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German Pages 312 [316] Year 2013
Inger Petersen Schreibfähigkeit und Mehrsprachigkeit
DaZ-Forschung
Deutsch als Zweitsprache, Mehrsprachigkeit und Migration
Herausgegeben von Bernt Ahrenholz Christine Dimroth Beate Lütke Martina Rost-Roth
Band 5
Inger Petersen
Schreibfähigkeit und Mehrsprachigkeit
DE GRUYTER
ISBN 978-3-11-031831-9 e-ISBN 978-3-11-031833-3 ISSN 2192-371X Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: texttiger – Agentur für Textgestaltung, Berlin Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt 1 1.1 1.2 1.3
Einleitung | 1 Problemstellung | 1 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen | 7 Aufbau der Arbeit | 10
2
Stand der Forschung | 12
3
Mehrsprachigkeit | 19
4 Schreibtheoretische Grundlagen | 26 4.1 Konzeptionelle Schriftlichkeit und Mehrsprachigkeit | 26 4.2 Schreiben in der Zweitsprache Deutsch | 35 4.2.1 Schreibprozess | 36 4.2.2 Schreibkompetenz | 41 4.2.3 Schreibdidaktik | 45 4.3 Schreibprodukte | 50 4.3.1 Argumentative Texte | 50 4.3.1.1 Begriffsbestimmung | 51 4.3.1.2 Bezug zum Lehrplan und zum Deutschunterricht | 55 4.3.1.3 Anforderungen beim schriftlichen Argumentieren | 56 4.3.2 Zusammenfassungen | 59 4.3.2.1 Begriffsbestimmung | 59 4.3.2.2 Bezug zum Lehrplan und zum Deutschunterricht | 60 4.3.2.3 Anforderungen beim Zusammenfassen | 62 4.4 Schreibentwicklung | 65 4.4.1 Schreibprodukte als Indiz für Schreibentwicklung | 65 4.4.2 Modelle der Schreibentwicklung | 68 4.4.3 Entwicklung syntaktischer Schreibfähigkeiten | 77 4.4.3.1 Begriffsbestimmung | 77 4.4.3.2 Syntaktische Komplexität und Textqualität | 80 4.4.3.3 Text- und Satzlänge | 82 4.4.3.4 Subordination | 84 4.4.3.5 Komplexe Nominalphrasen | 86 4.4.3.6 Morphosyntax | 96 4.4.4 Entwicklung schriftlicher Argumentationskompetenz | 102
vi | Inhalt
5
Zusammenfassung: Forschungsfragen und Hypothesen | 108
6 Methode | 111 6.1 Untersuchungsdesign | 111 6.2 Erhebungsinstrumente | 112 6.2.1 Fragebogen zur Sprach- und Schreibbiografie | 113 6.2.2 Schreibaufgaben | 115 6.3 Stichprobenkonstruktion | 118 6.4 Untersuchungsdurchführung | 122 6.5 Datenaufbereitung | 124 6.6 Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 125 6.6.1 Annotation | 126 6.6.1.1 Subordination | 127 6.6.1.2 Attribute | 130 6.6.1.3 Morphosyntax | 133 6.6.2 Statistische Tests | 137 6.7 Ergänzende Analyse: Schriftliche Argumentationskompetenz | 138 7 7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6 7.1.7 7.2 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.3.1 7.3.3.2 7.3.3.3 7.3.4 7.3.4.1 7.3.4.2 7.3.4.3
Ergebnisse | 142 Beschreibung der Stichprobe | 142 Migrationshintergrund | 143 Mehrsprachigkeit | 145 Geschlecht und Alter | 149 Bildungsbiografische Aspekte | 150 Selbsteinschätzung der Sprachkenntnisse und Deutschnote | 152 Bewertung der Schreibaufgaben | 156 Zusammenfassung | 161 Allgemeine Korpusdaten | 163 Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 164 Textlänge | 165 Satzlänge | 168 Subordination | 171 Subordinierte Sätze | 171 Eingebettete subordinierte Sätze | 174 Attributsätze | 177 Komplexe Nominalphrasen | 182 Adjektivattribute | 182 Präpositionalattribute | 186 Genitivattribute | 189
Inhalt | vii
7.3.5 7.3.5.1 7.3.5.2 7.3.6 7.3.6.1 7.3.6.2 7.3.6.3 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.3.1 7.4.3.2 7.4.3.3 7.4.4 7.4.5 7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3
Morphosyntax | 192 Allgemeine Fehler auf morphosyntaktischer Ebene | 192 Fehlerhafte Nominalphrasen-Flexion | 197 Zusammenfassung | 203 Unterschiede zwischen den Sprachgruppen | 204 Unterschiede zwischen den Altersgruppen | 205 Unterschiede zwischen Leserbrief und Zusammenfassung | 207 Ergänzende Analyse: Schriftliche Argumentationskompetenz | 208 Auswahl des Korpus | 208 Pro- und Kontra-Positionen in den Texten | 208 Argumentationskompetenz in den Altersgruppen | 211 Klasse 11 | 212 Klasse 13 | 219 Studierende | 223 Argumentationskompetenz in den Sprachgruppen | 228 Zusammenfassung | 229 Weitere Beobachtungen | 230 Syntaktische Auffälligkeiten | 231 Lexikalische Auffälligkeiten | 238 Zusammenfassung und Diskussion | 244 Schlussbetrachtung | 247 Zusammenfassung | 247 Diskussion | 250 Ausblick | 253
8 8.1 8.2 8.3
Literaturverzeichnis | 255 Internetquellen | 274 Abbildungsverzeichnis | 275 Tabellenverzeichnis | 277 Anhang | 279 Anhang A: Schreibaufgaben | 279 Anhang B: Texte für die qualitative Analyse („kleines L-Korpus“) | 282
Sachregister | 303
1 Einleitung 1.1 Problemstellung SchülerInnen1 der gymnasialen Oberstufe können als „junge Erwachsene im Alter zwischen ca. 15 und 19 Jahren mit vielfältigen kulturellen Hintergründen und äußerst heterogenen Schul- bzw. Lernbiografien, Vorkenntnissen, Interessen und Unterstützungsbedürfnissen“ (Boller & Lau 2010: 9) beschrieben werden. In der Bildungspolitik und der Fachdidaktik, aber auch in den Lehrerkollegien setzt sich allerdings nur zögerlich die Erkenntnis durch, dass auch in der Sekundarstufe II nicht mehr von homogenen Lerngruppen ausgegangen werden kann und das Lernen dementsprechend individualisiert werden muss.2 Ganz allgemein besteht noch immer Uneinigkeit darüber, welches Gewicht der Ausbildung sprachlicher Fähigkeiten in der Sekundarstufe II zukommen sollte. Ist es Aufgabe der Lehrkräfte in der gymnasialen Oberstufe, bestehende sprachliche Defizite auszugleichen? Sollten SchülerInnen, die die erwarteten sprachlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, überhaupt die gymnasiale Oberstufe besuchen dürfen? Ebenso gehört es nicht zum Selbstverständnis des Gymnasiums und der gymnasialen Fachlehrkräfte, dass durch Mehrsprachigkeit und Migration bedingte unterschiedliche Lernvoraussetzungen im Unterricht berücksichtigt werden sollten. Es sind zunehmend SchülerInnen im Gymnasium vertreten, die eine andere Erstsprache als Deutsch oder neben Deutsch eine weitere Erstsprache haben. „Dass die Kompetenzen dieser SchülerInnengruppe und deren Entwicklung nicht im Fokus bisherigen forschenden Interesses liegen, hat also vielleicht etwas mit der allgemeinen Annahme zu tun, dass diese SchülerInnen ‚es geschafft haben‘“, vermutet Mohr (2005: 4). || Soweit es möglich ist, bemühe ich mich in dieser Arbeit um den Gebrauch einer geschlechtergerechten Sprache. Da sich in dem Text allerdings Personenbezeichnungen häufen, ist die volle Beidnennung nicht immer möglich. Wo die Lesbarkeit eingeschränkt ist oder es sich um Begriffe handelt, die als Fachtermini gelten können (z.B. Produzent), wird auf die Beidnennung verzichtet. 2 Boller, Rosowski & Stroot (2008) machen zu Recht darauf aufmerksam, dass der Begriff individuelle Förderung mittlerweile zu einem Modewort verkommen ist und durch „begriffliche sowie konzeptionelle Unschärfen und mangelnde inhaltliche Füllung“ geprägt ist. Sie bezweifeln zudem, dass „eine wirklich ‚individualisierende‘, d.h. an der Einzelperson orientierte Förderpraxis von den Lehrer/innen“ angesichts der derzeitigen schulischen Rahmenbedingungen überhaupt geleistet werden kann (Boller, Rosowski & Stroot 2008: 171f.). 1
2 | Einleitung
In der Tat kann nicht ausgeschlossen werden, dass insbesondere den überdurchschnittlich „angepassten“ und im Vergleich zu den SchülerInnen ohne Migrationshintergrund überdurchschnittlich leistungsstarken SchülerInnen mit Migrationshintergrund3 der Übergang in die gymnasiale Oberstufe gelingt. Lebensweltliche Mehrsprachigkeit kann für SchülerInnen aufgrund „institutioneller Diskriminierung“ (Gomolla & Radtke 2009) einen Risikofaktor darstellen (vgl. Fürstenau 2011: 42). Die Sprachausbildung – insbesondere im Bereich der Schreibkompetenz – scheint im Curriculum der gymnasialen Oberstufe nur unzureichend verankert zu sein (vgl. Glässing, Schwarz & Volkwein 2011; Steets 1999). Der Unterricht werde nach Sitta (2005) durch die Beschäftigung mit Literatur dominiert: „Keine Rolle spielt die Sprache – die Spracherziehung gilt als abgeschlossen, in der Mündlichkeit wie in der Schriftlichkeit: Schüler, die es bis in die Oberstufe geschafft haben, gelten als sprech- und schreibkundig, brauchen keine weitere Unterweisung“ (Sitta 2005: 157).
Tatsächlich ist es verwunderlich, dass die sprachbezogenen Lerninhalte im Laufe der Schulzeit an Bedeutung verlieren, während doch gleichzeitig die sprachlichen Anforderungen sukzessive steigen. Hackenbroch-Krafft & Keymer (2008) gehen sogar noch einen Schritt weiter und bezeichnen im Rahmen ihrer Sieben Thesen zur Entwicklung der Sprachkompetenz in der Oberstufe die Förderung sprachlich-methodischer Kompetenzen als Aufgabe aller Fächer (vgl. Hackenbroch-Krafft & Keymer 2008: 191). Von der mangelnden Sprachausbildung in der Oberstufe sind die SchülerInnen mit Migrationshintergrund laut Ehlich (2003) besonders stark betroffen: „Didaktik wie Germanistik [stehen] den Aufgaben einer differenzierten Sprachqualifizierung im engeren Sinn für junge Erwachsene bis jetzt, so scheint mir, weitgehend ratlos
|| 3 Migrationshintergrund wird im Bildungsbericht 2010 wie folgt definiert: „Personen mit Migrationshintergrund sind jene, die selbst oder deren Eltern nach 1949 nach Deutschland zugewandert sind, ungeachtet ihrer gegenwärtigen Staatsangehörigkeit“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010: IX). Dieselbe Definition wird auch im Mikrozensus verwendet (vgl. Statistisches Bundesamt 2011: 6). Auch in dieser Arbeit wird der Begriff Migrationshintergrund in diesem Sinne verwendet. Diese Definition hat den Vorteil, dass sie nicht auf den rechtlichen Status abzielt, sondern die Zuwanderungskonstellation und Migrationserfahrung berücksichtigt, die für Fragen der schulischen und sprachlichen Sozialisation relevant sind. Wird der Begriff Migrationshintergrund benutzt, so soll das auch immer implizieren, dass die Lebenswelt der betroffenen Personengruppe mehrsprachig ist. In der Realität ist dies meistens, aber nicht immer der Fall.
Problemstellung | 3
gegenüber. Die Schülergruppe, die das besonders drastisch erfährt, sind übrigens die Migrantenkinder der zweiten und dritten Generation. Aber auch über diese Gruppe hinaus kapitulieren nicht unerhebliche Teile jeden Oberstufenjahrgangs hilflos, kenntnislos und ahnungslos vor den sprachlichen und sprachbezogenen Aufgabentypen“ (Ehlich 2003: 130, Hervorhebung I.P.).
Wie genau diese „drastischen Erfahrungen“ aussehen und welche Konsequenzen sich daraus für die „Migrantenkinder“ ergeben, bleibt jedoch offen. Die Aussage scheint eher hypothetischer Natur zu sein und erfordert zunächst eine empirische Überprüfung. Auch Strecker (2010) konstatiert, dass die Förderung von Deutsch als Zweitsprache in der Sekundarstufe II immer noch als „Luxusproblem“ wahrgenommen wird (Strecker 2010: 255). Sie kommt in ihrer Pilotstudie zu einem Sprachförderprojekt in der Sekundarstufe II zu dem Ergebnis, dass die teilnehmenden SchülerInnen sich sehr wohl einen systematischen Sprachunterricht wünschen (vgl. Strecker 2010: 268). Bei der OnlineAnmeldung werden die Förderbereiche Aufsätze schreiben und Grammatik am häufigsten ausgewählt: Von den 114 DaZ-SchülerInnen möchten insgesamt über 70 % ihre Leistungen in diesen Bereichen verbessern. Die Bereiche der mündlichen Kompetenz (Förderbereich Referate/Präsentationen) und der Lesekompetenz (Lesen von Sachtexten) werden nur von ca. 40 % der Teilnehmenden als relevant erachtet. Eine Unterscheidung der Gruppe in leistungsschwächere und leistungsstärkere SchülerInnen anhand der Deutschnoten zeigt überdies, dass die Leistungsschwächeren sich signifikant häufiger eine Unterstützung im Bereich der Grammatik wünschen (vgl. Strecker 2010: 265f.). Erwähnung finden soll aber auch die Tatsache, dass sich neuerdings positive Tendenzen abzeichnen, was das Bewusstsein über die Notwendigkeit der Sprachförderung in der Oberstufe betrifft (Feilke, Köster & Steinmetz 2013; Glässing, Schwarz & Volkwein 2011; Keuffer & Kublitz-Kramer 2008). In diesem Zusammenhang ist 2011 eine fachdidaktische Publikation veröffentlicht worden, die ein Konzept und Materialien für die Weiterentwicklung der Basiskompetenz Deutsch in der Oberstufe bereithält (Glässing, Schwarz & Volkwein 2011). Zudem sind positive Tendenzen erkennbar, die Forschung im Bereich Deutsch als Zweitsprache, vor allem im Hinblick auf die Diagnose und Förderung von schriftsprachlichen Kompetenzen, voranzutreiben und auch bundesländerübergreifend zu koordinieren.4 Darüber hinaus haben Nordrhein-
|| Hier sei stellvertretend das von der Bund-Länder-Kommission in den Jahren 2004–2009 geförderte Modellprogramm FÖRMIG (Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund) genannt. Schwerpunkte des Programms waren die Weiterentwicklung von Diagnose und Förderung schul- und bildungssprachlicher Fähigkeiten (s. Internetquelle 6). Außer-
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4 | Einleitung
Westfalen und Berlin als bisher einzige Bundesländer Anteile von Deutsch als Zweitsprache in allen lehramtsbezogenen Studiengängen verpflichtend gemacht (vgl. Karakaşoğlu, Gruhn & Wojciechowicz 2011: 244).5 Auch in anderen Bundesländern sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten (vgl. Baur & Scholten-Akoun 2010). Dies ist als großer Fortschritt für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit im deutschen Bildungssystem anzusehen. Gleichzeitig ergeben sich daraus für die Forschung eine Vielzahl neuer Herausforderungen in Hinblick auf die Optimierung des Unterrichts und der Lehrerausbildung. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses im Bereich Deutsch als Zweitsprache standen bisher vor allem Spracherwerbsprozesse und Fördermöglichkeiten im Elementar- und Primarbereich, während Studien zum Sekundarbereich I nach wie vor rar sind (vgl. aber Ballis 2010; Cantone & Haberzettl 2008, 2009; Neumann 2010). Dies zeigt sich auch in einem Mangel an ausgereiften Diagnoseinstrumenten zur Erfassung schulrelevanter sprachlicher Fähigkeiten, die über das Grundschulalter hinausgehen (vgl. Redder et al. 2010a: 17). Eine Population, die im Forschungsdiskurs bisher kaum Berücksichtigung gefunden hat, sind die SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache, die die gymnasiale Oberstufe besuchen. Ein Grund dafür ist sicherlich die Tatsache, dass SchülerInnen mit Migrationshintergrund an Gymnasien unterrepräsentiert sind und deshalb nicht als relevante Gruppe wahrgenommen werden. Während die Schülerzahlen an Hauptschulen generell weiter sinken und der Trend zum Gymnasium fortbesteht, besuchen Kinder mit Migrationshintergrund doppelt so häufig Hauptschulen wie Kinder ohne Migrationshintergrund, und das auch bei gleichem sozioökonomischem Status (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010: 9). Dementsprechend ist die Gymnasialbesuchsquote für SchülerInnen ohne Migrationshintergrund deutlich höher als für SchülerInnen mit Migrationshintergrund: Im Jahr 2006 lag sie für die 15-jährigen SchülerInnen ohne Migrationshintergrund bei 37 % gegenüber 22 % bei den Gleichaltrigen mit Migrationshintergrund (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010: 65). Auch an den Hochschulen ist der Anteil von Studierenden mit Migrationshintergrund || dem wurde in den Jahren 2010 und 2011 ein Konzept für ein nationales Forschungsprogramm zur Sprachdiagnostik und Sprachförderung entwickelt (vgl. Redder et al. 2010a, 2010b, 2011). 5 So wird in dem neuen nordrhein-westfälischen Gesetz zur Reform der Lehrerausbildung (LABG) von 2009 in § 2 (2) die Befähigung zur individuellen Förderung von SchülerInnen und zum Umgang mit Heterogenität ausdrücklich als Ausbildungsziel genannt. In allen lehramtsbezogenen Studiengängen ist der Besuch eines Moduls im Bereich Deutsch für SchülerInnen mit Zuwanderungsgeschichte vorgesehen (§ 11, Absatz 7; vgl. Schulministerium NordrheinWestfalen 2009).
Problemstellung | 5
zu gering: Im Jahr 2009 hatten nur 11 % der Studierenden im Erststudium einen Migrationshintergrund (vgl. Isserstedt et al. 2010: 500)6. Zudem haben Überschlagsrechnungen des HIS (Hochschul-Informations-System) ergeben, dass Studierende mit Migrationshintergrund ihr Studium doppelt so häufig abbrechen wie andere Studierende (vgl. Spiewak 2007). Gleichzeitig ist aufgrund demografischer Entwicklungen ganz allgemein davon auszugehen, dass der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Bildungseinrichtungen auch weiterhin steigen wird. Schon heute haben in den Ballungsräumen bis zu 72 % der unter Dreijährigen einen Migrationshintergrund (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010: 18). Trotz der deutlichen Unterrepräsentation an höheren Bildungseinrichtungen darf auch heute schon, vor allem in Ballungsgebieten und sozial benachteiligten Stadtvierteln, der Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund an gymnasialen Oberstufen nicht unterschätzt werden. Als Beispiel können hier die beiden Schulen gelten, in denen im Rahmen dieser Studie Daten erhoben worden sind (s. Kapitel 6.3). Es wird offensichtlich, dass Deutschland ein großes Bildungspotenzial verloren geht, wenn ethnische und soziale Segregationstendenzen weiterhin bestehen bleiben oder sich gar verschärfen. Die vorangegangenen Ausführungen geben Anlass zu der Vermutung, dass mehrsprachige SchülerInnen auch auf dem Gymnasium und sogar noch in der gymnasialen Oberstufe aufgrund ihrer sprachlichen Voraussetzungen benachteiligt sein könnten. Ob dies tatsächlich so ist und wie sich diese Benachteiligungen konkret manifestieren, ist bisher allerdings noch nicht umfassend erforscht worden. Trotz des Mangels an empirischen Erkenntnissen unterstützt z.B. die Stiftung Mercator7 seit 2006 an 19 Standorten in der gesamten Bundesrepublik den Förderunterricht explizit für SchülerInnen mit Migrationshintergrund der Sekundarstufe II (s. Internetquelle 1). Obwohl diese Standorte ihre Sprachförderangebote mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten anbieten, spielt in fast allen Konzepten die Begleitung des Regelunterrichts und die För-
|| Dies stellt immerhin einen leichten Anstieg im Vergleich zum Jahr 2006 dar, in dem nur 8 % der Studierenden einen Migrationshintergrund besaßen (vgl. Isserstedt et al. 2010: 500). 7 Die Stiftung Mercator ist eine große private Stiftung in Deutschland, die u.a. Projekte aus dem Themenbereich Integration unterstützt und sich zum Ziel gesetzt hat, „bis 2025 die Bildungsungleichheit in Deutschland hinsichtlich der Schul- und Hochschulabschlüsse – gemessen am Stand vom 2005 – um 70 Prozent für Menschen mit Migrationshintergrund im Alter von 15–30 Jahren zu reduzieren“ (Internetquelle 2). Zur Erhöhung der Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird seit 2004 außerschulischer Förderunterricht angeboten, der von Studierenden durchgeführt wird. Zurzeit werden an 29 Standorten etwa 7.700 SchülerInnen der Sekundarstufe I und II gefördert (s. Internetquelle 3). 6
6 | Einleitung
derung der schriftsprachlichen Kompetenz eine große Rolle. Es werden u.a. aber auch die Vorbereitung der Facharbeit für SchülerInnen des 12. Jahrgangs (Standort Bottrop), ein persönliches Coaching als Entscheidungshilfe für bzw. zur Vorbereitung auf das Studium (Standort Bremen) und eine individuelle Beratungssprechstunde (Standort Hamburg) angeboten (s. Internetquelle 1). Auch die Studierenden mit Deutsch als Zweitsprache werden nach und nach als Gruppe mit speziellen Voraussetzungen entdeckt (vgl. Schindler & SiebertOtt 2011). Während schon seit Längerem darauf hingewiesen wird, dass Studienanfänger, oft auch über die ersten Semester hinaus, Schwierigkeiten mit den besonderen Anforderungen der alltäglichen Wissenschaftssprache (Ehlich 1999) haben und in der universitären Schreibausbildung dringender didaktischer Handlungsbedarf besteht (vgl. Steinhoff 2007: 428), so wird vermutet, dass dies für Studierende mit Deutsch als Zweitsprache in besonderem Maße gilt (vgl. Alkozei 1998; Çağlayan-Baburşah & Chrissou 2000; Karakaşoğlu-Aydın & Neumann 2001). Im Zuge einer diversitätsgerechten Hochschulentwicklung würde dies bedeuten, dass Beratungs- oder Förderangebote für diese Gruppe geschaffen werden müssen. Während sich die akademische Schreibförderung vor einigen Jahren noch überwiegend an Studierenden mit L1 Deutsch oder an Bildungsausländern, die Deutsch als Fremdsprache gelernt haben, orientierte (vgl. Karakaşoğlu-Aydın & Neumann 2001: 7), gibt es mittlerweile auch spezielle Angebote für Studierende mit Migrationshintergrund. Dies ist z.B. an der Universität Hamburg der Fall, wo eine Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit für Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund eingerichtet wurde. In dieser werden Studierende u.a. individuell beim wissenschaftlichen Schreiben beraten und in Schreibgruppen bei der Überarbeitung ihrer Texte angeleitet (s. Internetquelle 4).8 Allerdings ist mangels empirischer Erkenntnisse noch nicht geklärt, ob die Schwierigkeiten dieser Gruppe beim wissenschaftlichen Schreiben wirklich so spezifisch sind, dass sie andere Unterstützungsangebote als Studierende mit Deutsch als Erstsprache benötigen. Im US-amerikanischen Kontext, in dem die Schreibdidaktik an den Hochschulen eine viel längere Tradition hat und insgesamt eine größere Rolle spielt (vgl. Bräuer 1996), werden die lebensweltlich mehrsprachigen Studierenden schon seit Längerem als Gruppe mit spezifischen Bedürfnissen wahrgenommen, für die bereits einige schreibdidaktische Empfehlungen entwickelt worden sind (vgl. Valdés 1992; Singhal 2004).
|| 8 Die Universität Bremen verfügt über ein ähnliches Angebot und bietet die Veranstaltung Wissenschaftssprache Deutsch für Studierende nicht-deutscher Muttersprache an (s. Internetquelle 5).
Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen | 7
1.2 Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass sich in Deutschland langsam ein Bewusstsein für die faktisch schon seit Langem existierende Mehrsprachigkeit in Bildungsinstitutionen und die damit einhergehenden Herausforderungen abzeichnet, und dies mittlerweile sogar in Bereichen wie der gymnasialen Oberstufe und der Hochschule, in denen traditionellerweise eher von relativ homogenen Lerngruppen ausgegangen wird. Die PISA-Studien haben deutlich gemacht, dass es der Schule nicht in ausreichendem Maße gelingt, allen SchülerInnen die für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn notwendigen sprachlichen Kompetenzen in der Unterrichtssprache Deutsch zu vermitteln.9 In diesem Zusammenhang lässt sich in Bezug auf die Ausbildung der Schreibkompetenz eine erhöhte Sensibilität dafür beobachten, dass diese zwar zentral für das selbstständige Lernen in der Schule sind, ihre Beherrschung aber weder in der Sekundarstufe I noch in der Sekundarstufe II als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann (vgl. Redder et al. 2011: 52). Auch wird immer wieder konstatiert, dass Studienanfänger mit sehr unterschiedlich und z.T. nicht ausreichend ausgebildeten Schreibfähigkeiten an die Hochschule kommen (vgl. u.a. Doleschal & Struger 2007; Steinhoff 2007). Ein großer Forschungsbedarf besteht daher hinsichtlich der Frage, wie mehrsprachige Jugendliche und Studierende Schreibkompetenz erwerben. Unter Schreibkompetenz soll in diesem Zusammenhang ein Bündel an Fähigkeiten verstanden werden, das nötig ist, um Texte zu produzieren, also die Fähigkeit in einer „zerdehnten Sprechsituation“ zu kommunizieren (Ehlich 1984). Diese ist vor allem durch die Abwesenheit von einem der beiden Kommunikationspartner gekennzeichnet. So muss der Produzent sich allein mit sprachlichen Mitteln so präzise ausdrücken, dass der Rezipient den Text auch entsprechend der Kommunikationsintention versteht. Der Produzent muss Kohärenz herstellen, d.h. der Rezipient soll nicht nur einzelne Sätze verstehen, sondern den Text als ein „umfassendes Bedeutungs- oder Sinnganzes“ rekonstruieren können (Bachmann 2002: 94). Bei der Herstellung von Kohärenz können Kohäsionsmittel (z.B. Konjunktionen, Proformen) helfen, die auf der Textoberfläche Informationseinheiten miteinander verbinden. Der Produzent muss aber auch sein mit dem Rezipienten geteiltes Weltwissen einschätzen können. Diese für die Schriftlichkeit typischen Kommunikationsanforderungen machen bestimmte Fähig-
|| Für einen Überblick über die Ergebnisse der PISA-Studien im Hinblick auf SchülerInnen mit Migrationshintergrund verweise ich auf die Darstellung in Ballis (2010: 9–12) und die Ausführungen in Kapitel 3.
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8 | Einleitung
keiten auf syntaktischer, semantischer und pragmatischer Ebene erforderlich. Erst wenn man etwas über die Teilbereiche weiß, die bei der Aneignung von Schreibkompetenz Schwierigkeiten verursachen, können gezielt Fördermaßnahmen entwickelt werden. Wie Schreibkompetenz modelliert werden kann, wird in Kapitel 4.2.2 behandelt. In dieser Arbeit kann jedoch nicht der gesamte Komplex der Schreibkompetenz untersucht werden, sondern nur Teilbereiche. In der Schreibdidaktik wird sich im Zusammenhang mit der Schreibkompetenz häufig auf den in der Bildungsforschung geprägten Kompetenzbegriff bezogen (vgl. BeckerMrotzek & Böttcher 2006: 54; Becker-Mrotzek & Schindler 2007: 7f.; Fix 2008: 21): „Dabei versteht man unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2002: 27f.).
Dementsprechend verstehe ich in dieser Arbeit unterschiedliche Schreibfähigkeiten (z.B. im Bereich der Orthografie, der Lexik, der Syntax) als konstitutive Bestandteile einer umfassenden Schreibkompetenz eines Individuums. Als theoretischer Rahmen für die Untersuchung der Aneignung bestimmter Aspekte von Schreibkompetenz soll die Schreibentwicklungsforschung dienen. Sie geht davon aus, dass durch die Analyse von Schreibprodukten Rückschlüsse auf die Schreibkompetenz der VerfasserInnen gezogen und aus der Beobachtung von Unterschieden zwischen verschiedenen Alterskohorten auch überindividuelle Entwicklungsprozesse rekonstruiert werden können. Studien zur Schreibentwicklung von verschiedenen Altersgruppen und in Bezug auf verschiedene Textsorten haben gezeigt, dass der Erwerb von Schreibkompetenz der emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung folgt und ein mit dem Ende der Schulausbildung keinesfalls abgeschlossener, sondern vielmehr ein lebenslanger Prozess ist (vgl. Feilke 2003). Schreibende mit Deutsch als Zweitsprache wurden in diesen Studien bisher aber kaum berücksichtigt. Im Zentrum meiner Untersuchung stehen deshalb mehrsprachige OberstufenschülerInnen und Studierende. Einen Teilbereich der Schreibkompetenz stellen die syntaktischen Schreibfähigkeiten dar (vgl. Feilke 1996b). Aufgrund des Kontextualisierungspotenzials komplexer syntaktischer Strukturen sind diese für die Produktion von schriftlichen Texten von großer Bedeutung. Es kann vermutet werden, dass in diesem Bereich aufgrund der Sprachgebundenheit syntaktischen Wissens Kompetenzunterschiede zwischen den Ein- und Mehrsprachigen bestehen. Das zentrale
Erkenntnisinteresse und methodisches Vorgehen | 9
Maß zur Untersuchung der Texte ist in dieser Arbeit deshalb die syntaktische Komplexität. Hinsichtlich der Schreibfähigkeiten der ein- und mehrsprachigen OberstufenschülerInnen und Studierenden ergeben sich Forschungsfragen auf zwei Ebenen: Erstens stellt sich in synchroner Perspektive die Frage bezüglich der sich in den Schreibprodukten manifestierenden Schreibfähigkeiten. Verfügen mehrsprachige OberstufenschülerInnen und Studierende über eine geringer ausgeprägte syntaktische Schreibfähigkeit als ihre einsprachigen Altersgenossen? Zweitens interessiert unter ontogenetischen Gesichtspunkten, wie die Entwicklung von Schreibfähigkeiten in der gymnasialen Oberstufe und darüber hinaus verläuft. Unterscheiden sich die Erwerbsverläufe der einsprachigen von denen der mehrsprachigen SchreiberInnen? Um diese Fragen zu beantworten, wird ein Korpus von 370 Texten untersucht, die von 198 ein- und mehrsprachigen SchülerInnen aus dem 11. und 13. Jahrgang und von Studierenden verfasst worden sind.10 Das Korpus besteht etwa zu einer Hälfte aus Zusammenfassungen und zur anderen Hälfte aus argumentativen Texten. Das Zusammenfassen und das Argumentieren sind relativ komplexe sprachliche Handlungen, die bei der Aneignung und Wiedergabe von Wissen eine große Rolle spielen. Sie eignen sich deshalb gut für die Untersuchung von für den Bildungserfolg relevanten schriftsprachlichen Fähigkeiten. Die Texte werden zunächst einer quantitativen Analyse unterzogen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der bereits gut erforschten Entwicklung der syntaktischen Schreibfähigkeit, die als die Fähigkeit zur Herstellung syntaktischer Komplexität in schriftlichen Texten verstanden wird (s. Kapitel 4.4.3). Aufgrund der Größe der Stichprobe sind auch analytische statistische Auswertungen mit Signifikanztests möglich, die den Vergleich von Gruppenunterschieden erlauben. Dies unterscheidet die vorliegende Untersuchung von anderen Studien in der Schreibforschung, in denen entweder nur rein qualitativ vorgegangen wird, oder aufgrund zu geringer ProbandInnenzahlen und/oder anderer Fragestellungen bzw. Untersuchungsdesigns lediglich eine deskriptive Analyse erfolgt. Die in dieser Untersuchung durchgeführte quantitative Analyse weist zwar einen hohen Grad an Objektivität und Reliabilität auf, kann aber nur einen sehr begrenzten Ausschnitt der Texteigenschaften erfassen, da sie sich an Oberflächenmerkmalen der Sprache orientiert. Um jedoch auch Aussagen über die Angemessenheit der eingesetzten sprachlichen Strukturen in den Texten machen zu können, sollen ausgewählte Texte zusätzlich auch qualitativ unter-
|| Das gesamte Textkorpus kann online eingesehen werden unter dem Link http://dx.doi.org/ 10.1515/9783110318333.suppl. 10
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sucht werden.11 Auf Basis der quantitativen Auswertung werden für die qualitative Analyse daher 72 Texte ausgewählt, die einen besonders hohen bzw. niedrigen Grad an syntaktischer Komplexität aufweisen (s. Anhang B). Im Mittelpunkt dieser explorativen Analyse steht die konzessive Argumentationskompetenz der SchülerInnen und Studierenden (vgl. Rezat 2011). Diese manifestiert sich u.a. in dem Einsatz bestimmter textkonstituierender sprachlicher Mittel, den literalen Prozeduren (vgl. Feilke 2010c), deren Beherrschung von Feilke auch als der „sprachliche Bodensatz der Lese- und Schreibfähigkeit“ bezeichnet wird (Feilke 2010c: 4). Auch im Zusammenhang mit dem Gebrauch konzessiver Strukturen kann von Komplexität gesprochen werden, da zum einen die Konzessiv-Relation und die konzessiven Konnektoren an sich als komplex gelten (Rezat 2009: 469) und zum anderen die Einräumung und Abschwächung von Gegenargumenten auf inhaltlicher Ebene die Komplexität des Textes erhöhen. Die Untersuchung der konzessiven Sprachmittel soll Aufschluss darüber geben, ob und wie sich im Hinblick auf dieses Merkmal die Texte der Ein- und Mehrsprachigen einerseits und die Texte der unterschiedlichen Altersgruppen andererseits unterscheiden.
1.3 Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in folgende Kapitel: Nach der Einleitung wird zunächst der Stand der Forschung zum Schreiben in der Zweitsprache Deutsch bei älteren Jugendlichen beschrieben (Kapitel 2) und die Frage geklärt, welcher Begriff von Mehrsprachigkeit dieser Arbeit überhaupt zugrunde liegt. Im vierten Kapitel stehen die für diese Arbeit relevanten schreibtheoretischen Grundlagen im Mittelpunkt: Es werden unterschiedliche Theorien und Begriffe vorgestellt, mit denen sich die Forschung dem Phänomen der schrift-
|| 11 Bei meiner Verwendung der Begriffe quantitativ und qualitativ orientiere ich mich an dem Begriffsverständnis der empirischen Sozialwissenschaften: „Die für den quantitativen Ansatz typische Quantifizierung bzw. Messung von Ausschnitten der Beobachtungsrealität mündet in die statistische Verarbeitung von Messwerten. Demgegenüber operiert der qualitative Ansatz mit Verbalisierungen (oder anderen nicht-numerischen Symbolisierungen, z.B. grafischen Abbildungen) der Erfahrungswirklichkeit, die interpretativ ausgewertet werden […]. Quantifizierungen werden allenfalls eingeführt, um den Grad der Übereinstimmung unterschiedlicher Deutungen zu messen“ (Bortz & Döring 2006: 296). Ich bin mir jedoch darüber im Klaren, dass die Abgrenzung der beiden Begriffe künstlich ist, und dass sowohl der quantitative Teil meiner Studie qualitative Aspekte (z.B. was die Annotation der Texte betrifft) als auch der qualitative Teil Quantifizierungen enthält.
Aufbau der Arbeit | 11
sprachlichen Kompetenz in der Zweitsprache zu nähern versucht (4.1). Neben Ausführungen zu Besonderheiten des Schreibens in der Zweitsprache Deutsch (4.2) werden die im Rahmen dieser Arbeit erhobenen Schreibprodukte argumentativer Text und Zusammenfassung näher erläutert (4.3). In Kapitel 4.4 werden theoretische Modelle und empirische Ergebnisse der Schreibentwicklungsforschung dargestellt, die den Bezugsrahmen dieser Arbeit bilden. Dabei kommt der Ontogenese der syntaktischen Schreibfähigkeiten und der schriftlichen Argumentationskompetenz eine große Bedeutung zu. Der theoretische Teil schließt mit einer Zusammenfassung, in der die Forschungsfragen und die aus den theoretischen Annahmen abgeleiteten Hypothesen vorgestellt werden (Kapitel 5). Der empirische Teil dieser Arbeit beginnt mit der Darstellung methodischer Aspekte der durchgeführten Untersuchung (Kapitel 6). Dazu gehört die Beschreibung des Untersuchungsdesigns: Für die Untersuchung von Textprodukten unterschiedlicher Altersgruppen wird die Untersuchung als eine QuasiLängsschnittstudie konzipiert (6.1). Die Datenerhebung erfolgt mit Hilfe von Fragebögen und Schreibaufgaben und kann als quasi-experimentell bezeichnet werden (6.2). Auch die Stichprobenkonstruktion (6.3), die Untersuchungsdurchführung (6.4) und die Datenaufbereitung (6.5) werden eingehend erläutert. In der Hauptanalyse werden hypothesenprüfende Verfahren zur Untersuchung von Unterschieden zwischen den Textprodukten der Alters- und Sprachgruppen eingesetzt (6.6). Diese statistische Analyse wird durch eine qualitativ orientierte Untersuchung eines kleineren Korpus ergänzt, in der die schriftliche Argumentationskompetenz im Mittelpunkt steht (6.7). In Kapitel 7 werden schließlich die Ergebnisse der Arbeit vorgestellt. Zunächst erfolgt die Beschreibung der Stichprobe (7.1) und des Korpus (7.2). Die anschließend referierten Ergebnisse der Hauptanalyse zur syntaktischen Komplexität der Texte stellen das Zentrum des Kapitels dar (7.3). Es folgen die Ergebnisse zur schriftlichen Argumentationskompetenz (7.4) und weitere Beobachtungen zu syntaktischen und lexikalischen Aspekten (7.5). Die empirischen Befunde werden im 8. Kapitel schließlich zusammengefasst und diskutiert.
2 Stand der Forschung Um die Relevanz, den Kontext und die Rahmenbedingungen dieser Studie besser zu verstehen, soll im Folgenden der Stand der Forschung wiedergegeben und die Studie in die derzeitige Forschungslandschaft eingeordnet werden. Es werden Studien vorgestellt, in denen die Schreibkompetenz von SchülerInnen bzw. Studierenden mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) untersucht wird.12 In Bezug auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, die Schreibentwicklung von ein- und mehrsprachigen OberstufenschülerInnen und Studierenden, können vor allem zwei große Forschungslücken ausgemacht werden: Zum einen liegen keine Untersuchungen zum Schreiben in Deutsch als Zweitsprache in der Sekundarstufe II vor, so wie es für diesen späten Abschnitt der Schullaufbahn insgesamt an Studien zum Schreiben mangelt.13 Zum anderen gibt es kaum entwicklungsorientierte Studien zur Ausbildung von Schreibfähigkeiten in DaZ. Es sollen daher zunächst Studien aus der Sekundarstufe I betrachtet werden.14 Anknüpfend daran kann überlegt werden, welche Kompetenzen und Problembereiche in der Sekundarstufe II zu erwarten sind. Knapp legt 1997 eine produktorientierte Studie zur schriftsprachlichen Kompetenz in der Zweitsprache Deutsch vor, in der er 48 Phantasieerzählungen von HauptschülerInnen der Klassenstufen 5 bis 6 anhand der Kriterien Aufbau, Referenz sowie anhand des Einsatzes sprachlicher Mittel untersucht (vgl. Knapp 1997: 42f.). Im Zentrum seiner Studie steht die nach wie vor relevante Frage, wie sich sprachliche Fähigkeiten auf die Qualität von Texten auswirken und wie die schriftsprachlichen Fähigkeiten der DaZ-SchülerInnen von ihrer Aufenthaltsdauer in Deutschland abhängen (vgl. Knapp 1997: 39). Zur Beantwortung dieser Fragen bildet er vier Gruppen mit jeweils 12 Texten von SchülerInnen mit einer Aufenthaltsdauer von 24 bis 36 Monaten (Gruppe A), von 36 bis 60 Monaten (Gruppe B), von 8 Jahren und mehr (Gruppe C) sowie von Kindern, || 12 Wenn im Folgenden im Zusammenhang mit dem Schreiben die Rede von Deutsch als Zweitsprache ist, dann bezieht sich das auf Personen, die ihre Bildungslaufbahn oder zumindest einen Teil dieser im deutschen Schul- und/oder Hochschulsystem verbracht haben. Ausgeschlossen sind also z.B., aufgrund der völlig anderen Sprach- und Bildungsvoraussetzungen, neuzugewanderte MigrantInnen. 13 Als Ausnahme kann das Zürcher Sprachfähigkeiten-Projekt genannt werden (Nussbaumer & Sieber 1995a, b). 14 Die Grundschulzeit, in der noch basale Schreibfähigkeiten und -fertigkeiten erworben werden, wird in diesem Forschungsüberblick ausgeklammert.
Stand der Forschung | 13
die in Deutschland geboren sind (Gruppe D). Um die Fähigkeiten der Kinder näher zu beschreiben, differenziert er zwischen Text-, Erzähl- und Formulierungskompetenz. Seinen Beobachtungen zufolge verfügen neu zugewanderte Kinder (Gruppe A und B) über eine hohe Text- und Erzählkompetenz, während ihre Formulierungskompetenz niedrig ist. Kinder mit Migrationshintergrund, die nur in Deutschland die Schule besucht haben (Gruppe C), weisen hingegen eine hohe Formulierungskompetenz, aber nur eine geringe Text- und Erzählkompetenz auf (vgl. Knapp 1997: 226f.). Dieses Ergebnis kann als Bestätigung der Interdependenzhypothese von Cummins interpretiert werden, nach der Kinder, die in ihrem Heimatland in ihrer Erstsprache beschult wurden und dort bereits schriftsprachliche Fähigkeiten (CALP) erworben haben, diese in ihre Zweitsprache transferieren können (vgl. Cummins 1982).15 Einschränkend muss allerdings angemerkt werden, dass die Vergleichsgruppen dieser Studie aus jeweils nur 12 Personen bestehen, so dass die Gruppengröße letzten Endes relativ klein und die Aussagekraft der Ergebnisse begrenzt ist. Cantone und Haberzettl (2008, 2009) werten in einer Pilotstudie im Rahmen der Entwicklung eines Sprachstandsdiagnose-Instruments (Schuldeutsch) für mehrsprachige SchülerInnen der Sekundarstufe I 40 Texte in Form eines Briefes und 29 argumentative Texte von SchülerInnen der Klasse 7 bis 9 aller Schularten hinsichtlich der inhaltlichen Aufgabenbewältigung, der Fehler im Bereich der Morphosyntax und hinsichtlich von Aspekten konzeptioneller Schriftlichkeit aus (z.B. Gebrauch von Kohäsionsmitteln). Bei der Umsetzung der Aufgabenstellung werden hohe Punktzahlen erreicht und auch im grammatischen Bereich sind die Texte eher unauffällig: In mehr als der Hälfte der Texte liegt die Fehlerquote unter 10 % (vgl. Cantone & Haberzettl 2008: 101). Wenn jedoch Fehler gemacht werden, dann treten diese besonders häufig in der Nomendomäne, nämlich bei der Verwendung von Präpositionen zum Anschluss von Komplementen auf (vgl. Cantone & Haberzettl 2008). Angesichts dieses Ergebnisses bezweifeln die Autorinnen, dass die im Förderunterricht oft praktizierten grammatikzentrierten Übungen sinnvoll sind. Der Hauptförderbedarf liegt ihrer Meinung nach im Bereich der konzeptionellen Schriftlichkeit, und zwar „vor allem im Hinblick auf die Wahl angemessener Ausdrücke und bei der Verknüpfung einzelner Äußerungen. Äußerungen werden oft überhaupt nicht oder falsch miteinander verbunden“ (Cantone & Haberzettl 2008: 107). Schwächen in diesem Bereich – so stellen auch die Autorinnen fest – sind allerdings nur schwierig objektiv bewertbar und quantifizierbar. Insgesamt deutet die Analyse des Schuldeutsch-Korpus darauf hin, dass die Probleme der mehrsprachigen || Der Ansatz von Cummins (1982) wird in Kapitel 4.1 näher erläutert.
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SchülerInnen weniger im Bereich der Kerngrammatik, als in der komplexen Grammatik (Haberzettl 2009) liegen. Mit einer sehr großen Stichprobe arbeitet Neumann (2010), die eine Reanalyse der schriftsprachlichen Daten der DESI-Studie aus dem Jahr 2003/2004 (vgl. Beck & Klieme 2007; DESI-Konsortium 2008) vornimmt. Diese Untersuchung ist insofern interessant, als dass die Qualität der Texte mit einem Ratingverfahren erfasst wird, bei dem von einer relativ hohen Auswertungsobjektivität auszugehen ist bzw. diese durch Tests zur Interrater-Reliabilität überprüft werden kann. Die gesamte Stichprobe besteht aus 10.500 SchülerInnen der 9. Jahrgangsstufe aller Schularten, davon sind 82,6 % deutschsprachig, 6,2 % gemischtsprachlich und 11,2 % mit nichtdeutscher Erstsprache aufgewachsen (vgl. Neumann 2010: 16).16 Die Beurteilung der zu zwei Testzeitpunkten am Anfang und am Ende der 9. Jahrgangsstufe erhobenen Texte erfolgte durch jeweils zwei geschulte Rater hinsichtlich der Teilkompetenzen „semantisch-pragmatische Kompetenz“ (d.h. Wortwahl, Textkonstruktion, Sprachstil) und „sprachsystematische Kompetenz“ (Satzkonstruktion, Orthografie, Interpunktion) (Neumann 2010: 17). Im Ergebnis zeigt sich, dass die nichtdeutschsprachigen SchülerInnen am Ende der 9. Klasse schlechtere Schreibleistungen als die gemischtsprachlichen oder muttersprachlich deutschsprachigen Jugendlichen erbringen (vgl. Neumann 2010: 18). Eine Differenzierung nach Herkunftssprachen zeigt außerdem, dass türkisch- und kurdischsprechende Jugendliche in beiden Teilkompetenzen erhebliche Defizite aufweisen und auch im Verlauf der neunten Klasse keine Fortschritte machen – dies gilt allerdings genauso für die monolingualen SchülerInnen – während sich die polnisch- und russischsprachigen Jugendlichen zumindest im sprachpragmatischen Bereich verbessern (vgl. Neumann 2010: 19). Fazit der quantitativen Auswertung ist, dass „[a]lle Gruppen […] im pragmatischen Bereich die größten Probleme bei der Wortwahl [haben], wobei die Nichtbeherrschung eines ausreichenden Wortschatzes in der Gruppe der türkisch/kurdisch-stämmigen Jugendlichen bis zur Nichtkenntlichmachung des in-
|| Diese drei Sprachgruppen werden in Neumann (2010) folgendermaßen definiert: „Deutsch muttersprachlich Lernende sind Jugendliche aus deutschsprachigen Elternhäusern, gemischtsprachlich Aufwachsende nutzen neben Deutsch mindestens eine weitere Sprache gleichberechtigt in ihrem Elternhaus und nicht-deutschsprachige Jugendliche dagegen nur ihre nichtdeutsche Herkunftssprache“ (Neumann 2010: 12). In der DESI-Studie selbst werden die hier als gemischtsprachlich bezeichneten Jugendlichen „mehrsprachig“ genannt (vgl. DESI-Konsortium 2006: 22). Selbst für die zwei kleineren Gruppen ergeben sich entsprechend des prozentualen Anteils noch Stichprobengrößen von n = 651 für die gemischtsprachliche Gruppe bzw. n = 1176 für die nicht-deutschsprachige Gruppe (eigene Berechnungen). 16
Stand der Forschung | 15
haltlichen Ziels führt, was in diesem Fall auch mit der Unfähigkeit zur nachvollziehbaren Textstrukturierung einhergeht“ (Neumann 2010: 21).
Damit bestätigt sich ein generelles Ergebnis der DESI-Studie, nämlich dass sich auch in Hinblick auf die Gesamtleistungen im Fach Deutsch für die SchülerInnen mit Migrationshintergrund ein großer Förderbedarf im Bereich des Wortschatzes abzeichnet (vgl. auch Klieme 2006: 4).17 Interessant in Hinblick auf die Teilnehmenden der vorliegenden Untersuchung ist zudem das Ergebnis, dass sich die Deutschleistungen von SchülerInnen deutscher und nichtdeutscher Erstsprache in allen Bildungsgängen gleichermaßen unterscheiden und nicht etwa die Unterschiede in den Testmittelwerten der Gymnasiasten geringer sind (vgl. DESI-Konsortium 2008: 213).18 Eine von Neumann (2010) zusätzlich durchgeführte qualitative Analyse einiger Texte aus den DESI-Daten von nichtdeutschsprachigen SchülerInnen zeigt des Weiteren, dass herkunftssprachliche oder lernersprachliche Besonderheiten in den Texten nur marginal ins Gewicht fallen,19 was mit den Ergebnissen von Cantone & Haberzettl (2008, 2009) korrespondiert. Ein Förderschwerpunkt liegt nach Neumanns Einschätzung eher in der Unterscheidung von konzeptionell mündlichem und konzeptionell schriftlichem Sprachgebrauch: „Dazu gehört in diesem Schreibalter vor allem die Integration von Informationen. Diese zeichnet sich häufig in einem deutlicher ausgeprägten Nominalstil bei offiziellen und einem mit Nebensatz- und Partizipialkonstruktionen geprägten Verbalstil und durch eine gemeinsame Wissensbasis gesicherte Auslassungen im privaten Schreiben aus. Dass diese disparate Entwicklung hohe Anforderungen vor allem an diejenigen stellt, die die Vo-
|| 17 Die Itembeispiele in Willenberg (2007) legen allerdings nahe, dass die Items zur Überprüfung der Wortschatzkompetenz in DESI einige Schwächen enthalten (z.B. fehlender Lebensweltbezug) und deshalb meiner Meinung nach nur eingeschränkt valide sind. Dies gilt insbesondere in Hinblick auf eine sprachlich und kulturell heterogene Schülerschaft. 18 Ein weiteres interessantes Ergebnis der DESI-Studie soll hier allerdings ebenso Erwähnung finden: SchülerInnen, die bereits Deutsch als eine zweite Sprache erworben haben, scheint der Erwerb des Englischen besonders leicht zu fallen. Unter sonst gleichen Lernbedingungen (sozialer Hintergrund, kognitive Grundfähigkeiten, Geschlecht, Bildungsgang) ist das Aufwachsen in einer mehrsprachigen Familie mit einem Leistungsvorsprung von etwa einem halben Schuljahr verbunden (vgl. Klieme 2006: 5). Das macht nochmals deutlich, dass im Unterricht an das zweifellos vorhandene Sprachlernpotenzial der mehrsprachigen Schülerschaft auch im Hinblick auf den Erwerb der Zweitsprache Deutsch noch besser angeknüpft werden muss (vgl. auch DESI-Konsortium 2008: 228). 19 Leider werden in den qualitativen Analysen keine Angaben zur Aufenthaltsdauer der nichtdeutschsprachigen UntersuchungsteilnehmerInnen gemacht, mit denen die sprachlichen Leistungen in Hinblick auf die vorkommenden grammatischen Fehler (Genus- und Kasusmarkierungen) besser eingeschätzt werden könnten.
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raussetzungen im Bereich des Wortschatzes und der Satzkonstruktion nicht erworben haben, machen die analysierten Texte besonders deutlich“ (Neumann 2010: 34).
Ballis (2010) geht in ihrer Studie der Frage nach, inwieweit mit Hilfe von Textmustern und Textsorten die Schreibkompetenz von SchülerInnen mit Migrationshintergrund gefördert werden kann und untersucht dazu u.a. ein Korpus von 367 Texten von SchülerInnen der 5. bis 7. Jahrgangsstufe aller Schularten.20 Die ProbandInnen geben zu 93,9 % eine nichtdeutsche Sprache als ihre Erstsprache an21 , diese Gruppe wird nach den jeweiligen Erstsprachen in die Gruppen „Türkisch“ (43,4 %), „Russisch“ (30,3 %) und „Andere“ (20,2 %) unterteilt (Ballis 2010: 95). Die Schreibaufgabe bestand darin, zu einem Bildimpuls ein Märchen, eine Erzählung, eine Beschreibung, einen Bericht oder eine andere beliebige Textsorte zu verfassen. Die Wahl der Textsorte war den SchülerInnen frei gestellt, um auf diese Weise gleichzeitig ihre Textsortenkompetenz überprüfen zu können. Die Auswertung der Texte erfolgte in Hinblick auf die Textsorte, das Thema und den formelhaften Sprachgebrauch. Die textsortenadäquate Gestaltung der Texte und die Verwendung formelhaften Sprachgebrauchs nimmt von der 5. bis zur 7. Klasse zu, wobei die Gymnasiasten den größten Zuwachs zu verzeichnen haben (vgl. Ballis 2010: 236f.). Gleichzeitig ist ihre Schreibmotivation am niedrigsten (vgl. Ballis 2010: 243). Bezogen auf die unterschiedlichen Sprachgruppen bescheinigt Ballis den türkischsprachigen SchülerInnen in allen Bereichen die geringste Textsortenkompetenz (vgl. Ballis 2010: 138, 236f.).22 Die einzige mir bekannte Studie, die sich explizit mit der Sprach- und Textkompetenz mehrsprachiger OberstufenschülerInnen auseinandersetzt, stammt von Mohr (2005). Dabei handelt es sich jedoch um eine sozialwissenschaftlich || 20 Zur Datengrundlage gehören außerdem Fragebögen und Lehrerjournale. Darüber hinaus wurde ein Schreibtrainer entwickelt. 21 An dieser Stelle sei kritisch angemerkt, dass die Auffassung von Mehrsprachigkeit, die der Konstruktion der Untersuchungsgruppen zugrunde liegt, sehr undifferenziert ist. Das wird schon in dem eingesetzten Fragebogen deutlich, wo die SchülerInnen lediglich eine Muttersprache angeben können. Es bleibt offen, welcher Gruppe die Kinder zugeschrieben werden, die mehrere Sprachen als ihre Muttersprache bezeichnen würden und/oder mit mehreren Sprachen aufgewachsen sind. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass die befragten Kinder sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was der Begriff Muttersprache bedeutet. 22 So gestalten die türkischsprachigen SchülerInnen die von ihnen anvisierten Textsorte zu 58,6 % gegenüber 60 % der deutschsprachigen und 63,1 % der russischsprachigen SchülerInnen korrekt aus (vgl. Ballis 2010: 138). Jedoch erscheint es mir unangemessen, dass hier angesichts eines Unterschieds von 5%-Punkten von „deutlich niedrigere(n) Werten“ der türkischsprachigen im Vergleich zu den russischsprachigen SchülerInnen gesprochen wird (Ballis 2010: 138, Hervorhebung I.P.).
Stand der Forschung | 17
orientierte Untersuchung, in der Daten aus qualitativen Interviews mit Lehrkräften und SchülerInnen mit Migrationshintergrund analysiert werden. Die Interviews mit den Lehrenden ergeben, dass die SchülerInnen mit Migrationshintergrund als Gruppe wahrgenommen wird, die durch den Unterricht in der Oberstufe besonders hohen Anforderungen ausgesetzt ist (vgl. Mohr 2005: 24). Sprachliche Schwierigkeiten beim Schreiben zeigen sich laut Meinung der Lehrkräfte bei der schriftlichen Darstellung komplexer Gedankengänge und bei der Überarbeitung eigener Texte, ferner bei der Rezeption von Fachtexten. Wenn schriftsprachliche Formulierungen nicht gelingen, würden Umschreibungen genutzt, in denen konzeptionell mündliche Sprachstrukturen dominierten (vgl. Mohr 2005: 14f.). Mohr (2005) geht des Weiteren der Selbsteinschätzung der SchülerInnen in Hinblick auf ihre Kompetenzen und ihre Sprachentwicklung sowie ihren biografischen Orientierungsmustern nach. Es zeigt sich, dass die Interviewten die Leistungsfähigkeit ihrer Zweitsprache für ihren weiteren Bildungsweg nur schwer einschätzen können (vgl. Mohr 2005: 38, 49-51). Laut Mohr deutet dies darauf hin, dass „die Sprachentwicklungskonzepte des Deutschunterrichts in der Oberstufe zu wenig transparent werden“ und dass „diese Tatsache [...] vermutlich Folgen im Hinblick auf ihre Entscheidung [der SchülerInnen mit Migrationshintergrund, I.P.] für ein Hochschulstudium“ hat (Mohr 2005: 38). In Hinblick auf die Schreibkompetenz von Studierenden liegt eine aktuelle Studie von Schindler & Siebert-Ott (2011) vor, die ein Textkorpus (Kontroversenreferate und Zusammenfassungen) von mehr als 300 Studierenden untersuchen und u.a. der Frage nachgehen, ob sich Sprach- und Textkompetenzen von Studierenden mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache systematisch unterscheiden. Auf diese Weise wollen sie auch herausfinden, ob diese Studierendengruppen unterschiedliche Förderkonzepte benötigen, um dieselben Kompetenzen zu erreichen. Erste Befunde deuten darauf hin, dass sich in den Texten der mehrsprachigen Studierenden keine auffälligen Anhäufungen von lernersprachlichen Fehlern (im Bereich der Nominal- und Verbalflexion, der Verbstellung, der Verwendung obligatorischer Satzglieder oder bei Präpositionen) zeigen und eine spezifische Förderung nicht angebracht erscheint. In beiden Studierendengruppen, vor allem bei den Studienanfängern, beobachten sie jedoch Probleme bei der angemessenen Umsetzung der Aufgabenstellung, insbesondere im Bereich der Leserorientierung. Bei den Studierenden mit Deutsch als Zweitsprache konstatieren sie zudem „eine gewisse Häufung von Arbeiten, in denen keine zufriedenstellende Lösung oder keine ausreichende Lösung der Aufgabe vorgelegt wurde“ (Siebert-Ott 2011: 106). Allerdings werden keinerlei quantitative Aussagen gemacht, so dass die Ergebnisse etwas vage bleiben. Darüber
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hinaus bleibt unklar, wer genau zur Gruppe der mehrsprachigen Studierenden gezählt wird. Zu einem ganz anderen Ergebnis kommen Scholten-Akoun, Kuhnen & Mashkovskaya (2013) in einer groß angelegten Studie zur Sprachkompetenz von Lehramtsstudierenden im ersten Semester an drei unterschiedlichen Universitäten (n = 1585). Der Einsatz eines C-Tests zeigt, dass mehr als ein Viertel aller Studierenden hinsichtlich ihrer allgemeinen Sprachkompetenz einen Förderbedarf haben, von den Studierenden mit Migrationshintergrund (n = 429) betrifft dies sogar annähernd die Hälfte. Die Autoren vermuten bei dieser Gruppe „gravierende sprachliche Defizite“ (Scholten-Akoun, Kuhnen & Mashkovskaya 2013: 186).23 Der Forschungsüberblick hat gezeigt, dass bisher kaum Kenntnisse über Schreibkompetenzen von älteren DaZ-SchülerInnen oder gar Studierenden vorliegen. Die Schreibkompetenz von mehrsprachigen SchülerInnen der Sekundarstufe II ist bisher überhaupt nicht untersucht worden. Mit Blick auf die Sekundarstufe I kann Folgendes festgehalten werden: Die bisherigen Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Schwierigkeiten vor allem im Bereich der Erfüllung der Anforderungen konzeptioneller Schriftlichkeit liegen. Eine besondere Herausforderung scheinen der Einsatz eines angemessenen Wortschatzes und die Herstellung von Kohäsion und Kohärenz zu sein (s. 1.2). Es stellt sich die Frage, ob diese Problembereiche in der Sekundarstufe II fortbestehen. Gleichzeitig kann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass die beobachteten Schwierigkeiten tatsächlich spezifisch für die mehrsprachige Schülerschaft sind.
|| 23 Zu der Untersuchung gehört darüber hinaus eine Schreibaufgabe, in der ein Zeitungsartikel zusammengefasst werden soll. Die Zusammenfassungen werden von geschulten RaterInnen holistisch hinsichtlich formaler, sprachlicher und inhaltlicher Kriterien beurteilt (vgl. Scholten-Akoun, Kuhnen & Mashkovskaya 2013: 187–195). Leider lagen zum Zeitpunkt der Redaktion des vorliegenden Textes zu diesem Aufgabenkomplex noch keine Ergebnisse vor (vgl. Scholten-Akoun, Kuhnen & Mashkovskaya 2013).
3 Mehrsprachigkeit SchülerInnen und Studierende, die mit mehreren Sprachen aufwachsen, verfügen über andere sprachliche Voraussetzungen als ihre einsprachigen Altersgenossen, und diese unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen können auch einen Einfluss auf die Entwicklung der Schreibkompetenz haben. Hauptziel dieser Studie ist deshalb der Vergleich von Aspekten der Schreibkompetenz von einsprachigen und mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden. An dieser Stelle soll erläutert werden, welches Verständnis von Mehrsprachigkeit dieser Arbeit zugrunde liegt und wer zu der einsprachigen bzw. mehrsprachigen Gruppe zählt bzw. wie diese beiden Gruppen definiert werden. Bei der einsprachigen (monolingualen, deutschsprachigen) Gruppe ist diese Definition relativ einfach: Als einsprachig werden die Personen bezeichnet, die als ihre einzige Muttersprache Deutsch angeben und innerhalb der Familie keine andere Sprache außer Deutsch sprechen.24 Es mag sein, dass sie weitere Sprachen beherrschen, diese spielen in ihrer Lebenswelt aber nur eine untergeordnete Rolle. Schwieriger gestaltet sich die Definition für die Gruppe der Mehrsprachigen. Das liegt u.a. daran, dass schon die Begriffe zweisprachig bzw. bilingual und mehrsprachig schwer voneinander abzugrenzen sind (vgl. Stölting 2009: 238), und dass es keine allgemein gültige Definition dafür gibt, wie gut die Sprachen beherrscht werden müssen, um als mehrsprachig bzw. zweisprachig/bilingual zu gelten (vgl. Butler & Hakuta 2010: 114). Als zentral für individuelle Unterschiede in der Sprachkompetenz gilt der Altersfaktor. Dabei ist jedoch umstritten, bis zu welchem Alter der Spracherwerb einsetzen muss, damit eine erstsprachliche oder quasi-erstsprachliche Kompetenz erreicht werden kann. Wenn Kinder von Geburt an zwei Sprachen lernen, spricht man von bilingualem Erwerb (vgl. Rothweiler 2007: 115). Dieser || Ich bin mir der Problematik des Begriffs Muttersprache, der suggeriert, dass das Kind im Erstspracherwerb die Sprache seiner Mutter übernimmt, bewusst (vgl. auch Ahrenholz 2008: 3f.). Ich habe ihn dennoch im Fragebogen genutzt, weil er den Teilnehmenden der Untersuchung aus der Alltagssprache geläufig ist. Ich gehe davon aus, dass der Begriff Muttersprache für die befragten Personen am ehesten das Konzept repräsentiert, das man im wissenschaftlichen Kontext mit dem Begriff Erstsprache bezeichnen würde. Um zumindest annäherungsweise ein ähnliches Verständnis des Begriffs Muttersprache zu garantieren, wurde das Item im Fragebogen folgendermaßen formuliert: „Eine Muttersprache ist eine Sprache, die man von Geburt an in seiner Familie lernt. Welches ist/sind Ihre Muttersprache/n?“ (s. Kapitel 6.2.1). Die Begriffe Muttersprache, Erstsprache und L1 werden im Folgenden synonym benutzt. 24
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vollzieht sich oft durch Anwendung des eine Person – eine Sprache-Prinzips, das vor allem in binationalen und bildungsnahen Familien befolgt wird. Kinder aus diesen Familien haben unter günstigen Umständen die Chance, in beiden Sprachen eine erstsprachliche Kompetenz zu erwerben. Es ist aber davon auszugehen, dass die mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden, die im Mittelpunkt dieser Studie stehen, in den ersten Lebensjahren monolingual nichtdeutsch aufgewachsen sind und ihr Deutscherwerb erst später, mit Eintritt in den Kindergarten, eingesetzt hat. Ihr Spracherwerb kann deshalb als sukzessiver Zweitspracherwerb bezeichnet werden: Ihr Zweitsprachenerwerb hat erst begonnen, nachdem der Erwerb ihrer Erstsprache in Grundzügen vollzogen war (vgl. Rothweiler 2007: 106). Der sukzessive Zweitspracherwerb unterscheidet sich qualitativ vom bilingualen Erwerb, da im Alter von drei bis vier Jahren die Spracherwerbsfähigkeiten bereits abnehmen und der Spracherwerb eher dem späten Zweitspracherwerb als dem Erstspracherwerb ähnelt (vgl. Rothweiler 2007: 122, 126). Die sog. Reifungshypothese (vgl. Rothweiler 2007: 125; Meisel 2007) besagt außerdem, dass nur innerhalb kritischer Phasen eine angemessene sprachliche Stimulation zu einer unauffälligen Sprachentwicklung führt. Rothweiler (2007: 125) setzt das Ende der kritischen Phase für den Spracherwerb im Alter von 10 Jahren an. Allerdings sind diese Hypothese und die Festlegung dieser Altersgrenze in der Forschung umstritten.25 In einigen Erwerbsbereichen können (ältere) L2-Lerner beispielsweise auch Vorteile gegenüber L1-Lernern haben. Dimroth & Haberzettl (2008) zeigen dies für den Erwerb der Verbalflexion: Trotz weniger Input markieren die untersuchten sieben- bis neunjährigen L2-Lerner die Subjekt-Verb-Kongruenz schneller als die jüngeren L1-Lerner (vgl. Dimroth & Haberzettl 2008: 234). Selbst wenn man genau bestimmen könnte, wann ein Kind mit dem Erwerb der zweiten Sprache begonnen hat, muss weiterhin bedacht werden, dass Mehrsprachigkeit kein statischer Zustand ist, und sich Sprachgebrauch und Sprachpräferenzen auch verändern können: „An individual may lose oral proficiency in her primary language once she starts engaging in more activities in her second language. The profile of a bilingual individual is therefore constantly changing“ (Butler & Hakuta 2010: 120). Rothweiler beschreibt dies mit Bezug auf Kinder mit Migrationshintergrund folgendermaßen: „Bei Kindern mit Migrationshintergrund, die früh die Gesellschaftssprache als zweite Sprache erwerben, kann man oft das folgende Muster beobachten: In der Familie, besonders mit Personen der älteren Generation(en), kommunizieren sie in der Erstsprache. In der Kommunikation mit ein- und zweisprachigen Gleichaltrigen aber bevorzugen sie die Ge|| 25 Zur Diskussion um die Critical Period-Hypothese vgl. Butler & Hakuta (2010: 126f.).
Mehrsprachigkeit | 21
sellschaftssprache. Gibt es eine eindeutige Familiensprache, z.B. Türkisch, erwerben diese Kinder die erste Sprache bis zum Alter von etwa 4 Jahren genauso, wie das einsprachige Kinder tun. Mit Eintritt in den Kindergarten beginnt oder verstärkt sich der Erwerb der zweiten Sprache und allmählich wird die zweite Sprache zu derjenigen, die in den meisten Situationen präferiert wird. Ab etwa dem Alter von 8 Jahren wird die Gesellschaftssprache eindeutig bevorzugt. Vor allem mit Beginn der Schule, häufig schon mit Eintritt in den Kindergarten, verändert sich die sprachliche Umgebung so deutlich, dass die Erstsprache in den Hintergrund tritt. Mit dieser Veränderung des Sprachgebrauchs geht auch eine Veränderung der sprachlichen Kompetenz einher, und die Gesellschaftssprache wird zur dominanten, d.h. zur weiter entwickelten Sprache“ (Rothweiler 2007: 121).
Angemessen erscheint im Rahmen der vorliegenden Studie deshalb eine Definition von Mehrsprachigkeit, die sich nicht auf den Grad der Sprachkompetenz – der überdies noch sehr schwierig zu messen ist – sondern auf die Bedeutung der Sprache für die familiäre und schulische Sozialisation sowie auf die alltägliche Sprachpraxis, wie sie sich unter den Sprachlern- und Lebensbedingungen in der Migration entwickelt, bezieht. Mehrsprachig oder lebensweltlich mehrsprachig sind dann Personen, die in ihrem Alltag mehrere Sprachen benutzen – unabhängig von der eigenen Entscheidung, von der Sprachbegabung und der vollständigen Beherrschung (vgl. Gogolin 1988: 10, Gogolin 2004). Studien zum Sprachgebrauch von in diesem Sinne mehrsprachigen Kindern und Familien zeigen, dass deren Sprachpraxis sehr vielfältig ist und längst nicht mehr dem gängigen Bild entspricht, dass außerhalb der Familie die Umgebungssprache – in diesem Fall Deutsch – und zu Hause nur die (nichtdeutsche) Familiensprache gesprochen wird (vgl. Chlosta & Ostermann 2005, 2008; Deutsches Jugendinstitut Projekt Multikulturelles Kinderleben 2000: 77–96). Für empirische Studien mit sprachbezogenen Fragestellungen bedeutet dies, dass die Komplexität der Sprachpraxis und der Faktoren, die auf den Spracherwerb einwirken, eine differenzierte Gruppenbildung anhand sprachbiografischer Daten dringend notwendig macht. Eine Differenzierung nach mit und ohne Migrationshintergrund reicht nicht aus, da ein Migrationshintergrund in den meisten, aber nicht in allen Fällen mit Mehrsprachigkeit einhergeht. In der SPREEG-Studie26 haben beispielsweise 17 % der Kinder mit Migrationshintergrund zu Hause nur Deutsch gesprochen, und umgekehrt hatten 5,4 % der mehrsprachigen Kinder keinen Migrationshintergrund (vgl. Chlosta & Ostermann 2008: 22). Chlosta & Ostermann (2005) plädieren deshalb bezogen auf die Grundschule für eine differenzierte Erhebung zum Sprachenrepertoire, zur || In der SPREEG-Studie wurden 18.871 GrundschülerInnen in Essen nach ihrem sprachlichen Verhalten befragt. 27,6 % gaben an, außer Deutsch mindestens eine weitere Sprache innerhalb ihrer Familie zu sprechen (vgl. Baur, Chlosta, Ostermann & Schroeder 2004: 98).
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Sprachenwahl, zur Sprachkompetenz und zur Sprachpräferenz (vgl. Chlosta & Ostermann 2005: 63).27 Vor dem Hintergrund der Diskussion um die kritische Phase für den Spracherwerb (s.o.) wäre aus psycholinguistischer Sicht überdies das Einreisealter von Interesse. Es muss außerdem berücksichtigt werden, ob die Befragten die Grundschule (und ggfs. auch den Kindergarten) in Deutschland oder in ihrem Heimatland besucht haben. Insbesondere wenn die SchülerInnen gegen Ende der Grundschulzeit oder sogar erst in der Sekundarstufe I nach Deutschland migriert sind, ist anzunehmen, dass sie über andere Lernvoraussetzungen als die in Deutschland Geborenen verfügen. Es handelt sich dann um sog. Seiteneinsteiger: Diese Schülergruppe verfügt zum einen meist nur über geringe Deutschkenntnisse, die parallel zum Fachunterricht aufgeholt werden müssen, zum anderen hat sie bereits schriftsprachliche Kenntnisse in ihrer Erstsprache erworben. In der Forschung gibt es Hinweise darauf, dass sich diese schriftsprachlichen Kenntnisse auf die Zweitsprache übertragen lassen (vgl. Cummins 1979; Knapp 1997). Oftmals gibt es für Seiteneinsteiger auch je nach Bundesland unterschiedlich organisierte Vorbereitungsklassen, in denen sie vor der Eingliederung in die Regelklasse gesonderten Deutsch-alsZweitsprache-Unterricht erhalten (vgl. Kniffka & Siebert Ott 2008: 141–143). In den PISA-Studien wurden unterschiedliche Kategorisierungen vorgenommen, um festzustellen, in welchen Merkmalen sich die untersuchten SchülerInnen unterscheiden. Bezogen auf den Migrationsstatus gibt es folgende vier Gruppen: 1. „ohne Migrationshintergrund“, 2. „nur ein Elternteil im Ausland geboren“, 3. „Erste Generation“ und 4. „Zweite Generation“ (Walter & Taskinen 2007: 345). Als Erste Generation werden SchülerInnen bezeichnet, deren Eltern und die selbst im Ausland geboren wurden. Zur Zweiten Generation zählen diejenigen, die selber im Einwanderungsland geboren wurden, deren Eltern aber im Ausland zur Welt kamen (vgl. Walter & Taskinen 2007: 345).28
|| 27 Chlosta & Ostermann (2005: 63) schlagen zur Erfassung des sprachlichen Hintergrundes der Kinder folgende Fragen vor: „1. Welche Sprachen sprichst du? 2. Welche Sprachen sprichst du meistens mit deiner Mutter? 3. Welche Sprachen sprichst du meistens mit deinem Vater? 4. Welche Sprachen sprichst du meistens mit deinen Geschwistern? 5. Welche Sprachen sprichst du meistens mit deinen Freunden? 6. Welche Sprache kannst du am besten? 7. Wie gut kannst du die Sprachen?“. 28 Fraglich ist allerdings, ob bei sprachbezogenen Fragen nicht auch die Dritte Generation zu berücksichtigen wäre: So ist es gut denkbar, dass auch Kinder von mehrsprachigen Personen, die in Deutschland geboren sind, mit einer nichtdeutschen Sprache aufwachsen. Aufgrund gestiegener Mobilität und die Möglichkeiten der neuen Medien ist die Vitalität der Einwanderersprachen stark gestiegen (vgl. Reich & Roth 2002: 7–9).
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In den PISA-Studien 2000 und 2003 hatte die Tatsache, dass die SchülerInnen der Ersten Generation besser abschnitten als die SchülerInnen der Zweiten Generation, die ihre gesamte Schullaufbahn in Deutschland verbracht hatten, zu verstärkter Aufmerksamkeit und Besorgnis geführt (vgl. Walter & Taskinen 2007: 338f.). Diese Kompetenzunterschiede in den Bereichen Lesen, Naturwissenschaften und Mathematik lassen sich im Wesentlichen auch noch in der PISA-Studie 2006 beobachten: „In Übereinstimmung mit den Befunden aus den bisherigen PISA-Studien finden sich für alle drei Kompetenzen erhebliche und statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Im Durchschnitt weisen Jugendliche mit einem im Ausland geborenen Elternteil die geringsten und Jugendliche der zweiten Generation die größten Kompetenzunterschiede im Vergleich zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund auf“ (Walter & Taskinen 2007: 348).
Dass die Jugendlichen der Zweiten Generation am schlechtesten abschneiden, erscheint zunächst erstaunlich, da sie ja ihre gesamte sprachliche und schulische Sozialisation in Deutschland durchlaufen haben. „Dieser Befund widerspricht scheinbar der klassischen assimilationstheoretischen Erwartung, der zufolge die Disparitäten zwischen Zugewanderten und Einheimischen mit zunehmender Aufenthaltsdauer im Einwanderungsland abnehmen sollten“ (Walter & Taskinen 2008: 186). Eine Erklärung für dieses Phänomen lässt sich jedoch in der unterschiedlichen ethnischen Zusammensetzung der Einwanderergenerationen finden (vgl. Walter 2008). In Hinblick auf die Sprachpraxis hat sich eine Dreiteilung der Gruppe der SchülerInnen mit Migrationshintergrund durchgesetzt. Ausgehend von der These, dass ein unterschiedlicher Grad an sprachlicher Akkulturation bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen einhergeht, wurden diese in den PISA-Studien anhand ihres Sprachgebrauchs in Alltag, Schule und Freizeit in die Gruppen „deutschsprachig“, „mehrsprachig“ und „fremdsprachig“ eingeteilt (vgl. Ramm, Walter, Heidemeier & Prenzel 2005: 207). Während die deutschsprachigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund die deutsche Sprache im Alltag häufiger als die Herkunftssprache ihrer Familie sprechen, verwenden die mehrsprachigen Jugendlichen neben der deutschen Sprache in ungefähr gleichem Umfang andere Sprachen. Die fremdsprachigen Jugendlichen aus Migrantenfamilien schließlich machen häufiger von der nichtdeutschen Sprache ihrer Familie als von der deutschen Sprache Gebrauch (vgl. Ramm, Walter, Heidemeier & Prenzel 2005: 277). Keine dieser drei Gruppen erreicht in PISA 2003 das gleiche mathematische Kompetenzniveau wie die
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Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Diejenigen SchülerInnen, die überwiegend die deutsche Sprache verwenden (deutschsprachig), erreichen jedoch die höchsten Werte (vgl. Ramm, Walter, Heidemeier & Prenzel 2005: 283). Auch in der DESI-Studie fand eine an der Sprachbiografie orientierte Unterteilung der SchülerInnen in Subgruppen statt. Sie wurden – unabhängig vom Migrationsstatus – danach gefragt, ob sie neben Deutsch noch eine oder mehrere Sprachen als Erstsprachen erworben haben und wenn ja, welche (vgl. Hesse, Göbel & Hartig 2008: 210). Neben denjenigen, die als Erstsprache nur Deutsch angeben („deutschsprachig“), gibt es noch die SchülerInnen, die neben Deutsch noch (eine) weitere Sprache(n) angeben („mehrsprachig“), und diejenigen, die nur eine andere Sprache angeben („nichtdeutschsprachig“). Dabei wird davon ausgegangen dass die „Mehrsprachigen“ Deutsch eher simultan und die „Nichtdeutschsprachigen“ Deutsch sukzessiv erworben haben (vgl. Hesse, Göbel & Hartig 2008: 209f.).29 Innerhalb der drei Subgruppen zeigen sich signifikante Leistungsunterschiede, wobei die Differenz zwischen den deutschsprachigen SchülerInnen und den nichtdeutschsprachigen SchülerInnen am größten ist (vgl. DESI-Konsortium 2006: 23). Sowohl die PISA- als auch die DESI-Ergebnisse verdeutlichen noch einmal, dass die SchülerInnen mit Migrationshintergrund hinsichtlich ihres Sprachgebrauchs und ihres Kompetenzprofils keine homogene Gruppe sind. Es zeigt sich, dass Jugendliche, in deren Alltag neben dem Deutschen mindestens eine weitere Sprache eine Rolle spielt, im deutschen Schulsystem nicht die gleichen Chancen haben wie diejenigen, die nur deutschsprachig sind. Selbst wenn mehrsprachige Jugendliche angeben, im Alltag überwiegend die deutsche Sprache zu verwenden, erreichen sie schlechtere Leistungen als die monolingualen Jugendlichen. Dies scheint vor allem für das deutsche Bildungssystem zu gelten, denn PISA-Ergebnisse für Kanada, Australien und Neuseeland zeigen, dass „die mittleren Leistungen der Jugendlichen, die zu Hause eine andere Sprache als die Testsprache verwenden, nicht signifikant von dem Durchschnitt der Gesamtstichprobe abweicht“ (Ramm, Prenzel, Heidemeier & Walter 2004: 260). Aus der US-amerikanischen Forschung ist außerdem bekannt, dass hier für den Schulerfolg die „selektive Akkulturation“ – d.h. die Investition in das Erlernen || 29 Allerdings ist fraglich, ob es ausreicht, nach der Erstsprache zu fragen, da man auf diese Weise nicht die Sprachdominanz erfassen kann. In der vorliegenden Stichprobe gibt es beispielsweise Fälle, in denen ProbandInnen zwar eine andere L1 angeben und im Sinne der DESI-Studie nichtdeutschsprachig sind, diese Erstsprache mit ihren Familienmitgliedern und Freunden aber gar nicht mehr benutzen, weil das Deutsche auch innerhalb der Familie dominant geworden ist (s. Kapitel 7.1.2). Es ist also von Vorteil, zusätzlich in Erfahrung zu bringen, welche Sprachen zu Hause gesprochen werden.
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der Sprache des Aufnahmelandes bei gleichzeitiger Wertschätzung und Pflege der Herkunftssprache – am erfolgversprechendsten ist (vgl. Portes & Rumbaut 2001: 63). Angesichts des im Vergleich zu den großen Schulleistungsstudien geringen Umfangs der Stichprobe kann in der vorliegenden Untersuchung eine Unterteilung in diejenigen, die zu Hause Deutsch und eine weitere Sprache und diejenigen, die zu Hause nur eine nichtdeutsche Sprache sprechen, nicht realisiert werden. Stattdessen werden nur zwei Gruppen gebildet: – Zur Gruppe A mehrsprachig gehören Personen, die 1. eine andere Erstsprache als Deutsch oder Deutsch und eine weitere Sprache als Erstsprachen angeben und die 2. diese nichtdeutsche Sprache auch mit ihren Eltern verwenden, sei es einzig und allein oder teilweise. Ausgeschlossen aus der Gruppe der Mehrsprachigen werden die (wahrscheinlich) bilingual aufgewachsenen Personen, von denen nur ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat und die mit dem Elternteil ohne Migrationshintergrund Deutsch sprechen.30 – Zur Gruppe B einsprachig gehören Personen, die angeben, dass ihre Erstsprache Deutsch ist, oder Personen, die eine andere Erstsprache als Deutsch bzw. Deutsch und eine weitere Sprache als Erstsprachen angeben, diese nichtdeutsche Sprache aber nicht (mehr) mit ihren Eltern im Alltag benutzen. Trotz der geringen Differenzierung innerhalb der Gruppe der Mehrsprachigen ist davon auszugehen, dass sich wie in anderen Studien (s.o.) Effekte im Unterschied zu der Gruppe der Einsprachigen zeigen. Da es keine allgemeingültige Definition für Seiteneinsteiger gibt, werden in dieser Studie Personen, die erst nach der Grundschule (also ab Klasse 5) in Deutschland eingeschult wurden, als Seiteneinsteiger bezeichnet. Auch wenn mit dieser Festlegung eine gewisse Willkür einhergeht, gehe ich davon aus, dass der Übergang in die Sekundarstufe I eine Zäsur darstellt. Die SchülerInnen sind zu diesem Zeitpunkt in der Regel ca. 10 bis 11 Jahre alt. Wie oben ausgeführt gibt es Hinweise aus der Forschung, dass dieses Alter für den Spracherwerb kritisch ist. Außerdem sind die Möglichkeiten zu individueller Betreuung und integrativer sowie additiver Sprachförderung in der Grundschule noch ausgeprägter als in den weiterführenden Schulen.
|| In der gesamten Stichprobe gab es nur drei solcher Fälle.
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4 Schreibtheoretische Grundlagen In diesem Kapitel werden theoretische und empirische Grundlagen zum Schreibprozess und zur Schreibkompetenz in Deutsch als Zweitsprache sowie bisher entwickelte didaktische Modelle zur Vermittlung und Förderung von Schreibkompetenz vorgestellt. Dabei bestehen auch vielfältige Überschneidungen zu Ergebnissen aus der Schreibforschung allgemein und der Forschung zum Schreiben in einer Fremdsprache.31 Ein weiterer Schwerpunkt des Kapitels sind Ausführungen zu argumentativen Texten und Zusammenfassungen, da diese die Textgrundlage des in dieser Arbeit erhobenen Korpus darstellen. Das Kapitel schließt mit theoretischen und empirischen Grundlagen zur Schreibentwicklung.
4.1 Konzeptionelle Schriftlichkeit und Mehrsprachigkeit „Schriftlichkeit bleibt Voraussetzung und Herausforderung für eine entwickelte Mehrsprachigkeit“ (Ehlich 2010: 59). Zudem hängt „[d]ie Verteilung von Lebenschancen […] von der Verfügung über Schriftlichkeit zu einem erheblichen Teil ab“ (Ehlich 2010: 52). In der aktuellen Diskussion über die schulische Leistungsfähigkeit von DaZ-SchülerInnen erfährt deshalb auch die Frage, wie diese Schriftlichkeit erworben wird und besser vermittelt werden könnte, vermehrte Aufmerksamkeit (vgl. Gogolin & Lange 2011; Kniffka & Siebert-Ott 2008; Schindler & Siebert Ott im Druck; Redder et al. 2010a und b, 2011). Als wichtiger heuristischer Rahmen hat sich dabei die Unterscheidung von medialer und konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit von Koch & Oesterreicher (1985, 1996) erwiesen. Aus Perspektive der Fachdidaktik sprechen Pohl & Steinhoff (2010) mit Bezug auf die konzeptionelle Schriftlichkeit auch || 31 Um Deutsch als Zweit- und Fremdsprache voneinander zu unterscheiden, folge ich hier der – wenn auch groben, so doch üblichen – Definition, dass Deutsch als Zweitsprache im Inland und Deutsch als Fremdsprache im Ausland erworben wird. Diese unterschiedlichen Spracherwerbs- bzw. -lernkontexte gehen mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Einflussfaktoren einher, die sowohl den Zugang als auch den Antrieb zum Sprachenlernen betreffen (vgl. Ahrenholz 2008). Mit Blick auf das Schreiben ist vor allem davon auszugehen, dass im Unterschied zu Deutsch als Fremdsprache eine mangelnde Ausbildung schriftsprachlicher Fähigkeiten in der L1 und der mit dem Migrationshintergrund oft einhergehende niedrige sozioökonomische Status die Schreibentwicklung beeinflussen.
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von dem „Globallernziel sprachlicher Lern- und Erwerbsprozesse“ (Pohl & Steinhoff 2010: 7f.). Texte werden medial entweder mündlich (phonisch) oder schriftlich (grafisch) realisiert, konzeptionell bezeichnen die Begriffe mündlich bzw. schriftlich jedoch ein Kontinuum (vgl. Koch & Oesterreicher 1996: 587), auf dem sich Charakteristika der jeweiligen Kommunikationssituation beschreiben lassen. „Dem Schriftlichkeits-Pol entsprechen dabei die Parameterwerte ‚raumzeitliche Distanz‘, ‚öffentlich‘, ‚fremde Partner‘, ‚emotionslos‘, ‚situations- und handlungsentbunden‘, ‚wenig Referenz auf origo‘, ‚keine Kooperationsmöglichkeit seitens des Rezipienten‘, ‚monologisch‘, ‚reflektiert-geplant‘, ‚fixes Thema‘ usw.“ (Koch & Oesterreicher 1996: 588).
Die dem Schriftlichkeits-Pol entsprechende Kommunikationsform wird von Koch & Oesterreicher (1985) auch als „Sprache der Distanz“ bezeichnet (Koch & Oesterreicher 1985: 21). Im Distanzbereich geht es „vor allem um Kommunikation über große Zeiträume und weite Entfernungen hinweg sowie um die Möglichkeit, die Äußerungen aus der Einmaligkeit der Sprechsituation zu lösen, ihnen eine gewisse Stabilität, ja ‚Endgültigkeit‘ und damit mehrfache Verfügbarkeit zu sichern“ (Koch & Oesterreicher 1996: 589). Es ist offensichtlich, dass diese Sprache der Distanz in der Schule, wo mittels bestimmter Text- und Diskursformen Wissen übertragen wird und Lernprozesse stattfinden, von großer Relevanz ist. Ehlich bezeichnet die Institution Schule auch als „Textraum“ und den Textraum als „Lernraum“ (vgl. Ehlich 2010). Die durch die Situationsentbindung erforderlichen Versprachlichungsstrategien, die zu einer hohen „Kompaktheit, Komplexität und Informationsdichte von distanzsprachlichen Äußerungen (Texten)“ führen (Koch & Oesterreicher 1985: 22), verlangen jedoch gewisse sprachliche Kompetenzen, die nicht bei allen SchülerInnen gleichermaßen vorausgesetzt werden können und deshalb explizit vermittelt werden müssen. Cantone & Haberzettl (2008, 2009) wählen die konzeptionelle Schriftlichkeit als Rahmen für die Auswertung eines Korpus von mehrsprachigen SchülerInnen der Sekundarstufe I (s. Kapitel 2). Sie untersuchen konzeptualschriftliche Fähigkeiten und verstehen darunter mit Bezug auf Koch & Oesterreicher (1985, 1996) die Kompetenz, „sich je nach Kommunikationssituation einer Sprache der Nähe oder der Distanz […] bzw. verschiedenen Abstufungen zwischen den extremen Polen dieses Kontinuums zu bedienen und nicht ‚monostilistisch‘ stets im Duktus konzeptioneller Mündlichkeit zu formulieren“ (Cantone & Haberzettl 2009: 46).
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SchülerInnen, die mit mehreren Sprachen aufwachsen, benutzen Deutsch u.U. nur in bestimmten Alltagsbereichen und begegnen der deutschen Schriftsprache vor allem oder fast ausschließlich in institutionellen Kontexten. Wird die Mündlichkeit der Kommunikation in der Familie und die Schriftlichkeit „monolingual allen anderen gesellschaftlich zentralen Bereichen“ zugeteilt, so wirkt sich dies unter Umständen „auch verheerend auf die Biographien derjenigen aus, die sich auf diese Option eingelassen haben bzw. einlassen müssen“ (Ehlich 2010: 59). Der Erwerb schriftlicher Kompetenzen kann durch diese „kommunikative Arbeitsteilung“ (Ehlich 2010: 59) ungleich schwerer fallen. Gleichzeitig darf aber nicht vergessen werden, dass oftmals auch einsprachige Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund von diesem Mangel an Schriftorientierung im Elternhaus betroffen sind und dementsprechend Schwierigkeiten bei der Bewältigung der sprachlichen Anforderungen in der Schule haben. Jedoch erscheint „[d]er Umgang mit Zwei- und Mehrsprachigkeit im Bildungswesen häufig von pauschalen und defizitorientierten Sichtweisen auf mangelnde Deutschkenntnisse überlagert, die in den letzten Jahren eher zu- als abgenommen haben“ (Gantefort & Roth 2010: 574).
Bei dem Versuch, die Anforderungen der für den Schulerfolg ausschlaggebenden Sprache näher zu bestimmen, konkurrieren im aktuellen Diskurs unterschiedliche Begriffe miteinander. Zum einen handelt es sich um Bezeichnungen für das zu beherrschende Register (Bildungssprache, Schulsprache, schulbezogene Sprache). Zum anderen werden konkrete Kompetenzen bzw. Fähigkeiten beschrieben (z.B. CALP, Textkompetenz, konzeptual-schriftliche Fähigkeiten). Analog zu der Begriffsdichotomie der konzeptionellen Mündlichkeit und Schriftlichkeit von Koch & Oesterreicher dient in einigen neueren Studien auch die Registertheorie von Maas (2008) mit den beiden Polen orat und literat zur Analyse von Unterschieden geschriebener und gesprochener Sprache bei einund mehrsprachigen SchülerInnen (vgl. Maas 2010; Siekmeyer 2011). In den registerorientierten Ansätzen wird in der Regel auf die Register-Theorie von Halliday (1978, 2004) zurückgegriffen. Demnach ist ein Register eine bestimmte kontextabhängige, semantisch und grammatisch definierte Varietät des Sprachgebrauchs (vgl. Gogolin & Lange 2011: 110; Gantefort & Roth 2010: 579). „First, what is actually taking place; secondly, who is taking part; and thirdly, what part the language is playing. These three variables, taken together, determine the range within which meanings are selected and the forms which are used for their expression. In other words, they determine the ‘register’“ (Halliday 1978: 31, zitiert nach Dittmar 2006: 217).
Konzeptionelle Schriftlichkeit und Mehrsprachigkeit | 29
Unter Bildungssprache32 verstehen Gogolin & Lange (2011) ein Register, das sich an den Regeln des Schriftsprachgebrauchs orientiert und besonders in Kontexten formaler Bildung relevant ist. Dieses Register unterscheidet sich auf morphologischer, syntaktischer und lexikalischer Ebene von der Alltagssprache und zeichnet sich „unter anderem durch einen anspruchsvolleren Wortschatz, eine komplexere Grammatik und eine geringere situative Einbettung“ aus (Redder et al. 2011: 42). Um welche sprachlichen Merkmale es sich dabei im Einzelnen handelt, ist bisher jedoch nur ansatzweise empirisch untersucht worden (vgl. Gogolin & Lange 2011: 112). Gogolin & Lange (2011) nennen als Merkmale auf der syntaktischen Ebene „explizite Markierungen der Kohäsion“, „Satzgefüge“, „unpersönliche Konstruktionen“, „Funktionsverbgefüge“ und „umfängliche Attribute“ (Gogolin & Lange 2011: 114). Zur präziseren Beschreibung der Bildungssprache wird auch auf die Arbeiten von Schleppegrell (2001, 2004) zurückgegriffen (vgl. Gantefort & Roth 2010: 579f.), die im amerikanischen Raum Untersuchungen zu den linguistischen Spezifika der Language of Schooling durchgeführt hat. Nach Schleppegrell (2001) unterscheiden sich Alltags- und Schulsprache hinsichtlich lexikalischer und grammatikalischer Merkmale. Dabei zeichnet sich die Schulsprache vor allem durch sprachliche Mittel aus, die zu einer hohen propositionalen Dichte von Texten beitragen. „Central grammatical features of the language of schooling include lexical strategies such as nominalization that compact the informational content of school-based texts, and conjunctive strategies that rely on lexical choices and embedding rather than clause-chaining with conjunctions“ (Schleppegrell 2001: 450).
Begrifflich an die Language of schooling angelehnt ist der Begriff der Schulsprache (Vollmer & Thürmann 2010: 108, Fußnote 4), den Vollmer & Thürmann (2010) im Rahmen eines Projektes des Europarates zur Beschreibung von Schulsprache(n) prägen. „Mit ‚Schulsprache‘ und ‚schulsprachlichen Kompetenzen‘ sind sowohl diejenigen Sprachfähigkeiten, die innerhalb der dominanten Sprachen einer Schule im Rahmen eines eigenen Unterrichtsfaches vermittelt werden, als auch das für den Fachunterricht typische Sprachregister gemeint“ (Vollmer & Thürmann 2010: 108).
|| 32 Der Begriff Bildungssprache wurde im Rahmen des BLK-Programms FörMig (Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund) entwickelt und vor allem durch Ingrid Gogolin geprägt (vgl. Gogolin 2006).
30 | Schreibtheoretische Grundlagen
Auf der Grundlage von Curriculumanalysen und theoretischen Überlegungen entwickeln die Autoren ein umfassendes Modell zur Beschreibung von Schulsprache im Fachunterricht, das aus vier Dimensionen besteht (Vollmer & Thürmann 2010: 113). Dabei werden keine für die Schulsprache typischen sprachlichen Mittel genannt, sondern für das Register charakteristische sprachliche Handlungen und Aktivitäten sowie verschiedene sprachliche Kompetenzen beschrieben, die für den erfolgreichen Umgang mit diesem Register Voraussetzung sind. Die erste Dimension beinhaltet die „Felder sprachlichen Handelns im Fachunterricht“ (z.B. die Fähigkeit, sich an unterrichtlicher Kommunikation zu beteiligen). Dimension 2 und 3 hängen direkt von den unterrichtlichen Lernaufgaben ab, wobei die zweite Dimension aus bestimmten „kognitiv-sprachlichen Aktivitäten/ Diskursfunktionen“, wie z.B. Analysieren, Begründen, Überzeugen etc. besteht (vgl. Vollmer & Thürmann 2010: 115f.). Der Umgang mit bestimmten Materialien und Dokumenten, auf die sich die kognitiv-sprachlichen Operationen in den fünf Handlungsfeldern beziehen, wird in der 3. Dimension abgebildet (vgl. Vollmer & Thürmann 2010: 117). Die vierte Dimension umfasst die sog. Textkompetenz bzw. Diskursfähigkeit, womit die Kenntnis und Beherrschung von Diskursstrategien, Textualitätskriterien und sprachlichen Mitteln innerhalb von unterschiedlichen kommunikativen Aktivitätsbereichen gemeint ist (vgl. Vollmer & Thürmann 2010 118f.): „Textkompetenz oder genauer mündliche wie schriftliche ‚Diskursfähigkeit‘ wäre demnach die Fähigkeit, strategiegeleitet und unter Berücksichtigung situativer Faktoren und eigener Such- bzw. Mitteilungsabsichten aus Inventaren sprachlicher Mittel begründet auszuwählen und diese sprachlichen Elemente zu Texten zu verdichten bzw. bei der Rezeption von Texten aus der Verwendung spezifischer sprachlicher Mittel auf die Konstruktion spezifischer Bedeutungen und die Verwendung spezifischer Diskursstrategien unter Berücksichtigung situativer Faktoren zu schließen“ (Vollmer & Thürmann 2010: 118).
