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German Pages 210 Year 2001
ELISABETH GIWER
Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 859
Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik Eine Studie zum rechtlichen Schutz des Embryos im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik unter besonderer Berücksichtigung grundrechtlicher Schutzpflichten
Von Elisabeth Giwer
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Giwer, Elisabeth: Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik : eine Studie zum rechtlichen Schutz des Embryos im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik unter besonderer Berücksichtigung grundrechtlicher Schutzpflichten / Elisabeth Giwer. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 859) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10431-5
Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10431-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die vorliegende Studie wurde i m Sommersemester 2000 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung befinden sich auf dem Stand von Februar 2001. Die wesentlichen Grundlagen der Arbeit wurden während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für öffentliches Recht der Justus-LiebigUniversität in Gießen gelegt. M e i n herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Wolfram Höfling, für die Überlassung des Themas sowie für zahlreiche Anregungen und wertvollen Rat. Professor Dr. Stefan Muckel danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich außerdem Frau Maria Theresia Engels und Professor Dr. Heinz Engels, der die Fertigstellung des Manuskripts leider nicht mehr erleben durfte, für die freundliche Aufnahme, für ihre wohlwollende Anteilnahme und für zahlreiche anregende Gespräche. Dank gilt auch meinen Eltern und meiner Schwester Susanne, die das Gedeihen der Arbeit in vielerlei Hinsicht unterstützt haben. Zu danken habe ich auch Herrn Dr. Heinrich Lang, der nicht nur für gewinnbringende Fachgespräche zur Verfügung stand, sondern auch mit seinen EDV-Kenntnissen bei der Erstellung des Manuskipts eine große Hilfe war, sowie Frau Karin Dosch, die die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens übernommen hat. Das Bundesministerium des Innern hat dankenswerterweise einen beachtlichen Zuschuß zu den Druckkosten geleistet.
Berlin, i m März 2001
Elisabeth Giwer
Inhaltsverzeichnis Einleitung
13 1. T e i l Biomedizinische Grundlagen, Methoden und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik
16
1. Kapitel Biomedizinische Grundlagen der Präimplantationsdiagnostik I. II. III. IV. V. VI.
Struktur und Funktion des Erbmaterials Die Weitergabe genetischer Information von Generation zu Generation Kenntnisstand zur Totipotenz frühembryonaler Zellen Die Weiterentwicklung der Morula Vererbung und Krankheit Die Analyse des Erbmaterials
16 16 18 20 21 23 26
2. Kapitel Methoden und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik I. Die Technik der Präimplantationsdiagnostik II. Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik
27 27 30
2. T e i l Das Embryonenschutzgesetz
33
L Kapitel Die einschlägigen Straftatbestände des Embryonenschutzgesetzes I. Die Abspaltung und der Verbrauch einer Zelle zu Diagnosezwecken als strafbegründende Handlung 1. Die Diagnose an der totipotenten Zelle des Embryoblast a) Die Präimplantationsdiagnostik als verbotenes Klonen i. S. d. § 6 Abs. 1 i.V.m. §8 Abs. 1 ESchG b) Die Präimplantationsdiagnostik als mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen i. S. d. § 2 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 1 ESchG c) Die Präimplantationsdiagnostik als mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen i. S. d. § 2 Abs. 2 ESchG
33
34 34 34 35 35
8
Inhaltsverzeichnis
2. Die Diagnose an einer Embryonalzelle nach Verlust der Totipotenz II. Straftatbestände des Embryonenschutzgesetzes, die an den Befruchtungsvorgang anknüpfen 1. Strafbarkeit der Erzeugung von Embryonen mit dem Ziel der Selektion nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG 2. Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG wegen der Erzeugung überzähliger Embryonen III. Das Verwerfen des sog. Restembryos IV. Schädigung des Embryos durch die Entnahme von Zellen V. Die Präimplantationsdiagnostik an Eizellen (Polkörperbiopsie) VI. Die Regelung des § 3 ESchG VII. Die möglichen Tatbeteiligten VIII. Ergebnis
36 36 36 38 39 41 41 41 42 42
2. Kapitel Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte der Regelungen zur Präimplantationsdiagnostik I. Wichtige standesrechtliche Regelungen II. Der sog. Benda-Bericht III. Der Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen vom 29. April 1986 IV. Die Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages 1986 V. Die wesentlichen gesetzgeberischen Bemühungen auf Länderebene VI. Der Bericht der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" vom 06.01.1987 VII. Der Zwischenbericht der Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" vom November 1987 und der Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen vom 23. Februar 1988 VIII. Der Abschlußbericht der Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" vom August 1988 IX. Der Arbeitsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen vom Oktober 1988 X. Die Beratungen des Rechtsauschusses zu einem Embryonenschutzgesetz sowie die Beschlußempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses XI. Der Abschlußbericht der Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Genomanalyse" vom Mai 1990 XII. Der Bericht des Bundestagsausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur Genomanalyse vom 15.03.1994 XIII. Zusammenfassende Bewertung XIV. Ausblick
43 44 45 46 47 48 49
49 50 52 53 54 56 57 59
Inhaltsverzeichnis 3. T e i l Der grundrechtliche Schutz des Embryos
62
1. Kapitel Das Grundrecht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1,1. Alt. GG
62
I. Der sachliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1,1. Alt. GG 62 1. Lebensbeginn aus naturwissenschaftlicher Sicht 62 2. Wortlautinterpretation 63 3. Entstehungsgeschichte 64 4. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 64 5. Die Frage nach relevanten Zäsuren in der Ontogenese 66 a) Nidation bzw. Individuation 66 aa) Nidation 66 bb) Individuation 67 cc) Stellungnahme 67 b) Beginn der Himtätigkeit 68 c) Erste Kindsbewegungen 69 d) Extrauterine Lebensfähigkeit 70 e) Geburt bzw. Fähigkeit zu autonomer Entschlußfassung 71 6. Das Konzept eines verringerten Lebensrechts 76 7. Grundrechtsschutz ab Konjugation, zugleich Stellungnahme 77 II. Grundrechtsträgerschaft 79 1. Die Grundrechtsträgerschaft des Embryos 80 2. Keine Grundrechtsträgerschaft der zu Diagnosezwecken abgespaltenen totipotenten Zelle 81 III. Zwischenergebnis 83 IV. Art. 2 Abs. 2 S. 1,1. Alt GG als Grundlage einer staatlichen Schutzpflicht für vorgeburtliches Leben 83 1. Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten 84 a) Die Schutzpflichtenjudikatur des Bundesverfassungsgerichts 84 b) Die wesentlichen Ansätze in der Literatur 86 aa) Der abwehrrechtliche Ansatz 87 bb) Herleitung der Schutzpflicht aus der Staatsauf gäbe Sicherheit 87 cc) Ableitung der Schutzpflichten aus den Grundrechtsschranken und dem Sozialstaatsprinzip 88 dd) Reduktion der Schutzpflichten auf einen grundrechtlichen Menschenwürdekem 89 2. Stellungnahme 90 V. Schutzpflichtenaktivierende Beeinträchigungen grundrechtlich geschützten Lebens durch die Präimplantationsdiagnostik 90 1. Entzug grundrechtlich geschützten Lebens durch die Verwerfung des genetisch belasteten Embryos 90 2. Gefährdung des Embryos durch die Vornahme der Diagnose 91 3. Die Existenz eines Schutzgebots im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik 93
10
Inhaltsverzeichnis
a) Die Existenz eines Schutzgebots im Hinblick auf das Verwerfen des Embryos b) Die Existenz eines Schutzgebots im Hinblick auf die Grundrechtsgefährdungen VI. Inhalt und Reichweite der Schutzpflicht 1. Ansätze in der Literatur 2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts a) Die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 1975 b) Die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 1993 c) Auswertung der Rechtsprechung d) Die Aufnahme der Rechtsprechung in der Literatur 3. Exkurs: Die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die Pränataldiagnostik und embryopathische Indikation 4. Vergleichbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs aus embryopathischer Indikation mit der Präimplantationsdiagnostik a) Zur Präimplantationsdiagnostik an totipotenten Zellen im Sinne des § 8 Abs. 1 EschG b) Die Präimplantationsdiagnostik als das Lebensrecht des Embryos bedrohendes Verfahren VII. Zusammenfassung des 1. Kapitels
93 93 94 94 96 97 100 104 105 106 109 109 109 113
2. Kapitel Das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG I. Der sachliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1,2. Alt. GG II. Der personelle Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG III. Beeinträchtigung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit durch die Präimplantationsdiagnostik IV. Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG als Grundlage einer staatlichen Schutzpflicht V. Die Reichweite der Schutzpflicht VI. Zusammenfassung des 2. Kapitels
113 113 114 115 116 117 118
3. Kapitel Das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG I. Der Gewährleistungsbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG 1. Der Begriff der Behinderung 2. Grundrechtsträgerschaft a) Die Grundrechtsträgerschaft des Embryos b) Keine Grundrechtsträgerschaft der totipotenten Zelle 3. Der Inhalt des Benachteiligungsverbots a) Das Benachteiligungsverbot als grundsätzlich strikt zu beachtendes Anknüpfungsverbot b) Besonderheiten des Benachteiligungsverbots des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ....
119 119 119 121 121 123 123 123 126
Inhaltsverzeichnis
II.
III. IV. V.
c) Das Anknüpfen an eine konkrete Behinderung d) Schlußfolgerungen für die Präimplantationsdiagnostik Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG als Grundlage einer staatlichen Schutzpflicht 1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 2. Die Auffassungen in der Literatur 3. Stellungnahme Die Reichweite der Schutzpflicht Abwägung Zusammenfassung des 3. Kapitels
127 127 129 129 129 130 131 132 134
4. Kapitel Der Menschenwürdesatz des Art. 1 Abs. 1 GG I. Der Gewährleistungsinhalt des Menschenwürdesatzes 1. Ideengeschichtliche Grundlagen 2. Die Aufnahme des Menschenwürdesatzes in das Grundgesetz 3. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 4. Anerkannte Fallgruppen II. Das Verhältnis der Menschenwürdegarantie zu den anderen Grundrechtsgewährleistungen III. Schlußfolgerungen für die Präimplantationsdiagnostik IV. Zusammenfassung des 4. Kapitels
134 135 135 138 138 139 140 141 141
5. Kapitel Die Ausgestaltung der Schutzpflicht I. Die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes II. Weiterer Regelungsbedarf der Präimplantationsdiagnostik 1. Mittel des Schutzes 2. Die Pflicht zum Erlaß von Strafnormen 3. Für und Wider eines Indikationenkatalogs III. Zusammenfassung des 5. Kapitels
142 142 143 144 144 146 147
4. T e i l Das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates sowie das Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen
148
1. Kapitel Das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin - Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin - des Europarates vom 4. April 1997 I. Einführung
148 148
12
Inhaltsverzeichnis
II. Der Regelungsgehalt der Konvention im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik 151 1. Auslegungsgrundsätze 151 2. Der Beginn menschlichen Lebens 152 3. Art. 1 Abs. 1 BMK 153 4. Art. 2 BMK 154 5. Art. 11 BMK 154 6. Art. 12 BMK 155 7. Art. 14 BMK 155 8. Art. 18 Abs. 1 BMK 156 9. Zwischenergebnis 157 2. Kapitel Das Zusatzprotokoll des Europarates zum Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen vom 12. Januar 1998
157
I. Einführung 157 II. Regelungsgehalt des Zusatzprotokolls im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik 158 III. Zwischenergebnis 159 IV. Gesamtergebnis 159 5. T e i l Zusammenfassung der Ergebnisse
160
Anhang Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarats
163 173
Zusatzprotokoll zum Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarats über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen 190
Literaturverzeichnis
194
Einleitung Die Fortpflanzungsmedizin hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt. War die Geburt des ersten In-vitro-gezeugten Kindes Louise Brown in den 70er Jahren noch eine Sensation, die Zweifel an der ethischen Vertretbarkeit dieses Verfahrens auslöste, sind solche Stimmen heute überwiegend verstummt. Das Verfahren der künstlichen Befruchtung ist weitgehend etabliert und gesellschaftlich akzeptiert. Der Fortpflanzungsmedizin ist die genetische Grundlagenforschung zur Seite getreten, der zunehmend die Isolierung bestimmter Erbinformationen der Zelle, die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts gelingt. I m Rahmen eines gigantischen Forschungsprojekts haben Forscherteams 1 die Bausteine des menschlichen Genoms zu 95 % aufgeschlüsselt und sind jüngst mit den Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit getreten. In der medizinischen Anwendung sind die Erkenntnisse der genetischen Grundlagenforschung i m Kampf gegen Erbkrankheiten von besonderem Interesse. Die Entschlüsselung des Erbguts erleichtert es, die Ursachen von Erbkrankheiten zu erkennen. Bis heute sind schon ca. 5000 Erbkrankheiten bekannt, die auf eine Veränderung in einem Gen oder dessen Ausfall zurückgeführt werden können. Seit Ende der achtziger Jahre wird i m Ausland die Präimplantationsdiagnostik als Form der vorgeburtlichen Diagnostik angewendet. Außerhalb des Mutterleibes gezeugte Embryonen können in den ersten Tagen nach der Befruchtung auf bestimmte genetische Belastungen und Chromosomenstörungen untersucht werden. Wird festgestellt, daß der Embryo Träger der befürchteten Erbkrankheit ist, wird er nicht in den Uterus transferiert. In Deutschland stößt die Präimplantationsdiagnostik auf besondere Zurückhaltung. Dementsprechend ist der Gesetzgeber mit dem Embryonenschutzgesetz dem Verfahren der Präimplantationsdiagnostik entgegengetreten. Allerdings wächst der Druck der Wissenschaft auf die entsprechenden Regelungen des Embryonenschutzgesetzes; Experten verlangen eine Liberalisierung des Gesetzes. 2 Dabei steht ihnen unter anderem argumentativ die Tatsache zur Sei1 An der Erbgut-Analyse des menschlichen Genoms arbeiten die Fa. Celera Genomics und das internationale Humangenom-Projekt. 2 Die Zeit vom 8. Juli 1999, S. 35, „Im Zweifel für die Diagnose"; Die Zeit vom 6. September 1996, S. 33, „Darf das Embryonenschutzgesetz geändert werden? Tabu am Ende44; Frankfurter Rundschau vom 20.10.1997, S. 22, „Acht Zellen minus eins - Embryonen-Auslese vor Implantation bald erlaubt?44; Die Zeit vom 28. Juni 1996, S. 31, „Das perfekte Baby, Gentests vor der Geburt bedrohen das Embryonenschutzgesetz44; Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschungsfreiheit - Ein Plädoyer für bessere Rahmenbedingungen der Forschung in Deutschland, S. 37; Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragen der Gesellschaft für Humangenetik e. V, Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik, Med. Genetik 4/1995, S.420.
14
Einleitung
te, daß in vielen Staaten die Präimplantationsdiagnostik erlaubt ist und durchgeführt wird, so ζ. B. in Belgien, in den Niederlanden, in England, in Dänemark, in Schweden3 sowie in den USA und Australien, so daß für den deutschen Gesetzgeber mit seinen restriktiven Regelungen des Embryonenschutzgesetzes ein erhöhter Rechtfertigungsdruck besteht. Im Jahre 1996 hat das Votum der Ethikkommission der Medizinischen Universität zu Lübeck4 in der Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt und die Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik stimuliert. Die Kommission hatte über einen Antrag auf Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik zur frühen pränatalen Diagnostik einer Mukoviszidosemutation im Falle eines Ehepaares zu befinden. Beide Eltern waren Träger der Mutation, so daß das Risiko, ein Kind mit beiden mutierten Genen zu zeugen, bei 25 % lag. Das Paar hatte schon ein Kind, bei dem eine Mukoviszidose festgestellt worden war und wünschte sich nun ein gesundes zweites Kind. Die Ethikkommission hielt in dem konkreten Fall die Vornahme einer Präimplantationsdiagnostik für ethisch unbedenklich, stimmte dem Antrag mit Rücksicht auf die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes allerdings nicht zu. Der Fall führt exemplarisch das ethische Dilemma der Präimplantationsdiagnostik vor Augen. Einerseits ist eine Präimplantationsdiagnostik für betroffene Paare oft die letzte Hoffnung zur Erfüllung ihres Wunsches nach einem gesunden Kind, andererseits gefährdet sie ungeborenes Leben, könnte eugenischen Tendenzen und mißbräuchlicher Verwendung von Embryonen Vorschub leisten und nicht zuletzt die gesellschaftliche Akzeptanz Behinderter gefährden. Angesichts der unheilvollen Erfahrungen der Deutschen unter der nationalsozialistischen Diktatur, die mit ihren Rassegesetzen ihre Vorstellungen von Rasse und Erbgut durchzusetzen suchte und dabei in menschenverachtender Weise individuelles Leben opferte, wiegen in Deutschland diese Bedenken besonders schwer. Das Entsetzen über diese Vergangenheit birgt allerdings die Gefahr, den vernunftgeleiteten öffentlichen Diskurs über die Präimplantationsdiagnostik zu erschweren. So wird beispielsweise häufig übersehen, daß eugenisches Gedankengut schon in der Antike wurzelt 5 und international gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sich breiter Zustimmung erfreute. Dieser Hinweis mag deutlich machen, daß der schlichte Verweis auf Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Regime den sich im Zusammenhang mit der Anwendung der Gentechnologie auf den Menschen stellenden ethischen und rechtlichen Fragen nicht gerecht werden kann.6
3
In der Europäischen Union lassen insgesamt zehn Staaten die Präimplantationsdiagnostik bereits zu, vgl. BTDrucks. 14/4098, S.2. 4 Votum der Ethikkommisison der Medizinischen Universität zu Lübeck, Aktenzeichen 84/95; hierzu: Oehmichen, EthikMed (1999) 11, S. 16ff. 5 Siehe Piaton, Der Staat, Fünftes Buch, der der Auffassung war, der Staat solle die Tötung mißgestalteter Kinder durchsetzen. 6 Ausführlich zum Eugenik-Argument: Junker/Paul in: Engels (Hrsg.), Biologie und Ethik, S. 161 ff.
Einleitung
Indes ist nicht eine ethisch-moralische Bewertung, sondern eine Untersuchung zentraler Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik Gegenstand dieser Arbeit. Es kann allerdings nicht verhehlt werden, daß die verfassungsrechtliche Bewertung der Problematik sich in besonderem Maße mit dem Problem der Abgrenzung von Recht und Ethik konfrontiert sieht. Gang der Untersuchung
Den juristischen Ausführungen ist eine zum Verständnis des Verfahrens erforderliche Darstellung der biomedizinischen Grundlagen der Präimplantationsdiagnostik (Teil 1) vorangestellt. Es schließt sich eine Untersuchung der Regelungen des Embryonenschutzgesetzes an (Teil 2). Dreh- und Angelpunkt des Verfassungsrechtsproblems „Präimplantationsdiagnostik" ist die verfassungsrechtliche Stellung des Präimplantationsembryos und die sich daraus ergebenden Vorgaben für den Gesetzgeber, insbesondere im Hinblick auf die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie im Hinblick auf das im Jahre 1994 ins Grundgesetz aufgenommene neue Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob und inwieweit der Menschenwürdesatz des Grundgesetzes für eine verfassungsrechtliche Beurteilung der Präimplantationsdiagnostik fruchtbar gemacht werden kann. Dementsprechend ist Teil 3 der Untersuchung den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten im Hinblick auf die o. g. Grundrechte gewidmet sowie der Frage, ob und inwieweit der Gesetzgeber mit dem Embryonenschutzgesetz seiner Schutzpflicht nachgekommen ist. Der letzte Teil (Teil 4) erweitert die Untersuchung zur Präimplantationsdiagnostik im europäischen Rahmen und widmet sich den Regelungen des Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates sowie dem Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen. Datenschutzrechtliche Fragen sind nicht Gegenstand der Untersuchung.
1. T e i l
Biomedizinische Grundlagen, Methoden und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik Die Präimplantationsdiagnostik ist ein neue Möglichkeit, eine gezielte genetische Diagnostik an einzelnen embryonalen Zellen nach einer In-vitro-Fertilisation (IVF) und vor einer Implantation vorzunehmen. Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID 1 ) wirken zwei an sich recht unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen zusammen, nämlich die Molekulargenetik und die Fortpflanzungsmedizin. Es sollen daher zunächst die zum Verständnis erforderlichen biomedizinischen Grundlagen der PID dargestellt werden. Im Anschluß daran wird die Vorgehensweise bei der PID beschrieben.
1. Kapitel
Biomedizinische Grundlagen der Präimplantationsdiagnostik I. Struktur und Funktion des Erbmaterials Im Kern jeder Zelle eines Individuums befindet sich ein sogenanntes Chromatingeriist, das aus Verbindungen von Eiweißen (Proteinen) und Desoxyribonucleinsäuren (DNS) zusammengesetzt ist. Das DNS-Molekül seinerseits setzt sich aus einer wechselnden Folge von zwei Bausteinen, dem Zucker Desoxyribose und einem Phosphatrest, zusammen. An jedes Zuckermolekül ist eine der zwei Purinbasen, Adenin (A) und Guanin (G), oder eine der zwei Pyrimidinbasen, Cytosin (C) und Thymin (T), gebunden. Man bezeichnet den Komplex aus Zucker-Phosphatrest-Base als Nukleotid. Ein derartiges aus Nukleotiden aufgebautes, strangförmiges DNSMolekül ist im Zellkern mit einem zweiten (komplementären) gleichlangen DNSMolekül zu einem Doppelstrang verbunden, der spiralförmig gewunden ist, der Doppelhelix. Die beiden parallel verlaufenden schraubenförmig gewundenen DNSEinzelstränge verhalten sich nach den Regeln der sog. Basenpaarung in der Weise 1
International ist die Abkürzung PGD für preimplantation genetic diagnosis üblich.
1. Kap.: Biomedizinische Grundlagen
17
zueinander, daß nur Adenin mit Thymin und Guanin mit Cytosin ein jeweils die Sprossen der Helix bildendes, sich gegenüberliegendes Nukleotidpaar darstellen.2 Die Basenfolge eines DNS-Stranges nennt man Basensequenz. Jeweils drei aufeinanderfolgende Basen können eine informative Einheit darstellen, ein sogenanntes Basentriplett. 3 Man geht heute davon aus, daß jeweils weniger als 5% der DNS in jedem Zellkern eines Organismus für die Speicherung und Umsetzung der genetischen Information verantwortlich sind. Man nennt die Gesamtheit der genetischen Information eines Organismus das Genom. Es setzt sich zusammen aus 50000-100000 Untereinheiten, den Genen, die entweder für die Steuerung, für die Organisation oder für die Struktur des Organismus verantwortlich sind.4 Die Gene bestehen aus langen Basensequenzen. Von den 50000-100000 beim Menschen zu erwartenden Genen ist die Basensequenz von einigen hundert heute bereits bekannt.5 Die Umsetzung der genetischen Information erfolgt im Wege der Transkription und anschließenden Translation. Ein Strukturgen wird durch Transkription und Translation in ein Protein übersetzt und fungiert dann als Enzym in der Funktion des Stoffwechsels oder als Baustein des Organismus.6 (Vorgänge, deren genaue Beschreibung für die vorliegende Arbeit entbehrlich ist.) Obwohl nach den heutigen Vorstellungen jede somatische Körperzelle eines Organismus die gesamte und gleiche genetische Information enthält, wird sie jedoch von Organ zu Organ und in verschiedenen Entwicklungs- und Regenerationsphasen unterschiedlich realisiert. 7 In wesentlichen Grundzügen identisch ist in jeder Körperzelle das doppelsträngige DNS-Molekül zweifach vorhanden (Homologie), und zwar einmal vom Vater und einmal von der Mutter geerbt.8 Die Gesamtheit der DNS eines Zellkerns ist zu Strukturen geordnet, den Chromosomen. Die Zahl der Chromosomen ist artspezifisch. Der Mensch hat 46 Chromosomen, im Prinzip zwei gleichartige Sätze. Davon sind je 22 Autosomen; hinzu kommen zwei Geschlechtschromosomen, die Gonosomen. Bei der Frau handelt es sich dabei um zwei X-Chromosomen, beim Mann um ein X- und ein Y-Chromosom. 9 2
Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, A I L 1., Rdnr. 1 ff. Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, A l l . 1., Rdnr.5. 4 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, A II. 2., Rdnr. 10. 5 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, A II. 2., Rdnr. 11. 6 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, A II. 2., Rdnr. 11. 7 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, A II. 2., Rdnr. 13. 8 Traut, Chromosomen - Klassische und molekulare Cytogenetik, S.21. Eine Ausnahme von diesem diploiden Zustand machen die reifen Geschlechtszellen (Gameten). Bei ihnen werden im Laufe des Reif ungsprozesses die homologen Paare voneinander getrennt und auf Tochterzellen verteilt, so daß die reifen, befruchtungsfähigen Gameten haploid sind, Traut, Klassische und molekulare Cytogenetik, S.21. 9 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, A II. 2., Rdnr. 14. 3
2 Giwer
18
1. Teil: Grundlagen und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik
Unter dem Genlocus versteht man die Lage eines Gens innerhalb eines bestimmten Chromosoms. Einige hundert der 50000-100000 Gene kann man heute bereits einem bestimmten Ort zuordnen. Es gibt für jeden Genort auf dem Chromosom einen entsprechenden Genort auf dem dazugehörigen Paarling. Dabei können diese Gene eine absolut identische Basensequenz enthalten. Man nennt diese Gene homologe Gene und spricht von Homozygotie. Die homologen Gene können aber auch in ihrer Struktur abweichende Gene, sog. allele Gene10, enthalten, welche in ihrer Funktion verändert oder auch gleich sein können. Dieser Zustand wird als Heterozygotie bezeichnet.11 Allele Gene können sich unterschiedlich hinsichtlich der Realisierung ihrer Information verhalten. Man unterscheidet den Genotyp, also das Erbbild der chromosomalen Information vom Phänotyp, dem äußeren Erscheinungsbild. Der Phänotyp wird durch die Merkmale und den Zustand des Genotyps geprägt. Man spricht von Dominanz, wenn die Eigenschaften eines heterozygoten Gens auch phänotypisch in Erscheinung tritt. Rezessivität liegt vor, wenn zur Ausprägung eines Merkmals die gleiche Information auf beiden homologen Chromosomen vorhanden sein muß, damit sie auch phänotypisch zum Ausdruck kommt. Die dritte Form, der intermediäre Phänotyp, ist ebenfalls heterozygot, stellt aber in seinem Erscheinungsbild eine Mischform zwischen den beiden homozygoten Phänotypen dar. 12 Nicht in allen Fällen ist zur Ausprägung eines bestimmten Merkmals nur ein Gen erforderlich (monogene Merkmale). 13 Die meisten phänotypischen Merkmale, wie ζ. B. Größe, Gewicht, Intelligenz oder Haarfarbe, werden von einer ganzen Reihe von Genen gemeinsam gesteuert (polygenetische Merkmale) 14 und zeigen darüber hinaus meist eine mehr oder weniger starke Abhängigkeit in ihrem Ausprägungsgrad von Umwelteinflüssen (multifaktoriell). 15
II. Die Weitergabe genetischer Information von Generation zu Generation Bei der Fortpflanzung wird die genetische Information an die Nachkommen weitergegeben. Bei der sexuellen (im Gegensatz zur asexuellen) Fortpflanzung wird je10 Allele Gene sind also verschiedene Zustandsformen (Nukleotidsequenzen) eines Gens. Sie befinden sich in homologen Chromosomen an gleichen Loci (Genorten), Günther, Lehrbuch der Genetik, S. 132. 11 Günther, Lehrbuch der Genetik, S. 132f. 12 Günther, Lehrbuch der Genetik., S. 133. 13 Ein einzelnes Gen kann auch mehrere verschiedene Erbmerkmale bewirken. Die Mutante eines solchen Gens ist z.B. die Sichelzelleanämie, bei der ein einziges verändertes Gen mehrere Krankheitssyptome zur Folge hat, Kaudewitz, Genetik, S. 206. 14 Kaudewitz, Genetik, S.207. 15 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, A II. 2, Rdnr. 19.
1. Kap.: Biomedizinische Grundlagen
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weils nur die Hälfte der genetischen Information von zwei Individuen an einen gemeinsamen Nachkommen weitergegeben. Die Weitergabe der genetischen Information erfolgt in zwei unterschiedlichen Schritten, der Keimzellenreifung und der Befruchtung, die teilweise um Jahrzehnte auseinander liegen können. Die männlichen und weiblichen Keimzellen (Gameten) entstehen durch Oogenese 16 und Spermatogenese17 und haben nach einer meiotischen18 Reifungsteilung nur einen einfachen Chromosomensatz. Es handelt sich hierbei um einen Chromosomensatz, der wegen der erfolgten Rekombination weder dem väterlichen noch dem mütterlichen DNS-Gehalt entspricht. Die weiblichen Keimzellen enthalten nur ein X-Chromosom, die männlichen enthalten entweder ein X- oder ein Y-Chromosom. 19 Beim Befruchtungsvorgang (der Konzeption) trifft die reife Eizelle mit dem Spermium zusammen. Enzyme bewirken eine teilweise Auflösung der die Eizelle umgebenden Zellschichten. Die Zellmembranen von Spermium und Eizelle gehen nun eine innige Verbindung ein, die schließlich das Eindringen des Spermiums in das Plasma der Eizelle ermöglicht (Imprägnation). Die neu entstandene Zelle nennt man Zygote. Es werden jetzt zwei Reaktionen in Gang gesetzt: - Stoffwechselvorgänge verhindern, daß weitere Spermien, die die zona pellucida (eine die Eizelle umgebende Schicht) durchdrungen haben könnten, in das eigentliche Ei-Innere eindringen können. Damit wird einer Doppelbefruchtung (Dispermie) in der Regel vorgebeugt. - Es formieren sich - jeweils aus dem haploiden (einfachen) Chromosomensatz der Ei- bzw. Samenzelle - zwei Vorkerne (Pronuclei), die von Membranen umgeben sind. Unmittelbar danach beginnt in jedem Vorkern die Verdopplung des genetischen Informationsmaterials, dann wandern die Vorkerne aufeinander zu und vereinigen sich (Konjugation) zur gemeinsamen Teilung (Furchung) des nunmehr diploiden Genoms. Die Befruchtung ist nun mit der Entstehung der sog. Zygote abgeschlossen.20 Der Vorgang dauert etwa 24 Stunden. Die Zygote enthält die volle artspezifische genetische Information, die durch Keimzellenreifung und Befruchtung in vielfältiger Weise rekombiniert für sich individualspezifisch ist. 21 16 Als Oogenese wird der Prozeß der Reifung zu befruchtungsfähigen Eizellen bezeichnet, der erst mit der Befruchtung vollständig abgeschlossen wird, Moore!Persaud, Embryologie, S. 17. 17 Die Spermatogenese ist der Prozeß der Reifung zu befruchtungsfähigen Spermien, Moore!Persaud, Embryologie, S. 16. 18 Durch die Meiose (Reduktionsteilung) erhalten die Gameten einen haploiden Chromosomensatz, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Meiose. 19 Ausführlich: Moore/Persaud, Embryologie, S. 16 f. 20 Im Sinne des Embryonenschutzgesetzes gilt die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle von diesem Zeitpunkt an als Embryo (§ 8 Abs. 1 ESchG). 21 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AII.4.b), Rdnr. 31 ff.
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2 0 1 . Teil: Grundlagen und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik
(Im juristischen Teil dieser Arbeit wird die Zygote - entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch - als Embryo bezeichnet werden. 22) Die Zygote ist die Ausgangszelle der gesamten Fruchtanlage. Sie entwickelt sich durch mitotische23 Teilungen schnell und teilt sich wenige Tage später in die eigentlichen Zellen der Embryo-Fetalanlage und der Placentaanlage. Wahrend der sich an die Befruchtung anschließenden 6-7 Tage wandert die Zygote durch den Eileiter bis in die Gebärmutterhöhle. Währenddessen teilt sich die Embryonalanlage etwa alle 12 Stunden in Tochterzellen, die sogenannten Blastomeren und verwandelt sich dadurch zur Morula. 24
III. Kenntnisstand zur Totipotenz frühembryonaler Zellen Als Embryo i. S. d. § 8 Abs. 1 ESchG gilt nicht nur die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Verschmelzung als Ganzes, sondern auch jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwikkeln vermag. Unter Totipotenz einer Zelle 25 versteht man die Fähigkeit, sich zu einem eigenständigen Embryo zu entwickeln. Eine totipotente Zelle ist noch nicht differenziert. Im späteren, nicht mehr totipotenten Stadium werden nur noch bestimmte Gene eingeschaltet, so daß sich aus der Zelle nur noch ein bestimmtes Gewebe entwickeln kann (z. B. Trophoblast und Embryoblast im frühen Embryonalstadium oder Lebergewebe, Skelett etc. im späteren Embryonalstadium). Voraussetzung für die Entwicklung einer totipotenten Zelle zu einem eigenständigen Embryo ist jedoch in jedem Fall, daß die aus dem Zellverband herausgelöste Blastomere in eine zuvor entkernte Eizellhülle (zona pellucida), also eine Wirtszelle, verbracht wird. 26 Im Hinblick auf § 8 Abs. 1 des ESchG ist folglich die Frage nach der Totipotenz der 22
Üblich ist insbesondere im angelsächsischen Sprachraum die Bezeichnung als Preembryo (Präembryo); der Begriff „Embryo" bezeichnet in der vorliegenden Arbeit in Übereinstimmung mit den Richtlinien des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen (DÄB1.1985, S. 3757 Fn. **) alle frühen Stadien des sich entwickelnden Keimlings ab der Befruchtung; dementsprechend auch die Regelung des § 8 Abs. 1 ESchG, wonach als Embryo im Sinne des Embryonenschutzgesetzes bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an gilt. 23 Die Mitose ist die identische Reduplikation des genetischen Materials und die Verteilung je eines vollständigen Chromosomensatzes auf die Tochterzellen, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Mitose. 24 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AII.4.b), Rdnr. 34. 25 Dabei ist unter „Totipotenz einer einem Embryo entnommenen Zelle" i.S. d. § 8 Abs. 1 ESchG die Entwicklungspotenz einer einzelnen, isolierten Furchungszelle (Blastomere) zu verstehen, nicht etwa die Totipotenz eines Zellkerns oder eines umschriebenen Gewebeverbandes, vgl. Beier, gyne Juli 1996, S. 233 (7,9); ders., EthikMed (1999) 11, 23 (24ff.). 26 Hepp/Beck in: Lexikon der Bioethik, Bd. 2, Stichwort: Lebensbeginn, S.537; dies wurde von Hall et al nachgewiesen, Hall/Engel/GindofflMottla/Stillman, Fertility and Sterility, Suppelement 1,1993, Abstract No. 0-001, S. 1.
1. Kap.: Biomedizinische Grundlagen
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Zellen des frühen Embryos relevant. Bis zu welchem Stadium der Entwicklung die Embryonalzellen noch das Potential besitzen, sich bei Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen zu einem Embryo zu entwickeln, ist in der Wissenschaft bislang nicht eindeutig geklärt. 27 Die Entwicklung und Teilung von Embryonen verläuft nicht synchron. Zu einem bestimmten Zeitpunkt enthalten gleichzeitig insemierte 28 Embryonen nicht die gleiche, sondern eine unterschiedliche Anzahl von Zellen. 29 Unumstritten jedenfalls ist, daß die Blastomeren bis zum Zwei- und Vierzellstadium totipotent sind. 30 Aus Tierversuchen weiß man, daß Zellen bis zum 8-Zellstadium totipotent sind. 31 In diesen Phasen kann auch die Trennung zu eineiigen Zwillingen erfolgen. 32 Nach dem derzeitigen Stand der Forschung haben die Einzelzellen im 8-Zellstadium, etwa am 3. Tag nach der Befruchtung, eine bestimmte Position erhalten. Die folgende Teilung zum 16-Zellstadium läßt bereits »äußere4 und »innere* Zellen entstehen. Die innere Zellmasse, das Embryoblast, differenziert sich zum eigentlichen Embryo. Die äußere Zellmasse, das Trophektoderm (oder Trophoblast), stellt die Vorstufe zur späteren Plazentaanlage dar. 33 Aus umfangreichen molekularbiologischen Untersuchungen wurde der Schluß gezogen, daß der Verlust der Totipotenz nicht ein plötzlich einsetzendes Ereignis ist, sondern daß es sich hierbei um einen kaskadenförmig ablaufenden Prozeß handelt, der zwischen dem 8- und 16-Zellstadium abläuft. 34 Eine eindeutige Differenzierung in Embryoblast und Trophoblast und damit der eindeutige Verlust der Totipotenz kann nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft erst im 16-Zellstadium angenommen werden. 35
IV. Die Weiterentwicklung der Morula Etwa am fünften Tag ist aus der Morula eine Blastozyste entstanden, an der deutlich eine sogenannte innere Zellmasse (Embryoblast) von den umgebenden Zellen, 27 Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, S.8; Kollek , Präimplantationsdiagnostik, S.65. 28 Insemination ist die Bezeichnung für die auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr erfolgende Befruchtung einer Eizelle, insbesondere die Befruchtung durch In-vitro-Fertilisation, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Insemination. 29 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 16. 30 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.66; am dritten Tag nach in-vitro-Fertilisation liegen Embryonen im 4- bis 10-Zellstadium vor, siehe Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 12, Fn. 13. Beier, EthikMed (1999) 11, 23 (33). 32 Allerdings ist in der Natur die Bildung von eineiigen Zwillingen in diesem Stadium eher selten. Sie erfolgt meistens in dem späteren Stadium der Blastozyste, am Ende der ersten Woche, Moore/Persaud, Embryologie, S. 154; Drews , Taschenatlas der Embryologie, S. 130f. 33 Ausführlich zur frühen embryonalen Entwicklung: Moore!Persaud, Embryologie, S. 35 ff. 34 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.69, Moore!Persaud, Embryologie, S. 35 ff. 35 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.30; dies., Präimplantationsdiagnostik, S. 66 ff.
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dem Trophektoderm (Trophoblast), abzugrenzen ist. Die innere Zellmasse differenziert sich zum eigentlichen Embryo. Das Trophektoderm, also die umgebenden Zellen, stellt - wie bereits erwähnt 36 - die Vorstufe der späteren Plazentaanlage dar. In diesem Stadium ist die Blastozyste noch unabhängig vom mütterlichen Kreislauf. Am 7.-9. Tag beginnt die Nidation (Implantation, Einnistung) des Keimlings. Die menschliche Blastozyste hat ein Stadium von etwa 125 Zellen erreicht. Sie liegt im Innern der Gebärmutter und hat - während die zona pellucida (Eihülle) verlorengeht - den ersten Kontakt zur Gebärmutterschleimhaut aufgenommen. Die Verlustrate bei der Nidation in die Gebärmutterschleimhaut ist außerordentlich hoch, d. h. nur jeder dritte Keim nistet sich ein. Die häufigste Ursache dafür ist wahrscheinlich eine chromosomale Störung der Keimzellen.37 Mit der Nidation ist die Präimplantationsphase abgeschlossen, die Entwicklung geht in die Implantationsphase über. Innerhalb der nächsten sieben Tage nistet sich die Zygote in die Gebärmutterschleimhaut ein. Von nun an ist der Embryo an den mütterlichen Kreislauf angeschlossen. Kurz nach dem Abschluß der Nidation (am 13.-14. Tag) endet die Möglichkeit der Zwillingsbildung, also die Fähigkeit, sich zu teilen und zu genetisch identischen Zwillingen zu entwickeln.38 In der zweiten Woche nach der Befruchtung differenziert sich der Embryoblast zu einer Keimscheibe, die aus einem äußeren und inneren Keimblatt besteht. Zu Beginn der dritten Schwangerschaftswoche zeigt sich auf dem äußeren Keimblatt eine embryonale Längsachse, der sog. Primitivstreifen, von dem aus sich die Zellen für das dritte, mittlere Keimblatt zwischen das äußere und innere Keimblatt schieben.39 Eine spontane Teilung kann nur bis zur Ausbildung des Primitivstreifens erfolgen. 40 Es schließt sich die Organogenese an, in der die Differenzierung einzelner Zellen zu den späteren Organanlagen erfolgt. In der dritten Ontogenesewoche steht die Ausbildung des Zentralnervensystems im Vordergrund. Aus dem äußeren Keimblatt wird schon das Neurairohr gebildet.41 Aus dem Neurairohr entwickeln sich Gehirn und Rückenmark. Spätestens nach dem 42. Tag ist die Ausbildung der Grundstruktur des Gehirns abgeschlossen. Etwa in der vierten Woche beginnt das Herz zu schlagen.42 Am Ende der achten Woche sind alle wesentlichen äußeren und inneren Organe angelegt, der Fetus hat eine Scheitel-Steiß-Länge von etwa 30 mm erreicht. Es folgt nun die Fetogenese, die Reifung aller Organe bis zum Ende der Schwangerschaft. 43 36
Siehe unter III. Heywinkel/Beck in: Lexikon der Bioethik, Bd. 1, Stichwort: Embryonalentwicklung, 5.555. 38 Schmidt, Rechtliche Aspekte der Genomanalyse, S.84. 39 Heywinkel/Beck in: Lexikon der Bioethik, Bd. 1, Stichwort: Embryonalentwicklung, 5.556. 40 Heywinkel/Beck in: Lexikon der Bioethik, Bd. 1, Stichwort: Embryo, S.553. 41 Heywinkel/Beck in: Lexikon der Bioethik, Bd. 1, Stichwort: Embryonalentwicklung, S.556. 42 Schmidt, Rechtliche Aspekte der Genomanalyse, S. 84. 43 Zur embryonalen Entwicklung ausführlich: Moore/Persaud, Embryologie, S.43ff. 37
1. Kap.: Biomedizinische Grundlagen
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V. Vererbung und Krankheit Krankheiten können entweder rein äußere Ursachen haben, sie können die Folge einer gestörten Wechselwirkung von genetischer Anlage und Umwelt sein oder aber rein genetische Ursachen haben. Krankheiten, die zumindest auch erblich bedingt sind, bezeichnet man als Erbkrankheiten. Im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik sind - jedenfalls zur Zeit - nur die auf rein genetische Ursachen zurückzuführenden Krankheiten von Interesse. Zu dieser Kategorie von Erbkrankheiten gehören unter anderem die Hämophilie oder Bluterkrankheit, eine erbliche Leukämieform, die Mukoviszidose oder Cystische Fibrose und der Duchenne-Muskelschwund.44 Erbliche Krankheiten können familiär gehäuft oder durch spontane Neumutation in einer durch genetische Krankheiten bisher unbelasteten Familie auftreten. Der jeweilige Defekt der DNS kann sowohl in den somatischen Zellen, also in den Körperzellen, als auch in den Keimzellen des Trägers vorkommen. Erblich ist eine Krankheit nur dann, wenn die Mutation in der Keimzelle vorliegt. Bei den Erbkrankheiten kann man drei große Gruppen unterscheiden: die Chromosomenerkrankungen, die monogenen Erkrankungen und die polygenen Erkrankungen. Unter Chromosomenerkrankungen versteht man relativ grobe zahlenmäßige oder strukturelle Veränderungen der DNS, sog. Chromosomenaberrationen. Bei den zahlenmäßigen Aberrationen können statt des zweifachen (diploiden) Chromosomensatzes ein dreifacher (triploider) oder ein vierfacher Chromosomensatz vorliegen. Man spricht dann von Polyploidien, die zu nicht lebensfähigen Keimanlagen führen. Es kann jedoch auch vorkommen, daß nur ein einzelnes Chromosom in abweichender Zahl vorliegt (sog. Aneusomie). Bei letzteren finden sich einige häufige Krankheitsbilder wie insbesondere die Trisomie 21 (Mongolismus, Morbus Down), bei der das Chromosom 21 dreifach vorhanden ist. Strukturelle Chromosomenaberrationen sind die Deletion (Verlust eines Chromosomen· oder DNS-stücks), die Inversion (ein Teilstück ist „verkehrtherum" eingesetzt), die Insertion (ein Chromosomen- oder DNS-stück ist zuviel vorhanden) und die Duplikation (ein Chromosomen- oder DNS-stück ist doppelt vorhanden); sie führen meist zu sehr schweren körperlichen oder geistigen Defekten. 45 Obwohl ein hoher Prozentsatz der reifen Keimzellen eine Chromosomenaberration in sich trägt 46 , leiden lediglich 0,5 bis 1,5 Prozent der Neugeborenen an einer Erbkrankheit. 47 Dies ist darauf zurückzuführen, daß ein Selektionsmechanismus der Natur dafür sorgt, daß über 99 % genetisch schwer gestörter Embryonen in der Frühschwangerschaft in Form einer Fehlgeburt zu Grunde gehen.48 Die Mutationshäu44
Schellekens, Ingenieure des Lebens, S.49. Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AHI, Rdnr. 1 ff. 46 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AHI, Rdnr. 14. 47 Schellekens, Ingenieure des Lebens, S. 176. 48 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AHI, Rndr. 14; damit korrespondiert die Tatsache, daß die Erkenntnis über die Fülle von Chromosomenanomalien an Untersuchungen von 45
2 4 1 . Teil: Grundlagen und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik
figkeit kann jedoch in bestimmten Bevölkerungsgruppen sehr groß sein, so daß die Erbkrankheit ein großes Gesundheitsproblem darstellt. 49 Von den monogen bedingten Erbkrankheiten, also solchen, die auf eine Veränderung in einem Gen oder dessen Ausfall zurückzuführen sind, sind derzeit über 5000 bekannt.50 Bei noch nicht einmal 400 Erberkrankungen kennt man den biochemischen Defekt, bei weniger als 100 den DNA-Defekt. Zellbiologische, biochemische und molekularbiologische Methoden erlauben es jedoch in zunehmendem Maße, Gene aufzuspüren, die für genetisch bedingte Erkrankungen eine Rolle spielen.51 Die Ursache monogener Erkrankungen liegt in der Mutation jeweils eines einzelnen Gens, die entweder bei der Keimzellenreifung neu entstanden ist oder aber schon durch viele Generationen weitergegeben worden ist. Allele 52 Gene mutieren unabhängig voneinander, dadurch wird das Lebewesen in bezug auf die betreffende Erbanlage heterozygot. Das mutierte Gen kann sich zu seinem ursprünglichen Gen dominant oder rezessiv verhalten. Es kann auf einem der Autosomen oder auf einem der Gonosomen gelegen sein. Es führt daher zu einer Erkrankung mit einem dominanten oder rezessiven und mit einem autosomalen oder gonosomalen53 Erbgang. 54 Bei autosomal dominanten Erkrankungen liegt das krankhaft mutierte Gen auf einem der beiden homologen Loci eines Chromosomenpaares vor (Heterozygotie). Der Träger ist erkrankt, obwohl er auch das Allel für die gesunde Eigenschaft in sich hat. Bei der Keimzellenreifung weichen die homologen Chromosomen auseinander. Der Erkrankte bildet demzufolge reife Keimzellen mit dem „pathologischen" Allel und solche mit dem „gesunden". Ob der Nachkomme erkranken oder gesund sein wird, hängt daher davon ab, welche der beiden Keimzellen zur Befruchtung kommt. Da die Wahrscheinlichkeit für beides gleich ist, spricht man von einem 50%igen Wiederholungsrisiko für jeden Nachkommen eines an einer autosomal dominanten Erkrankung Leidenden.55 Zellen aus spontan beendeten Schwangerschaften gewonnen wurde, Bericht der EnquêteKommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie", BTDrucks. 10/6775, S. 143. 49 Schellekens, Ingenieure des Lebens, S. 176; so ζ. B. bei der Sichelzellenanämie und Thalassämie, wo in vielen Bevölkerungsgruppen der Welt ein Träger auf 5 bis 20 Personen kommt. Beim Tay-Sachs-Sydrom, einer Nervenerkrankung, kommt bei Aschkenamin-Juden ein Träger auf 25 bis 30 Personen, bei bestimmten Gruppen der weißen Bevölkerung kommt die Cystische Fibrose vermehrt vor (Angaben nach Schellekens, Ingenieure des Lebens, S. 189). 50 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.81. 51 Schellekens, Ingenieure des Lebens, S.49. 52 Ein Allel ist die eine Hälfte des Genpaares auf dem homologen Chromosomenpaar. 53 Gonosomale Erkrankungen sind Erbkrankheiten, die die Geschlechtschromosomen (Gonosomen) betreffen, zumeist handelt es sich um Mutationen des X-Chromosoms, Murken/Cleve, Humangenetik, S. 112. Das Vorkommen abnormer Gene mit Y-chromosomalem Erbgang wird vermutet, ist aber nicht mit Sicherheit nachgewiesen ÇPschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Erbgang, Y-chromosomaler). 54 Murken/Cleve, Humangenetik, S.94ff. 55 Murken/Cleve, Humangenetik, S.94ff.
1. Kap.: Biomedizinische Grundlagen
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Bei X-chromosomal dominanten Mutationen wirkt das Allel beim Mann wegen des Fehlens eines zweiten X-Chromosoms meist als Letalfaktor 56, so daß nur Frauen erkranken können. Das Weitergaberisiko liegt ebenfalls bei 50 %. 57 Bestimmte dominante Erkrankungen können innerhalb der Familie oder von Generation zu Generation einen wechselnd starken Ausprägungsgrad haben oder auch erst im späteren Leben hervortreten. 58 Autosomal-rezessive Gene können nur dann eine Krankheit hervorrufen, wenn sie in homozygoter Form, also auf beiden homologen Loci eines Chromosoms vorhanden sind. Die Eltern eines Erkrankten tragen - sofern sie nicht selbst erkrankt sind - das pathologische Gen in verdeckter Form einmal in all ihren Körperzellen, sie sind heterozygot. Das Erkrankungsrisiko für Geschwister eines Erkrankten entspricht 25 %. Sie haben jedoch ein Risiko von 50 % - das sind zwei Drittel der gesunden Geschwister - wieder heterozygot zu sein.59 Da das entsprechende homologe Chromosom bei ihnen fehlt, führen X-chromosomal-rezessive Gene in der Regel nur bei Männern zur Erkrankung, während Frauen als sogenannte Konduktorinnen die Krankheit übertragen. Alle Töchter eines Erkrankten sind wieder Konduktorinnen, alle Söhne (Y-Chromosom vom Vater) sind gesund. Kinder einer Konduktorin haben ein Risiko von 50%, das X-Chromosom mit dem pathologischen Gen zu erben. Das bedeutet für Söhne ein 50%iges Erkrankungsrisiko. Für Töchter besteht ein 50%iges Risiko, Konduktorin zu werden. 60 Bei den dominanten Erkrankungen handelt es sich häufig um einen Defekt von Genen, die für die Struktur des Organismus verantwortlich sind. Rezessive Erkrankungen sind eher solche, die für die Funktion besonders enzymatischer Reaktionen zuständig sind.61 Bekannte autosominal dominante Erkrankungen sind ζ. B.: Neurofibromatose (von Recklinghausen'sehe Erkrankung), Chondrodysplasie (dysproportionierter Zwergwuchs), Huntington'sehe Chorea (erblicher Veitstanz), Myotone Dystrophie, Polycystische Niere vom erwachsenen Typ, familiäre Hypercholesterinämie. Unter den rezessiven Erkrankungen finden sich viele der sogenannten Stoffwechselerkrankungen: Mucopolysaccharidoses Phenylketonurie, Cystische Fibrose (Mukoviscidose). Bekannte X-chromosomale Erkrankungen sind: Duchenne'sche Muskeldystrophie, Hämophilie A und Β (Bluterkrankheit), Rot-Grün-Schwäche.62 Hinzuweisen ist noch auf die Tatsache, daß eine klinisch klar umschriebene Erkran56
Mutation, die dazu führt, daß die Zygote das fortpflanzungsfähige Alter nicht erreicht (Pschyrembely Klinisches Wörterbuch, Stich wort: Letalfaktor). 57 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AHI, Rdnr. 17. 58 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AHI, Rdnr. 18. 59 Murken/Cleve, Humangenetik, S. 102ff. 60 Murken/Cleve, Humangenetik, S. 109ff. 61 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AHI, Rdnr. 25. 62 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AHI, Rdnr.26.
2 6 1 . Teil: Grundlagen und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik
kung ihre Ursache an unterschiedlichen Genorten haben kann. Sie kann ihre Ursache auch in unterschiedlichen Mutanten eines Gens für einen Genort (sog. Multiple Allelie) haben.63 Die Gesamthäufigkeit monogener Erkrankungen unter Lebendgeburten beträgt 0,23-3,6 Bei den polygenen Krankheiten müssen viele Gene und äußere Einflüsse zusammenwirken, um ein bestimmtes Krankheitsbild auszuprägen. Zu ihnen gehören Erkrankungen wie Asthma bronchiale, Klumpfuß, Spina bifida, Anencephalus, Schizophrenie, manisch depressive Erkrankung und eine Reihe von Fehlbildungssyndromen. Die Angaben zur Häufigkeit insgesamt differieren von 3-9 % unter Neugeborenen, 4-22 % unter pädiatrischen 65 Patienten und 14-38 % unter den Todesursachen im Kindesalter. 66 Gendefekte müssen nicht von Geburt an zu Krankheitserscheinungen führen; oft treten die Symptome erst später im Leben einer Person auf. Das gilt zum Beispiel, wenn bei der Erkrankung Gene verändert sind, die bei der Proteinverarbeitung im Körper eine Rolle spielen. Wird die Veranlagung früh erkannt, so läßt sich die gefürchtete Stoffwechselstörung durch eine geeignete Diät verhindern.
VI. Die Analyse des Erbmaterials Die Diagnostik genetischer Merkmale kann auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen, für die sich der Ausdruck Genomdiagnostik eingebürgert hat: Auf der Phänotyp-Ebene werden Merkmale mit relativ geringen Hilfsmitteln am körperlichen Zustand erkannt. Auf der chromosomalen Ebene werden mit Hilfe lichtmikroskopischer Betrachtung relativ grobe numerische oder strukurelle Veränderungen der Chromosomen betrachtet. Auf der biochemischen Ebene werden das Genprodukt oder seine unmittelbaren Folgen im chemisch erfaßbaren Stoffwechsel eines Organismus erkannt. Nur die molekulargenetische Diagnose erfaßt den wirklichen Defekt der genetischen Information an der DNS oder RNS. Diese Diagnose ist unabhängig von der tatsächlichen Ausprägung einer genetischen Information, die oiganund phasenspezifisch ist (sog. präsymptomatische Diagnostik). Sie ist also auch schon vor dem Auftreten einer genetischen Erkrankung möglich. 67
63
Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AHI, Rdnr.21. Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AHI, Rdnr.27. 65 Pädiatrie: Kinderheilkunde. 66 Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, AHI, Rdnr. 28. 67 Zu den Verfahren im einzelnen im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik, Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 17 ff.; dies., Präimplantationsdiagnostik, S.45ff., 82ff. 64
2. Kap.: Methoden und Anwendungsgebiete
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2. Kapitel
Methoden und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik I. Die Technik der Präimplantationsdiagnostik Die Präimplantationsdiagnostik ist die Untersuchung an befruchteten Eizellen mit dem Ziel, ihren genetischen Status festzustellen. Seit Ende der 80er Jahre sind in den USA, in Kanada, in Großbritannien, in Belgien, in den Niederlanden und in Italien Verfahren der Präimplantationsdiagnostik entwickelt worden. Die Präimplantationsdiagnostik wird weltweit bereits in 29 Reproduktionszentren angeboten, vorwiegend in Nordamerika und Europa 68. 1990 kam das erste Kind nach Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik zur Welt. 69 Bis zum Jahre 1997 wurde bei 369 Patientinnen eine Präimplantationsdiagnostik durchgeführt. Insgesamt liegen Resultate über 549 Behandlungszyklen vor. In 477 Fällen erfolgte ein Embryotransfer, und es entstanden 128 Schwangerschaften, das sind 27% pro Transfer. Es erfolgten 72 Geburten, wobei (infolge von Mehrlingsgeburten) 96 gesunde Kinder geboren wurden. 70 Die Präimplantationsdiagnostik kann am Embryo in unterschiedlichen Stadien der Embryonalentwicklung durchgeführt werden (Embryobiopsie). Voran geht - jedenfalls in der heutigen Praxis - eine hormonelle Stimulation der Follikelreifung 71, um über ausreichend viele Eizellen für die Untersuchung verfügen zu können. Bei der Embryobiopsie erfolgt zunächst eine künstliche Befruchtung der Eizelle mit männlichem Samen (In-vitro-Fertilisation). 72 Dem Embryo werden dann im 4bis 16-Zellstadium eine oder zwei Zellen entnommen. Es erfolgt dann eine Untersuchung des Erbmaterials. Bei dieser Untersuchung kann das Geschlecht des Embryos festgestellt werden. Es kann weiter festgestellt werden, ob ein normales Chromosomenbild vorliegt oder ob bestimmte genetische Veränderungen auf molekularer Ebene vorliegen, die mit Erbkrankheiten in Verbindung gebracht werden können. Nach einer Präimplantationsdiagnose von zwei Blastomeren kann mit einer etwa 68 Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, S. 22; Die Zeit vom 8. Juli 1999, S. 35. 69 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.27. 70 Krebs in: Lexikon der Bioethik, Bd. 1, Stichwort: Embryonenforschung, S.559; weiteres Zahlenmaterial: Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.28ff. 71 Die Follikelreifung ist die Entwicklung eines kleinen Teils der pränatal angelegten Primärfollikel im Ovarium im Rahmen des Ovarialzyklus (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Follikelreifung). 72 Die Gewinnung von Embryonen nach in-vivo-Fertilisierung durch Ausspültechniken aus dem Eileiter oder Uterus hat sich als unzuverlässig erwiesen, Beier, EthikMed 1999 (11), 23(34).
2 8 1 . Teil: Grundlagen und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik
95%igen Wahrscheinlichkeit ausgesagt werden, ob der betreffende Embryo eine Chromosomenaberration trägt oder nicht. 73 Die Embryobiopsie wird meist am 3. Tag nach der künstlichen Befruchtung vorgenommen; die Embryonen bestehen zu diesem Zeitpunkt aus 4 bis 10 Zellen. 74 Untersuchungen haben gezeigt, daß ein Viertel der Zellmasse des Embryos entnommen werden kann, ohne daß dessen Entwicklung langfristig beeinflußt wird. 75 Festgestellt wurden jedoch Entwicklungsverzögerungen. 76 Es wird vermutet, daß in Bezug auf Schädigungen an frühen Embryonen ein ,AHes-oder-Nichts-Gesetz" gilt, d. h. daß eine Schädigung entweder zum Wachsstumsstillstand führt oder aber daß sich die Embryonen normal weiterentwikkeln. 77 Die Präimplantationsdiagnostik könnte dem Restembryo u. U. jedoch deshalb schaden, weil dieser bis zum Abschluß der Diagnose kryokonserviert wird. Bei der Kryokonservierung wird der Embryo in einem Medium, das Gefrierschutzmittel enthält, bis weit unter den Gefrierpunkt abgekühlt und dann bei -196° Celsius in flüssigem Stickstoff aufbewahrt. Die Aufbewahrung ist zeitlich unbegrenzt möglich. Am Mausmodell wurde festgestellt, daß die Kryokonservierung allein - jedenfalls beim einmaligen Einfrieren - dem Embryo nicht schadet. Wird aber sowohl eine Kryokonservierung als auch eine Biopsie durchgeführt, so wird die weitere Entwicklung des Embryos beeinträchtigt. 78 Darüber hinaus ist es möglich, daß durch die Kryokonservierung chromosomale Veränderungen erst verursacht werden. 79 Unerforscht ist bislang, ob bei den Kindern, die nach Anwendung der PID geboren werden, langfristig Schädigungen zu erwarten sind, die auf diesen Eingriff zurückzuführen sind. 80 Dafür, daß die nach Anwendung der Präimplantationsdiagnostik geborenen Kinder, Schädigungen aufweisen, die sich auf den präimplantativen Eingriff zurückführen lassen, gibt es allerdings zur Zeit keine konkreten Hinweisen.81 Bei einer normalen In-vitro-Fertilisation (ohne PID) erfolgt die Übertragung in den Uterus in der Regel am zweiten Tag nach der Befruchtung. Der Embryo befindet sich zu diesem Zeitpunkt im 4- bis 8-Zell-Stadium82; jedoch haben sich zu diesem 73
Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.55.(Diese Zahl bezieht sich jedoch nur auf Chromosomenaberrationen, also auf Abweichungen der Chromosomenzahl oder strukturelle Chromosomenaberrationen). 74 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.36. 75 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.36. 76 Kollek, Präimplantationsdiagostik, S.54. 77 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S. 54; Heywinkel/Beck in: Lexikon der Bioethik Bd. 1, Stichwort: Embryo, S. 553;ausführlich zum Verfahren der Embryobiopsie: Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S. 35 ff. 78 Ludwig! Muschalla/Al-HasaniiDiedrich, Human Reproduction vol. 13 no. 11, 1998, S. 3165ff.; Ratzel/Heinemann, MedR 1997, 540(541). 79 Günther, MedR 1990, S. 161 (166). 80 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.23; Günther,, MedR 1990, S. 161 (166). 81 Ausführlich dazu: Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.54 ff. 82 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 11; Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen, BTDrucks. 11/1856, S.3.
2. Kap.: Methoden und Anwendungsgebiete
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Zeitpunkt die meisten Eizellen erst zweimal geteilt, d. h. sie liegen im 2 bis 4-Zellstadium vor. 83 Der Transfer erfolgt nur dann, wenn der zu transferierende Embryo nicht schon morphologisch auffällig ist. 84 Die Biopsie soll - medizinisch betrachtet - einerseits so spät wie möglich vorgenommen werden, da sie dann dem Embryo nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnis weniger schadet und mehr Zellen für die genetische Analyse zur Verfügung stehen. Andererseits sollen die PID und der anschließende Embryotransfer zu einem Zeitpunkt erfolgen, der die besten Implantations-, Schwangerschafts- und Geburtenraten gewährleistet. Je früher der Embryo wieder eingesetzt wird, desto besser wächst er in der Gebärmutter an.85 Aus diesem Grunde werden in den meisten Zentren die Biopsie, die genetische Analyse und der Embryotransfer am 3. Tag - also im 4- bis 10-Zellstadium - nach Insemination in vitro durchgeführt. 86 Embryonen, die eine festgestellte Erbkrankheit tragen, werden verworfen. Mit der Präimplantationsdiagnostik können dieselben Krankheiten festgestellt werden, die auch mit Hilfe der Pränataldiagnostik ermittelt werden können.87 Das Erbmaterial wird mit Hilfe verschiedener Methoden der Chromosomendiagnostik oder molekulargenetischen Diagnostik auf Abweichungen untersucht. Der Anteil der molekularbiologischen Untersuchungen beträgt dabei derzeit weniger als 5%. Es ist anzunehmen, daß die Methoden der Diagnostik zunehmend verbessert werden. Probleme ergeben sich bei der Analyse chromosomaler Störungen aufgrund des Vorkommens sog. Mosaike. Darunter versteht man das Vorkommen einer zweiten oder mehrerer Zellinien mit einer von der Hauptzellinie abweichenden Chromosomenkonstitution.88 Derzeit werden ca. 200 Tests auf unterschiedliche Erbkrankheiten in der humangenetischen Praxis eingesetzt.89 Die Sicherheit, mit der durch die Präimplantationsdiagnostik eine Genveränderung diagnostiziert werden kann, ist unterschiedlich, je nach Art der Mutation. In bestimmten Fällen wird zusätzlich 83
Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 13; Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen, BTDrucks. 11/1856, S.3. 84 Beckmann,, ZRP 1987, S. 80 (81, Fn. 7); Die Morphologie ist die Lehre von der Körperbzw. Organform und Körperstruktur, Pschychrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Morphologie. 85 Die Zeit vom 8. Juli 1999; „Die Zellentnahme nach Abschluß des Acht-Zell-Stadiums hat nach bisherigem Erkenntnisstand keine negativen Auswirkungen auf den heranwachsenden Embryo. Die Nidationschance sinkt jedoch, je später der Transfer durchgeführt wird.", Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, S.9. 86 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 16. Beachtlich ist, daß die Lübecker Ethik-Kommission in ihrer Entscheidung davon ausgeht, daß die zu untersuchenden Embryonen am 3. Tag nach Insemination in vitro im 12-Zellstadium vorliegen. Darauf weist Kollek in ihrer Studie „Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik" hin, S. 16f.; dies, dazu auch in: Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.72. 87 Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, S. 65. 88 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.47, 102ff. 89 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.81.
