elementen5, während andere Autoren der Auffassung sind, der EG-Vertrag habe keinerlei Entscheidung für eine bestimmte Wirtschaftsordnung getroffen 6. Im EG-Vertrag selbst ist jedoch mit dem Vertrag von Maastricht eine ausdrückliche Entscheidung für eine marktgesteuerte Wirtschaft getroffen worden. In Art. 4 EGV, der die Tätigkeit der Gemeinschaft in der Wirtschafts- und Währungsunion konkretisiert, ist nunmehr niedergelegt, dass die Tätigkeit der Gemeinschaft „dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet" sei, und es finden sich weitere Normen, die explizit die marktwirtschaftliche Ausrichtung des EG-Vertrags erwähnen (Art. 98 und 105 EGV). Trotz der allmählichen Zunahme interventionistischer Elemente7 ist der EG-Vertrag im Ganzen nach wie vor darauf ausgelegt, die Grundlagen für die Selbststeuerung des Binnenmarktes dadurch zu schaffen, dass ein freier Wettbewerb ermöglicht wird 8 . Der Binnenmarkt ist nicht auf hoheitliche und zentrale Eingriffe von 2 Vgl. die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache EuGH, Slg. 1982,1409, Rn. 32 Schul, in der er äußert, dass die Verschmelzung der nationalen Märkte dazu führen soll, dass die Bedingungen eines wirklichen Binnenmarktes so weit wie möglich geschaffen werden sollen. 3 Vgl. Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 134 ff. Zu den Begrifflichkeiten des Gemeinsamen Marktes und des Binnenmarktes vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 948 ff. m. w. N. Es wird insbesondere vertreten, der Binnenmarkt umfasse nur einen Teilbereich des Gemeinsamen Marktes, der sich auf den Freiverkehr beschränke, vgl. das Weißbuch der Kommission, KOM (85), 310,4 endg. v. 14.6.1985. Auch das Weißbuch verwendet indes an einigen Stellen die Begriffe synonym. In dieser Arbeit wird vertreten, dass die Begriffe weitgehend identisch sind. In diese Richtung gehen auch Barents, CMLR 30 (1993), S. 85 (105) und Everling, FS Pescatore, S. 227 (237 f.). 4 So die wohl h.M., vgl. Mestmäcker, FS von der Groeben, S. 9 ff.; Müller-Graff, EuR 1997, 433 ff.; Immenga, EuZW 1994, 14 f.; Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 26; vgl. auch Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt, S. 22 ff. 5 Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 100. 6 So VerLoren van Themaat, FS von der Groeben, S. 427 f. 7 Insbesondere werden aufgrund der Ermächtigung der Gemeinschaft zur aktiven Industriepolitik durch den Vertrag von Maastricht (nunmehr Art. 157 EGV) starke interventionistische Züge der Gemeinschaft angenommen, vgl. Steindorff, F1W 148,11 (21). 8 Zum Grundsatz der Selbstregulierung der Märkte Müller-Graff, EuR 1989, 107 (118); Bleckmann, DVB1. 1988, 938 (941); Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 42 f.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
außen ausgerichtet, da abgesehen von Interventionsmöglichkeiten in einigen eng begrenzten Bereichen9 alleine die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften der Art. 81 ff. EGV dem Verhalten Privater Grenzen setzen. Das auf der Gemeinschaftsebene gewählte Instrumentarium zur Errichtung des Binnenmarktes ist die Rechtsharmonisierung nach Art. 95 EGV, die Deregulierungen auf der Ebene des nationalen Rechts schaffen soll, ohne dass die Gemeinschaft ermächtigt wird, den Binnenmarkt durch wirtschaftspolitische Interventionen zu initiieren und zu steuern 10 . Das Wesen der freien Marktwirtschaft liegt schließlich gerade darin, dass die Marktteilnehmer nach Wettbewerbsvorteilen streben und ihre Position durch für sie günstige Verträge auch unter etwaiger Benachteiligung anderer Wirtschaftsteilnehmer ausbauen11. Der Markt soll für alle Marktteilnehmer offen zugänglich sein und ihnen ermöglichen, ihre Produktionsfaktoren, Waren und Dienstleistungen dort nachzufragen und anzubieten, wo sie aus ihrer Sicht am besten und günstigsten sind, oder dorthin abzuwandern, wo die günstigsten einzelstaatlichen Rahmenbedingungen herrschen. Der dadurch entstehende Wettbewerb soll durch seine Rationalisierungs-, Selektions- und Entmachtungsfunktion 12 den Markt dazu befähigen, sich selbst zu regulieren. Insbesondere soll der freie Wettbewerb im Regelfall zu einem Verzicht auf irrationale Kriterien bei ökonomischen Entscheidungen fuhren, wie etwa das Abstellen auf die Herkunft eines Wirtschaftsgutes oder einer Person, und die Marktteilnehmer dazu anhalten, alleine den wirtschaftlichen Nutzen zu ihrer Entscheidungsgrundlage zu machen. Des weiteren soll er zu einer Verbesserung der Qualität von Wirtschaftsgütern führen und die Produktivität erhöhen 13. Vor diesem Hintergrund scheinen Schutzpflichten der Mitgliedstaaten zumindest auf den ersten Blick der Wirtschaftsordnung des Binnenmarktes zu widersprechen, da sie Interventionen in das Verhalten der Privatpersonen zum Inhalt haben und der Regulierungswirkung des freien Wettbewerbs kein Vertrauen schenken.
9 Zu diesen Bereichen gehören z. B. die Industriepolitik und vor allem das Agrarrecht. In den USA herrscht demgegenüber die Auffassung vor, der Markt richte alles, vgl. etwa Posner, The Economics of Justice, m. w. N. 10 Vgl. Müller-Graff, EuR 1989,107 (117 ff.). 11 Vgl. Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 135 f. m. w. N.; Petersmann, Außenwirtschaft 48 (1993), S. 389 (410); zur europäischen Liberalisierungspolitik insbesondere im Bereich des Wettbewerbsrechts Paulweber/Weinand, EuZW 2001, 232 (234 ff.). 12 Die Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs ermöglicht den Marktteilnehmern, diskriminierenden Verhaltensweisen eines anderen Marktteilnehmers auszuweichen und mit dessen Konkurrenten vertragliche Beziehungen aufzunehmen, vgl. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 779 sowie Molitor, Wirtschaftsethik, S. 73 ff. 13 Ausführlich dazu Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 29 ff.
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II. Das Verhalten Privater im Binnenmarkt Der Beginn der Diskussion in den siebziger Jahren um eine unmittelbare Drittwirkung einiger oder aller Grundfreiheiten 14 war Folge der Erkenntnis, dass private Akteure in manchen Fällen den Binnenmarkt ebenso gravierend beeinträchtigen können wie der Staat. Zur wirksamen Errichtung und Weiterentwicklung des Binnenmarktes wurde in zahlreichen Fällen ein Bedürfnis festgestellt, auch das Verhalten Privater an den Grundfreiheiten zu messen. Gleichzeitig wurde eine Privatrechtswirkung der Grundfreiheiten überaus kritisch gesehen, da Privatpersonen in der marktwirtschaftlichen Ordnung des Binnenmarktes ihre Verträge grundsätzlich frei aushandeln können und in die Beschränkungen ihrer Freiheiten einwilligen dürfen 15. Dies ist sogar eine notwendige Bedingung für die Funktionsfähigkeit eines Binnenmarktes, der ohne die Freiheit der Privatautonomie nicht bestehen kann. Privatpersonen, seien es Einzelne, Unternehmen oder andere Personenmehrheiten, besitzen in der Regel nicht die Möglichkeiten des Staates, Normen zu schaffen oder anderen Privatpersonen in sonstiger Weise ihren Willen aufzuzwingen, da es das typische Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern zwischen Privaten nicht gibt. Die Bandbreite der Handlungen Privater, die trotzdem zu erheblichen Störungen des Binnenmarktes führen können, ist vielfältig. Sehr häufig sind Straßen- oder Hafenblockaden oder Behinderungen des Luftverkehrs als Hindernisse für den freien Warenverkehr bemängelt worden 16 . Die Kommission äußerte hinsichtlich solcher Störungen, dass sie regelmäßig zu erheblichen Kosten für die Wirtschaftsteilnehmer führten, deren moderne Produktions- und Vertriebsmethoden durcheinander bringen würden und die Glaubwürdigkeit des Binnenmarktes in Frage stellen könnten17. Als Störfaktoren kommen im Zuge der fortschreitenden Liberalisierung des Wirtschaftsverkehrs auch alle möglichen Handlungen Privater in Betracht, die darauf abzielen, ihren Standort vor ausländischer Konkurrenz zu schützen, etwa durch Einschüchterung von Unionsbürgern, die grenzüberschreitend Waren oder Dienstleistungen anbieten oder eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat errichten wollen. Die Bedeutung nicht-staatlich verursachter Störungen des Binnenmarktes hat in den Jahrzehnten der europäischen Einigung stetig an Bedeutung gewonnen, und es 14 In diesen Jahren ergingen die ersten Urteile des EuGH, die eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten annahmen. Eine Übersicht über diese Rechtsprechung und auf sie Bezug nehmende Literatur findet sich bei Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 34 ff. 15 Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 200. 16 Vgl. Bericht der KOM an den Rat und das Parlament über die Anwendung der VO 2679/98/EG, KOM (2001), 160, endg., S. 12. Im Anhang 2 dieses Berichtes findet sich eine Liste sämtlicher privater Störungen des freien Warenverkehrs. " Bericht der Kommission über die Anwendung der VO 2679/98/EG, KOM (2001) 160, endg., S. 12.; zu Terminverzögerungen als bedeutsame Störungen des Binnenmarktes Wildemann, Das Just-in-Time-Konzept, S. 280 ff.
3 Stachel
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
ist zu erwarten, dass sie noch weiter zunehmen wird 1 8 . Durch die in ganz Europa erfolgten und in den neuen Mitgliedstaaten immer noch stattfindenden Privatisierungen staatlicher Betriebe haben sich ganze Bereiche staatlicher Betätigungen ins Privatrecht verlagert, so dass zum Beispiel bei Störungen in den für den Binnenmarkt bedeutsamen Post- und Telekommunikationssektoren nicht mehr der Staat selbst der Verursacher ist, sondern die Privatwirtschaft an seine Stelle getreten ist 1 9 . Verbände oder andere Institutionen des öffentlichen Lebens besitzen teilweise große Einflussmöglichkeiten oder sogar eine staatsähnliche Position, wenn der Staat ihnen Normsetzungsbefugnisse oder andere hoheitliche Befugnisse verliehen hat. Es gibt in jüngerer Zeit eine Tendenz, hoheitliche Aufgaben privaten Unternehmen zu übertragen, wie etwa die Diskussion um „Private Public Partnerships" zeigt 20 . In solchen und einigen anderen Fällen sind Handlungen Privater mit denen des Staates derart verflochten, dass eine Grenzziehung zwischen privater und öffentlicher Sphäre schwer fällt. Hinzu kommt, dass die Bindungswirkung der Grundfreiheiten in den verschiedenen Mitgliedstaaten aufgrund einer anderen Einteilung des öffentlichen und privaten Sektors zum Teil sehr unterschiedlich gehandhabt wird 2 1 . Die Einflussmöglichkeiten von Privatpersonen im Binnenmarkt sind auch aus dem Grunde größer geworden, dass Private vermehrt auf die Möglichkeiten zurückgreifen, die sich aufgrund der weltwirtschaftlichen Vernetzung und stetig verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten aufgetan haben. So sind Demonstrationen gegen politische Missstände nicht selten gleichzeitig in mehreren Mitgliedstaaten anzutreffen, da die Aktivitäten von Demonstrationsteilnehmern aus dem einen Mitgliedstaat zum Teil so viel Einfluss auf das Geschehen in anderen Staaten ausüben können, dass sich dort ebenfalls in kürzester Zeit Protestbewegungen formieren können 22 . Könnten die abgebauten mitgliedstaatlichen Hindernisse durch private Marktabschottungsmaßnahmen ersetzt werden, würde die Entwicklung zu einer größeren Inanspruchnahme der grenzüberschreitenden Handelsmöglichkeiten gehemmt und das Vertrauen der Bürger hinsichtlich der positiven Wirkungen des Binnenmarktes enttäuscht werden. Die Öffnung der Märkte wird von großen Unternehmen schon lange genutzt, und von einer Ermutigung kleiner und mittlerer Unternehmen er« Vgl. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 22 f.; Streinz/Leible, EuZW 2000, 459 (465); in den Urteilen, in denen der EuGH eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten annahm, äußerte er auch eine solche Einschätzung, vgl. EuGH, Slg. 2000,1-2681, Rn. 35 - Lehtonen. 19 Vgl. Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 2 sowie Krings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 18. 20 Davon sind etwa private Sicherheitsdienste erfasst, die für die öffentliche Sicherheit sorgen sollen. Vgl. hierzu Stober, ZRP 2001, 260 ff. sowie Schuppert, in: Budäus/ Eichhorn (Hrsg.), Public Private Partnership, S. 93 (105); hierzu ausführlich Dritter Teil, B. III. 5. b). 21 Vgl. Roth, FS Everling, 1231 (1245 ff.); Franzen, in: Streinz, EGV, Art. 39, Rn. 95. Ausführlich behandelt wird die Stellung solcher „intermediärer Gewalten" im Dritten Teil, B.
m.5. 22 Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 22.
A. Binnenmarktziel und Verhalten Privater im Binnenmarkt
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hofft sich die EG einen erheblichen Wirtschaftszuwachs 23. Ein Bedürfnis, das Verhalten Privater unter bestimmten Umständen an den Grundfreiheiten zu messen, ist jedenfalls in ökonomischer Hinsicht gegeben, da die Grundfreiheiten im Falle der Errichtung von Binnenmarkthindernissen durch nicht-staatliche Akteure in der Rechtswirklichkeit nicht die Rolle spielen würden, die ihnen aufgrund ihrer bedeutsamen Funktion für die Errichtung und Weiterentwicklung des Binnenmarktes zukommt 24 .
in. Die Verordnung 2679/98/EG Die EG hat im Jahre 1998 einen Sekundärrechtsakt erlassen, der ausdrücklich Handlungspflichten der Mitgliedstaaten für die Fälle aufstellt, in denen eine Behinderung des freien Warenverkehrs durch Privatpersonen verursacht wird, nämlich die Verordnung 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr 25. Der Erlass dieser Verordnung war eine unmittelbare Reaktion auf die Verurteilung Frankreichs aufgrund seiner Verletzung einer Schutzpflicht in der Rechtssache Kommission/Frankreich, mit dem im Vorfeld eines Vertragsverletzungsverfahrens durch einen sogenannten „Frühwarnmechanismus" sichergestellt werden soll, dass die Mitgliedstaaten im Falle von Beeinträchtigungen des grenzüberschreitenden Warenhandels durch nichtstaatliche Akteure einschreiten 26. Ist eine Behinderung des freien Warenverkehrs eingetreten oder droht eine solche, haben die Mitgliedstaaten nach dieser Verordnung die Pflicht, die Kommission zu unterrichten, und bei einer schon eingetretenen Behinderung Gegenmaßnahmen zu treffen. Nach Art. 1 der VO liegt eine Behinderung vor, „wenn eine physische oder sonstige Verhinderung, Verzögerung oder Umleitung der Einfuhr von Waren in den Mitgliedstaat, oder der Ausfuhr aus oder ihrer Verbringung durch den Mitgliedstaat eine schwerwiegende Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs hervorruft, einen ernsthaften Schaden für die betroffenen Personen verursacht und ein unmittelbares Handeln verlangt, um jedes Fortbestehen, jede Ausdehnung oder Verschlimmerung der Beeinträchtigung oder des Schadens zu verhindern". Ein Nichteinschreiten des Mitgliedstaates liegt nach Art. 1 Abs. 2 der VO vor, „wenn die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats angesichts von Behinderungen, die durch Handungen von Personen verursacht werden, es unterlassen, im Rahmen ihrer Befugnisse alle erforderlichen, der Situation angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um die Behinderung zu beseitigen und den freien Warenverkehr in ihrem Gebiet sicherzustellen". Wenn die Kommission der Auffassung ist, dass in einem Mitgliedstaat eine Behinderung vorliegt, 23 Vgl. die Erwägungen der Kommission zu ihrem Vorschlag für die Dienstleistungsrichtlinie, KOM (2004) 2 endg.; vgl. auch Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 23 f. 24 Zur Funktion der Grundfreiheiten im Binnenmarkt vgl. Vierter Teil, D. 25 ABl. EG 1998, L 337, S. 8 ff. 26 EuGH, Slg. 1997,1-6959 - Kommission/Frankreich.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
teilt sie dies dem betreffenden Mitgliedstaat mit und fordert ihn auf, innerhalb eines bestimmten Zeitraums alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen; der Mitgliedstaat muss darauf innerhalb von fünf Tagen reagieren. In einer ergänzenden Resolution des Rates und der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten wurden die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten dahingehend konkretisiert, dass die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftsteilnehmer über derartige Behinderungen zu unterrichten haben und dafür Sorge tragen sollen, dass diejenigen, denen aufgrund einer solchen Behinderung ein Schaden entstanden ist, durch effektive und schnelle Überprüfungsverfahren Abhilfemöglichkeiten erhalten 27. Die Verordnung wurde nach Angaben der Kommission im Jahre 1999 viermal und im Jahre 2000 achtzehnmal angewendet, wobei sich die meisten Anwendungsfalle auf Straßen- und Hafenblockaden bezogen28. Die nunmehr gültige Verordnung ist allerdings nur ein Rudiment eines ursprünglichen, viel weitreichenderen Kommissionsvorschlags, der im Vorfeld eines Vertragsverletzungsverfahrens eine verbindliche Entscheidung der Kommission über die Verletzung der Schutzpflicht durch die Mitgliedstaaten vorsah und dadurch den geschädigten Privatpersonen sehr gute Erfolgsaussichten für einen Schadensersatzprozess gegeben hätte 29 . Die Regelungen der nunmehr geltenden Verordnung lassen sich in die schon bestehenden Regelungen über das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV einordnen, da die in der Verordnung vorgesehene Mitteilung der Kommission als deren Mahnschreiben im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens anzusehen ist, während die Äußerungsfrist der Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der Verordnung stark verkürzt wird 3 0 . Ansonsten ist zweifelhaft, ob die Verordnung einen über das Primärrecht hinausgehenden Regelungsgehalt besitzt, da die Informationspflichten ohnehin bestehen würden, könnte man den Grundfreiheiten einen Schutzpflichtgehalt entnehmen31.
27 ABl. EG 1998, L 337, S. 10. 28 Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung der VO 2679/98/EG, KOM (2001), 160 endg., S. 8. In allen Fällen wurde nur der Warnmechanismus verwendet, ohne dass es zu einer Mitteilung nach Art. 5 der VO oder zu einem Vertragsverletzungsverfahren kam. 29 Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Einführung eines Mechanismus für ein Einschreiten der Kommission zur Beseitigung bestimmter Handelsbehinderungen, KOM (97), 619 endg., ABl. EG 1998, C 10, S. 14. so So im Ergebnis auch Schorkopf EWS 157 (2000), 156 (162); Hauschild, EuZW 1999, 236 (239); zu der Frage der Zulässigkeit dieser Regelung im Hinblick auf Art. 308 EGV Schorkopf, EuZW 1998, 237 (241). 31
Diese könnte man jedenfalls auf Art. 10 EGV stützen.
B. Die unmittelbare Drittirkung der Grundfreiheiten
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B. Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten Eine Alternative zu der Annahme von Schutzpflichten könnte eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten sein, verstanden als Verpflichtung privater Rechtssubjekte, ohne Vermittlung staatlichen Rechts bei der Ausgestaltung ihrer Beziehungen zu anderen Privatrechtssubjekten die Grundfreiheiten zu beachten32. Sowohl Schutzpflichten als auch eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten kommen als Lösungsansätze für die Fälle in Betracht, in denen nicht-staatliche Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes herabsetzen. Schutzpflichten unterscheiden sich von einer unmittelbaren Drittwirkung insbesondere dadurch, dass sie eine staatliche Verantwortung für das Verhalten Privater voraussetzen und alleine den Staat unmittelbar in die Pflicht nehmen, während die unmittelbare Drittwirkung eine direkte Bindung Privater an den EGVertrag zur Folge hat 33 . Wenn Private ohnehin im Wege einer unmittelbaren Drittwirkung an die Grundfreiheiten gebunden wären, wäre eine zusätzliche Annahme mitgliedstaatlicher Schutzpflichten möglicherweise überflüssig. Aus diesem Grunde ist von Interesse, ob und unter welchen Voraussetzungen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten dem EG-Vertrag zu entnehmen ist. Wenn den Grundfreiheiten zumindest in einigen Fällen eine unmittelbare Drittwirkung zukäme, würde sich die Frage stellen, wie sich Drittwirkung und Schutzpflicht zueinander verhalten, ob sie sich ergänzen oder gegenseitig ausschließen, und welcher Ansatz gegebenenfalls bessere Lösungen bei Handelsbeeinträchtigungen durch Private bietet.
I. Unmittelbare Verpflichtungen der Unionsbürger durch Gemeinschaftsrecht Trotz ihrer liberalen Züge ist in der Europäischen Union eine deutliche Tendenz vorhanden, die private Lebensführung der Unionsbürger Regelungen zu unterwerfen, um Diskriminierungen zu bekämpfen. Dies betrifft insbesondere das unmittelbar drittwirkende Verbot von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts bei der Entlohnung nach Art. 141 EGV 3 4 und die im Jahr 2000 eingeführten Antidiskrimi32 Ausführlich zum Begriff der unmittelbaren Drittwirkung Vieweg/Röthel, ZHR 2002, S. 6 (17); Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 23 ff.; Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 115 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 632 ff.; Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 28 ff. 33 Ausführlich zum Wesen der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten Parpart, Die unmittelbare Bindung Privater an die Personen Verkehrsfreiheiten, S. 27 ff. 34 Vgl. EuGH, Slg. 1976, 455, Rn. 30 ff. - Defrenne II; ausführlich zur Bedeutung dieser Entscheidung und allgemein zur geschlechtsbezogenen Diskriminierung Jaeger, NZA 1990, 1 (8) sowie Rust, NZA 2003, 72 ff.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
nierungsrichtlinien (Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft 35 und die Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf 36 ), die Teil des Aktionsprogramms der Europäischen Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen sind 37 . Die Verordnung 1612/68/EWG des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft normiert in Art. 7 Abs. 4 eine unmittelbare Drittwirkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Hinblick auf Tarif- oder Einzelarbeitsverträge oder sonstige Kollektiwereinbarungen, soweit Diskriminierungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Beschäftigung, Entlohnung und alle übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen vorliegen 38. Vor diesem Hintergrund überrascht die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten, die im Folgenden betrachtet werden soll, nicht.
II. Rechtsprechung des EuGH zu einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten Während eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten im Schrifttum vielfach abgelehnt wird und insgesamt sehr umstritten ist 3 9 , bejahte der EuGH bislang in einigen Fällen eine unmittelbare Drittwirkung für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Dienstleistungsfreiheit und das allgemeine Diskriminierungsverbot, wobei es sich in diesen Entscheidungen fast ausnahmslos um Verbände mit ihren Kollektivregeln handelte40. In einigen frühen Entscheidungen hat er allerdings auch bei anderen Privaten als bei den sogenannten intermediären Gewalten eine unmittelbare Drittwirkung bejaht, wie etwa in der viel beachteten Rechtssache Haug-Adrion, in der er eine unmittelbare Drittwirkung der Art 39 und 43 EGV in Bezug auf Tarifbestimmungen einer Versicherungsgesellschaft annahm41. Der 35 ABl. EG 2000, L 180, S. 22. 36 ABl. EG 2000, L 303, S. 16. 37 Die Rechtsgrundlage dieses Aktionsprogramms ist ein Ratsbeschluss v. 27. 11. 2000, ABl. EG 2000, L 303, S. 23. Der Entwurf zu einem deutschen Antidiskriminierungsgesetz geht inhaltlich noch über die europarechtlichen Vorgaben hinaus, indem es Diskriminierungen aufgrund der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verbieten will. Der Entwurf ist im Internet zu finden unter www.spdfraktion.de /rs_datei/0„4395,00.pdf. (zuletzt abgerufen am 22. 7. 2005). Zu den Konflikten des Gesetzesentwurfs mit der Privatautonomie Baer, ZRP 2002, 290 ff. sowie von Steinau-Steinrück/Schneider/Wagner, NZA 2005, 28 ff. 38 ABl. EG 1968, L 257, S. 2. 39 Hierzu unten, Dritter Teil, B. in. 40 EUGH, Slg. 1974, 1405 (1419) - Walrave; EuGH, Slg. 1976, 1333 (1340) - Dona; EuGH, Slg. 1995,1-4921 (5066) - Bosman; EuGH, Slg. 2000,1-2681 - Lehtonen. 41
EuGH, Slg. 1984, 4277 - Haug-Adrion/Frankfurter Versicherungs-AG; zu den Besonderheiten dieses Falls vgl. Fünfter Teil, D.; vgl. auch EuGH, Slg. 1977, 1091 - van Ameyde/ UCI und für einen Überblick Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 34 ff.
B. Die unmittelbare Drittirkung der Grundfreiheiten
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EuGH stützte seine Rechtsprechung entscheidend auf Effektivitätserwägungen, wenn er eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten angenommen hat 42 . Zusätzlich betonte er häufig die wesentliche Bedeutung und den zwingenden Charakter der Grundfreiheiten 43. In den letzten Jahren beschränkte er die Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung im Wesentlichen auf private Kollektive, die zwingende Regelungen aufstellen durften. Eine viel beachtete Ausnahme hiervon stellt die Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rechtssache Angonese44 aus dem Jahre 2000 dar, die die Zweifelsfragen zur Bindungswirkung der Grundfreiheiten Privaten gegenüber noch wesentlich verstärkt hat, da der Gerichtshof in diesem Urteil das Verhalten eines privaten Kreditinstitutes direkt an der Arbeitnehmerfreizügigkeit maß 45 . Die Entscheidung betraf einen italienischen Stellenbewerber deutscher Muttersprache, der sich bei einer privaten in Bozen ansässigen italienischen Bankgesellschaft beworben hatte. Die Stellenausschreibung der Bank machte es für die Zulassung zum Auswahlverfahren zur Bedingung, dass die Bewerber eine von der Verwaltung in Bozen ausgestellte Bescheinigung über die deutsch-italienische Zweisprachigkeit beibringen, deren Beschaffung insbesondere sehr zeitaufwändig war 46 . Der EuGH hat in dieser Rechtssache geäußert: „Das in Art. 48 [jetzt Art. 39] des Vertrags ausgesprochene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit gilt somit auch für Privatpersonen" 47.
Die abstrakte Formulierung dieser Feststellung und die gleichsam leitsatzartige Herausstellung dieses Ergebnisses könnten auf ein zukünftiges Festhalten des Gerichtshofes an dieser Rechtsprechung hinweisen. Im Schrifttum wird dieses Urteil deshalb auch vereinzelt als ein Bekenntnis zu einer uneingeschränkten Drittwirkung der Grundfreiheiten angesehen48. 42 Vgl. EuGH, Slg. 1974, 1405, Rn. 16 ff. - Walrave; EuGH, Slg. 1995,1-4921, Rn. 84 Bosman; EuGH, Slg. 1993,1-309, Rn. 21 - Advanced Nuclear Fuels; EuGH, Slg. 1974,1337, Rn. 12 - Van Duyn sowie Streinz/Leible, EuZW 2000, 459 (459 f.) und Streinz, FS Everling, S. 1491 (1492 ff.). 43 EuGH, Slg. 1974, 1405, Rn. 16 ff., 28 f. - Walrave. 44 EuGH, Slg. 2000,1-4139 -Angonese. 45 Zu dieser Entscheidung des EuGH Streinz/Leible, EuZW 2000, 459 (467) sowie Michaelis, NJW 2001,1841 ff. 46 EuGH, Slg. 2000,1-4139, Rn. 36 - Angonese; zur Bedeutung dieses Urteils Forsthoff, EWS 2000, 389 ff. Im Schrifttum wurden für diese Fallkonstellation als Alternative zu einer unmittelbaren Drittwirkung staatliche Schutzpflichten gefordert, vgl. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 809 ff.; Streinz/Leible, EuZW 2000,459 (466 ff.). 47 EuGH, Slg. 2000,1-4139, Rn. 36 -Angonese. 48 Forsthoff, EWS 2000, 389 (397); Hobe, Europarecht, S. 157 f.; so wohl auch Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 103, 107. In der Rechtssache Angonese war Art. 7 Abs. 4 der Verordnung 1612/68 nach Ansicht des Gerichtshofs nicht einschlägig, weil Gegenstand des Ausgangsverfahrens weder ein Tarif- noch Einzelarbeitsvertrag, sondern diskriminierende Ausschreibungsbedingungen waren, EuGH, Slg. 2000,1-4139, Rn. 30 ff.-Angonese.
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Insgesamt ist die bisherige Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Drittwirkung von keiner klaren Linie geprägt, und es ist noch nicht abzusehen, wie sie sich entwickeln wird.
m . Die unmittelbare Drittwirkung im System des EG-Vertrags Angesichts der von großer Unsicherheit geprägten Ausgangslage im Hinblick auf eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten erscheint zunächst die Untersuchung geboten, ob durch eine Auslegung des Wortlauts des EG-Vertrags eine Aussage darüber gewonnen werden kann, ob er eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten vorsieht oder zumindest zulässt. Der EuGH stützte sich in seinen Urteilen zur unmittelbaren Drittwirkung auch und gerade auf Erwägungen aus dem Wortlaut des EG-Vertrags, indem er betonte, dass der Wortlaut der Grundfreiheiten hinsichtlich ihrer Normadressaten offen sei 49 . Allerdings kann die Unbestimmtheit des Wortlautes bezüglich des Adressaten der Grundfreiheiten alein, sollte eine solche feststellbar sein, eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten weder gebieten noch rechtfertigen, da die Auslegung des Wortlautes grundsätzlich nur erste Anhaltspunkte geben kann, die sich nicht über die sonstigen Wertungen des Vertrags hinwegsetzen können 50 .
1. Wortlaut des EG-Vertrags Die Normen über den freien Warenverkehr der Art. 28 und 29 EGV bestimmen, dass mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten sind. Entsprechend formuliert sind auch die Vorschriften für die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 56 Abs. 1 EGV). Der Wortlaut der anderen Grundfreiheiten enthält diese Formulierung nicht. Die primärrechtliche Regelung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EGV) etwa besagt lediglich, dass innerhalb der Gemeinschaft die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet ist und konkretisiert die verschiedenen Möglichkeiten der verbotenen unterschiedlichen Behandlung von ausländischen Arbeitnehmern (Art. 39 Abs. 2 EGV). Die Tatsache, dass dort und bei den verbleibenden Grundfreiheiten, anders als bei der Waren- und Kapitalverkehrsfreiheit, die Worte „zwischen den Mitgliedstaaten" fehlen, wird im Schrifttum teilweise als Indiz dafür angesehen, dass eine umfassende Gewährleistung dieser Grundfreiheiten bestehen solle, die alle Marktteilnehmer einschließt51. Dies wäre auch eine Erklärung dafür, 49 EuGH, Slg. 1974,1405, Rn. 20 - Walrave und Koch so Vgl. Roth, FS Everling, S. 1231 (1241 f.). 5i So argumentierte der EuGH in der Rechtssache Walrave, Slg. 1974, 1420, Rn. 20 Walrave; im Schrifttum wird dies ansonsten vertreten von Steindorjf, EG-Vertrag und Pri-
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warum der EuGH gerade hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit eine unmittelbare Drittwirkung favorisiert. Betrachtet man jedoch Art. 40 lit. b und c EGV, die dem Rat eine Kompetenz zur Beseitigung aller Beschränkungen in Verwaltungsverfahren und -praktiken und sonstiger Beschränkungen durch innerstaatliche Rechtsvorschriften oder durch Übereinkünfte zwischen den Mitgliedstaaten einräumen, deutet einiges darauf hin, dass es allein die Mitgliedstaaten sind, die Adressaten des Diskriminierungs- und Beschränkungsverbotes sein sollen, da offenbar ausschließlich staatliche Behinderungen des Binnenmarktes das Ziel der zu treffenden Ratsmaßnahmen sind. Andererseits ist diese Schlussfolgerung nicht zwingend, da sich die Kompetenz zum Erlass von Regelungen zur Herstellung der Freizügigkeit möglicherweise nur auf besonders wichtige Bereiche von Freizügigkeitshindernissen erstreckt 52. Es spricht vielmehr einiges dafür, dass sich die Zwischenstaatlichkeitsklausel in Art. 28, 29 und 56 EGV nicht auf den Verbotsadressaten der Grundfreiheiten bezieht, sondern lediglich den räumlichen Anwendungsbereich der Normen abstecken und den grenzüberschreitenden Bezug dieses Verbotes verdeutlichen wollte 53 . Die Grundfreiheiten schützen schließlich nur die wirtschaftlichen Tätigkeiten, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen 54, der grundsätzlich dann gegeben ist, wenn die Hindernisse zwischen den MitgliedStaaten errichtet wurden. Für diese Deutung spricht auch der Wortlaut des Art. 56 EGV, der Beschränkungen des Kapitalverkehrs „zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern" verbietet. Dessen Anwendungsbereich erstreckt sich nämlich über den Wirtschaftsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten hinaus auch auf den Verkehr der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten 55. Einige Autoren sehen die Regelungen über die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28, 29 EGV) deshalb als allein an den Staat gerichtete Verbote an, weil der Begriff der Maßnahme nur auf staatliche Handlungen bezogen sein könne. Aus dem Vergleich mit anderen Vorschriften des EG-Vertrags ergebe sich, dass der Vertrag den Begriff der Maßnahme ausschließlich im Zusammenhang mit staatlichen Aktivitäten verwende56. Diese Auffassung trifft insoweit zu, als der EG-Vertrag den Begriff der Maßnahme nicht als Bezeichnung für ein Verhalten eines Privaten verwendet, während er ihn sowohl für Handlungen der Mitgliedstaaten (vgl. Art. 86 Abs. 1 EGV) als auch für Handlungen der Gemeinschaft (vgl. Art. 5 Abs. 3 EGV) sowie für Handlungen des Rates (Art. 57 Abs. 2, 40 EGV) verwendet. Der EuGH hingegen vatrecht, S. 285; zumindest andeutungsweise Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 57. 52 Zum möglichen Inhalt der Rechtsetzungsbefugnis vgl. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 40, Rn. 28 ff. 53 So etwa Müller-Graff, in: von der Groeben / Schwarze, EGV, Art. 28, Rn. 263; Becker, in: Schwarze, EGV, Art. 28, Rn. 19; Schroeder, in: Streinz, EGV, Art. 28, Rn. 25. 54 Schroeder, in: Streinz, EGV, Art. 28, Rn. 22. 55 Sedlaczek, in: Streinz, EGV, Art. 56, Rn. 27. 56 Vgl. Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, S. 108; Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 57.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
hat diesen Begriff sowohl für staatliche als auch private Akte verwendet 57. Der Begriff ist offenbar eher weit auszulegen, und es ist zumindest nicht auszuschließen, dass auch Handlungen Privater von ihm erfasst werden können. Wenn der Vertrag den Begriff der Maßnahme nicht auf Handlungen Privater anwendet, mag das auch daran liegen, dass es außerhalb des Wettbewerbsrechtes im EG-Vertrag keine Regelungen gibt, die Private betreffen. Im Wettbewerbsrecht selbst wird der Begriff zwar ebenfalls nicht verwendet, jedoch mag dies auch daran liegen, dass die verbotenen Handlungen relativ konkret benannt werden 58 . Der Maßnahmebezug der Warenverkehrsfreiheit lässt daher keine Rückschlüsse auf ihre Adressaten zu. Hinweise auf eine unmittelbare Drittwirkung zumindest der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EGV) werden häufig Art. 39 Abs. 2 EGV entnommen, der besagt, dass sie „die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen" umfasst 59. Die Vorschrift wolle ausdrücklich jede Diskriminierung verbieten, und empirisch betrachtet würden Diskriminierungen durch Privatpersonen in diesen Bereichen den überwiegenden Teil der Beeinträchtigungen ausmachen60. Diese Interpretation der Vorschrift ist aber keineswegs zwingend, da diese auch dann noch einen beachtlichen Anwendungsbereich hätte, wenn sie sich allein auf den Staat als Arbeitgeber beziehen würde. Die unbedingte Formulierung dieser Vorschrift macht jedenfalls auch dann Sinn, wenn sie alleine staatliche Handlungen erfassen würde, da sie eine Bekräftigung für die Erfassung sämtlicher diskriminierender Handlungen seitens des Staates sein könnte. Die Betrachtung des Wortlauts der Vertragsziele führt ebenfalls zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Präambel und Zielbestimmungen des EG-Vertrags treffen keine Aussage zu den Adressaten des Vertrags, sondern beziehen sich eher ganz allgemein auf die Vertragsziele. Art. 3 lit. c EGV spricht allgemein davon, dass der Binnenmarkt „durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist". Dieses Vertragsziel ist so offen formuliert, dass aus ihm keinerlei Rückschluss auf den oder die Adressaten zu entnehmen sind. 2. Historisch Die historische Auslegung besitzt im primären Gemeinschaftsrecht nur eine geringe Bedeutung, da die Verhandlungsprotokolle zu den Gründungsverträgen der 57 EuGH, Slg. 1974,1405, Rn. 14 ff. - Walrave und Koch. 58 Vgl. Art. 81 EGV, der von „Vereinbarungen, Beschlüssen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen" spricht. 59 Vgl. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 287. 60 Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 286 ff.
B. Die unmittelbare Drittirkung der Grundfreiheiten
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Öffentlichkeit nach wie vor nicht zugänglich sind 61 und weil aufgrund der Dynamik des Gemeinschaftsrechts eine statische, an dem Stand der Gründungsverträge orientierte Auslegung dem Wesen des Gemeinschaftsrechts nicht gerecht wird. Daher soll die historische Auslegung in dieser Arbeit nur einen sehr geringen Raum einnehmen und nur einige Anhaltspunkte zur Auslegung des Vertrags geben. Gegen die Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung könnte der Gesichtspunkt sprechen, dass das Gemeinschaftsrecht durch seine ursprünglich eindeutig völkerrechtliche Qualität 62 grundsätzlich nur Staatenverpflichtungen begründen konnte. Mittlerweile hat sich das Gemeinschaftsrecht allerdings zu einer eigenständigen supranationalen Rechtsordnung entwickelt, die nicht mehr rein völkerrechtliche Elemente enthält, sondern eigene Strukturelemente hervorgebracht hat, die im Völkerrecht in dieser Ausformung bislang kein Vorbild haben63. Zu diesen Strukturelementen gehören insbesondere die Durchgriffswirkung des Gemeinschaftsrechts, die Ausstattung der Gemeinschaft mit eigener Rechtsetzungsbefugnis und die Möglichkeit der Mehrheitsentscheidungen64. Allerdings waren die Grundfreiheiten zumindest ursprünglich alleine an die Mitgliedstaaten gerichtet, da außerhalb des Wettbewerbsrechts grundsätzlich nur staatliche Maßnahmen als geeignet angesehen wurden, die Grundfreiheiten zu beschränken65. Dementsprechend liegt eine direkte Bindung der privaten Wirtschaftsteilnehmer an die Grundfreiheiten nicht nahe, sie kann aber auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.
3. Systematische Auslegung Die systematische Auslegung berücksichtigt den rechtlichen Zusammenhang, in dem die auszulegende Norm steht. Auch der EuGH ist der Ansicht, dass , jede Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in ihrem Zusammenhang zu sehen und im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts, seiner Ziele und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift auszulegen" sei 66 . Im EG-Vertrag gibt es mehrere Regelungen, aus denen möglicherweise Rückschlüsse auf das Bestehen einer unmittelbaren Drittwirkung gezogen werden können. Dies sind die geschriebenen Rechtfertigungsmöglichkeiten der Grundfreiheiten und das Wettbewerbsrecht. 61
Vgl. Bück, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofes, S. 140 ff. Zur völkerrechtlichen Qualität der Gründungsverträge Schwarze, in: Schwarze, EGV, Art. 1, Rn. 6; ders., EuR 1983,1 ff. 63 Vgl. EuGH, Slg. 1964, 1251 (1269) - Costa/ENEL; im Schrifttum lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 59; Schweitzer/Hummer, Europarecht, S. 27 f.; a.A. Streinz, Europarecht, Rn. 112, der die Ansicht vertritt, dass es für eine Annahme der Loslösung von den völkerrechtlichen Grundlagen an der normativen Verankerung in den Gründungsverträgen fehle. 62
64 Zu den Strukturelementen des Gemeinschaftsrechts Streinz, Europarecht, Rn. 116 ff.; Hobe /Müller-Sartori, JuS 2002, 8. 65 Vgl. Becker, in: Schwarze, EGV, Art. 28, Rn. 83 ff. 66 EUGH, Slg. 1982, 3415, Rn. 20 - C.LLEI.T.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
a) Die Rechtfertigungsgründe Einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten könnte die Überlegung entgegenstehen, dass die vom EG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen und Rechtfertigungsmöglichkeiten für Private möglicherweise schon deshalb keine Geltung beanspruchen können, da Gründe der „öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit" (vgl. Art. 30 EGV sowie die Ausnahmevorschriften zu den übrigen Grundfreiheiten) oder die durch die Cassis-Rechtsprechung entwickelten „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses" 67 von Privaten mangels Verfolgung öffentlicher Interessen grundsätzlich nicht vorgebracht werden können 68 . Ihre Bindung an die Grundfreiheiten wäre dann systemwidrig, da Private ohne Möglichkeit der Rechtfertigung in noch größerem Maße als die Mitgliedstaaten an die Grundfreiheiten gebunden wären. Die Ausnahmevorschriften der Grundfreiheiten sind ziemlich eindeutig allein auf staatliche Maßnahmen zugeschnitten, da sie mögliche Motive von Privatpersonen bei der Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheiten des Vertrags nicht berücksichtigen und sie in diesem Sinne auch nicht auslegungsfähig sind. Privatpersonen handeln in aller Regel im Eigeninteresse und sind nicht dem Wohl der Allgemeinheit verbunden 69. In der Rechtssache Bosman, in der es um die Frage der unmittelbaren Anwendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf einen Sportverband ging, schlug Generalanwalt Lenz zur Lösung dieser Problematik vor, anstelle des Begriffs der „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses" die „überwiegenden Verbandsinteressen" des Vereins als Rechtfertigungsgrund heranzuziehen70. Der EuGH stimmte diesem Vorschlag zu und ergänzte, dass der öffentliche oder private Charakter der betreffenden Regelungen keinen Einfluss auf die Tragweite oder den Inhalt der Rechtfertigungsgründe habe71. Bei der Überprüfung der privaten Ziele des Vereins, die in dem Fall darin lagen, die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts zwischen Vereinen unter Wahrung der Chancengleichheit und der Ungewissheit der Ergebnisse zu gewährleisten sowie die Einstellung und Ausbildung der jungen Spieler zu fördern, hat der Gerichtshof allerdings die große soziale Bedeutung betont, die sportliche Tätigkeiten und insbesondere der Fußball in der Gemeinschaft besitzen würden 72 . Damit scheint er nicht von dem Erfordernis eines öffentlichen Interesses abzulassen, sondern sucht es nunmehr in der privaten Zielsetzung, durch die seiner 67 EuGH, Slg. 1979, 649, Rn. 6 ff. - Cassis de Dijon. 68 Vgl. Roth, in: FS Everling, S. 1231 (1241); Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 126; Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 171, untersucht in diesem Zusammenhang, ob Private eine Legitimation besitzen, im Allgemeininteresse zu handeln. 69 Vgl. Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 126; es ist im Übrigen allein auf das Interesse der Mitgliedstaaten und nicht auf das der Gemeinschaft abzustellen, vgl. Hübner, JZ 1987, 330 (332) sowie Michaelis, ZGesVersWiss 1987,265 (268 f.). 70 Schlussanträge des GA Lenz, Slg. 1995,1-4921,5013, Rn. 216 - Bosman. 71 EuGH, Slg. 1995,1-4921, Rn. 86 - Bosman; hierzu instruktiv Streinz, JuS 2000,1015 ff. 72 EuGH, Slg. 1995,1-4921, Rn. 106-Bosman.
B. Die unmittelbare Dritt Wirkung der Grundfreiheiten
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Ansicht nach möglicherweise auch der Allgemeinheit dienende Ziele verwirklicht werden können. Wenn jedoch Privatpersonen zur Rechtfertigung ihrer Störungen des Binnenmarktes zumindest auch die Verfolgung öffentlicher Interessen nachweisen müssten, wäre zwar nicht ohne weiteres das Ende der Privatautonomie 73 zu beklagen, aber ihre Bedeutung wäre stark eingeschränkt, da es die Basis einer marktwirtschaftlichen wettbewerbsbasierten Ordnung ist, dass Private im Eigeninteresse handeln dürfen. Auch die gemeinschaftsrechtlich geschützte Verbandsautonomie74 könnte entwertet werden, da Verbände die verschiedensten Verbandsaufgaben in erster Linie zur Verfolgung eigener Interessen wahrnehmen, jedoch in der Regel bzw. idealtypisch zusätzlich das Gemeinwohl fördern 75. In der Rechtssache Angonese prüfte der EuGH anstelle der Verfolgung zwingender Interessen des Allgemeinwohls der privaten Bank, ob „sachliche Erwägungen" ihren Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit rechtfertigen konnten76. Der EuGH rückt hier deutlich von der Prüfung eines öffentlichen Interesses ab, was der Beginn eines großzügigeren Umgangs mit der Rechtfertigung aufgrund privater Zielsetzungen sein könnte. Allerdings ist zu bedenken, dass auch in diesem Fall die privaten Rechtssubjekte einem übermäßigen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt würden, dem sie nicht standhalten könnten. Sie dürfen nämlich, im Gegensatz zum Staat, ihre Motive als Ausfluss der auch gemeinschaftsrechtlich garantierten Privatautonomie77 grundsätzlich willkürlich und nach irrationalen Kriterien bestimmen und sich anders als die Mitgliedstaaten im Bereich der Ausnahmetatbestände von den Grundfreiheiten auch auf wirtschaftliche Interessen stützen78. Zweifelhaft ist darüber hinaus, wie private Interessen gegenüber dem öffentlichen Interesse am Funktionieren des gemeinsamen Marktes bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung abgewogen werden sollten. Es ist schwer bestimmbar, wie gewichtig private Interessen sein müssen, um das Interesse an einem funktionierenden Binnenmarkt bei einer Abwägung zurückzustellen. Diese gewichtigen systematischen Gründe sprechen jedenfalls gegen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, da der Ausweitung des grundfreiheitlichen Wirkungsbereichs im Ergebnis keine austarierte Schrankendogmatik entgegenstehen würde.
73 Befürchtet wird dies von Kluth, AöR 122 (1997), 557 (581). 74 Zur Bedeutung der Verbandsautonomie im Gemeinschaftsrecht Grämlich, DÖV 1996, 801 (810 f.) sowie Oberthür, NZA 2003, 462 (467 ff.) und Vieweg/Röthel, ZHR 166, 6 ff.; zur Verbandsautonomie im Sportrecht Haas, JR 1998,45 ff. 75 Vgl. Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 9, Rn. 25; zur politischen Bedeutung von Verbänden von Alemann, in: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 253, S. 25 ff. 76 EuGH, Slg. 2000,1-4139, Rn. 42 -Angonese. 77 Zum Grundrecht der Privatautonomie im Gemeinschaftsrecht Hintersteininger, Binnenmarkt und Privatautonomie, S. 273 f. 78 So auch Forsthoff, recht, S. 779.
EWS 2000, 389 (395) sowie Körber,
Grundfreiheiten und Privat-
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
b) Das Wettbewerbsrecht Sowohl das Wettbewerbsrecht als auch die Grundfreiheiten zielen darauf ab, einen funktionsfähigen, unverfälschten Binnenmarkt zu schaffen und weiterzuentwickeln, und erfassen grundsätzlich alle Formen wirtschaftlicher Betätigungen und alle Wirtschaftszweige 79, besitzen aber unterschiedliche Verbotsadressaten, nämlich die Grundfreiheiten die Mitgliedstaaten und das Wettbewerbsrecht die privaten Unternehmer. Dennoch gibt die Existenz des Wettbewerbsrecht Anlass zu Überlegungen, ob und inwieweit es abschließende Regelungen im Hinblick auf Binnenmarktstörungen durch Private treffen will.
aa) Das Wettbewerbsrecht als Ausnahme vom Prinzip der Selbstregulierung Ein weiteres systematisches Argument gegen eine unmittelbare Drittwirkung ist nach verbreiteter Auffassung im Schrifttum die Existenz der Wettbewerbsvorschriften der Art. 81 ff. EGV, die schon ein Kontrollsystem gegen Beeinträchtigungen des Binnenmarktes durch nicht-staatliche Akteure enthalten80. Die Vorschriften des Wettbewerbsrechts schränken unter bestimmten Voraussetzungen mit unmittelbarer Drittwirkung die wirtschaftliche Handlungsfreiheit von Unternehmen ein, nicht aber die der privaten Endverbraucher (vgl. Art. 81 und 82 EGV). Das Wettbewerbsrecht erfasst ausschließlich die für die Funktionsfahigkeit des Binnenmarktes besonders gefährlichen Verhaltensweisen der Marktteilnehmer, wie etwa Absprachen zwischen Unternehmen zur Aufteilung der Märkte oder die Erzwingung von erhöhten Preisen von marktbeherrschenden Unternehmen, und besitzt deshalb einen eng begrenzten Anwendungsbereich 81. Noch enger wird der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts durch die Rechtsprechung des EuGH, der als weitere ungeschriebene Beschränkung der Tatbestände der Art. 81 und 82 EGV zusätzlich neben einem wettbewerbsbeschränkenden Verhalten verlangt, dass die Wettbewerbsbeeinträchtigung und die Störung des innergemeinschaftlichen Handels spürbar ist 82 . Für die Beschränkung der Grundfreiheiten reicht es nach der Dassonville-Formel 83 hingegen schon aus, wenn eine Maßnahme den innergemeinschaftlichen Handel nur geringfügig oder auch nur potentiell beeinträchtigt, ohne dass eine tatsächliche Behinderung nachgewiesen 79 Vgl. etwa Brinker, in: Schwarze, EGV, Art. 81, Rn. 36 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 746 ff. so So Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 152; Roth, FS Everling, S. 1231 (1242); Weiß, Die Personen Verkehrsfreiheiten, S. 109; a.A. Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 277 ff.; Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 208. Umfassend zu den einzelnen verbotenen Verhaltensweisen Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 240 ff., 392 ff. 82 So z. B. EuGH, Slg. 1978, 207 (299) - United Brands. 83 EuGH 1974, 837, Rn. 5 - Dassonville.
B. Die unmittelbare Drittirkung der Grundfreiheiten
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werden muss84. Zudem gibt es wettbewerbsrechtlich relevantes Verhalten, das zwar tatbestandlich unter die Art. 81 ff. EGV fällt, aber gemäß Art. 81 Abs. 3 EGV freigestellt wird, um den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts zusätzlich zu verringern 85. Vor diesem Hintergrund wäre es widersprüchlich, unternehmerische Handlungsweisen unter einschränkenden Voraussetzungen zu untersagen, wenn ohnehin sämtliche Handelsbeeinträchtigungen von den Grundfreiheiten erfasst würden. Dies gilt umso mehr, weil das Verhalten von Privatpersonen auf dem Binnenmarkt mit deutlich weniger Gefahren für dessen Funktionsfähigkeit einhergeht als unternehmerische Tätigkeiten, die ein viel größeres Potential für die Schaffung von Hindernissen für die Verwirklichung der Grundfreiheiten besitzen, insbesondere wenn die Unternehmen größere Marktanteile halten 86 . Zudem wurde selbst für Unternehmen die Anwendbarkeit der Wettbewerbsvorschriften im Nachhinein durch das Kriterium der Spürbarkeit wieder erheblich eingeschränkt, um das Verhalten nichtstaatlicher Akteure nicht übermäßig zu regulieren. Die Regelungen des Wettbewerbsrechts entstanden durch die Erwägung der Vertragsväter, dass bestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen für die Verwirklichung des Binnenmarktes ebenso gefährlich seien wie Behinderungen durch die Mitgliedstaaten, da Unternehmen durch wirtschaftliche Macht sehr große Einflussmöglichkeiten auf den Binnenmarkt haben können 87 . Das Wettbewerbsrecht erfasst bewusst nur besonders gefährliche Handlungen von Unternehmen mit einer beträchtlichen Marktmacht, während alle sonstigen Beeinträchtigungen im Rahmen des erwünschten Wettbewerbs stattfinden. Der freie Wettbewerb der Wirtschaftsteilnehmer ist grundsätzlich erwünscht, da er mehr Produktivität schafft und auch zur Verbesserung der Qualität der Wirtschaftsgüter führt. Das Wesen der wettbewerbsbasierten freien Marktwirtschaft liegt schließlich gerade darin, dass die Marktteilnehmer nach Wettbewerbsvorteilen streben und ihre Position durch für sie günstige Verträge auch unter etwaiger Benachteiligung anderer Wirtschaftsteilnehmer ausbauen88. Das Wettbewerbsrecht des EG-Vertrags ist insoweit als Ausnahme von dem Grundsatz der Selbstregulierung des Binnenmarktes anzusehen, die nur dann eingreift, wenn Markt und Wettbewerb versagen. Es erweckt den Anschein, hinsichtlich einer unmittelbaren Verpflichtung von Privatrechtssubjekten aus dem EG-Vertrag eine abschließende Regelung treffen zu wollen, weil eine unmittelbare Bin84
Zum Beschränkungsverbot der Dassonville-Formel Fünfter Teil, B. 85 Vgl. hierzu Grill, in: Lenz, EGV, Art. 81, Rn. 41 ff. 86 Vgl. Eilmansberger, in: Streinz, EGV, vor Art. 81, Rn. 1 ff.; Streinz/Leible, EuZW 2000,459 (465) sowie EuGH, Slg. 1966,321 (388) - Consten und Grundig/Kommission. 87 Vgl. Brinker, in: Schwarze, EGV, Art. 81 Rn. 1. 88 Vgl. Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 135 f. m. w. N.; Petersmann, Außenwirtschaft 48 (1993), S. 389 (410); zur europäischen Liberalisierungspolitik insbesondere im Bereich des Wettbewerbsrechts Paulweber/Weinand, EuZW 2001, 232 (234 ff.).
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
dung aller Wirtschaftsteilnehmer an die Grundfreiheiten nicht widerspruchslos mit dem System des Wettbewerbsrechts vereinbart werden kann 89 . Das Wettbewerbsrecht erfasst unternehmerisches Verhalten nur unter sehr engen Voraussetzungen, ohne dass diese Wertung bei der Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung berücksichtigt wird. Bei einer zusätzlichen Anwendung der Grundfreiheiten würden außerdem die wettbewerbsrechtlich zulässigen Ausnahmen nach Art. 81 Abs. 3 EGV unterlaufen 90. Im Vertrag finden sich ansonsten keinerlei Regelungen, die eine Bindung privater Wirtschaftsteilnehmer bezwecken, und die bestehenden Regelungen können aufgrund der Existenz des Wettbewerbsrechts nicht ohne Friktionen auf Private erstreckt werden 91 .
bb) Übertragung des Spürbarkeitskriteriums auf die Drittwirkungsfälle Im Schrifttum wird zur Vermeidung dieser Wertungswidersprüche und zur Erreichung eines begrenzten Anwendungsbereiches der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten zum Teil vorgeschlagen, eine Drittwirkung nur bei spürbaren Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten durch Handlungen Privater anzunehmen92. Dieser Vorschlag ist konsequent, wenn man eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten grundsätzlich bejaht. Die Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung wäre innerhalb des Systems des EG-Vertrags nur mit den Wertungen des Wettbewerbsrechts vereinbar, wenn die Einschränkungen des Tatbestandes im Wettbewerbsrecht zugunsten der Privaten auch bei der Anwendung der Grundfrei89 So auch Körber, Gnindfreiheiten und Privatrecht, S. 778, der meint, die Wettbewerbsregeln seien Freiheitsgarantien in Bezug auf das nicht dem Wettbewerbsrecht unterliegende Verhalten, sowie Kluth, AöR 122 (1997), 572 (573 ff.); Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 152; Weatherill/Beaumont, EC Law, S. 449 f. 90 Ausführlich hierzu Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 157 ff. sowie Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 761 ff. 91 Der bezüglich seiner konstitutiven oder rein deklaratorischen Bedeutung umstrittene Art. 86 Abs. 2 EGV steht dem nicht entgegen, wenn man mit der hier vertretenen Ansicht davon ausgeht, dass die Bindung an die Vorschriften des EG-Vertrags nur rein deklaratorische Bedeutung besitzt und Art. 86 Abs. 2 EGV lediglich eine Ausnahmevorschrift zu Art. 86 Abs. 1 EGV darstellt. Der Verweis auf die Vorschriften des Vertrags soll sich laut einiger Autoren indes auch auf die Grundfreiheiten erstrecken; vgl. umfassend dazu Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 227 ff.; Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 82 sowie Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 660 ff. 92 Steiner, CMLR 1992, 749 (770); Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 141 ff.; Fezer, JZ 1994, 317 (324); Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 152. Derselbe Versuch der Einschränkung des Anwendungsbereiches der Grundfreiheiten mit ähnlichen Argumenten findet sich auch bei der Diskussion um die Einschränkung des Tatbestandes der Schutzpflichten, vgl. Fünfter Teil, C. III. 2. f). Aufgrund dieses Wertungswiderspruches wird von Teilen des Schrifttums darüber hinaus die Forderung erhoben, für Maßnahmen Privater gesonderte Tatbestände zu entwickeln, vgl. Gerven, CMLR, 1977, 5 (24); Quinn/ MacGowan, ELR 1987,163 (177).
B. Die unmittelbare Drittirkung der Grundfreiheiten
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heiten berücksichtigt würden. Allerdings wäre es in der Praxis schwierig, die Spürbarkeit der Handlungen Privater festzustellen bzw. für eine solche überhaupt Maßstäbe zu entwickeln, wenn es sich nicht um Unternehmen handelt 93 . Vertritt man indes die Auffassung, eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten sei auch aus anderen Gründen als aufgrund ihrer Wertungswidersprüche zum Wettbewerbsrecht abzulehnen, besitzt diese Frage keine Relevanz94.
4. Teleologische Auslegung In Art. 2 EGV wird es als eine Aufgabe der Gemeinschaft hervorgehoben, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes Wohlfahrtseffekte wie ein hohes Beschäftigungsniveau und einen hohen Grad von internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen. In Art. 3 lit. c EGV wird der Binnenmarkt, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungsund Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist, als ein Tätigkeitsfeld der Gemeinschaft bezeichnet und konkretisiert. Die beiden genannten Artikel sind Aufgaben- und Maßstabsnormen und enthalten Verfassungsziele 95. Diese Verfassungsziele sind rechtlich verbindlich und haben die Funktion, die Entwicklung der Rechtsordnung zu bestimmen, weshalb sie für die Auslegung der Normen des EG-Vertrags maßgebliche Anhaltspunkte geben können. Damit ist die Gemeinschaftsaufgabe der Errichtung und Weiterentwicklung des Binnenmarktes kein bloßer Programmsatz, sondern sie besitzt eine rechtsverbindliche steuernde Wirkung 96 . Die Vertragsbestimmungen sind im Lichte und Geist der allgemein formulierten Gemeinschaftsziele zu betrachten und zu interpretieren 97. Die Mitgliedstaaten sind zwar nicht direkte Adressaten dieser Ziele, werden jedoch über ihre in Art. 10 EGV normierte Pflicht zur Förderung der Gemeinschaftsziele mittelbar an sie gebunden98. Auch die Präambel ist für die Auslegung maßgeblich, wenn ihr 93 Hierzu eingehend Fünfter Teil, C. III. 2. f). 94 Vgl. Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 152, der meint, es fehle allgemein am Willen des EuGH, eine unmittelbare Drittwirkung anzunehmen. Hätte der EuGH dies gewollt, hätte er Kriterien für ein Spürbarkeitserfordemis entwickelt, da das Problem seit Jahren bekannt sei. 95 EuGH, Gutachten 1 /91, EWRI, Slg. 1991,1-6079, Rn. 21. 96 Hoffmann-Becking, Normaufbau und Methode, S. 65; Müller-Graff, in: Dauses (Hrsg.), Hdb. des EG-Wirtschaftsrechts, A.I, Rn. 137, unterscheidet folgende Wirkungen der Verfassungsziele: Verpflichtungswirkung, Beschränkungswirkung und Entscheidungsbindung, Auslegungswirkung, Rechtsfortbildungswirkung, Ermächtigungskonkretisierung und Mittel zur Prinzipienbildung. 97 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 2, Rn. 8; Ukrow, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 2, Rn. 6; Hoffmann, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 40; Basedow, FS Everling, S. 49. Im Schrifttum werden diese Ziele zum Teil als abänderungsfest angesehen, vgl. hierzu de Witte, in: Winter/Curtin/Kellermann/de Witte (Hrsg.), Reforming the Treaty On European Union, S. 17.
9« Streinz, in: Streinz, EGV, Art. 2, Rn. 11, Art. 10, Rn. 36. 4 Stachel
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
auch keine selbständigen rechtlichen Pflichten entnommen werden können. Sie ist Bestandteil des EG-Vertrags und kann als Ausdruck seiner „Geschäftsgrundlage" verstanden werden, da sie die Grundüberzeugungen der vertragsschließenden Staaten beinhaltet". Im ersten Erwägungsgrund ist der Wille der vertragsschließenden Staaten niedergelegt, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen, was auf den Wunsch nach einer dynamischen Entwicklung des Gemeinschaftsrechts hindeutet. Im fünften Erwägungsgrund drücken die Vertragsparteien ihren Wunsch aus, die Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern, und im sechsten Erwägungsgrund, dass sie durch eine gemeinsame Handelspolitik zur fortschreitenden Beseitigung der Beschränkungen im zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr beitragen wollen. Die in der Präambel niedergelegten Vertragsziele deuten darauf hin, dass die Errichtung des Binnenmarktes ein Kernanliegen der Gemeinschaft ist, das durch eine allmählich zu vertiefende Integration verwirklicht werden soll. Die effektive Verwirklichung der Ziele des Gemeinschaftsrechts kann es verlangen, dass etwaige Hemmnisse ohne Ansehung der Ursachen zu bekämpfen sind, so dass eher die Abhilfe als der rechtliche Status des Verursachers im Vordergrund steht 100 . Das Effektivitätsprinzip ist ein völkergewohnheitsrechtlicher Grundsatz 101, der vom EuGH und im Schrifttum regelmäßig zur Auslegung der Verträge herangezogen wird 1 0 2 und als teleologische Auslegung eingeordnet werden kann 103 . Nach diesem Prinzip ist diejenige Auslegung maßgeblich, die der Verwirklichung der Vertragsziele am meisten förderlich ist. Der EG-Vertrag zeichnet sich noch mehr als andere völkerrechtliche Verträge durch eine besondere Zielbezogenheit und Zielverpflichtetheit aus 104 . Dieser funktionale Charakter des Gemeinschaftsrechtes ermöglicht erst die sich in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht prozesshaft entwickelnde Annäherung der Mitgliedstaaten, die seit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beträchtlich fortgeschritten ist und deren Endzustand nach wie vor nicht absehbar ist 1 0 5 . Die besondere Zielbezogenheit des Vertrags verlangt eine dynamische Rechtsentwicklung zur Verwirklichung seiner Vorgaben und zum Ausbau und zur Stabilisierung der Rechtsordnung 106. Das Gew Vgl. Hilf/Fache,
in: Grabitz/Hilf, EGV, Präambel, Rn. 5 ff.
! Vgl. Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 198. 101 von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 112 (144). 102
Vgl. Bleckmann, Zu den Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs, NJW 1982,1177 (1179 f.); aus der Rspr. des EuGH, Slg. 1980, 119, Rn 17 f. - Camera Care/Kommission; EuGH, Slg. 1981, 2311, Rn. 16 - Broekmeulen/Huidarts Registratie Commissie. 103 Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 98 ff. 104 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 2, Rn. 4; Müller-Graff, in: Dauses, Hdb. des EG-Wirtschaftsrechts, A.I, Rn. 77; vgl. auch Kainer, Unternehmensübernahmen im Binnenmarktrecht, S. 123. los Vgl. Hilf/Fache, in: Grabitz/Hilf, EUV, Vorbemerkung zum EUV, Rn. 3, 58; MüllerGraff, in: Dauses, Hdb. des EG-Wirtschaftsrechts, A.I, Rn. 58 ff.; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 196 ff., spricht von den Gemeinschaften als ,»Zweckverbänden funktioneller Integration".
B. Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten
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meinschaftsziel der Errichtung des Binnenmarktes strebt einen bestimmten Zustand an, ohne jedoch immer die konkreten Handlungen der durch das Gemeinschaftsrecht verpflichteten Subjekte vorzugeben. Um den Binnenmarkt wirksam weiterzuentwickeln, wäre es sehr effektiv, sämtliche potentiellen Störer des Binnenmarktes unmittelbar als Adressaten der Grundfreiheiten anzusehen. Die Bekämpfung aller kontraproduktiven Maßnahmen, unabhängig davon, von wem sie ausgehen, scheint dem Binnenmarktziel zumindest auf den ersten Blick am ehesten zu entsprechen. Der Abbau allein staatlich verursachter Hindernisse kann jedenfalls sein Ziel nicht erreichen, wenn staatliche Hindernisse allmählich durch private Hindernisse ersetzt werden 107 . Auch im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit der Rechte des Einzelnen wäre eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten ungemein effektiv. Wenn sich ein Unionsbürger von einem anderen Privaten in seinen Grundfreiheiten beeinträchtigt fühlen würde, könnte er sich unter Inanspruchnahme der mitgliedstaatlichen Gerichte ohne Vermittlung innerstaatlichen Rechtes direkt gegen diesen zur Wehr setzen. Er könnte sich auf die Nichtigkeit der die Grundfreiheiten beschränkenden Verträge berufen oder auf Schadensersatz oder Unterlassung klagen 108 . Die Bindung auch sämtlicher nicht-staatlicher Akteure an die Grundfreiheiten hätte zudem den erstrebenswerten Effekt, eine einheitliche Anwendung der Grundfreiheiten zu gewährleisten. Wahrend der eine Staat bestimmte Aufgaben hoheitlich regelt, übertragen andere Staaten dieselben Aufgaben nicht selten privaten Institutionen, wodurch sie bestimmte Materien dem Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts entziehen. Gerade im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind äußerst unterschiedliche Anteile des öffentlichen Sektors in den Mitgliedstaaten festzustellen, wodurch der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten entgegen ihrer Zielsetzung deutlich eingeschränkt wird 1 0 9 . Effektivitätsargumente können sich jedoch nicht über die gravierenden Bedenken hinwegsetzen, die einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten gegenüber bestehen. Der Effektivitätsgrundsatz kann nicht zur Auslegung herangezogen werden, wenn andere vertragliche Wertungen unterlaufen werden 110 . Wird die 106 Vgl. Hoffmann-Becking, Normaufbau und Methode, S. 347, der aufgrund der Zielgerichtetheit des EGV eine Kompetenz des EuGH zur Rechtsfortbildung sieht; zur Rechtsfortbildung durch den EuGH allgemein Everling, JZ 2000, 217 ff.; vgl. auch Wielsch, Die europäische Gefahrenabwehr, S. 40 f., der den Effektivitätsgrundsatz als einen das Gemeinschaftsrecht ausrichtenden und qualifizierenden materiell-rechtlichen Leitsatz versteht; zur Auslegung der Verträge durch den EuGH und seiner Methodik Kainer, Unternehmensübernahmen im Binnenmarktrecht, S. 88 ff. m. w. N. 107
Vgl. hierzu die Ausführungen in diesem Teil, A. II. Er könnte sich z. B. auf § 134 BGB (Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot) oder § 823 Abs. 2 BGB (Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung) stützen. Der Frage, ob und inwieweit unmittelbar drittwirkende Grundfreiheiten vor Gericht tatsächlich leichter durchzusetzen sind als Schutzpflichten, wird in diesem Teil, B. V. nachgegangen, i » Streinz/Leible, EuZW 2000, S. 459 (460). ho Vgl. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. III ff. 4*
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
Verbotswirkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrags auf sämtliche privaten Akteure ausgedehnt, widerspricht dies dem Grundsatz der Marktwirtschaft mit einem freien Wettbewerb 111 und entwertet das Grundrecht der Privatautonomie, das auch im Gemeinschaftsrecht gewährleistet wird 1 1 2 . Die Privatautonomie ist Ausfluss des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit 113 und gewährleistet die Abschluss- und Inhaltsfreiheit im Rahmen von vertraglichen Vereinbarungen zwischen Privatpersonen. Sie ist für das liberale Binnenmarktkonzept der Gemeinschaft wesentlich 114 . Die Grundfreiheiten als Instrumente zur Verwirklichung des Binnenmarktes bezwecken die Herstellung grenzüberschreitender Privatautonomie im gesamten Gemeinschaftsgebiet 115. Sie zielen auf eine Öffnung des Zugangs zu den Märkten aller Mitgliedstaaten und wollen durch gleiche Ausgangschancen aller Marktteilnehmer den Wettbewerb ermöglichen. Ein freier Wettbewerb setzt voraus, dass jede Privatperson zwischen den Produkten und Dienstleistungen verschiedener Herkunft grundsätzlich frei von jeglichen Vorgaben wählen darf. Wenn Private jedoch an die Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten gebunden wären, würden die Grundfreiheiten entgegen ihrer Intention freiheitsbeschränkend wirken, da sie den Marktteilnehmern untereinander Pflichten gegenüber allen Mitbürgern auferlegen würden 116 . Die Grundfreiheiten würden ihre Funktion als Zugangsrechte zu den mitgliedstaatlichen Märkten stark einbüßen und stattdessen zu „Grundbeschränkungen" 117 mutieren, welche die Möglichkeiten freier wirtschaftlicher Entfaltung deutlich einschränken 118. Bei jedem Vertragsschluss hätten die Privaten zu prüfen, dass sie die Rechte anderer aus den Grundfreiheiten nicht beschränken. Eine solche Verpflichtung wäre aufgrund des durch die Rechtsprechung des EuGH mittlerweile anerkannten allgemeinen Beschränkungsverbotes ziemlich weitgehend und zum Teil schwer überschaubar, da bis heute nicht ganz klar ist, wie das Beschränkungsverbot im Einzelnen auszule111 Zum Leitbild des Binnenmarktes Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 26 ff.; Emmerich-Fritsche, EWS 2001, 365 (366); Müller-Graff, in: Baur/Müller-Graff/Zuleeg (Hrsg.), Gemeinsames Verfassungsrecht in der Europäischen Union, S. 9 (53 ff.); Mestmäcker, FS Böhm, S. 345 (366 ff.). 112
Hintersteiningen Binnenmarkt und Privatautonomie, S. 273; Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, S. 234. Der Grundsatz der Privatautonomie ist auch vom EuGH als Grundrecht anerkannt: EuGH, Slg. 1996,1-1253 - Merckx; in Deutschland ist die Privatautonomie durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt, vgl. BVerfGE 8, 274 (328); 89,214 f. 113 Es spricht viel dafür, das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit auch auf europäischer Ebene zu bejahen, vgl. auch EuGH, Slg. 1989, 2859 (2924) - Hoechst; Rengeling, Grundrechtsschutz in der EG, S. 136.
Müller-Graff, FS Börner, S. 303 (315). 115 Vgl. Grundmann, JZ 2000, 1133 (1134). 116 So Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 183, für das deutsche Recht. i n Stein, EuZW 2000, 337 (338 f.). Ii« So im Ergebnis auch Burgi, EWS 1999, 327 (330); Franzen, in: Streinz, EGV, Art. 39, Rn. 98; Kluth, AöR 1997, 537 (569), der „das Ende der Privatautonomie" nahen sieht; Jarass, EuR 2000,714 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 230; Kluth, AöR 1997, 557 (570).
B. Die unmittelbare Drittirkung der Grundfreiheiten
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gen ist 1 1 9 . Die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes kann nicht dadurch optimiert werden, dass man die Verbotswirkung der Grundfreiheiten auf alle Privaten ausdehnt, da der Binnenmarkt sein Gleichgewicht nicht durch eine vollkommene Regulierung durch die Staaten oder die Gemeinschaft erhält, sondern durch die Selbstregulierung des freien Wettbewerbs 120. Im Schrifttum wurden zudem mit Recht Bedenken wegen des Mangels einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage erhoben 121 , die die Verpflichtungen Privater normiert und die Gerichte befähigt, ihre Einhaltung zu überwachen 122. Die Grundfreiheiten selbst können nicht dem Erfordernis genügen, dem Bürger in ausreichendem Maße den Inhalt seiner Rechte und Pflichten zu vermitteln. Der Hinweis, die Bürger müssten in diesem Fall einen eindeutig unproblematischen Vertragsinhalt vereinbaren, um einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten auszuschließen123, ist praxisfern angesichts der Situation, dass auch nach der Tatbestandseinschränkung durch die Keck-Rechtsprechung 124 die Reichweite der Verbotswirkungen der Grundfreiheiten in zahlreichen Fällen noch immer nicht eindeutig feststellbar ist 1 2 5 , und dass auch der EuGH und sein Generalanwalt sich in der für die Drittwirkung bedeutsamen Rechtssache Angonese uneins waren, ob der Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts überhaupt eröffnet sei und ob eine Diskriminierung oder lediglich eine Beschränkung vorliege 126 . Eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten hätte auch negative Auswirkungen auf die horizontale Kompetenzordnung, da die Grundfreiheiten selbst in keiner Weise eine Aussage darüber treffen, wie die Abwägung mit anderen für schutzwürdig befundenen Rechtsgütern vorzunehmen ist 1 2 7 . In den Drittwirkungsfällen hätte die Judikative alleine die Aufgabe, die betroffenen Grundrechtspositionen mit den Grundfreiheiten abzuwägen. Die Schaffung eines Ausgleichs kollidierender Interessen, die insbesondere auch Grundrechte betreffen, ist jedoch grundsätzlich der Legislative vorbehalten 128. 119
Zum Inhalt des Beschränkungsverbotes Fünfter Teil, B. und C. HI. 1. a). 120 Vgl. Müller-Graff, EuR 1989,107 (118); Bleckmann, DVB1. 1988,938 (941).
