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German Pages 906 [919] Year 1997
de Gruyter Lehrbuch
Schuldrecht von
Wolfgang Fikentscher
9., durchgesehene und ergänzte Auflage
w DE
G
1997
Walter de Gruyter • Berlin • New York
Dr. jur. Dr. jur. h. c. (Zürich) Wolfgang Fikentscher, LL. M. (Michigan) em. o. Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Visiting Professor an der University of California, School of Law, Berkeley CA, USA, Auswärtiges Mitglied des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht, München
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Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Fikentscher, Wolfgang: Schuldrecht / von Wolfgang Fikentscher. - 9., durchges. und ergänzte Aufl. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-015498-6 ISBN 3-11-015499-4
© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: Saladruck, D-10997 Berlin Druck und Bindearbeiten: Kösel GmbH & Co., 87409 Kempten
Vorwort zur 9. Auflage Ergänzungen beziehen sich u. a. auf das Verhältnis von Verfassung und Vertrag, das Recht der vorläufigen Verträge, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Leistungsstörungen und das Gewährleistungsrecht, das Dienstvertragsrecht, die Bürgschaft, das Kreditrecht, die Verkehrspflichten und das UN-Kaufrecht. Das Bereicherungsrecht, in der 8. Auflage (1992) von Herrn Dr. Josef Drexl, LL. M., neu bearbeitet, wurde diesmal wieder von mir durchgesehen. Schuldrechtsprobleme der deutschen Wiedervereinigung sind nicht mehr behandelt; auf die ausführlichen Darstellungen in der 8. Auflage ist zu verweisen. Das Schriftbild findet sich verbessert. Literatur und Rechtsprechung sind, in dem für dieses Lehrbuch vertretbaren Umfang, bis Ende 1996, in Einzelfällen auch darüber hinaus, berücksichtigt. Besonderes Augenmerk wurde Druckfehlern, Unklarheiten, stilistischen Fragen und gedanklichen Übergängen gewidmet. An mehreren Stellen wurde der Text gestrafft. Das Sachregister ist erweitert. Für Hinweise und Kritik wird wiederum gedankt und dies mit der Bitte um weitere kritische Unterstützung verbunden. München, im Mai 1997 Wolfgang Fiketitscher
Aus dem Vorwort zur 7. Auflage Unangetastet blieb die didaktische Zielrichtung des Werkes, über die das nachstehend teilweise abgedruckte Vorwort zur 1. Auflage (1964) nähere Auskunft gibt. Es erweist sich, daß das systematische Lehrbuch, entgegen manchen Vorhersagen, wieder zunehmend Gebrauch und Anerkennung findet. Das ist bemerkenswert, weil sich der Stil der Vorlesung an den meisten juristischen Fakultäten in den letzten Jahren - erfreulicherweise und entgegen den skeptischen Bemerkungen im Vorwort zur 1. Auflage - erheblich geändert hat. Die einzelnen Stoffbereiche werden den Studienanfängern nicht mehr unverbunden nebeneinander vorgetragen, sondern Dozent und Hörer erarbeiten gemeinsam ein zusammenhängendes Gebiet, etwa in einem „Grundkurs Zivilrecht", zu dem dann mit zentraler Bedeutung das Schuldrecht gehört. Die früher getrennt neben den Vorlesungen laufenden praktischen Übungen werden in die „Kurse" integriert, so daß vielfach der „Grundkursschein" den „Anfängerschein" ersetzt. In diesem „Rechtsunterricht" kommt dem Lehrbuch eine das Lehrgespräch unterstützende und zusammenfassende Aufgabe zu. Es dient dabei nicht nur der Wiederholung und Vertiefung, sondern wird mit Gewinn auch schon für die Vorbereitung auf den vom Dozenten in „Arbeitsplänen" oder ähnlichen Ankündigungen zu behandelnden Stoff benutzt. Den mündlichen Vortrag im Hörsaal begleiten dann häufig Fall- oder Entscheidungssammlungen. Die beiden Sammlungen schuldrechtlicher Entscheidungen (ESJ Schuldrecht I Allgemeiner Teil und ESJ Schuldrecht II Besonderer Teil, 2. Aufl. München 1976, Verlag C. H. Beck), auf die in diesem Lehrbuch (seit der 7. Auflage) Bezug genommen wird, sollen diesem Bedarf entgegenkommen (vgl. dazu meinen Beitrag „Rechtsunterricht mit Entscheidungssammlungen" in der Festschrift für Eduard Kern, Tübingen 1968, 139). Die Technik der Fallösung für den Übungsteil des „Grundkurses" vermittelt, ebenfalls in Ergänzung zu diesem Lehrbuch, das „Schuldrechtspraktikum" in der Sammlung Göschen (Verlag W. de Gruyter). Lehrbuch, Entscheidungssammlung und Praktikum wollen also ein sowohl in seinen Teilen getrennt als auch in zusammenhängender Benutzung verwendbares, modernen Anforderungen des Lehrens und Lernens gerecht werdendes Unterrichtswerk sein. Offensichtlich ist wegen dieser heute weithin üblich gewordenen komplexen Darstellungsweise in „Kursen" und ähnlichen Veranstaltungen das systematische Lehrbuch noch wichtiger als früher geworden. Denn während der Aufbau der monologischen Vorlesung alten Stils dem eines Lehrbuchs weitgehend entsprach, so daß der Studierende eigentlich nur ein System kennenlernte, das ihm auf doppelte Weise - mündlich und gedruckt - vermittelt wurde, muß er sich VII
Vorwort
heute aus dem Material des „Kurses" sein eigenes System aufbauen. Das systematische Lehrbuch soll dabei als Anregung und Vorlage dienen, und es gewinnt dadurch eine selbständige, aktivierende Bedeutung verglichen mit den Zeiten, in denen es im Verhältnis zur Vorlesung nur Wiederholung und Vertiefung sein konnte. Das Lehrbuch hat also die Reform nicht nur „überlebt". Es trägt auf die genannte Weise zu ihrem Gelingen bei. München, im November 1984
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Aus dem Vorwort zur 1. Auflage Die wesentliche Schwierigkeit der Vorlesungen über das Schuldrecht liegt im Umfang des Stoffes. Dabei ist es nicht nur und nicht einmal in erster Linie die große Zahl der Einzelheiten, die Lehrer und Lernenden zu schaffen machen, sondern der Überblick über das Ganze. Auf welche Fälle z. B. der Treu-undGlauben-Satz des § 242 oder die Generalklausel des Bereicherungsrechts in § 812 I 1 anzuwenden ist, auf welche nicht, läßt sich nicht aus einer noch so gründlichen Kenntnis der Einzelheiten, sondern nur aus einem Verständnis des Zusammenhangs erfassen. Die vorliegende Darstellung des Schuldrechts will vor allem ein Leitfaden zum Lernen sein. Zu den beiden Vorlesungen über den Allgemeinen und Besonderen Teil des Schuldrechts soll das Buch dem Studierenden die für seine Ausbildung und sein rechtliches Verstehen nötigen Grundkenntnisse der Schuldrechtsprobleme vermitteln. Die Methode der Darlegung weicht vom Üblichen ab. Sie ist ausgerichtet am nicht-streitigen Gutachten, an der juristischen Technik also, die vom Kandidaten im ersten Examen erwartet wird. Auf die Gliederung wirkt sich das vor allem beim Leistungsinhalt und bei den Leistungsstörungen aus. Man wird dieses Vorgehen damit rechtfertigen müssen, daß die Universität in praktischmethodischer Hinsicht dem Studierenden bislang manches schuldig bleibt. Münster/Westfalen, im November 1964
IX
Inhalt Seite XVII
Abkürzungsverzeichnis Einleitung § 1 §2 §3 §4
Rechtstechnische Aufgabe, Begriff, Stellung, rechtspolitische und rechtsdogmatische Grundgedanken des Schuldrechts Rechtsquellen Schrifttum Plan der Darstellung
1 8 10 14
Der Allgemeine Teil des Schuldrechts (Die allgemeinen Lehren) 1. Abschnitt Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses 1. Unterabschnitt: Das Schuldverhältnis §5 §6 §7 §8 §9
Das Schuldverhältnis in der Rechtsordnung Das Gutachten (der Fallaufbau) Begriff des Schuldverhältnisses. Gefälligkeitsverhältnisse. Schulden und Haften Die Leistung Die wirtschaftliche Bedeutung des Schuldverhältnisses
16 20 28 33 40
2. Unterabschnitt: Arten der Schuldverhältnisse § 10 § 11 § 12 § 13
Arten der Schuldverhältnisse: Beteiligung am Schuldverhältnis. Gegenseitiger Vertrag (Überblick) ! Fortsetzung: Typische und atypische Schuldverhältnisse Fortsetzung: Konsensual- und Real Verträge Fortsetzung: Kausale und abstrakte Schuldverhältnisse
41 45 48 48
3. Unterabschnitt: Abgrenzungen § 14 §15 §16
Verpflichtung und Verfügung Relative Wirkung der Forderung Unvollkommene Verbindlichkeit und verbindlichkeitsähnliche Tatbestände
50 52 54 XI
Inhalt
2. Abschnitt Begründung des Schuldverhältnisses §17 §18 §19 § 20 § § § § §
21 22 23 24 25
Vorbemerkung Überblick über die Entstehungsarten Entstehung durch Vertrag Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten („culpa in contrahendo"; „nachwirkende Treuepflichten") Verfassungsrecht und Schuldrecht. Die Vertragsfreiheit und ihre Grenzen Form des Vertrags Vorvertrag und andere vorläufige Verträge Rahmenvertrag Draufgabe und Vertragsstrafe
56 57 64 66 75 86 92 95 97
3. Abschnitt Inhalt des Schuldverhältnisses § 26 § 27 § 28 § 29 § 30 §31 § 32 § 33 § 34 §35 §36 § 37
Bestimmung des Leistungsinhalts im allgemeinen. Allgemeine Geschäftsbedingungen (das AGBG) Treu und Glauben. Die Bedeutungen des § 242 Gattungsschuld. Wahlschuld und Ersetzungsbefugnis (Relative Unbestimmtheit der Leistung) Geldschulden und Zinsen Teilleistungen Aufwendungsersatz und Wegnahmerecht Rechnungslegung, Herausgabe von Gegenstandsinbegriffen. Auskunft und Versicherung an Eides Statt Einfluß der Rechtshängigkeit auf den Herausgabeanspruch und Vorlegung von Sachen Zeit der Leistung. Kündigung Ort der Leistung Leistung durch Dritte Vertrag zugunsten Dritter. Verträge mit Schutzwirkung für Dritte. Versprechen zugunsten Dritter auf den Todesfall
101 129 153 159 164 165 166 167 168 170 175 178
4. Abschnitt Erlöschen von Schuldverhältnissen § 38 § 39 § 40
Erfüllung Erfüllungsersetzungen Inhaltsänderung, Schuldersetzung, Vergleich (Gleichzeitige Beendigung und Begründung von Schuldverhältnissen)
189 196 207
5. Abschnitt Leistungsstörungen §41 § 42 XII
Vorbemerkung Überblick über die Leistungsstörungen
212 213
Inhalt
1. Unterabschnitt: Tatbestände und Rechtsfolgen der Leistungsstörungen § 43 § 44 § 45 § 46 § 47 § 48
Anfangliche objektive Unmöglichkeit und anfängliches Unvermögen . . Nachträgliche objektive Unmöglichkeit und nachträgliches Unvermögen („Unmöglichwerden der Leistung") bei einfachen Leistungspflichten und in gegenseitigen Verträgen Schuldnerverzug bei einfachen Leistungspflichten und in gegenseitigen Verträgen. Fixgeschäft Gläubigerverzug Schlechterfüllung („positive Forderungsverletzung") Sonstige Störungen im Ablauf von Schuldverhältnissen, insbesondere Zurückbehaltungsrecht und vertraglicher Rücktritt
221 227 246 259 266 278
2. Unterabschnitt: Die zusätzlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs § 49 § 50 §51 § 52 §53 § 54 § 55
Theorie der Schadenszurechnung in Grundzügen Schaden Verursachung Rechtswidrigkeit Vertretenmüssen, insbesondere Verschulden Haftung für fremdes Verschulden (der Erfüllungsgehilfe). Eigenhaftung des Gehilfen Umfang und Art des Schadensersatzes (Lehre vom Interesse)
286 299 308 314 319 325 330
6. Abschnitt Übertragung der Forderung und Schuldübernahme § 56 § 57 §58 § 59
Vorbemerkung Forderungsübertragung Sonderformen der Abtretung Schuldübernahme und Verwandtes
353 355 367 375
7. Abschnitt Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten § 60 §61 § 62 § 63
Übersicht. Begriffe Teilschuldverhältnisse (reale Teilung von Berechtigung und Verpflichtung) Gesamtschuldverhältnisse (Gesamtberechtigung, Gesamtverpflichtung) Bruchteils- und Gesamthandsgemeinschaften
383 385 386 394
XIII
Inhalt
Der Besondere Teil des Schuldrechts (Die einzelnen Schuldverhältnisse)
§ 64 § 65
§ 66 § 67 § 68 § § § § §
69 70 71 72 73
8. Abschnitt Einleitung Überblick über das besondere Schuldrecht Vertragsverbindungen und gemischte Verträge 9. Abschnitt Veräußerungsverträge Kauf. Begriff, Abschluß, Pflichten im allgemeinen Gefahrtragung. Verwendungen, Nutzungen, Lasten, Zinsen, Kosten . . . Leistungsstörungen beim Kauf im allgemeinen. Rechtsmängelgewährleistung Sachmängelgewährleistung Besondere Arten des Kaufs. Internationales Kaufrecht Verkauf unter Eigentumsvorbehalt Abzahlungskauf, finanzierter Abzahlungskauf und Haustürgeschäft . . . Tausch. Schenkung. Schenkungsversprechen
401 404
408 414 422 430 456 465 473 479
10. Abschnitt Gebrauchsüberlassungsverträge § 74 §75 §76 § 77
Miete Pacht Leasing, insb. der Finanzierungsleasingvertrag Leihe. Darlehen. Darlehensversprechen
485 510 513 521
11. Abschnitt Schuldverhältnisse über Tätigkeiten § 78 § 79 § 80 §81 § 82 § 83 § 84 § 85 § 86 § 87
Übersicht Dienstvertrag Werkvertrag. Werklieferungsvertrag Reisevertrag Auftrag. Geschäftsbesorgung. Raterteilung Geschäftsführung ohne Auftrag Maklervertrag Auslobung Verwahrung Einbringung von Sachen bei Gastwirten
537 540 555 571 576 582 599 602 603 606
12. Abschnitt Schuldrechtliche Personenvereinigungen § 88 § 89 XIV
Gesellschaft Gemeinschaft
609 625
Inhalt
13. Abschnitt Besondere Versprechen § 90 § 91 § 92 § § § §
93 94 95 96
Leibrente Spiel, Wette, Differenzgeschäft Sichernde Versprechen (Bürgschaft, Garantie, Versicherungsvertrag, Sicherungsabrede, Sicherungstreuhand) Vergleich Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis Anweisung Schuldverschreibung auf den Inhaber
627 628 629 645 645 647 649
14. Abschnitt Ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung im Überblick § 97
Gemeinsame Grundlagen und Unterscheidung von ungerechtfertigter Bereicherung und unerlaubter Handlung
654
15. Abschnitt Ungerechtfertigte Bereicherung §98 Grundgedanken und gesetzlicher Aufbau des Bereicherungsrechts § 99 Arten und Voraussetzungen der Bereicherungsansprüche im einzelnen . §100 Rechtsfolgen des Bereicherungsanspruchs: Der Gegenstand der Bereicherung §101 Fortsetzung: Der Verpflichtete. Die Bereicherungseinrede. Konkurrenzen
671 677 713 724
16. Abschnitt Unerlaubte Handlung §102 Übersicht. Der Handlungsbegriff. Verhältnis zu den vertraglichen Ansprüchen, zur ungerechtfertigten Bereicherung und zum EigentümerBesitzer-Verhältnis
727
1. Unterabschnitt: Die Tatbestände der unerlaubten Handlung I. Die Verletzungshandlung A. Die Verschuldenshaftung 1. Die allgemeinen Deliktstatbestände § 103 Eingriffsdelikte, 823 I I. Eingriffe in absolute Rechte II. Eingriffe in Rahmenrechte (Recht am Unternehmen, Allgemeines Persönlichkeitsrecht) III. Eingriffe durch Verletzung einer Verkehrspflicht IV. Produzentenhaftung (einschl. Produkthaftungsgesetz) § 104 Schutzgesetzdelikte, 823 II § 105 Sittenwidrige Vermögensschädigungen, 826
737 741 749 760 763 775 780 XV
Inhalt
2. Die besonderen Deliktstatbestände § 106 Kreditgefährdung, Verletzung der Geschlechtsehre, Gebäudehaftung, Amtspflichtverletzung
784
3. Haftung für unerlaubte Handlungen anderer § 107 Verrichtungsgehilfe, Haftung in Großbetrieben, Haftung für Aufsichtsbedürftige § 108 Mehrere Schädiger
793 800
B. Die Gefährdungshaftung § 1 0 9 Tierhaftung, Verkehrshaftpflichtgesetze; Kfz-Haftung, Energiehaftung, Haftung für Gewässerschäden, Arzneimittelhaftung, Ersatzpflicht aus Zwangsvollstreckung
804
C. Die Billigkeitshaftung §110
813 II. Die übrigen Tatbestands Voraussetzungen
§ 1 1 1 Schaden, Verursachung, Rechtswidrigkeit, Verschulden
814
2. Unterabschnitt § 1 1 2 Erlaubte, aber zu Schadensersatz oder Entschädigung verpflichtende Eingriffe in fremde Rechte
817
3. Unterabschnitt § 1 1 3 Die Rechtsfolgen unerlaubter und erlaubter, aber zu Schadensersatz oder Entschädigung verpflichtender Handlungen
819
4. Unterabschnitt § 114 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch. Gruppenklage, Verbandsklage
824
17. Abschnitt
Räumliche und zeitliche Bezüge des Schuldrechts § 1 1 5 Der räumliche Bezug des Schuldrechts: Hauptprobleme des deutschen internationalen Schuldrechts § 1 1 6 Der zeitliche Bezug des Schuldrechts: Zur Geschichte des deutschen Schuldrechts. Reformvorhaben
826 835
Register Verzeichnis der Gesetzesstellen Sach- und Entscheidungsregister XVI
845 865
Abkürzungsverzeichnis (Die abgekürzt zitierte Schuldrechtsliteratur findet sich in § 3) a. A. aaO ABGB AbzG AcP ADSp a. E. a. F. AG AG AGB AGBG AHGB AJCL AJP/PJA AIZ allg. M. Alt. AMG Ang. Anm. AnwBl. AO AÖR AP APR ArbuR ArchBürgR arg. ARS Art. ArztR AT AtomG Aufl. AuR
anderer Ansicht; oder: am Anfang am angeführten Ort Allgemeines (österreichisches) Bürgerliches Gesetzbuch Gesetz betreffend die Abzahlungsgeschäfte v. 16. 5. 1894 Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen am Ende alter Fassung Aktiengesellschaft Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (Vorgänger des HGB) American Journal of Comparative Law Aktuelle Juristische Praxis Allgemeine Immobilienzeitung allgemeine Meinung Alternative Arzneimittelgesetz Angaben Anmerkung Anwaltsblatt, Nachrichten für die Mitglieder des deutschen Anwaltsvereins Abgabenordnung Archiv für öffentliches Recht Arbeitsrechtliche Praxis Allgemeines Persönlichkeitsrecht Arbeit und Recht Archiv für bürgerliches Recht Argument aus Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte Artikel Arztrecht Allgemeiner Teil Atomgesetz Auflage Arbeit und Recht XVII
Abkürzungsverzeichnis
AuslInvestmG AWD
Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters
BAG BAnz. BauR BB BBauG Bd. Beih. best. betr. BetrVerfG BFH BFHE BG BGB BGB1. BGH BGHSt. BGHZ BVerfG BImSchG BörsG BT BVerwG BVerwGE BVG bzw.
Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Baurecht Der Betriebsberater Bundesbaugesetz Band Beiheft bestätigt betreffend Betriebsverfassungsgesetz vom 11. 10. 1952 Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Strafsachen Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Zivilsachen Bundesverfassungsgericht Bundesimmissionsschutzgesetz Börsengesetz Besonderer Teil Bundesverwaltungsgericht Bundesverwaltungsgericht, Entscheidungen Betriebsverfassungsgesetz beziehungsweise
CR
Computer und Recht
D DArbR DAR DB DEMV ders. DGWR d. h. Diss. DJ DJT DJZ DNotZ DÖV DR
Digesten Deutsches Arbeitsrecht Deutsches Autorecht Der Betrieb Deutscher Einheitsmietvertrag derselbe Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht das heißt Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Deutsche Notarzeitschrift Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Recht
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
DRiZ DRWiss. DStR dt. DtZ DVBI. DVO
Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtswissenschaft Deutsches Steuerrecht deutsch Deutsch-deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung
EEA EGBGB EhrenbergsHb. EinlPrALR
Einheitliche Europäische Akte Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Ehrenbergs Handbuch Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Enneccerus/Nipperdey, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bde 1/1 (15. Bearbeitung 1959); 1/2(15. Bearbeitung 1960) Energiewirtschaftsgesetz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Europarecht Römisches EG-Übereinkommen über das auf schuldrechtliche Geschäfte anzuwendende Recht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftliche Interessengemeinschaft
Enn./Nipp. EnWiG EuGH EuGVÜ EuR EuSchVÜ EuZW EWiR EWIV f, ff FamRZ FernUSG FG Fikentscher, Geschäftsgrundlage Fikentscher, Methoden Fikentscher, Modes of Thought Fikentscher, Wirtschaftsrecht FLF Flume AT
folgende Seite(n) Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht (Zeitschr.) Fernunterrichtsschutzgesetz Festgabe Fikentscher, Wolfgang, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, 1970 Fikentscher, Wolfgang, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bde I-V (1975-77) Modes of Thought, A Study in the Anthropology of Law and Religion (1995) Fikentscher, Wolfgang, Wirtschaftsrecht, Bde I, II (1983)
FS
Finanzierung, Leasing, Factoring Flume, Werner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bde 1/1 (1977); 1/2 (1983); II (1965, 3. Aufl. 1979) Festschrift
GenTG GenTSV GewO GG GmbH GmbHG
Gentechnikgesetz Gentechniksicherheitsverordnung Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung XIX
Abkürzungsverzeichnis
GOA Gruchot GrundE GRUR GS GüKG GVG GWB GZS
Gebührenordnung der Architekten Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Das Grundeigentum (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift Güterkraftverkehrsgesetz Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Großer Senat in Zivilsachen
HaftpflG HandwO HausTWG HdWbdR, HdwbRW HGB Hirths Ann. h. L. h. M. HOAI HöfeO
Haftpflichtgesetz Handwerksordnung Haustürwiderrufsgesetz
IherJb. i. d. F. i. d. R. IPR IPRax i. S. v. i. ü. i. V. m.
Iherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts in der Fassung in der Regel Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts im Sinne von im übrigen in Verbindung mit
JA JbAKDR JB1. JR Jura JurAnal. JurBl. = JB1 JurFak. JuS Justizbl. JW JZ
Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht Juristische Blätter (Österreich) Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Analysen Juristische Blätter, s. o Juristische Fakultät Juristische Schulung Justizblatt Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
KAGG KO KTS KUG
Kapitalanlagegesellschaften-Gesetz Konkursordnung Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Gesetz, betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie
XX
Handwörterbuch der Rechtswissenschaft Handelsgesetzbuch Hirths Annalen herrschende Lehre herrschende Meinung Honorarordnung für Architekten und Ingenieure Höfeordnung
Abkürzungsverzeichnis
KVO
Kraftverkehrsordnung für den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen
LG LM LQR LuftVG LZ
Landgericht Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Law Quarterly Review Luftverkehrsgesetz Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
MDR MedR MHG Mitt. MPI MSch G MuW m. w. A. m. w. N.
Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht Art. 3 des WoRKSchG Mitteilungen Max-Planck-Institut Mieterschutzgesetz Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Angaben mit weiteren Nachweisen
n. F. NJW NZA NZV
neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Versicherungsrecht
ÖJZ o. A. ÖZB1. OGH OGHZ OHG OLG
Österreichische Juristenzeitung ohne Angabe des Verfassers Österreichisches Zentralblatt für die juristische Praxis Oberster Gerichtshof für die Britische Besatzungszone Oberster Gerichtshof für die Britische Besatzungszone, Entscheidungen in Zivilsachen offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht
PersBefG PfVG PrALR PHG pVV
Personenbeförderungsgesetz Pflichtversicherungsgesetz Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Produkthaftungsgesetz, positive Vertragsverletzung
R RabelsZ
Richtlinie Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Reichsabgabenordnung Reichsarbeitsgericht Recht am Unternehmen Recht der Arbeit Rivista di Diritto Commerciale Recht der Jugend Randnummer
RAbgO RAG RaU RdA RDirComm RdJ Rdn.
XXI
Abkürzungsverzeichnis
RdW RG RGBl. RGSt. RGZ RHpflG RIW/AWD RLG ROHG Rspr. Rth RvglHWB RVO s. SAE SavZ rom. Abt. SchwerbehG SeuffA
Recht der Wirtschaft Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgericht, Entscheidungen in Strafsachen Reichsgericht, Entscheidungen in Zivilsachen Reichshaftpflichtgesetz Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Reichsleistungsgesetz Reichsoberhandelsgericht Rechtsprechung Rechtstheorie (Zeitschrift) Rechtsvergleichendes Handwörterbuch für das Zivil- und Handelsrecht des In- und Auslandes Reichsversicherungsordnung
SeuffBl. SGB SJZ s. 0. SozArbR SozPr. StGB st. Rspr. StVG StVZO s. u.
siehe Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Savigny-Zeitschrift, romanistische Abteilung Schwerbehindertengesetz Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den Deutschen Staaten Seufferts Blätter für Rechtsanwendung Sozialgesetzbuch Süddeutsche Juristenzeitung siehe oben Zeitschrift für Sozial- und Arbeitsrecht (öst.) Soziale Praxis Strafgesetzbuch ständige Rechtsprechung Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten
TVG
Tarifvertragsgesetz
u. a. u. ä. UFITA UmweltHG URG usw. u. U. UWG
unter anderem und ähnliches Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Umwelthaftungsgesetz Urheberrechtsgesetz und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
V.
vom, von Verbraucherkreditgesetz Vergleichsordnung Gesetz über das Verlagsrecht
VerbrkrG VerglO VerlG XXII
Abkürzungsverzeichnis
VersPrax VersR VerwR VEV VO Vorbem. VRS VVG VwVfG WarnRspr., RG Warn. WB1
Versicherungspraxis Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland verlängerter Eigentumsvorbehalt Verordnung Vorbemerkung Verkehrsrechts-Sammlung Gesetz über den Versicherungsvertrag Verwaltungsverfahrensgesetz Warneyer, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
WEG WiB WiGBl. WM (oder WPM) WobauG WoBindG WoRKSchG WPR WuW
Wirtschaftsrechtliche Blätter (Beilage zu den Juristischen Blättern = JB1) Wohnungseigentumsgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung Gesetzblatt der Verwaltung des vereinigten Wirtschaftsgebietes Wertpapier-Mitteilungen Wohnungsbaugesetz Wohnungsbindungsgesetz 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetz Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht Wirtschaft und Wettbewerb
ZADR, ZAKDR z. B. ZBJV ZblHR ZfA ZfVerkR ZfVersW ZfRvgl ZGB ZGR ZHR Ziff. ZIP ZMR ZÖsterrR ZPO ZRP ZSchweizR ZstW zust. zutr. ZVG ZZP
Zeitschrift derAkademie für Deutsches Recht zum Beispiel Zeitschrift des bernischen Juristenvereins Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für das Verkehrsrecht Zeitschrift fürVersicherungswissenschaft Zeitschrift für Rechtsvergleichung Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für Österreichisches Recht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft zustimmend zutreffend Zwangsversteigerungsgesetz Zeitschrift für Zivilprozeß XXIII
Einleitung §1 Rechtstechnische Aufgabe, Begriff, Stellung, rechtspolitische und rechtsdogmatische Grundgedanken des Schuldrechts I. Rechtstechnische Aufgabe des Schuldrechts A verlangt etwas von B. Der Jurist soll herausfinden, ob A im Recht ist. 1 Rechtstechnisch drückt man das so aus: Es ist zu prüfen, ob A gegen B einen Anspruch hat, und wenn ja, worauf (z. B. auf eine Geldsumme) und woraus. Wer gegen wen, worauf und woraus, das sind die vier Gesichtspunkte, die bei jedem geltend gemachten Anspruch zu prüfen sind. In der Prüfung von Ansprüchen besteht die Hauptarbeit des Juristen. Schuldrecht kommt ins Spiel bei der Prüfung des „woraus". „Woraus" bedeutet: Aus welcher Vorschrift des Rechts? Alle geltend gemachten Ansprüche bedürfen einer rechtlichen Grundlage. Ohne sie dürfen Ansprüche nicht zugesprochen werden. Derartige von der Rechtsordnung bereitgestellte Vorschriften zur Gewährung von Ansprüchen nennt man „Anspruchsgrundlagen", „Anspruchsnormen" oder einfach „Ansprüche". Anspruchsnormen finden sich über das ganze Recht verstreut. Um sie aufzusuchen, geht der Jurist bei der Lösung jeden Falles zunächst von der Rechtsfolge der Ansprüche aus. Gewährt sie dem A, was er von B will? Dabei prüft man in Gedanken alle Rechtsgebiete durch: Das Privatrecht, das Strafrecht, das öffentliche Recht; innerhalb des Privatrechts das Zivilrecht und die übrigen Gebiete des Privatrechts (z. B. Handelsrecht); innerhalb des Zivilrechts die im BGB geregelten und die nicht im BGB geregelten Materien; und schließlich im BGB dessen fünf Bücher, von denen das zweite, das „Schuldrecht", besonders viele und bedeutsame Anspruchsnormen (z. B. § 286 - Schadensersatz aus Verzug) und deren in sog. Zusatznormen geregelten Voraussetzungen (z. B. § 284 - Voraussetzungen des Verzugs) enthält.1 Somit ist das Schuldrecht eine besonders wichtige Quelle für die Beurteilung geltend gemachter Ansprüche.
II. Begriff des Schuldrechts 1. Das Schuldrecht ist ein Teil der Privatrechtsordnung. Es ist das Recht der 2 Beziehungen zwischen Personen, kraft deren der eine (Gläubiger, Berechtigter) 1
Außer Anspruchs- und Zusatznormen gibt es im Recht noch Definitionsnormen (z. B. § 90) und rein rechtstechnische Normen (wie z. B. Verweisungen).
§1
Einleitung
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von dem anderen (Schuldner, Verpflichteter) eine Leistung verlangen kann, die im allgemeinen dem rechtsgeschäftlich-wirtschaftlichen Lebensbereich zugehört. 2. Etwas schuldig sein heißt: Einem andern etwas geben müssen, was ihm nach den Regeln des Rechts zusteht. In diesem Sinne ist das gesamte Recht Schuld-Recht, denn das Recht hat dafür zu sorgen, daß jedem das Seine zukommt. Das Schuldrecht im eigentlichen Sinne ist aber nur ein kleiner, wenn auch besonders wichtiger Teil der Gesamtrechtsordnung. Nur mit dem Schuldrecht im eigentlichen Sinne beschäftigt sich dieses Buch. 3. Das Schuldrecht regelt die Beziehungen von Person zu Person, z. B. zwischen Käufer und Verkäufer, Mieter und Vermieter, Gesellschafter und Mitgesellschafter, Dienstverpflichtetem und Dienstherrn. Im Unterschied dazu ordnet das Sachenrecht die Rechtsbeziehungen zwischen einer Person und einer Sache. Rechtsbeziehungen zu einer anderen Person entstehen dort in der Regel nicht unmittelbar, sondern mittelbar auf dem Umweg über eine Sache, z. B. in §§ 985 ff. 2 Sachenrechte sind absoluter Natur, d. h., sie entfalten ihre Wirkungen gegen jedermann. So kann der Eigentümer von jedem Besitzer die Rückgabe der Sache und von jedem Störer die Beseitigung der Störung seines Eigentums verlangen, 985, 1004. Schuldrechtliche Beziehungen sind dagegen relativ, d. h., sie wirken nur zwischen Gläubiger und Schuldner, 241. Sachenrechte sind also stärker und umfassender wirksam als Schuldrechte. Ein Unternehmer, der seinem Konkurrenten Arbeitnehmer abwirbt, indem er ihnen höheren Lohn bietet, verletzt nicht die Dienstverträge dieser Arbeitnehmer mit dem Konkurrenten, 611 ff. 3 - Nimmt dagegen der Unternehmer seinem Konkurrenten unerlaubt Maschinen weg, so verletzt er das Eigentumsrecht des Konkurrenten, 985, 992, 823 ff.
4. Der wichtigste Begriff des Schuldrechts ist das Schuldverhältnis (im engeren Sinne). Es besteht in einer Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner auf eine Leistung, 241 S. I. 4 Die geschuldete Leistung ist meist wirtschaftlicher Art, wobei häufig (aber nicht immer) ein Rechtsgeschäft zur Erbringung der Leistung nötig ist: z. B. Darlehensrückzahlung, 607; der Käufer schuldet die Zahlung des Kaufpreises, 433 II; der Verkäufer die Übereignung einer Sache, 433 I; der Schädiger die Zahlung von Schadenersatz, 823 ff; der Gesellschafter die Leistung von Beiträgen, 705.
Es handelt sich also um Vorgänge des Wirtschafts- und Geschäftslebens, die das Schuldrecht regelt. Auch in anderen Rechtsgebieten finden sich Ansprüche wirtschaftlicher Art: Schadensersatzanspruch des Anfechtungsgegners, 122; Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung zur Verwirklichung des Hypothekenrechts, 1147; Anspruch des 2
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§§ ohne Gesetzesbezeichnung sind solche des BGB. Die §§-Zeichen finden sich nur im fortlaufenden Text, nicht dagegen am Satzende, wo sie als Beleg für das Gesagte dienen. Näher zur Relativität einer Forderung, zum Vertragsbruch und der Verleitung dazu unten in § 15. Näher zur Terminologie des Schuldverhältnisses unten § 7.
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Ehegatten auf Haushaltsgeld, 1360 a II 2; Herausgabeanspruch des wahren gegen den falschen Erben, 2018.
Doch liegt das Schwergewicht der Ansprüche des täglichen Wirtschaftslebens eindeutig im Schuldrecht. Ansprüche auf Zahlungen, z. B. §§ 433 II, 607; auf Warenlieferungen, vgl. §§ 433 I 1, 480.
Manchmal wird auch nur eine tatsächliche Handlung geschuldet. Beseitigung eines Sachmangels beim Werkvertrag, 633 II 1; Leistung von Diensten beim Dienstvertrag, 611; auch die im Schuldrecht so häufig geschuldeten Besitzeinräumungen und Besitzübergaben sind als solche keine Rechtsgeschäfte: Einräumung z. B. bei Miete, 535; Rückgabe der entliehenen oder verwahrten Sache, 604, 695.
III. Stellung des Schuldrechts im Rahmen der Rechtsordnung 1. Von den fünf Büchern des BGB umspannt das Schuldrecht sachlich die meisten Le- 3 bensbereiche. Das Schuldrecht stellt die Rechtsregeln bereit, die zum Austausch von Vermögensgegenständen und zum Ausgleich von Benachteiligungen und Schäden benötigt werden. Das Schuldrecht dient also, neben allgemeinen Ordnungsinteressen, zur Befriedigung persönlicher Interessen in der Welt der Güter und des Geldes. Das Sachenrecht regelt die Rechte der Person an den sie umgebenden Sachen, das Familienrecht die Beziehungen zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern, das Erbrecht die Folgen des Todes einer Person. Der allgemeine Teil des BGB enthält „vor die Klammer gezogene" Regeln für das Schuld-, Sachen-, Familien- und Erbrecht, ferner das Personenrecht. Dabei liegt das Gemeinsame und Kennzeichnende des Schuldrechts vor allem in der Rechtsfolge-, Dem schuldrechtlichen Anspruch. Woraus sich ein solcher Anspruch ergibt, wird im Schuldrecht einzeln bestimmt, dazu u. § 18. Neben der Entstehung gehören Inhalt, Veränderung, Untergang und Störung dieser Ansprüche in den Bereich des Schuldrechts.
2. Die Beziehungen des Schuldrechts zu den anderen Rechtsgebieten lassen sich wie folgt kennzeichnen: a) Das Verhältnis zum Allgemeinen Teil des BGB besteht darin, daß die Tatbestandsvoraussetzungen schuldrechtlicher Ansprüche fast immer von Regeln des Allgemeinen Teils beeinflußt werden. Für die vier möglichen Arten der Anspruchsbeeinflussung je ein Beispiel: Vertragsabschluß, 145 ff (Anspruchsbegründung); Einfluß der Minderjährigkeit auf einen Vertrag, 107 ff (Anspruchshinderung); Verjährung eines Kaufpreisanspruchs, 433 II, 194, 196 I 1, II (Anspruchshemmung, vgl. § 222); Vernichtung eines Kaufvertrags durch Irrtumsanfechtung, 433, 119, 142 (Anspruchsvernichtung). 5 b) Damit Sachenrechte (z. B. Eigentum, Hypothek) begründet oder von einer Person auf eine andere bleibend übertragen werden können, bedarf es in der Regel zuvor schuldrechtlicher Verpflichtungen (vgl. § 433 und § 929). Zwar sind sachenrechtliche Verfügungen vermöge ihrer abstrakten Natur auch ohne vorangegangene schuldrechtliche Verpflichtung wirksam. Doch ist derjenige, an 5
Dieses Zusammenspiel von Ansprüchen des Schuldrechts mit Anspruchsbeeinflussungen des Allgemeinen Teils des BGB ist für den Aufbau des Gutachtens zur Lösung eines Falles von entscheidender Bedeutung (siehe dazu näher Fikentscher, Schuldrechtspraktikum 87 ff). 3
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III 2
den ohne schuldrechtliche Verpflichtung verfügt wird, in der Regel um das erworbene Sachenrecht ungerechtfertigt bereichert und zur Rückübertragung verpflichtet, 812 I 1.6 Während also das Sachenrecht die endgültige Zuordnung einer Sache in den Vermögensbereich einer Person regelt, bereitet das Schuldrecht diese Zuordnung durch Verpflichtungsgeschäfte vor und rechtfertigt sie für Gegenwart und Zukunft. Eine Forderung kann ein Recht „ a u f eine Sache geben (z. B. § 433 I I ) . Ein dingliches Recht ist ein Recht „an" einer Sache. Das Verpflichtungsgeschäft ist zugleich der Rechtsgrund (causa) im Sinne der §§ 812 ff für die sachenrechtliche Güterverschiebung. Sachenrechtliche und schuldrechtliche Ansprüche können in der Regel nebeneinander geltend gemacht werden (h. M., s. aber u. Rdn. 1195 ff): Der Verleiher verlangt nach Ablauf der Leihe vom Entleiher die verliehene Sache nach § 604 I und § 985 zurück. Man hat versucht, die scharfe begriffliche Trennung zu überbrücken, die nach geltendem Recht zwischen den absoluten, d. h. gegen alle wirkenden Sachenrechten, und den relativen, d. h. in ihrer Wirkung auf Gläubiger und Schuldner beschränkten Forderungsrechten besteht, vgl. Dulckeit, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte, 1951; Heck, §112; Löning, Die Grundstücksmiete als dingliches Recht, 1930; Canaris, FS Flume, Bd. I, 1978, 371; Weitnauer, (II.) FS Lorenz, 1983, 705. Ähnliche Bemühungen zielen darauf ab, die Grenzen zwischen Forderungs- und dinglichen Rechten anders zu ziehen: Wieacker, Die Forderung als Mittel und Gegenstand der Vermögenszuordnung, DRW 1941, 49; ders., Zum System des deutschen Vermögensrechts, 1941; ders., AcP 148 (1943) 57. Aber das Gesetz hat Gründe, diesen Unterschied zu machen. Zahlreiche Rechtseinrichtungen, z. B. der Eigentumsvorbehalt, die Hypothek, das Pfandrecht und viele andere Sicherungsrechte lassen sich gerade wegen der Trennung dinglicher und obligatorischer Rechte leichter deuten und handhaben. Der rechtspolitisch erforderliche Schutz des Mieters gegenüber dem Eigentümer läßt sich schuldvertraglich verwirklichen und bedarf keiner „Verdinglichung", vgl. dazu MünchKommA/oelskow, Einl. zu §§ 535597, Rdn. 20; Canaris, aaO, 393 ff; Weitnauer, aaO, 711 f; Otte, FS Wieacker, 1978, 463 ff. Eigenartige Schnittpunkte des Schuld- und Sachenrechts sind: Die „Verdinglichung" obligatorischer Ansprüche in §§556 III, 604 IV, 571; bis 1975 auch § 1 IV MSchG; die dingliche Sicherung obligatorischer Ansprüche durch die Vormerkung in §§ 883 und 1098 II, ferner durch einstweilige Verfügung, 935 ZPO i. V. m. 136 BGB; die Einwirkung Dritter auf eine Forderung gem. §§ 407, 408, 793 I 2, 807, 808 BGB (Verkehrsschutz); der Schutz des mittelbaren Besitzers gem. § 771 ZPO bei beweglichen Sachen; die übrigen Fälle dinglichen Schutzes obligatorischer Rechte durch Besitzvorschriften, 1007, 823 I. Es handelt sich um fünf verschiedenartige Gruppen von Sondervorschriften, die einer Verallgemeinerung de lege lata nicht ohne weiteres zugänglich sind. So wäre es insb. verfehlt, aus diesen Bestimmungen herauszulesen, die schuldrechtliche Forderung gewähre ein Herrschaftsrecht an der Person des Schuldners, an den Handlungen des Schuldners oder am Leistungsgegenstand, oder ein Abwehrrecht gegen Dritte (ius ad rem des Pr. ALR). Doch folgt aus diesen Bestimmungen immerhin, daß die Innehabung einer Forderung (Gläubigerschaft) in einem gewissen Umfang deliktischen Schutz 6
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Näheres zu den rechtsgrundlosen Verfügungen unten Rdn. 1121.
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genießen muß, bestr.; vgl. z. B. MünchKomm/Kramen, Einl. vor § 241, Rdn. 26 und zum Streitstand Enneccerus/Lehmann § 1 II 1; Lorenz I § 2 II; femer Diederichsen, Das Recht zum Besitz aus Schuldverhältnissen, sowie unten Rdn. 1215 und Literatur-Angaben zu § 15.
c) Auch das Familienrecht kennt Forderungsrechte, insb. Unterhaltsansprüche, 1360 ff, 1601 ff, 1754; Auseinandersetzungsansprüche, 1476, 1497; Zugewinnausgleich, 1378. Sie entspringen besonderen Familienbindungen, nicht allgemeinen Schuldbindungen. d) Ähnlich liegt es im Erbrecht. Dort finden sich Forderungsrechte, die ebensogut im Schuldrecht geregelt sein könnten, z. B. das Vermächtnis, 2147, 2174; Anspruch des wahren gegen den falschen Erben, 2018 ff. Aber sachlich gehören diese Ansprüche zu den Regeln über das Schicksal des Vermögens im Todesfalle. Zu b)-d): Gewisse allgemeine Grundsätze des Schuldrechts beanspruchen aber auch in anderen Teilen der Rechtsordnung Beachtung. Die Geltung dieser allgemeinen Schuldrechtsgrundsätze im Sachen-, Familien- und Erbrecht ist aber teilweise unsicher. Der Satz von Treu und Glauben (242) gilt stets, er verdient allgemeine Achtung. Ebenso gilt Verzugsrecht in § 990 II, Zessionsrecht in § 931 und § 986. Im Sachenrecht unanwendbar ist § 281 auf den Eigentumsherausgabeanspruch; BGH NJW 68, 788 Anm. Reinicke; unten § 44 II, III. Im Familienrecht und Erbrecht sind Schuldrechtsgrundsätze überall anzuwenden, wo Vermögensinteressen auf dem Spiel stehen: Beispiele oben c) und d); nicht aber im persönlichen Bereich, z. B. 1353 I, 1632, 1634. e) Das Handelsrecht ist das Sonderrecht des Kaufmanns und als solches im wesentlichen ein speziell geregelter Teil des Schuldrechts. Die Trennung hat historische Gründe und ist rechtspolitisch de lege ferenda nicht mehr vertretbar. Wo in einer Handelsrechtsfrage das HGB keine Sonderregelung enthält, gilt bürgerliches Recht (daher der Ausdruck „Sonderrecht"). Im Gutachten sind also beide Rechtsmassen zu berücksichtigen und entsprechend dem Sonderrechtscharakter darzustellen! Die handelsrechtlichen Besonderheiten, insb. im Recht der Handelsgeschäfte, werden daher im folgenden jeweils angedeutet. Allgemein lassen sich die Besonderheiten des Handelsrechts gegenüber dem Schuldrecht auf drei Kategorien zurückführen: Der Handelsverkehr verlangt im Verhältnis zum bürgerlichen Recht (1) Spezialisierungen, die (a) entweder Vereinfachungen (Standardisierungen) oder (b) nähere Ausgestaltungen (Komplizierungen) bedeuten. Auch bedarf der Verkehr unter Kaufleuten weithin (2) anderer Risikoverteilungen, als das BGB sie vorsieht. Da durch (1) und (2) ein neuer Rechtskörper neben dem bürgerlichen Recht entsteht, braucht das Handelsrecht eine dritte Art von Normen, die sich mit der (3) Abgrenzung der Geltungsbereiche von bürgerlichem und Handelsrecht beschäftigen; zum Handelsrecht und zu seinem Verhältnis zum Zivilrecht vgl. insb. Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grundlagen und Sinnwandlung des Handelsrechts, 1965; Schmidt, K, Das HGB und die Gegenwartsaufgaben des Handelsrechts, 1982; Bucher, FS Meier-Hayoz, 1972, 1; Wahl, FS Hefermehl, 1976, 1; Müller-Freienfels, FS v. Caemmerer, 1978, 583; Schwark, in Kindemann (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, 11; Lehmann, M., Bürgerliches Recht und Handelsrecht, 1983; Schmidt, Karsten, Handelsrecht, 4. Aufl. 1994, 7 ff. f) Das Arbeitsrecht ist das Sonderrecht der in sozial abhängiger Stellung zu Dienstleistungen verpflichteten Personen und ihrer Dienstherren. Es ist darum ein Sonderbereich 5
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zum Recht des Dienstvertrags, 611 ff. Die Trennung vom allgemeinen bürgerlichen Recht ist wegen der vielfach kollektivrechtlichen Besonderheiten des Arbeitsrechts (Tarifvertrag, Betriebsverfassung) berechtigt. g) Das Wirtschaftsrecht ist das Sonderrecht der „Wirtschaftspersonen", ein Ausdruck, mit dem man die Träger von Rechten und Pflichten wirtschaftsrechtlicher Rechtsverhältnisse bezeichnen kann. Auch das Wirtschaftsrecht baut maßgeblich auf dem Schuldrecht auf (insb. Kauf- und Gesellschaftsrecht); näher Fikentscher, Wirtschaftsrecht § 1. h) Das Wertpapierrecht ist die Weiterentwicklung der in §§ 780, 781, 783 ff, 793 ff geregelten schuldrechtlichen Papiere (vgl. auch das Legitimationspapier Quittung, 368 ff). Im Wertpapierrecht gelten viele sachenrechtliche Grundsätze (z. B. verbreitet der Gutglaubensschutz). Es ist eine schwierige, auf der Grenze von Schuld- und Sachenrecht stehende Materie. i) Auch im öffentlichen Recht können schuldrechtliche Normen eine Rolle spielen. Die Anwendbarkeit schuldrechtlicher Grundsätze ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, vgl. § 62 VwVfG. Grundsätzlich können diese herangezogen werden, wenn die öffentlichrechtlichen Normen, insbesondere das VwVfG, die AO und das SGB, Lücken enthalten. Es ist jedoch immer die Eigenart des öffentlichen Rechts zu berücksichtigen. Beispielsweise kann der Vorrang öffentlicher Interessen und das Gebot der Rechtssicherheit dazu führen, daß der Grundsatz von Treu und Glauben, der im öffentlichen Recht entsprechend angewandt werden kann, zurücktreten muß, vgl. Forsthoff, VerwR, § 9, 173; Wolff/Bachof, VerwR § 41 I c 2; BVerwG NJW 1974, 1260; 1974, 2250. Die Aufrechnungsvorschriften des BGB sind - soweit sie sich nicht auf bürgerlich-rechtliche Besonderheiten beziehen (§§ 393-395) - auch im Bereich des öffentlichen Rechtes anwendbar, BVerwGE 66, 218; dazu Schmidt, W., JuS 84, 28. Verträge sind dann dem öffentlichen Recht zuzurechnen, wenn sie einen der öffentlich-rechtlichen Regelung unterworfenen Sachverhalt betreffen und eine von der gesetzlichen Ordnung abweichende Verteilung öffentlich-rechtlicher Lasten und Pflichten vorsehen, 54 VwVfG; s. u. Rdn. 68; BGHZ 35, 69 im Anschluß an BGHZ 32, 214 und 34, 88. Nach BGHZ 4, 192, 195 ist § 282 auf das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis entsprechend anzuwenden.
IV. Rechtspolitische und rechtsdogmatische Grundgedanken des Schuldrechts 4
1. Für die Personen im Rechtssinne stellt das Schuldrecht die Regeln bereit, mit deren Hilfe sie in eigener Verantwortung ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse decken und dabei über die Gradskala ihrer Bedürfnisse frei entscheiden können. Durch diese Betonung der Selbstverantwortlichkeit birgt das Schuldrecht einen sittlichen Gehalt, der nicht unterschätzt werden sollte. Ohne das Schuldrecht wäre eine Güterverteilung und -Verschiebung unter Staatsbürgern und zwischen Staat und Bürgern nur durch den Einsatz einer alles vorausdenkenden Planungsund Verteilungsbehörde denkbar. Marxistische Wirtschaftsordnungen haben dies versucht und sind damit gescheitert. 5 2. Unter den rechtsdogmatischen Grundgedanken des deutschen Schuldrechts sind hervorzuheben: a) Gläubiger und Schuldner sollen grundsätzlich rechtlich und wirtschaftlich in gleichem Maß geschützt werden. Das Gesetz ergreift für keinen der beiden Partei, vgl. 254, 6
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264, 274, 320, 322, 348, 387, 426, 705, 706, 723, 742 (anders J. W. Hedemann, Das bürgerliche Recht und die neue Zeit, 8 f, der im BGB eine allgemein schuldnerfreundliche Haltung zu erkennen glaubt). Der Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 gilt auch zu Lasten des Gläubigers (allgemeine Meinung): Der Schuldner muß nach Treu und Glauben leisten, der Gläubiger darf nur nach Treu und Glauben fordern. Dagegen ist vom Schuldrecht zu fordern, daß es den typischerweise Schwächeren (Schuldner oder Gläubiger) zu schützen hat.7 b) Der Schuldner muß also die Leistung so erbringen, und der Gläubiger darf sie nur so fordern, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es verlangen, 242. Darauf baut sich der Grundsatz der Angemessenheit (Philipp Heck) auf, der besagt, daß das Schuldrecht bestrebt ist, allen Beteiligten unter Berücksichtigung der häufig gegenläufigen Interessen das ihnen Gebührende in angemessener Weise zukommen zu lassen. c) Forderungsrechte wirken relativ. Sie berechtigen nur den Gläubiger. Sie binden nur den Schuldner. Für Dritte sind sie unbeachtlich (Ausnahmen 556 III, 571 ff, 604 IV, 826), näheres dazu unten § 15. Die Forderung ist auf eine Leistung gerichtet. Sie muß sachlich begrenzt und bestimmbar sein, unten Rdn. 33. d) Schulden sind grundsätzlich Holschulden, d. h., der Gläubiger muß sich die Leistung abholen, 269. Ausnahmen müssen vereinbart werden oder aus den Umständen hervorgehen. Außerdem kennt das Gesetz Ausnahmen: 261, 270, 447, 697, 700, 811; 36 VVG; Art. 4, 38, 75, 77 WechselG; 28, 29 ScheckG. e) Es gibt Verträge zugunsten, nicht aber zu Lasten Dritter, 328 ff (sonst könnte man sich schnell seiner Schulden entledigen!). Freilich entzieht jeder Vertrag die durch ihn Gebundenen dem Markt: Lukes, Der Kartellvertrag, das Kartell als Vertrag mit Außenwirkung, 1959; Martens, AcP 177 (1977) 113, 164 ff („Lastwirkungen gegenüber Dritten"). Doch sind dies faktische Drittbelastungen, auf denen die Auslesefunktion des Wettbewerbs beruht. f) Man kann sich seinem Gläubiger nicht ohne dessen Zustimmung entziehen, wohl aber seinem Schuldner. Das bedeutet: Forderungen sind ohne Zustimmung des Schuldners abtretbar, 398 ff. Aber Schulden können nur unter Mitwirkung des Gläubigers übernommen werden, 414 ff. g) Grundsätzlich sind die Staatsbürger frei, ob und wozu sie sich verpflichten wollen, 305 BGB, Art. 2 I GG (Grundsatz der Vertragsfreiheit). Es herrscht unter den Vertragsformen kein Typenzwang. Im Sachenrecht gilt dagegen ein numerus clausus der dinglichen Rechte. h) Nur in seltenen Ausnahmefallen greift der Staat korrigierend in ein schon bestehendes vertragliches Schuldverhältnis ein, 343; Vertragshilfegesetz v. 26. 3. 1952, BGBl. I 198. i) Schuldverträge sind grundsätzlich formfrei (Ausnahmen z. B. 310, 313, 518, 564 a). j) Wenn nichts Besonderes vereinbart ist, sind Schuldverträge entgeltlich, 433, 516, 518, 535, 598, 612, 632, 653, 662, 689. k) Ein bloß rechtswidriger Eingriff führt nur zur Beseitigungs- oder Unterlassungsklage, 12, 862 I, 1004. Dagegen verlangt ein Schadensersatzanspruch grundsätzlich Verschulden des Schädigers, 823 ff (Verschuldensgrundsatz, Ausnahme z.B. § 833 S. 1). 7
Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975; v. Hippel, Der Schutz des Schwächeren, 1982; Lieb, AcP 178 (1978) 196; Höhn, Die Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982; Fikentscher, Vertrag und wirtschaftliche Macht, FS Hefermehl, 1971, 41; v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982. 7
§2
Einleitung
Doch haben Haftungen ohne Verschulden außerhalb des BGB, besonders bei Unfällen, erhebliche praktische Bedeutung erlangt, dazu unten §§ 107, 109. 1) Nicht jede Schädigung gibt ein Recht auf Unterlassung oder Schadensersatz (es gilt nicht nur der Grundsatz des neminem laedere). Nur unter zusätzlichen Voraussetzungen sind diese Ansprüche gegeben (Rechtsgutverletzung 823 I, Schutzgutverletzung 823 II, sittenwidrige Schädigung 826, 1 UWG, Amtspflichtverletzung 839 u. a.). Dagegen gilt für ungerechtfertigte Bereicherungen eine Generalklausel, 8121 1. m) Auch der Gedanke des Verkehrsschutzes ist im Schuldrecht stellenweise verwirklicht, wenngleich schwächer als im Sachenrecht (gutgläubiger Erwerb) und im Allgemeinen Teil (Scheinvollmacht). Grundsätzlich wirken Forderungen eben nur zwischen Gläubiger und Schuldner. Das Problem, wie der Rechtsverkehr auf Kosten eines Berechtigten geschützt werden soll, stellt sich daher nicht mit gleichem Gewicht. Forderungen können grundsätzlich nicht gutgläubig erworben werden. Hier gilt der Satz: nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet. Dem Gedanken des Verkehrsschutzes entspringen aber die §§ 370, 405, 793, 794, 796. Verkehrsfeindlich sind dagegen die meisten Bestimmungen des sog. Schuldnerschutzes bei der Übertragung von Forderungen: 407, 408, 409-411, nicht dagegen 808 I 1. n) Es gibt allgemeine Schuldrechtsregeln, 241-432, und besondere „einzelne" Schuldverhältnisse, 433-853. Doch liegt das Schwergewicht des vertraglichen Schuldrechts auf dem Kauf, 433-514. Er ist der Prototyp aller Verträge. Neben den einzelnen vertraglichen Schuldverhältnissen stehen Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung, 677 ff, 812 ff, 823 ff.