Das Modell macht noch einmal eindrucksvoll deutlich, auf wie vielen unterschiedlichen Ebenen der Fachunterricht auch von sprachlichen Anforderungen geprägt ist und welches Bündel von Herausforderungen sich daraus ergeben kann, dass diese Schulsprache für viele SchülerInnen eine Zweitsprache ist. Mit Bezug auf die vorliegende Studie bleibt festzuhalten, dass entsprechend der Definition von Textkompetenz bzw. Diskursfähigkeit nach Vollmer & Thürmann (2010; s.o.) das Verfügen über sprachliche Mittel keine hinreichende, aber eine notwendige Voraussetzung für die Produktion gelungener Texte ist. Eckhardt (2008, 2009) verwendet in ihrer Studie den Begriff der schulbezogenen Sprache und untersucht Leistungen von Kindern mit nichtdeutscher und deutscher Herkunftssprache hinsichtlich dieses Registers. Genau wie die Bil-
Konzeptionelle Schriftlichkeit und Mehrsprachigkeit | 31
dungssprache zeichnet sich die schulbezogene Sprache laut Eckhardt durch einen spezifischen Wortschatz und bestimmte grammatische Eigenschaften aus, die der höheren Situationsentbundenheit geschuldet sind und die zu einer höheren sprachlichen Komplexität führen (vgl. Eckhardt 2009: 74). In einem experimentellen Design untersucht sie Kinder im Grundschulalter hinsichtlich der Leistungsunterschiede bei der Sprachproduktion von Texten mit alltagsund schulbezogenen Inhalten (n = 232) sowie beim Hörverstehen von Texten unterschiedlicher Sprachkomplexität und in Abhängigkeit von der Einbettung der Sprache in soziale Handlung (n = 498). Sie kommt interessanterweise zu dem Schluss, dass sich durch höhere Sprachkomplexität und Dekontextualisierung von Sprache kein zusätzlicher Leistungsnachteil für die Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache ergibt (vgl. Eckhardt 2008: 220). Die Leistungen der nichtdeutschsprachigen Kinder fallen zwar insgesamt niedriger aus als die der deutschsprachigen Kinder, Leistungsnachteile im Bereich der dekontextualisierten Sprache ergeben sich jedoch für alle Kinder gleichermaßen.33 Allerdings weist Eckhardt selbst darauf hin, dass der Unterschied zwischen alltags- und schulbezogenen Kommunikationsformen im Laufe der Schulzeit größer wird und die erwarteten Leistungsnachteile für die nichtdeutschsprachigen SchülerInnen deshalb unter Umständen erst in der Sekundarstufe I und II sichtbar werden (vgl. Eckhardt 2008: 212). Außerdem kann sie anhand ihrer Daten nicht ausschließen, dass in konkreten, nichtexperimentellen schulischen Situationen, wie z.B. im Fachunterricht, ein solcher Leistungsnachteil nicht doch existiert (vgl. Eckhardt 2009: 107). Während die soeben vorgestellten Ansätze die Beschreibung der bildungsbzw. schulsprachlichen Register in den Mittelpunkt stellen, versuchen andere AutorInnen die sprachlichen Fähigkeiten und Kompetenzen näher zu beschreiben, die für den Schulerfolg ausschlaggebend sind. Schon 1979 hatte Cummins die Begriffe BICS (basic interpersonal communicative skills) und CALP (cognitive academic language proficiency)34 eingeführt und zu begründen versucht, warum Kinder mit Migrationshintergrund relativ schnell gute Kompetenzen für die mündliche Alltagskommunikation (BICS) erwerben, aber erst nach mehreren Jahren über die sprachlichen Fähigkeiten zur Bewältigung von kontextre-
|| Lediglich bei der schriftlichen Sprachproduktion (C-Test) mit schulbezogenem Inhalt ergibt sich für die Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache ein Leistungsnachteil, dieser verschwindet aber bei der statistischen Kontrolle des familiären Hintergrundes (vgl. Eckhardt 2008: 208, 214f.) 34 In späteren Schriften benutzt Cummins stattdessen die Termini conversational und academic language proficiency (vgl. Cummins 2000). 33
32 | Schreibtheoretische Grundlagen
duzierten, kognitiv anspruchsvollen Kommunikationssituationen (CALP), wie sie für Bildungsinstitutionen typisch sind, verfügen (vgl. Cummins 1979, 2000). Für die Beurteilung der sprachlichen Fähigkeiten von mehrsprachigen SchülerInnen gehört das Begriffspaar BICS und CALP schon lange zur geläufigen Terminologie, obwohl oder gerade weil Cummins die Definition dieser Begriffe sehr vage hält. Den im Rahmen der Diskussion von Schriftlichkeit interessanten CALP-Begriff beschreibt er ganz allgemein als „expertise in understanding and using literacy-related aspects of language“ (Cummins 2000: 70, Hervorhebung im Original). An anderer Stelle wird deutlich, dass diese Expertise vor allem im Schulkontext von Bedeutung ist: CALP bezieht sich auf das Ausmaß, in dem „an individual has access to and command of the oral and written registers of schooling“ (Cummins 2000: 67). Der zentrale Aspekt bei der Beherrschung dieses Schulregisters ist die Fähigkeit zur sprachlichen Explizitheit, „to make complex meanings explicit in either oral or written modalities by means of language itself rather than by means of contextual or paralinguistic cues“ (Cummins 2000: 68f., Hervorhebung im Original). Typische sprachliche Strukturen dieses Registers nennt Cummins allerdings nicht. In einer anderen, sehr umfassenden Definition zählt Cummins neben dem sprachlichen Wissen auch nichtsprachliche Wissensbestände, nämlich Weltwissen und metakognitive Strategien, zu CALP (Cummins 2000: 67). Es kann festgehalten werden, dass Cummins CALP (und BICS) nie linguistisch eindeutig definiert hat. Diese Tatsache schränkt die Operationalisierbarkeit dieser Begriffe und damit die Brauchbarkeit für empirische Untersuchungen stark ein. Cummins’ Verdienst liegt eher darin, schon sehr früh auf die Bedeutung von schriftsprachlichen Kenntnissen – sowohl in der L1 als auch in der L2 – für den Schulerfolg von mehrsprachigen SchülerInnen hingewiesen zu haben. Mit seiner Schwellenniveau- und seiner Interdependenzhypothese,35 welche die bildungspolitische || 35 In der Schwellenniveauhypothese geht Cummins davon aus, dass mehrsprachige Kinder zunächst ein gewisses Kompetenz-Niveau in ihren Sprachen erreichen müssen, bevor die positiven kognitiven Effekte der Mehrsprachigkeit zum Tragen kommen können: „Das Erreichen eines niedrigen Schwellenniveaus zweisprachiger Kompetenz (d.h. einer dominanten Zweisprachigkeit) würde ausreichen, die negativen kognitiven Auswirkungen (des Semilingualismus) zu vermeiden, aber das Erreichen eines zweiten – höhreren – Niveaus (d.h. additiver Bilingualismus) könnte die Voraussetzung für eine Beschleunigung kognitiver Entwicklung sein“ (Cummins 1982: 38). Cummins hat die Schwellenniveauhypothese später selbst als „spekulativ“ bezeichnet (Cummins 2000: 37f.). Die Interdependenzhypothese besagt, dass Kompetenzen in einer Sprache unter bestimmten Bedingungen auf eine andere Sprache transferiert werden können: „To the extent that instruction in Lx is effective in promoting proficiency in Lx, transfer of this proficiency will occur provided there is adequate exposure to Ly (either in school or environment) and adequate motivation to learn Ly“ (Cummins 1981: 29). Die in dieser
Konzeptionelle Schriftlichkeit und Mehrsprachigkeit | 33
Diskussion um den Spracherwerb von mehrsprachigen Kindern maßgeblich beeinflusst haben und noch immer beeinflussen, hat er zudem auf die Bedeutung der Erstsprache und das Zusammenspiel von erst- und zweitsprachlichen Kompetenzen aufmerksam gemacht. In dem von einem monolingualen Selbstverständnis geprägten deutschen Bildungssystem liegt der Fokus zumeist auf den Kompetenzen in der Unterrichtssprache Deutsch, während die erstsprachlichen Kompetenzen allzuoft aus dem Blick geraten. Dies gilt insbesondere für die sprachlichen Kompetenzen von Kindern, die eine Erstsprache mit geringem sozialem Prestige haben. In der Diskussion um schriftsprachliche Kompetenzen von mehrsprachigen SchülerInnen spielt auch der Begriff der Textkompetenz eine wichtige Rolle (vgl. Schmölzer-Eibinger 2011; Schindler & Siebert-Ott 2011). Er dient dazu, die Sprachkompetenz im engeren Sinne von der Fähigkeit abzugrenzen, Texte zu rezipieren und zu produzieren. Diese Textkompetenz wird von PortmannTselikas (2005) folgendermaßen definiert: „Textkompetenz ermöglicht es, Texte selbständig zu lesen, das Gelesene mit den eigenen Kenntnissen in Beziehung zu setzen und die dabei gewonnenen Informationen und Erkenntnisse für das weitere Denken, Sprechen und Handeln zu nutzen. Textkompetenz schließt die Fähigkeit ein, Texte für andere herzustellen und damit Gedanken, Wertungen und Absichten verständlich und adäquat mitzuteilen“ (Portmann-Tselikas 2005: 2, Hervorhebung im Original).
Schmölzer-Eibinger geht davon aus, dass Zweitsprachenlernende oft weder über eine ausreichende Sprachkompetenz in der Zweitsprache, noch über eine gut ausgebildete Textkompetenz in ihrer Erstsprache verfügen und deshalb „die Aufgabe, eine neue Sprache als Kommunikations- und Lernmedium im Unterricht einzusetzen, nicht wie gefordert bewältigen [können]“ (SchmölzerEibinger 2004: 95). Allerdings ist bisher wenig darüber bekannt, welche Aspekte von Textkompetenz für DaZ-Lerner tatsächlich eine besondere Herausforderung darstellen. Dies hängt m.E. auch damit zusammen, dass der Begriff der Textkompetenz im Kontext von Deutsch als Zweitsprache bisher vor allem heuristisch eingesetzt wird und nur unzulänglich theoretisch und empirisch konkretisiert worden ist. In bisher vorliegenden Untersuchungen zur Textkompe|| Hypothese verankerten Voraussetzungen für den Transfer (adequate exposure und motivation) führen dazu, dass die Interdependenzhypothese in dieser Form nur sehr schwer empirisch überprüfbar ist. Positive Zusammenhänge zwischen korrespondierenden Kompetenzen in zwei Sprachen sind bisher vor allem bei jungen Kindern im Bereich der phonologischen Bewusstheit und der Lesekompetenz nachgewiesen worden (z.B. Moser, Bayer, Tunger & Berweger 2008; Verhoeven 1994).
34 | Schreibtheoretische Grundlagen
tenz stehen in der Regel allein Textprodukte im Mittelpunkt. Lese- und Verstehensprozesse, auch wenn sie mit der Textproduktion eng verknüpft sind, finden keine explizite Berücksichtigung (so z.B. in den Studien zur Textkompetenz von Rapti 2005 und Schindler & Siebert-Ott 2011).36 Es kann festgehalten werden, dass allen in diesem Kapitel referierten Ansätzen gemeinsam ist, dass der Beherrschung der (konzeptionellen) Schriftlichkeit für eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht eine zentrale Rolle beigemessen wird. Verallgemeinernd kann gesagt werden, dass sich konzeptionelle Schriftlichkeit im Vergleich zur Mündlichkeit durch eine höhere Situationsentbundenheit auszeichnet, die eine höhere Informationsdichte nötig macht. Diese kann u.a. durch den Einsatz komplexer sprachlicher Mittel erreicht werden.37 In Hinblick auf das schulische Register, das viele Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit enthält, wäre es wünschenswert, dass auf der Grundlage empirischer Daten das Inventar an registerspezifischen sprachlichen Mitteln noch genauer beschrieben wird. Studien zur Textkompetenz, in der sich – zumindest wenn man der Definition von Portmann-Tselikas folgt – die Beherrschung der Schriftlichkeit sowohl rezeptiv als auch produktiv manifestieren soll, operieren mit sehr unterschiedlichen Begriffen und Operationalisierungen. Hier wäre eine begriffliche Präzisierung von Vorteil. Sie könnte auch zu einer besseren empirischen Erfassbarkeit dieser Kompetenz führen. Geht man davon aus, dass der Erwerb von Schriftlichkeit in einer Zweitsprache die Lerner vor besondere Herausforderungen stellt und dass die Vermittlung entsprechender Kompetenzen durchgängig, über alle bildungsbiografischen Schnittstellen notwendig ist,38 so scheint es dringend angebracht, auch die Forschung zum Erwerb von Schriftlichkeit auf alle Bildungsphasen auszuweiten. Eine besondere Rolle sollte dabei die Schreibforschung einnehmen, denn das Schreibenlernen kann „als ein Beitrag zur Ausbildung kommunikativer Souveränität“ gesehen werden (Ehlich 2010: 52, Hervorhebung im Original) und ermöglicht Partizipation in der Berufswelt und in allen anderen gesellschaftlichen Kontexten. Gut ausgebildete Schreibfähigkeiten sind überdies nicht nur
|| 36 Auch in den (allerdings nicht DaZ-bezogenen) Studien zur wissenschaftlichen Textkompetenz von Pohl (2007) und Steinhoff (2007) wird ausschließlich die produktive Textkompetenz untersucht. Eine Ausnahme stellt die Untersuchung von Scholten-Akoun, Kuhnen & Mashkovskaya (2013) zur Sprachkompetenz Studierender dar. Neben einem C-Test setzen sie eine Schreibaufgabe ein, in der die Argumentationsstruktur eines Zeitungsartikels zunächst lesend erfasst und dann in einer Zusammenfassung angemessen reproduziert werden soll. 37 Der Begriff der Komplexität in Bezug auf Sprache wird in Kapitel 4.4.3.1 näher erläutert. 38 Vgl. hierzu Gogolin et al. (2011) und den Themenschwerpunkt Durchgängige Sprachbildung des BLK-Programms FörMig (s. Internetquelle 7).
Schreiben in der Zweitsprache Deutsch | 35
für den Schulerfolg relevant, sondern werden auch für ein erfolgreiches Hochschulstudium benötigt. Welche theoretischen Annahmen über das Schreiben in dieser Arbeit grundlegend sind, soll Thema des nächsten Kapitels sein.
4.2 Schreiben in der Zweitsprache Deutsch Der Überblicksartikel von Grießhaber (2008) zeigt, dass das Schreiben in der Zweitsprache in der Forschung bis dato zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat und sich vorliegende Untersuchungen überwiegend auf die Grundschule beziehen. Unklar ist bisher, wie das Schreiben in der Zweitsprache einerseits vom L1-Schreiben, und andererseits vom Schreiben in einer Fremdsprache abzugrenzen ist. Man könnte annehmen, dass umso mehr Ähnlichkeiten mit dem Schreiben in der Fremdsprache bestehen, je geringer die L2-Sprachkenntnisse bei DaZ-Lernern sind. Dementsprechend sind u.a. die Fragen offen, ob die kognitiven Prozesse während des Schreibens in der Zweitsprache von ähnlichen Faktoren beeinflusst werden wie beim Schreiben in der Fremdsprache (vgl. Grießhaber 2008 und Kapitel 4.2.1), inwieweit mit Modellen zur L1Schreibkompetenz auch Schreibkompetenzen von DaZ-Lernern abgebildet werden können (vgl. Schindler & Siebert-Ott 2011: 95 und Kapitel 4.2.2) und ob es eine DaZ-spezifische Schreibdidaktik geben sollte (vgl. Berkemeier 2007 und Kapitel 4.2.3). Um einen Eindruck davon zu bekommen, was es hieße, wenn das Schreiben in der Zweitsprache tatsächlich ähnlichen Bedingungen unterliegen würde wie das Schreiben in der Fremdsprache, möchte ich an dieser Stelle die Ergebnisse einer Metaanalyse zum Schreiben in der Fremdsprache Englisch aus dem anglo-amerikanischen Raum referieren. Silva (1993) legt seiner Analyse 72 Studien zugrunde, in der das Schreiben in der Fremdsprache Englisch und das L1Schreiben (unterschiedlichste Ausgangssprachen) miteinander verglichen werden. Auch wenn es sich hier um erwachsene Lerner des Englischen als Fremdsprache handelt, scheinen mir die Ergebnisse sprachübergreifend bzw. hinsichtlich der linguistischen Aspekte aufgrund der sprachlichen Nähe des Deutschen und Englischen auch für diesen Forschungsüberblick von Interesse zu sein. Nach Auswertung der 72 Studien kommt Silva zu dem Ergebnis: „in general terms, adult L2 writing is distinct from and simpler and less effective (in the eyes of L1 readers) than L1 writing. Though general composing process patterns are similar in L1 and L2, it is clear that L2 composing is more constrained, more difficult, and less effective“ (Silva 1993: 668).
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Laut Silva schneiden die in einer Fremdsprache Schreibenden sowohl bei der Planung als auch bei der Formulierung und bei der Überarbeitung ihrer Texte schlechter als die L1-Schreiber ab (vgl. Silva 1993: 668). Im Kontext der Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit ist interessant, dass die Texte der L2Schreiber syntaktisch weniger komplex zu sein scheinen: „Their sentences included more but shorter T units [ein Maß für syntaktische Komplexität, I.P.], fewer but longer clauses, more coordination, less subordination, less noun modification, and less passivization. They evidenced distinct patterns in the use of cohesive devices, especially conjunctive (more) and lexical (fewer) ties, and exhibited less lexical control, variety, and sophistication overall“ (Silva 1993: 668).
Aufgrund seiner Ergebnisse schlussfolgert Silva, dass sich das Schreiben in der Fremdsprache grundsätzlich und in vielerlei Hinsicht – „strategically, rhetorically, and linguistically“ – vom L1-Schreiben unterscheidet und diese Phänomene, aber auch potentielle Ressourcen, nicht mit den herkömmlichen L1Schreibtheorien erfasst werden können (Silva 1993: 669). Ob und welche Theorien genuin für das Schreiben in der Zweitsprache Deutsch bisher vorliegen, ist Thema des nächsten Kapitels.
4.2.1 Schreibprozess Schreibprozessmodelle versuchen, die Gesamtheit der komplexen Vorgänge, die während der Produktion eines Textes bei einem Individuum ablaufen, abzubilden. Das wohl einflussreichste Modell des Schreibprozesses stammt von Hayes & Flower (1980). Der Prozess der Textproduktion wird in diesem Modell als Problemlöseprozess aufgefasst und in ein komplexes Aufgabenumfeld (task environment) eingebettet. Im Zentrum des Schreibprozesses stehen die kognitiven Prozesse des Planens (Planning), Formulierens (Translating) und Überarbeitens (Reviewing). Eine weitere Komponente stellt das Langzeitgedächtnis (the writer’s long term memory) dar, in dem relevantes Wissen für das Thema des Textes sowie Adressaten- und Textmusterwissen abgespeichert sind (s. Abb. 1). Das Modell kann insofern kritisiert werden, als dass es sich ausschließlich am Expertenkönnen orientiert. Textproduktionsprozesse von Kindern bzw. Schreibnovizen können mit diesem Modell nicht abgebildet werden, deshalb ist seine Relevanz für den schulischen Kontext stark eingeschränkt (vgl. Sieber 2003: 213). Ossner (2006b: 102) bemängelt zudem, dass der Schreibprozess zu vereinfacht dargestellt wird und die Anforderungen des Mediums Schrift mit seinen motorischen und orthografischen Aspekten nicht erfasst werden. Hayes (1996) hat das Modell später überarbeitet, indem er nur noch zwischen the task
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environment und the individual unterscheidet und damit die Rolle motivationaler und affektiver Variablen stärker betont. Auch differenziert er in dem neuen Modell u.a. zwischen Arbeits- und Langzeitgedächtnis und führt deren Inhalte detaillierter auf. TASK ENVIRONMENT
TEXT
WRITING ASSIGNMENT Topic
PRODUCED
Audience
SO FAR
Motivating Cues
PLANNING
THE WRITER´S LONG TERM
Knowledge of Topic Knowledge of Audience Stored Writing Plans
GENERATING
MEMORY
TRANSLATING
REVIEWING
ORGANIZING
READING
GOAL
EDITING
SETTING MONITOR
Abb. 1: Modell des Schreibprozesses (Structure of writing model; Hayes & Floyer 1980: 11)
Aufbauend auf dieser neueren Version legen Chenoweth & Hayes (2001) ein Modell vor, das sie auch als Grundlage für den Vergleich von Schreibprozessen von L1- und L2-Lernern nutzen.39 Das Modell besteht aus den drei Ebenen ressource level, process level und control level (Chenoweth & Hayes 2001: 83). Im Mittelpunkt des Modells steht die Prozess-Ebene, in der ein interner und ein externer Bereich unterschieden werden: „The internal processes include a proposer, a translator, a reviser and a transcriber. The proposer is a prelinguistic resource that produces ideas to be expressed. The translator converts the prelinguistic ideas into strings of language with appropriate word order and grammar. The reviser evaluates both proposed and written language, and the
|| Die Darstellung der mittleren Ebene des Modells (process level) wird von Chenoweth & Hayes in einem Aufsatz von 2003 noch weiter ausgearbeitet (vgl. Chenoweth & Hayes 2003: 113). 39
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transcriber turns the content of the articulatory buffer into written language“ (Chenoweth &Hayes 2001: 84).
Task Schema
Translator
Control Level
Reviser
Internal Proposer
External
Task Materials
Dictionaries
Long Term Memory
Transcriber
Text Written So Far
Process Level
Process of Reading Working Memory
Resource Level
Abb. 2: Modell für die schriftliche Textproduktion (Chenoweth & Hayes 2001: 84)
Während der interne Bereich sich also auf kognitive Prozesse des schreibenden Individuums bezieht, gehören zu dem externen Bereich der schon produzierte Text, Notizen, Wörterbücher sowie andere Hilfsmittel und Quellen. Auf dem control level wird der Schreibprozess entsprechend des Schreibziels überwacht. Zu dem ressource level gehören das Langzeit- und Arbeitsgedächtnis, also die kognitiven Ressourcen, auf die von der Prozess- und Kontrollebene zurückgegriffen wird (Chenoweth & Hayes 2001: 84). Die Autoren gehen auf der Grundlage von während des Schreibens erhobenen Laut-Denk-Protokollen davon aus, dass Text in sog. „bursts“ produziert wird (Chenoweth & Hayes 2001: 82f.). Das sind Teile von Sätzen, die die Schreibenden zunächst in Gedanken sprach-
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lich formulieren (translator), evaluieren (reviser) und ggf. niederschreiben (transcriber). Bursts werden durch Pausen von zwei oder mehr Sekunden in dem Lautdenkprotokoll oder durch „grammatical discontinuity indicating that the language prior to the discontinuity has now been revised” (Chenoweth & Hayes 2001: 83) identifiziert. Dabei zeigt sich, dass erfahrene Schreiber längere bursts als unerfahrene Schreiber produzieren. Dasselbe können Chenoweth & Hayes für Sprachenlerner zeigen: Je besser sie die Sprache beherrschen, desto längere bursts produzieren sie (Chenoweth & Hayes 2001: 83). Außerdem produzieren die ProbandInnen in ihrer L1 längere bursts als in ihrer L2 (vgl. Chenoweth & Hayes 2001: 91). „we have found that increased linguistic experience is associated with an increase in burst length, a decrease in the frequency of revision and an increase in the number of words that are accepted and written down“ (Chenoweth & Hayes 2001: 93). Diese Entwicklung wird vor allem auf Veränderungen der Arbeit des translators zurückgeführt: „As the translator’s facility with complex grammatical forms and lexical retrieves increases, cognitive resources are freed up so that the translator is able to apply more fully the writer’s sense of the grammar while proposing a string of language. In contrast, with writers who have limited experience with the language, lexical retrieval is more effortful, and the translator is unable to fully apply the grammar because of the lack of cognitive resources“ (Chenoweth & Hayes 2001: 94).
Chenoweth & Hayes fokussieren in ihren Ausführungen die sprachlichen Kenntnisse im engeren Sinn, deren Anstieg zu einer höheren grammatischen Korrektheit der sprachlichen Äußerungen und zu einer höheren Schreibflüssigkeit führt. Es bleibt jedoch offen, inwieweit die Optimierung der Arbeit des translators auch zu einer höheren Textqualität auf anderen Ebenen führen kann, z.B. was die Kohärenz betrifft und wie anderes den Schreibprozess beeinflussendes Wissen, z.B. Textmusterwissen, die Arbeit des translators positiv beeinflusst. Das ursprüngliche Modell von Hayes & Flower (1980) ist nach wie vor sehr einflussreich und wurde auch von der fremdsprachlichen Schreibforschung breit rezipiert. Börner hat das Modell „fremdsprachendidaktisch interpretiert“ (Börner 1989: 354) und um Spezifika der Fremdsprachenvermittlung ergänzt. Er konkretisiert die Schreibumgebung bzw. das Aufgabenumfeld des Textes, indem er den Schreibprozess in den Kontext der Lehrziele und Methoden des fremdsprachlichen Unterrichts einbettet. Das hat zur Folge, dass in seinem modifizierten Modell z.B. auch ein Korrekturtext der Lehrkraft als Einflussgröße auf den Zieltext Berücksichtigung findet. Die sprachlichen Tätigkeiten des Lernenden (Planen, Formulieren) finden außerdem in einer „Interimssprache“ statt. Dabei ist es laut Börner „eine empirische Frage, bei welchen Lernergrup-
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pen und in welchem Umfang daneben auch die Muttersprache (L1) beteiligt ist“ (Börner 1989: 354). Eine weitere Adaption des Modells von Hayes & Flower (1980) für das L2Schreiben legt Grießhaber vor (vgl. Grießhaber 2008: 232). TASK ENVIRONMENT WRITING ASSIGNMENT Topic Audience Motivating Cues
PLANNING
GENERATING
THE WRITER´S LONG TERM MEMORY Knowledge of Topic Knowledge of Audience Stored Writing Plans
ORGANIZING GOAL SETTING
TEXT PRODUCED SO FAR
TRANSLATING LEX L1 – L2 STX L1 – L2
REVIEWING READING EDITING
MONITOR L2-Einflüsse
Abb. 3: Grießhabers modifiziertes Modell von Hayes & Flower (1980; Grießhaber 2008: 232)
Die oben erläuterten drei Komponenten des Modells bezeichnet er als „Werkstätten“: 1. Das „Aufgabenumfeld mit der aktuellen Schreibaufgabe“, 2. die „Wissens-Werkstatt“ und 3. die „Prozess-Werkstatt“ (Grießhaber 2008: 232f.). L2-Einflüsse (dargestellt durch die grauen Flächen) vermutet Grießhaber vor allem im Aufgabenumfeld, beispielsweise was den „Stellenwert des Schreibens“, das „Thema“ und die „Motivierungsverfahren“ betrifft (Grießhaber 2008: 233), allerdings ohne näher darauf einzugehen, worauf er diese Unterschiede zurückführt. In der Wissens-Werkstatt, die auch das Langzeitgedächtnis enthält, kann es nach Grießhaber Unterschiede hinsichtlich des Wissens zum Thema des Textes, zur potentiellen Leserschaft und zu den Schreibplänen geben. Wahrscheinlich geht er davon aus, dass hier L1-geprägtes Wissen zum Tragen kommt. Diese Einflüsse sind m.E. jedoch im Kontext von Deutsch als Zweitsprache zu vernachlässigen, dies gilt zumindest für die SchülerInnen, die ihren gesamten Schriftspracherwerb in Deutschland und vermutlich überwiegend in
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der Unterrichtssprache Deutsch erfahren haben. Die größte Besonderheit des L2-Schreibens sieht Grießhaber in der Prozess-Werkstatt, da hier „Wortschatz und Grammatik der verschiedenen Sprachen eine zentrale Rolle zukommen“ (Grießhaber 2008: 233). Einschränkend ist festzuhalten, dass Grießhaber sich bei der Erläuterung des Modells nicht auf empirische Studien bezieht. Daher ist nicht klar, wie er zu seinen Annahmen kommt und inwieweit das Modell noch einer empirischen Überprüfung bedarf. Insgesamt erscheint es mir wichtig, für den L2-Schreibprozess festzuhalten, dass bei der sprachlichen Umsetzung der geplanten Gedankeninhalte eine höhere Belastung der begrenzten kognitiven Ressourcen des Individuums angenommen werden muss (vgl. Chenoweth & Hayes 2001). Mit Galbraith (2009) kann davon ausgegangen werden: „L2 language skills should have a strong impact on the writing process. Thus, L2 language proficiency would be expected to affect not just how well-formed the written product is from a linguistic point of view, but also the writer’s capacity to engage in the higher level problem-solving activities characteristic of expert writing. Thus, even when L2 production is linguistically accurate, to the extent that L2 language production in L2 remains more effortful than in L1 one might expect writers to be less able to engage in goal directed creation of content and the quality of the text to suffer accordingly“ (Galbraith 2009: 12f.).
Texte von L2-Schreibern können somit in sprachlicher Hinsicht unauffällig sein und trotzdem auf anderen Ebenen Mängel aufweisen, die auch auf sprachliche Defizite zurückzuführen sind. Es erscheint daher sinnvoll, Modelle zu konsultieren, mit denen die einzelnen Teilkompetenzen von Schreibkompetenz näher betrachtet werden können.
4.2.2 Schreibkompetenz Wie Kompetenzen im Rahmen des Deutschunterrichts angemessen beschrieben, modelliert und damit auch überprüfbar gemacht werden können, beschäftigt die Fachdidaktik im Rahmen der derzeitigen Bildungsdiskussion intensiv.40
|| Darüber hinaus wird auch diskutiert, ob eine solche Kompetenzorientierung überhaupt wünschenswert ist, vgl. die Debatten in Didaktik Deutsch, Heft 30 und 31 (u.a. Grimm 2011; Zabka 2011). Auch Feilke (2011) macht darauf aufmerksam, dass die Erhebung und Auswertung von Schreibprodukten in den großen Leistungsstudien keinen schreibdidaktischen Ansprüchen genügen. „Man interessiert sich nur für die Produkte, kaum aber für die Prozesse des Lesens und Schreibens. Hier widerspricht beim Schreiben der methodische Erhebungsstan40
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Laut Schindler & Siebert-Ott wird „[d]er Faktor Mehrsprachigkeit […] innerhalb der aktuellen Kompetenzdebatte thematisiert, er wird aber bei der Entwicklung von Kompetenzmodellen noch nicht systematisch einbezogen“ (Schindler & Siebert-Ott im Druck). Studien, die Aspekte von Schreibkompetenz in der Zweitsprache Deutsch untersuchen, fokussieren oft jüngere Lerner, bei denen Schriftspracherwerb und Spracherwerb noch parallel zueinander verlaufen. Dementsprechend werden lernersprachliche Merkmale der Texte in den Blick genommen (vgl. Grießhaber 2008). Neuerdings werden jedoch auch DiagnoseInstrumente entwickelt, die sich auf ältere Lerner beziehen und eine umfassenderen Begriff von Schreibkompetenz zugrunde legen, indem beispielsweise auch die Makrostruktur und die Kohärenz der Texte untersucht werden (vgl. Cantone & Haberzettl 2008, 2009; Gantefort & Roth 2010). Als Grundlage der in Gantefort & Roth (2010) vorgestellten Instrumente dient der von Ehlich (2005) entwickelte Qualifikationenfächer. Ehlich unterscheidet sieben sprachliche Basisqualifikationen, von deren Beherrschung erfolgreiches sprachliches Handeln abhängt: die phonische Qualifikation, die pragmatischen Qualifikationen I und II, die semantische Qualifikation, die morphologisch-syntaktische Qualifikation, die diskursive Qualifikation und die literale Qualifikation (vgl. Ehlich 2005: 12). Diese Qualifikationen können im Rahmen der Sprachdiagnostik als Grundlage für die Erhebung eines umfassenden (und nicht auf einzelne Teilqualifikationen beschränkten) Sprachprofils dienen, zu der auch die Schreibkompetenz gehört. Die Schreibentwicklung kann insbesondere mit dem Ausbau der literalen Qualifikation gleichgesetzt werden, enthält aber auch Aspekte der pragmatischen, semantischen und morphologisch-syntaktischen Qualifikation. Für die Weiterentwicklung der Sprachdiagnostik für ein- und mehrsprachige SchülerInnen hat dieser Qualifikationenfächer bereits gute Dienste geleistet. Für die empirische Überprüfung von Schreibkompetenz bzw. bestimmter Teilkompetenzen erweist sich dieser Rahmen jedoch als zu undifferenziert. Eine Orientierung an Schreibkompetenz-Modellen aus der Fachdidaktik erscheint an dieser Stelle sinnvoller. Da es sich beim Schreiben um einen hochkomplexen Prozess handelt, der dem Einfluss zahlreicher situativer Faktoren unterliegt und in bestimmten Situationen auch mit Lese- und Verstehensprozessen verschränkt ist, stellt die begriffliche Präzisierung und Modellierung der Schreibkompetenz eine besonders große Herausforderung dar. Als Gemeinsamkeit der neueren Definitionen von
|| dard in den sogenannten Aufsatzstudien den Forderungen der Bildungsstandards, die ausdrücklich Prozesskompetenzen fordern“ (Feilke 2011: 2).
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Schreibkompetenz kann die Betonung der handlungsbezogenen Aspekte des Schreibens und der Bedeutung der kommunikativen Funktion von Schreibprodukten herausgestellt werden. Schreibkompetenz erschöpft sich nicht in der korrekten Verwendung bestimmter grammatischer Strukturen oder in der Beherrschung von Textsortennormen, sondern ist „pragmatisch zu konzipieren, das heißt, als eine Fähigkeit zu denken, die sich in einem Handlungskontext bewähren muss“ (Becker-Mrotzek & Böttcher 2006: 56, vgl. auch Fix 2008: 33). Schreibkompetenz kann als das Zusammenspiel einer Vielzahl von Fähigkeiten und Wissensbeständen beschrieben werden, dementsprechend umfassend fällt auch die Definition aus: „Unter Schreibkompetenz verstehen wir im Folgenden die Fähigkeit zur Produktion von Texten. Dabei handelt es sich im Kern um eine spezifisch sprachliche Fähigkeit von mittlerer Komplexität, die sich aus unterschiedlichen Teilfähigkeiten und Kenntnissen (Dimensionen) zusammensetzt. Konstitutiv ist die Fähigkeit, sprachliche Äußerungen so zu konzipieren, dass sie aus sich heraus verständlich sind, also über Raum und Zeit hinweg zerdehnt werden können. Um das zu leisten, müssen sie sich ihren eigenen Kontext, ihre eigene Situation schaffen. Dazu bedarf es des Einsatzes spezifischer lexikalischer, grammatikalischer sowie pragmatischer Mittel. Wir haben es also mit einem besonderen lexikalischen, grammatischen und pragmatischen Wissen zu tun. [...] Schriftkenntnisse sind ebenfalls konstitutiver Teil der Schreibkompetenz: damit ist die Fähigkeit gemeint, sprachliche Äußerungen im Medium der Schrift zu rezipieren und zu produzieren, also zu lesen und zu schreiben. [...] Neben den genannten sprachlichen Fähigkeiten erfordert das Schreiben eine besondere soziale Kognition, insbesondere die Fähigkeit zur Abstraktion, Antizipation und Perspektivenübernahme“ (Becker-Mrotzek & Böttcher 2006: 57–59).
Zusätzlich zu den grammatischen, lexikalischen sowie Textmuster- und Schriftkenntnissen nennt Fix (2008) als Teilkompetenzen von Schreibkompetenz auch noch die „inhaltliche Kompetenz“, die „Zielsetzungskompetenz“ und die „Revisionskompetenz“ (Fix 2008: 33). Er integriert damit Kompetenzen, die in die Phasen der Planung und Überarbeitung des Textes fallen und liefert damit eine mehr am gesamten Schreibprozess orientierte Definition als Becker-Mrotzek & Böttcher (2006). Inwieweit die in der Tat eng mit der Schreibkompetenz verknüpfte inhaltliche bzw. Sachkompetenz als Teilkompetenz von Schreibkompetenz gelten sollte, ist fraglich, da sie ja bei jeglichem sprachlichen Handeln zum Einsatz kommt (vgl. Becker-Mrotzek & Böttcher 2006: 59) und nicht wie z.B. die sprachlichen Mittel strukturell durch das Medium Schrift beeinflusst wird. Einen systematischen Entwurf eines Kompetenzmodells für das Schreiben entwerfen Becker-Mrotzek & Schindler (2007, 2008) in Anlehnung an das von Ossner (2006a) entwickelte Kompetenzmodell für die Fachdidaktik Deutsch.
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Auf horizontaler Ebene unterscheiden sie zwischen sechs Anforderungsbereichen: Dem Medium, der Orthographie, der Lexik, der Syntax, dem Textmuster und der Leserorientierung. Die Leserorientierung stellt dabei streng genommen keinen eigenen Anforderungsbereich dar, da sie durch Elemente aus den anderen Anforderungsbereichen realisiert wird (vgl. Becker-Mrotzek & Schindler 2007: 13). Auf vertikaler Ebene sind vier Wissenstypen verortet: deklaratives Wissen, Problemlöse-Wissen, prozedurales Wissen und metakognitives Wissen. Durch die Kombination der sechs Anforderungsbereiche mit den vier Wissenstypen ergeben sich 24 Felder, die jeweils unterschiedliche Einzelaspekte der Schreibkompetenz umfassen. Das Anforderungsniveau einer Schreibaufgabe hängt laut Becker-Mrotzek & Schindler vor allem von dem geforderten Textmuster ab und „liegt umso höher, je stärker das eigene Wissen für die Bewältigung der Schreibaufgabe umstrukturiert werden muss“ (Becker-Mrotzek & Schindler 2007: 16). Im Rahmen ihres Modells definieren sie Schreibkompetenz schließlich „als das Produkt aus Anforderungsniveau der Schreibaufgabe und der Summe des anforderungsbezogenen Wissens“ (Becker-Mrotzek & Schindler 2008: 99). Dabei bleibt aber noch zu erforschen, wie die einzelnen Teilbereiche der Schreibkompetenz zusammenwirken und ob sie sich parallel oder unabhängig voneinander entwickeln (vgl. Becker-Mrotzek & Schindler 2007: 17). Schindler & Siebert-Ott (2011: 95) äußern Unsicherheit darüber, ob sich mit diesem Modell auch die Schreibkompetenz und die Schreibentwicklung von mehrsprachigen SchülerInnen erfassen lassen. Da es sich um ein Modell aus der muttersprachlichen Deutschdidaktik handelt, werden Spezifika schreibbezogener Wissensbestände in einer Zweitsprache und mögliche Interdependenzen mit der L1 in der Tat nicht berücksichtigt. Die Ausführungen zu den Schreibprozessmodellen in Kapitel 4.2.1 haben gezeigt, dass Spezifika des Schreibens in der Zweitsprache vor allem beim Formulieren (Translating nach Hayes & Flower 1980) zu vermuten sind, da dabei auf sprachliches Wissen zurückgegriffen wird. Dazu gehören auch syntaktische Kenntnisse, die in dem Modell von BeckerMrotzek & Schindler (2007, 2008) neben dem Bereich der Lexik unter die Sprachproduktion im engeren Sinne fallen. Aufgrund der Sprachgebundenheit dieser Bereiche sind hier bei den erst- und zweitsprachlichen Schreibern Unterschiede im Vorhandensein der für die Textproduktion notwendigen Wissensbestände zu vermuten. Aufgrund der Bedeutung der Syntax für die vorliegende Studie sollen Einzelaspekte dieses Anforderungsbereiches hier exemplarisch aufgezeigt werden (Tab. 1).
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Tab. 1: Wissensbestände des Anforderungsbereichs Syntax nach dem Schreibkompetenzmodell von Becker-Mrotzek & Schindler (2007: 24) Wissen
Syntax
Deklaratives Wissen Prozedurales Wissen
Syntaktische Kenntnisse Prüfverfahren zur syntaktischen Korrektheit (Proben) und Angemessenheit Grammatisches Enkodieren in der Schriftsprache Reflektieren der grammatischen Prozesse
Metakognitives Wissen Problemlöse-Wissen
Das prozedurale Wissen im Bereich der Syntax betreffend könnten die L2-Lerner aufgrund mangelnder Routinisierung im Nachteil sein. Becker-Mrotzek & Schindler (2007: 14) stellen selbst in Frage, ob für die Produktion von Texten tatsächlich deklaratives Wissen im Bereich der Syntax im Sinne expliziter Grammatikkenntnisse vonnöten ist. Selbst die Darstellung dieses einzelnen Anforderungsbereichs lässt schon vermuten, dass es sich als methodisch schwierig erweist, die einzelnen Wissensbestände analytisch zu trennen und empirisch zu ermitteln. So konstatieren auch Becker-Mrotzek & Schindler: „Schreib- bzw. Testaufgaben zu gestalten, die den Kriterien der Objektivität, Reliabilität und Validität ebenso entsprechen wie einer realitätsnahen Gestaltung, einer Unterscheidung und eindeutigen Abfrage von Teilkompetenzen, stellt bislang eine nicht vollständig eingelöste Anforderung dar“ (Becker-Mrotzek & Schindler 2007: 22).
Gerade für den Bereich Deutsch als Zweitsprache bleibt dies für die empirische Fundierung von Sprach- bzw. Schreibfördermaßnahmen ein großes Desiderat. Im nächsten Kapitel wird gezeigt, welche schreibdidaktischen Konzepte auf Grundlage des Wissens über Schreibprozesse und Schreibkompetenz in Deutsch als Zweitsprache bisher entwickelt worden sind.
4.2.3 Schreibdidaktik Sieht man sich die wenigen vorhandenen Publikationen zur Schreibdidaktik in der Zweitsprache Deutsch an, so scheint noch nicht geklärt zu sein, inwieweit und in welchen Bereichen sich diese von der „muttersprachlichen“ Schreibdidaktik unterscheidet und unterscheiden sollte. Das liegt sicherlich auch daran, dass es sich, wie Grießhaber (2008) betont, bei den SchülerInnen, die in der Zweitsprache Deutsch schreiben, um eine sehr heterogene Gruppe mit unterschiedlichsten sprachlichen Voraussetzungen und Lernerfahrungen handelt
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(Grießhaber 2008: 228). Gemeinsames Merkmal dieser Gruppe in Bezug auf das Schreiben ist lediglich die Tatsache, dass bei ihnen „das Schreiben nicht in der/den Erstsprache/n, sondern in einer weiteren Sprache erfolgt, die in besonderem Maße der Wissensvermittlung und dem Wissenserwerb dient“ (Grießhaber 2008: 228). Während Berkemeier (2007) in ihrem gleichnamigen Aufsatz Perspektiven der Weiterentwicklung einer DaZ-spezifischen Schreibdidaktik aufzeigt, bildet laut Grießhaber (2008) „das Schreiben in der L2 zwar keinen eigenen, separierten Bereich neben oder gar außerhalb der erstsprachlichen Schreibdidaktik, weist jedoch einige Besonderheiten auf“ (Grießhaber 2008: 228). In frühen Ansätzen wird die Nützlichkeit des kreativen Schreibens (Pommerin 1996) und des Sprachspiels (Belke 2003, 2007) für den Schreibunterricht in mehrsprachigen Lerngruppen hervorgehoben. „Zweisprachige Lerner haben eine besondere Disposition zum kreativen Sprachpotential“ (Pommerin 1996: 52). Es wird davon ausgegangen, dass die Didaktik des kreativen Schreibens einen Rahmen schafft, in dem auch Kinder mit geringen Sprachkenntnissen schon früh Texte produzieren und sich ausdrücken können. Die Texte können überdies gemischtsprachlich verfasst werden und das eigen- und fremdkulturelle Verstehen aller SchülerInnen fördern (Pommerin 1996: 59f.). Im Anschluss an die kreativen Schreibphasen sollen aber auch Phasen der Reflexion und Systematisierung stattfinden, in denen z.B. Fehlerkorrekturen durchgeführt werden (vgl. Pommerin 1996: 161f.). „So führen gerade authentische Texte, die durch Techniken des kreativen Schreibens entstanden sind, immer auch zu einer Reflexion über sprachliche Mittel (Grammatik) und sprachliche Wirkung (Stilistik) und damit notwendigerweise zu einer Fehlerdiagnose und -korrektur“ (Pommerin 1996: 54).
Belke plädiert dafür, in mehrsprachigen Klassen neben dem freien Schreiben auch das „generative Schreiben“ zu praktizieren (vgl. 2003: 237f., 2007: 12). Dabei werden poetische Texte als Textmuster vorgegeben und auf dieser Grundlage eigene Texte produziert, in denen bestimmte Text- bzw. Sprachstrukturen variiert werden. Dadurch findet eine implizite Sprachvermittlung statt (vgl. Belke 2007: 11). Sowohl dem Ansatz von Pommerin (1996) als auch von Belke (2003, 2007) fehlt allerdings ein fundierter theoretischer und/oder empirischer Bezug zur L2-Schreibforschung. In neueren didaktischen Ansätzen für das Schreiben in der Zweitsprache werden insbesondere drei Aspekte hervorgehoben: 1. Die Bedeutung der Prozessorientierung, 2. die Abkehr von der Defizitorientierung und 3. das Potenzial des Fachunterrichts.
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Erstens scheint es für die Gruppe der SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache, mehr noch als für die monolingualen SchülerInnen, sinnvoll zu sein, den komplexen Schreibprozess in Einzelschritte aufzulösen und diese jeweils methodisch-didaktisch zu unterstützen (vgl. Berkemeier 2007: 406, Grießhaber 2008: 233, Rösch 2011: 198f.). Dabei erfordert „[d]ie Entzerrung des L2Schreibprozesses […] noch explizitere Arbeitsanweisungen und Hilfsmittel als in der Erstsprachdidaktik“ (Grießhaber 2008: 235). Rösch (2011: 199) zerlegt auf Grundlage der Kompetenzbereiche des Schreibens von Fix (2005: 115) den unterrichtlichen Schreibprozess mit DaZ-Lernenden in einzelne Schritte. Für jede Phase werden mögliche Unterstützungsverfahren genannt: Tab. 2: Schreiben mit DaZ-Lernenden (Rösch 2011: 199) Kompetenzen der Lernenden beim Schreibprozess
Unterstützungsleistungen durch Lehrende
Was schreibe ich? Inhaltliche Kompetenz
–
– Wie formuliere und überarbeite ich? Formulierungskompetenz
–
–
– Warum und für wen schreibe ich? Pragmatische Kompetenz
–
–
Wie baue ich den Text auf? Strukturierungskompetenz
– – – – –
Vorwissen aktivieren, ggf. Erstsprache einbeziehen und Übertragung ins Deutsche anleiten, Fachsprache absichern und entfalten Redemittel zum Umgang mit den Informationen vermitteln Metasprache wie Endungen, Satzklammer etc. zum Sprechen über Formulierungen, Fehler etc. vermitteln Überarbeitung auf Einzelaspekte reduzieren: Wort-, Satz- und Textebene berücksichtigen Orthografie (im grammatischen Kontext) vermitteln Texte (auch von DaZ-Schülern) betrachten, positive Beispiele als Modelltexten [sic] nutzen Rezeptionserwartungen interkulturell klären Beurteilungskriterien transparent machen Redemittel, Skelettsätze und -texte vorgeben Vorgaben zur Kontrolle des eigenen Textaufbaus anbieten Textsorte interkulturell problematisieren Visualisierungshilfen nutzen
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Wie aus Tab. 2 ersichtlich, akzentuiert Rösch dabei insbesondere die Rolle von Redemitteln und anderen Vorgaben, z.B. Modelltexten, für die Entlastung des Schreibprozesses. Die Nützlichkeit der Auseinandersetzung mit Textsorten, Textmustern und formelhafter Sprache zur Förderung der schriftsprachlichen Kompetenzen von SchülerInnen mit Migrationshintergrund betont auch Ballis (2010): „Ausgangspunkt der Förderung soll die Sensibilisierung für textsortenspezifische Kenntnisse sein, die u.a. durch formelhaften Sprachgebrauch erfolgt. Diesen gilt es systematisch aufzubauen und für die konzeptionelle Arbeit mit Textsorten zu aktivieren. Auf diese Weise soll der Schreibprozess entlastet und langfristig routinisiert werden“ (Ballis 2010: 71).
Zweitens wird für eine erhöhte Fehlertoleranz bzw. die Abkehr von einer defizitorientierten Sichtweise auf die Texte von DaZ-Lernern plädiert (vgl. Berkemeier 2007: 402; Grießhaber 2008: 234). Anstelle von Hinweisen auf Grammatik- und Orthografiefehler sollten inhaltliche Anmerkungen im Vordergrund stehen und die Texte hinsichtlich ihrer Wirkung auf den Adressaten besprochen und überarbeitet werden (vgl. Grießhaber 2008: 235). Berkemeier zeigt anhand der Analyse eines auf der Ebene der sprachlichen Korrektheit sehr schwachen Textes, dass es sich lohnt, „unabhängig von Graphie-, Orthographie-, Flexions- und Syntaxfehlern text- und textartenspezifisch die Konstellation der inhaltlichen Gestaltungselemente in Beziehung zu den sprachlichen Prozeduren zu setzen, um entscheiden zu können, mithilfe welcher Methoden die Teilprozesse des Schreibens individuell möglichst gewinnbringend unterstützt werden können“ (Berkemeier 2007: 406, Hervorhebung im Original).
Drittens wird das Potenzial des Fachunterrichts für die Förderung des L2Schreibens betont (vgl. z.B. Grießhaber 2008: 229; Kniffka & Siebert-Ott 2008: 110f.; Schmölzer-Eibinger 2011: 183f.). In Schmölzer-Eibingers 3-Phasen-Modell zur Förderung von Textkompetenz (2011), das insbesondere für den Fachunterricht in mehrsprachigen Klassen konzipiert wurde, spielt das Schreiben eine zentrale Rolle. Im Mittelpunkt stehen „Schreibverfahren, die eine Prozess- und Produktorientierung integrieren und das epistemische Schreiben in den Vordergrund stellen“ (Schmölzer-Eibinger 2011:166f.). Das Modell besteht aus den drei Phasen „Wissensaktivierung“, „Arbeit an Texten“ und „Texttransformation“ (Schmölzer-Eibinger 2011: 191f.). In der Phase der Wissensaktivierung wird zur Aktivierung des Vorwissens die Methode des assoziativen Schreibens eingesetzt (vgl. Schmölzer-Eibinger 2011: 192f.). Die Phase Arbeit an Texten besteht aus den Stufen „Textkonstruktion“, „Textrekonstruktion“, „Textfokussierung“ und „Textexpansion“, die Schreibaktivitäten
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reichen damit von eher reproduktiven bis hin zu produktiven Verfahren (vgl. Schmölzer-Eibinger 2011: 194–200). In der letzten Phase, der Texttransformation, werden Texte „als Impuls und Ressource für die Neukonzeption von Texten zu selbst gewählten Themen im Rahmen komplexerer Lernhandlungen“ genutzt (Schmölzer-Eibinger 2011: 200). Es sollen Informationen aus unterschiedlichen Texten herausgelöst und in einem neuen Text zusammengeführt werden (vgl. Schmölzer-Eibinger 2011: 200f.). „Betrachtet man das 3-Phasen-Modell in seinem Gesamtverlauf, so ergibt sich eine Progression, die sich in einer steigenden Komplexität der Aufgaben und in zunehmend höheren kognitiven und sprachlichen Anforderungen im Umgang mit Texten manifestiert – ausgehend von den relativ einfachen Aufgaben der Wissensaktivierung am Beginn sind die Anforderungen in der Arbeit an Texten bereits um einiges höher und werden schließlich in den Aufgaben der Wissenstransformation sehr komplex. Die Textkompetenz der Lernenden wird auf diese Weise schrittweise aufgebaut und ist gleichzeitig immer stärker gefordert“ (Schmölzer-Eibinger 2011: 202).
Schmölzer-Eibingers Ansatz ist besonders interessant, weil er fächerübergreifend einsetzbar ist und der sich langsam durchsetzenden Erkenntnis Rechnung trägt, dass Sprachförderung nicht nur im Deutschunterricht stattfinden sollte. Auf Basis ihres Modells hat Schmölzer-Eibinger beispielsweise auch einen Vorschlag für die Textarbeit im Chemieunterricht in der gymnasialen Oberstufe vorgelegt (Schmölzer-Eibinger & Langer 2010). Insbesondere für die Sekundarstufen I und II erscheint es sehr sinnvoll, die Förderung der Schreib- (bzw. Text-)Kompetenz mit dem Wissenserwerb zu verbinden und die Versprachlichung von Erkenntnisprozessen in den Mittelpunkt zu stellen. Eine ähnliche Vorgehensweise schlägt auch Gibbons (2006) mit Bezug auf L2-Lerner des Englischen vor. Sie plädiert dafür, das aktuelle Verständnis des Unterrichtsthemas und die Sprache, mit der die SchülerInnen dieses Verständnis zum Ausdruck bringen, zur Grundlage der Vermittlung des jeweiligen schulsprachlichen Registers zu machen (vgl. Gibbons 2006: 269). Dazu werden Unterrichtsaktivitäten gewählt, in denen die Kontextreduziertheit des Sprachgebrauchs sukzessive ansteigt und die epistemische Funktion des Schreibens an Bedeutung gewinnt (vgl. Gibbons 2006: 271). Die Ausführungen in diesem Kapitel haben deutlich gemacht, dass es trotz der nach wie vor offenen Frage, ob es einer DaZ-spezifischen Schreibdidaktik bedarf, einige didaktische Ansätze oder Modelle gibt, von der DaZ-SchülerInnen bei der Ausbildung ihrer Schreibkompetenz profitieren können. Besonders vielversprechend erscheint das Konzept, vermehrt auch im Fachunterricht Schreibprozesse zu initiieren und zu unterstützen. Dies setzt aber auch voraus, dass die Lehrkräfte aller Fächer dementsprechend ausgebildet werden.
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4.3 Schreibprodukte Nachdem der Kontext dieser Arbeit, das Schreiben in der Zweitsprache Deutsch, erläutert wurde, soll nun auf die Textgrundlage der Untersuchung eingegangen werden. In dieser Arbeit werden Schreibfähigkeiten anhand von Schreibprodukten untersucht. Die Grundlage der Studie ist ein Korpus, das aus argumentativen Texten und Zusammenfassungen besteht. Das folgende Kapitel zeigt, welche spezifischen Merkmale diese Texte haben und welche Anforderungen mit ihrer Produktion einhergehen. Die Texte wurden in Schulklassen erhoben, die nach den Lehrplänen des Bundeslandes Bremen unterrichtet werden. Deshalb wird auch dargestellt, welche Bezüge zum schriftlichen Argumentieren und zum Zusammenfassen in den Bremer Deutsch-Lehrplänen der Sekundarstufe I und II vorhanden sind. So kann ein Eindruck davon gewonnen werden, welche Kompetenzen in Hinblick auf die jeweilige sprachliche Handlung bzw. Textart bei den UntersuchungsteilnehmerInnen erwartet werden können.
4.3.1 Argumentative Texte Begreift man das Argumentieren wie Kopperschmidt (2005) als ein rationales Verfahren zur gewaltfreien Problemlösung, so versteht es sich von selbst, dass die Fähigkeit, mündlich und schriftlich argumentieren zu können, sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Leben eine große Bedeutung hat und die Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen und Entscheidungsprozessen in einer demokratischen Gesellschaft ermöglicht. In der Schule werden begründete Stellungnahmen in allen Unterrichtsfächern verlangt. Auch für den Erfolg im Studium spielt die schriftliche Argumentationskompetenz eine große Rolle, denn wissenschaftliche Texte sind argumentative Texte (vgl. Kelly & Bazermann 2003; Reisigl 2006, 2007). Die Ausbildung argumentativer Fähigkeiten gehört daher zu den zentralen Aufgaben des Deutschunterrichts, und auch für das wissenschaftspropädeutische Schreiben in der gymnasialen Oberstufe kommt den argumentativen Textarten eine besondere Bedeutung zu (vgl. Hahn 2008; Steets 1999). Im Bereich der Sprachdiagnose für mehrsprachige SchülerInnen wird zudem davon ausgegangen, dass sich mit argumentativen Texten besonders gut konzeptionell schriftliche Fähigkeiten erfassen lassen (vgl. Cantone & Haberzettl 2008, 2009). Im folgenden Kapitel soll näher bestimmt werden, was argumentative Texte auszeichnet, welche Fähigkeiten ihre Produktion erfordert und was über die
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Entwicklung dieser Fähigkeiten bekannt ist. Zudem werden die Vorgaben zum schriftlichen Argumentieren in den Bremer Deutsch-Lehrplänen betrachtet.
4.3.1.1 Begriffsbestimmung Um besser zu verstehen, welche Anforderungen mit dem schriftlichen Argumentieren einhergehen und welche Merkmale argumentative Texte haben, soll an dieser Stelle versucht werden, eine für diese Arbeit brauchbare Terminologie für das Argumentieren und damit zusammenhängende Begriffe zu entwickeln. Denn auf die Frage, was Argumentieren oder ein Argument bzw. eine Argumentation eigentlich sind, lassen sich in der Fachliteratur sehr unterschiedliche Antworten finden. Das mag daran liegen, dass sich laut Eggs (2000) in der germanistischen Linguistik „ein recht vager Begriff von argumentatio durchgesetzt hat“ (Eggs 2000: 397, Hervorhebung im Original). Als Konsens kann zunächst gelten, dass der Ausgangspunkt einer argumentativen Handlung eine strittige Frage ist, auch res dubia (z.B. Winkler 2003) oder Quaestio (z.B. Klein 1980) genannt. Damit ist etwas „kollektiv Fragliches“ (Klein 1980) gemeint bzw. ein „strittiger Geltungsanspruch“ (Kopperschmidt 1989), der die Wahrheit von Sachverhalten bzw. die moralische Angemessenheit von Handlungen und Einstellungen betrifft (vgl. Winkler 2003: 33). In einer Argumentation wird laut Klein (1980) dann versucht, „mit Hilfe des kollektiv Geltenden etwas kollektiv Fragliches in etwas kollektiv Geltendes zu überführen“ (Klein 1980: 19). Folgt man diesem Begriffsverständnis von Klein, so ist das Wissen über kollektiv geltende Normen und Werte also eine Voraussetzung für die Fähigkeit zum Argumentieren. Bayer (2007) definiert den Begriff des Arguments in seiner Einführung in die Grundlagen der Argumentationsanalyse folgendermaßen: „Ein Argument besteht immer aus mehreren Sätzen: Der Konklusion, dem Satz, den wir begründen wollen, und aus einer oder mehreren Prämissen, welche die Konklusion stützen sollen. In dem Argument Alle Katzen können klettern Tina ist eine Katze Also kann Tina klettern sind ‚Alle Katzen können klettern‘ und ‚Tina ist eine Katze‘ die Prämissen und ‚Also kann Tina klettern‘ die Konklusion“ (Bayer 2007: 18, Hervorhebung im Original).
Angelehnt an das Begriffsverständnis der formalen Logik (vgl. z.B. Zoglauer 2008: 58) besteht ein Argument nach dieser Auffassung also aus einer Menge von Aussagen (Prämissen) und einer Konklusion. Heinemann & Viehweger (1991) unterscheiden für die Beschreibung von Texten zwischen narrativen,
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deskriptiven und argumentativen Textstrukturierungsmustern. Eine Argumentation besteht bei ihnen aus einer Sequenz von Annahmen (Prämissen) und einer Schlussfolgerung (Conclusio) (vgl. Heinemann & Viehweger 1991: 249). Sie orientieren sich damit ebenso an Begriffen aus der formalen Logik, bezeichnen jedoch das als Argumentation, was in der formalen Logik als Argument gilt. In der Alltagssprache und in nicht argumentationstheoretisch orientierten Zusammenhängen wird unter dem Begriff Argument zumeist eine einzelne Aussage verstanden, die eine Begründung darstellt, i.a.W. also eine Prämisse (vgl. Bayer 2007: 85; Nussbaumer 1991: 208). Böhnisch (2009) bezeichnet beispielsweise im Rahmen seiner Rekonstruktion von Aussagenmustern in argumentativen Schülertexten all diejenigen Aussagen als Argumente, die sich durch den kausalen Konnektor weil anbinden lassen (vgl. Böhnisch 2009: 26). Unterschiedliche Verwendungsweisen gibt es zudem für den Begriff der Argumentation. Für Bayer (2007) ist die Argumentation eine sprachliche Handlung, bei der ein Argument oder mehrere verknüpfte Argumente geäußert werden (vgl. Bayer 2007: 18). Ein ähnliches Begriffsverständnis bringt Feilke (2010a) zum Ausdruck: „die Argumentation [ist] eine komplexe sprachliche Handlung, bei der es wesentlich darum geht, den Status ‚konkurentieller Wissenselemente‘ durch verbale Interaktion zu klären“ (Feilke 2010a: 154, Hervorhebung im Original). Winkler hingegen bezeichnet die Argumentation als das Produkt des Argumentierens und meint damit das Schreibprodukt, den argumentativen Text (Winkler 2003: 25, Fußnote 1). Für die Textlinguistik ist auch das Schema der argumentativen Mikrostruktur nach Toulmin (1958, 2003) von Bedeutung (vgl. z.B. Brinker 2005, Nussbaumer 1991). Toulmin hat sein Modell in Abgrenzung zum Deduktivismus der formalen Logik entwickelt, um das Argumentieren in der Praxis zu untersuchen. Er unterscheidet dazu sechs Elemente eines „Arguments“, die hier mit Beispielen (kursiv gesetzt) von Toulmin (2003: 97) näher erläutert werden sollen: – claim oder conclusion (C): Dabei handelt es sich um die These oder Konklusion der Argumentation, also die Position, für die argumentiert wird. Harry is a British subject. – data (D): Die Informationen, Tatsachen oder Aussagen, auf denen die These basiert. Brinker (2005) bezeichnet dieses Element auch als „Argument“ (Brinker 2005: 81). Harry was born in Bermuda. – warrants (W): Toulmin spricht von „general, hypothetical statements, which can act as bridges, and authorise the sort of step to which our particular argument commits us“ (Toulmin 2003: 91). Der Schritt von (D) zu (C) wird durch (W) gerechtfertigt, es handelt sich also um eine Art Schlussregel. A man born in Bermuda will generally be a British subject.
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qualifiers (Q): Nach Toulmin kann es nötig sein, „to add some explicit reference to the degree of force which our data confer on our claim in virtue or warrant“ (Toulmin 2003: 93). Dabei kann es sich im Deutschen z.B. um Modaladverbien wie sicherlich oder vermutlich handeln. So, presumably … rebuttal (R): Es werden Ausnahmebedingungen formuliert, die die Gültigkeit der Schlussregel einschränken. Unless both his parents were aliens … backing (B): Nach Brinker (2005) sind hiermit Aussagen gemeint, „die die besonderen inhaltlichen Standards des betreffenden Argumentationsbereichs (Handlungsbereichs) ausdrücken (Verweis auf Gesetze, Normen, Regeln des Verhaltens und Geltens u.Ä.)“ (Brinker 2005: 80). On account of the following statutes and other legal provisions: …41
In der schulischen Schreibforschung wird das Toulminsche Schema zur Beurteilung von Texten eingesetzt (vgl. z.B. Bernardi & Antonlini 1996), außerdem kann es der Förderung schriftlicher Argumentationskompetenz dienen (vgl. Crammond 1998: 232). Nussbaumer (1991) wendet das Toulmin-Schema mit seinen Bestandteilen normativ an und macht es sich zur Bewertung von Textqualitäten zu Nutze: „Dabei erachte ich das Toulmin-Schema als Schema für eine ‚Redefigur‘ im Sinne der klassischen Rhetorik oder als Schema für einen Textbaustein. Ein ‚argumentativer Text‘ ist dann ein Text, der aus einem oder mehreren solchen Textbausteinen besteht, ein Text, dessen Grundprägung von solchen argumentativen Teilen bestimmt wird“ (Nussbaumer 1991: 217).
Brinker (2005) setzt das Modell von Toulmin zur deskriptiven Analyse von Texten ein, macht aber darauf aufmerksam, dass in Argumentationen nicht alle Elemente des Modells explizit vorkommen müssen: „These und Argumente bilden die Grundlage des argumentativen Textes; denn ohne die Angaben von Daten, auf die man sich als unmittelbare Belege für die aufgestellte These berufen muss, gibt es keine Argumentation. Schlußregel und Stützung sind demgegenüber in argumentativ verfahrenden Texten der Alltagssprache häufig nicht ausgedrückt; sie sind dann aber implizite (mitzudenkende) Glieder der Argumentation und müssen in der Argumentationsanalyse explizit gemacht werden“ (Brinker 2005: 81).
Auch Bayer (2007) gibt zu bedenken, dass in der Praxis Argumente (im Sinne seiner Definition) und ihre Bestandteile oft nicht als Argumente erkennbar bzw. || Eggs (2000: 405) hält diesen Begriff allerdings für überflüssig und ist der Meinung, dass die „Abstützungen“ (backing) keine speziellen Elemente einer Argumentation darstellen, sondern nur zusätzliche Argumente sind. 41
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analysierbar sind. Prämissen und Konklusion können zudem in unterschiedlichen Reihenfolgen auftreten (vgl. Bayer 2007: 91). Dies sollte bei der Analyse von argumentativen Texten stets berücksichtigt werden. Es erscheint somit schwierig, argumentative Texte anhand mehr oder weniger starrer Schemata vollständig erfassen zu wollen. Im schulischen Kontext ist darüber hinaus die Unterscheidung von epistemisch-heuristischem und persuasivem Argumentieren relevant. Nach Winkler spielen beim Argumentieren drei Einflussgrößen eine Rolle: „Gegenstand“, „Sprecher/Schreiber“ und „Adressat“ (Winkler 2003: 26). Beim epistemischheuristischem Argumentieren haben die Argumentierenden noch keine festgelegte Meinung gegenüber dem Argumentationsgegenstand, durch das Argumentieren soll erst zu einer Haltung gefunden werden. Dabei wird vorhandenes Wissen neu strukturiert und neues Wissen erschaffen (vgl. Winkler 2003: 35). Hat das Argumentieren einen persuasiven Zweck, so „rücken die Argumentationsteilnehmer und das Verhältnis, das sie im Punkte der res dubia zueinander haben, in den Mittelpunkt“ (Winkler 2003: 42, Hervorhebung im Original). „Wird argumentiert, um einen oder mehrere Adressaten dazu zu bewegen, die Haltung des Sprechers/Schreibers bezüglich der res dubia zu übernehmen und ggf. entsprechend zu handeln, spreche ich von persuasivem Argumentieren“ (Winkler 2003: 51, Hervorhebung im Original). Dementsprechend findet beim persuasiven Argumentieren eine starke Orientierung am Adressaten statt, die sich in der Wahl und Darstellung der Argumente und der Antizipation von möglichen Gegenargumenten niederschlägt. Winkler betont jedoch, dass persuasives und heuristisches Argumentieren nicht immer klar voneinander zu trennen sind und sich in der Praxis häufig überschneiden (vgl. Winkler 2003: 50). „Die Funktion einer Argumentierhandlung kann umfassender sein als ihr Zweck. So kann Voraussetzung für persuasives Argumentieren ein heuristischer Prozess sein, durch den der Sprecher/Schreiber erst zu einer entschiedenen Haltung bezüglich der res dubia gelangt. In diesem Sinn kann Argumentieren mit persuasivem Zweck auch eine heuristische Funktion erfüllen“ (Winkler 2003: 51, Hervorhebung im Original).
Da es sich bei dieser Arbeit nicht um eine argumentationstheoretische Untersuchung handelt und bei der Textanalyse die Struktur der Argumente nur eine untergeordnete Rolle spielt, erscheint es abschließend sinnvoll, den Begriff des Arguments im Sinne einer Prämisse zu verwenden. Außerdem sollen die Textprodukte dieser Studie als argumentative Texte bezeichnet werden, in denen die sprachliche Handlung der Argumentation nachvollzogen werden kann. Konstitutiv für argumentative Texte ist das Vorkommen von einem Argument oder mehreren Argumenten und einer Konklusion, die eine Position in Hinblick auf eine bestimmte strittige Frage zum Ausdruck bringt. Es wird überdies davon
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ausgegangen, dass argumentative Texte auch Gegenargumente enthalten können. Dieser Punkt wird in Kapitel 4.4.4 weiter ausgeführt.
4.3.1.2 Bezug zum Lehrplan und zum Deutschunterricht Im Bremer Bildungsplan für das Fach Deutsch an Gymnasien für die Jahrgangsstufen 5 bis 10 ist nachzulesen, dass die SchülerInnen am Ende der Klasse 6 dazu in der Lage sein sollen, „ihre Meinung zu einem Text auf[zu]schreiben und begründet Stellung [zu] nehmen“ (Senator für Bildung und Wissenschaft 2007: 20). Schon ab der 5. Klasse wird hier in dem Themenbereich „Mit Sprache Kommunikation gestalten“ die „Darlegung von Einsichten, Stellungnahmen und Arbeitsergebnissen“ und „argumentierendes und rhetorisches Sprechen und Schreiben“ (Senator für Bildung und Wissenschaft 2007: 12) eingeübt. Bis zum Übergang in die gymnasiale Oberstufe soll dann der Aufbau einer Argumentation mit „These“, „Argument“ und „Beweis“ sowie die „Grundzüge erörternder Verfahren bei freien und textgebundenen Erörterungen“ erarbeitet worden sein, zu Letzteren gehören die „Gliederung der Erörterung“, die „Anordnung der Argumente“, „Schlussfolgerungen aus Argumenten ziehen“ und „eine eigene Meinung herleiten“ (Senator für Bildung und Wissenschaft 2007: 12). In der gymnasialen Oberstufe schließlich gehört es laut Bremer Lehrplan42 zu den Zielen des Deutschunterrichts, die SchülerInnen dazu anzuleiten, „in Wort und Schrift Probleme zu erörtern, begründet Stellung zu nehmen und Konflikte zu regeln“ (Senator für Bildung und Wissenschaft 2003: 14). Die Fähigkeit zum schriftlichen Argumentieren wird nun als Teil einer für den Beruf und für das Studium relevanten „flexiblen Schreibfähigkeit“ angesehen. Zu dieser Fähigkeit gehört es, „sich auf unterschiedliche Adressaten einzustellen, zwischen wissenschaftlichen und journalistischen Texten zu unterscheiden, Reden zu verfassen und in Leserbriefen und Kommentaren wertend Stellung nehmen zu können. Diese Schreibformen tauchen in den gestaltenden Schreibaufgaben des Abiturs wieder auf. Untersuchendes und erörterndes Schreiben setzt die Fähigkeit voraus, nicht nur Texte, sondern auch Bildmaterial, Statistiken und Diagramme beschreiben und auswerten zu können, Lernergebnisse zusammen-
|| 42 Der Bremer Lehrplan für den Deutschunterricht der gymnasialen Oberstufe (Senator für Bildung und Wissenschaft 2003), aus dem hier zitiert wird, ist im Schuljahr 2011 durch einen neuen Bildungsplan abgelöst worden (Senatorin für Bildung und Wissenschaft 2008). Da die Datenerhebung dieser Studie aber 2009 und 2010 erfolgte, wurden die SchülerInnen dieser Studie auf Grundlage des Lehrplanes von 2003 unterrichtet. Er soll deshalb sowohl für die argumentativen Texte als auch für die Zusammenfassungen (s. Kapitel 4.3) als Bezugsrahmen gelten.
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zufassen und in Kontexte einzuordnen, sich mit Meinungen argumentativ auseinander zu setzen und Standpunkte überzeugend darzulegen“ (Senator für Bildung und Wissenschaft 2003: 19).
Die Beherrschung der „großen“, abiturrelevanten Schreibformen, wie z.B. der Erörterung, soll durch das Einüben kleinerer Schreibformen angebahnt werden, zu denen auch der Leserbrief gehört (vgl. Senator für Bildung und Wissenschaft 2003: 19). Wie bereits erwähnt, wurde der Leserbrief auch in der vorliegenden Studie als Aufgabenformat für die Datenerhebung gewählt. Unter Berücksichtigung der Vorgaben in den Lehrplänen ist unter normativen Gesichtspunkten also davon auszugehen, dass die Lernenden in der 11. und spätestens in der 13. Klasse schon über entwickelte Fähigkeiten im schriftlichen Argumentieren verfügen. Diese sind nicht zuletzt auch Voraussetzung für das Verfassen von wissenschaftlichen Texten im Rahmen eines Hochschulstudiums. Dementsprechend hält Kruse (2007) es aus Sicht der Hochschuldidaktik für wünschenswert, dass Studienanfänger u.a. über folgende (Schreib-)Kompetenzen verfügen: „eine These formulieren und sie mit logischen Argumenten stützen, Gegeneinwände fair wiedergeben und mit Argumenten widerlegen; die Wirksamkeit von Argumenten abschätzen“ (Kruse 2007: 136). Anders als in den Lehrplänen, wo Gegenargumente keine Erwähnung finden, nennt Kruse die Einräumung und Entkräftung von Gegenargumenten damit explizit als Kompetenzbereich. Welche Bedeutung die Nennung von Gegenargumenten hat und welche anderen Einzelkompetenzen für das schriftliche Argumentieren relevant sind, ist Thema des nächsten Abschnitts.
4.3.1.3 Anforderungen beim schriftlichen Argumentieren Der Erwerb der Fähigkeit, schriftlich zu argumentieren, ist für ein Individuum nicht nur eine höchst relevante, sondern auch eine komplexe Aufgabe. Das erklärt sich vor allem dadurch, dass – anders als in Erzählungen, Beschreibungen und Instruktionen – in der schriftlichen Argumentation ein „textunabhängiger Sachverhalt“ fehlt (Becker-Mrotzek & Böttcher 2006: 74). Dieser Sachverhalt muss in der schriftlichen Argumentation erst hergestellt werden, und das erfordert das Zusammenspiel unterschiedlicher Kompetenzen. Winkler (2003: 82f.) geht davon aus, „dass Argumentieren eine sprachliche Handlung ist, die von einem Gegenstand, einem Sprecher/Schreiber und einem Adressaten bestimmt ist und innerhalb eines Rahmens kollektiv geltender Werte und Normen stattfindet“. Dementsprechend spielen beim mündlichen und schriftlichen Argumentieren vier Kompetenzen eine Rolle: die „Sachkompetenz“, die „sprachliche Kompetenz“, die „moralische Kompetenz“ und die „sozial-
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kommunikative Kompetenz“ (Winkler 2003: 82f.). Für das Argumentieren im Medium der Schrift müssen diese Kompetenzen allerdings noch weiter differenziert werden und insbesondere die sozial-kommunikative Kompetenz gewinnt an Bedeutung, da ein Adressat überzeugt werden soll, dessen Einstellungen, Erwartungen und Einwände unbekannt sind und erst antizipiert werden müssen: „Skilled writers have a sense of their audience and know that they need to address certain issues. In addition to being open minded, authors include other side arguments for the following reasons, to rebut them, to increase author credibility, and to minimise the impact of other side points by framing them in the best possible light“ (Wolfe & Britt 2008: 2).
In der Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass diese Perspektivenübernahme und -integration eine besonders große Herausforderung darstellt und in der Schreibentwicklung spät erworben wird (vgl. Bernardi & Antolini 1996; Feilke 2010a, b; Golder & Corier 1996; Rezat 2011). In der anglo-amerikanischen Literatur wird von der myside bias gesprochen, wenn in schriftlichen Argumentationen ausschließlich Argumente genannt werden, welche die eigene Position unterstützen: „Our approach is to define the myside bias in written argumentation as the failure to include any reference to other side arguments or positions“ (Wolfe & Britt 2008: 3). Es ist jedoch bekannt, dass Argumentationen besonders überzeugend sind, wenn Gegenargumente sowohl genannt als auch widerlegt werden (O’Keefe 1999; Wolfe, Britt & Butler 2009). Feilke unterscheidet für das schriftliche Argumentieren zwischen „argumentativen Grundkompetenzen“ und „genuin konzeptionell literalen Kompetenzen“ (Feilke 2010a: 155, 2010b: 217). Zu den argumentativen Grundkompetenzen gehört die Kenntnis von Werten und Normen, Weltwissen und Typenkenntnis, Sprachwissen und Argumentstrukturkenntnis sowie TopikKenntnisse. Diese Wissensbestände decken sich im Großen und Ganzen mit der Sach- und der sprachlichen und moralischen Kompetenz für das Argumentieren bei Winkler (2003). Bei den konzeptionell literalen Kompetenzen kommen jedoch drei Anforderungsbereiche hinzu, die den „Ausbau im Übergang zur Distanzkommunikation“ (Feilke 2010b: 216) bestimmen und die Feilke (Feilke 2010b: 217) „Alterisierung“, „Referentialisierung“ und „Textualisierung“ nennt. Zum einen muss eine Anpassung an den Adressaten, eine „textpragmatische Differenzierung“ (Alterisierung) stattfinden, dies geschieht z.B. durch die pragmatische Rahmung des Textes oder eine explizite Ansprache des Lesers (vgl. Feilke 2010b: 217). Die kommunikative Nähe, die hierbei erzeugt wird, steht jedoch unter Umständen, zum Beispiel beim schriftlichen Argumentieren in wissenschaftlichen Texten, in einem Spannungsverhältnis zu der hier gel-
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tenden Maxime der Sachlichkeit und Unpersönlichkeit (vgl. Feilke 2010b: 214). Was die inhaltliche Dimension betrifft (Referentialisierung), so müssen Argumente hinzugefügt und ausgeweitet werden. Dies setzt wiederum das Vorhandensein des entsprechenden Weltwissens und von „Makroschemata der Anreicherung eines Arguments mit Weltwissen“ (Feilke 2010a: 156) voraus. Zentral für die Fähigkeit zum schriftlichen Argumentieren ist für Feilke schließlich die Textualisierung: „Sie ist das integrative Moment sowohl des Bezugs auf die Sachen (Referentialisierung) als auch auf die Interaktionsregulierung und des kommunikativen Bezugs auf den Adressaten (Alterisierung). Bezogen auf argumentative Texte steht hier zentral die Fähigkeit zu kontroversem Argumentieren“ (Feilke 2010b: 218, Hervorhebung im Original).
Für die Textualisierung ist die Beherrschung von Mitteln des kontroversen, konzessiven und hypothetischen Argumentierens notwendig (vgl. Feilke 2010a: 156, 2010b: 218).43 Von besonderem Interesse ist dabei das konzessive Argumentieren, da es den Schreiber vor die schwierige Aufgabe stellt, „gleichermaßen konzeptionell schriftlich und dialogisch-kontrovers zu argumentieren“ (Feilke 2010b: 218). „Textlich betrachtet, geht es beim Argument um monologisch bestimmte Begründungen, während im Unterschied dazu jede Argumentation notwendig zumindest virtuell dialogisch verfahren muss. Exemplarisch kann man sich das an der Kategorie der Konzessivität deutlich machen: Für die Logik eines Arguments, dessen Haltbarkeit, Widerspruchsfreiheit und Relevanz spielt Konzessivität keine Rolle. Pragmatisch aber und unter dem Gesichtspunkt einer interaktiven Argumentation ist es geradezu elementar, dem anderen argumentativ entgegenkommen zu können, ihm ein Zugeständnis machen zu können und gleichwohl das eigene Ziel nicht aus den Augen zu verlieren“ (Feilke 2010a: 154).
Feilke zählt das konzessive Argumentieren zu den „literalen“ oder „textbildenden argumentativen Prozeduren“ (Feilke 2010c: 11). Dabei handelt es sich um sprachliche Mittel, die für die schriftliche Kommunikation typisch sind und eine konstitutive Funktion bei der Erzeugung eines argumentativen Textmusters einnehmen (vgl. Feilke 2010c: 4). Diese Prozeduren sollen deshalb bei der qualitativen Analyse der Texte näher betrachtet werden (s. Kapitel 6.7). Vorher wird
|| 43 Dabei macht Feilke (2010a, b) nicht klar, wie kontroverses und konzessives Argumentieren voneinander abzugrenzen sind. Ich gehe davon aus, dass das kontroverse Argumentieren einen Überbegriff darstellt, und in einer kontroversen Argumentation zwei unterschiedliche Positionen thematisiert werden, es existieren also eine These und eine Gegenthese. Im Rahmen einer kontroversen Argumentation kann konzessiv argumentiert werden, indem Gegenargumente genannt und entkräftet werden.
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in Kapitel 4.4.4 jedoch noch beschrieben, was über die Ontogenese der konzessiven Argumentationskompetenz bekannt ist.
4.3.2 Zusammenfassungen Neben der Aufgabe, einen argumentativen Text zu verfassen, wurde den SchülerInnen und Studierenden im Rahmen dieser Studie ein expositorischer Text zum Thema Bildung vorgelegt, der zusammengefasst werden sollte. In diesem Kapitel soll geklärt werden, warum diese Aufgabe gewählt wurde, was unter einer Zusammenfassung zu verstehen ist und welche Rolle das Zusammenfassen in Schule und Hochschule spielt.
4.3.2.1 Begriffsbestimmung Obwohl die Schreibaufgabe zur Zusammenfassung im Rahmen dieser Arbeit keinen didaktischen Zweck verfolgte, sondern der Erhebung empirischer Daten in Form von schriftlichen Textzusammenfassungen dienen sollte, können die auf diese Weise entstandenen Textprodukte in Anlehnung an Steets (2004) am ehesten dem Typ der Zusammenfassung als didaktischer Textart zugerechnet werden.44 Diese zeichnet sich dadurch aus, dass „die wesentlichen Inhalte eines Sachtextes oder eines wissenschaftlichen Textes […] von einem Schreiber, der nicht der Autor des Primärtextes ist, in komprimierter Form dargestellt [werden]. Die Funktion einer solchen Zusammenfassung ist, das Textverständnis zu festigen und den gelesenen Text gegebenenfalls für eine Diskussion, Analyse, Interpretation (bei literarischen Texten) verfügbar zu machen. Darüber hinaus sollen der Blick für das Wesentliche geschärft und die Fähigkeit der knappen und genauen sprachlichen Darstellung entwickelt und geübt werden“ (Steets 2004: 313).
Eine Zusammenfassung im o.g. Sinne erfüllt also nicht unbedingt eine kommunikative Funktion, sondern kann auch der Förderung mentaler und sprachlicher Qualifikationen und der Vorbereitung von komplexen Schreibaufgaben dienen. Gleichzeitig bezeichnet der Terminus Zusammenfassung auch eine
|| Neben der Zusammenfassung als didaktischer Textart gibt es laut Steets als weitere Typen die Zusammenfassung als eine „eigenständige Textart in der Wissenschaftskommunikation“ (damit sind vor allem Abstracts gemeint, die wissenschaftlichen Artikeln vorangestellt werden), als „Teiltext in wissenschaftlichen Texten“ (zum Abschluss von Texten oder Kapiteln), und als „Oberbegriff für zusammenfassende Textarten“ (Abstract, Inhaltsangabe, Exzerpt usw.; Steets 2004: 311–312). 44
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sprachliche Handlung, die in allen „kondensierenden sekundären Textarten zum Einsatz kommt“ (Steets 2004: 313). Die komprimierenden Textarten, zu denen Steets die Zusammenfassung, aber auch Exzerpt, Mitschrift und Protokoll zählt, nehmen im universitären Kontext und damit auch in der Propädeutik des wissenschaftlichen Schreibens eine zentrale Rolle ein. Die Produktion von Exzerpten an der Universität hat das Ziel, Informationen aus dem Primärtext bei gleichzeitigem Erhalt der Informationsqualität zu reduzieren und zur Weiterverarbeitung, z.B. zur Vorbereitung eines Referates oder zur Integration in einen eigenen Text, nutzbar zu machen (vgl. Ehlich 1981: 381). Das Exzerpt45 dient somit der „Optimierung des Wissenstransfers“ (Ehlich 1981: 382) und hat deshalb überall dort eine große Bedeutung, „wo in relativ kurzer Zeit viel theoretisch zusammengefasstes Wissen zur Kenntnis genommen und in individuelles Wissen eines Lernenden umgewandelt werden muss“ (Ehlich 1981: 381) – also auch in der Sekundarstufe I und in der gymnasialen Oberstufe. Berkemeier (2010) macht zudem darauf aufmerksam, dass sogar bereits in der Grundschule die Komprimierung von Texten anhand der Generierung von Stichwörtern geübt werde. „Texte zu verstehen und Wissen zu formulieren“ (Berkemeier 2010: 212) gelte mittlerweile in allen Schularten als zentrale Qualifikation und tauche in den Bildungsplänen auf, allerdings ohne, dass bisher das nötige empirisch abgesicherte Wissen zur Vermittlung dieser Kompetenzen vorläge.
4.3.2.2 Bezug zum Lehrplan und zum Deutschunterricht Ein Blick in den Bremer Rahmenlehrplan für das Fach Deutsch in der Sekundarstufe II zeigt, dass das Zusammenfassen als sprachliche Handlung in die Produktion unterschiedlichster schulischer Textsorten eingebettet ist. Als Teil einer Erörterung wird eine Textzusammenfassung in Form einer „sachgerechte[n] Wiedergabe der Hauptgedanken, Argumente und ggf. Struktur des Textes“ gefordert (Senator für Bildung und Wissenschaft 2003: 18f.). Das Exzerpieren wird als „wichtiges Handwerkszeug“ und als eine zu praktizierende Methode „der Informationsbeschaffung und -verarbeitung“ aufgeführt (Senator für Bildung und Wissenschaft 2003: 16). Die Inhaltsangabe findet z.B. als sog. „kleine Schreibform“ Erwähnung. Sie soll auf größere abiturspezifische Schreibformen (Textinterpretation, -analyse, Erörterung, gestaltende Erschließung literarischer
|| 45 In anderen Aufsätzen wird der Begriff Exzerpt sowohl für zusammenhängende, ausformulierte Texte (Fix & Dittmann 2008) als auch für die Generierung von Stichwortsammlungen (Berkemeier 2010) benutzt.
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Texte und von Sachtexten etc.) vorbereiten. Schubert-Felmy (2008) beschreibt die Anforderungen dieser Textsorte folgendermaßen: „Der Rezipient verschafft sich Klarheit über die für ihn wesentlichen Aussagen des Textes und stellt sich diese mit Hilfe seiner Imaginationskraft vor. Welche Aussagen wesentlich sind, lässt sich nicht allgemeingültig feststellen. Die Behauptung, dass die Inhaltsangabe einem objektiven Zugriff entspricht, ist von daher zu bestreiten. Die schriftliche Inhaltsangabe wird mit folgenden Vorgaben verlangt: Knappe Wiedergabe der Hauptaussagen, Zeitform Präsens, Vermeidung der direkten Rede sowie Genauigkeit und Sachlichkeit im Ausdruck. Der Verfasser einer Inhaltsangabe weiß, dass er als Beurteilender nicht gefragt ist, sondern dass er sich um Objektivität und Sachlichkeit bemühen muss“ (SchubertFelmy 2008: 116).
Obwohl die Inhaltsangabe in vielen Lehrplänen und Standards Erwähnung findet, ist ihre curriculare Einbindung, aber auch ihre konkrete Funktion und ihre Rolle in unterrichtlichen Lernprozessen weitestgehend unklar (vgl. Kämper-van den Boogaart 2008: 41). Sie sieht sich darüber hinaus dem Vorwurf ausgesetzt, auf schulische, und nicht auf kommunikative Belange ausgelegt zu sein. So konstatiert auch Kämper-van den Boogaart, dass Inhaltsangaben in ihrer Reinform „abgesehen von Opernführern und Ähnlichem außerhalb der Schule so kaum vorkommen“ (Kämper-van den Boogaart 2008: 41). In der Sekundarstufe II gewinnt die epistemische Funktion des Schreibens und damit auch die Verarbeitung von expositorischen Texten zunehmend an Bedeutung. Matthiessen (2008) spricht hierbei von „informierendem Schreiben“: „Im Rahmen komplexer Aufsatzformen, zum Beispiel beim Analysieren, Erschließen, Interpretieren, gehört die Textzusammenfassung zu einer zentralen Qualifikation, die den Ausgangspunkt für so verschiedene Operationen wie Auswertung, Vergleich und Beurteilung bildet. Informierendes Schreiben zielt auf das Erfassen des Inhalts, die Rekonstruktion der Zusammenhänge und auf Objektivierung. In der Sekundarstufe II bereitet es Analyse und Interpretation vor. Es schult die Fähigkeit, Textinhalte zu abstrahieren und sachlich distanziert darzustellen“ (Matthiessen 2008: 142).
Texte werden in der Sekundarstufe II vor allem mit dem Ziel zusammengefasst, das eigene Wissen zu erweitern und die Zusammenfassungen für die eigene Textproduktion nutzen zu können, so z.B. im Rahmen einer Facharbeit. An der Hochschule ist die Einbindung (zusammengefasster) Fachtexte in die eigene Textproduktion schließlich eine zentrale Technik des wissenschaftlichen Arbeitens, die wissenschaftliches Lernen erst ermöglicht.
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4.3.2.3 Anforderungen beim Zusammenfassen Trotz der Bedeutung des Zusammenfassens für das Lernen in Schule und Hochschule gibt es Hinweise darauf, dass SchülerInnen und Studierende oft nur über unzureichende Fähigkeiten für die Produktion von Zusammenfassungen verfügen. In Abhängigkeit von der Komplexität des Textes können auch erwachsene und erfahrene Schreiber beim Zusammenfassen noch auf Schwierigkeiten treffen. Laut Keseling (1993) treten vor allem folgende Probleme auf: „Es scheint ‚schwer‘ oder nicht selbstverständlich zu sein, beim Zusammenfassen eines Textes eine exteriorisierten Schreibplan herzustellen, i.e. den Primärtext in Hinblick auf die Aufgabe zu lesen, ihn aufgabenspezifisch zu markieren und Notizen dazu anzufertigen. Es scheint ebenfalls ‚schwer‘ zu sein, im Primärtext wichtige von unwichtigen Informationen zu unterscheiden, die Struktur dieses Textes zu erkennen und strukturierende Ausdrücke zu markieren oder zu notieren, Informationen aus verschiedenen Textteilen zu kombinieren, sie in eigenen Worten wiederzugeben, zusammenfassende Ausdrücke nicht nur aus dem Primärtext zu übernehmen, sondern solche selbst zu formulieren und eine kurze Zusammenfassung zu schreiben“ (Keseling 1993: 14f., Hervorhebung im Original).
Ebenso konstatieren Fix und Dittmann (2008) in ihrer Studie zu Exzerpten von OberstufenschülerInnen, dass die in der Schule erworbenen Exzerpierkenntnisse der von ihnen untersuchten Gruppe den Anforderungen der Universität nicht genügen (vgl. Fix & Dittmann 2008: 28). Darüber hinaus kommen sie zu dem Ergebnis, dass sich die Schwierigkeiten beim Exzerpieren nicht primär auf mangelndes Textverständnis zurückführen lassen, sondern vielmehr auf die „unzureichenden Kenntnisse davon, wie gute Exzerpte anzufertigen sind“ (Fix & Dittmann 2008: 28). In der Tat stellt die Produktion von Zusammenfassungen bzw. Exzerpten eine besondere Herausforderung dar: Der Primärtext soll einerseits verkürzt und dabei inhaltlich und sprachlich abstrahiert, andererseits aber auch sinngemäß und vollständig reproduziert werden. Dafür muss der Schreiber eine angemessene mentale Repräsentation des Textes bilden und während des Schreibprozesses in das Medium des Textes überführen. Das aus der Kognitionspsychologie stammende Makrostruktur-Modell (Kintsch & van Dijk 1978, van Dijk 1980) bietet einen Erklärungsansatz dafür, aus welchen Einheiten diese Textrepräsentation besteht, und wie diese gebildet werden. In dem Modell wird davon ausgegangen, dass der Leser zur Herstellung einer mentalen Repräsentation des Textes sog. Makrostrukturen bildet, indem er Makroregeln (macro-operators) anwendet und unter Einbezug seines Weltwissens Informationen aus dem Text reduziert und organisiert. „Entsprechend gilt die Makrostrukturbildung als ein konstruktiver Prozeß der Bedeutungsreduktion“ (Christmann & Groeben 1999: 166). Als Basiseinheit des Textverste-
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hens gilt die Proposition, eine semantische Grundeinheit oberhalb der Wortebene, die aus einem Prädikat („a concept of property or relation“) und einem Argument („a concept of an individual“) besteht (vgl. van Dijk & Kintsch 1983: 113). Aus Mikropropositionen werden Makropropositionen abstrahiert, diese wiederum können zu einer Makrostruktur zusammengefügt werden. Makrostrukturen sind somit auf der Ebene von Textabschnitten angesiedelte Propositionen, die den Textinhalt repräsentieren. Durch die rekursive Anwendung der Makroregeln werden die Makrostrukturen sukzessive verdichtet und weiter abstrahiert, wobei die globalste Makrostruktur schließlich das Textthema abbildet. Allerdings ist es möglich, dass der Reproduzent durch den Primärtext so stark überfordert ist, z.B. aufgrund eines mangelnden Wortschatzes, dass er eine unvollständige oder falsche Repräsentation des Textes aufbaut. Dies kann insbesondere auf Lerner mit Deutsch als Zweitsprache zutreffen, für die sich auf verschiedenen sprachlichen Ebenen (u.a. Syntax, Lexik) Hürden beim Verstehen eines Textes ergeben können. Berkemeier (2010) weist zudem darauf hin, dass zwar die mentale Rekonstruktion der Textstruktur gelingen, jedoch die Versprachlichung dieser Wissenselemente zu Schwierigkeiten führen kann (vgl. Berkemeier 2010: 216, 219). In den Zusammenfassungen der von ihr untersuchten HauptschülerInnen einer 6. Klasse, die Deutsch als Zweitsprache haben und die sie als „schwach“ und im Schreiben von Zusammenfassungen „ungeübt“ beschreibt (Berkemeier 2010: 217), beobachtet sie dementsprechend Folgendes: „Mitunter werden ganze Sätze kopiert, falsche oder zu wenige Wissenselemente getilgt, ausgewählte Wissenselemente werden falsch oder gar nicht verknüpft, sprachliche Mittel werden ohne grammatisch oder lexikalisch ökonomische Umformungen übernommen“ (Berkemeier 2010: 215).
Hornung (2010) zeigt in ihrer Untersuchung von Exzerpten46 von mehrsprachigen SchülerInnen einer 11. Klasse in Zürich, dass auch in der Oberstufe noch derartige Strategien eingesetzt werden. Sie identifiziert in den Exzerpten eine quasi ontogenetische Hierarchie der Verarbeitungsstrategien, bestehend aus der Abfolge der Strategien „Vermeiden“47, „Abschreiben“48, „Puzzeln“, „Umschreiben und Reformulieren“, „Recherchieren und Kommentieren“ (Hornung
|| Mit Exzerpt ist bei Hornung (2010) die Generierung von Stichwörtern gemeint, also nicht die Produktion eines zusammenhängenden Textes wie z.B. bei Ehlich (1981). 47 Vergleichbar mit dem Tilgen bei Berkemeier (2010). 48 Vergleichbar mit dem Kopieren bei Berkemeier (2010). 46
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2010: 148), deren Einsatz mit unterschiedlichen Sprachständen in der Zweitsprache einhergeht. Dabei findet im Verhältnis zu den anderen Strategien die Vermeidungsstrategie, d.h. relevante Informationen werden ausgelassen, am häufigsten Anwendung.49 Beim Abschreiben hingegen werden laut Hornung zwar ganze Sätze oder Satzteile kopiert, die Leistung besteht jedoch darin, dass sie zumindest vorher als zentrale Aussagen des Primärtextes identifiziert wurden (vgl. Hornung 2010: 148). Die erfolgversprechendste und der Aufgabenstellung angemessenste Strategie des Umschreibens und Reformulierens versteht sie als „qualitativen Sprung in Richtung Erwerb der anderen Sprache“ (Hornung 2010: 156). Diese Strategie scheint sich aus der Strategie des Puzzelns heraus zu entwickeln, bei der zwar noch Stichwörter und Formulierungen direkt übernommen, aber bereits eigenständig zusammengesetzt und ergänzt werden. Beim Einsatz der Strategien Umschreiben und Reformulieren deutet sich schließlich ein souveräner Umgang mit den Wissenselementen aus dem Primärtext an: „Man verfügt bereits über ein gewisses Repertoire an allgemeiner Wissenschaftssprache, das es erlaubt, den gelesenen und ausgewählten Hauptpunkten und Stichworten eine eigene adäquate sprachliche Form zu geben“ (Hornung 2010: 156). Quantifizierbare Aussagen lassen sich allerdings anhand der von Hornung gemachten Beobachtungen nicht treffen, und es bleibt empirisch zu überprüfen, inwieweit diese Strategien nicht genauso von einsprachigen SchülerInnen eingesetzt werden.50 Es ist deutlich geworden, dass der Vorgang des Zusammenfassens aufgrund der Verflechtung textrezeptiver und textproduktiver Prozesse hohe sprachliche und kognitive Anforderungen an die schreibende Person stellt, zumal wenn die Sprache des Ausgangs- und Zieltextes für sie eine Zweitsprache ist. Die Produktion einer Zusammenfassung erfordert bestimmte sprachliche Mittel, die zunächst einmal vom Primärtext abhängig sind. Dies gilt insbesondere für die lexikalische Ebene, hier müssen für die Komprimierung des Textes ggf. semantisch passende Symbolfeldausdrücke (z.B. Hyperonyme, Synonyme) gefunden werden (vgl. Berkemeier 2010: 215). Da die Reduktion von Formulierungen angestrebt wird, bietet sich ein ökonomisches Vorgehen an, z.B. durch die Bildung von Nominalisierungen oder mehrfach komplexer Nominalphrasen (vgl. Ber|| 49 Wie genau Hornung den Anteil der unterschiedlichen Verarbeitungsstrategien in den Texten misst, wird allerdings nicht deutlich. 50 Schließlich entsprechen die von Hornung (2010) durch Korrelate an der sprachlichen Oberfläche identifizierten Strategien ja im Großen und Ganzen einer Rekonstruktion der von Kintsch & van Dijk (1978) und van Dijk (1980) postulierten Makroregeln, die als konstitutiv für Verstehensprozesse im Allgemeinen gelten können.