3 0 1 . Teil: Grundlagen und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik
eine spätere pränatale Diagnostik empfohlen. 90 Die entnommenen Zellen werden bei der Untersuchung verbraucht. Hingewiesen sei an dieser Stelle noch auf die Tatsache, daß mit der PID keine eventuellen postzygotischen Mutationen diagnostiziert werden können.91 Es besteht auch die Möglichkeit, eine Diagnose an unbefruchteten Eizellen vorzunehmen (Präkonzeptionsdiagnostik). Bei diesem Verfahren erfolgt eine Biopsie des Polkörpers 92, die Diagnose wird an der Eizelle vor der Befruchtung durchgeführt. Diese Form der Präimplantationsdiagnostik macht etwa 70 % der Diagnosen aus. Sie hat jedoch insbesondere den Nachteil, daß nur das mütterliche Erbmaterial untersucht werden kann. Chromosomenaberrationen, die erst nach der ersten oder zweiten Zellteilung des Embryos entstehen, können nicht erfaßt werden. 93 Da bei der Polkörperdiagnostik noch kein Embryo vorliegt, ist deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit unproblematisch, so daß eine eingehende Darstellung dieses Verfahrens entbehrlich ist. 94
II. Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik Eine Hauptindikation für die PID ist das Vorliegen eines bekannten Risikos für eine schwere erbliche Erkrankung. Dies ist dann der Fall, wenn ein Partner Anlageträger für eine Chromosomenstrukturaberration im balancierten Zustand oder Anlageträger für eine autosomal dominant erbliche Erkrankung ist oder bei Paaren, bei denen ein nachgewiesener Anlageträgerstatus für eine autosomal rezessiv erbliche Erkrankung besteht oder bei Paaren, bei denen die Frau gesicherte Anlageträgerin für eine geschlechtsgebundene Erkrankung ist. 95 Vielfach ist in diesen Fällen schon ein erbkrankes Kind zur Welt gekommen. Eine weitere Klientel, die ein Interesse an der Inanspruchnahme einer PID haben könnte, sind solche Personen, bei denen der Verdacht auf eine schwere dominante Erbkrankheit besteht, die erst später im Leben manifest wird. In diesen Fällen entscheiden sich werdende Eltern oft gegen eine Pränataldiagnostik, da der betroffene Elternteil - sofern beim Fötus die entsprechende Krankheit diagnostiziert wird - dann erfährt, daß er selbst von der Krankheit betroffen sein kann oder wird. Ein Wissen, das sehr belastend sein kann. Die PID bietet die Möglichkeit, die Vererbung des Krankheitsmerkmals zu vermeiden, ohne daß der betroffene Elternteil 90
Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, S. 8. Kaiser in: Keller/Günther/Kaiser, A VIII Rdnr. 15. 92 Reife Eizellen haben sog. Polkörper, die während der Meiose entstehen. 93 Ausführlich zu diesem Verfahren: Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S. 31 ff. 94 Α. A. allerdings Starck, Verh. des 56. DJT, Bd. I, A17, der schon der Eizelle Menschenwürde zukommen lassen will. 95 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.75ff. 91
2. Kap.: Methoden und Anwendungsgebiete
31
Kenntnis von seinem eigenen genetischen Status erlangen muß. Bei der IVF mit anschließender PID kann mit dem Paar vereinbart werden, daß ihm das spezifische Untersuchungsergebnis nicht mitgeteilt wird. Es würde dann lediglich mitgeteilt, daß die Embryonen getestet wurden und ausschließlich solche ohne erkennbare Krankheitsmerkmale in den Uterus übertragen wurden. 96 Eine weitere Gruppe, für die die Anwendung der PID von besonderem Interesse sein könnte, sind Frauen über 35, die sich aufgrund von Fruchtbarkeitsproblemen einer IVF unterziehen. Wegen ihres Alters haben sie ein erhöhtes Risiko für Trisomie 21 oder andere Aneuploidien.97 Die drei genannten Gruppen umfassen zusammen maximal einige tausend Paare pro Jahr. 98 Das Phänomen der Mosaikbildung stellt jedoch ein bedeutsames Argument gegen ein Screening (also eine Reihenuntersuchung) der Embryonen auf Aneuploidien nach einer In-vitro-Fertilisation dar. 99 Eine weitere Gruppe, bei der die PID in Frage kommt, sind solche Paare, bei denen die intracytoplasmatische Spermainjektion (ICSI) eingesetzt wird. Bei diesem Verfahren spritzen die Ärzte eine Spermienzelle direkt in die Eizelle der Frau. Mit diesem Verfahren kann Männern, die über zu wenige oder nicht-befruchtungsfähige Spermien verfügen, zu einem eigenen Kind verholfen werden. Das Verfahren wurde allein im Jahr 1996 rund 16000mal angewandt.100 Das genetische Risiko, das für ein Kind, welches mit diesem Verfahren gezeugt wurde, besteht, ist jedoch bis heute nicht geklärt. 101 Ein erhöhtes Risiko besteht sicher insoweit, als männliche Fruchtbarkeitsprobleme mit einem erhöhten Auftreten von chromosomalen und genetischen Schädigungen verbunden sind, und daß insbesondere die Unfruchtbarkeit auf Nachkommenschaft übertragen werden kann sowie Schädigungen durch die Methode selbst verursacht werden können.102 Die Präimplantationsdiagnostik könnte daher sicherstellen, daß derart geschädigte Embryonen nicht übertragen werden. 96 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S. 82ff., insbesondere vorgeschlagen für Chorea Huntington. 97 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.94ff.; das Risiko für einen pathologischen Chromosomenbefund beträgt bei Frauen zwischen 36 und 39 Jahren bei der pränatalen Chromosomendiagnostik zwischen 1,1 und 1,9%, Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 44; Aneuploidie: einzelne Chromosomen sind nicht in normaler Zahl vorhanden. Demgegenüber kommt dem Alter des Mannes nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht die Bedeutung zu wie dem Alter der Frau. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Spermatozoen im Gegensatz zur Eizelle immer wieder neu gebildet werden und so wesentlich seltener chromosomale Alterungsprozesse auftreten (Heywinkel/Beck in: Lexikon der Bioethik, Bd. 1, Stichwort: Embryonalentwicklung, S.555). 98 Netzer, EthikMed (1998) 10, S. 138 (145, Fn.7). 99 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S. 105. 100 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.37; ausführlich: Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S.89ff. 101 Die Süddeutsche Zeitung weist auf eine Studie der University of Sheffield in Australien hin, wonach die Fehlbildungsrate unter ICSI-Kindem doppelt so hoch ist wie bei auf herkömmlichem Wege gezeugten Kindern; nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen werden einige der mit ICSI gezeugten Jungen höchstwahrscheinlich später selbst nicht auf natürlichem Wege Kinder zeugen können, Süddeutsche Zeitung vom 13. Juli 1999, S. V2/11.
3 2 1 . Teil: Grundlagen und Anwendungsgebiete der Präimplantationsdiagnostik
Weitere Anwendungsgebiete der PID befinden sich derzeit noch in der experimentellen Phase. Insbesondere ist die PID interessant als Kontrollinstrument nach einem biochemischen oder genetischen Eingriff in die Gameten (also die männlichen und weiblichen Keimzellen).103 Es ist absehbar, daß die Testtechnologien perfektioniert werden, insbesondere daß in Zukunft mit einem Test mehrere Mutationen gleichzeitig entdeckt werden können. Daher wird das Argument, die PID sei zu zeitraubend und zu teuer, nicht mehr lange Bestand haben.104
102
Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.38; Die Zeit vom 14. April 1999, S. 37 (38). 103 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.50ff.; ausführlich: Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S. 106ff. 104 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 49f.; dies., Präimplantationsdiagnostik, S. 109.
2. T e i l
Das Embryonenschutzgesetz 1. Kapitel
Die einschlägigen Straftatbestände des Embryonenschutzgesetzes Das Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) vom 13. Dezember 1990, das am 1. Januar 1991 in Kraft getreten ist 1 , enthält kein explizites Verbot der Präimplantationsdiagnostik, jedoch wird das Verfahren von verschiedenen Vorschriften des Gesetzes erfaßt, wobei die diesbezügliche Reichweite der Regelungen des Embryonenschutzgesetzes bislang noch ungeklärt ist.2 Augenfällig ist, daß insbesondere bei den betroffenen Ärzten und Naturwissenschaftlern erhebliche Unsicherheiten bezüglich der Regelungen des Embryonenschutzgesetzes bestehen.3 Die Frage, inwieweit und nach welchen Vorschriften die Präimplantationsdiagnostik verboten ist, bedarf zunächst der Klärung. Als strafbegründende Handlungen kommen dabei nach der Systematik des Embryonenschutzgesetzes insbesondere die Abspaltung und der Verbrauch einer Zelle zu Diagnosezwecken und die der Diagnose vorausgehende künstliche Befruchtung in Betracht. 4
1
Gesetz zum Schutz von Embryonen vom 13. Dezember 1990, BGBl. I, 2746. Die Interpretation der Vorschriften wird dadurch erschwert, daß bislang keine Verstöße gegen das Gesetz bekannt wurden und mithin keine Rechtsprechung zu dem Gesetz vorliegt; es gibt jedoch ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Würzburg (Neidert, MedR 1998,347 [348]); zu solchen in der Praxis jedenfalls nur schwer vollziehbaren Strafgesetzen siehe Hassemer, ZRP 1992, 378 ff., umfassend Voß> Symbolische Gesetzgebung; kritisch zum ESchG als symbolischem Gesetz Jung, JuS 1991, 431 (433); vgl. auch Koch, MedR 1986, 259 (260, 264). 3 Siehe hierzu einerseits die rechtlichen Ausführungen in der Stellungnahme der Ethikkommission der Medizinischen Universität zu Lübeck vom 05.08.1996, Aktenzeichen 84/95, S. 6 ff. und andererseits die rechtlichen Ausführungen bei Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 80ff. 4 Theoretisch ist es zwar auch denkbar, daß die Embryonen durch Ausspülen aus der Gebärmutter gewonnen werden (uterine lavage). Dieses Verfahren wird jedoch angesichts der geringen Erfolgsquoten nicht mehr durchgeführt. 2
3 Giwer
34
2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
I. Die Abspaltung und der Verbrauch einer Zelle zu Diagnosezwecken als strafbegründende Handlung 1. Die Diagnose an der totipotenten Zelle des Embryoblast Unproblematisch ist, daß die Präimplantationsdiagnostik dann verboten ist, wenn sie in der Weise durchgeführt wird, daß - nach erfolgter künstlicher Befruchtung - eine totipotente Zelle des Embryoblasts abgespalten und anschließend zu Diagnosezwecken verbraucht wird.
a) Die Präimplantationsdiagnostik
als verbotenes Klonen
i. S.d. §6 Abs. 1 i.V. m.§ 8 Abs. 1 ESchG M i t der Abspaltung der totipotenten Zelle entsteht ein menschlicher Embryo i m Sinne des § 8 Abs. 1 ESchG. Nach § 8 Abs. 1 ESchG gilt nämlich als Embryo i m Sinne des Emryonenschutzgesetzes auch jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. 5 Nach § 6 Abs. 1 ESchG macht sich derjenige wegen Klonens 6 strafbar, der künstlich bewirkt, daß ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo entsteht. 7 Dabei ist jedoch zu beachten, daß - auch in Fachkreisen - Unsicherheit darüber besteht, ab welchem Zeitpunkt die Zelle ihre Totipotenz verloren hat. Solange 5 § 8 Abs. 1 ESchG lautet im Wortlaut: „Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, femer jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag." 6 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 81 Fn. 85, weist daraufhin, daß unter Klonierung im engeren Sinne die asexuelle Regeneration eines Embryos aus der Zelle eines erwachsenen Individuums zu verstehen ist. Beim Teilen eines Embryos handelt es sich um eine künstliche Mehrlingsbildung, die jedoch auch von der Vorschrift des § 6 ESchG erfaßt ist. 7 So insbesondere die Begründung zu § 6 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 25.10.89, BTDrucks. 11/5460, S. 11; in diesem Sinne auch schon Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen vom 23.02.88, BTDrucks. 11/1856, S.5; in diesem Sinne auch Schneider, MedR 2000, 360 (361); Laufs, NJW 1998, 1750 (1753); Laufs/Uhlenbruch Handbuch des Arztrechts, § 129 Rdnr. 21; so wohl auch Ratzel/Heinemann, MedR 1997, 540 (541); Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, § 6 Rdnr. 9; dabei wird unterstellt, daß die Tatsache, daß es sich bei entsprechenden Klonen evtl. nur um fast gleiche und nicht identische Embryonen handelt, rechtlich nicht von Belang ist, siehe hierzu Frankfurter Rundschau vom 30. April/1. Mai 1997 „Klonieren von Menschen unzulässig - Forscher lehnen genetische Reproduktion als unvereinbar mit Wertordnung ab"; vgl. zu dieser Frage auch Haniel in: Lexikon der Bioethik, Bd. 2, Stichwort: Klonieren, S.40; Starck, Verh. des 56. DJT, A44, wonach die Entwicklung des Nervensystems und anderer Organe der beiden Menschen bei eineiigen Zwillingen differiert, so daß im strengen Sinne nicht von vollständig gleichen Menschen gesprochen werden kann.
1. Kap.: Die einschlägigen Straftatbestände
35
insoweit noch keine eindeutige Klärung erfolgt ist, darf grundsätzlich erst ab dem Zeitpunkt biopsiert werden, ab dem die Differenzierung mit Sicherheit schon erfolgt ist. Nach überwiegender Auffassung ist der Verlust der Totipotenz jedenfalls ab dem 16-Zellstadium gegeben.8 Wer zu einem früheren Zeitpunkt biopsiert, wird jedenfalls mit bedingtem Vorsatz bezüglich der Tatbestandsverwirklichung handeln. Angesichts der nach wie vor bestehenden Unsicherheiten über den genauen Zeitpunkt des Verlustes der Totipotenz hat im Einzelfall jedoch eine Abgrenzung gegenüber der bewußten Fahrlässigkeit zu erfolgen. 9 b) Die Präimplantationsdiagnostik als mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen i. S.d. §2 Abs. 1 i. V.m. §8 Abs. 1 ESchG Da die totipotente Zelle als Embryo im Sinne des § 8 Abs. 1 ESchG bei der Diagnose verbraucht wird, wird dieser auch zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck verwendet, so daß die Diagnose an der abgespaltenen totipotenten Zelle als mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen gem. § 2 Abs. 1 ESchG strafbar ist. 10 c) Die Präimplantationsdiagnostik als mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen i.S.d. §2 Abs. 2 ESchG In Betracht zu ziehen ist auch eine Strafbarkeit nach § 2 Abs. 2 ESchG, sofern die entnommene totipotente Zelle vor der Diagnose zunächst, d. h. vor dem Verbrauch zu Diagnosezwecken, weiter kultiviert wird. Nach § 2 Abs. 2 ESchG macht sich nämlich derjenige strafbar, der zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, daß sich ein menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt. Bezüglich des zu Diagnosezwecken zu verbrauchenden Embryos im Sinne des § 8 Abs. 1 ESchG ist jedenfalls die Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht beabsichtigt, so daß ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 ESchG gegeben ist. 11 In der 8
Beier, Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, 1993, 816 (823), siehe auch Teil I, 1. Kapitel,
III. 9
Siehe hierzu auch Ratzel, Rechtsgutachten im Auftrag der Ethik-Kommission der Medizinischen Universität zu Lübeck zur Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik, S. 13; a. A. wohl Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, die es angesichts der Unsicherheiten bzgl. der Totipotenz embryonaler Zellen für unwahrscheinlich hält, einen die Präimplantationsdiagnostik Durchführenden eines vollendeten Delikts zu überführen, S.42f. 10 So auch Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, § 2 Rdnr. 13,19; Ratzell Heinemann, MedR 1997, 540 (541); Schneider, MedR 2000, 360 (361). 11 Es würde sich jedoch insoweit um eine mitbestrafte Vortat handeln, allgem. hierzu siehe Stree in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. §§ 52ff. Rdnr. 119ff.; zu beachten ist, daß es Ziel 3*
36
2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
Regel wird man jedoch bei der Präimplantationsdiagnostik davon ausgehen können, daß die Diagnose unmittelbar nach erfolgter Biopsie vorgenommen wird. 2. Die Diagnose an einer Embryonalzelle nach Verlust der Totipotenz Ein Verbot der Abspaltung und des Verbrauchs von Zellen des Trophoblasten, die nicht mehr totipotent im Sinne des § 8 Abs. 1 ESchG sind, sieht das Embryonenschutzgesetz nicht vor. Ein Klonen im Sinne des § 6 Abs. 1 ESchG kann bei der Diagnose an Zellen des Trophoblasten nicht mehr angenommen werden, da bei der Abspaltung einer differenzierten Zelle kein Embryo im Sinne des § 8 Abs. 1 ESchG entsteht. Aus demselben Grund kommt eine Strafbarkeit nach § 2 Abs. 1 ESchG wegen des Verbrauchs der zu Diagnosezwecken entnommenen Zelle nicht in Betracht.
II. Straftatbestände des Embryonenschutzgesetzes, die an den Befruchtungsvorgang anknüpfen Neben den oben untersuchten Straftatbeständen des Embryonenschutzgesetzes könnten auch solche Tatbestände des Embryonenschutzgesetzes eine Strafbarkeit der Präimplantationsdiagnostik begründen, die an den Befruchtungsvorgang anknüpfen. Die Frage nach der Strafbarkeit stellt sich dann unabhängig davon, ob die zu Untersuchungszwecken abgespaltene Zelle sich noch im Stadium der Totipotenz befindet. Laufs vertritt die Auffassung, daß bereits die Produktion eines Embryos unter dem Vorbehalt der Tötung bei Qualitätsmängeln unzulässig sei, ohne jedoch zu spezifizieren, welche Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes insoweit einschlägig sind.12 Die Begründung eines strafrechtlichen Verbots bedarf indes einer eindeutigen gesetzlichen Bestimmung. 1. Strafbarkeit der Erzeugung von Embryonen mit dem Ziel der Selektion nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG Eine Strafbarkeit und damit ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik könnte sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG ergeben.13 Nach dieser Vorschrift macht sich strafder Regelung des § 2 Abs. 2 ESchG war, Experimente mit menschlichen Embryonen zu verhindern, die dem Ziel dienen, eine „künstliche Gebärmutter" zu entwickeln (so die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 11/5460, S. 10). 12 Laufs, Fortpflanzungsmedizin und Arztrecht, S.79; ders., NJW 1998, 1750 (1753). 13 So wohl Stellungnahme der Ethikkommission der Medizinischen Universität zu Lübeck, Aktenzeichen 84/95, S. 10, die Ethikkommission hält die Vorschrift des § 1 Abs. 2 ESchG für verwirklicht, da die Präimplantationsdiagnostik gerade das Ziel habe, kranke Embryonen zu verwerfen, § 1 Abs. 2 ESchG schützt jedoch die imprägnierte Eizelle vor Mißbrauch (vgl. Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, § 1 Abs. 2 Rdnr. 2). Die Vorschrift trifft mithin offensichtlich keine Aussage über die Präimplantationsdiagnostik. Bei der Stellungnahme der Ethikkommission muß es sich daher insoweit um ein „Redaktionsversehen" handeln. Gemeint
1. Kap.: Die einschlägigen Straftatbestände
37
bar, wer es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt. Im Rahmen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG kommt es mithin darauf an, zu welchem Zwecke der Täter die Eizelle künstlich befruchtet. Man könnte hier auf den Gedanken kommen, daß sich der Täter bei der Präimplantationsdiagnostik strafbar macht, weil er beabsichtigt, nur einen genetisch nicht belasteten Embryo zu übertragen. Zu untersuchen ist daher, wie der Begriff „zu dem Zweck" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG zu interpretieren ist. Der Sprachgebrauch des Gesetzgebers zur Bezeichnung einer bestimmten Vorsatzform ist nicht einheitlich. So kann mit der Bezeichnung „zu dem Zweck" grundsätzlich sowohl bedingter Vorsatz, Vorsatz in der Form des sicheren Wissens davon, daß die Handlung eine Rechtsverletzung darstellt, als auch Vorsatz in der Form der Absicht im Sinne des direkt auf den Erfolg als Ziel gerichteten Willens gemeint sein.14 Vorsatz in Form der Absicht ist auch dann anzunehmen, wenn sich der Täter zwar dem Erfolg nicht positiv zuwendet, dieser aber denknotwendig eintritt. 15 Die Präimplantationsdiagnostik würde nur dann unter den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG fallen, wenn zu dessen Verwirklichung der bedingte Vorsatz ausreichen würde. Der die Befruchtung vornehmende Arzt handelt nämlich nicht mit der Absicht im Sinne zielgerichteten Wollens, denn Ziel der Behandlung ist ja gerade die Übertragung eines - gesunden - Embryos auf die Frau. Ebensowenig handelt der Täter mit Vorsatz in Form des sicheren Wissens, denn bei Befruchtung der Eizelle ist ihm der genetische Status des Embryos ja gerade nicht bekannt. Der Wortlaut der Vorschrift legt es nahe, daß Vorsatz in Form des zielgerichteten Willens zur Erfüllung des Tatbestandes erforderlich ist. Der Zweck einer Handlung ist - mit anderen Worten - das Ziel einer Handlung.16 Für diese Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG. Der Begründung des Gesetzentwurfs ist zu entnehmen, daß § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG zwei unterschiedliche Fallgestaltungen regeln sollte: - einerseits die Herstellung von Embryonen zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft, insbesondere zu Forschungszwecken, und - andererseits zur Herbeiführung einer Schwangerschaft einer anderen Frau als derjenigen, von der die Eizelle stammt.17 sein kann nur ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG. Sofern der Befruchtung eine Kryokonservierung im Vorkernstadium vorangeht, könnte auch § 1 Abs. 2 ESchG verwirklicht sein, der jedoch dann als mitbestrafte Vortat zurücktreten würde, vgl. Günther in: Keller/Günther/ Kaiser, ESchG, § 1 Abs. 2 Rndr. 25. 14 Vgl. Cramer in: Schönke/Schröder, StGB, § 15 Rdnr. 66; siehe auch BGHSt 16, 1 (3); BGHSt 4,107 (108) zur Notwendigkeit einer unterschiedlichen Auslegung (hier in Bezug auf die Begünstigungsabsicht des § 257 StGB). 15 Cramer in: Schönke/Schröder, StGB, § 15 Rdnr. 66. 16 Duden, Bedeutungswörterbuch, Stichwort: Zweck. 17 Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Embryonenschutzgesetz, BTDrucks. 11/5460, S.8.
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
Bei beiden Fallgestaltungen hat der Täter bei Durchführung der künstlichen Befruchtung sicheres Wissen darüber, daß er jedenfalls keine Schwangerschaft der Frau herbeiführen wird, von der die Eizelle stammt. Es kommt dem Täter zwar nicht gerade darauf an, keine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt. Zur Erreichung seines Ziels - entweder die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken oder zur Herbeiführung der Schwangerschaft einer anderen Frau - ist jedoch denknotwendig der Eintritt des Erfolgs, die Nichtherbeiführung einer Schwangerschaft der Frau, von der die Eizelle stammt, erforderlich. In beiden Fällen handelt also der Täter mit Vorsatz in Form der Absicht. Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG ist mithin dahingehend zu verstehen, daß der Täter mit Absicht im Sinne zielgerichteten Handelns bezüglich der Nichtherbeiführung einer Schwangerschaft die künstliche Befruchtung vornehmen muß. 18 Dies ist jedoch bei Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik, die ja gerade auf Herbeiführung einer Schwangerschaft mit einem gesunden Embryo gerichtet ist, nicht der Fall. Das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik ist folglich nicht von § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG verboten. 19 Dies gilt entsprechend für die Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 6 ESchG, der die Entnahme eines Embryos bei einer Frau vor Abschluß der Einnistung zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck verbietet.
2. Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG wegen der Erzeugung überzähliger Embryonen Die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik könnte auch den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG verwirklichen, wonach sich strafbar macht, wer es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen. Die Vorschrift ist ein Unternehmensdelikt, d. h. der Versuch der Tat ist deren Vollendung gleichgestellt, § 11 Nr. 6 StGB. Die Biologin Kollek weist in ihrer Studie zur Präimplantationsdiagnostik20 daraufhin, daß es das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik mit sich bringt, daß mehr Eizellen einer Frau befruchtet werden müssen, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen, denn das Verfahren basiere gerade darauf, aus einer größeren Anzahl von Embryonen diejenigen zu identifizieren, die die gesuchte genetische Auffälligkeit nicht zeigten.21 Anhand von Beispielen aus dem Ausland zeigt Kollek auf, daß sich die Zahl der zur Präimplantationsdiagnostik befrucheten Eizellen in einer Größenord18
So auch Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, § 1 Abs. 1 Nr. 2 Rdnr. 15, Ratzel/Heinemann, MedR 1997, 540 (542). 19 So i. E. auch Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, S. 57; Schneider, MedR 2000, 360 (362). 20 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.82f. 21 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, Sì 82 f.
1. Kap.: Die einschlägigen Straftatbestände
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nung um 10/pro Frau bewegt. Die Motive zu der dem § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG inhaltsgleichen Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG gehen davon aus, daß es bei der Verwendung von einwandfreien Ei- und Samenzellen in etwa 80% der Fälle zu einer extrakorporalen Befruchtung kommt, so daß eine Befruchtung von mehr als vier Eizellen in keinem Fall erforderlich sei.23 Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG kommt es darauf an, was mit den befruchteten Eizellen geschehen soll und nicht darauf, wie viele Eizellen befruchtet werden sollen, so daß ein Arzt nur dann tatbestandsmäßig handelt, wenn ihn im Zeitpunkt der Befruchtung die Absicht leitet, nicht alle befruchteten Eizellen der Frau, von der die Eizellen stammen, innerhalb eines Zyklus zu übertragen. 24 Allein die Tatsache, daß die künstlich befruchteten Embryonen auf Erbschäden untersucht werden, führt noch nicht zu einer Verwirklichung des Tatbestandes des § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG.25 Das Ziel der künstlichen Befruchtung ist gerade der Transfer von Embryonen in den Uterus. Der Transfer soll nur dann unterlassen werden, wenn die Diagnose zu einem positiven Befund führt, was keineswegs zwangsläufig der Fall sein muß. Wird allerdings eine derartige Anzahl von Embryonen erzeugt, daß - unabhängig vom Ergebnis der Diagnose - nicht mehr angenommen werden kann, daß diese alle übertragen werden sollen, so ist der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG verwirklicht. Dies wird man wohl bei einer Anzahl von mehr als vier Embryonen pro Zyklus annehmen müssen. Denkbar ist jedoch, daß eine für die Präimplantationsdiagnostik erforderliche Anzahl von befruchteten Eizellen im Vorkernstadium kryokonserviert wird 26 , so daß ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG ausgeschlossen wäre. 27 Es ist daher festzuhalten, daß § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG keine Vorschrift ist, die ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik intendiert, sondern allgemein dem Enstehen überzähliger Embryonen entgegenwirken soll. 28 Es hängt daher von den medizinisch-technischen Möglichkeiten des Verfahrens ab, ob der Tatbestand erfüllt wird.
III. Das Verwerfen des sog. Restembryos Eine einen Straftatbestand des Embryonenschutzgesetzes erfüllende Handlung könnte auch in dem Verwerfen des als geschädigt erkannten Embryos liegen. Das 22
Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.83. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Embryonenschutzgesetz vom 25.10.1989, BTDrucks. 11/5460, S.9. 24 Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, § 1 Abs. 1 Nr. 5 Rdnr. 20. 25 So auch Schneider, MedR 2000, 360 (362). 26 Es käme dann jedoch u. U. eine Strafbarkeit nach § 1 Abs. 2 ESchG in Betracht, sofern die Herbeiführung einer Schwangerschaft der Frau, von der die Eizelle stammt, nicht gewollt ist. 27 Siehe hierzu Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, § 1 Abs. 1 Nr. 5 Rdnr. 4. 28 So die Begründung zum inhaltsgleichen § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG des Regierungsentwurfs vom 25.10.89, BTDrucks. 11/5460, S.9. 23
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
bloße Absterbenlassen eines extrakorporalen Embryos ist jedoch von keiner Strafvorschrift des Embryonenschutzgesetzes erfaßt. 29 Der Gesetzgeber hat bei Schaffung des Embryonenschutzgesetzes den Verlust von Keimlingen eingeplant, wenn er auch bemüht war, den Verlust zahlenmäßig zu beschränken.30 So werden auch - straflos - Embryonen mit bereits optisch wahrnehmbaren Fehlentwicklungen nicht übertragen. 31 In dem Verwerfen eines geschädigten Embryos liegt insbesondere auch kein mißbräuchliches Verwenden i. S. d. § 2 Abs. 1 ESchG.32 Verwenden meint das Nutzen oder Anwenden einer Person oder einer Sache,33 demgegenüber liegt ein Verwerfen in der bloßen Nichtberücksichtigung oder der Zurückweisung als unannehmbar.34 Wer einen Embryo bloß absterben läßt, verwendet diesen nicht, sondern überläßt ihn schlicht seinem Schicksal, so daß eine Strafbarkeit nach § 2 Abs. 1 ESchG durch aktives Tun nicht in Betracht kommt. In dem Verwerfen des Embryos liegt auch keine Verwirklichung des Tatbestandes des § 2 Abs. 1 ESchG durch Unterlassen, § 13 Abs. 1 StGB. Das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen zugunsten des Embryos entspricht in seinem Unrechtsgehalt nicht einer aktiv mißbräuchlichen Verwendung. Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 ESchG besteht darin, den strafwürdigen Mißbrauch zu verhindern. Das Embryonenschutzgesetz strebt keine Lebenserhaltung um jeden Preis an. Dies zeigt eine Reihe von sogar strafbewehrten Verboten, deren Befolgung den Tod des Embryos nach sich zieht (z. B. §§ 2 Abs. 2,6 Abs. 2 ESchG).35 Nach anderer Ansicht soll schon das schlichte Verwerfen des Embryos nach § 2 Abs. 1 ESchG strafbar sein. Zur Begründung wird auf die Tatsache verwiesen, daß das Verwerfen nicht der Erhaltung des Embryos diene.36 Dabei wird allerdings übersehen, daß es zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 2 Abs. 1 ESchG nicht ausreicht, daß der Embryo nicht am Leben erhalten wird. Vielmehr muß dieser entweder veräußert werden oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgegeben, erworben oder verwendet werden.
29
Siehe hierzu auch Laufs, Fortpflanzungsmedizin und Arztrecht, S. 80, der darauf hinweist, daß im Dienste des Kinderwunsches vom Gesetzgeber bewußt der Verlust von Keimlingen eingeplant wurde; siehe hierzu auch den Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen, der davon ausgeht, daß das Entstehen überzähliger Embryonen bei der künstlichen Befruchtung sich nicht ganz ausschließen läßt, BTDrucks. 11/1856, S.4. 30 Laufs/Uhlenbruch, Handbuch des Arztrecht, § 129 Rdnr. 34. 31 Beckmann,, ZRP 1987, 80 (81) Fn.7 m.w.N.;Ratzel!Heinemann, MedR 1997,540 (542). 32 So i. E. auch Schneider, MedR 2000,360 (364); in diesem Sinne wohl aberNeidert, MedR 1998, 347 (352). 33 Duden, Bedeutungswörterbuch, Stichwort: verwenden. 34 Duden, Bedeutungswörterbuch, Stichwort: verwerfen. 35 So auch Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, § 2 Rdnr. 34. 36 Beckmann, ZfL 1999, 65 (67).
1. Kap.: Die einschlägigen Straftatbestände
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IV. Schädigung des Embryos durch die Entnahme von Zellen Eine eventuelle Schädigung des Embryos durch die Entnahme von totipotenten oder differenzierten Zellen wird vom Embryonenschutzgesetz nicht erfaßt. Die noch im Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutze von Embryonen vorgesehene Strafvorschrift einer Embryonenschädigung wurde nicht ins Embryonenschutzgesetz übernommen.37
V. Die Präimplantationsdiagnostik an Eizellen (Polkörperbiopsie) Vom Embryonenschutzgesetz ist - wie es schon die Bezeichnung des Gesetzes nahelegt - die Diagnose an der Eizelle vor einer künstlichen Befruchtung nicht erfaßt. Sie ist daher ohne weiteres zulässig, sofern die üblichen arztrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere die Einwilligung der künftigen Mutter und Eispenderin vorliegt.
VI. Die Regelung des § 3 ESchG Es stellt sich die Frage, ob die Präimplantationsdiagnostik von der Regelung des § 3 S. 2 ESchG erfaßt ist, die eine Ausnahmevorschrift zur Vermeidung schwerwiegender geschlechtsgebundener Erbkrankheiten enthält. Während § 3 S. 1 ESchG es grundsätzlich verbietet, eine menschliche Eizelle mit einer Samenzelle künstlich zu befruchten, die nach dem in ihr enthaltenen Geschlechtschromosom ausgewählt worden ist, erlaubt § 3 S. 2 ESchG eine solche Auswahl zur Vermeidung schwerwiegender geschlechtsgebundener Erbkrankheiten. Da bestimmte Erbkrankheiten geschlechtsgebunden sind, kann über die entsprechende Auswahl einer Samenzelle nach dem in ihr enthaltenen Geschlechtschromosom vor der künstlichen Befruchtung die Erzeugung eines erbbelasteten Embryos vermieden werden. Geschütztes Rechtsgut der Strafvorschrift ist die natürliche, zufällige Geschlechterproportion, in die durch Manipulationen störend eingegriffen würde. 38 Zur Vermeidung von schwerwiegenden Erbkrankheiten gilt die Ausnahmeregelung des § 3 S. 2 ESchG indes nur für Maßnahmen vor erfolgter Befruchtung, nicht aber für solche, die - wie 37 Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen, BMJ, 29.04.1986, abgedruckt in: Günther/Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - Strafrechtliche Schranken?, Anhang I sowie im Anhang Deutsch, ZRP 1986, 242 (243); die Vorschrift lautete in Abs. 1: „Wer durch Einwirkung auf einen Embryo oder Foetus eine Gesundheitsschädigung des [aus ihm hervorgegangenen] Menschen herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Nicht erfaßt war also die Schädigung, die schon eine Weiterentwicklung zum Menschen verhinderte; das Vorhaben der Schaffung eines entsprechenden Straftatbestandes ist auf ein in Vorbereitung befindliches Strafrechtsänderungsgesetz verschoben worden (vgl. BTDrucks. 11/5460, S.7). 38 Keller in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, § 3 Rdnr. 3.
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
bei der Präimplantationsdiagnostik - nach der Befruchtung erfolgen. Ein schutzwürdiger Embryo ist zu jenem Zeitpunkt noch nicht vorhanden, so daß auch eine analoge Anwendung der Norm auf die Präimplantationsdiagnostik am Embryo nicht in Betracht kommt. 39
VII. Die möglichen Tatbeteiligten Als Täter oder Teilnehmer einer der o. g. Straftaten kommen in der Praxis insbesondere Ärzte und Naturwissenschaftler in Betracht. Es handelt sich bei den in Frage kommenden Straftatbeständen des Embryonenschutzgesetzes jedoch nicht um Sonderdelikte. 40 Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe begründet weder die Strafbarkeit noch führt diese Tatsache zu einer Modifizierung der Strafe. 41 Bezüglich der Beteiligung an einer Straftat nach dem Embryonenschutzgesetz gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln.42 Problematisch ist die Frage der Strafbarkeit der an der Tat notwendigerweise als Eizellenspenderin oder Embryonenspenderin beteiligten Frau sowie des notwendigerweise als Samenspender beteiligten Mannes, sofern diese mit Vorsatz handeln. Der persönliche Strafausschließungsgrund des § 1 Abs. 3 ESchG ist lückenhaft und privilegiert die beteiligten Frauen in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 und des § 1 Abs. 1 Nr. 7 ESchG. Die Vorschrift gilt mithin nicht für die im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik in Frage kommenden Straftatbestände. Soweit man in diesen Fällen nicht auf die Figur der notwendigen Beteiligung43 zurückgreifen kann, kommen daher sowohl der Samenspender als auch die Ei- und Embryonenspenderin als Tatbeteiligte in Betracht.
VIII. Ergebnis Im Ergebnis bleibt festzuhalten: (1) Das Embryonenschutzgesetz verbietet die Präimplantionsdiagnostik an Eizellen nicht. (2) Nach erfolgter Befruchtung verbietet es indes die Präimplantationsdiagnostik an totipotenten Zellen im Sinne des § 8 Abs. 1 ESchG. 39
Schneider, MedR 2000, 360 (364) weist allerdings daraufhin, daß die Gesetzeslage insoweit widersprüchlich ist, als sich derjenige strafbar macht, der eine nicht indizierte Geschlechtswahl vor der Befruchtung vornimmt, wohingegen eine Selektion nach Geschlechtsmerkmalen nach der Befruchtung nicht geahndet werden kann. 40 Zum Begriff des Sonderdelikts Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB, Voibem. §§ 13 ff. Rdnr. 131. 41 § 9 ESchG normiert allerdings einen Arztvorbehalt für die künstliche Befruchtung, den Embryostransfer und die Konservierung eines Embryos oder Embryos im Vorkernstadium. 42 Vgl. die Ausführungen zur Beteiligung bei Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, Vor § 1 I I Rdnr. 14ff. 43 Siehe hierzu Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, Vor § 1 II Rdnr. 23 ff.
2. Kap.: Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte
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(3) Die Präimplantationsdiagnostik an Zellen nach Verlust der Totipotenz ist mit dem Embryonenschutzgesetz vereinbar 44, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die Diagnostik mit dem grundsätzlichen Ziel erfolgt, den Embryo zu übertragen, da anderenfalls ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 ESchG in Betracht käme. Voraussetzung ist außerdem, daß das Verfahren ohne Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG durchgeführt wird. (4) Soweit unvorhergesehene Hindernisse einer gleichzeitigen Übertragung des Embryos entgegenstehen, ist eine weitere Kryokonservierung zulässig, ohne daß deswegen das Embryonenschutzgesetz verletzt wäre. 46 Angemerkt sei an dieser Stelle, daß - soweit man die Straflosigkeit der Präimplantationsdiagnostik an Zellen des Trophoblasten als ungewollte Strafbarkeitslükke ansieht - sich jedenfalls aufgrund des durch Art. 103 Abs. 2 GG gewährleisteten Gesetzlichkeitsprinzips eine Lückenschließung im Wege der Analogie verbietet. 2. Kapitel
Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte der Regelungen zur Präimplantationsdiagnostik Die Untersuchung der Regelungen des Embryonenschutzgesetzes hat ergeben, daß das Gesetz die Präimplantationsdiagnostik kategorisch verbietet, sofern zur Diagnose totipotente Zellen verwendet werden. Sobald die Diagnose jedoch an differenzierten Zellen vorgenommen wird, ist die Präimplantationsdiagnostik grundsätzlich ohne Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz möglich. Insoweit läuft also der vorgeburtliche Schutz des Embryos praktisch leer. Dies erscheint zunächst widersprüchlich und inkonsequent und es stellt sich die Frage, welche Ursachen und Beweggründe die Gesetzgebung zur Präimplantationsdiagnostik hat. Auf den ersten Blick scheinen zwei Erklärungsalternativen denkbar: Es könnte dem Gesetzgeber gerade darauf angekommen sein, die totipotente Zelle vor der notwendigen Vernichtung bei der Präimplantationsdiagnostik zu schützen, während er das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik als solches nicht als verbotswürdig ansah. Denkbar ist aber auch, daß der Gesetzgeber zwar ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik insgesamt beabsichtigte, bei Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes jedoch da44 Davon geht auch der Bericht des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung „Genomanalyse", BTDrucks. 12/7094, S.25f. aus; in diesem Sinne auch Schmidt, Lexikon der Bioethik Bd. 3, Stichwort: Pränatalmedizin, S.55. 45 So im Ergebnis auch Ratzel/Heinemann, MedR 1997,540 (543); Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragen der Gesellschaft für Humangenetik e. K, Med. Genetik 4/1995, S. 420; in diesem Sinne auch Bericht zur Genomanalyse des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung vom 16.03.1994, BTDrucks. 12/7094, S.25f. 46 Vgl. Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, §2 Rdnr. 41, 63.
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
von ausging, daß auf absehbare Zeit dieses Verfahren nur unter Verwendung totipotenter Zellen durchgeführt werden kann.47 Eine Analyse der Entstehungsgeschichte der Regelungen zur Präimplantationsdiagnostik ist daher erforderlich.
I. Wichtige standesrechtliche Regelungen Noch bevor die Juristen und der Gesetzgeber in Fragen der Biotechnik am Menschen tätig wurden, sahen sich die beteiligten Naturwissenschaftlicher und Ärzte veranlaßt, ethisch umstrittene Verfahren durch standesrechtliche Bestimmungen zu regeln. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer 48 erarbeitete bereits im Jahre 1985 „Richtlinien zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen" 49, die der Vorstand der Bundesärztekammer am 4. Oktober 1985 beschloß. Danach sollte die Forschung an Embryonen ausdrücklich auch der Entwicklung einer Präimplantationsdiagnostik dienen.50 Die Zulässigkeit der Embryonenforschung wurde vom Vorliegen unterschiedlicher Voraussetzungen abhängig gemacht. Insbesondere sollten Embryonen nicht über einen Entwicklungszustand hinaus in vitro kultiviert werden, der dem 14. Tag nach Befruchtung in vivo entspricht. 51 Darüber hinaus war eine Kontrolle der Forschungsvorhaben durch Ethikkommissionen vorgesehen.52 Ausweislich des erläuternden Kommentars zu den Richtlinien stand dabei die Entwicklung von Methoden zur Diagnostik in der Präimplantationsphase im Mittelpunkt. 53 Die Richtlinien lassen erkennen, daß die Bundesärztekammer der Präimplantationsdiagnostik keineswegs ablehnend gegenüberstand, sondern die Entwicklung dieses Verfahrens für besonders förderungswürdig hielt. Die Musterberufsordnung in der Fassung vom 8.11.1985 sah in § 1 Abs. 4 die Anrufung einer Ethikkom47
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß man bis heute die Präimplantationsdiagnostik noch als experimentelles Verfahren bezeichnen muß, so Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.22. 48 Die Bundesärztekammer ist ein freiwilliger privatrechtlicher Zusammenschluß der Landesärztekammern in der Rechtsform eines nicht rechtsfähigen Vereins. Beschlüsse der Bundesärztekammer und der ihr angegliederten Gremien binden die Landesärztekammern nicht rechtlich. Es bedarf vielmehr einer Annahme durch die Vertreterversammlungen der Landesärztekammern, die jedoch in der Regel zu erwarten ist und erfolgt; siehe hierzu auch Laufs/Uhlenbruch Handbuch des Arztrechts, § 13 Rdnr. 17. 49 DÄB1. 1985, S. 3757ff. 50 Richtlinien zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen, Gliederungspunkt 1.1.1, DÄB1. 1985, S.3757, 3758. 51 Richtlinien zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen, Gliederungspunkt 3.3.2; DÄB1. 1985, S.3757, 3758. 52 Richtlinien zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen, Gliederungspunkt 4., DÄB1. 1985, S.3757, 3759. 53 Kommentar zu Gliederungspunkt 2.1.2, DÄB1. 1985, S.3757, 3760.
2. Kap.: Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte
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mission vor der Durchführung einer Forschung an Embryonen lediglich in einer Soll-Vorschrift vor. Die Vorschrift wurde in der Musterberufsordnung aus dem Jahre 1988 in eine Muß-Vorschrift umgeändert.54 Mit Inkrafttreten des Embryonenschutzgesetzes entstand ein Anpassungsbedarf an die Gesetzeslage. Die (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärzte, die vom 100. Deutschen Ärztetag 199755 verabschiedet wurde, regelt die Präimplantationsdiagnostik unter D. IV. Nr. 14 wie folgt: „Verboten sind diagnostische Maßnahmen an Embryonen vor dem Transfer in die weiblichen Organe; es sei denn, es handelt sich um Maßnahmen zum Ausschluß schwerwiegender geschlechtsgebundener Erkrankungen im Sinne des § 3 Embryonenschutzgesetz."56 Diese Regelung erlaubt also eine Präimplantationsdiagnostik unter den angegebenen Bedingungen. Dennoch ist die Präimplantationsdiagnostik auch berufsrechtlich zur Zeit überwiegend schon deshalb untersagt, weil die In-vitro-Fertilisation nur zur Behandlung der Sterilität gestattet ist. 57
II. Der sog. Benda-Bericht Schon im Mai 1984 wurde vom Bundesminister der Justiz und dem Bundesminister für Forschung und Technologie eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe einberufen, die sich unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Ernst Benda, mit Fragen der In-vitro-Fertilisation, der Genomanalyse und der Gentherapie befaßte. Die Arbeitsgruppe legte im November 1985 ihren Abschlußbericht vor. 58 Unter dem Kapitel „Genomanalyse" befaßte sich der Bericht mit Fragen der Analyse von Genen und ihren Produkten im Bereich des Versicherungswesens, des Arbeitslebens und der Pränataldiagnostik sowie im Bereich der prädiktiven Medizin. Fragen der Präimplantationsdiagnostik widmete der Bericht entsprechend der zu Beginn der 80er Jahre noch untergeordneten Bedeutung dieses Verfahrens nur einen kurzen Abschnitt. Als problematisch erachtete man im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik die Verwendung totipotenter Zellen zu Diagnosezwecken, da sich aus einer solchen Zelle ein selbständiger Mensch entwickeln könnte. Es wurde weiter die Gefahr gesehen, daß die Methode zu einer Auslese der zu implantierenden Embryonen unter eugenischen Ge54 Ratzel, Rechtsgutachten im Auftrag der Ethik-Kommission der Medizinischen Universität zu Lübeck zur Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik, S.5. 55 (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte-MBO-Ä 1997, abgedruckt in: NJW 1997, 3076ff. 56 Die Regelung ist wortgleich mit § 1 Abs. 5 S. 2 MBO a. F.; kritisch zu dieser Regelung der Berufsordnung insbesondere bzgl. ihrer Vereinbarkeit mit dem ESchG Ratzel!Heinemann, MedR 1997,540 (542); kritisch zuchNeidert, MedR 1998,347 (352); Laufs, EthikMed (1999) 11,55 (57). 57 Neidert, MedR 1998, 347 (352); so auch die (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte - MBO-Ä 1997 D.IV. Nr. 15 Abs. 1, abgedruckt in: NJW 1997, 3076 (3081). 58 Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.), In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie.
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
sichtspunkten sowie zur Geschlechtswahl mißbraucht werden könnte. Der Bericht stand der Präimplantationsdiagnostik nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, hielt sie aber allenfalls dann für vertretbar, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte damit gerechnet werden müsse, daß das Kind an schwerwiegenden - von § 218 a Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F. 59 erfaßten - genetischen Defekten leiden werde. 60 Eine verfassungsrechtliche Begründung dieses Ergebnisses enthält der Bericht nicht. Die verfassungsrechtlichen Ausführungen verweisen allgemein auf die Gefährdung des Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde durch die Möglichkeiten der Genomanalyse.61
III. Der Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen vom 29. April 1986 Die Vorschläge der Benda-Kommission bezüglich der Präimplantationsdiagnostik wurden von dem am 29. April 1986 vom Bundesjustizminister veröffentlichten Diskussionsentwurf eines Embryonenschutzgesetzes62 im wesentlichen aufgegriffen. Die im Diskussionsentwurf vorgesehenen Strafbestimmungen machten die Rechtmäßigkeit der Präimplantationsdiagnostik von einer Genehmigung der zuständigen obersten Landesbehörden abhängig. Nach der im wesentlichen dem derzeit geltenden § 8 Abs. 1 ESchG entsprechenden Regelung des § 9 des Diskussionsentwurfs sollte als Embryo auch schon jede isolierte totipotente Zelle gelten, die sich zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag, jedoch wurde nach § 2 Abs. 2 des Entwurfs nur bestraft, „wer ohne Genehmigung der zuständigen obersten Landesbehörde einen extrakorporal erzeugten menschlichen Embryo für Experimente oder einen anderen Zweck als den seiner Übertragung verwendet." Aus der Begründung zum Diskussionsentwurf geht hervor, daß es dem Landesgesetzgeber vorbehalten bleiben sollte, die Problematik der Präimplantationsdiagnostik einer gesonderten Regelung zuzuführen und zu bestimmen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen er die Erteilung einer Genehmigung für das Verfahren 59
Nach § 218 a Abs. 2 Nr. 1 a. F. StGB war der Schwangerschaftsabbruch nicht strafbar, wenn nach ärztlicher Erkenntnis „dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, die so schwer wiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung nicht verlangt werden kann". Der Schwangerschaftsabbruch aus sog. eugenischer oder embryopathischer Indikation ist heute nach h. M. unter §218 Abs. 2 StGB zu subsumieren (sog. medizinisch-soziale Indikation). 60 Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.), In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, S.40. 61 Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.), In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, S.41. 62 Abgedruckt mit Begründung in: Günther!Keller, Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - Strafrechtliche Schranken?, Anhang I, S 349 ff. sowie Deutsch mit Anmerkung, ZRP 1986, 242f.; zum Diskussionsentwurf umfassend Günther, GA 1987, 433ff.
2. Kap.: Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte
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der Präimplantationsdiagnostik für vertretbar hält. 63 Ein Verbot des Klonens war in § 7 des Entwurfs ausdrücklich vorgesehen. Die Vorschrift bedrohte denjenigen mit Strafe, der künstlich die Entstehung und Weiterentwicklung eines menschlichen Embryos bewirkt. Die Abspaltung einer totipotenten Zelle mit anschließendem Verbrauch zu Diagnosezwecken war folglich von der Vorschrift nicht erfaßt, da die totipotente Zelle durch die Präimplantationsdiagnostik verbraucht wird und sich mithin nicht weiterentwickelt. 64
IV. Die Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages 1986 In einem für den Deutschen Juristentag 1986 erstatteten Gutachten zur „Zulässigkeit" der künstlichen Befruchtung befaßte sich der Staatsrechtslehrer Christian Starck mit Fragen der Zulässigkeit und Grenzen der künstlichen Befruchtung beim Menschen im Hinblick auf Art. 1, 2, 5 und 6 des Grundgesetzes. Er gelangte hinsichtlich der Präimplantationsdiagnostik zu dem Ergebnis, daß sie, jedenfalls sofern sie mittels des Verbrauchs totipotenter embryonaler Zellen erfolgt, einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG darstellt. Dieses Vorgehen verbrauche menschliches Leben zu eugenischen oder zu züchterischen Zwecken. Der Verbrauch der zu Beobachtungs- und Analysezwecken hergestellten Embryonen bedeute eine Instrumentalisierung menschlichen Lebens für Zwecke anderer und verstoße daher gegen die Menschenwürde.65 Starck hält deshalb ein strafrechtliches Verbot der künstlichen Teilung von Embryonen in ihrem frühen Entwicklungsstadium zu diagnostischen Zwecken für verfassungsrechtlich geboten. Wie das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung embryonaler Zellen nach Verlust der Totipotenz verfassungsrechtlich zu beurteilen ist, ist dem Gutachten nicht zu entnehmen. Dementsprechend beschloß die zivilrechtliche Abteilung des 56. Deutschen Juristentages, daß „Diagnostische und therapeutische Eingriffe in einen zur Implanta63
GüntherIKeller, Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - Strafrechtliche Schranken?, Anhang I, S. 362; zur Kritik an der Regelung wegen der Übertragung der „strafrechtlichen Definitionsmacht" auf die Verwaltung, Jung, ZStW 100 (1988), 3 (33,39); dagegen auch Rössner, Der Rückzug des Strafrechts auf das „Formale" in: Günther!Keller, Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - Strafrechtliche Schranken?, S. 247 ff.; kritisch hinsichtlich der Delegation der Erlaubniskompetenz im Rahmen des § 2 Abs. 2 des Diskussionsentwurfs Günther GA 1987,433 (452) sowie hinsichtlich der sprachlichen Uneindeutigkeit bezüglich der Präimplantationsdiagnostik, S.433 (455); man ist von einer solchen Regelung insbesondere deshalb wieder abgerückt, weil hochrangige Ziele, die eine Instrumentalisierung des Embryos rechtfertigen würden, seitens der Wissenschaft nicht nachgewiesen werden konnten, so Jung, JuS 1991, 431 (432) und Günther, MedR 1990, 161 (163). Bedenken gegen die Einschränkung der Forschung an frühen menschlichen Embryonen äußerte unter anderen die Max-Planck-Gesellschaft, Stellungnahme des Arbeitskreises „Ethische und rechtliche Fragen der Humangenetik" der Max-Planck-Gesellschaft vom 4.2.1987, MPG-Spiegel 1987, S.33ff. 64 So auch die Begründung des Entwurfs zu § 7, abgedruckt in: Günther!Keller, Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - Strafrechtliche Schranken?, Anhang I, S. 361. 65 Starck, Verh. des 56. DJT, A45.
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
tion vorgesehenen Embryo nur in seinem eigenen Interesse vorgenommen werden" dürfen. 66 Es wurde außerdem beschlossen, daß nur soviel Eizellen befruchtet werden dürfen als zur einmaligen Implantation erforderlich sind.67
V. Die wesentlichen gesetzgeberischen Bemühungen auf Länderebene Eine bayerische interministerielle Arbeitsgruppe legte bereits 1986 einen Rohentwurf eines Bayerischen Gesetzes zur Regelung von Fragen der Fortpflanzungsmedizin (FMedG) vor. 68 Das Gesetz stellte die künstliche Befruchtung zu anderen Zwecken als der Sterilitätstherapie unter Strafe (Art. 4 Abs. 1). Außerdem sollten nur so viele Eizellen künstlich befruchtet werden dürfen, wie nach ärztlicher Erkenntnis auf die Eispenderin unverzüglich und gleichzeitig übertragen werden sollen (Art. 4 Abs. 2). Mit diesen Vorschriften wurden die Möglichkeiten der Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik auf Fälle, in der die medizinische und die genetische Indikation zusammenfallen, beschränkt. Auch die zahlenmäßige Beschränkung der zu befruchtenden Eizellen stand der Möglichkeit der Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik entgegen. Im übrigen wurde die Präimplantationsdiagnostik nicht von dem Rohentwurf erfaßt. Das Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz stellte am 14.10.1986 einen vorläufigen Arbeitsentwurf eines Landesgesetzes über Fortpflanzungsmedizin vor 69 . Dieses Modell einer verwaltungsrechtlichen Regelung der Fortpflanzungsmedizin enthielt neben umfangreichen Bußgeldvorschriften in § 8 die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen (§ 9) sowie die gesetzliche Absicherung mehrerer Zulässigkeitsbeschränkungen. Der Entwurf sah ebenfalls eine Beschränkung der künstlichen Befruchtung auf die Sterilitätstherapie vor (§ 1 Abs. 1). Außerdem sah er ein Verbot der Forschung an Embryonen sowie das einer Verwendung, die die Gesundheitsbeschädigung des Embryos zur Folge haben kann, vor (§ 1 Abs. 2). Die Zahl der zu befruchtenden Eizellen wurde auf die für eine gleichzeitige Übertragung notwendige Zahl von Eizellen beschränkt (§ 2 Abs. 1). Durch diese Regelungen wurden die Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik eingeschränkt. Jedoch wurde die Präimplantationsdiagnostik - wie bei dem bayerischen Entwurf - nicht gänzlich verboten. 66 VII. 7. der Beschlüsse der zivilrechtlichen Abteilung des 56. Deutschen Juristentages, Bd. II, Κ 240. 67 VII. 4. A) der Beschlüsse der zivilrechtlichen Abteilung des 56. Deutschen Juristentages, Bd. II, Κ 240. 68 Abgedruckt in: Eser/Koch/Wiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik, Bd. 1, Materialien Nr. 6, S. 102ff. 69 Abgedruckt in: EserlKochlWiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik, Bd. 1 Materialien Nr. 7, S. 106ff.
2. Kap.: Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte
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VI. Der Bericht der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" vom 06.01.1987 Die Enquête-Kommission des Bundestages „Chancen und Risiken der Gentechnologie" legte nach mehr als zweijähriger Arbeit am 6.1.1987 ihren Abschlußbericht vor. 70 Der Bericht befaßt sich - wie er einleitend ausdrücklich bemerkt - nicht mit Fragen der extrakorporalen Befruchtung. 71 Dem Thema Humangenetik ist ein Abschnitt des Berichts gewidmet72, in dem die Kommission ausführlich Stellung nimmt zur Pränataldiagnostik.73 Mit der Präimplantationsdiagnostik setzt sich der Bericht jedoch nicht auseinander.
VII. Der Zwischenbericht der Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" vom November 1987 und der Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen vom 23. Februar 1988 Die Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" war vom Bundesminister der Justiz mit dem Auftrag eingesetzt worden, ein Gesamtkonzept über den staatlichen Handlungsbedarf auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin zu erarbeiten und Lösungsvorschläge vorzulegen. Der Arbeitsgruppe gehörten unter Vorsitz des Bundesministers der Justiz Vertreter der Justiz- und Gesundheitsressorts von Bund und Ländern sowie Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung und des Bundeskanzleramtes an. Vertreten war ferner die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Die Arbeitsgruppe legte im November 1987 einen Zwischenbericht vor. 74 In diesem Bericht plädierte die Arbeitsgruppe für ein strafrechtliches Verbot der Präim70
BTDrucks. 10/6775; Catenhusen/Neumeister (Hrsg.), Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages - Chancen und Risiken der Gentechnologie. Dokumentation des Berichts an den Bundestag; auszugsweise abgedruckt in: Günther ! Keller, Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - Strafrechtliche Schranken?, Anhang III, S. 366 ff. sowie in: Eser/Koch/Wiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik, Bd. 1, Materialien Nr. 8. 71 Bericht der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie", BTDrucks. 10/6775, S.III. 72 Bericht der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie", BTDrucks. 10/6775, S. 140ff.; Auszug zur Humangenetik abgedruckt in: Günther!Keller, Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - Strafrechtliche Schranken?, Anhang III, S. 366 ff. sowie in: Eser/Koch/Wiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik, Bd. 1, Materialien Nr. 8. 73 Bericht der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" BTDrucks. 10/6775, S. 147 ff. 74 Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen, BTDrucks. 11/1856, S.6ff.; zum Zwischenbericht Keller, MedR 1988, S.59ff. 4 Giwer
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
plantationsdiagnostik. Die Abspaltung totipotenter Zellen sei sowohl zu Zwecken der Forschung als auch zu Zwecken der Diagnostik zu untersagen. 75 Dabei stand die Überlegung im Vordergrund, daß die Abspaltung einzelner Zellen schon deshalb problematisch sei, weil sich eine Schädigung des nach der Abspaltung verbleibenden und zum Embryo-Transfer bestimmten Embryos nicht mit Sicherheit ausschließen ließe. Es sei daher nicht vertretbar, die Abspaltung einzelner Zellen eines Embryos zuzulassen, obwohl die Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen auf das Leben des nach der Manipulation ausgetragenen und geborenen Kindes nicht mit Sicherheit verneint werden könne. Darüber hinaus wurde ins Feld geführt, daß sich aus einer totipotenten Zelle unter bestimmten Voraussetzungen selbständiges menschliches Leben entwickeln könne. 76 Der die Ergebnisse des Zwischenberichts vorstellende Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen77 läßt im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik noch eine unentschiedene Haltung erkennen. Er weist darauf hin, daß die Methode dazu beitragen könnte, Schwangerschaftsabbrüche aus kindlicher Indikation (§ 218 a Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F.) in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft zu vermeiden. 78
VIII. Der Abschlußbericht der Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" vom August 1988 Im August 1988 legte die Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" ihren Abschlußbericht vor. 79 Die Empfehlungen im Abschlußbericht bezüglich der Präimplantationsdiagnostik stimmen mit denen des Zwischenberichts überein. Als weiteres Bedenken gegen die Präimplantationsdiagnostik führt die Arbeitsgruppe an, daß wegen der mit diesem Verfahren verbundenen Risiken nicht ausgeschlossen werden könne, daß von vorneherein mehr Embryonen erzeugt würden, als für eine Übertragung an sich erforderlich wären. 80 Dementsprechend schlug die Arbeitsgruppe in einem als „Rohentwurf für ein Gesetz zur künstlichen Befruchtung beim Menschen - Fortpflanzungsmedizingesetz" bezeichneten Vorschlag für eine gesetzliche Regelung vor, das Klonen - verstanden als das Bewirken der künstlichen Entstehung eines Embryos, der die gleiche Erbinformation besitzt wie ein anderer Embryo - unter Strafe zu stellen.81 Im Zusammenspiel mit der Begriffsbestimmung des § 10 Abs. 1 des Entwurfs, wonach als Embryo auch jede isolierte totipotente Zelle, die sich zu teilen und zu einem Menschen zu entwickeln vermag, gilt, ergibt sich ein 75 76 77 78 79 80 81
BTDrucks. 11/1856, S. 8. BTDrucks. 11/1856, S.5,8. BTDrucks. 11/1856. BTDrucks. 11/1856, S. 5. Veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 6. Januar 1989 (Jahrgang 41). Abschlußbericht „Fortpflanzungsmedizin", IX.4, S.25. § 8 Abs. 1 des Rohentwurfs, Abschlußbericht „Fortpflanzungsmedizin", S.34.
2. Kap. : Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte
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Verbot der Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung totipotenter Zellen. In § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Rohentwurfs war eine Strafbestimmung zu Lasten desjenigen vorgesehen, der, „es unternimmt", ... „extrakorporal" ... „die Eizelle zu befruchten, ohne daß dies aus ärztlicher Sicht wegen einer der natürlichen Befruchtung entgegenstehenden Störung angezeigt ist". Ausweislich der Empfehlungen IV. 2. des Berichts82 sollte mit dieser Vorschrift die In-vitro-Fertilisation aus genetischer Indikation untersagt werden. Hierzu führte der Bericht aus: „Bei Entwicklung entsprechender Untersuchungsmethoden für eine Diagnostik in der Präimplantationsphase könnte die Anerkennung einer genetischen Indikation zwar betroffenen Paaren bessere Chancen einräumen, ein gesundes Kind zu bekommen und unter Umständen Schwangerschaftsabbrüche aus kindlicher Indikation - die noch bis zum Ablauf der 22. Woche straffrei möglich sind - vermeiden helfen. Eine Diagnostik in der Präimplantationsphase - wenn sie künftig möglich werden sollte - könnte jedoch einen Automatismus zwischen erkanntem Schaden und Verwerfung des geschädigten Lebens fördern. Außerdem muß befürchtet werden, daß ein etwa an § 218 a StGB orientierter Indikationenkatalog auf Dauer nicht zu halten wäre, sondern immer weiter ausgedehnt würde. Zudem wäre derzeit zur Diagnostik die Abspaltung noch totipotenter Zellen vom Embryo erforderlich. Diese würden im Rahmen der Diagnostik verbraucht, so daß hier potentielles menschliches Leben vernichtet würde. Schließlich ist auch die Gefahr einer Schädigung des Restembryos nicht auszuschließen."83
Auch § 3 Abs. 3 des Rohentwurfs, nach dem bestraft werden sollte, wer einen Embryo, der nicht auf eine Frau übertragen wurde oder sich nicht in die Gebärmutter eingenistet hat, zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck verwendet, sah in Verbindung mit der Definition des § 10 Abs. 1 des Rohentwurfs ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik vor. Darüber hinaus sah der Entwurf in § 3 Abs. 1 Nr. 2 eine dem § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG entsprechende Strafvorschrift vor, die verhindern sollte, daß mehr Eizellen einer Frau befruchtet werden, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen. Es ist also festzustellen, daß die Vorschläge der Arbeitsgruppe auf ein umfassendes Verbot der Präimplantationsdiagnostik zielten. Anders als bei der geltenden Fassung des Embryonenschutzgesetzes war - wegen der Beschränkung der In-vitroFertilisation auf die medizinische Indikation - auch ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik mittels der Verwendung nicht mehr totipotenter Zellen des Trophoblasten vorgesehen, es sei denn, medizinische und genetische Indikation fielen ausnahmsweise zusammen. Es fehlen jedoch jegliche Hinweise in dem Bericht darauf, daß die Arbeitsgruppe von diesen möglichen Entwicklungen des Verfahrens ausgegangen ist, so daß dieses „Regelungsergebnis" zufällig zu sein scheint.
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Abschlußbericht „Fortpflanzungsmedizin", S. 17 f. Abschlußbericht „Fortpflanzungsmedizin", IV. 2., S. 17 f.
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
IX. Der Arbeitsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen vom Oktober 1988 Das Bundesministerium der Justiz legte im Oktober 1988 einen nicht regierungsamtlich publizierten „Arbeitsentwurf eines Embryonenschutzgesetzes"84 vor, der die Kritik am Diskussionsentwurf und die Empfehlungen des Abschlußberichts der Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" berücksichtigte. Der Entwurf weicht in einigen wichtigen Punkten vom Diskussionsentwurf ab. Entsprechend den vorangegangenen Empfehlungen der Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" stellte der Entwurf die Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung totipotenter Embryonalzellen unter Strafe. § 2 Abs. 1 des Entwurfs sah eine Strafbarkeit desjenigen vor, der „einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluß seiner Einnistung in die Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet". In Verbindung mit der Definition des § 8 Abs. 1 des Entwurfs, wonach als Embryo auch „jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag" gilt, ergibt sich ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung totipotenter Zellen. Die Strafbestimmungen sind identisch mit denen der derzeit geltenden Fassung des Embryonenschutzgesetzes. § 6 des Entwurfs sah darüber hinaus ein Verbot des Klonens vor. Die mit der derzeit geltenden Bestimmung des § 6 wortgleiche Vorschrift stellte ebenfalls die Technik der Präimplantationsdiagnostik unter Strafe, da dabei - wenn auch nur vorübergehend - Embryonen mit der gleichen Erbinformation entstehen. Außerdem sollte nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Arbeitsentwurfs, sich derjenige strafbar machen, der „es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen". § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Arbeitsentwurfs stimmt im Wortlaut mit § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG überein. Danach werden die Möglichkeiten der Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik insofern eingeschränkt, als die Zahl der zur Verfügung stehenden Embryonen begrenzt wird. 85 Der Entwurf des Embryonenschutzgesetzes vom 11.8.1989 ist mit dem Arbeitsentwurf fast identisch. Die Vorschriften beider Entwürfe, die sich auf die Präimplantationsdiagnostik beziehen, sind inhaltsgleich.86
84 Abgedruckt in: Eser/Koch/Wiesenbart (Hrsg.), Regelungen der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik, Bd. 1, Materialien Nr. 2, S. 92ff. 85 Vgl. die Ausführungen zu § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG, 1. Kapitel, IV. 86 Eser/Koch/Wiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik Bd. 1, Materialien Nr. 3.