121 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 780 ff.; Nowak, EuZW 1999, 84 (85); vgl. auch Martiny, ZeuP 2001, 563 (574 ff.); a.A. Wernicke, Die Privatwirkung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 232, der die Auffassung vertritt, Bestimmtheitserfordernisse seien nur hinsichtlich des Inhaltes der Bindung relevant und nicht für die Frage der Bindung selbst. 122 Der Bestimmtheitsgrundsatz gilt auch für Handlungen der Gemeinschaftsorgane, vgl. EuGH, Slg. 1981,1931, Rn. 18 - Gonrand. 123 So Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 158. 124 EuGH, Slg. 1993, 6097, Rn. 14 - Keck und Mithouard. 125 Vgl. hierzu Fünfter Teil, B. 126 Schlußanträge des GA Fennelly, EuGH, Slg. 2000,1-4139, Rn. 14 ff. und 42 f. - Angonese; EuGH, Slg. 2000, 1-4139, Rn. 19 und 45 - Angonese; vgl. hierzu ausführlich Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 780 ff. 127 Kluth, AöR 122 (1997), 557 (581); Jaeckel, Schutzpflichten, S. 231. 128 Vgl. Kluth, AöR 122 (1997), 557 (579 f.), der betont, dass der im Demokratieprinzip verankerte Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verlangt, dass allein der Gesetzgeber Ver-
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
Im Schrifttum wird außerdem gegen eine unmittelbare Drittwirkung eingewendet, dass ihr die vertikale Kompetenzordnung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten entgegenstehe, da die Mitgliedstaaten im Falle einer Drittwirkung nicht mehr die Beziehungen der Privatrechtssubjekte zueinander regeln könnten, sondern der EuGH an ihre Stelle trete 129 . Wenn der EuGH das Primärrecht zulasten privater Wirtschaftsteilnehmer auslegt, ist es indes fraglich, ob dies schon als ein „tätig werden der Gemeinschaft" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 EGV (Subsidiaritätsprinzip) angesehen werden kann, da der Gerichtshof im Falle seiner Anrufung verpflichtet ist, das Primärrecht auszulegen130. Die Frage, wie das Primärrecht auszulegen ist, also etwa im Zweifel zugunsten der mitgliedstaatlichen Souveränität, ist keine Zuständigkeitsfrage, so dass keine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips feststellbar ist 1 3 1 . Allerdings ist einzuräumen, dass die richterrechtliche Erstreckung der grundfreiheitlichen Verbotswirkungen auf Private eine Inanspruchnahme von mitgliedstaatlichen Regulierungskompetenzen bedeutet, da hierdurch die Privatrechtsordnungen der Mitgliedstaaten in bedeutsamer Weise verändert werden, ohne dass die nationalen Gesetzgeber diese Änderungen selbst in ihre Rechtsordnungen eingliedern könnten 132 . Im Schrifttum wurde vorgeschlagen, eine unmittelbare Drittwirkung nur bei Diskriminierungen anzunehmen, nicht aber bei bloßen Beschränkungen der Grundfreiheiten 133 ; der Grund für diese Differenzierung bestehe darin, dass der Binnenmarkt ein Ordnungsbegriff sei, dessen wesentlicher Bestandteil das Diskriminierungsverbot sei, das ein Leitmotiv des gesamten Vertrags bilde. Eine Rechtsordnung dürfe die Freiheitsbetätigung einer Person, die sich als Negation der Freiheit einer anderen Person auswirkt, rechtlich nicht anerkennen 134. Die genannten Gründe für die Ablehnung einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten gelten jedoch ebenfalls im Falle ihrer Beschränkung auf Diskriminierungen. Zwar wären die Verpflichtungen der Privatpersonen bei ihrer alleinigen Bindung an das Diskriminierungsverbot bestimmter und eindeutiger, jedoch dürfen Private ihre Motive für marktrelevante Entscheidungen frei bestimmen und grundsätzlich andere Marktteilnehmer auch diskriminieren, da die Selbstregulierung des Binnenmarktes dazu führen soll, dass ihre Entscheidungen nach ökonomischen Kriterien getroffen werden sollen. Wer seine wirtschaftlichen Entscheidungen nach anderen Gesichtsänderungen im Äquivalenzgefüge zwischen Privaten und bei der Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung im grundrechtsrelevanten Bereich vornehmen könne. 129 So Burgi, EWS 1999, 327 (330); Jaeckel, Schutzpflichten, S. 230; Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 98 f.; Schack, JZ 1994, 144 ff.; Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung, S. 120 ff. 130 131
Ausführlich zu dieser Frage Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 115 ff.
Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 116. 132 Vgl. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 784. 133 Möllers, EuR 1998, 20 (37); Forsthoff, EWS 2000, 389 (393). 134 Forsthoff, EWS 2000, 389 (393); Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 289.
B. Die unmittelbare Drittirkung der Grundfreiheiten
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punkten trifft, erleidet grundsätzlich Wettbewerbsnachteile durch Gewinneinbußen, die zu einer Marktverdrängung führen können 135 .
5. Ausnahmen für intermediäre Gewalten? Möglicherweise gibt es Fälle, in denen die oben dargestellten Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten nicht stichhaltig sind und in denen sogar ein besonderes Bedürfnis bestehen könnte, nicht-staatliche Akteure direkt an die Grundfreiheiten zu binden. Zu denken ist an die Fälle, in denen Organisationen, Verbände oder andere Gruppierungen Regeln aufstellen oder Entscheidungen fällen können, die eigentlich der Staatsgewalt obliegen, die ihre Normsetzungsbefugnis insoweit zurückgenommen hat. In einigen Fällen erhalten diese Gruppierungen dadurch eine staatsähnliche Machtposition und nehmen eine Mittelposition zwischen staatlicher Gewalt und Privatpersonen ein, weshalb sie im Schrifttum zum Teil als intermediäre Gewalten 136 bezeichnet werden 137 .
a) Übertragung von Hoheitsaufgaben Wenn diese Gruppierungen staatsähnlich tätig werden, besitzen sie vergleichbare Mittel wie der Staat, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen, und sind keine gewöhnlichen, dem freien Wettbewerb unterliegenden Marktteilnehmer. Der mit ihnen konfrontierte Unionsbürger kann mangels Wettbewerb keine freie Entscheidung treffen, ob er mit ihnen Rechtsbeziehungen aufnehmen will oder nicht. Ein Durchgriff auf diese privaten Teilnehmer des Wirtschaftslebens berücksichtigt das Schutzbedürfnis der Betroffenen, denen durch diese Gruppierungen ebenso große Beeinträchtigungen von Rechtsgütern drohen können wie von staatlicher Seite 138 . Das Verhältnis zwischen privaten Marktteilnehmern ist von einer grundsätzlich gleichen Ausgangslage geprägt. Die intermediären Gewalten lassen für die selbstregulierende Funktion des freien Wettbewerbs keinen Raum, da sie wesentlich mehr Macht ausüben können als die anderen Marktteilnehmer. Insbesondere wenn die den freien Markt prägende Privatautonomie einseitig zwingenden Regelungen gewichen ist, macht es aus der Sicht des Unionsbürgers keinen Unterschied, ob die jeweilige Maßnahme vom Staat getroffen wurde oder von einer privaten Institution, die Machtbefugnisse innehat, die gewöhnlicherweise nur der Staat besitzt 139 . 135 hoff, 136 137
Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 779; Körber, EuR 2000, 932 (945); ForstEWS 2000, 389 (392). Lateinisch: dazwischen liegend. Vgl. Jarass, FS Everling, S. 593 (594); Roth, FS Everling, S. 1231 (1247).
138 So die Argumentation des EuGH, Slg. 1995,1-4921 - Bosman; vgl. auch Franzen, in: Streinz, EGV, Art. 39, Rn. 95, der von einer „faktischen Machtstellung" dieser Institutionen spricht.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
Ein weiteres Argument für eine Bindung dieser Gruppierungen an die Grundfreiheiten ist, dass die Bindungsreichweite des Gemeinschaftsrechts im Falle der grundsätzlichen Ablehnung einer unmittelbaren Drittwirkung davon abhängt, ob ein Sachverhalt in den verschiedenen Mitgliedstaaten als privatautonome Handlung oder als Ausübung staatlicher Gewalt eingeordnet wird. Da jeder Mitgliedstaat unterschiedliche Materien dem privaten Sektor überlassen hat, würde die Reichweite des Gemeinschaftsrechts bei kategorischer Ablehnung der unmittelbaren Drittwirkung in diesen Bereichen uneinheitlich sein 140 . Für die weitreichende Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung in diesen Fallkonstellationen reicht jedoch die Feststellung allein nicht aus, der Staat habe typische staatliche Machtbefugnisse auf Private übertragen. Angesichts der gewichtigen Argumente gegen eine unmittelbare Drittwirkung ist ein äußerst restriktiver Umgang mit ihr angezeigt. Die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten ursprünglich bestimmte Aufgaben ausgeübt haben, bedeutet nicht zwingend, dass sie als ausschließlich durch den Staat wahrnehmbar angesehen werden müssen 141 . Eine Drittwirkung ist nach überwiegender Auffassung im Schrifttum dann anzunehmen, wenn eine kollektive Rechtsetzung vorliegt, die normähnlichen Charakter hat, der der Einzelne in rechtlicher (nicht faktischer) Hinsicht nicht ausweichen kann 142 . Der Staat müsse zusätzlich die Bedingung dafür geschaffen haben, dass der Einzelne den Normen unterworfen ist 1 4 3 . Wenn der Bürger der Gewalt nur faktisch unterworfen sei, reiche dies nicht aus, da der Staat dem privaten Störer der Grundfreiheiten keine Rechtsmacht eingeräumt habe, denen andere Private nicht ausweichen können 144 . Diese Kriterien weisen grundsätzlich in die richtige Richtung, sind aber im Einzelnen noch ergänzungsbedürftig. Entscheidend für die Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung in diesen Fällen muss vielmehr sein, dass der Private dem Recht der privaten Institution in der Weise unterworfen ist, dass er ihm nicht aus139 Jarass, FS Everling, S. 593 (594); Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EGV, Art. 28, Rn. 305 ff. 140 Vgl. die Argumentation des EuGH, EuGH, Slg. 1974, 1405, Rn. 16 - Walrave; zur Bedeutung der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts für die Funktionsfähigkeit der EG Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, S. 35 ff. 141 Eine parallele Problematik findet sich im Zusammenhang mit der Bereichsausnahme des Art. 39 Abs. 4 EGV, der die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung aus dem Anwendungsbereich der Freizügigkeitsregeln herausnimmt. Vgl. hierzu Schneider /Wunderlich, in: Schwarze, EGV, Art. 39, Rn. 133 ff. 142 So Müller-Graff, EuR Beiheft 1-2002, 7 (42); Hirsch, ZEuS 1999, 503 (508); vgl. umfassend zur Normsetzung von Verbänden Vieweg, Normsetzung, S. 318 ff.; Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 268 ff. sowie Schmidt-Preuß, ZLR 1997, 249 ff. Zu der Frage, was typische staatliche Aktionsbereiche sind, vgl. Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S.154 ff. 143 Streinz/Leible, EuZW 2000, 459 (466); zum Erlass von Rechtsnormen durch Private Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 23 ff. sowie Brunner, Rechtsetzung durch Private. 144 Streinz/Leible, EuZW 2000,459 (464 ff.).
B. Die unmittelbare Drittirkung der Grundfreiheiten
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weichen kann. Nicht sachgerecht ist es, alleine auf eine Normsetzungbefugnis abzustellen, da verbindliche staatliche Einzelentscheidungen (Verwaltungsakte) einen bedeutsamen Teil der staatlichen Gewalt ausmachen. Erfasst sein sollen daher nicht nur normsetzende Organisationen, sondern auch solche, denen vom Staat die Befugnis übertragen wurde, Entscheidungen zu treffen, die dem Einzelnen gegenüber verbindlich sind und denen er nicht ausweichen kann. Als intermediäre Gewalten einzuordnen sind nach Maßgabe dieser Kriterien insbesondere Berufskammern und Standesverbände, die über die Zulassung zu bestimmten Berufen entscheiden, Zwangsverbände, bei denen entweder die Mitgliedschaft staatlich verordnet ist oder die Mitgliedschaft durch Androhung von Sanktionen wie Berufsverboten erzwungen wird 1 4 5 , und so genannte Normungsgremien 1 4 6 , die technische Normen entwickeln. Häufig gehören Berufskammern 147, Krankenkassen, Berufsgenossenschaften und Hochschulen zumindest in Deutschland der mittelbaren Staatsverwaltung an, die ohnehin an die Grundfreiheiten gebunden ist 1 4 8 . Gewerkschaften, die mit den Arbeitgebern Tarifverträge aushandeln, sind grundsätzlich keine intermediären Gewalten, da sie trotz der Möglichkeit des Erlasses tarifautonomer Regelungen keine Bestimmungen erlassen können, denen andere Private nicht ausweichen können, auch wenn sie ihnen faktisch unterworfen sind. Anders ist dies bei einer Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags durch den Bundesarbeitsminister 149, die im Übrigen in vergleichbarer Weise auch in den meisten anderen Mitgliedstaaten möglich ist 1 5 0 . Durch diese erstreckt sich die Wirkung dieser Normen auch auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die nicht tarifgebunden sind und dem Tarifvertrag nicht zugestimmt haben. In diesen Fällen ist es naheliegend, anstelle einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten eine originäre Verantwortung des Staates anzunehmen, da der Minister eine Ermessensentscheidung zu treffen hat, wenn er über die Allgemeinverbindlichkeit entscheiden muss 151 . 145 Vgl. hierzu die „Apothekerkammer-Entscheidungen" des EuGH, Slg. 1989, 1295, Rn. 4 - Royal Pharmaceutical Society und Slg. 1993, 1-6787, Rn. 13 ff. - Hünermund. In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse die Rechtssache Wouters, in der es um Standesregeln einer Rechtsanwaltskammer ging, für die der EuGH auch die Grundfreiheiten als anwendbar ansah, EuGH, Slg. 2002, 1577, Rn. 44 ff. - Wouters. In einer weiteren Rechtssache entschied eine private Gesellschaft über die Zulassung zum Arztberuf, vgl. EuGH, Slg. 1981, 2311, Rn. 16 ff. - Broekmeulen. Auch hier unterwarf der EuGH die Gesellschaft den Grundfreiheiten. 146 Vgl. die RL 83/ 189/EWG, ABl. EG 1983, L 109, S. 8 über das Informationsverfahren für technische Normen und Vorschriften. Der Rat geht hinsichtlich solcher Normen von einer Bindung an Art. 28 EGVaus. 1 47 So ist etwa die deutsche Rechtsanwaltskammer eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, vgl. § 62 Abs. 1 BRAO. 148 Vgl. Leible, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 28, Rn. 5. 149 Gemäß § 5 TVG können Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen in dieser Weise für allgemeinverbindlich erklärt werden, vgl. hierzu Stahlhacke, NZA 1988, 344 ff.; Backhaus, DB 1988,115 ff. sowie Bieback, RdA 2000, 207 (209 ff.). 150 Wonneberger, Die Funktionen der Allgemeinverbindlicherklärung, S. 12 ff.
3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
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Körperschaften, die Satzungen erlassen dürfen, sind demnach nur dann Adressaten der Grundfreiheiten, wenn die Satzungen in der Weise Außenwirkung entfalten, dass die Regelungen unbeteiligten Dritten gegenüber verbindlich sind. In Deutschland ist dies grundsätzlich nur bei Körperschaften des öffentlichen Rechts wie Gemeinden oder Universitäten der Fall, die ohnehin an die Grundfreiheiten des EG-Vertrags gebunden sind, da sie Teil der öffentlichen Gewalt sind. Vereinssatzungen oder Satzungen von Kapitalgesellschaften entfalten keine Außenverbindlichkeit, sondern erstrecken ihre Wirkung nur auf die Mitglieder bzw. die Organe und Aktionäre. Bei Versicherungsbedingungen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) 1 5 2 beschränkt sich die Rechtsmacht der Privaten ebenfalls ausschließlich auf die Nutzung der Privatautonomie, weshalb eine Drittwirkung in diesen Bereichen abzulehnen ist. Der EuGH nahm eine unmittelbare Drittwirkung von Verbandssatzungen in den sogenannten Sportverbandsfällen in Abweichung zu der hier vertretenen Linie auch dann an, wenn der Betreffende keinen rechtlichen Beitritts- bzw. Abschlusspflichten unterliegt, wie es bei Berufssportlern trotz einer möglichen faktischen Zwangs Wirkung der Fall ist 1 5 3 .
b) Public Private Partnerships In den Fällen der in jüngerer Zeit vieldiskutierten sogenannten Public Private Partnerships ist zu differenzieren, da dieser Begriff eine Vielzahl ganz verschiedener Formen der Kooperation von Staat und Privaten betrifft, ohne dass von einer eigenen rechtlichen Kategorie gesprochen werden kann 1 5 4 . Einige der von diesem Begriff erfassten Fälle könnten aus den oben genannten Gründen ebenfalls Drittwirkungsfälle sein. Ein Verwaltungshelfer, der vom Staat wie ein Werkzeug ohne eigene Befugnisse eingesetzt wird, ist der Staatsgewalt ohnehin zuzurechnen 155. Die für den Binnenmarkt relevante Fluggastabfertigung auf Flughäfen wird im Schrifttum als Tätigkeit von Verwaltungshelfern eingeordnet, da die beauftragende Stelle die maßgeblichen hoheitlichen Entscheidungen treffe 156 . In der Praxis ist dies allerdings fraglich, da nicht davon auszugehen ist, dass es eine nennenswerte Kontrolle durch die zuständigen staatlichen Stellen gibt. Vergleichbares gilt für die Einbeziehung von Privatpersonen als Hilfspolizeibeamte, die die Befugnisse von Vgl. Schaub, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 5 TVG, Rn. 34. 152
Umfassend hierzu Hübner, Allgemeine Versicherungsbedingungen und AGB-Gesetz, S. 23 ff. 153 EuGH, Slg. 1974, 1405, Rn. 15 - Walrave und Koch; EuGH, Slg. 1995, 1-4921, Rn. 14 ff. - Bosman. 154 Schuppert, Grundzüge eines zu entwickelnden Verwaltungskooperationsrechts, S. 4 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Ziekow, Verwaltungsrechtliche KooperationsVerhältnisse, S. 28 ff. 155 Insbesondere zu diesen Möglichkeiten der Public Private Partnerships Becker, ZRP 2002, 303 (306 f.); zu Verwaltungshelfern Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 60 f.
156 Stober, ZRP 2001, 260 (265 f.).
B. Die unmittelbare Drittirkung der Grundfreiheiten
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Polizeivollzugsbeamten besitzen. Nach Auffassung von Stober kommt es grundsätzlich nicht zu einer Privatisierung der Ermittlung und Ermessensausübung, da die Betreffenden durch Anweisungen gesteuert würden 157 . Auch in diesen Fällen ist äußerst zweifelhaft, ob diese Einschätzung der Rechtswirklichkeit gerecht wird. Jedenfalls ist es nicht fernliegend, in diesen Fällen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten anzunehmen, da eine Übertragung echter hoheitlicher Tätigkeiten stattgefunden hat. Andernfalls ist das Verhalten der Privaten dem Staat zuzurechnen, der ohnehin an die Grundfreiheiten gebunden ist. Bejaht man in den genannten Fallgruppen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten für intermediäre Gewalten, müssen in jedem Fall ihre (europäischen) Grundrechte 158, etwa die Verbandsautonomie oder die Vereinigungsfreiheit, beachtet werden. Die intermediäre Institution ist schließlich aufgrund der Drittwirkung sowohl Adressat der Grundfreiheiten als auch zugleich Grundrechtsträger 159 .
6. Zusammenfassung Eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten ist grundsätzlich abzulehnen. Sie widerspricht der Konzeption des auf dem freien Wettbewerb beruhenden Binnenmarktes, der sich durch Markt und Wettbewerb selbst regulieren soll. Die Grundfreiheiten sollen es den Unionsbürgern ermöglichen, ihre Privatautonomie grenzüberschreitend wahrzunehmen. Im Falle ihrer direkten Bindung an die Grundfreiheiten würden ihre Entfaltungsmöglichkeiten auf dem Markt erheblich eingeschränkt werden. Verweist man die Privaten auf die Möglichkeit einer Rechtfertigung durch die Ausnahmevorschriften zu den Grundfreiheiten, unterwirft man sie einem Rechtfertigungszwang, der dem Wesen des Binnenmarktes widerspricht, da sie durchaus nach irrationalen, willkürlichen Gründen und insbesondere aufgrund ökonomischer Motive handeln dürfen, da grundsätzlich allein die Selbstregulierung durch Wettbewerb ein Gleichgewicht schaffen soll. Wenn Private allerdings mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet werden, besteht eine Sondersituation. Ein Bedürfnis für eine unmittelbare Drittwirkung ist in diesen Fällen gegeben, da das Verhalten Privater auf dem Binnenmarkt ohne eine Privatwirkung der Grundfreiheiten keinerlei Regulationsmechanismen unterliegt, obwohl sie in einigen Fällen notwendig sein können. 157 Stober, ZRP 2001, 260 (265 f.); vgl. in diesem Zusammenhang auch Schoer, in: Ziekow (Hrsg.), Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, S. 107 ff.; Becker, ZRP 2002, 303 (304 f.). 158 Zu der Frage, ob nationale oder Gemeinschaftsgrundrechte einschlägig sind, Siebter Teil, B. I. 2.
159 Vieweg/Röthel, ZHR 2002, 6 (25); a.A. Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 279, der ohne nähere Begründung meint, die Grundrechte seien als Rechtfertigungsmöglichkeit dem System des Gemeinschaftsrechts fremd.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
IV. Verhältnis zwischen Drittwirkung und Schutzpflicht Die Rechtsinstitute der unmittelbaren Drittwirkung und der Schutzpflichten sind zwei verschiedene Möglichkeiten, auf die Beeinträchtigung von Grundfreiheiten durch Private zu reagieren. Beschränkt man den Anwendungsbereich der unmittelbaren Drittwirkung auf wenige Ausnahmefälle, besteht das Bedürfnis nach einer Möglichkeit zur Regulierung des Verhaltens Privater in einigen Bereichen fort. Trotz der hier vertretenen grundsätzlichen Ablehnung einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten ist davon auszugehen, dass sie in der Rechtsprechung des EuGH zumindest in den nächsten Jahren weiterhin eine Rolle spielen wird, da er implizit deutlich gemacht hat, dass er trotz seiner Rechtsprechung zu den Schutzpflichten insbesondere bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht von einer unmittelbaren Drittwirkung abrücken wird 1 6 0 . Aus diesem Grunde ist es von Interesse, ob Schutzpflichten noch einen Anwendungsbereich besitzen, wenn der betreffende Private ohnehin unmittelbar Adressat der Grundfreiheiten ist.
1. Das „Drei- Ebenen-Modell" von Alexy Für das deutsche und europäische Recht wird von einigen Autoren die Ansicht vertreten, dass Schutzpflichten und unmittelbare Drittwirkung erst im Zusammenwirken eine vollständige und adäquate Lösung für das Problem der Beeinträchtigung der Grundfreiheiten bzw. Grundrechte durch Private darstellen würden. Diese Auffassung unterscheidet drei verschiedene Beziehungsebenen, auf die sich eine unmittelbare Drittwirkung auswirken soll. Die erste Ebene betreffe Pflichten des Staates, die zweite Ebene Rechte der Bürger gegenüber dem Staat und die dritte Ebene die rechtlichen Beziehungen zwischen den Privatrechtssubjekten 161. Aufgrund der Verpflichtung des Staates zum Schutz der objektiven Werteordnung folgten im Wege einer mittelbaren Drittwirkung Schutzpflichten des Staates, die dem Einzelnen ein subjektives Recht auf Schutz gewähren würden. Die das Verhältnis zwischen den Privatrechtssubjekten betreffende Ebene stelle eine reine Wirkungsebene dar, die die zwangsläufige Folge der Annahme einer Schutzpflicht sei. Aufgrund der Tatsache, dass den grundrechtlichen bzw. grundfreiheitlichen Prinzipien Rechte und Pflichten zu entnehmen seien, die das Verhältnis der Privatrechtssubjekte untereinander betreffen, habe die mittelbare Drittwirkung zwingend eine unmittelbare Drittwirkung zur Folge 162 . Der richtige Lösungsweg zur Beurteilung 160 Vgl. EuGH, Slg. 1-4139, Rn. 34 ff. -Angonese. 161 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 484 ff. für die Grundrechte des deutschen Rechts; für das europäische Recht Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 171 ff. 162 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 490; vgl. auch Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 378, der davon ausgeht, dass „die Drittwirkung letzten Endes immer eine unmittelbare sein wird" sowie Klein, Der Staat 10 (1971), 149 ff.
B. Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten
61
privater Störungen der Grundrechte bzw. Grundfreiheiten hänge davon ab, welche der drei Ebenen man beurteilen wolle. Betrachte man die Konstellation der Ansprüche der Privatrechtssubjekte gegeneinander, werde das Problem über eine unmittelbare Drittwirkung gelöst 163 . Die unmittelbare Drittwirkung ist nach diesem Modell mithin lediglich der korrespondierende Effekt einer Schutzpflicht. Diese Betrachtungsweise des Verhältnisses von Schutzpflichten und Drittwirkung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Die Annahme einer reinen Wirkungsebene der Drittwirkung trifft nicht den Kern einer unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten bzw. Grundfreiheiten, der darin besteht, dass ein Privater sich gegenüber einem anderen Privaten unmittelbar auf diese Rechte berufen kann. Dieses Modell bestätigt letztlich nur die Folgerichtigkeit der Annahme einer mittelbaren Drittwirkung, die notwendige Konsequenz einer staatlichen Pflicht zum Einschreiten gegen Private ist. Der Bürger hat gegen den Staat im Falle einer Ermessensreduzierung einen Anspruch auf ein Einschreiten gegen einen anderen Bürger, nicht aber ein unmittelbar wirkendes Recht gegen diesen Bürger. Hat ein Richter über diese Beziehung zwischen Privaten zu befinden, ist er bei der Auslegung von Normen auch ohne eine unmittelbare Privatrechtsbindung dieser Normen an die Grundrechte bzw. -freiheiten gebunden. Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass sie in Beziehungen zwischen Privaten unmittelbar gelten 164 . Die dem sogenannten Drei-Ebenen-Modell zugrunde liegende These ist daher abzulehnen. 2. Doppelbindung Die unmittelbare Bindung des Einzelnen an die Grundfreiheiten schließt nicht grundsätzlich aus, dass neben sie zusätzlich eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten treten kann 165 . In aller Regel ist zwar davon auszugehen, dass die Pflichten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Durchsetzung der drittwirkenden Grundfreiheiten nicht als eigenständige Handlungspflichten, sondern als Vollzug des Gemeinschaftsrechts anzusehen sind. Die Mitgliedstaaten sind allgemein gehalten, den Normen des Gemeinschaftsrechts zu ihrer Wirksamkeit zu verhelfen, so dass ihre Aktivitäten zur Durchsetzung von Normen mit unmittelbarer Drittwirkung nicht als Erfüllung einer staatlichen Schutzpflicht einzuordnen sind 166 . Es geht also um die Frage, ob der Staat von sich aus aktiv werden muss, um durch sein Verhalten seinen Schutzpflichten nachzukommen, oder ob er nur auf Wunsch des Privaten ihm zur Durchsetzung seiner Rechte verhilft. 16
3 Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 175.
164
So im Ergebnis auch Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 53. 165 So auch Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 105 f.; Röthel, EuZW 2000, 379 (380 f.); a.A. wohl Kluth, AöR 122 (1997), 557 (581) sowie Füller, Grundlagen und inhaltliche Reichweite der Warenverkehrsfreiheit, S. 35 f. 166 Vgl. Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 219; Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, S. 264 f.; Leidenmühler, wbl 2000, 245 (250); Epiney, SZIER 1998, 371 (377); Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 68 ff.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
Die Durchsetzung der Drittwirkung erstreckt sich etwa auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen Eingriffe anderer Privatpersonen oder die Ermöglichung einer wirkungsvollen Vollstreckung von Titeln. Wenn der Staat darüber hinaus zusätzlich verpflichtet werden soll, auf den privaten Störer einzuwirken oder Maßnahmen zu einer besseren Rechtswahrnehmung des in seinen Grundfreiheiten Gestörten zu treffen, dann kann diese Verpflichtung nicht mehr als flankierende Maßnahme zur Durchsetzung der unmittelbaren Drittwirkung angesehen werden, sondern ist vielmehr eine davon unabhängige Schutzpflicht. Wenn Unionsbürger aus den Grundfreiheiten unmittelbar Ansprüche gegen andere Privatpersonen geltend machen könnten, diese jedoch aus verschiedenen Gründen in der Rechtswirklichkeit nicht durchzusetzen wären, könnte der Staat die verschiedensten Maßnahmen ergreifen, um diese Situation zu ändern. Er hätte die Möglichkeit, sowohl auf die Berechtigten als auch auf die Verpflichteten der Grundfreiheiten einzuwirken, etwa durch die Schaffung wirksameren Gesetzesrechts, durch Aufforderungen an eine der beiden Seiten oder durch den Erlass von Verwaltungsakten. Fraglich ist indes, ob man den Mitgliedstaaten zusätzliche Schutzpflichten trotz einer bestehenden unmittelbaren Drittwirkung auferlegen könnte bzw. ob sie überhaupt notwendig wären 167 . Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Bestehen eines unmittelbar wirksamen Rechtes gegen eine andere Privatperson eine effektive Durchsetzung der Grundfreiheiten ermöglicht, da der Rechtsinhaber sein Recht in der Regel ohne staatliche Vermittlung sofort einfordern und sich dabei gerichtlicher Hilfe bedienen kann, weshalb zusätzliche staatliche Schutzpflichten weitgehend überflüssig sind 1 6 8 . Im Schrifttum wird vertreten, ein zusätzliches Bedürfnis für staatliche Schutzpflichten neben Grundfreiheiten mit unmittelbarer Drittwirkung bestehe in den Fällen, in denen Private außerhalb rechtsgeschäftlicher Beziehungen durch rein faktisches Verhalten die Grundfreiheiten beeinträchtigten 169. Im Falle einer unmittelbaren Drittwirkung im rechtsgeschäftlichen Bereich seien die gegen die Grundfreiheiten verstoßenden Privatrechtsnormen oder Vertragsbestimmungen aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts 170 unanwendbar, während rein faktisches Verhalten mangels einer Norm, die wegen ihrer Gemeinschaftsrechtswidrigkeit unangewendet bleibe, keinerlei Sanktionen nach sich ziehe. Die Mitgliedstaaten seien in diesen Fällen aufgrund einer Schutzpflicht gehalten, die Rechtsverstöße zu verhindern 171 . Diese Einschätzung ist indes nicht zutreffend. 167 Dies grundsätzlich verneinend Oliver, 503 (508).
CMLR 1999, 783 (791); Hirsch, ZeUS 1999,
168 So auch Füller, Grundlagen und inhaltliche Reichweite der Warenverkehrsfreiheit, S. 35 f.; Burgi, EWS 1999, 327 (329 ff.); Oliver, CMLR 1999, 783 (791); zurückhaltender Epiney, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 28, Rn. 46. 169 Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 209 ff. sowie Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, S. 256. 170 Vgl. Hirsch, NJW 2000, 1817 ff. 171
Hintersteininger,
Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 210.
B. Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten
63
Auch rein tatsächliches Verhalten kann von einem Verbot mit unmittelbarer Drittwirkung erfasst werden, so wie die Verbotsnormen der Grundfreiheiten auch außerhalb der Fälle staatlicher Normsetzung bei sämtlichen denkbaren faktischen Maßnahmen des Staates Wirksamkeit entfalten 172 . In diesen Fällen kommt es insofern zu einem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, als nach nationalem Recht erlaubtes Verhalten Privater durch Einwirkung des höherrangigen Gemeinschaftsrechts zu einem verbotenen Verhalten wird 1 7 3 . Wenn man etwa an Blockaden von Privatpersonen eines Mitgliedstaates gegen Importe aus anderen Mitgliedstaaten denkt, wie sie Gegenstand des ersten Urteils des EuGH zu den Schutzpflichten in der Rechtssache Kommission/Frankreich 114 waren, dabei jedoch annimmt, die Verbotswirkung der Warenverkehrsfreiheit erstrecke sich auf die Privatpersonen, läge ein außervertragliches oder „faktisches Verhalten" vor, gegen das die Träger der Grundfreiheiten durchaus vorgehen könnten, da sie Unterlassungsansprüche gegen die privaten Störer hätten. Als zivilrechtliche Folgen bei einem Verstoß von Privatpersonen gegen die Grundfreiheiten kommen neben einer zivilrechtlichen Nichtigkeit, für die es naturgemäß einer zivilrechtlichen Vereinbarung bedarf, außerdem Schadensersatz- oder Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche in Betracht, die auch ohne zivilrechtliche Vereinbarung greifen 175 . Nach deutschem Recht kommt für Schadensersatzansprüche insbesondere § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der betreffenden Grundfreiheit als Schutzgesetz in Betracht 176 , ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch kann auf § 1004 BGB gestützt werden 177 . Ein zusätzliches Bedürfnis für staatliche Schutzpflichten ist in diesen Fällen grundsätzlich nicht ersichtlich. Möglicherweise ist ein Bedürfnis für zusätzliche Schutzpflichten aber ausnahmsweise dann gegeben, wenn der Berechtigte der Grundfreiheiten im Falle der Verletzung seines Rechts durch einen anderen Privaten keinen Rechtsschutz wahrnimmt, da er von der Rechtslage keine Kenntnis hat oder sich von einem gerichtlichen Verfahren keinen Erfolg verspricht. Man könnte in einem solchen Fall dem Mitgliedstaat die zusätzliche Verpflichtung auferlegen, die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu optimieren, etwa durch eine deutlichere Gestaltung der 172 Vgl. Lux, in: Lenz, EGV, Art. 28, Rn. 22. 173 Allgemein zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts Streinz, Europarecht, Rn. 180 ff. sowie Hirsch, NJW 2000, 1817 ff. 174 EuGH, Slg. 1997,1-6969 - Kommission/Frankreich. 175 Umfassend zu den zivilrechtlichen Folgen bei Verstößen gegen drittwirkende Grundfreiheiten Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 199 ff.; vgl. hierzu auch Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 293 ff. 176 Zu den Grundfreiheiten als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395 (427) m. w. N. sowie Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 306 f.; zum Verschuldenserfordernis des § 823 BGB und seiner Gemeinschaftsrechtskonformität Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 205 f.; zur Verfolgung des Gemeinschaftsinteresses durch den einzelnen Bürger durch das nationale Zivilrecht Zuleeg, Das Recht der europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich, S. 196. 177 Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395 (429).
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
Rechtslage oder die Einführung von Straftatbeständen. Für eine solche zusätzliche Pflicht der Mitgliedstaaten könnte das Effektivitätsprinzip sprechen, das eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts verlangt, die der Verwirklichung der Vertragsziele am meisten förderlich ist 1 7 8 . Wenn die Bereitstellung der nötigen rechtlichen Instrumentarien zur Durchsetzung der Privatrechtswirkung der Grundfreiheiten nicht ausreichen sollte, wäre die effektive und einheitliche Durchsetzung der Grundfreiheiten nicht gewährleistet, so dass die Verwirklichung des für die Gemeinschaft elementaren Binnenmarktziels (Art. 3 Abs. 1 lit. c EGV) gefährdet wäre. Wenn man den Grundfreiheiten selbst staatliche Schutzpflichten entnehmen könnte, wäre in diesem Fall eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Vornahme positiver Maßnahmen zumindest möglich, wenn sie auch eher in Ausnahmesituationen naheliegen würde. Die näheren Voraussetzungen für die Annahme staatlicher Schutzpflichten sind indes noch zu klären. Im Ergebnis ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass neben einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten von den Mitgliedstaaten noch zusätzlich staatliche Schutzpflichten gefordert werden können. In den meisten Fällen ist aber davon auszugehen, dass Schutzpflichten und unmittelbare Drittwirkung lediglich alternativ in Betracht kommen, da sie beide geeignet sind, auf Binnenmarktstörungen durch Private zu reagieren, und in den meisten Fällen eine der beiden Möglichkeiten schon zum Ziel führen dürfte.
V. Gegenüberstellung von unmittelbarer Drittwirkung und Schutzpflichten Schutzpflichten für die Grundfreiheiten könnten eine Alternative zu einer unmittelbaren Drittwirkung sein, die aus den oben dargestellten Gründen generell abzulehnen ist. Fraglich ist, ob Schutzpflichten gegenüber einer unmittelbaren Drittwirkung in der Rechtswirklichkeit ein wirksames Mittel zur Bekämpfung der mit Binnenmarktstörungen durch Private einhergehenden Problemen sein können oder ob sie weniger effektiv und gleichsam ein „stumpfes Schwert" sind. Eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten hätte gegenüber der Annahme von Schutzpflichten insbesondere den Vorteil, dass die Unionsbürger sich direkt auf die Verbotswirkungen der Grundfreiheiten berufen könnten, ohne dass die Mitgliedstaaten Regelungen zu ihrer Verwirklichung erlassen oder zum Eingreifen aufgefordert werden müssten. Sie schafft eindeutige Rechtsfolgen und wird im Schrifttum überwiegend als weniger verwaltungsintensiv als die Schutzpflichten angesehen, weshalb eine unmittelbare Drittwirkung den in seinen Grundfreiheiten Gestörten in der Regel schneller zu seinem Ziel bringt, die Störung abzustellen179. 178
Ausführlich zum Effektivitätsgrundsatz Vierter Teil, D. So etwa Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 807 ff.; Streinz/Leible, 2000,459 (466); Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 807.
EuZW
B. Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten
65
Schutzpflichten sind insofern mit Unsicherheiten für den Bürger verbunden, als die Mitgliedstaaten keinesfalls in jedem Falle der Beeinträchtigung der Grundfreiheiten durch Private zum Einschreiten verpflichtet werden können, wie noch zu zeigen ist 1 8 0 . In der Regel wird es zudem mehrere Möglichkeiten geben, die Schutzpflichten zu erfüllen 181 . Die Entscheidung über die Art und Weise der Durchsetzung der Schutzpflichten bleibt nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich den Mitgliedstaaten vorbehalten, so dass Private in der Regel kein bestimmtes Verhalten von dem zur Gewährung von Schutz verpflichteten Staat verlangen können. Es gibt jedoch auch im Falle der Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung Unwägbarkeiten bei ihrer gerichtlichen Durchsetzung, da die mitgliedstaatlichen Gerichte auch dort die Grundrechte der Störer zu beachten und sie mit den Grundfreiheiten zu einem Ausgleich zu bringen haben. Das Ergebnis der gerichtlichen Abwägung steht nicht fest, und im Falle eines Rechtsstreits vor den Zivilgerichten kann es ebenfalls zu langdauernden Verfahren kommen. Die Annahme von Schutzpflichten kann anders als die unmittelbare Drittwirkung nur teilweise die uneinheitliche Reichweite der Bindung an die Grundfreiheiten in den verschiedenen Mitgliedstaaten kompensieren, die vor allem aufgrund der unterschiedlichen Einordnung der den Binnenmarkt störenden Handlungen in den staatlichen oder privaten Sektor besteht 182 . Schutzpflichten können nicht bei jeder Handelsbehinderung durch Private eine Pflicht zum Einschreiten der Mitgliedstaaten verlangen, während im Einzelnen noch zu klären ist, in welchen Fällen ein Einschreiten notwendig ist. Würden die Mitgliedstaaten eine Pflicht zur Beseitigung aller Diskriminierungen und Beschränkungen der Grundfreiheiten durch Private innehaben, würde dies ihre Pflichtenstellung eindeutig überstrapazieren und würde sie verpflichten, privatautonomes Verhalten im Rahmen des freien Wettbewerbs zu unterbinden 183. Die Uneinheitlichkeit der Bindung an die Grundfreiheiten in den verschiedenen Mitgliedstaaten ist zusätzlich in eng begrenzten Ausnahmefällen auch dadurch zu beseitigen, dass bei den sogenannten intermediären Gewalten ebenfalls eine Bindung an die Grundfreiheiten angenommen wird, während eine Drittwirkung ansonsten nicht besteht 184 . Schutzpflichten sind auf jeden Fall mit den Wertungen des EG-Vertrags besser zu vereinbaren. Die Annahme von Schutzpflichten anstelle einer unmittelbaren Drittwirkung respektiert, dass auf die Privatautonomie gestütztes Verhalten auf dem Binnenmarkt grundsätzlich wünschenswert ist, da ansonsten die Grundfreihei180 Hierzu Fünfter Teil, C. 181 Vgl. EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 82 - Schmidberger/Österreich; EuGH, Slg. 1997, 1-6969, Rn. 33 ff. - Kommission/Frankreich; zum Ermessen der Mitgliedstaaten Sechster Teil, B. Vgl. hierzu auch Jarvis, CMLR 1998, 1371 (1379 f.) sowie Hirsch, ZeUS 1999, 503 (504 f.). 182 Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 103 f. 183 Zum Tatbestand der Schutzpflichten Fünfter Teil, C. 184 Zu der Bindung intermediärer Gewalten an die Grundfreiheiten Dritter Teil, B. m.5. 5 Stachel
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
ten über die Funktion als Abwehrrechte hinaus zu „Grundpflichten" für die Unionsbürger uminterpretiert würden. Die Privatautonomie wird durch die Annahme von Schutzpflichten weitaus mehr geschont. Wenn die Unionsbürger nicht nur Berechtigte, sondern auch Adressaten der Grundfreiheiten wären, würden die aus den Grundfreiheiten folgenden Freiheitsrechte aufgrund ihrer umfassenden Verpflichtungen weitgehend neutralisiert werden und ein freier Wettbewerb wäre nicht mehr möglich. Schutzpflichten messen nicht die Handlungen privater Akteure an den Grundfreiheiten, sondern nehmen allein die Staaten in die Pflicht, in bestimmten Fällen das Verhalten privater Akteure zu regulieren. Damit lassen sie die privatrechtlichen Beziehungen zwischen den Unionsbürgern grundsätzlich unberührt, so dass die aus den Grundfreiheiten folgenden Freiheitsrechte im Sinne der Verwirklichung des Binnenmarktes genutzt werden können 185 . Die Mitgliedstaaten können in hohem Maße selbst entscheiden, wie sie ihren Pflichten nachkommen und ihre Privatrechtssysteme gestalten, so dass ihre Kompetenzen entsprechend dem Subsidiaritätsgrundsatz 186 weitgehend unangetastet bleiben. Die Annahme von Schutzpflichten vermeidet zudem Wertungswidersprüche mit dem Wettbewerbsrecht 187 . Die Annahme staatlicher Schutzpflichten verbessert außerdem die Möglichkeiten der Kommission, gegen die Vertragsverletzung zu klagen. Im Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV können nur Vertragsverletzungen der Staaten, nicht aber der Privatpersonen geltend gemacht werden 188 . Auch Kontrollmöglichkeiten der Kommission, wie sie im Wettbewerbsrecht vorgesehen sind 189 , bestehen hinsichtlich Verstößen Privater gegen die Grundfreiheiten nicht. Ein weiterer Vorteil von Schutzpflichten ist, dass die Staaten ein zuverlässigeres Haftungssubjekt als Privatpersonen sind, so dass die Einforderung von Schadensersatz nicht an mangelnder Liquidität des Verpflichteten scheitert. Im Ergebnis ist die Annahme staatlicher Schutzpflichten anstelle einer unmittelbaren Drittwirkung nicht durchweg mit einer geringeren Durchsetzungskraft des Gemeinschaftsrechts verbunden und entspricht bei weitem mehr den Wertungen des EG-Vertrags.
185
Vgl. zu den deutschen Grundrechten Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 35 f. Zum Subsidiaritätsgrundsatz Lienbacher, in: Schwarze, EGV, Art. 5, Rn. 17 ff. sowie Müller-Graff, ZHR 159 (1995), 34 ff. 187 Zu den WertungsWidersprüchen einer unmittelbaren Drittwirkung mit dem Wettbewerbsrecht Dritter Teil, B. III. 3. b). 188 Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 200; Oliver, Free Movement of Goods, S. 59; zu den Problemen des Vertragsverletzungsverfahrens in diesem Zusammenhang auch König/Sander, EG-Prozeßrecht, Rn. 200 ff. 189 Hierzu Jung, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 85, Rn. 4 ff. 186
C. Abwehrrechtliche Lösung
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C. Abwehrrechtliche Lösung Ein vor allem in Deutschland und Österreich vertretener Ansatz behandelt sämtliche Beeinträchtigungen von Grundrechten durch Private als staatliche Eingriffe und wird als eine weitere Alternative zu staatlichen Schutzpflichten angesehen190. Nach dieser Auffassung werden Schutzpflichten oder eine unmittelbare Drittwirkung von Grundrechten bzw. -freiheiten als weitgehend überflüssig angesehen, da es keine rechtsfreien Räume gebe und jedes Verhalten Privater auf den Staat als Verantwortlichen zurückgeführt werden könne. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die These, dass der Staat in seinem Gemeinwesen alles geregelt habe und ein Regelungsverzicht einer staatlich gewährten Erlaubnis gleichzusetzen sei, weshalb auf die „neuen und ungewissen" Grundrechtsfunktionen wie Schutzpflichten oder Drittwirkung verzichtet werden könne 191 . Wenn ein demgemäß erlaubtes Verhalten Rechte anderer beeinträchtige, sei dieses Verhalten von den Betroffenen zu dulden. Der Staat, der auf diese Weise ein Verhalten seiner Bürger gestatte und alle Dritten zu einer Duldung verpflichte, sei für dieses Verhalten ebenso verantwortlich wie für eigenes die Bürger beeinträchtigendes Verhalten 192 . Im Gemeinschaftsrecht wird diese Ansicht - soweit ersichtlich - nur von wenigen Autoren vertreten oder zumindest als eine mögliche Lösung für das Problem der Binnenmarktstörungen durch Privatpersonen in Betracht gezogen193. Wenn man bedenkt, wie häufig staatliches und privates Verhalten miteinander verflochten sein kann, wie viele verschiedene Formen staatlicher Beteiligung in der Rechtswirklichkeit bestehen und in wievielen Fällen der Staat detaillierte Regelungen aufgestellt hat, um verschiedene private Interessen miteinander in Ausgleich zu bringen, erscheint eine Zurechnung des privaten Verhaltens zum Staat zumindest auf den ersten Blick als naheliegende Möglichkeit. Sie ist eine dogmatisch bestechend einfache und konsequente Lösung für die Probleme der privaten Handelsbeeinträchtigungen. Dieser Ansatz ist aber mit Recht großen Bedenken ausgesetzt. Es fehlt insbesondere an einer tragfähigen Begründung für eine Zurechnung sämtlicher Handlungen der Bürger zum Staat. Der Staat kann zwar in vielfältiger Weise am Verhalten Privater beteiligt sein, sei es durch deren Unterstützung, die Erteilung von Genehmi190 Insbesondere Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213 ff. und Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 63 ff. haben sich mit diesem Ansatz hervorgetan; aufgegriffen wurde er etwa von Holoubek, Gewährleistungspflichten, S. 224 ff.; Davy, Gefahrenabwehr, S. 233 f.; für einen Überblick Jaeckel, Schutzpflichten, S. 122 f. m. w. N. Dieser Ansatz wird auch als „etatistische Konvergenztheorie" bezeichnet, vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdStRV, § 111, Rn. 118. 191
Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213 f., meint, dass es keinen privaten Verletzungsvorgang ohne staatliche Beteiligung gebe. 192 Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 91 ff. 193 Muylle, The Accountability of Private Parties, S. 60 ff.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 1056 ff.; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 48 ff. 5»
68
3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
gungen oder durch bloße Duldung. Der abwehrrechtliche Ansatz spricht der Unterscheidung von staatlicher und privater Sphäre keinerlei rechtserhebliche Bedeutung zu und verkennt den unterschiedlichen Intensitätsgrad der verschiedenen staatlichen Mitwirkungsakte 194 . Die These, dass es keine rechtsfreien Räume gebe, ist angesichts der Vielzahl möglicher Konflikte Privater nicht überzeugend, die aus ihr folgende Pflicht des Staates, alles lückenlos zu regeln, ist unrealistisch und auch nicht erstrebenswert. Das Bild der „totalen" staatlichen Rechtsordnung 195 verwischt die Unterschiede zwischen dem Verantwortungsbereich des Bürgers und dem des Staates. Die daraus resultierende Haftung des Staates wäre zudem ausufernd und unüberschaubar. Die Vervollständigung der nationalen Rechtsordnungen ist zwar grundsätzlich erstrebenswert, aber eher durch eine weitere Rechtsangleichung als durch an die Mitgliedstaaten gerichtete Gebote zur Ausfüllung sämtlicher Lücken in ihren Rechtsordnungen 196. Die Heranziehung eines Abwehrrechts anstelle von Schutzpflichten verkennt außerdem methodisch, dass dieser Ansatz letztlich selbst Schutzpflichten voraussetzt, da der Staat in die Pflicht genommen würde, alle denkbaren Normen zum Ausgleich der Privatrechtssubjekte untereinander zu schaffen. Wenn das bloße Nichtstun des Staates einem Eingriff gleichgestellt würde, würde die von diesem Ansatz bestrittene Pflicht des Staates zu einem Eingreifen zwingend vorausgesetzt werden 1 9 7 . Abwehrrechte und Schutzpflichten haben zwar gemeinsam, dass sie Beeinträchtigungen abwehren wollen, unterscheiden sich aber deutlich dadurch, dass erstere die Pflicht des Staates begründen, Eingriffe zu unterlassen, letztere die Pflicht des Staates begründen, Eingriffe anderer zu verhindern. Dieser Unterschied ist von großer Bedeutung und kann eine Gleichsetzung nicht zulassen198. Schließlich würde der abwehrrechtliche Ansatz keine umfassende Lösung sämtlicher mit Rechtsbeschränkungen durch Private einhergehenden Probleme darstellen, da die bloße Verhinderung der Störung in vielen Fällen ungenügend ist, weil der Staat schützend und lenkend eingreifen muss, um einen effektiven Schutz gegen diese Beeinträchtigungen gewährleisten zu können. Die Erfüllung einer Schutzverpflichtung verlangt dem Staat etwas qualitativ anderes ab als der negatorische Abwehranspruch 199.
194 195
Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 95. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 65.
196
Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 396. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 97; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 417; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 125 f.; Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 38 f. 198 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 415. 197
199 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 96. Zum Inhalt der Schutzpflichten Sechster Teil, B.
D. Das Wettbewerbsrecht als Ausdruck bewussten Regulierungsverzichts
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D. Das Wettbewerbsrecht als Ausdruck eines bewussten Regulierungsverzichts In den zum Teil unmittelbar geltenden wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen der Art. 81 ff. des EG-Vertrags finden sich die einzigen explizit an Private gerichteten Verbote von Verhaltensweisen, die eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes sind. Sie richten sich allein an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen 200. Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen stellt sich die Frage, ob sie mit der Annahme staatlicher Schutzpflichten vereinbar sind oder ob sie eine abschließende Regelung getroffen haben.
I. Vollständige Erfassung von Störungen des Binnenmarktes durch Privatpersonen? Die Art. 81 und 82 EGV bilden den primärrechtlichen Kern des Wettbewerbsrechts und kommen wie die Grundfreiheiten nur zur Anwendung, wenn der zwischenstaatliche Handel betroffen ist 2 0 1 . Als Rechtsfolge eines Wettbewerbsverstoßes werden im Wege einer unmittelbaren Drittwirkung Absprachen zwischen Unternehmen oder die Ausnutzung der Marktmacht eines einzelnen Unternehmens durch die Nichtigkeit ihrer Verträge und durch Maßnahmen der Kommission zur Verhinderung des den Markt schädigenden Verhaltens sanktioniert 202 . Die Wettbewerbsregeln erfassen aber nicht sämtliche unternehmerischen Verhaltensweisen, sondern nur bestimmte als besonders gefährlich anzusehende Handlungen, nämlich im Anwendungsbereich des Art. 81 EGV nur die unternehmerische Kooperation zur Wettbewerbsbeschränkung und im Anwendungsbereich des Art. 82 EGV nur den Missbrauch unternehmerischer Marktmacht 203 . Als zusätzliche ungeschriebene tatbestandliche Voraussetzung müssen diese Handlungen eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung darstellen und darüber hinaus eine spürbare Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels bewirken, wodurch ihr Anwendungsbereich noch einmal erheblich eingeschränkt wird 2 0 4 . Der Schutz des unverfälschten Wettbewerbs ist Voraussetzung für den Freiverkehr im Binnenmarkt und damit für den Bestand der Grundfreiheiten des EG-Ver200 Sowohl Art. 81 als auch Art. 82 EGV besitzen eine unmittelbare Drittwirkung, vgl. Eilmansberger, in: Streinz, EGV, Art. 82, Rn. 80. 201 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 3. 202 Vgl. Eilmansberger, in: Streinz, EGV, Art. 81, Rn. 81 ff. sowie Art. 82, Rn. 80 ff. 203 Für eine extensive Auslegung der Art. 81 ff. EGV auf sämtliche Private mit wirtschaftlicher Macht Donner, SEW 1983, 362 (373). Dieser Ansatz ist aufgrund des eindeutigen Wortlautes des Wettbewerbsrechts und seines ohnehin schon weiten Unternehmensbegriffes abzulehnen. 204 Vgl. Weiß, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 81, Rn. 90 sowie Art. 82, Rn. 71 m. w. N.; Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Bd. 1, E 3., Rn. 20.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
trags, da nur bei austariertem und funktionierendem Wettbewerb ein freiwilliger Waren- und Leistungsaustausch über die Grenzen hinaus stattfindet. Das Wettbewerbsrecht wird in den Bereichen benötigt, in denen die Selbstregulierung des Binnenmarktes nicht funktioniert. Es setzt Grenzen fest, bei deren Überschreitung die Selbststeuerung des Marktes durch ein zu großes Ungleichgewicht zwischen den Marktteilnehmern ausgehebelt wird 2 0 5 . Die Wettbewerbsvorschriften haben mit den Grundfreiheiten das Ziel gemein, den Binnenmarkt zu errichten und weiterzuentwickeln und schützen auch und gerade den von den Grundfreiheiten geschützten Handel mit Waren, Dienstleistungen und Kapital vor Beeinträchtigungen. Die Zielsetzung der Wettbewerbsregeln schließt damit insoweit diejenige der Grundfreiheiten ein, als sie die nationalen Märkte für den Zutritt ausländischer Produkte öffnen und offen halten w i l l 2 0 6 . Da das Wettbewerbsrecht Regelungen für Binnenmarktstörungen durch Private trifft, stellt sich die Frage, ob es sämtliche mit ihnen im Zusammenhang stehenden Probleme zu lösen beansprucht und alle nicht von ihm erfassten Binnenmarktstörungen durch Private der Selbstregulierung des Binnenmarktes überlassen will. Im Schrifttum werden die Wettbewerbsvorschriften teilweise als abschließende Regelungen für alle denkbaren Störungen des Binnenmarktes durch private Akteure angesehen. Die Restriktionen der Wettbewerbsregeln seien Ausdruck eines bewussten Regulierungsverzichts, der nicht durch die Anwendung der Grundfreiheiten unterlaufen werden dürfe 207 . Wäre dies tatsächlich der Fall, würden auch die an den Staat adressierten Schutzpflichten die Wertungen des Wettbewerbsrechts unterlaufen, da es sich auch bei ihnen um eine staatliche Regulierung des Verhaltens Privater handelt. Gegen eine über die Wettbewerbsvorschriften hinausgehende Regulierung des Verhaltens privater Marktteilnehmer spricht, dass der Binnenmarkt von offener Marktwirtschaft und freiem Wettbewerb geprägt ist, dem staatliche Interventionen grundsätzlich widersprechen 208. Außerhalb des Wettbewerbsrechts besitzen die einzelnen Marktteilnehmer in der Regel nicht so viel Macht, dass die Mechanismen des Marktes außer Kraft gesetzt werden können. Außerdem sind die sachlichen Anwendungsbereiche von Wettbewerbsrecht und Grundfreiheiten in ihrer 205 Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, EGV, Vorbem. zu Art. 81 bis 89 ff., Rn. 13. 206 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 44; zum Funktionszusammenhang der verschiedenen Elemente des Binnenmarktes Mestmäcker, FS Börner, S. 345 (365 ff.). 207 So z. B. Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 143 ff., der die Auffassung vertritt, dass Wettbewerbsverfälschungen, die nicht von Unternehmen ausgehen, die Vertragsziele erst gar nicht gefährden könnten; vgl. auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 759 m. w. N. Diese Einschätzung wurde allerdings bisher allein im Zusammenhang mit der Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung der Normen des EG-Vertrags geäußert, ohne dass die staatlichen Schutzpflichten als relativ junge Funktion der Grundfreiheiten berücksichtigt wurden. 208 Zur Wirtschaftsordnung des Binnenmarktes Dritter Teil, A. I.
D. Das Wettbewerbsrecht als Ausdruck bewussten Regulierungsverzichts
71
Funktion als Schutzpflichten im Grundsatz relativ ähnlich, da sie abgesehen von der notwendigen Unternehmereigenschaft der Störer des Binnenmarktes im Wettbewerbsrecht sehr ähnliche Sachverhalte erfassen. Die Eignung einer Maßnahme zur Wettbewerbsverfälschung berührt nämlich regelmäßig den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten, da der grenzüberschreitende Bezug bei den Wettbewerbsregeln sehr ähnlich gehandhabt wird wie bei den Grundfreiheiten und Wettbewerbsbeschränkungen nahezu immer mit Beschränkungen der Grundfreiheiten einhergehen 209. Es ist dennoch keineswegs zwingend, aus der Existenz des Wettbewerbsrechtes auf eine insgesamt abschließende Regelung für sämtliche Beeinträchtigungen des Binnenmarktes durch Private zu schließen, da das Wettbewerbsrecht nur einen Ausschnitt der Problematik der Binnenmarktstörungen durch Private zu lösen vermag und nicht für sich in Anspruch nehmen kann, alle Probleme im Zusammenhang mit Binnenmarktstörungen durch Private für alle Zeiten abschließend berücksichtigt zu haben. Zum Zeitpunkt der Aufnahme der Wettbewerbsregeln in den Vertrag von Rom bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957 wurde der spezielle und von vorneherein begrenzte Bereich geregelt, der von der unverhältnismäßig großen Macht einzelner Unternehmen geprägt ist, die zu Lasten der wirtschaftlichen Freiheit der anderen Wirtschaftsteilnehmer ausgenutzt werden kann, ohne dass der Markt selbst Mechanismen zur Regulierung dieser Ungleichgewichte zur Verfügung stellen würde 210 . Dieser Bereich wurde von den Gründungsstaaten als besonders wichtig angesehen, da er schon früh Anlass zu besonderen Befürchtungen hinsichtlich Funktionsstörungen des Binnenmarktes gab, die von vorneherein nicht hingenommen werden sollten. Er ist relativ überschaubar und betrifft eine Materie, für die es in den meisten Mitgliedstaaten schon vorher entsprechende innerstaatliche Regeln gab. Zu diesem Zeitpunkt war aufgrund der dynamischen Entwicklung des Gemeinschaftsrechts noch nicht abzusehen, welche weiteren Hindernisse für den Binnenmarkt in der Zukunft zu erwarten waren. Erst ganz allmählich wurde deutlich, dass nicht-staatliche Akteure in zahlreichen Fällen durchaus in der Lage sind, bedeutsame Hindernisse für den Binnenmarkt zu errichten und dabei das Gleichgewicht des Binnenmarktes zu stören 211 . Sähe man das Wettbewerbsrecht als abschließend an, müsste man sowohl von Unternehmen als auch von anderen Marktteilnehmern zahllose im Einzelnen noch nicht absehbare Hindernisse für den Binnenmarkt hinnehmen, für die insoweit eine Regelungslücke bestehen würde. Es wäre kaum zu begründen, warum unternehmerische Preisabsprachen, die ein Hemmnis für den freien Wettbewerb darstellen, ihn aber nicht gänzlich unmöglich machen, durch das Gemeinschafts209 Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 144; zu der Frage der Zielsetzung des Wettbewerbsrechts im Verhältnis zu den Grundfreiheiten Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 751; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 61; vgl. auch EuGH, Slg. 1991, 1979, Rn. 32 - Höfner und Elser/Macroton GmbH 2,0 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 1 f. 211 Hierzu ausführlich Vierter Teil, D. I.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
recht verboten werden, nicht aber die Plünderung und Vernichtung von Waren durch Privatpersonen, die einen Wettbewerb gänzlich verhindern können 212 . Das Regelungssystem des Wettbewerbsrechts lässt sich allerdings, wie oben festgestellt wurde 213 , schwer mit der Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten vereinbaren. Wenn man sich das den Wettbewerbsvorschriften zugrunde liegende System vor Augen führt, das nur besonders gefährliche Handlungen privater Wirtschaftsteilnehmer erfasst, und dies auch nur im Falle ihrer Spürbarkeit auf den innergemeinschaftlichen Handel, würde eine zusätzliche Drittwirkung Wertungswidersprüche hervorrufen. Schutzpflichten der Mitgliedstaaten unterscheiden sich jedoch schon hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen deutlich vom Wettbewerbsrecht. Sie bieten den Privatpersonen gerade nicht die Möglichkeit, sich untereinander auf Verstöße gegen den EG-Vertrag zu berufen. Stattdessen sind weiterhin allein die Mitgliedstaaten den Grundfreiheiten verpflichtet, was sich zwar zwangsläufig auf Privatrechtsverhältnisse auswirkt, aber nur mittelbar und häufig weniger einschneidend als eine unmittelbare Drittwirkung. Besteht eine Schutzpflicht, kann der verpflichtete Mitgliedstaat mangels detaillierter rechtlicher Anforderungen flexibel auf die Störungen durch die Privaten reagieren, ohne dass er zwangsläufig ein Verbotsgesetz erlassen muss. Als mildere Mittel bieten sich zahlreiche Maßnahmen an, die dem privaten Störer Einhalt gebieten können, da private Marktteilnehmer häufig gerne bereit sind, auf die positiven Wirkungen der Öffnung der Märkte zu reagieren, wenn sie dazu befähigt werden. Im Ergebnis sind daher die Wettbewerbsregeln als Lösung für sämtliche Störungen des Binnenmarktes durch Private nicht abschließend. Die bestehenden Regelungen sind keine generelle Absage an andere, sich in das System des EG-Vertrags einfügende, rechtliche Instrumente bei nicht vom Wettbewerbsrecht erfassten Binnenmarktbeeinträchtigungen durch Privatpersonen.
II. Verhältnis zwischen Schutzpflichten und Wettbewerbsrecht Zu klären bleibt die Frage, in welchem Verhältnis staatliche Schutzpflichten zum Wettbewerbsrecht stehen. Sie können dann in Konkurrenz zueinander geraten, wenn ein Sachverhalt vom Wettbewerbsrecht erfasst wird, der grundsätzlich auch staatliche Schutzpflichten auslösen könnte. In zahlreichen denkbaren Fällen sind nämlich das Wettbewerbsrecht und die Schutzpflichten gleichzeitig anwendbar, da beide Mechanismen zur Erfassung von Störungen des Binnenmarktes durch Private darstellen. Auch ist fraglich, ob die Schutzpflichten noch einen Anwendungsbereich besitzen, wenn ein Unternehmen sich zwar tatbestandlich wettbewerbswid212
Vgl. Jaeckel, Schutzpflichten, S. 240, die Schutzpflichten und Wettbewerbsregeln nebeneinander anwenden will. ™ Dritter Teil, B. in. 3. b).
D. Das Wettbewerbsrecht als Ausdruck bewussten Regulierungsverzichts
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rig verhält, sich jedoch erfolgreich auf die im Wettbewerbsrecht vorgesehenen Ausnahmetatbestände berufen kann oder dessen Wettbewerbsbeeinträchtigung auf dem Binnenmarkt nicht spürbar ist 2 1 4 . Diese Fragen können eine Vielzahl von Fällen betreffen, da sehr viele nicht-staatliche Akteure Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts sind, jedoch mangels Spürbarkeit oder aufgrund einer Freistellung vom Wettbewerbsrecht nicht von dessen Verboten erfasst werden 215 . Überschneidungen der Grundfreiheiten mit dem Wettbewerbsrecht sind insbesondere denkbar bei der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit: Exklusivvertriebsabreden oder vertragliche Exportverbotsklauseln können spürbare oder nicht spürbare Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne der Art. 81 ff. darstellen und gleichzeitig die Warenverkehrsfreiheit beschränken; Alleinvertretungsabreden zwischen Dienstleistungsunternehmen können ebenfalls wettbewerbsrechtlich relevant werden und dabei zusätzlich den freien Dienstleistungsverkehr behindern 216 . Wird ein Unternehmen von der wettbewerbsrechtlichen Verbotswirkung erfasst, kommen neben den Vorschriften des Wettbewerbsrechts jedenfalls keine staatlichen Schutzpflichten mehr in Betracht, da für diese grundsätzlich kein Bedürfnis mehr besteht 217 . Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Art. 81 und 82 EGV ist die zivilrechtliche Unwirksamkeit, die Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche nach sich ziehen kann 218 . Der EG-Vertrag hat in diesem Fall ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt, das die unerwünschten Handlungen Privater auf dem Binnenmarkt vollständig erfasst und einer besonderen Regelung zuführt, so dass es eines Rückgriffs auf die neue und ungeschriebene Funktion der Schutzpflicht nicht bedarf. Insoweit ist das Wettbewerbsrecht gegenüber den Grundfreiheiten speziell 219 . Die Ermöglichung der effektiven Rechtsdurchsetzung 214 Die Ausnahmevorschriften bestehen aus dem Grunde, dass der Wettbewerb nicht immer in der Lage ist, unternehmerische Leistungen zu steigern und die bestmögliche Sicherstellung des Einsatzes knapper Ressourcen zu ermöglichen, vgl. Eilmansberger in: Streinz, EGV, Art. 81, Rn. 121; zu den zentralen Gruppenfreistellungsverordnungen Haager, DStR 2000, 387 ff.; zu den zahlreichen Mitteilungen der Kommission zu den wettbewerbsrechtlichen Ausnahmen Pampel, EuZW 2005, S. 11 ff. 215 Der EuGH wendet bei der Frage der Unternehmenseigenschaft den „funktionalen Unternehmensbegriff 4 an, nach dem jeder Unternehmer i. S. d. Wettbewerbsrechts ist, der eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit darstellt, vgl. EuGH, Slg. 1991,1-1979, Rn. 21 Höfner und Eisner; EuGH, Slg. 1993,1-637, Rn. 17 - Poucet et Pistre; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 223; ausführlich zum kartellrechtlichen Unternehmensbegriff Lange, WuW 2002,953 ff. 216 Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 172; zur Wettbewerbsverfälschung dieser Klauseln EuG, Slg. 1994,11-531, Rn. 22 - Herlitz/Kommission; Slg. 1994,11-549, Rn. 24 Parker Pen/Kommission. 217 Vgl. Müller-Graff, EuR 2002, Beiheft 1, S. 7 (43). Bei Art. 82 EGV bestimmen sich die Zivilrechtsfolgen mangels einer ausdrücklichen Regelung nach nationalem Recht und führen dadurch z. B. im deutschen Recht häufig, aber nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit von Verträgen, vgl. Eilmansberger, in: Streinz, EGV, Art. 82, Rn. 80. 218 Brinker, in: Schwarze, EGV, Art. 81, Rn. 62 ff., Art. 82, Rn. 2. 219 Vgl. Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, S. 202 f.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
des Wettbewerbsrechts durch die Mitgliedstaaten stellt keine gegenüber den Wettbewerbsvorschriften selbständige Verpflichtung dar 2 2 0 . Eine zusätzliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Einschreiten gegen die durch das Wettbewerbsrecht schon vollständig erfassten Handlungen nicht-staatlicher Akteure ist daher abzulehnen. Schwieriger ist die Frage der Anwendbarkeit der Grundfreiheiten in ihrer Funktion als staatliche Schutzpflichten zu beurteilen, wenn das Wettbewerbsrecht aufgrund der Unternehmenseigenschaft des Marktteilnehmers und seiner wettbewerbsschädigenden Handlungen zwar grundsätzlich anwendbar ist, dessen Verhalten aufgrund der Ausnahmevorschriften des Wettbewerbsrechts oder mangels Spürbarkeit jedoch erlaubt ist. Wenn nämlich die Verbote der Wettbewerbsvorschriften mangels Spürbarkeit oder aufgrund von einer nach Art. 81 Abs. 3 EGV erlassenen Einzelfreistellung oder Gruppenfreistellungsverordnung nicht durchgreifen, könnte dieses Ergebnis durch die Anwendung der staatlichen Schutzpflichten unterlaufen werden, da sie die genannten Einschränkungen des Wettbewerbsrechts nicht berücksichtigen. Die Grundfreiheiten enthalten anders als das Wettbewerbsrecht kein Spürbarkeitserfordernis und lassen keine Freistellungen von ihren Regelungen aufgrund zu erwartender langfristiger Verbesserungen der Warenerzeugung oder -Verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts zu 2 2 1 . Die Frage der Berücksichtigung der wettbewerbsrechtlichen Ausnahmevorschriften auch im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten hat schon häufig Diskussionen im Zusammenhang mit einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten ausgelöst222. Unter den Vertretern einer parallelen Anwendung der Vorschriften wird diskutiert, ob im Verhältnis des Wettbewerbsrechts zu einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten die Wertungen der Wettbewerbsvorschriften zur Erhaltung der Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung auch bei den Grundfreiheiten angewendet werden müssen, da sonst ein Wertungswiderspruch gegeben wäre 223 . Im Falle der Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten würde es auch tatsächlich zu einem Wertungswiderspruch kommen, da die Restriktionen des Wettbewerbsrechts wirkungslos wären, wenn sämtliche Unternehmen ohnehin an die Grundfreiheiten gebunden wären. 220 Vgl. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 151; Everling, DVB1. 1983, 649 (653). 221 Zu den einzelnen Voraussetzungen der Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 Weiß, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 81, Rn. 153 ff. 222 im Schrifttum wird oftmals eine Spezialität der Wettbewerbsregeln gegenüber den Grundfreiheiten angenommen, vgl. Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, S. 201 f. m. w. N.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 759 ff.; Kluth, AöR 122 (1997), 557 (577 f.). Die Gegenauffassung geht von einer grundsätzlichen Gleichrangigkeit beider Normgruppen aus, vgl. Steindorff, FS Lerche, S. 575 (586 ff.); Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 147 ff.; Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 175. 223 Schödermeier, GRURint 1987, 85 (89) m. w. N.; Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 201; Wernicke, Die Privatwirkung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 221.
D. Das Wettbewerbsrecht als Ausdruck bewussten Regulierungsverzichts
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Diese Erwägungen kann man jedoch nicht ohne weiteres auf die Frage des Konkurrenzverhältnisses zwischen Wettbewerbsrecht und den Schutzpflichten übertragen, da diese allein an die Mitgliedstaaten adressiert sind und nur mittelbar zu einer Regulierung des Verhaltens privater Marktteilnehmer führen. Würde man in diesen Fällen Schutzpflichten kategorisch ausschließen, würden zahlreiche Verhaltensweisen nicht-staatlicher Akteure nur deshalb keine staatliche Schutzpflicht auslösen, weil sie wegen des weiten Unternehmensbegriffes und der zahlreichen verbotenen Handlungen224 unter das Wettbewerbsrecht fallen, obwohl sie regelmäßig nicht in der Lage wären, spürbare Beeinträchtigungen im Sinne des Wettbewerbsrechtes hervorzurufen. Das Kriterium der Spürbarkeit wird außerdem von der Kommission recht großzügig gehandhabt, da sie diese erst bei relativ großen Marktanteilen der Unternehmen annimmt 225 . Schutzpflichten wären in der Folge nie anwendbar, sobald ein Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts mit einem anderen Unternehmen Vereinbarungen trifft oder sich auf andere Weise abstimmt. Aus diesem Grunde müssen Schutzpflichten noch grundsätzlich einen Anwendungsbereich besitzen, wenn ein Unternehmen bloß deshalb nicht von den wettbewerbsrechtlichen Verboten erfasst wird, weil sein Verhalten auf dem Markt nicht spürbar ist 2 2 6 . Etwas anderes muss dann gelten, wenn ein Unternehmen den Tatbestand des Art. 81 EGV vollständig erfüllt, also eine durch diesen Artikel verbotene Wettbewerbsbeschränkung verursacht, die spürbar den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigt, aber aufgrund der wettbewerbsrechtlichen Ausnahmevorschriften freigestellt wird (Art. 81 Abs. 3 EGV). Die Ausnahmetatbestände des Art. 81 Abs. 3 EGV sind von ihrer Struktur her von den Rechtfertigungsnormen der Grundfreiheiten grundverschieden, da im Wettbewerbsrecht durch die Möglichkeit der Freistellung gesamtwirtschaftlich fördernde unternehmerische Eingriffe in den Wettbewerb nach Abwägung der Vor- und Nachteile hingenommen werden können und nicht wie die Ausnahmetatbestände der Grundfreiheiten Ausdruck der Anerkennung einer dem Gemeinschaftsrecht gegenüber bestehenden Souveränität der Mitgliedstaaten sind. Den Grundfreiheiten ist eine solche Vereinbarkeitsprüfung aus der Bilanzierung der Auswirkungen auf den Wettbewerb fremd, und sie lassen Beschränkungen ohnehin nur insoweit zu, als sie zwingende Allgemeininteressen nicht-wirtschaftlicher Art verlangen 227 . Bejaht man staatliche Schutzpflichten in den Fällen, in denen ein Unternehmen durch die Ausnahmevorschriften der kartellrechtlichen Verbotswirkung entgehen kann, könnte die vertragliche Wertung unterlaufen werden, dass das betreffende Verhalten aufgrund seiner Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts den Gemeinschaftszielen dienlich ist. 224
Die in Art. 81 EGV aufgezählten verbotenen Handlungen sind nicht abschließend, da sie beispielhaft („insbesondere") aufgezählt werden. 225 Näher zu den Schwellenwerten Eilmansberger, in: Streinz, EGV, Art. 81, Rn. 78. 226 Im Schrifttum wird indes für die Schutzpflichten ein Spürbarkeitskriterium gefordert, hierzu Fünfter Teil, C. m . 2. f). 227 Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 127 ff. m. w. N., 163.