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kemeier 2010: 215). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Gebrauch komplexer syntaktischer Strukturen in den Zusammenfassungen mit dem Ausbau der Schreibfähigkeiten ansteigt.
4.4 Schreibentwicklung Ziel der vorliegenden Studie ist, anhand der Analyse von Schreibprodukten Aussagen über die Schreibfähigkeit von ein- und mehrsprachigen Textproduzenten unterschiedlicher Altersgruppen zu treffen. Doch inwieweit ist es überhaupt möglich und legitim, von Schreibprodukten auf Schreibkompetenzen zu schließen? Diese Frage muss gerade in einer empirischen Untersuchung, deren hauptsächliche Datengrundlage aus elizitierten Schreibprodukten (s. Kapitel 6.2.2 zu den Schreibaufgaben) besteht, thematisiert werden, auch wenn Pohl und Steinhoff (2010: 21) zu Recht anmerken, dass die Feststellung, dass es sich bei Kompetenz-Konzepten um Konstrukte handelt, „mittlerweile zu einem fachdidaktischen Gemeinplatz geworden“ ist. Nach der Beantwortung der Frage zur Legitimität der Analyse von Schreibprodukten werde ich in diesem Kapitel außerdem unterschiedliche Modelle zur Schreibentwicklung vorstellen und in Hinblick auf ihre Relevanz für die vorliegende Arbeit diskutieren. Überdies sollen als Indikatoren für Schreibentwicklung die syntaktischen Schreibfähigkeiten und die schriftliche Argumentationskompetenz näher erläutert werden.
4.4.1 Schreibprodukte als Indiz für Schreibentwicklung Feilke und Augst konstatieren 1989, dass bis dato insgesamt, aber besonders für den deutschsprachigen Raum, nur wenige Untersuchungen zur Schreibentwicklung und noch keine ausgereiften theoretischen Modelle zum Schriftspracherwerb51 vorliegen. Sie führen dies auf den dominierenden Einfluss der kognitiven Psychologie auf die Schreibforschung in den 1980er Jahren und die in dieser Zeit vorherrschende Prozessorientierung zurück (vgl. Feilke & Augst 1989: 298). Diese muss als Reaktion auf eine ursprünglich sehr stark linguistisch ausgerichtete Orientierung auf den Satz als Hauptuntersuchungseinheit des Textes verstanden werden (vgl. Eigler 1996: 994; Feilke 1996b: 1178). Gleichzeitig stellen Feilke und Augst fest, dass die Schreibprozessforschung gleichsam den Weg
|| Damit ist hier der Schriftspracherwerb im weiteren Sinne gemeint, also über das Erstlesen und -schreiben hinaus die Aneignung von konzeptionell-schriftlichen Fähigkeiten.
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geebnet hat, um auf Grundlage ihrer Ergebnisse nunmehr die produkt- und entwicklungsorientierte Forschung voranzutreiben (vgl. Feilke & Augst 1989: 298). Linguistisch orientierte Analyseverfahren gewinnen in der Folge erneut an Bedeutung (vgl. Eigler 1996: 994). Feilke & Schmidlin (2005) beobachten in der Schreibforschung zudem eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit seit den 1990er Jahren, in Deutschland vor allem zwischen der Linguistik und der Didaktik (vgl. Feilke & Schmidlin 2005: 9). Nach Feilke (1993) ist das Ziel der Schreibentwicklungsforschung „die theoretische Modellierung und empirische Erfassung der Entwicklung einer textuellen Handlungskompetenz im Medium geschriebener Sprache einschließlich der dazugehörigen strukturorientierten und prozessualen Schreibkompetenzen“ (Feilke 1993: 18). Die Erforschung von Textprodukten und von Schreibentwicklungsprozessen anhand dieser Textprodukte hat sich mittlerweile innerhalb der Schreibforschung etabliert, und es wurden zahlreiche Studien zur Schreibentwicklung vorgelegt, zuletzt u.a. zur Entwicklung von Textsortenkompetenz im Grundschulter (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007). Erfreulich ist, dass auch ältere Schreibende langsam in den Fokus von Untersuchungen geraten, wie in den Studien von Pohl (2007) und Steinhoff (2007) zum wissenschaftlichen Schreiben.52 Generell sieht man sich bei der Analyse von Schreibprodukten der Schwierigkeit ausgesetzt, dass immer nur bedingt Aussagen darüber gemacht werden können, „ob die sich an der Textoberfläche abzeichnenden Regelmäßigkeiten in einem Zusammenhang mit einem entsprechenden Wissen des Textproduzenten und dem strategischen Gebrauch dieses Wissens durch den Textproduzenten stehen“ (Eigler 1996: 994). Bei Texten handelt es sich lediglich um die Manifestation konkret aktualisierter Schreibfähigkeiten, also um ein Phänomen der Performanz, das von vielen unterschiedlichen Faktoren wie der Schreibaufgabe, der Motivation und Tagesform des Schreibers etc. beeinflusst wird und auf dessen Grundlage nur bedingt Aussagen über die zugrundeliegende Schreibkompetenz gemacht werden können. Doch nur über die Performanz kann empirisch Zugang zur Kompetenz gefunden werden: „Kompetenz zeigt sich ausschließlich in Performanz“ (Pohl & Steinhoff 2010: 21, Hervorhebung im Original). Dass diese Tatsache Konsens in der Schreibforschung ist, zeigt sich z.B. auch in der Konzeption der Testmodule zur Textproduktion im Rahmen der DESI-Studie: Hier wird davon ausgegangen, dass „im Sinne des KompetenzPerformanz-Modells“ die gezeigten Schreibleistungen als Indikator für eine
|| 52 Für einen Forschungsüberblick siehe die Zusammenfassungen von Feilke (1996b und 2003).
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zugrundeliegende Schreibkompetenz gelten können (Harsch, Neumann, Lehmann & Schröder 2007: 44). Sollen Kompetenzen plausibel beurteilt werden, müssen Texte – oder in den Worten von Pohl & Steinhoff (2010) Textformen – allerdings in einem dreidimensionalen Bezugsraum gesehen werden: Sie beschreiben Textformen a) als Ausformung einer konkreten Schreibentwicklungsphase, b) als Ausformung einer konkreten Schreibprozessphrase und c) als Reaktion auf eine konkrete schreibdidaktische Situierung (vgl. Pohl & Steinhoff 2010: 21). Auch wenn es sich bei dem Konzept von Pohl & Steinhoff (2010) um theoretische Überlegungen aus der Schreibdidaktik handelt und diese nicht primär forschungs-, sondern lernbezogen sind, so lässt sich dieses Konzept doch in Teilen auch auf die hier untersuchten Texte übertragen. Im Rahmen ihres Textformen-Konzepts erläutern Pohl & Steinhoff, welche Variablen berücksichtigt werden müssen, um fundierte Kompetenzurteile im Bereich des Schreibens fällen zu können, und die Beurteilung von Teilbereichen der Schreibkompetenz ist auch Ziel dieser Arbeit. Die Texte sind Lernerformen, also „Ausformungen einer bestimmten Erwerbsphase mit ihren entwicklungsbedingten Auffälligkeiten“ (Pohl & Steinhoff 2010: 12, Hervorhebung im Original).53 Welche unterschiedlichen Ausprägungen diese Lernerformen abhängig von dem sprachlichen Hintergrund und dem Schreibalter der ProbandInnen annehmen, ist ein Hauptinteresse dieser Studie. In Bezug auf die mehrsprachigen Textproduzenten könnte außerdem hinzugefügt werden, dass sie sich u.U. nicht nur in einer bestimmten Phase der Schreibentwicklung befinden, sondern auch ihr Zweitspracherwerb noch nicht abgeschlossen ist, ihre Texte also möglicherweise zusätzlich Merkmale von Lernersprache aufweisen. Ihre Texte wären somit Lernerformen im doppelten Sinne. Da Texte im Schreibprozess theoretisch beliebig oft überarbeitet werden können (vgl. Pohl & Steinhoff 2010: 14–16), muss bei der Beurteilung eines Textes ebenso spezifiziert werden, „welche Textform als Ausformung des potentiell nicht-abschließbaren Schreibprozesses als ‚abgeschlossene‘ Textversion für Kompetenzurteile herangezogen wird“ (Pohl & Steinhoff 2010: 21). Schließ|| Die Bezeichung Lernerformen erinnert an das Interlanguage-Konzept von Selinker (1972), der Äußerungen von Lernern einer Zweitsprache als Ergebnis der Anwendung einer temporären, regelgeleiteten und systematischen, aber nicht unbedingt zielsprachenkonformen Grammatik (Interlanguage) wertet. Genau wie Texte bzw. Lernerformen als Indikatoren für Schreibentwicklung dienen, können lernersprachliche Äußerungen in Hinblick auf die ihnen zu Grunde liegende Interlanguage (auch Interimsgrammatik) untersucht werden und Hinweise auf Erwerbsphasen und Entwicklungsstände bei der Aneignung einer Zweitsprache geben.
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lich betrachten Pohl & Steinhoff (2010) die Texte als „Lernformen“ (Pohl & Steinhoff 2010: 6, Hervorhebung im Original), d.h. ihre Entstehung ist eingebunden in bestimmte (unterrichtliche) Variablen, wie beispielsweise den Schreibaufrag, sie sind als „Reaktion auf eine konkrete schreibdidaktische Situierung“ zu verstehen (Pohl & Steinhoff 2010: 21, Hervorhebung im Original).54 Gerade die Schule ist in der Regel eine Umgebung, in der viele unterschiedliche Variablen auf das Verhalten – und demnach auch auf das Schreibverhalten – der SchülerInnen einwirken. Diese Tatsache muss auch in wissenschaftlichen Untersuchungen, z.B. durch die Standardisierung der Erhebungssituation, Rechnung getragen werden.
4.4.2 Modelle der Schreibentwicklung Im Laufe der Geschichte der Schreibentwicklungsforschung wurden unterschiedliche Stufenmodelle entwickelt, deren Kernidee „die sukzessive und in der Reihenfolge nicht beliebige (jedoch weder notwendige noch diskrete) Ausdifferenzierung von Fähigkeiten und deren funktionale Integration im Blick auf die Ziele des Handelns“ ist (Feilke 2003: 180). Feilke (2003: 180–182) unterscheidet diese Modelle in „Dimensionswechsel-“, „Dimensionsdifferenzierungs-“ und „mehrdimensionale Parallelstadienmodelle“. Eines der meist zitierten Modelle zur Schreibentwicklung, das Feilke (2003) zu den Dimensionswechselmodellen zählt, stammt von Bereiter (1980). Bereiter geht davon aus, dass die Schreibentwicklung sich textsortenübergreifend in fünf Stufen (associative, performative, communicative, unified und epistemic writing) vollzieht, wobei sukzessive eine Integration der für die jeweilige Stufe kennzeichnenden Fähigkeitskomplexe stattfindet (vgl. Bereiter 1980: 83). Folgende Merkmale des Schreibens sind nach Bereiter für die jeweiligen Stufen charakteristisch (Bereiter 1980: 83–88): – Associative writing: Die Generierung und Anordnung der Schreibinhalte erfolgt assoziativ und ist dem konzeptionell mündlichen Sprachgebrauch ähnlich. Flüssiges Schreiben stellt in diesem Stadium noch eine hohe kognitive Belastung dar.
|| 54 Pohl & Steinhoff (2010) bezeichnen Textformen des Weiteren als Lernformen und betonen damit ihr besonderes Potenzial für die Initiierung und Förderung von Lernprozessen (Pohl & Steinhoff 2010: 6, Hervorhebung im Original).
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Performative writing: Es werden Kenntnisse über Schreibkonventionen (Orthografie, Grammatik, Lexik) erworben und während des Schreibens angewendet. Formale Aspekte des Textes stehen im Mittelpunkt. Communicative writing: Das Schreiben wird als kommunikative Handlung verstanden. Der Schreiber versucht, seinen Text an den Adressaten anzupassen. Unified Writing: Der Schreiber kann nun seinen eigenen Text kritisch reflektieren und auch aus Leserperspektive einschätzen. Bereiter spricht auch von einem „writing-reading feedback loop“ (Bereiter 1980: 87). Epistemic Writing: Die epistemische Funktion des Schreibens wird genutzt, das Schreiben wird zu einem „personal search for meaning“ (Bereiter 1980: 88).
Das Modell zeigt, dass in den fünf Entwicklungsstadien jeweils neue Dimensionen des Schreibens die Bemühungen und Ziele des Schreibers und damit die Schreibentwicklung dominieren: Beim associative und beim epistemic writing steht der Schreibprozess, beim performative und unified writing das Schreibprodukt und beim communicative writing der potentielle Leser im Fokus (vgl. auch Feilke 2003: 181). Feilke kritisiert jedoch, dass die Dimensionswechsel nur unzureichend theoretisch erklärbar sind und außerdem die Entwicklungen innerhalb der einzelnen Stadien unberücksichtigt bleiben (vgl. Feilke 2003: 181). Fraglich ist zudem, ob das epistemische Schreiben wirklich die höchste Stufe der Kompetenzentwicklung darstellt oder nicht vielmehr als „Bedingung der Möglichkeit von Schreibentwicklungsvorgängen“ (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 365) an sich zu begreifen ist (vgl. Pohl & Steinhoff 2010: 11f.). Diese Kritikpunkte sind umso mehr berechtigt, als dass Bereiters Modell nie systematisch empirisch validiert worden ist. Das Modell von Feilke & Augst (1989), das als Nächstes vorgestellt werden soll, basiert hingegen auf einer empirischen Untersuchung von argumentativen Texten von SchülerInnen des 7., 10. und 12. Schuljahrs und von Studierenden, die einige Jahre zuvor durchgeführt wurde (Augst & Faigel 1986). Feilke & Augst (1989) fassen den Schreibprozess mit ihrem Modell als den Versuch auf, ein komplexes Kommunikationsproblem zu lösen und konzentrieren sich dementsprechend, anders als Bereiter (1980), nur auf eine, nämlich die kommunikative Problemdimension des Schreibens. Das Modell kann deshalb auch als Dimensionsdifferenzierungsmodell bezeichnet werden (vgl. Feilke 2003: 181). Innerhalb der kommunikativen Problemdimension unterscheiden sie zwischen dem expressiven, kognitiven, textuellen und dem sozialen Handlungsproblem. Wie
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aus Tab. 3 hervorgeht, sind die Problemdimensionen mit unterschiedlichen Kommunikationsbezügen, Normen und Entwicklungsaspekten verbunden. Tab. 3: Elemente des Entwicklungsmodells von Feilke & Augst (1989: 314) Kommunikationsbezug
Problemdimension
Norm
Entwicklungsaspekt
Ich die Sache der Text der Andere
expressive kognitive textuelle soziale
Aufrichtigkeit Objektivität Homogenität sit. Angemessenheit
Desymptomatisierung Dekontextualisierung Reflexivierung Kontextualisierung
Auf der Grundlage der empirischen Analyse ihres Textkorpus erkennen sie vier unterschiedliche Textordnungsmuster, die von den Schreibenden benutzt werden, um einen kohärenten argumentativen Text zu erzeugen: das „linearentwickelnde“, das „material-systematische“, das „formal-systematische“ und das „linear-dialogische Textordnungsmuster (TOM)“ (Feilke & Augst 1989: 317). Diese Textordnungsmuster zeichnen sich durch folgende Merkmale aus (Feilke & Augst 1989: 317–319; vgl. auch Feilke 1988): – linear-entwickelndes TOM: Dieses TOM ist stark von der Erlebnisperspektive des Schreibers geprägt (vgl. auch das associative writing bei Bereiter 1980). Es wird subjektive Betroffenheit ohne Rückgriff auf allgemein gültige Argumente ausgedrückt. – material-systematisches TOM: „Das strukturierende Prinzip des Textes ist systematisch, und zwar material, d.h. inhaltlich systematisch“ (Feilke & Augst 1989: 318). Die Struktur des Textes wird durch die Struktur des im Text geschilderten Sachverhaltes bestimmt. – formal-systematisches TOM: Der Schreiber greift auf rein formale Schemata zur Erzeugung von Kohärenz zurück, z.B. auf Textmusterwissen. – linear-dialogisches TOM: „Die auf den Adressaten gerichtete Überzeugungsfunktion des Textes, die soziale Problemdimension also, rückt in den Vordergrund. Kennzeichnend für diese Texte ist die Wiederbelebung einer subjektiven Perspektive und einer linearen Grundstruktur, die jedoch mit einer objektivierten Argumentation, expliziter Metakommunikation und direkter Ansprache des Adressaten verbunden wird“ (Feilke & Augst 1989: 320). Mit dem Schreibalter steigt ebenso die Ordnungsqualität (Homogenität) der Texte an (vgl. August & Faigel 1986: 131). Feilke (1988) geht davon aus, dass die vier Etappen in der Entwicklung von Schreibfähigkeiten in einen Zusammen-
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hang mit entwicklungspsychologischen Parametern gebracht werden können und sich im „Prozeß des Erwerbs textstrukturierender Fähigkeiten […] offenbar das allgemeine entwicklungspsychologische Grundmuster der Dezentralisierung der Perspektiven [wiederholt]“ (Feilke 1988: 78). Diese Dezentralisierung vollzieht sich in den folgenden Schritten: – Perspektive aus der subjektiven Erlebniswelt (Ich) – Perspektive auf die objektive Welt (die Sache) – Perspektive auf die Sprache/den Text als Medium (der Text) – Perspektive auf den Anderen und Wechselseitigkeit der Perspektiven (der Andere) (vgl. Feilke 1988: 79). Auf der Basis der Analyse von instruktionalen Texten legt Becker-Mrotzek (2004) ein mehrdimensionales Parallelstadienmodell vor. Da instruktionale Texte für die vorliegende Untersuchung nicht relevant sind, möchte ich das Modell der Vollständigkeit halber zwar kurz erwähnen, aber nicht ausführlich erläutern. Becker-Mrotzek untersucht die Entwicklung von Schreibfähigkeiten in drei unterschiedlichen Dimensionen (1. kognitiv: „Sachverhalt im Text“, 2. sprachlich: „fokussierte Aspekte der Sprechhandlung“ und 3. organisatorisch: „Organisation der Schreibhandlung“) und identifiziert drei Entwicklungsniveaus, die er als „bedienungslogische Anleitungskerne“, „leserorientierte Anleitungen“ und „zweckorientierte Anleitungen“ bezeichnet (Becker-Mrotzek 2004: 299). Interessant im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist das Ergebnis, dass diese Entwicklung mit einer kontinuierlichen Zunahme an Komplexität in den drei Dimensionen einhergeht. Die bisher vorgestellten Modelle beziehen sich, mit Ausnahme des allgemein gehaltenen Modells von Bereiter (1980), auf die Entwicklung der Schreibfähigkeiten in Bezug auf jeweils eine Textsorte, nämlich argumentative Texte (Feilke & Augst 1989) und Instruktionen (Becker-Mrotzek 2004). Auch wenn die Modellierung textsortenspezifischer Kompetenzmodelle noch immer als zentrales Desiderat bezeichnet werden kann (vgl. Bremerich-Vos & Possmayer 2011: 32), sind für die Schreibdidaktik vor allem auch Erkenntnisse hinsichtlich des Verhältnisses der Entwicklung dieser Kompetenzen zueinander von Nöten. Denn noch ist nicht klar, „ob von basalen textsortenunabhängigen Textproduktionskompetenzen ausgegangen werden kann, die dann textsortenspezifisch ausdifferenziert werden – oder ob umgekehrt aus den textsortenspezifischen Merkmalen mit zunehmender Schreiberfahrung globale Textproduktionsmuster abstrahiert werden“ (Bredel & Reich 2008: 100).
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Diesem Forschungsdesiderat begegnen Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007) mit ihrer Längsschnittuntersuchung zum Erwerb von Textsortenkompetenz im Grundschulalter. Für ihr Korpus, das insgesamt 585 Texte umfasst, ließen sie 39 SchülerInnen jeweils in der 2., 3. und 4. Klasse zu einem jeweils identischen Schreibauftrag einen erzählenden, einen berichtenden, einen instruierenden, einen beschreibenden und einen argumentativen Text verfassen. In allen Texten wurden die Textrahmung, die grammatische Textinstanz, das syntaktische Format und emotionale Markierungen untersucht. Ihre Hauptbefunde hinsichtlich der Textsortenspezifik der Schreibentwicklung stellen Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007) folgendermaßen dar: „1. Es lässt sich durchaus eine universelle strukturelle Genese aufweisen, die zwar bei jedem Schreibauftrag mit spezifischen Ausprägungen auftritt, aber letztlich auf ein übergreifendes Konzept von Text/Textualität hinausläuft. 2. Gleichwohl gilt dabei, dass die strukturelle Genese domänenabhängig durchschritten wird; konkret: während ein Schüler z.B. beim Instruieren weit fortgeschrittene Texte produziert, kann er sich zum selben Erhebungszeitpunkt mit seinem z.B. argumentierenden Schreibversuch auf einer deutlich niedrigeren Entwicklungsstufe befinden“ (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 347).
Für alle fünf Textsorten werden vier Entwicklungsstadien ausgemacht, die zugleich textsortenübergreifend und textsortenspezifisch durchschritten werden und die hier am Beispiel der argumentativen Texte näher erläutert werden sollen: – Text als subjektiv konstituierte, mentale Einheit: „Bei der Argumentation steht für die Einstellungsäußerung die subjektive Betroffenheit im Vordergrund (z.B. ‚Und es sind schon so viele Tiere überfahren worden das ist sehr schade weil ich Tiere so mag‘)“ (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 348). – Text als sachlogische (oft kohäsiv explizierte) Verkettung: „Bei der Argumentation wird ein Standpunkt durch mindestens zwei, oft subjektentbundene Argumente vertreten“ (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 349). – Text als mehrdimensionales/-perspektivisches Gebilde: „Bei der Argumentation werden Pro- und Kontra-Argumente unterschieden, d.h. der Andere rückt ins Blick- und Schreibfeld“ (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 349). – Text als textsortenfunktional synthetisierte Perspektiven: „Bei der Argumentation erscheint eine Conclusio, deren Wirkung und Überzeugungspotenzial mitbestimmt wird durch das vorausschauende Argument und das jeweilige Gewicht der einzelnen Pro- und Kontra-Argumente“ (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 350f.).
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Im Hinblick auf die Untersuchung der Argumentationskompetenz in dieser Studie bleibt festzuhalten, dass nach Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007) schon Grundschulkinder dazu in der Lage sind, Gegenargumente in ihre Texte zu integrieren. In Kapitel 4.3.1.3 wurde darauf hingewiesen, dass die Perspektivenübernahme, die der Generierung von Gegenargumenten vorausgeht, ein bedeutender und schwieriger Schritt in der Schreibentwicklung ist. Auf der Grundlage ihrer Textanalysen vertreten Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007) jedoch die Auffassung, dass „eine den Leser involvierende Schreibweise“ ein Phänomen ist, das den gesamten Entwicklungsprozess begleitet (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 204). Damit grenzen sie sich von den Modellen von Bereiter (1980) und Augst & Feilke (1989) ab, in denen die Berücksichtigung des Adressaten jeweils als eigene Entwicklungsstufe modelliert wird. Als Letztes soll ein Modell zur Entwicklung der wissenschaftlichen Textkompetenz (Steinhoff 2007, vgl. auch Feilke & Steinhoff 2003) vorgestellt werden. Wissenschaftssprachliche Kompetenz wird hier als Kompetenz zum Gebrauch einer fachgebundenen, aber auch fachübergreifenden Sprache verstanden (vgl. Feilke & Steinhoff 2003: 115). Steinhoff untersucht vor diesem Hintergrund den Sprachgebrauch in 296 studentischen Hausarbeiten und 99 wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln von Experten. Als zuverlässigen Indikator für die Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz identifiziert er den Gebrauch der für die alltägliche Wissenschaftssprache (Ehlich 1999) typischen sprachlichen Mittel. Steinhoff (2007) beschreibt die Entwicklung dieses Sprachgebrauchs folgendermaßen: „Zu Beginn der Entwicklung ist ein kontextinadäquater Sprachgebrauch zu erwarten. Dabei dominieren Assimilationsprozesse – der Schreiber versucht die neuen Probleme mit bekannten, domänentypischen sprachlichen Mitteln zu lösen (Transposition) – oder Akkomodationsprozesse – der Schreiber versucht die neuen Probleme mit neuen, domänentypischen Mitteln zu lösen, beherrscht diese Mittel aber nur unzureichend, ahmt sie nach (Imitation). Es folgt die Stufe der Transformation: Das wissenschaftliche Ausdrucksspektrum wird aufgebaut, der Schreiber nähert sich mit seinen Formulierungen dem wissenschaftssprachlichen Common sense an. Dieser Prozess ist begleitet von charakteristischen Formulierungsbrüchen. Ihren (vorläufigen) Abschluss findet die Entwicklung dann, wenn der Text des Lerners konventionell, also domänentypisch und kontextadäquat ist (kontextuelle Passung)“ (Steinhoff 2007: 150, Hervorhebungen im Original).
Dadurch, dass Sprachgebrauch und wissenschaftliche Textkompetenz in Steinhoffs Studie so eng aufeinander bezogen werden, ist sie u.a. in methodischer Hinsicht für die vorliegende Arbeit von Interesse. Beispielsweise kann Steinhoff nachweisen, dass die Zahl der konzessiven „zwar-Konstruktionen“ mit voranschreitender Schreibentwicklung ansteigt (vgl. Steinhoff 2007: 338).
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Auf ähnliche Weise stellt Pohl (2007, 2010) in den von ihm untersuchten Hausarbeiten einen Ausbau von Komplexität durch den Ausbau „lexikosyntagmatischer Informationsaufgabe“ fest (Pohl 2010: 101f.). Unter „lexikosyntagmatischer Informationsvergabe“ versteht Pohl „verschiedene Strategien, lexikalische Informationsschwerpunkte an unterschiedlichen Orten und aufgrund von unterschiedlichen Strukturen im Syntagma unterzubringen (vom vollständigen Satzgefüge über den Nebensatz bis hin zum einzelnen Satzglied“ (Pohl 2007: 401). Damit ist vor allem der Ausbau komplexer Verbalund Nominalphrasen gemeint. Diese und andere Modelle der Schreibentwicklung sind jedoch auch vielfach kritisiert worden, wobei sich die Kritik vor allem auf die fehlende Berücksichtigung der „sozialen und lernökologischen Erwerbsbedingungen“ bezieht (Feilke 2003: 182). So ist Ossner (1996) der Auffassung, dass „[e]in entwicklungspsychologisch geleiteter Blick auf die Texte […] den Blick auf die Institution und ihre Mechanismen sowie die Schriftlichkeit als Motor der Entwicklung [verstellt]. Dadurch wird eine Beurteilung unter einem entwicklungspsychologischen Blick auch nicht den Texten gerecht, die Schüler geschrieben haben. Insbesondere unterstellt ein solcher Blick Schülern (Un-)fähigkeiten, wo es in Wirklichkeit um curriculare Unzulänglichkeiten geht“ (Ossner 1996: 83).
Ossner (1996) lässt bei der Stoßrichtung seiner Kritik m.E. außer Acht, dass entwicklungsorientierte Studien auch Kritik an Entwicklungszielen erlauben, die u.U. unter- oder überfordernd sind. Somit werden mit möglichen Defiziten in den Texten gerade auch Defizite in der Didaktik augenfällig. Steinhoff (2007) resümiert beispielsweise in Hinblick auf die (fehlende) Praxis der Vermittlung wissenschaftlicher Textkompetenz, „dass der weitgehend ungesteuerte Erwerb, der an deutschen Hochschulen vorherrscht, Novizen vor erhebliche Schreibprobleme stellt. Die meisten Studenten sind beim Erwerb wissenschaftlicher Schreibfähigkeit auf sich allein gestellt und von dieser Aufgabe überfordert. [...] Studenten benötigen viel, oft zu viel Zeit, bis sie ‚learning by doing‘ angemessene Strategien entwickelt haben; viele Studenten scheitern sogar daran und brechen ihr Studium ab. Hier besteht dringender didaktischer Handlungsbedarf“ (Steinhoff 2007: 428).
Der Bezugspunkt für Stufenangaben ist in der Schreibentwicklungsforschung dementsprechend auch nicht das biologische Alter, sondern wenn überhaupt das Lern- oder Schreibalter und damit die Menge an Erfahrungen mit Schriftsprache (vgl. Feilke 2003: 182; Steinhoff 2007: 135). In der Tat sind exogene Faktoren auf die Schreibentwicklung, insbesondere die Rolle des Schreibunterrichts, in der Forschung bisher stark vernachlässigt
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worden (vgl. Bachmann & Becker-Mrotzek 2010: 193; Pohl & Steinhoff 2010: 18). Zum einen ist dies sicherlich aus der Komplexität der Untersuchungsgegenstände Schreibentwicklung und Schreibunterricht heraus zu erklären: Es ist methodisch sehr schwierig, den Einfluss des Unterrichts zuverlässig von anderen Faktoren zu isolieren. Zum anderen können methodische Überlegungen geltend gemacht werden: „Bei der Ausklammerung geht es – zunächst rein forschungsmethodisch – um die Prämisse, ein Maximum an Erklärung durch Prüfung der internen Konsistenz der Entwicklung selbst zu leisten“ (Feilke 2003: 182). Diese Erklärungskraft könnte meiner Meinung nach erhöht werden, wenn die Stufenmodelle noch besser empirisch abgesichert werden. Dies könnte z.B. durch größer angelegte Studien geschehen, bei denen quantitative Analysen nicht rein deskriptiv erfolgen, sondern statistische Tests eingesetzt werden, welche die Beobachtung untermauern, dass die Unterschiede überindividuell und nicht zufällig sind. Da die Einordnung in die Erwerbsstufen zudem in der Regel auf der Basis holistischer Ratings erfolgt, wäre es von Vorteil, die Reliabilität dieser Ratings zu überprüfen und zu erhöhen.55 Methodische Optimierungen dieser Art gehen zweifelsohne mit einem erhöhten Einsatz von Ressourcen einher (durch umfangreiche Datenerhebungen, -aufbereitungen, Raterschulungen etc.). Stufenmodelle zur Schreibentwicklung können jedoch genau wie Stufenmodelle zur allgemeinen sprachlichen Entwicklung ein sinnvolles diagnostisches Instrument zur Einschätzung von Kompetenzen darstellen. In diesem Zusammenhang sind auch aktuelle Bemühungen im Bereich Deutsch als Zweitsprache zu sehen, sprachliche Aneignungsbereiche in der Erst- und Zweitsprache möglichst präzise zu bestimmen. Dazu gehören die Erarbeitung eines Referenzrahmens zur altersspezifischen Sprachaneignung (Ehlich, Bredel & Reich 2008a), die Entwicklung von Auswertungsrastern für unterschiedliche Schreibhandlungen im Rahmen einer prozessbegleitenden Diagnose von Schreibentwicklung (Lengyel u.a. 2009) und das von Cantone und Haberzettl entwickelte Instrument Schuldeutsch zur Beurteilung „konzeptual-schriftlicher Fähigkeiten“ in der Sekundarstufe I (Cantone & Haberzettl 2008, 2009; s. Kapitel 2 und 4.1).56
|| Einen solchen Versuch haben Bremerich-Vos & Possmayer (2011) für das Stufenmodell von Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007) vorgenommen. 56 Zu den problematischen Seiten dieses verstärkten Interesses an Diagnoseinstrumenten, vor allem in Hinblick auf die Erwartungshaltung der Bildungspolitik, vgl. Ehlich, Bredel & Reich (2008b: 11f.) 55
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Trotz kritischer Stimmen kann eine schwache Version der Stufentheorien in der Schreibforschung und -didaktik mittlerweile als Konsens gelten.57 Demnach lassen sich in der Schreibentwicklung, beeinflusst durch die Anforderungen der Schriftlichkeit und die allgemeine kognitive Ausstattung des Menschen, bestimmte Prinzipien und Abfolgen erkennen. Auch sind grobe Angaben über den zeitlichen Verlauf der Entwicklung möglich (vgl. z.B. Becker-Mrotzek & Böttcher 2006: 66). Das schließt natürlich nicht aus, dass je nach unterrichtlicher Förderung oder individuellen Faktoren die Entwicklung verlangsamt oder beschleunigt verläuft. Dieses Zusammenspiel von Erwerbs-, Prozess- und Situierungsdimension betonen auch Pohl & Steinhoff (2010) mit ihrem Konzept der Textformen als Lernformen, das bereits in Kapitel 4.4.1 vorgestellt wurde. Die für die einzelnen Entwicklungsstufen typischen textuellen Merkmale gehen natürlich auch mit der Entwicklung der Sprachkompetenz im engeren Sinne und dem Verfügen über bestimmte sprachliche Mittel einher. So kann die in den Modellen für die Entwicklungsdynamik zentrale Entdeckung des Anderen, die Orientierung am Leser, in einen Zusammenhang mit dem Gebrauch syntaktischer Mittel gebracht werden, wie Feilke (1996b) ausführt: „Während in der gesprochenen Sprache die Umfelder des Handelns und die Handlungsstruktur die empraktische Rede stützen, muß der Schreiber, der sich an der Norm eines semantisch ‚selbstversorgten‘ und aus sich selbst heraus verständlichen Textes orientiert, verstärkt von sprachlichen synsemantischen und syntaktischen Strukturmitteln Gebrauch machen. Die syntaktische Eigenstruktur des Textes kontextualisiert; sie erzeugt einen sprachlichen Kontext, der dem (impliziten) Leser Orientierung ermöglichen soll. Da auch außersprachlich bzw. im Weltwissen von SchreiberInnen Kontexte nicht einfach vorfindlich sind, sondern ihrerseits wiederum nur eingebettet in weitere Kontexte einen Verstehenshorizont abgeben können, ist die Fähigkeit zu einer auch sprachlich rekursiven Einbettung und Unterordnung von Propositionen gerade für die zeitlich und räumlich versetzte partnerferne schriftliche Kommunikation von zentraler Bedeutung“ (Feilke 1996b: 1181f.).
Die Entwicklung syntaktischer Schreibfähigkeiten als Teilbereich der Entwicklung von Schreibkompetenz soll im folgenden Kapitel näher erläutert werden.
|| 57 Bremerich-Vos & Possmayer (2011: 35, Fußnote 5) bezeichnen Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007) mit ihrem Stufenmodell als Verfechter einer ,starken‘ Stufentheorie der Entwicklung“, der sie skeptisch gegenüber stehen. Demnach verstehen Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007: 232) den Aneignungsprozess vor allem als durch die Erfordernisse des Aneignungsgegenstandes (i.a.W. des Textes) geprägt. Bremerich-Vos & Possmayer kritisieren an dieser Auffassung die Ausblendung sozialer und kommunikativer Faktoren (Bremerich-Vos & Possmayer 2011: 35).
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4.4.3 Entwicklung syntaktischer Schreibfähigkeiten Zur Entwicklung von Schreibkompetenz gehört auch der Ausbau der Fähigkeit, komplexe sprachliche Strukturen zu produzieren und angemessen einzusetzen. „Schreibentwicklungsvorgänge lassen sich immer auch (!) begreifen als ein Vorgang des Aufbaus textueller Komplexität“ (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 279, Ausrufezeichen im Original). Die Fähigkeit, in einem Text komplexe syntaktische Strukturen zu produzieren, wird im Folgenden als syntaktische Schreibfähigkeit bezeichnet. Bei der Sichtung der Literatur zur syntaktischen Komplexität in Texten fällt auf, dass unterschiedliche Komplexitätsmaße gewählt und angelegt werden. Deshalb erscheint es sinnvoll, zunächst zu klären, wie syntaktische Komplexität definiert werden kann und in einem zweiten Schritt zu überlegen, welche Aspekte für die Definition der syntaktischen Komplexität in dieser Studie relevant sind.
4.4.3.1 Begriffsbestimmung Der Begriff der Komplexität in Bezug auf die Grammatik einer Sprache wird innerhalb der Linguistik unterschiedlich definiert und operationalisiert: „There is no conventionally agreed-on metric for measuring complexity in grammars“ (McWorther 2005: 43). Eine allgemeine Definition von Komplexität lautet, dass sie sich „aus der Anzahl und Unterschiedlichkeit der Elemente eines Systems und aus den Relationen zwischen diesen Elementen“ bestimmt (Kliegl & Fanselow 1996: 324). Bezogen auf syntaktische Komplexität würde diese Definition bedeuten, dass ein Satz, hier verstanden als System, umso komplexer ist, je mehr und je mehr unterschiedliche Wörter (Elemente) er enthält, die in einem bestimmten grammatischen Verhältnis zueinander stehen. Das entspricht auch der Auffassung von Scott (2004), die u.a. die Anzahl und die Art von syntaktischen Operationen bei der Rezeption und Produktion von Sätzen als Maß für deren Komplexität anführt (vgl. Scott 2004: 342). Komplex aufgrund der Art syntaktischer Operation wären z.B. Sätze „with any type of long-distance dependency, in which a syntactic prediction ‘awaits’ confirmation“ (Scott 2004: 342). Dass die Komplexität von Sätzen auch schlicht mit ihrer Länge ansteigt, ist verständlich, wenn man sich vor Augen hält, mit welchen grammatischen Kodierungsleistungen die Produktion eines Satzes einher geht: Allen Satzgliedern müssen semantische Rollen und syntaktische Funktionen zugewiesen werden (functional assignment) und innerhalb der Phrasen müssen alle Konstituenten unter Berücksichtigung ihrer Relation zueinander syntak-
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tisch angeordnet und ggf. mit morphologischen Markern ausgestattet werden (functional processing) (vgl. Scott 2004: 346). McWorther entwirft im Rahmen der Kreolsprachenforschung einen Maßstab für die Komplexität von Sprachen, der u.a. auch die syntaktische Komplexität mit einbezieht.58 Nach seiner Definition ist Syntax „more complex than another to the extent that it requires the processing of more rule, such as asymmetries between matrix and subordinate clauses (e.g. Germanic V2 rules), or containing two kinds of alignment rather than one (i.e., ergative/absolutive and nominative/accusative)“ (McWhorther 2005: 46, Hervorhebung I.P.).
Die Annahme, dass eine syntaktische Struktur umso komplexer ist, je mehr grammatische Regeln ihre Verarbeitung erfordert, erscheint auch aus der Perspektive des Spracherwerbs als sinnvoll. Zangl & Peltzer-Karpf (1998) sprechen für den L2-Erwerb vereinfachend von folgender „Daumenregel“: „Einfache, leicht wahrnehm- (perzeptuell auffallende) und verarbeitbare, regelabgeleitete und häufig vorkommende Muster werden vor komplexen, weniger häufigen Konstruktionen erworben“ (Zangl & Peltzer-Karpf 1998: 12). Somit spielt auch die Verwendungshäufigkeit eine Rolle bei der Definition von Einfachheit und Komplexität. Wegener (2007) mit Blick auf den Rückgang der frequenten starken (und in diesem Sinne komplexen) Verben in der deutschen Sprache und als Antwort auf die Frage, wie viel Irregularität „zumutbar“ ist: „Es ist kein Luxus, im Hochfrequenzbereich deutlich zu differenzieren, es ist funktional“ (Wegener 2007: 37). Das Verhältnis von sprachlicher Einfachheit und Komplexität ist demnach ambivalent: „a highly elaborated grammar could be argued to be easier rather than harder to process, in making distinctions more clearly than a less elaborated grammar, and thus leaving less to context“ (McWorther 2005: 45). Wenn eine höhere Komplexität zu mehr Einfachheit führen kann, so kann andersherum eine Vereinfachung aber auch zu einer Verkomplizierung führen, nämlich auf Seiten des Rezipienten, dem zum Verständnis der Äußerung u.U. wichtige linguistische Informationen fehlen. Ob sprachliche Strukturen als komplex oder einfach gelten können, hängt also auch davon ab, ob man Produzent oder Rezipient dieser Strukturen ist. Mit Bezug auf die Entwicklung wissenschaftlicher Schreibkompetenz unterscheidet Pohl (2007, 2010) zwei Strategien zur Steigerung der syntaktischen
|| 58 In der Kreolsprachenforschung ist sprachliche Komplexität von Relevanz, da Kreolsprachen von einigen LinguistInnen im Vergleich zu älteren Sprachen als weniger komplex eingestuft werden (vgl. McWorther 2005: 44).
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Komplexität bzw. der „lexiko-syntagmatischen Informationsvergabe“: Einerseits werden die Nebensätze ausdifferenziert (komplexe Syntax), andererseits wird die „Satzgliedbinnenstruktur“ erweitert und es werden mehr und mehr „satzwertige Substantivgruppen“ produziert (komprimierte Syntax) (Pohl 2010: 104). Ich möchte in dieser Arbeit allerdings auch auf der Ebene der Nominalphrase weiterhin von komplexer (und nicht komprimierter) Syntax sprechen, da diese dem soeben erläuterten Komplexitäts-Begriff entspricht. Durch die Integration von Attributen steigt die Anzahl der Elemente innerhalb der Nominalphrase an, die Elemente stehen überdies in vielfältigen grammatischen Beziehungen zueinander. Man kann daher auch von der Syntax der Nominalphrase sprechen. Was den Begriff von syntaktischer Komplexität betrifft, der in der vorliegenden Untersuchung zur Anwendung kommt, soll mit Bezug auf die oben diskutierten Verwendungsweisen des Begriffes Folgendes festgehalten werden: – Unter syntaktischer Komplexität wird sowohl die Komplexität auf Ebene des Satzes (Subordination) als auch auf Ebene der Nominalphrase (durch Attribute erweiterte komplexe Nominalphrase) verstanden. – Aus Perspektive der Sprachproduktion und des Spracherwerbs können Texte, Sätze und Phrasen als je komplexer gelten, je mehr Elemente sie enthalten, die durch grammatische Beziehungen miteinander verbunden sind und die grammatische Kodierung dieser Beziehungen verlangen. – Geht man davon aus, dass die kognitive und sprachliche Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen verläuft, so kann – auch wenn das eine Zirkularität bedeutet – davon ausgegangen werden, dass die sprachlichen Strukturen, die später erworben werden, die komplexeren sind. Was als komplex gilt, kann aus ontogenetischer Perspektive zudem immer nur mit Bezug auf den Entwicklungsstand der jeweiligen untersuchten Gruppen festgelegt werden. Für unterschiedliche Altersgruppen gelten deshalb u.U. unterschiedliche Komplexitätsmaße. Im nächsten Kapitel soll thematisiert werden, dass im Rahmen der Untersuchung von Schreibfähigkeiten die Komplexität nicht automatisch mit der Qualität von Textprodukten gleich gesetzt werden kann. Allerdings erscheint es plausibel, dass gute Schreiber sich durch einen souveränen und dem jeweiligen Schreibziel angepassten Umgang mit komplexer Syntax auszeichnen.
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4.4.3.2 Syntaktische Komplexität und Textqualität In einer Vergleichsstudie wie der vorliegenden ist es wünschenswert, relativ eindeutig zu identifizierende sprachliche Strukturen zu quantifizieren. So können Informationen darüber gewonnen werden, ob ein- und mehrsprachige AutorInnen in ihren Texten dieselben komplexen Strukturen mit derselben Intensität gebrauchen. Dabei ist es jedoch wichtig, sich des widersprüchlichen Verhältnisses zwischen sprachlicher Einfachheit und Komplexität bewusst zu sein, denn der reine Gebrauch einer komplexen Syntax sagt noch nichts über ihre Angemessenheit und Funktionalität und somit über die pragmatische Dimension der Textqualität aus. Dementsprechend wurden auch die breit rezipierten Arbeiten von Hunt zum Gebrauch komplexer Syntax (1965, 1970) schon früh kritisiert (z.B. Faigley 1980). Hunt führte den Begriff der T-unit (minimal terminable unit) ein. Er versteht darunter „one main clause plus any subordinate clause or nonclausal structure that is embedded in it“ (Hunt 1970: 4). Eine große Anzahl von Teilsätzen (clause) pro T-unit weist auf einen hohen Anteil an subordinierten Sätzen unterschiedlicher Einbettungstiefen und damit auf eine hohe syntaktische Komplexität hin.59 Faigley bemerkt jedoch kritisch: „Counts of T-unit length and clause length tell us nothing about a writer’s skill in executing rhetorical strategies. […] The description of the appropriateness of a given piece of prose requires pragmatic rules that specify the general knowledge and assumptions about discourse structure of the particular group of readers whom the text addresses“ (Faigley 1980: 298f.).
Diesem Einwand kann entgegnet werden, dass es gar nicht Ziel der Untersuchung syntaktischer Schreibfähigkeiten ist, Aussagen über rhetorische bzw. pragmatische Fähigkeiten zu machen. Vielmehr geht es darum, die sprachliche bzw. syntaktische Entwicklung, die sich in geschriebenen Texten manifestiert – in anderen Worten: die Entwicklung der syntaktischen Schreibfähigkeiten – zu untersuchen. Es ist aber bereits darauf hingewiesen worden, dass die Entwicklung syntaktischer Schreibfähigkeiten sehr wohl eng mit der Entwicklung der
|| 59 Das Verhältnis von T-unit und clause ist im anglo-amerikanischen Raum noch immer ein sehr populäres Maß zur Erfassung von syntaktischer Komplexität, vgl. z.B. die aktuelle Publikationen von Wagner et al. (2011) und Beers & Nagy (2011). Auch im Kontext des Zweit- und Fremdsprachenerwerbs haben viele Studien sich dieses Maßes bedient, vgl. dazu die Metaanalyse Second Language Development in Writing von Wolfe-Quintero, Inagaki & Kim (1996). Da in der Schreibentwicklung mit fortschreitendem Alter die Subordination von Sätzen durch die Integration der Propositionen auf Ebene der Nominalphrasen abgelöst wird und es sich bei den Teilnehmenden der vorliegenden Untersuchung um junge Erwachsene handelt, erscheint die T-unit als Maß für syntaktische Komplexität in dieser Studie wenig relevant und zu ungenau.
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Schreibkompetenz und der Fähigkeit zur Produktion von konzeptionell schriftlichen Texten zusammenhängt. Bezogen auf die syntaktische Komplexität zeichnen sich mit steigendem Alter nach Feilke (1996b: 1182) in der Schreibentwicklung drei Trends ab: – Der Trend zur Syntaktisierung von Informationen, d.h. die Propositionsdichte im Satz und damit die Satzlänge steigen kontinuierlich an. – Die syntaktische Einbettungstiefe nimmt zu. Es ist eine Entwicklung von der Koordination zur Subordination von Sätzen bis zur Integration auf Phrasenebene zu beobachten. Zunächst überwiegt die Koordination. Der Gebrauch koordinierter Sätze lässt mit dem Alter jedoch nach, gleichzeitig steigt die Zahl der Subordinationen. Ungefähr ab dem 14. Lebensjahr geht auch die Subordination wieder zurück und stabilisiert sich auf einem „Entwicklungsplateau“ (Feilke 1996b: 1183), während die Ausdifferenzierung des Gebrauchs von Konjunktionen sich weiter fortsetzt. Propositionen werden jetzt immer häufiger in die Nominalphrase integriert, z.B. durch den Einsatz von Nominalisierungen und Attribuierungen. Auch der Anteil der Attributsätze unter den Nebensätzen wächst an (vgl. Feilke 1996b: 1184). – Kohärenz wird zunehmend durch semantische und pragmatische Mittel und weniger durch syntaktische Mittel hergestellt. Der Gebrauch expliziter Konjunktionen nimmt mit dem Alter ab, nach Feilke (1996a: 206) beginnt dieser Rückgang sogar schon im Alter von 10 Jahren. Er führt diese Entwicklung darauf zurück, „dass die Schreiber mit zunehmendem Alter pragmatisch umsichtiger werden. Soweit Kohärenz auf der Ebene der Implikaturen, semantischer Makrostruktur und pragmatischer Superstruktur erzeugt werden kann, wird sie gerade nicht durch explizite Konnexion gestützt“ (Feilke 2001: 115). Der ausgiebige Einsatz von Kohäsionsmitteln geht deshalb nicht unbedingt mit hoher Textkohärenz einher, im Gegenteil: „Empirisch, dies zeigen die Forschungsergebnisse deutlich, ist die skizzierte Entwicklung deshalb keine Einbahnstraße – etwa zu einer höheren syntaktischen Komplexität –, sondern viel eher ein Lernprozeß, der zunächst in die Syntax hinein, dann aber auch aus der Syntax heraus und über die Syntax hinaus zu Text-Strukturen führt, die im Verein mit antizipierten Schemata des Weltwissens Kontextualisierungsfunktionen mit übernehmen können“ (Feilke 1996b: 1182).
Rubin (1982) beobachtet in seiner Studie von argumentativen Texten von Viert,Acht- und Zwölftklässlern, dass die Häufigkeit von logical adverbial clauses in den Texten mit steigendem Alter abnimmt (vgl. Rubin 1982: 505). Auch Bachmann (2002) zeigt anhand einer Analyse von instruierenden Texten, dass
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SchülerInnen der 8. Klasse deutlich mehr kohärenzstiftende Elemente einsetzen als SchülerInnen der 4., aber auch der 10. Klasse. Er führt dies auf eine starke Normorientierung der Achtklässler und eine weiter entwickelte soziale Kognition der Zehntklässler zurück, die bereits eine hohe Sensibilität für die Bedürfnisse des Lesers ausgebildet haben. Die älteren SchülerInnen setzen kohärenzstiftende Mittel zurückhaltend ein und machen zur Erstellung von Kohärenz häufiger von textpragmatischen Mitteln Gebrauch (vgl. Bachmann 2002: 129– 135). Die Beobachtung, dass syntaktische Komplexität mit dem Schreibalter auch abnehmen kann, ist m.W. bisher aber nur für die Satzebene (Subordination), und nicht für die Ebene der Nominalphrase gemacht worden. Die Angemessenheit der syntaktischen Komplexität ist auch von textsortenspezifischen Anforderungen abhängig. In einer Studie von Texten von Dritt-, Fünf- und Siebtklässlern finden Beers & Nagy (2011) beispielsweise heraus, dass der Grad an syntaktischer Komplexität der Texte deutlich mit der Textsorte zusammenhängt. Untersucht wurden Erzählungen, Argumentationen, Beschreibungen und sog. „compare and contrast essays“ (Beers & Nagy 2011: 190f.). In allen Altersgruppen werden in den argumentativen Texte durchschnittlich mehr subordinierte Sätze produziert als in den anderen Textsorten, wobei die Beschreibungen sich jedoch gegenüber den argumentativen Texten durch eine höhere Satzlänge (Wörter pro Satz) auszeichnen (vgl. Beers & Nagy 2011: 197). Es bleibt festzuhalten, dass der Erwerb komplexer sprachlicher Syntax keine hinreichende, aber eine notwendige Voraussetzung für den Ausbau von Schreibkompetenz ist. Soll jedoch die Textqualität untersucht werden, so reicht die Betrachtung von Oberflächenstrukturen des Textes nicht aus und es müssen andere (qualitative) Methoden zum Einsatz kommen. In dieser Studie wird deshalb, neben der Untersuchung von syntaktischen Merkmalen der Texte, auch die Fähigkeit zum konzessiven Argumentieren als ein Aspekt von Textqualität näher betrachtet.
4.4.3.3 Text- und Satzlänge Die Textlänge (Wörter pro Text) stellt ein einfaches und doch aussagekräftiges und distinktives Merkmal in der Schreibentwicklung dar. In der Untersuchung von Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007) lässt sich beispielsweise für die unterschiedlichen untersuchten Textsorten (Erzählung, Bericht, Instruktion, Beschreibung, Argumentation) ein Anstieg der durchschnittlichen Textlänge von der 2. bis zur 4. Klasse erkennen (vgl. Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 279). Für die Zeit nach der Grundschule berichtet Feilke (1996b: 201) von
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einer kontinuierlichen Zunahme der Länge der argumentativen Texte aus der Untersuchung von Augst & Faigel (1986) von Klasse 4 bis Klasse 12. Dass von der 12. Klasse bis zu den Studierenden kein Anstieg mehr stattfindet, zeigt, dass sich die Textlänge als Parameter für die Entwicklung auf einem bestimmten Niveau stabilisiert, da Texte ja nicht umso besser sind, je länger sie sind. Die Länge der Texte muss jeweils den Anforderungen der Schreibaufgabe entsprechen und den kommunikativen Bedürfnissen angepasst sein. Besonders bei Schreibanfängern ist der Anstieg der Textlänge aber zunächst ein Zeichen für die einsetzende Automatisierung des Schreibprozesses und die Ausbildung von Routinen. McCutchen bezeichnet „the increasing fluency of linguistic processes involved in text production“ als das Hauptmerkmal der Entwicklung von Schreibfähigkeiten (McCutchen 2011: 54). Die einsetzende Entlastung des Arbeitsgedächtnisses ermöglicht die Nutzung von Ressourcen des Langzeitgedächtnisses. „Like beginning writers, skilled writers use working memory resources to construct the sentences that make up their texts. However, fluent sentence generation processes, combined with rich writing-relevant knowledge bases, enable skilled writers to link developing sentences to extensive knowledge stored in long-term memory“ (McCutchen 2011: 63f.).
Mit Hinblick auf die Schreibentwicklung von L2-Lernern kann jedoch gemutmaßt werden, dass ihr Arbeitsgedächtnis beim Schreiben insgesamt stärker beansprucht wird, weil sprachliche Wissensbestände nicht vorhanden oder schwieriger zugänglich sind. Das führt dazu, dass L2-Lerner langsamer schreiben und somit in einem bestimmten Zeitraum auch weniger Text produzieren können. Inwieweit das auch für die mehrsprachigen TeilnehmerInnen dieser Studie zutrifft, bleibt abzuwarten. Im Bereich der Forschung zum Schreiben in der Fremdsprache kommen Chenoweth & Hayes (2001) zu dem Ergebnis, dass englischsprachige Studierende (3. und 5. Semester) in ihrer Erstsprache mehr Wörter pro Minute (fluency) schreiben als in den von ihnen studierten Fremdsprachen Deutsch und Französisch (vgl. Chenoweth & Hayes 2001: 89). Außerdem steigt die Schreibflüssigkeit in den Fremdsprachen bei den Studierenden vom 3. bis zum 5. Semester an (vgl. Chenoweth & Hayes 2001: 91). Der Anstieg der Textlänge mit zunehmendem Alter kommt auch dadurch zustande, dass die Satzlänge zunimmt. Die Satzlänge bezeichnet die durchschnittliche Anzahl von Wörtern pro Satz (im Englischen: words per clause) und ist ein Indikator für die Propositionsdichte auf Satzebene (vgl. Beers & Nagy
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2011: 186).60 Je höher der Wert für die Satzlänge, desto komplexer sind im Durchschnitt also die Sätze: „This measure reflects syntactic structures associated with linguistic literacy, such as nominalizations, attributive adjectives, nonfinite subordination […], passives, conjoining, and prepositional phrases, all of which allow a writer to compress several propositions into a single clause“ (Beers & Nagy 2011: 186).
In der Studie von Augst & Faigel nimmt die Satzlänge von der 4. bis zur 12. Klasse zu. Ab der 12. Klasse ist jedoch, ähnlich wie bei der Textlänge, eine Stagnation bei der Entwicklung der Satzlänge zu beobachten (vgl. Feilke 1996b: 201).
4.4.3.4 Subordination Als ein wichtiger Indikator für syntaktische Komplexität und die Entwicklung von Schreibfähigkeiten kann die Produktion von hypotaktischen bzw. subordinierten Sätzen gelten.61 Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007: 285) berichten beispielsweise von einem Anstieg der subordinierten Konstruktionen pro Wort62 in geschriebenen Texten von jedem 34. Wort in der 2. Klasse bis hin zu jedem 18. Wort in der 9. Klasse. Ein souveräner Umgang mit den Möglichkeiten der Subordination ist laut Feilke (1996b: 1183) erst in der Mitte der Sekundarstufe I, ungefähr im Alter von 13 Jahren, zu erwarten. Mit etwa 14 Jahren lässt sich in Texten von SchülerInnen dann ein Rückgang der Subordination erkennen, „sie stabilisiert sich auf einem Entwicklungsplateau, wobei allerdings die Differenzierung der Subordinationstechniken – feststellbar etwa an der Entwicklung
|| 60 Zu weiteren Möglichkeiten, den Begriff Satz zu bestimmen und die Satzlänge zu errechnen vgl. Best (2005). 61 Im Folgenden werden die Begriffe Hypotaxe und Subordination, wie auch meist in der Literatur üblich, synonym verwendet. Ferraresi weist allerdings darauf hin, dass es auch „Strategien der Hypotaxe […] gibt, die nicht zur Subordination führen“ (Ferraresi 2008: 176). Als solche bezeichnet Ferraresi die Adverbkonnektoren (z.B. trotzdem), die im Unterschied zu subordinierenden Konjunktionen syntaktisch relativ frei sind und keinen Nebensatz einleiten, aber ähnliche semantische Relationen zwischen zwei Sätzen herstellen (vgl. Ferraresi 2008: 173f.). Hopper & Traugott (1993) unterscheiden zwischen parataxis (Parataxe), hypotaxis (Hypotaxe) und subordination (Subordination) (Hopper & Traugott 1993: 170). Der Unterschied zwischen Hypotaxe und Subordination besteht bei ihnen darin, dass hypotaktische Sätze abhängig von Hauptsätzen, aber nicht in diese eingebettet sind. Merkmal der subordinierten Sätze ist sowohl ihre Abhängigkeit als auch ihre Einbettung (Hopper & Traugott 1993: 170f.). 62 Zu den subordinierenden Konstruktionen werden hier allerdings neben den Nebensatzkonstruktionen auch Nominal-, Partizipial- und Infinitivkonstruktionen gezählt (vgl. Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 283).
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des Konjunktioneninventars – sich bis in die Adoleszenz fortsetzt“ (1996b: 1183). Augst & Faigel (1986) untersuchen die Entwicklung der syntaktischen Komplexität in geschriebenen und gesprochenen Texten von SchülerInnen aus dem 7., 10., 12. Schuljahr und von Studierenden u.a. anhand des Vorkommens von Nebensätzen. Es zeigt sich, dass die Anzahl der koordinierten Sätze sowie der Nebensätze ersten Grades mit zunehmender Klassenstufe abnimmt, während das Vorkommen von Nebensätzen zweiten bis n-ten Grades bis zur 12. Klasse ansteigt (vgl. Augst & Faigel 1986: 80), dann allerdings stagniert. Weiterhin beobachtet Pohl (2010) für die Entwicklung des Gebrauchs von Nebensätzen anhand des Fallbeispiels einer Studentin, dass im Laufe ihrer wissenschaftlichen Schreibbiografie bzw. ihre Studiums (gemessen anhand von vier schriftlichen Arbeiten) der prozentuale Anteil hypotaktischer Strukturen abnimmt und am Ende des Studiums kaum noch eingebettete Nebensätze jenseits des ersten Grades produziert werden (vgl. Pohl 2010: 102f.). Hypotaktische Strukturen gelten gemeinhin als typisches Phänomen der konzeptionell schriftlichen Sprache (vgl. Koch & Oesterreicher 1996: 591). Auer (2002: 132f.) macht jedoch darauf aufmerksam, dass die Forschungslage in Hinblick auf das Primat der Hypotaxe im Schriftlichen (bzw. der Parataxe im Mündlichen) widersprüchlich ist, denn bei der Verteilung der einzelnen Subordinationstypen zeige sich, „dass die gesprochene Sprache bestimmte Nebensatztypen häufiger verwendet als die geschriebene. Bei den Adverbialsätzen übertrifft die Häufigkeit der temporalen sowie der temporal-konditionalen Nebensätze (also der wenn-Sätze) in der gesprochenen Sprache die in der geschriebenen; lediglich bei den konzessiven und bei den rein konditionalen (z.B. falls-) Sätzen neigt die geschriebene Sprache mehr zur Hypotaxe als die gesprochene“ (Auer 2002: 133, Hervorhebungen im Original).
Er resümiert deshalb, dass man „mit Fug und Recht behaupten [kann], dass etwas nicht stimmt mit dem Gemeinplatz, in der gesprochenen Sprache werde die syntaktische Subordination vermieden“ (Auer 2002: 135). Allerdings räumt auch Auer ein, dass schwer zu verarbeitende Formen der Hypotaxe im Mündlichen vermieden werden. Das gilt somit auch für tief eingebettete subordinierte Strukturen, denn „[j]e höher der Integrationsgrad, umso höher sind die Anforderungen an die On-line-Prozessierung der Gesamtstruktur“ (Auer 2002: 135). Subordination stellt daher auch eine besondere Erwerbsaufgabe im Zweitspracherwerb dar. Nach Ferraresi tendieren Zweitsprachenlerner zunächst dazu, Sätze parataktisch miteinander zu verbinden, „weil diese vom Matrixsatz unabhängig sind, d.h. parataktische Konstruktionen sind einfacher zu parsen und dementsprechend auch einfacher zu lernen als komplexe Sätze mit Einbettung“ (Ferraresi 2008: 177).
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Bei der Rezeption und Produktion von Nebensätzen bedeutet die Verbletztstellung („Linksdirektionalität“) für Lerner mit einer „rechtsdirektionalen“ Erstsprache (z.B. Englisch), dass sie ihre „Verarbeitungsheuristiken“ umlegen müssen (Fabricius-Hansen 2010: 225): Während sie in ihrer Erstsprache nach etwaigen topikalisierten Elementen gleich am Anfang des Satzes das Subjekt und das Verbalglied antreffen, müssen sie jetzt lernen, aufgrund der zuerst registrierten nicht-verbalen Satzglieder möglichst früh und effizient die Identität des Verbs vorauszusagen (vgl. Fabricius-Hansen 2010: 225). Im L2-Erwerb des Deutschen kommen deshalb auch, anders als im L1-Erwerb, Verbstellungsfehler in Nebensätzen vor (vgl. Rothweiler 1993: 51, 141). Auch im L1-Erwerb werden die Nebensätze spät erworben: Tracy unterscheidet für den Syntaxerwerb von Kindern mit Deutsch als Erstsprache vier Stufen (Meilensteine), und setzt den Erwerb von Nebensätzen mit flektiertem Verb als vierten und letzten Meilenstein im Alter von 3 bis 4 Jahren an (vgl. Tracy 2008). Rothweiler (1993) findet in ihrer Studie zum L1-Erwerb von Nebensätzen heraus, dass der Erwerbsverlauf für verschiedene Nebensatztypen unterschiedlich ist: „Relevant sind für die früheste Phase des Erwerbs der Verbletztstruktur sowohl Komplementsätze als auch Adverbialsätze, während Relativsätze so gut wie gar nicht auftreten. Das verzögerte Auftreten von Relativsätzen kann damit zusammenhängen, daß die Generierung eines Relativsatzes komplexer ist als die Generierung von Adverbial- und Komplementsätzen. Erstens sind Relativsätze tiefer eingebettet, und zweitens muss eine einleitende Relativpartikel in der Regel mit einem Matrixelement in Numerus und Genus kongruieren und trägt zudem eine Kasusmarkierung“ (Rothweiler 1993: 74).
Angesichts dieser Ergebnisse erscheint es sinnvoll, auch bei der Analyse des vorliegenden Korpus zwischen unterschiedlichen Nebensatztypen zu unterscheiden. Außerdem sollte auch die Einbettungstiefe berücksichtigt werden. Wie diese differenzierten Ansprüche an die Annotation der subordinierten Sätze umgesetzt werden, wird in Kapitel 6.6.1.1 näher erläutert.
4.4.3.5 Komplexe Nominalphrasen Zifonun, Hoffman & Ludger zählen „Einwort-Nominalphrasen“ (Eigennamen, Substanzausdrücke, artikellose Pluralformen) und „Nominalphrasen mit Determinativ“63 zu den „minimalen Nominalphrasen“ (Zifonun, Hoffman & Ludger || 63 In der neueren Forschungsliteratur im Rahmen des generativen Ansatzes wird davon ausgegangen, dass der Determinativ der Kopf einer solchen Phrase ist. Dementsprechend wird die Nominalphrase als Determinativphrase analysiert (vgl. z.B. Zimmermann 1991). Da diese Unter-
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1997: 1928f.). Nominalphrasen können aufgrund zahlreicher Möglichkeiten ihrer Erweiterung hoch komplex sein (vgl. Zifonun, Hoffman & Ludger 1997: 1927). Ist eine minimale Nominalphrase durch ein Attribut erweitert, so wird sie im Folgenden als komplexe Nominalphrase bezeichnet. Komplexe Nominalphrasen sind ein Mittel zur Steigerung der Propositionsdichte in Sätzen und somit zur exakten Darstellung von Sachverhalten. Biber (2004) spricht für das Englische deshalb auch von „compressed noun phrase structures“. Aufgrund ihres Potenzials, Informationen komprimiert dar- und Explizitheit herzustellen, sind komplexe Nominalphrasen insbesondere ein Phänomen der konzeptionell schriftlichen Sprache. So nehmen in Fachtexten Attribute und Attributsätze neben adverbialen Bestimmungen und Adverbialsätzen eine wichtige Rolle ein (vgl. Hoffmann 1998: 418). Komplexe Nominalphrasen eignen sich zur „expliziten Spezifizierung, d.h. der möglichst vollständigen Nennung wesentlicher Merkmale fachlicher Subjekte (und Objekte) durch Prämodifikation und Postmodifikation“ (Hoffmann 1998: 423, Hervorhebungen im Original). Halliday (2002) stellt fest: „So while spoken English is marked by intricacy in the clause complex, written English is marked by complexity in the nominal group“ (Halliday 2002: 343). Bei dem Vergleich von komplexen Nominalphrasen in mündlichen Erzählungen und Verschriftungen einer Geschichte kommt Siekmeyer (2011: 215) zu dem Ergebnis, dass in den Verschriftungen signifikant mehr Attribute benutzt werden als in den mündlichen Erzählungen. Sie deutet dies als Indiz dafür, dass komplexe Nominalphrasen ein Merkmal literater Strukturen sind (vgl. Siekmeyer 2011: 99). Diese literaten Strukturen lassen nach Maas einen nahezu unbegrenzten „propositionalen Ausbau“ zu und „maximieren so die Nutzung der sprachstrukturellen Ressourcen“ (Maas 2006: 636). Biber & Clark (2002) zeigen in einer korpuslinguistischen Untersuchung, dass im Englischen historisch gesehen komplexe Nominalphrasen mit Adjektivund Präpositionalattributen in den letzten drei Jahrzehnten in Fachtexten (informational written prose) zugenommen haben. Biber (2010) führt diese Zunahme auf zwei Einflüsse zurück: „1) an increasing need for written prose with dense informational content, associated with the ‚informational explosion‘ of recent centuries, and 2) an increasing awareness among writers of the production possibilities of the written mode, permitting extreme manipulation of the text“ (Biber 2010: 6f.).
|| scheidung im Rahmen dieser Untersuchung nicht von Relevanz ist, wird sie nicht weiter verfolgt und der Begriff Nominalphrase beibehalten.
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In Zusammenhang mit der wachsenden Bedeutung von Schriftlichkeit in der Wissensgesellschaft spricht Ehlich (2010) auch von einer „Intensivierung schriftlicher Sprachlichkeit“ (Ehlich 2010: 54). In diachroner Perspektive ist im deutschen Sprachraum für die Entwicklung des syntaktischen Systems im schriftlichen Sprachgebrauch ebenso festzustellen, dass ein Ausbau der Nominalphrase durch Attribute stattgefunden hat (vgl. Admoni 1990). Der Titel der Publikation von Biber & Clark (2002) (How long can you go without a verb?) macht gleichzeitig darauf aufmerksam, dass ein hoher Anteil von Nominalphrasen in Texten und die damit sinkende relative Häufigkeit von Verben sowie die Dehnung von Sätzen auch mit Herausforderungen für die Sprachbenutzer einhergehen. Was Biber (2010) aus diachroner Perspektive für den Sprachwandel in Fachtexten beschreibt, weist Parallelen zur Ontogenese der Schreibfähigkeiten auf. So schreibt auch Pohl über die von ihm beobachtete Entwicklung syntaktischer Schreibfähigkeiten in den Hausarbeiten der Studentin Sonja: „Sonjas ontogenetischer Entwicklungsvorgang lässt sich in Teilen als Rekapitulation des phylogenetischen Prozesses begreifen, wie er vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts für wissenschaftliche Texte mehrfach beschrieben worden ist. Vereinfacht und grobschlächtig wären die Stationen einfache Syntax, komplexe Syntax und komprimierte Syntax anzunehmen“ (Pohl 2007: 412, Hervorhebungen im Original).
Auch Lerner werden im Laufe ihrer Sozialisation – vor allem im schulischen Kontext – mit immer komplexeren Schreibaufgaben konfrontiert, die die Verarbeitung und Darstellung vieler Informationen verlangen. Gleichzeitig lernen sie, welche vielfältigen kommunikativen Funktionen Texte haben und wie Sprachmittel bewusst zur Gestaltung von Texten eingesetzt werden können. Bei dieser Entwicklung spielt auch die Fähigkeit zum Gebrauch von komplexer Syntax und insbesondere von komplexen Nominalphrasen eine Rolle. „This view of syntactic complexity, capturing the insight that more developed writing packs more information into each clause, and that this density of information is achieved by taking information that might be presented by a less mature writer in a whole clause and constructing it as a modifying element or subordinate clause, became very influential” (Schleppegrell 2008: 554).
Trotz der offensichtlichen Bedeutung der komplexen Nominalphrasen für die Herstellung konzeptionell schriftlicher Texte im fortgeschrittenen Stadium der Schreibentwicklung ist mir keine Studie bekannt, die den Gebrauch komplexer Nominalphrasen bzw. der unterschiedlichen Attribuierungsarten aus ontogenetischer Perspektive untersucht. Eine Ausnahme stellt die schon erwähnte Arbeit von Pohl (2007, 2010) dar, der nachweisen kann, dass für die Entwicklung wis-
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senschaftlicher Schreibkompetenz „eine erhöhte lexikalische Dichte und erhebliche syntagmatische Integrationsbemühungen, zusammen also eine Steigerung der lexiko-syntagmatischen Komplexität“ charakteristisch ist (Pohl 2010: 106). Dabei bezieht er sich allerdings nur auf Fallbeispiele (3 Studierende) und geht nicht näher auf die unterschiedlichen Attribuierungsarten ein. Eisenberg zählt das adjektivische Attribut, das Genitiv- und Präpositionalattribut sowie das Relativsatzattribut zu den wichtigsten Attributtypen des Deutschen (vgl. Eisenberg 2006: 235). Was das Relativsatzattribut betrifft, erscheint es mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand der komplexen Nominalphrasen jedoch sinnvoller, alle satzwertigen Attribute, also auch die attributiven Konjunktional-, Interrogativ- und Infinitivsätze, unter der Rubrik Attributsätze zusammenzufassen.64 Die unterschiedlichen Attribuierungsarten65 werden in den folgenden Kapiteln unter Verweis auf Beispielen aus dem Korpus näher erläutert. Adjektivattribute: Hinsichtlich der Syntax einer Nominalphrase mit Adjektivattribut66 stellt Weinrich eine Parallele zwischen Satz- und Nominalklammer her. Das adjektivische Attribut steht demnach in einer Nominalklammer, die über einen „klammeröffnenden Artikel“ und ein „klammerschließendes Nomen“ verfügt und in der wie in der Satzklammer bestimmte topologische Regularitäten herrschen (Weinrich 2007: 355f.). Die Morphosyntax dieser Nominalklammer ist hoch komplex und gehört für DaF- und DaZ-Lerner zu den schwierigsten Bereichen beim Erwerb der deutschen Grammatik. Der Komplexitätsgrad nimmt noch zu, wenn das adjektivische Attribut aufgrund seiner Valenz über Erweiterungseigenschaften verfügt und Ergänzungen regiert, die zu sehr komplexen Linkserweiterungen und einer starken Ausdehnung der Nominalklammer führen können.
|| In Schmidt (1993: 95–97) werden neben den schon genannten noch einige weitere Attributtypen genannt, die sich für diese Untersuchung aber als irrelevant erwiesen haben. Auch Appositionen gelten in bestimmten Grammatiken als Attribute (Eisenberg 2006: 236, 254–261). Sie wurden in den Texten zunächst annotiert, dann aber nicht weiter berücksichtigt, weil sie in dem Korpus kaum vorkamen. 65 In manchen Grammatiken werden neben den Substantiven auch Adjektive und Adverbien als attribuierbar bezeichnet (vgl. Fuhrhop & Thieroff 2005: 312). In dieser Arbeit ist jedoch nur der enge Attribut-Begriff von Relevanz, bei dem das Attribut als eine Konstituente definiert wird, die ein Substantiv modifiziert (vgl. Fuhrhop & Thieroff 2005: 308). 66 Auch die adjektivisch gebrauchten Partizipien werden in dieser Arbeit zu den Adjektivattributen gezählt. 64
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„Da sich mit einem Substantiv außerdem mehrere aneinander gereihte oder explizit koordinierte Attribute verbinden lassen, kann der pränominale Bereich stark aufschwellen, so dass der Determinativ (wenn explizit vorhanden) und der substantivische Kern der Nominalphrase in der Praxis durch umfangreiche und verschachtelte pränominale Attribute weit auseinander gerissen werden“ (Fabricius-Hansen 2010: 223).
Ein solches „Aufschwellen“ des pränominalen Bereiches ist insbesondere bei attributiv gebrauchten Partizipien der Fall (vgl. Weinrich 2007: 357). In Beispiel (1) hat das adjektivisch gebrauchte Partizip I entsprechend die Valenz des ihm zugrunde liegenden Verbs entsprechen und regiert den Dativ: (1) Zum Einen treffen Eltern oftmals falsche, ihrer Schicht entsprechende Entscheidungen … Steht in der Nominalklammer also zudem eine durch die Valenz des Adjektivs regierte Phrase, so soll von einem komplexen adjektivischen Attribut im Vergleich zu dem (einfachen) adjektivischen Attribut die Rede sein. Aus Entwicklungsperspektive kann die Produktion solcher komplexer adjektivischer Attribute als Indikator für gut entwickelte syntaktische Schreibfähigkeiten gelten, da der Produzent zusätzlich zu den oben genannten Herausforderungen in Hinblick auf die Flexionsmarkierungen an Artikel und Adjektiv auch noch die Valenzeigenschaften des Adjektivs bzw. Partizips beachten muss. In der Profilanalyse nach Grießhaber, mit der der Syntaxerwerb in der Zweitsprache Deutsch erfasst werden soll, stellt die Produktion von Partizipialattributen dementsprechend auch die letzte von 7 Kompetenzstufen dar (Grießhaber 2010: 154). Weinrich (2007) bemerkt zudem, dass die kognitive Verarbeitung einer stark gedehnten Nominalklammer aus Sicht des Rezipienten mit der Verarbeitung der Satzklammer vergleichbar ist. Der Rezipient muss alle Sprachzeichen zwischen klammeröffnendem und -schließendem Element in seinem Kontextgedächtnis speichern, bevor er schließlich das Substantiv rezipiert und die Äußerung verstehen kann (vgl. Weinrich 2007: 356). Ähnlichen kognitiven Anforderungen sieht sich der Produzent einer Nominalphrase mit komplexem Adjektivattribut ausgesetzt. Dementsprechend kann die Produktion von Adjektivattributen und insbesondere von komplexen Adjektivattributen als Indikator für die Entwicklung syntaktischer Fähigkeiten gelten. Präpositionalattribute: Nominalphrasen können nicht nur pränominal durch Adjektive erweitert sein, sondern auch durch weitere Nominalphrasen, die dann rechts vom substantivischen Kern bzw. postnominal stehen. Dabei kann jede attributive Nominalphrase wiederum durch ein in sie eingebettetes rechts stehendendes Attribut erweitert werden. Schmidt (2006: 1042) spricht deshalb
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auch von einer „offene[n] rechte[n] Grenze der Gesamt-NP“. Zu diesen postnominalen Attributen gehört das Präpositionalattribut, das in einer syntaktisch und semantisch komplexen Beziehung zu seinem Bezugsnomen steht: „Im präpositionalen Ausdruck wird ein Nominalausdruck zum Kernsubstantiv in Beziehung gesetzt. Lexikalischer Träger dieser Beziehung ist die Präposition, auch wenn sie in vielen Fällen abstrakt oder semantisch leer ist. Die etwa zweihundert Präpositionen sichern dem präpositionalen Attribut erhebliche semantische Reichweite. Sie geht insbesondere weit über die des Genitivattributs hinaus. Das spiegelt sich auch in der Syntax. Während das Genitivattribut das nächststehende Substantiv modifiziert, ist das Präpositionalattribut in dieser Hinsicht frei“ (Eisenberg 2006: 262).
Es wird in diesem Kapitel noch näher darauf eingegangen, dass u.a. diese flexible Syntax die eindeutige Identifizierung und Annotation von Präpositionalattributen erschwert. Zunächst soll jedoch die syntaktische Struktur von Präpositionalattributen näher beschrieben und erläutert werden, welche verwandten Konstruktionen in dieser Arbeit nicht zu den Präpositionalattributen gezählt werden. Schierholz (2001) unterscheidet bei den präpositionalen Attributen zwischen Nominalphrasen mit Präpositionalattribut (PPA) und Nominalphrasen mit attributiver adverbialer Bestimmung (AAB). Dabei bezeichnet er als PPA „die Phrase, die der Vorgänger-NPPPA postponiert ist, die aus der PPPA und der NachfolgerNPPPA besteht und die von dem Rektionssubstantiv hinsichtlich der PPPA regiert wird und hinsichtlich der Nachfolger-NPPPA bestimmten semantischen Restriktionen unterliegen kann“ (Schierholz 2001: 125).67
Ein Beispiel für eine solche PPA ist Beispiel (2): (2) der starke Einfluss auf den Schulerfolg Eine AAB-Konstruktion hingegen ist eine komplexe Nominalphrase, in der die Präposition des Attributs, wie in (3), nicht von dem Substantiv regiert wird (vgl. Schierholz 2001: 127). (3) Schüler aus unteren Schichten
|| Dementsprechend wird in einigen Grammatiken auch von der Rektion der Substantive gesprochen. „Obwohl die Substantive kaum feste Leerstellen um sich eröffnen, die obligatorisch durch bestimmte Genitive oder Präpositionalkasus zu besetzen sind (wie die Verben und Adjektive), kann man von einer Rektion der Substantive in den Fällen sprechen, in denen die folgende Präposition syntaktisch vom Substantiv gefordert wird und nicht das folgende Substantiv semantisch spezifiziert“ (Helbig & Buscha 1993: 296, Hervorhebung I.P.).
67
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Wenn in dieser Arbeit von Präpositionalattributen die Rede ist, sind immer beide Attribuierungstypen gemeint. Es ist davon auszugehen, dass der Gebrauch dieser Attribute gewisse sprachliche Fähigkeiten voraussetzt, da, wie soeben erläutert, in PPA-Konstruktionen die attribuierten Substantive bestimmte Präpositionen fordern und diese Präpositionen, und das gilt auch für die AAB-Konstruktionen, wiederum einen bestimmten Kasus regieren. Turgay (2010) kommt in ihrer Studie zum Erwerb von Präpositionalphrasen durch kindliche L2-Lerner zu dem Ergebnis, dass vor allem die Kasusrektion eine Herausforderung darstellt (vgl. Turgay 2010: 306). „Aufgrund der morphosyntaktischen Markierung, der syntaktischen Eigenschaften und der funktionalen Elemente und der Semantik der Präpositionen und der PPs ist der Erwerb der PP sehr komplex und bedarf Kenntnisse auf der Ebene der Morphologie, der Syntax und Semantik“ (Turgay 2010: 306).
Von den Präpositionalattributen sind die postnominalen Präpositionalphrasen (feste Wendungen und Funktionsverbgefüge) und die präpositionalen Präpositionalphrasen abzugrenzen (Schierholz 2001: 144–146). Als feste Wendung kann z.B. der Ausdruck Schüler mit Migrationshintergrund gelten. Ob es sich dabei um eine feste Wendung handelt, kann überprüft werden, indem man versucht, das der Präposition nachfolgende Nomen in den Plural zu setzen (4). (4) *Schüler mit Migrationshintergründen Es wird davon ausgegangen, dass solche festen Ausdrücke als lexikalische Einheiten abgespeichert werden und ihr Gebrauch deshalb kognitiv weniger aufwändig ist als die Produktion eines tatsächlichen Präpositionalattributs. Auch präpositionale Präpositionalphrasen dürfen nicht mit Präpositionalattributen verwechselt werden. Eine präpositionale Präpositionalphrase besteht aus „zwei Präpositionen und einem Substantiv, das zwischen diesen positioniert ist, und ähnelt in ihrer Verwendung als Ganzes einer Präposition bzw. kann die Position einer einfachen Präposition annehmen“ (Schierholz 2001: 145). So ist in (5) zu erkennen, dass es sich bei in Form von um eine geschlossene syntaktische Einheit handelt, die als Ganzes z.B. durch die Präposition durch ersetzbar ist (6). (5) … dass in nahezu allen Schulsystemen der Welt eine Leistungsmessung in Form von Beurteilungsziffern stattfindet (6) … dass in nahezu allen Schulsystemen der Welt eine Leistungsmessung durch Beurteilungsziffern stattfindet
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Eine Schwierigkeit stellt allerdings die Abgrenzung von nomendependentem Präpositionalattribut und verbdependenter adverbialer Bestimmung in Form einer Präpositionalphrase dar.68 Üblicherweise kann durch syntaktische Tests wie Permutations-, Substitutions-, Eliminierungs- und Koordinationstest festgestellt werden, welche syntaktischen Einheiten Konstituenten bilden. Ohne hinreichenden Kontext sind in manchen Fällen trotz des Einsatzes dieser Tests präpositionale Adverbiale, die Satzgliedfunktion haben, und präpositionale Attribute nicht eindeutig voneinander zu unterscheiden, es fehlt an „internen Grenzsignalen“ innerhalb der Nominalphrase (Schmidt 2006: 1043). „Sätze können oft unter Heranziehung sowohl der einen als auch der anderen Kategorie verstanden werden. In Zweifelsfällen muss man beide Möglichkeiten gelten lassen“ (Dudenredaktion 1998: 663). Diese strukturelle Ambiguität wird in (7) besonders deutlich: (7) … erklärte Israels Ministerpräsident vor Studenten und löste damit am Tag der Präsidentschaftswahlen [NP-Grenze?] in Österreich [NP-Grenze?] lautes Gelächter aus. (Schmidt 2006: 1043) Der Leser kann an dieser Stelle nicht entscheiden, ob die Präsidentschaftswahlen in Österreich stattfinden (Attribut) oder in Österreich gelacht wird (Satzglied). Auch Lauterbach (1993) macht auf diese ambigen Fälle und die fehlende Trennschärfe syntaktischer Tests aufmerksam und kommt zu dem Schluss, dass „die postnominale Stellung das stärkste Indiz für die Analyse als Präpositionalattribut“ bleibt (Lauterbach 1993: 133): Lehmus (1983) geht davon aus, dass für die Analyse dieser Zweifelsfälle „die Beziehungen zwischen einzelnen Sätzen, die syntaktische bzw. kommunikative Notwendigkeit von Satzgliedern und Attributen, die Betonungsverhältnisse, die mit der Textverflechtung und der Bedeutung zusammenhängen, Annahmen über das Wissen des Lesers u.ä. zu berücksichtigen sein [werden]“ (Lehmus 1983: 162f.). Ein solches Vorgehen wirft bei der Untersuchung von Textprodukten jedoch Probleme auf, weil sich der Kontext und die Ausdrucksintention der VerfasserInnen nicht ohne Weiteres aus den Texten rekonstruieren lassen. Wie mit den ambigen Präpositionalphrasen im Rahmen dieser Studie umgegangen wurde, wird in Kapitel 6.6.1.2 näher erläutert.
|| Vgl. hierzu auch die Dissertation von Lehmus (1983) mit dem Titel Attribut oder Satzglied? Untersuchungen zum postnominalen Präpositionalausdruck unter einem syntaktischen, semantischen und kommunikativ-pragmatischen Aspekt.
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Genitivattribute: Bei der Identifikation und Annotation von Genitivattributen entstehen keine Schwierigkeiten aufgrund von Ambiguität: Auch bei mehrfacher Attribuierung sind die Genitivattribute eindeutig auf ihren Kern zu beziehen, da sie direkt hinter dem Bezugsnomen stehen (vgl. Eisenberg 2006: 246). Allgemein lässt sich sagen, dass „[d]er attributive Genitiv (das Genitivattribut) […] ein Gliedteil [ist], der die Form einer Substantivgruppe hat und seinerseits von einem Substantiv abhängt, also in einer übergeordneten Substantivgruppe enthalten ist“ (Dudenredaktion 1998: 668). Es gibt unterschiedliche Typen von Genitivattributen, die unterschiedliche semantische Beziehungen zur übergeordneten Nominalphrase haben. In den einschlägigen Grammatiken tragen diese unterschiedliche Bezeichnungen (vgl. Helbig & Buscha 2001: 497f., Eisenberg 2006: 248–249, Dudenredaktion 1998: 668–672), die hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden können. Während Genitivattribute im Mittelhochdeutschen noch postnominal stehen konnten, ist eine Voranstellung (vgl. des Kaisers schöne Kleider) heutzutage stilistisch auffällig. Üblich ist lediglich die Voranstellung in Form des sog. Sächsischen Genitivs, der allerdings auf Eigennamen beschränkt ist und in dieser Untersuchung ausgeschlossen werden soll. Zum einen kommt er in dem Korpus dieser Arbeit kaum vor, zum anderen scheint er sowohl im L1- als auch im L2-Erwerb schnell und problemlos erworben zu werden.69 Für das postnominale Genitivattribut scheint dies nicht zu gelten. So ist der Genitiv laut Wegener (1995: 145) für den natürlichen Spracherwerb irrelevant. „Den Genitiv lernen in Süddeutschland lebende Lerner im natürlichen Spracherwerb überhaupt nicht – bis auf die Formen des pränominalen Genitivs“ (Wegener 1995a: 149). Auch Szagun berichtet, dass die Genitivmarkierung am Artikel in der Kindersprache bisher nicht beobachtet worden ist (Sazgun 2006: 29, 74, 97). Nach Hentschel & Weydt (2003) wird der Genitiv „im modernen Deutsch in der Umgangssprache kaum noch verwendet. In der Schriftsprache finden sich hingegen nach wie vor Genetive, allerdings fast ausschließlich Attribute“ (Hentschel & Weydt 2003: 171). Das postnominale Genitivattribut scheint also vor allem ein
|| 69 Der Sächsische Genitiv wird in allen Genera mit -s gebildet. Somit ist er funktional eindeutig markiert. Außerdem ist er perzeptuell gut wahrnehmbar. Im L1-Erwerb tauchen Formen des Sächsischen Genitivs schon in der Einwortphase auf (vgl. Szagun 2006: 67). Bast (2003) beobachtet im Rahmen einer 16-monatigen Longitudinalstudie zum ungesteuerten Erwerb der Nominalphrase durch zwei russischsprachige Geschwisterkinder (Alter: 8;7 und 14;2 Jahre bei Erwerbsbeginn), dass diese von Anfang an das pränominale Genitivattribut markieren (Bast 2003: 266). Postnominale Genitive kommen in den Daten nicht vor (Bast 2003: 26). Die jüngere Schwester verwendet in postnominaler Position anstelle des Genitivus Possessivus ausschließlich Präpositionalphrasen mit von (Bast 2003: 266).
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Phänomen der konzeptionell schriftlich geprägten Sprache zu sein, das erst im schulischen Kontext an Relevanz gewinnt. Auch in sprachstilistischer Sicht gilt der Genitiv in Abgrenzung zum Dativ als besonders schriftsprachlich. Was den vermeintlich abnehmenden Gebrauch des Genitivs (Genitivschwund) betrifft, so gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen. Während Lindauer (1995) ganz allgemein davon ausgeht, dass „der Kasus Genitiv langsam aus dem deutschen Kasussystem verschwindet“ (Lindauer 1995: 202), konstatiert Eisenberg diesen Bedeutungsverlust nur für den Genitiv als Objektkasus: „[V]on einem Funktionsverlust als Attribut [kann] trotz der Konkurrenz präpositionaler Attribute nicht die Rede sein“ (Eisenberg 2006: 246). Lauterbach beschreibt die Entwicklung des Genitivs folgendermaßen: „Zusammenfassend lässt sich sagen, daß der Genitiv im verbalen Bereich immer mehr zurückgeht und mit den anderen Kasus nicht mehr vergleichbar ist. Formal gehört der Genitiv zwar noch in das Kasus-Paradigma, funktional hat er sich ausgegliedert. Seine Hauptfunktion ist heute im nominalen Bereich, genauer im Junkitonsbereich der NP anzusetzen. Dort steht er in einer Reihe mit anderen postnominalen Konstruktionen: Präpositionalattribut, Relativsatz, Infinitivkonstruktion“ (Lauterbach 1993: 63).
Der Abbau des Genitivs ist vor allem auf einen Trend zur Vereinfachung zurückzuführen, da die Morphologie der Genitivmarkierung in der Tat komplex ist. Wegener weist darauf hin, dass der Genitiv gleichzeitig jedoch relativ resistent gegen Sprachwandel ist und in vielen Sprachen deutlicher als die anderen Kasus markiert wird. Sie führt dies darauf zurück, dass der Genitiv im Gegensatz zu den anderen Kasus nicht nur eine syntaktische, sondern auch eine semantische Relation im Sinne von „Besitz, Zugehörigkeit“ herstellt (Wegener 2007: 48f.). Im Genitiv Singular der Maskulina und Neutra findet – anders als bei den restlichen Kasus (ausgenommen ist der Dativ Plural) – noch immer eine Markierung am Substantiv statt -(e)s, und das sogar bei Substantiven, die auf -s enden (vgl. Helbig & Buscha 2001: 211f.). Zusätzlich zur Komplexität der Flexion unterliegt der Gebrauch von Genitivattributen einigen Beschränkungen: Das Genitivattribut muss nämlich mindestens aus einem pronominal oder adjektivisch deklinierten Wort und einem Kernnomen mit Genitivflexion bestehen (vgl. Beispiel [8]). Dies kann in einigen Konstruktionen zu Problemen führen (9) und eine Substitution durch von + Dativ nach sich ziehen (10): (8) die Probleme Heranwachsender70 (9) *die Probleme Eltern
|| Beispiele (8)–(10) aus Dudenredaktion (1998: 670).
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(10) die Probleme von Eltern Allerdings gilt die Ersetzung durch von + Dativ als „umgangssprachlich“, wenn die Präpositionalphrase einen Artikel enthält, wie z.B. das Büro vom Chef anstelle das Büro des Chefs (Dudenredaktion 1998: 671). Für Genitivattribute ist es typisch, dass andere nominale Attribute in sie eingebettet sind. Dabei handelt es sich um sog. endozentrische oder selbsteinbettende Konstruktionen, deren Einbettungstiefe theoretisch unbegrenzt ist (Eisenberg 2006: 247). (11) Zum Anderen entscheidet auch Förderung und Einschätzung der Leistungen eines Kindes, welche Schullaufbahn es antritt. Kern der Nominalphrase in (11) sind die koordinierten Substantive Förderung und Einschätzung. Sie sind durch das Genitivattribut der Leistungen erweitert, das wiederum eine durch das Genitivattribut eines Kindes erweiterte Nominalphrase darstellt. Aufgrund des hohen Aufwandes für die Verarbeitung gehören solche Mehrfachattribuierungen eher der Schriftsprache an.
4.4.3.6 Morphosyntax Die Fähigkeit, grammatisch korrekte Wörter und Sätze zu bilden, ist nur eine Teilqualifikation der Schreibkompetenz. Bei der Beurteilung von Texten von DaZ-Lernern werden jedoch oft grammatische und orthografische Fehler fokussiert, was dazu führt, dass andere Textqualitäten in den Hintergrund geraten oder gar übersehen werden (s. Kapitel 4.2.3). Jedoch kann nicht geleugnet werden, dass sprachliche Richtigkeit in normativ geprägten Bildungsinstitutionen wie der Schule eine große Rolle spielt. Insbesondere in der gymnasialen Oberstufe wird erwartet, dass Orthografie und Grammatik weitestgehend beherrscht werden. Vielfach wird jedoch angenommen, dass Fehler in diesem Bereich insbesondere für SchülerInnen und Studierende mit Deutsch als Zweitsprache „typisch“ sind. Auch gibt es Hinweise darauf, dass DaZ-OberstufenschülerInnen im Bereich der Grammatik für sich selbst einen Förderbedarf erkennen (vgl. Strecker 2010). Eine Analyse der morphosyntaktischen Fehler im Rahmen der vorliegenden Studie kann darüber Aufschluss geben, ob und in welchen Bereichen auch ältere, bildungserfolgreiche Zweitsprachenlerner in diesem Bereich noch Schwierigkeiten haben. Außerdem kann überprüft werden, ob es tatsächlich deutliche Unterschiede in Anzahl und Art der Fehler zwischen den ein- und mehrsprachigen ProbandInnen gibt.
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Allgemeine Morphosyntax: Unter Morphosyntax wird im Allgemeinen der Bereich „der Wiedergabe syntaktischer Funktionen und Relationen mit morphologischen Mitteln, mit Wortteilen, also mit gebundenen Morphemen“ verstanden (Wandruszka 1997: 172). Für L2-Lerner ist der Erwerb der Morphosyntax eine schwierige Aufgabe, da die vielfältigen Beziehungen der Einzelteile eines Satzes durchschaut und morphologisch korrekt markiert werden müssen. Syntaktisches und morphologisches Wissen müssen also miteinander kombiniert werden. Für die Annotation der morphosyntaktischen Fehler wurden vorab Kategorien zu Grunde gelegt, die beim Erwerb des Deutschen als Zweit- oder Fremdsprache zu den schwer zu erwerbenden Bereichen zählen. Neben der Flexionsmorphologie und der Genuszuordnung stellen nach Fabricius-Hansen (2010: 225) auf syntaktischer Ebene „die Subjekt-Verb-Kongruenz, die Verbvalenz, die Kasusrektion der Präpositionen, die Deklination attributiver Adjektive und die Bildung der Relativsätze“ typische Problembereiche dar. In Abhängigkeit von der Erstsprache kann sich außerdem die Verbstellung als Herausforderung erweisen. Bei der Auswahl der Fehlerkategorien wurde auf bereits bestehende Analyseschemata für häufige Fehler von L2-Lernern zurückgegriffen (vgl. Cantone & Haberzettl 2008; Grimm, Götze & Gutenberg 2006). Die Schemata wurden den Anforderungen der eigenen Studie entsprechend modifiziert (s. Kapitel 6.6.1.3). Nominalphrasen-Flexion: Im Rahmen der Analyse der morphosyntaktischen Fehler ist insbesondere die Korrektheit der Flexion komplexer Nominalphrasen von Interesse. Zum einen kann untersucht werden, ob eine höhere Komplexität auf Ebene der Nominalphrase auch zu einer höheren Anzahl von Fehlern führt. So wäre beispielsweise denkbar, dass die Texte der Sprachgruppen sich zwar nicht hinsichtlich ihrer Komplexität, aber hinsichtlich ihrer Fehlerquote unterscheiden. Zum anderen ist von Interesse, ob die Nominalphrasen-Flexion auch im fortgeschrittenen Alter noch ein kritischer Erwerbsbereich ist und wie sich die sprachliche Kompetenz in diesem Bereich bei älteren Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen entwickelt. Zunächst einmal kann festgehalten werden, dass das Deutsche für sein relativ komplexes Deklinationssystem bekannt ist. Für die Flexion einer durch ein Adjektiv erweiterten Nominalphrase gilt beispielsweise: „Um eine dreigliedrige NP korrekt zu flektieren, muss der Lerner das Genus des Kopfnomens abrufen, sich je nach Mitteilungsabsicht für einen Numerus entscheiden, der NP unter Beachtung des außerhalb derselben befindlichen Regens einen Kasus zuweisen und
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abhängig von der vorliegenden NP-Struktur die Flexive auf Artikelwort und Adjektiv verteilen“ (Sahel 2010: 187).