2. Kap.: Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte
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X. Die Beratungen des Rechtsauschusses zu einem Embryonenschutzgesetz sowie die Beschlußempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses Am 9. März 1990 veranstaltete der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung 87 zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen und zum Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion der SPD zur Regelung von Problemen der künstlichen Befruchtung beim Menschen und bei Eingriffen in menschliche Keimzellen (FortpflanzungsmedizinG) 88. Beide Entwürfe sahen ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik mittels Abspaltung einer totipotenten Zelle vor, der Entwurf der SPD-Fraktion beschränkte außerdem die künstliche Befruchtung auf die medizinische Indikation. 89 Wahrend Vertreter der Bundesärztekammer und der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausdrücklich für eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik plädierten 90 , läßt die überwiegende Zahl der Stellungnahmen und Wortmeldungen eine kritische Haltung zu diesem Verfahren erkennen. Im wesentlichen wurde gegen die Präimplantationsdiagnostik vorgetragen, daß durch die Zulassung dieses Verfahrens einer schleichenden Eugenik Tür und Tor geöffnet werde. 91 Als besonders gefährlich gegenüber anderen Verfahren der modernen Fortpflanzungsmedizin wurde erachtet, daß bei der Präimplantationsdiagnostik die künstliche Befruchtung mit dem Ziel der selektiven Verwerfung vorgenommen werde. 92 Darüber hinaus wurden eventuelle negative Rückwirkungen der genetischen Selektion auf die gesellschaftliche Akzeptanz Behinderter befürchtet. 93 Als vermittelnde Ansicht wurde vorgetragen, daß die Frage der Zulassung der Präimplantationsdiagnostik an der Frage der Zumutbarkeit für die Frau zu orientieren sei 94 und ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik sich schwerlich mit der Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs aufgrund embryopathischer Indikation 87
Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses. Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, BTDrucks. 11/5710. 89 Insoweit relevante Vorschriften des Entwurfs der SPD-Fraktion sind die §§ 1 Abs. 2,3,14 Abs. 1 Nr. 1,21. 90 Stellungnahme der Bundesärztekammer, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses, S. 179ff.; Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses, S. 196ff. 91 So ζ. B. Wortmeldung Bradish, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses, S. 167. 92 So Prof Wuermeling, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses, S.37. 93 Deutscher Familienverband, Stellungnahme, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses, S. 342. 94 So Prof Rehder, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses, S. 137; in diesem Sinne auch von Renesse, S. 147 des Protokolls und Prof Eser y S. 224. 88
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz 95
vereinbaren lasse. Es wurde daraufhingewiesen, daß schon jetzt eine Selektion betrieben werde, so ζ. B. wenn Eizellen mit drei Vorkernen nicht transferiert würden. 96 Kritik wurde auch geäußert an der Auffassung, die eine besondere Schutzbedürftigkeit der totipotenten Zelle wegen der Möglichkeit, daß sich hieraus ein Mensch entwickeln könnte, annimmt. Da die Zelle aus dem Zellverband künstlich abgespalten sei, habe sie nur die Eigenschaft einer „Teilmenge", deren Verbrauch nicht mit der Vernichtung einer Person gleichgesetzt werden könne.97 Die Bundesärztekammer wies in ihrer Stellungnahme ausdrücklich darauf hin, daß die Präimplantationsdiagnostik zudem in einem Entwicklungsstadium erfolgen kann, in dem bereits eine Differenzierung der Fruchtanlage in Trophoblast- und Embryoblastgewebe stattgefunden hat. 98 In der abschließenden Beschlußempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses vom 08.10.90" empfahl der Ausschuß mehrheitlich, den Gesetzentwurf der Bundesregierung mit einigen Änderungen anzunehmen. Die Änderungen bezogen sich jedoch nicht auf die die Präimplantationsdiagnostik betreffenden Vorschriften. Zur Begründung der insoweit unverändert empfohlenen Regelungen verweist der Ausschuß auf die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung. 100 Der Bundestag beschloß das Embryonenschutzgesetz mit punktuellen Änderungen, die sich jedoch nicht auf die Präimplantationsdiagnostik bezogen, am 24.10.1990.101 Der Bundesrat faßte am 9.11.1990 den Beschluß, einen Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht zu stellen.102 Das Embryonenschutzgesetz trat am 1.1.1991 in Kraft. 103
XI. Der Abschlußbericht der Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Genomanalyse" vom Mai 1990 Nachdem die Bund/Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" die Ergebnisse ihrer Untersuchung zu Fragen der künstlichen Befruchtung in ihrem Bericht „Fortpflanzungsmedizin" vorgestellt hatte, wurde sie beauftragt, ihre Tätigkeit auf 95
Prof. Günther, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses, S.250. Prof Rehder, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses, S. 137 f., die darauf hinweist, daß beim Transfer solcher Embryonen ein hohes Risiko besteht, daß sich aus einer solchen Fruchtanlage ein Krebs in der Gebärmutter entwickelt. 97 Stellungnahme von Renesse, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses, S.233f. 98 Stellungnahme der Bundesärztekammer, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Rechtsausschusses, S. 180. "BTDrucks. 11/8057. 100 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 11/8057, S. 13. 101 BRDrucks. 745/90. 102 BRDrucks. 745/90 (Beschluß). BGB1.1 1990, 2746. 96
2. Kap.: Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte
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den Bereich der Humangenetik, insbesondere den der Genomanalyse, zu erweitern. In ihrem Bericht „Genomanalyse" vom Mai 1990 104 nahm sie erneut Stellung zur Präimplantationsdiagnostik. Sie hielt nach wie vor die Präimplantationsdiagnostik an totipotenten Zellen für unzulässig. Soweit jedoch eine Präimplantationsdiagnostik an nicht mehr totipotenten Zellen des Trophoblasten klinisch anwendbar werden sollte, d. h. zu sicheren Ergebnissen führen und keine wesentlichen Nachteile für die Nidationschancen des Embryos befürchten ließe, sei diese nach Auffassung der Arbeitsgruppe dann gerechtfertigt, wenn sie medizinisch indiziert 105 sei und die Empfehlungen zur pränatalen genetischen Beratung und Diagnostik beachtet würden 106 . Ergebe die Diagnostik eine schwere Schädigung des Embryos, die im Falle einer Schwangerschaft zu deren Abbruch berechtige, so könne dies ein Grund sein, vom Embryotransfer abzusehen.107 Aus der Begründung zu ihrer Empfehlung ergibt sich, daß die Arbeitsgruppe im übrigen hinsichtlich der Beurteilung der Präimplantationsdiagnostik an den Ergebnissen des Abschlußberichts „Fortpflanzungsmedizin" festhält und insbesondere eine In-vitro-Fertilisation aufgrund genetischer Indikation ablehnt. Jedoch seien Fälle einer Präimplantationsdiagnostik im Zusammenhang mit einer In-vitro-Fertilisation zur Sterilitätsbehandlung oder nach einer Embryoausspülung denkbar. Gegen eine Präimplantationsdiagnostik an Zellen des Trophoblasten, die nach neueren Erkenntnissen möglich erscheine, ohne die Entwicklung des Embryos im übrigen zu beeinträchtigen, wurden von der Arbeitsgruppe keine grundsätzlichen Bedenken erhoben. Diese Methode entspreche gewissermaßen einer in vitro vorweggenommenen Chorionzottenbiopsie 108, vermeide jedoch die Risiken einer pränatalen Diagnostik für die Mutter und einen evtl. Schwangerschaftsabbruch. Es bestünden jedoch noch Zweifel an der Zuverlässigkeit der Methode. Außerdem sei eine Verschlechterung der Nidationschancen des Embryos sowie die Verletzungsgefahr bei Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik noch nicht sicher auszuschließen. Soweit diese Bedenken jedoch ausgeräumt werden könnten, sei die Präimplantationsdiagnostik wie andere genetische Untersuchungsverfahren in der pränatalen Diagnostik zu bewerten. 109 Den Gefahren einer Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (an Zellen des Trophoblasten), insbesondere der zunehmenden Embryonenselektion, der Ausweitung der In-vitro-Fertilisation, des Einstiegs in die Gentherapie an Keimbahnzellen und der zunehmenden Impulse für die Embryonenforschung könne durch Verbote entsprechend den Empfehlungen des Abschlußberichts „Fortpflanzungsmedizin" begegnet werden. Sie rechtfertigten 104
Abschlußbericht „Genomanalyse", Bundesanzeiger vom 29. August 1990, Jahrgang 42. Die Formulierung „medizinisch indiziert" ist mißverständlich, denn gemeint ist damit nicht etwa die Gesundheitsgefährdung der Frau, sondern eine Schädigung des Embryos. 106 Ergebnisse des Abschlußberichts „Genomanalyse", S.33ff. 107 Abschlußbericht „Genomanalyse", Gliederungspunkt IV. S. 33. 108 Chorionzottenbiopsie ist die Entnahme einer Gewebeprobe des chorion frondosum der Plazenta in der 7.-12. Schwangerschaftswoche zur Gewinnung von Trophoblastzellen zum Zwecke der Pränataldiagnostik, PschyrembeU Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Chorionbiopsie. 109 Abschlußbericht „Genomanalyse", Gliederungspunkt IV. S. 33. 105
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
jedoch angesichts der möglichen Vorteile für die betroffenen Frauen kein absolutes Verbot. 110 Die Ausführungen der Arbeitsgruppe lassen nicht eindeutig erkennen, ob sie auch für den Fall der Präimplantationsdiagnostik an Zellen des Trophoblasten die In-vitro-Fertilisation aus genetischer Indikation für unzulässig hält. Da jedoch in diesem Fall nur Paare, bei denen zufällig Sterilität und erbliche genetische Belastung zusammenfallen, in den Genuß dieses Verfahrens gelangen könnten, eine Bedingung, die einer inneren Logik entbehrt, wird man die Ausführungen der Arbeitsgruppe wohl dahingehend verstehen müssen, daß bei einer im übrigen zulässigen Präimplantationsdiagnostik die genetische Indikation für eine In-vitro-Fertilisation ausreichen muß.
XII. Der Bericht des Bundestagsausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur Genomanalyse vom 15.03.1994 Der Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung befaßte sich in einer Technikfolgenabschätzungsstudie mit Fragen der Genomanalyse. 111 Soweit der Bericht sich zu Fragen der Genomanalyse in bezug auf die menschliche Fortpflanzung äußert, beschränkt er sich auf die weitgehend schon etablierte genetische Beratung und die Pränataldiagnostik. Mit der Präimplantationsdiagnostik setzt sich der Bericht nur in einem kurzen Abschnitt als mögliche Perspektive der Anwendung genanalytischer Verfahren auseinander. Dort heißt es wörtlich: „Nach dem Embryonenschutzgesetz ist die Verwendung eines Embryos zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck strafrechtlich verboten. Damit ist derzeit eine genetische Analyse vor der Implantation der in-vitro befruchteten Eizelle (totipotenten Zellen) in die Gebärmutter nicht möglich. Es zeichnet sich aber ab, daß künftig eine Präimplantationsdiagnostik auch noch nach der Differenzierung des Embryos in Embryoblast (dem künftigen Fötus) und Trophoblast (dem künftigen embryonalen Nährgewebe) möglich ist. Genetische Diagnosen an nicht totipotenten Zellen des Trophoblasten könnten dann zur Routine vor der Implantation des Embryos in die Gebärmutter werden. Derzeit befinden sich solche Verfahren aber noch im Experimentierstadium. Es besteht ein hohes Verletzungsrisiko für den Embryo, und eine Beeinträchtigung der Nidationschancen kann nicht ausgeschlossen werden." 112 An anderer Stelle des Berichts wird darauf hingewiesen, daß sich das Verbot der Präimplantationsdiagnostik durch das Embryonenschutzgesetz als unwirksam erweisen könnte angesichts der beschriebenen Weiterentwicklung 110
Abschlußbericht „Genomanalyse", Gliederungspunkt IV. S. 34. Bericht des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur Technikfolgenabschätzung, hier: Genomanalyse, BTDrucks. 12/7094. 112 Bericht des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur Genomanalyse, BTDrucks. 12/7094, S.25f. 111
2. Kap.: Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte
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der Implantationstechnik.113 Im übrigen nimmt der Bericht keine Stellung zur Präimplantationsdiagnostik. Es steht zu vermuten, daß man insbesondere auch deswegen eine weitere Auseinandersetzung mit dem Verfahren der Präimplantationsdiagnostik für entbehrlich hielt, weil einerseits hinsichtlich der Diagnose an der totipotenten Zelle ein gesetzliches Verbot schon etabliert war, andererseits das Verfahren der Diagnose an der Zelle des Trophoblasten als noch weit entfernt von einer routinemäßigen Anwendung angesehen wurde.
XIII. Zusammenfassende Bewertung Die Auswertung der Materialien zum Embryonenschutzgesetz ergibt, daß die derzeit geltende Regelung zur Präimplantationsdiagnostik auf ganz unterschiedliche Motive zurückzuführen ist. Schon zu Beginn der Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik standen jedoch zwei Aspekte im Vordergrund: (1) Man sah in der Zulassung der Präimplantationsdiagnostik die Gefahr, daß einer schleichenden Eugenik Tür und Tor geöffnet werde. Insbesondere erachtete man die Selektion von Embryonen nach genetischen Qualitätsmerkmalen als menschenwürdeverletzend. (2) Außerdem und als von dieser Gefahr getrennt zu betrachtendes Problem hielt man überwiegend die Verwendung totipotenter Zellen wegen ihrer Entwicklungspotenz zu einem Menschen für problematisch. Neben dem Argument der Dammbruchgefahr mit der Folge der Ausweitung eugenisch motivierter Diagnose und Selektion sowie der Vernichtung menschlichen Lebens durch die verbrauchende Diagnose an der totipotenten Zelle bewegten den Gesetzgeber noch weitere Gründe zu dem Verbot der Präimplantationsdiagnostik: (3) Man sah die Gefahr der Schädigung des der Abspaltung unterworfenen Embryos. Wegen dieses Schädigungsrisikos könne auch nicht ausgeschlossen werden, daß von vornherein mehr Embryonen erzeugt würden, als für eine Übertragung an sich erforderlich wären. (4) Darüber hinaus wurden eventuelle negative Rückwirkungen der genetischen Selektion auf die gesellschaftliche Akzeptanz Behinderter befürchtet. (5) Man sah darüber hinaus die Mißbrauchsrisiken, die mit der Verfügbarkeit der Embryonen in vitro verbunden sind. 114 113 Bericht des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur Genomanalyse, BTDrucks. 12/7094, S.46. 114 Abschlußbericht „Genomanalyse", Gliederungspunkt A . I V , S. 33: siehe hierzu auch Stellungnahme der Bundesärztekammer, Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
Obwohl den Beteiligten bewußt war, daß die Präimplantationsdiagnostik dazu beitragen kann, Schwangerschaftsabbrüche aus genetischer Indikation zu vermeiden, setzte sich die Auffassung durch, die wegen der mit dem Verfahren verbundenen Gefahren für ein Verbot plädierte. Es ist außerdem zu beobachten, daß man zu Beginn des Diskussionsprozesses um die Präimplantationsdiagnostik für eine gegenüber der geltenden Regelung des Embryonenschutzgesetzes vergleichsweise liberale Regelung offen war. Der Regierungsentwurf zum Embryonenschutzgesetz schloß sich jedoch der Auffassung der Bund/Länder-Arbeitsgruppe an, die für ein absolutes Verbot der Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung totipotenter Zellen plädiert hatte. Die Untersuchung der Materialien führt darüber hinaus zu der Erkenntnis, daß schon vor der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes bekannt war, daß voraussichtlich eine Präimplantationsdiagnostik an nicht mehr totipotenten Zellen des Trophoblasten klinisch anwendbar werden würde. Diese Vorgehensweise betrachtete man, da hierbei keine totipotenten Zellen verbraucht wurden, als ethisch weniger problematisch. Der Bericht der Bund/Länder-Arbeitsgruppe schlug insoweit kein Verbot vor, wollte diese Form der Präimplantationsdiagnostik jedoch nur dann zulassen, wenn eine Schädigung des Embryos festgestellt würde, die im Falle einer Schwangerschaft zu einem Schwangerschaftsabbruch berechtigen würde. In die derzeit geltende Fassung des Embryonenschutzgesetzes sind indes diese neuen biomedizinischen Erkenntnisse nicht mehr eingegangen. Angesichts der erheblichen Gefahren, die nach Einschätzung des Gesetzgebers mit den modernen Methoden der künstlichen Fortpflanzung verbunden waren und sind, war man bemüht, möglichst zügig ein Gesetz zum Schutz von Embryonen auf den Weg zu bringen, um eventuellen Mißbräuchen Einhalt zu gebieten. Die ausgangs aufgeworfene Frage nach den Motiven für den Regelungsinhalt des Embryonenschutzgesetzes hinsichtlich der Präimplantationsdiagnostik, insbesondere für die unterschiedliche strafrechtliche Bewertung der Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung totipotenter Zellen und der Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung differenzierter Zellen läßt sich zusammenfassend also wie folgt beantworten: - Der Gesetzgeber wollte die totipotente Zelle angesichts ihrer Entwicklungspotenz zu einem eigenständigen Menschen in besonderer Weise schützen. - Der Gesetzgeber stand dem Verfahren der Präimplantationsdiagnostik insgesamt kritisch gegenüber. - Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes war davon auszugehen, daß mit dem Verbot des Klonens (künstliche Mehrlingsbildung) und Rechtsausschusses, S. 184, die für eine Genehmigungsfähigkeit der Forschung an totipotenten Zellen plädiert.
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des Verbrauchs totipotenter Zellen der Anwendung der Präimplantationsdiagnostik zunächst ein Riegel vorgeschoben ist. - Die Frage, ob ein striktes Verbot der Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung differenzierter Zellen wünschenwert oder gar geboten ist, war zum Zeitpunkt des Erlasses des Embryonenschutzgesetzes noch nicht hinreichend ausdiskutiert. Der Gesetzgeber sah insoweit noch keinen akuten Handlungsbedarf.
XIV. Ausblick Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes stand dem Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz zur abschließenden Regelung von Fragen der künstlichen Befruchtung nicht zu, so daß er sich auf die möglichen Regelungen der ihm zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Strafrechts beschränkte. Von der Alternative der eingehenden Beratung der Materie und der Schaffung eines umfassenden Fortpflanzungsmedizingesetzes, dem eine entsprechende Grundgesetzänderung hätte vorausgehen müssen, sah der Gesetzgeber angesichts des dringenden Regelungsbedarfs ab. Die Beratung einer solchen Gesamtregelung hätte nach Auffassung der Koalitionsmehrheit die Verabschiedung der im Embryonenschutzgesetz vorgesehenen strafrechtlichen Verbote zu sehr verzögert. 115 Jedoch wurde ein solches Vorhaben ausdrücklich in Aussicht gestellt. 116 Der Bundesrat verabschiedete anläßlich der Beschlußfassung zum Embryonenschutzgesetz eine Entschließung, die auf einen Antrag Bayerns zurückging, in der er darauf hinwies, daß er ein Gesamtkonzept zur Regelung von Fragen der Fortpflanzungsmedizin für erforderlich hält. Er weist im übrigen ausdrücklich daraufhin, daß hierbei die im europäischen Ausland getroffenen gesetzlichen Regelungen und Erfahrungen Berücksichtigung finden sollten. 117 Inzwischen ist die Gesetzgebungskompetenz zur konkurrierenden Gesetzgebung auf den Bund übergegangen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG 118 ). In der laufenden Legislaturperiode des deutschen Bundestages dürfte daher die Frage eines umfassenden Fortpflanzungsmedizingesetzes schnell politisch akut werden. 119 Angesichts der zu115 Die SPD-Fraktion konnte sich seinerzeit mit dem Vorschlag einer umfassenden Gesamtregelung nicht durchsetzen, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Problemen der künstlichen Befruchtung beim Menschen und bei Eingriffen in menschliche Keimzellen der SPDFraktion vom 16.11.89, BTDrucks. 11/5710; siehe auch Antrag der SPD-Fraktion „Chancen und Risiken der Anwendung neuer Methoden der künstlichen Befruchtung und bei Eingriffen in menschliche Keimzellen" vom 18.01.88, BTDrucks. 11/1662. 116 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 11/8057, S. 12f. 117 BRDrucks. 745/90 (Beschluß). 118 Eingefügt durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994, BGBl. I, S.3146. 119 So auch Neidert, MedR 1998, S. 347; in den im Jahr 1994 vorgelegten Musterentwürfen für Fortpflanzungsmedizingesetze der Länder, abgedruckt in: Der Frauenarzt 1994, 438 ff.,
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2. Teil: Das Embryonenschutzgesetz
nehmenden Etablierung des Verfahrens der Präimplantationsdiagnostik im Ausland und der Möglichkeit der Diagnose an Zellen des Trophoblasten wird dann auch das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik neu diskutiert werden müssen. In jüngster Zeit hat ein Bericht der Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz zur Präimplantationsdiagnostik für Aufsehen gesorgt. Die Kommission hält die Präimplantationsdiagnostik unter strengen Voraussetzungen für ethisch und rechtlich zulässig. 120 Die Bundesärztekammer hat im Februar 2000 einen „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik" 121 (RL), der von einer Arbeitsgruppe ihres wissenschaftlichen Beirats ausgearbeitet worden war. In dem Papier schlagen die Mediziner vor, die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik an Embryonen mit hohem Risiko für schwere genetisch bedingte Erkrankungen zu ermöglichen. Die Präimplantationsdiagnostik soll eine zusätzliche Indikation für eine assistierte Reproduktion darstellen (2. RL). Im einzelnen sieht der Richtlinienentwurf die folgenden Regelungen vor: - Die Indikation zur Präimplantationsdiagnostik kann nur bei solchen Paaren gestellt werden, für deren Nachkommen ein hohes Risiko für eine bekannte und schwerwiegende, genetisch bedingte Erkrankung besteht (2. RL). - Es darf nur auf diejenige Veränderung des Erbmaterials untersucht werden, die zu der in Frage stehenden schweren genetischen Erkrankung führt, für die das Paar ein hohes genetisches Risiko hat (2. RL). - Die Erkrankung muß zu einer schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung der Schwangeren bzw. der Mutter führen können (2. RL). - Von entscheidender Bedeutung sollen Schweregrad, die Therapiemöglichkeiten und die Prognose der in Frage stehenden Krankheit sein (2. RL). - Als Indikation werden die Geschlechtsbestimmung ohne Krankheitsbezug, das Alter der Eltern sowie eine Sterilitätstherapie durch assistierte Reproduktion ausdrücklich ausgeschlossen (2. RL). - In der Regel sollen spät manifestierende Erkrankungen nicht als Indikation gelten (2. RL). Die Einhaltung der in der Richtlinie normierten Voraussetzungen einer Indikation soll nach dem Vorschlag der Arbeitsgruppe durch ein Begutachtungsverfahren abgesichert werden (3. RL). Zwingende Voraussetzung für die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik ist das zustimmende Votum einer bei der zuständigen Ländesärztekammer gebildeten Kommission (3.1.2. RL). In Soll-Vorschriften regelt die Richtlinie das Verfahren der Kommission der Ländeswurde die Präimplantationsdiagnostik angesichts der Regelungen des Embryonenschutzgesetzes ausgespart. 120 Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, S. 81 f.; hierzu Die Zeit vom 8. Juli 1999, S. 35. 121 Abgedruckt im Anhang und DÄB1.2000, SA 525-528; zu der Richtlinie: Neidert, DÄB1. 2000, A 3483-3486; kritisch aus ethischer Sicht: Zimmermann/Zimmermann, DÄB1 2000, A 3487-3489.
2. Kap.: Gesetzgeberische Motive und Entstehungsgeschichte
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ärztekammer nach Einreichung des Antrags auf Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (3.1.2., 3.1.3. RL): - Von der Kommission sollen Vertreter der fallbezogenen Fachrichtungen hinzugezogen werden. - Die Kommission soll vor Abgabe ihres Votums eine Stellungnahme der „Kommission Präimplantationsdiagnostik" der Bundesärztekammer einholen und sich mit dieser in der Beurteilung des Antrags ausdrücklich auseinandersetzen. Die Richtlinie sieht die Einrichtung der „Kommission Präimplantationsdiagnostik" als beratenden Ausschuß der Bundesärztekammer vor. In ihr sollen die Disziplinen Humangenetik, Gynäkologie, Andrologie, Pädiatrie, Ethik und Recht vertreten sein. Neben der Aufgabe, ein Votum gegenüber der Kommission der Landesärztekammer abzugeben, hat sie die Aufgabe, auf eine Vereinheitlichung der Begutachtungspraxis hinzuwirken sowie Beobachtungs- und Dokumentationsaufgaben (3.1.3. RL). Die Richtlinie legt darüber hinaus fest, welche fachlichen, personellen und technischen Voraussetzungen eine Einrichtung erfüllen muß, die beabsichtigt, eine Präimplantationsdiagnostik durchzuführen (3.2. RL). Der Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik muß nach dem Richtlinienvorschlag eine ausführliche Aufklärung und Beratung über das Verfahren, seine Vor- und Nachteile sowie mögliche Folgen der Methode vorausgehen (4.1. RL). Dabei muß insbesondere auch über mögliche Alternativen zur Präimplantationsdiagnostik (Adoption, Verzicht auf Kinder, Schwangerschaft mit Pränataldiagnostik) aufgeklärt werden. Totipotente Zellen dürfen nach der Richtlinie für die Diagnostik nicht verwendet werden. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Zellen nach derzeitigem Erkenntnisstand nach dem Acht-Zell-Stadium nicht mehr totipotent sind (4.2. RL).
3. T e i l
Der grundrechtliche Schutz des Embryos Aus den Ausführungen in Teil II. ergibt sich, daß der Embryo im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik durch das Embryonenschutzgesetz nur einen eingeschränkten Schutz erfährt. Darüber hinaus wird eine Lockerung der Regelungen des Embryonenschutzgesetzes zur Präimplantationsdiagnostik sowohl seitens interessierter Berufsgruppen und potentieller Patienten als auch von politischer Seite angestrebt. Die Grundrechte errichten indes der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers Grenzen. Der Frage, wo diese Grenzen zu ziehen sind, also der Frage nach Inhalt und Reichweite des grundrechtlichen Schutzes des Embryos, wird im folgenden nachgegangen. 1. Kapitel
Das Grundrecht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. GG I. Der sachliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. GG Nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hat jeder das Recht auf Leben. Unumstritten ist, daß der verfassungsrechtliche Lebensschutz vom Beginn der Geburt bis zum Tode reicht. Es stellt sich aber die Frage, ob auch der menschliche Embryo als „jeder" im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG anzusehen ist. 1. Lebensbeginn aus naturwissenschaftlicher Sicht Es besteht heute Einigkeit darüber, daß das Leben eines Menschen biologisch beginnt, wenn sich das genetische Programm, das den Menschen zusammen mit seiner Umwelt bestimmt, erstmals verkörpert hat. Das geschieht während der Befruchtung. Diese beginnt mit der Imprägnation, d. h. dem Eindringen des Spermiums in das Plasma der Eizelle. Der Vorgang der Befruchtung ist mit der Vereinigung des männlichen und weiblichen Vorkerns zu ersten Zellteilungen abgeschlossen (Konjugation). Mit diesem Zeitpunkt hat sich der mütterliche haploide Chromosomensatz der Eizelle mit dem väterlichen haploiden Chromosomen der Samenzelle vereinigt. 1 Mit 1 Siehe nur die Erläuterungen zu den Richtlinien zur Forschung an frühen menschlichen Embryonen der Bundesärztekammer, abgedruckt in: Kellerl Günther!Kaiser, ESchG, S.271.
1. Kap.: Das Grundrecht auf Leben
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der Konjugation liegt die entwicklungsfähige Zygote mit diploidem Chromosomensatz vor. Es existiert ein neues genetisches Programm, das die gesamte Entwicklung des Menschen - soweit diese genetisch determiniert ist - bis zum Tode bestimmt. Man spricht insoweit auch von der Existenz artspezifischen menschlichen Lebens im Gegensatz zu sonstigem vegetativen Leben. Es findet also nicht etwa eine Entwicklung hin zu menschlichem Leben statt, sondern es handelt sich von Anfang an um menschliches Leben.2 Mit diesem Befund ist indes die Frage nach dem Beginn des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes nicht präjudiziert, denn der Lebensbegriff des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG muß als normativer nicht zwingend mit dem deskriptiven Lebensbegriff übereinstimmen. Den Naturwissenschaften und der Medizin steht insoweit kein Definitionsmonopol zu. Das Leben ist vielmehr als Rechtsgut geschützt, dessen inhaltliche Festlegung durch die jeweilige Schutznorm erfolgt. 3
2. Wortlautinterpretation Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. GG erwähnt den Embryo als Zuordnungssubjekt des Grundrechts auf Leben nicht ausdrücklich. „Jeder" steht im Kontext des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG für „jeder Mensch". Im gewöhnlichen Sprachgebrauch werden Embryonen überwiegend nicht als „Menschen" bezeichnet. Man spricht vom „Embryo", dem „Fötus", der „befruchteten Eizelle" oder von der „Leibesfrucht". Andererseits spricht man aber auch vom „werdenden Menschen" oder im Falle der Schwangerschaft davon, „ein Kind zu erwarten". Im juristischen Sprachgebrauch, insbesondere in den §§ 218 ff. StGB und den Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes wird der Embryo nicht als,»Mensch" bezeichnet. Eine Ausnahme hiervon findet sich in § 219 Abs. 1 StGB, in dem vom „Austragen des Kindes" die Rede ist. Der Begriff „jeder" läßt sich mithin sowohl im Sinne von „jedes menschliche Wesen" als auch im Sinne von »jeder geborene Mensch" verstehen.4 Eine Wortlautinterpretation führt folglich nicht zu einem eindeutigen Ergebnis.5 2 Eine andere Sichtweise legte das im vorigen Jahrhundert von Emst Haeckel aufgestellte sog. biogenetische Grundgesetz nahe, wonach der Mensch während seiner Entwicklung im Mutterleib noch einmal die Entwicklung der Stammesgeschichte durchläuft (vom Zellklumpen zum Fisch, dann zum Lurch und zuletzt zum Säugetier). Dies entspricht indes nicht mehr den heutigen Erkenntnissen der Embryologie und Genforschung (vgl. Schlingensiepen-Brysch, ZRP 1992,418). 3 So auch Lorenz, HStR Bd. VI, § 128, Rdnr. 8; Steiger, Recht auf Leben im deutschen Verfassungssystem, in: „Evangelium vitae" e diritto, S. 289 (290); Hilgendorf,\ NJW 1997, 3074. 4 So auch Hoerster, JuS 1989,172 (173); a. A. Weiß, JR 1992,182 (183), der der Auffassung ist, „jeder" beziehe sich schon nach dem Wortlaut eindeutig auf das ungeborene Leben; die Europäische Kommission für Menschenrechte neigt bzgl. Art. 1 Abs. 1 EMRK zu einer Interpretation in der Richtung, daß ungeborenes Leben von dem Begriff „jeder Mensch" nicht erfaßt wird, NJW 1981, 1141. 5 Zur Wortlautinterpretation auch BVerfGE39, 1 (37); Lübbe, KritV 1993, 313 (314); Hoerster, JR 1995, 51 ff.
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
3. Entstehungsgeschichte Darüber, ob die Lebensschutzgarantie des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG das keimende Leben mit umfasse, gab es im Parlamentarischen Rat keine einhellige Auffassung. 6 In den Beratungen des Gremiums finden sich nur sporadische Äußerungen zu dieser Frage. Der Antrag, das „keimende Leben" ausdrücklich in den Verfassungstext aufzunehmen, wurde von einer Mehrheit abgelehnt. Diese Tatsache läßt indes nicht den Schluß zu, der Parlamentarische Rat habe sich gegen einen verfassungsrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens ausgesprochen. Die ablehnende Mehrheit bestand nämlich sowohl aus Gegnern des vorgeburtlichen Lebensschutzes als auch aus solchen Abgeordneten, die auf Grund einer weiten Auslegung des Begriffs „Leben" eine solche Klarstellung für überflüssig hielten.7 Eine Einigung in der Frage des vorgeburtlichen Lebensschutzes ist folglich im Parlamentarischen Rat nicht erzielt worden. 8
4. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts greift der Lebensschutz des Art. 2 Abs. 2, S. 1, 1. Alt. GG jedenfalls ab der Einnistung des befruchteten Eies in die Gebärmutter. Die Frage des verfassungsrechtlichen Status des menschlichen Embryos vor dem Zeitpunkt der Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter ist bislang verfassungsgerichtlich ungeklärt. In seinem Fristenlösungsurteil aus dem Jahre 1975 hat der Erste Senat des Gerichts judiziert, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schütze auch das sich im Mutterleib entwickelnde Leben als selbständiges Rechtsgut.9 „Jeder" i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sei auch das ungeborene menschliche Wesen.10 Es führt aus: „Leben im Sinne der geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums besteht nach gesicherter biologisch-physiologischer Erkenntnis jedenfalls vom 14. Tag nach der Empfängnis (Nidation, Individuation) an.... Der damit begonnene Entwicklungsprozeß ist 6
Hofmann, H., Festschrift Krause, S. 115 (117). So Herzog, JR 1969,441 (442); Kriele, JZ 1975,222, (224f.); Esser, JZ 1975, 555 (556); ausführlich Lübbe, ZfP 1989,138 (143 f.); a. A. Weiß JR 1992,182 (183), der der Auffassung ist, wegen der erfolgten Mehrheitsentscheidung seien die Beratungen des Parlamentarischen Rates dahingehend zu interpretieren, daß auch das werdende Leben erfaßt sein sollte. Dem tritt Hoerster, JR 1995,51 mit dem überzeugenden Hinweis auf die Tatsache, daß man sich der semantischen Unbestimmtheit des Art. 2 GG bewußt gewesen sei und die Mehrheit diese Frage nicht für alle Zeiten habe präjudizieren wollen, entgegen. 8 Das BVerfG zog indes in seiner ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch die Entstehungsgeschichte zur Begründung der Erstreckung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf das vorgeburtliche Leben heran, BVerfGE 39,1 (38 ff.), ohne jedoch von einer Eindeutigkeit des Parlamentarischen Rates in dieser Frage auszugehen. Siehe dazu unter 4. 9 BVerfGE 39,1 (36). 10 BVerfGE 39,1 (37). 7
1. Kap.: Das Grundrecht auf Leben
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ein kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist und eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens nicht zuläßt. Er ist auch nicht mit der Geburt beendet; die für die menschliche Persönlichkeit spezifischen Bewußtseinsphänomene ζ. B. treten erst längere Zeit nach der Geburt auf. Deshalb kann der Schutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG weder auf den »fertigen* Menschen nach der Geburt noch auf den lebensfähigen nasciturus beschränkt werden... jeder 4 ist daher auch das noch ungeborene menschliche Wesen."11
Das Bundesverfassungsgericht war sich dabei bewußt, daß dieses Ergebnis vom Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG allein nicht getragen wird. Zur Begründung des Ergebnisses beruft es sich auf den Sinn und Zweck der Grundgesetzbestimmung. Er führt dazu aus: „Die Sicherung der menschlichen Existenz wäre unvollständig, wenn sie nicht auch die Vorstufe des ,fertigen Lebens', das ungeborene Leben umfaßte." 12
Für die extensive Auslegung spreche auch der Grundsatz, wonach in Zweifelsfällen immer diejenige Auslegung zu wählen sei, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfalte. 13 Schließlich führt das Gericht auch die Entstehungsgeschichte des Art. 2 GG zur Untermauerung seiner Auslegung an: „Die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG legt es somit nahe, daß die Formulierung jeder hat das Recht auf Leben4 auch das ,keimende' Leben einschließen sollte. Jedenfalls kann aus den Materialien noch weniger für die gegenteilige Ansicht abgeleitet werden." 14
In seinem zweiten Fristenurteil zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 199315 hat der mit der Sache befaßte zweite Senat die Rechtsprechung aus dem Jahre 1975 zur Frage des Beginns des grundrechtlichen Lebensschutzes im wesentlichen übernommen. Der Senat führt aus: „Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene." 16
Jedenfalls nach Abschluß der Einnistung des befruchteten Eis in die Gebärmutter handele es sich beim Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozeß des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickele.17 Ob der vorgeburtliche 11
BVerfGE 39,1 (37). BVerfGE 39,1 (37). 13 BVerfGE 39,1 (38). 14 BVerfGE 39,1 (40); die Berufung auf die Entstehungsgeschichte zur Untermauerung des Ergebnisses ist indes in der Literatur wegen der Mißachtung elementarer Methodenregeln kritisiert worden, vgl. nur Kriele, JZ 1975, 222 (224 f.); Höfling, in: Thomas/Kluth (Hrsg.), Das zumutbare Kind, S. 119 (122). 15 BVerfGE 88,203 ff.; ausführlich zu dem Urteil: Kluth, FamRZ 1993,1382ff. 16 BVerfGE 88,203 (251). 17 BVerfGE 88,203 (251 f.). 12
5 Giwer
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
Lebensschutz schon zu einem früheren Zeitpunkt ansetzt, hat das Gericht auch in seiner zweiten Entscheidung offengelassen, da es diese Frage nicht für entscheidungserheblich hielt. Das Gericht merkte jedoch an, die Erkenntnisse der medizinischen Anthropologie legten es nahe, daß menschliches Leben bereits mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle entstehe.18 5. Die Frage nach relevanten Zäsuren in der Ontogenese Im interdisziplinären und internationalen Diskurs über Fragen der modernen Fortpflanzungstechnologien werden verschiedene Zäsuren in der Ontogenese19 des Embryos angeboten, die als erheblich für die Ausgestaltung des Lebensschutzes angesehen werden. a) Nidation bzw. Individuation Es wird die Auffassung vertreten, daß ein Embryonenschutz erst ab dem 13./14. Entwicklungstag des Embryos eingreifen sollte, wobei entweder auf die Nidation oder auf die sog. Individuation (Zeitpunkt, ab dem die Möglichkeit der Bildung eineiiger Mehrlinge ausgeschlossen ist) abgestellt wird, die zeitlich eng zusammenfallen. Nidation und Individuation werden auch kumulativ zur argumentativen Unterstützung der Festlegung einer rechtlich relevanten Zäsur auf den 13./14. Entwicklungstag verwendet. 20 aa) Nidation In Anlehnung an die Regelung des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB, wonach Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in die Gebärmutter eintritt, nicht als Schwangerschaftsabbruch gelten, könnte man auf den Gedanken kommen, daß man es im pränidativen Stadium noch nicht mit schutzwürdigem menschlichen Leben zu tun hat. Ein Lebensrecht des extrakorporalen Embryos wäre dann erst ab dem 13.-14. Enwicklungstag anzunehmen, also dem Zeitpunkt, zu dem bei natürlicher Befruchtung die Nidation abgeschlossen ist. 21 Erst mit der Einnistung hat die befruchtete Eizelle den faktisch gesicherten Status erlangt, geboren zu werden, da ein erheblicher Teil der befruchteten Keimzellen nicht zur Einnistung gelangt. In der Vornidationsphase betreibt die Natur selbst eine verschwenderische Embryonenselektion. Hintergrund der Überlegungen, dem Embryo erst ab Nidation 18
BVerfGE 88, 203 (251). Die Ontogenese ist die Entwicklung eines Individuums von der Zygote zu einem differenzierten Organismus. 20 So Coester-Waltjen, FamRZ 1984,230 (235); zu denkbaren Zäsuren auch Riedel, EuGRZ 1986,469 (476). 21 So z.B. Netzer, EthikMed (1998), 138 (142). 19
1. Kap.: Das Grundrecht auf Leben
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ein Lebensrecht zuzusprechen, ist also die Tatsache, daß bei natürlicher Zeugung der Embryo erst ab dem Zeitpunkt der Nidation eine reale Lebenschance hat. bb) Individuation Die Individuation erfolgt kurz nach der Nidation. Individuation bedeutet den Verlust der orthischen Teilbarkeit, d. h. der Möglichkeit der eineiigen Mehrlingsbildung. Der Individuationsprozeß ist am 13.-14. Tag abgeschlossen. Es wird die Ansicht vertreten, daß der vorgeburtliche Lebensschutz erst mit der Individuation einsetzen könne, da - solange noch die Möglichkeit der Mehrlingsbildung gegeben sei - nicht von einem menschlichen Individuum (Einzelwesen22) gesprochen werden könne. Individuelles menschliches Leben beginne daher erst mit dem Ende der Teilbarkeit des Embryos. Daher ist die Individuation in England, den USA und anderen Staaten der Zeitpunkt, ab dem der Embryo als zu schützendes Leben betrachtet wird. 23 In der vor diesem Zeitpunkt liegenden Phase, die als Präembryonalphase bezeichnet wird, dürfen dementsprechend Untersuchungen durchgeführt werden. 24 Jedoch wird auch hier nicht die Ansicht vertreten, vor der Nidation oder Individuation bestehe eine absolute Verfügbarkeit über Embryonen. Es ist vielmehr die Rede von „latentem menschlichen Leben", dessen Schutz zwischen realem und potentiellem menschlichen Leben anzusiedeln sei.25 So steht ζ. B. in Großbritannien die Forschung an „Präembryonen" unter Genehmigungsvorbehalt durch eine Ethikkommission.26 Dem sog. Warnock-Report, der den britischen Regelungen zur künstlichen Befruchtung und Embryonenforschung vorausging, ist zu entnehmen, daß man mit der Festlegung auf den Zeitpunkt der Individuation die Frage nach dem Beginn der Mensch- oder Personqualität nicht als abschließend beantwortet erachtete. Dort heißt es: „Although the questions of when life or personhood begin appear to be questions of fact susceptible of straightforward answers, we hold that the answers to such questions in fact are complex amalgams of factual and moral judgements. Instead of trying to answer these question directly we have therefore gone straight to the question of how it is right to treat the human embryo" 21 cc) Stellungnahme Das Abgrenzungskriterium der Nidation versagt im Zusammenhang mit der Invitro-Fertilisation. Hier ist es nämlich von der Entscheidung der beteiligten Akteure 22 Im Lateinischen stand „individuum" für den kleinsten, also unteilbaren Baustein der Materie, das Atom (im antiken Sinne), Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, S.578. 23 Heywinkel/Beck, in: Lexikon der Bioethik, Bd. 1, Stichwort: Embryo, S.554. 24 Zum Human Fertilization and Embryology Act in England: Stellpflug, ZRP 1992, 4 ff. 25 So Coester-Waltjen, FamRZ 1984, 230 (235). 26 Zum Human Fertilization an Embryology Act in Großbritannien: Stellpflug, ZRP 1992,4ff. 27 Department of Health & Social Security , Report of the Committee of Inquiry into Human Fertilisation and Embryology, Ziff. 11.9 (S. 60).
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
abhängig, ob dem Embryo die Chance der Einnistung gegeben wird. Darüber hinaus erscheint das Abstellen auf eine Lebenschance, die sich erst mit der Nidation realisiert, auch insoweit fragwürdig, als dies zu dem Schluß führen könnte, auch lebenden Menschen, deren natürliche Lebenschance stark verringert ist, ein Lebensrecht abzusprechen. Auch kann der Hinweis auf die verschwenderische Embryonenselektion in der Pränidationsphase bei natürlicher Zeugung nicht überzeugen. Schicksalhaft vorkommende Naturereignisse berechtigen den Menschen nicht, selbst solche Ereignisse herbeizuführen. Die hohe natürliche Verlustrate spricht im übrigen nicht dafür, den Schutz der überlebenden Embryonen zu verringern. Ebensowenig würden wir eine erhöhte Säuglingssterblichkeit zum Anlaß nehmen, den Lebensschutz zurückzunehmen, vielmehr würden wir uns bemühen, die Überlebenschancen zu erhöhen.28 Auch ein Verweis auf § 218 Abs. 1 S. 2 StGB vermag an diesem Befund nichts zu ändern. Das einfache Recht kann grundsätzlich nicht zur Definition eines grundrechtlichen Schutzbereichs herangezogen werden. Im übrigen enthält diese Bestimmung auch keine Definition des Lebensbeginns, sondern legt fest, ab welchem Zeitpunkt die Tötung vorgeburtlichen Lebens als strafbarer Schwangerschaftsabbruch anzusehen ist. Motive für diese Regelung waren die Tatsachen, daß sich bis zur Nidation Befruchtung und Entwicklung des Embryos in vivo kaum nachweisen lassen und, daß sich wegen der natürlichen Sterblichkeitsrate vor der Einnistung die Kausaliät einer Verhütungsmaßnahme (ζ. B. Intrauterinpessar, „Pille danach"29) nicht nachweisen läßt. 30 Auch gegen das Individuationsargument bestehen Bedenken. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum die Tatsache, daß aus einer befruchteten Eizelle mehrere Menschen und nicht bloß ein Mensch entstehen kann, den Schutzanspruch verringern sollte. Man könnte ebensogut umgekehrt argumentieren in der Weise, daß durch die Befruchtung nicht ein, sondern unter Umständen sogar mehrere Individuen entstehen. Aus der eventuell größeren Zahl der bedrohten Individuen ergäbe sich demzufolge eher ein höherer Schutzanspruch.31
b) Beginn der Hirntätigkeit Als weiterer möglicher Anknüpfungspunkt in der Embryonalentwicklung wird der Zeitpunkt des Beginns der Hirntätigkeit - in Parallele zur in der Medizin vorherrschenden Hirntodkonzeption - vorgeschlagen. Die Grundlagen menschlicher Personhaftigkeit seien mit der Entwicklung des Gehirns verbunden. Wenn man das Ende des menschlichen Lebens einer Person durch den Hirntod definiere, dann scheine es nicht unvernünftig, dessen Anfang mit dem Beginn der Gehirnfunktionen 28 29 30 31
So Holderegger, Zeitschrift für medizinische Ethik 40 (1994), 275 (282). Hierzu Hirsch, MedR 1987, 12ff. Eser, in: Lexikon der Bioethik, Bd. 2, Stichwort: Lebensbeginn, S.540. So auch Hirsch, MedR 1987,12 (15); wohl auch Sternberg-Lieben,, JuS 1986, 673 (677).
1. Kap.: Das Grundrecht auf Leben
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in Verbindung zu bringen. In der Tradition des abendländischen Kulturkreises, so der Philosoph Hans-Martin Sass, werde menschliches Leben nicht biologisch, sondern im Lichte seines Personseins verstanden und bewertet. 33 Daher sei die Hirntoddefinition von einem breiten Konsens getragen.34 Zur Vermeidung „ethischer und rechtlicher Doppelstandards"35 schlägt er vor, vom 57. Tag p. c. dem „werdenden menschlichen Leben den vollen rechtlichen Schutz und die volle ethische Solidarität und Achtung zuzusprechen".36 Zwar beginne eine Hirntätigkeit erst nach dem 70. p. c. Tag, jedoch sei mit dem 57. Tag p. c. biologisch schon das Zellmaterial vorhanden, aus dem später funktionierendes Organleben entstehe. Da jedoch ein „ethisches Sicherheitsnetz" angebracht sei, böte sich dieser Zeitpunkt als Zäsur an, ab dem voller rechtlicher Schutz zu gewährleisten sei. Vor dem 57. Tag p. c. sei der menschliche Embryo ebenso wie der hirntote Erwachsene kein vollwertiges Mitglied der Rechts- und Solidargemeinschaft; wie dem Hirntoten gebühre ihm aber Respekt, und ein unverantwortlicher Umgang mit ihm sei auszuschließen.37 Diese Auffassung kann indes nicht überzeugen. Der Hirnlebensbeginn ist nicht ein unverrückbarer Anfangspunkt wie der Hirntod ein Endpunkt ist, der unverrückbar biomedizinisch ohne Wenn und Aber das Ende des Individuallebens einleitet.38 Die Zuweisung des Lebensbeginns auf den Zeitpunkt des Beginns der Hirntätigkeit ist lediglich die Zuweisung des Menschen auf eine bestimmte Funktion, die er im späteren Leben verwirklichen wird, nämlich denkender Mensch zu sein. Existenzund identitätsbegründend ist indes der Beginn der Hirnaktivität nicht. Daher erscheint die Festlegung auf diesen Zeitpunkt ebenso willkürlich wie die auf den Zeitpunkt der Nidation oder Individuation.39
c) Erste Kindsbewegungen Ein weiterer möglicher Ansatzpunkt für den Beginn verfassungsrechtlich zu schützenden Lebens wäre der Zeitpunkt, ab dem die Mutter erste Kindsbewegungen spürt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt, zwischen der 16. und 18. Woche, entwickelt sich das körperliche Bewußtsein der Frau von dem Vorhandensein des Kindes als ei32 Hofmann, H., Festschrift Krause, S. 115 (119); ausführlich Sass, Hirntod und Hirnleben, in: ders. (Hrsg.), Medizin und Ethik, S. 160ff. 33 Sass, Himtod und Hirnleben, in: ders. (Hrsg.), Medizin und Ethik, S. 160 (164). 34 Sass, Hirntod und Hirnleben, in: ders. (Hrsg.), Medizin und Ethik, S. 160 (165, 167). 35 Sass, Hirntod und Hirnleben, in: ders. (Hrsg.), Medizin und Ethik, S. 160 (168). 36 Sass, Himtod und Himleben, in: ders. (Hrsg.), Medizin und Ethik, S. 160 (173). 37 Sass, Himtod und Himleben, in: ders. (Hrsg.), Medizin und Ethik, S. 160 (172f.). 38 Ähnlich Körner, EthikMed 1992, 120 (126); Schlingensiepen-Brysch, ZRP 1992, 418 (420); dies, kritisch zur Festlegung auf den 70. Tag, die für das Einsetzen der synaptischen VerSchaltungen im Gehirn den 32. Tag angibt; im übrigen erfährt die Himtodkonzeption zunehmend Kritik, insbesondere in der Verfassungsrechtswissenschaft, dezidiert: Höfling, JZ 1995, 26ff.; Rixen, Lebensschutz am Lebensende (m. w. N. zur Kritik: S. 23f.). 39 So auch Laufs, Fortpflanzungsmedizin und Arztrecht, S.45f.
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
genständiges Wesen40 und in der Regel entsteht eine intensive Bindung zu dem werdenden Leben. Der Beginn der Kindsbewegungen hatte in der Strafrechtsgeschichte im Zusammenhang mit der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs Bedeutung, da bis zu diesem Zeitpunkt der Schwangerschaftsabbruch milder bestraft wurde. 41 Das Abstellen auf den psychologischen Aspekt des Empfindens, welches die Kindsbewegungen auslösen, erscheint angesichts der Tatsache, daß das werdende Leben ein menschliches Aussehen schon zu einem erheblich früheren Zeitpunkt annimmt 42 , das jedoch von der Mutter so nicht wahrgenommen werden kann, für die Frage des Beginns des Lebensschutzes nicht sachgerecht. Eine andere Frage ist, ob das Phänomen bei der Bestrafung eines unzulässigen Schwangerschaftsabbruchs Berücksichtigung finden kann. Im übrigen sind die ersten Kindsbewegungen angesichts moderner Ultraschallaufnahmen schon in den ersten Schwangerschaftswochen ohnehin auch als psychologisches Argument nur noch bedingt brauchbar.
d) Extrauterine
Lebensfähigkeit
Der US-amerikanische Supreme Court hat 1973 in der bis heute in den Grundzügen nicht angefochtenen Entscheidung im Fall Roe ν. Wade43 Frauen ein sehr weitgehendes Recht zur Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch zugebilligt. Danach ist die Entscheidung über einen Abbruch bis zum Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels allein der Frau zu überlassen. Im weiteren Verlauf der Schwangerschaft bis zur extrauterinen Lebensfähigkeit des Kindes darf der Staat Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch erlassen, jedoch nur solche, die dem Schutz der Gesundheit der Frau dienen. Erst wenn das Kind außerhalb des Mutterleibs lebensfähig ist, was jeweils individuell zu bestimmen ist, darf der Staat Schwangerschaftsabbrüche verbieten. Für den Fall, daß Leben und Gesundheit der Frau gefährdet sind, muß er Ausnahmen zulassen. Zur Begründung dieser Entscheidung beriefen sich die Richter auf das „right of privacy" der Frau; dieses legitimiere auch die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch. Demgegenüber wurde ein die Entscheidungsfreiheit der Frau einschränkendes Lebensrecht des Embryos vor dessen extrauteriner Lebensfähigkeit („viability") nicht anerkannt. Das ungeborene Kind sei keine „Person" im Sinne des 14. Zusatzartikels 44, weil die meisten Vorschriften der Ver40 Gutachten Prof. Ehmke zur Verfassungsmäßigkeit des 5. StrRG, abgedruckt in: Amdt/Erhard/Funcke (Hrsg.), Der § 218 StGB vor dem Bundesverfassungsgericht, S. 190. 41 BVerfGE 39,1 (31); in der mittelalterlichen christlichen Lehre (Thomas von Aquin) wurde die Ansicht vertreten, die Beseelung der Leibesfrucht falle mit den ersten wahrnehmbaren Kindsbewegungen zusammen. 42 Vgl. Teil I, 1. Kapitel, IV. 43 Supreme Court of the United States v. 22.1.1973, Roe et al ν. Wade, United States Reports 113 (1973) 410; deutsche Übersetzung in EuGRZ 1974, 52ff. 44 Der erste Abschnitt des 14. Zusatzartikels lautet in der einschlägigen Passage: „nor shall any State deprive any person of life, liberty or property, without due process of law.", zitiert nach Brugger, NJW 1986, S. 896.
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fassung das Wort Person in einem Sinne gebrauchten, der nur auf schon geborene Menschen sinnvoll Anwendung finde. Sobald der Fötus jedoch lebensfähig sei, liege zumindest „potentielles Leben" vor, so daß es dem Staat freistehe, ab diesem Zeitpunkt den Schwangerschaftsabbruch zu verbieten. 45 Angesichts der Tatsache, daß die US-amerikanische Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch in den USA sowohl erheblicher gesellschaftlicher Kritik 4 6 als auch verfassungsrechtlich-methodischer 47 Kritik ausgesetzt war und ist, können schon aus diesem Grund von ihr keine Interpretationshilfen für das deutsche Verfassungsrecht erwartet werden. 48 Die Entscheidung ist darüber hinaus geprägt von der Überlegung, daß eine ungewollte Schwangerschaft und die Geburt eines ungewollten Kindes ein erhebliches seelisches und körperliches Leid der Mutter mit sich bringen können, ein Opfer, das der Staat nach Ansicht des Supreme Court der Frau nicht aufzwingen darf. 49 Ob das Gericht im Falle der extrakorporalen Befruchtung ähnliche Wertungen vornehmen würde, ist offen. Im übrigen erscheint das Kriterium der Überlebensfähigkeit auch als willkürlich, weil dieser Zeitpunkt variabel - abhängig von der konkreten Entwicklung des Embryos sowie den jeweiligen Möglichkeiten der Medizin - ist. 50
e) Geburt bzw. Fähigkeit zu autonomer Entschlußfassung Nach der Konzeption des Philosophen Singer haben Embryonen kein Recht auf Leben. Auch dem geborenen Kind sei innerhalb einer kurzen Zeitspanne nach der Geburt, vielleicht für eine Woche, ein volles legales Recht auf Leben abzusprechen.51 Auch für Singer ist der Embryo ein menschliches Wesen52, indes hält er die45
Zitiert nach Brugger, NJW 1986, 896 (897), der sich kritisch mit dieser Alimentation auseinandersetzt; siehe auch Brugger, JZ 1992,911 f.; Stürner, JZ 1990,709 (714) m. w. N.; zur Politisierung der Diskussion zum Schwangerschaftsabbruch in den USA: Kuhlmann, Abtreibung und Selbstbestimmung, S.49ff. 46 Siehe hierzu nur Kuhlmann, Abtreibung und Selbstbestimmung, S.49ff. 47 Brugger, NJW 1986, 896 (897); Reis, Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes als Verfassungsproblem, S. 12 ff. 48 Siehe im übrigen: BVerfGE 39,1 (60). 49 Zitiert nach Kuhlmann, Abtreibung und Selbstbestimmung, S.52. 50 So auch Schmidt, Rechtliche Aspekte der Genomanalyse, S.94; Stürner, JZ 1990, 709 (715). 51 Singer, Praktische Ethik, S.221 ff.; vgl. auch Singer, Schwangerschaftsabbruch und ethische Güterabwägung, in: Sass (Hrsg.), Medizin und Ethik, S. 139ff.; hinzuweisen ist auf die Tatsache, daß sich die in Bezug genommenen Ausführungen Singers nicht ausdrücklich auf den extrakorporalen Embryo, sondern auf den Schwangerschaftsabbruch (und die Kindstötung) beziehen. Die Konzeption dürfte jedoch ohne weiteres auf extrakorporale Embryonen übertragbar sein; gegen einen grundrechtlichen Schutz des nasciturus auch Hamann/Lenz, GG, Art. 2 Anm. 8, jedoch ohne Begründung. 52 Singer, Praktische Ethik, S. 179.
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se Tatsache für ethisch unbedeutend.53 Die Auffassung von der Heiligkeit des Lebens wurzele im christlichen Glauben und sei grundsätzlich zu überdenken.54 Entscheidend für die Frage des eigenständigen Lebensrechts sei die Person-Qualität eines Menschen. Diese sei jedoch vom aktuellen Vollzug bestimmter Eigenschaften wie einem Mindestmaß an Intelligenz, Selbstbewußtsein, Gedächtnis, Zukunftssorge sowie dem Vorliegen von Überlebensinteresse und bestimmten Präferenzen abhängig.55 In frühen Entwicklungsstadien des Menschen sieht er in dessen Werthaftigkeit keinen wesentlichen Unterschied zu dem eines Tieres und schlägt vor, dem Leben eines Fötus keinen größeren Wert zuzubilligen als dem Leben eines nichtmenschlichen Lebewesens auf einer ähnlichen Stufe der Rationalität, des Selbstbewußtseins, der Wahrnehmungsfähigkeit, der Sensibilität, etc. Da kein Fötus eine Person sei, habe kein Fötus denselben Anspruch auf Leben wie eine Person. 56 Er führt aus: „Denn bei jedem fairen Vergleich moralisch relevanter Eigenschaften wie Rationalität, Selbstbewußtsein, Bewußtsein, Autonomie, Lust- und Schmerzempfindung und so weiter haben das Kalb, das Schwein und das viel verspottete Huhn einen guten Vorsprung vor dem Fötus in jedem Stadium der Schwangerschaft - und wenn wir einen weniger als drei Monate alten Fötus nehmen, so würde sogar ein Fisch, ja eine Garnele mehr Anzeichen von Bewußtsein zeigen."57 Sein einziges Argument gegen die Tötung dieser Menschen ist, daß sie Schmerz empfinden können. Daher habe die Tötung so schmerzlos wie möglich zu geschehen.58 Singers Argumentation im Hinblick auf den Lebensschutz steht im Zusammenhang eines Gesamtkonzeptes utilitaristischer Ethik, die davon ausgeht, daß Handlungen im Blick auf ihre Folgen betrachtet werden müssen. Im klassischen Utilitarismus werden Folgen danach bewertet, welches Maß an Lust, Glück oder Nutzen sie für die größtmögliche Zahl der Beteiligten mit sich bringen. 59 Die von Singer propagierte Variante einer utilitaristischen Ethik gründet auf Interessen. Moralisches Handeln setzt danach voraus, daß der Einzelne die Interessen aller zu berücksichtigen hat, die von einer Entscheidung betroffen sind. Moralisches Handeln in diesem Sinne fordert daher vom Einzelnen, alle Interessen abzuwägen und jenen Handlungsverlauf zu wählen, von dem es am wahrscheinlichsten ist, daß er die Interessen der Betroffenen maximiert, also per saldo für die Betroffenen die besten Konsequenzen hat. 60 Eine Handlung, die der Präferenz irgendeines Wesens entgegensteht, ohne daß diese Präferenz durch entgegengesetzte Präferenzen ausgeglichen wird, ist danach falsch. 61 Die Fähigkeit zu leiden und sich zu freuen ist nach Singer eine Grundvoraussetzung 53 54 55 56 57 58 59 60 61
Singer, Singer, Singer, Singer, Singen Singer, Honnef Singer, Singer,
Praktische Ethik, S. 121 ff. Praktische Ethik, S. 122f. Praktische Ethik, S. 120,115 ff. Praktische Ethik, S. 197. Praktische Ethik, S. 196f. Praktische Ethik, S. 197. eider y in: Lexikon der Bioethik, Bd. 1, Stichwort: Ethik, S.658. Praktische Ethik, S. 30. Praktische Ethik, S. 128.
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dafür, überhaupt Interessen haben zu können. Ohne das Vorhandensein dieser Fähigkeiten könne man sinnvollerweise nicht von Interessen sprechen.62 Er führt aus: „Wenn ein Wesen leidet, kann es keine moralische Rechtfertigung dafür geben, sich zu weigern, dieses Leiden zu berücksichtigen. Es kommt nicht auf die Natur des Wesens an - das Gleichheitsprinzip verlangt, daß sein Leiden ebenso zählt wie das gleiche Leiden - soweit sich ein ungefährer Vergleich ziehen läßt- irgendeines anderen Wesens. Ist ein Wesen nicht leidensfähig oder nicht fähig, Freude oder Glück zu erfahren, dann gibt es nichts zu berücksichtigen. Deshalb ist die Grenze der Empfindungsfähigkeit (wir verwenden diesen Terminus als bequeme, wenngleich nicht ganz genaue Abkürzung für die Fähigkeit, Leid oder Freude bzw. Glück zu empfinden) die einzig vertretbare Grenze für die Rücksichtnahme auf die Interessen anderer. Diese Grenze durch irgendwelche anderen Merkmale wie Intelligenz oder Rationalität festsetzen hieße sie auf willkürliche Weise festsetzen." 63
Für Wesen, die - mangels Fähigkeit zu einem entsprechenden Bewußtsein - kein Überlebensinteresse entwickeln könnten, das folglich auch nicht frustriert werden könne, gilt nach Singer die moralische Forderung, diesen keine Schmerzen zuzufügen.64 Ein Recht auf Leben spricht er ihnen indes nicht zu. Ausgehend von der Annahme, daß die Verfassung in der Frage des selbständigen Lebensrechts des Embryos 65 sowohl für eine bejahende als auch für eine verneinende Interpretation offen ist, plädiert der Rechtsphilosoph Hoerster, der sich ausdrücklich in seiner Grundposition den Ausführungen Singers zur Problematik des Schwangerschaftsabbruchs verpflichtet fühlt 66 , dafür, ein selbständiges Lebensrecht menschlicher Embryonen erst mit der Geburt anzuerkennen.67 Zur rechtsethischen Begründung dieser These argumentiert er wie folgt: Der Grund für ein Tötungsverbot und - spiegelbildlich - ein Lebensrecht liege in der Personalität eines Menschen. Unter personalen Wesen versteht er solche, die Ichbewußtsein und Rationalität besitzen. Ein solches Wesen könne Bedürfnisse und Interessen haben, die über sein momentanes Dasein weit hinausgingen. Insbesondere könne es das Interesse haben, möglichst lange zu leben. Für personale Wesen mit einem solchen Interesse habe der Tod offenbar eine große Bedeutung. Ihr Leben werde durch den Tod nicht nur de facto beendet, sondern sie könnten in der Gegenwart unter der Vorstellung seines künftigen Eintritts in massiver Weise leiden. In ei62
Singer, Praktische Ethik, S. 85. Singen Praktische Ethik, S. 85. 64 Indes sind andere Interessen, wie ζ. B. die der Eltern am Leben des Kindes zu berücksichtigen, Singer, Praktische Ethik, S.224. 65 Hinzuweisen ist auf die Tatsache, daß Hoerster sich in den hier in Bezug genommenen Veröffentlichungen mit der Frage des Lebensrechts der „Leibesfrucht" im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch befaßt. Indes dürfte seine Argumentation auch für die Frage des Lebensrechts extrakorporaler Embryonen Geltung beanspruchen. 66 Hoerster, JuS 1989, 172 (178, Fn.23), siehe auch ders., Abtreibung im säkulären Staat, S. 12. 67 Hoerster, JuS 1989, 172 (178). 63
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ner Gesellschaft ohne Totungsverbot würde die Angst vor einem jederzeit drohenden, kaum abwendbaren Tode enorm ansteigen. Daher würde die Qualität des menschlichen Lebens in einer Gesellschaft ohne Tötungsverbot radikal abnehmen. Dies sei der Grund, warum ein generelles Totungsverbot auch in jedermanns Interesse liege und zu den wichtigsten moralischen und rechtlichen Normen menschlichen Zusammenlebens gehöre.68 Personen im oben genannten Sinne sei daher durch Aufstellung eines Tötungsverbots ein Recht auf Leben einzuräumen. 69 Der nasciturus habe indes solche Interessen nicht. Bei ihm seien Anzeichen von aktueller, d. h. gegenwärtig vorhandener Personalität nicht festzustellen. 70 Von dem Grund des Totungsverbotes werde er nicht erfaßt, so daß dieses für ihn auch nicht gelte.71 Auch aus der Tatsache, daß es sich bei dem nasciturus um ein potentiell personales Wesen handele, ergebe sich nichts anderes. Der Grund für die Einräumung eines Lebensrechts für aktuelle Personen träfe nämlich auf eine potentielle Person offensichtlich nicht zu: Diese habe noch nicht den Wunsch nach Weiterleben. Der nasciturus leide daher unter der Freigabe zur Tötung ebensowenig wie die unbefruchtete Eizelle. 72 Die für ein Interesse am Weiterleben relevante Bewußtseinsbildung setze im Laufe des zweiten menschlichen Lebensjahres allmählich ein. Da jedoch die Geburt die einzige Grenze sei, die in der Realität einen möglichst effizienten Lebensschutz personaler Wesen sicherstelle, sei dieser Zeitpunkt für den Beginn eines absoluten Lebensschutzes zu wählen.73 In der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur finden sich neben Hoerster nur vereinzelt Stimmen, die dafür plädieren, den (vollen) verfassungsrechtlichen Lebensschutz bzw. ein Lebensrecht erst ab der Geburt einsetzen zu lassen. Ein vorgeburtlicher Lebensschutz soll nach diesen Konzeptionen aber über die Ausstrahlungswirkung 74 bzw. den objektivrechtlichen Gehalt des Art. 2 Abs. 2 GG 7 5 gewährleistet werden. Hintergrund dieser Überlegungen ist die Überzeugung, mit einem solchen Modell einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen Akteuren, die an einem Zugriff auf den Embryo interessiert sind, und dem Lebensschutz erreichen zu können.76 Die von Singer und Hoerster vorgeschlagenen Modelle zum Recht auf Leben können nicht überzeugen. Macht man ein Recht auf Leben von der Voraussetzung 68 Hoerster, JuS 1989,172 (175); ausführlich zur rechtsethischen Begründung des Totungsverbots: Hoerster, JZ 1982, 265 (269f.); ders., Abtreibung im säkulären Staat, S. 13ff., 19ff. (etwas modifiziert). 69 Hoerster, JuS 1989,172 (175). 70 Hoerster, Abtreibung im säkulären Staat, S.79f. 71 Hoerster, JuS 1989, 172 (175 f.). 72 Hoerster, JuS 1989,172, (176), ders., Abtreibung im säkulären Staat, S.96ff. 73 Hoerster, JuS 1989, 172 (178), ders., Abtreibung im säkulären Staat, S. 132ff. 74 So Jerouschek, JZ 1989, 279 (285), allerdings im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch und bezogen auf Art. 2 i. V. m. Art. 1 GG. 75 Lübbe, ZfP 1989, 138 (148); Lübbe, KritV 1993, 313 (315). 76 Jerouscheky JZ 1989, 279 (285); Lübbe, ZfP 1989,138 (144ff.); Lübbe, KritV 1993, 313 (316).
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abhängig, aktuelle Interessen haben zu können, so muß man konsequenterweise auch Unzurechnungsfähigen, schwerst geistig Behinderten, irreversibel Komatösen ein Recht auf Leben absprechen.77 Eine solche Sichtweise ist nicht nur kontraintuitiv und geht zu Lasten derjenigen, die sich nicht wehren können, sondern hält auch einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Jedenfalls im Bezug auf Behinderte hat der Verfassunggeber mit der Einführung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG einer Interpretation des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG im utilitaristischen Sinne eine Absage erteilt. 78 Nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Für lebende Behinderte jedenfalls gilt daher, daß sie - unabhängig davon, ob sie die Voraussetzungen des Personseins im Sinne Singers und Hoersters erfüllen - nach dem Grundgesetz nicht aufgrund ihrer Behinderung rechtlich benachteiligt werden dürfen. Ihnen ein Recht auf Leben abzusprechen, würde daher Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG widersprechen. Nach dem Prinzip der Einheit der Verfassung sind alle Verfassungsnormen so zu interpretieren, daß Widersprüche zu anderen Verfassungsnormen vermieden werden. 79 Eine Relativierung des Grundrechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG im Sinne Singers und Hoersters würde indes zu Wertungswidersprüchen führen. Schon aus diesem Grund kann ihnen bei der Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht gefolgt werden. Darüber hinaus wäre eine solche Interpretation auch mit dem Willen des historischen Gesetzgebers nicht vereinbar. Die grundrechtliche Verbürgung eines Rechts auf Leben im Bonner Grundgesetz ist ein Novum in der neueren Verfassungsentwicklung in Deutschland.80 Die Erfahrungen mit totalitären Systemen - insbesondere dem menschenverachtenden System des Nationalsozialismus - haben Anlaß dazu gegeben, ein Recht auf Leben grundrechtlich zu verbürgen. 81 Zwar gibt die Entstehungsgeschichte keine eindeutige Antwort auf die Frage des vorgeburtlichen Lebensschutzes82, hinsichtlich des geborenen Menschen ist demgegenüber die Intention des Verfassunggebers eindeutig: Die grundrechtliche Verbürgung des Rechts auf Leben wurde eingeführt, um den Bürger vor der mißbräuchlichen Verwendung staatlicher Definitionsgewalt - wie es insbesondere im Hinblick auf das sog. lebensunwerte Leben geschehen war - zu schützen.83 Diesem Anspruch wird nur eine Respektierung und Anerkennung des Menschen in seiner physischen Existenz als ganzheitliches Körper-Seele-Geist-Wesen gerecht. 84 Dabei zielt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 77
So auch Wildfeuer in: Lexikon der Bioethik, Bd. 3, Stichwort: Person, S. 8; Holde regger, Zeitschrift für Medizinische Ethik, 40 (1994), 275 (286); dazu/Zoerster, Abtreibung im säkulären Staat, S. 76ff. 78 Zu Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ausführlich Teil III, 3. Kapitel. 79 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, §2 Rdnr. 71; ausführlich Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53 (77 ff.). 80 Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 1. 81 BVerfGE 39,1, (36). 82 Siehe unter 3. 83 Podlech in: AK, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 10. 84 Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 3.