§2 Rechtsquellen I. Vorbemerkung 6
Das heutige Schuldrechtssystem geht in seinen Anfängen auf das Schema personae res - actiones des nachklassischen römischen Rechts zurück (Gaius, Institutiones). Aus den „actiones" entwickelten sich mit Erkenntnis des Unterschiedes von materiellem und Verfahrensrecht die „obligationes": Die Naturrechtler unterschieden innerhalb der obligationes: contractus (Verträge), quasi contractus (ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag), delicta (vorsätzliche unerlaubte Handlungen) und quasi delicta (Fahrlässigkeitsdelikte und Tatbestände der Gefährdungshaftung). Diese Einteilung findet sich daher später z. B. bei Pothier, Savigny und auch noch bei Windscheid, der ihr aber keine große Bedeutung mehr beimißt. Der Unterschied zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen Teil des Schuldrechts ist begrifflich so alt wie die Unterscheidung von obligatio und contractus. Die Ausbildung des Allgemeinen Teils des Schuldrechts in heute geläufiger Form erfolgte in spät-naturrechtlicher Zeit, dann vor allem bei den Anhängern der historischen Rechtsschule (Hofacker; Hugo; Heise, der als erster die Fünfgliederung Allgemeiner Teil, Sachen-, Schuld-, Familien- und Erbrecht verwendet; Puchta; Savigny). Erstmals im BGB wurde das Schuldrecht vor das Sachenrecht gestellt. Im ganzen nahm die Bedeutung des Schuldrechts in Rechtslehre und Praxis mit zunehmender Industrialisierung und der Ausbreitung der Verkehrswirtschaft seit der Mitte des 8
Rechtsquellen
§2
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18. Jahrhunderts ständig zu, während das ursprünglich breiter behandelte Sachenrecht relativ an Gewicht verlor. 1
II. Das heutige Schuldrecht 1. Es ist stofflich zum größten Teil im 2. Buch des BGB enthalten. Die ersten 7 sechs Abschnitte des 2. Buches (241^432) behandeln allgemeine Fragen des Schuldverhältnisses. Der umfangreiche 7. Abschnitt regelt die 25 „einzelnen Schuldverhältnisse": Kauf, Darlehen, unerlaubte Handlungen usw. Man nennt ihn den Besonderen Teil des Schuldrechts (433-853), er betrifft die konkreten Lebensvorgänge, seine innere Struktur ist unten in § 64 besprochen. Mehrere Dutzend Änderungsgesetze haben das Schuldrecht des BGB seit 1900 geändert.2 2. Schuldrechtliche Nebenvorschriften (Schuldrecht außerhalb des BGB) finden sich zum Allgemeinen Teil des Schuldrechts in geringerer, zum Besonderen Teil in großer Zahl. Nachstehend werden nur die wichtigsten, zum Teil auch nur in Gruppen, genannt. a) Zum Allgemeinen Teil des Schuldrechts - Aus dem EGBGB: Art. 11, 12 (internationales Privatrecht), Art. 88 (Fremdenrecht). Ferner Art. 77-81, 93, 96-107 (Vorbehaltsklauseln bei einzelnen Schuldverhältnissen). - Die Währungs- und Umstellungsgesetze, beginnend 1948 (Währungsreform). - Hinterlegungsordnung vom 10. 3. 1937, RGBl. I 285 (Verfahrensrechtliche Ergänzung zu §§ 372 ff). - Schiffsgesetz vom 15. 11. 1940, RGBl. I 1499, mit DVO. - Beurkundungsgesetz vom 28. 8. 1969, BGBl. I 1513. - Gesetz ... zur Verwandlung des Offenbarungseids in eine eidesstattliche Versicherung, vom 27. 6. 1970, BGBl. I 911. - Gesetz zur Änderung des BGB und anderer Gesetze vom 30. 5. 1973, BGBl. I 501 (änderte u. a. § 313 S. 1). b) Zum Besonderen Teil des Schuldrechts - Das Preisrecht. Es handelt sich um öffentlich-rechtliche Eingriffe in die grundsätzlich freie Vereinbarkeit des Kaufpreises. Im Laufe der Jahre sind zuerst Verschärfungen, dann wesentliche Lockerungen eingetreten. Vgl. die Beispiele unten Rdn. 658 und Rdn. 664. - Verordnung, betr. die Hauptmängel und Gewährfristen beim Viehhandel vom 27. 3. 1899, RGBl. 219 (vgl. § 482 II), unten Rdn. 728. - Verbraucherkreditgesetz vom 17. 12. 1990, BGBl. I 2840. S. u. Rdn. 765, 772, 853 ff. - Haustürwiderrufsgesetz vom 16. 1. 1986, BGBl. I 122. S. u. Rdn. 775 ff. - Regelungen im Mietwesen sind sehr zahlreich. Näher unten Rdn. 800 ff. - Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30. 5. 1908, RGBl. 263; unten Rdn. 1013 ff. - Produkthaftungsgesetz vom 15. 12. 1989, BGBl. I 2198, geändert 27. 4. 1993, BGBl. I 512. S. u. Rdn. 1261. 1
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Andreas B. Schwarz, Zur Entstehung des modernen Pandektensystems, SavZ, röm. Abt. 42 (1921) 578; Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, Schuldrecht 1, 1978, 19. Nähere Angaben in den Großkommentaren und Loseblattsammlungen. 9
§3
Einleitung
1
- Umwelthaftungsgesetz vom 10. 12. 1990, BGBl. I 2634. S. u. Rdn. 1329 ff. - Atomgesetz vom 23.12. 1959, BGBl. I 814; Wasserhaushaltsgesetz vom 27.7. 1957, BGBl. I 1110 (zu den beiden letztgenannten siehe unten Rdn. 1326 ff). Die Gruppe der Haftpflichtgesetze, insb. das Haftpflichtgesetz vom 4. 1. 1978, BGBl. I 145, ergänzt die §§ 823 ff insb. durch Regelung von Tatbeständen der Gefährdungshaftung. Dazu unten Rdn. 1319 ff. Zum Einfluß der Reichsversicherungsordnung (RVO) i. d. F. vom 15. 12. 1924 RGBl. I 779, BGBl. III Nr. 820-1 (mit späteren Änderungen) auf einzelne Schuldverhältnisse siehe unten §§ 55, 79. c) Keine Rechtsquellen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen. Das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG) vom 9. 12. 1976, BGBl. I 3317 - mehrfach geändert - ist eines der wichtigsten schuldrechtlichen Nebengesetze (s.u. Rdn. 130 ff). Es betrifft den Allgemeinen und den Besonderen Teil des Schuldrechts. d) Zum Einigungsvertrag und seinen schuldrechtlichen Bestimmungen s. Rdn. 1406 der 8. Aufl. e) Zur Schuldrechtsreform s. u. Rdn. 1407 ff.
III. Der Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts 8
Wie fast überall im nationalen Recht muß heute auch im Schuldrecht das Recht der Europäischen Gemeinschaften berücksichtigt werden. Für die Rechtsquellenlehre, aber auch für die Rechtsanwendung ist auf die europarechtliche Literatur zu verweisen. Insb. durch Richtlinien i. S. d. Art. 189 III EG-Vertrag wird auf deutsches Schuldrecht erheblicher Einfluß genommen. Von einer Aufzählung wird hier Abstand genommen. Wo erforderlich, z. B. bei § 24 a AGBG (Rdn. 88 u. 130) wird auf den EG - rechtlichen Hintergrund Bezug genommen. Eine ausführlichere Darstellung enthält die 8. Aufl. (Rdn. 8).
§3
Schrifttum 9 1. Materialien und Texte zur Gesetzgebung a) Zum BGB Jakobs/Schubert (Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, 1978 ff; Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Amtl. Ausgabe, 5 Bde., 1888; Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 5 Bde., 1899 (Neudruck 1978); Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 6 Bde., 1897/99; Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, 1980 ff. 10
Schrifttum
§3 2
b) Zur Schuldrechtsreform Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, herausgegeben vom Bundesminister der Justiz, 3 Bde., 1981/83. 2. Lehrbücher und Grundrisse (zugleich Zitierweise)
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a) Ältere Werke Cosack/Mitteis, Lehrbuch des deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Allgemeiner Teil und Schuldrecht, 8. Aufl. 1927; Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. II, 1 und 2, Recht der Schuldverhältnisse, 1902; Dernburg, Die Schuldverhältnisse nach dem Rechte des Deutschen Reichs und Preußens, 4. Aufl. herausgeg. von Raape, Bd. 1, Allgemeine Lehren, 1909; Bd. II, Einzelne Obligationen, 1915; Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Bd. I, Allgemeiner Teil und Recht der Schuldverhältnisse, 12. Aufl. 1903; Heck, Grundriß des Schuldrechts, 1929; Hedemann, Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 3. Aufl. 1949; Henle, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, Schuldrecht, 1934; Jung, Bürgerliches Recht, in: Stammler, Das gesamte deutsche Recht, Bd. I, 1931; Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. II/l, Schuldrecht, 1906; Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, Neudruck 1974; Lehrbuch des Besonderen Schuldrechts, 1934; Krückmann, Institutionen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 5. Aufl. 1929; Lorenz, Vertrag und Unrecht, Bd. I, 1936; Bd. II, 1937; Lehmann, R., Das Recht der Schuldverhältnisse I, Allgemeiner Teil, 1947; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des BGB, 1929; Besonderes Schuldrecht des BGB, 1931; Loewenwarter, Wegweiser durch das BGB, 18. Aufl., unter Mitwirkung von Bohnenberg, 1952; Siber, Schuldrecht, 1931; Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse in seinen allgemeinen Lehren, 1897; Stoll/Felgentrager, Vertrag und Unrecht, 4. Aufl. 1944. b) Neuere Werke (Auswahl) Below, Bürgerliches Recht, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 1965; Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969; Brox, Allgemeines Schuldrecht, 23. Aufl. 1996; Besonderes Schuldrecht, 21. Aufl. 1996 (zit.: Brox I bzw. II); Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986; Deutsch, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, 1987; Dilcher, Schuldrecht, Besonderer Teil in programmierter Form, 2. Aufl. 1982; Emmerich, BGB Schuldrecht, Besonderer Teil, 6. Aufl. 1992; ders., Das Recht der Leistungsstörungen, 2. Aufl. 1986; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Aufl. 1958 (zit.; Enn./L.); Esser, Schuldrecht, 2. Aufl. 1960 (zit.: Esser2)-, ders., Schuldrecht, Bd. I, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 1970; Bd. II, Besonderer Teil, 4. Aufl. 1971 (zit.: Esser 74 bzw. Esser II*); Esser/ Eike Schmidt, Schuldrecht, Bd. I, Allgemeiner Teil, Teilband 1, Entstehung, Inhalt und Beendigung von Schuldverhältnissen, 8. Aufl. 1995; Teilband 2, Durchführungshindernisse und Vertragshaftung, Schadensausgleich und Mehrseitigkeit beim Schuldverhältnis, 7. Aufl. 1993 (zit.: Esser/Schmidt); Esser/Weyers, Schuldrecht, Bd. II, Besonderer Teil, 7. Aufl. 1991 (zit.: Esser/Weyers)-, Fezer, Schuldrecht, Besonderer Teil, 4. Aufl. 1996; Gernhuber, Bürgerliches Recht, 3. Aufl. 1991 (zit.: Gernhuber, BürgR); ders., Die Erfüllung und ihre Surrogate (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 3), 2. Aufl. 1994 (zit.: Gernhuber, Erfüllung); ders., Das Schuldverhältnis (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 8), 1989; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 7), 1988; Gursky, Schuldrecht, Besonderer Teil, 1990; Hirsch, Allgemeines Schuldrecht, 1990; Hirsch/ Pleyer, Einführung in das Bürgerliche Vermögensrecht, 6. Aufl. 1975; Hübner, H., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1985; Klement, Schuldrecht, Allg. Teil, Schadens11
§3 3
Einleitung
recht, 1996; Köndgen, BGB Schuldrecht I, Vertragsschuldverhältnisse, 4. Aufl. 1991; Kotz, Deliktsrecht, 4. Aufl. 1988; Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl. 1988; Lange, Schadensersatz (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 1), 2. Aufl. 1990; Larenz, Allg. Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989 (zit.: Lorenz AT)\ ders., Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 1, Allgemeiner Teil, 14. Aufl. 1987; Bd. II, Besonderer Teil, 1. Halbband, 13. Aufl. 1986 (zit.: Larenz I bzw. Larenz //); Lorenz/ Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II, Besonderer Teil, 2. Halbband, 13. Aufl. 1994 (zit.: Larenz/Canaris); Löwisch, Schuldrecht, 2. Aufl. 1982; Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. I: Leasing und Factoring, 1991; Bd. II: Franchising, Know-how-Verträge, Management und Consultingverträge, 1992; Bd. III: Computerverträge, Kreditbotenverträge und sonstige moderne Vertragstypen, 1993; Medicus, Bürgerliches Recht, Eine nach Anspruchsgrundlagen geordnete Darstellung zur Examensvorbereitung, 17. Aufl. 1996 (zit.: Medicus, BürgR, Rdn.); ders., Allg. Teil des BGB, 6. Aufl. 1994; ders., Schuldrecht I, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 1996; ders., Schuldrecht II, Besonderer Teil, 7. Aufl. 1995 (zit.: Medicus I bzw. Medicus 77); ders., Probleme um das Schuldverhältnis, 1987; ders., Grundwissen zum bürgerlichen Recht, 1994; ders., Gesetzliche Schuldverhältnisse, 3. Aufl. 1996; Müller, Schuldrecht, Besonderer Teil, 1990; Nörr/Scheyhing, Sukzessionen (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 2), 1983; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 4), 1983; Schellhammer, Zivilrecht nach Anspruchsgrundlagen, BGB Allg. Teil und gesamtes Schuldrecht mit Nebengesetzen, 2. Aufl. 1996; Schlechtriem, Schuldrecht, Besonderer Teil, 3. Aufl. 1993; Schmidt, Karsten, Handelsrecht, 4. Aufl. 1994; ders., Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1997; Selb, Mehrheiten von Gläubigern und Schuldnern (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 5), 1984; Thiele/ Fezer, Schuldrecht, Allg. Teil, 4. Aufl. 1993; Walter, Kaufrecht (Handbuch des Schuldrechts, Bd. 6), 1987; Westermann, Harm Peter, BGB Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 1991; Westermann, Harry, Grundbegriffe des BGB, überarbeitet von Harm Peter Westermann, 12. Aufl. 1988; Wörlen, Grundzüge des Privatrechts, Bd. II: Allgemeines und Besonderes Schuldrecht, 1991 (vorzugsweise für Studierende der Wirtschaftswissenschaften, aber auch für Juristen geeignet); Wolf, Ernst, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil; Bd. II, Besonderer Teil, beide 1978; Zimmermann, The Law of Obligations, Roman Foundations of the Civilian Tradition, 1990. 11 3. Kommentare (Auswahl) Achilles/Greiff, Bürgerliches Gesetzbuch, 21. Aufl. 1958 (mit Nachtrag 1963); Alternativkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. II, Allgemeines Schuldrecht, 1980; Bd. III, Besonderes Schuldrecht, 1979 (zit.: AATBearbeiter); Dömer, H./Rouscher, T„ Die Einführung des BGB und des EGBGB in den neuen Bundesländern, 1993; Erman, Handkommentar zum BGB, 9. Aufl. 1993 (zit.: Erman/Bearbeiter); Friedrich, Das Bürgerliche Gesetzbuch, 2. Aufl. 1987; Jauernig, O., Bürgerliches Gesetzbuch, 7. Aufl. 1994 (zit.: Jauerm'g/Bearbeiter); Kötz, u. a., Bürgerliches Gesetzbuch mit Leitsätzen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 3. Aufl. 1985; BGB-RGRK, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofs (früher: Reichsgerichtsräte-Kommentar), Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 12. Aufl. 1974 ff (zit.: /fG/?Ä7Bearbeiter); Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl. 1992 ff. (zit.: MünchKomm/Beaibeitery, Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. I, 5. Aufl. 1928; Bd. II, 1929; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 55. Aufl. 1996 (zit.: Pa/aradi/Bearbeiter); Planck, Kommentar zum BGB, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse, 12
Schrifttum
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4. Aufl., 1. Hälfte, Allgemeiner Teil, 1914 (zit.: Planck/Siber); 2. Hälfte, Besonderer Teil, 1928; Rosenthal, Bürgerliches Gesetzbuch, 15. Aufl. (bearbeitet von Bohnenberg) 1965 (mit Nachtrag 1970); Rother, Grundsatzkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch; Allgemeines Schuldrecht, 1974; Rother/Quittnat, Grundsatzkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Besonderes Schuldrecht, 1982; Schubert/Glöckner (Hrsg.), Nachschlagewerk des Reichsgerichts, Bürgerliches Gesetzbuch, 1994 ff (im Erscheinen); Soergel, T./Siebert, W., Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, 12. Aufl. 1987 ff (zit.: SoergeZ/Bearbeiter); Staudinger, J. v. Staudinger's Kommentar zum BGB, Großkommentar mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Aufl. 1993 ff, erscheint in Lieferungen; soweit noch nicht erschienen, wird die 12. Aufl. von 1978 ff zitiert, Bd. II, Recht der Schuldverhältnisse (zit.: ¿'fand/Bearbeiter); Warneyer, Das BGB, Bd. I, Allgemeiner Teil und Recht der Schuldverhältnisse, 11. Aufl., bearbeitet von Bohnenberg, 1950. 4. Fallsammlungen. Übungsliteratur
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Berg, Übungen im Bürgerlichen Recht, 12. Aufl. 1976; BeuthienAVeber, Juristischer Studienkurs, Schuldrecht II, Ungerechtfertigte Bereicherung und Aufwendungsersatz, 2. Aufl. 1987; Braunbehrens v. /Angerbauer, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 1990; Buchner/Roth, Juristischer Studienkurs, Schuldrecht III, Unerlaubte Handlungen, 2. Aufl. 1984; Diederichsen, Die BGB-Klausur, 7. Aufl. 1988; ders.. Die Zwischenprüfung im Bürgerlichen Recht, 2. Aufl. 1990; Esser/Schmidt/Köndgen, Fälle zum Schuldrecht, 3. Aufl. 1971; Fabricius, Der Rechtsfall im Privatrecht, 4. Aufl. 1984; Fikentscher, Schuldrechtspraktikum, 1972 (enthält eine Anleitung zur Lösung schuldrechtlicher Fälle, Schwerpunkte und Übersichten zum Schuldrecht, und 325 Beispielsfälle, die bis zur 2. Aufl. in diesem Lehrbuch enthalten waren); Hanau/Belke/Schilken, Die Ansprüche im bürgerlichen Recht und im Prozeß, 1990; Hattenhauer/Eckert, 75 Klausuren aus dem BGB, 6. Aufl. 1987; Honsell/Wieling, Fälle zum Besonderen Schuldrecht, 3. Aufl. 1996; Ihering/Kipp, Zivilrechtsfälle ohne Entscheidungen, 12. Aufl. 1913; Kaiser, Bürgerliches Recht, Basiswissen und Klausurenpraxis, 6. Aufl. 1997; Köbler, Die Anfängerübung im bürgerlichen Recht, Strafrecht und öffentlichen Recht, 5. Aufl. 1986; ders., Schuldrecht Allgemeiner und Besonderer Teil, 2. Aufl. 1991; Köhler, Prüfe Dein Wissen, Recht der Schuldverhältnisse, Schuldrecht I, 16. Aufl. 1996; Schuldrecht II, 14. Aufl. 1995; Kornblum, Fälle zum Allgemeinen Schuldrecht, 1978; Kornblum/Schünemann, Privatrecht in der Zwischenprüfung (Multiple Choice Aufgaben), 3. Aufl. 1987; Kupisch/Krüger, Deliktsrecht, 1983; Löwisch, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1982; ders., Vertragliche Schuldverhältnisse (Fälle und Erläuterungen zum Besonderen Schuldrecht des BGB), Bd. I, 2. Aufl. 1988; Loewenheim, Bereicherungsrecht, 1989; Lüderitz/Frhr. v. Marschall, Fälle und Texte zum Schuldrecht, 5. Aufl. 1986; Marburger, 20 Klausurprobleme aus dem BGB, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 1986; ders., 20 Klausurprobleme aus dem BGB, Schuldrecht, Besonderer Teil, 3. Aufl. 1985; Medicus, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 3. Aufl. 1996; Olzen/ Wank, Zivilrechtliche Klausurenlehre mit Fallrepetitorium, 1994; Pleyer/Hoffmann, Sammlung privatrechtlicher Fälle, 12. Aufl. 1990; Reeb, Grundprobleme des Bereicherungsrechts, 1975; Rimmelspacher, Juristischer Studienkurs, Kreditsicherungsrecht, 2. Aufl. 1987; Schack/Ackmann, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Bürgerlichen Recht. 100 Entscheidungen für Studium und Examen, 1989; Schmidt, BGB - Schuldrecht 2 Außervertragliches Schuldrecht, 4. Aufl. 1991; Schneider, Zivilrechtliche Klausuren, 4. Aufl. 1984; Schramm, Klausurentechnik, 7. Aufl. 1986; Teichmann, Juristischer Studienkurs, Schuldrecht I, Leistungsstörungen und Gewährleistung, 3. Aufl. 1988; Thiele/ 13
§4
Einleitung
Fezer, Wiederholungs- und Vertiefungskurs, Bd. 2/1, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 1992; Bd. 2/2, Schuldrecht, Besonderer Teil, 4. Aufl. 1990; Thoma, Bürgerliches Recht, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1993; Besonderes Schuldrecht, 1979; Werner, Fälle und Lösungen für Anfänger im Bürgerlichen Recht, 6. Aufl. 1988; Wieser, Übung im Bürgerlichen Recht für Anfänger, 3. Aufl. 1986; ders., Zivilrechtliche Übung für Fortgeschrittene und Examensklausuren, 1990; Worten, Anleitung zur Lösung von Zivilrechtsfällen, 4. Aufl. 1993; Wörlen/Metzler-Müller, Zivilrecht, 1000 Fragen und Antworten, 1996 (vorzugsweise Studierende der Wirtschaftswissenschaften). 1 3 5. Entscheidungsammlungen Bell, u. a., Entscheidungs-Repetitorium zum Bürgerlichen Recht, 1987; Fikentscher, ESJ Schuldrecht, Ausgewählte Entscheidungen mit erl. Anmerkungen, Bd. I, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1977 (enthält 63 Entscheidungen zum Allgemeinen Schuldrecht); Bd. II, Besonderer Teil, 2. Aufl. 1977 (enthält 72 Entscheidungen zum Besonderen Schuldrecht); P f a f f , Schuldrecht durch Rechtsprechung, 1986; RENGAW Sammlung BGB Schuldrecht AT, 1972; RENGAW Sammlung BGB Schuldrecht BT I (§§ 433-811), 1970; RENGAW Sammlung BGB Schuldrecht BT II (§§ 812-822), 1972; RENGAW Sammlung BGB Schuldrecht BT III (§§ 823-853), 1972; Schack/Ackmann, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Bürgerlichen Recht, 100 Entscheidungen für Studium und Examen, 3. Aufl. 1993 (enthält 72 Entscheidungen zum Schuldrecht und [in 3. Aufl.] 38 weitere zu den vier anderen Büchern des BGB). 6. Methodik (s. u. § 5 II vor 1).
§4 Plan der Darstellung 14
Die Gliederung versucht, wo dies möglich ist, den Gedankengang des unstreitigen Gutachtens bei der Lösung eines Schuldrechtsfalles widerzuspiegeln. Die Darstellung folgt der traditionellen Einteilung in ein Allgemeines und ein Besonderes Schuldrecht. Im Allgemeinen Teil behandelt ein erster Abschnitt Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses. Dabei geht es um die Bereitstellung des begrifflichen Instrumentariums, aber auch der wirtschaftlichen Grundvorstellungen, auf die es im folgenden ankommt (§§ 5-16). Dann folgt, so wie das bei der Lösung eines Schuldrechtsfalles stets zu geschehen hat, eine Untersuchung der Gründe, aus denen ein Schuldverhältnis entstehen kann (§§ 1725). Nachdem feststeht, daß ein Schuldverhältnis entstanden ist, muß sein Inhalt geprüft werden (§§ 26-37). Es geht hierbei um den Leistungsinhalt, die Bedeutung des Satzes von Treu und Glauben, sowie um die einzelnen Leistungsmodalitäten. Nach Entstehung und Inhalt ist die Abwicklung, und dabei zunächst das ordnungsgemäße Erlöschen eines Schuldverhältnisses zu untersuchen (§§ 38-40). Steht fest, daß nicht ordnungsgemäß erfüllt wurde, ist im Gutachten zu fragen, ob eine Leistungsstörung vorliegt, also ein Tatbestand außergewöhnlicher Abwicklung eines Schuldverhältnisses (§§ 41-55). Vorab müssen in diesem Bereich die verschiedenen Tatbestände und Rechtsfolgen der Leistungsstörungen behandelt werden (§§ 43^48). Danach wird die besonders wichtige Rechtsfolge 14
Plan der Darstellung
§4
des Schadensersatzes noch einmal aufgegriffen; die dabei zum Tatbestand einer Leistungsstörung hinzutretenden Voraussetzungen und die Rechtsfolgen eines Schadensersatzanspruchs sind im einzelnen darzustellen (§§ 49-55). In diesen Zusammenhang gehört auch die Lehre von der Haftung für Erfüllungsgehilfen und vom Inhalt des Ersatzanspruchs (§§ 54, 55). Nachdem in dieser Weise ein Schuldverhältnis zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner von seiner Entstehung über seinen Inhalt bis zur normalen oder außergewöhnlichen Abwicklung behandelt ist, bedarf es der Erweiterung durch Einführung neuer Gläubiger und Schuldner anstelle der alten. Es handelt sich um die Forderungsabtretung und die Schuldübernahme (§§ 56-59). Noch weiter greift die Lehre von der gleichzeitigen Beteiligung mehrerer Gläubiger oder Schuldner an einem Schuldverhältnis (§§ 60-63): Ein entstandenes, inhaltlich festgelegtes, normal oder gestört abgewickeltes Schuldverhältnis, möglicherweise abgetreten oder übernommen, kann auf der Aktiv- und/oder auf der Passivseite mehreren zustehen. Damit ist der Bereich des allgemeinen Schuldrechts abgesteckt. Der daran anschließende Besondere Teil des Schuldrechts mit der Darstellung der einzelnen konkreten Schuldverhältnisse (Kauf, Darlehen, Dienstvertrag, unerlaubte Handlung usw.) bedarf einer eigenen systematischen Erläuterung (§ 64). Die einzelnen Typen werden nicht nach dem Schwergewicht ihrer praktischen Häufigkeit, sondern nach ihrer Bedeutung für die Ausbildung besprochen, wobei Kauf, ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung in erster Reihe stehen (§§ 65-114). Den Abschluß bildet je ein Überblick über das internationale Schuldrecht (§ 115) und über die Dogmengeschichte und die Reformvorhaben des Schuldrechts (§ 116).
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Der allgemeine Teil des Schuldrechts (Die allgemeinen Lehren) 1. Abschnitt
Begriff, Arten und Eigenschaften des Schuldverhältnisses 1. Unterabschnitt: Das Schuldverhältnis
§5 Das Schuldverhältnis in der Rechtsordnung Achterberg, N.} Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, 1982; AK/Dubischar, vor §§ 241 ff, Rdn. 1 ff; Becken, W. G., Gegenopfer und Opferverwehrung, 1958; Blomeyer, Arwed, AcP 154, 527; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; Dubischar, JuS 78, 300; Dulckeit, Die Verdinglichung obligatorischer Rechte, 1951; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 3. Aufl. 1974; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 207 ff; ders., Wirtschaftsrecht 1983, § 22 VII 1 b; ders., FS Lukes 1989, 375 ff, 388-392; Gierke, Julius v., ZHR 111, 3 ff; Gierke, Otto v., Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 2. Aufl. 1948; Großfeld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, 1977; Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 1982; Hippel, Fritz v., Zum Aufbau und Sinnwandel unseres Privatrechts, 1957; Horstmann, Untersuchungen über die Anwendbarkeit schuldrechtlicher Normen auf dingliche Ansprüche, 1938; Ihering, Das Schuldmoment im röm. Recht, Gießen 1867, S . 4 f f ; Kiibler, Über die praktischen Aufgaben zeitgemäßer Privatrechtstheorie, 1975; Larenz, JZ 62, 105; Lorenz, JZ 61, 433; Mayer-Maly, Vertrag und Einigung, FS Nipperdey 1965, Bd. I S. 509; ders., FS Wilburg 1965, 129; Medicus, Grundwissen zum bürgerlichen Recht, 1994; Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz, 1978; Raiser, Ludwig, Die Aufgabe des Privatrechts, 1977; Reinhardt, FS SchmidtRimpler 1957, 115; Steindorff, FS L. Raiser 1974, 621 ff; Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974; ders., Zum System des deutschen Vermögensrechts, 1941; Wilburg, Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung nach österreichischem und deutschem Recht, 1934; Willoweit, Abgrenzung und rechtliche Relevanz nicht rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, 1969.
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Das Schuldverhältnis in der Rechtsordnung
§5 I2
I. Die inhaltliche Aufgabe des Schuldverhältnisses in der Rechtsordnung 1. Grund und Folge des Schuldens 15 a) Die herrschende Lehre sieht als gemeinsames Merkmal aller Schuldverhältnisse, und damit als Grund für die Berechtigung, von einem „Schuldrecht" zu sprechen, nur die einheitliche Rechtsfolge an: den schuldrechtlichen Anspruch im Sinne von § 241 („Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern"). Ein gemeinsamer Grundgedanke des Schuldrechts auf der Seite des Tatbestandes wird geleugnet: Weder wirtschaftliche noch sonstige Lebensvorgänge, die das Schuldrecht regele, seien einheitlich. b) Das Ob und Wie des Schuldens muß dabei stets zugleich betrachtet werden. Die Leistung ist nicht irgendwie, sondern immer in bestimmter Art und Weise geschuldet. Es genügt nicht, daß man dem Gläubiger den geschuldeten Gegenstand vor die Füße wirft. Man muß ihn ihm aushändigen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es gebieten, 242, d. h. in anständiger und üblicher Weise. Bestandteil jeder Leistungspflicht ist also immer auch eine Wohlverhaltenspflicht. Ihre Verletzung hat grundsätzlich die gleichen Folgen wie die Verletzung einer rein gegenständlich aufgefaßten Leistungspflicht. Zu dem „etwas", das der Schuldner schuldet, gehört daher immer ein „Ob" und ein „Wie" der Leistung. Man kann von einer jeder schuldrechtlichen Pflicht zugehörigen Verhaltensnorm im weiteren Sinne sprechen. Das gilt für alle Schuldverhältnisse, für vertragliche und gesetzliche. Diese Wohlverhaltenspflicht zählt zum Inhalt der geschuldeten Leistung (u. § 8; anders Lorenz I, § 2 I; Canaris, Vertrauenshaftung).
2. Bestandsschutz und Freiheitsschutz als Teile 16 des bürgerlichen Rechtsschutzes Heißt somit „schulden", im Sinne eines Schuldverhältnisses, etwas, dessen Vorenthaltung Unrecht wäre, in anständiger und üblicher Weise gewähren, zurückgewähren oder ersetzen müssen, so stellt sich als nächstes die Frage nach dem Inhalt dieser Schuldpflichten. 1 a) Das Recht weist den Personen Güter zu grundsätzlich alleiniger Nutzung und Verwertung zu. Hierin liegt die eine Hauptaufgabe des bürgerlichen Rechtes: „Bestandsschutz"; Beispiele: Eigentum, gewerblicher Rechtsschutz, Vertragsrechte. b) Die andere, gleichwertige, in gewissem Sinne aber entgegengesetzte Aufgabe des bürgerlichen Rechts ist, ein System von Regeln zur Verfügung zu stellen, das den Erwerb der Güter durch Personen und damit auch den Wechsel der Güter von Person zu Person ermöglicht: „Freiheitsschutz", „Erwerbsschutz"; Beispiele: Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Recht des unlauteren Wettbewerbs. c) Zu den rechtlich geschützten Gütern gehört nicht nur, was man bereits von Rechts wegen hat, sondern - jedenfalls in unserer Rechtskultur - auch schon das, was einem rechtlich bindend versprochen worden ist. Im Vordergrund der vertraglichen Haftung 1
Zum Folgenden ausführlich Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 1. 17
§ 5 14
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
steht daher im deutschen Recht der Erfüllungsanspruch (pacta sunt servanda). Nur wenn die Erfüllung nicht mehr möglich ist, muß Ersatz geleistet werden, weil die Lage die gleiche ist, wie wenn ein zu Unrecht vorenthaltenes Gut oder eine zu Unrecht vorenthaltene Freiheitsgewährung nicht mehr als solche gewährt werden kann (dazu sogleich 3.), sondern ersatzweise abgegolten werden muß (dazu sogleich 4.).
17 3. Die primäre Leistungspflicht a) Im Bereich des Schutzes zugeordneter Güter bewirkt die „primäre" Schuldpflicht, daß ein Gut, das sich in einer Herrschaftsgewalt befindet, in die es nicht gehört, demjenigen störungsfrei überlassen werden muß, dem es von Rechts wegen zusteht. Hierher gehören vor allem die bereicherungsrechtlichen Herausgabeansprüche, 812 ff, die dafür sorgen, daß Güter, die ohne Rechtsgrund in einen fremden Rechtskreis gelangt sind (z. B. Übereignung ohne wirksamen Vertrag), in den richtigen Rechtskreis zurückzugewähren sind. Zu erwähnen sind auch die negatorischen Klagen, die bloße Güterstörungen verhindern helfen (dazu unten § 114). Auch der Vertragserfüllungsanspruch zählt nach den Ausführungen oben 1 und 2 hierher, weil das Versprochene vom Recht schon dem Versprechensempfänger als Wert zugerechnet wird. Femer ist der Anspruch aus § 677 auf ordentliche Durchführung einer Geschäftsführung ohne Auftrag zu nennen, wo das Gesetz in Ermangelung vertraglichen Willens Leistung und Leistungsentschädigung vertragsähnlich festsetzen muß, besonders in § 683. Prototypen dieser einfachen Schuldpflicht zur Gütergewährung (da Vorenthaltung Unrecht wäre) sind aber Bereicherung und Vertragserfüllung. Beim Bereicherungsanspruch besteht die Besonderheit, daß an die Stelle des zu gewährenden Gegenstandes sein Wert oder (nach der unten § 18 III 4 e und § 100 V entwickelten Auffassung) sogar das Entgelt treten kann, 818 II. b) Im Bereich der Freiheit, Güter zu erwerben, ist der bürgerlich-rechtliche Schutz dogmatisch weniger entwickelt und im einzelnen streitig. Wer die Wettbewerbsfreiheit eines anderen in bestimmter Weise beeinträchtigt, muß dies nach den Regeln des GWB i. V. m. § 35 GWB; §§ 823 II, 1004 BGB unterlassen. Das AGB-Gesetz schützt Inhaltsund Abschlußfreiheit in anderer Weise. Hierdurch nicht erfaßte Freiheitsbeschränkungen sind der allgemeinen Beurteilung gem. §§ 823 I, 1004 BGB zugänglich (Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht). 2 Aber nicht nur die wirtschaftliche Betätigungs- und Bedarfsdekkungsfreiheit als solche ist nach diesen Vorschriften gegen ungebührliche Beschränkungen gesichelt, auch das „Wie" der Ausübung eigener Freiheit zu Lasten anderer unterliegt im wettbewerblichen Bereich den Schranken des UWG, im außerwettbewerblichen denen der §§ 823 ff BGB. Ihrem Wesen nach sind diese Klagen negatorisch. 3
18 4. Die Schadensersatzpflicht als sekundäre Leistungspflicht Kann, will oder soll der Schuldner aus irgendeinem Grund die Leistung nicht direkt (restitutorisch) erbringen, ordnet das Recht häufig eine Ersatzleistung an, den Schadensersatz• Die Betrachtungsweise ist dann die, daß der Schuldner in die Güter oder Freiheiten des Gläubigers handelnd und mit an sich irreparablem 2 3
Näher Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 I 2. Zu den sich daraus ergebenden Sanktionen s. u. § 97.
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Das Schuldverhältnis in der Rechtsordnung
§5
II 2
Erfolg eingegriffen hat. Dafür muß er den Gläubiger wirtschaftlich entschädigen. Hierfür stellt das Recht zusätzliche Verhaltensnormen auf, die z. B. regelmäßig Verschulden fordern. 4 Das Anspruchsziel ist nicht - primär - die Überlassung eines Rechtsguts an den Inhaber des Rechtskreises, dem es zusteht, sondern - sekundär - Ersatz. Bereicherungsansprüche, negatorische Klagen und Vertragserfüllungsansprüche (einschl. GoA) können, wiewohl im Einzelfall kumulierbar, nicht als Rechtsfolgen verletzter Verhaltensnormen i. e. S. in Frage kommen. Darum schließen sich z. B. auch Rücktritt und Schadensersatz in §§ 325, 326 aus, soweit das gleiche Leistungsinteresse betroffen ist, da die Rücktrittsvorschriften der §§ 346 ff spezielles Bereicherungsrecht enthalten.5
II. Die methodische Stellung des Schuldverhältnisses in der Rechtsordnung Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 3. Aufl. 1990; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991; Fikentscher, Methoden des Rechts, 5 Bde., 1975-77; insb. § 29; Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Studienausgabe), 3. Aufl. 1995; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 2. Aufl. 1991; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 6. Aufl. 1994. Das Schuldverhältnis ist der Kernbegriff des Schuldrechts. Mit den anderen Grundbegriffen unseres Rechts ist das Schuldverhältnis in bestimmter Weise verbunden. Es läßt sich aus dem objektiven Recht in folgender Weise ableiten: 1. Das objektive Recht ist gleichbedeutend mit der Rechtsordnung, in der die Angehörigen eines Staates leben. Das objektive Recht besteht aus Rechtssätzen. Gewährt ein (vollständiger oder unvollständiger) Rechtssatz des Privatrechts einer Person eine geschützte Stellung im Verhältnis zu einer anderen Person oder einem Gegenstand, so spricht man von einem subjektiven privaten Recht, sofern der Schutz der Stellung vom Willen der geschützten Person abhängt (über die Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit, die den subjektiven Rechten gleichgestellt werden, unten § 103 I). Beruht das subjektive Privatrecht auf einem vollständigen Rechtssatz (der das Gebot enthält), so spricht man von einem Anspruch oder von einer Anspruchsnorm (Beispiele: 433 II, 604 I 812 1, 823 I; Gegenbeispiel: 903 - Eigentum ein auf gebotslosem Rechtssatz beruhendes subjektives Privatrecht). Die Anspruchsnorm ist der zentrale Begriff für die FallLösung (Gutachten, siehe unten § 6). 2. Für das Schuldrecht haben vor allem die Ansprüche Bedeutung. Ansprüche auf Leistung heißen Leistungsrechte. Sie richten sich gegen einen bestimmten Schuldner auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen (194, 241). Es gibt schuldrechtliche (241) sowie dingliche (z. B. 985, 1004, 1007, 1134, 1179), familienrechtliche (z. B. 1353 I), erbrechtliche (z. B. 4
5
Ähnlich wie hier zwischen „primären" Leistungspflichten (als Pflichten, zu Unrecht Vorenthaltenes dem richtigen Rechtskreis zukommen zu lassen) und „sekundären" Ersatzpflichten (als den wirtschaftlichen Entschädigungen, wenn Leistungspflichten verletzt werden) unterschieden wird, trennt Larenz I § 1 I, primäre und sekundäre Leistungspflichten. Aber Larenz' Leistungsbegriff ist ein anderer (s. u. § 8, 3). Die Kritik an der Terminologie „primär - sekundär" wird also aufgegeben (vgl. bis zur 7. Aufl.), der weite Leistungsbegriff (s. u. § 8) jedoch beibehalten. 19
§ 6 2
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
2018), öffentlichrechtliche u. a. Leistungsrechte. Die schuldrechtlichen Leistungsrechte nennt das Gesetz Forderungen oder Forderungsrechte (z. B. 387, 388). Die Forderung ist der Grundbegriff des Schuldrechts. So spricht § 398 für die Regelfälle von der Übertragung der Forderung, erst § 413 erklärt die vorstehenden Vorschriften auf die Übertragung anderer Rechte für anwendbar. Gleichbedeutend mit Anspruch auf schuldrechtliche Leistung = Forderungsrecht = Forderung ist endlich auch der Ausdruck „Schuldverhältnis" (im engeren Sinn). § 2 4 1 verwendet das Wort „Schuldverhältnis" gleichbedeutend mit Forderung. 3. Darüber hinaus wird aber der Ausdruck „Schuldverhältnis" in einem weiteren Sinn verwendet, z. B. in der Überschrift vor § 241 „Recht der Schuldverhältnisse". Hier bedeutet Schuldverhältnis das gesamte Rechtsverhältnis zwischen einem Schuldner und einem Gläubiger, aus dem einzelne Forderungen = Schuldverhältnisse im engeren Sinn fließen. Der Kaufvertrag (§§ 433-514), das Dienstverhältnis (§§ 611-630), der Auftrag (§§ 6 6 2 676) sind solche Schuldverhältnisse im weiteren Sinne. Schuldverhältnisse im engeren Sinne (Forderungen), die aus diesen Schuldverhältnissen im weiteren Sinne fließen, sind z. B. der Kaufpreisanspruch (433 II), der Dienstlohnanspruch (611) und der Anspruch auf Auskunft (666).
§6 Das Gutachten (der Fallaufbau) Siehe die oben § 3, 4. und 5. angeführten Fall- und Entscheidungssammlungen. Weiter (Auswahl) Berg/Zimmermann, Gutachten und Urteil, 16. Aufl. 1994; Fikentscher, Schuldrechtspraktikum, Methodik, Schwerpunkte, Übersichten, Fälle mit Lösungshinweisen auf Gebieten des Zivilrechts mit schuldrechtlichem Einschlag, 1972 (das Büchlein ersetzt und erweitert die bis zur 2. Auflage des „Schuldrechts" in diesem § 6 behandelten Ratschläge zur Fallbearbeitung); Knöringer, Die Assessorklausur im Zivilprozeß, 5. Aufl. 1995; Koch! Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982; v. Lübtow, Richtlinien für die Anfertigung von Übungs- und Prüfungsarbeiten im Bürgerlichen Recht, Handels- und Arbeitsrecht sowie drei Lösungen praktischer Fälle, 2. Aufl. 1986; Sattelmacher/Sirp, Bericht, Gutachten und Urteil, 31. Aufl. 1989; Wörlen, Anleitung zur Lösung von Zivilrechtsfällen, 1990; bahnbrechend: Stölzel, Schulung für die civilistische Praxis, 1. Aufl. 1894.
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1. Aus der im vorstehenden Paragraphen skizzierten Struktur des geschriebenen Rechts folgt die Technik seiner Anwendung auf den Fall. Hierin liegt die Bedeutung der in § 5 dargelegten Begriffe. Es kann nicht die Aufgabe sein, hier eine vollständige Methodik der Fallbearbeitung vorzutragen. Dazu findet sich ausreichendes Spezialschrifttum (siehe vor 1). 2. Die vornehmlichste und für den Studenten einzig wichtige Art der Rechtsauskunft heißt Gutachten. Man unterscheidet das unstreitige und das streitige Gutachten, je nachdem, ob die im „Fall" mitgeteilten Tatsachen feststehen oder zwischen den Parteien streitig sind. Nur das unstreitige Gutachten hat der Student im ersten Examen zu beherrschen, da die dort verwendeten Prüfungsfälle unstreitige (gegebenenfalls aber auszulegende!) Sachverhalte bieten. Das streitige Gutachten bildet dagegen den Kern der Referendarausbildung, da in der 20
Das Gutachten (der Fallaufbau)
§6 5
Praxis die Sachverhalte fast immer streitig sind. Wer das unstreitige Gutachten nicht beherrscht, kann den Aufbau des streitigen nicht verstehen. Auf dem streitigen Gutachten beruhen dann unmittelbar alle juristischen Äußerungen der Praxis: Sachbericht, Urteil, Beschluß, anwaltlicher Schriftsatz. 3. Das Durchprüfen eines Anspruchs geschieht anhand der Tatbestandsvoraussetzungen, an deren Vorliegen das Gesetz die Rechtsfolge knüpft. Jede Anspruchsnorm, jede Norm überhaupt, besteht aus einem Tatbestand (meist mit mehreren sich addierenden oder alternativ sich ausschließenden Voraussetzungen) und einer Rechtsfolge. Bei der Anspruchsnorm ist die Rechtsfolge, daß einer vom andern ein Tun, Dulden oder Unterlassen verlangen kann, vgl. 194 I; bei der Forderung im Besonderen ist die Rechtsfolge Leistung, 241 S. 1 (s. o. § 5 II). 4. Hat man also einen schriftlich oder mündlich vorgelegten Fall zu bearbeiten, so ist Ausgangspunkt jeder Lösung der Fall-Text. Er besteht aus den in der Aufgabenstellung, in der Frage oder im zu beurteilenden Fallmaterial mitgeteilten Tatsachen. An die Tatsachenerzählung schließt sich in der Regel noch die Fragestellung an, die aber in der Fallschilderung versteckt sein kann („A behauptet, er sei zum Schadensersatz berechtigt, und begründet dies mit ...")• Die im Falltext mitgeteilten Tatsachen heißen „der Sachverhalt". Auf ihn soll das Recht angewandt werden. Unjuristisch ist, den Sachverhalt „Tatbestand" zu nennen. Der Sachverhalt besteht aus Tatsachen, historischen Gegebenheiten, einem Stück Wirklichkeit. Der Tatbestand ist dagegen die zusammengefaßte Bezeichnung für den Komplex von Bedingungen, die vollständig erfüllt sein müssen, damit die Rechtsfolge eintritt. Die Rechtsnorm erfaßt daher (auf ihrer „linken Seite") typisierte Lebenssachverhalte. Die einzelnen Bestandteile des Tatbestands nennt man Tatbestandsmerkmale. Füllt der Sachverhalt sämtliche Tatbestandsmerkmale aus, so ordnet das Gesetz (die Norm) die Rechtsfolge an: Tatbestand —> Rechtsfolge Es empfiehlt sich, den Sachverhalt möglichst genau durchzulesen und sich in allen seinen Einzelheiten genau einzuprägen. Jedes Wort in einem Klausursachverhalt kann, aber muß nicht, juristische Bedeutung für die Fallösung haben. Manchmal lohnt es sich, Zeichnungen anzufertigen. Werden Daten mitgeteilt, so ordnet man zweckmäßigerweise die Zeitangaben auf einer kleinen Skizze. Wird ein Anspruch von dem, der ihn erhebt, mehrfach begründet, oder wendet der Anspruchsgegner mehrere Einwendungen oder Einreden ein, kann man diese numerieren und auf einem besonderen Blatt kurz skizzieren oder ordnen. Dadurch vermeidet man, daß man eine Begründung, Einwendung oder Einrede übersieht. 5. Hat man diese Vorarbeiten für das Gutachten in tatsächlicher Hinsicht geklärt, ordnet man die in Betracht kommenden Anspruchsnormen (gleichbedeutend: Ansprüche) nach dem Schema „wer" „gegen wen" „worauf „und woraus"? Z. B.: „A verlangt von B DM 3000,-. Der Anspruch kannte sich ergeben aus culpa in contrahendo." 21
§6 6
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
Leider finden sich die Ansprachsnormen im Gesetz nicht an einer Stelle zusammengetragen, sondern quer über das ganze Gesetz verstreut. Man erkennt sie daran, daß ihre Rechtsfolge ein Tun, Dulden oder Unterlassen verlangt. Die in Betracht kommenden Anspruchsnormen finden zu können ist Ziel des Studiums. Das Gesetz kennt viele Ansprüche. In den ersten drei Büchern des BGB finden sich vor allem folgende Ansprüche (das 4. und 5. kennt weitere): (1) Ansprüche aus Vertrag (2) Ansprüche aus vertragsähnlichen Beziehungen (a) Culpa in contrahendo (b) Ansprüche aus §§ 122, 179, 307 oder 309 (3) Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (4) Dingliche Ansprüche, insbes. §§ 985 ff (5) Ansprüche aus unerlaubter Handlung (einschließlich Gefährdungshaftung) (6) Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sowie (7) sonstige Ansprüche, z. B. die des Erbschaftsbesitzers, §§ 2018 ff. In der Fragestellung des Klausurtextes wird manchmal nach bestimmten Ansprüchen gefragt, die dem A gegen den B zustehen usw. Dann sind nur diese Ansprüche zu prüfen. Sich zusätzlichen Ansprüchen zuzuwenden ist ein Fehler. Ist - wie häufig - nach der „Rechtslage" gefragt, sind sämtliche Ansprüche sämtlicher Beteiligten gegeneinander zu prüfen. 21 6. Nachstehend folgt eine unvollständige Übersicht über häufige Anspruchsgrundlagen.1 (1) Ansprüche auf Vertragserfüllung a) Diese lassen sich nicht generalisieren, da die verschiedenen Vertragstypen die verschiedensten Leistungsinhalte haben: Beim Kauf und Tausch: Übereignung und Besitzübergabe; bei der Miete, Pacht, Leihe: Besitz- und Gebrauchsüberlassung; beim Werkvertrag: Erbringung eines Werkes usw. Für jeden dieser speziellen Vertragsansprüche hat das Gesetz spezielle Anspruchsnormen vorgesehen, die die Voraussetzungen für die Ansprüche regeln. b) Die speziellen Vertragstypen stellen jedoch keinen „numerus clausus" für mögliche vertragliche Leistungsinhalte dar. Im Schuldrecht gilt der Grundsatz der Vertragsautonomie (vgl. § 305). Soweit sich die Ansprüche auf Vertragserfüllung nicht aus speziellen gesetzlichen Vertragstypen ergeben, kann die Leistung nach §§ 241, 305 BGB i. V. mit dem speziell ausgehandelten Vertrag verlangt werden. (2) Ansprüche auf Herausgabe, Überlassung und Rückgabe von Sachen a) Vertragliche Herausgabeansprüche (1) Ansprüche auf Besitzverschaffung aus § 433 Abs. 1 (Kauf) (2) Ansprüche auf Gebrauchsüberlassung aus § 535 (Miete), §581 (Pacht), §598 (Leihe) (3) Ansprüche auf Rückgabe von Sachen bei Beendigung eines vertraglichen Besitzverhältnisses, § 346; § 346 in Verbindung mit §§ 467, 459 ff; § 556 Abs. 1 (Miete von Grundstücken); § 580 i. V. mit § 556 (Miete von Räumen); § 581 1
Nach Fikentscher, Schuldrechtspraktikum, 1972, 30 ff.
22
Das Gutachten (der Fallaufbau)
b)
c)
d)
e)
§ 6 6
Abs. 2 i. V. mit § 556 Abs. 1 (Pacht); § 604 Abs. 1 (Leihe); § 695 (Verwahrung); § 732 S. 1 (Gesellschaft). (4) Ansprüche bei Rückgängigmachung eines Vertragsverhältnisses: § 346; § 346 i. V. m. §§ 325, 326; § 346 i. V. m. §§ 467, 459 ff; (5) Ansprüche auf Herausgabe von durch Geschäftsführung erlangten Sachen, § 667. (1) Ansprüche auf Herausgabe von durch Geschäftsführung ohne Auftrag erlangten Sachen, § 681 S. 2 i. V. m. § 667, des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer. Bei unberechtigter GoA: § 687 II 1 i. V. m. § 667. (2) Ansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn auf Herausgabe des aus unberechtigter Geschäftsführung Erlangten, 687 11-684, 1. Dingliche Herausgabeansprüche ( 1 ) Auf Herausgabe des Erbschaftsbesitzes (2) Auf Herausgabe des Besitzes an sonstigen Sachen (a) aus Eigentum, § 985 (rei vindicatio) (b) aus Besitz, § 861 (possessorium) (c) aus früherem Besitz aa) § 1007 I bb) § 1007 II (3) Hierher gehören systematisch auch (a) der Grundbuchberichtigungsanspruch, § 894 (b) der Anspruch des Pfandgläubigers bzw. des Nießbrauchers aus § 1227 bzw. § 1065 i. V. m. § 985 Herausgabeansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (1) §812 (a) Leistungskondiktion, wenn die Sache „durch Leistung" eines anderen erlangt wurde (b) Eingriffskondiktion (Begriff „Eingriff zu eng), wenn Sache „in sonstiger Weise" erlangt wurde (2) § 816: Herausgabe von Sachen, die ein Nichtberechtigter durch Verfügung erlangt hat. Herausgabeansprüche aus unerlaubter Handlung, §§ 823 Abs. 1 bzw. 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 242 oder 246 StGB i. V. m. § 249 BGB, wobei Naturalrestitution im Wege der Rückgabe gestohlener bzw. unterschlagener Sachen erfolgt.
(3) Ansprüche auf Zahlung Für sie gelten grundsätzlich dieselben Anspruchsgrundlagen wie für die Ansprüche auf Herausgabe von Sachen. Ausnahmen gelten jedoch insofern, als Geldstücke oder Banknoten mit den dinglichen Herausgabeansprüchen nur herausverlangt werden können, wenn sie gesondert aufgehoben worden sind oder wenn sich die speziell herauszugebenden Stücke in sonstiger Weise unterscheiden lassen (z. B. A hat nur den einen 1000-Mark-Schein). Die sog. „Wertvindikation" konnte sich bisher nicht durchsetzen (vgl. Westermann, SachenR, 5. Aufl., § 30 V). (4) Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen a) Ansprüche aus Vertrag oder vertragsähnlichen Beziehungen auf Herausgabe von Nutzungen sieht das Gesetz nicht vor - sie können nach den §§ 305, 241 BGB selbstverständlich vereinbart werden - , da das Vertragsverhältnis regelmäßig der Rechtsgrund dafür sein wird, gezogene Nutzungen behalten zu dürfen. 23
§ 6
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
6
b) Dingliche Herausgabeansprüche (1) Des wahren Erben gegen den Erbschaftsbesitzer, § 2020 (2) Des Vermächtnisnehmers gegen den Beschwerten, § 2184 (3) Vgl. auch den Anspruch des Nacherben gegen den Vorerben, § 2133 (4) Des Eigentümers gegen den unrechtmäßigen Besitzer, §§ 987 f (5) Des rechtmäßigen Besitzers gegen den unrechtmäßigen Besitzer, § 1007 Abs. 3 S. 2 i. V. m. §§ 987 f c) Herausgabeansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung: § 818 Abs. 1. (5) Anspruch auf Herausgabe des durch Surrogation Erlangten a) Vertraglicher Surrogationsanspruch aus §281 BGB: Der Schuldner hat das „stellvertretende Commodum". herauszugeben, das er anstelle der geschuldeten, aber unmöglich gewordenen Leistung erlangt hat. b) Dingliche Surrogationen stellen das Gros der Surrogationsansprüche. Es ist das herauszugeben, was aufgrund eines Rechts oder anstelle eines Rechts (Ersatz) erworben wurde. (1) Sachenrechtliche Surrogationen - § 966 Abs. 2 S. 2, 3: Der Erlös tritt an die Stelle der wegen Verderblichkeit versteigerten Fundsache - § 1075: Der geleistete Gegenstand tritt an die Stelle der Forderung, an der ein Nießbrauch bestanden hat - §§ 1212, 1219, 1247 S. 2: Fortsetzung des Pfandrechts an den vom Pfandgegenstand getrennten Erzeugnissen und am Erlös aus der Verwertung der Pfandsache - § 1287: Der geleistete Gegenstand tritt an die Stelle der Forderung, an der ein Pfandrecht bestand (2) Familienrechtliche Surrogationen - § 1370: Ersetzung von Hausratsgegenständen durch neue - Ersatz beim Gesamtgut bei Gütergemeinschaft (§ 1473) - Ersatz beim Vorbehaltsgut (§ 1418 Abs. 2 Nr. 3) - Ersatz des Kindesvermögens (§§ 1638 Abs. 2, 1646) (3) Erbrechtliche Surrogationen: § 2019 Abs. 1; § 2041; § 2111 (6) Ausgleichsansprüche (Regreßansprüche) a) Aus Forderungsübergang: § 426 Abs. 1 und Abs. 2 b) § 670: Aufwendungsersatz bei Geschäftsführung § 683: Aufwendungsersatz bei Geschäftsführung ohne Auftrag §§ 684 S. 1, 678 Abs. 2: Aufwendungsersatz bei unberechtigter GoA c) § 812 Abs. 1 S. 1: Aufwendungskondiktion (7) Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen und Verwendungen a) Aus Vertrag (1) § 304: Bei Annahmeverzug des Schuldners (2) § 450: Verwendungen auf die verkaufte Sache (3) § 547: Verwendungen auf eine gemietete Sache (4) § 670: Des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn (5) § 693: Der Verwahrer gegen den Hinterleger b) Aus GoA: Der Geschäftsführer gegen den Geschäftsherrn nach §§ 683, 670 24
Das Gutachten (der Fallaufbau)
§ 6 6
c) Von den Ansprüchen aus sachenrechtlichen Verhältnissen verdienen besondere Erwähnung die §§ 994 ff beim Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. Ansonsten sieht das Gesetz Ansprüche aus sachenrechtlichen Verhältnissen vor in den §§ 1049, 1216. d) Ein familienrechtlicher Verwendungsersatzanspruch findet sich in § 1648. e) Erbrechtliche Verwendungsersatzansprüche enthalten die §§ 2022, 2125 und 2185. (8) Ansprüche auf Schadensersatz a) Aus Vertrag (1) Aus Garantie bzw. Zusicherung (§§ 459 Abs. 2, 463 S. 2) aa) durch Nichterfüllung §§ 280, 325 bb) durch Verzug §§ 286, 326 cc) durch Schlechterfüllung (positive Forderungsverletzung, positive Vertragsverletzung) §§ 280, 286 bzw. 325, 326 analog. (3) §437 (4) §670 b) Aus vertragsähnlichen Verhältnissen (1) § 122: Schadensersatzpflicht des Anfechtenden (2) § 179: Haftung des falsus procurator (3) §§ 307, 309: Haftung bei Unmöglichkeit und Verbotswidrigkeit eines Vertrages (4) § 678: Haftung bei Geschäftsführung gegen den Willen des Geschäftsherrn (5) Schadensersatz aus c. i. c. (meist begründet aus Gewohnheitsrecht oder Rechtsanalogie zu den §§ 122, 179, 307, 309, 678) c) Aus dinglichen Rechtsverhältnissen (1) §§ 989 ff: Haftung des unrechtmäßigen Besitzers gegenüber dem Eigentümer (Vindikationslage!) (2) § 1007 Abs. 3 S. 2 i. V. m. §§ 989 ff: Haftung des unrechtmäßigen Besitzers gegenüber dem früheren Besitzer d) Aus ungerechtfertigter Bereicherung (1) Nach §§ 819, 818 Abs. 4, 292, 989, nach Rechtshängigkeit des Bereicherungsanspruchs oder wenn der Bereicherte bei Annahme der Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstieß oder den Mangel des rechtlichen Grundes kannte. (2) § 820 e) Aus unerlaubter Handlung: § 823 Abs. 1; § 823 Abs. 2 i. V. m. einem Schutzgesetz; § 826; f) Aus Gefährdungshaftung: z. B. aus § 833; §§ 7 und 18 StVG; g) Aus bürgerlich-rechtlicher Aufopferung: § 228 S. 2; § 904 S. 2. (9) Ansprüche auf Entschädigung a) aus Enteignung, Art. 14 GG b) aus enteignungsgleichem Eingriff, Art. 14 GG analog. (10) Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung a) Vertragliche Unterlassungsansprüche enthält das BGB im Recht der speziellen Vertragstypen nur selten, vgl. etwa § 550 (auch i. V. m. § 580 oder § 581 Abs. 2: Anspruch auf Unterlassung bei vertragswidrigem Gebrauch). Sie können jedoch im Rahmen der Vertragsfreiheit jederzeit als sog. atypische Verträge vereinbart werden (§§ 305, 241 S. 2). 25
§6
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
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b) Ansprüche aus unerlaubter Handlung o. ä. (1) Bei Verletzung dinglicher Rechte. § 862 Abs. 1 S. 2: Störung des Besitzes; § 1004 Abs. 1 S. 2: Störung des Eigentums; weitere sachenrechtliche Unterlassungsansprüche aus §§ 1027, 1029, 1065, 1090 Abs. 2, 1227. (2) Bei Verletzung von speziellen Persönlichkeitsrechten (z. B. Verletzung des Namenrechts nach § 12 BGB), Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und sonstiger immaterieller Rechtsgüter. (3) Bei Verletzung sonstiger subjektiver Rechte (zu denen auch der Gewerbebetrieb, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht usw. gehören) und geschützter Rechtsgüter wird in Rechtsanalogie zu den §§ 12, 862, 1004 der sog. quasinegatorische Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch gegeben. (4) Eng damit verwandt sind die Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche aus dem gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht: § 1 UWG (Anspruch auf Unterlassung unlauteren Wettbewerbs); §§ 5, 15 MarkenG (Schutz geschäftlicher Bezeichnungen); §§ 3, 14 MarkenG (Schutz von Marken); § 37 HGB (Schutz der Firma); § 4 7 PatG (Schutz von Patenten); § 15 Abs. 1 GebrMG (Schutz von Gebrauchsmustern); § 97 UrhG.