Das Prinzip der Monoflexion (Admoni 1982) führt dazu, dass die Flexionsmorpheme nur einmal erscheinen, nämlich entweder am Artikelwort oder am Adjektiv.71 Dadurch müssen je nach Vorhandensein oder Art des Artikelworts drei verschiedene Deklinationsparadigmen unterschieden werden: Die nominale, determinierte und schwache Adjektivdeklination (vgl. Helbig & Buscha 2001: 274). Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Polyfunktionalität der Kasusmarker. „Zwischen Funktion und Form besteht keine eindeutige Beziehung, denn die Kasusmarker an den Funktoren fusionieren mit Genus- und Numerusmarkern“ (Wegener 1995a: 143). Das Morpheminventar besteht zudem ausschließlich aus Allomorphen, so dass kein Flexionsmorphem eindeutig ist und nur eine einzige Funktion besitzt. Das Allomorph -em kann beispielsweise 18 verschiedene Funktionen übernehmen (vgl. Diehl, Albrecht & Zoch 1991: 11). In einem natürlichen, ungesteuerten Spracherwerb, in dem die Lerner auf den mündlichen Input angewiesen sind, kommt erschwerend hinzu, dass das deutsche Kasussystem eine sehr geringe phonetische Salienz hat (vgl. Szagun 2006: 97). Dies ist insbesondere an den Artikeln erkennbar, so z.B. an dem akustisch nur schwer wahrnehmbaren Unterschied zwischen dem und den oder ein und der Kurzform ein’n für einen (Szagun 2006: 97f.). So haben selbst Kinder mit Deutsch als Erstsprache bis zu einem Alter von ca. vier Jahren in aller Regel zwar den Nominativ, jedoch noch nicht den Akkusativ und Dativ erworben (vgl. Szagun 2006: 107). Dementsprechend gilt auch für Lerner des Deutschen als Zweit- oder Fremdsprache der Erwerb des Deklinationssystems und insbesondere der Adjektivdeklination als eine schwierige Hürde. Umso erstaunlicher ist es, dass in der Zweitspracherwerbsforschung zwar schon einige Studien vorliegen, die den Erwerb einzelner Kategorien der Nominalflexion (Kasus, Numerus, Genus) untersuchen72, dass bisher aber wenig über den Erwerb der Morphosyntax der Nominalphrase oder genauer, der durch Artikel und/oder Adjektiv erweiterten, zwei- bzw. dreigliedrigen Nominalphrase bekannt ist (vgl. Sahel 2010: 185).
|| 71 Ausnahmen stellen die Formen des Genitivs Singular (Maskulinum und Neutrum) und des Dativ Plural dar, s. die Ausführungen zum Genitivattribut in Kapitel 4.4.3.5. 72 Vgl. Wegener 1995c zum Kasus, Wegener 1995b und 2008 zum Numerus sowie Wegener 1992, Montanari 2010 und Jeuk 2008 zum Genus. Bast (2003) untersucht den Erwerb der Kategorien Kasus, Numerus und Genus bei zwei DaZ-Kindern (8 und 14 Jahre alt) in einem Zeitraum von 16 Monaten, vgl. Fußnote 69.
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Eine Ausnahme stellt die Studie von Pagonis (2009) dar, der über 16 Monate den ungesteuerten Erwerb der Adjektiv-Substantiv-Kongruenz von zwei Deutschlernerinnen mit L1 Russisch (8 bzw. 14 Jahre) beobachtet. In dem Erwerbsverlauf der achtjährigen Probandin zeichnen sich folgende drei Phasen ab: Zunächst werden verschiedene Flexionsformen unanalysiert gebraucht. In der zweiten Phase werden die Flexionssuffixe bereits systematisch, aber nicht durchgängig zielsprachenkonform zur Markierung von Genus, Kasus und Numerus eingesetzt. Die dritte Phase zeichnet sich durch eine zielsprachliche Markierung aller attributiven Adjektive aus (vgl. Pagonis 2009: 256). Als weniger erfolgreich kann der Deklinationserwerb der 14-jährigen Schwester angesehen werden: Sie verwendet zunächst fast ausschließlich die Nullendung, übergeneralisiert anschließend die e-Endung und scheint damit im Stadium einer „formreduzierenden Markierungsstrategie zu fossilieren“ (Pagonis 2009: 257). Eine Studie zum gesteuerten Erwerb des Deklinationssystems legen Diehl, Albrecht & Zoch (1991) vor. Sie untersuchen drei unterschiedlich fortgeschrittene Gruppen von Lernern: 1. SchülerInnen mit sieben Jahren Deutschunterricht, 2. Studierende des Faches Deutsch im 2. und 3. im 4. Semester (n = 32). Der Umgang der SchülerInnen mit dem Kasussystem nach siebenjährigem Deutschunterricht, in dem das Kasusparadigma im 3. Lernjahr eingeführt wurde, kann als zufällig und „chaotisch“ bezeichnet werden (Diehl, Albrecht & Zoch 1991: 26), dies gilt insbesondere für die Markierung der Adjektive, die eher „experimentellen Charakter“ hat. In der Gruppe der Studierenden hingegen ist der Erwerb der Kasusmorphologie weitgehend abgeschlossen, nur bei den Pluralmarkierungen tauchen noch Unsicherheiten auf. Syntaktisch bedingte Kasusfehler, bei denen die Position der Nominalphrase – z.B. durch eine große Distanz der aufeinander bezogenen Satzteile – eine falsche Kasusmarkierung hervorzurufen scheint, nehmen jedoch sogar zu, dies kann durch die zunehmende Verwendung von komplexen Satzstrukturen erklärt werden (vgl. Diehl, Albrecht & Zoch 1991: 56). Die Ergebnisse einer späteren Studie von Diehl et al. (2000), in der auch die Verbflexion und Verbstellung untersucht wurden, deuten darauf hin, dass alle Bereiche in einer bestimmten Abfolge, das Kasussystem aber viel später als die beiden anderen genannten Bereiche erworben wird.73 Die Lerner in dieser Studie operieren sehr lange mit einem Ein-Kasus-System, in dem nur Nominativformen vorkommen. Später kommen Akkusativ- und Dativformen dazu, diese werden allerdings beliebig und nicht zielsprachenkonform verwendet. Ein
|| Es handelt sich bei dieser Studie (Diehl et al. 2000) um eine groß angelegte Untersuchung aus der frankophonen Westschweiz, in der rund 1800 Aufsätze von SchülerInnen der 4. Klasse bis zur 12. Klasse sowie Arbeiten aus den Maturitätsprüfungen untersucht wurden. 73
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funktional differenziertes Drei-Kasus-System bildet sich bei den ProbandInnen erst heraus, wenn sie den Erwerb der Verbstellung schon abgeschlossen haben und im Verbalbereich nur noch der Erwerb des Präteritums und anderer komplexer und wenig frequenter Formen bevorsteht (vgl. Diehl et al. 2000: 263). Auch der Erwerb des Kasus in Präpositionalphrasen wird in der Studie von Diehl et al. (2000) untersucht. Der Kasuserwerb scheint hier z.T. schneller zu verlaufen als im Bereich der Nominalphrasen. Allerdings kann dies auch darauf zurückgeführt werden, dass die Präpositionalphrasen als Chunks gelernt wurden (vgl. Diehl et al. 2000: 299). Eine separate Auswertung der durch ein Adjektiv erweiterten komplexen Nominalgruppen in einem Subkorpus aus der Studie von Diehl et al. (135 Texte) zeigt, dass von den vorhandenen 1287 Nomen nur 134 durch ein Adjektiv erweitert sind und von diesen wiederum nur 64 zielsprachlich korrekt (vgl. Diehl et al. 2000: 188–190). Bis zur 8. Klasse kommen Adjektiv-attribute so gut wie gar nicht vor (vgl. Diehl et al. 2000: 191). Diehl et al. (2000: 192f.) legen aufgrund ihrer empirischen Daten vier Erwerbsstadien für die Adjektivdeklination fest, dabei treffen sie allerdings keine Aussagen über die Flexion der Artikelwörter: Im ersten Stadium („O-FLEXION“) werden Adjektive in unflektierter Form verwendet. Im zweiten Stadium („BELIEBIG“) tauchen Adjektivendungen auf, allerdings ohne dass eine Systematik erkennbar wäre. Anders als im Stadium „FORMALer Ausgleich“: Hier erfolgt eine Ausrichtung an ausdrucksseitigen Kriterien der Nominalphrase, z.B. in Form einer Anpassung der Adjektivflexion an das vorausgehende Artikelwort, oder die Übergeneralisierung einer bestimmten Flexionsendung. Das vierte Stadium („Funktionaler Ausgleich“) ist dadurch gekennzeichnet, dass unterschiedliche Flexionsendungen vorkommen, die eine „Abhängigkeit von den relevanten nominalen Kategorien Genus, Numerus, Kasus und damit eine paradigmatische Orientierung zeigen“ (Diehl et al. 2000: 193). Auch in diesem letzten Stadium tauchen nicht-zielsprachenkonforme Realsierungen noch häufig auf (vgl. Diehl et al. 2000: 193). Der Erwerb des Kasussystems des Deutschen erweist sich also auch in gesteuerten Lernprozessen als eine große Herausforderung, überdies haben grammatische Instruktionen laut Diehl et al. (2000) kaum positiven Einfluss auf den Erwerb (vgl. Diehl et al. 2000: 364). Das 4-Stadien-System gibt zwar erste Anhaltspunkte, wie sich Lerner das komplexe Deklinationssystem der Adjektive aneignen, allerdings erscheint es angesichts der Vielzahl der zu beachtenden Kategorien, und gerade auch für fortgeschrittene Lerner, die viele Adjektivattribute produzieren, zu undifferenziert. Insbesondere müsste genauer betrachtet werden, wie der Erwerb der unterschiedlichen Deklinationsparadigmen verläuft. Sahel (2010) gibt für eine solche Modellierung erste Anhaltspunkte. Er entwickelt sowohl theoriegeleitet
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als auch auf Basis von empirischen Daten ein Kompetenzstufenmodell für die NP-Flexion (Sahel 2010: 186). Seine Daten bestehen aus Lückentexten von 47 als förderbedürftig eingestuften RealschülerInnen der 6. Klasse, 29 von ihnen haben einen Migrationshintergrund bzw. sind mehrsprachig. In den Lückentexten sollen die Flexionsendungen von 12 zwei- bis dreigliedrigen Nominalphrasen ergänzt werden. Alle ProbandInnen zeigen die größten Schwierigkeiten bei der Flexion von zweigliedrigen Nominalphrasen im Dativ Singular Maskulinum bzw. Neutrum, in denen kein Artikelwort vorhanden ist und die Kasusmarkierung am Adjektiv erfolgen muss (vgl. Sahel 2010: 200). Die SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache weisen insgesamt mehr Fehler auf, die zum einen auf falschen Kasuszuweisungen, zum anderen auf Unsicherheiten in Bezug auf die interne Kongruenz der Nominalphrase beruhen (vgl. Sahel 2010: 200). Sahel entwickelt auf Basis dieser Ergebnisse folgendes Kompetenzstufen-Modell: „Kompetenzstufe 1: Der Lerner ist nicht in der Lage, NPs intern korrekt zu flektieren; er produziert oft inkongruente NPs (z.B. in einer große Villa). Kompetenzstufe 2: Der Lerner ist in der Lage, NPs intern korrekt zu flektieren, produziert aber oft Kasus- und/oder Genusfehler ([wohnt] in eine große Villa). Kompetenzstufe 3: Der Lerner ist in der Lage, NPs auch hinsichtlich Genus und Kasus korrekt zu flektieren. Kompetenzstufe 4: Der Lerner ist in der Lage, Adjektive bei fehlendem Artikelwort stark zu flektieren, auch im Dativ Singular Maskulinum/Neutrum (mit prächtigem Dach)“ (Sahel 2010: 203).74
Die Ergebnisse von Diehl, Albrecht & Zoch (1991), Diehl et al. (2000) und Sahel (2010) bedeuten für die vorliegende Studie, dass auch bei sehr fortgeschrittenen DaZ-Lernern noch fehlerhaft flektierte Nominalphrasen zu erwarten sind, und
|| Leider ist nicht der gesamte Lückentext einsehbar, der für die Datenerhebung eingesetzt wurde. Die Nominalphrase in dem Beispielsatz „Ihr braunes Haar glich ........................ (dunkel, Ebenholz)“, die sowohl von den L1- als auch den L2-SchülerInnen besonders fehlerhaft flektiert wird (Fehlerrate L1-Gruppe: 39 %, Fehlerrate L2-Gruppe: 69 %, Sahel 2010: 194), erscheint mir allerdings sehr unpassend für den Zweck der Untersuchung. Es kann m.E. nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden, dass das Verb des Satzes (gleichen) bzw. der Kasus, den es regiert (Dativ) und das Substantiv (Ebenholz) mit seinem Genus zum Wortschatz von SchülerInnen der 6. Klasse gehören. Die Fehler könnten deshalb auch auf lexikalischen Schwierigkeiten, und nicht unbedingt, wie der Autor annimmt, auf Unsicherheiten bei der Realisierung der starken Flexion am Adjektiv beruhen.
74
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dies vor allem in durch ein Adjektiv erweiterten Nominalphrasen im Dativ Singular Maskulinum/Neutrum. Zum anderen zeigt das Kompetenzstufen-Modell, dass die Nominalphrasen bei der Fehleranalyse als Einheit in den Blick genommen werden müssen und berücksichtigt werden sollte, ob innerhalb der Nominalphrase Kongruenz hergestellt wird. Dies müsste als Entwicklungsschritt anerkannt werden und würde beispielsweise bedeuten, dass (12) aus Erwerbsperspektive aufgrund der mangelnden Kongruenz eine weniger fortgeschrittene Version als (13) darstellt, obwohl in (12) mehr Elemente (nämlich das einer) mit der zielsprachlich korrekten Version übereinstimmen: (12) [er wohnt] in einer große Villa (13) [er wohnt] in eine große Villa Wie vor diesem Hintergrund die Fehlerannotation genau durchgeführt wird, wird in Kapitel 6.6.1.3 näher erläutert. In diesem Abschnitt wurde Indikatoren für syntaktische Schreibfähigkeiten beschrieben, die alle zu den Oberflächenmerkmalen von Sprache zählen. Im nächsten Abschnitt soll es um eine Fähigkeit gehen, die auf der textuellen Ebene anzusiedeln ist: die Fähigkeit zum schriftlichen konzessiven Argumentieren. Während die syntaktischen Schreibfähigkeiten sowohl in den argumentativen Texten als auch in den Zusammenfassungen untersucht werden, beziehen sich die folgenden Ausführungen nur auf die Analyse der argumentativen Texte.
4.4.4 Entwicklung schriftlicher Argumentationskompetenz Zu einer elaborierten Argumentation gehören nach Leitaõ (2003) folgende Elemente: „to take a stance on a topic, to support it with reasons, to consider opposite views, and to react to them by using counterargumentation“ (Leitaõ 2003: 272). Um den Adressaten zu überzeugen, reicht es also nicht aus, seinen eigenen Standpunkt und die dazugehörigen Argumente zu nennen, sondern es muss „room for negotiation“ (Golder & Coirier 1996: 272) geschaffen werden. Dies können die AutorInnen einer Argumentation durch das konzessive Argumentieren erreichen. „Voraussetzung für konzessives Argumentieren ist ein strittiges Thema zu dem gegensätzliche Standpunkte eingenommen werden können. Darüber hinaus muss der Schreiber über die sozialkognitive Fähigkeit der Perspektivenübernahme verfügen, um mögliche Gegenargumente zu antizipieren. Erst die Verfügbarkeit von Gegenargumenten ermöglicht es, diese Gegenargumente dem eigenen Standpunkt gegenüberzustellen und rhetorisch in den eigenen Text zu integrieren“ (Rezat 2011: 52).
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Beim konzessiven Argumentieren handelt es sich „um die Vorwegnahme eines als Einwand formulierten Gegengrundes, den der Sprecher vom Adressaten erwartet“ (Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 2315). Um mögliche Gegenpositionen und Gegenargumente auf diese Weise nicht nur in den Text integrieren, sondern auch widerlegen zu können, bedarf es der Beherrschung konzessiver Argumentationskompetenz (Rezat 2011). Auf der sprachlichen Ebene gehört zu dieser Kompetenz das Verfügen über konzessive literale Prozeduren (Rezat 2011), einer Untergruppe der literalen Prozeduren (Feilke 2010c). Diese „sind zwar syntaktisch und lexikalisch charakterisierbar, aber nur textuell zu bestimmen“ (Feilke 2010c: 8) und liegen demnach „im Übergangsfeld von grammatischer und textueller Struktur“ (Feilke 2010c: 10). „Sie verbinden die textuelle Strukturierung mit den lexikogrammatisch gefassten sprachlichen Ordnungen des Formulierens. Erst durch sie werden syntaktisches und lexikalisches Wissen zu einem Werkzeug der Textbildung“ (Feilke 2010c: 10f.). Mit der konzessiven Konstruktion zwar … aber können z.B. ganze Textabschnitte konstituiert und organisiert werden (vgl. Feilke 2010c: 11). Die Kategorie der literalen Prozeduren erscheint mir auch mit Blick auf die Texte von Lernern mit Deutsch als Zweitsprache von großem Interesse zu sein, da sich in ihnen das Zusammenspiel von Sprach- und Schreibkompetenz manifestiert. Es ist noch wenig darüber bekannt, wie bei DaZ-Lernern lexikalische und grammatische Kompetenzen und die Fähigkeit, einen adäquaten Text zu produzieren, zusammenhängen. Dass es schwierig ist, diese Ebenen auseinander zu halten zeigt sich z.B. in schulischen Bewertungsprozessen, wo sprachliche Fehler oft dazu führen, dass die gesamte Textqualität unterschätzt wird. Dabei gibt es jedoch Hinweise darauf, dass gerade bei DaZ-SchülerInnen die Sprachkompetenz im engeren Sinn und die Fähigkeit zur Textproduktion weit auseinander liegen können (vgl. Knapp 1997). Andererseits kann angenommen werden, dass Texte von Zweitsprachenlernern zwar an der Oberfläche zielsprachenadäquat realisiert und demnach unauffällig sind, die sprachliche Korrektheit für diese Gruppe aber mit einer höheren kognitiven Anstrengung einhergeht, die einen negativen Einfluss auf die Textqualität haben kann (vgl. Galbraith 1999, Kapitel 4.2.1). Diese kognitive Belastung ist beim konzessiven Argumentieren besonders hoch: „The production of a dialogic discourse ‘from within’ a monologue context calls for specific linguistic skills and complex management of textual advices. All these demands certainly represent a remarkable cognitive load that complicates children’s handling of negotiation in writing“ (Leitaõ 2003: 276). Dementsprechend verwundert es nicht, dass Golder & Coirier (1996) davon ausgehen, dass SchülerInnen erst im Alter von 16 bis 17 Jahren dazu in der Lage sind, die Perspektive des Adressaten soweit zu berück-
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sichtigen, dass sie Gegenargumente in ihre Texte integrieren (vgl. Golder & Coirier 1996: 273). Andererseits zeigen jedoch Untersuchungen von Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007) und Rezat (2011), dass auch GrundschülerInnen schon Gegenargumente in ihren Texten anführen. Rezat untersucht das konzessive Argumentieren in Hinblick auf die Verwendung konzessiver literaler Prozeduren bei SchülerInnen unterschiedlicher Jahrgangs- (3., 4., 8. und 9. Klasse) und Schulformen (Hauptschule und Gymnasium) (vgl. Rezat 2011: 54). Die konzessiven Strukturen analysiert sie anhand von zwei Methoden: Zum einen untersucht sie konzessive Sprachmittel, die sich an der Textoberfläche manifestieren (i.a.W. literale Prozeduren), zum anderen führt sie eine Argumentationsanalyse durch, mit der sich auch implizite konzessive Strukturen rekonstruieren lassen (vgl. Rezat 2011: 55). Mit Blick auf die Texte der GrundschülerInnen spricht sie von der Fähigkeit zum „präkonzessiven“ Argumentieren (Rezat 2011: 58). Ein nach ihrer Einschätzung prototypisches Beispiel für diese Kompetenzstufe ist folgender Text eines Grundschülers aus der dritten Klasse. In der Schreibaufgabe ging es darum, einen Brief an eine gewisse Paula zu schreiben, die sich eine Rechenaufgabe ausgedacht hat und findet, dass diese Aufgabe „superschwer“ ist. Die SchülerInnen sollten in dem Brief zum Ausdruck bringen, was sie von Paulas Einschätzung halten. „Liebe Paula,/ Diese Aufgabe ist /doch superleicht! Wenn man / das Schriftlich rechnet. Die auf- / gabe sah zwar scher aus / aber das ist sie nicht. / Aber trotzdem musst ich / mich anstrengen sie zu lösen / Ich wünsche dir noch weiter / hin erfolg beim rechnen. / David (David, Kl. 3)“ (Rezat 2011: 57, Hervorhebung im Original).
In diesem Beispiel wird zwar ein Gegenstandpunkt (die Aufgabe sieht schwer aus; es war anstrengend, sie zu lösen) genannt, jedoch werden keine weiteren Gegenargumente genannt, also z.B. ein Grund dafür, warum die Rechenaufgabe schwer aussah. Ein weiteres Textbeispiel aus der Grundschule stammt aus dem Korpus von Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007). Die Aufgabe lautete hier, einen Brief an Professor Augst zu schreiben, der den Vorschlag gemacht hat, die Autos abzuschaffen. Der Text wurde von den Beurteilenden in dem 4-stufigen Kompetenzmodell für das argumentative Schreiben in der Grundschule der höchsten Kompetenzstufe zugeordnet.75
|| 75 Vgl. dazu das Stufenmodell zur Entwicklung von Textkompetenz von Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007), das in Kapitel 4.4.2 erläutert wurde.
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„Lieber Herr Professor Augst, auf einer / Seite sind Autos sehr gut. / Man kann zum Beispiel: Von / Hartenrod nach Marburg fahren. / Mit Fahrrädern würde man das / wahrscheinlich nicht können. / Auf der anderen Seite verschmutzen / Autos die Umwelt. Mit ihrem / Benzin verschmutzen sie auch / die Luft. Im Ganzen bin ich / dafür das Autos nicht weg abgeschafft werden./ Viele Grüße Lukas (Lukas, 4. Kl.)“ (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 203).
Der Schreiber nennt ein Gegenargument (Autos verschmutzen die Umwelt) und leitet diese Gegenüberstellung auch schon mit den entsprechenden sprachlichen Mitteln (auf einer Seite … auf der anderen Seite) ein. Der Text zeigt allerdings auch, dass es dem Schüler noch schwer fällt, das Gegenargument zu entkräften und einen angemessen Übergang zu seinem Schlusssatz zu formulieren. Dadurch wirkt der abschließende Satz (Im Ganzen bin ich dafür das Autos nicht weg abgeschafft werden) auch relativ unvermittelt. Dementsprechend stellt auch Rezat fest, dass die Texte der GrundschülerInnen in rhetorischer Hinsicht „skelettartig“ bleiben (Rezat 2011: 58). Eine elaborierte konzessive Argumentationskompetenz kann von GrundschülerInnen also noch nicht erwartet werden. Auch in quantitativer Hinsicht kommen konzessive Strukturen in den Texten der GrundschülerInnen nicht oft vor, in dem Grundschul-Korpus von Rezat beispielsweise nur in vier von 33 Texten (vgl. Rezat 2011: 57). Ein weiteres Ergebnis aus Rezats Studie ist die völlige Abwesenheit konzessiver Strukturen in den Texten der HauptschülerInnen (Klasse 8). Insgesamt verfügen diese Texte über keine dialogische Argumentationsstruktur und sind von einer subjektiv-assoziativen Schreibweise geprägt, die einer niedrigen Schreibentwicklungsstufe zuzuordnen ist (vgl. Rezat 2011: 60). Rezat führt dies zum einen auf die kleine Stichprobengröße dieser Gruppe (14 Texte) zurück, zum anderen betont sie aber auch die Bedeutung des Schreibunterrichts und einer mangelnden Schreiberfahrung „im Bereich kommunikativargumentativen Schreibens“ für diesen Entwicklungsstand (Rezat 2011: 61). In den Texten der Gymnasialschüler finden sich hingegen in Klasse 8 in 35 % der Texte, und in Klasse 9 in 55 % der Texte konzessive Strukturen (vgl. Rezat 2011: 60). „Die Gymnasialschüler verwenden in ihren Texten konzessive literale Prozeduren, die lexikalische und grammatische Einheiten enthalten und mehr oder weniger stark grammatikalisiert sind. Der einräumende Teil der Konzession wird bis auf wenige Ausnahmen markiert, und zwar durch lexikalische Mittel der Einräumung oder allgemeine Verstärkungselemente des Gegensatzes.“ (Rezat 2011: 61).
Über die Schule hinaus ist das konzessive Argumentieren schließlich auch in wissenschaftlichen Texten von großer Relevanz (vgl. Steinhoff 2007: 124). Nach Steinhoff ist das Abwägen von eigenen und fremden Argumenten ein typisches
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Merkmal der Wissenschaftskommunikation (vgl. Steinhoff 2007: 329), mit der eine wissenschaftliche Diskussion simuliert werden soll (vgl. Steinhoff 2007: 125). Im Laufe der wissenschaftlichen Schreibsozialisation wachse das Bestreben, Gegenargumente zu thematisieren (vgl. Steinhoff 2007: 338). Dies zeige sich z.B. in einer steigenden Zahl von zwar-Konstruktionen in den von ihm untersuchten studentischen Hausarbeiten (vgl. Steinhoff 2007: 338 und Kapitel 4.4.2). Es kann festgehalten werden, dass das Argumentieren, und insbesondere das konzessive Argumentieren, die Schreiber eines Textes vor große kognitive und sprachliche Herausforderungen stellt. Aus entwicklungspsychologischer Perspektive kann dies durch die Schwierigkeit erklärt werden, die Perspektive des Adressaten einzunehmen und in den Text zu integrieren. Leitaõ (2003) hat außerdem herausgefunden, dass SchülerInnen schon im Alter von 8 bis 9 Jahren Gegenargumente – in diesem Fall vorgegebene – in ihren Text aufnehmen, dies aber nur tun, wenn sie sich in der Lage fühlen, diese auch überzeugend entkräften zu können. „the inclusion of a counterargument in a text is viewed as rhetorically valuable for discursive purposes (only?) when the arguers feel able to reply to that counterargument in a way that preserves the strength of their original viewpoints“ (Leitaõ 2003: 301). Eine weitere Erklärung für die myside bias (s. Kapitel 4.3.1.3) sehen Wolfe, Britt und Butler (2009) in bestimmten (unangemessenen) Vorstellungen über das argumentative Textmuster. In ihrer Studie mit 86 Studierenden, die bei dem Schreiben ihrer argumentativen Texte sowohl Informationen über Pro- als auch über Kontra-Argumente zu der strittigen Frage vorliegen hatten, nahmen 50 % der TeilnehmerInnen überhaupt keine Gegenargumente in ihre Argumentation auf (vgl. Wolfe & Britt 2008: 10), und zwar unabhängig davon, welchen Standpunkt sie vertraten. Zudem zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der fehlenden Integration von Gegenargumenten und den Vorstellungen über einen guten argumentativen Text: „About a quarter of participants showed evidence of a fact-based argumentation schema in their response to the question ‘What makes a good argument?’ These participants were significantly less likely to include other side information in their essays than other participants. The essence of the fact-based argumentation schema is that a claim is good if it can be ‘proved by facts’. For people with this belief, facts and support are treated uncritically. The intended audience is not part of the schema and thus ignored. More importantly, arguments and information that may support another side are not part of the schema and are also ignored“ (Wolfe & Britt 2008: 16).
Schließlich sollte aber auch die Herausforderung, die mit der Beherrschung der für das schriftliche Argumentieren notwendigen Sprachmittel einhergeht, berücksichtigt werden. Die Nichtbeherrschung dieser sprachlichen Mittel kann dazu führen, dass bestimmte Ideen, u.U. auch Gegenargumente, nicht in den
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Text aufgenommen werden (vgl. Leitaõ 2003: 302). Coirier, Andriessen & Chanquoy (1999) gehen davon aus, dass der Prozess des linguistic coding in den existierenden Schreibmodellen in der Regel unterschätzt wird und identifizieren aus psycholinguistischer Perspektive drei große sprachliche Herausforderungen beim Verfassen komplexer, insbesondere argumentativer Texte: „(1) the strong need for explicitness (hence cohesive devices) when the relationships between the ideas are not easily inferable, which is the case in argumentative essays; (2) the interference between insufficient automatization of the linguistic processes and the organization of the content; (3) the interdependence of conceptualization and linguistic skills“ (Coirier, Andriessen & Chanquoy 1999: 20).
Für die sprachliche Realisierung ihrer Textpläne und die Herstellung komplexer Beziehungen zwischen Sätzen müssen Schreiber über textualizing operations oder organizational devices verfügen, dazu gehören im Englischen z.B. „subordination, coordination, specification or concession relationships, and this has to be expressed especially by means of syntax, punctuation, connectives, and the anaphoric system“ (Coirier, Andriessen & Chanquoy 1999: 19). Aufgrund der bisherigen Ausführungen kann gemutmaßt werden, dass der Erwerb konzessiver Argumentationskompetenz und der entsprechenden sprachlichen Mittel die mehrsprachigen ProbandInnen dieser Studie vor besondere Herausforderungen stellt. Anhand welcher Kriterien diese Annahme in den Texten überprüft werden soll, wird in Kapitel 6.7 näher ausgeführt.
5 Zusammenfassung: Forschungsfragen und Hypothesen Der Zusammenhang von schriftsprachlichen Fähigkeiten und Bildungserfolg steht in jüngster Zeit – insbesondere mit Blick auf Kinder und Jugendliche mit Deutsch als Zweitsprache – vermehrt in der Diskussion. Dabei weiß man bisher allerdings wenig darüber, wie sich die Schreibkompetenz von ein- und mehrsprachigen SchülerInnen unterscheidet. Ein Blick auf den aktuellen Stand der Forschung (Kapitel 2) hat gezeigt, dass ältere SchülerInnen sowie Studierende mit Deutsch als Zweitsprache von dieser Forschungslücke doppelt betroffen sind: Es liegen sowohl wenig Erkenntnisse über das Schreiben in der Zweitsprache Deutsch als auch über das Schreiben von älteren Jugendlichen und Erwachsenen vor. Mit der vorliegenden Studie wird auf dieses Forschungsdesiderat reagiert, indem die Schreibfähigkeiten von ein- und mehrsprachigen SchülerInnen der Sekundarstufe II und Studierenden genauer untersucht werden. Die vorangegangenen Ausführungen haben des Weiteren gezeigt, dass die Beherrschung komplexer sprachlicher Mittel im Bereich der Syntax Voraussetzung für die Produktion konzeptionell schriftlicher Texte ist. Aufgrund der Sprachgebundenheit der Syntax können bei den erst- und zweitsprachlichen Schreibern Unterschiede in den für die Textproduktion notwendigen syntaktischen Wissensbeständen erwartet werden. Als passender theoretischer Rahmen für die Untersuchung der Schreibfähigkeiten wird die Schreibentwicklungsforschung herangezogen. Die in Kapitel 4.4.2 vorgestellten Modelle der Schreibentwicklung zeigen, dass der Erwerb von Schreibkompetenz der emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung folgt. Durch die Analysen von Schreibprodukten unterschiedlicher Alterskohorten lassen sich überindividuelle Erwerbsstufen erkennen. Dabei ist bekannt, dass die Entwicklung syntaktischer Schreibfähigkeiten zunächst von der Koordination über die Subordination von Sätzen bis hin zu einer verstärkten Integration von Propositionen auf Phrasenebene verläuft. Die Frage, wie sich diese Entwicklung in den Texten der OberstufenschülerInnen und Studierenden dieser Studie manifestiert und ob die syntaktischen Schreibfähigkeiten der Ein- und Mehrsprachigen unterschiedlich verlaufen, steht im Zentrum der quantitativen Textanalyse der vorliegenden Arbeit.
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Als Datengrundlage für diese Analyse wurden 370 argumentative Texte und Zusammenfassungen gewählt.76 Dabei handelt es sich um zwei relativ komplexe Textarten, die zudem für das Schreiben und Lernen in der Oberstufe und an der Hochschule eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus erhöht die Erhebung von zwei unterschiedlichen Textarten die Validität der Untersuchung und erlaubt zusätzlich die Überprüfung der Frage, ob die unterschiedlichen Funktionen dieser Textarten zu einem unterschiedlichen Grad an syntaktischer Komplexität führen. Um eine vergleichende Untersuchung durchführen zu können, werden zwei Sprachgruppen (einsprachig und mehrsprachig) gebildet (s. Kapitel 3). Zum einen kann auf Basis der bisherigen Diskussion in dieser Arbeit davon ausgegangen werden, dass sich die syntaktischen Schreibfähigkeiten der einund mehrsprachigen SchülerInnen bzw. Studierenden unterscheiden. Daraus kann folgende, sich auf die Unterschiede zwischen den Sprachgruppen beziehende Hypothese abgeleitet werden: – Hypothese 1: Innerhalb der jeweiligen Altersgruppe sind die argumentativen Texte und Zusammenfassungen der mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden syntaktisch weniger komplex als die argumentativen Texte und Zusammenfassungen der einsprachigen SchülerInnen und Studierenden. Zum anderen ist aus der Schreibentwicklungsforschung bekannt, dass beim Erwerb von Schreibkompetenz überindividuelle Entwicklungsschritte erkennbar sind und sich Teilkompetenzen für das Schreiben mit zunehmendem Schreibalter ausdifferenzieren (s. Kapitel 4.4). Daraus lässt sich die zweite Hypothese ableiten, die sich auf die Unterschiede zwischen den Altersgruppen bezieht: – Hypothese 2: Die syntaktische Komplexität in den argumentativen Texten und Zusammenfassungen steigt mit dem (Schreib-)Alter der SchülerInnen und Studierenden an. Diese Hypothesen sollen empirisch anhand verschiedener Indikatoren für syntaktische Komplexität in der Hauptanalyse der Arbeit überprüft werden (s. Kapitel 7.3). Die zu analysierenden komplexen sprachlichen Strukturen lassen sich in dem Korpus relativ eindeutig definieren und identifizieren. Diese Art der Textanalyse weist daher einen hohen Grad an Objektivität und Reliabilität auf. || Für den Zugang zum Korpus s. Fußnote 10.
76
110 | Zusammenfassung: Forschungsfragen und Hypothesen
Allerdings handelt es sich bei den untersuchten Variablen um reine Oberflächenphänomene von Sprache, und die pragmatische Dimension wird dabei ausgeklammert. Da anhand der quantitativen Analyse keine Aussagen darüber gemacht werden können, inwieweit die verwendeten (syntaktisch komplexen) sprachlichen Mittel auch tatsächlich funktional und leserorientiert eingesetzt werden, ist die Aussagekraft der Ergebnisse eingeschränkt. Ein zweiter, ergänzender Auswertungskomplex beschäftigt sich deshalb mit der Frage nach der Entwicklung konzessiver Argumentationskompetenz. Dabei sollen die sprachlichen Strukturen auch in Hinblick auf ihre Funktion für die Herstellung eines dem Kommunikationsziel entsprechenden Textes betrachtet werden. Auf Basis der quantitativen Auswertung können dafür Texte identifiziert werden, die einen besonders hohen oder niedrigen Grad an Komplexität auf Ebene der Nominalphrasen aufweisen. Dies ermöglicht die datengeleitete Auswahl eines kleineren Korpus (72 Texte), das in Bezug auf die Alters- und Sprachgruppe gleich viele Texte beinhaltet (s. Anhang B). Dieses Korpus kann somit einer an textuellen Kriterien orientierten, explorativen Analyse unterzogen werden. Aus den qualitativen Beobachtungen sollen weitere Hypothesen generiert werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem im Schreiberwerb kritischen konzessiven Argumentieren und den dabei verwendeten konzessiven literalen Prozeduren (Rezat 2011). Das sind textkonstituierende sprachliche Mittel, die auf der Ebene zwischen Satz und Text angesiedelt sind und mit denen das konzessive Argumentieren sprachlich explizit gemacht wird (z.B. zwar … aber) (s. Kapitel 4.4.4). Auch in diesem Bereich stellt sich die Frage, welche Entwicklungen hinsichtlich der schriftlichen Argumentationskompetenz in den Altersgruppen beobachtbar sind und ob sich Unterschiede zwischen den Texten der Ein- und Mehrsprachigen erkennen lassen.
6 Methode In diesem Kapitel wird erläutert, welcher methodische Rahmen für die Überprüfung der Hypothesen und die Beantwortung der Forschungsfragen dieser Studie gewählt wurde. In Anlehnung an Steinhoff (2007) möchte ich das Vorgehen in dieser Arbeit als korpusbasierte Produktanalyse bezeichnen. So wird einerseits deutlich, dass eine für einen bestimmten Zweck zusammengestellte Textsammlung, sprich ein Korpus (vgl. Lüdeling & Walter 2010), analysiert wird, und außerdem Methoden aus der Korpuslinguistik zum Einsatz kommen (Aufbereitung der Daten, Annotation, quantitative Auswertung). Andererseits ist diese Untersuchung aber nur korpusbasiert, und im Mittelpunkt der Analyse steht nicht das Korpus, sondern die einzelnen Textprodukte. In den Texten identifizierte sprachliche Strukturen werden deshalb auch immer auf den Text selbst bezogen, wie z.B. das Vorkommen komplexer Nominalphrasen ins Verhältnis zum Vorkommen aller Nominalphrasen innerhalb des Textes gesetzt wird. Im Folgenden sollen die methodischen Grundlagen dieser Arbeit näher erläutert werden.
6.1 Untersuchungsdesign Die zeitliche Beschränkung dieser Studie ließ eine Längsschnittstudie, die dem entwicklungsorientierten Ansatz der Untersuchung wohl am ehesten gerecht werden würde, nicht zu. Es wurde deshalb eine Vergleichsstudie in Form einer Querschnittstudie mit drei unterschiedlichen Alterskohorten (11. Schuljahr, 13. Schuljahr, Studierende) von Schreibern mit Deutsch als Zweitsprache und jeweils einer monolingualen Vergleichsgruppe konzipiert. So können sowohl die Ergebnisse von den SchülerInnen bzw. Studierenden mit und ohne Deutsch als Zweitsprache als auch die Ergebnisse der drei Alterskohorten miteinander verglichen werden. Es wird davon ausgegangen, dass aus der Beobachtung von Unterschieden zwischen verschiedenen Alterskohorten auch Rückschlüsse auf überindividuelle Entwicklungsprozesse gezogen werden können.77 Die Untersuchung kann deshalb auch als Quasi-Längsschnittstudie bezeichnet werden. || So gehen z.B. auch Augst & Faigel (1986) und Steinhoff (2007) vor. Es gibt aber auch echte Longitudinalstudien wie beispielsweise die von Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007). 77
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Die Situation der Datenerhebung gleicht einer quasi-experimentellen Feldstudie, da sie in einer natürlichen Umgebung (Schule, Klassenverbund bzw. Universität, Seminar), mit natürlichen Gruppen stattfand und die beiden Stufen der unabhängigen Variable (einsprachig/mehrsprachig) den ProbandInnen nicht zufällig zugewiesen werden konnten. Das hat den Nachteil, dass personenbedingte Störvariablen nicht durch Randomisierung ausgeschaltet werden und die Möglichkeit besteht, dass die Untersuchungspersonen sich nicht nur hinsichtlich der interessierenden unabhängigen Variable, sondern auch hinsichtlich anderer Merkmale (sog. Confounder) unterscheiden. So entsteht in quasi-experimentellen Forschungssettings das Problem, dass Gruppenunterschiede nicht unbedingt eindeutig auf die unabhängige Variable zurückzuführen sind (Bortz & Döring 2006: 58), d.h. die interne Validität ist unter Umständen beeinträchtigt. Insbesondere die Schule ist ein Ort, an dem das Verhalten der SchülerInnen von vielen unterschiedlichen Variablen beeinflusst werden kann. Es ist z.B. wahrscheinlich, dass es im Hinblick auf Motivation und Konzentrationsfähigkeit einen Unterschied macht, in welcher Schulstunde eine Erhebung durchgeführt wird. Andererseits gehören diese Variablen zum Schulalltag, und die Schule ist letzten Endes der Ort, wo Schreibkompetenzen zu großen Teilen entwickelt und beurteilt werden. Es erscheint deshalb sinnvoll, Daten zu dieser Kompetenz auch in der Schule zu erheben. Die Durchführung der Untersuchung als Feldstudie kann daher einen hohen Grad an Authentizität und somit eine hohe externe Validität aufweisen. Störende, untersuchungsbedingte Einflussgrößen können nicht ausgeschlossen werden. Es wurde aber versucht, diese Variablen a) zu minimieren, indem die Untersuchung so standardisiert wie möglich durchgeführt wurde, und b) zu registrieren, um sie ggfs. im Nachhinein als Erklärungsalternative für bestimmte Ergebnisse heranziehen zu können.
6.2 Erhebungsinstrumente Für die Datenerhebung wurden eine Befragung in Form von einem Fragebogen und Schreibaufgaben eingesetzt. Die ProbandInnen geben sich auf jedem dieser Erhebungsinstrumente einen Code, der aus den ersten beiden Buchstaben des Vornamens ihrer Mutter, den ersten beiden Buchstaben des Vornamens ihres Vaters sowie ihrem eigenen Geburtsmonat und -jahr besteht. So kann die vertrauliche Behandlung der Daten gewährleistet werden. Bei der Überprüfung der Frage, ob ein- und mehrsprachige Schreiber unterschiedliche Texte schreiben, ist es von großer Wichtigkeit, überhaupt festzulegen, welcher Proband warum
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zu einer dieser beiden Gruppen gehört. Aus diesem Grund wurde ein Fragebogen konzipiert, der die Gruppenbildung ermöglich soll. Darüber hinaus soll er helfen, potentielle Einflussfaktoren auf die Schreibentwicklung zu erfassen. Mit den Schreibaufgaben wurde das Korpus dieser Studie elizitiert. Aufbau und Inhalt der Fragebögen sowie die Konzeption der Schreibaufgaben werden im Folgenden näher beschrieben.
6.2.1 Fragebogen zur Sprach- und Schreibbiografie Zur Bildung von Gruppen und zur Ermittlung möglicher Einflussfaktoren auf die Schreibentwicklung umfasst der Hauptfragebogen Items zu den Punkten Allgemeine Angaben, Herkunft, Schulbesuch und Sprachförderung, Sprachen und Schreiben. Zudem hatten die ProbandInnen am Ende des Fragebogens Gelegenheit, Anmerkungen und Kommentare zu dem Fragebogen zu hinterlassen. Die Versionen des Fragebogens für die SchülerInnen und Studierenden sind weitestgehend identisch und unterscheiden sich nur in den schul- bzw. universitätsspezifischen Fragen. Es wurden zunächst allgemeine Angaben zu Alter, Geschlecht, letzter Deutschnote und Leistungskursen bzw. Fach- bzw. Hochschulsemester, Studienfächern und Berufsziel erfasst. Die Studierenden wurden darüber hinaus gebeten, einzuschätzen, wie viele wissenschaftliche Texte, differenziert nach unterschiedlichen wissenschaftlichen Textsorten, sie bisher geschrieben und bei Hochschuldozenten eingereicht haben. Diese Angaben werden nicht systematisch in die Auswertung einbezogen, können aber bei Fallanalysen dazu dienen, die Schreiberfahrungen im wissenschaftlichen Kontext zu kontrollieren. Denn unbestritten ist, dass der Stand der Schreibentwicklung weniger mit dem biologischen Alter, als mit dem Schreibalter zusammenhängt (vgl. Bachmann & Sieber 2004: 208f.; Becker-Mrotzek & Böttcher 2006: 75). Während bei den SchülerInnen davon ausgegangen werden kann, dass sie zumindest klassenweise im Großen und Ganzen über die gleiche schulische Schreiberfahrung verfügen, ist dies an der Hochschule i.d.R. nicht der Fall. Wie viele und welche universitären Textsorten geschrieben werden, hängt sehr stark von den jeweiligen Fächern und Studiengängen ab. Um Auskunft über den Migrationsstatus zu bekommen, wurden die ProbandInnen im Abschnitt zur Herkunft nach ihrem Geburtsort sowie dem Geburtsort und dem Einreisealter ihrer Eltern befragt. Es folgen Fragen zur Bildungsbiografie, die über einen Kindergartenbesuch und die Inanspruchnahme von Sprachförderangeboten bzw. Nachhilfe informieren. In dem Abschnitt
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Sprachen gaben die ProbandInnen Auskunft über ihre Muttersprache und ihre Sprachverwendung innerhalb der Familie.78 Sie wurden zudem gebeten, anhand von Schulnoten eine Selbsteinschätzung ihrer Kenntnisse in Deutsch und ggf. der/den Erstsprache/n bezogen auf die vier Fertigkeiten Hören, Lesen Schreiben und Sprechen zu geben. Mit diesen Items sollte ein Teil ihres Selbstkonzepts erfasst werden, weil es als erwiesen gilt, dass eine positive Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit die Leistung selbst positiv beeinflusst (Möller & Trautwein 2009: 180, 197f.). Es kann anhand der Items geprüft werden, ob sich Ein- und Mehrsprachige hinsichtlich ihrer deutschen Sprachkenntnisse unterschiedlich einschätzen, und wie sich bei den Mehrsprachigen die Einschätzung ihrer Deutschkenntnisse zu der Einschätzung ihrer L1Kenntnisse verhält. Bei der Selbsteinschätzung der Sprachkenntnisse im Rahmen der DESI-Studie79 zeigte sich ein durchweg positiver Zusammenhang zwischen den Kompetenzeinschätzungen in der Herkunftssprache und den Leistungen im Deutschtest (Hesse, Göbel & Hartig 2008: 220). Des Weiteren sollten die Befragten auf einer 5-stufigen Intensitätsskala (von 1 = stimme überhaupt nicht zu bis 5 = stimme voll und ganz zu) angeben, wie zufrieden sie mit ihren Sprachkenntnissen in Deutsch und ihrer/ihren Erstsprache/n sind. Zwei Bereiche des Fragebogens fließen in die Auswertungen dieser Arbeit nicht ein, da sich die Daten als wenig aussagekräftig bzw. nicht zielführend für die Beantwortung der Fragestellung erwiesen: Zum einen konnten die ProbandInnen mit einer 5-stufigen Intensitätsskala (von 1 = stimme überhaupt nicht zu bis 5 = stimme voll und ganz zu) Aussagen zu ihren Einstellungen zum Schreiben in der Schule bzw. Universität treffen. Zum anderen schließt der Fragebogen mit einer Frage nach der Häufigkeit der Produktion bestimmter Textarten im Alltag (z.B. E-Mails, SMS, Notizzettel). Auch hier konnten die ProbandInnen zwischen 5 Antwortkategorien wählen (von 1 = nie bis 5 = sehr oft [wöchentlich bis täglich]). Die mehrsprachigen SchülerInnen bzw. Studierenden wurden außerdem um eine Präzisierung gebeten, in welcher Sprache sie diese Texte verfassen. Auch diese Items wurden nicht in die Auswertung einbezogen.
|| 78 Hier habe ich mich an dem Fragebogen orientiert, der auch im Rahmen des SPREEG-Projekts (Chlosta, Ostermann & Schroeder 2003) eingesetzt wurde. 79 Abweichend von der vorliegenden Untersuchung wurden in der DESI-Studie allerdings keine Schulnoten eingesetzt, sondern eigene, an die Kann-Beschreibungen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen angelehnte Skalen entwickelt (Hesse, Göbel & Hartig 2008: 220).
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6.2.2 Schreibaufgaben Zur Erstellung des Korpus dieser Untersuchung wurden zwei Schreibaufgaben eingesetzt und so von jedem ProbandInnen zwei Textprodukte in Form einer Textzusammenfassung und eines argumentativen Textes erhoben. Herzstück dieser Arbeit und Gegenstand der Analyse sind diese Textprodukte. Wie in Kapitel 4.4.1 bereits diskutiert, ist dabei allerdings zu bedenken, dass sie nur bedingt Aussagen über die Schreibkompetenz der Produzenten zulassen. Um etwas über ihre Einschätzung der Schreibaufgaben und die Faktoren zu erfahren, die den Schreibprozess während der Erhebung möglicherweise gestört haben, füllten die ProbandInnen unmittelbar nach der Bearbeitung der Schreibaufgaben einen Fragebogen hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades der Aufgabe, ihrer Motivation zur Bearbeitung der Aufgabe, ihrem Vorwissen, der Angemessenheit des zeitlichen Rahmens u.Ä. aus. Das Antwortformat bestand wiederum aus einer 5-stufigen Intensitätsskala (Beispielitems: „Es hat Spaß gemacht, den Leserbrief zu schreiben“, „Ich fand es schwierig, diesen Text zusammen zu fassen“). Die eingesetzten Schreibaufgaben lauteten wie nachfolgend beschrieben: 1. Schreibaufgabe: Argumentativer Text in Form eines Leserbriefes zum Thema Noten abschaffen:80 In der Süddeutschen Zeitung gibt es wie in den meisten Zeitungen die Rubrik „Leserbriefe“. Hier können Leserinnen und Leser ihre Meinung über Zeitungsartikel äußern. Einige Leserbriefe werden ausgesucht und täglich in der Zeitung abgedruckt. Aufgabe: Schreiben Sie einen Leserbrief zu dem Interview unten. Machen Sie in dem Leserbrief deutlich, welche Meinung Sie zu dem Thema „Noten abschaffen“ haben und warum Sie diese Meinung haben. Beginnen Sie so: „Ich habe das Interview mit der Chefin des Münchner Lehrerverbandes zum Thema ‚Noten abschaffen‘ gelesen und möchte mich dazu folgendermaßen äußern: ....“
Bei der Konzeption der Schreibaufgabe wurden folgende Kriterien beachtet: – Die Schreibaufgabe soll in eine Kommunikationssituation eingebunden sein. – Es sollen ein Adressat und ein Schreibziel vorgegeben sein.
|| Im Folgenden Schreibaufgabe Leserbrief genannt, s. Anhang A1. Im Anhang befindet sich auch das Interview, auf das in der Aufgabe verwiesen wird. 80
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Das Thema soll Nähe zur Lebenswelt der SchülerInnen bzw. Studierenden aufweisen.
Die ProbandInnen sollen in einem Leserbrief Stellung zu dem Thema Noten abschaffen nehmen, d.h. die Leser von ihrer Meinung zu diesem Thema überzeugen. Auch wenn durch diese Schreibaufgabe in erster Linie persuasives Argumentieren gefordert ist, kann man nicht davon ausgehen, dass alle ProbandInnen schon vor der Bearbeitung der Aufgabe eine dezidierte Meinung zu diesem Thema hatten. So ist es auch möglich, dass sie ihre Position erst während des Schreibprozesses ausbilden, die Schreibaufgabe also auch Momente heuristisch-epistemischen Argumentierens enthält (s. Kapitel 4.3.1.1). In Hinblick auf die Kommunikationssituation beim argumentativen Schreiben gibt Leitaõ (2003: 279) zu bedenken, dass persuasives Argumentieren nur wirklich dann kommunikativ bedeutsam wird, wenn der/die Argumentierende annehmen kann, dass der Adressat eine andere Meinung vertritt. Eine solche Kommunikationssituation ist im Rahmen der Datenerhebung allerdings schwer herzustellen, denn das würde ja bedeuten, dass die Positionen der KommunikationsteilnehmerInnen (auch die des/der Argumentierenden) festgelegt werden müssten. Die Konzeption der Schreibaufgabe als Leserbrief stellt insofern eine Lösung dar, als dass die Zeitungsleser als eine Leserschaft modelliert werden können, die ganz unterschiedliche Standpunkte vertritt. Auf jeden Fall muss der Schreibende davon ausgehen, dass Teile der Leserschaft eine Gegenposition vertreten. 2. Schreibaufgabe: Zusammenfassung eines Sachtextes mit dem Titel: „Wenn Herkunft über Bildung entscheidet“81 Schreiben Sie eine Zusammenfassung des vorliegenden Textes, indem Sie die wichtigsten Aussagen und Argumente in Ihren eigenen Worten wiedergeben! Die Zusammenfassung sollte so lang wie nötig und so kurz wie möglich sein.
Bei der Auswahl des Textes wurden folgende Kriterien beachtet: – Es soll sich um einen expositorischen Text handeln. – Die Lektüre und Zusammenfassung des Textes soll weder für die SchülerInnen des 11. Jahrgangs zu schwer noch für die Studierenden zu leicht sein.
|| 81 Im Folgenden Schreibaufgabe Zusammenfassung genannt, s. Anhang A2. Im Anhang befindet sich auch der Sachtext, der zusammengefasst werden soll.
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Der Text soll auch ohne viel Vorwissen verständlich sein bzw. es sollte vorausgesetzt werden können, dass alle ProbandInnen über ein gewisses Vorwissen zu diesem Thema verfügen. Der Text soll die SchülerInnen und Studierenden interessieren und zum Lesen motivieren.
Der hier eingesetzte Text beschäftigt sich mit dem Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungslaufbahn. Er wurde dem Gesellschaftsressort der Wochenzeitung DIE ZEIT entnommen und für den Zweck dieser Untersuchung leicht gekürzt und an einigen Stellen sprachlich modifiziert. Ein Großteil des vorkommenden Wortschatzes stammt aus dem Schul- und Bildungsbereich und sollte den SchülerInnen und Studierenden vertraut sein. Weniger bekannt könnten die aus den Bildungs- und Sozialwissenschaften stammenden Begriffe primärer und sekundärer sozialer Effekt sein, deren Erläuterung aber einen großen Teil des Textes ausmacht. Es wurde davon ausgegangen, dass der Textinhalt und die Frage, inwieweit die Herkunft die Schullaufbahn beeinflusst, sowohl für SchülerInnen also auch für Studierende von Interesse ist, denn jeder kann sich diese Frage auch in Bezug auf die eigene Biografie stellen. Dies mag insbesondere für ProbandInnen mit Migrationshintergrund und aus sozial benachteiligten Familien gelten. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die geforderten Textprodukte den SchülerInnen und Studierenden aus der schulischen bzw. akademischen Schreibpraxis bekannt sind. Es ist allerdings nicht einfach, das konkrete Anforderungsniveau einer Schreibaufgabe und damit den erforderlichen Grad an Schreibkompetenz zu bestimmen (vgl. Becker-Mrotzek & Schindler 2007: 16). Nach Becker-Mrotzek & Schindler (2007) liegt das Anforderungsniveau hoch, wenn eigenes Wissen für die Bewältigung der Schreibaufgabe neu organisiert werden muss (Becker-Mrotzek & Schindler 2007: 16). Dementsprechend ist z.B. das Verfassen eines argumentativen Textes schwieriger als eine Erzählung: Beim Letzteren kann das Wissen über die Erlebnisse in gleicher Reihenfolge wiedergegeben werden, während Argumente gewichtet und entsprechend ihrer Relevanz angeordnet werden müssen (vgl. Becker-Mrotzek & Schindler 2007: 16). Becker-Mrotzek & Böttcher (2006: 61) unterscheiden zwischen einfachen, schwierigen und komplexen Schreibaufgaben und bezeichnen das Zusammenfassen (neben dem Instruieren, Berichten und Protokollieren) als schwierige Aufgabe. Typisch für schwierige Schreibaufgaben ist, dass „die Texte ihre Funktion erst dann erfüllen, wenn das Gewusste für die Darstellung unter einer bestimmten Perspektive verändert wird“ (Becker-Mrotzek & Böttcher 2006: 61). Für beide Schreibaufgaben kann also festgehalten werden, dass das Anforde-
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rungsniveau relativ hoch ist, wobei m.E. die Schreibaufgabe Zusammenfassung kognitiv noch anspruchsvoller ist als der argumentative Text. Bei der Produktion der Zusammenfassungen muss zwar kein eigenes Wissen, sondern Informationen aus dem Ausgangstext wiedergegeben werden, dies setzt aber ein gutes Verständnis des Textes voraus. In Kapitel 4.3.2.3 wurde außerdem gezeigt, dass die Bildung von Makrostrukturen beim Zusammenfassen eine hohe Abstraktionsleistung verlangt. Bei der Konzeption der Schreibaufgaben im Rahmen dieser Untersuchung wurde vorausgesetzt, dass Jugendliche und junge Erwachsene mit fortgeschrittenen Schreibfähigkeiten dazu in der Lage sind, selbst zu entscheiden, wann ein Text den Anforderungen des Schreibauftrags entspricht und somit „fertig“ ist. Bezogen auf die erhobenen argumentativen Texte bedeutet dies, dass der Schreibprozess dann beendet wird, wenn die VerfasserInnen das Gefühl haben, ihre eigene Meinung umfassend und überzeugend dargestellt zu haben. Ebenso gilt für die Zusammenfassung, dass die VerfasserInnen selber entscheiden müssen, welche Informationen aus dem Primärtext in die Zusammenfassung übernommen werden sollten, um diese knapp und trotzdem informativ zu gestalten. Aus diesem Grund wurden in der Aufgabenstellung auch keine Textumfänge vorgegeben.
6.3 Stichprobenkonstruktion Der Zugang zu der hier interessierenden Population – mehrsprachige SchülerInnen der gymnasialen Oberstufe und Studierende – gestaltet sich in mehrfacher Hinsicht schwierig. Dies hat u.a. mit der eingangs erwähnten, generellen Unterrepräsentation dieser Gruppe von SchülerInnen an Gymnasien und Hochschulen zu tun (s. Kapitel 1.1). Des Weiteren handelt es sich um eine schwer identifizierbare Gruppe, da es an verfügbaren Daten zu ihrem Migrationshintergrund und ihrer Sprachpraxis mangelt. Der Zugang zu Schulen für Forschungszwecke ist zudem oft mit Akzeptanzproblemen seitens der Schulleitung und/oder den involvierten Lehrkräfte und einem hohen organisatorischen Aufwand aufgrund von datenschutzrechtlichen Bestimmungen verbunden. Auch im Rahmen dieser Studie unterlag die Konstruktion der Stichprobe deshalb vielen Beschränkungen. Zunächst sollen die Überlegungen beschrieben werden, die den Datenerhebungen an den Schulen vorausgingen. Aus pragmatischen Gründen wurden gymnasiale Oberstufen im Bundesland Bremen ausgesucht, von denen bekannt war, dass sie einen vergleichsweise hohen Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund aufweisen. Laut
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der Bremer Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales hatten im Jahr 2007 in der Stadt Bremen 26,8 % und in Bremerhaven 20,2 % der Bürger und Bürgerinnen einen Migrationshintergrund (Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales 2009: 248). Betrachtet man diese Zahlen, so ist es nicht verwunderlich, dass in der Stichprobe der PISA-Studie 2003 Bremen den höchsten Anteil von Schülern und SchülerInnen mit Migrationshintergrund hatte, nämlich 35,8 %, gefolgt von den Bundesländern Hamburg (34,6 %), Baden-Württemberg (31,6 %), Hessen (30,4 %) und NordrheinWestfalen (29,6 %). Der bundesweite Durchschnitt beträgt im Vergleich dazu nur 22,2 % (Ramm, Walter, Heidemeier & Prenzel 2005: 272). Es wurde in Kapitel 3 schon darauf verwiesen, dass in PISA 2003 eine Einteilung der SchülerInnen mit Migrationshintergrund in deutschsprachig, mehrsprachig und fremdsprachig vorgenommen wurde und sich zwischen diesen drei Gruppen signifikante Leistungsunterschiede gezeigt haben. Das Bundesland Bremen hat im Ländervergleich den kleinsten Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund, die deutschsprachig sind (Bremen: 42,1 %, bundesweiter Durchschnitt: 50,5 %), während es überdurchschnittlich viele mehrsprachige Jugendliche gibt (Bremen: 37 %, bundesweiter Durchschnitt: 31,1 %). Der Anteil der fremdsprachigen Jugendlichen liegt annähernd auf dem Niveau des bundesweiten Durchschnitts Niveau (Bremen: 13,6 %, bundesweiter Durchschnitt 13,1 %) (Ramm, Walter, Heidemeier & Prenzel 2005: 277). Bremen verfügt somit nicht nur über einen überdurchschnittlich hohen Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund, diese gehören zusätzlich überdurchschnittlich oft zu einer Gruppe (mehrsprachig), deren massive Benachteiligung im deutschen Bildungssystem die PISA-Studien augenfällig gemacht haben. Gleichzeitig machen, gemessen am bundesdeutschen Durchschnitt, Bremer SchülerInnen mit Migrationshintergrund einen überdurchschnittlich hohen Anteil der Schülerschaft in den Integrierten Gesamtschulen (25,7 %) und auf Gymnasien (29,6 %) aus (Prenzel et al. 2005: 187). Im Vergleich dazu haben in Baden-Württemberg – nach Bremen und Hamburg das Land mit dem dritthöchsten Anteil an SchülerInnen mit Migrationshintergrund – nur 22,6 % der SchülerInnen auf dem Gymnasium einen Migrationshintergrund (Prenzel et al. 2005: 172).82 Auch wenn diese Zahlen schon einige Jahre alt sind, ist davon auszugehen, dass Bremen noch immer eines der Bundesländer mit dem höchsten Anteil von
|| Zahlen in Hinblick auf Integrierte Gesamtschulen werden für Baden-Württemberg nicht genannt, was sich darauf zurückführen lässt, dass es dort insgesamt nur drei Integrierte Gesamtschulen gibt (vgl. Schwarz-Jung 2006).
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SchülerInnen mit Migrationshintergrund ist, und dass diese Gruppe auch überdurchschnittlich stark in den gymnasialen Oberstufen des Landes vertreten ist. 30 % der Menschen mit Migrationshintergrund, der meist mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status einhergeht, leben in der Stadt Bremen konzentriert in wenigen Ortsteilen mit einem geringen Mietniveau (vgl. Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales 2009: 22). Diese Ortsteile zeichnen sich durch eine hohe Dichte an „Großwohnanlagen“ aus und werden auch als „bremische Integrationsquartiere“ bezeichnet (Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales 2009: 256). Die Schule in Bremen, an der Daten erhoben wurde, befindet sich in dem Wohngebiet Tenever, hier haben 60 % der Bewohner einen Migrationshintergrund (vgl. Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales 2009: 256).83 Auch die Bremerhavener Schule ist von Ortsteilen umgeben, die einen „Ausländeranteil“ von bis zu 22,5 % haben (vgl. Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales 2009: 256).84 Zudem zeigt sich in Bremen besonders stark, dass Bildungserfolg mit sozialer und ethnischer Herkunft korreliert. Dort ist zu beobachten, dass die Abitur-Quote in Bezug auf den Durchschnittsjahrgang der Bremer Bevölkerung von 18 bis unter 21 Jahren zwischen 54,8 % in eher reichen Stadtteilen und 18,1 % in ärmeren Stadtteilen schwankt (Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales 2009: 115). Es ist also insgesamt davon auszugehen, dass die hier untersuchten Schulklassen sowohl bezogen auf die Bundesebene als auch auf das Land Bremen einen überdurchschnittlich hohen Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund und/oder mit niedrigem sozio-ökonomischen Status haben und dadurch gleichzeitig eine gewisse Repräsentativität für eine gymnasiale Oberstufe in einem sozial schwachen Stadtteil mit einem hohen Anteil von Bewohnern mit Migrationshintergrund besitzen. Solche Stadtteile wiederum sind in Deutschland, vor allem in den Ballungsgebieten, keine Seltenheit, und wenn es einen spezifischen Förderbedarf in der Sekundarstufe II geben sollte, dann müsste er hier virulent werden. Es wurden zunächst die schon oben beschriebenen Schulen in Bremen und Bremerhaven kontaktiert und die Genehmigung zur Erhebung der Daten, auch unter Einbezug der zuständigen Schulbehörde, eingeholt. Da vorher nicht feststand, wie viele der SchülerInnen der jeweiligen Klassen mehrsprachig im Sin-
|| 83 Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden die Namen der Schulen nicht genannt. 84 Hierzu gehören z.B. die Ortsteile Dreibergen und Grünhöfe. Angaben zum Migrationshintergrund der BewohnerInnen werden leider nicht gemacht (vgl. Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales 2009: 256).
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ne dieser Untersuchung waren, wurde zunächst klassenweise erhoben. Angesichts der Tatsache, dass die Auswahl der Stichprobe davon abhängig gemacht wurde, welche Lehrkräfte sich als besonders kooperativ erwiesen und bereit waren, ihre Klassen für die Untersuchung zur Verfügung zu stellen, kann man am ehesten von einer Gelegenheitsstichprobe85 sprechen. Es folgten zwei Nacherhebungen, um die Stichprobe in Hinblick auf die Sprachgruppe statistisch ausgewogener zu machen. Aus diesen Erhebungen wurden dann nicht mehr alle Daten, sondern nur noch die der Mehrsprachigen verwendet – ähnlich wie bei einer geschichteten Stichprobe (Bortz & Döring 2006: 425). Dabei wurde auch darauf geachtet, eine ausgewogene Verteilung nach Geschlecht vorzunehmen. Das Studierendenkorpus wurde an der Universität Oldenburg, der Universität Bremen und der Universität Duisburg-Essen erhoben. Die Auswahl der Studierenden für die Datenerhebung erfolgte ebenfalls nach dem Prinzip der Gelegenheitsstichprobe und – soweit es möglich war – seminarweise. An der Universität Oldenburg wurde die Datenerhebung in einer Veranstaltung im Rahmen des Bachelor-Studiums Pädagogik erhoben, in Duisburg-Essen in einem Germanistik-Seminar, in Bremen in einer Veranstaltung zum Wissenschaftlichen Schreiben für Studierende mit Migrationshintergrund unterschiedlicher Fachrichtungen. Zusätzlich wurden einige Freiwillige – dies waren überwiegend Studierende mit Migrationshintergrund – für die Teilnahme gewonnen. Da stets deutlich gemacht wurde, dass die Teilnahme freiwillig war, kann davon ausgegangen werden, dass die teilnehmenden Studierenden (überdurchschnittlich) motiviert waren.86 Diese Motivation wiederum könnte darauf zurückzuführen sein, dass diese Studierenden über eine gute Schreibkompetenz bzw. ein gutes Selbstkonzept hinsichtlich ihrer Schreibkompetenz verfügen. Andererseits wurden Studierende aus Seminaren zum Wissenschaftlichen Schreiben rekrutiert, die diese Veranstaltung offensichtlich besuchen, weil sie Defizite in || Bei der Gelegenheitsstichprobe werden Objekte und Personen untersucht, die gerade zur Verfügung stehen oder leicht zugänglich sind (vgl. Bortz & Döring 2006: 401). Als großer Nachteil dieser Stichprobenauswahl gilt die Tatsache, dass – anders, als bei probabilistischen Stichproben – ProbandInnen unkontrolliert in die Stichprobe aufgenommen werden und beispielsweise durch ihre freiwillige Teilnahme wenig repräsentativ für die Grundgesamtheit sind und so die Ergebnisse verfälschen können. Dieser Nachteil wird in dieser Untersuchung zumindest bezogen auf die SchülerInnengruppe insofern abgeschwächt, als dass im Rahmen der Hauptuntersuchung innerhalb der ausgewählten Klassen alle SchülerInnen an der Untersuchung teilnahmen. 86 In einer Veranstaltung mit ca. 80 Studierenden verließ etwa die Hälfte den Raum, nachdem ich mein Forschungsvorhaben vorgestellt und darum gebeten hatte, an der Untersuchung teilzunehmen. 85
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ihrer Schreibkompetenz wahrnehmen. Ob diese Defizite wirklich bestehen, oder ob diese Studierenden nur besonders interessiert daran sind, ihre Schreib- und Studienleistungen zu verbessern, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Es bleibt aber festzuhalten, dass die Studierenden-Stichprobe insgesamt aus einer sehr heterogenen Gruppe von Studierenden besteht, die sich sehr stark hinsichtlich ihrer Hochschulsemester, ihrer Schreiberfahrungen, ihrer Studienfächer und der besuchten Studiengänge unterscheiden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Land Bremen aufgrund seines hohen Anteils von MigrantInnen und der Zusammensetzung seiner Schülerschaft, u.a. eines im Bundesvergleich überdurchschnittlich hohen Anteils von SchülerInnen an Gymnasien, einen guten Zugang zu der Zielgruppe dieser Studie bietet. Auch wenn es sich nicht um eine repräsentative Stichprobe im statistischen Sinne (vgl. Bortz & Döring 2006: 394–484) handelt, ermöglicht der relativ große Umfang der Stichprobe eine gute Basis für eine Vergleichsstudie und quantitative Auswertungen, die bei der Darstellung der Gruppenunterschiede über eine reine Darstellung von Häufigkeiten hinausgehen und auch statistische Signifikanztests mit einbeziehen können.
6.4 Untersuchungsdurchführung Die Durchführung des Pretests erfolgte im März und April 2009. Es nahmen eine Gruppe von SchülerInnen eines 11. Jahrgangs einer Schule in Kiel (n = 16) sowie Studierende der Uni Bremen (n = 9) teil. Der Pretest sollte u.a. dazu dienen, herauszufinden, mit welcher Bearbeitungszeit für die verschiedenen Teile der Datenerhebung, auch in Hinblick auf die unterschiedlichen Altersgruppen, zu rechnen war. Diese Informationen zur Bearbeitungszeit (Hauptfragebogen: max. 20 Minuten, Schreibaufgabe Leserbrief: max. 40 Minuten, Zusammenfassung: max. 50 Minuten) flossen in die Organisation der Hauptuntersuchung mit ein. Was den Hauptfragebogen betrifft, wurden aufgrund der Rückmeldungen der Befragten einige Items präzisiert, das Layout optimiert sowie Skalen verändert und vereinheitlicht. Die Auswertung der Fragebögen zu der Schreibaufgabe Zusammenfassung ergab, dass der Text sowohl ein angemessenes Schwierigkeitsniveau hat als auch in inhaltlicher Sicht für die Zielgruppe dieser Untersuchung als angemessen gelten kann.87 Vor dem Hintergrund, dass im Zentrum dieser Arbeit die
|| 87 Die Schreibaufgabe Zusammenfassung wurde im Pretest von 7 SchülerInnen und 8 Studierenden bearbeitet. Auf einer Likert-Skala mit vier Ausprägungen (1 = überhaupt nicht schwie-
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Textanalyse steht, wurde auf die eigene Entwicklung eines validen Leseverständnistests aufgrund des hohen Aufwands und der im Pretest deutlich gewordenen mangelnden Validität in der Hauptuntersuchung verzichtet. Es wurde somit bewusst in Kauf genommen, dass mit der Schreibaufgabe ZusammenZusammenfassung nicht nur Aspekte der Schreibkompetenz, sondern auch der Lese-kompetenz erfasst werden, ohne diese deutlich voneinander abgrenzen zu können.88 Auch die Schreibaufgabe Leserbrief wurde als verständlich und motivierend eingeschätzt.89 Die Analyse der im Rahmen dieser Aufgabe produzierten Texte zeigte allerdings, dass in Bezug auf Form und Struktur sehr unterschiedliche Texte entstanden waren. Einige ProbandInnen hatten sich beispielsweise an das klassische Briefformat (Anrede, Textblock, Grußformel) gehalten, andere stiegen direkt in die Argumentation ein. In dieser Hinsicht ist der Schreibauftrag, einen Leserbrief zu verfassen, in der Tat mehrdeutig. So werden Anrede und Grußformel in der Zeitung zwar nicht abgedruckt, man kann aber davon ausgehen, dass der Autor des Leserbriefes der Zeitungsredaktion den ursprünglichen Text mit diesen Elementen zukommen lässt. Um eine größere Vergleichbarkeit zu erreichen, wurde die Schreibaufgabe deshalb leicht verändert und ein Einleitungssatz, der die Kontextualisierung des Leserbriefes vorwegnimmt, vorgegeben (Ich habe das Interview mit der Chefin des Münchener Lehrerverbandes gelesen und möchte mich dazu folgendermaßen äußern …). Die Hauptuntersuchung fand in dem Zeitraum von August 2009 bis Dezember 2010 statt. Es wurden Daten an folgenden Institutionen erhoben: – an einer gymnasialen Oberstufe einer Schule in Bremerhaven: eine 11. Klasse, eine 13. Klasse (September 2009), || rig, 2 = ein bisschen schwierig, 3 = schwierig, 4 = sehr schwierig) lag der durchschnittliche Wert für die Frage „Wie schwierig fanden Sie den Text, den Sie zusammengefasst haben?“ bei 1,7. Für die Aussage „Ich habe den Text mit Interesse gelesen“ ergab sich wiederum um auf einer 4-stufigen Skala (das stimmt – das stimmt ein bisschen – das stimmt eher nicht – das stimmt nicht) ein Durchschnittswert von 1,3. 88 Ein Beispiel dafür, wie die Schreibkompetenz in Hinblick auf Zusammenfassungen unter Einschluss des Leseverständnisses getestet werden kann, stellt Berkemeier (2010: 222–228) vor. 89 Die Schreibaufgabe Leserbrief wurde von 7 Studierenden und 9 SchülerInnen bearbeitet. Der Aussage „Ich habe die Aufgabenstellung gut verstanden“ wurde auf einer 4-stufigen Skala (es wurde dieselbe Skala wie bei den Aussagen auf dem Fragebogen zur Zusammenfassung eingesetzt, vgl. Fußnote 87) mit dem durchschnittlichen Wert 1,25 zugestimmt. Der Durchschnittswert für die Aussage „Ich habe das Interview gut verstanden“ (hiermit ist das für den Leserbrief als Impuls dienende Interview gemeint) lag auf derselben Skala bei 1,1. Die Aussage „Das Schreiben des Leserbriefes hat mir Spaß gemacht“ wurde mit dem Wert 1,8 eingeschätzt.
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– –
an einer gymnasialen Oberstufe einer Schule in Bremen: drei 11. Klassen, drei 13. Klassen (August/September 2009, Nacherhebung Oktober 2010), an den Universitäten Oldenburg, Bremen, Duisburg-Essen: Studierende (im November 2009 sowie im Februar und Mai 2010).
Die Erhebungsinstrumente wurden jeweils an zwei unterschiedlichen Terminen eingesetzt, in der Regel wurden am ersten Termin der Fragebogen und die Schreibaufgabe Leserbrief eingesetzt, am zweiten Termin die Schreibaufgabe Zusammenfassung. So konnte gewährleistet werden, dass für die Lösung der Aufgaben genügend Zeit zur Verfügung stand und die Motivation und Konzentration der ProbandInnen nicht beeinträchtigt wurde. Es wurden keine zeitlichen Vorgaben gemacht, im Durchschnitt benötigten die ProbandInnen für das Ausfüllen des Fragebogens 10-20 Minuten, für die Schreibaufgabe Leserbrief ca. 30 Minuten, für die Schreibaufgabe Zusammenfassung ca. 45 Minuten. Insgesamt ließ sich beobachten, dass mit steigendem Alter auch die Schreibdauer anstieg. Dies korreliert auch mit einer beobachtbaren ansteigenden Textlänge (s. Kapitel 7.3.1) und ist sicherlich u.a. auf eine höhere Konzentrationsspanne zurückzuführen. Bei den SchülerInnen lagen die Erhebungstermine mindestens eine Woche und maximal fünf Wochen auseinander, bei den Studierenden mindestens einen Tag und maximal sechs Monate. Diese unterschiedlichen Zeitspannen sind vor allem organisatorischen Umständen geschuldet. Während in den Schulen klassenweise erhoben wurde, wurden mit den Studierenden z.T. auch individuelle Termine vereinbart. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die individuelle Schreibkompetenz der Studierenden innerhalb der sechs Monate zwischen dem ersten und dem zweiten Erhebungstermin weiter entwickelt hat. Da die Studierenden dieser Untersuchung aber ohnehin eine sehr heterogene Gruppe sind und davon ausgegangen wird, dass sie diejenigen mit der am weitesten entwickelten Schreibkompetenz sind, sind dadurch jedoch keine Verzerrungen der Ergebnisse zu erwarten.
6.5 Datenaufbereitung Nachdem erläutert wurde, wie sich die Stichprobe dieser Arbeit zusammensetzt und welche Art von Daten wie erhoben worden sind, soll nun auf die Aufbereitung und Annotation dieser Daten eingegangen werden. Die Daten aus den Fragebögen wurden kodiert, in das Statistikprogramm SPSS eingegeben und in Hinblick auf Fehler kontrolliert und bereinigt. Die handgeschriebenen Texte wurden mit einem Textverarbeitungsprogramm ori-
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 125
ginalgetreu transkribiert. Dabei wurde darauf geachtet, dass Fehler nicht versehentlich korrigiert, sondern vollständig übernommen wurden. Ein Problem stellte die Umschrift der z.T. mehrdeutigen Handschrift dar. Wo Mehrdeutigkeiten auftraten, wurden diese in dem digitalisierten Text markiert, indem beide möglichen Schreibweisen (markiert durch „//“) nebeneinander aufgenommen wurden. Wenn Wörter oder Wortteile völlig unleserlich waren, wurde dies in eckigen Klammern („[unleserlich]“) vermerkt. Die Textdateien wurden mit dem Treetagger90 automatisch lemmatisiert und mit Wortarten-Tags versehen. Wo es nötig war, wurden die Tags manuell korrigiert, da der Treetagger zum einen nicht zuverlässig Tags vergibt und zum anderen orthografisch fehlerhafte Äußerungen falsch verarbeitet oder überhaupt nicht verarbeiten kann. Die Wortarten-Tags dienten in dieser Studie lediglich dazu, Bezugsgrößen wie beispielsweise die Anzahl aller Substantive und finiten Verben in den Texten identifizieren zu können. Das vom Treetagger benutzte Stuttgart/Tübinger Tagset (STTS-Tagset) benutzt 54 Tags (vgl. Schiller, Teufel, Stöckert & Thielen 1999) und ist somit relativ differenziert, so dass das Korpus auch für weitere Analysen in Hinblick auf die Wortarten genutzt werden könnte. Die getaggten Dateien wurden in das Transkriptionsprogramm EXMARaLDA eingelesen. EXMARaLDA ist ursprünglich ein Programm für die computergestützte Transkription und Annotation gesprochener Sprache sowie die Erstellung und Analyse gesprochener Korpora. Das EXMARaLDA-Programm bietet sich aber auch für die Annotation geschriebener Texte an, da es eine sog. MehrEbenen-Annotation ermöglicht (vgl. Lüdeling, Walter, Kroymann & Adolphs 2005). Dabei wird die Annotation nicht direkt in den Text eingefügt, sondern Äußerung und Annotation werden auf getrennten Spuren kodiert. Auf diese Weise können Äußerungen auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich annotiert werden und auch sich überlappende Annotationen sind möglich. Dies war eine wichtige technische Voraussetzung für die Annotation, die im Folgenden beschrieben wird.
6.6 Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität Das Ziel des folgenden Abschnitts ist die möglichst nachvollziehbare Beschreibung einzelner Annotationsschritte und der Operationalisierung der linguistischen Strukturen, die in Kapitel 4.4.3 als relevant für die Schreibentwicklung identifiziert wurden. So kann u.a. gezeigt werden, dass eine objektive und reli|| Nähere Informationen zum Treetagger s. Internetquelle 8 und Schmid (1994).
90
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able Annotation auch in dieser Arbeit möglich war, obwohl die Beurteilung der Texte von der Verfasserin als Einzelperson durchgeführt wurde. Am Ende des Kapitels wird zudem auf die statistischen Tests eingegangen, die für die Auswertung der annotierten syntaktischen Strukturen eingesetzt wurden.
6.6.1 Annotation Das Korpus dieser Untersuchung wurde in Hinblick auf unterschiedliche Indikatoren für komplexe Syntax annotiert, um in der Hauptanalyse Aussagen über die Entwicklung von syntaktischen Schreibfähigkeiten machen zu können. Dazu gehören im Einzelnen unterschiedliche Arten von Subordination, komplexe Nominalphrasen mit Adjektiv-, Präpositional- und Genitivattribut und Fehler in der Nominalphrasen-Flexion. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Annotationsschritte anhand von Beispielen aus dem Korpus dargestellt und Besonderheiten bei der Annotation der einzelnen linguistischen Kategorien beschrieben. Für alle Annotationen (abgesehen von der Fehlerannotation) gilt, dass die sprachlichen Strukturen unabhängig von ihrer Korrektheit als solche gekennzeichnet wurden. Das heißt, dass z.B. auch ein Präpositionalattribut wie *über dessen Kinder in dem Beispiel (14) In dem vorliegenden Text […] geht es um die falsche Leistungseinschätzung der Eltern über dessen Kinder. in der Auswertung als Präpositionalattribut zu dem Kernnomen Leistungseinschätzung gezählt wird. Das falsch verwendete Possessivpronomen (dessen) wird jedoch in der Fehlerannotation erfasst. Auch die Angemessenheit der Konstruktion wird nicht bewertet, selbst wenn in Beispiel (14) eine Konstruktion wie die falsche Leistungseinschätzung der Kinder von ihren Eltern wahrscheinlich üblicher gewesen wäre. Gerade an diesem Beispiel wird aber deutlich, dass diese Konstruktion eine Leistung darstellt, die ansonsten unberücksichtigt bliebe: Der Verfasser/die Verfasserin will die Ambiguität der Nominalphrase (wer schätzt wessen Leistung ein?) aufheben und versucht dies durch die Präposition über zu erreichen, die anders als die Präposition von keine Interpretation des nachfolgenden Substantivs als Agens zulässt. Aus Erwerbsperspektive erscheint es daher angebracht, alle Strukturen unabhängig von ihrer sprachlichen Korrektheit zu erfassen. Die parallele Durchführung einer Fehlerannotation sorgt dennoch dafür,
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 127
dass auch Entwicklungsunterschiede im sprachsystematischen Bereich erfasst werden.
6.6.1.1 Subordination In der Literatur lässt sich eine ganze Fülle von unterschiedlichen Ansätzen und Begriffen zur Beschreibung und Kategorisierung von subordinierten Sätzen bzw. Nebensätzen finden. Am häufigsten werden jedoch entweder die Form oder die (syntaktische) Funktion als Kriterium herangezogen. Formale und funktionale Aspekte werden aber auch vermischt, wie z.B. in der schon erwähnten Erwerbsstudie von Rothweiler (1993), die nach Komplement- und Adverbialsätzen (Funktion) und Relativsätzen (Form) unterscheidet. Im Rahmen dieser Studie sind für die Festlegung des Annotationsschemas für die subordinierten Sätze zwei Aspekte wichtig: Zum einen muss die Klassifikation der Sätze aus der Erwerbs- und Entwicklungsperspektive relevant sein. Dabei erscheint eine Kategorisierung der Nebensätze nach ihrer Funktion sinnvoller als nach ihrer Form. Zum anderen werden Häufigkeitsanalysen durchgeführt, die es nötig machen, vorab möglichst präzise Definitionen für die untersuchten Variablen festzulegen, so dass die Reliabilität der Annotation gewährleistet ist. Einige Nebensatztypen sind jedoch ambivalent, so ist es in manchen Fällen z.B. schwierig, den sog. freien Relativsatz von einem indirekten Fragesatz abzugrenzen.91 Auf formaler Ebene soll zunächst einmal festgelegt werden, dass zu den Nebensätzen in dieser Studie auch alle satzwertigen Infinitivgruppen mit zu gezählt werden, ebenso wie die mit anstatt, ohne und um eingeleiteten Infinitivgruppen in adverbialer Funktion, denn „[t]rotz des Fehlens eines syntaktischen Subjekts, eines finiten Verbs und zumeist auch eines Einleitungswortes enthalten die Konstruktionen die für jeden Satz notwendige Prädikation; […]. Deshalb werden die Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen – zwar nicht historisch, aber ihrer Struktur und Funktion nach – als reduzierte Nebensätze aufgefasst […]; sie üben die gleichen Funktionen wie die Nebensätze aus und bilden zusammen mit übergeordneten Sätzen (durch Subordination und Einbettung) Satzgefüge“ (Helbig & Buscha 2001: 573f.).
Zunächst wurden auch die Partizipialgruppen annotiert, später jedoch nicht in die Auswertung einbezogen, weil sie in dem Korpus so gut wie nie vorkamen.
|| Zur Problematik der Abgrenzung von indirekten Fragesätzen und Relativsätzen vgl. Eisenberg (2006: 323–328) sowie Pasch & Zifonun (2006: 932). 91
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Auch uneingeleitete Nebensätze und Verberstsätze, die ebenfalls zu den subordinierten Sätzen zählen, traten in den Texten so selten auf, dass sie nicht in die Auswertung einbezogen wurden und im Folgenden nicht unter die subordinierten Sätze fallen. Der Erwerb syntaktischer Schreibfähigkeiten im fortgeschrittenen Stadium ist vor allem der Erwerb von syntaktischen Strukturen, die eine bestimmte Funktion erfüllen, nämlich die Verdichtung von Propositionen (s. Kapitel 4.4.3.5). Sinnvoll ist im Kontext dieser Untersuchung deshalb weniger eine formale, als vielmehr eine funktionale Zuordnung der Nebensätze.92 So erscheint es beispielsweise angebracht, die Attributsätze gesondert zu betrachten, da sie ein Mittel zur Integration von Propositionen auf Ebene der Nominalphrase sind. Bei der Unterscheidung der Nebensätze orientiere ich mich deshalb an Eisenberg (2006), der die Nebensätze nach ihrer Funktion in Ergänzungs-, Adverbial und Attributsätze unterteilt (vgl. Eisenberg 2006: 318). Diese Nebensatztypen werden im Folgenden mit Hilfe von Beispielen aus dem Korpus erläutert: Ergänzungssätze (auch Komplement- oder Inhaltssätze genannt): Die Ergänzungssätze sind valenzgebunden und haben Satzgliedstatus. Sie fungieren als Subjekt oder Objekt eines Satzes (Eisenberg 2006: 318). Zu den Ergänzungssätzen gehören typischerweise die Nebensätze mit einer einleitenden Konjunktion (dass, ob), aber auch indirekte Fragesätze und Infinitivsätze mit zu. Verben des Sagens, Erklärens, Meinens und Denkens erfordern häufig einen Ergänzungssatz. (15) Es wird gesagt, dass es zwei unterschiedliche Gründe geben kann, warum ein Kind nicht auf das Gymnasium wechselt. (Subjektsatz) (16) Das liegt vor allem daran, dass Eltern ihre Kinder nach ihrem eigenen Wissensstand einschätzen. (Präpositionalobjektsatz) (17) Die Eltern versuchen, ihren eigenen Bildungsstand bei den Kindern zu halten. (Infinitivsatz) Adverbialsätze: Adverbialsätze werden typischerweise durch eine Konjunktion eingeleitet (Ausnahme: uneingeleiteter Konditionalsatz) und stellen eine spezifische semantische Beziehung (konditional, temporal, final etc.) zu dem Mat-
|| 92 Auch Augst et al. (2007) scheinen sich bei der Untersuchung der unterschiedlichen Nebensatztypen an funktionalen Kriterien zu orientieren, allerdings vermischen sie funktionale und formale Kategorien, wenn es heißt: „In gewohnter grammatischer Manier gehen wir von drei Kategorien aus: Objekt- oder Ergänzungssatz, Attribut- oder Relativsatz und Angabe- oder Adverbialsatz“ (Augst et al. 2007: 286).
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 129
rixsatz her (vgl. Eisenberg 2006: 332f.). Auch die durch um, ohne und anstatt eingeleiteten Infinitivkonstruktionen mit zu werden zu den Adverbialsätzen gezählt. (18) Die Lehrer sind jedoch vorsichtig mit ihren Einschätzungen, da die Schüler auf dem Gymnasium mehr Rückhalt von der Familie brauchen als auf anderen Schulstufen. (Konjunktionalsatz) (19) Um die Schüler nur nach dem Leistungspotenzial bewerten zu können, müsste dem Autor nach der Elterneinfluss verringert werden. (Infinitivsatz) Attributsätze: Zu den Attributsätzen zählen klassischerweise die Relativsätze. Aber auch Infinitiv- und Konjunktionalsätze können als Attributsätze fungieren. (20) Dies hängt mit den sozialen Schichten zusammen, in denen die Kinder aufwachsen. (Relativsatz) (21) In dem Text […] geht es um die Frage, ob das Elternhaus über die Schullaufbahn von Kindern entscheidet. (Konjunktionalsatz) (22) […] weil die Eltern das Risiko zu hoch einschätzen, dass ihr Kind auf dem Gymnasium versagt. (Konjunktionalsatz) (23) Kinder ohne Migrationshintergrund haben laut Text eine wesentlich höhere Chance, das Gymnasium zu erreichen. (Infinitivsatz) Relativsätze, die sich nicht auf ein Nomen im Matrixsatz beziehen, werden in dieser Untersuchung nicht zu den Attributsätzen gezählt. Dazu gehören die sog. freien Relativsätze (Beispiele aus Pasch & Zifonun 2006: 921): (24) Wer mit allem zufrieden ist, wird beneidet. (25) Wo man mit allem zufrieden ist, kann kein Neid aufkommen. Nach Pasch & Zifonun (2006: 921) können diese Art von Relativsätzen valenzgrammatisch gesehen entweder als Ergänzungen (Beispiel [24]) oder als Angaben zum Verb (Beispiel [25]) dienen. Auch weiterführende Nebensätze, die sich nicht auf ein Bezugsnomen, sondern auf den ganzen Matrixsatz beziehen, werden nicht zu den Attributsätzen gezählt (Beispiel aus Dürscheid 2007: 62): (26) Karl hat sein Portemonnaie verloren, was mir große Sorgen macht. Aufgrund des unklaren Status von freien und weiterführenden Relativsätzen werden diese nicht in die Auswertung der Ergänzungs-, Adverbial- und Attributsätze einbezogen. Zusätzlich zur Art des Nebensatzes bzw. der nebensatzartigen Konstruktion wird der Grad der Abhängigkeit dieser Teilsätze annotiert. Der vom Hauptsatz
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abhängige Nebensatz ist ein Nebensatz ersten Grades, ein von dem Nebensatz ersten Grades abhängiger Nebensatz ist ein Nebensatz zweiten Grades etc. (vgl. Helbig & Buscha 2001: 576). Die folgende Abbildung verdeutlicht eine solche Analyse anhand eines Beispielsatzes aus dem Korpus: Tab. 4: Satzanalyse nach dem Grad der Einbettung der Teilsätze Dies sollte dadurch geschehen, Matrixsatz
indem der elterliche Einfluss auf die Schullaufbahn verringert wird, Nebensatz 1. Grades (Adverbialsatz)
da Eltern oftmals ihre soziale versuchen, Stellung beizubehalten […], Nebensatz 2. Grades (Adverbialsatz)
Nebensatz 3. Grades (Ergänzungssatz)
ohne dabei das Potenzial des Kindes zu berücksichtigen. Nebensatz 4. Grades (Adverbialsatz)
Koordinierte Nebensätze ohne einleitendes Wort aber mit finitem Verb werden ebenso als Nebensätze gezählt: (27) Zum einen kann es einfach daran liegen, dass seine Fähigkeiten nicht ausreichen oder nicht gefördert werden und zum anderen daran… Der Anteil der Nebensätze an der Anzahl aller Sätze eines Textes kann schließlich dadurch ermittelt werden, dass die Nebensätze ins Verhältnis zu allen finiten Verben und Infinitivkonstruktionen mit zu des jeweiligen Textes gesetzt werden.
6.6.1.2 Attribute In dem Korpus der vorliegenden Untersuchung wurden die in Kapitel 4.4.3.5 beschriebenen Attributtypen annotiert: Adjektivische Attribute, Präpositionalund Genitivattribute.93 Eine Herausforderung für die Annotation von komplexen Nominalphrasen mit Attributen ergibt sich dadurch, dass Substantive auch mehrfach – durch dieselben oder durch unterschiedliche Arten von Attributen – erweitert sein können. Schmidt (1993, 2006) unterscheidet zwischen einfachen Erweiterungen (Kern bzw. Nomen plus ein Attribut) und drei verschiedenen Haupttypen von Mehrfacherweiterungen. In Bezug auf die Annotation ist es wichtig zu wissen, unter welchen Umständen die Mehrfacherweiterungen auch
|| 93 Attributsätze wurden bereits in dem entsprechenden Kapitel zur Subordination erwähnt (s. Kapitel 6.6.1.1) und werden im Rahmen der Analyse der subordinierten Sätze ausgewertet.
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mehrfach gezählt werden. Dies wird im Folgenden mit Beispielen aus dem Korpus veranschaulicht. Der erste Typ der Mehrfacherweiterung ist bei Schmidt (1993) die Koordination: „1. Koordination: Ein Attribut ist mit einem weiteren Attribut, das eine identische Position innerhalb der Dependenzstruktur einnimmt, entweder a) durch nebenordnende Konjunktionen (und, aber …) verbunden oder b), wenn diese fehlen, verbindbar (= asyndetische Koordination). Die Attribute sind permutierbar, ohne daß sich hieraus Bedeutungsdifferenzen ergeben“ (Schmidt 1993: 80).
Beispiel (28) veranschaulicht eine solche asyndetische Erweiterung: (28) eine einheitliche, integrierte Gesamtschule Zwei Adjektivattribute werden durch ein Komma koordiniert. Eine solche Phrase wird in dieser Studie als Nominalphrase mit einem Adjektivattribut annotiert, und zwar unabhängig davon, wie viele adjektivische Attribute vorangestellt sind. Das Präpositionalattribut in (29) besteht aus zwei mit der Konjunktion und, also syndetisch verbundenen Substantiven. (29) die Einwirkung durch Eltern und Lehrer Der zweite Typ von Mehrfacherweiterung ist laut Schmidt (1993) die Unterordnung: „Regens eines Attributs ist ein Attribut“ bzw. „ein Attribut der Abhängigkeitsstufe n+1 ist Dependens eines Attributs mit Abhängigkeitsstufe n“ (Schmidt 1993: 81). Diese mehrfach komplexen Nominalphrasen, in deren nominale Attribute wiederum andere Nominalphrasen eingebettet sind, werden auch endozentrische Konstruktionen genannt und treten besonders häufig bei Genitivattributen auf (Eisenberg 2006: 247). (30) die Benotung des Wissens eines Schülers Die Benotung NP-GEN
des Wissens
eines Schülers
NP-GEN
In (30) werden zwei Attribute annotiert: Die Benotung des Wissens eines Schülers als eine Nominalphrase mit Genitivattribut (NP-GEN), und die Nominalphrase des Wissens eines Schülers als weitere Nominalphrase mit Genitivattribut, die in die erste komplexe Nominalphrase eingebettet ist. Eine endozentrische Konstruktion kann ebenso darin bestehen, dass eine Nominalphrase mit Präpositionalattribut (NP-PRÄP) in eine andere Nominalphrase mit Präpositionalattribut oder in eine Nominalphrase mit Genitivattribut eingebettet ist:
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(31) ein Drittel der Schüler an den Gymnasien Ein Drittel NP-GEN
der Schüler
an den Gymnasien
NP-PRÄP
Es kann jedoch auch vorkommen, dass mehrere Nominalphrasen auf gleicher Ebene als Attribute einer komplexen Nominalphrase fungieren. Dies kommt besonders oft bei Präpositionalattributen vor, denn „ein Präpositionalattribut kann […] sowohl ein Genitivattribut als auch ein anderes Präpositionalattribut ‚überbrücken‘ und sich auf ein weiter entferntes Substantiv beziehen“ (Eisenberg 2006: 262). Schmidt (1993: 81) spricht in diesem Fall von „Gleichstufigkeit“. In (32) sind sowohl das Genitivattribut der Lehrer als auch das Präpositionalattribut mit den Eltern abhängig von dem Kern ein Gespräch, es werden dementsprechend zwei komplexe Nominalphrasen annotiert: (32) ein Gespräch der Lehrer mit den Eltern Ein Gespräch NP-GEN
der Lehrer mit den Eltern
NP-PRÄP
In Hinblick auf die Annotation muss also festgehalten werden, dass komplexe Nominalphrasen mit Mehrfacherweiterungen nicht als Einheit, sondern dass alle Attribute einzeln annotiert werden. So lassen sich bei der Auswertung zwar keine Aussagen über Anzahl und Vorkommen der unterschiedlichen Mehrfacherweiterungen machen, es wird aber davon ausgegangen, dass ein hoher Anteil von komplexen Nominalphrasen bezogen auf alle Nominalphrasen im Text mit dem vermehrten Gebrauch mehrfach komplexer Nominalphrasen korreliert. Neben dem Umgang mit den Mehrfacherweiterungen muss in der Annotation auch eine Lösung für das in Kapitel 4.4.3.5 erläuterte Problem gefunden werden, dass sich nicht immer eindeutig entscheiden lässt, ob es sich bei einer in der Nähe eines Substantivs stehenden Präpositionalphrase um ein Attribut oder eine adverbiale Bestimmung handelt. In dieser Studie wurde folgendes Vorgehen gewählt: Die nicht eindeutig als Attribute identifizierbaren Präpositionalphrasen wurden als syntaktisch ambig gekennzeichnet. In dem Korpus mit den Leserbriefen wurden insgesamt 462 Präpositionalattribute annotiert, davon waren 19 ambig. In dem Zusammenfassungen-Korpus wurden 762 Präpositionalattribute annotiert, davon waren 34 ambig. Es handelt sich insgesamt also eher um eine geringe Anzahl von ambigen Präpositionalattributen, die pro
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Subkorpus jeweils nur unter 5 % ausmachen. Damit diese nicht eindeutig als Attribut identifizierbaren Fälle jedoch nicht zu einer Beeinträchtigung der Objektivität der Auswertung führen, kann eine getrennte Analyse der Präpositionalattribute einmal inklusive und einmal exklusive der syntaktisch ambigen Präpositionalattribute durchgeführt werden.