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speziell auf die Aufrechterhaltung der Existenz, unabhängig vom „Wert" des konkreten Lebens.85 Theorien, die das Lebensrecht letztlich von der (intellektuellen) Leistungsfähigkeit abhängig machen, sind jedoch ein Einfallstor für die mißbräuchliche Relativierung des Lebensrechts.86 Die Konsequenzen seiner utilitaristischen Sichtweise scheinen auch Hoerster nicht recht zu behagen, so daß er - anders als Singer - das Recht auf Leben schon mit der Geburt zuerkennen will. Sein alleiniges Argument für die Festlegung auf diesen Zeitpunkt ist die Annahme, daß dies die einzige Grenze sei, die in der Realität einen möglichst effizienten Lebensschutz personaler Wesen sicherstelle. Die Festlegung auf den Zeitpunkt der Geburt erscheint indes im System der Philosophie Hoersters als nicht überzeugend. Kommt es nämlich allein auf Rationalität und Ichbewußtsein an, so kann man auch sicher noch ein Kind in den ersten Lebensmonaten davon ausnehmen, ohne daß die Effektivität des Schutzes personaler Wesen in Frage gestellt wäre. Die Folgerungen Hoersters aus seiner rechtsethischen Begründung des Totungsverbots für das Lebensrecht Ungeborener sind darüber hinaus nicht zwingend. Auch die Freigabe Ungeborener zur Tötung kann nämlich bei geborenen Menschen die Angst vor einem jederzeit drohenden Tode ansteigen lassen und infolgedessen ihre Lebensqualität mindern. 87 Hintergrund der Auffassungen, die für einen umfassenden Lebenschutz plädieren, ist jedenfalls auch die Befürchtung, daß das Totungsverbot auch in Bezug auf Personen aufgeweicht werden könnte.88
6. Das Konzept eines verringerten Lebensrechts Im interdisziplinären Diskurs werden gegen die vorangehend dargestellten Punktmodelle grundsätzliche Bedenken erhoben. Sie böten die Möglichkeit immer neuer Variationen und seien somit Gegenstand unendlichen Streits. Daher führe ein solches Modell sachlich nicht weiter. Vielmehr habe das embryonale oder fetale Individuum in verschiedenen, seine Existenz involvierenden Konflikten, unterschiedliches Gewicht. Ausgehend von der Prämisse, daß menschliches Leben in jedem Stadium wertvoll und schutzwürdig sei, habe jeweils eine komplexe Güterabwägung zu erfolgen, in die einerseits das Verfügungsbegehren und die Verfügungsweise über den Embryo, andererseits die Beschaffenheit und die Eigenschaften des Embryos neben anderen Faktoren mit jeweils wechselndem Gewicht einzustellen seien. Die Frage der Zulässigkeit einer Lebensvernichtung müsse dann vor dem jeweiligen kulturellen, sozialökonomischen und gesellschaftlichen Hintergrund beantwortet werden. Dementsprechend könnten angesichts der Verschiedenartigkeit der jeweiligen 85 86 87 88
Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 I I Rdnr. 15. In diesem Sinne auch Dürig in Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 2 II Rdnr. 10. So auch Stürner, JZ 1990, 709 (719). Siehe hierzu Netzer, EhtikMed (1998) 10,138 (141 f.).
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Werte- und Interessengefiige rechtliche Grenzsetzungen, beispielsweise bei der Embryonenforschung, anders ausfallen als beim Schwangerschaftsabbruch. 89 In der rechtswissenschaftlichen Literatur werden ähnliche Konzeptionen nur vereinzelt vorgetragen und grundrechtsdogmatisch nicht weiter begründet. So war in einer Entscheidung des Reichsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch von der Leibesfrucht als „werdende(m) selbständige(m) Rechtsgut"90 die Rede. In der jüngeren rechtswissenschaftlichen Literatur finden sich Formulierungen von „einem verringerten Lebensrecht der Leibesfrucht" 91 oder von einer „verminderten Schutzwürdigkeit des Embryos und auch noch des Fötus" im Sinne eines abgestuften Schutzes.92 Indes erscheinen solche Modelle für die grundrechtliche Bewertung unbrauchbar. Der verfassungsrechtlichen Dogmatik ist die Figur eines „verringerten Rechts" unbekannt.93 Darüber hinaus würden die oben beschriebenen Modelle die Grundrechtsprüfung auf eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung reduzieren, in die die unterschiedlichsten Erwägungen einzustellen wären. Dies würde der anerkannten verfassungsrechtlichen Methodik zuwiderlaufen. Die dogmatische Unterscheidung von Schutzbereich und Schranken (Einschränkbarkeiten) der Grundrechte ist im Prinzip heute anerkannt. Sie vermindert die Gefahr willkürlicher Beschränkungen der Freiheit und zwingt zur schärferen Argumentation im Hinblick auf Grundrechtseinschränkungen. 94 Auch und gerade angesichts schwieriger rechtlicher und moralischer Fragen ist die Aufgabe dieser bewährten Systematik nicht angebracht. 7. Grundrechtsschutz ab Konjugation, zugleich Stellungnahme Die überwiegende Auffassung in der verfassungsrechtlichen Literatur geht von einem Grundrechtsschutz ab dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samen89
Körner, EthikMed (1992) 4, 120 (132f.). RGSt 61, 242 (246). 91 Hilgendorf, MedR 1994, 429 (432). 92 Hilgendorf, NJW 1996, 758 (761); in diesem Sinne wohl auch Eser, Forschung mit Embryonen in rechtsvergleichender und rechtspolitischer Sicht, in: Günther/Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - Strafrechtliche Schranken?, S.263 (286ff.); ders., Neuartige Bedrohungen ungeborenen Lebens, S.39ff., der jedoch ausdrücklich offen läßt, ob sich auf diese Weise auch die Verfassungsmäßigkeit eines gesetzlichen Schutzes von Embryonen gegen Eingriffe zu Forschungszwecken begründen läßt (S. 42); in diese Richtung auch Schulze-Fielitz in Dreier, GG, Art.2II Rdnr.41; Geiger!von Lampe, Jura 1994, 20 (24). 93 So auch Hoerster, JuS 1995,192 (193); ders., NJW 1997,773, (774); das Zivilrecht kennt allerdings das Anwartschaftsrecht, das dann entsteht, wenn von einem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechts schon so viele Erfordernisse erfüllt sind, daß von einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers gesprochen werden kann, die der andere an der Entstehung des Rechts Beteiligte nicht mehr einseitig zu zerstören vermag. Die dogmatische Einordnung des Anwartschaftsrechts ist indes umstritten. Der BGH bezeichnet es als „wesensgleiches minus", BGHZ 28, 16 (21); siehe auch Palandt-Heinrichs, BGB, Einf. vor § 158 Rdnr. 9. 94 Starck, HStR Bd. VII, § 164 Rdnr. 36. 90
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zelle aus95, wobei nicht eindeutig zwischen dem Zeitpunkt der Imprägnation (also dem Eindringen des Spermas in das Plasma der Eizelle) und dem der Konjugation (dem Verschmelzen des mütterlichen und väterlichen Chromosomensatzes) differenziert wird. Mit der Konjugation liegt die entwicklungsfähige Zygote mit diploidem Chromosomensatz vor, so daß ab diesem Zeitpunkt der Schutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG greift. Durch die Imprägnation wird dagegen die Bildung einer solchen Zygote erst vorbereitet. Nur eine Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, welche spätestens mit der Konjugation den verfassungsrechtlichen Lebensschutz beginnen läßt, wird der elementaren Bedeutung des Lebensrechts als Voraussetzung für die Ausübung aller Freiheitsrechte gerecht. Die vorhergehenden Ausführungen belegen, daß sich keine natürlichen Entwicklungszäsuren bestimmen lassen, die eine eindeutige Abgrenzung elementaren Lebens von weiter ausgebildetem Leben ermöglichen. Das Tatbestandselement „Leben" verweist auf einen naturwissenschaftlichen Sachverhalt, der eindeutig mit der Konjugation beginnt. Wie vorstehend nachgewiesen wurde, ist die gesamte Entwicklung des ungeborenen menschlichen Lebens ein kontinuierlicher Entwicklungsprozeß, in dem sich keine scharfen Zäsuren finden. Alle Entwicklungsstufen sind nur unscharf begrenzte Zeitmarken, in dem an sich kontinuierlichen Vorgang menschlichen Werdens.96 Eine Abweichung von dem naturwissenschaftlichen Lebensbegriff bedürfte indes einer Begründung durch den Normzweck. 97 Ein solcher tatbestandseinschränkender Normzweck ist nicht ersichtlich, insbesondere findet er sich nicht in einer Beschränkung auf den Schutz des Menschen als personalem Wesen. Art. 2 Abs. 2 GG schützt den Menschen vielmehr auch und gerade in seiner schlichten physischen Existenz.98 Auch aus methodisch-interpretationstheoretischen Gründen ist dieses Ergebnis vorzugswürdig: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet. 99 Aus dem Grundsatz der „Grundrechtsefifektivität" folgt, daß grundsätzlich einer weiten Tatbestandsauslegung der Vorzug zu geben ist. 100 Durch ein solches Verständnis wird die Gefahr einengender ad-hoc-Defi95 Herzog, JR 1969, 441 (442); Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 12; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 I I Rdnr. 16,24; Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 145; Höfling, in: Thomas/Kluth (Hrsg.), Das zumutbare Kind, S. 124; Steiner, Der Schutz des Lebens durch das Grundgesetz, S.22; so auch § 10 ALR: Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungebomen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängniß. (Indes wurde nach den §§ 985 ff., II, 20 ALR die Abtreibung innerhalb der ersten 30 Wochen milder als danach bestraft.); a. A. Wernicke in: BK, GG, Art. 2 Anm. 2. b); Hamann/Lenz, GG, Art. 2 Anm. 8, jedoch ohne Begründung. 96 Schlingensiepen-Brysch, ZRP 1992,418 (419). 97 Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 14. 98 Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 3. 99 BVerfGE 6, 55 (72); 32, 54 (71). 100 Ausführlich zu einem weiten Tatbestandsverständnis: Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 290ff.; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 175 ff.; zur Gegenansicht: Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 172ff.; siehe auch Starck, HStR Bd. VII, § 164 Rdnr. 38 m. w. N.
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nitionen eines Grundrechts gemindert. Fällt ein Sachverhalt schon aus dem Schutzbereich eines Grundrechts, so ist an dieser Stelle der verfassungsrechtliche Argumentationsprozeß beendet. Ein weites Tatbestandsverständnis unterwirft demgegenüber die Einschränkbarkeit von Grundrechten einem schärferen Argumentationszwang und ermöglicht eine transparente Abwägung verschiedener verfassungsrechtlich relevanter Interessen. Darüber hinaus spricht auch ein materiell-dogmatischer Grund für eine weite Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Bei Art. 2 Abs. 2 GG handelt es sich um einen sachgeprägten Normbereich, der nicht auf eine rechtliche Prägung angewiesen ist. Wachsen die Bedrohungen für den geschützten Lebensbereich, so ist darauf grundsätzlich mit der „Wachstumsfähigkeit" des Schutzbereichs zu reagieren. 101 Angesichts der rasanten humangenetischen und reproduktionsmedizinischen Entwicklung kann nur das weite Tatbestandsverständnis adäquaten Schutz vor Fehlentwicklungen und Mißbrauch, die nicht nur von privater, sondern auch von staatlicher Seite drohen können, gewährleisten. Dem steht auch nicht entgegen, daß der Embryo im Falle der Präimplantationsdiagnostik nicht durch natürliche Zeugung, sondern durch künstliche Befruchtung entsteht.102 Der Weg der Zeugung bedeutet keinen qualitativen Unterschied im Hinblick auf den entstandenen Embryo. 103 Das Embryonenschutzgesetz hat dementsprechend auch die Grundsatzentscheidung getroffen, extrakorporale Embryonen als menschliches Leben im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG anzusehen. Es gilt die weite Definition des § 8 Abs. 1, wonach ein Embryo schon die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an ist. 104
I I . Grundrechtsträgerschaft Die Frage der Grundrechtsträgerschaft bedarf für die Frage des grundrechtlichen Schutzes des Embryos im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik aus dreierlei Gründen einer Entscheidung: Die Beantwortung der Frage nach der Grundrechtsträgerschaft hat Auswirkungen auf das Maß und die Konkretisierung eventuell aktivierter grundrechtlicher Schutzpflichten. 105 Darüber hinaus hat die Frage der 101 Ausführlich Höfling, JZ 1995, 26 (31); kritisch Heun y JZ 1996,213 (214f.) mit Erwiderung Höfling JZ 1996, 615 ff. 102 Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 12. 103 Abweichend Losch, NJW 1992, 2926 (2930 f.), der den Lebensbegriff zwar auf den extrakorporalen Embryo anwenden will, jedoch für eine geringere Schutzintensität gegenüber dem Embryo in vivo plädiert. 104 Die Tatsache, daß das Embryonenschutzgesetz das Vorkernstadium aus dem Schutz herausnimmt (§ 8 Abs. 1 ESchG), ist für die vorliegende Arbeit unerheblich und dürfte verfassungsrechtlich unbedenklich sein. Siehe dazu auch Schmidt, Rechtliche Aspekte der Genomanalyse, S. 99 Fn. 136). 105 Vgl. hierzu den sog. Mephisto-Beschluß, BVerfGE 30,173 (194ff.), in dem das Bundesverfassungsgericht eine Schutzverpflichtung aus Art. 2 Abs. 1 GG schon deshalb verneint, weil die Grundrechtsträgerschaft (hier indes bei einer toten Person) nicht gegeben ist (S. 194). Eine
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
Grundrechtsträgerschaft in ihren prozessualen Auswirkungen praktische Bedeutung. Bejaht man die Grundrechtsträgerschaft und damit ein subjektives Recht des Embryos, so kann dieser - vertreten durch einen gesetzlichen Vertreter bzw. einen bestellten Pfleger - sein Recht gerichtlich bzw. verfassungsgerichtlich geltend machen. 106 Zuletzt hat die Frage der Grundrechtsträgerschaft für den grundrechtlichen Schutz einzelner (totipotenter) Zellen Bedeutung, worauf im folgenden noch einzugehen sein wird. Die Frage nach der Grundrechtsträgerschaft ist nicht einheitlich für alle Grundrechte zu beantworten, sondern für jedes Grundrecht gesondert zu prüfen. 107 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Fristenlösung aus dem Jahre 1975 die Frage, ob der nasciturus selbst Grundrechtsträger ist oder aber wegen mangelnder Rechts- und Grundrechtsfähigkeit allein von den objektiven Normen der Verfassung in seinem Recht auf Leben geschützt wird, ausdrücklich offengelassen. 108 In seiner jüngsten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch betont das Gericht, die Würde des Daseins liege auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen. Seine Achtung und sein Schutz bedingten, daß die Rechtsordnung die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleistet. 109 Das Gericht scheint folglich der Bejahung der Grundrechtsträgerschaft des nasciturus zugeneigt, ohne freilich die Frage abschließend zu entscheiden.110
1. Die Grundrechtsträgerschaft des Embryos Sachlicher und persönlicher Schutzbereich eines Grundrechts stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr hat der sachliche Schutzbereich Rückwirkungen auf den Kreis der Grundrechtsträger. 111 Es liegt in der Natur des Lebensrechts, daß der Schutzverpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG über den Tod hinaus wurde indes bejaht, die jedoch „in dem Maße schwindet, in dem die Erinnerung an den Toten verblaßt" (S. 196); Alexy, Theorie der Grundrechte, S.414: ,3s gilt ganz allgemein, daß die Zuerkennung subjektiver Rechte ein höheres Maß an Realisierung bedeutet als die Statuierung bloß objektiver Gebote"; zu den Schutzpflichten siehe unten IV.-VI. 106 In dieser Linie die Entscheidung des Amtsgerichts Köln, Beschluß vom 15.3.1984, FamRZ 1985, S.519; hierzu: Jagert, FamRZ 1985,1173ff.; Bienwald, FamRZ 1985,1096ff.; zum gerichtlichen Rechtsschutz auch von Mutius, Jura 1983,30 (31 f.); Coester-Waltjen, NJW 1985, 2175ff.; Stürner, Jura 1987, 75, 79f.; Hillgruber, JZ 1997, 975 (976f.). 107 von Münch in: von Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1-19, Rdnr. 7; Hohm, NJW 1986, 3107 (3108). 108 BVerfGE 39,1 (41). 109 BVerfGE 88, 203 (252). 110 Kluth, FamRZ 1993,1382 (1383); ders., in: Thomas/Kluth (Hrsg.), Das zumutbare Kind, 93 (97) versteht die Ausführungen des 2. Senats dahingehend, daß dieser von der Grundrechtsträgerschaft des nasciturus ausgeht; so auch Βerkemann, JR 1993,441 (442). 1,1 Manssen, Staatsrecht I, Rdnr. 106; zur Verfassungsbeschwerde unter Geltendmachung einer Schutzpflichtverletzung, BVerfG NJW 1995, 2343.
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sachliche Schutzbereich den personellen Schutzbereich präjudiziert, so daß sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich zusammenfallen. 112 Es ist kein plausibler Grund ersichtlich, die Grundrechtsträgerschaft zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen zu lassen. Ist festgestellt, daß der nasciturus als Individuum mit Verschmelzung von Ei- und Samenzelle dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unterfällt, so muß insoweit auch seine grundrechtliche Eigenständigkeit anerkannt werden. 113 Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß die Rechtsfähigkeit nach bürgerlichem Recht erst mit Vollendung der Geburt beginnt (§ 1 BGB). Die Bestimmung des § 1 BGB soll den Bedürfnissen des Privatrechtsverkehrs Rechnung tragen und ist auf die Grundrechtsfähigkeit nicht ohne weiteres übertragbar. 114 Zwar ist der Embryo naturgemäß nicht in der Lage, ein Recht auf Leben eigenständig geltend zu machen. Indes gilt dies auch für einen erheblichen Zeitraum nach der Geburt, ohne daß man einem Kind die verfassungsrechtliche Geltendmachung eines subjektiven Rechts auf Leben absprechen wollte. Die Geburt ist insoweit keine eine Differenzierung rechtfertigende Zäsur. Die Gegenauffassung, die unter Verweis auf die Problematik einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung eines Schwangerschaftsabbruchs verweist, welche nicht tauglicher Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein könne 115 , vermag nicht zu überzeugen. Zur Bewältigung solcher Probleme kennt die Rechtsordnung Verbindlichkeiten, die zwar erfüllt, aber nicht gegen den Willen des Schuldners durchgesetzt werden können.116 Angesichts der rasanten Entwicklungen in der modernen Fortpflanzungsmedizin ist eine Einschränkung der Grundrechtssubjektivität nicht problemadäquat. 117
2. Keine Grundrechtsträgerschaft der zu Diagnosezwecken abgespaltenen totipotenten Zelle Es stellt sich jedoch im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik die Frage, ob auch die zu Diagnosezwecken abgespaltene totipotente Zelle als eigenständiges menschliches Wesen und folglich als eigenständiger Grundrechtsträger, 112
Kunigy Jura 1991, 415 (417); dementsprechend vertritt Podlech in: AK, GG, Art. 2 I I Rdnr. 9 die Auffassung, daß der Beginn des grundrechtlichen Schutzes durch die Trägereigenschaft und nicht durch das Schutzgut begrenzt werde. Angesichts der Tatsache, daß in den ersten Zellteilungsstadien die Möglichkeit der Mehrlingsbildung gegeben ist, ist jedoch eine Differenzierung zwischen sachlichem und personellem Schutzbereich für eine problemadäquate verfassungsrechtliche Beurteilung geboten. 113 So auch die überwiegende Auffassung in der Literatur: Isensee, NJW 1986,1645 (1646); Kunigy Jura 1991,415 (417); Dürig in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art.211, Rdnr.21; SchulzeFielitz in: Dreier, GG, Art. 2 I I Rdnr. 24; Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 146; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rdnr. 55; Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 10; Rüfner, HStR Bd. V, §116 Rdnr. 17. 114 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 118f. 115 Manssen, Staatsrecht I, Rdnr. 115. 116 Zu unvollkommenen Forderungen: Palandt-//ewr/cAs, BGB, Einl. Vor § 241, Rdnr. 15. 117 So auch von Mutius, Jura 1987, 109 (111). 6 Giwer
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
also als „jeder" im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG anzusehen ist. Dagegen sprechen gewichtige Argumente: Zwar hat die totipotente Zelle noch die Entwicklungspotenz zu einem eigenständigen menschlichen Leben. Indes kann aus einer solchen Zelle nur dann ein Mensch enstehen, wenn sie in eine Wirtszelle eingebracht wird. 118 Es bedarf also noch einer Manipulation, damit diese Potentialität überhaupt Wirkung entfalten kann. Angesichts dessen kann die Potentialität der totipotenten Zelle verglichen werden mit einer Ei- oder Samenzelle, nicht indes mit einem Embryo. 119 Darüber hinaus kommt ein Standpunkt, der alleine auf die Möglichkeit der Entwicklung zu einem eigenständigen Menschen abstellt, angesichts der Entwicklungen in der Humangenetik in Argumentationsschwierigkeiten. Das vollständige biologische Programm des Menschen steckt - auch nach der Differenzierung - in jeder Körperzelle. Es ist zu erwarten, daß es, wenn nicht schon heute, so doch in absehbarer Zeit gelingen wird, Körperzellen in der Weise zu manipulieren, daß sie wieder totipotent werden und sich aus ihnen ein eigenständiges Lebewesen entwickeln kann. In der Konsequenz müßte man dann jedoch in jedem verlorenen Blutstropfen einen Angriff auf menschliches Leben sehen.120 Insoweit hat insbesondere das Experiment schottischer Reproduktionsbiologen mit dem Schaf Dolly Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung der Totipotenz von Embryonalzellen. 121 Dieses Ergebnis entspricht auch einer natürlichen Betrachtungsweise. Wir gehen gemeinhin davon aus, daß mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ein Mensch entstanden ist. Auch solange die Zellen noch totipotent sind, oder die Möglichkeit der Mehrlingsbildung gegeben ist, betrachten wir den Zellverband nicht als eine Gruppe von Menschen. Die abgespaltene Zelle bleibt - auch nach Abspaltung - Bestandteil des Individuums, von dem sie abgetrennt wurde, vergleichbar einer Teilmenge.122 Solange also keine entwicklungsfähigen Mehrlinge entstanden sind, muß es also dabei bleiben, daß nur ein menschliches Individuum Träger des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist. 123 1,8 Davon geht auch die gesetzliche Regelung des § 8 Abs. 1 ESchG aus, die vom „Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen" spricht, ohne diese näher zu spezifizieren. Die Ethikkommission der Medizinischen Universität zu Lübeck weist in ihrer Stellungnahme, Aktenzeichen 84/97, S. 7, daraufhin, daß die Entwicklungspotenz der Zelle entscheidend von den Bedingungen abhängt. 119 In diesem Sinne auch Schmidt, Rechtliche Aspekte der Genomanalyse, S. 149f. 120 Dieses Problem wird auch gesehen von Zippelius, JuS 1983, 659 (660) und Hilgendorf \ NJW 1996, 758 (761), die es jedoch für einen grundsätzlich abgeschwächten Lebensschutz fruchtbar machen wollen. 121 Vgl. Netzer, EthikMed (1998), 138 (139). 122 So von Renesse, Stenographische Protokolle der 73. Sitzung des Rechtsausschusses vom 9. März 1990, S.233. 123 In diesem Sinne auch Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 91, die daraufhinweist, daß es im Hinblick auf die Intention des Embryonenschutzgesetzes nicht allein und weniger um die Frage geht, ob eine totipotente Zelle zum Zwecke der Diagnostik verbraucht wird - unter Hinweis auf Kömer, Ethische Fragen und Randprobleme der assistierten Reproduktion, WMW-Themenheft „Andrologie", 4/5, S.97, der
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Eine andere Frage muß sein, ob das Bewirken der Weiterentwicklung einer solchen totipotenten Zelle zu einem menschlichen Individuum, also das Klonen, verfassungsgemäß wäre. Problemort wäre jedoch dann die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß die Verwendung totipotenter Zellen in der humangenetischen Forschung - auch auf anderen Gebieten als der Präimplantationsdiagnostik - erhebliche Risiken und Gefahren mit sich bringt. 124 Der Wunsch, Fehlentwicklungen in der modernen Biomedizin zu vermeiden, rechtfertigt keine Überinterpretation der Grundrechte. Der parlamentarische Gesetzgeber hat mannigfaltige Möglichkeiten, Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, ohne daß er sich hierzu regelmäßig auf ein subjektives Lebensrecht, das zu schützen wäre, stützen müßte. Mit diesem Befund ist indes keine Aussage über die Verfassungsmäßigkeit der auf den Schutz der totipotenten Zelle abstellenden Regelung des § 6 Abs. 1 i.V. m. § 8 Abs. 1 ESchG gemacht. Es bleibt dem Gesetzgeber grundsätzlich unbenommen selbst festzulegen, auf welchem Weg er das Regelungsziel des Verbots der Präimplantationsdiagnostik (und des Klonens) erreichen will. 1 2 5 I I I . Zwischenergebnis Es bleibt mithin festzuhalten, daß das Recht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1,1. Alt. GG schon ab dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle grundrechtlich verbürgt ist. Personaler Träger dieses Grundrechts ist indes nur die befruchtete Eizelle, nicht aber eine abgespaltene totipotente Zelle, jedenfalls solange nicht, als diese nicht zur Weiterentwicklung in eine Wirtszelle verbracht worden ist. I V . Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Alt G G als Grundlage einer staatlichen Schutzpflicht für vorgeburtliches Leben Im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik gehen Gefährdungen für den Embryo nicht vom Staat, sondern von Privaten, nämlich den beteiligten Ärzten und Naturwissenschaftlern und der künftigen Mutter bzw. den künftigen Eltern aus. Zwar ist es denkbar, daß auch staatliche Stellen selbst die Präimplantationsdiagnofragt, ob es angemessen ist, eine totipotente Blastomere zum menschlichen Individuum „hochzustilisieren" und dadurch die Präimplantationsdiagnostik zu verbieten; a. A. Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S.65, allerdings bezogen auf den Würdeschutz der totipotenten Zelle. 124 Vgl. hierzu die Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Problemkreis „Humane embryonale Stammzellen" vom 19. März 1999; aus der Presse: Süddeutsche Zeitung vom 11. Mai 1999, S. 22; Kritik am Schutz der totipotenten Zelle wegen der Auswirkungen auf Forschungsvorhaben übt die Max-Planck-Gesellschaft, MPG-Spiegel 3/87, 33 (37). 125 Zur ratio legis siehe auch Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, § 6 Rdnr. 1 ff. 6*
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
stik anordnen und vornehmen könnten, indes gibt es dafür international und insbesondere in der Bundesrepublik derzeit keine Anzeichen. 1 2 6 Es soll daher i m folgenden ausschließlich untersucht werden, ob und in welcher Weise der Embryo i m Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik gegen Bedrohungen seines Lebensrechts durch Private grundrechtlich geschützt ist. Die Grundrechte binden unmittelbar nur die öffentliche Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG). Sie gelten unmittelbar unter Privaten nicht. Es ist heute allerdings allgemein anerkannt, daß Grundrechte nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat sind, sondern auch die Pflicht des Staates zur Abwehr gegen das Tun Dritter begründen können. 1 2 7 Divergenzen bestehen indes in der dogmatischen Begründung und in der Frage der Bestimmung des Ausmaßes von Schutzpflichten.
1. Die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten a) Die Schutzpflichtenjudikatur des Bundesverfassungsgerichts Die Schutzpflichtenlehre ist entscheidend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Gerichts aus dem Jahre 1975 zum Schwangerschaftsabbruch 128 , wo das Gericht ausführt: „Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur - selbstverständlich - unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, das heißt vor al126 Problematisch wäre allerdings eine staatliche Förderung der Präimplantationsdiagnostik durch aktive Beteiligung, beispielsweise durch deren Durchführung in staatlichen Kliniken oder durch materielle Leistungen (Beihilfe nach Beamtenrecht bzw. Präimplantationsdiagnostik als Sachleistung im System der gesetzlichen Krankenversicherung). Die Frage, ob in Fällen der staatlichen Beteiligung und Förderung privater Grundrechtseingriffe die Grundrechte in ihrer Abwehr- oder/und Schutzfunktion aktiviert werden, ist bislang keiner eindeutigen Klärung zugeführt. Siehe zu diesem Problemkreis: Dietiein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 87ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S.79ff. 127 Vgl. zur Rechtsprechung nur: BVerfGE 39,1 (41) - Schwangerschaftsabbruch I; 46,160 (164) - Schleyer; 49, 89 (140ff.) - Kalkar; 53, 30 (57) - Mülheim-Kärlich; 77, 170 (214f.)-C-Waffen; 87,363 (386)-Nachtbackverbot; 88,203 (251ff.) - Schwangerschaftsabbruch II; 92,26 (46) - Flaggenrechtsgesetz; aus dem Schrifttum siehe nur: Isensee, HStR Bd. V § 111 Rdnr. 86ff.; Stern, Staatsrecht III/l, § 69IV, S. 931 ff ; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für Risiken der Technik, S. 88 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 121 ff., Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit; Dietiein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten; Nachweise über vereinzelte ablehnende Stimmen in der Literatur bei Hermes, Der Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 62 f. 128 Zur Andeutung der Schutzpflichtenlehre in früheren Entscheidungen: Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S.29f.
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lem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. An diesem Gebot haben sich die einzelnen Bereiche der Rechtsordnung, je nach ihrer besonderen Aufgabe auszurichten." 129
Die Schutzpflichtenrechtsprechung hat das Gericht in einer Reihe von weiteren Entscheidungen bekräftigt und weiterentwickelt. So hat es in der Entscheidung im Zusammenhang mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer erneut betont, daß alle staatlichen Organe, je nach ihren besonderen Aufgaben, menschliches Leben vor rechtswidrigen Eingriffen von selten anderer zu bewahren haben.130 Im Zusammenhang mit potentiell gefährlichen Anlagen zur Nutzung der Kernenergie hat das Verfassungsgericht die Existenz staatlicher Schutzpflichten zur Eindämmung der Gefahren von Grundrechtsverletzungen bestätigt.131 Dazu hat es ausgeführt: Es könnten „sich verfassungsrechtliche Schutzpflichten ergeben, die es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt. Ob, wann und mit welchem Inhalt sich eine solche Ausgestaltung von Verfassungs wegen gebietet, hängt von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab." 132 In seiner im vorliegenden Zusammenhang besonders interessierenden zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch hat das Gericht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die erste Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch ausgeführt: „Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene. Auch ihm gebührt der Schutz des Staates. Die Verfassung untersagt nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das ungeborene Leben, sie gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d. h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren." 133
Zur Begründung der Schutzpflichten beruft sich das Gericht auf die objektivrechtliche Dimension der Grundrechte und die Menschenwürde. So heißt es in der ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch: „Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthalten die Grundrechtsnormen nicht nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, sondern sie verkörpern zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt." 134
Die Bezugnahme auf den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte wird in weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wiederholt. 135 In seiner 129
BVerfGE 39, 1 (42). BVerfGE 46,160 (162). 131 BVerfGE 49, 89 (141 f.); 53, 30, (57 ff.). 132 BVerfGE 49, 89 (142). 133 BVerfGE 88, 203 (251). 134 BVerfGE 39,1 (41). 13 * BVerfGE 56,54 (73); 77,170 (214); BVerfGE 46,160 (164); 49,89 (141 f.); 53,30 (57). 130
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ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch leitete das Gericht die Schutzpflicht unmittelbar aus der objektiv-rechtlichen Funktion des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ab. 136 Darüber hinaus ergebe sich die Schutzpflicht aus der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG. 1 3 7 In der zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch verwendet das Gericht ein umgekehrtes Begründungsmuster. Dort heißt es: „Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet; ihr Gegenstand und - von ihm her - ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 näher bestimmt." 138
Von der objektiv-rechtlichen Dimension des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist nicht ausdrücklich die Rede. Dies muß allerdings nicht zu dem Schluß führen, das Gericht wolle nunmehr die Schutzpflicht allein aus Art. 1 Abs. 1 GG ableiten. Die Wertordnungstheorie 139 des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes eine objektive Wertordnung bildet, die auch staatliche Schutzpflichten begründen kann, steht in engem Zusammenhang mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes, die oberster Wert der Verfassung ist. Das Bundesverfassungsgericht beruft sich daher gleichzeitig auf die Menschenwürde, wenn es Schutzpflichten aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte herleitet. 140
b) Die wesentlichen Ansätze in der Literatur Die Schutzpflichtenjudikatur des Bundesverfassungsgerichts ist von einem Teil der Literatur aufgenommen und - teilweise mit leichten Modifikationen - übernommen worden. 141 Sie sah sich aber auch Kritik grundsätzlicher Art, insbesondere im Hinblick auf die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten, ausgesetzt. Im folgenden sollen die wesentlichen Begründungsansätze zur Schutzpflicht, die in der Literatur entwickelt worden sind, dargestellt werden. 136
BVerfGE 39, 1 (41 f.). BVerfGE 39, 1 (41); ebenso: BVerfGE 46, 160 (164); 49, 24 (53); 49, 89 (142). 138 BVerfGE 88, 203 (251). 139 Hierzu BVerfGE 7, 198 (205) - Lüth; zu den Grundrechten als Wertentscheidungen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Jarass, AöR 110 (1985), S. 363 ff. 140 Ausführlich zum Verhältnis zwischen Menschenwürde und den sonstigen Grundrechten: Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 34ff.; nach Erichsen, Jura 1997,85 (86) verwies das BVerfG nurflankierend auf die Herleitung aus der Garantie der Menschenwürde; kritisch zu diesem Konzept Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S.70ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 125 ff., der „eine von unhaltbaren Annahmen gereinigte Werttheorie als Prinzipientheorie" (S.414) formuliert; nach Hermes/Walther, NJW 1993,2337 (2339) ist Art. 11 GG lediglich als Auslegungshilfe für Art. 211 GG zu verstehen. 141 Dietiein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S.62ff.; Wahl/Masing, JZ 1990,553 (556); modifizierend: Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 199; Schmidt-Aßmann., AöR 106 (1981), 205 (207); Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 ff. 137
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aa) Der abwehrrechtliche Ansatz Nach dieser Auffassung ist ein eigenständiges Rechtsinstitut der Schutzpflichten entbehrlich, da sich die entsprechenden Probleme unter Rückgriff auf die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte lösen ließen.142 Der Staat konstituiere eine Friedensordnung, in der ihm ein Gewaltmonopol zukomme. Daher könne der Bürger sich nicht mehr selbst zu seinem Recht verhelfen, sondern sei auf staatliches Handeln zu seinem Schutz angewiesen. Mit dem Verbot privater Gewalt lege der Staat aber dem Bürger die Pflicht auf, beeinträchtigende Handlungen seitens anderer Mitbürger insoweit ohne Gegenwehr hinzunehmen, als diese durch die Rechtsordnung gestattet seien. Diese auferlegte Rechtspflicht sei daher als staatlich verordnete Duldungspflicht anzusehen. Das „Nicht-Verbieten" sei dem Staat als Eingriff zuzurechnen. 143 Die abwehrrechtliche Theorie ist auf erhebliche Kritik 1 4 4 gestoßen und kann aus folgenden Gründen nicht überzeugen: Das Fehlen eines öffentlichrechtlichen Eingriffsverbots für Private bedeutet noch nicht, daß insoweit eine Duldungspflicht für Dritte besteht. Die abwehrrechtliche Lösung berücksichtigt das im Zivilrecht geltende allgemeine Nichtschädigungsgebot nicht. 145 Auch in methodischer Hinsicht vermag die abwehrrechtliche Lösung nicht zu überzeugen. Indem sie dem Staat die schädigende Handlung eines Privaten als Eingriff zurechnet, setzt sie die Existenz der zu beweisenden Schutzpflicht voraus. 146
bb) Herleitung der Schutzpflicht aus der Staatsaufgabe Sicherheit Eine weit verbreitete Auffassung sieht den Geltungsgrund staatlicher Schutzpflichten in der Staatsaufgabe Sicherheit. 147 Die Gewährleistung von Sicherheit als klassische Staatsaufgabe mit jahrhunderteraltem ideengeschichtlichem Hintergrund kann nach dieser Auffassung auch für die Begründung staatlicher Schutzpflichten 142 So insbesondere Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S.211 ff.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 88 ff.; Lübbe-Wolf\ Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S.69ff. 143 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 66, 92, 102; ders., NVwZ 1986, 611 (612f.). 144 Alexy, Theorie der Grundrechte, S.417ff.; Stern, Staatsrecht III/l, § 67 V2bb S.730f.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S.96f.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 128 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 38 ff.; Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 119. 145 Hierzu Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S.46ff.; eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem abwehrrechtlichen Ansatz findet sich auch bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 415 ff. 146 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 74; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S.47. 147 Isensee, HStR Bd. V, § 111, Rdnr. 83; ders., Das Grundrecht auf Sicherheit, S.21ff., 33; Stern, Staatsrecht III/l, §69IV2, S.932; E. Klein, NJW 1989,1633 (1636).
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fruchtbar gemacht werden. Sicherheit sei der zentrale Zweck, um dessentwillen der moderne Staat bestehe und er mit Gehorsamsanspruch, Macht und Gewaltmonopol ausgestattet sei. 148 Aus der Verknüpfung dieser klassischen Staatsaufgabe, die herkömmlich auf die objektiven Normen und Institutionen der Rechtsordnung bezogen werde, mit den Grundrechten ergäben sich die grundrechtlichen Schutzpflichten. 149 Die Grundrechte in ihrer objektiv-rechtlichen Dimension konkretisierten die einzelnen Schutzpflichten des Staates unter dem Grundgesetz. 150 Der Rekurs auf die Staatsaufgabe Sicherheit ist als historisches Argument für die Anerkennung staatlicher Schutzpflichten hilfreich. Sie kommt jedoch im Hinblick auf die Konkretisierung von Schutzpflichten nicht umhin, sich auf die objektiv-rechtliche Dimension der einzelnen Grundrechte zu berufen. Im übrigen kann die Staatsaufgabe Sicherheit als ideengeschichtliches Argument angesichts konkreter verfassungstextlicher Anhaltspunkte für die Existenz von Schutzpflichten (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 und Art. 16 Abs. 1 GG 1 5 1 ) nicht von alleiniger Bedeutung sein. 152 cc) A b l e ^ n g der Schutzpflichten aus den Grundrechtsschranken und dem Sozialstaatsprinzip Eine weitere Gruppe von Autoren zieht zur dogmatischen Begründung der Schutzpflichten das Sozialstaatsprinzip heran. Schutzpflichten sind nach dieser Auffassung die objektive Kehrseite eines allgemeinen subjektiven Teilhabe- oder Leistungsrechts, denn wer staatlichen Schutz erstrebe, erstrebe damit eine staatliche Leistung. 153 Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, die staatliche Verpflichtung zum Tätigwerden ließe sich schon aus den Schrankenbestimmungen der Grundrechte begründen. Die Beschränkung von Grundrechten unmittelbar durch die Verfassung oder aufgrund verfassungsrechtlicher Ermächtigung an den Gesetzgeber habe nicht nur rechtsbegrenzende Wirkung, sondern auch begünstigende Rechtswirkungen zugunsten der Rechtsgüter, die die Schrankenregelungen tatbestandsmäßig ausfüllten. 154 Das Sozialstaatsprinzip wird zur Untermauerung dieser These herangezogen. Dieses verpflichte den Staat zu handeln, während der Inhalt dieser Verpflichtung sich aus anderen Verfassungsbestimmungen ergebe. 155 Gegen die dargelegte These ist einzuwenden, daß es sich bei der Funktion der Grundrechte als Leistungsrechte um eine andersartige Fallkonstellation als bei den grundrechtli148
Isensee, HStR Bd. V, § 111, Rdnr. 83. Isensee, HStR Bd. V, § 111, Rdnr. 84. 150 So E. Klein, NJW 1989,1633 (1636); Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 84. 151 Zu Schutzpflichten als obiter dicta des Grundgesetzes siehe Dietiein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 31 f. 152 Vgl. Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S.40. 153 Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, S. 51 f.; Scholz, JuS 1976,232 (234); Sailer , DVB1. 1976, 521 (529). 154 Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 80. 155 Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 81. 149
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chen Schutzpflichten handelt. Bei den Leistungsrechten liegt eine bipolare Beziehung zwischen dem eine Leistung begehrenden Bürger und dem Staat vor. Die Konstellation der Schutzpflicht ist jedoch durch eine „Dreiecks"-Struktur (Staat-OpferStörer) 156 gekennzeichnet. Hier ist der Staat gehalten, das Opfer vor dem Übergriff eines Dritten zu schützen.157 Die Ableitung der Schutzpflichten aus den Grundrechtsschranken kann ebensowenig überzeugen. Die Grundrechtsschranken sind Befugnisnormen. Sie ermöglichen den Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts. Eine Verpflichtung zu staatlicher Aktivität oder eine Aufgabenzuweisung kann ihnen nicht entnommen werden. 158 dd) Reduktion der Schutzpflichten auf einen grundrechtlichen Menschenwürdekern Eine weitere Auffassung hält die Begrenzung der Schutzpflicht im Sinne eines grundrechtlichen Anspruchs auf Schutz auf den Menschenwürdekern der Grundrechte für vorzugswürdig. Soweit das Grundgesetz in einem Grundrecht ausdrücklich von „schützen" spreche, wie in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG und in Art. 6 GG, ergebe sich die grundrechtliche Schutzpflicht als subjektives Recht schon aus dem Wortlaut des Grundgesetzes. Dieser Umstand erschwere es aber zugleich, grundrechtliche Ansprüche auf Schutz dem Grundgesetz zu entnehmen, soweit dieser nicht ausdrücklich angeordnet oder nur in Grundrechtsschranken erwähnt sei. 159 Eine Interpretation des Grundgesetzes, die ein subjektives Recht auf Schutz nur bezüglich der Menschenwürde bzw. des Würdekerns von Grundrechten annähme, im übrigen sich aber mit bloß objektiv-rechtlichen Staatsaufgaben begnüge, denen keine subjektiven Rechte auf Verfassungsebene entsprächen, bliebe im Hinblick auf Text, System und Entstehungsgeschichte enger ans Grundgesetz angelehnt.160 Anliegen dieser Ansicht ist es, dem Gesetzgeber einen größeren Raum politischer Gestaltung zu sichern. 161 Der Umkehrschluß aus Art.1 Abs. 1 S. 2 GG, daß die staatliche Schutzpflicht sich auf den „Menschenwürdekern" beschränke, erscheint indes nicht gerechtfertigt, denn die Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde sollte nach dem Willen des Verfassunggebers den Schutz des einzelnen stärken und nicht schwächen.162 Im übrigen kann auch angesichts der erheblichen Schwierigkeiten bei der Feststellung des normativen Gehalts des Menschenwürdesatzes163 die vorgeschlagene Reduktion der Schutzpflichten auf den Menschenwürdekern nicht über156
Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 5. Stern, Staatsrecht III/l, § 69IV5, S. 948. 158 Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S.49. 159 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S.70. 160 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S.74f. 161 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S.78. 162 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 125. 163 Aus der umfangreichen Literatur siehe nur: Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung. 157
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3. Teil: Der gndrechtliche Schutz des Embryos
zeugen.164 Das Ziel der Sicherung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums kann, wie im folgenden noch darzulegen sein wird, auch bei Anerkennung der grundrechtlichen Schutzpflichten aufgrund der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte erreicht werden. 2. Stellungnahme Es ist bislang keiner Theorie gelungen, die Existenz und den Geltungsumfang der Schutzpflichten ohne Rückgriff auf den objektiv-rechtlichen Geltungsgehalt der Grundrechte 165 überzeugend zu begründen. Die durch die Schutzpflichten konkretisierten Rechtsgüter, „Werte" oder Prinzipien sind in den Grundrechtsbestimmungen enthalten. Staatliche Schutzpflichten mit einem konkreten Inhalt können alleine aus den Grundrechten abgeleitet werden. Die Friedens- und Sicherungsfunktion des Staates für die Grundrechte wäre ohne die Anerkennung der aus dem objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalt abgeleiteten Schutzpflichten in einem modernen Staatswesen, in dem erhebliche Gefahren gerade von privater Seite drohen, nicht gewährleistet. 166 Im Grundsatz ist daher der Schutzpflichtenjudikatur des Bundesverfassungsgerichts zu folgen.
V . Schutzpflichtenaktivierende Beeinträchigungen grundrechtlich geschützten Lebens durch die Präimplantationsdiagnostik 1. Entzug grundrechtlich geschützten Lebens durch die Verwerfung des genetisch belasteten Embryos Wird der Embryo nach einem positiven genetischen Befund abgetötet, wird ihm grundrechtlich geschütztes Leben entzogen. Es liegt folglich ein Eingriff von privater Seite in das Grundrecht auf Leben vor. Häufig wird jedoch der Embryo schlicht seinem Schicksal überlassen werden, d. h. nicht konserviert bzw. nicht mit der erforderlichen Nährlösung und sonstigen Voraussetzungen versehen werden, so daß er - ohne diese außerhalb des Mutterleibs erforderlichen „Hilfsmittel" - zugrunde gehen wird. Insoweit würde die lebensbeendende Maßnahme in einem Unterlassen der verantwortlichen Personen liegen. Fraglich ist, ob und inwieweit auch dieses Unterlassen den Staat zu schützenden Maßnahmen zugunsten des Embryos gegenüber den an der Präimplantationsdiagnostik beteiligten Personen verpflichten kann. Es gilt allgemein, daß ein Unterlassen einem aktiven Tun dann gleichzustellen ist, wenn der Betreffende für das Wohl und Wehe eines Menschen eine besondere Ver164 165 166
Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S.43f. Hierzu BVerfGE 50, 290 (336 ff.). Hierzu auch H.H. Klein DVB1. 1994,489 (492f.).
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antwortung trägt. Diese Verantwortung kann aus der natürlichen Stellung oder aus der übernommenen Sorgepflicht für das betreffende Leben erwachsen. 168 Nimmt der Arzt (oder eine andere Person) unter Mitwirkung der künftigen Eltern eine künstliche Befruchtung vor, so gibt er den Embryo Gefahren preis, denen dieser unter natürlichen Bedingungen im Mutterleib, wo er - unabhängig vom Willensentschluß anderer - ernährt und vor äußeren Einflüssen geschützt wird, nicht ausgesetzt ist. Aufgrund dieses vorangegangenen gefahrbegründenden Tuns (Ingerenz) ist die verantwortliche Person dann auch zu besonderer Sorgfalt im Hinblick auf die Sicherung des Überlebens des Embryos verpflichtet. Wird die weitere Versorgung des extrakorporalen Embryos unterlassen, ist dieses Unterlassen daher einem Tun gleichzustellen. 2. Gefährdung des Embryos durch die Vornahme der Diagnose Schon die Diagnose an der dem Embryo entnommenen Zelle könnte im Hinblick auf die Aktivierung staatlicher Schutzpflichten Bedeutung haben, wenn und soweit durch sie das Leben des Embryos gefährdet wird. In mittlerweile gefestigter Rechtsprechung vertritt das Bundesverfassungsgericht die Ansicht, daß bereits Grundrechtsgefährdungen verfassungswidrig sein können. Bloße Grundrechtsgefährdungen lägen zwar im allgemeinen noch im Vorfeld verfassungsrechtlich relevanter Grundrechtsbeeinträchtigungen. Unter besonderen Voraussetzungen könnten sie jedoch Grundrechtsverletzungen gleichzuachten sein. 169 Der Vorgang der Diagnose an der befruchteten Eizelle ist mit unterschiedlichen Gefahren für das Leben des extrakorporalen Embryos verbunden. Bei den in dieser Arbeit interessierenden Fällen der Präimplantationsdiagnostik aus genetischer Indikation ist mit der Entscheidung über die Vornahme einer Präimplantationsdiagnostik für den Fall, daß der genetische Befund positiv ist, die Entscheidung über das Abtöten oder das Absterbenlassen des Embryos schon gefallen. 170 Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Diagnose zum Zwecke der Gentherapie vorgenommen würde, mithin eine Heilung und nachfolgende Übertragung des Embryos möglich wäre. Dies ist indes in abseh167
Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S.59. Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, S.60. 169 BVerfGE 51, 324 (346f.); 52, 214 (220); 66, 39 (58); 77, 170 (220); NJW 1991, 3207. 170 So ζ. B. der vielfach diskutierte, der Ethikkommission der Medizinischen Universität zu Lübeck vorgelegte, Fall. Die Eheleute, bei denen die Präimplantationsdiagnostik erwogen wurde, trugen beide ein Gen einer Mukoviszidosemutation, so daß das Risiko, ein Kind mit beiden Genen zu zeugen, bei 25 % lag. Nach einer Spontangeburt konnte bei dem Kind eine Mukoviszidose festgestellt werden. In zwei weiteren Schwangerschaften erfolgte eine pränatale Diagnostik. Es wurde jeweils eine Mukoviszidosemutation festgestellt mit der Folge, daß ein Schwangerschaftsabbruch erfolgte. Ausdrückliches Ziel der beantragten Zulassung einer Präimplantationsdiagnostik war die Vermeidung eines weiteren Schwangerschaftsabbruchs. (So die Stellungnahme der Ethikkommission der Medizinischen Universität zu Lübeck, Aktenzeichen 84/95, S.4). 168
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
barer Zeit nicht zu erwarten. Wegen des oben beschriebenen „Entscheidungsautomatismus" ist schon die Gefährdung des Embryos durch die Diagnose, die noch durch die Leichtigkeit des Tötungsvorgangs beim Embryo in vitro verstärkt wird, im Hinblick auf die staatliche Schutzpflicht relevant. 171 Die Diagnose an der befruchteten Eizelle birgt jedoch noch weitere Gefahren für den Embryo: Durch den mikrochirurgischen Eingriff könnte der Embryo geschädigt werden, wobei vermutet wird, daß eine Schädigung in dieser frühen Phase zum Absterben des Embryos führt. Insoweit handelt es sich indes bislang nur um Vermutungen. 172 Auch der mikrochirurgische Eingriff ist als Gefahr der Präimplantationsdiagnostik einzustufen, denn trotz der bestehenden Unsicherheiten über die tatsächliche Verwirklichung der Gefahr besteht die rational prognostizierbare Möglichkeit der Rechtsverletzung. Auch eine solche Gefahr ist nicht verfassungsrechtlich irrelevant, sondern kann den Staat unter gewissen Voraussetzungen zu schützenden Maßnahmen verpflichten. 173 Für die Dauer der Analyse der abgespaltenen Zelle kann eine Kryokonservierung des zum Transfer vorgesehenen Embryos notwendig werden. Der Embryo wird dabei bei minus 196° C in flüssigem Stickstoff tiefgefroren. Die Kryokonservierung des Embryos ist insoweit mit Lebensgefahren für den Embryo verbunden, als nicht auszuschließen ist, daß durch sie die weitere Entwicklung des Embryos beeinträchtigt wird und dieser abstirbt. 174. Die Kryokonservierung ist jedoch kein spezifisches Problem der Präimplantationsdiagnostik 175, sondern wird häufig auch bei der In-vitroFertilisation als Sterilitätstherapie erforderlich. 176 Da es sich bei der Kryokonservierung um ein problematisches Verfahren handelt, das im Zusammenhang mit der künstlichen Fortpflanzung insgesamt, also nicht nur bei der Präimplantationsdiagnostik angewendet wird, wird insoweit von einer abschließenden verfassungsrechtlichen Bewertung abgesehen.
171 Vgl. hierzu auch BVerfGE 88,203 (291), wonach schon alleine die Gefahr des Schwangerschaftsabbruchs aufgrund des Geschlechts des Kindes es erfordert, auszuschließen, daß in der Frühphase der Schwangerschaft anderen als dem Arzt oder seinem Personal das Geschlecht des Kindes bekannt wird; zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, daß der Gesetzgeber ein Verbot der Mitteilung des Geschlechts im Anschluß an die BVerfGE „mangels praktischer Relevanz" (BTDrucks. 13/1850, S.26) nicht normiert hat. Kritisch dazu: Beckmann, MedR 1998, 155 (157). 172 Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.22f. 173 BVerfGE 49,89 (140 ff.) - Kalkar; 53,30 (57) - Mülheim-Kärlich; zu dem Problemkreis: Murswiek, Die staatliche Verantwortung für Risiken der Technik. 174 Siehe Teil I, 2. Kapitel, I. 175 Siehe in diesem Zusammenhang aber Schmidt, Rechtliche Aspekte der Genomanalyse, S. 148 ff. 176 Hierzu Günther in: Keller/Günther/Kaiser, ESchG, § 1 Abs. 1 Nr. 5 Rdnr. 3 f.
1. Kap.: Das Grundrecht auf Leben
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3. Die Existenz eines Schutzgebots im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik Oben wurde festgestellt, daß die Präimplantationsdiagnostik den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG berührt. Zu untersuchen ist im folgenden, ob damit auch eine Schutzpflicht des Staates ausgelöst wird, also ein prinzipielles Schutzgebot besteht. a) Die Existenz eines Schutzgebots im Hinblick auf das Verwerfen des Embryos Ein Schutzgebot ist für den Fall der Verwerfung des sog. Restembryos zu bejahen, denn hier wird grundrechtlich geschütztes Leben entweder durch das Abtöten oder durch das Absterbenlassen entzogen. Es wird also in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG übergegriffen. b) Die Existenz eines Schutzgebots im Hinblick auf die Grundrechtsgefährdungen Zu untersuchen ist, ob auch im Hinblick auf die unter 2. dargelegten Gefährdungen ein Schutzgebot besteht. Die Frage, ab wann ein Gefahrenniveau erreicht ist, das eine staatliche Handlungspflicht auslöst, ist bislang keiner eindeutigen Klärung zugeführt worden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist - naturgemäß - einzelfallbezogen und enthält keine eindeutigen Abgrenzungskriterien. 177 In der Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, der Tatbestand der Schutzpflicht erfasse sowohl die aktuelle Rechtsverletzung als auch deren rational prognostizierbare Möglichkeit, das Risiko. Die Notwendigkeit der Differenzierung ergebe sich erst auf der Rechtsfolgenseite. 178 Lediglich bloße Belästigungen lägen jenseits der schutzpflichtenrelevanten Gefahrenschwelle. 179 Andere fordern, daß für den Schutz des betreffenden Grundrechts ein gewichtiges Bedürfnis bestehen müsse. 180 Gefährdungen grundrechtlich geschützter Güter könnten auch dann, wenn sie so elementare Güter wie Leben und Gesundheit beträfen, grundsätzlich nicht ohne weiteres mit Eingriffen auf eine Stufe gestellt werden. 181 Es gelte der Satz: Je höher der Rang des betroffenen Grundrechts, je schwerer der drohende Eingriff, je inten177
So auch Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S.76. Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 106. 179 Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 107; in diesem Sinne wohl auch Stern, Staatsrecht III/l, §69 IV6e), S.952f.; Scholz, JuS 1976, 232; Pietrzak, JuS 1994, 748 (750); in Anlehnung an den polizeirechtlichen Gefahrenbegriff, Murswiek, Die staatliche Verantwortung für Risiken der Technik, S. 80ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 281, der ausdrücklich die Annahme eines verfassungsrechtlich irrelevanten „Restrisikos" ablehnt; kritisch Sachs in: Stem, Staatsrecht III/2, §78 IV2a, S.212ff. 180 Canaris , Grundrechte und Privatrecht, S.74. 181 Canaris , Grundrechte und Privatrecht, S.76. 178
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
siver die Gefahr, je geringer die Möglichkeit seines Trägers zu effizientem Selbstschutz und je schwächer das Gewicht gegenläufiger Grundrechte und Interessen sei, desto eher sei eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht zu bejahen.182 Für Risiken für das Schutzgut „Leben" gilt jedenfalls nach allen Auffassungen, daß bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts genügt, um ein Schutzgebot auszulösen.183 Im Ergebnis wird man daher bei den mit der präimplantativen Diagnose verbundenen Gefahren, bei deren Verwirklichung immer die Vernichtung des Embryos die Folge ist, die Existenz eines Schutzgebotes bejahen müssen. Das Ausmaß der Gefährdung ist bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Schutzpflicht zu berücksichtigen. V I . Inhalt und Reichweite der Schutzpflicht Die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Schutzpflicht bereitet allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten haben ihren Grund in der spezifischen Natur der Schutzpflicht: Die Schutzpflicht bewegt sich nicht wie das Abwehrrecht in der bipolaren Beziehung Bürger-Staat, sondern in einer Dreiecksstruktur zwischen Störer, Opfer und Staat, betrifft also die Beziehung des Staates zu einer Bürger-Bürger-Relation. Greift der Staat im Interesse des Opfers einer privaten Handlung ein, so ist damit zugleich ein Eingriff in die Rechte des Störers verbunden. Neben den grundrechtlichen Belangen des Opfers sind daher ebenso die grundrechtlichen Belange des Störers zu berücksichtigen. 184 Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Anders als beim Abwehrrecht, das auf ein Unterlassen jeder staatlichen Handlung gerichtet ist, die das Grundrecht beeinträchtigt, ist die Schutzpflicht auf ein Tun des Staates gerichtet. In der Regel wird es jedoch mehrere mögliche staatliche Handlungen geben, die geeignet sind, eine Schutzpflicht zu erfüllen. 185 Der Schutzpflicht fehlt daher das klare juristische Profil, das dem Abwehrrecht zu eigen ist. 186 Eine abschließende Position zur Frage der inhaltlichen Ausfüllung der Schutzpflicht ist dementsprechend noch nicht erarbeitet worden. 1. Ansätze in der Literatur Nach der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur gelten für die Bestimmung des Inhalts und der Reichweite der Schutzpflicht folgende Grundsätze: Be182 Canaris , Grundrechte und Privatrecht, S. 80; in diesem Sinne auch Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 I I Rdnr. 48; Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 30ff. 183 BVerfGE 49, 89 (142); 53, 30 (57); Roßnagel UPR 1990, 86 (87). 184 Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 170; Höfling in: Das zumutbare Kind, S. 129f.; Stern, Staatsrecht III/l, § 69IV5 ß, S. 945 f. 185 Alexy, Theorie der Grundrechte, S.420. 186 Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 87; eingehend zu den Gemeinsamkeiten und strukturellen Unterschieden von Abwehr- und Schutzdimensionen der Grundrechte: Höfling in: Das zumutbare Kind, S. 127ff.
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steht eine grundrechtliche Schutzpflicht, so sind Legislative, Exekutive und Judikative berufen, in ihrem jeweiligen Funktionskreis geeignete und ausreichende Mittel zur Gewährleistung des Schutzes einzusetzen.187 Der Staat hat einen effektiven Schutz der Grundrechte zu gewährleisten. 188 An den Gesetzgeber enthält die Schutzpflicht den Auftrag, die Normen bereitzustellen, die zur Sicherung der Grundrechte gegen private Übergriffe geeignet und hinreichend sind. 189 Die Schutzpflicht wird als Optimierungsgebot begriffen, d. h. sie ist, gemessen an den rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten, in möglichst hohem Maße zu realisieren. 190 Beim Schutz gegen Angriffe Dritter ist auch deren Abwehrrecht zu berücksichtigen und mit dem konkurrierenden Schutzbedürfnis des Opfers in Ausgleich zu bringen. 191 Allerdings sind die Reaktionen des Staates auf eine bestimmte Gefahr nicht vorab durch die Verfassung bestimmt.192 Nach herrschender Ansicht kommt dem Gesetzgeber bei der Erfüllung einer Schutzpflicht - entsprechend der Diktion des Bundesverfassungsgerichts193 - ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum 194 zu. Aus dieser legislativen Einschätzungsprärogative folgt als allgemeine Leitlinie, daß nur das „Ob", nicht aber das „Wie" einer Schutzpflicht als grundrechtsgeboten qualifiziert werden kann. 195 Die Schutzpflicht errichtet allerdings dem Gestaltungsermessen des Gesetzgebers ein Untermaßverbot, das mit dem Übermaßverbot des Abwehrrechts korreliert. Bei dieser Untermaßkontrolle geht es darum zu gewährleisten, daß der Schutz den Mindestanforderungen an seine Effizienz genügt und daß gegenläufige Rechtsgüter und Interessen nicht überbewertet werden. 196 Nach einer modifizierenden Auffassung besteht bei der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates im Hinblick auf die Schutzpflichten 187
Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 139. Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 90. 189 Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 153. 190 Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 138; Unruh, Zur Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten, S. 88. 191 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 80; Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 165, allerdings insoweit einschränkend, als grundrechtliche Gewährleistungen keine Gewaltakte deckten Rdnr. 171 ff. 192 Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 164. 193 BVerfGE 77, 170 (214); 79, 174 (202); 85, 191 (212). 194 Zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Zusammenhang mit grundrechtlichen Schutzpflichten ausführlich: K. Hesse, Festschrift Mahrenholz, S. 541 ff. 195 Dreier in Dreier, GG, Vorb. vor Art. 1 Rdnr. 64; E. Klein, NJW 1989, 1633 (1637); K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdnr. 350; H.H. Hesse, DVB1. 1994, 489 (495). 196 Der Begriff geht zurück auf Canaris, AcP 184 (1984), 201 (228); ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 86ff.; so auch Isensee HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 165; BVerfGE 88,203 (254); kritisch bzgl. der Aussagekraft dieser Rechtsfigur: Hain, DVB1. 1993, 982ff.; ders., ZG 1996, 75 ff.; Starck, JZ 1993, 816 (817); Sachs in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rdnr. 36, der von einer eher terminologischen Neuerung spricht; Dreier in: Dreier, GG, Vorbem. vor Art. 1 Rdnr. 64; zum Untermaßverbot auch Dietlein, ZG 1995, 131 ff.; Denninger, Festschrift Mahrenholz, S.561 (566 ff.). 188
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
gegenüber den Abwehrrechten kein grundsätzlicher, sondern lediglich ein gradueller Unterschied. Die Pflicht, Eingriffe Dritter zu verbieten, lasse sich ebenso bestimmen wie die Pflicht, staatliche Eingriffe zu unterlassen. Lediglich die Verpflichtung, bestehende Eingriffsverbote effektiv durchzusetzen oder zusätzlich zu Eingriffsverboten Regelungen zu erlassen und Maßnahmen zu ergreifen, die die Integrität der Schutzgüter sicherstellen sollten, sei eine verfassungsrechtliche Zielbestimmung, bei der die Wahl der Mittel überwiegend verfassungsrechtlich nicht vorgegeben und insoweit dem Gesetzgeber überlassen seien.197 Die oben dargelegten Grundsätze sind als allgemeine Leitlinie, gleichsam als Koordinatensystem der grundrechtlichen Schutzpflicht zu verstehen. 198 Die Bestimmung konkreter grundrechtlicher Schutzpflichten erfordert eine grundrechtsspezifische Differenzierung, d. h. der konkrete Schutzbedarf wird maßgeblich von der Frage bestimmt, welches grundrechtliche Schutzgut gefährdet ist und welche Art von Gefahr droht. Dabei gilt als allgemeine Leitlinie, daß sich der Bereich der Schutzpflicht mit der Sensibilität des Schutzguts und der Größe der Gefahr weitet. 199 Das Grundrecht auf Leben ist vitale Grundlage sonstiger Freiheitsbetätigungen. Es ist wegen dieser zentralen Stellung und wegen der Unumkehrbarkeit von Schädigungen in besonderer Weise auf den staatlichen Schutz verwiesen. 200 2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat in zahlreichen Entscheidungen zum Inhalt und zur Reichweite der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Stellung genommen.201 Die Rechtsprechung des Gerichts zum Umfang der Schutzpflichten ist allerdings schwankend. Das Gericht betont zwar in den meisten Entscheidungen, in denen es zu überprüfen hatte, ob der Gesetzgeber einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht gerecht wird, daß diesem ein weiter Einschätzungs- und Ermessensspielraum zukomme, legt dann aber abhängig vom Einzelfall unterschiedlich strenge Kontrollmaßstäbe an. 202 In den beiden Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch hat das Gericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den vorgeburtlichen Lebensschutz sehr detailliert formuliert. In der zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch hat es ein umfassendes Schutzkonzept entwickelt. Im folgenden soll daher untersucht werden, ob und inwieweit diese Entscheidungen für eine verfas197 Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 32; in diese Richtung auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S.427f., der auf das auf Prognosespielräume bezogene Abwägungsproblem abstellt, das gleichermaßen auch bei Abwehrrechten auftrete, indes i. d. R. in geringerer Intensität. 198 Vgl. Dietiein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 73. 199 Isensee, HStR Bd. V, § 111, Rdnr. 141. 200 Vgl. Dietiein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 74 f. 201 Richtungsweisend: BVerfGE 39,1 ff. - Schwangerschaftsabbruch I; 46,160ff. - Schleyer; 49,89 ff. - Kalkar; 53, 30ff. - Mülheim-Kärlich; 88,203 ff. - Schwangerschaftsabbruch II. 202 Siehe hierzu Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 68 f. mit Rechtsprechungsnachweisen.
1. Kap. : Das Grundrecht auf Leben
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sungsrechtliche Beurteilung der Präimplantationsdiagnostik fruchtbar gemacht werden können.203
a) Die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 1975 In seiner Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 1975 hat das Bundesverfassungsgericht erstmals umfassend zu den Schutzpflichten - hier im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG - Stellung genommen. Danach ist die Schutzpflicht des Staates umfassend und gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen, es insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen anderer zu bewahren. Die Schutzpflicht des Staates müsse um so ernster genommen werden, je höher der Rang des in Frage stehenden Rechtsgutes innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes anzusetzen sei. Das menschliche Leben stelle als vitale Basis der Menschenwürde und Voraussetzung aller anderen Grundrechte innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar. Die Schutzverpflichtung bestehe grundsätzlich auch gegenüber der Mutter. Zwar gehöre die Schwangerschaft zur Intimsphäre der Frau, die durch Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt sei. Da der nasciturus jedoch als selbständiges menschliches Wesen zu betrachten sei, sei der Schwangerschaftsabbruch der staatlichen Regelung zugänglich und bedürftig. 204 Auch das Recht der Frau auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit könne nicht die Befugnis umfassen, Leben zu zerstören. Angesichts der Tatsache, daß der Schwangerschaftsabbruch immer die Vernichtung des ungeborenen Lebens bedeute, müsse nach dem Prinzip des schonendsten Ausgleichs konkurrierender grundgesetzlich geschützter Positionen unter Berücksichtigung des Grundgedankens des Art. 19 Abs. 2 GG dem nasciturus der Vorzug gegeben werden. 205 Wie der Staat allerdings seine Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des sich entwickelnden Lebens erfülle, sei in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden. Er befinde darüber, welche Schutzmaßnahmen er für zweckdienlich und geboten halte, um einen wirksamen Lebensschutz zu gewährleisten. 206 Die Frage, inwieweit der Staat von Verfassungs wegen verpflichtet sei, zum Schutz des ungeborenen Lebens auch das Mittel des Strafrechts einzusetzen, sei mittels einer Gesamtbetrachtung zu untersuchen, die einerseits den Wert des verletzten Rechtsguts und das Maß der Sozialschädlichkeit der Verletzungshandlung - auch im Vergleich mit anderen unter Strafe gestellten und sozialethisch etwa gleich bewerteten Handlungen - in den Blick nimmt, andererseits die traditionellen rechtlichen Re203 Zur präjudiziellen Wirkung verfassungsgerichtlicher Urteile siehe nur: Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 504 ff.; ders., Theorie der juristischen Argumentation, S. 337; Κ rie le, HStR Bd.V,§ 110 Rdnr. 29ff. 204 BVerfGE 39,1 (42). 205 BVerfGE 39,1 (43). 206 BVerfGE 39,1 (44).