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7. Die Lehre von den Einwendungen und Einreden kann hier ebenfalls nicht vollständig entwickelt werden. Man versteht sie am ehesten, wenn man vom streitigen Gutachten ausgeht, das der Kandidat im 1. Juristischen Staatsexamen an sich noch nicht zu beherrschen braucht. Die Lehre von den Einwendungen und Einreden wird plausibler, wenn man sich die vor Gericht streitenden Parteien, Kläger und Beklagten, vorstellt. Für das unstreitige Gutachten schrumpfen die Einwendungen und Einreden zu anspruchshindernden, anspruchsvernichtenden oder anspruchshemmenden Tatsachen zusammen, Tatsachen, die im unstreitigen Sachverhalt mitgeteilt werden. Während im streitigen Rechtsfall der Kläger vor Gericht im Regelfall danach streben wird, alle Tatsachen vorzubringen und, wenn sie streitig bleiben, zu beweisen, die für die Begründung seines Anspruchs erforderlich sind (sog. „anspruchsbegründende Voraussetzungen"), wird sich der Beklagte bemühen zu behaupten, und streitigenfalls nachzuweisen, daß der Anspruch entweder gar nicht entstanden ist, untergegangen ist, oder daß er wegen einer Einrede nicht geltend gemacht werden kann. Diese „Gegenrechte", die der Beklagte gegen Ansprüche des Klägers haben kann, nennt man Einwendungen im weiteren Sinne oder Einreden im prozessualen Sinne (§ 274 ZPO). Man unterteilt sie im materiellen Recht in „Einwendungen im engeren Sinne", auch „rechtsverneinende Einwendungen" genannt, und in „Einreden im materiellen Sinne". Der Unterschied besteht in folgendem: Einwendungen im engeren Sinne sind von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von irgendeiner Seite, z. B. auch vom Kläger selbst, in den Prozeß eingeführt worden sind. Sie wirken entweder rechtshindernd („nicht entstanden") oder rechtsvernichtend („untergegangen"). Beide wirken also rechtsverneinend. Einreden im materiellen Sinne verneinen den Anspruch nicht, wollen aber dartun, daß der Anspruch aus irgendeinem Grund nicht geltend gemacht werden 26
Das Gutachten (der Fallaufbau)
§6
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kann. Sie werden nur berücksichtigt, wenn sich die Partei, der sie dienlich sind, darauf beruft. (Beispiele: Einrede der Verjährung, der Stundung, der Entreicherung gem. § 818 Abs. 3 usw.). So also liegt es - grob gesprochen - im streitigen Gutachten. Das unstreitige Gutachten, das der Studierende im 1. Staatsexamen zu erstellen hat, geht im Unterschied zum streitigen von einem feststehenden Sachverhalt aus. Im unstreitigen Gutachten gibt es keinen Kläger und Beklagten, sondern nur Personen mit Ansprüchen gegeneinander. Alle Ausführungen, die von den Parteien im Prozeß von der einen oder von der anderen Seite mit oft recht zweifelhafter Glaubwürdigkeit vorgetragen werden, erscheinen im Falltext, der dem Studierenden an der Universität vorliegt, als nicht zu bezweifelnde Geschehnisse, die sich hintereinander abgespielt haben und die sämtlich auf den zu prüfenden Anspruch (die zu prüfenden Ansprüche) Einfluß haben können, oder auch nicht. Das bedeutet, daß die Einwendungslehre des streitigen Gutachtens (die im streitigen Gutachten zur „Ordnung des Parteivorbringens" benutzt wird) in die Darstellungsweise des unstreitigen Gutachtens übersetzt werden muß. Das ist einfacher als gedacht: Alle Einwendungen und Einreden des streitigen Gutachtens sind im unstreitigen Gutachten Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs und damit grundsätzlich von gleicher Qualität wie die „anspruchsbegründenden Voraussetzungen". Nun ergibt sich aus der - dem streitigen Gutachten abgeschauten - Einteilung die richtige Prüfungsreihenfolge: Anspruchsbegründende Voraussetzungen (des Klägers) - rechtsverneinende (nämlich rechtshindernde oder rechtsvernichtende) Einwendungen (des Beklagten) - Einreden im materiellen Sinne (des Beklagten) - Gegeneinwendungen und Gegeneinreden (des Klägers) gegen Einwendungen und Einreden (des Beklagten). Hat man es richtig gemacht, so ergibt sich daraus ein „zwingender Aufbau". Der Leser des Gutachtens weiß an jeder Stelle, was und warum gerade hier geprüft wird. Am Ende steht das Ergebnis: „Also kann A von B DM 3000,- aus culpa in contrahendo verlangen". Das unstreitige Gutachten beginnt daher mit einer „Könnte"-Frage („A könnte von B..."; s. o. 5.), und endet mit einem: „Also ...". Das gleiche gilt für die einzelnen Schritte, d. h. für die Prüfung der Tatbestandsmerkmale: Am Anfang das „Könnte", am Schluß das „Also". Immer wenn der Bearbeiter des Gutachtens die Worte „also", „demnach", „infolgedessen", „mithin" oder die Wendung „daraus ergibt sich" verwendet, ist er gedanklich auf dem richtigen Weg. Fehlerhaft werden seine Darlegungen, wenn sich Ausdrücke wie „denn", „weil", „dies ergibt sich aus" und dgl. einschleichen. Dann verfällt der Verfasser in den „Urteilsstil", der im unstreitigen Gutachten keinen Platz hat. Urteilsstil wird er genannt, weil in einer gerichtlichen Entscheidung des Falles der Aufbau grundsätzlich umgekehrt erfolgt wie im unstreitigen Gutachten: Das Ergebnis steht am Anfang, die Begründung folgt nach. Der Urteilsstil nimmt darauf Rücksicht, daß die Parteien vor Gericht ungeduldig auf die Entscheidung warten. Aber auch das Urteil beruht darauf, daß der Richter vorher ein - in der 27
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Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
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Regel streitiges - Gutachten für sich angefertigt hat. Sonst hätte er j a gar nicht zu dem Ergebnis gelangen können, das er den Parteien vorträgt. 7. Mehr kann im Rahmen dieses dem Stoff gewidmeten Lehrbuchs zur Falltechnik nicht gesagt werden. Zu verweisen ist deshalb noch einmal auf Fikentscher, Schuldrechtspraktikum, 1972, oder auf die oben Rdn. 12 vermerkte Übungsliteratur. Der Aufbau dieses Lehrbuchs (namentlich im Allgemeinen Schuldrecht) ist bemüht, die Reihenfolge einzuhalten, in der die Tatbestandsvoraussetzungen schuldrechtlicher Erfüllungs-, Schadensersatz- und sonstiger Abwicklungsansprüche zu prüfen sind. Darauf wird im folgenden nur gelegentlich hingewiesen.
§7 Begriff des Schuldverhältnisses. Gefälligkeitsverhältnisse. Schulden und Haften Bartholomeyczik, Das Gegengewichtsprinzip und die Funktionsfähigkeit des Austauschvertrags in der modernen Rechtsentwicklung, in: Das Gegengewichtsprinzip in der Wirtschaftsordnung, Bd. 3, 1966, 9; Bekker, IherJb. 49, 1; Binder, J„ IherJb 77, 75; de Boor, Die Kollision von Forderungsrechten, 1928; Bruns, FS Zepos, Bd. I, 1973, 69 ff; Dietz, Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung und Delikt, 1934; Eichler, AcP 162, 401; Fedder, Schuld und Haftung, 1942; Gierke, Otto v., Schuld und Haftung im älteren deutschen Recht, 1910; Hellwig, Anspruch und Klagerecht, 1900; Herholz, AcP 130, 257; Lent, AcP 152, 401; ders., Die Gesetzeskonkurrenz im bürgerlichen Recht und Zivilprozeß, Bd. I, 1912; Medicus, JuS 77, 225 ff; MünchKomm/Krämer, Bd. 2: Schuldrecht-AT, Einl.; Neussel, Anspruch und Rechtsverhältnis, 1952; Okuda, AcP 164, 536; Reichel, IherJb 59, 409; Ruhig, Die Nebenpflichten im Schuldrecht, Diss. Hamburg, 1968; Schmidt, Reiner, Die Obliegenheiten, 1953; Schreiber, Schuld und Haftung, 1914; Schwerin, Schuld und Haftung im geltenden Recht, 1911; Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis, 1903; Strohal, Schuldpflicht und Haftung, FS Binding, 1914, 3; Weitnauer, FS Hefermehl, 1976, 467 ff; Wolf, Ernst, FS Herrfahrdt, 1961, 197 ff; Zachmann, Die Kollision der Forderungsrechte, 1976; Zepos, AcP 155, 486.
23 1. Definition des Schuld Verhältnisses Das Schuldverhältnis ist ein Rechtsverhältnis, in dem sich zwei oder mehr Personen in der Weise gegenüberstehen, daß sie einander zu einer Leistung verpflichtet sind. Hingewiesen wurde bereits (§ 5 a. E.) auf den Doppelsinn des Wortes Schuldverhältnis. Das Schuldverhältnis im engeren Sinn ist gleichbedeutend mit dem Recht auf eine Leistung (Forderung, 241), das Schuldverhältnis im weiteren Sinne bezeichnet das gesamte Rechts- und Pflichtenverhältnis zwischen zwei oder mehr Personen nach Art eines der sog. „einzelnen Schuldverhältnisse" der §§ 433-853, z. B. Kauf, Miete, Darlehen. Ein Schuldverhältnis im weiteren Sinne kann Entstehungsursache für viele Schuldverhältnisse im engeren Sinn sein. 28
Begriff des Schuldverhältnisses
§7
3
Beispiele: Aus Kauf (433 ff) hat der Verkäufer gegen den Käufer die Forderung auf Zahlung des Preises; der Käufer hat umgekehrt Anspruch auf Lieferung der Kaufsache, 433 I. Der Beauftragte ist zur Ausführung des Auftrages verpflichtet, 662, und hat das Recht auf Ersatz der Auslagen, 670. In der Gesellschaft ist jeder Gesellschafter jedem Mitgesellschafter gegenüber berechtigt und verpflichtet, daran mitzuwirken, daß der Gesellschaftszweck erfüllt wird (Beispiel eines mehrseitigen Schuldverhältnisses), 705. Wenn also das Gesetz den Ausdruck Schuldverhältnis verwendet, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, was gemeint ist (BGHZ 10, 395: § 362 verwendet den engeren Begriff des Schuldverhältnisses).
2. Unterschiede zu anderen Rechtsverhältnissen 24 Von anderen Rechtsverhältnissen unterscheiden sich Schuldverhältnisse in mehrfacher Hinsicht: a) Von allen Rechtsverhältnissen, die nicht subjektive Rechte enthalten, unterscheiden sich Schuldverhältnisse durch die in ihnen enthaltene Rechtsmacht, deren Verwirklichung in das Belieben des Gläubigers gestellt ist. Diese Rechtsmacht besteht weder in einem Herrschaftsrecht über die Person des Schuldners noch über eine Leistungshandlung des Schuldners (Savigny, Obligationenrecht I, 4), noch über den Leistungsgegenstand (falls eine gegenständliche Leistung geschuldet ist), näher Larenz I § 2 II. Die dem Schuldverhältnis innewohnende Rechtsmacht bedeutet vielmehr, daß die Leistung des Schuldners dem Vermögen des Gläubigers durch eine zweiseitige Bindung zugewiesen wird. Der Gläubiger vermehrt dadurch den Kreis seiner Güter. Drei Machtbestandteile enthält diese Zuweisung: Das Forderndürfen, das Behaltendürfen und das notfalls zwangsweise Beitreibendürfen der Leistung.1 b) Von Herrschaftsrechten unterscheiden sich Schuldverhältnisse durch ihre Zweiseitigkeit, ihren sog. relativen Charakter (u. § 15), Herrschaftsrechte (Eigentum, Pfandrecht, Patentrecht) wirken zugunsten des Inhabers gegen jedermann, Schuldrechte nur für den Gläubiger und nur gegen den Schuldner. c) Von Gestaltungsrechten unterscheiden sich Schuldverhältnisse sehr wesentlich. Schuldverhältnisse begründen Rechte und Pflichten; Gestaltungsrechte (Kündigung, Anfechtung, Rücktritt u. a.) gestalten die Rechtslage durch einseitige Erklärung um. Die Kündigung beendet z. B. ein Dienstverhältnis, 620; eine Anfechtung beseitigt einen Kaufvertrag rückwirkend, 123, 433, 142. Zum Rücktritt siehe unten § 48.
3. Unterschied zu Gefälligkeitsverhältnissen
25
Haberkorn, Haftungsausschlüsse bei Gefälligkeitsfahrten, DAutR 66, 150; Hippel, E. v., FS F. v. Hippel, 1967, 233 ff; Hoffmann, AcP 167, 394; Kornblum, JuS 76, 571; Kost, Die Gefälligkeit im Privatrecht, 1973; Pallmann, Rechtsfolgen aus Gefälligkeitsverhältnissen, Diss. Regensburg 1971; Plander, AcP 176, 424; Schmidt, G„ NJW 65, 2189; Schwerdtner, NJW71, 1673.
a) Schuldverhältnisse gehören der Rechtssphäre an, Gefälligkeiten dem rechtsfreien Bereich des täglichen Lebens. Schuldverhältnisse binden und verpflichten, Gefälligkeiten nicht. Wer seinem Freund aus Gefälligkeit den Rasen 1
Näher Staudinger / J. Schmidt, Einl. § 241 Rdn. 83 ff; Larenz I § 2 II; Medicus I § 3. 29
§ 7 3
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
mäht oder ihn ein Stück auf dem Spaziergang begleitet, steht in keinem Schuldverhältnis. Er kann jederzeit damit aufhören, ohne vertragsbrüchig zu werden, er kann keine geschuldete Leistung „stören" (Leistungsstörung), er kann insoweit weder vorsätzlich noch fahrlässig handeln. Es fehlt der vertragliche Bindungswille. (Für Ratschläge und Empfehlungen siehe § 676 und u. § 82 mit den dortigen Angaben.) Besonders schwierig ist die Abgrenzung zwischen Gefälligkeit und Auftrag, der Rechtsbindungswillen voraussetzt. Viele Besorgungen im täglichen Leben sind Gefälligkeitsverhältnisse ohne rechtliche Bindung und Wirkung. Z u m Auftragsvertrag (§ 662) gehört dagegen der rechtlich bindend gemeinte Wille des Beauftragten, den Auftrag durchzuführen, aber auch der rechtliche erhebliche Wille des Auftraggebers, die Bindung des Beauftragten anzunehmen und seinerseits die Pflichten eines Auftraggebers zu übernehmen. Entscheidend sind die Verkehrsauffassung und die Umstände des Einzelfalles. - Jemand verspricht, Mitreisende zu wecken. Er vergißt es, der Mitreisende fährt übers Ziel hinaus. Ein Geschäftstermin wird versäumt. - Nachbarin verspricht, abends nach den Kindern zu schauen. Sie versäumt es, worauf eines der Kinder erkrankt, weil es nicht richtig zugedeckt war. - Ein Freund verspricht, einen Brief einzuwerfen, vergißt es aber. Ein Geschäftabschluß unterbleibt dadurch. In diesen drei Fällen dürfte es am Verpflichtungswillen fehlen. Ein Auftragsvertrag (§ 662) liegt daher nicht vor. Es bleibt bei der deliktischen Haftung, 823 ff. Reine Vermögensschäden werden daher regelmäßig nicht ersetzt (826, vgl. den ersten und dritten Fall; im zweiten dagegen 823 I, II?). Wirtschaftlich betrachtet findet sich der Auftrag darum häufig bei Dienstleistungen f ü r andere, die aus irgendeinem Grunde unentgeltlich sein sollen, sei es wegen der Vertrauensstellung der Parteien zueinander, sei es wegen der geringfügigen oder persönlichen Art des Geschäfts: Nachbarin soll während der Sommerferien 4 W o c h e n lang Z i m m e r b l u m e n gießen, unterläßt es aber. Ein Geschäftskollege soll A u s k ü n f t e von einer Behörde einholen.
b) Es ist aber stets getrennt zu untersuchen, ob nur für die Hauptleistung oder auch für die dabei zu erfüllenden Schutz- und Obhutspflichten ein Verpflichtungswille fehlt. Auch bei Gefälligkeiten, deren Hauptleistung nach dem Willen der Beteiligten ohne Rechtsanspruch erbracht wird, können vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten bestehen.2 Beispiele: Der Jagdgast steht mit d e m Jagdherrn bezüglich des Jagens grundsätzlich in einem Gefälligkeitsverhältnis. Veranstaltet aber der Jagdherr die Treibjagd fahrlässig so, daß der Gast angeschossen wird, besteht vertragliche Haftung wegen Verletzung einer ü b e r n o m m e n e n Schutzpflicht, was z. B. wegen § 278 wichtig ist, wenn ein Gehilfe des Jagdherrn statt seiner fahrlässig handelt. Dagegen hat der Gast keinen vertraglichen Anspruch, zu Schuß zu k o m m e n oder gar, etwas zu treffen. Auch ist nicht etwa der Jagdgast „beauftragt" zu jagen, auch der Jagdherr nicht, an der Jagd mitzuwirken, vgl. R G Z 128, 4 2 = ESJ 1. - Der Cocktailgast gibt seinen Mantel dem Diener des Gastgebers, der ihn in der Garderobe so fahrlässig verwahrt, daß er gestohlen wird. Mangels eines Verpflichtungswillens fehlt es in diesen Fällen am Erfüllungsanspruch auf die Hauptleistung (den Cocktail), nicht aber an vertraglichen Schutzpflichten („Nebenpflichten", dazu unten § 8). 2
Anders Schwerdtner, NJW 71, 1673, der § 242 heranzieht; ähnlich BGH NJW 74, 1705.
30
Begriff des Schuldverhältnisses
§7 4
Eine Verletzung dieser Pflichten ist für den geschädigten Gefälligkeitsadressaten häufig von viel größerer wirtschaftlicher Bedeutung.
c) Welche dieser drei Kategorien - Rechtsgeschäft, Gefälligkeit oder Gefälligkeit mit rechtsgeschäftlicher Nebenpflicht - vorliegt, ergibt die Auslegung anhand der üblichen Auslegungskriterien (§§ 133, 157), bei der zu fragen ist, ob die Beteiligten ihr Verhalten dem Recht unterstellen wollten. Das ist beim Versprechen, dem Freund den Rasen zu mähen, ebensowenig der Fall wie bei einer Spaziergangbegleitung. In solchen Fällen fehlt es an einem Vertrag. Aber aus der Unentgeltlichkeit der Leistung allein kann noch nicht der Schluß gezogen werden, daß eine Gefälligkeitshandlung und nicht eine rechtsgeschäftliche Leistung vorliegt, da das Gesetz auch unentgeltliche Verträge kennt, z. B. Leihe, 598; Schenkung, 516; Auftrag, 662; unentgeltliche Verwahrung, 688, 690. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Indizien für das Bestehen von rechtlichen Schutzpflichten bei unentgeltlichen Leistungen sind: Wert einer anvertrauten Sache, wirtschaftliche Bedeutung einer Angelegenheit, Interesse des Begünstigten, Interesse des Leistenden.3 d) Das Bestehen eines reinen Gefälligkeitsverhältnisses schließt außervertragliche Haftung nicht aus; s. o. die Beispiele zu b). Wird in Ausführung einer Gefälligkeit eine unerlaubte Handlung begangen, so haftet der Täter nach §§ 823 ff. Eine Milderung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit tritt in Analogie zu §§521, 599, 680 nur in Fällen echter Hilfeleistung ein (ähnlich Larenz I, § 31 III). Der BGH läßt den Haftungsmaßstab vergleichbarer Rechtsverhältnisse entscheiden, BGHZ 21, 110. - Darüber hinaus ist vertraglicher Haftungsverzicht im Rahmen des § 276 II möglich, aber nicht zu unterstellen. Wer einen „Anhalter" im Auto oder sonst jemand zu einer „Gefälligkeitsfahrt" mitnimmt, haftet also grundsätzlich auch für leichte Fahrlässigkeit. § 8 a StVG schließt die Gefährdungshaftung gegenüber Insassen des Fahrzeugs aus. Also gilt allgemeines Deliktsrecht. Zu berücksichtigen sind aber noch die Grundsätze zum „Handeln auf eigene Gefahr". 4 4. Schulden und Haften
26
Schulden heißt: Leisten müssen; Haften bedeutet: Zugriffsobjekt in der Zwangsvollstreckung sein. Weder der tägliche Sprachgebrauch noch das Gesetz halten sich immer an diese Grundbedeutungen. In §§ 840 I, 1108 ist z. B. von „haften" die Rede und „schulden" gemeint. Normalerweise haftet der Schuldner mit seinem ganzen Vermögen (Ausnahme z. B. 419 II). Auch der Bürge schuldet, 765 I. Er haftet dem Gläubiger mit seinem Vermögen. Häufig ist die zusätzliche, sichernde Haftung einer Sache für eine Schuld, z. B. 1147, 1235 I. Insoweit ist Haftung für fremde Schuld möglich. Bei der Hypothek schuldet 3 4
Zum ganzen BGHZ 21, 102; in der Begründung abweichend Flume AT § 7, 5-7; Esser/Weyers, § 35 I lc. Zum „Handeln auf eigene Gefahr" siehe unten § 52 III 7: Es kann unter mehreren Gesichtspunkten zum Haftungsausschluß führen. 31
§ 7 6
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
der persönliche Schuldner die Rückzahlung des Darlehens an den Hypothekengläubiger, und das Grundstück des Eigentümers haftet dem Hypothekengläubiger zur Sicherung des Darlehens, 1147 (Eigentümer und persönlicher Schuldner können, brauchen aber nicht dieselbe Person zu sein).
27 5. Kollision von Forderungen Gegen einen Schuldner können beliebig viele Forderungen bestehen. Die Forderungen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Nur in einzelnen Fällen ordnet das Gesetz eine Reihenfolge der Befriedigung an: z. B. 265, 366, 519, 774, 1143, 1609. Für alle Schulden haftet der Schuldner bis zur vollen Höhe jeder Forderung mit seinem Vermögen. Reicht dieses nicht aus, so wird derjenige Gläubiger, der eher vollstreckt, voll befriedigt. Die zu spät Kommenden erhalten weniger oder nichts (Grundsatz der Priorität). Im Falle der Zahlungseinstellung (bei juristischen Personen im Falle der Überschuldung) muß aber der Schuldner Konkurs anmelden, § 102 KO. Im Konkurs gilt abweichend von der oben geschilderten Einzelzwangsvollstreckung der Grundsatz der anteilmäßigen Befriedigung aller Gläubiger (par conditio concurrentium). 5
28 6. Terminologie der Schuldverhältnisse a) Der aus dem Schuldverhältnis Berechtigte heißt Gläubiger, der Verpflichtete Schuldner. Gläubiger und Schuldner müssen bei Entstehung der Verbindlichkeit ihrer Person nach bestimmt oder zumindest durch deutliche Kennzeichen bestimmbar sein, sonst kommt die Verbindlichkeit nicht zustande (Hedemann, 17). Beispiele nur bestimmbarer Gläubiger: 657, 661, 331 bei Lebensversicherung; Art. 11 II WechselG. Beispiele nur bestimmbarer Schuldner: Art. 15 I, 31 f WechselG. Beim Schenkungsversprechen z. B. gibt es nur einen Gläubiger und einen Schuldner. Bei Kauf und Auftrag ist jede Partei Gläubiger und Schuldner des anderen, aber jeweils bezüglich verschiedener Leistungen. Bei der Gesellschaft ist jeder Gläubiger und Schuldner des anderen, und die Leistungen sind häufig gleicher Art. b) Der Gläubiger nennt sein Recht die Forderung (Anspruch auf Leistung, Forderungsrecht. Schuldverhältnis im engeren Sinn); der Schuldner seine Pflicht die Schuld (Verbindlichkeit, Obligation). Beides ist dasselbe, einmal vom Standpunkt des Gläubigers, ein andermal von dem des Schuldners aus betrachtet. c) Das, was gefordert und geschuldet wird, ist die Leistung. Alles, was geschuldet wird, gehört zur Leistung. Es gibt neben der Leistung keinen anderen Inhalt eines Schuldverhältnisses. Dies ist jedenfalls der Standpunkt des Gesetzes (241). Er ist deutlich und für das Recht der Leistungsstörungen die brauchbarste Ausgangsstellung. Da diese Meinung nicht unbestritten ist (vgl. o. § 5 I 4), bedarf sie der Begründung:
5
Probleme der Forderungskollision sind zu unterscheiden von der Möglichkeit einer Anspruchskonkurrenz'. Ein Begehren kann sich auf mehrere Anspruchsgrundlagen stützen, z. B. auf Vertrag und Delikt.
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Die Leistung
§8 1
§8
Die Leistung S. auch oben § 7; weiter v. Bar, Chr., ZGR 83, 476; Beitzke, Nichtigkeit, Auflösung und Umgestaltung von Dauerrechtsverhältnissen, 1948; Blomeyer, Arwed, FS Rabel, Bd. I, 1954, 307; Bornemann, Der Leistungsbegriff im Zivilrecht, Heidelberger Repetitorium, Zivilrecht im Querschnitt, Bd. I, 1970; Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989; Bydlinski, Zulässigkeit und Schranken „ewiger" und extrem langdauernder Vertragsbindung, 1991; Eitzbacher, Die Unterlassungsklage, 1906; Fuchs-Wissemann, Die Abgrenzung des Rahmenvertrages vom Sukzessivlieferungsvertrag, Diss. Marburg 1979; Gierke, Otto v., IherJb. 64, 355; Grunewald, ZIP 1994, 1162; Hassold, G., Die Leistung im Dreipersonenverhältnis, 1981; Henckel, AcP 174, 97 ff; Henke, H.-E., Die Leistung, 1991; Hueck, A., Der Sukzessivlieferungsvertrag, 1918; Huber, Ulrich, FS v. Caemmerer 1978, 837 ff; Husserl, FS Pappenheim, 1931, 87; Jakobsohn, Die Unterlassungsklage, 1912; Köhler, AcP 190 (1990) 496 (Unterlassenspflichten); Lange, Edlef, Vorbereitung und Gefährdung der Leistung, 1970; Lehmann, Heinrich, Die Unterlassungspflicht im Bürgerlichen Recht, 1906; Lesser, Der Inhalt der Leistungspflicht, 1909; Meier, Klaus, Ökologische Aspekte des Schuldvertragsrechts, 1995 (u. a. zu § 138 BGB); Michalski, JA 79, 401 ff; Musielak, JuS 79, 96 ff; Pinger, AcP 179, 301; Rödig, Rechtstheorie 1972, 1 ff; Schmidt, Reimer, Die Obliegenheiten, 1953 (dazu Esser, AcP 154, 49 ff); Schöninger, Die Leistungsgeschäfte des Bürgerlichen Rechts, 1906; Stephan, Die Unterlassungsklage, 1908; Stall, Heinrich, Die Lehre von den Leistungsstörungen, 1936; Stürner, JZ 76, 384 ff; Weitnauer, FS v. Caemmerer, 1978, 255 ff; Wendt, Unterlassungen und Versäumnisse im Bürgerlichen Recht, AcP 92, 1; Wieacker, FS Nipperdey, Bd. I, 1965, 783; Wieling, AcP 176, 334 ff; Wiese, FS Nipperdey, aaO, 837.
1. Begriff. Verhalten oder Erfolg
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Die Leistung ist, was der Gläubiger vom Schuldner verlangt und der Schuldner dem Gläubiger zu gewähren hat. Sie ist der gegenständliche Ausdruck für den Inhalt des Schuldverhältnisses. Die Bestimmung der Leistung, d. h. dessen, was konkret in einem Schuldverhältnis geschuldet ist, ist darum eine der praktisch bedeutsamsten Fragen des Schuldrechts. Zu dieser Frage unten §§ 25 bis 37, im besonderen § 26. Hier dagegen geht es um die Eigenschaften der geschuldeten Leistung im allgemeinen. Ob mit der Leistung ein Leistungsverhalten des Schuldners oder ein Leistungserfolg geschuldet ist, ist seit langem streitig. Auf einen verhaltensbezogenen Leistungsbegriff deuten §§241, 320 ff, 293 ff, auf einen erfolgsbezogenen insbesondere § 362 („an den Gläubiger bewirkt") hin.' Die Frage läßt sich nicht einheitlich entscheiden. Je nach Sinn und Zweck der Verbindlichkeit ist ein Mehr oder Weniger an Verhalten und Erfolg geschuldet, BGHZ 12, 267 ff; 40, 326 ff. So schuldet der Arzt nach § 611 nur den Dienst an
1
Zum Streitstand Wieacker, FS Nipperdey, Bd. I, 1965, 801 ff; Blomeyer, § 9; Esser/Schmidt, §61. 33
§ 8 3
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
der Gesundheit, nicht die Gesundheit selbst, der Schneider aber nach § 631 den fertigen Anzug (näher unten § 79). Drei Dinge sind zu unterscheiden: (1) Wozu ist der Schuldner verpflichtet? (2) muß er außerdem noch einstehen (z. B. nach § 287, 2; 848; 437; 440 I; 279)? (3) Was befreit den Schuldner (z. B. im Sinne des § 362, des § 275, der Lehre von der Zweckerreichung, dazu unten § 39 VI). Zum Leistungsbegriff gehören (1) und (2), nicht (3). Zwischen Verpflichtetsein und Einstehenmüssen muß im Hinblick auf den Haftungs- (insb. Verschuldens-)maßstab unterschieden werden. Dazu unten § 53. Für den Begriff der geschuldeten Leistung hier zu trennen, wäre spitzfindig und würde das Erfolgselement im Leistungsbegriff verkennen.
30 2. Tun oder Unterlassen Der Verkäufer schuldet ein Tun, nämlich die Übergabe der Sache und die Eigentumsverschaffung an ihr, 433 I 1. Gleichzeitig schuldet er ein Unterlassen, nämlich die Unterlassung aller Handlungen, die den Erfolg des Kaufvertrags wider Treu und Glauben vereiteln können. Diese Unterlassungspflicht steht zwar nicht in § 433, doch ergibt sie sich aus § 242, der für alle Schuldverhältnisse gilt (näher § 27 unten). Das Tun ist in diesem Falle Hauptpflicht, das Unterlassen Nebenpflicht. Es kann auch umgekehrt liegen: Ein Handelsvertreter verpflichtet sich ausdrücklich, der ihn beschäftigenden Firma keine Konkurrenz zu machen und im Zuwiderhandlungsfalle die Geschäftspapiere vorzulegen. In jedem Falle zählen Tun und Unterlassen zur Leistung. Der Schuldbegriff des § 241 S. 2 setzt also ein pflichtgemäßes Verhalten des Schuldners (Leistungsverhalten) voraus. Im Leistungsverhalten erschöpft sich die Schuld jedoch nicht. Das Leistungsverhalten muß also zum Leistungserfolg, der Befriedigung des Gläubigerinteresses durch den Schuldner führen. Der Leistungserfolg kann aber oft nur durch Mitwirkung des Gläubigers eintreten, z. B. des Käufers, der die verkaufte Sache in Besitz nimmt und die Annahme zur Eigentumsübertragung erklärt. Wirkt der Gläubiger nicht mit, gerät er in Gläubigerverzug, 293 ff; dazu unten § 46. Zur Leistung durch Dritte s. u. § 36.
31 3. Schutz- und Verhaltenspflichten. Sog. Haupt- und Nebenpflichten Man hat versucht, sogenannte Schutzpflichten (Stoll) oder (weiter) Verhaltens pflichten (Larenz) der eigentlichen Leistung gegenüberzustellen und in einem Schuldverhältnis zwischen Leistung und diesen Pflichten zu trennen. Ohne Zweifel sind der auf Erfüllung des Versprochenen gerichtete Hauptanspruch und die allgemeinen, vertraglichen Verhaltenspflichten etwas grundsätzlich Verschiedenes, oben § 5 („Wohlverhaltenspflichten"). Die begriffliche Trennung hat auch den Vorteil, daß man diese Nebenpflichten als solche deutlicher erkennen und bezüglich des Erfüllungsanspruchs voneinander isoliert betrachten kann und daß man entweder nur die Hauptpflichten oder nur diese Nebenpflichten in das Gegenseitigkeitsverhältnis bei gegenseitigen Verträgen einzubeziehen braucht. Nur auf die in das Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) einbezogenen Pflichten finden nämlich die §§ 320-327 Anwendung, dazu näher unten § 44 I. Ein dritter Vorteil ist, daß man bei Verträgen zugunsten Dritter entweder 34
Die Leistung
§8
3
nur die Hauptpflichten oder nur diese Nebenpflichten z u m Gegenstand der B e rechtigung des Dritten machen kann. B e i den Gefälligkeitsverhältnissen (oben § 7, 3) wurde betont, daß die Schutz- und Sorgfaltspflichten - im Unterschied zur „Gefälligkeit" selbst, z. B. der Teilnahme an der Treibjagd - der Rechtssphäre angehören können; vgl. auch u. § 37 IV. Beispiele: Der Verkäufer muß mit der noch nicht gelieferten Kaufsache bis zur Übergabe pfleglich umgehen (Schutzpflicht). Diese Nebenpflicht ist nicht selbständig einklagbar, es besteht kein Erfüllungsanspruch, es sei denn, daß die Parteien dies über die Erfüllungspflichten des § 433 hinaus so vereinbart haben. Geht der Verkäufer nachlässig mit der Sache um, so darf der Käufer auch nicht deswegen mit dem Preis zurückhalten (320), sondern nur, weil ihm die Sache noch nicht geliefert ist. Nur bezüglich Lieferung und Zahlung besteht mangels näherer Vereinbarung das Gegenseitigkeitsverhältnis, 320-327. Ist der Käufer vorleistungspflichtig, so muß er zahlen, es sei denn, daß die Wandlungsvoraussetzungen schon jetzt gegeben sind, 459 ff. Schließen die Mieter eines Hauses einen Ausbesserungsvertrag mit einem Handwerker, so hat der Hauseigentümer zwar keinen Erfüllungsanspruch, wohl aber schuldet auch ihm der Handwerker die nötige Sorgfaltspflicht, wenn die Mieter einen in bezug auf die Sorgfaltspflicht berechtigenden Vertrag zu seinen, des Dritten, Gunsten mit dem Handwerker schlössen (BGH NJW 54, 874 = LM 6 zu § 328 = ESJ 2). Wird die Sorgfaltspflicht verletzt, so haftet der Handwerker auch dem Hauseigentümer. Ein vierter (scheinbarer) Vorteil der Trennung v o n Leistungs- und allgemeinen Verhaltens-(Schutz-)pflichten besteht also in der Möglichkeit, an die Verletzung der einen oder der anderen Pflicht allein die Schadensersatzfolge zu knüpfen. Gerade dieser Gesichtspunkt zwingt aber dazu, auch die Neben-, Schutz- und Verhaltenspflichten dem Leistungsinhalt zuzurechnen, wobei als Geltungsgründe entweder das Rechtsgeschäft oder das Gesetz (z. B. Vertrauensprinzip) in B e tracht k o m m e n (dazu weiter unten § 27, s o w i e MünchKomm/Kramer, § 241 Rdn. 22); denn nur dann läßt sich auch bei einer Verletzung dieser „Nebenpflichten" v o n einer „Leistungsstörung" sprechen. In diesem Buch wird also ein weiter Leistungsbegriff vertreten (und für das Recht der Leistungsstörungen nutzbar gemacht, s. u. §§ 49 ff). Der hier vertretene weite Leistungsbegriff vermeidet den verbreiteten, übrigens zu Unrecht aus der Gegenmeinung abgeleiteten Irrtum, die positive Vertragsverletzung sei (nur) eine Verletzung „sekundärer Nebenpflichten" und deshalb keine eigentliche Leistungsstörung. Die positive Vertragsverletzung (Schlechterfüllung) ist im Gegenteil die Leistungsstörung par excellence (s. u. §42). Es entspricht dem Bild unseres Schuldrechts mehr, von einem einheitlichen Leistungsbegriff auszugehen (§ 241 S. 1), um damit den Boden für eine einheitliche Behandlung der Leistungsstörungen zu gewinnen. Das hindert nicht eine mögliche unterschiedliche rechtliche Behandlung einzelner Leistungsbestandteile (in dieser Erkenntnis liegt das Verdienst der Lehre von den „Nebenpflichten"). Ferner ermöglicht der hier begangene Weg die Zuordnung der wichtigsten aller Schutzpflichten, der arbeitsrechtlichen Fürsorge- und Treuepflichten, zum Leistungsinhalt, wo sie schwerpunktmäßig, neben den Lohnzahlungs- und Dienstleistungspflichten, hingehören. Die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht ist 35
§8
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
5 nichts „Sekundäres". Ähnliche Erwägungen gelten für Gesellschafts-, Miet-, Handelsvertreterverträge u. a.2 Unklar bleibt in der Literatur vielfach, welche rechtlichen Wirkungen „Nebenpflichten" haben oder nicht haben sollen. Im folgenden wird die Unterscheidung „Haupt- und Nebenpflichten" nur auf die Eignung der Pflicht angewandt, als Forderung selbständig geltend gemacht werden zu können oder nicht. Zu trennen davon sind die Fragen, ob eine Pflicht ins Synallagma der gegenseitigen Verträge einbezogen ist (dazu unten § 10 II 4 d), ob sie im Vertrag zugunsten Dritter als den Dritten berechtigend vereinbart werden kann (dazu unten § 37 IV) oder ob sie selbständig „gestört" werden kann (dazu unten § 42 III), um nur die wichtigsten Möglichkeiten zu nennen. Beispiel: Die Abnahmepflicht in § 433 II ist eine selbständige, klagbare (Haupt)-Pflicht, i. d. R. aber keine synallagmatische Pflicht. Entscheidend ist jedoch immer die Vertragsauslegung.
32 4. Obliegenheiten Die Leistung besteht also möglicherweise aus einem Bündel von Pflichten, Tuns- und Unterlassungspflichten, Lieferungs-, Obhuts-, Schutz- und allgemeinen Verhaltenspflichten. Die getrennte Betrachtung der einzelnen Leistungsbestandteile ist vor allem für den Erfüllungsanspruch, die Frage der Gegenseitigkeit, der Berechtigung beim Vertrag zugunsten Dritter und für die Leistungsstörungen von Bedeutung. Insgesamt bildet das Pflichtenbündel „die Leistung". Auch Schutz, Fürsorge, Obhut und ein nicht den Vertragszweck gefährdendes Verhalten können „geleistet" werden. Nicht zu den Schuldpflichten und damit nicht zur Leistung zählen die Obliegenheiten. Eine Obliegenheit ist eine Verhaltensaufforderung, die das Recht einem Rechtssubjekt (also im Schuldrecht dem Schuldner oder auch häufig dem Gläubiger) in dessen Interesse und im Interesse eines anderen auferlegt, ohne daß der andere von dem mit der Obliegenheit Belasteten ein entsprechendes Verhalten fordern kann. Kommt allerdings der Obliegenheitsbelastete der Erwartung nicht nach, treffen ihn Rechtsnachteile (z. B. Beteiligung an der Schadenstragung, 254 I; die Folgen des Gläubigerverzugs, 293-304). 3 Eine Obliegenheit kann aber durch Parteiwillen oder nach § 242 zur Pflicht und damit zum Leistungsbestandteil werden. Dann führt ihre Verletzung zu den üblichen Rechten, so im Erg. richtig BGHZ 11, 83 für § 642. 4
33 5. Bestimmbarkeit des Leistungsinhalts Die Leistung muß bestimmt oder zumindest bestimmbar sein (denn sie soll regelmäßig einklagbar und vollstreckbar sein). Da die Leistung das ist, was der Schuldner dem Gläubiger zu gewähren hat, müssen drei Dinge zumindest bestimmbar sein: Der Gläubiger, der Schuldner und der Leistungsinhalt.
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3 4
Wie hier: Emst Wolf, AcP 153, 113; ähnlich Hans Stoll, FS Fritz v. Hippel, 1967, 523 und mindestens in der Tendenz - MünchKomm/Krämer, § 241, Rdn. 16 ff; vorsichtiger Evans-von Krbek, AcP 179, 85 ff. Den hier vertretenen weiten Leistungsbegriff teilt auch, in einer auf die Motive zum BGB zurückgreifenden, ausführlich begründeten Entscheidung das OLG Düsseldorf, OLGZ 78, 202; s. weiter u. Rdn. 112 ff. Näher Reimer Schmidt, passim; Staudinger / J. Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff Rdn. 221 ff. Zur Abgrenzung der Obliegenheit von der Last unten § 16 II 2 und 3.
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Die Leistung
§8
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Der mißratene, volljährige Sohn verpflichtet sich schriftlich gegenüber dem Vater, in Zukunft anständig zu leben. Der Liebhaber verspricht urkundlich seiner Geliebten, sie nicht länger mit Eifersuchtsszenen zu belästigen. Solche Versprechen sind löblich, aber rechtlich unbeachtlich (selbst wenn sie rechtlich bindend gemeint sind), weil ihnen die Bestimmbarkeit fehlt. Es handelt sich um einen Nichtigkeitsgrund, den das Gesetz nicht ausdrücklich enthält und der unabhängig neben §§ 138, 306 steht. Der Bestimmtheitsgrundsatz ist verwandt, aber nicht identisch mit der sachlichen Begrenztheit aller schuldrechtlichen Leistungen (im Unterschied z. B. zu familienrechtlichen Gemeinschaftspflichten, etwa der Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft, 1353). Ein Beispiel relativer Unbestimmtheit der Leistung unten § 28 V. 6. N i c h t v e r m ö g e n s w e r t e L e i s t u n g e n
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D i e Leistung m u ß n a c h h e r r s c h e n d e r M e i n u n g einen Vorteil f ü r den G l ä u b i ger bedeuten, d. h., i h m Nachteiliges k a n n nicht Inhalt einer Leistung sein. Wertet m a n d a b e i Vor- u n d Nachteil objektiv, so k a n n m a n d e m nicht z u s t i m m e n . Ein Vertrag bindet die Parteien a u c h dann, w e n n er d e m G l ä u b i g e r objektiv N a c h t e i l e bringt. A b e r auch subjektiv a u f g e f a ß t bleibt der Satz der herrschenden M e i n u n g z w e i f e l h a f t . Ein G l ä u b i g e r k a n n sich nicht auf Nichtigkeit eines Vertrags mit d e r B e g r ü n d u n g b e r u f e n , er h a b e sich v o n v o r n h e r e i n keinen Vorteil von d e m G e s c h ä f t versprochen. Z u p r ü f e n bleibt aber stets, o b in d i e s e m Fall ü b e r h a u p t ein ernstlich g e m e i n t e s Versprechen vorliegt, § 118. Richtig ist, daß die Leistung jedenfalls nicht Geldwert zu haben braucht. Auch ein Vertrag über eine Ehrenerklärung ist wirksam. Unser Recht kennt (im Unterschied zu manchen anderen historischen und geltenden fremden Rechten) neben der Vollstreckung wegen einer Geldforderung (§§ 803-882 a ZPO) auch die Vollstreckung zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen und zur Herausgabe von Sachen (§§ 883 bis 893 ZPO). Hieraus folgt, daß man sich grundsätzlich zu jeder auch nicht Vermögenswerten Leistung verpflichten kann. Grenzen werden hier allerdings häufiger durch § 138 gezogen. 7. E i n m a l i g e , m e h r t e i l i g e , d a u e r n d e u n d w i e d e r h o l t e L e i s t u n g e n . „Sukzessivlieferungsverträge"
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D i e L e i s t u n g k a n n einmalig, in mehreren Teilen (Raten), dauernd o d e r wiederholt zu erbringen sein. a) Beim Kauf ist grundsätzlich einmalige Übergabe und Eigentumsverschaffung geschuldet, 433 I. b) Eine Ware ist in 10 gleichen Partien zu je 1000 kg im Monat verkauft worden. Die Leistung beginnt am 1.1. und endet am 1.10. Man spricht von einem Raten- oder Teillieferungsvertrag. Sein Hauptproblem ist, daß das Kaufrecht oder Werklieferungsrecht sowohl auf jede einzelne Rate als auch auf den Vertrag als Ganzes Anwendung findet. Das kann z. B. bei der Mängelhaftung zu Schwierigkeiten führen, die sich aber durch sorgfältige Trennung von Einzellieferung und ganzem Vertrag auf der Grundlage der §§ 459 ff lösen lassen: Für die einzelne mangelhafte Rate gelten die §§ 459 ff direkt. Folgen den ersten ordnungsgemäßen Raten einige mangelhafte, die befürchten lassen, daß auch die noch ausstehenden restlichen Raten mangelhaft sind, so hat der Käufer bezüglich der 37
§ 8 7
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
noch ausstehenden ein Rücktrittsrecht für die Zukunft, 242, 462, 467 analog, 346 ff. Das folgt aus der zeitlichen Teilung der Leistung. Der Ratenlieferungsvertrag ist gesetzlich nicht geregelt. Beim Ratenzahlungskauf liegt ratenweise Leistung auf der Preisseite vor, dazu das Abzahlungsgesetz vom 16. 5. 1894, RGBl. 450 (unten § 71 V 5). Ein Ratenvertrag ist nichts anderes als eine Wegbedingung des (nachgiebigen) § 266, der Teilleistungen grundsätzlich verbietet. Im übrigen ist auch der Raten- oder Teillieferungsvertrag ein einheitlicher Vertrag, bei dem lediglich die Leistung in mehreren Teilen zu erbringen ist. Der manchmal gehörte Satz, daß dadurch „keine Besonderheiten" entstehen, trifft aber, wie das obige Beispiel mangelhaft werdender Teillieferungen zeigt, nicht zu. Man löst den Konflikt zwischen Einheitlichkeit des Vertrags und Teilung der Leistung am besten in der oben vorgeschlagenen Weise: Anwendung des Rechts der Leistungsstörungen auf die betroffenen Raten. Für Teillieferungsverträge vermeidet man zweckmäßig den Ausdruck „Sukzessivlieferungsvertrag", der ein Dauerschuldverhältnis bezeichnet (die Terminologie ist unsicher!), dazu unten c). 36
c) Dauernde Leistung ist bei Dauerschuldverhältnissen geschuldet: Die Gebrauchsgewährung bei Miete, Pacht, Darlehen und Leihe, die Verwahrungspflicht bei der Verwahrung, die Pflichten im Dienstvertrag, die des Beauftragten, des Geschäftsbesorgers (675), die der Gesellschafter, die einzelnen Warenposten beim Sukzessivlieferungsvertrag. Der Sukzessivlieferungsvertrag unterscheidet sich vom Teillieferungsvertrag dadurch, daß er dauernd läuft, während der Teillieferungsvertrag eine bestimmte, begrenzte Zahl von Teilleistungen vorsieht. Beim Sukzessivlieferungsvertrag fehlt die Vorstellung der Teilung einer von vornherein mengenmäßig genau festgelegten Leistung. Vielmehr sollen fortlaufend Leistungen erbracht werden. Sukzessivlieferungsverträge laufen daher häufig auf unbestimmte Zeit. Doch steht ein ins Auge gefaßter endgültiger Schlußtermin nicht entgegen. Die einzelnen abschnittweise erbrachten Leistungen sind keine Leistungen i. S. d. § 266, sondern Erfüllung dessen, was der Schuldner zur Zeit schuldet, A. Hueck, 16; BGH MDR 64, 112; BGHZ 10, 189. Man unterscheidet Sukzessivlieferungsverträge mit gleichbleibend großen Leistungen („echte") und solche mit sich wandelnden Leistungen nach Maßgabe eines vom Käufer gemeldeten Bedarfs („Bedarfsdeckungs"-, „Bezugsverträge"). Solche laufenden Bezugsverträge auf der Grundlage des Kaufrechts sind daher Dauerschuldverhältnisse (z. B. Bierbezugsverträge der Gastwirte, vgl. RGZ 63, 297). Dauerschuldverhältnisse auf kaufrechtlicher Grundlage sind freilich von den oben geschilderten Teillieferungsverträgen nur schwer zu unterscheiden. Abruf nach Bedarf und längere Laufzeit sind Anzeichen eines Dauerschuldverhältnisses, das dann zweckmäßig als „Sukzessivlieferungsvertrag" bezeichnet wird. Bei Dauerschuldverhältnissen ist stets zwischen den einzelnen Lieferungen und Leistungen einerseits und dem ganzen Vertrag zu unterscheiden. Nur für die einzelnen Lieferungen und Leistungen gelten die §§ 320 ff unbeschränkt. Für den ganzen, oft schon teilweise abgewickelten Vertrag passen die oft zurückwirkenden Rechtsfolgen der §§ 320 ff nicht. Die konstruktive Schwierigkeit ist dabei eine doppelte: Die §§ 320 ff dürften auf die einzelnen Leistungen eigentlich nicht angewandt werden, weil Vertragsleistung die ganze (Dauer-) Leistung ist. Auf die ganze Leistung passen aber die §§ 320 ff wegen ihres Inhalts nicht. - Die h. M. wendet aber auf die einzelnen Leistungen §§ 320 ff direkt an, im Ergebnis zu Recht. Strenggenommen handelt es sich jedoch um eine analoge Anwendung, weil die geschuldete Leistung die ganze (Dauer-)Leistung ist. Hinsichtlich des ganzen Vertrags herrscht Streit, ob man zur Vermeidung zeitlicher Rückwirkung §§ 320 ff mit der Maßgabe anwendet, daß bereits abgewickelte Leistungsteile nicht mehr berührt wer38
Die Leistung
§ 8 7
den („Rücktritt für die Zukunft", wie bei Ratenlieferungsverträgen), oder ob man wie bei anderen Dauerschuldverhältnissen ein Kündigungsrecht (das bekanntlich nur für die Zukunft wirkt) gewährt. 5 Die zweite Auffassung verdient den Vorzug. Allgemeines Kennzeichen der Dauerschuldverhältnisse ist ihre Kündbarkeit. Meist regelt das Gesetz die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen. Wo weder das Gesetz eine Kündigung vorsieht noch der Vertrag (wie häufig bei dem Kaufrecht unterliegenden Sukzessivlieferungsverträgen), ist Kündigung aus wichtigem Grund, d. h. wegen unzumutbaren Festhaltens am Vertrag nach § 242 möglich. Anwendbar ist auch eine Rechtsanalogie zu §§ 626, 696, 723 I 2. (Mißverständlich ist das Wort Kündigung in § 649: Der Werkvertrag ist im allgemeinen kein Dauerschuldverhältnis. Kündigung meint hier: Vertragsaufsage im allgemeinen, nicht: Beendigung für die Zukunft.) Beispiel: BGHZ 15, 215 (Verlagsvertrag). Die Kündigung ist in der Regel fristlos, doch kann sich nach § 242 etwas anderes ergeben. Entscheidend ist, ob die Leistungsstörung (die unverschuldet sein kann) dem Gläubiger ein Festhalten am Vertrag unzumutbar macht. Die aus dem Wesen des Dauerschuldverhältnisses folgende Kündigungsmöglichkeit verdrängt als speziellere Regel den Rücktritt nach §§ 325, 326. Die Schadensersatzregeln werden nicht verdrängt und bleiben anwendbar. Anfechtung ist möglich, hat aber i. d. R. keine Rückwirkung, dazu unten § 88 IX. d) Es ist denkbar, daß sich Schuldverhältnisse - meist innerhalb eines Rahmenvertrags 3 7 (dazu unten § 24) oder auch ohne einen solchen - von Zeit zu Zeit (z. B. an jedem Monatsersten) selbsttätig erneuern. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat solche Wiederkehrschuldverhältnisse bei laufendem Bezug von Gas, Strom und Wasser durch den Verbraucher oder Abnehmer angenommen. 6 Sie hat dadurch die Anwendung des § 17 KO auf solche Verträge vermieden. Das bedeutet, daß Energiebetriebe nicht dadurch im Konkurs des Gemeinschuldners begünstigt werden, daß der Konkursverwalter auf Weiterlieferung mit Gas, Strom und Wasser besteht. Würde man in diesen Verträgen Sukzessivlieferungen, also einheitliche Kaufverträge erblicken, könnten die Energiebetriebe nach §§ 17, 59 Ziff. 1 KO die Rückstände als Masseschuld beitreiben und dadurch ihre volle Forderung erhalten. Die Gründe, die Lorenz I § 2 VI, Esser2 § 20, 3 und Medicus I, § 2 II 1 d gegen das Wiederkehrschuldverhältnis vorbringen, überzeugen in den Fällen nicht, wo der Konkursverwalter, z. B. weil er sich wegen der Grenzen des grundsätzlich gegen Monopoluntemehmen bestehenden Kontrahierungszwangs des Anspruchs auf Weiterbelieferung nicht sicher ist, den Rahmenvertrag nicht kündigen will. Da diese Fälle nicht selten sind und die Überlegungen des Konkursverwalters auf das Ergebnis zu § 17 KO keinen Einfluß haben sollten, ist die Auffassung von Lorenz, Esser und Medicus abzulehnen. Der jeweilige § 32 der AVBEltV, AVBGasV, AVBFernwärmeV und AVBWWasserV, wo vom Fortbestand des Belieferungsverhältnisses die Rede ist, bezieht sich auf den Rahmenvertrag und bildet kein Argument gegen die auf ihm beruhenden Wiederkehrschuldverhältnisse. - Andere Wiederkehrschuldverhältnisse sind z. B. Verlagsverträge über Unterhaltungsheftchen, die ein fruchtbarer Autor aufgrund eines Rahmenvertrags an jedem Monatsersten im Manuskript beim Verlag abliefert, und die praktisch
5
6
So Medicus, BürgR, Rdn. 153; Lorenz I § 2 VI; Enn./Lehmann, § 4 II 4; RG 150, 199; BGH LM Nr. 1 zu § 242 (Bc); BGH WM 72, 628; 76, 508; ebenso die Reformvorschläge: Horn, Gutachten, I, 551; dazu aber Diederichsen, AcP 182, 100 (106). RGZ 148, 326 (330); OLG Köln NJW 1981, 1105; st. Rspr. 39
§9
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
1
wichtigen Erzeuger-Anlieferungen in der Landwirtschaft, vgl. BGH. v. 2. 4. 64, Zeitschr. f. d. ges. Genossenschaftswesen 66, 178 (Anm. Fikentscher/Hoffmann). e) Das AGBG von 1976 (in Kraft seit 1. 4. 1977) hat den Ausdruck „Dauerschuldverhältnis" erstmalig in die Gesetzessprache übernommen, leider aber in uneinheitlicher Bedeutung. In §§ 10 Nr. 3 und 11 Nr. 1 schließt der Begriff „Dauerschuldverhältnis" die Raten- und Wiederkehrschuldverhältnisse ein, in § 11 Nr. 12, auf den § 23 II 6 verweist, hingegen nicht, so die h. M. unter Berufung auf den jeweiligen Normzweck. Erfreulich ist das nicht. Eine Klarstellung ist wünschenswert. f) Von den beschriebenen Ratenlieferungs-, Dauer- und Wiederkehrschuldverhältnissen ist schließlich noch der Fall zu unterscheiden, daß eine Mehrzahl gleichartiger Verträge Uber eine sachlich zusammenhängende Leistung geschlossen wird. Dann gilt für jeden Vertrag eine eigene Beurteilung, wobei §§ 139, 158 ff oder auch § 242 einen Zusammenhang herstellen können.
