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German Pages 316 [317] Year 2014
SCHMITTIANA NEUE FOLGE
Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts
Band II
Herausgegeben von der Carl-Schmitt-Gesellschaft
A Duncker & Humblot · Berlin
SCHMITTIANA NEUE FOLGE
Band II
SCHMITTIANA NEUE FOLGE
Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts
Herausgegeben von der Carl-Schmitt-Gesellschaft
Band II
SCHMITTIANA NEUE FOLGE Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts Band II
Herausgegeben von der Carl-Schmitt-Gesellschaft
Duncker & Humblot · Berlin
Veröffentlicht unter Mitwirkung des wissenschaftlichen Beirats der Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V. Mitglieder des Beirats: Jürgen Becker Gerd Giesler Reinhard Mehring Christoph Schönberger (Vorsitzender) Wolfgang H. Spindler Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V., c/o Stadtarchiv, Bahnhofstraße 103, 58840 Plettenberg (www.carl-schmitt.de) Redaktion: Gerd Giesler und Martin Tielke
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0945-9960 ISBN 978-3-428-14237-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ∞
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Internet: http://www.duncker-humblot.de
Inhaltsverzeichnis Thomas Marschler (Hrsg.) Carl Schmitt. Bund, Staat und Reich. Vortrag in Berlin am 22. Februar 1933
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Martin Otto (Hrsg.) „Mein Fachkollege Koellreutter ist zwar gewiß kein Genie.“ Briefe von Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt 1920/21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Reinhard Mehring (Hrsg.) Walter Jellinek – Carl Schmitt. Briefwechsel 1926 bis 1933. . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Reinhard Mehring (Hrsg.) Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen. Korrespondenzen bis 1933 mit Hans Pichler, Eduard Spranger, Alfred Baeumler, Alois Dempf, Paul Ludwig Landsberg, Theodor Litt, Leo Strauss, Helmut Kuhn, Martin Heidegger, Eric Voegelin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Mark Schweda (Hrsg.) „Die ,nicht selbstverständliche‘ Begegnung zwischen uns“: Der Briefwechsel von Joachim Ritter und Carl Schmitt im wirkungsgeschichtlichen Horizont . . 201 Michael Rumpf (Hrsg.) Briefwechsel Michael Rumpf – Carl Schmitt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Gerd Giesler (Hrsg.) Carl Schmitt. Notizen zu seinen Geburtstagsansprachen 1948 und 1953 . . . . . 287 Berichtigungen und Ergänzungen zu Band I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Personenregister (Band I und II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
Herausgeber und Verlag widmen diesen Band
Hans Gebhardt 13.2.1925 – 6.11.2013 dem Meister der Gabelsberger Stenographie, der in 15jähriger Feinarbeit die Tagebücher Carl Schmitts von 1912 bis 1934 in lesbare Umschriften übertragen hat. Er war jederzeit bereit, bei überraschenden Archivfunden, Korrespondenzen und anderen Nachlassmaterialien mit seinen Transkriptionen zu helfen. Hans Gebhardt war sich seines Könnens zwar bewusst, gleichzeitig aber beinahe skrupulös, weil voller Bescheidenheit. Immer diente er der Sache. Ohne ihn wäre das facettenreichere Bild, das sich von Schmitt durchzusetzen beginnt, nicht möglich gewesen. Dafür danken wir ihm über seinen Tod hinaus.
Carl Schmitt Bund, Staat und Reich. Vortrag in Berlin am 22. Februar 1933 Herausgegeben und eingeleitet von Thomas Marschler (1) Die Präsentation bislang unbekannter Schmitt-Texte wird zukünftig immer häufiger aus Zufallsfunden resultieren. Ein solcher ist auch die Nachschrift des Vortrags über „Bund, Staat und Reich“, den Schmitt kurz vor dem Ende seiner Berliner Zeit am 22. Februar 1933 gehalten hat. Als typographische Nachschrift von 39 Seiten findet sich der Text im Berliner Bundesarchiv unter der Signatur NS 5/VI/17492, Bl. 36–74 (eigentlich eine Zeitungsausschnittsammlung im Bestand „Deutsche Arbeitsfront“). Der Überlieferungsweg wird kaum rekonstruiert werden können. Das Typoskript dürfte im Ausgang von einer wörtlichen Mitschrift erstellt worden sein. Es ist insgesamt sorgfältig angefertigt worden und gibt den vollständigen Vortrag sowie wichtige Aussagen des Referenten aus der anschließenden Diskussion wieder. Der Stil der freien Rede ist gut erkennbar geblieben, einige wenige offensichtliche Verständnisfehler erlauben es, eine nachträgliche Korrektur durch den Autor auszuschließen. (2) Das Nachdenken über die drei im Titel genannten Begriffe gehörte zu den zentralen Themen Schmitts in den Jahren 1932/33.1 Einen Vortrag zu diesem Gegenstand hat er erstmals am 18. Januar 33 mit seiner Reichsgründungsrede an der Berliner Handelshochschule gehalten. Aus den mittlerweile publizierten Tagebüchern erfahren wir einige Details über Schmitts Vorbereitungen dafür, die neben dem Literaturstudium auch Besprechungen mit Bekannten umfassten.2 Während der Referent zunächst über das Gelin1 Vgl. seine Bemerkung im Rundfunkgespräch mit Veit Roßkopf, das am 1.2.33 ausgestrahlt wurde (Ein Rundfunkgespräch vom 1. Februar 1933, in: Piet Tommissen [Hrsg.], Over en in zake Carl Schmitt (Eclectica 21/23 = Jg. 5), S. 113–119, hier: S. 119). In der Rückschau sagt Schmitt zum gewählten Thema: „Das war mir ja schon durch die Mitarbeit mit Schleicher geradezu aufgezwungen, das Thema in der damaligen Lage, aber sehr juristisch-begrifflich“, zit. nach: F. Hertweck/D. Kisoudis (Hrsg.), „Solange das Imperium da ist“. Carl Schmitt im Gespräch mit Klaus Figge und Dieter Groh 1971, Berlin 2010, S. 59. 2 Vgl. Carl Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934, hrsg. von W. Schuller in Zsarb. mit G. Giesler, Berlin 2010, S. 252, zum 15.1.33: „Eine schöne Stunde Notizen gemacht für meinen Reichsgründungsvortrag“; S. 252 f., zum 16.1.33: „Mein Vortrag
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Carl Schmitt. Bund, Staat und Reich
gen des Vorhabens Unsicherheit empfand, verraten die anschließenden Notizen, dass der Vortrag unter dem Titel „Bund und Reich als Probleme des öffentlichen Rechts“ gut ankam und auch Schmitt selbst zufrieden war; die Presse nahm ebenfalls ausführlich vom Inhalt Notiz.3 Nur einigen Kollegen wird schlecht, bedrückt, traurig. [. . .] Ließ mir Hauptmann Böhme kommen, ruhte aus, um 5 kam Böhme. Wir sprachen über das Reich (das Preußen vereinnahmen soll), sehr schönes klares Gespräch. Er ging nach 7 Uhr. Um 1/2 8 kam Lohmann. Mit ihm über den Bund gesprochen.“ Zu den Gesprächspartnern vgl. die editorischen Informationen ebd., S. 222, Anm. 1198: „Hermann Böhme (1896–1968), Rittmeister, Verfassungsexperte in der Wehrmachtsabteilung des Ministeramtes . . .“; S. 48, Anm. 348: „Karl Lohmann (1901–1996), Bonner Doktorand und nach 1933 enger Mitarbeiter Schmitts, 1934–1936 Schriftleiter der DJZ, Habilitation in Heidelberg bei Bilfinger, später persönlicher Referent des Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier.“ 3 Vgl. ebd., S. 253, zum 18.1.33: „Gegen 9 Uhr auf, in größter Eile im letzten Augenblick den Entwurf des Vortrages fertig. [. . .] im Taxi zur Handelshochschule. Viele Gäste, Fr. Poncet, und andere Gesandte, hielt eine schöne Rede über Reich und Bund, rhetorisch gut.“ Im Anhang des Bandes findet sich auch eine Photographie Schmitts beim Vortrag (S. 485). Dazu auch: Hertweck/Kisoudis, „Solange das Imperium da ist“ (wie Anm. 1), S. 58 f. (in einer zugehörigen Anmerkung [S. 137, Anm. 27] ist die Zusammenfassung des Vortrags aus der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ Nr. 30 vom 18.1.33, wiedergegeben); R. Mehring, Carl Schmitt, Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009, S. 330. Ergänzend sei hier die Vortragszusammenfassung aus der „Germania“ Nr. 20 vom 20.1.33, S. 4 angeführt (Abschnitt im Beitrag „Reich und Staat. Die Reichsgründungsfeier der Berliner Hochschulen“): „Zu gleicher Zeit in der Universität fand in der Handelshochschule die Reichsgründungsfeier statt, in deren Mittelpunkt die Festrede von Prof. Dr. Carl Schmitt über das Thema Bund und Reich als Probleme des öffentlichen Rechts stand. Prof. Carl Schmitts Gedankengänge waren etwa folgende: [Absatz] Das Reich ist ein politischer Mythos, der besonders im letzten Jahrzehnt seine politische Energie bewiesen hat. Es ist falsch, das Wort Reich als Schlagwort zu bezeichnen. Der Mythos Reich unterscheidet sich von anderen Mythen, da er einer ununterbrochenen geschichtlichen Entwicklung angehört. Das Reich ist unser eigenes politisches Prinzip, ist konkrete geschichtlich-politische Wirklichkeit: Reich steht in einem fortwährenden Kampf mit dem Wort Staat. Hinzukommt noch der dritte Begriff Bund. Hinter diesen Worten stehen eminente politische Kräfte. Jahrhundertelang hat das deutsche Volk mit dem Staat gekämpft. Aber der Begriff Reich ist dem Staat überlegen. Das hat besonders die Geschichte seit 1918 gezeigt. Das 19. Jahrhundert kam vom Staat nicht los. Es lebte von der Antithese Staat – Bundesstaat. [Absatz] Der Redner gab sodann einen längeren Rückblick über die staatsrechtlichen Entwicklungen seit 1806. Am Staat ist 1806 das Reich zugrunde gegangen. Sofort bilden sich zwei neue Reiche, das französische Kaiserreich unter Napoleon, das wir als Gegenreich bezeichnen müssen, und das österreichische Kaiserreich, das ein Ersatzreich war. Zwischen diesen beiden Reichen bestand ein starker Dualismus. So entsteht der Rheinbund. Er zerschneidet Deutschland in ein französisches und in ein deutsches Lager. In diesem Dualismus ging er zugrunde. Der zweite Bund des neunzehnten Jahrhunderts war der Deutsche Bund vom Jahre 1815. Er löst zwar den außenpolitischen Dualismus, aber er schafft den Dualismus Preußen – Oesterreich. Die Bismarcksche Verfassung vom Jahre 1871 hat diesen Dualismus überwunden dadurch, daß Preußen allein die Hege-
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scheint Schmitts Entwicklung des Themas im Ausgang von Begriffen nicht ganz gefallen zu haben.4 Diese Januar-Redefassung wurde nicht publiziert. Schmitt hat später selbst erwähnt, dass er „das Verhältnis der Begriffe Reich, Staat und Bund in der deutschen Verfassungsgeschichte [. . .] unter dem Eindruck der Erfahrungen des Prozesses Preußen – Reich vor dem Leipziger Staatsgerichtshof (20. Juli bis 25. Oktober 1932) im Wintersemester 1932/33 und im Frühjahr 1933 mehrfach in Vorträgen behandelt“ habe.5 Eine weitere Fassung aus dieser Reihe stellt der vorliegend dokumentierte Text von Ende Februar 1933 dar. Schmitt gibt in der Einleitung zu verstehen, dass er „in weitem Maße“ die Inhalte seiner rund einen Monat zurückliegenden Reichsgründungsrede wiederhole,6 die uns somit auf diesem Weg ebenfalls indirekt zugänglich sein dürfte. Die Gelegenheit einer erneuten Stellungnahme zum Thema ging auf die Einladung zweier Studenten zurück, die der „Politischen Gesellschaft“ in Berlin angehörten und sich in diesem Kreis von Schmitt vor seinem Umzug nach Köln verabschieden wollten.7 Da in der Vereinigung offenbar Friedrich Vorwerk, Schriftleiter monie bekam. Statt dessen kam der Dualismus von Bund und Reich zum Vorschein. Die Bismarcksche Verfassung ist eine in zwei Hälften getrennte Verbindung von Bund und Reich. (Bundesrat und Reichstag.) Monarchisches und demokratisches Prinzip stehen im Widerstreit. Diesen Dualismus hat wiederum die Weimarer Verfassung beseitigt. Das Wort Bund kommt in der Verfassung 1918/19 nicht vor. Die Weimarer Verfassung hat es aber nicht vermocht, den letzten Dualismus zu überwinden, das ist der Dualismus Reich und Preußen. [Absatz] Der Redner erörterte dann eingehend dieses ernsthafte Problem. Um den Dualismus Reich – Preußen zu überwinden, müsse man dem Reich eine eigene Exekutive geben und alle staatlichen Machtmittel. Der Staat würde dann die Rüstung des Reiches. Dann könne sich auch der bündische Gedanke, der zum deutschen Volk gehört, entfalten.“ 4 So ist wohl die Fortsetzung der bereits angeführten Tagebuchnotiz zu erklären: „Liebert sagte nachher: Ontologismus; Briefs: Metaphysik“ (Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934, wie Anm. 2, S. 253, zum 18.1.33; zu den beiden Personen ebd., S. 213, Anm. 1150: „Arthur Liebert (1878–1946), Professor der Philosophie HHB, 1910–1933 Geschäftsführer der Kant-Gesellschaft, 1933 Emigration Belgrad, 1939 England, 1946 Rückkehr nach Berlin“; S. 12, Anm. 87: „Goetz Anton Briefs (1889–1974), Professor der Nationalökonomie an der TH Berlin-Charlottenburg, Lehrbeauftragter HHB, 1934 Emigration USA“). In der Rückschau zitiert Schmitt Liebert mit den Worten: „Das ist ja ontologisch, was Sie da machen“ (Hertweck/Kisoudis, „Solange das Imperium da ist“, wie Anm. 1, S. 59). Was A. Koenen, Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches“, Darmstadt 1995, S. 213, Anm. 234, daraus über den metaphysischen Charakter von Schmitts angeblicher Reichstheologie ableiten will, läuft völlig ins Leere. 5 Vgl. C. Schmitt, Reich – Staat – Bund, in: ders., Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923–1939, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 217–226, hier: S. 217, Anm. [In diesem Band abgedruckt auf S. 42–51]. 6 Vgl. C. Schmitt, Bund, Staat und Reich (BArch NS 5/VI/17492, Bl. 37). 7 Vgl. C. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (wie Anm. 2), S. 259, zum 4.2.33: „Zwei Studenten von der Politischen Gesellschaft wollten einen Abschiedsabend ar-
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Carl Schmitt. Bund, Staat und Reich
der Zeitschrift „Der Ring“,8 eine führende Position einnahm – er begrüßte Schmitt am Vortragsabend –, dürfte sie in das selbe jungkonservative Umfeld einzuordnen sein. Da Schmitt zugesagt hatte, fand der „akademische Abschiedsabend“, in dessen Mitte seine Rede stand, am Donnerstag, dem 22. Februar 1933, um 20 Uhr „im Hause des Akademischen Vereins Hütte“, einer Berliner Studentenvereinigung mit Schwerpunkt im technischen Bereich, statt.9 Wie Schmitt selbst die Veranstaltung erlebte, verrät uns sein Tagebuch: „Ich ruhte etwas aus, dann Senatssitzung, um 1/2 8 nach Hause, umgekleidet, Pol. Gesellschaft, hielt einen Vortrag über Recht [vermutlich Lesefehler statt: Reich, Th. M.] und Staat, Jünger und Niekisch waren da. Etwa 40 Mann. Das Ganze traurig und unbedeutend. Bayern verkündeten die Monarchie. Hinterher noch mit Schramm und zu mir, Wein getrunken, beide hassen die Preußen. Um 1/2 2 todmüde ins Bett.“ Obwohl Schmitt also diese Veranstaltung rasch abgehakt hat, ist er dem vor der „Politischen Gesellschaft“ behandelten Thema auch in den folgenden Monaten zugewandt geblieben. Dies bezeugt vor allem die Tatsache, dass er es bei der prominenten Gelegenheit seiner Kölner Antrittsvorlesung am 16. Juni 193310 erneut aufgegriffen hat. Die hier gehaltene Vortragsfassung unter rangieren. Ärger über den wichtigtuerischen Vorwerk, der gleich den Reichswehrminister einladen wollte.“ 8 In der Arbeit von Y. Ishida, Jungkonservative in der Weimarer Republik. Der Ring-Kreis 1928–1933, Frankfurt a. M. 1988, wird er allerdings nicht erwähnt; vgl. aber A. Mohler/K. Weissmann, Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch, 6., völlig überarb. und erw. Aufl., Graz 2005, S. 344. 9 C. Schmitt, Bund, Staat und Reich (BArch NS 5/VI/17492, Bl. 36 [Titel]). Das Haus lag damals in der Charlottenburger Bachstraße; vgl. die Angaben auf der Webpage des bis heute existierenden Studentenvereins (URL: http://www.av-huette.de/ geschichte.html). 10 Um den Termin herrscht Verwirrung. Schmitt gibt in seiner Druckfassung des Artikels (Reich – Staat – Bund, wie Anm. 5, S. 217, Anm.) den 20.6.33 (einen Dienstag) an. In seinem Tagebuch notiert er die Vorlesung allerdings unter dem Datum 16.6.33 (ein Freitag; vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934, wie Anm. 2, S. 293, zum 16.6.33: „6–7 Aula, Reich, Staatenbund“), das auch Mehring in seine Biographie übernommen hat (vgl. Mehring, Carl Schmitt, wie Anm. 3, S. 320). Da im Tagebuch bruchlose Einträge für die nachfolgenden Tage existieren, kann eine Zahlenverwechslung ausgeschlossen werden. Den 20.6. gibt allerdings wiederum Koenen, Der Fall Carl Schmitt (wie Anm. 4), S. 359, an, der unter seinen Quellen akademische Einladungsschreiben und eine einladende Zeitungsannonce nennt (ebd., S. 360, Anm. 39/40), die ja wohl den korrekten Termin enthalten haben; diese Dokumente konnten wir selbst nicht überprüfen. Dass die Vorlesung tatsächlich am 16.6. stattgefunden hat, legt ein publizierter Brief W. Stapels vom 18.6. nahe, in dem er von Schmitts zurückliegender „erste[r] Kölner Vorlesung“ berichtet, zu der er angereist war, vgl. S. Lokatis (Hrsg.), Wilhelm Stapel und Carl Schmitt – Ein Briefwechsel, in: Schmittiana 5, 1996, S. 27–108, hier: S. 49 (W. S. an E. G. Kolbenheyer vom 18.6.1933). Vielleicht hatte Schmitt bei der erst 1940 erfolgten Publikation der Vorlesung in „Positionen und Begriffe“ den Termin nicht mehr im Kopf
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dem Titel „Reich – Staat – Bund“ wurde, mit erheblicher Verzögerung, 1940 im Sammelband „Positionen und Begriffe“ publiziert; eine (leicht gekürzte) Version war allerdings schon unmittelbar nach der äußerst gut besuchten11 Veranstaltung im „Westdeutschen Beobachter“ abgedruckt worden.12 Der Vortragende selbst hat auf die Vorlesung mit Zufriedenheit zurückgeblickt.13 (3) Schmitts Text ist schon in der von uns nun präsentierten älteren Fassung so etwas wie die historische Aufarbeitung, in gewissem Sinn auch Bewältigung des Leipziger Urteils im Streit zwischen Preußen und Reich aus dem Herbst 1932. Gegenstand und Ausgang dieses „wohl wichtigsten politischen Prozess[es]“14 der ausgehenden Weimarer Republik sind ebenso bekannt wie die zentrale Rolle Schmitts als „Anwalt des Reiches“.15 Eine Würdigung der Position Schmitts von der Verfassungslehre des Bundes16 über seine Kritik an der „polykratischen“ Entwicklung des Weimarer Bundesstaates17 bis zum Reichsstatthaltergesetz kann hier nicht geleistet werden. Dies schon deswegen, weil eine umfassende politische Theoriegeschichte des deutschen Föderalismus in der Zwischenkriegszeit noch aussteht.18 Das Urteil des Staatsgerichtshofes jedenfalls hat Schmitt als sachlich falsch und ebenso als schwere persönliche Niederlage empfunden. Während er die kritische Kommentierung des Prozesses zunächst seinem Schüler Ernst Rudolf Huber überlassen hatte,19 kam er doch bald selbst in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder auf das Gerichtsverfahren und ist durch den Zeitungsbericht im „Westdeutschen Beobachter“, den er nennt, auf die Fehldatierung „20.6.“ gekommen. 11 Vgl. Koenen, Der Fall Carl Schmitt (wie Anm. 4), S. 359 f. 12 Vgl. Westdeutscher Beobachter Nr. 143 vom 20.6.1933, S. 5. Verwirrend ist die Überschrift des Artikels „Reich – Staat – Stand“, die eigentlich nur auf ein Versehen der Redaktion zurückgehen kann. Anfang und Schluss des „Berichts“ stimmen wörtlich mit Schmitts Buchfassung überein, der historische Mittelteil könnte entweder von der Redaktion gekürzt oder (weniger wahrscheinlich) von Schmitt tatsächlich erst für seine Publikation erweitert worden sein. 13 Vgl. die bei Koenen, Der Fall Carl Schmitt (wie Anm. 4), S. 360, Anm. 42, wiedergegebene Briefäußerung gegenüber Wilhelm Ahlmann. 14 Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 3), S. 293. 15 Dazu: G. Seiberth, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozess „Preußen contra Reich“ vor dem Staatsgerichtshof (Zeitgeschichtliche Forschungen, 12), Berlin 2001; knappe Zusammenschau: Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 3), S. 288–299. 16 C. Schmitt, Verfassungslehre, 8. Aufl., Berlin 1993, S. 361 ff. 17 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 4. Aufl., Berlin 1996, S. 71 ff. 18 Einstweilen nach wie vor Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, Tübingen 1998, S. 53 ff. 19 Vgl. E. R. Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Oldenburg 1932.
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Carl Schmitt. Bund, Staat und Reich
und seinen Ausgang zu sprechen. Dass dadurch auch seine Bemühung um eine politikgeschichtlich fundierte Verhältnisbestimmung der Begriffe „Bund“, „Staat“ und „Reich“ angeregt wurde, hat Schmitt in der bereits zitierten editorischen Anmerkung zur Kölner Vortragsfassung in „Positionen und Begriffe“ notiert.20 Schon die Februar-Fassung seines Vortrags gibt zu erkennen, dass Schmitt in der Untersuchung dieses wechselseitigen Beziehungsgefüges nicht nur eine Herausforderung für den Wissenschaftler, sondern zugleich eine Angelegenheit von unmittelbar „realpolitischer“ Relevanz erblickt.21 Indem er sich selbst als „Staatsrechtler“ einführt22 und den Begriff „Staat“ in die Mitte seiner Begriffstrias setzt, deutet er den Fokus seines Interesses an – es geht um die Realisierung der „Staatlichkeit Deutschlands“,23 die seit 200 Jahren in der Auseinandersetzung mit dem Reichs- und Bundesgedanken ein unbewältigtes Thema darstellt. Die These, die Schmitt zu begründen sucht, lautet: Das alte Reich (das Heilige Römische Reich deutscher Nation) ist an der aufkommenden Staatlichkeit zu Grunde gegangen.24 Äußerungen des jungen Hegel25 werden als Beleg dafür herangezogen, dass spätestens zu Beginn des 19. Jahrhunderts geradezu eine „Flucht“ aus dem „Reich“ in den „Staat“ stattfand. Schmitts Definition des Staates, die er im Vortrag präsentiert, kreist um das Element „Machtzentralisierung“ bzw. „Monopolisierung des Politischen“.26 Auch wenn im Vortrag nicht von der (qualitativen) „Totalität“ des Staates die Rede ist, über die Schmitt zur Zeit des Vortrags gerade publiziert hatte, kann man sie in dieser Bestimmung anklingen sehen.27 Nicht so sehr auf die Gesetz20
Vgl. Schmitt, Reich – Staat – Bund (wie Anm. 5), S. 217, Anm. Wir zitieren im Folgenden nach der Archiv-Paginierung des Vortrags: Bund, Staat und Reich, BArch NS/5/VI 17492, Bl. 36–74, hier: Bl. 38. 22 Vgl. ebd., Bl. 39. 23 Ebd., Bl. 37. 24 Vgl. ebd., Bl. 40: „das Deutsche Reich ist am Staat zugrunde gegangen. [. . .] Der Staat zerstört das Reich.“ 25 Vgl. ebd., Bl. 42. 26 Vgl. ebd., Bl. 40: „Der Staat, d.h. eine zentralisierte Macht: Militär, Beamtentum, Finanz und Souveränität, alles nur Ausdruck derselben Tatsache, dass er das Politische bei sich monopolisiert.“ Nach Schmitts Ausführungen in: Schmitt, Der Begriff des Politischen, Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1979, S. 23 f., wäre dies allerdings eher eine historische, mittlerweile in Frage gestellte Definition: „Auch die allgemeinen Begriffsbestimmungen des Politischen, die nichts als eine Weiter- oder Rückverweisung an den Staat enthalten, sind verständlich und insofern auch wissenschaftlich berechtigt, solange der Staat wirklich eine klare, eindeutig bestimmte Größe ist und den nicht-staatlichen, eben deshalb unpolitischen Gruppen und Angelegenheiten gegenübersteht, solange also der Staat das Monopol des Politischen hat. Das war dort der Fall, wo der Staat entweder (wie im 18. Jahrhundert) keine Gesellschaft als Gegenspieler anerkannte oder wenigstens (wie in Deutschland während des 19. Jahrhunderts und bis ins 20. Jahrhundert hinein) als stabile und unterscheidbare Macht über der Gesellschaft stand.“ 21
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gebungsgewalt, sondern auf die Verfügung über die Exekutive (vor allem die Beamtenbürokratie), so wird Schmitt in der Diskussion präzisieren,28 kommt es dabei an. Solche Staatlichkeit aber ist nicht im alten Reich als ganzem, sondern in den vielen Teilstaaten Deutschlands zur Realisierung gekommen. Da sich die deutschen Staaten seit 1806 in verschiedenen Bundeskonstellationen zusammengefunden haben (Rheinbund von 1806, Deutscher Bund von 1815), begegnet ein „Staatenbund“ von Anfang an in Konfrontation zum Reich (zeitweise zudem unter der Hegemonie der benachbarten „Reiche“ Frankreich bzw. Österreich29). Eine Integration des Staatsprinzips in das Reichsideal ist in Schmitts Analyse auch 1870 nicht gelungen. Die Reichsverfassung von 1870 spricht „die Sprache des Bundes und nicht die des Reiches“,30 und dieser Bund ist ein „monarchische[r] Fürstenbund“,31 der immer noch nach Art eines Staatenbundes konstruiert ist. Darum gilt auch: „Der Dualismus Preußen – Reich, der heute so allgemeine Reformvorschläge hervorruft und als eine der schlimmsten Fehlkonstruktionen der Weimarer Verfassung empfunden wird und es auch tatsächlich ist, ist dort vorhanden“.32 Denn die Weimarer Verfassung hat zwar die Eigenstaatlichkeit der Länder und das aus ihnen resultierende Bundesdenken auszuschalten gesucht, konnte damit aber faktisch die aus der Konstruktion des Zweiten Reiches fortdauernde „Widerstandskraft“33 der Länder nicht überwinden, wie vor allem das Beispiel Bayerns deutlich macht.34 Vor allem bleibt die Frage, ob das im Reich unübersehbar dominante Preußen Staat sei oder nicht, ebenso wenig geklärt wie zuvor. Ist sie positiv zu beantworten, wird die Staatlichkeit des „Ganzen“ fraglich. Im Streit „Preußen contra Reich“ 1932 ging es darum nach Schmitt vor allem um ein Thema: Wer ist Träger der Staatlichkeit in Deutschland – Preußen oder das Reich?35 Im Preußenschlag, so Schmitts Deutung, hätten sich „spezifisch preußische Energien und Kräfte [. . .] des Staates Preußen versichert“.36 Am 27 Vgl. etwa Schmitt, Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland [Ersterscheinen Anfang Febr. 1933], in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958, S. 359–367, hier bes. S. 361. 28 Vgl. Schmitt, Bund, Staat und Reich (wie Anm. 6), Bl. 71. 29 Vgl. ebd., Bl. 45–51. 30 Ebd., Bl. 52. 31 Ebd., Bl. 53. 32 Ebd., Bl. 56. Eine ähnliche Formulierung gebraucht Schmitt auch in einem Vortrag vom 23.11.32: Starker Staat und gesunde Wirtschaft, in: ders., Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916–1969, hrsg. von G. Maschke, Berlin 1995, S. 71–91, hier: S. 72. Es folgt eine scharfe Kritik des Leipziger Urteils. 33 Schmitt, Bund, Staat und Reich (wie Anm. 6), Bl. 59. 34 Vgl. ebd., Bl. 56 f. 35 Vgl. ebd., Bl. 62.
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Carl Schmitt. Bund, Staat und Reich
20. Juli 1932 sei also der Versuch gemacht worden, die reale Staatlichkeit Preußens zugunsten der prekären Staatlichkeit des Reiches in Dienst zu nehmen, und zwar „formal vom Reich“37 her – also Preußen als „ein Werkzeug und eine Waffe des Reiches“38 zu benutzen. Schmitt greift damit ein von ihm und seinem Kreis schon 1932 stark gemachtes Motiv auf,39 in dem die Sorge um die Einheit des Reiches verbunden wird mit dem Plädoyer dafür, die entscheidende Rolle bei ihrer Herbeiführung Preußen zuzuweisen.40 Das Leipziger Urteil dagegen habe sich gerade nicht an den antiföderalistischen Buchstaben der Verfassung gehalten, sondern doch wieder „aus Begriff und Wesen des Bundesstaates“41 argumentiert, so dass der „Dualismus Preußen – Reich“ nicht überwunden werden konnte; die „politische Einheit Deutschlands“ steht darum weiter aus,42 das „Reichsproblem“43 der Weimarer Verfassung ist ungelöst. Man muss Schmitt sehr falsch verstehen, wenn man in diesen Ausführungen das Plädoyer für einen starken oder gar ideologisch aufgeladenen Reichsbegriff erkennen möchte. Die jetzt verfügbare Fassung des Vortrags zeigt, dass Andreas Koenen Unrecht hatte, als er Schmitts Reichsgründungsrede aus dem Januar 1933, deren Inhalt uns in der vorliegenden „Zweitverwertung“ umfassend dokumentiert ist, als Beleg für einen Schwenk in Richtung einer „Vision vom ‚Reich‘, der integrativen Formel der Konservativen Revolution“, deutete 36
Ebd., Bl. 63. Ebd. 38 Ebd., Bl. 64. 39 Vgl. die zentralen Schlusssätze von Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof (wie Anm. 19), S. 73: „Die Maßnahmen des 20. Juli 1932 jedoch waren in Wahrheit keine Exekution gegen Preußen, sondern eine Exekution der aus wirklich eigenwüchsigen preußischen Kräften gestalteten Reichsgewalt gegen den Parteienstaat um der Ehre und Einheit Preußens willen. Der geschichtliche Sinn des 20. Juli war, die Einheit und Ehre Preußens den zerstörenden Mächten des Parteienstaates zu entziehen und für das Reich zu retten. Darin besteht die Größe dieses Tages. Preußen und Reich gehören zusammen; nur dann wird das Reich ein Staat sein, wenn es gelingt, Preußen für das Reich zu erhalten. Die Ehre Preußens aber besteht darin, das Schwert des Reiches geführt und den Staat der Deutschen erneuert zu haben.“ 40 Schmitt hat dies in der Rückschau vor allem als das große Anliegen seines Freundes Popitz beschrieben. Er berichtet über den Februar 1933: „. . . viele Zusammenkünfte mit Marcks, mit Popitz vor allem. Popitz hatte eine Sache am Herzen, das war übrigens etwas, was ihn mit Schleicher innerlich verband: Preußen. Preußen muss bestehen bleiben, von Preußen aus muss die Einheit Deutschlands gemacht werden und bleiben. Der naturgegebene Gegenspieler waren natürlich hier die Bayern“ (Hertweck/Kisoudis, „Solange das Imperium da ist“, wie Anm. 1, S. 89). 41 Schmitt, Bund, Staat und Reich (wie Anm. 6), Bl. 60. 42 Ebd. 43 Vgl. C. Schmitt, Konstruktive Verfassungsprobleme (Vortrag vom 4.11.32), in: ders., Staat, Großraum, Nomos (wie Anm. 32), S. 55–70, hier: S. 55 f.; dazu die Anm. [2] des Hrsg., S. 65. 37
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und sogar meinte, Schmitt habe hier geradezu „das ‚Arcanum‘ seiner Staatsphilosophie“44 enthüllt. Dagegen spricht allein schon, dass der Redner sich in der Ansprache um eine theoretisch tiefgehende Reflexion des Reichsbegriffes überhaupt nicht bemüht. Erst recht ist die Propagierung eines metaphysisch überhöhten Reichsgedankens nirgends zu erkennen. Schmitts Sorge gilt vielmehr der entschlossenen Realisierung von umfassender „Staatlichkeit“ in Deutschland, ohne die jeder Traum vom Reich „chimärisch“45 bliebe. „Wir könnten sehr glücklich sein, wenn das Deutsche Reich, wie es da ist, ein starker Staat wäre und von dieser Basis aus sich ein Reich schüfe“46 – vielleicht ist dies der Kernsatz des ganzen Vortrags. Erst wenn dieses Ziel (am besten mit Hilfe des Staates Preußen) erreicht wäre, könnte man nach Schmitts Einschätzung über die Entfaltung eines Potentials nachdenken, das im Begriff des Reiches über die Staatlichkeit hinaus zu finden ist: „Ein Reich ist meiner Meinung nach mehr als ein Staat. Ein Reich bedient sich eines Staates; für das echte Reich ist ein Staat eine Waffe, eine Rüstung, eine Armatur oder wie Sie es nennen wollen. Das wäre ein echtes Reich“.47 Schmitt ist sich in der konkreten politischen Situation Ende Februar 1933 aber keineswegs sicher, ob und wie die echte Staatlichkeit Deutschlands Wirklichkeit werden kann; erst recht sieht er darum im (falsch angewandten) Reichsbegriff eher eine Gefahr für deren Etablierung als die Möglichkeit eines erweiterten Verständnisses.48 Noch deutlicher fällt nur die Warnung vor „Worte[n] wie Bund, gleichgültig in welcher Verbindung – Bundesstaat oder Staatenbund oder bündisch oder föderalistisch –“ aus, die geeignet seien, „diesen Rest von Ansatz und Fragment von Staatlichkeit, den das Deutsche Reich darstellt, zu zerstören“.49 Aus diesen Worten lässt sich die Enttäuschung über das Scheitern der letzten beiden Präsidialkabinette, die Schmitt unter Rückgriff auf Art. 48 WRV zu stützen gesucht hatte, heraushören. In der Diskussion deutet Schmitt an, dass die NSDAP möglicherweise einen entscheidend neuen Schritt in Richtung der Realisierung staatlicher Einheit gehen wird, indem sie den Einpar44
Koenen, Der Fall Carl Schmitt (wie Anm. 4), S. 212. Vgl. Schmitt, Bund, Staat und Reich (wie Anm. 6), Bl. 68, 74. 46 Ebd., Bl. 66, vgl. ähnlich schon Bl. 64. 47 Ebd., Bl. 66. 48 Eine klare Bestätigung dafür bietet eine Briefnotiz Schmitts gegenüber Wilhelm Stapel kurz nach der Reichsgründungsrede: „Der Sinn meiner Reichsgründungsrede vom 18. Januar war der, den gefährlichen staatsschwächenden Gebrauch des Wortes Reich zu zerstören und ebenso des Wortes Bund. Bei dem jungen Hegel ist deutlich zu sehen, wie er aus dem Reich in den Staat flüchtet. Die Frage auch der Beziehung dieser beiden Begriffe, wozu noch als Drittes die nach dem Bunde kommt, war der Gegenstand meiner Rede . . .“ (Lokatis, Wilhelm Stapel und Carl Schmitt, wie Anm. 10, S. 47 [C. S. an W. S. vom 23.1.33]). 49 Schmitt, Bund, Staat und Reich (wie Anm. 6), Bl. 67. 45
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teienstaat etabliert. Die Monopolisierung des Politischen, an der das Reich bisher gescheitert ist, könnte durch einen neuen Akteur, die alles beherrschende Partei, verwirklicht werden. Ob aber tatsächlich „die Nationalsozialistische Partei (. . .) das Zeug und die Kraft [hat], den Einparteienstaat zu verwirklichen“,50 lässt Schmitt bewusst offen. Im Schlusswort seines Februar-Vortrags distanziert er sich ausdrücklich von „parteipolitischer“ Vereinnahmung seiner Worte.51 Es gibt zuvor sogar Passagen, die Vorbehalte gegenüber „Kräfte[n], die heute in der Reichsregierung sitzen“, auszudrücken scheinen, vor allem im Hinblick auf das weitere Schicksal Preußens.52 Eine Trias „Staat, Bewegung, Volk“53, mit der Schmitt bald darauf die Konstitutionsprinzipien für Deutschlands Einheit erfassen wird, ist im Februar 1933 noch nicht zu erkennen. So ist die jetzt zugängliche Vortragsfassung ein weiteres Indiz für die mittlerweile gut belegte Feststellung, dass Schmitt bis in den März 1933 hinein gegenüber der Regierung Hitlers keine eindeutige Position einnahm und erst im Anschluss an das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 und endgültig durch die Mitarbeit am Reichsstatthaltergesetz im April seine Entscheidung zugunsten der NSDAP fällte.54 Der weitere Weg ist bekannt. (4) Fast exakt vier Monate nach dem Berliner Vortrag hat Schmitt seine bereits erwähnte Antrittsvorlesung an der Universität Köln gehalten, an die er von der Berliner Handelshochschule gewechselt war. Man mag sich im ersten Moment darüber wundern, dass er bei dieser wichtigen Gelegenheit auf „alten“ Stoff zurückgriff, obwohl er seit der letzten Behandlung der Thematik in Berlin seinen politischen Standpunkt nicht unwesentlich verändert hatte. Offenbar sah er jedoch gerade die vorliegende Materie als ge50
Ebd., Bl. 73. Vgl. ebd., Bl. 69. 52 Vgl. ebd., Bl. 63 f.: „Inzwischen ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Nach der Demission Schleichers sind die Kräfte, die heute in der Reichsregierung sitzen, nicht mehr in derselben einfachen Weise nur als spezifisch preußische Kräfte zu qualifizieren. Aber sie vereinnahmen nach wie vor Preußen und halten es in der Hand und bemächtigen sich also dieses Befehlsmechanismus Preußen. Es ist also bei der Frage der Verbindung des Reiches mit Preußen immer die erste Frage, wie die Dinge heute liegen: Wer ist eigentlich dieses Reich, das sich Preußens bemächtigt?“ Der Aussicht, dass zukünftig im deutschen „demokratischen Ein- oder Mehrparteienstaat [. . .] Preußen als politische Prämie der jeweils regierenden Partei zufällt“ (Bl. 65), begegnet Schmitt mit deutlicher Skepsis. Damit klingt ein Motiv aus dem Leipziger Schlussplädoyer Schmitts an: Schlußrede vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig, in: ders., Positionen und Begriffe (wie Anm. 5), S. 204–210, hier: S. 207 f. 53 Vgl. C. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit, Hamburg 1933. 54 Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 3), S. 304–310. 51
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eignet an, um den Positionswechsel als schlüssige Konsequenz seines bisherigen Denkens auszuweisen. Lässt sich dies durch den Vergleich der nun verfügbaren ersten Vortragsfassung über „Bund, Staat und Reich“ mit der Kölner Publikationsversion illustrieren? Einen ersten Hinweis bietet bereits der bei der Antrittsvorlesung modifizierte Titel: Indem Schmitt nun in der Trias der von ihm behandelten Begriffe „Reich“ an den Anfang und „Bund“ ans Ende stellt, deutet er eine Umgewichtung zugunsten des erstgenannten an. Neue Akzente setzt auch die Einleitung des Textes, in der Schmitt die Verzahnung des „Lehrfachs des öffentlichen Rechts“ mit dem aktuellen „politischen Kampf der Völker und Parteien“ klarer hervorhebt.55 Er kündigt damit an, dass sein Beitrag in politischer Absicht und im Wissen um „Freund-Feind-Konstellationen“56 vorgetragen wird, nicht allein aus der Position des Distanz wahrenden wissenschaftlichen Beobachters, die in der früheren Fassung noch primär eingenommen wurde. Die Vorzeichen der Analyse haben sich also verschoben, auch wenn grundlegende Thesen, vor allem die historischen Zusammenhänge betreffend, weithin identisch geblieben sind. Gegenüber der älteren Vortragsfassung hat Schmitt in Köln die geschichtlichen Passagen gestrafft; in deren ausführlicherer Explikation liegt also bereits der eigenständige Wert der älteren Vortragsversion. Andererseits hat Schmitt in der Kölner Fassung manche Formulierungen präzisiert und neue Belege eingefügt.57 So nimmt er etwa in den historischen Rückblick einige Quellenbelege für das Verständnis des Reichsbegriffs auf und begründet exakter, weshalb man im Leipziger Urteil eine Bestätigung dafür erkennen kann, dass auch das Weimarer System gegen den Wortlaut der eigenen Verfassung letztlich noch „bundesstaatsrechtlich“ dachte.58 Die entscheidende inhaltliche Fortschreibung bietet der Juni-Vortrag in seinem Schlussteil, in dem Schmitt nach der Untersuchung seiner drei Begriffe die Frage stellt, wie „wir uns in der gegenwärtigen Situation zu ihnen zu verhalten“ haben.59 Allen drei behandelten Worten attestiert er für deutsche Ohren je „eigentümliche Kraft und Wirkung“, die bis in „mythische“ Dimensionen reichen.60 Gerade daraus aber leitet er die Unverzichtbarkeit einer richtigen Bestimmung ihres Verhältnisses ab. Noch eindeutiger als im Februar wird nun die Gefahr benannt, die aus der Verknüpfung von Staatsund Bundesbegriff resultiert; die polemisch gegen die Weimarer Verhält55
Schmitt, Reich – Staat – Bund (wie Anm. 5), S. 217 [S. 42 in diesem Band]. Ebd., S. 218. 57 Dabei bleibt zu beachten, dass die Februar-Version die freie Rede eines Vortrags dokumentiert, der notwendigerweise die Präzision einer für den Druck aufbereiteten Fassung fehlt. 58 Vgl. Schmitt, Reich – Staat – Bund (wie Anm. 5), S. 222 [S. 47]. 59 Ebd. 60 Vgl. ebd., S. 223 f. 56
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nisse gerichtete Vokabel des „Parteienbundesstaates“ wird erst jetzt aufgegriffen.61 Gewiss kämpft Schmitt mit seinen anti-föderalistischen Auslassungen, wie R. Mehring bemerkt, „im Juni 1933 gegen einen weitgehend besiegten Gegner“62 – aber Mehring selbst gibt mit der Überschrift seines entsprechenden Abschnitts („Rache für Leipzig“) einen wichtigen Grund dafür an, dass Schmitt den Sieg gerne ausgekostet hat. Auch in weiteren Publikationen nach seiner Wende zum Nationalsozialismus wird er wiederholt auf den historischen Schaden, den „die Verknüpfung des Bundes-Gedankens mit dem Staats-Gedanken“ für die Einheit Deutschlands angerichtet habe, und auf das pro-föderalistische Leipziger Urteil zurückkommen, um „vor dem Hintergrund dieser vor-nationalsozialistischen Gedankenwelt des Parteienbundesstaates“ die „Leistung des Reichsstatthaltergesetzes“ in umso hellerem Licht erstrahlen zu lassen.63 Ebenso eindeutig wie die Absage an den Föderalismus fällt in der Kölner Vortragsfassung die Zurückweisung eines ideologisch aufgeladenen Reichsbegriffs auf, dessen Beschwörung schon in der Vergangenheit die föderalistische Verhinderung echter Nationalstaatlichkeit nur gefördert habe.64 Von „Reichstheologie“ o. ä. zeigt sich bei Schmitt also auch jetzt keine Spur.65 Seine ganze Argumentation läuft weiterhin auf die Überzeugung zu, dass „es in der gegebenen geschichtlichen Lage und in der gegebenen politischen Wirklichkeit unserer Zeit kein Reich ohne starken Staat geben kann“.66 Während er Ende Februar angesichts des in seinen Augen durch den Leipziger Prozess gescheiterten Konfliktbewältigungsversuchs noch keine sichere politische Perspektive für die Erreichung dieses Ziels anzubieten vermochte, mündet der Kölner Vortrag in das Urteil, dass „der unter der politischen Führung Adolf Hitlers entstandene neue Staat der nationalen Revolution [. . .] das jahrhundertealte Problem durch das Reichsstatthaltergesetz vom 7. April 1933 gelöst“ habe.67 Das neue Reich unter Führung Hitlers, so ist Schmitt nun 61
Vgl. ebd., S. 224. Sie war aber schon zur Zeit des Leipziger Prozesses im Umlauf; vgl. Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof (wie Anm. 19), S. 18–24 u. ö. 62 Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 3), S. 321. 63 Alle Zitate aus: Schmitt, Staat – Bewegung – Volk (wie Anm. 53), S. 18; erneut wird das Leipziger Urteil angesprochen ebd., S. 31. Vgl. auch ders., Das Reichsstatthaltergesetz (Das Recht der nationalen Revolution, 3), Berlin 1933, S. 7 ff.; ders., Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, Hamburg 1934, S. 47 f. (Komm. Neuedition, hrsg. von G. Maschke, Berlin 2011). 64 Dies ist auch ein zentrales Thema in den politisch-theologischen Vorträgen, die Schmitts enger Freund Karl Eschweiler 1933 gehalten hat; vgl. Th. Marschler, Karl Eschweiler (1886–1936). Theologische Erkenntnislehre und nationalsozialistische Ideologie (Quellen und Studien zur neueren Theologiegeschichte, 9), Regensburg 2011, S. 229 f. 65 Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 3), S. 321, deutet dies korrekt an. 66 Schmitt, Reich – Staat – Bund (wie Anm. 5), S. 224 [S. 49].