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
gelungen dieses Lebensbereichs ebenso wie die Entwicklung der Vorstellungen über die Rolle des Strafrechts in der modernen Gesellschaft berücksichtigt und schließlich die praktische Wirksamkeit von Strafdrohungen und die Möglichkeit ihres Ersatzes durch andere rechtliche Sanktionen nicht außer acht läßt. Der Gesetzgeber sei jedenfalls grundsätzlich nicht verpflichtet, die gleichen Maßnahmen strafrechtlicher Art zum Schutze des ungeborenen Lebens zu ergreifen, wie er sie zur Sicherung des geborenen Lebens für zweckdienlich und geboten halte. 207 Zwar stelle eine Strafnorm gewissermaßen die „ultima ratio" im Instrumentarium des Gesetzgebers dar, jedoch müsse dieses letzte Mittel eingesetzt werden, wenn anders ein effektiver Lebensschutz nicht zu erreichen sei. Demgegenüber greife der Einwand nicht durch, aus einer Freiheit gewährenden Grundrechtsnorm könne niemals eine staatliche Verpflichtung zum Strafen abgeleitet werden. 208 Beim Einsatz des Strafrechts gegenüber der werdenden Mutter entstünden indes besondere Probleme, die sich aus der singulären Lage der schwangeren Frau ergäben. Das Lebensrecht des Ungeborenen könne zu einer Belastung der Frau führen, die wesentlich über das normalerweise mit einer Schwangerschaft verbundene Maß hinausgehe. Ob der Staat auch in solchen Fällen mit dem Mittel des Strafrechts die Austragung einer Schwangerschaft erzwingen dürfe, sei eine Frage der Zumutbarkeit 209. Wenn der Gesetzgeber in Fällen der außergewöhnlichen Aufopferung eigener Lebenswerte der Frau einen Schwangerschaftsabbruch der Frau nicht als strafwürdig ansehe und auf das Mittel der Kriminalstrafe verzichte, so sei das jedenfalls als Ergebnis einer dem Gesetzgeber obliegenden Abwägung auch verfassungsrechtlich hinzunehmen.210 Für die inhaltliche Ausfüllung des Unzumutbarkeitskriteriums müßten jedoch Umstände ausscheiden, die den Pflichtigen nicht schwerwiegend belasteten, da sie die Normalsituation darstellten, mit der jeder fertig werden müsse. Vielmehr müßten Umstände erheblichen Gewichts gegeben sein, die dem Betroffenen die Erfüllung seiner Pflicht außergewöhnlich erschwerten, so daß sie von ihm billigerweise nicht erwartet werden könnten. Solche Umstände lägen, so das Bundesverfassungsgericht, insbesondere dann vor, wenn der Betroffene durch die Pflichterfüllung in schwere innere Konflikte gestürzt werde. Die Lösung solcher Konflikte durch eine Strafdrohung erscheine im allgemeinen nicht als angemessen, da sie äußeren Zwang einsetze, wo die Achtung vor der Persönlichkeitssphäre des Menschen volle innere Entscheidungsfreiheit fordere. Unzumutbar erscheine die Fortsetzung einer Schwangerschaft insbesondere im Falle der sog. medizinischen Indikation, also bei Gefahr für Leben und Gesundheit der werdenden Mutter. Darüber hinaus stünde es dem Gesetzgeber aber frei, auch bei anderen außergewöhnlichen Belastungen für die Schwangere, die ähnlich schwer wiegen, den Schwanger207
BVerfGE 39, 1 (45). BVerfGE 39, 1 (47). 209 Zur Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab allgemein Ossenbühl in: Rüthers/Stern (Hrsg.), Freiheit und Verantwortung im Verfassungsstaat, S. 315 ff. m. w.N. aus Verfassungsrechtsprechung und Literatur. 210 BVerfGE 39, 1 (49). 208
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schaftsabbruch straffrei zu stellen. Zu solchen außergewöhnlichen Belastungen könnten insbesondere die eugenische, die ethische (kriminologische) und die soziale Indikation gezählt werden. 211 Auf den folgenden 18 Seiten des Urteils setzt sich das Gericht dann ausschließlich mit der Frage der Fristenlösung als Regelung einer sozialen Indikation auseinander. Es kommt hinsichtlich der Fristenlösung zu dem Ergebnis, daß der Gesetzgeber insoweit dem Gebot des Lebensschutzes nicht in dem gebotenen Umfang gerecht geworden ist. 212 Bei der Regelung der sozialen Indikation müsse der Gesetzgeber den straffreien Tatbestand so umschreiben, daß die Schwere des hier vorauszusetzenden sozialen Konflikts deutlich erkennbar werde und - unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit betrachtet - die Kongruenz dieser Indikation mit den anderen Indikationsfällen gewahrt bleibe. 213 Die angegriffene Fristenregelung des Fünften Strafrechtsreformgesetzes werde, indem sie die Strafandrohung für die ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt aufgebe und statt dessen die präventive Beratung und Unterrichtung einführe, diesen Anforderungen nicht gerecht, da das erforderliche generelle Unwerturteil aufgegeben werde. 214 Daran ändere auch der Einwand, zur Verringerung der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche insgesamt sei ein Absehen von der rechtlichen Mißbilligung erforderlich, um zu vermeiden, daß die betreffenden Frauen sich ganz der möglichen Beeinflussung entzögen, nichts. 215 Die pauschale Abwägung von Leben gegen Leben, die zur Freigabe der Vernichtung der vermeintlich geringeren Zahl im Interesse der Erhaltung der angeblich größeren Zahl führe, sei nicht vereinbar mit der Verpflichtung zum individuellen Schutz jedes einzelnen konkreten Lebens.216 Jedes menschliche Leben - auch das sich entwickelnde Leben - sei als solches gleich wertvoll und könne deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedlichen Bewertung oder gar zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden. Der Effizienz der Regelung im ganzen dürfe der Grundrechtsschutz im einzelnen nicht geopfert werden. Im übrigen fehle dieser - prinzipiell abzulehnenden - „Gesamtrechnung" auch eine verläßliche tatsächliche Grundlage. 217 Zwar sei eine Einschränkung der Strafbarkeit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie mit anderen Maßnahmen verbunden wäre, die den Wegfall des Strafschutzes in ihrer Wirkung zumindest auszugleichen vermöchten. Dies sei bei der zu beurteilenden Fristenlösung, wie im Urteil näher begründet wird 2 1 8 , indes nicht der Fall. 219
211 212 213 214 215 216 217 218 219
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BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
39,1 (49). 39,1 (51). 39,1 (50). 39,1 (51 ff.). 39,1 (52 ff.). 39,1 (58). 39,1 (59 ff.). 39, 1 (52 ff.) 39, 1 (65).
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
b) Die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 1993 In der zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch 220 hat das Bundesverfassungsgericht seine rechtsdogmatische Position bestätigt und weiterentwickelt und - anders als in der ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch - detaillierte Vorgaben für eine verfassungsgemäße Regelung des Schwangerschaftsabbruchs gemacht. Das Gericht betont erneut, daß die Schutzpflicht auf das einzelne Leben bezogen sei, nicht nur auf menschliches Leben allgemein.221 Der Schutz des Lebens sei aber nicht in dem Sinne absolut geboten, daß dieses gegenüber jedem anderen Rechtsgut ausnahmslos Vorrang genieße; das zeige schon Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG. Der Schutzpflicht sei andererseits nicht dadurch genügt, daß überhaupt Schutzvorkehrungen irgendeiner Art getroffen worden seien. Die Reichweite der Schutzpflicht sei vielmehr im Blick auf Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts - hier des ungeborenen menschlichen Lebens - einerseits und mit ihm kollidierender Rechtsgüter andererseits zu bestimmen. Als vom Lebensrecht des Ungeborenen berührte Rechtsgüter kämen dabei - ausgehend vom Anspruch der schwangeren Frau auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) - vor allem ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) in Betracht. Art und Umfang des Schutzes im einzelnen zu bestimmen, sei Aufgabe des Gesetzgebers. Die Verfassung gebe den Schutz als Ziel vor, nicht aber seine Ausgestaltung im einzelnen. Allerdings habe der Gesetzgeber das Untermaßverbot zu beachten und unterliege insofern der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. 222 Zur Erfüllung des Untermaßverbotes müsse die Ausgestaltung der Rechtsordnung Mindestanforderungen entsprechen. Hierzu zähle, daß der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten werde. Grundrechte der Frau griffen gegenüber dem grundsätzlichen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs nicht durch. Zwar hätten diese gegenüber dem Lebensrecht des nasciturus Bestand und seien entsprechend zu schützen. Aber sie trügen nicht so weit, daß die Rechtspflicht zum Austragen des Kindes von Grundrechts wegen - auch nur für eine bestimmte Zeit - generell aufgehoben wäre. Die Grundrechtspositionen der Frau führten allerdings dazu, daß es in Ausnahmelagen zulässig, in manchen dieser Fälle womöglich geboten sei, eine solche Rechtspflicht nicht aufzuerlegen. Es sei Sache des Gesetzgebers, solche Ausnahmelagen 220
Zur Kritik an dem Urteil: Sondervotum der Richter Mahrenholz und Sommer, BVerfGE 88,203 (338 ff.) sowie Sondervotum des Richters Böckenförde, BVerfGE 88,203 (359ff.); Kluth, FamRZ 1993, S. 1382ff.; Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337ff.; Scherzberg, DVB1 1999,356 (359 f.); zustimmend: Starck,, JZ 1993, S.816ff.; siehe auchEser in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. vor § 218 Rdnr. 7 m. w. N.; Fischer in: Fischer/Tröndle, StGB, Vor § 218 Rdnr. 11 ff. m. w. N. 221 BVerfGE 88, 203 (252). 222 BVerfGE 88, 203 (253 f.).
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zu Ausnahmetatbeständen zu fassen. Um dabei das Untermaßverbot nicht zu verletzen, müsse allerdings in Rechnung gestellt werden, daß die miteinander kollidierenden Rechtsgüter hier nicht zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden könnten, weil der Schwangerschaftsabbruch immer Tötung ungeborenen Lebens sei. 223 Dies bedeute indes nicht, daß eine Ausnahmelage, die es von Verfassungs wegen zulasse, die Pflicht zum Austragen des Kindes aufzuheben, nur im Falle einer ernsten Gefahr für das Leben der Frau oder einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer Gesundheit in Betracht komme. Ausnahmelagen seien auch darüber hinaus denkbar. Das Kriterium für die Anerkennung einer solchen Ausnahmelage sei (wie schon in der Entscheidung aus dem Jahre 1975 festgestellt worden war) das der Unzumutbarkeit. Dieses Kriterium habe deshalb seine Berechtigung, weil sich das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs angesichts der einzigartigen Verbindung von Mutter und Kind nicht in einer Pflicht der Frau erschöpfe, den Rechtskreis eines anderen nicht zu verletzen, sondern zugleich eine intensive, die Frau existentiell betreffende Pflicht zum Austragen und Gebären des Kindes enthalte und eine darüber hinausgehende Handlungs-, Sorge- und Einstandspflicht nach der Geburt über viele Jahre nach sich ziehe. 224 Eine Unzumutbarkeit könne allerdings nicht aus Umständen herrühren, die im Rahmen der Normalsituation einer Schwangerschaft verblieben. Vielmehr müßten Belastungen gegeben sein, die ein solches Maß an Aufopferung verlangten, daß diese von der Frau nicht erwartet werden könne. Für die Pflicht zum Austragen des Kindes folge daraus, daß neben der helgebrachten medizinischen Indikation auch die kriminologische und - ihre hinreichend genaue Umgrenzung vorausgesetzt - die embryopathische Indikation als Ausnahmetatbestände vor der Verfassung Bestand haben können. Für andere Notlagen gelte dies nur dann, wenn in ihrer Umschreibung die Schwere des hier vorausgesetzten sozialen und psychisch-personalen Konflikts deutlich erkennbar werde, so daß - unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit betrachtet - die Kongruenz mit den anderen Indikationsfällen gewahrt bleibe. Das Untermaßverbot lasse es nicht zu, auf den Einsatz des Strafrechts und die davon ausgehende Schutzwirkung frei zu verzichten. 225 Sofern allerdings wegen verfassungsrechtlich ausreichender Schutzmaßnahmen anderer Art von einer Strafdrohung für nicht gerechtfertigte Schwangerschaftsabbrüche in begrenztem Umfang abgesehen werde, könne es genügen, das Verbot für diese Fallgruppe auf andere Weise in der Rechtsordnung unterhalb der Verfassung klar zum Ausdruck zu bringen. 226 Dem Gesetzgeber käme nämlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, wenn er - wie hier - verfassungsrechtlich verpflichtet sei, wirksame und ausreichende Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen. 227 Daher sei es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, für den Schutz des ungeborenen Lebens zu einem Schutzkon223 224 225 226 227
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
88, 203 88, 203 88, 203 88, 203 88, 203
(255). (256). (257). (258). (262).
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
zept überzugehen, das in der Frühphase der Schwangerschaft in Schwangerschaftskonflikten den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau lege, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen, und dabei im Blick auf die notwendige Offenheit und Wirkung der Beratung auf eine indikationsbestimmte Strafdrohung und die Feststellung von Indikationstatbeständen durch einen Dritten verzichte. 228 Die unbefangene Mitarbeit der Frau an der Bewältigung des Schwangerschaftskonflikts könne durch das Erfordernis der Drittbeurteilung behindert werden. 229 Der Staat sei aber nicht frei, den Schwangerschaftsabbruch über die verfassungsrechtlich unbedenklichen Ausnahmetatbestände der medizinischen, embryopathischen und kriminologischen Indikation hinaus als nicht rechtswidrig, also als erlaubt, anzusehen.230 Es sei mithin nicht zulässig, nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche für gerechtfertigt (nicht rechtswidrig) zu erklären. 231 Auch eine Beratungsregelung müsse in der Rechtsordnung unterhalb der Verfassung zum Ausdruck bringen, daß ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen rechtmäßig sein könne, nämlich dann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwachse, die - vergleichbar den Fällen der medizinischen und embryopathischen Indikation - so schwer und außergewöhnlich sei, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteige. 232 Es entspreche unverzichtbaren rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß einem Ausnahmetatbestand rechtfertigende Wirkung nur dann zukommen könne, wenn das Vorliegen seiner Voraussetzungen festgestellt werden müsse, sei es durch Gerichte, sei es durch Dritte, denen der Staat kraft ihrer besonderen Pflichtenstellung vertrauen dürfe und deren Entscheidung nicht jeder staatlichen Überprüfung entzogen sei. Lasse das vom Gesetzgeber gewählte Schutzkonzept der Beratung, soweit es um die überwiegend geltend gemachten allgemeinen Notlagen gehe, die Indikationsregelung nicht zu, weil die Feststellung ihrer Voraussetzungen die Wirksamkeit der Beratung hindern würde, so müsse er insoweit darauf verzichten, den Abbruch der Schwangerschaft für gerechtfertigt zu erklären. 233 Die Beratungsregelung habe folglich davon abzusehen, den Rechtfertigungsgrund einer allgemeinen Notlagenindikation vorzusehen. 234 Verfassungsrechtlich unbedenklich sei insoweit nur ein Tatbestandsausschluß.235 Der Gesetzgeber sei aber nicht gehalten, die sich nach dem grundsätzlichen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs an sich aufdrän228
BVerfGE 88, 203 (264). BVerfGE 88, 203 (269). 230 BVerfGE 88, 203 (257,261). 231 BVerfGE 88, 203 (270). 232 BVerfGE 88, 203 (272). 233 BVerfGE 88, 203 (274); zur problematischen Konsequenz dieser Regelung für Frauen, die sich in einer Notlage befinden, die den Schwangerschaftabbruch rechtfertigen würde, im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip siehe das Sondervotum der Richter Mahrenholz und Sommer, BVerfGE 88, 203 (353 f.); siehe auch Denninger, Festschrift Mahrenholz, S.561 (564). 234 BVerfGE 88, 203 (271). 235 BVerfGE 88, 203 (279, 300); zur strafrechtsdogmatischen Problematik dieser Judikatur siehe nur Fischer in: Fischer/Tröndle, StGB, Vor §218 Rdnr. 14f: „der Tatbestandsausschluß für „beratene Schwangerschaftsabbrüche"... ist „in die strafrechtliche Dogmatik nicht integ r i e r t ^ m. w. N.; kritisch auch Eser, NJW 1992,2913 (2924); Wolter, GA 1996,207 (223 ff.). 229
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genden Folgerungen in jeder Hinsicht zu ziehen, wenn ein hinreichend auf den Lebensschutz ausgerichtetes Schutzkonzept zu seiner Wirksamkeit bestimmte Ausnahmen fordere. 236 Für Schwangerschaftsabbrüche im Rahmen der Beratungsregelung dürften aber nicht all die rechtlichen Vorteile gewährt werden, die nach der Rechtsordnung für rechtmäßige Abbrüche zulässig seien.237 Dem Staat sei es verfassungsrechtlich grundsätzlich untersagt, durch die Gewährung von Leistungen oder durch die normative Begründung von Leistungspflichten Dritter, Schwangerschaftsabbrüche zu fördern, deren Rechtmäßigkeit nicht verbindlich festgestellt worden sei. 238 Dies gelte indes nur für die allgemeine Notlagenindikation. Bei der medizinischen, embryopathischen oder kriminologischen Indikation sei die Notlage greifbar, wenn ärztlich festgestellt worden sei, daß sich die Frau mit der Fortsetzung der Schwangerschaft einer beachtlichen Gefahr für ihre Gesundheit aussetze oder die erhebliche Gefahr einer schweren Schädigung des Kindes bestehe, oder wenn die Frau Opfer einer Straftat sei. Der vorgegebene objektive Sachverhalt verändere die Thematik und die Funktion der Beratung so, daß Frauen kaum Anlaß hätten, einer solchen Indikationsfeststellung auszuweichen oder die Beratung nicht mit der notwendigen Offenheit anzunehmen.239 Im Zusammenhang mit den Ausführungen des Gerichts über die erforderliche Ausgestaltung der Beratung weist es darauf hin, daß in Fällen, in denen es um die Beratung in einer besonders schwierigen Lage gehe, möglich sein müsse, auf Sachverständige zurückzugreifen, die über die jeweils erforderlichen Fachkenntnisse verfügen. Dies sei etwa der Fall, wenn eine embryopathische Indikation in Frage stehe. In diesen Fällen sei auf den Sachverstand und die Erfahrungen der Fachärzte und der Behindertenverbände zurückzugreifen. 240 Im Zusammenhang mit den Ausführungen über die ärztlichen Pflichten beim Schwangerschaftsabbruch führt das Gericht u. a. aus, der ärztlichen Untersuchung und Information müßten aufgrund der Schutzpflicht nicht nur Pflichten auferlegt werden, sondern auch Grenzen gezogen werden, um der Gefahr von Schwangerschaftsabbrüchen aus Gründen der von der Verfassungsordnung mißbilligten Geschlechtswahl zu begegnen. Deshalb müsse ausgeschlossen sein, daß in der Frühphase der Schwangerschaft anderen als dem Arzt oder seinem Personal das Geschlecht des Kindes bekannt werde, es sei denn, die Mitteilung wäre medizinisch indiziert. Dies müsse auch strafbewehrt werden. 241 236
BVerfGE 88, 203 (280). BVerfGE 88, 203 (281). 238 BVerfGE 88,203 (321). 239 BVerfGE 88, 203 (269). 240 BVerfGE 88,203 (287). 241 BVerfGE 88, 203 (291, 293). Mit der Formulierung „medizinisch indiziert" nimmt das Bundesverfassungsgericht offenbar nicht die medizinische Indikation im engeren Sinne in Bezug, denn es ist nicht ersichtlich, wie das Geschlecht des nasciturus das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren beeinträchtigen sollte (so auch Geigerl von Lampe, Jura 1994, 20 [27]). Gemeint sein kann nur die ggf. unter eine medizinisch-soziale Indikation zu subsumierende embryopathische Indikation. 237
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
c) Auswertung der Rechtsprechung Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht besteht demnach eine Schutzverpflichtung zugunsten des als selbständiges Wesen zu betrachtenden nasciturus auch gegenüber der Mutter. Diese Schutzverpflichtung ist auf das einzelne Leben bezogen, so daß sich eine zahlenmäßige Abwägung zugunsten der Effizienz einer Gesamtregelung verbietet. Wahrend das Gericht in der Entscheidung aus dem Jahre 1975 nur auf das kollidierende Grundrecht der Frau aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG rekurriert, nennt es in der zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch auch das Recht der Frau auf Achtung ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Da der Schwangerschaftsabbruch immer die Tötung des nasciturus bedeutet, kommt nach Ansicht des Gerichts ein Ausgleich der kollidierenden Rechte des nasciturus und der Frau nicht in Betracht, so daß demnach grundsätzlich eine Rechtspflicht zur Austragung des Kindes besteht, die auch nicht für die erste Zeit der Schwangerschaft generell aufgehoben werden kann. Die verfassungsrechtliche Ableitung einer Strafpflicht hält das Gericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1993 allerdings nicht aufrecht. Das Bundesverfassungsgericht zieht in der zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch stärker als in der ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch das Prinzip verhältnismäßiger Zuordnung von Lebensschutz einerseits und kollidierenden Grundrechten der Frau andererseits im Zusammenhang mit der Frage der Zumutbarkeit heran. Unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit erkennt es an, daß die Grundrechte der Frau in gesetzlich zu bestimmenden Ausnahmelagen dazu führen können, eine Rechtspflicht zum Austragen des Kindes nicht aufzuerlegen. Zur Begründung des Unzumutbarkeitskriteriums rekurriert das Gericht auf die einzigartige Verbindung von Mutter und Kind, die neben der Pflicht zum Austragen und Gebären auch eine darüber hinausgehende Handlungs-, Sorge- und Einstandspflicht nach der Geburt über viele Jahre nach sich zieht. Zur Bestimmung der Grenzen der Liberalisierung des Rechts des Schwangerschaftsabbruchs und damit der Rücknahme des staatlichen Lebensschutzes formuliert das Gericht erstmals in der Entscheidung aus dem Jahre 1993 ein Untermaßverbot. Aus diesem ergibt sich, daß der staatliche Schutz unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechte der Frau angemessen und als solcher wirksam sein muß. Das Gericht erkennt an, daß in bestimmten Indikationsfällen die staatliche Rechtsordnung nicht verlangen kann, daß die Frau dem Lebensrecht des Ungeborenen unter allen Umständen den Vorrang einräumt. Im Falle der medizinischen Indikation, wenn das Leben der Frau bedroht ist oder ihr schwere Gesundheitsschäden drohen, kann es, so das Gericht, sogar geboten sein, einen Schwangerschaftsabbruch als gerechtfertigt anzusehen, denn hier sind die in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleisteten Rechte in Gefahr. Die Fälle der kriminologischen (ethischen) und der embryopathischen (eugenischen) Indikation sind nach Ansicht des Gerichts ähnlich gelagert und werden - ebenfalls unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten - als Schwangerschaftsabbrüche genannt, für die der Gesetzgeber eine Rechtfertigung vorsehen kann. Anders als
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im Falle der medizinischen Indikation läßt sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts indes nicht entnehmen, daß der Gesetzgeber in den letztgenannten Fällen dazu verpflichtet ist, einen Rechtfertigungsgrund vorzusehen. Er darf aber in diesen Fällen den Schutz des ungeborenen Lebens hintansetzen. Für gerechtfertigt dürfen Schwangerschaftsabbrüche jedenfalls nur dann erklärt werden, wenn das Vorliegen einer Indikation unter staatlicher Verantwortung festgestellt wird. 242 Für den Fall der embryopathischen Indikation macht das Gericht deutlich, daß diese eine hinreichend genaue Umgrenzung erfordert. Insoweit muß eine erhebliche Gefahr einer schweren Schädigung gegeben sein. Indes ist nicht etwa die schwere Behinderung des Kindes als solche Rechtfertigungsgrund eines Schwangerschaftsabbruchs, sondern - ebenso wie in den übrigen Indikationsfällen - die daraus folgende Unzumutbarkeit für die Mutter, wenn sich diese zum Austragen und zur Pflege des Kindes außerstande sieht.243 d) Die Aufnahme der Rechtsprechung in der Literatur Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch ist in der Literatur teilweise schlicht rezipiert worden. 244 Sie sah sich jedoch auch heftiger Kritik ausgesetzt, die sich überwiegend auf das Beratungsschutzkonzept 245 , das dogmatisch-methodische Vorgehen des Gerichts 246 oder die rechtspolitischen Konsequenzen dieser Rechtsprechung247 bezog. Auffällig ist, daß die Rechtsprechung des Gerichts bezüglich der Zulässigkeit der embryopathischen Indikation im Hinblick auf das Grundrecht des Embryos aus Art. 2 Abs. 2 GG keine grundsätzliche verfassungsdogmatische Kritik erfuhr, auch nicht von solcher Seite, die sich ein entschiedeneres Eintreten des Gerichts für den vorgeburtlichen Lebensschutz gewünscht hätte 248 . Soweit Kritik hinsichtlich der embryopathischen Indikation ge242
BVerfGE 88, 203 (204, 315 f.). Dies stellt die Bundesverfassungsrichterin Graßhof Mitglied des Zweiten Senats, in ihrem Beitrag in: Thomas/Kluth (Hrsg.), Das zumutbare Kind, S.289 (296) ausdrücklich klar. 244 Murswiek in: Sachs, GG, Art.2Rdnr. 215ff.; Starck, JZ 1993, 816ff. 245 Tröndle, NJW 1995, 3009 (3010ff.); R. Hofmann., Festschrift Sutor, S. 333ff. 246 Brugger, NJW 1986,896 (899) bzgl. der Entscheidung aus dem Jahre 1975; Scherzberg, DVB1.1999,356 (359 f., 366), der angesichts der Tatsache, daß sowohl das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als auch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG unter Gesetzesvorbehalt stehen, eine Abwägung der kollidierenden Grundrechte des nasciturus und der Frau für zulässig hält; Hermes/Walther, NJW 1993,2337 (2339ff.); Geiger/von Lampe, Jura 1994,20 (25), die hinsichtlich der embryopathischen Indikation eine „eingehendere Begründung" für wünschenswert gehalten hätten; Gropp, GA 1994, 147 (153ff.); Hartmann, NStZ 1993, 483ff.; Denninger, Festschrift Mahrenholz, S.561 (565 ff.); R. Hofmann, Festschrift Lobkowicz, S.311 (339ff.). 247 So z.B. aus feministischer Sicht: Raasch, Festschrift Mahrenholz, S.607ff. 248 Kluth, FamRZ 1993, 1382 (1388 Fn.48) sowie die Beiträge in: Thomas/Kluth (Hrsg.), Das zumutbare Kind; Belling , MedR 1995, 184 (188), der allerdings Einwände gegen die Rechtfertigungslösung erhebt. Anders jedoch noch Dürig in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 211 Rdnr. 24 hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 10 a des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (RGB1.I 1933, S. 146ff., § 10a eingefügt durch Gesetz zur Änderung 243
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äußert wurde, war diese rechtspolitischer Natur und machte die Befürchtung geltend, die Anerkennung der embryopathischen Indikation habe negative Auswirkungen auf die Akzeptanz Behinderter in unserer Gesellschaft. 249 Indes wird - nicht zwingend im Zusammenhang mit der Entscheidung aus dem Jahre 1993 - darauf hingewiesen, daß die embryopathische (eugenische) Indikation nur dann als Rechtfertigungsgrund in Betracht komme, wenn diese Indikationslage eng ausgelegt werd e 2 5 0 ; die Schädigung des Kindes als solche oder geringfügige Defekte oder Behinderungen kämen insoweit nicht in Betracht. 2 5 1 I n diesem Sinne ist auch die Entscheidung des Gerichts aus dem Jahre 1993 zu verstehen. 252
3. Exkurs: Die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts i m Hinblick auf die Pränataldiagnostik 253 und embryopathische Indikation Der Deutsche Bundestag hat nach umfangreichen Beratungen 2 5 4 mit dem Schwangeren· und Familienhilfeänderungsgesetz (SFÄndG) vom 21. August 1995 die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. M a i 1993 ergebenden Vordes Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 26. Juni 1935, RGBl. I 1935, S. 196), der die eugenische Indikation unter gewissen Voraussetzungen zuließ. Dürig hielt diese Vorschrift wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 19 II GG für nichtig. Indes können die Regelungen des Strafgesetzbuchs zur embryopathischen Indikation nicht mit denen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses gleichgestellt werden. Mit dem auf das nationalsozialistische Regime zurückgehenden Gesetz wurde das staatliche Interesse an der Verhütung sog. erbkranken Nachwuchses verfolgt. Dementsprechend waren sowohl die Rechtslage als auch die tatsächliche Ausführung des Gesetzes so gestaltet, daß Schwangerschaftsabbrüche (und Sterilisationen) - jedenfalls ganz überwiegend - aufgrund staatlicher Anordnungen und im staatlichen Interesse erfolgten, (hierzu aufschlußreich die Arbeit von Kramer, »Ein ehrenhafter Verzicht auf Nachkommenschaft«) Bei der heute in Rede stehenden embryopathischen Indikation handelt es sich indes um privates Handeln, das alleine unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten für die schwangere Frau als zulässig bzw. gerechtfertigt erachtet wird (vgl. hierzu die Begründung zu §218a Abs.2 und 3, BTDrucks. 13/1850, S.25). 249
So ζ. B. Tröndle in: Thomas/Kluth (Hrsg.), Das zumutbare Kind, S. 161 (167 Fn. 13); Spieker, in: Thomas/Kluth (Hrsg.), Das zumutbare Kind, S.317 (320); indes wird in späteren Stellungnahmen die Auffassung vertreten, angesichts der Regelung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG müsse auch die embryopathische Indikation eine neue verfassungsrechtliche Bewertung erfahren. Eingehend zu Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG 3. Kapitel. 250 So Stürner, JZ 1990,709 (722 Fn. 159); in diesem Sinne wohl auch Kluth, FamRZ 1993, 1382(1388). 251 Graf Vitzthum, Festschrift Dürig, S. 185 (195 Fn.36). 252 Siehe dazu VI, 2.c). 253 Gemeint ist mit diesem Begriff nur die Diagnose bei Vorliegen einer Schwangerschaft, nicht die Präimplantationsdiagnostik. 254 Zu den Reformvorschlägen zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils: Eser, JZ 1994, 503 ff.; zum Schwangeren- und Familienhilfegesetz von 1992: ders., NJW 1992, 2913 ff.; ein eingehender Überblick über die Gesetzesgeschichte findet sich bei Tröndle, NJW 1995, 3009, (3012f.).
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gaben umgesetzt.255 Ob der Gesetzgeber damit in Gänze den Vorgaben des Gerichts gerecht geworden ist 256 , soll an dieser Stelle nicht untersucht werden. Angesichts der nach der hier vertretenen Auffassung in vielerlei Hinsicht parallel gelagerten verfassungsrechtlichen Problematik der Pränataldiagnostik sowie der embryopathischen Indikation einerseits und der Präimplantationsdiagnostik andererseits, ist jedoch von Interesse, ob und inwieweit der Gesetzgeber die Pränataldiagnostik und die embryopathische Indikation geregelt hat. 257 Das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz sieht eine ausdrücklich normierte embryopathische Indikation 258 nicht mehr vor. Indes kann von einer Abschaffung der embryopathischen Indikation nur formal die Rede sein, da sie lediglich in die medizinisch-soziale Indikation verlagert wurde. 259 Nach § 218 a Abs. 2 StGB ist der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig, „wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann."
Nach dem Willen des Gesetzgebers260 und nach allgemeiner Auffassung 261 sind die Fälle der embryopathischen Indikation unter diese strafrechtliche Norm zu subsumieren, die nach allgemeiner Ansicht strafrechtsdogmatisch als Rechtfertigungsgrund einzuordnen 262 ist. Die Einordnung, man könnte auch sagen das „Verstecken" der embryopathischen Indikation in der medizinisch-sozialen Indikation ist indes nicht auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen, das, wie oben 263 ausgeführt wurde, die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer embryopa255 Zu den strafrechtlichen Neuregelungen: Otto, Jura 1996, 135 ff.; zu den Auswirkungen des SFHÄndG auf den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung: Schnelle, BKK 2/96, 78 (79ff.); siehe auch: Weiß GA 1995, 373 (377); zur sog. kindlichen Indikation: Hanack, Gedächtnisschrift Noll, S. 197ff.; Sachs, Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, JuS 1994, 69 ff. 256 „Verfassungsrechtlich bedenkliche Abweichungen von den Vorgaben des BVerfG" sieht beispielsweise Tröndle, NJW 1995, 3009 (3014); siehe auch Beckmann, MedR 1998, 155 (159 ff.) 257 Arzt- und standesrechtliche Fragen sowie Fragen der Finanzierung entsprechender Maßnahmen durch die Krankenkassen werden nicht daigestellt. 258 Nach § 218 a Abs. 2 Nr. 1 a. F. war ein Schwangerschaftsabbruch nicht strafbar, wenn nach ärztlicher Erkenntnis „dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, die so schwer wiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann." (embryopathische oder eugenische Indikation). 259 Beckmann, MedR 1998, 155. 260 BTDrucks. 13/1850, S.26. 261 Eser in: Schönke/Schröder, §218a Rdnr. 20, 26; Fischer in: Fischer/Tröndle, StGB, § 218 a Rdnr. 21 f. 262 Eser in: Schönke/Schröder, StGB, § 218 a Rdnr. 21. 263 VI. 2. b)
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
thischen Indikation grundsätzlich anerkannt hat. Kirchen und Behindertenverbände hatten im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens die Abschaffung der embryopathischen Indikation gefordert. Ausweislich des Berichts zum Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz 264 wurde von einer embryopathischen Indikation abgesehen, um dem Mißverständnis zu begegnen, die Rechtfertigung ergebe sich aus einer geringeren Achtung des Lebensrechts eines geschädigten Kindes. Die Regelung betreffend die embryopathische Indikation beruhe zwar seit jeher auf der Erwägung, daß sich in solchen Fällen eine unzumutbare Belastung für die Schwangere ergeben kann, durch die Formulierung der medizinischen Indikation in § 218 a Abs. 2 StGB könnten diese Fallkonstellationen indes aufgefangen werden. Damit werde klargestellt, daß eine Behinderung niemals zu einer Minderung des Lebensschutzes führen könne. 265 Mit der Einordnung unter die medizinische Indikation wurde die bisherige Fristenbindung der embryopathischen Indikation (22 Wochen) aufgegeben. 266 Es besteht keine Beratungspflicht 267, aber ein Beratungsanspruch nach § 2 Abs. 1 SFHÄndG. 268 Für die Feststellung der Indikation ist nach § 218 a Abs. 2 StGB die ärztliche Erkenntnis maßgeblich. Mit dieser Formulierung soll sichergestellt werden, daß die Prüfung der Indikationsvoraussetzungen sich nicht auf medizintechnische Daten beschränkt, sondern alle ärztlich bedeutsamen Faktoren, einschließlich des Wertes des ungeborenen Lebens, mitberücksichtigt. 269 Zulässigkeit und Grenzen pränatal-diagnostischer Maßnahmen sind durch das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz nicht geregelt worden. 270 264
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuß), BTDrucks. 13/1850. 265 BTDrucks. 13/1850, S.25f. Zweifelhaft ist indes, ob dieser vom Gesetzgeber gewählte Weg den Vorstellungen der Kirchen und Behindertenverbände gerecht wird, vgl. auch Beckmann, MedR 1998,155 f.; Hepp, Der Frauenarzt 1998,259 (260); Tröndle in: Fischer/Tröndle, StGB (Vorauflage), vor §218 Rdnr. 15 b spricht von ,,eine[r] unfaßbare[n] gesetzlichefn] Entscheidung". 266 Tröndle, NJW 1995, 3009 (3014); kritisch zur Abschaffung der Frist beim Schwangerschaftsabbruch aus embryopathischer Indikation, Helmke, ZRP 1995,441 f.; gegen eine Befristung des Schwangerschaftsabbruchs aus embryopathischer Indikation allerdings schon Hiersche/Jähnke, MDR 1986,1 ff.; für eine Abschaffung der 22-Wochen-Frist, jedoch unter Schaffung eines strengen Indikationenkatalogs für die Pränataldiagnostik: Cramer , ZRP 1992, 136 ff.; zur pränatalen Diagnostik und zur embryopathischen Indikation nach §218 a I I StGB а. F. Hochreuter, KritV 1996, S. 171 ff.; kritisch zu § 218 a l l a. F., der durch die Fortschritte der modernen Medizin überholt sei, Eberbach, JR 1989, 265 ff. 267 Ebensowenig bei der medizinischen und kriminologischen Indikation; dies, obwohl schon nach den Empfehlungen der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" vom 06.01.87, BTDrucks. 10/6775, S.XI die genetische Beratung verpflichtende Voraussetzung für eine pränatale Diagnostik sein sollte; siehe zur genetischen Beratung auch Kienle, Die prädiktive Medizin und gentechnische Methoden, S.98f. 268 Äußerst kritisch im Hinblick auf den Wegfall der Befristung und die fehlende Beratungspflicht: Tröndle in: Fischer/Tröndle, StGB (Vorauflage), §218aRdnr.9a. 269 Eser in: Schönke/Schröder, StGB, § 218 a Rdnr. 36. 270 Zur Regelung der genetischen Beratung und pränatalen Diagnostik allerdings schon die Empfehlungen der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" vom б.1.87, BTDrucks. 10/6775 S.XIf.; zu den ethischen Aspekten der Pränataldiagnostik: Lenard,
1. Kap.: Das Grundrecht auf Leben
109
4. Vergleichbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs aus embryopathischer Indikation mit der Präimplantationsdiagnostik Der folgende Abschnitt der Untersuchung widmet sich der Frage, ob und inwieweit die Wertungen des Verfassungsgerichts bezüglich der embryopathischen Indikation Aufschluß darüber geben können, welche verfassungsrechtlichen Grenzen die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1,1. Alt. GG dem Verfahren der Präimplantationsdiagnostik errichtet. 271 Es sei daher an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, daß der Gesetzgeber mit dem Embryonenschutzgesetz die Präimplantationsdiagnostik nicht gänzlich untersagt, diese vielmehr, sofern sie an Zellen nach dem Verlust der Totipotenz erfolgt, nicht grundsätzlich verboten ist. 272
a) Zur Präimplantationsdiagnostik an totipotenten Zellen im Sinne des § 8 Abs. 1 EschG Wie unter Teil II, 1. Kapitel festgestellt wurde, ist nach dem Embryonenschutzgesetz die Präimplantationsdiagnostik an totipotenten Zellen strafrechtlich untersagt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die totipotente Zelle als solche kein eigenständiger Grundrechtsträger. 273 Sie ist, solange sie nicht in eine Wirtszelle verbracht ist, als Bestandteil des Embryos zu betrachten, von dem sie abgespalten wurde. Insofern hat sie zwar teil am Grundrechtsschutz des (Gesamt-)Embryos. Sie genießt aber keinen eigenständigen Grundrechtsschutz. Insoweit erübrigt sich daher eine weitere verfassungsrechtliche Untersuchung.
b) Die Präimplantationsdiagnostik als das Lebensrecht des Embryos bedrohendes Verfahren Wie unter V. dieses Kapitels ausgeführt wurde, gefährdet oder vernichtet die Präimplantationsdiagnostik jedoch Embryonen, so daß insoweit auch eine staatliche EthikMed (1992) 4,111 ff.; Pritsche, MedR 1990,237 ff.; siehe auch Holz greve, Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 1993, 837 ff., der daraufhinweist, daß die Pränataldiagnostik insoweit der Lebenserhaltung diene, als sie zunehmend Schwangerschaftsabbrüche aus bloßer Angst bei anamnestischen oder spezifischen Schwangerschaftsrisiken verhindert; zu den problematischen Weiterungen der Pränataldiagnostik in zivilrechtlicher Hinsicht: Picker, Schadensersatz für das unerwünschte Kind („Wrongful birth"), AcP 195 (1995), S. 483 ff.; ders., Schadenshaftung für unerwünschte Nachkommenschaft („wrongful birth"). 271 Zur präjudiziellen Wirkung verfassungsgerichtlicher Urteile siehe nur: Alexy, Theorie der Grundrechte, S.504ff.; ders., Theorie der juristischen Argumentation, S. 337; Κ rie le, HStR Bd. V § 110, Rdnr. 29 ff. 272 Siehe hierzu Teil II, 1. Kapitel. 273 Siehe unter II. 2. dieses Kapitels.
110
3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1,1. Alt. GG besteht. Fraglich ist indes, ob der Gesetzgeber deshalb verpflichtet ist, das Verfahren zu untersagen oder ob - entsprechend den Wertungen des Verfassungsgerichts zur embryopathischen Indikation - nicht Ausnahmen denkbar sind, in denen von Verfassungs wegen ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik nicht geboten ist. 274 Anerkennt man, daß im Zusammenhang mit der Schwangerschaft die Rechte und Interessen der Frau unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu berücksichtigen sind, und im Falle der schweren Schädigung des Embryos es dem Gesetzgeber offen steht, einen Schwangerschaftsabbruch als gerechtfertigt anzusehen, so muß dies grundsätzlich auch für die Präimplantationsdiagnostik zur Vermeidung schwerer genetischer Schädigungen gelten. In der Regel sind Paare und Frauen an einer Präimplantationsdiagnostik interessiert, wenn ein bekanntes Risiko für eine schwere erbliche Erkrankung vorliegt. Häufig wird dieses Risiko erst dadurch bekannt geworden sein, daß die Frau schon ein krankes Kind zur Welt gebracht hat oder aber schon einen oder mehrere Schwangerschaftsabbrüche nach vorgeburtlicher Diagnostik hat vornehmen lassen.275 In diesen Fällen kann die Präimplantationsdiagnostik schlicht als vorgezogene Pränataldiagnostik angesehen werden. Ein Schwangerschaftsabbruch wegen der schwerwiegenden Schädigung des Kindes ist in solchen und vergleichbaren Fallkonstellationen eine verfassungsrechtlich zulässige und in der Realität häufigste Folge, sofern das Kind geschädigt ist. Die Schwangerschaft wird - mangels rechtlich zulässiger Alternativen - gleichsam „auf Probe" herbeigeführt. Ein Austragen des Embryos ist nur dann beabsichtigt, wenn die genetischen Tests einen negativen Befund hinsichtlich der befürchteten Erbkrankheiten aufweisen. Die bei der Präimplantationsdiagnostik als besonders verwerflich angesehene Tatsache, daß die künstliche Befruchtung mit dem Ziel der Verwerfung vorgenommen wird, findet also ihre Parallele in der Pränataldiagnostik, bei der die Schwangerschaft ebenso mit dem Ziel der Selektion vorgenommen wird, jedoch nur zeitlich verzögert. 276 Offensichtlich ist jedoch, daß die betroffene Frau bei einer Präimplantationsdiagnostik angesichts der Tatsache, daß der Embryo sich erst im Stadium eines Mehrzellers und in vitro befindet, gegenüber einem Schwangerschaftsabbruch nach erfolgter Pränataldiagnostik geringeren seelischen Belastung ausgesetzt ist. Eine geringere körperliche Belastung wird man demgegenüber nicht ohne weiteres behaupten können, denn die mit der Präimplantationsdiagnostik in der Regel verbundene künstliche Befruchtung ist für die Frau ein unangenehmer, schmerzvoller und auch gesundheitlich riskanter Ein274 Zu den ethisch-moralischen Vorbehalten gegen die Präimplantationsdiagnostik: Netzer, EthikMed (1998) 10, S. 138ff.; Düwell, EthikMed (1999) 11, S.4ff.; Mieth, EthikMed (1999) 11, S.77ff. 275 So ζ. B. der von der Ethikkommission der Medizinischen Universität zu Lübeck entschiedene Fall, Aktenzeichen 84/95, der auch für Aufsehen in der Öffentlichkeit gesorgt hatte. In diesem Fall hatte die Frau schon zwei Schwangerschaftsabbrüche nach pränataler Diagnostik hinter sich gebracht, Stellungnahme der Kommission, S.4. 276 So auch die Ethikkommission der Medizinischen Universität zu Lübeck, Aktenzeichen 84/95, S. 5.
1. Kap.: Das Grundrecht auf Leben
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griff, der erhebliche hormonelle Belastungen mit sich bringt. 277 Es ist also festzustellen, daß ein kategorisches Verbot der Präimplantationsdiagnostik zu einer Belastung der für ein solches Verfahren in Betracht kommenden Frau mit einem Schwangerschaftsabbruch führt, will sie nicht ganz auf Kinder verzichten oder das Risiko der Geburt eines behinderten Kindes auf sich nehmen.278 Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten erscheint es daher im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. GG auch verfassungsrechtlich zulässig, in den Fällen, in denen eine Pränataldiagnostik mit anschließendem Schwangerschaftsabbruch zulässig wäre, eine Präimplantationsdiagnostik zuzulassen.279 Dem steht nicht entgegen, daß bei einem Schwangerschaftsabbruch aus embryopathischer Indikation schon eine Schwangerschaft vorliegt, mit der Präimplantationsdiagnostik aber erst die Herbeiführung einer Schwangerschaft mit einem nicht genetisch belasteten Embryo intendiert ist oder anders ausgedrückt, der Arzt bei der Pränataldiagnostik auf einen Zustand „in vivo" reagiert, wohingegen er bei der Präimplantationsdiagnostik in vitro agiert. 280 Für die Frage des Umfangs der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erwachsenden Schutzpflicht ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt agiert wird, nur insoweit erheblich, als dies bei der Frage nach Schutzpflichten wegen Grundrechtsgefährdungen zu berücksichtigen ist. 281 Allerdings greift ein Erst-recht-Schluß dahingehend, daß die Präimplantationsdiagnostik erst recht erlaubt sein müsse, wenn die Pränataldiagnostik mit nachfolgendem Schwangerschaftsabbruch zulässig sei, zu kurz. Der extrakorporal verfügbare Embryo ist erheblich größeren Gefahren der Manipulation ausgesetzt als der Embryo in vivo. Auch ist die Präimplantationsdiagnostik nicht etwa deswegen geringeren verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, weil der Embryo in einem früheren Entwicklungsstadium vernichtet wird als bei der Pränataldiagnostik mit nachfolgendem Schwangerschaftsabbruch. Wie oben 282 ausgeführt wurde, ist der Embryo in jedem Entwicklungsstadium gleich schutzwürdig, ein abgestufter Lebensschutz ist nicht anzuerkennen. Ein „Weniger" an Grundrechtsgefährdung kann daher bei der Präimplantationsdiagnostik gegenüber der Pränataldiagnostik mit nachfolgendem Schwangerschaftsabbruch nicht angenommen werden. Im Hinblick 277 Es ist jedoch zu beachten, daß ein Schwangerschaftsabbruch u.U. lebensbedrohlich sein oder die Folge der Unfruchtbarkeit haben kann, Bericht der Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz y Präimplantationsdiagnostik, S.66. 278 Ähnlich argumentiert auch Schmidt y Rechtliche Aspekte der Genomanalyse, S. 157 f., die indes „mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG" eine Beschränkung der Präimplantationsdiagnostik auf Fälle der Fertilitätsstörungen für erforderlich hält; zu den die Frau insbesondere psychisch belastenden Aspekten des Schwangerschaftsabbruchs siehe Petersen Schwangerschaftsabbruch - unser Bewußtsein vom Tod im Leben; ders. aber auch kritisch zu In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie insgesamt in: Der Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.), In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, S.55ff. 279 So auch: Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, S. 52, 56. 280 So aber Ratzell H einemanny MedR 1997, 540 (541). 281 Siehe hierzu V.2. dieses Kapitels. 282 Siehe unter I. dieses Kapitels.
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
auf das Grundrecht des Embryos aus Art. 2 Abs. 2 S. 2, 1. Alt. GG erlaubt im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik allein der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit eine Berücksichtigung der Grundrechte der Frau. Die Präimplantationsdiagnostik kann daher - ebenso wie die embryopathische Indikation 283 - nur für medizinische Fragestellungen im engeren Sinne in Betracht kommen. Einem Mißbrauch im Sinne der Auswahl eines Wunschkindes wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen entgegenzutreten.284 Mit diesem Befund ist indes keine Aussage darüber getroffen, ob und inwieweit der Gesetzgeber im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. GG befugt ist, die Präimplantationsdiagnostik zu untersagen. Wie oben 285 ausgeführt wurde, hat der Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum. Es obliegt daher grundsätzlich der Legislative, eine Einschätzung der Risiken und Mißbrauchsmöglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik vorzunehmen und entsprechende gesetzliche Regelungen zu schaffen. Bei einer gesetzgeberischen Abwägung wird der Normgeber insbesondere die Tatsache zu berücksichtigen haben, daß die Möglichkeit besteht, daß Embryonen mit zunehmendem Wissen über das menschliche Genom auch auf solche Merkmale getestet werden könnten, die keinen Krankheitswert besitzen.286 Andererseits wird er jedoch auch ins Kalkül zu ziehen haben, daß die Belastungen durch eine künstliche Befruchtung einen genauso sicheren Schutzwall vor Mißbräuchen bieten wie die Belastungen eines Schwangerschaftsabbruchs. 287 Entscheidet sich der Gesetzgeber für ein Lebensschutzkonzept, in dem er zwar den Schwangerschaftsabbruch aus embryopathischer Indikation zuläßt, die Präimplantationsdiagnostik demgegenüber untersagt, besteht insoweit auch kein Wertungswiderspruch 288, der unter Umständen im Rahmen des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG geltend gemacht werden könnte. Schon die erheblich größere Gefährdung des extrakorporalen Embryos und 283
Ob und inwieweit in der Praxis die Pränataldiagnostik und embryopathische Indikation über das verfassungsrechtlich zulässige Maß angewendet werden und ob nicht Zugangsbeschränkungen zur Pränataldiagnostik auch verfassungsrechtlich geboten sind, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht werden. Siehe zu diesem Problem Cramer , ZRP 1992,136 (139), der dafür plädiert, den Zugang zur Pränataldiagnostik durch eine strenge Indikationsregelung zu beschränken. 284 So i. E. auch Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.), In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie (sog. Benda-Bericht), Gliederungspunkt 3.1.3, S.40, siehe hierzu Teil II. 2. Kapitel, II.; Hepp y Der Frauenarzt, 1998, 259 (260f.). 285 Siehe VI., 1. und 2. dieses Kapitels. 286 Eine Auseinandersetzung mit diesem Risiko findet sich bei Νetzer, EthikMed (1998) 10, 138 (145 ff.). 287 So auch Netzen EthikMed (1998), 10,138 (147). 288 Zur Diskussion um einen solchen Wertungswiderspruch vgl. Eser y Forschung mit Embryonen in rechts vergleichender und rechtspolitischer Sicht, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik - Strafrechtliche Schranken?, S. 290ff.; Keller in: Keller/ Günther/Kaiser, ESchG, § 8 Rdnr. 9; Hepp y Der Frauenarzt 1997,389 f.; Würfel, Der Frauenarzt 1998,256ff.; Hepp, Der Frauenarzt 1998,259ff.
2. Kap.: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit
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die Möglichkeiten des Mißbrauchs bei der künstlichen Befruchtung erlauben unterschiedliche Wertungen im Zusammenhang mit dem vorgeburtlichen Lebensschutz.
VII. Zusammenfassung des 1. Kapitels Der extrakorporale Embryo steht ab dem Zeitpunkt der Konjugation unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 2 S. 1,1. Alt. GG. Zum Schutz gegen die im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik bestehenden Bedrohungen des Lebensrechts des Embryos durch die Diagnose und die Verwerfung bei genetischer Belastung besteht eine staatliche Schutzpflicht. Eine eigenständige Schutzpflicht besteht indes nicht zum Schutz der zu Diagnosezwecken abgespaltenen totipotenten Zelle, jedenfalls solange diese nicht in eine Wirtszelle verbracht ist. Bei der Erfüllung der Schutzpflicht kommt dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Die Schutzpflicht geht nicht so weit, daß unter allen Umständen ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik geboten ist. Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten mit Rücksicht auf die Rechte und Interessen betroffener Frauen ist es verfassungsrechtlich zulässig, die Präimplantationsdiagnostik für die Fälle nicht zu untersagen, in denen auch ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund embryopathischer Indikation verfassungsrechtlich zulässig wäre. 289
2. Kapitel
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistet neben dem Recht auf Leben das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Auch im Hinblick auf dieses Grundrecht könnten im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik staatliche Schutzpflichten bestehen.
I. Der sachliche Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG Schutzgut des Art. 2 Abs. 2 S. 1,2. Alt. GG ist die körperliche Unversehrtheit. Darunter fällt einerseits die Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne, andererseits aber auch, wie der Begriff „Unversehrtheit" nahelegt, die körperliche Integrität unabhängig von der Zufügung körperlicher und seelischer Schmerzen. 290 Kör289
Zur konkreten Ausgestaltung der Schutzpflicht siehe Teil III, 5. Kapitel. 290 Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 16; Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 148; Podlech in AK, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 27; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 18; Dürig 8 Giwer
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
perlichkeit in diesem Sinne hat auch die befruchtete Eizelle. 291 Demgegenüber wird eingewandt, ein Anspruch auf körperliche Unversehrtheit scheide bei einer extrakorporalen Existenz sachlogisch aus, weil es an einer schutzwürdigen körperlichen Gestalt fehle. 292 Geht man mit der in Teil III, 1. Kapitel, I. vertretenen Auffassung davon aus, daß auch der extrakorporale Embryo ein grundrechtlich geschütztes menschliches Wesen ist, so ist es folgerichtig, diesem auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit zuzugestehen. Das Erscheinungsbild des Embryos ist dessen menschliche Gestalt in den ersten Lebenstagen. Dem steht nicht entgegen, daß der Embryo in diesem Stadium nach derzeitigem Erkenntnisstand keine Schmerzen empfindet. Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG schützt vor jeder Veränderung der körperlichen Substanz, unabhängig davon, ob diese mit Schmerzen verbunden ist oder nicht. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gilt nicht nur hinsichtlich solcher Beeinträchtigungen, die beim geborenen Menschen fortwirken, sondern auch hinsichtlich solcher, die keine erkennbaren Folgen für den geborenen Menschen haben. Darüber hinaus gilt es auch für die Embryonen, die bei der Präimplantationsdiagnostik verworfen werden, also nie eine reale Lebenschance erhalten. Ebenso wie das Lebensrecht setzt der Schutz der körperlichen Unversehrtheit mit der Existenz des Menschen ein. Auch für solche Embryonen ist die Körperlichkeit reale Basis der menschlichen Existenz.293
II. Der personelle Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG Der extrakorporale Embryo ist auch Träger des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. 294 Wegen des engen dogmatischen und systematischen Zusammenhangs des Grundrechts auf Leben und des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit ist davon auszugehen, daß die jeweiligen personellen Schutzbereiche deckungsin: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 30 teilte das Grundrecht in vier Teilrechte auf, nämlich das Recht auf Freiheit von Unfruchtbarkeit, das Recht auf Freiheit von Verletzung der körperlichen Gesundheit, das Recht auf Freiheit von Schmerzen sowie das Recht auf Freiheit von Verunstaltung. Letzteres greift insoweit zu kurz, als die Frage, ob ein Eingriff in die Beschaffenheit des Körpers verunstaltend ist, nur anhand subjektiver Kriterien beantwortet werden kann. Daher ist davon auszugehen, daß ein Eingriff in die körperliche Integrität in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG fällt, unabhängig von der Frage nach der verunstaltenden Wirkung. Ob auch die Gesundheit im geistig-seelischen Bereich vom Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit erfaßt ist, ist umstritten (siehe dazu Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 149; Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 18 m. w. N.), kann jedoch im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben. 291
Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 20; Kunig in: von Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rdnr. 61. Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 24. 293 Vgl. Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 21. 294 Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 179; Dürig in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 4; offenlassend: Podlech in: AK, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 28. 292
2. Kap.: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit
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295
gleich sind. Insoweit wird auf die Ausführung in Teil III, 1. Kapitel, II. verwiesen. Wegen der in Teil III, 1. Kapitel, II. 2. dargelegten Gründe ist die totipotente Zelle nicht als eigenständiger Grundrechtsträger des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit anzusehen.
III. Beeinträchtigung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit durch die Präimplantationsdiagnostik Bei der Diagnose werden dem Embryo eine oder mehrere Zellen entnommen. Damit wird in die Beschaffenheit der Körpersubstanz eingegriffen, so daß insoweit das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit betroffen ist. Dies gilt, wie dargelegt, obwohl nach derzeitigem Erkenntnisstand der Embryo dabei keine Schmerzen empfindet. Darüber hinaus wird vermutet, daß die Zellentnahme zu Entwicklungsverzögerungen beim Embryo führt, die allerdings keinen Einfluß auf die langfristige Entwicklung des Embryos haben.296 Soweit es zu solchen Entwicklungsverzögerungen kommt, ist der Embryo durch die Präimplantationsdiagnostik in seiner Gesundheit betroffen; denn auch das ungehinderte Wachstum ist Bestandteil menschlicher Gesundheit. Auch insoweit ist der Embryo also in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt. Es kann durch die Diagnose auch zu sonstigen Schädigungen des Embryos kommen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist davon auszugehen, daß der Embryo sich normal weiterentwickelt oder aber es infolge der Schädigung zum Wachstumsstillstand des Embryos kommt (mit der Folge des Verwerfens). 297 Soweit es zum Wachstumsstillstand kommt, ist das Grundrecht auf Leben betroffen. 298 Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit tritt insoweit zurück. 299 Sonstige Schädigungen sind ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Die aufgezeigten Beeinträchtigungen sind von geringer Intensität, da sie weder auf die Entwicklung des Embryos noch auf die Gestalt und Gesundheit des geborenen Menschen Auswirkungen haben. In der Rechtsprechung ist die Auffassung vertreten worden, daß ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1,2. Alt. 295
Lorenz, HStR Bd. VI, § 128 Rdnr. 19. Teil I, 2. Kapitel; hierzu auch Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S. 22 ff. 297 Siehe Teil I, 2. Kapitel, I; Kollek, Voraussetzungen und Implikationen der Präimplantationsdiagnostik, S.23. 298 Siehe dazu Teil III, 1. Kapitel, V.2. 299 Auch durch die Kryokonservierung könnte das Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt sein, da die Vermutung aufgestellt wird, sie könne chromosomale Veränderungen hervorrufen, siehe hierzu Teil 1,2. Kapitel, I; Günther, MedR 1990,161 (166). Die Frage nach der Zulässigkeit der Kryokonservierung stellt sich indes nicht nur bei der Präimplantationsdiagnostik, sondern grundsätzlich im Zusammenhang mit Fragen der künstlichen Befruchtung und bedürfte daher einer eigenständigen Untersuchung. Insoweit wird in dieser Arbeit von einer abschließenden Stellungnahme abgesehen. Siehe auch Teil III, 1. Kapitel, V.2. 296
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
GG dann nicht anzunehmen ist, wenn die Körpersphäre nur geringfügig und damit zumutbar betroffen ist. 300 Gegen eine solche Sichtweise sind grundsätzliche Bedenken ins Feld zu führen. Nach anerkannter grundrechtlicher Dogmatik liegt in jeder Verkürzung des Schutzbereichs eines Grundrechts ein Eingriff. Die Intensität des Eingriffs ist im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs zu erörtern. Allein bloße Bagatellen oder alltägliche Lästigkeiten, die ohne Substanzverletzung das körperliche Wohlbefinden beeinträchtigen, wie beispielsweise das Tönen einer Feuerwehrsirene, das bei empfindlichen Menschen kurzfristig Schmerzen hervorrufen kann, sind schon aus dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1,2. Alt. GG auszugrenzen. 301 Eine Qualifizierung der Diagnose als bloße Bagatelle ist angesichts des Eingriffs in die körperliche Substanz ausgeschlossen.
IV. Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG als Grundlage einer staatlichen Schutzpflicht Die Beeinträchtigung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit droht indes nicht vom Staat, sondern von Privatpersonen, so daß sich die Frage stellt, ob Art. 2 Abs. 2 S. 1,2. Alt. GG ein Handlungsgebot an den Staat und seine Organe enthält, das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß das Recht auf körperliche Unversehrtheit staatliche Schutzpflichten begründen kann. Das Gericht formuliert seine Schutzpflichtenjudikatur zwar allgemein, nahm aber überwiegend Fälle zum Anlaß, bei denen es um Schutz vor Gefährdungen der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit ging. 302 Der überwiegende Teil der Literatur ist der Verfassungsrechtsprechung gefolgt und anerkennt die Existenz staatlicher Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1,2. Alt. GG. 3 0 3 Bei der Frage nach staatlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG gelten die in Teil III, 1. Kapitel, IV. zum Grundrecht auf Leben aufgestellten Grundsätze entsprechend. Dafür spricht der enge dogmatische und systematische Zusammenhang der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit ist eine Vorstufe des Lebensschutzes. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit hat ebenso wie das Grundrecht auf Leben einen 300
BVerfGE 17, 108 (115)-Himstrommessung; BVerwGE 46, 1 (7) - Haarerlaß. Kunig in: von Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rdnr. 65f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 395; Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 66; allgemein zur Geringfügigkeit: Sachs in: Stern, Staatsrecht III/2, S.207. 302 BVerfGE 56, 54 (78); 77,170 (214) m.w.N.; 85, 191 (212); 87, 363 (386). 303 Lorenz, HStR Bd. VI, § 128, Rdnr.44; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art.2II Rdnr. 211; Podlech in: AK, GG, Art. 2 I I Rdnr. 8; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 2 I I Rdnr. 47; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 406. 301
2. Kap.: Das Recht auf köperliche Unversehrtheit
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objektiv-rechtlichen Gehalt, aus dem die Verpflichtung des Staates erwächst, Schutz gegen Gefahren und Beeinträchtigungen durch Dritte zu gewähren. 304 Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG begründet mithin eine grundsätzliche staatliche Schutzpflicht.
V. Die Reichweite der Schutzpflicht Die Reichweite der Schutzpflicht ist ebenfalls nach den zum Recht auf Leben aufgestellten Grundsätzen zu bestimmen.305 Dem Gesetzgeber kommt danach bei der Erfüllung der Schutzpflicht ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Er hat beim Schutz gegen Angriffe Dritter auch deren Abwehrrecht zu berücksichtigen und mit dem konkurrierenden Schutzbedürfnis des Opfers in Ausgleich zu bringen. Dabei hat er das Untermaßverbot zu beachten, wonach ein Mindestmaß an effektivem Grundrechtsschutz gewährleistet sein muß und gegenläufige Interessen und Rechtsgüter nicht überbewertet werden dürfen. Beim Recht auf körperliche Unversehrtheit ist zu beachten, daß diesbezüglich die Schutzpflicht grundsätzlich tendenziell schwächer ist, da Grundrechtsverletzungen nicht von derselben Endgültigkeit sein müssen wie beim Recht auf Leben. 306 Gegen einen schwächeren Schutz streiten allerdings im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik die folgenden Überlegungen: Derzeit ist es noch nicht möglich, den Embryo in diesem frühen Stadium von dem befürchteten erblich bedingten Leiden zu heilen. Alleiniges Ziel der Diagnose ist es daher, festzustellen, ob eine Erbkrankheit zu erwarten ist (und den Embryo ggf. zu verwerfen). Ein darüber hinausgehendes schutzwürdiges Interesse an einer Diagnose besteht bei der Präimplantationsdiagnostik nicht. Insbesondere ist die Präimplantationsdiagnose insoweit nicht mit der herkömmlichen Pränataldiagnostik vergleichbar. Bei letzterer kann die Diagnose auch insoweit lebenserhaltend wirken, als sie einerseits bei negativem genetischem Befund dazu beitragen kann, „prophylaktische" Schwangerschaftsabbrüche, die aufgrund unsicherer Diagnose erfolgen, zu verhindern, andererseits nicht auszuschließen ist, daß betroffene Frauen, bei denen eine Behinderung des Embryos diagnostiziert wird, sich für ein Austragen der Schwangerschaft entscheiden und es als hilfreich empfinden, sich schon frühzeitig auf die Geburt eines behinderten Kindes einzustellen. Diese auf eine Lebenserhaltung gerichteten Interessen an einer Diagnose sind bei einer Präimplantationsdiagnose nicht gegeben.307 Ein Paar bzw. 304
Vgl. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 II Rdnr. 211. Siehe Teil III, 1. Kapitel, VI. 306 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 406; Podlech in: AK, GG, Art. 2II, Rdnr. 8. 307 Es sei an dieser Stelle klaigestellt, daß bei der im Zusammenhang mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit zu erfolgenden Abwägung allein auf den Vorgang der Diagnose abzustellen ist, die mit der Diagnose verfolgten Ziele allerdings zu berücksichtigen sind. Maßnahmen nach erfolgter Diagnose, also das Verwerfen des Embryos bzw. der Schwangerschaftsabbruch sind allein am Recht auf Leben zu messen. Die Pränataldiagnostik (ggf. mit nachfolgendem Schwangerschaftsabbruch) und die Präimplantationsdiagnostik unterscheiden sich inso305
118
3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
eine Frau, die sich für ein solches Verfahren entscheidet und entsprechende Belastungen auf sich nimmt, tut dies gerade aus dem Grund, die Geburt eines Kindes mit der befürchteten Behinderung zu verhindern. Im Rahmen der Abwägung sind daher die zum Recht auf Leben aufgestellten Grundsätze zu übernehmen. 308 Eine Diagnose ist damit auch im Hinblick auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit nur in den Fällen gerechtfertigt, in denen diese auf Feststellung einer Behinderung gerichtet ist, die im Falle einer Schwangerschaft einen Schwangerschaftsabbruch aus embryopathischer Indikation rechtfertigen würde.
VI. Zusammenfassung des 2. Kapitels Für das Recht auf körperliche Unversehrtheit des extrakorporalen Embryos gelten die in Kapitel 1. zum Recht auf Leben aufgestellten Grundsätze entsprechend. Der extrakorporale Embryo ist Träger des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG, nicht indes die zu Diagnosezwecken abgespaltene totipotente Zelle, jedenfalls solange diese nicht zur Weiterentwicklung in eine Wirtszelle verbracht worden ist. Gegen Beeinträchtigungen des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit durch die Diagnose besteht eine staatliche Schutzpflicht. Die Schutzpflicht gebietet es, die Diagnose zu untersagen, es sei denn, es sollen solche Krankheiten diagnostiziert werden, bei denen ein Schwangerschaftsabbruch aus embryopathischer Indikation zulässig wäre.
weit voneinander, als eine Präimplantationsdiagnostik (jedenfalls in der derzeitigen Praxis) gezielt auf die Diagnostik einer Erbkrankheit gerichtet ist und im Falle des positiven Befundes der Embryo verworfen wird. Dies ist bei diagnostischen Maßnahmen während einer bestehenden Schwangerschaft nicht zwangsläufig der Fall, da diese es zunehmend ermöglichen, operativ schon vor der Geburt oder unmittelbar danach einzugreifen. Anders ausgedrückt: Bei positivem genetischen Befund führt die Präimplantationsdiagnostik derzeit zwangsläufig zum Tod des Embryos, nicht aber die Diagnose während einer bestehenden Schwangerschaft. Im Rahmen der Abwägung beim Recht auf Leben wurde nicht etwa eine Parallele zur PränataIdiagnostik y sondern zum Schwangerschaftsabbruch aus embryopathischer Indikation gezogen. Im Zusammenhang mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit ist indes auf die diagnostische Maßnahme selbst abzustellen, da durch sie in das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen wird. 308 Siehe 1. Kapitel, VI.