§9 Die wirtschaftliche Bedeutung der Schuldverhältnisse 38
1. Dem Schuldrecht kommt von allen fünf Büchern des BGB die relativ größte wirtschaftliche Bedeutung zu. Freilich ist es das Zusammenwirken aller bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen und darüber hinaus anderer Bereiche, im besonderen des Handelsund Wirtschaftsrechts, das letzten Endes einen geregelten Ablauf des Wirtschaftslebens sicherstellt. Aber das Schuldrecht mit seinen allgemeinen Regeln und besonderen Rechtsverhältnissen bildet den Schwerpunkt der wirtschaftlich erheblichen Rechtsbestimmungen. Auf die nachstehend genannten wirtschaftlichen Bereiche erstreckt sich das Recht der Schuldverhältnisse im besonderen: a) Vorbereitung und Begründung sachenrechtlicher Verfügungen Wer ein Pfund Äpfel auf dem Markt kauft, wird dadurch Eigentümer der Äpfel, daß ihm soviel Äpfel (einzeln) übereignet werden, wie das Pfund Äpfel enthält, 929. Der Verkäufer wird umgekehrt nach § 929 Eigentümer der Geldscheine und Münzen, die zur Bezahlung aufgewendet werden. Jedesmal handelt es sich um sachenrechtliche Vorgänge, nämlich um Verfügungen über das Eigentum an beweglichen Sachen. Der Kaufvertrag bereitet die Verfügungen schuldrechtlich vor, indem er die Pflichten dazu begründet. Dadurch rechtfertigt er die Verfügungen (8121 1). b)
Gebrauchsüberlassungsverträge Wirtschaftlich wichtig sind die Gebrauchsüberlassungen für das Zur-Miete-Wohnen, für die Auto- und Büchervermietung, für kurzfristige Überlassung von Sachen aller Art (Leihe), für das Kreditwesen (Darlehen, Sicherungsübereignung) und für die Landwirtschaft und Gewerbetreibende (Pacht). c)
Dienstleistungen Da die Mehrzahl der Rechtsgenossen Lohn- oder Gehaltsempfänger ist, und auch die anderen ihren Lebensunterhalt meist durch Arbeit für andere verdienen, liegt die Bedeutung dieser Schuldverhältnisse auf der Hand. Als Sonderrecht hierzu hat sich das Arbeitsrecht entwickelt.
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Arten der Schuldverhältnisse: Gegenseitiger Vertrag
§10 I
d)
Rechtsgemeinschaften
Als vierter Bereich sind Gesellschaft und Gemeinschaft zu nennen, von denen vor allem die Gesellschaft für das Wirtschaftsleben unentbehrlich ist. Der weitaus überwiegende Teil des Wirtschaftsvermögens ist Eigentum von Gesellschaften, nicht von Einzelpersonen. Auch hier besteht ergänzend ein besonderes Rechtsgebiet, das Gesellschaftsrecht. e) Bank-, Effekten-, Börsen- und
Versicherungswesen
Hierher zählen Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis, das Differenzgeschäft (Spiel), Bürgschaft, Anweisung und Inhaberschuldverschreibung. Als Sondergebiet ist hier das Wertpapierrecht zu erwähnen. f) Ungerechtfertigte Bereicherung. GoA. Unerlaubte Handlungen (= Delikte) Daneben zu nennen sind noch drei wichtige Lebensbereiche, wo Schuldverhältnisse nicht rechtsgeschäftlich, sondern nur kraft Gesetzes und ohne einen darauf gerichteten Willen der Beteiligten entstehen. Der eine Fall ist die ungerechtfertigte Bereicherung, eine Gruppe von Ansprüchen, die bei unbegründeten Güterverschiebungen eingreifen. Auch die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) dient dem Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverschiebung. Sie ist ihrem Wesen nach ein subjektiviertes Bereicherungsrecht. Der dritte Bereich gesetzlicher Schuldverhältnisse sind die unerlaubten Handlungen. Es handelt sich um Ansprüche, die schuldhaftes oder aus einer Gefährdung herrührendes Unrecht wiedergutmachen sollen.
2. Unterabschnitt: Arten der Schuldverhältnisse
§ 10 Arten der Schuldverhältnisse: Beteiligung am Schuldverhältnis. Gegenseitiger Vertrag (Überblick) Adler, Leistungsverweigerung nach § 3 2 0 , FS Zitelmann, 1913, 1; Blomeyer, Arwed, Studien zur Bedingungslehre, Bd. I, 1938, 104; Brox, Die Einrede des nichterfüllten Vertrages beim Kauf, 1948; Bruns, AcP 178, 34; Bydlinski, FS A. Steinwenter, 1958, 140; van den Daele, Probleme des gegenseitigen Vertrages, 1968; Dubischar, FS L. Raiser, 1974, 99; Gernhuber, FS Larenz 1973, 455; ders., FS L. Raiser, 1974, 57; Hager, in: Zum Deutschen und Internationalen Schuldrecht, 1983, 26; Jung, IherJb. 69, 61; Kast, Die Einrede des nichterfüllten Vertrages, Diss. Heidelberg 1973; Klink, Eine Sphärentheorie für Ausgleichsmodi im Synallagma, Diss. Tübingen 1982; Klinke, Causa und genetisches Synallagma, 1983; Luig, FS Coing, 1982, 171; Müllereisert, Vertragslehre, 1947; Oertmann, Entgeltliche Geschäfte, 1912; Oesterle, Die Leistung Zug um Zug, 1980; Pfister, JZ 71, 284; Rittner, FS Heinr. Lange, 1970, 213; Schmidt-Rimpler, Die Gegenseitigkeit bei einseitig bedingten Verträgen, 1968; Stephan, Haupt- und Nebenleistung, Diss. Göttingen 1975; Teubner, Gegenseitige Vertragsuntreue, 1975.
I. Verschiedene Einteilungsgesichtspunkte Man teilt die Schuldverhältnisse nach verschiedenen Gesichtspunkten ein: Nach der 3 9 Art der Beteiligung daran (u. II), nach Maßgabe der Typenlehre (u. § 11), nach Art der zu 41
§10
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
II 3 ihrer Entstehung führenden Erklärungen (u. § 12) und nach dem Grad ihrer Abstraktion von einem wirtschaftlichen Grund ihres Bestehens (u. § 13). Zur Einteilung der Schuldverhältnisse nach Art der geschuldeten Leistung siehe oben § 8.
II. Die Beteiligung am Schuldverhältnis. Gegenseitiger Vertrag 40
Die nachfolgenden Einteilungen betrachten die Art der Beteiligung von Schuldner und Gläubiger an Begründung und Pflichtenverteilung der Schuldverhältnisse. Es handelt sich um die am häufigsten verwendeten Einteilungsweisen. Wird im Gutachten nach Ansprüchen gefragt, kann man nach Maßgabe dieser Einteilungen vorgehen, um nichts zu übersehen. Die Einteilungen 1. und 2. betreffen die Art der Entstehung, die Einteilungen 3. und 4. das Pflichtenverhältnis, die Einteilung 5. bezieht sich auf den Vertragszweck von Schuldverhältnissen.
1. Man unterscheidet Schuldverhältnisse aus Gesetz und aus Rechtsgeschäft. Aus Gesetz, d. h. ohne rechtsgeschäftlichen Willen der Beteiligten, entstehen Schuldverhältnisse aus Geschäftsführung ohne Auftrag (677 ff), ungerechtfertigter Bereicherung (812 ff) und unerlaubter Handlung (823 ff). Alle übrigen Schuldverhältnisse setzen Rechtsgeschäfte voraus. Siehe dazu im einzelnen unten § 17 (Begründung von Schuldverhältnissen). Praktisch bedeutsam ist daneben das gesetzliche Leistungsverhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer (985 ff), zwischen wahrem Erben und Erbschaftsbesitzer (2018 ff) und aufgrund von familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen (1601 ff). Die soeben genannten sechs Gruppen sind die wichtigsten „Ansprüche aus Gesetz".
2. Bei den Schuldverhältnissen aus Rechtsgeschäft unterscheidet man einseitig und zwei- oder mehrseitig begründete. Sinn dieser Unterscheidung ist es, festzustellen, ob nur ein Beteiligter (nämlich der Schuldner) eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgibt oder ob auch der Gläubiger mitwirkt. Einseitig begründet ist nur das Schuldverhältnis der Auslobung (657 ff). Alle übrigen Schuldverhältnisse sind zwei- oder mehrseitig begründet. Das gilt nach der herrschenden (durch Rechtsscheingrundsätze modifizierten) Vertragstheorie auch für die Inhaberschuldverschreibung (793) und die anderen skripturrechtlichen Wertpapiere. Die sogenannte Kreationstheorie vertritt hier den Standpunkt der einseitigen Begründung. Andere nicht im Schuldrecht geregelte, einseitig begründete rechtsgeschäftliche Verhältnisse im BGB sind z. B. das Stiftungsgeschäft (83 I) und das Vermächtnis (2174).
3. Der Vertrag ist ein zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft. Zwei- oder mehrseitig begründete Schuldverhältnisse heißen schuldrechtliche Verträge. Es gibt auch sachen-, familien-, erbrechtliche Verträge, ferner öffentlich-rechtliche Verträge. Die schuldrechtlichen Verträge teilt man ein in einseitig und zwei- oder mehrseitig verpflichtende Verträge (contractus unilaterales; bi-, multilaterales). Die einseitig verpflichtenden Verträge haben nur einen Anspruch, d. h. also einen Schuldner und einen Gläubiger. Bei den zwei- oder mehrseitigen Verträgen ist jeder des anderen Schuldner und Gläubiger. Von den typischen Verträ42
Arten der Schuldverhältnisse: Gegenseitiger Vertrag
§10 II 4
gen (dazu unten §§11 und 65) ist einseitig verpflichtend nur das Schenkungsversprechen (518). Alle übrigen schuldrechtlichen Vertragstypen sind zweioder mehrseitig verpflichtend (z. B. Auftrag, Leihe, Kauf, Miete). Es ist also darauf zu achten, ob sich die Ein- oder Mehrseitigkeit auf die bezieht (oben 2.) oder auf die Verpflichtung (oben 3.).
Begründung
4. Bei den zwei- oder mehrseitig verpflichtenden Verträgen ist die Einteilung 41 in die gewöhnlichen zwei- oder mehrseitig verpflichtenden und in die gegenseitigen Verträge besonders wichtig. Man nennt die gewöhnlichen zwei- oder mehrseitigen verpflichtenden Verträge auch die „unvollkommen zwei- oder mehrseitigen" (contractus bilaterales iniquales), z. B. Auftrag, Leihe. Die gegenseitigen Verträge heißen auch synallagmatische Verträge (contractus bilaterales aequales), z. B. Kauf, Miete. Gewöhnlichen zwei- oder mehrseitig verpflichtenden und gegenseitigen Verträgen ist gemeinsam, daß die Beteiligten einander im Schuldverhältnis gleichzeitig oder in zeitlicher Abfolge als Schuldner und Gläubiger gegenübertreten. Der Unterschied zwischen beiden Vertragsarten liegt in dem (zum Inhalt eines Rechtsgeschäfts erhobenen) Motivationsverhältnis, in dem die wechselseitige Verpflichtung und Berechtigung steht. Bei gewöhnlichen zwei- oder mehrseitig verpflichtenden Verträgen ergibt sich die wechselseitige Schuldner- und Gläubigerstellung als Folgeerscheinung im Ablauf des Schuldverhältnisses. So schuldet beim Auftrag zunächst der Beauftragte nach § 662 die unentgeltliche, ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags, dann aber ist ihm der Auftraggeber nach § 670 zum Ersatz von Aufwendungen verpflichtet, die der Beauftragte für erforderlich halten durfte. Bei der Leihe folgt auf die Gebrauchsgestattung durch den Verleiher die Rückgabepflicht des Entleihers, 598, 604.
In gegenseitigen Verträgen ist das Verhältnis der wechselseitigen Verpflichtung und Berechtigung nach dem Willen der Parteien von vornherein wesentlich enger. Hier wird die Verpflichtung zur Leistung nur deshalb eingegangen, weil sich der Gegner zur einer Gegenleistung verpflichtet. Die eine Pflicht besteht um der Gegenpflicht willen (sog. Synallagma). Beim Kauf wird die Lieferung der Ware nur deshalb zugesagt, weil ein Preis als Gegenleistung versprochen wird. Die Wohnung wird beim Mietvertrag nur darum vermietet, weil sich der Mieter zur Zahlung des Mietzinses verpflichtet. Das verzinsliche Darlehen wird um der Zinsen willen gewährt, und der Darlehensnehmer ist bereit, die Zinsen zu zahlen, weil ihm die Darlehenssumme (Valuta) zur Verfügung gestellt wird. Die Geschäftsbesorgung (§ 675) erfolgt „für Geld". - Nur für Pflichten, die in diesem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, gelten die §§ 320ff über gegenseitige Verträge (dazu unten § 44).1 Diese Vorschriften ziehen die rechtlichen Folgerungen aus dem „do ut des" der gegenseitigen Verträge. 1
Die §§ 320 ff gelten also nicht für Pflichten, die zwar bei der Durchführung gegenseitiger Verträge vorkommen, dem Gegenseitigkeitsverhältnis aber nicht unterliegen: So die Rückgabepflicht aus Miete (§ 556); die Rückzahlungspflicht beim verzinslichen Darlehen (§ 607) u. dergl. 43
§10
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
II 4
Gegenseitige Verträge weisen hinsichtlich ihrer Entstehung keine Besonderheit gegenüber anderen Verträgen auf: Auch sie setzen die Annahme eines noch wirksamen Angebots voraus, 145 ff (genetische Abhängigkeit der Verpflichtungserklärungen, genetisches Synallagma). Gegenseitige Verträge zeigen aber in ihrem Bestände sehr wesentliche Besonderheiten gegenüber anderen Verträgen. Das ist leicht einzusehen, wenn man sich als ihr Wesen vergegenwärtigt, daß bei ihnen eine Verpflichtung um einer Gegenverpflichtung willen eingegangen worden ist. Die Nicht- oder Schlechterfüllung der einen Pflicht muß sich notwendig auf die Gegenpflicht rechtlich auswirken, wenn man Rücksicht auf die Parteivorstellungen bei Vertragsschluß nimmt {funktionelle Abhängigkeit der Verpflichtungserklärungen im gegenseitigen Vertrag, funktionelles Synallagma).2 42 a) Einrede des nichterfüllten Vertrags, 3201 Man kann seine Leistung so lange zurückhalten, bis der Vertragspartner sie bewirkt. Man braucht also nur Zug um Zug zu leisten und braucht dem Partner keinen Kredit zu geben. Das Gesetz erwartet von keiner Vertragspartei eine Vorleistung. Kreditgebung wird niemandem zugemutet. Wer vorleistet, tut dies auf eigenes Risiko. Eine Einschränkung bei teilweiser Anleistung eines wesentlichen Teils enthält § 320 II. b) Verurteilung zur Leistung Zug-um-Zug, 322 I Wenn nun keiner als erster mit der Leistung herausrücken will, muß geklagt werden. In Fortsetzung des Zug-um-Zug-Gedankens des § 320 sagt § 322 I, daß im gegenseitigen Vertrag auch die Verurteilung zur Leistung nur Zug um Zug gegen Gewährung der Gegenleistung erfolgt. Schickt der Käufer dem Verkäufer den Gerichtsvollzieher ins Haus, so muß er diesem den Kaufpreis mitgeben. Sonst wird der Gerichtsvollzieher nicht tätig, 726 II, 756 ZPO. Statt dem Gerichtsvollzieher die Gegenleistung mitzugeben, kann man, wenn die Voraussetzungen dazu vorliegen, auch im Leistungsurteil den Annahmeverzug des Schuldners der Leistung und Gläubigers der Gegenleistung feststellen lassen, 298. § 274 II gilt entsprechend (arg. § 320 I 3; vgl. auch § 322 III). Dieser Weg erleichtert dem Gläubiger die Rechtsverfolgung. Das Urteil ist eine öffentliche Urkunde, 756, 415 ZPO. Ist eine Ausfertigung des Urteils zugestellt, kann der Gerichtsvollzieher mit der Vollstreckung beginnen. § 322 II gehört zur Lehre des Gläubigerverzugs, unten § 46. - Zug-um-Zug-Urteile müssen genau gefaßt sein, sonst sind sie fehlerhaft, BGHZ 45, 287. Zum Verhältnis zwischen § 320 und §§ 273, 274 unten § 48 I 4.
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Dazu v. d. Daele, 24; MünchKomm/Emmerich, vor § 320 Rdn. 13 ff. Diese Besonderheiten der gegenseitigen Verträge sind geregelt in §§ 320-327. Da es sich um Tatbestände der Nicht- oder Schlechterfüllung einer Vertragspflicht handelt, gehört die Behandlung dieses Stoffes überwiegend zu den Leistungsstörungen, unten §§ 43—48. Hier soll nur eine Übersicht gegeben werden.
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Fortsetzung: Typische und atypische Schuldverhältnisse
§11
c) Einrede der Vermögensverschlechterung, 321 Als seltener Einzelfall der sonst im Gesetz nicht allgemein enthaltenen clausula rebus sie stantibus (Einrede der veränderten Umstände) schreibt § 321 vor, daß sich der eine Teil, wenn er aufgrund besonderer Abrede vorleistungspflichtig ist, durch die Einrede der Vermögensverschlechterung, die beim anderen Teil eingetreten ist, nachträglich von seiner Vorleistungspflicht befreien kann. (Andere Fälle der clausula rebus sie stantibus: § 610, 779). 3
d) §§ 320—326für synallagmatische Haupt- und Nebenpflichten Hervorzuheben ist, daß die Besonderheiten der §§ 320-326 für Haupt- und Nebenpflichten aus gegenseitigen Verträgen gelten, wenn nichts anderes vereinbart ist. Nebenpflichten stehen also nicht denknotwendig außerhalb des Synallagmas. Oft werden allerdings Nebenpflichten nach dem Willen der Parteien nicht in das Synallagma einbezogen sein. Ist die Nebenpflicht synallagmatisch, kann ihretwegen die Einrede nach § 320 erhoben werden; wird nur die Nebenpflicht nicht erfüllt, gilt § 320 II. Ist die Erfüllung der Nebenpflicht durch Verschulden des Schuldners unmöglich geworden, gilt, falls sie synallagmatisch ist, § 325, sonst § 280. Das gleiche gilt für den Verzug des Schuldners: 326, sonst 284 ff (anders 1. Aufl.; wie hier Larenz I § 23 II, mit abw. Terminologie, dazu oben § 8, 3). Ein Beispiel für eine synallagmatische Nebenpflicht ist die Pflicht zur Bereitstellung einer Gebrauchsanweisung beim Kauf einer Spezialmaschine (vgl. auch unten § 66 VII 4). 5. Man kann die gegenseitigen Verträge weiter einteilen in Austausch- und Gesellschaftsverträge. Durch Austauschverträge (Kauf, Miete, Versprechen eines verzinslichen Darlehens u. a.) verfolgen die Parteien wirtschaftlich entgegengesetzte Zwecke (z. B. Bedarfsdeckung, Versilberung). In Gesellschaftsverträgen verbindet die Beteiligten ein gemeinsamer wirtschaftlicher Zweck, der Gesellschaftszweck (affectio societatis), 705 ff; 105 ff HGB; dazu im einzelnen unten § 881. Die Anwendbarkeit der §§ 320 ff auf Gesellschaftsverträge ist sehr streitig, unten § 88 IX.
§ 11
Fortsetzung: Typische und atypische Schuldverhältnisse Charmatz, Zur Geschichte und Konstruktion der Vertragstypen im Schuldrecht mit besonderer Berücksichtigung der gemischten Verträge, Brünn 1937; Hoeniger, Die gemischten Verträge in ihren Grundformen 1910; Jung, IherJb. 69, 61; Kramer, E.A., Hrsg., Neue Vertragsformen der Wirtschaft; Leasing, Factoring, Franchising, 1985 (mit reicher Lit.); Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971; Schluep, IV., Innominatverträge, Schweizerisches Privatrecht VII/2, 1979, 764 ff; Schreiber, IherJb. 60, 106; Wolff, Ernst, FS Hans Lewald, 1953, 633; s. a. § 65 unten. 3
Abweichend sieht ein Teil der Lehre den Rechtsgrund der §§ 321, 610 in einem erhöhten Vertrauensschutz. 45
§11 3
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Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
1. Typisch werden Schuldverhältnisse genannt, die im Gesetz besonders geregelt sind, z. B. Kauf, Miete, Dienstvertrag, Verwahrung, Auslobung, unerlaubte Handlungen. Man spricht, wenn es sich dabei um Verträge handelt, von „Vertragstypen". Die meisten sind im 7. Abschnitt des 2. Buches des Bürgerlichen Gesetzbuches enthalten; einige gehören dem Allgemeinen Schuldrecht an (z. B. Schuldübernahme, 414 f; Vertragsstrafe, 339). Außerhalb des BGB finden sich Vertragstypen vor allem bei den arbeitsrechtlichen Vorschriften des HGB und der GewO. Ein wichtiger, außerhalb des BGB, nämlich im VVG geregelter typischer Vertrag ist der Versicherungsvertrag (näher u. § 92 III). Die Auswahl der typischen Schuldverhältnisse obliegt dem Gesetzgeber. Die Tradition spielt dabei die Hauptrolle, vor allem die des römischen und gemeinen deutschen Rechts, z. B. bei Kauf, Miete, Dienstvertrag, Werkvertrag, ungerechtfertiger Bereicherung. Andere Schuldverhältnisse, wie z. B. die Inhaberschuldverschreibung, haben keine römisch-rechtliche Wurzel. - „Atypisch" ist ein Vertrag also wegen fehlender gesetzlicher Ausformung. 2. Bei den gesetzlichen Schuldverhältnissen gibt es nur die typischen: Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertigte Bereicherung, unerlaubte Handlungen. Eine Ausdehnung ihrer Zahl kraft Parteivereinbarung ist begrifflich ausgeschlossen. Es besteht ein numerus clausus der gesetzlichen Schuldverhältnisse wie bei den Sachenrechten. Entsprechendes gilt für einseitig begründete Schuldverhältnisse (Auslobung), vgl. 305.
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3. Verträge können atypisch sein: Den Parteien steht es frei, neue Vertragsarten- und -inhalte zu erfinden. Das folgt aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, 305; Art. 2 I GG. Häufiger vorkommende atypische Verträge sind: a) Der Garantievertrag. Durch ihn verspricht eine Partei der anderen, für einen bestimmten Erfolg unbedingt einstehen zu wollen. Näher unten § 92 II; ESJ 3. b) Die Sicherungsabrede (Sicherungsvertrag). Sie ist die schuldrechtliche Grundlage für die Überlassung von Sicherheiten (wie Wechsel, Sicherungshalber zedierte Forderungen, Sicherungseigentum, Grundpfandrechte, insb. Grundschulden). Dazu unten § 92 IV, und, zur Sicherungszession, § 57 IV. c) Die Sicherungstreuhand. Sie ist mit der Sicherungsabrede verwandt und dadurch gekennzeichnet, daß ein Treuhandverhältnis hinzutritt, dazu unten § 92 V. Die Verwaltungstreuhand zählt zu § 675, unten § 82, 2. d) Die kumulative Schuldübernahme (Schuldmitübernahme, Schuldbeitritt). Das Gesetz regelt in §§414 ff die privative Schuldübernahme, durch die an die Stelle eines Schuldners ein anderer tritt, ohne daß der alte Schuldner weiterhaftet. Bei der kumulativen Schuldübernahme tritt dagegen ein neuer Schuldner neben den alten Schuldner, der weiter zur Leistung verpflichtet bleibt. Dazu unten § 59 I 2 a; ESJ 62. e) Der Trödelvertrag. Jemand verspricht die Bemühung (ohne Einstehen für Erfolg), eine Sache im eigenen Namen für Rechnung eines Auftraggebers zu einem Mindestpreis zu verkaufen mit der Maßgabe, daß, wenn der Verkauf gelingt, ein etwaiger Mehrerlös nicht an Auftraggeber abgeführt zu werden braucht. Mißlingt die Bemühung, darf die Sache an den Auftraggeber zurückgegeben werden. Zum verwandten Kommissionsgeschäft s. §§ 383 ff HGB. 46
Fortsetzung: Typische und atypische Schuldverhältnisse
§ 11 5
f) Der Leasing-Vertrag. Zu dieser Sonderentwicklung bei den Gebrauchsüberlassungen s. u. Rdn. 8 2 9 - 8 4 0 . g) Der Factoring-Vertrag. Er dient u. a. der Erleichterung des Forderungseinzugs, s. u. § 5 7 V. h) Der Franchising-Vertrag im Warenvertrieb; hierzu z. B. Forkel, ZHR 153 (1989) 511; Martinek, Moderne Vertragstypen II: Franchising, 1992; Fikentscher, Wirtschaftsrecht I (1983) 276, 625; II (1983) 308. Es handelt sich um einen aus verschiedenen Elementen (Dauerbelieferung, Schutzrechtsüberlassung, Geschäftsbesorgung usw.) bestehenden Vertrag des Wirtschaftsrechts, BGHZ 128, 156.
4. Atypisch sind alle Vertragsverbindungen und gemischten Verträge, wie z. B. Beherbergungs-, Schiffsreise- und Internatsvertrag, Vorführungsverträge (Kino, Theater, Kabarrett). Bei ihnen werden aufgrund von Parteivereinbarungen mehrere Vertragstypen in lockerer oder fester Form zu neuen atypischen Verträgen zusammengefügt. Der Vertrag mit einer Schiffsagentur über eine Mittelmeer-Ferienreise mit voller Verpflegung enthält z. B. Elemente des Beförderungs-(Werk-), Dienst-, Miet- und Kaufrechts. Näher dazu unten § 65. Der Reiseveranstaltungsvertrag ist 1979 durch Einfügung der §§651 a-k „typisiert" worden, s. u. § 80 IV. 5. Reformvorschläge. Die gesetzliche Normierung einer Reihe von atypischen Schuldverträgen, für die sich in der Praxis besondere Regeln durchgesetzt haben, ist Gegenstand zahlreicher Überlegungen im Hinblick auf die geplante Überarbeitung des Schuldrechts1. Zur Diskussion stehen vor allem folgende Vertragstypen: Heimvertrag 2 , medizinischer Behandlungsvertrag 3 , entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag 4 , Giroverhältnis5, Bankvertrag 6 und Energieversorgungsvertrag.7 Dennoch ist in diesem Punkt Vorsicht geboten, da die Gefahr einer Überlastung des Gesetzestextes besteht. Das BGB würde dadurch an Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit (beides grundsätzliche Vorteile eines Kodex) verlieren. Das Beispiel der mißlungenen Regelung des Reisevertragsrechts (dazu u. § 80 IV) sollte als Warnung gelten.8
1
2 1 4 5 6 7 8
Vgl. hierzu Schmude, Gutachten, I, Vf.; Schwark, JZ 81, 741, 746 ff; Wolf, A„ AcP 182, 80, 94 ff und ausführlicher unten § 116. Vgl. Igl, Gutachten, I, 951 ff. Vgl. Deutsch/Geiger, Gutachten, II, 1049 ff; Schwark, JZ 81, 747. Vgl. Musielak, Gutachten, II, 1209 ff. Vgl. Häuser, Gutachten, II, 1317 ff. Vgl. Schwark, JZ 81, 747. Vgl. Schwark, ebenda. Zur Kodifikation in der heutigen Zeit u. a. Kindermann, Rth. 79, 357, 365 ff. 47
§ 13 2
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses §12
Fortsetzung: Konsensual- und Realverträge 45
Boehmer, AschBürgR 38, 314; Haase, JR 75, 317; Kaiser, Das Römische Privatrecht I, 2. Aufl. 1971, §§ 124-127; Schmidt, K, JuS 76, 709. 1. Verträge kommen nach heutiger Auffassung allein durch die Willenseinigung der Vertragsparteien zustande: Angebot und Annahme begründen den Vertrag, 145 ff (Konsensualprinzip). Wo keine besondere Form vorgeschrieben ist (anders z. B. § 313) genügt formloser, d. h. mündlicher Vertragsschluß. Alle Verträge sind daher Konsensualverträge. 2. In nur scheinbarem Widerspruch dazu steht die Formulierung von § 516 (Realschenkung), § 607 (Darlehen) und § 688 (Verwahrung). Dort wird scheinbar zur Wirksamkeit des Vertrags selbst die bereichernde Zuwendung, die Auszahlung der Darlehensvaluta bzw. die Übergabe der zu verwahrenden Sache, also jeweils eine reale Handlung verlangt. Bei Realschenkung, Darlehen und Verwahrung steht das BGB historisch sicherlich auf dem Standpunkt des Realvertrags, ohne daß das jedoch die moderne Auslegung bindet, MünchKomm/Söllner, § 305 Rdn. 14; Palandt/Heinrichs, Einf. vor § 305 Anm. 4 e; Schmidt, K, anders noch BGH NJW 75, 443. Im folgenden wird daher unter Realvertrag ein Konsensualvertrag verstanden, bei dem die für den Vertragsschluß erforderliche Willenserklärung mindestens einer Partei typischerweise (aber nicht notwendig) durch eine Handlung schlüssig erklärt wird. Unberührt bleibt das Formproblem bei der Schenkung, wo die tatsächliche Zuwendung die Beurkundung ersetzt (und umgekehrt).
§ 13 Fortsetzung: Kausale und abstrakte Schuldverhältnisse Cohn, AcP 135, 67; Jahr, SZRA 80, 141; Kiefner, Ranieri, Luig und Müller-Freienfels in Coing/Wilhelm, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. II, 1977; Klinke, Causa und genetisches Synallagma, 1982; Kühler, Feststellung und Garantie, 1967; Mayer-Maly, FS Wilburg, 1975, 243; Rother, AcP 169, 1; Söllner, SZRA 77, 182; v. Tuhr, FS Schultze, 1903, 25; Westermann, H. P., Die causa im französischen und deutschen Zivilrecht, 1967.
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1. „Abstrakt" besagt im Recht - in allgemeiner Bedeutung daß ein Rechtsgeschäft von der Wirksamkeit eines andern nicht abhängt, so daß Einwendungen aus dem einen keine Konsequenzen für das andere haben. Der Gegensatz „kausal-abstrakt" wird im Zivilrecht in verschiedenen Zusammenhängen verwendet, die miteinander wenig zu tun haben. Zweckmäßig fragt man stets: Abstrakt wovon? 2. So ist die Vollmacht gemäß § 164 abstrakt vom Innenverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigten, das in einem Auftrag, einem Dienstvertrag, einer Geschäftsbesorgung u. a. bestehen kann. (Eine Durchbrechung dieser Abstraktion findet sich aber in § 168 S. 1, eine weitere in § 714.) Die Übereignung (925, 929) ist abstrakt vom zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft, z. B. von einem Kauf oder einer Schenkung. 48
Fortsetzung: Kausale und abstrakte Schuldverhältnisse
§ 13 5
In diesen Fällen bedeutet die Abstraktion vor allem, daß Mängel des zugrunde liegenden Kausalgeschäfts das abstrakte Geschäft grundsätzlich nicht beeinflussen. Der Abstraktionsgrundsatz ist in diesen Fällen vorwiegend rechtstechnischer Art.
3. Eine andere Zielrichtung hat der Abstraktionsgrundsatz bei sog. abstrakten Schuldverträgen. Das Gesetz kennt nur wenige: Schuldversprechen, 780; Schuldanerkenntnis, 781; Anweisung im Leistungs-, nicht aber im Deckungs- und Valutaverhältnis, 783 f, 787, 788-790; Inhaberschuldverschreibung, 793 f; abstrakt sind auch Wechsel und Scheck, ferner alle schuldrechtlichen Verfügungen, wie z. B. Erlaß, Forderungsabtretung, Aufrechnung, Schuldumschaffung (Novation). Alle übrigen Schuldverträge sind kausal. Im Vordergrund steht hier das Interesse der Parteien (vor allem des Gläubigers), die Begründung oder Beendigung einer Forderung unabhängig zu machen von schuldnerischen Einwendungen aus vorangegangenen Geschäften. Der Darlehensgläubiger, der sich zur Sicherung seines Anspruchs aus § 607 zusätzlich noch ein abstraktes Schuldanerkenntnis, eine Anweisung oder einen Wechsel geben läßt, will verhindern, daß der Schuldner Mängel des Darlehensvertrags (z. B. einen Dissens) einem Dritten entgegenhält, an den der Gläubiger etwa den Wechsel weiter überträgt: Eine abstrakte Forderung ist leichter übertragbar, weil der neue Gläubiger nicht mit Einwendungen aus dem Grundverhältnis zu rechnen braucht („Umlaufsfähigkeit"). Hinzu kommt, auch für den Erstgläubiger, eine günstige Umkehr der Beweislast. Abstrakte Forderungen sind einwendungsärmer als kausale, sie sind daher für den Gläubiger sicherer und für Abtretungen, d. h. für den allgemeinen Rechtsverkehr geeigneter. Hieran kann auch der kreditsuchende Schuldner ein Interesse haben (Wechsel!). Abstraktion im Sinne abstrakter Schuldverträge bedeutet also auch Befreiung von Einwendungen aus Mängeln zugrunde liegender Geschäfte, aber nicht in erster Linie aus rechtstechnischen Gründen, sondern aus Gründen der Verwertbarkeit von Forderungen. 4. Abstrakt und kausal sind relative Begriffe. So kann eine Darlehensforderung aus § 607 den Rechtsgrund für ein abstraktes Schuldanerkenntnis bilden. Wird bezahlt, dann ist das Schuldanerkenntnis der Rechtsgrund für die abstrakte Übereignung des Geldes. Hier wirkt ein abstraktes Geschäft als causa für ein weiteres abstraktes Geschäft. - „Abstrakt" Erhaltenes kann Gegenstand eines Bereicherungsanspruchs sein, 812 ff. War also das Darlehen unwirksam, ist das abstrakte Schuldanerkenntnis „kondizierbar", 812 II. Ist es kondiziert, kann das Geld als ungerechtfertigte Bereicherung zurückverlangt werden, 812 1 2 ( 1 ) , 818 II.
5. Eine Leistung kann als ungerechtfertigte Bereicherung zurückverlangt 47 („kondiziert") werden, wenn sie ohne Rechtsgrund (causa) erfolgte, 812 ff (unten § 97 ff). Rechtsgrund können vertragliche oder gesetzliche Schuldverhältnisse sein, z. B. ein Kaufvertrag (433) für die Übereignung der Ware und auch des Geldes (929), eine Schadensersatzschuld aus § 823 für die Überweisung des als Ersatz geschuldeten Betrags (364 I). Rechtsgrund kann aber auch die vertraglose Verabredung einer causa (Kausalabrede) sein, z. B. die Einigung 49
§ 14 2
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuld Verhältnisses
ü b e r eine Erbeinsetzung, B G H Z 44, 321. B i n d u n g e n k o m m e n d u r c h solche K a u s a l a b r e d e n nicht zustande, t r o t z d e m liefern sie R e c h t s g r ü n d e . A u c h die H a n d s c h e n k u n g (516) gehört im G r u n d e hierher, e b e n s o das a b g e s t i m m t e Verhalten i. S. v. § 25 I G W B u n d Art. 85 I E W G V . D a g e g e n ist nicht schon j e d e E i n i g u n g c a u s a ( M a y e r - M a l y , F S Nipperdey B d . I, 1965, 509). Sich-Vertragen bedeutet, e n t g e g e n d e m Wortsinn, n o c h keinen ( b i n d e n d e n ) Vertrag und n o c h k e i n e Kausalabrede. E s m u ß die E i n i g u n g auf einen L e i s t u n g s g r u n d vorliegen, d a m i t ein R e c h t s g r u n d i m S i n n e des B e r e i c h e r u n g s r e c h t s g e g e b e n ist.
3. U n t e r a b s c h n i t t : A b g r e n z u n g e n
§ 14 Verpflichtung und Verfügung Battes, AcP 178, 337; Doris, Die rechtsgeschäftliche Ermächtigung bei Vornahme von Verfügungs-, Verpflichtungs- und Erwerbsgeschäften, 1974; Dreyfus, Die Verfügung im BGB, 1911; Kegel, FS Mann, 1977, 57 ff; v. Tuhr, AcP 117, 193; Wilhelm in: Coing/Wilhelm, aaO (§ 13), 213. 48
1. Bei den wirtschaftlichen A u f g a b e n , die das Schuldrecht zu e r f ü l l e n hat, w a r o b e n § 9 an erster Stelle von der Vorbereitung von Vermögensverschiebungen, u n d z w a r endgültiger V e r m ö g e n s v e r s c h i e b u n g e n , die R e d e . Schuldrechtliche Verpflichtungen dienen also d a z u , Verfügungen über Sachen und Rechte vorzubereiten u n d zu rechtfertigen. 2. Man muß sich einen solchen typischen Erwerbsvorgang in vier Phasen vorstellen: Ein Käufer kommt in den Läden, um ein Buch zu kaufen. Dann ist in der ersten Phase der Verkäufer V Eigentümer des Buches und der Käufer K Eigentümer seines Geldes (Scheine und Münzen), 903. Die zweite Phase besteht darin, daß V und K einen Kaufvertrag schließen, 433, 145 ff. Die dadurch hervorgerufenen Pflichten ändern aber die Eigentumslage in keiner Weise. Zu ihren Eigentumsrechten haben V und K nur schuldrechtliche Ansprüche aus § 433 I 1 bzw. II hinzuerworben. K kann jetzt von V das Buch und V von K den Kaufpreis verlangen. V ist noch Eigentümer des Buches, K des Geldes. In der dritten Phase geschieht sowohl auf Seiten des Käufers als auch auf Seiten des Verkäufers ein Doppeltes; Der Käufer einigt sich mit dem Verkäufer über den Eigentumsübergang am Buch, und der Verkäufer übergibt es ihm, 929. Hierdurch verfügt der Verkäufer über sein (dingliches) Eigentumsrecht am Buch. Die Veräußerung eines Rechts ist also eine Verfügung über dieses Recht. Der Erwerb eines Rechts ist keine Verfügung. - Umgekehrt verfügt der Käufer Uber sein (dingliches) Eigentumsrecht an seinen Geldscheinen und -münzen, indem er sich mit dem Verkäufer über den Eigentumsübergang bezüglich jeder Münze und jedes Scheines einigt und ihm die Scheine und Münzen übergibt, 929. Verkäufer und Käufer treffen aber mit diesen ihren Verfügungen je eine weitere Verfügung. Durch die Leistung des Buches geht nämlich der Anspruch des Käufers aus § 433 I 1, durch die Leistung des Geldes der Anspruch des Verkäufers aus § 433 II unter, 50
Verpflichtung und Verfügung
§14 4
362 (Erfüllung), und zwar auf rechtsgeschäftliche Weise. Jede Seite begibt sich also ihres Anspruchs dadurch, daß sie die rechtsgeschäftliche Leistung der anderen Seite als Erfüllung annimmt. Auch hierin liegt eine Verfügung über jeden dieser obligatorischen Ansprüche. Denn die Ansprüche werden durch Erfüllung zum Erlöschen gebracht, ebenso wie gleichzeitig durch die Übereignungen das Eigentum des Verkäufers am Buch und das des Käufers an den Scheinen und Münzen zum Erlöschen gebracht wird; ein Recht zum Erlöschen bringen heißt aber: darüber verfügen. Verkäufer und Käufer tätigen also in der dritten Phase je zwei Verfügungen. In der vierten Phase ist der Käufer Eigentümer des Buches und der Verkäufer Eigentümer des Geldes. Ihr Eigentum ist unangreifbar mit dem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, 812, weil für die Übereignungen Ansprüche aus § 433 I und II als Rechtsgründe vorlagen. So wirken die zum Erlöschen gebrachten obligatorischen Ansprüche als Rechtsgründe (causa) im Sinne der §§ 812 ff in alle Ewigkeit weiter. Wäre der Kauf z. B. wegen Dissenses nichtig, so hätten Käufer und Verkäufer gegeneinander Ansprüche aus §812 I 1, die auf Rückübereignung (nicht bloß Rückgabe) gerichtet sind, 929. Denn das Erlangte ist zurückzugewähren. 3. Die geschilderten 4 Phasen können sich zeitlich nacheinander abwickeln. Bei größeren Geschäften wird das häufig sein. Bei Handgeschäften dagegen fallen die Vorgänge in der 2. und 3. Phase zeitlich zusammen. Trotzdem bleiben die einzelnen Phasen rechtlich geschieden (Trennungsprinzip, abstrakte Übereignung). Was im Beispiel an der Veräußerung einer beweglichen Sache gezeigt wurde, gilt entsprechend für Grundstücksübertragungen, Forderungsübertragungen. Sacheinlagen in Gesellschaften usw. (Abstraktionsprinzip).
4. Folgende Grundsätze lassen sich demnach aufstellen: 49 a) Eine Verpflichtung ist ein (auf Rechtsgeschäft oder Gesetz beruhendes) rechtliches Band zwischen Gläubiger und Schuldner, kraft dessen der Gläubiger vom Schuldner eine Leistung verlangen kann. b) Eine Verfügung ist ein Rechtsgeschäft, durch das ein Recht unmittelbar übertragen, belastet, aufgehoben oder inhaltlich geändert wird (wichtig!). c) Ein Verpflichtungsgeschäft läßt Rechte entstehen, ein Verfügungsgeschäft wirkt auf bestehende Rechte ein. d) Eine Verpflichtung bewirkt beim Schuldner eine Vermehrung der Passiva, beim Gläubiger eine Vermehrung der Aktiva, niemals aber eine Verminderung der Aktiva. Eine Verfügung bewirkt beim Verfügenden eine Verminderung oder inhaltliche Veränderung der Aktiva, beim Verfügungsempfänger (falls ein solcher vorhanden ist) eine Vermehrung der Aktiva, niemals aber eine Vermehrung oder Verminderung der Passiva. (Zu beachten ist immer, daß sich im Synallagma zwei Verpflichtungen und zwei Verfügungen gegenüberstehen). e) Zur Vermeidung von Bereicherungsansprüchen (812 ff) bedarf jede Verfügung des Rechtsgrundes einer bestehenden oder erfüllten Verpflichtung. Die Verfügungen tragen demnach die causa nicht in sich; sie sind abstrakt (oben § 13). Dagegen beinhalten die meisten Verpflichtungen selbst den Rechtsgrund und sind deswegen kausal. Es gibt aber auch abstrakte Verpflichtungsgeschäfte, wie z. B. das Schuldversprechen und das Schuldanerkenntnis (§§ 780 ff), die Annahme der Anweisung (§ 784) und die Begebung von Inhaberpapieren (§§ 793 ff). 51
§ 15
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
2
f) Im Schuldrecht überwiegen die Verpflichtungen, im Sachenrecht die Verfügungen. Schuldrechtliche Verfügungen enthalten die §§ 398, 414, 387, 397, 779 (letzteres Str.). g) Erfüllungen (362) sind nur Verfügungen über den zu erfüllenden Anspruch, wenn es zur Erfüllung eines Rechtsgeschäfts bedarf (z. B. beim Kauf auf beiden Seiten, nicht dagegen z. B. beim Dienstvertrag auf Seiten des Dienstverpflichteten); dazu unten § 38 II.
§15
Relative Wirkung der Forderung S. oben § 1 III 2 b a. E.; weiter Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, 1975; Denck, JuS 81, 9; ders., Rechtstheorie 81, 331; Dimopoulos-Vosikis, AcP 167, 515; Dubischar, Über die Grundlage der schulsystematischen Zweiteilung der Rechte in sog. absolute und relative, Diss. Tübingen, 1961; Henke, H.-E., Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1989; Koziol, Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte, 1967; Krasser, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, 1971; Löwisch, Der Deliktsschutz relativer Rechte, 1970; Martens, AcP 177, 113 ff; Medicus, JuS 74, 613; Peters, AcP 180, 329; Rehbein, Die Verletzung von Forderungsrechten durch Dritte, Diss. Freiburg, 1968; Spielbüchler, Der Dritte im Schuldverhältnis, 1973.
50 1. Forderungen wirken relativ, dingliche Rechte wirken absolut. Was ist die Bedeutung dieses Unterschiedes? Dingliche Rechte sind Herrschaftsrechte. Das Eigentum z. B. gibt dem Eigentümer die grundsätzlich unbeschränkte Herrschaft über eine Sache. Diese Herrschaft behauptet sich gegenüber jedermann, 903, ja sie besteht grundsätzlich ohne Rücksicht auf das Vorhandensein anderer Personen. Daraus folgt: Wer dem Eigentümer die Sache wegnimmt, beschädigt, sein Eigentum an der Sache bestreitet oder sonstwie stört, ist den Ansprüchen aus §§ 985 ff, 823 I, 1004 ausgesetzt und danach zur Rückgabe, zum Schadensersatz, zur Unterlassung der Störung verpflichtet. Diese Ansprüche wirken gegen jeden, der sich mit fremdem Eigentum zu schaffen macht.
Ganz anders die Forderungen. Sie bestehen grundsätzlich nur für den Gläubiger und nur gegen den Schuldner. Dritte Personen sind am Schuldverhältnis nicht beteiligt, sie brauchen es nicht zu beachten und können keine Vorteile daraus für sich herleiten.1 51 2. Fünf Beispiele sollen das verdeutlichen: a) Beschränkung des Gläubigers beim Leistungsanspruch auf seinen Schuldner V verkauft sein Auto zuerst an K,, ohne es ihm zu übereignen, danach verkauft und übereignet er es an K r Beide Kaufverträge sind wirksam, denn man kann, weil Verpflichtungen die dingliche Rechtslage nicht berühren (oben § 14), eine Sache beliebig oft 1
Das common law spricht von „privity of contracts".
52
Relative Wirkung der Forderung
§ 15 3
verkaufen, vermieten, verpachten usw. K, hat wegen der relativen Wirkung seiner Forderung Ansprüche nur gegen V, nicht gegen K2, der nun das Auto besitzt. Da V das Auto durch sein Verschulden nicht mehr liefern kann, verwandelt sich der Leistungsanspruch des K, in einen Schadensersatzanspruch aus §§ 440 I, 325 (verschuldetes nachträgliches Unvermögen im gegenseitigen Vertrag). An K2 kann sich K, nicht halten; das gekaufte Auto erhält K, also nicht.
b) Beschränkung des Gläubigers bei der Leistungsstörung auf seinen Schuldner Frau F kauft beim Einzelhändler E ein Bügeleisen, das, wie sich herausstellt, an einem wesentlichen Konstruktionsfehler leidet. Mit ihren Gewährleistungsansprüchen wegen Sachmängeln (459 ff) kann sich Frau F nur an E, nicht an den Hersteller H halten, dessen Konstrukteure den Fehler verschuldeten. Denn ihre Rechte aus dem Kauf richten sich nur gegen den E (die Sachmängelhaftung setzt ausnahmsweise kein Verschulden voraus!). E muß, wenn Frau F ihn in Anspruch nimmt, seinen Rückgriff gegen H richten. Ist noch ein Großhändler G eingeschaltet, der H's Produkte an die Einzelhändler verteilt, haftet G dem E und H dem G. Ein direkter Weg vom Verbraucher zum Hersteller besteht im Rahmen der Vertragshaftung nicht (Relativität der Forderungen), anders nur bei der Haftung aus unerlaubter Handlung: Zur sog. Produzentenhaftung unten Rdn. 467 und Rdn. 1240 ff.
c) Beschränkung des Schuldners auf seinen Gläubiger S schuldet 1000,- dem G, zahlt aber auf Bitten von Frau G an diese, damit G das Geld nicht vertrinkt. Frau G hatte keine Vollmacht für G. S befreit sich nicht, denn er kann nur an den Gläubiger G erfüllen, 362. G kann von S noch einmal 1000,- fordern, wenn seine Frau ihm das Geld vorenthält. Gegen Frau G hat S einen Bereicherungsanspruch, 812 1 2 (2). § 814 schließt nur den Bereicherungsanspruch wegen Zahlung einer Nichtschuld (812 I 1) aus, den § 812 I 2 (2) verdrängt.
d) Unbeachtlichkeit des Schuldverhältnisses für Dritte: Zession G, hat eine Forderung gegen S, die er an G 2 abtritt, 398, ohne S zu benachrichtigen. Danach kassiert er die Forderung bei S, dem er die Abtretung verschweigt, Nach dem oben zu c) Gesagten müßte S noch einmal an G 2 zahlen. Um den Schuldner in solchen Fällen zu schützen, sieht § 407 I ausnahmsweise befreiende Zahlung vor, wenn der Schuldner an den ihm allein bekannten (Alt-)Gläubiger zahlt. Hiernach würde G 2 leer ausgehen. G 2 kann sich aber nach § 816 II und aus verletztem Vertrag an G, halten (culpa post pactum perfectum). Der Anerkennung der Gläubigerschaft als sonstigem absolutem Recht im Sinne des § 823 I bedarf es nicht (anders Larenz I § 2 II. Dazu unten Rdn. 591; 103 I 6 a in der Voraufl.).
e) Unbeachtlichkeit des Schuldverhältnisses für Dritte: Abwerbung Gastwirt W bezieht aufgrund eines 20 Jahre laufenden Vertrages Bier von der Brauerei B. Nach Ablauf von 10 Jahren geht W zur Konkurrenzbrauerei K über. Wegen Vertragsbruchs kann sich B an W halten, nicht aber an K, da die Konkurrenzbrauerei den bestehenden Liefervertrag nicht zu beachten braucht. Nur bei sittenwidriger Verleitung zum Vertragsbruch oder sonstigem unlauterem Wettbewerb haftet K der B aus §§ 826; 1 UWG, nicht aber schon bei bloßer Ausnutzung fremden Vertragsbruchs (sehr Str.). 3. Nur scheinbar gibt es Ausnahmen, in denen ein Schuldverhältnis für oder gegen 5 2 Dritte wirkt: Berechtigender Vertrag zugunsten Dritter 328 I; direkte Ansprüche gegen Dritte bei Miete und Leihe, 556 III, 604 IV (analog nach h. M. auch für Verwahrung); Drittschadensersatz (vgl. auch oben § 1 II 2 b). Aber auch in § 328 I entscheidet das 53
§16
Begriff, Arten, Eigenschaften des Schuldverhältnisses
schuldrechtliche Band zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger, §§ 556 III und 604 IV sind gesetzliche Pflichten, und Drittschadensersatz ist nur eine besondere Berechnungsart für einen bestehenden Ersatzanspruch. 4. Zwischen der Relativität von Schuldverhältnissen, dem Abstraktionsgrundsatz bei der Übereignung und den Regeln des gutgläubigen Erwerbs bestehen Zusammenhänge, die kennzeichnend für jede Rechtsordnung sind. Wenn A an B eine Sache verkauft, ohne sie zu übereignen, und danach dieselbe Sache an C verkauft und übereignet, wird C Eigentümer. B kann sich wegen der Relativität seines Kaufanspruchs nur an A, nicht an C halten. Nach französischem Recht, das das Eigentum durch Kauf übergehen läßt, würde erst B Eigentümer, aber C würde, wenn er A für den Eigentümer hält, das Eigentum gutgläubig erwerben, Artt. 711, 1138, 1141, 1583, 2279 c. c.; B würde das Eigentum wieder verlieren. Das Ergebnis ist also das gleiche wie im deutschen Recht: Wer den Besitz bekommt und vertraut, gewinnt. Wer nur vertraut, muß die Enttäuschung seines Vertrauen büßen. B muß sich wegen seiner Schadensersatzforderung nach beiden Rechten an A halten. Die Relativität der Schuldverhältnisse ist also Ausdruck der Zweiseitigkeit von Vertrauensbeziehungen. Im Konflikt mit dem Schutz des redlichen Rechtsverkehrs ist die Relativität der Schuldverhältnisse mittelbar ein Teil des allgemeinen Prinzips: Beatus possidens, vgl. §§ 932 ff, 817 S. 2. 5. Obwohl Schuldverhältnisse nur die Parteien binden, haben sie „Außenwirkungen", s. o. § 1 IV 3 e. Sie schränken die Relativität ein. Eine umfassende Lehre der schuldrechtlichen Außenwirkungen fehlt noch. 1
§16
Unvollkommene Verbindlichkeiten und verbindlichkeitsähnliche Tatbestände Canaris, AcP 165, 1; Götz, JuS 61, 56; Klingmüller, Die Lehre von den natürlichen Verbindlichkeiten, 1905; Lorenz, I § 12 II d; Mahler, Die natürlichen Verbindlichkeiten des BGB, 1909; Neumann, Der vertragliche Ausschluß der Klagbarkeit eines privatrechtlichen Anspruchs, Diss. München 1967; Reichel, Unklagbare Ansprüche, 1911; ders., IherJb. 59, 457; Reuß, AcP 154, 485; Rotondi, RDirComm 75, 213; Schmidt, Reimer, Die Obliegenheiten, 1953 (dazu Esser, AcP 159, 49); Siber, IherJb. 70, 276. 53 Zum Wesen der Forderung gehört regelmäßig ihre Durchsetzbarkeit: Der Staat stellt seine Gerichte und Vollstreckungsbehörden dem Gläubiger zur Verfügung, wenn der Schuldner nicht leisten will oder kann. Streitig ist allerdings, ob die Durchsetzbarkeit vertraglich ausgeschlossen werden kann. Mit der h. M. muß dies zugelassen werden, wenn die Parteien über die Forderung verfügen und insbesondere sie erlassen können (so beim sog. pactum de non petendo). Nicht jede Forderung richtet sich auf Erfüllung, so z. B. nicht die Nebenpflichten auf Auskunft und auf Unterlassung der Vertragszweckgefährdung (dazu oben § 8, 3), vgl. auch 374 II, 545. Im Falle der Verletzung solcher Forderungen entstehen aber Schadensersatzansprüche wegen Schlechterfüllung. Deshalb handelt es sich auch hierbei um vollkommene, vollgültige Forderungen, die den Schuldner binden. 1
Einige Ansätze aus verschiedener Richtung: v. Ihering, IherJb. 10, 245; A. Hueck, IherJb. 73, 33; Lukes, Der Kartellvertrag, das Kartell als Vertrag mit Außenwirkungen, 1959, insb. 22; ders., FS A. Hueck, 1959, 459; Martens, AcP 177 (1977) 113, 164 ff.
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Unvollkommene Verbindlichkeiten
§ 16 I11
Wegen dieses den Schuldner bindenden Charakters der Forderung spricht man auch von Verbindlichkeit. Dabei ändert man den Blickwinkel und betrachtet die Forderung vom Standpunkt des Schuldners aus, gegen den sich die Forderung richtet. Es gibt aber Verbindlichkeiten, die nicht eingefordert werden können (unvollkommene Verbindlichkeiten, unten I.). Ferner finden sich rechtserhebliche Tatbestände, die keine Verbindlichkeiten darstellen, ihnen aber ähneln (unten II.).