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überzeugt, ist zugleich erstmals in der deutschen Geschichte ein einiger, politisch entschlossener und handlungsfähiger Staat geworden.68 Der Berichterstatter des „Westdeutschen Beobachters“ tat dem Redner also kein Unrecht, als er zu Beginn seines Artikels feststellte, der neue Kölner Professor habe in seiner Vorlesung „vor allem auch ein überzeugendes, weil fachliches, Bekenntnis zum neuen Staat“ abgegeben.69 Auffällig ist, dass Schmitt die im Februar offen angesprochene Perspektive „Durchsetzung des Einparteienstaates“ jetzt nicht mehr als einziges Mittel der Verwirklichung konsequenter Staatlichkeit benennt, sondern als einen Faktor unter mehreren.70 Der Schluss der Kölner Vorlesung illustriert noch einmal – nicht ohne Pathos – den Perspektivenwechsel, den der Redner selbst vollzogen hat: Der Vertreter der politischen Wissenschaft, der die Lösung eines jahrhundertealten Problems anerkennt, definiert sich selbst als Teil eines umfassenderen „Kampfes“ und bekennt sich zu seiner aktiven politischen Sendung.71 (5) Man muss also die beiden Vortragsfassungen synoptisch lesen, um zu erkennen, dass es Schmitt im Juni 1933 keineswegs nur um bequeme Wiederverwertung von zuvor erarbeitetem Material ging. Der Vortrag in seinen unterschiedlichen Fassungen bietet nicht bloß instruktive Einblicke in die literarische Werkstatt Carl Schmitts; er kann als Schlüsseltext für das Verständnis eines Schlüsseljahrs in seiner Biographie gelten. Welches Motivbündel auch insgesamt für Schmitts Wende zum neuen Regime entscheidend gewesen sein mag72 – auf jeden Fall gehörten die Überzeugung, dass Hitler die Schaffung echter Staatlichkeit des Reiches durch entschlossene Monopolisierung der politischen Exekutive ermöglicht hatte, ebenso dazu wie die Genugtuung, dass dessen Gesetzgebung die Niederlage aufzuheben vermochte, als die Schmitt das Urteil der „politischen Justiz“ im Leipziger Prozess73 empfunden hatte. Die Grundideen, von denen her Schmitt seine neue Position im Sommer 1933 begründen konnte, lagen auch schon zu 67
Ebd. Den allgemeinen positiven Eindruck, den das rasch verabschiedete Gesetz damals machte, hat Schmitt auch Jahrzehnte später noch betont; vgl. Hertweck/Kisoudis, „Solange das Imperium da ist“, wie Anm. 1, S. 92 f. 69 Westdeutscher Beobachter Nr. 143 vom 20.6.1933, S. 5. 70 Vgl. Schmitt, Reich – Staat – Bund (wie Anm. 5), S. 225 [S. 50]: „Diese [sc. neue Einheit, Th. M.] ruht auf drei Säulen: dem staatlichen Behördenapparat, der staatstragenden Parteiorganisation und einer ständischen Sozialordnung. Eine kraftvolle politische Führung, die aus der staatstragenden Partei hervorgeht, bringt die mannigfaltigsten Teile und Organisationen in ihr richtiges Verhältnis. Die anonyme und getarnte Art der politischen Machtausübung des früheren Parteienbundesstaates ist überwunden.“ 71 Ebd., S. 224 f. [S. 49 f.]. 72 Vgl. die zahlreichen bei Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 3), S. 310–313, erwogenen Möglichkeiten. 68
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Jahresbeginn bereit. Sie hätten aber nicht notwendig zu derjenigen Konklusion führen müssen, die er im Juni vortrug, wenn ihnen nicht eine neue, aus dem faktischen Handeln der NS-Regierung abgeleitete Prämisse hinzugefügt worden wäre. Begriffe, mit denen Schmitt schon lange beschäftigt war, hatten sich ihm nun endgültig als „unmittelbare Träger politischer Energien“74 erwiesen.
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Vgl. Schmitt, Das Reichsstatthaltergesetz (wie Anm. 63), S. 8, wo es zum Leipziger Urteil heißt: „Die Methoden politischer Justiz und justizförmiger Politik mußten gegenüber allen lebenswichtigen Fragen der Reichspolitik versagen; sie kamen in dieser Lage nur den Kräften des Verfalls zugute.“ E. R. Huber eröffnete seine unter Schmitts Einfluss verfasste Schrift: Reichsgewalt und Staatsgerichtshof (wie Anm. 19), S. 7–11, mit einem Kapitel „Politische Justiz“, in dem auch der Terminus „justizförmige Politik“ erscheint (S. 9; später erneut S. 69 ff.). 74 Schmitt, Reich – Staat – Bund (wie Anm. 5), S. 225 [S. 50].
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Bund, Staat und Reich. Vortrag von Prof. Carl S c h m i t t anlässlich einer Abschiedsfeier, veranstaltet von der „Politischen Gesellschaft“, Berlin, am Donnerstag, den 22. Februar 1933, abends 8 Uhr im Hause des Akademischen Vereins Hütte
[37] Nach einleitenden Begrüßungsworten des Herrn Vorwerk75 dankt Herr Prof. Schmitt dafür, dass ihm Gelegenheit gegeben sei, vor seinem Verlassen Berlins noch einmal vor diesem Kreise sprechen zu dürfen. Er führte dann aus: Wenn ich nun in einigen großen deutschen Städten herumgehe, so habe ich dabei niemals ein anderes Gefühl, als das, immer auf der Suche nach einem geeigneten Objekt zu sein, das nach allen meinen historischen und politischen Erfahrungen irgendwie doch lokalisiert sein muss. Nicht nur der Weltgeist hat eine Residenz, jeder Staat hat einen Mittelpunkt, jedes Reich hat irgendwie eine Hauptstadt. Jedenfalls war das bei den alten Reichen so, dass sie geradezu an eine Stadt geknüpft waren und mit ihr verbunden waren. Bei einem Reich ist es mir allerdings schon wieder sehr fraglich geworden, in welchem Masse es eine Hauptstadt haben kann. Das Deutsche Reich hatte bisher keine Hauptstadt. Es gibt keinen Staat ohne Hauptstadt. Und so ist die Frage nach der Hauptstadt Deutschlands eigentlich nur ein konkreter Fall der Frage, ob Deutschland überhaupt ein Staat ist, der Frage nach der Staatlichkeit Deutschlands. Nun bin ich Ihnen ganz besonders dankbar, dass Sie mir Gelegenheit geben, über Begriffe wie Reich, Staat und Bund hier zu sprechen. Ich habe das schon einmal vor kurzem am 18. Januar in der Handelshochschule bei der Reichsgründungsfeier getan und werde infolgedessen mich hier in weitem Maße wiederholen. Diejenigen, für die es eine Wiederholung bedeutet, bitte ich um Geduld und Nachsicht. Aber auch die anderen muss ich um Geduld bitten, denn ich kann nicht aus [38] meiner Haut heraus. Ich muss
75 Im Typoskript „Vorwerck“. Gemeint ist: Friedrich Vorwerk (1893–1969), Publizist und Verleger, Schriftleiter der Zeitschrift „Der Ring“ (nach: Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934, wie Anm. 2, S. 29, Anm. 225). Alle Anmerkungen im nachfolgenden Text stammen vom Editor.
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begrifflich sein. Ich empfinde das natürlich nicht als einen Mangel, weiß aber, welchen Schwierigkeiten man dabei ausgesetzt ist, wenn man versucht, einerseits Begriffe klar herauszustellen und andererseits geschichtlich anschaulich zu sein. Es entsteht dann sehr leicht der Eindruck von Konstruktionen, und jeder hat diesen Einwand sehr nahe, dass es sich dabei um bloße Spielereien und um Baukastengebäude oder dergleichen handele. Ich fürchte diesen Einwand nur insofern, als es mir leid tun würde, wenn Menschen, auf deren Verständnis ich Wert lege, sich von diesem Einwand irgendwie beeindrucken lassen; in der Sache fürchte ich ihn nicht. Selbstverständlich gibt es gute und schlechte Begriffe, sophistische Begriffe und Begriffe, die eine Realität haben. Es gibt Begriffe, die geradezu eine explosive Kraft haben und umgekehrt: durch Zerstörung eines Begriffes kann ich ein Reich zerstören, und die Wirkungen einer Begriffszerstörung können je nach der historischen Lage der Sache so einer Thronzertrümmerung selber gleichen. Mit diesen Begriffen ist eine sehr wichtige unmittelbare Frage verbunden, nicht nur, weil sie der Kern von Mythen sein können, um die gekämpft wird, weil sie schließlich zu jedem Katechismus76 gehören, und ein Staat kann nicht existieren ohne einen Katechismus, und ein Katechismus kann nicht bestehen ohne Begriffe, handhabbare, klare Begriffe, nach denen einige 10.000 von, seien es nun Lehrer oder seien es Unteroffiziere, richtig exerzieren müssen. Diese Art von Präzision, das ist das, was nach meinen Beobachtungen also etwas realpolitisch unmittelbar Wichtiges ist. Dazu kommt, dass die Begriffe Konstruktions- und Organisationsformen annehmen mit einer unabsehbaren Folgewirkung, die sich eines Tages in der Praxis enthüllt, sei es [39] in der Verwaltungspraxis, sei es in der Rechtspraxis, sei es in den parteipolitischen Kontroversen und deren undurchdringlicher Verwirrung. Dies also zur Voraussetzung über die Begriffe, nicht um eine Methodologie an die Spitze zu stellen, sondern um die Art und Weise, wie ich hier eine Angelegenheit, die Ihnen allen aus geschichtlichen und anderen Betrachtungen geläufig ist, von der Seite her zeige, von der sie sich mir als einem Staatsrechtlehrer präsentiert. Bei Staatsrechtlehrern muss ich natürlich schon stocken, denn warum nenne ich mich einen Staatsrechtlehrer und warum nicht einen Reichsrechtslehrer oder Bundesrechtslehrer? Wenn ich die ungeheure Auszeichnung und Ehre hätte, Ordinarius an einer bayrischen Universität zu sein, so müsste ich mich einen Bundesrechtslehrer nennen. Ich würde wahrscheinlich gar nicht zum Ordinarius ernannt werden, ohne dass man sich in meinem Falle besonders versichert hätte – vielleicht hätte ich sogar einen Revers unterschreiben müssen. Ich müsste mich also irgendwie klar darüber äußern, dass ich auf dem Boden der föderalistischen Staatslehre stehe. Was 76
Im Ts. hier und im Folgenden: „Kathechismus“.
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föderalistische Staatslehre ist, das kann man nur von München aus wissen. Und so würde ich also ein Bundesrechtler sein. Ich bin ein Staatsrechtler. Ich muss Ihnen gestehen, der Staat, dessen Recht ich doziere, weiß seine Rechtslehrer nicht so einfach und selbstverständlich zu behandeln, wie etwa der bayrische Staat seine Staatsrechtslehrer. Dagegen haben wir auch Parteirechtslehrer, und das sind sehr beliebte und allgemein anerkannte und hochgeschätzte Größen. Reichsrechtslehrer sind eigentlich wohl kaum bekannt in der gegenwärtigen Situation. Und so sitzt man gerade mit dem Objekt seiner Wissenschaft etwas schwierig zwischen den Begriffen. [40] Und so sehen Sie, dass ich fortwährend mit meinen Gedanken um diese Begriffe Staat, Reich und Bund mich bewege. Ich sehe also zunächst folgendes und glaube, dass das essenzielle Formeln, nicht abstrakte, sondern konkrete Formeln sind – Träger von effektiven Kräften werden damit bezeichnet – wenn ich sage: das Deutsche Reich ist am Staat zugrunde gegangen. Eigentlich eine Banalität. In einer 400jährigen Auseinandersetzung ging die politische Einheit, die damals deutsches Reich hieß, daran zugrunde, dass sie Staaten entwickelt. Und gerade je mehr sie Staaten werden, je staatlicher sie werden, umso mehr lösen sie von innen her die politische Einheit des Reiches auf. Warum? Weil sie das Monopol der Staatlichkeit bei sich als Staat nun festhalten und durchsetzen. Dass wir von Staatsrecht sprechen und von Staatsrechtslehrern zeigt Ihnen ja, wie hundertprozentig der Sieg des Begriffes Staat gewesen ist gegenüber dem Begriff Reich. Der Staat zerstört das Reich. Das haben wir in der deutschen Geschichte erlebt und das sollte man nicht vergessen. Nun ist es ganz gleichgültig, von welcher Seite man es bewertet. Man darf es nicht vergessen, um eine Reihe von schlimmen Verwirrungen, die mit dem Wort und Begriff des Reiches betrieben werden, sofort zu durchschauen. Der Staat hat das Reich wahrscheinlich mit Recht zerstört. Wir sprechen ja nicht von irgendwelchen Legalitätsdingen, sondern von einer geschichtlichen Entwicklung und suchen sie so präzise und so konkret wie möglich zu erklären. Der Staat, d.h. eine zentralisierte Macht: Militär, Beamtentum, Finanz und Souveränität, alles nur Ausdruck derselben Tatsache, dass er das Politische bei sich monopolisiert. Wer die Entscheidung über jede [41] Frage – Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung usw. – bei sich konzentriert, war ein Staat. Wer das nicht konnte, war kein Staat. Und da der Staat die maßgebende politische Größe war, ging das Reich darüber zugrunde, weil für die Auffassung dieser Zeit das Reich kein Staat war. Am Ende des 18. Jahrhunderts ist diese Entwicklung in Deutschland erst entschieden. In anderen Ländern ist sie früher eingetreten, aber in Deutschland doch Ende des 18. Jahrhunderts etwa. Wenn Sie die staatsrechtlichen Lehrbücher in der Zeit der französischen Revolution von 1789–1800 oder
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bis zum Frieden von Lunéville77 studieren, so sprechen wir schon vom Staat, und das auf eine echt deutsche Art und Weise. Sowohl die einzelnen Territorien sind Staaten, als auch das Reich ist ein Staat. So helfen sie sich, und so war dann die Sache für die damaligen Kollegen entschieden. Inzwischen fanden sich Staatsrechtslehrer in einzelnen Staaten, die die Souveränität für sich und für ihren Staat in Anspruch nahmen. Aber der Kampf um die Worte Reich und Staat wurde merkwürdigerweise niemals so geführt, dass man sagte, das Reich ist mehr als ein Staat oder das Reich ist etwas anderes als ein Staat, ist eine Art politisches Gebilde für sich, sondern Staat war das selbstverständliche Wort. Die reichstreuen Leute, die zum Ausdruck bringen wollten, dass sie selbst 1797 noch an einem Reich festhielten, fanden dafür kein anderes Wort, als dass sie versicherten, das Reich sei trotz allem doch noch ein Staat, und die Territorien und die Staaten, die sich daraus entwickelt hatten, waren zweifellos auch Staaten, und das ganze hieß damals schon Staatenstaat. Und so zeigt sich bereits hier die typische Unentschlossenheit in den Begriffen, der Verzicht auf die politische Entscheidung, ein Versuch, durch bloße Wortzusammen[42]stellungen dem eigentlichen Problem zu entgehen. Und das erschütterndste Dokument, das erste große Dokument, das den Begriff und das Wort Reich preisgibt und aus dem Reich in den Staat flüchtet, ist die Jugendschrift Hegel’s aus dem Jahre 1802 über die Verfassung Deutschlands, das mit dem berühmten Satze anfängt, der sich übrigens dutzende Mal wiederholt: „Deutschland ist kein Staat mehr, das Deutsche Reich ist kein Staat mehr, das Reich ist kein Staat.“78 Damit war es erledigt. Der Staat ist der maßgebende Begriff, und die ganze Weiterentwicklung der Hegel’schen Philosophie, insbesondere seine Rechts- und Staatsphilosophie dreht sich um den Begriff Staat. Und so, wie ein katholischer Theologe – Möhler79 – nachgewiesen hat, dass man alle Eigenschaften, alle spezifischen Merkmale des Hegel’schen Staates als des Reichs der objektiven Sittlichkeit in den Beziehungen der Gesellschaftsauffassung unverändert auf die katholische Kirche übertragen 77 Ende des „Zweiten Koalitionskriegs“ zwischen Frankreich und Österreich am 9.2.1801. 78 Vgl. G. W. F. Hegel, Die Verfassung Deutschlands, in: ders., Werke Bd. 1, hrsg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt a. M. 1986, S. 452. 79 Im Ts. „Müller“. Ganz offenbar handelt es sich hier um einen Fehler des Nachschreibers, der wohl in der katholischen Theologie nicht bewandert war. Schmitt greift an dieser Stelle offensichtlich auf eine These zurück, die sein Theologenfreund Karl Eschweiler 1930 in einer Monographie über Johann Adam Möhler (1796–1838), eine zentrale Figur in der katholischen Tübinger Theologenschule des 19. Jahrhunderts, vertreten hatte: Jo. Adam Möhlers Kirchenbegriff. Das Hauptstück der katholischen Auseinandersetzung mit dem deutschen Idealismus, Braunsberg 1930. Vgl. dazu Th. Marschler, Karl Eschweiler (1886–1936) (wie Anm. 64), S. 193 f., 355.
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könne, ohne dass sie dabei viel schöner und viel passender seien als bei einem der Weltenstaaten, so könnte man vielleicht noch viel eher sagen, dass gegenüber einer bestimmten Reichsvorstellung dieser Begriff Staat von Hegel als eine Abwandlung des Reichsgedankens erscheint. Es wäre töricht und lächerlich, wenn dies auch gemacht worden ist, nun etwa irgend einen x-beliebigen Staat, Litauen oder Albanien, mit dem ganzen metaphysischen Apparat der Hegel’schen Staatsphilosophie in Verbindung zu bringen. Aber das Interessante ist, dass viele deutsche Staaten, um die es sich dabei handelt, zu einem gewissen Grade doch noch ein Stück Reich in sich hatten. Es waren nicht Staaten beliebiger Art. Und vor allen Dingen aber ist ja die Hegel’sche Staatsphilosophie in Wahrheit eine Philosophie des preußischen Staates bis 1848. [43] Und ich habe bei einer nochmaligen Lektüre der Hegel’schen Staatsphilosophie doch wiederum gestaunt, wie konkret dieses Bild des preußischen Staates ist. Es ist einfach unrichtig und eine mir unerklärliche Art von Irreführung, dass man behauptet, Hegel sei schwer verständlich und unlesbar. Ich weiß kein klareres, einfacheres oder deutlicheres Buch als diese Rechtsphilosophie und diese Hegel’schen Ausführungen über den Staat. Das war in der Tat der damalige preußische Beamtenstaat, sowie man sich klar wird, dass wesentlich die Kirche, die unierte Kirche zu diesem Staate gehörte. Ich wollte nur sagen: Wenn Hegel aus dem Reich in den Staat flüchtet, so vollzieht er einen einfachen geschichtlichen konkreten Vorgang. Das Reich ging unter, und es blieb als politische Größe eigentlich nur ein Staat, und dafür kam praktisch nur der preußische Staat in Betracht. Ich könnte mir auch eine Geschichte des preußischen Staates in der Weise denken, dass man zeigt, wie der Staat untergeht mit der Hegel’schen Philosophie, also seit dem Jahre 1848 nicht mehr imstande ist, eine Staatsphilosophie, die doch eine konkrete politische Existenz, eine ernsthafte Sache, wenn sie überhaupt etwas Interessantes sein will, aus sich heraus zu gestalten. Er stellt sich irgendeine romantische, traditionalistische Geschichte vor – Friedrich Julius Stahl80 – er muss aus dem Ghetto von München kommen, um sich irgendeine Sache zurecht zu machen. Später verzichtet [44] er überhaupt, übernimmt nationalliberale Dinge, er weiß nicht mehr, was eine Staatsphilosophie ist; er sieht nicht mehr die konkrete, in der politischen Praxis selbst gegebene Identität der Begriffe, versteht nicht mehr, was es heißt, wenn Hegel sagt: „Was ist, ist vernünftig; was nicht mehr begriffen werden kann, ist nicht mehr!“ Und gerade die eindeutige, klare, siegreiche, wenn ich so sagen darf, politische Existenz führt zu genau ebenso eindeutigen, klaren, siegreichen Begriffen. Alles das war völlig verloren gegangen – das ist ein erschütterndes Bild – es war gerade bei der 80 Friedrich Julius Stahl (1802–1861), deutscher Rechtsphilosoph und Staatsrechtler in Erlangen und Berlin, als konservativer Politiker u. a. Mitglied im Preußischen Herrenhaus.
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gebildeten preußischen Beamtenschaft, der damals staatstragenden Schicht, verloren gegangen, die doch in der Zeit bis 1840 ungefähr, also vor dem eigentlichen Einbruch einer romantisch81 liberal verwässerten Philosophie, wenn man es so nennen will, noch wusste, was die Philosophie für einen Staat bedeutet, Philosophie auch hier wiederum im Sinne dieser Notwendigkeit klarer, konkreter und vor allen Dingen realer Begriffe. Hegel sagte, das große Schauspiel, dass einer aus dem Reich in den Staat flüchtet. Dafür ist diese Jugendschrift eines 25jährigen Mannes aus dem Jahre 1802 ein wirklich erschütterndes Dokument. Fast in jedem Satz heißt es immer wieder: Das ist das Unglück dieses Reiches, dass es kein Staat ist. Dass in dem Begriff, in dem Wort Reich etwas Selbständiges liegen könnte gegenüber dem Staat, das weiß er nicht und will es nicht wissen. Noch die guten Staatsrechtler des Norddeutschen Bundes [45] in der Zeit von 1867–1871 haben das Wort „Reich“ gemieden und davor gewarnt und gesagt: Wir haben so traurige Erinnerungen an dieses Reich, dass wir dieses Wort lieber vermeiden wollen. Sie empfanden es geradezu als eine Art Degradierung und Disqualifizierung, wenn man das Staatswesen, das man jetzt neu gründen wollte, mit dem Namen Reich bezeichnete. Es hat sich nun aus irgendwelchen Gründen, die ich hier nicht historisch untersuchen kann, doch 1871 der Name Reich durchgesetzt. Aber ich möchte hier nun in einer kurzen geschichtlichen Erinnerung – mehr ist es nicht – andeuten, worauf es mir bei dieser Sache ankommt. Ich sehe hier Folgendes: 1806 geht das Reich zugrunde, flüchten die Leute, die sich darüber Gedanken machen, in den Staat als die Wirklichkeit und die Vernunft des politischen Seins. 1806 geht das Reich zugrunde. In derselben Sekunde sind, wie Sie wissen, auch schon zwei Gegenreiche da. Es ist nicht so, als ob das Reich verschwindet und nur noch Staaten übrig bleiben, sondern es ist sofort ein Dualismus da, und zwar einmal das Ersatzreich – wenn ich so sagen darf – Österreich, in der Defensive, zieht sich zurück, bleibt aber Reich mit einem neuen Kaiser. Und dann auf der anderen Seite das offensive Gegenreich, das napoleonische Frankreich. Die französische Monarchie fühlt sich sehr bewusst als Reich. Sehr auffällig ist mir eine historische Untersuchung darüber, woher das Interesse [46] Napoleons I. an dem Begriff und Wort Reich eigentlich kommt. Dass vorher einer der französischen Herrscher sich Kaiser nennt, ist mir nicht bekannt. Es ist eine sehr auffällige Erscheinung. Am auffälligsten ist mir aber gerade aus den Quellen dieser Jahre bis 1806 zu ersehen, mit welcher Bewusstheit er das Deutsche Reich zerstört und Wert darauf legt, dass Deutschland nur noch eine confédération germanique ist, ein Staatenbund, während das Reich das Kaiserreich Frankreich ist. Er hatte nicht die Kraft, das österrei81
Im Ts. „romanisch“.
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chische Kaiserreich zu vernichten, aber er war der bekannte Nachfolger Karls des Großen. Jedenfalls setzt er sich damit sehr stark aus der französischen Tradition heraus, denn Sie wissen, auch Ludwig XIV. hätte sich nicht Kaiser von Frankreich genannt, denn er hatte nicht den Ehrgeiz, sich zum deutschen Kaiser von den deutschen Kurfürsten wählen zu lassen, oder von sich aus, von Paris aus zu etablieren, während das hier geschah bei Napoleon Bonaparte. Hier nun, 1806, sehe ich eine wesentliche, wenn auch vorübergehende, aber doch ganz wesentliche Beziehungen enthüllende Gleichzeitigkeit von Reich, Staat und Bund. Sie wissen, der Rheinbund, der 1806 gegründet wurde, war ein Bund deutscher Staaten zum Schutze ihrer Staatlichkeit, zum Schutze ihrer Souveränität. Und es zeigt sich hier nun sofort nicht nur, dass Staat und Reich feindliche Begriffe sind, sondern es zeigte sich auch, dass [47] Bund und Staat zusammen gehören gegen das Reich. Das ist meiner Meinung nach doch so, dass das heute bei dem – verzeihen Sie – Gerede von föderalistisch, bündisch usw. in Vergessenheit geraten [ist]. Das Reich ist kein Bund, sondern was wir bisher an Föderalismus im letzten Jahrhundert in der deutschen Geschichte gehabt haben, das zeigt sich in einer spezifisch reichsfeindlichen Verbindung mit dem Staat und der Staatlichkeit deutscher Länder, deutscher Territorien usw. Dass deutscher Staat und deutsches Reich damals feindliche Begriffe waren, darüber soll man sich nichts vormachen. Der Bund ist eine Waffe der Staatlichkeit, und zwar auf deutschem Boden zum Schutze der Staatlichkeit gegen das Reich. Der Protektor dieses Bundes bekanntlich saß außerhalb des Bundes, wenigstens allerdings nicht ganz. Er hatte ausgesprochene Mitgliedsrechte nach der Verfassung dieses Rheinbundes, die man sich heute einmal wieder ansehen muss, um zu sehen, wie unheimlich nahe solche Dinge doch noch gelegentlich erscheinen, und er war der Träger des Bundes. Zu jedem Bunde gehört ein Träger, ein Garant, der einmal den Schutz und die Sicherheit nach außen garantiert, andererseits für die innerbündische Befriedung sorgt. Dieser Rheinbund war ein hegemonischer Bund zum Schutze der Staatlichkeit mit einem Träger, der außerhalb Deutschlands saß, der nun diesen Rheinbund in sein großes Reich – das verdient diesen Namen – eingegliedert hat. Ein deutscher Staatsrechtslehrer des Jahres 1810, [48] Zachariae82– Heidelberg,83 sagt:84 Europa zerfällt in zwei Teile. Das eine ist das französische Reich und besteht aus dem französischen Kaiserreich, im engeren 82
Im Ts. „Zacharias“. Karl Salomo Zachariae (1769–1843), deutscher Rechtshistoriker und Staatswissenschaftler, ab 1807 in Heidelberg tätig. 84 In der Publikationsfassung Reich – Staat – Bund (wie Anm. 5), S. 219, verweist Schmitt (mit nicht ganz korrekter Titelzitierung) auf: Zachariae, Das Staatsrecht der rheinischen Bundesstaaten und das rheinische Bundesrecht, Heidelberg 1810, S. 129. 83
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Sinne der französische Staat. Zum zweiten Reiche gehört der Rheinbund mit den unter dem französischen Protektorat zusammengefaßten deutschen Staaten, ferner die italienischen und anderen Staaten, deren Haupt Mitglied der Familie Bonaparte ist. Und als dritte Zone in dieses Reich gehören die Verbündeten, die mit Napoleon verbündeten Staaten, solche, die ein ewiges Bündnis mit ihm hatten, und solche, die nur vorübergehend mit ihm verbündet waren. Dazu gehört infolgedessen auch das Preußen von 1810 für diese Auffassung zum französischen Reich, wenn auch nur als Alliierter Frankreichs und zu dem Gegenreich England und die mit England verbündeten Staaten usw. Das war eine sehr deutliche Reichsvorstellung mit Paris im Mittelpunkt, und hier zeigt sich einmal das Problem des Trägers eines Reiches. Es war in der Weise gelöst, dass der Kaiser draußen saß, und das ist charakteristisch für den Dualismus, den ich immer wieder in Deutschland finde im letzten Jahrhundert, der Dualismus eines Gegenreiches und eines Ersatzreiches. Eine andere Art Dualismus liegt darin, dass der größte Teil Deutschlands in Staaten aufgelöst, aber zu einem Staatenbunde verbunden mit einem außerhalb Deutschlands stehenden Reich nun in eine weitere Verbindung tritt. Die im Rheinbund zusammengeschlossenen Fürsten waren sowohl einzeln wie auch als Bund [49] wiederum mit Napoleon durch einen ewigen Bund verbunden. Das ist ein ganzes Bund- und Bündnissystem, als das sich dieser Rheinbund hier darstellt. Wie gesagt, ich war bei der Lektüre der Quellen über diesen Rheinbund und der Einzelheiten der Vorgänge, die sich abgespielt haben, namentlich der französischen Erklärungen, überrascht, einmal über die Bewusstheit, mit der Napoleon Wert darauf legt, dass das Deutsche Reich nicht mehr existiere und zweitens wie hier sofort Staat und Bund sich mit einem fremden Reich gegen jeden deutschen Reichsgedanken verbündeten. Was man nun 1815 gemacht hat bei dem Deutschen Bund, ist nun vom Standpunkt des Staates aus gesehen eigentlich eine ehrliche und klare Sache gewesen. Man hat die Staatlichkeit der Länder garantiert. Man vergisst meistens, dass dieser Deutsche Bund von 1815 den Zweck hatte, die durch Napoleon erworbene Souveränität vor allen Dingen erst einmal zu garantieren. Die Verbindung von Bund und Staat gegen Reich ist ganz deutlich und offensichtlich. Die Beziehung mit dem Reich ist fast nur noch spärlich vorhanden, aber sie ist merkwürdigerweise vorhanden, denn dieser deutsche Bund bestand ja nur aus Gebieten der Länder, die vormals zum Deutschen Reich gehörten. Der Deutsche Bund legt Wert darauf, dass er nicht Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches ist. Er legt Wert darauf, dass er kein Reich ist, sondern nur ein Staatenbund. Aber [50] sonderbarerweise, territorial beschränkt er sich auf das Gebiet des früheren Deutschen Reiches mit dem merkwürdigen Ergebnis, dass die beiden hegemonischen Träger des Bundes, wenigstens nach außen hin, Österreich und Preußen, mit einem Fuß außerhalb des Bundes standen. Preußen gehört
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mit seinen östlichen Provinzen nicht zum deutschen Bunde. Österreich gehört mit seinen nichtdeutschen Ländern, also mit dem größten Teil seines Gebietes, ebenfalls nicht zum deutschen Bunde, sodass also diese beiden Hegemonien, die den Bund politisch beherrschten, halb draußen standen, und nun innerhalb des Bundes eigentlich nur die mittleren Staaten saßen und die kleineren, von denen besonders Bayern eine eigentümliche und hervorragende Rolle spielte,85 zum Teil vielleicht aus einem analogen Grunde wie in der habsburgischen Monarchie Ungarn eine unverhältnismäßige Rolle spielte, weil Ungarn eben hundertprozentig in diesem Gebilde saß, während sämtliche übrigen Staaten ja mit einem Fuße draußen standen oder jedenfalls außerhalb dieses Staatswesens ihre nationalen und volksmäßigen Beziehungen haben. So fühlt sich also Bayern als Mittelpunkt dieses deutschen Staatenbundes, denn das war ein hundertprozentig deutscher Staat und er lag hundertprozentig in dem Bund, soweit man ihn als Nachfolger des Reiches betrachten konnte, während die Hauptmächte mit einem Fuße draußen standen, und gerade mit ihren östlichen Gebieten. [51] So ergab sich wiederum ein merkwürdiger Dualismus einmal: Träger des Bundes waren, politisch gesprochen, die zwei Hauptmächte Preußen und Österreich, und Träger des Bundes war ein Staat. Preußen ist niemals als Reich bezeichnet worden, Preußen hat immer der deutsche Staat gehießen. Bayern ist auch ein Staat, aber in einem anderen Sinne, nicht in diesem klassischen Sinne. Österreich war das alte Ersatzreich, sodass also jetzt schon zwei Surrogate vorhanden waren, einmal das Ersatzreich, das Kaiserreich Österreich, zweitens der deutsche Staatenbund. Und der Dualismus dieser beiden Träger ist sehr auffällig, weil jeder dieser beiden Träger halb außerhalb des Bundes stand. Der Zusammenhang der Begriffe, auf den es mir hierbei ankommt – Bund und Staat – ist ganz deutlich. Dass hier Bund und Staat sich verbünden gegen den Reichsbegriff ist ebenfalls sehr deutlich zu sehen. Sie garantieren sich, vor allen Dingen auch den kleinsten Staaten, ihre Staatlichkeit, und das wird als der eigentliche Zweck dieses Bundes bezeichnet. Nun hat der Krieg von 1866 den Dualismus beseitigt und verdrängt nun der hegemonische Staat das hegemonische Reich aus diesem deutschen Staatenbund und gründet nun selbst ein neues Bündnissystem, zunächst den Norddeutschen Bund, aus dem das Deutsche Reich wird. Hier tritt nun sofort wiederum eine Art von Dualismus ein. Es ist jetzt aber ein Reich, wenigstens dem Namen nach. Aber dieses Reich legt Wert darauf, [52] dass es als Ganzes eine bündische Grundlage hat. Die Hegemonie des Großstaats Preußen gegenüber den mittleren und kleineren Staaten ist eine Konstruktion. 85
Im Ts. „spielten“.