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3. Teil: Bedürfnis für die Herleitung von Schutzpflichten
Die Wettbewerbsregeln sind ein in sich geschlossenes System, das anders als die Grundfreiheiten auf wettbewerbsrechtliche Tatbestände speziell zugeschnitten ist, wohingegen die Grundfreiheiten nicht geeignet sind, die Eigenheiten des Wettbewerbsrechts zu berücksichtigen. Das aufgrund einer Freistellung erlaubte Verhalten eines Unternehmens reißt aus der Perspektive des Binnenmarktes keine Schutzlücke auf 2 2 8 . Fehlt es bei einem wettbewerbsbeschränkenden Verhalten allerdings schon an der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung, ist der Tatbestand des Art. 81 EGV schon gar nicht erfüllt, während im Falle der Anwendung der Ausnahmevorschriften des Wettbewerbsrechts auf ein Unternehmen dessen Verhalten tatbestandlich in das Wettbewerbsrecht fällt. Im Ergebnis ist das Bestehen staatlicher Schutzpflichten nicht ausgeschlossen, wenn ein Unternehmen wettbewerbsrechtlich relevante Handlungen vornimmt, aber mangels Spürbarkeit nicht von der Verbotswirkung des Wettbewerbsrechtes erfasst wird. Das betreffende Verhalten ist dann zwar wettbewerbsrechtlich irrelevant, während aber noch Raum für eine staatliche Schutzpflicht bleiben kann. Anders stellt sich der Fall dar, wenn das betreffende Verhalten vom Tatbestand der Wettbewerbsvorschriften erfasst wird, unabhängig davon, ob eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EGV vorliegt. In diesem Fall kommt eine Schutzpflicht nicht mehr in Betracht, da das in Frage stehende Verhalten vom Wettbewerbsrecht vollkommen erfasst wird und von seinem speziellen Regelungssystem einer eigenen Lösung zugeführt wird. Bevor im Falle privater Handelsbeeinträchtigungen eine mitgliedstaatliche Schutzpflicht angenommen wird, ist daher zu untersuchen, ob es einschlägige wettbewerbsrechtliche Vorschriften gibt, deren Tatbestand erfüllt ist.
228 Vgl. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 761 ff., der allerdings meint, auch im Falle mangelnder Spürbarkeit seien Unternehmen nicht zusätzlich an die Grundfreiheiten gebunden, vorausgesetzt, diese entfalteten eine unmittelbare Drittwirkung.
Vierter Teil
Dogmatische Herleitung der Schutzpflichten Die Normen des EG-Vertrags äußern sich nicht explizit zu einer möglichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, im Falle von Beeinträchtigungen des Binnenmarktes durch nicht-staatliche Akteure einzuschreiten, um die Binnenmarktstörungen zu verhindern oder zu ahnden. Es ist durch eine Auslegung des EG-Vertrags zu ermitteln, ob den Grundfreiheiten oder den anderen Normen des Vertrags Schutzpflichten der Mitgliedstaaten für die Grundfreiheiten zu entnehmen sind. Der EuGH hat durch zwei Urteile zu den Schutzpflichten einen ersten Beitrag zu einer Auslegung des Vertrags im Hinblick auf das Bestehen von Schutzpflichten geleistet.
A. Die Rechtsprechung des EuGH zu den Schutzpflichten Der EuGH hat das erste Mal im Jahre 1997 in einem Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Frankreich ausdrücklich Schutzpflichten der Mitgliedstaaten zur Durchsetzung der Grundfreiheiten angenommen1. In dieser Rechtssache ging es um die Verantwortlichkeit Frankreichs für Blockaden und Gewaltaktionen französischer Landwirte, die durch Plünderungen von Warentransporten und tätliche Angriffe gegenüber Spediteuren aus anderen Mitgliedstaaten den französischen Markt vor Konkurrenzprodukten schützen wollten. Über mehrere Jahre wurden vor allem Produkte aus Spanien und Belgien Opfer dieser Angriffe. Die französischen Behörden griffen in den wenigsten Fällen ein, obwohl sie von den Vorkommnissen meistens Kenntnis hatten. Der Gerichtshof stellte eine Verletzung der Warenverkehrsfreiheit durch Frankreich fest, da Frankreich seiner Ansicht nach nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen habe, um den freien Warenverkehr gegen von Privatpersonen verursachte Beeinträchtigungen zu schützen. Er begründete die Pflicht der Mitgliedstaaten zum Eingreifen damit, dass die Warenverkehrsfreiheit einen der tragenden Grundsätze des Gemeinschaftsrechts darstelle, der nicht nur Anwendung auf Maßnahmen finde, die auf den Staat zurückzuführen seien, sondern auch dann, wenn ein Mitgliedstaat keine Maßnahmen ergriffen habe, um gegen nicht-staatliche Beeinträchtigungen i EuGH, Slg. 1997,1-6959 - Kommission/Frankreich.
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. Teil:
i s e Herleitung
Schutzpflichten
des Warenverkehrs einzuschreiten. Die Pflicht zum Einschreiten ergebe sich aus Art. 28 und aus Art. 10 EGV 2 . Der Binnenmarkt könne ebenso wie durch eine Handlung durch eine Unterlassung der Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden, insbesondere wenn die Störungen durch Privatpersonen verursacht würden. Dabei solle es jedoch im Ermessen der Mitgliedstaaten stehen, welche Maßnahmen sich am besten eignen, um diese Beeinträchtigungen zu verhindern 3. Das zweite und bisher letzte Urteil des EuGH zu den Schutzpflichten in der Rechtssache Schmidberger/Österreich erging im Jahre 2003 in einem Vorabentscheidungsverfahren, in dem es um die Haftung Österreichs für die Schäden eines in Deutschland ansässigen internationalen Transportunternehmers ging, der durch eine nahezu 30-stündige Verkehrsblockade auf der für den Überland-Handelsverkehr zwischen Nordeuropa und Italien unverzichtbaren Brenner-Autobahn daran gehindert wurde, seine Waren nach Italien zu liefern. Die Blockade wurde durch eine Demonstration verursacht, die auf die Gefährdung von Umwelt und Gesundheit durch den Schwerlastverkehr auf der Autobahn aufmerksam machen wollte. Die österreichischen Behörden griffen gegen die angemeldete Demonstration mit der Begründung nicht ein, die Teilnehmer könnten sich auf die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit stützen4. Der EuGH bejahte die grundsätzliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten, gegen nicht-staatliche Handelsbeeinträchtigungen vorzugehen, und bezog sich zur Begründung auf das Urteil Kommission/ Frankreich. Die Warenverkehrsfreiheit verbiete den Mitgliedstaaten nicht nur eigene Handlungen, die zu einem Handelshemmnis führen könnten, sondern verpflichte sie in Verbindung mit Art. 10 EGV dazu, alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung dieser Grundfreiheit sicherzustellen. Dies gelte auch dann, wenn die Beeinträchtigungen weder die Ein- noch Ausfuhr, sondern die Durchfuhr von Waren betreffen würden 5. Allerdings bejahte der EuGH prinzipiell die Möglichkeit einer Rechtfertigung für ein fehlendes Einschreiten der Mitgliedstaaten und nahm eine solche in dem konkreten Fall auch an, da die Mitgliedstaaten seiner Ansicht nach zu Recht davon ausgehen durften, dass sie zur Wahrung ihrer Grundrechte, die auch in der Gemeinschaft geschützt seien, einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit hinnehmen durften. Die Mitgliedstaaten hätten hierbei einen weiten Beurteilungsspielraum, dessen Grenzen in diesem Fall gewahrt worden seien6. Diese beiden Urteile des EuGH machen deutlich, dass der Gerichtshof unter noch nicht näher bestimmten Voraussetzungen von einer Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für das die Grundfreiheiten beeinträchtigende Verhalten ihrer 2 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 30 ff. - Kommission/Frankreich; dung EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 59 - Schmidberger/Österreich. 3 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 24 ff. - Kommission/Frankreich. 4 EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 59 - Schmidberger/Österreich. 5 EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 59 - Schmidberger/Österreich. 6 EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 89 - Schmidberger/Österreich.
ebenso in der Entschei-
B. Wortlautinterpretation
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Staatsbürger ausgeht und sie verpflichtet, gegen diese Hemmnisse für den Binnenmarkt aktiv Maßnahmen zu ergreifen. Das erste Urteil in der Rechtssache Kommission/Frankreich betraf zahlreiche sehr gravierende und sich über Jahre hinziehende Störungen des Binnenmarktes durch Privatpersonen, während es in der Rechtssache Schmidberger/Österreich lediglich um eine relativ kurze Zeitspanne einer Autobahnblockade ging, die sich nicht gegen Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten richtete. Tragendes Argument für die Annahme staatlicher Schutzpflichten in diesen Fällen ist die Bedeutung der Warenverkehrsfreiheit für die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes. Ob dieser Begründungsansatz für die Annahme einer Schutzpflichtdimension tragfähig ist, ist fraglich und wird im Folgenden zu klären sein.
B. Wortlautinterpretation Der EG-Vertrag enthält zahlreiche Normen, die Anhaltspunkte im Hinblick auf das Bestehen staatlicher Schutzpflichten geben können. Die Auslegung des EGVertrags hat ihren Ausgangspunkt in der Wortlautinterpretation der einzelnen Bestimmungen über die Grundfreiheiten und die Vertragsziele der Gemeinschaft.
I. Der Wortlaut der Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags stellen ausdrücklich das Verbot auf, die jeweils gewährleistete Marktfreiheit zu beschränken, ohne eine Aussage darüber zu treffen, ob sie lediglich von den Mitgliedstaaten verursachte Störungen des Binnenmarktes untersagen wollen oder ob sie darüber hinaus den Mitgliedstaaten abverlangen, die Beachtung der Grundfreiheiten unabhängig von der Herkunft der Störung auf ihrem Staatsgebiet generell sicherzustellen. In Art. 28 EGV (Warenverkehrsfreiheit), dem fast alle anderen Vorschriften zu den Grundfreiheiten nachgebildet sind, heißt es: „Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten."
Auf den ersten Blick scheinen die von Art. 28 EGV verbotenen Handlungen nur ein positives Tun der Mitgliedstaaten zu erfassen. Unter den Begriffen der Einfuhrbeschränkung und der Maßnahme stellt man sich nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch Handlungen vor, da sie auf Aktivitäten im Sinne eines planvollen Vorgehens hindeuten, während ein bloßes Nichtstun nicht unbedingt mit der Schaffung von Einfuhrbeschränkungen oder dem Erlass von Maßnahmen in einem Zusammenhang steht und auch nicht auf den ersten Blick als geeignet erscheint, Einfuhrbeschränkungen zu verursachen. Andererseits ist der Wortlaut dieses Artikels so offen, dass grundsätzlich nicht auszuschließen ist, dass auch ein staatliches Unter-
80
. Teil:
i s e Herleitung
Schutzpflichten
lassen und damit eine Pflicht, Handelsbeeinträchtigungen durch nicht-staatliche Akteure entgegenzuwirken, von der Norm erfasst sein kann7. Geht man mit der hier vertretenen Ansicht davon aus8, dass allein der Staat Adressat der Grundfreiheiten ist, ist es nicht fern liegend, ihm unter bestimmten Voraussetzungen eine Verantwortung für Beeinträchtigungen des Binnenmarktes aufzuerlegen, unabhängig davon, ob sie von ihm oder von anderen Störern ausgehen. Ein Unterlassen des Staates könnte demgemäß Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung hervorrufen und dem Staat ebenso wie ein positives Tun vorwerfbar sein. Eine solche Auslegung ist jedoch keineswegs zwingend, da der Wortlaut der Norm sich ebenso gut alleine auf Handlungen der Mitgliedstaaten beziehen kann. Die Vorschrift des Art. 39 Abs. 1 EGV (Arbeitnehmerfreizügigkeit) bestimmt, dass sie „innerhalb der Gemeinschaft gewährleistet" ist und unterscheidet sich damit in ihrer Formulierung von den anderen Grundfreiheiten. Ihr Wortlaut könnte darauf hindeuten, dass die Mitgliedstaaten in vollem Umfang die Verantwortung für jede Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit tragen und jegliche Beschränkung, egal welchen Ursprungs, unterbinden müssen9. Der Begriff der Gewährleistung bedeutet nach dem heutigen Sprachgebrauch, etwas sicherzustellen bzw. Sorge dafür zu tragen, dass etwas nicht gefährdet wird 1 0 . Geht man indes mit der überwiegenden Ansicht im Schrifttum davon aus, dass allein hoheitliche Maßnahmen Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten darstellen können 11 , wäre eine restriktive Auslegung dieser Norm ebenso möglich, da sie sich zum Ursprung der Beschränkungen überhaupt nicht äußert. Auch angesichts einer sich stetig herausbildenden Konvergenz der Grundfreiheiten 12 lässt sich ein Sonderweg nur einer der Grundfreiheiten in einem so grundlegenden Bereich nur schwer begründen 13. Die Wortwahl der Bestimmungen über die Grundfreiheiten spricht sich damit im Ergebnis weder eindeutig für noch gegen eine staatliche Schutzpflicht aus.
7 Vgl. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 116 sowie Jaeckel, Schutzpflichten, S. 223 f. 8 Zur Drittwirkung der Grundfreiheiten Dritter Teil, B. So auch Jaeckel, Schutzpflichten, S. 224; Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 116 ff. 10 Vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Stichwort „gewährleisten". Die anderen Sprachfassungen verwenden entsprechende Formulierungen, wie etwa im englischen „is ensured", im französischen " est assurée", im spanischen „estará garantizada". n Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 83; Lux, in: Lenz, EGV, Art. 28 Rn. 19, 21; Streinz, Europarecht, Rn. 706. 12 Zur Konvergenz der Grundfreiheiten Vierter Teil, E. 13 Vgl. etwa Eberhartinger, EWS 1997, 43 ff.; a.A. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 125 ff., der nur der Arbeitnehmerfreizügigkeit einen Schutzpflichtengehalt entnehmen will. 9
B. Wortlautinterpretation
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II. Der Wortlaut der Bestimmungen über die Vertragsziele der Gemeinschaft In den Eingangsbestimmungen des EG-Vertrags ist in Art. 3 Abs. 1 lit. c EGV als Vertragsziel der Gemeinschaft niedergelegt, einen Binnenmarkt herzustellen, „der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gewährleistet ist". Der Binnenmarkt ist nach Art. 14 Absatz 2 EGV „ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital ( . . . ) gewährleistet ist". Der Wortlaut dieser Bestimmungen nimmt keinerlei Einschränkung im Hinblick auf die möglichen Akteure auf dem Binnenmarkt vor, sondern erfasst alle denkbaren Hindernisse für die Grundfreiheiten und kann aufgrund seiner Vagheit grundsätzlich auch ein Unterlassen der Mitgliedstaaten beinhalten. Der Begriff „gewährleisten", der, wie oben dargelegt, als Sorge dafür, dass etwas nicht gefährdet wird, umschrieben werden kann 14 , legt die Interpretation nahe, dass die Grundfreiheiten unabhängig von der drohenden Gefahrenquelle umfassend geschützt werden sollen. Die Präambeln des EG- und EU-Vertrags, die das Ziel hervorheben, die „Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern" 15 und die Bedeutung des Binnenmarktes für die europäische Integration betonen16, stützen eine solche Interpretation, da sie verdeutlichen, dass der Binnenmarkt ein Kernanliegen der Gemeinschaft ist, dem zudem eine friedenswahrende Funktion zugeschrieben wird 1 7 . In der Literatur wird demgegenüber vertreten, man könne den Bestimmungen über den Binnenmarkt zumindest gegenwärtig keinen Gewährleistungsgehalt entnehmen, da der Binnenmarkt als noch nicht existierende Institution kein Objekt einer Gewährleistungsverpflichtung sein könne 18 . Dieser Einschätzung ist aber entgegenzuhalten, dass Art. 14 Abs. 1 EGV der Gemeinschaft Maßnahmen auferlegt hat, um bis zum 31. Dezember 1992 „den Binnenmarkt schrittweise zu verwirklichen". Die Errichtung des Binnenmarkts sollte damit kein visionäres Ziel sein, dessen Verwirklichung sich die Gemeinschaft in unbestimmter Zukunft erhofft, sondern eine konkrete Zielvorgabe, die schon Ende 1992 umgesetzt sein sollte 19 . Die Errichtung des Binnenmarktes stellt zwar einen dynamischen Prozess dar, der aufgrund immer wieder von neuem auftretender Hindernisse durch natio14 Vgl. Fn. 10. 15
5. Erwägungsgrund der Präambel zum EG-Vertrag.
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8. Erwägungsgrund der Präambel zum EU-Vertrag. 17 Vgl. den 8. Erwägungsgrund der Präambel zum EU-Vertrag. 18 Vgl. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 124. 19 Bei Ablauf der Frist für die Vollendung des Binnenmarktes waren 90% der bis dahin vorgesehenen Rechtsakte zu dessen Verwirklichung erlassen, vgl. Lenz, in: Lenz, EGV, Art. 14, Rn. 11. Der Stand der Umsetzung ist regelmäßig ablesbar am sog. Binnenmarktanzeiger der Kommission, abrufbar im Internet unter www.europa.eu.int./comm/internal_ market/de/update/score/index.htm. (zuletzt abgerufen am 26. 6. 2006). 6 Stachel
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Schutzpflichten
nale Regelungen der Mitgliedstaaten nicht zu einem Endzustand geführt werden kann, in dem der Binnenmarkt endgültig und für alle Zeiten hergestellt ist 2 0 . Zu seiner Verwirklichung wurden aber trotz aller Kritik an einigen Umsetzungsdefiziten schon wesentliche Rechtsakte verabschiedet, die in weiten Bereichen umgesetzt wurden und deren Verletzung die Kommission in großem Umfang ahndet, weshalb er als errichtet betrachtet werden kann und die gegenwärtige und künftige Aufgabe darin besteht, seine Erhaltung und Fortentwicklung zu sichern 21. Damit kann er grundsätzlich Gegenstand einer Gewährleistungsverpflichtung sein. Im Ergebnis ist im Hinblick auf den Wortlaut der genannten Vertragsbestimmungen festzustellen, dass er zwar auf das Ziel einer umfassenden Gewährleistung des Binnenmarktes hindeutet, jedoch keine eindeutige Auslegung in dieser Hinsicht zulässt. Eine Pflicht zur Gewährleistung der Grundfreiheiten kann sich jedoch bei restriktiver Auslegung dieser Vorschriften alleine auf staatlich verursachte Hindernisse beziehen, insbesondere wenn man die Vorschrift in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung im Hinblick auf den Beschränkungsbegriff der Grundfreiheiten auslegt, der sich nur auf staatliche Beeinträchtigungen erstrecken soll 22 .
C. Systematische Betrachtung Der EG-Vertrag enthält einige Vorschriften, die für die Auslegung des Vertrags im Hinblick auf das Bestehen mitgliedstaatlicher Schutzpflichten in systematischer Hinsicht aufschlussreich sein könnten. Dazu gehört insbesondere Art. 10 EGV, dem von einigen Autoren schon selbst eine Schutzpflicht entnommen wird, die Rechtfertigungsgründe der Grundfreiheiten sowie Art. 86 Abs. 1 EGV.
I. Die Pflichten der Mitgliedstaaten aus Art. 10 EGV Der EuGH stützte sich in der grundlegenden Entscheidung Kommission/Frankreich zur Herleitung der staatlichen Schutzpflichten auf Art. 28 und auf Art. 10 EGV 2 3 . Er stellte in seiner Entscheidung insbesondere auf die grundlegende Bedeutung der Warenverkehrsfreiheit als tragenden Grundsatz des EG-Vertrags ab. 20
Von der Schaffung eines Binnenmarktes als „Daueraufgabe" gehen auch Müller-Graff, ZHR 159 (1995), 34 (38 ff.); Hatje, in: Schwarze, EGV, Art. 14, Rn. 20; Schreiben Verwaltungskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft, S. 125 ff. aus; die Existenz eines Binnenmarktes verneinend Mortelmans, CMLR 1998, 101. u Vgl. EuGH, Slg. 1982,1409 - Schul; Streinz, Europarecht, Rn. 983 ff. 22 Vgl. Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 1, S. 116 f.; Epiney, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 28, Rn. 44 ff. m. w. N.; Oliver, Free Movement in the EC, 4.43. 23 EUGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 30 ff. - Kommission/Frankreich; ebenso in der Entscheidung EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 59 - Schmidberger/Österreich.
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Auf die Funktion des Art. 10 EGV im Hinblick auf die Schaffung eines neuen Pflichtengehaltes der Warenverkehrsfreiheit ging der Gerichtshof nicht ein, sondern erwähnte ihn im Anschluss an seine Argumentation an der Stelle, die den Inhalt der staatlichen Schutzpflicht betrifft, nämlich das Ergreifen aller geeigneten und erforderlichen Maßnahmen, um die Beachtung der Grundfreiheit sicherzustellen 24 . Damit leitete er die mitgliedstaatliche Schutzpflicht schon aus der Grundfreiheit selbst her und nicht erst aus Art. 10 EGV. Generalanwalt Lenz hingegen äußerte in den Erwägungen seiner Schlussanträge in dieser Rechtssache die Ansicht, dass sich eine Schutzpflicht aus der Warenverkehrsfreiheit alleine nicht herleiten lasse, da diese ersichtlich auf Maßnahmen der Mitgliedstaaten zugeschnitten sei 25 . Zur Herleitung der Schutzpflichten stützte sich Generalanwalt Lenz entscheidend auf Art. 10 EGV 2 6 . Auch im Schrifttum wird die Herleitung der Schutzpflichten häufig in erster Linie auf Art. 10 EGV gestützt27. Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich Schutzpflichten aus Art. 10 EGV herleiten lassen. Art. 10 EGV enthält in seinem ersten Absatz zwei Handlungspflichten und im zweiten Absatz eine Unterlassungspflicht, die jedoch abgesehen von der Rechtsfolge (Ge- oder Verbot) vom EuGH und im Schrifttum kaum unterschieden werden, da sie hinsichtlich ihrer Tatbestandsvoraussetzungen nicht differenzieren 28. Nach Ansicht des EuGH ist Art. 10 EGV Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, nämlich des Grundsatzes der Loyalität als einer wechselseitigen Verpflichtung von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten29. Durch die Rechtsentwicklung überholt ist die Auffassung, Art. 10 EGV entfalte keine konstitutive Wirkung. Der EuGH hat aus dieser Norm Pflichten der Mitgliedstaaten hergeleitet, die sich nicht allein aus den übrigen Vertragsbestimmungen ergeben 30. Eine Bedeutungsreduktion auf den Grundsatz „pacta sunt servanda" 31 oder auf ein bloßes Aus24 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 3 2 - Kommission /Frankreich. 25 Schlussanträge des GA Lenz, EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 8,11 - Kommission/Frankreich. 26 Schlussanträge des GA Lenz, EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 24 ff., 39 ff. - Kommission/ Frankreich; im Urteil Schmidberger/Österreich, Slg. 2003,1-5659, bezog er sich auf erstere Entscheidung. 27 So wohl Kainer, JuS 2000, 431 (433); Denys, EELR 1998, 176 (181); Jarvis, CMLR 1998, 1371 (1378); Schorkopf, EuZW 1998,237 (238). 28 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 10, Rn. 12; a.A. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 113 ff., der streng zwischen den Tatbestands Voraussetzungen von Art. 10 Abs. 1 und 2 EGV unterscheidet. 29 EuGH, Slg. 1990,1-3365, Rn. 17 - Zwartveld; EuGH, Slg. 1983, 255, Rn. 37 - Luxemburg/Parlament; EuGH, Slg. 1982,1449, Rn. 5-Fromme. 30
Einige der vom EuGH entwickelten Mitwirkungspflichten: Die Befolgung des Gemeinschaftsrechts durch geeignete Sanktionen sicherzustellen, EuGH, Slg. 1984, 1891, Rn. 26 v. Colson u. aJLand NRW; die Pflicht zur Ergänzung lückenhaften EG-Rechts, EuGH Slg. 1972, 287, 296 - Leonesio; die Verpflichtung, alles zu unterlassen, was den Wettbewerbsregeln des EGV ihre praktische Wirksamkeit nehmen könnte, EuGH, Slg. 1986, 1471, Rn. 70 ff. - Nouvelles Frontières ; zu den mitgliedstaatlichen Mitwirkungspflichten detailliert Liick, Die Gemeinschaftstreue; Blanquet, L'article 5 du Traité C.E.E. 6*
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legungsprinzip 32 ist im Zweifel nicht gewollt, sondern es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass alle Artikel des Vertrags selbständige Regelungen treffen wollen. Für die Annahme eines eigenen Regelungsgehalts des Art. 10 EGV spricht auch seine prominente Stellung im EG-Vertrag, die seine grundlegende und vertragsübergreifende Bedeutung hervorhebt 33. Fraglich ist allein, wie weit die rechtsgenerierende Funktion des Art. 10 EGV reicht bzw. ob sie eine tragfähige Grundlage für die Herleitung mitgliedstaatlicher Schutzpflichten sein kann. Die vom EuGH angenommenen zusätzlichen Verpflichtungen aus Art. 10 EGV wirken in aller Regel mit einer anderen Bestimmung des Vertrags zusammen, die hinreichend konkret und präzise gefasst ist 3 4 . Diese Einschätzung wird bestätigt durch eine Analyse, die von Bogdandy zur Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 10 EGV durchgeführt hat: Die durch einen Rückgriff auf Art. 10 EGV hergeleiteten mitgliedstaatlichen Pflichten dienten regelmäßig in akzessorischer Weise der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft, ließen sich mit hinreichender Bestimmtheit ermitteln und überschritten nicht die Kompetenzgrenze des Art. 5 EGV 3 5 . Die Notwendigkeit der Herleitung zusätzlicher konstitutiver akzessorischer Pflichten aus Art. 10 EGV besteht aufgrund des Bedürfnisses der effektiven Umsetzung und Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten. Mangels konkreter Vorgaben im EGV für die mitgliedstaatliche Umsetzung und Durchführung des Gemeinschaftsrechts besteht oftmals die Notwendigkeit der richterrechtlichen Entwicklung präziser Vorgaben 36. Insoweit besteht eine von den Gründungsverträgen nicht gewollte Regelungslücke, die durch den Gerichtshof auszufüllen ist und die ihm die Etablierung mitgliedstaatlicher Pflichten, die weit über die im Vertrag normierten Pflichten hinausgehen können, erlaubt 37 . Einer solchen Rechtsfortbildung müssen jedoch Grenzen gesetzt werden, da sonst das Kompetenzgefüge zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten zu Ungunsten der Mitgliedstaaten verschoben würde und gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung 38 verstoßen würde. Eine solche Grenze ist die Akzessorietät der aus 31
Hierzu ausführlich Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue, S. 1 ff.; allgemein zu diesem völkerrechtlichen Grundsatz Alburquerque, Contribución al estudio de la evolución y vigencia del principio general romano „pacta sunt servanda" en el derecho europeo. 32 Für eine Auslegung des Art. 10 als rein deklaratorische Norm jedoch Meurer, EWS 1998, 196 (198); Röben, Die Einwirkungen der Rechtsprechung des EuGH auf das mitgliedstaatliche Verfahren, S. 378 ff. m. w. N. 33 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 10, Rn. 2. 34 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 10, Rn. 15; EuGH, Slg. 1973, 865, Rn. 4 - Geddo; Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 191, 197 ff. 35 von Bogdandy, in: Gedächtnisschrift Grabitz, S. 17 (20 ff.). 36 Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 322 f. 37 Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 323; von Bogdandy, in: Grabitz /Hilf, EGV, Art. 10, Rn. 2; Bleckmann, FS Carstens, S. 43 (45).
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Art. 10 EGV herzuleitenden Pflicht der Mitgliedstaaten zu einer schon vorhandenen Pflicht aus dem Vertrag 39. Diese Grenze wird solange nicht überschritten, solange es sich bei der betreffenden „neuen" Pflicht um eine unterstützende Pflicht zur Verwirklichung einer vom materiellen Gemeinschaftsrecht angestrebten Rechtslage handelt. Die auf Art. 10 gestützte Pflicht darf nur einen „ausfüllenden" Charakter im Hinblick auf ein vom Gemeinschaftsrecht normiertes Ziel haben40. Um aus Art. 10 EGV eine Schutzpflicht herleiten zu können, müsste diese eine akzessorische Nebenpflicht zu einer in den Grundfreiheiten angelegten Hauptpflicht sein. Es müsste eine andere Vertragsnorm, insbesondere die Regelungen über die Grundfreiheiten, eine vertragliche Pflicht erst begründen. Ist das Bestehen einer Schutzpflicht als Hauptpflicht einmal nachgewiesen, kann man auf der Grundlage von Art. 10 EGV als akzessorischer Funktionssicherung dieser Verpflichtung etwa polizeirechtliche Pflichten oder Strafverfolgungspflichten herleif
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ten . Die Grundfreiheiten verbieten den Mitgliedstaaten, durch ihre Handlungen den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr zu behindern und begründen keine eindeutige Verantwortung der Mitgliedstaaten für das den Binnenmarkt beeinträchtigende Verhalten ihrer Staatsbürger 42. Im System der Grundfreiheiten des EG-Vertrags stellen nur staatliche Maßnahmen vertraglich relevante Eingriffe dar 43 . Zwischen dem an den Staat gerichteten Verbot einer Beeinträchtigung der Grundfreiheiten und dem Gebot, sich schützend vor die Grundfreiheiten zu stellen, besteht ein entscheidender Unterschied. Im Falle der Annahme eines Gebotes zum Einschreiten wird der Staat zu einem Garanten für ein Verhalten seiner Bürger gemacht und zu positiven Handlungen verpflichtet. Die Annahme von Handlungspflichten der Mitgliedstaaten bei nicht-staatlichen Handelsbeeinträchtigungen würde deshalb die Schaffung eines eigenständigen Pflichtgehalts bedeuten, da eine staatliche Verantwortlichkeit für das Verhalten Privater eine völlig andere Qualität hat als die Pflicht, eigenes den Binnenmarkt beeinträchtigendes Verhalten zu unterlassen. Die Pflicht der Mitgliedstaaten zum Einschreiten bei privaten Handelsbeeinträchtigungen ist damit keine bloße akzessorische Funktionssicherung ihrer Pflich38 Zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Streinz, in: Streinz, EGV, Art. 5, Rn. 7 ff. sowie Schweden EuR 1999,452 ff. 39 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 10, Rn. 15; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 10, Rn. 13; Nicolaysen, Europarecht I, S. 69 ff.; Bleckmann, RIW 1981, 653.
«o von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 10, Rn. 13 f. 41 So Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 195, der solche Maßnahmen als klassische akzessorische Pflichten zur Funktionssicherung ansieht. 42 Zu den Anhaltspunkten für staatliche Schutzpflichten im Wortlaut des EG-Vertrags Vierter Teü, B. 43 Hierzu Dritter Teil, B.
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ten aus den Grundfreiheiten, sondern als eine eigenständige Hauptpflicht anzusehen. Daher bildet Art. 10 für sich genommen keine Grundlage zur Herleitung einer mitgliedstaatlichen Schutzpflicht 44. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn sich aus den Grundfreiheiten selbst Schutzpflichten herleiten lassen, wie noch zu untersuchen ist 4 5 . Ebenfalls anders zu beurteilen wäre die Rechtslage dann, wenn man Privatpersonen als unmittelbare Adressaten der Grundfreiheiten ansehen würde, da die Mitgliedstaaten in der Konsequenz verpflichtet wären, alles Erforderliche zu tun, damit diese Verpflichtung unter Privaten erfüllt wird 4 6 . In der Rechtssache Kommission/Frankreich verglich Generalanwalt Lenz zur Herleitung der Schutzpflichten aus Art. 10 EGV die Schutzpflichten mit den vom EuGH schon seit langem angenommenen selbständigen Unterlassungspflichten der Mitgliedstaaten aus Art. 10 Abs. 2 EGV im Wettbewerbsrecht und forderte für die Konstellation der Binnenmarktstörungen durch Privatpersonen eine entsprechende Verpflichtung der Mitgliedstaaten47. Der Gerichtshof hat die Mitgliedstaaten tatsächlich selbst über Art. 10 EGV verpflichtet, alles zu unterlassen, was den Wettbewerbsregeln des EGV ihre praktische Wirksamkeit nehmen könnte 48 . Nach Ansicht des Generalanwaltes Lenz ist diese Konstellation das Spiegelbild zu dem Fall der Beeinträchtigung des Binnenmarktes durch Private, da das Wettbewerbsrecht nur private Unternehmen verpflichte, aber die Mitgliedstaaten in diese Pflichten einbeziehe, wenn deren Maßnahmen im Ergebnis dieselben nachteiligen Folgen für das geschützte Rechtsgut hervorrufen würden. Übertragen auf die Fälle der Beeinträchtigung des Binnenmarktes von privater Seite sei es zum Schutz der praktischen Wirksamkeit der Warenverkehrsfreiheit erforderlich, aus dem Vertrag eine Pflicht der Mitgliedstaaten abzuleiten, solchen Handlungen Privater entgegenzutreten 49. Die Argumentation des Generalanwaltes Lenz kann jedoch nicht überzeugen. In dem von ihm herangezogenen Beispielsfall aus dem Wettbewerbsrecht wird der Mitgliedstaat über Art. 10 EGV zusätzlich verpflichtet, Maßnahmen zu unterlassen, die die praktische Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts schmälern. Die zusätzlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Bereich des Wettbewerbsrechts stel44 So auch Suerbaum, EuR 2003, 390 (394); Jaeckel, Schutzpflichten, S. 225; Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 132. 45 Vgl. Vierter Teil, D. 46
Vgl. Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 69. 47 Schlussanträge des Generalanwalts Lenz, EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 42 - Kommission /Frankreich. 48 EuGH, Slg. 1985, 305, Rn. 16 - Cullet/Leclerc; EuGH, Slg. 1986, 1471, Rn. 70 ff. Nouvelles Frontières; EuGH, Slg. 1987, 3801, Rn. 9, 24 - Vlaamse Reisbureaus; EuGH, Slg. 1989, 852, Rn. 49 - Ahmed Saeed Flugreisen. Ferner unterliegen die Mitgliedstaaten einer kartellrechtlichen Bindung nach Art. 86 Abs. 1 EGV, vgl. Jung, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 86, Rn. 10. 49 Schlussanträge des Generalanwalts Lenz, EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 42 f. - Kommission /Frankreich.
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len zwar auch neue, nicht aus anderen Vorschriften zu entnehmende Pflichten dar, sind jedoch Konsequenz des in Art. 10 EGV generell enthaltenen Umgehungsverbotes50. Leitet man jedoch auf der Grundlage des Art. 10 EGV Schutzpflichten der Mitgliedstaaten ab, wird nicht wie im Wettbewerbsrecht ein weiterer Adressat eines Verbots geschaffen, sondern stattdessen der Pflichtenkreis der Mitgliedstaaten deutlich erweitert. In den vom Generalanwalt Lenz miteinander verglichenen Fällen ist damit die Funktion des Art. 10 EGV jeweils eine entscheidend andere. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die Herleitung einer mitgliedstaatlichen Schutzpflicht allein aus Art. 10 EGV nicht möglich ist. Es bedarf einer schon bestehenden Hauptpflicht, um aus dieser Norm Handlungspflichten abzuleiten. Art. 10 EGV kann in Bezug auf den Inhalt und die genaue Ausgestaltung der Schutzpflichten allein die notwendige Konkretisierung ermöglichen. Ist der Tatbestand für das Eingreifen einer Schutzpflicht erfüllt, ist nämlich noch völlig offen, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten zu ergreifen haben. Zu untersuchen ist daher, ob sich aus dem EG-Vertrag selbst eine Handlungspflicht der Mitgliedstaaten bei Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten ergibt.
n . Sonstige Vorschriften des EG-Vertrags Gegen einen Schutzpflichtgehalt der Grundfreiheiten wird teilweise vorgebracht, die Rechtfertigungsgründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, die zweifellos nur auf staatliche Maßnahmen zugeschnitten sind 51 , würden eine Einstandspflicht aufgrund ihrer Staatenbezogenheit für privates Verhalten ausschließen52. Hiergegen ist jedoch einzuwenden, dass es bei der Annahme von Schutzpflichten gerade um ein staatliches Unterlassen geht, das grundsätzlich ebenso wie staatliche Handlungen nach den geschriebenen oder ungeschriebenen Ausnahmetatbeständen gerechtfertigt werden kann 53 . Allein die Tatsache, dass die Beeinträchtigung des Binnenmarktes von nicht-staatlicher Seite ausgeht, bedeutet nicht zwangsläufig, dass dem Staat seine Möglichkeiten einer Rechtfertigung genommen würden. Im EG-Vertrag sind zumindest nach der Ansicht vieler Autoren einige Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu einem positiven Tun angelegt. Art. 86 Abs. 1 EGV untersagt den Mitgliedstaaten, in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere Rechte gewähren, dem Vertrag widersprechende Maßnahmen zu treffen. Damit sind sowohl die genannten Unter50 Vgl. von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 10, Rn. 33, 59, der zusätzlich auf die Bedeutung des Art. 86 Abs. 1 EGV hinweist, der ein spezieller Anwendungsfall dieses allgemeinen Grundsatzes ist. 51 Vgl. hierzu Dritter Teil, B. EI. 3. a). 52 Vgl. Oliver, Free Movement in the EC, 12.97. 53 Hierzu ausführlich Siebter Teil, B.
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nehmen an die Wettbewerbs- und Beihilferegeln gebunden, als auch die Mitgliedstaaten gehalten, sich jeder Einflussnahme auf diese Unternehmen zu enthalten, die dem Vertrag zuwiderläuft 54. Insbesondere sollen die Mitgliedstaaten daran gehindert werden, die Grundfreiheiten zu umgehen, etwa durch die Anordnung an ein Unternehmen, nur eine bestimmte Menge von Waren aus anderen Mitgliedstaaten zu beziehen55. Neben einer Unterlassungspflicht soll die Mitgliedstaaten auch die Pflicht zu einem aktivem Tätigwerden treffen, um einerseits Vertragsverletzungen der mit besonderen Rechten ausgestatteten öffentlichen oder privilegierten privaten Unternehmen zu verhindern, andererseits vertragswidrige Begünstigungen dieser Unternehmen zu beseitigen, indem die Mitgliedstaaten etwa ihre wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die betroffenen Unternehmen vertragskonform gestalten56. Allerdings sind etwaige positive Pflichten der Norm selbst nicht explizit zu entnehmen, sondern sie beruhen auf ihrer Auslegung, die nicht zwingend ist. Außerdem unterscheiden sich diese aus Art. 86 Abs. 1 EGV hergeleiteten positiven Pflichten des Staates dahingehend von Schutzpflichten, dass die Unternehmen ohnehin an die Wettbewerbsvorschriften gebunden sind und zusätzliche Pflichten der Staaten eher dem Vollzug und der wirksamen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zuzuordnen sind, als dass sie als selbständige Pflichten der Staaten anzusehen sind 57 .
D. Teleologische Erwägungen Die allgemeinen Zielbestimmungen des EG-Vertrags sind insbesondere in der Präambel und in Art. 2 und 3 EGV niedergelegt. Zwar lassen sich aus ihnen isoliert grundsätzlich keine konkreten Rechte und Pflichten herleiten, aber sie können der Auslegung spezieller primärrechtlicher Normen im Lichte dieser Zielbestimmungen dienen 58 . Für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts spielen Effektivitätserwägungen auf der Basis dieser Vertragsziele eine bedeutsame Rolle, durch die man sich allerdings nicht über andere vertragliche Wertungen hinwegsetzen darf.
54 Jung, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 86, Rn. 10; ausführlich zu dieser Vorschrift Ehlermann, in: Dauses (Hrsg.), Hdb. des EG-Wirtschaftsrechts, H.n, Rn. 87 ff. 55 Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 86, Rn. 52; EuGH, Slg. 1983, 555 - Inte r Huiles. 56 Ehlermann, ECLR 1993, 61 (65); Müller-Graff/Zehetner, Öffentliche und privilegierte Unternehmen, S. 36 ff.; Page, ELR 1989,19 (24); Pernice/Wernicke, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 86, Rn. 51 m. w. N.; Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 143; Jung, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 86, Rn. 31; Wyatt/Dashwood, EC-Law, S. 553 f.; a.A. van der Esch, ZHR 155 (1991), 274 (278).
57 Vgl. Jung, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 86, Rn. 26 f. 58 Vgl. Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 106.
D. Teleologische Erwägungen
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I. Die Notwendigkeit der effektiven Verwirklichung der Vertragsziele Den Vertragszielen kommt, wie im Rahmen der Auslegung des Vertrags im Hinblick auf eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten schon ausgeführt wurde, rechtliche Verbindlichkeit zu. Auch die Präambel ist Teil des Vertragstextes und kann zu seiner Auslegung herangezogen werden. Die Vertragsziele vermögen es, durch ihre rechtsverbindlich steuernde Wirkung die Entwicklung der Rechtsordnung voranzutreiben 59. Die in der Präambel niedergelegten Erwägungsgründe zeugen von der herausragenden Bedeutung des Binnenmarktes im Gemeinschaftsrecht und von dem Bestreben, die Integration stetig voranzutreiben 60. Art. 2 und 3 EGV sind Ausdruck der Überzeugung der Vertragsparteien, dass insbesondere die Errichtung des Binnenmarktes zu einer ausgewogenen Entwicklung des Wirtschaftslebens, einem hohen Beschäftigungsniveau, zu Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit und einer Steigerung der Lebensqualität führt. Die Errichtung des Binnenmarktes ist daher ein Kernanliegen der Gemeinschaft, mit dem nicht alleine wirtschaftliche Ziele verfolgt werden 61. Der aus dem Völkerrecht stammende62 Effektivitätsgrundsatz besitzt im Gemeinschaftsrecht eine überaus große Bedeutung, da sich dieses in hohem Maße dadurch auszeichnet, dass es auf eine Weiterentwicklung angelegt ist, deren Finalität nach wie vor offen ist. Der in den Gemeinschaftsverträgen und im EU-Vertrag angelegte Integrationsprozess zeichnet sich durch die allmähliche Annäherung der Mitgliedstaaten in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht aus, zu deren Ermöglichung die Verträge nicht statisch ausgelegt werden dürfen, sondern zu berücksichtigen ist, dass sie eine stetige Vertiefung der Integration ermöglichen sollen. Der Effektivitätsgrundsatz verlangt demgemäß, dass die Verträge in der Weise ausgelegt werden, dass durch sie die Verwirklichung der Vertragsziele am besten erreicht werden kann. Die Europäische Gemeinschaft ist in erster Linie eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Tätigkeit unter anderem auf die Schaffung eines Binnenmarktes gerichtet ist, unter dessen Oberbegriff die Grundfreiheiten als einheitliche Konzeption zusammengefasst sind 63 . Die Schaffung des Binnenmarktes nimmt in der 59 Dritter Teil, B. m. 3 c). Vgl. den 1., 5. und 6. Erwägungsgrund sowie Dritter Teil, B. m . 3 c). 61 Vgl. den 8. Erwägungsgrund der Präambel, der das Bestreben der Mitgliedstaaten zeigt, durch den Zusammenschluss ihrer Wirtschaftskräfte den Frieden und die Freiheit zu wahren. 62 Vgl. von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, S. 144. 63 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 3, Rn. 9; zur rechtlichen Bedeutung des Binnenmarktes Reich, EuZW 1991, 203; zum Sinn der Europäischen Integration Tomuschat, in: Nettesheim/Schiera (Hrsg.), Der integrierte Staat, S. 155 ff.; zur unterschiedlichen Begrifflichkeit und Abgrenzung des Gemeinsamen Marktes vom Binnenmarkt vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 948 ff. oder Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 141 ff. 60
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europäischen Integrationsbewegung eine Schlüsselrolle ein, da sie als Motor für die ökonomische Entwicklung der Mitgliedstaaten und als Grundvoraussetzung für die politische Integration angesehen wird, wie insbesondere aus der Präambel hervorgeht 64. Im Hinblick auf die Errichtung des Binnenmarktes wird ein ganz bestimmter Zustand angestrebt, während die Mittel zur Zielverfolgung weitgehend offen bleiben 65 . In Art. 2 EGV wird die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes noch vor der Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion zur Erreichung der dort genannten Wirtschaftsziele genannt. Die fundamentale Bedeutung des Binnenmarktes zeigt sich auch darin, dass ohne ihn die Wirtschafts- und Währungsunion und zahlreiche der in Art. 3 EGV aufgeführten Tätigkeiten und Aufgaben der Gemeinschaft ihre Grundlage verlieren würden 66 . Die nationalen Märkte sollen durch die Beseitigung aller Hemmnisse des innergemeinschaftlichen Handels zu einem einheitlichen Markt verschmolzen werden, der frei von staatlichen Steuerungsmaßnahmen und Beschränkungen sein soll und im Wesentlichen von einer grenzüberschreitenden Funktionsfähigkeit der wirtschaftlichen Privatinitiative und Privatautonomie geprägt sein soll 67 . Die Grundfreiheiten sind die Basis und die wesentlichen Elemente zur Herstellung des Binnenmarktes 68. Sie sind in erster Linie Gleichheitsrechte, besitzen aber insoweit freiheitsrechtliche Gehalte, als sie bestimmte Modalitäten eines staatlichen Handelns, nämlich Diskriminierungen und Beschränkungen, verbieten 69. Die Adressaten der Grundfreiheiten sind grundsätzlich alleine die Mitgliedstaaten, die durch ihre Handlungen den Binnenmarkt beeinträchtigen. Entsprechend der grundsätzlichen Konzeption des Binnenmarktes, der auf der Privatautonomie und dem freien Wettbewerb der Marktteilnehmer beruht, wird Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten durch Private in der Regel keine Bedeutung beigemessen, da die Präferenzen und Abneigungen privater Wirtschaftsakteure für Waren, Personen 64 Zur Bedeutung des Binnenmarktes für die Entwicklung einer Wirtschaftsunion van Themaat, FS Börner, S. 459 (463). 65 Vgl. hierzu Dritter Teil, B DI. 3 c). 66 Vgl. Müller-Graff, in: Dauses (Hrsg.), Hdb. des EG-Wirtschaftsrechts, A.I, Rn. 100; vgl. auch Bandilla, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 4, Rn. 6, der die Abhängigkeit der Wirtschaftspolitik von der Schaffung des Binnenmarktes näher darlegt; Seidel, FS Börner, S. 417 (420). 67 Vgl. Müller-Graff, in: Müller-Graff/Zuleeg (Hrsg.), Staat und Wirtschaft in der EG, S. 27 ff., der in diesem Zusammenhang sogar von einer „Garantie" spricht. Teilweise wird aus dem Begriff des „Raums ohne Binnengrenzen" eine Forderung nach einer Beseitigung aller vorhandenen Rechtsunterschiede abgeleitet, vgl. Drasch, Das Herkunftlandprinzip, S. 352. Zur Wirtschaftsordnung des Binnenmarktes Dritter Teil, A. I.
68 Leible, in: Streinz, EGV, Art. 14, Rn. 16; weitere Kemelemente des Binnenmarktes sind das Wettbewerbsrecht (Art. 81-89 EG), da ohne wirksamen Wettbewerb die Bildung eines einzigen Marktes mit binnenmarktähnlichen Verhältnissen nicht zu erreichen ist, und die Zollunion, die durch die Beseitigung der Binnenzölle bei gleichzeitiger Errichtung eines gemeinsamen Außenzolls und einheitlicher Zollgesetzgebung gekennzeichnet ist. Ausführlich zu den Elementen des Binnenmarktes Müller-Graff, in: Dauses (Hrsg.), Hdb. des EG-Wirtschaftsrechts, A I , Rn. 104 ff. 69 Vgl. Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 83.
D. Teleologische Erwägungen
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und Kapital aus anderen Mitgliedstaaten, seien sie auch noch so irrational, im Sinne eines freien Wettbewerbs geschehen, und damit sogar grundsätzlich wünschenswert sind. Private Marktteilnehmer besitzen in der Regel nicht die Macht, ähnlich starke Beeinträchtigungen hervorzurufen, wie es der Staat vermag. Es hat sich jedoch immer wieder gezeigt, dass Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten durch Private nicht selten verheerende Wirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes haben können. Von sehr großer praktischer Bedeutung sind Demonstrationen, die wichtige Verkehrswege blockieren und damit den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr in beträchtlicher Weise stören können 70 . Zu denken ist auch an Streiks, Warenboykotte von bedeutsamen gesellschaftlichen Gruppierungen, Werbekampagnen für oder gegen Produkte aus bestimmten Regionen oder an die Weigerung von Versicherungen, Bürger anderer Mitgliedstaaten zu denselben Bedingungen zu versichern wie inländische Kunden 71 . Die Gewährleistung der Grundfreiheiten als Kernanliegen der Gemeinschaft 72 und als Zentrum des Binnenmarktziels verlangt nach einer wirksamen und effektiven Umsetzung. Es besteht eine Sinneinheit der Existenz von Grundfreiheiten und den für ihre Ausübung notwendigen Voraussetzungen. Die abwehrrechtliche Funktion der Grundfreiheiten alleine vermag es in bestimmten Fällen nicht, die realen Bedingungen ihrer Ausübung zu schützen, damit in der Rechtswirklichkeit auch tatsächlich die von ihnen geschützten Freiheitsräume Bestand haben73. Wenn Private mit staatlicher Billigung die europäischen Grundfreiheiten beeinträchtigen könnten, wäre der Binnenmarkt nicht effektiv zu verwirklichen, da die allmählich abgebauten staatlichen Hemmnisse durch Beeinträchtigungen von Privatpersonen ersetzt würden bzw. stetig neue Hindernisse zu befürchten wären, die nicht auf den Staat zurückzuführen wären. Handlungen Privater auf dem Binnenmarkt können in einigen Fällen in ihrer Wirkung den staatlichen Maßnahmen durchaus vergleichbar sein, im Einzelfall in ihrer Schwere sogar noch über sie hinausgehen74. Schutzpflichten für die Grundfreiheiten richten sich nicht an die privaten Marktteilnehmer, sondern, wie die Grundfreiheiten in ihrer negatorischen Dimension auch, an den Staat, stellen aber anstelle einer Pflicht zum Unterlassen der Störung ein Handlungsgebot auf. Es ist notwendig, dem Mitgliedstaat in bestimmten Fällen eine Verantwortung für das Verhalten seiner Bürger aufzuerlegen, da er den Ver70 Vgl. Dritter Teil, A . n . 71
Einige weitere Beispiele führt Oliver, Free Movement of Goods in the EC, 4.26, auf. So die Kommission in ihrem Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, KOM 85 (310) endg.; der EuGH hat die Grundfreiheiten häufig als fundamentale Grundsätze des Gemeinschaftsrechts bezeichnet, vgl. EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 57 - Schmidberger/Österreich. 73 Vgl. Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 1, S. 79; vgl. auch die Argumentation im deutschen Recht bei Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 67. 74 Auch der EuGH stellte in der Rechtssache Kommission/Frankreich darauf ab, dass eine Wirkungsgleichheit mitgliedstaatlicher Maßnahmen und massiver privater Übergriffe bestehen kann, EuGH, Slg. 1997,1-6969, Rn. 31 - Kommission/Frankreich. 72
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Schutzpflichten
tragszielen verpflichtet ist, die Hoheitsgewalt innehat und die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf die sich in seinem Staatsgebiet aufhaltenden Privatpersonen besitzt. Dürfte er die durch Privatpersonen verursachten Marktbehinderungen hinnehmen, wäre die Folge eine Schutzlücke, die den Zielen der Gemeinschaft widerspricht. Zur Ausfüllung dieser Schutzlücke ist es konsequent und den vertraglichen Wertungen entsprechend, dem Staat in einem solchen Fall die Verpflichtung aufzuerlegen, die Grundfreiheiten aktiv zu schützen, anstatt die Privaten als unmittelbare Adressaten der Grundfreiheiten anzusehen. Ein staatliches Unterlassen sollte daher unter bestimmten Voraussetzungen, die noch genau zu bestimmen sind, genauso zu behandeln sein wie aktive staatliche Behinderungen des Binnenmarktes. Die Gründungsstaaten der Gemeinschaft haben sich für einen funktionalen Charakter des Binnenmarktrechtes entschieden, der eine solche Auslegung der Verträge notwendig macht 75 .
II. Die Grenzen der dynamischen Auslegung Allerdings sind bei dieser dynamischen Auslegung die Grenzen zu beachten, die sich aus den übrigen Grundsätzen und Wertungen des Vertrags und insbesondere aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und dem Subsidiaritätsprinzip ergeben76.* Es wird keinesfalls die Effektivität des Gemeinschaftsrechts um jeden Preis angestrebt, wenn dadurch andere vertragliche Grundsätze unterlaufen werden. Die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes darf nicht zu einem Zirkelschluss führen, und es dürfen dem Normtext keine Sinngehalte unterstellt werden, nur weil sie integrationspolitisch wünschenswert oder notwendig sind 77 . Im Schrifttum wird zum Teil vertreten, dass die Herleitung von Schutzpflichten aus dem Effektivitätsgrundsatz eine über den Wortlaut der Grundfreiheiten hinausgehende Interpretation sei, da sie sich dem Normtext unter Berücksichtigung seiner objektiv erkennbaren Zielsetzungen nicht entnehmen lasse78. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass sowohl der Wortlaut der Grundfreiheiten als auch ihre Zielsetzungen eine solche Auslegung durchaus zulassen, da sie staatliche Beschränkungen der jeweiligen Grundfreiheit verbieten, ohne sich ausschließlich auf eine Unterlassungspflicht festzulegen und es notwendig sein kann, in bestimmten Fällen eine 75
Zum funktionalen Charakter des Binnenmarktrechtes vgl. Dritter Teil, B. in. 76 Streinz, Europarecht, Rn. 128 ff.; B/B/P/S, Die EU, S. 294; die Reichweite dieses Grundsatzes im Gemeinschaftsrecht und damit verbundene Kompetenzprobleme können nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Verwiesen sei auf Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 72 ff. 77 Vgl. Scheuing, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität, S. 289 (326) sowie Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 129. 78
So Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 129, der darlegt, dass die Mitgliedstaaten ein legislativer Handlungsauftrag zur effektiven Verwirklichung der Grundfreiheiten treffe; Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektive Rechte im Gemeinschaftsrecht, S. 46 ff.
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Verantwortung der Mitgliedstaaten anzunehmen, in ihrem Hoheitsgebiet den Binnenmarkt vor nicht-staatlichen Beeinträchtigungen zu schützen. Den Grundfreiheiten wurden zwar bisher immer sowohl vom EuGH wie auch von der Literatur bis zu den beiden Urteilen des EuGH zu den Schutzpflichten ausschließlich Unterlassungspflichten entnommen, während sie jedoch ebenfalls als Aufforderung verstanden werden können, bestimmte Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten unabhängig von ihrem Ursprung zu unterbinden. Dem Normzweck wird gerade Rechnung getragen, wenn nicht nur staatliche Maßnahmen, die dem Binnenmarkt zuwiderlaufen, verboten sind, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch das Nichtstun des Staates, da er gerade darin besteht, alle relevanten Hemmnisse für den Binnenmarkt abzubauen. Der EuGH hat sich in der Rechtssache Kommission/Frankreich zu Recht entscheidend auf den Effektivitätsgrundsatz gestützt. Der argumentative Kern dieses Urteils zur Begründung der Schutzpflichten gründet auf der Feststellung, der Grundsatz des freien Warenverkehrs sei eines der tragenden Prinzipien des Gemeinschaftsrechts und beinhalte daher auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, in ihrem Gebiet die Beachtung der Grundfreiheiten sicherzustellen 79. Mit den übrigen Wertungen des Vertrags ist eine solche Auslegung ebenfalls zu vereinbaren, wie schon festgestellt wurde 80 . Gegen eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten könnte indes sprechen, dass staatliche Eingriffe in privatautonom begründetes Verhalten marktwirtschaftlichen Prinzipien widersprechen. Das marktwirtschaftliche Prinzip beeinhaltet eine grundsätzliche Präferenz der Selbststeuerung durch Wettbewerb gegenüber hoheitlicher Steuerung und Beeinflussung der Wirtschaftsabläufe 81. Auf der anderen Seite ist es jedoch eine Tatsache, dass der Binnenmarkt nicht gänzlich ohne Regulierungen durch die Gemeinschaft oder durch die Mitgliedstaaten auskommt. Die Kräfte der Wirtschaft und des Marktes alleine wären nicht in der Lage, die Hindernisse für den Binnenmarkt abzubauen. Der Binnenmarkt ist letztlich ein Regelungssystem aus rechtlichen Rahmenbedingungen, ohne das die Hindernisse, die aufgrund der verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auftreten, fortwährend bestehen bleiben würden 82 . Eingriffe der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft in wirtschaftliche Abläufe widersprechen deshalb nicht grundsätzlich dem Prinzip der freien Marktwirtschaft, wenn sie zur Verwirklichung der Vertrags79 EuGH, Slg. 1997, 1-6969, Rn. 30 f. - Kommission/Frankreich Argumentation des EuGH Vierter Teil, A.
Ausführlich zu der
so Vierter Teil, C. 81 Emmerich, in: Dauses (Hrsg.), Hdb. des EG-Wirtschaftsrechts, H.I, Rn. 4, spricht von einem autonomen herrschaftsfreien Koordinationsprozess des Wettbewerbs; zur Tatsache, dass der Binnenmarkt in erster Linie marktwirtschaftliche Züge trägt und zur Herleitung dieser Tatsache aus dem EG-Vertrag: Emmerich, a. a. O., Rn 2; allgemein zur Wirtschaftsverfassung des EG-Vertrags Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt, S. 22 ff. sowie Dritter Teil, A. I. 82
Vgl. Seidel, in: Caesar / Scharrer (Hrsg.), Der unvollendete Binnenmarkt, S. 29.
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Schutzpflichten
ziele notwendig sind 83 . In bestimmten Fällen besteht die Notwendigkeit, den Staat zu einem Einschreiten zu verpflichten, da sonst Schutzlücken entstehen würden, die die Erreichung eines der bedeutsamsten Ziele des EG-Vertrags verhindern würden. Die Schutzpflicht kann aufgrund der genannten Bedenken keine umfassende, in sämtlichen Fällen der Binnenmarktbeeinträchtigungen durch Private anzunehmende Verpflichtung sein, sondern muss sich auf bestimmte Fälle beschränken, die aufgrund besonderer Umstände nicht hingenommen werden können. Ohne die Annahme von Schutzpflichten würde man einen umfassenden und effektiven Schutz für die Grundfreiheiten jedenfalls nicht erreichen können, da die Schutzpflichten gemeinsam mit dem abwehrrechtlichen Gehalt der Grundfreiheiten erst ein geschlossenes System zur Verwirklichung der Grundfreiheiten formieren 84.
m . Die objektive Wirkung der Grundfreiheiten Durch die Tatsache, dass die Grundfreiheiten nicht nur Gleichheits- und Freiheitsrechte darstellen, sondern darüber hinaus Elemente einer objektiven Ordnung sind, könnte die Herleitung staatlicher Schutzpflichten aus den Grundfreiheiten zusätzliche Unterstützung erhalten 85. Die Grundfreiheiten hatten zu Beginn der wirtschaftlichen Integration der Mitgliedstaaten als objektive Prinzipien die Liberalisierung des Binnenmarktes zum Ziel, ohne eine subjektiv-rechtliche Ausgestaltung der von ihnen garantierten Rechte zu kennen86. Die objektiv-rechtliche Wirkung der Grundfreiheiten hat zur Folge, dass sie eine Ausstrahlungswirkung auf das gesamte Recht der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft besitzen, so dass sowohl mitgliedstaatliches Recht als auch das Sekundärrecht der Gemeinschaft grundfreiheitskonform auszulegen und im Falle eines Widerspruchs zu den grundfreiheitlichen Wertungen unangewendet zu lassen sind 87 . Dies bestätigt zusätzlich die Notwendigkeit einer Pflicht der Mitgliedstaaten, sich unter bestimmten Voraussetzungen schützend vor die Träger der Grundfreiheiten zu stellen. Damit die Grundfrei83
So auch im Ergebnis Everling, FS Mestmäcker, S. 365 (376). Vgl. die Argumentation des BVerfG für das deutsche Recht, BVerfGE 39,1 (42). 85 Schilling, EuGRZ 2000, 3 (33), leitet Schutzpflichten der Mitgliedstaaten aus den Grundfreiheiten als objektiven Grundsatznormen ab und verlangt für diese Konstruktion eine wertende Rechtfertigung, die er dem Binnenmarktziel entnimmt; vgl. auch Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 161; Kainer, JuS 2000, 431 (433 f.); Bleckmann, Europarecht, Rn. 764; Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 150 f., Frenz, Hdb. Europarecht, S. 79; Bleckmann, FS Carstens, S. 48 (55). Im deutschen Verfassungsrecht wird zur Herleitung der Schutzpflichten des Staates für die Grundrechte häufig auf ihre objektiv-rechtliche Wirkung abgestellt, vgl hierzu Zweiter Teil, A. Vgl. Nicolaysen, EuR 2003, 719 (738). 87 Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 161; Jarass, EuR 2002, 705 (716); Kainer, JuS 2000,431 (433 f.); zurückhaltender Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 113. 84
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heiten in der Rechtswirklichkeit auch eine Rolle spielen, ist es notwendig, dass der Staat seine Rechtsordnung bis zu einem gewissen Maße hinsichtlich der Rechte und Pflichten seiner Staatsbürger ausgestaltet88. Dietlein spricht in seiner Untersuchung über staatliche Schutzpflichten im deutschen Recht von der Pflicht des Staates, „die Grundrechte real erfahrbar zu machen"89. Mit Gründung der EG haben die Mitgliedstaaten Verantwortung für die neue supranationale Ordnung übernommen, die dem nationalen Recht gegenüber höherrangig ist. Die daraus folgende Pflicht zur Abgrenzung der Rechtssphären des Bürgers 90 schafft erst die Bedingung für die Durchsetzung der dem Bürger durch die Gemeinschaft eingeräumten Rechte. Auch wenn die EG kein Staat ist, ist eine Legitimation ihrer Gewalt nötig, die ohne wirksame Durchsetzung der Rechte des Einzelnen nicht möglich ist 9 1 .
IV. Das den Grundfreiheiten übergeordnete Binnenmarktziel Zur Herleitung der Schutzpflichten aus den Grundfreiheiten wurde teilweise versucht, entsprechend der Auslegung des deutschen Grundgesetzes, Schutzpflichten aus dem Grundrecht der Menschenwürde herzuleiten, sie im europäischen Recht auf das Binnenmarktprinzip als ein herausragendes und identitätsstiftendes Vertragsprinzip zu stützen. So wie die Grundrechte ein Wertesystem bildeten, das seinen Ausgangspunkt in der Menschenwürde habe und um derentwillen es die anderen Grundrechte gebe, würden auch die Grundfreiheiten ein Wertesystem bilden, das dem übergeordneten Ziel der Errichtung des Binnenmarktes diene. Zur Erreichung des den Grundfreiheiten übergeordneten Binnenmarktziels sieht diese Auslegung die einzelnen Grundfreiheiten als Teilwerte an, die ebenfalls in vollem Umfang zu gewährleisten seien92. Im deutschen Verfassungsrecht ist allerdings in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ausdrücklich normiert: 88 Vgl. für das deutsche Recht Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 74; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; schlüssig übertragen auf das Gemeinschaftsrecht Schilling, EuGRZ 2000, 3 (33), der allerdings der Ansicht ist, aus den Grundfreiheiten seien zunächst als Vorstufe zur Gewinnung von Schutzpflichten objektive Grundsatznormen zu entwickeln; zur Ausstrahlungswirkung des Gemeinschaftsrechts auf alle Rechtsgebiete der Mitgliedstaaten Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 153 ff., 161; Schilling, EuGRZ 2000, 3 (33); Meurer, EWS 1999, 196 (198); Szczekalla, Schutzpflichten, S. 628; Frenz, EuR 2002, 603 (605 f.). 89 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 103. 90 Den Begriff der Abgrenzung der Sphären gleichgeordneter Rechtssubjekte verwendet Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410, zur Begründung eines Rechtes auf Schutz nach dem deutschen Recht. Vgl. VerLoren van Themaat, FS von der Groeben, S. 425 (428 ff.). 92 Kainer, JuS 2000, 431 (434); so zumindest andeutungsweise Frenz, EuR 2002, 603 (605 f.).
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Schutzpflichten
„Sie [die Menschenwürde] zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt".
Wenn eine Schutzpflicht für die Menschenwürde nach dem Grundgesetz ausdrücklich besteht und die übrigen Grundrechte alleine ihrer Verwirklichung dienen sollten, ist es konsequent, für die übrigen Grundrechte als Teilwerte der Menschenwürde ebenfalls eine Schutzpflicht aus der Verfassung herzuleiten. Indes kann man diese Argumentation auf das Binnenmarktprinzip des Gemeinschaftsrechts nicht übertragen. Eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten für den Binnenmarkt ist nicht explizit normiert 93 , und auch Art. 10 EGV mit seiner Forderung an die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zur Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten zu ergreifen, ist keine Entsprechung zu dem zitierten Artikel des Grundgesetzes.
E. Schutzpflichten für alle Grundfreiheiten des EG-Vertrags? Der EuGH hat Schutzpflichten der Mitgliedstaaten bisher nur für die Warenverkehrsfreiheit bejaht, wohl nur deshalb, weil diese in den von ihm entschiedenen Fällen alleine Gegenstand des Verfahrens war. Neben den bisher bekannten Fällen von Beschränkungen des freien Warenverkehrs durch tätliche Angriffe gegen Importeure von Waren aus anderen Mitgliedstaaten in der Rechtssache Kommission/ Frankreich und der durch eine Demonstration ausgelösten Autobahnblockade in der Rechtssache Schmidberger/Österreich 95 kommen vergleichbare Bedrohungen für die übrigen Grundfreiheiten in Betracht, wie etwa Ausschreitungen oder Boykottaufrufe gegenüber Arbeitnehmern oder Dienstleistungserbringern oder die Diskriminierung von Arbeitssuchenden aus anderen Mitgliedstaaten. Im Übrigen können Angriffe auf Transportunternehmer sowohl die Warenverkehrsfreiheit als auch die Dienstleistungsfreiheit beschränken. Für die Annahme, dass Schutzpflichten aus sämtlichen Grundfreiheiten herzuleiten sind, spricht zunächst der Umstand, dass die auf teleologische Gesichtspunkte gestützte Auslegung für alle Grundfreiheiten in gleicher Weise vorgenommen werden kann und dass sich die Grundfreiheiten dogmatisch weitgehend parallel entwickelt haben und eine deutliche Tendenz zu einer vereinheitlichenden Auslegung durch den EuGH besteht96. Des weiteren besitzen sie eine identische Zielsetzung 97 . In Bezug auf ihre Grundprinzipien kann man mittlerweile schon von einer 93 Dies auch trotz der Erwähnung des Begriffes der „Gewährleistung" in der Präambel und Art. 14 Abs. 2 EGV, vgl. Vierter Teil, B. I. w EuGH, Slg. 1997,1-6959 - Kommission /Frankreich. 95 EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 10 ff. - Schmidberger/Österreich. 96 Vgl. Steinberg, EuGRZ 2002,13 ff. 97 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 3, Rn. 10 f. m. w. N.
F. Zusammenfassung
97
Konvergenz der Grundfreiheiten sprechen, da sich insbesondere im Rahmen der Rechtfertigung eine einheitliche Struktur verfestigt hat 98 . Im Hinblick auf die Herleitung der Schutzpflichten aus den anderen Grundfreiheiten wird auch der EuGH voraussichtlich keine Unterschiede machen, da trotz ihrer Rolle als „Pionierfreiheit" des Binnenmarktes 99 und der Feststellung des EuGH, die Warenverkehrsfreiheit sei eines der tragenden Prinzipien des Gemeinschaftsrechts 100 nicht davon ausgegangen werden kann, die übrigen Grundfreiheiten seien weniger wichtig. Angesichts der Funktion der Grundfreiheiten als Mittel zur Errichtung und Erhaltung des Binnenmarktes und dem drängenden Bedürfnis nach dessen Funktionsfähigkeit ist es kaum denkbar, nur einigen von ihnen eine zusätzliche Funktion als Schutzpflicht zuzusprechen, wie es vereinzelt im Schrifttum getan wird 1 0 1 . Eine uneinheitliche rechtliche Beurteilung der verschiedenen Funktionen der Grundfreiheiten würde zu Lasten der Verwirklichung des Binnenmarktes gehen, ohne dass ein Anlass für eine solche Differenzierung ersichtlich wäre. Aus diesen Gründen können Schutzpflichten der Mitgliedstaaten für sämtliche Grundfreiheiten des EG-Vertrags aus den Grundfreiheiten selbst hergeleitet werden 102 .
F. Zusammenfassung Im Ergebnis lassen sich Schutzpflichten der Mitgliedstaaten für die Grundfreiheiten aus den Grundfreiheiten selbst entnehmen. Die Grundfreiheiten sind die wesentlichen Instrumente zur Verwirklichung des Binnenmarktes und sie besitzen dieselbe Zielsetzung. Das Effektivitätsprinzip als fundamentales Prinzip des Gemeinschaftsrechts gebietet es, unter bestimmten Voraussetzungen auch positive Handlungen der Mitgliedstaaten zu fordern, wenn Privatpersonen Hindernisse für den Binnenmarkt errichten. Unterstützung erhält diese Auslegung dadurch, dass die Grundfreiheiten auch eine objektive Wirkung besitzen, die eine Ausstrahlungswirkung auf das gesamte Recht der Mitgliedstaaten besitzen. Die Auslegung der Grundfreiheiten insbesondere unter Bezugnahme auf das Binnenmarktziel und die Notwendigkeit seiner effektiven Verwirklichung gelten in vollem Umfang für alle Grundfreiheiten. 98
Vgl. insbesondere Kainer, Unternehmensübernahmen im Binnenmarktrecht, S. 86; Eberhartinger, EWS 1997, 43 (51), der auch die Keck-Formel auf die übrigen Grundfreiheiten übertragen will; Behrens, EuR 1992,145 (146 ff.); Steinberg, EuGRZ 2002, 13 (15 f.). 99 So wurde sie nicht selten aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für die Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten insgesamt bezeichnet, vgl. Classen, EWS 1995,97 (98); Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 115. 100 E U G H , S l g . 1 9 9 7 , 1 - 6 9 6 9 , RN. 2 6 f. 101
Kommission/Frankreich
Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 125 ff., der alleine der Arbeitnehmerfreizügigkeit aufgrund ihres Wortlautes einen Schutzpflichtgehalt entnehmen will. 102 So im Ergebnis auch Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2002, 213 (214) sowie Kainer, JuS 2000,431 (434). 7 Stachel
Fünfter Teil
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht Unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten eine Verpflichtung zur Vornahme positiver Maßnahmen trifft, ist bislang nicht geklärt. Um einen Beitrag zur Klärung dieser Frage zu leisten, sollen zunächst die verschiedenen Modalitäten der möglichen Beschränkungen der Grundfreiheiten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension betrachtet werden. Der EuGH hat sich bei der Bestimmung des Tatbestandes, dessen Erfüllung die Schutzpflicht auslöst, eng an die bestehende Dogmatik der Abwehrrechte angelehnt, so dass es auch von Bedeutung ist, wann ein Eingriff in die Grundfreiheiten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension durch den Staat gegeben ist. Schutzpflichten der Mitgliedstaaten erfordern jedoch staatliche Eingriffe in die Rechtssphäre ihrer Bürger, deren Verpflichtungen kaum so weit reichen können wie die des Staates. Sie sind daher mit anderen Maßstäben zu betrachten und erfordern einen anderen Eingriffsbegriff.