6.6.1.3 Morphosyntax Aufgrund ihrer Relevanz für den L2-Erwerb sollen die Texte dieser Studie auch in Hinblick auf morphosyntaktische Fehler untersucht werden. Bei der Durchführung einer Fehlerannotation sieht man sich allerdings vielfältigen Problemen ausgesetzt. Eine der Schwierigkeiten besteht in der Auswahl des Tagsets, das einerseits differenziert, andererseits aber auch handhabbar sein muss (vgl. Lüdeling & Walter 2010). Untersuchungen zeigen zudem, dass Annotierende die von den Textproduzenten intendierten Aussagen bei fehlerhafter Realisierung unterschiedlich rekonstruieren (vgl. Lüdeling 2008) und Fehlerannotationen somit nur bedingt objektiv und reliabel sind. Zur Erhöhung der Transparenz und Nachvollziehbarkeit wird deshalb bei der Annotation dieses Korpus, wie in Lüdeling (2008: 135) vorgeschlagen, eine weitere Annotationsspur für die Zielhypothese eingerichtet, so dass diese jederzeit überprüft werden kann. Probleme für die Fehlerannotation ergeben sich auch aus dem oftmals unklaren Schriftbild der handschriftlichen Texte. Beispielsweise sind in einigen Texten des Korpus die Wortendungen – oftmals die Endungen von Adjektiven – schwer zu erkennen. So ist teilweise nicht festzustellen, ob es sich um ein oder handelt und deshalb z.B. die Dativmarkierung fehlt. Solche Ungenauigkeiten können auch darauf hinweisen, dass die Schreiber an dieser Stelle bei der Verschriftung unsicher waren und das Schriftbild unabsichtlich oder absichtlich mehrdeutig gestaltet haben. Auch muss letzten Endes offen bleiben, ob es sich bei den jeweiligen Fehlern um Kompetenz- oder Performanzfehler handelt. Textstellen, die schwer zu entziffern bzw. mehrdeutig waren, wurden deshalb als ambig gekennzeichnet, im Zweifelsfall jedoch als Fehler gezählt. Anregungen für die Klassifizierung der Fehler wurden von Cantone & Haberzettl (2008) und Grimm, Götze & Gutenberg (2006) übernommen. Cantone & Haberzettl (2008) unterscheiden in ihrem Diagnoseinstrument für mehrsprachige SchülerInnen der Sekundarstufe I Grammatikfehler in der Satz-/ Verb- und Nomendomäne. In der Satzdomäne kommen folgende Fehlerbereiche vor: „unvollständige Konstruktion, Subjektauslassung, fehlendes oder falsch platziertes expletives es, Wortstellungsfehler“, in der Verbdomäne „falscher Flexionstyp, Kongruenzfehler, falsches Hilfsverb, Valenzfehler (z.B. falsche Kasuszuwei-
134 | Methode
sung, fehlende, überflüssige oder falsche Präpositionen)“ und schließlich in der Nomendomäne „falsche Kasusmarkierung, fehlender Artikel, definiter statt indefiniter Artikel, etc.“ (Cantone & Haberzettl 2008: 100). Grimm, Götze & Gutenberg (2006) unterteilen ihr Kriterienraster für die Fehleranalyse von Texten von SchülerInnen mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache in die Bereiche „Orthografie“, „Morpho-Syntax“, Semantik“ und „Stilistik“. Einige Fehlerkategorien, wie z.B. „Simplifizierung“, „Übergeneralisierung“ und „CodeSwitching“ sind insbesondere für Texte von SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache relevant (Grimm, Götze & Gutenberg 2006: 22f.). Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist das Raster zu differenziert, der Bereich Morpho-Syntax bot mit seinen Fehlergruppen aber eine gute Orientierung. Darüber hinaus wurden während der Analyse Kategorien induktiv aus den Texten entwickelt (z.B. die Kategorie Referenz), wenn bestimmte Fehler erst bei der Durchsicht der Texte auffielen und gehäuft auftraten. Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass kein Wert auf die vollständige Erfassung aller Fehler gelegt wurde, denn im Kontext dieser Arbeit sind vorrangig die Fehler von Interesse, die im Zusammenhang mit syntaktischer Komplexität auftreten können. Die einzelnen Fehlerkategorien sollen nun mit Beispielen aus dem Korpus erläutert werden. Kasus-, Numerus- und Genusfehler wurden in der Kategorie Nominalphrasenflexion zusammengefasst. Dieser Weg wurde vor allem deshalb gewählt, weil Flexionsfehler in der Nominalphrase oft ambig sind und nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden kann, um welche Art von Fehler es sich handelt. (33) *Volker Müller-Benedict schreibt in seiner Artikel über die Schüler, die … Im Beispiel (33) ist beispielsweise nicht klar, ob dem Substantiv Artikel ein falsches Genus zugeordnet wurde (Femininum anstelle von Maskulinum), oder der Kasus (Dativ Singular) falsch markiert wurde (Endung -er anstelle von -em). Zudem ist schon erwähnt worden, dass es nicht sinnvoll ist, Fehler an den Elementen einer Nominalphrase einzeln zu betrachten und zu zählen, da sie in einem komplexen Verhältnis zueinander stehen (s. Kapitel 4.4.3.6). Die Nominalphrasen werden deshalb insgesamt als fehlerhaft annotiert, egal ob nur eine oder mehrere Flexionsendungen fehlerhaft sind. D.h. in der Nominalphrase an andere Schüler in dem Satz (34) *Da Schüler sich nur an andere Schüler orientieren … sind sowohl das Adjektiv als auch das Substantiv fehlerhaft flektiert, es werden aber nicht zwei Fehler, sondern eine fehlerhaft flektierte Nominalphrase annotiert. Diese Art der Fehleranalyse ist relativ grob, aus Erwerbsperspektive aber
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 135
angebracht. In einem nächsten Schritt könnten die fehlerhaften Nominalphrasen dann näher analysiert werden, z.B. in Hinblick auf das Genus und die Länge der Nominalphrase, den Zielkasus, die interne Kongruenz etc. Die einzelnen in dieser Arbeit zur Analyse herangezogenen Fehlerkategorien (Artikelfehler, fehlerhaft flektierte Nominalphrasen, fragmentarische Sätze, Kasusfehler, Kongruenzfehler, Präpositionsfehler, Referenzfehler und Satzgliedstellungsfehler) sollen im Folgenden näher erläutert werden. – Artikelfehler: Bestimmter, unbestimmter oder Nullartikel werden unkorrekt benutzt. Ein Fehler liegt z.B. vor, wenn anstelle eines bestimmten oder unbestimmten Artikels kein Artikel benutzt wird: (35) *Es kann zwei Gründe haben, dass Schüler nicht auf Gymnasium gehen. –
Fehlerhaft flektierte Nominalphrasen: In der Nominalphrase werden der Artikel, das Adjektiv und/oder das Substantiv hinsichtlich Kasus, Numerus und/oder Genus nicht korrekt flektiert.
(36) *Also ich finde eine Zeugnis ohne Noten besser. (Artikelflexion) (37) *Und die Idee mit den regelmäßigen Elterngesprächen würde zu Hause nur zu unnötigen Streit führen. (Adjektivflexion) (38) *Einige Schulempfehlung werden nicht immer nach dem Leistungspotenzial des Kindes entschieden. (Substantivflexion) –
Fragmentarische Sätze: „Eine obligatorische Ergänzung durch ein Wort, einen Wortteil oder allgemein eine Konstituente fehlt, z.B. der trennbare Verbteil bei einer Klammerbildung oder ‚zu‘ bei einem Infinitiv“ (Grimm, Götze & Gutenberg 2006: 22). Im folgenden Beispiel fehlt das obligatorische Subjekt:
(39) *… nämlich ob sie dem Kind Nachhilfe ermöglichen oder ob dem Kind früher was vorgelesen haben. –
–
Bei diesen Fehlern handelt es sich oft um Planungsfehler und Konstruktionsbrüche, die auf die kognitive Belastung durch den Schreibprozess zurückgeführt werden können. Kasusfehler: In diese Kategorie fallen alle Fehler, bei denen der Kasus außerhalb der Nominalphrase nicht richtig realisiert wurde.
136 | Methode
(40)*Aber ein Schüler, der meistens schlechte Noten schreibt, wird an das, was er sagen will, zweifeln. (41) […] *da die Eltern dann ihren Kindern helfen können oder ihn klarmachen … –
Kongruenzfehler: Bei diesen Fehlern wird gegen die Subjekt-Verb-Kongruenz verstoßen:
(42) *Die Kernaussage dieses Textes beinhalten viele Argumente. –
Präpositionsfehler: Diese Kategorie bezieht sich auf die Rektion der Präpositionen, z.B. durch das Verb oder Substantiv, aber auch auf eine inhaltlich falsche oder fehlende Verwendung von Präpositionen. Normverstöße treten hier gehäuft bei festen Verbindungen von Präposition und Verb auf. Auch in Verbindung mit Nomen werden falsche Präpositionen benutzt:
(43) *Oder aber die soziale Herkunft nimmt Einfluss über diese Entscheidung statt der individuellen Leistung. –
Referenzfehler: Referenzfehler kommen durch falsche relativische Anschlüsse oder eine falsche oder unklare anaphorische Referenz zustande:
(44) *Schüler, die nach der 4. Klasse gleich gut waren, und das eine geht auf die Realschule und das andere auf das Gymnasium… –
Satzgliedstellungsfehler: Eine Satzkonstituente wird an einer falschen Stelle im Satz platziert. In (45) steht das Verb nicht wie in einem Nebensatz eigentlich erforderlich, in Verbletztstellung, sondern in V2-Stellung:
(45) *Es wird besagt dass man seit seiner Geburt viele Erfahrungen mit auf den Weg nimmt und hat sehr viel Einfluss von dem Elternhaus und Schule. In diesem und den vorangegangenen Abschnitten wurde dargestellt, welche sprachlichen Strukturen und Fehler in dem Korpus wie annotiert werden, um sie quantifizieren zu können. Die Analyse der Häufigkeitsverteilungen dieser Strukturen in den Texten erlaubt Aussagen über die Entwicklung der syntaktischen Schreibfähigkeiten. Im nächsten Abschnitt wird beschrieben, welche statistischen Tests für diese Analyse eingesetzt werden.
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 137
6.6.2 Statistische Tests Zur Überprüfung der Hypothesen dieser Studie werden statistische Tests eingesetzt. Dafür werden die zwei Sprachgruppen innerhalb jeder Altersgruppe sowie die einzelnen Altersgruppen für sich als unabhängige Stichproben behandelt. Eine erste explorative Datenanalyse zeigt, dass die untersuchten Variablen in der Stichprobe überwiegend nicht normalverteilt sind.94 Wenn eine Normalverteilung vorliegt, so sind die Werte glockenförmig angeordnet und treten um einen arithmetischen Mittelwert gehäuft auf. In der vorliegenden Stichprobe sind jedoch die Werte für die Mehrzahl der Variablen nicht normalverteilt, sondern breit und ungleichmäßig gestreut. Oft tauchen Werte auf, die extrem von den üblichen Werten abweichen (Ausreißer). Es wäre daher unangebracht, mit Mittelwertvergleichen zu arbeiten, d.h. den Durchschnitt der Werte der unterschiedlichen Gruppen miteinander zu vergleichen (Bortz & Döring 2006: 374, Rasch, Friese, Hofmann & Naumann 2010: 144f.). Zur Beantwortung der Frage, ob sich in Hinblick auf die untersuchten Variablen signifikante Unterschiede zwischen den Sprachgruppen innerhalb einer Altersgruppe oder zwischen den Altersgruppen feststellen lassen, werden unterschiedliche Tests eingesetzt. Aufgrund der fehlenden Normalverteilung werden für den Vergleich zwischen den Sprachgruppen der U-Test nach Mann und Whitney, und für den Vergleich zwischen den Altersgruppen der KruskalWallis-Test benutzt. Als Signifikanzniveau wird ein Wert von p = 0,05 festgelegt. Für den letztgenannten Test wird post-hoc der U-Test nach Mann und Whitney mit Bonferroni-Korrektur verwendet. Da jeweils drei post-hoc Tests eingesetzt werden (Unterschied zwischen Klasse 11 und 13, zwischen Klasse 13 und Studierenden und zwischen Klasse 11 und Studierenden), liegt das Signifikanzniveau hier nach der Bonferroni-Korrektur bei p = 0,017. Alle Tests werden zweiseitig durchgeführt.
|| Lediglich die Adjektiv- und die Genitivattribute in den Zusammenfassungen können als normalverteilt angesehen werden. Aus Gründen der Praktikabilität und Vergleichbarkeit wurden jedoch für alle Variablen dieselben nichtparametrischen Verfahren eingesetzt. Dies kann als unproblematisch eingestuft werden, da eine explorative Analyse der normalverteilten Variablen mit einem parametrischen Test (t-Test) und einem nichtparametrischen Test zeigte, dass die Ergebnisse sich kaum unterscheiden. 94
138 | Methode
6.7 Ergänzende Analyse: Schriftliche Argumentationskompetenz In den vorangegangenen Abschnitten wurden die methodischen Grundlagen für die quantitative Analyse des Textkorpus der vorliegenden Studie beschrieben. Die qualitativ orientierte Analyse, die Thema dieses Kapitels ist, stellt eine Ergänzung zu den quantitativen Auswertungen dar. Es sollen Aspekte der Schreibprodukte und der Schreibkompetenz untersucht werden, die durch die an syntaktischen Oberflächenmerkmalen orientierte quantitative Analyse nicht erfasst werden können. Aufgrund der zeitlichen Begrenztheit des Promotionsprojektes und des großen Aufwandes, der mit dieser Art von Analyse einhergeht, kann diese allerdings nicht für beide Korpora, sondern nur für die argumentativen Texte durchgeführt werden. Die Untersuchung der argumentativen Texte bietet sich an, da sie den Anschluss an eine umfangreiche Forschung zur Entwicklung schriftlicher Argumentationskompetenz zulässt. Darüber hinaus würde die Beurteilung der Zusammenfassungen sich auch in methodischer Hinsicht als schwierig erweisen, da ihre Qualitäten nur unter Berücksichtigung des Originaltextes und seines Propositionengefüges eingeschätzt werden können. Das Schreiben einer Zusammenfassung hängt außerdem sehr stark von dem Textverständnis und damit auch von der Lesekompetenz ab, die in dieser Studie nicht kontrolliert wurden. Für die qualitativ orientierte Analyse werden 72 von insgesamt 191 argumentativen Texten ausgewählt. Die Auswahl erfolgt auf Basis der Ergebnisse zur syntaktischen Komplexität der Texte und enthält pro Alters- und Sprachgruppen gleich viele Texte.95 Im Mittelpunkt der qualitativen Analyse steht die schriftliche Argumentationskompetenz mit Schwerpunkt auf dem konzessiven Argumentieren. Feilke (2010a, b) identifiziert neben den „argumentativen Grundkompetenzen“ (Werte- und Normenkenntnis, Weltwissen bzw. Typenkenntnis, Sprachwissen bzw. Argumentstrukturkenntnis, Topikkenntnis) drei weitere Kompetenzbereiche, die insbesondere für das schriftliche Argumentieren konstitutiv sind: Die Fähigkeit zur textpragmatischen Differenzierung (Alterisierung), die Fähigkeit zum Ausbau von Argumenten bzw. zur textsemantischen Differenzierung (Referentialisierung) und schließlich die Fähigkeit zum kontroversen Argumentieren (Textualisierung) (s. Kapitel 4.3.1.3).
|| 95 Das genaue Vorgehen bei der Auswahl der Texte wird in Kapitel 7.4.1 näher erläutert.
Ergänzende Analyse: Schriftliche Argumentationskompetenz | 139
„Während die Kompetenz zur textpragmatischen Rahmung mit der allgemeinen Entwicklung pragmatischer Kompetenzen Fortschritte macht und die Fähigkeit zum Argumentausbau sehr stark von der allgemeinen Zunahme des Weltwissens profitieren kann, bleibt der letzte Punkt [die Textualisierung, I.P.] wie gezeigt empirisch nachhaltig kritisch“ (Feilke 2010a: 157).
Der Kompetenzbereich der Textualisierung soll auch im Zentrum der qualitativen Untersuchung der Texte stehen. Dabei erfahren die konzessiven literalen Prozeduren besondere Aufmerksamkeit (s. Kapitel 4.4.4). Sie dienen dazu, „Konzessionen sprachlich explizit zu signalisieren“ (Rezat 2011: 53). Nach Feilke manifestiert sich in ihrem Gebrauch die Textkompetenz der SchreiberInnen: „Ihr Vorhandensein oder Nichtvorhandensein sowie Varianten der Durchführung sind gleichermaßen ein tragfähiger Kompetenzindikator und ein möglicher Ansatzpunkt für die Förderung“ (Feilke 2010c: 13).
Die konzessiven sprachlichen Strukturen können nicht nur in ihrem Vorhandensein, sondern auch in ihrer Funktionalität für die Texte betrachtet und bewertet werden. Da es sich als schwierig erweist, die Qualität der konzessiven Argumentationsstrukturen ohne Berücksichtigung anderer Aspekte von Argumentationskompetenz zu beurteilen, wird auch die Fähigkeit zur textpragmatischen Differenzierung (s. Kapitel 4.3.1.3) in die Analyse einbezogen. Während der qualitativ orientierten Analyse soll eine offene, fragende Haltung zu den Texten eingenommen werden, so dass auch Merkmale der Texte ins Auge fallen, die vorab nicht festgelegt wurden. Aus solchen Beobachtungen können neue Hypothesen über die Schreibfähigkeiten der SchülerInnen und Studierenden abgeleitet werden. Bei der Untersuchung der konzessiven literalen Prozeduren stütze ich mich auf die Ergebnisse der Studie von Rezat (2011). Sie identifiziert in den von ihr untersuchten argumentativen Texten von GymnasialschülerInnen der 8. und 9. Klasse die folgenden konzessiven literalen Prozeduren zur Markierung der Einräumung und der Gegenbehauptung (s. Kapitel 4.4.4): Tab. 5: Gruppen konzessiver literaler Prozeduren in den Texten der Gymnasialschüler (Rezat 2011: 62)
I
Einräumung
Gegenbehauptung
lexikalisches Mittel der Einräumung es ist mit Sicherheit so, dass …; in gewisser Weise teile ich ihre Ansicht; Sie haben in gewisser Weise Recht …; zum einen haben Sie Recht …; ich schätze ihre Arbeit (wirklich) sehr; es
adversatives Konnektiv aber/doch/jedoch/allerdings
140 | Methode
II
III IV
mag zwar sein, …; vielleicht; mag/möge allgemeines Verstärkungselement des Gegensatzes zwar/sicherlich/natürlich monoseme konzessive Kodierung auch wenn keine Kodierung -
adversatives Konnektiv aber/doch/jedoch Konjunktionaladverb (doch) adversatives Konnektiv mit konzessiver Lesart aber/doch
Rezats Systematisierung kann dazu dienen, in den argumentativen Texten des vorliegenden Korpus konzessive literale Prozeduren zu identifizieren. Außerdem kann überprüft werden, ob die SchülerInnen der Sekundarstufe II und die Studierenden andere oder weitere konzessive literale Prozeduren bzw. Konnektive als die in der Tabelle aufgeführten verwenden. Was die Texte der von Rezat untersuchten GymnasialschülerInnen betrifft, so sind in ihnen literale Prozeduren aus den Gruppen I und II am häufigsten zu finden (Rezat 2011: 62). Hinsichtlich der Gruppe IV ist zu beachten, dass die Prozeduren dieser Gruppe nur in Abhängigkeit vom Argumentationskontext als konzessiv eingestuft werden können (vgl. Rezat 2011: 62). Breindl (2004) geht z.B. davon aus, dass aber in argumentativen Texten entweder als „Bewertungsgegensatz-aber“ oder als „konzessives aber“ verwendet werden kann, wobei die zwei Verwendungstypen nicht immer klar differenziert werden können (Breindl 2004: 245). Dementsprechend vermutet Rezat, dass der Erwerb konzessiver literaler Prozeduren über den Erwerb adversativer literaler Prozeduren, insbesondere über den Konnektor aber, erfolgt (Rezat 2011: 60). „Das ‚Bewertungsgegensatz-aber‘ bildet […] durch das Bereitstellen und abwägende Bewerten von Argumenten und Gegenargumenten die Vorstufe konzessiven Argumentierens“ (Rezat 2011: 59). Hinweise zum konzessiven Argumentieren in den Texten der Studierenden kann zudem Steinhoffs Untersuchung (2007) zum Sprachgebrauch in wissenschaftlichen Texten von Studierenden und Experten geben. Er analysiert das konzessive Argumentieren als einen von fünf Funktionsbereichen eines wissenschaftlichen Textes.96 Demnach können die konzessiven zwar-Konstruktionen (vgl. Gruppe II in Tab. 5) zum „typischen sprachlichen Repertoire wissenschaftlicher Texte gezählt werden“ (Steinhoff 2007: 335); sie kommen sowohl im Expertenkorpus als auch im Studentenkorpus durchschnittlich vier Mal pro Text
|| 96 Die anderen vier Funktionsbereiche lauten Verfasserreferenz, Intertextualität, Textkritik und Begriffsbildung (Steinhoff 2007).
Ergänzende Analyse: Schriftliche Argumentationskompetenz | 141
vor (Steinhoff 2007: 335). Am häufigsten ist dabei die Verknüpfung von zwar mit aber, seltener wird zwar im Zusammenhang mit doch oder jedoch benutzt (Steinhoff 2007: 335). Der Konnektor zwar spielt außerdem eine Rolle bei der Meinungsbekundung (zwar … aber meiner Meinung nach …) (Steinhoff 2007: 340). Steinhoff beobachtet zudem Formulierungsbrüche (zwar … sondern, zwar sicherlich …) (Steinhoff 2007: 344f.). Unter Berücksichtigung der soeben referierten Forschungsergebnisse können die Texte der drei Altersgruppen hinsichtlich des Vorkommens und des Gebrauchs konzessiver literaler Prozeduren untersucht werden. Folgende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt: Ist eine Entwicklung der schriftlichen Argumentationskompetenz von Klasse 11 bis zu den Studierenden erkennbar? Unterscheiden sich innerhalb der Altersgruppen die Texte der Ein- und Mehrsprachigen? Welche weiteren Auffälligkeiten gibt es?
7 Ergebnisse In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Studie vorgestellt. Dazu werden zunächst die Stichprobe und das zugrundeliegende Korpus genauer beschrieben. Anschließend werden die Forschungshypothesen der Hauptanalyse überprüft und die Resultate der quantitativen Auswertung in Hinblick auf die syntaktische Komplexität der Texte beschrieben. Es folgen die Darstellung der Ergebnisse zur schriftlichen Argumentationskompetenz und Beobachtungen im syntaktischen und lexikalischen Bereich.
7.1 Beschreibung der Stichprobe In diesem Abschnitt werden wichtige Merkmale der Stichprobe in Hinblick auf Migrationshintergrund, Erstsprachen, Sprachverwendung, bildungsbiografische Aspekte, Leistungen im Fach Deutsch und Selbsteinschätzung der Sprachkenntnisse beschrieben. Auch wird die statistische Ausgewogenheit der Stichprobe in Bezug auf diese Merkmale diskutiert. Wo Unterschiede deutlich werden, wird überprüft, ob diese statistisch signifikant sind. Da davon auszugehen ist, dass alle diese Aspekte Einfluss auf den Erwerb von Schreibkompetenz haben, sind diese Informationen für die Einschätzung der Validität der Studie und die Interpretation der Ergebnisse von großer Wichtigkeit. Tab. 6 zeigt die Verteilung der unterschiedlichen Altersgruppen in der Stichprobe. Tab. 6: Anzahl der UntersuchungsteilnehmerInnen in den Altersgruppen Altersgruppe Kl. 11 Kl. 13 Stud. Gesamt
UntersuchungsteilnehmerInnen (absolut)
in %
60 75 63
30,3 37,9 31,8
198
100,0
Die Gesamtstichprobe besteht aus n = 198 Personen. Die meisten ProbandInnen stammen aus der 13. Klasse (37,9 %), gefolgt von den Studierenden (31,8 %) und den SchülerInnen aus der Klasse 11 (30,3 %).
Beschreibung der Stichprobe | 143
7.1.1 Migrationshintergrund In den PISA-Studien wurden Kompetenzunterschiede zwischen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund, Jugendlichen mit nur einem im Ausland geborenen Elternteil, Jugendlichen der Ersten Generation und Jugendlichen der Zweiten Generation festgestellt (s. Kapitel 3). Vor diesem Hintergrund soll auch in dieser Untersuchung der Migrationshintergrund der Teilnehmenden näher betrachtet werden (s. Tab. 7). Zunächst einmal ist festzuhalten, dass 43,9 % der befragten Personen keinen Migrationshintergrund und 56,1 % einen Migrationshintergrund haben. In den Altersgruppen schwankt der Anteil der Befragten mit Migrationshintergrund zwischen 50,8 % bei den Studierenden und bis zu 60,0 % bei den SchülerInnen der Klasse 13. Tab. 7: Migrationsstatus der UntersuchungsteilnehmerInnen (in %, absolute Zahlen in Klammern) Kl. 11 n = 60
Migrationsstatus Ohne Migrationshintergrund Mit Migrationshintergrund Erste Generation Zweite Generation Ein Elternteil im Ausland geboren
43,3 56,7 26,5 58,8 14,7
(26) (34) (9) (25) (5)
Kl. 13 n = 75 40,0 60,0 35,6 57,8 6,7
(30) (45) (16) (29) (3)
Stud. n = 63 49,2 50,8 56,3 40,6 3,1
(31) (32) (18) (14) (1)
Gesamt n = 198 43,9 56,1 38,7 53,2 8,1
(87) (111) (43) (68) (9)
Summe kann rundungsbedingt von 100 % abweichen.
Innerhalb der Gesamtstichprobe gehören über die Hälfte der Befragten (53,2 %) zur Zweiten Generation, ihr Anteil überwiegt auch in den Klassen 11 (58,8 %) und 13 (57,8%). Lediglich in der Gruppe der Studierenden gibt es mehr Personen, die der Ersten Generation angehören (56,3 %). Im Vergleich dazu macht der Anteil der Ersten Generation in der Gesamtstichprobe nur 38,7 % aus. Die kleinste Gruppe sowohl in der Gesamtstichprobe (8,1 %) als auch in der jeweiligen Altersgruppe besteht schließlich aus denjenigen mit einem im Ausland geborenen Elternteil. Der Anteil schwankt hier zwischen 14,7 % bei den SchülerInnen aus Klasse 11 und 3,1 % bei den Studierenden. Die ProbandInnen, die zur Ersten Generation zählen, haben gemeinsam, dass sie im Ausland geboren wurden. Abgesehen von diesem Merkmal handelt es sich aber um eine sehr heterogene Gruppe. Da es für die Einschätzung dieser Ersten Generation hinsichtlich ihres Spracherwerbs von Interesse ist, wann die betreffenden Personen eingereist sind, und ob sie die Grundschule (und ggfs. auch den Kindergarten) in Deutschland, oder in ihrem Heimatland besucht
144 | Ergebnisse
haben (s. Kapitel 3), sollen einige Merkmale dieser Gruppe detaillierter vorgestellt werden (s. Tab. 8). Die im Ausland Geborenen (n = 43) sind zwischen ihrem 1. und 16. Lebensjahr nach Deutschland eingereist (M = 6,4; SD = 4,1).97 Nur 19 Personen (44,2 %) aus dieser Gruppe sind zunächst im Ausland zur Schule gegangen und haben ihre Schullaufbahn später in Deutschland fortgesetzt. Es ist zu vermuten, dass es in Bezug auf den Sprach- und Schriftspracherwerb in der deutschen Sprache einen großen Unterschied macht, ob die im Ausland geborenen SchülerInnen am Anfang der Grundschule, am Anfang der Sekundarstufe oder erst im Laufe der Sekundarstufe I in Deutschland eingeschult wurden. Je später sie eingewandert sind und eingeschult wurden, desto kürzer ist ihre Kontaktzeit mit der deutschen Sprache. Andererseits ist es möglich, dass sie bereits gute schriftsprachliche Kompetenzen in ihrer Erstsprache ausbilden konnten, die ihnen auch die Textproduktion auf Deutsch erleichtert. Von den 19 Personen sind 10 Personen (52,6 %) im Laufe der ersten vier Schuljahre in Deutschland eingeschult worden, sie werden gemäß Definition dieser Untersuchung nicht zu den Seiteneinsteigern gezählt (s. Kapitel 3). Die übrigen 9 Personen (47,4 %) sind im Sinne dieser Studie Seiteneinsteiger. Sie sind erst nach der Grundschule, d.h. zwischen der 5. und 10. Klasse, in das deutsche Schulsystem eingestiegen. Was den Zeitpunkt der Einschulung betrifft, ist die Spannbreite zwischen den Seiteneinsteigern folglich sehr groß. Tab. 8: Anzahl der UntersuchungsteilnehmerInnen der Ersten Generation und der Seiteneinsteiger (in absoluten Zahlen)
Erste Generation Kein Schulbesuch im Ausland Schulbesuch im Ausland, Einschulung im Laufe der Klassen 1 bis 4 Schulbesuch im Ausland, Einschulung in den Klassen 5 bis 10 (Seiteneinsteiger)
Kl. 11 n = 60
Kl. 13 n = 75
Stud. n = 63
Gesamt n = 198
9 5 3
16 9 3
18 10 4
43 24 10
1
4
41
9
1 Eine Person aus dieser Gruppe wurde in Österreich geboren und ist dort bis zur 9. Klasse zur Schule gegangen. Sie gehört somit streng genommen hinsichtlich ihrer erwarteten Sprachkompetenz nicht zu den Seiteneinsteigern.
|| 97 Hier und im Folgenden stehen M für den arithmetischen Mittelwert und SD für die Standardabweichung.
Beschreibung der Stichprobe | 145
Obwohl es aufgrund der besonderen Spracherwerbs- und Lernsituation gerechtfertigt erscheint, die Gruppe der Seiteneinsteiger gesondert zu betrachten, kann sie wegen ihres geringen Umfangs innerhalb der Gesamtstichprobe statistisch nicht als separate Kategorie ausgewertet werden. Bei den statistischen Auswertungen werden die Seiteneinsteiger daher, falls sie auch die anderen dafür notwendigen Kriterien erfüllen, zu der Gruppe der Mehrsprachigen gezählt. Bei der Betrachtung der Ergebnisse soll jedoch darauf geachtet werden, ob ihre Werte auffällig sind. Dies könnte z.B. im Bereich der morphosyntaktischen Fehler der Fall sein.
7.1.2 Mehrsprachigkeit Wie bereits dargestellt wurde, ist der Migrationshintergrund kein hinreichendes Kriterium, um festzustellen, dass eine Person mehrsprachig ist (s. Kapitel 3). Die Zuordnung zu den Gruppen einsprachig und mehrsprachig ist im Rahmen dieser Vergleichsstudie aber zentral. Der Anteil der tatsächlich mehrsprachigen ProbandInnen an der Gesamtstichprobe soll in diesem Kapitel betrachtet werden. Tab. 9: Anzahl der UntersuchungsteilnehmerInnen nach Muttersprache(n) (in %, absolute Zahlen in Klammern) Kl. 11 n = 60
Muttersprache(n) Nur Deutsch Eine andere Sprache Deutsch u. weitere Sprache Zwei andere Sprachen
Kl. 13 n = 75
Stud. n = 63
Gesamt n = 198
45,0 40,0 6,7
(27) (24) (4)
42,7 46,7 6,7
(32) (35) (5)
49,2 42,9 4,8
(31) (27) (3)
45,5 43,4 6,1
(90) (86) (12)
8,3
(5)
4,0
(3)
3,2
(2)
5,0
(10)
Summe kann rundungsbedingt von 100 % abweichen.
Auf die Frage, welche Sprache(n) sie als ihre Muttersprache bezeichnen würden, geben 45,5 % der Gesamtstichprobe (nur) Deutsch an (s. Tab. 9). 43,4 % bezeichnen eine nichtdeutsche Sprache als ihre Muttersprache. 6,1 % berichten, dass sie Deutsch und eine weitere Sprache als Muttersprache haben, und die kleinste Gruppe (5,0 %) berichtet über zwei nicht-deutsche Erstsprachen.98 Folgende nichtdeutsche Sprachen werden als Erstsprachen genannt (insgesamt
|| In der Stichprobe gab keine Person an, mehr als zwei nichtdeutsche Erstsprachen zu haben.
98
146 | Ergebnisse
115 Nennungen99): Arabisch, Aramäisch, Berber, Chinesisch, Englisch, Farsi, Griechisch, Kurdisch, Litauisch, Panjabi, Polnisch, Russisch, Somali, Spanisch, Tamil, Thailändisch, Türkisch, Ukrainisch, Urdu und Vietnamesisch. Die größte Gruppe (31,3 %) nennt Türkisch als ihre Erstsprache, gefolgt von Russisch (19,1 %) und Polnisch (13,9 %). Ähnlich sieht die Verteilung dieser Sprachen in den einzelnen Altersgruppen aus, wobei sich in der 13. Klasse mehr polnischals russischsprachige SchülerInnen befinden (s. Tab. 10). Tab. 10: Verteilung nichtdeutscher Erstsprachen (in %)
Erstsprachen Türkisch Russisch Polnisch Sonstige
Kl. 11 n = 38
Kl. 13 n = 46
Stud. n = 31
Gesamt n = 115
26,3 21,1 10,5 42,1
30,4 13,0 19,6 37,0
38,7 25,8 9,7 25,8
31,3 19,1 13,9 35,7
Um die Sprachpraxis der mit mehreren Sprachen aufgewachsenen ProbandInnen möglichst genau zu erfassen, wurde diese Gruppe detailliert nach der Sprachverwendung mit der Mutter, dem Vater, den Geschwistern und den Freunden gefragt (s. Tab. 11). Die dazugehörige Frage lautete: „Welche Sprachen sprechen Sie meistens mit Ihrer Mutter (Ihrem Vater etc.)?“ Dabei wurde von vorn herein in Betracht gezogen, dass die Kommunikation in mehrsprachigen Familien sehr vielfältig ist und dass die Testpersonen mit einer Bezugsperson unterschiedliche Sprachen sprechen oder Sprachen mischen. Tab. 11: Verteilung der Verwendung von Deutsch und Erstsprache im Alltag von den mit mehreren Sprachen aufgewachsenen Befragten (n = 108) (in %)
Nur Erstsprache Deutsch u. Erstsprache Nur Deutsch k. A.2
Mit Eltern1
Mit Geschwistern
Mit Freunden
50,9 38,9
7,4 38,0
0,9 2,9
10,2 -
46,3 8,3
72,2 0,9
Summe kann rundungsbedingt von 100 % abweichen. 1 Hierzu gehören auch die Fälle, die nur Angaben über ein Elternteil gemacht haben. 2 „k.A.“ steht für keine Angabe, hierzu gehören in der Rubrik mit Geschwistern auch die Fälle, die keine Angaben machen konnten, weil sie keine Geschwister haben.
|| 99 Was an dieser Stelle nicht 115 Fällen entspricht, da einige Personen ja mehr als eine nichtdeutsche Erstsprache angegeben haben.
Beschreibung der Stichprobe | 147
Die größte Gruppe dieser Subgruppe spricht mit den Eltern ausschließlich in der Erstsprache (50,9 %). Bemerkenswert ist jedoch, dass 10,2 % der Befragten mit ihren Eltern nur Deutsch sprechen, obwohl sie mehrsprachig aufgewachsen sind. Diese Zahl deutet darauf hin, dass in einigen Familien die Erstsprachen der Eltern, die diese auch zunächst mit ihren Kindern gesprochen haben, zu Gunsten des Deutschen aufgegeben werden. So berichtet eine befragte Studentin, deren Eltern aus der Türkei eingewandert sind und die als Muttersprachen Deutsch und Türkisch angibt, in dem Kommentarfeld des Fragebogens: „Bis zur Einschulung haben meine Eltern überwiegend türkisch mit mir gesprochen, seit der ersten Klasse dann nur noch deutsch, um mir den Schulalltag zu erleichtern. In der 3. und 4. Klasse habe ich an einem außerschulischen Türkischkurs teilgenommen. 2006 habe ich außerdem am Fremdsprachenzentrum […] ein Semester am Türkischkurs (A2) teilgenommen.“ (GÜVA0783, Hervorhebung im Original).
Die in den ersten sechs Lebensjahren wichtigste Sprache Türkisch hat für diese Studentin nunmehr quasi den Status einer Fremdsprache. Welche Auswirkungen ein solcher language shift und die damit einhergehende Abwertung der Erstsprache auf die Sprachkenntnisse, aber auch auf Identität, Selbstkonzept etc. der jeweiligen Person hat, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Es gibt die m.E. sehr problematische These, dass die Erstsprachen der MigrantInnen für die Integration und den Erfolg in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt keinerlei Nutzen besitzen und deshalb vernachlässigt werden können bzw. müssen (vgl. Esser 2006, aber auch die Gegenpositionen in Gogolin & Neumann 2009). Die Position, dass es auf dem Arbeitsmarkt auch einen großen Bedarf an Kommunikation in den Herkunftssprachen von MigrantInnen gibt, wird in einer Expertise für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eingenommen (Meyer 2008). Im deutschsprachigen Raum gibt es zudem neuere Untersuchungen die darauf hindeuten, dass ein Sprachwechsel von der Minderheits- in die Mehrheitssprache, z.B. aufgrund des Wunsches, den Kindern den sozialen Aufstieg in der Mehrheitsgesellschaft zu ermöglichen, zu Kompetenzverlust in allen Sprachen führen kann (vgl. Brizic 2009: 34f.). Das Beispiel der Studentin macht auch noch einmal deutlich, dass es aufgrund sehr individueller Sprachbiografien und Spracherwerbsverläufe überhaupt nicht leicht ist, festzulegen, wann eine Person mehrsprachig ist (s. Kapitel 3). Es scheint jedenfalls nicht auszureichen, nach der Erst- bzw. Muttersprache zu fragen: Auch von denjenigen, die nur eine nichtdeutsche Sprache als ihre Muttersprache angeben (n = 96), sprechen immerhin 6,3 % nur Deutsch mit ihren Eltern. Noch weniger ist der Migrationshintergrund ein zuverlässiges Kriterium, denn in der Gruppe derjenigen, von denen mindestens ein
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Elternteil im Ausland geboren ist (n = 111), sprechen ebenso 12,6 % nur Deutsch mit ihren Eltern. Wie aus Tab. 11 ersichtlich, benutzen 38,9 % der mit mehreren Sprachen Aufgewachsenen Deutsch und eine weitere Sprache mit ihren Eltern. Allerdings ist auch die Sprachpraxis innerhalb dieser Gruppe (n = 42) sehr heterogen100 : 17 Personen sprechen mit beiden Elternteilen Deutsch und die nichtdeutsche Sprache, 9 Personen sprechen mit einem Elternteil ausschließlich Deutsch, mit dem anderen Elternteil ausschließlich die nichtdeutsche Sprache. 8 Personen sprechen mit einem Elternteil die nichtdeutsche Sprache, mit dem anderen Elternteil die nichtdeutsche Sprache und Deutsch. 7 Personen sprechen mit einem Elternteil Deutsch, mit dem anderen Elternteil Deutsch und die nichtdeutsche Sprache. In der Sprachverwendung mit den Geschwistern gewinnt die Umgebungssprache für die mit mehreren Sprachen Aufgewachsenen dann enorm an Bedeutung und das Verhältnis von Deutsch und nichtdeutscher Erstsprache dreht sich um: Lediglich 7,4 % sprechen nur die Erstsprache mit ihren Geschwistern, während 46,3 % nur Deutsch mit ihnen sprechen. Mit den Freunden wird dann schließlich überwiegend auf Deutsch gesprochen (72,2 %). In Kapitel 3 wurde diskutiert, wer in dieser Studie als mehrsprachig gelten soll. Es wurde festgelegt, dass vor allem eine Rolle spielen soll, ob die Befragten mit ihren Eltern eine nichtdeutsche Sprache sprechen. Folgt man dieser Definition, so können 101 Personen (52,0 %) aus der Gesamtstichprobe (n = 198) als einsprachig und 97 Personen (48,0 %) als mehrsprachig bezeichnet werden (s. Tab. 12). Tab. 12: Verteilung der Sprachgruppen (in %, absolute Zahlen in Klammern)
Sprachgruppe Einsprachig Mehrsprachig
53,3 46,7
Kl. 11 n = 60
Kl. 13 n = 75
(32) (28)
49,3 (37) 50,7 (38)
Stud. n = 63 54,0 46,0
(34) (29)
Gesamt n = 198 52,0 (103) 48,0 (95)
Die Verteilung der Ein- und Mehrsprachigen innerhalb der Altersgruppen ist relativ ausgeglichen, jedoch gibt es im 11. Jahrgang (32 Einsprachige, 28 Mehrsprachige) und bei den Studierenden (34 Einsprachige, 29 Mehrsprachige) einen leichten Überhang der einsprachigen Personen. || 100 Die Gruppe derjenigen, die angaben, nur ein Elternteil zu haben, wurden je nachdem, ob sie zu Hause mit diesem Elternteil nur ihre Erstsprache oder ihre Erstsprache und Deutsch benutzen, in die jeweiligen Gruppen eingeordnet.
Beschreibung der Stichprobe | 149
7.1.3 Geschlecht und Alter Während die Stichprobe hinsichtlich der Sprachgruppen relativ gleichverteilt ist, fällt die Verteilung der Geschlechter in den einzelnen Gruppen eher ungleichmäßig aus. Die Untersuchungsstichprobe setzt sich aus 116 (58,6 %) weiblichen und 82 (41,4 %) männlichen Personen zusammen. Im 13. Jahrgang sind die Geschlechterverhältnisse relativ ausgeglichen, im 11. Jahrgang jedoch sind die männlichen Schüler mit 61,6 % überproportional häufig vertreten. Dies liegt vor allem an der ungleichen Verteilung in der Gruppe der Mehrsprachigen: Es nahmen nur 8 mehrsprachige Schülerinnen, aber 19 Schüler des 11. Jahrgangs an der Studie teil. Bei den Studierenden wiederum sind die männlichen Testpersonen sowohl in der Gruppe der Einsprachigen als auch bei den Mehrsprachigen unterrepräsentiert, die weiblichen Studierenden machen 84,2 % dieser Altersgruppe aus (s. Tab. 13). Tab. 13: Geschlechterverteilung nach Sprachgruppe (in %) Kl. 11 n = 60 Sprachgruppe Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
Weibl. 25,0 13,3 38,3
Männl. 28,3 33,3 61,6
Kl. 13 n = 75 Weibl. 25,3 28,0 53,3
Männl. 24,0 22,7 46,7
Stud. n = 63 Weibl. 42,9 41,3 84,2
Männl. 11,1 4,8 15,9
Gesamt n = 198 Weibl. 30,8 27,8 58,6
Männl. 21,2 20,2 41,4
Summe kann rundungsbedingt von 100 % abweichen.
Es ist nicht auszuschließen, dass diese ungleichmäßige Geschlechterverteilung zu Verzerrungen führt und ein Teil der beobachteten Unterschiede zwischen den Sprachgruppen auf Geschlechterunterschiede zurückzuführen sind, d.h. die interne Validität eingeschränkt ist. Ein Vergleich der Sprach- und Altersgruppen könnte somit auch einen Vergleich zwischen Gruppen mit überwiegend männlichen Probanden (vgl. Klasse 11) bzw. weiblichen Probandinnen (vgl. Studierende) darstellen. Die Altersspanne liegt innerhalb der Stichprobe zwischen 15 und 28 Jahren (M = 19,0; SD = 2,9). Im 11. Jahrgang sind die SchülerInnen im Durchschnitt 16,2 Jahre alt, im 13. Jahrgang mit 18,6 Jahren etwas mehr als zwei Jahre älter. Der Altersdurchschnitt für die Studierenden liegt bei 22,5 Jahren und damit fast vier Jahre über dem Durchschnittsalter der SchülerInnen aus dem 13. Jahrgang. Geht man davon aus, dass das biologische Alter auch einen Einfluss auf die Schreibentwicklung hat, solange es mit dem Schreibalter korreliert, so wäre es möglich, dass die Entwicklungsabstände zwischen den Studierenden und den Schü-
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lerInnen der 13. Klasse größer sind als die zwischen den SchülerInnen des 11. und des 13. Jahrgangs.
7.1.4 Bildungsbiografische Aspekte Der Kindergarten ist nicht nur eine Einrichtung zur Betreuung und Erziehung von Kindern, sondern ist auch eine Bildungsinstitution, in der erste Basiskompetenzen vermittelt werden. Studien zeigen, dass der Besuch eines Kindergartens auch positive Effekte auf den Bildungserfolg der Kinder haben kann (vgl. Seyda 2009). Für Kinder, die zu Hause mit einer nichtdeutschen Erstsprache aufwachsen, stellt der Kindergarten zudem einen wichtigen, nicht-familialen Kontext für den Zugang zur deutschen Sprache dar. Tab. 14 zeigt, dass sich die Sprachgruppen hinsichtlich ihres Kindergartenbesuches nicht unerheblich voneinander unterscheiden: Während die einsprachigen ProbandInnen fast alle den Kindergarten besucht haben (99,0 %), sind es in der Gruppe der Mehrsprachigen ca. 10 % weniger (89,5 %). Dabei handelt es sich aber nur um die mehrsprachigen Personen, die im Kindergartenalter auch in Deutschland gelebt haben (76 von insgesamt 95 Fällen). Tab. 14: Anteil der UntersuchungsteilnehmerInnen in den Sprachgruppen, die einen deutschen Kindergarten besucht haben (in %, absolute Zahlen in Klammern) Kindergartenbesuch Sprachgruppe Einsprachig (n=103) Mehrsprachig (n=76)1
Ja 99,0 (102) 89,5 (68)
Nein 1,0 (1) 10,5 (8)
1 Innerhalb der gesamten Gruppe der Mehrsprachigen (n = 95) haben 19 Personen ihre Kindergartenzeit nicht in Deutschland verbracht. Sie werden deshalb aus der Berechnung ausgeschlossen.
Ein Vergleich dieser Zahlen mit Daten zur allgemeinen Bildungsbeteiligung von Kindern in Tageseinrichtungen zeigt, dass die Gruppe der Einsprachigen mit ihrer Quote etwas über dem Durchschnitt liegt: In Westdeutschland besuchen insgesamt knapp 92 % der 3- bis 6-Jährigen eine Kindertageseinrichtung. Differenziert man diese Gruppe hinsichtlich des Migrationshintergrundes, so lässt sich beobachten, dass knapp 95 % der 3- bis 6-Jährigen ohne Migrationshintergrund eine Kindertageseinrichtung besuchen, während dieser Anteil bei den Kindern mit Migrationshintergrund nur bei ungefähr 85 % liegt (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010: 52).
Beschreibung der Stichprobe | 151
Auch die Inanspruchnahme von Nachhilfe oder schulischen und außerschulischen Sprachförderangeboten kann den Erwerb von Sprachkenntnissen beeinflussen. Tab. 15: Anteil der UntersuchungsteilnehmerInnen in den Sprachgruppen, die während der Grundschulzeit Förderunterricht bzw. Nachhilfe hatten (in %, absolute Zahlen in Klammern) Förderunterricht Grundschule Sprachgruppe Einsprachig (n = 103) Mehrsprachig (n = 86)2
2,9 22,1
Ja (3) (19)
Nein 97,1 (100) 75,6 (65)
k.A.1 2,3 (2)
1
„k.A.“ steht für keine Angabe Innerhalb der gesamten Gruppe der Mehrsprachigen (n = 95) haben 9 Personen ihre Grundschulzeit nicht in Deutschland verbracht. Sie werden deshalb aus der Berechnung ausgeschlossen.
2
Tab. 15 zeigt, dass es in der Gruppe der Mehrsprachigen einen größeren Anteil von Personen gibt, die in der Grundschule Förderunterricht oder Nachhilfe in Deutsch erhalten haben (22,1 %) als in der Gruppe der Einsprachigen (2,9 %). Hier ist wiederum zu beachten, dass ein Teil der Mehrsprachigen (n = 9) ihre Kindheit im Ausland verbracht hat und deshalb aus der Berechnung ausgeschlossen wurde. Tab. 16: Anteil der UntersuchungsteilnehmerInnen, die während der Gymnasialzeit Förderunterricht bzw. Nachhilfe hatten (in %, absolute Zahlen in Klammern) Förderunterricht Gymnasium Sprachgruppe Einsprachig (n = 103) Mehrsprachig (n = 95) 1
3,9 12,6
Ja (4) (12)
Nein 96,1 (99) 86,3 (82)
k.A.1 1,1 (1)
„k.A.“ steht für keine Angabe
In der Gymnasialzeit bleibt der Anteil derjenigen, die ein Förderangebot wahrgenommen haben, bei den Einsprachigen ungefähr gleich (3,9 %). Bei den Mehrsprachigen sinkt dieser Anteil von 22,1 % in der Grundschule auf 12,6 % im Gymnasium (s. Tab. 16). Dieser Befund entspricht den Erwartungen, da es im Vergleich zur Primarstufe weniger Sprachförderangebote in der Sekundarstufe I und II gibt. Es darf allerdings angezweifelt werden, dass der tatsächliche Bedarf auch wirklich niedriger ist.
152 | Ergebnisse
7.1.5 Selbsteinschätzung der Sprachkenntnisse und Deutschnote Wie die SchülerInnen und Studierenden ihre eigenen Sprachfähigkeiten einschätzen, sagt wenig über ihre objektiv messbaren Fähigkeiten aus (vgl. Peyer & Kaiser 2010). Rauch, Jurecka & Hesse (2010: 94) beobachten in ihrer Studie mit Deutsch-Türkisch bilingualen SchülerInnen beispielsweise einen sehr niedrigen Zusammenhang zwischen der Selbsteinschätzung und der tatsächlichen Sprachkompetenz im Türkischen. Selbsteinschätzungen können aber einen Teil des Selbstkonzeptes erfassen. Das Selbstkonzept kann als eine Art „mentale Repräsentation“ der eigenen Person gelten, es umfasst „Einschätzungen und Einstellungen bezüglich ganz unterschiedlicher Aspekte der eigenen Person“ (Möller & Trautwein 2009: 180). In der Forschung zu schulischen Selbstkonzepten wird zwischen verbalem und mathematischem Selbstkonzept unterschieden, wobei sich Letzteres „aus Selbsteinschätzungen zum muttersprachlichen Unterrichtsfach, zu den Fremdsprachen und Fächern wie Geschichte [speist]“ (Möller & Trautwein 2009: 188). In der DESI-Studie haben sich die deutschsprachigen SchülerInnen im Vergleich zu den nichtdeutschsprachigen SchülerInnen im Bereich des Selbstkonzepts im Deutschen, aber auch hinsichtlich des Leseinteresses und den Einstellungen zu den Testaufgaben signifikant besser eingeschätzt (vgl. Wagner et al. 2008: 237). In der Forschung wird angenommen, dass der Glaube an die eigenen Fähigkeiten eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen ist und ein starkes Selbstkonzept dementsprechend einen positiven Einfluss auf schulische Leistungen hat (Möller & Trautwein 2009: 198). Auch wenn es sich bei den Items aus dem Fragebogen nicht um ein standardisiertes Instrument zur Erfassung des verbalen Selbstkonzepts handelt, so ist es doch interessant, sich diesem Konstrukt über die Selbsteinschätzung anzunähern und zu erfahren, wie die ein- und mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden ihre Sprachfähigkeiten einschätzen. Dazu wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Kenntnisse in Deutsch und in ihrer/ihren Muttersprache/n im Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben anhand von Schulnoten (1 bis 6) zu bewerten. Es ist davon auszugehen, dass die ProbandInnen die Fertigkeiten Hören und Sprechen nicht nur mit dem medial mündlichen, sondern auch konzeptionell mündlichen Bereich in Verbindung bringen, während sie das Lesen und Schreiben dem konzeptionell schriftlichen Bereich zuordnen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten ihre Sprachkenntnisse insgesamt als sehr gut einschätzen, der Median der vergebenen Noten variiert zwischen MD = 1,00 und MD = 2,00 (s. Tab. 17). Dies könnte evtl. auch mit einer mangelnden Trennschärfe der Notenskala als Instrument zur Selbsteinschätzung zu-
Beschreibung der Stichprobe | 153
sammenhängen.101 Allerdings ist zu erkennen, dass die Einsprachigen sich insgesamt gesehen in den schriftlichen Fertigkeiten (Schreiben, Lesen) um eine Note schlechter einschätzen (MD = 2,00), als in den mündlichen Fertigkeiten Hören und Sprechen (MD = 1,00). Die Mehrsprachigen schätzen ihre Fähigkeiten im Hören und Schreiben genauso ein wie die Einsprachigen. Im Sprechen schätzen sie sich schlechter ein (MD = 2,00), im Lesen jedoch besser (MD = 1,00). Es kann festgehalten werden, dass die Ein- und Mehrsprachigen sich hinsichtlich der Selbsteinschätzung ihrer schriftsprachlichen Fertigkeiten, die im Mittelpunkt dieser Studie stehen, kaum voneinander unterscheiden. Tab. 17: Werte für die Selbsteinschätzung der Sprachkenntnisse (Deutsch) nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) Sprachgruppe Einsprachig (n = 101) Mehrsprachig (n = 92)
Hören
Sprechen
Schreiben
Lesen
1,0 (1,0) 1,0 (1,0)
1,0 (1,0) 2,0 (1,0)
2,0 (1,0) 2,0 (1,0)
2,0 (1,0) 1,0 (1,0)
Werden nun die Ergebnisse der Selbsteinschätzung der Mehrsprachigen in der deutschen Sprache mit der Selbsteinschätzung in ihrer nichtdeutschen Erstsprache verglichen, so wird deutlich, dass sie in ihrer nichtdeutschen Erstsprache ein deutliches Defizit verspüren und sich vor allem im schriftlichen Bereich schlechter einschätzen (s. Tab. 18). Tab. 18: Werte für die Selbsteinschätzung der Sprachkenntnisse (nichtdeutsche Erstsprache) nach Fertigkeiten bei den Mehrsprachigen (n = 90) (Median, Quartilabstand in Klammern) Fertigkeiten Hören Sprechen Schreiben Lesen
2,0 (1,0) 2,0 (1,0) 4,0 (2,0) 3,0 (2,3)
Im Schreiben und Lesen liegen ihre Werte für die Selbsteinschätzung jeweils um zwei Noten unter der Note im Deutschen, die schlechteste Note geben sich die ProbandInnen im Schreiben. Dieses Ergebnis ist angesichts der Tatsache, dass SchülerInnen und Studierende viel mehr Zugang zur deutschen
|| Die Selbsteinschätzung der Fertigkeiten anhand konkreter Beschreibungen von sprachlichen Kompetenzen, wie sie z.B. mit den Deskriptoren des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens vorliegen, hätte u.U. eine größere Aussagekraft gehabt (vgl. auch Peyer & Kaiser 2010: 81), s. auch Fußnote 79. 101
154 | Ergebnisse
Schriftsprache als zur Schriftsprache ihrer nichtdeutschen Erstsprache haben, nicht verwunderlich. In einem nächsten Schritt soll die Selbsteinschätzung mit den Leistungen im Fach Deutsch verglichen werden. Die SchülerInnen und Studierenden wurden gefragt, wie viele Leistungspunkte sie in ihrem letzten Zeugnis im Fach Deutsch bekommen haben. Bei den Studierenden bezog sich diese Frage auf die Deutsch-Note im Abiturzeugnis (s. Tab. 19). Im 11. Jahrgang zeigen sich keine Unterschiede zwischen den Ein- und Mehrsprachigen, der Median liegt hier in beiden Gruppen bei MD = 8,00 Punkte. In Klasse 13 schneiden die Mehrsprachigen mit einem Median von MD = 8,00 insgesamt etwas besser ab als die Einsprachigen mit MD = 7,00. Bei den Studierenden sind es schließlich die Einsprachigen, die mit einem Median von MD = 11,00 zwei Punkte über den Mehrsprachigen liegen (MD = 9,00). Außerdem liegen die Studierenden damit deutlich über dem Punkte-Niveau der SchülerInnen. Das kann darauf zurückgeführt werden, dass es sich bei den Studierenden fast ausschließlich um Pädagogik- und um Lehramtsstudierende handelt. Die meisten der Lehramtsstudierenden haben zudem Deutsch als ein Unterrichtsfach studiert. Es kann davon ausgegangen werden, dass Personen vor allem dann ein solches Studium aufnehmen, wenn sie sich selbst als relativ sprachbegabt einschätzen und in der Schulzeit gute Leistungen im Fach Deutsch erbracht haben. Tab. 19: Punktzahlen im Fach Deutsch nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
Klasse 11 n = 60
Klasse 13 n = 73
Studierende n = 61
Einsprachig Mehrsprachig
8,0 (3,0) 8,0 (3,0)
7,0 (4,0) 8,0 (5,0)
11,0 (2,0) 9,0 (2,0)
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die von den Lehrkräften eingeschätzten Leistungen im Fach Deutsch in den beiden Sprachgruppen nur minimal unterscheiden, lediglich bei den Studierenden schneidet die Gruppe der Mehrsprachigen um 2 Punkte schlechter ab. Betrachtet man nun die Zufriedenheit der ProbandInnen mit ihren Sprachkenntnissen in Deutsch, ergibt sich interessanterweise ein etwas anderes Bild (s. Abb. 4). Die TeilnehmerInnen der Studie wurden danach gefragt, ob sie mit ihren Kenntnissen in der deutschen Sprache zufrieden sind und konnten auf einer fünfstufigen Skala von 1 = stimme überhaupt nicht zu bis 5 = stimme voll und ganz zu antworten.
Beschreibung der Stichprobe | 155
Sprachgruppe
Zufriedenheit mit Sprachkenntnissen (1=niedrig, 5=hoch)
5
einsprachig mehrsprachig
4
3
2
1 Klasse 11 (n=59)
Klasse 13 (n=75)
Studierende (n=62)
Altersgruppe Abb. 4: Skalenwerte zur Zufriedenheit mit den Sprachkenntnissen in Deutsch in den drei Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch)
Aus den Boxplots102 ist ersichtlich, dass die Mehrheit der SchülerInnen und Studierenden mit ihren Deutschkenntnissen zufrieden ist. Der Median liegt in allen Gruppen bei MD = 4,00. Nur die einsprachigen Studierenden sind noch etwas zufriedener (MD = 5,00). Allerdings wird auch deutlich, dass die Streuung der Werte bei den Mehrsprachigen in allen drei Altersgruppen viel größer ist. Das betrifft sowohl den Quartilabstand, der doppelt so groß ist wie bei den Einsprachigen, als auch die untersten Werte, die mit dem Wert 1 das unterste Ende der Skala erreichen. Frappierend ist dabei die ähnliche Verteilung der Werte in den Sprachgruppen über die Altersgruppen hinweg. Die Mehrsprachigen sind in allen Altersgruppen unzufriedener mit ihren Deutschkenntnissen
|| Ein Boxplot wird folgendermaßen gelesen: In Abb. 4 werden die Boxen oben vom 3. Quartil und unten vom 1. Quartil begrenzt. Die innere, schwarze Linie der Box bezeichnet den Median. Die Querbalken ober- und unterhalb der Boxen markieren den niedrigsten und den höchsten Wert, solange es sich nicht um Ausreißer handelt: Dies sind Werte, die mehr als anderthalb Boxenlängen außerhalb liegen (Kreise). Extreme Werte liegen mehr als drei Boxenlängen außerhalb und werden mit einem Stern gekennzeichnet, sie kommen in Abb. 4 jedoch nicht vor. 102
156 | Ergebnisse
als die Einsprachigen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass im Fach Deutsch keine Punkte-Unterschiede zwischen den Sprachgruppen erkennbar waren, die Mehrsprachigen aber unzufriedener mit ihren Deutschkenntnissen sind, lässt sich das Ergebnis so deuten, dass die Mehrsprachigen einen höheren Anspruch an ihre sprachlichen Fähigkeiten haben als die Einsprachigen. Bei den mehrsprachigen Studierenden allerdings, die im Vergleich zu den einsprachigen Studierenden deutlich unzufriedener mit ihren Sprachkenntnissen sind, deckt sich die niedrigere Zufriedenheit mit den Sprachkenntnissen auch mit den durchschnittlich schlechteren Abiturnoten im Fach Deutsch. Befragt man die Mehrsprachigen (n = 94) nach der Zufriedenheit mit ihren Sprachkenntnissen in ihrer nichtdeutschen Erstsprache, so liegt dieser Wert mit einem Median von MD = 3,00 (QA = 1) noch um einen Skalenpunkt unter der Zufriedenheit mit ihren Sprachkenntnissen in der deutschen Sprache.103 Das passt auch zu dem Ergebnis, dass sie ihre Sprachkenntnisse in ihrer nichtdeutschen Erstsprache schlechter einschätzen als ihre deutschen Sprachkenntnisse. Außerdem scheinen sie die Sprachkenntnisse in ihrer nichtdeutschen Erstsprache gern weiter ausbauen zu wollen, haben dazu aber wahrscheinlich zu wenig Gelegenheit, vor allem was den schriftsprachlichen Bereich betrifft.
7.1.6 Bewertung der Schreibaufgaben Im Anschluss an die Produktion ihrer Texte bekamen die TeilnehmerInnen dieser Studie einen Fragebogen vorgelegt, mit dem sie die Schreibaufgaben bewerten konnten. Es sollen an dieser Stelle Ergebnisse ausgewählter Items wiedergegeben werden, die in Bezug auf die Beurteilung der Textprodukte relevant erscheinen. Von Interesse ist auch hier, ob die ein- und mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden die Schreibaufgaben unterschiedlich einschätzen, z.B. den Schwierigkeitsgrad betreffend.104 Die folgenden Werte basieren, wie bei der Frage nach der Zufriedenheit mit den Sprachkenntnissen, auf den
|| 103 Die Angaben derjenigen, die zwei nichtdeutsche Erstsprachen angegeben haben, werden hier ausgeschlossen und aufgrund der kleinen Gruppengröße (n = 10) nicht ausgewertet. 104 Bei der Datenbereinigung mussten viele Fälle ausgeschlossen werden, da es z.B. offensichtlich war, dass die beiden Pole der Skala vertauscht worden und die Angaben deshalb ungültig waren. Durch einen Fehler in der Datenerhebung ist außerdem der Rücklauf an Fragebögen von den Studierenden sehr gering. Da die Gruppengröße der Studierenden dementsprechend klein ist, sollten die Ergebnisse mit Vorsicht betrachtet werden.
Beschreibung der Stichprobe | 157
Angaben auf einer Skala von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 5 (stimme voll und ganz zu).
Abb. 5: Skalenwerte für die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Schreibaufgabe Leserbrief in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch)
Der Aussage, dass es schwierig war, den Leserbrief zu schreiben, stimmen die meisten TeilnehmerInnen eher nicht zu, ihre Werte liegen bei einem Median von MD = 2,00 (s. Abb. 5). Nur die mehrsprachigen SchülerInnen aus Klasse 11 und die mehrsprachigen Studierenden geben einen höheren Wert an, d.h. sie stimmen der Aussage eher zu und fanden das Schreiben des Textes schwieriger. Insgesamt kann aber festgehalten werden, dass der Schwierigkeitsgrad der Schreib-aufgabe für alle Altersgruppen angemessen war. Abb. 6 zeigt, dass es den TeilnehmerInnen im Großen und Ganzen Spaß gemacht hat, den Leserbrief zu schreiben. Ich gehe davon aus, dass diese Ergebnisse ein Indikator dafür sind, dass sie motiviert waren, die Schreibaufgabe gewissenhaft zu erledigen. Der Median liegt in Klasse 11 und 13 in beiden Sprachgruppen bei MD = 3,00. Allerdings liegen die Werte in Klasse 13 insgesamt höher als in Klasse 11. Der Median bei den Studierenden liegt sowohl bei den ein- als auch bei den Mehrsprachigen höher als bei den SchülerInnen, nämlich bei MD = 4,00, wobei die Mehrsprachigen insgesamt noch leicht höhere
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Werte erzielen. Es kann also geschlussfolgert werden, dass den TeilnehmerInnen dieser Studie das Schreiben des argumentativen Textes umso mehr Spaß gemacht hat, je älter sie waren.
Abb. 6: Skalenwerte für die Freude beim Schreiben des Leserbriefes in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch)
Auch für die Schreibaufgabe Zusammenfassung kann behauptet werden, dass der Schwierigkeitsgrad angemessen erscheint (s. Abb. 7). Die Medianwerte liegen in allen Gruppen bei MD = 2,00 oder MD = 3,00. In Klasse 11 schätzen die mehrsprachigen SchülerInnen (MD = 3,00) die Aufgabe wieder schwieriger als die einsprachigen SchülerInnen (MD = 2,00) ein. Die SchülerInnen aus Klasse 13 halten die Aufgabe für am leichtesten und unterscheiden sich mit dieser Einschätzung sowohl von den SchülerInnen aus Klasse 11 als auch von den Studierenden. Mit Blick auf die Ergebnisse zur Schreibaufgabe Leserbrief kann man sagen, dass die SchülerInnen aus Klasse 11 und Klasse 13 den Schwierigkeitsgrad der Zusammenfassung genauso hoch einschätzen wie den des Leserbriefes. Die Studierenden schätzen den Schwierigkeitsgrad der Zusammenfassung jedoch höher ein als den des Leserbriefes. Interessant ist darüber hinaus, dass sie trotz ihrer fortgeschrittenen Schreibentwicklung die Schreibaufgabe Zusammenfas-
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sung für schwieriger halten als die SchülerInnen. Sie verfügen damit m.E. einerseits über eine realistischere Einschätzung der beiden Aufgaben und haben höhere Ansprüche an ihre eigenen Schreibleistungen. Ein ähnliches Ergebnis hatte sich für die Studierenden schon in Hinblick auf die (Un-)Zufriedenheit mit ihren Deutschkenntnissen gezeigt.
Abb. 7: Skalenwerte für die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Schreibaufgabe Zusammenfassung in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch)
Hinsichtlich der Zusammenfassung ist es auch wichtig zu erfahren, wie stark sich die Vorkenntnisse der Befragten über das Thema des Ausgangstextes unterscheiden, da davon auszugehen ist, dass dieses Wissen Einfluss auf den Schreibprozess hat. Die Verteilung der Werte zeigt, dass die Studierenden erwartungsgemäß über das meiste Vorwissen verfügen (s. Abb. 8). Der Median liegt sowohl für die ein- und mehrsprachigen SchülerInnen aus den Klassen 11 und 13 als auch für die mehrsprachigen Studierenden bei MD = 3,00, bei den einsprachigen Studierenden jedoch bei MD = 4,00. Aufgrund der geringen Gruppengrößen bei den Studierenden sollte der Unterschied zwischen den Ein- und Mehrsprachigen aber mit Vorsicht betrachtet werden. Es ist jedoch plausibel, dass die Studierenden aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters und ihres Studiums tatsächlich über mehr Vorwissen in diesem Bereich verfügen.
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Dementsprechend sollte ihnen die Produktion der Zusammenfassung eigentlich leichter fallen. Auch vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass die Studierenden die Schreibaufgabe dennoch für schwieriger halten als die SchülerInnen (s.o.).
Abb. 8: Skalenwerte für die Vorkenntnisse zu dem Thema der Zusammenfassung in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch)
Aus der Betrachtung der Boxplots (s. Abb. 9) geht hervor, dass die Befragten der Aussage „Ich habe den Text mit Interesse gelesen“ überwiegend zustimmen. Die größte Zustimmung zeigt sich bei den Studierenden, die niedrigste bei den SchülerInnen aus Klasse 13. Das starke Interesse der Studierenden an dem Text über den Einfluss der Eltern auf den Bildungserfolg lässt sich sicherlich durch ihre persönliche Involviertheit erklären: Fast alle von ihnen sind entweder Pädagogik- oder Lehramtsstudierende und ihr späteres Berufsfeld wird von dem Thema unmittelbar berührt.
Beschreibung der Stichprobe | 161
Abb. 9: Skalenwerte für das Interesse bei der Lektüre des Originaltextes für die Zusammenfassung in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch)
7.1.7 Zusammenfassung Die deskriptive Auswertung der Stichprobe zeigt, dass diese in Hinblick auf die Alters- und die Sprachgruppen verhältnismäßig ausgewogen ist. Die SchülerInnen aus Klasse 13 stellen die größte Gruppe in der Gesamtstichprobe dar (37,9 %). Der Großteil der TeilnehmerInnen mit Migrationshintergrund ist in Deutschland geboren (Zweite Generation) und verfügt damit zumindest über ähnliche Sprachlern- und Bildungsbedingungen. Lediglich bei den Studierenden ist der Anteil der im Ausland Geborenen (Erste Generation) höher (56,3 %). Die Daten zur Sprachpraxis in der Familie unterstreichen nochmals die Tatsache, dass weder der Migrationshintergrund noch die Erstsprache ein hinreichendes Kriterium für das Merkmal mehrsprachig sein kann. Berücksichtigt man die Sprachverwendung mit den Eltern, so sind etwas weniger als die Hälfte der Befragten der Stichprobe als mehrsprachig zu kategorisieren (48,0 %). In Klasse 11 und bei den Studierenden gibt es einen leichten Überhang der Einsprachigen (53,3 bzw. 54,0 %).
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Die Geschlechterverteilung der Stichprobe ist zwar insgesamt gesehen relativ ausgeglichen, die weiblichen Befragten sind jedoch in Klasse 11 unterrepräsentiert (38,3 %) und bei den Studierenden stark überrepräsentiert (84,2 %). Schulleistungsstudien berichten immer wieder von unterschiedlichen (sprachlichen) Leistungen von Jungen und Mädchen. So zeigte sich in der DESI-Studie für alle Kompetenzen im Deutschen ein statistisch signifikanter Leistungsvorsprung der Mädchen (DESI-Konsortium 2008: 203). In Untersuchungen zur Entwicklung syntaktischer Fähigkeiten sind geschlechtsbedingte Unterschiede bisher allerdings nicht nachgewiesen worden (vgl. Feilke 1996b: 199). Mögliche Effekte des Geschlechts sollten bei der Interpretation der Ergebnisse trotzdem immer berücksichtigt werden. Im Vergleich zu den Einsprachigen gibt es in der Gruppe der Mehrsprachigen mehr Befragte, die keinen deutschen Kindergarten besucht haben. Die Mehrsprachigen haben zudem zu einem größeren Anteil sowohl in der Grundschule als auch auf dem Gymnasium Förderunterricht bzw. Nachhilfe erhalten. Interessant ist auch das Ergebnis, dass die Mehrsprachigen im Schnitt dieselben Deutschnoten wie ihre einsprachigen MitschülerInnen haben und auch ihre Sprachkenntnisse in Deutsch ähnlich einschätzen, jedoch insgesamt weniger zufrieden mit ihren Deutschkenntnissen sind. Ob zu dieser Unzufriedenheit tatsächlich ein Grund besteht, weil die Sprach- und/oder Schreibkompetenz der Mehrsprachigen schlechter ausfällt, ist ein Erkenntnisinteresse dieser Arbeit. Die meisten Mehrsprachigen schätzen zudem ihre Erstsprachenkenntnisse, vor allem im schriftsprachlichen Bereich, schlechter als ihre Deutschkenntnisse ein und sind mit ihren Erstsprachenkenntnissen auch (noch) unzufriedener als mit ihren Deutschkenntnissen. Es ist schade, dass die Sprachlernmotivation, die aus dieser Unzufriedenheit resultieren könnte, im deutschen Schulsystem ungenutzt bleibt, da die Erstsprachen von SchülerInnen mit Migrationshintergrund noch zu selten als Unterrichtsfach angeboten werden. Die Auswertung der Daten zur Einschätzung der Schreibaufgaben hat ergeben, dass der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben insgesamt als angemessen betrachtet werden kann. Zudem wurden die Aufgaben überwiegend mit Freude und Interesse bearbeitet. Dies entspricht auch den Ergebnissen des Pretests (s. Kapitel 6.4) und spricht für die Validität der erhobenen Texte.
Allgemeine Korpusdaten | 163
7.2 Allgemeine Korpusdaten Zunächst sollen einige grundlegende Daten zu dem erhobenen Korpus genannt werden. Das Gesamtkorpus besteht aus den Subkorpora L-Korpus (Leserbriefe) und Z-Korpus (Zusammenfassungen).105 Obwohl intendiert war, dass jede/r Teilnehmer/in sowohl einen Leserbrief als auch eine Zusammenfassung schreibt, konnten aufgrund von schwankender Teilnahme an den beiden Erhebungszeitpunkten nicht von allen ProbandInnen beide Texte erhoben werden. Sowohl ein argumentativer Text als auch eine Zusammenfassung liegen deshalb nur von 172 ProbandInnen (86,9 % der Gesamtstichprobe) vor. 19 TeilnehmerInnen (9,6 %) haben nur einen Leserbrief, 7 TeilnehmerInnen (3,5 %) nur eine Zusammenfassung geschrieben. Die beiden Subkorpora sind dementsprechend nicht gleich groß: Das L-Korpus besteht aus 191, das Z-Korpus aus 179 Texten (s. Tab. 21). Tab. 20: Anzahl der Leserbriefe in den Sprachgruppen (in absoluten Zahlen) Sprachgruppe
Klasse 11
Klasse 13
Studierende
Gesamt
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
34 34 68
34 29 63
98 93 191
Wie aus Tab. 20 ersichtlich, ist die Ausgewogenheit der Sprachgruppen innerhalb der Altersgruppen im L-Korpus relativ hoch. Lediglich bei den Studierenden besteht ein Überhang von 5 Texten zugunsten der Einsprachigen (34 Texte von Einsprachigen, 29 Texte von Mehrsprachigen). Tab. 21: Anzahl der Zusammenfassungen in den Sprachgruppen (in absoluten Zahlen) Sprachgruppe
Klasse 11
Klasse 13
Studierende
Gesamt
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
33 35 68
30 25 55
92 87 179
Das Z-Korpus ist kleiner als das L-Korpus und besteht aus 179 Texten. Dieser Unterschied kommt vor allem dadurch zustande, dass von den Studierenden 63 Leserbriefe, aber nur 55 Zusammenfassungen vorliegen. Auch im Z-Korpus gibt es in der Gruppe der Studierenden mehr Texte von Einsprachigen (30 Texte) als von Mehrsprachigen (25 Texte).
|| Für den Zugang zum Korpus s. Fußnote 10.
105
164 | Ergebnisse
Tab. 22: Anzahl der Texte, Token, Substantive, finiten Verben und satzwertigen Infinitivgruppen in dem L- und Z-Korpus (in absoluten Zahlen, % in Klammern) L-Korpus Anzahl der Texte Anzahl aller Token Anzahl aller Substantive Anzahl aller finiten Verben Anzahl aller satzwertigen Infinitivgruppen
191 24.614 5142 (20,9) 2867 (11,6) 323 (1,3)
Z-Korpus 179 28.462 6969 2823 210
(24,5) (9,9) (0,7)
Tab. 22 gibt darüber Aufschluss, dass das Z-Korpus trotz der geringeren Textanzahl über fast 2000 Token mehr als das L-Korpus verfügt, die produzierten Zusammenfassungen also durchschnittlich länger sind als die Leserbriefe. Bemerkenswert ist auch, dass der prozentuale Anteil der finiten Verben im Z-Korpus etwas geringer (L-Korpus: 11,6 %, Z-Korpus: 9,9 %), der Anteil der Substantive im Z-Korpus aber höher ist (L-Korpus: 20,9 %, Z-Korpus: 24,5 %). Dieser Befund deutet darauf hin, dass es sich bei den Zusammenfassungen insgesamt um syntaktisch komplexere Texte handelt, in die durch den Gebrauch von komplexen Nominalphrasen auf Satzebene mehr Propositionen eingebettet sind. Das entspricht den Anforderungen dieser Textart, in der Informationen stark verdichtet werden müssen.
7.3 Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität In diesem Kapitel erfolgt die Darstellung der Auswertung der Texte in Hinblick auf ihren Grad an syntaktischer Komplexität. Die Subkorpora sollen dafür getrennt voneinander hinsichtlich verschiedener abhängiger Variablen untersucht werden. Die unabhängigen Variablen sind dabei entweder die Sprachoder die Altersgruppe. Die Daten werden jeweils zunächst grafisch dargestellt, um einen groben Überblick über die Verteilung der Werte in den einzelnen Gruppen zu bekommen. Anschließend erfolgt eine nähere Betrachtung der Werte anhand einer tabellarischen Übersicht. Zur Überprüfung der Hypothese, dass Unterschiede in der syntaktischen Komplexität der Texte zwischen den Sprach- und Altersgruppen bestehen (s. Kapitel 5), werden je nach Verteilung der Werte sowohl Signifikanztests für die Sprachgruppen innerhalb der Altersgruppe (z.B. Vergleich der Gruppen einsprachig und mehrsprachig in Klasse 11) als auch für die Altersgruppen insgesamt (Vergleich zwischen Klasse 11, 13 und Studierenden) gerechnet.
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 165
Darüber hinaus sind Vergleiche zwischen den beiden Subkorpora (L-Korpus und Z-Korpus) in Hinblick auf eine bestimmte Variable und zwischen den Variablen möglich (z.B. Häufigkeit von Präpositional- und Genitivattributen).
7.3.1 Textlänge In Kapitel 4.4.3.3 wurde erläutert, inwieweit die Textlänge ein Indikator für Schreibentwicklung sein kann. Demnach werden mit zunehmender Schreiberfahrung längere Texte geschrieben, da die Automatisierung von Teilprozessen des Schreibens zunimmt. Beim Schreiben eines Textes in einer Zweitsprache sind diese Teilprozesse oftmals weniger automatisiert, was dazu führen kann, dass in einer Zweitsprache mehr Zeit für die Textproduktion benötigt wird bzw. kürzere Texte als in der Erstsprache geschrieben werden. Dies bedeutet aber nicht, dass längere Texte automatisch „bessere“ Texte sind. Gerade in Hinblick auf die Produktion von Zusammenfassungen kommt es darauf an, Texte mit einer der Schreibaufgabe bzw. dem Schreibziel angemessenen Länge zu verfassen. Zunächst sollen die unterschiedlichen Textlängen (Anzahl der Wörter) in den Leserbriefen betrachtet werden (s. Abb. 10).
Abb. 10: Anzahl der Wörter im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe
166 | Ergebnisse
Anhand des Boxplots ist erkennbar, dass die Unterschiede zwischen den Medianwerten der Wortanzahl der Texte der Ein- und Mehrsprachigen innerhalb von Klasse 11, Klasse 13 und der Gruppe der Studierenden eher gering ausfallen. In Klasse 13 und bei den Studierenden schreiben die mehrsprachigen ProbandInnen leicht kürzere Texte, während die mehrsprachigen SchülerInnen in Klasse 11 wider Erwarten signifikant längere Texte als die einsprachigen verfassen (mittlerer Rang Mehrsprachige: 35,72; mittlerer Rang Einsprachige: 25,61) (U = 298,000; p < 0,05). Insgesamt ist die Streuung der Werte für die Textlänge in allen Gruppen relativ hoch. In der Gruppe der Einsprachigen in Klasse 13 reicht die Spannweite der Texte von Texten mit unter 50 bis hin zu Texten mit fast 200 Wörtern. Bei den mehrsprachigen Studierenden fallen zudem die vielen Ausreißer nach oben auf. Ein Blick auf die genauen Werte in Tab. 23 erlaubt eine präzisere Einschätzung der Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Tab. 23: Anzahl der Wörter im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
Klasse 11 MD (QA) 88,50 109,00 95,50
(63) (51) (57)
n 34 34 68
Klasse 13 MD (QA) 126,00 122,00 123,00
(60) (38) (52)
n 34 29 63
Studierende MD (QA) 161,00 151,00 158,00
(45) (41) (43)
Die Medianwerte in den Altersgruppen steigen von Klasse 11 bis zu den Studierenden auffällig an (Klasse 11: MD = 95,50; Klasse 13: MD = 123,00; Studierende: MD = 158,00). Der Einsatz eines Kruskal-Wallis-Tests bestätigt diese Unterschiede (χ2(2) = 55,021; p < 0,001). Drei post-hoc eingesetzte U-Tests zeigen sowohl signifikante Unterschiede zwischen dem Textumfang zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 52,44) und Klasse 13 (mittlerer Rang: 75,14) (U = 1316,500; p = 0,001) als auch zwischen Klasse 13 (mittlerer Rang: 50,21) und den Studierenden (mittlerer Rang: 83,05) (U = 1068,00, p < 0,001) sowie zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 39,34) und den Studierenden (83,58) (U = 530,500; p < 0,001). Aus einem Vergleich der beiden Subkorpora geht hervor, dass die Zusammenfassungen insgesamt länger als die Leserbriefe sind. Zwar gibt es in Klasse 11 und 13 auch Texte, die nur ca. 50 Wörter lang sind, die Mediane liegen aber höher, bei 130 bis 140 Wörtern (s. Abb. 11). Bei den Studierenden liegt der Median in beiden Sprachgruppen sogar bei über 200 Wörtern.
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 167
Abb. 11: Anzahl der Wörter im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe
Auch im Z-Korpus sind keine bedeutenden Unterschiede zwischen den Textlängen der Sprachgruppen innerhalb der Altersgruppen zu erkennen. Anders als im L-Korpus verfassen im Z-Korpus in Klasse 11 die Mehrsprachigen kürzere Texte (MD = 123,00) als die Einsprachigen (MD = 138,00) (s. Tab. 24), dieser Unterschied ist aber nicht signifikant. Unterschiede lassen sich jedoch wiederum zwischen den Altersgruppen beobachten (χ2(2) = 56,980; p < 0,001). Es besteht zwar kein signifikanter Unterschied zwischen der Wortanzahl der Texte der SchülerInnen aus Klasse 11 und Klasse 13, aber zwischen den Texten aus Klasse 13 (mittlerer Rang: 43,56) und den Studierenden (mittlerer Rang: 84,80) (U = 616,00, p < 0,001) sowie Klasse 11 (mittlerer Rang: 35,97) und den Studierenden (mittlerer Rang: 76,39) (U = 418,500; p < 0,001). Was die Länge der Texte betrifft, lassen sich also keine statistisch relevanten Unterschiede zwischen den Ein- und Mehrsprachigen feststellen. Eine überraschende Ausnahme stellen die längeren argumentativen Texte der mehrsprachigen SchülerInnen in Klasse 11 dar. Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind jedoch in beiden Korpora fast durchgehend hoch signifikant.
168 | Ergebnisse
Tab. 24: Anzahl der Wörter im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
Klasse 11 MD (QA) 138,00 123,00 128,50
(52) (58) (57)
n 33 35 68
Klasse 13 MD (QA) 145,00 135,00 141,00
(43) (35) (41)
n 30 25 55
Studierende MD (QA) 213,00 205,00 210,00
(94) (77) (78)
7.3.2 Satzlänge Als ein wichtiges Maß für die Entwicklung von syntaktischen Schreibfähigkeiten soll als Nächstes die Länge der Sätze betrachtet werden. Mit dem Begriff Satz sind hier Teilsätze gemeint, die auch Bestandteil eines aus mehreren Teilsätzen bestehenden Satzgefüges sein können. Die Anzahl der Sätze wurde aus der Summe aller finiten Verben und Infinitivkonstruktionen mit zu in dem jeweiligen Text errechnet. Anschließend wurde die Anzahl der Wörter durch die Anzahl der Sätze geteilt. Je höher der Wert, desto länger bzw. komplexer ist der Teilsatz.
Abb. 12: Anzahl der Wörter pro Satz (Satzlänge) im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 169
Der Boxplot für die Satzlänge im L-Korpus (s. Abb. 12) zeigt zunächst, dass der Median im L-Korpus für die mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden jeweils leicht unter dem Median der Einsprachigen liegt. Gleichzeitig scheint die Streuung der Daten bei den Mehrsprachigen in den drei Altersgruppen etwas geringer zu sein als bei den Einsprachigen: Der Quartilabstand ist kleiner und die höchsten und niedrigsten Werte liegen näher beieinander. Es lassen sich aber keine signifikanten Unterschiede nachweisen. In Hinblick auf die drei Altersgruppen ist zu erkennen, dass die Satzlänge sowohl bei den Ein- als auch bei den Mehrsprachigen mit zunehmendem Alter kontinuierlich ansteigt (s. Tab. 25). Ein Kruskal-Wallis-Test zeigt ein signifikantes Ergebnis für diesen Trend (χ2(2) = 32,496, p < 0,001). Tab. 25: Anzahl der Wörter pro Satz (Satzlänge) im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
Klasse 11 MD (QA) 7,21 6,61 6,72
(2) (1) (2)
n 34 34 68
Klasse 13 MD (QA) 7,83 7,43 7,71
(2) (2) (2)
n 34 29 63
Studierende MD (QA) 8,92 8,18 8,41
(2) (2) (2)
Der Median steigt von MD = 6,72 in Klasse 11 auf MD = 7,71 in Klasse 13 (s. Tab. 25). Anhand eines Mann-Whitney-U-Tests lässt sich nachweisen, dass der Unterschied zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 52,56) und Klasse 13 (mittlerer Rang: 75,04) signifikant ist (U = 1323,00; p = 0,001). Ähnliches gilt für den Unterschied zwischen Klasse 13 und den Studierenden: Der Median steigt von MD = 7,71 in Klasse 13 auf MD = 8,41 bei den Studierenden an. Der Unterschied ist auch hier signifikant (Klasse 13, mittlerer Rang: 57,06; Studierende, mittlerer Rang: 75,65) (U = 1534,000; p < 0,017). Ebenso signifikant ist der Unterschied zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 43,89) und den Studierenden (mittlerer Rang: 79,16) (U = 809,00; p < 0,001). Anders als in der Studie von Augst & Faigel (1986) nimmt die Satzlänge in den argumentativen Texten dieses Korpus auch über die Schulzeit hinaus noch weiter zu (s. Kapitel 4.4.3). Abb. 13 zeigt, dass die Werte für die Satzlänge im Z-Korpus in allen Gruppen höher liegen. Der leichte Rückstand der Mehrsprachigen in Hinblick auf die Satzlänge im L-Korpus lässt sich im Z-Korpus nicht beobachten. Hier haben die mehrsprachigen SchülerInnen in Klasse 11 sogar einen höheren Medianwert (MD = 9,07) als ihre einsprachigen Altersgenossen (MD = 8,52), während in Klasse 13 jedoch kein erwähnenswerter Unterschied erkennbar ist (s. Tab. 26). Bei den Studierenden hingegen liegt der Median der Einsprachigen
170 | Ergebnisse
(MD = 10,23) etwas höher als der Wert der Mehrsprachigen (MD = 9,53). Dieser Unterschied ist jedoch nicht statistisch bedeutsam.
Abb. 13: Anzahl der Wörter pro Satz (Satzlänge) im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe
Auch im Z-Korpus ist eine signifikante Zunahme der Satzlänge in den Altersgruppen erkennbar (χ2(2) = 56,980; p < 0,001). Die post-hoc getesteten Unterschiede fallen allerdings etwas geringer aus als im L-Korpus: Nur die Unterschiede zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 52,16) und 13 (mittlerer Rang: 71,01) (U = 1325,000; p < 0,017) als auch zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 43,31) und den Studierenden (mittlerer Rang: 68,92) (U = 829,500; p < 0,001) sind signifikant. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in Hinblick auf die Satzlänge nur sehr geringe Unterschiede zwischen den Werten der Ein- und Mehrsprachigen beobachtbar sind. Erkennbare Unterschiede bestehen allerdings zwischen den Altersgruppen, dies wird im L-Korpus besonders deutlich. Von Klasse 11 bis zu den Studierenden steigt die Länge der Sätze und damit die Dichte der Propositionen sowohl in den Texten der Ein- als auch der Mehrsprachigen kontinuierlich an.
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 171
Tab. 26: Anzahl der Wörter pro Satz (Satzlänge) im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
Klasse 11 MD (QA) 8,52 9,07 8,76
(2) (2) (2)
n 33 35 68
Klasse 13 MD (QA) 9,33 9,47 9,40
(2) (2) (2)
n 30 25 55
Studierende MD (QA) 10,23 9,53 10,04
(2) (2) (2)
Interessant ist überdies, dass verglichen mit dem L-Korpus im Z-Korpus nicht nur die Texte, sondern auch die Sätze länger sind. Die im Rahmen dieser Untersuchung gestellte Aufgabe, einen expositorischen Text zusammenzufassen, scheint eine höhere Verdichtung von Propositionen notwendig zu machen als das Schreiben eines argumentativen Textes. Wie genau diese Propositionsdichte erzeugt wird, soll im Folgenden untersucht werden. Dazu wird der Gebrauch von unterschiedlichen Arten von komplexen Nominalphrasen mit unterschiedlichen Attribuierungstypen näher betrachtet. Zunächst werden aber die Ergebnisse zu den subordinierten Sätzen dargestellt.
7.3.3 Subordination In diesem Kapitel wird die syntaktische Komplexität auf der Ebene von Matrixsätzen untersucht. Indikatoren für Komplexität sind hier das Vorkommen von subordinierten Sätzen. Außerdem werden der Grad der Einbettung der Nebensätze und das Vorkommen von Attributsätzen untersucht.
7.3.3.1 Subordinierte Sätze Zu den subordinierten Sätzen werden Nebensätze mit Verbletztstellung und satzwertige Infinitivgruppen gezählt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Produktion und Rezeption hypotaktischer Strukturen im Vergleich zu den parataktischen Strukturen mit einem höheren kognitiven Aufwand verbunden ist.
172 | Ergebnisse
Abb. 14: Anzahl der subordinierten Sätze im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze)
Die Mediane für die subordinierten Sätze in den unterschiedlichen Gruppen liegen im L-Korpus alle auf einem ähnlichen Niveau, zwischen einem Medianwert von MD = 40,00 bis MD = 50,00 (s. Abb. 14). Minimale, aber nicht signifikante Unterschiede in den Sprachgruppen sind in Klasse 11 zugunsten der Mehrsprachigen, in Klasse 13 zugunsten der Einsprachigen zu erkennen. Bei den Einsprachigen in Klasse 11 ist zudem die Streuung besonders stark. Tab. 27: Anzahl der subordinierten Sätze im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
Klasse 11 MD (QA) 45,00 45,00 45,80
(27) (18) (21)
n 34 34 68
Klasse 13 MD (QA) 48,33 44,16 46,15
(16) (17) (15)
n 34 29 63
Studierende MD (QA) 43,48 42,86 42,86
(14) (28) (19)
Vergleicht man die Werte der drei Altersgruppen, so variieren diese nur sehr gering: Über den niedrigsten Wert verfügen die Studierenden mit einem Median von MD = 42,86, über den höchsten Wert die SchülerInnen aus Klasse 13 mit
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 173
einem Wert von MD = 46,15. Insgesamt ist im L-Korpus keine Zu- oder Abnahme der subordinierten Sätze von Klasse 11 bis zu den Studierenden zu erkennen.
Abb. 15: Anzahl der subordinierten Sätze im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze)
Was in Hinblick auf die subordinierten Sätze im L-Korpus berichtet wurde, gilt im Großen und Ganzen auch für das Z-Korpus. Die Medianwerte liegen auf einem ähnlichen Niveau, und bedeutende Unterschiede sind weder zwischen den Sprachgruppen noch zwischen den Altersgruppen erkennbar. Tab. 28: Anzahl der subordinierten Sätze im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
Klasse 11 MD (QA) 46,67 45,45 46,15
(29) (21) (24)
n 33 35 68
Klasse 13 MD (QA) 41,18 42,86 42,02
(15) (17) (16)
n 30 25 55
Studierende MD (QA) 48,68 45,45 46,15
(14) (13) (14)
Dieses Beobachtungen decken sich mit bisherigen Ergebnissen aus der Schreibforschung, die besagen, dass die Subordination von Sätzen im Laufe der
174 | Ergebnisse
Schreibentwicklung zunächst ansteigt, ab einem Alter von ca. 14 Jahren aber stagniert und sich auf einem Entwicklungsplateau stabilisiert (vgl. Feilke 1996b: 1183). Die Verwendung von subordinierten Sätzen an sich scheint als Indikator für Schreibentwicklung in diesen Altersgruppen also zu unspezifisch zu sein und keine Relevanz mehr zu haben.
7.3.3.2 Eingebettete subordinierte Sätze Die subordinierten Sätze sollen deshalb als Nächstes hinsichtlich ihrer Einbettungstiefe untersucht werden. Je tiefer die Teilsätze in den Matrixsatz eingebettet sind, desto komplexer ist der Satz. Dementsprechend sind auch die Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis bei der Rezeption und Produktion von tief eingebetteten Nebensätzen hoch. Die höchste Einbettungstiefe, die in den vorliegenden Texten erreicht wurde, ist der vierte Grad. Die Abbildungen zeigen daher den Anteil subordinierter Nebensätze zweiten, dritten und vierten Grades bezogen auf 100 Sätze.
Abb. 16: Anzahl der subordinierten Sätze zweiten bis vierten Grades im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze)
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 175
Tab. 29: Anzahl der subordinierten Sätze zweiten bis vierten Grades im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
Klasse 11 MD (QA) 10,53 12,50 11,65
(20) (14) (19)
n 34 34 68
Klasse 13 MD (QA) 9,76 6,90 7,69
(13) (13) (14)
n 34 29 63
Studierende MD (QA) 8,51 4,76 7,14
(9) (13) (12)
Hinsichtlich des Gebrauchs eingebetteter Nebensätze zeigen sich im L-Korpus zwischen den Sprachgruppen in allen Altersgruppen, leichte, wenn auch nicht signifikante Unterschiede (s. Abb. 16). In Klasse 11 fällt dieser Unterschied zugunsten der Mehrsprachigen, in Klasse 13 und bei den Studierenden zugunsten der Einsprachigen aus. Des Weiteren fällt auf, dass die Streuung in Klasse 11 besonders hoch ist, vor allem bei den einsprachigen SchülerInnen. Die Anzahl der eingebetteten Sätze variiert hier zwischen dem Wert 0 und einem Anteil von 50 %.
Abb. 17: Anzahl der subordinierten Sätze zweiten bis vierten Grades im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze)
176 | Ergebnisse
Die Medianwerte zeigen von Klasse 11 bis zu Studierenden eine leichte Abnahme der eingebetteten Nebensätze (s. Tab. 29). Diese Beobachtung wird durch das Ergebnis eines Kruskal-Wallis-Tests bestätigt (χ2(2) = 7,231, p < 0,05). Nach einer Reihe von U-Tests erweist sich jedoch nur der Unterschied zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 69,97) und den Studierenden (mittlerer Rang: 54,41) (U = 1412,00; p < 0,017) als signifikant. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass der Gebrauch tief eingebetteter Nebensätze mit fortschreitender Schreibentwicklung zurückgeht oder zumindest stagniert. Allerdings sehen die Ergebnisse für das Z-Korpus etwas anders aus (s. Abb. 17). Auch im Z-Korpus bestehen, abgesehen von Klasse 13, in den Altersgruppen leichte, aber nicht signifikante Unterschiede zwischen den Sprachgruppen. In Klasse 11 ist der Anteil der tief eingebetteten Nebensätze bei den mehrsprachigen SchülerInnen höher als bei den einsprachigen. Die mehrsprachigen Studierenden wiederum produzieren weniger eingebettete subordinierte Sätze als ihre einsprachigen KommilitonInnen. Tab. 30: Anzahl der subordinierten Sätze zweiten bis vierten Grades im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
Klasse 11 MD (QA) 4,55 7,69 6,64
(14) (13) (12)
n 33 35 68
Klasse 13 MD (QA) 6,25 5,88 6,07
(11) (13) (11)
n 30 25 55
Studierende MD (QA) 9,09 5,56 9,09
(11) (11) (11)
Ein Unterschied zum L-Korpus besteht darin, dass die Werte für die eingebetteten Nebensätze insgesamt niedriger liegen, obwohl die beiden Korpora annähernd über denselben Anteil von subordinierten Sätzen insgesamt verfügen (s. Tab. 30 sowie Tab. 27 und 28). Des Weiteren nimmt der Gebrauch von eingebetteten subordinierten Strukturen mit zunehmendem Alter jedoch nicht wie im LKorpus ab, sondern tendenziell eher zu, allerdings ohne dass die Werte sich signifikant voneinander unterscheiden. Der hohe Medianwert der Studierenden (MD = 9,09) im Vergleich zu Klasse 11 (MD = 6,64) und Klasse 13 (MD = 6,07) kommt jedoch vor allem durch den hohen Wert der Gruppe einsprachig in dieser Altersgruppe zustande. Insgesamt ist das Bild im Z-Korpus uneinheitlicher als im L-Korpus. Die Frage, warum die Tendenz aus dem L-Korpus (Abnahme bzw. Stagnation der eingebetteten Nebensätze mit dem Alter) im Z-Korpus eher gegenläufig ist, ist schwer zu beantworten. Das Ergebnis könnte bei den Zusammenfassungen in einem Zusammenhang mit der Verarbeitung des Originaltextes stehen. Außerdem ist insgesamt im Z-Korpus zwar eine Zunahme erkennbar,
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 177
die Werte der SchülerInnen aus Klasse 13 und der Studierenden liegen aber – mit Unterschieden in den Sprachgruppen – in beiden Korpora ungefähr in demselben Bereich. Nur die SchülerInnen aus Klasse 11 produzieren in den argumentativen Texten auffällig mehr eingebettete Nebensätze. Insofern sieht es so aus, als ob sich ihr Gebrauch ab einem gewissen Alter doch auf einem bestimmten Niveau stabilisieren würde. Diese Beobachtung müsste aber auf jeden Fall noch näher überprüft werden. Insgesamt scheint die Einbettung von subordinierten Sätzen in diesem fortgeschrittenen Alter kein eindeutiger Indikator für Schreibentwicklung zu sein.