I. Unvollkommene Verbindlichkeiten („Naturalobligationen") 1. Nicht durchsetzbare Forderungen Bei ihnen kann die geschuldete Leistung gefordert, aber nicht erzwungen werden. Eine 5 4 Verbindlichkeit besteht und kann erfüllt, gegebenenfalls auch gesichert, aufgerechnet usw. werden. a) Verjährte Forderungen sind vollständige, erfüllbare Forderungen, doch sind sie nicht durchsetzbar, wenn der Schuldner die Einrede der Verjährung erhebt, 222, 223. Der Gläubiger soll die Rechtsverfolgung nicht über Gebühr verzögern, und der Schuldner soll nach Ablauf einer gewissen Zeit vor nicht mehr erwarteten Forderungen geschützt sein. b) Aus dem Verlöbnis kann nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden, 1297 I. Der sittliche Gehalt der Ehe widerspricht der Durchsetzbarkeit des Verlöbnisanspruchs. c) Ausfallforderungen nach rechtskräftig bestätigtem Zwangsvergleich sind zum Schutze des Vergleichsschuldners nicht durchsetzbar, 82 VerglO, 193 KO. 2. Erfüllbare Nichtforderungen 55 Die geschuldete Leistung kann nicht gefordert, aber erfüllt und dann nicht deswegen zurückgefordert werden, weil kein Forderungsrecht bestand. Das Gesetz spricht in diesen Fällen vom Fehlen einer „Verbindlichkeit". In Wahrheit liegt wegen der Erfüllungsmöglichkeit eine Verbindlichkeit vor, doch fehlt ihr das Forderungsrecht, d. h. die Fähigkeit, eingeklagt, gesichert, aufgerechnet usw. zu werden. Lediglich die Erfüllungsmöglichkeit besteht (Blomeyer, „haftungslose Schuld"; s. aber oben § 7, 4). a) Verbindlichkeiten aus Spiel, Wette, nicht staatlich genehmigter Lotterie und Differenzgeschäft können nicht eingefordert, sondern nur freiwillig erfüllt werden, 762-764; ESJ 4. Die Rechtsordnung billigt solche Verbindlichkeiten nicht, doch wäre eine Rückforderung von bereits Geleistetem auch in diesen Fällen nicht anständig (in pari turpitudine melior est conditio possidentis, s. auch § 817 S. 2). Sondervorschriften gelten aufgrund der §§ 58-70 des Börsengesetzes v. 27. 5. 08, RGBl. 215 für Börsentermingeschäfte. b) Entsprechend kann ein Ehemaklerlohn nicht eingefordert, nur erfüllt werden, 656. Die Kunden dieses Gewerbes sollen nach Ansicht des Gesetzgebers auf Vorleistung verwiesen werden.
II. Verbindlichkeitsähnliche Tatbestände Bei den nachstehenden Tatbeständen liegen keine Verbindlichkeiten vor, auch keine 5 6 unvollkommenen. Es handelt sich um Rechtslagen, die mit Verbindlichkeiten eine jeweils sehr verschiedene Verwandtschaft aufweisen. 1. Nicht riickforderbare Anstandszuwendungen Was aus sittlicher Pflicht oder wegen einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht oder als Ausstattung geleistet wird, ohne daß eine Rechtspflicht zur Leistung besteht, 55
§17 2
Begründung des Schuldverhältnisses
kann aus Gründen des Anstands nicht zurückgefordert werden, 814, 1624. Auf Ausstattungen findet teilweise Schenkungsrecht Anwendung. 2. Lasten Lasten sind Tätigkeiten, die man zwar nicht von Rechts wegen vornehmen muß, deren Nichtbefolgung aber Rechtsnachteile mit sich bringt (Beispiele: 478, 479, 485; 377, 378 HGB; 33 ff VVG). 3. Obliegenheiten Zu Obliegenheiten ist man von Rechts wegen verpflichtet, z.B. zu Anzeigen, Mitteilungen und Auskünften gem. § 6 VVG, ohne deren Beachtung man den Versicherungsanspruch verliert, BGHZ 1, 168; 24, 382; BGH VersR 59, 233. Wie bei der Last tritt durch Nichtbefolgung ein Rechtsnachteil ein. Gleichwohl kann Erfüllung nicht erzwungen und Schadensersatz nicht verlangt werden. Deshalb zählt eine Obliegenheit auch nicht zum Leistungsinhalt, s. o. § 8, 4. Dennoch setzt die Haftungsminderung durch mitwirkendes Verschulden nach § 254 logisch eine „Sorgfaltspflicht gegen sich selbst" voraus, die zwar keine Leistungspflicht im Schuldrechtssinne, wohl aber eine Obliegenheit im eigenen und im Schuldnerinteresse ist.
2. Abschnitt
Begründung des Schuldverhältnisses § 17
Vorbemerkung 57
1. D i e Fragen der Begründung eines Schuldverhältnisses sind nicht nur theoretischer Natur, sondern von unmittelbarer Bedeutung für die Lösung eines Rechtsfalles. Fast jeder Rechtsfall wirft nach Schilderung eines historischen Sachverhalts die Frage nach den Ansprüchen auf, die den Beteiligten untereinander zustehen (näher oben § 6). 2. D i e meisten zivilrechtlichen Ansprüche beruhen auf Schuldverhältnissen (schuldrechtliche Ansprüche). Daneben gibt es die sog. dinglichen Ansprüche, die ein dingliches Recht verwirklichen ( M e d i c u s , BürgR, Rdn. 436). Ansprüche können sich entweder aus Rechtsgeschäft oder Gesetz ergeben. Statt vom „Rechtsgeschäft" wird teilweise vom „Vertrag" gesprochen. Dies ist jedoch nicht genau, denn es gibt einige Fälle rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse, die nicht auf Verträgen gründen (z. B. Auslobung, vgl. dazu auch oben § 10 I). Statt bloß vom „Gesetz" zu sprechen, müßte es heißen „lediglich auf Gesetz", denn daß Rechtsgeschäfte die Quelle von Schuldverhältnissen sind, steht auch im Gesetz, § 305. (§ 305 kann bei der Fallbearbeitung als Rechtsgrundlage für atypische Verträge [o. §11] zitiert werden; genau genommen ist § 305 allerdings keine Anspruchsnorm, sondern nur eine Ermächtigungsnorm für die Parteien, einen [atypischen] Vertrag abzuschließen [Adomeit, Rechts56
Überblick über die Entstehungsarten
§18
13
theorie für Studenten, 3. Aufl. 1990, S. 57, 48-51] und dadurch Ansprüche zu begründen; bei typischen Verträgen erfolgt nur die Nennung der jeweiligen Anspruchsnorm, z. B. § 433 II; stets verfehlt ist es, § 241 als Anspruchsnorm oder Teil davon zu zitieren.)
Mit diesen Präzisierungen ist die Formel „Ansprüche beruhen auf Rechtsgeschäft oder Gesetz" brauchbar und prägnant. Im Fall des „Rechtsgeschäfts" ist es menschlicher Wille, verbunden mit seiner rechtlichen Anerkennung, der zu rechtlicher Bindung führt, in dem des „Gesetzes" tritt die Bindung ohne einen darauf gerichteten Willen, lediglich kraft gesetzlicher Vorschrift ein.
§ 18 Überblick über die Entstehungsarten Bärmann, Typisierte Zivilrechtsordnung der Daseinsvorsorge, 1948; Eitzbacher, Das rechts wirksame Verhalten, 1903; Hildebrand, Erklärungshaftung, 1931; Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I, 1996; Manhart, Über die Entstehung der Forderung, Diss. München 1973; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939; MünchKomm/Kramer, Einl. vor §241; Willoweit, Abgrenzung und rechtliche Relevanz nicht rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, 1969. Außerdem die u. vor III zur „Vertrauenshaftung" und vor IV zu den „faktischen Verträgen" und weiter die vor §§ 19, 20 und § 21 zitierte Literatur.
I. Schuldverhältnis aus Rechtsgeschäft 1. Einseitige Rechtsgeschäfte, die Schuldverhältnisse begründen, sind selten: 58 Im Schuldrecht findet sich nur die Auslobung, § 657, im BGB ferner das Stiftungsgeschäft (§§ 80, 82) und das Vermächtnis (§ 2174). Im übrigen kann man sich nicht einseitig zu etwas verpflichten (über die umstrittenen Fälle siehe oben § 10 II). Wer einem anderen 100,- verspricht, schuldet sie ihm erst, wenn der andere das Versprechen formgerecht (§518) angenommen hat. Dann liegt ein zweiseitiges Rechtsgeschäft vor (Vertrag). 2. Vertragliche Schuldverhältnisse stehen im Vordergrund. Ihre Begründung ist gesondert zu besprechen (unten §§ 19 ff)- Wird im Fall nach Ansprüchen gefragt, so ist zu prüfen, aus welchem Vertrag die Ansprüche entstanden sein können. 3. In Notzeiten oder Notfällen bedient sich der Gesetzgeber gelegentlich zwangsweise den Parteien auferlegter „vertraglicher" Schuldverhältnisse. Das ist vor allem dann erforderlich, wenn sich ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen den Partnern eingestellt hat, das auf andere Weise vorerst nicht beseitigt werden kann (diktierte Verträge). Das Bewirtschaftungsrecht der Kriegsund Nachkriegszeit kannte diktierte Verträge in großer Zahl. In diesen Fällen wird den Parteien durch behördlichen Ausspruch ein privater Vertrag mit einem von Gesetz und Behörde festgestellten Inhalt auferlegt. Zu diesem sog. „Kontrahierungszwang" s. u. Rdn. 86. 57
§18
Begründung des Schuldverhältnisses
III
II. Schuldverhältnisse aus Gesetz 59
Man kann im Schuldrecht drei wichtige Gruppen unterscheiden, die ergänzt werden durch die Ansprüche aus dem sachenrechtlichen Eigentümer-BesitzerVerhältnis und eine Kategorie der „sonstigen" wichtigen Ansprüche aus Gesetz. Ist nach Ansprüchen gefragt, sind in aller Regel nach den Schuldverhältnissen „aus Rechtsgeschäft" zumindest diese fünf wichtigen Anspruchsgruppen „aus Gesetz" durchzuprüfen. 1. Haftung aus Verschulden bei Vertragsanbahnung (Culpa in contrahendo) Das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung („culpa in contrahendo") kann als ein „gesetzliches" bezeichnet werden, steht aber mit dem Vertrag in enger Beziehung. Näher u. § 20. 2. Schuld Verhältnisse aus Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677-687 3. Dingliche Ansprüche, insbesondere Leistungsverhältnisse aus den Beziehungen zwischen Eigentümer und Besitzer einer Sache, §§ 985-1007 Man kann darüber streiten, ob es sich bei diesen Ansprüchen um schuldrechtliche Ansprüche handelt, die im Sachenrecht geregelt sind, oder um sachenrechtliche Leistungsansprüche. Das letztere ist richtig, vgl. oben Rdn. 3. Der Streit hat z. B. für § 281 Bedeutung: § 281 ist auf sachenrechtliche Ansprüche nicht anwendbar, Rdn. 337. Wichtig ist, daß diese Ansprüche neben denen aus Rechtsgeschäft, und zum Teil auch neben denen aus unerlaubter Handlung und ungerechtfertigter Bereicherung geltend gemacht werden können, 992, 993. Sie müssen daher bei Erstellung eines Gutachtens stets mit in Erwägung gezogen werden. Die Erörterung der Ansprüche gehört ins Sachenrecht. Zu den Konkurrenzen unten Rdn. 1196 ff. 4. Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung („zurechenbare Schädigung"), §§ 823-853, mit den Sondergesetzen, insb. aus Gefährdungshaftung und Schuldverhältnisse aus ungerechtfertigter Bereicherung, §§ 812-822 5. Sonstige Schuldverhältnisse aus Gesetz (Beispiele) a) Gastwirtshaftung, §§ 701 ff; b) Bruchteilsgemeinschaft, §§ 741 ff; c) Pflicht zur Vorlegung von Sachen, §§ 809 ff; d) nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, § 242 (dazu Deneke. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, 1987); e) gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Finder und Verlierer, §§ 965 ff; f) Aufgrund Pfandrechts, §§ 1215 ff; g) Aufgrund Nießbrauchs, §§ 1030 ff; h) Familienrechtliche Unterhaltspflichten, §§ 1600 ff; i) Zwischen Vormund und Mündel, §§ 1793 ff; j) bei Vermögensverwaltungen, § 1985; k) Zwischen Erben und Erbschaftsbesitzer, §§ 2018 ff; 1) Erbengemeinschaft, §§ 2032 ff.
III. Vertrauenshaftung Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 507; Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989, 47-51; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; ders., 2. FS Lorenz, 1983, 27; Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, 1950; Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis, 1987; Schwark, Jura 85, 343. 58
Überblick über die Entstehungsarten
§ 18 IV 1
Als allgemeiner Haftungsgrund des Privatrechts wird in Rechtsprechung und Literatur oft auf den Gesichtspunkt des Vertrauens eines Geschäftspartners verwiesen. Dieser Gedanke wurde besonders von Ballerstedt1 herausgearbeitet und im Anschluß daran von Canaris2 in grundlegender Weise entfaltet. Der Vertrauensschutz erfüllt eine Ergänzungsfunktion, indem er rechtsgeschäftliche Bindungen dort ergänzt, „wo die Rechtsgeschäftslehre Schutzlücken offenläßt". 3 Auf die Vertrauenshaftung als allgemeinen Haftungsgrund wird bei den einzelnen Anspruchsgrundlagen, insbesondere bei der Haftung aus Verschulden bei Vertragsanbahnung, zurückzukommen sein. Erwähnenswert ist als Teil der Vertrauenshaftung die sog. Rechtsscheinhaftung 4 , die z. B. § 15 HGB regelt. Das Vertrauen auf einen rechtlich anerkannten Rechtsschein wird geschützt. Fraglich ist allerdings, ob die Vertrauenshaftung über ihre Funktion als allgemeiner Haftungsgrund hinaus ein allgemeines gesetzliches Schuldverhältnis begründet. Dies wird hier abgelehnt, s. u. § 27 I 3.
IV. Die sogenannten fehlerhaften Vertragsverhältnisse („faktische Verträge") Bärmann, Typisierte Zivilrechtsordnung der Daseins Vorsorge, 1948; Betti, FS Lehmann, Bd. I, 1965, 253; Börner, FS Nipperdey, Bd. I, 1965, 185; Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, 1960; Dölle, ZStW 103, 67; Erman, NJW 65, 421; Esser, AcP 157 (1959), 86; Flume, FS DJT, Bd. I, 1960, 183; ders., AcP 161 (1962), 52; Gudian, JZ 67, 303; Haupt, Über faktische Vertragsverhältnisse, 1941; Janke-Weddige, BB 85, 758; Kaduk, JR 68, 1; Kellmann, NJW 71, 265; Köhler, JZ 81, 464; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981; Larenz, NJW 56, 1897; ders., DRiZ 58, 245; Lehmann, H., IherJb. 90, 131; ders., NJW 58, 1; Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979; Mayer-Maly, FS Wilburg, 1965, 129; ders., FS Nipperdey (aaO), 509; Nikisch, FS Dölle, Bd. I, 1963, 79; Nipperdey, MDR 57, 129; Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, 1966; Raiser, L., JZ 58, 1; ders., FS DJT, Bd. I, 1960, 101; Sack, RdA 1975,171; Schmidt, Karsten, AcP 186 (1986), 421; ders., JuS 90, 517; Siebert, Faktische Vertragsverhältnisse, 1958; Simitis, S., Die faktischen Vertragsverhältnisse, 1957; Ulmer, P., FS Flume, Bd. I, 1978, S. 301; Walker, Der Vollzug der Arbeitgebernachfolge mit einem vermeintlichen Erben, 1985; ders., JA 85, 138; Wieacker, JZ 57, 61; ders., OLG Celle, 1961, 263; Wiesner, Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, 1980.
1. Einige Fallgruppen stehen zwischen der Zweiteilung von Schuldverhältnis- 60 sen aus Rechtsgeschäft und Gesetz. Es handelt sich um Fälle, die als faktische Vertragsverhältnisse (so zuerst Haupt, Über faktische Vertragsverhältnisse) oder besser als Vertragsverhältnisse auf fehlerhafter Vertragsgrundlage bezeichnet werden. Nach der von Gerhard Haupt begründeten Lehre sind faktische Vertragsverhältnisse Verträge, die ohne Vorliegen von Willenserklärungen nur auf 1 2 3 4
Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 506. Canaris, Vertrauenshaftung. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440. Baumbach/Duden/Hopt, HGB § 5 Anm. 2; BGH NJW 90, 2678; BGH WM 90, 638 m. Anm. Rover, JA 90, 350. 59
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der Grundlage von tatsächlichem Verhalten zustande kommen. Die moderne Lehre spricht demgegenüber von Vertragsverhältnissen auf fehlerhafter Vertragsgrundlage, weil sie daran festhält, daß fehlerhafte Vertragsverhältnisse nicht als bestehende Vertragsverhältnisse verstanden werden können. Trotz nicht wirksamer Rechtsgeschäfte können in einem der anerkannten Fälle fehlerhafter Vertragsverhältnisse aber vertragliche Rechtsfolgen eintreten. In systematischer Hinsicht hat man versucht, neben Schuldverhältnissen aus Rechtsgeschäft und aus Gesetz eine dritte Art festzustellen, die man „Schuldverhältnisse aus rechtlich relevantem Verhalten" oder „rechtlich wirksamem Verhalten" nannte. Dieser Weg ist wenig erfolgversprechend, da auch die § § 8 1 2 ff, 823 ff rechtlich wirksames Verhalten regeln und eine überzeugende Abgrenzung daher nicht möglich erscheint. Auch eine neue Theorie, die als einheitliches Prinzip der Fälle der fehlerhaften Vertragsverhältnisse und anderer Fälle rechtsgeschäftsbezogenen Verhaltens (z. B. der Haftung des Sachwalters; dazu u. Rdn. 78) eine Selbstbindung ohne Vertrag annimmt und damit eine dritte Entstehungsform für Schuldverhältnisse, die des Quasikontrakts, annimmt (Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag), ist abzulehnen. Die Fälle können als Formen gesetzlicher Schuldverhältnisse ausreichend erklärt werden.
61
Es bleibt somit nur diese Alternative: Entweder muß man zur Erfassung der sog. faktischen Vertragsverhältnisse als Verträge den klassischen willensgetragenen Vertragsbegriff zu einem objektiven, willensunabhängigen Vertragsbegriff erweitern (Betti, anders wiederum Bärmann), oder es liegen im Bereich der sog. faktischen Vertragsverhältnisse Gesetzeslücken innerhalb der gesetzlichen Schuldverhältnisse vor. Da man den willensgetragenen Vertragsbegriff als eine der entscheidenden Errungenschaften des modernen Privatrechts nicht ohne Not fallen lassen sollte (L. Raiser), ist der zweite Weg der Suche und der Schließung von Gesetzeslücken im Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse vorzuziehen. Da eine gesetzliche Regelung der fehlerhaften Vertragsverhältnisse nicht besteht, sind durch Rechtsfortbildung eigene Regeln zu entwickeln. In diese Richtung scheint die herrschende Meinung zu gehen. Vorab ist aber zu prüfen, wie weit sich die diskutierten Fallgruppen nach bewährten Regeln des Zivilrechts lösen lassen, ohne auf die Theorie der Lückenfüllung zurückgreifen zu müssen. Hiernach wird im folgenden verfahren.
2. Fallgruppen und Behandlung fehlerhafter Vertragsverhältnisse a) Fehlerhafte Dauerschuldverhältnisse5 62 Bei fehlerhaften Arbeits-6 und Gesellschaftsverhältnissen ist eine Rückabwicklung nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung, §§ 812 ff, schwierig, wenn das Verhältnis einige Zeit bestanden hat. Die einzelnen Leistungen und 5 6
Jauemig/Jauernig, vor § 145 Anm. 5 a; Medicus AT, Rdn. 244 ff; ders., BürgR, Rdn. 189 ff; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 1980, § 3 I 2 b. Auf Dienstverhältnisse werden die Regeln des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses angewendet, soweit dies der Schutzzweck gebietet (Palandt/Heinrichs, vor § 145 Rdn. 29), insb. wenn eine Anstellung vorliegt (Palandt/Putzo, § 611 Rdn. 21).
60
Überblick über die Entstehungsarten
§ 18 IV 2
Vermögens Verschiebungen lassen sich oft nicht mehr genau feststellen. Außerdem haben Vertragspartner und Gläubiger auf den Bestand des Vertragsverhältnisses vertraut. Aufgrund dieser Erwägungen ist in Rechtsprechung und Lehre der Grundsatz anerkannt, daß bei fehlerhaften Arbeits- und Gesellschaftsverträgen Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe nur für die Zukunft geltend gemacht werden können. Die Einwendungen wirken gem. § 242 nur ex nunc. Dies setzt zweierlei vor: einmal muß überhaupt eine - wenn auch unwirksame - vertragliche Grundlage bestehen, da den Vertragsparteien nicht vollkommen ungewollte Rechtsfolgen aufgedrängt werden dürfen. Andererseits muß der fehlerhafte Vertrag in Vollzug gesetzt worden sein. Der Grundsatz der ex nunc-Wirkung von Nichtigkeits- und Anfechtungsgründen wird durchbrochen, wenn ein beschränkt Geschäftsfähiger an dem Verhältnis beteiligt7 ist oder ein sonst überwiegendes Interesse der Allgemeinheit oder einzelner vorliegt. Dann sind Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe uneingeschränkt anwendbar. Teilweise wird erwogen, diese Regeln auch auf fehlerhafte Miet- und Pachtverhältnisse anzuwenden. Diese Frage ist allerdings noch ungeklärt. Jedenfalls gehören diese Verhältnisse nicht zu den anerkannten Fällen der fehlerhaften Vertragsverhältnisse mit besonderen Fehlerfolgen.8 b)
Daseinsvorsorgeverträge
Schwierigkeiten macht die Behandlung von Massenverträgen der Daseinsvor- 63 sorge, soweit eine privatrechtliche Ausgestaltung vorliegt. Da in den Bereichen des Transports, der Nachrichtenübermittlung, der Gas-, Wasser- und Stromversorgung und des Verkehrs oft keine ausdrücklichen Willenserklärungen abgegeben werden, wurde früher zur Begründung von Erfüllungsansprüchen sog. sozialtypisches Verhalten angenommen.9 Drei Beispielsfälle können die Anwendung der Figur des sozialtypischen Verhaltens veranschaulichen: - Anschluß an das Gas-, Wasser- und Stromnetz, ohne daß zwischen dem Benutzer und der Versorgungsanstalt ausdrückliche Erklärungen ausgetauscht werden. 10 - Parken auf gebührenpflichtigem Parkplatz, wobei der Parkende dem Wächter sagt, er lehne die Bewachung ab und zahle daher nicht. 11 - Benutzung von Straßenbahn, Eisenbahn, Omnibus, ohne daß mit dem Schaffner Worte gewechselt werden.' 2 7 8
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11 12
Zum Minderjährigenschutz Schmidt, Karsten, AcP 186 (1986), 421; ders., JuS 90, 517. Für Anwendung der Regeln der fehlerhaften Dauerschuldverhältnisse die Vorauflage, S. 54; dagegen Palandt/Heinrichs, vor § 145 Rdn. 29. Begründet hat diese Lehre Lorenz, vgl. ders., AT, 6. Aufl. 1983, § 28 II; sie wurde jetzt von Larenz aufgegeben, AT, 7. Aufl. 1989, § 28 II; umfassend Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 117-122. RGZ 111, 310; BGHZ 23, 175; BGH NJW-RR 87, 938; LG Berlin, JZ 73, 217 m. Anm. Beuthien; OLG Frankfurt NJW-RR 89, 889. BGHZ 21, 319 (333) = ESJ 5. LG Bremen, NJW 66, 2360 m. abl. Anm. Medicus, NJW 67, 354. 61
§ 18
Begründung des Schuldverhältnisses
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In diesen Fällen wurde von einer Literaturmeinung und der Rechtsprechung ein Vertragschluß durch die bloße Inanspruchnahme der Leistung, durch sozialtypisches Verhalten befürwortet. Es wurde damit stets das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts angenommen. Dagegen sprechen jedoch eine Reihe von Bedenken. Vor allem wird durch die Annahme sozialtypischen Verhaltens das Prinzip verletzt, daß beschränkt Geschäftsfähige auch dort geschützt sind, wo der Rechtsverkehr darunter leidet.13 Außerdem lassen sich die Fragen des Zustandekommens und des Bereicherungsausgleichs von Verträgen im Massenverkehr nach den bekannten Grundsätzen des Zivilrechts lösen. Die Ausgangsfrage muß bleiben, ob nicht durch zugegangene, ausdrückliche oder stillschweigende Willenserklärungen ein Vertrag zustande gekommen ist. Wer mit der Straßenbahn oder Eisenbahn fährt, sagt fast immer etwas, z. B.: „Geradeaus, zum Bahnhof, zur X-Straße, nach Y, umsteigen". Eine stillschweigende Willenserklärung liegt vor, wenn wortlos Fahrscheine entwertet oder Autos zum Parken aufgestellt werden. Man kann dies durchaus damit begründen, daß es sich um sozialtypische Verhaltensformen handelt. Dabei ist nur zu beachten, daß Sozialtypik - entgegen der ursprünglichen Zielrichtung der Lehre vom sozialtypischen Verhalten - keine Rechtsquelle, sondern ein Auslegungskriterium ist. Als Auslegungskriterium besagt die Sozialtypik, daß massenhaft abgegebene Erklärungen verkehrsfreundlich zu beurteilen sind. - Ausdrückliche und stillschweigende AnnahmeerkYärungen brauchen nicht zuzugehen, wenn das nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende darauf verzichtet, §151. Schließt sich jemand stillschweigend an ein Versorgungsnetz an, ist grundsätzlich Verzicht der Versorgungsanstalt auf eine den Anschluß begleitende Erklärung anzunehmen für den Fall, daß der übliche Formularweg nicht eingehalten wird. Problematisch sind die Fälle der Inanspruchnahme einer Leistung unter ausdrücklicher Betonung, man wolle keinen Vertrag schließen („Protestationsfälle"). So lag es im geschilderten Parkplatzfall, bei dem der Parkende dem Wächter sagte, er lehne die Bewachung ab und zahle daher nicht.14 Nach der Lehre vom sozialtypischen Verhalten wird hier vom erklärten Willen abgesehen und allein durch das Verhalten ein Vertrag begründet. Richtig ist demgegenüber, mit der anerkannten Regel der „protestatio facto contraria non valet" zu arbeiten, diese Regel allerdings auf die Fälle des Massenverkehrs zu beschränken.15 In Anlehnung an den Rechtsgedanken der §§ 612, 632, 653, 689, wonach eine einseitige Erklärung in bestimmten Fällen eine Vergütungspflicht nicht aus13 14 15
62
Darüber setzt sich LG Bremen, NJW 66, 2360 (s. vor Anm.) hinweg. BGHZ 21, 319 (333). Die in der 7. Auflage, S. 57 f, vertretene Unterscheidung zwischen protestatio declarationi contraria und echter protestatio facto contraria wird aufgegeben; Köhler, JZ 81, 464 lehnt das Zustandekommen eines Vertrages in jedem Fall ab, um eine Aushöhlung der Privatautonomie zu vermeiden, und löst die Fälle stets nach Bereicherungs- und Deliktsrecht.
Überblick über die Entstehungsarten
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schließen kann, wird im Massenverkehr die Vergütungspflicht nicht durch Widerspruch ausgeschlossen. Der Handelnde muß sich am objektiven Erklärungswert seiner Inanspruchnahme, die verkehrsfreundlich als stillschweigende Willenserklärung ausgelegt werden kann (s. o.), festhalten lassen. Zwischen den Parteien kommt demnach ein wirksames Rechtsgeschäft zustande. Die Geltendmachung von Willensmängeln ist bei Geschäften des Massenverkehrs bei dieser rechtsgeschäftlichen Lösung zwar grundsätzlich zulässig, allerdings ist die Irrtumsanfechtung gem. § 119 ausgeschlossen, weil die „verständige Würdigung" verkehrsfreundlich vorzunehmen ist und i. d. R. § 242 entgegensteht.16 Kein Vertrag kommt dagegen zustande, wenn ein Benutzer eine für ihn nicht bereitgestellte Leitung anzapft. Auch beim „Schwarzfahren" kann keine Willenserklärung des Schwarzfahrers angenommen werden. Das bürgerliche Recht macht aus Unrechtshandlungen kein Recht. Nach der Lehre vom vertragstypischen Verhalten handeln dagegen der Schwarzfahrer und Leitungsanzapfer sozialtypisch mit der Folge, daß es Schwarzfahren und Leitungsanzapfen nicht mehr gibt. Man stelle sich die Überraschung eines routinierten Schwarzfahrers oder Leitungsanzapfers vor, wenn ihm gesagt wird, er stehe in einem rechtlich anerkannten Vertrags Verhältnis. - Weiterhin kann das Zustandekommen eines Vertrages an der beschränkten Geschäftsfähigkeit des Benutzers scheitern, da die Schutzvorschriften zugunsten beschränkt Geschäftsfähiger nach der hier vertretenen rechtsgeschäftlichen Lösung zu beachten sind. Wenn ein Vertrag nicht zustande kommt, kann das Erlangte grundsätzlich über einen Anspruch aus allgemeiner Eingriffskondiktion ( § 8 1 2 1 1 Fall 2) heraus verlangt werden. Soweit der die Leistung Beanspruchende die Leistung nicht wieder in natura herausgeben kann, besteht gem. § 818 II ein Wertersatzanspruch. Dabei ist zu beachten, daß die Werthaftung des § 818 II in ihrem üblichen Sinne (Verkehrswert) nicht paßt. Das, was bei Zustandekommen eines Vertrages geschuldet wäre, wäre der Gegenwert, das Entgelt. Man kann diesen Gegenwert als Unterfall des Wertes im Sinne des § 818 II auffassen. Dann kommt es zum Wertersatz schon bei direkter Anwendung von § 818 II durch bloße Auslegung. Genauer ist, eine Normlücke in § 818 II anzuerkennen, soweit es um die Entgelthaftung bei der allgemeinen Eingriffskondiktion geht. Dann ist § 818 II analog anzuwenden und danach der Wert des Erlangten zu ersetzen.17 Da der die Leistung Beanspruchende den Mangel des rechtlichen Grundes kennt, haftet er nach §§819 I, 818 IV nach den allgemeinen Vorschriften. Ein Wegfall der Bereicherung gem. § 818 III scheidet dann aus. - Schadensersatzansprüche nach Deliktsrecht (§§ 823 I, 823 II 1 i. V. m. § 123 StGB usw.) können im Einzelfall bestehen. Dagegen scheidet ein Herausgabeanspruch nach §§ 687 II, 681 S. 2, 667 aus, da bei Eingriff in fremde Rechtskreise schon nicht die Behandlung eines fremden Geschäfts als eigenes vorliegt. 16 17
Vgl. Palandt/Heinrichs, vor § 145 Rdn. 26 zu Willensmängeln. Zu den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten Medicus, BürgR, Rdn. 719. 63
§19
Begründung des Schuldverhältnisses
2
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c) Neben den beiden erörterten Fallgruppen faktischer Vertragsverhältnisse gibt es weitere Fälle, in denen Vertragsansprüche ohne das Vorliegen eines Vertrages erwogen worden sind. Auch die Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluß, die unten § 20 besprochen wird, zählt zu diesen Fällen.18
§ 19 Entstehung durch Vertrag Bailas, Das Problem der Vertragsschließung und der vertragsbegründende Akt, 1962; Drobnig, FS Riesenfeld, 1983, 31; Graue, Vertragsschluß durch Konsens? in: Rechtsgeltung und Konsens, 1976, 105; Hart, Die AG 84, 66; Hönn, JuS 90, 953; Köhler, AcP 182 (1982), 126; Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, 1972; Manigk, IherJb. 75, 127; MPI für ausländisches und internationales Privatrecht, Gutachten I, aaO (oben § 3, 1 b), 1 (rechtsvergleichend); Mayer-Maly, FS Wilburg, 1965, 129; ders., FS Nipperdey, Bd. I, 1965, 509; ders., FS Seidl, 1975, 118; ders., Die Bedeutung des Konsenses in privatrechtsgeschäftlicher Sicht, in: Rechtsgeltung und Konsens (aaO), 91; Paefgen, Bildschirmtext aus zivilrechtlicher Sicht: Die elektronische Anbahnung und Abwicklung von Verträgen, 1988; ders., JuS 88, 592; Schmid, W., Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, 1983; Tosch, Entwicklung und Auflösung der Lehre vom Vertrag, 1980; Titze, Die Lehre vom Mißverständnis, 1910; Wilburg, AcP 163 (1963), 346.
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1. Von den im vorgehenden § 18 besprochenen Begründungsarten eines Schuldverhältnisses bedarf die durch Vertrag noch näherer Betrachtung. Das Gesetz selbst räumt der vertraglichen gegenüber der einseitigen Begründung von Schuldverhältnissen den Vorrang ein, § 305. Danach ist zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt (so - die Begründung betreffend bei der Auslobung, § 657, und - die Inhaltsänderung betreffend - bei Leistungsstörungen, s. u. §§ 41 ff.
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2. Das gleiche gilt, ohne daß das Gesetz es sagt, für die Aufhebung eines Schuldverhältnisses. Die Parteien eines vertraglichen Schuldverhältnisses können es jederzeit vertraglich ändern oder aufheben, so, als ob es nie oder so, daß es nur eine Weile bestanden hat (liberatorischer Vertrag, actus contrarius). Aufhebungsverträge sind bei Gesellschafts- und Dienstverträgen nicht selten. Von Kündigung spricht man technisch nur, wenn Gesellschafts- oder Dienstvertrag durch einseitige Erklärung gelöst werden. Kündigungsmöglichkeiten müssen 18
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Zu den Spezialfällen der faktischen Hofübergabe- und Erbverträge vgl. 7. Aufl. S. 55; BGHZ 87, 237; 119, 387 (formlose Vereinbarung reicht aus); s. auch Medicus, BürgR, Rdn. 181, 186, 192.
§ 19
Entstehung durch Vertrag
5
vertraglich oder gesetzlich vorgesehen sein, Aufhebungsverträge nicht. mächtigungsnorm 2 für einen Aufhebungsvertrag ist § 305 analog.
1
Er-
3. Ein Vertrag kommt zustande durch zwei oder mehrere sich inhaltlich dek- 67 kende, aufeinander Bezug nehmende Willenserklärungen, die von einem Handlungswillen, Erklärungsbewußtsein und Rechtsbindungswillen (zur Dreiteilung des subjektiven Tatbestands der Willenserklärung Palandt/Heinrichs, vor §116 Anm. 1 a) getragen sind, §§145 ff. Für Einzelheiten ist auf den Allgemeinen Teil zu verweisen; vgl. auch Fikentscher, Schuldrechtspraktikum, 87 ff. 4. Daß Verträge binden, beruht auf der unserer Rechtskultur eigenen Überzeugung, daß schon das ernst gemeinte Versprechen, zunächst vorbereitend und später rechtfertigend, die Leistung dem Rechtskreis des Versprechensempfängers zuordnet. Andere Rechtskulturen honorieren das bloße Versprechen nicht in gleicher Weise (z. B. manche buddhistische) oder verstehen aufgrund einer abweichenden Zeitvorstellung unter „Versprechen" etwas anderes. Der Grad der Bindung an ein Versprechen hängt vom jeweiligen Treuverständnis einer Rechtskultur ab. Die jeweilige Rechtskultur entscheidet darüber, ob der Inhalt des Versprechens mehr am Willen oder mehr an der Erklärung des Versprechenden gemessen wird. 3 5. Den Arten der Verträge liegen unterschiedliche Einteilungskriterien zugrunde, s. dazu 6 8 §§ 10-14, 16, 21-25, 37, 66-96 dieses Buches. Zu erwähnen ist noch die Einteilung in privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Verträge. Als öffentlich-rechtlich wird ein Vertrag bezeichnet, wenn das durch ihn begründete Rechtsverhältnis dem öffentlichen Recht angehört, s. dazu § 54 VwVfG. 4 Er kann auch zwischen Privaten geschlossen werden, z. B. im Wegerecht. Obwohl hinsichtlich ihres Inhalts vor allem dem öffentlichen Recht unterstehend, gelten auch für sie bürgerlichrechtliche, vor allem schuldrechtliche Grundsätze, vgl. §§ 57 u. 62 S. 2 i. V. m. 12 VwVfG. 5
' Zur allgemeinen Kündigungsmöglichkeit bei Dauerschuldverhältnissen s. Rdn. 36 und 188. Adomeit, Rechtstheorie für Studenten, 3. Aufl. 1990, S. 57, 48-51; es empfiehlt sich aber, § 305 als „Anspruchsnorm" zu zitieren und auf diese Auslegung von § 305 hinzuweisen. 3 Zum Standpunkt des BGB (modifizierte Erklärungstheorie) s. Flume, § 4; Lehmann/Hübner, § 24 IV; Larenz, AT § 19 I; zum Vergleich der Rechtskulturen Fikentscher, Methoden; ders., Synepeik und eine synepeische Definition des Rechts, in Fikentscher/Franke/Köhler, Entstehung und Wandel rechtlicher Traditionen, 1980, 53. 4 Wann dies der Fall ist, ist im einzelnen streitig; eine Übersicht bei MünchKomm/Kramer, vor § 145 Rdn. 29. 5 Meyer, NJW 77, 1705. 2
65
§20
Begründung des Schuldverhältnisses §20
Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten („culpa in contrahendo"; „bürgerlichrechtliche Prospekthaftung"; „nachwirkende Treuepflichten") Adams, AcP 186 (1986), 453; Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501; von Bar, ZGR 83, 476; Blaurock, in: Zum Deutschen und Internationalen Schuldrecht, 1983, 51; Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, 1980; Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989; Canaris, NJW 64, 1987; ders., YL 65, 475; ders., (II.) FS Lorenz, 1983, 27; ders., FS Giger, 1989, 91; v. Caemmerer, FS DJT, Bd. II, 1960, 56; v. Craushaar, JuS 71, 127; Emmerich, Jura 87, 561; Erman, AcP 139 (1934/35), 273; Evans-v. Krbek, AcP 179 (1979), 85; Freudling, JuS 84, 193; Frost, Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten, 1981; Frotz, FS Gschnitzer, 1969, 163; Gottwald, JuS 82, 877; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997; Grote, Die Eigenhaftung Dritter als Anwendungsfall der culpa in contrahendo, 1984; Grunewald, JZ 84, 708; Hartwieg, JuS 73, 733; Herrmann, JZ 83, 422; Hohloch, JuS 77, 302; ders., NJW 79, 47; Hopt, AcP 183 (1983), 608; Ihering, IherJb. 4, 1 (dazu Schanze, Ius commune 7 [1978], 326); Keller, Das negative Interesse im Verhältnis zum positiven Interesse, 1948; Knöpfle, NJW 90, 2497; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981; Küpper, Das Scheitern von Vertragsverhandlungen als Fallgruppe der cic, 1988; Küppersbusch, Die Haftung des Minderjährigen für culpa in contrahendo, Diss. München 1973; Lorenz, MDR 54, 515; ders., FS Ballerstedt, 1975, 397; Lehmann, M., Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981; ders., NJW 81, 1233; Leonhard, Verschulden bei Vertragsschluß, 1910; Lieb, FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, 251; Liebs, AcP 174 (1974), 26; Loges, Die Begründung neuer Erklärungspflichten und der Gedanke des Vertrauensschutzes, 1991; Lutter, Der Letter of Intent, 1982 (dazu Blaurock, ZHR 147, 334); Medicus, JuS 65, 209; ders., Gutachten I, S. 479; ders., FG Käser, 1986, 169; ders., Probleme um das Schuldverhältnis, 1987; ders., FS Steindorff, 1990, 725; Messer, FS Steindorff, 1990, 743; Motzer, JZ 83, 884; Nirk, RabelsZ 18, 310; ders., FS Möhring, 1965, 385; ders., FS Möhring, 1975, 71; ders., FS Hauss, 1978, 267; Oertmann, LZ 1914, 513; Peters, VersR 79, 103; Picker, AcP 183 (1983), 369; Pouliadis, Culpa in contrahendo und Schutz Dritter, 1982; Püschel, Die Auswirkungen schuldnerischen Verhaltens und der Einfluß von Verhandlungen auf die Verjährung, Diss. Hamburg 1982; Raiser, Rolf, AcP 127 (1927), 1; Rangier, Die Abgrenzung des positiven Interesses vom negativen Vertragsinteresse, 1977; Rollinger, Aufklärungspflichten bei Börsentermingeschäften, 1990; Sack, Unlauterer Wettbewerb und Folgeverträge, 1974; Schaumburg, Sachmängelgewährleistung und vorvertragliches Verschulden, 1974; dies., MDR 75, 105; Schmidt, E., AcP 173 (1973), 502; ders., JA 78, 597; Schmidt, K, JuS 77, 722; Schmitz, Dritthaftung aus culpa in contrahendo, 1980; Schulze, JuS 83, 81; Schumacher, Vertragsanfechtung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner, 1979; Sieg, BB 87, 352; Steinberg, Die Haftung für culpa in contrahendo, 1930; Stoll, Hans, FS v. Caemmerer, 1978, 435; ders., FS Riesenfeld, 1983, 275; Stoll, Heinrich, LZ 23, 532; Teichmann, JA 84, 545; Thiele, JZ 67, 649; Thiemann, Culpa in contrahendo - ein Beitrag zum Deliktsrecht, 1984; Weber, Martin, AcP 192 (1992) 429; Wiedemann, FS Herschel, 1982, 463; Wintterlin, Die Haftung für fahrlässige Irreführung, 1968.
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Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten
§20 13
I. Das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung 1. Wer zu erkennen gibt, daß er mit einem anderen einen Vertrag abschließen 69 möchte, tritt aus dem allgemeinen Kreis der deliktsrechtlichen Sorgfaltspflichten, die jedermann geschuldet sind, heraus und schafft für den als möglichen Vertragspartner Angesprochenen zusätzliche Risiken. Eine vertragliche Haftung kann dabei, solange der Vertrag noch nicht zustande gekommen ist, nicht in Betracht kommen. Andererseits reicht die deliktsrechtliche Haftung wegen des angestrebten Vertrages nicht aus. Das Gesetz regelt das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung als solches nicht. Es wurde aber von Lehre (Rudolf von Ihering, 1861) und Rechtsprechung entwickelt. Das Rechtsinstitut wird vielfach auch mit dem Begriff „culpa in contrahendo" oder kurz als „c. i. c." bezeichnet. 2. Bloßer „sozialer Kontakt" reicht zur Begründung des Rechtsverhältnisses der Vertragsanbahnung allerdings nicht aus. 1 Die Formel vom „sozialen Kontakt" ist zu weit. Andererseits ist es zu eng, vom „Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen" zu sprechen, sofern man darunter die Aufnahme von Verhandlungen zwischen zwei möglichen späteren Vertragspartnern versteht. 2 Eine vertragsähnliche Risikolage wird nämlich schon dann geschaffen, wenn die eine Seite Vorstellungen über einen zu schließenden Vertrag einem einzelnen gegenüber oder öffentlich - bekannt gibt. So muß auch der, der für den Absatz seines Produktes durch Anzeigen, Werbespots u. ä. wirbt, damit rechnen, daß sich Kunden auf seine Angaben verlassen. Das liegt zeitlich vor jeder Verhandlung. Demgegenüber ist in der neuen Fallgruppe der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung nicht ausreichend, daß ein Prospekt über Anlagemöglichkeiten vorliegt; es muß vielmehr ein inhaltlich nachteiliger Vertrag hinzukommen, damit die Haftung besteht. Doch auch hier setzt die Haftung schon bei der Vertragsanbahnung ein, die zeitlich vor jeder Verhandlung liegt. Der Ausdruck „Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung" ist daher vorzuziehen. 3 Das schließt nicht aus, daß sich die vorvertraglichen Sorgfaltspflichten von der einseitig unternommenen Vertragsanbahnung über den Eintritt in konkrete Vertragsverhandlungen bis zu dem Zeitpunkt vermehren und inhaltlich steigern, in dem der Vertragsabschluß kurz bevorsteht. Das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung ist daher nicht mit fest typisierten Pflichtinhalten zu fassen. Vielmehr kommt es auf die näheren Umstände und insbesondere darauf an, wie konkret die Vertragsanbahnung schon gediehen ist.
3. Das Rechtsverhältnis der Vertragsanbahnung setzt zu seiner Entstehung voraus, daß die schon während der Vertragsanbahnung bestehenden Sorgfaltspflichten gegenüber Beteiligten schuldhaft verletzt werden. Es entsteht ein Schadensersatzanspruch. Es ist zu unterscheiden nach den verschiedenen Sorgfaltspflichten, die durch den Vertragsanbahnenden verletzt werden können. Diese Sorgfaltspflichten können wiederum in zwei Gruppen zusammengefaßt werden, 1 1
3
Von „sozialem Kontakt" spricht Lorenz, I § 9, freilich in Einengung auf Vertrags Verhandlungen (nicht: Vertragsanbahnung). So jedoch Larenz aaO im Anschluß an Heinrich Stoll, Die Haftung für das Verhalten während der Vertragsverhandlungen, Leipz. Z. 23, 532; ähnlich Medicus, I § 14, I: „Eintritt in Vertragsverhandlungen". Ähnlich Lehmann, Michael, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981. In diesem Lehrbuch wurde stets auf die Anbahnung von Verträgen abgestellt. 67
§20 II 2
Begründung des Schuldverhältnisses
je nachdem, ob sie den Eintritt von Körper- und Eigentumsschäden oder von Vermögensschäden verhindern sollen. Auf die unterschiedlichen Sorgfaltspflichten ist sogleich (unter III) einzugehen.
II. Rechtsnatur und Rechtsgrundlage der Ansprüche aus culpa in contrahendo 70
1. Schuldverhältnisse können nur aus Rechtsgeschäft oder aus Gesetz entstehen, oben § 18. Man schuldet, weil man sich verpflichtet hat aus Rechtsgeschäft oder weil man etwas bekommen hat, was einem nicht zusteht (§§ 677 ff, 812 ff), oder weil man einen Schaden tragen muß, für den man verantwortlich ist (§§ 823 ff). Die Haftung aus culpa in contrahendo ist unabhängig davon, ob ein Vertrag zwischen den Parteien wirksam zustande kommt. Es kann sich deshalb nicht um ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis, sondern nur um ein gesetzliches handeln.
Fraglich ist, ob dieses Schuldverhältnis neben dem später zustande kommenden Vertrag weiterbesteht, ob es ein den Vertrag gewissermaßen vorbereitendes, begleitendes und überdauerndes gesetzliches Schuldverhältnis der Begleitpflichten aus Treu und Glauben (§ 242) gibt (so Canaris JZ 65, 475). Diese scheinbar einfache Konstruktion ist jedoch abzulehnen, weil ein geschlossener Vertrag die Pflichtenlage entscheidend ändert.4 Dies bedeutet, daß eine Sorgfaltspflichtverletzung vor Vertragsschluß eine Haftung aus culpa in contrahendo auslöst, eine Verletzung nach Vertragsschluß eine Haftung aus positiver Forderungsverletzung. Ansprüche aus culpa in contrahendo beruhen damit auf einem vorvertraglichen Schuldverhältnis. Die Haftung unterliegt vertragsähnlichen Grundsätzen, weil auch die Tatbestände vertragsähnlich sind. 2. Das BGB schweigt zum vorvertraglichen Schuldverhältnis. Rechtslehre und Rechtsprechung haben diese Lücke geschlossen. Als Rechtsgrundlagen der Haftung aus Vertragsanbahnung kommen § 242, Rechtsanalogie und Gewohnheitsrecht in Betracht. a) Ist ein Schuldverhältnis einmal zustande gekommen, so wird sein Inhalt, soweit nicht rechtsgeschäftliche Abmachungen oder gesetzliche Vorschriften eingreifen, durch Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte bestimmt § 242. § 242 setzt also ein schon bestehendes Schuldverhältnis voraus, das durch § 242 ausgestaltet wird, vgl. näher unten Rdn. 154 ff und § 27. Trotzdem stützt man, in erweiternder Auslegung, das vorvertragliche Schuldverhältnis mit der Erwägung auf § 242, daß, wer einmal Gläubiger oder Schuldner werden will, sich schon vorher gemäß Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verhalten muß. b) Daneben kann das vorvertragliche Schuldverhältnis - ebenso zutreffend auf eine Rechtsanalogie zu anderen Vorschriften gegründet werden, die schon bei 4
Dazu unten § 27; ausführlich Medicus, BürgR, Rdn. 203.
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Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten
§20 II11
Anbahnung von Rechtsgeschäften ein sorgfältiges Vorgehen verlangen oder im Verletzungsfalle Schadensersatzfolgen vorsehen (§§ 122, 179, 307, 309).5 Nach h. M. erstreckt sich die Analogie aber nicht auf §§ 122 II, 179 III 1, 307 I 2, wonach bei Fahrlässigkeit auf seiten des Geschädigten, etwa in der Verkennung einer gesetzlichen Formvorschrift, jeder Schadensersatzanspruch entfiele. Vielmehr gilt Schadensteilung nach § 254.6 c) Schließlich ist das vorvertragliche Pflichtenverhältnis heute schon gewohnheitsrechtlich anerkannt. Es besteht eine dahingehende, seit Jahrzehnten praktizierte Rechtsüberzeugung. 3. Schwierigkeiten aus der Einordnung der c. i. c. als vertragsähnliches Schuldverhältnis ergeben sich für die Behandlung des beschränkt Geschäftsfähigen. Erfordert der Schutzgedanke der §§ 104 ff, die Verpflichtung aus c. i. c. von der Geschäftsfähigkeit abhängig zu machen, muß aus dem gleichen Gedanken (vgl. § 107) die Berechtigung aus c. i. c. auch dem beschränkt Geschäftsfähigen zustehen.7
III. Fallgruppen von Sorgfaltspflichten Die Sorgfaltspflichten, deren Verletzung zu einer Haftung aus culpa in con- 71 trahendo führt, lassen sich nicht erschöpfend aufzählen. Es gibt aber eine Reihe von Fallgruppen, die von Rechtsprechung und Lehre herausgearbeitet wurden und die heute zur Anwendung der Regeln der culpa in contrahendo herangezogen werden müssen.
1. Schutzpflichten Die Vertragsanbahnung begründet Schutzpflichten für Körper und Eigentum der Beteiligten. Der Ladeninhaber muß für sichere Bedienung seiner Kunden sorgen, gleichgültig, ob es zu einem Vertragsschluß kommt oder nicht. Löst sich eine Deckenlampe, stürzt ein Warenstapel um, und verletzt sich der Kunde, so haftet der Ladeninhaber für Verschulden seiner Angestellten wegen Verschulden bei Vertragsanbahnung i. V. m. § 278. 8 Der minderjährigen Tochter, welche ihre Mutter beim Einkaufen begleitet und die im Laden auf einem Gemüseblatt ausrutscht, haftet der Ladeninhaber für das Verschulden desjenigen Angestellten, der für die Bodenreinigung zuständig war, aus Verschulden bei Vertragsanbahnung i. V. m. § 278 (BGHZ 66, 51). Der Kaufinteressent beschädigt bei einer Probefahrt das Auto, für das er sich interessiert (BGH NJW 68, 1472). Ebenfalls hierher gehört der Fall, daß eine vor Erteilung des Reparaturauftrags übergebene Sache beschädigt wird (BGH NJW 77, 376). Die Schutzpflichten beziehen sich auf Körper und Eigentum, die gleichzeitig geschützte Rechtsgüter in § 823 I darstellen. Bei einer Verletzung der Schutzpflichten ent5 6 7 8
Bezüglich § 122 I abweichend Larenz I, § 9 I; ders., FS Ballerstedt. Henrich, AcP 162 (1962), 100. BGH NJW 73, 1791; anders Canaris, NJW 64, 1987 und Larenz I, § 9 I 5. S. dazu den klassischen Teppichrollenfall RGZ 78, 239 = ESJ 6. 69
§20 III 4
Begründung des Schuldverhältnisses
steht also nicht nur ein Schadensersatzanspruch wegen Verschulden bei Vertragsanbahnung, sondern auch ein deliktischer nach § 823 I. Der vertragsähnliche Anspruch hat zwei Vorteile: Eine der Exkulpationsmöglichkeit f ü r Verrichtungsgehilfen nach § 831 1 2 entsprechende Befreiung ist in § 278 nicht vorgesehen und der kurzen deliktischen Verj ä h r u n g nach § 852 steht die lange Verjährung des Anspruchs aus culpa in contrahendo gem. § 195 gegenüber.
2. Abbruch von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund 72
Grundsätzlich haben Vertragsanbahnende die Freiheit, einen Vertrag abzuschließen oder nicht abzuschließen, also die sog. Abschlußfreiheit (vgl. unten Rdn. 86). Nach Rechtsprechung und h. L. umfaßt die Abschlußfreiheit aber nicht einen sog. Abbruch von Vertragsverhandlungen. Ein solcher liegt vor, wenn das Vertrauen auf das Zustandekommen eines Vertrages erweckt wurde, dies kausal f ü r Vermögensdispositionen der anderen Seite wurde und ein Abbruch der Vertragsverhandlungen ohne sachlichen („triftigen") Grund erfolgte. 9 Besonders problematisch ist die A n n a h m e einer Schadensersatzpflicht aus culpa in contrahendo in diesen Fällen bei formbedürftigen Verträgen, da die Formvorschriften oft die Parteien vor Übereilung schützen sollen (vgl. unten Rdn. 95) und somit die Entscheidung bis zum Schluß offenstehen soll. Bei formbedürftigen Verträgen scheidet deshalb nach der hier vertretenen Auffassung ein Schadensersatzanspruch nach culpa in contrahendo aus. 10
3. Verschulden der Vertragsunwirksamkeit 73
Die Vertragsanbahnenden trifft die Pflicht, bei einem unwirksamen Vertrag den Vertragspartner über die Umstände eines Unwirksamkeitsgrundes aufzuklären. Beispiel f ü r das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs wegen culpa in contrahendo ist die schuldhafte Herbeiführung eines gesetzeswidrigen Vertrages ( B G H Z 99, 107). Dies gilt auch f ü r formnichtige Verträge, wenn der Formmangel nicht bereits nach § 242 unbeachtlich ist ( B G H N J W 89, 167). Gesetzliche Anwendungsfälle enthalten §§ 122, 179, 307, 309.
4. Verschulden bei Vertragswirksamkeit 74
Vorvertragliches Verschulden darf nicht die Willensbildung des anderen Teils bestimmen. So besteht ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsanbahnung, wenn der andere Teil durch Täuschung oder Drohung zum Vertragsschluß gebracht wurde. Neben dem Anfechtungsrecht aus § 123 besteht dann ein Anspruch aus c. i. c.; 11 zwischen beiden besteht f ü r den Geschädigten ein Wahlrecht.