A. Grundfreiheiten als Diskriminierungsund Beschränkungsverbote Als Beschränkungen der Grundfreiheiten in ihrer Funktion als negatorische Rechte kommen sowohl Diskriminierungen als auch unterschiedslos wirkende Beschränkungen in Betracht. Eine Diskriminierung liegt nach dem weiten Diskriminierungsbegriff des EuGH dann vor, wenn ein grenzüberschreitender Vorgang notwendig oder typischerweise schlechter als ein reiner Inlandsvorgang behandelt wird 1 . Der Diskriminierungsbegriff erfasst offene und versteckte Diskriminierungen, d. h. sowohl Ungleichbehandlungen, die an die ausländische Herkunft der Personen oder Wirtschaftsgüter anknüpfen, als auch solche Regelungen, die zwar formell für alle gelten, sich jedoch unterschiedlich auf inländische und ausländische Personen oder Wirtschaftsgüter auswirken, diese also faktisch ungleich behandeln2. Versteckte Diskriminierungen sind Ungleichbehandlungen, die nicht offen 1 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 667; Arndt, Europarecht, S. 139 ff.; EuGH, Slg. 1989, 195, Rn. 10 ff. - Cowan. 2 Vgl. zur mittelbaren Diskriminierung i.R.d. Warenverkehrsfreiheit EuGH, Slg. 1997, 1-5909, Rn. 69 ff. - Franzen ; näher zum Begriff der Diskriminierung Kingreen, Die Struktur
A. Grundfreiheiten als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote
99
an verbotene Differenzierungsmerkmale anknüpfen. Zu denken ist etwa an bestimmte Berufszugangsanforderungen, die gleichermaßen In- und Ausländer treffen, jedoch regelmäßig für den Ausländer aufgrund stark unterschiedlicher Regelungen in seinem Land schwerer zu erfüllen sind. Beschränkungsverbote wurden den Grundfreiheiten durch die Rechtsprechung des EuGH erst allmählich entnommen, während ihre Existenz und ihr genauer Inhalt bis heute umstritten sind3. In der Rechtswirklichkeit verbieten sie grundsätzlich alle Behinderungen der Ausübung der Grundfreiheiten, ohne dass es auf einen Vergleich mit der Behandlung von anderen Personen ankommt, und entsprechen nicht der ursprünglichen Funktion der Grundfreiheiten, die auf den Abbau der unterschiedlichen Behandlung der Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten zielten. Das Beschränkungsverbot entstand aufgrund der Erwägung, dass auch nicht-diskriminierende Maßnahmen Hemmnisse des Binnenmarktes hervorrufen können, ohne deren Erfassung der Binnenmarkt in vielen Bereichen nicht zu verwirklichen sei4. Der Gerichtshof entwickelte in der bekannten Entscheidung Dassonville bei der Prüfung einer möglichen Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EGV) eine Definition für die Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung und entwickelte damit das auch heute noch geltende Beschränkungsverbot. Danach sind „alle staatlichen Maßnahmen, die geeignet sind, unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern", als Maßnahmen gleicher Wirkung anzusehen5. Im Laufe der Zeit folgte eine vergleichbare Rechtsprechung im Hinblick auf die anderen Grundfreiheiten. Bei ihnen wendet der EuGH zur Ermittlung einer Beschränkung zwar nicht ausdrücklich die Dassonville-Formel an, zieht jedoch ihr entsprechende Kriterien heran. Demgemäß liegt eine Beschränkung der Niederlassungs- oder der Dienstleistungsfreiheit vor, wenn Maßnahmen der Mitgliedstaaten die Ausübung einer dieser Freiheiten „behindern oder weniger attraktiv machen"6; entsprechend prüft er auch eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Kapitalverkehrsfreiheit 7. Damit hat sich der Gerichtshof bei der Definition der Beschränkung der anderen Grundfreiheiten eng an die Dassonvilleder Grundfreiheiten, S. 120 ff. m. w. N.; Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, S. 56 ff. sowie Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung, S. 39 ff. 3 Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 1, S. 162; für eine partielle Zurücknahme des Beschränkungsverbots etwa Eilmansberger, JB1. 1999, 345 ff.; differenzierend Jarass, EuR 2000, 705 (710 f.); hierzu ausführlich Fünfter Teil, C. HI. 1. b). 4 Vgl. die Argumentation des EuGH in der das Beschränkungsverbot begründenden Dassonville- Entscheidung, EuGH, Slg. 1974, 837, Rn. 2 ff. - Dassonville. 5 EuGH, Slg. 1974, 837, Rn. 5 - Dassonville. Zur Reichweite des Beschränkungsbegriffes Heermann, WRP 1999, 381 ff. 6 EuGH, Slg. 1995, 1-4165, Rn. 37 - Gebhard; EuGH, Slg. 1991, 1-4221, Rn. 12 ff. Säger. 7 EuGH, Slg. 2000, 1-493, Rn. 21 - Graf; EuGH, Slg. 2002, 1-4781, Rn. 41 - Goldene Aktien II. i*
100
5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
Formel angelehnt, und es besteht ein weitgehend einheitlicher Beschränkungsbegriff 8.
B. Das Problem des weiten Tatbestandes der Grundfreiheiten in ihrer negatorischen Funktion Die Entwicklung vom Diskriminierungs- zum allgemeinen Beschränkungsverbot durch den EuGH führte zu zahlreichen Folgeproblemen, die zum größten Teil heute noch immer nicht gelöst sind und auch Auswirkungen auf den Tatbestand der Schutzpflichten haben, wenn man wie der EuGH davon ausgeht, dass die Mitgliedstaaten die Pflicht haben, alle unmittelbaren und mittelbaren, tatsächlichen oder potentiellen Beschränkungen der Grundfreiheiten zu beseitigen9. Die Annahme eines allgemeinen Beschränkungsverbotes bedeutet eine beträchtliche Erweiterung der ursprünglichen Funktion der Grundfreiheiten, die darin bestand, zwischenstaatliche Beschränkungen abzubauen, die aufgrund der Staatsangehörigkeit einer Person oder der Herkunft eines Produkts oder einer Dienstleistung bestehen10. Um weiterhin einen gewissen Vergleich zwischen in- und ausländischen Sachverhalten erforderlich zu machen, dient das Kriterium des grenzüberschreitenden Bezugs. Es soll sicherstellen, dass nicht reine Inlandssachverhalte an den Grundfreiheiten gemessen werden. Bei konsequenter Anwendung dieses Kriteriums wird das allgemeine Beschränkungsverbot zu einem gewissen Grade einem Diskriminierungsverbot angenähert. Es hat durch die Rechtsprechung des EuGH jedoch deutlich an Kontur verloren, da auch bloße Spuren eines grenzüberschreitenden Bezuges ausreichen können, wenn jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass die Ausübung grenzüberschreitender Aktivitäten erschwert wird 1 1 . Sogar rein innerstaatliche Maßnahmen wurden nicht selten an den Grundfreiheiten gemessen, da es nach Ansicht des EuGH auch dort nicht ausgeschlossen war, dass bestimmte innerstaatliche Regelungen zu einem Rückgang von Importen führen können 12 . 8 Umfassend zu einer möglichen unterschiedlichen Akzentuierung des Beschränkungsverbots Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, S. 198 ff. Eine Klageflut auch auf die anderen Grundfreiheiten gestützt befürchten Johnson/O'Keeffe, CMLR 1994,1313 (1329 ff.). 9 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 29 - Kommission/Frankreich. 10 Für die Funktion der Grundfreiheiten als Verbote von Zugangshindemissen EuGH, Slg. 2001,1-1795, Rn. 8 - Gourmet International; vgl. zu diesem Thema Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 84 ff., der den Verbotsgehalt der Grundfreiheiten in jedem Fall auf ein Diskriminierungsverbot beschränkt sehen will; vgl. auch Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, S. 77 ff.
n Vgl. etwa EuGH, Slg. 2002,1-6279 ff. - Carpenter. Der EuGH bejahte in dieser Rechtssache einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit durch die Ausweisung der philippinischen Ehefrau eines britischen Verkäufers von Werbeflächen für Zeitschriften; hierzu Epiney, NVwZ 2004, 555 (562 f.); vgl. auch EuGH, Slg. 2000, 1-10663 - Guimont sowie EuGH, Slg. 1997,1-2343, Rn. 41 ff. - Pistre.
B. Das Problem des weiteren Tatbestandes der Grundfreiheiten
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Ein weiterer Grund für die Uferlosigkeit des Beschränkungstatbestandes ist die Tatsache, dass nach der Dassonville-Formel keine tatsächliche Beeinträchtigung einer Grundfreiheit erforderlich ist, da eine Eignung zu einer Beschränkung der Grundfreiheiten ausreicht. Die Definitionen der Beschränkungen für die anderen Grundfreiheiten schließen sich diesem weiten Beschränkungsbegriff an, indem eine Beschränkung angenommen wird, wenn eine Maßnahme die Ausübung der Grundfreiheiten behindert oder weniger attraktiv macht 13. Eine tatsächliche Beeinträchtigung der Grundfreiheiten ist damit nicht erforderlich, es reicht aus, dass eine solche nur möglich ist 14 . Die Frage des Ausmaßes der Beeinträchtigung des Binnenmarktes ist für das Vorliegen einer Beschränkung ebenfalls von keinerlei Bedeutung. Sie ist nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Prüfung der Schranken-Schranken der Rechtfertigungsgründe von Interesse, da eine vernünftige Relation von Mittel und Zweck gewahrt werden muss. Der EuGH äußerte bei einer möglichen, aber nicht sicher vorliegenden Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit, dass es zwar wenig wahrscheinlich sei, dass sich die Verbraucher durch die in Frage stehende Regelung vom Erwerb der Erzeugnisse abhalten ließen. Gleichwohl könne man nicht ausschließen, dass negative Folgen für das Verkaufsvolumen und damit auch für das Einfuhrvolumen auftreten 15. Die Annahme eines allgemeinen Beschränkungsverbotes hat weitreichende Folgen auch für die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten. Je weiter der Begriff der Beschränkung gefasst ist, desto mehr mitgliedstaatliche Regelungen fallen in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts und bedürfen einer gemeinschaftsrechtlichen Legitimation 16 . Angesichts des Subsidiaritätsprinzips und des föderalen Ansatzes der Gemeinschaft ist dies bedenklich. Der EuGH äußerte schließlich selbst, dass die Wirtschaftsteilnehmer immer häufiger die Grundfreiheiten instrumentalisieren würden, um jedwede Regelung zu beanstanden, die sich als Beschränkung ihrer geschäftlichen Freiheit •2 Vgl. EuGH, Slg. 1997,1-2343, Rn. 41 ff. - Pistre; EuGH, Slg. 2000,1-10663, Rn. 35 ff. - Guimont. 13 EuGH, Slg. 1995, 1-4165, Rn. 37 - Gebhard; EuGH, Slg. 1991, 1-4221, Rn. 12 ff. Säger. Die Beurteilung der Frage, ob die Ausübung einer der Grundfreiheiten durch bestimmte staatliche Maßnahmen weniger attraktiv wird, verlangt eine gewisse Prognoseentscheidung über ein nicht vollständig berechenbares Verhalten der Marktteilnehmer. Das Abstellen auf die geringere Attraktivität der Ausübung einer Grundfreiheit ermöglicht sogar eine noch weitere Auslegung des Beschränkungsbegriffes. 14
Vgl. Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 156, 173 f.; Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. 1, S. 162 ff.; zur Konvergenz der Grundfreiheiten vgl. Eberhartinger, EWS 1997,43; Jarass, EuR 2000, 705. So die Argumentation beim Sonntagsverkaufsverbot EuGH, Slg. 1991,1-997, Rn. 8 Conforama. 16 Nettesheim, NVwZ 1996, 342 (344). Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, S. 232, ist der Ansicht, ein allgemeines Beschränkungsverbot ohne eine Besinnung auf die eigentliche Funktion der Grundfreiheiten wäre nur bei bundesstaatlichen Strukturen zu rechtfertigen.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
auswirkt, auch wenn sie nicht auf Personen oder Wirtschaftsgüter aus anderen Mitgliedstaaten gerichtet ist 1 7 . Der EuGH hat das mit dem sehr weiten Beschränkungsbegriff verbundene Problem erkannt und die Dassonville-Formel durch die Entscheidung Keck für die Warenverkehrsfreiheit im Wege einer teleologischen Reduktion eingeschränkt 18. Verkaufs- und Absatzmodalitäten, die für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer unterschiedslos gelten und den Absatz in- und ausländischer Produkte rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren, gelten danach nicht mehr als Maßnahme gleicher Wirkung, wenn weder eine offene noch eine versteckte Diskriminierung vorliegt 19 . Die sogenannte Keck-Formel ist ein erster Lösungsansatz, da sie es trotz einiger Ungereimtheiten vermag, den weiten Beschränkungstatbestand sinnvoll einzuschränken. Sie lässt alle Maßnahmen aus dem Beschränkungstatbestand herausfallen, die nur die Gestaltungsmöglichkeiten im Markt treffen, und verhindert damit, dass sich die Unionsbürger auf die Grundfreiheiten als allgemeine Deregulierungsansprüche berufen. Der EuGH hat indes die Keck-Formel nicht immer konsequent angewendet20, zudem ist es nach wie vor nicht geklärt, ob sie auf die anderen Grundfreiheiten übertragbar ist 2 1 . Unter Berücksichtigung dieser Entscheidung wird nicht selten weiterhin die Weite des nunmehr etwas verengten Beschränkungsbegriffes kritisiert, und es werden verschiedenste Vorschläge gemacht, den Beschränkungsbegriff zu begrenzen 22. Im Schrifttum wird es mittlerweile als eine der wichtigsten Fragen der jüngeren Grundfreiheitsdogmatik angesehen, wie weit das allgemeine Beschränkungsverbot zu interpretieren ist 2 3 .
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes Bei der Bestimmung des Tatbestandes, dessen Vorliegen die Schutzpflicht auslöst, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Staat verpflichtet werden kann, positive Handlungen zur Abwehr der Beeinträchtigung der Gründls EuGH, Slg. 1993,1-6097, Rn. 14 - Keck und Mithouard. 18 EuGH, Slg. 1993, 1-6097, Rn. 16 - Keck und Mithouard; kritisch zu dieser Entscheidung Weyer, EuZW 2004,455 ff.; instruktiv Heermann, GRURint 1999,579 ff. 19 EuGH, Slg. 1993,1-6097, Rn. 16 - Keck und Mithouard. 20
Beispiele für eine Inkonsistenz in seiner Rechtsprechung finden sich bei Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (572 ff.). 21 Ausführlich hierzu Fünfter Teil, C. III. 1. b). 22 Ein umfassender Überblick über die verschiedensten Beschränkungsversuche findet sich bei Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV, S. 420 ff. 23
So Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 39; vgl. hierzu insbesondere auch Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, S. 112 ff. und Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV, S. 420 ff.
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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freiheiten vorzunehmen und inwieweit es Parallelen zur Dogmatik der Grundfreiheiten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension gibt.
I. Rechtsprechung des EuGH Da man für den Bereich der Schutzpflichten noch auf keinerlei Kriterien zurückgreifen kann, die eine Verpflichtung des Staates zum Eingreifen konkretisieren, hat der EuGH in den beiden Urteilen zu den Schutzpflichten auf die DassonvilleFormel zurückgegriffen. Er äußerte sich zum Tatbestand der Schutzpflichten wie folgt: „Das bedeutet nach dem Kontext dieser Bestimmung [Art. 28 EGV] , dass alle unmittelbaren oder mittelbaren, tatsächlichen oder potentiellen Beeinträchtigungen der Einfuhrströme im innergemeinschaftlichen Handel beseitigt werden sollen" 24 .
Der EuGH stellt in beiden Entscheidungen auf Beeinträchtigungen im umfassenden Sinne ab, d. h. sowohl auf staatlich als auch auf nicht-staatlich verursachte Hemmnisse, und verpflichtet die Mitgliedstaaten zu deren Beseitigung durch ein positives Tun. Die Anlehnung an die Dassonville-Formel zur Bestimmung der Handlungspflichten der Mitgliedstaaten ist zwar auf den ersten Blick nahe liegend, da es für Schutzpflichten der Mitgliedstaaten noch keinerlei dogmatisches Gerüst gibt. Der EuGH scheint jedoch durch die Übertragung der Dogmatik der Grundfreiheiten in ihrer abwehrrechtlichen Funktion auf die Schutzpflichten grundsätzlich davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten im umfassenden Sinne für die Beseitigung aller Störungen des Binnenmarktes verantwortlich sind. Indes ist diese Bestimmung der die Schutzpflichten auslösenden Voraussetzungen uferlos und dürfte zu erheblichen Folgeproblemen führen, da jede unbedeutende Handlung Privater und alle sonstigen anderen Einflüsse nicht-staatlicher Art, die sich negativ auf den Binnenmarkt auswirken könnten, eine Schutzpflicht auslösen würden. Der EuGH ist in beiden Entscheidungen zu den mitgliedstaatlichen Schutzpflichten von einer solchen umfangreichen Pflicht der Mitgliedstaaten ausgegangen, und es ist anzunehmen, dass er sich bei nachfolgenden Entscheidungen auf diese „Grundsatzurteile" beziehen wird. Aus diesem Grunde soll trotz großer Bedenken zunächst von diesem Ansatz ausgegangen werden, da man ohnedies nicht umhinkommt, präzisere Kriterien für den Tatbestand zu entwickeln, dessen Erfüllung eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten auslöst. Anders als bei dem von der Dassonville-Formel geprägten Beschränkungsbegriff im Rahmen der negatorischen Funktion der Grundfreiheiten stellt man bei dieser Betrachtungsweise nicht auf einen verbotenen Eingriff der Mitgliedstaaten ab, sondern gebietet ihnen Schutzhandlungen, deren Nichterfüllung implizit als 24 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 29 - Kommission/Frankreich; Rn. 59 - Schmidberger/Österreich.
EuGH, Slg. 2003,1-5659,
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
Eingriff angesehen wird. Der Aufbau der Prüfung einer Schutzpflicht ist vor diesem Hintergrund insofern anders, als bei den Grundfreiheiten in ihrer klassischen Funktion die Beschränkung auch gleichzeitig der staatliche Eingriff ist, während bei den Schutzpflichten die Beschränkung einer Grundfreiheit noch nicht den Eingriff darstellt. Ein Eingriff in die Grundfreiheit in ihrer Funktion als Schutzpflicht liegt dann vor, wenn Handlungen Privater die Grundfreiheiten beeinträchtigen und der Staat nichts oder nicht genug getan hat. Die Handlungen der Privatpersonen, die zu Beschränkungen der Grundfreiheiten führen, stellen deshalb nicht den Eingriff dar, weil auch die Schutzpflichten nur eine staatliche Verantwortlichkeit begründen.
IL Probleme des weiten Beschränkungsverbotes bei den Schutzpflichten Die Heranziehung der Dassonville-Formel zur Bestimmung einer staatlichen Schutzpflicht führt zu noch weitaus größeren Problemen, da durchweg alle nichtstaatlich verursachten tatsächlichen oder potentiellen Beeinträchtigungen des Binnenmarktes die Mitgliedstaaten zur Vornahme von Schutzhandlungen verpflichten würden. Die unveränderte Übertragung der Dassonville-Formel auf die Schutzpflichten würde dazu führen, dass ihr Tatbestand vollkommen konturlos werden würde. Eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten wäre nämlich bei allen Handlungen Privater, die sich potentiell negativ auf den Binnenmarkt auswirken könnten, anzunehmen. Dies wäre bei derart vielen Handlungen Privater der Fall, dass für privatautonome Entscheidungen kaum Raum bleiben würde und die Mitgliedstaaten über alle Maßen beansprucht würden. Jede Werbemaßnahme, die Veröffentlichung von Warentests oder der Abschluss von Exklusivverträgen zwischen Privatpersonen, selbst der einfache Vertragsschluss mit einer inländischen Partei, ist potentiell geeignet, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen. Dies gilt ebenso für Unfälle, die wichtige Infrastruktur beeinträchtigen, wie Telefonnetze, Autobahnen, Flughäfen und Wasserstraßen, oder für viele Aktivitäten im privaten Lebensbereich, wie etwa der Versuch, den Ehepartner davon abzuhalten, in einem anderen Mitgliedstaat einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es würde in hohem Maß der Konzeption des Binnenmarktes widersprechen, wenn der Staat verpflichtet wäre, sich all diesen Hindernissen entgegenzustellen. Im Binnenmarkt treten Handelsgüter oder Personen aus den verschiedenen Mitgliedstaaten zueinander in Konkurrenz. Dieses Konkurrenzverhältnis führt zu einem verstärkten Wettbewerb, bei dem es zu vielfältigen Einwirkungen auf den Absatz der Wirtschaftsgüter aus anderen Mitgliedstaaten kommen kann. Im Rahmen dieses erwünschten Wettbewerbs kann jede wirtschaftliche Tätigkeit zum Zwecke der Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Position eine solche negative Einwirkung verursachen. Alle diese Handlungen würden bei so weit verstandenen Schutzpflichten zu einem Störverhalten werden, das ein staatliches Eingrei-
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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fen erfordert 25. Die wirtschaftlich freie Entfaltung der Bürger und die wirksame Ausübung der Grundfreiheiten im Binnenmarkt setzen weitgehend dieselben Freiheitsrechte voraus, da die Grundfreiheiten sich ohne Vertrags- und Handelsfreiheit nicht entfalten könnten. Die Privatautonomie, verstanden als das Recht des Einzelnen, seine Rechtsverhältnisse nach seinem Willen selbst und eigenverantwortlich gestalten zu können 26 , ist die wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung der Grundfreiheiten und damit auch des Binnenmarktes. Die Funktion der Grundfreiheiten besteht in der Erweiterung der Privatautonomie auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet, und es würde ein eklatanter Widerspruch darin liegen, das gesamte Handlungsspektrum privater Akteure des Binnenmarktes über die Funktion der Schutzpflicht mittelbar an den Grundfreiheiten zu messen27. Hätten die Mitgliedstaaten in all diesen Fällen einzugreifen, würde sich dies auch nachteilig auf zahlreiche andere Grundrechte der privaten Verursacher der Binnenmarktstörungen auswirken, wie z. B. auf die Versammlungs- oder die Koalitionsfreiheit. Hätte sich sämtliches Verhalten Privater durch die Annahme umfänglicher Schutzpflichten einer Abwägung mit den Grundfreiheiten zu stellen, würden ihre Grundrechte einen Großteil ihrer Bedeutung einbüßen, da sie gemeinschaftsweit als Abwehrrechte gegen den Staat konzipiert sind und sich grundsätzlich nur bei staatlichen Eingriffen zu einer Abwägung mit staatlichen Interessen stellen müssen28. Die Grundfreiheiten bezwecken nicht den Schutz der Marktteilnehmer vor Konkurrenten oder eine Verteilungs- oder Ergebnisgleichheit hinsichtlich der positiven Folgen der Marktöffnung 29. Zudem würden die Kompetenzen der Mitgliedstaaten ohne eine Begrenzung ihrer Verpflichtungen gegenüber dem Einzelnen und der Gemeinschaft deutlich eingeschränkt, was dem Subsidiaritätsprinzip und dem föderalen Ansatz der Gemeinschaft zuwiderlaufen würde. Schutzpflichten als Reaktion alleine auf Diskriminierungen der Privatpersonen untereinander sind ebenfalls problematisch, da der Binnenmarkt die Freiheit der Marktteilnehmer gewährleisten will, sich ohne jegliche Zwänge von außen für oder gegen Personen und Wirtschaftsgüter zu entscheiden, welche Gründe sie auch immer dafür haben mögen. 25 Vgl. Meurer, EWS 1998,196 (198), der betont, dass die Grundfreiheiten zwar vor unzulässigen Behinderungen zu schützen sind, nicht aber vor in- oder ausländischer Konkurrenz schützen sollen; vgl. außerdem Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EGV, Art. 28, Rn. 3. 26 Vgl. für das deutsche Recht Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 101. 27 Vgl. auch Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 198 ff.; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, EGV, Art. 28, Rn. 7; zur Bedeutung der Privatautonomie im Gemeinschaftsrecht Grundmann, JZ 2000,1133 (1134 ff.). 28 Diese Erwägungen gelten zwar in erster Linie der Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung. Bei der Annahme einer staatlichen Schutzpflicht als Alternative zu einer unmittelbaren Drittwirkung stellt sich indes ebenfalls die Frage, ob und inwieweit der Staat das Verhalten Privater unterbinden muss und darf, wenn auch nicht mit der gleichen Brisanz. 29 Müller-Graff, in: von der Groeben /Schwarze, EGV, Art. 28, Rn. 1; Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 178.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
Ohne ein Korrektiv für den Tatbestand der Schutzpflichten würde es zu einer Ausuferung des Anwendungsbereiches der Grundfreiheiten kommen, die weit über ihr Ziel hinausschießt. Auch im Schrifttum besteht über die Notwendigkeit eines Korrektivs weitgehend Einigkeit, wenn auch sehr unterschiedliche Lösungsansätze vorgeschlagen werden 30. Der Notwendigkeit der Schaffung eines Korrektivs steht nicht entgegen, dass der EuGH in den Fällen, in denen er eine staatliche Schutzpflicht für die Grundfreiheiten angenommen hat, die Dassonville-Formel ohne Einschränkungen angewendet hat 31 . Der EuGH betrat mit seiner Rechtsprechung zu den Schutzpflichten rechtliches Neuland und hatte zudem Fälle zu entscheiden, in denen es um gravierende, durch eine Vielzahl von Personen hervorgerufene Störungen des Binnenmarktes ging, die viele der hier zu untersuchenden Fragen erst gar nicht aufwarfen. Die Problematik ist im Übrigen zumindest in Ansätzen vergleichbar mit derjenigen der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten, für die ihre Befürworter zum Teil vergleichbare Forderungen nach einer Eingrenzung der Drittwirkungsfälle aufgrund ihrer Grundrechtsrelevanz erhoben haben32. Die Entwicklung eines Korrektivs ist in jedem Fall schon auf der Ebene des Tatbestandes notwendig. Zwar wäre es grundsätzlich möglich, eine Einschränkung des Anwendungsbereiches der Schutzpflichten erst auf der Ebene der Rechtfertigung vorzunehmen, indem man dort berücksichtigen würde, dass sich zahlreiche Behinderungen des Binnenmarktes als eine Ausübung von Grundrechten darstellen. Dies würde allerdings für eine Reduzierung des Anwendungsbereiches der Schutzpflichten bei weitem nicht ausreichen, da sich jedes erwünschte Verhalten von Privatpersonen auf dem Binnenmarkt einer Abwägung mit den Grundfreiheiten zu stellen hätte, obwohl es grundsätzlich erst gar nicht als Eingriff angesehen werden dürfte. In diesem Fall würde über die Funktion der Schutzpflichten eine uneingeschränkte mittelbare Drittwirkung der Privaten an die Grundfreiheiten bestehen, die dem Grundsatz der Selbstregulierung des Binnenmarktes widersprechen würde. Der Ausgleich mit entgegenstehenden Grundrechten kann erst relevant werden, wenn der Mitgliedstaat verpflichtet ist, in Erfüllung seiner Schutzpflicht für die Grundfreiheiten zu handeln, da er in dieser Situation überlegen muss, wie er seine Schutzpflicht erfüllen kann bzw. welche Grenzen ihr gesetzt sind 33 . Erst auf der Ebene der Rechtsfolge ist relevant, mit welchen Mitteln der Staat seine Schutzpflicht erfüllen kann. Die Schaffung des Ausgleichs auf der Tatbestandsebene wäre für eine einzelfallbezogene Betrachtung des betreffenden Fal30 Die verschiedenen Lösungsvorschläge werden im folgenden Kapitel dargestellt; auch bei den Schutzpflichten der anderen Rechtsordnungen gibt es das Problem der präzisen Bestimmung des Tatbestandes, jedoch ist das Problem der tatbestandlichen Weite nicht so virulent wie bei den Schutzpflichten für die Grundfreiheiten des EG-Vertrags. Vgl. hierzu Zweiter Teil, B., C. und D. 31 EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 56 - Schmidberger/Österreich; EuGH Slg. 1997,1-6959, Rn. 29 - Kommission/Frankreich. 32 Vgl. hierzu Dritter Teil, B. HL 33
Zum Inhalt der Schutzpflichten Sechster Teil, B. II.
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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les zu starr, da der Staat ein milderes Mittel anwenden muss, wenn er zur effektiven Erfüllung der Schutzpflichten die Grundrechte seiner Bürger übermäßig einschränken müsste34.
m . Versuch der Beschränkung des Tatbestandes Angesichts der vielen verschiedenen Möglichkeiten der Einschränkung des Tatbestandes, dessen Erfüllung die Schutzpflicht auslöst, ist es unabdingbar, das Ziel festzulegen, das mit der Beschränkung genau verfolgt wird. Es sollen schließlich nicht einfach quantitativ weniger Fallkonstellationen der Binnenmarktstörungen durch Private eine Schutzpflicht auslösen, sondern es sollen gezielt die Verhaltensweisen aus dem weiten Schutzpflichttatbestand herausgenommen werden, die aufgrund einer Wertung keine Schutzpflichten auslösen sollen. Zu diesem Zweck ist es notwendig, einige allgemeine Überlegungen anzustellen, ob und inwieweit die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten in Bezug auf die private Lebens- und Vertragsgestaltung ihrer Bürger Regeln aufstellen können und sollen. Dies ist insofern eine rechtliche Frage, als die Wirtschaftsverfassung der EG auf bestimmten Grundlagen beruht, die zu beachten sind 35 . Darüber hinaus ist dies auch eine rechtspolitische Frage, da das Prinzip der freien Marktwirtschaft in einigen Fällen durch eine Konzentration von Macht nach einem Ausgleich verlangt, für den Regeln zu entwickeln sind, die in hohem Maße weitungsabhängig sind 36 .
1. Ziel der Beschränkung vor dem Hintergrund der Wirtschaftsverfassung der EG Der Grundsatz der Selbstregulierung des Binnenmarktes trägt der Tatsache Rechnung, dass Privatpersonen ihre Interessen im gleichrangigen Austausch am besten vertreten können. Er basiert auf dem freien Wettbewerb, der die Wirtschaftsteilnehmer grundsätzlich ohne Druck von außen dazu bringt, auf die Anwendung irrationaler Kriterien zu verzichten, da die Heranziehung anderer als ökonomischer Gesichtspunkte auf dem Markt regelmäßig einen Wettbewerbsnachteil schafft 37. Die privaten Wirtschaftsteilnehmer verfügen in aller Regel über die gleichen Mittel und können daher selbst bestimmen, welche Bedingungen zwischen ihnen gelten sollen 38 . Die Freiheit ihrer Handlungen ist die Bedingung für die 34 Vgl. hierzu auch Fünfter Teil, C. m . 2. b). 35
Ausführlich zur Wirtschaftsverfassung der EG Dritter Teil, A. I. Vgl. Homburger, Recht und private Wirtschaftsmacht, S. 31 f. sowie Böhm, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, S. 53 ff. 37 Vgl. Baer, ZRP 2002, 290 (294) m. w. N. Engel, in: Engel/Halfmann/Schulte (Hrsg.), Wissen, Nichtwissen, Unsicheres Wissen, S. 305 (324 f.), ist indes der Ansicht, dass Menschen regelmäßig irrationale Entscheidungen treffen. 36
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes, da dieser dadurch gekennzeichnet ist, dass jeder Marktteilnehmer Vorteile für sich sucht und nutzt. Die Fähigkeit des freien Wettbewerbs, die Marktteilnehmer zur Verfolgung rationaler Kriterien zu bewegen und dadurch ein Gleichgewicht herzustellen, ist in der Praxis insofern zu relativieren, als zahlreiche Möglichkeiten der Beschränkungen von Grundfreiheiten denkbar sind, die nicht zwangsläufig für den Verursacher der Störung ökonomisch nachteilig sein müssen, wie etwa Marktabschottungsmaßnahmen, die gerade darauf abzielen, die Konkurrenz aus anderen Mitgliedstaaten daran zu hindern, auf dem eigenen Markt Fuß zu fassen. Beschränkungen der Grundfreiheiten durch Private können auch durch andere Ziele als durch den Ausbau einer vorteilhaften wirtschaftlichen Stellung motiviert sein, wie etwa durch sozial- oder umweltschutzpolitische Ziele oder zur Durchsetzung von Verbraucherinteressen. Dies betrifft etwa Streiks, Demonstrationen, Warentests oder Boykottaufrufe. Hinzu kommt, dass private Wirtschaftsteilnehmer ohne staatliche Hilfestellung häufig nicht in der Lage sind, die ökonomischen Vorteile des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs für sich zu nutzen, weil sie nicht immer die Vergleichbarkeit der Qualitätsanforderungen an Waren und Dienstleistungen oder der Ausbildung ausländischer Arbeitnehmer selbst einschätzen können, da sie nicht wie der Staat die Mittel dafür besitzen. Häufig entstehen Hindernisse des Binnenmarktes nämlich nicht durch Qualitätsunterschiede von Waren oder Dienstleistungen, sondern durch mangelndes Vertrauen in Wirtschaftsgüter anderer Mitgliedstaaten oder aufgrund von Ängsten, die Risiken der Inanspruchnahme von grenzüberschreitenden Waren und Dienstleistungen nicht abschätzen zu können 39 . Schutzpflichten der Mitgliedstaaten führen zwar nicht zu einer direkten Bindung der Privatpersonen an die Grundfreiheiten, da sie Pflichten des Staates zum Inhalt haben und einen Durchgriff auf Private nicht kennen. Sie führen im äußersten Fall jedoch dazu, dass der Staat den Privaten ein Verhalten untersagen muss. Ein solches Verbot ist im Ergebnis genauso eingriffsintensiv wie eine unmittelbare Drittwirkung. Zwar sind Schutzpflichten in der Regel ein milderes Mittel als eine direkte Bindung der Privatpersonen an die Grundfreiheiten, da der Staat neben der Möglichkeit des Erlasses von Verbotsnormen zahlreiche andere Möglichkeiten zur Erfüllung seiner Verpflichtung zum Schutz hat 40 . Bedenken gegen eine staatliche 38 Die Ausnahmen von diesem Grundsatz sind das nicht-dispositive Recht und gesetzliche Verbote. 39 Vgl. den ersten Erwägungsgrund der Kommission zur Begründung ihres Entwurfes einer Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM (2004) 2 v. 13. 1. 2004; vgl. hierzu auch die Klarstellungen der Kommission über Dienstleistungen im Binnenmarkt, EuZW 2002, 418; zu diesem Richtlinienentwurf Basedow, EuZW 2004, 423 ff. sowie Schaub, AnwBl. 2004, 263 ff. Viele Hindernisse des Binnenmarktes verlangen indes nicht nach staatlichen Schutzpflichten, sondern nach einer Rechtsangleichung durch gemeinschaftliches Sekundärrecht nach Art. 95 EGV; zu den Problemen der Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarktes Everling, FS Steindorff, S. 1155 ff. 40 Zum möglichen Inhalt der Schutzpflichten Sechster Teil, B. II.
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Schutzpflicht in diesen Fällen bestehen jedoch insbesondere aufgrund der Tatsache, dass sich private Wirtschaftsteilnehmer auf ihr auch gemeinschaftsrechtlich geschütztes Grundrecht der Privatautonomie berufen können, das ihnen eine umfängliche Abschluss- und Inhaltsfreiheit einräumt 41. Diskriminierungen von privater Seite sind zwar nicht wünschenswert, jedoch ist die Möglichkeit, seine Vertragspartner nach beliebigen Kriterien auszusuchen, ein wesentlicher Bestandteil einer auf dem freien Wettbewerb und dem Grundsatz der Privatautonomie beruhenden Wirtschaftsordnung 42. Irrationale Entscheidungen der privaten Marktteilnehmer, die durch ihre Handlungen den freien Austausch von Personen und Wirtschaftsgütern zwischen den Mitgliedstaaten behindern, sind Teil des Binnenmarktes und sollen nach dessen Konzeption mit der Zeit ganz von selbst ihre Bedeutung verlieren. Funktioniert der Prozess der Selbstregulierung in einzelnen Fällen nicht, führt dies in Fällen außerhalb des Wettbewerbsrechts aufgrund der zumeist geringen Bedeutung dieser Störungen durch Privatpersonen nicht dazu, dass seine Funktionsfähigkeit grundsätzlich anzuzweifeln ist. In einigen Bereichen mag man eine staatliche Regulierung akzeptieren 43, indes kann der Staat schwerlich in jedem Fall eingreifen, in dem ein Privater die Ausübung der Grundfreiheiten eines anderen behindert. Gerade in Fällen, in denen es um die innere Motivlage der ökonomischen Entscheidungen der privaten Wirtschaftsteilnehmer geht, müssten sich die Bürger vor jedem Vertragsschluss ihre Motive bewusst machen, da sich viele ihrer Entscheidungen nicht nur auf ein einziges Motiv zurückführen lassen und häufig auch unbewusste Elemente beinhalten, und im Streitfall ihre Beweggründe für ihr Verhalten offenbaren. Die Existenz der durch Privatpersonen verursachten Hindernisse alleine kann jedenfalls nicht notwendig dazu führen, dass die Mitgliedstaaten gehalten sind, sie zu verhindern oder zu ahnden. Staatliche Interventionen in den Binnenmarkt sind vielmehr als Ausnahmen anzusehen, die nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände notwendig sind. Die Notwendigkeit eines staatlichen Einschreitens dürfte jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn die Mechanismen von Markt und Wettbewerb in dem konkreten Fall versagen. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn ein so starkes Ungleichgewicht im Hinblick auf den Besitz wirtschaftlicher Macht zwischen den privaten Marktteilnehmern besteht, dass die weniger mächtigen Privaten daran gehindert werden, nach ihren eigenen Präferenzen freie ökonomische Entscheidungen zu treffen, so dass die Ausnutzung der wirtschaftlichen Macht die Selbstregulierungs41
Zum Grundrecht der Privatautonomie im Gemeinschaftsrecht Hintersteininger, Binnenmarkt und Privatautonomie, S. 273. 42 Aus diesem Grunde geht der deutsche Entwurf zu einem Anti-Diskriminierungsgesetz auch zu weit, wenn er selbst private Vermieter an das Diskriminierungsverbot binden will, vgl. § 2 Nr. 8 des Entwurfes. 43 Dies betrifft etwa Art. 141 EGV mit seiner Erstreckung auf private Arbeitgeber oder die Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund von Behinderungen oder der Rasse von Menschen. Vgl. etwa die Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. EG 2000, L 180, S. 22.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
mechanismen des Marktes gleichsam aushebelt. Indes ist es äußerst schwierig, aus diesem Grundsatz allgemeingültige Folgerungen herzuleiten, da es zahlreiche Situationen gibt, in denen ein Ungleichgewicht zwischen privaten Wirtschaftsteilnehmern vorliegt, ohne dass in jedem Fall ein Einschreiten des Staates als notwendig erscheint. Im Schrifttum wurden mehrere Kriterien zur Einschränkung von Schutzpflichten, aber auch der Grundfreiheiten in ihrer negatorischen Funktion, vorgeschlagen, die zum Teil sehr unterschiedlich sind. Sie sollen im Folgenden dargestellt und bewertet werden.
a) Verständnis der Grundfreiheiten
als Marktzugangsrechte
Unabhängig von der Funktion der Grundfreiheiten als Schutzpflichten ist eine deutliche Tendenz im Schrifttum zu bemerken, eine Rückbesinnung auf die eigentliche Funktion der Grundfreiheiten auf Diskriminierungsverbote oder zumindest auf Marktzugangsrechte zu fordern, die wieder einen größeren Bezug zu einer Benachteiligung grenzüberschreitender Sachverhalte besitzen44. Zwar ist es für die Beschränkung einer Grundfreiheit nach wie vor notwendig, dass ein grenzüberschreitender Bezug besteht, jedoch spielt dieses Erfordernis in der Praxis keine sehr große Rolle mehr, da der EuGH nicht prüft, ob die Beschränkung kausal auf dem Grenzübertritt beruht oder mit ihm in Zusammenhang steht. Zuweilen konstruiert er sogar einen grenzüberschreitenden Bezug, obwohl vielmehr ein Inlandssachverhalt vorliegt 45 . Gerade aufgrund des Bedeutungsrückgangs dieses Merkmals wurde teilweise angenommen, die Grundfreiheiten seien wie die Grundrechte umfassende Freiheitsrechte, die Belastungen der wirtschaftlichen Betätigung auch unabhängig vom Vorliegen eines zwischenstaatlichen Sachverhaltes verbieten 46. Dies entspricht indessen zumindest nicht ihrer ursprünglichen Funktion, die in dem Abbau zwischenstaatlicher Handelshemmnisse liegt und nicht auf die Gewährung einer allgemeinen Marktfreiheit zielt 47 . Die Frage nach dem Umfang des allgemeinen Beschränkungsverbotes gilt als Kardinalfrage der jüngeren Grundrechtsdogmatik 48 . Diese kann sich auch entscheidend auf das Verständnis der Schutzpflichten der Mitgliedstaaten für die Grundfreiheiten auswirken, da auch sie anders 44 Vgl. Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (572); ders., Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 39; Jarass, EuR 1995, 202 (216); etwas zurückhaltender Nettesheim, NVwZ 1996, 342 (343 f.) sowie Streinz, Europarecht, Rn. 677 ff., der eine spezifische Beschränkung der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit fordert; ähnlich auch Classen, EWS 1995, 79 (103 ff.) sowie Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, S. 233, die nur die Behinderungen erfasst sehen wollen, die aus dem Bestehen verschiedener Rechtsordnungen erwachsen. 45 Hierzu Fünfter Teil, B. 46
Zu der Frage, ob die Grundfreiheiten Grundrechte sind, Siebter Teil, B. I. 2. g) aa). A.A. Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 361 ff., der die Grundfreiheiten als allgemeine Wirtschaftsfreiheiten im Sinne von voll ausgebildeten Freiheitsrechten interpretiert. 48 So Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 39. 47
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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zu interpretieren wären und viele Probleme durch die Übertragung der Dassonville-Formel auf den Beschränkungstatbestand der Schutzpflichten durch den EuGH an Brisanz verlieren würden, wenn man ohnehin nicht von einem allgemeinen Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten auszugehen hätte. Aus diesem Grunde soll der Frage nachgegangen werden, ob die Grundfreiheiten generell ein allgemeines Beschränkungsverbot aufstellen. Wenn die Grundfreiheiten eine einschränkende Auslegung erfahren sollten, schließt sich die Frage an, ob auch die Grundfreiheiten in ihrer Funktion als Schutzpflichten klarere Konturen bekommen würden. Eine Interpretation der Grundfreiheiten als allgemeine Beschränkungsverbote stößt mit Recht auf gravierende Vorbehalte. Die Erfassung sämtlicher mitgliedstaatlicher Maßnahmen, die potentiell geeignet sind, den Binnenmarkt zu beeinträchtigen, ist zum einen kompetenzrechtlich bedenklich, da immer mehr mitgliedstaatliche Regelungen dem Gemeinschaftsrecht unterliegen. Sämtliche innerstaatlichen Normen sowie faktisches Verhalten des Staates können bei einer möglichen die Grundfreiheiten beschränkenden Wirkung untersagt werden, wenn nach Auffassung des EuGH ein grenzüberschreitender Bezug vorliegt. Nettesheim spricht von dem „absurden Ergebnis" eines allgemeinen Beschränkungsverbotes, dass die gesamte mitgliedstaatliche Wirtschaftsordnung vom EuGH auf ihre Rechtfertigung zu überprüfen wäre 49 . Es besteht für Inländer zudem die Möglichkeit, bei Vorliegen eines irgendwie gearteten grenzüberschreitenden Bezuges, sich unter Berufung auf das Beschränkungsverbot missliebiger innerstaatlicher Regeln zu entledigen50. Die Funktion der Grundfreiheiten besteht in erster Linie darin, alle Hindernisse zwischen den Mitgliedstaaten für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr abzubauen, nicht aber, allgemeine Gestaltungsrechte im Markt 51 oder eine allgemeine Wirtschaftsfreiheit 52 in Form der völlig freien und größtmöglichen Ausdehnung des Handels zu gewähren. Schützten die Grundfreiheiten sämtliche Modalitäten der Ausübung der Grundfreiheiten auf dem Markt ohne Bezug zum zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr, würden die Grundfreiheiten zu umfassenden Freiheitsrechten uminterpretiert, die alle denkbaren Freiheitsbeeinträchtigungen durch die Mitgliedstaaten verbieten, und die sich von Grundrechten in Form von Freiheitsrechten nicht mehr unterscheiden 53. Aus diesen Gründen ist es notwendig, das allgemeine Beschränkungsverbot sowohl in der abwehrrechtlichen Dimension der Grundfreiheiten als auch im Rahmen der Schutzpflichten einzuschränken. 49 Nettesheim, NVwZ 1996, 342 (343). 50 Vgl. hierzu Fünfter Teil, B. 51 Einer Interpretation der Grundfreiheiten als allgemeine Gestaltungsrechte auf dem Markt wird insbesondere durch Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (573) vehement entgegengetreten, da seiner Ansicht nach die Grundfreiheiten zu einer zweiten „Grundrechtsschicht" gemacht würden. 52 Eine solche vertritt Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 361 ff. 53 Zu der Frage, ob Grundfreiheiten als Grundrechte anzusehen sind, vgl. Siebter Teil, B. I. 2. g) aa).
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
b) Ansätze im Schrifttum Im Schrifttum finden sich unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man eine sachgerechte Einschränkung des allgemeinen Beschränkungsverbotes erreichen könnte. Epiney schlägt vor, nur solche Maßnahmen als Beschränkungen anzusehen, die aus der Existenz verschiedener Rechtsordnungen erwachsen. Der Unionsbürger werde in der Ausübung seiner Grundfreiheiten nur dann behindert, wenn er oder die von ihm zu erbringenden Leistungen „zunächst einer bestimmten nationalen Rechtsordnung und nicht einer anderen unterworfen sind" 54 . Nach Classen soll eine Beschränkung nur dann gegeben sein, wenn die Benachteiligung gerade aufgrund des Grenzübertritts geschieht oder der Fall zwei verschiedenen Rechtsordnungen unterliegt 55. Kingreen versteht die Grundfreiheiten als Gleichheitsrechte, die nur Wirtschaftstätigkeiten mit einem transnationalen Bezug schützen, der vorliege, wenn die Ungleichbehandlung der Vergleichsgruppen auf der Staatsangehörigkeit einer Person oder dem Grenzübertritt einer Person, Ware oder Dienstleistung kausal beruht 56 . Streinz stellt auf die Funktion der Grundfreiheiten ab, die Mobilität zu gewährleisten, ohne dass sie zusätzlich darin bestehe, dass in einem Mitgliedstaat Zustände geschaffen werden, die diese Mobilität fördern. Beschränkungen können seiner Ansicht nach nur bei einer spezifischen Behinderung der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit vorliegen, während andere Hindernisse, wie etwa allgemeine Standortbedingungen, als Bestandteil des offenen wirtschaftlichen Ordnungsrahmens nicht erfasst werden sollen 57 . In Anlehnung an die durch den EuGH zur Tatbestandsreduzierung unternommene Abgrenzung von produktund vertriebsbezogenen Maßnahmen im Bereich der Warenverkehrsfreiheit durch die sogenannte Keck-Formel 5* wird zur Begrenzung des Tatbestandes der Grundfreiheiten von einigen Autoren vorgeschlagen, für alle Grundfreiheiten danach zu differenzieren, ob von der Beschränkung der Markt- bzw. der Berufszugang oder lediglich Modalitäten der Ausübung der von den Grundfreiheiten geschützten Tätigkeiten betroffen sind. Bei einer Beschränkung lediglich der Ausübungsmodalitäten sei kein Eingriff in die Grundfreiheiten gegeben, sofern keine Diskriminierung vorliege 59 . Nettesheim sieht Behinderungen der Personenverkehrsfreiheiten nur dann als Eingriff an, „wenn sie einem Unionsbürger wirtschaftliche Nachteile 54 Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, S. 233. 55 Classen, EWS 1995, 97 (104). 56 Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 117,137 ff.; a.A. Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 214, vertritt die Auffassung, dass die Grundfreiheiten aufgrund der Verwirklichung des Binnenmarktziels allmählich von dem grenzüberschreitenden Bezug zu lösen seien, um damit als echte Gemeinschaftsgrundrechte angesehen zu werden. 57 Streinz, Europarecht, Rn. 681 f. 58 EuGH, Slg. 1993,1-6097 - Keck und Mithouard. 59 Die Anwendung der Keck-Formel im Rahmen der Schutzpflichten bzw. diese Abwandlung wird angesprochen von Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 167; allgemein zur KeckFormel Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 175; Matthies, FS Everling , S. 803 ff.; Heermann, GRURint 1999, S. 579 ff.
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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oder Beschränkungen gerade deshalb auferlegen, weil er seinen wirtschaftlichen Standort grenzüberschreitend verlagert". Auch er verneint eine Beschränkung, wenn sie Teil eines offenen wirtschaftlichen Ordnungsrahmens ist, der allerdings nicht den Markt abschotten darf 60 . Schnichels sieht grundsätzlich nur in marktabschottenden Maßnahmen eine Beschränkung, die insbesondere bei einer wesentlich stärkeren Belastung ausländischer Produkte gegeben sei 61 . Es wird außerdem alleine im Hinblick auf Schutzpflichten vorgeschlagen, solche nur im Falle von Diskriminierungen zu fordern 62. Zahlreiche Autoren weisen ganz allgemein auf die Notwendigkeit der Begrenzung der Grundfreiheiten auf Marktzugangsbeschränkungen hin, ohne indes konkrete Anhaltspunkte zu nennen, nach denen solche gegeben sein sollen 63 . Dieses Meinungsspektrum lässt sich unter Ausblendung der Unterschiede im Detail insgesamt zu einem Kerngedanken zusammenfassen: Beschränkungen der Grundfreiheiten sollen jedenfalls dann verboten sein, wenn sie offene oder versteckte Diskriminierungen darstellen. Zusätzlich sollen nach der Auffassung vieler Autoren Beschränkungen, die keine Diskriminierungen darstellen, noch relevant sein, wenn sie einen deutlicheren Bezug zu einer Grenzüberschreitung besitzen, wobei Unterschiede im Detail bestehen.
c) Vornahme einer Einschränkung auf der Grundlage des Meinungsspektrums Die Grundfreiheiten zielen auf die Ermöglichung des ungehinderten Zugangs von Personen und Wirtschaftsgütern auf die (Teil-)Märkte der einzelnen Mitgliedstaaten, weshalb ihnen am ehesten entsprochen wird, wenn in bestimmten Fällen auch nicht-diskriminierende Beschränkungen erfasst werden. Sie sollen aber keine umfassenden Freiheitsrechte zur Abwehr aller möglichen Beschränkungen sein, die sich von Grundrechten nicht mehr unterscheiden würden. Sie sollen vielmehr weiterhin in vollem Umfang Diskriminierungen und sämtliche Beschränkungen verbieten, die die Berechtigten der Grundfreiheiten daran hindern, ihre Wirtschaftsgüter und ihre Arbeitskraft grenzüberschreitend anzubieten bzw. die 60 Nettesheim, NVwZ 1996, 342 (344), sieht als Teile eines offenen Ordnungsrahmens, die eine marktabschottende Wirkung haben, etwa Beschränkungen von Zweitniederlassungen an. 61 Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, S. 116 f. 62 So Schilling, EuGRZ 2000, 3 (40), der Schutzpflichten nur annehmen will, wenn der Wesensgehalt einer Grundfreiheit beschränkt wird, was grundsätzlich nur bei Diskriminierungen der Fall sei; vgl. auch Jarass, EuR 1995, 202 (216), der die Tatbestandsreduktion unabhängig von der Problematik der Schutzpflichten fordert; Möllers, EuR 1998, 20 (37); für das deutsche Recht Schilling, KritV 1999,452 (459). 63 Vgl. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse, S. 50; Ebenroth, FS Piper, S. 133 (144); Hoffmann, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 44; Reich, EuZW 1991, 203 (207); Hödl, Die Beurteilung von verkaufsbehindernden Maßnahmen, S. 59 f.; Mojzesovicz, Dogmatik der Grundfreiheiten, S. 50 ff.; Eilmansberger, JB1. 1999, 345 (352).
8 Stachel
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
Angebote der Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen. Aus dem Beschränkungsverbot herausfallen sollen deshalb grundsätzlich unterschiedslos wirkende Regelungen der Art und Weise der Ausübung der Grundfreiheiten, die nicht den Zugang zu den Märkten der anderen Mitgliedstaaten versperren, sondern an diejenigen, die den Zugang bereits erhalten haben oder Inländer sind, Anforderungen hinsichtlich der Art und Weise der betreffenden Tätigkeiten aufstellen. Dementsprechend wäre es sachgerecht, für die Annahme einer Beschränkung darauf abzustellen, ob es den Marktteilnehmern erschwert wird, zum Markt eines anderen Mitgliedstaates ohne größere Erschwernisse Zugang zu erhalten oder ob er seine Wirtschaftsgüter dort anbieten kann und er sich lediglich bestimmten Bedingungen unterwerfen muss, die für In- und Ausländer gleichermaßen gelten. Geht es allein um die Modalitäten der Ausübung der Grundfreiheiten im Markt, sind demgemäß die Grundfreiheiten nicht tangiert, solange keine Diskriminierung vorliegt. Diese Betrachtungsweise weist deutliche Parallelen zu der Keck-Rechtsprechung des EuGH auf, die Modalitäten auf dem Markt selbst grundsätzlich aus dem Beschränkungstatbestand herausnimmt und sämtliche Anforderungen an die Produkte verbietet, bei deren Bestehen sich die Produkte im Falle eines europaweiten Vertriebs an diese Anforderungen anpassen müssten64. Diese Sichtweise des Beschränkungsverbotes stellt keine bloße Rückführung auf das Diskriminierungsverbot dar. Es besteht weiterhin ein Beschränkungsverbot, das indes nur noch einen bestimmten Aspekt einer Beschränkung erfasst. Nur hinsichtlich der Modalitäten auf dem Markt besteht alleine ein Diskriminierungsverbot, das offene und versteckte Diskriminierungen erfasst 65. Ein Inländer kann sich zum Beispiel weiterhin gegenüber seinem eigenen Mitgliedstaat auf die Grundfreiheiten berufen, wenn durch dessen Maßnahmen der Marktzugang zu den anderen Mitgliedstaaten erschwert wird.
d) Auswirkung auf die Schutzpflichten Das Kriterium des Marktzugangs vermag es, möglicherweise auch im Falle von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten durch Private, ein solches Verhalten aus dem Beschränkungsbegriff herauszunehmen, das nicht von der Zielsetzung der Grundfreiheiten erfasst wird. Die Mitgliedstaaten sind zwar alleine diejenigen, die durch das Aufstellen von Normen einen zusätzlichen Rechtsrahmen schaffen, dem die ausländischen Wirtschaftsteilnehmer genügen müssen. Privatpersonen können es jedoch durchaus ebenfalls verhindern oder zumindest erschweren, dass Bürger aus anderen Mitgliedstaaten auf den nationalen Teilmärkten Fuß fassen können. Man denke etwa an Einstellungsvoraussetzungen für einen Beruf, die ein Arbeit64 65
Vgl. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 54. So auch Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 57.
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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nehmer aus einem anderen Mitgliedstaat nur schwer erfüllen kann 66 , sämtliche Bedingungen, die an Produkte und Dienstleistungen gestellt werden, die in anderen Mitgliedstaaten nicht üblich sind, Blockaden von Verkehrswegen, um die Einfuhr ausländischer Produkte zu verhindern 67 sowie Boykotte von ausländischen Produkten. Unter Zugrundelegung des engeren Beschränkungsbegriffs würden im Anwendungsbereich der Schutzpflichten einige Beschränkungen der Grundfreiheiten durch Privatpersonen herausfallen, da sie weder diskriminieren noch den Marktzugang der Personen und Wirtschaftsgüter aus anderen Mitgliedstaaten verhindern. Streiks gegen Arbeitgeber, die heutzutage zumindest in größeren Betrieben regelmäßig Auswirkungen innerhalb anderer Mitgliedstaaten haben, Demonstrationen 68 , Störfälle bei wichtigen Infrastruktureinrichtungen oder Unfälle Privater, die eine Beeinträchtigung von verkehrswichtiger Infrastruktur zur Folge haben oder Werbung würden in der Regel keine Schutzpflichten auslösen, es sei denn, sie verhindern aufgrund besonderer Umstände den Marktzugang der Wirtschaftsteilnehmer anderer Mitgliedstaaten. Der vom EuGH im Jahre 2003 entschiedene die Schutzpflichten betreffende Fall Schmidberger/Österreich würde unter Zugrundelegung des modifizierten Beschränkungsbegriffes keine Schutzpflichten der Mitgliedstaaten mehr auslösen. Die Blockade betraf alle Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen und bewirkte nur eine gewisse Verzögerung, die eher als Ausübungsmodalität vergleichbar etwa mit Bestimmungen über Ladenschlusszeiten69 einzuordnen ist. Eine Verzögerung von Ein-, Aus- und Durchfuhren hindert die Wirtschaftsteilnehmer nicht daran, ihre Güter in anderen Mitgliedstaaten anzubieten, sondern ermöglicht dies lediglich zu einem etwas späteren Zeitpunkt. Wären allerdings von der Verzögerung nachweislich wesentlich mehr Ausländer als Inländer betroffen, würde das Diskriminierungsverbot eingreifen und eine staatliche Schutzpflicht bestehen, da es für versteckte Diskriminierungen lediglich darauf ankommt, ob faktisch eine Benachteiligung vorliegt und nicht, ob eine Benachteiligungsabsicht gegeben ist 70 . Zeitliche Verzögerungen von Einfuhren, die etwa durch Blockaden von Verkehrsrouten oder durch Streiks ausgelöst werden, können jedoch auch ohne stärkere Betroffenheit von Ausländern eine Schutzpflicht des 66
Vgl. die Rechtssache EuGH, Slg. 2000,1-4139 -Angonese, in der eine Bank von ihren Bewerbern ein ganz bestimmtes Sprachzeugnis verlangte. 67 Neben den vom EuGH entschiedenen Fällen zu den Schutzpflichten gibt es viele denkbare Fälle, in denen der Marktzugang ausländischer Produkte aus anderen Gründen als der Marktabschottung verhindert werden soll, z. B. bei möglicherweise verseuchtem Fleisch. Im Jahre 1997 konnten aufgrund einer Protestaktion irische Rind- und Lammfleischimporte nicht nach Großbritannien eingeführt werden, vgl. Daily Telegraph v. 3. 12. 1997. 68
In einigen EU-Mitgliedstaaten gab es Demonstrationen von Fernfahrern gegen Liberalisierungspläne der Kommission, vgl. Die Zeit vom 23. 11. 1998, S. 12. In diesen Fällen kann nicht das Fernziel maßgeblich sein, sondern allein die tatsächliche Wirkung, die eine Blockade auslöst. w EuGH, Slg. 1994,1-2227 - Tankstation THeukske. 70
Der EuGH geht von einem sehr weiten Diskriminierungsbegriff aus, vgl. Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 155 ff. 8*
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
Staates erforderlich machen, wenn sie nämlich durch ihre Dauer so große Störungen hervorrufen, dass die Wirtschaftsteilnehmer durch sie gleichsam daran gehindert werden, ihre Grundfreiheiten auszuüben, was z. B. der Fall sein kann, wenn die zu erwartenden Umsatzeinbußen der Betroffenen empfindlich hoch sind. In diesem Fall könnte sich auch ein Inländer gegenüber seinem eigenen Mitgliedstaat auf die Grundfreiheiten berufen, wenn er daran gehindert wird, zu exportieren. Im Rahmen vertraglicher Vereinbarungen stellen private Marktteilnehmer regelmäßig Anforderungen an die Beschaffenheit von Produkten oder anderen Wirtschaftsgütern. Diese würden nach der oben vorgenommenen Einschränkung weiterhin eine Schutzpflicht auslösen, soweit sie es vermögen, den Marktzugang für Personen und Wirtschaftsgüter aus anderen Mitgliedstaaten zu behindern oder eine Diskriminierung darstellen. Die Entscheidung über die Beschaffenheit oder weitere Eigenschaften von Waren, Dienstleistungen, Personen oder Kapital ist aber Bestandteil und Voraussetzung des Handels und kann grundsätzlich nicht als Beschränkung der Grundfreiheiten angesehen werden 71. Zwar kann es durchaus sein, dass bestimmte Vorgaben an einen Hersteller eines Produktes es für diesen schwerer oder gar unmöglich machen, das Produkt in einem anderen Mitgliedstaat zu verkaufen. Es ist jedoch gerade das Wesen des Binnenmarktes, dass die Marktteilnehmer im Rahmen von Verträgen ihre Vorstellungen durchzusetzen versuchen. Entsprechendes gilt für Verträge und Vereinbarungen bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder bei der Einstellung von Arbeitnehmern. Auch zahlreiche vertragliche Abreden wie etwa Konkurrenzverbote oder Einzelbezugsabreden können verhindern, dass Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten auf einem nationalen Teilmarkt Fuß fassen können und würden ohne Einschränkung des Tatbestandes der Schutzpflichten zu einer Verpflichtung des Staates führen, solche zu unterbinden. Zudem würde jede Diskriminierung weiterhin eine Schutzpflicht auslösen. Jeder einzelne Vertrag, der aufgrund der Staatsangehörigkeit oder der Herkunft einer Person oder eines Wirtschaftsgutes nicht abgeschlossen wird, wird nach der vorgenommenen Eingrenzung des Beschränkungsverbotes immer noch vom Tatbestand der Schutzpflichten erfasst. Weiterhin vom Tatbestand erfasst ist auch die Weigerung privater Organisationen, ausländischen Wirtschaftsgütern Qualitätsabzeichen zu verleihen oder sie an Warentests teilnehmen zu lassen72, die bevorzugte Einstellung von inländischen Arbeitnehmern sowie sämtliche Entscheidungen von Verbrauchern, keine ausländischen Güter oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Viele dieser Fälle betreffen individuelle Entscheidungen der einzelnen Bürger im Hinblick auf ihre Konsumgewohnheiten und persönlichen Präferenzen. Unter Zugrundelegung dieses modifizierten Beschränkungsbegriffes 71 Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 136. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 168, ist aus diesem Grunde der Meinung, dass sich die Keck-Formel nicht auf private Handelshemmnisse übertragen lässt, da Private regelmäßig nicht in der Lage seien, den Marktzugang von Produkten zu verhindern. 72 Die Beispiele stammen von Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, S. 64 ff.
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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bliebe die Anzahl der in ihren Grundfreiheiten beschränkten Personen zudem völlig unerheblich, und es würde auch jeder Einzelfall mit geringen oder praktisch keinen Auswirkungen auf den Binnenmarkt eine Schutzpflicht auslösen. Hinzu kommen Handlungen privater Gruppierungen, die verschiedene Interessen durchsetzen wollen, wie etwa Verbraucherschutzverbände, die Waren testen und beurteilen oder zu Boykotten aufrufen. Die Anwendung des modifizierten Beschränkungsbegriffes führt zumindest in einigen Fällen von Binnenmarktstörungen durch Private zu vernünftigen Lösungen, da die Behinderungen der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit keine Schutzpflichten zur Folge haben, die alle Marktteilnehmer in gleicher Weise treffen und es nicht verhindern, dass Personen und Wirtschaftsgüter auf den Märkten anderer Mitgliedstaaten Fuß fassen können. Angesichts der weiterhin bestehenden umfangreichen Erfassung von Handlungen Privater, die zu einem großen Teil auf dem Markt im Rahmen eines funktionierenden Wettbewerbs sogar erwünscht sind, reicht die vorgenommene Beschränkung des allgemeinen Beschränkungsverbotes nicht aus, um den Tatbestand der Grundfreiheiten bei Beeinträchtigungen von privater Seite einzuschränken. Sie mag eine brauchbare Lösung für die Beschränkung des Tatbestandes der Grundfreiheiten in ihrer negatorischen Funktion sein 73 . In vielen Fällen geht sie aber an dem Problem der notwendigen Einschränkung des Tatbestandes der Schutzpflichten vorbei, da diese nur in Ausnahmesituationen eingreifen können, die mit besonderer Macht der die Grundfreiheiten beschränkenden Marktteilnehmer verbunden sind.
2. Weitere Möglichkeiten zur Begrenzung des Tatbestandes Angesichts des weiterhin bestehenden Bedürfnisses zur Begrenzung des Tatbestandes der Schutzpflichten werden im Folgenden die weiteren Lösungsansätze zur Verkleinerung des Anwendungsbereiches der mitgliedstaatlichen Schutzpflichten betrachtet, die sich spezifisch auf die Grundfreiheiten in ihrer Funktion als Schutzpflichten beziehen. a) Kriterium
der Rechtswidrigkeit
Ein Vorschlag zur Eingrenzung des Tatbestandes der Schutzpflichten geht dahin, sie nur im Falle von rechtswidrigen Beeinträchtigungen durch Privatpersonen anzunehmen74. Die Beschränkung der staatlichen Schutzpflicht auf rechtswidrige Beeinträchtigungen entspricht der überwiegenden Meinung im deutschen Recht, während dort jedoch umstritten ist, ob sich das Kriterium der Rechtswidrigkeit aus 73 Ausführlich hierzu Feiden, Die Bedeutung der „Keck"-Rechtsprechung, S. 121 ff., 252 ff. 74 Hirsch DAR 2000, 500 (503).
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
dem einfachen Recht ergeben soll oder aus den Wertungen der Verfassung selbst zu gewinnen ist 7 5 . Im Gemeinschaftsrecht kann es jedenfalls schwerlich darauf ankommen, welche Verhaltensweisen die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen im Einzelnen missbilligen, weil ein Rückgriff auf die unterschiedlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zur Ausfüllung des Verbotsmerkmals eine uneinheitliche Anwendung der Grundfreiheiten zur Folge hätte, die nicht akzeptabel wäre. Ein Vorschlag von Meurer geht deshalb dahin, den Begriff der Rechtswidrigkeit vielmehr gemeinschaftsrechtlich am Schutzzweck der Grundfreiheiten orientiert zu entwickeln. Rechtswidrig sind seiner Ansicht nach jedenfalls eindeutig strafbare Handlungen gegen ausländische Waren sowie sämtliche Verkehrsblockaden, die bewusst die Warenströme behindern wollen, jedoch ohne dass der Begriff der Rechtswidrigkeit näher konkretisiert wird 7 6 . Das Kriterium der Rechtswidrigkeit ist jedoch nicht weiterführend, da es praktisch keine Anhaltspunkte dafür bietet, welche Handlungen Privater dem Schutzzweck der Grundfreiheiten zuwiderlaufen. Die grundsätzlich gute Idee, europaweite Kriterien für verbotene Beeinträchtigungen ausgehend vom Schutzzweck der Grundfreiheiten zu erarbeiten, ist ohne konkrete Vorgaben zu ihrer Bestimmung kaum durchführbar. Stellt man auf das vage Kriterium der Rechtswidrigkeit ab, ist die Gefahr eines Zirkelschlusses gegeben, da sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite der Unwert des Verhaltens der Privatpersonen erscheint 77. Die einzelnen Rückschlüsse, die Meurer aufgrund des Kriteriums der Rechtswidrigkeit gezogen hat, mögen vielleicht sachgerecht sein, jedoch lassen sie nicht erkennen, welche Erwägungen ihnen im Einzelnen zugrunde liegen. Privatpersonen sind mangels einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten nicht an die Grundfreiheiten gebunden und Meurer unterlässt es, etwaige Wertungen des EG-Vertrags im Hinblick auf das Verhalten privater Marktteilnehmer auf dem Binnenmarkt zu benennen.
b) Berücksichtigung der Grundrechte auf der Tatbestandsebene Nahezu jede Handlung von Privatpersonen, die eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten verursachen kann, ist grundrechtlich geschützt. Sind spezielle Grundrechtsgewährleistungen nicht einschlägig, können sich die privaten Verursacher von Störungen der Grundfreiheiten zumindest auf das Auffanggrundrecht der 75 Für eine Gewinnung des Kriteriums der Rechtswidrigkeit aus der Verfassung Isensee, in: HdStR V, § 111, Rn. 100 ff., der insbesondere das staatliche Gewaltmonopol und die daraus resultierende Friedenspflicht als Wertung aus der Verfassung ansieht. Damit soll in jedem Fall ein Gewaltverbot herrschen. Zusätzlich sollen verfassungsrechtliche Wertungen aus den Grundrechten herangezogen werden, wie z. B. die räumliche Bewegungsfreiheit als Verbot der Freiheitsberaubung wie auch der Nötigung etwa durch eine Verkehrsblockade; allgemein dazu Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 396 f. m. w. N. 7
6 Meurer, EWS 1998, 196 (199).
77
Vgl. Kainer, JuS 2000,431 (434).
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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allgemeinen Handlungsfreiheit stützen, die nunmehr auch gemeinschaftsrechtlich anerkannt ist 7 8 . Einige Autoren wollen vor diesem Hintergrund den Ausgleich der Grundfreiheiten und Grundrechte schon auf der Tatbestandsebene vornehmen und immer dann eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten ausschließen, wenn die Handlungen der Privaten sich im Bereich einer legitimen Grundrechtsausübung bewegen 79 . Eine Schutzpflicht für die Grundfreiheiten soll nach ihrer Auffassung nur dann anzunehmen sein, wenn der Ausgleich zwischen Grundfreiheit und entgegenstehenden Grundrechten ein Schutzhandeln zugunsten der Wirtschaftsfreiheiten erforderlich macht 80 . Bei der Berücksichtigung von Grundrechten auf der Tatbestandsebene ist es zwar durchaus möglich, eine einzelfallbezogene Abwägung der verschiedenen Belange vorzunehmen. Dieser Vorgehensweise ist jedoch entgegenzuhalten, dass ein Ausgleich zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten schon im Tatbestand nicht immer zu sachgerechten Lösungen führen wird. Zwar findet keine abstrakte Festlegung der Grenzen der Grundfreiheiten im Tatbestand statt 81 , jedoch wird der im konkreten Fall erforderliche staatliche Eingriff zum Schutz des betreffenden Rechtsguts nicht berücksichtigt. Bei der Frage, wie der Staat die Grundfreiheiten schützen will, muss er im Rahmen seiner Ermessenserwägungen entgegenstehende Grundrechte berücksichtigen. Es steht jedoch nicht von vorneherein fest, dass und mit welcher Intensität in Rechte anderer eingegriffen werden muss82. Aus diesem Grund ist die Herstellung einer praktischen Konkordanz im Rahmen des Schutzpflichttatbestandes zu wenig flexibel. Sie würde zu Unrecht einen Teil der für eine Schutzpflicht durchaus relevanten Störungen schon viel zu früh kategorisch ausschließen, ohne überhaupt die Eingriffsintensität der staatlichen Schutzhandlung zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung der Grundrechte der Verursacher der Binnenmarktstörungen hat daher erst dann zu erfolgen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Schutzpflicht vorliegen. Auch wenn die den Schutzpflichten entgegenstehenden Grundrechte der Verursacher der Störungen des Binnenmarktes demgemäß auf der Rechtsfolgenseite gebührend berücksichtigt werden, macht dies eine Einschränkung der Schutz78 EuGH, Slg. 1989, 2859 (2924) - Hoechst. Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob nationale oder Unionsgrundrechte einschlägig sind; ausführlich zu dieser Frage Siebter Teil, B. I. 2. 79 Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 97; Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2002, 213 (215); Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 178 ff., der vorschlägt, mehrere der von ihm angesprochenen tatbestandsreduzierenden Kriterien kumuliert anzuwenden, um auf diesem Wege eine eindeutige Schutzverpflichtung des Staates festzustellen. 80
Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 178. A.A. Jarass, AöR 120 (1995), 345 (371), der die Auffassung vertritt, dass es bei einer Abwägung auf der Tatbestandsebene nicht mehr um die relative Bedeutung der kollidierenden Rechtsgüter gehe. 82 Hierzu ausführlich Sechster Teil, B. II. 1.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
pflichten schon im Tatbestand keineswegs überflüssig. Würde man den Anwendungsbereich der Schutzpflichten alleine dadurch beschränken wollen, dass man auf der Rechtsfolgenseite einen Ausgleich der Grundfreiheiten mit den Grundrechten der Verursacher der Störungen des Binnenmarktes vornehmen würde, müssten sich zahlreiche Verhaltensweisen auf dem Binnenmarkt durch eine Rechtfertigung legitimieren, obwohl ihr Verhalten auf dem Binnenmarkt im Rahmen des gewöhnlichen Wettbewerbs erwünscht ist, wie etwa Einzelbezugsabreden oder Konkurrenzverbote. Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission für die Verordnung 2679/89/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr hat es als negatives Tatbestandsmerkmal für ein „Nichteinschreiten" der Mitgliedstaaten angesehen, dass entgegenstehende nationale Grundrechte nicht gefährdet werden 83 . Damit sah die Kommission zunächst ebenfalls den Ausgleich von Grundrechten und Grundfreiheiten auf der Ebene des Tatbestandes vor, so dass schon für die Frage des Bestehens einer Schutzpflicht der Mitgliedstaaten eine Abwägung hätte stattfinden müssen. Der Vorschlag wurde indes nicht in die nun geltende Verordnung 2679 / 98 / EG über das Funktionieren des Binnenmarktes aufgenommen. Sie lässt es für ein „Nichteinschreiten" der Mitgliedstaaten bereits genügen, wenn diese es unterlassen, bei Behinderungen Privater alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Warenverkehrsfreiheit zu treffen 84. Hinsichtlich der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten die Grundrechte zu beachten, heißt es nunmehr in Art. 2: „Diese Verordnung darf nicht so ausgelegt werden, dass sie in irgendeiner Weise die Ausübung der in den Mitgliedstaaten anerkannten Grundrechte, einschließlich des Rechts oder der Freiheit zum Streik, beeinträchtigt".
Diese Formulierung lässt es offen, ob die den Schutzpflichten entgegenstehenden Grundrechte eher auf der Tatbestands- oder auf der Rechtfertigungsebene zu beachten sind. Die Änderung dieses Artikels dürfte dafür sprechen, dass die entgegenstehenden Grundrechte erst im Rahmen der Rechtsfolge relevant werden sollen und nicht schon über die Pflicht der Staaten als solche entscheiden85. Deshalb ist die Frage des Vorliegens aller tatbestandlichen Voraussetzungen einer Schutzpflicht unabhängig von den ihr möglicherweise entgegenstehenden Grundrechten der Verursacher der Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten zu beurteilen.
83 KOM (97) 619 endg., AB1. EG 1998, C 10, S. 14, Art. 1 Abs. 1. 84
VO 2679/98/EG des Rates über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. EG 1998, L 337, S. 8, Art. 1, Nr. 2. 85 Vgl. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 179.