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Carl Schmitt. Bund, Staat und Reich
Das Element in diesem Gesamtgebilde ist doch, wenn man sich einmal um die Gedanken kümmert, die sich die Zeitgenossen gemacht haben, eine überaus unklare Sache gewesen. Sie werden mich nicht missverstehen. Ich will hier nicht etwa einem Bismarck den Vorwurf machen, dass er unklare Konstruktionen gemacht habe, sondern wir wollen nur wissen, um was es sich handelt. Wenn Sie Bismarcks Erinnerungen lesen, stellen Sie fest: Gerade Bismarck selbst wusste ganz genau, was für ein mühseliger Notbau diese ganze Sache unter dem Gesichtspunkt der Konstruktion gewesen ist, der politischen und der staatlichen Konstruktion. Die Sache war die: Man half sich damit, dass man sagte, schön, das Frühere von 1815 war ein Staatenbund; was wir jetzt haben, ist ein Bundesstaat. Es hat sich aber erst so um 1880 herum festgesetzt, dass man sich damit zufrieden gab. Zunächst hat man sich die ersten zehn Jahre abgemüht mit der Frage, was dieses Gesamtgebilde eigentlich ist. Und Sie wissen, die Verfassung selber, die in allen entscheidenden Punkten terminologisch sehr exakt ist, spricht vom Bunde; sie spricht nach Bismarck die Sprache des Bundes und nicht die des Reiches. Es gibt nur ein Organ, das nach dem Reiche benannt ist, das ist der Reichstag, die nach den demokratischen Grundsätzen gewählte Volksvertretung. Dagegen [53] das anerkannte souveräne Organ ist der Bundesrat. Der Kaiser ist Kaiser pro Titel, war aber Bundespräsident, und der Reichskanzler hieß Reichskanzler, war aber nur der verantwortliche Minister des Bundespräsidenten. Eine Reichsregierung im eigentlichen Sinne gab es überhaupt nicht in diesem Reiche. Wiederum ein Dualismus, nur dass dieser Dualismus jetzt in die Verfassungskonstruktion hinein verlegt ist und zwei Verfassungsprinzipien nebeneinander stehen. Nämlich einmal der monarchische Fürstenbund, der war, man kann sagen, was man will, nach wie vor ein Staatenbund. Das Wort Bundesstaat ist nur ein trügerischer Schleier über den eigentlichen Schwierigkeiten, eine ganz billige und auf Illusionen berechnete Antithese gegen Staatenbund. Selbstverständlich klappt die Mechanik solcher Antithesen sehr einfach. Der Staatenbund ist ein Rechtsverhältnis, der Bundesstaat ist ein Verhältnisrecht usw. So finden sich eine Reihe ganz sophistischer Antithesen, die einfach alle unwahr sind, die man heute sofort sieht. Dieser ganze Begriff des Bundesstaates ist eine oberflächliche schlagwortartige Antithese gegen Staatenbund. Und die ganze Kritik an dem Worte Bundesstaat, die der bayrische Staatsrechtslehrer Seydel86 vorgetragen hat, leuchtet jedem unbefangenen Leser heute noch ein. Es ist sehr interessant, dass die Bayern damals den Begriff des Bundesstaats für Unsinn 86 Im Ts. „Seidel“. Gemeint ist: Max von Seydel (1846–1901), seit 1882 Professor für bayerisches Verfassungsrecht an der Universität München, Verfasser einer Monographie über Bayerisches Staatsrecht (zuerst 1894). Vgl. M. Becker, Max von Seydel und die Bundesstaatstheorie des Kaiserreichs (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 244), Frankfurt a. M. 2009.
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erklärten. Das ist noch nicht einmal der stärkste Aus[54]druck, den der wirklich sehr bedeutende Staatsrechtlehrer Seydel87 gebraucht hat, der sich auf den Boden stellt: Es gibt Staaten und Staatenbünde, aber Bundesstaat ist eine absichtliche Verwirrung, während heute, wie Sie wissen, die offizielle bayrische Staatsrechtslehre gerade den Begriff des Bundesstaates wieder entdeckt hat, da sie nicht vom Staatenbund spricht. Es ist aber sehr auffällig und eigentlich jedem Beobachter aufgefallen, wie der Dualismus der Verfassungsprinzipien, diese Bismarck’sche Konstruktion, wie Bismarck auch ganz genau gewusst hat, hier wieder mit mehreren Kugeln gespielt hat, indem er sich immer vorbehalten wollte, wenn der Reichstag nicht national war, so wollte er eben auf die Fürsten und Dynastien zurückgreifen können, also auf die bündische Grundlage und umgekehrt, wenn die Dynastien nicht mehr zuverlässig waren, so wollte er auf die nationale Gesinnung des Reichstages zurückgreifen können, sodass man immer den einen gegen den anderen Teil ausspielen konnte. Es ist weiter interessant, dass er unter dem Eindruck der geschichtlichen Erfahrung die größere Gefahr für die politische Einheit Deutschlands zunächst von den Dynastien erwartete und erst dann allmählich bemerkte, dass sie ungefährlich geworden waren, weil sie natürlich in dieser innerpolitischen Verfassungsfront standen und alle Monarchien gegenüber der herandrängenden Demokratie, teils liberalen, teils sozialen Demokratie, [55] eine gemeinsame innere politische Verbindung hatten. Aber dieser Dualismus der Verfassungsprinzipien, der ziemlich unvermittelt nebeneinander steht in der Bismarck’schen Verfassungsdemokratie, um einen Reichstag zu haben, sodass also das, was Reich war, in der Bismarck’schen Verfassung demokratisch fundiert und organisiert war, und Bund und Staatenbund im alten Sinne, und zwar monarchischer Staatenbund, das ist durchaus wesentlich, um nun das Bündische zu haben. Diese heterogene Konstruktion ließ natürlich einer allmählichen Entwicklung die Bahn offen. Das war der Sinn der Sache wohl. Es war so angelegt, dass, wenn es einige Generationen gut gegangen wäre, dann ein solches Verwachsen und gegenseitiges Durchdringen eingetreten wäre, dass eben auf diese Weise die Probleme sich von selber lösten. Es ist gar nicht die Aufgabe einer Verfassung, viele klare Prinzipien zu haben. Nur muss man sich klar sein, über die Prinzipien, die man braucht, und das war bei der Bismarck’schen Verfassung der Fall. Also auch hier wieder ein merkwürdiger Dualismus, aber die bündische Grundlage, die Bundestreue spielt eine viel größere Rolle, als man aus der Tagespresse entnehmen könnte. Es war die eine unveränderte staatenbündische Hälfte dieser Konstruktion, und die andere war eben die demokratisch-nationalstaatliche Hälfte. Und der Dualismus ist eben, wie gesagt, unverkennbar, wenn es auch möglich gewesen 87
Im Ts. „Seidel“.
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Carl Schmitt. Bund, Staat und Reich
wäre, dass er sich im Laufe der [56] Zeiten bei einer glücklicheren ungestörten Entwicklung irgendwie nun von selber im Wege des Wachstums erledigt hätte. Jedenfalls sonderbar ist diese88 Verbindung von Hegemonialstaat Preußen gegenüber einem bündischen System und nationaldemokratischem Reichstag als dualistische Verbindung schon. Der Dualismus Preußen – Reich, der heute so allgemeine Reformvorschläge hervorruft und als eine der schlimmsten Fehlkonstruktionen der Weimarer Verfassung empfunden wird und es auch tatsächlich ist, ist dort vorhanden. Er ist nur überbückt, aber durchaus vorhanden. Es ist nicht etwa so, als ob die Weimarer Verfassung ihn geschaffen hätte. Es ist aber wesentlich zu sehen, dass ein Dualismus immer vorhanden war, dass bisher die politische Einheit Deutschlands von einem Dualismus nicht losgekommen ist. Denn89 der Bismarck’sche Dualismus war ein innerpolitischer Dualismus der Verfassungsprinzipien. Das ist bei einem nach außen starken Staat, der in einer ungehinderten Entwicklung steht, kein Unglück, wird aber sofort ein Unglück, wenn diese Entwicklung unterbunden wird, und das ist leider eingetreten. In Weimar hat man nun etwas ganz Unmögliches gemacht. Man hat offiziell die bündische Grundlage beseitigt. Trotzdem wagt heute niemand der bayrischen These einfach entgegenzutreten, die sagt, nach wie vor ist die Beziehung Bayerns zum Deutschen Reich eine rein bündische, vertragliche Beziehung, [57] und heute geht man in den bayrischen Erklärungen sogar auf die bekannten Verträge von 1870 zurück. Das rührt doch an die Fundamente dieses Staatswesens. Ein Staat, also ein Land, das sich erst als Staat bezeichnet, zweitens als Staat nun an dieser bündischen Grundlage festhält, das rüttelt doch in der Tat an die Grundlage dieser Weimarer Verfassung, die jedenfalls kein Bund der Länder sein will. Aber auch von bayrischer Seite wird interessanter Weise nicht behauptet, dass das jetzige deutsche Reich ein Bund der Länder sei. Es wird nur für Bayern eine durchaus singuläre, spezielle Position rechtlicher Art in Anspruch genommen, sodass also, wenn man näher zusieht – aber das wäre eine grobe Unhöflichkeit, die man sich im politischen Leben nicht gern leistet – angesichts eines entschiedenen Staatswesens, als das Bayern auftritt, einmal laut zu fragen wäre, was eigentlich in Anspruch genommen wird. Dieser Glaube, dass man deswegen über das dahinstehende Problem hinwegkommt, diese Frage ist eine ganz vitale Frage der Existenz des Deutschen Reiches, sodass man tatsächlich fragen muss, was hier nun eigentlich in Anspruch genommen wird. Denn, wenn das Deutsche Reich, sagen wir einmal, eine politische Einheit ist und innerhalb dieses Deutschen Reiches nun wiederum eine politische Einheit, eine derart singuläre Position auf vertraglicher Grundlage, 88 89
Im Ts. „ist diese sonderbare“. Im Ts. „Hier“.
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jedenfalls speziell vertraglichen Beziehungen, für sich in Anspruch nimmt, so müsste90 doch von Rechts wegen [58] jeder das äußerste Interesse daran haben, nun diese Frage einmal genau zu klären. Aber das ist, so viel ich weiß, von Seiten der Reichsregierung niemals geschehen, am allerwenigsten von Seiten der Regierungen Papen oder Schleicher; und ich habe auch nicht den Eindruck, als ob die jetzige Regierung vorhätte, diese Frage sehr zu vertiefen. Infolgedessen besteht der bayrische Anspruch und wird aufrechterhalten werden, während auf der anderen Seite nicht nur keine entschiedene Leugnung dieses Anspruchs besteht, sondern offenbar diese schwierige, sehr tiefgehende Frage umgangen wird, weil man eben befürchten muss, man rührt hier an irgendwelche sensiblen Wunden und vielleicht auch faule Punkte in dem Fundament dieser politischen Einheit. Aber wir können hier unter uns ja offen darüber sprechen. Es ist eine der ganz entscheidenden Fragen. Man soll es nicht für juristische Spintisiererei halten, wenn man sieht, wie dieser Tage in einer Erklärung Bayerns das Jahr 1870 als das Jahr interessanterweise bezeichnet wird, auf das man in der staatsrechtlichen Situation Bayerns zurückgeht. Man beachte, nicht 1871, sondern 1870! Das ist das Wesentliche dabei. Aber darüber geht man dann etwas großzügig hinweg. Merkwürdig ist nur, dass man in Weimar die bündische Grundlage beseitigt hat, vorbehaltlich der bayrischen Singularität; in Weimar hat man auch restlos in der Verfassung [59] die Sprache des Bundes beseitigt. Es ist nicht mehr von einem Bundesrat die Rede, sondern vom Reichsrat. Nicht ein einziges Mal, und zwar ganz absichtlich, kommt in der Weimarer Verfassung das Wort Bund oder Bundesstaat oder irgendetwas Derartiges vor. Das ist also alles scheinbar im Sinne der Entwicklung zu einer staatlichen Einheit. Demokratie als nationale Demokratie kann nur ein Staat betreiben und herbeiführen. Wenn Sie Reich vom Staat unterscheiden wollen, so kann dann kein Reich ein Volk, kein Staat ein Volk, ein Reich sein – da ist das Wort Reich sofort unklar und problematisch geworden. Es ist also so, dass man durch die Demokratisierung in Weimar weiter nichts getan hat, als zunächst einmal das, was von diesen demokratischen Elementen bereits in der Bismarck’schen Verfassung war, benutzt, weiterausdehnt und scheinbar das bündische Element ganz an die Wand drückt. Stellt sich aber heraus, dass die Länder eine Art von Widerstandskraft haben, nicht etwa, weil der Staat an sich, sondern weil das Ganze, das Reich sehr schwach ist, so kann man sehen, wie in der staatsrechtlichen Literatur, in den ersten Auflagen der Kommentare, mit großer Selbstverständlichkeit behauptet wird, die Länder sind keine Staaten mehr. Das war schon von 1919–1923 etwas, was von allen Kathedern, wenigstens in den meisten Fällen, doziert wurde. Jedenfalls überlegt man es sich seit dem Wi90
Im Ts. „müsse“.
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Carl Schmitt. Bund, Staat und Reich
derstand Bayerns im Jahre 1923, seit dem Konflikt. Ein Konflikt entscheidet immer über solche [60] Dinge, bis es den Staatsrechtlern einleuchtet, dass Länder doch Staaten sind. Und so sind sie heute wieder Staaten. Damit kommt nun das ganze bundesstaatliche Repertoire wieder in die Verfassungsinterpretation hinein mit dem Effekt, den Sie im Leipziger Urteil feststellen können. Das Leipziger Urteil argumentiert nicht etwa aus dem Wortlaut der Verfassung, sondern argumentiert aus Begriff und Wesen des Bundesstaates, eine sehr merkwürdige Sache, wenn man bedenkt, dass eben dieses Bündische doch gerade beseitigt werden sollte, während heute als Grundlage eines so merkwürdigen, aber doch sehr folgenreichen Urteils – dieses Leipziger Urteils – gerade, wie gesagt, Begriff und Wesen des Bundesstaates herrschen. Daraus können dann plötzlich Dinge werden, aus denen man weittragende, politische Entscheidungen und Konsequenzen entwickeln kann. Wenn wir nun den Dualismus, der immer wiederkehrt bei den unglücklichen Versuchen, die politische Einheit Deutschlands zu gestalten, hier mit Bezug auf die Weimarer Verfassung untersuchen, liegt es nahe, zu sagen, wir haben immer noch den Dualismus Preußen – Reich. Was bedeutet dieser Dualismus? Dieser Dualismus bedeutet, wenn man einen Parlamentarier der Weimarer Nationalversammlung danach fragt, gar nichts, höchstens einen kleinen Schönheitsfehler, der sich im Laufe der Zeit von selber reguliert. Es ist sehr merkwürdig, welches Vertrauen diese Parlamentarier auf die Entwicklung der Demokratie, nicht nur [61] der Demokratie als abstrakter Methode der politischen Willensbildung hatten, sondern auch auf die Entwicklung der demokratischen Gesinnung und vor allen Dingen auf den Bestand ihrer Weimarer Koalition. Sie sind davon ausgegangen, vor allen Dingen Preußen – und das ist echt demokratisch, arithmetisch richtig berechnet – dass Preußen 2/3 des Reiches ausmacht. Wenn ich nun ein allgemeines Wahlrecht im Reiche einführe, und die Willensbildung des Reiches nach dem allgemeinen Wahlrecht in Preußen einführe und die Willensbildung Preußens demokratisch gestalte, so muss nach allen Regeln der Mathematik eine Hegemonie eintreten. Es sind zwei Gebilde, die wirklich dasselbe wollen; in beiden findet ja die Willensbildung nach demokratischen Grundsätzen statt. Das hat merkwürdigerweise in gewissem Grade nicht geklappt. So hat sich herausgestellt: Entweder ist im Reich dieselbe Partei herrschend wie in Preußen, dann gehört ihr die Herrschaft über diesen großartigen Befehlsmechanismus Preußen, der heute noch funktioniert, gehört ihr die Herrschaft über Preußen, die zudem eine politische Prämie auf den legalen Machtbesitz im Reiche, eine ganz ungeheure Prämie darstellt. Die Parteikoalition, die den einen Teil des deutschen politischen Gemeinwesens beherrscht, beherrscht gleichzeitig auch den anderen. Oder aber es tritt nicht die erwartete homogene Entwicklung ein, dann kommt es [62] zu politischen Gegensätzen. Dann sieht man aber, wie
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der Dualismus, der immer enger, immer interner wird, – erst der Dualismus zweier verschiedener Staaten: Deutschland – Frankreich (Rheinbund), dann der Dualismus Österreich – Preußen, zweier halb außerhalb des Bundes stehender Großmächte, dann schon den internen Verfassungsdualismus – geradezu ans Herz Deutschlands rührt. Dann sieht man, dass Deutschland auseinanderfällt, dass plötzlich gar nicht mehr vom Reich die Rede ist, sondern dass sich vielmehr die Frage erhebt: Ist Preußen ein Staat, oder das Ganze ein Staat? Wenn Preußen ein Staat ist als Preußen, dann kann das Ganze kein Staat sein und umgekehrt, wenn das Ganze ein Staat ist, ist Preußen kein Staat mehr. Denn das ist einer der Vorzüge, die der Staatsbegriff immer noch hat, dass er diese einfache, entscheidende Dezision unerbittlich stellt, und gerade auf den Konfliktfall berechnet, auf den es einfach ankommt. Kommt es also zum Konflikt zwischen Preußen und Reich, so ist die Frage furchtbar einfach. Wenn die politischen Entscheidungen, die politische Entscheidungen sind und keine juristischen, vom Reiche her gefällt werden, so ist eben das Reich ein Staat, und nicht mehr Preußen, und umgekehrt. Wir geben uns auch keiner Täuschung darüber hin, was am 20. Juli nun eigentlich vor sich gegangen ist. Man hat da den Dualismus beseitigt. In Wahrheit haben am 20. Juli nicht Reichskräfte, sondern preußische [63] Kräfte im Reichskostüm sich Preußens wieder bemächtigt. Und Sie sehen, dass der Gegensatz: Reich – Preußen nicht beseitigt ist, und alle Versuche, dieses Problem zu lösen, vom Reiche her, sehr oberflächlich sind und gar nichts lösen, sondern nur ganz oberflächliche Verschiebungen, wenn nicht Schiebungen sind. Die entscheidende Frage ist: Wer ist denn nun eigentlich dieses Reich, das Preußen vereinnahmt und in die Tasche steckt? Es ist doch ein sonderbarer Vorgang, dass ein Gesamtgebilde 2/3 seiner selbst vereinnahmt, oder sich 2/3 seiner selbst bemächtigt. Was ist dort politisch eigentlich geschehen? Es ist meiner Meinung nach folgendes geschehen: Am 20. Juli haben spezifisch preußische Energien und Kräfte sich des Staates Preußen versichert, Staat insofern, als hier noch ein sicher funktionierender Befehlsmechanismus von Polizei und Beamtentum vorhanden war. Der größte und auch beste Befehlsmechanismus in ganz Deutschland wird vom Reiche – formal vom Reich – her in die Hand genommen. In der Sache sind es preußische, und zwar spezifisch preußische Kräfte, die es gemacht haben. Inzwischen ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Nach der Demission Schleichers sind die Kräfte, die heute in der Reichsregierung sitzen, nicht mehr in derselben einfachen Weise nur als spezifisch preußische Kräfte zu qualifizieren. Aber sie vereinnahmen nach wie vor Preußen [64] und halten es in der Hand und bemächtigen sich also dieses Befehlsmechanismus Preußen. Es ist also bei der Frage der Verbindung des Reiches mit Preußen immer die erste Frage, wie die Dinge heute liegen: Wer ist eigentlich dieses Reich, das sich Preußens bemächtigt?
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Carl Schmitt. Bund, Staat und Reich
Ich glaube, es ist ein ganz ungeheuerlicher Vorgang gewesen, dieser 20. Juli. Vielleicht, wenn man es ganz pessimistisch deuten will, dass die letzte politische Aktivität, die letzte politische Kraft, die noch in Deutschland da war, nur als spezifisch preußische Kraft – die anderen hätten vielleicht soviel Energie nicht mehr aufgeboten – gebrochen wurde, um scheinbar den Dualismus Reich – Preußen aufzuheben vom Reiche her, in der Sache aber, um Preußen zu vereinnahmen in dem Sinne, dass Preußen als Staat nicht mehr besteht, sondern vielmehr in irgendeiner Form in den Parteienstaat – sei es in einen Ein-Parteien-Staat, sei in irgendeinen pluralistischen Parteistaat, doch eben dann ein Teil, ein Werkzeug und eine Waffe des Reiches ist. Da wäre nun die Frage die: Ist dieses Reich etwas anderes als ein Staat, ist es mehr als ein Staat? Ich möchte, dass es mehr wäre; aber vorläufig spielt sich dieses alles im Rahmen einer Nationaldemokratie ab. Wir könnten glücklich sein, wenn das Deutsche Reich als solches ein Staat wäre. Dann wäre damit aber auch das preußische Problem gelöst. Das preußische Problem ist [65] faktisch gelöst, Preußen ist beseitigt. Die Lösung vom 20. Juli ist eine ganz andere Lösung als die vom 30. Januar91. Die letzte bedeutet tatsächlich, dass Preußen ein Teil des von Preußen wesentlich 92 Reiches ist. Und niemand kann über diese Beseitigung des Dualismus Preußen – Reich Reformvorschläge machen, ohne gleichzeitig sich darüber klar zu sein und Auskunft darüber geben zu müssen, wie er sich nun die Organisation dieses Reiches denkt. Fast alle, wenigstens alle mir bekannt gewordenen Reformvorschläge, halten natürlich an der demokratischen Organisation des Reiches fest, das würde faktisch bedeuten, an dem Parteienstaat, je nachdem, wie gesagt, Ein-Parteien-Staat oder Mehr-Parteien-Staat, und [dies] würde weiter bedeuten, dass jedenfalls in diesem demokratischen Ein- oder Mehrparteienstaat nun das Problem in der Weise gelöst wird, dass Preußen als politische Prämie der jeweils regierenden Partei zufällt. Wie lange dieses Spiel hin und hergehen wird, ist eine weitere Frage. Aber dann ist keine Spur von Staatlichkeit Preußens mehr vorhanden, insofern, als der Dualismus verschwunden ist. Das hat aber alles mit Reich gar nichts zu tun. Ich will Sie nicht zum Abschied mit einer Vorlesung noch einmal in Anspruch nehmen; mir lag in dieser Auseinandersetzung an Folgendem: Ich sehe in dieser hundertjährigen Entwicklung [66] einen typischen Gegensatz von Staat und Reich. Ich sehe ferner, dass der Begriff Bund hier der Bundesgenosse des Staates gegen das Reich ist, aber auch gegen jeden 91
Damit wird wohl auf die Ernennung Hermann Görings, der dem Kabinett des Reichskanzlers Hitler als Minister ohne Geschäftsbereich angehörte, als „Reichskommissar für das preußische Innenministerium“ angespielt. 92 Im Ts „(ver . . .)“.
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Gesamtstaat, über das einzelne Territorium oder das einzelne Land hinweggehenden93 Gesamtstaat. Und ich sehe heute, nicht allgemein, aber heute, so wie die Dinge faktisch und politisch liegen, also in jeder Verwertung des Begriffes Bundesstaat unbedingt eine Gefahr für die politische Einheit des Ganzen, ob Reich oder nicht, das ist gleichgültig. Ich sehe aber leider nicht einen Ansatz dafür, dass man schon irgendetwas Wirkliches von einem Reich hätte. Wir könnten sehr glücklich sein, wenn das Deutsche Reich, wie es da ist, ein starker Staat wäre und von dieser Basis aus sich ein Reich schüfe. Aber den Begriff des Reiches benutzen, um die Staatlichkeit des Reiches aufzuheben und zu relativieren und das nun Reich zu nennen, scheint mir ein ganz grober und gefährlicher Missbrauch zu sein. Die Verwirrung ist fürchterlich. Das offizielle Wort, das man immer brauchen muss, ist Reich, und so liegt es natürlich sehr nahe, dieses Wort als Gegenbegriff gegen Staat zu benutzen. Ein Reich ist meiner Meinung nach mehr als ein Staat. Ein Reich bedient sich eines Staates; für das echte Reich ist ein Staat eine Waffe, eine Rüstung, eine Armatur oder wie Sie es nennen wollen. Das wäre ein echtes Reich. Wir wollen hoffen, dass es einmal dazu kommt; aber wir wollen uns auch keiner Täuschung darüber hin[67]geben, dass wir dem Missbrauch des Wortes Reich zur Auflösung der Staatlichkeit, die wir eigentlich ja noch nicht entschieden genug haben, nach meiner Meinung noch entgegentreten müssen. Also, ich würde meine Thesen dahingehend zusammenfassen, dass wir bei weitem noch kein Reich sind, dass das Deutsche Reich, so wie es dasteht, wenn es glücklich zugeht und weitergeht, ein Staat ist. Es würde sich die weitere Frage nach der Stellung dieses Staates ergeben, die ich hier nur andeuten kann; und es würde vor allen Dingen notwendig sein, Worte wie Bund, gleichgültig in welcher Verbindung – Bundesstaat oder Staatenbund oder bündisch oder föderalistisch – mit großer Vorsicht zu gebrauchen, damit sie nicht missbräuchlich dazu dienen, diese Art von Staatlichkeit, diesen Rest von Ansatz und Fragment von Staatlichkeit, den das Deutsche Reich darstellt, zu zerstören. Ich sage hier also etwas sehr Einfaches, und wenn Sie den Begriff Staat für überwunden halten, es ist vielleicht auch möglich, dass Sie ihn für etwas Überwundenes, Reaktionäres halten – mir liegt eigentlich nur an dem politischen Resultat, und, so wie die Dinge liegen, Sie dürfen die Macht solcher Begriffe nicht unterschätzen, arbeitet ein Befehlsmechanismus, eine Bürokratie, ein Justizapparat nun einmal mit dem Begriff Staat. Ich habe mit Entsetzen gesehen, wie der Begriff Reich überhaupt keinerlei Evidenz für die Masse dieser Beamten und Bürokraten hat. Wenn Bayern sagt, ich bin ein Staat, so zieht [68] auch der letzte Amtsrichter die Konsequenzen daraus. Wenn man einmal sagt das Deutsche Reich, so zieht er noch lange keine Konsequenzen 93
Im Ts. „hinweggehende“.
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Carl Schmitt. Bund, Staat und Reich
aus der Staatlichkeit des Deutschen Reiches. In dem Zustande sind wir heute tatsächlich noch. Alles, was sich Reich nennt, was Legalität heißt, was wir öffentliches, Reichs- oder Staatsrecht nennen, hängt immer noch an dem Begriff Staat. Es gibt noch kein Reichsrecht in diesem Sinne und so liegt es doch wohl nahe, wenn ich hier die Warnung ausspreche gerade von Staat oder Staatsrecht, diese Warnung vor dem Missbrauch des Wortes Reich. Ich wünsche von ganzem Herzen ein großes, starkes, mächtiges Reich, aber ich weiß, was das ist und in welchem traurigen Zustande wir selber sind. Ich wäre glücklich, wenn wir ein Staat wären; dagegen warne ich weiter vor dem Gebrauch des Wortes Bund, und alle Wortzusammensetzungen Bund sowohl wie bündisch gehören meiner Meinung nach in eine unterstaatliche Regelung. Erst ein sehr starker Staat kann es sich leisten, feste Bündnisse und zweitens Garantiebündnisse zu schließen und einzugehen. Aber eine bestehende, mühselig bestehende politische Einheit nun bündisch zu machen, ist ein überaus gefährliches Experiment. Ich sehe also eigentlich immer noch die Gefahr und möchte nicht, dass man wie Hegel aus dem Reich in den Staat flüchtet, ich möchte aber auch umgekehrt nicht, dass man heute schon aus dem Staat in ein nicht vorhandenes chimärisches Reich flüchtet. Das wäre – kurz gesagt – das, was mir am Herzen lag. [69] Ich möchte Ihnen noch einmal danken. Ich sehe es nicht als eine Art politisches Testament an. Ich sagte Ihnen schon, ich empfinde diesen Abschied nur als einen ganz kleinen, und wenn Sie wollen, peripherischen Abschied. Aber es ist doch eine aufrichtige Freude für mich gewesen, Ihnen dies einmal offen und ohne die Gefahr, parteipolitisch verzerrt und missverstanden zu werden, aussprechen zu dürfen. [70] Auf eine sich an seinen Vortrag anschließende Diskussion führte Prof. Schmitt noch folgendes aus: Ein Reich ist mehr als ein Staat; aber ich sehe, dass, wenn das Reich heute – ich meine das konkrete politische Gemeinwesen Deutsches94 Reich – staatliche Rechte und Ansprüche geltend macht gegenüber den Ländern, dass dann die Logik der Legalität dem Staat und den Ländern, und nicht dem Reiche zugute kommt. Das Reich hat Gesetzgebungsmacht – das ist in diesem Falle ganz uninteressant –; der Kern des Staates liegt in der sogenannten Exekutive. Der Preußische Beamte gehorcht eben nur einem preußischen Vorgesetzten und hat keinen Vorgesetzten im Reiche. Dieser in sich abgeschlossene undurchdringliche Befehlsmechanismus, wenn man den als Staat bezeichnet, so ist das Deutsche Reich heute kein Staat. Es hat 100.000 Mann Reichswehr, die Reichspost und Reichsfinanzbeamte, 94
Im Ts. „deutsche“.
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aber nicht im Staate irgendeine konkrete Verwaltung durchzuführen. Es ist in dem Sinne kein Staat; es ist ein Fragment. Sie können mit dem Ausnahmezustand, also mit 100.000 Mann Reichswehr, natürlich einiges machen. Aber das ist ein Ausnahmezustand. Im normalen Zustand ist das Reich kein Staat. Das Reich hat sich am 20. Juli einen Staat angeeignet, um überhaupt wieder politisch zu existieren, um den Dualismus Preußen – Reich zu überwinden. Es hat sich herausgestellt, dass selbst nach der scheinbar so [71] unitarischen Weimarer Verfassung das Deutsche Reich als ein merkwürdiges Fragment nicht über, sondern neben der Staatlichkeit der Länder existiert. Wir wollen konkret sprechen: Nicht der Akt der Gesetzgebung ist entscheidend, sondern der Befehl, der dienstliche oder militärische Befehl; den gibt das Reich, seine 100.000 Mann Reichswehr, sonst niemand. Die anderen Reichsverwaltungen, Post und Finanz, sind politisch uninteressant. Es waren übrigens sehr kluge und historisch sehr gebildete Leute, die die Bürokratie und die Reichsfinanzverwaltung aufgezogen haben. Beispielsweise Leute, wie der jetzige Reichskommissar Popitz,95 haben geglaubt, sie könnten von der Finanz her das Reich zu einem wirklichen Staat machen, wie bekanntlich der preußische Staatsapparat aus der Finanz heraus entstanden ist. So hatte man gehofft, einen Verwaltungsapparat zu schaffen und den immer weiter auszudehnen, bis das Reich ein Staat sei. Das ist also nicht gelungen. Wir sind uns doch insofern einig: Wenn der Kern des Staates die Exekutive ist, so ist das heutige Deutsche Reich kein Staat, sondern muss, um Staat zu sein, sich Preußens bemächtigen. Dann hat es einen Staat, ist aber kein Staat. Was ist nun dieses Reich konkret gesprochen? Es ist kein Staat, es hat einen Staat, doch ich sage, es ist mehr als ein Staat. Aber wir müssen erst einmal sehen, dass es nun meinetwegen einen Staat hat. Der Staat als Befehlsmechanismus ist ja heute völlig [72] instrumentalisiert. Der Staat, dieser Beamten- und Behördenapparat trägt sich nicht mehr selbst, sondern braucht einen Herrn. Das Experiment Schleicher hat bewiesen, dass der preußische Militär- und Beamtenstaat, der aus dem Militär und Beamtentum die staatstragende Schicht machte, zu einer Apparatur geworden ist, die96 selbst politischen Sinn und Willen hat. Dieses Experiment Schleicher-Papen ist einfach nicht gelungen. Es könnte sein, dass es sich wiederholt, dass es sich schließlich in irgendeiner anderen Form wiederholt. Das hängt meiner Meinung nach einfach davon ab, ob es der Nationalsozialistischen Partei gelingt, den Einparteienstaat zu verwirklichen. Jedenfalls hätte ich, wenn ich vollständig sein wollte, außer den Begriffen Reich, Staat und Bund 95 Johannes Popitz (1884–1945), deutscher Jurist und Politiker im preußischen Ministerialdienst, seit November 1932 Reichsminister ohne Geschäftsbereich, kommissarischer Leiter des preußischen Finanzministeriums. Persönlicher Freund Carl Schmitts. 96 Im Ts. „der“.
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auch noch den Begriff Partei entwickeln müssen. Inzwischen ist ja die Partei als Träger des politischen Willens erschienen und hat das Politische bei sich monopolisiert. Es ist ja vielleicht gar nicht mehr der Staat, der das Monopol des Politischen hat, sondern es ist die Partei. Wir haben nun eben diesen Pluralismus der Parteien, und dadurch entsteht die Verwirrung und entsteht auch die Möglichkeit, zum mindestens die Illusion, dass eben der Staat als solcher zum Unterschied von den Parteien Träger eines politischen Willens sei. Der Ausgang des Experimentes Schleicher ist sicher vom Standpunkt des Glaubens an den Staat sehr deprimierend. Das würde aber nur beweisen, dass dann eine andere Kraft [73] als die, die den Befehlsmechanismus beherrscht, notwendig ist, schon um den Staat im alten Sinne zu beherrschen. Heute wird ein Staat wieder der faschistische Staat oder der Sowjetstaat, mag er eine Verfassung haben wie er will, beherrscht von der Partei, die in der Verfassung nicht erscheint. Und die föderalistische Sowjetunion ist auch ein Reich, ein bündisches Gebilde, deren Föderalismus funktioniert, weil dieselbe Partei in jedem der verschiedenen Staaten den staatlichen Mechanismus, die staatliche Apparatur beherrscht, und nur solange funktioniert dieser Mechanismus. Wir könnten also in einer echt föderalistischen Beziehung zu Österreich stehen, wenn in Österreich die Nationalsozialistische Partei die Staatsapparatur beherrschte und in Deutschland auch. Es könnten meinetwegen 30 deutsche Staaten bestehen, wenn sie alle in dieser Weise von der Partei beherrscht und sie dieselbe Partei als den Träger der Kraft ansehen würden. Dann haben sie den Begriff Staat überwunden. Ich würde gern an Sie, an alle Anwesenden, die Frage stellen, ob Sie glauben, dass es schon so weit ist. Das ist eine sehr aktuelle und sehr schwierige, aber auch unausweichliche Frage. Kann man schon sagen, die Nationalsozialistische Partei hat das Zeug und die Kraft, den Einparteienstaat zu verwirklichen? Sie wird sich dann der ganzen Staatsapparatur bemächtigen. Es bleibt alles unverändert; bloß ist der Staat nicht mehr im überlieferten, preußischen deut[74]schen hegelschen Sinne selber das politische Kraftzentrum, sondern er ist das Instrument und der Mechanismus geworden. Dann würde also die Partei sozusagen das Reich, das Dritte Reich, oder wie Sie wollen. Sie wäre dann der Träger einer vom Staat verschiedenen politischen Kraft, der nicht angewiesen wäre auf die staatlichen Grenzen, der weit über seine Grenzen hinaus imstande wäre, berechenbare politische Direktiven zu geben. Und das kann mit einem gewissen Recht schon eher als Reich bezeichnet werden als das, was heute in Deutschland vorliegt. Nun möchte ich mir einfach einen Gegenfrage erlauben: Wo ist zurzeit in Deutschland Reich zum Unterschied von Staat? Es ist gar nicht[s] davon da. Das Reich ist als Postulat vorhanden und soll es bleiben. Aber mir kam es darauf an, einer illusionistischen und chimärischen Verwendung des Reiches vorzubeugen, um die Gefahr deutlich zu sehen, die darin liegt,
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dass bei der Gelegenheit der Rest von Staatlichkeit zugrunde geht. Wer heute gefragt wird: Wo ist der Staat in Deutschland, und antwortet: Er ist in den Ländern, der zerstört natürlich die Staatlichkeit des Reiches. Ich würde sagen: Das Deutsche Reich ist der deutsche Staat; es soll noch mehr sein. Aber das ist zunächst das Mindeste, das Erste und Nächste, was wir verlangen müssen, dass es das ganz ist, dass das Deutsche Reich ganz der deutsche Staat ist.