» BGHZ 71, 395; 76, 349; 92, 175; BGH BB 1996, 1238 (Informationspflicht); Fikentscher, FS Gernhuber, 1993, 121; ablehnend Medicus I, § 14 III 1 a, der die Abschlußfreiheit durch diese Fallgruppe nicht einschränken möchte und an der Notwendigkeit eines Vertragsschlusses festhält. Zu Erklärungspflichten s. Loges, 154 ff. 10 Ebenso Medicus I, § 14 III 1 a; anders BGHZ 92, 175, wo zwar die Einhaltung der Formzwecke gefordert wird, aber ein relevanter Abbruch von Vertragsverhandlungen auch bei formbedürftigen für möglich gehalten wird; ausführlich Weber, Martin. 11 Nach Medicus I, § 14 III 2 verjährt dann der Anspruch aus c. i. c. in Jahresfrist analog § 124; nach der hier vertretenen Auffassung ist der Wertungswiderspruch hinzunehmen, unten Rdn. 80. 70
Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten
§20 III 6
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Weiterhin trifft die Parteien eine Aufklärungspflicht. Wer ein Fabrikationsgeheimnis (know how) in eine Gesellschaft als Sacheinlage einbringt, muß die anderen, die mit ihm die Gesellschaft gründen, über den wahren Wert des Geheimnisses sorgfältig unterrichten, sonst haftet er für entstehende Vermögensschäden. Im Rahmen der Aufklärungspflichten wurde früher auch die Pflicht erörtert, irreführende Werbeangaben zu unterlassen, die den Werbeadressaten schädigen oder zu Fehldispositionen verleiten könnten. 13 Hier hilft nun das Rücktrittsrecht nach § 13 a UWG. In den Fällen der verletzten Aufklärungspflicht ist die Haftung aus culpa in contrahendo gegen die Sachmängelgewährleistung (insbesondere §§ 459 ff) und der Anfechtungsregelung § 119 II abzugrenzen. Gegenüber der Sachmängelhaftung tritt c. i. c. schon deshalb zurück, weil die Anwendung dieser Vorschriften einen zustande gekommenen Vertrag voraussetzt. Hier bewährt sich die obige Ablehnung eines den Vertrag begleitenden „einheitlichen" gesetzlichen Schuldverhältnisses über Neben-, Obhuts- und Schutzpflichten, s. o. II.' 4 Die Lösung erscheint auch sachgerecht, weil die engere Bindung des zustande gekommenen Vertrags die gegenüber der c. i. c. schärfer gefaßten Gewährleistungsvorschriften fordert und rechtfertigt. Die Sachmängelgewährleistung wiederum geht der Irrtumsanfechtung nach § 119 II vor, s. u. Rdn. 710. In den übrigen Fällen läßt die Anfechtungsregelung den Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo unberührt; es besteht zwischen beidem also für den Geschädigten ein Wahlrecht. 15
5. Verschulden bei vermeintlich geschlossenen Verträgen Unerkannt unwirksame Verträge verpflichten die vermeintlichen Parteien gleichwohl 7 5 wegen der bisher geführten Vertragsverhandlungen zur Beachtung eines Verhaltens, das den Schutz- und Loyalitätspflichten der c. i. c. entspricht. In diesen Fällen wird man jedoch wegen der Ähnlichkeit zu den §§ 122, 179, 307 entgegen der für c. i. c. sonst geltenden Regel das zu ersetzende negative Interesse als durch das positive begrenzt anzusehen haben. 16 Denn am „Auffliegen" des vermeintlichen Vertrags soll keiner verdienen. 17
6. Nachvertragliche Sorgfaltspflichten Auch bei einem abgewickelten Vertrag können noch Sorgfaltspflichten zwischen den 7 6 Parteien bestehen. Die Parteien eines abgewickelten Vertrags sind einander nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verpflichtet, das durch den Vertrag Erhaltene nicht nachträglich zu gefährden. Bei Verletzung nachvertraglicher Sorgfaltspflichten spricht man von der culpa post pactum perfectum (oder culpa post pactum finitum).
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Zu den Aufklärungspflichten Breidenbach. BGH NJW 78, 1625; NJW 79, 1450; WM 79, 612; NJW 89, 1794; Erman, AcP 139 (1934/35), 273; Köhler, JZ 89, 270; Lehmann, M., Vertragsanbahnung durch Werbung; ders., NJW 81, 1239; ders., GRUR 87, 199 (211); Medicus, JuS 88, 6 f. Für Ausschluß des Anspruchs aus culpa in contrahendo auch BGHZ 60, 319. Anders noch die Vorauflage § 20 VIII; schwierig ist in diesen Fällen die Verjährung des Schadensersatzanspruchs. Man hat eine Angleichung an die Anfechtungsfrist in § 121 (ohne schuldhaftes Zögern, längstens 30 Jahre) zu erwägen. So zu Recht Canaris, JZ 65, 475; ihm folgend Larenz, I § 9 II. Ebenso Medicus I, § 14 1 b. 71
§ 20 V
Begründung des Schuldverhältnisses
Nach h. L. handelt es sich um einen Anwendungsfall der positiven Forderungsverletzung. 18
IV. Vorvertragliches Schuldverhältnis und Dritte. Eigenhaftung des Abschlußgehilfen 77
1. Zunehmend hat der BGH in den Bereich der Geschützten im Rahmen des Rechtsverhältnisses der Vertragsverhandlungen dritte Personen einbezogen, die als Vertragsparteien nicht in Frage kommen und außerhalb dieser Verhandlungen stehen. So wurde der minderjährigen Tochter, die ihre Mutter ohne jede Kaufabsicht in einen Selbstbedienungsladen begleitet hat und dort auf einem Gemüseblatt ausgerutscht ist, ein Anspruch gegen den Ladeninhaber aus c. i. c. gewährt (BGHZ 66, 51 ff). Dieser Entwicklung ist zuzustimmen, weil sie einen konsequenten weiteren Schritt der Lehre von den Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte in den vorvertraglichen Bereich darstellt. Die Einschränkungen, die für diese Verträge gelten, müssen aber auch für das vorvertragliche Schuldverhältnis Geltung erlangen. 19 78 2. Von diesen Fällen sind die Fälle der Haftung Dritter für Verschulden während der Vertragsverhandlungen zu unterscheiden. Gemeint sind in diesem Zusammenhang dritte Personen, die an den Verhandlungen in irgendeiner Form beteiligt sind, sei es als Vertreter, sei es als „Sachwalter". Der BGH bejaht im Anschluß an Ballerstedt die eigenständige Haftung dieser Personen aus c. i. c.20, wenn sie als Vertreter oder „Sachwalter" bei den Vertragsverhandlungen ein ihnen gegenüber persönlich entgegengebrachtes Vertrauen in Anspruch genommen haben oder wenn sie selbst an dem Vertragsschluß wirtschaftlich interessiert waren. Sie haften für eigenes Verschulden aus c. i. c. auf das negative Interesse ohne Begrenzung durch das positive. Auch dieser Entwicklung ist zuzustimmen, da der Dritte auf die Verhandlungen einwirkt und der Verhandlungspartner in ihn ein besonderes Vertrauen z. B. angesichts seiner außergewöhnlichen Sachkunde, persönlicher Zuverlässigkeit oder eigener Einflußmöglichkeit auf die Vertragsentwicklung setzt. Es handelt sich um den auf c. i. c. bezüglichen Unterfall der Eigenhaftung des vertragsverantwortlichen Gehilfen in Umkehrung des in § 278 zum Ausdruck gelangenden Gedankens (s. u. Rdn. 523). Man darf dabei konkurrierende Anspruchsgrundlagen, etwa aus einem Beratungsvertrag, oder eine Eigenhaftung durch Schuldbeitritt, Bürgschaft oder Garantie nicht aus den Augen verlieren. 21
V. Bürgerlichrechtliche Prospekthaftung Assmann, W M 83, 138; ders., Prospekthaftung als Haftung für die Verletzung kapitalmarktbezogener Informationsverkehrspflichten nach deutschem und US-amerikanischem 18
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Vgl. zur positiven Forderungsverletzung unten § 47; anders die Behandlung nachvertraglicher Sorgfaltspflichten durch Canaris, JZ 65, 475, der ein den Vertrag begleitendes gesetzliches Schuldverhältnis vom Vertrag löst und weiter bestehen läßt; das Problem nachvertraglicher Sorgfaltspflichten wird geleugnet bei v. Bar, AcP 179 (1979), 452. Vgl. unten Rdn. 261; wie hier Medicus BürgR, Rdn. 199. BGHZ 14, 313; 56, 81; 63, 382; 72, 382; 77, 179; 79, 281; 80, 80; 87, 27; Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501 ff; Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten. Gegen eine zu weitgehende Ausdehnung dieser Fälle Lorenz I, § 9 I 4; Bohrer, aaO (passim).
Vor- und nachvertragliche Sorgfaltspflichten
§20 VI
Recht, 1985; Baumbach/Duden/Hopt, Handelsgesetzbuch, 28. Aufl. 1989, Anh. § 177 a Anm. VIII 2 C; § 347 Anm. 3, 4; Canaris, Bankvertragsrecht, Teil 1 , 3 . Aufl. 1988, Rdn. 276; ders., FS Giger, 1989, 91 (108-113); von Heymann, NJW 90, 1137 (11471149); Jauernig/Vollkommer, § 276 Anm. VI 2 f; Machunsky, DB 88, 1306; Medicus, I § 14 IV; ders., Probleme um das Schuldverhältnis, 1987; Palandt/Heinrichs, § 195 Rdn. 11; § 2 7 6 Rdn. 22-27, 86; Pleyer/Hegel, ZIP 85, 1370; Rössner, WM 82,1375; Schwark, Jura 85, 343; ders., FS Stimpel, 1985, 1087, 1100 ff m. w. N. Vor allem im Bereich der Publikumsgesellschaften, also Personengesellschaften mit 7 9 einer Vielzahl von Gesellschaftern, hat die Rechtsprechung eine allgemeine bürgerlichrechtliche Prospekthaftung entwickelt. Danach haften die Geschäftsführer, Gründer und Initiatoren von Anlagegesellschaften aus culpa in contrahendo, wenn schuldhaft falsche Prospektangaben den Erwerber zum Vertragsschluß bestimmen. Hier hat sich über die Eigenhaftung des Gehilfen („Sachwalter") hinaus eine Art Berufshaftpflicht in Gestalt einer objektiven Prospekthaftung entwickelt. 22 Zu den Anlagegesellschaften werden auch Bauherrenmodelle gezählt (BGH NJW 90, 2461 = JuS 90, 934 Nr. 5). Diese allgemeine Prospekthaftung ist allerdings ausgeschlossen in den Fällen der besonderen börsen- und investmentrechtlichen Prospekthaftung nach §§ 4 5 ^ 9 BörsG, 20 KAGG, 12 AuslInvestmG.
VI. Verjährung von Ansprüchen aus c. i. c. Grundsätzlich gilt für das gesetzliche Schuldverhältnis des Rechtsverhältnisses 80 der Vertragsanbahnung die allgemeine Verjährungsfrist von 30 Jahren, § 195. Hierzu gelten - je nach Standpunkt - zwei bis fünf Ausnahmen: (1) Wo durch Anwendung von c. i. c.-Regeln in Verbindung mit § 278 (Haftung für den Erfüllungsgehilfen) die vom Gesetz zu eng gefaßte Haftung für den Verrichtungsgehilfen (§831) korrigiert wird, ist die kurze dreijährige Verjährungsfrist des Deliktsrechts (§ 852) anzuwenden, ebenso Medicus I, § 14 II. (2) Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung gegen Gründer oder Initiatoren von Publikumsgesellschaften verjähren grundsätzlich analog den Vorschriften der besonderen börsen- und investmentrechtlichen Prospekthaftung (§§ 20 V KAGG, 12 V AuslandsInvestmG) in sechs Monaten ab Kenntnis, spätestens in drei Jahren (BGHZ 83, 222). (3) In den Fällen, in denen durch Verschulden bei Vertragsanbahnung die eine Partei, z. B. wegen Irreführung oder schlechter Beratung, mit einem unwirksamen Vertrag belastet wird, kann als Schadensersatz gem. § 249 die Auflösung des Vertrags verlangt werden. Für die Fälle der arglistigen Täuschung ist die Jahresfrist nach § 124 I nicht analog heranzuziehen. Es bleibt bei der dreißigjährigen Verjährungsfrist.23 Ferner: (4) Wer c. i. c. mit vertraglichen Ansprüchen konkurrieren läßt, was hier abgelehnt wird (anders die Vorauf!.), muß die Ver22
23
BGHZ 77, 172; 79, 337; 83, 224; NJW 87, 2677; NJW 90, 571; nach Breidenbach, Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 49 f; Wiedemann/Schmitz, ZGR 80, 142 ist diese Haftung zu weit, soweit Personen den Emissionsprospekt nicht unterschrieben haben und nicht aufgetreten sind. Wie hier BGH NJW 68, 986; Lorenz I, § 9 I 6; Köhler AT, 58 IV 4 c; für analoge Anwendung von § 124 I Medicus I, § 14 III 2. 73
§20 VII 3
Begründung des Schuldverhältnisses
jährung von c. i. c. den vertraglichen VerjährungsVorschriften angleichen, B G H NJW 69, 1710. (5) Das gleiche gilt für diejenigen, die c. i. c. mit Sachmängelgewährleistung konkurrieren lassen, was hier ebenfalls ausgeschlossen wurde. Dann müßte z. B. die kurze Verjährung des § 4 7 7 auf c. i. c.-Ansprüche angewandt werden, die wegen Sachmängeln erhoben werden.
VII. Der Inhalt des Schadensersatzanspruchs 1. Hier zeigen sich Abweichungen von der reinen Vertragshaftung. Sie rühren daher, daß das vorvertragliche Schuldverhältnis kein Vertrag ist und daß es ohne Rücksicht auf ein späteres Scheitern der Vertragsverhandlungen besteht. 2. Kommt trotz Verschuldens vor Vertragsschluß der Vertrag zustande, besteht im Hinblick auf den durch das Verschulden vor Vertragsschluß entstandenen Schaden ein Anspruch auf Erfüllungsinteresse und übererfüllungsmäßiges Interesse (dazu unten § 47). Besteht der Schaden in der Eingehung des Vertrages selbst (Vertragsschluß wegen c. i. c.), gewährt eine neuere Rechtsprechung mit gutem Grund einen Anspruch auf Befreiung vom Vertrag aus Verschulden bei Vertragsschluß. 24 3. Kommt ein Vertrag nicht zustande, greift die Haftung aus verletztem vorvertraglichem Schuldverhältnis ein. Da ein erfüllbarer Vertrag nicht vorliegt, kann das Erfüllungsinteresse (positives Interesse) und ein übererfüllungsmäßiges Interesse grundsätzlich nicht ersetzt verlangt werden. Geschuldet ist daher das Vertrauensinteresse (negatives Interesse, Vertrauensschaden). Das ergibt sich auch aus der Rechtsanalogie zu §§ 122, 307, 309. Der Geschädigte ist daher so zu stellen, wie er stände, wenn er sich auf die Vertragsverhandlungen niemals eingelassen hätte. Denn das ist der Schaden, den er dadurch erleidet, daß er auf den guten Fortgang und Abschluß der Vertragsverhandlungen vertraut, vgl. § 122. Inhalt des Schadensersatzanspruchs sind z . B . im Teppichrollenfall (oben Rdn. 71) die Arzt- und Reinigungskosten, die durch die Schädigung im Laden entstehen. Das positive Interesse (das, was aufgrund des gescheiterten Vertrags verdient worden wäre) kann also nicht ersetzt werden, und es bildet auch keine Obergrenze für das negative, anders als in §§ 122, 179, 307, 309.25 Denn da der Vertrag noch nicht geschlossen war, als die Schädigung erfolgte, hatte der Geschädigte seinen - billigerweise liquidierbaren - Risikoumfang noch nicht durch ein positives Vertragsinteresse begrenzt. Die Begrenzung ist in §§ 122, 307, 309 vorgesehen, weil der Geschädigte durch die Anfechtung oder Nichtigkeit des Vertrags kein Geschäft machen soll. Sonst bekäme der Geschädigte Aufwendungen ersetzt, die über das hinausgehen, was er an dem Vertrag verdient hätte, was also - objektiv betrachtet - freiwilliger und unnützer Aufwand war. Hier zeigt sich, daß die Haftung aus vorvertraglichem Schuldverhältnis nur vertragsähnlich ist, die auch Ähnlichkeiten zur Deliktshaftung aufweist. Auch die Deliktshaftung (Haftung aus Gesetz) kennt keine Begrenzung durch ein vertragliches Erfüllungsinteresse. Darum wurde auch oben Rdn. 69 von einem gesetzlichen Schuldverhältnis gesprochen, das vertragsähnlich zu behandeln ist. 24
25
74
BGH NJW 68, 986; NJW 74, 851; vgl. auch Hartwieg, JuS 73, 733 ff; Sack, Unlauterer Wettbewerb und Folgeverträge, 1974, 27 ff; ablehnend Medicus, JuS 65, 209; ders., I § 14 III 2; wohl auch BGHZ 60, 319. H. M.; RGZ 151, 359; BGHZ 69, 56.
Verfassungsrecht und Schuldrecht
§21
4. Die Rechtsprechung gibt aber zu Recht einen Anspruch auf das Erfüllungsinteresse dann, wenn der Geschädigte nachweist, er hätte ohne die culpa in contrahendo seines Partners einen bestimmten Erfüllungsanspruch gehabt.26 Umgekehrt bildet hier das negative Interesse keine Begrenzung des positiven. Der Schädiger trägt also bei Vertragsverhandlungen das volle Risiko einer Schädigung, und er kann sich weder darauf berufen, der Vertrag sei geschlossen worden, noch er sei nicht geschlossen worden. Denn er muß mit Abschluß und Nichtabschluß rechnen.27
§21
Verfassungsrecht und Schuldrecht. Die Vertragsfreiheit und ihre Grenzen Adomeit, Gestaltungsrechte - Rechtsgeschäfte - Ansprüche. Zur Stellung der Privatautonomie im Rechtssystem, 1969; Biermann, IherJb. 32, 267; Bülck, Vom Kontrahierungszwang zur Abschlußpflicht, 1940; Bydlinski, F., Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967; ders., AcP 180 (1980), 1; ders., JZ 80, 378; ders., FS Klecatsky, 1980, 129; Canaris, AcP 184 (1984), 201; ders., AcP 185 (1985), 9; ders., JZ 87, 993; ders., JuS 89, 161; Dilcher, NJW 60, 1040; ders., AcP 164 (1964), 1; Dürig, FS Nawiasky, 1956, 157; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958; Flume FS DJT Bd. I, 1960, 135; Grimm, in: Birtsch (Hrsg.), Grundrechte und Freiheitsrechte im Wandel der Gesellschaft und Geschichte, 1981, 359; Grunewald, AcP 182 (1982), 181; Günther, DB 69, 25; Hackt, Vertragsfreiheit und Kontrahierungszwang, 1980; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, 1988; Hippel, Fritz v., Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, 1936; Hönn, Jura 84, 57; ders., JuS 90, 953; Huber, Hans, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, 1966; Huber, Ulrich, Jura 1970, 784; Kessler, FS M. Wolff, 1952, 67; Kaiser, KJ 76, 60; Kilian, AcP 180 (1980), 47; ders., ZHR 142 (1978), 453; Kitagawa, (II.) FS Lorenz, 1983, 329; Kramer, E. A., Die „Krise" des liberalen Vertragsdenkens, 1974; Lammel, AcP 189 (1989), 244; Laufte, FS H. Lehmann, Bd. I, 1956 145; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960; Luig, FS Coing, 1982, 171; Lukes, BB 86, 2074; Manigk, Die Privatautonomie, 1935; Merz, Privatautonomie heute, 1970; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920; ders., Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl. 1965; Raiser, Ludwig, FS DJT, Bd. I, 1960, 101; ders., Kontrahierungszwang im Monopolrecht, Kartelle und Monopole im modernen Recht, Bd. II, 1961, 532; ders., JZ 1958, 1; Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, 1978; Reimer, Die Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht, 1958; Reinhardt, FS Schmidt-Rimpler, 1957, 115; Reuter, AcP 189 (1989), 199; Roscher, Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, 1974; Schmidt-Rimpler AcP 147 (1941), 130; ders., FS L. Raiser, 1974, 3; Schmidt-Salzer, NJW 70, 8; ders., NJW 71, 5; Schmidt, Jürgen, Vertragsfreiheit und Schuldrechtsreform, 1985; ders., FS Lukes, 1989, 793; Schwabe, J., AcP 185 (1985), 1; Siber, IherJb. 70, 223; Wolf, Manfred, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und Interessenausgleich, 1970; ders., Die Privatautonomie, in: Emmerich, Grundlagen, 20 ff; ders., JZ 76, 41; Simon, J., ZIP 87, 1234; Zöllner, AcP 176, 221; Zweigert, Verbotene Geschäfte, FS Riese, 1964, 213. 26 27
RGZ 132, 76 (80) mit der früheren Rechtsprechung; RGZ 159, 33 (57); BGHZ 49, 77. A. A. RGZ 159, 33. 75
§21 II
Begründung des Schuldverhältnisses
I. Das Schuldrecht als Teil der grundgesetzlichen Wirtschaftsordnung 82
Das Grundgesetz schreibt weder eine völlig freie (liberalistische) Marktwirtschaft vor, noch eine Planwirtschaft (ZentralVerwaltungswirtschaft). Die Verfassung ist allerdings nicht in dem Sinne wirtschaftspolitisch neutral, daß sie zu den grundlegenden Fragen einer Wirtschaftsordnung nichts enthält. Vielmehr bekennt sich das Grundgesetz zu einer Reihe ausdrücklich aufgezählter, mehr oder weniger weitgespannter persönlicher Freiheits- und Gleichheitsrechte, die nur unter bestimmten, weitgehend vom Grundgesetz vorgesehenen Voraussetzungen durch staatlichen Eingriff eingeschränkt werden können. Darüber hinaus ist die Wirkung dieser Freiheitsrechte auch zwischen Privatpersonen zum Teil anerkannt. Da das Grundgesetz den individuellen Freiheitsrechten bewußt Grundsätze der sozialen Verbundenheit, insbesondere die Staatszielbestimmung des Sozialstaats in Art. 20 I GG und die Sozialbindung des Eigentums gemäß Art. 14 II GG, entgegensetzt, ist es gerechtfertigt, von einer Verankerung der sozialen Marktwirtschaft im Grundgesetz in einem weitverstandenen Sinn zu sprechen. Damit ist freilich weder für noch gegen ein bestimmtes wirtschaftspolitisches Programm Stellung genommen, noch läßt sich anhand des Grundgesetzes dazu Stellung nehmen. In der folgenden Skizze interessieren die für das Schuldrecht des BGB bedeutsamen Freiheitsgrundrechte, insbesondere die allgemeine Handlungsfreiheit. Dabei muß für die erforderliche Vertiefung auf verfassungsrechtliches Schrifttum verwiesen werden.
II. Die für das Schuldrecht bedeutsamen Freiheitsgrundrechte 83
Unter den Freiheitsrechten ist besonders die freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 I GG hervorzuheben. Seit dem Elfes-Urteil des BVerfG (BVerfGE 6, 32) ist anerkannt, daß Art. 2 I GG die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet. Art. 2 I GG dient damit als sogenanntes Auffanggrundrecht, durch das jegliches menschliches Verhalten geschützt wird, das nicht in den Schutzbereich eines speziellen Freiheitsgrundrechts fällt. Als notwendige Ergänzung des allgemeinen Auffanggrundrechts wird auf der Grundlage von Art. 1 I, 2 I GG ein allgemeines Persönlichkeitsrecht anerkannt. Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit sind gerechtfertigt, wenn sie die Voraussetzungen einer Schranke der Schrankentrias des Art. 2 I GG (verfassungsmäßige Ordnung, Rechte anderer, Sittengesetz) erfüllen. Im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit werden bestimmte spezielle Freiheiten geschützt, die sich als Fallgruppen herausgebildet haben. Einer der wichtigsten Fälle ist die Privatautonomie, die sich wiederum in der Vertragsfreiheit' konkretisiert (Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Loseblatt, Stand 1994, Art. 2 I Rdn. 48; Pietzker, FS Bachof 1984, 131 ff, 148). Die Vertragsfreiheit bedeutet Abschlußfreiheit, Freiheit der Partnerwahl, Typenfreiheit, Inhaltsfreiheit und Formfreiheit für schuldrechtliche Verträge.2 Diese Freiheit ist unentbehrlicher Bestandteil einer sozialen Marktwirtschaft. Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Vertragsfreiheit siehe oben § 1 III, zum Rechtsbegriff und zur rechtlichen Bedeutung der Vertragsfreiheit siehe unten III. 1 2
BVerfGE 8, 274; 12, 347; BGHZ 70, 324. Im einzelnen Medicus I, § 10 I.
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Verfassungsrecht und Schuldrecht
§21 III 2
Eine andere Freiheit, die Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG ist und die für das Schuldrecht Bedeutung hat, ist nach der hier vertretenen Auffassung das Recht auf freie wirtschaftliche Betätigung und Bedarfsdeckung (Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht, Gewerbefreiheit im weiteren Sinne). 3 Während die Vertragsfreiheit jedermann begünstigt, spielt die allgemeine Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung und Bedarfsdeckung nur im wirtschaftlichen Bereich eine Rolle. Z w i s c h e n der Vertragsfreiheit und d e m Recht auf wirtschaftliche Betätigung können Konflikte entstehen, die dann also Konflikte innerhalb der allg. Handlungsfreiheit sind. S o w e i t Eingriffe des Staates vorliegen, ist vorrangig auf eine Verletzung des wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechts abzustellen (soweit es mit der hier vertretenen M e i n u n g a n g e n o m m e n wird), da es in B e z u g auf die Vertragsfreiheit die speziellere A u s f o r m u n g der allgemeinen Handlungsfreiheit ist. Durch Ausübung der Vertragsfreiheit kommen Verträge und damit vertragliche Rechte zustande. Durch die Ausübung der allgemeinen Unternehmerfreiheit werden Unternehmen begründet, Vermögen und Eigentum gebildet. Auf diese Weise entstehen Rechtsgüter, die als solche wiederum zivilrechtlich und grundgesetzlich (besonders nach Art. 14 GG) geschützt sind. Zu diesem Spannungsverhältnis zwischen den Freiheiten einerseits und den geschützten Einzelrechtsgütern andererseits ist im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung und der unerlaubten Handlungen (unten § 97 II) noch einiges zu sagen.
III. Vertragsfreiheit 1. Durch Verankerung der Vertragsfreiheit in der Rechtsordnung überläßt der Staat die 8 4 Regelungen der speziellen Bedürfnisse der einzelnen den Beteiligten selbst. Die Vertragsfreiheit ist die Freiheit, die die Rechtsgenossen ermächtigt, Verträge zu schließen und dadurch andere und auch sich selbst rechtlich zu binden. Der Vertragsschluß ist rechtsschöpferische Tätigkeit, durch die kein objektives, weil kein allgemein verbindliches Recht entsteht, 4 wohl aber subjektive Rechte geschaffen werden. Der Staat stellt Gerichte zur Verfügung, die von den Rechtsgenossen geschlossenen Verträge im Prozeß- und Vollstreckungswege notfalls zwangsweise durchsetzen. 2. W i e bereits ausgeführt, ist die Vertragsfreiheit eine Konkretisierung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG. § 3 0 5 B G B enthält d e m g e g e n über keine Gewährleistung der Vertragsfreiheit, sondern setzt sie voraus. D e n noch wird § 3 0 5 B G B oft als Stütze der Vertragsfreiheit herangezogen. D i e Vertragsfreiheit ist nach Art. 2 I G G beschränkt durch die Sittenordnung, die Rechte anderer und die verfassungsmäßige Ordnung. Unter verfassungsmäßiger Ordnung sind nach allgemeiner A u f f a s s u n g alle verfassungsmäßigen Rechtsvorschriften zu verstehen. D i e s e die Vertragsfreiheit begrenzenden Vorschriften m ü s s e n allerdings ihrerseits d e m Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 3
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Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 I 2; zum Verhältnis von Art. 2 I, 12 und 14 ebenda, § 20 V 3-6; die Entfaltungsfreiheit auf wirtschaftlichem Gebiet wird auch von der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt, vgl. BVerfGE 10, 89, 99; 29, 267; 32, 311 ff, 316; 50, 366; BVerwG 30, 198. H. L., vgl. nur Lorenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, § 1 Ic. 77
§21
Begründung des Schuldverhältnisses
IV 2
entsprechen, d. h. geeignet, erforderlich und angemessen sein, einen legitimen Zweck zu verfolgen. 5 Beispielsweise sind die zwingenden Vorschriften zugunsten des Dienstverpflichteten (§§ 617-619 BGB) und des „sozialen Mietrechts" Einschränkungen der Vertragsfreiheit, aber Teil der verfassungsmäßigen Ordnung und verhältnismäßig zur Erreichung sozialer Zwecke. Ob alle Fälle des gesetzlichen Abschlußzwangs heute noch durch die Verfassung gedeckt sind, ist fraglich. Im Zweifel ist nicht dem direkten gesetzlichen Eingriff in die Vertragsfreiheit, sondern einer wirtschaftspolitischen Maßnahme der Vorzug zu geben, die ausgeglichene Marktverhältnisse herstellt oder wenigstens anstrebt,6 denn es gibt keinen sozialeren Verteiler der knappen Güter als einen funktionierenden Markt. 85 3. Die Vertragsfreiheit, die ein Unterfall der allgemeinen Handlungsfreiheit ist, kann wiederum in speziellere Freiheiten unterteilt werden: die Abschlußfreiheit, nämlich das „Ob überhaupt" und die Freiheit der Partnerwahl, die Inhaltsfreiheit (einschließlich Typenfreiheit) und die Formfreiheit (Medicus I, § 10 I). Diese Freiheiten werden im folgenden erörtert (zur Formfreiheit s. § 22).
IV. Abschlußfreiheit, Freiheit der Partnerwahl und ihre Schranken 86
1. Die Vertragsfreiheit bedeutet zunächst, daß jeder frei entscheiden kann, ob er Verträge schließt (Abschlußfreiheit des „Ob") und mit wem er dies tut (Freiheit der Partnerwahl). 2. Diese Freiheiten sind beschränkt, wenn ausnahmsweise eine Abschlußpflicht besteht. Die Abschlußpflicht wird auch Kontrahierungszwang genannt.7 Der Abschlußzwang kann unmittelbarer oder mittelbarer Natur sein, je nachdem, ob eine Vorschrift ausdrücklich eine Abschlußpflicht vorsieht oder sich der Abschlußzwang mittelbar aus einer Schadensersatzpflicht ergibt. a) Unmittelbarem Abschlußzwang unterliegen vor allem Versorgungsunternehmen wie Bahn, öffentliche Verkehrsunternehmen (Straßenbahn, Omnibus), Post und Elektrizitäts- und Wasserwerke. Für das Transportrecht findet sich der Kontrahierungszwang in § 453 HGB i. V. m. §§ 3, 6, 53 EVO (Eisenbahnverkehrsordnung), § 22 PersBefG, § 21 II LuftVG, §§ 13 a, 90 GüKG, § 29 BO Kraft. Weiterhin trifft die Post nach § 8 PostG und Unternehmen der Energie5
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Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Stand: Dezember 1994, Art. 2 I Rdn. 61, 63; Schmidt-Bleibtreu, B. /Klein, F., Kommentar zum GG, 8. Aufl. 1995, Art. 2 Rdn. 14; BVerfGE 8, 274; 78, 320; 84, 372. Medicus I, § 10 III (Rdn. 74) bezweifelt die Nutzbarkeit des Gleichgewichtsgedankens. Daran ist zutreffend, daß nicht jede Ungleichgewichtslage zu einer richterlichen Vertragskorrektur führen darf. Dies wäre das Ende der freien Marktwirtschaft als des offenen Dialogs über Werte. Im BGB ist dieser Dialog im § 119 II verankert: Preis-, Kalkulations- und Wertirrtümer berechtigen als bloße Motivirrtümer nicht zur Anfechtung. Zum Kontrahierungszwang, Nipperdey, H. C., Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920; Bydlinski, F., AcP 180 (1980), 1; ders., JZ 80, 378; Kilian, AcP 180 (1980), 47 (damals vollständige Übersicht).
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IV 2
Versorgung nach § 6 EnergiewirtschaftsG eine Abschlußpflicht. Weitere Fälle sind geregelt in § 5 II PflVersG (Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung) und §§ 78 a BetrVG, 9 BPersVG, 4 SchwerbehindertenG (Abschlußzwang mit Arbeitnehmern), § 24 PatG (Zwangslizenz, BGHZ 131, 247). b) Mittelbarer Abschlußzwang kann sich aus Vorschriften des G W B ergeben. Nach d e m Diskriminierungsverbot des § 26 II 1 G W B sind marktbeherrschende Unternehmen, Kartelle und preisbindende Unternehmen gehalten, andere Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, nicht unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund gegenüber gleichartigen Unternehmen unterschiedlich zu behandeln. Unternehmen, die eine besonders wichtige Stellung im Markte haben, sollen also diese Stellung nicht dazu mißbrauchen, Marktverschiebungen auf der Marktgegenseite hervorzurufen. 8 Gleiches gilt nach § 26 II 2 G W B , wenn f ü r einen Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder Leistungen eine derartige Abhängigkeit von einem Unternehmen besteht, daß ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht vorhanden sind. So darf der Hersteller einer bekannten Ski-Marke Billig-Händler nicht von der Belieferung ausschließen. 9 Bei Verletzung der Diskriminierungsverbote nach § 26 II 1 und 2 G W B kann nach § 35 I 1 G W B Schadensersatz verlangt werden. Als Schadensersatz kann auch Abschluß von Verträgen verlangt werden; es herrscht dann Abschlußzwang. 1 0 - Verbände dürfen nach § 27 G W B bei der A u f n a h m e neuer Mitglieder nicht diskriminieren; es besteht insoweit A u f n a h m e z w a n g .
c) Wenn kein unmittelbarer Abschlußzwang nach Spezialvorschriften oder mittelbarer Abschlußzwang nach dem GWB besteht, kann sich ein mittelbarer Kontrahierungszwang auch aus § 826 ergeben, wenn einem anderen durch die Weigerung des Vertragsabschlusses in sittenwidriger Weise vorsätzlich Schaden zugefügt wird. Sittenwidrigkeit der Weigerung wird angenommen, wenn der Inhaber einer Monopolstellung die Allgemeinheit mit im weitesten Sinne lebenswichtigen Gütern11 versorgt. Sittenwidrigkeit ist auch dann anzunehmen, wenn eine Leistung allgemein angeboten wird, aber Einzelnen vorenthalten wird, ohne daß zumutbare Ausweichmöglichkeiten für den Nachfrager bestehen. So fügt der Landarzt, der nachts gerufen wird, dem Kranken sittenwidrig und vorsätzlich Schaden zu, wenn er sich aus einem nichtigen Grund weigert, den Kranken aufzusuchen. Ein Fall des Aufnahmezwangs nach § 826 ist auch die Aufnahmepflicht für Vereine mit Monopolstellung. 12 d) Kontrahierungszwang stellt die vertragliche Bindung im Sinne des „Ob" und des „mit wem" her, schränkt also die Abschlußfreiheit in ihren beiden For8 9
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Eine dem § 26 II 1 GWB (nicht aber § 26 II 2) vergleichbare Vorschrift enthält Art. 86 II lit. c EWGV. BGH NJW 1976, 801 - Rossignol - ; vgl. auch BGH NJW 1979, 2152 - Nordmende - ; BGH LM 29 zu § 26 GWB - Asbach Uralt - . Ausführlicher Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 IX 4. Zu den lebenswichtigen Gütern gehört beispielsweise auch der Theaterbesuch für einen Theaterkritiker, vgl. RGZ 133, 388 - Theaterkritiker - = ESJ 7. BGHZ 63, 282 - Rad- und Kraftfahrerbund - . 79
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men ein. Damit liegt aber noch kein Vertragsinhalt vor. Einigen sich die Parteien nicht auf einen solchen, muß ihnen ein Inhalt vorgeschrieben werden. Dies sind dann sogenannte diktierte Verträge.13 Hierbei kommt ein Vertragsinhalt ohne Willenserklärung der Beteiligten durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt zustande. Der diktierte Vertrag war ein Instrument der Zwangsbewirtschaftung. Heute gibt es nur noch wenige Vorschriften, die zur Begründung eines diktierten Vertrages ermächtigen. Zu nennen sind § 97 II BauGB und § 5 HausratsVO. Die Wiedereinführung weitgehender Bewirtschaftung im Notfalle ist in den „Sicherstellungsgesetzen" (Notstandsgesetzen) vorgesehen.14 3. Die Abschlußfreiheit ist gegen bestimmte Selbstbeschränkungen nach dem Recht der Wettbewerbsbeschränkungen geschützt. Nach §§18, 19 GWB sind Absprachen zwischen Unternehmen, welche die Abschlußfreiheit beschränken, grundsätzlich wirksam, doch unterliegen sie einer Mißbrauchskontrolle durch das Bundeskartellamt. 15
V. Inhaltsfreiheit, Typenfreiheit und Schranken 87
1. Im Schuldrecht herrscht auch inhaltlich Vertragsfreiheit, d. h. die Parteien können sich grundsätzlich Verträge beliebigen Inhalts ausdenken. Dazu zählt auch die Freiheit, sich Vertragstypen zu wählen. Dagegen werden das Sachenrecht, das Familienrecht und das Erbrecht vom Typenzwang (numerus clausus) bestimmt, was bedeutet, daß der Kreis der vom Gesetz zur Verfügung gestellten Sachenrechte durch Privatautonomie nicht zu erweitern ist. 88 2. Die Inhaltsfreiheit unterliegt folgenden Schranken: a) Zwei Spezialfälle regeln § 310 und § 312 I. Nach § 310 ist ein Vertrag nichtig, durch den sich der eine Teil verpflichtet, sein künftiges Vermögen oder einen Bruchteil davon zu übertragen oder mit einem Nießbrauch zu belasten. Dagegen sind Verträge, in denen man sich verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen zu übertragen, wirksam. § 312 I bestimmt, daß ein Vertrag über den Nachlaß eines noch lebenden Dritten nichtig ist. b) Für Arbeitsverträge können sich Beschränkungen aus Tarifverträgen ergeben. Dies sind Normenverträge aufgrund einer den Sozialpartnern vom Staat gewährten Autonomie. In ihrem normativen Teil, der vom schuldrechtlichen Teil zu unterscheiden ist, können nach §§ 1 I TVG; 3 BetrVG Rechtsnormen über Abschluß, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie Regelungen zu betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen enthalten sein. Solche Regelungen des normativen Teils wirken gem. § 4 TVG im Gel13 14 15
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Den Begriff prägte H. C. Nipperdey (s. o. Fn. 7). Z. B. § 10 ArbeitssicherstellungsG, Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 24 II 7. Dazu die Lehrbücher und Kommentare zum GWB, z. B. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 VII; Fikentscher/Straub im Gemeinschaftskommentar zum GBW, 4. Aufl. 1981 ff, §§ 15-19. Diese Mißbrauchskontrolle sieht konsequenterweise auch diktierte Verträge vor: §§ 19 II, III; 22 V 1, HS. 2 GWB.
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tungsbereich des Tarifvertrags unmittelbar auf die Arbeitsverhältnisse ein: Der Arbeitsvertrag wird inhaltlich so ausgestaltet, wie es im normativen Teil des Tarifvertrags geregelt ist. c) Eine wichtige Schranke der Inhaltsfreiheit sind zwingende Vorschriften. Der zwingende Charakter einer Norm kann ausdrücklich bestimmt sein (vgl. nur §§ 248 I, 276 II, 419 III, 443, 476, 651 k, 619), oder er kann sich aus dem Zweck der Norm ergeben. Zwingender Natur aufgrund des Normzwecks sind beispielsweise die Formvorschriften, die dem Übereilungsschutz dienen (Medicus I, § 12 II 2 a). Zwingendes Recht bewirkt auch für eine Vielzahl von Geschäften der numerus clausus der Sachenrechte. Man kann z. B. nicht ein Pfandrecht mit neuartigem schuldrechtlichen Inhalt bestellen (BGHZ 23, 293). Eine Vereinbarung, die eine zwingende Vorschrift nicht beachtet, ist nach § 134 nichtig. Im Zweifel bewirkt dies nach § 139 die Nichtigkeit des gesamten Vertrages.16 d) Nach § 134 sind weiterhin nichtig Verträge, die gegen Verbotsgesetze verstoßen, soweit nach dem Zweck der Verbotsvorschrift Nichtigkeit eintreten soll. § 134 begründet nach h. L. als Auslegungsregel eine Vermutung für die Nichtigkeit bei Gesetzesverstoß, soweit bei der Auslegung einer Vorschrift Zweifel bleiben.17 Der Begriff des Gesetzes ist in § 2 EGBGB gesetzlich festgelegt als jede Rechtsnorm, umfaßt also Gesetze im formellen und materiellen Sinne. Die in Frage kommenden Verbote sind vielfältig. Devisen- und Bewirtschaftungsvorschriften können Verbote nach § 134 sein. Für weitere Einzelfälle ist auf die Literatur zum Allgemeinen Teil und die Kommentarliteratur zu verweisen.18 e) Für allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) brachte das AGBG von 1976 weitere Schranken der Inhaltsfreiheit, namentlich in §§9, 10 und 11. AGB sind eingangs erwähnte vorformulierte Vertragsinhalte, auf die im Einzelvertrag verwiesen wird.19 Nach der Generalklausel des § 9 AGBG sind AGB unwirksam, wenn sie das Gesetz einseitig zuungunsten des Vertragspartners abbedingen oder ihn wider Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (im einzelnen unten § 26 VI). f) Aufgrund einer EG-Richtlinie wurde im Juli 1996 § 24 a AGBG eingeführt, der im Falle eines Verbrauchervertrags (zwischen einem Unternehmer und einem nichtgewerblichen und nichtberuflichen Abnehmer) zentrale Vorschriften des AGBG auch auf vorformulierte Vertragsbedingungen zur Anwendung bringt, die nur zu einmaliger Verwendung bestimmt, also keine AGB sind; zur Vorgeschichte o. Rdn. 130. Sachlich handelt es sich um eine Erweiterung des § 138 (s. u. g)) zum Schutze des Verbrauchers. Der Inhalt des Schutzes er16 17
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Beispiel für nur teilweise Nichtigkeit in BGHZ 40, 239. Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, 1983, S. 15; Palandt/Heinrichs, Rdn. 7; anders Jauernig/Jauernig, § 134 Anm. 3 b und wohl auch BGHZ 45, 326. Überblick bei Palandt/Heinrichs, § 134 Rdn. 14-27. Vgl. die Definition in § 1 I 1 AGBG.
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gibt sich nach Maßgabe des § 2 4 a A G B G nach den Vorschriften des A G B G (s. u. Rdn. 1 3 0 - 1 5 3 ) . B e i sachgerechter A u s l e g u n g des § 138 B G B hätte e s des § 2 4 a A G B G kaum bedurft. g) § 138 I, II enthält eine allgemeine Schranke der Inhaltsfreiheit. N a c h § 138 I sind Verträge nichtig, die gegen die guten Sitten verstoßen, § 138 II verbietet Wucher. N a c h § 139 erstreckt sich die Nichtigkeit grundsätzlich auf das Rechtsgeschäft im Ganzen. Sittenwidrig ist z. B. ein Vertrag, in d e m sich die Beteiligten dazu verpflichten, einen Dritten zu berauben. Der Verkauf einer Anwaltspraxis ist entgegen früherer Rechtsprechung heute grundsätzlich zulässig ( B G H Z 43, 46). Erfolgshonorare v o n Anwälten sind demgegenüber weiterhin sittenwidrig.20 Für die vielfältigen Einzelfälle muß wiederum auf die Literatur z u m Allgemeinen Teil und die Kommentarliteratur verwiesen werden. 21 h) Eine Begrenzung erfährt die Inhaltsfreiheit - w i e bereits die Abschlußfreiheit (s. o. IV 2 d) - durch die Ermächtigungen für diktierte Verträge. Solche diktierten Verträge sind nicht zu verwechseln mit d e m Zustandekommen v o n Verträgen unter d e m Einfluß v o n Tarifverträgen oder A G B , da das Zustandek o m m e n des diktierten Vertrags keine Willenserklärungen voraussetzt. i) Eine Einschränkung der Inhaltsfreiheit, die zugleich eine Einschränkung der Abschlußfreiheit sein kann, ist das Erfordernis öffentlichrechtlicher Genehmigungen von privatrechtlichen Verträgen. Folgende Beispiele sind wichtig: Nach § 2 des GrundstücksverkehrsG bedarf die Veräußerung eines land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücks der Genehmigung. Die Genehmigungsbehörde bestimmt nach § 3 GrundstücksverkehrsG das Landesrecht. Eine Teilungsgenehmigung für ein Grundstück ist nach § 19 I BauGB erforderlich. Nach § 3 S. 2 WährungsG ist es ohne Genehmigung der Deutschen Bundesbank unzulässig, in einem Vertrag eine Wertsicherungsklausel zum Ausgleich der Geldentwertung aufzunehmen. 22 Daneben haben die Genehmigungserfordernisse für Ausfuhrverträge nach dem AußenwirtschaftsG Bedeutung erlangt. 3. Gegen Selbstbeschränkungen der Inhaltsfreiheit schützen §§ 15-17 GWB. Danach sind vertragliche Beschränkungen der Inhaltsfreiheit grundsätzlich nichtig. 23
VI. Vertragsfreiheit und wirtschaftliche Macht Biedenkopf, Vertragl. Wettbewerbsbeschränkung u. Wirtschaftsverfassung, 1958; ders., FS Böhm, 1965,113; ders., FS Coing, Bd. II, 1982, 21; Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 1933; Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958; ders., in: Fikentscher/Hoffmann/Kugler, Rechtsfragen der Planifikation, 1966, 81 ff; ders., Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, 1971; ders., Als-Ob-Wettbewerb 20 21 22 23
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BGHZ 34, 70; 39, 148; BGH NJW 1987, 3204; den Sonderfall des Erfolgshonorars eines ausländischen Anwalts behandelt BGHZ 22, 162. Überblicke z.B. bei Jauernig/Jauernig, § 138 Anm. 3 d; Palandt/Heinrichs, § 138 Rdn. 78110. Vgl. unten Rdn. 218. Dazu die Lehrbücher und Kommentare zum GWB, z. B. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 VII; Fikentscher/Straub im Gemeinschaftskommentar zum GWB, 4. Aufl. 1981 ff, §§ 15-19.
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und Mißbrauchsbegriff, 1971; ders., FS Hefermehl, 1971, 41; ders., Wirtschaftliche Gerechtigkeit und kulturelle Gerechtigkeit, 1997; Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, 1968; Hager, in: Zum Deutschen und Internationalen Schuldrecht, 1983, 51; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982; ders., JZ 83, 677; Kronstein, Die abhängige juristische Person, 1931; ders., Recht der internationalen Kartelle, 1967; Luig, FS Coing, 1982, 171; Merz, Privatautonomie heute, Grundsatz und Rechtswirklichkeit, 1970; Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235; v. Ohlshausen, ZHR 146, 259; Raiser, L., JZ 58, 1; ders., JZ 61, 465; ders., in: Summum ius summa iniuria, 1963, 145; Ramm, Vertragsfreiheit - Instrument der Ausbeutung?, Gerechtigkeit i. d. Industriegesellschaft, 1972, 39; Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, 1978; v. Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts, 1982; Steglich, Ungleichheit als Kriterium zur Beurteilung neuer Zivilrechtsprechung, Diss. Kiel 1983; Steindotff, FS L. Raiser, 1974, 621; Ulmer, P„ AcP 174 (1974), 167; Wellenhofer-Klein, ZIP 1997, 774; Westermann, H. P., Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970; ders., AcP 178 (1978), 150; Wolf, Manfred, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970; ders., FS L. Raiser (aaO), 597. 1. Die Vertragsfreiheit geht davon aus, daß die Parteien im Zweifel am be- 8 9 sten wissen, welche Opfer und Risiken sie auf sich nehmen sollen, um ein von ihnen angestrebtes Ziel auf rechtsgeschäftlichem Wege zu erreichen. Der ausgehandelte Vertrag trägt durch die auf beiden Seiten eingesetzte Parteiautonomie zunächst einmal die Vermutung des gerechten Interessenausgleichs in sich. Das trifft aber nur zu, wenn die Ausgangspositionen der Vertragsschließenden grundsätzlich ebenbürtig waren. Durch persönlichen Einfluß („undue influence") oder durch wirtschaftliches Übergewicht kann ein gerechter Ausgleich in schwächerem oder stärkeren Maß verhindert werden. Stets kann es aber nur darum gehen, ungewöhnlich starke Belastungen zu vermeiden, die die vom Zivilrecht gezogenen Grenzen (§§ 123, 138, 242, c. i. c. u. a.) verletzen. 24 Es gibt keinen „verfassungsrechtlichen Nichtigkeitsgrund mangelnder Vertragsparität".25 Dem Einfluß wirtschaftlicher Macht auf Verträge widmet sich ein umfangreiches Schrifttum. Arbeitsrecht und Recht der AGB bilden dabei gesondert zu besprechende Fragenkreise, unten §§ 26 V 5, 79. Zur Frage der Einschränkung der Vertragsfreiheit unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Macht im allgemeinen werden zumindest vier Auffassungen vertreten: 2. a) Wolf setzt sich, z. T. in Anlehnung an die amerikanische Rechtsprechung zum 9 0 „misuse of bargaining power", für eine rechtsgeschäftliche Kontrolle ein, die zur Notwendigkeit einer Vertragsanspassung führt, wenn die wirtschaftliche Ausgangslage den Vertragsschluß in einer für eine Partei unzumutbaren Weise beeinflußt hat. b) Eine andere Auffassung spricht von Anpassung oder Unwirksamkeit des Vertrags, wenn die wirtschaftliche Vormacht einer Seite die andere Seite daran gehindert hat, den Risikorahmen des Vertrags so abzustecken, wie es unter Wettbewerbsbedingungen möglich gewesen wäre, oder wenn sich bei Durchführung des Vertrags ein Risiko verwirk24 25
Medicus I Rdn. 74, s. a. oben Rdn. 86, bei Anm. 6. Adomeit, NJW 1994, 2467. 83
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licht, das bei Aushandlung des Vertrags unter Wettbewerbsbedingungen nicht in den Vertrag einbezogen worden wäre, so Fikentscher, Geschäftsgrundlage, 79 ff; s. a. Ulmer, P., AcP 174 (1974), 167. c) Eine dritte Theorie wählt für gravierende Fälle den deliktischen Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Partei, und zwar durch Zuerkennung eines subjektiven Freiheitsrechts im Sinne des § 823 Abs. 1. In Deutschland wird sie vertreten von Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, 207 ff; ders., Vertrag und wirtschaftliche Macht, FS Hefermehl, 1971, 41 ff; ders., Wirtschaftsrecht, § 22 I 2 und Scholz, ZHR 132, 97 ff, 105 ff; ders., Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1971. Auch die Schweizer Tradition entspricht dem: Kummer, Anwendungsbereich und Schutzgut der privatrechtlichen Rechtssätze gegen unlauteren und freiheitsbeschränkenden Wettbewerb, 1960. d) Schließlich entscheidet sich eine große Gruppe von Autoren für die Anwendbarkeit von § 823 Abs. 2 zum Schutze gegen Marktmacht. Der Ton wird dabei einmal mehr auf die neoliberale Konzeption einer Wettbewerbsordnung gelegt, so - mit unterschiedlichen Standpunkten im einzelnen - Böhm, Biedenkopf, Koch und Mestmäcker, zum andern mehr auf die Institutionenlehre (der Wettbewerb als Institution), so vor allem L. Raiser. 91 3. Die Theorien stehen in keinem unbedingten Gegensatz zueinander und kommen im wesentlichen zu gleichen Ergebnissen. Gegen die Auffassung von Wolf spricht, daß nach seiner Ansicht der Einfluß wirtschaftlicher Macht auf den Vertrag abstrakt geprüft werden muß, auch wenn er sich nicht im Einzelfall nachteilig auswirkt. Wolf kann erst bei der „Anpassung" dem Einzelfall gerecht werden. Es ist wohl besser, auf die Verwirklichung eines nachteiligen Risikos oder auch einen entstandenen Schaden abzustellen, wie die drei letztgenannten Theorien es tun. Ob man den Weg über § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 geht, hängt von der Einschätzung der Subjektivität des Freiheitsschutzes ab und ist praktisch Überzeugungssache. Wer § 823 Abs. 1 bejaht, läßt den Anspruch nach Abs. 2 konkurrierend zu, da fast allgemein vertreten wird, daß der Wettbewerb zumindest auch Institutionenschutz genießt, vgl. aber Würdinger WuW 53, 721. Der Hauptnachteil alle Lösungen über § 823 Abs. 2 ist das Angewiesensein auf die Existenz und den positiven Wortlaut eines in Betracht kommenden Schutzgesetzes (so leugnet die h. M. z. B. den Schutzgesetzcharakter von § 22 GWB, der zentralen Norm zum Schutz gegen den Mißbrauch von Marktbeherrschung, statt aller Möschel bei Immenga/Mestmäcker GWB, § 22 Rdn. 201; dagegen Fikentscher, Wirtschaftsrecht, § 22 IX 2 g). Alle Lücken und Unvollkommenheiten der schutzgewährenden Norm belasten dann auch die Vertragskorrektur. Das kann sehr unbefriedigend sein und spricht für § 823 Abs. 1. Die Kumulation von Vertrags- und Deliktsrecht ist auch in diesen Fällen sinnvoll, da der deliktsrechtliche Schutz gegen Wirtschaftsmacht nur verhältnismäßig allgemein wirken kann, im Falle eines Vertragsschlusses dagegen wesentlich genauer Parteiautonomie und Machtkorrektur miteinander abgewogen werden können, dazu im einzelnen Fikentscher, Geschäftsgrundlage, 79 f; ders., Wirtschaftsrecht, § 1 I 8; § 22 IX 2 d. Im einzelnen ist zu bestimmen, wieweit eine Partei unbeeinflußterweise von ihrer Autonomie Gebrauch gemacht hätte. Insoweit muß sie auch die damit verbundenen Risiken tragen. Die deliktsrechtlichen Lösungen dürfen dann zu keinem anderen Ergebnis kommen. Legitim eingegangene Vertragsrisiken definieren also insoweit den nach § 823 zu ersetzenden Schaden, wodurch eine wirksame Konkretisierung des umstrittenen Begriffs des „Als-obWettbewerbs" als Grundlage deliktischer Vertragsanpassung im Kartellrecht erzielt wird.
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VII. Verfassungskonforme Vertragsgestaltung? Die „klassischen" Themen auf dem Grenzgebiet von Vertrags- und Verfas- 92 sungsrecht waren bisher die verfassungsrechtliche Verankerung der Vertragsfreiheit (oben II.) und die Frage nach dem Verhältnis von Vertragsfreiheit und wirtschaftlicher Macht, vor allem im Zusammenhang mit Kartellrecht und allgemeiner Wirtschaftsverfassung (oben VI.). Namentlich die Fälle von Bürgschaftserklärungen durch Kinder und andere Abhängige (s. u. Rdn. 1001), von vorformulierten „formelhaften" Notarverträgen (BGHZ 74, 204; 108, 164; s. a. 101, 350; Medicus I Rdn. 92) und die Diskussion um § 24 a AGBG (s.u. Rdn. 130) haben daneben eine noch weiterreichende dritte Problematik gestellt, die sich als „Vertragsgrenzen durch Verfassungsrecht", verfassungskonforme Vertragsauslegung oder - allgemeiner - verfassungskonforme Vertragsgestaltung bezeichnen läßt.26 Es geht dabei um eine neue Variante der Drittwirkungsthematik (s. Rdn. 1277). Im Schrifttum halten sich die Befürworter eines - noch näher zu bestimmenden - verfassungsrechtlichen Einflusses auf Verträge (Canaris, Hager, Singer, Fastrich) die Waage mit ablehnenden Stimmen, die sich auf die ja ebenfalls verfassungsrechtlich niedergelegte Privatautonomie berufen (Zöllner, anders Adomeit, zur Vorsicht mahnend auch Medicus), wobei jede Klassifizierung nur unter Vorbehalt möglich ist. Ebensowenig wie es einen verfassungsrechtlichen Nichtigkeitsgrund der mangelnden Vertragsparität gibt (Adomeit), darf man von einer verfassungskonformen Vertragsauslegung reden. Verträge unterliegen kraft der Privatautonomie einem Fehlkalkulationsrisiko, das auch auf Wissen und Intelligenz sowie persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit der Parteien grundsätzlich keine Rücksicht nimmt, arg. § 119 II. Der Grund dafür liegt in der sozialen Aufgabe des (funktionierenden) Marktes, die benötigten Güter so billig und schnell wie möglich an den Ort des Bedarfs zu befördern, eine Aufgabe, die nur mit dergestalt risikobehaftet ausgehandelten Verträgen gelöst werden kann. Aber es gibt Grenzen, die sich von Wertungen ableiten, die auch in die Verfassung Eingang gefunden haben und deshalb unter Berufung auf die Verfassung ins Feld geführt werden können. Diese „letzten Grenzen" nur im Vollstreckungsrecht zu suchen 0Medicus AT Rdn. 706 d), ist deshalb zu eng (s. a. BVerfGE 89, 214 [1993] = 26
Adomeit, NJW 1994, 2467; Albers-Frenzel, Die Mithaftung naher Angehöriger für Kredite des Hauptschuldners, 1996; Canaris, AcP 184 (1984) 201; ders., JZ 1978, 994; ders., FS Lerche 1993, 873; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1982; ders., FS Kissel 1994, 193-212 (Menschenbild); Hager, ]., JZ 1994, 373; Hesse, K„ Verfassungs- und Privatrecht, 1988; Horm, Kompensation gestörter Vertragsparität, 1982; Honseil, H„ AcP 186 (1986) 115; Medicus, AT Rdn. 706 d; ders., AcP 192 (1992) 35; ders., SchR I Rdn. 74, 92; ders., BürgR Rdn. 253, 253 a; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997; Preis/Rolfs, DB 1994, 261; Puls, J„ Parteiautonomie, 1995; Rittner, FS Müller-Freienfels 1986, 509; ders., AcP 198 (1988) 126; Singer, R„ JZ 1995, 1133; Zöllner, AcP 196 (1990) 1; BGH BB 1997, 597; BGH ZIP 1997, 923; - Zur verfassungskonformen Ge.veize.sauslegung, die notwendig anderen Regeln folgt, z. B. Medicus AT Rdn. 310.