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
c) Das Erfordernis
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eines Ereignisses
Im Schrifttum wird vereinzelt die Ansicht vertreten, dass eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten, die dem Mitgliedstaat eine Schutzpflicht auferlegt, begrifflich ein Ereignis voraussetze, da ein seit langem bestehender und gemeinschaftsrechtlich geduldeter Zustand nicht als Beeinträchtigung des Binnenmarktes angesehen werden könne. Als Beispiel wird die Nichterweiterung mitgliedstaatlicher Autobahnkapazitäten angeführt, die trotz einer möglichen Behinderung der Grundfreiheiten keine Schutzpflicht auslösen solle 86 . Wendet man den oben modifizierten Beschränkungsbegriff auf diesen Beispielsfall an, könnte auf den ersten Blick zunächst eine staatliche Schutzpflicht naheliegen, da ständige Staus auf den Autobahnen durch Handlungen privater Akteure hervorgerufen werden und unter Umständen dazu führen können, dass etwa aufgrund von Termingeschäften oder nur beschränkt transportfähiger Ware grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeiten zum Teil eingestellt werden müssen. Dieser Beispielsfall betrifft jedoch vielmehr den Bereich der staatlichen Leistungen, da die Nutzung einer Autobahn, die für den anfallenden Verkehr nicht ausreicht, nicht als Eingriff seitens privater Wirtschaftsteilnehmer angesehen werden kann. Die mangelnde Kapazität oder Qualität der Infrastruktur ist vielmehr allein dem Staat vorzuwerfen. Ein Anspruch der Marktteilnehmer auf eine Erweiterung der Autobahnkapazitäten würde voraussetzen, dass den Grundfreiheiten auch Leistungsrechte auf Schaffung noch nicht vorhandener Einrichtungen oder die Gewährung von zusätzlichen Vergünstigungen entnommen werden können. Dies ist jedoch nicht der Fall, da eine solche Funktion den Grundfreiheiten von ihrer Zielsetzung her nicht entnommen werden kann 87 . Entsprechendes gilt für vergleichbare Fälle, wie etwa die Qualität des zur Verfügung stehenden Wohnraums oder die Anzahl von Fernsehsendern 88. Auch wenn es nicht um Leistungsrechte geht, ist es jedoch grundsätzlich denkbar, dass Schutzpflichten der Mitgliedstaaten gefordert werden können, wenn es um die Beseitigung eines schon lange bestehenden gemeinschaftsrechtswidrigen Zustandes geht. Alleine das aus Art. 10 EGV folgende Rücksichtnahme gebot kann es verlangen, dass die Gemeinschaft auf tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Mitgliedstaaten Rücksicht nimmt, die daraus resultieren, dass die einzelnen Staaten etwa nach Jahren ihre Rechtspraxis ändern müssen.
86
Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 169. Vgl. Erster Teil, B. I. sowie Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 160. 88 Die beiden Beispiele verwendet Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 138. Er sieht in diesen Beispielen indes eine Beschränkung durch Private, die seiner Auffassung nach im Wege einer unmittelbaren Drittwirkung an die Grundfreiheiten gebunden werden können. 87
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
d) Das Unterlassen privater Marktteilnehmer Zur Erreichung eines engeren Anwendungsbereiches der Schutzpflichten wäre es auch überlegenswert, die Fälle aus dem Anwendungsbereich der Schutzpflichten herauszunehmen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass ein Unterlassen privater Marktteilnehmer Hindernisse für den Binnenmarkt verursacht 89. Ein Unterlassen der privaten Wirtschaftsteilnehmer ist nämlich neben der Vornahme aktiver Eingriffe grundsätzlich geeignet, die Funktionsfahigkeit des Binnenmarktes zu beeinträchtigen. Die Entscheidungen, einen bestimmten Vertrag mit einem Marktteilnehmer aus einem anderen Mitgliedstaat aufgrund dessen Staatsangehörigkeit nicht einzugehen oder auf die Inanspruchnahme von Waren, Dienstleistungen und Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten zu verzichten, können eine Behinderung des grenzüberschreitenden Handels darstellen, da sie offen oder versteckt diskriminieren oder den grenzüberschreitenden Austausch von Wirtschaftsgütern beschränken 90. Da Private nicht verpflichtet sind, den Binnenmarkt aktiv zu fördern, liegt es nahe, nur bei Handlungen ihrerseits eine Schutzpflicht anzunehmen. Es ist indes zweifelhaft, ob ein Unterlassen Privater tatsächlich als irrelevant anzusehen ist. Unterlassungen sind nicht immer eindeutig von einem positiven Tun zu unterscheiden und können im Hinblick auf ihre schädlichen Wirkungen Handlungen durch aktives Tun durchaus vergleichbar sein. Ein Unterlassen ist etwa bei einer Ablehnung von Wirtschaftsgütern und Personen aus anderen Mitgliedstaaten gegeben, das zur Folge hat, dass Verträge nicht abgeschlossen werden. Zahlreiche Diskriminierungen äußern sich gerade darin, dass es schlicht unterlassen wird, vertragliche Beziehungen mit dem benachteiligten Personenkreis aufzunehmen. Stellt etwa ein Arbeitgeber grundsätzlich keine Ausländer ein, beschließt ein Supermarkt, nur deutsche Produkte in sein Warenangebot aufzunehmen, oder sehen Versicherungen von Vertragsschlüssen mit Ausländern ab, wäre auch dies häufig nur als ein Unterlassen anzusehen und damit irrelevant 91. Diese Fälle können aber nicht kategorisch aus dem Tatbestand der Schutzpflichten herausgenommen werden, da sonst Schutzlücken entstehen würden. Es kann grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob jemand durch ein positives Tun diskriminierende Bedingungen in Verträgen oder Ausschreibungen aufstellt oder nichts dergleichen tut, es aber schlicht unterlässt, vertragliche Beziehungen mit Vertragspartnern aus anderen 89 Einige Vertreter einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten fordern, dass ein Unterlassen seitens Privatpersonen nicht von der Verbotswirkung der Grundfreiheiten erfasst werden dürfte, vgl. Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 139 ff. m. w. N. 90 So auch Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, S. 70. Geht es um die Niederlegung der Arbeit im Rahmen von Streiks, ist dies wohl eher als ein positives Tun einzuordnen, da der Schwerpunkt dieses Verhaltens in der aktiven Beteiligung an dem Streik liegt. 91 Dieser Fall wird auch nicht von Art. 7 Abs. 4 der VO 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erfasst, der nur auf schon abgeschlossene Verträge anwendbar ist; vgl. hierzu Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 817.
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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Mitgliedstaaten aufzubauen. Ein Ereignis im Sinne eines aktiven Tuns ist aus diesen Gründen keine zwingende Voraussetzung für eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten.
e) Eingriffe
in den institutionellen
Kern der Privatautonomie
Im Schrifttum wird von einigen Autoren als Korrektiv zu einer umfassenden Schutzpflicht der Mitgliedstaaten vorgeschlagen, eine solche nur bei einem Angriff der nicht-staatlichen Akteure auf den institutionellen Kern der Privatautonomie anzunehmen. Seinen Ausgangspunkt hat dieser Ansatz in der Zielsetzung des Binnenmarktes, dessen Funktionsfähigkeit in ganz entscheidendem Maße von der Existenz der Privatautonomie abhängt92. Das Grundrecht der Privatautonomie beinhaltet das Recht des Einzelnen, seine Rechtsverhältnisse nach seinem Willen selbst und eigenverantwortlich gestalten zu können 93 . Ein Verhalten privater Marktteilnehmer würde nach dieser Ansicht nur dann eine Schutzpflicht auslösen, wenn es neben der Beeinträchtigung von Grundfreiheiten die Privatautonomie in gravierender Weise beschränkt. Zur Feststellung dieser gravierenden Beeinträchtigung soll darauf abgestellt werden, ob dem Einzelnen noch ein ausreichender Entscheidungsspielraum bleibt oder ob er durch Regelungen mit einem einseitig zwingenden Charakter an einer freien Entscheidung gehindert wird. Der Staat hätte nur in Fällen einzugreifen, in denen die Selbstregulierung der Märkte durch ein gestörtes Kräftegleichgewicht zwischen den Parteien nicht mehr funktioniert 94 . Gegen diesen Ansatz wird im Schrifttum eingewendet, dass die Privatautonomie allein rechtsgeschäftliches Handeln umfasse und sie gerade nicht einschlägig sein könne, wenn die Grundfreiheiten außerhalb rechtsgeschäftlicher Tätigkeiten beeinträchtigt werden 95, wie etwa in den vom EuGH entschiedenen Fällen Kommission/ Frankreich 96 und Schmidberger/Österreich 91. Zum einen umfasst das Grundrecht der Privatautonomie aber mehr als die Vertragsfreiheit, die nur einen Ausschnitt der Privatautonomie darstellt. Das Grundrecht der Privatautonomie schützt die eigenverantwortliche und selbständige Ge92 So etwa Kainer, JuS 2000, 431 (434); Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 199. Auch im deutschen Recht wurde versucht, den Anwendungsbereich der Schutzpflichten auf Fälle zu konzentrieren, in denen vertragliche Regelungen grundrechtliche Wertungen unterlaufen, vgl. etwa Canaris, AcP 184 (1984), 201 (225 ff.) m. w. N. 93
Vgl. für das deutsche Recht Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 101. Vgl. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 199, der einen Anspruch auf Schutzgewähr nur zulassen will, wenn das betreffende Verhalten die Berufung auf die Privatautonomie als geradezu sinnwidrig erscheinen lasse; vgl. ebenfalls Kainer, JuS 2000, 431 (434). 9 5 Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2002, 213 (215). 94
EuGH, Slg. 1997,1-6959-Kommission/Frankreich. 97 EuGH, Slg. 2003,1-5659 - Schmidberger/Österreich.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
staltung der Rechtsverhältnisse durch den Bürger ohne staatliche Einmischung, Bevormundung oder Zwang 98 und erfasst damit sämtliche Rechtsgestaltungsrechte99. Es soll zum anderen bei der in Rede stehenden Beschränkung des Tatbestandes nicht darum gehen, ob derjenige, von dem die Beschränkung ausgeht, sich auf das Grundrecht der Privatautonomie stützen kann, sondern ob diejenigen, deren Ausübung der Grundfreiheiten beschränkt wird, noch eine privatautonome Entscheidung treffen können. Wenn der die Grundfreiheiten beschränkende Marktteilnehmer und der Träger der Grundfreiheiten keinerlei vertragliche Beziehungen unterhalten, ist nach diesem Ansatz zu untersuchen, ob dieser weiterhin in der Lage ist, privatautonom zu handeln. Im Falle von Blockaden und Demonstrationen, soweit sie nach dem oben modifizierten Beschränkungsbegriff noch Schutzpflichten auslösen 100 , sind die Träger der Grundfreiheiten physisch daran gehindert, ihre Verträge mit Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten einzugehen oder sie zu erfüllen, weshalb in diesen Fällen ein Eingriff in den Kernbereich der Privatautonomie ohne weiteres angenommen werden kann. Die Überlegung, nur in den Fällen eine unzulässige Beschränkung der Grundfreiheit anzunehmen, in denen das Kräftegleichgewicht zwischen den Parteien gestört ist, geht in die richtige Richtung, da eine private Beeinträchtigung des Binnenmarktes nur relevant sein kann, wenn die Selbstregulierungskräfte des Marktes versagen. Das Grundrecht der Privatautonomie ist Grundlage der marktwirtschaftlichen Ordnung der Europäischen Gemeinschaften und Voraussetzung für die Wirksamkeit der Grundfreiheiten. Diese Einschränkung ist für sich genommen aber nicht sehr aussagekräftig, da im Einzelfall nicht klar ist, wann das Kräftegleichgewicht gestört ist. Die Festlegung der Grenzen der Privatautonomie ist ein stark wertungsabhängiges Unterfangen, das durch die ausdifferenzierten Systeme abgestimmter Regelungen und Gestaltungsmittel des nationalen und des europäischen Privatrechts geleistet wird 1 0 1 . Die Reichweite der Privatautonomie bestimmt schließlich, ob Privatrechtssubjekte vor unerwünschten Vertragsinhalten oder einer Vertragsimparität zu schützen sind oder allgemein, wann das Kräftegleichgewicht zwischen den Parteien gestört ist 1 0 2 . Dies kann nicht im Rahmen w Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2, Rn. 101. " Calliess, in: Jud/Bach (Hrsg.), Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler 2000, S. 85
(108).
100 Fünfter Teil, C H I . l.c). 101 Zu den Grenzen der Privatautonomie im europäischen Privatrecht Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 56 ff.; allgemein zum Gemeinschaftsprivatrecht MüllerGraff y Privatrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 24 ff. 102 In bestimmten Fällen werden aufgrund sozialer oder faktischer Ungleichgewichtslagen trotz eines freiheitlichen und vermeintlich gleichgeordneten Vertragsverhältnisses Grenzen der Privatautonomie angenommen. Der Verzicht auf freiheitsrechtliche Positionen ist zwar konsensual als Bestandteil der Privatautonomie möglich, es werden ihm jedoch Grenzen gesetzt, die in den verschiedenen Mitgliedstaaten teilweise sehr unterschiedlich aussehen. Die Festlegung der Grenzen der Privatautonomie ist zwar wünschenswert, grundfreiheitenwidrig sind solche gestörten Kräftegleichgewichte jedoch nicht zwingend. Die Grundfreihei-
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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des Beschränkungsbegriffes der Schutzpflichten geleistet werden. Man könnte zwar einen Eingriff in den Kernbereich der Privatautonomie nur in den engen Grenzen annehmen, in denen auf den Träger einer Grundfreiheit Zwang ausgeübt wird, sei es durch physische Gewalt oder das Errichten physischer Hindernisse wie Blockaden oder durch Drohungen oder andere Nötigungsmittel. In diesem Fall wäre es aber möglich, dass bestimmte Fälle dem Staat keine Schutzpflichten abverlangen würden, obwohl sie dennoch notwendig wären.
f) Spürbarkeitskriterium Im Schrifttum wurde zur Eingrenzung des Tatbestandes der Schutzpflichten die Einführung eines Spürbarkeitskriteriums vorgeschlagen 103. Diskutiert wird die Einführung eines solchen Kriteriums schon seit geraumer Zeit anlässlich der Kritik des Schrifttums am weiten Beschränkungsbegriff des EuGH 1 0 4 . Das Erfordernis der Spürbarkeit ist ein quantitatives Kriterium, das an die beeinträchtigende Wirkung der zu untersuchenden Handlungen anknüpft 105 . Im europäischen Wettbewerbsrecht ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ein Spürbarkeitserfordernis beim Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen (Art. 81 EGV) und nach verbreiteter Ansicht auch beim Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 82 E G V ) 1 0 6 als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal anerkannt. Nach diesen Vorschriften muss sowohl die Wettbewerbsbeschränkung selbst spürbar sein als auch eine spürbare Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels vorliegen 107 . Von den Vierten wollen allein den ungehinderten Marktzugang von Wirtschaftsgütern und Personen aus anderen Mitgliedstaaten schützen und der privaten Initiative freie Hand geben. Ob die in ihren Grundfreiheiten beeinträchtigten Bürger noch privatautonom handeln können, ist eine stark wertungsabhängige Frage, deren Beantwortung eine Aufgabe des nationalen und europäischen Privatrechts ist. Zur Verletzung der Privatautonomie im Gemeinschaftsrecht vgl. Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 200 f., der betont, dass die möglichen Korrekturen auf einer Wertung beruhen und wohl nur für den Einzelfall vorgenommen werden können; des weiteren Grundmann, JZ 2000, 459 (464); zur Möglichkeit, abstrakt-generelle oder typisierte Aussagen über diese Frage zu treffen Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1 (2 ff.). 103 Schwarze, EuR 1998, 47 (53); Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 164; eher ablehnend Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2002, 213 (214); andeutungsweise Schindler, Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 184 f. 104 Fezer, JZ 1994, 623 (625); Jestaedt/Kästle, EWS 1994, 26 (28); Weatherill, CMLR 33 (1996), 885 (889 f.); Sack, WRP 1998, 103 (115 ff.); Rohe, RabelsZ 61 (1997), 1 (56); Ehricke, WuW 1994,108 (112). 105 Zum deutschen Recht Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 66. 106 Dies ist indes umstritten, vgl. Weiß, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 82, Rn. 71 m. w. N.; der EuGH erwähnte explizit ein Spürbarkeitserfordernis in der Entscheidung EuGH, Slg. 1999,1-135, Rn. 60 - Bagnasco u. a. 107 Vgl. EUGH, Slg. 1971, 69, Rn. 13 - Sirena; EuGH, Slg. 1984, 1797, Rn. 11 - Van der Haar; EuGH, Slg. 1988, 5249, Rn. 19 - Bayer; vgl. auch Weiß, in: Calliess/Ruffert, EGV,
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
botsregelungen des Wettbewerbsrechts sind nicht sämtliche unternehmerischen Handlungen erfasst, sondern nur besonders gefährliche Verhaltensweisen wie etwa Absprachen zwischen Unternehmen oder die Einschränkung der Erzeugung bestimmter Wirtschaftsgüter oder ihres Absatzes 108 . Nach der so genannten Bündeltheorie, die auch im Gemeinschaftsrecht nutzbar gemacht wird, erfüllen zusätzlich solche Maßnahmen den Tatbestand, die für sich genommen keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, die jedoch eine kumulative Wirkung entfalten können 109 . aa) Spürbarkeitskriterium zur Vermeidung eines Wertungswiderspruches? Im Schrifttum wird es als entscheidendes Argument für ein Spürbarkeitserfordernis im Rahmen der Anwendung der Grundfreiheiten in ihrer Funktion als Schutzpflichten angesehen, dass im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln der Art. 81 ff. EGVein solches Kriterium zur Anwendung kommt und es zu Wertungswidersprüchen kommen würde, wenn andere Binnenmarktbeeinträchtigungen Privater, die grundsätzlich nicht zu vergleichbar schweren Eingriffen in die Grundfreiheiten in der Lage sind, unabhängig von ihrer Intensität geahndet würden. Dem System des Wettbewerbsrechts sei die Wertung zu entnehmen, dass Handlungen Privater allenfalls dann geeignet seien, die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes zu beeinträchtigen, wenn sie spürbare Handelsbeeinträchtigungen hervorrufen 110. Der EuGH hat ein Spürbarkeitskriterium bisher regelmäßig im Rahmen der negatorischen Funktion der Grundfreiheiten mit der Begründung abgelehnt, dass die Grundfreiheiten alle Handelsbeeinträchtigungen unabhängig von ihrer Intensität verhindern wollen 111 . Dieses Argument ist im Bereich der staatlichen SchutzArt. 81, Rn. 90, 132; weitere Nachweise bei Grill, in: Lenz, EGV, Art. 81, Rn. 18. Die Prüfung der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung und der Handelsbeeinträchtigung wird regelmäßig gemeinsam vorgenommen, vgl. Emmerich, in: Dauses (Hrsg.), Hdb. des EG-Wirtschaftsrechts, H.n, Rn. 119. Im Beihilfenrecht wird das Spürbarkeitskriterium ebenfalls verwendet, wenn seine Anwendbarkeit auch dort umstritten ist, vgl. EuGH, Slg. 1987,1-4041, Rn. 18 - Deutschland/Kommission; Streinz, Europarecht, Rn. 818; Rawlinson, in: Lenz, EGV, Art. 87, Rn. 11. 108 Zu d e n einzelnen Mitteln der Wettbewerbsbeschränkung Lange, in: Lange (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 142 ff.; Hübschle, in: Lange (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 341 ff. 109 EuGH, Slg. 1991,1-935, Rn. 14 - Delimitis. Hierzu Lange, in: Lange (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 153, 157. Zur Bündeltheorie im deutschen Recht Lange, in: Lange (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 231 m. w. N. no So Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 394, der die Spürbarkeitsgrenze bei den Schutzpflichten darum sehr hoch ansetzen will, allerdings ohne sie zu quantifizieren. in EuGH, Slg. 1975,181, Rn. \4-Kommission/Frankreich.
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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pflichten nicht in demselben Maße überzeugend, da es dort um die Herleitung positiver Pflichten des Staates geht, die im Vertrag nicht ausdrücklich normiert sind und an die in jedem Fall zusätzliche Anforderungen zu stellen sind. Für den Bereich der Schutzpflichten hat sich der Gerichtshof bislang nicht für oder gegen ein Spürbarkeitskriterium geäußert. Ein Spürbarkeitskriterium ist aber offenbar in der Verordnung 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr angelegt. Nach der Legaldefinition in Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung ist eine Behinderung des freien Warenverkehrs anzunehmen, wenn „eine schwerwiegende Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs" vorliegt oder wenn „ein ernsthafter Schaden für die betroffenen Personen" verursacht wird 1 1 2 . Dem europäischen Kartellrecht ist zwar die Wertung zu entnehmen, dass Verhaltensweisen privater Akteure auf dem Markt außerhalb dieses Regelungsbereiches grundsätzlich nicht durch weitere an die Privaten unmittelbar gerichtete Verbote unterbunden werden können, weil sonst die nicht vom Wettbewerbsrecht erfassten Marktteilnehmer einer umfassenderen Bindung als große Unternehmen unterliegen würden 113 . Indes liegt kein Wertungswiderspruch vor, wenn man von den Mitgliedstaaten die Erfüllung von Schutzpflichten ohne eine Spürbarkeit auf dem Binnenmarkt fordert. Schutzpflichten für die Grundfreiheiten besitzen eine andere Qualität als unmittelbar an die privaten Akteure gerichtete Verbotsnormen, da sie nur mittelbare Auswirkungen auf privates Verhalten haben und von ihrer Rechtsfolge her nur im äußersten Fall mit den Wirkungen der Wettbewerbsregeln vergleichbar sind, ihnen also eine Verbotswirkung zukommt. Zudem haben die Staaten ein weites Ermessen inne, wie sie ihren Schutzpflichten nachkommen wollen, und sie können wegen entgegenstehender Grundrechte der Störer auch ganz entfallen 114 . bb) Das Spürbarkeitskriterium als sachgerechte Tatbestandsbeschränkung Ein Spürbarkeitskriterium könnte man zu der oben vorgenommenen Tatbestandsbeschränkung zusätzlich heranziehen, um Bagatellfälle aus dem Anwendungsbereich der Schutzpflichten herauszunehmen. Im Bereich der Schutzpflichten könnte dieses Kriterium dabei hilfreich sein, binnenmarktrelevante Verhaltensweisen Privater von solchen Handlungen abzugrenzen, die aufgrund ihrer geringen Auswirkungen auf den Binnenmarkt nicht geahndet werden sollen 115 . Wie oben 112 Verordnung des Rates zur Einführung eines Mechanismus für ein Einschreiten der Kommission zur Beseitigung bestimmter Handelsbeeinträchtigungen EG 2679/98/EG, ABl. EG 1998, L 337, S. 8 ff. »3 Vgl. hierzu Dritter Teil, B. m . 3. b) aa).
Vgl. hierzu Siebter Teil, B. I. U5 Vgl. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 57 ff., 170, der meint, dass ein Spürbarkeitserfordernis aus dem Grunde sinnvoll sein könnte, weil im Gemeinschaftsrecht der individu-
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
dargelegt wurde 116 , ist bei Handlungen Privater, anders als bei Beschränkungen der Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten, grundsätzlich davon auszugehen, dass die von ihnen ausgehenden Störungen hinzunehmen sind, da der Binnenmarkt durch seine Mechanismen der Selbstregulierung ganz von selbst ein Verhalten sanktioniert, das nicht auf ökonomisch motivierten Entscheidungen beruht. Der freie Wettbewerb ohne staatliche Regulierung ist auf dem Binnenmarkt erwünscht, da er zu mehr Produktivität führt. Sämtliche Störungen des Binnenmarktes, die nicht über die Betroffenheit von Einzelpersonen oder eines kleinen Personenkreises hinausgehen, wie es etwa bei Einzelverträgen der Fall ist, würden mangels Spürbarkeit auf dem Binnenmarkt keine mitgliedstaatlichen Schutzpflichten rechtfertigen. Bejaht man staatliche Schutzpflichten nur in Fällen gravierender Handelsbeeinträchtigungen, bleibt im Grundsatz die Selbstregulierung des Binnenmarktes bestehen, da jedenfalls das Verhalten einzelner Marktteilnehmer, sei es auch diskriminierend, keinerlei staatlichen Regulierungen unterworfen werden würde, da eine Spürbarkeit ihrer Handlungen auf dem Binnenmarkt eher ein Ausnahmefall sein dürfte. Insoweit würde ein Spürbarkeitskriterium den weiten Anwendungsbereich staatlicher Schutzpflichten einschränken können und zum Teil die oben angesprochenen mit ihnen im Zusammenhang stehenden Probleme lösen. Da ebenso wie im Wettbewerbsrecht eine Vielzahl für sich betrachtet nicht spürbarer Beeinträchtigungen in ihrer Kumulation eine deutlich spürbare Wirkung haben kann, könnte man auch für den Bereich der Schutzpflichten die Bündeltheorie nutzbar machen. Es dürfte dann der wirtschaftliche Zusammenhang berücksichtigt werden, in dem die Beeinträchtigungen des Binnenmarktes durch nicht-staatliche Akteure stehen. Die Störungen würden dann eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten entstehen lassen, wenn sich unter Berücksichtigung der Marktstruktur ergeben würde, dass vom Zusammenwirken eines Bündels gleichartiger Verhaltensweisen eine spürbare Beeinträchtigung des Binnenmarktes ausgeht117. Die Einführung einer Spürbarkeitsgrenze ist allerdings mangels eindeutig umgrenzter Anknüpfungskriterien in der konkreten Umsetzung schwierig. Im Wettbewerbsrecht wird das Kriterium der Spürbarkeit durch die sogenannte Bagatellbekanntmachung der Kommission 118 durch die Aufstellung quantitativer Kriterien eile Schutz nachrangig sei und Schutzgut in erster Linie der Binnenmarkt und die Grundfreiheiten in ihrer objektiv-rechtlichen Ausgestaltung seien; vgl. ebenfalls Kluth, AöR 122 (1997), 557 (576 f.); Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 393; Schindler, S. 184 f. 116 Fünfter Teil, C. IE. 1. 117 Vgl. Lange, Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, S. 153, 231. Man könnte etwa berücksichtigen, ob andere Wirtschaftsteilnehmer parallele Systeme von die Grundfreiheiten beschränkenden Handlungen praktizieren. Iis Bekanntmachung über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Art. 81 Abs. 1 nicht spürbar beschränken, ABl. EG 2001, C 368, S. 13. Die Bagatellbekanntmachung wendet die Kommission sowohl bei der Frage der spürbaren Wettbewerbsbeschränkung als auch bei der Frage der Handelsbeeinträchtigung an, vgl. Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 81, Rn. 217. Sie ist allerdings nicht verbindlich.
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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konkretisiert. Danach soll trotz wettbewerbsrelevanter Handlungen kein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht vorliegen, wenn die von den daran beteiligten Unternehmen gehaltenen Marktanteile auf keinem der relevanten Märkte 119 einen bestimmten Schwellenwert überschreiten. Es ist aber äußerst schwierig, vergleichbare quantitative Vorgaben für den Bereich privater Beeinträchtigungen zu entwickeln, da die wirtschaftliche Macht von Privatpersonen außerhalb von Wirtschaftsunternehmen schwer messbar ist. Teilweise wird im Schrifttum gefordert, ein an der „Marktmacht" des die Grundfreiheiten beeinträchtigenden Wirtschaftsteilnehmers orientiertes Spürbarkeitserfordernis zu entwickeln 120 . Dieses Vorgehen wirft allerdings die gleichen Probleme auf wie die Frage, in welchen Fällen ein gestörtes Kräftegleichgewicht zwischen Privaten vorliegt, da dies eine reine Wertungsfrage ist, für die es bislang keine Kriterien gibt 1 2 1 . Trotz der praktischen Schwierigkeiten, die damit verbunden wären, Kriterien zur Feststellung einer Spürbarkeit zu entwickeln, ist dieses Kriterium grundsätzlich sinnvoll, da seine Anwendung dazu führen würde, dass Schutzpflichten nur in den Fällen anzunehmen wären, in denen der Selbstregulierungsmechanismus des Binnenmarktes gestört ist, und dass die Fälle keine Schutzpflichten zur Folge hätten, in denen Einzelpersonen handeln. Das Problem der Festlegung einer Spürbarkeitsschwelle ist eine von dem Bestehen eines Spürbarkeitserfordernisses zu unterscheidende Frage 122 . Im Schrifttum wird zum Teil angenommen, die Keck-Rechtsprechung 123 des EuGH sei in ihren Auswirkungen letztlich ein Spürbarkeitserfordernis 124. Diese Einschätzung kann jedoch nicht überzeugen. In vielen Fällen wird zwar eine lediglich absatzbezogene Regelung nicht so gravierende Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben wie eine Regelung, die Anforderungen an die Beschaffenheit eines Produktes stellt. Die Anpassung eines Produktes an Vorgaben eines anderen Mitgliedstaates wird regelmäßig kostspieliger sein als die bloße Änderung der Vermarktungsstrategie. Die Eingrenzung des Beschränkungstatbestandes durch die Keck-Rechtsprechung knüpft jedoch vielmehr an die Wirkung der Beschränkung auf den einzelnen Wirtschaftsteilnehmer im qualitativen Sinne an. Kann er sich ohne großen zusätzlichen Aufwand auf dem Markt behaupten, oder wird ihm schon der Zugang zu dem Markt des anderen Mitgliedstaates verwehrt? Wird ihm der Marktzugang verwehrt, muss dies noch lange nicht auf dem Binnenmarkt spürbar sein. Insbesondere wenn es sich nur um einen einzigen betroffenen Marktteilnehmer handelt, wirkt sich eine Beschränkung seines Marktzugangs auf dem Binnenmarkt in aller Regel nicht aus. Treffen rein absatzbezogene (und damit erlaub1,9
Zur der Prüfung der dem Kriterium der Spürbarkeit vorgelagerten Marktabgrenzung vgl. Stockenhuber, in: Grabitz / Hilf, EGV, Art. 81, Rn. 174. 120 Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 201; Meier, ZHR 133 (1969), 61 (94). 121 Hierzu Fünfter Teil, C. III. 2. e). 122 Vgl. Sack, EWS 1994, 30 (45). 123 EuGH, Slg. 1993,1-6097 - Keck und Mithouard. 124 Fezer, JZ 1994, 317 (324); Jestaedt/Kaestle, EWS 1994,26 (28). 9 Stachel
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
te) Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit eine große Anzahl von Marktteilnehmern, können diese in jedem Fall spürbare Beeinträchtigungen des Binnenmarktes hervorrufen. Die absatzbezogenen Beeinträchtigungen oder die bloßen Modalitäten der betreffenden Wirtschaftstätigkeit auf dem Markt widersprechen lediglich nicht der Funktion der Grundfreiheiten, nämlich für Personen und Wirtschaftsgüter aus anderen Mitgliedstaaten den Marktzugang zu ermöglichen, sondern erschweren die unbeschränkte Entfaltung auf dem Markt 1 2 5 . Letztlich sind Handlungen Einzelner, deren negative Auswirkungen nur wenige Marktteilnehmer treffen, auf dem Binnenmarkt in aller Regel ohnehin nicht spürbar, unabhängig davon, ob die Beschränkung ihnen den Marktzugang versperrt oder bloße Modalitäten der Wirtschaftstätigkeit betrifft. 3. Stellungnahme Die zahlreichen Versuche zur Eingrenzung des Anwendungsbereichs der Schutzpflichten sind nur zum Teil weiterführend, da sie es nicht vermögen, eindeutige Kriterien herauszuarbeiten, bei deren Vorliegen eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten zu fordern ist. Sie können jedoch zur Überprüfung und Vervollständigung des oben dargestellten Ziels der Einschränkung dienen und dadurch in der Gesamtschau vermitteln, in welchen Fällen die Mitgliedstaaten zu einem Einschreiten verpflichtet werden können. Bei der Bestimmung des Ziels der Einschränkung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes wurde dargelegt, dass Schutzpflichten nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen, in denen die Selbstregulierung des Binnenmarktes massiv gestört ist. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn die Beschränkung der Grundfreiheiten von einer oder mehreren Personenmehrheiten ausgeht, die in großem Umfang die Grundfreiheiten der Unionsbürger beschränken, d. h. nicht nur einzelne, sondern zahlreiche Bürger daran hindern, grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeiten auszuüben. Zusätzlich müssen diese Personenmehrheiten wesentlich mehr Macht als andere Marktteilnehmer besitzen, so dass praktisch kein Gleichordnungsverhältnis mehr gegeben ist 1 2 6 . Es sind zahlreiche Fälle eines machtvollen Auftretens von Privatpersonen denkbar, die viel größere Möglichkeiten zu einer Beeinflussung des Rechtsverkehrs zu ihren Gunsten besitzen als andere Private. Teilweise ist für diese Marktteilnehmer unter sehr engen Voraussetzungen eine unmittelbare Bindung an die Grundfreiheiten anzunehmen, da ihnen typische staatliche Machtbefugnisse übertragen worden sind 1 2 7 . Besitzen die pri125 Vgl. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 53 ff. 126 Für das Verhältnis des Staates zu den Privaten ist ein Über- und UnterordnungsVerhältnis typisch, während sich Privatpersonen zueinander grundsätzlich in der gleichen Ausgangslage befinden. Um etwaigen nicht hinnehmbaren Ungleichheiten zwischen Privaten entgegenzutreten, dienen verschiedene Normen des Privatrechts, wie etwa § 138 BGB oder sämtliche Verbraucherschutzvorschriften. 127 Hierzu Dritter Teil, B. HI. 5.
C. Bestimmung des schutzpflichtauslösenden Tatbestandes
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vaten Marktteilnehmer soziale oder wirtschaftliche Macht, ohne selbst an die Grundfreiheiten gebunden zu sein, und nutzen sie ihre Macht zu einer Einschränkung der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit anderer Marktteilnehmer, ist die Forderung nach einer staatlichen Schutzpflicht berechtigt, da ein Gewährenlassen der Privaten unter diesen Bedingungen der Errichtung und Erhaltung eines funktionierenden Binnenmarktes zuwiderlaufen würde. Beschränken solche Marktteilnehmer die Grundfreiheiten, betrifft dies auch häufig eine große Anzahl von Bürgern, wodurch die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes in viel stärkerem Maße beeinträchtigt wird, als wenn es sich nur um wenige Betroffene handelt. Zwar besitzt ein einzelner Arbeitgeber in der Regel mehr soziale Macht als ein (potentieller) Arbeitnehmer. Jedoch kann ein solches gewöhnliches Machtgefälle keine staatlichen Eingriffe rechtfertigen. Es ist erforderlich, dass der die Grundfreiheiten beschränkende Marktteilnehmer eine über das gewöhnliche Maß hinausweisende Fähigkeit besitzt, dem anderen seine Bedingungen aufzuzwingen. Dieses Ergebnis weist tendenziell in die gleiche Richtung wie die Ansichten, die ein Spürbarkeitskriterium fordern oder auf die Notwendigkeit eines Eingriffs in den institutionellen Kernbereich der Privatautonomie abstellen. Die Einführung eines Spürbarkeitskriteriums ist zwar mangels Praktikabilität mit Schwierigkeiten verbunden, da die Macht von Privatpersonen auf dem Binnenmarkt schwer messbar ist. Stellt man mit der hier vertretenen Ansicht darauf ab, dass für die Annahme von Schutzpflichten eine Störung der Selbstregulierung des Binnenmarktes gegeben sein muss, die ausnahmsweise nach einer staatlichen Regulierung verlangt und die insbesondere in Fällen privater wirtschaftlicher Macht oder bei sonstigen Zusammenschlüssen und im Falle von Gewaltanwendung vorliegt, sind regelmäßig gravierende Hemmnisse erfasst, die insofern auf dem Markt spürbar sind, als nicht nur eine einzige Person in einem einzigen Fall in der Ausübung ihrer Grundfreiheiten behindert wird, sondern eine Vielzahl von Marktteilnehmern. Die Ansicht, die Schutzpflichten nur bei Eingriffen in den Kernbereich der Privatautonomie annimmt, stellt letztlich ebenfalls darauf ab, dass die Selbstregulierungsmechanismen des Binnenmarktes nicht mehr funktionieren. Sie hat indes ein sehr wertungsabhängiges und offenes Kriterium herangezogen, aus dem man keine konkreten Rückschlüsse ziehen kann. Ein Eingreifen der Mitgliedstaaten kann zum Beispiel bei Handlungen von Verbänden notwendig sein, die in ihren Verbandsregeln Praktiken vorsehen, die Bürger anderer Mitgliedstaaten benachteiligen bzw. ihren Marktzugang erschweren 128. Wenn eine Versicherung in ihren Versicherungsbedingungen für Inländer geringere Prämien verlangt als für Angehörige bestimmter Mitgliedstaaten oder Ausländer generell abweist, so kann grundsätzlich der betreffende Mitgliedstaat aufgefordert 128 Vgl. die vom EuGH entschiedene Rechtssache Ferlini, in der es um die Benachteiligung eines EG-Beamten ging, der nach der Gebührenregelung des luxemburgischen Krankenhausverbandes für eine Behandlung mehr zahlen musste als Inländer, EuGH, Slg. 2000, 1-8081, Rn. 40 ff. - Ferlini. Der Gerichtshof nahm in diesem Fall eine unmittelbare Drittwirkung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes (Art. 12 EGV) an. 9*
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
sein, dieser Praxis entgegenzutreten. In der Rechtssache Vlaamse Reisbureaus hat ein Berufsverband von Reisebüros Regelungen aufgestellt, die in der gesamten Branche galten und Beschränkungen der Grundfreiheiten verursachten 129. Auch in diesem Fall wäre ein Einschreiten des Mitgliedstaates notwendig gewesen, da ein gewöhnlicher Wettbewerb unter diesen Bedingungen nicht stattfinden kann. Allerdings soll nach der in dieser Arbeit vorgenommenen Modifizierung des allgemeinen Beschränkungsverbotes nicht jede Beeinträchtigung der Grundfreiheiten verboten sein, sondern nur offene oder versteckte Diskriminierungen oder Behinderungen des Marktzugangs 130. Des weiteren sollen auch private Gruppierungen, die sich zusammenschließen, um außerhalb vertraglicher Vereinbarungen durch physischen oder psychischen Zwang die Träger von Grundfreiheiten daran hindern, auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaates Fuß zu fassen, grundsätzlich die Mitgliedstaaten zu einem Einschreiten verpflichten. Dies betrifft etwa tätliche Angriffe, Drohungen oder Boykottaufrufe 131 . Streiks oder Demonstrationen oder andere Beschränkungen der Grundfreiheiten, die nicht den Marktzugang eines ausländischen Wirtschaftsgutes oder einer ausländischen Person verhindern, sollen grundsätzlich keine staatlichen Schutzpflichten auslösen, da die Funktion der Grundfreiheiten nicht darin besteht, sämtliche Handlungsmodalitäten der Wirtschaftsteilnehmer auf dem Markt zu schützen, sondern nur, Personen und Wirtschaftsgütern den Zugang zu den Märkten der anderen Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Gemeinsam ist den skizzierten Fällen, dass die betreffenden Störer der Grundfreiheiten grundsätzlich Personenmehrheiten sind und anderen Wirtschaftsteilnehmern faktisch ihren Willen aufzwingen können. Handeln Einzelpersonen oder kleinere Unternehmen, sind Schutzpflichten der Mitgliedstaaten regelmäßig nicht notwendig, da die Marktteilnehmer nicht auf sie angewiesen sind und ihnen in aller Regel ausweichen können. Wenn etwa eine Rechtsanwaltskanzlei die Aufnahme eines Rechtsanwaltes aus einem anderen Mitgliedstaat mit der Begründung ablehnt, dass er zwar die deutsche Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt" führen dürfe und ohne Einschränkung in Deutschland als Anwalt tätig werden könne, die Kanzlei aber Volljuristen vorziehe, kann aufgrund dieser Erwägungen keine staatliche Schutzpflicht verlangt werden. Irrelevant ist es ebenfalls, wenn z. B. ein Verkäufer eines Grundstücks von Ausländern einen wesentlich höheren Preis fordert 132 . 129 EuGH, Slg. 1987, 3821, Rn. 30 - Vlaamse Reisbureaus. In dieser Rechtssache nahm der Gerichtshof keine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten an, sondern lehnte sie ausdrücklich ab. Allerdings übernahm der Verband nur freiwillig Regeln, die der Staat aufgestellt hatte. Vgl. zu diesem Urteil Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 62 sowie Schwarze, EuZW 2000, 613 (619). 130 vgl. Fünfter Teil, C. III. 1. c). 131
Zu beachten sind aber ihre Grundrechte; in diesem Fall könnte das Verhalten der privaten Störer der Grundfreiheiten von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. 132 Die Beispiele stammen von Forsthoff, EWS 2000, 389 ff., der diese allerdings im Hinblick auf eine unmittelbare Drittwirkung untersucht.
D. Gefahrenquellen
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Würde man in diesen Fällen Kontrahierungszwänge oder andere Maßnahmen durch die Erfüllung der Schutzpflichten durchsetzen wollen, würde das Prinzip der Selbstregulierung des Binnenmarktes aufgrund weitreichender und allgegenwärtiger staatlicher Regulierungen missachtet werden. Es ist gegenwärtig nicht zu vermeiden, dass es zahlreiche Zweifelsfälle geben wird, in denen keine eindeutige Beurteilung über das Bestehen einer Schutzpflicht in einem konkreten Einzelfall möglich ist. Diese Unsicherheit wird zumindest teilweise durch den Frühwarnmechanismus der Verordnung 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes im Bereich der Warenverkehrsfreiheit abgemildert, durch den die Mitgliedstaaten bei jeder Behinderung oder drohenden Behinderung verpflichtet sind, die Kommission zu unterrichten, die dem Mitgliedstaat daraufhin ihre Rechtsauffassung mitteilt 1 3 3 .
D. Gefahrenquellen Adressaten der Schutzpflichten für die Grundfreiheiten können alleine die Mitgliedstaaten sein, während die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten, zu deren Behebung die Mitgliedstaaten durch die Schutzpflichten verpflichtet sind, alleine von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen kann, da sonst die Grundfreiheiten nicht in ihrer Funktion als Schutzpflichten zur Anwendung kommen. Die richtige Einordnung staatlicher und privater Handlungen ist von weitreichender Bedeutung, da sie über den Inhalt der mitgliedstaatlichen Verpflichtungen entscheidet. Wenn die betreffende Beeinträchtigung auf die Mitgliedstaaten als Verursacher zurückgeführt werden kann, wird sie schon von der klassischen Funktion der Grundfreiheiten erfasst und verpflichtet den betreffenden Staat zu einem Unterlassen der Störung. Die Schutzpflicht, die ebenfalls alleine den Staat verpflichtet, Beeinträchtigungen des Binnenmarktes durch seine Bürger zu unterbinden, hat eine andere Qualität als Unterlassungspflichten, da vom Staat positive Maßnahmen gefordert werden, um die nicht aus seiner Sphäre stammenden Störungen zu unterbinden.
I . Ausschluss des Staates als Urheber der Beeinträchtigung Schutzpflichten der Mitgliedstaaten wurden im Wege der Auslegung der Verträge hergeleitet, da die klassische Funktion der Grundfreiheiten Schutzlücken offen gelassen hat, die den Zielen des EG-Vertrags zuwiderlaufen. Sie nehmen zu der negatorischen Funktion der Grundfreiheiten eine Komplementärfunktion ein, die subsidiär zu der Pflicht ist, Störungen zu unterlassen 134. Bevor man eine staat133 Art. 4 und 5 der VO 2679/98/EG, ABl. EG 1998, L 337, S. 8. 134
Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 71; für das deutsche Recht Isensee, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 117, der meint, dass im Falle des Vorliegens einer
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
liehe Schutzpflicht in Betracht zieht, ist daher auszuschließen, dass der Staat Urheber der Beeinträchtigung ist. Zumeist ist eindeutig zu bestimmen, ob im Falle einer Beeinträchtigung der Grundfreiheiten der Staat gehandelt hat, da die meisten Maßnahmen eindeutig auf den Staat oder seine Untergliederungen zurückzuführen sind. Die Abgrenzung von hoheitlichen und privaten Maßnahmen kann jedoch in einigen Fällen mit Schwierigkeiten verbunden sein, da sich die Handlungen von Hoheitsträgern und Privaten durch die unterschiedlichsten Verknüpfungen nicht immer klar voneinander trennen lassen. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen sowohl der Staat als auch Private einen Beitrag zu einer Beschränkung der Grundfreiheiten erbracht haben, oder in denen Private mit Befugnissen ausgestattet wurden, die typischerweise hoheitlich ausgeübt werden 135 . Wenn der Staat etwa das Verhalten eines Privaten genehmigt oder anderweitig legitimiert und beeinflusst, fällt eine klare Trennung staatlicher Gewalt von nicht-staatlichen Handlungen schwer.
n . Gemeinschaftsrechtlich determinierte Abgrenzung Die Abgrenzung staatlicher Handlungen zu den Aktivitäten Privater muss gemeinschaftsrechtlich determiniert sein, damit die Unterscheidung der staatlichen von der privaten Sphäre in den Mitgliedstaaten einheitlich geschieht136. Den Gemeinschaftsverträgen selbst ist nicht zu entnehmen, wie man staatliches von privatem Handeln abgrenzen kann. Es gibt zu dieser Problematik noch keine vertieften wissenschaftlichen Untersuchungen oder eine umfangreiche Rechtsprechung. Es sind nur einige punktuelle Versuche vorhanden, anhand von Fallgruppen, die zum Teil auch im deutschen Recht und für die EMRK problematisiert worden sind 1 3 7 , unter Zuhilfenahme der Anhaltspunkte in den Gemeinschaftsverträgen und der Rechtsprechung des EuGH eine Einordnung vorzunehmen. Die Einordnung kann mangels anderer Vorgaben grundsätzlich nur durch eine wertende Zurechnung des Handelns von Organen oder Personen vorgenommen werden 138 . Wenn sowohl der Staat als auch der Private eine Ursache für die Beschränkung der Grundfreiheit gesetzt haben, soll nach verbreiteter Ansicht im Schrifttum eine Verstaatlichen Gefahrenquelle der Rückgriff auf eine ungeschriebene staatliche Schutzpflicht entbehrlich und unangebracht sei; vgl. auch Murswiek, Die staatliche Verantwortung, S. 107 ff. 135 Vgl. dazu Dritter Teil, B. HI. 5. 136 So auch Badura, ZGR 1997, 291 (295 f.) sowie Graf, Der Begriff der „ M a ß n a h m e n gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen", S. 137, der eine Orientierung an deutschen Maßstäben naheliegend findet. 137 Hierzu Jaeckel, Schutzpflichten, S. 63 ff., 141 ff.; eine eingehende Untersuchung der Gründe für eine Zurechnung des Verhaltens Dritter zum Staat für das deutsche Recht unternimmt Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 82 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 48 ff. 138 Badura, ZGR 1997, 291 ff.
D. Gefahrenquellen
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antwortlichkeit des Staates dann gegeben sein, wenn dessen Handlung die wesentliche Bedingung für den Eintritt der Beschränkung ist und damit deren Gesamtbild entscheidend bestimmt 139 . Außerdem soll eine Zurechnung zum Staat im Falle seiner beherrschenden Stellung oder zumindest bei einer aufsichtsrechtlichen Kontrolle über Unternehmen stattfinden 140. Die wichtigsten Fallgruppen, die unter Umständen problematisch sein können, sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.
1. Nicht hoheitliches Handeln von Staatsorganen Die Bindungsreichweite des Gemeinschaftsrechts erstreckt sich grundsätzlich auf alle Handlungen staatlicher Organe, unabhängig von der Charakterisierung ihrer konkreten Tätigkeit als hoheitlich. Handeln Staatsorgane oder andere dem Staat zurechenbare Einrichtungen, sind sie unabhängig von der Art der ausgeübten Tätigkeit an das Gemeinschaftsrecht gebunden, wie etwa im Verwaltungsprivatrecht oder bei der erwerbswirtschaftlichen Betätigung des Staates oder allgemein im Bereich der Bedarfsdeckung, wie etwa bei der Vergabe von Bauaufträgen 141. Auch die mittelbare Staatsverwaltung mit ihren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts ist an die Grundfreiheiten gebunden, unabhängig davon, welcher Handlungsformen sie sich bedient 142 . Die Mitgliedstaaten sollen sich ihren Verpflichtungen aus den Grundfreiheiten nicht deshalb entziehen können, weil sie sich privatrechtlicher Handlungsformen bedienen, indem sie etwa Verträge abschließen, anstatt Verwaltungsakte zu erlassen 143.
139 Vgl. Jaeckel, Schutzpflichten, S. 248, die dieselben Kriterien für die Abgrenzung staatlicher von privaten Maßnahmen im deutschen Recht und für die EMRK verwendet; ganz ähnlich auch Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 53, der zur Abgrenzung untersuchen will, welche die im konkreten Fall vorrangig verletzte Pflicht ist. 140 König/Haratsch, Europarecht, S. 198; vgl. auch die Fallkonstellationen unten unter b).
m Roth, in: Dauses (Hrsg.), Hdb. des EG-Wirtschaftsrechts, E.I, Rn. 16 ff. ; Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 211; Forsthoff, EWS 2000, 389 (391); Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 160 ff.; vgl. auch EuGH, Slg. 1989, 1591 - Allue I sowie Slg. 1993,1-4309 - Allue II. 142 Eingehend hierzu Matthies, FS Ipsen, S. 669 (673 f.) sowie Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 162 ff., die detailliert untersucht, welche Einrichtungen neben den klassischen Staatsorganen zum staatlichen Organisationsapparat gezählt werden können. 143 Vgl. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 638 f., der darlegt, dass die mitgliedstaatliche Bindung zusätzlich durch Art. 10 EGV unterstrichen wird; a.A. Leible, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 28, Rn. 6, der die Ansicht vertritt, mangels hoheitlichen Charakters werde das Handeln der öffentlichen Hand in der Handlungsform des Privatrechts nicht erfasst.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
2. Dem Staat zurechenbare Maßnahmen aufgrund seiner Einflussnahme In der Rechtssache Kommission/Irland „(Buy Irish") entschied der EuGH, dass der Staat sich seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht durch die Einschaltung einer privaten Verkaufsorganisation, deren Vorstandsmitglieder und Vermarktungsinhalte von der Regierung bestimmt werden, entziehen könne 144 . In dieser Rechtssache ging es um Werbung durch eine nicht-staatliche Einrichtung, die dem Staat aufgrund seines finanziellen und organisatorischen Einflusses zugerechnet wurde 1 4 5 . Die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten selbst ging zwar von einem möglichen veränderten Konsumverhalten der privaten Marktteilnehmer aus, jedoch hat der Staat dieses Verhalten hervorgerufen, wobei es unerheblich ist, ob durch den Erlass von Gesetzen oder lediglich durch Empfehlungen, die für den Bürger unverbindlich sind 146 . Der Gerichtshof ging in diesem Fall mit Recht davon aus, dass die gleiche Maßnahme durch einen Privaten ohne eine Zurechnung zum Staat mangels einer unmittelbaren Drittwirkung von Art. 28 EGV keine verbotene Beeinträchtigung der Grundfreiheiten bedeutet hätte 147 . Ein weiterer mit demselben Ergebnis entschiedener Fall betraf eine Werbemaßnahme durch eine private Körperschaft, die im Zuge einer staatlichen Fördermaßnahme für die einheimische Äpfel- und Birnenerzeugung errichtet wurde, deren Mitglieder vom zuständigen Minister ernannt wurden und die durch eine Abgabe, die von den ansässigen Äpfel- und Birnenherstellern erhoben wurde, finanziert wurde 148 . Mit einer weiteren vergleichbaren Problematik, in der der Gerichtshof diese Linie weiter verfolgt hat, war er in der Rechtssache CMA - Gütezeichen 149 befasst: Es ging in diesem Fall um die Vereinbarkeit einer durch eine privatrechtliche Gesellschaft (CMA) durchgeführten Vergabe eines Gütezeichens, das bei Beachtung bestimmter Qualitätsanforderungen auf Antrag „Markenqualität aus deutschen Landen" auszeichnete. Die CMA wurde aufgrund gesetzlicher Vorschriften errichtet und sollte in erster Linie dem Zweck dienen, den Absatz und die Verwertung deutscher Agrarprodukte zu fördern. Sie wurde durch Pflichtbeiträge aller Unternehmen der betreffenden Wirtschaftszweige finanziert, musste die Richtlinien eines Fonds beachten, der eine Anstalt des öffentlichen Rechts war und hatte ihre Tätigkeit nach dem Gesamtinteresse der deutschen Wirtschaft auszurichten 150. Der EuGH rechnete die Vergabe des Gütesiegels aufgrund dieser Umstände dem Staat 144 EuGH, Slg. 1982,4005, Rn. 23 ff. - Kommission/Irland. 145 Unabhängig von der Zurechnungsfrage berief sich die irische Regierung vergeblich darauf, sie leiste durch die Werbekampagne nur Überzeugungsarbeit, ohne eine Regelung zu treffen, vgl. EuGH, Slg. 1982,4005, Rn. 17 - Kommission/Irland (Buy Irish). 146 EuGH, Slg. 1982, 4005, Rn. 28 - Kommission/Irland. 147 EuGH, Slg. 1982,4005, Rn. 28 - Kommission /Irland. 148 EuGH, Slg. 1983,4083 - Apple and Pear Development Council. 149 EuGH, Slg. 2002,1-9977 - CMA-Gütezeichen. 150 EuGH, Slg. 2002,1-9977, Rn. 17 ff. - CMA-Gütezeichen.
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zu. Allerdings ist die Argumentation des Gerichtshofes im Hinblick auf die Zurechnung dogmatisch undeutlich, da sie ebenfalls für die Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung sprechen könnte und seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Kollektivregelungen sehr ähnelt 151 . Der EuGH äußerte in dieser Rechtssache: „Sie [die CMA] ist somit verpflichtet, die Grundregeln des Vertrags über den freien Warenverkehr zu beachten, wenn sie eine allen Betrieben der betreffenden Wirtschaftszweige zugängliche Regelung einführt, die sich wie eine staatliche Regelung auf den innergemeinschaftlichen Handel auswirken kann" 1 5 2 . Der Gerichtshof stellte demnach darauf ab, dass sich die Regelung vergleichbar einer staatlichen Regelung auswirkt, was dafür spricht, dass aus seiner Sicht die Maßnahme eher einen privaten Charakter besaß, die nicht dem Staat zugerechnet wurde, sondern für die die CMA selbst verantwortlich gemacht wurde. An einer anderen Stelle im Urteil rechnete der Gerichtshof das Verhalten der CMA indes ausdrücklich dem Staat zu 1 5 3 , ein Ergebnis, dem im Grundsatz zuzustimmen ist. Entscheidendes Argument für eine Zurechnung ihres Verhaltens zum Staat ist jedoch, dass die CMA lediglich rein formell eine Gesellschaft des Privatrechts ist, jedoch aufgrund eines Gesetzes errichtet wurde und öffentliche Aufgaben wahrnimmt.
3. Vom Staat Beliehene und intermediäre Gewalten Wenn der Staat sich zur Ausübung der öffentlichen Gewalt Beliehener bedient, die von ihm mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet werden, sind die Privaten selbst an die Grundfreiheiten gebunden, da der Staat als Träger öffentlicher Gewalt mittels der beliehenen privaten Rechtssubjekte handelt 154 . Handelt es sich um sogenannte intermediäre Gewalten, die andere Private zwingenden Regelungen oder Maßnahmen unterwerfen dürfen und eine Zwischenstellung zwischen Staat und privatem Individuum einnehmen 155 , findet keine Zurechnung ihres Verhaltens zum Staat statt, sondern sie werden vielmehr im Wege einer unmittelbaren Drittwirkung selbst an die Grundfreiheiten gebunden. Obwohl in diesen Fällen private Akteure die Störer sind, kommen staatliche Schutzpflichten angesichts ihrer Stellung als direkte Adressaten der Grundfreiheiten nicht in Betracht. Aufgrund der umfassenden Bindung der Privaten besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit für die Annahme zusätzlicher staatlicher Maßnahmen zum Schutz der Grundfreiheiten 156. 151 So auch Epiney, NVwZ 2004, 555 (561 f.). 152 EuGH, Slg. 2002,1-9977, Rn. 18 - CMA-Gütezeichen. 153 EuGH, Slg. 2002,1-9977, Rn. 20 - CMA-Gütezeichen. 154 Roth, in: Dauses (Hrsg.), Hdb. des EG-Wirtschaftsrechts, E.I, Rn. 16 ff. So etwa der deutsche TÜV oder der Jagdaufseher nach § 25 BJagdG; vgl. auch Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung, S. 266. 155 Hierzu eingehend Dritter Teil, B. HI. 5. 156 Zu der Frage des Verhältnisses von unmittelbarer Drittwirkung und Schutzpflicht Dritter Teil, B. IV.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
4. Maßnahmen Privater, die sich auf mitgliedstaatliches Zivilrecht stützen Wenn Private mit den Grundfreiheiten in Konflikt geraten, stützen sich ihre Handlungen häufig auf Normen des mitgliedstaatlichen Privatrechts 157. Die Entwicklung der Grundfreiheiten von Diskriminierungs- zu Beschränkungsverboten war eine der wichtigsten Ursachen dafür, dass immer mehr zivilrechtliche Normen als Behinderungen für den Binnenmarkt angesehen wurden 158 . Die Privatrechtsnormen selbst sind grundsätzlich staatliche Maßnahmen, die am Maßstab der Grundfreiheiten kontrolliert werden können 159 . Wenn die Normen gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen, gilt der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, mit der Folge, dass sie bei grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeiten keine Geltung besitzen, aber innerstaatlich ihre Gültigkeit behalten 160 . Beschränken Privatpersonen deshalb die Grundfreiheiten, weil ihr Verhalten durch zivilrechtliche Normen determiniert wird, die den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr behindern, sind demgemäß die Mitgliedstaaten diejenigen, die den wesentlichen Beitrag zu der Behinderung geleistet haben. Allerdings sollen nach verbreiteter Ansicht im Schrifttum dispositive Normen, welche die Parteien durch die Nutzung ihrer Privatautonomie abbedingen können, nicht an den Grundfreiheiten zu messen sein, da die Privaten die Verursacher der Störung für den Binnenmarkt seien und nicht der Staat. Begründet wird diese Differenzierung damit, dass die Mitgliedstaaten durch die Schaffung des dispositiven Privatrechts den Handel im Ergebnis fordern und nicht beschränken würden. Die Parteien seien durch das Bestehen dieser Normen davon entlastet, jede einzelne Bestimmung eines Vertrags selbst zu regeln, ohne dass der Staat durch das Aufstellen dieser Regelungen ihre Privatautonomie einschränke und könnten die Wirkung der dispositiven Normen durch private Initiative ausräumen. Ergreife ein Mitgliedstaat die Initiative zur Schaffung dispositiver Normen, könne man ihm nicht zum Vorwurf machen, er bleibe mit seinen Regelungen hinter denen der anderen Mitgliedstaaten zurück 161 . Diese Differenzierung macht zwar auf den ersten Blick des157 Vgl. EUGH, Slg. 1991, 1-107 - Alsthom Atiantique; EuGH, Slg. 1993, 1-2384 - Yves Rocher; EuGH, Slg. 1993,1-5009 - CMC Motorradcenter; EuGH, Slg. 2000,1-117 - Estee Lauder. Auch Normen des Prozeßrechts können eine an den Grundfreiheiten zu messende Beschränkung darstellen, vgl. EuGH, Slg. 1996,1-4661 - Data Delecta und Forsberg sowie EuGH, Slg. 1997, \~\1U-Hayes; vgl. auch Streinz/Leible, IPRax 1998,162 ff. 158 Vgl. Fünfter Teil, B. 159 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 399 ff. m. w. N. 160 Streinz, Europarecht, Rn. 200 ff. 161 Vgl. Remien, Zwingendes Vertragsrecht, S. 23 ff.; Grundmann, EWS 1990, 214 (216); Basedow, CMLR 33 (1996), 1169 (1174); Drasch, Das Herkunftlandprinzip, S. 211; vgl. auch Leible, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 28, Rn. 43 sowie EuGH, Slg. 1990,1-594 - Krantz; a.A. etwa von Wilmowski, JZ 1996, 590 (596); allgemein zu der Erfassung des Privatrechts durch die Grundfreiheiten Mülbert, ZHR 159 (1995), 2 (9 ff.). Keine Rechtswahlfreiheit besteht im deutschen Recht etwa im Deliktsrecht, im Recht des unlauteren Wettbewerbs, im Gesell-
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halb Sinn, weil die Erfassung auch dispositiven Rechts die Mitgliedstaaten dazu zwingen kann, ihr Zivilrecht an die Regelungen anderer Mitgliedstaaten anzupassen, die eine liberalere Rechtsordnung besitzen, und es nicht Sinn der Grundfreiheiten ist, sämtliche Beschränkungen der Modalitäten wirtschaftlicher Betätigungen auf dem Markt zu verbieten 162 . Jedoch ist von den Mitgliedstaaten dennoch zü fordern, keine dispositiven Normen zu erlassen, die den Marktzugang der Wirtschaftsteilnehmer auf die Märkte der anderen Mitgliedstaaten verschließen können. Es ist grundsätzlich nicht erforderlich, dass der Staat durch zwingende Regelungen die Grundfreiheiten beschränkt, sondern es reicht die bloße Einflußnahme auf das Verhalten der Privatpersonen aus 163 . Es macht keinen entscheidenden Unterschied, ob die Wirtschaftsteilnehmer vom Staat gezwungen werden, die Grundfreiheiten zu beschränken oder ob der Staat sie lediglich dazu anhält, da das Ergebnis auf dem Binnenmarkt dasselbe ist. Grundsätzlich ist der Staat aber nur dann für die Beeinträchtigung der Grundfreiheit verantwortlich zu machen, wenn die Norm selbst, und nicht erst eine weitere maßgebliche Handlung der Privaten, die Beeinträchtigung verursacht hat. Alleine das Fehlen von Verbotsnormen, unabhängig davon, ob es zivil-, straf- oder verwaltungsrechtliche Normen sind, kann keinesfalls dazu führen, dass der Staat deshalb als Störer zur Verantwortung zu ziehen ist. Die Beeinträchtigung geschieht zwar im Rahmen des mitgliedstaatlichen Privatrechts, aber durch das Fehlen einer die Grundfreiheiten schützenden Regelung. In diesem Fall ist die dem Bürger eingeräumte Privatautonomie so weit bemessen, dass er durch sein rechtmäßiges Handeln die Grundfreiheiten beeinträchtigen kann. Diese Tatsache kann aber nicht dazu führen, dass jedes Verhalten Privater dem Staat zugerechnet wird, nur weil die betreffende Handlung nach seinem innerstaatlichen Recht nicht verboten ist. Es kann vom Staat nicht verlangt werden, alle möglichen Konflikte zwischen Privaten lückenlos zu regeln, wie vereinzelt im Schrifttum angenommen wird 1 6 4 . Eine weitere Fallgruppe problematischer Abgrenzungen zwischen staatlichen und privaten Handlungen sind die gewerblichen Schutzrechte, wie Patente, Warenzeichen-, Marken- und Urheberrechte, deren Bestehen und Ausübung regelmäßig Einfuhrverbote oder mittelbare Einfuhrhindernisse hervorrufen. In den Fällen von Beschränkungen der Grundfreiheiten aufgrund des Bestehens gewerblicher Schutzrechte hat die Frage dem EuGH in der Vergangenheit große Schwierigkeiten bereitet, ob das Konfliktpotential dieser Rechte vornehmlich in ihrer Verbürgung durch das nationale Recht oder in ihrer Wahrnehmung durch den Schutzrechtsinhaber schaftsrecht, Sachenrecht und bei Arbeits- und Verbraucherverträgen, vgl. Leible, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 28, Rn. 43. Vgl. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 399 ff.; Grundmann, ZHR 163 (1999), 635 (656 f.); zu der wirklichen Zielsetzung der Grundfreiheiten vgl. Fünfter Teil, C. III. la). 163 Vgl. EuGH, Slg. 1982,4005, Rn. 28 - Kommission/Irland (Buy Irish). 164
Eine Zurechnung sämtlicher erlaubter Handlungen zum Staat entspricht der im deutschen Recht vertretenen „abwehrrechtlichen Lösung", vgl. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213 ff. sowie Dritter Teil, C.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
lag. Auch wenn durch den heute geltenden sogenannten Erschöpfungsgrundsatz nunmehr in ganz erster Linie auf das Verhalten des Schutzrechtsinhabers abgestellt wird, wird der Schutz dieser Rechte als staatliches Hindernis angesehen, auch wenn der Schutzrechtsinhaber zusätzlich aktiv wird, indem er seine Rechte geltend nlacht und ausübt 165 .
5. Hoheitliche Genehmigungen Genehmigt der Staat bestimmte Handlungen von Privatpersonen, wie etwa im Bereich der präventiven Gefahrenabwehr bei Anlagen, kann deshalb nicht grundsätzlich eine staatliche Verantwortlichkeit angenommen werden. Allein die Tatsache, dass der Staat eine präventive Kontrolle durchführt, führt nicht zu dessen Verantwortlichkeit, wenn dem Privaten die Möglichkeit bleibt, in Rechte Dritter einzugreifen 166 . Die Wahrnehmung einer Kontrolle privaten Handelns durch präventive Kontrollen oder andere Maßnahmen wie Stichproben oder Anzeigepflichten ist vielmehr als Ausübung einer staatlichen Schutzpflicht anzusehen, deren Verletzung einen Vorwurf des Unterlassens nach sich ziehen kann. Es kommt aber keine Zurechnung zum Staat in Betracht, die eine Verpflichtung aus den Grundfreiheiten in ihrer abwehrrechtlichen Funktion zur Folge hätte 167 . Vergleichbares muss gelten, wenn der Staat ein Verhalten grundsätzlich verbietet, aber nach einer Überprüfung gewisser Belange Ausnahmen zulässt, da der Staat seine Kontrollpflicht wahrgenommen hat, ohne dass er jede mögliche Beeinträchtigung von vorneherein verhindern kann. Der EuGH hat in der Rechtssache Haug-Adrion demgemäß einen zwischen Privaten geschlossenen Versicherungsvertrag auf der Grundlage staatlich genehmigter Tarifbedingungen als eine nicht dem Staat zurechenbare Störung des Binnenmarktes angesehen, da seiner Ansicht nach eine Gestattung unterschiedlicher Tarifbedingungen nicht dazu führe, dass sie als eine Maßnahme des Hoheitsträgers angesehen werden könnten 168 . In diesem Fall bejahte der EuGH allerdings eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten auf den Versicherungsunternehmer 169. Er 165 Vgl. Leible, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 28, Rn. 6 sowie Art. 30, Rn. 20 ff.; Roth, FS Everling, S. 1231 (1234). In Art. 30 EGV ist der Schutz gewerblicher Rechtspositionen als Rechtfertigungsgrund anerkannt; vgl. hierzu und zum Erschöpfungsgrundsatz Schroeder, in: Streinz, EGV, Art. 30, Rn. 19 ff. 166 Vgl. Jaeckel, Schutzpflichten, S. 251 sowie Burgi, EWS 1999, 327 (331). Die Frage der Zurechnung der Handlungen Privater aufgrund einer staatlichen Genehmigung ist auch im deutschen Recht umstritten. Für eine Zurechnung spricht sich etwa aus Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit, S. 153 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen, dagegen sind etwa Jarass, FS Lukes, S. 57 (66); Kraft, BayVBl. 1992,456 (459 f.). 167 Vgl. Burgi, EWS 1999, 327 (331), der das Erfordernis staatlicher Genehmigungen grundsätzlich als eine Wahrnehmung von Schutzpflichten ansieht. 168 EuGH, Slg. 1984,4277 - Haug-Adrion; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 251.
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D. Gefahrenquellen
ging jedoch im Rahmen der Prüfung einer möglichen Rechtfertigung der Tarifunterschiede von ihrer Rechtmäßigkeit aus 170 . Jedenfalls ist der Einschätzung des EuGH, dass die Regelungen des Versicherungsvertrags dem Staat nicht zuzurechnen sind, im Ergebnis zuzustimmen, da die präventive staatliche Kontrolle es alleine nicht rechtfertigen kann, dass der Staat in der Folge für alle rechtlichen Verstöße des Privaten verantwortlich gemacht wird. Das Verhalten des Versicherungsunternehmers hielt sich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften, die Beschränkung der Grundfreiheiten geschah jedoch durch dessen eigene Handlung durch die Normierung der hinderlichen Versicherungsbestimmungen. Die präventive Kontrolle bietet in der Regel einen zusätzlichen Schutz, während sie es aber nicht vermag, alle rechtlichen Gesichtspunkte zu untersuchen. Will man dem Staat abverlangen, die Kontrollen zu verstärken bzw. drittschädigendes Verhalten schon im Vorfeld zu unterbinden, betrifft dies vielmehr staatliche Schutzpflichten. Demgegenüber entschied der EuGH in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich 17 dass die staatliche Genehmigung einer die Kapitalverkehrsfreiheit einschränkenden privaten Gesellschaftssatzung dem Staat zurechenbar sei. Der Fall ist indes anders gelagert als die Rechtssache Haug-Adrion: Im Zuge der Privatisierung der British Airport Authority wurde zu Gunsten des Staates eine Sonderaktie geschaffen, die dem Staat die Befugnis gab, die Veräußerung des Vermögens der Gesellschaft von einer vorherigen Genehmigung abhängig zu machen. Die britische Regierung vertrat den Standpunkt, die Sonderaktie sei eine von mehreren im Rahmen des nationalen Gesellschaftsrechts vorgesehenen Aktienarten, weshalb die in der nach Gesellschaftsrecht gestalteten Satzung bestimmten Sonderrechte alleine aufgrund privater Initiative bestehen würden. Diese Rechtssache unterschied sich zwar von den anderen vom Gerichtshof entschiedenen Fällen zu den „Goldenen Aktien", in denen die Sonderrechte dem Staat durch Gesetz oder eine Durchführungsverordnung eingeräumt wurden 172 . Der Gerichtshof stellte jedoch in dieser Fallkonstellation darauf ab, dass die Einräumung von Sonderrechten nicht aus einer normalen Anwendung des Gesellschaftsrechts resultiere, sondern vom zuständigen Minister habe genehmigt werden müssen, weshalb eine Aus«» EuGH, Slg. 1984, Rn. 16 - Haug-Adrion. Allerdings ist im Schrifttum umstritten, ob der EuGH tatsächlich in diesem Fall von einer unmittelbaren Drittwirkung ausging, vgl. dazu Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 71 m. w. N. 1 70 In einer anderen Rechtssache, in der es um eine privat vereinbarte Durchfahrtsgebühr für die Benutzung von Stellplätzen auf einem Umschlagplatz für den Güterfernverkehr ging, nahm der Gerichtshof einen staatlichen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht an, ohne eine Zurechnung durchzuführen, sondern aufgrund der Annahme eines Organisationsverschuldens des Staates, EuGH, Slg. 1995,1-2432 - Dubois/Garonor; hierzu ausführlich Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 42 ff. 1 71 EuGH, EuZW 2003, 536 ff. - Kommission/Vereinigtes amtlichen Sammlung veröffentlicht.).
Königreich (noch nicht in der
172 EUGH, EUZW 2003, 529 ff., Rn. 69 - Kommission/Spanien;
429 ff., Rn. 49 - Kommission/Belgien öffentlicht.)
EuGH, E u Z W 2002,
(beide noch nicht in der amtlichen Sammlung ver-
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
Übung öffentlicher Gewalt vorliege 173 . Die Einräumung staatlicher Sonderrechte durch eine Aktie, ob nun durch Gesetz, Durchführungsverordnung oder durch die Abhängigkeit ihrer Wirksamkeit von einer staatlichen Genehmigung rechnet der Gerichtshof mit Recht dem Staat zu, da die Verlagerung der staatlichen Mitspracherechte ins Privatrecht die Regelung nicht dem Anwendungsbereich der Grundfreiheiten entziehen darf 174 . Allerdings wird der tragende Grund der staatlichen Verantwortung in der Genehmigung der Gesellschaftssatzung durch den Staat gesehen, obwohl man vielmehr darauf hätte abstellen können, dass der Staat auch im Rahmen von vertraglichen Vereinbarungen an die Grundfreiheiten gebunden ist. Insgesamt ist im Grundsatz davon auszugehen, dass Handlungen von Privatpersonen allein deshalb, weil sie staatlich genehmigt wurden, nicht dem Staat zuzurechnen sind. Die Verantwortlichkeit des Staates ist allein aufgrund der Erteilung einer Genehmigung nicht so groß, dass das genehmigte Verhalten dem Staat als eigenes zugerechnet werden kann.
6. Subventionen und andere staatliche Begünstigungen Beihilfen sind staatliche oder dem Staat zurechenbare Zuwendungen, die grundsätzlich allein von den Beihilfevorschriften der Art. 87 ff. EGV erfasst werden 175 . Wenn das staatlich subventionierte Unternehmen allerdings selbst abgesehen von der Entgegennahme der Beihilfe, möglicherweise erst durch diese befähigt, die Grundfreiheiten beeinträchtigt, ist dies eine private Maßnahme, die dem Staat nicht zugerechnet werden kann. Die staatliche Subventionierung kann in diesem Fall nicht als Hauptursache für die Binnenmarktstörung angesehen werden, da das Unternehmen durch eine eigenverantwortliche Entscheidung den entscheidenden Beitrag für sie erbringt 176 . Das gleiche gilt für sonstige Förderungen und Begünstigungen durch den Staat, die einem Privaten erst ermöglichen oder ihn in höherem Maße dazu befähigen, die Grundfreiheiten zu beschränken.
I I I . Zusammenfassung Zur Abgrenzung staatlicher von privaten Maßnahmen gibt es im Gemeinschaftsrecht bislang keine anerkannten Kriterien, sondern nur eine gewisse Anzahl von Entscheidungen des EuGH und einige Ansätze im Schrifttum. Unzweifelhaft steht fest, dass der Staat und seine Untergliederungen an die Grundfreiheiten gebunden 173 EuGH, Slg. EuZW 2003, 536, Rn. 48 - Kommission/Vereinigtes nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 174 Vgl. die Anmerkung von Rüge zu diesem Urteil, EuZW 2003, 540 ff. 175 Rawlinson, in: Lenz, EGV, Art. 87, Rn. 5. 176 Jaeckel, Schutzpflichten, S. 253.
Königreich
(noch
D. Gefahrenquellen
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sind, unabhängig davon, welcher Handlungsform sie sich bedienen. Wenn der Staat außerdem Private zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben heranzieht, kann er sich dabei nicht von seiner Bindung an die Grundfreiheiten befreien. Weniger problematisch sind auch Handlungen von Beliehenen und den sogenannten intermediären Gewalten, die ausnahmsweise selbst an die Grundfreiheiten gebunden sind, obwohl sie nicht als staatliche Gewalten angesehen werden können. Nach der Untersuchung der problematischen Fallgruppen ist jedenfalls davon auszugehen, dass staatliche Normen, die die Grundfreiheiten beeinträchtigen, grundsätzlich als staatliche Maßnahmen anzusehen sind. Genehmigt der Staat bestimmte Maßnahmen Privater, wie z. B. Satzungen oder allgemeine Versicherungsbedingungen, führt dies grundsätzlich nicht dazu, dass diese ihm zugerechnet werden können. Anders können die Fälle zu beurteilen sein, in denen der Staat maßgeblichen Einfluss auf Private ausübt oder eine beherrschende Stellung in ihren Unternehmen besitzt. In Grenzfällen, in denen die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten sowohl vom Staat als auch von dem Privaten ausgeht, ist eine wertende Betrachtung vorzunehmen, wer die entscheidende beschränkende Handlung ausgeführt hat. Es kommt darauf an, wer die wesentliche Bedingung für den Eintritt der Beschränkung gesetzt hat und damit deren Gesamtbild entscheidend bestimmt.