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Reich – Staat – Bund* ** (1933) Das Lehrfach des öffentlichen Rechts nimmt mit besonderer Unmittelbarkeit am Leben der Völker und der Staaten teil. Es ist daher seit zwei Jahrzehnten von der gleichen schnellen Entwicklung und Bewegung erfaßt, die unsere ganze Welt ergriffen hat. Dieses Fach steht auch in seiner wissenschaftlichen Besonderheit in größter existentieller Nähe zum Schicksal der Völker und Staaten. Gegensätze der Lehrmeinungen erscheinen sofort als politische Gegensätze. Es gibt kein wissenschaftliches Resultat der Lehre des öffentlichen Rechts, das nicht sofort von der einen gegen die andre Seite praktisch verwertet werden könnte, und der Kampf der Argumente geht unmittelbar über in den politischen Kampf der Völker und Parteien. So hat dieses Fach auf eine oft sehr gefährliche, lebensgefährliche Weise Aktualität und Interesse. Jeder Gelehrte eines solchen Fachs, der sich jener Besonderheit und der darin liegenden wissenschaftlichen Verantwortung bewußt ist, kennt auch diese Gefahr. Manche haben eine Zeitlang gehofft, die gesicherten Zustände der Vorkriegszeit würden bald zurückkehren und die ungefährliche Ruhe, die damals wenigstens scheinbar herrschte, lasse sich zurückgewinnen. Sie verwechseln die Sekurität eines ganz bestimmten politischen Zustandes mit der Objektivität und Sachlichkeit des Denkens über diesen Zustand. Es ist heute bereits so, daß alle Versuche, in eine problemlose Sicherheit zu entweichen, uns als eine Abdankung, als ein Verzicht auf die Wissenschaft des öffentlichen Rechts erscheinen. Die Flucht aus der Problematik der Zeit in eine unproblematische Vergangenheit oder in eine beziehungs- und gegenstandslose Reinheit hat nicht einmal mehr den Schein der Wissenschaftlichkeit für sich. Der Weg, der vom konkret gegenwärtigen Leben wegführt, kann nur dorthin führen, wo Tote über Totes reden. Wenn ich hier über Reich, Staat und Bund spreche, so gebrauche ich drei Worte, deren jedes in höchstem Maße gleichzeitig geschichtsmächtig und * Antrittsvorlesung gehalten an der Kölner Universität am 20. Juni 1933. Die Kernfrage dieser Vorlesung, das Verhältnis der Begriffe Reich, Staat und Bund in der deutschen Verfassungsgeschichte, habe ich unter dem Eindruck der Erfahrungen des Prozesses Preußen – Reich vor dem Leipziger Staatsgerichtshof (20. Juli bis 25. Oktober 1932) im Wintersemester 1932/33 und im Frühjahr 1933 mehrfach in Vorträgen behandelt, insbesondere in meiner Rede zur Reichsgründungsfeier vom 18. Januar 1933 in der Handelshochschule Berlin. Die Kölner Antrittsvorlesung gibt die endgültige, durch die Erfahrungen meiner Mitarbeit am Reichsstatthaltergesetz vorn 7. April 1933 bestimmte Fassung. Vgl. den Bericht im „Westdeutschen Beobachter“, Köln, vom 21. Juni 1933. ** Carl Schmitt, Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923–1939, 1940, 3. Aufl. 1994.
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gegenwartserfüllt ist, die ich aber vorsätzlich und ausdrücklich als Begriffe behandle. Daraus könnte das Mißverständnis entstehen, als wollte ich in falscher Abstraktion von leeren Formen reden und die traurige Sache betreiben, die man mit einem Schimpfwort als „Begriffsjurisprudenz“ bezeichnet. Es gibt allerdings viele solche in einem schlechten Sinne abstrakte Begriffe. Es gibt aber auch andere lebensvolle und wesenhafte Begriffe, und es gehört eben zur Aufgabe der Wissenschaft des öffentlichen Rechts, echte Begriffe zu erkennen und auszuprägen. Im politischen Kampf sind Begriffe und begrifflich gewordene Worte alles andere als leerer Schall. Sie sind Ausdruck scharf und präzis herausgearbeiteter Gegensätze und Freund-Feind-Konstellationen. So verstanden, ist der unserm Bewußtsein zugängliche Inhalt der Weltgeschichte zu allen Zeiten ein Kampf um Worte und Begriffe gewesen. Das sind natürlich keine leeren, sondern energiegeladene Worte und Begriffe und oft sehr scharfe Waffen. Leer und im schlechten Sinne abstrakt werden sie erst, wenn die Kampflage und der Streitgegenstand entfallen und uninteressant geworden sind. Ich erinnere Sie an den Kampf um die Formel „von Gottes Gnaden“; oder z. B. an die Überlegungen, die man im Winter 1870/ 71 darüber angestellt hat, ob man dem Bundespräsidenten des Bismarckschen Reiches den Titel „Kaiser der Deutschen“, „Kaiser von Deutschland“ oder „Deutscher Kaiser“ geben solle. Ich erinnere ferner an den unvermeidlichen Streit um die sog. Formalien bei allen großen politischen Prozessen, um die Frage, wer vor einem Staatsgerichtshof oder vor einem internationalen Gericht parteifähig ist, wer aktiv legitimiert, interventionsberechtigt usw. Scheinbar kleine Abweichungen in der begrifflichen Fassung können hier von unabsehbarer praktischer Tragweite werden. In diesem ganz praktischen Sinne einer konkret verstandenen Begrifflichkeit erscheint die ganze deutsche Leidensgeschichte des letzten halben Jahrtausends als die Geschichte der drei Begriffe „Reich, Staat, Bund“. Der Begriff des Staates hat das alte Reich zerstört. Wenn Pufendorff im 17. Jahrhundert das Reich als ein Monstrum bezeichnet, so will er damit sagen, daß es kein Staat ist. Der Begriff des Staates und der staatlichen Souveränität erscheint ihm juristisch begreiflich und ohne weiteres plausibel. Reich dagegen ist unbegreiflich und juristisch sinnlos geworden, eben weil der Begriff des Staates gesiegt hat. Auf dem Boden des Deutschen Reiches entwickeln sich Staaten, und die juristisch-dezisionistische Überlegenheit des Staatsbegriffs gegenüber dem Reichsbegriff erscheint der rechtswissenschaftlichen Begriffsbildung so groß, daß der Staatsbegriff das Reich von innen heraus sprengt. Seit dem 18. Jahrhundert gibt es überhaupt kein Reichsrecht mehr, sondern nur noch Staatsrecht. Das Reich wird nur noch als ein aus Staaten zusammengesetzter Staat oder als ein „System von Staaten“ begriffen. Die Schrift des jungen Hegel aus dem Jahre 1802 über „Die Verfassung des Deutschen Reiches“ beginnt mit dem lapidaren Satz
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„Deutschland ist kein Staat mehr“. Daß es kein Staat mehr ist, ist der Grund, warum es „nicht mehr begriffen werden kann“. Der deutsche Staat hat das alte Deutsche Reich zerstört. Der Staatsbegriff war der eigentliche Feind des Reichsbegriffs. Das Recht wird Staatsrecht und staatliches Recht. Sogar die Philosophie wird Staatsphilosophie, und der größte Philosoph, Hegel, flüchtet aus dem unbegreifbar gewordenen Reich in einen um so einleuchtender gewordenen Begriff des Staates. Es ist für die Geschichte des Reichsgedankens von großer Bedeutung, daß damals sofort auch zwei neue Reiche entstanden, das französische Gegenreich Napoleons I. und das Ersatzreich der habsburgischen Monarchie; jenes offensiv und expansiv, dieses defensiv und konservativ. Es ist aber ebenso wichtig, daß um dieselbe Zeit nach 1806 die eigentliche Staatlichkeit Preußens sich um so klarer und intensiver entwickelt, während das übrige, das sog. dritte Deutschland, ein Bund von Staaten wurde. Vergessen wir nie, daß das ganze sog. föderalistische Staatsrecht des 19. Jahrhunderts mit allen seinen Antithesen von Staatenbund und Bundesstaat, Völkerrecht und Staatsrecht, Vertrag und Verfassung in der Zeit des Rheinbundes entstanden ist. Die deutschen Staaten, die als Staaten das Reich gesprengt haben, erklären bei ihrem Austritt am 1. August 1806, daß sie einen „den neuen Zuständen angemessenen Bund“ gründen, zum Schutz der staatlichen Souveränität und Unabhängigkeit der Bundesmitglieder und unter dem Protektorat und der Garantie des Kaisers der Franzosen. Die staats- und verfassungsrechtliche Literatur der Rheinbundzeit konstruiert sofort ein Reichssystem. Und was für ein Reich! Von Carl Salomo Zachariae (Das Staatsrecht der rheinischen Bundesstaaten und der Bundesstaaten, Heidelberg 1810, S. 129) wird folgendes Bild ausgemalt: Sämtliche europäischen Staaten zerfallen in zwei Klassen, in solche, die „Mitglieder des großen europäischen Staatenvereins sind, an dessen Spitze der Kaiser der Franzosen, teils als vertragsmäßiger Protektor des Bundes, teils als Haupt der Kaiserlichen Familie steht, und in Staaten, die diesem europäischen Staatenverein nicht beigetreten sind“. Unter die Staaten der ersten Klasse, also in den großen europäischen „Staatenverein“ des Kaisers der Franzosen, gehören Spanien, die italienischen Staaten, Holland, die Schweiz, das Herzogtum Warschau und die rheinischen Bundesstaaten. Die anderen europäischen Staaten sind ihm entweder alliiert und befreundet: Preußen, Österreich und Dänemark; oder sie sind Feinde des europäischen Bundes: England und seine Bundesgenossen. Der rheinische Bund erscheint als Teil eines französisch geführten Reichssystems, dem ein Bündnissystem (mit Rußland, Österreich, Preußen) angegliedert ist. Die Zeit der französischen Hegemonie war zu kurz, als daß sich ein durchgebildetes Verfassungsrecht, sei es des Reichs, sei es des Bundes, hätte entwickeln können. Aber selbst dieses kurze Zwischenspiel von sechs Jahren offenbart das für die deutsche Entwicklung des letzten
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Jahrhunderts kennzeichnende Verhältnis der Begriffe Reich, Staat und Bund. Der Bund deutscher Staaten ist immer gegen das Deutsche Reich gerichtet gewesen. Der Bundesbegriff war hier immer der Verbündete des Staatsbegriffes gegen den Reichsbegriff. Der Sinn des Bundes, nämlich Schutz, Garantie und Führung der Bundesmitglieder wendet sich gegen das Deutsche Reich. Der hegemonische Träger des Bundes steht im Rheinbund außerhalb Deutschlands, und der für den ganzen folgenden deutschen Föderalismus typische Dualismus ist hier der Dualismus von Frankreich und Deutschland, die schlimmste und traurigste Form eines Dualismus, weil er die deutsche Einheit als solche leugnet und aufhebt. Der auf dem Wiener Kongreß zustande gekommene Staatenbund „Deutscher Bund“ war für ein halbes Jahrhundert (1815 bis 1866) die Form der politischen Einheit Deutschlands. Auch bei ihm hatte der Bundesgedanke den Sinn einer Garantie der Staatlichkeit gegen das Reich. Staat und Staatlichkeit sind auch hier polemische Gegenbegriffe gegen das Reich. Das Reich war daran zugrunde gegangen, daß es nicht Staat war; der Bund der deutschen Staaten mit seiner Garantie der Staatlichkeit will ebenfalls kein Reich sein. Er will dem allgemeinen Ruf des deutschen Volkes nach einem Reich ein Kompromißsurrogat liefern, aber in scharfer Alternative von Völkerrecht und Staatsrecht nur als völkerrechtlicher Verein. Die Trägerschaft des Bundes verteilte sich auf ein Nebeneinander dreier Größen: die beiden führenden Großmächte Österreich und Preußen, deren Gebiet aber zum Teil außerhalb des Bundes lag, und das sogenannte dritte Deutschland, dessen wichtigster Staat, Bayern, für sich in Anspruch nehmen konnte, daß er ein rein deutscher, innerhalb des Bundesgebietes gelegener Staat war, und dessen heute nicht mehr recht begreiflicher Führungsanspruch mit dieser Lage zusammenhing; analog in einiger Hinsicht dem unverhältnismäßigen Übergewicht Ungarns in der habsburgischen Monarchie, in der alle übrigen Nationen mit mindestens einem Fuße außerhalb der Monarchie standen. Der typische Dualismus des Deutschen Bundes ist ein Dualismus der Hegemonie, der die beiden Großmächte Österreich und Preußen in einen Konflikt bringt. Der preußische Sieg von 1866 hat diesen Dualismus beseitigt, das österreichische Ersatzreich beiseite gedrängt und den Bundesstaat „Deutsches Reich“ herbeigeführt. Die Verfassung dieses „Zweiten Reiches“ spricht, um den treffenden Ausdruck Carl Bilfingers zu übernehmen, noch „die Sprache des Bundes“. Es nennt sich einen „ewigen Bund“ der Fürsten; es macht einen „Bundesrat“ zum Hauptorgan, während die demokratische Vertretung des ganzen deutschen Volkes Reichstag heißt usw. Der kennzeichnende Dualismus ist hier doppelter Art: ein Dualismus der Verfassungskonstruktion, die zwei gegensätzliche Prinzipien: Monarchie
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und Demokratie zu verbinden sucht, und ein Dualismus von Preußen und Reich, hinter dem der Dualismus von Einzelstaat und Gesamtstaat, Konservativismus und Demokratie steht, mit einer ganz dualistischen Zuständigkeitsverteilung (Reichsgesetzgebung und Staatsexekutive) und mit einem Zwischenbegriff wie „Reichsaufsicht“ als dem Korrelat einer solchen Zuständigkeitsverteilung. Die staatsrechtliche Wissenschaft bemühte sich, den Dualismus zu überbrücken. Sie hat aber das eigentliche Unheil, nämlich die Antithese von Staatenbund und Bundesstaat, Völkerrecht und Staatsrecht, Vertrag und Verfassung, nicht zu überwinden vermocht. Übrigens war in den ersten Jahren, nach 1867, die Scheu vor dem Begriff „Reich“ noch sehr verbreitet, weil man sich noch daran erinnerte, daß es zum Wesen des Reichs gehörte, kein Staat zu sein. So sagte Georg Meyer 1868: „Der Ausdruck Reich wird in so vielfachen Anwendungen gebraucht, daß man eigentlich nur sagen kann, er bezeichnet einen großen Länderkomplex mit verschiedenen und bis zu einem gewissen Grade selbständigen Teilen.“ Eine besonders interessante Definition gibt Bluntschli in seiner Staatslogik 1872. Ich möchte sie hier erwähnen, weil sie Reich nicht einfach mit Bundesstaat indentifiziert und zu Unrecht ganz in Vergessenheit geraten ist. Bluntschli spricht von einem „deutschen Bundesreich“, einem „Hauptstaat als dem Schöpfer des Bundes, ohne den das Reich nicht bestehen kann“, und definiert: „Das deutsche Bundesreich ist seinem Wesen nach ein Verband der mittleren und kleineren deutschen Staaten im Anschluß an die Haupt- und Vormacht Preußen, aber erhoben zu einer gemeinsamen Gesamtdarstellung des deutschen Volkes.“ Die Weimarer Verfassung von 1919 hat die Hegemonie Preußens beseitigt und zugleich das Land Preußen in seinem Gesamtumfang bestehen lassen. Sie hat kein neues Konstruktionsprinzip als Ersatz für die bisherige hegemonische Konstruktion gefunden und damit den in den letzten Jahren oft genug erörterten katastrophalen Konstruktionsfehler gemacht. Sie beseitigt die bündische, auch die bundesstaatliche Grundlage; sie spricht auch nicht mehr „die Sprache des Bundes“, sondern vermeidet das Wort „Bund“ und sagt nicht mehr „Bundesrat“, sondern „Reichsrat“. Die merkwürdige Anregung Friedrich Naumanns im Weimarer Verfassungsausschuß, das Deutsche Reich von jetzt ab „Deutscher Bund“ zu nennen, wurde nicht ernst genommen. Daher ging die Staatsrechtslehre der Weimarer Verfassung in den ersten Jahren nach 1919 davon aus, daß nunmehr die Staatlichkeit der Länder beseitigt und Deutschland kein Bundesstaat mehr sei. Aber der Konflikt zwischen dem Reich und Bayern vom Jahre 1923 entschied die Frage zugunsten der anderen, von Bayern geführten bundesstaatsrechtlichen Richtung, und so wurde es herrschende Lehre, daß auch die Weimarer Verfassung eine bundesstaatliche Verfassung sei. Durch den Preußenschlag vom 20. Juli 1932 hat das Reich versucht, Preußen zu „vereinnahmen“ und auf
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diese Weise den Dualismus von Preußen und Reich zu überwinden. Diese Ereignisse sind noch in aller Erinnerung, so daß ich mich darüber nicht zu verbreiten brauche. Nur auf eines möchte ich hinweisen, weil es die praktische Bedeutung staatsrechtlicher Konstruktionen zeigt: der Staatsgerichtshof hat in seinem berühmten Urteil vom 25. Oktober 1932 seine Entscheidung ganz und gar auf die bundesstaatsrechtliche Konstruktion gestützt. Er bestätigt die Begriffe der „eigenständigen Landesregierung“, den Anspruch einer parlamentarischen Landesregierung nach Art. 17 Abs. 2 als ein Grundrecht, das Recht auf eigene Politik; er bestätigt die föderalistische Konstruktion einer unüberbrückbaren Kluft zwischen Landesregierung und Reichsregierung, indem er davon ausgeht, daß niemals von Reichs wegen eine Bundesregierung abgesetzt oder gar eingesetzt werden könne. Er tut das alles nicht etwa auf Grund des klaren Wortlautes der Weimarer Verfassung, sondern nur unter dem Eindruck einer bestimmten Verfassungstheorie und bundesstaatsrechtlichen Begriffsbildung, die nichts ist als das Endergebnis einer gegen den Reichsbegriff gerichteten Entwicklung des Staatsbegriffes und seines Verbündeten, eines föderalistischen Begriffs von Bund, der, verfassungsrechtlich gesehen, der eigentliche Garant der Staatlichkeit der Länder und der Nichtstaatlichkeit des Reiches gewesen ist. Das ist, in kurzer Übersicht, die politische Bedeutung der Begriffe Reich, Staat, Bund und der jahrhundertelangen Begriffszerrerei um die Definitionen von Staatenbund und Bundesstaat. Für uns ist heute die entscheidende Frage: Wie verhalten sich die drei Begriffe zueinander? Und vor allem: Wie haben wir uns in der gegenwärtigen Situation zu ihnen zu verhalten? Jeder der drei Begriffe hat für uns Deutsche seine eigentümliche Kraft und Wirkung. Unsere Vorstellungen vom Reich wurzeln in einer tausendjährigen großen deutschen Geschichte, deren mythische Kraft wir alle fühlen. Darüber brauche ich hier nicht weiter zu sprechen. Es gibt aber bei uns auch einen Staatsmythus, und das Wort Staat hat ebenfalls eine außerordentliche, über eine bloß sachliche Gegenstandsbedeutung weit hinausgehende geschichtliche Kraft und Tradition. Denn Preußen, der Typus eines vollendeten Staates, hat gerade auf Grund seiner spezifisch staatlichen Eigenschaften die Kraft gehabt, die bundesstaatliche Einigung des Zweiten Reiches herbeizuführen. Das Wort „Staat“ erregt unser deutsches Gefühl, seitdem der große preußische König in der äußersten Verzweiflung des Siebenjährigen Krieges, nach der Schlacht bei Kolin, erwog, „daß ein Fürst seinen Staat nicht überleben darf“, und auf diese Weise in dem Gedanken an seinen Staat den seelischen Halt und die Rettung vor dem Selbstmord fand. „Da erwachte meine Anhänglichkeit (attachement) an den Staat“, schreibt er im September 1757 in einem ergreifenden, für die Geschichte des Staatsbegriffs entscheidend wichtigen Brief an seine Schwester, die Markgräfin von Bayreuth. Über das Gefühlsmäßige hinaus haben dann
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Wort und Begriff des Staates eine Steigerung ins Metaphysische erhalten, besonders seitdem unsere letzte große Philosophie in der Staatsphilosophie Hegels gipfelt. Wiederum anders, aber mit nicht geringerer Kraft ist dann schließlich auch das Wort Bund ein Träger großer Erinnerungen und politischer Energien geworden. Von der mittelalterlichen Geschichte deutscher Städtebünde und Ritterbünde und von Bünden aller Art bis zu den Ausprägungen des Bundesgedankens in den bündischen Bewegungen unserer deutschen Jugend ist es lebendig. Selbst in der mißbräuchlichen Verwertung der Bezeichnung „Völkerbund“ hat die offizielle, aber unrichtige deutsche Übersetzung der „Société des Nations“ dem traurigen Genfer Gebilde für deutsche Ohren doch noch einen idealistischen Klang verleihen können. Aus diesem Grunde aber – weil nämlich jeder unserer drei Begriffe für uns mehr ist als ein abstraktes Gedankenschema oder eine leere Formel – hat die deutsche Rechtswissenschaft, wenn sie ihrer politischen Verantwortung und der Wirklichkeit unserer gegenwärtigen Lage bewußt bleiben will, immer darauf zu achten, wie leicht es ist, den einen Begriff in gefährlicher Weise gegen den anderen auszuspielen. Wie oft hat sich in unserer deutschen Geschichte dieser Mißbrauch bis zur jüngsten Geschichte wiederholt! Sowohl die politisch-praktische Wirkung und Tragweite der Verwendung jedes einzelnen dieser drei Begriffe wie auch ihr gegenseitiges Verhältnis haben sich oft geändert. Unter dem tiefen Eindruck der Erfahrungen des unheilvollen Prozesses Preußen contra Reich vor dem Leipziger Staatsgerichtshof lag mir daran, gerade das gefährliche Bündnis, das der Begriff „Staat“ in unserer Rechtsgeschichte mit dem Begriff „Bund“ eingegangen ist, in aller Schärfe herauszustellen. Auf diesem Bündnis von staatlichem und bündischem Denken beruht die große politische Gefahr eines Föderalismus, deren viele, die für das Reich und für den Bund und gegen den Staat sprechen, sich nicht recht bewußt zu sein scheinen. Auch der Begriff „Bundesstaat“ ist nur ein heute längst überholter Kompromißbegriff, der an dieser geschichtlichen Herkunft leidet. Über die Verschiedenheiten von Staatenbund und Bundesstaat hinweg ist es einer bestimmten Art föderalistischen Denkens gelungen, zu verhindern, daß das Reich ein wirklicher Staat wurde. Das ist das Entscheidende. Mit der verlockenden Begründung, daß „Reich“ etwas unendlich Erhabeneres und Höheres ist als „Staat“, sollte das Reich weniger sein und weniger bleiben als ein Staat. Das ist die politische Gefahr, von der ich sprechen wollte. Diesem föderalistischen Denken ist es gelungen, das große Problem der nationalen Einigung Deutschlands immer wieder in die Zwangsjacke der Fragestellung: Staatenbund oder Bundesstaat? zu bringen. Diesem selben Föderalismus ist es gelungen, dem Reich seinen in der heutigen Zeit selbstverständlichen Anspruch auf Staat und volle Staatlichkeit abzusprechen, obwohl es in der ge-
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gebenen geschichtlichen Lage und in der gegebenen politischen Wirklichkeit unserer Zeit kein Reich ohne starken Staat geben kann. Es ist diesem auf das „Reich“ sich berufenden Föderalismus gelungen, gleichzeitig dem Reich gegenüber die eigenständige Staatlichkeit der Einzelstaaten und der Länder als ein Wesensmerkmal des Bundesstaates auf Kosten einer sicheren, den Konfliktsfall entscheidenden Reichsgewalt durchzusetzen. Das meine ich, wenn ich sage, daß die Begriffe Staat und Bund sich in unserer Geschichte gegen den Begriff des Reiches verbündet haben. Alle die zahlreichen „bundesstaatsrechtlich“ konstruierten Ansprüche, Anträge und Argumentationen der Länder und Landtagsfraktionen im Prozeß vor dem Staatsgerichtshof während des Herbstes 1932 haben mir die Gefährlichkeit dieses Föderalismus enthüllt. Die Versuche des bayerischen Föderalismus im letzten Winter gingen in der gleichen Richtung und suchten einen föderalistischbündisch verfälschten Begriff des Reichs zu benutzen, um den Ländern auf Kosten der Staatlichkeit des Reichs ihre eigene Staatlichkeit zu erhalten. Derartige Bemühungen liegen trotz ihrer Verwendung des Wortes „Reich“ praktisch ganz in der Richtung einer Entwicklung, die seit 1923 auch im staatsrechtlichen Denken ausschlaggebend geworden ist. Sie haben in Deutschland zu einem Verfassungssystem geführt, das treffend als „Parteienbundesstaat“ gekennzeichnet werden kann. Das Reich war demgegenüber in die Defensive gedrängt. Zur Aufrechterhaltung der notwendigsten politischen Einheit war es auf Ausnahmebefugnisse, auf die Befugnisse des Reichspräsidenten nach Art. 48 der Weimarer Verfassung angewiesen. Wie immer in unserer bisherigen Geschichte war es auch hier die Verbindung der Begriffe von Staat und Bund, die dem Deutschen Reich schädlich wurde, in Staatenbund wie in Bundesstaat, in einem monarchisch-dynastischen wie in einem parteienpluralistischen System. Zu Beginn unseres Jahres 1933 aber war das Ergebnis, daß Deutschland ein Gebilde ohne sichere politische Führung geworden war und immer noch an dem gefährlichsten und innerlichsten Dualismus, dem von Reich und Preußen, krankte. Der Preußenschlag vom 20. Juli 1932, der die Regierung Braun-Severing beseitigte, hatte zwar die Reichsregierung und die preußische Regierung in einer Hand vereinigt, aber die Verbindung von Reich und Preußen nicht dauernd zu halten vermocht. Erst der unter der politischen Führung Adolf Hitlers entstandene neue Staat der nationalen Revolution hat das jahrhundertealte Problem durch das Reichsstatthaltergesetz vom 7. April 1933 gelöst. Die Reichsstatthalter sind Unterführer des politischen Führers Adolf Hitler. Sie üben Landesgewalt im Namen des Reiches aus. Der Länderparlamentarismus, die schlimme Wurzel des Parteienbundesstaates, ist abgeschafft. Mit einem lapidaren Satz ist er ins Herz getroffen: „Mißtrauensbeschlüsse des Landtags
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gegen Vorsitzenden und Mitglieder von Landesregierungen sind unzulässig.“ Auch das scheint uns heute schon überholt. So gründlich hat diese Lösung des großen Problems den alten Gegensatz von Reich, Staat und Bund beseitigt. Sie ist kein bloßer glücklicher Handstreich, keine bloße Improvisation, sondern eine wohldurchdachte konstruktive Lösung, die nur im engsten Zusammenhang mit der Gesamtkonstruktion der neuen Einheit steht. Diese ruht auf drei Säulen: dem staatlichen Behördenapparat, der staatstragenden Parteiorganisation und einer ständischen Sozialordnung. Eine kraftvolle politische Führung, die aus der staatstragenden Partei hervorgeht, bringt die mannigfaltigsten Teile und Organisationen in ihr richtiges Verhältnis. Die anonyme und getarnte Art der politischen Machtausübung des früheren Parteienbundesstaates ist überwunden. Politische Verantwortung und politische Ehrlichkeit sind jetzt wieder möglich, nachdem sie im System des liberalen Verfassungsstaates sinnlos und unmöglich geworden waren. Unsere Vorlesung hat den Versuch gemacht, eine jahrhundertalte Problematik an der Hand von drei Begriffen in einer kurzen Stunde darzulegen. Wenn die gegenseitigen Beziehungen von drei Begriffen erörtert werden, muß notwendigerweise eine oberflächliche und leere Begriffsspielerei entstehen, wenn es eben nur leere und abstrakte Begriffe werden, die in solcher Weise miteinander verbunden oder einander entgegengesetzt werden. Aber die Begriffe von Reich, Staat und Bund sind auch als Begriffe ein Teil der gewaltigen politischen Wirklichkeit, von denen sie sprechen. Sie sind keine nominalistischen Etiketten, keine normativistischen Fiktionen, keine bloß suggestiven Schlagworte. Sie sind unmittelbare Träger politischer Energien, und es gehört zu ihrer realen Kraft, daß sie einer überzeugenden juristischen Begriffsbildung fähig sind. Daher ist auch der Kampf um sie kein Streit um leere Worte, sondern ein Krieg von ungeheurer Wirklichkeit und Gegenwart. Es ist Sache der Wissenschaft, diese Wirklichkeit sachlich zu erkennen und mit sicherem Auge zu sehen. Erfüllt sie ihre Pflicht zur wissenschaftlichen Wahrheit, so gilt auch für den wissenschaftlichen Kampf, was Heraklit vom Krieg gesagt hat: daß er der Vater und König von allem ist. Dann gilt aber auch die weniger häufig zitierte, aber nicht weniger bedeutungsvolle Fortsetzung jenes vielzitierten Satzes vom Krieg als dem Vater aller Dinge. Dann wird dieser wissenschaftliche Kampf seine innere Wahrheit und Gerechtigkeit in sich haben und etwas bewirken, was auf andre Weise mit menschlichen Mitteln nicht zu bewirken ist. Dann nämlich erweist er, wie Heraklit fortfährt: die einen als Götter, die andern als Menschen, die einen macht er zu Freien, die andern zu Sklaven. Das ist der höchste Ruhm auch unsrer Wissenschaft. Sie macht uns frei, wenn wir den Kampf bestehen. Diese Freiheit ist keine fiktive Freiheit von Sklaven, die in ihren Ketten räsonieren, es ist die Frei-
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heit politisch freier Männer und eines freien Volkes. Es gibt keine freie Wissenschaft in einem von Fremden beherrschten Volk und keinen wissenschaftlichen Kampf ohne diese politische Freiheit. Bleiben wir uns also auch hier bewußt, daß wir in der unmittelbaren Gegenwart des politischen, das heißt des intensiven Lebens stehen! Setzen wir alles daran, den großen Kampf auch wissenschaftlich zu bestehen, damit wir nicht zu Sklaven werden, sondern zu freien Deutschen.
„Mein Fachkollege Koellreutter ist zwar gewiß kein Genie.“ Briefe von Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt 1920/1921 Herausgegeben von Martin Otto Einleitung Kurt Wolzendorff1 war der Expressionist unter den deutschen Staatsrechtslehrern. Zwar wird er nicht zu den „Dichter-Juristen“ des Expressionismus (wie etwa Iwan Goll, Georg Heym, Kurt Hiller oder Walter Serner) gerechnet;2 die Zuschreibung träfe jedoch zu. Der Arztsohn aus Wiesbaden kokettierte auch gegenüber Carl Schmitt damit, seine Begabung eher in der Kunst zu sehen. Den Vergleich mit den auf unterschiedlichem Niveau künstlerisch dilettierenden Kollegen3 suchte er allerdings nicht. Sein früher Tod 1921 in Halle an der Saale unterstreicht das Bild des expressionistischen Künstlers noch zusätzlich. Auch ein im Herbst 1920 einsetzender Kontakt mit dem sechs Jahre jüngeren Carl Schmitt überrascht wenig, zumal Schmitt über vielfältige Beziehungen in das künstlerische Milieu verfügte.4 1 Zu seiner Person nunmehr umfassend: Martin Otto, Von den „Grenzen des Polizeirechts“ zur „Lüge des Völkerrechts“. Kurt Wolzendorff und das Naturrecht, in: Naturrecht und Staat in der Neuzeit. Diethelm Klippel zum 70. Geburtstag, hrsg. von Jens Eisfeld u. a., Tübingen 2013, S. 581–602; Christian Tilitzki, Catalogus Professorum. Bio-Bibliographisches Verzeichnis der Professoren, Dozenten, Lektoren, Bibliothekare der Albertus-Universität Königsberg 1871–1918, in: ders., Die Albertus-Universität Königsberg. Ihre Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen (1871–1945), Bd. 1: 1871–1918, Berlin 2012, S. 644 f. 2 Exemplarisch: Lovis Maxim Wambach, Die Dichterjuristen des Expressionismus, Baden-Baden 2002. Fritz Stier-Somlo bescheinigte Wolzendorff 1921 „bestimmt und kühn, in einem dem künstlerischen Expressionismus verwandten Stile“ formulierte Darlegungen von denen eine „starke, seelenzwingende Wirkung“ ausgehe; vgl. Fritz Stier-Somlo, Rezension Kurt Wolzendorff, Die Lüge des Völkerrechts/Deutsches Völkerrechtsdenken, in: AöR 40, 1921, S. 249–254. 3 Ein Überblick etwa: Michael Stolleis, Komponierende Staatsrechtslehrer, in: Klaus Reichert (Hrsg.), Recht, Geist und Kunst. Liber amicorum für Rüdiger Volhard, Baden-Baden 1996, S. 372–380. 4 Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009; A. Einer/Ch. Einer, Auswahlbibliographie deutschsprachiger Literatur zur
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Bezüge zu Kurt Wolzendorff finden sich bei Carl Schmitt mit ausgesprochener Konstanz. Auf die besondere Bedeutung Wolzendorffs als früher Leser der „Diktatur“, deren Druckfahnen er als Geschenk erhielt, hat bereits Reinhard Mehring hingewiesen.5 Allgemein bekannt und durchaus auch in der Sekundärliteratur gewürdigt ist die herausgehobene Rolle Wolzendorffs in der „Politischen Theologie“.6 Weniger bekannt ist die völkerrechtliche Rezeption Wolzendorffs, die sich anhand der Edition von Günter Maschke am besten erschließen lässt. In seiner ersten völkerrechtlichen Veröffentlichung, „Die Kernfrage des Völkerbundes“, zitiert Schmitt Wolzendorffs „Volksheer und Völkerbund“,7 eine Flugschrift der „Deutschen Liga für den Völkerbund“, wonach in der „Welt der heutigen Staaten“ nur „der demokratische Staat als völkerbundsfähig“ gelte; in der „gegenwärtigen Situation der politischen Kultur“ verlange „das Prinzip des Völkerbundes für den Charakter seiner Glieder das Prinzip des Volksstaates“.8 Pointierter wird das erwähnte Wolzendorff-Zitat in „Die Kernfrage des Völkerbundes“ von 1926 dann als Bestätigung von Schmitts eigener These, „daß ein echter Bund ein Minimum an Homogenität auch als rechtliche Forderung voraussetzt und das Prinzip der Nicht-Intervention hier seine rechtliche Grenze findet“, gebraucht.9 Eine „folgerichtige Verneinung“ des Rechtsinstituts „Krieg“ bescheinigte Schmitt schließlich 1937/38 in der „Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff“ Wolzendorffs „Lüge des Völkerrechts“.10 Der Edition Maschkes verdanken wir den Hinweis, daß Schmitt in seinem Handexemplar hinter dem Verweis auf Wolzendorff die dritte Auflage der Rechtsphilosophie von Gustav Radbruch notiert hatte,11 Wechselbeziehung von Kunst und Wissenschaft in Leben und Werk Carl Schmitts seit 1986, in: Etappe 13, 1997, S. 70–75. 5 Mehring (wie Anm. 4), S. 119. 6 Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München/Leipzig 1922, S. 35 u. ö. Hierzu weiterführend auch zu Wolzendorff etwa Volker Neumann, Theologie als staatsrechtswissenschaftliches Argument: Hans Kelsen und Carl Schmitt, in: Der Staat 47, 2008, S. 163–186. 7 Kurt Wolzendorff, Volksheer und Völkerbund, Berlin 1921. 8 Carl Schmitt, Die Kernfrage des Völkerbundes (1924), in: ders., Frieden oder Pazifismus? Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalen Politik 1924–1978, hrsg., mit e. Vorwort u. mit Anmerkungen versehen v. Günter Maschke, Berlin 2005, S. 1–23 (S. 20–21). 9 Carl Schmitt, Die Kernfrage des Völkerbundes (1926), in: Schmitt (wie Anm. 8), S. 73–128 (S. 125). 10 Carl Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff (1937/38), in: Schmitt (wie Anm. 8), S. 518–566 (557). Vgl. Kurt Wolzendorff, Die Lüge des Völkerrechts. Der Krieg als Rechtsinstitution und das Problem des Völkerbundes im Gedankensystem des Völkerrechts, Leipzig 1920. 11 Günter Maschke, Anmerkungen des Herausgebers, in: Schmitt (wie Anm. 8), hier S. 589.