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NJW 1994, 36; ähnlich BVerfG NJW 1994, 2749). Als „Zwischenkontrolle", freilich nicht als Letztbegründung, ist das unserer Verfassung zugrundeliegende Menschenbild als Argument gegen zuweitgehende Übervorteilungen brauchbar (Fastrich, anders Zöllner). Die Grenzen, die das Zivilrecht selbst zieht (§§ 123, 134, 138, 242; 9, 24 a AGBG; HausTWG; und sonstiger spezieller Verbraucherschutz), sind in erster Linie zu beachten (richtig Medicus aaO), und z. B. mit § 138 I sollte nicht zu zurückhaltend verfahren werden. Bei der Anwendung dieser oft weit gefaßten Bestimmungen ist auf verfassungsrechtliche Wertungen zurückzugreifen. Zwei Voraussetzungen müssen allerdings zusammentreffen: Wo gröblich gegen solche Verfassungswerte verstoßen wird und wo außerdem aus persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen Privatautonomie in der Sache nicht besteht (Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen bei Kindern oder Auszubildenden, oder von wirtschaftlichen marktuntypischen Zwangslagen undue influence, s. u. Rdn. 1001), darf das Recht dem Verfassungsbrecher auch im Zivilrecht seine Hand nicht leihen.
VIII. Die salvatorische Klausel Kohler, DNotZ 61, 195; Pierer v. Esch, Teilnichtige Rechtsgeschäfte, 1968; H. Westermann, FS Ph. Möhring zum 75. Geburtstag, 1975, 135. Oft bestimmen die Parteien, daß, wenn ein Teil des Vertrags aus irgendeinem Grund unwirksam sein sollte, die übrigen Bestimmungen des Vertrags trotzdem gelten sollen (salvatorische Klausel). Die Wirkung der Klausel hängt von ihrer Auslegung im Einzelfall ab. Entweder ist gemeint, daß der restliche Vertrag gelten, aber keine Lückenfüllung angestrebt werden soll. Oder die Parteien wollten sich dazu verpflichten, Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, die durch die Unwirksamkeit entstandene Vertragslücke nach Möglichkeit zu schließen (Westermann: „Ersetzungsklausel"). Dagegen kann aus einer salvatorischen Klausel grundsätzlich kein Bestimmungsrecht i. S. d. §§ 315-319 herausgelesen werden. Überflüssig sind salvatorische Klauseln nicht (a. A. Pierer v. Esch).
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Form des Vertrags Battes, JZ 69, 683; Bernard, Formbedürftige Rechtsgeschäfte, 1979; Böhm, Helmut, AcP 179 (1979), 425; Boehmer, G., Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Bd. II, 2. Teil, 1951; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; Daniels, Verträge mit Bezug auf den Nachlaß eines noch lebenden Dritten, 1973; Eichler, Stud. u. Prax. 65, 237; Franz, Die formbedürftigen Geschäfte des Reichsprivatrechts, 1907; Gernhuber, FS Schmidt-Rimpler, 1957, 151; Häsemeyer, Die gesetzliche Form der Rechtsgeschäfte, 1971, 1; ders., JuS 80, 1; Heldrich, K, AcP 147 (1942), 89; Hippel, Fritz von, Formalismus und Rechtsdogmatik, 1935; Knieper, MDR 70, 979; Lorenz W., AcP 156 (1956), 381; ders., JuS 66, 428; Ludwig, AcP 180 (1980), 373; Merz, AcP 163 (1983), 306; Reinicke, Rechtsfolgen formwidrig abgeschlossener Verträge, 1969; Roth, G., JuS 81, 250; Scheuerle, AcP 172 (1972), 396; Schwanecke, NJW 84, 1583; Seibert, JZ 81, 86
Form des Vertrags
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380; Singer, WM 83, 254; Steindorff, ZHW 66, 21; Wagner, AcP 172 (1972), 452; Westerhoff, AcP 184 (1984), 341.
1. Ein Fall der Vertragsfreiheit ist die Formfreiheit (s.o. Rdn. 84 f): 93 Grundsätzlich können Verträge formfrei, d. h. in mündlicher Form geschlossen werden. Die grundsätzliche Formfreiheit ist bei bestimmten Geschäften und in gewissen Kreisen nicht hinreichend bekannt. So besteht gelegentlich der Irrtum, was nicht schriftlich oder gar notariell vereinbart wurde, sei nicht wirksam. Rechtlich ist jedoch festzuhalten, daß die in den §§ 126-129 vorgesehenen Formen, d. h. die schriftliche, öffentlich beglaubigte, notariell beurkundete Form oder die Form des gerichtlichen Vergleichs, vom Gesetz im Einzelfall vorgesehen oder vertraglich vereinbart sein muß. 2. Die Parteien können eine bestimmte Form ausdrücklich oder stillschwei- 94 gend vereinbaren. Ist die gewillkürte Form nicht beachtet worden, so ist durch Auslegung zu ermitteln, ob der Vertrag nichtig sein soll, ob also die Einhaltung der Form Gültigkeitsvoraussetzung ist. Soweit die Auslegung kein klares Ergebnis liefert, gilt nach der Auslegungsregel § 125 S. 2, daß ein Rechtsgeschäft „im Zweifel" nichtig ist, dessen rechtsgeschäftlich vereinbarte Form nicht eingehalten wurde. Nach der Auslegungsregel § 154 II ist der Vertrag bei vereinbarter Beurkundung nicht geschlossen, bis die Form erfüllt ist. § 154 II ist analog auch auf eine gewillkürte Schriftform (§§ 127, 126) und eine gewillkürte besondere Form (Druck, gesiegelte Urkunde, doppelte Unterschrift) anzuwenden.1 Das Verhältnis zwischen § 125 S. 2 und § 154 II ist nicht klar. Da § 125 S. 2 die endgültige Rechtsfolge der Nichtigkeit ausspricht, ist davon auszugehen, daß § 154 II die vorrangige Vermutung enthält, wann ein Vertrag geschlossen ist.2 3. Sieht das Gesetz ausnahmsweise Formvorschriften vor, so kann das ver- 95 schiedene Gründe haben, die einzeln oder gemeinsam, und in jeweils verschieden starkem Grade gegeben sein können. Formvorschriften können den Interessen der Parteien dienen, und zwar dem Zweck der Beweissicherung oder dem Schutz des sich Erklärenden vor Übereilung. Außerdem kann eine Form die Information Dritter oder öffentliche Interessen (insbesondere die Kontrolle) verfolgen (vgl. Medicus AT, Rdn. 614). Es ist notwendig, sich bei jeder gesetzlichen Formvorschrift zu fragen, welcher Zweck zutrifft und, falls mehrere betroffen sind, welcher im Vordergrund steht. Die Auslegung der Erklärung und die Entscheidung, ob die gewählte Form ausreicht, ferner ob und wodurch ein Formmangel geheilt werden kann, hängen davon ab. 4. In besonderen Schuldrecht (433-853) gibt es einige Formvorschriften, die bei dem 9 6 betreffenden Schuldverhältnis zu besprechen sind, z. B. § 518 (Schenkungsversprechen); § 5 6 6 (Grundstücksmiete); §§ 580, 566 (Wohnraummiete); § 7 6 6 (Bürgschaft); § 7 8 1 (Schuldanerkenntnis); § 783 (Anweisung). In all diesen Fällen steht der Gesichtspunkt des Schutzes vor Übereilung wegen wirtschaftlicher Gefährlichkeit des Geschäfts an er1 2
„Oberschriften" enthalten keine Echtheitsvermutung, BGH DB 1991, 331. Medicus AT, Rdn. 640; anders die 7. Aufl. dieses Lehrbuchs, § 22 3; nach Palandt/Heinrichs, § 154 Rdn. 4 ist eine Unterscheidung nicht möglich; es handelt sich um Parallelvorschriften. 87
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5 ster Stelle. Außerdem enthalten in besonderem Maße das Sachen-, Familien- und Erbrecht Formvorschriften.
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5. Im allgemeinen Schuldrecht bestehen nur drei Formvorschriften, die übrigens alle notarielle Beurkundung vorsehen: 311, 312 II, 313. Weitaus am wichtigsten ist § 313. Nach § 313 S. 1 bedarf ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, der notariellen Beurkundung. Der Beweiszweck und der Gedanke des Schutzes vor Übereilung tragen diese Vorschrift (sind aber nicht tatbestandliche Voraussetzungen, BGHZ 16, 335). a) Die Vorschrift betrifft nur das Verpflichtungsgeschäft, also den Grundstückskaufvertrag (433), nicht das Verfügungsgeschäft, durch das die Verpflichtung aus § 433 I erfüllt wird. Das Verfügungsgeschäft, das den Eigentumsübergang bewirkt, besteht aus dinglicher Einigung und Eintragung im Grundbuch, § 873 I 1. Die dingliche Einigung heißt bei Grundstücksveräußerungen Auflassung und bedarf nach § 925 der gleichzeitigen Erklärung vor dem Notar. Die Erklärung einer Auflassung soll nur entgegengenommen werden, wenn die nach § 313 S. 1 erforderliche Urkunde über den Kaufvertrag vorgelegt oder gleichzeitig errichtet wird, 925 a. Diese Vorschrift fordert - in für das BGB einmaliger Weise - eine gleichzeitige Beachtung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft (zur Unterscheidung siehe oben § 14), um die Beachtung der Formvorschrift des § 313 S. 1 durchzusetzen. Für die Auflassung ist keine Schriftlichkeit oder gar notarielle Beurkundung nach § 128 erforderlich, sondern nach § 125 nur die gleichzeitige Anwesenheit beider Teile bei Abgabe der Einigungserklärung. Dennoch ist die Verbindung der Kauf- mit der Auflassungserklärung in einer (einzigen) Urkunde sehr häufig und geschieht in Anwendung von § 925 a. Vom Laien wird eine solche Verbindung als selbstverständlich empfunden, weil ihm der Unterschied zwischen Verpflichtung und Verfügung nicht einleuchtet. Meist werden in eben derselben Urkunde die zusätzlich erforderlichen Erklärungen nach § 13 (Antrag) und § 19 GBO (Eintragsbewilligung) mit aufgenommen. Das Recht der Grundstücksveräußerung besteht also aus dem geschilderten Zusammenspiel folgender Vorschriften: §§313 S. 1, 433 (Kauf); 873, 925, 925 a BGB (Übereignung); §§ 13, 19, 20, 29 (Schriftform als Verfahrensvorschrift), 39, 40 GBO; § 925 verlangt über § 128 hinaus gleichzeitige Anwesenheit beider Teile, andererseits aber nur die Abgabe der Erklärung, weil Beurkundung der Auflassung nicht vorgeschrieben ist. b) § 313 S. 1 betrifft Verpflichtungs Verträge über Eigentum an Grundstükken, ideelle Anteile (Miteigentumsanteile) an Grundstücken und die grundstücksgleichen Rechte des Erbbaurechts (§11 II ErbbauVO) und des Wohnungseigentums ( § 4 III WEG). Nicht erfaßt wird die Verpflichtung zur Übertragung von sonstigen dinglichen Rechten an einem Grundstück.3 3
Vgl. z. B. für die (dingliche) Übertragung der Hypothek §§ 1553 ff.
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Form des Vertrags
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c) § 313 S. 1 betrifft nur die Verpflichtung zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück, nicht etwa die Verpflichtung zur Belastung oder zur Eigentumsaufgabe (Dereliktion) eines Grundstücks. Seit dem 1. 7. 73 ist auch die einseitige vertragliche Verpflichtung, ein Grundstück zu erwerben, beurkundungspflichtig. Nach der alten Fassung des § 313 bedurfte nur die Veräußerungspflicht der Beurkundung. In der Praxis nutzten vor allem Baugesellschaften diese Gesetzeslücke dazu, sich von einer Verkaufspflicht freizuhalten, den Baubewerber dagegen durch einseitige nur schriftliche Ankaufs Verpflichtung zu binden. Die Rechtsprechung vermochte diesem Mangel nicht abzuhelfen. Die Beurkundungspflicht bezieht sich auf den ganzen Vertrag. Dazu gehören 98 alle Vereinbarungen, aus denen sich nach dem Willen der Parteien das Verpflichtungsgeschäft zusammensetzt. Man muß also darauf achten, daß bei einem Grundstückskauf alle für die Parteien wesentlichen Punkte in den beurkundeten Text aufgenommen werden (BGH NJW 79, 1496). Das gilt nicht nur für den einzelnen Grundstückserwerbsvertrag, sondern im Falle der Vertragsverbindung (unten Rdn. 649) für das gesamte Vertragswerk (RGZ 79, 434). Dabei wird eine Vertragsverbindung durch den inneren, rechtlichen Zusammenrang von Rechtsgeschäften herbeigeführt (BGH DNotZ 75, 87). Besondere Schriftstücke werden nur wirksamer Vertragsbestandteil, wenn sie (vgl. § 9 I 2 BeurkG) mitbeurkundet werden. Eine Grenze des Umfangs der Beurkundungspflicht stellen Auslegungshilfen dar. Die Auslegung und damit verbunden die Heranziehung von außerhalb der Urkunde liegenden Umständen ist möglich. Zur Absicherung ist aber die Mitbeurkundung zu empfehlen. Dem Formzwang des § 313 S. 1 unterfällt nicht nur der Verpflichtungsvertrag selbst. In analoger Anwendung von §313 S. 1 fallen auch Rechtsgeschäfte unter den Formzwang, die mittelbar eine Bindung des Verpflichteten herbeiführen. Nach der Rechtsprechung gehört besonders die unwiderrufliche Vollmacht zum Verkauf eines Grundstücks dazu, obwohl sie nach § 167 II grundsätzlich keiner Form bedarf (RGZ 104, 236; 108, 126). Auch Vorverträge unterliegen dem Formzwang, da sie eine Bindung herbeiführen. Grundsätzlich formbedürftig nach § 313 S. 1 sind auch Vertragsänderungen. Ausnahmen werden gemacht für Vereinbarungen, die der Vertragsabwicklung und -durchführung dienen.4 Ebenso sind formfrei Änderungsverträge, die nicht zu einer Verschärfung der Übereignungspflicht führen.5 Nach der Rechtsprechung fällt darunter allerdings nur die Fristverlängerung für ein vertragliches Rücktrittsrecht (BGHZ 66, 270). Die Außiebung eines formbedürftigen Vertrages ist formbedürftig, wenn der Kaufvertrag durch Auflassung und Eintragung vollzogen ist (§313 S. 2!), weil dann die Aufhebung eine Rückübereignungspflicht des Erwerbers begründet (RGZ 60, 400, allg. M.). Desgleichen ist die 4
5
BGH NJW 88, 3263; zweifelnd Medicus I, § 13 2 c, da Vertragsänderungen stets die Vertragspflichten betreffen. Vgl. Staudinger/Wulfka, § 313 Rdn. 157; MünchKomm/Kanzleiter, § 313 Rdn. 48. 89
§22
Begründung des Schuldverhältnisses
5
Aufhebung beurkundungsbedürftig, wenn nur die Auflassung, aber noch nicht die Eintragung vorliegt, sofern der Auflassungsempfänger die Eintragung beantragt hat oder zu seinen Gunsten eine Auflassungsvormerkung eingetragen ist, BGHZ 83, 399. 99 d) Wird die Form des § 313 S. 1 verletzt, ist das Rechtsgeschäft nach § 125 S. 1 grundsätzlich nichtig. Die Nichtigkeit betrifft den Vertrag in vollem Umfang. Zu unterscheiden ist beim Fall des teilweisen Scheinkaufs, in dem ein Teil des Grundstückskaufs der Form des § 313 S. 1 entspricht, ein anderer Teil (insbesondere der tatsächliche Kaufpreis) aber bewußt nur schriftlich oder mündlich vereinbart wird. Der nicht formgerechte Teil ist nach § 125 S. 1, der formgerechte als Scheingeschäft nach § 117 I nichtig.6 100 e) Nichtigkeit erfordert gem. § 141 I grundsätzlich die formgerechte Neuvornahme. Nach der Ausnahme in § 313 S. 2 ist die Nichtigkeit dagegen heilbar: Heilung tritt ein bei Auflassung und Eintragung im Grundbuch. Der dingliche Vollzug des Kaufs schafft eine Rechtslage, die aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit nicht wieder rückgängig gemacht werden soll. Ein Heilungswille ist nicht erforderlich, die Heilung tritt ex lege ein. Hieraus leitet ein Teil der Lehre eine ex-tunc-Wirkung der Heilung ab. Es besteht aber kein triftiger Grund, vom Wortlaut des Gesetzes („wird ... wirksam") abzuweichen, der eine Heilung mit Wirkung ex nunc - von der Eintragung im Grundbuch an - vorschreibt. Das Gesetz will lediglich den Bereicherungsanspruch ausschließen; dazu genügt die Heilung ex nunc. Das hat die wichtige Folge, daß bis zum Zeitpunkt der Heilung kein Auflassungsanspruch besteht und eine Auflassungsvormerkung aufgrund ihrer Akzessorietät (§ 883 I I ) nicht wirksam ist (BGHZ 54, 56). Die Heilungswirkung tritt auch bei gutgläubigem Grundstückserwerb vom Nichtberechtigten ein (BGHZ 47, 271). Die Heilung umfaßt, was leicht übersehen wird, den Vertrag in vollem Umfang, also einschließlich aller schriftlichen oder mündlichen Nebenabreden, soweit sie im Zusammenhang mit dem Verpflichtungsgeschäft stehen und für beide Parteien vertragswesentlich sind.7 Das ist wichtig für die Fälle des teilweisen Scheinkaufs (s. oben d): Die Heilung ist vollständig, und zwar auch bezüglich des mündlich vereinbarten Preises. Die Heilung tritt nicht für andere Wirksamkeitshindernisse ein.8 So ist ein geheiltes Geschäft nicht genehmigt, wenn eine Genehmigung (z. B. § 1821 I Nr. 4) zum Kaufvertrag fehlt. Wird nur ein Teil der Kaufvereinbarung genehmigt, fehlt die Genehmigung des ganzen Vertrags. Der Fall einer nur teilweisen Genehmigung kann eintreten, wenn die Parteien nicht alles, was sie vereinbaren, in die Urkunde aufnehmen, so daß die Genehmigungsbehörde, der die Urkunde vorliegt, nicht den ganzen Vertrag genehmigen kann. 6 7 8
RGZ 78, 119; BGH NJW 80, 451 (st. Rspr.). BGH NJW 74,136; 78, 1577. OHGZ 1, 327; BGH DNotZ 69, 350.
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Vorvertrag und andere vorläufige Verträge
§22 7
Es k o m m e n Fälle vor, in denen die A u f l a s s u n g z u s a m m e n mit e i n e m formnichtigen Veräußerungsvertrag in der gleichen Urkunde erklärt wird. Dann ist die A u f l a s s u n g grundsätzlich nicht formungültig, w e n n die Erfordernisse v o n § 9 2 5 eingehalten sind. D i e Heilung durch Eintragung kann der Veräußerer dann nur verhindern, indem er i m W e g e der einstweiligen Verfügung nach § 9 3 5 Z P O auf seinen Antrag hin ein Erwerbsverbot erwirkt. D i e dennoch erfolgte Eintragung ist dann d e m Veräußerer gegenüber analog §§ 136, 135 relativ unwirksam. 9 6. Die beiden anderen Formvorschriften des allgemeinen Schuldrechts sind § 311 und § 312 II. Nach § 311 bedarf ein Vertrag der notariellen Beurkundung, durch den sich ein Teil verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen oder einen Bruchteil des gegenwärtigen Vermögens zu übertragen oder mit einem Nießbrauch zu belasten. § 419 regelt u. a. die Wirkung des Erfüllungsgeschäfts (s. unten § 59 IV). Doch verwenden §§ 311, 419 verschiedene Vermögensbegriffe. § 311 bestimmt die Form zu Überlegungszwecken und meint daher nur den Fall, daß jemand sein „Hab und Gut", sein „Vermögen", als solches bezeichnet, oder einen Bruchteil davon veräußern will. Verpflichtet sich jemand zur Übertragung bestimmter benannter Vermögensgegenstände (z. B. Haus, Hof, Grundstücke), die aber zusammen sein Vermögen ausmachen, so bedarf es der Form des § 311 nicht, da der Schuldner sich durch die Aufzählung der Bedeutung seines Schrittes bewußt werden muß, RGZ 94, 315; BGHZ 25, 1; dann aber ist, soweit Grundstücke betroffen sind, § 313 zu beachten. § 4 1 9 will dagegen die Gläubiger des Übertragenden schützen. Hier kommt es darauf an, ob das Übertragene tatsächlich das Vermögen ausmacht und nicht auf Global- oder Einzelbenennung. In § 311 gilt ein formeller, in § 419 ein materieller Vermögensbegriff. Als Formvorschrift des allgemeinen Schuldrechts verlangt § 313 II 2 für einen Vertrag unter künftigen gesetzlichen Erben über ihre Erb- und Pflichtteile die notarielle Beurkundung (BGHZ 26, 320; OGHZ 2, 114, 175). 7. Bei Verletzung einer gesetzlichen Formvorschrift tritt nach § 125 S. 1 grundsätzlich 1 0 1 Nichtigkeit ein. Die Berufung auf einen Formmangel kann aber ausnahmsweise nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte (§ 242) unzulässig sein. Die Unzulässigkeit der Berufung auf den Formmangel nimmt die Rechtsprechung an, wenn die Nichtigkeit des Geschäfts zu schlechthin untragbaren Rechtsfolgen für die betroffene Partei führt. 10
9 10
RGZ 117, 290; 120, 118; Jauernig/Jauernig, § 313 6 b cc. BGH NJW 1989, 167; vgl. zu einzelnen Fallgruppen und Kritik an der Rechtsprechung Jauernig § 125 Anm. 7; Medicus, BürgR, Rdn. 181-185; Palandt/Heinrichs § 125 Rdn. 16-27 und die Literatur zum Allgemeinen Teil; weiterhin unten Rdn. 191; s. auch 7. Aufl. dieses Lehrbuchs, § 22, 11 (ausführlich). 91
§23 14
Begründung des Schuldverhältnisses §23
Vorvertrag und andere vorläufige Verträge Baur, J., Vertragliche Anpassungsregelungen, 1983; Brandi-Dohrn, Der urheberrechtliche Optionsvertrag, 1967; Brüggemann, JR 68, 201; v. Einem, Die Rechtsnatur der Option, 1974; Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, 1988; Fikentscher, W., Lizenzoption, Anbletungspflicht, Vertragserweiterung - Ein Beitrag zur Lehre von den Neuverhandlungspflichten, FS Gernhuber, 1993, 121; Georgiades, FS Larenz, 1973, 409; Henn, Patent- und Know-How-Lizenzvertrag, 2. Aufl. 1989; Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 1965; Hertel, BB 83, 1824; Horn, AcP 181 (1981) 255; ders., NJW 1985, 1123; Köhler, Jura 79, 465; Larenz, DB 1955, 209; Lorenz, FS Dölle, 1963, Bd. I, 103; Lutter, Letter of Intent, 1982; Ritzinger, NJW 90, 1201; Roth, Der Vorvertrag, 1928; Schmalzel, AcP 164 (1964), 446; Singer, JR 83, 356 (betr. Vorausleistungen); Steindorff, BB 83, 1127; ders., ZHR 148 (1984) 271; Wabnitz, Der Vorvertrag in rechtsgeschichtlicher und rechtsvergleichender Betrachtung, Diss. Münster 1962; Weber, Martin, JuS 90, 249; Weimar, JR 67, 456.
I. Vorbemerkung 102
1. Im Anschluß an die in diesem Kapitel bisher behandelten allgemeinen Fragen, die sich bei der Begründung von Schuldverhältnissen ergeben, bedürfen im folgenden noch einige besondere Vertragsarten und Vertragsbestandteile der Erörterung, die bei der Begründung von Schuldverhältnissen eine Rolle spielen: Vorvertrag, Rahmenvertrag, Draufgabe und Vertragsstrafe. 2. Ein Vorvertrag ist ein schuldrechtlicher Vertrag, durch den sich die Vertragschließenden verpflichten, einen anderen Vertrag (den Hauptvertrag) zu schließen. Der Vorvertrag will den Hauptvertrag, sowohl was seinen Abschluß als auch was seinen Inhalt anlangt, vorbereiten. Die Vorvertragsparteien versprechen einander, später - etwa nach Klärung weiterer sachlicher Voraussetzungen - einen Hauptvertrag einzugehen. Der Vorvertrag ist Ausdruck des Bindungswillens vor abschließender Klärung aller Vertragspunkte; vgl. BGH WM 73, 67; NJW 80, 1578. 3. Gleichwohl ist er nach allg. M. aufgrund der Vertragsfreiheit (Art. 2 I GG, indirekt auch § 305) zulässig. Der Vorvertrag ist zu unterscheiden von dem eine Verfügung vorbereitenden Verpflichtungsgeschäft (RGZ 48, 135; BGH NJW 62, 1813; oben § 14) und mit dem gem. §§ 158-163 bedingten oder unter einer Zeitbestimmung stehenden Vertrag. Soweit unklar ist, ob ein Vor- oder ein (Haupt-)Vertrag vorliegt, gilt als Auslegungsregel, daß grundsätzlich der Abschluß eines Hauptvertrages anzunehmen ist (BGH NJW 80, 1578).
103
4. Der Vorvertrag bietet regelmäßig zwei Rechtsprobleme, das der Form und das der Bestimmtheit. a) Sind für den Hauptvertrag zwingend Formen (z. B. § 313) vorgeschrieben (oben § 22), darf keine Umgehung auf dem Weg über den Vorvertrag zugelassen werden. Da der Vorvertrag bereits eine bedingte Veräußerungspflicht be92
Vorvertrag und andere vorläufige Verträge
§23 I11
gründet, sind bei ihm dieselben Formvorschriften einzuhalten, die beim Hauptvertrag zur Anwendung kommen (BGHZ 61, 48; 97, 154 f; st. Rspr.). So ist ein Vorvertrag über eine Grundstücks Veräußerung nach § 313 S. 1 formgebunden, wenn die Bindung des Veräußerers versprochen und nur noch die genaue Höhe des Kaufpreises offengelassen wird. b) Der Vorvertrag begründet für die Parteien eine Verpflichtung zum Abschluß eines Vertrages. Die Pflicht wird durch Abschluß des Hauptvertrages von den Parteien erfüllt. Einem Erfüllungsverlangen kann nur entsprochen werden, wenn der Inhalt des Hauptvertrages im Vorvertrag bereits hinreichend bestimmt worden ist. Die Vereinbarung: „Wir wollen ein Unternehmen gründen", genügt nicht. Zweck, Sitz und Rechtsform der Gesellschaft sind noch offen. Ist die durch den Vorvertrag begründete Abschlußpflicht nicht hinreichend bestimmt oder durch Auslegung des Vorvertrages bestimmbar, dann ist die Pflicht unwirksam und im Zweifel nach § 139 der ganze Vorvertrag. Welche Anforderungen an die Bestimmtheit des Vorvertrages zu stellen sind, entscheiden die Umstände des Falles unter Berücksichtigung der Parteiinteressen.1 Ein Indiz für einen hinreichend bestimmten Vorvertrag ist die Möglichkeit, aus seinem Inhalt einen Klageantrag auf Abschluß eines bestimmten Vertrages zu formulieren. c) Besteht, z. B. mangels Bestimmtheit, kein Erfüllungsanspruch aus Vorvertrag, kommen Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo wegen treuwidrigen Verhaltens bei den Vertragsverhandlungen in Betracht. Auch ein Fehlverhalten des Klägers ist dabei zu berücksichtigen, § 254 I.
II. Andere vorläufige Verträge Wirtschaftlich verfolgen die Parteien mit dem Vorvertrag ein beiderseitiges Interesse, 1 0 4 sich vorläufig an etwas zu binden, unter Vorbehalt oder unter zeitlicher Verschiebung der späteren endgültigen Regelung. Der Vorvertrag ist zur Regelung einer derartigen Interessenlage nur eine Möglichkeit unter vielen. Die wichtigeren vorläufigen Verträge sind die folgenden: A. Vorläufige Verträge mit aufgeschobenem Hauptvertrag 1. Bezüglich des Hauptvertrages bindende vorläufige Verträge a) Zwei- oder mehrseitig bindend sind insb. die nachstehend genannten Vereinbarun- 1 0 5 gen: aa) In erster Linie zu nennen ist der Vorvertrag (oben I.). Es entstehen grundsätzlich gegeneinander gerichtete Ansprüche auf Abschluß des Hauptvertrags. bb) Bei vereinbarten Neuverhandlungspflichten bestehen Ansprüche, entweder einen Vertrag völlig neu zu verhandeln oder ihn zu ergänzen (die Übergänge sind fließend). cc) Daneben besteht die vereinbarte Anpassungspflicht, die einen Vertrag veränderten Umständen anpassen soll (dieser Anlaß fehlt u. U. bei den Vorverträgen und Neuverhandlungspflichten).
1
BGH LM § 705 Nr. 3; WM 76,180; Schmidt, Karsten, JuS 76, 709 (zu BGH NJW 75, 443). 93
§23 II 2
Begründung des Schuldverhältnisses
b) einseitig bindende Verträge: aa) Die Anbletungspflicht (engl, right offirst refusal). Die Parteien vereinbaren, daß, wenn die eine z. B. verkauft, das erste Angebot der anderen Partei zu machen ist. Diese kann annehmen oder nicht. Erst mit der Annahme kommt der Hauptvertrag zustande. bb) Die Option. Der einen Partei wird ein Gestaltungsrecht eingeräumt, durch einseitige, empfangsbedürftige Erklärung an die andere Partei einen Vertrag zu vorfixierten Bedingungen zustande zu bringen. Drei Unterfälle sind bedeutsam: aaa) Das Ankaufsrecht (gesetzlich nicht besonders geregelt, § 305). Beispiel: A darf von einem bestimmten Zeitpunkt an binnen einer Frist erklären, ein Grundstück von B zu kaufen. Der Kaufvertrag kommt durch die Erklärung unmittelbar zustande. Die Begründung des Ankaufsrechts bedarf, da es B bindet, der Form des § 313 S. 1; keiner Form bedarf dagegen die Erklärung des A.2 Der Kaufpreis wird zumeist vorweg ausbedungen (anders dagegen beim Vorkaufsrecht, § 505 II, das allerdings auch zu einem festen Kaufpreis vereinbart werden kann). Man kann als Zeitpunkt, zu dem das Ankaufsrecht ausgeübt werden darf, auch einen Verkaufsfall der Sache nehmen, auf die sich das Ankaufsrecht richtet. Dann ist die Wirkung praktisch ein Vorkaufsrecht zum vorher bestimmten Preis, ohne daß jedoch die Einzelheiten der §§ 504 ff gelten. Ein Ankaufsrecht auf den Todesfall des B ist zulässig und keine Umgehung des § 925 II, da es nur obligatorisch wirkt. Vormerkung ist daher zweckmäßig, § 883. Die Erklärung des A, kaufen zu wollen, bringt den Kaufvertrag mit den Erben des B nach dessen Tod zustande; B's Erben sind zur Auflassung verpflichtet. bbb) Das Wiederkaufsrecht, 497 ff (unten § 71 III). Es ist ein durch Ausübung des Wiederkaufs-(Gestaltungs-)rechts aufschiebend bedingter (Rück-)Kauf (str.). ccc) Die „reine Option" (das Optionsrecht, manchmal auch „bindendes Angebot als einseitige Willenserklärung" genannt, so Henri). Sie ist kein Vertrag, sondern die Annahme eines Angebots mit verlängerter Annahmefrist, §§ 145, 148. Bei Grundstückserwerb gilt die Form des § 313 S. 1 sowohl für die Angebots- wie für Options (Annahme)erklärung, RGZ 169, 65; BGH LM § 433 Nr. 16 Bl. 3; NJW 75, 1170 (mit anderer Terminologie). Die „reine Option" kann auch darauf gerichtet sein, einen Vorvertrag zustandezubringen oder Neuverhandlungs- oder Anpassungspflichten auszulösen (oben 1. a)). 2. Bezüglich des Hauptvertrages nicht bindende vorläufige Verträge a) Besichtigungsvertrag. Beispiel: A bittet den Buchhändler B, ihm ein bestimmtes Buch zur Ansicht zu überlassen. A ist aus dem Besichtigungsvertrag zu vertraglicher Sorgfalt, aber nicht zum Kauf verpflichtet. Auch sein Schweigen bindet ihn nicht. b) Kauf auf Probe, §§ 495 ff (unten § 71 II). Beispiel: Teppichhändler T läßt bei K eine Perserbrücke „bis auf weiteres" zur Besichtigung liegen. Schweigt K auf eine fristsetzende Anfrage nach § 496, ist K gebunden. Unterschied zum Besichtigungsvertrag: Schweigen soll nach Vorstellung der Parteien zur Bindung führen (selten). c) Die sog. „bloße Verhandlungspflicht", also die Pflicht, in Verhandlungen einzutreten, ohne daß Pflichten bestehen, einen Hauptvertrag zustande zu bringen (Unterschied zu oben 1. a)).
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So ausdrücklich BGH LM § 433 Nr. 16 Bl. 3 (dazu BGHZ 71, 280). Für die Formbedürftigkeit der Erklärung des Ankaufenden dagegen Georgiades, FS Larenz, 1973, 425 ff.
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Rahmenvertrag
§24 1
B. Hauptverträge mit vorläufigem Charakter 1. Rücktrittsvorbehalt, §§ 346 ff (unten § 48 II). 2. Umtauschvorbehalt, § 305. Es ist ein Rücktrittsvorbehalt, und zwar je nach Parteivereinbarung, unter Vereinbarung: a) entweder der Möglichkeit, die Erfüllungsleistung unter Aufrechterhaltung des alten Vertrags durch eine andere zu ersetzen, oder b) eines Vorvertrags über einen später zu schließenden zweiten Hauptvertrag (im Laden das übliche, da evtl. Zuzahlung vereinbart). C. Vorrechtsverträge Von A und B zu unterscheiden sind Vorrechtsverträge nach Art des Vorkaufsrechts (§§ 504 ff, 1094 ff), des Vormietrechts, usw. Bei ihnen erhält ein Dritter das Recht, in einen Vertrag unter anderem „einzusteigen" (näher u. § 71 IV). Das Vorkaufsrecht ist ein durch Verkauf und Ausübung doppelt (aufschiebend) bedingter Kauf und keine Anbletungspflicht oder Option (h. M.).
§24
Rahmenvertrag Fuchs-Wissemann, Die Abgrenzung des Rahmenvertrages vom Sukzessivlieferungsvertrag, Diss. Marburg 1979; Horn, Gutachten I, S. 563; Schmidt, Karsten, Handelsrecht, 4. Aufl. 1994, § 19 12.
1. Zu unterscheiden vom Vorvertrag ist der Rahmenvertrag. Als Vertragsart 106 ist der Rahmenvertrag bisher kaum behandelt.' Er ist gesetzlich nicht geregelt, jedoch aufgrund der Vertragsfreiheit zulässig. Er hat mit dem Vorvertrag gemeinsam, daß auch er den Abschluß weiterer Verträge (meist mehrerer) ins Auge faßt, die man Einzelverträge nennen kann. Im Unterschied zum Vorvertrag enthält der Rahmenvertrag aber keine Abschlußpflicht der Beteiligten. Er ist auch kein vorläufiger Vertrag, sondern soll endgültig bestehen und dabei den Rahmen für später abzuschließende Einzel Verträge stecken. Nur wenn später Verträge zwischen den Parteien des Rahmenvertrags oder zwischen einer Partei des Rahmenvertrags und Dritten oder überhaupt zwischen Dritten zustande kommen, sollen diese Einzelverträge einen bestimmten, vom Rahmenvertrag festgelegten Inhalt haben. Enthält der Rahmenvertrag auch eine Abschlußpflicht, ist er zugleich Vorvertrag. Von den Raten-, Dauer- und Wiederkehrschuldverhältnissen (oben § 8, 7) unterscheidet sich der Rahmenvertrag dadurch, daß er nicht notwendig eine die Summe der Teilleistungen umfassende Leistungspflicht enthält, sondern oft nur die Bedingungen festlegt für den Fall des Abschlusses von Einzelverträgen. 1
Vgl. aber Jauernig/Jauernig, § 305 Anm. IV 4; Schmidt, Karsten, Handelsrecht, § 19 I 2; Ulmer, E., Kontokorrent, Rechtsvergleichendes Handwörterbuch, S. 194 ff; Saxinger, A., Zulieferverträge im deutschen Recht, 1993. 95
§24
Begründung des Schuldverhältnisses
3 107
Von Normenverträgen (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, nicht aber die sog. Normverträge des Verlagsrechts, da sie keine unmittelbare normative Wirkung auf Einzelverträge entfalten, Schricker, Urheberrecht, 1987, vor §§ 28 ff Rdn. 6 f) unterscheiden sich Rahmenverträge durch das Fehlen staatlich delegierter Normsetzungsbefugnis, die Normenverträgen die direkte und unmittelbare Wirkung ihrer Normen auf die Einzelvertragsverhältnisse (z. B. Arbeitsverträge) verleiht. Vom Rahmenvertrag zu unterscheiden ist auch das Rahmenangebot. Bei ihm fehlt die Annahme des Rahmenvertrags durch die eine Seite. Aufgrund eines dauernd offenstehenden, die Bedingungen (Preislisten, Tarife) festlegenden Angebots werden Einzelschuldverhältnisse geschlossen. Ein Beispiel sind die Inserat-EinschaltungsVerträge der Werbungtreibenden und Werbeagenturen/Werbungsmittler mit den Vorlagen und anderen „Medien" auf der Basis von deren Preislisten. Statt eines Rahmenangebots kann es sich auch um eine bloße invitatio ad offerendum unter Angabe von Rahmenbedingungen handeln. 2. Zur Illustration einige Beispiele für Rahmenverträge. Nach § 2 II AGBG können (unter Beachtung der Erfordernisse von § 2 I AGBG) Rahmenverträge über die Geltung von AGB geschlossen werden. 2 Oft besteht der Sinn von Rahmenverträgen gerade darin, die Geltung von AGB für alle künftigen Einzelverträge festzulegen. Die AGB gelten dann für die Einzelgeschäfte ohne eine erneute Bezugnahme auf sie. - A und B vereinbaren ein mehrjähriges Lieferprogramm, in dem die Bedingungen der Einzelbezugsverträge weitgehend im voraus festgelegt werden. - Ein Verein schließt mit einem Verlag einen Vertrag über eine vom Verein herausgegebene Schriftenreihe, in dem die Bedingungen festgelegt werden, zu denen der Verlag mit den einzelnen Autoren die Verlagsverträge abschließen wird. - Eine Urheberrechtsverwertungsgesellschaft legt mit einer Organisation von Schallplattenproduzenten die Bedingungen für die Inanspruchnahme der Urheberrechte fest, sog. „Gesamtvertrag" i. S. v. § 12 UrheberrechtswahrnehmungsG. - Beispiele für Rahmenverträge sind außerdem der Leasingrahmenvertrag 3 und der Eigenhändlervertrag. 4 - Besonders Wiederkehrschuldverhältnisse (oben § 8, 7 d) in der Energieversorgungswirtschaft setzen in aller Regel einen Rahmenvertrag voraus, unter dessen Bedingungen die einzelnen wiederkehrenden Schuldverhältnisse abgeschlossen werden. 5
108
3. Ein Rahmenvertrag wirft regelmäßig zwei Rechtsfragen auf, die der Form und die des Umfangs der bindenden Kraft für die Einzelverträge.
a) Die Formfragen des Rahmenvertrags sind nicht anders zu behandeln als die anderer Verträge. Rahmenverträge sind formpflichtig, soweit sie selbst und ohne Konkretisierung durch den Einzelvertrag eine Bindung herbeiführen, die formbedürftig ist. 109 b) Wenn die Einzelverträge zwischen den Parteien des Rahmenvertrags geschlossen 109 werden, sind die im Rahmenvertrag abgesprochenen Bedingungen für den Einzelvertrag bindend. Ein einseitiges Loskommen von diesen Rahmenbedingungen ist nur nach allgemeinen Regeln (Anfechtung, Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund nach § 242 usw.) möglich. Dazu unten Rdn. 188.
2 1 4 5
Vgl. BGH NJW-RR 87, 112; Staudinger/P. Schlosser, § 2 Rdn. 52. BGH NJW-RR 87, 306. BGH NJW 82, 2432. Für Erzeugeranlieferungen in der Landwirtschaft (Molkerei) Fikentscher/Hoffmann, Anm. zu BGH v. 2. 4. 64, Z. f. d. ges. Genossenschaftswesen 66, 178.
96
Draufgabe und Vertragsstrafe
§25 12
Wenn aber im Rahmenvertrag Bedingungen für Einzelverträge ausgehandelt werden, die zwischen einer Partei des Rahmenvertrags und Dritten oder überhaupt zwischen Dritten zustande kommen sollen, ist die Frage der bindenden Wirkung für und gegen diese Dritten recht zweifelhaft. Die Schwierigkeit liegt darin, daß Verträge zu Lasten Dritter überhaupt nicht möglich sind, so daß nachteilige Bedingungen des Rahmenvertrags Dritten nur dann entgegengehalten werden können, wenn sich die Dritten im Einzelvertrag mit diesen Bedingungen (durch ausdrückliche oder stillschweigende Bezugnahme auf den Rahmenvertrag) einverstanden erklärt haben. Günstige Bedingungen können, auch ohne Bezugnahme im Einzelvertrag, als berechtigende oder ermächtigende Vertragsklauseln zugunsten Dritter aufgefaßt werden (dazu unten Rdn. 246 f)- Das Problem liegt in der Bewertung der Günstigkeit, wobei nur die Beurteilung der Umstände des Einzelfalles unter besonderer Berücksichtigung der Interessen des Dritten entscheiden kann.
§25 Draufgabe und Vertragsstrafe I. Draufgabe, §§ 336-338 Kipp, Theodor, Rechtswahmehmung und Reurecht, FG Koch 1903, 110; Kunze, Wesen u. Bedeutung der Arrha, 1904; Liebs, Reurecht des Käufers „an der Haustür"? 1970; Mann, Handgeld, Rvgl. Hwb. 4, 208. 1. Die Draufgabe ist eine Leistung des einen Vertragschließenden an den anderen Ver- 110 tragschließenden aus Anlaß des Abschlusses des Vertrags. Welche zusätzlichen Funktionen die Draufgabe im einzelnen auch haben mag, sie ist stets ein Zeichen zum Beweis des zustande gekommenen Vertrags, § 336 I. Der Gegenbeweis ist aber zulässig. Andere Ausdrücke für die Draufgabe sind: Arrha (altgriechisch), Handgeld, Angeld, Mietstaler. Die Draufgabe ist selten, doch findet sie sich im haus- und landwirtschaftlichen Dienstwesen. Nach den rechtlichen Funktionen lassen sich vier Arten der Draufgabe unterscheiden. 2. a) Draufgabe als verlorene Zugabe (arrha confirmatoria). Sie ist bloß Beweiszeichen und gilt als verloren, auch wenn der Vertrag scheitert. b) Draufgabe als nicht verlorene Zugabe. Sie ist die einzige vom BGB in den §§ 336— 338 geregelte Form. Sie ist auf die Leistung des Gebers anzurechnen, § 337 I, und im Falle der Wiederaufhebung des Vertrags zurückzugeben, § 337 II. Femer hat sie vertragssichernde Funktion und ist insoweit der Vertragsstrafe verwandt, § 338. Deswegen lassen sich einzelne Vorschriften des Vertragsstrafrechts (unten § 25 II), insb. § 343, auf die Draufgabe entsprechend anwenden, vgl. Medicus I, § 38 II 4 m. w. N. c) Draufgabe als Sicherung eines Vorvertrags (arrha pacto imperfecto data). Wer den Hauptvertrag zu schließen sich grundlos weigert, verliert die Draufgabe (in §§ 336-338 nicht geregelt). d) Draufgabe als Reugeld. Der Geber darf unter Verzicht auf die Draufgabe vom Vertrag zurücktreten, §§ 336 II, 346 ff, 359. Reugeld bedeutet danach: Der Rücktritt ist unwirksam, wenn nicht das Reugeld vor oder bei seiner Erklärung entrichtet wird und der andere Teil den Rücktritt deshalb unverzüglich zurückweist. Doch kann das Reugeld dann noch die Rücktrittserklärung wirksam machen, wenn es unverzüglich nach der 97
§25 112
Begründung des Schuldverhältnisses
Zurückweisung gezahlt wird, § 359. Ist das Reugeld schon vorher (als Draufgabe) gezahlt, ist der Rücktritt im Zweifel jederzeit möglich, wobei das Reugeld verfällt, es sei denn, es besteht ein gesetzliches Rücktrittsrecht, RG JW 13, 518. Die Draufgabe ist im Zweifel nicht als Reugeld anzusehen, ein Rücktrittsrecht also nicht gegeben, § 336 II.
II. Vertragsstrafe, §§ 339-345 Beuthien, FS Lorenz, 1973, 459; Bötticher, Z f A 70, 3; Canaris, NJW 74, 521; Fischer, Vertragsstrafe und vertragliche Schadensersatzpauschalierung, 1981; Großfeld, Die Privatstrafe, 1961; Hess, C., Die Vertragsstrafe, 1993; Kapellmann/Langen, BB 87, 560; Knütel, AcP 175 (1975), 44; Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, 1972; ders., ZIP 86, 817; van Look, Vereinsstrafen als Vertragsstrafen, 1990; Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe, 1957; Nees, WRP 83, 200; Oertmann, Recht 1913, 186; Reich, NJW 80, 1570; Reifner, BB 85, 87; Reinicke/Tiedtke, D B 83, 1639; Schwerdtner, FS Hilger/ Stumpf, 1983, 631; Sossna, Die Geschichte der Begrenzung von Vertragsstrafen, 1993; Weitnauer, FS Reinhardt, 1972, 179.
1. Die Vertragsstrafe ist ein ähnliches Mittel zur Sicherung des Vertrages wie die vom Gesetzgeber geregelte Draufgabe, jedoch nicht im Zusammenhang mit der Eingehung, sondern mit der Durchführung des Vertrages. Sie ist praktisch viel wichtiger. Die Vertragsstrafe berührt den Vertragsinhalt und stellt im Grunde ein besonderes Schuldverhältnis dar, das im Besonderen Teil des Schuldrechts geregelt sein könnte und nur wegen äußerlicher Ähnlichkeiten im Gesetz zusammen mit der Draufgabe erwähnt ist. 2. Zweck der Festsetzung einer Vertragsstrafe ist es, den Schuldner zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten anzuhalten. Die Vertragsstrafe soll als Druckmittel die Störung der Hauptverbindlichkeit verhindern. Sie ist von der rechtlich durchsetzbaren Hauptverbindlichkeit abhängig und wird insoweit als unselbständig („akzessorisch") bezeichnet. Neben dieser Präventivfunktion, von der das Gesetz in den §§ 339 ff ausgeht, beeinflußt die Vertragsstrafeklausel zwar u. U. auch das Schadensersatzinteresse des Gläubigers für den Fall der Leistungsstörung; dabei handelt es sich aber um eine rein wirtschaftliche Auswirkung der Vertragsstrafe, die nichts an deren rechtlichem Charakter als Druckmittel ändert.1 So ist die Verwirklichung der Vertragsstrafe auch gerade von der Entstehung eines Schadens unabhängig, hat also der Idee nach keinerlei Ausgleichsfunktion. Auf dieser Grundlage lassen sich Grenz- und Zweifelsfälle entscheiden: a) Sofern eine zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Vertragsstrafeklausel nach ihrem erkennbaren Hauptzweck Ausgleichsfunktion haben soll, ist darin - unabhängig von der gewählten Bezeichnung (BGHZ 49, 89) - in der 1
So Lindacher 57 ff; Medicus I, § 39 12. Anders die h. M., nach der die Vertragsstrafe auch der Erleichterung des Schadensausgleichs für den Gläubiger durch Fixierung eines Mindestschadens dient, vgl. BGHZ 63, 259; BGH LM § 339 Nr. 19; Jauernig/Vollkommer, § 339 Anm. 1 c.
98
Draufgabe und Vertragsstrafe
§25 114
Regel keine Vertragsstrafe, sondern die Vereinbarung einer Schadensersatzpauschale zu sehen. Der pauschalierte Schadensersatz soll für den Gläubiger den Nachweis des Schadenseintritts und Schadensumfangs ersetzen. Für die Abgrenzung zur Vertragsstrafe ist maßgeblich, daß die Schadensersatzpauschale die Entstehung eines Schadens als bestehend voraussetzt (die Vertragsstrafe dagegen von einem Schaden unabhängig ist) und sich an der im Einzelfall typischen Schadenshöhe orientiert.2 Maßstab für die Überprüfung von Schadensersatzpauschalen können daher nur die allgemeinen gesetzlichen Grenzen (§§ 11 Nr. 5 AGBG, 134, 138, 242) sowie schadensrechtliche Grundsätze - insbesondere die Vorteilsausgleichung (unten Rdn. 562), nicht aber die §§ 339 ff sein. b) Verfallklauseln (bzw. Verwirklichungsklauseln) - bei Verletzung der ihm obliegenden Verbindlichkeiten erleidet der Schuldner eine Rechtseinbuße - sind wie Vertragsstrafeklauseln zu behandeln; die §§ 339 ff gelten entsprechend. Vgl. BGH NJW 60, 1568 = ESJ 8; 72, 1893. Schranken für solche Klauseln ergeben sich u. U. aus § 1229 BGB, § 12 I VerbrKrG (früher § 4 II AbzG) und § 6 VVG. 3 c) Die sog. selbständige Vertragsstrafe ist ein Strafversprechen für die Enttäuschung eines zugesagten, rechtlich aber nicht erzwingbaren Verhaltens (so die Verpflichtung zur Gratifikationsrückzahlung im Falle der - rechtlich zulässigen - Kündigung). 4 Der Unterschied zur unselbständigen Vertragsstrafe besteht demnach im Fehlen der Akzessorietät zur Hauptverbindlichkeit (vgl. § 343 II). 3. Praktische Bedeutung erlangt die Vertragsstrafe vor allem zur Sicherung termingebundener Geschäfte oder starker wirtschaftlicher Interessen. Sie findet sich z. B. häufig im Bauwesen: Der Bauunternehmer verspricht die Herstellung eines Bauwerks bis zu einem bestimmten Tag und eine Vertragsstrafe für jeden Tag der Fristüberschreitung. Auch zur Sicherung der Mitgliederpflichten eines Kartells wird regelmäßig die Vertragsstrafe verwandt.5 Aufgrund der Vertragsfreiheit können Vertragsstrafevereinbarungen abweichend von der gesetzlichen Regelung in §§ 339 ff gestaltet werden. § 344 ist allerdings zwingend. 4. N a c h § 3 3 9 ist die Vertragsstrafe verwirkt, w e n n der Versprechende in V e r z u g gerät, im Falle einer versprochenen Unterlassung mit der Zuwiderhandlung. A u c h im z w e i t e n Fall ist Verschulden Voraussetzung, § 2 8 5 analog. A u s den in §§ 3 4 0 bis 3 4 5 geregelten Einzelheiten sind die Beweislastregel des § 3 4 5 und die richterliche Herabsetz u n g s m ö g l i c h k e i t des § 3 4 3 erwähnenswert. D e r Schuldner ist insoweit g e g e n mißbräuch2 Vgl. BGHZ 49, 84/89; 131, 356. 3 Letzteres ist streitig vgl. Lindacher, JuS 75, 289 ff; Klein, BB 80, 391 ff. 4 OLG Düsseldorf DB 72,181; Bötticher, ZfA 70,19; anders die st. Rspr. des BAG, vgl. Palandt/Heinrichs, § 611 Anm. 7 e ee. 5 Die Vereinsstrafe gehört systematisch zum Vereinsrecht, vgl. Medicus /, § 39 I 3; ders., BGB AT, Rdn. 1120 ff; Lorenz, GS Dietz, 1973, 45 ff; die Betriebsstrafen zählen zum Arbeitsrecht, Zöllner, Arbeitsrecht, § 18 X. 99
§25 115
Begründung des Schuldverhältnisses
lieh zu hoch angesetzte Vertragsstrafen geschützt. Die Herabsetzungsmöglichkeit gilt nicht für Vollkaufleute, §§ 348, 351 HGB. Eine Vertragsstrafe f ü r den Fall der Nichterfüllung verdrängt i. d. R. den Erfüllungs-, nicht aber den Schadensersatzanspruch, § 340. 6 Eine Vertragsstrafe für den Fall der nicht gehörigen, insbesondere nicht rechtzeitigen Erfüllung läßt den Erfüllungsanspruch unberührt; der Gläubiger muß sich dann bei Annahme der Erfüllung das Recht aus der Vertragsstrafe vorbehalten, sonst verliert er es, § 3 4 1 . Sondervorschriften für Vertragsstrafen und Schadenspauschalierungsklauseln enthalten §§ 550 a, 1297 II BGB; 75 c, d H G B (für Vertragsstrafen beim Wettbewerbsverbot des Handlungsgehilfen); 11 Nr. 6 und 5 A G B G (für Vertragsstrafen oder Schadenspauschalierungsklauseln in AGB); früher § 4 I AbzG - im VerbrKrG nicht mehr enthalten; § 2 V Nr. 1 FernUSG; § 4 W o VermG. 7 5. Vereinzelt wird die Vertragsstrafe als Möglichkeit zur zivilrechtlichen Sanktionierung des Warenhausdiebstahls angesehen. Bei den oft in den Verkaufsräumen ausgehängten Hinweisschildern - wonach jeder ergriffene Ladendieb eine bestimmte Summe zu zahlen hat - handelt es sich zwar wegen des in erster Linie verfolgten Präventivzwecks um eine Vertragsstrafenklausel; 8 wirksam wird diese aber erst, wenn sie Vertragsinhalt geworden ist, der Dieb also „nebenbei" auch etwas gekauft hat (Arzt, JuS 74, 696). Es geht zu weit, dem (Nur-)Ladendieb eine konkludente Erklärung des Inhalts anzulasten, daß er die Vertragsstrafenklausel akzeptiert (vgl. Wollschläger, N J W 76, 12; a. A. Conans, N J W 74, 521 ff). Auch die Lösung derartiger Fälle über die Lehre vom sozialtypischen Verhalten erscheint wegen der damit verbundenen Negierung des Willensmoments bedenklich. 9
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§ 340 ist - gegen die h. M. - nicht ohne weiteres dispositiv, vgl. BGHZ 63, 256. Im übrigen würde für eine Vereinbarung in AGB, daß Vertragsstrafe und Schadensersatz nebeneinander in voller Höhe zu entrichten sind, § 9 AGBG eingreifen mit der Folge, daß die Vereinbarung unwirksam ist. Zu diesen gesetzlichen Grenzen der Inhaltsfreiheit hinsichtlich der Vertragsstrafe und der Schadenspauschalierung s. insb. Fischer, aaO, 92 ff, 182 ff. AG Schöneberg NJW 74, 1823; vorsichtiger BGHZ 75, 230; dazu Zimmermann, JZ 81, 86; Pecher, JuS 81, 645. Vgl. oben Rdn. 60. Zur schadensrechtlichen Problematik des Ladendiebstahls unten Rdn. 554.
100
Bestimmung des Leistungsinhalts
§26 13
3. Abschnitt
Inhalt des Schuldverhältnisses §26
Bestimmung des Leistungsinhalts im allgemeinen. Allgemeine Geschäftsbedingungen (das AGBG) Henke, H.-E., Die Leistung, 1991; Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I 1996.