IV. Störungen durch andere Ursachen Handelshemmnisse nicht-staatlichen Ursprungs können auch durch andere Ursachen hervorgerufen werden als durch das Verhalten von Menschen. Als weitere Störfaktoren kommen Naturereignisse 177, Handlungen anderer Mitgliedstaaten der EU, Handlungen von Drittstaaten sowie nicht zu ermittelnde Ursachen in Betracht. In diesen Fällen können die Grundfreiheiten, wenn überhaupt, nur in ihrer Funktion als Schutzpflichten zur Anwendung kommen, da an keine staatliche Maßnahme angeknüpft werden kann, die von den Grundfreiheiten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension erfasst wird. Der Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts kann in diesen Fällen dadurch eröffnet sein, dass der grenzüberschreitende Wirtschaftsverkehr gestört wird, auch wenn die betreffenden Sachmaterien zum Teil grundsätzlich in den ausschließlichen Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten fallen. 1. Schutzpflichten auch bei anderen als von Personen hervorgerufenen Störungen? Im Rahmen der Diskussion um die Schutzpflichten im deutschen Recht ist es kontrovers diskutiert worden, ob sie nur bei Gefahren einschlägig sind, die von 177
Zum Katastrophenschutz als Gemeinschaftsziel vgl. Art. 3 lit. u EGV. Indes gibt es für diesen Bereich, anders als für die übrigen Tätigkeitsfelder des Art. 3 EGV, keinen korrespondierenden Kompetenztitel; hierzu Oppermann, Europarecht, Rn. 2062 m. w. N.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
anderen Grundrechtsträgern ausgehen oder ob sie auch bei natürlichen Ursachen in Betracht kommen. Gegen die Einbeziehung nicht-personaler Ursachen wird eingewendet, dass den Schutzpflichten das klassische Grundrechtsdreieck Staat- OpferStörer zugrunde liege, das es dem Staat zur Aufgabe mache, die unterschiedlichen Freiheitssphären zu koordinieren, die gerade das Wesen der Schutzpflichten ausmache 178 . Von anderen Autoren ist dagegen das überzeugende Gegenargument vorgebracht worden, dass die ideengeschichtlich motivierte Beschränkung der Schutzpflichten nur auf personale Gefahren den Grundrechtsschutz unzulässigerweise verkürze, da die Rechtsgutsverletzungen ebenso gut durch andere Ursachen herbeigeführt werden können 179 . Der EuGH hat in der Rechtssache Kommission/Frankreich in diesem Sinne zumindest angedeutet, dass das Verhalten privater Akteure nur eine Möglichkeit für die Annahme einer Schutzpflicht darstellt, indem er äußerte, dass eine solche insbesondere bei Beeinträchtigungen durch Private in Betracht komme 180 . Diese Formulierung legt die Ansicht des EuGH nahe, dass Beeinträchtigungen des Binnenmarktes durch private Akteure nur ein möglicher Anwendungsbereich staatlicher Schutzpflichten seien und dass Schutzpflichten auch in anderen Fällen nicht-staatlicher Beeinträchtigungen des Binnenmarktes zumindest denkbar seien. Die Verordnung 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr beschränkt ihren Anwendungsbereich allerdings ausdrücklich auf Behinderungen durch Personen 181. Der beschränkte Anwendungsbereich der Verordnung wäre indes unbeachtlich, wenn man dem Primärrecht weitergehende Verpflichtungen der Mitgliedstaaten entnehmen könnte. Die Verordnung würde in diesem Falle nur einen Ausschnitt der möglichen nicht-staatlichen Störungen des Binnenmarktes regeln, der insoweit zu einer Konkretisierung der mitgliedstaatlichen Verpflichtungen beitragen würde, aber durch die weitergehenden Regelungen des Primärrechts zu ergänzen wäre 182 . Im Gemeinschaftsrecht sind etwaige Bedenken aufgrund der Einbeziehung auch nicht-personaler Ursachen in den Tatbestand der Schutzpflichten, soweit ersichtlich, bislang noch nicht erhoben worden. Ihnen kann auch schwerlich eine ver178 Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 112, der dennoch einräumt, dass der Staat in solchen Fällen Vorsorge und Abhilfe treffen müsse; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410; Stern, Staatsrecht, Bd. m / 1 , S. 945 f. 179
Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 23 m. w. N., der die Theorie des „Grundrechtsdreiecks" nicht widerlegen, sondern lediglich ergänzen will; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 124, der das „Grundrechtsdreieck" nicht als obligatorisch ansieht. 180 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 30 f. - Kommission/Frankreich. 181 Art. 1 Abs. 2 der VO, ABl. EG 1998, L 337, S. 8. Die Legaldefinition des Begriffes der Behinderung in Art. 1 Abs. 1 erfasst jedoch zunächst sämtliche nicht durch den Staat verursachte Störungen. 182 Das Sekundärrecht steht im Rang unter dem primären Gemeinschaftsrecht und ist in Übereinstimmung mit dem Primärrecht auszulegen, vgl. Bleckmann, NVwZ 1993, 824 (825).
D. Gefahrenquellen
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gleichbare Bedeutung wie im deutschen Recht zukommen, da im Gemeinschaftsrecht Schutzpflichten keine ideengeschichtliche Grundlage besitzen, sondern eine relativ neue Funktion der Grundfreiheiten darstellen, die überwiegend zweckorientiert aufgrund der Ziele der Gemeinschaft aus den Grundfreiheiten hergeleitet wurde.
2. Natürliche Ursachen Die Annahme von mitgliedstaatlichen Schutzpflichten gründet auf der Erwägung, dass andere als auf den Staat zurückzuführende Ursachen die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes ebenso intensiv beeinträchtigen können wie staatliche Maßnahmen. Zur effektiven Erhaltung und Weiterentwicklung des Binnenmarktes ist es notwendig, unter bestimmten Voraussetzungen auch nicht-staatlich verursachten Hindernissen entgegenzutreten. Würde man von den Mitgliedstaaten die Erfüllung von Schutzpflichten nur aufgrund von Störungen durch Personen fordern, hätte dies Schutzlücken zur Folge, die schwer zu begründen wären. Die Beschränkung des Schutzes des Binnenmarktes nur auf die Bekämpfung der durch Menschen verursachten Hindernisse widerspricht dem elementaren Gemeinschaftsziel der Errichtung und Erhaltung eines Binnenmarktes (Art. 3 lit c), für das die Ursache der Hindernisse grundsätzlich irrelevant ist. Störungen durch natürliche Ursachen sind insofern rechtlich anders zu beurteilen als Behinderungen durch Personen, als staatliche Eingriffe in die Bereiche personaler Entfaltung eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechtspositionen erfordert. Die staatliche Verpflichtung zum Schutz der Grundfreiheiten bringt bei Behinderungen durch Private regelmäßig einen Eingriff in Freiheitsrechte mit sich 183 . Dies kann zwar bei der Beseitigung von Naturkatastrophen ebenfalls der Fall sein, wenn etwa das Eigentum von Privatpersonen betroffen ist, während jedoch in vielen Fällen keine Rechte Dritter tangiert werden. Bei den Schutzpflichten gegen natürliche Beeinträchtigungen des Marktes ist daher grundsätzlich nicht der Ausgleich verschiedener Rechtspositionen zu leisten, was jedoch keine notwendige Voraussetzung für eine Schutzpflicht ist. Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Stürme, Brände oder Erdrutsche, die wichtige Handelswege unpassierbar machen oder seuchenähnliche Krankheiten wie etwa BSE 1 8 4 , können Binnenmarktstörungen verursachen, die in ihren Auswirkungen durchaus noch gravierender sein können als Handlungen von Privatpersonen. In der Praxis könnte z. B. eine Blockade von bedeutenden Handelswegen wie transnationaler Verkehrsnetze oder die Stillegung anderer verkehrswichtiger 183
Vgl. für das deutsche Recht Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 103 f. Die Kommission hat gegen BSE Schutzmaßnahmen getroffen, die eine Verbreitung der Rinderkrankheit in anderen Mitgliedstaaten verhindern sollte, vgl. Thompson, ELP 1999,437 sowie EuGH, Slg. 1996,1-3903 - Vereinigtes Königreich/Kommission. 184
10 Stachel
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
Infrastruktur eine Rolle spielen 185 . Das Europäische Parlament hat in einem Fall einer umweltbedingten Zerstörung der Infrastruktur die italienische Regierung aufgefordert, Schutzmaßnahmen gegen die massiven Umweltstörungen zu treffen. In einer Entschließung hat es den italienischen Behörden vorgeworfen, nicht gegen die Störung der örtlichen Umweltstruktur vorgegangen zu sein und sie dazu aufgefordert, eine ernsthafte Raumordnungspolitik zu betreiben 186 . Nicht selten sind umweltbedingte Katastrophen zumindest auch Folge ungezügelter Urbanisierungsmaßnahmen wie illegales Bauen, die Umlenkung von Flussläufen oder die Betonierung von Flussbetten. Auch andere umweltbedingte Vorkommnisse wie Krankheiten können durch menschliches Verhalten verursacht worden sein, wie etwa BSE, das wahrscheinlich durch Fehler in der Masttierhaltung verursacht wurde 187 . In Einzelfällen kann es daher mitunter schwierig zu bestimmen sein, wer der Verursacher ist. Für die Heranziehung der Grundfreiheiten in ihrer Funktion als Schutzpflichten ist es jedenfalls entscheidend, dass der Staat als Verursacher ausgeschlossen werden kann 1 8 8 . Hinsichtlich der Frage, bei welcher Beeinträchtigungsschwelle eine staatliche Schutzpflicht zu fordern ist, gilt auch bei umweltbedingten Störungen, dass der Marktzugang der Berechtigten der Grundfreiheiten erschwert oder unmöglich gemacht werden muss und dass Einzelfälle in der Regel keine Schutzpflichten auslösen. Wenn eine einzelne Person durch eine zugeschneite oder aufgrund von anderen Hindernissen nicht passierbare Straße von einer wirtschaftlichen Betätigung in einem anderen Mitgliedstaat abgehalten würde, wäre eine Schutzpflicht jedenfalls zu verneinen, anders als wenn eine zugeschneite Hauptverkehrsader den Wirtschafts- und Personenverkehr zwischen mehreren europäischen Mitgliedstaaten hindert 189 . Eine bloße zeitliche Verzögerung von Ein-, Aus- und Durchfuhren würde ebenfalls keine staatlichen Schutzpflichten zur Folge haben, da sie als bloße Beschränkung der Ausübung der Marktfreiheiten einzuordnen wäre, die alle Marktteilnehmer in gleicher Weise betreffen. Anders würde sich der Fall darstellen, wenn durch die Zerstörung von wichtigen Transitstrecken der grenzüberschreitende Wirtschaftsverkehr dauerhaft erschwert werden würde. Ist ein Mitgliedstaat von einer Naturkatastrophe oder ähnlichen umweltbedingten schweren Beeinträchtigungen betroffen, wird in der Praxis voraussichtlich in 185 Vgl. Art. 154 ff. EGV über den Auf- und Ausbau transeuropäischer Verkehrs-, Telekommunikations-, oder Energieinfrastrukturnetze; sie sollen durch leistungsfähige Infrastrukturen den Austausch von Wirtschaftsgütern in der gesamten EG ermöglichen und fordern, vgl. Schäfer, in: Streinz, EGV, Art. 154, Rn. 4, 10 und 16; umfassend hierzu Zippel, Transeuropäische Netze, S. 34 ff.. 186
Entschließung des EP zu den Überschwemmungen in Kampanien (Italien), ABl. EG 1998, C 167, S. 220. In dem Fall ging es allerdings nicht um Binnenmarktstörungen, sondern um die Verletzung von Personen. 187 Vgl. EuGH, Slg. 1998,1-2265 - Vereinigtes Königreich/Kommission (BSE-Fall). 188 Hierzu allgemein Fünfter Teil, D. 189 Die beiden Beispiele stammen von Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 171.
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erster Linie eine gegenseitige Hilfeleistung erfolgen und eine etwaige Vertragsverletzung des betroffenen Staates nur dann in Betracht gezogen, wenn er die Störung ignorieren sollte 190 . 3. Störungen durch Drittstaaten Im EG-Vertrag explizit normiert ist die Pflicht zur Gewährung diplomatischen und konsularischen Schutzes gegenüber denjenigen Unionsbürgern, deren Heimatstaat in dem betreffenden Drittstaat nicht vertreten ist (Art. 20 EGV). Es ist allerdings umstritten, ob sich die Schutzpflichten auf die Gewährung des konsularischen Schutzes im engeren Sinne beschränken, wie etwa auf die Erledigung von Pass- und Visaangelegenheiten, die Hilfe in Notlagen sowie bei der wirtschaftlichen Betätigung im Ausland, oder ob darüber hinaus eine Gewährung von Schutz gegen völkerrechtswidrige Maßnahmen anderer Staaten verlangt werden kann 1 9 1 . Die Unklarheit über den genauen Inhalt der Pflichtenstellung der Mitgliedstaaten ist im Wesentlichen auf die unterschiedlichen sprachlichen Fassungen des EG-Vertrags zurückzuführen, der in der französischen und englischen Fassung lediglich den „Schutz durch diplomatische oder konsularische Vertretungen" normiert hat 1 9 2 . Die Kommission legt die Vorschrift dahingehend aus, dass sie lediglich die konsularische Betreuung umfassen soll, ohne dass Schutz gegen ein völkerrechtswidriges Verhalten eines Drittstaates gewährt werden muss 193 . Im deutschen Recht sind Schutzpflichten des Staates gegen Eingriffe anderer Staaten in deutsche Grundrechte weitgehend anerkannt. Das Bundesverfassungsgericht hat eine „objektiv-rechtliche Schutzpflicht des Staates in Bezug auf Grundrechte im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik gegenüber fremden Staaten" angenommen194. Der Staat sei jedenfalls verpflichtet, den Bürger gegen militärische Angriffe durch Drittstaaten zu schützen195. 190 Vgl. die Entschließung des Rates vom 8. Juli 1991 zur Verbesserung der gegenseitigen Hilfeleistung zwischen Mitgliedstaaten bei natur- oder technologiebedingten Katastrophen, ABl. EG 1991, C 198, S. 1 ff. Art. 297 EGV, der gemeinsame Maßnahmen im Kriegsfall und ähnlichen Situationen vorsieht, erfasst allerdings keine Umweltkatastrophen, vgl. Karpenstein, in: Schwarze, EGV, Art. 297, Rn. 4. 191 Für eine Beschränkung des Schutzes auf konsularische Angelegenheiten Kluth, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 20, Rn. 7 f.; für eine weitere Auslegung Kaufmann-Bühler, in: Lenz, EGV, Art. 20, Rn. 1; Hatje, in: Schwarze, EGV, Art. 20, Rn. 7 ff.; zu der Problematik insgesamt Stein, in: Ress/Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz, S. 97 ff. 192 Der Art. 46 der bislang unverbindlichen Charta der Grundrechte der EU scheint ebenfalls eine Verengung auf den konsularischen Schutz vorzunehmen, da er vom Schutz „durch die diplomatischen und konsularischen Stellen" spricht. Allerdings wird von zahlreichen Autoren davon ausgegangen, dass eine Verengung des Schutzes nicht beabsichtigt war, vgl. Hilf, in: Grabitz/Hilf, Art. 20, Rn. 12 ff. 193
Erster Bericht der Kommission über die Unionsbürgerschaft, KOM (93), 702 endg., S. 7. 194 BVerfGE 48, 127 (161); Bleckmann, FS Bernhardt, S. 309 (314); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 56; a.A. Stern, Staatsrecht III /1, S. 258. 10*
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
Die zu schützenden Rechtsgüter Leben und Gesundheit der Bürger sind zwar im Vergleich zu dem Schutzgut der Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes und den subjektiv-rechtlich ausgestalteten Grundfreiheiten trotz der elementaren Bedeutung des Binnenmarktes für die Gemeinschaft noch wesentlich bedeutsamer 196. Es ist jedoch ebenfalls nahe liegend, von einem Mitgliedstaat zu verlangen, Störungen des Binnenmarktes, die auf seinem Hoheitsgebiet ihren Ausgangspunkt nehmen bzw. sich dort am stärksten auswirken, durch eine Einwirkung auf einen Drittstaat als Verursacher entgegenzutreten. Die Mitgliedstaaten sind an die Vertragsziele gebunden, die es unter bestimmten Umständen verlangen können, ihnen entgegenstehende Hemmnisse ohne Ansehung der Ursachen zu bekämpfen. Zur effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts ist es geboten, die Schutzlücken zu schließen, die sich daraus ergeben, dass andere Verursacher als die Mitgliedstaaten auf dem Binnenmarkt Hindernisse errichten. Sie haben die Hoheitsgewalt für ihr Staatsgebiet inne und besitzen aus diesem Grunde eine gewisse Verantwortlichkeit für Geschehnisse, die sich dort auswirken 197 . Störungen der Grundfreiheiten durch Drittstaaten werden in der Praxis voraussichtlich keine große Relevanz haben, da der europäische Binnenmarkt nur innerhalb des Gebietes der Europäischen Gemeinschaft besteht und er grundsätzlich nicht beeinträchtigt werden kann, wenn sich EU-Bürger in einen Drittstaat begeben, der ihre grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeiten beschränkt 198. Es ist am ehesten eine Schutzpflicht in Fällen denkbar, in denen ein Drittstaat durch seine Aktivitäten Störungen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verursacht, die sich auf den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr in der Gemeinschaft auswirken. Mögliche Störungen sind z. B. Maßnahmen von Drittstaaten, die sich auf die Umwelt eines Mitgliedstaates so stark auswirken, dass die Unionsbürger ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht mehr im vollen Umfang nachgehen können, wie etwa durch die Änderung eines Flussverlaufs oder die Beeinträchtigung der Schiffbarkeit eines verkehrswichtigen Flusses, die eine Störung der Warentransporte zur Folge hätten, oder einem Drittstaat zuzurechnende terroristische Aktivitäten, die wichtige Verkehrswege zerstören oder beeinträchtigen 199. Wenn sich die Beeinträchtigung des Binnenmarktes nicht dadurch abstellen lassen sollte, dass der Mitgliedstaat die negativen Auswirkungen im eigenen Hoheitsgebiet beseitigt, kommt eine Pflicht in Betracht, auf den Drittstaat einzuwirken. Da 195 BVerfGE 66, 39 (60 f.). Das BVerfG betont allerdings in dieser Entscheidung das äußerst weite Ermessen, das die zuständigen Organe bei der Frage besitzen sollen, welche Maßnahmen zum Schutze der Bürger vor ausländischen Angriffen geeignet sind. 196 Dem widerspricht nicht die Einschätzung, dass Grundfreiheiten und Grundrechte grundsätzlich gleichrangig sind. Im Einzelfall ist indes das Recht auf Leben gegenüber den Wirtschaftsfreiheiten als höherrangig anzusehen. 197 Vgl. die teleologischen Argumente zur Herleitung staatlicher Schutzpflichten aus dem EG-Vertrag, Vierter Teil, D.
i 9 * Vgl. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 245. i " Beispiele von Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 245.
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sich der Drittstaat nicht wie ein Bürger zum Staat in einem Subordinationsverhältnis, sondern in einem völkerrechtlichen Verhältnis der Koordination befindet, kommt nur die Möglichkeit der politischen Einwirkung in Betracht, deren Erfolg sehr ungewiss ist 2 0 0 . Anders als bei einem Einwirken auf eine Privatperson, der man notfalls mit Zwangsmitteln begegnen kann, kann ein anderer Staat nur im Wege von Verhandlungen überzeugt werden. In diesem Bereich muss der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten sehr groß sein, da die Art und Weise der politischen Einwirkung auf einen Drittstaat dem verpflichteten Staat schwerlich vorgegeben werden kann. Wenn jedoch die Störung des Binnenmarktes durch physische Maßnahmen auf dem eigenen Staatsgebiet behoben werden kann, etwa durch Behebung eines Schadens der Infrastruktur, dürfte der Handlungsspielraum des Mitgliedstaats eher begrenzt sein, da die geforderte Handlung klarer zu bestimmen ist 2 0 1 . 4. Störungen anderer Mitgliedstaaten Zu erwägen ist auch eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten gegen Störungen des Binnenmarktes, die durch andere Mitgliedstaaten hervorgerufen wurden. Vereinzelt wird in diesen Fällen eine Schutzpflicht aus den Grundfreiheiten angenommen, die den Mitgliedstaat auch ohne direkte eigene Betroffenheit verpflichten soll, auf politischem Weg den Versuch der Abhilfe zu unternehmen und als ultima ratio ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 227 EGV einzuleiten 202 . Fraglich ist jedoch, ob das den Mitgliedstaaten in Art. 227 EGV eingeräumte Ermessen dahingehend zu reduzieren ist, sie zu einer Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens zu verpflichten. Wenn ein unbeteiligter Mitgliedstaat durch sein Untätigbleiben im Wissen um Vertragsverletzungen anderer Staaten seine Schutzpflicht verletzen könnte, wären eine Unzahl an zusätzlichen Verpflichtungen zu erwarten, deren pflichtbewusste Erfüllung das politische Klima zwischen den Staaten nicht unwesentlich belasten könnte 203 . Zwar sind politisch motivierte Beweggründe für 200
Wenn völkerrechtliche Vereinbarungen über die betreffende Materie bestehen sollten, dann sind vielmehr diese relevant, da sie eine rechtliche Handhabe gegenüber dem Drittstaat sind. 2 01 Vgl. Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 120 f., der darlegt, dass mangels einer Koordination von Freiheitsrechten keine staatliche Schutzpflicht als Rechtsfigur in Betracht komme. Gleichwohl nimmt er „auswärtige Schutzaufgaben" in solchen Fällen an, die sich inhaltlich von Schutzpflichten offenbar nicht unterscheiden. 2 2 « Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 247; zum Verfahren des Art. 227 Kort, DB 1996, 1323 ff. sowie Ortlepp, Das Vertragsverletzungsverfahren, S. 48 ff. 203 So auch Ehricke, in: Streinz, EGV, Art. 227, Rn. 1, der darlegt, dass die Mitgliedstaaten generell keine Pflicht trifft, über die Einhaltung des Vertrags durch die übrigen Mitgliedstaaten zu wachen bzw. im Falle der Vertragsverletzungen anderer Mitgliedstaaten Initiative zu ergreifen. Wenn sie allerdings gegen Vertragsverstöße vorgehen, dann müssen sie sich an das in Art. 227 EGV geregelte Verfahren halten, anstatt andere völkerrechtliche Instrumente zur Hilfe zu nehmen, vgl. Art. 292 EGV.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
eine solche Zurückhaltung kein durchschlagendes Argument. Jedoch sind die Mitgliedstaaten, anders als Drittstaaten, selbst an die Grundfreiheiten gebunden und es ist sachgerecht, die Verantwortung ganz überwiegend dem Mitgliedstaat aufzubürden, der die Störung verursacht hat. Die Kommission als ,»Hüterin der Verträge 4*204 ist grundsätzlich das Gemeinschaftsorgan, das zur Einleitung von Schritten gegen Vertragsverletzungen zuständig ist, und nicht die Mitgliedstaaten. Von der Möglichkeit der Anrufung des Gerichtshofes nach Art. 227 EGV gegen einen anderen Mitgliedstaat wird im Übrigen in der Praxis nahezu kein Gebrauch gemacht 205 . Anders kann das Bestehen einer Schutzpflicht zu beurteilen sein, wenn ein Mitgliedstaat die tatsächliche Möglichkeit besitzt, durch bloße Beseitigung des Hindernisses auf seinem Hoheitsgebiet die Beeinträchtigung des Binnenmarktes zu beseitigen. In einem solchen Fall ist es nahe liegend, dass der betreffende Mitgliedstaat ganz unabhängig von dem Verursacher der Störung die Verantwortung für die Wiederherstellung des ungehinderten Binnenmarktes innehat. Dieselben Erwägungen gelten auch für die Forderung nach einer politischen Einwirkung auf den Vertragsbrüchigen Mitgliedstaat, die im Vorfeld eines Vertragsverletzungsverfahrens stattzufinden hätte. Im Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes trifft allerdings jeden Mitgliedstaat, unabhängig davon, ob er von der Beeinträchtigung betroffen ist, die Pflicht, bei Kenntnissen über das Bestehen einer Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs die Kommission unverzüglich zu unterrichten und ihr sämtliche vorhandenen Informationen zu übermitteln 2 0 6 . Allerdings dürfte sich diese Pflicht schon aus Art. 10 EGV in Verbindung mit der betreffenden Grundfreiheit ergeben 207 , wenn auch diese Verpflichtung durch die sekundärrechtliche Regelung bekräftigt wurde.
E. Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung Zur wirksamen Erfüllung der Schutzpflichten wird es häufig nicht ausreichen, wenn der Staat erst nach dem Eintritt eines Schadens gegen die privaten Störer der Grundfreiheiten vorgeht. Welcher Grad der Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts zu fordern ist, wurde bislang fast ausnahmslos nur für die Annahme von Schutzpflichten im deutschen Recht für die Grundrechte diskutiert 208 . Die Problematik des Gefahrenbegriffs für die Schutzpflichten im deutschen Recht ist nicht ohne weiteres auf ihr Pendant im europäischen Recht übertragbar. Die deutsche 204 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 211, Rn. 2. 205 Gaitanides, in: von der Groeben / Schwarze, EGV, Art. 227, Rn. 7. 206 Art. 3 Abs. 1 lit. a und b der Verordnung 2679/98/EG. 207 Vgl. Hatje, in: Schwarze, EGV, Art. 10, Rn. 13 ff. 208 Erste Ansätze für die gemeinschaftsrechtlichen Schutzpflichten finden sich bei Jaeckel, Schutzpflichten, S. 263 ff.
E. Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung
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Diskussion kann jedoch Anregungen dafür geben, welcher Gefahrenbegriff im Anwendungsbereich der Schutzpflichten maßgeblich sein könnte. Aus diesem Grunde soll die Problematik im deutschen Recht zunächst kurz untersucht werden.
I. Gefahrenbegriff im deutschen Recht Im deutschen Recht ist die Frage nach wie vor umstritten, ab welcher Gefährdungsstufe eine staatliche Pflicht zur Gewährung von Schutz besteht. Diese Diskussion betrifft alleine die Schutzpflicht der Legislative, da Exekutive und Judikative ohnehin an die Vorgaben des einfachen Rechts gebunden sind. Dass Schutzpflichten grundsätzlich auch im Vorfeld eines Schadenseintritts in Betracht kommen, ist praktisch unbestritten, da sie anerkanntermaßen in erster Linie einen präventiven Charakter besitzen 209 . Häufig wird zur Bestimmung des Wahrscheinlichkeitsgrades für den Schadenseintritt der polizeirechtliche Gefahrenbegriff herangezogen, der eine konkrete Gefahr verlangt und darunter eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in naher Zukunft versteht 210 . Je höherrangiger dabei ein Rechtsgut ist und je größer der drohende Schaden, desto geringere Anforderungen werden an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt 211 . Andere Autoren lehnen den polizeirechtlichen Gefahrenbegriff für die Schutzpflichten ab und wenden gegen ihn insbesondere ein, dass eine Schutzpflicht auch unterhalb des polizeirechtlichen Gefahrenniveaus in Betracht komme, etwa dort, wo aus einer allmählichen Kumulation von Risiken eine Gefährdung entstehe, auf die die Legislative angemessen zu reagieren habe 212 . Dies entspricht auch der Rechtsprechung des B VerfG, das auch bei Gefahren unterhalb des polizeirechtlichen Gefahrenbegriffs Schutzpflichten bejaht, auf der Rechtsfolgenseite aber einen anderen Inhalt der Schutzpflicht als direkte Eingriffe in die Sphäre der potentiellen Störer annimmt, wie etwa Maßnahmen der Risikovorsorge, Erforschung und Beobachtung213. Auch abstrakte Gefahren, bei denen ein Schadenseintritt aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung zu erwarten ist, ohne dass eine einzelfallbezogene Einschätzung vorgenommen wird 2 1 4 , sollen nach Ansicht vieler Autoren Schutzpflichten des Staates auslösen, wenn nämlich die Hinnahme des Risikos angesichts der Schwere des in Betracht kommenden Schadens als nicht mehr vertretbar erscheint 215 . 209 Vgl. Krings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 227 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 86; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 86 ff. 210 Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 236 m. w. N.; Kloepfer, DVB1. 1988, 305 (311). 211 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 34 f., 38. 212 So etwa Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 108; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 106. 213 BVerfGE 49, 89 (142); 30,57. 214 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 35.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
II. Möglicher Gefahrenbegriff im Gemeinschaftsrecht Trotz einer nach den einschlägigen Urteilen des EuGH nunmehr auch praktischen Bedeutung der Schutzpflichten im Gemeinschaftsrecht ist die Frage des Gefahrenbegriffs für die Schutzpflichten im Schrifttum bisher so gut wie nicht behandelt worden 216 . Die beiden Urteile des EuGH betrafen allerdings Fälle, in denen die Störung der ungehinderten Ausübung der Grundfreiheiten schon eingetreten und die Frage des Gefahrenbegriffs deshalb unproblematisch war 2 1 7 . In der Praxis werden die Fälle, in denen ein Schaden schon eingetreten ist oder dessen Eintritt unmittelbar bevorsteht, die weitaus größere Bedeutung haben, da die Kommission nach wie vor mit zahlreichen Vertragsverletzungen aufgrund positiven Tuns der Mitgliedstaaten beschäftigt ist. Störungen des Binnenmarktes durch Private gewinnen erst allmählich an Bedeutung und rücken wohl erst in das Blickfeld der Kommission, wenn die Störung schon eingetreten ist. 1. Schutzpflichten im Vorfeld eines Schadenseintritts Den gemeinschaftsrechtlichen Schutzpflichten ist jedenfalls auch ein Gefahrenbegriff zugrunde zu legen, der Gefahren im Vorfeld des Schadenseintritts umfasst. Eine effektive Gewährleistung der Grundfreiheiten erfordert neben der Pflicht zum Eingreifen bei bereits eingetretenen Beeinträchtigungen ein präventives Einschreiten. Der EuGH hat in der Entscheidung Kommission/Frankreich 21* in einzelnen Äußerungen deutlich gemacht, dass auch er von der Pflicht zu einem präventiven Einschreiten ausgeht219. Er bezog sich zum einen auf das erste Mahnschreiben der Kommission, in dem Frankreich aufgefordert wurde, „die erforderlichen präventiven und repressiven Maßnahmen zu ergreifen, um derartige Handlungen zu unterbinden" 220 . Darüber hinaus stellte er darauf ab, dass die zuständigen Behörden vor den unmittelbar bevorstehenden Demonstrationen der Landwirte gewarnt worden waren, und dennoch untätig blieben 221 . Notwendig ist die Forderung nach präventivem Handeln auch im Falle von Störungen durch Naturgewalten, wenn etwa in bestimmten Gebieten regelmäßig durch die Natur ausgelöste Behinderungen wie Überschwemmungen oder Erdrutsche zu 215 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 114; Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 239; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 108. 216 Erste Ansätze finden sich bei Jaeckel, Schutzpflichten, S. 263, die im Wesentlichen auf die Diskussion des Gefahrenbegriffs im deutschen Recht verweist. 2n EuGH, Slg. 1997, 1-6959 - Kommission/Frankreich; EuGH, Slg. 2003, 1-5659 Schmidberger/Osterreich. 218 EuGH, Slg. 1997,1-6959 - Kommission/Frankreich. 219 So auch Jaeckel, Schutzpflichten, S. 263 f.
220 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 41 - Kommission/Frankreich. 221 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 48 - Kommission/Frankreich.
E. Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung
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bemerken sind. Dies kann eine Pflicht zur Absicherung von Alpenpässen, die von Erdrutschen gefährdet sind, die Instandhaltung von Tunneln oder Vorkehrungen zur Vermeidung von Überschwemmungen bedeuten, da ein Abwarten der Störungen und ihre Beseitigung erst im Falle ihres Eintritts keinen ausreichenden Schutz gewähren würde 222 . Die Verordnung 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten 223 stellt offenbar eine Pflicht zum Einschreiten der Mitgliedstaaten nur für den Fall auf, in dem eine Behinderung schon eingetreten ist, da sie von einer schon bestehenden Verhinderung, Verzögerung oder Umleitung oder einer physischen Verhinderung ausgeht und ein Eingreifen des betreffenden Mitgliedstaats erst bei Eintritt der bezeichneten Störungen verlangt (Art. 3 und 5 der Verordnung). Bei einer drohenden Behinderung wird der Mitgliedstaat nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Verordnung lediglich verpflichtet, die Kommission zu unterrichten (Art. 3). Die Verordnung ist indes eine Reaktion auf die gewalttätigen Agrarblockaden in Frankreich zwischen 1993 und 1997 und auf die Untätigkeit der französischen Behörden, über die der EuGH in der Rechtssache Kommission/Frankreich 22* in einem Vertragsverletzungsverfahren entschieden hat. Sie stellt keine bis ins Detail durchdachte und vollständige Lösung für alle denkbaren Konstellationen privater Binnenmarktstörungen dar 2 2 5 und ist außerdem für die Auslegung des Primärrechts, sollten ihm weitergehende Pflichten zu entnehmen sein, nicht maßgeblich. Die Annahme einer Verpflichtung der Staaten, schon im Vorfeld eines Schadenseintritts die Kommission zu informieren, geht aber zumindest im Grundsätzlichen davon aus, dass auch in diesem Stadium schon Pflichten entstehen können. Allerdings wird die Benachrichtigung der Kommission in einigen Fällen nicht ausreichen, da durch ein Abwarten des Schadenseintritts und eine Behebung erst im Nachhinein nicht immer ein ausreichender Schutz gewährleistet werden kann.
2. Wahrscheinlichkeitsgrad Der präventive Charakter der Schutzpflicht wirft ebenso wie im deutschen Recht die Frage auf, welcher Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts gegeben sein muss, um den Mitgliedstaat zum Einschreiten verpflichten zu können. Dem Wortlaut der Regelungen über die Grundfreiheiten sind in dieser Frage keine Anhaltspunkte zu entnehmen. Der Beschränkungsbegriff der vom EuGH entwickelten Dassonville-Formel, nach der ein staatlicher Eingriff bei jeder Maßnahme vorliegt, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel zu behin222 So Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 244. 223 ABl. EG 1998, L 337, S. 8. 224 EuGH, Slg. 1997,1-6959 - Kommission/Frankreich. 225 So im Ergebnis auch Hauschild, EuZW 1999, 236 ff.
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5. Teil: Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Schutzpflicht
dem, sei es unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell 226 , ist kein Gefahrenbegriff, sondern betrifft allein die Eignung einer Maßnahme, sich überhaupt auf die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes negativ auszuwirken 227 . Ein Einschreiten in Erfüllung einer Schutzpflicht ist von den Mitgliedstaaten jedenfalls dann zu fordern, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schadenseintritt führen wird. Wenn ein Schadenseintritt bei einem gewöhnlichen Geschehensablauf in dem konkreten Fall erwartet werden kann, kann von dem Mitgliedstaat eine Schutzhandlung verlangt werden. Wenn die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts hoch ist, und er durch eine Handlung zum Schutz der Grundfreiheit verhindert werden kann, ist es zur effektiven Durchsetzung der Grundfreiheiten in der Gemeinschaft notwendig, die Schutzpflicht im Vorfeld der Entwicklung eines Schadens wahrzunehmen. Es kann indes wie auch im deutschen Recht keine einheitliche und allgemeingültige Bestimmung einer Gefahrenschwelle für eine staatliche Pflicht zum Eingreifen vorgenommen werden. Zwar steht das Schutzgut im Falle der staatlichen Schutzpflichten für die Grundfreiheiten fest, doch kommt es entscheidend auf das Ausmaß der drohenden Beeinträchtigung im Einzelfall an. Sind sehr viele Marktteilnehmer von einer Beeinträchtigung des Binnenmarktes betroffen und ist der Schaden zudem beträchtlich und schwer zu kompensieren, wird eine Schutzpflicht weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr viel eher anzunehmen sein, als wenn es sich um einige wenige Betroffene handelt, deren zu erwartender Schaden eher gering sein wird 2 2 8 . Wenn lediglich eine abstrakte Gefahr vorliegt, kann eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährung von Schutz zumindest nicht ausgeschlossen werden. Eine Schutzpflicht könnte dann notwendig sein, wenn durch den Eintritt der Störung ein sehr hoher Schaden verursacht werden könnte und dies im Vorfeld erkennbar ist. Auf der Ebene der Rechtsfolge kommen auch in diesem Fall verschiedene Maßnahmen in Betracht, die nicht unbedingt in einer direkten Einwirkung auf den potentiellen Störer bestehen müssen. Grundsätzlich kann durch die Schutzpflichten im Gemeinschaftsrecht auch der für den Bereich der Schutzpflichten im deutschen Recht sehr umstrittene „Schutz vor Angst und Furcht" 229 erfasst sein, der weit unterhalb einer tatsächlichen Gefahrenschwelle alleine aufgrund Ängsten der potentiell Geschädigten eine Schutzpflicht erforderlich machen kann. Für den Bereich des Binnenmarktes kann in solchen Fällen durchaus eine reale Gefahr vorliegen, da sich Unsicherheiten der Marktteilnehmer in Bezug auf das Funktionieren des Marktes beträchtlich auf die 226 EuGH, Slg. 1974, 837, Rn. 5 - Dassonville. 227 Vgl. Jaeckel, Schutzpflichten, S. 264. 228 So auch Jaeckel, Schutzpflichten, S. 264; Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 106, der die Voraussetzungen einer Gefahr sehr weit und offen bestimmt, da die Materien eine unterschiedliche „Sicherheitsempfindlichkeit" besäßen. 229 Vgl. Szczekalla, Schutzpflichten, S. 305 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
E. Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung
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Verwirklichung der Grundfreiheiten auswirken können. Der Markt ist ein System, das in entscheidender Weise von der Zuversicht und dem Vertrauen der Markteilnehmer abhängig ist. In der Rechtssache Kommission /Frankreich hat der EuGH hinsichtlich des Vorliegens einer Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit demgemäß auch unter anderem darauf abgestellt, dass Sachbeschädigungen und Drohungen gegen Importeure von Waren aus anderen Mitgliedstaaten „eine Atmosphäre der Unsicherheit schaffen können, die sich auf die gesamten Handelsströme nachteilig auswirkt" 230 . Die Exekutive kann sich nach deutschem Recht zur Erfüllung etwaiger Schutzpflichten grundsätzlich nicht auf einen abstrakten Auftrag zur Erfüllung von Schutzpflichten berufen, sondern nur auf ihre grundsätzliche Pflicht zur Beachtung einfachgesetzlicher Normen, in denen der anzuwendende Gefahrenbegriff häufig vorgegeben ist, der im Wesentlichen davon abhängig ist, welche Folgen bei einem Eintritt einer Gefahr aller Voraussicht nach zu erwarten sind. Nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes benötigt die Exekutive für jedes Eingriffshandeln eine Ermächtigung durch ein Gesetz 231 . Im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts müssen die mitgliedstaatlichen Normen aber gemeinschaftsrechtskonform sein oder gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden. Während im deutschen Recht das Bestehen einer Schutzpflicht für die Verwaltung lediglich bedeutet, dass sie die vorhandenen Normen anwendet und auslegt, aber niemals eine Kompetenzerweiterung stattfindet, ist dies im Gemeinschaftsrecht anders: Die nationale Verwaltung muss sich aufgrund des Grundsatzes des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts 232 zur Erfüllung ihrer gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen gegebenenfalls über das innerstaatliche Recht hinwegsetzen, selbst wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht keine Eingriffstatbestände gibt oder das Gemeinschaftsrecht einen anderen, engeren Gefahrenbegriff besitzt 233 . Festzuhalten ist, dass schon im Vorfeld des Eintritts einer Gefahr Schutzpflichten notwendig sein können. Das Festlegen einer genauen Eingriffsschwelle ist nicht möglich, da es in jedem Einzelfall darauf ankommt, welches Ausmaß die drohende Beeinträchtigung im Einzelfall erreicht. Auch wenn keine konkrete Gefahr vorliegt, sind Schutzpflichten der Mitgliedstaaten jedenfalls denkbar, vor allem bei einem möglichen sehr großen Schaden.
230 EUGH, Slg. 1997,1-6969, Rn. 53 - Kommission/Frankreich 231 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 89; Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 109. 232 EUGH, Slg. 1964,1141 ff. - Costa/ENEL. 233 Vgl. König/Haratsch,
Europarecht, S. 54.
Sechster Teil
Die Rechtsfolgen der Schutzpflichten A. Adressaten der Schutzpflichten Grundsätzlich sind die Mitgliedstaaten alleinige Adressaten der Schutzpflichten für die Grundfreiheiten, während nach der Auffassung einiger Autoren in Ausnahmefällen auch die Gemeinschaftsorgane als Adressaten in Betracht kommen könnten. Des weiteren ist bei der Frage des Adressaten der Schutzpflicht zumindest für den verpflichteten Mitgliedstaat von Bedeutung, wer innerhalb des Gefüges der Gewaltenteilung zu ihrer Erfüllung berufen ist.
I. Die Mitgliedstaaten als alleinige Adressaten der Grundfreiheiten In dem vom EuGH entschiedenen Fall Kommission/Frankreich begründete dieser die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Beseitigung der Störungen mit ihrer Zuständigkeit, für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu sorgen1. Die Schutzpflicht ist indes eine originäre Pflifcht der Mitgliedstaaten aus den Grundfreiheiten, die darin besteht, in ihrem Hoheitsgebiet in bestimmten Fällen zu verhindern, dass nicht-staatliche Akteure die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes beeinträchtigen. Die Adressatenstellung der Mitgliedstaaten ist damit zu begründen, dass die Grundfreiheiten sich in erster Linie an die Mitgliedstaaten wenden. Allein die Tatsache, dass die Gemeinschaft eine Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Binnenmarktes innehat, bedeutet nicht, dass sie auch Adressatin von Schutzpflichten für die Grundfreiheiten sein muss. Es ist zudem eher zweifelhaft, ob die Gemeinschaft selbst überhaupt an die Grundfreiheiten gebunden ist, da die Funktion der Grundfreiheiten, die Märkte der verschiedenen Mitgliedstaaten zu öffnen, alleine auf den Abbau der innerhalb der Mitgliedstaaten bestehenden Hindernisse gerichtet ist, wobei Hindernissen durch die Gemeinschaft selbst keinerlei Bedeutung zukommt2. In Fällen, in denen die Inanspruchnahme 1 EuGH, Slg. 1997, 1-6959, Rn. 33 - Kommission /Frankreich Dieser Einschätzung schließen sich insbesondere an Koch , Die Gewährleistungspflicht, S. 184; Schwarze , EuR 1998, 53 (54) sowie Wielsch, Die europäische Gefahrenabwehr, S. 40 f. 2 Diese Frage mit guten Gründen verneinend Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (574). Zu der Funktion der Grundfreiheiten vgl. auch Fünfter Teil, C. HI. 1. a).
A. Adressaten der Schutzpflichten
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der Mitgliedstaaten zur Durchsetzung der Grundfreiheiten nicht ausreichend ist, kommt eine Rechtsangleichung oder -Vereinheitlichung in Betracht, die der Verwirklichung der Grundfreiheiten dienen, jedoch nicht als Ausübung einer Schutzpflicht einzuordnen sind3. Wenn die Gemeinschaft nicht Adressatin der Grundfreiheiten ist, kommt eine Schutzpflicht, die dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Verpflichtung zum Einschreiten bei nicht-staatlich verursachten Binnenmarktstörungen besteht, nicht in Betracht. Was etwaige Schutzpflichten der Gemeinschaft betrifft, kommen vielmehr Pflichten zum Schutz für die europäischen Grundrechte in Betracht, da in erster Linie die Gemeinschaftsorgane an sie gebunden sind und sie auch diejenigen sind, die als Störer dieser Rechte in Betracht kommen4. Im Schrifttum wird erwogen, die Gemeinschaft zumindest subsidär als Adressatin der Schutzpflicht heranzuziehen, wenn der verpflichtete Mitgliedstaat untätig bleibt 5 . Angesichts der Aufgabe der Kommission, das ordnungsgemäße Funktionieren und die Entwicklung des Binnenmarktes zu gewährleisten (Art. 211 EGV), unter anderem durch ihre Funktion als „Hüterin der Verträge" (vgl. Art. 211, 1. Alt.) und durch ihr Initiativmonopol hinsichtlich der Einleitung von Normsetzungsverfahren 6, ist dieser Gedanke naheliegend. Die Kontrollfunktion der Kommission allein reicht für die Annahme einer subsidiären Schutzpflicht allerdings nicht aus, da diese Funktion ihr nur die Möglichkeit gibt, auf die Erfüllung der Pflichten durch die Mitgliedstaaten mit den verschiedensten Mitteln hinzuwirken und sie zu überwachen. Sie kann den Erlass von Rechtsakten der Gemeinschaft einleiten, um die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes zu erhalten oder ihn weiterzuentwickeln. Es besteht in dieser Hinsicht allerdings keine Rechtspflicht 7. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass die Kommission im Falle der Untätigkeit der Mitgliedstaaten oder wenn die von ihnen ergriffenen Maßnahmen ungenügend sind, die Schutzpflicht der Mitgliedstaaten subsidiär wahrnehmen kann, es aber nicht muss.
3 Vgl. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 805, der in diesem Zusammenhang betont, dass Grundfreiheiten und Rechtsangleichung insoweit keine Konkurrenten, sondern Kombattanten seien; zum Verhältnis von Grundfreiheiten und Rechtsangleichung auch Jarass, FS Everling, S. 593 (594 f.); zu den Kompetenzen hinsichtlich der Gesetzgebung im Bereich des Binnenmarktes Schwartz, EG-Kompetenzen für den Binnenmarkt. 4 Hierzu eingehend Szczekalla, Schutzpflichten, S. 551 ff. sowie Jaeckel, Schutzpflichten, S. 194 ff. 5 Vgl. Szczekalla, DVB1. 1998, 219 (222); Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 185; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 265 ff., die die Frage aufwirft und verneint, ob andere Organe anstelle der Legislative die Schutzpflichten wahrnehmen könnten, falls keine gesetzliche Grundlage besteht. 6 Vgl. Kugelmann, in: Streinz, EGV, Art. 211, Rn. 28 ff.
7 Str., vgl. Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 208, Rn. 2 und 12 ff. m. w. N.
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Schutzpflichten
n . Die Adressaten der Schutzpflichten innerhalb des Gefüges der Gewaltenteilung Alle drei Gewalten der Mitgliedstaaten sind den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts verpflichtet 8. Welche der Gewalten innerhalb des einzelnen Staates zum Eingreifen aufgrund der Schutzpflicht aufgefordert ist, ist weniger eindeutig zu beantworten. Ist der einzelne Mitgliedstaat aus den Grundfreiheiten als Abwehrrechten zu einem Unterlassen verpflichtet, ist der Adressat dieser Verpflichtung unschwer zu erkennen, da es das Staatsorgan ist, das Verursacher der Störung ist. Geht es aber um die Erfüllung einer Schutzpflicht, ist nicht ohne weiteres auszumachen, wer innerhalb des Gefüges der Gewaltenteilung als ihr Adressat anzusehen ist. Da die Erfüllung der Schutzpflichten regelmäßig mit einem Eingriff in Rechte der Störer der Grundfreiheiten verbunden ist, ist zuerst die Legislative gefordert, da der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes grundsätzlich auch bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht gilt 9 . Der Gesetzgeber ist gehalten, die zur Erfüllung der Schutzpflichten notwendigen Eingriffstitel bereitzustellen. Beim Auftreten von neuartigen Gefahren aktualisiert sich seine Pflicht zur Schaffung wirksamer Normen, die sich den veränderten Bedingungen stellen müssen10. Die Existenz der Gesetze alleine kann allerdings grundsätzlich keinen Schutz gewähren, da die Gesetze ohne die Umsetzung durch die Exekutive keine unmittelbare Abgrenzung der Freiheitssphären leisten können. Die Umsetzung der den Schutzpflichten dienenden Gesetze durch Exekutive und Judikative entscheidet in der Regel über die Wirksamkeit der Schutzpflichten, womit Exekutive und Judikative eine zentrale Rolle bei der Verwirklichung der Schutzpflichten spielen11. Da es beachtliches individualschützendes sekundäres Gemeinschaftsrecht 12 gibt und die bestehenden Normen des Privatrechts und des Polizei- und Ordnungsrechts grundsätzlich so ausgelegt werden können, dass von ihnen auch gemeinschaftsrechtliche Schutzgüter erfasst werden 13, ist davon auszugehen, dass häufig die 8 Zur Wirkung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten Beutler/Bieber/Pipkorn/ Streil, Die Europäische Union, S. 121 ff. 9 Vgl. Grabitz, NJW 1989, 1776 (1779).
10 Vgl. für das deutsche Recht Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 149. 11 Vgl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 113; zur gegenseitigen Ergänzung der drei Gewalten in Erfüllung ihrer Schutzpflichten Krings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 243. 12 Vgl. die VO 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. EG 1998, L 337, S. 8 oder die VO 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl. EG 1968, L 257, S. 2. 13 Zur schutzpflichtkonformen Auslegung des Rechts der Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts Szczekalla, Schutzpflichten, S. 1081 f.
B. Inhalt und Reichweite der Schutzpflichten
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Exekutive die verpflichtete Staatsgewalt zur Erfüllung der Schutzpflichten für die Grundfreiheiten sein wird, die ihrerseits von der Judikative kontrolliert wird. Der allgemeine Eingriffstatbestand der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel etwa erfasst mit seinem Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Sicherheit die innerstaatlich unmittelbar anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Normen. Generalklauseln verhindern in der Regel durch ihre Weite und Elastizität Regelungslücken und entsprechen damit den wechselnden Herausforderungen der gesetzlich zu treffenden Schutzvorkehrungen 14. Dennoch können unbekannte, von den bestehenden Gesetzen nicht erfasste Sachverhalte oder die Feststellung der mangelnden Effektivität einer gesetzlichen Regelung eine Nachbesserung der Gesetzeslage verlangen . Im Ergebnis ergänzen sich alle drei Gewalten notwendig bei der Erfüllung der Schutzpflicht 16. Die Legislative muss zunächst die Eingriffstatbestände schaffen, während die Exekutive und die Gerichte die Pflicht haben, die Anwendung und Auslegung der Gesetze im Lichte der Schutzpflichten vorzunehmen. Bestehen Eingriffstatbestände zur Abwehr einer Beeinträchtigung der Grundfreiheiten durch nicht-staatliche Gewalten, ist die Exekutive gefordert, in dem betreffenden Einzelfall Maßnahmen zu treffen, deren Inhalt im Folgenden näher bestimmt werden soll.
B. Inhalt und Reichweite der Schutzpflichten Welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten zum Schutz der Grundfreiheiten durch nicht-staatliche Beeinträchtigungen im Einzelnen zu treffen haben, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Fraglich ist, welche Ermessensspielräume die Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten haben und welche Anforderungen generell an ihre Handlungen aufgrund ihrer Schutzpflicht gestellt werden können.
I . Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten Die Besonderheit bei der Bestimmung von Inhalt und Umfang der Schutzpflichten liegt darin, dass diese ein staatliches Handeln erfordern, und nicht wie die Grundfreiheiten in ihrer negatorischen Funktion auf ein staatliches Unterlassen gerichtet sind. Die Abwehrrechte verlangen von staatlicher Seite ein stets konkretisierbares Unterlassen, wohingegen die Schutzpflichten in den meisten Fällen alternativ durch verschiedene Handlungen erfüllt werden können. Es besteht zwar insou Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 154. •5 So auch Jaeckel, Schutzpflichten, S. 267. 16 So auch Krings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 243.
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Schutzpflichten
fern eine Gemeinsamkeit mit den Abwehrrechten, als sich die Schutzpflicht gegen Störungen richtet, die unterbunden werden sollen. Um seiner Schutzpflicht nachzukommen, muss der Staat jedoch häufig auf den privaten Störer einwirken, was auf sehr unterschiedliche Weise geschehen kann. Die Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts treffen keinerlei Aussage darüber, wie sie durch die Mitgliedstaaten im Einzelnen zu schützen sind. Auch das Schutzniveau wird den Mitgliedstaaten nicht vorgegeben. Die Gemeinschaft kann nicht an die Stelle der Mitgliedstaaten treten und ihnen genaue Vorgaben machen, welche Handlungen diese im Einzelnen vorzunehmen haben, da dies dem föderalen Prinzip der Gemeinschaftsrechtsordnung widersprechen würde. Von den Mitgliedstaaten kann deshalb in der Regel keine bestimmte Handlung eingefordert werden 17. Sie verfügen über einen Gestaltungsspielraum, dessen Grenzen im Folgenden untersucht werden sollen. Die Kommission bemängelte in ihrem Bericht an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung der Verordnung 2679/98/EG 1 8 , dass die Verordnung „weder die Form noch die Art der erforderlichen und angemessenen Maßnahmen" konkretisiere. Die Kommission stellt in diesem Bericht Erwägungen an, eine Ergänzung dieser Verordnung herbeizuführen, um eine exemplarische Auflistung der erforderlichen und angemessenen flankierenden Maßnahmen zur Gewährleistung der Warenverkehrsfreiheit vorzunehmen 19. Eine solche Auflistung hätte zwar den Vorteil, dass die Mitgliedstaaten die von ihnen geforderten Handlungspflichten genau kennen würden und damit von vorneherein ein Vertragsverletzungsverfahren vermeiden könnten. Jedoch läuft diese Konkretisierung Gefahr, in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten einzugreifen, indem ihnen durch die Auferlegung genau bestimmter Pflichten ihre Handlungsspielräume genommen würden. Die Frage der Grenzen dieses Gestaltungsspielraumes ist besonders bedeutsam, da sie die Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Union betrifft. Die Schutzpflicht als relativ neue und noch nicht in allen ihren Auswirkungen vorhersehbare gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung birgt die Möglichkeit in sich, die Handlungsspielräume aller drei Gewalten der Mitgliedstaaten einzuengen und in ihre Kompetenzen einzugreifen. Zu untersuchen ist daher, was von den Mitgliedstaaten zur Erfüllung ihrer Schutzpflichten verlangt werden kann und mit welcher Prüfdichte der EuGH die mitgliedstaatlichen Maßnahmen kontrollieren kann. Auch wenn die Entscheidung über die richtigen Mittel zur Erfüllung der Schutzpflicht nur für den konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanten 17 Vgl. Meurer, EWS 1998, 196 (200); zu der entsprechenden Problemlage im deutschen Verfassungsrecht Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 156 sowie Klings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 262 f. 18 Bericht der Kommission an den Rat und das EP über die Anwendung der VO 2679/98/EG, KOM (2001) 160 endg.; im Internet unter www.europa.eu.int/comm/internal_market/en/goods/267998rapp_de.pdf (zuletzt abgerufen am 26. 6. 2006). 19 Bericht der Kommission an den Rat und das EP über die Anwendung der VO 2679/98/EG, KOM (2001) 160 endg., S. 11.
B. Inhalt und Reichweite der Schutzpflichten
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Umstände getroffen werden kann, lassen sich möglicherweise einige allgemeingültige Aussagen über die Frage des Inhalts der Schutzpflicht treffen.
1. Entschließungsermessen Gegenstand des Entschließungsermessens sind Erwägungen über die Frage, ob der Staat überhaupt zum Eingreifen verpflichtet ist. Im Rahmen des unmittelbaren Vollzugs des Gemeinschaftsrechts sind das Effizienzgebot und der Grundsatz der Gleichwertigkeit (Äquivalenzgebot) zu beachten20. Das Effizienzgebot verbietet den Mitgliedstaaten eine Anwendung des nationalen Rechts, die zur Folge hat, dass die Verwirklichung der gemeinschaftsrechtlichen Regelung praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert wird 2 1 . Der Grundsatz der Gleichwertigkeit verlangt von den Mitgliedstaaten, dass die Anwendung ihres nationalen Rechts in Gemeinschaftsrechtsfällen nicht ungünstiger ist als in rein nationalen Fällen 22 . Wenn innerstaatliche Normen, die als Rechtsgrundlage für das Einschreiten in Erfüllung der Schutzpflichten herangezogen werden, ein Entschließungsermessen vorsehen, muß der Mitgliedstaat seine Ermessenserwägungen mit der gleichen Sorgfalt vornehmen, wie er es auch bei rein nationalen Fällen tun würde. Das im Recht der Gefahrenabwehr geltende Opportunitätsprinzip steht einer effektiven Verwirklichung der Schutzpflicht grundsätzlich nicht im Wege, da eine Güterabwägung vorgenommen wird und eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht kommt, wenn die Hinnahme der Störung für die Grundfreiheiten als unzumutbar erscheint 23. In diesem Fall sind die in Betracht kommenden Eingriffstatbestände gemeinschaftsrechtskonform in der Weise auszulegen, dass ein Entschließungsermessen nicht besteht, sondern der Staat einschreiten muss 24 . Der zum Schutz verpflichtete Mitgliedstaat kann sich jedoch nach einer Abwägung mit Belangen der öffentlichen Ordnung, wie etwa des Grundrechtsschutzes, gegen einen Eingriff in Rechtsgüter der Störer entscheiden, oder den notwendigen Eingriff in ihre Rechtsgüter so gering wie möglich halten. Grundsätzlich muss er jedoch eine andere adäquate Möglichkeit wählen, seine Schutzpflicht zu erfüllen. Ist der von ihm gewährte Schutz unzureichend oder bleibt der Staat vollkommen untätig, so kommt die Möglichkeit einer Rechtfertigung in Betracht, die sich nicht auf die Frage des Bestehens eines Entschließungsermessens auswirkt. 20 Streinz, in: Streinz, EGV, Art. 10, Rn. 15 ff. 21 Vgl. Hatje, in: Schwarze, EGV, Art. 10, Rn. 16 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH. 22 St. Rspr. des EuGH; vgl. EuGH, Slg. 1983, 3995, Rn. 14 - Milchkontor; EuGH, Slg. 1999,1-579, Rn. 35 - Dilexport. 23 Zur Frage des Entschließungsermessens im deutschen Recht Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdStRV, § 111, Rn. 167. 24 Vgl. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 192 f., der als Beispiel § 153 StPO, der eine Einstellung von Strafverfahren aus Opportunitätsgründen zulässt, heranzieht, die aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben demgemäß nicht zulässig wäre. 11 Stachel
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Schutzpflichten
2. Auswahlermessen Da den Regelungen über die Grundfreiheiten selbst keine Konkretisierungen zum Inhalt der Schutzpflichten zu entnehmen sind, ist zur Bestimmung ihres näheren Inhalts Art. 10 EGV heranzuziehen 25. Danach treffen die Mitgliedstaaten zur Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art. Der EuGH konkretisiert den Inhalt dieser Norm dahingehend, dass von den Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen zu treffen sind, um die Geltung und Wirkung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten 26. Zu den Pflichten des nationalen Gesetzgebers aus Art. 10 EGV hat der EuGH in Zusammenhang mit der Umsetzung von Richtlinien geäußert, dass der Gesetzgeber das nationale Recht so zu novellieren, aufzuheben oder zu ergänzen habe, dass das EG-Recht seine volle praktische Wirksamkeit entfalten könne 27 . Das gleiche soll im Wesentlichen auch für die Exekutive und Judikative gelten: Die Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften darf die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht übermäßig einschränken 28, und die nationalen Gerichte müssen das Gemeinschaftsrecht so auslegen und anwenden, dass dessen Einheitlichkeit und Wirksamkeit gewährleistet ist 2 9 . a) Weites Auswahlermessen der Mitgliedstaaten Bei der Erfüllung der Schutzpflichten ist den Mitgliedstaaten ein weites Auswahlermessen einzuräumen. Der EuGH kann schon deshalb nur die Einhaltung der äußersten Grenzen des mitgliedstaatlichen Ermessens prüfen, weil sonst die Kompetenzordnung innerhalb der Gemeinschaft unterlaufen würde, die auf dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung der Gemeinschaft beruht und durch den Subsidiaritätsgrundsatz ergänzt wird 3 0 . Aufgrund des Bestehens mehrerer alternativer Möglichkeiten zur Erfüllung der Schutzpflicht und auch angesichts einer zu treffenden Prognose für die Zukunft, welche Folgen der Einsatz bestimmter Mittel hat, wäre es ein gravierender Eingriff in die mitgliedstaatlichen Kompetenzen, würde die Gemeinschaft die im Einzelnen zu treffenden Handlungen inhaltlich vorgeben31. 25 Geiger, EGV, Art. 10, Rn. 8; vgl. auch Kahl, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 10, Rn. 13. 26 EuGH, Slg. 1989, 2965, Rn. 23 - Kommission/Griechenland. 27 Vgl. EuGH, Slg. 1973, 161, Rn. 11 - Kommission/Italien; hierzu Blanquet, L'article 5, S. 44 ff. sowie Kadelbach, Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, S. 143 ff. 28 Vgl. EuGH, Slg. 1998,1-4951, Rn. 34 ff. - Edis sowie von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 10, Rn. 43 ff. 29 Vgl. EuGH, Slg. 1978, 629, Rn. 21 ff. - Simmenthai; zur Ausgestaltung der gerichtlichen Verfahren vgl. Tesauro, Y.E.L. 13 (1993), 1 ff. 30
Vgl. Art. 5 EGV; allgemein zu den Kompetenzausübungsschranken Steindorff, Grenzen der EG-Kompetenzen sowie Götz/Martinez Soria, Kompetenzverteilung. Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 423, der darlegt, dass die Frage der Effektivität der einzusetzenden Mittel Prognoseprobleme nach sich ziehen kann.
B. Inhalt und Reichweite der Schutzpflichten
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Eine Ermessensreduzierung „auf Null", dass also nur eine bestimmte Maßnahme dem Schutzauftrag des Mitgliedstaates gerecht werden würde, wird eine wohl eher selten anzunehmende Ausnahme sein. Ganz besondere Zurückhaltung ist bei der Überprüfung der ordnungsgemäßen Erfüllung der mitgliedstaatlichen Schutzpflicht geboten, wenn es um eine Schutzhandlung durch die Legislative geht. In diesem Fall ist die Erfüllung der Schutzpflicht auch eine politische Gestaltungsaufgabe, die der mitgliedstaatliche Gesetzgeber zu erfüllen hat, an dessen Stelle nicht die Gemeinschaftsorgane treten können 32 . Die Grenze des mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraums ist vor diesem Hintergrund erst dann überschritten, wenn der Mitgliedstaat es eindeutig unterlassen hat, die im Einzelfall unabdingbaren Maßnahmen für einen wirksamen Schutz der Grundfreiheiten vorzunehmen 33. Angesichts der mit der Erfüllung der Schutzpflicht verbundenen Unsicherheiten ist im Zweifel davon auszugehen, dass der Mitgliedstaat im zulässigen Rahmen seines Ermessensspielraums gehandelt hat. Der EuGH sollte eine Verletzung der Schutzpflicht nur feststellen können, wenn sie offenkundig ist. Diese relativ niedrige Kontrolldichte bedeutet indes nicht, dass die Mitgliedstaaten ihre Schutzanstrengungen auf ein geringes Maß beschränken dürfen, sondern allein, dass die gerichtliche Kontrolle nicht mit der mitgliedstaatlichen Handlungspflicht korrespondiert 34. Geht man von einem sehr weiten mitgliedstaatlichen Ermessensspielraum aus, befindet man sich in Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum zu den Schutzpflichten, die den deutschen Grundrechten und der EMRK entnommen werden 35. Das BVerfG erkennt grundsätzlich nur eine sehr begrenzte gerichtliche Nachprüfung an, da dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zukomme 36 . Trotz des erstmals in der Rechtsprechung des BVerfG erwähnten Untermaßverbotes, das nur einen Mindeststandard an Schutz einfordert, wurden allerdings an den Gesetzgeber anlässlich der Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen teilweise sehr detaillierte Mindestanforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung gestellt 37 . Dies widerspricht der Konzeption des Untermaßverbotes, das ein Unterlassen von Schutzanordnungen erst dann als verfassungswidrig ansieht, wenn das gebotene Schutzminimum unterschritten ist 38 . Deutlich macht diese Rechtsprechung des BVerfG immerhin, dass 32 Vgl. Jaeckel, Schutzpflichten, S. 268 f. sowie Geiger, EGV, Art. 220, Rn. 1. 33 Vgl. die Rechtssache EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 43 - Kommission/Frankreich, in der der Gerichtshof von der Pflicht zur Ergreifung der unabdingbaren Maßnahmen spricht. 34 Vgl. Szczekalla, DVB1. 1998, 219 (223). 35 Zu den Ermessensspielräumen bei den Schutzpflichten aus der EMRK vgl. Jaeckel, Schutzpflichten, S. 168 ff.; Matscher, FS Schmölz, 187 (197 ff.); Clapham, in: Macdonalds/ Matscher/Petzold (Hrsg.), The European System, S. 163 ff. 36 BVerfGE 79, 174 (202); zum Gestaltungsspielraum des deutschen Gesetzgebers Badura, FS Odersky, S. 159 ff.; Hesse, FS Mahrenholz, S. 544 (550 ff.). 37 BVerfGE 88,103 (251 ff.); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 156. U'
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. Teil: Die R e c h t f g n
Schutzpflichten
die Prüfdichte der letztinstanzlichen Gerichte im konkreten Einzelfall ausschlaggebend dafür ist, ob der den betreffenden Stellen eingeräumte Ermessensspielraum tatsächlich so weit ist, wie er ihnen im Vorfeld eingeräumt wurde.
b) Kontrolldichte
des EuGH
In der Rechtssache Kommission/Frankreich führte der EuGH aus, dass es nicht Sache der Gemeinschaftsorgane sei, „sich an die Stelle der Mitgliedstaaten zu setzen und ihnen vorzuschreiben, welche Maßnahmen sie anwenden müssen" und dass es im Ermessen der Mitgliedstaaten stehe, zu entscheiden, „welche Maßnahmen in einer bestimmten Situation am geeignetsten sind". Er verneinte in diesem Fall die Eignung der vom französischen Staat ergriffenen Maßnahmen, da nur ein sehr geringer Teil der Binnenmarktstörungen geahndet wurde 39 . Einige Stimmen in der Literatur schließen aus diesen Ausführungen des Gerichtshofs auf einen eingeschränkten Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten, da sich deren Einschätzungsprärogative nur auf die optimale Form des Schutzes beziehe, da ein weniger geeignetes Mittel keine ordnungsgemäße Erfüllung der Schutzpflichten sei 40 . Nach anderer Auffassung gewährt der EuGH den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum, indem er sich auf eine bloße Evidenzkontrolle beschränke 41. Die Wortwahl des Gerichtshofs in der Rechtssache Kommission/Frankreich, in der er äußerte, dass die Maßnahmen Frankreichs zum Schutz der Grundfreiheiten „offenkundig" nicht ausgereicht hätten, lege eine solche begrenzte Kontrolldichte nahe42. In diesem Sinne äußerte sich auch Generalanwalt Lenz in den Schlussanträgen, in denen er betonte, dass eine Vertragsverletzung nur festzustellen sei, wenn klar und deutlich feststehe, dass ein Mitgliedstaat nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen getroffen habe 43 . Nach seiner Ansicht und nach Auffassung der Kommission habe es in diesem Fall zwei verschiedene Möglichkeiten gegeben, auf die Vorkommnisse zu reagieren, nämlich entweder durch ein unmittelbares Einschreiten mithilfe der Ordnungsmacht, oder die Urheber der Ausschreitungen nachträglich zur Rechenschaft zu ziehen 44 . 38 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, (Hrsg.), HdStR V, S. 232; Unruh, Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 83. 39 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 34, 35, 5 0 - Kommission/Frankreich. 40 Meurer, EWS 1998, 196 (200); Meier, EuZW 1998, 84 (87); vgl. auch Muylle, ELR 23 (1998), 467 (471). So auch Szczekalla, DVB1. 1998, 219 (223), der meint, dass bei den Schutzpflichten Handlungs- und Kontrollnorm auseinanderfallen würden; Kainer, JuS 2000,431 (435). « EuGH, Slg. 1997, 1-6959, Rn. 52, 65 - Kommission/Frankreich; Szczekalla, DVB1. 1998, 219 (223). 43 Schlußanträge des GA Lenz, EuGH, Slg. 1997, 1-6959, Rn. 49 - Kommission/Frankreich. 44 Schlußanträge des GA Lenz, EuGH, Slg. 1997, 1-6959, Rn. 47 - Kommission/Frankreich.
B. Inhalt und Reichweite der Schutzpflichten
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Da Frankreich nahezu vollkommen untätig blieb, war in dieser Rechtssache ein Verstoß Frankreichs gegen die ihm auferlegten Schutzpflichten in der Tat offensichtlich. Die Ordnungskräfte haben zwar einzelne gezielte Maßnahmen Privater gegen landwirtschaftliche Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten verfolgt, griffen jedoch in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht ein, obwohl sie von bevorstehenden gewalttätigen Aktionen Kenntnis hatten oder sogar selbst an Ort und Stelle waren 45 . Wenn der EuGH in diesem Fall keine genaue Prüfung der Verhältnismäßigkeit vornahm, muss dies deshalb nicht zwingend bedeuten, dass er seine Kontrolldichte auf evidente Verstöße reduziert. Eine genaue Untersuchung der Eignung der staatlichen Maßnahmen zur Verhinderung der Agrarblockaden war nicht wirklich zwingend, da sie in diesem Fall eindeutig zu verneinen war. In der zweiten die Schutzpflichten betreffenden Rechtssache Schmidberger/ Österreich nahm der Gerichtshof bei der Frage des Inhalts der Schutzpflichten keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, da es in diesem Fall um die reine Untätigkeit einer Behörde ging, die sich zur Rechtfertigung auf ihre Pflicht zur Wahrung nationaler Grundrechte berief 46 . In dieser Fallkonstellation war der Inhalt etwaiger Schutzpflichten irrelevant. Aus diesem Grunde kann man der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den Schutzpflichten hinsichtlich der Größe der Ermessensspielräume nicht viel mehr als die Aussage entnehmen, dass die Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum besitzen, dessen Grenzen der Gerichtshof überprüfen kann. Gegenwärtig kann aber noch nicht beurteilt werden, ob sich der EuGH auf die Ahndung evidenter Verstöße beschränken wird, oder ob er eigene Ermessenserwägungen an Stelle der Mitgliedstaaten anstellen wird.
II. Allgemeine Erwägungen zum möglichen Inhalt der Schutzpflichten Der Inhalt der Schutzpflichten kann nicht abstrakt bestimmt werden. Er ist in erster Linie davon abhängig, welcher Wahrscheinlichkeitsgrad der Gefahr vorliegt, in welchem Ausmaß die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten zu erwarten ist, und welche Anstrengungen und Aufwendungen seitens des Mitgliedstaats nötig sind, die Gefahr einzudämmen. Bei der Anwendung des nationalen Rechts muss das Effizienz- und das Äquivalenzgebot berücksichtigt werden 47. Die Mitgliedstaaten haben darauf zu achten, dass sie die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder wesentlich erschweren, und dass sie Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht ebenso wirksam mit vergleichbaren sachlichen und verfahrensrechtlichen Mitteln verfolgen und ahnden wie vergleichbare Verstöße gegen innerstaatliches Recht 48 . 45 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 48 ff. - Kommission/Frankreich. 46 EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 69 ff. - Schmidberger/Österreich. 47 Hierzu Sechster Teil, B. I. 1.
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. Teil: Die R e c h t f g n
Schutzpflichten
Die Aufgabe der Legislative besteht in erster Linie darin, bei Bedarf die nur den Staat bindenden Grundfreiheiten in eine auch den Störer bindende Pflicht zu transformieren, d. h. die für jeden Eingriff in Freiheitsrechte Dritter notwendige gesetzliche Ermächtigung zu schaffen und sie inhaltlich auszugestalten49. Dabei muss sie auch neuartige Gefährdungen berücksichtigen und eine Anpassung der alten Regelungen an die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse schaffen 50. Dies kann insbesondere geschehen durch Verbote, aber auch durch weniger belastende Eingriffe, wie etwa durch das Aufstellen besonderer Anforderungen an privates Handeln, welche die Störung möglichst gering halten 51 . Die Exekutive hat die von der Legislative geschaffenen Verbotstatbestände unter Berücksichtigung der aus dem Gemeinschaftsrecht folgenden Schutzpflichten anzuwenden. Damit die Exekutive überhaupt wirkungsvoll handeln kann, muss sie als Grundvoraussetzung die Mittel dazu besitzen. Jeder Mitgliedstaat hat daher eine ausreichende Zahl an Polizei- und Ordnungsbehörden einsatzbereit zu halten, die ihrerseits mit ausreichend Personal ausgestattet sind. Die vorhandenen Ressourcen müssen im Falle des Bestehens einer Schutzpflicht voll ausgeschöpft werden. In der Rechtssache Kommission/Frankreich berief sich Frankreich vergeblich darauf, dass seine Ordnungskräfte überfordert gewesen seien, da die Störer der Warenverkehrsfreiheit in kleinen kommandoartigen Gruppen vorgegangen wären 52 . Weitere Handlungsmöglichkeiten außer dem Erlass von Verbotsverfügungen könnten, je nach Gesetzeslage, auch staatliche Warnungen gegenüber den Störern sowie Gefahrerforschungsmaßnahmen sein, wenn das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht unzweifelhaft gegeben ist. Neben den polizeilichen Instrumenten der Gefahrenabwehr kommt auch die Möglichkeit in Betracht, auf die Bedrohung der Grundfreiheiten etwa durch Straf- oder allgemeines Ordnungsrecht zu reagieren 53. Auch die Judikative sowie Organe der Zwangsvollstreckung müssen unterhalten und angemessen ausgestattet werden 54. Die Gerichte sind gehalten, das nationale Recht im Lichte der grundfreiheitlichen Schutzpflichten auszulegen und anzuwen48 Schärf, EuZW 1998, 617 (617 f.). 49
Krings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 246; zu einer möglichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Schaffung von Privatrechtsnormen Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht, S. 35 ff. so Vgl. für das deutsche Recht Isensee, in: Isensee /Kirchhof, HdStR V, § 111, Rn. 90. 51 In der Praxis werden die von der Legislative zu erfüllenden Schutzpflichten zumindest in Deutschland eher eine geringere Rolle spielen, da durch Anwendung der bestehenden Normen durch die Exekutive ein Großteil der Schutzpflichten ohne den Erlass weiterer Gesetze erfüllt werden können. 52 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 8, 18, 22 - Kommission/Frankreich. 53 Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2002, 213 (217). 54
Vgl. Krings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 246, oder die vom EuGH entschiedene Rechtssache Kommission/Frankreich, Slg. 1997,1-6959, Rn. 8, in der sich Frankreich erfolglos auf die Unwirksamkeit seines Einschreitens gegen die privaten Störer berief.