7.3.3.3 Attributsätze
Abb. 18: Anzahl der Attributsätze im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze)
Die Attributsätze, deren Verteilung in den Korpora im Folgenden beschrieben werden soll, werden zwar hier in dem Kapitel zur Subordination aufgeführt, sie gehören jedoch, wie schon am Namen ersichtlich, zu den Attributen und sind deshalb auch der Ebene der Nominalphrase zuzuordnen. Was die Produktion von Attributsätzen im L-Korpus betrifft, sind zwischen den Sprachgruppen
178 | Ergebnisse
keine großen Unterschiede erkennbar (s. Abb. 18). Die Streuung in Klasse 13 und bei den Studierenden ist sehr hoch, am höchsten bei den einsprachigen SchülerInnen der Klasse 13 mit einem Quartilabstand von QA = 17. Tab. 31: Anzahl der Attributsätze im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
Klasse 11 MD (QA) 0,00 0,00 0,00
(6) (10) (7)
n 34 34 68
Klasse 13 MD (QA) 9,31 8,01 8,33
(17) (14) (14)
n 34 29 63
Studierende MD (QA) 8,01 7,14 7,14
(13) (14) (14)
Es lässt sich jedoch ein sehr deutlicher Unterschied zwischen der Anzahl von Attributsätzen in Klasse 11 einerseits (MD = 0,00), und in Klasse 13 (MD = 8,33) sowie bei den Studierenden (MD = 7,14) andererseits erkennen (s. Tab. 31). Dementsprechend kommt auch der Kruskal-Wallis-Test zu einem signifikanten Ergebnis (χ2(2) = 20,316; p < 0,001).
Abb. 19: Anzahl der Attributsätze im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze)
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 179
Post-hoc eingesetzte U-Tests zeigen, dass der Unterschied zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 52,05) und Klasse 13 (mittlerer Rang: 75,49) (U = 1293,000; p < 0,001) sowie zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 48,60) und den Studierenden (mittlerer Rang: 74,76) (U = 1086,00; p < 0,001) signifikant ist. Im Z-Korpus (s. Abb. 19) produzieren die Mehrsprachigen in Klasse 11 und 13 weniger Attributsätze als die Einsprachigen, allerdings ist dieser Unterschied statistisch nicht bedeutsam. Bei den Studierenden liegen die beiden Sprachgruppen auf demselben Niveau. In allen Altersgruppen werden im Z-Korpus mehr Attribut-sätze als im L-Korpus produziert. Besonders auffällig ist dieser Unterschied in Klasse 11, wo der Median für die gesamte Altersgruppe jetzt bei MD = 8,00 liegt (s. Tab. 32), ein Wert, der in den argumentativen Texten ungefähr dem Median in Klasse 13 und bei den Studierenden entsprach. Auch die Studierenden produzieren in den Zusammenfassungen doppelt so viele Attributsätze als in dem L-Korpus. Tab. 32: Anzahl der Attributsätze im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
Klasse 11 MD (QA) 10,00 6,25 8,00
(9) (13) (14)
n 33 35 68
Klasse 13 MD (QA) 11,76 7,69 10,82
(13) (11) (12)
n 30 25 55
Studierende MD (QA) 13,96 14,29 14,29
(11) (11) (10)
Zudem unterscheiden sich die Werte der Altersgruppen: Der Median steigt signifikant von MD = 8,00 (Klasse 11) auf MD = 10,82 (Klasse 13) bis MD = 14,20 bei den Studierenden (χ2(2) = 10,870; p < 0,01). Die Durchführung der U-Tests ergibt einen signifikanten Wert (U = 974,00; p = 0,001) für den Unterschied zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 45,89) und den Studierenden (mittlerer Rang: 66,29). Die statistische Analyse hat eindeutig gezeigt, dass der Gebrauch von Attributsätzen in der Sekundarstufe II bis in das Studium ansteigt. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass dies für subordinierte Sätze an sich nicht gilt, der Wert liegt für alle Altersgruppen annähernd auf demselben Niveau. Daraus lässt sich folgern, dass für die nicht-attributiven subordinierten Sätze eine Abnahme zu verzeichnen sein muss. Es soll deshalb ein Blick darauf geworfen werden, ob sich Entwicklungstendenzen für die nicht-attributiven subordinierten Sätze (Ergänzungssätze, Adverbialsätze) beobachten lassen. Für eine bessere Vergleichbarkeit wurden die satzwertigen Infinitivgruppen aus dieser Berechnung ausgeschlossen. Bei den dargestellten Werten handelt
180 | Ergebnisse
es sich also nur um eingeleitete, finite Nebensätze, die als Ergänzungs-, Adverbial- oder Attributsätze fungieren. Dementsprechend wird auch die Bezugsgröße (Sätze) hier ausnahmsweise nur durch die Summe aller finiten Verben berechnet.
Abb. 20: Anzahl der Ergänzungs-, Adverbial- und Attributsätze im L-Korpus nach Altersgruppe (bezogen auf 100 Sätze, ohne Infinitivgruppen)
Neben dem deutlichen Anstieg der Attributsätze, der schon näher beschrieben wurde, lassen sich aus Abb. 20 für das L-Korpus folgende Tendenzen für den Gebrauch von Ergänzungs-, Attribut- und Adverbialsätzen ablesen: Der Median für die Ergänzungssätze steigt von Klasse 11 zu Klasse 13 an und sinkt bei den Studierenden wieder ab. Die Anzahl der Adverbialsätze nimmt von Klasse 11 bis zu den Studierenden deutlich ab. Das Liniendiagramm zeigt sehr eindrucksvoll, dass sich diese Abnahme jedoch quasi komplementär zur Zunahme der Attributsätze verhält. Eine ähnliche Komplementarität zwischen Attribut- und Adverbialsätzen kann auch für das Z-Korpus beobachtet werden, wobei die Einstiegswerte in Klasse 11 hier viel näher beieinander liegen (s. Abb. 21). Der Einstiegswert für die Ergänzungssätze liegt im Z-Korpus höher als im L-Korpus, hat aber auch eine Tendenz zur Abnahme, so dass bei den Studierenden der Anteil der Ergän-
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 181
zungssätze in den Zusammenfassungen dann wieder ungefähr dem in den argumentativen Texten entspricht. Die Zunahme von Attributsätzen bei gleichzeitiger Abnahme von Adverbialsätzen deckt sich mit Beobachtungen aus der Schreibentwicklungsforschung, die besagen, dass mit zunehmendem Schreibalter anstelle von textsyntaktischen eher textpragmatische Mittel zur Bildung von Kohärenz eingesetzt werden (s. Kapitel 4.4.3.2). Im L-Korpus war außerdem die Tendenz einer Abnahme der eingebetteten Nebensätze von Klasse 11 zu Klasse 13 erkennbar.
Abb. 21: Anzahl der Ergänzungs-, Adverbial- und Attributsätze im Z-Korpus nach Altersgruppe (bezogen auf 100 Sätze, ohne Infinitivgruppen)
Zusammenfassend kann für die Untersuchung der subordinierten Sätze festgehalten werden, dass in den hier betrachteten Altersgruppen weder die Produktion von Nebensätzen insgesamt, noch der Einbettungsgrad der subordinierten Sätze als Indikator für syntaktische Schreibfähigkeiten bzw. für syntaktische Komplexität gelten kann. Dies bestätigt ähnliche Ergebnisse von Augst & Faigel (1986), die eine Stagnation des Anstiegs der eingebetteten Nebensätze in Klasse 12 verzeichnen. Auch Pohl (2010) zeigt für studentische Hausarbeiten, dass hier kaum noch Nebensätze gebraucht werden, die über eine Einbettung ersten Grades hinausgehen (s. Kapitel 4.4.3.4). Stattdessen werden vermehrt die No-
182 | Ergebnisse
minalphrasen, nicht die Satzgefüge ausgebaut. Welche Attribuierungsarten zur Erweiterung der Nominalphrase im vorliegenden Korpus eingesetzt werden, wird im nächsten Kapitel untersucht.
7.3.4 Komplexe Nominalphrasen Der Gebrauch von Attributen, die ein Substantiv modifizieren, ist ein Anzeichen für die zunehmende Integration von Propositionen auf Ebene der Nominalphrase. Diese Integration setzt fortgeschrittene kognitive und sprachliche Fähigkeiten voraus und kann als Indikator für entwickelte Schreibfähigkeiten gelten. Im Rahmen dieser Untersuchung ist deshalb von Interesse, ob die einsprachigen ProbandInnen in ihren Texten mehr komplexe Nominalphrasen als die mehrsprachigen ProbandInnen verwenden, und ob sich in Hinblick auf dieses Merkmal auch Unterschiede zwischen den Altersgruppen erkennen lassen. Attribute können entweder prä- oder postnominal stehen. Wie bereits dargelegt, werden (pränominale) Adjektiv- sowie (postnominale) Genitiv- und Präpositionalattribute in die Auswertung einbezogen (s. Kapitel 6.6.1.2). Die satzförmigen Attribute (Attributsätze) wurden bereits zusammen mit den anderen subordinierten Sätzen im Rahmen des Kapitels 7.3.3 (Subordination) untersucht. Die Angaben zu dem Anteil der unterschiedlichen Attribute, die im Folgenden gemacht werden, beziehen sich jeweils auf 100 (potentiell attribuierbare) Substantive.
7.3.4.1 Adjektivattribute In der Variable Adjektivattribute sind die einfachen und komplexen Adjektivattribute zusammengefasst. Allerdings muss angemerkt werden, dass der Anteil von komplexen Adjektivattributen in beiden Korpora sehr klein ist: Im L-Korpus kommen insgesamt 735 Nominalphrasen mit einfachem Adjektivattribut, aber lediglich 14 komplexe Linksweiterungen vor. Im Z-Korpus wurden 1673 einfache Adjektivattribute, aber nur 30 komplexe Adjektivattribute produziert. Es erscheint daher nicht sinnvoll, die komplexen Adjektivattribute gesondert zu untersuchen. Diese Zahlen stellen außerdem Grießhabers Annahme in Frage, dass die Produktion von erweiterten Partizipialattributen einen Indikator für den Erwerb der Syntax im Deutschen darstellt (Grießhaber 2010: 154).
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 183
Abb. 22: Anzahl der Adjektivattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive)
Bei der Betrachtung des relativen Anteils der Nominalphrasen mit Adjektivattribut im L-Korpus (s. Abb. 22) ist zunächst auffällig, dass die Streuung sehr groß ist, dies zeigen auch die relativ großen Quartilabstände. Die extremen Werte liegen in Klasse 11 und bei den mehrsprachigen Studierenden besonders weit auseinander. In diesen Gruppen gibt es Texte, in denen überhaupt keine Adjektivattribute benutzt werden. Die mehrsprachigen SchülerInnen der Klasse 11 produzieren andererseits aber auch Texte, in denen umgerechnet auf 100 Nominalphrasen über 35 mit einem Adjektivattribut erweitert sind, während ein solch hoher Wert in der Gruppe der Studierenden nicht erreicht wird. Tab. 33: Anzahl der Adjektivattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
Klasse 11 MD (QA) 11,11 12,02 11,27
(14) (14) (14)
n 34 34 68
Klasse 13 MD (QA) 16,67 12,31 15,39
(15) (12) (13)
n 34 29 63
Studierende MD (QA) 19,19 17,14 18,18
(9) (9) (10)
184 | Ergebnisse
In Hinblick auf die Unterschiede zwischen den Ein- und Mehrsprachigen fallen die höheren Medianwerte der Einsprachigen in Klasse 13 (Einsprachige: MD = 16,67; Mehrsprachige: MD = 12,31) und bei den Studierenden (Einsprachige: MD = 19,19; Mehrsprachige: MD = 17,14) auf (s. Tab. 33), die Unterschiede sind allerdings nicht signifikant. Aus den Werten in Klasse 11 wird ersichtlich, dass die einsprachigen SchülerInnen hier einen viel deutlicheren Entwicklungsschritt von einem Medianwert von MD = 11,11 in Klasse 11 zu einem Medianwert von MD = 16,67 in Klasse 13 vollziehen als die mehrsprachigen SchülerInnen (Mehrsprachige in Klasse 11: MD = 12,02, in Klasse 13: MD = 12,31). Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind signifikant (χ2(2) = 10,467; p < 0,01). Zwischen den Werten in Klasse 11 (mittlerer Rang: 51,77) und bei den Studierenden (mittlerer Rang: 71,75) besteht ein signifikanter Unterschied (U = 1276,000; p < 0,017). Der Medianwert steigt auch von Klasse 13 (MD = 15,39) bis zu den Studierenden (MD = 18,18) weiter an, allerdings ohne dass der Unterschied statistisch bedeutsam wird. Betrachtet man den Boxplot für die Zusammenfassungen (s. Abb. 23) so ergibt sich ein etwas anderes Bild.
50
Sprachgruppe
Anzahl aller Adjektivattribute bezogen auf 100 Substantive
einsprachig mehrsprachig
40
30
20
10
0 Klasse 11 (n=56)
Klasse 13 (n=68)
Studierende (n=55)
Altersgruppe Abb. 23: Anzahl der Adjektivattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive)
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 185
Zunächst einmal wird deutlich, dass in den Zusammenfassungen der relative Anteil der komplexen Nominalphrasen mit Adjektivattribut höher ist als in den Leserbriefen: In allen Gruppen liegt der Median höher als im L-Korpus. Dabei liegen die niedrigsten Werte der Mehrsprachigen in allen Altersgruppen unter denen der Einsprachigen. Zudem besteht in Klasse 11 ein statistisch bedeutsamer Unterschied zwischen den Anteilen der komplexen Nominalphrasen mit Adjektivattribut in den Texten der Gruppe der Einsprachigen (mittlerer Rang: 32,86) und der Mehrsprachigen (mittlerer Rang: 23,81) (U = 265,000; p < 0,05). Der Rückstand der Mehrsprachigen in Klasse 11 setzt sich in Klasse 13 jedoch nicht fort, im Gegenteil: Während der Median der Einsprachigen in Klasse 13 bei MD = 20,69 und damit fast auf demselben Niveau wie der Wert der Einsprachigen in Klasse 11 (MD = 20,00) liegt, steigt bei den Mehrsprachigen der Anteil der Adjektivattribute mit einem Medianwert von MD = 16,67 in Klasse 11 bis zu einem Wert von MD = 24,24 in Klasse 13 an (s. Tab. 34). Tab. 34: Anzahl der Adjektivattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
Klasse 11 MD (QA) 20,00 16,67 18,18
(11) (9) (9)
n 33 35 68
Klasse 13 MD (QA) 20,69 24,24 23,27
(12) (14) (13)
n 30 25 55
Studierende MD (QA) 28,49 29,11 28,77
(10) (13) (10)
Zudem ist, deutlicher als im L-Korpus, auch von der Klasse 13 bis zu den Studierenden ein starker Ausbau der komplexen Nominalphrasen mit Adjektivattribut beobachtbar (Klasse 13: MD = 23,27; Studierende: MD = 28,77). Insgesamt ist der Anstieg der Adjektivattribute von Klasse 11 bis zu den Studierenden signifikant (χ2(2) = 48,785; p < 0,001). Es erweist sich sowohl der Unterschied zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 49,78) und Klasse 13 (mittlerer Rang: 72,98) (U = 1191,500; p < 0,001) als auch zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 35,35) und den Studierenden (mittlerer Rang: 77,03) (U = 383,500; p < 0,001) als signifikant. Mit einem mittleren Rang von 50,79 bei den SchülerInnen der Klasse 13 und 75,85 bei den Studierenden ist auch der Unterschied zwischen diesen Gruppen signifikant (U = 1108,00; p < 0,001). Insgesamt zeigt sich eine leichte Tendenz der Mehrsprachigen, weniger Adjektivattribute zu gebrauchen. Diese Tendenz ist aber nicht durchgängig in allen Altersgruppen und auch nicht in beiden Korpora gleichermaßen beobachtbar. Im Z-Korpus wird das Zufallsniveau bei den SchülerInnen aus Klasse 11 signifikant überschritten. Sehr deutlich zeigt sich jedoch, dass von Klasse 11
186 | Ergebnisse
bis zu den Studierenden ein kontinuierlicher Ausbau der Nominalphrasen durch Adjektivattribute stattfindet. Dieser Bereich erweist sich als sehr entwicklungssensitiv, da hier auch in den zwei Jahren von Klasse 11 bis Klasse 13 eine sehr progressive Entwicklung beobachtbar ist. Der Vergleich der Adjektivattribute in den beiden Korpora zeigt, dass ihr Anteil in den Zusammenfassungen in jeder Altersgruppe höher ist. Es ist davon auszugehen, dass die durch ein Adjektivattribut erweiterten Nominalphrasen auch zu der höheren Satzlänge der Zusammenfassungen beitragen, die im vorherigen Kapitel festgestellt wurde.
7.3.4.2 Präpositionalattribute
Abb. 24: Anzahl der Präpositionalattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive)
Der Gebrauch von Präpositional- und Genitivattributen ist ein weiteres Mittel zum Aufbau von syntaktischer Komplexität. Zunächst sollen die Präpositionalattribute betrachtet werden. Da Präpositionalattribute nicht immer eindeutig von adverbialen Bestimmungen zu unterscheiden sind, wurden diese ambigen Fälle gesondert annotiert. Im L-Korpus wurden insgesamt 462 Nominalphrasen mit Präpositionalattribut annotiert, 19 davon wurden als ambig eingeschätzt,
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 187
das entspricht 4,1 %. Im Z-Korpus wurden von 762 Präpositionalattributen insgesamt 34 (4,5 %) als ambig annotiert. Es handelt sich also in beiden Subkorpora um einen kleinen Anteil von ambigen Präpositionalattributen. Die separate Auswertung der komplexen Nominalphrasen mit Präpositionalattribut unter Ausschluss der ambigen Präpositionalattribute zeigt im Vergleich mit der Gesamtauswertung aller Präpositionalattribute dieselben Tendenzen und nur minimale Abweichungen. Es werden deshalb an dieser Stelle nur die Ergebnisse der Gesamtauswertung berichtet. Bei Betrachtung des Anteils der Präpositionalattribute im L-Korpus fällt zunächst die große Streuung der Daten in allen Altersgruppen auf (s. Abb. 24). Die Spanne liegt bei Texten, die überhaupt keine Präpositionalphrasen enthalten bis hin zu Texten, in denen zwischen 20 bis 30 % der Substantive durch Präpositio-nalphrasen erweitert sind. In allen Gruppen, außer bei den Mehrsprachigen in Klasse 13, liegt der Median bei weniger als MD = 10,0. Während in Klasse 11 und bei den Studierenden der Median bei den Ein- und Mehrsprachigen jeweils etwa auf demselben Niveau liegt, kommen die Mehrsprachigen in Klasse 13 auf einen höheren Wert als die Einsprachigen (Einsprachige MD = 7,41; Mehrsprachige MD = 10,62; s. Tab. 35). Der Unterschied ist jedoch nicht signifikant. Tab. 35: Anzahl der Präpositionalattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
Klasse 11 MD (QA) 6,46 6,45 6,45
(8) (8) (7)
n 34 34 68
Klasse 13 MD (QA) 7,41 10,62 8,45
(10) (10) (10)
n 34 29 63
Studierende MD (QA) 9,29 8,57 8,57
(7) (11) (9)
Hinsichtlich des Ausbaus der Präpositionalattribute in den Altersgruppen lässt sich ein leichter, jedoch nicht signifikanter Anstieg des Medianwertes von Klasse 11 (MD = 6,45) zu Klasse 13 (MD = 8,45) erkennen. Der Median der Gruppe der Studierenden liegt mit einem Wert von MD = 8,57 nur knapp darüber. Wie bereits bei den Adjektivattributen beobachtet, ist die relative Anzahl von Präpositionalattributen im Z-Korpus höher als im L-Korpus: In allen Gruppen liegt der Anteil von komplexen Nominalphrasen mit Präpositionalattribut bei etwas über 10 % (s. Abb. 25). Nur die Mehrsprachigen in Klasse 11 liegen deutlich unter diesem Wert. Allerdings gibt es auch im Z-Korpus in den Klassen 11 und 13 Texte, in denen überhaupt keine Präpositionalattribute
188 | Ergebnisse
gebraucht werden. Unterschiede zwischen den Sprachgruppen lassen sich bis auf Klasse 11 nicht beobachten.
Abb. 25: Anzahl der Präpositionalattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive)
Dort allerdings ist zwischen den Einsprachigen und den Mehrsprachigen ein signifikanter Unterschied erkennbar (U = 239,500; p < 0,05), bei dem der mittlere Rang für die Einsprachigen (33,74) deutlich über dem für die Mehrsprachigen (22,87) liegt. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund interessant, dass ein ähnlicher Unterschied zwischen den Sprachgruppen in Klasse 11 auch bei dem Anteil der Adjektivattribute im Z-Korpus konstatiert wurde. Tab. 36: Anzahl der Präpositionalattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
Klasse 11 MD (QA) 10,00 5,26 7,55
(9) (6) (10)
n 33 35 68
Klasse 13 MD (QA) 10,53 9,52 10,05
(7) (9) (7)
n 30 25 55
Studierende MD (QA) 10,95 11,48 11,48
(9) (5) (7)
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 189
Im Gegensatz zum L-Korpus ist der Anstieg des Gebrauchs von komplexen Nominalphrasen mit Präpositionalattribut von Klasse 11 bis zu den Studierenden im Z-Korpus signifikant (χ2(2) = 12,787; p < 0,05). Die Studierenden (mittlerer Rang: 66,79) benutzen mehr Präpositionalattribute als die SchülerInnen in Klasse 11 (mittlerer Rang: 45,40) (U = 946,500; p < 0,001). Die Ergebnisse des UTests für den Unterschied zwischen Klasse 11 und Klasse 13 (U = 1497,000, p = 0,041) sowie Klasse 13 und den Studierenden (U = 1512,500, p = 0,070) sind nur tendenziell signifikant.106 Trotzdem scheint es so, als würden in den Zusammenfassungen die Präpositionalattribute von Klasse 11 bis zu den Studierenden stärker ausgebaut als in den Leserbriefen. Ein ähnliches Ergebnis hatte auch schon der Vergleich des Ausbaus von Adjektivattributen in den beiden Korpora ergeben. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Zusammenfassungen dieses Korpus sich im Hinblick auf den Ausbau von komplexen Nominalphrasen mit Adjektiv- und Präpositionalattributen entwicklungssensitiver verhalten als die Leserbriefe.
7.3.4.3 Genitivattribute
Abb. 26: Anzahl der Genitivattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) || Wie bereits erwähnt (s. Kapitel 6.6.2) liegt das Signifikanzniveau aufgrund der BonferroniKorrektur bei p < 0,017.
106
190 | Ergebnisse
Genitivattribute, vor allem als Teil von Mehrfachattribuierungen, sind ein Phänomen der Schriftsprache. Ihr Gebrauch in den Texten der unterschiedlichen Alters- und Sprachgruppen und damit die Frage, inwieweit sie ein Indikator für syntaktische Schreibfähigkeiten sind, soll in diesem Kapitel näher untersucht werden. Wie schon bei den Präpositionalattributen beobachtet, fällt auch bei der Betrachtung der Boxplots für die Genitivattribute im L-Korpus (s. Abb. 26) zunächst eine große Streuung der Werte innerhalb der Gruppen auf. In Klasse 11 und 13 gibt es viele Texte, die einen sehr niedrigen Wert aufweisen, so dass die unterste Linie der Box für den Quartilabstand dort mit dem Wert 0 zusammenfällt. Zudem ist in Klasse 11 ein deutlicher, wenn auch nicht signifikanter Unterschied zwischen den einsprachigen und den mehrsprachigen SchülerInnen erkennbar, der Median der mehrsprachigen SchülerInnen liegt nur bei MD = 0,00. In Klasse 13 und bei den Studierenden ist solch ein Unterschied allerdings nicht vorhanden. Tab. 37: Anzahl der Genitivattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
Klasse 11 MD (QA) 3,85 0,00 1,06
(9) (5) (6)
n 34 34 68
Klasse 13 MD (QA) 4,96 4,82 4,82
(9) (9) (9)
n 34 29 63
Studierende MD (QA) 6,04 5,41 5,56
(8) (8) (8)
Im Vergleich zum Median der Präpositionalattribute im L-Korpus (MD = 6,45 in Klasse 11 bis zu MD = 8,57 bei den Studierenden) fallen die Werte für die Genitivattribute in allen Gruppen niedriger aus (MD = 1,06 in Klasse 11 bis MD = 5,56 bei den Studierenden; s. Tab. 37). Es werden im L-Korpus also weniger Ge-nitivattribute als Präpositionalattribute produziert. Über die Altersgruppen hinweg steigt der Median aber auch hier signifikant an: Von einem Wert von MD = 1,06 in Klasse 11 über MD = 4,82 in Klasse 13 bis zu MD = 5,56 bei den Studierenden (χ2(2) = 9,604; p < 0,01) (s. Tab. 37). Der Unterschied zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 52,16) und den Studierenden (mittlerer Rang: 71,37) ist signifikant (U = 1299,500; p < 0,01). Der Unterschied zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 57,41) und Klasse 13 (mittlerer Rang: 70,76) ist nur tendenziell (U = 1614,500; p = 0,036)107 , und der Unterschied zwischen Klasse 13 und den Studierenden gar nicht signifikant. || 107 Vgl. die Anmerkung in Fußnote 106.
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 191
Abb. 27: Anzahl der Genitivattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive)
Sieht man sich den Gebrauch von Genitivattributen im Z-Korpus in Abb. 27 an, so fällt auf, dass ihr Vorkommen hier höher ist als im L-Korpus, die untere Begrenzung der Quartilabstände liegt in allen Gruppen über dem Wert 5 und auch die Mediane liegen höher. Zwischen den Sprachgruppen bestehen keine erkennbaren Unterschiede, allerdings ist ein kontinuierlicher Anstieg der Mediane von Klasse 11 bis zu den Studierenden zu verzeichnen (χ2(2) = 11,247; p < 0,01). Tab. 38: Anzahl der Genitivattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
Klasse 11 MD (QA) 7,89 8,00 7,95
(8) (9) (8)
n 33 35 68
Klasse 13 MD (QA) 9,68 10,00 9,84
(7) (5) (7)
n 30 25 55
Studierende MD (QA) 12,12 12,00 12,00
(6) (7) (7)
Eine Reihe von U-Tests nach Mann und Whitney zeigt dementsprechend, dass sowohl der Unterschied zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 46,74) und den
192 | Ergebnisse
Studierenden (mittlerer Rang: 65,43) (U = 1021,500; p < 0,01) als auch zwischen Klasse 13 (mittlerer Rang: 54,29) und den Studierenden (mittlerer Rang: 71,53) (U = 1346,000; p < 0,01) signifikant ist. Insgesamt hat die statistische Auswertung der unterschiedlichen Attribuierungsarten in diesem Kapitel gezeigt, dass sich die ein- und mehrsprachigen ProbandInnen dieser Studie in ihrem Gebrauch von komplexen Nominalphrasen kaum unterscheiden. Jedoch ist ein sehr progressiver Ausbau dieser Strukturen im Laufe der Oberstufe bis in das Studium hinein erkennbar. Die Komplexität der Texte steigt stetig an. Die Mehrsprachigen durchlaufen diese Entwicklung in demselben Tempo und in denselben Schritten wie die Einsprachigen.
7.3.5 Morphosyntax Bisher hat sich herausgestellt, dass sich die Texte der beiden Sprachgruppen in Hinblick auf ihre Komplexität kaum voneinander unterscheiden. Allerdings wäre es möglich, dass die Texte der mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden zwar ähnlich komplex wie die der einsprachigen Gruppe sind, sich in ihren Texten aber mehr morphosyntaktische Fehler nachweisen lassen. Außerdem könnte vermutet werden, dass der in diesem Kapitel bisher referierte Anstieg der Komplexität auf Ebene des Satzes und der Nominalphrase mit dem Alter auch mit einem Anstieg von morphosyntaktischen Fehlern einhergeht. Diese Annahmen sollen im Folgenden überprüft werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Korrektheit der Flexion komplexer Nominalphrasen.
7.3.5.1 Allgemeine Fehler auf morphosyntaktischer Ebene Zunächst sollen die unterschiedlichen Fehler in ihrer Gesamtheit in den beiden Korpora betrachtet werden. Dazu wurden alle annotierten Fehler jeweils in Bezug zur Gesamtzahl der Wörter des Textes gesetzt, i.a.W. der Fehlerquotient wurde berechnet. In Abb. 28 ist erkennbar, dass insgesamt wenig Fehler im L-Korpus gemacht werden. Von den Ausreißern und extremen Werten einmal abgesehen, kommen die höchsten Werte in Klasse 11 vor und liegen dort etwa bei einem Wert von 5, d.h. dass auf 100 Wörter lediglich 5 Fehler kommen. Auch bestehen hinsichtlich der morphosyntaktischen Fehler kaum Unterschiede zwischen den Sprachgruppen, abgesehen von Klasse 11, wo ein schwacher, nicht signifikanter Unter-
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 193
Anzahl aller morphosyntaktischen Fehler bezogen auf 100 Wörter
schied zu Ungunsten der Mehrsprachigen erkennbar ist (Gruppe einsprachig MD = 0,00; Gruppe mehrsprachig MD = 1,03).
10
Sprachgruppe einsprachig mehrsprachig
8
6
4
2
0 Klasse 11 (n=60)
Klasse 13 (n=68)
Studierende (n=63)
Altersgruppe Abb. 28: Anzahl der morphosyntaktischen Fehler im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Wörter)
In Klasse 13 und bei den Studierenden liegt der Medianwert der Mehrsprachigen kaum höher als der der Einsprachigen. Die Verteilung der Werte in den Altersgruppen ähnelt sich stark und bewegt sich zwischen einem Wert von MD = 0,78 in Klasse 11 bis zu einem Median von MD = 0,61 bei den Studierenden (s. Tab. 39). Somit kann nur eine ganz schwache Abnahme der Fehler von Klasse 11 bis zu den Studierenden beobachtet werden. Tab. 39: Anzahl der morphosyntaktischen Fehler im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
Klasse 11 MD (QA) 0,00 1,03 0,78
(2) (3) (2)
n 34 34 68
Klasse 13 MD (QA) 0,65 0,79 0,71
(1) (2) (2)
n 34 29 63
Studierende MD (QA) 0,45 0,70 0,61
(1) (2) (1)
194 | Ergebnisse
Anzahl aller morphosyntaktischen Fehler bezogen auf 100 Wörter
Im Z-Korpus sind deutlichere Unterschiede zu erkennen (s. Abb. 29). Zunächst einmal ist zu sehen, dass die Anzahl der Fehler insgesamt höher liegt als im LKorpus: Die Medianwerte liegen höher und die Streuung ist größer. Der höchste Wert ist bei den Mehrsprachigen in Klasse 11 zu erkennen und liegt bei etwa MD = 8,00. Die höhere Fehleranzahl mag mit der schon festgestellten höheren syntaktischen Komplexität der Texte des Z-Korpus zusammenhängen. Vielleicht liegt es auch daran, dass die SchülerInnen und Studierenden in den Zusammenfassungen dazu gezwungen sind, ein bestimmtes Thema mit bestimmten Propositionen wiederzugeben und sich eines bestimmten Wortschatzes zu bedienen – alles Bereiche, die durch den Originaltext determiniert werden. In den argumentativen Texten besteht für sie eher die Möglichkeit, den Text genau ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen entsprechend zu formulieren.
10
Sprachgruppe einsprachig mehrsprachig
8
6
4
2
0 Klasse 11 (n=56)
Klasse 13 (n=68)
Studierende (n=55)
Altersgruppe Abb. 29: Anzahl der morphosyntaktischen Fehler im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Wörter)
Auch sind im Z-Korpus deutlichere Unterschiede zwischen den Sprachgruppen zu erkennen: In allen Altersgruppen machen die Mehrsprachigen mehr Fehler als die Einsprachigen. Ein signifikanter Unterschied besteht allerdings nur bei den Studierenden: Die mehrsprachigen Studierenden (mittlerer Rang: 35,18)
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 195
machen deutlich mehr Fehler als die einsprachigen Studierenden (mittlerer Rang: 22,02) (U = 195,500; p = 0,01). Tab. 40: Anzahl der morphosyntaktischen Fehler im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
Klasse 11 MD (QA) 1,41 1,77 1,70
(3) (4) (3)
n 33 35 68
Klasse 13 MD (QA) 0,83 1,57 1,20
(2) (3) (2)
n 30 25 55
Studierende MD (QA) 0,39 1,22 0,49
(1) (2) (2)
Ein möglicher Erklärungsansatz für dieses Ergebnis könnte sein, dass – im Gegensatz zu den Mehrsprachigen in den anderen Altersgruppen – von den mehrsprachigen Studierenden über 50 % (n = 18) der Ersten Generation angehören (s. Tab. 7). Sie wurden nicht in Deutschland geboren, was unter Umständen mit einem späteren Einsetzen des Zweitspracherwerbs einhergeht. Einige von ihnen sind zudem erst nach der Grundschulzeit nach Deutschland eingewandert (s. Tab. 8).
Abb. 30: Anteil der Fehlerarten insgesamt (in %)
196 | Ergebnisse
Tab. 40 ist zu entnehmen, dass mit steigendem Alter weniger Fehler gemacht werden. Der Einsatz eines Kruskal-Wallis-Tests zeigt, dass die Werte der drei Altersgruppen sich signifikant voneinander unterscheiden (χ2(2) = 13,621, p = 0,001). Dieses Ergebnis ist auf Unterschiede zwischen Klasse 11 (mittlerer Rang: 65,94) und den Studierenden (mittlerer Rang: 45,88) (U = 983,500; p = 0,001) sowie zwischen Klasse 13 (mittlerer Rang: 70,63) und den Studierenden (mittlerer Rang: 51,33) (U = 1283,000; p < 0,01) zurückzuführen. Die Fehlerquote nimmt also mit zunehmendem Alter ab, obwohl die Komplexität der Texte ansteigt. Es muss aber nochmals betont werden, dass die Werte sehr niedrig sind und die Fehlerquote selbst in Klasse 11 relativ gering ausfällt. Als Nächstes sollen die unterschiedlichen Fehlerarten etwas genauer betrachtet werden. Dazu wurden alle Fehler aus dem L- und dem Z-Korpus summiert und untersucht, welcher Anteil auf die einzelnen Fehlertypen entfällt (s. Abb. 30).
Abb. 31: Anteil der Fehlerarten in den Sprachgruppen (in %)
Es zeigt sich, dass mit 37 % die meisten Fehler im Bereich der Nominalphrasenflexion gemacht werden. Das ist zu erwarten, da in dieser Kategorie zum einen
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 197
unterschiedliche Fehler (Kasus, Numerus, Genus) zusammengefasst werden. Zum anderen wurde bereits erläutert, dass die Flexion der Nominalphrase ein äußerst komplexer und fehleranfälliger Bereich ist.108 Wie noch gezeigt werden wird, machen auch Lerner mit Deutsch als Erstsprache hier noch Fehler. Es folgen mit 17 % die Kategorie fragmentarischer Satz und mit 13 % die Kategorie Präposition. 10 % der Fehler sind auf eine mangelnde Subjekt-Verb-Kongruenz zurückzuführen. Der Anteil der Kategorien Referenz, Artikel, Satzgliedstellung und Kasus liegt jeweils unter 10 %. Die Fehlerwerte sollen nun dahingehend überprüft werden, ob sich die Fehler der Ein- und Mehrsprachigen in unterschiedlichen Kategorien häufen, d.h. ob die mehrsprachigen andere Fehler machen als die einsprachigen UntersuchungsteilnehmerInnen. Dazu werden die Fehler aus dem L- und Z-Korpus in den einzelnen Kategorien summiert und dann überprüft, welchen Fehleranteil die Sprachgruppen in den Kategorien jeweils haben. Das gestapelte Balkendiagramm zeigt, dass die Mehrsprachigen in fast allen Fehlerkategorien einen höheren prozentualen Anteil an den Fehlern haben als die Einsprachigen (s. Abb. 31). Besonders stark zeigt sich dies bei der fehlerhaften Nominalphrasenflexion, wo 70 % der Fehler von den Mehrsprachigen gemacht werden. Auch in den Kategorien Artikelfehler (64 %) und Satzgliedstellung (60 %) ist der Anteil der Mehrsprachigen relativ hoch. Diese Aspekte der Morphosyntax sind auch als kritische Bereiche aus dem L2-Erwerb bekannt (s. Kapitel 4.4.3.6).
7.3.5.2 Fehlerhafte Nominalphrasen-Flexion Da die Nominalphrasen-Flexion insgesamt eine Hauptfehlerquelle in den Texten dieses Korpus darstellt (s. Abb. 30) und die Mehrsprachigen einen besonders großen Anteil an diesen Fehlern haben, sollen die nicht zielsprachenadäquaten Realisierungen in diesem Bereich und ihre Verteilung in den Sprachund Altersgruppen im Folgenden noch etwas näher betrachtet werden. Um ein genaueres Bild zu erhalten, werden die Fehler nun nicht mehr auf die Anzahl der Wörter, sondern auf die Anzahl der Nominalphrasen bezogen. Den Medianwerten in Abb. 32 lässt sich zunächst einmal entnehmen, dass in allen Alters- und Sprachgruppen in 50 % der argumentativen Texte überhaupt keine fehlerhaft flektierten Nominalphrasen auftreten, da der Median
|| Auch in den Untersuchungen von Cantone & Haberzettl (2008, 2009), die Texte von SchülerInnen mit Migrationshintergrund der Sekundarstufe I analysieren, erweist sich die Nomendomäne (s. Kapitel 6.6.1.3) am fehleranfälligsten (vgl. Cantone & Haberzettl 2009: 53).
108
198 | Ergebnisse
jeweils bei MD = 0,00 liegt. Das obere Quartil liegt in jeder Altersgruppe bei den Mehrsprachigen etwas höher als bei der einsprachigen Gruppe, wobei die meisten Fehler von den mehrsprachigen SchülerInnen in Klasse 11 und die wenigsten Fehlern von den Einsprachigen in Klasse 13 gemacht werden. Auffällig sind die vielen Ausreißer und die extremen Werte.
Abb. 32: Anzahl der fehlerhaft flektierten Nominalphrasen im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive)
Statistisch signifikante Unterschiede lassen sich zwischen den Sprach- oder Altersgruppen allerdings nicht feststellen. Tab. 41: Anzahl der fehlerhaft flektierten Nominalphrasen im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
30 30 60
Klasse 11 MD (QA) 0,00 0,00 0,00
(3) (5) (5)
n 34 34 68
Klasse 13 MD (QA) 0,00 0,00 0,00
(0) (4) (3)
n 34 29 63
Studierende MD (QA) 0,00 0,00 0,00
(2) (4) (3)
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 199
In den Zusammenfassungen liegt der Anteil der Flexionsfehler insgesamt etwas höher als in den argumentativen Texten (s. Abb. 33). Dies konnte bereits für den Anteil der morphosyntaktischen Fehler insgesamt festgestellt werden (s. Kapitel 7.3.5.1). Auch hier könnte der Grund in der höheren syntaktischen Komplexität der Zusammenfassungen liegen. Dies bedeutet für die Entwicklung in den Altersgruppen jedoch nicht, dass mit steigender Komplexität auch die Anzahl der Fehler zunimmt, was sich z.B. daran erkennen lässt, dass in der Gruppe der einsprachigen Studierenden besonders wenig fehlerhafte Nominalphrasen produziert werden.
Abb. 33: Anzahl der fehlerhaft flektierten Nominalphrasen im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive)
Da der Median der Einsprachigen in allen Altersgruppen bei MD = 0,00 liegt, kann jedoch auch hier konstatiert werden, dass insgesamt nur wenig Fehler in der Nominalphrasen-Flexion vorkommen (s. Tab. 42). Die Mediane der Mehrsprachigen liegen mit einem Wert von MD = 2,08 in Klasse 11 und MD = 1,59 in Klasse 13 etwas höher.
200 | Ergebnisse
Tab. 42: Anzahl der fehlerhaft flektierten Nominalphrasen im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern)
Sprachgruppe
n
Einsprachig Mehrsprachig Gesamt
29 27 56
Klasse 11 MD (QA) 0,00 2,08 0,00
(5) (6) (5)
n 33 35 68
Klasse 13 MD (QA) 0,00 1,59 0,00
(2) (5) (4)
n 30 25 55
Studierende MD (QA) 0,00 0,00 0,00
(0) (6) (2)
Bei den Studierenden ist der Unterschied zwischen den Sprachgruppen signifikant: Der mittlere Rang der Mehrsprachigen liegt mit einem Wert von 33,14 über dem der einsprachigen Studierenden (23,72) (U = 246,500; p < 0,01). Das passt zu dem Ergebnis, dass auch bezogen auf alle morphosyntaktischen Fehler ein signifikanter Unterschied zwischen diesen Gruppen besteht (s. Abb. 29). Es ist bereits diskutiert worden, dass dieses Ergebnis mit dem großen Anteil an Angehörigen der Ersten Generation zusammenhängen könnte, die sich in der Gruppe der Studierenden befindet und die über spezifische sprachliche Voraussetzungen verfügt. Zudem kommt der deutliche Unterschied vielleicht auch dadurch zustande, dass es sich bei den einsprachigen Studierenden um eine besonders leistungsstarke Gruppe handelt. Die Beschreibung der Stichprobe hatte gezeigt, dass es sich um Studierende handelt, die im schulischen Deutschunterricht bessere Noten als die mehrsprachigen Studierenden, aber auch als die SchülerInnen aus Klasse 11 und 13 hatten, und die mit ihren Sprachkenntnissen zufriedener sind als der Rest der Stichprobe (s. Kapitel 7.1.5). Es kann jedoch festgehalten werden, dass die Werte der mehrsprachigen Studierenden immer, bis auf den Anteil der fehlerhaft flektierten Nominalphrasen im L-Korpus (s. Abb. 32), unter den Werten der Mehrsprachigen in Klasse 11 und 13 liegen. Während im Z-Korpus hinsichtlich der morphosyntaktischen Fehler ein signifikanter Rückgang der Fehlerquote mit dem Alter beobachtet werden konnte, ist dies für die fehlerhaft flektierten Nominalphrasen nicht der Fall. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die Flexion komplexer Nominalphrasen auch auf einem hohen Sprachniveau und im Stadium einer fortgeschrittenen Schreibentwicklung noch ein kritischer Bereich ist. Auch bei jungen Erwachsenen mit Deutsch als Erstsprache, die die gymnasiale Oberstufe oder die Hochschule besuchen, treten solche Fehler noch auf. Werden jedoch die Ausreißer und extremen Werten genauer betrachtet, wird deutlich, dass es sich in Klasse 13 und bei den Studierenden um eine Häufung von Fehlern in Texten von Seiteneinsteigern handelt, deren Kontaktzeit mit der deutschen Sprache viel niedriger ist als die der in Deutschland Geborenen. Dementsprechend sind in ihren Texten eine gewisse Anzahl dieser lernersprachlichen Fehler zu erwarten.
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 201
Als Illustration sollen hier zwei Texte von Seiteneinsteigern näher betrachtet werde. Bei dem ersten Text handelt es sich um die Zusammenfassung eines 24-jährigen Studierenden, der mit 16 nach Deutschland gekommen ist und in die 10. Klasse eingeschult wurde. Der Student mit dem Kürzel JUMI0886 gibt an, dass Ukrainisch seine Erstsprache ist und dass er diese auch mit seinen Geschwistern spricht. Mit seinen Eltern kommuniziert er allerdings auf Russisch. Er studiert im 7. Semester Elementarmathematik und Physik auf Lehramt und hat an der Universität bisher eine Hausarbeit, ein Portfolio, drei Praktikumsberichte sowie acht Protokolle geschrieben. Der Text wurde unkorrigiert übernommen und zur besseren Übersichtlichkeit anhand der satzbeendenden Satzzeichen in Segmente unterteilt und durchnummeriert. (1) Zuerst möchte ich, als Studierende auf Lehramt, mein Position klar und deutlich festlegen. (2) Meine Meinung nach sind die Noten an der Grundschule überflüssig. (3) Die Kinder werden schon hier mit den Noten unter Druck gesetzt und zum Leistungsabruf gezwungen. (4) Diese Kinder verlieren die Interesse und die Möglichkeiten sich frei zu entwickeln. (5) Im Gegensatz zur Grundschulen sollen die Noten im Sekundarbereich beibehalten werden. (6) Die SchülerInnen sollen schon an diesem Alter für das Leben in unsere Gesellschaft vorbereitet werden. (7) In unsere Zeit gibt es nur die Leistungsgesellschaft. (8) Diese beurteilt die Menschen nicht nach individuelle Fertigkeiten und Fähigkeiten, sondern nach festgelegte Standarts. (9) Wenn wir jetzt die Benotung abschaffen, werden diese Schüler spätestens ab der 13. Klasse untergehen und in diese Gesellschaft nicht überleben. (10) Aus obengenannte Gründen bin ich gegen die komplette Abschaffung aller Noten. (JUMI0886)
Der Student zeigt in diesem Text u.a. zahlreiche Unsicherheiten im nominalen Bereich. Neben Schwierigkeiten mit dem Kasus bzw. Genus („mein Position“ in Satz (1), „die Interesse“ in Satz (4)) fallen vor allem die vielen fehlerhaft flektierten Artikelwörter und Adjektive in den Präpositionalphrasen auf. Bei den Köpfen handelt es sich jeweils um Präpositionen, die den Dativ regieren. Der Lerner scheint aber, unabhängig von Genus und Numerus des Substantivs, die Endung – e zu übergeneralisieren, und dies auch im Dativ Plural, wo die Endung zumindest unabhängig vom Genus des Substantivs ist.109 Laut den Erwerbsstadien der Adjektivdeklination nach Diehl et al. (2000) befindet sich der Student auf der 3. von 4 Stufen, dem Stadium formaler Ausgleich. Die Flexion erfolgt nach
|| Pagonis (2009) beobachtet eine ähnliche Übergeneralisierung der Endung – e bei der Deklination attributiver Adjektive bei seiner Probanin Dascha, deren Deutscherwerb im Alter von 14 Jahren einsetzt und deren Sprachentwicklung er über einen Zeitraum von 16 Monaten untersucht (vgl. Pagonis 2009: 234–243) (s. auch Kapitel 4.4.3.6). 109
202 | Ergebnisse
einem wiederkehrenden formalen Muster. Auf Basis des Kompetenzstufenmodells von Sahel (2010) würde der Student auf der 2. von 4 Stufen eingeordnet werden, da er die Nominalphrasen zwar intern kongruent flektiert, aber noch Genus- und Kasusfehler macht. Die Häufung der Fehler entspricht auf jeden Fall nicht den Erwartungen an einen Studenten, der zudem als angehender Lehrer zukünftig ein Sprachvorbild sein soll. Leider ist dem Text nicht zu entnehmen, ob der Lerner bei Präpositionalphrasen, die den Akkusativ regieren, eine ähnliche oder dieselbe Strategie anwendet. Es ist anzunehmen, dass diesem Studenten eine gezielte Vermittlung des Deklinationssystems helfen würde, Fehler in diesem Bereich abzubauen. Dies wäre auch wünschenswert, weil der Text auf anderen sprachlichen Ebenen (z.B. Verbstellung, Wortschatz) und auf der textuellen Ebene, z.B. was den Textaufbau betrifft, als durchaus gelungenes Beispiel gelten kann. Die Studentin mit dem Kürzel TAHO0286, von der der folgende argumentative Text stammt, ist 24 Jahre alt. Sie ist mit 12 Jahren nach Deutschland gekommen und wurde in die 5. Klasse eingeschult. Mit ihren Eltern spricht sie in ihrer Erstsprache Farsi. Sie möchte Lehrerin werden und studiert im 6. Semester die Fächer Hispanistik und Religionswissenschaften. Nach eigenen Angaben hat sie in ihrem Studium bisher zwei Praktikumsberichte und drei Protokolle geschrieben. (1) Ich habe das Interview gelesen und finde, dass die Chefin des Münchner Lehrerverbandes vollkommen Recht hat. (2) Ich kann ihre Aussagen ganz unterstützen und mich daran anschließen. (3) Noten haben für mich persönlich keine große Bedeutung und spielen auch keine unbedingt große Rolle im Schulalltag. (4) Wichtig ist nach meiner Ansicht, die Lernfähigkeit und die Lernleistung der Schüler. (5) Noten haben mehr Nachteile als Vorteile für die Schüler, weil sie dadurch in „fleißigen“ und „faulen“ Schüler geteilt werden. (6) Außerdem kommt es immer wieder zum Neid und zum Streit der Kinder, weil der eine eine 1 hat und deren Freundin eine 3. (7) Eine gut Lösung wäre, mit den Eltern auch mit den Schüler selbst über ihre Lernleistungen zu reden und wie Waltraud Lucic in das Interview sagte die Stärken und Schwächen des Schülers festzustellen. (8) Somit hat das Kind mehr Selbstbewusstsein und ist nicht aufgeregt wegen seiner Note. (TAHO0286)
Auch diese Studentin zeigt Unsicherheiten bei der Flexion von Präpositionalbzw. Nominalphrasen. In Satz (7) kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei den fehlenden Endungen (eine gut Lösung, mit den Schüler) um Performanzfehler handelt. Bei der Flexion der Präpositionalphrasen mit der Wechselpräposition in, die in (5) den Akkusativ und in (7) den Dativ regiert, zeigt sie aber deutliche Schwächen. Auch bei dieser Studentin erscheint eine Unterstützung bei der sicheren Beherrschung des Deklinationssystems angebracht.
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 203
In Bezug auf den Kompetenzbereich der Morphosyntax lässt sich abschließend festhalten, dass die Mehrsprachigen zwar tendenziell mehr Fehler machen, es sich aber insgesamt um eine relativ geringe Anzahl von Fehlern handelt. Die quantitative Auswertung deutet darauf hin, dass es zwischen den Sprachgruppen keine systematischen Unterschiede in die Beherrschung der Morphosyntax gibt. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit den Befunden der eingangs vorgestellten Studie von Schindler & Siebert-Ott (s. Kapitel 2), die in den Texten von Studierenden mit Deutsch als Zweitsprache keine Häufung von lernertypischen Fehlern festgestellt haben (Schindler & Siebert-Ott 2011: 101, 104). Grammatikzentrierte Übungen, wie sie im Förderunterricht oft zur Praxis gehören und wie sie übrigens auch von DaZ-FörderschülerInnen in der Sekundarstufe II selber gewünscht werden (vgl. Strecker 2010), erscheinen angesichts dieser Datenlage – zumindest für die Nicht-Seiteneinsteiger – wenig sinnvoll.110 Trotz der steigenden syntaktischen Komplexität mit dem Alter lässt sich parallel dazu kein Anstieg der morphosyntaktischen Fehler insgesamt oder der fehlerhaft flektierten Nominalphrasen im Speziellen verzeichnen. Abgesehen von den morphosyntaktischen Fehlern im Z-Korpus ist jedoch auch kein eindeutiger Rückgang zu beobachten. Das wichtigste Ergebnis ist demnach m.E. die starke Streuung der Werte. In beiden Korpora gibt es in allen Gruppen viele Texte, die keine oder wenig Fehler, und einige, die viele Fehler enthalten. Insgesamt spricht die Verteilung der Werte dafür, dass die Gruppen sich hinsichtlich der untersuchten Variablen sehr heterogen verhalten.
7.3.6 Zusammenfassung Im Folgenden werden die Ergebnisse hinsichtlich der syntaktischen Komplexität in den Texten noch einmal zusammenfassend dargestellt und gezeigt, bei welchen Indikatoren für syntaktische Komplexität signifikante Unterschiede zwischen den Sprach- bzw. Altersgruppen festgestellt werden konnten.
|| Darauf hat auch schon Haberzettl (2009: 92) mit Blick auf die sprachlichen Kompetenzen von SchülerInnen in der Sekundarstufe I hingewiesen: „Die weit verbreitete Praxis des Förderunterrichts, in dem ‚Grammatikarbeit‘ mit den immer gleichen Arbeitsblättern mit Einzelsätzen und Lückensätzen zu Aspekten getan wird, die erwiesenermaßen […] keine größeren Erwerbsprobleme darstellen (Kongruenz, Kasus- und Pluralmarkierung, Verbstellung), geht am eigentlichen Bedarf vorbei.“
110
204 | Ergebnisse
7.3.6.1 Unterschiede zwischen den Sprachgruppen Aus Tab. 43 ist ersichtlich, dass lediglich für die 11. Klasse und die Gruppe der Studierenden signifikante Unterschiede zwischen den Ein- und Mehrsprachigen ausgemacht werden konnten. Tab. 43: Signifikante Unterschiede zwischen den Sprachgruppen hinsichtlich der Variablen für syntaktische Komplexität im L- und Z-Korpus Variablen Textlänge Satzlänge Subordination
Komplexe Nominalphrasen Morphosyntax
Subordinierte Sätze insgesamt Subordinierte Sätze 2. bis 4. Grades Attributsätze Adjektivattribute Präpositionalattribute Genitivattribute Allgemeine Fehler auf morphosyntaktischer Ebene Fehlerhafte Nominalphrasen-Flexion
L-Korpus
Z-Korpus
Kl. 11 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s.
n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. Kl. 11 Kl. 11 n.s. Stud.
n.s.
Stud.
Anmerkungen: n.s. = kein signifikanter Unterschied. Wo ein signifikanter Unterschied besteht, wird dies mit Hinweis auf die entsprechende Altersgruppe angegeben.
Wider Erwarten verfassen die mehrsprachigen SchülerInnen aus Klasse 11 im LKorpus längere Texte als die einsprachigen SchülerInnen. Dabei handelt es sich allerdings um eine einmalige Beobachtung. Im Z-Korpus produzieren die mehrsprachigen ElftklässlerInnen signifikant weniger komplexe Nominalphrasen mit Adjektivattribut und mit Präpositionalattribut. Für die älteren SchülerInnen und Studierenden und im L-Korpus konnten diese Unterschiede jedoch nicht ermittelt werden. Das spricht dafür, dass es sich nicht um einen systematischen Unterschied handelt. Eine Erklärung könnte sein, dass es sich bei den mehrsprachigen SchülerInnen aus Klasse 11 im Vergleich zu den Mehrsprachigen der anderen Altersgruppen um eine etwas schwächere Gruppe handelt.111 Zum anderen ist es möglich, dass die
|| 111 Bei der Beschreibung der Stichprobe hatte sich gezeigt, dass in Klasse 11 die Gruppe der Mehrsprachigen in Hinblick auf das Geschlecht unausgewogen ist und überwiegend aus männlichen Schülern besteht (19 männlich, 8 weiblich). Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass die erwähnten signifikanten Unterschiede in der Verwendung von Adjektiv- und Präpositionalattributen letzten Endes nicht auf die Mehrsprachigkeit, sondern auf das Geschlecht zurückzuführen sind. Geschlechtsbedingte Unterschiede in der Entwicklung syntaktischer Schreibfähigkeiten sind bisher allerdings nicht nachgewiesen worden (s. Kapitel 7.1.7).
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 205
komplexen Nominalphrasen für die Mehrsprachigen in Klasse 11 das höchste Entwicklungspotenzial in sich bergen. Sie bauen ihre syntaktischen Fähigkeiten in diesem Bereich im Laufe der Oberstufe aus und gleichen sich dem Niveau ihrer einsprachigen MitschülerInnen an. Bei den Studierenden liegen die Unterschiede zwischen den Sprachgruppen im Bereich der Morphosyntax – sowohl bei den Fehlern in der Morphosyntax insgesamt als auch bei der fehlerhaften Nominalphrasen-Flexion. Interessanterweise betrifft dies nur das Z-Korpus (s. Abb. 29 und Abb. 33). Die Produktion der Zusammenfassung scheint für die mehrsprachigen Studierenden in Hinblick auf die sprachliche Korrektheit eine größere Herausforderung zu sein als das Schreiben des Leserbriefes. Insgesamt lassen sich somit in Hinblick auf die syntaktische Komplexität der Texte keine systematischen, signifikanten Unterschiede zwischen den Sprachgruppen erkennen. Die Hypothese, dass die hier untersuchten Texte der mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden über eine geringer ausgeprägte syntaktische Komplexität verfügen, kann deshalb als falsifiziert gelten.
7.3.6.2 Unterschiede zwischen den Altersgruppen Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass sich die Unterschiede in den Texten weniger durch den Faktor Mehrsprachigkeit als vielmehr durch den Faktor (Schreib-)Alter ergeben. Ältere Schreiber profitieren offensichtlich von ihrer Sprach- und Schreiberfahrung. So konnten bei der Verteilung fast aller Variablen für syntaktische Komplexität signifikante Unterschiede zwischen den Altersgruppen festgestellt werden,112 wenn auch nicht immer zugleich in beiden Korpora. Tab. 44 und Tab. 45 fassen die Ergebnisse der statistischen Auswertung hinsichtlich der Altersgruppen zusammen: Sowohl im L-Korpus als auch im ZKorpus steigen die Text- und Satzlänge signifikant an; Attributsätze, Adjektivund Genitivattribute werden mit steigender Schreiberfahrung vermehrt verwendet. Ein statistisch bedeutsamer Anstieg der Präpositionalattribute ist nur im Z-Korpus beobachtbar. Auch die Entwicklung der Teilkompetenz Morphosyn|| Leider ist die Stichprobengröße der Mehrsprachigen in Klasse 11 zu klein, um zu überprüfen, ob hier systematische Unterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern bestehen. Gegen einen Einfluss des Geschlechts spricht jedoch auch die Tatsache, dass sich die Unterschiede jeweils nur in einem Subkorpus beobachten lassen. 112 Lediglich hinsichtlich des Gebrauchs von subordinierten Sätzen – ohne Differenzierung nach Einbettungstiefe und Nebensatzart – und der Produktion fehlerhaft flektierter Nominalphrasen wurden in beiden Korpora keine statistisch relevanten Unterschiede beobachtet.
206 | Ergebnisse
tax ist weniger einheitlich zu deuten, lediglich im Z-Korpus nimmt der Anteil der morphosyntaktischen Fehler mit steigendem Schreibalter ab. Tab. 44: Unterschiede zwischen den Altersgruppen hinsichtlich der Variablen für syntaktische Komplexität im L-Korpus Kl. 11 n = 60 MD (QA)
Variablen Textlänge Satzlänge Subordinierte Sätze insgesamt Subordinierte Sätze 2. bis 4. Grades Attributsätze Adjektivattribute Genitivattribute Präpositionalattribute Allgemeine Fehler auf morphosyntaktischer Ebene Fehlerhafte Nominalphrasenflexion 1
MD
Stud. n = 63 (QA)
χ21
p
(57) 123,00 (2) 7,71 (21) 46,15
(52) 158,00 (2) 8,41 (15) 42,86
(43) (2) (19)
55,021 32,496 1,847
< 0,001 < 0,001 0,397
11,65
(19)
7,69
(14)
7,14
(12)
7,231
< 0,05
0,00 11,27 1,06 6,45 0,78
(7) (14) (6) (7) (2)
8,33 15,39 4,82 8,45 0,71
(14) (13) (9) (10) (2)
7,14 18,18 5,56 8,57 0,61
(14) (10) (8) (9) (1)
20,316 10,467 9,604 2,810 1,322
< 0,001 < 0,01 < 0,01 0,245 0,516
0,00
(5)
0,00
(3)
0,00
(3)
0,580
0,748
95,50 6,72 45,80
Kl. 13 n = 68 MD (QA)
Kruskal-Wallis-Test
Tab. 45: Unterschiede zwischen den Altersgruppen hinsichtlich der Variablen für syntaktische Komplexität im Z-Korpus
Variablen Textlänge Satzlänge Subordinierte Sätze insgesamt Subordinierte Sätze 2. bis 4. Grades Attributsätze Adjektivattribute Genitivattribute Präpositionalattribute
MD
Kl. 11 n = 60 (QA)
MD
Kl. 13 n = 68 (QA)
128,50 8,76 46,15
MD
Stud. n = 63 (QA)
χ21
(57) (2) (24)
141,00 9,40 42,02
p
(41) (2) (16)
210,00 10,04 46,15
(78) (2) (14)
56,980 56,980 1,038
< 0,001 < 0,001 0,595
6,64
(12)
6,07
(11)
9,09
(11)
3,692
0,158
8,00 18,18 7,95 7,55
(14) (9) (8) (10)
10,82 23,27 9,84 10,05
(12) (13) (7) (7)
14,29 28,77 12,00 11,48
(10) (10) (7) (7)
10,870 48,785 11,247 12,787
< 0,01 < 0,001 < 0,01 < 0,05
Hauptanalyse: Syntaktische Komplexität | 207
Allgemeine Fehler auf morphosyntaktischer Ebene Fehlerhafte Nominalphrasenflexion 1
1,70
(3)
1,20
(2)
0,49
(2)
0,00
(5)
0,00
(4)
0,00
(2)
13,621 = 0,001
2,879
0,237
Kruskal-Wallis-Test
Die statistische Auswertung hat sehr differenziert gezeigt, dass die syntaktische Komplexität in den Texten der SchülerInnen aus Klasse 11, 13 und den Studierenden ansteigt, und dies zum Teil sehr progressiv. Als besonders entwicklungssensitiv erweisen sich für das L-Korpus die Textlänge und die Satzlänge, und für das Z-Korpus die komplexen Nominalphrasen mit Adjektivattribut: Bei diesen Variablen lassen sich jeweils sowohl signifikante Unterschiede zwischen Klasse 11 und 13 als auch zwischen Klasse 13 und den Studierenden erkennen (s. 7.3.1, 7.3.2 und 7.3.4.1). Für die Hypothese, dass die syntaktische Komplexität der Texte mit dem (Schreib-)Alter ansteigt, konnte somit positive Evidenz gefunden werden. Dies steht im Einklang mit den bisherigen Ergebnissen der Schreibentwicklungsforschung. Die Produktion subordinierter Sätze kann in diesem fortgeschrittenen Alter nicht mehr als Indikator für Schreibentwicklung gelten, in diesem Bereich sind keine Entwicklungen beobachtbar.
7.3.6.3 Unterschiede zwischen Leserbrief und Zusammenfassung Zusätzlich zu den Beobachtungen über die syntaktische Komplexität der Texte hinsichtlich der Alters- und Sprachgruppen hat sich beim Vergleich des L- und des Z-Korpus Folgendes herausgestellt: Der Anteil der komplexen Nominalphrasen liegt in den Zusammenfassungen jeweils höher als in den argumentativen Texten, d.h. die Zusammenfassungen sind syntaktisch komplexer. Die Notwendigkeit, viele Informationen möglichst komprimiert darzustellen, scheint dazu zu führen, dass in den Zusammenfassungen mehr Propositionen auf Ebene der Nominalphrase integriert werden als in den Leserbriefen. Gleichzeitig kann vermutet werden, dass dieses Ergebnis z.T. durch eine Orientierung an dem Originaltext sowie durch Übernahmen aus diesem zu Stande gekommen ist. Dies müsste durch weitere Analysen überprüft werden. Die höhere syntaktische Komplexität der Zusammenfassungen führt dazu, dass auch der Anteil an morphosyntaktischen Fehlern im Z-Korpus höher ist. Allerdings ist hier auch – anders als im L-Korpus – ein signifikanter Rückgang
208 | Ergebnisse
der Fehler von Klasse 11 bis zu den Studierenden zu erkennen. Die SchülerInnen und Studierenden kommen mit zunehmendem (Schreib-)Alter besser mit den sprachlichen Anforderungen der Textreproduktion zurecht.
7.4 Ergänzende Analyse: Schriftliche Argumentationskompetenz In den vorangegangenen Abschnitten wurden die Ergebnisse der quantitativen Auswertung der Texte dargestellt. Dabei standen die syntaktischen Schreibfähigkeiten im Mittelpunkt der Analyse. In diesem Kapitel folgen die Ergebnisse der qualitativen Textanalyse. Damit wird der Blick von der reinen sprachlichen Oberfläche der Texte hin zu der in den Texten beobachtbaren Argumentationskompetenz, insbesondere der konzessiven Argumentationskompetenz (s. Kapitel 4.4.4) gewendet.
7.4.1 Auswahl des Korpus Für die qualitative Analyse erscheint es besonders interessant, diejenigen Texte näher zu betrachten, die sich in Hinblick auf die syntaktische Komplexität am oberen und am unteren Leistungsspektrum der jeweiligen Altersgruppe befinden. So kann überprüft werden, ob die Texte der Ein- und Mehrsprachigen, die über denselben Grad an syntaktischer Komplexität verfügen, sich hinsichtlich der Qualität der Argumentation oder anderer Aspekte voneinander unterscheiden. Diesem Erkenntnisinteresse entsprechend wurde die Auswahl der Texte für die qualitative Analyse auf Grundlage der quantitativen Auswertung getroffen. Ein Ergebnis der quantitativen Auswertung war, dass die Satzlänge (Wörter pro Satz, s. Kapitel 7.3.2) für die argumentativen Texte dieser Untersuchung ein besonders aussagekräftiges Maß für die Schreibentwicklung darstellt. Zwischen den Altersgruppen sind deutliche Unterschiede zu beobachten. Für jede Altersgruppe wurden deshalb die 3 Quartile für die Satzlänge berechnet, d.h. die Verteilung der Werte wurde in vier Viertel geteilt. So konnten die Texte identifiziert werden, die in Hinblick auf die Satzlänge zu den untersten 25 % (unterhalb des 1. Quartils) und zu den obersten 25 % (oberhalb des 3. Quartils) gehören. Aus diesen Texten wurden dann für jede Sprachgruppe die sechs Texte mit den niedrigsten (im Folgenden niedrig) bzw. höchsten (im Folgenden hoch) Werten ausgewählt. Pro Altersgruppe liegen demnach 24 Texte für die qualitative Analyse vor. Ich gehe davon aus, dass die Analyse einer sol-
Ergänzende Analyse: Schriftliche Argumentationskompetenz | 209
chen Anzahl von Texten aussagekräftige Beobachtungen zulässt und mit einem vertretbaren Arbeitsaufwand einhergeht. Das insgesamt aus 72 Texten bestehende Korpus (s. Tab. 46) wird im Folgenden zur besseren Abgrenzung von dem L-Korpus, das alle Leserbriefe enthält, kleines L-Korpus genannt. Tab. 46: Anzahl der Texte mit niedriger bzw. hoher syntaktischer Komplexität in den Sprachgruppen im kleinen L-Korpus Syntaktische Komplexität Niedrig Hoch
L1
Klasse 11 L2
L1
Klasse 13 L2
L1
Studierende L2
6 6
6 6
6 6
6 6
6 6
6 6
Anmerkung: L1 steht für einsprachig, L2 steht für mehrsprachig.
Das Design des kleinen L-Korpus ermöglicht Untersuchungen auf mehreren Ebenen: – Innerhalb des gesamten Korpus können die Texte der unterschiedlichen Altersgruppen betrachtet werden. – Innerhalb der Altersgruppen können die Texte der Sprachgruppen (einund mehrsprachig) betrachtet werden. – Innerhalb der Alters- und Sprachgruppen können die Texte mit niedriger und hoher syntaktischer Komplexität betrachtet werden. Bevor die Ergebnisse dieser Untersuchungen dargestellt werden, sollen die Texte des Korpus vorab noch in Hinblick auf die in ihnen vertretene Position beschrieben werden. Denn der Schwierigkeitsgrad der Generierung und Integration von Gegenargumenten zum Argumentationsgegenstand in einen argumentativen Text kann u.U. auch davon abhängen, welche Position zu der strittigen Frage eingenommen wird.
7.4.2 Pro- und Kontra-Positionen in den Texten „Das konzessive Argumentieren wird als rhetorisches Mittel eingesetzt, um den Gegner von der eigenen Position zu überzeugen“ (Rezat 2011: 55). Ist ein solcher Argumentationsgegner nicht vorhanden, weil man denselben Standpunkt wie der Adressat vertritt, so ist es auch nicht sinnvoll, konzessiv zu argumentieren. Rezat beschränkt sich bei ihrer Untersuchung konzessiver literaler Prozeduren deshalb auf die Texte, in denen eine Gegenposition zu der strittigen Frage eingenommen wird und schließt alle anderen Texte aus der Untersuchung aus (Rezat 2011: 55).
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Bei der Schreibaufgabe, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung für die Erhebung der argumentativen Texte eingesetzt wurde (s. Anhang A1 und Kapitel 6.2.2), ist ein solcher Argumentationsgegner unabhängig von dem Standpunkt des Argumentierenden immer vorhanden. Bei einem Leserbrief ist der Adressat des Textes die Leserschaft einer Zeitung. Der Textproduzent muss davon ausgehen, dass die Leser der Zeitung unterschiedlichste Positionen zu dem strittigen Thema vertreten und sich demnach auch potentielle Argumentationsgegner unter ihnen befinden. Die jeweilige Positionierung zu dem im Interview vertretenen Standpunkt ist im Rahmen der Produktion des Leserbriefes aber auch insofern wichtig, als dass das Interview und die darin geäußerten Argumente auf unterschiedliche Weise für die eigene Argumentation genutzt werden können. Wer die Gegenposition einnimmt, bekommt durch das Interview eine Reihe von Gegenargumenten geliefert, die in den eigenen Text integriert und ggf. entkräftet werden können. Wer jedoch mit dem im Interview vertretenen Standpunkt übereinstimmt, hat keinen solchen direkten Zugriff auf mögliche Gegenargumente und muss diese erst selbst generieren. Aus diesem Grund erscheint es bei der Analyse der konzessiven Argumentationskompetenz wichtig, vorab zu überprüfen, welche Positionen in den jeweiligen Texten eingenommen werden (s. Tab. 47). Es stellt sich heraus, dass in den 72 Texten überwiegend die Gegenposition zu der in dem Interview vertretenen Meinung eingenommen wurde, d.h. die meisten SchülerInnen und Studierenden sprechen sich gegen die Abschaffung von Noten aus. Allerdings lassen sich Unterschiede bezüglich der Altersgruppen erkennen: Bei den Studierenden nehmen 11 von 24, bei den SchülerInnen aus der 13. Klasse 14 von 24, und in der 11. Klasse sogar 19 von 24 Personen die Gegenposition (im Folgenden KontraPosition) ein. Zudem vertreten in der 11. Klasse vier Personen, in Klasse 13 eine Person und bei den Studierenden zwei Personen keine eindeutige bzw. eine neutrale Position zu dem Thema Noten abschaffen. Tab. 47: Anzahl der Texte mit Pro-, Kontra- und neutraler Position in den Altersgruppen (in absoluten Zahlen)
Position Pro-Position Kontra-Position Neutrale Position
Klasse 11 n = 24
Klasse 13 n = 24
Studierende n = 24
Gesamt n = 72
1 19 4
9 14 1
11 11 2
21 44 7
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Geht man davon aus, dass die Einnahme der Gegenposition die Einräumung von Gegenargumenten erleichtert, so kann festgehalten werden, dass die SchülerInnen aus Klasse 11 dafür über die günstigsten Voraussetzungen verfügen.
7.4.3 Argumentationskompetenz in den Altersgruppen Die Aneignung der Fähigkeit zum konzessiven Argumentieren ist eine komplexe Aufgabe. Das ist u.a. darauf zurückzuführen, dass bestimmte literale Prozeduren – in diesem Falle konzessive literale Prozeduren – erworben werden müssen. In diesem Kapitel soll untersucht werden, inwieweit die für diese Analyse ausgewählten Texte solche Prozeduren enthalten und ob beim Gebrauch dieser Prozeduren Unterschiede zwischen den Altersgruppen und/oder Sprachgruppen enthalten sind. Als Orientierung dient dabei die Übersicht zu den unterschiedlichen Gruppen konzessiver literaler Prozeduren von Rezat (2011) (s. Tab. 5).113 Auf diese Gruppen von Prozeduren wird im Folgenden anhand römischer Zahlen verwiesen (z.B. Gruppe I, II, III, IV). Aus der Forschung ist bekannt, dass auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Fähigkeit zum konzessiven Argumentieren von den sprachlichen Voraussetzungen und der Schreiberfahrung abhängt und noch nicht als vollständig erworben gelten kann (s. Kapitel 4.4.4). Deshalb sind in den Texten des kleinen L-Korpus auch die für einen solchen Aneignungsprozess typischen Zwischenstufen und Übergangsformen zu erwarten, die mit einem inadäquaten Gebrauch der konzessiven Sprachmittel und Formulierungsbrüchen einhergehen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Prozeduren sowohl in formaler als auch in funktionaler Hinsicht mit steigendendem Schreibalter immer sicherer verwendet werden. Während der Textanalyse wurde deutlich, dass sich in Hinblick auf die Fähigkeit zum konzessiven Argumentieren in den Texten sehr unterschiedliche Ausprägungen bzw. Entwicklungsstände manifestieren. Diese lassen sich grob in folgende vier Gruppen einteilen: – Textgruppe 1: Gegenpositionen oder Gegenargumente werden nicht erwähnt.
|| Dabei wurde in Kauf genommen, dass konzessive Strukturen, die nicht durch entsprechende sprachliche Korrelate an der Textoberfläche Ausdruck finden, in dieser Analyse nicht systematisch berücksichtig werden können. Vgl. dazu kritisch Rezat (2009: 478f.).
113
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Textgruppe 2: Gegenpositionen oder Gegenargumente werden ansatzweise genannt, es mangelt aber noch an den entsprechenden sprachlichen Mitteln zu ihrer Einräumung bzw. Entkräftung. Textgruppe 3: Die AutorInnen verfügen über konzessive literale Prozeduren und machen von diesen in formal korrekter Weise Gebrauch. Gegenpositionen und Gegenargumente werden erwähnt, diese Aussagen werden aber nicht weiter ausgeführt. Dadurch wirken die Argumentationsstrukturen inhaltlich leer. Textgruppe 4: Konzessive literale Prozeduren werden nicht nur formal korrekt, sondern auch funktional eingesetzt. Die konzessiven Argumentationsstrukturen können als elaboriert bezeichnet werden.
Diese vier Gruppen (im Folgenden Textgruppe 1, 2, 3, 4) sollen in der sich anschließenden Darstellung als heuristischer Rahmen für die Charakterisierung der argumentativen Texte dienen. Es wird zunächst die Argumentationskompetenz in den drei Altersgruppen betrachtet. Innerhalb der Altersgruppen wird auch auf Unterschiede zwischen den Texten der ein- und mehrsprachigen AutorInnen geachtet. Die Unterschiede zwischen den Texten mit einem niedrigen bzw. hohen Grad an syntaktischer Komplexität spielen in Kapitel 7.5.1 eine Rolle.
7.4.3.1 Klasse 11 Vorkommen und Gebrauch konzessiver literaler Prozeduren Die 24 Texte der SchülerInnen aus der 11. Klasse zeichnen sich durch eine große Heterogenität in Hinblick auf das konzessives Argumentieren aus. Dabei kommen elaborierte konzessive Argumentationen nur selten vor. Etwa die Hälfte aller Texte aus Klasse 11 zählen zur 1. Textgruppe, d.h. in diesen werden die Gegenposition oder Gegenargumente nicht erwähnt, und dass, obwohl die Mehrzahl der SchülerInnen sich gegen die Abschaffung der Noten ausspricht und somit Argumente aus dem Interview übernehmen könnte, um sie zu entkräften (s. Tab. 47). Die folgenden zwei Beispiele können als prototypisch für diese Art von Argumentation in Klasse 11 gelten:
Ergänzende Analyse: Schriftliche Argumentationskompetenz | 213
Text 2114 (1) Ich glaube, dass Schüler Noten benötigen um sich selbst einschätzen zu können. (2) Schüler können mit dem Zeugnis ihre Noten vergleichen, ob sie sich in einem halben Jahr verbessert oder verschlechtert haben. (3) Ohne Zeugnisse könnten die Arbeitgeber nicht vergleichen. (4) Ich denke man braucht Noten, um die Schüler am besten einschätzen zu können. (5) Einzelgespräche nehmen Schüler nicht ernst. (Klasse 11, L1, niedrig)
Mit dem ersten Satz wird der Standpunkt zu dem strittigen Thema zum Ausdruck gebracht, auch wenn die Konklusion implizit bleibt: SchülerInnen benötigen Noten, um sich selbst einschätzen zu können. In Satz (4) wird dieses Argument noch einmal in ähnlicher Weise wiederholt: Auch andere Personen, z.B. Arbeitgeber, sind zur Einschätzung von Bewerbern auf Noten angewiesen. Daraus kann man schlussfolgern, dass Noten nicht abgeschafft werden sollten. Der Text wirkt am Ende unabgeschlossen, weil im letzten Satz (5) ein neues Argument eingeführt und nicht näher erläutert wird. Insgesamt fehlt es dem Text an Kohärenz, es handelt sich eher um eine Aneinanderreihung von Einzelaussagen und die Meinung des Autors/der Autorin zu dem Thema Noten abschaffen wird an keiner Stelle explizit gemacht. Auch im nächsten argumentativen Text taucht eine Redundanz auf: Text 1 (1) Ich finde, dass das Halbjahreszeugnis sehr wichtig ist für die Schüler. (2) Sie können anhand der Zeugnisse Schwächen erkennen und sie versuchen zu beheben. (3) Würde man das Halbjahreszeugnis abschaffen und nur mit den Eltern reden, würden die Schüler nichts daraus lernen, weil wenn man es schriftlich hat, ist es für die meisten besser, als wenn man’s nur hört. (4) Deshalb finde ich Halbjahreszeugnisse sehr wichtig. (Klasse 11, L1, niedrig)
Im Abschlusssatz (4) wird die Aussage aus der Einleitung noch einmal wiederholt: Halbjahreszeugnisse sind sehr wichtig. Der Autor/die Autorin scheint ein Bewusstsein dafür zu haben, dass ein wohlgeformter argumentativer Text mit einem Fazit beendet werden sollte und dass dies geschehen kann, indem man seine Meinung noch einmal zusammenfassend äußert. Der letzte Satz wird je-
|| Die folgenden Beispielsätze und -texte wurden in Hinblick auf Orthografie und Interpunktion korrigiert. Zur besseren Orientierung wurden die zitierten Texte zudem entsprechend der satzbeendenden Zeichen in nummerierte Segmente unterteilt. Die unkorrigierten Transkripte befinden sich im Anhang B. Die Nummerierung der Texte entspricht der Nummerierung im Anhang. Außerdem werden die Altersgruppe und die Sprachgruppe (L1 steht für einsprachig, L2 für mehrsprachig) sowie der Grad an syntaktischer Komplexität (niedrig, hoch) genannt. Wenn es sich nur um einen Ausschnitt aus dem gesamten Text handelt, wird dies in Klammern angegeben und auf die Segmentierung verzichtet.
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doch nicht überzeugend in die Argumentation integriert und transportiert keine zusätzliche inhaltliche Aussage. Auf diese Art von Abschlusssätzen, die von Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007) auch „leere Abschlusssätze“ (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 209) genannt werden, wird später in diesem Kapitel noch zurückgekommen. Auch wenn es in Klasse 11 viele Texte gibt, in denen nicht konzessiv argumentiert wird, so fällt eine andere rhetorische Strategie auf. Dabei handelt es sich um ein explizit als hypothetisch markiertes Argumentieren. In Text 1 (s.o.) wird dies in Satz (3) durch den Gebrauch eines konditionalen V1-Satzes mit Konjunktiv II-Ersatzform realisiert wird („Würde man das Halbjahreszeugnis abschaffen …“). Diese Art von hypothetischer Argumentation ist in vielen Texten der 11. Klasse nachzuweisen, in denen die Position aus dem Interview (s. Anhang A1) abgelehnt wird. Die Modalisierung wird dabei durch unterschiedliche sprachliche Mittel (ohne + Modalverb im Konjunktiv II, Konditionalsätze mit wenn, Konjunktiv II-Ersatzform) erreicht: Text 2 (Ausschnitt) Ohne Zeugnisse könnten die Arbeitgeber nicht vergleichen. (Klasse 11, L1, niedrig) Text 5 (Ausschnitt) Wenn es keine Benotung mehr gibt, glaube ich nicht daran, dass die Kinder mehr lernen werden… (Klasse 11, L1, niedrig) Text 15 (Ausschnitt) Das Schulniveau würde mit der Abschaffung der Noten sinken…(Klasse 11, L1, hoch) Text 6 (Ausschnitt) Wenn man die Noten abschaffen würde, wer würde dann noch freiwillig für irgendetwas lernen? Auch wenn die Lehrer dann mit den Eltern reden, und die Eltern mit den Kindern, würde sie das interessieren? (Klasse 11, L1, niedrig)
Bei dieser Art des hypothetischen Argumentierens wird die Gegenposition bzw. deren logische Konsequenz zwar in den Text integriert („Wenn es keine Benotung mehr gibt …“), aber nicht wirklich als real existierende Alternative eingeräumt. Vielmehr werden ausschließlich die möglichen negativen Folgen bei Eintreten des Gegenstandpunktes genannt. Besonders deutlich wird dies in dem letzten Beispiel, wo das hypothetische Argumentieren zudem in zwei rhetorische Fragen eingekleidet wird, die eine starke Antwortpräferenz vorgeben. Es handelt sich dabei also um eine stark „kontrollierte“ Nutzung der Gegenposition für die eigene Position. Gegenargumenten, die die Gegenposition stützen, wird bei dieser Art von Argumentation kein Raum gegeben. In Klasse 13 wird von dieser rhetorischen Strategie weniger Gebrauch gemacht, bis sich bei den
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Studierenden schließlich kaum noch Belege für diese Art der hypothetischen Argumentation finden lassen. Doch auch in Klasse 11 gibt es bereits Texte, in denen Gegenargumente integriert werden. Diese Texte gehören zu der 2. Textgruppe: Gegenargumente werden zwar angedeutet, es fehlt aber noch an den sprachlichen Mitteln, die für die Realisierung einer komplexen, elaborierten Argumentation notwendig sind: Text 8 (1) Meiner Meinung nach sollte man die Noten nicht abschaffen, allerdings sollte man es in der Grundschule schon tun. (2) Ich finde es wäre besser erst ab der 5. Klasse Noten zu geben, weil die Kinder würden dann nicht diesen Notendruck haben. (3) Man sollte auch nicht alle Noten abschaffen, weil man schon diesen Notendruck braucht, damit man bessere Leistung zeigt, denn damit strebt man nach guten Noten und wenn es gar keine Noten geben würde, könnte es sein, das viele die Schule nicht ernst nehmen würden. […] (Klasse 11, L2, niedrig)
Der Text beinhaltet eine differenzierte Argumentation und zielt darauf ab, gegen die Abschaffung der Noten insgesamt, aber für die Abschaffung der Noten in der Grundschule zu plädieren. Die Begründungen dafür lauten, dass der Notendruck für die Grundschulkinder zwar unangemessen ist (Satz 2), im Allgemeinen aber dafür sorgt, dass SchülerInnen die Schule überhaupt ernst nehmen (Satz 3). Diese Kontrastierung der Argumente wirkt jedoch zunächst verwirrend. Die Argumentation wäre verständlicher und überzeugender gewesen, wenn die Argumente konzessiv aufeinander bezogen worden wären (In der Grundschule sollte man die Noten zwar abschaffen…). So enthält der Text jedoch eine Inkompatibilität zwischen den Sätzen (2) und (3), die auch nicht anhand entsprechender Konnektoren (z.B. jedoch, aber) aufgelöst wurde. In anderen Texten, wie auch in dem folgenden Beispiel, werden konzessive literale Prozeduren zwar ansatzweise eingesetzt, aber nicht vollständig ausgeführt, so dass die Argumentation fragmentarisch erscheint: Text 11 (1) Die Aussagen und Behauptungen mögen vielleicht sogar richtig sein. (2) Der Haken dabei ist, dass man auch bedenken sollte, wie die Auswirkung auf dem Kind beruht. (3) Das neu vorgeschlagene System könnte Fehler enthalten, was sich zu einem großen Problem entwickeln könnte. (4) Andererseits wäre der Druck für die Kinder nicht mehr so hoch wie vorher. (5) Ich denke, man kann auch ein System entwickeln, womit sich alle Beteiligten anfreunden können. (6) Das komplette Notensystem abzuschaffen wäre meiner Meinung nach unsinnig. (7) Das System „etwas“ zu verändern wäre meine Meinung. (Klasse 11, L2, niedrig)
In Satz (1) wird zunächst implizit auf das Interview Bezug genommen und ein lexikalisches Mittel der Einräumung verwendet („ … mögen vielleicht sogar
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richtig sein“). In Satz (2) fehlt jedoch ein Konnektor, um die in Satz (1) angedeutete Einräumung mit der Gegenbehauptung in Satz (2) zu verbinden. Zudem wird in Satz (4) ein andererseits benutzt, ohne dass vorher eine andere Aussage durch ein einerseits eingeführt worden wäre. So muss der Leser selbst rekonstruieren, welche Aussagen kontrastiert werden sollen. In den Sätzen (5) bis (7) wird schließlich versucht, zu einer Art Synthese zu gelangen: Die Benotung soll beibehalten, das Notensystem aber verbessert werden. Insgesamt muss jedoch konstatiert werden, dass der Text zu implizit bleibt: Welche Fehler könnte das neue Benotungssystem beinhalten? Wie würde ein System aussehen, mit dem sich alle anfreunden können? Welche Veränderungen wären nötig? In Satz (2) stolpert man zudem über die missglückte Konstruktion „wie die Auswirkung auf dem Kind beruht“. An dieser Stelle ist das Verständnis des Textes stark beeinträchtigt. Gemeint ist wahrscheinlich eine Aussage mit der Bedeutung Man sollte bedenken, welche Auswirkungen das neue System auf das Kind hat. Inwieweit solche lexikalischen Schwierigkeiten gehäuft bei den mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden auftauchen, soll in Kapitel 7.5.2 noch diskutiert werden. Einige Texte aus der 11. Klasse gehören zur 3. Textgruppe: In diesen Texten finden sich konzessive Argumentationsstrukturen, in denen – anders als in den vorangegangenen Beispielen - die konzessiven literalen Prozeduren zwar formal vollständig und korrekt produziert, aber noch nicht funktional eingesetzt werden. Der Gegenposition wird kurz zugestimmt, diese Zustimmung wird jedoch nicht weiter ausgeführt. Ein Text beginnt z.B. mit der Aussage: Text 6 (Ausschnitt) Es ist zwar keine schlechte Idee, aber ich bin eher der Meinung, dass Noten bleiben sollten, weil sie einem vermitteln, wie man schulisch steht. (Klasse 11, L1, niedrig)
Im ersten Satz wird eine Leseerwartung erweckt, die unerfüllt bleibt: Es wird nicht begründet, warum der Autor/die Autorin die „Idee“ eigentlich nicht schlecht findet, es folgen nur noch Argumente gegen die Abschaffung der Noten. Zudem hätte der Bezug zum Interview expliziter gemacht werden können (z.B. Die Idee von der Chefin des Münchener Lehrerverbandes ist zwar nicht schlecht…). Die konzessive literale Prozedur zwar + adversatives Konnektiv (s. Gruppe II in Tab. 5) wird hier zwar formal richtig verwendet, der erste Satz bleibt aber inhaltsleer und hat damit keine Funktion für die Argumentation. Im nächsten Beispiel wird die Einräumung im ersten Satz zwar nicht explizit sprachlich markiert, das jedoch in dem darauffolgenden Satz kann durch den Kontext aber als adversatives Konnektiv mit konzessiver Lesart (s. Gruppe IV in Tab. 5) gelten. Der Schüler/die Schülerin nimmt explizit Bezug auf das Inter-
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view, es bleibt jedoch auch hier offen, warum er/sie die Idee von Lucic prinzipiell gutheißt: Text 18 (Ausschnitt) Ich finde die Idee von Lucic im Allgemeinen gut, jedoch sollte es immer noch ein Bewertungssystem für die Schüler geben, um daran hochzuziehen und zu motivieren. (Klasse 11, L1, hoch)
Ähnlich „leere“ Argumentationsstrukturen identifiziert Rezat (2011) in den argumentativen Texten von GrundschülerInnen und bezeichnet sie als „präkonzessiv“, „da sie noch nicht argumentativ ausgebaut sind. In den Texten wird in der Regel der Gegenstandpunkt eingeräumt […], aber es werden meistens keine Gegenargumente, die dem Gegenstandpunkt zuzuordnen sind, eingeräumt und sprachlich entsprechend markiert“ (Rezat 2011: 58). Schließlich gibt es in Klasse 11 auch Texte aus der 4. Textgruppe, in denen sich ein in formaler und funktionaler Hinsicht souveräner Gebrauch von konzessiven literalen Prozeduren erkennen lässt: Text 5 (Ausschnitt) […] Ich bin auch der Meinung, dass Zeugnisse beibehalten werden sollten, damit man weiß woran man noch arbeiten muss und um zu sehen, wo die Schwächen und Stärken liegen. Dass Kinder für Prüfungen lernen und dann wieder alles vergessen stimmt schon, aber man könnte regelmäßiger wiederholen, um den Stoff zu behalten. (Klasse 11, L1, niedrig)
Entsprechend der Systematisierung von Rezat (2011) handelt es sich um eine konzessive literale Prozedur aus Gruppe I: Die Phrase … stimmt schon ist ein lexikalisches Mittel der Einräumung, gefolgt von dem adversativen Konnektor aber zur Einführung der Gegenbehauptung (s. Tab. 5). Textpragmatische Differenzierung: An einem weiteren gelungenen Beispiel für den Gebrauch konzessiver Strukturen sollen nun Aspekte der textpragmatischen Rahmung der Texte aus Klasse 11 erläutert werden. Text 19 (1) Dass der Notendruck steigt, lässt sich nicht bezweifeln, dies aber als „verrückt“ zu bezeichnen, laut Waltraud Lucic, ist wiederum falsch. (2) Was sollte man ihrer Meinung nach denn mit der Abschaffung der Noten erreichen? (3) Nichts weiteres als Motivationsund Disziplinlosigkeit. (4) Ohne Abfragung von Themen die sie erarbeitet haben und somit ohne Zensuren gibt es überhaupt gar keinen Leistungsdruck und dadurch hätten die Schüler kein Gefühl mehr dafür wie sehr, oder ob überhaupt sie sich noch anstrengen müssen. (5) Wenn Frau Lucic schon pädagogisch denkt, sollte sie auch beachten, dass es Schülerinnen und Schüler gibt, die beispielsweise im Schriftlichen besser sind und sich mündlich kaum beteiligen. (6) Wie sollen sich diese dann beweisen? (7) Bei Gesprächen
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zwischen Eltern und Lehrern würde dann nicht auffallen, dass das Kind schon intelligent ist, aber zu schüchtern, um sich zu melden. (8) Wie sollen in späteren Berufen die schulischen Leistungen anerkannt werden, wenn das Zeugnis sich nicht durch alle Ziffernoten zusammensetzt? (9) Meiner Meinung nach ist das absurd, und nicht das Prüfen und Zensieren von erlernten Themen. (Klasse 11, L2, hoch)
Der Einstieg in den Text erfolgt in diesem Beispiel direkt im ersten Halbsatz mit der Nennung eines Gegenargumentes („Dass der Notendruck steigt, lässt sich nicht bezweifeln…“). Dieses Gegenargument wird anschließend durch den Gebrauch von aber entkräftet. Der Text wird also durch eine konzessive Struktur eingeleitet. Auch ein funktionaler Schlusssatz, der zudem auf den Anfang des Textes zurückverweist, ist vorhanden. Die Konklusion bleibt allerdings implizit, und es wird nicht deutlich, worauf das das in Satz (9) referiert: Kann es als „absurd“ bezeichnet werden, wenn es keine Zeugnisse mit Ziffern mehr gibt, oder wenn die Arbeitgeber deshalb Schwierigkeiten haben, die Leistungen der Bewerber einzuschätzen? Oder bezieht sich das das sich auf alle negativen Folgen der Notenabschaffung, die vorher in dem Text genannt wurden? In dem Text werden zudem rhetorische Fragen (Satz 2, 6, 8) eingesetzt, mit denen der Adressat direkt angesprochen und involviert wird. Diese werden in Klasse 11 in lediglich einem anderen Text verwendet. Überdies ist der Bezug zum Interview gelungen: Es wird zwei Mal direkt auf Waltraud Lucic bzw. Frau Lucic und ihre Äußerungen verwiesen, in Satz (5) sogar mit einem gewissen Zynismus („Wenn Frau Lucic schon pädagogisch denkt, sollte sie …“). Solche gelungenen expliziten Bezüge zum Interview und zu den dort genannten Argumenten, durch die ein gemeinsamer Wissens- und Argumentationsraum mit dem Leser hergestellt werden kann, kommen in den Texten aus Klasse 11 selten vor. Festzuhalten bleibt auch, dass durch den Schlusssatz noch einmal auf das in der Einleitung genannte Gegenargument Bezug genommen wird (der Notendruck kann nicht als „verrückt“ bezeichnet werden, „verrückt“ bzw. „absurd“ wäre vielmehr die Abschaffung von Noten). Die Argumentation wirkt durch diesen Rückverweis sehr stringent und gut geplant. In einem argumentativen Text mit persuasivem Charakter, durch den die Leser von einer bestimmten Haltung überzeugt werden sollen, erweist es sich als besonders wichtig, den Argumentationsgang abzuschließen und die einzelnen Argumente in einem Fazit zusammenzuführen. Dies setzt auf Seiten der Verfasser neben dem Bewusstsein über die Funktion und Wirkung eines solchen Fazits aber auch eine hohe Textplanungskompetenz voraus. Zudem müssen unter Umständen metakommunikative Verfahren beherrscht und eingesetzt werden, mit denen den Lesern am Ende explizit signalisiert wird, dass die kommunikative Handlung einen Abschluss findet.
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In dem Stufenmodell zum Argumentieren im Grundschulalter von Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl (2007) (s. Kapitel 4.4.2) ist ein Textabschluss in Form einer Konklusion und/oder eines Schlusssatzes ein zentrales Kriterium für die Einordnung in die vierte und höchste Entwicklungsstufe, „da dieses Angeben eines Fazits ein Phänomen der angestrebten Schriftlichkeit darstellt“ (Augst, Disselhoff, Henrich & Pohl 2007: 203). Mit Blick auf das vorliegende Korpus kann konstatiert werden, dass auch in der 11. Klasse noch häufig Texte vorkommen, die ganz ohne Fazit bleiben oder mit leeren Abschlusssätzen beendet werden. Bis auf eine Ausnahme benutzen die SchülerInnen für die Markierung der Textabschlüsse keine metakommunikativen Mittel, die dem Adressaten das Ende des Textes signalisieren. Lediglich in einem Text wird ein derartiger Ausdruck benutzt: Text 17 (Ausschnitt) Abschließend möchte ich als Schüler noch einmal sagen… (Klasse 11, L1, hoch)
Als nächstes soll untersucht werden, inwieweit sich beim schriftlichen Argumentieren ähnliche Tendenzen auch in den Texten aus Klasse 13 und bei den Studierenden nachweisen lassen.