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der bislang obskur blieb, zumal Radbruchs Äußerungen über Wolzendorff sehr spärlich sind.12 Das verwundert auf den ersten Blick, denn 1931, zum zehnten Todestag Wolzendorffs, hatte ihm die sozialdemokratische Zeitschrift „Die Justiz“, zu deren häufigen Autoren Radbruch gehörte, ein Sonderheft gewidmet, das auch Würdigungen etwa durch Hugo Sinzheimer enthielt.13 Hier wurde Wolzendorff als großer Pazifist und Schüler Walther Schückings gewürdigt. Aus dieser Sicht überrascht wiederum die Nähe Schmitts zu Wolzendorff. Zwar konnte Schmitt auch mit Pazifisten wie Hans Wehberg freundliche Briefe wechseln; die Briefe Wolzendorffs an Schmitt überschreiten jedoch das Maß jeder höflichen Konvention. Womöglich hatten sich zwei junge Juristen, beide am Anfang ihrer Karriere, gefunden, die eher durch die Position des fachlichen Außenseiters aufgefallen waren. Zwar verstand sich Wolzendorff als ein Außenseiter seiner Disziplin. Er fühlte sich nicht angemessen wahrgenommen; vielleicht projizierte er aber auch ein wenig die Position seines akademischen Lehrers Walther Schücking14 auf sich. Ein Habilitationsversuch in Heidelberg, an dessen Scheitern Fritz Fleiner und Gerhard Anschütz aktiv und keineswegs gradlinig beteiligt waren, mag ebenfalls dazu beigetragen haben. Aus Sicht des Privatdozenten Carl Schmitt war Wolzendorff im Jahr 1920 dort angekommen, wo er noch hinwollte; er war Inhaber einer ordentlichen Professur für öffentliches Recht. Als Mitglied der deutschen Delegation bei den Verhandlungen des Versailler Vertrages,15 Mitherausgeber des Handbuchs der Staatswissenschaften,16 Mitglied des Beirates zur Vereinheitlichung des Arbeitsrechts beim Reichsarbeitsministerium17 konnte er zudem auf weitere 12
Und zwar handschriftliche Anmerkungen in den „Grundzügen der Rechtsphilosophie“; demnach sei Wolzendorffs „Reiner Staat“ gegen „die hier fälschlich vorgenommene Gleichsetzung von Recht u. Staat zu benutzen“, zur „Nachprüfung der Einordnung der Armee in dieses Organisationsprinzip“ müsse noch einmal Wolzendorffs „Volksheer“ studiert werden. Hier nach: Gustav Radbruch, Gesamtausgabe, Bd. 2, Rechtsphilosophie II, bearb. v. Arthur Kaufmann, Heidelberg 1993, S. 91 und 141. Wolzendorffs Monographie zum Widerstandsrecht zitierte Radbruch (mit der falschen Schreibweise „Woltzendorff“) 1941 knapp in dem erstmals in der „Schweizerischen Zeitschrift für Strafrecht“ erschienenen Abhandlung „Aus Lieb der Gerechtigkeit und um gemeines Nutz willen. Eine Formel des Johann von Schwarzenberg“. 13 Hugo Sinzheimer, Chronik, in: Die Justiz 6, 1931, S. 322–327. 14 Zu diesem nunmehr: umfassend: Ulf Morgenstern, Bürgergeist und Familientradition. Die liberale Gelehrtenfamilie Schücking im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn usw. 2012, insb. S. 251–254, 290–314, 359–385. Der ältere Forschungsstand bei: Detlev Acker, Walther Schücking (1875–1935), Münster 1970. 15 Nur: Otto (wie Anm. 1), S. 597. 16 Nur kurz 1921 neben den Nationalökonomen Ludwig Elster, Friedrich Wieser und Adolf Weber; vgl. Otto (wie Anm. 1), S. 599. 17 Hierzu mit Anmerkungen auch zu Wolzendorff: Thomas Bohle, Einheitliches Arbeitsrecht in der Weimarer Republik. Bemühungen um ein deutsches Arbeits-
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überaus ehrenvolle Nebenämter verweisen, die das selbstgewählte Bild des Außenseiters etwas relativieren. Seine literarische Produktion war ohnehin immens. Zwar hatte er seine Habilitationsschrift nie veröffentlicht; mindestens seine bis heute häufig zitierte Monographie zum Widerstandsrecht,18 aber auch die zahlreichen selbständigen Veröffentlichungen zum Polizeirecht, zum Zivilrecht, zum Völkerrecht, zum Kolonialrecht, der Rechtsphilosophie sowie zahlreiche Rezensionen bilden ein bis heute beeindruckendes Gesamtwerk, das angesichts seiner kurzen Lebenszeit noch größeren Respekt abverlangt. In dem Aufsatz „Der Reine Staat“ von 1920, durch den Schmitt auf Wolzendorff aufmerksam wurde, waren wichtige Einflüsse auf Wolzendorff zu erkennen. Der wahrscheinlich älteste ging von dem ausgiebig zitierten Constantin Frantz aus.19 Auf das Verhältnis von Schmitt zu Constantin Frantz wurde bereits hingewiesen.20 Womöglich gehörte Frantz zu dem beruflichen Umfeld von Wolzendorffs Urgroßvater Hermann Vollmar, der ungefähr ab 1860 preußischer, norddeutscher und dann deutscher Wahlkonsul in Barcelona war.21 Ein zweiter Einfluss ging vom Genossenschaftsrecht Gierkes aus.22 Auch wenn Wolzendorff kein unmittelbarer Gierkeschüler war, konnte man in ihm doch einen wichtigen Vertreter der genossenschaftlichen Staatstheorie sehen;23 auch Carl Schmitt teilte diese gesetzbuch, Tübingen 1990, S. 10–12, 16; Christian Kaiser, Kündigungsschutz ohne Prinzip. Der Weimarer Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes und seine Bezüge zum heutigen Recht, Tübingen 2005, S. 30, 91, 94; ferner Enrico Iamone, Die Kodifizierung des Arbeitsvertragsrechts – ein Jahrhundertprojekt ohne Erfolgsaussicht?, Frankfurt a. M. usw. 2009, S. 84. 18 Kurt Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, Breslau 1916. 19 Kurt Wolzendorff, Der reine Staat. Skizzen zum Problem einer neuen Staatsepoche, in: Zeitschr. für die gesamte Staatswiss. 75, 1920, S. 199–229 (S. 205, 225). 20 Vgl. etwa: Günter Meuter/Henrique Ricardo Otten, Constantin Frantz – ein bonapartistischer Vorläufer Carl Schmitts? Überlegungen zur Geschichte eines konservativ-antiliberalen Motivs, in: Michael Th. Greven (Hrsg.), Politikwissenschaft als kritische Theorie. Festschr. für Kurt Lenk, Baden-Baden 1994, S. 151–194; vgl. auch Roman Schnur, Mitteleuropa in preußischer Sicht: Constantin Frantz, in: Der Staat 25, 1986, S. 545–573. 21 Wolzendorffs Mutter Dolores (1853–1898) war die Tochter des Elberfelder Kaufmanns Julius Tucht, ihre Mutter Emma, geborene Vollmar, war die Tochter des Kaufmanns Georg Vollmar, der ab Mitte der 1860er Jahre norddeutscher/deutscher Vizekonsul (später Konsul) in Barcelona war; ihm folgte 1871 sein Bruder Georg bis zur Umwandlung des Wahlkonsulats in eine Berufsvertretung 1876. Freundliche Auskunft Gerhard Keiper, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin. Teilweise wird der Schwiegersohn Tucht auch selber als „Konsul“ bezeichnet; möglich ist eine Abwesenheitsvertretung. Frantz war von 1852 bis 1862 als „Geheimer Expedierender Sekretär und Kanzler“ bei dem preußischen Generalkonsulat für Spanien und Portugal in Barcelona beschäftigt. 22 Etwa Wolzendorff (wie Anm. 19), S. 206 f., 211.
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Sichtweise.24 Einen dritten Einfluss bildete die Anthroposophie und die Gedankenwelt Rudolf Steiners.25 Vermittelt war dies offenbar über den gleichfalls zitierten26 Schweizer Juristen Roman Boos (1889–1952), einen Schüler von Eugen Huber, der auch bei Gierke in Berlin studiert hatte und dessen Genossenschaftslehre folgte.27 Steiners „Dreigliederungslehre“ war gegen Ende des Ersten Weltkriegs ein intellektueller Modebegriff, an den Carl Schmitt später unter gänzlich anderen Vorzeichen anknüpfen sollte.28 Es ist nicht ausgeschlossen, dass Schmitt während seines Münchner Kriegseinsatzes im Stellvertretenden Generalkommando bereits auf Wolzendorff aufmerksam geworden war.29 Weniger mit Gierke, aber eng mit der Genossenschaftslehre verwandt waren Wolzendorffs völkerrechtliche Konzeptionen, die auf einen genossenschaftlich aufgebauten Völkerbund zielten. Zwar gab es auch beim späten Gierke Äußerungen in diese Richtung;30 anders als der konservativen und nationalistischen Tönen nicht abgeneigte Gierke bekannte sich jedoch Wolzendorff mit echtem Enthusiasmus zum 23 So auch noch bei Reinhard Höhn, Otto von Gierkes Staatslehre und unsere Zeit, Hamburg 1936, insb. S. 124 ff. 24 Neben „Diktatur“ und „Politische Romantik“ ferner: Carl Schmitt, Hugo Preuß. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930, S. 11; Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1932, Berlin 1963 (u. ö.), S. 25. Schmitt erwähnt in einem Artikel für die „Tägliche Rundschau“ („Der Mißbrauch der Legalität“) Wolzendorffs „berühmtes Buch über das ständische Widerstandsrecht“ (abgedruckt in: Carl Schmitt/Hans-Dietrich Sander, Werkstatt-Discorsi. Briefwechsel 1967–1981, hrsg. von Erik Lehnert und Günter Maschke, Schnellroda 2008, S. 458 ff. 25 Etwa Wolzendorff (wie Anm. 19), S. 204. Wolzendorff gehörte 1918/19, neben Hugo Sinzheimer, zu den Unterzeichnern von Rudolf Steiners Appell „An das deutsche Volk und an die Kulturwelt“, vgl. Johannes Hemleben, Rudolf Steiner in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1963, S. 119. Vgl. auch Roman Boos, Michael gegen Michael. Katharsis des Deutschtums. Antwort aus der deutschen Schweiz auf eine französische Frage, Basel 1926 (über Gierke, Wolzendorff und Steiner). Über die Korrespondenz Wolzendorffs mit dem schweizerischen Anthroposophen Roman Boos auch Hella Wiesberger, Rudolf Steiners öffentliches Wirken für die Dreigliederung des sozialen Organismus, in: Nachrichten der RudolfSteiner-Nachlassverwaltung, Heft 27/28, 1969, S. 2–60 (S. 19). 26 Etwa Wolzendorff (wie Anm. 19), S. 205. 27 Zu Roman Boos (1889–1952) vgl. Christian Bärtschi, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 2, Basel 2003, S. 580. 28 Carl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit, Hamburg 1933. 29 Schücking ist Gegenstand einer Zusammenstellung „pazifistischer und antimilitaristischer Veröffentlichungen in der Schweiz“ von 1916; Carl Schmitt, Die Militärzeit 1915 bis 1919, hrsg. v. Ernst Hüsmert u. Gerd Giesler, Berlin 2005, S. 560. 30 Otto von Gierke, Der germanische Staatsgedanke. Vortrag, gehalten am 4. Mai 1919, Berlin 1919, S. 25.
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Völkerbund und sah sich selbst als Pazifist. Dies verband ihn mit seinem Lehrer Walther Schücking; Hans Wehberg war ein enger Korrespondenzpartner. Der Pazifismus Wolzendorffs darf jedoch genauso wenig absolut gesetzt werden wie umgekehrt die Kriegsvorträge Gierkes. Wenn er für den Freund Karl Kormann einen Nachruf verfasste,31 in dem viel von kriegerischem Heldentum die Rede war und er ein Buch den „Manen unserer im Krieg gefallenen Soldaten“32 widmete, machte Wolzendorff deutlich, dass er keinesfalls alles Soldatische radikal ablehnte. Während des Ersten Weltkriegs fürchtete sich der Königsberger Professor „wann die russischen Horden hier hereinfluten“;33 ebenfalls in die Kriegszeit fiel das Versenden einer Postkarte mit dem Porträt Kaiser Wilhelms II. in Felduniform ausgerechnet an Hans Wehberg.34 1917 beschwor er in der Tradition Gierkes ein „organisches Miteinander“ von Volk und Monarch.35 Noch im Oktober 1918 hielt er in Königsberg einen öffentlichen Vortrag über die „Notwendigkeit deutschen Kolonialbesitzes“, um wenig später mit der Novemberrevolution zu sympathisieren und, offenbar aus voller Überzeugung, in ihren Gremien mitzuarbeiten.36 Die Begeisterung für den Rätegedanken, darauf hat Michael Stolleis hingewiesen,37 vereinte in den Jahren 1918 und 1919 Linke und Rechte, Liberale und Konservative. Mit dem Gierke-Schüler Hugo Sinzheimer, dessen Aufsatz „Das Rätesystem“ er zustimmend zitierte,38 stand Wolzendorff damals ebenso in Kontakt39 wie mit revisionistischen Sozialdemokraten um den späteren preußischen Kultusminister Konrad Hae31
Kurt Wolzendorff, Karl Kormann †, in: Preußisches Verwaltungsblatt, 1914, S. 2–4. 32 Kurt Wolzendorff, Geist des Staatsrechts. Eine Studie zur Biologie des Rechts und zur Psychologie des Volksstaats, Leipzig 1920. 33 Schreiben Kurt Wolzendorff an Adelheid Schücking, „Königsberg, 6.1.18“; Universitäts- und Landesbibliothek Münster, Teilnachlaß Walther Schücking, S.064. 34 Postkarte Wolzendorff an Wehberg, Poststempel „Marburg (Lahn) 26.8.1915“; Bundesarchiv Koblenz, Nachlaß Wehberg (NL 199/53 fol. 1). 35 Kurt Wolzendorff, Vom deutschen Staat und seinem Recht, Streiflichter zur allgemeinen Staatslehre, Leipzig 1917, S. 40 f. Vgl. hierzu auch Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat. Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs (1871–1918), Frankfurt a. M. 1997, S. 337 f. 36 Tilitzki (wie Anm. 1), S. 482. Wolzendorff äußert sich umfangreich über seine Mitarbeit in einem Schreiben an Walther Schücking vom 1. Dezember 1918 (ULB Münster, Nachlass Walther Schücking, W-S-N S.066); hierzu auch Otto (wie Anm. 1), S. 595 f. Süffisanter Verweis auf Wolzendorff nach 1918 auch bei Höhn (wie Anm. 23), S. 126. 37 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3, München 1999, S. 229 f. 38 Wolzendorff (Anm. 19), etwa S. 203. Zu diesem Aufsatz Wolzendorffs auch Henry Jacoby, Die Bürokratisierung der Welt. Ein Beitrag zur Problemgeschichte, Neuwied/Berlin 1969, S. 286 f.
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nisch,40 der bei seiner Berufung nach Halle eine Rolle spielen sollte. Wolzendorff fühlte sich aber wohl zu sehr als Wissenschaftler oder Künstler, um sich auf das tagespolitische Parkett zu begeben und Kontakte nur in eine Richtung zu unterhalten. Auf das besonders herzliche Verhältnis zu dem ebenfalls jung verstorbenen Karl Kormann,41 einen erklärten Parteigänger der preußischen Konservativen, wurde bereits hingewiesen. Auch der Kontakt zu Carl Schmitt ist hier zu nennen. Von Herkunft und Sozialisierung war Wolzendorff Schmitt entgegengesetzt, wenngleich beide ausgesprochen Westdeutsche waren. Der 1882 geborene Wolzendorff stammte aus dem wohlhabenden protestantischen Bürgertum; sein ursprünglich aus Mitteldeutschland stammender Vater war ein pensionierter Militärarzt, der sich als Badearzt und medizinischer Fachautor zunächst in Wolzendorffs Geburtsort Nassau an der Lahn, dann in Wiesbaden niedergelassen hatte. Die Kindheit des Einzelkindes war materiell unbeschwert, wenn auch die in Barcelona aufgewachsene Mutter bereits 1898 starb. Der Vater konnte nicht nur das Jurastudium in Marburg und München sondern auch Auslandssemester in der französischen Schweiz (Lausanne) und sogar in Frankreich, nämlich in Paris und Grenoble, finanzieren. Wolzendorff sprach und las fließend Französisch und soll sich bereits als Gymnasiast für die Französische Revolution begeistert haben.42 In Marburg fand er in Walther Schücking einen akademischen Lehrer und väterlichen Freund; die Beziehung ging über das gewöhnliche Lehrer-Schüler-Verhältnis weit hinaus. Schücking führte in Marburg bereits das Leben eines aus politischen Gründen gemiedenen Professors; für das Staatsexamen dufte er seit 1908 nicht mehr prüfen.43 Später bezeichnete Schücking sich als Karrierehindernis für Wolzendorff.44 Die Ächtung Schückings konnte nicht allein auf sein pazifistisches Engagement zurückgeführt werden, es kamen andere Gründe 39 Wolzendorff an Schücking, „Kgsbg., 24.11.18“, ULB Münster, Teilnachlaß Schücking, S.065. 40 „Und wenn Haenisch nichts thut, wird nie was.“ Wolzendorff an Schücking, „Kgsbg. 1/12 [1918]“, ULB Münster, Teilnachlaß Schücking, S.066. Zu Haenisch nur Walter Hofmann, in: Neue Deutsche Biographie 7, 1966, S. 442–444. 41 Vgl. Martin Otto, Kyffhäuserideale deutscher Akademiker und Verwaltungsrechtswissenschaft im Werden. Ein Beitrag zu Karl Kormann (1884–1914), seinem sozialpolitischen und verwaltungsrechtlichen Wirken im Deutschen Kaiserreich, in: Zeitschrift für Sozialreform, 2002, S. 354–364. 42 Fritz Dreyer, Wolzendorffs Knaben- und Jugendjahre, in: Die Justiz 6, 1931, S. 306–312 (S. 309). 43 Acker (wie Anm. 14), S. 22. 44 Walther Schücking, Kurt Wolzendorff, in: Die Justiz 6, 1931, S. 281–291 (S. 286); Schücking beruft sich auf eine Aussage des einflussreichen Ministerialrates Ludwig Elster im preußischen Kultusministerium, mit dem Wolzendorff 1921 Herausgeber des „Handwörterbuchs der Staatswissenschaften“ war; gleichzeitig äußert sich Schücking in ungewöhnlicher Schärfe („tiefsten geistigen Stand“) über Elster selbst.
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hinzu, so ein problematisches Verhältnis zu dem einflussreichen Marburger Ordinarius Ludwig Eneccerus45 und ein heute weitgehend in Vergessenheit geratener Medienskandal 1908/09 um seinen Bruder Lothar Engelbert (1873–1943).46 Daß Schücking gerne provozierte und auch selbst die Isolation suchte, etwa nicht der 1922 gegründeten, Staatsrechtslehrervereinigung beitrat,47 darf ebenfalls nicht unterschätzt werden. Jedenfalls war Schücking seinem Schüler nach der Promotion 190548 bei der Suche nach einem akademischen Lehrer behilflich. Wolzendorff nahm ab 1905 am Heidelberger Seminar von Georg Jellinek teil. Hier lernte er auch Erich Kaufmann kennen.49 Schücking und Jellinek kannten sich aus der bürgerlichen Friedensbewegung; Schücking war keineswegs der nach damaligem Verständnis einzige Pazifist auf einem juristischen Lehrstuhl. Die Gründe des Scheiterns der Habilitation bei Jellinek, endgültig im Jahre 1909, sind unklar. Schücking äußerte sich 1931 nebulös zu einer „Habilitationsaffäre“,50 die allerdings im Heidelberger Universitätsarchiv keine Spuren hinterlassen hat.51 Der von Schücking als zweiter Betreuer vorgesehene Gerhard Anschütz, ein Neffe des Wolzendorffs Vater freundschaftlich verbundenen Chirurgen Richard Volkmann,52 hatte eindeutige Äußerungen von Anfang an vermieden und wollte auch an der Berliner Fakultät, der er seit 1908 angehörte, keine Möglichkeit sehen.53 Wolzendorffs Freund Kormann war ein 45
Instruktiv: Morgenstern (wie Anm. 14), S. 300 f., der auch eine gewisse Freude Schückings an Provokationen konstatiert. 46 Lothar Engelbert Schücking war von 1902 bis 1908 Bürgermeister von Husum; nicht nur aus politischen, sondern auch persönlichen Meinungsverschiedenheiten musste er 1908 als Bürgermeister nach einem Disziplinarverfahren mit anschließendem Prozeß zurücktreten. Die zeitgenössische überregionale Bedeutung dieses Skandals betont Morgenstern (wie Anm. 14), S. 271–282. 47 Stolleis (wie Anm. 37), S. 188. 48 Kurt Wolzendorff, Über den Umfang der Polizeigewalt im Polizeistaat (Die Grenzen der Polizeigewalt, 1), Marburg 1905. Es war insgesamt Schückings zweite Promotion in Marburg (Morgenstern, wie Anm. 14, S. 298). 49 Otto (wie Anm. 1), S. 586–588. Kaufmann betonte in seinen Veröffentlichungen die Abhängigkeit Wolzendorffs von Schücking, etwa in dem 1920 an der Universität Halle gehaltenen Vortrag „Über die konservative Partei und ihre Geschichte“ (1922), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 3: Rechtsidee und Recht, Göttingen 1960, S. 133–175 (S. 147, 149); ferner über Wolzendorffs „auf dem formalen Rechtsgedanken aufgebaute Völkerbundspläne“ ders., Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie (1921), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 3, S. 176–245 (S. 233, 236). Zu Kaufmann etwa Frank Degenhardt, Zwischen Machtstaat und Völkerbund. Erich Kaufmann (1890–1972), Baden-Baden 2009. 50 Schücking (wie Anm. 44), S. 286. 51 Freundliche Auskunft Prof. Dr. Klaus-Peter Schroeder, Universitätsarchiv Heidelberg. 52 Gerhard Anschütz, Aus meinem Leben, hrsg. u. eingel. von Walter Pauly, Frankfurt a. M. 1993, S. 17 f.
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Schüler von Anschütz und unterhielt auch ein enges Verhältnis zu Fritz Fleiner (1867–1937);54 der gebürtige Zürcher vertrat von 1908 bis 1915 in Heidelberg das öffentliche Recht.55 Offensichtlich hatte Fleiner 1909 die entscheidende Rolle beim Scheitern des ersten Habilitationsversuchs gespielt; Anschütz fühlte sich auch als Berliner Ordinarius zur Rücksichtnahme gezwungen.56 Andere Gründe, etwa das schwierige Verhältnis von Anschütz zur genossenschaftlichen Staatstheorie, bleiben im Bereich des Spekulativen, denn ganz offenbar hatte sich auch Gierke nicht für Wolzendorff eingesetzt. Womöglich fiel das enge Verhältnis Wolzendorffs zu Gierke aber erst in die Jahre nach dem Habilitationsversuch. Wolzendorff absolvierte zunächst das preußische Referendariat und veröffentlichte zum Zivilrecht; die Abhandlung erschien in den von Gierke herausgegebenen „Jherings Jahrbüchern“.57 Nach einer Karenzzeit wurde Wolzendorff 1913 in Marburg über „Polizei und Wohlfahrt“ für Staatsrecht habilitiert; die Arbeit, mindestens auf dem Heidelberger Versuch aufbauend, blieb unveröffentlicht. Der Privatdozent Wolzendorff, seit 1913 auch verheiratet, zog nach Marburg; für den Wohnort hatte er sich wegen der Nähe zu Schücking entschieden. Von einer aktiven Teilnahme am Ersten Weltkrieg blieb er als „militärisch untauglich“58 verschont. In jedem Fall wurde die Zeit genutzt; mit „Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes“, erneut von Gierke herausgegeben, erschien 1916 das beeindruckende opus magnum eines jungen Privatdozenten, das bis heute Wolzendorff einen gewissen Platz in der juristischen und auch historischen Literatur verschafft.59 Daneben veröffentlichte Wolzendorff, der wie Schücking und Kormann dem national-sozialen Umfeld Friedrich Naumanns entstammte, zum Arbeitsrecht60 und befasste sich auch mit der sozialpolitisch wichtigen Frage des Dienstbotenrechts.61 53
Weiterführend: Otto (wie Anm. 1), S. 587 f. Zu Fleiner umfangreich: Roger Müller, Verwaltungsrecht als Wissenschaft. Fritz Fleiner 1867–1937, Frankfurt a. M. 2006. 55 Alfred Kölz, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 4, Basel 2005, S. 553. 56 Das geht aus der Korrespondenz von Anschütz und Wolzendorff mit Jellinek hervor. Näher bei Otto (wie Anm. 1), S. 588. 57 Kurt Wolzendorff, Zur Frage der Konkurrenz von Eigenschaftsirrtum und Mängelgewähr (Eine methodologische Untersuchung an einem alten Objekt), in: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts 64, 1914, S. 311–354. 58 Tilitzki (wie Anm. 1), S. 645. 59 Nachweise bei Otto (wie Anm. 1), S. 584 f. Ferner Michael Köhler, Die Lehre vom Widerstandsrecht in der deutschen konstitutionellen Staatstheorie der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1973, S. 11 ff. 60 Kurt Wolzendorff, Das Arbeitsrecht. Eine Skizze seiner geschichtl. Entwicklung in der Rechtsordnung, in: Annalen des Deutschen Reichs 48, 1915, S. 57–68. 61 So jedenfalls der sozialdemokratische Sozialpolitiker Ludwig Preller, Sozialpolitik in der Weimarer Republik, Kronberg und Düsseldorf 1978 (erstmals Stuttgart 54
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Zum Sommersemester 1917 wurde Wolzendorff außerordentlicher Professor in Königsberg. Die Universität hatte bereits in den Friedensjahren des Kaiserreichs an der äußersten Peripherie gelegen und besaß zuvörderst eine Reputation als „Sprungbrettuniversität“. Im Krieg wurde die periphere Lage zu einer handfesten Bedrohung; russische Truppen hatten im ersten Kriegsjahr Teile Ostpreußens besetzt, auch Königsbergs künftige Zugehörigkeit zu Deutschland schien ungewiss. Das nahe Russland war gänzlich unberechenbar geworden, ein Übergreifen der Revolution zu befürchten. Die enge Zusammenarbeit Wolzendorffs mit den Arbeiter-und-Soldaten-Räten mag viele Erklärungsmuster haben, sicherlich nicht zu unterschätzen ist ein pragmatisches Motiv, denn die Räte konnten 1918/19 in Verbindung mit der Armee am ehesten Ruhe und Ordnung gewährleisten. Auch der weitsichtige Oberpräsident von Ostpreußen, Adolf von Batocki-Friebe, hatte eine ähnliche Politik verfolgt. Insgesamt empfand Wolzendorff die Königsberger Jahre als unglücklich; eine gesundheitlich labile Ehefrau, Schwierigkeiten mit der Wohnung, dem Hauspersonal und der allgemeinen Versorgung, eine Isolation im Kollegium und wohl auch die große Entfernung zu einem im Wesentlichen im westdeutschen Raum konzentrierten Freundeskreis trugen dazu bei.62 Unproduktiv waren die Königsberger Jahre keineswegs. Veröffentlicht wurde zur Staatslehre,63 aber auch zum Völkerrecht.64 Wolzendorff gehörte zu den frühen Befürworten des Völkerbundes in Deutschland. In Briefen an Walther Schücking schwelgte er von einer gemeinsamen Zukunft, an der beide an einer westdeutschen Universität unterrichten können, denn auch Schücking wollte die Hochschule wechseln. Wolzendorff hoffte auf die Nachfolge Smends in Bonn.65 Schließlich wurde Wolzendorff zum Sommersemester 1919 nach Halle berufen. An dem Ruf auf die Nachfolge von Gierkes plötzlich verstorbenem Schwager Edgar Loening hatte der preußische Kultusminister Konrad Haenisch, ein revisionistischer ostpreußischer Sozialdemokrat, maßgeblichen 1949), S. 269. Im Dienstboten- oder Gesinderecht galten bis 1918 zahlreiche Spezialbestimmungen. 62 Umfassend hierzu Otto (wie Anm. 1), S. 594–597. 63 Kurt Wolzendorff, Vom deutschen Staat und seinem Recht, Leipzig 1917; ders., Der Polizeigedanke des modernen Staates, Breslau 1918; ders., Die Universität in der Demokratie, Frankfurt a. M. 1919. 64 Kurt Wolzendorff, Die Lüge des Völkerrechts. Der Krieg als Rechts-Institution und das Problem des Völkerbundes im Gedankensystem des Völkerrechts, Leipzig o. J. [1920]; ders. Deutsches Völkerrechtsdenken. Eine Erinnerung an die rechtlichpolitische Ideologie vor hundert Jahren, München 1919. 65 Wolzendorff an Schücking, „Kgsbg., 24.11.18“; ULB Münster, Teilnachlaß Schücking, S.065: „[. . .] mein Gott, wenn doch dieser Smend woanders hinkönnte und wir beide zusammen in Bonn wirken könnten!“ Tatsächlich blieb Smend bis 1922 in Bonn.
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Anteil.66 Das Engagement zugunsten der Arbeiter- und Soldatenräte hatte sich ausgezahlt. Wolzendorff war endlich Ordinarius. Zudem war Berlin, das politische Kraftzentrum des Reichs, von Halle nicht weit; auch Walther Schücking hatte sich für die Loening-Nachfolge interessiert.67 Doch auch Halle war keine attraktive Universität,68 die Stadt stand im Schatten von Leipzig und Berlin, die ausgesprochene Industriestadt mit ihrer nur bedingt abwechslungsreichen Umgebung war als Wohnsitz nicht begehrt.69 Die Diskrepanz zu Wolzendorffs Heimat, der idyllisch gelegenen Kur- und Beamtenstadt Wiesbaden, war erheblich. Neue private Schwierigkeiten, etwa in der Wohnungsfrage kamen hinzu; schließlich fanden die Eheleute eine Wohnung südlich der Franckeschen Stiftungen (Gräfestraße 20). Wolzendorff hielt aber auch einen Vortrag in Wiesbaden und wurde zu den ersten Beratungen zur Kodifikation des preußischen Polizeirechts70 ebenso hinzugezogen wie über eine Kodifikation des Arbeitsrechts im Reichsarbeitsministerium.71 Diese Geschäftigkeit, die auch den Zeitgenossen auffiel,72 kontrastierte jedoch mit der eigenen Wahrnehmung. Wolzendorff fühlte sich unbeachtet. Die zeitaufwendige, aber letztlich unproduktive Gremienarbeit mag ein Übriges getan haben. Aus heutiger Sicht unerwartet war die 66
So auch Schücking (wie Anm. 44), S. 286. Morgenstern (wie Anm. 14), S. 373, mit weiteren, auch unveröffentlichten, Nachweisen. Demnach war Schücking von dem preußischen Unterstaatssekretär (später Kultusminister) Carl Heinrich Becker die Loening-Nachfolge angeboten worden, die Schücking aber ablehnte. Offenbar gelang ihm aber eine „Rochade“ zugunsten seines Schülers Wolzendorff. Bei Morgenstern a. a. O. auch interessante Hinweise auf die Beteiligung von Anschütz an der ganzen Berufungsangelegenheit („Ich schwärme absolut nicht für Sch., möchte aber meinen, daß von manchen jetzt mächtigen Seiten ein gewisser Druck ausgeübt wird, ihn an die erste oder eine der ersten Stellen Preußens zu bringen.“). 68 Zur Fakultät: Rolf Lieberwirth, Der Lehrkörper der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zwischen den beiden Weltkriegen, in: Walter Pauly (Hrsg.), Hallesche Rechtsgelehrte jüdischer Herkunft, Köln usw. 1996, S. 11–32 (nur denkbar knapp zu Wolzendorff). 69 Vgl. auch die Schreiben von Schücking an seine Ehefrau, abgedruckt bei Morgenstern (wie Anm. 14), S. 373; Halle sei „wissenschaftlich nicht mehr als Marburg“, „eine langweilige Großstadt“, es gebe „sehr schlechte Luft“. 70 Stefan Naas, Die Entstehung des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes von 1931. Ein Beitrag zur Geschichte des Polizeirechts in der Weimarer Republik, Tübingen 2005, 32 f. Zu Wolzendorff als Polizeirechtler vom geltenden Recht her etwa Norbert Achterberg, Öffentliche Ordnung im freiheitlichen Staat. Analytische Bemerkungen zu einem Grundbegriff des Polizei- und Ordnungsrechts (1973), in: ders., Theorie und Dogmatik des Öffentlichen Rechts. Ausgewählte Abhandlungen 1960–1980, Berlin 1980, S. 536–589 (S. 546, 557). 71 Vgl. Bohle und Kaiser (beide wie Anm. 17) mit den angegebenen Nachweisen. 72 Exemplarisch nur: Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden, Bd. 20, Leipzig 1935, S. 450. 67
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Klage Wolzendorffs über den pazifistischen Opportunismus zahlreicher völkerrechtlicher Kollegen, die nun den Völkerbund entdeckten, vor 1918 aber den wilhelminischen Machtstaat verteidigt hätten.73 Carl Schmitt gehörte nicht zu den von Wolzendorff kritisierten Juristen, tatsächlich hatte sich Schmitt 1920 noch gar nicht völkerrechtlich positioniert. Doch Wolzendorff zählte zu den Lesern der „Politischen Romantik“, die er 1920 in seiner Abhandlung „Der reine Staat“ als „feinsinnige und tiefgreifende Studie“ zitiert,74 zudem „Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen“.75 Carl Schmitt war zu diesem Zeitpunkt Straßburger Privatdozent und seit August 1919 „hauptamtlicher Dozent“ an der Handelshochschule München.76 Seit Februar 1915 war er mit Paula Dorotic´ („Cari“) verheiratet;77 das Ehepaar wohnte in der Münchener Schraudolphstraße 5 nahe den Pinakotheken. Schmitt veröffentlichte als „Carl SchmittDorotic´“, eine pseudonyme Namensführung, denn der Familienname des Ehepaares war eigentlich „Schmitt“. Auch Wolzendorff schrieb einmal an den „sehr verehrten Herrn Schmitt-Dorotic´“. Spätestens seit 1919 befand sich Schmitts Ehe in einer Krise.78 Seit Frühjahr 1920 wurde gegen Cari staatsanwaltlich ermittelt; Schmitt begann nicht nur an der vermeintlich adeligen Herkunft seiner Frau, einer Hochstaplerin, zu zweifeln. Im Herbst 1920 war die Ehe wohl bereits gescheitert. Zudem war Schmitts Zukunft an der Handelshochschule unsicher; er bemühte sich erfolglos um einen Lehrauftrag an der Münchner Universität und besuchte auch seinen langjährigen Förderer Hugo am Zehnhoff in Berlin.79 Etwa gleichzeitig schrieb er erstmals an Wolzendorff. Anlass war offensichtlich der gerade erschienene „Reine Staat“, zu dessen Lesern Schmitt gehörte. Rückblickend schrieb Schmitt 1927 in seinem Tagebuch von einer „unglücklichen Zeit“ in München, insbesondere da seine erste Ehe zerbrach.80 Der Briefwechsel zwischen Schmitt und Wolzendorff fällt ausschließlich in diese „unglückliche Zeit“. Über die Jahre von 1916 bis 1922 sind nur wenige Quellen in Schmitts Nachlass erhalten. Die Wolzendorff-Briefe gehören dazu. Nach der akademischen Etikette stand Wolzendorff als ordentlicher Professor über dem hauptamtlichen Dozenten Schmitt; in den Brie73 Kritisiert wurden Theodor Niemeyer, Heinrich Pohl und Max Fleischmann; dazu eingehend, auch anhand ungedruckter Quellen, Otto (wie Anm. 1), S. 598. 74 Wolzendorff (wie Anm. 19), S. 223. 75 Wolzendorff (wie Anm. 19), S. 228. 76 Mehring (wie Anm. 4), S. 115. 77 Mehring (wie Anm. 4), S. 75. 78 Mehring (wie Anm. 4), S. 105. 79 Hier und folgend nach Mehring (wie Anm. 4), S. 119. 80 Mehring (wie Anm. 4), S. 116.
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fen ist von einer fehlenden Gleichrangigkeit nichts zu bemerken. Der Briefwechsel ist trotz seiner zeitlichen Kürze sehr intensiv und eng. Er fällt durch einen starken Bezug zum aufmerksam studierten Werk des jeweiligen Briefpartners auf, bei Wolzendorff kommen Klagen über die fehlende Wahrnehmung hinzu. Das Interesse an der von beiden abgelehnten „politischen Romantik“ verbindet. Das kollegiale Umfeld wird ausdrücklich einbezogen. Beide führen über Gustav Radbruch Klage, Wolzendorff macht seinen Kollegen Koellreutter, den er realistisch für „kein Genie“ hält, auf Schmitt aufmerksam und begründet damit einen Kontakt, der mit verschiedenen Höhen und Tiefen lange nach 1945 dauern wird. Das familiäre Umfeld bleibt weitgehend unberücksichtigt, auch wenn Wolzendorffs Frau gelegentlich Erwähnung findet. Angesichts des Zustands von Schmitts Ehe überrascht ein Aussparen aber nicht. Ausdrückliche Erwähnung findet die künstlerische Betätigung Wolzendorffs. Beendet wird die durch großes wechselseitiges Einvernehmen gekennzeichnete Korrespondenz abrupt; am 21. März 1921 stirbt Wolzendorff an einem grippalen Infekt in Halle. Insgesamt zeichnet den Briefwechsel eine gewisse Melancholie und eine große Vertraulichkeit aus. Daß sich die Briefpartner persönlich begegneten, ist eher unwahrscheinlich; allerdings suchte Schmitt am 30. Juli 1922 die Witwe Elise Wolzendorff in Bonn auf.81 Der Briefwechsel ist nur einseitig überliefert. Ein Nachlass Wolzendorffs ist unbekannt. Wolzendorff hatte weder Nachkommen noch Geschwister, die Mutter war lange vor ihm gestorben, der Vater 1926 in Wiesbaden. Die Witwe verstarb 1935 in einem Wuppertaler Krankenhaus. Das Familiengrab auf dem Wiesbadener Nordfriedhof wurde 1978 ohne Hinweis auf Angehörige aufgelöst.82 Die Suche nach dem Nachlass könnte zu Hugo Sinzheimer führen, der 1931 im Sonderheft der „Justiz“ ein nachgelassenes Manuskript Wolzendorffs veröffentlichte.83 Der Nachlass Sinzheimers führt zu seiner Tochter, der New Yorker Richterin Gertrud Mainzer (1914–2010);84 die Wahrscheinlichkeit, dort 81 Tagebuch Carl Schmitt, 30. Juli 1922; für die freundlich gewährte Einsicht danke ich Herrn Dr. Gerd Giesler, Berlin. Warum sich Frau Wolzendorff in Bonn aufhielt, ist nicht ersichtlich; Schmitt suchte die „große, blonde, stattliche Frau“ in der Bonner Joachimstraße auf und telefonierte vorher mit ihr. Sie erzählte von den Umständen des Todes von Wolzendorff und beklagte sich, „daß sein Name nicht mehr genannt werde von dem Handbuch der Staatswissenschaften usw . . .“. 82 Auskunft vom 12. Juli 2012; Landeshauptstadt Wiesbaden – Der Magistrat – Amt für Grünflächen, Landwirtschaft und Forsten. 83 Kurt Wolzendorff, Soziales Recht und Demokratie. Aus dem Nachlass herausgegeben von Hugo Sinzheimer, in: Die Justiz 6, 1931, S. 292–306. 84 Mit diesem Nachlass arbeitete offenbar: Keiji Kubo, Hugo Sinzheimer – Vater des deutschen Arbeitsrechts. Eine Biographie, Frankfurt a. M. 1995, etwa S. 60 f. Rückschlüsse womöglich auch in der nach dem Ersten Weltkrieg an die Handelshochschule Tokyo verkauften Privatbibliothek Otto von Gierkes.