3. Kap.: Das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung
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3. Kapitel
Das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Mit der Verfassungsreform von 1994 309 hat der Gesetzgeber den Katalog der Diskriminierungsverbote um ein Grundrecht für Behinderte erweitert. Nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Das abwehrrechtliche Diskriminierungsverbot wurde eingefügt, um verbesserte Lebensbedingungen für Behinderte durchzusetzen und Diskriminierungen durch Privatpersonen entgegenzuwirken. 310 Es ist daher zu untersuchen, ob und inwieweit aufgrund dieser Norm eine von den vorangegangenen Ausführungen abweichende verfassungsrechtliche Bewertung der Präimplantationsdiagnostik geboten ist.
I. Der Gewährleistungsbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG 1. Der Begriff der Behinderung Was unter dem Verfassungsbegriff der Behinderung zu verstehen ist, ist im Grundgesetz nicht definiert und auch den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. 311 Es handelt sich um einen normativen Begriff, der keinen eindeutigen vorrechtlichen Bedeutungsgehalt aufweist. Eine abschließende verfassungsgerichtliche Definition liegt noch nicht vor. In seinem Beschluß zur Benachteiligung Behinderter im Schulwesen vom 8.10.1997 hat das Verfassungsgericht die Definition des § 3 309
Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994, BGBl. 1994 1, S. 3146ff.; Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ist die einzige Grundgesetzänderung, die ohne Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission in die Verfassungsreform eingegangen ist (Zusammenfassung der Ergebnisse der Verfassungskommission bei Röhn/Sannwald, ZRP 1994, 65ff.; Jahn, DVB1.1994,177 ff.; zur Reform des Grundgesetzes: Sannwald, NJW 1994,3313ff.; Vogel, DVB1. 1994, 497 ff.); siehe zur Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 3 S.2 GG: Sachs, RdJB 2/96, 154 (155 ff.), Herdegen, Der Diskriminierungsschutz für Behinderte im Grundgesetz, S. 15 ff.; Scholz in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 173; Jürgens, G., ZfSH/ SGB 1995, 353 (354ff.); Jürgens , Λ., DVB1. 1997,410 (410f.); rechtspolitische Stellungnahmen im Vorfeld der Grundgesetzänderung: Herdegen, VSSR 1992, 245ff.; Jürgens , Α., ZRP 1993, 129 ff. 310 BTDrucks. 12/8165, 28 f.; Kimms/Schlünder, Verfassungsrecht, § 19 Rdnr. 52; siehe zu Diskriminierungen von Seiten Privater beispielsweise aus der Rechtsprechung AG Frankfurt, NJW 1980,1965; LG Frankfurt NJW 1980,1169f. mit BesprechungBrox, NJW 1980,1939f.; Scholler, JZ 1980, 672 ff. mit dem Vorschlag, ein Diskriminierungsverbot Behinderter einzuführen (S. 677); AG Flensburg, NJW 1993,272 zur Störung durch Behinderte als Reisemangel; jüngst: OLG Köln, NJW 1998,763 ff. sog. „Kölner Behindertenurteil"; kritisch zu dem Urteil: Lachwitz, NJW 1998, 881 ff. 311 Vgl. BTDrucks. 12/6000, S.52f.; 12/6323, S. 11 f.; 12/8165, S.28f.
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
Abs. 1 S. 1 SchwbG übernommen, wonach Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung ist, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Indes hat das Gericht offengelassen, ob damit das Merkmal der Behinderung abschließend bestimmt ist. 312 Entstehungsgeschichtlich liegt es in der Tat nahe, an das zum Zeitpunkt der Verfassungsänderung gebräuchliche Begriffsverständnis anzuknüpfen. 313 Seit Mitte 1986 enthält § 3 Abs. 1 SchwbG die vom Gericht übernommene verallgemeinerungsfähige Definition des Begriffs der Behinderung. Auch der Dritte Bericht der Bundesregierung über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation vom 24.03.94 knüpft an dieses Verständnis an. Diese Begriffsbestimmung lehnt sich an den dreistufigen Behindertenbegriff der Weltgesundheitsorganisation an, der auf Schaden, funktioneller Beeinträchtigung und (sozialer) Behinderung aufbaut. 314 Ungeklärt ist bislang, inwieweit auch leichtere Behinderungen unter den Behindertenbegriff des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG zu subsumieren sind. 315 Eine Beschränkung auf Schwerbehinderte (vgl. § 1 SchwbG) wird überwiegend abgelehnt.316 Abgrenzungsschwierigkeiten zeichnen sich auch bei der Differenzierung zwischen chronisch Kranken und Behinderten ab. 317 Der Grund der Behinderung ist grundsätzlich unerheblich, die Behinderung kann folglich auf Geburt oder Vererbung, Unfall oder Krankheit beruhen. 318 Ungeklärt ist jedoch, ob und inwieweit auch altersbedingte Behinderungen 319 unter den Verfassungsbegriff der Behinderung fallen. 320 Da eine Präimplantationsdiagnostik schon im Hinblick auf die Grundrechte des Embryos auf Leben und körperliche Unversehrtheit 321, allein zur Feststellung 312
BVerfGE 96, 288 (301); so auch die Literatur: Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 384; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 121; Scholz in: Maunz/Dürig/ Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 176; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rdnr. 870; siehe auch Sachs, RdJB 2/96,154 (163); Jürgens, G., ZfSH/SGB 1995, 353 (358). 313 So auch BVerfGE 96, 288 (301). 314 BTDrucks. 12/7148, S.2. 315 Hierzu Scholz in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 176; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 385. 316 Rüfner in BK, GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rdnr. 871; Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 310; Heun in Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 121; Herdegen, Der Diskriminierungsschutz für Behinderte im Grundgesetz, S.25; Jürgens, G., ZfSH/SGB, 1995,353 (359); einengend Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rdnr. 80 auf Schwerbehinderte und vergleichbar beeinträchtigte Personen, ebenso Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 3 Rdnr. 42 a. 317 Hierzu Scholz in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 176; Herdegen, Der Diskriminierungsschutz für Behinderte im Grundgesetz, S. 19 Fn.48, der in diesem Zusammenhang auf die Problematik der AIDS-Erkrankung hinweist sowie ders., a. a. O. S. 25. 318 Rüfner in BK, GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rdnr. 871 ; Herdegen, Der Diskriminierungsschutz für Behinderte im Grundgesetz, S.24. 319 Die meisten Behinderungen (75 %) sind altersbedingt und fallen in die Altersgruppe ab 60 Jahren. 10% der Behinderungen gelten als angeboren (Angaben der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie", BTDrucks. 10/6775, S. 150). Von den angeborenen Behinderungen ist nur ein Teil auf genetische Ursachen zurückzuführen. 320 Hierzu Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3, Rdnr. 310. 321 Siehe Teil III, 1. und 2. Kapitel.
3. Kap.: Das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung
121
schwerwiegender Behinderungen in Betracht kommt, kann es dahinstehen, ob der Behindertenbegriff des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auch leichtere Behinderungen erfaßt. Die im Wege der Präimplantationsdiagnostik zu verhindernden Behinderungen unterfallen jedenfalls dem Behindertenbegriff des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. Eine Subsumtion unter den Behindertenbegriff des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG könnte jedoch insofern problematisch sein, als bei der Präimplantationsdiagnostik nicht eine gegenwärtige, sondern eine künftige Behinderung festgestellt wird. Die Embryonen leiden trotz der chromosomalen oder genetischen Störung zum Zeitpunkt der Diagnose nicht an einer Funktionsbeeinträchtigung, die sie etwa an der Weiterentwicklung hindern würde. 322 Vielmehr handelt es sich bei den mit der Präimplantationsdiagnostik festzustellenden Störungen um solche, die eine Weiterentwicklung zulassen, jedoch - entweder schon im Mutterleib oder aber auch zu einem späteren Zeitpunkt - den Ausbruch einer Behinderung mit sich bringen. Indes muß der Schutz des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auch dann eingreifen, wenn eine Behinderung droht. Dafür spricht die Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. Das geltende Recht bezog schon vor der Grundgesetzänderung den in die Regelungen zugunsten Behinderter ein, dem eine Behinderung drohte (§ 10 SGB I). Wie oben unter 1.1. ausgeführt wurde, ist davon auszugehen, daß der Verfassunggeber an die bisherigen einfachgesetzlichen Begrifflichkeiten anknüpfen wollte. 323 Daher fallen auch genetisch oder chromosomal geschädigte Präimplantationsembryonen in den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. 2. Grundrechtsträgerschaft Bevor der Inhalt des Benachteiligungsverbots weiter untersucht wird, ist zunächst die Frage der Grundrechtsträgerschaft zu klären. Nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG darf „niemand" wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Dies entspricht als negative Wendung der Formulierung „alle Menschen" des Art. 3 Abs. 1 GG. Grundrechtsträger des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG sind damit alle natürlichen Personen. 324 a) Die Grundrechtsträgerschaft
des Embryos
Fraglich ist allerdings, ob auch der Embryo in den persönlichen Anwendungsbereich des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG fällt. Zu der Frage, ob der Embryo als Grundrechtsträger anderer Grundrechte als des Rechts auf Leben und körperli322 Soweit solche Störungen vorliegen, entwickelt sich der Embryo nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht weiterund stirbt ab, vergi. Teil 12. Kapitel. Solche Störungen sollen jedoch mit der Präimplantationsdiagnostik nicht verhindert werden. Vielmehr kommen insoweit nur Krankheiten in Betracht, die eine Entwicklung des Embryos zulassen. 323 So ausdrücklich: Rüfner in: BK, GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rdnr. 878; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 385. 324 Gubelt in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 94; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rdnr. 107.
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
che Unversehrtheit, insbesondere als Grundrechtsträger des Benachteiligungsverbots für Behinderte, in Betracht kommt, finden sich nur vereinzelt Stellungnahmen in der Literatur. 325 Rechtsprechung liegt zu dieser Frage bislang nicht vor. Angesichts der Entwicklungstendenz der Pränatalsmedizin und der Humangenetik hin zu einer prädiktiven Medizin, die nicht auf die Heilung, sondern auf das Verhindern von Krankheiten bzw. schon auf die Verhinderung kranken Lebens gerichtet ist, erscheint eine Beschränkung der Grundrechtsträgerschaft auf nachgeburtliches Leben nicht hinreichend schutzintensiv. Auch der Embryo ist daher Grundrechtsträger des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. Dagegen spricht auch nicht die Tatsache, daß der Verfassunggeber mit Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG die Integration geborener Behinderter fördern wollte. 326 Entstehungsgeschichtlich läßt sich eine Beschränkung auf geborene Behinderte nicht nachweisen. Die Differenzierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG sind historisch in erster Linie als Reaktion auf die Verfolgungen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes entstanden.327 Mit Einführung des Benachteiligungsverbots des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG wurden die Behinderten als Gruppe, die ebenfalls den Vernichtungsaktionen des Nationalsozialismus zum Opfer gefallen sind, explizit in den verfassungsrechtlichen Schutz einbezogen. Die neue Grundgesetzbestimmung hat damit auch historischen Bezug und korrigiert Versäumnisse des Parlamentarischen Rates.328 Die nationalsozialistische Rassenpolitik bedrohte indes nicht nur geborene Behinderte, sondern machte auch vor Schwangerschaftsabbrüchen und Zwangssterilisationen nicht halt. 329 Der historische Bezug des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG streitet daher für eine Erstreckung der Grundrechtsträgerschaft aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auf das vorgeburtliche Leben. Dafür streitet außerdem die Überlegung, daß die vorgeburtliche Diskriminierung behinderten Lebens negative Rückwirkungen auf die Integration und Akzeptanz geborener Behinderter haben kann. 330 325 In der Tendenz ablehnend: Rüfner, HStR Bd. V, § 116 Rdnr. 17, allerdings ohne Begründung; ders. wohl bejahend in Bezug auf Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG in BK, GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rdnr. 880; bejahend: Sachs, RdJB 2/96,154 (167); ablehnend: Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 308, Fn. 663. 326 So aber Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 308, Fn. 663, wonach „weder die Gleichheitsperspektive noch der besondere Schutzzweck der Integrationsförderung Behinderter... sich ohne Zynismus auf die schwierige Situation insbesondere schwerer vorgeburtlicher Schäden beziehen" lassen. 327 Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, S. 313 ff.; Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 226; A. Jürgens, ZRP 1993, 129 (130). 328 Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, BTDrucks. 12/6323, S. 12; Vogel, DVB1.1994,497 (504). 329 Siehe zu dieser Thematik beispielsweise: Kramer, »Ein ehrenhafter Verzicht auf Nachkommenschaft«. Nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, RGBl. 11933,146ff., Änderungsgesetz RGBl. 11935, S. 196, wurden zwischen 1934 und 1939 schätzungsweise 200000 bis 400000 Sterilisationen durchgeführt, Junker!Paul, Das Eugenik-Argument in der Diskussion um die Humangenetik: eine kritische Analyse, in: Engels (Hrsg.), Biologie und Ethik, S. 161 (173). 330 Einschätzungen dieser Frage beispielsweise bei Netzer, EthikMed, (1998) 10, 138 (148 ff.); Holzgreve, Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, 1993, 837 (839); Koch,, MedR 1986, 259 (261).
3. Kap.: Das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung
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Schon aus diesem Grunde erscheint eine Differenzierung zwischen geborenen und ungeborenen Behinderten nicht problemadäquat. Dem entspricht auch der Grundsatz, daß in Zweifelsfällen eine Auslegung zu wählen ist, durch welche sich die Wirkungskraft einer Grundrechtsnorm am stärksten entfalten kann. 331 b) Keine Grundrechtsträgerschaft
der totipotenten Zelle
Es stellt sich aber die Frage, ob auch die zu Diagnosezwecken abgespaltene totipotente Zelle personaler Träger des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ist. Ob die totipotente Zelle als eigenständiger Grundrechtsträger des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG anzusehen ist, hängt davon ab, ob diese als eigenständiges menschliches Wesen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 S. 1,1. Alt. GG angesehen werden kann. Dies wurde oben mit eingehender Begründung verneint. Insoweit wird auf die Ausführungen zu Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. GG verwiesen. 332 Selbst wenn man jedoch entgegen der hier vertretenen Auffassung die totipotente Zelle als eigenständigen Grundrechtsträger ansehen wollte, wäre deren Vernichtung bei der Diagnose nicht vom Gewährleistungsbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG erfaßt. Bei der Präimplantationsdiagnostik wird die totipotente Zelle bei der Diagnose in jedem Fall verbraucht und damit vernichtet. Dies geschieht in Unkenntnis des genetischen Status des Embryos, also unabhängig davon, ob der diagnostizierte Embryo krank oder gesund ist. Dies soll gerade erst mit der Diagnose festgestellt werden. Eine Diskriminierung der totipotenten Zelle wegen einer Behinderung ist in diesem Stadium daher nicht möglich. 3. Der Inhalt des BenachteiligungsVerbots Fraglich ist, ob der Präimplantationsembryo bei der Präimplantationsdiagnostik wegen einer Behinderung benachteiligt wird. a) Das Benachteiligungsverbot als grundsätzlich strikt zu beachtendes Anknüpfungsverbot Inhalt und Reichweite des Benachteiligungsverbots aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG erschließen sich nur unvollkommen aus der Entstehungsgeschichte; sie lassen sich jedoch aus dem Gesamtinhalt des Art. 3 Abs. 3 GG entnehmen (systematische Auslegung). 333 Nach Art. 3 Abs. 3 GG sind Bevorzugungen und Benachteiligungen wegen bestimmter Eigenschaften oder Merkmale verboten, wobei Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG sich auf Benachteiligungen beschränkt. Die Verfassungsnorm stärkt den allgemei331 332 333
BVerfGE 6, 55 (72); 32, 54 (71). Siehe Teil III, 1. Kapitel, II. 2. BVerfGE 96, 288 (301).
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
nen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, indem sie die dem Gesetzgeber darin eingeräumte Gestaltungsfreiheit enger eingrenzt. Die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale und Eigenschaften scheiden bereits von Verfassungs wegen als sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung aus.334 Sie dürfen nicht als Anknüpfungspunkt für eine unterschiedliche rechtliche Behandlung herangezogen werden. Man spricht insoweit von Differenzierungs- oder Unterscheidungsverboten. 335 Umstritten ist jedoch, ob eine einschränkende Interpretation des Art. 3 Abs. 3 GG aufgrund der dort genannten Begriffe „Bevorzugung" und „Benachteiligung" und des Wortes „wegen" geboten ist. Das Wort „wegen" deutet auf einen kausalen Zusammenhang zwischen der verbotenen Ungleichbehandlung und dem Abstellen auf die Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG hin. 336 Fraglich ist, ob zu dem Erfordernis eines kausalen Zusammenhangs hinzukommen muß, daß die Benachteiligung oder Bevorzugung bezweckt ist, ob es also auf die vom Gesetzgeber verfolgte Intention ankommt. Anders gewendet stellt sich also die Frage, ob eine Benachteiligung (oder Bevorzugung) intendiert sein muß - Art. 3 Abs. 3 GG wäre dann eher als Verbot der subjektiven Diskriminierung zu verstehen - oder ob es genügt, daß eine benachteiligende (oder bevorzugende) Regelung an ein Merkmal aus Art. 3 Abs. 3 GG anknüpft und dieses Merkmal dadurch ursächlich für eine Benachteiligung (oder Bevorzugung) wird. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbietet Art. 3 Abs. 3 GG allein die bezweckte Benachteiligung (oder Bevorzugung), nicht aber solche Vor- und Nachteile, die Folge einer anders intendierten Regelung sind. 337 Diese Auffassung ist indes mit der Bedeutung der speziellen Differenzierungsverbote nicht vereinbar. Anders als bei Art. 3 Abs. 1 GG kann eine Ungleichbehandlung nicht allein damit gerechtfertigt werden, daß diese zur Erreichung eines anderen, legitimen Zwecks eingesetzt werde. Zu Recht wird diese Sichtweise daher angesichts der Gefahr der Umgehung des Art. 3 Abs. 3 GG abgelehnt338 und ist inzwischen überholt 339 . Das Differenzierungsverbot gilt mithin auch dann, wenn der Gesetzgeber mit der Regelung in erster Linie andere Ziele verfolgt. 334 So schon BVerfGE 3, 225 (240): „Die politische Frage, ob die in Art. 3 Abs. 2 und 3 genannten Ungleichheiten einen beachtlichen Grund für Differenzierungen im Recht abgeben - worüber erfahrungsgemäß verschiedene Meinungen möglich sind - ist damit verfassungskräftig verneint." 335 Heun in Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 104; Sachs, HStR Bd. V, § 126, Rdnr. 9. 336 Rüfner, Festschrift Friauf, S. 331 (332); Gubelt in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 104, Scholz in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 3 I I I Rdnr. 150. 337 Früher ständige Rspr. des BVerfG: BVerfGE 2,266 (286); 39, 334 (368); 59,128 (157); 75,40 (70), so wohl heute noch: Scholz in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 154; Badura, Staatsrecht, S. 126; irritierend das Abstellen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 59,128 (160) auf den Gesichtspunkt der Evidenz, der in späterer Rechtsprechung indes als Maßstab - soweit ersichtlich - nicht wieder angeführt wurde. 338 Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rdnr. 110; Gubelt in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 104; Rüfner, Festschrift Friauf, S.331 (333). 339 Klarstellend BVerfGE 85, 191 (206).
3. Kap.: Das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung
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Eine in der Literatur vertretene Auffassung möchte die Unterscheidungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG als Begründungsverbote verstanden wissen. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG liege dann nicht vor, wenn eine Ungleichbehandlung begründet werden könne, ohne daß auf die genannten Merkmale als Kriterien abgestellt werden müsse.340 Auch dieses Modell birgt indes die Gefahr, an die verbotenen Merkmale anzuknüpfen und dies unter Verwendung von Alternativbegründungen für legitim zu erklären. 341 Angesichts dessen spricht sich eine in der Literatur vertretene Auffassung für ein striktes Anknüpfungsverbot aus. Danach ist, unabhängig von Motiven und Zwekken, jede Verwendung des verpönten Merkmals als Voraussetzung einer Rechtsfolge ausgeschlossen. Dabei komme es nicht darauf an, ob das Merkmal ausdrücklich genannt werde. Es reiche aus, daß das Merkmal oder die Eigenschaft nur bei dem Träger des verbotenen Merkmals auftrete. 342 Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Art. 3 Abs. 3 GG als grundsätzlich strikt zu beachtendes Anknüpfungsverbot zu verstehen. Danach dürfen die genannten Merkmale und Eigenschaften nicht als Anknüpfungspunkte für eine Ungleichbehandlung herangezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn mit der Ungleichbehandlung in erster Linie andere Ziele verfolgt werden. Indes sind differenzierende Regelungen insoweit zulässig, als sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur bei Personen der einen oder der anderen Gruppe auftreten können, zwingend erforderlich sind. 343 Dieser Auffassung ist zu folgen, da sie einerseits sicherstellt, daß die Unterscheidungsverbote nicht umgangen und damit ausgehöhlt werden, andererseits Raum für sachgerechte Lösungen läßt, wo ein striktes Anknüpfungsverbot dem verfassungsrechtlichen Zweck der Differenzierungsverbote zuwiderlaufen würde. 344 Indes darf die Bedeutung des Art. 3 Abs. 3 GG nicht etwa dadurch relativiert werden, daß seine Wirksamkeit auf den Ausschluß sachwidriger Differenzierungen beschränkt wird. 345 Allein zwingende Gründe, wie etwa die biologischen Unterschiede der Geschlechter, vermögen im Einzelfall Differenzierungen zu rechtfertigen. 340 Huster, Rechte und Ziele, S. 313 ff.; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 110; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I I Rdnr. 350. 341 Sachs, RdJB 2/96, 154 (169). 342 So insbesondere Sachs, HStR Bd. V, § 126, Rdnr.70ff.; Gubelt in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 104. 343 BVerfGE 85,191 (206f.); 92,91 (109) zu Art. 3 Abs. 3 a. F.; bzgl. an das Geschlecht anknüpfender Regelungen. 344 Dementsprechend schließt sich der überwiegende Teil der Literatur der Rechtsprechung an: Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rdnr. 110; Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 250; Rüfner in BK, GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rdnr. 561,573; speziell bzgl. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG: Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 122; Rüfner in BK, GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rdnr. 876; Herdegen, Der Diskriminierungsschutz für Behinderte im Grundgesetz, S.26; ders., VSSR 4/1992, 245 (256); Jürgens, G., NVwZ 1995,452; Jürgens, A., DVB1. 1997, 410 (412). 345 So aber etwa Heckel, Festschrift Dürig, S. 241 ff.
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
b) Besonderheiten des Benachteiligungsverbots des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Satz 2 des Art. 3 Abs. 3 GG untersagt nicht schlechthin Differenzierungen wie dessen Satz 1, sondern verbietet nur die an die Behinderung anknüpfende Benachteiligung. Damit wird die Vorschrift den Besonderheiten der Eigenschaft der Behinderung gerecht. Anders als bei den Merkmalen des Satzes 1, wie etwa des Geschlechts oder der Rasse, handelt es sich bei der Behinderung nicht nur um ein bloßes Anderssein, das sich in der Regel erst aufgrund der Einstellungen und Vorurteile der Gesellschaft negativ auswirkt. Vielmehr macht die Behinderung die Lebensführung für die Betroffenen grundsätzlich schwieriger im Verhältnis zu Nichtbehinderten. Daher sind Bevorzugungen mit dem Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse von Behinderten und Nichtbehinderten erlaubt. 346 Wegen dieser Besonderheit des Grundrechts für Behinderte wird in der Literatur - mit Blick auf das Problem der Sonderschulzuweisung Behinderter - die Auffassung vertreten, das Grundrecht des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG könne nicht wie das Grundrecht des Satzes 1 als Anknüpfungsverbot verstanden werden. Bei Behinderten müsse oft an die Behinderung angeknüpft werden, da die Behinderung im Unterschied zu den Eigenschaften des Satzes 1 praktisch immer nachteilig sei. Es sei daher immer zu prüfen, ob eine Gleichbehandlung mit Nichtbehinderten möglich sei. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG könne nur dann angenommen werden, wenn - obwohl eine Gleichbehandlung mit Nichtbehinderten aufgrund der für den jeweiligen Bereich geltenden Anforderungen nach den Umständen des Falles möglich wäre - eine Maßnahme, Entscheidung oder Regelung getroffen würde, die bei objektiver Bewertung aller Umstände des Falles überwiegend nachteilig für den Behinderten wirke. 347 Zu Recht ist diese Ansicht mit dem Hinweis kritisiert worden, sie laufe letztlich darauf hinaus, Behinderten nur dann eine Teilhabe zuzugestehen, wenn sie sich den durch die Nichtbehinderten geprägten Verhältnissen weitgehend anpaßten.348 Bei einer solchen Sichtweise würde das Grundrecht für Behinderte weitgehend leerlaufen. Im übrigen ist eine problemadäquate Lösung etwa der Frage der Sonderschulzuweisung, wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage zeigt, auch bei Beibehaltung des Anknüpfungsverbots möglich. 349 Die Behinderung darf folglich nicht als Anknüpfungspunkt für eine - benachteiligende - Ungleichbehandlung dienen. 346
BVerfGE 96, 288 (302 f.). Engelken,, DVB1. 1997, 762f. 348 Jürgens , Α., DVB1. 1997, 764. 349 Siehe hierzu BVerfGE 96, 288 (303 ff.) mit Besprechung von Sachs, JuS 1998, 553 ff. und Muckely JA 1998,638 ff. Bei dem Problem der Sonderschulzuweisung handelt es sich insbesondere aus zwei Gründen um eine spezielle Fallkonstellation: Zum einen ist die Sonderschulzuweisung nicht zwingend als Benachteiligung anzusehen. Insoweit ist es durchaus denkbar, daß der/die Betroffene die Zuweisung angesichts der besonderen Förderungsmöglichkeiten an der Sonderschule als vorteilhaft ansieht. Ob eine Benachteiligung vorliegt, hängt mithin 347
3. Kap.: Das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung
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c) Das Anknüpfen an eine konkrete Behinderung Es stellt sich aber die Frage, ob Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auch dann greift, wenn konkret wegen einer bestimmten Behinderung benachteiligt wird 3 5 0 oder ob er nur dann Wirkung entfaltet, wenn an das Behindertsein als solches angeknüpft wird. Für eine einschränkende Auslegung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG im letztgenannten Sinne, sind keine Gründe ersichtlich. In der diskriminierenden Wirkung macht es keinen Unterschied, ob an eine konkrete Behinderung (wie ζ. B. Blindsein) angeknüpft wird oder aber an den Tatbestand der Behinderung an sich. Dabei ist jedoch zu beachten, daß als Vergleichsgruppe immer die Gruppe der Nichtbehinderten heranzuziehen ist. 351 Damit ist sichergestellt, daß sozialstaatliche Maßnahmen zur Förderung, die vielfach an konkrete Behinderungen anknüpfen, von anderen (bzw. anders) Behinderten nicht als gegen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verstoßende benachteiligende Behandlung angegriffen werden können. d) Schlußfolgerungen für die Präimplantationsdiagnostik Mißt man das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik an den oben aufgestellten Grundsätzen, so stellt man fest, daß es dabei bei positivem genetischem Befund zu einer Benachteiligung wegen einer Behinderung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG kommt. Wird der Embryo bei positivem genetischem oder chromosomalem Befund verworfen oder vernichtet, wird er wegen der (künftigen) Behinderung benachteiligt. Die Behinderung ist kausal für die lebensbeendenden Maßnahmen. Wäre der Embryo gesund, würde ein Embryotransfer erfolgen. In der Beeinträchtigung des Überlebensinteresses des Embryos liegt die benachteiligende Behandlung, oder anders gewendet: der Nachteil. Dem steht nicht entgegen, daß die Präimplantationsdiagnostik in der Regel im Hinblick auf eine konkrete Behinderung erfolgt. Wie oben 352 festgestellt wurde, beschränkt sich der Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG nicht auf die Benachteiligung wegen des Behindertseins allgemein. Gegenüber der Vergleichsgruppe der (künftig) nicht behinderten Embryonen, die transferiert werden würden, wird der (künftig) behinderte Embryo in seinem Überlebensinteresse beeinträchtigt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß es den beteiligten Naturwissenschaftlern und Ärzten sowie den Eltern bzw. Ei- und Samenspendern nicht auf die Benachteiligung bzw. Diskriminierung des Embryos anauch von der Sicht des betroffenen Schülers und ggf. dessen Eltern ab. Darüber hinaus bewegt sich das Problem der Sonderschulzuweisung im Bereich der staatlichen Daseinsvorsorge mit den damit verbundenen spezifischen Problemen und steht in engem Zusammenhang mit der Regelung des Art. 7 Abs. 1 GG über die staatliche Schulaufsicht. Ob in der Sonderschulzuweisung daher eine Benachteiligung liegt, kann nur im Wege der Gesamtbetrachtung festgestellt werden. (BVerfGE 96,288 [307]). 350 Offen gelassen: Sachs, RdJB 2/96, 154 (164 f., 170); OVG Lüneburg, NJW 1997, 1087 (1088 f.). 351 Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 311. 352 Teil III, 3. Kapitel, 3., c).
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
kommt, ihr Handeln also nicht final auf die Benachteiligung gerichtet ist. Maßgeblich ist allein die Tatsache, daß an den Tatbestand der (künftigen) Behinderung angeknüpft wird. Insoweit wäre der Hinweis auf die besonderen Belastungen, die mit der Versorgung und Erziehung eines behinderten Kindes für die Eltern verbunden sind und die der Beweggrund der künftigen Eltern für eine Präimplantationsdiagnostik sind, unerheblich. 353 In den mit der Behinderung eines Kindes für die Eltern verbundenen Belastungen kann auch nicht etwa ein zwingender Grund für eine tatbestandliche Einschränkung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG gesehen werden. Zwingende Gründe können nur solche sein, die Handlungsalternativen praktisch nicht zulassen. Dies kann angesichts der alternativen Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten (Leben mit einem behinderten Kind, ggf. unter Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung, Kinderlosigkeit, sowie die legale Möglichkeit der embryopathischen Indikation) nicht angenommen werden. In dem Verwerfen oder Vernichten des Embryos liegt folglich eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. 3 5 4 Es stellt sich die Frage, ob auch schon in der Diagnose eine Benachteiligung wegen einer Behinderung gesehen werden kann. Die Diagnose erfolgt indes nicht wegen der Behinderung des konkret untersuchten Embryos. Insoweit fehlt es an der erforderlichen Kausalität im Sinne der conditio sine qua non. Die Diagnose erfolgt nämlich auch dann, wenn der Embryo gesund ist. Ob ein (künftig) behinderter Embryo oder ein gesunder vorliegt, soll gerade erst mit der Diagnose festgestellt werden. Daher ist kausal für die Diagnose die Befürchtung, daß eine Behinderung vorliegen könnte, nicht jedoch die Tatsache einer Behinderung. Darüber hinaus liegt in der Diagnose selbst auch noch keine benachteiligende Behandlung wegen einer Behinderung. Die Diagnose selbst ist im Hinblick auf eine Bevorzugung oder Benachteiligung neutral. Soweit durch sie das Leben oder die körperliche Integrität bedroht werden, ist Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG das einschlägige Grundrecht. Es fehlt insoweit am spezifischen Bezug zur Behinderung. In der Diagnose liegt mithin keine Benachteiligung wegen einer Behinderung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. Wird allerdings mit Hilfe der Diagnose festgestellt, daß die Behinderung tatsächlich vorliegt, ist die Verwerfung des Embryos unmittelbare Folge. 355 Die Diagnose gefährdet daher den Embryo konkret in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, was im Rahmen einer grundrechtlichen Schutzpflicht zu berücksichtigen ist. 356 353 Von einem Scheinargument spricht Beckmann, MedR 1998, 155 (160), jedoch bezogen auf die embryopathische Indikation. 354 Zur Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen vgl. die Ausführungen zu Art. 2 Abs. 2 S.2, 1. Alt. GG, Teil III, 1. Kapitel, V. 1. 355 Dies ist jedenfalls so lange der Fall, als eine Heilung des Embryos in diesem Stadium noch nicht möglich ist. 356 Zur Schutzpflicht siehe II.-IV. dieses Kapitels, zur Grundrechtsgefährdung siehe auch 1. Kapitel, V. 2.
3. Kap.: Das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung
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II. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG als Grundlage einer staatlichen Schutzpflicht Das neue Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG bindet - ebenso wie die übrigen Grundrechte - unmittelbar nur die öffentliche Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG). Unter Privaten gilt das Grundrecht nicht unmittelbar. Bei der Präimplantationsdiagnostik droht jedoch die Diskriminierung allein von privater Seite. 357 Zu untersuchen ist daher, ob das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG staatliche Schutzpflichten begründet. 1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht war bislang nicht mit der Frage der Schutzpflichten aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG befaßt. 358 Die zweite Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch 359 erging im Jahre 1993, also vor Einführung des Benachteiligungsverbots für Behinderte, und ist aus diesem Grund insoweit nicht ergiebig. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs.2 GG können allerdings nicht nur die Freiheitsrechte, sondern auch die speziellen Gleichheitsrechte Schutzpflichten begründen. Allerdings bezieht sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu gleichheitsrechtlichen Schutzpflichten allein auf Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG, wonach Männer und Frauen gleichberechtigt sind. 360 Durch Anfügung des Satzes 2 in Art. 3 Abs. 2 GG ist das Gleichberechtigungsgebot vom Verfassunggeber im Anschluß an die Verfassungsrechtsprechung ausdrücklich normiert worden. 361 Ob und inwieweit auch Art. 3 Abs. 3 GG Schutzpflichten begründen kann, ist bislang verfassungsgerichtlich nicht geklärt. 2. Die Auffassungen in der Literatur In der Literatur wird die Frage nach gleichheitrechtlichen Schutzpflichten uneinheitlich beantwortet. Eine grundlegende dogmatische Aufarbeitung dieser Thematik steht allerdings noch aus. Der überwiegende Teil der Literatur ist der Ansicht, daß jedenfalls die speziellen Gleichheitsrechte 362 Schutzpflichten begründen können.363 Zur Begründung rekur357
Siehe auch Teil III, 1. Kapitel, IV. Auch Rechtsprechung anderer Gerichte zu dieser Frage liegt, soweit ersichtlich, nicht vor. 3» Urteil vom 28. Mai 1993, BVerfGE 88, 203 ff. 360 zu Art.3 Abs.2 GGa.F.: BVerfGE 74,163 (178); 85,191 (207); 89,276 (285); zu Art.3 Abs.2 GG n.F.: BVerfGE 92, 91 (109). 361 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994, BGBl. 1994 I, S. 3146ff.; siehe auch den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission: BTDrucks. 12/6000, S. 49ff. 362 Zu Schutzpflichten aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG siehe nur Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 65 ff. m. w. N. 358
9 Giwer
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
riert diese Ansicht auf den objektiv-rechtlichen Gehalt der Diskriminierungsverbote. Objektive Wertentscheidungen könnten aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG entnommen werden. In der Fixierung konkreter, als Differenzierungskriterien für mögliche Ungleichbehandlungen tabuisierter Persönlichkeitselemente liege die Herausbildung faßbarer persönlichkeitsrechtlicher Schutzgegenstände. Aus dieser objektiven Wertentscheidung könne die Schutzpflicht abgeleitet werden. 364 Nach anderer Ansicht sind Schutzpflichten aus Gleichheitsrechten grundsätzlich abzulehnen. Dies ergebe sich aus dem Grundsatz der Privatautonomie. Die grundrechtliche Gleichheit bestehe im Verhältnis der Individuen zur Staatsgewalt, nicht jedoch in ihrem Verhältnis zueinander. Hier walte Privatautonomie, in der sich die Individualität, mithin reale Ungleichheit rechtlich zur Geltung bringen könne. Nur solche Diskriminierungen, die zugleich menschenwürdeverletzend seien, aktivierten staatliche Schutzpflichten. 365
3. Stellungnahme Geht man mit der überwiegenden Auffassung davon aus, daß grundrechtliche Schutzpflichten ihren Ursprung in den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten haben,366 so ist die Existenz grundrechtlicher Schutzpflichten jedenfalls für die speziellen Differenzierungsverbote anzuerkennen. Die Differenzierungsverbote sind spezifischer Ausdruck der grundsätzlichen Wertentscheidung zugunsten des gleichen Geltungsanspruchs jeder Person gegen bestimmte Formen der Diskriminierung. 367 Hierin liegt ihr objektiv-rechtlicher Gehalt, der zum Erlaß schützender Normen verpflichten kann. Demgegenüber verfängt der Verweis auf den Grundsatz der Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht. Die Privatautonomie, also insbesonde363 So Canaris , AcP 184 (1984), 201,235f.; Bezzenberger, AcP 196 (1996), 395 (408); Rüfner in BK, GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rdnr. 586ff.; Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 233,237; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 84; Unruh, Zur Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten, S.75; Sachs, HStR Bd. V, § 126 Rdnr. 117,122; ausdrücklich zu Art. 3 Abs. 3 S. 2: Berliu RdJB 2/96, 145 (146f.). 364 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 84.; Sachs, HStR Bd. V, § 126 Rdnr. 117, 122; so auch Unruh, Zur Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten, S.75, wonach Art. 3 GG eine „prinzipientaugliche „Wertentscheidung" des Grundgesetzes" enthält. 365 Isensee, HStR Bd. V, § 111 Rdnr. 96, dort heißt es allerdings: „Die grundrechtliche Freiheit besteht im Verhältnis der Individuen zur Staatsgewalt, nicht in ihrem Verhältnis zueinander." (Hervorhebung hinzugefügt). In Kontext der gleichheitsrechtliche Schutzpflichten kann indes m.E. nur die grundrechtliche Gleichheit gemeint sein.; siehe auch ders., a. a. O. Rdnr. 135; eine gleichheitsrechtliche Schutzpflicht lehnen ebenfalls ab: Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 102, 123; Classen , JöR 36 (1987), 29 (38); wohl auch Sacksofsy, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, S. 192 ff., allerdings bezogen auf Art. 3 Abs. 2. 366 Eingehend dazu Teil III, 1. Kapitel, IV., 1. 367 Vgl. Sachs, HStR Bd. V, § 126, Rdnr. 117; zu Art.3 Abs.2 und 3 GG als objektivem Wertmaßstab schon BVerfGE 17,1 (27); in diese Richtung auch BVerfGE 88,203 (291) hinsichtlich der Geschlechtswahl.
3. Kap. : Das Verbot der Βenachteiligung wegen einer Βehinderung
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re die Freiheit, Verträge zu schließen oder auch nicht zu schließen, ist keine grundrechtliche Verbürgung von übergeordnetem Rang. Vielmehr haben die Grundrechtsnormen als Teil der Verfassung prinzipiell gleichen Rang. 368 Den Bedenken der Vertreter der o. g. Auffassung ist indes insoweit beizupflichten, als grundrechtliche Freiheit und Gleichheit in einem Spannungsverhältnis stehen, das bei Anerkennung von Schutzpflichten aus Gleichheitsrechten verschärft wird. Da den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten indes größere Flexibilität zukommt 369 , kann dieser Problematik angemessen Rechnung getragen werden. Es ist daher grundsätzlich anzuerkennen, daß die speziellen Gleichheitsrechte Schutzpflichten begründen können. Diese Sichtweise wird hinsichtlich des Diskriminierungsverbots zugunsten Behinderter durch die Entstehungsgeschichte untermauert. Entstehungsgeschichtlich ausgewiesenes Regelungsziel war es u. a., die Diskriminierung Behinderter durch andere Privatpersonen zu beseitigen370. Dies kann insbesondere im Wege der gesetzlichen Normierung staatlicher Schutzpflichten erfolgen. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ist mithin taugliche Grundlage einer staatlichen Schutzpflicht.
III. Die Reichweite der Schutzpflicht Es stellt sich daher die Frage nach der Reichweite der Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. In Anlehnung an die Verfassungsrechtsprechung ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber einen effektiven Schutz des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG zu gewährleisten hat. Bei der Erfüllung der Schutzpflicht kommt ihm aber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Beim Schutz gegen Angriffe Dritter ist auch dessen Abwehrrecht zu berücksichtigen und mit dem konkurrierenden Schutzbedürfnis des Opfers in Ausgleich zu bringen. Bei Erfüllung der Schutzpflicht hat der Gesetzgeber das Untermaßverbot zu beachten, wonach der Schutz den Mindestanforderungen an seine Effizienz genügen muß und gegenläufige Rechtsgüter und Interessen nicht überbewertet werden dürfen. 371 Die Reichweite der Schutzpflicht kann nur mit Blick auf die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts einerseits und der mit ihm kollidierenden Rechtsgüter andererseits - hier die Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG der künftigen Eltern - bestimmt werden. 372 Bei der Bestimmung der Reichweite der Schutzpflicht aus einem speziellen Gleichheitsrecht ist dessen spezifische Struktur zu beachten. Einerseits sind die speziellen Gleichheitsrechte vorbehaltlos gewährt, so daß sie nur nach Maßgabe verfassungsimmanenter Schranken im Rahmen einer strengen Verhältnismäßigkeitsprü368 369 370 371 372
9*
Stern,, Staatsrecht Bd.III/2, §82112e), S.614. Sachs, HStR Bd. V, § 126, Rdnr. 127. BTDrucks. 12/6323, S. 11 f.; BTDrucks. 12/8165, S.29. Vgl. die Ausführungen in Teil III, 1. Kapitel, VI. Vgl. BVerfGE 88, 203 (254).
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
fung konkretisiert werden können,373 andererseits ist bei der Abwägung dem Spannungsverhältnis zwischen grundrechtlicher Freiheit und gleichheitsrechtlichen Schutzpflichten Rechnung zu tragen. Die grundrechtlichen Diskriminierungsverbote stehen in einem Spannungsverhältnis zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Es geht bei den Diskriminierungsverboten im Verhältnis von Privaten untereinander um die Frage individueller Motivation, die grundsätzlich auch irrational sein kann oder sich bis zu einem gewissen Grad auch von den materiellen Wertungen des Grundgesetzes entfernen darf 374 , soll nicht die grundrechtliche Freiheit zugunsten der Gleichheit unzulässig verkürzt werden. Die grundrechtlich verbürgte Freiheit erlaubt dem Bürger daher regelmäßig Differenzierungen nach den Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG. So kann der Bürger unbestritten beispielsweise einen Verein gründen, in den nur Frauen oder Männer aufgenommen werden oder einen solchen, in den nur Mitglieder einer bestimmten sprachlichen Minoriät aufgenommen werden oder nur Heimatvertriebene. Die Kirchen können Menschen wegen ihres Glaubens aus der Kirche ausschließen.375 Angesichts dessen ist jeweils eine konkrete Abwägung mit den einzelnen in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmalen unter besonderer Beachtung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vorzunehmen. 376 Demgegenüber wird - allerdings hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruchs aus embryopathischer Indikation - die Auffassung vertreten, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verbiete nunmehr jegliche Regelung, die einen Schwangerschaftsabbruch wegen der Behinderung zulasse.377 Diese Ansicht verkennt indes, daß ein Handeln unter Privaten in Rede steht und insoweit der Regelung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG größere Flexibilität zukommt. Dies ist in einem Abwägungsprozeß zu berücksichtigen.
IV. Abwägung In die Abwägung ist das Recht des Embryos einzustellen, nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt zu werden. Im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG kann dabei nicht auf den Moment der Lebensvernichtung abgestellt werden und etwa in der Weise argumentiert werden, die Vernichtung stelle eine diskriminieren373
Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 254. So auch Herdegen, VSSR 1992, 245 (257), allerdings bezogen auf die mittelbare Drittwirkung. 375 Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 347. 376 So auch Rädler, NJW 1998,1621 (1622); vgl. im Zusammenhang mit der Rassendiskriminierung: Bezzenberger, AcP 96 (1996), 395 (415). 377 Rüfner in BK, GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rdnr. 880f.; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Rdnr. 387; Sachs, RdJB 2/96, S. 171; Tröndle, NJW 1995,3009 (3015); Beckmann, MedR 1998,155 (160); Stellungnahmen zur Präimplantationsdiagnostik und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG liegen nicht vor. 374
3. Kap.: Das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung
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de lötung dar und könne schon aus diesem Grunde nicht zulässig sein. Soweit es allein um das Lebensrecht des Embryos geht, ist Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Alt. GG einschlägig.378 Zu berücksichtigen ist jedoch, daß der Embryo in seinem Überlebensinteresse beeinträchtigt wird. Insoweit handelt es sich um einen Nachteil, der nicht kompensiert werden kann oder durch ein Ausweichen in seinen Wirkungen abgemildert werden könnte. Dem gegenüber steht das Recht der Frau bzw. des Paares auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Die menschliche Fortpflanzung sowie der Wunsch nach gesunden Nachkommen379 ist seit jeher Inbegriff und wesentliches Element der Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen, je nach persönlicher Präferenz vergleichbar dem Bedürfnis nach persönlicher Entfaltung durch Ausübung eines frei gewählten Berufes. Verfassungsgerichtlich anerkannt ist mittlerweile das Recht auf Gestaltung des Geschlechtslebens als abgeschirmtem Bereich des Privatlebens, der grundsätzlich als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dem staatlichen Zugriff entzogen ist. 380 Darüber hinaus zeichnet sich eine Tendenz der Verfassungsrechtsprechung hin zu einer Anerkennung des Rechts auf persönliche Selbstbestimmung in Fortpflanzungsfragen ab. 381 Die Fortpflanzung ist ein konstituierendes Element der Persönlichkeit 382, die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG unterfällt. Die Einschränkung oder die Untersagung des Zugangs zu einer Präimplantationsdiagnostik greift in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht von betroffenen Paaren bzw. Frauen ein. Zwar steht es ihnen offen, das Risiko der Geburt eines behinderten Kindes einzugehen, indes wird dieser Weg von vielen Paaren oder Frauen je nach Schweregrad der befürchteten Behinderung nicht beschritten werden. In den Fällen, in denen schwerwiegende Verdachtsmomente für eine zu erwartende schwere Behinderung des Embryos vorliegen, erscheint eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Paare bzw. Frauen nicht zumutbar. In solchen Fällen würden sie praktisch der Möglichkeit der Fortpflanzung beraubt. Angesichts der Bedeutung und der jeweiligen Gefährdung der sich gegenüberstehenden Grundrechte kann daher im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ein Verwerfen des Embryos in Fällen schwerer Behinderungen gerechtfertigt sein.383 378
Hierzu Teil III, 1. Kapitel. Hierzu beispielsweise Köpcke-Duttler, BayVBl. 1996,455 ff. in Auseinandersetzung mit Art. 125 Abs. 1 a.F. der Bayerischen Verfassung. 380 BVerfGE 47,46 (73 f.). 381 Siehe hierzu die Entscheidung des ersten Senats des BVerfG zur Arzthaftung bei fehlgeschlagener Sterilisation und fehlerhafter genetischer Beratung, JZ 1998,352 (354f.). Ob es insoweit der Konstruktion eines Grundrechts auf bioethische Selbstbestimmung bedarf, kann dahinstehen, vergi, dazu Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, zu dem Problemkreis der Fortpflanzung: S. 148 ff. 382 Vgl. BVerfGE 54, 148 (153). 383 In diese Richtung ebenfalls, jedoch bezogen auf den Schwangerschaftsabbruch aus embryopathischer Indikation: Scholz in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 177; Herdegen, Der Diskriminierungsschutz für Behinderte, S.53. 379
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3. Teil: Der gndrechtliche Schutz des Embryos
Angesichts der Tatsache, daß schon die Diagnose eine konkrete Grundrechtsgefährdung darstellt, da in ihrer Folge bei positivem Befund ein Verwerfen des Embryos unmittelbar erfolgt, muß der staatliche Schutz schon bei diagnostischen Maßnahmen ansetzen. Auch die Diagnose kann daher nur zulässig sein, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine zu erwartende schwere Behinderung vorliegen. Folglich ist im Hinblick auf die staatliche Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik nur insoweit geboten, als dieses Verfahren in Fällen angewendet werden soll oder angewendet wird, in denen nicht konkrete Anhaltspunkte für eine zu erwartende schwere Behinderung vorliegen.
V. Zusammenfassung des 3. Kapitels Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Präimplantationsembryo Träger des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ist, nicht indes die zur Diagnose abgepaltetene totipotente Zelle. Wird der Embryo infolge der Diagnose verworfen, so wird er wegen einer Behinderung i. S. d. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG benachteiligt. Schon durch die Diagnose wird er in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG konkret gefährdet. Aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG erwächst eine staatliche Schutzpflicht zugunsten des Embryos, die dessen grundrechtlichen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in der Weise verstärkt, daß nur schwerwiegende Verdachtsmomente für eine zu erwartende schwere Behinderung, die mit ganz erheblichen Belastungen für die Frau bzw. die Eltern verbunden wären, eine Präimplantationsdiagnostik rechtfertigen können. Die Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG gebietet es, die Verwerfung bzw. das Vernichten des Embryos in den Fällen zu untersagen, in denen Behinderungen von geringerem Schweregrad diagnostiziert werden oder in denen schwerwiegende Verdachtsmomente für eine schwere Behinderung nicht vorliegen.
4. Kapitel
Der Menschenwürdesatz des Art. 1 Abs. 1 GG Als Maßstabsnorm für Zulässigkeit und Grenzen der Präimplantationsdiagnostik kommt auch der Menschenwürdesatz des Art. 1 Abs. 1 GG in Betracht. Nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Damit ist die Unverzichtbarkeit, Unverwirkbarkeit und Uneinschränkbarkeit des Rechtes eines jeden Menschen auf Wahrung seiner Menschenwürde normiert. 384 Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet alle staatliche Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Mithin ist der Menschenwürdesatz bindend für alle Träger staatlicher Gewalt und 384
Podlech in: AK, GG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 70.
4. Kap.: Der Menschenürdesatz des Art. 1 Abs. 1 GG
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normiert ausdrücklich eine Schutzpflicht. 385 Schon früh wurde der Menschen würdesatz mit Fragen der modernen Fortpflanzungsmedizin in Verbindung gebracht. 386 Wie in Teil II., 2. Kapitel nachgewiesen wurde, wird auch im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik regelmäßig der Menschenwürdesatz des Grundgesetzes angeführt, um Antwort auf die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieses Verfahrens zu erlangen. Angesichts der normativen Offenheit des Menschenwürdesatzes erweist sich dessen Anwendung auf den konkreten Fall indes als besonders schwierig.
I. Der Gewährleistungsinhalt des Menschenwürdesatzes Der Versuch, den sachlichen Anwendungsbereich des Menschenwürdesatzes positiv zu bestimmen, stößt auf erhebliche Probleme. Die Anwendung und Auslegung des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG läuft in ganz besonderem Maße Gefahr, den Menschenwürdesatz entsprechend dem jeweiligen philosophischen, religiösen oder politischen Vorverständnis oder entsprechend den jeweiligen Moralvorstellungen zu interpretieren oder aber sich mit abstrakt gehaltenen Formulierungen ohne konkreten Aussagegehalt zu begnügen. Diese Gefahr hat ihre Ursache u. a. in der Tatsache, daß der Menschenwürdesatz einerseits positivierte Verfassungsnorm in einer weltanschaulich neutralen Rechtsordnung ist, andererseits jedoch angesichts einer bis in die Antike zurückreichenden Philosophiegeschichte ethisch-philosophisch aufgeladen ist. Die wesentlichen geistes- und ideengeschichtlichen Strömungen, die der rechtlichen Normierung des Menschenwürdesatzes im Bonner Grundgesetz vorausgegangen sind, sollen daher im folgenden kurz nachgezeichnet werden.
1. Ideengeschichtliche Grundlagen In der antiken Philosophie verstand man unter Würde (dignitas) einerseits den Rang innerhalb einer Gesellschaft, also die soziale Position eines Menschen; in diesem Sinne ist ein Mensch oder eine Person Träger einer Würde. Andererseits bezeichnete der Begriff das, was als auszeichnendes Merkmal des Menschen im 385
Zum Grundrechtscharakter des Menschenwürdesatzes: Höfling in: Sachs, GG, Art. 1 Rdnr. 3 ff.; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 24ff.; zur Gegenansicht: Dreier in: Dreier, GG, Art. 1 Rdnr. 67 ff.; für die Einbeziehung der unbefruchteten Eizelle in den Menschenwürdeschutz: Starck, Verh. des 56. DJT, Bd. I, A 17, ablehnend: GeddertSteinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S.56f. 386 Vgl. nur Dürig, AöR 81 (1956), 117 (130), wonach die heterologe Insemination „ohne Zweifel gegen die Menschenwürde" verstößt; ders. in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 11 Rdnr. 39; aus neuerer Zeit beispielsweise Häberle, HStR Bd. I, § 20, Rdnr. 84 ff.; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 90, der der Auffassung ist, u. a. verstoße die künstliche Teilung eines Embryos zu diagnostischen Zwecken gegen die Menschenwürde, da hierin eine ausschließliche Instrumentalisierung menschlichen Lebens fürZwecke andererliege.
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
Unterschied zu anderen Lebewesen betrachtet wird und den Wert des Menschen ausmacht.387 Die besondere Natur des Menschen sah das antike Denken im Vernunftbesitz und im freien Willen, die den Menschen von allen anderen Lebewesen auszeichnen.388 Die Philosophie der Stoa entwickelte Ansätze für ein Menschenwürdeverständnis im letztgenannten Sinne. Menschenwürde in diesem Sinne war jedoch eher Aufgabe des Menschen. Bestimmte Lebensformen seien mit der Würde der menschlichen Natur, die in ihrer Teilhabe an der Vernunft besteht, nicht verträglich. 389 Die frühe christliche Tradition und das Mittelalter waren von den Lehren über den Menschen als Geschöpf Gottes, der Erbsünde und der Erlösung geprägt. Nach dieser Weltsicht ist der Mensch vor allen anderen Lebewesen dadurch ausgezeichnet, daß er als Ebenbild Gottes betrachtet werden muß (imago-dei-Lehre). Die Gottebenbildlichkeit des Menschen verleiht ihm die besondere Würde, die den Menschen als Menschen auszeichnet.390 In der Renaissance versteht Pico della Mirandola den Menschen als Mikrokosmos, in dem alle Möglichkeiten angelegt sind. Der Mensch ist Inbegriff von Möglichkeiten, zwischen denen zu wählen die dem Menschen von Gott gegebene Bestimmung ist. In dieser Freiheit besteht seine Menschenwürde. 391 In der Neuzeit, insbesondere der Zeit der Aufklärung, rückt die Vernunftbestimmung des Menschen wieder in den Vordergrund. Die Auffassung von der Würde als Freiheit wird mit der schon in der Antike begründeten Auffassung von der Würde als Teilhabe an der Vernunft verbunden. Die Idee der Menschenwürde als jedem Menschen, unabhängig von Rasse, Geschlecht und Glauben sowie unabhängig von Verdienst und Ansehen zukommendem Achtungsanspruch gewinnt an Bedeutung und Kontur. Pufendorf fügt den Gedanken der Gleichheit aller Menschen hinzu. 392 Eine wichtige Stellung nimmt der Begriff der Menschenwürde in der Moralphilosophie Kants ein, die noch heute den Würdebegriff maßgeblich prägt. Bei Kant entfaltet der Würdebegriff eine weltliche Struktur; dem Menschen ist eine eigene Würde zuerkannt, die nicht von Gottes Gnade verliehen ist. 393 Den Grund dafür, daß die menschliche und jede vernünftige Natur Würde hat, liegt nach Kant in der Autonomie des Menschen. Diese Autonomie erweist sich in der Fähigkeit, sich selbstgegebenen und dennoch allgemeinen Gesetzen zu unterwerfen. Würde ist das Attribut „eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht, als dem, das es zu387 388
Horstmann in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5 S. 1124. Schwartländer, Lexikon der Bioethik, Bd. 2, Stichwort: Menschenwürde/Personwürde,
S.684. 389
390 391 392 393
Horstmann in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, S. 1124. Eingehend Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 177 ff. Horstmann in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, S. 1124f. Horstmann in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, S. 1125. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 189.
4. Kap.: Der Menschenürdesatz des Art. 1 Abs. 1 GG
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gleich selbst gibt" 3 9 4 . Kant führt dazu aus: „Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen oder jeder vernünftigen Natur". 395 Nach Kant hat ein „jeder Mensch (...) rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden." 396 Er fährt fort: „Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen (weder von anderen noch gar von sich selbst) bloß als Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit), dadurch er sich über alle anderen Weltwesen, die nicht Menschen sind, und doch gebraucht werden können, mithin über alle Sachen erhebt. Gleichwie er also sich selbst für keinen Preis weggeben kann (welches der Pflicht der Selbstschätzung widerstreiten würde), so kann er auch nicht der eben so notwendigen Selbstschätzung anderer, als Menschen, entgegen handeln, d. i. er ist verbunden, die Würde der Menschheit an jedem anderen Menschen praktisch anzuerkennen, mithin ruht auf ihm eine Pflicht, die sich auf die jedem anderen Menschen notwendig zu erzeigende Achtung bezieht." 397 Diese Lehre Kants ist als maßgebliche Interpretationsmaxime für den Menschenwürdesatz übernommen worden. 398 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wird der Begriff der Menschenwürde zum politischen Schlagwort. Lassalle spricht von dem berechtigten Anspruch der Arbeiter und Kleinbürger an den Staat, die materielle Lage der arbeitenden Klasse zu verbessern und ihr zu einem wahrhaft menschenwürdigen Dasein zu verhelfen. 399 Nach Proudhon ist das Prinzip der Menschenwürde Grundprinzip der Gerechtigkeit. Deren Verwirklichung fordert von jedem Menschen, die Würde des anderen ebenso zu respektieren wie die eigene. Garantiere die Gesellschaft diese Voraussetzungen nicht, so daß Einzelne keine Würde haben, verlören alle Mitglieder der Gesellschaft ihre Würde. 400 Die Forderungen der Arbeiterbewegung aufnehmend betont Art. 151 Abs. 1 S. 1 WRV den sozialstaatlichen Aspekt der Idee der Menschenwürde: „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen." Der kurze Überblick über die ideengeschichtlichen Grundlagen macht deutlich, daß diese, schon aufgrund ihrer Heterogenität, nicht geeignet sind, konkrete rechtliche Aussagen über eine Menschenwürdeverletzung im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik zu machen.
394
Kant y Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Ausgabe Weischedel, S. 67. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Ausgabe Wieschedel, S.69. 396 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Ausgabe Weischedel, S.600. 397 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Ausgabe Weischedel, S.600f. 398 Hoerster, JuS 1983, 93 f. (kritisch hinsichtlich des praktischen Wertes der Kantschen Lehre in der Rechtsanwendung); zur Kritik an dieser Übernahme insbesondere wegen der mangelnden Differenzierung zwischen Tugend- und Rechtspflichten, Dreier in: Dreier, Grundgesetz, Art. 11, Rdnr. 13 m. w. N. 399 Lassalle, Gesammelte Reden und Schriften, S. 173 f. 400 Proudhon, De la justice dans la révolution et dans l'église, S. 4. 395
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
2. Die Aufnahme des Menschenwürdesatzes in das Grundgesetz Die Aufnahme der Menschenwürdegarantie ins Grundgesetz ist in erster Linie eine unmittelbare Reaktion auf die Menschenverachtung des nationalsozialistischen Regimes.401 Das erfahrene Unrecht im Blick, zielte die Aufnahme des Menschenwürdesatzes ins Grundgesetz vor allem darauf ab, den Vorrang des Menschen vor dem Staat unveränderlich festzuschreiben und ihn vor Mißhandlung, Folter, Verfolgung, Vernichtung sog. lebensunwerten Lebens, Diskrimierung u. s. w. zu schützen. 402 Gleichwohl bestand jedoch Konsens über die zukunftsweisende Dimension des Menschenwürdesatzes, der trotz oder gerade wegen seines hohen Abstraktionsgrades Ausstrahlungswirkung auf die gesamte Grundrechtsordnung haben sollte. 403 3. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat sich in zahlreichen Entscheidungen zur Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes geäußert. 404 Es sieht in Art. 1 Abs. 1 GG eines der „tragenden Konstitutionsprinzipien" 405, den „höchsten Rechtswert" 406 im grundgesetzlichen „Wertsystem" 407, also die wichtigste Wertentscheidung des Grundgesetzes408. Angesichts der Schwierigkeiten, einen zeitlos gültigen Menschenwürdebegriff zu definieren, hat das Gericht zunächst für Eingriffe in die Menschenwürde die Umschreibung „Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung" gefunden 409. Später hat es mit der sog. Objektformel wesentliche Elemente der transzendentalen Philosophie Kants rezipiert. Danach widerspricht es der Würde des Menschen, ihn zum „bloßen Objekt des Staates" zu machen.410 Im sog. Abhörurteil hat das Gericht ausgeführt, daß die Objektformel lediglich die Richtung andeuten könne, in der Fälle der Menschenwürdeverletzung gefunden werden könnten. Unter welchen Umständen eine Menschenwürdeverletzung vorliege, ließe sich immer nur in Ansehung des konkreten Falles feststellen. 411 Der Mensch sei nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwick401
Starck, Verh. des 56.DJT, Bd. I, A13; ausführlich zur Entstehungsgeschichte, Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 404ff. 402 Dreier in Dreier, GG, Art. 1 Rdnr. 34. 403 Dreier in Dreier, GG, Art. 1 Rdnr. 23 f.; Stern, Festschrift Scupin, S.627 (631). 404 Nachweise der Entscheidungen bis 1990 bei Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 190 ff. 405 BVerfGE 50,166 (175); 45,187 (227); 87,209 (228). 406 BVerfGE 48,127 (163). 407 BVerfGE 7,198 (205); 50,166 (175). 408 BVerfGE 32, 98 (108); 54, 341 (357). 409 BVerfGE 1, 97 (104). 410 BVerfGE 87, 209 (228); die Objektfoimel geht zurück auf Dürig in: Maunz/Dürig/ Scholz, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 28. 411 BVerfGE 30, 1 (25 f.).
4. Kap.: Der Menschen Würdesatz des Art. 1 Abs. 1 GG
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lung, sondern auch des Rechts, insofern er ohne Rücksicht auf seine Interessen sich fügen müsse. Eine Menschenwürdeverletzung könne daher nur dann angenommen werden, wenn die Subjektqualität des Betroffenen prinzipiell in Frage gestellt werde oder in der Behandlung im konkreten Fall eine willkürliche Mißachtung der Würde des Menschen liege. 412 Legt man die im Abhörurteil aufgestellten Grundsätze zugrunde, erscheint eine Menschenwürdeverletzung durch das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik zweifelhaft, da ein subjektives Element der Mißachtungsabsicht nicht erkennbar ist. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht die Schutzpflicht zugunsten des ungeborenen Lebens im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch mit dessen Würde begründet, wobei offen geblieben ist, ob es in jeder Verletzung des Lebensrechts zugleich eine Würdeverletzung sieht. 413 Ob und inwieweit das Bundesverfassungsgericht im Verfahren der Präimplantationsdiagnostik eine Würdeverletzung des extrakorporalen Embryos sehen würde, kann daher nicht eindeutig bestimmt werden.
4. Anerkannte Fallgruppen Um dem Menschenwürdebegriff des Grundgesetzes subsumtionsfähige Konturen zu geben, sind in der Literatur Fallgruppen gebildet worden, die nach allgemeiner Auffassung vom Menschenwürdesatz des Art. 1 Abs. 1 GG erfaßt sind. Danach schützt Art. 1 Abs. 1 GG - die körperliche Integrität, insbesondere vor Folterung, archaischen Strafsanktionen und staatlichem Mord, - die personale Identität im Sinne autonomer Selbstdarstellung gegen identitätsbrechende Übergriffe, - ein Minimum an menschengerechten Lebensgrundlagen sowie - elementare Rechtsgleichheit.414 Dementsprechend werden Fragen der Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie unter dem Aspekt des Identitäts- und Integritätsschutzes der Menschenwürde diskutiert. 415 Durch die Präimplantationsdiagnostik ist der Embryo in seiner körperlichen Integrität bedroht. Darüber hinaus ist er auch in seiner Identität insoweit bedroht, als er wegen einer Behinderung diskriminiert wird, so daß ihm eine ihm gemäße Entfaltung verwehrt wird. Einigkeit besteht allerdings darüber, daß grundsätzlich eine zurückhaltende Auslegung 412 BVerfGE 30, 1 (26); Kritik an dem Urteil wegen des subjektiven Faktors findet sich beispielsweise bei: Häberle, HStR Bd. I, § 20, Rdnr. 9. 413 Siehe hierzu Teil III, 1. Kapitel, IV. 1. und VI. 2.; Graf Vitzthum, JZ 1985, 201 (203). 414 Höfling in: Sachs, GG, Art. 1 Rdnr. 24ff.; ders., JuS 1995, 857 (861); ähnlich Dreier in: Dreier, GG, Art. 1 Rdnr. 44; Jaras s in: Jarass/Pieroth, Art. 1 Rdnr. 6 ff.; Hofmann, AöR 118 (1993), 353 (363); Scherzberg, DVB1. 1999, 356 (358). 415 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 362.
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
des Menschenwürdebegriffs geboten ist 416 , so daß der Menschenwürdesatz nur vor Tabuverletzungen, vor wesentlichen Beeinträchtigungen elementarer Persönlichkeitskomponenten schützt.417 Daraus folgt, daß ebenso wie beim geborenen Menschen, bei dem nicht jeder Eingriff in das Leben auch zugleich eine Menschenwürdeverletzung darstellt, nicht notwendig jeder Eingriff in die biologische Existenz des Embryos zugleich seine Menschenwürde verletzt. 418 Auch eine benachteiligende Behandlung wegen einer Behinderung muß nicht im jedem Fall einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG darstellen.
II. Das Verhältnis der Menschenwürdegarantie zu den anderen Grundrechtsgewährleistungen Bei der Anwendung der Menschenwürdeklausel auf den konkreten Fall sind folgende Besonderheiten des Menschenwürdesatzes zu beachten: - Im Unterschied zu den speziellen grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen bezieht sich Art. 1 Abs. 1 GG nicht auf spezifische Segmente des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens, sondern enthält - hierin dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verwandt - eine modal ausgerichtete Generalklausel, die eine bestimmte Art der Behandlung durch die Staatsgewalt verbietet und sie dazu verpflichtet, den Einzelnen vor Verletzungen seiner Menschenwürde durch Dritte zu schützen.419 Aufgrund dessen wird der Inhalt dessen, was den Rechtsbegriff der Menschenwürde ausmacht anhand der Objektformel vom Verletzungsvorgang her bestimmt. Diese kann allerdings nur die Auslegungsrichtung angeben, soll sie nicht zur beliebigen Floskel werden. 420 - Wegen der Unantastbarkeitsklausel des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG hat die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes einen absoluten Geltungsanspruch. Sie entzieht sich jeder Abwägung mit Staatsinteressen oder Drittinteressen. Ist damit jede Beeinträchtigung der Menschenwürde als absolut unzulässig einzustufen, kann daraus nur folgen, daß durch Art. 1 Abs. 1 GG lediglich ein absoluter Kernbereich menschlicher Existenz geschützt sein soll. 421 - Das Grundgesetz enthält in den Grundrechten des Grundgesetzes ein weitgehend lückenloses Wert- und Anspruchssystem, in dem die Menschenwürde durch die 416 So schon Dürig in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 16: „Art. 11 ist keine »kleine Münze4 so auch Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Rdnr. 30; Zippelius in: BK, GG, Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rdnr. 16; Scherzberg, DVB1.1999,356 (366); Höfling, JuS 1995, 857 (860); ausdrücklich hinsichtlich humangenetischer Fragen: Dreier in Dreier, GG, Art. 1 Rdnr. 62. 417 Höfling, JuS 1995, 857 (860). 418 So auch Geiger/von Lampe, Jura 1994, 20 (22); Hofmann, AöR 118 (1993) 353 (376). 419 Höfling, JuS 1995, 857 (858). 420 Höfling, JuS 1995, 857 (860). 421 Höfling, JuS 1995, 857 (860).