7.4.3.2 Klasse 13 Vorkommen und Gebrauch konzessiver literaler Prozeduren: Im Hinblick auf die im vorangegangenen Abschnitt beschriebene konzessive Argumentationskompetenz und die dabei identifizierten vier Gruppen lässt sich für die 13. Klasse konstatieren, dass auch hier noch in ungefähr der Hälfte der Texte die Gegenposition und Gegenargumente zur eigenen Position keine Erwähnung finden (1. Textgruppe). Jedoch ist in qualitativer Hinsicht in den Texten, in denen konzessiv argumentiert wird, eine leichte Entwicklung erkennbar. Zunächst soll allerdings gezeigt werden, dass ein in formaler und/oder funktionaler Hinsicht unsicherer Gebrauch konzessiver literaler Prozeduren (2. und 3. Textgruppe) auch in den Texten aus Klasse 13 durchaus noch vorkommt, wie die nächsten zwei Beispiele zeigen: Text 33 (1) Ich finde, dass man die Noten nicht abschaffen sollte, weil man dadurch die Leistungen der Schüler sehen kann. (2) Man könnte vielleicht die Zwischenzeugnisse abschaffen, aber nicht die Endzeugnisse. (3) Doch die Chefin des Münchener Lehrerverbands hat einerseits Recht, weil die Schüler sich anstrengen bzw. lernen und es dann wieder vergessen. (4) Einige Schüler sind auch im Unterricht sehr gut, doch die Klausuren verhauen sie, was
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natürlich ärgerlich ist. (5) Man sollte vielleicht nur in den Abgangsjahren Zeugnisse geben damit die Schüler auch wissen in welchem Stand sie sind. […]. (Klasse 13, L2, niedrig)
In Satz (2) gelingt die Einräumung der Gegenposition (Zwischenzeugnisse abschaffen) durch das „man könnte vielleicht“ und die anschließende Markierung der eigenen Position (Endzeugnisse nicht abschaffen) mit aber gut. Der Gebrauch des adversativen Konnektors doch in Satz (3) führt allerdings dazu, dass der nächste Satz, der wiederum ein Gegenargument beinhaltet, nicht logisch an diese Argumentation anknüpft. Des Weiteren wird die durch das einerseits geweckte Leseerwartung nicht erfüllt, denn ohne dass das dazugehörige andererseits mit den entsprechenden Argumenten genannt wird, macht der Schüler/die Schülerin schon einen Kompromissvorschlag (Zeugnisse nur in den Abgangsklassen). Unsicherheiten beim konzessiven Argumentieren zeigen sich auch im nächsten Beispiel. Hier wird in Satz (1) zunächst mit Hilfe einer im Ansatz realisierten konzessiven literalen Prozedur fast eine Art Entschuldigung dafür angebracht, dass der Autor/die Autorin nicht mit der im Interview vertretenen Position übereinstimmt: Text 36 (1) Diese Begründung möchte ich nicht kritisieren, jedoch sollten die Noten nicht abgeschafft werden, denn diese braucht man für die berufliche Zukunft. (2) Aber ich befürworte die regelmäßigen „Vertrauensgespräche“, die als Ergänzung zum Zeugnis gelten würden. (3) Noten in Worten ist meiner Meinung nicht passend, denn es zeigt keine Möglichkeit, in welchem Fach und wie man sich verbessern sollte. (4) Denn ich finde z.B. eine 5 in Deutsch schockt mehr, als wenn der Lehrer sagt, der Schüler solle sich in Deutsch mehr Mühe geben. (5) Schließlich ist zu sagen, dass ich gegen die Abschaffung der Noten bin. (Klasse 13, L2, niedrig)
Auf welche „Begründung“ sich diese Aussage im ersten Satz genau bezieht, wird nicht erwähnt, so dass der Satz inhaltsleer bleibt. Der Text enthält zudem den einzigen leeren Abschlusssatz, der in den 24 Texten aus Klasse 13 vorkommt. Der Effekt eines abrupten Endes wird in diesem Beispiel durch den Einsatz einer Schlussformel („schließlich ist zu sagen…“) noch verstärkt. Anders als in den soeben erwähnten Beispielen lässt sich in anderen Texten jedoch ein eleganter und sicherer Einsatz konzessiver Strukturen aus unterschiedlichen Gruppen beobachten. Bei den ersten Beispielen handelt es sich um eine Prozedur aus Gruppe I (lexikalisches Mittel der Einräumung + adversatives Konnektiv) und zwei zwar-Konstruktionen (Gruppe II) (s. jeweils Tab. 5):
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Text 44 (Ausschnitt) Selbstverständlich sagen Noten nicht viel über den Charakter oder über die sozialen Kompetenzen des jeweiligen Schülers aus, jedoch kann man meiner Meinung nach diese Werte in einem einheitlichen System feststellen. (Klasse 13, L2, hoch) Text 34 (Ausschnitt) Zwar schaffen Noten einen gewissen Leistungsdruck, jedoch tun das andere Bewertungen auch. (Klasse 13, L2, niedrig) Text 26 (Ausschnitt) Zwar gibt es einen starken Leistungsdruck, doch mit der Notenabschaffung erreicht man nur eine Verschlechterung. (Klasse 13, L2, niedrig)
In den nächsten Beispielen werden zwar konzessive literale Prozeduren eingesetzt (Gruppe II, Tab. 5), durch die Verwendung der Partikel klar zur Einführung der Gegenbehauptung und Teile des übrigen sprachlichen Kontextes („an die Sache rangehen“) wirkt der Stil aber eher konzeptionell mündlich: Text 27 (Ausschnitt) Klar kann man auch pädagogisch an die Sache rangehen und den Schülern sagen, was sie falsch machen oder wie sie eingeschätzt werden, doch sollte deswegen nicht das Schulbenotungssystem darunter leiden. (Klasse 13, L1, niedrig) Text 45 (Ausschnitt) Klar muss das Kind ein gewisses Feedback bekommen, aber dies sollte nicht anhand von Noten passieren. (Klasse 13, L2, hoch)
Passend zu diesem mündlich geprägten Register endet Text 45 auch mit der Aussage: Text 45 (Ausschnitt) Desweiteren teile ich die Meinung von Waltraud Lucic, dass diese Art von Benotung die Kinder bzw. Jugendliche in Gewinner bzw. Verlierer einordnet, aber so is das Leben nun mal. (Klasse 13, L2, hoch)
In dem folgenden Ausschnitt aus Text 32 wird zunächst eine Aussage aus dem Interview referiert, der anschließend durch den adversativen Konnektor doch widersprochen wird. Die Einräumung im ersten Teil des Satzes ist zwar nicht explizit markiert, fügt man jedoch in Gedanken an geeigneter Stelle ein zwar hinzu (hier in eckigen Klammern), so erweist sich eine konzessive Lesart des Satzes als sehr wohl möglich (Gruppe IV, s. Tab. 5): Text 32 (Ausschnitt) In dem Interview wird [zwar] behauptet, dass Schüler durch die Abschaffung von Noten zur Selbständigkeit erzogen werden, doch dies geht nur durch Noten, nur durch regelmä-
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ßiges selbständiges Auffrischen kann man seine Schullaufbahn erfolgreich meistern. (Klasse 13, L2, niedrig)
In Klasse 13, wo 14 SchülerInnen die Kontra-Position, 9 SchülerInnen die ProPosition und ein/e Schüler/in eine neutrale Position einnehmen (s. Tab. 47), kommen in den Texten, in denen die im Interview vertretene Position geteilt wird (Pro-Position), tatsächlich keine konzessiven Strukturen vor. Eine Ausnahme bildet Text 45 (s.o.). Textpragmatische Differenzierung: Auch wenn in Hinblick auf den Gebrauch konzessiver Strukturen kein auffälliger Entwicklungsschritt erkennbar ist, so verfügen die Texte der SchülerInnen aus Klasse 13 im Vergleich zu den Texten aus Klasse 11 im Allgemeinen jedoch über einen besseren Aufbau. Wie schon erwähnt, kommen bis auf eine Ausnahme keine leeren Abschlusssätze mehr vor. Das Textende wird häufiger mit Hilfe von metakommunikativen sprachlichen Mitteln eingeleitet (z.B. „insgesamt bin ich dagegen …“, „alles in allem sollte man …“, „jedoch bleibt zu beachten …“, „zu guter Letzt ist es auch so …“). Ein deutlicher Unterschied ist auch bei den expliziten Bezugnahmen auf das Interview erkennbar: Anders als in Klasse 11 wird durchschnittlich in fast jedem zweiten Text ein expliziter Bezug hergestellt. Dies deutet auf ein Bewusstsein für die gemeinsamen Wissensbestände mit dem Leser und damit auf eine erhöhte Leserorientierung hin. Auch in Klasse 13 kommen allerdings Texte vor, denen es an Kohärenz und Leserorientierung mangelt: Text 35 (1) Die Notenabschaffung würde sich nur noch negativ auswirken. (2) Da es keine direkte Bewertung gibt. (3) Die Schüler werden nicht gefordert. (4) Das Schulleben erscheint für diese ziellos, da es auch keine Konkurrenz gibt. (5) Selbständigkeit wird ebenfalls benachteiligt, was für das zukünftige Berufsleben von großer Wichtigkeit ist. (6) Die Aussage, dass die Kinder lernen nur um in den Prüfungen gut abzuschneiden; (d.h. diese Kinder vergessen schnell, was sie gelernt haben) würd ich sagen stimmt nicht ganz. (7) Denn die Schüler meinen was gelernt bzw. verstanden haben, um im Unterricht gut mitzumachen. (8) Es heißt, dass bereits gelerntes eine Basis ist für etwas Neuem. (9) Gäbe es keine Bewertung oder Prüfungen, würde die Mehrheit der Schüler nichts tun und nur eine kleine Gruppe könnte sich schulisch gut qualifizieren. (Klasse 13, L2, niedrig)
Der Schüler/die Schülerin beginnt den Text mit einer hypothetischen Aussage darüber, was wäre, wenn die Noten abgeschafft würden. Allerdings wird der Konjunktiv II bzw. die Konjunktiversatzform nicht konsequent eingesetzt (Satz 2-5), so dass nicht ganz klar ist, ob diese negativen Folgen tatsächlich schon eingetreten sind („Die Schüler werden nicht gefordert.“). In Satz (5) misslingt
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außerdem der relativische Anschluss: Das was soll sich wohl auf die Selbständigkeit beziehen, die als wichtig für das spätere Berufsleben erachtet wird. Als Leser interpretiert man den mit was eingeleiteten Satz allerdings als weiterführenden Relativsatz, der sich auf die gesamte Aussage „Selbständigkeit wird ebenfalls benachteiligt“ bezieht. In Satz (6) wird auf eine Aussage aus dem Interview verwiesen, der Bezug bleibt aber implizit. Der Schüler/die Schülerin will diese Aussage aus dem Interview für die eigene Argumentation nutzen, geht dabei aber sehr zögerlich vor („die Aussage…. würd ich sagen stimmt nicht ganz“). Schließlich wird relativ abrupt ein Argument allgemeinerer Natur eingeführt, dessen Allgemeingültigkeit durch das es heißt, dass markiert wird („Es heißt, dass bereits Gelerntes eine Basis ist für etwas Neuem.“). Beim Lesen fällt es jedoch schwer, den Bezug zu der Aussage davor herzustellen. Auch der darauffolgende Schlusssatz (9) wirkt dadurch unvermittelt, obwohl der Versuch unternommen wird, eine Klammer herzustellen und nochmals auf den Eingangssatz und die Frage zurückzukommen, was passieren würde, wenn es keine Noten mehr gäbe. Insgesamt zeigt der Text, dass der Schüler/die Schülerin über ein Bewusstsein für Kriterien für einen guten argumentativen Text verfügt. Bei der Umsetzung, u.a. der Rahmung des Textes, treten allerdings noch sprachliche Unsicherheiten auf. Auf ähnliche Fälle aus Klasse 13 wird in Kapitel 7.5.1 eingegangen. Dort werden die Texte in Hinblick auf die Frage untersucht, wie funktional und leserfreundlich die in ihnen verwendeten komplexen syntaktischen Strukturen eingesetzt werden.
7.4.3.3 Studierende Vorkommen und Gebrauch konzessiver literaler Prozeduren: Die Analyse konzessiver literaler Prozeduren in den Texten der Studierenden zeigt, dass in 11 von 24 Texten die Gegenposition und/oder Gegenargumente keine Erwähnung finden (1. Textgruppe). Formulierungsbrüche in Form von unvollständigen Prozeduren (2. Textgruppe) oder „leere“ konzessive Strukturen (3. Textgruppe) kommen – anders als in den Klassen 11 und 13 – nicht mehr vor. Dies ist als ein Entwicklungsschritt hin zu einem sicheren Sprachgebrauch zu deuten. Außerdem kommen konzessive Strukturen auch in Texten vor, in denen die ProPosition vertreten wird. Das konzessive Argumentieren ist auch in den Texten der Studierenden nicht selbstverständlich. Es fällt jedoch auf, dass die Studierenden in ihren Texten gehäuft Einschränkungen formulieren. Wie bereits bekannt, wird beim konzessiven Argumentieren eine Einräumung gemacht, um diese dann durch eine Gegenbehauptung zu entkräften, die die Richtigkeit der eigenen Position
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unterstreicht. Bei der Verwendung von Einschränkungen werden stattdessen vorher genannte Argumente oder auch die eigene Position in ihrer Geltung in Frage gestellt: Text 50 (1) Meiner Meinung nach vertritt Frau Lucic eine lobenswerte Haltung, da durch ihre Denkansätze das deutsche Bildungssystem kritisch betrachtet wird. […] (2) Frau Lucic möchte ein Bewertungssystem erstellen, dass im Gespräch mit den Eltern aufzeigt, welche Stärken und Schwächen ein Kind hat. (3) Ich halte dies für eine hilfreiche Maßnahme, jedoch bin ich mir nicht sicher, ob es realisierbar ist, Halbjahresnoten abzuschaffen, da diese bisher wie ein Warnsystem wirken und vor dem Sitzenbleiben bewahren können. (Studierende/r, L1, niedrig).
Der/die Studierende/r unterstützt in Satz (1) zunächst die im Interview vertretene Position. Im Satz (3), dem letzten Satz des Textes wird noch einmal bekräftigt, dass die im Interview vorgeschlagenen Maßnahmen als sinnvoll erachtet werden („Ich halte dies für eine hilfreiche Maßnahme …“). Schließlich wird, eingeleitet durch das adversative jedoch, eine Einschränkung gemacht, mit der Zweifel an der vorher geäußerten Position zum Ausdruck gebracht werden („Jedoch bin ich mir nicht sicher …“). Ähnlich verhält es sich im nächsten Beispiel: Text 58 (1) Alle Noten abzuschaffen halte ich für übertrieben. (2) Dass durch Schulnoten ein Leistungsdruck entsteht, ist völlig normal. (3) Doch mit diesem Druck umzugehen bzw. zu lernen damit umzugehen – das ist die Kunst. (4) Schließlich sollen Kinder lernen zu bestimmten Zeitpunkten Leistungen zu erbringen, denn dies ist wichtig für die spätere Berufswelt. (5) Wenn man als Kind keinen Stresssituationen ausgesetzt wird, lernt man nie später diese zu händeln. (6) Trotzdem halte ich es für sinnvoll, regelmäßige Gespräche zwischen Lehrern und Eltern, jedoch in Anwesenheit der Kinder, zusätzlich zu den Zeugnissen einzuführen. (7) Denn somit erhalten Eltern einen besseren Einblick in das Schulleben des Kindes und dessen Leistungen. (8) Und wer die Meinung mit der Chefin des Münchener Lehrerverbandes teilt, Noten abgeschafft haben möchte und sich eine Pädagogik wünscht, die die Schüler durch Hilfe von Lernbegleitern zur Selbstständigkeit erzieht, dieser hat dann die Möglichkeit, sein Kind an einer Montessorischule anzumelden. (9) Denn Frau Lucics Vorstellungen einer reformierten Schulpädagogik entsprechen der bereits vorhandenen und praktizierten Montessoripädagogik. (Studierende/r, L2, niedrig)
Der Student/die Studentin lehnt den Vorschlag auf dem Interview, die Noten abzuschaffen, ab (Satz 1). Das Kernargument für diese Position lautet, dass der durch Schulnoten erzeugte Druck normal sei und die Kinder für ihr eigenes Wohl lernen müssten, mit diesem Druck umzugehen (Satz 2, 3, 4, 5). Dann erfolgt die Einschränkung: Die im Interview vorgeschlagenen Gespräche zwischen Lehrern und Eltern würden tatsächlich eine gute Ergänzung zu dem Notenzeugnis darstellen (Satz 7), weil sie den Eltern einen Einblick in die
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Leistungen ihres Kindes bieten (Satz 8). Diese Einschränkung wird mit Hilfe des konzessiven Konnektors trotzdem realisiert. Es folgen Empfehlungen für Eltern, die ihren Kindern einen Schulalltag ohne Noten ermöglichen möchten. Damit wird noch einmal die Position unterstrichen, dass die Noten an den Regelschulen nicht abgeschafft werden sollten. Diese Art von Einschränkungen zeigen, dass die Studierenden selbstbewusst mit ihrer Einstellung zu dem Thema Noten abschaffen umgehen. Dabei vermeiden sie es nicht, Zweifel an ihrer eigenen Position zu äußern und die Grenzen ihrer Argumentation aufzuzeigen. Dieses Selbstbewusstsein beruht auch auf einem sich in den Argumentationen manifestierenden größeren Weltwissen. In vielen Texten beziehen sich die Studierenden auf Forschungsergebnisse aus der Entwicklungspsychologie zur Notengebung in Grundschulen und auf die Tatsache, dass GrundschülerInnen noch kein Verständnis dafür haben, was Noten überhaupt sind oder ausdrücken. Laut den Ergebnissen von Steinhoff (2007) kann das syntaktische Muster zwar (oder anderes Verstärkungselement des Gegensatzes) + adversatives Konnektiv als typisch für das konzessive Argumentieren in wissenschaftlichen Texten gelten (vgl. Steinhoff 2007: 335). In den argumentativen Texten der Studierenden treten nur zwei Belege für dieses Muster auf. Das mag auch darauf zurückzuführen sein, dass es sich bei dem Leserbrief nicht um eine wissenschaftliche Textsorte handelt. Dafür lässt sich in den Texten der Studierenden jedoch eine neue Gruppe konzessiver Strukturen finden: Text 54 (Ausschnitt) Ich kann voll und ganz nachvollziehen, dass Eltern beklagen, dass ihre Kinder schon in der Grundschule einem enormen Notendruck ausgesetzt sind. Trotzdem zweifle ich daran, ob es wirklich sinnvoll wäre, das Notensystem abzuschaffen. In den vorgestellten Maßnahmen der Chefin des Münchner Lehrerverbandes sehe ich auch keine wirkliche Verbesserung für die Situation der Kinder. (Studierende/r, L1, niedrig)
In dieser Gruppe konzessiver Strukturen, die im Folgenden – als Ergänzung zu den vier Gruppen von Rezat (2011) (s. Tab. 5) – als Gruppe V bezeichnet werden soll, werden Einräumungen entweder gar nicht explizit oder – wie in dem Ausschnitt aus Text 54 – anhand lexikalischer Mittel markiert („Ich kann voll und ganz nachvollziehen …“). Für die Markierung der Gegenbehauptung wird dann ein eindeutig konzessiver Konnektor wie z.B. dennoch, nichtsdestotrotz oder trotzdem verwendet. Literale Prozeduren aus Gruppe V kommen in dem SchülerInnen-Korpus von Rezat (2011) nicht vor. Auch in dem vorliegenden Korpus
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benutzen die SchülerInnen – bis auf eine Ausnahme115 – diese konzessiven Sprachmittel nicht. Laut Rezat ist dieses syntaktische Muster allerdings typisch für das Argumentieren in den Texten von ExpertInnen (vgl. Rezat 2011: 53), womit in diesem Fall politische Reden gemeint sind (vgl. Rezat 2009: 475). In den Texten der Studierenden finden sich Belege in fünf Texten, von denen hier neben dem Beispiel oben zwei weitere wiedergegeben werden sollen: Text 66 (Ausschnitt) Für mich muss noch klarer werden, wie genau eine Alternative zu Zeugnissen und Noten aussehen kann. Dennoch bin ich ganz der Meinung, dass sich etwas an unserem Notensystem und dem frühen „Aussortieren“ ändern muss. (Studierende/r, L1, hoch) Text 70 (Ausschnitt) Ich stimme mit Waltraud Lucic in dem Punkt überein, dass ich finde, dass der Notendruck in der Schule enorm ist und die Lehrer/innen stärker als Lernbegleiter dienen sollten. Trotzdem halte ich die Notengebung und die Zeugnisse für wichtig, um den Wissensstand von Schülern abzufragen. (Studierende/r, L2, hoch)
Während die Einräumung in dem Ausschnitt aus Text 66 nicht explizit markiert wird, dient in Text 70 der Satz „Ich stimme mit Waltraud Lucic in dem Punkt überein“ als lexikalisches Mittel der Einräumung. Anschließend wird in beiden Textausschnitten die Gegenbehauptung durch einen konzessiven Konnektor eingeführt. Textpragmatische Differenzierung: Das wenn auch nicht häufige, so doch gelegentliche Vorkommen konzessiver Strukturen aus Gruppe V, die zudem als typisch für politische Reden gelten können, passt zu der Beobachtung, dass die Studierenden in ihren Texten auch insgesamt stark mit rhetorischen Strategien arbeiten. Sie zeigen ein gesteigertes Bewusstsein dafür, dass der Leserbrief sich an eine breite Öffentlichkeit wendet. Die Leserinvolvierung steigt im Vergleich zu den Texten der SchülerInnen erkennbar an. Dafür werden neben rhetorischen Fragen vor allem mit Ausrufezeichen markierte Ausrufe und Appelle eingesetzt: Text 49 (Ausschnitt) Des Weiteren wäre es sinnvoll, das Schulsystem auf den Kopf zu stellen und grundlegend zu verändern bzw. zu reformieren. Aber das traut sich ja keiner! (Studierende/r, L1, niedrig)
|| 115 Dabei handelt es sich um Text 24, der in Kapitel 7.5.2 aufgrund seiner auffälligen Lexik noch näher besprochen wird.
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Das Ausrufezeichen am Ende der Aussage „Aber das traut sich ja keiner!“ verleiht dieser einen besonderen Nachdruck und erzielt eine vorwurfsvolle Wirkung in Richtung des Lesers. Text 67 (Ausschnitt) In dem Interview wird vom Noten Abschaffen gesprochen, doch meiner Meinung nach ist eher die Gleichbehandlung aus verschiedenen Schichten kommender Kinder das wirkliche Problem. Noten sind nötig, um sich selbst als Schüler einschätzen zu können und gleichzeitig als Lehrer eine Aussage zu machen! Ohne Noten sinkt der Druck und somit der Ansporn und der Zwang, in der Schule etwas zu leisten! Wie soll ein Schüler sich anhand von Worten positionieren? Was passiert mit dem Leistungsniveau, wenn die Schüler keinen gewissen Druck haben? Sinkt es noch weiter, als es jetzt schon ist? (Studierende/r, L2, hoch)
In dem Ausschnitt aus Text 67 werden gleich mehrere eindringliche Ausrufe und rhetorische Frage eingesetzt, um den Leser von dem Nutzen der Benotung zu überzeugen. Auch die Anzahl der expliziten Bezüge zum Interview vergrößert sich in den Texten der Studierenden im Vergleich zu den SchülerInnen, sie kommen in 16 von 24 Texten vor. Die in dem Interview vertretene Position wird dabei explizit unterstützt oder abgelehnt, zudem werden Argumente aus der Textvorlage übernommen, um diese als Stützung für die eigene Argumentation zu nutzen oder sie zu entkräften. Dabei werden zur Herstellung der Bezüge unterschiedliche sprachliche Mittel benutzt: Text 51 (Ausschnitt) Ich bin ebenso der Meinung, dass der Notendruck in den Schulen stetig steigt. Die Kinder werden, wie auch Frau Lucic betont, in Gewinner oder Verlierer eingeteilt. (Studierende/r, L1, niedrig) Text 54 (Ausschnitt) In den vorgestellten Maßnahmen der Chefin des Münchner Lehrerverbandes sehe ich auch keine wirkliche Verbesserung für die Situation der Kinder. (Studierende/r, L1, niedrig) Text 57 (Ausschnitt) Ich stimme Frau Lucic in ihrer Aussage zu, Lehrer müssten „Lernbegleiter sein, nicht Aussortierer“. (Studierende/r, L2, niedrig) Text 63 (Ausschnitt) Lehrer sortieren, um mit Lucics Terminus zu sprechen, lediglich Schüler aus, die nicht genug Leistung bringen. (Studierende/r, L1, hoch)
Man erkennt, dass die Studierenden über Erfahrungen mit dem Schreiben von wissenschaftlichen Texten und Routinen in der Herstellung von Intertextualität
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verfügen. Wie die Beispiele zeigen, werden die entsprechenden sprachlichen Mittel sicher eingesetzt. In Bezug auf die Rahmung der Texte lässt sich feststellen, dass leere Schlusssätze, die in Klasse 11 noch häufig waren, in den Texten der Studierenden nicht mehr auftreten. Bis auf zwei Ausnahmen werden interessanterweise überhaupt keine lesersteuernden Mittel zur Ankündigung des Textabschlusses verwendet. Den meisten Studierenden gelingt es, ihren Text auch ohne ein explizites Signal zu beenden und zu einem überzeugenden Fazit zu gelangen.116
7.4.4 Argumentationskompetenz in den Sprachgruppen Die Untersuchung der schriftlichen Argumentationskompetenz innerhalb der Altersgruppen hat keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass die mehrsprachigen AutorInnen einer Altersgruppe nicht über dieselben sprachlichen Mittel für das konzessive Argumentieren verfügen wie die gleichaltrigen einsprachigen AutorInnen. Genau wie bei der Analyse der syntaktischen Komplexität zeigt sich auch für diesen Teil der Studie, dass der Faktor Mehrsprachigkeit keinen feststellbaren Einfluss auf die Schreibfähigkeiten der hier untersuchten Gruppe hat, wohl aber das Schreibalter. Die Texte aus Klasse 13 stellen hier eine Ausnahme dar: In den Texten der mehrsprachigen SchülerInnen werden in dieser Altersgruppe tendenziell mehr konzessive literale Prozeduren benutzt als in den Texten der Einsprachigen. Anders als vermutet kann für die mehrsprachigen SchülerInnen aus Klasse 13 im Bereich des schriftlichen konzessiven Argumentierens ein Vorteil gegenüber den einsprachigen SchülerInnen beobachtet werden. Da dieser Vorteil aber nur in den Texten aus Klasse 13 sichtbar ist, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um eine zufällige Beobachtung handelt. Bei der Betrachtung der Texte fielen bei einigen SchülerInnen und Studierenden lexikalische Formulierungsschwierigkeiten auf. Dabei scheint es eine gewisse Häufung dieser Formulierungsschwächen bei den Mehrsprachigen zu geben. Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, soll in Kapitel 7.5.2 näher untersucht werden.
|| 116 In zwei Texten (Text 65 und 67) werden die Texte mit einer für Briefe typischen Grußformel beendet. Am Ende eines weiteren Textes (Text 61) steht ein Danke, wie es für den Abschluss einer Rede oder eines Vortrags typisch ist. Anders als bei den sprachlichen Mitteln zur Leserorientierung und -steuerung handelt es sich dabei aber eher um einen illokutionären Akt, mit dem der Text tatsächlich beendet wird.
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7.4.5 Zusammenfassung Im vorangegangenen Kapitel wurden 72 argumentative Texte aus den Jahrgangsstufen 11 und 13 sowie von Studierenden in Hinblick auf den Gebrauch konzessiver literaler Prozeduren untersucht. Im Mittelpunkt standen die Fragen, inwiefern sich die konzessive Argumentationskompetenz mit steigendem Schreibalter verändert und ob sich im Hinblick auf diese Kompetenz Unterschiede zwischen den Texten der ein- und mehrsprachigen AutorInnen beobachten lassen. Zunächst kann festgehalten werden, dass es für alle Gruppen konzessiver literaler Prozeduren, die Rezat (2011, s. Kapitel 6.7) in den Texten der GymnasialschülerInnen der 8. und 9 Klasse identifiziert, auch in dem hier vorliegenden Korpus Belege gibt. Lediglich das syntaktische Muster der Gruppe III (monoseme konzessive Kodierung + Konjunktionaladverb, s. Tab. 5) taucht nur in einem einzigen Text auf. In den Texten der Studierenden taucht zudem eine weitere Gruppe konzessiver Sprachmittel auf, die hier Gruppe V genannt wurde. Das syntaktische Muster der Gruppe V ist typisch für Expertentexte und zeichnet sich dadurch aus, dass für die Realisierung der Gegenbehauptung ein eindeutig konzessiver Konnektor verwendet wird (vgl. Rezat 2011: 53). Die Analyse des Gebrauchs konzessiver Strukturen hat gezeigt, dass die deutlichsten Unterschiede zwischen den Altersgruppen erkennbar sind. Während in einigen Texten aus Klasse 11 noch ein in formaler und funktionaler Hinsicht unsicherer Gebrauch konzessiver literaler Prozeduren herrscht, nehmen diese Unsicherheiten in Klasse 13 ab und sind bei den Studierenden in dieser Form nicht mehr festzustellen. Von Klasse 11 bis zu den Studierenden ist außerdem eine deutliche Entwicklung im Bereich der textpragmatischen Differenzierung erkennbar. Die Studierenden profitieren von ihren Erfahrungen mit dem Schreiben von wissenschaftlichen Texte und ihrem wachsenden Weltwissen. Bei der Analyse der Texte wurde davon ausgegangen, dass konzessives Argumentieren ein Indikator für Schreibkompetenz ist. Diese Prämisse muss insofern eingeschränkt werden, als dass a) in allen drei Altersgruppen in ungefähr der Hälfte der Texte nicht konzessiv argumentiert wird und über die Altersgruppen hinweg die qualitative Entwicklung im Gebrauch konzessiver Sprachmittel deutlicher ist als die quantitative Entwicklung und b) in dem Korpus natürlich auch Texte ohne konzessive Strukturen existieren, die im Hinblick auf die sprachliche Realisierung und die Orientierung am Leser als durchaus gelungen gelten können. Das Nichtvorhandensein von Konzessionen scheint deshalb weder nur auf einen Mangel an konzessiven sprachlichen Mitteln noch auf eine nicht ausreichend entwickelte soziale Kognition zurückzuführen zu sein. Ent-
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sprechend der Forschungsergebnisse von Wolfe & Britt (2008) und Wolfe, Britt und Butler (2009) könnte ein weiterer Grund in der falschen Vorstellung des Argumentierenden liegen, dass in einem guten argumentativen Text ausschließlich die eigene Position gestützt werden sollte. Das würde heißen, dass im Schreibunterricht der Schule und in Schreibkursen an der Hochschule die Funktion von Gegenargumenten in einem argumentativen Text deutlicher vermittelt werden müsste. Schließich muss noch darauf hingewiesen werden, dass die Analyse – wie anfangs erwähnt – auf die Auswertung der an der sprachlichen Oberfläche erkennbaren konzessiven Sprachmittel begrenzt wurde. Eine Ermittlung impliziter konzessiver Argumentationsstrukturen, wie Rezat (2009, 2011) sie vorschlägt, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. „Für die Ermittlung von Kompetenzgraden konzessiven Argumentierens ergibt sich daraus, dass die Texte nicht ausschließlich oberflächenorientiert, d.h. anhand konzessiver literaler Prozeduren, ausgewertet werden können. Denn die Realisierung beider Bestandteile der Konzession (Einräumung und Gegenbehauptung) auch ohne explizite Markierung […] stellt eine wesentliche Komponente konzessiven Argumentierens dar. Vielmehr muss ein doppelter Zugang bei der Ermittlung von Kompetenzgraden angestrebt werden, bei dem ein oberflächenorientierter Zugang mit einem vom Text ausgehenden Rekonstruktionsverfahren zur Analyse von Konzessionen verbunden wird“ (Rezat 2011: 65).
Die Beherrschung der sprachlichen Mittel zur expliziten Markierung einer konzessiven Argumentation kann insofern nicht als alleiniger Indikator für konzessive Argumentationskompetenz gelten. Aufgrund ihrer Sprachgebundenheit erschien die Untersuchung literaler Prozeduren aber gerade bei der Untersuchung der Schreibkompetenz mehrsprachiger SchülerInnen und Studierender aufschlussreich. Hinweise darauf, dass die Beherrschung konzessiver literaler Prozeduren die mehrsprachigen VerfasserInnen vor größere Herausforderungen stellt als die einsprachigen VerfasserInnen, konnten im Rahmen dieser Untersuchung nicht gefunden werden.
7.5 Weitere Beobachtungen Da die syntaktische Komplexität den Hauptuntersuchungsgegenstand dieser Arbeit darstellt, soll auch dieser Aspekt in einer qualitativen Analyse eingehender betrachtet werden. Während der Analyse fielen in einigen Texten zudem lexikalische Unsicherheiten auf. Diese werden in Kapitel 7.5.2 näher untersucht.
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7.5.1 Syntaktische Auffälligkeiten In Kapitel 4.4.3.2 ist diskutiert worden, dass eine hohe syntaktische Komplexität zwar normalerweise mit einer hohen Orientierung am Leser einhergeht, aber auch dazu führen kann, dass Schwierigkeiten bei der Rezeption auftreten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die komplexen Strukturen noch nicht sicher beherrscht werden und es zu Konstruktionsbrüchen kommt. In der Mehrzahl der hier untersuchten Texte werden die komplexen syntaktischen Strukturen funktional eingesetzt. In Klasse 11 und 13 gibt es allerdings Fälle, in denen ein Satzgefüge so komplex ist, dass die Verarbeitung des Satzes mit einem hohen kognitiven Aufwand verbunden ist und u.U. das Verständnis des Satzes beeinträchtigt wird. Dies gilt sowohl für Texte aus dem unteren als auch aus dem oberen Quartil: Text 8 (Ausschnitt) Man sollte auch nicht alle Noten abschaffen, weil man schon diesen Notendruck braucht, damit man bessere Leistung zeigt, denn damit strebt man nach guten Noten und wenn es gar keine Noten geben würde, könnte es sein, dass viele die Schule nicht ernst nehmen würden. (Klasse 11, L2, niedrig) Text 19 (Ausschnitt) Ohne Abfragung von Themen die sie erarbeitet haben und somit ohne Zensuren gibt es überhaupt gar keinen Leistungsdruck und dadurch hätten die Schüler kein Gefühl mehr dafür, wie sehr, oder ob überhaupt sie sich noch anstrengen müssen. (Klasse 11, L2, hoch)
Im folgenden Beispiel geht die Überkomplexität des Satzgefüges zudem mit lexikalischen Unsicherheiten einher: Text 20 (1) Ich persönlich finde, dass Frau Waltraud Lucic, Vorsitzende des Münchner Bezirksverbandes, aus meiner Ansicht nach falsch liegt, denn Schüler und Schülerinnen, die schlecht in der Schule sind, haben mehr Vorteile als Schüler und Schülerinnen, die gut in der Schule sind, denn schwachen und faulen SchülerInnen wird eine neue Chance gegeben sich zu verbessern. […] (2) Jedoch muss es so sein, dass im Zwischenzeugnis jeder seine schriftliche Arbeit angucken kann um sich zu bessern, denn der Zwischenstand sorgt für den schwachen sowohl auch für den starken SchülerInnen als eine Art von „Berichtigungsblatt“// „Besichtigungsblatt“ in dem die SchülerInnen versuchen immer weiter sich zu verbessern, bis sie sich gute Zensuren leisten. […] (Klasse 11, L2, hoch)
Die Formulierung „aus meiner Ansicht nach“ in Satz (1) ist redundant, da zu Beginn schon der Ausdruck „ich persönlich finde“ verwendet wurde, um die Äußerung der eigenen Meinung einzuleiten. Außerdem stellt aus meiner Ansicht nach eine Vermischung der beiden festen Wendungen aus meiner Sicht und
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meiner Meinung nach dar. In dem Satz „der Zwischenstand sorgt als eine Art von …“ ist die Präposition von überflüssig und das Verb falsch gewählt worden, es müsste dient als eine Art… heißen. Auch der Ausdruck „sich gute Zensuren leisten“ ist ungewöhnlich. Die Kombination aus zu langen Sätzen und lexikalischen Formulierungsschwächen führt dazu, dass der Text nur eingeschränkt verständlich ist.117 Im nächsten Beispiel (Text 26) führt die Komplexität des Satzgefüges zu einer verunglückten Satzkonstruktion. In dem ersten Nebensatz werden zwei subordinierende Konjunktionen (dass und wenn) nacheinander verwendet, aber nur ein finites Verb (muss) benutzt: Text 26 (Ausschnitt) Tatsache ist, dass wenn zukünftige Arbeitgeber immer eine gute Übersicht erhalten muss, auch um die Zeugnisse, sprich die Noten, mit anderen vergleichen zu können, ansonsten müssten sich diese Arbeitgeber sich den am schönsten formulierten Text raussuchen, wo womöglich Schwächen verloren gegangen sind und nur drinne steht worin man gut ist. (Klasse 13, L1, niedrig)
Auch wird nicht deutlich genug, auf welchen Ausdruck sich der relativische Anschluss mit wo bezieht. In Anlehnung an Maas (2008) können die Strukturen in diesen Texten als hyperliterat bezeichnet werden. Maas führt die Neigung zur Produktion hyperliteraten Strukturen, insbesondere bei Lernern einer Zweitsprache, auf eine mangelnde Vertrautheit mit dem geforderten Register zurück. „In der Zweitsprache können demgegenüber [gegenüber der Erstsprache, I.P.] die sprachbiographischen Erfahrungen eingeschränkt sein: Sie können auf das informelle Register beschränkt bleiben, entsprechend den darin nur interaktiv/kommunikativ genutzten Verkehrsformen, sie können aber auch auf das förmliche, schriftsprachliche Register beschränkt sein, wenn sie z.B. Schulsprachen bleiben. Wenn dann dennoch in der Zweitsprache Registergrenzen überschritten werden müssen, kommt es in solchen Fällen zu unkontrollierten Transfers – die von Lehrern an ihren Migrantenschülern gern monierten unangemessenen Elemente ‚salopper Umgangssprache‘, aber auch wie bei Mascha [eine Probandin von Maas, I.P.] die ‚hyperliterate‘ Artikulation auch ihres deutschen mündlichen Textes […]“ (Maas 2008: 515).
Obwohl drei der soeben aufgeführten vier Beispiele aus Texten von mehrsprachigen SchülerInnen stammen, kann man nicht von einer Häufung dieses Phänomens in den Texten der mehrsprachigen AutorInnen sprechen. Dagegen spricht auch die Tatsache, dass sich solche überkomplexen Satzgefüge in den
|| 117 Text 20 wird in Kapitel 7.5.2 im Hinblick auf weitere lexikalische Besonderheiten analysiert.
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Texten der Studierenden nicht mehr beobachten lassen, weder in der Gruppe der Einsprachigen noch der Mehrsprachigen. Die quantitative Auswertung der Texte hatte ergeben, dass in den Texten der hier untersuchten Altersgruppen nicht die Komplexität auf Satzebene, sondern die Verwendung komplexer Nominalphrasen ein entwicklungssensitives Phänomen ist (s. Kapitel 7.3.6). Deshalb erscheint es an dieser Stelle interessant, die Form und die Funktionalität der verwendeten komplexen Nominalphrasen etwas näher in Augenschein zu nehmen. Die Analyse der syntaktischen Komplexität der Texte hat bereits gezeigt, dass der Gebrauch von Adjektiv-, Genitiv- und Präpositionalattributen sowie Attributsätzen mit dem Schreibalter zunimmt. Bei der Betrachtung der Texte im Rahmen dieses Kapitels ist überdies erkennbar, dass diese Zunahme auch durch den Anstieg von Mehrfacherweiterungen zustande kommt (s. Kapitel 6.6.1.2). Wie zu erwarten bestehen dabei Unterschiede zwischen den Texten aus dem unteren und dem oberen Quartil. In den 12 Texten des unteren Quartils der 11. Klasse kommt nur in drei Texten jeweils eine komplexe Nominalphrase mit Mehrfachattribuierung vor. Zwei dieser Nominalphrasen sind zudem leicht abgewandelt aus dem zur Schreibaufgabe gehörenden Interviewtext (s. Anhang A1) übernommen (regelmäßige Gespräche zwischen Eltern und Lehrern). Demgegenüber enthalten die Texte aus dem oberen Quartil erwartungsgemäß mehr komplexe Nominalphrasen mit Mehrfacherweiterungen. Dabei handelt es sich meistens um eine Nominalphrase mit Präpositionalattribut, in der der substantivische Kern der Nominalphrase, das Substantiv der Präpositionalphrase oder beide Substantive durch ein Adjektivattribut erweitert sind: Text 18 (Ausschnitt) Der zu hohe Notendruck in jungem Alter kann Folgen haben. (Klasse 11, L1, hoch)
Konstruktionen, in denen das Kernnomen durch zwei (oder mehr) nominale Attribute erweitert ist (endozentrische Konstruktionen oder gleichstufige Attribute, s. Kapitel 6.6.1.2), kommen in Klasse 11 so gut wie gar nicht vor oder werden noch unsicher verwendet. Das zeigt das folgende, hinsichtlich der Kommasetzung unkorrigierte Beispiel: Text 15 (Ausschnitt) Noten dienen als Feedback, einer Leistung, für Schüler, und informieren die Erziehungsberechtigten regelmäßig über die derzeitige Leistung, die ihr Kind in der Schule vollbringt. (Klasse 11, L1, hoch)
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Die Setzung eines Kommas nach jeder Nominalphrase wirkt so, als hätte der Schüler/die Schülerin die komplexe Nominalphrase noch nicht als zusammenhängende syntaktische Struktur erkannt. Sie wird durch die Kommata in – auch für den Rezipienten – leichter zu verarbeitende Einheiten zerlegt. Zudem ist die Erweiterung des Nomens „Feedback“ durch ein Genitivattribut („Feedback einer Leistung“) unpassend, hier wäre der Anschluss durch eine Präposition (Feedback zu einer Leistung) angemessener gewesen. Diese Unsicherheit ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass Feedback ein Fremdwort und darüber hinaus nicht sehr frequent ist. Die Präpositionalphrase „für Schüler“ ist durch die Stellung am Ende bzw. hinter der Nominalphrase ambig und somit weder eindeutig als Präpositionalattribut zu Feedback noch als adverbiale Bestimmung zu parsen. Auch in zwei Texten aus der 13. Klasse ist eine auffällige Kommasetzung im Umgang mit mehrfacherweiterten Nominalphrasen erkennbar: Text 44 (Ausschnitt) Eine Lösung des, durch den Artikel aufgezeigten, Problems wäre eine ergänzende Einschätzung der Lehrer über z.B. die sozialen Kompetenzen des Schülers, welche in schriftlicher Form erfolgt. (Klasse 13, L2, hoch)
In dem ersten Teilsatz aus Text 44 liegt eine Nominalphrase mit Genitivattribut vor. Das Genitivattribut ist wiederum durch ein komplexes adjektivisches Attribut (bzw. Partizipialattribut) („durch den Artikel aufgezeigten Problems“) erweitert. Der Schüler/die Schülerin zeigt mit der Setzung von Kommata vor und nach dem komplexen Adjektivattribut, dass er/sie ein Bewusstsein über die syntaktischen Grenzen innerhalb der Phrase hat. Auch hier dienen die Kommata u.U. der Vereinfachung der Verarbeitung. Durch die Dehnung von Determinativ und Nomen innerhalb der Nominalphrase gilt die Prozessierung einer solchen Linkserweiterung als besonders aufwändig (s. Kapitel 4.4.3.5). Es ist zu vermuten, dass komplexe adjektivische Attribute auch aus diesem Grund in dem Gesamtkorpus dieser Untersuchung kaum vorkommen (s. Kapitel 7.3.4.1). Im zweiten Teil des Satzes verwendet der Schüler/die Schülerin eine komplexe Nominalphrase mit drei nominalen Attributen („eine ergänzende Einschätzung der Lehrer über z.B. die sozialen Kompetenzen des Schülers“) und zeigt damit eine überdurchschnittlich hohe syntaktische Kompetenz. Denn wie das nächste Beispiel deutlich macht, können die vielfältigen semantischen und syntaktischen Relationen innerhalb einer komplexen Nominalphrase auch in Klasse 13 noch eine besondere Herausforderung darstellen. In dem Beispiel aus
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Text 48118 kommt erschwerend hinzu, dass eine der Nominalphrasen gleichzeitig Subjektsprädikativ ist: Text 48 (Ausschnitt) Ich denke auch, dass die traditionelle Benotung, ein Ziel der Aussortierung ist. (Klasse 13, L2, hoch)
Die Bedeutung des Satzes lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Ich denke auch, dass das Ziel der traditionellen Benotung das Aussortieren [von SchülerInnen] ist. Der Schüler/die Schülerin scheint bei der Produktion dieses Satzes jedoch durch die komplexen Beziehungen der drei Substantive Benotung, Ziel und Aussortierung überfordert gewesen zu sein, so dass er/sie falsche Bezüge innerhalb der Nominalphrase („*ein Ziel der Aussortierung“) und zwischen den Nominalphrasen hergestellt hat. Der nächste Beispieltext zeigt, wie die angestrebte Komplexität auf Ebene der Nominalphrase zu Ungenauigkeiten und Dekodierungsproblemen führen und das Verständnis des gesamten Textes beeinträchtigen kann: Text 40 (1) Noten sind ein wichtiger Aspekt, was die Beurteilung der Leistung von Schülern betrifft. (2) Noten verschaffen meiner Meinung nach eine geordnete Struktur im Bewertungs- sowie Aussagekriterium eines Schülers bzw. dessen erbrachte Leistung innerhalb eines geordneten Lehrplanes. (3) Andere Bewertungssysteme wie z.B. das Verfassen eines Lehrberichts des Schülers vom Lehrer führen in häufigen Fällen oft zu Missverständnissen, Ungenauigkeit und verfälschter Aussage, weil daraus nicht immer abgeleitet werden kann, ob es sich um eine „sehr gute“, oder eher eine „gute“ bis „befriedigende“ Leistung handelt. (Klasse 13, L1, hoch)
Im ersten Satz gelingt die Mehrfacherweiterung der Nominalphrase („die Beurteilung der Leistung von Schülern“). Die in Satz (2) intendierte Aussage und die Bedeutung der Nominalphrase „eine geordnete Struktur im Bewertungs- sowie Aussagekriterium eines Schülers bzw. dessen erbrachte Leistung innerhalb eines geordneten Lehrplanes“ ist jedoch nur ansatzweise nachvollziehbar. Auch in der Nominalphrase „das Verfassen eines Lehrberichts des Schülers vom Lehrer“ stimmen die Bezüge nicht. Durch eine Umformulierung der Nominalphrase werden die semantischen Beziehungen der Substantive zueinander zwar deutlicher (das Verfassen eines Lernberichts über den Schüler durch den Lehrer), dennoch wirkt auch die umformulierte Version sehr umständlich und behäbig. Ähnlich wie die überkomplexen Satzgefüge, die am Anfang des Kapi|| Der gesamte Text 48 wird in Kapitel 7.5.2 noch in Hinblick auf lexikalische Besonderheiten analysiert. 118
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tels besprochen wurden, kann auch der Gebrauch dieser überkomplexen Nominalphrasen als hyperliterat bezeichnet werden. Der Schüler/die Schülerin scheint den Gebrauch von Nominalphrasen mit mehreren Nominalattributen für erstrebenswert zu halten, ist mit der Produktion dieser Strukturen aber noch überfordert. Trotz der Beispiele, in denen sich noch Unsicherheiten bei der Produktion von (mehrfach) komplexen Nominalphrasen zeigen, lässt sich in vielen Texten aus der 13. Klasse dennoch ein sehr souveräner Gebrauch von komplexen Nominalphrasen erkennen. In den 12 Texten des unteren Quartils kommen zwar insgesamt nur zwei Texte mit einer und ein Text mit zwei mehrfach komplexen Nominalphrasen vor. Im oberen Quartil verfügt jedoch ungefähr die Hälfte der 12 Texte über eine mehrfach komplexe Nominalphrase, die andere Hälfte über drei bis vier Mehrfachattribuierungen. Das folgende Beispiel kann exemplarisch für die Texte stehen, in denen die Nominalphrasen funktionaler Bestandteil einer differenzierten und kohärenten Argumentation sind (alle komplexen Nominalphrasen sind durch Kursivsetzung hervorgehoben): Text 37 (1) Das von ihnen dargestellte Problem zur Leistungsbewertung in den Schulen, sehe ich persönlich genauso. (2) Die Ziffern, die am Ende eines Schuljahres auf einem „Blatt“ stehen, sagen viel zu wenig über die geleistete Arbeit aus. (3) Am meisten betrifft dieses Problem die Schüler der Oberstufe. (4) Dort setzt sich die Halbjahresnote aus zwei schriftlichen Klausuren und der mündlichen Beteiligung zusammen. (5) Sollte es vorkommen, dass eine der beiden Klausuren schlecht ausfällt, wirkt sich dies dramatisch auf die Halbjahresnote in diesem Fach aus. (6) Deswegen sollte das sogenannte „Zeugnis“ die gesamte Leistung eines Schülers, differenzierter und individueller ausdrücken und nicht nur aus z.B. drei Faktoren bestehen. (7) Ebenfalls bin ich der Meinung, dass die Benotung in Grundschulen völlig sinnlos ist. (8) Diese Schüler haben in diesem Stadium des schulischen Werdegangs, noch nicht die nötige Erfahrung, um aus dieser Art der Benotung einen Nutzen zu gewinnen. (9) Sie sollten lieber durch Gespräche auf gewisse Leistungslücken hingewiesen werden. (Klasse 13, L1, hoch)
In formaler Hinsicht ist hier lediglich anzumerken, dass in der Nominalphrase in Satz (1) anstatt eines Präpositionalattributs („*das … Problem zur Leistungsbewertung“) ein Genitivattribut (das … Problem der Leistungsbewertung) korrekt gewesen wäre. Hier zeigt sich noch einmal, dass die Mehrfacherweiterung einer Nominalphrase durch mehrere Nominalattribute auch in Klasse 13 noch eine Herausforderung darstellt. In den Texten des unteren Quartils aus Klasse 13 kommen komplexe Nominalphrasen mit mehr als einem nominalen Attribut gar nicht vor, in den Texten des oberen Quartils finden sich neben den hier besprochenen problematischen Beispielen noch fünf weitere Belege, von denen drei in leicht veränderter Form
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aus dem Interview (s. Anhang A1) entnommen sind, das mit dem Titel Interview mit der Chefin des Münchener Lehrerverbandes überschrieben ist: Text 43 (Ausschnitt) Der Vorschlag der Chefin des Münchener Lehrerverbandes jedoch unterstützt die Schüler bei der Bewältigung ihrer Fehler…. (Klasse 13, L2, hoch)
Bei den Studierenden schließlich finden sich auch in den Texten aus dem unteren Quartil schon viele komplexe Nominalphrasen mit mehreren, auch nominalen Attributen. Diese nehmen im oberen Quartil noch zu. Dabei handelt es sich überwiegend um endozentrische Konstruktionen. Zum einen werden mehrere Genitivattribute verwendet: Text 59 (Ausschnitt) Hierbei stimme ich der Chefin des Münchner Lehrerverbandes zu und denke, dass sowohl die Leistung als auch die Stärkung des Selbstbewusstseins und der sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler bewertet bzw. berücksichtigt werden sollten! (Studierende/r, L2, niedrig) Text 61 (Ausschnitt) Gerade im Bereich der Grundschule ist das Ziffernnotensystem Instrument sozialer Selektion, basierend auf der ungerechten Zielsetzung des dreigliedrigen Schulsystems der BRD; […] (Studierende/r, L1, hoch)
In Text 72 unterläuft dem/der Studierenden, evtl. ausgelöst durch die Länge der Nominalphrase, ein Kongruenzfehler: Text 72 (Ausschnitt) Die Entwicklung der sozialen Kompetenzen des Schülers werden vernachlässigt und das Selbstbewusstsein durch das Vergeben von schlechten Noten verletzt. (Studierende/r, L2, hoch)
Zum anderen lassen sich aber auch die Einbettung von Genitivattributen in Präpositionalattribute (Text 58) und die Einbettung von Präpositionalattributen in Präpositionalattribute (Text 62) nachweisen: Text 58 (Ausschnitt) Denn somit erhalten die Eltern einen besseren Einblick in das Schulleben des Kindes und dessen Leistungen. (Studierende/r, L2, niedrig) Text 62 (Ausschnitt) Als angehende Pädagogin beschäftige ich mich intensiver mit dem Thema Schule und der Vergabe von Noten zur Leistungsüberpüfung/zum Leistungsvergleich und Selektion. (Studierende/r, L1, hoch)
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Im gesamten kleinen L-Korpus lassen sich nur zwei Belege für Gleichordnungen finden: Text 64 (Ausschnitt) In keinem anderen Land ist die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft so eklatant wie in Deutschland. (Studierende/r, L1, hoch) Text 72 (Ausschnitt) Zu diesem können Vertrauensgespräche zwischen Lehrern und Schülern/Eltern hilfreich sein, um die Stärken des Kindes wahrzunehmen und die Selbstständigkeit des Kindes in diesen Bereichen zu fördern. (Studierende/r, L2, hoch)
Das seltene Vorkommen von gleichgeordneten Attributen kann darauf zurückzuführen sein, dass das Präpositionalattribut das Genitivattribut zwar „überbrücken“ kann, das Bezugsnomen dadurch aber relativ weit vom Präpositionalattribut entfernt steht und die Konstruktion schwieriger zu verarbeiten ist. Schließlich fällt auf, dass in komplexen Nominalphrasen mit Präpositionalattributen z.T. die falsche Präposition gewählt wird. Text 67 (Ausschnitt) Denn bis heute wird eine Elite bevorzugt und unterstützt. Und Noten hergeleitet mit Einbeziehung des Hintergrundes von Schülern. (Studierende/r, L2, hoch) Text 69 (Ausschnitt) Durch die Notenvergabe bekommen die SchülerInnen und Schüler einen Einblick auf ihren Leistungsstand und können somit gegebenenfalls eine Verbesserung vornehmen. (Studierende/r, L2, hoch)
Anstelle von „*mit Einbeziehung“ müsste es unter Einbeziehung heißen (Text 67). In dem zweiten Beispiel (Text 69) regiert das Substantiv Einblick die Präposition in und nicht auf. Allerdings muss eingeräumt werden, dass diese Konstruktionsfehler das Verständnis der betreffenden Texte und Sätze nur geringfügig einschränken. Weitere lexikalische Auffälligkeiten werden im nächsten Abschnitt besprochen.
7.5.2 Lexikalische Auffälligkeiten Bei der Analyse der Texte fallen lexikalische Unsicherheiten auf. Diese treten in allen Altersstufen und sowohl bei den Einsprachigen als auch bei den Mehrsprachigen auf. Allerdings ist eine gewisse Häufung dieser Abweichungen bei den Mehrsprachigen zu beachten.
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Zur Illustration möchte ich zu Beginn den Text eines 16-jährigen, mehrsprachigen Schülers aus der 11. Klasse näher erläutern. Der Schüler ist in Deutschland geboren und gibt Arabisch und Türkisch als seine beiden Erstsprachen an. Seine Eltern sind in der Türkei geboren. Mit seiner Mutter spricht er Arabisch, mit seinem Vater Arabisch und Deutsch. Türkisch spricht er weder mit seinen Familienmitgliedern noch mit seinen Freunden. Text 24 (1) Meiner Meinung nach zu urteilen muss man das Notensystem beibehalten. (2) Der Vorschlag von einer neuen Benotungstechnik ist nachvollziehbar, dennoch muss man bedenken, dass man ohne Leistungsdruck den Schülern auch ein nötiges Warnsignal ausstummt. (3) Dies wäre kritisch für die faulen sowie von Grund aus asozial eingestellten Schüler, also für Schüler mit einem korrigierbarem Defizit. (4) Diesen sollte man einen gewissen Druck vorgeben. (5) Außerdem ist das zukünftige Berufsleben eines Schülers mit Stress und Druck geprägt, also sollte man die Junioren darauf vorbereiten. (6) Ich appelliere an den Sozialpädagogen der Schulen damit sie den Jugendlichen bei schulischen sowie sozialen Problemen eine Hand reichen können. (7) Man sollte den Schülern auch eine Portion Selbstvertrauen verabreichen damit sie sich in einer gewissen Art überschätzen und ein Teil der Forderungen erfüllen, was auch einen Fortschritt aufzeigen kann. (8) Dieser Trick ist aber sehr aufwendig, also sind Diskussionen nicht nur erwünscht sondern erforderlich. (Klasse 11, L2, hoch)
Zunächst sollen die Qualitäten des Textes Erwähnung finden: Er enthält eine klare Meinungsäußerung am Anfang (1) und einen abschließenden Satz (8), in dem eine Art Ausblick angedeutet wird und die LeserInnen dazu angeregt werden, auch weiterhin über dieses Thema zu diskutieren. In Satz (2) ist zudem eine konzessive Argumentation erkennbar, für die ein lexikalisches Mittel der Einräumung („… ist nachvollziehbar“) und der konzessive Konnektor dennoch genutzt wird (Gruppe V). Der Text hat einen ausgeprägten Appellcharakter, erkennbar an dem häufigen Gebrauch der Verben müssen und sollen (im Konjunktiv II) und an der Verwendung des illukutionären Verbs appellieren. Der Text gehört zu der Gruppe mit hoher syntaktischer Komplexität. Dementsprechend weist er auch viele komplexe Nominalphrasen, sogar mit Mehrfachattribuierung („der Vorschlag von einer neuen Benotungstechnik“, „Schüler mit einem korrigierbaren Defizit“, „das zukünftige Berufsleben eines Schülers“) auf. Auf lexikalischer Ebene fallen jedoch die vielen ungewöhnlichen Formulierungen auf: Gleich zu Beginn werden die Ausdrücke meiner Meinung nach und nach zu urteilen unzulässigerweise zu dem Ausdruck „meiner Meinung nach zu urteilen“ zusammen gefügt. Dabei hätte meiner Meinung nach allein der Kommunikationsintention Meinung ausdrücken entsprochen. Das Verb ausstummen in Satz (2) existiert nicht, mit Hilfe des Kontexts lässt sich jedoch in etwa folgende Bedeutung rekonstruieren: Würde man die Noten
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und den damit einhergehenden Leistungsdruck abschaffen, so würde man den SchülerInnen ein wichtiges Warnsignal in Hinblick auf ihre Leistungen vorenthalten, ein Warnsignal verstummen lassen. In (5) wurde die Präposition zu der Konstruktion geprägt sein (von/durch) falsch gewählt („*geprägt sein mit“), ebenso in (3), wo es von Grund auf anstelle von „*von Grund aus“ heißen müsste. In (6) scheint es so, als hätte der Schüler die feste Wendung119 jmd. eine helfende Hand reichen und jmd. (bei etwas) zur Hand gehen fusioniert („Ich appelliere an den Sozialpädagogen der Schulen damit sie den Jugendlichen bei schulischen sowie sozialen Problemen eine Hand reichen können.“). Außerdem wäre für das Verb appellieren anstelle des finalen Konnektors damit ein Anschluss mit einem Infinitivsatz (Ich appelliere an …, den Jugendlichen eine helfende Hand zu reichen ….) passender gewesen. Schließlich werden in den letzten zwei Sätzen auch wieder eine Reihe fester Wendungen benutzt („eine Portion Selbstvertrauen verabreichen“, „Forderungen erfüllen“, „einen Fortschritt aufzeigen“, „nicht nur erwünscht, sondern erforderlich“), deren Semantik aber sehr unscharf bleibt: Welche Forderungen sollen die Schüler erfüllen? Worin genau besteht der „Trick“? Hier zeigt sich, dass bei unsicherer Beherrschung feste Wendungen, die eigentlich eine „formulierungserleichternde“ Funktion haben, zu inhaltlichen Verkürzungen führen und eine differenzierte Argumentation verhindern können (vgl. Margewitsch 2005: 188, 192). Insgesamt muss für das vorliegende Beispiel konstatiert werden, dass der Schüler zwar einen eindringlichen Text verfasst und sprachliche Kreativität bewiesen hat, die Formulierungsschwächen auf der lexikalischen Ebene jedoch das Verständnis des Textes beeinträchtigen. Auch in dem nächsten Beispiel, dem Text einer 16-jährigen Schülerin mit Erstsprache Urdu, sind solche Formulierungsschwierigkeiten erkennbar. Die Schülerin ist in Deutschland geboren und spricht zu Hause Urdu und Deutsch. Text 20 (Ausschnitt) […] (1) Mir persönlich als Elternteil würde ein mündliches Gespräch mit den Lehrer nicht reichen, denn oft haben die Jugendlichen das Gefühl, dass Eltern lockerer mit den Kind umgehen anstatt Firmen mit Ausbildenden. (2) Demnach finde ich, dass es für jedes Kind wichtig ist, der seinen Job macht, gute schriftliche Leistungen in der Bewerbung zu schicken. (3) Ein zusätzliches Lehrergespräch mit den Eltern und mit einen Zwischenzeugnis gehört sich absolut hin. (4) Ich hoffe, dass Vorsitzende nie wieder auf unnötigen Ideen kommen, genauso wie Deutschland bald die Oberschulen eröffnen möchte, wo sowieso
|| 119 Mit Margewitsch (2005) verstehe ich unter dem Begriff feste Wendung „sowohl semantisch feste Wendungen (Phraseologismen im engeren Sinne) als auch durch den Gebrauch verfestigte Wendungen (Routineformeln) und Kollokationen“ (Margewitsch 2005: 186).
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niemand damit klar kommen wird. (5) Ich hoffe, ich habe mich sehr deutlich zum Thema ausgedrückt. (6) Liebe Grüße (Klasse 11, L2, hoch)
In (1) hat die Schülerin anstelle der Präposition als die Präposition „anstatt“ gewählt. Sie spricht überdies von „*Ausbildenden“, wo Auszubildende gemeint sind. Zudem fallen die Ausdrücke „*gute schriftliche Leistungen in der Bewerbung schicken“ (2) und „*sich absolut hingehören“ auf. Im ersten Fall erscheinen die schriftlichen Leistungen semantisch unverträglich mit dem Verb schicken. Der zweite Fall stellt eine Wortneuschöpfung dar: Das Verb „sich hingehören“ existiert nicht. Vielleicht wollte die Schülerin eigentlich zum Ausdruck bringen, dass ein Lehrergespräch und ein Zwischenzeugnis „absolut“ angebracht sind, sich gehören. Darüber hinaus ist in (4) mit dem Nebensatz „wo sowieso niemand damit klar kommen wird“ eine Registerverschiebung nach unten zu einem eher mündlich markierten Sprachgebrauch zu beobachten. Der Abschluss des Textes erzielt durch die Kombination aus dem fast drohenden Satz (5) („Ich hoffe, ich habe mich sehr deutlich zu dem Thema ausgedrückt.“) und der für einen Leserbrief unpassenden Grußformel „Liebe Grüße“ (6) eine ungewollt komische Wirkung. In der 11. Klasse finden sich einige weitere Beispiele für derartige Formulierungsschwächen: Text 18 (Ausschnitt) Ich finde die Idee von Frau Lucic im allgemeinen gut, jedoch sollte es immer noch ein Bewertungssystem für die Schüler geben, um daran hochzuziehen und zu motivieren. (Klasse 11, L1, hoch) Text 10 (Ausschnitt) Außerdem stellt sich die Frage, was der Schüler letzten Endes am Ende des Schuljahres bekommt, wenn kein Zeugnis oder Noten. Ein pädagogischer Brief wäre nicht aussagekräftig genug um über die Leistung zu bestimmen. (Klasse 11, L2, niedrig) Text 11 (Ausschnitt) Die Aussagen und Behauptungen mögen vielleicht sogar richtig sein. Der Haken dabei ist, dass man auch bedenken sollte, wie die Auswirkung auf dem Kind beruht. (Klasse 11, L2, niedrig) Text 12 (Ausschnitt) Ich finde, dass die Noten wichtig aber auch unnötig sind. Sie sind wichtig, weil man damit die Leistungen der Schüler bewerten kann. […] Die Noten müssen aber nicht nach den Prüfungen bestimmt sein. Es sollte schon nach der mündlichen Mitarbeit bestimmt werden. (Klasse 11, L2, niedrig) Text 22 (Ausschnitt) Ich stimme der Aussage von Frau Lucic überhaupt nicht ein. (Klasse 11, L2, hoch)
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Der sprachliche Kontext dieser lexikalischen Abweichungen zeigt, dass sie als Teil des Versuchs gewertet werden können, den Anforderungen der Aufgabenstellung und der angestrebten Schriftlichkeit zu entsprechen. Dies kann an dem letzten Beispiel verdeutlicht werden, in dem die falsche Formulierung „stimme…ein“ durch eine Vermischung der Verben übereinstimmen mit und zustimmen zu zustande gekommen zu sein scheint. Im Kontext des Leserbriefes und einer Meinungsäußerung würden die beiden Ausdrücke für sich genommen und sprachlich korrekt realisiert einen kontextadäquaten Sprachgebrauch darstellen. In Klasse 13 treten solche Schwierigkeiten seltener auf, egal ob es ich um ein- oder mehrsprachige SchülerInnen handelt. Ein auffälliger Text aus dieser Altersgruppe soll hier aber dennoch näher betrachtet werden. Der Text stammt von einem 21-jährigen, in Deutschland geborenen Schüler, der Türkisch als seine Muttersprache bezeichnet und diese Sprache auch mit seinen Eltern spricht. Das fortgeschrittene Alter deutet darauf hin, dass der Schüler schon mehrmals ein Schuljahr wiederholen musste. In seinem letzten Zeugnis hatte er im Fach Deutsch 4 Punkte, also gerade noch die Note ausreichend. Text 48 (1) Ich finde Lucics Einstellung, Betrachtensweise und Neuregelung ist sehr interessant und sehr ansprechend. (2) Weil ich auch denke, dass man wirklich durch mehr „Vertrauensgespräche“, die Defizite eines Schüler verbessern könne. (3) Ich denke auch, dass die traditionelle Benotung ein Ziel der Aussortierung ist. (4) Denn immerhin kommt es bei einem Vorstellungsgespräch mehr darum, wie man sich präsentiert und das Zeugnis wird dann nur ein kleiner Makel nebenbei. (5) Trotzdem sollte es ein Benotungssystem geben. (6) Halt nur individueller auf die Person bezogen. (7) Zu guter Letzt ist es auch so, dass man den meisten Stoff nach einer Prüfung wieder vergisst. (Klasse 13, L2, hoch)
Der Schüler beginnt seinen Text mit einer expliziten Bezugnahme auf das Interview und die dort vertretene Position (1). Hier unterläuft ihm ein Fehler in der Wortbildung („*Betrachtensweise“ anstelle von Betrachtungsweise). In Satz (3) missglückt der Gebrauch einer komplexen Nominalphrase mit Genitivattribut. Auf diesen und ähnliche Fälle, in denen die angestrebte Komplexität auf Ebene der Nominalphrase zu Brüchen in der Konstruktion führt, wurde in Kapitel 7.5.1 bereits näher eingegangen. In lexikalischer Hinsicht ist Satz (4) des Beispieltextes 48 interessant: Anstelle der Kollokation ankommen auf verwendet der Schüler die Verbindung „*kommen um“, evtl. beeinflusst von dem semantisch ähnlichen Ausdruck gehen um. Auch die intendierte Semantik der Verknüpfung von Satz (3) und (4)
Weitere Beobachtungen | 243
durch den Konnektor „immerhin“ bleibt unklar.120 Zudem ist der Satz „… und das Zeugnis wird dann nur ein kleiner Makel nebenbei“ nur schwer verständlich. Das liegt zum einen an dem Gebrauch des Verbs werden, das eine Zustandsänderung impliziert, obwohl es um einen ganz bestimmten Zeitpunkt geht (das Vorstellungsgespräch) und zum anderen an dem Ausdruck „ein kleiner Makel nebenbei“. Gemeint ist wohl, dass in einem Vorstellungsgespräch das Auftreten („wie man sich präsentiert“) die größte Bedeutung hat und das Zeugnis und die Noten nur eine nebensächliche Rolle spielen. In (6) ist schließlich noch ein Registerbruch durch den unvollständigen Satz und den Gebrauch der mündlich markierten Partikel „halt“ zu beobachten. Wie schon erwähnt, sind Texte mit einer derartigen Häufung von Formulierungsschwierigkeiten in Klasse 13 ansonsten aber kaum vorhanden. Bei den mehrsprachigen Studierenden ist allerdings durchaus eine gewisse Häufung lexikalischer Abweichungen festzustellen. Zum einen treten Fehler bei dem Gebrauch fester Wendungen auf. So wird in dem folgenden Beispiel anstelle der Kollokation Begründungen geben die Verbindung „*Begründungen erläutern“ verwendet: Text 55 (Ausschnitt) Allerdings bin ich dafür, dass zusätzlich zu den Noten kurze Begründungen erläutert werden sollten, damit die Notenvergabe für die Schüler transparent werden. (Studierende/r, L2, niedrig)
Diese Formulierung ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass sich zu den Noten eine Begründung geben und die Noten erläutern semantisch sehr ähnlich sind. Am elegantesten wäre allerdings der Gebrauch des einfachen Verbs begründen im Passiv gewesen (Allerdings bin ich dafür, dass die Noten zusätzlich kurz begründet werden …). Im nächsten Beispiel wird die feste Wendung im Auge behalten nicht nur mit einem falschen Verb („*im Auge halten“), sondern auch semantisch unpassend benutzt: Text 56 (Ausschnitt) Ich finde Lucic hat auch Recht, dass Ziffernnoten die Kinder in Gewinner und Verlierer einteilen, jedoch muss im Auge gehalten werden, dass die Noten auch dazu führen, dass Kinder lernen. (Studierende/r, L2, niedrig)
|| 120 Weinrich zählt immerhin zu den Argumentationsadverbien. Immerhin zeigt dem Leser an, „daß der als Gegenargument genannte Sachverhalt positiv einzuschätzen ist“ (Weinrich 2007: 604).
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Der/die Studierende wollte mit diesem Satz wohl sagen, dass man auch berücksichtigen sollte, dass die Noten die Kinder zum Lernen anregen. Die Wendung im Auge behalten entspricht aber der Bedeutung von weiterhin beobachten, (zukünftig) nicht vergessen und ist deshalb in diesem Kontext unpassend verwendet. Die Häufung von Formulierungsschwächen in den Texten von mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden legt den Schluss nahe, dass sich hier ein besonderer Förderbedarf abzeichnen könnte.
7.5.3 Zusammenfassung und Diskussion Die im Rahmen der qualitativen Analyse gemachten Beobachtungen zur Syntax und Lexik in den Texten sollen an dieser Stelle zusammengefasst und diskutiert werden. Für beide Sprachgruppen und die drei Altersgruppen gilt, dass der Einsatz der komplexen syntaktischen Strukturen im Großen und Ganzen als funktional bezeichnet werden kann. Komplexe Nominalphrasen mit mehreren Attributen werden in allen Altersgruppen und sowohl von den ein- als auch von den mehrsprachigen VerfasserInnen produziert. Dabei handelt es sich überwiegend um die Kombination von einem oder mehreren pränominalen Attributen und einem postnominalen Attribut. Komplexe Nominalphrasen mit mehreren nominalen Attributen sind in Klasse 11 und 13 noch selten oder werden unsicher verwendet. Diese Unsicherheiten zeigen sich in einer falschen (nämlich überflüssigen) Kommasetzung und/oder der Herstellung falscher Bezüge innerhalb der Nominalphrase. Die Studierenden hingegen setzen Nominalphrasen mit mehreren nominalen Attributen häufiger und souveräner ein. Allerdings kommen gleichgeordnete Konstruktionen, in denen sich zwei nominale Attribute auf dasselbe Kernnomen beziehen, im ganzen Korpus kaum vor. Dies hängt wahrscheinlich mit dem hohen Verarbeitungsaufwand für diese Art von komplexen Nominalphrasen zusammen. In einigen Texten aus Klasse 11 und 13 ist ein hyperliterater Sprachgebrauch in Form überkomplexer syntaktischer Konstruktionen auf der Ebene des Satzes und der Nominalphrasen zu beobachten. Dass dies, wie Maas (2008) annimmt, ein typisches Merkmal für die Texte von SchreiberInnen mit Deutsch als Zweitsprache ist, kann anhand des hier analysierten Korpus jedoch nicht bestätigt werden. Auf lexikalischer Ebene fallen – insbesondere in Klasse 11 und bei den Studierenden – Formulierungsschwierigkeiten auf. Dabei ist eine gewisse Häufung in den Texten der Mehrsprachigen erkennbar. Zu diesen Formulierungs-
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schwierigkeiten gehören die Wahl semantisch oder stilistisch unpassender Lexeme sowie Formulierungsbrüche bei dem Gebrauch fester Wendungen. Diese Häufung lexikalischer Unsicherheiten könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Gruppe der Mehrsprachigen im Kompetenzbereich der Lexik eine besondere Unterstützung benötigt. Diese Hypothese schließt auch an die eingangs berichteten Ergebnisse der DESI-Studie (Klieme 2006) an, die mit Bezug auf den Leistungsstand in der 9. Klasse besagen, dass – selbst bei Kontrolle der sonstigen Lernvoraussetzungen wie Bildungsgang und sozio-ökonomischer Hintergrund – der Kompetenzrückstand im Bereich des Wortschatzes für die SchülerInnen nichtdeutscher Erstsprache121 „dramatisch“ ausfällt und zusätzliche Fördermaßnahmen notwendig sind (Klieme 2006: 4) (vgl. auch Klieme 2008: 217). Warum der Wortschatz – anders z.B. als die Syntax – auch für einige mehrsprachige TeilnehmerInnen dieser Studie eine besondere sprachliche Herausforderung darstellt, lässt sich anhand der vorliegenden Daten nicht ohne Weiteres klären. Die in dieser Studie als problematisch identifizierten festen Wendungen haben komplexe grammatische, pragmatische und syntaktosemantische Einfügungs- und Kompositionsbedingungen, deren Anforderungsniveau teilweise sicherlich über das der Syntax komplexer Nominalphrasen hinausgeht. Wie Margewitsch (2005) zeigt, haben auch einsprachige OberstufenschülerInnen (in diesem Fall ElftklässlerInnen) Schwierigkeiten beim Gebrauch fester Wendungen, die sich in falschen Kollokationen, syntaktosemantischen Einpassungsproblemen, Bildbrüchen und Registerverschiebungen zeigen. Mit Blick auf die mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden dieser Studie kann gemutmaßt werden, dass für einige deutschsprachige Ausdrücke bzw. Wendungen das Fundament in der Alltagssprache fehlt. Da die Gebrauchsdomäne der jeweiligen Sprache definiert, welche lexikalischen Mittel erworben werden, ist davon auszugehen, dass Mehrsprachige „in vielen Fällen nicht in allen Sprachhandlungs- und Kommunikationssituationen […] gleichermaßen über die Lexik der einen oder anderen Sprache verfügen“ (Merten & Kuhs 2012: 11). Zudem ist bekannt, dass der Wortschatz von Mehrsprachigen in ihren jeweiligen Sprachen immer kleiner als der vergleichbare Wortschatz bei Einsprachigen ist (vgl. Bialystok 2009). Die Häufigkeit des Gebrauchs bestimmter Lexeme hat einen großen Einfluss auf deren Beherrschung, und wer mehrere Sprachen spricht, benutzt jeden einzelnen Lexikoneintrag seltener als jemand, der nur eine Sprache spricht (Bialystok 2009: 56).
|| Zur Definition des Begriffs nichtdeutscher Erstsprache im Rahmen der DESI-Studie vgl. Fußnote 16. 121
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Die Beobachtungen zu den lexikalischen Schwierigkeiten bei den mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden wurden im Rahmen der vorliegenden Untersuchung allerdings anhand eines relativ kleinen Korpus gemacht. Die Hypothese hinsichtlich eines Förderbedarfs im Bereich des Wortschatzes sollte deshalb für die hier untersuchte Altersgruppe unbedingt mit Hilfe einer größeren Anzahl von Texten und systematischer, als es im Rahmen dieser Studie möglich war, überprüft werden. Aus entwicklungsorientierter Perspektive können diese lexikalischen Auffälligkeiten zudem als (notwendige) Etappe auf dem Weg zur Aneignung eines in Form und Funktion angemessenen Sprachgebrauchs angesehen werden. Der Einsatz noch nicht sicher beherrschter fester Wendungen ist sehr wahrscheinlich aus dem Bemühen heraus entstanden, zu einem der Schreibaufgaben angemessenen Sprachgebrauch zu finden: „Es ist anzunehmen, dass feste Wendungen dann verstärkt auftauchen, wenn komplexere sprachliche Aufgaben zu bewältigen sind. Der Gebrauch formelhafter Sprache wäre dann als eine Bewältigungsstrategie zu deuten, die über den Griff zu sprachlichen Routinen das normgerechte Formulieren erleichtert“ (Margewitsch 2005: 192).
Die Formulierungsschwächen könnten dann als „Suchbewegungen“ (Margewitsch 2005: 193) in der Schreibentwicklung interpretiert und sollten auch als solche honoriert werden. Einen ähnlichen Schluss legen die Ergebnisse von Steinhoff (2007) nahe: In seinem dreistufigen Modell zur Entwicklung wissenschaftlicher Textkompetenz (s. Kapitel 4.4.2) erkennt er für die zweite Stufe (Transformation) im Rahmen des Gebrauchs der alltäglichen Wissenschaftssprache „charakteristische Formulierungsbrüche“: „Das wissenschaftliche Ausdrucksspektrum wird aufgebaut, der Schreiber nähert sich mit seinen Formulierungen dem wissenschaftssprachlichen Common sense an. Dieser Prozess ist begleitet von charakteristischen Formulierungsbrüchen. Ihren (vorläufigen) Abschluss findet die Entwicklung dann, wenn der Text des Lerners konventionell, also domänentypisch und kontextadäquat ist (kontextuelle Passung)“ (Steinhoff 2007: 150, Hervorhebungen im Original).
Eine solche entwicklungsorientierte Perspektive auf lexikalische Unsicherheiten entspricht auch dem Gebot der Betrachtung der Texte als Lernerformen mit ihren entwicklungsbedingten spezifischen Ausprägungen (Pohl & Steinhoff 2010).
8 Schlussbetrachtung Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stand die Entwicklung von Schreibfähigkeiten bei ein- und mehrsprachigen SchülerInnen aus den Jahrgangsstufen 11 und 13 sowie von Studierenden. Es wurden zwei Teilaspekte dieser Schreibfähigkeiten näher betrachtet: In der Hauptanalyse lag der Fokus auf den syntaktischen Schreibfähigkeiten. In einer ergänzenden, explorativen Analyse wurde die schriftliche Argumentationskompetenz untersucht. Unter den syntaktischen Schreibfähigkeiten wurde dabei die Fähigkeit verstanden, komplexe syntaktische Strukturen zu produzieren. Dazu zählen in dieser Arbeit komplexe Satzgefüge und insbesondere komplexe Nominalphrasen mit prä- und postnominalen Attributen. Auch die sprachliche Korrektheit auf morphosyntaktischer Ebene wurde analysiert. Bei der Analyse der schriftlichen Argumentationskompetenz stand der Gebrauch konzessiver literaler Prozeduren im Fokus. Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung sollen im Folgenden zusammengefasst und diskutiert werden. Zudem wird die Untersuchung kritisch reflektiert und ein Ausblick gegeben.
8.1 Zusammenfassung Anhand der statistischen Auswertung von 191 argumentativen Texten (LKorpus) und 179 Zusammenfassungen (Z-Korpus), die von 198 SchülerInnen und Studierenden verfasst wurden, wurden zunächst zwei Hypothesen hinsichtlich der syntaktischen Schreibfähigkeiten überprüft. Die erste Hypothese bezog sich auf die Sprachgruppen und lautete, dass innerhalb der jeweiligen Altersgruppe die Texte der mehrsprachigen SchülerInnen bzw. Studierenden syntaktisch weniger komplex sind als die Texte der einsprachigen Vergleichsgruppe. Entgegen der aus der Theorie abgeleiteten Annahme wurde diese Hypothese im Rahmen der Untersuchung überraschenderweise widerlegt: In allen drei Altersgruppen (Klasse 11, Klasse 13 und Studierende) zeigten sich im Gebrauch syntaktisch komplexer Strukturen so gut wie keine signifikanten Unterschiede zwischen den einsprachigen und den mehrsprachigen UntersuchungsteilnehmerInnen. Als ein zentrales Ergebnis der Arbeit kann somit festgehalten werden, dass für die Annahme, die mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden würden über geringer ausgeprägte syntaktische Schreibfähigkeiten verfügen, im Rahmen dieser Untersuchung keine Evidenz gefunden wurde. Sie
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verfügen damit über dasselbe sprachliche Kontextualisierungspotenzial zur Herstellung konzeptionell schriftlicher Texte wie die SchülerInnen und Studierenden der einsprachigen Vergleichsgruppe. Mit der zweiten Hypothese sollte die Entwicklung der syntaktischen Fähigkeiten in den drei Altersgruppen überprüft werden. Die entsprechende Hypothese lautete, dass die syntaktische Komplexität in den Texten von Klasse 11 bis zu den Studierenden zunimmt. Die Ergebnisse der Arbeit sprechen für die Richtigkeit dieser Hypothese: Erwartungsgemäß wurde in beiden Korpora mit steigendem Schreibalter eine signifikante Zunahme der Text- und Satzlänge und der komplexen Nominalphrasen mit unterschiedlichen Attribuierungstypen nachgewiesen. Im Bereich der subordinierten Sätze konnten solche Entwicklungen hingegen nicht beobachtet werden: Die Anzahl der eingebetteten Nebensätze nimmt im L-Korpus mit fortschreitendem Schreibalter sogar ab. Die Ergebnisse hinsichtlich der Altersgruppen stützen die bisherigen Erkenntnisse der Schreibentwicklungsforschung und lassen differenzierte Aussagen über die Entwicklung der syntaktischen Schreibfähigkeiten in der Sekundarstufe II und darüber hinaus zu: Mit steigendem Schreibalter produzieren sowohl die ein- als auch die mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden vermehrt komplexe Nominalphrasen mit unterschiedlichen Attributen. Die größte Bedeutung kommt dabei den Adjektivattributen zu, gefolgt von den Präpositional- und den Genitivattributen. Während der Gebrauch von Adverbialsätzen abnimmt, steigt der Anteil der Attributsätze an. Auch wenn diese Tendenzen textartenübergreifend beobachtbar sind, lassen sich doch Unterschiede in den argumentativen Texten und Zusammenfassungen erkennen, was den Anteil komplexer Nominalphrasen insgesamt, den Anteil bestimmter Attribuierungsarten und die Progressivität der Entwicklung in den einzelnen Bereichen betrifft. Beispielsweise ist in den Zusammenfassungen der Anteil der komplexen Nominalphrasen insgesamt höher. Dies lässt sich durch die Funktion der Zusammenfassung als komprimierende Textart (Steets 2004) erklären. Aufgrund der hohen Komplexität werden in den Zusammenfassungen in allen Altersgruppen gleichzeitig mehr morphosyntaktische Fehler als in den argumentativen Texten gemacht. Diese Ergebnisse machen noch einmal deutlich, wie wichtig es in Schreibentwicklungsstudien ist, unterschiedliche Texte zu erheben, um auf diese Weise sowohl parallele als auch abweichende Entwicklungen beobachten zu können. Für eine ergänzende, qualitativ orientierte Analyse wurde auf Grundlage der statistischen Auswertung aus dem Korpus der argumentativen Texte ein kleineres Korpus von 72 Texten ausgewählt. In den Texten wurde die schriftliche Argumentationskompetenz der ein- und mehrsprachigen SchülerInnen
Zusammenfassung | 249
und Studierenden anhand des Vorkommens konzessiver literaler Prozeduren untersucht. Außerdem wurden Aspekte der textpragmatischen Differenzierung berücksichtigt und Beobachtungen auf syntaktischer und lexikalischer Ebene festgehalten. Auch im Rahmen dieser zweiten Analyse wurden keine Hinweise dafür gefunden, dass die mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden aufgrund von anderen sprachlichen Voraussetzungen über eine weniger ausgebildete Kompetenz im Bereich des schriftlichen konzessiven Argumentierens verfügen. Ähnlich wie bereits in Bezug auf die syntaktischen Schreibfähigkeiten beobachtet, erwiesen sich auch in diesem Teil der Untersuchung Kompetenzunterschiede nicht durch den Faktor Mehrsprachigkeit, sondern vielmehr durch das Schreibalter bedingt. Von Klasse 11 bis zu den Studierenden konnte eine Entwicklung der schriftlichen Argumentationskompetenz beobachtet werden: Die konzessiven literalen Prozeduren werden in formaler und funktionaler Hinsicht immer sicherer eingesetzt und die Texte verfügen über eine höhere textpragmatische Differenzierung. Auch eine Untersuchung der syntaktisch komplexen Strukturen im Rahmen der qualitativ orientierten Analyse zeigte, dass diese in beiden Sprachgruppen überwiegend angemessen verwendet werden. Mit steigendem Schreibalter nimmt sowohl bei den ein- als auch bei den mehrsprachigen ProbandInnen der Gebrauch komplexer Nominalphrasen mit mehreren nominalen Attributen zu. Zudem wird eine größere Sicherheit bei der Herstellung und Markierung der syntaktischen Relationen innerhalb dieser Nominalphrasen erlangt. Einschränkend kann festgehalten werden, dass auf der Ebene der Lexik eine gewisse Häufung von Formulierungsschwierigkeiten in den Texten der mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden festgestellt wurde, die in einigen Fällen zu einer Beeinträchtigung des Textverständnisses führt. Zudem kann angenommen werden, dass auch ältere Seiteneinsteiger beim Erwerb der Morphosyntax, insbesondere im Bereich der Nominalphrasen-Flexion, Unterstützung benötigen. In Hinblick auf die eingangs formulierten Forschungsfragen kann also abschließend Folgendes festgehalten werden: In der hier untersuchten Stichprobe lassen sich bezüglich der untersuchten Schreibfähigkeiten keine systematischen Unterscheide zwischen den einsprachigen und den mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden feststellen. Deutliche Unterschiede sind jedoch zwischen den Altersgruppen erkennbar. Die syntaktischen Schreibfähigkeiten und die schriftliche Argumentationskompetenz werden mit steigendem Schreibalter ausgebaut. Die Ein- und Mehrsprachigen durchlaufen dabei dieselbe Entwicklung in demselben Tempo. Allerdings
250 | Schlussbetrachtung
gibt es Hinweise darauf, dass sich für einige mehrsprachige SchülerInnen und Studierende ein verstärkter Förderbedarf im Bereich der Lexik abzeichnet. Nachdem die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung in den vorangegangenen Abschnitten zusammenfassend dargestellt und diskutiert worden sind, werden nun einige methodische Aspekte der Untersuchung kritisch reflektiert. Anschließend wird ein Ausblick gegeben.
8.2 Diskussion Ganz grundlegend soll an dieser Stelle hinterfragt werden, inwieweit es sich als lohnenswert erwiesen hat, mehrsprachige SchülerInnen der gymnasialen Oberstufe in das Zentrum dieser Untersuchung zu stellen. In der Tat könnte eingewandt werden, dass es sich bei diesen SchülerInnen bereits um eine sehr „positiv“ selektierte Gruppe handelt, die verschiedene kritische Übergänge im Bildungssystem erfolgreich bewältigt hat. Migrationsgekoppelte Ungleichheiten an den Übergangsstellen im Bildungssystem sorgen im deutschen Bildungssystem dafür, dass viele SchülerInnen mit Migrationshintergrund weniger qualifizierende Bildungsgänge besuchen als SchülerInnen ohne Migrationshintergrund. Um diese Übergänge trotzdem zu bewältigen, bedarf es beispielsweise eines überdurchschnittlich bildungsnahen Elternhauses oder einer überdurchschnittlichen Leistungsfähigkeit, die auch mit entsprechenden sprachlichen Kompetenzen einhergeht. Vor diesem Hintergrund würde das Ergebnis der Untersuchung, dass die ein- und mehrsprachigen UntersuchungsteilnehmerInnen sich in ihren Schreibfähigkeiten nicht unterscheiden, keine große Überraschung darstellen. Deutliche Unterschiede wären eher bei jüngeren Lernern oder in anderen Schularten zu erwarten. Allerdings darf dabei nicht vergessen werden, dass – wie in der Einleitung bereits erwähnt – in Forschung und Praxis ein grundsätzlicher Förderbedarf für OberstufenschülerInnen und Studierende mit Deutsch als Zweitsprache bzw. Migrationshintergrund postuliert wird und entsprechende Förderangebote bereits existieren. Zur Untersuchung der Frage, ob und in welcher Form dieser Förderbedarf tatsächlich vorhanden ist, konnte die vorliegende Untersuchung einen Beitrag leisten: Im Kompetenzbereich der Syntax sind keine Nachteile für die mehrsprachigen Lerner erkennbar. Inwieweit sich im Bereich der Lexik ein Förderbedarf abzeichnet, muss noch differenzierter und auf Grundlage einer größeren Datenbasis untersucht werden. Festzuhalten bleibt, dass in dieser Untersuchung kein systematischer Zusammenhang zwischen der Mehrspra-
Diskussion | 251
chigkeit und einer niedrig(er)en Schreibkompetenz der LernerInnen ausgemacht werden konnte. Des Weiteren muss der Begriff von Mehrsprachigkeit, der im Rahmen dieser Studie zur Bildung der beiden Vergleichsgruppen diente, kritisch diskutiert werden. Die eingeschränkte Größe der Stichprobe erlaubte es leider nicht, die Vergleichsgruppen noch weiter zu differenzieren, wie z.B. in den PISA-Studien und der DESI-Studie geschehen (s. Kapitel 3). Allerdings zeigen die Ergebnisse zur Sprachverwendung im Rahmen der vorliegenden Studie auch, dass es kaum mehrsprachig aufgewachsene SchülerInnen oder Studierende gibt, die in ihrer Familie ausschließlich – sowohl mit ihren Eltern als auch mit ihren Geschwistern – in einer nichtdeutschen Sprache kommunizieren (s. Tab. 11). Insgesamt erscheint es schwierig, die Sprachpraxis von mehrsprachigen Personen präzise zu „quantifizieren“. Die Einteilung der Stichprobe in einsprachig und mehrsprachig stellt eine für den Forschungszweck notwendige Vereinfachung dar. Dennoch kann anhand der Ergebnisse geschlussfolgert werden, dass die Verwendung mehrerer Sprachen im familiären Umfeld in Hinblick auf schulerfolgsrelevante sprachliche Kompetenzen nicht zum Nachteil gereichen muss. Dieses Ergebnis passt zu anderen aktuellen Hinweisen aus der Forschung, dass nicht die Mehrsprachigkeit, sondern eher ein Mangel an „bildungsrelevanten familiären sprachlichen Ressourcen“ (Schindler & Siebert-Ott 2011: 92) für Unterschiede beim Erwerb von schulerfolgsrelevanten sprachlichen Kompetenzen verantwortlich ist (vgl. Eckhardt 2008, Gogolin & Lange 2011). Auch wenn im Rahmen dieser Studie keine Daten zum sozio-ökomischen Status der SchülerInnen und Studierenden erhoben worden sind, so kann anhand der Ergebnisse für die untersuchte Gruppe zumindest ausgeschlossen werden, dass das Aufwachsen mit und die Verwendung von mehreren Sprachen die Schreibentwicklung negativ beeinflusst. Insofern können die Ergebnisse dieser Studie auch als Bestätigung der Feststellung gelesen werden, dass die Ursachen für Kompetenzunterschiede im schriftsprachlichen Bereich eher in Benachteiligungen aufgrund der sozialen Herkunft bzw. aufgrund der Kombination von sozialer Herkunft und Mehrsprachigkeit zu suchen sind. Umso wichtiger ist es, dass die derzeitigen Bemühungen um die Untersuchung und die Förderung der für den Schulerfolg relevanten sprachlichen Fähigkeiten dazu führen, dass der Schulerfolg nicht mehr nur von den sozialen Voraussetzungen abhängt, sondern eine qualitativ hochwertige, explizite Vermittlung dieser Fähigkeiten stattfindet (vgl. Gantefort & Roth 2010: 576). Für die Datenerhebung wurde in dieser Untersuchung eine quasiexperimentelles Setting mit standardisierten Schreibaufgaben gewählt. Die Texte sind daher nicht in einer völlig authentischen schulischen oder akademi-
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schen Schreibsituation entstanden und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Erhebungssituation auch die Performanz der UntersuchungsteilnehmerInnen und damit die Qualität der Texte beeinflusst hat. Feilke (2010a) macht mit Bezug auf argumentative Texte deutlich, dass dies nicht nur im Kontext der Forschung, sondern auch in Bezug auf schulische Lernaufgaben eine Schwierigkeit darstellt: „In dieser Sicht ist im Gesamtkonzert didaktischer Kontexte für das Lehren argumentativen Schreibens die schulisch am schwierigsten herzustellende Situation zugleich die für den Erwerb entscheidende. Das ist der Kontext, in dem die SchülerInnen ein eigenes Anliegen argumentativ zu vertreten haben. In diesem Kontext aber werden sie Gegenargumente nur dann aufnehmen und nur soweit berücksichtigen, wie sie sich davon eine Unterstützung der eigenen Gesichtspunkte erwarten können“ (Feilke 2010a: 161f.).
Auch in Forschungskontexten, insbesondere in Large-Scale Untersuchungen, bleibt der Einsatz von Schreibaufgaben, die den fachdidaktischem Forschungsstand entsprechen, ein Desiderat (vgl. Feilke 2011). Gleichzeitig hatte die Durchführung einer quasi-experimentellen Erhebung im Rahmen dieser Untersuchung aber den großen Vorteil, dass eine große Anzahl an Texten elizitiert werden konnte und die parallel in allen Altersgruppen eingesetzten Schreibaufgaben die Vergleichbarkeit der Texte garantieren. So kann das Korpus über diese Studie hinaus auch für die Untersuchung anderer Fragestellungen genutzt werden. Im Hinblick auf die Versachlichung des Diskurses über die (mangelnden) sprachlichen Kompetenzen von SchülerInnen und Studierenden mit Deutsch als Zweitsprache halte ich es für sehr vorteilhaft, derartige objektive und quantifizierbare Aussagen zu Gruppenunterschieden machen zu können. Es bleibt die Herausforderung jeglicher Forschung zur Sprach- und Schreibkompetenz, dass Äußerungen nicht nur in Hinblick auf die grammatische Korrektheit oder das Vorkommen bestimmter sprachlicher Strukturen beurteilt werden können, sondern auch ihre kommunikative Angemessenheit berücksichtigt werden muss. Dieser Herausforderung wurde sich durch die qualitativ orientierte Analyse der argumentativen Texte in Teilen gestellt. Es wäre wünschenswert, hier unter Einbezug des gesamten Korpus noch detailliertere Analysen anzustellen. Aus der Perspektive der Schreibentwicklungsforschung erscheint es außerdem wünschenswert, vermehrt auch Kontextfaktoren in die Untersuchungen miteinzubeziehen. Dazu gehören zum einen der unterrichtliche Einfluss, zum anderen aber auch Aspekte der Schreibsozialisation.
Ausblick | 253
8.3 Ausblick Trotz des offensichtlichen gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Veränderungen der Lerngruppen lässt sich für die Sekundarstufe II immer noch ein hohes Maß an verdrängter Heterogenität (Bosse 2003) konstatieren. Für die Implementierung des Konzeptes der durchgängigen Sprachbildung (s. Kapitel 4.1) ist diese Haltung wenig vorteilhaft. In der quantitativen Analyse hat sich sehr deutlich gezeigt, dass im Vergleich der Altersgruppen zwar überindividuelle Entwicklungsphasen erkennbar sind, es sich jedoch bei den einzelnen Altersgruppen in Hinblick auf das Kompetenzniveau keineswegs um homogene Gruppen handelt. Insofern muss sehr wohl davon ausgegangen werden, dass man es, u.a. was die sprachlichen Voraussetzungen betrifft, in der gymnasialen Oberstufe und an der Hochschule mit heterogenen Lerngruppen zu tun hat. Auch in dem hier untersuchten Korpus gibt es Texte, die einen sprachlichen Förderbedarf im Bereich der komplexen Syntax nahe legen. Dieser Förderbedarf lässt sich jedoch nicht durch die Mehrsprachigkeit der betroffenen Personen erklären. Im Rahmen der Förderung bildungssprachlicher Kompetenzen könnten komplexe Nominalphrasen als Teil derjenigen Sprachformen thematisiert werden, die einen dekontextualisierten Sprachgebrauch ermöglichen. Hier bietet sich die Arbeit mit Modelltexten an, in denen die Aufmerksamkeit der SchülerInnen bzw. Studierenden u.a. auf die komplexen Nominalphrasen und ihre Form und Funktion gelenkt wird. Wenn komplexe Nominalphrasen anschließend in eigenen Texten benutzt werden, sollte die Angemessenheit ihres Gebrauchs jeweils kritisch reflektiert werden, z.B. im Rahmen von kooperativen Lernformen. Da komplexe Nominalphrasen wie eingangs erwähnt ein typisches Merkmal von Fachtexten sind, wäre eine stärkere Thematisierung und Bearbeitung solcher fachsprachlicher Aspekte im Fachunterricht sehr wünschenswert. Der in den Daten beobachtbare progressive Ausbau der komplexen Nominalphrasen innerhalb von nur zwei Schuljahren (Klasse 11 bis 13) zeigt eindrücklich, dass auch junge Erwachsene über ein großes sprachliches Entwicklungspotenzial verfügen, dass in den derzeitigen Curricula – sowohl des Deutschunterrichts als auch des Fachunterrichts – noch zu wenig Beachtung findet und nicht ausgeschöpft wird. Die vermehrten Bemühungen, den Bildungserfolg von mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden zu erhöhen, sind erfreulich. Die vorliegende Untersuchung macht aber deutlich, dass diese Personengruppe in Hinblick auf ihre sprachlichen Voraussetzungen und ihren potentiellen Förderbedarf keine homogene Gruppe ist. Der zukünftigen Forschung stellt sich die Aufgabe, weiteres Wissen zu generieren, mit dem pauschalen Vorannahmen über einen
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grundsätzlichen Förderbedarf von mehrsprachigen SchülerInnen und Studierenden vorgebeugt werden kann und das als Grundlage für die Entwicklung bedarfsgerechter, durchgängiger Sprachförderangebote dient.