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Korrespondenz von Wolzendorff, insbesondere an Schmitt, zu finden, dürfte nicht allzu hoch sein, sollte aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Insgesamt ist der fragmentarische Briefwechsel Schmitt-Wolzendorff ein beachtenswertes Dokument eines Kapitels deutscher Staatsrechtslehre in einer Umbruchzeit. Schmitt schreibt gerade seine „Diktatur“, die er Wolzendorff zu lesen gibt; beide fühlen sich wechselseitig durch das Werk des anderen bestätigt. Schmitt würdigt die Bedeutung Wolzendorffs auf seine Weise; ein Kapitel der „Politischen Theologie“ handelt zu großen Teilen von Wolzendorff und kann als ein persönlicher Nachruf betrachtet werden. Für Schmitt war Wolzendorff ein wichtiger Vertreter der genossenschaftlichen Staatstheorie. Die Wirkung Gierkes auf Schmitt darf nicht unterschätzt werden. Auf die besondere Bedeutung Wolzendorffs für ein Öffentliches Recht, das sich soziologischen Methodenfragen öffnet, hat Peter Badura 1967 hingewiesen;85 in manchem scheint hier die „geisteswissenschaftliche Richtung“ der Staatsrechtslehre vorweggenommen. Die Wolzendorff-Rezeption blieb keineswegs auf Schmitt beschränkt. Der Völkerrechtler Herbert Vorwerk bezeichnete sich als sein Schüler,86 wenn er auch formell einer der Doktoranden von Walther Schücking war;87 er starb als Gerichtsassessor unmittelbar vor seiner Marburger Habilitation am 14. Januar 1922.88 Ein besonderes Verhältnis, das ebenfalls auf die Marburger Zeit zurückging, verband Wolzendorff mit dem späteren Kieler Oberlandesgerichtsrat Rudolf Bovensiepen (1877–1947).89 Aus Halle stammte Wilhelm Kottler,90 der bei Wolzendorffs Tod sein Studium noch nicht abgeschlossen hatte. Für die Intensität der Freundschaft des Rechtskandidaten zu Wolzen85 Peter Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates. Methodische Überlegungen zur Entstehung des wissenschaftlichen Verwaltungsrechts, Göttingen 1967, S. 58. 86 Ausdrücklich in: Herbert Vorwerk, Rez. Kurt Wolzendorff, Die Lüge des Völkerrechts, in: Zeitschrift für Völkerrecht 12, 1923, S. 231–234 (dort S. 231: „mein hochgeschätzter Lehrer“). 87 Herbert Vorwerk, Die seekriegsrechtliche Bedeutung von Flottenstützpunkten, Marburg 1921. 88 Herbert Vorwerk, Walter Schücking, ein deutscher Völkerrechtslehrer, in: Nord und Süd 1920 (Kopie im Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Hans Wehberg NL 199/80). Für den freundlichen Hinweis danke ich Herrn Dr. Ulf Morgenstern, Aumühle-Friedrichsruh. 89 Rudolf Bovensiepen, Wolzendorffs Bedeutung für die Staatsrechtswissenschaft und seine Stellung in ihr, in: Die Justiz 6, 1931, S. 315–322. Zu Bovensiepen, der von 1895 bis 1898 in Marburg studierte und von 1920 bis 1933 OLG-Rat in Kiel war, vgl. Werner Schubert, Der Kieler Oberlandesgerichtsrat Rudolf Bovensiepen (1877–1947) – Rechtsreformer und Demokrat –, in: ders., Zur Geschichte der Justizverfassung in Schleswig-Holstein. Quellen und Studien, Frankfurt a. M. usw. 2012, S. 271–290 (zu Wolzendorff etwa S. 273).
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dorff spricht Kottlers Brief an Schmitt, der das Sterben Wolzendorffs anrührend beschreibt. Kottler hatte Schmitt auch um Hilfe bei der Promotion gebeten. Die Reaktion von Schmitt ist nicht überliefert. Jedenfalls wurde Kottler nicht von Schmitt, sondern von dem Leipziger Öffentlichrechtler Richard Schmidt betreut. Zu dessen Schülern gehörte auch Hermann Jahrreiss, in dessen völkerrechtlicher Habilitation von 1924 Wolzendorffs Standpunkt zum Versailler Vertrag ein eigenes Kapitel gewidmet war;91 auch sonst hatte Jahrreiss nicht mit durchweg positiven Verweisen auf die von Schmitt geschätzte „Lüge des Völkerrechts“ gespart.92 Kottlers 1925 in Buchform erschienene Dissertation handelte dagegen vom Rätegedanken in der englischen Revolution.93 Tatsächlich war Richard Schmidt für das englische Staatsrecht besonders ausgewiesen,94 womöglich war sein ebenfalls am englischen Recht interessierter Schüler Otto Koellreutter, vielleicht auf Hinweis von Schmitt, an der Vermittlung Kottlers beteiligt. 1929 entstand bei Richard Schmidt eine Arbeit, die Kottlers Arbeit inhaltlich fortschrieb, ebenfalls mit Bezügen zu Wolzendorff.95 Die Leipziger Habilitation des nationalsozialistischen Juristen und Wissenschaftspolitikers Paul Ritterbusch,96 mit dessen Bruder Schmitt nach 1945 in Kontakt stand, ist somit auch ein Stück Wolzendorff-Rezeption. Wolzendorff als antipositivistischer Impulsgeber ist noch ein Desiderat der Forschung, nicht nur was Carl Schmitt betrifft. 90 Wilhelm Walter Kottler, geboren 1897 Aschersleben, Gymnasium der Franckeschen Stiftungen Halle, 1914 Notabitur, Heeresdienst; nach dem Krieg Jurastudium in Halle, Promotion zum Dr. iur. bei Richard Schmidt (s. u.) 1925 in Leipzig; Wirtschaftsjurist, Geschäftsführer der Eisen-Stahl- und Blechwarenindustrie Schmalkalden, Zweigstellenleiter der Gauwirtschaftskammer, am 23. Februar 1945 bei einem Bombenangriff auf Meiningen verstorben. Seine zweite Ehefrau (seit 1942), die Juristin Dr. Liselotte Kottler geborene Schirmer (1909–2003), war von 1948 bis 2006 Notarin in Schmalkalden. Vgl. auch Klaus W. Slapnicar, Liselotte Kottler (1909–2003) – Deutschlands längstens praktizierende Anwaltsnotarin, in: NJ 2004, S. 497 f. 91 Hermann Jahrreiss, Das Problem der rechtlichen Liquidation des Weltkriegs für Deutschland, Leipzig 1924. 92 Etwa Jahrreis (wie Anm. 91), S. 7 (ausdrückliche Übernahme des Begriffs „Lüge“). 93 Wilhelm Kottler, Der Rätegedanke als Staatsgedanke. I. Teil: Demokratie und Rätegedanke in der englischen Revolution, Leipzig 1925. Zu Wolzendorff: etwa S. 5. Zu Schmitt (noch als Schmitt-Dorotic´!) etwa S. 80. 94 Richard Schmidt, Der Volkswille als realer Faktor des Verfassungslebens und Daniel Defoe, Leipzig 1924, S. 97–98. Zu Richard Schmidt etwa Thomas Duve, Normativität und Empirie in der Politikwissenschaft um 1900, Ebelsbach 1998. 95 Paul Ritterbusch, Parlamentssouveränität und Volkssouveränität in der Staatsund Verfassunsgrechtslehre Englands, vornehmlich in der Staatslehre Daniel Defoes. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der englischen Repräsentativ-Verfassung, Leipzig 1929. Zu Kottler: S. 137 f. Zu Wolzendorff: S. 27. 96 Vgl. Martin Otto, in: NDB 21, 2003, S. 668–670.
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Kurt Wolzendorff/Carl Schmitt
Briefe 1. Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-18421
Halle/S., den 6. Sept. 1920 Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt, haben Sie herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilen. Ich freue mich, wenn Sie meine Arbeit97 überhaupt lesen. Dann hat sie wenigstens ein deutscher Staatsrechtslehrer gelesen. Abgelehnt wird sie allgemein werden. Darauf war ich gefaßt. Aber leider erkenne ich jetzt, daß sie nicht gelesen wird und daher nicht einmal eine fruchtbare Diskussion herauskommt. Hätte ich dieselben Gedanken auf 300 Seiten auseinandergezerrt, statt sie auf 30 zusammenzudrängen, wäre es anders. Mit den besten Wünschen für das Fortschreiten Ihrer Arbeit,98 auf die ich sehr gespannt bin und den besten Grüßen Herzlichst Ihr ergebenster Wolzendorff
2. Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt LAW NW, Abt. Rheinland, RW 265-18422
Halle/S., den 3. Januar 1921 Gräfestr. 20. Mein sehr verehrter und lieber Herr Schmitt, von ganzem Herzen danke ich Ihnen für Ihren Brief. Sie haben mir damit eine große Freude gemacht. Leider war es die einzige Freude seit Wochen und daher kann ich Ihnen auch nicht recht antworten: ich bin ganz furchtbar zerdrückt von Not und Sorgen und kleinlichem äußeren Kampf ums Lebens. In mir eine Welt lebendigen Geistes, und von außen ein zermalmender Druck grauen Elends darauf! Das Vertrauen, mit dem ich Ihnen offen von meinem Zustand gesprochen habe, möge Ihnen zeigen, wie sehr mich die Menschlichkeit Ihres Briefes berührt hat. Und wenn Sie noch sehen wollen, wie stark ich an Ihrer wissenschaftlichen Arbeit Anteil nehme, dann sehen Sie im zweiten Mor97 98
Wolzendorff, Der reine Staat (wie Anm. 19). Carl Schmitt, Die Diktatur, München/Leipzig 1921.
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genblatt der Frankfurter Zeitung vom 1. Januar99 nach, wie ich versucht habe, die breiteste Öffentlichkeit auf ihr Wirken aufmerksam zu machen. Da mein Kopf und Herz zu bedrückt sind zum Schreiben, darf ich statt dessen ein paar gedruckte Persönlichkeitsäußerungen beilegen? Und mich im übrigen damit begnügen, Ihnen meine aufrichtigsten Wünschen zum neuen Jahre zu senden. Ihre Antitheses: „reiner Staat“ – Diktatur leuchtet mir sehr ein. Sie ist von einer Vielseitigkeit, die sich erst bei näherem Durchdenken wird erfassen lassen. Deshalb wird sie sicher für die Erkenntnis des Problems Staat sehr instruktiv sein. Sehr dankbar wäre ich, wenn Sie meiner Neugierde auf Ihr Werk schon bei der Drucklegung Genüge tun wollten, durch Übersendung von Korrekturabzügen. Oder finden Sie die Bitte ungehörig? In bekannter Gesinnung mit herzlichen Grüßen Ihr aufrichtig ergebener Kurt Wolzendorff
3. Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt LAW NW, Abt. Rheinland, RW 265-18423
Dr. Kurt Wolzendorff o.ö. Professor der Rechte Halle/S., den 9. Januar 1921 Gräfestr. 20 Sehr verehrter, lieber Herr Dr. Schmitt, ehrlichsten, innigsten Dank für Ihren Brief. Der gute Wille, aus dem er entspringt, ist damit auch schon erfüllt. Ich brauche Ihnen das ja gar nicht erst zu sagen, denn Ihre Worte beweisen zu deutlich, daß Sie es fühlen! Für diesen Brief werde ich Ihnen immer dankbar sein; sowohl für die menschlichen Sätze, die er mir in einer Zeit tiefer Niedergeschlagenheit gibt, als auch für den geistigen Zuspruch zu meiner wissenschaftlichen Arbeit. Mein Zustand ist ja merkwürdig und nicht leicht zu verstehen. Aber Sie scheinen ihn doch ganz verstanden zu haben: ein Verzagen in geistiger und moralischer Hinsicht an meinem Streben kenne ich nicht, aber ich kann furchtbar leiden unter einem wehen Gefühl der Traurigkeit, das trübe und bittere Erlebnisse über mich gießen. Und da ist beinahe das Traurigste, daß ich 99 Kurt Wolzendorff, Politische Romantik, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, Zweite Morgenausgabe vom 1. Januar 1921 (siehe Materialien).
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meine Kraft an die Überwindung kleinlicher Dinge verzetteln muß, die mir erspart hätten bleiben können, wenn ich hier (vor allem in der Wohnungsfrage100) etwas wohlwollende tätige Hilfe von den Kollegen und der Universitätsbehörde erfahren hätte. Ich würde ja alles ertragen können, wenn ich nur Zeit und Möglichkeit hätte, meinen inneren Arbeitsdrang auszuwirken. Ich habe endlose angerissene wissenschaftliche Probleme, ungezählte halbfertige Zeichnungen (denn in der Kunst liegt wohl meine wirkliche Schaffenskraft) und kann die erkannten und erfühlten Probleme nicht zur Ausarbeitung bringen. Das ist furchtbar quälend. Ich lasse mich davon nicht unterkriegen. Da haben Sie recht. Aber es ist in dem Kampf, den man dadurch dauernd bestehen muß, eine wundersame Erquickung und Stärkung, einmal solchen Zuspruch zu erhalten, wie den Ihrigen. Darum doppelt Dank! Auf Ihre Arbeit freue ich mich sehr. Ihre Zweifel sind nur die Zeichen echten wissenschaftlichen Geistes. Ein Mensch wird nie dahinkommen, daß er innehält und sieht, was er gemacht hatte, und „es war alles gut“.101 Wir müssen uns schon mal mit dem „immer strebend sich bemühen“102 begnügen. Kein größeres Armutszeugnis für einen Menschen, als „zufrieden“ sein mit seinem geistig Erarbeitetem; ob mans Banausentum oder Pharisäertum nennt, ist eins. Dann gehörte kein Mut zum geistigen Streben, wenn man das Ziel erreichbar wüßte. Es ist schon so: „Und setzet Ihr nicht das Leben ein . . .“103 Nochmals herzlichsten Dank! Und die besten Wünsche und Grüße von Ihrem ergebensten K. Wolzendorff 100 Wolzendorff wohnte in Halle zunächst in der Händelstraße (am Rande des bürgerlichen Paulusviertels), ab 1920 in der Gräfestraße (in der kleinbürgerlichen südlichen Innenstadt). Die Wohnungsfrage ist ein ständiges Thema in Briefen, auch an Walther Schücking; womöglich machte der schlechte Gesundheitszustand von Wolzendorffs Ehefrau die Suche nach einer geeigneten Wohnung zu einem sensiblen Thema. 101 Joseph von Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts (Berlin 1826), Schlusskapitel 10 (im Original allerdings „alles, alles gut.“). Dort bereits eine Anspielung auf 1 Mos. 1,31: „Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut.“ 102 Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie zweiter Teil (1832), Fünfter Akt (Faustens Errettung), Chor der Engel: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ 103 Friedrich Schiller, Wallensteins Lager (1798), abschließender Chorgesang (Reiterlied), Schlussworte; „und setzet ihr nicht das Leben ein/nie wird euch das Leben gewonnen sein.“ Bekannt auch durch eine damals vielgesungene Vertonung von Christian Jakob Zahn (1765–1830). Zu der besonderen Bedeutung dieses Zitates bei Constantin Frantz vgl. Meuter/Otten (wie Anm. 20), S. 163.
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4. Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-18424
Dr. Kurt Wolzendorff o. ö. Professor der Rechte Halle/S., den 15. Januar 1921 Gräfestr. 20 Lieber, sehr verehrter Herr Schmitt-Dorotic´, verzeihen Sie bitte Kürze und Formlosigkeit. Seit Wochen schon so mit Arbeit belastet, daß kein Tag weniger als 14 Arbeitsstunden hat, bin ich jetzt ganz wehrlos geworden, weil ich seit einigen Tagen auch ohne Schreibkraft bin. Da kann ich einfach nicht die innere Sammlung aufbringen, die nötig ist, um Ihnen auszudrücken, wie sehr Sie mich durch Ihre Sendungen erfreut haben. Denn Ihre Arbeit ist mir ein wissenschaftlicher Genuß, wie ich ihn selten empfunden habe. Ihr Brief aber ist mir augenblicklich doch noch mehr wert, weil er mir Menschliches gibt, das ich noch seltener empfunden habe. Doch kann ich das jetzt nicht so sagen, wie es meinem Empfinden entspricht, mein Geist ist zur Zeit gehetzt. Nehmen Sie daher bitte einstweilen nur als äußeres Zeichen meines Dankes diese sofortige Benachrichtigung und den Abdruck einer eben angekommenen Besprechung nebst ein paar anderen literarischen Kleinigkeiten – und die herzlichsten Grüße Ihres aufrichtig dankbaren und ehrlich ergebenen Wolzendorff. 5. Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt [Ansichtskarte („Hallische Heimatkarten“), Motiv: Hofseiten des Stiftspalastes (Universität) neben der Domkirche, später herzogliche Residenz, Aufnahme von Dr.-Ing. Herberg, Halle; Poststempel: „Halle (Saale) 2 31.1.21“] LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-8425
Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt, es ist mir so arg, daß ich Ihnen immer noch nicht ausführlicher auf die Zusendung Ihres Werkes und Ihren letzten guten Brief antworten konnte. Dann möchte ich Ihnen wenigstens nur mit zwei Worten sagen, daß die Gründe äußerer Behinderung, von denen ich Ihnen schrieb, leider nicht nur unverändert, sondern sogar verstärkt fortdauern. Haben Sie also bitte Geduld und Nachsicht mit mir und zweifeln Sie nicht an meinem guten Willen. Und eine Bitte noch: wenn Ihr Werk erscheint, sparen Sie hoffentlich ein kostbares Dedikationsexemplar an mich. Ich hoffe ein Rezensionsexemplar zu ergattern. Andernfalls würde ich Sie doch um ein Rezensionsexemplar bitten. Mit besten Grüßen aufrichtigst Ihr ergebener Wolzendorff
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6. Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt
LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-18426104
Dr. Kurt Wolzendorff o. ö. Professor der Rechte Halle/S., den 6.2.21 Gräfestr. 20 Sehr verehrter, lieber Herr Dr. Schmitt, Sie bringen mich in immer schwierigere Lagen. Erst muß ich mich damit abfinden, daß der Zeitmangel es mir unmöglich macht, auf Ihre guten Worte und die Bekanntgabe Ihres Buches in der Korrektur entsprechend zu antworten. Und nun, da mich mein Empfinden zwingt, nach Empfang Ihrer Dedikation und Ihres neuen Briefes den Zeitmangel fortzujagen, um Ihnen mein freudiges und dankbares Empfinden auszudrücken – – da weiß ich nicht, wie ich es soll und sitze erst recht dumm da. Denn so sehr läßt sich der Zeitmangel nicht wegjagen, daß ich dadurch die Möglichkeit gewönne, das zu tun, was meinem Empfinden am meisten entspräche: ihnen eine kleine Zeichnung zu machen. Nehmen Sie dann wenigstens eine kleine wissenschaftliche Arbeit, deren Dedikation dadurch eine gewisse Persönlichkeit haben mag, daß diese Arbeit an niemanden (außer meinem Vater und ein paar Freunde) stereotyp „verschickt“ worden ist. Worte habe ich nicht für das eigentümliche Gefühl der Wärme, des Geliebtseins und des Erklingens eines Losungswortes für den sonst jeden Zuspruch entbehrenden und daher etwas verbitterten Mut zum Weiterstreben!, für das Empfinden, das Sie mir durch Dedikation und Brief geschenkt haben! Und nun gleich das zu sagen: den Mut zu verlieren, das ist nicht meine Sache. Nicht unterkriegen lassen von Kleinlichkeit und Hämischkeit, auch nicht. Aber ich leide sehr unter Häßlichem. Es tut mir weh, mehr wie anderen Menschen. Und ich bin kein Mensch, der sich im Gefühl tragischen Schicksals richtig drapieren kann; schon weil ich zu gute Augen habe, um Elendes mit Großem, winkelige Schmutzigkeit und Dunkelheit mit der reinen Wirkung einer Gewitterwolke zu verwechseln. Ich liebe das Licht und die Sonne und die Freude. Deshalb leide ich in Nebel und Staub und unter dem Andringen des Ärgers. Deshalb kann ich aber auch so einen einzigen warmen lichten Sonnenstrahl, wie Sie sie schon so oft in mein hiesiges Win104 Diesen Brief erwähnte Schmitt gegenüber Ernst Forsthoff und gab ihn im Herbst 1959 an Forsthoff, der davon eine Kopie anfertigte, wohl wegen der ausdrücklichen Radbruch-Kritik; vgl. Dorothee Mußgnug/Reinhard Mußgnug/Angela Reinthal (Hrsg.), Briefwechsel Ernst Forsthoff – Carl Schmitt (1926–1974), Berlin 2007, S. 150–154 sowie S. 429; bereits 1932 hatte Schmitt Forsthoff die Lektüre von Wolzendorffs „Staatsrecht und Naturrecht“ empfohlen (ebd., S. 41).
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keldasein haben dringen lassen, als eine gewaltige Wohltat empfinden. Er leuchtet lange dauernd und alles andere durchdringend um mich her. Und es macht nichts, daß ich weiß, die Dinge sehen im grauen Alltag anders aus als im jauchzenden Sonnenschein. Wenn ich deshalb auch zehnmal weiß, daß das, was Ihrer dedicatio folgt, nicht wahr ist (denn allenfalls könnte ein bißchen wahres dann daran sein, wenn sich im deutschen Geistesleben jemand um meine Schriften kümmerte, was doch niemand tut), so ist es doch schön und gut, und ich habe Freude daran. Schließlich kann man ja vielleicht auch darüber streiten, ob das wahre Angesicht der irdischen Wirklichkeit das des grauen deutschen Durchschnittstages ist oder das der „Sonne Homers.“ Und mir solls auch gleich sein, denn jedenfalls: „. . . sie leuchtet auch uns.“105 Mit Radbruch106 sind Sie, glaube ich, falsch im Bilde. Er tut, als ob er nichts glaubt, weil er zuviel glaubt, nämlich alles, was sein labiles Ressentiment ihn glauben macht. Wesenszug: feminin; große Güte und große Schwäche, die ersterer manchmal wunderliche Handlungen abgewinnt. Psychisch wesentlich aesthetisch bestimmt. Aesthetik aber ohne sichere Fundierung in Kultur; die jüdische Kultur ist verloren,107 für andere fehlt die Tradition. Vielleicht Künstlernatur mit künstlerischer Impotenz. Pathos sogar stark vorhanden, aber nicht unmittelbar seelisch gewachsen, sondern aesthetisch reflektierend auf Eindrücke. Besonders typisch daher ein anscheinend hemmungsloser Drang zu romantischer Betätigung einer nur selbstverantwortlichen Moral (Neigung z. B. gesellschaftlich unmögliche Frauen zu heiraten108), aber „Kneifen“ vor dem geringsten äußeren (gesellschaftlichen) Widerstand in der Überzeugung heroischen Märtyrerleidens, während das kleinste bißchen Energie die Widerstände beseitigt, aber damit auch das schöne Martyrium. Kein Mephisto, noch weniger ein Faust, ein ganz harmloser (auch gänzlich unpolitischer) Spießbürger, der sich wonnig als „Schwabinger“109 fühlt, ohne des105 Friedrich Schiller, Der Spaziergang (Elegie) (1795), Schluss: „Und die Sonne Homers, siehe! Sie lächelt auch uns.“ 106 Gustav Radbruch war zu diesem Zeitpunkt Professor in Kiel; Wolzendorff kannte ihn wahrscheinlich aus Heidelberg über Karl von Lilienthal. Vgl. auch Martin Otto, Parteienlehre und demokratischer Rechtsstaat, in: Walter Pauly (Hrsg.), Rechts- und Staatsphilosophie des Relativismus, Baden-Baden 2011, S. 129–148. 107 Offenbar hielt Wolzendorff „Radbruch“ für einen jüdischen Familiennamen. 108 Radbruch hatte 1907 in Heidelberg die 1887 geborene Lehrertochter Lina Götz geheiratet; die Ehe fällt in die Zeit von Wolzendorffs Teilnahme am JellinekSeminar. Die Ehe wurde 1913 geschieden. 1915 heiratete er in Charlottenburg die bereits einmal geschiedene ostpreußische Gutsbesitzertochter Lydia Schenk (1888–1974), mit der er bereits die Tochter Renate (1915–1939) hatte. Vgl. Günter Spendel in: NDB 21, 2003, S. 83–86. 109 Radbruch hatte ab 1898 in München studiert. Spätere längere Aufenthalte lassen sich nicht belegen, doch ging es Wolzendorff wohl eher um die Beschreibung eines Typs. Beide gehörten von 1917 bis 1919 auch der Königsberger Fakultät an.
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halb sich zu überheben und für ein Genie zu halten. Ein Mensch, den man gern haben muß als Menschen, der aber als Geist langweilig ist. – Alles natürlich unter dem Maßstab nur, daß er immerhin ein über die Masse der Professoren herausragender ist. – Charakteristisch allein doch schon für den Menschen, daß er plötzlich so überzeugter Sozialist ist, um politisch dafür zu wirken,110 aber noch nicht einmal etwas von einem Arbeitsrecht weiß! Sehr gespannt bin ich auf Ihre Arbeit. Ich selbst habe leider noch immer keine Zeit gefunden, mich mit Krabbe111 bekannt zu machen. Nach München käme ich ebenso gerne einmal wie meine Frau. Unser beider Nerven könnten sich da stärken. Wenn nur nicht der Nerv so schwach wäre. . . Nun nochmals innigen Dank für Freundschaft u. Güte! Herzlichst Ihr Kurt Wolzendorff
7. Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-18427
Kurt Wolzendorff o. ö. Professor der Rechte Halle/S., den 17. Feb. 1921 Gräfestr. 20 Mein lieber Herr Schmitt, es ist immer wieder die gleiche Qual: ich möchte Ihnen so gerne recht, recht ausführlich schreiben, fast zu jeder Seite Ihres Buches (das ich immer 110 Holger Otte, Gustav Radbruchs Kieler Jahre 1919–1926, Frankfurt a. M. usw. 1982; Otto (wie Anm. 106), S. 135 ff. 111 Hugo Krabbe, niederländischer Jurist; geboren 1857 in Leiden; Pfarrerssohn, Studium in Leiden, Schüler des liberalen Politikers und Staatsrechtlers Johannes Theodor Buys (1826–1893), 1883 Dr. iur. mit einer beamtenrechtlichen Arbeit; zunächst in einzelnen Provinzialverwaltungen und im Innenministerium, ab 1894 Professor für Staatsrecht in Groningen, ab 1908 in Leiden; zahlreiche Veröffentlichungen zur Staatstheorie auch auf Deutsch, die meist rezipierte davon „Die Lehre der Rechtssouveränität. Beitrag zur Staatslehre“ (Groningen 1906), in dem die Staatensouveränität wegen ihrer Grundlage in der Fürstensouveränität abgelehnt wurde. Schmitt rechnete Krabbe zu den Vertretern der Genossenschaftstheorie, tatsächlich wurde er auch von dem Gierke-Schüler Hugo Preuß rezipiert. Gestorben 1936 in Leiden. Vgl. W. M. Peletier, in: Biografisch Woordenboek van Nederland 1, Den Haag 1979; ferner Dian Schefold, Einleitung, in: Hugo Preuß, Gesammelte Schriften, Bd. 2: Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie im Kaiserreich, Tübingen 2009, S. 1–76 (S. 55 f.) und Schönberger (wie Anm. 35), S. 235 f., 381 u. ö.
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nur stückweise lesen kann) möchte ich meine Meinung mit Ihnen austauschen, es ist ja so unglaublich interessant. Aber es geht doch einfach nicht. Ich wollte Ihnen nur kurz danken für Ihren Brief v. 11.2.21. Daß Ihnen meine Schrift aus der Revolutionszeit (XI./XII. 1918 geschrieben)112 zugesagt hat, war mir eine große Freude. Sie sind der einzige Mensch außer meinem alten Vater, von dem ich bis jetzt überhaupt gehört habe, daß er sie gelesen hat. Görres interessiert mich sehr.113 Und für die Zusendung der Ausgabe durch den Dreimaskenverlag wäre ich sehr dankbar. Ich hatte diesen Vortrag anläßlich der Zusendung eines Buches ausführlich, aber sehr offen geschrieben. Das scheint nicht auf das rechte Verständnis gestoßen zu sein. Jedenfalls habe ich keine Antwort erhalten. Das mir übersandte Buch (Rubinstein, Romantischer Sozialismus114) werde ich übrigens doch entgegen dem an den Verlag Geschriebenen in der F. Z. anzeigen können. Wenn Sie zufällig den Ihnen bekannten Herrn aus dem Verlag sprechen, haben Sie bitte die Güte, ihm das zu sagen.
112 Kurt Wolzendorff, Geist des Staatsrechts. Eine Studie zur Biologie des Rechts und zur Psychologie des Volksstaats, Leipzig 1920; laut Vorwort (S. 6) „Weihnachten 1918“ geschrieben. Erschienen in dem anthroposophischen Verlag „Der neue Geist/Dr. Peter Reinold“, Leipzig. 113 Bezieht sich auf die Ausgabe: Joseph Görres, Rheinischer Merkur. Ausgew. u. eingel. v. Arno Duch, München 1921 (Der deutsche Staatsgedanke, 11/Bücherei für Politik und Geschichte des Drei-Masken-Verlags); ders., Deutschland und die Revolution. Mit Auszügen aus den übrigen Staatsschriften. Mit Einleitung u. Anmerkungen neu hrsg. v. Arno Duch, München 1921 (Der deutsche Staatsgedanke, 11/2). Der Historiker Arno Duch (1889–1980) gab im Münchener Drei-Masken-Verlag die Reihe „Der deutsche Staatsgedanke“ heraus und stand in diesem Zeitraum wohl auch in Kontakt zu Carl Schmitt. Hinweise auf eine Görres-Rezeption Schmitts in der 1925 erschienenen Veröffentlichung „Der status quo und der Friede“ bei Günter Maschke, Der Begriff des Politischen. Einführung in eine Rezension aus dem Jahre 1932, in: Etappe 3, 1989, S. 101–108 (S. 103). Ferner: Ernst Rudolf Huber, Joseph Görres und die Anfänge des katholischen Integralismus in Deutschland, in: ders., Nationalstaat und Verfassung, Stuttgart 1965, S. 107–126. 114 Sigmund Rubinstein, Romantischer Sozialismus. Ein Versuch über die Idee der deutschen Revolution, München 1921. Sigmund Rubinstein, geboren 1869 in Baden (Niederösterreich); Dr. iur., österreichischer Jurist und Journalist („Neue Freie Presse“, „Pester Lloyd“); verfolgte ein von Adam Müller beeinflusstes Genossenschaftsmodell, an dessen Ende eine „herrschaftsfreie, demokratische Volksgemeinschaft“ steht; gestorben 1934 in Wien; vgl. Peter Paul Sint in: Österreichisches Biographisches Lexikon 9, 1987, S. 310. Weitere Veröffentlichungen: Das Eigentum in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine für Jedermann leicht verständliche Einführung in den wissenschaftlichen Sozialismus, Krakau 1895; Les relations entre la France et la Pologne de 1680 à 1683, Paris 1913; Staatsidealismus und Machtstaat im deutschen Schicksal, in: Österreichische Rundschau 18, 1922, S. 565–581; Herrschaft und Wirtschaft. Grundlagen und Aussichten der Industriegesellschaft, München 1930.
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Hier haben Sie sich einen großen Freund erworben: mein Fachkollege Koellreutter ist zwar gewiß kein Genie, hat aber doch genug gesunden Verstand, um Ihre Schriften, die ich ihm geliehen, zu würdigen, und ist nun ganz begeistert für Sie. Er hat mit mir vereinbart, daß ich „Diktatur“ für Arch.Öffl.R. bespreche.115 Natürlich müßten Sie da ein bißchen Geduld haben. Aber das lernt man ja. Mein „reiner Staat“ ist bisher ebensowenig besprochen worden, wie „Geist des St-R“, „Lüge des Völkerrechts“ und „Deutsches Völkerrechtsdenken“, nur das letztere immerhin von StierSomlo (ausgerechnet)116 besprochen sind. Auch mein „Polizei-Gedanke“ ist nur von Stier-Somlo besprochen worden im „Archiv“,117 sonst nirgends! (Weihnachten 1917 erschienen!) Haben Sie eigentlich die beiden kleinen Arbeiten über das Völkerrechtsproblem?118 Ich will sonst gerne, wenn sie Sie interessieren, nachsehen, ob ich noch Exemplare habe und werde mich dann freuen, Sie [sic!] Ihnen geben zu dürfen. Ich bin ja so froh über jede Teilnahme an meinem geistigen Streben. In Eile mit herzlichen Grüßen Aufrichtigst Ihr Kurt Wolzendorff
115 Tatsächlich wurde die „Diktatur“ nie im „Archiv des öffentlichen Rechts“ rezensiert; ein unmittelbarer Zusammenhang mit Wolzendorffs Tod ist anzunehmen. 116 Fritz Stier-Somlo (wie Anm. 2); worauf sich das „ausgerechnet“ bezieht, ist nicht klar ersichtlich. In der Rezension (S. 251) wird Wolzendorff allerdings eine „geradezu mit der Kraft einer Zwangsvorstellung wirkende[n] Geisteseinstellung auf die Genossenschaftsidee“ bescheinigt. 117 Fritz Stier-Somlo, Rezension Kurt Wolzendorff, Der Polizeigedanke des modernen Staates, in AöR 38, 1918, S. 409 f. Die Rezension ist freundlich, doch bleibe vom Polizeigedanken „nur ein höchst unsicheres Bild übrig, das für seine Verwendung im Verwaltungsrecht wenig Aussicht bietet“ (S. 409), Wolzendorff vermöge auch nicht die Bedeutung seiner „sozialwissenschaftlichen Betrachtungsweise“ zu erweisen (S. 410). 118 Wolzendorff, Die Lüge des Völkerrechts (wie Anm. 10); ders., Deutsches Völkerrechtsdenken (wie Anm. 64).
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8. Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-18428.
Dr. Kurt Wolzendorff o. ö. Professor der Rechte Halle/S., den 21.2.21 Gräfestr. 20 Mein lieber Herr Schmitt, vielen herzlichen Dank für Ihren Brief, mit dem Sie mir wieder so große Freude gemacht haben. Ihre Bemerkungen über die Gründe der Nichtbeachtung von Aufsätzen wie meines „zur Psychologie“119 treffen sicherlich das Richtige. Ich habe ähnliches schon gelegentlich ausgesprochen; wenn ich nicht irre auch in meinem „Geist des Staatsrechts“. Ich habe es wohl so ausgedrückt, daß man sich bei uns damit begnügte, zu wissen, wie „die Sache gemacht“ wird. Das galt sowohl vom Staatsrecht als der Politik, daher das mangelnde Verständnis für die Zwischengebiete. Im Grunde alles: „Materialismus“. Daher z. B. auch die Begeisterung, mit der die von einem gewissen bon-sens getragenen Seichtigkeiten Kjelléns120 hingenommen werden, der aus purem Mangel an Eindringen in die Probleme sich so großartig über Leute wie Jellinek, Gierke, Bluntschli, Dahlmann erheben zu können glaubt, wenn er Dinge entdeckt, die weit jenseits der Problemstellung liegen, d.h. die Fragen überhaupt noch nicht sehen (noch nicht an sie heranreichen), mit denen die mittelalterlichen Gelehrten, geschweige denn die Locke, Althusius, Hobbes, Bodin begannen. – Dabei fällt mir zufällig ein: kennen Sie Brinkmann,121 Verfasser einer Gesellschaftswissenschaft? Er wird Sie interessieren! 119
Wolzendorff, Geist des Staatsrechts (wie Anm. 112). Rudolf Kjellén, geboren 1864 in Torsö (Västergotland), konservativer schwedischer Nationalökonom und Politiker, Schüler des deutschen Geopolitikers Friedrich Ratzel Professor für Staatswissenschaft in Uppsala, dort 1922 gestorben, in Deutschland insbesondere bekannt durch „Der Staat als Lebensform“ (deutsch: Leipzig 1917), ferner: ders., „Der Staat als Lebensform.“ Antwort an Herrn Dr. Radnitzky, in: AöR 39, 1920, S. 1–10; zu ihm nur Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2, München 1992, S. 443 f. Schmitt rezensierte 1925 die vierte Auflage (1924) von „Der Staat als Lebensform“, abgedruckt bei: Reinhard Mehring, Die Weimarer staatsrechtliche Diskussion im Spiegel des Rezensionswerkes von Carl Schmitt. Sechs Rezensionen, in: Schmittiana N.F. I, 2011, S. 9–31 (S. 16 f.). 121 Carl Brinkmann, geboren 1885 in Tilsit, Schüler von Gustav Schmoller; 1915 bis 1923 Auswärtiger Dienst; 1923 Professor für Nationalökonomie in Heidelberg, 1942 in Berlin, 1946 in Erlangen, 1947 in Tübingen; verstorben 1954 in Oberstdorf. Vertreter der Historischen Schule der Nationalökonomie. Wolzendorff bezieht sich auf Carl Brinkmann, Versuch einer Gesellschaftswissenschaft, Berlin/Leipzig 1919. Brinkmann rezensierte 1918 Wolzendorffs „Polizeigedanke des modernen Staates“ 120
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Nun legen Sie mir ein paar für mich schwierige Fragen vor: Was den Wunsch des Dreimasken-Verlags angeht,122 so kann ich nicht recht erkennen, um was es sich handelt. Die Parallele mit dem „Görres“Band legt den Gedanken nahe, daß es sich um eine Art Anthologie handeln soll. Aber gleichviel, die Sache interessiert mich jedenfalls sehr, sodaß ich bitten möchte, daß der Verlag mir Näheres schreibt. Nur eins: wenn ihm die Sache eilig ist, wird es wohl nicht gehen; eine kurzpflichtige Veröffentlichung werde ich in dieser Zeit überhaupt nicht übernehmen können. Aber über alles, wird sich wohl besser sprechen lassen, wenn der Verlag mir direkt oder durch Sie etwas Näheres mitteilt. In puncto „Zeichnung“ liegt die Sache so: ich hebe nur auf, was Wert für mich hat, und davon kann ich mich nicht trennen. Kommt der sehr seltene Fall vor (seit 6 Jahren ist er nicht mehr vorgekommen), daß jemand etwas von mir haben will, der so an mir und meiner Arbeit teilnimmt, daß ich mich entschließen kann etwas von den sonst vor Zurschaustellung gehüteten Sachen zu geben – oder, daß ich das Bedürfnis dazu hatte; es ist dasselbe, ich komme sonst nicht zu dem Entschluß – so lasse ich ihn sich etwas aussuchen und mache von dem Gegenstande seiner Wahl für ihn oder für mich eine Kopie (soweit sich Zeit u Stimmung dazu finden). Bei Ihnen liegt ein solcher Fall vor: Sie müssen also schon mal sehen, daß Sie eine Gelegenheit finden, mich zu besuchen. Inzwischen will ich meinen guten Willen betätigen – anders kann ich es nicht – indem ich sehe, ob ich ein paar Skizzen finde, die ich nicht für meine Arbeiten noch notwendig brauche, die aber doch mir nicht so wertlos, d.h. so unpersönlich zu sein scheinen, daß ich sie Ihnen nicht anbieten dürfte. Also machen Sie sich bitte einstweilen darauf gefaßt, daß ich Ihnen nur etwas sehr, sehr bescheidenes – und eben nur echte Skizzen – schicke. Ich tue es, sobald ich kann. Aber ob das nicht schließlich erst nach Ende der Vorlesungen (Mitte nächster Woche) sein wird, kann ich nicht versprechen. Übrigens wird Sie interessieren, was mir Koellreutter sagte, als er mir sein geradezu begeistertes Urteil über Ihren „Wert des Staates“123 mitteilte: „Wie ist es nur möglich, daß dieser Mann nicht mehr bekannt ist! Ich kann es mir nur dadurch erklären, daß zuviel Kultur in seinen Schriften ist. Das (Schmollers Jahrbuch, 1918, S. 1220); in dieser (freundlichen) Rezension wurde wohl erstmals die Formel des „modernen sozialen Rechtsstaats“ verwendet. Hierzu: Hans-Michael Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, Tübingen 2008, S. 61. 122 Offenbar wurde Wolzendorff von Schmitt als Herausgeber eines Auswahlbandes in der Buchreihe „Der deutsche Staatsgedanke“ des Drei-Masken-Verlages vorgeschlagen. Naheliegend wäre eine Auswahl von Johannes Althusius. 123 Carl Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 1914.