I. Übersicht 1. Der 1. Abschnitt behandelte den Begriff, der 2. die Begründung des 112 Schuldverhältnisses. Im gegenwärtigen 3. Abschnitt (§§ 2 6 - 3 7 ) geht es um den Inhalt des Schuldverhältnisses, im folgenden 4. um seine ordnungsgemäße Beendigung. Das Schicksal eines normalen, ungestörten Schuldverhältnisses soll auf diese Weise in zeitlicher Folge und unabhängig vom Aufbau des Gesetzes beschrieben werden. Mit den Störungen eines Schuldverhältnisses beschäftigt sich der 5. Abschnitt „Leistungsstörungen". An dieser Stelle muß demnach die Frage stehen: Wie bestimmt sich die Leistung, das also, was geschuldet wird? Die Leistung ist dabei als Inbegriff alles dessen zu verstehen, was aufgrund eines Schuldverhältnisses geschuldet ist, s. § 8 oben. Die „Leistung" schließt also Haupt- und Nebenleistung ein. „Leistung" bedeutet sowohl das, was gegenständlich zu leisten ist (z. B. die gekaufte Sache), als auch zugleich alle Aufklärungs-, Obhuts-, Sorgfalts- und Mitteilungspflichten (z. B. ordnungsgemäße Verpackung, ordnungsgemäße Versendung, ausreichende Gebrauchsanweisung); zu den abweichenden Theorien oben § 8. 2. Im Gutachten verläuft der Gedankengang ebenso: Zunächst ist zu prüfen, ob ein 113 Schuldverhältnis begründet worden ist (oben §§ 17-25). Dann ist der Inhalt des Schuldverhältnisses zu bestimmen, damit ermittelt wird, was der eine dem anderen schuldet. (Zu den Schranken der Inhaltsfreiheit s. o. Rdn. 89 ff). Danach ist zu fragen, ob das Schuldverhältnis ordnungsgemäß beendet wurde. Erst dann ist auf Leistungsstörungen einzugehen. 3. Bei der Inhaltsbestimmung der Schuldverhältnisse lassen sich zwei Grundtendenzen 114 unterscheiden: Die eine stellt den subjektiven Willen der Beteiligten in den Vordergrund, die andere gewährt dem Schuldverhältnis ein gewisses objektives Eigenleben (vor allem Lorenz, Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, 1930). Diese Tendenzen stellen nur die Fortsetzung der Gedanken dar, die der Bindungswirkung der Verträge zugrunde liegen (Rdn. 16). Da der grundsätzliche Primat des Willens im Vertragsrecht kaum bestreitbar ist, werden diese Theorien nur in Grenzbereichen praktisch wirksam. So spielen sie eine Rolle bei der ergänzenden (besser: erläuternden) Vertragsauslegung (Rdn. 127), bei der Geschäftsgrundlage (Rdn. 187 ff) und der Zweckerreichung (Rdn. 352 ff). Dort ist auf die hier nur anzudeutende „subjektive" und „objektive Vertragstheorie" einzugehen. Mit 101
§26 I5
Inhalt des Schuldverhältnisses
dem Aufbau des Gutachtens hat das nichts zu tun, aber der geschuldete Leistungsinhalt kann davon abhängen. 115 4. Der Inhalt eines Schuldverhältnisses ist begrifflich zu trennen von den Motiven, welche die Parteien bei Eingehung des Schuldverhältnisses haben. Die Motive bleiben einseitig, sie werden nicht Vertragsinhalt. Werden sie durch Parteivereinbarung zum Vertragsinhalt erhoben, verlieren sie ihren Charakter als Motiv. Wer einen Verlobungsring kauft, kann ihn nicht zurückgeben, weil aus der geplanten Verlobung nichts wird (Motiv), es sei denn, er hat beim Kauf das Zustandekommen des Verlöbnisses zur Bedingung für den Kauf gemacht (Vertragsinhalt). Wer ein Auto kauft, kann den Vertrag nicht hinfällig machen, weil er tags darauf in einem Preisausschreiben eins gewinnt. Nur Inhaltsirrtümer berechtigen zur Anfechtung, 119 I (1), nicht Motivirrtümer, es sei denn, sie betreffen verkehrswesentliche Personen- oder Sacheigenschaften, 119 II. Doch können besonders wichtige und in bestimmter Weise herausgehobene Motive als Vertrauensumstände über § 242 zu einer Lösung vom Schuldverhältnis führen, unten Rdn. 170 ff. Die herrschende Meinung bezeichnet diesen Teil der Motive als „Geschäftsgrundlage". Zu unterscheiden vom Motiv im Sinne einer Zwecksetzung ist der „Rechtszweck" oder „Zweck" eines Vertrages. Das Synallagma selbst kann als Zweckstruktur gesehen werden 1 , dessen Grund in der allgemeinen Finalität menschlichen Handelns liegt. 2 Die Parteien wollen Verträge nur unter bestimmten Umständen und zu bestimmten Zwecken abschließen. Diese Zwecke bestimmen die Geltungsgrenzen und den Haftungsrahmen des Vertrags. 3 Abzulehnen ist ein objektiver Geschäftszweck, den die objektive Vertragslehre (Lorenz, Esser) in den Vertrag hineinliest. Die Übersicht auf den Seiten 104 und 105 deutet die Unterschiede von Vertragsinhalt, „Geschäftsgrundlage" und Motiven an. 116 5. Von diesem Gegensatz Motiv (im Sinne von Zweckvorstellung) - Vertragsinhalt zu unterscheiden ist eine ganz andere Bedeutung des Wortes „Rechtszweck" oder „Zweck". Jeder Vertrag unterliegt einer doppelten Begrenzung: Seinen „Geltungsgrenzen" und seinen „Haftungsgrenzen", vgl. dazu auch unten Rdn. 1195. a) Seine „Geltungsgrenzen" überschreitet ein Vertrag, wenn die Parteien redlicherweise sagen würden: Unter diesen Umständen sollte der Vertrag nicht gelten, diesen Zwecken sollte der Vertrag nicht dienen. Dies ist der Bereich des zum Vertragsinhalt erhobenen Zwecks oder, wie die Anhänger einer objektiven Vertragstheorie (Larenz, Esser) sagen, des „Geschäftszwecks". Der Vertrag trägt aber keinen objektiven Geschäftszweck in sich (so die in diesem Buch vertretene subjektive Vertragstheorie, unten Rdn. 127, 163 ff, 352 ff). Wohl aber befinden die Parteien über die Geltungsgrenzen ihres Vertrags. Zum Tragen kommen diese Geltungsgrenzen in den Lehren von der Erfüllung und von der Leistungsbefreiung; die Fälle der Anfechtung (§§ 119 ff), der §§ 134, 138 und der „Geschäftsgrundlage" zählen also auch dazu, unten § 27. Orchideenzüchter A kauft von B eine Orchidee zu 5,-. Beide wissen nicht, daß es sich um eine sehr seltene und wertvolle brasilianische Orchidee handelt, die 1500,- wert ist. Jetzt erfährt B davon. B kann wegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Sache (wertbildender Faktor; reiner Wert- oder Preisirrtum würde nicht ausrei1 2 3
Hierzu näher Klinke, Causa und genetisches Synallagma, 1982, S. 19 ff. Klinke aaO; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 23 ff. Näher unten Rdn. 116.
102
Bestimmung des Leistungsinhalts
§26 III
chen) nach § 119 II anfechten. Die Geltungsgrenzen des Vertrags sind überschritten. Beim „Geschäftszweck" (im Sinne Essers) geht es also darum, ob Umstände, die in der Person eines oder beider Partner liegen können oder nicht, kraft gesetzlicher Anordnung (insofern „objektiv") eine Geltungsgrenze darstellen. b) Die „Haftungsgrenzen" eines Vertrages bestimmen, wieweit eine Partei, falls der Vertrag gilt, mit dem Risiko der Inanspruchnahme infolge vertraglicher Bindung belastet wird. Einschlägig ist das Recht der Leistungsstörungen. Kaktusziichter A kauft von B einen Kaktus im Wert von 5,-. Der Kaktus ist verlaust, und die sich schnell vermehrenden Läuse vernichten A's Kakteenzucht im Wert von 15 000,-. B haftet aus positiver Vertragsverletzung grundsätzlich auf 15 000,- (unten Rdn. 387 f und Rdn. 687). Beachte aber § 254! Das Beispiel zeigt, wie weitgehend Gesetz und Rechtsprechung die Haftungsgrenzen des Vertrags ziehen. Das eigentliche Erfüllungsrisiko (5,-) bildet keineswegs eine Begrenzung für das vertragliche Haftungsrisiko! Haftungsbegrenzungen können aber vereinbart werden; so häufig durch AGB (unten Rdn. 130 f). 6. Der Begriff des Rechtsgrundes causa, der dem „Geschäftszweck" oft an die Seite 1 1 7 gestellt wird, ist also vieldeutig. Er bezeichnet mindestens dreierlei: die Abgrenzung des Vertragsinhalts von den Motiven (Motiv = „einseitiger Geschäftszweck" = causa), die Geltungsgrenzen („gemeinsamer Geschäftszweck") und die Haftungsgrenzen (Einwendungen gegen zu weite Haftung aus dem „Zweck" des Vertrags). Die Verwendung für den erstgenannten Zweck ist verfehlt, denn eine Enttäuschung in den Motiven führt gerade nicht zum Wegfall des Vertrags. Für die beiden anderen Zwecke leistet der causaBegriff viel, nämlich eine übergeordnete Vorstellung von den insgesamt gegen eine vertragliche Verbindlichkeit vorbringbaren Einwendungen. „Kausal" bedeutet insoweit: Angreifbar mit Einwendungen, die zum Wegfall oder zur Beschränkung der Leistungspflicht führen. „Abstrakt" ist das Gegenteil: Unangreifbar durch Einwendungen (vgl. §§ 780, 781). Begrenzte Abstraktion ist dabei ebenso möglich wie mehrstufige „Kausalität" und „Abstraktion", näher oben § 13 u. unten Rdn. 1023.
II. Schuldverhältnisse aus Gesetz Hier bestimmt das Gesetz selbst den Inhalt der Leistungspflicht, vgl. 823 ff, 667 ff, 118 747 ff. Zu berücksichtigen sind die anerkannten Regeln der Gesetzesauslegung, zunächst die Auslegung, die das Gesetz sich selbst gibt - Legalinterpretation - (z. B. 823 I, 276 I 2: Fahrlässigkeit), danach die wissenschaftliche Auslegung. Deren wichtigste Methoden sind: die philologische, die logische, die systematische, die historische und die teleologische Interpretation (siehe dazu die Lehrbücher des Allgemeinen Teils des BGB). Auch in gesetzlichen Schuldverhältnissen gilt, sobald sie einmal entstanden sind, § 242, was sich für die unerlaubten Handlungen, die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohne Auftrag schon aus der systematischen Stellung ergibt.
III. Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäft Ihr Inhalt wird ermittelt nach folgender Rangordnung, die zugleich die Rei- 119 henfolge für die Prüfung im Gutachten festlegt (s. S. 104):
103
§26
Inhalt des Schuldverhältnisses
III
1 2 0 Begriffe bei Vertragsschluß, Irrtum, Geschäftsgrundlage und persönlicher Vertrauensgrundlage, Zweckverfehlung. Die Prüfung im Gutachten erfolgt im allgemeinen von rechts nach links Kein Vertragsinhalt Rechtsgrundlagen
•
242
119
Motive = Geltungsunerhebliche Zwecksetzungen
Nicht Inhalt des Rechtsgeschäfts und für Rechtsgeschäft unerheblich...
Beispielsfalle*)
16,11
^
N icht Inhalt de s Rechtsgesc häfts, aber ausnahmswe ise für Rechts geschäft erheblic h, nämlich:
3. 2078
15
2. Vertrags- oder Vertragsgru ndlage
b) Geschäftsgrundlage
a) persönliche Vertrauensgrundlage
14,11
13,12
1. Gese tzl. Fälle au snahmsv /eise erheblic her Motivir rtümer (119 II) b) 2. Alt. (sachen)
11
a) 1. Alt. (Personen)
10
*) Vgl. dazu die frühere Fassung dieser Übersicht in Fikentscher, Die Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, 1970, 30; ders., Schuldrechtspraktikum, 1972, 90; die Beispielsfälle finden sich im „Schuldrechtspraktikum", die Erläuterungen zu den Risikobegriffen in der „Geschäftsgrundlage".
§26 III
Bestimmung des Leistungsinhalts
•M II
Vertragsinhalt 119 1(1) Auslegung des Vertragsrisikos (133, 157) |
• 122 analog?
Geschäftswille - indiziert die Verletzung eines der in § 823 I genannten Rechtsgüter nicht schon die Rechtswidrigkeit. Hinzu treten muß wie allgemein bei Verkehrspflichtdelikten eine Pflichtverletzung durch den Hersteller. Die Verletzung der Verkehrspflicht, die einen objektiven Tatbestand in § 823 I kraft richterlicher Rechtsfortbildung darstellt, indiziert dann die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in Leben, Körper, Gesundheit oder Eigentum. Auch bei den Verkehrspflichten (und der Produzentenhaftung als einem ihrer Spezialfälle) gibt es also die Unrechtsindikation; aber sie knüpft an der Verletzung der objektiven Verhaltenspflicht an. 1243 c) Da es sich um einen Tatbestand des § 823 I handelt, können allgemeine Vermögensschäden nur ersetzt verlangt werden, wenn sie auf der Verletzung eines der in dieser Vorschrift genannten Rechtsgüter beruhen, wobei Leben, Körper, Gesundheit und Eigentum in der Rechtsprechung ganz im Vordergrund stehen (zu Unrecht wird manchmal behauptet, die anderen absolut geschützten Rechtsgüter kämen nicht infrage). Unmittelbarer Ersatz reiner Vermögensschäden, wie zum Beispiel entgangener Zwischenverdienst, setzt vertragliche Haftung (BGHZ 48, 118) oder den Tatbestand des § 826 voraus, vgl. z. B. BGH 764
Die allgemeinen Deliktstatbestände
§103 IV 3
NJW 74, 1503 = ESJ 128 - Prüfzeichen Dazu tritt gegebenenfalls die wettbewerbliche Haftung, zum Beispiel nach § 1 UWG. d) In dem gekennzeichneten Rahmen von Tatbestand und Rechtsfolge ist die Produ- 1 2 4 4 zentenhaftung heute ein wichtiger Bestandteil des Deliktsrechts. Dem Grunde nach, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, kann sie als gewohnheitsrechtlich anerkannt gelten. Die Annahme, die Produzentenhaftung sei nur noch dem Namen nach Verschuldenshaftung (Medicus, II, § 77 3), geht jedoch zu weit. Besonders in kleineren Betrieben könnte der Beweis fehlerfreien Verhaltens der Angestellten auch einmal gelingen. Anders liegt es jedoch beim sogenannten „Ausreißer", für den eine Haftung ohne Verschulden aus dem Gesichtspunkt der Aufopferung angemessen ist (siehe dazu unten 5), und die vom PHG, das nicht auf Verschulden abstellt, erfaßt werden (u. Rdn. 1261). e) Im übrigen ist eine Haftung ohne Verschulden (Gefährdungshaftung, Aufopferungs- 1 2 4 5 haftung oder in anderer Form) als rechtliche Begründung der Produzentenhaftung ebenso abzulehnen wie die vielen anderen früher erörterten Begründungsversuche: Haftung aus dem Vertrag zwischen Letztabnehmer und seinem Händlerpartner mit dem Hersteller als Erfüllungsgehilfen gemäß § 278; Haftung aus dem Kaufvertrag zwischen Hersteller und Großhändler zugunsten des Letztabnehmers als Drittem, §§ 433, 328 I; Vertrag mit Schutzwirkung für den Letztabnehmer als Dritten; vertragliche Drittschadensliquidation, bei der der Händler den Schaden des Letztabnehmers geltend macht; Garantiehaftung des Herstellers für seine Ware aufgrund werbender Angaben (im Einzelfall immerhin möglich und zu Recht bejaht in BGHZ 48, 118 - Trevira - ; „soziale Funktion des Warenherstellers"; „sozialer Kontakt"; quasivertragliche Vertrauenshaftung mit oder ohne Verschulden). 13
3. Hersteller Die allgemeine Produzentenhaftung richtet sich gegen den Hersteller. Hersteller ist, wer 1 2 4 6 im Rahmen seiner unternehmerischen Planung das Produkt erstellt oder zusammenstellt auch ein Kleinbetrieb, BGHZ 116, 104 - und es in Verkehr bringt; nicht, wer ohne Produzent zu sein, als Hersteller auftritt, BGH NJW 80, 1219. Der Hersteller trägt grundsätzlich die Verantwortung für die von Zulieferern bezogenen Teile, wobei freilich im Einzelfall nach dem Verhältnis von Hersteller und Zulieferer zueinander sowie der jeweiligen Qualifikation zu differenzieren ist (BGH NJW 75, 1828, W M 77, 81). Werden Spezialteile verwendet, die ihrerseits unternehmerische Planung und fachliche Qualifikation erfordern, so ist insoweit der Zulieferer Hersteller. Hat der Zulieferer nach Anweisungen des Produzenten gehandelt, können beide Hersteller sein, BGH NJW 75, 1828; BGH W M 77, 81. Auf die Führung eines Warenzeichens oder einer Handelsmarke kommt es nicht an, BGH BB 77, 1117 - Produzentenhaftung des Montageunternehmers Einen Gebrauchtwagenhändler, der an einem Sportwagen einen nach den DIN-Normen nicht zulässigen Hinterreifen montieren läßt (was dann zu einem Unfall des Käufers führt), wird man noch als Hersteller ansehen können, BGH NJW 78, 2241 - Hinterreifen -, 1 4 Nach BGH NJW 75, 1827 ist auch ein Produktionsleiter in herausgehobener und verantwortlicher Stellung (als Geschäftsführer tätiger Kommanditist der Hersteller-KG) Hersteller. 15 13 14 15
Zu diesen Theorien und ihren jeweiligen Vertretern siehe z. B. die 6. Aufl. § 103 IV 1; zur Verjährungsfrage u. 10. Zweifelhafter ist schon der Gaszug-Fall BGHZ 86, 256. Hiergegen zu Recht Medicus, II, § 77 III 3 b; und Lorenz, II, § 41 a (S. 79). 765
§103
Unerlaubte Handlung (das Deliktsrecht)
IV 4
4. Fallgruppen 1247
In zeitlicher Reihenfolge lassen sich bei der Herstellung eines Produkts (a) seine Entwicklung, (b) seine Konstruktion und Herstellungsplanung, (c) seine Produktion, (d) die Abfassung und Gestaltung der dem Produkt beizugebenden Anweisungen, Anleitungen und Instruktionen und (e) sein Verkauf und die dem Verkauf folgende Überwachung des Funktionierens des Produktes im Gebrauch unterscheiden. 1248 a) Entwicklung. Am wenigsten gesichert sind die Grundsätze über die Produzentenhaftung aus fehlerhafter Entwicklung eines Produkts. Entwicklungsfehler (Forschungsfehler) sind Warenfehler, bei denen schon die vor der Konstruktion liegenden Entwicklungs- und Forschungsarbeiten nicht wissenschafts- und kunstgerecht verlaufen, so daß sie nicht mehr tragbare Schadensquellen schaffen. Ihre haftungsrechtliche Behandlung ist deshalb schwierig, weil sich nicht selten nach dem bisherigen Erkenntnisstand für harmlos gehaltene Produkte und Arbeitsweisen überraschend als schädigend erweisen und weil dann diese Schäden oft ein gravierendes Maß erreichen (Contergan). Für pharmazeutische Produkte hat § 84 des Arzneimittelgesetzes (AMG) eine Rechtsgrundlage geschaffen (s. dazu unten Rdn. 1336). Für technische Geräte und Maschinen hat die Rechtsprechung die Regel aufgestellt, daß es zu den Pflichten des Herstellers gehört, bei jeder Neuentwicklung sich über den Stand der technischen Erkenntnis genau zu informieren, ihn zu beachten und den normalen „Gefahrenquotienten für den Abnehmer nicht zu vergrößern, BGH LM 5 zu § 823 (C); BGH VersR 56, 625; 59, 523; 60, 1095. Vernachlässigt der technische Entwickler eine dieser Pflichten, handelt er rechtswidrig und in der Regel auch schuldhaft. 1249 b) Konstruktions- und Herstellungsplanung. Es handelt sich um Warenfehler, die in der Bauart oder Zusammensetzung des Produkts liegen, und die zur Haftung führen, vgl. BGHZ 67, 359; BGH VersR 77, 500. Erzeugnisse müssen dem gegenwärtigen Stand der Technik entsprechen und betriebssicher (BGH BB 72, 14) sein. Die Betriebssicherheit umfaßt die verwendeten Materialien einschließlich der Zuliefererteile. Hinsichtlich des Ausmaßes ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen der stets einzuhaltenden Basissicherheit und zusätzlichen, auch durch die Preiskategorien beeinflußten Sicherungsmaßnahmen (BGH VersR 57, 584); deren Fehlen stellt noch keinen Mangel dar. Zielmaßstab ist der bestimmungsgemäße Gebrauch durch einen vernünftigen Benutzer (BGHZ 105, 351). Dabei ist zu berücksichtigen, ob das Gerät von einem Fachmann oder einem Laien benutzt wird (BGH NJW 81, 2315). Mit gewissen Überbeanspruchungen (BGH VersR 72, 560) oder mit Fehlgebrauch (BGH MdR 62, 889) muß innerhalb bestimmter Grenzen gerechnet werden. 1250 c) Fabrikation. Hier unterläuft der Fehler bei der Herstellung des Produkts.16 Produkte müssen entsprechend dem zu b. Ausgeführten ordnungsgemäß herge16
Hauptbeispiel: B G H Z 51, 91 = ESJ 127 - Hühnerpest - ; gegen Trennung von Konstruktionsfehlern bei Serien einerseits und Produktionsfehlern bei jeweiligen Einzelstücken Jauernig/ Teichmann, § 823, Anm. VIII D 3 b aa.
766
Die allgemeinen Deliktstatbestände
§ 103 IV 5
stellt werden. Der Hersteller muß Kontrollanlagen bzw. -verfahren verwenden, die geeignet sind, vorhersehbare Fehler zu ermitteln. d) Anleitung, Anweisung, Instruktion, Naheliegender Fehlgebrauch. Sind mit 1251 der Verwendung einer Sache spezifische Gefahren verbunden, die von dem bestimmungsgemäßen Benutzerkreis nicht oder nicht hinreichend erkannt werden können (BGH NJW 87, 372), so muß der Hersteller in geeigneter Weise, z. B. durch eine beigefügte Gebrauchsanweisung oder ein an einer Maschine befestigtes Schild, informieren, wie die Sache gefahrlos benutzt werden kann (BGHZ 47, 316). Auf notwendige Vorsichtsmaßnahmen muß deutlich und in verständlicher Weise hingewiesen werden (BGH VersR 60, 343). Bei „nachliegendem Fehlgebrauch", z. B. bei einem Kariesfördernden Dauergebrauch einer Flasche mit gesüßtem Kindertee („Dauer-Nuckeln") muß der Warnhinweis auch auf die Gründe der möglichen Schädigung eingehen, BGHZ 116, 60 - NuckelFlasche - . Bei Bedienung durch Fachpersonal sind Instruktions- und Wampflichten gemindert, BGH ZIP 1992, 934 - Silokipper - . e) Verkauf, Überwachung des Produkts im praktischen Gebrauch. In gefah- 1252 renträchtigen Branchen (Autoindustrie, pharmazeutische Produkte u. ä.) oder wenn, insbesondere bei Neukonstruktionen, begründeter Anlaß besteht, daß Erzeugnisse trotz ausreichender Kontrolle Fehler aufweisen und Schäden verursachen können, hat der Hersteller auch die Pflicht, Zustand, Verwendungsweise und Wirkungsart seiner Produkte während und nach dem Verkauf über die Handelswege sowie den Gebrauch durch die Kundschaft zu beobachten. Stellen sich Schäden ein, erweist sich das Produkt als wirkungslos (z. B. weil die Schädlinge gegen ein Spritzmittel gegen Apfelschorf resistent geworden sind, BGHZ 80, 186; 80, 199) oder werden Gefahrenquellen entdeckt, so trifft den Hersteller sowohl eine Beobachtungs- und Warn-, wie gegebenenfalls auch eine Rückrufpflicht (.Pieper, BB 1991, 985; zurückhaltend Schlechtriem JA 83, 258). Beispiele: RGZ 163, 26 - Kfz-Bremsen - ; BGH in den eben genannten Apfelschorf Entscheidungen, dazu Schmidt-Salzer, BB 81, 1041; Sack, DAR 83, 1; BGH NJW 90, 906 - Pferdeboxen-Trennwände
5. Ausreißer Grundlage der allgemeinen Produzentenhaftung ist vermutetes Verschulden des Her- 1 2 5 3 stellers bei der Überwachung seiner Leute, die mit der Herstellung des Produkts beschäftigt sind. Durch die Beweislastumkehr (zur Beweislast s. gleich, 11.) bei einem diesbezüglichen Verschulden geht die Produzentenhaftung über den Rahmen der Organisationshaftung hinaus, die dem Hersteller lediglich theoretisch und praktisch ordnungsgemäße Organisation abverlangt. Immer aber ist diese Produzentenhaftung noch Verschuldenshaftung. Wie aber liegt es, wenn der Warenfehler nicht auf ein Verschulden zurückzuführen ist? Maschinen können ebenso versagen wie Menschen. Diese Versager, die in jeder Produktion mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auftauchen, und die sich auch durch sorg767
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fältigste Organisation nicht verhindern lassen, heißen „Ausreißer" 17 . Sie bilden ein besonders schwieriges Problem der Warenhaftung. Es gilt, sie tatbestandlich genau zu bestimmen, um diesem typischen Fall eine angemessene typische Haftung beizuordnen. Verbreitet wird ihretwegen die Einführung einer gesetzlichen Gefährdungshaftung für industrielle Produktion (u. a. von Simitis) oder wenigstens eine Verschärfung des § 831 gefordert. Beides erscheint indes nicht notwendig. Eine Schädigung durch einen Ausreißer beruht nicht auf einer rechtswidrigen Handlung. Denn alle organisatorischen und sonstigen objektiven Sorgfaltspflichten wurden beachtet. Es liegt ein „maschinelles Fehlverhalten", eine „Fehlleistung des Fließbands" vor. Darum versagt hier die Beweislastungsumkehr nach BGHZ 51, 91 = ESJ 127 - Hühnerpest - , weil sie eine rechtswidrig schuldhafte Schädigung voraussetzt. Das „Montagsauto", häufig in diesem Zusammenhang zitiert, ist gerade kein Beispiel für den Ausreißer, weil bei seiner Fertigung die objektiv zu stellenden Regelanforderungen nicht eingehalten wurden. Ausreißer entstehen trotz Beachtung aller objektiven und subjektiven Sorgfaltsanforderungen. Ungerecht wäre es sicher, das Opfer dieses unvermeidbaren Versagens dem zufällig Verletzten aufzubürden. Den Schaden müßte wirtschaftlich der tragen, dem gestattet ist, Waren und damit auch gelegentliche „Ausreißer" zu produzieren. Das ist der Hersteller. Er wird seine Ausreißerhaftpflicht über den Preis seiner Ware dem kaufenden Publikum überwälzen. Damit sind die Eigenschaften eines privatrechtlichen Aufopferungsanspruchs vollständig erfüllt, unten Rdn. 1348 f. Es liegt ebenso wie beim öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch, der z. B. dazu führt, daß die gelegentlichen Opfer einer Typhuszwangsimpfung Ansprüche gegen den Staat geltend machen können, der diese Last seinerseits dem Steuerzahler aufbürdet. So richtig es ist, daß man die Produzentenhaftung als solche nicht auf den Aufopferungsgedanken stützen kann, weil die Gefährdung durch Warenfehler kein Sonderopfer darstellt, so richtig ist es, die Opfer von Ausreißern durch einen Anspruch gegen den Hersteller schadlos zu stellen, dem das Recht gestattet, Maschinen und andere Geräte zu verwenden, die trotz bester Kontrolle „Fehlleistungen" vollbringen können. Hier handelt es sich um ein Sonderopfer, das der Betroffene auf sich nehmen muß, weil die moderne Wirtschaft nun einmal Maschinen und Geräte verwendet. Um Gefährdungshaftung geht es dabei nicht, denn maschinelle Warenproduktion ist als solche auch unter dem Gesichtspunkt, daß gelegentlich Ausreißer vorkommen, kein „gefahrliches Tun" (aber: Autofahren ist „gefährlich"). Vielmehr bedeutet die Aufopferungshaftung für Ausreißer einen allgemeinen Risiko- und Lastenausgleich. Hierin liegt der Unterschied zur Gefährdungshaftung (oben 1 d ) . I m Ergebnis ähnlich Lorenz, AcP 170, 32, 50 ff. Indes sind nicht alle unverschuldeten Fabrikationsfehler im beschriebenen Sinne Ausreißer. Um einen Ausreißer handelt es sich nur im Falle einer „Fließbandfehlleistung", also eines unkontrollierbaren technischen Versagens und dergl. Ein unverschuldeter Fabrikationsfehler außerhalb des Ausreißerphänomens liegt z. B. vor, wenn ein mit der Ablieferung und Kundeneinweisung betrauter Monteur das Gerät nach Verlassen des Fließbandes 17
Teilweise wird der Begriff „Ausreißer" in einem anderen Sinn verstanden. Man bezeichnet dann damit die Fälle, in denen durch einen Fertigungs- oder Kontrollfehler ein einzelnes Stück fehlerhaft in den Verkehr gebracht wird, und grenzt diese Fälle von denen der Konstruktionsfehler ab, bei denen Fehler bei allen Stücken der betreffenden Art vorliegen (so Medicus, BürgR, Rdn. 650, Esser/Weyers, § 55 V 3; wie im obigen Sinn aber Palandt/Thomas § 823, Rdn. 205 mit Verweis auf BGH VersR 56, 410, VersR 60, 855). Unabhängig von der Terminologie bleibt indes die hier erörterte rechtliche Problematik.
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und nach der letztmöglichen Kontrolle falsch einstellt, so daß dem Kunden ein Schaden entsteht: Keine Produzentenhaftung nach § 823 I, keine Ausreißeraufopferungshaftung, aber § 831 mit wahrscheinlich gelingendem Entlastungsbeweis. Es bleibt der Deliktsanspruch gegen den Monteur; ferner, wenn Vertrag, evtl. Mängelhaftung des Verkäufers. Da nach dem Produkthaftungsgesetz - PHG - (s.u. 13, Rdn. 1261) in bestimmtem Umfang für fehlerhafte Produkte eine Haftung ohne Verschulden gilt, dürfte nach dem Inkrafttreten des PHG am 1 . 1 . 1990 die Ausreißerproblematik für den Geltungsbereich des PHG keine Bedeutung mehr besitzen. Für die allgemeine Produzentenhaftung nach § 823 I BGB bleibt sie allerdings bestehen.
6. Sogenannte „weiterfressende Schäden" Auch in diesen Fällen (s. dazu oben, Rdn. 1211) gilt die Produzentenhaftung, BGH BB 1 2 5 4 1992, 1089 - Austauschmotor - , dazu z. B. Tiedtke. Problematisch kann in solchen Fällen die Bestimmung des Herstellers sein (vor allem im „Gaszug-Fall, BGHZ 86, 256, war nicht klar, ob der Haftende wirklich der Hersteller war, s. o. 454). Die deliktische Produzentenhaftung kann mit einem unmittelbaren Vertragsanspruch konkurrieren, wenn der Geschädigte direkt vom Hersteller bezog. Daß dagegen grundsätzlich keine Bedenken bestehen, wurde oben aaO ausgeführt. Die Hauptproblematik dieser Fälle liegt jedoch in der Frage, ob überhaupt Eigentum als Recht im Sinne des § 823 I verletzt wurde (s. dazu oben, aaO).
7. Anspruchsberechtigter Sinn der Produzentenhaftung ist, unter Überspringung von Wirtschafts-, insb. der 1 2 5 5 Händlerstufen, Warenfehlergeschädigten unmittelbare Ansprüche gegen die Hersteller zu gewähren. Die vertragliche Haftung kann wegen der Relativität vertraglicher Verhältnisse (oben § 15) diesen Durchgriff nicht vollziehen. Anspruchsberechtigt ist daher sicherlich der Letztabnehmer, an den das Produkt nach Durchlaufen der verschiedenen Absatzstufen gelangt, unstr. Aber auch schon Weiterverarbeiter genießen den Schutz der Produzentenhaftung, BGHZ 48, 118. Auch Familienangehörige, Angestellte, Gäste usw. des Abnehmers sind in den Schutzbereich einbezogen, BGH JZ 60, 124, wobei der Zweck, dem die Ware zu dienen bestimmt ist, für die Abgrenzung des Schutzbereichs mit herangezogen werden kann (Diederichsen, Haftung 391). Streitig ist, ob auch unbeteiligte Dritte den Schutz der Produzentenhaftung genießen, also etwa der Passant, der von dem sich lösenden Autorad getroffen wird, der Erntehelfer, der an der ausgeliehenen Dreschmaschine arbeitet, usw. Verneint wird diese Ausdehnung von BGH NJW 56, 1193 mit zust. Anm. Larenz; Diederichsen, Haftung 389, bejaht von Simitis Gutachten 58, 98; Rehbinder, ZHW 129,178; Weitnauer Karlsr. Forum 63, 41 und der 2. Aufl. dieses Buches im § 107 I 2 e. Die zweite Auffassung verdient den Vorzug, denn es kann keinen Unterschied machen, wer das Opfer pflichtwidriger Warenherstellung wird, ein Abnehmer oder eine Person, die mit einem Abnehmer in Berührung kommt. Freilich können sich die Pflichten des Herstellers diesen verschiedenen Personenkreisen gegenüber verschieden bestimmen. Das hängt wiederum weitgehend von den Zwecken ab, denen die Ware dienen soll. Personen, die sich typischerweise außerhalb des Gefahrenkreises aufhalten, den der Ge- oder Verbrauch der Ware normalerweise mit sich bringt, ist keine deliktische (Hersteller-) Sorgfalt geschuldet. Das aber ist ein allgemeines Problem des Deliktsrechts, keine Frage der Produzentenhaftung allein. Im Ergebnis berührt sich die hier vorgetragene Auffassung 769
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mit den vertraglichen Lösungen, z. B. Gernhubers, die vom „Gefahrenkreis" eines Vertrages sprechen. Diese Lehren übersehen indes, daß auch deliktische Sorgfaltspflichten nur in bestimmten Beziehungen geschuldet sind; vgl. o. Rdn. 445 und U. Huber, FS Wahl, 1973, 301, 315 mit einer Darstellung der klassischen Fälle zur Normerstreckung im amerikanischen Recht („Thomas", „Polemis", „Palsgraf"); unrichtig insoweit Dunz, JZ 69, 756. Beispiele dazu: Ein Straßenpassant hält sich im Gefahrenkreis mangelhaft hergestellter, auf dieser Straße verkehrender Fahrzeuge auf. Das gleiche gilt für den Ladenverkäufer, der durch Splitter der Schaufensterscheibe verletzt wird, in die das mangelhaft gebaute Renn-Fahrrad fährt. Hatte aber dieser Verkäufer gerade an diesem Tage seine wertvolle Briefmarkensammlung mitgebracht, um sie seinen Kollegen zu zeigen, und wird sie durch das in den Laden fahrende Rennrad beschädigt, so haftet trotz vorliegender adäquater Verursachung der Hersteller insoweit nicht, weil sich diese Sammlung normalerweise außerhalb des durch das fehlerhafte Fahrzeug erreichbaren Gefahrenkreises befindet. (Für Kraftfahrzeuge gelten an sich die gleichen Regeln, doch werden sie wegen der Gefährdungshaftung nach §§ 7 ff StVG hauptsächlich erst beim Rückgriff der Versicherungsgesellschaft gegen den Kfz-Hersteller von Bedeutung.)
8. Haftungsmilderungen und -ausschlüsse 1256
Schon im Rahmen der vom Hersteller zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind für den Hersteller entlastende Umstände zu berücksichtigen, die den Erfolg seiner Sorgfalt zu durchkreuzen geeignet sind, wie unübliche Verwendung der Ware, Nichtbeachtung allgemein bekannter Gefahrabwendungsregeln durch den Geschädigten. Wird durch einen solchen Umstand die Sorgfaltspflicht insoweit beseitigt, kann keine Haftung, also auch keine Schadensteilung eintreten. Es kann aber auch so liegen, daß trotz der entlastenden Umstände eine Sorgfaltspflicht an sich zu bejahen ist, etwa weil der Hersteller auch mit unüblichem Gebrauch (z. B. durch Kinder), mit überarbeiteten Ärzten usw. rechnen mußte. Dann kann aber im Einzelfall die Schuld fehlen. Liegt auch Verschulden vor, so ist den Hersteller entlastendes Mitverschulden des Geschädigten und seiner „Verrichtungsgehilfen" zu prüfen, 254.
9. Freizeichnung 1257
Ein wesentlicher Nachteil einer „vertraglichen Lösung" der Produzentenhaftung ist das Problem der Freizeichnung von der Haftung, die der Hersteller regelmäßig anstreben wird, um seine Haftung auszuschließen. (Es bedürfte deshalb nach Ansicht der Vertreter dieser Lösung de lege ferenda zwingender Vorschriften.) Stützt man die Produzentenhaftung auf Deliktsrecht, wie hier, kommt eine Freizeichnung schon praktisch kaum in Frage (richtig Weitnauer, NJW 68, 1599). Ein Aufdruck auf der Ware („Für Schäden wird nicht gehaftet") nützt dem Hersteller nur dann, wenn der Geschädigte dies als Vertragsangebot annimmt, was kaum anzunehmen und jedenfalls aus dem Kauf oder der Verwendung der Ware nicht ohne weiteres zu schließen ist. Nach § 14 PHG (s. u. 13.) ist für die Ansprüche nach dem PHG ein vorheriger vertraglicher Haftungsausschluß unzulässig.
10. Verjährung 1258
Die deliktische Lösung ist genötigt, die Produzentenhaftung nach § 852 nach drei Jahren verjähren zu lassen, gerechnet von Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflich770
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tigen an. Anhänger der vertraglichen oder der Vertrauenshaftung entschieden sich für die 30jährige Verjährung nach § 195. Doch erscheint die dreijährige Frist nicht unbillig kurz.
11. Beweislast a) Nach allgemeinen Grundsätzen muß der Anspruchssteller, also im Prozeß der Klä- 1 2 5 9 ger, alle Merkmale des Tatbestands derjenigen Norm beweisen, die seinen Anspruch stützen soll. Diese Regeln gelten grundsätzlich auch für die Fälle der Produzentenhaftung. Der Verletzte hat nachzuweisen, daß eines seiner durch § 823 I geschützten Rechte oder Rechtsgüter adäquat kausal (für eine Beweislastumkehr auch bei der haftungsbegründenden Kausalität Medicus Schuldrecht BT, 48; wie hier Jauernig/Teichmann, § 823 VIII E 3 b ff) durch ein fehlerhaftes Produkt des Herstellers verletzt und der geltend gemachte Schaden adäquat kausal durch die Rechtsgutsverletzung verursacht wurde. In einer neueren Entscheidung (BGHZ 104, 323) hat der BGH allerdings schon für die Frage der Fehlerfreiheit bei Inverkehrbringen des Produkts eine Beweislastumkehr angenommen. Diese soll dann eingreifen, wenn der Hersteller seine (Verkehrs-)Pflicht verletzt hat, das betreffende Produkt auf seine einwandfreie Beschaffenheit hin zu überprüfen und den Prüfungsbefund zu sichern (s. dazu z . B . Reinelt, NJW 1988, 261; Giesen, JZ 1988, 969). Dem ist zuzustimmen. Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ergibt sich aus dem objektiven Verstoß gegen die in den § 823 I hineininterpretierte Verhaltenspflicht (oben Rdn. 1242), hier also der Pflicht, keine fehlerhaften Produkte in Verkehr zu bringen. Rechtfertigungsgründe und Haftungserleichterungen hat grundsätzlich der Hersteller zu erweisen. Auch insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze. b) Der Tatbestand des § 823 I ist indes nicht schon erfüllt, wenn der Hersteller ein fehlerhaftes Produkt in den Verkehr gebracht hat. Er muß zusätzlich noch pflichtwidrig gehandelt haben (da es sich eben auch hierbei um Fälle der „Fernwirkung", d. h. um Verkehrspflichtverletzungen, handelt, s. o. Rdn. 1232). Den Nachweis einer solchen Pflichtverletzung kann jedoch der Geschädigte im Regelfall mangels Einblick in die Organisations- und Betriebssphäre des Herstellers und mangels Kenntnis der branchen- und betriebseigenen Regeln nur sehr schwer führen. Die Rechtsprechung hat deshalb insoweit die allgemeinen Regeln der Beweislast geändert: aa) Bei Pflichtverletzungen im Produktionsbereich muß der Hersteller beweisen, daß der Fehler des Produkts nicht auf einer Fehlhandlung seinerseits beruht (BGHZ 80, 186, 199).18 In der grundlegenden Entscheidung BGHZ 5 1 , 9 1 (= ESJ 127 - Hühnerpest —) sprach der BGH noch von einer Beweislastumkehr (nur) hinsichtlich des Verschuldens. Da sich die Anforderungen an die Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt angesichts des im Zivilrecht geltenden objektiven Sorgfaltsmaßstabs (s. Palandt/Heinrichs § 276 Rdn. 15 m. w. N.) weitgehend mit dem Inhalt der Verkehrspflichten decken, wäre dem Verletzten insoweit jedoch nicht in ausreichendem Maße geholfen. Notwendig und sinnvoll ist eine Beweislastumkehr bereits für die im Tatbestand zu prüfende objektive Pflichtverletzung (seit der 7. Aufl. 1985, § 103 IV 11 a); richtig BGHZ 80, 186; BGH BB § 823 VIII E 3 b ff; Medicus, II, S. 77 III 3 a). 1996, 1796; Jauernig/Teichmann 18
Für diese Beweislastumkehr wurden im Anschluß an die „Hühnerpest-Entscheidung" verschiedene Begründungen angegeben: Analogie zu § 831 (so auch die 7. u. 8. Auflage), zu §§ 836 ff (,Simitis, Gutachten, 94), oder zu §§ 832, 833, 834, 836 ff (BGH in BGHZ 51, 91). Inzwischen kann man von Gewohnheitsrecht sprechen. 771
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Aus denselben Gründen, die schon für die Beweislastumkehr bei den der Pflichtwidrigkeit zugrundeliegenden Tatsachen ausschlaggebend waren, muß der Hersteller auch beweisen, daß ihn keine Schuld trifft. Terminologisch nahm die Beweislastumkehr hier ihren Anfang (s. BGHZ 51, 91 und oben). bb) Diese dargestellte Beweislastverteilung gilt vor allem bei Pflichtverletzungen im Produktionsbereich. Bei der Verletzung von Informationspflichten entscheidet die Rechtsprechung teilweise anders. Der Verletzte hat hier die Beweislast dafür, daß eine Instruktionspflicht bestand und ihr nicht nachgekommen wurde (vgl. BGHZ 80, 195).19 Der Verletzte soll weiter beweisen müssen, daß er bei ordnungsgemäßer Information die Verletzung vermieden hätte (haftungsbegründende Kausalität; BGH NJW 80, 195). Wie oben hat der Hersteller die Beweislast dafür, daß ihn kein Verschulden trifft, d. h. daß er die entsprechenden Erkenntnismöglichkeiten über die durch die Information abzuwendende Gefahr nicht hatte und sich nicht verschaffen konnte (BGH 80, 199). cc) Die Beweislast für die Verletzung von Produktbeobachtungspflichten dürfte sich wegen der vergleichbaren Problemlage ähnlich wie oben bei den Instruktionspflichten verteilen (so auch Jauernig/Teichmann, § 823 VIII E 3 d). c) Entsprechend ist widerleglich zu vermuten, daß ein Fabrikationsfehler ein Ausreißer und kein bloßer unverschuldeter Warenfehler ist, oben 5. Denn wer nachzuweisen hat, daß er alle Organisations- und Kontrollpflichten erfüllt hat, muß auch nachweisen, daß die Fehlerquelle überhaupt im Bereich des Organisierbaren und Kontrollierbaren liegt.
12. Ansprüche neben § 823 I 1260
Im Produkthaftungsbereich sind auch Ansprüche aus § 823 II (vor allem) i. V. m. StVZO, ArzneiMG, LebensMG, GerSichG denkbar. Ansprüche aus Gefährdungshaftung bedürfen eines besonderen Gesetzes (s. z. B. PHG [u. 13.], GenTG und § 84 ArzneiMG, u. Rdn. 1336). 13. Die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz (PHG)
1261
a) Die Produzentenhaftung bildet für die haftenden Unternehmer einen nicht unerheblichen Kostenfaktor. Nationale Unterschiede dieser Haftung können den Wettbewerb verfälschen. Deshalb hat der Rat der Europäischen Gemeinschaften (EG) mit Datum vom 25. 7. 1985 eine Richtlinie zur Vereinheitlichung der nationalen Regelungen der Produkthaftung erlassen (Text: BB 85, 1883; VersR 85, 922). In Umsetzung dieser Richtlinie ist am 1.1.1990 ein deutsches Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz - PHG) in Kraft getreten (Cohn, ZIP 1990, 482; Sack, JB1. 1989, 615, 695). Es löst die allgemeine Produzentenhaftung (oben Rdn. 1242-1260) nicht ab, sondern tritt mit einer Haftung ohne Verschulden (Gefährdungshaftung, s. u. Rdnr. 1319 ff) — neben sie: b) Geschützt sind zunächst ohne weitere Einschränkungen Leben, Körper und Gesundheit, § 1 I 1 PHG. Geschützt ist auch das Eigentum an Sachen, § 1 I 1 PHG. Doch insoweit ist der Schutz eingeschränkt, § 1 I 2 PHG. Es muß eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt werden. Dies schließt Schadensersatz für sogenannte „Fresserschäden" (s. o. Rdn. 1211) aus (Palandt/Thomas 1, Rdn. 6; im Ergebnis auch Jauernig/ 19
Da auch insoweit der Hersteller die möglichen Risiken und Gefahren besser einschätzen und überblicken kann, erscheint diese Abweichung von den oben ausgeführten Grundsätzen nicht überzeugend.
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Teichmann § 823 Anhang, §§ 1 - 4 PHG 2 b bb). Weiter sollen nur Sachen geschützt werden, die ein Endverbraucher als Privatperson ohne Erwerbszweck einsetzt („gewöhnlich dazu bestimmt", „hauptsächlich dazu verwendet" - diese Merkmale müssen kumulativ vorliegen, so Palandt/Thomas, aaO Rdn. 7); das ist eine erhebliche Einschränkung gegenüber der allgemeinen Produzentenhaftung (o. Rdnr. 1240 ff), die auch zugunsten von Weiterverarbeitern, Händlern usw. gilt.
c) Die Rechtsgutsverletzungen müssen durch ein Produkt verursacht worden sein, § 1 I 1 PHG. Zum Begriff des Produkts, § 2 PHG. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. d) Die Rechtsgutverletzung muß durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht worden sein. Bei einer Haftung, die wie die nach dem PHG auf ein Verschuldenserfordernis verzichtet, ist die entscheidende Nahtstelle zwischen Haftung und Nichthaftung der Fehlerbegriff (so v. Westphalen NJW 90, 83, 87). Die Notwendigkeit des Vorliegens eines Fehlers verhindert im Ergebnis, daß der beklagte Produkthersteller für jeden Produktschaden haftet, in Wirklichkeit also zum Versicherer für alle Produktschäden wird. aa) Ähnlich wie beim Fehlerbegriff in § 459 BGB liegt ein Fehler vor, wenn die Istbeschaffenheit des betreffenden Gegenstandes von der Sollbeschaffenheit abweicht. Im Unterschied zum Vertragsrecht wird aber der Sollzustand im Fehlerbegriff des PHG nicht primär nach der vertraglichen Vereinbarung, sondern, da es sich gerade um eine nichtvertragliche Haftung handelt, nach einem objektiven Maßstab bestimmt 20 . Der Sollzustand ist sicherheitlich orientiert (§ 3 I) und auf den objektiven, nicht unbedingt vom Hersteller selbst erkennbaren, gegenwärtigen Stand der Technik (s. § 1 II Nr. 5) und einen bestimmungsgemäßen Gebrauch bezogen. Maßgebend ist die berechtigte Erwartung hinsichtlich aller Umstände, § 3 I 1 PHG. 21 bb) Im Produktionsbereich (Planung, Konstruktion und Produktion) muß sich der Standard an einer Basissicherheit und einer zusätzlichen, durch Präsentation und Preis beeinflußten Sicherheitserwartung orientieren. Fehler bei der Kontrolle müssen nicht mehr gesondert festgestellt werden; denn es kommt allein auf das fehlerhafte Produkt, nicht auf ein schuldhaftes Handeln an. cc) Die Grundsätze zur Instruktionspflicht gelten in anderer Systematik über § 3 I a PHG (s. v. Westphalen, NJW 90, 88): Eine „Darbietung", die nicht auf die Benutzergefahren hinweist, löst höhere Sicherheitserwartungen aus, als sie dem Produkt tatsächlich entsprechen. Es ist damit fehlerhaft. Eine Pflicht zur Produktionsbeobachtung besteht nach dem Gesetz nicht. Entscheidend ist, ob das Produkt zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens den Sicherheitsstandard erfüllt (str.). Allein die Tatsache, daß später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde, läßt noch keinen Fehler annehmen, § 3 II PHG. Die Grundsätze zum naheliegenden Fehlgebrauch (z. B. BGHZ 116, 60 - NuckelFlasche - ) müssen auch beim PHG greifen, s. o. Rdn 1251. dd) Für die Beweislast gelten im Ergebnis dieselben Regeln wie bei § 823 I, s. § 1 IV PHG und oben Rdn. 1259, b) aa). Es sind allerdings die Ausnahmen in § 1 II Nr. 2, 3 PHG zu beachten. 20
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Palandt/Thomas § 3 PHG Rdn. 1: Es soll hier nicht das wirtschaftliche Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Vertragspartners, sondern das Integritätsinteresse jedes Benutzers geschützt werden. S. v. Westphalen, NJW 90, 87: Die in § 3 I lit. a bis c aufgeführten, typisierten Umstände sind lediglich beispielhaft zu verstehen („insbesondere"). 773
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e) Hersteller: Haftungsschuldner ist nach § 4 I PHG der Hersteller. Darunter sind dieselben Personen wie bei § 823 I zu verstehen (einschließlich des „Quasiherstellers" 22 , § 4 I 2 PHG). Es haften auch die Hersteller von Teilprodukten, § 4 I 1 PHG, sowie Importeure aus Drittstaaten, § 4 II PHG. Der Händler haftet subsidiär statt des Herstellers, wenn die Voraussetzungen des § 4 III PHG vorliegen. Bei mehreren nach dem PHG haftenden Herstellern regelt § 5 PHG die Haftung im Außen- (S. 1) und Innenverhältnis (S. 2). Für die Haftungsverteilung ist auch § 6 II PHG zu beachten. S. a. Hommelhoff, ZIP 1990, 761 (Konzern). f) Bei Verletzung einer Person gilt § 254 in vollem Umfang, d. h. auch mit der Auslegung, die § 254 II 2 in der Rechtsprechung gefunden hat (s. o. Rdn. 574), § 6 I PHG. Bei Sachbeschädigungen wird das Mitverschulden von sog. Obhutspersonen (s. §§ 854, 855) dem eigenen Verschulden (ohne Entlastungsmöglichkeit) gleichgestellt, § 6 I HS 2 PHG. 23 g) Haftungsausschluß: In § 1 II Nr. 1 - 5 III PHG finden sich Bestimmungen, die bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen die Haftung ausschließen. Insoweit ist in Streitfällen der Hersteller beweispflichtig, § 1 IV 2 PHG. Ein vertraglicher Haftungsausschluß ist nach § 14 PHG unzulässig. h) Die § § 7 - 1 1 PHG kennzeichnen für Personenschäden abschließend die einzelnen Schadensposten und den Schadensumfang, konkretisieren damit § 1 I PHG und nehmen die in den §§ 842 ff enthaltenen Komplexe (mit Ausnahme der §§ 845, 847) für das Gesetz auf. Schmerzensgeld wird also nicht gewährt. Schadensersatz für die Zukunft ist in Form einer Geldrente zu leisten, § 9 PHG. In § 10 PHG wurde ein Haftungshöchstbetrag für Personenschäden eingeführt. Anders als bei Personenschäden fehlt bei Sachschäden eine Regelung, so daß auf § 1 I PHG zurückzugreifen ist. Wegen des insoweit mit § 823 I BGB identischen Wortlauts sind auch dieselben Folgeschäden wie nach den §§ 249-252 zu ersetzen. Hinzu kommt nur die Regelung des Selbstbehalts nach § 11 PHG. i) Die zeitliche Geltendmachung der Ansprüche wird durch ein doppeltes System begrenzt. Zehn Jahre, nachdem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, „erlischt" der Anspruch, § 13 PHG 24 . Dies führt im Regelfall zu unterschiedlichen Fristen, je nachdem, ob der Geschädigte den Hersteller, Quasihersteller, Importeur oder Lieferanten in Anspruch nimmt. Das Erlöschen ist im Gegensatz zur Verjährung von Amts wegen zu beachten (Palandt/Thomas § 13 PHG, Rdn. 1). Unter den in § 13 II PHG genannten Voraussetzungen erlöschen Ansprüche nicht. Innerhalb dieser 10-Jahres-Frist verjährt der Anspruch nach § 10 PHG in drei Jahren. Die Norm stellt bei sonst parallelem Aufbau zu § 852 nicht nur auf Kenntnis, sondern auch auf den Zeitpunkt des Kennenmüssens ab. j) Im Verhältnis zu anderen Normen gilt Anspruchskonkurrenz: Nach dem Grundsatz, daß nur ein Mindeststandard gesichert werden soll, stellt § 15 II PHG klar, daß sonst bestehende Ansprüche vertraglicher oder deliktischer Art gegen Hersteller oder andere verantwortliche Personen durch dieses Gesetz nicht ausgeschlossen werden. Es besteht Anspruchskonkurrenz. Im Gutachten sind also Vertrag, § 823 I (insb. die Produzentenhaftung) und das PHG nebenander zu prüfen; dies gilt nicht für fehlerhafte Arzneimittel ( § 1 5 1 PHG). Ein Vorschlag für die Prüfungsreihenfolge findet sich unten 14. 22 23 24
Haftungsbegründend wirkt aber erst die Verwendung der Kennzeichen, s. v. Westphalen aaO 89. Zur prozessualen Situation s. Jauernig/Teichmann §§ 7-11 PHG, 2 c cc. Es handelt sich um eine Ausschlußfrist, es gibt also keine Hemmung oder Unterbrechung, Jauernig/Teichmann § 13 PHG, 1 a (s. aber die Regelung des § 13 12).
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Schutzgesetzdelikte
§104
k) Zeitlich gilt das Gesetz nicht für fehlerhafte Produkte, die vor seinem Inkrafttreten in Verkehr gebracht worden sind (§ 16 PHG). 1) Was Konstruktion der Haftung und Tatbestandsvoraussetzungen (kein Verschulden!) betrifft, unterscheidet sich die Haftung nach dem PHG deutlich von der allgemeinen Produzentenhaftung nach § 823 I. Im Ergebnis ist die Haftung nach PHG jedoch fast deckungsgleich mit den Resultaten, die die BGH-Judikatur zur Produzentenhaftung nach § 823 I herausgearbeitet hat (so auch v. Westphalen aaO 85; zu Unterschieden zwischen Palandt/Thomas der Haftung nach § 823 I und der des PHG s. a. Sack, VersR 88, 442; § 15 PHG, Rdn. 7; und Jauernig/Teichmann, § 823 Anhang PHG, §§ \-J
de Gruyter Berlin -New York
JAN WILHELM
Sachenrecht (de Gruyter Lehrbuch) 1993. 23 X 15,5 cm. XXXVIII, 812 Seiten. Broschiert. • ISBN 3 11 012323 1 Gebundene Bibliotheksausgabe. »ISBN 3 11 014188 4 Das Werk stellt das Sachenrecht des BGB umfassend dar und bietet zugleich eine Einführung in dieses Rechtsgebiet. Beides wird dadurch geleistet, daß das Sachenrecht in seinem Zusammenhang mit dem System des Bürgerlichen Rechts und der Rechtsordnung erklärt und anhand von Beispielen in Grundlagen und Folgerungen diskutiert und angewandt wird. Das Sachenrecht wird als Teil des geschichtlich gewordenen und werdenden Rechts der Zuordnung von Gütern begriffen. Durch diesen Zugang gelingt es, die einzelnen Sachenrechte als begreifbare Figuren zu lehren. Die in ihrer historischen Entwicklung und ihrer Systematik verstandenen Sachenrechte werden erläutert. Wichtige und streitige Fälle, insb. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wie z.B. die Fragen des Anwartschaftsrechts, des Verwendungsersatzes und der Sicherungsgrundschuld, werden unter Einbeziehung der Literaturmeinungen gelöst. In Beispielen wird eine gutachterliche Lösung gegeben. Das Buch ist: • Einführung in das Sachenrecht • wissenschaftliche Erörterung des Sachenrechts • Vertiefung der Methodik der juristischen Fallbearbeitung anhand sachenrechtlicher Fälle. Es umfaßt: die Sachenrechte des BGB und seiner Nebengebiete (ErbbauRVO, WEG etc.) • die Zuordnung bei Bruchteilsgemeinschaft, Gesellschaft, juristischer Person • Kreditsicherungsrecht • verfassungs- und europarechtliche Bezüge; Staatshaftungsrecht • Umweltschutzrecht • Internationales Sachenrecht • Recht des Einigungsvertrags und seiner Folgegesetze. Es eröffnet den Studierenden der Rechtswissenschaft den Zugang zum Sachenrecht; es ermöglicht aber auch dem weiter fortgeschrittenen Leser eine vertiefende Befassung mit dem Sachenrecht. Es dient als Begleiter durch das rechtswissenschaftliche Studium und zugleich als Ratgeber für Wissenschaft und Praxis.
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