B. Inhalt und Reichweite der Schutzpflichten
167
den. Die Generalklauseln der Polizeigesetze der Länder, die eine Eingriffsermächtigung bei einer Gefahr für die „öffentliche Sicherheit und Ordnung" vorsehen, sind gemeinschaftsrechtskonform so auszulegen, dass auch die Grundfreiheiten unter diesen Begriff fallen. Als verweisungsoffener Blankettbegriff erfasst der Begriff alle geltenden Rechtsvorschriften, die entweder den Einzelnen, die Allgemeinheit oder das Gemeinwesen schützen und damit auch das unmittelbar wirkende Gemeinschaftsrecht 55 .
1. Schutz durch Eingriff Wird der Mitgliedstaat zur Erfüllung seiner Schutzpflicht für die Grundfreiheit tätig, sieht er sich regelmäßig zu einem Eingriff in entgegenstehende Rechte des Störers oder Dritter gezwungen. Dies ist zumindest grundsätzlich der Fall, wenn die Störungen von Personen ausgehen und nicht von Naturgewalten oder anderen Staaten. Durch die Pflicht zur Beachtung ihrer Rechte kann der Handlungsspielraum des Staates deutlich eingeengt werden, mit der Folge, dass er weniger oder überhaupt keinen Schutz gewähren kann, während er seine Untätigkeit aufgrund dieser Pflicht aber möglicherweise rechtfertigen kann 56 . In der deutschen Schutzpflichtdogmatik wurde diese Problematik von einigen Autoren unter dem prägnanten Begriff „Schutz durch Eingriff 4 diskutiert 57 , der auch treffend für die mit den Schutzpflichten aus den Grundfreiheiten des EG-Vertrags einhergehenden Schwierigkeiten verwendet werden kann. Die Aufgabe des zur Gewährung von Schutz verpflichteten Mitgliedstaates besteht darin, einen Ausgleich zwischen den Rechten des zu Schützenden und denen des Störers zu schaffen. Dabei hat der einzelne Mitgliedstaat als Grenze der Schutzpflicht das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten, das auch im Gemeinschaftsrecht Geltung beansprucht 58. Bestehen unterschiedlich effektive Möglichkeiten der Erfüllung der Schutzpflicht, greift die effektivste Art jedoch übermäßig in entgegenstehende Rechte Dritter ein, kann der zum Schutz verpflichtete Staat nach der Vornahme einer Angemessenheitsprüfung gehalten sein, die weniger einschneidende Maßnahme anzuwenden. Die Gewährung von Schutz muss jedoch nicht zwangsläufig zu einem Eingriff in Abwehrrechte der Störer oder Dritter führen. Dies ist etwa dann nicht nötig, wenn der Staat Beeinträchtigungen durch Naturgewalten entgegentreten muss, da er bei der Beseitigung solcher Störungen meistens nicht in Grundrechte Dritter einzugreifen hat 59 . Es sind zum anderen auch 55 Lindner, BayVBl. 1999, 337 (338). 56 Zu der Rechtfertigung der mangelhaften Erfüllung einer Schutzpflicht vgl. den Siebten Teil. 57 Vgl. Wahl/Masing, JZ 1990, 553 ff. m. w. N. 58 Zu der Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Gemeinschaftsrecht Pollak, Verhältnismäßigkeitsprinzip und Grundrechtsschutz, S. 41 ff. sowie Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
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. Teil: Die R e c h t f g n
Schutzpflichten
Maßnahmen der Staatsgewalt im Falle von Störungen durch Grundrechtsträger denkbar, die ohne einen Eingriff in die der Schutzpflicht entgegenstehenden Rechte dieser Grundrechtsträger auskommen. In Betracht kommt etwa die Schaffung finanzieller Anreize für den Störer oder die Stärkung des passiven Schutzes der Opfer 60 . Letzteres kann unter Umständen alleine durch staatliche Präsenz geschehen, etwa durch vermehrte Polizeikontrollen an Autobahnen, die von Blockaden bedroht sind. Oftmals werden diese Maßnahmen allerdings nicht ebenso wirksam sein wie hoheitliche Eingriffe. Sie könnten aber schon im Vorfeld einer Gefahr für die Grundfreiheiten eingesetzt werden, um einen frühzeitigen präventiven Schutz zu erreichen.
2. Bestehen einer Erfolgspflicht? Nach einer im Schrifttum verbreiteten Auffassung soll eine Schutzpflicht nur die Pflicht zum Tätigwerden zum Inhalt haben, ohne dass sich die Pflicht auf die Erreichung des angestrebten Erfolges erstreckt, nämlich das Unterbinden der Störung. Die Mitgliedstaaten seien aus Art. 10 EGV lediglich dazu verpflichtet, alle geeigneten und erforderlichen Maßnahmen zur Herbeiführung des Schutzes zu treffen, würden aber nicht dafür haften, wenn der Erfolg ausbleibt61. Nach anderer Auffassung ist bei den Schutzpflichten von einer Erfolgspflicht auszugehen62. Nach Ansicht von Hintersteininger hat die Abgrenzung zwischen Erfolgs- und Verhaltenspflicht nach der Bestimmtheit des vom Staat geforderten Verhaltens zu erfolgen. Wenn der Konkretisierungsgrad des geforderten Verhaltens ein relativ unbestimmter sei, sei von einer Erfolgspflicht auszugehen63. Diese Unterscheidung ist zwar einerseits sinnvoll, weil im Falle des Vorliegens inhaltlich völlig unbestimmter Pflichten ihre Verletzung praktisch nicht nachgewiesen werden könnte, wenn keine Verpflichtung zur Erreichung des gewünschten Erfolges bestehen würde. Bei den Schutzpflichten ist angesichts der verschiedenen Möglichkeiten ihrer Erfüllung ziemlich offen, welche Maßnahmen der Staat im Einzelnen zu treffen hat. Für eine Erfolgspflicht der Mitgliedstaaten spricht auch, dass die Art und Weise des Schutzes aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht gleichgültig ist, solange das richtige Ergebnis, nämlich der effektive Schutz der Grundfreiheiten, mit den ergriffenen Mitteln erreicht wird. Gegen eine Erfolgspflicht spricht, dass es unrea59
Es sei denn, ein Dritter kann sich auf sein Grundrecht auf Eigentum berufen, wenn die Behebung der Störung seinen Grund und Boden betrifft. In diesem Fall kommt insbesondere eine Inanspruchnahme des Eigentümers als Störer in Betracht. 60 Vgl. Krings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 264 ff.; Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 121 f. Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2002, 213 (216); vgl. auch Schlussanträge von GA Lenz in der Rechtssache EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 45 - Kommission/Frankreich. 62 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 392; Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 224; Schwarze, EuR 1998, 53 (54). 63 Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 224.
B. Inhalt und Reichweite der Schutzpflichten
169
listisch wäre, den Staat in jedem Fall haftbar zu machen, wenn der Erfolg seiner Schutzhandlung ausbleibt, da diese nicht selten mit Unwägbarkeiten verbunden ist, auf die der Staat keinen Einfluss hat. Sachgerechter ist, die Vornahme der Schutzhandlungen daraufhin überprüfen zu können, ob sie geeignet waren, nicht aber, den Staat trotz der Eignung seiner Handlungen zur Erfüllung der Schutzpflicht dafür haftbar zu machen, wenn der Erfolg ausbleibt.
Siebter Teil
Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen A. Geschriebene und ungeschriebene Rechtfertigungsgründe Im EG-Vertrag sind für jede Grundfreiheit ausdrücklich Rechtfertigungsmöglichkeiten normiert, auf die sich der Mitgliedstaat im Falle der Beeinträchtigung einer Grundfreiheit berufen kann. Gemäß dem Rechtfertigungstatbestand für die Warenverkehrsfreiheit (Art. 30 EGV) können sowohl diskriminierende als auch nicht-diskriminierende Eingriffe gerechtfertigt sein, wenn sie zum Schutze einer Reihe von Rechtsgütern wie etwa der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der Gesundheit oder zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums erforderlich sind. Diskriminierende und nicht-diskriminierende Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit lassen sich gemäß der Art. 39 Abs. 3, 46 und 55 EGV auf Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit stützen, Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 58 Abs. 1 lit. b EGV auf Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit. Neben diesen im Vertrag ausdrücklich normierten Rechtfertigungsgründen kommt nach der so genannten Cassis-Formel des EuGH 1 ausschließlich bei unterschiedslosen, für in- und ausländische Waren gleichermaßen anwendbaren Beschränkungen der ungeschriebene Rechtfertigungsgrund der zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses in Betracht 2. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind von diesem Begriff etwa die Gewährleistung einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, der Schutz der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und der Verbraucherschutz erfasst 3. Die Aufzählung ist dabei nicht abschließend, es kommt grundsätzlich jedes nicht-wirtschaftliche öffentliche 1 EuGH, Slg. 1979, 649 - Cassis de Dijon. 2 Es ist allerdings eine Tendenz in der Rechtsprechung des EuGH festzustellen, die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe nunmehr auch bei versteckten Diskriminierungen anzuwenden, vgl. EuGH, Slg. 1998,1-1831 ff. - Decker; Slg. 1998,1-1931 ff. - Kohll; zu dieser „Aufweichung" der Schrankendogmatik Nowak/Schnitzler, EuZW 2000, 627 ff. sowie Gundel, Jura 2001, 79 ff. 3 EuGH, Slg. 1979, 649, Rn. 8, 14 - Cassis de Dijon.
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
171
Interesse von hinreichendem Gewicht in Betracht, das gemeinschaftsrechtlich anerkannt ist 4 . Zur Rechtfertigung können sich die Mitgliedstaaten regelmäßig nicht auf wirtschaftliche Ziele außerhalb der explizit normierten Ausnahmetatbestände berufen 5. Umstritten ist, ob zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses die Beschränkung schon tatbestandlich entfallen lassen oder ob sie, wie hier vertreten wird, Rechtfertigungstatbestände darstellen6. Dieser in erster Linie in Deutschland geführten Diskussion kommt im Ergebnis keine Bedeutung zu, da in beiden Fällen jedenfalls eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall durchgeführt werden muss7. Für eine Verortung der Prüfung der zwingenden Erfordernisse im Rahmen der Rechtfertigung spricht insbesondere, dass auch bei Vorliegen der zwingenden Erfordernisse die einfiihrbeschränkende Wirkung erhalten bleibt und lediglich aufgrund bestimmter Tatsachen legitimiert wird 8 .
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen Es soll zunächst geklärt werden, ob die dargestellten geschriebenen und ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe auch auf ein staatliches Unterlassen anwendbar sind. In der Literatur wird gegen eine Heranziehung der Rechtfertigungsgründe im Rahmen der Schutzpflichten vereinzelt eingewendet, dass ein Unterlassen regelmäßig nicht von der Absicht der Aufgabenerfüllung geleitet sei, sondern sich seine Bedeutung schlicht im reinen Nichthandeln erschöpfe, und dass Schutz durch Passivität kaum denkbar sei9. Diese Auffassung kann jedoch nicht überzeugen. Handelt der Staat trotz seines Wissens um eine Rechtspflicht nicht, wird er dafür Gründe anführen müssen. Zwar können durch ein schlichtes Untätigbleiben grundsätzlich keine Staatsaufgaben wie etwa der Gesundheitsschutz oder der Schutz des gewerblichen Eigentums erfüllt werden. Dennoch kann ein bewusstes Nichthandeln Gründe haben, die möglicherweise unter die bestehenden Rechtfertigungsgründe subsumiert werden können. Ein reines Nichtstun des Staates kann nämlich durchaus dem Schutz anderer Rechtsgüter dienen. In der Rechtssache Schmidberger/Österreich handelte Österreich bewusst nicht, um die Grundrechte der Demonstrationsteilnehmer nicht zu verletzen und konnte dies mit Erfolg vor dem 4
Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 187 (208). 5 EuGH, Slg. 1984, 523, Rn. 23 - Duphar/Niederlande; Schneider, Die öffentliche Ordnung, S. 124 ff. 6 Der EuGH spricht insoweit uneinheitlich teilweise von Rechtfertigung, häufiger aber von immanenten Schranken der Warenverkehrsfreiheit: EuGH, Slg. 1991, 1-4151, Rn. 13 Aragonesa; Slg. 1997,1-3689, Rn. 18 - Familiapress. Zum Streitstand Becker, in: Schwarze, EGV, Art. 28, Rn. 107 ff. 7 Vgl. Mayer, EuR 2003, 793 (799). 8
Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 187 (202). 9 Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 187.
172
7. Teil: Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
EuGH vorbringen 10. In der Rechtssache Kommission/Frankreich berief sich Frankreich unter anderem darauf, dass der Schutz des französischen Marktes vor einer Destabilisierung durch Dumpingpreise ein Eingreifen verbieten würde, dies allerdings ohne Erfolg 11 . In Betracht kommt auch, dass sich der Staat auf „interne Schwierigkeiten" wie in der Rechtssache Kommission/Frankreich} 2 oder auf einen zu befürchtenden Sozialkonflikt beruft 13 . Der zum Handeln verpflichtete Staat kann sich jedoch grundsätzlich nicht darauf berufen, dass sein Untätigbleiben deshalb gerechtfertigt sei, weil die privaten Störer durch ihr Verhalten ein anderes gemeinschaftsrechtlich anerkanntes Rechtsgut schützen würden. Es kann nicht als staatliche Aufgabenerfüllung angesehen werden, wenn der Staat seine Bürger gewähren lässt, auch dann nicht, wenn sie dies innerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens tun sollten. Unterlässt der zum Schutz verpflichtete Staat die Vornahme der erforderlichen Schutzhandlung, wird er sich sehr häufig auf entgegenstehende Grundrechte der Störer berufen, die ihm seiner Auffassung nach ein Eingreifen verbieten. Bei vielen von ihm geforderten Handlungen zum Schutz des Inhabers einer Grundfreiheit hat der Staat Grundrechte der Störer zu beeinträchtigen, wenn sein Eingreifen wirksamen Schutz gegen die Störung versprechen soll 14 . Geht man vom dem Bestehen eines umfassenden Grundrechtsschutzes auch im Gemeinschaftsrecht aus 15 , ist grundsätzlich jedes menschliche Handeln zumindest durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt. Die Untätigkeit oder die ungenügende Erfüllung der Schutzpflicht kann aus diesem Grunde möglicherweise damit gerechtfertigt werden, dass ein Eingreifen unverhältnismäßig die Rechte der Störer beschränken würde. Der Schutz anderer Rechtsgüter außer der den Schutzpflichten entgegenstehenden Grundrechte kann durch ein reines Untätigbleiben grundsätzlich nicht erreicht werden, da ein reines Nichtstun des Staates keinen Erfolg in dieser Hinsicht verspricht. Die bedeutsamste Grenze der Schutzpflichten ist damit die Kollision mit den ihnen entgegenstehenden Grundrechten, wenn einerseits Schutzpflichten be10 EuGH, Slg. 2003, 1-5659 - Schmidberger/Österreich. Die Verletzung der europäischen Grundfreiheiten durch ihre Untätigkeit war den Behörden indes wohl nicht bewusst, vgl. die Schlussanträge des GA Jacobs, EuGH, Slg. 2003, 1-5659, Rn. 9 - Schmidberger/ Österreich. Schlussanträge des GA Lenz, EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 22 - Kommission/Frankreich. Indes konnte sich Frankreich auf diesen Grund nicht mit Erfolg berufen, da dies eine Berufung auf wirtschaftliche Gründe war. Dies ist den Mitgliedstaaten jedoch grundsätzlich verwehrt, vgl. EuGH, Slg. 1985, 1761, Rn. 28 - Kommission/Irland. 12 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 55 - Kommission/Frankreich. 13 Eine solche Befürchtung hatte Italien in Zusammenhang mit der Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen, vgl. EuGH, Slg. 1999, 1-2981, Rn. 31 - Italien/Kommission; zur tatsächlichen Möglichkeit der Rechtfertigung aufgrund solcher Erwägungen Siebter Teil, B. II. 14 Vgl. Sechster Teil, B. H. 1. 15 Vgl. Siebter Teil, B.I.
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
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stehen, auf der anderen Seite ein Einzelner einen grundrechtlichen Abwehranspruch gegen den Staat geltend machen kann. Ob es weitere Rechtfertigungsgründe gibt, die in diesen Fällen herangezogen werden können, wird im Anschluss an die folgenden Erwägungen erörtert, in denen es um die Einzelheiten der Rechtfertigung einer Untätigkeit der Mitgliedstaaten aufgrund des Grundrechtsschutzes geht.
I. Grundrechte als Rechtfertigungsgrund Wenn sich der Staat zur Rechtfertigung seines Unterlassens auf die Wahrung entgegenstehender Grundrechte berufen kann, wirft dies einige grundlegende Fragen auf. Zunächst ist zu klären, wie der mitgliedstaatliche Grundrechtsschutz in die bestehende Rechtfertigungsdogmatik einzuordnen ist. Diese Frage betrifft zwar nicht alleine die Grundfreiheiten in ihrer Funktion als Schutzpflichten, sondern kann grundsätzlich auch im Rahmen der negatorischen Funktion der Grundfreiheiten relevant werden. Sie hat sich vor dem EuGH aber erstmals in seiner zweiten Entscheidung zu den Schutzpflichten gestellt 16 und wird insbesondere im Zusammenhang mit der Nichterfüllung der Schutzpflichten regelmäßig von großer Relevanz sein. Im Schrifttum stößt man nicht selten auf von der bestehenden Dogmatik losgelöste Konkordanzprüfungen, ohne dass deutlich wird, wie sich der Grundrechtsschutz zu den bestehenden Rechtfertigungsmöglichkeiten verhält. Nicht deutlich wird insbesondere, ob der Grundrechtsschutz in die bestehende Rechtfertigungsdogmatik eingeordnet wird, oder ob die Grundrechte als weitere Schranken der Grundfreiheiten neben den schon vorhandenen Rechtfertigungsgründen angesehen werden 17. Eine sowohl von den Schranken der Grundfreiheiten als auch von den Schranken der Grundrechte losgelöste Abwägung läuft Gefahr, die Grundrechte zur Disposition zu stellen, da grundsätzlich immer zu prüfen ist, ob die bestehenden Schranken der Grundrechte den Eingriff überhaupt zulassen. Des weiteren stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Mitgliedstaaten durch die neue dogmatische Figur der gemeinschaftsrechtlichen Schutzpflichten genötigt werden, Grundrechte einzuschränken bzw. wie Schutzpflichten aus den Grundfreiheiten und die ihnen entgegenstehenden Grundrechte miteinander in Einklang gebracht werden können. In diesem Zusammenhang soll untersucht werden, ob die nationalen Grundrechte der mitgliedstaatlichen Verfassungen oder die europäischen Grundrechte maßgeblich sind. Des weiteren sollen die Gewährleistungs™ EuGH, Slg. 2003,1-5659 - Schmidberger/Österreich; die zweite Entscheidung, in der ein Mitgliedstaat direkt Grundrechte als Rechtfertigungsgründe heranzog, war die Rechtssache Omega, die die Grundfreiheiten in ihrer negatorischen Funktion betraf, EuGH, EuZW 2004, 753 ff. - Omega. 17 Vgl. etwa Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 159 ff.; Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 176 ff.
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7. Teil: Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
gehalte von Grundfreiheiten und Grundrechten sowie ihr jeweiliger Rang innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung betrachtet werden.
1. Einordnung des Grundrechtsschutzes in die bestehende Dogmatik Fraglich ist, ob der Grundrechtsschutz als Rechtfertigungsgrund in die bestehende Dogmatik eingeordnet werden kann oder eine neue Kategorie von Rechtfertigungsgriinden darstellt. Im Schrifttum wird teilweise eine gänzlich neue Kategorie der „Rechtfertigung unmittelbar aus Grundrechten" angenommen, die nicht in die schon bestehende Rechtfertigungsdogmatik eingeordnet wird 1 8 . Der EuGH äußerte in der Rechtssache Schmidberger/Österreich: ,£>a die Grundrechte demnach sowohl von der Gemeinschaft als auch von ihren Mitgliedstaaten zu beachten sind, stellt der Schutz dieser Rechte ein berechtigtes Interesse dar, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung von Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht, auch kraft einer durch den Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit wie dem freien Warenverkehr, bestehen"19.
Der Gerichtshof prüft in dieser Rechtssache nicht ausdrücklich, ob der Grundrechtsschutz von den geschriebenen Rechtfertigungsgründen oder der Cassis-Formel erfasst wird oder ob er einen eigenen Rechtfertigungsgrund darstellt. Er bezeichnet den Grundrechtsschutz als „berechtigtes Interesse", während er in Anwendung der Cassis-Formel zumeist von „zwingenden Erfordernissen" oder „Gründen des Allgemeininteresses spricht" 20 . An anderer Stelle in der Entscheidung Schmidberger/ Österreich verwendet der Gerichtshof den Ausdruck „dem Allgemeininteresse dienendes legitimes Ziel" 2 1 . Seine Terminologie ist indes nicht einheitlich, in anderen Fällen spricht er trotz Heranziehung der Cassis-Formel auch von „zwingenden nationalen Interessen" 22 oder von „zwingenden Gründen des Gemeinwohls" 23 . Aufgrund der uneinheitlichen Verwendung dieser Ausdrücke durch den EuGH und ihrer inhaltlich weitgehenden Übereinstimmung ist davon auszugehen, dass er den Grundrechtsschutz in die bestehende Rechtfertigungsdogmatik einordnet. Dies wird bestätigt durch seine jüngere Rechtsprechung in der Rechtssache Omega, da er in dieser Rechtssache den Grundrechtsschutz explizit im Rah18 Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2003, 693 (695); Mayer, EuR 2003, 793 (820). 19 EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 74 - Schmidberger/Österreich. Genauso prüfte der Gerichtshof den Grundrechtsschutz als Rechtfertigungsgrund für mitgliedstaatliches Handeln, das den Dienstleistungsverkehr beschränkt, vgl. EuGH, EuZW 2004, 753 ff. - Omega. 20 Vgl. EuGH, Slg. 1997,1-3689, Rn. 18 - Familiapress; Slg. 1998,1-4355 - Bettati; Slg. 2001,1-4553 - Kommission/Frankreich; Slg. 2003,1-1659, Rn. 29 - Kommission /Italien. 21 EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 66 - Schmidberger/Österreich. 22 EuGH, Slg. 2003,1-9607 -Akrich. 23 EuGH, Slg. 2002,1-9919 - Überseering.
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
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men des geschriebenen Rechtfertigungsgrundes der öffentlichen Ordnung prüfte 24 . Dies ist auch sachgerecht, weil der Grundrechtsschutz in den Mitgliedstaaten ohne Erweiterung der Rechtfertigungsgründe einen zwingenden Grund des Gemeinwohls darstellen kann, da mit ihm zweifellos ein anerkennungswürdiges, im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgt wird. Der im EG-Vertrag explizit niedergelegte Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung umfasst die wesentlichen Grundregeln eines Gemeinwesens25, und greift als Oberbegriff immer dann ein, wenn alle anderen in Art. 30 EGV genannten Rechtsgüter nicht einschlägig sind. Auch er kann ohne weiteres den Grundrechtsschutz erfassen, da Grundrechte zu den wesentlichen Grundregeln des Staates gehören 26. Es gibt daher keinen Anlass, bei Grundrechten als Rechtfertigungsgründen von der bisher entwickelten Dogmatik abzuweichen, da sich der Grundrechtsschutz ohne weiteres in die vorhandene Rechtfertigungssystematik einfügt.
2. Nationale Grundrechte oder europäische Grundrechte? Wenn sich die Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung ihrer Untätigkeit auf den Schutz entgegenstehender Grundrechte berufen, so stehen sich dem ersten Anschein nach die Grundfreiheiten als eine gemeinschaftsrechtliche Freiheitsgewährleistung und die Grundrechte als eine nationale Freiheitsgewährleistung gegenüber. Der private Störer der Grundfreiheit beruft sich auf ein in seiner nationalen Verfassung gewährleistetes Grundrecht, in das sein Staat zur Erfüllung seiner gemeinschaftsrechtlichen Pflichten einzugreifen droht. Umstritten ist, ob in einer solchen Konstellation die nationalen oder die europäischen Grundrechte heranzuziehen sind 27 . Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts ist es möglich, dass die europäischen Grundrechte in diesem Fall die nationalen Grundrechte überlagern.
24 EuGH, EuZW 2004,753 ff., Rn. 30 - Omega. 25 Der EuGH hat eine nähere Umschreibung dieses Begriffs unternommen, dies allerdings auf der Grundlage einer sehr restriktiven Auslegung des Art. 30 EGV, vgl. EuGH, Slg. 1972, 1309, Rn. 4 - Marimex/Administration italienne des finances; EuGH, Slg. 1991, 1-1361, Rn. 9 - Kommission/Griechenland. Umfassend zum Begriff der öffentlichen Ordnung Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten, S. 109 ff. 26 Epiney, in: Calliess / Ruffert, EGV, Art. 30, Rn. 26. 27 Für die Heranziehung der europäischen Grundrechte sprechen sich etwa aus Reich, Bürgerrechte in der EU, S. 69 f.; Jürgensen/Schlünder, AöR 121 (1996), 200 (216); Kadelhach/ Petersen, EuGRZ 2003,693 (695); Schaller, Die EU-Mitgliedstaaten als Verpflichtungsadressaten, S. 45 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; kritisch Ruffert, EuGRZ 2004, 466 (467); a.A. insbesondere Könitz/Steinberg, EuR 2003, 1013 (1025 f.), die ausdrücklich auf die Rechtssache Schmidberger/Österreich eingehen; Cremer, NVwZ 2003, 1452 (1457). Schorkopf, EWS 2000, 156 (161), differenziert, ob bewusst und zielgerichtet in die Grundfreiheiten eingegriffen wurde, oder ob es sich um einen nationalen Konflikt mit geringen Auswirkungen auf den Warenverkehr handelt.
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7. Teil: Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
a) Begriff und Geltungsgrund der europäischen Grundrechte Die europäischen Grundrechte sind bislang noch nicht verbindlich normiert. Die Anfangsjahre der drei europäischen Gemeinschaften sind von der Einschätzung der mangelnden Relevanz der Grundrechte geprägt, da zu dieser Zeit Reibungsflächen der Gemeinschaftspolitik mit den Grundrechten weniger deutlich vorhanden waren und noch nicht in das Bewusstsein des EuGH gerückt waren 28 . Seit Ende der sechziger Jahre begreift der EuGH die Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts, da er die grundrechtliche Betroffenheit der Bürger aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit und des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts erkannt hat 29 . Der Geltungsgrund der Grundrechte in der EG wurde in erster Linie darin gesehen, dass die Europäischen Gemeinschaften Rechtsgemeinschaften sind, die rechtsstaatliche Prinzipien anerkennen 30. Die Grundrechtsbindung der Gemeinschaft ist seit Geltung des Vertrags von Maastricht explizit normiert worden (nunmehr in Art. 6 Abs. 2 EUV). Der EuGH entwickelt die europäischen Grundrechte im Wege einer weitenden Rechtsvergleichung, bei der ihm die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und die EMRK als Rechtserkenntnisquelle dienen (Art. 6 Abs. 2 EUV) 3 1 . Die Grundrechte der Mitgliedstaaten finden daher als Rechtserkenntnisquellen des Gemeinschaftsrechts neben den Rechten der EMRK Eingang in die durch den EuGH vorzunehmende Entwicklung der europäischen Grundrechte 32. Die Europäische Union besitzt seit der feierlichen Verkündung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf dem Europäischen Rat von Nizza im Dezember 2000 nunmehr einen geschriebenen Grundrechtskatalog, der indes noch nicht verbindlich ist 3 3 . Mit dem Inkrafttreten der Europäischen Verfassung soll auch die in sie integrierte Charta der Grundrechte Rechtsverbindlichkeit erhalten 34. 28
Vgl. Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten. S. 319. 29 EuGH, Slg. 1969, 419 - Stauder; allgemein zur Geschichte der Entwicklung der Europäischen Grundrechte Walter, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 8 ff. sowie Quasdorf, Dogmatik der Grundrechte der EU, S. 27 ff. 30 Hierzu Fache, Der Schutz der finanziellen Interessen der EG, S. 21 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 31 EuGH, Slg. 1970, 1125, Rn. 3 - Internationale Handelsgesellschaft; Stumpf, in: Schwarze, EUV, Art. 6, Rn. 19; Rengeling, Grundrechtsschutz in der EG, S. 1; zur Methode der Rechtsgewinnung der Grundrechte aus der EMRK und den mitgliedstaatlichen Verfassungen Everling, in: Schwarze/Bieber (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht, S. 143 ff. 32 Zur Rolle der EMRK und der mitgliedstaatlichen Verfassungen bei der Herausbildung der allgemeinen Rechtsgrundsätze Wetter, Die Grundrechtscharta, S. 56 ff.; zu einem möglichen EMRK-Beitritt der EU Chwolik-Lanfermann, Grundrechtsschutz in der EU, S. 287 ff.; Calliess, EuZW 2001, 261 (268); zur Geltung der EMRK in der EU Busse, NJW 2000, 1074 ff. 33
ABl. EG 2000, C 364, S. 1; eine Bewertung und Interpretation der Charta findet sich etwa bei Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der EU sowie bei Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte der EU. w Rengeling/Szczekalla,
Grundrechte in der EU, S. 33 ff.
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
b) Unterschiedliche Gewährleistungsgehalte und nationaler Grundrechte
177
europäischer
Die Frage, ob nationale oder europäische Grundrechte anwendbar sind, ist kein rein dogmatisches Problem, sondern sie kann sich durchaus in der Rechtswirklichkeit auswirken. Sowohl die Schutzbereiche als auch die Schranken dieser Rechte sind nicht ohne weiteres deckungsgleich. Teilweise liegen die Schutzstandards der EMRK und anderer Mitgliedstaaten unter denen Deutschlands35, vereinzelt reicht der Schutz der europäischen Grundrechte jedoch weiter als der entsprechende Grundrechtsschutz der Mitgliedstaaten36. Auch und gerade bei der Schrankendogmatik sind zudem Unterschiede zu erkennen, die sich auf das Schutzniveau auswirken können. Die Möglichkeiten der Einschränkung entscheiden nämlich neben dem Umfang der Freiheitsgewährleistung über die Reichweite einer Freiheitsgarantie 37. Mangels einer kodifizierten Schrankenregelung zieht der EuGH nicht selten nur den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Schranken-Schranke heran, nachdem er geprüft hat, ob den Grundrechten Rechtsgüter entgegenstehen, die dem allgemeinen Wohl der Gemeinschaft dienen38. Im deutschen Verfassungsrecht etwa bestehen dagegen qualifizierte Gesetzesvorbehalte oder besondere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung wie die „3-Stufen-Theorie" und Grundrechte ohne kodifizierte Schrankenregelung, die nur durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden können39. Wenn in einem konkreten Streitfall der betreffende Mitgliedstaat einen höheren Grundrechtsschutz gewährt als die Gemeinschaft, besteht bei alleiniger Heranziehung des europäischen Grundrechts die Gefahr der Nivellierung grundrechtlicher Schutzstandards. Dies wird von zahlreichen Stimmen als nicht wünschenswert angesehen, da gerade die Grundrechte regelmäßig an ihren Kontext und ihre Umgebung gebunden sind 40 . 35 Vgl. etwa die Rechtssache EuGH, Slg. 1989, 2919 - Hoechst, in der der EuGH bei der Prüfung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung Geschäftsräume nicht als Wohnung ansah. Diese Rspr. dürfte aber zumindest zu relativieren sein angesichts einer späteren Entscheidung des EGMR, die Geschäftsräume in den Schutzbereich der Privatsphäre einbezogen hat, EGMR, Niemitz v. BRD v. 16. 12. 1992 = EuGRZ 1993, 65, Rn. 29 ff. 36 Allgemein zu den verschiedenen Schutzstandards Cirkel, Die Bindungen der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, S. 199; Besselink, CMLR 1998, 629 (638 ff.); Hilf/Hörmann, NJW 2003, 1 (4 ff.), die den Grundrechtsschutz von Unternehmen in der EU, den Mitgliedstaaten und der EMRK vergleichen und zu teilweise unterschiedlichen Ergebnissen kommen angesichts der verschiedenen Rechtsebenen, in denen den Gerichten jeweils unterschiedliche Funktionen zukämen. 37 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 273 ff.
38 Vgl. Rache, NVwZ 1999,1033 (1037). 39 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 255, 535, 825 ff. 40 Besselink, CMLR 1998, 629 (640) m. w. N. Der Konvent, der die Charta der Grundrechte erarbeitete, äußerte ebenfalls Bedenken, vgl. Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51, Rn. 10 ff. 12 Stachel
178
7. Teil: Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
c) Ansicht des EuGH Die Rechtsprechung des EuGH zu den geschriebenen und ungeschriebenen Ausnahmetatbeständen der Grundfreiheiten ist von dem Versuch gekennzeichnet, zwischen dem Erfordernis der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts und dem Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten einen Ausgleich herzustellen. Zur Auslegung des Begriffs der öffentlichen Ordnung hat der Gerichtshof geäußert, dass er gemeinschaftsrechtlich determiniert sei, eng ausgelegt werden müsse und der Nachprüfung durch die Organe der Gemeinschaft unterliege 41. In einigen Entscheidungen erwähnte er die Möglichkeit der Einbeziehung spezifisch nationaler Erwägungen in die Ausnahmetatbestände, nämlich dort, wo in den Mitgliedstaaten große Unterschiede in der Werteordnung bestehen, insbesondere wenn weltanschaulich sensible Bereiche betroffen sind oder besondere gesellschaftliche oder gesundheitliche Gefahren bestehen42. Seit der grundlegenden Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache ERT haben die Mitgliedstaaten bei ihrer Berufung auf die Ausnahmeklauseln der Grundfreiheiten aufgrund des Grundsatzes des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem mitgliedstaatlichen Recht jedweden Ranges als Grenzen die europäischen Grundrechte als Schranken-Schranken zu beachten43. Der EuGH stellte für den Bereich der Ausnahmeklauseln fest, dass die Mitgliedstaaten „im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts" handeln würden 44 . In der Rechtssache Schmidberger/Österreich prüfte der Gerichtshof bei der Frage der Rechtfertigung des staatlichen Untätigbleibens ebenfalls die europäischen Grundrechte 45. In dieser Rechtssache berief sich Österreich zur Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten auf seine Pflicht zur Achtung der in der EMRK und in der österreichischen Verfassung verankerten Grundrechte 46. Im anderen vom Gerichtshof entschiedenen die Schutzpflichten betreffenden Fall Kommission/Frankreich 41 kam ein Verstoß gegen Grundrechte ohnehin nicht in Betracht, da es bei den Blockaden zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, die nach der Auffassung des EuGH nicht unter das Grundrecht der Versammlungsfreiheit fielen 48 . In der Rechtssache 41 EuGH, Slg. 1986,1651, Rn. 26 fi. - Johnston. 42 EuGH, Slg. 1999,1-6067, Rn. 14 - Läärä u. a.; Slg. 1974, 1337, Rn. 18 f. - Van Duyn; Slg. 1994,1-1039, Rn. 60 - Schindler. 43 EuGH, Slg. 1991, 1-2925, Rn. 43 - ERT. Der EuGH entschied in dieser Rechtssache, dass nationale Maßnahmen nur dann gerechtfertigt werden können, wenn sie neben der Erfüllung der allgemeinen Rechtfertigungsanforderungen zusätzlich mit den europäischen Grundrechten in Einklang stehen. Diese Rechtsprechung führte der EuGH in der Rechtssache Familiapress fort, in der er ebenfalls die europäischen Grundrechte als Schranken-Schranken heranzog, EuGH, Slg. 1997,1-3689, Rn. 24 - Familiapress. 44 EuGH, Slg. 1991,1-2925, Rn. 42 - ERT; vgl. auch Zuleeg, EuGRZ 2000, 511 ff., der auf die „Durchführung" des Gemeinschaftsrechts abstellt. 45 EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 71, 77 - Schmidberger/Österreich. 46 EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 69 - Schmidberger/Österreich. 47 EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 59 f.-Kommission/Frankreich.
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
179
Omega berief sich der Gerichtshof bei der Frage der Rechtfertigung durch den mitgliedstaatlichen Grundrechtsschutz auf seine Ausführungen in der Rechtssache Schmidberger/Österreich und zog ebenfalls die europäischen Grundrechte heran 49 . In beiden Rechtssachen hat er den Mitgliedstaaten einen Spielraum gelassen, was das Schutzniveau und die Mittel des Schutzes angeht50. Den Mitgliedstaaten muss es nach Ansicht der Generalanwältin Stix-Hackl in der Rechtssache Omega bei verschiedenen Gewährleistungsinhalten oder unterschiedlichen Schutzniveaus möglich sein, eigene Erwägungen in den Ausnahmetatbestand einfließen zu lassen, da die Gemeinschaft keine Auslegung der Grundfreiheiten zulassen könne, die einen Mitgliedstaat zwingen würde, in seinem Land Grundrechtsverstöße zu begehen51. d) Die verschiedenen Auffassungen im Schrifttum Die Ausnahmeklauseln von den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts werden im Schrifttum unterschiedlich ausgelegt, wobei das Meinungsspektrum von der Annahme eines rein nationalen Begriffs 52 über die Annahme eines gemeinschaftsrechtlichen Rahmenbegriffes 53 oder eines nationalen Begriffs unter gemeinschaftsrechtlicher Kontrolle 54 bis hin zu der Annahme eines rein gemeinschaftsrechtlichen Begriffs 55 reicht. Da der Grundrechtsschutz unter den Begriff der öffentlichen Ordnung sowie unter den Begriff der zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses subsumiert werden kann, ist davon auszugehen, dass die entsprechenden Überlegungen zu der Auslegung der Ausnahmetatbestände auch für den Fall gelten, dass sich die Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten auf Grundrechte berufen. Europäische Grundrechte sollten grundsätzlich dann einschlägig sein, wenn eine Sachmaterie in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt 56 . Insoweit ist die Problematik bei 48
Zu der Prüfung der Versammlungsfreiheit in diesem Fall vgl. Siebter Teil, B. I. 2. g) bb)
(3). EuGH, EuZW 2004,753 ff., Rn. 33 - Omega. so EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 82 ff. - Schmidberger/Österreich; EuGH, EuZW 2004, 753 ff., Rn. 37 - Omega. In der Rechtssache Omega stellt der EuGH fest: „Insoweit ist es nicht unerlässlich, dass die von den Behörden eines Mitgliedstaates erlassene beschränkende Maßnahme einer allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Auffassung darüber entspricht, wie das betreffende Grundrecht oder berechtigte Interesse zu schützen ist" (Rn. 37). 51 Vgl. die Schlussanträge der GA Stix-Hackl, EuGH, EuZW 2004, 229 ff., Rn. 93 Omega. 52 Selmer, DÖV 1967, 328 (331 ff.). 53 So etwa Bongen, Schranken der Freizügigkeit, S. 72, sowie Börner, in: Wissenschaftliche Gesellschaft für Europarecht (Hrsg.), Kölner Schriften zum Europarecht, Bd. 28, S. 87. w Hubeau, CDE 1981, 207 (216 f.); in diese Richtung geht wohl auch Kühling, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 582 (606 ff.). 55 Vehement hat sich dafür etwa ausgesprochen Grabitz, Europäisches Bürgerrecht, S. 93. 56 Vgl. Pechstein, in: Streinz, EUV, Art. 6, Rn. 8. 1*
180
7. Teil: Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
der Berufung der Mitgliedstaaten auf die den Schutzpflichten entgegenstehenden Grundrechte dieselbe wie bei der Berufung auf die sonstigen Ausnahmetatbestände von den Grundfreiheiten 57. Die Vertreter eines nationalen Begriffsverständnisses führen insbesondere an, der Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts gelte ausnahmsweise nicht für den Bereich der Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten, auch wenn der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich notwendig sei, um dessen einheitliche Geltung zu gewährleisten. Der Vertrag erkenne im Bereich der Ausnahmeregelungen von den Grundfreiheiten gerade die Kompetenz und Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten an 58 . Der weit gezogene Anwendungsbereich der Grundfreiheiten solle durch die Anerkennung berechtigter nationaler Interessen kompensiert werden, weshalb sich eine Vereinheitlichung des mitgliedstaatlichen Rechts über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts verbiete. In den engen Grenzen dieser Ausnahmeklauseln seien die Mitgliedstaaten aus dem Anwendungsbereich des Vertrags entlassen und blieben allein dem nationalen Grundrechtsregime unterworfen 59. Die Kontrolle mitgliedstaatlichen Handelns an den europäischen Grundrechten wird vereinzelt auch als unionsrechtswidriger Kompetenzübergriff angesehen, da in Art. 6 Absatz 2 EUV die Mitgliedstaaten als Adressaten der europäischen Grundrechte nicht genannt würden und gemäß Art. 46 Abs. 2 lit. d EUV auch nicht der Rechtsprechung des EuGH unterliegen dürften, da nur Handlungen der Gemeinschaftsorgane in Bezug auf die Beachtung des Art. 6 Abs. 2 EUV der Kontrolle des EuGH unterliegen würden 60 . Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass den genannten Artikeln über eine mögliche Bindung der Mitgliedstaaten an die europäischen Grundrechte keinerlei Aussage entnommen werden kann und dass Art. 46 EUV ausschließlich das Bestehen einer gerichtlichen Kontrolle der Unionsorgane im Rahmen des EUV klarstellen will, ohne dass im Umkehrschluss daraus entnommen werden könnte, die Mitgliedstaaten seien nicht an europäische Grundrechte gebunden61.
57 Dafür spricht auch, dass bei Grundrechten und den anderen Ausnahmetatbeständen weitgehend dieselben Einwände gegen eine gemeinschaftsrechtliche Determinierung erhoben werden. « Kunitz/Steinberg, EuR 2003, 1013 (1026). 59 Kingreen, JuS 2000, 857 (869); Könitz/Steinberg, EuR 2003, 1013 (1026); Petersen, Rundfunkfreiheit und EG-Vertrag, S. 177, spricht von originären Rechtssetzungskompetenzen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich. Vgl. ebenfalls Epiney, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 30, Rn. 21; Streinz, Europarecht, Rn. 692 ff., der darlegt, dass die Rechtfertigungsgründe von unbestimmten Rechtsbegriffen geprägt seien, deren Ausfüllung jeder Mitgliedstaat nach seinen eigenen Wertmaßstäben in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Diskriminierungsverbots vornehmen dürfe. 60 Cremer, NVwZ 2003,1452 (1454); Coppel/O'Neill, CMLR 29 (1992), 669 ff.
Ähnlich auch Borehardt, in: Lenz, EUV, Art. 46, Rn. 1.
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
181
e) Die Verordnung 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes Die Verordnung 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes 62 lässt nach ihrem Wortlaut ausdrücklich den Schutz der nationalen Grundrechte in den Mitgliedstaaten zu. Art. 2 der Verordnung lautet: ,»Die Verordnung darf nicht so ausgelegt werden, dass sie in irgendeiner Weise die Ausübung der in den Mitgliedstaaten anerkannten Grundrechte, einschließlich des Rechts oder der Freiheit zum Streik, beeinträchtigt. Diese Rechte können auch das Recht oder die Freiheit zu anderen Handlungen einschließen, die in den Mitgliedstaaten durch die spezifischen Systeme zur Regelung der Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern abgedeckt werden."
Sie scheint damit als Rechtfertigungsgründe für eine unzureichende oder gänzlich fehlende Erfüllung der mitgliedstaatlichen Schutzpflichten die nationalen Grundrechte zuzulassen63. Die Verordnung kann als Sekundärrechtsakt jedoch nicht die Auslegung der primärrechtlich geregelten Grundfreiheiten und ihre Rechtfertigung modifizieren, da das Sekundärrecht im Rang unter dem Primärrecht steht64. f) Gemeinschaftsrechtliche
Determinierung der Ausnahmeklauseln
Für die Annahme einer Auslegung der Beschränkungstatbestände durch die Mitgliedstaaten nach ihrem jeweiligen nationalen Recht spricht insbesondere, dass die mitgliedstaatlichen Grundrechte so weit wie möglich vor einer Nivellierung zu bewahren sind. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die bislang allerdings noch rechtlich unverbindlich ist, beschränkt außerdem in Art. 11-51 Abs. 1 S. 1 ihre eigene Geltung für die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf die Durchführung des Rechts der Union, und man kann jedenfalls vertreten, dass die Mitgliedstaaten bei der Wahrung des Bestandes wichtiger nationaler Rechtsgüter kein Gemeinschaftsrecht durchführen 65. Gegen diese Annahme spricht indes die gewichtige Tatsache, dass auch im Bereich der Ausnahmeklauseln ein gemeinschaftsrechtliches Kontrollsystem notwendig ist, da man sonst dem einheitlichen Geltungsanspruch des Gemeinschaftsrechts 62 ABl. EG 1998, L 337, S. 8. 63 So auch Schorkopf, EWS 2000,156 (161). w Vgl. Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 179, der den Grund dieser Regelung darin sieht, dass die Gemeinschaft keine Kompetenz zur Regelung des Streikrechts besitzt; vgl. auch König /Haratsch, Europarecht, S. 89. 65 Der Grundrechtskonvent war allgemein bestrebt, mitgliedstaatliche Traditionen und Eigenarten, insbesondere im Bereich der Grundrechte, zu wahren. Vgl. hierzu ausführlich Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51, Rn. 22 ff.
182
7. Teil: Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
in diesem bedeutsamen Bereich nicht gerecht würde. Der Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ist hier gerade deshalb eröffnet, weil die Mitgliedstaaten mit ihrem Verhalten Grundfreiheiten beschränken, von denen nach Gemeinschaftsrecht zulässige Ausnahmen gemacht werden können. Aus diesem Grunde ist es sachgerecht, eine Interpretation der Ausnahmeklauseln als gemeinschaftsrechtliche Rahmenbegriffe vorzunehmen 66. Dies bedeutet, dass die Begriffe der Ausnahmeklauseln gemeinschaftsrechtlich determiniert sind, die Mitgliedstaaten jedoch einen Beurteilungsspielraum besitzen, den sie nach ihren eigenen Ordnungsvorstellungen ausgestalten dürfen 67 . Berufen sich die Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung ihres Untätigbleibens auf Grundrechte, sind daher die europäischen Grundrechte maßgeblich, bei deren Auslegung die Mitgliedstaaten eigene Wertvorstellungen miteinfließen lassen können 68 . Es sind mittlerweile nahezu sämtliche Grundrechte auch auf Gemeinschaftsebene als schützenswert anerkannt, weshalb keine Schutzlücken zu befürchten sind. Problematisch ist die Anwendbarkeit von europäischen Grundrechten allein in den Fällen, in denen der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten trotz fehlendem grenzüberschreitenden Bezug oder aufgrund der unzutreffenden Annahme einer Diskriminierung in Anwendung der Keck-Formel zu weit gezogen wird und europäische Grundrechte zu Unrecht an Stelle der nationalen Grundrechte treten 69 .
g) Gewährleistungsgehalte
von Grundrechten und Grundfreiheiten
Die europäischen Grundrechte sind auf der Ebene des Primärrechts anzusiedelnde ungeschriebene subjektiv-öffentliche Rechte, die dem Einzelnen eine grundlegende Rechtsposition gegenüber der Gemeinschaft, und im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts auch gegenüber den Mitgliedstaaten, einräumen 70 . Sie legitimieren die Gemeinschaftsrechtsordnung, die aufgrund ihrer wach66
Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten, S. 76 ff.
67
Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 158 f.; umfassend zu dieser Problematik Schneider, Die öffentliche Ordnung, S. 70 ff. Die Gemeinschaft ist zudem aus dem Rücksichtnahmegebot (Art. 6 Abs. 3 EUV) verpflichtet, unterschiedliche politische, wirtschaftliche oder kulturelle Gegebenheiten der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen, vgl. Lenz, EUV, Art. 6, Rn. 10; Puttler, in: Calliess/Ruffert, EUV, Art. 6, Rn. 211 ff. 68 So im Ergebnis auch Reich, Bürgerrechte in der EU, S. 69 f.; Jürgensen/Schlünder, AöR 121 (1996), 200 (216); Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2003, 693 (695); Schaller, Die EU-Mitgliedstaaten als Verpflichtungsadressaten, S. 45 ff. 69 Vgl. EuGH, Slg. 2002, 1-6279 - Carpenter; zum Problem des weiten Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (573); Puth, EuR 2002, 860 ff. 70 Vgl. Walter, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 14. Allerdings wird in der Literatur zum Teil bestritten, dass europäische Grundrechte subjektive Rechte sind. Der EuGH spricht nach Ansicht von Wolf, in: Bröhmer (Hrsg.), Der Grundrechtsschutz in Europa, S. 9 (35) sowie Schilling, EuGRZ 2000, 3 (27), in Anlehnung an die französische Dogmatik den Grundrechten nur eine objektive Dimension zu, aus deren Verletzung Klagerechte des Einzelnen folgen.
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
183
senden Einwirkungsmöglichkeiten auf den Bürger immer mehr grundrechtliche Reibungsflächen erzeugt 71. Ihre Funktion besteht in erster Linie in der Gewährung von Freiheits- und Gleichheitsrechten, daneben besitzen sie eine objektiv-rechtliche Bedeutung72. Ihnen kommt, wie den nationalen Grundrechten auch, der normhierarchisch höchste Rang zu 7 3 . Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags wurden zunächst allein als Diskriminierungsverbote entwickelt, die durch den Abbau der unterschiedlichen Behandlung der aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Waren, Dienstleistungen und Berufstätigen den gemeinsamen Markt verwirklichen sollten. Sie dienen im Wesentlichen der transnationalen Integration, da sie für alle Berechtigten der Grundfreiheiten die gleiche Ausgangslage auf den verschiedenen Märkten der Mitgliedstaaten gewährleisten sollen, indem sie verhindern, dass eine Benachteiligung aufgrund der verschiedenen Einzelrechtsordnungen entsteht74. Die Adressaten der Grundfreiheiten sind in erster Linie die Mitgliedstaaten, die zumindest ursprünglich als die alleinigen Verursacher der Hemmnisse für den Binnenmarkt angesehen wurden 75 . Schon früh hat der EuGH anerkannt, dass sich der Einzelne selbst auf die Grundfreiheiten berufen kann, und sie damit zu subjektiven Rechtspositionen ausgebaut76. Allmählich entwickelten sich die Grundfreiheiten durch die Rechtsprechung des EuGH zu umfassenderen Wirtschaftsfreiheiten, die nicht mehr allein offene oder versteckte Diskriminierungen unterbinden sollten, sondern mittlerweile grundsätzlich alle Beschränkungen erfassen, die den grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehr behindern 77.
aa) Grundfreiheiten als Grundrechte? Seitdem sämtliche Grundfreiheiten eine Auslegung auch als Beschränkungsverbote erfahren haben, wird diskutiert, ob die Grundfreiheiten als Grundrechte oder zumindest als Rechte mit Grundrechtsgehalten anzusehen sind 78 . So schwierig es 71 Zur Legitimationswirkung der europäischen Grundrechte Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (574 f.); Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der EU, S. 39. 72 Rengeling, Grundrechtsschutz in der EG, S. 205 ff.; Gersdorf, AöR 119 (1994), 400 ff. 73
Es gibt noch keine einheitliche Definition der Gemeinschaftsgrundrechte, sondern nur Annäherungsversuche; hierzu Rengeling, Grundrechtsschutz in der EG, S. 172; Quasdorf, Dogmatik der Grundrechte, S. 44 ff.; Gebauer, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 337; zum Grundrechtsbegriff des EuGH anhand der Untersuchung seiner Rechtsprechung Wetter, Die Grundrechtscharta, S. 29 ff. 74 Vgl. Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (574). 75 Vgl. Schweden in: Streinz, EGV, Art. 28, Rn. 25; Becker, in: Schwarze, EGV, Art. 28, Rn. 83 sowie EuGH, Slg. 1974, 837, Rn. 5 - Dassonville („Handelsregelung der Mitgliedstaaten"). ™ EuGH, Slg. 1963, 1, 12 - van Gend & Loos; EuGH, Slg. 1968, 679 - Salgoil; EuGH, Slg. 1974, 631 -Reyners; EuGH, Slg. 1974,1337 - van Duyn. 77 Walter, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 1 (16 f.).
184
7. Teil: Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
ist, eine abstrakte Definition des Begriffs des Grundrechts gerade auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene vorzunehmen, soll hier von einem in der Rechtsprechung des EuGH angelegten rechtstechnischen Begriffsverständnis ausgegangen werden, das auf die Funktionen der Grundrechte abstellt. Grundrechte treffen Entscheidungen über die normative Grundstruktur des Staates und der Gesellschaft 79 und stellen elementare subjektive Gewährleistungen in Form von Freiheits- und Gleichheitsrechten dar, die von sämtlichen hoheitlichen Gewalten zu beachten sind und die zudem Teil einer objektiven Wertordnung sind. Sie dienen der Legitimation der supranationalen Gewalt, da die EU in der Lage ist, in subjektive Rechtspositionen der Unionsbürger einzugreifen 80. (I) Ähnliche Dogmatik und Bedeutung in der Gemeinschaftsrechtsordnung Die Einordnung der Grundfreiheiten als Grundrechte ist schon deshalb nahe liegend, weil nahezu sämtliche grundrechtsdogmatischen Figuren wie die (unmittelbare Drittwirkung, Schutzpflichten und die Funktion als objektive Wertordnung auf die Grundfreiheiten übertragbar sind. Auch die Schranken der Grundfreiheiten sind mit den Schranken der Grundrechte vergleichbar, da im Falle der Beschränkung beider Rechte durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall festzustellen ist, ob dem anderen Rechtsgut der Vorrang zu gewähren ist. Es besteht im Bereich der Schranken vor allem eine Parallele bei den im öffentlichen Interesse gezogenen Grenzen der Grundfreiheiten mit den Schranken, die jeweils die Absätze 2 der Art. 8 bis 11 der EMRK enthalten81. Innerhalb der Schranken ist bei beiden Rechten durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall festzustellen, ob dem anderen gleich- oder höherrangigen Rechtsgut der Vorrang zu gewähren ist. Sowohl die Grundfreiheiten als geschriebenes Primärrecht als auch die Gemeinschaftsgrundrechte als ungeschriebenes Primärrecht stehen normhierarchisch an höchster Stelle. Wie den Grundrechten kommt auch den Grundfreiheiten eine Elementarfunktion für die Gemeinschaftsrechtsordnung zu, weil sie für die Errichtung des Binnenmarktes schlechthin konstituierend sind 82 .
78 Für die Grundfreiheiten als echte Grundrechte etwa Bleckmann, FS Sasse, S. 666 ff.; zurückhaltender Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 213 ff. sowie Frenz, EuR 2002, 603 (608); dagegen spricht sich insbesondere aus Nicolaysen, EuR 2003, 719 (737 f.); vgl. für einen Überblick auch Bienert, Die Kontrolle mitgliedstaatlichen Handelns, S. 37 ff. m. w. N. 7 9 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 475. so Vgl. Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (575). 81 Zur EMRK als Rechtserkenntnisquelle des Gemeinschaftsgrundrechte Kingreen, JuS 2000, 857 (859). 82 Müller-Graff, FS Steinberger, S. 1281 (1286). Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 147, bezeichnet sie als Stützpfeiler der gemeinschaftsrechtlichen Wirtschaftsverfassung.
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
(2) Grundfreiheiten
als institutionelle
185
Gewährleistung
Nicht selten wird den Grundfreiheiten in der Literatur ausschließlich eine institutionelle Gewährleistungsebene zugesprochen, da sie allein dem Ziel der Herstellung des Binnenmarktes dienen und ein subjektives Recht nur als Rechtsreflex beinhalten würden 83 . Die Versubjektivierung der Grundfreiheiten kann jedoch nicht mehr allein als Instrument zur Erreichung der politisch-volkswirtschaftlichen Ziele angesehen werden, zu deren Verwirklichung der Marktbürger nur instrumentalisiert wird. Im achten Erwägungsgrund der Präambel des EG-Vertrags wird das Bestreben der Gemeinschaft aufgeführt, durch den Zusammenschluss der Wirtschaftskräfte die Freiheit zu wahren und zu festigen. Nach Art. 2 EGV sieht es die Gemeinschaft auch als ihre Aufgabe an, die Lebenshaltung und Lebensqualität der Bürger zu heben. Die Rechte des einzelnen Bürgers in der Gemeinschaft haben stetig an Bedeutung gewonnen und sind nicht mehr allein als „Vehikel" zur Durchsetzung des objektiven Rechts anzusehen, was sich insbesondere in der Schaffung der Unionsbürgerschaft (Art. 17 EGV) äußert, die eine hervorgehobene Stellung im EG-Vertrag innehat und ein „Europa der Bürger" schaffen will, indem sie dem Unionsbürger einige bedeutsame, von seiner Stellung als Wirtschaftsteilnehmer unabhängige Individualrechte einräumt 84. Aufgrund dieser Stellung des Unionsbürgers in der Gemeinschaft ist davon auszugehen, dass die Marktfreiheiten - zumindest auch - dem einzelnen Bürger einen Freiheitsraum schaffen wollen und nicht nur ein Rechtsreflex der objektiven Wirkung dieser Freiheiten sind. Es besteht daher eine individuelle Gewährleistung, die auch dann eingefordert werden kann, wenn der Binnenmarkt nicht als Institution gefährdet ist, und die nicht allein der Verwirklichung der Gemeinschaftsziele ohne Berücksichtigung individueller Rechtspositionen dient 85 . Ein weiterer kritischer Einwand gegen die Grundrechtsqualität der Grundfreiheiten ist ihre Ausrichtung auf ausschließlich wirtschaftsbezogene Tätigkeiten86. Eine solche Ausrichtung der Grundfreiheiten ist angesichts der Rechtsprechung des EuGH allerdings zu relativieren, da er in zahlreichen Entscheidungen davon abgesehen hat, einen direkten Zusammenhang zu einer wirtschaftlichen Betätigung zu verlangen 87. Selbst wenn jedoch an diesem Erfordernis festgehalten werden sollte, 83 So etwa Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 148 m. w. N.; Schilling, EuGRZ 2000, 3 (29); Gebauer, Die Grundfireiheiten des EG-Vertrags, S. 284; Rothfuchs, Die traditionellen Personenverkehrsfreiheiten, S. 14; differenzierend Nicolaysen, EuR 2003,719 (737,739). 84 Zur Bedeutung der Unionsbürgerschaft Kaufmann-Bühler, in: Lenz, EGV, Vorbem. zu Art. 17-22, Rn. 1 f. sowie Kotalakidis, Von der nationalen Staatsbürgerschaft zur Unionsbürgerschaft, S. 27 ff. 85 Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 151, bejaht nur dann einen Eingriff in die Grundfreiheiten, wenn der Binnenmarkt als solcher gefährdet ist. Dies sei immer der Fall bei staatlichen Beschränkungen, bei Beschränkungen durch Private nur in Ausnahmefallen. 86 So Chwolik-Lanfermann, Grundrechtsschutz in der EU, S. 75 m. w. N. 87 Nachweise bei Gebauer, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 97.
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7. Teil: Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
spräche dies nicht gegen die Einordnung als Grundrecht, da die Unvollständigkeit eines Katalogs von subjektiven Rechten nicht bedeuten muss, dass die in ihm garantierten Rechte keine Grundrechte sind 88 . (3) Grundfreiheiten
als Marktzugangsrechte
Zweifel hinsichtlich der Grundrechtsqualität der Grundfreiheiten bestehen vielmehr aus zwei Gründen. Zum einen ist es nicht sachgerecht, sie als so umfassende Freiheitsrechte anzusehen, wie es insbesondere der EuGH tut 8 9 . Sie haben sich durch seine Rechtsprechung zu allgemeinen Beschränkungsverboten entwickelt und sich dadurch deutlich an eine freiheitsrechtliche Struktur angenähert. Sie sind nunmehr in hohem Maße darauf ausgerichtet, dem Einzelnen möglichst umfassende Freiräume zu garantieren, indem auch unterschiedslos wirkende Hindernisse für den Personen- und Warenverkehr einen Eingriff in die Marktfreiheiten darstellen, die den Einzelnen daran hindern, sich auf dem Markt frei zu entfalten 90. Das Erfordernis des grenzüberschreitenden Bezuges soll zwar grundsätzlich als Korrektiv fungieren, indem es verhindert, dass reine Inlandssachverhalte an den Grundfreiheiten gemessen werden 91. Es ist allerdings ein allgemeiner Bedeutungsrückgang dieses Merkmals zu konstatieren, da der Gerichtshof nicht selten auch bei bloßen Spuren eines grenzüberschreitenden Elements den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts als eröffnet angesehen hat 92 . Auch die Keck-Formel, die zumindest die Warenverkehrsfreiheit wieder stärker auf ihre ursprüngliche Funktion als Marktzugangsrecht zurückgeführt hat, wurde nicht immer konsequent angewendet und scheint gegenwärtig einen Bedeutungsverlust zu erleiden 93. Würde man die Grundfreiheiten demgemäß als allgemeine Beschränkungsverbote ansehen, würden sie sich von den Grundrechten so gut wie nicht mehr unterscheiden, da sie auf die Abwehr gegen alle denkbaren Freiheitsbeschränkungen gerichtet wären 94 . Einer solchen Interpretation des Gewährleistungsgehaltes der Grundfreiheiten ist jedoch zu widersprechen. Die Grundfreiheiten sind als Zugangsrechte zu den Märkten anderer Mitgliedstaaten konzipiert. Würde man ihnen mehr als die Funktion als transnationale Integrationsnormen einräumen, wäre das Gleichge88
Vgl. Bienert, Die Kontrolle mitgliedstaatlichen Handelns, S. 38. Hierzu ausführlich Fünfter Teil, C. ID. l.a. 90 Glossen, EuR 2004,416; a.A. Gebauer, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 350 ff.; Eberhartinger, EWS 1997, 43 (48) vergleicht die Beschränkungsverbote für die einzelnen Grundfreiheiten. 89
Vgl. Wetter, Die Grundrechtscharta, S. 122. 92 A.A. Gebauer, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 246, der die Auffassung vertritt, dass immer eine Bezugnahme auf zwei Rechts- und Marktordnungen gegeben sei. 93 So Schroeder, in: Streinz, EGV, Art. 28, Rn. 26 ff.; Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (573); EuGH, Slg. 2000,1-493, Rn. 23 - Graf; EuGH, EuZW 2004, 21 ff. - Doc Monis (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). 94 Vgl. Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (573).
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
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wicht des europäischen Grundrechtsverbundes, das in einem sorgfältig austarierten Ineinandergreifen von europäischen und nationalen Grundrechten besteht, nicht mehr gewahrt 95. Ein so verstandener Gewährleistungsgehalt der Grundfreiheiten würde dazu führen, dass die beschränkte Bindung der Mitgliedstaaten an die europäischen Grundrechte erheblich erweitert würde 96 und dass den Grundfreiheiten ihre eigenständige dogmatische Funktion genommen würde. In diesem Zusammenhang ist die Frage aufzuwerfen, ob tatsächlich auch die Gemeinschaftsgewalt an die Grundfreiheiten gebunden ist. Wenn sämtliche Ebenen der öffentlichen Gewalt Verpflichtete der Grundfreiheiten wären, bestünde ein umfassender Schutz der Bürger vor jeder öffentlichen Gewalt im Falle einer Beschränkung der Grundfreiheiten. Eine solche Bindung würde die Unterscheidung von Grundfreiheiten und Grundrechten zusätzlich aufheben, da die Bindung implizieren würde, dass die Grundfreiheiten auch der Legitimation der Gemeinschaftsgewalt dienen. Tatsächlich wird mittlerweile vom EuGH 97 und von vielen Stimmen in der Literatur angenommen, dass neben den Mitgliedstaaten auch die Gemeinschaftsorgane an die Grundfreiheiten gebunden sind, da sie als „wirtschaftsliberale Gründungsidee" zu Freiheitsrechten des Unionsbürgers auch gegenüber der Union geworden seien98. Dem widerspricht aber die Funktion der Grundfreiheiten, die ein Instrument der Integration der mitgliedstaatlichen Märkte sind, dem alleine die Beschränkungen der Mitgliedstaaten, und in Ausnahmefällen auch diejenigen der Marktteilnehmer selbst, entgegenstehen99. Gemäß ihrer Konzeption richten sich die Grundfreiheiten ausschließlich gegen Störungen, die durch die unterschiedlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten oder durch den Versuch der Abschottung der Märkte oder der Bevorzugung der eigenen Staatsangehörigen zur Erreichung eines Wettbewerbsvorteils oder zum Schutz inländischer Wirtschaftsteilnehmer hervorgerufen werden. Greifen Gemeinschaftsorgane in subjektive Rechte der Unionsbürger ein, sind vielmehr die europäischen Grundrechte relevant. Die Ausübung der supranationalen Hoheitsgewalt bedarf der Legitimierung durch die Grundrechte, während die Grundfreiheiten die Mittel zur Herstellung der wirtschaftlichen Integration sind und die legitimierungsbedürftige supranationale Rechtsordnung entscheidend mitprägen 100 . 95 Könitz/Steinberg, EuR 2003, 1013 (1023 ff.). 96 Ausführlich zu der Funktion der Grundfreiheiten als Marktzugangsrechte Fünfter Teil, C. IE. 1. a). 97 EuGH, Slg. 1984, 2171, Rn. 15 ff. -Denkavit; Slg. 1994,1-3879, Rn. 11 -Meyhui; Slg. 1997,1-3629, Rn. 29 ff. - Kieffer. 98 Di Fabio, AfP 1998, 564 (565 ff.); Scheffer, Die Marktfreiheiten als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, S. 131 ff.; Möstl, EuR 2002, 318 ff.; umfassend zur Bindung der Gemeinschaft an die Grundfreiheiten Schwemer, Die Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers an die Grundfreiheiten, S. 29 ff. 99 Siehe Fünfter Teil, C. III. 1. a) sowie von Bogdandy, JZ 2001, 157 (163); Kingreen, EuGRZ 2004, 570 (576). 100 Vgl. Kingreen, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 631 (652 f.).
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Im Ergebnis stellen die Grundfreiheiten nach der hier vertretenen Auffassung keine Grundrechte dar, da sie keine Hoheitsgewalt legitimieren und keine umfassenden Freiheitsgarantien sind, sondern lediglich die transnationale Integration ermöglichen sollen. Normadressaten sind alleine die Mitgliedstaaten, da nur deren Handlungen ihrer Konzeption zuwiderlaufen können. Damit sind Grundfreiheiten und Grundrechte trotz ihrer ähnlichen Dogmatik wesensverschieden, so dass man die Grundfreiheiten nur mit äußerster Zurückhaltung als grundrechtsähnliche Rechte 101 bezeichnen kann. Würde man allerdings der Einordnung der Grundfreiheiten die bisherige Rechtsprechung des EuGH zugrunde legen, käme man zu dem Ergebnis, dass sich die Grundfreiheiten faktisch weitgehend zu Grundrechten entwickelt hätten. (4) Überschneidungen ihrer Gewährleistungsgehalte Häufig sind Überschneidungen der Gewährleistungsgehalte von Grundfreiheiten und Grundrechten zu finden, die zum Teil zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen können. Die Grundfreiheiten stehen insbesondere in einem sehr engen Zusammenhang mit der Berufsfreiheit, da es auch Teil der Berufsausübung sein kann, Waren, Dienstleistungen oder Arbeitsleistungen grenzüberschreitend anzubieten. Insoweit können die Grundfreiheiten einen Ausschnitt der Berufsfreiheit darstellen. Sind Waren von einer Beeinträchtigung betroffen, kommen sowohl die Warenverkehrsfreiheit als auch das Grundrecht auf Eigentum als einschlägige subjektive Rechte in Betracht. Im Falle der Überschneidung beider Rechte wird vorgeschlagen, die Grundfreiheiten als speziellere Freiheitsgewährleistung anzusehen. Als Möglichkeit der Abgrenzung kommt dabei die Bestimmung des Eingriffsschwerpunktes in Betracht, indem man differenziert, ob die Benachteiligung eher in dem Grenzübertritt oder in einer von ihm losgelösten Regelung liegt 1 0 2 . Soweit das in allen Grundfreiheiten enthaltene Diskriminierungsverbot betroffen ist, könnte man dieses als besondere Form des grundrechtlichen Gleichbehandlungsgebotes ansehen, da es die klassische Funktion eines Gleichheitsgrundrechts hat.
bb) Rangverhältnis Da die Grundrechte den Grundfreiheiten Grenzen setzen können, ist für eine Abwägung im Einzelfall entscheidend, wie das normhierarchische Rangverhältnis dieser Rechte aussieht. Wenn Grundfreiheiten als Grundrechte einzuordnen wären, würden sich gleiche Rechte einer Abwägung miteinander stellen müssen. Da aber nach dem vorliegenden Ergebnis die Grundfreiheiten keine Grundrechte sind, bleibt die Frage nach einer Normenhierarchie von Bedeutung. 101 So Kugelmann, Grundrechte, S. 13; vgl. auch Schubert, Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff, S. 213 ff. 102 Frenz, EuR 2002, 603 (606 f.).
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(1) Auffassungen im Schrifttum Vereinzelt werden die Grundfreiheiten gegenüber den Grundrechten als höherrangig angesehen, da die Grundfreiheiten allein ausdrücklich im Vertragsrecht verankert sind 1 0 3 . Die fehlende Verankerung der Grundrechte im EG-Vertrag ist indes auf den völkerrechtlichen Charakter der Gründungsverträge und auf die zunächst alleinige Ausrichtung der Gemeinschaft auf wirtschaftliche Ziele zurückzuführen. Erst im Laufe der Zeit hat der Gerichtshof aus der Einsicht heraus, dass durch die Verträge individuelle Rechtspositionen beeinträchtigt werden können, die Gemeinschaftsverträge mit Grundrechtsgehalten angereichert 104. Diese durch den EuGH richterrechtlich entwickelten Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts gehören trotz ihres noch ungeschriebenen Charakters zum Primärrecht 105. Der Grundrechtsschutz in der EU hat mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert, der sich insbesondere darin äußert, dass die Forderung nach einem geschriebenen Grundrechtskatalog allgegenwärtig wurde und die stetig wachsenden Einwirkungsmöglichkeiten auf den Unionsbürger von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden 106 . Die Entwicklung einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die vom Europäischen Rat in Nizza im Dezember 2000 feierlich proklamiert wurde, ist ein deutliches Bekenntnis zu den Grundrechten, auch wenn heute noch nicht feststeht, ob und wann ihr Rechtsverbindlichkeit zukommen wird, da die Charta als integrierter Teil der europäischen Verfassung verbindliches europäisches Recht werden soll 1 0 7 . In der Literatur wurde es zumindest als diskussionswürdig empfunden, ob den Grundrechten ein absoluter Vorrang vor allen anderen gemeinschaftsrechtlich gewährten Rechten einzuräumen ist, da die Grund- und Menschenrechte als fundamentale Rechtsgüter Legitimitätsvoraussetzung jeglichen Staatswesens darstellten 1 0 8 . Einige Autoren sehen es gar als unzulässige Herabsetzung der Grundrechte an, sie in der Abwägung als mit den Grundfreiheiten gleichberechtigt anzusehen109. Das Gemeinschaftsziel der Verwirklichung des Binnenmarktes, das in erster Linie durch die Gewährleistung der Grundfreiheiten erreicht werden soll, ist für 103 in diese Richtung Müller-Graff, FS Steinberger, 1281 (1287). 104 Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 319. 105 Streinz, Europarecht, Rn. 355. Zur bislang unverbindlichen Charta der Grundrechte und zu ihrer Stellung im Verfassungsvertrag vgl. Weber, NJW 2000,537 (538 ff.). 106 Das EP etwa entwickelte schon im Jahre 1989 einen Grundrechtskatalog, ABl. EG 1989, C 120, S. 51. i° 7 Zur Europäischen Verfassung und der Grundrechtscharta Meyer/Hölscheidt, EuZW 2003,613 ff. 108 Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, S. 275 f.; Schlussanträge der GA Stix-Hackl, EuGH, EuZW 2004, 229 ff. - Omega; vgl. auch Hofmann, Normenhierarchien im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 53 ff. sowie Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 92 ff. 109 Coppel/O'Neill, CMLR 29 (1992), 669 (690 ff.).