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ist bei uns den meisten Leuten unheimlich, weil sie zu ungebildet sind.“ Das bestätigt freilich etwas ihre eigene Befürchtung. Aber das hilft uns nicht. Sie können es doch nicht verleugnen, daß Sie kein Banause sind. Irgendwie werden Sie sich doch wohl auch mal durchsetzen auch ohne daß Sie viele hundert Seiten über den „Begriff“ des Bundesstaates124 oder sonstiger eminent wichtiger Begriffe schreiben und dann unter irgend einem Vorwand in Aufsätzen in Tageszeitschriften das epochale Werk gebührend empfehlen, wie’s jetzt Mode ist. In immer gleicher Zeitbedrängnis, daher ganz in Eile Herzlichst Ihr Kurt Wolzendorff. 9. Kurt Wolzendorff an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-18429
Dr. Kurt Wolzendorff o. ö. Professor der Rechte Halle/S., den 6.3.21 Gräfestr. 20 Mein lieber Herr Schmitt, ganz in Eile möchte ich nur Ihre Entschuldigung erbitten, daß ich die versprochenen Zeichnungen noch nicht gesandt. Vergessen habe ich es nicht. Ich hatte nur in letzter Zeit so viel Arbeit – und mancherlei Ärger und Sorgen dazu – daß ich gar nicht zur Besinnung kam. Trotzdem habe ich schon ein paar mal in meinen alten Mappen herumgekramt und einiges für Sie herausgesucht. Aber ich habe es noch nicht einpacken können (der dazu nötige Pappendeckel ist heute auch eine Rarität) und muß morgen für 1 Woche zu Sitzungen im Arb.Ministerium nach Berlin.125 Nach der Rückkehr schicke ich es gleich. Aber vergessen Sie nicht: es sind alles nur Skizzen (z. Teil aus meinen ersten Semestern vor 20 Jahren), die nach Erfüllung ihres Zweckes nur durch irgend einen Zufall dem Verbrennungstode entgangen sind, der ihr rechtmäßiges Schicksal ist. Die herzlichsten Grüße Ihr K. Wolzendorff
124
Naheliegend ist ein Seitenhieb auf: Hans Nawiasky, Der Bundesstaat als Rechtsbegriff, Tübingen 1920. 125 Vgl. hierzu näher: Bohle (wie Anm. 17), S. 138; im März 1921 legte der Ausschuss einen Entwurf für ein Arbeitsgerichtsgesetz vor. Kaiser (wie Anm. 17), S. 63, berichtet von einer Sitzung des Unterausschüsse I. und II. am 7. März 1921 in Berlin.
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Materialien 1. Politische Romantik. Von Kurt Wolzendorff. In: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, Ausgabe vom Samstag, 1. Januar 1921 (Zweites Morgenblatt), S. 1.
Vor hundert Jahren begegnete man in den Straßen der deutschen Städte, besonders der Universitätsstädte, vielfach Leuten in Röcken aus schwarzem feinen Tuch mit gerissenem Samt besetzt, beinahe nach altdeutscher Art zugeschnitten, wozu der zierliche, blendend weiße Spitzenkragen sowie das Samtbarett ganz gut paßten. Aber der Kammergerichtsrat E. Th. A. Hoffmann meinte, dies eigentümliche Gehabe sei „eine Ziererei“, wie sie im peinlichen Nachäffen mißverstandener Vorbilder in ebenso mißverstandenen Ansprüchen der Gegenwart an der Tagesordnung sei.126 Und wie der Kammergerichtsrat Hoffmann, der freilich auch ein recht phantastischer Dichter war, urteilten damals doch alle nüchtern Denkenden. Das alles ist lange her. Barett und Spitzenkragen sind nicht mehr an der Tagesordnung, eher schwarz-weiß-rote Schleifen und Hakenkreuze. Die Sache ist dieselbe, „Romantik“, und es hängen ihr viel mehr Menschen an als die paar Träger jener symbolischen „Ziererei“. * Heute wie vor hundert Jahren flüchtet man vor den Fragen der Gegenwart in ein Traumbild von „des alten Reiches Herrlichkeit“,127 ein Traumbild, das, sehr einfach gestaltet, nur das wiedergibt, was man für schön, gut und vollkommen hält. Und je unsanfter man sich beim Erwachen an den harten Tatsachen stößt, desto mehr sucht man sich in den Traum zu versenken. Aber das ist nicht nur unfruchtbar, sondern schädlich. Denn es fördert nur ebensolche „mißverstandene Ansprüche der Gegenwart“ wie die Romantik der „teutschen“ Ideologen vor hundert Jahren. Und verschleiert den Blick für die Wirklichkeit. Der Wirklichkeitssinn im Denken vom Staat ist uns nie nötiger gewesen als jetzt, da wir den längst noch nicht vollendeten Wiederaufbau unseres zusammengebrochenen Staatslebens nur – wie wir uns mit Recht wiederho126 Fast wörtliche Wiedergabe einer Passage des die deutsche Kleinstaaterei parodierenden Kunstmärchens von E. T. A. Hoffmann: Klein Zaches, genannt Zinnober. Ein Märchen (1819), Zweites Kapitel, in der eine fiktive Universitätsstadt Kerepes und das Brauchtum ihrer Studenten beschrieben wird („Gar hübsch steht ihm diese Tracht deshalb, weil er seinem ganzen Wesen, seinem Anstande in Gang und Stellung, seiner bedeutungsvollen Gesichtsbildung nach wirklich einer schönen frommen Vorzeit anzugehören scheint und man daher nicht eben an die Ziererei denken mag, wie sie in kleinlichem Nachäffen missverstandener Vorbilder in ebenso missverstandenen Ansprüchen der Gegenwart oft an der Tagesordnung ist.“). 127 Friedrich Rückert, Barbarossa (Gedicht, 1817): „Er hat hinab genommen/Des Reiches Herrlichkeit/Und wird einst wiederkommen/Mit ihr zu seiner Zeit“.
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len – „von innen heraus“ bewerkstelligen können, aus den geistigen Kräften, dem sittlichen Willen des Volkes: das heißt jedes Staatsbürgers. Deshalb müssen wir uns freimachen von aller Romantik im Staatsdenken. Und das ist gar nicht so leicht. Gerade für die Gebildeten128 nicht. Denn die Neigung zur Romantik, die in den Trümmern von früheren herrlichen politischen Zuständen nur ihre stärkste Auswirkung findet, ist uns ganz allgemein als Bestandteil unserer Bildung anerzogen worden. Die Lehren der Wissenschaft vom Staate waren – in Deutschland viel mehr als anderswo – fast alle romantische Ideologien, Darstellungen des Staates in den Spiegelungen eines künstlichen Idealbildes statt in seiner Wirklichkeit. Es ist ganz gleich, ob das Idealbild sich schwärmerisch oder naturalistisch gab, ob der Titel hieß: „Wirklichkeit der sittlichen Idee“129 oder „Kulturgemeinschaft“130 oder auch „Verkörperung des Volksgeistes“131 oder aber „Machtstaat“132 oder neuerdings „sozialer“133 Staat. Es ist alles Ideologie. Um von „Sittlichkeit“ und „Kultur“ nach den Erlebnissen seit 1914 nicht zu reden – wo bleibt die „Verkörperung des Volksgeistes“ in den Aktionen der geheimen Diplomatie oder in den Kämpfen der Gruppen um den Staat, der Parteien, Klassen, Rassen, Interessengemeinschaften, Konfessionen, Nationalitäten? Und der „Machtstaat“, so lebensvoll der Name sein mag, ist soziologisch eine hohle Vorstellung: die Macht ist nicht ein Funke himmlischen Feuers, den man – selbst ein Monarch nicht – auf irdische Institutionen herabholen kann, sondern eine sehr irdische Beziehung zwischen Menschen, die nur aus kluger, realer Berechnung des Menschlichen errichtet werden kann. Und der „soziale“ Staat ist auch nicht schon geschaffen durch die „Salbung“ mit mehr oder weniger dicken „Tropfen sozialistischen Oels“;134 der Popanz des „Nachtwächterstaats“ – von einem klugen Sozialisten ge128 Eine für das national-soziale Umfeld des Kaiserreichs (Sohm, Naumann) typische Wortwahl. Vgl. Otto (wie Anm. 41), S. 280. 129 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1820), § 257: „Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee.“ 130 Zeitgenössisch etwa der österreichische Jurist und Justizminister Franz Klein: Die Kulturgemeinschaft der Völker nach dem Kriege, Leipzig 1915. 131 Bezieht sich offenbar erneut auf Hegel; denkbar auch auf die „Historische Rechtsschule“, insbesondere Savigny. 132 Zeitgenössisch etwa der Tübinger Staatsrechtler Ferdinand Thudichum, Promachiavell, Stuttgart 1897. 133 Erstmals wohl bei dem österreichischen Juristen und Sozialpolitiker Julius Ofner, Studien sozialer Jurisprudenz, Wien 1894, S. 76: „Die Demokratie verlangt grundsätzlich den Sozialstaat (. . .)“ Möglich ist auch eine Anspielung auf das „soziale Königtum“ bei Lorenz von Stein. 134 Nach dem bekannten Zitat Gierkes, wonach in das BGB „ein Tropfen sozialistischen Öls“ sickern müsse; Otto Gierke, Die soziale Aufgabe unseres Privatrechts. Vortrag, gehalten am 5. April 1889 in der Juristischen Gesellschaft zu Wien, Berlin 1889, S. 10.
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schickt für bourgeoisischen Gebrauch aufgestellt135 – beweist noch nicht, daß ein Geschäftigkeitsstaat das Ideal des sozialen Rechts verwirkliche, den Menschen von der Herrschaft des Besitzes befreie: die Polypenmasse, die Vielgeschäftigkeit des „Staatssozialismus“ kann mit der Mechanik ihres Räderwerks genau so ertötend auf die menschlichen Werke, genau so zerreibend auf das Gemeinschaftsbewußtsein wirken wie das „laissez-faire“. Kultur, Machtidealismus, Volksgeist, soziale Gerechtigkeit, das alles k a n n mit dem Staat verbunden sein, wenn der handelnde Wille eines Volkes es tatsächlich damit verbindet. Es ist noch nicht an sich der Staat als Lebenserscheinung, als Wirklichkeit. Wenn wir uns trotzdem ein Idealbild des Staates zurechtmachen nach einfach gedachten Werten und dann die damit nicht vereinbare Realität des Staates ebenso einfach „ablehnen“, so ist das eine rein subjektivistische Empfindungsübung, echte Romantik. Aber mit Empfindungsübung und Romantik ist nichts geholfen in der deutschen Welt der Tatsachen, in der nun einmal der Staat dein Leben sichern muß. Der Staat ist ein ganz unromantisches Ding – so unromantisch wie alle Lebensnotwendigkeiten. Und mit allen Lebensnotwendigkeiten kommt man nur zurecht, wenn man sie sich klarmacht. Gerade die Verherrlicher des alten Regimes haben doch früher selbst die Träumereien des deutschen Michels verspottet und Realpolitik gepredigt. Kann es aber eine schlimmere Träumerei geben, als daß wir wieder anfingen, auf das politische Wunder zu warten, daß einst alle vermeintliche Herrlichkeit aus dem Kyffhäuser auferstehen lassen wird, wenn die alten Raben nicht mehr um den Berg fliegen? Die Unglücksvögel – wir wissen so schon nicht, ob und wie wir sie loswerden können – werden nie aufhören, mit ihrem Flügelschlag düsterer Sorge durch das deutsche Land zu fliegen, wenn das deutsche Volk in Träumen dahindämmert. Nur mit wachen Augen läßt sich das politische Lebensproblem lösen, das im Grunde kein anderes ist als das Problem menschlichen Lebens überhaupt: das Gegebene zum Gewollten zu gestalten. Das Gewollte einfach anstelle des Gegebenen setzen zu wollen ist Donquichotterie und die Frucht der Donquichotterie ist unter dieser Sonne bekanntlich ein jämmerliches Verprügeltwerden. Aber ist das nicht alles übertrieben? Ist das Wiederaufstehen einer Barbarossa-Stimmung in einzelnen Kreisen unseres Volkes eine so ernst zu nehmende Sache? Ich glaube, solche Stimmungen s i n d ernst zu nehmen: sie sind ansteckend und sie sind auch an sich schädlich in einer Zeit und in einem Volk, wo alles auf die Zusammenfassung aller Kräfte ankommt. Es ist durchaus nicht gleichgültig für eine Volksgemeinschaft, wenn gerade gebildete Teile ihrer Mitglieder oder gerade solche, die sich selbst etwas auf 135 Kluger Sozialist: Ferdinand Lassalle. In seinem „Arbeiterprogramm“ (Berlin 1862) wird erstmals der Begriff „Nachtwächterstaat“ gebraucht.
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ihre hohe Wertung von Staat „und Ordnung“ zugute tun, von der bestehenden Ordnung – um mit Goethe zu reden – „sagen: Das mutet uns nicht an, und meinen, sie hättens abgetan“.136 Denn wer so in der Stimmung einfach abstinent ist, wird in der praktischen Auswirkung renitent sein und kann sehr leicht zum Resistenten werden: weil eine politische Stimmung nie ganz ohne Auswirkung bleiben kann, mag sie auch in sich noch so wenig darauf abgestellt sein. Und das scheint mir gerade die Lehre der Geschichte unserer Tage zu sein: Der Idee des Staates können wir nur treu sein, wenn wir ihn als einen im Sozialleben für unser Volk notwendige Einrichtung erkennen und deshalb hochhalten. Den Staat an sich verehren, sich für ihn zu begeistern, kann man nicht. Verehrung und Begeisterung ist nur möglich gegenüber dem in eine bestimmte Erscheinungsform konkretisierten Staat. Es erscheint widersinnig, ist aber ganz natürlich, daß in Deutschland diejenigen, die sich früher am meisten für „den Staat“ begeisterten, sich nach der Revolution nur „auf den Boden der Tatsachen“ stellen konnten, denn wofür sie sich begeistert hatten, war nicht der Staat an sich, sondern seine frühere konkrete und noch dazu ideologisch verkleidete Erscheinung. Das Schlimme ist nur, daß dieses „sich auf den Boden der Tatsachen stellen“ in Wirklichkeit nicht nur ein Mangel des Willens der Überzeugung zur jetzigen Staatsform ist, sondern auch zum Staat als Einrichtung. Denn der Staat als Einrichtung tritt in die Erscheinung nur im Staate der jeweiligen konkreten Wirklichkeit. Mangelnder Überzeugungswille diesem gegenüber ist praktisch gleich mangelnder Staatsgesinnung überhaupt. Wahre Staatsgesinnung kann eben nicht entspringen aus Begeisterung des Gemüts, sondern nur aus der Nüchternheit einer klaren Idee. Praktisch ist werkfreudige Staatsgesinnung nur möglich aus der klaren, einfachen Idee des Staates als einer Einrichtung, die sich rechtfertigt nicht aus dem von ihr in uns erregten seelischen Schauern, sondern aus einer Lebensnotwendigkeit, deren Vollziehung nicht bedingt sein kann durch ihre Vollkommenheit, sondern umgekehrt gefordert wird in größtmöglicher Gemeinnützigkeit; die daher die sittliche Forderung der vorbehaltlosen Mitarbeit an alle stellt. Der Staat ist an sich nichts anderes als die Macht der Ordnung im Gemeinschaftsleben eines Volkes. Auch der deutsche Staat ist nichts anderes. Er ist die Macht der Ordnung des Gemeinschaftslebens, die das deutsche Volk sich gibt. Darauf kommt es an für d a s L e b e n eines Staates, daß wir ihm unseren Willen leihen, unseren Geist einprägen, ihm den Lebensinhalt geben, den wir in ihm wissen wollen; nicht ihm eine Lebensdeutung romantisch andichten, sondern durch die Tat sie in ihn hineintragen. Und 136 „Sie sagen: Das mutet uns nicht an!/Und meinen, sie hättens abgetan.“ Spruchgedicht Goethes, wahrscheinlich zwischen 1812 und 1814 entstanden, erstmals in der Werkausgabe von 1815 („Sprichwörtlich“).
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wenn er uns nicht so scheint, wie er sein soll, so müssen wir den Willen zu seiner bestmöglichen Gestaltung gewinnen, den Willen zur Tat, zur Arbeit. Und daher zum Verzicht auf müßiges romantisches Träumen, das dem Gemütsleben des Einzelnen vielleicht zuträglich, der Gesinnung des Volkskörpers aber abträglich ist. Nur durch die M i t a r b e i t a l l e r wird der Staat als Einrichtung, der an sich nichts als eine Organisationsform ist, zu der dem Wesen e i n e s V o l k e s g e m ä ß e n F o r m seiner Gemeinschaftsordnung, zum V o l k s s t a a t. Nur so können wir wieder zu einem d e u t s c h e n Staat kommen, daß wir den Staat in seiner gegebenen Form, in seiner Wirklichkeit erkennen und anerkennen, um dann durch gemeinsame Arbeit aus dieser Wirklichkeit und in den Grenzen ihrer Möglichkeit die genehme Form der ideell gesehenen und gewollten anzunähern. Der erste Handgriff dieser Arbeit (einer geistigen Arbeit!) ist die Abgabe des Wahlzettels. * Sehr lehrreich gerade für unsere Tage ist eine an sich rein geschichtliche staatswissenschaftliche Untersuchung über „Politische Romantik“ von Schmitt-Dorotic´, die unter diesem Titel 1919 bei Duncker u. Humblot erschienen ist.
2. Wilhelm Kottler137 an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-8067
Halle, 10.4.1921 Sehr geehrter Herr! Eine schwere und unangenehme Erkältung, die mit der Abreise von Frau Professor Wolzendorff138 unmittelbar einsetzte, verhinderte mich bis jetzt, einen Wunsch der Frau Professor auszuführen. Sie werden durch die Presse ja längst von dem unfassbaren Tod von Professor Wolzendorff gehört haben, einiges Nähere über seine letzten Tage wird aber noch nicht zu spät kommen. Sie werden vielleicht auch verstehen, daß Frau Professor die traurige Pflicht, den Tod ihres Gatten den nächsten Freunden selbst anzuzeigen, mir, dem Schüler und jüngsten Freunde dieses seltenen Mannes übertragen hat, solange sie sich selbst noch garnicht mit der unerbittlichen Wirklichkeit abfinden kann. 137
Zu seiner Biographie vgl. Anm. 90. Elise Wolzendorff, geborene Schell; geboren 1885 in Strehlen (heute: Dresden); Vater: Privatier; ohne Beruf; 1913 Eheschließung mit Kurt Wolzendorff; in den Briefen häufige Andeutungen einer Krankheit; 1921 in Bonn Begegnung mit Carl Schmitt (vgl. Anm. 81), ab 1921 unter mehreren Anschriften (u a. „Hotel Gordon“) in Wiesbaden, 1925 auch in Wuppertal-Elberfeld; 1935 in Wuppertal verstorben (St. Marienheim Elberfeld). 138
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Gerade in den letzten Tagen hat der Verstorbene mir viel von Ihnen und von Ihren Schriften erzählt. Er zeigte mir auch noch mit großer Freude, welche Widmung Sie ihm in Ihr letztes Werk die „Diktatur“ geschrieben haben (die Korrektur habe ich geschenkt bekommen). Er versprach mir auch, mich bei der nächsten Gelegenheit mit Ihnen bekannt zu machen. Nun ist alles anders gekommen. Das Semester, Überanstrengung mit zuviel Kleinarbeit, Ärger mit der Wohnung, Fakultät u.s.w. hatten Prof. W. schon stark mitgenommen, eine überlastete Woche in Berlin hat ihm den Rest gegeben und die Widerstandskraft geraubt, so daß eine leichte Lungenentzündung zum Ende führen mußte. Am 12. März kam Prof. Wolzendorff aus Berlin abends zurück, am folgenden Sonntag konnte er an der Unterhaltung schon nicht mehr teilnehmen, am Montag begann er Unsinn zu reden – einen Arzt lehnte er hartnäckig ab. Bis zum Mittwoch, wo ich ihn erst wieder sah, war er so zusammengefallen, daß er kaum wiederzuerkennen war, am selben Abend kam er dann in die Klinik, am nächsten Abend traf sein alter Vater139 aus Wiesbaden ein, am Freitag ging es etwas besser, dann aber unaufhaltsam dem Tode entgegen, der ihn Montag, den 20. März,140 früh 6 h ereilte, ohne daß der Verstorbene jemals um sein furchtbares Schicksal wußte. Am selben Tag fand noch in aller Stille die Überführung, am Sonnabend darauf in Wiesbaden141 die Beisetzung statt. Seit dem Kriege habe ich im Felde und daheim schon viele aus nächster Nähe sterben sehen. Nie aber habe ich einen Tod so traurig empfunden als wie diesen – und nicht nur weil ich selbst so unendlich viel verloren habe. Alle, die den Toten kannten, sind maßlos betrübt, von der Gattin und dem Vater ganz zu schweigen. Die Ärzte selbst können sich den Tod nicht 139 Gustav Wolzendorff, geboren 1839 in Zuchau (Provinz Sachsen); Medizinstudium in Halle, Chirurg, Assistent des Chirurgen und Dichters Richard Volkmann (Onkel von Gerhard Anschütz); Militärarzt in Greifswald und Münster; nach dem Abschied Badearzt in Nassau (Lahn), dann Ruhestand in Wiesbaden; Privatgelehrter, zahlreiche Veröffentlichungen, darunter: Handbuch der kleinen Chirurgie für praktische Ärzte, Wien 1883; Die Massage in ihrer Bedeutung für den praktischen Arzt, Hamburg 1890; Gesundheitspflege und Medizin der Bibel (Christus als Arzt). Studien und Betrachtungen, Wiesbaden 1903. Verstorben 1926 in Wiesbaden. Zu seiner Person auch: Hubertus Averbeck, Von der Kaltwasserkur zur physikalischen Therapie. Betrachtungen zu Personen und zur Zeit der wichtigsten Entwicklungen im 19. Jahrhundert, Bremen 2012, S. 81. 140 Der 21. März 1921, Wolzendorffs tatsächlicher Todestag, war ein Montag. Kottler gibt das Todesdatum hier also falsch an. 141 Im Leichenhallenregister des Nordfriedhofs Wiesbaden findet sich ein Eintrag einer Erdbestattung vom 31. März 1921. Vgl. auch Albert Herrmann, Gräber berühmter und im öffentlichen Leben bekannt gewordener Personen auf den Wiesbadener Friedhöfen, Wiesbaden 1928, S. 328.
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erklären. Ich wußte schon vorher, daß dieser rastlose, stets unbefriedigte Geist binnen kurzem vergehen mußte. Daß das Licht aber so schnell und plötzlich auslöschte, ahnte ich freilich nicht, am wenigsten für einen Augenblick, wo sich eine ganze Reihe drückender Sorgen zu lösen beginnen. Aus dem Bedürfnis heraus, einem vom selben Verlust in gleicher Weise Betroffenen sich mitzuteilen, möchte ich Ihnen noch sehr viel mehr schreiben, aber ich muß Sie schon um Verzeihung bitten, Ihr Interesse so lange in Anspruch genommen zu haben. Dennoch möchte ich die Bitte aussprechen, mir, dem auch in wissenschaftlicher Beziehung die Stütze geraubt ist, die er für seine Arbeit über die Entstehung der Rätediktatur142 noch dringend bedarf, zu gestatten, Ihnen gelegentlich wieder schreiben zu dürfen. In ausgezeichneter Hochachtung Ihr sehr ergebener Wilhelm Kottler cand. iur. Halle, 10.4.21 Karlstr. 26 I Am 12. April wäre der 39. Geburtstag des Verst. gewesen.
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Dann: Wilhelm Kottler, Der Rätegedanke (wie Anm. 93).
Walter Jellinek – Carl Schmitt. Briefwechsel 1926 bis 19331 Herausgegeben von Reinhard Mehring Walter Jellinek (1885–1955), Sohn des berühmten Heidelberger Staatsrechtslehrers Georg Jellinek,2 promovierte 1908 bei Paul Laband in Straßburg und habilitierte sich 1912 bei Otto Mayer in Leipzig. 1913 wurde er Extraordinarius in Kiel, rückte dort 1919 zum Ordinarius auf, wurde 1928 Rektor der Universität und wechselte zum Wintersemester 1929/30 als Nachfolger von Richard Thoma nach Heidelberg, wo schon sein Vater ab 1891 wirkte. Seit seiner Leipziger Zeit war Jellinek mit Erwin Jacobi3 befreundet, mit dem Schmitt seit 1924 in engerer Verbindung stand. Jellineks Interesse an Schmitt ist aber älter und geht vielleicht bis auf die Straßburger Zeit zurück. Schmitt hatte seit dem Wintersemester 1908/09 in Straßburg studiert und dort auch 1910 promoviert. 1914 rezensierte Jellinek Schmitts Frühschrift Gesetz und Urteil für das Archiv des öffentlichen Rechts4 lobend mit grundsätzlichen Bedenken. Vielleicht begegnete er Schmitts Name über gemeinsame Straßburger Lehrer. Sicher aber kommt es erst viel später auch über Erwin Jacobi zu näherer Bekanntschaft. Der Name Jellinek und die Brücke Max Webers werden Schmitt dabei nicht ganz bedeutungslos gewesen sein. Jellineks Schwerpunkt lag im Verwaltungsrecht. 1928 war er mit seinem Lehrbuch und Hauptwerk Verwaltungsrecht hervorgetreten, im gleichen Jahr, als Schmitt seine Verfassungslehre veröffentlichte. Beide begegnen einander nahezu gleichalt als wohletablierte, fachlich profilierte Professoren. Ein verbindendes Thema waren die beamtenpolitischen und -rechtlichen Konsequenzen von Brünings Präsidialregime. Die Notverordnung vom 1. Dezember 1930 hatte u. a. „Gehalts-, Ruhegehalts- und Versorgungsminderungen für alle im öffentlichen Dienst tätigen Personen“5 beschlossen. 1
Für große Hilfen bei der Transkription danke ich Rolf Rieß und Ewald Grothe. Dazu vgl. Klaus Kempter, Die Jellineks. Eine familienbiographische Studie zum deutschjüdischen Bildungsbürgertum, Düsseldorf 1998. 3 Dazu eingehend Martin Otto, Von der Eigenkirche zum Volkseigenen Betrieb: Erwin Jacobi (1884–1965), Tübingen 2008. 4 Walter Jellinek, Rezension von Schmitt, Gesetz und Urteil. Eine Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis, Berlin 1912, in: AöR 32 (1914), S. 296–299. 2
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Walter Jellinek/Carl Schmitt
Schmitt rechtfertigte diese Praxis im Juli 1931 mit einem Aufsatz in der Deutschen Juristen-Zeitung über Wohlerworbene Beamtenrechte und Gehaltskürzungen mit seiner Lehre von den „institutionellen Garantien“ als Strategie der Bewahrung des Berufsbeamtentums.6 Die Entwicklung und Reform des Beamtenrechts war dann im Oktober 1931 auch ein Thema bei der Tagung der Staatsrechtslehrervereinigung in Halle. In der Aussprache ging Jellinek ausführlich auf Schmitts Lehre von den „institutionellen Garantien“ ein. In einem Aufsatz Wohlerworbene Besoldungsrechte der Beamten in Zeiten der Not widersprach Jellinek zwar erneut Schmitts „institutioneller“ Rechtfertigung von Gehaltskürzungen, entwickelte aber alternative juristische „Auswege in Zeiten der Not“ und verteidigte Schmitt auch gegen persönliche Angriffe. Für Schmitt war Jellineks öffentliches Eintreten und verwaltungsrechtliche Autorität für die Durchsetzung der „institutionellen Garantie“ wichtig. Die Tagung markierte einen offenen Ausbruch des „Richtungsstreits“.7 Schmitt betrachtete die Berliner Triepel, Kaufmann und Smend nun definitiv als Gegner. Jellinek erschien ihm dagegen als ein möglicher Gesprächs- und Bündnispartner. Es waren dann aber vor allem die juristischen Fragen des Präsidialsystems und Schmitts verfassungspolitisches Engagement nach dem „Preußenschlag“, die beide enger miteinander ins Gespräch brachten. Nur in den Jahren 1931/33 war der Kontakt wirklich eng und wichtig. Am 13. Januar 1932 ist Schmitt zum Vortrag in Heidelberg. Jellinek holt ihn von der Bahn ab und lädt ihn nach dem Mittagessen in sein Haus. Im Oktober 1932 begegnet Schmitt Jellinek dann während des Leipziger Staatsgerichtshofprozesses wiederholt, teils zusammen mit Erwin Jacobi. Jellinek stand der DVP nahe, sah Schmitts Rolle und Sicht des Leipziger Staatsgerichtshofprozesses nicht ablehnend und betrieb im Frühjahr 1933 dann Schmitts Berufung nach Heidelberg auf die Nachfolge von Gerhard Anschütz8. Jellineks eigene Stellung in der Heidelberger Universität war damals bereits durch die nationalsozialistische Rassegesetzgebung bedroht. Als Vorkriegsbeamter und Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs fiel er aber 5 So Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band VII: Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik, Stuttgart 1984, S. 799. 6 Carl Schmitt, Wohlerworbene Beamtenrechte und Gehaltskürzungen, in: DJZ 36 (1931), Sp. 917–921. 7 Dazu Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts. Bd. III, München 1999, S. 196–198. 8 Dazu vgl. Reinhard Mehring, „Die Austreibung des Heidelberger Geistes“. Carl Schmitt und der Heidelberger Rechtspositivismus, in: Manfred Gangl (Hrsg.), Die Weimarer Staatsdebatte: Diskurs- und Rezeptionsstrategien, Baden-Baden 2011, S. 127–157; zu Ernst Forsthoffs politischem Streit mit Jellinek nach 1945 vgl. Florian Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und seine Zeit, Berlin 2011, S. 312 f.
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unter Ausnahmebestimmungen. Nach jahrelangen genealogischen Kämpfen wurde er 1941 schließlich als „Volljude“ eingruppiert.9 Ob er mit der Berufung Schmitts nach Heidelberg auch persönliche Unterstützung und Protektion erlangen wollte, ist hier nicht zu klären. Im Juli 1933 brach der Kontakt mit Schmitts Ablehnung jedenfalls ab. Jellinek überlebte im Nationalsozialismus nur mit viel Glück. Nach 1945 wurde er (neben Alfred Weber, Gustav Radbruch, Gustav Anschütz, Karl Jaspers, Otto Regenbogen) dann sofort ein zentraler Akteur des Wiederaufbaus der Heidelberger Universität. Jellinek wirkte 1949 auch (neben Erich Kaufmann und Hans Helfritz) im Komitee zur Reorganisation der Staatsrechtslehrervereinigung mit, die nur die „überdurchschnittlich“ belasteten nationalsozialistischen Staatsrechtslehrer (und auch die SBZ-Marxisten Steiniger und Polak) ausschloss.10 Schon auf der ersten Tagung der Staatsrechtslehrervereinigung 1949 in Heidelberg war Schmitt zu dessen Ärger nicht eingeladen. Die hier dokumentierten Briefe sind nur Bruchstücke einer Beziehung. Gewiss ist die Korrespondenz nicht vollständig. Dass die Beziehung um die Jahre 1932/33 und die Fragen von Legalität und Legitimität, Leipziger Prozess und Heidelberger Berufung zentriert war, ist aber wahrscheinlich. Jellineks Briefe sind im Düsseldorfer Landesarchiv (Abteilung Rheinland. Standort Düsseldorf, RW 265) im Nachlass Schmitts erhalten, Schmitts Briefe im Nachlass Jellineks im Bundesarchiv Koblenz (N 1242). Briefe 1. Walter Jellinek an Carl Schmitt Postkarte: Herrn Prof. Dr. Carl Schmitt/Bonn a. Rhein/Endenicher Allee LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6530
Kiel, den 7. Februar 1926. Sehr geehrter Herr Kollege! Vor kurzem schickte mir Herr Rechtsanwalt Dr. Friedmann11 gleichzeitig mit seinem Gutachten über die Fürstenabfindung auch das Ihrige.12 Ob9
Kempter (wie Anm. 2) S. 519. Kempter (wie Anm. 2), S. 533–534; dazu vgl. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Vierter Band: 1945–1990, München 2012, S. 82 ff. 11 Alfred Friedmann (Anwalt am Kammergericht, Berlin, geb. 1883–?), Fürsten‚abfindung‘ und Zuständigkeitsfrage. Ein Rechtsgutachten, Berlin und Leipzig 1926. 12 Carl Schmitt, Unabhängigkeit der Richter, Gleichheit vor dem Gesetz und Gewährleistung des Privateigentums nach der Weimarer Verfassung. Ein Rechtsgutach10
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gleich ich nicht weiß, ob es in Ihrem Auftrage geschah, möchte ich Ihnen vorsorglich für die Schrift danken, die einen bedeutsamen Auftakt zu unserer diesjährigen Staatsrechtslehrertagung bildet, zu der Sie hoffentlich erscheinen werden.13 Die Einladungen sind noch nicht verschickt, doch weiß ich von Triepel,14 daß die „Gleichheit vor dem Gesetze“ auf der Tagesordnung steht. Anschütz15 und Thoma16 lassen nur [Seitenrand:] die Verwaltung gebunden sein, ich teile Ihren Standpunkt. Mit frdl. Grüßen Ihr sehr ergebener Walter Jellinek
2. Walter Jellinek an Carl Schmitt Brief, ms. m. U.; Adresskopf: Der Rektor der Christian-Albrechts-Universität; Herrn Professor Dr. Carl Schmitt/Berlin NW 87/Klopstockstraße 48 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6531
5. Januar 1929. Sehr verehrter Herr Kollege! Ihr mir sehr wichtiges Schreiben vom 18. Dezember17 kam in meine Hände fünf Minuten vor einer Fakultätssitzung, in der ich es verwenden konnte. Ich hoffe, Ihnen gelegentlich später mitteilen zu können, wie es mit unseren Berufungsvorschlägen18 gegangen ist. Schon jetzt aber danke ich Ihnen vielmals für Ihr freundliches Schreiben. Mit besten Empfehlungen und Grüßen in Verehrung stets der Ihre Jellinek ten zu den Gesetzentwürfen über die Vermögensauseinandersetzung mit den früher regierenden Fürstenhäusern, Berlin 1926. 13 Die Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer fand am 29./30. März 1926 in Münster statt. Schmitt war anwesend. 14 Heinrich Triepel (1868–1946), Berliner Staats- und Völkerrechtler, Gründer und 1. Vorsitzender der Staatsrechtslehrervereinigung. 15 Gerhard Anschütz (1867–1948), Prof. für öffentliches Recht in Tübingen (1899), Heidelberg (1900), Berlin (1908) und Heidelberg. 16 Richard Thoma (1874–1954), Prof. für öffentliches Recht in Hamburg (1909), Heidelberg (1911) und Bonn (1928). 17 Fehlt. 18 Schmitts Schreiben könnte sich auf Günther Holstein beziehen, der 1930 von Greifswald nach Kiel wechselte.
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3. Walter Jellinek an Carl Schmitt Postkarte: Herrn Prof. Dr. Schmitt/Berlin NW 87/Klopstockstr. 48/Abs. Jellinek/ Heidelberg, z. Zt. Moltkestr. 10 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6532
Heidelberg, den 5. Mai 1929 Sehr geehrter Herr Kollege! Für die freundliche Zusendung Ihrer bedeutsamen Abhandlung aus dem ArchÖffR.19 danke ich Ihnen, der Sie leider nicht in Frankfurt20 waren, auf diesem Wege herzlich. Ich habe sie natürlich mit großem Interesse gelesen und empfinde mit Ihnen den Machthunger des StGG. störend. Wieweit daran der letzte RG Präsident beteiligt ist?21 Mit freundlichen Empfehlungen Ihr stets ergebener Walter Jellinek
4. Walter Jellinek an Carl Schmitt gedr. Adresskopf: Heidelberg,/Mozartstr. 15 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6534
den 16. November 1930. Sehr geehrter Herr Kollege! Es drängt mich, Ihnen für die Zusendung Ihrer Kritik der Fellerschen Schrift22 herzlich zu danken. Feller23 kann sich freuen, daß ein solch berühmter Mann wie Sie seine Dissertation so freundlich bespricht. 19 Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, in: AöR 16 (1929), S. 161–237; Im Nachlass Schmitts ist ein gewidmetes Exemplar eines Gutachtens erhalten: Walter Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen. Rechtsgutachten, dem Deutschen Städtetag erstattet, Berlin 1929 (RW 354-23855). 20 Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer am 25./26. April 1929 in Frankfurt. 21 Walter Simons (1861–1937), war vom 16. Oktober 1922 bis zum 1. April 1929 Reichsgerichtshofpräsident; sein Nachfolger wurde Erwin Bumke (1874–1945). 22 Carl Schmitt, Rezension von Fritz Feller, Erschwerung des Sturzes der Reichsregierung und der Landesregierungen ohne Änderung der Reichsverfassung, Berlin 1930, in: Juristische Wochenschrift 60 (1931), Sp. 1679. 23 Fritz Feller war ein Schüler Walter Jellineks. Seine Dissertation erschien in einer von Jellinek herausgegebenen Reihe „Abhandlungen zur Reichsverfassung“.