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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Modell des Schreibprozesses (Structure of writing model) (Hayes & Floyer 1980: 11) ........................................................................................... 37 Abb. 2: Modell für die schriftliche Textproduktion (Chenoweth & Hayes 2001: 84) ................ 38 Abb. 3: Grießhabers modifiziertes Modell von Hayes & Flower (1980; Grießhaber 2008: 232) ......................................................................... 40 Abb. 4: Skalenwerte zur Zufriedenheit mit den Sprachkenntnissen in Deutsch in den drei Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch) ........................................... 155 Abb. 5: Skalenwerte für die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Schreibaufgabe Leserbrief in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch) ................. 157 Abb. 6: Skalenwerte für die Freude beim Schreiben des Leserbriefes in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch) ................................................................. 158 Abb. 7: Skalenwerte für die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Schreibaufgabe Zusammenfassung in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch) .... 159 Abb. 8: Skalenwerte für die Vorkenntnisse zu dem Thema der Zusammenfassung in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch) ...........................................160 Abb. 9: Skalenwerte für das Interesse bei der Lektüre des Originaltextes für die Zusammenfassung in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (1 = niedrig, 5 = hoch) .... 161 Abb. 10: Anzahl der Wörter im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe ............... 165 Abb. 11: Anzahl der Wörter im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe ............... 167 Abb. 12: Anzahl der Wörter pro Satz (Satzlänge) im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe ..........................................................................................................168 Abb. 13: Anzahl der Wörter pro Satz (Satzlänge) im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe .......................................................................................................... 170 Abb. 14: Anzahl der subordinierte Sätze im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze) ................................................................................ 172 Abb. 15: Anzahl der subordinierten Sätze im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze) ...................................................................... 173 Abb. 16: Anzahl der subordinierten Sätze zweiten bis vierten Grades im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze) ........................................ 174 Abb. 17: Anzahl der subordinierten Sätze zweiten bis vierten Grades im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze) ........................................ 175 Abb. 18: Anzahl der Attributsätze im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze) ........................................................................................... 177 Abb. 19: Anzahl der Attributsätze im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Sätze) ........................................................................................... 178 Abb. 20: Anzahl der Ergänzungs-, Adverbial- und Attributsätze im L-Korpus nach Altersgruppe (bezogen auf 100 Sätze, ohne Infinitivgruppen) ..............................................180 Abb. 21: Anzahl der Ergänzungs-, Adverbial- und Attributsätze im Z-Korpus nach Altersgruppe (bezogen auf 100 Sätze, ohne Infinitivgruppen) .............................................. 181 Abb. 22: Anzahl der Adjektivattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) ....................................................................... 183 Abb. 23: Anzahl der Adjektivattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) .......................................................................184
276 | Literaturverzeichnis
Abb. 24: Anzahl der Präpositionalattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive)............................................................ 186 Abb. 25: Anzahl der Präpositionalattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive)............................................................ 188 Abb. 26: Anzahl der Genitivattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) ...................................................................... 189 Abb. 27: Anzahl der Genitivattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) ....................................................................... 191 Abb. 28: Anzahl der morphosyntaktischen Fehler im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Wörter) ................................................................... 193 Abb. 29: Anzahl der morphosyntaktischen Fehler im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Wörter) ................................................................... 194 Abb. 30: Anteil der Fehlerarten insgesamt (in %) ............................................................... 195 Abb. 31: Anteil der Fehlerarten in den Sprachgruppen (in %) .............................................. 196 Abb. 32: Anzahl der fehlerhaft flektierten Nominalphrasen im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) ...................................... 198 Abb. 33: Anzahl der fehlerhaft flektierten Nominalphrasen im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) ...................................... 199
Tabellenverzeichnis Tab. 1:Wissensbestände des Anforderungsbereichs „Syntax“ nach dem Schreibkompetenzmodell von Becker-Mrotzek & Schindler (2007: 24) ........................................................ 45 Tab. 2:Schreiben mit DaZ-Lernenden (Rösch 2011: 199) ......................................................... 47 Tab. 3:Elemente des Entwicklungsmodells von Feilke & Augst (1989: 314) ..............................70 Tab. 4: Satzanalyse nach dem Grad der Einbettung der Teilsätze .......................................... 130 Tab. 5:Gruppen konzessiver literaler Prozeduren in den Texten der Gymnasialschüler (Rezat 2011: 62) ......................................................................................................... 139 Tab. 6:Anzahl der UntersuchungsteilnehmerInnen in den Altersgruppen .............................. 142 Tab. 7:Migrationsstatus der UntersuchungsteilnehmerInnen (in %, absolute Zahlen in Klammern) ........................................................................... 143 Tab. 8:Anzahl der UntersuchungsteilnehmerInnen der „Ersten Generation“ und der „Seiteneinsteiger“ (in absoluten Zahlen) ................................................................................ 144 Tab. 9:Anzahl der UntersuchungsteilnehmerInnen nach Muttersprache(n) (in %, absolute Zahlen in Klammern) .................................................................................................. 145 Tab. 10:Verteilung nichtdeutscher Erstsprachen (in %) ........................................................ 146 Tab. 11:Verteilung der Verwendung von Deutsch und Erstsprache im Alltag von den mit mehreren Sprachen aufgewachsenen Befragten (n = 108) (in %) ................................... 146 Tab. 12:Verteilung der Sprachgruppen (in %, absolute Zahlen in Klammern) ......................... 157 Tab. 13:Geschlechterverteilung nach Sprachgruppe (in %) .................................................. 158 Tab. 14:Anteil der UntersuchungsteilnehmerInnen in den Sprachgruppen, die einen deutschen Kindergarten besucht haben (in %, absolute Zahlen in Klammern) ................ 159 Tab. 15:Anteil der UntersuchungsteilnehmerInnen in den Sprachgruppen, die während der Grundschulzeit Förderunterricht bzw. Nachhilfe hatten (in %, absolute Zahlen in Klammern) ........................................................................... 160 Tab. 16:Anteil der UntersuchungsteilnehmerInnen, die während der Gymnasialzeit Förderunterricht bzw. Nachhilfe hatten (in %, absolute Zahlen in Klammern) ........................... 160 Tab. 17:Werte für die Selbsteinschätzung der Sprachkenntnisse (Deutsch) nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) ............................................................. 162 Tab. 18:Werte für die Selbsteinschätzung der Sprachkenntnisse (nichtdeutsche Erstsprache) nach Fertigkeiten bei den Mehrsprachigen (n = 90) (Median, Quartilabstand in Klammern) ........................................................................ 162 Tab. 19:Punktzahlen im Fach Deutsch nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) ........................................................................ 163 Tab. 20:Anzahl der Leserbriefe in den Sprachgruppen (in absoluten Zahlen) ........................ 172 Tab. 21:Anzahl der Zusammenfassungen in den Sprachgruppen (in absoluten Zahlen) .......... 173 Tab. 22:Anzahl der Texte, Token, Substantive, finiten Verben und satzwertigen Infinitivgruppen in dem L- und Z-Korpus (in absoluten Zahlen, % in Klammern) ......................... 173 Tab. 23:Anzahl der Wörter im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) ...................................................................................... 175 Tab. 24:Anzahl der Wörter im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) ...................................................................................... 177 Tab. 25:Anzahl der Wörter pro Satz (Satzlänge) im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) .................................................. 178
278 | Tabellenverzeichnis
Tab. 26:Anzahl der Wörter pro Satz (Satzlänge) im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) .................................................. 180 Tab. 27:Anzahl der subordinierten Sätze im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) .............................................................182 Tab. 28:Anzahl der subordinierten Sätze im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) ............................................................. 183 Tab. 29:Anzahl der subordinierten Sätze zweiten bis vierten Grades im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) .................... 184 Tab. 30:Anzahl der subordinierten Sätze zweiten bis vierten Grades im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) .................... 186 Tab. 31:Anzahl der Attributsätze im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) ......................................................................... 187 Tab. 32:Anzahl der Attributsätze im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) ........................................................................ 189 Tab. 33:Anzahl der Adjektivattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern) ...........................194 Tab. 34:Anzahl der Adjektivattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern) ...........................196 Tab. 35:Anzahl der Präpositionalattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern) .............. 198 Tab. 36:Anzahl der Präpositionalattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern) ...............199 Tab. 37:Anzahl der Genitivattribute im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern) ...........................190 Tab. 38:Anzahl der Genitivattribute im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (bezogen auf 100 Substantive) (Median, Quartilabstand in Klammern) ........................... 191 Tab. 39:Anzahl der morphosyntaktischen Fehler im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) ................................................... 193 Tab. 40:Anzahl der morphosyntaktischen Fehler im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) ................................................... 195 Tab. 41:Anzahl der fehlerhaft flektierten Nominalphrasen im L-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) .......................................... 198 Tab. 42:Anzahl der fehlerhaft flektierten Nominalphrasen im Z-Korpus in den Altersgruppen nach Sprachgruppe (Median, Quartilabstand in Klammern) .......................................... 200 Tab. 43:Signifikante Unterschiede zwischen den Sprachgruppen hinsichtlich der Variablen für syntaktische Komplexität im L- und Z-Korpus .......................................................... 215 Tab. 44:Unterschiede zwischen den Altersgruppen hinsichtlich der Variablen für syntaktische Komplexität im L-Korpus ................................................................................... 217 Tab. 45:Unterschiede zwischen den Altersgruppen hinsichtlich der Variablen für syntaktische Komplexität im Z-Korpus ................................................................................... 217 Tab. 46:Anzahl der Texte mit niedriger bzw. hoher syntaktischer Komplexität in den Sprachgruppen im kleinen L-Korpus ........................................................................... 220 Tab. 47:Anzahl der Texte mit Pro-, Kontra- und neutraler Position in den Altersgruppen (in absoluten Zahlen) ................................................................................................. 222
Anhang Anhang A: Schreibaufgaben
A1: Schreibaufgabe Leserbrief In der Süddeutschen Zeitung gibt es wie in den meisten Zeitungen die Rubrik „Leserbriefe“. Hier können Leserinnen und Leser ihre Meinung über Zeitungsartikel äußern. Einige Leserbriefe werden ausgesucht und täglich in der Zeitung abgedruckt. Aufgabe: Schreiben Sie einen Leserbrief zu dem Interview unten. Machen Sie in dem Leserbrief deutlich, welche Meinung Sie zu dem Thema „Noten abschaffen“ haben und warum Sie diese Meinung haben. Beginnen Sie so: „Ich habe das Interview mit der Chefin des Münchner Lehrerverbandes zum Thema ‚Noten abschaffen‘ gelesen und möchte mich dazu folgendermaßen äußern: ...“
Interview mit der Chefin des Münchner Lehrerverbandes
Alle Noten abschaffen! Viele Eltern beklagen, dass schon in der Grundschule der Notendruck steigt. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) möchte das Zwischenzeugnis abschaffen und plädiert stattdessen für regelmäßige „Vertrauensgespräche zwischen Lehrern und Eltern“. Waltraud Lucic, Vorsitzende des Münchner Bezirksverbandes, geht noch weit darüber hinaus. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung bezeichnet sie den Leistungsdruck als „verrückt“ und wirft dem Notensystem vor, die Lehrer zu „Aussortierern“ zu machen. SZ: Sie wollen das Zwischenzeugnis abschaffen. Warum nicht alle Zeugnisse? Lucic: In der Konsequenz müsste man alle Noten abschaffen, ebenso das Sortieren nach der vierten Jahrgangsstufe. Gleichzeitig müssten wir eine längere gemeinsame Schulzeit einführen und eine Pädagogik, die die Schüler zur Selbstständigkeit erzieht. Lehrer sollten Lernbegleiter sein, nicht Aussortierer. Das wäre ideal. SZ: Glauben Sie denn, Schule funktioniert ganz ohne Bewertung? Lucic: Es muss schon ein Bewertungssystem geben. Aber es sollte differenzierter und individueller sein. Ziffernnoten halten wir für wenig aussagekräftig, sie teilen Kinder in Gewinner und Verlierer ein. Wir stellen uns stattdessen regelmäßige Gespräche zwischen El-
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tern und Lehrern vor, in denen deutlich wird, wo die Stärken des Kindes liegen und wo es noch Schwächen hat. Eine Art Lernwegbeschreibung, könnte man sagen. SZ: Also ein Zeugnis mit Worten statt mit Ziffern? Lucic: Nein, wir wollen kein herkömmliches Zeugnis. Wir wollen einen pädagogischen Leistungsbegriff, der das Selbstbewusstsein und die sozialen Kompetenzen entwickelt. Die traditionelle Benotung zielt darauf ab auszusortieren. Kinder lernen für Prüfungen, spucken ihr Wissen aus und vergessen es dann wieder. Das ist absurd. […] aus: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/kritik-an-zeugnissen-alle-noten-abschaffen1.484974 (07.06.2013); Interview mit Waltraud Lucic geführt von Christa Eder, © Süddeutsche Zeitung, 17.05.2010.
A2: Schreibaufgabe Zusammenfassung
Wenn Herkunft über Zukunft entscheidet Das Elternhaus bestimmt über die Schullaufbahn von Kindern
Von Volker Müller-Benedict Die Schullaufbahn eines Kindes entscheidet sich in Deutschland in den meisten Fällen in der 4. Klasse, manche Schüler sind da noch nicht einmal zehn Jahre alt. Woran liegt es, ob ein Kind den Sprung auf das Gymnasium schafft oder in der Hauptschule landet, welche Einflüsse, Faktoren und Effekte spielen bei den Übergangsentscheidungen eine Rolle? Wenn ein Kind am Ende seiner Grundschulzeit nicht auf das Gymnasium wechselt, kann das aus zwei ganz verschiedenen Gründen geschehen: Das Leistungspotenzial des Kindes ist nicht groß genug, oder aber es wurde nicht erkannt, nicht genug gefördert, von Eltern oder Lehrern nicht richtig eingeschätzt. Der zweite Fall stellt tatsächlich ein großes Problem dar: So wurde in Hamburg nachgewiesen, dass ein Drittel der an Gymnasien empfohlenen Schüler eine unterdurchschnittliche Lesekompetenz hatte. Dagegen wies ein Drittel der Schüler, die an Real- und Hauptschulen empfohlen wurden, eine überdurchschnittliche Lesekompetenz auf. Sozial ungleich wird diese „Fehlverteilung“, weil Kinder aus unteren Schichten bei gleicher Lesekompetenz viel eher auf Haupt- und Realschulen gehen und eben nicht aufs Gymnasium. Hier zeigt sich, dass die soziale Herkunft bei gleicher individueller Leistung über die gewählte Schullaufbahn entscheidet. Denn Familien mit unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen treffen unterschiedliche Entscheidungen bei den Bildungsübergängen ihrer Kinder. Man spricht dabei vom sekundären sozialen Effekt auf den Schulerfolg. Das individuelle Leistungspotenzial des Kindes, das ebenso abhängig von der sozialen Herkunft ist, wird als der primäre soziale Effekt bezeichnet.
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Das „tatsächliche“ Leistungspotenzial eines Schülers ist eine nicht messbare Größe, denn es hängt ab von zahlreichen Einflüssen aus Elternhaus und Schule, die das Kind seit seiner Geburt erfährt: ob ihm viel vorgelesen wird, wie sich Geschwister oder Oma um das Kind kümmern, ob seine Eltern Nachhilfe bezahlen können, ob es in der Schule unteroder überfordert wird, ob die Eltern vielleicht gar nicht wollen, dass das Kind auf ein Gymnasium geht. Bildungspolitisch wäre es sehr wünschenswert, beide Effekte zu trennen. Denn fest steht: Alles, was den primären Effekt kleiner macht, nimmt in keiner Weise Einfluss auf den sekundären Effekt. So kann zum Beispiel die individuelle Förderung eines Schülers, die zur Erhöhung seiner Leistungen führen soll, Förderunterricht etwa oder zusätzliche Deutschstunden, nichts gegen den bleibenden sekundären Effekt ausrichten. Dieser stellt den „harten Kern“ der sozialen Ungleichheit des Bildungserfolgs dar. Besonders bedeutend ist dabei die Tatsache, dass Eltern hinsichtlich der Schullaufbahn ihrer Kinder eher konservative Entscheidungen treffen, um ihre Sozialstruktur zu bewahren. So geht ein Kind aus den oberen Schichten mit mittelmäßigen Noten trotz des Risikos zu scheitern aufs Gymnasium, um mindestens den Bildungsstandard der Eltern zu halten. Dagegen steht ein Kind aus unteren Schichten mit mittelmäßigen Noten schon mit einem Realschulabschluss so gut da wie seine Eltern. Wegen ihrer fehlenden Erfahrung schätzen diese Eltern das Risiko, dass ihr Kind auf dem Gymnasium versagen könnte, zu hoch ein und entscheiden sich gegen diese Schulform. Die gewählten Lernumgebungen wirken sich aber wiederum auf die Leistungen der Kinder aus. So werden zwei Kinder, die am Ende ihrer Grundschulzeit gleiche Leistungen aufweisen konnten, aber auf unterschiedliche Schulformen geschickt wurden, in der 9. Klasse unterschiedliche Pisa-Testergebnisse erzielen. Das Kind, das ein Gymnasium besucht, wird besser abschneiden als das Kind, das auf die Realschule geht. Könnte es also helfen, die Übergangsempfehlung verpflichtender zu machen, wie es in Bayern geschieht? Damit ist nichts gewonnen, denn die Grundschullehrerinnen sind aus gutem Grund zurückhaltend bei Gymnasialempfehlungen für Schüler aus bildungsfernen Familien: Im Gymnasium wird mit dem familiären Rückhalt gerechnet. Vielmehr geht es darum, den Elterneinfluss auf die Schullaufbahn zu verringern. Und das geht am schnellsten, überzeugendsten und darüber hinaus am billigsten, weil nur einmal nötig, mit der Veränderung der Schulstruktur hin zu integrierten Gesamtschulen und Ganztagsschulen. Leicht modifiziert und gekürzt aus: http://www.zeit.de/2008/12/C-Studie-Bildungschancen (07.06.2013); Volker Müller-Benedict, © DIE ZEIT Nr. 12, 17.03.2008.
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Anhang B: Texte für die qualitative Analyse (kleines L-Korpus)
B1: Texte aus Klasse 11 B1.1: Klasse 11, niedrige syntaktische Komplexität, L1 Text 1 Ich finde, dass das halbjahres Zeugnis sehr wichtig ist für die Schüler. Sie können anhand der Zeugnisse Schwächen erkennen und sie versuchen zu beheben. Würde man das Halbjahres Zeugnis abschaffen und nur mit den Eltern reden, würden die Schüler nichts daraus lernen, weil wenn man es schriftlich hat ist für die meisten besser als wenn mans nur hört. Deshalb finde ich halbjahres Zeugnisse sehr wichtig. (SYTH0893) Text 2 Ich glaube, dass Schüler Noten benötigen um sich selbst einschätzen zu können. Schüler können mit dem Zeugnis ihre Noten vergleichen, ob sie sich in einem halben Jahr verbessert oder verschlechtert haben. Ohne Zeugnisse könnten die Arbeitgeber nicht vergleichen. Ich denke man braucht Noten um die Schüler am besten einschätzen zu können. Einzelgespräche nehmen Schüler nicht ernst. (MOWI1191) Text 3 Ich finde Noten sollten nicht abgeschafft werden Noten sind sehr hilfreich im Schulsystem, sie vereinfachen die Zensurenverteilung, ohne sie wär es sehr schwer. Man sollte sich mal vorstellen mit einem anderen System zu arbeiten z.B. 1–100 Punkte so ist es ja nur eine Skala von 1–6. Meine Meinung ist das einfachen Noten so bleiben sollen wie sie sind (CHHE0893) Text 4 Ich finde, dass die Chefin Recht hat und ich teile ihre Meinung. Ich finde ihre Argumente gut und würde es unterstützen das Zwischenzeugnis abzuschaffen, denn die Schüler bräuchten wirklich eine Bewertung die ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbständigkeit fördern. (JUDE0994) Text 5 Ich bin nicht der Meinung, dass Noten abgeschaffen werden sollen, denn dann weiß man nicht auf welchem Stand man sich befindet. Wenn es abgeschafft werden sollte, dann sollte es nicht nur Lehrer-Eltern-Gespräche geben, sondern auch regelmäßige Gespräche zwischen Lehrer und Schüler, damit es selber weiß auf welchen Stand es ist. Ich bin auch der Meinung, dass Zeugnisse beibehalten werden sollten, damit man weiß woran man noch arbeiten muss und um zu sehen, wo die Schwächen und Stärken liegen. Dass Kinder für Prüfungen lernen und dann wieder alles vergessen stimmt schon, aber man könnte regelmäßiger wiederholen um den Stoff zu behalten. Wenn es keine Benotung mehr gibt, glaub ich nicht daran, dass die Kinder mehr lernen werden, weil sie ja wissen, sie werden nicht benotet, sondern nur Gespräche und so. Das war meine Meinung über die Notenabschaffung. (NISE0694)
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Text 6 Es ist zwar keine schlechte Idee, aber ich//Ich bin eher der Meinung, das Noten bleiben sollten, weil sie einen vermitteln, wie man schulisch steht. Wenn man die Noten abschaffen würde, wer würde dann noch freiwillig//freiwilig für irgendetwas lernen? Auch wenn die Lehrer dann mit den Eltern reden, und die Eltern mit den Kinder, würde sie das interessieren? Ich persönlich wüsste dann auch nicht mehr wofür ich lernen sollte. Was bringt es das Zwischenzeugnis abzuschaffen? Sie sind dafür da, das man Ende des ersten Halbjahres weiß, wie man steht und wie die Möglichkeiten auf einen Abschluß stehen. Außerdem fließt die Zwischennote in die Gesamtnote mit ein, ob nun positiv oder negativ. Ich bin dafür das Zwischenzeugnisse und Noten bleiben. (MAMA0394) B1.2: Klasse 11, niedrige syntaktische Komplexität, L2 Text 7 Einerseits wäre es schwachsinn, das Schulleben zu verlängern, denn es wäre besser für Schüler, dass sie so schnell wie möglich fertig werden und mit Studium bzw. Arbeit beginnen. Anderseits stimmt es, dass im heutigen traditionellen Schulleben die Schüler nur lernen, um Prüfungen zu bestehen und es in den nächsten Tagen vergessen, was sie lernten! (AYME0595) Text 8 Meiner Meinung nach sollte man die Noten nicht abschaffen, allerdings sollte man es in der Grundschule schon tun. Ich finde es wäre besser erst ab der 5. Klasse Noten zu geben, weil die Kinder würden dann nicht diesen Notendruck haben. Man sollte auch nicht alle Noten abschaffen, weil man schon diesen Notendruck braucht, damit man bessere Leistung zeigt, denn damit strebt man nach guten Noten und wenn es gar keine Noten geben würde, könnte es sein das viele die Schule nicht ernst nehmen würden. Ich bin der Meinung, dass es Gespräche zwischen Lehrern und Eltern trotzdem geben sollte, da die Eltern dann ihren Kindern helfen können oder ihn klarmache, dass es die Schule ernster nehmen muss etc. (LAAL0591) Text 9 Lieber Munschener Lehrerverband, Ich finde die Noten sollten nicht abgeschaft werden. Die Lucie sagt, dass das zwischenzeugnis abgeschaft werden soll, doch ich finde, dass es eine schlechte Idee ist, denn das Zwischenzeugnis zeigt unsere Leistung, wo wir dann einsschätzen können ob wir uns verbessern sollen oder nicht. Zeugnis mit Wörtern ist blöd, weil die Eltern die Noten eh schon sehen und nicht extra ein Gespräch brauchen. (SEAY1294) Text 10 Ich bin nicht direkt dieser meinung weil ich denke, dass „aussortiert“ werden muss, damit jeder später die Berufswahl hat, die auch für ihn und seine Leistungen zutrifft. Wenn keine Differenzen geschaffen werden, hat mann am ende Schüler auf dem Gymnasium, die im grunde auf die „Sonderschule“ gehören. Es muss eine gewisse art der Bewertung geben. wenn man regelmäsige Gespräche mit den Eltern vereinbart, weiß dass Kind im grunde immernoch nicht wo es zurzeit steht. weil die Eltern immer etwas an der sache ändern, und so auch die aussagen der lehrer. Ein Ziffern zeugnis sagt meiner meinung nach
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ziemlich genau aus wo man gerade steht. der druck wird in einigen fällen höher aber ebenso auch die Lernbereitschaft. Außerdem stelt sich die frage, was der schüler letzten endes am ende des Schuljahres bekommt, wenn kein Zeugnis oder Noten. Ein Pädagogisher Brief ware nicht aussage kräftig genug um über die Leistung zu bestimmen. (GOAZ1290) Text 11 Die Aussagen und Behauptungen mögen vielleicht sogar richtig sein. Der Haken dabei ist, dass man auch bedenken sollte wie die Auswirkung auf dem Kind beruht. Das neu vorgeschlagene System könnte Fehler enthalten, was sich zu einem großen Problem entwickeln könnte. Andererseits wäre der Druck für die Kinder nicht mehr so hoch wie vorher. Ich denke, man kann auch ein System entwickeln, womit sich alle beteiligten anfreunden können. Das komplette Notensystem abzuschaffen wäre meiner Meinung nach Unnsinnig. Das System „etwas“ zu verändern wäre meine Meinung. (NAAM0593) Text 12 Das Thema ist sehr wichtig und ich freue mich, dass diese Zeitung es endlich aufgegriffen hat. Ich finde, dass die Noten wichtig aber auch unnötig sind. Sie sind wichtig, weil man damit die Leistungen der Schüler bewerten kann. Damit können sich schlechtere Schüler vornehmen auch an gute Noten zu gelangen, um von den Lehrern gelobt zu werden, indem sie sich anstrengen. Die Noten müssen aber nicht nach den Prüfungen bestimmt sein. Es sollte schon nach der mündlichen Mitarbeit bestimmt werden. Das heißt, dass die Lehrer z.B. das letzte Thema wiederholen und gucken, wer es denn verstanden hat. Die Schüler, die noch Hilfe brauchen werden von den Lehrern und Schülern unterstützt. Ich finde die Noten aber auch unnötig, weil es auch sein könnte, wie Waltraud Lucic schon gesagt hatte, dass die Kinder für Prüfungen lernen und dann wieder alles vergessen. Somit haben sie eigentlich nichts gelernt und das nützt ihnen im weiteren Leben auch nichts mehr. Ich würde sagen, dass die Noten nicht abgeschafft werden sollen, denn mit den Noten schafft man einen Ansporn für die schlechteren Schüler herbei, an gute Noten zu gelangen. Die Lehrer müssen den Schülern zeigen, wie wichtig es ist einen guten schulischen Abschluss zu bekommen und wie es weitergehen würde, wenn sie weiterhin so schlecht mitarbeiten. Damit würde es auch den letzten Schülern klar werden, wie wichtig die Schule ist. (MAAL0693) B1.3: Klasse 11, hohe syntaktische Komplexität, L1 Text 13 Ich bin der Meinung das Noten erst frühestens in der vierten Klasse vergeben werden sollten. Ausserdem bin ich auch der Meinung dass erst nach der 6ten Klassen entschieden werden sollte ob ein Kind aufs Gymnasium oder Realschule gehen soll. Man kann ja trotz Noten enge Gespräche mit den Eltern führen, und sie über den Leistungsstand ihres Kindes informieren. Ich halte die meisten Ansichten der Chefin des Münchener Lehrerverbandes für absurd. (RENO1192) Text 14 Ich bin auch der Meinung, dass der Notendruck zu krass ist. Vor allem in den jungeren Klassen bzw. den Grundschulen. Dort wäre es angebracht über die Abschaffung nachzu-
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denken, da man nicht so früh mit dem selektieren beginnen sollte. In der Oberstufe, aber spätestens, wenn nicht ab der 10. Klasse, also den sog. Abschlussklassen, muss es Noten geben. 1. um den Schülern eine Art Feedback zu geben. Und 2. um den Arbeitgebern die ganze Prozedur der „Azubi-Suche“ zu vereinfachen! Desweiteren, wäre es sicher sinnvoll, den Druck allgemein zu senken, da es, wie im Text bereits genannt, vielleicht nicht früher, aber zumindest gegenwärtig zum lernen für Noten und nicht für Wissen führt! (SUHE0690) Text 15 Noten dienen als Featback, einer Leistung, für Schüler, und informieren die Erziehungsberechtigten regelmäßig über die derzeitige Leistung, die ihr Kind in der Schule vollbringt. Das Schulniveao würde mit der Abschaffung der Noten sinken, und auch die Einschätzung des Vollbrachten, würde möglicherweise von Schülern falsch eingeschätzt werden. Der Druck der auf ihnen lastet würde sinken, die Leistungen allerdings ebenfalls, da man ja nichts zu befürchten hat. Meiner Meinung nach, könnte man die Einschaffung der Noten in die vierte oder fünfte Klasse verschieben. Ein regelmäßiges Featback durch konkrete Noten sollte man aber beibehalten. (KAMI0493) Text 16 Ich finde es nicht gut, das der Druck auf teilweise sehr kleine Kinder schon so früh ausgeübt wird. Das es keine Zwischenzeugnisse mehr gibt, finde ich nicht gut, da man sich so besser einschätzen kann und dann sich in den einen oder anderen Fach mehr angagieren kann. Es sollte auch keine Zeugnisse mit Text geben, außer in der 1 und 2 Klasse, aber ansonsten sollte man bei Zahlen bleiben. Man sollte aber trotzdem unter jedes Zeugniss einen kleinen Merksatz drunter schreiben. (ANJE1292) Text 17 Persönlich empfinde ich dieses Interview regelrecht lachhaft. Meiner Meinung nach kann man nicht einfach Noten abschaffen. Noten sind der Ansporn der Schüler! Ohne sie würden Schüler meistens warscheinlich kaum lernen, daher finde ich die letzten 3 Sätze des Berichtes falsch (die traditionelle Benotung ziehlt darauf ab auszusortieren. Kinder lernen ...). Die Idee regelmäßigere Gespräche zwischen Kind, Eltern und Lehrer einzurichten ist meines Erachtens nach schlecht umzusetzen und teils sinnlos, da, z.B. wie meine Eltern, viele Erziehungsberechtigte arbeiten müssen und keine Lust auf derartige Gespräche haben, außerdem (so habe ich es bisher immer erfahren) erscheinen die Eltern der „schwierigeren Kinder“ bei sollchen Gespräch meist garnicht oder es verändert sich schlicht weg nichts trotz der Gespräche. Abschließend möchte ich als Schüler noch einmal sagen das ich Noten als Substanziel für die Schule erachte und mich dadurch nicht als Gewinner oder Verlierer eingeordnet empfinde. Mit freundlichen Grüßen. (NADI0693) Text 18 Ich finde die Idee von Lucic im allgemeinen gut, jedoch sollte es immer noch ein Bewertungssystem für die Schüler geben, um daran hochzuziehen und zu motivieren. Jediglich ein Gespräch mit den Eltern würde nicht ausreichen um den Schülern beizubringen wo und wie sie sich verbessern sollen. Dies würde außerdem die Selbsständigkeit fördern und ist besser, von den Eltern gesagt zu bekommen was gut, und was das Kind schlecht macht. Die einzigsten Noten die Abgeschaff werden sollten sind die in der Grundschule.
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Der zu hohe Notendruck in jungem Alter kann folgen haben. Kinder sollen einen unbeschwerten Lehrgang haben in der Anfangsphase. Nach dem Aussortieren, was wiederrum korrekt ist da lernen zwischen guten und schlechten Schülern Schwachsinn ist, sollten Schüler mit dem Notensystem vertraut gemacht werden, damit sie sich umso mehr anstrengen und die Leistungen steigen. Lernwilligkeit gehört natürlich auch dazu, sonst funktioniert garnichts, weder Notenabschaffung noch der jetztige Notendruck. (SADE1093) B1.4: Klasse 11, hohe syntaktische Komplexität, L2 Text 19 dass der Notendruck steigt, lässt sich nicht bezweifeln, dies aber als „verrückt“ zu bezeichnen, laut Waltraud Lucic, ist wiederum falsch. Was sollte man ihrer Meinung nach denn mit der Abschaffung der Noten erreichen? Nichts weiteres als Motivations- und Disziplinslosigkeit. Ohne Abfragung von Themen die sie erarbeitet haben und somit ohne Zensuren gibt es überhaupt gar keinen Leistungsdruck und dadurch hätten die Schüler kein Gefühl mehr dafür, wie sehr, oder ob überhaupt sie sich noch anstrengen müssen. Wenn Frau Lucic schon Pädagogisch denkt, sollte sie auch beachten, dass es Schülerinnen und Schüler gibt die beispielsweise im schriftlichen besser sind und sich mündlich kaum beteiligen. Wie sollen sich diese dann beweisen? Bei Gesprächen zwischen Eltern und Lehrern würde dann nicht auffallen, dass das Kind schon intelligent ist, aber zu schüchtern, um sich zu melden. Wie sollen in späteren Berufen die schulischen Leistungen anerkannt werden, wenn das Zeugnis sich nicht durch alle Ziffernoten zusammensetzt? Meiner Meinung nach ist das absurd, und nicht das Prüfen und Zensieren von erlernten Themen. (FABA0293) Text 20 Ich persönlich finde, dass Frau Waltraud Lucic, Vorsitzende des Münchner Bezirksverbandes, aus meiner Ansicht falsch liegt, denn Schüler & Schülerinnen, die schlecht in der Schule sind haben mehr Vorteile als Schüler & Schülerinnen, die gut in der Schule sind, denn schwachen und faulen SchülerInnen wird eine neue Chance gegeben sich zu verbessern. Starke Schüler können sich im 2. Halbjahr verschlechtern und ein Zeugniss mit schwächeren Zensuren abholen. Jedoch muss es so sein, dass im Zwischenzeugniss jeder seine schriftliche Arbeit angucken kann um sich zu bessern, denn der Zwischenstand sorgt für den schwachen sowohl auch für den starken SchülerInnen als eine Art von „Berichtigungsblatt“// „Besichtigungsblatt“ in dem die SchülerInnen versuchen immer weiter sich zu verbessern bis sie sich gute Zensuren leisten. Mir persönlich als Elternteil würde ein mündliches Gespräch mit den Lehrer nicht reichen, denn oft haben die Jugendlichen das Gefühl, dass Eltern lockerer mit den Kind umgehen anstatt Firmen mit Ausbildenden. Demnach finde ich, dass es für jedes Kind wichtig ist, der seinen Job macht gute schriftliche Leistungen in der Bewerbung zu schicken. Ein zusätzliches Lehrergespräch mit den Eltern und mit einen Zwischenzeugniss gehört sich absolut hin. Ich hoffe, dass Vorsitzende nie wieder auf unnötigen Ideen kommen, genauso wie Deutschland bald die Oberschulen eröffnen möchte, wo sowie so niemand damit klar kommen wird. Ich hoffe ich habe mich sehr deutlich zum Thema ausgedruckt. Liebe Grüße (PASI0593)
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Text 21 „Noten abschaffen“ ist schon ein schwieriges Thema. Meiner persönlichen Ansichten nach, hat die Abschaffung der Noten wirklich einen Einfluss auf die Leistung der Schüler und Schülerinnen. Es ist auch sehr gut, dass versucht wird, mehr mit den Eltern zusammen zu arbeiten. Es soll wohl das Lehrer-Eltern Verhältnis verstärken. Man soll aber zusätzlich zu der Pädagogik die Noten als Ziffern doch behalten, denn es ist nicht wirklich ein Aussortieren der Schüler. Es zeigt doch nur den Leistungsstand der SchülerInnen. Die Abschaffung des Aussortieren nach der vierten Klasse finde ich absurd. Man muss die Schüler doch fördern, die auf einem hohen Level sind. Und man muss auch die Fördern, die auf einem niedrigerem Level sind. Der Unterschied wäre dann viel zu groß. Es würde nur zur negativen Ergebnisse führen. Die Idee die Noten abzuschaffen wäre doch schon [schön?], aber sie muss viele Hürden überwinden. (RAAR1292) Text 22 Ich stimme der Aussage von Frau Lucic überhaupt nicht ein. Würde man Noten abschaffen, würden sich die Schüler/Schülerinnen nicht mehr um ihre Anwesenheit bzw. Leistungen kümmern. Ohne Noten würden keine Hausaufgaben mehr gemacht werden oder aktiv am Unterricht teilgenommen werden. Zu dem Punkt Abschaffung der Ziffernoten in den Zeugnissen ist zu sagen, dass ein schriftliches Zeugnis den Schüler/in mehr prägt als ein mündliches Zeugnis. Zwar würde diese Idee viel Arbeit und Mühe der Lehrer/innen sparen, jedoch somit auch ein tiefes Loch in unserem Bildungssystem hinterlassen.2) Ich finde klar und deutlich, dass Noten ausschlaggebend für gute Leistung im Unterricht sind, denn welches Kind arbeitet so hart, um am Ende 2 Sätze von seiner Lehrerin bzw. seinem Lehrer zu hören, in denen geschildert wird, welche guten Arbeiten er verrichtet habe. (SHWA0493) Text 23 Meiner Meinung nach sind die Noten einerseits schon wichtig, da man dann weiß, wo die Kinder schon ganz gut alleine zurecht kommen oder wo sie noch Hilfe benötigen. Ebenso finde ich das aussortieren nach der vierten Jahrgangsstufe gut, weil dann der zukünftige Klassenlehrer weiß, auf was für eine leistungsstarke Klasse er sich einlässt. Bei einer gemischten Klasse weiß man nie richtig, was man mit den Leistungsstarken Kindern anfangen soll, wenn die etwas schwächeren noch hinter her hängen und noch Hilfe brauchen. Bei der Zeugnisausteilung sollten immer Gespräche zwischen Lehrer, Eltern und Kinder statt finden, sodass man nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich eine Anmerkung zu der Benotung bekommt. (ELMU0393) Text 24 Meiner Meinung nach zu urteilen muss man das Notensystem beibehalten. Der Vorschlag von einer neuen Benotungstechnik ist nachvollziehbar, dennoch muss man bedenken dass man ohne Leistungsdruck den Schülern auch ein nötiges Warnsignal ausstummt. Dies wäre kritisch für die faulen sowie von Grund aus asozial eingestellten Schüler, also für Schüler mit einem korrigierbarem Defizit. Diesen sollte man einen gewissen Druck vorgeben. Außerdem ist das zükunftige Berufsleben eines Schülers mit Stress und Druck geprägt, also sollte man die Junioren darauf vorbereiten. Ich appelliere an den Sozialpädagogen der Schulen damit sie, den Jungendlichen bei schulischen sowie sozialen Problemen eine Hand reichen können. Man sollte den Schülern auch eine Portion Selbstver-
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trauen verabreichen damit sie sich in einer gewissen Art überschätzen und ein Teil der Forderungen erfüllen, was auch einen Fortschritt aufzeigen kann. Dieser Trick ist aber sehr aufwendig also sind Diskussionen nicht nur erwünscht sondern erforderlich. (TÜAL0394)
B2: Texte aus Klasse 13 B2.1: Klasse 13, niedrige syntaktische Komplexität, L1 Text 25 Meiner Meinung nach ist es Quatsch alle Noten abzuschaffen einerseits, argumentiert die befragte Person für Selbstständigkeit, andererseits will sie Bewertungen an die Eltern weitergeben, was die Selbstständigkeit meiner Ansicht nach einschränkt. Außerdem müsste man das ganze System ändern was widerrum zuviel Geld kostet und einen jahrelangen Wandel verlangt. Insgesamt bin ich dagegen, da meiner Meinung nach, dass Schulsystem so wie es ist, in Ordnung ist. Auch die Noten einfach in Zahlen reicht völlig aus und reicht das Bewertung aus. (KEMA0291) Text 26 Die Zwischenzeugnisse abzuschaffen ist unsinnig, da dies eine Hilfe sein soll um sich selbst einzuschätzen, sprich ob man sich noch verbessern muss. Zudem gibt es bereits Zwischengespräche zwischen Lehrern und Eltern und zwischendurch sogar auch mit Schülern. Zwar gibt es einen starken Leistungsdruck, doch mit der Notenabschaffung, erreicht man nur eine Verschlechterung. Tatsache ist, dass wenn zukünftige Arbeitgeber immer eine gute Übsicht erhalten muss, auch um die Zeugnisse, sprich die Noten, mit anderen vergleichen zu können, ansonsten müssten sich diese Arbeitgeber sich den am schönsten furmulierten Text raussuchen, wo womöglich Schwächen verloren gegangen sind und nur drinne steht worin man gut ist. Tatsache ist, wenn ein Bewertungssystem zu individuell ist, kann man Schüler nicht mehr vergleichen, doch das muss man können, als Entscheidungshilfe. (RYED0491) Text 27 Das Absetzen der Schulnoten ist absurd. Wenn die Kinder keine Noten mehr bekommen, Wie sollen sie sich denn dann einschätzen. Klar kann man auch pädagogisch an die Sache rangehen, und den Schülern sagen was sie falsch machen od. wie sie eingeschätzt werden, doch sollte deswegen nicht das Schulbenotungssystem darunter leiden. Anhand der Noten kann man sich wirklich gut einschätzen, und man weiß, dass man sich noch in dem und dem Fach verbessern muss. Was man machen könnte wäre die pädagogischen Konversationen weiter fortzusetze, doch die Benotung bleiben noch erhalten. Die Lehrer werden nicht als Aussortierer für gute Schüler und schlechte Schüler abgestempelt. Doch im Grunde genommen werden schon Gespräche zwischen Schüler und Lehrer gehalten, zwar nicht als Benotungssystem aber um einen darauf hinzuweisen oder zu sagen wie gut man in der Schule ist. Es kommt darauf an, was man mit dieser Benotung anstellt: Entweder sich verbessern, od. einfach so bleiben (auf dem selben Notenstand). (EVRE0690)
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Text 28 Ich halte die Idee, Noten abzuschaffen, für eine gute Sache, jedoch nur bezüglich der ersten Schuljahre (Grundschule). Die Kinder müssen sich in der Schule schon sehr früh einem Leistungsdruck unterwerfen und es wird verlangt, dass sie schnell lernen. Ich bin der Meinung, dass ein individuelles Bewertungssystem den Kindern mehr Nutzen bringen würde, als Noten. Ihre Stärken und Schwächen könnte besser und spezifischer analysiert werden und es könnten von Anfang an Hilfestellungen angeboten werden. Außerdem würden die Kinder merken, dass man sich für sie interessiert und es würden weniger negative bzw. unsoziale Handlungen auftreten, zb. im Freundes- oder Familienkreis. (SARO1290) Text 29 Ich bin auch der Meinung, dass Schulnoten keine Aussage über das Leistungspotenzial von Schülern haben. Ich würde sagen, Noten sind in einer Weise unfair. Lehrer haben ihre Lieblingsschüler, auch wenn das immer abgestritten wird, die sie besser bewerten. Schüler die sich beispielsweise im ersten Jahr sehr anstrengen und sehr gute Leistung erbringen, bekommen auch im folgenden Jahr sogar mit minderer Leistung gute Bewertungen. Würde man allerdings Schulnoten ganz abschaffen, gäbe es für einige Schüler überhaupt keinen Anreiz mehr sich in der Schule zu bemühen oder sich einzusetzen. Ich finde es auch wichtig die Selbstständigkeit der Schüler zu fördern. Den Schülern sollte bewusst gemacht werden, dass sie für sich selber entscheiden sollten, wie sehr sie sich in der Schule anstrengen und was sie aus dem Unterricht mit in ihr Leben nehmen wollen. Oft ist es wirklich so, dass Schüler nur lernen um die Prüfung zu meistern und danach ist alles vergessen. (REJO1290) Text 30 Ich sehe Noten nicht als reine „Druckmacher“ und dem entsprechend denke ich, dass es nicht sinnvoll wäre sie abzuschaffen. Natürlich bin ich dagegen, dass es in der Grundschule bereits Noten gibt. In diesem Alter sollte man sich noch keine Gedanken darüber machen müssen, ob man besonders gut oder besonders schlecht ist. Ich denke in dieser Zeit ist es tatsächlich hilfreicher, wenn man Gespräche mit den Eltern führt. Ich finde auch, dass es nicht gut ist nach der 4. Klasse zu sortieren. Ich denke eine Orientierungsphase (5.–6. Klasse) in der Noten eingeführt werden ist sinnvoll und nach der 6. Klasse sollte entschieden werden welche Schulform das Kind in Zukunft besucht. Ich denke Noten geben ein wenig ansporn sich zu verbessern. Außerdem denke ich, dass ab der 6. Klasse keine Gespräche mehr mit den Eltern notwendig sind, sondern eher mit den Schülern, da schließlich diese etwas ändern müssen. (ROPE0891) B2.2: Klasse 13, niedrige syntaktische Komplexität, L2 Text 31 Mein erster Gedanke dazu lautete: „Würden die Schüler konsequent lernen, wenn die traditionelle Benotung abgeschafft wird?“ Denn oft werden Schüler auf Grund der Benotung unter Druck gesetzt und fangen so an zu lernen, doch meistens vergessen sie wiederum ihr gelerntes nach den Prüfungen. Will man die Benotung abschaffen und das zum Wohl der Kinder, dann sollte man sie dabei unterstützen und motivieren zu lernen. Ich glaube,
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dass es eine gute Idee wäre, dennoch müsste man stattdessen andere Maßnahmen setzen, die auch gut überlegt wurden. (EVED0693) Text 32 In dem Interview wird behauptet, dass Schüler durch die Abschaffung von Noten zur Selbstständigkeit erzogen werden sollen, doch dies geht nur durch die Noten, nur durch regelmäßiges selbstständiges auffrischen kann man sein Schullaufbahn erfolgreich meistern. Somit wird man den gelernten Stoff nicht vergessen. Noten geben den ansporn sich zu verbessern und wer einmal eine gute Note bekommen hat, wird auch versuchen, dies bei zubehalten, oder sich gar weiter zu verbessern. Schüler mit schlechten Noten sollten dann individuel gefördert werden in den Bereichen in denen ihre Schwächen liegen und hier kann man auf regelmäßige Gespräche mit Eltern zugreifen. Jemand der eine gute Leistung bringt will dafür natürlich auch sichtbar, oder spürbar entlohnt werden und möchte nicht, dass das was er oder sie geleistet hat in der Masse durch Gleichstellung aller untergeht. Alles in allem sollte man den Schülern die chance geben ihr Können//können unter Beweis zu stellen und sich selbst was zu Beweisen und eine Bestätigung ihres könnens durch Noten in Anspruch zu nehmen und schwächeren Schülern die entsprechenden Fördermaßnahmen zukommen zu lassen. (EMMU0991) Text 33 Ich finde, dass man die Noten nicht abschaffen sollte, weil man dadurch die Leistungen der Schüler sehen kann. Man könnte vielleicht die Zwischenzeugnisse abschaffen aber nicht die Endzeugnisse. Doch die Chefin des Münchener Lehrerverbands hat einerseits Recht, weil die Schüler sich anstrengen bzw. lernen und es dann wieder vergessen. Einige Schüler sind auch im Unterricht sehr gut doch die Klausuren verhauen sie, was natürlich ärgerlich ist. Man sollte vielleicht nur in den Abgangsjahren Zeugnisse geben damit die Schüler auch wissen in welchem Stand sie sind. Was ich noch nicht gut finde ist, dass man auf der Oberstufe, also in der 13ten abschaffen sollte, welche Kurse man miteinbringen sollte welche nicht, da bräuchte man auch ein gewissen Durchschnitt. Dies würde die meisten Schüler erleichtern. (GÜZE1190) Text 34 Zwar schaffen Noten ein gewissen Leistungsdruck, jedoch tun das andere Bewertungen auch. Wenn persönliche Gespräche mit den Eltern stattfinden, können diese ihre Kinder ebenfalls unter Druck setzten. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich fände es auch nicht richtig wenn es gar keine Beurteilung gibt. Das Notensystem gibt es schon seit hunderten von Jahren, es hat immer gut funktioniert und heutzutage wird ja auch keiner mehr wegen schlechten Noten geschlagen. Haben die Schulbehörden und Politiker nichts besseres zu tun, als jede paar Jahre das Schulgesetz und die Schulprinzipien zu ändern? Meiner Meinung nach sollten sie sich um wichtigeres kümmern, denn das Schulsystem hat funktioniert und wird es auch weiterhin, wenn man es lässt! (JUJA0889) Text 35 Die Notenabschaffung würde sich nur noch negativ auswirken. Da es keine direkte Bewertung gibt. Die Schüler werden nicht gefordert. Das Schulleben erscheint für diese ziellos, da es auch keine Konkurrenz gibt. Selbständigkeit wird ebenfalls benachteiligt, was für das zukünftige Berufsleben von großer Wichtigkeit ist. Die Aussage, dass die Kinder ler-
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nen nur um in den Prüfungen gut abzuschneiden; (d.h. diese Kinder vergessen schnell, was sie gelernt haben) würd ich sagen stimmt nicht ganz. Denn die Schüler meinen was gelernt bzw. verstanden haben, um im Unterricht gut mitzumachen. Es heißt, dass bereits gelerntes eine Basis ist für etw. Neuem. Gäbe es keine Bewertung oder Prüfungen, würde die Mehrheit der Schüler nichts tun und nur eine kleine Gruppe könnte sich schulisch gut qualifizieren. (LUNI1189) Text 36 Diese Begründung möchte ich nicht kritisieren, jedoch sollten die Noten nicht abgeschafft werden, denn diese braucht man für die berufliche Zukunft. Aber ich befürworte die regelmäßigen „Vertrauensgespräche“, die als Ergänzung zum Zeugnis gelten würden. Noten in Worten ist meiner Meinung nicht passend, denn es zeigt keine Möglichkeit, in welchem Fach und wie man sich verbessern sollte. Denn ich finde z.B. eine 5 in Deutsch schockt mehr, als wenn der Lehrer sagt, der Schüler solle sich in Deutsch mehr Mühe geben. Schließlich ist zu sagen, dass ich gegen die Abschaffung der Noten bin. (LEAH0789) B2.3: Klasse 13, hohe syntaktische Komplexität, L1 Text 37 Das von ihnen dargestellte Problem zur Leistungsbewertung in den Schulen, sehe ich persönlich genau so. Die Ziffern die am Ende eines Schuljahres auf einem „Blatt“ stehen, sagen viel zu wenig über die geleistete Arbeit aus. Am meisten betrifft dieses Problem die Schüler der Oberstufe. Dort setzt sich die Halbjahresnote aus zwei schriftlichen Klausuren und der mündlichen Beteiligung zusammen. Sollte es vorkommen das eine der beiden Klausuren schlecht ausfällt, wirkt sich dies dramatisch auf die Halbjahresnote in diesem Fach aus. Deswegen sollte das so genannte „Zeugnis“ die gesamte Leistung eines Schülers, differenzierter und individueller ausdrücken und nicht nur aus z.B. drei Faktoren bestehen. Ebenfalls bin ich der Meinung, das die Benotung in Grundschulen völlig sinnlos ist. Diese Schüler haben in diesem Stadium des schulischen Werdegangs, noch nicht die nötige Erfahrung um aus dieser Art der Benotung einen Nutzen zu gewinnen. Sie sollten lieber durch Gespräche auf gewisse Leistungslücken hingewiesen werden. (ANTH0791) Text 38 Das größte Problem des derzeitigen Notensystems ist das Fehlen von Richtlinien. Noten sind subjektiv da sie nur von einem Lehrer bestimmt werden, wobei man bei anderen Lehrern eine völlig andere Beurteilung für die selbe Leistung erhält. Die Ausführungen von der Chefin des Münchner Lehrerverbandes machen aber genauso wenig Sinn. Ein individuelles Bewertungssystem ist für einen Lehrer viel zu zeitaufwendig, wenn er dieses für bis zu 30 Schüler anfertigen muss und deshalb nicht realisierbar. Das simple Einführen von Auflagen oder das Gegenkontrollieren von anderen Lehrern bei der Notenvergabe könnte die Chancengleichheit in den Schulen immens steigern. (ELUL0490) Text 39 Das vorgeschlagene System zur Abschaffung der Noten würde sich meiner Ansicht nach nicht positiver auf die Schüler und deren Noten auswirken, als das bestehende System. Durch die Besprechung der Leistungen mit den Eltern könnte vermutlich gar nicht deutlich wiedegegeben werden, welche Probleme der Schüler hat oder in welchem Fachgebiet
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er besonders gut ist. Sollen die Schüler schließlich eher von den Eltern ihre Leistungen erfahren? Ich finde das keine gute Idee. Schüler sollten sich auch untereinander vergleichen können und Bilanzen ziehen. Und wie soll der Wissensstand anders als durch Prüfungen und ähnliches abgefragt werden und letztlich auch gesehen werden, ob der Schüler die Thematik verstanden hat? Am besten würde sich eine Kombination aus beiden Systemen eignen, und zwar, dass man neben dem Benotungssystem auch noch Möglichkeiten hat Termine zusammen mit Lehrern und Eltern, womöglich auch mit den Schülern, zu vereinbaren. Dadurch würden auch Schüler gefördet bei denen die Eltern nicht hinter ihren Kindern stehen, was bei der vorgeschlagenen Methode nicht der Fall wäre. (IDHO1190) Text 40 Noten sind ein wichtiger Aspekt was die Beurteilung der Leistung von Schülern betrifft. Noten verschaffen meiner Meinung nach eine geordnete Struktur im Berwertungs- sowie Aussagekriterium eines Schülers bzw. dessen erbrachte Leistung innerhalb eines geordneten Lehrplanes. Andere Bewertungssysteme wie z.B. das Verfassen eines Lehrberichts des Schülers vom Lehrer führen in häufigen Fällen oft zu Missveständnissen, Ungenauigkeit und verfälschter Aussage, weil daraus nicht immer abgeleitet werden kann, ob es sich z.B um eine „sehr gute“ oder eher eine „gute“, bis „befriedigende“, Leistung handelt. (TAVA0391) Text 41 Meiner Meinung nach ist die Stellungnahme von Waltraud Lucic genau richtig, denn die Kinder werden entweder zu Gewinnern oder Verlierern gemacht. Die Maßnahme, dass die Eltern in regelmäßige Gespräche miteingebunden werden, halte ich für äußerst sinnvoll. Doch dafür muss viel Zeit und Arbeit investiert werden und ob da sich die Lehrer genug Zeit für nehmen und berufstätige Eltern regelmäßig Zeit finden, ist ungewiss. Auch das Argument, dass Kinder nur für Arbeiten lernen und danach ihr Wissen verloren geht, kann ich nur bestätigen. Dieses Lernverhalten kenne ich nur zugut von mir selber. Doch das Sortieren nach der vierten Jahrgangsstufe ist meiner Meinung nach sinnvoll, da ja schon die einzelnen Leistungen der Kinder bewertet werden müssen. Man muss ja individuell die Kinder nach ihren Leistungen fördern. Vielleicht könnte ein anderes Schulsystem als Gymnasium, Realschule und Hauptschule entwickelt werden, um nicht das Gewinner und Verlierer Prinzip weiterzuführen. (ANMI1290) Text 42 Die Abschaffung von Noten halte ich für völlig absurd. In unserer Zeit bekommt man nichts geschenkt, es richtet sich alles nach erbrachter Leistung. Warum sollte man den Kontakt mit dieser Tatsache nur aufschieben, anstatt sich schon von Kind aufan daran zu gewöhnen. Außerdem ist der Unterricht nun wirklich nicht so gestaltet, dass die Schüler freiwillig lernen. Besonders in der Sekundarstufe I ist es zwingend notwendig, die Kinder zum Lernen zu zwingen (über die Benotung). Dieses pädagogische Geschwätz über längere gemeinsame Schulzeiten und einen „pädagogischen Leistungsbegriff“ halte ich für unüberlegt, sinnlos und nicht realisierbar. (MAGE1292)
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B2.4: Klasse 13, hohe syntaktische Komplexität, L2 Text 43 Es ist eine hervorragende Idee die Schüler nicht mehr nach einem bestimmten Schema zu bewerten, denn den Schülern bleibt so nur wenig Freiraum sich selbst zu entfalten. Jeder Schüler hat gewisse Stärken und Schwächen und mit einem solchen Notensystem wie es jetzt besteht, hackt man eher mehr auf den Schwächen rum. Der Vorschlag der Chefin des Münchener Lehrerverbandes jedoch unterstützt die Schüler bei der Bewältigung ihrer Fehler, denn Zahlen sind definitiv nicht so aussagekräftig wie ein Gespräch oder ein individueller Verbesserungsvorschlag in schriftlicher Ausführung. Der einzige Haken wäre nur, dass das Gespräch von Lehrer zu Schüler geführt werden müsste und ca. bis zum 14. Lebensjahr auch noch mit den Eltern. (LUMO1091) Text 44 Meiner Meinung nach wäre es falsch alle Noten abzuschaffen, da man für die Leistung von Schülern ein einheitliches Bewertungssystem haben muss. Selbstverständlich sagen Noten nicht viel über den Charakter oder über die soziale Kompetenzen des jeweiligen Schülers aus, jedoch kann man meiner Meinung nach diese Werte in einem einheitlichen System feststellen. Eine Lösung des, durch den Artikel aufgezeigten, Problemes wäre eine ergänzende Einschätzung der Lehrer über z.B. die sozialen Kompetenzen des Schülers, welche in schriftlicher Form erfolgt. Die Einschätzung wird dann dem normalen Zeugnisnoten beigefügt. Jedoch bleibt zu beachten, dass, wie oben erwähnt, diese ergänzende Einschätzung nicht einheitlich erfolgen kann, da Lehrer z.B. ihre Gewichtungen auf Kompetenzen der Schüler verschieden verteilen. (TNCH0991) Text 45 Die Aussagen der Vorsitzenden des Münchner Bezirksverbandes, Waltraud Lucic, finde ich allesamt zutreffend und richtig. Die Schüler heut zu tage werden bereits in der Grundschule nach Leistung selektiert und eingestuft. Klar muss das Kind ein gewisses Feedback bekommen, aber dies sollte nicht anhand von Noten passieren. Desweiteren teile ich die Meinung von Waltraud Lucic, dass diese Art von Benotung die Kinder bzw. Jugendliche nur in Gewinner und Verlierer einordnet, aber so is das Leben nun mal. (BEDA0192) Text 46 Die Idee von einer Notenfreien oder sogar Zeugnissfreien Schule ist schwachsinnig. Beispiele für diesen Fehlschlag gibt es schon, die Gesamtschulen. Nicht umsonst trennt man die Leistungsstärkeren von den Leistungsschwächeren. Die Gesamtschüler, die nach den 10. Klassen in die Oberstufe übergehen verlangsamen den Lernfortschritt. Die Leistungsschwächeren halten den Unterricht unnötig auf. So gibt es, durch diese Zusammensetzung, eine Verzögerung im Lernfortschritt ab den 5. oder 10. Klassen, je nach Schulform. Nimmt man die Noten raus, und trennt die Schüler nicht, gibt es im Gesamtverlauf der Schüler einen dramatischen Rückgang der Leistungen und der Trend wird noch weiter sinken, dann kann man sich dann aus malen wo Deutschland in den Jahren nach solch einer Idee mit den Ergebnissen in der Pisa-Studie steht. (KAHA0591)
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Text 47 Meiner Meinung nach ist das Thema besonders wichtig und diskutierbedürftig, denn der Notendruck spielt im Leben aller Jugendliche eine große Rolle. Ich finde es auch ziemlich „verrückt“, dass die Leistungen der Kinder schon im Grundschulalter mit Noten bewertet werden. Kinder sollten Spaß am Lernen haben und nicht durch den Notendruck den Spaß verlieren. Ebenso ist es richtig, dass Kinder nur für Prüfungen lernen und das gelernte wieder vergessen. Zudem finde ich eine pädagogische Unterstützung sinnvoll. Außerdem wären regelmäßige Gespräche zwischen Eltern und Lehrern sehr hilfreich, denn so könnten Eltern sowie Lehrer auf die Schwächen der Kinder eingehen und die Kinder unterstützen. (YAIM0391) Text 48 Ich finde Lucics Einstellung, Betrachtensweise und Neuregelung ist sehr interessant und sehr ansprechent. Weil ich auch denke, dass man wirklich durch mehr „Vertrauensgespräche“, die Defizite eines Schüler verbessern könne. Ich denke auch, dass die tradizionelle Benotung, ein Ziel der Aussortierung ist. Denn immerhin kommt es bei einem Vorstellungsgespräch mehr darum wie man sich präsentiert und das Zeugnis wird dann nur ein kleiner Makel nebenbei. Trotzdem sollte es ein Benotungssystem geben. Halt nur individueller auf die Person bezogen. Zuguter letzt ist es auch so, dass man den meisten Stoff nach einer Prüfung wieder vergisst. (LAHA0288)
B3: Texte der Studierenden B3.1: Studierende, niedrige syntaktische Komplexität, L1 Text 49 Ich bin auch der Meinung, dass die Noten an sich ungeeignet sind, um die Leistung der Schüler/innen festzustellen. Diese Noten schaffen auch wie beschrieben einen extremen Leistungsdruck. Sinvoller ist es eher eine Leistungsschienne zu entwickeln, wo die Kinder sehen können, wie sei vorranschreiten. Dessweiteren wäre es sinnvoll das Schulsystem auf den Kopf zu stellen und grundlegend zu verändern bzw. zu reformieren. Aber das traut sich ja keiner! Aber der erste Schritt ist getan, den es wird endlich öffentlich darüber diskutiert, dass Noten, ungerecht und schlecht usw. sind. Dieser Druck der dadurch auf die Kinder wirkt kann auf zu vielfältige Problemen führen. Denn Kinder eignen sich schnell Verhaltensweißen an, die sie ein Leben lang prägen. Und unter zu hohem Druck eignen sie sich schnell schlechte Angewohnheiten an. Außerdem sind die Abfrageformen (Test, Klausur usw.) auch genauso schlecht wie die Noten, aber das ist schon ein ganz anderes Thema. (BEMA0189) Text 50 Meiner Meinung nach vertritt Frau Lucic eine lobenswerte Haltung, da durch ihre Denkansätze das deutsche Bildungssystem kritisch betrachtet wird. Ich persönlich denke, dass es sehr wichtig ist, dass Schüler, Eltern und Lehrer besser miteinander kommunizieren und kooperieren. Vor Allem der Eltern-Lehrer Kontakt ist durch Elternsprechtage und Elternabende auf ein Minimum beschränkt und nicht ausreichend. Frau Lucic möchte ein Bewertungssystem erstellen, dass im Gespräch mit den Eltern aufzeigt welche Stärken
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und Schwächen ein Kind hat. Ich halte dies für eine hilfreiche Maßnahme, jedoch bin ich mir nicht sicher, ob es realisierbar ist Halbjahresnoten abzuschaffen, da diese bisher wie ein Warnsystem wirken und vor dem „Sitzenbleiben“ bewahren können. (COHE0589) Text 51 Ich bin ebenso der Meinung, dass der Notendruck in den Schulen stetig steigt. Die Kinder werden, wie auch Frau Lucic betont, in Gewinner und Verlierer eingeteilt. Dies fördert einen Konkurrenzkampf, der sich negativ in dem Schulklima auswirkt. Jedoch stelle ich mir ein Schulsystem, welches ohne Bewertung organisiert ist, schwierig vor. Auch mich beschäftigt die Frage, ob Schule ganz ohne Bewertung funktionieren würde. (ULFR1188) Text 52 So, wie Frau Lucic ihre Meinung ausdrückt und Änderungen vornehmen würde, kann ich nur zustimmen. Ich denke zwar, dass es schwer möglich ist das Notensystem einfach zu streichen, aber ich würde mich auch eher für eine andere Art der Leistungsbewertung aussprechen. Noten allein sagen tatsächlich wenige über die eigentliche Leistung einer Person aus, sie vergleichen nur mit anderen. Sie helfen auch nicht sich selber vernünftig einzuschätzen oder sagen einem was man gut gemacht hat oder besser machen könnte. Häufig fehlt einfach die Transparenz, wie sich die Noten überhaupt zusammensetzt! Mit einem individuelleren Bewertungssystem könnten Schüler wesentlich mehr lernen und würden motivierter arbeiten, wenn sie auch bei einer schlechten Arbeit sehen würden, was sie vielleicht gut gemacht haben. Zudem finde ich den Kontakt zu den Eltern sehr wichtig. Dies würde ihnen sehr viel besser helfen ihre Kinder auch zu Hause optimal zu unterstützen, wenn sie über schulisches Verhalten und Leistung besser bescheid wüssten. Ich kann ebenfalls für mehr Transparenz zwischen Schülern, Lehrern und Eltern plädieren. (ULRA0887) Text 53 Meiner Meinung nach ist es notwendig zu vergleichen/bewerten, da nun mal nicht jeder die selben Ansprüche der Gesellschaft erfüllen kann. Man stelle sich nur Mediziener mit Hauptschulabschlüssen vor. In dem Text will der BLLV Vertrauensgespräche. Dies erscheint mir mit zu viel Aufwand verbunden, da die Lehrer schon jetzt kaum Überblick ü. d. Schüler u. ihr Können haben, z.B. durch Zeitmangel, Informationsvermittlungsdruck u. verschiedene Lerngeschwindigkeiten der Schüler. Evtl. realisierbar wäre so ein Aufwand nur, wie im Text vorgeschlagen längere Schulzeiten. Ein weiterer Punkt wäre gegen eine Zeugnisabschaffung, dass Kinder den Drang nach Wettstreitigkeiten haben. Sie wollen sich mit ihren Mitschülern vergleichen u. das ist auch gut, denn dadurch wird eine Motivation erzeugt, ob sie nun intrinsisch oder extrinsisch ist, bleibt dahin gestellt. Ich denke beides. Ich finde auch, dass individuelle Zeugnisse keine normativen Werte darstellen können mit denen man aber beispielsweise Lernbehinderungen besser feststellen kann. Aus persönlicher Erfahrung kann ich auch sagen, dass ein „Wortzeugnis“ zu Missverständnissen führt, weil sich jeder ein eigenes Wort-/Werteverständnis aufgebaut hat! (IRAL1289) Text 54 Ich kann voll und ganz nachvollziehen, dass Eltern beklagen, dass ihre Kinder schon in der Grundschule einem enormen Notendruck ausgesetzt sind. Trotzdem zweifle ich daran,
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ob es wirklich sinnvoll wäre das Notensystem abzuschaffen. In den vorgestellten Maßnahmen der Chefin des Münchner Lehrerverbandes sehe ich auch keine wirkliche Verbesserung für die Situation der Kinder. Sie will Zwischenzeugnisse abschaffen. Verlagert sich dadurch der Notendruck nicht nur auf das Ende des Schuljahres? Sie will Gespräche, ausführliche Auswertungen der Kinder, mit den Eltern. Aber werden die Kinder dort nicht auch bewertet und sind somit dem Leistungsdruck ausgesetzt eine gute Bewertung zu bekommen? Ich glaube Schule, so wie sie in Deutschland existiert, ist ein System, das durch Leistung und Druck geprägt ist. Egal ob es Noten oder Elterngespräche gibt. Das System Schule menschenfreundlicher zu gestalten bedarf es mehr als nur ein neues Bewertungssystem. Aber man erkennt, dass diese Mühen zu viel und kompliziert wären, sicherlich nicht nur für die Chefin des Münchner Lehrerverbandes. Ich sehe also keine eindeutige Verbesserung durch ihren Vorschlag. (COTO0889) B3.2: Studierende, niedrige syntaktische Komplexität, L2 Text 55 Ich denke, dass die Noten nicht abgeschafft werden sollten, da ich mir nicht vorstellen kann, wie man bei 25–30 Schülern Entwicklungsberichte schaffen soll zu schreiben. Allerdings bin ich dafür, dass zusätzlich zu den jeweiligen Noten kurze Begründungen erläutert werden sollten, damit die Notenvergabe für Schüler transparent werden. Somit hätte man zum Teil eine Art „Entwicklungsbericht“ und eine bestimmte „Note“ dazu zu verknüpfen. (DÖAK0687) Text 56 Ich finde, Noten kann man nicht abschaffen, denn die Schüler/innen würden sich bei den Prüfungen keine Mühe geben, was ich aus meiner Erfahrung bestätigen kann. Jedoch muss ich noch dazu sagen, dass die Notenvergabe nicht schon in der Grundschule geben soll. Denn die Grundschulschüler/innen Wissen nicht einmal was Noten sind und was Noten aussagen. Ich finde Lucic hat auch Recht, dass Ziffernnoten die Kinder in Gewinner und Verlierer einteilen, jedoch muss im Auge gehalten werden, dass die Noten auch dazu führen, dass Kinder lernen. Ich kenne es von meiner eigenen Schulzeit, es gab Schüler/innen die immer Besser als andere Schüler/innen sein wollten und deshalb auch viel gelernt haben. Ich finde nicht, dass die Noten dazu führen, dass Lehrer/innen Aussortierer werden und nicht Lernbegleiter. Ob Lehrer/innen Aussortierer oder Lernbegleiter werden, hängt von jedem einzelnen Lehrer/in selbst ab. Jede/r Lehrer/in soll ihren/sein Unterricht so gestalten, dass er/sie Lernbegleiter wird. (MÜKA0590) Text 57 Ich stimme Frau Lucic in ihre Aussage zu, Lehrer müssten „Lernbegleiter sein, nicht Aussortierer“. Doch wird es den meisten an Zeit mangeln, alle SchülerInnen, auch die lernschwachen, gleichwertig in den Unterricht zu integrieren. Abseits der Förderschulen, wird der Unterricht von einem Lehrer/einer Lehrerin durchgeführt, überfüllte Klassen sind trauriger Alltag. Woher die Zeit nehmen, um auf jedes Kind „differenzierter und individueller“ einzugehen? Das gesamte Bildungssystem müsste reformiert werden, die Abschaffung von Ziffernnoten scheint mir zur Zeit zu radikal und daher abwegig. Natürlich hört sich in der Theorie alles toll an, die Aufgabe besteht darin, eine entsprechende Praxis zu kreieren und das gleicht – zumindest heute – einer Utopie. (SWSL0488)
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Text 58 Alle Noten abzuschaffen halte ich für übertrieben. Dass durch Schulnoten ein Leistungsdruck entsteht, ist völlig normal. Doch mit diesem Druck umzugehen bzw. zu lernen damit umzugehen – das ist die Kunst. Schließlich sollen Kinder lernen zu bestimmten Zeitpunkten Leistungen zu erbringen, denn dies ist wichtig für die spätere Berufswelt. Wenn man als Kind keinen Stresssituationen ausgesetzt wird, lernt man nie später diese zu händeln. Trotzdem halte ich es für sinnvoll, regelmäßige Gespräche zwischen Lehrern und Eltern, jedoch in Anwesenheit der Kinder, zusätzlich zu den Zeugnissen einzuführen. Denn somit erhalten Eltern einen besseren Einblick in das Schulleben des Kindes und dessen Leistungen. Und wer die Meinung mit der Chefin des Münchener Lehrerverbandes teilt, Noten abgeschafft haben möchte und sich eine Pädagogik wünscht, die die Schüler durch Hilfe von Lernbegleitern zur Selbstständigkeit erzieht, dieser hat dann die Möglichkeit sein Kind an einer Montessorischule anzumelden. Denn Frau Lucics Vorstellungen einer reformierten Schulpädagogik entsprechen der bereits vorhandenen und praktizierten Montessoripädagogik. (JAMA0886) Text 59 Ich denke, dass der Grundgedanke der Chefin des Münchner Lehrerverbandes gut ist, da er darauf abzielt den Schülerinnen und Schülern den Schulalltag zu erleichtern und ihnen dabei zu helfen den enormen Leistungsdruck, der auf ihnen lastet, abzuschwächen. Viele Schülerinnen und Schüler fühlen sich meiner Meinung nach unter Druck gesetzt und zwar sowohl in der Schule als auch im familiären und sozialen Umfeld, da sie das Gefühl haben gewissen Erwartungen gerecht werden zu müssen. Bei Grundschulkindern denke ich besteht die Gefahr, dass sie aufgrund eventuell schlechter Noten ihr Selbstwertgefühl verlieren und in einigen Fällen sogar aus dem schulischen Freundeskreis ausgegrenzt werden. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass sich viele Grundschüler noch garnicht bewusst sind über die Bedeutung von Anstrengung, Leistung und guten Noten, sodass es sein kann, dass sich negative Erfahrungen bezüglich Leistung aus der Grundschule bei dem Kind einprägen und das Kind fortan überzeugt ist „schlecht“ zu sein. Nichtsdestotrotz denke ich, dass die Verteilung von Noten wichtig ist, um die eigene Leistung einschätzen zu können, da sie etwas Konkretes darstellen und die Leistung des Kindes nicht nur beschreiben, wie es bei schriftlichen Zeugnissen der Fall ist. Noten können Schüler dazu motivieren an ihren Fähigkeiten zu arbeiten. Letzlich denke ich, dass eine Mischung aus Noten und anderen pädagogischen Maßnahmen, wie z.B. Eltern- und Schülergesprächen, die beste Lösung wäre. Hierbei stimme ich der Chefin des Münchner Lehrerverbandes zu und denke, dass sowohl die Leistung als auch die Stärkung des Selbstbewusstseins und der sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler bewertet bzw. berücksichtigt werden sollten! (NENI0888) Text 60 Ich denke auch, dass es endlich Zeit ist, um Noten abzuschaffen. Die Vergabe von Noten hat mehr Nachteile als Vorteile. Ich denke auch wie dem Vorsitzenden des Münchner Bezirksverbandes Waltraud Lucic, dass das Notensystem die Lehrer dazu zwingt, ihre Schüler auszusortieren. Kinder werden mit einer Note, die nicht aussagekräftig ist, abgestempelt, was wiederum zu Notendruck führt und die Kinder schon in sehr jungem Alter, demotiviert. Die Kinder verlieren schon in der Grundschule den spaß am Lernen, da sie durch die Vergabe der Noten zum auswendig lernen gezwungen werden. Dann fragt man
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sich, warum die PISA-Studien so schlechten Ergebnisse zeigen. Stattdessen sollte man sich Gedanken darüber machen, wie man die Kinder individueller fördern kann. Die Kinder sollen länger gemeinsam lernen, anstatt sie schon nach der 4. Klasse zu trennen. Durch die frühzeitige Trennung, gehen auch viele Begabungen verloren. Die Schüleranzahl in den Klassen sollte niedriger gesetzt werden, um den Lehrern u. Pädagogen eine individuell Bewertung zu ermöglichen. Ich finde auch, dass es besser für die Kinder wäre, wenn regelmäßiger Elterngespräche stattfinden würden. Die Eltern werden somit viel mehr und intensiver einbezogen und die Eltern wissen mehr über Lernschwächen ihrer Kinder und können so gezielter Maßnahmen treffen. Viel wichtiger als die Trennung der Kinder und die Notenvergabe ist, dass die Kinder durch die individuelle Förderung zu selbstständigkeit und somit zur Mündigkeit befördert werden. Ich denke, dass durch die Notenabschaffung und durch die Aufhebung des dreigliedrigen Schulsystems, die ersten beiden Schritte getan wären, bessere PISA-Ergebnisse zu erlangen. (ASKU0887) B3.3: Studierende, hohe syntaktische Komplexität, L1 Text 61 Ich halte das aktuelle Bewertungssystem, ähnlich wie Frau Lucic, für undifferenziert im Sinne meines persönlichen Bildungsbegriffes. Gerade im Bereich der Grundschule ist das Ziffernnotensystem Instrument sozialer Selektion, basierend auf der ungerechten Zielsetzung des dreigliedrigen Schulsystems der BRD; analog zur Allokationsfunktion werden Schülerinnen und Schüler früh in ein Leistungssystem gepresst, welches nach unten durchlässig ist, nach oben jedoch nicht, was zwangsläufig in sozialer Determination endet. Sowohl auf Basis des internationalen Vergleichs, als auch mit kognitionspsychologischen Erkenntnissen lässt sich belegen, dass gerade im Grundschulalter das kognitive Potential von Kinder noch nicht voll entfaltet ist. In diesem Alter nicht nur zu selektieren, sondern auch eindeutig abzuwerten halte ich weder für sinnvoll, noch für vertretbar. Das Argument des Leistungsdrucks ist hier überaus schlüssig, kann ebendieser doch für die Entfaltung des kognitiven Potentials desaströs sein, indem er dessen Entwicklung einen sprichwörtlichen Riegel vorschiebt. Die Kritik am Notensystem implementiert dementsprechend eine grundsätzliche Kritik am deutschen Schulsystem, da dieses die Logik des Aussortierens zu seiner Prämisse gewählt hat, frei nach einem Bildungspolitiker der 1950er Jahre: „Die Maschine braucht dreierlei Arbeitskräfte: Denjenigen, der sie wartet, denjenigen, der sie bedient und denjenigen, der sie entwickelt.“ Das derzeit praktizierte Notensystem basiert auf diesem Denken, da es Teil dieses Schulsystems ist. Darüber hinaus, dass dieses Denken schon längst überholt ist, wird die Notengebung noch von unqualifizierten Lehrkräften vollzogen, was den negativen Effekt noch verstärkt. Noten sind dementsprechend Sinnbild der unsozialen, veralteten und diskriminierenden Strukturen in diesem Land. Danke. (DOMI0186) Text 62 Als angehende Pädagogin beschäftige ich mich intensiver mit dem Thema Schule und der Vergabe von Noten zur Leistungsüberprüfung/zum Leistungsvergleich und Selektion. Wenn ich bewusst an meine eigene Schulzeit zurück denke, war diese, besonders ab dem Zeitpunkt, ab dem die Notenvergabe eingeführt wurde, geprägt von Konkurrenz und Leistungsdruck. Meiner Meinung nach ist die Forderung nach einem pädagogischen Leistungsbegriff längst überfällig. Anhand positiver Beispiele aus den skandinavischen Län-
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dern sollte es längst zu einem Umbruch im deutschen Schulsystem gekommen sein. Schade, dass dem nicht so ist! So kommt es durch Selektion weiterhin zu der Produktion von Gewinnern und Verlierern, denen somit nach Ende der Schullaufbahn Möglichkeiten eröffnet oder verwehrt bleiben ohne selber darauf Einfluss nehmen zu können. Dennoch gibt es auch in Deutschland positive Beispiele wie Schulversuche etc. an denen sich die Politiker ein Beispiel nehmen sollten! (EVRO1087) Text 63 Frau Lucics Fokus liegt mit der Vertretung ihres Standpunktes klar darauf, dass sie die Lehrer aus dem Fadenkreuz der Kritik nehmen möchte. Das Wohl der Kinder steht dabei sicherlich nicht im Vordergrund. Sie hebt durchgehend darauf ab, das Lehrer keine „Aussortierer“ sein sollten – als solche habe ich sie aber noch nie betrachtet. Lehrer „sortieren“, um mit Lucics Terminus zu sprechen, lediglich Schüler aus, die nicht genug Leistung bringen. Dies ist zum einen in der heutigen Gesellschaft notwendig, zum anderen lassen die Lehrer schlechte Schüler im Normalfall auch nicht einfach im Regen stehen. Frau Lucics sollte sich vielmehr darum kümmern, wie man solchen schlechten Schülern helfen kann, z.B. mit Förderunterricht o.ä. Denn gerade zu Zeiten der PISA-Studie sollte man die Pflichten der Schüler nicht unbedingt weiter lockern – und das wäre meiner Meinung nach der Wegfall des bisherigen Notensystems – sondern vielmehr schauen, aus welchen Gründen die Kinder schlecht sind in der Schule und wie man sie gezielt fördern kann. Ein Problem bei einer „Benotung“ durch Gespräch wäre auch, dass es sehr subjektiv und schlecht vergleichbar ist. Eine Verbesserung des Schulsystems sowie der Familienpolitik ist sicher notwendig, jedoch nicht der Wegfall der Noten. Dies ist vielleicht für die Lehrer einfacher und angenehmer, aber es bringt den Schülern nichts. Ein guter Lehrer ist auch im bestehenden System ein Lernbegleiter; einen „Aussortierer“ können sie lediglich selber aus sich machen. (GAVW0884) Text 64 Im Grunde genommen teile ich die Einschätzung, dass wir durch unser Zeugnissystem die Schülerinnen und Schüler in Kategorien stecken, ohne ihre individuellen Ressourcen und Potenziale zu berücksichtigen. In keinem anderen Land ist die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft so eklatant wie in Deutschland. Befürworter des traditionell dreigliedrigen Schulsystems argumentieren, dass alle Plätze in der Gesellschaft gerecht verteilt würden. Was aber bedeutet „Gerechtigkeit“? Ist es gerecht, wenn von früh auf eine bestimmte gesellschaftliche Platzierung bereits determiniert ist? Das Bildungssystem legitimiert sich zwar durch negative Einzelschicksale (Stichwort: Selektion), aber es schafft Ohnmachtsgefühle und Anpassung – Motivation auf der einen, Frust auf der anderen Seite bestimmen demnach von früh an den Lebensweg. Die Ziffernoten sind ein hervorragendes Beispiel für die Selektionsfunktion der Schule, sie befördern viel zu früh und viel zu intensiv die individuellen Abspaltungen und die Zwei-KlassenGesellschaft. Detaillierte Entwicklungsberichte sollten sich meiner Überzeugung nach viel stärker auf die individuellen Stärken richten, Defizitorientierungen dabei vermeiden. (ELKL1287)
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Text 65 Ich möchte mit dem abschließenden Kommentar der Chefin des M. Lehrerv. einsetzen und ihn im Affekt revidieren. Die Notengebung für die Schule durch ein Elterngespräch zu ersetzen, ist in der Tat absurd bzw. führt uns ad absurdum. Eltern werden immer ihre Kinder als 'Primus inter pares' sehen und die Leistungen dementsprechend auch entgegen aller objektiven Beobachtung seitens des Lehrkörpers vehement verteidigen. Deshalb muss die Notengebung auch als Instrument gegen ausufernde Einzelmeinungen bestehen bleiben und somit den Schutz des Schulsystems und seiner Legitimation bewahren. Streit und damit einhergehende Anarchie an deutschen Schulen kann nur durch ein klar strukturiertes und normkonformes Benotungssystem entgegengetreten werden, nicht nur zum Wohle des Systems selbst, sondern auch im Interesse der Schüler insgesamt. Schlußentlich sei noch angemerkt, dass die Chefin des Lehrerverbandes selbst einsehen muss, dass zusätzliche Zeit, über den „Elternsprechtag hinaus“, von keinem Lehrer in Deutschland akzeptiert werden würde. Daher führt diese Diskussion wahrhaftig „ad absurdum“! MfG Lehrer Lampe (ELMI0989) Text 66 Ich bin ebenfalls der Meinung, dass der Notendruck bereits in der Grundschule sehr stark ist. Die Kinder stehen somit schon früh unter einem großen Leistungsdruck. Ich halte es für gut, eine alternative zu den herkömmlichen Zeugnissen zu finden und die Kinder somit individueller und differenzierter bewerten zu können. Jedoch kann ich mir keine konkrete Alternative zu den Zeugnissen vorstellen. Im Interview wird von Eltern-LehrerGesprachen geschrieben und von einer Art Lernwegbeschreibung. Für mich muss noch klarer werden, wie genau eine Alternative zu Noten und Zeugnissen aussehen kann. Dennoch bin ich ganz der Meinung, dass sich etwas an unserem Notensystem und dem frühen „Aussortieren“ ändern muss. Die Schule sollte nicht die Aufgabe haben, Schülerinnen und zu Schüler in verschiedene Schulformen zu selektieren, sondern soziale Kompetenzen fördern und die Schulerinnen individuell zu unterstützen. (ELHE0983) B3.4: Studierende, hohe syntaktische Komplexität, L2 Text 67 In dem Interview wird vom Noten abschaffen gesprochen, doch meiner Meinung nach ist eher die Gleichbehandlung aus verschiedenen Schichten kommender Kinder das wirkliche Problem. Noten sind nötig, um sich selbst als Schüler einschätzen zu können und gleichzeitig als Lehrer eine Aussage zu machen! Ohne Noten sinkt der Druck und somit der Ansporn und der Zwang in der Schule etwas zu leisten! Wie soll ein Schüler sich anhand von Worten positionieren? Was passiert mit dem Leistungsniveau, wenn die Schüler keinen gewissen Druck haben? Sinkt es noch weiter als es jetzt schon ist? Allerdings sollten Verhalten, somit also die sozialen Kompetenzen, sowie die Entwicklung mit einbezogen und benotet werden, um so eine Gleichbehandlung zu schaffen, gegenüber den Kindern aus bildungsfernen Familien. Es sollte nur beobachtet und benotet werden was ohne Vorkenntnisse aus dem Elternhaus geleistet wird und so ohne Vorurteile oder Wissen aus welchem Milieu ein Kind stammt benotet werden. Denn bis heute wird eine Elite bevorzugt und unterstützt. Und Noten hergeleitet mit Einbeziehung des Hintergrundes von Schülern. Ein Lob an „die Benotung, die ausdifferenzierter und individueller“ sein soll! Doch setzen sie es endlich durch, statt 'Kevin' gleich eine Realempfehlung zu geben und
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,Frederik‘ eine Gymnasialempfehlung. Benotet werden sollten zusätzlich die Entwicklung und das Engagement, doch eine gänzliche Abschaffung von Noten wird nur noch undurchschaubarer! Gruß, eine angehende Lehrerin mit Migrationshintergrund und einer damaligen Realschulempfehlung. (ELCH0183) Text 68 Nach dem PISA-Schock sind solche Themen wie „Noten abschaffen“, „Heterogenität als Chance“ Fördern statt selektieren sehr „IN“. Da ich selber Bildungswissenschaften studiere begegne ich sehr oft solche Themen. Dadurch habe ich mir auch ein eigenes Bild von Bildungssystem in der Bundesrepublik Deutschland gemacht. Ich besichtige die große Diskussion über die Bildungsreform, die auch ausschlaggebend für die NRW-Wahlen mit große Interesse. Ich teile in dieser Hinsicht die Meinung der Bayrische Lehrerverband und der SPD. Denn TIMS, PISA und IGLU haben gezeigt, dass Notendruck und die frühe Selektion in Deutschland sich eher negativ auf den Erfolg der SuS auswirkt. Deswegen begrüße ich die Entscheidung der BLLV. Jedoch möchte ich ergänzen, dass dies nur ein Anfang für Bessere//bessere Bildung in Deutschland sein kann. Wir müssen noch weite Wege gehen. (NEKE0285) Text 69 Ich bin der Meinung, dass die Noten nicht abgeschafft werden sollen. Durch die Notenvergabe bekommen die Schülerinnen und Schüler einen Einblick auf ihren Leistungsstand und können somit gegebenfalls eine Verbesserung vornehmen. Das Vertrauensgespräch mit den Eltern würde von den Schülerinnen und Schülern nicht ernst genommen werden. Außerdem wäre das Elterngespräch für die Schülerinnen und Schüler schwer nachzuvollziehen. Meines Erachtens wäre es gut, wenn Beides eingesetzt wird: Die Noten und die Elterngespräche. So könnten sich die Eltern und die Schüler anhand der Noten orientieren und zusätzlich eine regelmäßige Begründigung für die Note bekommen. (NEHA0488) Text 70 Ich stimme mit Waltraud Lucic in dem Punkt überein, dass ich finde, dass der Notendruck in der Schule enorm ist und die Lehrer/innen stärker als Lernbegleiter dienen sollten. Trotzdem halte ich die Notengebung und die Zeugnisse für wichtig, um den Wissensstand von Schülern abzufragen. Meiner Meinung nach reichen Gespräche zwischen Eltern und Lehrern nicht aus, denn daraus könnten Stärken des Schülers übersehen werden, da der Lernwille und das Leistungspotenzial oft von den sozialen Familienverhältnissen abhängig ist. Durch die Notengebung und das regelmäßige und öftere Abfragen (also auch Halbjahreszeugnisse) werden auch viel Schüler herausgefördert und nicht nur herunter gezogen. Deswegen bin ich der Meinung, die Notengebung sollte so bleiben, jedoch nicht ganz so streng bewertet werden, d.h. die anderen Faktoren, nicht nur Klausuren, sollten ebenfalls berücksichtigt werden. (LIJO0888) Text 71 Ich vertrete auch dieselbe Meinung wie die von Christa Eder. Ziffernnoten üben bei Schülerinne und Schüler Druck aus; sie lernen außerdem nur für die Prüfungen und nicht für sich. Mehr als die Hälfte, die sie für die Prüfungen gelernt haben, vergessen sie auch in wenigen Wochen oder sogar auch in einigen Tagen. Wenn man in Schulen das Ziffernno-
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ten-System abschafft und sich stattdessen an „Lernwegbeschreibungen“ orientiert, kann man die Schüler deutlich besser fördern. Außerdem möchte ich hier noch betonen, dass Ziffernnoten nicht unbedingt gerecht gegeben werden. Wenn man aber diese Note statt mit einem Ziffer mit einer//einen aussagekräftigeren, ausführlichen Beschreibung begründet, wird die jeweilige Schülerin oder der jeweilige Schüler aus der für ihm//ihn geschriebenen Beschreibung vieles lernen und ihre oder seine Stärken und Schwächen erkennen. Die jeweiligen Betroffenen würden dann versuchen ihre Schwächen abzuarbeiten. (MURI1290) Text 72 Ich stimme der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) zu, dass die Abschaffung der Zwischenzeugnisse sinnvoll ist, um die Schüler und Schülerinnen angemessen beurteilen zu können. Um die Stärken und Schwächen jedes einzelnen Schülers zu erkennen, gehört eine intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Schüler. Zu diesem können Vertrauensgespräche zwischen Lehrern und Schülern/Eltern hilfreich sein, um die Stärken des Kindes wahrzunehmen und die Selbstständigkeit des Kindes in diesen Bereichen zu fördern. Die Benotung von 1–6 kann das Fördern der Stärken und die Selbstständigkeit auf keinen Fall decken. Ich bin der Meinung, dass die Lehrer als Lernbegleiter gesehen werden sollten. Wenn Lehrer nur noch Noten vergeben u. keine Lernbegleiter sind, zerstört dies, das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Die Entwicklung der sozialen Kompetenzen des Schülers werden vernachlässigt und das Selbstbewusstsein durch das Vergeben von schlechten Noten verletzt. Die Abschaffung der Zwischenzeugnisse sollte so schnell wie möglich [unleserlich]gesetzt werden und eine angemessene, pädagogische Bewertung in Zusammenarbeit mit dem Schüler erfolgen. (SOSOSOSO)
Sachregister Alterisierung 57f., 138 Argument 51–55, 57f., 60, 63, 70, 72, 102, 106, 116f., 136, 210, 212f., 215f., 218, 223f., 227, 256, 258, 264, 282, 292, 298 Argumentation 51–58, 70, 72, 82, 102, 106, 123, 208, 210, 212, 214–216, 218, 220, 223, 225, 227, 230, 236, 239f., 256, 259, 261f., 264, 268, 272 Argumentationskompetenz 73, 138f., 208, 211f., 228 – konzessive 10, 59, 103, 105, 107, 110, 208, 210, 219, 229f. – schriftliche 11, 50, 53, 65, 102, 110, 138, 141f., 228, 247–249 Argumentieren 9, 50–52, 54–58, 82, 102– 106, 110, 116, 138, 140, 209, 211f., 214, 219f., 223, 225f., 228–230, 249, 261, 268 – epistemisch-heuristisch 54 – persuasiv 54, 116 Attribut 79, 87, 89–91, 93, 95, 128, 130– 132, 177, 180, 182, 234, 236–238, 244, 247–249, 262, 265 – Adjektivattribut 89f., 100, 131, 182– 185, 186–189, 204, 206f., 233f., 248, 275, 278 – Attributsätze 81, 87, 89, 128–130, 177– 180, 182, 204–206, 248, 275, 278 – Genitivattribut, 91, 94–96, 98, 126, 130– 132, 137, 165, 186, 189– 191, 204–206, 234, 236–238, 242, 248, 265, 276, 278 – Präpositionalattribut 87, 89–93, 95, 126, 130–132, 165, 182, 186–190, 202, 204– 206, 233f., 236–238, 248, 265, 268, 275f., 278 Basisqualifikationen 42, 257 BICS 31f. Bildungssprache 28–30, 262, 266 CALP 13, 28, 31f. Deutsch als Zweitsprache 3f., 6, 8, 12, 17, 26, 33, 40, 45, 47, 63, 75, 96, 101, 103, 108, 111, 134, 203, 244, 250, 252, 255f., 258f., 262, 264, 268–271
Erstsprache 1, 6, 13–16, 19–22, 24f., 33, 46f., 83, 86, 97f., 114, 142, 144–148, 150, 153f., 156, 161f., 165, 197, 200–202, 232, 239f., 245, 255, 259, 263, 270, 277 Fehler 13, 15, 47, 96f., 101, 103, 124, 126, 133–136, 145, 156, 192–200, 202–204, 206, 208, 215f., 237, 242f., 248, 276, 278, 284, 293 – Artikelfehler 135, 197 – Kasusfehler 99, 135, 202 – Kongruenzfehler 133, 135f., 237 – Präpositionsfehler 135f. – Referenzfehler 135f. – Satzgliedstellungsfehler 135f. Frage, strittige 51, 54 Interdependenzhypothese 13, 32 Kohärenz 7, 18, 39, 42, 70, 81f., 181, 213, 222, 255 Kohäsion 18, 29, 255 Komplexität 10f., 21, 27, 31, 34, 43, 49, 62, 71, 74f., 77–82, 85, 89, 95, 97, 110, 138, 164, 171, 192, 194, 196, 199, 203, 205, 228, 232f., 235, 242, 248, 255, 264, 278 – syntaktische 9, 36, 77f., 80–82, 84, 109, 125, 142, 164, 171, 181, 203–209, 230f., 248, 263, 278, 282–284, 286, 288f., 291f., 294, 296, 298, 300 Konklusion, Conclusio 51f., 54, 72, 213, 218f. Konzessivität 58, 257 L1 6, 19f., 24, 26, 32, 35–37, 39–41, 44, 86, 94, 99, 101, 114, 209, 213f., 216f., 219, 221, 224–227, 232f., 235–238, 241, 258, 282, 284, 288, 291, 294, 298 Lernerformen 67, 246 Lernersprache/lernersprachlich 16, 46, 67, 73, 216 Lernformen 68, 76, 253, 255f., 260, 267 Leserbrief 55f., 115f., 122–124, 132, 157f., 163, 165, 185, 189, 205, 207, 210, 225f., 241f., 275, 279 Lexik 8, 44, 63, 69, 226, 244f., 249f.
304 | Sachregister
Mehrsprachigkeit 1, 6f., 10, 16, 19–21, 26, 28, 32, 42, 145, 204f., 228, 249, 251, 253, 256, 258, 262, 265f., 271 – lebensweltliche 2, 262 Migrationshintergrund 2–7, 13, 15–18, 20– 26, 28f., 31, 48, 92, 101, 117–121, 129, 142f., 145, 147, 150, 161f., 197, 250, 255, 258–260, 266, 270–272, 300 Morphosyntax 13, 89, 96–98, 133, 192, 197, 203–206, 250, 272 Mündlichkeit 2, 28, 34, 264 – konzeptionelle 26f. Muttersprache 6, 16, 19, 40, 114, 145, 147, 152, 242, 266f., 277 Nominalphrase 64, 74, 79, 80–82, 86–91, 93f., 96–102, 110f., 126, 128, 131f., 134f., 177, 181–183, 185f., 189, 192, 196–200, 202–205, 207, 233–237, 242, 244f., 248–250, 253, 255, 269f., 276, 278 – komplexe 79, 87–89, 92, 126, 130–132, 164, 171, 182, 185, 187f., 192, 204f., 207, 233f., 236–239, 244, 247f., 253 Nominalphrasenflexion 134, 196f., 206f., 268 Parataxe 84f., 255 Produktanalyse, korpusbasierte 111 Prozedur – konzessive literale 103–105, 139–141, 209, 211f., 215–217, 219, 221, 223, 228– 230, 247, 249, 277 – literale Prozeduren 10, 104, 140, 211f., 219, 223, 230 Quaestio 51 Referentialisierung 57f., 138 Register 28–32, 34, 49, 221, 232, 259, 262, 270 Reifungshypothese 20 res dubia 51, 54, s. auch Quaestio u. Frage, strittige Satz, subordinierter 82, 84, 86, 127f., 130, 172–176, 179, 181, 207, 248, 275, 278 Satzlänge 81–84, 168–171, 186, 204–208, 248, 256, 275, 278 Schreibdidaktik 6, 8, 35, 45, 49, 67, 71, 256 Schreibentwicklung 8, 12, 26, 42, 44, 57, 65–69, 72–76, 80–83, 89, 113, 125, 149,
158, 165, 174, 176–177, 200, 207f., 246, 251, 255f., 265, 271 – Modelle der Schreibentwicklung 68, 74, 108 Schreibentwicklungsforschung 8, 11, 66, 68, 74, 108f., 181, 207, 248, 252, 260 Schreibfähigkeiten 7–9, 11f., 35, 50, 65f., 70f., 79f., 83f., 88, 102, 108f., 118, 126, 136, 139, 168, 182, 208, 228, 247–250, 260f., 266 – syntaktische 9, 76f., 80, 88, 90, 102, 108, 128, 181, 190, 205, 247 Schreibkompetenz 2, 7f., 12, 16–19, 26, 35, 41–45, 49, 65–67., 76–78, 81f., 89, 96, 103f., 108f., 112, 115, 117, 121, 123f., 138, 142, 162, 229f., 251f., 255f., 261, 265 Schreibprodukt 8f., 11, 41, 43, 50, 52, 65f., 69, 108, 138 Schreibprozess 26, 36–39, 41, 43, 45, 47– 49, 62, 67, 69, 83, 115f., 118, 135, 159, 261, 270, 275 – modell 107 Schriftlichkeit, konzeptionelle 13, 18, 26, 34 Schulsprache 28–30, 232 Schwellenniveauhypothese 32 Seiteneinsteiger 22, 25, 144f., 203, 249, 277 Subordination 36, 79–82, 84f., 107f., 126f., 130, 171, 173, 177, 182, 204 syntaktische Komplexität 9f., 79f., 82, 109, 134, 164, 186, 208f., 212f., 239, 278 Syntax 8, 44f., 63, 78–82, 88f., 91f., 108, 134, 182, 244f., 250, 253, 255, 259f., 272f., 277 – komplexe 79f., 88, 126 Text, argumentativer 11, 13, 50f., 53f., 58, 71, 107, 109, 115, 117, 157, 163, 171, 213, 229, 252, 258, 270 Textformen 67f., 76, 255f., 260, 267 Textkompetenz 16f., 28, 30, 33f., 48f., 73f., 139, 246, 255, 257, 261, 265–269, 271 Textlänge 82–84, 124, 165–167, 204, 206f. Textqualität 39, 53, 80, 82, 96, 103, 266 Textualisierung 57f., 138f. T-unit 80 Wendungen, feste 92, 231, 240, 243, 245f.
Sachregister | 305
Zusammenfassung 9, 11, 17f., 26, 34, 50, 55, 59, 61–66, 102, 108f., 116, 118, 122– 124, 132, 137f., 158–161, 163–166, 176, 178, 180, 184–186, 189, 194, 199, 201,
203, 205, 207, 229, 244, 247f., 264, 271, 275, 277, 280