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die Gemeinschaftsrechtsordnung des EG-Vertrags jedoch insofern elementar, als ohne sie zahlreiche weitere Gemeinschaftsziele, wie die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 2 EGV) und viele der in Art. 3 EGV genannten Gemeinschaftspolitiken ihre Bedeutung verlieren würden 110 . In der Präambel des EG-Vertrags ist der Wille der Vertragsstaaten niedergelegt, die Verbesserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen in den Mitgliedstaaten zu erreichen (3. Erwägungsgrund) sowie durch den Zusammenschluss der Wirtschaftskräfte eine Friedensordnung zu etablieren (8. Erwägungsgrund), wodurch deutlich wird, dass die wirtschaftliche Integration nicht allein aus ökonomischen Motiven heraus betrieben wird. In der Gemeinschaftsrechtsordnung sind die Grundfreiheiten damit fundamentale Rechtsnormen, die die Errichtung des Binnenmarktes als Herzstück des europäischen Projekts überhaupt ermöglichen sollen und ohne die eine transnationale Integration nicht möglich wäre. Andere Autoren wollen den Grundfreiheiten deshalb einen geringeren Rang einräumen, weil die Grundrechte die in ihnen enthaltenen Freiheiten um ihrer selbst willen schützen würden, die Grundfreiheiten jedoch nur einen Binnenmarkt etablieren wollen, zu dessen Errichtung und Weiterentwicklung sie konzipiert worden seien 111 . Diese Argumentation ist jedoch nicht stichhaltig. Auch wenn es zutreffen sollte, dass die Grundfreiheiten in erster Linie dem übergeordneten Binnenmarktziel dienen sollen, schließt das nicht aus, dass sie gleichzeitig die von ihnen garantierten Freiheiten um ihrer selbst willen schützen wollen. Der EG-Vertrag als ursprünglich völkerrechtlicher Vertrag hat zunächst nicht auf die Freiheit des einzelnen Bürgers gezielt. Mit der Versubjektivierung der Grundfreiheiten und der Einführung der Unionsbürgerschaft hat sich der Akzent verschoben 112. Diese Entwicklung ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Marktfreiheiten - zumindest auch - dem einzelnen Bürger einen Freiheitsraum eröffnen wollen und nicht nur ein Rechtsreflex der objektiven Wirkung dieser Freiheiten sind. Die Versubjektivierung der Grundfreiheiten kann daher nicht allein als Instrument zur Erreichung der politisch-volkswirtschaftlichen Ziele angesehen werden, zu deren Erreichung der Bürger nur instrumentalisiert wird. Im Ergebnis ist von einer Gleichrangigkeit von Grundfreiheiten und Grundrechten auszugehen113. Beide Gewährleistungen stehen normhierarchisch an höchster Stelle des EG-Vertrags und es sind keine Gründe ersichtlich, von einer Höherrangigkeit eines dieser Rechte auszugehen. 110
Zur Elementarfunktion der Grundfreiheiten und ihrem möglichen Wandel durch die Grundrechtsjudikatur des EuGH Müller-Graff, FS Steinberger, 1281 (1286 ff.). in Vgl. Gebauer, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 341 ff.; Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 148 f. 112 Vgl. auch den 3. und 8. Erwägungsgrund der Präambel des EG-Vertrags. 113 Die h.M. in der Literatur geht ebenso von einer Gleichrangigkeit aus, vgl. Grämlich, DÖV 1996, 801 (805); Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2003, 693 (696); Szczekalla, Schutzpflichten, S. 1105; Streinz, in: Schweitzer (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht, S. 241 (284); Wetter, Die Grundrechtscharta, S. 89; Kingreen, EuGRZ 2004,570 (574).
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
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(2) Rangverhältnis nach der Rechtsprechung des EuGH Seit jeher wird dem EuGH allerdings vorgeworfen, in seiner Rechtsprechung den Grundrechten nicht genügend Rechnung zu tragen, sondern sie zugunsten der Durchsetzung der Grundfreiheiten zu vernachlässigen 114. Die Grundrechtsrechtsprechung des EuGH scheint oftmals deutlich von der Wirtschaftsordnung des EGVertrags determiniert zu sein, in die der Grundrechtsschutz zu integrieren ist 1 1 5 . So äußerte der EuGH in der Rechtssache Internationale Handelsgesellschaft, in der es um eine mögliche Verletzung von Grundrechten durch Gemeinschaftsorgane ging, dass sich die Grundrechte „in die Struktur und Ziele der Gemeinschaft einfügen" müssen116. Da die Grundrechte außerdem ohne einen geschriebenen Grundrechtskatalog erst ganz allmählich durch die Rechtsprechung des EuGH herausgebildet wurden, mangelte es an einer ausdifferenzierten Dogmatik und der konkreten Bestimmung des Gewährleistungsgehalts der einzelnen Grundrechte. So hat der EuGH in ständiger Rechtsprechung Beeinträchtigungen der Grundrechte als gerechtfertigt angesehen, „sofern die Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zwecken der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet" 117 . Die Beschränkung der Überprüfung auf die Verletzung des Wesensgehaltes eines Grundrechts bedeutet eine beachtliche Zurückhaltung beim Grundrechtsschutz, zumal der Gerichtshof regelmäßig nicht den Versuch unternahm, den Wesensgehalt der Grundrechte zu konkretisieren. Bei der Prüfung der Rechtfertigung einer Beschränkung der Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten nahm der EuGH in der Regel eine umfangreiche Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, nicht aber, wenn es um die Beschränkung von Grundrechten ging. Hier prüfte er die Verhältnismäßigkeit ihrer Einschränkung regelmäßig nur im Wege einer Globalabwägung zwischen den Vorteilen und Unzuträglichkeiten der in Rede stehenden Maßnahme, ohne auf den konkreten Einzelfall abzustellen118. Der Gerichtshof betonte häufig die gesellschaftliche Funktion 114
Vgl. Wolf in: Bröhmer (Hrsg.), Der Grundrechtsschutz in Europa, S. 9 ff. m. w. N.; Frenz, EuR 2002, 603 ff.; Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 222 ff.; Grämlich, DÖV 1996, 801 ff.; Ritgen, ZRP 2000, 371 ff. 115 Dieser Ansicht ist auch Nicolaysen, EuR 2003, 719 (725), der von „gemeinschaftsrechtlichen Modifikationen der Grundrechte" spricht, die sich aus den Vertragszielen ergeben würden. Er hält die Berücksichtigung des besonderen wirtschaftlichen Rahmens durch den Gerichtshof für richtig und notwendig. 116 EuGH, Slg. 1970, 1125,1135 - Internationale Handelsgesellschaft. i n EuGH, Slg. 1970, 1125, 1135 - Internationale Handelsgesellschaft; EuGH, Slg. 1974, 491 Rn. 14 - Nold; EuGH, Slg. 1989, 2237, Rn. 15 - Schräder; EuGH, Slg. 1992, 1-35, Rn. 16 - Kühn; EuGH, Slg. 1994,1-4937 - Deutschland-Bananen; EuGH, Slg. 1998,1-1953, Rn. 21 - Metronome Musik; EuGH, Slg. 2000,1-2737, Rn. 45 - Karlsson. us Von Bogdandy, JZ 2001, 157 (163); allgemein zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Rechtsprechung von EuGH und EuG Pache, NVwZ 1999,1033 ff.
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der Grundrechte, ohne den zu schützenden Gemeinwohlbelangen die Schwere der Beeinträchtigung des Einzelnen in der konkreten Situation gegenüberzustellen 119. Er hat in kaum einem Rechtsakt der Gemeinschaftsorgane je einen Verstoß gegen die Grundrechte gesehen120. In den Bereichen, in denen die Gemeinschaftsgrundrechte demgegenüber als Schranken-Schranken dienten, nämlich als Grenze der Heranziehung der Ausnahmetatbestände der Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten, hat der Gerichtshof mögliche Grundrechtsverstöße der Mitgliedstaaten regelmäßig sehr eingehend geprüft 121 . Eine effektive Grundrechtskontrolle fand also oftmals durchaus statt, jedoch verstärkt zugunsten der Grundfreiheiten. Im Schrifttum wurde zu Recht immer wieder kritisiert, dass eine solche unterschiedliche Prüfdichte von Grundfreiheiten und Grundrechten wegen mangelnder individueller, einzelfallbezogener Gewichtung der Grundrechte und wegen der fehlenden Feststellung der Eingriffsqualität keine differenzierte Abwägung der Individualinteressen mit den Allgemeinwohlbelangen darstellen würde 122 . Begründet wurde diese unterschiedliche Betrachtungsweise von Grundfreiheiten und Grundrechten häufig mit dem Argument, das Gemeinschaftsrecht sei in erster Linie eine liberalisierende Wirtschaftsverfassung, deren Integrationsziele primär ökonomischer Art seien und die erst allmählich mit weiteren Gehalten angereichert werde 123 . Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union hat indes in den letzten Jahren beträchtlich an Bedeutung gewonnen, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass es nunmehr einen geschriebenen Grundrechtskatalog gibt, nämlich die bislang noch unverbindliche Charta der Grundrechte der Europäischen Union. In der Rechtssache Schmidberger/Österreich 124 hat der Gerichtshof erstmals dem Grundrechtsschutz gegenüber dem Schutz der Grundfreiheiten in einer Konkordanzprüfung Vorrang eingeräumt. Die Freiheit des Warenverkehrs musste vor 119 Nachweise bei Nettesheim, EuZW 1995, S. 106 ff. 120 Diese Tatsache allein muß allerdings nicht zwangsläufig ein Beleg dafür sein, dass der europäische Grundrechtsschutz defizitär ist, da sie schließlich auch ein Zeichen dafür sein könnte, dass die Gemeinschaftsorgane bei der Rechtsetzung gerade auf die Wahrung der Grundrechte besonders achten. In vielen Staaten mit ausgeprägtem Grundrechtsschutz bilden Grundrechtsverstöße legislativer Maßnahmen eher die Ausnahme, vgl. Zuleeg, EuGRZ 2000, 511 (512). 121 EuGH, Slg. 1991, 1-2925, Rn. 43 - ERT; vgl. auch die Rechtssache Familiapress, EuGH, Slg. 1997, 1-3689 - Familiapress, in der das Grundrecht der Meinungsfreiheit zum einen als Auftrag zur Pluralismussicherung als Schranke der Warenverkehrsfreiheit diente, zum anderen aber auch als ihre Schranken-Schranke, vgl. Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 135. 122 Pache, NVwZ 1999, 1033 (1040), der allerdings darauf hinweist, dass im Gemeinschaftsrecht weitergehende Ermessensspielräume als im deutschen Recht anerkannt seien; vgl. auch Frenz, EuR 2002, 603 (611 ff.) sowie Eisner, Die Schrankenregelung der Grundrechtecharta, S. 61 ff. 123 Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 177. 124 EuGH, Slg. 2003,1-5659 - Schmidberger/Österreich.
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dem Hintergrund zurücktreten, dass Österreich durch sein Nichteinschreiten den Schutz der Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit gewährleisten wollte. Der Gerichtshof äußerte in dieser Rechtssache in Abkehr von seiner bisherigen Spruchpraxis, dass zur Schaffung eines Ausgleichs zwischen Grundfreiheit und Grundrecht sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssten, worunter auch die jeweils betroffenen individuellen Interessen fallen würden 125 . Österreich wurde bei der Abwägung dieser betroffenen Positionen ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt. Eine genaue Überprüfung, ob die Demonstration überhaupt in den Schutzbereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit fiel, welche Zwecke mit ihr verfolgt wurden und ob sie möglicherweise auf alternative Strecken hätte ausweichen müssen oder kürzer als 30 Stunden hätte dauern müssen, unterließ der Gerichtshof, um das von ihm betonte weite Ermessen Österreichs zu respektieren 126. Dabei war es jedoch keineswegs selbstverständlich, dass eine politische Demonstration fast dreißig Stunden dauern musste, und dass im Rahmen der Demonstration unbedingt eine Autobahn benutzt werden musste 127 . In einem weiteren vom Gerichtshof im Jahre 2004 entschiedenen Fall konnte sich ein Mitgliedstaat zur Rechtfertigung einer Behinderung der Grundfreiheiten ein weiteres Mal erfolgreich auf die Notwendigkeit der Wahrung des innerstaatlichen Grundrechtsschutzes berufen. Der EuGH hat in dieser Rechtssache die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit aufgrund des von der Gemeinschaft zu schützenden Grundrechts der Menschenwürde als gerechtfertigt angesehen128. Diese Rechtsprechung ist ein deutlicher Hinweis auf eine bessere Berücksichtigung der Grundrechte durch den EuGH, wenn auch das Grundrecht der Menschenwürde, das nach deutschen Recht nicht zur Disposition steht, vom Gerichtshof im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung mit der Bedeutung der Dienstleistungsfreiheit abgewogen wurde 129 . Bei Betrachtung dieser beiden relativ neuen vom Gerichtshof entschiedenen Fälle mit Grundrechtsrelevanz wird deutlich, dass die Bedeutung und die dem Grundrechtsschutz gebührende Gewichtung in der Rechtsprechung des EuGH in der Tendenz deutlich zugenommen hat. Grundrechte müssen sich nicht mehr in die Wirtschaftsordnung des Binnenmarktes einfügen, sondern besitzen eine eigenständige und ebenso große Bedeutung wie die Grundfreiheiten und werden in einer Angemessenheitsprüfung gebührend berücksichtigt.
125 EUGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 81 - Schmidberger/Österreich. 126 E U G H , Slg. 2003,1-5659, Rn. 89 ff. -
Schmidberger/Österreich.
127 Diesbezüglich zweifelnd Lindner, BayVBl. 2003, 621 (625). 128 EUGH, EUZW 2004,753 ff. - Omega; zu diesem Urteil Frenz, NVwZ 2005,48 ff. 129 EuGH, EuZW 2004,753 ff., Rn. 36 ff. - Omega 13 Stachel
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(3) Schaffung eines Ausgleichs im Rahmen von Schutzpflichten Ob die Untätigkeit des Staates oder dessen unzureichendes Handeln bei Erfüllung der Schutzpflicht zum Schutz der Grundfreiheiten gerechtfertigt werden kann, hängt davon ab, wie der Ausgleich zwischen dem Schutz der Grundfreiheiten vor Eingriffen Privater mit den Grundrechten des Störers im konkreten Einzelfall hergestellt wird. Zahlreiche in den einzelnen Mitgliedstaaten viel beachtete und schon ausgetragene Grundrechtskonflikte werden nunmehr durch das Erfordernis eines Ausgleichs mit den Grundfreiheiten auf die europäische Ebene verlagert werden und dort neu entschieden werden müssen 130 . Nachstehende Überlegungen sollen den Abwägungsvorgang bzw. die in seinem Rahmen anzustellenden Erwägungen konkretisieren. Auf der einen Seite stehen die Interessen der Gemeinschaft an einem funktionsfähigen Binnenmarkt und die Interessen des Berechtigten der Grundfreiheiten an der Verwirklichung seiner Rechtsposition, während andererseits die Störer sich meistens auf Grundrechte stützen können. Bei der Abwägung sollte auf jeden Fall die Intensität des konkreten Eingriffs der Privaten berücksichtigt werden, insbesondere ob das von den Grundfreiheiten ursprünglich allein beinhaltete Diskriminierungsverbot verletzt wurde, oder ob lediglich eine Beschränkung im Sinne des oben modifizierten Beschränkungsbegriffs vorliegt 131 . Beschränkungen, soweit sie noch nach dem oben modifizierten Beschränkungsbegriff als Eingriff angesehen werden 132 , laufen zwar auch der Zielsetzung des Binnenmarktes zuwider, aber weniger deutlich als Diskriminierungen, da letztere einen ungleich stärkeren Eingriff bedeuten und die Glaubwürdigkeit des Binnenmarktes stärker in Frage stellen 133 . In der Praxis wird es häufig auf eine Abwägung der Grundfreiheiten mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit ankommen, da Proteste und Demonstrationen, die verkehrswichtige Infrastruktur für eine gewisse Zeit unbenutzbar machen, zu den häufigsten Störungen des Binnenmarktes durch Privatpersonen zählen dürften 134 . Heranzuziehen ist das europäische Grundrecht der Versammlungsfreiheit, das im Urteil des EuGH in der Rechtssache Schmidberger/Österreich zum erstenmal explizit anerkannt wurde 135 . Versammlungen, die unter Anwendung 130 Koch Die Gewährleistungspflicht, S. 202. 131 Gebauer, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags, S. 323 f.; Jarass, EuR 2000, 705 (723). 132 Fünfter Teil, C. III. l.a). 133 So im Ergebnis auch Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 180, der diese Erwägungen allerdings im Rahmen der Rechtfertigung Privater bei der Anwendung der Grundfreiheiten als unmittelbar drittwirkende Verbote anstellt. 134 Vgl. Dritter Teil, A . n . 135 EuGH, Slg. 2003, 1-5659, Rn. 77 ff. - Schmidberger/Österreich; allerdings zog der Gerichtshof hier allein das Konventionsgrundrecht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit heran; zur Existenz und Reichweite des Gemeinschaftsgrundrechts der Versammlungsfreiheit Mann/Ripke, EuGRZ 2004, 125 ff. sowie Barnard/Hare, MLR 60 (1997), 394 ff.
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von Gewalt die Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten davon abhalten, ihre Waren oder andere Wirtschaftsgüter in das eigene Staatsgebiet einzuführen, können sich auch nach Gemeinschaftsrecht schon von vorneherein nicht auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit stützen, da die Friedlichkeit Voraussetzung für die Eröffnung, des Schutzbereichs ist 1 3 6 . Nicht-diskriminierende Blockaden werden nach dem abgewandelten Beschränkungsbegriff kaum mehr in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fallen, da sie häufig in- wie ausländische Marktteilnehmer gleichermaßen betreffen werden und Verzögerungen in der Regel nicht den Marktzugang erschweren 137. Sollten im Ausnahmefall typischerweise bzw. wesentlich mehr Berechtigte der Grundfreiheiten aus anderen Mitgliedstaaten betroffen sein, ist in diesem Fall eine Rechtfertigung vor allem dann möglich, wenn sich die Versammlung nicht willentlich gegen Wirtschaftsgüter aus anderen Mitgliedstaaten richtet, d. h. keine offene Diskriminierung vorliegt. Die besonderen Umstände der Versammlung, z. B. ob sie mit einer Einschüchterung von Marktteilnehmern einhergeht und ob eine gewisse Gewaltbereitschaft vorhanden ist, sind auch im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen 138. In der Abwägung ist auch stets die Bedeutung des betroffenen Handelsweges für die Verwirklichung des Binnenmarktes zu berücksichtigen, da es von Relevanz ist, wie groß die Störungen für die Grundfreiheiten im Einzelfall sind. Bei der Behinderung wichtiger Hauptverkehrsadern oder transeuropäischer Netze ist ein Nichteinschreiten des Staates in jedem Fall schwerer zu rechtfertigen als bei kleineren Straßen, die für den grenzüberschreitenden Transport nur eine untergeordnete Bedeutung besitzen 1 3 9 . Des weiteren werden sich die Mitgliedstaaten im Falle einer etwaigen Schutzpflichtverletzung voraussichtlich nicht selten auf die Wahrung des Streikrechts bzw. auf die Koalitionsfreiheit der Störer berufen 140 . In der Regel werden Streiks aufgrund des modifizierten Beschränkungsbegriffes keine Schutzpflichten auslösen, da sich Verzögerungen zumeist nicht auf den Marktzugang von Wirtschaftsgütern auswirken werden. Wenn der Streik indes die Grundfreiheiten beschränkt und nicht zur Erreichung von den Koalitionszwecken dienenden Zielen, d. h. im Wesentlichen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, geschieht, sondern vielmehr darauf zielt, Industriezweige oder Unternehmen zur Erreichung einer Markt136 So Mann/Ripke, EuGRZ 2004, 125 (130); in der Rechtssache Kommission/Frankreich, ging der EuGH, wohl aufgrund der Unfriedlichkeit der Versammlung, gar nicht erst das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ein, EuGH, Slg. 1997, 1-6959 - Kommission/ Frankreich. 137 Dies betrifft etwa die Rechtssache Schmidberger/Österreich, in der die Demonstration eine Blockade der verkehrswichtigen Brenner-Autobahn auslöste, die In- und Ausländer gleichermaßen betraf und nur eine Verzögerung zur Folge hatte, die sich nicht auf den Marktzugang auswirkte, vgl. EuGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 10 ff. - Schmidberger/Österreich. 138 Vgl. für das deutsche Recht Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 8, Rn. 95. 139 Vgl. Hirsch, DAR 2000, 500; Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 200 f.; Krist, ÖJZ 1999, 241 (248 f.). 1 40 Zur Koalitionsfreiheit im Gemeinschaftsrecht vgl. Däubler, FS Hanau, S. 489 ff. 13*
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abschottung zu schädigen, wird eine Rechtfertigung des staatlichen Unterlassens kaum möglich sein, da in diesem Fall dem Ziel des Binnenmarktes Vorrang zu gewähren ist 1 4 1 . Demgemäß wäre eine Rechtfertigung zu verneinen, wenn ein Streik gegen die Vergabe von Aufträgen in andere Mitgliedstaaten durchgeführt wird, um dem eigenen Standort einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Wenn jedoch Gewerkschaften zu länger andauernden Streiks gegen mehrere Arbeitgeber aufrufen, die in großem Umfang zu Produktionsausfällen und Lieferrückständen führen, würde die Möglichkeit einer Rechtfertigung sehr vom konkreten Einzelfall abhängen142. Wenn Gesellschaften und andere Personenvereinigungen durch den Erlass von Satzungen und Beschlüssen Hindernisse für den Binnenmarkt errichtet haben, und der Staat aufgrund seiner Schutzpflicht verpflichtet ist, dies zu unterbinden, können sich die Störer in der Regel auf die Vereinigungsfreiheit berufen 143 . Auch hier ist eine Rechtfertigung der Untätigkeit der Mitgliedstaaten eher bei nicht-diskriminierenden Regelungen möglich. Verlangen die Schutzpflichten von den Mitgliedstaaten ein Einschreiten gegen auf den Marktzugang von Wirtschaftsgütern gerichtete Boykottaufrufe, bedarf es einer sorgfältigen Abwägung der Meinungs- oder Pressefreiheit mit den Grundfreiheiten 144. Bei nicht-diskriminierenden Beschränkungen ist eine Einschränkung der Meinungsfreiheit durch ein Einschreiten der Mitgliedstaaten in der Regel als unverhältnismäßig anzusehen, da die Meinungsfreiheit für die pluralistische Gesellschaft von sehr großer Bedeutung ist. Ähnliche Erwägungen dürften auch bei staatlichen Eingriffen aufgrund von Schutzpflichten in das auch gemeinschaftsrechtlich geschützte Grundrecht der Privatautonomie anzustellen sein 145 , das insbesondere die Vertragsfreiheit schützt. Wenn man die Grundfreiheiten mit dem Grundrecht der Privatautonomie zu einem Ausgleich bringen will, ist zu bedenken, dass die Grundfreiheiten ebenfalls auf die Ermöglichung der grenzüberschreitenden Privatautonomie gerichtet sind. Allerdings werden die meisten Fälle vertraglicher Vereinbarungen von Privatpersonen ohnehin keine Schutzpflichten auslösen, da die Privatautonomie Gestaltungselement der Wirtschaftsverfassung der EG ist, die nur in Ausnahmefallen staatliche 141 Vgl. Schaefer, Die unmittelbare Wirkung, S. 240 ff.; in Bezug auf die Rechtfertigung im Falle der Bejahung einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten Ganten, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 186 f. 142 Das Beispiel stammt von Koch, Die Gewährleistungspflicht, S. 199, der allerdings Streiks deshalb grundsätzlich nicht als tatbestandlich ansieht, da sie regelmäßig auf dem Markt nicht spürbar seien. 143 Zur Vereinigungsfreiheit als Gemeinschaftsgrundrecht Rengeling, Grundrechtsschutz in der EG, S. 58 ff. 144 Zu den Boykottaufrufen gegen Frankreich aufgrund der Durchführung von Atomtests Muylle, ELR 23 (1998), 467 (470 f.).
1 45 Zum Grundrecht der Privatautonomie als europäisches Grundrecht Hintersteininger, Binnenmarkt und Privatautonomie, S. 273; etwas zurückhaltender EuGH, Slg. 1989, 2859 (2924) - Hoechst.
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
197
Regulierungen erfordert. Nach dem oben modifizierten Beschränkungsbegriff sind staatliche Schutzpflichten in diesen Fällen demgemäß nur sehr selten anzuneh146
w
men Im Hinblick auf die auch im Gemeinschaftsrecht geschützte allgemeine Handlungsfreiheit 147 des Störers wird bei Eingriffen zwar grundsätzlich verlangt, dass Eingriffe nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung stattfinden, jedoch sind Einschränkungen zur Erreichung der vertraglich vorgesehenen Ziele ohne größere Bedenken möglich.
IL Andere Rechtfertigungsmöglichkeiten Eine Rechtfertigung der Untätigkeit oder der mangelhaften Erfüllung der Schutzpflichten durch die Mitgliedstaaten kann möglicherweise auf weitere Gründe jenseits des Grundrechtsschutzes gestützt werden, wenn auch dem den Schutzpflichten entgegenstehenden Grundrechtsschutz in der Praxis eine größere Bedeutung zukommen dürfte. Von Bedeutung könnten insbesondere schwerwiegende Störungen der innerstaatlichen Ordnung sein, die es dem Mitgliedstaat nahezu unmöglich machen, die Schutzpflicht wirksam zu erfüllen. 1. Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Sind aufgrund der Erfüllung der Schutzpflichten Störungen zu erwarten, die noch größere Beeinträchtigungen anderer Rechtsgüter befürchten lassen, könnte ein Unterlassen der eigentlich gebotenen Handlung gerechtfertigt sein. Sämtliche Ausnahmetatbestände der Grundfreiheiten lassen Ausnahmen zu, wenn dies die öffentliche Sicherheit erfordert. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst das Schutzsystem des Staates zur Erhaltung seines Gewaltmonopols, seiner Existenz und seiner zentralen Einrichtungen 148 . Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung ist eng mit dem Begriff der öffentlichen Sicherheit verknüpft, ist ebenfalls eng auszulegen und umfasst alle wesentlichen Interessen des Staates, die durch eine Störung von gewisser Schwere beeinträchtigt sein müssen 149 . Generalanwalt Lenz bezeichnete in der Rechtssache Kommission/Frankreich diese Rechtfertigungsmöglichkeiten als einen allgemeinen Grundsatz des Polizeiund Ordnungsrechtes 150. An eine Rechtfertigung stellt der EuGH allerdings Fünfter Teil, C. III. 3. 147 Vgl. Claudi, Die Bindung der EWG an die Grundrechte, S. 418 sowie Rengeling, Grundrechtsschutz in der EG, S. 135. 148
Epiney, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 30, Rn. 33 sowie umfassend Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten, S. 84 ff. 149 Schroeder, in: Streinz, EGV, Art. 30, Rn. 11. 150 Schlussanträge des GA Lenz, EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 62 - Kommission/Frankreich.
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7. Teil: Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
strenge Anforderungen, die offenbar nur in extremen Ausnahmesituationen erfüllt sein können. Der Mitgliedstaat müsse darlegen, dass sein Einschreiten in Erfüllung der Schutzpflicht „Folgen für die öffentliche Ordnung und Sicherheit hätte, denen er trotz der ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht gewachsen wäre" 1 5 1 . Voraussichtlich wird diese Rechtfertigungsmöglichkeit in der Praxis angesichts ihrer strengen Voraussetzungen keine Rolle spielen. Es wäre mit dem Binnenmarktziel auch schwer zu vereinbaren, Unruhen und öffentliche Ausschreitungen als Rechtfertigungsgrund gelten zu lassen. So könnten etwa aufrührerische Handlungen von Interessenverbänden dazu führen, dass der Umfang der Rechtfertigungsmöglichkeiten von privaten Akteuren bestimmt wird oder der Staat durch seine passive Unterstützung aufrührerischer Gruppierungen seinen Vertragspflichten entgehen könnte 152 . In der Rechtssache Kommission/Frankreich hat sich Frankreich ohne Erfolg auf seine Befürchtung von erheblichen Ausschreitungen und das schwierige soziale und wirtschaftliche Umfeld gestützt, in dem sich der französische Markt für Obst und Gemüse nach dem Beitritt Spaniens befunden haben soll. Die Zurückweisung dieses Argumentes geschah zurecht. Es gab keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass unkontrollierbare Störungen vorlagen oder bei einem Einschreiten der französischen Behörden zu erwarten gewesen wären 153 . Eine Berufung der Mitgliedstaaten auf mangelnde Geld-, Sach- oder Personalressourcen oder auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung ist auch grundsätzlich ausgeschlossen154. Wenn die innerstaatliche Ressourcenverteilung ein anerkennenswerter Grund für ein Unterlassen von Schutzanstrengungen wäre oder die Mitgliedstaaten die Erfüllung ihrer gemeinschaftsrechtlichen Pflichten unter den Vorbehalt eines ausgeglichenen Haushalts stellen könnten, wäre die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht mehr gewährleistet. Erwägungen wirtschaftlicher Natur können nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ohnehin grundsätzlich keinen Rechtfertigungsgrund für Beschränkungen der Grundfreiheiten darstellen 155 .
Vgl. EuGH, Slg. 1985, 305, Rn. 32 - Cullet/Leclerc; Italien befürchtete die Entstehung eines Sozialkonfliktes in Zusammenhang mit der Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen, vgl. EuGH, Slg. 1999,1-2981, Rn. 31 - Italien/Kommission. 152 Vgl. die Schlußanträge des GA VerLoren Van Themaat, EuGH, Slg. 1985, 306, 312 Cullet/Ledere. 153 E U G H , Slg. 1997,1-6959, R n . 54, 6 1 -
Kommission/Frankreich.
154 Kadelbach/Petersen, EuGRZ 2002, 213 (217); a.A. Lord Slynn of Hadley in einem vom House of Lords entschiedenen Fall, in: EuGRZ 1999, 333 (341), der in Bezug auf die in Großbritannien herrschende Rechtslage meint, dass Abwägungen hinsichtlich einer Schutzgewährung unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel vorgenommen werden können. 155 Vgl. etwa EuGH, Slg. 1985,1761, Rn. 28 - Kommission/Irland.
B. Rechtfertigung und staatliches Unterlassen
199
2. Schadenskompensation Eine Rechtfertigung durch den Ausgleich des Schadens, der durch das Unterbleiben des Eingreifens entstanden ist, kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Dies folgt zum einen aus der Tatsache, dass die von dem Mitgliedstaat begangene Vertragsverletzung von einer Schadenskompensation unberührt bleibt, selbst wenn sie geeignet sein sollte, den Schaden der Wirtschaftsteilnehmer zumindest teilweise auszugleichen156. Die Zahlung eines finanziellen Ausgleichs kann sich nicht auf die Rechtswidrigkeit des Unterlassens auswirken, da der Staat sich sonst von seinen vertraglichen Verpflichtungen „freikaufen" könnte. Die vollständige Wiedergutmachung ist in vielen Fällen ohnehin kaum möglich. Insbesondere kann in den häufig auftretenden Blockadefällen schwer ermittelt werden, wie groß der Schaden ist. Wenn man außerdem bedenkt, dass gewalttätige Ausschreitungen oder Blockaden von Straßen oder Seehäfen Zweifel der Marktteilnehmer an der Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes schüren können 157 , würde eine Schadenskompensation durch eine finanzielle Ersatzleistung noch weniger in der Lage sein, den für den Binnenmarkt entstandenen Schaden insgesamt auszugleichen, da die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes auch von dem Vertrauen der Wirtschaftsteilnehmer in ihn abhängt, das schwer zu beziffern ist 1 5 8 . Ein weiteres Argument gegen eine Schadenskompensation zur Rechtfertigung der Beschränkung einer Grundfreiheit ist das Fehlen ihrer präventiven Wirkung, da der Schadensersatz nicht von den Urhebern der Handelsbeeinträchtigung gezahlt würde, sondern von dem betreffenden Mitgliedstaat. Die Kommission hat darauf aufmerksam gemacht, dass diese Tatsache den Privaten sogar einen Anreiz zur Wiederholung der Störung geben könne, da bei den Urhebern der Störung der Eindruck erweckt werden könne, sie würden für ihre Taten nicht zur Verantwortung gezogen159.
3. Schutzmaßnahmen nach Art. 297 EGV Diese bisher in der Praxis irrelevant gebliebene Norm bietet den Mitgliedstaaten in Ausnahmefällen die Möglichkeit, sich im Rahmen einer Abwägung der widerstreitenden Interessen über Vertragsbestimmungen des EG-Vertrags hinwegzusetzen, wenn sie sich in politischen Krisenzeiten zu ihrer Einhaltung außerstande sehen 160 . Die Norm ist restriktiv auszulegen und verlangt entweder eine schwerwiegende innerstaatliche Störung der öffentlichen Ordnung, einen Kriegsfall, eine Kriegsgefahr oder die Erfüllung einer Verpflichtung, die der betreffende Mitglied156 Vgl. EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 59 f. - Kommission/Frankreich. 157 E U G H , Slg. 1997,1-6959, Rn. 53 -
Kommission/Frankreich.
158 So auch Meurer, EWS 1998, 196 (201). 159 Vgl. Schlussantrag des GA Lenz, EuGH, Slg. 1997, 1-6959, Rn. 65 - Kommission/ Frankreich. 160 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 297, Rn. 2.
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7. Teil: Die Rechtfertigung von Schutzpflichtverletzungen
im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit übernommen hat 1 6 1 . Der Begriff der schwerwiegenden Störung ist sehr viel enger auszulegen als der entsprechende Begriff der öffentlichen Ordnung in Art. 30 EGV, da er allein eine Situation erfasst, die an einen Kollaps der inneren Sicherheit grenzt 162 . Die Norm kommt außerdem grundsätzlich nur dann zur Anwendung, wenn es keine anderen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen gibt, mit der sich dem betreffenden Erfordernis genügen lässt 163 . Die Ausnahmetatbestände der Grundfreiheiten, die allesamt Beschränkungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zulassen, würden schwerwiegende innerstaatliche Störungen schon zur Genüge erfassen. Staat
4. Vertragsverstöße anderer Mitgliedstaaten Vertragsverstöße anderer Mitgliedstaaten können ebenfalls nicht die Vertragsverletzung des zum Schutz verpflichteten Mitgliedstaates rechtfertigen. In der Rechtssache Kommission/Frankreich berief sich Frankreich zur Rechtfertigung seiner Untätigkeit unter anderem darauf, dass Spanien seinerseits durch unlauteren Wettbewerb und Dumping das Gemeinschaftsrecht verletze 164 . Wie der Generalanwalt Lenz in dieser Rechtssache zutreffend ausführte, müssen solche Kontroversen auf den vom Gemeinschaftsrecht bereitgestellten Wegen ausgetragen werden, d. h. mithilfe der Kommission und des EuGH. Ein Mitgliedstaat ist nicht zu einseitigen Abwehrmaßnahmen oder Verhaltensweisen berechtigt, um einer möglichen Missachtung des Gemeinschaftsrechts durch einen anderen Mitgliedstaat entgegenzuwirken 165. Dies würde dem unbedingten Geltungsanspruch des Gemeinschaftsrechts zuwiderlaufen 166 . Dem Argument, ein anderer Mitgliedstaat erfülle seine vertraglichen Pflichten ebenfalls nicht, kann keinerlei Bedeutung zukommen, da es sich nicht auf das Bestehen der gemeinschaftsrechtlichen Pflichten auswirkt und weil es sonst beliebig instrumentalisiert werden könnte, um mißliebigen Vertragspflichten zu entgehen.
161 EuGH, Slg. 1986, 1651, Rn. 5 -Johnston. 162 Ausführlich zur Auslegung des Art. 297 EGV und sein Verhältnis zu anderen primärund sekundärrechtlichen Normen Schneider, Die öffentliche Ordnung, S. 46 ff. 163 Vgl. EuGH, Slg. 1995,1-3231, Rn. 14 - Leifer; Schlußanträge des GA Darmon, EuGH, Slg. 1986,1651, Rn. 5 - Johnston. 164 Vgl. Schlussanträge des GA Lenz, EuGH, Slg. 1997,1-6959, Rn. 25 - Kommission/ Frankreich. 165 So auch EuGH, Slg. 1996,1-2553, Rn. 20 - Hedley Lomas. 166 Hierzu Ortlepp, Das Vertragsverletzungsverfahren, S. 106.
Achter Teil
Rechtsschutz A. Subjektives Recht auf Wahrnehmung der Schutzpflichten? Es wurde bisher insbesondere im deutschen Recht diskutiert, ob dem Einzelnen subjektive Rechte gegen den Staat aus der Schutzpflicht erwachsen können, d. h. ob man ihm einen einklagbaren Anspruch auf die Gewährung von Schutz zuerkennen will 1 . Eingewendet wurde insbesondere, dass nicht ersichtlich sei, wie die objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte, aufgrund derer die Schutzpflicht bestehe, mit deren Versubjektivierung vereinbart werden könne bzw. wie eine solche ,,Mutation" des Grundrechtsgehaltes begründet werden könne2. Es wurde auch kritisiert, dass eine Versubjektivierung der Grundrechte in ihrer Funktion als Schutzpflichten nicht zu einer besseren Sicherung der Freiheit fuhren würde, sondern zur Grundlage einer Fülle von freiheitsbeschränkenden Reglementierungen werde, da der Staat durch sie in Freiheitsbereiche anderer Bürger eingreifen müsse3. Schließlich wurde gegen die Versubjektivierung der Schutzpflicht eingewendet, dass der zur Erfüllung von Schutzpflichten in erster Linie geforderte Gesetzgeber in seiner Gestaltungsfreiheit übermäßig eingeschränkt werde 4. Die herrschende Meinung erkennt demgegenüber ein subjektives Recht auf Erfüllung der Schutzpflicht an5. Das Hauptargument dafür ist, dass die Herleitung staatlicher Schutzpflichten aus den Grundrechten ihre Subjektivierung notwendigerweise nach sich ziehe, da 1 Vgl. insbesondere Unruh , Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 59 ff.; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 139 ff.; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 49 ff.; Starck, in: Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 46 (72); allgemein zu dieser Frage Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 156. 2 Starck, in: Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 46 (72 f.); Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 139. 3 Sondervotum zum ersten Abtreibungsurteil, BVerfGE 39,1 (73).
* Steinberg, NJW 1984, 459 (461); für eine Subjektivierung Dreier, Jura 1994, 705 (709), der für die Herleitung der Schutzpflichten einen Dreischritt vornehmen will: Grundrechte als subjektive Rechte, Schutzpflichten aus ihrer objektiv-rechtlichen Dimension, Resubjektivierung der Schutzpflicht; vgl. auch Krings, Grundrechtliche Schutzansprüche, S. 237, der die wichtigsten Begründungsversuche der Subjektivierung darstellt. 5 Isensee, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdStR V, § 111, Rn. 183 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 144 ff.; weitere Nachweise bei Jaeckel, Schutzpflichten, S. 59, Fn. 171.
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8. Teil: Rechtsschutz
Grundrechte eine individuelle Schutzzielrichtung besitzen würden 6. Auch in Bezug auf Schutzpflichten für die Rechte der EMRK wird nach herrschender Auffassung ein subjektives Recht bejaht7, da der effektive Schutz der Konventionsgüter und die eindeutige Anerkennung individueller Rechte durch die EMRK die Möglichkeit der Rechtsverfolgung durch den Einzelnen zwingend verlangen würden 8. Bisher wurde noch keine durchgreifende Kritik an einem individualschützenden Charakter einer Schutzpflicht im Gemeinschaftsrecht geäußert, es gibt allenfalls Einwände aufgrund ihrer Unbestimmtheit9. Im Gemeinschaftsrecht wird die Herleitung von Schutzpflichten nicht primär auf die objektiv-rechtliche Wirkung der Grundfreiheiten gestützt, sondern vielmehr dem EG-Vertrag aufgrund einer teleologischen Auslegung entnommen, so dass es nicht notwendig ist, subjektive Rechte aus der objektiven Wirkung zu deduzieren. Für einen individualschützenden Charakter der Schutzpflichten spricht, dass sie einen umfassenden und lückenlosen Schutz der Grundfreiheiten gewähren sollen und komplementäre Gewährleistungen zu den Grundfreiheiten in ihrer negatorischen Funktion sind, die eindeutig dem Einzelnen subjektive Rechte gewähren 10. Des weiteren sprechen in ganz entscheidender Weise teleologische Erwägungen, insbesondere das Effektivitätsprinzip, für das Bestehen von subjektiven Rechten. Diese erhöhen die Durchsetzungschancen der Schutzpflichten beträchtlich, indem sie den Einzelnen zur Verwirklichung des Rechts aktivieren 11. Im Hinblick auf mögliche Befürchtungen hinsichtlich einer Einschränkung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers, kommt es entscheidend darauf an, wie groß seine Ermessensspielräume sind und mit welcher Kontrolldichte diese gerichtlich überprüft werden können. Die mögliche Gefahr der Einschränkung der legislatorischen Spielräume spricht nicht gegen die Einräumung von subjektiven Rechten. Die mangelnde Bestimmtheit der Schutzpflicht ist ebenfalls eine Frage der Weite des Einschätzungs- und Gestaltungsspielraumes der zum Schutz verpflichteten Mitgliedstaaten. Der EuGH hatte trotz der Geltendmachung eines Haftungsanspruches des Geschädigten in der Rechtssache Schmidberger/Österreich bislang nicht darüber zu 6 Canaris, AcP 184 (1984), 201 (227); Wahl/Masing,
JZ 1990, 553 (562).
7
Vgl. Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte, S. 188 ff.; Jaeckel, Schutzptlichten, S. 138 ff.; Murswiek, in: Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren, S. 213. 8 Jaeckel, Schutzpflichten, S. 139. 9 Vgl. Burgi, EWS 1999, 327 (330); Jarvis, CMLR 1998, 1371 (1382); Ruffert, Subjektive Rechte, S. 62. 10 Vgl. Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 168 f.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 244 ff. 11 Vgl. die entsprechenden Überlegungen im deutschen Recht durch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 411 ff. sowie durch Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 242 f.; Schindler, Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, S. 169, ist der Ansicht, die Frage des subjektiven Rechtes auf Schutz stelle sich im Gemeinschaftsrecht nicht in derselben Schärfe wie im deutschen Recht mangels eines individuellen Klageverfahrens vor dem EuGH.
B. Prozessuale Geltendmachung
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befinden, ob dem Einzelnen aus dem Bestehen einer Schutzpflicht für die Grundfreiheiten ein subjektives Recht zukommt, da das Unterlassen der Vornahme von Schutzhandlungen durch Österreich seiner Ansicht nach gerechtfertigt war 12 .
B. Prozessuale Geltendmachung Nachdem festgestellt wurde, dass der einzelne Bürger einen einklagbaren Anspruch auf die Gewährung von Schutz hat, stellt sich die Frage nach der Art und Weise der prozessualen Durchsetzung. In diesem Zusammenhang sind auch die prozessualen Möglichkeiten von Kommission und Mitgliedstaaten im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens von Interesse.
I. Anspruch auf Vornahme einer Schutzhandlung Zur gerichtlichen Durchsetzung der Schutzpflichten kommt zum einen die Möglichkeit von Privatpersonen in Betracht, vor den entsprechenden nationalen Gerichten auf Erfüllung der Schutzpflichten zu klagen. Zuständig wären dafür in Deutschland die Verwaltungsgerichte, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art handelt 13 . Der Einzelne hat grundsätzlich keinen Anspruch auf die Vornahme einer bestimmten Maßnahme, da der verpflichtete Staat ein weites Ermessen hat hinsichtlich der Art und Weise, wie er die Störung bekämpfen will. Eine Pflicht zur Vornahme einer bestimmten Maßnahme kann nur bei einer Ermessensreduzierung in dem Sinne angenommen werden, dass jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre 14 . Entscheidet ein letztinstanzliches Gericht, ist von einer Vorlagepflicht zum EuGH auszugehen, während ansonsten die Vorlage fakultativ möglich ist, es sei denn, das innerstaatliche Gericht will die gemeinschaftsrechtliche Norm unangewendet lassen15.
IL Staatshaftung Der Einzelne hat grundsätzlich auch die Möglichkeit, vor den nationalen Gerichten Schadensersatz wegen Verletzung der Schutzpflichten geltend zu machen, wie es in der Rechtssache Schmidberger/ Österreich versucht wurde 16 . Nach der 12 EUGH, Slg. 2003,1-5659, Rn. 81 ff. - Schmidberger/Österreich.. 13 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2, Rn. 17 ff. 14 Die Frage des Umfangs der Ermessensspielräume wurde eingehend im Sechsten Teil, B. I., behandelt. 15 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 562 ff.; zur Vorlageverpflichtung allgemein Groh, EuZW 2002,460 ff. sowie Wegener, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 234, Rn. 18 ff. 16 EuGH, Slg. 2003,1-5659 - Schmidberger/Österreich.
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8. Teil: Rechtsschutz
Rechtsprechung des EuGH können Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, wenn Rechte des Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht verletzt werden, sei es durch die Legislative, Exekutive oder Judikative17. Die vom EuGH entwickelten Grundsätze zum Staatshaftungsrecht dürften auf den Fall der Verletzung einer Schutzpflicht zu übertragen sein, da ein vorwerfbares staatliches Unterlassen wertungsmäßig ebenso wie eine Handlung eine Schadensersatzpflicht auslösen dürfte 18 . Es kommt daher in entsprechender Anwendung der FrancovichRechtsprechung des EuGH ein Amtshaftungsanspruch gegen den Mitgliedstaat in Betracht, der trotz des Bestehens einer Schutzpflicht untätig blieb, oder dessen getroffene Maßnahmen zum Schutz der Grundfreiheit unzureichend waren. Dieser Schadensersatzanspruch hat seine Grundlage im Gemeinschaftsrecht, während seine Durchsetzung im Rahmen des nationalen Staatshaftungs- und Prozessrechts zu geschehen hat 19 . Die Anwendung der Kriterien für die Staatshaftung obliegt grundsätzlich den nationalen Gerichten, die dabei die vom EuGH entwickelten Leitlinien zu beachten haben20. Einige Besonderheiten des deutschen Staatshaftungsrechts müssen danach im Lichte des Gemeinschaftsrechts modifiziert werden, wie etwa das Verschuldenserfordernis. Hinreichende Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch ist, dass der staatlichen Gewalt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine unmittelbar anwendbare Norm des Gemeinschaftsrechts vorzuwerfen ist, die verletzte Norm dem Betroffenen subjektive Rechte verleiht und die Handlung bzw. bei den Schutzpflichten oder bei der Nichtumsetzung von Richtlinien die Unterlassung kausal für den entstandenen Schaden war 21 , wobei im Fall von Schutzpflichten von einer hypothetischen Kausalität ausgegangen werden muss 22 . Ein Verschulden ist für die Haftung des Staates nicht notwendig 23 . 17 EuGH, Slg. 1991, 1-5357 - Francovich; EuGH, Slg. 1996, 1-1029 - Brasserie du Pêcheur ; EuGH, Slg. 1996,1-1131 - Factortame; EuGH, Slg. 2003,1-10329, Rn. 53 - Köhler. In Deutschland ist indes die Haftung für legislatives Unrecht nur in engen Grenzen möglich, während jedoch der gebotene gemeinschaftsrechtliche Anspruch nicht vereitelt werden darf, vgl. hierzu Kopp, NJW 1992, 645 ff. Zu dieser Problematik im deutschen Recht Reinert, in: Bamberger/Roth, BGB, Bd. 2, § 839, Rn. 57 ff. 18
Allgemein zu der Entwicklung des Staatshaftungsanspruches Diehr, Der Staatshaftungsanspruch des Bürgers sowie Wolf, Die Staatshaftung der Bundesrepublik Deutschland. 19 EuGH, Slg. 1991, 1-5357, Rn. 42 - Francovich; vgl. auch die Schlussanträge des GA Jacobs in der Rechtssache Schmidberger/Österreich, Slg. 2003, 1-5659, Rn. 9, der auch aufgrund einer Schutzpflichtverletzung grundsätzlich einen Entschädigungsanspruch bejaht. 20 EuGH, Slg. 1999, 1-3099, Rn. 58 - Konle. Der Gerichtshof zieht für die Haftung der Mitgliedstaaten die von ihm im Rahmen von Art. 288 Abs. 2 EGV entwickelten Grundsätze entsprechend heran. Allgemein zur Staatshaftung bei Verstößen gegen primäres Gemeinschaftsrecht Danwitz, DVB1. 1997,1 ff.; Grzeszick, EuR 1998,417 ff. 21 Vgl. zu den einzelnen Voraussetzungen des Anspruchs und den zu ersetzenden Positionen Koenig /Haratsch, Europarecht, S. 173 ff. 22 Vgl. hierzu auch Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, S. 159; Schwarze, EuR 1998, 53 ff.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 310 ff. 23 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 374 c.
B. Prozessuale Geltendmachung
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Der Mitgliedstaat kann grundsätzlich selbst beurteilen, welche Mittel zur Erfüllung der Schutzpflicht notwendig sind. Das Kriterium des hinreichend qualifizierten Verstoßes als Voraussetzung einer Staatshaftung vermag der Tatsache Rechnung tragen, dass dem Mitgliedstaat ein weiter Ermessensspielraum zuzugestehen ist. Ein hinreichend qualifizierter Verstoß wurde in einem die Grundfreiheiten als Abwehrrechte betreffenden Fall vom Gerichtshof dann angenommen, wenn Grenzen des Ermessens „offenkundig und erheblich überschritten wurden" 24 . Bei einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch die Judikative sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes noch höhere Anforderungen an das Vorliegen eines hinreichend qualifizierten Verstoßes zu stellen, da die Besonderheiten der richterlichen Funktion zu berücksichtigen sind 25 . Bei der Erfüllung von Schutzpflichten ist von einem mindestens ebenso weiten Ermessensspielraum auszugehen, da angesichts der verschiedenen Möglichkeiten der Erfüllung von Schutzpflichten dem Staat nicht vorgeschrieben werden kann, welche konkreten Maßnahmen er zu ergreifen hat 26 . Anderes kann nur gelten, wenn der Mitgliedstaat nicht zwischen verschiedenen Möglichkeiten zur Erfüllung seiner Pflichten zum Schutz der Grundfreiheiten wählen konnte, sondern nur eine bestimmte Handlung im Sinne einer Ermessensreduzierung in Betracht kommt oder ein Ermessen überhaupt nicht ausgeübt wurde 27 . Bedenken wegen einer derartigen Haftung der Mitgliedstaaten aufgrund von Schutzpflichtverletzungen könnte man aufgrund der außerordentlich großen Schadensersatzforderungen haben, die insbesondere in Fällen von Demonstrationen oder Blockaden auf die Mitgliedstaaten zukommen könnten. Diese Bedenken ändern indes nichts an der Existenz und der Notwendigkeit eines Staatshaftungsanspruchs. Das Kriterium des hinreichend qualifizierten Verstoßes stellt grundsätzlich eine geeignete Einschränkung des Haftungstatbestandes dar, da es einen groben Ermessensfehler verlangt und den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum einräumt, der im Bereich der Schutzpflichten sogar noch weiter zu ziehen ist als in anderen Fällen. Das Haftungsrisiko wird in jedem Fall den positiven Effekt einer disziplinierenden Wirkung auf die Mitgliedstaaten haben28. Vor der gerichtlichen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs trifft den Kläger nach dem deutschen Staatshaftungsrecht grundsätzlich die Obliegenheit, primären Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Ein Amtshaftungsanspruch ist in 24 EuGH, Slg. 1996,1-1029, Rn. 55 - Brasserie du Pêcheur. 25 In dem Fall ging es um eine Gemeinschaftsrechtsverletzung durch ein mitgliedstaatliches Höchstgericht: EuGH, Slg. 2003,1-10329, Rn. 53 - Köhler. 26 Vgl. die Anforderungen des EuGH an eine ordnungsgemäße Umsetzung von Richtlinien, die indes den mitgliedstaatlichen Handlungsspielraum teilweise beträchtlich einengen, hierzu Puffert, in: Calliess/Ruffert, EGV, Art. 249, Rn. 46 ff. 27 Vgl. Koenig/Haratsch, Europarecht, S. 177. 28 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 805; a.A. Krimphove, ÖJZ 1999, der schon die Entscheidung in der Rechtssache Francovich als unzulässige Instrumentalisierung des Bürgers zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts ansieht.
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8. Teil: Rechtsschutz
Deutschland nach § 839 Abs. 3 BGB zu verneinen, wenn der Betroffene es schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch den Einsatz eines Rechtsmittels abzuwehren. Dies ist gemeinschaftsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden, da dies dem auch im Gemeinschaftsrecht bestehenden Grundsatz der Mitverantwortung entspricht 29. Nach Auffassung der Kommission sind die Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen nicht zufriedenstellend. Gerichtsverfahren auf nationaler Ebene seien nicht selten langsam und teuer, Vertragsverletzungsverfahren auf Anregung von Beschwerden Einzelner würden sich zum Teil sehr lange hinziehen, so dass viele Rechtsverletzungen über Jahre nicht ausgeräumt würden. Zudem sei ein Anspruch auf Schadensersatz regelmäßig auf die Marktteilnehmer beschränkt, die auf dem Gebiet des zum Schutz verpflichteten Mitgliedstaates behindert wurden und decke all diejenigen nicht ab, die aufgrund der Behinderung erst gar nicht in dieses Gebiet gelangen konnten 30 . In dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission zur Einführung eines Mechanismus zur Beseitigung bestimmter Handelsbehinderungen wollte sich die Kommission vorbehalten, eine verbindliche Entscheidung über das Vorhegen einer ungerechtfertigten Beeinträchtigung des Binnenmarktes zu treffen, die auch in einem späteren gerichtlichen Verfahren Bindungswirkung sollte 3 1 . Dies hätte zu einer Erleichterung der Schadensersatzprozesse vor nationalen Gerichten geführt, da die Rechtswidrigkeit des Unterlassens der Mitgliedstaaten festgestanden hätte. Aufgrund großer Bedenken im Rat scheiterte dieser Vorschlag32. In einer Entschließung des Rates über den freien Warenverkehr haben sich die Mitgliedstaaten schließlich lediglich auf eine Verpflichtung einigen können, in den von der VO 2679/98/EG erfassten Fällen den Geschädigten rasche Überprüfungsverfahren und eine zügige Abhilfe zu gewähren 33. Die Rechtsdurchsetzung ist deshalb mit relativ großen Unsicherheiten verbunden, weil die Mitgliedstaaten ein weites Ermessen bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen haben und weil die Geschädigten die Beweislast dafür tragen, dass eine hinreichend qualifizierte Verletzung vorliegt und dass die Unterlassung die Rechtsverletzung kausal hervorgerufen hat. Außerdem ist die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen häufig mit einer Klageerhebung im Ausland verbunden, da der Staatshaftungsanspruch in dem Mitgliedstaat erhoben werden muss, dem die Vertragsverletzung vorgeworfen wird 3 4 . Indes ist nicht einzusehen, warum all diejeni29 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 374 c. so Vgl. den Bericht der Kommission über die Anwendung der VO 2679/98, KOM (2001) 160 endg., S. 14. 31 ABl. EG 1998, C 10, S. 14. 32 Nach Auffassung des Rates war dieser Vorschlag vor allem deshalb inakzeptabel, weil er gegen das institutionelle Gefüge des EG-Vertrags verstoße, da eine Vertragsverletzung nur durch den EuGH festgestellt werden könne. Zum Ganzen Hauschild, EuZW 1999, 236 (237). 33 ABl. EG 1998, L 337, S. 10. 34 Zu den Problemen der Rechtsdurchsetzung des Einzelnen Schorkopf, EuZW 1998, 237 (238 f.).
B. Prozessuale Geltendmachung
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gen keinen Schadensersatzanspruch geltend machen können, die aufgrund einer Blockade gar nicht erst in das Staatsgebiet des zum Schutz verpflichteten Mitgliedstaates gelangen konnten. Es liegen in einer solchen Fallkonstellation alle Voraussetzungen für einen Staatshaftungsanspruch vor, da die geforderte Schutzhandlung in dem Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates vorzunehmen war und es irrelevant ist, ob sich der Geschädigte in diesem Gebiet aufgehalten hat.
D l Vertragsverletzungsverfahren Die Kommission oder ein anderer Mitgliedstaat kann im Falle einer möglichen Verletzung einer Schutzpflicht ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 bzw. 227 EGV anstrengen, wie es in der Rechtssache Kommission/Frankreich geschehen ist 3 5 . Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften kommt ein Vertragsverletzungsverfahren bei einem Verstoß gegen eine Verpflichtung aus dem EG-Vertrag in Betracht. Ein solcher Verstoß kann auch in einem Unterlassen liegen, da das Bestehen einer Schutzpflicht dazu führt, dass die Untätigkeit des betreffenden Mitgliedstaates pflichtwidrig ist. Allerdings hat der Einzelne keinen Rechtsanspruch gegenüber der Kommission auf die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens, er kann es höchstens anregen 36. Vertragsverletzungsverfahren sind wegen ihrer Mehrstufigkeit regelmäßig sehr langwierig 37 . Die Verordnung 2679/98/EG über das Funktionieren des Binnenmarktes beschleunigt für den von ihr geregelten Bereich das Vertragsverletzungsverfahren, da sie eine sehr kurze Frist für die mitgliedstaatliche Stellungnahme vorsieht, nach deren Ablauf die Kommission unmittelbar eine begründete Stellungnahme abgeben kann 38 . Die Kommission bemängelte in ihrem Bericht über die Anwendung der VO 2679/98/EG, dass die Durchführung von Vertragsverletzungsverfahren bei Schutzpflichtverletzungen von Mitgliedstaaten auf die Schwierigkeit stoße, dass bis zu einer Entscheidung des EuGH die gerügte Verletzung häufig ausgeräumt sei und dass der Gerichtshof in der Vergangenheit geäußert habe, dass eine Klage auf Feststellung einer Vertragsverletzung unzulässig sei, wenn der gerügte Verstoß keine Wirkungen mehr entfalte 39. Allerdings ist das Betreiben eines Vertragsverletzungsverfahrens grundsätzlich noch möglich und 35 Allgemein zum Vertragsverletzungsverfahren Rengeling/Burgi, Hdb. des Rechtsschutzes, S. 35 ff.; Gündisch/Wienhues, Rechtsschutz in der EU, S. 70 ff.; zu Vertragsverletzungen durch mitgliedstaatliche Gerichtsentscheidungen Breuer, EuZW 2004, S. 199 ff. sowie Obwexer, EuZW 2003, 726 ff. 36 Jaeckel, Schutzpflichten, S. 275. 37 Borehardt, in: Lenz, EGV, Art. 226, Rn. 24. 38 Schorkopf, EWS 2000,156 (160). 39 Bericht der Kommission über die Anwendung der VO 2679//98/EG, KOM (2001), 160 endg., S. 13. Sie bezog sich in diesem Bericht auf das Urteil des EuGH in der Slg. 1992, 1-2353 - Kommission /Italien.
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8. Teil: Rechtsschutz
sinnvoll, wenn der gerügte Verstoß behoben wurde, da es insbesondere die Wiederholungsgefahr verringert und die Mitgliedstaaten in höherem Maße zu einer Einhaltung ihrer vertraglichen Verpflichtungen anhält 40 .
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Dies räumte auch die Kommission in ihrem Bericht ein, zumal der EuGH in anderen Urteilen die gegenteilige Position vertrat, Bericht der Kommission über die Anwendung der VO 2679798/EG, KOM (2001), 160 endg., S. 13.
Zusammenfassung und Ausblick Die Funktion der Grundfreiheiten als Schutzpflichten hat sich erst in jüngerer Zeit herausgebildet. Bei dieser Rechtsentwicklung hat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes eine bedeutende Rolle gespielt, da er erstmals eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten annahm, bei nicht-staatlich verursachten Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten einzuschreiten, um die Berechtigten der Grundfreiheiten gegen diese Beeinträchtigungen durch aktive Maßnahmen zu schützen. Anders als im deutschen Recht und in einigen anderen Rechtsordnungen hat sich noch keine Dogmatik für die Schutzpflichtfunktion der Grundfreiheiten entwickelt, so dass zahlreiche in anderen Rechtsordnungen schon diskutierte Probleme sich für das Gemeinschaftsrecht neu stellten, wobei es in einigen Fällen möglich war, die Erwägungen auf die Problematik der Schutzpflichten für die europäischen Grundfreiheiten zu übertragen. Es konnte durch eine Auslegung des EG-Vertrags festgestellt werden, dass die Grundfreiheiten tatsächlich eine Schutzpflichtdimension besitzen. Die teleologische Auslegung des EG-Vertrags läßt eine Interpretation der Grundfreiheiten zu, die den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, in bestimmten Fällen gegen nicht durch den Staat verursachte Hindernisse für den Binnenmarkt einzuschreiten. Die vertraglichen Regelungen, die der Errichtung und Weiterentwicklung des Binnenmarktes dienen, sind so auszulegen, dass sie eine dynamische Entwicklung der Gemeinschaftsrechtsordnung ermöglichen und dass sie eine schrittweise Normverdichtung zulassen, damit eine effektive Verwirklichung dieses elementaren Gemeinschaftsziels erreicht werden kann. Es wurde dargelegt, dass die Erfassung der von Privatpersonen verursachten Binnenmarktstörungen durch eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten grundsätzlich nicht in Betracht kommt, da eine solche dem Grundsatz der Privatautonomie seine Bedeutung nehmen und die vertikale Kompetenzordnung mißachten würde. Außerdem ist das Regelungssystem des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts nicht mit der Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten zu vereinbaren, da die Wettbewerbsvorschriften der Art. 81 ff. EGV allein den Unternehmen unter sehr strengen Voraussetzungen mit einer unmittelbaren Drittwirkung bestimmte Verhaltensweisen verbieten. Das Wettbewerbsrecht steht jedoch nicht der Annahme zusätzlicher Schutzpflichten der Mitgliedstaaten für die Grundfreiheiten entgegen, da die Schutzpflichten sich alleine an die Mitgliedstaaten wenden und Private nicht direkt verpflichten können. Eine zentrale Problematik der Schutzpflichten ist die Bestimmung ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen. Es wurde dargelegt, dass man zur Bestimmung 14 Stachel
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Zusammenfassung und Ausblick
des Tatbestands einer Schutzpflicht nicht einfach die vom EuGH für die Grundfreiheiten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension entwickelte Dassonville-Formel heranziehen kann, wie es der EuGH in seinen beiden Entscheidungen zu den Schutzpflichten getan hat. Ein solcher Beschränkungsbegriff hätte bei den Schutzpflichten zur Folge, dass alle Verhaltensweisen von Privatpersonen, die eine Behinderung der Grundfreiheiten verursachen, eine Schutzpflicht auslösen. Ein derartiges Verständnis der Schutzpflichten widerspricht in hohem Maße der dem EG-Vertrag zugrundeliegenden Wirtschaftsordnung, die auf dem Grundsatz der Selbstregulierung durch den freien Wettbewerb basiert. Der weite Beschränkungsbegriff ist schon bei den Grundfreiheiten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension überaus problematisch, da er eine Aufweichung ihrer ursprünglichen Funktion bedeutet, an der weiterhin festzuhalten ist. Die Grundfreiheiten schützen nicht wie die Grundrechte jede Freiheitsbetätigung der Unionsbürger ohne Bezug zu einer Überschreitung der Binnengrenzen und legitimieren auch nicht die supranationale Ordnung, sondern sind Marktzugangsrechte. Vor diesem Hintergrund wurde der Versuch einer Einschränkung des Beschränkungsbegriffs für die Grundfreiheiten insgesamt unternommen, mit der Folge, dass nur noch offene und versteckte Diskriminierungen rechtfertigungsbedürftige Beschränkungen sind, oder solche, die den Marktzugang eines Wirtschaftsteilnehmers aus einem anderen Mitgliedstaat erschweren oder unmöglich machen. Das Problem der Weite des Beschränkungstatbestandes bei den Schutzpflichten, bzw. die Frage, wann der Staat bei nicht-staatlich verursachten Störungen zum Einschreiten verpflichtet werden kann, blieb nach dieser Einschränkung weiterhin bestehen, so dass ihre tatbestandlichen Voraussetzungen weiter eingegrenzt werden mussten. Im Ergebnis kommen Schutzpflichten nur in Betracht, wenn die Selbstregulierung des Binnenmarktes massiv gestört ist. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn die Störung von Personenmehrheiten ausgehen, die wesentlich mehr Macht als andere Marktteilnehmer besitzen und die nicht nur einzelne, sondern eine Vielzahl von Betroffenen daran hindern, eine grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit zu entfalten. Die Grundfreiheiten kommen in ihrer Funktion als Schutzpflichten nur zur Anwendung, wenn die betreffende Störung nicht aus der Sphäre der Mitgliedstaaten stammt. Aus diesem Grunde wurde eine Abgrenzung des Verhaltens Privater zu staatlichem Verhalten nach gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben vorgenommen, die in der Zusammenschau mit der Rechtsprechung des EuGH zu dem Ergebnis kam, dass die Handlungen von Privatpersonen in einigen Fällen den Mitgliedstaaten zurechenbar sind, insbesondere wenn der Staat auf deren Verhalten starken Einfluss ausübt. Es wurde außerdem deutlich, dass Störungen des Binnenmarktes durch Privatpersonen zwar der Hauptanwendungsfall für Schutzpflichten sind, sie sich jedoch nicht auf diese Fälle beschränken, da insbesondere Störungen durch Naturgewalten oder durch andere Staaten ebenfalls Schutzpflichten der Mitgliedstaaten erforderlich machen. Die Untersuchung der Rechtsfolgen der Schutzpflichten führte zu dem Ergebnis, dass die Mitgliedstaaten die alleinigen Adressaten der Schutzpflichten sind und
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dass sie zur Erfüllung der Schutzpflichten regelmäßig einen Ausgleich zwischen den Störern der Grundfreiheiten, die ihrerseits Grundrechtsträger sind, und den Berechtigten der Grundfreiheiten zu schaffen haben. Bei der Erfüllung dieser Pflichten haben die Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum inne, dessen Grenzen der EuGH überprüfen kann. Dabei ist die Kontrolldichte des EuGH insoweit zurückgenommen, als er sich auf die Feststellung evidenter Verstöße zu beschränken hat. Wenn der Mitgliedstaat eine bestehende Schutzpflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat, kommt in erster Linie eine Rechtfertigung aufgrund seiner Pflicht zur Berücksichtigung der Grundrechte der Störer der Grundfreiheiten in Betracht, wobei das europäische Grundrechtsregime und nicht das nationale einschlägig ist. Bei der Schaffung eines Ausgleichs von Grundfreiheiten und Grundrechten ist von Bedeutung, dass Grundfreiheiten nicht als Grundrechte einzuordnen sind, aber normhierarchisch ebenfalls an höchster Stelle in der Gemeinschaftsrechtsordnung stehen. Bei der Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Grundrechte haben sich nicht mehr in die Wirtschaftsordnung der Gemeinschaft einzufügen, sondern sind elementare subjektive Rechte, die erst der Gemeinschaftsrechtsordnung zu ihrer Legitimität verhelfen. In der Rechtsprechung des EuGH besteht gegenwärtig eine deutliche Tendenz, dem Grundrechtsschutz eine bedeutendere Rolle einzuräumen als in der Vergangenheit, so dass die Annahme von Schutzpflichten für die Grundfreiheiten nicht die Preisgabe des Grundrechtsschutzes bedeutet, sondern unter dem Vorbehalt der ausreichenden Berücksichtigung von Grundrechten steht. Es gibt im Gemeinschaftsrecht, ebenso wie im deutschem Recht und nach dem Recht der EMRK ein subjektives Recht auf Wahrnehmung der Schutzpflichten. Der Einzelne kann vor den innerstaatlichen Gerichten gegen den verpflichteten Staat auf Erfüllung der Schutzpflicht klagen oder einen Staatshaftungsanspruch geltend machen. Angesichts des weiten Auswahlsermessens der Mitgliedstaaten bei der Wahl der geeigneten und erforderlichen Maßnahmen kann jedoch grundsätzlich keine bestimmte Handlung eingefordert werden. Es besteht in der Rechtsprechung des EuGH gegenwärtig die Tendenz, die Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten allmählich auszuweiten und sie auch für einzelne Unternehmen, und nicht mehr alleine für Kollektivorganisationen anzunehmen. Allein die Funktion der Grundfreiheiten als Schutzpflicht vermag es jedoch, eine kohärente und überzeugende Lösung für die Fälle anzubieten, in denen die Störungen des Binnenmarktes durch Private nicht mehr hinnehmbar sind, wohingegen die Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten sich nicht in das Gesamtsystem der Gemeinschaftsrechtsordnung einfügen kann. Es ist nicht ohne weiteres absehbar, ob der EuGH in Zukunft seine Rechtsprechung überdenken wird, oder ob er weiterhin Private aus den Grundfreiheiten verpflichten will, da mit der Annahme von Schutzpflichten Unwägbarkeiten verbunden sind, insbesondere was die genauen Tatbestandsvoraussetzungen und die Frage der gerichtlichen Kontrolldichte betrifft. Die unmittelbare Erstreckung 14*
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Zusammenfassung und Ausblick
der Verbotswirkung auf Private wirft bei genauerer Betrachtung jedoch nicht weniger Fragen auf, wie in dieser Arbeit gezeigt wurde. Sie ist nicht ohne weiteres mit den Wettbewerbsvorschriften des EG-Vertrags vereinbar und verlangt ebenfalls nach einer eindeutigen Festlegung der von ihr erfassten Fälle, ohne die der einzelne Unionsbürger nicht absehen kann, ob und unter welchen Voraussetzungen er die Grundfreiheiten zu beachten hat und seine Pflichten zu unbestimmt wären. Schutzpflichten für die Grundfreiheiten werden mit hoher Wahrscheinlichkeit im Zuge der fortschreitenden Integration an Bedeutung gewinnen, da angesichts des Gefahrenpotentials von nicht-staatlich verursachten Störungen des Binnenmarktes und einer weit verbreiteten Ablehnung einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten die Mitgliedstaaten gefordert sein werden, die Zielvorgaben des Binnenmarktes in ihr innerstaatliches Recht zu implementieren.
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Effektivitätsprinzip 50 f., 64, 89,92,202 EGMR23-27 Einfuhrbeschränkungen 78 ff., Einschätzungsprärogative 29 EMRK 25 ff., 134,177, 178,184 Ermessen 57 ff., 78,119,147, 159 ff. Europäische Verfassung 176 Exklusivvertrag 104 Freiheitsrechte 105,183 Friedensordnung 21 Frühwarnmechanismus 35,133 Gefahrenbegriff 27, 149,151 Gefahrenquelle 133 gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung 155,167 Gewährleistungsgehalte 182 Gewaltenteilung 158 Gleichheitsrechte 16, 90,183,188 Goldene Aktien 141 grenzüberschreitender Bezug 100, 111 Grundrechte 118,157, 163, 167, 172 ff., 183 - europäische 176 ff. - nationale 177 ff. Gründungsverträge 42,43,189 Gruppenfreistellungsverordnung 74 Gütezeichen 136 Handelshemmnisse 30,16,110,143 Hoheitsaufgaben 55 Initiativmonopol 157 Integration, europäische 13, 50, 81, 89 ff., 183 intermediäre Gewalten 55 ff., 143 Internationaler Pakt 28 Kapitalverkehrsfreiheit 40,99, 140 f., 170 Keck-Rechtsprechung 53, 102, 114, 129,
182, 186
Sachverzeichnis Kollektivvereinbarungen 38, 56,137, 211 Kommission 35,66,75,160,199,207 Kommission /Frankreich 15, 35, 63, 77, 144,152 ff., 164 ff. Kompetenzordnung 53 f., 101,160 ff. konkrete Gefahr 27,151 Konvergenz der Grundfreiheiten 80,97 Leistungsrechte 18,121 Marktmacht 47, 69,129 Marktwirtschaft 13, 31 ff., 70, 93,124 Marktzugangsrechte 114,186,195 Maßnahme gleicher Wirkung 40,79 f., 99 ff. Mehrheitsentscheidung 43 Meinungsfreiheit 78,193,195 f. Menschenrecht 14, 27, 189 Menschenwürde 21,95 Naturgewalten 143,145, 152,167 objektive Wertordnung 20,184 objektive Wirkung 94, 97 Opportunitätsprinzip 161 praktische Konkordanz 119 Primärrecht 36,40,42, 54, 69, 88,144 Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung 84 Privatautonomie 55, 65, 90, 109, 123, 131, 138, 196 Privatrechtsnormen 62,138 Public Private Partnerships 34, 58 Recht auf Sicherheit 26 Rechtfertigung 44,170 ff., 191 Rechtsschutz 201 Restrisiko 22 Rücksichtnahmegebot 121 Schadensersatz 73 f., 199, 203 ff. Schadenskompensation 199 Schmidberger 78 f., 98, 115, 123, 165, 171, 174 Schranken 45,173, 177,184 Schranken-Schranken 101,178,192
237
Sekundärrecht 35,94,150,158,181 Sozialstaat 18 Selbstregulierung 31, 46 f., 54, 70, 93, 107, 109,131 Spürbarkeit 46,48,73,125,127,129 Staatenverantwortlichkeit 28 Staatsangehörigkeit 39, 42, 100, 112, 116, 122 Staatshaftung 203 ff. Streik 91,108,115, 132,195 subjektives Recht 15, 20, 60,94,185, 201 Subsidiaritätsprinzip 54, 66, 92, 101, 105,
162 Subventionen 142 Tarifvertrag 38, 57 Teilhaberechte 17 Unionsbürger 55, 102,187 unmittelbare Drittwirkung 14, 33, 37 Unterlassen 19,25, 80, 88,122,159,171 ff. Untermaßverbot 163 Verbände 38,45,131 Vereinigungsfreiheit 59,196 Verfahrensrechte 19 Verhältnismäßigkeit 45,167,177 Versammlungsfreiheit 78,178,193,193 f. Vertragsverletzung 35,149,200,207 Vertragsziele 42,49 f., 64, 79, 81, 88 Verwaltungshelfer 58 Völkerrecht 27 f., 50, 89 Vorrang des Gemeinschaftsrechts 63, 138, 155,180 Warenverkehrsfreiheit 40 ff., 63, 73, 77 ff.,
82 Werbung 104, 115,136 Wettbewerb 13,15, 31, 104,108, 117,128 Wettbewerbsrecht 13, 31 f., 46 ff., 69 ff., 72, 109, 125 ff. Wirtschafts- und Währungsunion 89 Wirtschaftsordnung 13, 30 f., 107 Wirtschaftsverfassung 13, 30,107 Zurechnung 16, 28, 67, 134