4. Kap.: Der Menschenürdesatz des Art. 1 Abs. 1 GG
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speziellen Gleichheits- und Freiheitsrechte für konkrete Lebensbereiche geschützt wird. 422 Daraus folgt, daß zur Bewältigung konkreter Gefährdungen eines Grundrechtsträgers die Art. 1 GG nachfolgenden Gewährleistungen der Grundrechte grundsätzlich eine einschlägige und ausreichende Handhabe bieten.423
III. Schlußfolgerungen für die Präimplantationsdiagnostik Die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie die speziellen Gleichheitsrechte stehen in engem Zusammenhang mit der Würde des Menschen, schützen insoweit also einen menschenrechtlichen Kernbestand. 424 Der durch Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG normierte Schutz Behinderter vor Benachteiligungen steht ebenfalls in engstem Zusammenhang mit dem Grundsatz der Menschenwürde. 425 Ob und inwieweit diese Grundrechte dem Verfahren der Präimplantationsdiagnostik Grenzen errichten, wurde in den vorangegangen Kapiteln untersucht. 426 Eine über die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität und Benachteiligung wegen einer Behinderung hinausgehende menschenwürdeverletzende Behandlung ist im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik nicht erkennbar. Es bleibt damit bei der alleinigen Maßstabsfunktion des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie des Benachteiligungsverbots für Behinderte aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.
IV. Zusammenfassung des 4. Kapitels Der Menschenwürdesatz des Grundgesetzes ist zurückhaltend auszulegen. Konkrete Grundrechtsgefährdungen sind an den Art. 1 GG nachfolgenden Grundrechten zu messen. Nur bei elementaren Beeinträchtigungen elementarer Persönlichkeitskomponenten kommt darüber hinaus eine Menschenwürdeverletzung in Betracht. Bei der Präimplantationsdiagnostik sind die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG die einschlägigen Maßstabsnormen. Eine darüber hinausgehende Menschenwürdeverletzung ist im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik nicht gegeben.
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So schon Dürig in: Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 13. So Höfling, JuS 1995, 857 (861), ders. in: Sachs, GG, Art. 1 Rdnr. 57 ff.: „Grundsatz der partiellen Spezialität und Subsidiarität"; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rdnr. 3; in diese Richtung auch Scherzberg, DVB1. 1999, 356 (366). 424 Zippelius in BK, GG, Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rdnr. 13. 425 Sachs, RdJB 2/96,154 (163); Jürgens, G., ZfSH/SGB, 353 (356), wonach eine Benachteiligung wegen einer Behinderung den „Wertanspruch auf Menschenwürde" verletzt. 426 Siehe Teil III, 1.-3. Kapitel. 423
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
5. Kapitel
Die Ausgestaltung der Schutzpflicht Die grundrechtliche Schutzpflicht, wiewohl verfassungsrechtlich begründet, bedarf der gesetzgeberischen Ausgestaltung. Der Gesetzgeber hat mit den strafrechtlichen Regelungen des Embryonenschutzgesetzes den Schutz des Embryos im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik gesetzlich normiert. Fraglich ist, ob er damit seiner grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG in vollem Umfang gerecht geworden ist.
I. Die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes Das Embryonenschutzgesetz untersagt die Präimplantationsdiagnostik an totipotenten Zellen (§ 6 Abs. 1 i.V. m. § 8 Abs. 1, § 2 Abs. 1 i.V. m. § 8 Abs. 1 ESchG). Eine Präimplantationsdiagnostik an Embryonalzellen nach Verlust der Totipotenz wird vom Embryonenschutzgesetz nicht erfaßt, so daß die Präimplantationsdiagnostik - sofern dabei nicht mehr Eizellen einer Frau befruchtet werden, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG) - insoweit uneingeschränkt zulässig ist. 427 Die Untersuchung zum grundrechtlichen Schutz des Embryos hat indes ergeben, daß im Hinblick auf die grundrechtliche Schutzpflicht zugunsten des Embryos aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG nur schwerwiegende Verdachtsmomente für eine zu erwartende schwere Behinderung, die mit ganz erheblichen Belastungen für die Frau bzw. die Eltern verbunden wären, eine Präimplantationsdiagnostik rechtfertigen können.428 Das Embryonenschutzgesetz wird folglich der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG nicht in dem gebotenen Umfang gerecht. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes im Jahre 1990 war die Technik der Präimplantationsdiagnostik an differenzierten Zellen mit anschließendem Embryotransfer insbesondere angesichts ungünstigen Nidations-chancen des Embryos von einer routinemäßigen Anwendung noch weit entfernt, so daß der Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt von einer hinreichenden Erfüllung seiner Schutzpflicht durch das Verbot der Diagnose an totipotenten Zellen ausgehen konnte.429 Der Gesetzgeber erfüllt seine Schutzpflicht allerdings nicht ein für allemal dadurch, daß er ein Gesetz in Erfüllung der Schutzpflicht erläßt, das nach seiner verfassungsrechtlich unbedenklichen Einschätzung auch geeignet erscheint, das vom 427 Sofern nicht berufsrechtliche Regelungen entgegenstehen, ausführlich zum einfachrechtlichen Schutz, Teil II. 1. Kapitel. 428 Teil III, 1. Kapitel, VII, 2. Kapitel, VI, 3. Kapitel, V. 429 Siehe dazu Teil II, 2. Kapitel, XII, siehe auch S te ttner, DVB1.1982,1123 (1125), der darauf hinweist, daß ein gewisses Nachhinken des Gesetzgebers in der Natur der Sache liegt.
5. Kap.: Die Ausgestaltung der Schutzpflicht
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Grundgesetz geforderte Maß an Schutz zu gewährleisten. Er bleibt vielmehr aufgrund seiner Schutzpflicht weiterhin dafür verantwortlich, daß das Gesetz tatsächlich einen angemessenen und wirksamen Schutz gewährleistet. 430 Der Staat muß sich daher darüber informieren, ob die geltenden Regelungen effektiven Schutz gewährleisten. In seiner Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 1993 hat das Bundesverfassungsgericht judiziert, dies bedeute zwar nicht, daß der Gesetzgeber zur fortlaufenden Kontrolle der Gesetze verpflichtet sei. Aus der Schutzpflicht für das Leben, die eine dauernde Verpflichtung für alle Staatsorgane darstelle, ergäben sich jedoch besondere Anforderungen. Der hohe Rang des zu schützenden Rechtsguts, die Art der Gefährdung des ungeborenen Lebens und der in diesem Bereich festzustellende Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse und Anschauungen erforderten es, daß der Gesetzgeber beobachtet, wie sich sein gesetzliches Schutzkonzept in der Wirklichkeit auswirkt (Beobachtungspflicht). 431 Bei der Präimplantationsdiagnostik besteht eine dem Schwangerschaftsabbruch vergleichbare Gefährdungslage des Embryos, die durch das Tempo der gentechnologischen Entwicklung verschärft wird, so daß auch hier den Gesetzgeber eine besondere Beobachtungspflicht trifft. 432 Stellt sich heraus, daß das Gesetz das von der Verfassung geforderte Maß an Schutz nicht gewährleistet, so ist der Gesetzgeber wegen seiner Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung aus Art. 20 Abs. 3 GG zur Änderung und Ergänzung der bestehenden Vorschriften zur Beseitigung dieses Mangels verpflichtet (Korrekturund Nachbesserungspflicht 433).434 Eine solche Verpflichtung besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon für den Fall, daß sich eine Entwicklung in Richtung Verfassungswidrigkeit abzeichnet.435
II. Weiterer Regelungsbedarf der Präimplantationsdiagnostik Besteht also ein weiterer Regelungsbedarf der Präimplantationsdiagnostik in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht, so stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten der gesetzgeberischen Ausgestaltung. 430
BVerfGE 88, 203 (309) m. w. Rspr. N.; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 98; Stern, Staatsrecht III/l, § 73 IV, 4g, S. 1316 spricht insoweit von einer „Obliegenheit" des Gesetzgebers. 431 BVerfGE 88, 203 (310). 432 Ein herausragendes und besonderes intensives Instrument zur Erfüllung der Beobachtungspflicht ist die Einsetzung einer Enquête-Kommission nach § 56 GO des Bundestages, so auch Steinberg, Der Staat 26 (1987), 161 (166). 433 Noch nicht ausreichend geklärt erscheinen die näheren Umstände dieser Verpflichtung. 434 BVerfGE 88,203 (309 f.) m. w. Rspr. N. 435 BVerfGE 39,169 (194); 41, 269 (283); dazu Mayer, Die Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers, S. 180.
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3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
1. Mittel des Schutzes Grundsätzlich ist die Wahl der Mittel und die Normierungsebene zur Erfüllung der Schutzpflicht nicht verfassungsrechtlich vorgegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich allerdings aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, daß der Gesetzgeber verpflichtet ist, in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. 436 Wegen der Intensität der Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG bei der Präimplantationsdiagnostik folgt daraus, daß der Gesetzgeber alle wesentlichen normativen Fragen in diesem Zusammenhang durch Parlamentsgesetz selbst entscheiden muß. Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik, so sind als wesentlich die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Zulassung einer Präimplantationsdiagnostik anzusehen. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber die Zulassung der Diagnose an folgende Voraussetzungen knüpfen muß: Es müssen konkrete Anzeichen dafür vorliegen, daß eine schwere Behinderung des zu (er)zeugenden Embryos zu erwarten ist. Diese Behinderung muß ganz erhebliche Belastungen für die Frau bzw. die künftigen Eltern mit sich bringen. Im übrigen richtet sich die Freiheit bei der Wahl der Normierungsebene nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen. Daraus folgt, daß nicht jede Teilfrage vom parlamentarischen Gesetzgeber geregelt werden muß. 437 2. Die Pflicht zum Erlaß von Strafnormen Fraglich ist, ob der Gesetzgeber zum Erlaß von Strafnormen verpflichtet ist. Grundsätzlich ist der Gesetzgeber verpflichtet, zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit Strafnormen zur Verfügung zu stellen, da in der Regel nur so ein effektiver Schutz gegen Übergriffe Dritter gewährleistet ist. 438 Strafrechtsnormen sind jedoch nur dann geboten, wenn sie einziges taugliches Mittel zum effektiven Grundrechtsschutz sind. 439 Dies wird man unschwer bei den Straftatbeständen des Strafgesetzbuches zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit annehmen können. Diese Sichtweise ist jedoch nicht ohne weiteres auf den vorgeburtlichen Lebensschutz übertragbar. Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seiner ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch judiziert, daß es entscheidend darauf ankommt, ob die Gesamtheit der dem ungeborenen Leben dienenden Maßnahmen einen der Bedeutung des zu sichernden Rechtsguts entsprechenden tatsächlichen Schutz gewährleistet. Nur im äußersten Fall, wenn der von der Verfassung ge436 BVerfGE 34,165 (192f.);40,237 (248f.); 45,400 (417); 47,46 (78f.); 48,210 (221); 49, 89 (126f.); 58,257 (268 ff.). 437 Vgl. Schulze-Fielitz in Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 52. 438 Murswiek in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 191; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 197, 218; BVerfGE 39, 52 ff. 439 Schulze-Fielitz in: Dreier, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 54.
5. Kap.: Die Ausgestaltung der Schutzpflicht
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botene Schutz auf keine andere Weise erreicht werden könne, sei der Gesetzgeber verpflichtet, zur Sicherung des sich entwickelnden Lebens das Mittel des Strafrechts einzusetzen.440 In der zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch hat das Gericht anerkannt, daß der Gesetzgeber in der Frühphase der Schwangerschaft zu einem Beratungsschutzkonzept übergehen könne, um die Frau für das Austragen des Kindes zu gewinnen.441 Es sei eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Einschätzung des Gesetzgebers, wenn er sich zur Erfüllung seines Schutzauftrages einem Schutzkonzept zuwendet, das davon ausgeht, jedenfalls in der Frühphase der Schwangerschaft sei ein wirksamer Schutz ungeborenen Lebens nur mit der Mutter, nicht aber gegen sie möglich. 442 Dementsprechend ist insbesondere hinsichtlich der Frauen und Männer, die sich mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik ihren Kinderwunsch erfüllen wollen, eine - weitere - Regelung der Materie mit Hilfe strafrechtlicher Normen nicht zwingend geboten. Ebenso wie der Wille, ein Kind nicht zu gebären, kann der unerfüllte Wunsch nach einem gesunden Kind in besonderem Maße dazu verleiten, sich über strafrechtliche Normen hinwegzusetzen oder aber entsprechende Maßnahmen im Ausland durchführen zu lassen. Daher muß es dem Gesetzgeber offenstehen, andere Schutzkonzepte zu entwickeln, solange diese hinreichend effektiv sind. Denkbar sind insoweit insbesondere die Mittel der genetischen Beratung sowie Aufklärungs- und Hilfsmaßnahmen bei der Geburt behinderter Kinder. Darüber hinaus bestehen im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik aus anderem Grunde Zweifel an der Geeignetheit und Effektivität einer strafrechtlichen Regelung der Materie. Die Verfahren der modernen Fortpflanzungsmedizin und insbesondere das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik erfordern einen hohen fachlichen Sachverstand. Der biologische und medizinische Laie hat schon erhebliche Schwierigkeiten, die Vorgänge bei der künstlichen Befruchtung und Diagnose in ihren Einzelheiten theoretisch zu erfassen. Erheblich größere Schwierigkeiten ergeben sich aber bei der Beobachtung und damit der juristischen Beurteilung solcher Vorgänge. So kann beispielsweise schon der Fachmann Mausembryonen im Mehrzellstadium von menschlichen Embryonen im Mehrzellstadium mit bloßem Auge nicht unterscheiden. Es steht daher zu befürchten, daß Normverstöße nur in seltensten Fällen zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen werden. Bei einvernehmlichem Handeln aller Beteiligten besteht im Zweifel kein Verfolgungsrisiko. 443 Die Effektivität einer Regelung hängt daher weniger davon ab, ob sich diese strafrechtlicher Normen bedient, als von tauglichen Überwachungseinrichtungen und der effektiven Durchsetzung von Sanktionen.444 Daher ist nicht aus440
BVerfGE 39,1 LS 4; S.52ff. BVerfGE 88, 203 (204 LS 11), S. 264ff. 442 BVerfGE 88, 203 (266). 443 Vgl. Hülsmann, JZ 1992, 1106 (113); Jung ZStW 100 (1988), 3 (11 ff.); Koch, MedR 1986, 259 ff. 444 In diese Richtung auch Köhl, Festschrift Hubmann, S. 161 (192); äußerst fraglich ist allerdings, ob die sog. Ethikkommissionen einer solchen Aufgabe gerecht werden können, zu dieser Problematik siehe: Sobota, AöR 121 (1996), 229ff. m. w. N.; Pfeiffer, ZRP 1998,43ff. 441
10 Giwer
146
3. Teil: Der grundrechtliche Schutz des Embryos
geschlossen, daß administrative Kontrollinstrumente gerade angesichts der Möglichkeiten der Beteiligung des in der Verwaltung versammelten Sachverstandes einen erheblich effektiveren Grundrechtsschutz gewährleisten können als Strafrechtsnormen. Für eine administrative Regelung streitet auch die Tatsache, daß gerade im Bereich der Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin die Notwendigkeit der ständigen Anpassung des Rechts an technische Entwicklungen und neue wissenschaftliche Erkenntnisse besteht. Dem können verwaltungsrechtliche Regelungen effektiv Rechnung tragen. 445
3. Für und Wider eines Indikationenkatalogs Für den Fall, daß der Gesetzgeber sich für eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik entscheidet, ist fraglich, ob ein die Präimplantationsdiagnostik regelndes Gesetz einen abschließenden Katalog der Indikationen für die Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik enthalten muß. Für einen solchen Katalog spricht der rechtsstaatliche Grundsatz der Rechtssicherheit. 446 Gegen ein solches Konzept streitet aber die Überlegung, daß eine Festschreibung von zur Präimplantationsdiagnostik berechtigenden Krankheiten zu einer Stigmatisierung solcher Personen führen kann, die an dieser Krankheit leiden, und einen gesellschaftlichen Druck dahingehend befördern könnte, menschliches Leben mit solchen Krankheiten nicht zur Welt zu bringen. 447 Diesen Bedenken könnte eine Regelung unter Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe Rechnung tragen. Im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip ist die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe unbedenklich, solange diese, insbesondere durch die Rechtsprechung, präzisiert werden können.448 Ein Indikationenkatalog dürfte indes keinesfalls einzige Zulässigkeitsvoraussetzung der Präimplantationsdiagnostik sein, da alleiniger Maßstab für die Zulässigkeit einer Präimplantationsdiagnostik die Abwägung im konkreten Fall sein muß. Eine generalisierende Betrachtungsweise würde der grundrechtlichen Schutzpflicht nicht gerecht. 449 Unbedenklich erscheint demgegenüber ein „negativer" Indikationenkatalog, in den solche Krankheiten oder Schädigungen aufzunehmen wären, die grundsätzlich eine Präimplantationsdiagnostik nicht rechtfertigen können.450 445
Vgl. Steinberg, Der Staat 26 (1987),161 (168), hinsichtlich der Offenheit des Atomrechts für neue Entwicklungen. 446 Ausführlich zur Rechtssicherheit: Schmidt-Aßmann, HStR Bd. I, § 24 Rdnr. 81ff. m. w. N. 447 So schon der Bericht des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur Genomanalyse, BTDrucks. 12/7094, S.5; jüngst ausdrücklich zur Präimplantationsdiagnostik: Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, S.58. 448 BVerfGE 3, 225 (243); 13, 153 (161 f.); 31, 255 (264); 48, 210 (222); 80, 103 (108). 449 Siehe Teil III, 1.-3. Kapitel, so auch jüngst: Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz, Präimplantationsdiagnostik, S.58. 450 In diese Richtung auch Cramer , ZRP 1992,136 (140) bzgl. der Pränataldiagnostik.
5. Kap.: Die Ausgestaltung der Schutzpflicht
147
III. Zusammenfassung des 5. Kapitels Die Erfüllung der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG bedarf der gesetzgeberischen Ausgestaltung. Da das Embryonenschutzgesetz lediglich die Präimplantationsdiagnostik an totipotenten Zellen untersagt, nicht indes die Diagnostik an differenzierten Zellen des Embryos, wird es nicht in vollem Umfang der Schutzpflicht gerecht. Den Gesetzgeber trifft eine Beobachtungspflicht seines Schutzkonzepts im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik. Angesichts der Möglichkeit der Diagnose an differenzierten Zellen des Embryos ist er zur Nachbesserung der gesetzlichen Regelung verpflichtet. Die Wahl der Mittel zur Erfüllung seiner Schutzpflicht ist dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht vorgegeben. Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine nach Maßgabe der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik, so hat er die wesentlichen Voraussetzungen in einem Parlamentsgesetz zu regeln. Zur Vermeidung eines positiven Indikationenkataloges ist die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe grundsätzlich zulässig. Zum Erlaß von Strafnormen ist der Gesetzgeber nur verpflichtet, wenn anders ein effektiver Schutz des Embryos im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik nicht gewährleistet ist.
10+
4. T e i l
Das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates sowie das Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen Teil Π. und ΠΙ. waren ausschließlich der Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik im Hinblick auf einen effektiven Embryonenschutz nach nationalem Recht gewidmet. Angesichts zunehmender Mobilität und Globalisierung kann indes das nationale Recht in unserer Zeit nur noch eingeschränkt einen effektiven Embryonenschutz gewährleisten. Angesichts dessen werden Fragen des Embryonenschutzes auch im internationalen Rahmen diskutiert. Der Europarat hat jüngst ein Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin sowie ein Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen verfaßt und zur Unterzeichnung ausgelegt. Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Regelungen der Konvention auf der Ebene des nationalen Rechts der Bundesrepublik haben und ob mit ihnen im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik ein effektiver Embryonenschutz auf europäischer Ebene sichergestellt wird.
1. Kapitel
Das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin - Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates vom 4. April 1997 I. Einführung Das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin - kurz: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin (BMK) - des Europarates 1 liegt seit
1. Kap.: Das Übereinkommen des Europarates vom 4. April 1997
149
dem 4.4.1997 i m spanischen Oviedo zur Unterzeichnung auf. 2 Inzwischen haben 22 der 40 Mitgliedstaaten des Europarates die Konvention unterzeichnet und damit den Vertragstext als endgültig festgelegt. 3 Nach Art. 33 Abs. 3 B M K tritt die Konvention nur in Kraft, wenn fünf Staaten, darunter mindestens vier Mitgliedstaaten des Europarats ausgedrückt haben, durch das Übereinkommen gebunden zu sein. Nachdem die Slowakische Republik, Dänemark, Schweden, Griechenland und San Marino die Konvention ratifiziert und damit die völkerrechtliche Bindung durch den Vertrag erklärt haben, ist diese am 1. Dezember 1999 in Kraft getreten. Kurz darauf hat Spanien die Konvention ratifiziert. I m November 2000 wurde sie von Georgien ratifiziert. M i t der Veröffentlichung eines ersten Entwurfs der seinerzeit noch als BioethikKonvention 4 bezeichneten Konvention i m Jahre 1994 setzte in Deutschland eine breite öffentliche Diskussion ein. 5 Die Konvention ist in Deutschland, insbesondere wegen des von vielen Seiten als zu niedrig empfundenen Schutzstandards für Behinderte und Embryonen, heftig umstritten. 6 M i t Rücksicht auf die mangelnde A k zeptanz und den weiteren innerstaatlichen Diskussionsbedarf hat sich Deutschland bei der Schlußabstimmung i m Ministerkomitee der Stimme enthalten. 7 Es stellt sich nun die Frage, ob die Bundesregierung die Konvention dennoch unterzeichnen wird. 8 Nachdem die Bundesregierung zunächst eine ablehnende Haltung eingenom1 European Treaty Series - No. 164 (in englischer und französischer Sprache); Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd. 2 1997, 285 ff. (in englischer und deutscher Sprache); International Legal Materials 36 (1997), 817ff. und Human Rights Law Journal 18 (1997), 135ff. (in englischer Sprache mit Erläuterndem Bericht); abrufbar im Internet unter http://conventions. eoe. int. 2 Presseinformation des Bundesministeriums der Justiz Nr. 5/1998 vom 5.2.1998, NJW 1998, Heft 15, S. XVIII. 3 Vgl. Art. 33 Abs. 1 BMK; zur völkerrechtlichen Wirkung der Unterzeichnung Ipsen, Völkerrecht, S. 109; Mitgliedstaaten des Europarates, welche das Übereinkommen unterzeichnet haben: Dänemark, Ehemalige jugoslawische Republik, Georgien Mazedonien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien, Republik Moldau, San Marino, Schweden, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Türkei; Ungarn, Tschechische Republik, Polen, Schweiz, Zypern; folgende EU-Mitgliedstaaten haben bislang nicht unterzeichnet: Belgien, Deutschland, Großbritannien, Irland und Österreich (Stand: 20.02.2001, Quelle: Treaty Office des Europarats, http ://convention.coe.int). 4 Zur Kritik an diesem Titel: Bockenheimer-Lucius, EthikMed (1995)7, 146 (148 f.) 5 „Schwerste Bedenken" äußerte z.B. der Deutsche Richterbund, DRiZ 1995,149 (152); zur Entstehungsgeschichte und zum Inhalt der BMK ausführlich Degener, KritV 1998, 7ff.; zur Entstehungsgeschichte auch Explanatory Report, Human Rights Law Journal 18 (1997), 139f., Explanatory Report auch abgedruckt in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd. 3 1998, 231 ff.; Bockenheimer-Lucius, EthikMed (1995) 7; 146ff. 6 Vgl. nur die divergierenden Stellungnahmen anläßlich einer öffentlichen Anhörung zur BMK, Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25. März 1998. 7 Laufs, NJW 1997, 776; Wolfslast, KritV 1998, 74. 8 Ausführlich zum Verfahren in Deutschland: Degener, KritV 1998, 7 (31 ff.).
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4. Teil: Das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin
men hatte,9 ließ sie in späteren Pressemitteilungen verlauten, daß sie geneigt sei zu unterzeichnen.10 Eine Ratifikation nach Art. 59 GG darf nur dann erfolgen, wenn die Voraussetzungen der Verfassungsmäßigkeit erfüllt sind. Bedenken könnten sich insbesondere wegen der Regelungen zur Genanalyse und zur Zulässigkeit medizinischer Eingriffe am geborenen und ungeborenen Leben ergeben. Nach Art. 27 BMK darf das Übereinkommen ,»nicht so ausgelegt werden als beschränke oder beeinträchtige es die Möglichkeit einer Vertragspartei, im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin einen über dieses Übereinkommen hinausgehenden Schutz zu gewähren."
Der Erläuternde Bericht stellt klar, daß mit dieser Formulierung nicht etwa der Schutz der Forschungsfreiheit, sondern der Schutz des menschlichen Lebens gemeint ist. 11 Diese Deutung der Bestimmung ergibt sich auch schon aus Art. 1 Abs. 1 BMK, wonach Gegenstand und Ziel der Konvention die Wahrung der Würde und der Integrität aller menschlichen Lebewesen ist. Es bleibt der Bundesrepublik daher unbenommen, ihren auf manchen Gebieten der Biomedizin etablierten höheren Schutzstandard beizubehalten oder zu verschärfen. Da die BMK insgesamt von dem Gedanken der Würde und Integrität des Menschen getragen ist und sich zum Ziel gesetzt hat, Entwicklungen der Biomedizin dort Einhalt zu gebieten, wo diese Grundsätze gefährdet werden 12, sind keine Anhaltspunkte für einen Verfassungsverstoß im Falle der Ratifikation ersichtlich. 13 Davon zu unterscheiden ist jedoch die politische Frage, ob die Ratifikation langfristig nicht zu einer Absenkung des ethischen Standards und in deren Folge auch des rechtlichen Schutzstandards in Deutschland führen wird. 14 9
NJW 1997, Heft 20, S. XXXVII; vgl. auch den Bericht über den Verhandlungsstand des Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin der Bundesregierung vom 21.08.96, BTDrucks. 13/5435. 10 Presseinformation des Bundesministeriums der Justiz Nr. 5/1998 vom 5.2.1998, NJW 1998, Heft 15, S. XVIII. 11 Explanatory Report, Human Rights Law Journal, 18 (1997), Gliederungspunkt 162, S. 150. 12 Vgl. Art. 1 Abs. 1 BMK: „Parties to this Convention shall protect the dignity and identity of all human beings and guarantee everyone, without discrimination, respect for their integrity and other rights and fundamental freedoms with regard to the application of biology and medicine."; in diesem Sinne auch der Explanatory Report, Human Rights Law Journal, 18 (1997), Gliederungspunkt 2, S. 139. 13 So auch: Giesen, MedR 1995, 353 (354); Schulz, Zur Vereinbarkeit des Entwurfs des Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin des Europarats vom 6. Juni 1996 (früher: „Bioethik-Konvention") mit den Grundrechten, S.5, jedoch unter Hinweis auf eine negative Signalwirkung der Konvention. 14 Siehe zu dieser Diskussion Vultejus, ZRP 1995, 47 (48); Honnef eider, Universitas 51 (1996), 836 (842); ders., Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd.2 (1997), 305 (313 ff.); Kienle, ZRP 1996,253 ff.; Reiter, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Β 6/99,
1. Kap.: Das Übereinkommen des Europarates vom 4. April 1997
151
Wird die BMK nach ordnungsgemäßer Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG ratifiziert, so gilt sie innerstaatlich als einfaches Gesetzesrecht.15 Inwieweit die Normen der Konvention unmittelbar anwendbar sind und evtl. subjektive Rechte und Pflichten einzelner begründen können, wäre durch Auslegung zu ermitteln. 16 Angesichts der Bestimmung des Art. 27 BMK kann diese Auslegung jedoch keinesfalls zu einer Senkung des innerstaatlichen Schutzstandards führen. Insbesondere bleiben die Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes unberührt, was in einem Artikelgesetz zur Ratifizierung klargestellt werden könnte.
II. Der Regelungsgehalt der Konvention im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik Die Konvention enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen über die Präimplantationsdiagnostik. Da mit der Konvention Mindeststandards zum Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin geschaffen werden sollen, könnte sie dennoch Bestimmungen enthalten, die Aussagen über die Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik treffen.
1. Auslegungsgrundsätze Gem. Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) ist ein Vertrag zwischen Staaten nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.17 Ergänzende Auslegungsmittel, insbesondere die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses können nach Art. 32 WVK herangezogen werden, um die sich unter Anwendung des Artikels 31 ergebende Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach Art. 31 die Bedeutung S. 3ff.; ausdrücklich gegen eine Ratifikation: Höfling, KritV 1998, 99 (109f.); ders., Universitas 51 (1996), 854 (860). Eine Absenkung des innerstaatlichen Schutzstandards ist indes nur innerhalb der verfassungs- insbesondere grundrechtlichen Vorgaben möglich, deren Inhalt und Reichweite im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik in Teil III. dieser Arbeit untersucht werden. 15 Zur Herbeiführung der innerstaatlichen Geltung eines völkerrechtlichen Vertrages: Streinz in: Sachs, GG, Art. 59 Rdnr. 59 ff. m. w. N. 16 Streinz in: Sachs, GG, Art. 59 Rdnr. 67 ff.; der Erläuternde Bericht geht davon aus, daß die BMK Bestimmungen enthält, die subjektive Rechte begründen, ohne diese jedoch zu spezifizieren, Explanatory Report, Human Rights Law Journal, 18 (1997), Gliederungspunkt 20, S. 141. 17 Zur Auslegung völkerrechtlicher Verträge Ipsen, Völkerrecht, S. 118.
152
4. Teil: Das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin
mehrdeutig oder dunkel läßt. Der BMK ist ein Erläuternder Bericht beigefügt. Ausweislich dessen Präambel handelt es sich hierbei nicht um eine amtliche Interpretation der Konvention.18 Nach völkerrechtlichen Grundsätzen ist der Erläuternde Bericht jedoch im Falle einer Interpretationsunsicherheit zur Auslegung heranzuziehen. Die Auslegung kann auf der Grundlage von Art. 31 Wiener Vertragsrechtsübereinkommen auch zu einem Ergebnis führen, das vom Erläuternden Bericht abweicht. 19 Der authentische Text der Konvention ist in englischer und französischer Sprache verfaßt, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist (Art. 38 BMK, Art. 33 Abs. 1 WVK). Bei Mehrdeutigkeit ist diejenige Bedeutung verbindlich, die allen Vertragssprachen gemeinsam ist. 20 Falls sich Bedeutungsunterschiede in den einzelnen Texten nicht unter Anwendung der Art. 31 f. WVK beseitigen lassen, ist diejenige Bedeutung verbindlich, die Ziel und Zweck des Vertrages am besten miteinander in Einklang bringt (Art. 33 Abs. 4 WVK). 2 1 Art. 29 BMK sieht fakultativ eine Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf Antrag der Regierung einer Vertragspartei oder des nach Art. 32 BMK vorgesehenen Ausschusses vor. Indes soll dies ohne Bezugnahme auf ein bestimmtes anhängiges Verfahren geschehen.
2. Der Beginn menschlichen Lebens Ab welchem Zeitpunkt und Entwicklungsstadium menschliches Leben beginnt und von den einzelnen Schutzbestimmungen der Konvention erfaßt wird, ist nicht definiert. Die Begrifflichkeit innerhalb des Konventionstextes ist insoweit uneinheitlich. So ist in der Präambel und in Art. 1 und 2 vom „Menschen" (individual, individu) oder „menschlichen Lebewesen" (human being, être humain) die Rede. Überwiegend wird jedoch der Begriff der „Person" (person, toute personne) verwendet, so in Kapitel II, das Fragen der Einwilligung regelt, in Kapitel IV zum menschlichen Genom, in Kapitel V, welches sich mit wissenschaftlicher Forschung befaßt sowie in Kapitel V I zur Entnahme von Organen und Gewebe von lebenden Spendern zu Transplantationszwecken. Verschiedentlich ist auch von „jedermann" (everyone, toute personne) die Rede (Kapitel ΙΠ, Art. 10 BMK). Der Begriff der Person könnte in einem eingeschränkten Sinne zu verstehen sein in der Weise, daß nicht jeder Mensch auch Person ist. 22 Dem Erläuternden Bericht ist zu entnehmen, 18
Explanatory Report, Human Rights Law Journal, 18 (1997), 139. Bundesministerium der Justiz, Das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin, S. 10. 20 Ipsen, Völkerrecht, S. 123. 21 Ipsen, Völkerrecht, S. 123. 22 Zur Diskussion um die Einheit von Mensch- und Personsein im Kontext bioethischer Fragen, Wildfeuer in: Lexikon der Bioethik, Bd. 3, Stichwort: Person, S.7ff.; Honnef eider, Der Streit um die Person in der Ethik, Philosophisches Jahrbuch 100, S. 246 ff.; Strasserl Starz (Hrsg.), Personsein aus bioethischer Sicht, ARSP Beiheft Nr. 73. 19
1. Kap.: Das Übereinkommen des Europarates vom 4. April 1997
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daß die Konvention die Worte „everyone" und „toute personne" gleichbedeutend verwendet. Angesichts der divergierenden Auffassungen unter den Mitgliedstaaten des Europarates über die Definition dieser Begriffe habe man von einer Definition abgesehen und diese dem innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten überlassen.23 Hinsichtlich des Begriffs „human being" führt der Bericht aus, daß dieser verwendet werde, um die Notwendigkeit des Schutzes der Würde und der Identität menschlicher Lebewesen festzustellen. Einhellige Auffassung sei, daß die menschliche Würde und Identität zu respektieren sei, sobald Leben beginne.24 Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Entwicklung des menschlichen Lebens der Schutz durch die Konvention greifen soll, vermag folglich auch der Erläuternde Bericht nicht zu liefern. Auch eine Parallele zu Art. 2 EMRK, der das Recht auf Leben schützt, hilft bei der Auslegung der Konvention nicht weiter, da auch bzgl. dieser Bestimmung ungeklärt ist, inwieweit das werdende Leben von ihr erfaßt ist. 25 Die Frage des Lebensbeginns bleibt folglich der jeweiligen innerstaatlichen rechtlichen Sichtweise überlassen mit der dementsprechenden Auswirkung auf die Effektivität der Konvention im Hinblick auf den Schutz der Menschenwürde und den Lebensschutz.
3. Art. 1 Abs. 1 B M K Art. 1 Abs. 1 BMK bekennt sich zur Würde und Identität aller menschlichen Lebewesen und gewährleistet jedermann ohne Diskriminierung die Wahrung seiner Integrität sowie seiner sonstigen Grundrechte und Grundfreiheiten im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin. Wie schon erwähnt, sollen ausweislich des Erläuternden Berichts diese Rechte mit Beginn des Lebens geschützt werden. 26 Da jedoch einerseits der Lebensbeginn nicht definiert ist und andererseits der konkrete Schutzumfang erst in den nachfolgenden Bestimmungen normiert wird, ist nicht zu erwarten, daß Art. 1 BMK bezüglich der Präimplantationsdiagnostik konkrete Rechtswirkungen entfalten wird.
23 Explanatory Report, Human Rights Law Journal 1997 (18), Gliederungspunkt 18, S. 141; einer Interpretation im genannten Sinne entgegentretend: Bundesministerium der Justiz, Das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin, S. 12. 24 Explanatory Report, Human Rights Law Journal 18 (1997), Gliederungspunkt 19, S. 141. 25 Siehe hierzu Europäische Kommission für Menschenrechte, Entsch. vom 13.5.1980, NJW 1981,1141 f.; Frowein/Peukert, EMRK, Art. 2, Rdnr. 3; ablehnend Fahrenhorst, EuGRZ 1988, 125. 26 Explanatory Report, Human Rights Law Journal, 1997 (18), Gliederungspunkt 19, S. 141.
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4. Teil: Das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin
4. Art. 2 BMK Nach Art. 2 BMK hat das Interesse und das Wohl des menschlichen Lebewesens Vorrang gegenüber dem bloßen Interesse (im englischen: the sole interest, im französischen: le seul intérêt) der Gesellschaft oder der Wissenschaft. Konkrete Vorgaben für die Präimplantationsdiagnostik wird man aus dieser Bestimmung schwerlich ableiten können. Einerseits ist der Interpretation der Norm im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik schon ein Ende gesetzt, wenn man den Schutz des menschlichen Lebewesens zu einem späteren Zeitpunkt als dem der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle einsetzen läßt. Andererseits ist dem menschlichen Lebewesen mit dem Wortlaut „sole interest" oder „seul intérêt" auch nur ein grundsätzlicher Vorrang eingeräumt, der Ausnahmen zugunsten der Gesellschaft oder Wissenschaft zuläßt. Die Vorschrift kann daher nur als Auslegungsregel der Konvention Wirkung entfalten. 27
5. Art. 11 BMK Nach Art. 11 BMK ist jede Diskriminierung einer Person wegen ihres genetischen Erbes verboten. Diese Vorschrift könnte ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik beinhalten. Die Diskriminierung könnte in der Vernichtung oder dem Absterbenlassen des Embryos nach Feststellung der genetischen Belastung liegen. Den Vorgang der Abspaltung und Untersuchung der totipotenten Zelle wird man nicht unter diese Bestimmung subsumieren können, da der genetische Status hierbei erst festgestellt werden soll. Da bei der Untersuchung die totipotente Zelle verbraucht wird, wird diese zwar - so man entsprechend der deutschen Ansicht diese als Embryo ansehen will - vernichtet, nicht jedoch wegen eines genetischen Befundes diskriminiert, da sie ja ohne Rücksicht auf den genetischen Befund in jedem Fall vernichtet wird. Die Diskriminierung kann sich jedoch auf den sog. Restembryo beziehen, dessen genetisches Erbe durch die Untersuchung bekannt wird. Unproblematisch erscheint es, in dem Absterbenlassen oder der Vernichtung eine - wohl die einschneidendste Form - einer Diskriminierung zu sehen.28 Indes ist Art. 11 BMK auf die Präimplantationsdiagnostik nur dann anwendbar, wenn man auch den Embryo als „Person" ansehen will. Darüber hinaus gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß die Vorschrift Fragen der Präimplantationsdiagnostik regeln wollte. Dies wird bestätigt durch den Hinweis des Erläuternden Berichts zu Art. 12 BMK, wonach die
27 Vgl. Explanatory Report, Human Rights Law Journal, 1997 (18), Gliederungspunkte 21, 22, S. 141. 28 Der Erläuternde Bericht weist darauf hin, daß der Begriff „discrimination" nur die benachteiligende Diskriminierung meint und insbesondere Maßnahmen zum Ausgleich von Nachteilen im Zusammenhang mit dem genetischen Erbe nicht verbieten will; Explanatory Report, Human Rights Law Journal, 1997 (18), Gliederungspunkt 77, S. 145.
1. Kap.: Das Übereinkommen des Europarates vom 4. April 1997
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Möglichkeit vorgeburtlicher genetischer Tests zur Feststellung schwerwiegender Erbkrankheiten ausdrücklich nicht beschränkt werden sollte.29 6. Art. 12 BMK Nach Art. 12 BMK dürfen Untersuchungen, die es ermöglichen, genetisch bedingte Krankheiten vorherzusagen oder bei einer Person entweder das Vorhandensein eines für eine Krankheit verantwortlichen Gens festzustellen oder eine genetische Prädispositon oder Anfälligkeit für eine Krankheit zu erkennen, nur für Gesundheitszwecke oder für gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung vorgenommen werden. Legt man die Vorschrift so aus, daß der genetische Test dem „Gesundheitszweck" desjenigen dienen muß, dessen Genom diagnostiziert wird, so würde die Vorschrift eine Präimplantationsdiagnostik, die nicht auch - was meist der Fall sein wird - gesundheitsbezogener wissenschaftlicher Forschung dient, verbieten.30 Die Ausführungen des Erläuternden Berichts machen jedoch deutlich, daß die Vorschrift ausschließlich dazu dienen soll, Betroffene vor genetischen Tests im Arbeitsleben oder beim Abschluß von Versicherungsverträgen zu schützen.31 Ein Verbot vorgeburtlicher genetischer Tests zur Feststellung schwerer Erbkrankheiten ist indes nicht intendiert. 32 7. Art. 14 BMK Art. 14 BMK verbietet die Verwendung von Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung zur Geschlechtswahl des künftigen Kindes. Eine Ausnahme wird jedoch für den Fall der Vermeidung einer schweren, erblichen geschlechtsgebundenen Krankheit zugelassen. Die Vorschrift setzt voraus, daß grundsätzlich reproduktionsmedizinische Verfahren zur Analyse von Erbkrankheiten eingesetzt werden können33 und spricht mithin dafür, daß ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik in der BMK nicht vorgesehen ist. 34
29
Explanatory Report, Human Rights Law Journal, 1997 (18), Gliederungspunkt 83, S. 145, im Wortlaut: „Art. 12 as such does not imply any limitation of the right to carry out diagnostic interventions at the embryonic stage to find out whether an embryo carries hereditary traits that will lead to serious diseases in the future child." 30 Vgl. Laufs, NJW 1997, 776. 31 Explanatory Report , Human Rights Law Journal 1997 (18), Gliederungspunkt 5, 86, S. 145 f. 32 Explanatory Report, Human Rights Law Journal 1997 (18), Gliederungspunkt 83, S. 145. 33 Höfling, KritV 1998, 99 (106); Bentert in: Lexikon der Bioethik, Bd. 1, Stichwort: Embryonenforschung, S. 561. 34 So auch Simon, EthikMed (1999) 11, 62 (63).
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4. Teil: Das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin
8. Art. 18 Abs. 1 BMK Nach Art. 18 Abs. 1 BMK ist, soweit Embryonenforschung in vitro nach den nationalen Gesetzen erlaubt ist, ein angemessener Schutz des Embryos zu gewährleisten. Nach der offiziellen Verlautbarung des Bundesministeriums der Justiz ist diese Regelung so auszulegen, daß ein angemessener Schutz eine Forschung, die nicht dem Wohl des Embryos dient, ausschließt.35 Folgt man dieser Deutung, würde sich ein Wertungswiderspruch zu der durch die Konvention nicht ausdrücklich verbotenen Präimplantationsdiagnostik auftun. Da eine Forschung an Embryonen in der Regel nicht dem Wohl des Embryos dient, vielmehr davon auszugehen ist, daß dieser dabei verbraucht, also abgetötet wird, wäre die Embryonenforschung danach in der Regel nicht zulässig, während demgegenüber die Präimplantationsdiagnostik, die ebenfalls das Absterben oder Abtöten von Embryonen in Kauf nimmt, nach der Konvention zulässig wäre. 36 Man könnte daher zu dem Schluß kommen, daß dann auch die Präimplantationsdiagnostik, da sie in der Regel jedenfalls als derzeit noch experimentelles Verfahren auch Forschungszwecken dient, als „gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung" (vgl. Art. 12 BMK) auch den Einschränkungen des Art. 18 BMK in der Auslegung durch das Bundesjustizministerium unterworfen ist. Gegen die oben wiedergegebene Interpretation des Art. 18 Abs. 1 BMK durch das Bundesministerium der Justiz sprechen jedoch gewichtige Bedenken: Derzeit dürften Experimente mit Embryonen in vitro ohne Gefahr für deren Leben kaum möglich sein.37 Art. 18 Abs. 1 BMK geht jedoch von der grundsätzlichen Möglichkeit der Zulassung von Embryonenforschung durch die nationalen Gesetze aus. Bei einer Auslegung, nach der ein angemessener Schutz des Embryos nur ein solcher ist, der dem Wohl des Embryos dient, wäre daher die Regelung des Art. 18 Abs. 1 BMK in sich widersprüchlich. Darüber hinaus waren sich, wie bereits ausgeführt, die Staaten über die Reichweite des Lebensschutzes keineswegs einig. So mögen andere Staaten einen angemessenen Schutz schon dann für gegeben ansehen, wenn sich die Forschung auf höherrangige Zwecke beschränkt und nicht über den 14. Entwicklungstag des Embryos ausgedehnt wird. 38 Auch aus Art. 18 Abs. 1 BMK läßt sich daher kein Verbot der Präimplantationsdiagnostik ableiten.
35 Bundesministerium der Justiz, Das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin, S. 21; ähnlich auch Honnef eider, Universitas 51 (1996), 836 (840) „Von deutscher Seite wird dies so verstanden, daß damit auch Forschung an überzähligen Embryonen verboten ist." 36 So auch Simon, EthikMed (1999) 11, 62 (63); zu diesem Problem nimmt die Verlautbarung des Bundesministeriums der Justiz, a. a. O., nicht Stellung. 37 So auch Schulz, Zur Vereinbarkeit des Entwurfs des Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin des Europarates vom 6. Juni 1996 (früher: „Bioethik-Konvention") mit den Grundrechten, S. 13. 38 Honnefelder, Universitas 51 (1996), S.836 (841); Bentertin: Lexikon derBioethik, Bd. 1, Stich wort: Embryonenforschung, S.560.
2. Kap.: Das Zusatzprotokoll des Europarates vom 12. Januar 1998
157
9. Zwischenergebnis Ein konkreter Regelungsgehalt im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik ist dem Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin nicht zu entnehmen.
2. Kapitel
Das Zusatzprotokoll des Europarates zum Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen vom 12. Januar 1998 I. Einführung Das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen39 liegt seit dem 12. Januar 1998 zur Unterzeichnung auf. Es wurde bislang von 29 Mitgliedstaaten unterzeichnet. 40 Deutschland hat bislang das Protokoll nicht unterzeichnet, da dies nach Art. 31 die Unterzeichnung der BMK voraussetzt.41 Nach Art. 3 des Zusatzprotokolls sind dessen Art. 1 und 2 als Zusatzartikel der BMK anzusehen mit der Folge, daß die Bestimmungen der BMK entsprechend anzuwenden sind. Das Zusatzprotokoll tritt - ebenso wie das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin - in Kraft, wenn fünf Mitgliedstaaten ratifiziert haben. Nachdem Griechenland, Georgien, die Slowakische Republik, Slowenien und Spanien das Protokoll ratifiziert haben, ist es am 1. März 2001 in Kraft getreten 42.
39 Council of Europe - European Treaties. ETS No. 168 DIR/JUR (98) 7 - Additional Protocol to the Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine, on the Prohibition of Cloning Human Beings, abgedruckt in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Bd. 3 1998, S. 331 ff. in englischer Sprache mit vorläufiger Arbeitsübersetzung des Bundesministeriums der Justiz; zu dem Zusatzprotokoll: Kienle, ZRP 1998, S. 186ff. 40 Presseinformation des Bundesministeriums der Justiz Nr. 5/1998 vom 5.2.1998, NJW 1998, Heft 15, S. XVIII. 41 Quelle: Treaty Office des Europarats, http://conventions.coe.int. 42 Quelle: Treaty Office des Europarats, http://conventions.coe.int.
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4. Teil: Das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin
II. Regelungsgehalt des Zusatzprotokolls im Hinblick auf die Präimplantationsdiagnostik Nach Art. 1 Abs. 1 des Zusatzprotokolls ist jede Intervention verboten, die die Erschaffung eines menschlichen Lebewesens zum Ziel hat, das mit einem lebenden oder toten Menschen genetisch identisch ist. Gem. Art. 1 Abs. 2 bedeutet genetisch identisch dabei die Identität der genetischen Kerninformationen, also der Erbinformation der Zellkerne. Daraus folgt ein Verbot des Klonens menschlicher Wesen. Für die Frage, ob die Präimplantationsdiagnostik durch das Zusatzprotokoll geregelt wird, kommt es darauf an, ob das Verbot des Klonens auch die bei dem Verfahren der Präimplantationsdiagnostik häufig angewendete Methode der künstlichen Mehrlingsbildung unter Verwendung totipotenter Zellen erfaßt. Dagegen spricht schon die Formulierung des Art. 1 Abs. 1, der auf die Schaffung eines menschlichen Wesen („human being") und nicht etwa auf die Erzeugung identischer Embryonen abstellt, soweit sie zu Forschungs- oder Diagnosezwecken verbraucht werden. Zwar sind nach der hier vertretenen Auffassung auch (extrakorporale) Embryonen als menschliches Leben im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG anzusehen43, bei der Auslegung völkerrechtlicher Konventionen kann diese Sichtweise jedoch nicht ohne weiteres übernommen werden. Die Auslegung des Begriffs „human being" muß sich an der Frage orientieren, was die Vertragsstaaten hierunter verstehen. Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen über den Beginn schutzwürdigen menschlichen Lebens ist davon auszugehen, daß, soweit eine Regelung schon Embryonen in jedem Stadium erfassen soll, dies auch ausdrücklich formuliert würde. Eine Auslegung des Art. 1 Abs. 1 in der Weise, daß hier nicht die Erzeugung identischer Embryonen gemeint ist, liegt also nahe. Diese Interpretation wird durch die Ausführungen des Erläuternden Berichts zum Zusatzprotokoll bestätigt.44 Danach sind hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Protokolls drei grundsätzliche Situationen zu unterscheiden, nämlich (1) die Technik des Klonens als solche, (2) die Verwendung von Embryonalzellen im Rahmen des Klonens und (3) das Klonen von menschlichen Lebewesen mit Hilfe von Techniken wie der Embryonalzellteilung oder der Zellkernübertragung. Die erstere sei ethisch unbedenklich, die zweite dem Protokoll über den Embryonenschutz vorbehalten. Allein das Klonen im letzteren Sinne mit der Folge der Klonierung menschlicher Lebewesen falle in den Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls. 45 Damit steht fest, daß die Klonierung und anschließende Verwendung 43 44 45
Teil III, 1. Kapitel, I. Explanatory Report, International Legal Materials, 36 (1997), 1419f. Explanatory Report, International Legal Materials 36 (1997), 1419.
2. Kap.: Das Zusatzprotokoll des Europarates vom 12. Januar 1998
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der totipotenten Zelle zu Diagnosezwecken im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik nicht in den Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls fällt. 46
III. Zwischenergebnis Die im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik angewandte Klonierungstechnik fällt nicht in den Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls zum Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen.
IV. Gesamtergebnis Weder das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin noch das Zusatzprotokoll zum Verbot des Klonens enthalten Bestimmungen, die das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik regeln oder in seinem Anwendungsbereich einschränken. Konkrete Regelungen bleiben dem noch in Arbeit befindlichen Zusatzprotokoll zum Schutz menschlicher Embryonen und Föten vorbehalten. 47
46
Die Niederlande haben anläßlich der Unterzeichnung ausdrücklich erklärt, daß der Terminus ,»human being" dahingehend zu interpretieren ist, daß er sich nur auf bereits geborene menschliche Individuen bezieht. 47 Vgl. Explanatory Report, International Legal Materials 36 (1997), 1419; die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die allerdings zur Zeit rechtlich unverbindlich ist, enthält in Art. 3 Abs. 2 ein Verbot eugenischer Praktiken und der Selektion von Personen sowie das Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen. Nach den Erläuterungen des Präsidiums des Konvents will die Charta damit nicht von den Bestimmungen des Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin abweichen.
. Teil
Zusammenfassung der Ergebnisse I. Nach dem Embryonenschutzgesetz ist die Präimplantationsdiagnostik an totipotenten Zellen des extrakorporalen Embryos als verbotenes Klonen i. S. d. § 6 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 1 ESchG strafbar. Darüber hinaus erfüllt eine Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung totipotenter Zellen den Straftatbestand des § 2 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 1 ESchG (mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen). Durch die Präimplantationsdiagnostik wird der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG nicht erfüllt (mißbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken). Zur Erfüllung dieses Tatbestandes ist Vorsatz in Form der Absicht erforderlich, d. h. der Täter muß zielgerichtet hinsichtlich der Nichtherbeiführung einer Schwangerschaft handeln. Dies ist bei der Präimplantationsdiagnostik, die mit dem Ziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft (mit einem gesunden Embryo) erfolgt, nicht der Fall. Erfolgt eine Präimplantationsdiagnostik an differenzierten Zellen des Embryos, ist diese von keiner Strafvorschrift des Embryonenschutzgesetzes erfaßt, sofern der Embryo bei positivem genetischem Befund lediglich verworfen wird (und nicht etwa beispielsweise zu Forschungszwecken weiterverwendet wird). Insbesondere handelt es sich bei dieser Vorgehensweise nicht um ein mißbräuchliches Verwenden menschlicher Embryonen i. S. d. § 2 Abs. 1 ESchG. Voraussetzung ist jedoch, daß nicht mehr Embryonen erzeugt werden, als der betroffenen Frau innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG). II. Die Motive des Gesetzgebers für ein strafrechtliches Verbot der Präimplantationsdiagnostik unter Verwendung totipotenter Zellen waren vielfältig. Angesichts der Entwicklungspotenz der totipotenten Zelle zu einem eigenständigen Menschen hielt er das Verfahren für besonders problematisch. Die Möglichkeit einer Präimplantationsdiagnostik an differenzierten Zellen des Embryos war dem Gesetzgeber bei Erlaß des Embryonenschutzgesetzes zwar schon bekannt, angesichts der geringen Erfolgschancen dieser Art der Präimplantationsdiagnostik war die Durchführung einer solchen Präimplantationsdiagnostik noch nicht absehbar, so daß der Gesetzgeber davon ausgehen konnte, ein umfassendes Verbot der Präimplantationsdiagnostik normiert zu haben. Ein weiteres wesentliches Motiv für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik war die Tatsache, daß bei diesem Verfahren Embryonen nach genetischen Qua-
5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse
161
litätsmerkmalen selektiert werden. Es bestand die Befürchtung einer schleichenden Eugenik mit einer Ausweitung der Diagnose und Selektion sowie sonstiger mißbräuchlicher Verwendungen des extrakorporalen Embryos. Angesichts dieser Befürchtungen setzte sich in den Beratungen zum Embryonenschutzgesetz diejenige Auffassung durch, die trotz der Tatsache, daß eine Präimplantationsdiagnostik Schwangerschaftsabbrüche aus embryopathischer Indikation verhindern kann, für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik plädierte. ΠΙ. Die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verpflichten den Staat, den extrakorporalen Embryo im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik zu schützen. Dieser genießt ab dem Zeitpunkt der Konjugation den Schutz der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit und des besonderen Gleichheitssatzes zugunsten von Menschen mit Behinderungen aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG. Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in den objektiv-rechtlichen Geltungsgehalten dieser Grundrechte. Die staatliche Schutzpflicht geht allerdings nicht so weit, daß unter allen Umständen ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik geboten ist. Es ist unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten mit Rücksicht auf die Rechte der Frau bzw. des betroffenen Paares aus Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich zulässig, die Präimplantationsdiagnostik in den Fällen zuzulassen, in denen schwerwiegende Verdachtsmomente für eine zu erwartende schwere Behinderung, die mit erheblichen Belastungen für die Frau bzw. die künftigen Eltern verbunden wären, vorliegen. IV. Eine eigenständige Schutzpflicht zugunsten der totipotenten Zelle des Embryos besteht nicht. Die totipotente Zelle kann nicht als eigenständiger Grundrechtsträger angesehen werden. Zwar hat diese das Potential, sich zu einem eigenständigen Menschen zu entwickeln, indes bedarf es zu einer solchen Entwicklung weiterer Manipulationen. Angesichts neuester naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ist dieses Potential jeder Körperzelle nach entsprechender Manipulation zu eigen. Solange nicht entwicklungsfähige Mehrlinge entstanden sind, ist die totipotente Zelle daher auch nach Abspaltung als Bestandteil des Individuums anzusehen, von dem sie getrennt wurde. V. Der Menschenwürdesatz des Art. 1 Abs. 1 GG ist zurückhaltend auszulegen. Bei der Präimplantationsdiagnostik sind die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG die einschlägigen Maßstabsnormen. Eine darüber hinaus gehende Menschenwürdeverletzung ist im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik nicht gegeben. VI. Den Gesetzgeber trifft hinsichtlich der Regelungen des Embryonenschutzgesetzes zur Präimplantationsdiagnostik eine Beobachtungspflicht. Angesichts der Möglichkeit der Präimplantationsdiagnostik an differenzierten Zellen ist er 11 Giwer
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5. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse
zur Nachbesserung der Regelungen zur Präimplantationsdiagnostik verpflichtet. Zum Erlaß strafrechtlicher Normen ist er nur verpflichtet, wenn anders ein effektiver Schutz des Embryos im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik nicht gewährleistet ist. VII. Weder das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin des Europarats vom 4. April 1997 noch das Zusatzprotokoll des Europarats zu diesem Übereinkommen über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen vom 12. Januar 1998 enthalten Bestimmungen, die das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik regeln oder in seinem Anwendungsbereich einschränken.
Anhang Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik Zum Hintergrund Mit dem vorliegenden „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik" beabsichtigt die Bundesärztekammer, einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Diskussion auf diesem so schwierigen und sensiblen Gebiet der Fortpflanzungsmedizin zu leisten. Die besonderen ethischen Konflikte, die mit der Präimplantationsdiagnostik verbunden sind, können nur dann vermieden werden, wenn betroffene Paare bewusst auf Kinder verzichten oder sich zu einer Adoption entschließen. Wie Gespräche mit Paaren mit hohen genetischen Risikofaktoren zeigen, werden diese Alternativen häufig jedoch nicht akzeptiert. In zehn Staaten der Europäischen Union ist die Präimplantationsdiagnostik bereits heute zulässig. Weltweit wurde die Methode bei mehr als 400 Paaren durchgeführt; bis heute wurden über 100 Kinder nach Präimplantationsdiagnostik geboren. Deshalb muss die Gesellschaft im öffentlichen Diskurs entscheiden, ob und inwieweit die Präimplantationsdiagnostik in Deutschland Anwendung finden soll. Die ethische Diskussion umfasst im Kern den Konflikt, dass nach einer künstlichen Befruchtung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft der in vitro gezeugte Embryo im Falle des Nachweises einer schweren genetischen Schädigung unter Umständen nicht in die Gebärmutter transferiert wird. Diese schwerwiegende grundsätzliche ethische Entscheidung liegt im Falle der Präimplantationsdiagnostik zunächst in der Verantwortung des betroffenen Paares und dann - aufgrund des durchzuführenden medizinischen Verfahrens - gleichermaßen auch beim Arzt. Die Ärzteschaft muss sich daher mit dem Thema „Präimplantationsdiagnostik" befassen: Wenn die Gesellschaft die Präimplantationsdiagnostik mehrheitlich möchte, dann sind Rechtssicherheit und ein hohes Schutzniveau nur über Zulassungskriterien zu erreichen, die streng und äußerst restriktiv zu fassen sind. Dies wäre berufsrechtlich nur auf dem Wege einer Richtlinie zu erreichen, die eine Einzelfallbegutachtung vorschreibt. Darüber hinaus ist es unverzichtbar, dass die nicht rein medizinischen Aspekte dieses Verfahrens im Zivil- und Strafrecht durch den Bundesgesetzgeber geregelt werden müssen. Die Bundesärztekammer will mit dem vorgelegten Diskussionsentwurf zur Schärfung des Problembewusstseins im gesamtgesellschaftlichen Meinungsbil11*
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Anhang
dungsprozess beitragen und nicht das Ergebnis einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über die Anwendung dieses neuen medizinischen Verfahrens in Deutschland präjudizieren. Vorwort Die assistierte Reproduktion bei Störungen der Fertilität ist heute ein fester Bestandteil der Reproduktionsmedizin und hilft vielen Paaren, den dringenden Kinderwunsch zu erfüllen. Mit Hilfe zyto- und molekulargenetischer Methoden können im Rahmen der In-vitro-Fertilisation (IVF) schon in einer sehr frühen Phase der Entwicklung menschlichen Lebens Veränderungen (Mutationen) im Erbgut untersucht und erkannt werden, die auch zu schweren körperlichen und geistigen Fehlbildungen führen (Präimplantationsdiagnostik, englisch: preimplantation genetic diagnosis = PGD). Mit der IVF - ohne Vorliegen einer Fertilitätsstörung - als Voraussetzung für eine PGD stößt die Medizin in Grenzbereiche ärztlichen Handelns vor. Mit der PGD werden schwerwiegende und kontrovers diskutierte rechtliche und ethische Probleme aufgeworfen, die auf der ethischen Seite gekennzeichnet sind durch Sachverhalte, die schwierig miteinander zu vereinbaren sind: Auf der einen Seite wird durch aktives ärztliches Handeln mit der IVF die Entwicklung menschlichen Lebens mit dem Ziel einer Schwangerschaft eingeleitet, und auf der anderen Seite wird zugelassen, dass ein so gezeugter Embryo unter Umständen nicht in die Gebärmutter transferiert wird und mit ihm nicht die Entstehung einer Schwangerschaft angestrebt wird (bedingte Zeugung). Die Frage, ob es sich dabei um eine Ausnahme vom Totungsverbot handelt, zum Beispiel vor dem Hintergrund eines abgestuften Schutzkonzepts, oder keine Tötung vorliegt, wird unterschiedlich beantwortet und bedarf noch einer abschließenden rechtlichen Diskussion und Würdigung. Die Bundesärztekammer hielt es vor diesem Hintergrund für geboten, durch ihren Wissenschaftlichen Beirat einen Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur PGD erarbeiten zu lassen. Damit soll versucht werden, den ethischen Normen, den gesetzlichen Regelungen, dem Stand der Wissenschaft und der Diskussion auf dem Gebiet der PGD gleichermaßen gerecht zu werden. Die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz hat in ihrem Bericht „Präimplantationsdiagnostik - Thesen zu den medizinischen, rechtlichen und ethischen Problemstellungen" 1 zu diesem Thema Stellung genommen und hält unter eng beschriebenen Voraussetzungen die PGD für zulässig. Dieser Bericht enthält eine ausführliche Darlegung der Problematik sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Die außer Frage stehende Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens setzt dem Umgang mit Embryonen Schranken, die unter anderem gekennzeichnet sind durch 1
Bericht der Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz vom 20.7.1999: „Präimplantationsdiagnostik - Thesen zu den medizinischen, rechtlichen und ethischen Problemstellungen". Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz.
Diskussionsentwurf
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das Verbot von Untersuchungen an Embryonen im Stadium der zellulären Totipotenz und das Verbot der „fremdnützigen" Verwendung von Embryonen, also jeglicher verbrauchender Embryonenforschung und -diagnostik. Das Embryonenschutzgesetz verbietet die PGD an totipotenten Zellen; dieser gesetzlichen Vorgabe wird im Richtlinienvorschlag gefolgt. Diese Beschränkung gilt unabhängig von einem möglicherweise sich verändernden Kenntnisstand, ab wann embryonale Zellen nicht mehr als totipotent einzustufen sind. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft gelten Zellen nach Abschluss des Acht-Zell-Stadiums als nicht mehr totipotent. Basierend auf dieser wissenschaftlichen Erkenntnis, distanziert sich der Richtlinienvorschlag unmissverständlich von allen Gedanken, Vorstellungen und unter Umständen Absichten zur Erzeugung von Menschen durch jede Art von Klonierung, auch solche aus totipotenten embryonalen Zellen. Die Indikation für eine PGD ist insbesondere im Hinblick auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen äußerst eng zu stellen und bedarf einer sorgfältigen Güteräbwägung, bei der das grundsätzliche Primat des Schutzes ungeborenen Lebens, der Schweregrad, die Prognose und die Therapiemöglichkeiten der infrage stehenden Erkrankung und die gesundheitliche Gefährdung der zukünftigen Schwangeren oder Mutter berücksichtigt werden müssen. Dies beinhaltet auch, dass die Indikation für eine PGD deutlich enger zu stellen ist als für eine Pränataldiagnostik. Die PGD kann allerdings im Einzelfall die spätere Pränataldiagnostik ersetzen und damit zu einer Konfliktreduzierung beitragen, weil sie Entscheidungen über einen eventuellen Abbruch einer fortgeschrittenen Schwangerschaft vermeidet. Die Bundesärztekammer orientiert sich an einem Menschenbild, das nicht reduktionistisch auf der Summe genetischer Informationen beruht, sondern vielmehr vom Respekt vor allen Menschen, einschließlich denen mit geistigen, seelischen und körperlichen Beeinträchtigungen, geprägt ist. Auch dies schlägt sich in der Forderung nach einem sehr restriktiven Einsatz der PGD nieder und begründet gleichzeitig eine deutliche Absage an jede Art eugenischer Selektion und Zielsetzung. Die derzeitige Praxis der IVF ist es, bis zu drei Eizellen zu befruchten. Bei gemäß den strengen Kriterien des Richtlinienvorschlags vorliegender Indikation für eine PGD ist es sinnvoll, alle drei Embryonen nach Abschluss des Acht-Zell-Stadiums der PGD zu unterziehen. Der Umgang mit einem aus der PGD resultierenden pathologischen Befund fordert von allen Beteiligten, dem betroffenen Paar wie den beratenden und den behandelnden Ärzten, eine große Fähigkeit und Bereitschaft zu hinreichend konfliktarmen Lösungen. Für diese gibt es keine allgemein gültigen Regeln, sondern nur verantwortungsbewusste Einzelfallentscheidungen, die auf der Basis umfassender Aufklärung und Beratung getroffen werden müssen. Die Entscheidung über den Transfer eines jeden einzelnen Embryos in die Gebärmutter beruht in Würdigung des Lebensrechts des Kindes auf den einzelfallbezogenen Abwägungen der befürchteten gesundheitlichen Gefährdung der Frau und der zu erwartenden Erkrankung des Kindes. Hierbei geht es ausschließlich um das Ri-
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Anhang
siko einer schweren genetischen Erkrankung, nicht um eine eugenisch orientierte Nachkommensplanung. Eine Hilfe für die an einer PGD beteiligten Ärzte, aber auch gleichzeitig ein Schutz vor Missbrauch der PGD sind die unabdingbare Forderung nach frühzeitiger Einschaltung einer bei der Landesärztekammer gebildeten Kommission sowie die Institutionalisierung einer ebenfalls im Einzelfall einzuschaltenden zentralen „Kommission Präimplantationsdiagnostik" bei der Bundesärztekammer. Dies soll sicherstellen, dass in Deutschland eine PGD nach einheitlichen Grundsätzen erfolgt und Fehlentwicklungen rechtzeitig erkannt und abgestellt werden können. Mit Vorlage dieses Diskussionsentwurfes zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik strebt die Bundesärztekammer einen Diskurs mit den gesellschaftlichen Gruppen an und erhofft sich dabei einen offenen und sachlichen, gleichwohl kritischen Dialog. Sie hält eine Regelung für angemessen, die einerseits die Möglichkeiten der modernen Diagnostik nicht unsachgemäß einengt, zum anderen aber auch das Schutzbedürfnis des menschlichen Lebens und die Achtung der Menschen ernst nimmt, die an der Furcht vor einem genetisch bedingt schwerstkranken Kind gesundheitlich zu zerbrechen drohen. Der Entwurf soll einen Beitrag zu dieser notwendigen Diskussion leisten und dazu dienen, eine sachgerechte Regelung herbeizuführen. Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages. Prof. Dr. med. Karl-Friedrich Sewing, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer. 1. Definition Unter Präimplantationsdiagnostik (englisch: preimplantation genetic diagnosis = PGD) versteht man die Diagnostik an einem Embryo in vitro vor dem intrauterinen Transfer hinsichtlich der Veränderung des Erbmaterials, die zu einer schweren Erkrankung führt. 2. Indikationsgrundlage Die Indikation zur Präimplantationsdiagnostik kann nur bei solchen Paaren gestellt werden, für deren Nachkommen ein hohes Risiko für eine bekannte und schwerwiegende, genetisch bedingte Erkrankung besteht. Bei einer PGD darf nur auf diejenige Veränderung des Erbmaterials untersucht werden, die zu der infrage stehenden schweren genetischen Erkrankung führt, für die das Paar ein hohes genetisches Risiko hat. Von daher ist bei beiden Partnern eine kompetente molekulargenetische und/oder zytogenetische Untersuchung hinsieht-
Diskussionsentwurf
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lieh des bei der Präimplantationsdiagnostik zu ermittelnden Erkrankungsrisikos unabdingbare Voraussetzung. Der Anwendungsbereich der PGD liegt nach derzeitigem Kenntnisstand bei monogen bedingten Erkrankungen und bei Chromosomenstörungen. Von entscheidender Bedeutung sind dabei der Schweregrad, die Therapiemöglichkeiten und die Prognose der infrage stehenden Krankheit. Ausschlaggebend ist, dass diese Erkrankung zu einer schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung der zukünftigen Schwangeren beziehungsweise der Mutter führen könnte. Eugenische Ziele dürfen mit der Präimplantationsdiagnostik nicht verfolgt werden. Keine Indikation für eine Präimplantationsdiagnostik sind insbesondere die Geschlechtsbestimmung ohne Krankheitsbezug, das Alter der Eltern sowie eine Sterilitätstherapie durch assistierte Reproduktion. Auch spät manifestierende Erkrankungen gelten in der Regel nicht als Indikation. Die Präimplantationsdiagnostik erfordert eine assistierte Reproduktion. Sie ist damit eine zusätzliche Indikation für die assistierte Reproduktion (Vergleiche: Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion, Dt Ärztebl 1998; 95: A-3166-3171 [Heft 49]).
3. Zulassungsbedingungen für die Präimplantationsdiagnostik 3.1. Berufsrechtliche
Voraussetzungen
Bei der Präimplantationsdiagnostik handelt es sich um ein spezielles medizinisches Verfahren, bei dem die Empfehlungen von § 13 Abs. 1 der (Muster-)Berufsordnung eingehalten werden müssen2. Soweit in diesen Richtlinien nichts Abweichendes bestimmt ist, gelten die Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion. Die beabsichtigte Durchführung der Präimplantationsdiagnostik ist der Ärztekammer mit dem Nachweis anzuzeigen, dass die in diesen Richtlinien festgelegten berufsrechtlichen Anforderungen erfüllt sind. Änderungen der berufsrechtlichen Voraussetzungen sind der Ärztekammer unverzüglich anzuzeigen. Kein Arzt kann gegen sein Gewissen verpflichtet werden, an einer Präimplantationsdiagnostik mitzuwirken. 2
§ 13 Abs. 1 MBO (1997): „Bei speziellen medizinischen Maßnahmen oder Verfahren, die ethische Probleme aufwerfen und zu denen die Ärztekammer Empfehlungen zur Indikationsstellung und zur Ausführung festgelegt hat, hat der Arzt die Empfehlungen zu beachten."
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3.1.1. Antrags verfahren Der verantwortliche Leiter des Präimplantationsdiagnostik-Vorhabens legt der bei der jeweiligen Landesärztekammer gebildeten Kommission den Antrag mit einem zusätzlichen Exemplar zur Weiterleitung an die „Kommission Präimplantationsdiagnostik" der Bundesärztekammer vor. Der Antrag muss enthalten: - eine ausführliche, anonymisierte Fallbeschreibung, - die zugrunde liegende medizinische Indikation nach Beratung, - Erörterung der befürchteten schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung der Frau, - Darlegung der geplanten Vorgehensweise, - eine Aussage zur ethischen und rechtlichen Vertretbarkeit. 3.1.2. Bei der Landesärztekammer gebildete Kommission Die Präimplantationsdiagnostik kann im Einzelfall erst dann durchgeführt werden, nachdem zuvor ein zustimmendes Votum der bei der jeweiligen Landesärztekammer gebildeten Kommission eingeholt wurde. Von dieser Kommission sollen Vertreter der fallbezogenen Fachrichtungen hinzugezogen werden. Darüber hinaus soll sie vor Abgabe ihres Votums eine Stellungnahme der „Kommission Präimplantationsdiagnostik" der Bundesärztekammer einholen und sich mit dieser in der Beurteilung des Antrages ausdrücklich auseinander setzen. Die bei der Landesärztekammer gebildete Kommission teilt das Ergebnis der „Kommission Präimplantationsdiagnostik" der Bundesärztekammer mit. 3.1.3. „Kommission Präimplantationsdiagnostik" der Bundesärztekammer Die „Kommission Präimplantationsdiagnostik" wird als beratender Ausschuss der Bundesärztekammer eingerichtet. Die „Kommission Präimplantationsdiagnostik" soll: - das Votum gegenüber der bei der Landesärztekammer gebildeten Kommission abgeben, - auf eine Vereinheitlichung der Begutachtungspraxis hinwirken, - die nationale und internationale Entwicklung beobachten und bewerten, - jährlich auf der Grundlage ihrer Dokumentation einen Bericht erstellen und veröffentlichen.
Diskussionsentwurf
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In der „Kommission Präimplantationsdiagnostik" sollen die Disziplinen Humangenetik, Gynäkologie, Andrologie, Pädiatrie, Ethik und Recht vertreten sein. Psychosoziale Aspekte sollen berücksichtigt werden. 5.2. Fachliche, personelle und technische Voraussetzungen Die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik muss Einrichtungen vorbehalten sein, in denen routinemäßig In-vitro-Fertilisation gemäß den Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion durchgeführt wird. Die Entnahme einer Blastomere setzt entsprechende Erfahrung des Durchführenden, zum Beispiel durch ICSI, voraus, die gewährleistet, dass einerseits eine diagnostisch verwertbare Blastomere gewonnen wird, andererseits der Embryo durch den Eingriff nicht geschädigt wird. Hierfür sind umfangreiche tierexperimentelle Erfahrungen Voraussetzung. Insbesondere müssen die verantwortlichen Mitarbeiter über folgende Kenntnisse und Erfahrungen verfügen: Alle Bereiche gemäß den Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion müssen abgedeckt sein sowie zusätzlich: - Humangenetik, - Molekulargenetik beziehungsweise Zytogenetik an Einzelzellen. Der Reproduktionsbiologe der Arbeitsgruppe muss über spezielle Kenntnisse verfügen im Bereich der - Einzelzellentnahme aus mehrzelligen Embryonen, - Verarbeitung von einzelnen Blastomeren zum Zweck der genetischen Diagnostik. Die Molekulargenetiker beziehungsweise Zytogenetiker, welche die genetische Diagnostik durchführen, müssen über entsprechende Erfahrungen in der speziellen zur Diagnostik anstehenden molekularen beziehungsweise zytogenetischen Aberration in der Pränatalmedizin und an Einzelzellen verfügen. 3.2.1. Qualifikation des Arbeitsgruppenleiters Die Leitung der Arbeitsgruppe „Präimplantationsdiagnostik" obliegt einem Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, der spezialisiert ist in gynäkologischer Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin gemäß Weiterbildungsrecht der Landesärztekammern. Der in der Arbeitsgruppe tätige Facharzt für Humangenetik ist für die Durchführung der molekular- und zytogenetischen Untersuchungen verantwortlich. Die Zusatzbezeichnung Medizinische Genetik ist dieser Spezialisierung nicht gleichwertig. Dem Leiter der Arbeitsgruppe obliegt die verantwortliche Überwachung der in diesen Richtlinien festgeschriebenen Maßnahmen.
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Anhang
3.2.2. Sachliche Voraussetzungen Neben den sachlichen Voraussetzungen gemäß den Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion muss zusätzlich ein molekulargenetisches und zytogenetisches Labor als ständige Einrichtung verfügbar sein.
4. Durchführungsbedingungen 4.1. Aufklärung, Beratung und Einwilligung Voraussetzung für die Durchführung von PGD ist eine ausführliche Aufklärung und Beratung des Paares über das Verfahren, seine Vor- und Nachteile sowie mögliche Folgen der Methode. Dem Paar muss eine psychosoziale Beratung angeboten werden. Die Beratung und Aufklärung durch den Humangenetiker und den Gynäkologen muss sich auf mögliche Alternativen erstrecken, wie zum Beispiel - Adoption oder Verzicht auf eigene Kinder, - im Falle einer Schwangerschaft die Möglichkeit zur pränatalen Diagnostik der infrage kommenden genetisch bedingten Erkrankung. Gegenstand der Beratung und Aufklärung durch Gynäkologen und Humangenetiker müssen darüber hinaus sein: - die bei der assistierten Reproduktion notwendigen Maßnahmen, - der Hinweis auf den zeitlichen Aufwand des Verfahrens, - der Hinweis auf die Risiken der Methode (Operations- und Narkoserisiko, Überstimulationssyndrom, Mehrlingsschwangerschaften), - die Erörterung der Erfolgschancen hinsichtlich einer Schwangerschaft und der Geburt eines nicht von der infrage stehenden genetisch bedingten Erkrankung betroffenen Kindes, - der Umgang mit gegebenenfalls nicht transferierten Embryonen. Es ist die schriftliche Einwilligung beider Partner für die Durchführung der PGD sowie deren grundsätzliche Einwilligung für den anschließenden Transfer erforderlich. Zur Absicherung des Ergebnisses der PGD sollte mit dem Paar auch die spätere Möglichkeit der pränatalen Diagnostik erörtert werden. Nach PGD ist in einem erneuten Aufklärungs- und Beratungsgespräch mit dem Paar zu klären, ob und gegebenenfalls welche der Embryonen transferiert werden sollen; für den Transfer ist die Einwilligung der Frau erforderlich.
Literatur
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4.2. Gewinnung von Blastomeren und Transfer
von Embryonen
Totipotente Zellen, die im Sinne von § 8 des Embryonenschutzgesetzes als Embryo gelten, dürfen für die Diagnostik nicht verwendet werden. Die Entnahme von Blastomeren darf nur nach dem Acht-Zell-Stadium durchgeführt werden, da sie nach dem derzeitigen Kenntnisstand dann nicht mehr totipotent sind. Bei einer Entnahme im Rahmen einer Präimplantationsdiagnostik muss gewährleistet sein, dass die weitere Entwicklung des Embryos nicht beeinträchtigt wird.
4.3. Nicht transferierte
Embryonen
Embryonen, die nicht transferiert werden sollen, dürfen nicht kultiviert, kryokonserviert oder anderweitig verwendet werden.
4.4. Verfahrens-
und Qualitätskontrolle
Jede Maßnahme der Präimplantationsdiagnostik ist dem Deutschen IVF-Register (DIR) zu melden. Es müssen die Anzahl untersuchter Embryonen, die Gesamtzahl der Blastomeren, die Anzahl der entnommenen Blastomeren sowie die jeweilige Diagnose des individuellen Embryos mitgeteilt werden. Jeder Transfer und dessen Ergebnis ist mitzuteilen. Der Schwangerschaftsverlauf ist detailliert zu dokumentieren. Die geborenen Kinder sind einem Pädiater vorzustellen. Im Falle einer Fehlgeburt sind die zur Klärung erforderlichen Untersuchungen durchzuführen. Das Deutsche IVF-Register informiert regelmäßig die „Kommission Präimplantationsdiagnostik" der Bundesärztekammer.
Literatur ESHRE PGD Consortium Steering Committee; ESHRE Preimplantation Genetic Diagnosis (PGD) Consortium: preliminary assessment of data from January 1997 to September 1998. Hum Reprod, 1999; 14:3138-3148. Handyside AH, Scriven PN, Ogilvie CM: The future of preimplantation genetic diagnosis. Hum Reprod, 1998; 13 (Suppl4): 249-255. Kress H: Personwürde am Lebensbeginn: Gegenwärtige Problemstellungen im Umgang mit Embryonen. Zeitschr Evangel Ethik, 1999; 43: 36-53. Liebaers 1, Sermon K, Staessen C, Joris H, Lissens W, Van Assche E, Nagy P, Bonduelle M, Vandervorst M, Devroey P, Van Steirteghem A: Clinical experience with preimplantation genetic diagnosis and intracytoplasmic sperm injection. Hum Reprod, 1998; 13 (Suppl 1): 186-195. Lissens W, Sermon K: Preimplantation genetic diagnosis: current status and new developments. Hum Reprod, 1997; 12:1756-1761. Ludwig M, Al-Hasani S, Diedrich Κ: Präimplantationsdiagnostik: preimplantation genetic diagnosis (PGD). In: Weibliche Sterilität: Ursachen, Diagnostik und Therapie. (Ed.: K. Diedrich) Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, 1998; Vol. 1: 692-722.
172
Anhang
Weiterführende Literatur siehe unter Bioethik-Kommission des Landes RheinlandPfalz (Hrsg.: Caesar P): Präimplantationsdiagnostik - Thesen zu den medizinischen, rechtlichen und ethischen Problemstellungen. Bericht vom 20.6.1999. Hepp H: Präimplantationsdiagnostik - in Deutschland nicht erlaubt - aber notwendig? 2000, im Druck.
Mitglieder der Arbeitsgruppe Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. H. M. Beier, Direktor des Instituts für Anatomie und Reproduktionsbiologie der Medizinischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule, Aachen. Prof. Dr. med. K. Diedrich, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Medizinische Universität zu Lübeck. Prof. Dr. med. W. Engel, Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität Göttingen. Prof. Dr. med. H. Hepp, Direktor der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Klinikum Großhadem, München (federführend). Prof. Dr. theol. M. Honecker, Abteilung für Sozialethik und systematische Theologie, Evangelisch-theologisches Seminar, Bonn. Prof. Dr. med. E. Nieschlag, Direktor des Instituts für Reproduktionsmedizin, Zentrum für Frauenheilkunde, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster. Prof. Dr. jur. Dr. h. c. mult. H.-L. Schreiber, Direktor des Juristischen Seminars der Universität Göttingen. Prof. Dr. med. K.-F. Sewing, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer, Hannover RA U. Wollersheim, Rechtsabteilung der Bundesärztekammer, Köln. Dr. med. C. Woopen, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universität zu Köln, Institut für Wissenschaft und Ethik, Bonn. Prof. Dr. med. H.-B. Wuermeling, em. Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nümberg. Geschäftsführung: B. Heerklotz, Dezernat Wissenschaft und Forschung, Bundesärztekammer, Köln (bis 30. Juni 1999). Priv.-Doz. Dr. med. S. Winter, Dezernat Wissenschaft und Forschung, Bundesärztekammer, Köln.
Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarats 3 Convention on Human Rights and Biomedicine Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine:
Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin:
Preamble
Präambel
The member States of the Council of Europe, Die Mitgliedsstaaten des Europarats, die übthe other States and the European Community, rigen Staaten und die Europäische Gemeinsignatories hereto, schaft, die dieses Übereinkommen unterzeichnen; Bearing in mind the Universal Declaration of Human Rights proclaimed by the General Assembly of the United Nations on 10 December 1948; Bearing in mind the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms of 4 November 1950;
eingedenk der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte; eingedenk der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950;
Bearing in mind the European Social Charter of 18 October 1961;
eingedenk der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961;
Bearing in mind the International Covenant on Civil and Political Rights and the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights of 16 December 1966;
eingedenk des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte und des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966;
Bearing in mind the Convention for the Protection of Individuals with regard to Automatic Processing of Personal Data of 28 January 1981;
eingedenk des Übereinkommens zum Schutz der Menschen bei der automatischen Verabreitung personenbezogener Daten vom 28. Januar 1981;
Bearing also in mind the Convention on the Rights of the Child of 20 November 1989;
eingedenk auch des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989;
Considering that the aim of the Council of Eu- in der Erwägung, dass das Ziel des Europarope is the achievement of a greater unity be- rats ist, eine größere Einheit unter seinen tween its members and that one of the methods Mitgliedern herbeizuführen, und dass eines 3
Vorläufige Arbeitsübersetzung des Bundesministeriums der Justiz vom 19. November 1996.
174
Anhang
by which that aim is to be pursued is the main- der Mittel zur Erreichung dieses Ziels die Wahrung und Fortentwicklung der Mentenance and further realisation of human schenrechte und Grundfreiheiten ist; rights and fundamental freedoms; Conscious of the accelerating developments in in dem Β ewusstsein der raschen Entwicklung biology and medicine; in den Bereichen Biologie und Medizin; Convinced of the need to respect the human being both as an individual and as a member of the human species and recognising the importance of ensuring the dignity of the human being;
überzeugt von der Notwendigkeit der Achtung des Menschen sowohl als Individuum als auch als Mitglied der menschlichen Gattung und in Anerkennung der Bedeutung der Wahrung der Menschenwürde;
in dem Bewusstsein, dass der Missbrauch von Conscious that the misuse of biology and medicine may lead to acts endangering human Biologie und Medizin zu Handlungen führen kann, die die Menschenwürde gefährden; dignity; Affirming that progress in biology and medicine should be used for the benefit of present and future generations;
in Bestätigung, dass die Fortschritte in Biologie und Medizin zum Wohl der jetzigen und der künftigen Generation genutzt werden sollten;
Stressing the need for international co-operunter Betonung der Notwendigkeit einer ination so that all humanity may enjoy the bene- ternationalen Zusammenarbeit, damit die Menschheit insgesamt in den Genuss der Erfits of biology and medicine; rungenschaften von Biologie und Medizin kommen kann; Recognising the importance of promoting a public debate on the questions posed by the application of biology and medicine and the responses to be given thereto;
in der Erkenntnis der Bedeutung, die der Förderung einer öffentlichen Diskussion über die Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung von Biologie und Medizin und die darauf zu gebenden Antworten zukommt;
Wishing to remind all members of society of their rights and responsibilities;
in dem Wunsch, alle Mitglieder der Gesellschaft an ihre Rechte und Verantwortlichkeiten zu erinnern;
Taking account of the work of the Parliamentary Assembly in this field, including Recommendation 1160 (1991) on the preparation of a convention on bioethics;
unter Berücksichtigung der Arbeit der Parlamentarischen Versammlung auf diesem Gebiet, einschließlich der Empfehlung 1160 (1991) über die Ausarbeitung eines Übereinkommens zur Bioethik;
Resolving to take such measures as are necessary to safeguard human dignity and the fundamental rights and freedoms of the individual with regard to the application of biology and medicine,
entschlossen, im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin die Maßnahmen zu ergreifen, die zur Gewährleistung des Schutzes der Menschenwürde und der Grundrechte und -freiheiten erforderlich sind;
Have agreed as follows:
sind wie folgt übereingekommen:
Menschenrechtsübereinkommen des Europarats
175
Chapter I - General provisions
Kapitel I - Allgemeine Bestimmungen
Article 1 - Purpose and object
Artikel 1 - Zielsetzung und Gegenstand
Parties to this Convention shall protect the dignity and identity of all human beings and guarantee everyone, without discrimination, respect for their integrity and other rights and fundamental freedoms with regard to the application of biology and medicine.
Die Vertragsparteien dieses Übereinkommens schützen die Würde und die Identität aller Menschen und gewährleisten jedem ohne Unterschied die Wahrung seiner Integrität sowie anderer Rechte und Grundfreiheiten im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin.
Each Party shall take in its internal law the Jede Vertragspartei ergreift in ihrem innernecessary measures to give effect to the provi- staatlichen Recht alle notwendigen Maßnahmen, um den Bestimmungen dieses Übereinsions of this Convention. kommens Wirkung zu verleihen. Article 2 - Primacy of the human being
Artikel 2 - Vorrang des Menschen
The interests and welfare of the human being shall prevail over the sole interest of society or science.
Die Interessen und das Wohlergehen des Menschen haben Vorrang vor dem alleinigen Interesse von Gesellschaft oder Wissenschaft.
Article 3 - Equitable access to health care
Artikel 3 - Gleicher Zugang zu Gesundheitsleistungen
Parties, taking into account health needs and available resources, shall take appropriate measures with a view to providing, within their jurisdiction, equitable access to health care of appropriate quality.
Die Vertragsparteien treffen unter Berücksichtigung der medizinischen Erfordernisse und der verfügbaren Ressourcen geeignete Maßnahmen, die darauf abzielen, innerhalb ihres jeweiligen Rechtssystems jedem gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen von angemessener Qualität zu eröffnen.
Article 4 - Professional standards
Artikel 4 - Grundsätze der Berufsausübung
Any intervention in the health field, including research, must be carried out in accordance with relevant professional obligations and standards.
Jeder Eingriff im Gesundheitsbereich, einschließlich des Eingriffs zu Forschungszwecken, hat unter Einhaltung der einschlägigen beruflichen Pflichten und berufsethischen Grundsätze zu erfolgen.
Chapter I I - Consent
Kapitel II - Einwilligung
Article 5 - General rule
Artikel 5 - Allgemeine Bestimmungen
An intervention in the health field may only be carried out after the person concerned has given free and informed consent to it. This person shall beforehand be given appropriate information as to the purpose and nature of the intervention as well as on its consequences and risks.
Ein Eingriff im Gesundheitsbereich darf nur vorgenommen werden, wenn der Betroffene nach entsprechender Aufklärung vorher seine freie Einwilligung erteilt hat.Der Betroffene ist zuvor in angemessener Form über Ziel und Art des Eingriffs sowie über dessen Folgen und Risiken zu informieren.
176
Anhang
The person concerned may freely withdraw consent at any time.
Der Betroffene kann seine Einwilligung jederzeit aus freien Stücken widerrufen.
Article 6 - Protection of persons not able to consent
Artikel 6 - Schutz einwilligungsunfähiger Personen
1. Subject to Articles 17 and 20 below, an in- 1. Vorbehaltlich der Artikel 17 und 20 darf tervention may only be carried out on a person ein Eingriff an einer einwilligungsunfähigen who does not have the capacity to consent, for Person nur zu ihrem unmittelbaren Nutzen his or her direct benefit. vorgenommen werden. 2. Where, according to law, a minor does not have the capacity to consent to an intervention, the intervention may only be carried out with the authorisation of his or her representative or an authority or a person or body provided for by law.
2. Ist ein Minderjähriger nach dem Gesetz nicht fähig, in einen Eingriff einzuwilligen, so darf dieser nur mit Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, einer gesetzlich vorgesehenen Behörde oder Person oder eines gesetzlich vorgesehenen Gremiums vorgenommen werden.
The opinion of the minor shall be taken into consideration as an increasingly determining factor in proportion to his or her age and degree of maturity.
Die Ansicht des Minderjährigen wird als ein mit zunehmendem Alter und entsprechender Reife an Bedeutung gewinnender Faktor berücksichtigt.
3. Where, according to law, an adult does not have the capacity to consent to an intervention because of a mental disability, a disease or for similar reasons, the intervention may only be carried out with the authorisation of his or her representative or an authority or a person or body provided for by law.
3. Ist ein Erwachsener aufgrund einer geistigen Behinderung, einer Krankheit oder aus ähnlichen Gründen nach dem Gesetz nicht fähig, in einen Eingriff einzuwilligen, so darf dieser nur mit Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, einer gesetzlich vorgesehenen Behörde oder Person oder eines gesetzliche vorgesehenen Gremiums vorgenommen werden.
The individual concerned shall as far as poss- Der Betroffene ist soweit wie möglich in das ible take part in the authorisation procedure. Einwilligungsverfahren einzubeziehen. 4. The representative, the authority, the person or the body mentioned in paragraphs 2 and 3 above shall be given, under the same conditions, the information referred to in Article 5.
4. Der Vertreter, die Behörde, die Person oder das Gremium, die in den Absätzen 2 und 3 genannt sind, sind unter Einhaltung der genannten Bedingungen nach Artikel 5 zu informieren.
5. The authorisation referred to in paragraphs 2 and 3 above may be withdrawn at any time in the best interests of the person concerned.
5. Die in den Absätzen 2 und 3 genannte Einwilligung kann im wohlverstandenen Interesse des Betroffenen jederzeit widerrufen werden.
Article 7 - Protection of persons who have a mental disorder
Artikel 7 - Schutz von Personen mit einer Geisteskrankheit
Subject to protective conditions prescribed by Vorbehaltlich der gesetzlich vorgeschriebelaw, including supervisory, control and appeal nen Schutzbestimmungen, die Aufsichts-, procedures, a person who has a mental disorder Kontroll- und Widerspruchsverfahren um-
Menschenrechtsübereinkommen des Europarats
177
of a serious nature may be subjected, without fassen, kann eine Person, die an einer his or her consent, to an intervention aimed at schwerwiegenden Geisteskrankheit leidet, treating his or her mental disorder only where, nur dann ohne ihre Einwilligung einem Einwithout such treatment, serious harm is likely griff unterzogen werden, der auf eine Behandlung ihrer Geisteskrankheit gerichtet to result to his or her health. ist, wenn davon auszugehen ist, dass ihr Gesundheitszustand ohne eine solche Behandlung schweren Schaden nimmt. Article 8 - Emergency situation
Artikel 8 - Notfallsituation
When because of an emergency situation the appropriate consent cannot be obtained, any medically necessary intervention may be carried out immediately for the benefit of the health of the individual concerned.
Kann aufgrund einer Notfallsituation die entsprechende Einwilligung nicht eingeholt werden, so kann jeder medizinisch notwendige Eingriff unverzüglich im Interesse der Gesundheit des Betroffenen vorgenommen werden.
Article 9 - Previously expressed wishes
Artikel 9 - Zu einem früheren Zeitpunkt geäußerte Wünsche
The previously expressed wishes relating to a medical intervention by a patient who is not, at the time of the intervention, in a state to express his or her wishes shall be taken into account.
Ist der Patient zum Zeitpunkt des Eingriffs nicht in der Lage, seine Wünsche zu äußern, sind die Wünsche zu berücksichtigen, die er zu einem früheren Zeitpunkt im Hinblick auf einen medizinischen Eingriff geäußert hat.
Chapter III - Private life and right to information
Kapitel III - Privatsphäre und Recht auf Information
Article 10 - Private life and right to information
Artikel 10 - Privatsphäre und Recht auf Information
1. Everyone has the right to respect for private life in relation to information about his or her health.
1. Jeder hat das Recht auf Wahrung der Privatsphäre in bezug auf Erkenntnisse über seine Gesundheit.
2. Everyone is entitled to know any information collected about his or her health. However, the wishes of individuals not to be so informed shall be observed.
2. Jeder hat das Recht, über sämtliche Erkenntnisse informiert zu werden, die über seine Gesundheit gesammelt worden sind. Allerdings ist der Wunsch des einzelnen, über diese Erkenntnisse nicht informiert zu werden, zu beachten.
3. In exceptional cases, restrictions may be placed by law on the exercise of the rights contained in paragraph 2 in the interests of the patient.
3. In Ausnahmefällen kann die Ausübung der in Absatz 2 vorgesehenen Rechte im Interesse des Patienten durch Gesetz eingeschränkt werden.
12 Giwer
178
Anhang
Chapter IV - Human genome
Kapitel IV - Menschliches Genom
Article 11 - Non-discrimination
Artikel 11 - Nichtdiskriminierung
Any form of discrimination against a person on grounds of his or her genetic heritage is prohibited.
Jede Form von Diskriminierung einer Person aufgrund ihres genetischen Erbes ist verboten.
Article 12 - Predictive genetic tests
Artikel 12- Prädiktive genetische Tests
Tests which are predictive of genetic diseases or which serve either to identify the subject as a carrier of a gene responsible for a disease or to detect a genetic predisposition or susceptibility to a disease may be performed only for health purposes or for scientific research linked to health purposes, and subject to appropriate genetic counselling.
Tests, mit denen genetische Krankheiten prognostiziert werden können oder die entweder dazu dienen, bei einer Person das Vorhandensein eines für eine Krankheit verantwortlichen Gens festzustellen oder eine genetische Disposition oder Anfälligkeit für eine Krankheit zu erkennen, dürfen nur zu gesundheitlichen Zwecken oder für gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung und vorbehaltlich einer angemessenen genetischen Beratung durchgeführt werden.
Article 13 - Interventions on the human genome
Artikel 13 - Eingriffe in das menschliche Genom
An intervention seeking to modify the human genome may only be undertaken for preventive, diagnostic or therapeutic purposes and only if its aim is not to introduce any modification in the genome of any descendants.
Ein Eingriff, der auf die Veränderung des menschlichen Genoms gerichtet ist, darf nur zu präventiven, diagnostischen oder therapeutischen Zwecken und nur dann vorgenommen werden, wenn er nicht darauf abzielt, irgendeine Veränderung des Genoms von Nachkommen herbeizuführen.
Article 14-Non-selection of sex
Artikel 14 - Keine Auswahl des Geschlechts
The use of techniques of medically assisted procreation shall not be allowed for the purpose of choosing a future child's sex, except where serious hereditary sex-related disease is to be avoided.
Die Anwendung von Techniken der Fortpfianzungsmedizin ist für die Auswahl des Geschlechts des Kindes unzulässig, es sei denn zur Vermeidung schwerwiegender erblicher geschlechtsgebundener Krankheiten.
Chapter V - Scientific research
Kapitel V - Wissenschaftliche Forschung
Article 15 - General rule
Artikel 15 - Allgemeine Bestimmung
Scientific research in the field of biology and medicine shall be carried out freely, subject to the provisions of this Convention and the other legal provisions ensuring the protection of the human being.
Wissenschaftliche Forschung im Bereich von Biologie und Medizin wird vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Übereinkommens und sonstiger Rechtsvorschriften zum Schutz der Menschen frei ausgeübt.
Menschenrechtsübereinkommen des Europarats Artide 16 - Protection of persons undergoing research
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Artikel 16 - Schutz von Personen bei Forschungsvorhaben
Research on a person may only be undertaken Forschung an einer Person ist nur zulässig, if all the following conditions are met: wenn alle im folgenden genannten Voraussetzungen erfüllt sind: i) there is no alternative of comparable effectiveness to research on humans;
i) Eine Alternative zur Forschung am Menschen von vergleichbarer Wirksamkeit gibt es nicht,
ii) the risks which may be incurred by that person are not disproportionate to the potential benefits of the research;
ii) die Risiken, die für die Person entstehen könnten, stehen in keinem Missverhältnis zum potentiellen Nutzen der Forschung,
iii) the research project has been approved by the competent body after independent examination of its scientific merit, including assessment of the importance of the aim of the research, and multidisciplinary review of its ethical acceptability,
iii) das Forschungsprojekt ist von dem zuständigen Gremium gebilligt worden, nachdem es einer unabhängigen Prüfung hinsichtlich seines wissenschaftlichen Wertes einschließlich einer Beurteilung der Bedeutung des Forschungsziels und einer multidisziplinären Überprüfung der ethischen Vertretbarkeit unterzogen worden ist,
iv) the persons undergoing research have been informed of their rights and the safeguards prescribed by law for their protection;
iv) die Personen, an denen die Forschung vorgenommen wird, sind über ihre Rechte und die zu ihrem Schutz gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen unterrichtet worden,
v) the necessary consent as provided for v) die nach Artikel 5 erforderliche Einwilunder Article 5 has been given expressly, spe- ligung wurde ausdrücklich und spezifisch ercifically and is documented. Such consent teilt und ist urkundlich festgehalten. Diese may be freely withdrawn at any time. Einwilligung kann jederzeit aus freien Stükken widerrufen werden. Article 17 - Protection of persons not able to consent to research
Artikel 17 - Schutz von einwilligungsunfähigen Personen bei Forschungsvorhaben
1. Research on a person without the capacity to consent as stipulated in Article 5 may be undertaken only if all the following conditions are met:
1. Forschung an einer Person, welche die in Artikel 5 vorausgesetzte Einwilligungsfähigkeit nicht besitzt, ist nur zulässig, wenn alle im folgenden genannte Voraussetzungen erfüllt sind:
i) the conditions laid down in Article 16, sub-paragraphs i to iv, are fulfilled;
i) die in Artikel 16 Ziffern i bis iv genannten Voraussetzungen sind erfüllt;
ii) the results of the research have the poten- ii) die Forschungsergebnisse sind potentiell tial to produce real and direct benefit to his or für die Gesundheit des Betroffenen von her health; wirklichem und unmittelbarem Nutzen; iii) research of comparable effectiveness can- iii) Forschung von vergleichbarer Wirksamnot be carried out on individuals capable of gi- keit kann an einwilligungsfähigen Personen nicht vorgenommen werden; ving consent; 12*
180
Anhang
iv) the necessary authorisation provided for iv) die nach Artikel 6 erforderliche Einwilunder Article 6 has been given specifically and ligung ist spezifisch und in schriftlicher in writing; and Form erteilt worden und v) the person concerned does not object.
v) der Betroffene widerspricht nicht.
2. Exceptionally and under the protective conditions prescribed by law, where the research has not the potential to produce results of direct benefit to the health of the person concerned, such research may be authorised subject to the conditions laid down in paragraph 1, sub-paragraphs i, iii, iv and ν above, and to the following additional conditions:
2. In Ausnahmefällen und nach Maßgabe der gesetzlich vorgeschriebenen Schutzbestimmungen kann Forschung, die potentiell nicht von unmittelbarem Nutzen für die Gesundheit des Betroffenen ist, unter den in Absatz 1 Ziffern i, iii, iv und ν genannten und den nachfolgenden zusätzlichen Voraussetzungen zugelassen werden.
i) the research has the aim of contributing, through significant improvement in the scientific understanding of the individual's condition, disease or disorder, to the ultimate attainment of results capable of conferring benefit to the person concerned or to other persons in the same age category or afflicted with the same disease or disorder or having the same condition;
i) die Forschung hat zum Ziel, durch eine spürbare Verbesserung des wissenschaftlichen Verständnisses für den Zustand, die Krankheit oder die Störung der Person dazu beizutragen, letztlich Ergebnisse zu erreichen, die geeignet sind, dem Betroffenen oder anderen Personen, die sich in der gleichen Alterstufe befinden oder die an der gleichen Krankheit oder Störung leiden oder sich in dem gleichen Zustand befinden, zu nutzen,
ii) the research entails only minimal risk and minimal burden for the individual concerned.
ii) die Forschung geht für den Betroffenen nur mit einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung einher.
Article 18 - Research on embryos in vitro
Artikel 18 - Forschung an Embryonen in vitro
1. Where the law allows research on em1. Soweit das Recht Forschung an Embryobryos in vitro , it shall ensure adequate protec- nen in vitro zulässt, gewährleistet es einen tion of the embryo. angemessenen Schutz des Embryos. 2. The creation of human embryos for research purposes is prohibited.
2. Die Erzeugung menschlicher Embryonen für Forschungszwecke ist verboten.
Chapter V I - Organ and tissue removal from living donors for transplantation purposes
Kapitel V I - Entnahme von Organen und Gewebe von Lebendspendern für Transplantationszwecke
Article 19 - General rule
Artikel 19 - Allgemeine Bestimmung
1. Removal of organs or tissue from a living person for transplantation purposes may be carried out solely for the therapeutic benefit of the recipient and where there is no suitable organ or tissue available from a deceased person and no other alternative therapeutic method of comparable effectiveness.
1. Die Entnahme von Organen oder Gewebe von Lebendspendern für Transplantationszwecke darf nur zum therapeutischen Nutzen des Empfängers und nur in den Fällen vorgenommen werden, in denen es kein passendes Organ oder Gewebe gibt und eine andere alternative therapeutische Methode
Menschenrechtsübereinkommen des Europarats
181
von vergleichbarer Wirksamkeit nicht zur Verfügung steht. 2. The necessary consent as provided for under Article 5 must have been given expressly and specifically either in written forni or before an official body.
2. Die nach Artikel 5 erforderliche Einwilligung muss ausdrücklich und spezifisch entweder in schriftlicher Form oder vor einem offiziellen Gremium erteilt worden sein.
Article 20 - Protection of persons not able to consent to organ removal
Artikel 20 - Schutz von einwilligungsunfähigen Personen bei Organentnahme
1. No organ or tissue removal may be carried 1. Die Entnahme von Organen oder Geout on a person who does not have the capacity webe darf an einer Person, welche die Einwilligung nach Artikel 5 nicht besitzt, nicht to consent under Article 5. vorgenommen werden. 2. Exceptionally and under the protective conditions prescribed by law, the removal of regenerative tissue from a person who does not have the capacity to consent may be authorised provided the following conditions are met:
2. In Ausnahmefällen und nach Maßgabe der gesetzlich vorgeschriebenen Schutzbestimmungen kann die Entnahme regenerierbaren Gewebes bei einer einwilligungsfähigen Person zugelassen werden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
i) there is no compatible donor available who has the capacity to consent;
i) Ein passender einwilligungsfähiger Spender steht nicht zur Verfügung,
ii) the recipient is a brother or sister of the donor;
ii) der Empfänger ist ein Bruder oder eine Schwester des Spenders,
iii) the donation must have the potential to be life-saving for the recipient;
iii) die Spende muss geeignet sein, das Leben des Empfängers zu retten,
iv) the authorisation provided for under paragraphs 2 and 3 of Article 6 has been given specifically and in writing, in accordance with the law and with the approval of the competent body;
iv) die nach Artikel 6 Absätze 2 und 3 erforderliche Einwilligung wurde spezifisch und in schriftlicher Form in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen und mit Zustimmung der zuständigen Gremien erteilt;
v) the potential donor concerned does not object.
v) der betreffende potentielle Spender widerspricht nicht.
Chapter V I I - Prohibition of financial gain and disposal of a part of the human body
Kapitel V I I - Verbot der Erzielung eines finanziellen Gewinns und Weiterverwendung eines entnommenen Körperteils
Article 21 - Prohibition of financial gain
Artikel 21 - Verbot der Erzielung eines finanziellen Gewinns
The human body and its parts shall not, as such, give rise to financial gain.
Der menschliche Körper und Teile davon dürfen als solche nicht zur Erzielung eines finanziellen Gewinns verwendet werden.
182
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Artide 22 - Disposal of a removed part of the Artikel 22 - Weiterverwendung eines enthuman body nommenen Körperteils When in the course of an intervention any part Wird im Verlaufe eines Eingriffs ein Teil des of a human body is removed, it may be stored menschlichen Körpers entnommen, so darf and used for a purpose other than that for er nur dann zu einem anderen Zweck als jewhich it was removed, only if this is done in nem, der bei der Entnahme vorgesehen war, conformity with appropriate information and aufbewahrt und verwendet werden, wenn dies in Übereinstimmung mit angemessenen consent procedures. Aufklärungs- und Einwilligungsverfahren geschieht. Chapter VIII - Infringements of the provisions of the Convention
Kapitel VIII - Verletzung der Bestimmungen des Übereinkommens
Article 23 - Infringement of the rights or prin- Artikel 23 - Verletzung der Rechte oder Grundsätze ciples The Parties shall provide appropriate judicial protection to prevent or to put a stop to an unlawful infringement of the rights and principles set forth in this Convention at short notice.
Die Vertragsparteien sehen einen geeigneten rechtlichen Schutz vor, um eine Verletzung der in diesem Übereinkommen enthaltenen Rechte und Grundsätze kurzfristig zu verhindern oder zu unterbinden.
Article 24 - Compensation for undue damage Artikel 24 - Entschädigung für unbillig erlittene Schäden The person who has suffered undue damage resulting from an intervention is entitled to fair compensation according to the conditions and procedures prescribed by law.
Eine Person, die infolge eines Eingriffs unbilligen Schaden erlitten hat, hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung nach Maßgabe der gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen und Verfahren.
Article 25 - Sanctions
Artikel 25 - Sanktionen
Parties shall provide for appropriate sanctions
Die Vertragsparteien sehen geeignete Sanktionen für Verstöße gegen die Bestimmungen dieses Übereinkommens vor.
to be applied in the event of infringement of the provisions contained in this Convention. Chapter IX - Relation between this Convention and other provisions
Kapitel IX - Verhältnis zwischen diesem Übereinkommen und anderen Bestimmungen
Article 26 - Restrictions on the exercise of the rights
Artikel 26 - Einschränkungen im Hinblick auf die Ausübung der Rechte
1. No restrictions shall be placed on the exercise of the rights and protective provisions contained in this Convention other than such as are prescribed by law and are necessary in a democratic society in the interest of public
1. Einschränkungen im Hinblick auf die Ausübung der in diesem Übereinkommen vorgesehenen Rechte und Schutzbestimmungen sind nur zulässig, soweit sie gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokrati-
Menschenrechtsübereinkommen des Europarats
183
safety, for the prevention of crime, for the pro- sehen Gesellschaft im Interesse der öffentlitection of public health or for the protection of chen Sicherheit, zur Verbrechensverhütung, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit the rights and freedoms of others. oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich sind. 2. Die in Absatz 1 vorgesehenen Einschrän2. The restrictions contemplated in the preceding paragraph may not be placed on Ar- kungen dürfen nicht auf die Artikel 11,13, ticles 11,13,14,16,17,19, 20 and 21. 14,16,17,19,20 und 21 angewendet werden. Article 27 - Wider protection
Artikel 27 - Weiterreichender Schutz
None of the provisions of this Convention shall be interpreted as limiting or otherwise affecting the possibility for a Party to grant a wider measure of protection with regard to the application of biology and medicine than is stipulated in this Convention.
Keine der Bestimmungen dieses Übereinkommens darf dahingehend ausgelegt werden, dass sie die Möglichkeit einer Vertragspartei, einen über die Bestimmungen dieses Einkommens hinausreichenden Schutz im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin zu gewähren, einschränkt oder in anderer Weise berührt.
Chapter X - Public debate
Kapitel X - Öffentliche Diskussion
Article 28 - Public debate
Artikel 28 - Öffentliche Diskussion
Parties to this Convention shall see to it that the fundamental questions raised by the developments of biology and medicine are the subject of appropriate public discussion in the light, in particular, of relevant medical, social, economic, ethical and legal implications, and that their possible application is made the subject of appropriate consultation.
Die Vertragsparteien dieses Übereinkommens tragen dafür Sorge, dass die von den Entwicklungen in Biologie und Medizin aufgeworfenen grundlegenden Fragen Gegenstand einer geeigneten öffentlichen Diskussion, vor allem unter Berücksichtigung der entsprechenden medizinischen, sozialen, wirtschaftlichen, ethischen und rechtlichen Auswirkungen, sein werden und dass über deren mögliche Anwendung geeignete Konsultationen stattfinden.
Chapter X I - Interpretation and follow-up of the Convention
Kapitel X - Auslegung und Folgemaßnahmen zu dem Übereinkommen
Article 29 - Interpretation of the Convention
Artikel 29 - Auslegung des Übereinkommens
The European Court of Human Rights may give, without direct reference to any specific proceedings pending in a court, advisory opinions on legal questions concerning the interpretation of the present Convention at the request of:
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann ohne unmittelbare Bezugnahme auf bestimmte anhängige Gerichtsverfahren beratende Stellungnahmen zu Rechtsfragen in bezug auf die Auslegung dieses Übereinkommens abgeben, und zwar auf Ersuchen:
184
Anhang
- the Government of a Party, after having in- - der Regierung einer Vertragspartei nach formed the other Parties; Unterrichtung der anderen Vertragsparteien; - des nach Artikel 32 eingerichteten Aus- the Committee set up by Article 32, with membership restricted to the Representatives schusses, wobei die Mitgliedschaft auf Verof the Parties to this Convention, by a decision treter der Vertragsparteien dieses Übereinadopted by a two-thirds majority of votes cast. kommens beschränkt ist, durch einen mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen angenommenen Beschluß. Article 3 0 - Reports on the application of the Convention
Artikel 30 - Berichte über die Anwendung des Übereinkommens
On receipt of a request from the Secretary General of the Council of Europe any Party shall furnish an explanation of the manner in which its internal law ensures the effective implementation of any of the provisions of the Convention.
Nach Eingang des Ersuchens des Generalsekretärs des Europarats legt jede Vertragspartei Erläuterungen dazu vor, wie sie eine wirksame Durchführung aller Bestimmungen des Übereinkommens nach ihrem innerstaatlichen Recht gewährleistet.
Chapter XII - Protocols
Kapitel X I I - Protokolle
Article 31 - Protocols
Artikel 31-Protokolle
Protocols may be concluded in pursuance of Article 32, with a view to developing, in specific fields, the principles contained in this Convention.
Nach Artikel 32 können Protokolle ausgearbeitet werden, um die in diesem Übereinkommen enthaltenen Grundsätze für bestimmte Bereiche weiterzuentwickeln.
The Protocols shall be open for signature by Signatories of the Convention. They shall be subject to ratification, acceptance or approval. A Signatory may not ratify, accept or approve Protocols without previously or simultaneously ratifying accepting or approving the Convention.
Diese Protokolle liege für die Unterzeichner des Übereinkommens zur Unterzeichnung auf. Sie bedürfen der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Ein Unterzeichner darf die Protokolle nicht ratifizieren, annehmen oder genehmigen, ohne vorher oder gleichzeitig das Übereinkommen ratifiziert, angenommen oder genehmigt zu haben.
Chapter XIII - Amendments to the Convention Kapitel XIII - Änderungen des Übereinkommens Article 32 - Amendments to the Convention
Artikel 32 - Änderungen des Übereinkommens
1. The tasks assigned to "the Committee" in the present article and in Article 29 shall be carried out by the Steering Committee on Bioethics (CDBI), or by any other committee designated to do so by the Committee of Ministers.
1. Die dem, Ausschuß" durch diesen Artikel und Artikel 29 übertragenen Aufgaben werden vom Lenkungsausschuß für Bioethik (CDBI) oder von einem anderen von Ministerkomitee hierzu bestimmten Ausschuß wahrgenommen.
2. Without prejudice to the specific provisions 2. Unbeschadet der besonderen Bestimmunof Article 29, each member State of the Coun- gen von Artikel 29 kann jeder Mitgliedsstaat
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eil of Europe, as well as each Party to the present Convention which is not a member of the Council of Europe, may be represented and have one vote in the Committee when the Committee carries out the tasks assigned to it by the present Convention.
des Europarats sowie jede Vertragspartei dieses Übereinkommens, die kein Mitglied des Europarats ist, in dem Ausschuß vertreten sein und über eine Stimme verfügen, wenn der Ausschuß die ihm durch dieses Übereinkommen übertragenen Aufgaben ausführt.
3. Any State referred to in Article 33 or invited to accede to the Convention in accordance with the provisions of Article 34 which is not Party to this Convention may be represented on the Committee by an observer. If the European Community is not a Party it may be represented on the Committee by an observer.
3. Jeder in Artikel 33 erwähnte oder nach Artikel 34 zum Beitritt zu dem Übereinkommen eingeladene Staat, der nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist, kann in dem Ausschuß durch einen Beobachter vertreten sein. Ist die Europäische Gemeinschaft nicht Vertragspartei, so kann sie im Ausschuß durch einen Beobachter vertreten sein.
4. In order to monitor scientific developments, the present Convention shall be examined within the Committee no later than five years from its entry into force and thereafter at such intervals as the Committee may determine.
4. Um den wissenschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen, wird dieses Übereinkommen spätestens fünf Jahre nach dem Datum des Inkrafttretens und danach in Zeitabschnitten, die vom Aussschuß festzulegen sind, von diesem geprüft.
5. Any proposal for an amendment to this Convention, and any proposal for a Protocol or for an amendment to a Protocol, presented by a Party, the Committee or the Committee of Ministers shall be communicated to the Secretary General of the Council of Europe and forwarded by him to the member States of the Council of Europe, to the European Community, to any Signatory, to any Party, to any State invited to sign this Convention in accordance with the provisions of Article 33 and to any State invited to accede to it in accordance with the provisions of Article 34.
5. Jeder von einer Vertragspartei, dem Ausschuß oder dem Ministerkomitee unterbreitete Vorschlag zur Änderung dieses Übereinkommens und jeder Vorschlag eines Protokolls oder einer Protokolländerung wird dem Generalsekretär des Europarats zur Kenntnis gebracht; dieser leitet ihn den Mitgliedsstaaten des Europarats, der Europäischen Gemeinschaft, jedem Unterzeichner, jeder Vertragspartei, jedem zur Unterzeichnung dieses Übereinkommens nach Artikel 33 eingeladenen Staat und jedem zum Beitritt zu dem Übereinkommen nach Artikel 34 eingeladenen Staat zu.
6. The Committee shall examine the proposal not earlier than two months after it has been forwarded by the Secretary General in accordance with paragraph 5. The Committee shall submit the text adopted by a two-thirds majority of the votes cast to the Committee of Ministers for approval. After its approval, this text shall be forwarded to the Parties for ratification, acceptance or approval.
6. Der Ausschuß prüft den Vorschlag frühestens zwei Monate nach der nach Absatz 5 vorgenommenen Weiterleitung des Vorschlags durch den Generalsekretär. Der Ausschuß leitet den von einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen angenommenen Text dem Ministerkomitee zur Genehmigung zu. Nachdem dieses seine Genehmigung erteilt hat, wird der Text den Vertrags-
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Anhang Parteien zur Ratifikation, Annahme oder Genehmigung zugeleitet.
7. Any amendment shall enter into force, in respect of those Parties which have accepted it, on the first day of the month following the expiration of a period of one month after the date on which five Parties, including at least four member States of the Council of Europe, have informed the Secretary General that they have accepted it.
7. Jede Änderung tritt für die Vertragsparteien, die sie angenommen haben, am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach dem Tag folgt, an dem fünf Vertragsparteien, darunter mindestens vier Mitgliedsstaaten des Europarats, den Generalsekretär über ihre Annahme der Änderung unterrichtet haben.
In respect of any Party which subsequently accepts it, the amendment shall enter into force on the first day of the month following the expiration of a period of one month after the date on which that Party has informed the Secretary General of its acceptance.
Für jede Vertragspartei, welche die Änderung später annimmt, tritt sie am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach dem Tag folgt, an dem die Vertragspartei den Generalsekretär über die Annahme der Änderung unterrichtet hat.
Chapter XIV - Final clauses
Kapitel XIV - Schlussklauseln
Article 33 - Signature, ratification and entry into force
Artikel 33 - Unterzeichnung, Ratifikation, und Inkrafttreten
1. This Convention shall be open for signature by the member States of the Council of Europe, the non-member States which have participated in its elaboration and by the European Community.
1. Dieses Übereinkommen liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats, für die Nichtmitgliedstaaten, die an seiner Ausarbeitung beteiligt waren, und für die Europäische Gemeinschaft zur Unterzeichnung auf.
2. This Convention is subject to ratification, acceptance or approval. Instruments of ratification, acceptance or approval shall be deposited with the Secretary General of the Council of Europe.
2. Dieses Übereinkommen bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.
3. This Convention shall enter into force on the first day of the month following the expiration of a period of three months after the date on which five States, including at least four member States of the Council of Europe, have expressed their consent to be bound by the Convention in accordance with the provisions of paragraph 2 of the present article.
3. Dieses Übereinkommen tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag folgt, an dem fünf Staaten darunter mindestens vier Mitgliedsstaaten des Europarats, ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch das Übereinkommen nach Absatz 2 gebunden zu sein.
4. In respect of any Signatory which subsequently expresses its consent to be bound by it, the Convention shall enter into force on the first day of the month following the expiration of a period of three months after the date of the
4. Für jeden Unterzeichner, der später seine Zustimmung ausdrückt, durch das Übereinkommen gebunden zu sein, tritt es am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag
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deposit of its instrument of ratification, acceptance or approval.
der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden folgt.
Article 34 - Non-member States
Artikel 34 - Nichtmitgliedstaaten
1. After the entry into force of this Convention, the Committee of Ministers of the Council of Europe may, after consultation of the Parties, invite any non-member State of the Council of Europe to accede to this Convention by a decision taken by the majority provided for in Article 20, paragraph d, of the Statute of the Council of Europe, and by the unanimous vote of the representatives of the Contracting States entitled to sit on the Committee of Ministers.
1. Nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens kann das Ministerkomitee des Europarats nach Konsultierung der Vertragsparteien durch einen Beschluß, der mit der in Artikel 20 Buchstabe d der Satzung des Europarats vorgesehenen Mehrheit und mit einhelliger Zustimmung der Vertreter der Vertragsstaaten, die Anspruch auf einen Sitz im Ministerkomitee haben, gefasst worden ist, jeden Nichtmitgliedstaat des Europarats einzuladen, dem Übereinkommen beizutreten.
2. In respect of any acceding State, the Convention shall enter into force on thefirst day of the month following the expiration of a period of three months after the date of deposit of the instrument of accession with the Secretary General of the Council of Europe.
2. Für jeden beitretenden Staat tritt das Übereinkommen am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag der Hinterlegung der Beitrittsurkunde beim Generalssekretär des Europarats folgt.
Article 35 - Territories
Artikel 35 - Hoheitsgebiete
1. Any Signatory may, at the time of signature or when depositing its instrument of ratification, acceptance or approval, specify the territory or territories to which this Convention shall apply. Any other State may formulate the same declaration when depositing its instrument of accession.
1. Jeder Unterzeichner kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Übereinkommen Anwendung findet. Jeder andere Staat kann bei der Hinterlegung seiner Beitrittsurkunde dieselbe Erklärung abgeben.
2. Any Party may, at any later date, by a declaration addressed to the Secretary General of the Council of Europe, extend the application of this Convention to any other territory specified in the declaration and for whose international relations it is responsible or on whose behalf it is authorised to give undertakings. In respect of such territory the Convention shall enter into force on the first day of the month following the expiration of a period of three months after the date of receipt of such declaration by the Secretary General.
2. Jede Vertragspartei kann zu jedem späteren Zeitpunkt durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung die Anwendung dieses Übereinkommens auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken, für dessen internationale Beziehungen sie verantwortlich ist oder für die sie befugt ist, Verpflichtungen einzugehen. Das Übereinkommen tritt für dieses Hoheitsgebiet am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag des Eingangs der Erklärung beim Generalsekretär erfolgt.
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Anhang
3. Any declaration made under the two preceding paragraphs may, in respect of any territory specified in such declaration, be withdrawn by a notification addressed to the Secretary General. The withdrawal shall become effective on the first day of the month following the expiration of a period of three months after the date of receipt of such notification by the Secretary General.
3. Jede nach den Absätzen 1 und 2 abgegebene Erklärung kann in bezug auf jedes darin bezeichnete Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär gerichtete Notifikation zurückgenommen werden. Die Rücknahme wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag des Eingangs einer solchen Notifikation beim Generalsekretär erfolgt.
Article 36 - Reservations
Artikel 36-Vorbehalte
1. Any State and the European Community may, when signing this Convention or when depositing the instrument of ratification, acceptance, approval or accession, make a reservation in respect of any particular provision of the Convention to the extent that any law then in force in its territory is not in conformity with the provision. Reservations of a general character shall not be permitted under this article.
1. Jeder Staat und die Europäische Gemeinschaft können bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunde einen Vorbehalt zu jeder einzelnen Bestimmung dieses Übereinkommens anbringen, wenn ein in ihrem Hoheitsgebiet geltendes Gesetz nicht in Einklang mit dieser Bestimmung steht. Vorbehalte allgemeiner Art sind nach diesem Artikel nicht zulässig.
2. Any reservation made under this article shall contain a brief statement of the relevant law.
2. Ein aufgrund dieses Artikels angebrachter Vorbehalt ist zusammen mit einer kurzen Darstellung des betreffenden Gesetzes anzubringen.
3. Any Party which extends the application of this Convention to a territory mentioned in the declaration referred to in Article 35, paragraph 2, may, in respect of the territory concerned, make a reservation in accordance with the provisions of the preceding paragraphs.
3. Jede Vertragspartei, welche die Anwendung dieses Übereinkommens auf ein Hoheitsgebiet erstreckt, das in der in Artikel 35 Absatz 2 aufgeführten Erklärung erwähnt ist, kann in bezug auf das betreffende Hoheitsgebiet einen Vorbehalt nach den Absätzen 1 und 2 anbringen.
4. Any Party which has made the reservation mentioned in this article may withdraw it by means of a declaration addressed to the Secretary General of the Council of Europe. The withdrawal shall become effective on the first day of the month following the expiration of a period of one month after the date of its receipt by the Secretary General.
4. Jede Vertragspartei, die einen Vorbehalt nach diesem Artikel angebracht hat, kann ihn durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung zurücknehmen. Die Rücknahme wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach dem Tag des Eingangs beim Generalsekretär folgt.
Article 37 - Denunciation
Artikel 37 - Kündigung
1. Any Party may at any time denounce this 1. Jede Vertragspartei kann dieses ÜbereinConvention by means of a notification adkommen jederzeit durch einen an den Genedressed to the Secretary General of the Coun- ralsekretär des Europarats gerichtete Notificil of Europe. kation kündigen.
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2. Such denunciation shall become effective on the first day of the month following the expiration of a period of three months after the date of receipt of the notification by the Secretary General.
2. Diese Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag des Eingangs der Notifikation beim Generalsekretär folgt.
Article 38 - Notifications
Artikel 38 - Notifikationen
The Secretary General of the Council of Europe shall notify the member States of the Council, the European Community, any Signatory, any Party and any other State which has been invited to accede to this Convention of:
Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedsstaaten des Rates, der Europäischen Gemeinschaft, jedem Unterzeichner, jeder Vertragspartei und jedem anderen Staat, der zum Beitritt zu diesem Übereinkommen eingeladen worden ist:
a) any signature;
a) jede Unterzeichnung,
b) the deposit of any instrument of ratification, acceptance, approval or accession;
b) jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde;
c) any date of entry into force of this Conven- c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses tion in accordance with Articles 33 or 34; Übereinkommens nach Artikel 33 oder 34; d) any amendment or Protocol adopted in accordance with Article 32, and the date on which such an amendment or Protocol enters into force;
d) jede Änderung und jedes Protokoll, die nach Artikel 32 angenommen worden sind, und das Datum des Inkrafttretens einer solchen Änderung oder eines solchen Protokolls;
e) any declaration made under the provisions of e) jede nach Artikel 35 abgegebene Erklärung; Article 35; f) any reservation and withdrawal of reserva- f) jeden Vorbehalt und jede Rücknahme des tion made in pursuance of the provisions of Ar- Vorbehalts nach Artikel 36; ticle 36; g) any other act, notification or communication g) jede andere Handlung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem relating to this Convention. Übereinkommen. In witness whereof the undersigned, being duly Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichnenden dieses Übereinauthorised thereto, have signed this Convenkommens unterschrieben. tion. Done at Oviedo (Asturias), this 4th day of April 1997, in English and French, both texts being equally authentic, in a single copy which shall be deposited in the archives of the Council of Europe. The Secretary General of the Council of Europe shall transmit certified copies to each member State of the Council of Europe, to the European Community, to the non-member States which have participated in the elaboration of this Convention, and to any State invited to accede to this Convention.
Geschehen zu Oviedo (Asturias) am 04. April 1997 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer einzigen Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedsstaaten des Europarats, der Europäischen Gemeinschaft, allen Nichtmitgliedem, die an der Ausarbeitung dieses Übereinkommens beteiligt waren, und allen zum Beitritt zu diesem Übereinkommen eingeladenen Staaten beglaubigte Abschriften.
Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarats - Zusatzprotokoll4
Convention on Human Rights and Biomedicine - Additional Protocol Additional Protocol to the Convention
Zusatzprotokoll zum Übereinkom-
for the Protection of H u m a n Rights
men zum Schutz der Menschenrechte
and Dignity of the H u m a n Being with
und der Menschenwürde i m Hinblick
Regard to the Application of Biology
auf die Anwendung von Biologie und
and Medicine, on the Prohibition of
Medizin über das Verbot des Klonens
Cloning H u m a n Beings.
von menschlichen Lebewesen vom 12. Januar 1998 4
The member States of the Council of Europe, the other States and the European Community Signatories to this Additional Protocol to the Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine,
Die Mitgliedstaaten des Europarats, die anderen Staaten und die Europäische Gemeinschaft, die dieses Zusatzprotokoll zu dem Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin unterzeichnen
Noting scientific developments in the field of in Anbetracht wissenschaftlicher Entwickmammal cloning, particularly through embryo lungen auf dem Gebiet des Klonens von Säusplitting and nuclear transfer; getieren, insbesondere durch Embryonenteilung und Kerntransfer; Mindful of the progress that some cloning techniques themselves may bring to scientific knowledge and its medical application;
eingedenk des Fortschritts, den manche Klonierungstechniken an sich für den wissenschaftlichen Kenntnisstand und seine medizinischen Anwendungen bringen können;
Considering that the cloning of human beings may become a technical possibility;
in der Erwägung, dass das Klonen von menschlichen Lebewesen technisch möglich werden kann;
Having noted that embryo splitting may occur naturally and sometimes result in the birth of genetically identical twins; 4
Vorläufige Arbeitsübersetzung des Bundesministeriums der Justiz.
Menschenrechtsübereinkommen des Europarats - Zusatzprotokoll
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Considering however that the instrumentaliin der Erwägung, dass jedoch die Instrusation of human beings through the deliberate mentalisierung menschlicher Lebewesen gecreation of genetically identical human beings gen die Menschenwürde verstößt und somit is contrary to human dignity and thus consti- einen Missbrauch von Biologie und Medizin darstellt; tutes a misuse of biology and medicine; Considering also the serious difficulties of a in Anbetracht der ernsten Schwierigkeiten medical, psychological and social nature that medizinischer, psychologischer und sozialer such a deliberate biomedical practice might Art, die eine solche bewusste biomediziniimply for all the individuals involved; sche Praxis für alle Beteiligten mit sich bringen könnte; Considering the purpose of the Convention on Human Rights and Biomedicine, in particular the principle mentioned in Article 1 aiming to protect the dignity and identity of all human beings, Have agreed as follows:
in Anbetracht des Zwecks des Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin, insbesondere des Grundsatzes in Artikel 1, der den Schutz der Würde und der Identität aller menschlichen Lebewesen zum Ziel hat-sind wie folgt übereingekommen:
Artikel 1 Article 1 1. Any intervention seeking to create a human 1. Verboten ist jede Intervention, die darauf being genetically identical to another human gerichtet ist, ein menschliches Lebewesen zu erzeugen, das mit einem anderen lebenden being, whether living or dead, is prohibited. oder toten menschlichen Lebewesen genetisch identisch ist. 2. For the purpose of this article, the term human being "genetically identical" to another human being means a human being sharing with another the same nuclear gene set.
2. Im Sinne dieses Artikels bedeutet der Ausdruck „menschliches Lebewesen, das mit einem anderen menschlichen Lebewesen »genetisch identisch4 ist" ein menschliches Lebewesen, das mit einem anderen menschlichen Lebewesen dasselbe Kemgenom gemeinsam erworben hat.
Article 2
Artikel 2
No derogation from the provisions of this Von den Bestimmungen dieses Protokolls Protocol shall be made under Article 26, para- darf nicht nach Artikel 26 Abs. 1 des Übergraph 1, of the Convention. einkommens abgewichen werden. Article 3
Artikel 3
As between the Parties, the provisions of Articles 1 and 2 of this Protocol shall be regarded as additional articles to the Convention and all the provisions of the Convention shall apply accordingly.
Die Vertragsparteien betrachten die Artikel 1 und 2 dieses Protokolls als Zusatzartikel zu dem Übereinkommen; alle Bestimmungen des Übereinkommens sind entsprechend anzuwenden.
Article 4
Artikel 4
This Protocol shall be open for signature by Signatories to the Convention. It is subject to ratification, acceptance or approval. A Signatory may not ratify, accept or approve this Protocol
Dieses Protokoll liegt für die Unterzeichner des Übereinkommens zur Unterzeichung auf. Es bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Ein Unterzeichner kann
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Anhang
unless it has previously or simultaneously ratified, accepted or approved the Convention. Instruments of ratification, acceptance or approval shall be deposited with the Secretary General of the Council of Europe
dieses Protokoll nicht ratifizieren, annehmen oder genehmigen, wenn er nicht zuvor oder gleichzeitig das Übereinkommen ratifiziert, angenommen oder genehmigt hat. Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.
Article 5
Artikel 5
1. This Protocol shall enter into force on the first day of the month following the expiration of a period of three months after the date on which five States, including at least four member States of the Council of Europe, have expressed their consent to be bound by the Protocol in accordance with the provisions of Article 4.
1. Dieses Protokoll tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag folgt, an dem fünf Staaten, darunter mindestens vier Mitgliedsstaaten des Europarats, nach Artikel 4 ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch das Protokoll gebunden zu sein.
2. In respect of any Signatory which subsequently expresses its consent to be bound by it, the Protocol shall enter into force on the first day of the month following the expiration of a period of three months after the date of the deposit of the instrument of ratification, acceptance or approval.
2. Für jeden Unterzeichner, der später seine Zustimmung ausdrückt, durch das Protokoll gebunden zu sein, tritt es am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung der Ratifikation-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde folgt.
Article 6
Artikel 6
1. After the entry into force of this Protocol, 1. Nach Inkrafttreten dieses Protokolls kann any State which has acceded to the Convention jeder Staat, welcher dem Übereinkommen beigetreten ist, auch diesem Protokoll beimay also accede to this Protocol. treten. 2. Accession shall be effected by the deposit with the Secretary General of the Council of Europe of an instrument of accession which shall take effect on the first day of the month following the expiration of a period of three months after the date of its deposit.
2. Der Beitritt erfolgt durch Hinterlegung einer Beitrittsurkunde beim Generalsekretär des Europarats und wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach ihrer Hinterlegung folgt.
Article 7
Artikel 7
1. Jede Vertragspartei kann dieses Protokoll 1. Any Party may at any time denounce this Protocol by means of a notification addressed jederzeit durch eine an den Generalsekretär to the Secretary General of the Council of Eu- des Europarats gerichtete Notifikation kündigen. rope. 2. Such denunciation shall become effective on the first day of the month following the expiration of a period of three months after the date of receipt of such notification by the Secretary General.
2. Die Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt.
Menschenrechtsübereinkommen des Europarats - Zusatzprotokoll
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Artide 8
Artikel 8
The Secretary General of the Council of Europe shall notify the member States of the Council of Europe, the European Community, any Signatory, any Party and any other State which has been invited to accede to the Convention of:
Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedsstaaten des Rats, der Europäischen Gemeinschaft, jedem Unterzeichner, jeder Vertragspartei und jedem anderen Staat, der zum Beitritt zu Übereinkommen eingeladen worden ist:
a) any signature;
a) jede Unterzeichnung;
b) the deposit of any instrument of ratification acceptance, approval or accession;
b) jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde;
c) any date of entry into force of this Protocol in accordance with Articles 5 and 6
c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls nach den Artikeln 5 und 6;
d) any other act, notification or communication relating to this Protocol
d) jede andere Handlung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem Protokoll;
In witness whereof the undersigned, being duly authorised thereto, have signed this Protocol.
Zur Urkunde dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.
Done at Paris, this twelfth day of January 1998, in English and in French, both texts being equally authentic, in a single copy which shall be deposited in the archives of the Council of Europe. The Secretary General of the Council of Europe shall transmit certified copies to each member State of the Council of Europe, to the non-member States which have participated in the elaboration of this Protocol, to any State invited to accede to the Convention and to the European Community.
Geschehen zu Paris am 12. Januar 1998 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedsstaaten des Europarats, den Nichtmitgliedem, die an der Erarbeitung dieses Protokolls teilgenommen haben, jedem zum Beitritt zu dem Übereinkommen eingeladenen Staat und der Europäischen Gemeinschaft beglaubigte Abschriften.
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