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In der Sache der Einberufung des Reichstags24 scheint mir am interessantesten zu sein, daß Beyerle25 durch seine Geschäftigkeit [Unterstr. Schmitt] eine – allerdings nicht zwingende – Deutung ermöglicht hat, die den Absichten der Regierung und des Verfassungsausschusses nach meiner Überzeugung durchaus fern lag. Auch zeigt sich wieder einmal die Notwendigkeit einer Veröffentlichung sämtlicher Vorarbeiten zur Reichsverfassung. Mit den besten Grüßen bin ich Ihr aufrichtig ergebener Walter Jellinek Ende Oktober 1931 begegnet Schmitt Jellinek auf der Staatsrechtslehrertagung in Halle. Am 27. spricht er „nett mit Walter Jellinek“; am 29. isst er „mit Walter Jellinek, Jacobi und Koellreutter zu Mittag“. Auf studentische Einladung reist Schmitt dann im Januar 1932 nach Heidelberg. Am 12. Januar nimmt er den Nachzug. Am Morgen kommt er in Heidelberg an. Ins Tagebuch notiert Schmitt: „In Heidelberg war Walter Jellinek an der Bahn, war sehr gerührt darüber. Er begleitete mich durch die Stadt, ich fuhr dann zu Brinkmann, freundlich aufgenommen, nett unterhalten, dann eine Stunde gearbeitet, mein Leichtsinn ist unglaublich. Mittags nach dem Essen gleich zu Walter Jellinek, sehr sympathische Frau, trank dort Kaffee, er begleitete mich über den Philosophenweg, wunderschöner Spaziergang, erzählte von Mozart und seiner Liebe zu dieser Musik, hatte ihn sehr gern. Dann zu Brinkmann, mit Frau Brinkmann zu Anschütz, Tee in seinem Haus, die Frau sehr klug und sympathisch, leider krank, Anschütz alt und müde. Um 6 nach Haus, schnell den Entwurf notiert, um 7 ¼ etwas gegessen, ein Glas Wein getrunken, umgekleidet, dann mit Frau Brinkmann zur Universität, dort die ganze Juristische Fakultät, musste wegen der großen Hörerzahl in die Aula. Dort war es kalt, sprach aber sehr gut, eine Stunde lang, am Schluß etwas schneller und übereilt. Großer Beifall, konnte wirklich zufrieden sein. Nachher mit der Juristischen Fakultät in ein Restaurant, Radbruch war besonders nett, neben Frau Radbruch, deren Tonfall mich an Hella26 erinnerte, daher gleich verliebt“. Am nächsten Morgen fährt Schmitt dann mit dem Zug nach Berlin zurück.
24 Carl Schmitt, Einberufung und Vertagung des Reichstages nach Art. 24 Reichsverfassung, in: DJZ 35 (1930), Sp. 1285–1289. 25 Konrad Beyerle (1872–1933), Prof. für Rechtsgeschichte, ab 1918 in München. 26 Damalige Geliebte Schmitts.
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5. Carl Schmitt an Walter Jellinek Karte, ms. m. U.; gedr. Adresskopf: Professor Carl Schmitt/Berlin NW 87/Flotowstr. 5 BA Koblenz N 1242
18.1.1932 Sehr verehrter Herr Jellinek, ich erinnere mich mit großer Dankbarkeit der Güte und Freundlichkeit, die ich von Ihnen bei meinem Heidelberger Aufenthalt erfahren habe und möchte Ihnen und Ihrer hochverehrten Gattin mit dem Ausdruck meines Dankes meine herzlichsten Grüße senden. Das inhaltreiche Kouvert, das Sie mir Mittwoch abend im Dozentenzimmer überreichten, habe ich auf der Reise in Ruhe studieren können, besonders Ihre Anmerkung zu dem Rg. Urteil27 über Art 129. Auch dafür fühle ich mich zu besonderem Dank verbunden. Das Buch über das romantische Beethovenbild,28 das Ihnen in einigen Tagen zugehen soll, bitte ich, auch wenn Sie seine Thesen ganz und gar ablehnen sollten (mir ahnt in dieser Hinsicht Bedenkliches) doch als ein kleines Zeichen meiner dankbaren Erinnerung freundlich annehmen zu wollen. Ich bleibe in aufrichtiger Verehrung stets Ihr sehr ergebener Carl Schmitt
6. Carl Schmitt an Walter Jellinek Karte, ms. m. U.; gedr. Adresskopf: Professor Carl Schmitt/Berlin NW 87/Flotowstr. 5 BA Koblenz N 1242
29.1.32. Sehr verehrter Herr Jellinek, Ihre Sendung mit dem wunderschönen bunten Stich von Heidelberg hat mich mit größter Freude erfüllt und tief gerührt. 27
Dazu vgl. Walter Jellinek, Wohlerworbene Besoldungsrechte der Beamten in Zeiten der Not, in: RVerwBl. 53 (1932), S. 41–47, hier: S. 41 f. (im Anhang). 28 Arnold Schmitz, Das romantische Beethovenbild. Darstellung und Kritik, Berlin 1927; der Musikwissenschaftler Arnold Schmitz (1893–1980), Prof. in Breslau und nach 1945 Mainz, war seit frühen Bonner Tagen mit Schmitt befreundet. Im Vorwort von 1927 dankt er Schmitt und auch Karl Eschweiler ausdrücklich. Mehrfach zitiert er Carl Schmitt in der Monographie. Schmitz wendet Schmitts Romantikkritik auf das Beethovenbild an. Er betont die „Wesensverschiedenheit romantischer und Beethovenscher Musik“ (S. 114 ff.) und unterscheidet strikt zwischen Beethovens „Heroismus“ und der Romantik. Mendelssohn ist im Buch ein Hauptvertreter der Romantisierung der Musik. Negative Äußerungen über Mendelssohns Romantik finden sich etwa S. 120 ff. zu Mendelssohns „Liedern ohne Worte“, S. 136 und 153.
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Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für diese schöne Erinnerung an den schönen und inhaltreichen Tag in Heidelberg. Den Aufsatz über die Beamtenrechte29 werde ich wohl noch oft und in mancher Hinsicht zitieren. Was Sie zum „Notrecht“ sagen, ist die Vernunft selbst. Aber von allem gedanklichen Inhalt, über Zustimmung oder Ablehnung hinweg, abgesehen, empfinde ich Ihre vornehme Art der Sachlichkeit als einen großen Trost und Ansporn – nach schlimmen Berliner Erfahrungen bedeutet das für mich vielleicht mehr und Wichtigeres, als Sie vermuten können. Das Referat von Herrn Dallmann30 ist intelligent, enthält treffende Bemerkungen und scheint mir nur in der Charakterisierung meines Standpunktes als eines „machtpolitischen“ zu sehr von einer billigen Antithese beherrscht. Nochmals vielen herzlichen Dank und die besten Grüße und Empfehlungen Ihres in aufrichtiger Verehrung ergebenen Carl Schmitt.
7. Carl Schmitt an Walter Jellinek Schmitt am 13. März 1932 im Tagebuch: „Jellinek usw. geschrieben“ BA Koblenz N 1242
13. März 1932 Sehr verehrter Herr Jellinek! Diese beiden kleinen Arbeiten31 überreiche ich Ihnen nur als Zeichen. Wir armen Staatsrechtler müssen uns öfters Signale geben; vor allem auch ge29 Walter Jellinek (wie Anm. 27), S. 41–47; Der Aufsatz erschien am 16. Januar 1932; Jellinek lehnt in diesem Artikel die „neue Lehre“ Schmitts eindeutig ab. So schreibt er: „Auf keinen Fall entspricht es der Würde des juristischen Denkens, in Zeiten der Not die Nerven zu verlieren und zum Defaitisten an der Idee des Rechts zu werden.“ (43) Jellinek argumentiert aber dann (S. 45 ff.) ausführlich für andere „Auswege in Zeiten der Not“, so für eine „Gehaltssonderbesteuerung“, und differenziert damit, ähnlich wie Schmitt, zwischen „Zeiten der Not“ und dem Normalzustand. 30 Dallmann nicht ermittelt, evtl. studentisches Referat. 31 Darunter sehr wahrscheinlich: Carl Schmitt, Grundsätzliches zur heutigen Notverordnungspraxis, in: Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 53 (1932), S. 161–165; Schmitts Aufsatz erschien am 27. Februar 1932 und antwortet explizit (S. 163) auch auf Jellineks Beitrag vom 16. Januar im gleichen Organ; Schmitt sieht die „grundsätzliche“ Bedeutung der Notverordnungspraxis in der Entwicklung des Reichspräsidenten zu einem „überragenden Gesetzgeber“ und also ei-
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gebene Signale beantworten, und in dieser Hinsicht bin ich ganz in Ihrer Schuld. Dürfte ich mir eine Anfrage erlauben: ich suche einen Assistenten, der öffentlich-rechtlich gebildet und die sonstigen Assistenten-Qualitäten hat. Haben Sie niemanden, der dafür in Betracht käme? Ich frage aus Not, denn ich habe (im Gegensatz zu meiner Bonner Zeit) hier32 keine Schüler. Mit den besten Grüßen und in treuer Verehrung bleibe ich stets Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt.
8. Walter Jellinek an Carl Schmitt
Brief, hs.; Adresskopf33 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6534
Heidelberg, Mozartstr. 15 z. Zt. Kiel, den 26. März 1932. Sehr geehrter Herr Schmitt! Schon lange wollte ich Ihnen schreiben, aber unerwartete Arbeiten ließen mir nicht die Muße, derer ich gerade bei einem Brief an Sie dringend bedarf. Da ist zunächst das Beethoven-Buch, mit dem Sie mir eine Riesenfreude bereitet haben und für das ich Ihnen herzlich danke. Ich las es noch während des Semesters und freute mich, wissenschaftlich bestätigt zu finden, was schon längst meine innerste Überzeugung gewesen ist, daß nämlich Beethoven durch und durch ein Klassiker war. Gewisse Seitenhiebe auf Schubert und Mendelssohn waren allerdings kaum nötig, ich halte den I. Satz des D-moll-Trios von Mendelssohn für ein kaum zu übertreffendes Meisterwerk. ner Entwicklung zum „Verwaltungs- und Geschäftsbesorgungsstaat“ (S. 165). Die Diskussion der beamtenpolitischen Fragen und Auseinandersetzung mit Jellinek ist also für Schmitts Schritt vom Hüter der Verfassung zu Legalität und Legitimität wichtig. Der andere erwähnte Beitrag, den Schmitt schickt, ist wohl: Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, in: Gerhard Anschütz/Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts Bd. II, Tübingen 1932, S. 572–606. 32 Handelshochschule Berlin. Die Studiengänge an der Handelshochschule waren eher berufspraktisch orientiert. Schmitt promovierte dort in den Jahren 1928 bis 1933 nur wenige Studenten. 33 Zu diesem Brief ist ein Entwurf im Nachlass Jellineks erhalten.
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Dann noch einmal Ihre Anwesenheit in Heidelberg. Es gibt Ereignisse, die einem Semester den Stempel aufdrücken, und für mich steht das Wintersemester 1931/32 unter dem Eindruck des Beisammenseins mit Ihnen. Für Ihre literarischen Gaben sage ich Ihnen herzlichen Dank. Namentlich freue ich mich, daß Sie dem HandbdStR.34 Ihre bedeutende Mitarbeit nicht vorenthalten haben. Sie haben vielleicht gelesen, daß ich vor dem Staatsgerichtshof wegen der Emeritierungsfrage35 auftrat. Nach eingehender Verhandlung ist die Sache auf vermutlich Mitte April vertagt worden. Falls Sie mir Ihre gutachtliche Äußerung,36 von der Sie sprachen (RV. Art. 142!) zugänglich machen könnten, wäre ich Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Als Assistenten kämen für Sie in Frage der Ihnen literarisch bekannte Referendar Dr. Feller (Heimatanschrift Berge i. d. Mark) und Dr. Martin Draht37 (s. Berliner Telephonverzeichnis, sonst durch den AdBB.38 zu erfragen),39 vielleicht auch der Student Gebensleben40 (oder Gevensleben?), des34 Carl Schmitt, Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, in: Gerhard Anschütz/Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts Bd. II, Tübingen 1932, S. 572–606. 35 Mehrere Länder, darunter Preußen, versuchten damals das Sonderrecht der Emeritierung abzuschaffen und Hochschullehrer zu pensionieren. Dagegen klagten einige DNVP-Politiker erfolgreich vor dem Staatsgerichtshof. Jellinek war hier wohl beteiligt. Dazu Christian Jansen, Die soziale Lage der Hochschullehrerschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Zum Beispiel Heidelberg, in: Werner Buchholz (Hrsg.), Die Universität Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft, Stuttgart 2004, S. 169–189, hier: S. 174; Janssen erörtert die Einkommensentwicklung am Beispiel Heidelberg auch unter detailliertem Bezug auf Kolleggelder, die hier (Jellinek am 28.5.1933 an Schmitt) auch erwähnt werden. 36 Carl Schmitt, Rechtsgutachterliche Äußerung zu der Anordnung des 1. Kap. IV zweiter Teil der Verordnung des Preußischen Staatsministeriums vom 12. Sept. 1931, nach welcher Lehrer an wissenschaftlichen Hochschulen, unter Beseitigung der bisher bestehenden sog. Emeritierung mit der Vollendung des 68. Lebensjahres kraft Gesetzes in den Ruhestand versetzt werden sollen, 1932 (Benoist-Bibliographie B 102). 37 Martin Draht, Das Wahlprüfungsrecht bei der Reichstagswahl, Berlin 1927. 38 Allgemeiner deutscher Beamtenbund. 39 Martin Draht (1902–1976), 1926 Diss. Kiel, bis 1932 dann an der Hochschule für Politik, danach Akademie der Arbeit in Frankfurt, 1933 Entlassung, 1946 Prof. Jena, 1949 Prof. FU-Berlin. Der Hintergrund lässt sich jetzt einem Aufsatz von Martin Otto (Martin Draht (1902–1976), in: Rechtsgelehrte der Universität Jena aus vier Jahrhunderten, Gerhard Lingelbach (Hrsg.), Jena 2012, S. 329–356, hier: S. 331–332) entnehmen (vgl. insgesamt jetzt Michael Henkel (Hrsg.), Moderne Staatswissenschaft. Beiträge zu Leben und Werk Martin Drahts, Berlin 2010): Draht arbeitete als Sachbearbeiter für Rechtsfragen beim Allgemeinen Deutschen Beamtenbund, wurde aber zum SS 1931 auf Vermittlung von Heller und Smend auch nebenbeamtlicher Fakultätsassistent. Diese Tätigkeit endete aber am 31. März 1932. Zum Wintersemester 1932 folgte Draht Hermann Heller dann nach Frankfurt.
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sen Anschrift durch das Berliner Universitätssekretariat zu bekommen sein dürfte. Dr. Draht ist der Verfasser einer Schrift über Wahlprüfung, Schüler von mir und jetzt Schützling Hellers; er trägt sich mit Habilitationsabsichten. Feller wie Draht schätze ich als anständige Charaktere. Gebensleben scheint ein juristisches Phänomen zu sein. Er fiel in Heidelberg allgemein durch die geradezu nachtwandlerische Sicherheit seines juristischen Urteils auf. Er stammt aus Braunschweig, wollte aber in Berlin zu Ende studieren und den Referendar machen. Ich würde mich freuen, wenn er an seinem Plane, in Heidelberg zu promovieren, festhielte. Sehr tüchtig ist auch Borchardt,41 Neffe von Magnus, aber vermutlich auch noch nicht Referendar. Rechtsanwalt Dr. Hummel,42 Berlin, assoziiert und wohl kaum voll beschäftigt, noch jung, war ein juristisches Wunderkind und hält, was er versprochen hat. Walter Schmidt43 und Bernhard Hinrichs44 kommen für Berlin nicht in Frage. Am Schlusse noch eine Bitte. Sie betrifft das Wort „Verehrung“, das Sie mir gegenüber gebrauchen. Wollte ich mit gleicher Münze zurückzahlen, so müßte ich Ihnen gegenüber von „Bewunderung“ sprechen. Vielleicht ist die Heidelberger Begegnung geeignet, den Abbau jener auf ein Fernestehen hindeutenden Wendung einzuleiten. Mit vielen guten Osterwünschen und Grüßen bin ich Ihr aufrichtig ergebener Walter Jellinek
9. Carl Schmitt an Walter Jellinek Brief, ms. m. U.; gedr. Adresskopf: Professor Carl Schmitt/Berlin NW 87/Flotowstr. 5, BA Koblenz N 1242
8. April 1932. Lieber Herr Jellinek! Vielen Dank für Ihren Brief aus Kiel vom 26. März. Ich erhielt ihn erst gestern, weil ich einige Wochen auf Reisen war. Meine Freude über Ihr 40
Gebensleben nicht ermittelt. Borchardt nicht ermittelt. 42 Fritz Hummel, Preußen und seine Provinzen im Reichsrat, Berlin 1928 (Abhandlungen zur Reichsverfassung Heft 2). 43 Walter A. E. Schmidt, Die Freiheit der Wissenschaft. Ein Beitrag zur Geschichte und Auslegung des Art. 142 der Reichsverfassung, Berlin 1929 (Abhandlungen zur Reichsverfassung Heft 3). 44 Bernhard Hinrichs, Die Grenzen der Verfassungsautonomie der deutschen Länder, Berlin 1930 (Abhandlungen zur Reichsverfassung Heft 5). 41
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freundliches Schreiben ist sehr groß, am meisten über Ihren Vorschlag am Schluß des Briefes,45 dessen Gesinnung ich aufrichtig teile. Ich füge einen Durchschlag meiner kurzen, gutachterlichen Stellungnahme46 zur Frage der Emeritierung bei – nur, weil Sie es wünschen, nicht, weil ich diese schnell hingeworfenen Sätze für besonders interessant halte. Ich habe auf den ausdrücklichen Wunsch von E. Heymann47 zum Zweck der Belehrung des Prozeßrichters 1. Instanz, um das Mißverständnis zu verhüten, als diene die Lehre von der institutionellen Garantie48 der Rechtfertigung jeder beliebigen Maßnahme, dieses kleine Pronunciamento49 diktiert. Für die Hinweise auf einige brauchbare Assistenten bin ich Ihnen sehr dankbar. Ich will mich zunächst an Feller wenden. Draht ist schon durch Heller auch geistig okkupiert; einen Studenten möchte ich nicht nehmen, doch werde ich mir den Namen Gebensleben merken. Vor Anwälten (Hummel) habe ich etwas Mißtrauen. Nochmals herzlichen Dank für Ihren Brief! Ich bleibe mit den besten Grüßen und Wünschen für das kommende Semester, vor allem aber auch für guten Erfolg beim Staatsgerichtshof stets Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt.
10. Carl Schmitt an Walter Jellinek Brief, ms. m. U.; gedr. Adresskopf: Professor Carl Schmitt/Berlin NW 87/Flotowstr. 5 Schmitt am 26.6.1923 im Tagebuch: „schrieb ein paar Briefe, an Walter Jellinek wegen Friedrich“, BA Koblenz N 1242
26. Juni 1932. Lieber Herr Jellinek, vielen Dank für die Zusendung Ihres Kühnemann-Gutachtens.50 Daß ich Ihre Worte auf S. 26,51 mit denen Sie in einer so tapferen und vornehmen 45
Bitte um Abbau der Förmlichkeiten. Carl Schmitt (wie Anm. 36). 47 Ernst Heymann (1870–1946). 48 Dazu bes. Carl Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, in: Rechtswissenschaftliche Beiträge zum 25jährigen Bestehen der Handels-Hochschule Berlin, Berlin 1931, S. 1–31. 49 Verlautbarung. 50 Auslöser: Max E. F. Kühnemann, Können Reichsetat und Reichskredit diktatorisch geregelt werden?, in: Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt 46
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Weise für mich eintreten, mit besonderer Freude gelesen habe, wissen Sie gewiß, auch ohne daß ich davon spreche. Doch möchte ich es, auch unseres 52 (1931), S. 745–752 (vom 19. September 1931); darauf antwortend: Walter Jellinek, Geldbeschaffung durch Kredit auf Grund einer Diktaturmaßnahme des Reichspräsidenten, in: Reichskredite und Diktatur. Zwei Rechtsgutachten von Gerhard Anschütz u. Walter Jellinek, Tübingen 1932; das Vorwort zur Veröffentlichung der Gutachten ist vom Juni 1932 datiert. Im Vorwort heißt es: „Gegenstand der beiden Gutachten war die durch die literarischen Äußerungen KÜHNEMANNS und durch ein von ihm beeinflusstes Minderheitsvotum der Reichsschuldenverwaltung entstandene konkrete Lage.“ (S. 3 f.). Die Fragestellung formuliert Anschütz folgendermaßen: „Die Herren Reichsminister des Innern und der Finanzen haben mir die Frage vorgelegt, ob Kreditermächtigungen, die durch eine Maßnahme des Reichspräsidenten auf Grund des Art. 48, II RVerf. erteilt worden sind, die Wirkung einer Kreditermächtigung durch Gesetz (Art. 87 RVerf.) haben.“ (S. 5) Jellinek schreibt in seinem Gutachten: „Zu der Frage liegen im bejahenden Sinne gutachterliche Äußerungen CARL SCHMITTS vom 28. Juli 1930 und RICHARD THOMAS vom 7. Oktober 1930 vor, letzte später veröffentlicht in der Zeitschr. F. ö. R. XI, 1931, S. 12 ff.). [Fußnotenergänzung Jellineks: CARL SCHMITT hat seine gutachterliche Äußerung in seiner Schrift ‚Der Hüter der Verfassung‘, 1931, S. 119 ff., verarbeitet.] Auch die Reichsschuldenverwaltung hat bisher die Ausnahmeverordnung als Form der Kreditermächtigung für genügend erachtet. In einem Schreiben vom 30. Januar 1932, gerichtet an den Herrn Reichsminister des Innern, meldet sie jedoch ausführlich begründete Bedenken einer Minderheit an. Das Votum der Minderheit ist dem Schreiben eingefügt und verrät im wesentlichen die Urheberschaft des Vizepräsidenten der Reichsschuldenverwaltung, Geh. Regierungsrat Dr. Kühnemann, der die gleichen Bedenken bereits in einer Abhandlung des Reichsverwaltungsblattes, Nr. 38 vom 19. September 1931, S. 745–52, und, unter stärkerer Betonung des Wirtschaftlichen, in der Wochenschrift ‚Der deutsche Ökonomist‘, Nr. 40 vom 9. Oktober 1931, S. 1457–62 vorgetragen hat. Wenn daher im folgenden KÜHNEMANNS Beweisgründe erörtert werden, so sind die des Votums der Minderheit mit darunter zu verstehen.“ (S. 24). 51 Jellinek führt in seinem Gutachten frühere eigene Ausführungen zur Thematik an und bemerkt dazu: „Ich erwähne dies alles, um darzutun, daß ich verhältnismäßig unbefangen an die Beantwortung der mir gestellten Frage herantrete, aber auch um es verständlich zu machen, daß es nicht gegen das wissenschaftliche Ansehen eines Gelehrten wie CARL SCHMITT sprechen kann, wenn er unter dem Eindruck der Entwicklung der Verhältnisse heute Ansichten vertritt, die mit früher von ihm geäußerten nicht übereinstimmen. Solange jene Monographie über das Wort ‚Gesetz‘ in der Reichsverfassung nicht geschrieben ist, und langjähriges Nachdenken hat mich davon überzeugt, daß eine wirklich abschließende Monographie dieses Inhalts nicht so leicht geschrieben werden kann, werden Meinungsänderungen auch hervorragender Gelehrter auch auf diesem Gebiete häufiger vorkommen, einfach, weil das Problem weit schwieriger ist, als LABAND und andere bedeutende Staatsrechtslehrer der Vorkriegszeit ahnen konnten. Wir alle haben doch auch die Inflation erlebt und erinnern uns, daß wir die Tragweite und die mit ihr zusammenhängenden Rechtsprobleme erst allmählich richtig erkannt haben. Soweit also das Ansehen zeitgenössischer Juristen überhaupt in die Waagschale zu werfen ist, hat deren nach Verwerfung früherer, als irrtümlich erkannter Meinungen zuletzt geäußerte Ansicht als die allein maßgebliche Ansicht zu gelten, ohne daß man ihnen aus einem Bekenntnis zur besseren Einsicht einen Vorwurf machen könnte.“ (S. 26) Schmitt be-
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Standes und seiner Ehre wegen, nicht einfach unerwähnt lassen. – Seit Monaten quält mich der Begriff des Gesetzes und zwar im Zusammenhang mit dem der „Legalität“. Dürfen wir von Ihnen die S. 32 postulierte Monographie erwarten? Haben Sie eine Arbeit darüber begonnen? Ich frage, weil ich eine kleine Anhandlung (etwa 5–6 Bogen) über „Legalität und Legitimität“ geschrieben und mit dem Gedanken einer baldigen Publikation mich allmählich vertraut gemacht habe, deshalb aber auch etwaige neue Untersuchungen von Ihnen noch berücksichtigen möchte, namentlich nach den sehr viel versprechenden Bemerkungen Ihres Gutachtens über die polemische Spitze52 des Gesetzesvorbehalts und wohl auch des Gesetzesbegriffs überhaupt. Ich bleibe übrigens dabei, daß ein Gesetz keine Maßnahme, eine Maßnahme kein Gesetz ist, womit aber die Fragen nach dem Umfang der Befugnisse des Art. 48 Abs. 2 und der Anwendbarkeit des Art. 87 auf die vom RPr. erteilten Kreditermächtigungen natürlich nicht erledigt sind. Darf ich noch eine ganz andersgeartete, nämlich private Sache hier berühren? Herr Carl Joachim Friedrich,53 den Sie vielleicht von seinem Heidelberger Aufenthalt her kennen, und der jetzt assistent professor of politics in Harvard ist, möchte gern an einer deutschen Universität staats- und versaß Jellineks Gutachten schon im Typoskript (RW 265-23331); dessen Abschluss datiert vom 12. März 1932. Schmitt schreibt damals antwortend in Legalität und Legitimität (München 1932, S. 75–76) zu den „kreditermächtigenden Verordnungen des Reichspräsidenten“: „Max E. F. Kühnemann (Reichsverwaltungsblatt 1931, S. 745) hat sie als verfassungswidrig zu erweisen gesucht, in Darlegungen, deren Scharfsinn und Gründlichkeit ohne Zweifel sehr bedeutsam ist, deren Schwäche aber darin liegt, daß sie von den Begriffen und Voraussetzungen des Staatsrechts der konstitutionellen Monarchie beherrscht sind und die finanzgesetzlichen Bestimmungen der geltenden Verfassung ohne Rücksicht auf den Gesamtzusammenhang der übrigen Verfassungsbestimmungen und -begriffe auslegen.“ 52 Walter Jellinek, Geldbeschaffung durch Kredit auf Grund einer Diktaturmaßnahme des Reichspräsidenten. Rechtsgutachten den Herren Reichsministern des Innern und der Finanzen erstattet, in: ders./Gerhard Anschütz, Reichskredit und Diktatur, Tübingen 1932, S. 23–40, hier S. 32: „In diesem Votum [Kühnemanns] heißt es, wenn Diktaturmaßnahmen hätten gestattet werden sollen, so hätte der Satz lauten müssen: ‚. . . können auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen.‘ Hierbei wird aber die polemische Spitze des Gesetzesvorbehalts nicht genügend berücksichtigt, wie es denn überhaupt Aufgabe jener oben erwähnten, noch nicht geschriebenen Monographie wäre, immer auch die polemische Spitze des Wortes ‚Gesetz‘ festzustellen.“ 53 Carl Joachim Friedrich (1901–1984) promovierte 1930 bei Alfred Weber in Heidelberg und erhielt für das Sommersemester 1933 einen Lehrauftrag an der Juristischen Fakultät Heidelberg, den er aber nicht mehr antrat. 1956 erhielt er – neben seiner Harvard-Professur – auch einen Lehrstuhl in Heidelberg. Dazu Klaus-Peter Schröder, „Eine Universität für Juristen und von Juristen“. Die Heidelberger Juristische Fakultät im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 2010, S. 687–690; Schmitt begegnete Friedrich damals (laut Tagebuch) in Berlin häufig freundschaftlich.
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fassungstheoretische Vorlesungen halten, als Honorarprofessor (da er mit Harvard in Verbindung bleiben will) oder, wenn ich richtig verstanden habe, in ähnlicher Position. Seine Aufsätze in amerikanischen Zeitschriften und vor allem seine neulich erschienene Althusius-Ausgabe54 dürften ihn gut qualifizieren. Aber hier in Berlin ist, soweit ich sehen kann, wenig Aussicht. Wäre es in Heidelberg besser? Ich weiß, wie schwierig es ist, akademische Verhältnisse von Außen zu beurteilen, und stelle diese Frage deshalb mit aller Vorsicht und Zurückhaltung, die sich aus der Natur einer solchen Angelegenheit ergibt. Aber Sie werden sie auch nicht mißverstehen, sodaß ich sie doch wagen durfte. Mit den besten Empfehlungen und Grüßen bleibe ich, lieber Herr Jellinek, Ihr stets ergebener Carl Schmitt.
11. Walter Jellinek an Carl Schmitt gedr. Adresskopf: Heidelberg,/Mozartstraße 15 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6535
den 29. Juni 1932. Lieber Herr Schmitt, für Ihren Brief vom 26. und auch den – leider bislang unbeantwortet gebliebenen – vom 8. April55 danke ich Ihnen vielmals. Ihre gutachtliche Äußerung im Rechtsstreit Schulze contra Fiscum56 war mir sehr wertvoll, sie ist auch im staatsgerichtlichen Verfahren, das am 20. Juni mit einem Siege endigte, verwendet worden. – Bei Ihrer Arbeit über „Legalität und Legitimität“, in der sich wieder einmal Ihre glänzende Gabe zur Titelgebung bewährt, warten Sie bitte nicht auf eine Arbeit von mir über das Wort „Gesetz“ in der RVerf., sie befindet sich noch ganz im Stadium des Nachdenkens. Carl Joachim Friedrich, den ich leider neulich verfehlte, hat seine Heidelberger Adresse hinterlassen, ich schrieb ihm daher gestern, er möchte mich doch gelegentlich aufsuchen. Wenn er auch für einen Honorarprofessor badischen Stiles zu jung sein dürfte, so gibt es doch die Kategorie der „Do54 Johannes Althusius, Politica methodice digesta. With an introduction by Carl Joachim Friedrich, Cambridge 1932. 55 Beide hier abgedruckt. 56 Nicht ermittelt.
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zenten mit Lehrberechtigung“, in die man ihn einreihen könnte. Doch hat sich die Fakultät mit dem Falle noch nicht befassen57 können. [Seitenrand:] Neulich hielt ich in Bonn einen Vortrag vor der Fachschaft über den polnischen Korridor als Rechtsproblem und lernte bei dieser Gelegenheit Friesenhahn58 kennen, der mir gut gefiel. Mit besten Grüßen Ihr getreuer Walter Jellinek
12. Walter Jellinek an Carl Schmitt Brief LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6536
z. Zt. Kiel, 8.IX.32 Wrangelstr. 46 III v Lieber Herr Schmitt! Über Ihr neuestes Werk,59 das Sie mir freundlicherweise zusandten, habe ich mich natürlich riesig gefreut. Etwas kannte ich es bereits aus den Korrekturbogen, die Sie Erwin Jacobi mitgegeben haben. Nun habe ich es in Muße gelesen und die belebende Wirkung des prickelnden Geistes gespürt, der die ganze Schrift durchzieht. U.a. halte ich es für sehr wichtig, daß Sie die Funktion der Zahl im Verfassungsrecht an einem bedeutenden Beispiel darlegen, die Zusammenhänge zwischen Zahl und Recht werden gemeinhin über Gebühr vernachlässigt. Allerdings hätte ich bei der Erörterung des Phänomens der Zweidrittelmehrheit ein Wort über die Wahrscheinlichkeitsrechnung gesagt, wodurch diese Einrichtung doch etwas von Legitimität erhält. Haben Sie sich übrigens einmal überlegt, woher die verschiedene Bedeutung zweier so verwandter Worte wie Legalität und Legitimität kommt? Ihering60 mit seiner besonderen Vorliebe für sprachliche Untersuchungen würde hier sicher nicht geruht haben, ehe er auch hier seine Theorie von der Treffsicherheit der Sprache bestätigt gefunden hätte. – Ich werde die Schrift in der DJZ. – leider auf sehr knappem Raume – besprechen.61 57
Förmlich als Tagesordnungsbetreff befassen. Ernst Friesenhahn (1901–1984), Bonner Schüler und Assistent Carl Schmitts, nach 1933 Kontaktabbruch, späterer Bundesverfassungsrichter. 59 Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, München 1932. 60 Rudolf von Ihering (1818–1892), berühmter Jurist. 61 Erschienen: DJZ 36 (1933), Heft 1 vom 1.1.1933, Sp. 116. 58
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[Seitenrand:] Auf den Ausgang des Leipziger Prozesses62 bin ich sehr gespannt. Anbei meine bescheidene Meinung zur Sache.63 Mit herzlichen Grüßen und vielem Dank verbleibe ich Ihr ergebener Walter Jellinek
13. Carl Schmitt an Walter Jellinek Brief, ms. m. U. BA Koblenz N 1242
30. Dezember 1932. Lieber Walter Jellinek, meine Wünsche und Grüße zum Neuen Jahr sende ich Ihnen aus der Einsamkeit des Sauerlandes, das mir einige Tage schönster Ruhe und Sammlung gewährt hat. Daß ich dieses Jahresende in altmodischer Weise zum Nachdenken benutzen kann, empfinde ich als großen Gewinn und unverdiente Wohltat. Daß ich mich dabei Ihrer oft und lebhaft erinnere, müssen Sie mir schon erlauben. Von meinem Heidelberger Vortrag im Januar an bin ich Ihnen noch in keinem Jahr so oft und nahe begegnet; die vielen großen und kleineren Aufsätze, die ich von Ihnen erhielt,64 gehören wesentlich zur Ernte dieses Jahres und die Tage in Leipzig und im Hause Erwin Jacobis sind ein großer Moment gewesen, den ich mir nicht mehr ohne Sie denken kann und der durch die Anwesenheit Ihrer Frau ein schönes, freundliches Licht erhalten hat, das mit der zeitlichen Entfernung nicht abnimmt sondern stärker wird. Daß Sie es waren, der eine so unbefangen anschauliche, gerechtem Sinn und tiefster Sachkunde entsprungene Darstellung des Leipzi62 Dazu vgl. Gabriel Seiberth, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozess ‚Preußen contra Reich‘ vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2003. 63 Walter Jellinek, Zum Konflikt zwischen Preußen und dem Reich, in: RVerwBl. 53 (1932), S. 681–684. 64 Außer den zitierten Aufsätzen über die „Besoldungsrechte der Beamten“ und den Leipziger Prozess könnten dies sein: Walter Jellinek, Scheinernennung zum Beamten, in: RVerwBl. 53 (1932), S. 121–124 (gegen die Legalität der Ernennung Hitlers argumentierend); Zum Entwurf einer Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg, in: AöR 60 (1932), S. 1–36; Die Verantwortlichkeit des Staates im innerstaatlichen Recht, in: Deutsche Landesreferate zum Internationalen Kongress für Rechtsvergleichung im Haag 1932, Berlin 1932, S. 157–176; Reichskanzler und Überwachungsausschuss, in: RVerwBl. 53 (1932), S. 821–824; Verfassungsreform im Rahmen des Möglichen – Verfassungsrettung – Verfassungsneubau, in: Reich und Länder 6 (1932), S. 267–271.
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ger Prozesses65 gegeben haben, scheint mir nicht zufällig und beiläufig, sondern innerlich – wenn ich so sagen darf – kongruent und in Ordnung. Für mich war dieses Jahr unruhig und aufreibend. Die Wochen, die ich noch in Berlin bin, werden nicht weniger aufreibend sein. Hoffentlich kommt dann eine Zeit, die es zuläßt, die Einsichten und Erkenntnisse, die mit soviel Mühe und Kraft bezahlt sind, in die Scheuer eines guten, systematischen Buches zu bringen. Vorher aber möchte ich, wenn ich hier schon am Wünschen und Planen bin, mir eine lange und ruhige Besprechung mit Ihnen wünschen, die nicht, wie damals in Leipzig, durch die hastige Zweckhaftigkeit einer Prozeßsituation unterbrochen (und in etwa auch gebrochen) wird. Vielleicht ist das kein utopischer Wunsch, der sogar schon im kommenden Jahr in Erfüllung gehen könnte. Das wäre für mich eine besonders große Freude. Ihre Zusendungen konnte ich nicht immer prompt erwidern. Dieser Tage erhalten Sie einen Vortrag, den ich am 20. November im Langnam-Verein in Düsseldorf66 [ge]halten habe; ferner meinen Aufsatz aus der DJZ über das Stellvertretungsgesetz.67 Wegen E.R. Huber68 hätte ich gern ausführlicher geschrieben, um Sie zu bitten, über seine Jüngerschaft auch seine ungewöhnliche, durchaus originale Produktivität nicht zu übersehen und der Hetze gegen ihn (die in Wahrheit gegen mich gerichtet ist) nicht unbewußt einen Dienst zu leisten; er bleibt eine der größten Hoffnungen und Potenzen unseres Faches und daß ein noch nicht 30 jähriger Dozent den Leipzigern so überlegen ist, müßte in uns allen einen natürlichen Standesstolz auf die Überlegenheit unserer Wissenschaft wachrufen. Forsthoff69 traf ich vorgestern; er möchte doch gern Völkerrecht bei Ihnen lesen, nachdem die Hindernisse, die ihm März und April für die Vorbereitung geraubt hätten, beseitigt sind; hoffentlich (soweit ich hierzu mich äußern darf) ist es nicht zu spät. Hensel70 haben wir in Berlin als meinen Nachfolger vorgeschlagen; richtig[,] oder wissen Sie einen passenderen Vorschlag? Doch besser jetzt 65
Walter Jellinek, Der Leipziger Prozess, in: RVerwBl. 53 (1932), S. 901–908. Carl Schmitt, Konstruktive Verfassungsprobleme, Berlin 1932. 67 Carl Schmitt, Die Stellvertretung des Reichspräsidenten, in: Deutsche JuristenZeitung 38 (1933), Sp. 27–31. 68 E. R. Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Oldenburg 1932; Ernst Rudolf Huber (1903–1990) war Schmitts wohl bedeutendster Bonner Schüler, ab 1933 Prof. in Kiel, Straßburg und Leipzig, nationalsozialistisch stark belastet. 69 Ernst Forsthoff (1902–1974), Bonner Schüler Schmitts, nach 1949 eng befreundet; vgl. Florian Meinel (wie Anm. 8). 70 Albert Hensel (1895–1933), bedeutender Steuerrechtler, enger Kollege Schmitts in Bonn, 1929 Prof. Königsberg, 1933 als Jude zwangsemeritiert; Schmitts Nachfolger an der Handelshochschule wurde 1935 sein Bonner Schüler Werner Weber (1904–1976). 66
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nichts mehr vom Fach, sonst ist überhaupt kein Ende mehr. Ich grüße Sie und Ihre Frau herzlichst und wünsche Ihnen allen ein gutes neues Jahr. Immer Ihr Carl Schmitt.
14. Walter Jellinek an Carl Schmitt Briefentwurf71 Anfang Mai 1933 BA Koblenz N 1242
Lieber Herr Schmitt! Ich möchte nicht versäumen, Ihnen zum morgigen Beginn Ih[res] Kölner Lehramts herzlich Glück zu wünschen. Sie sind jetzt wieder in einer Ihnen schön gemäßen Stellung und haben wie früher schon Gelegenheit, echte Studenten zu bilden und zu begeistern.72 Man kann gespannt sein, wie Sie die neueste Entwicklung unserer Staatsrechtslehre mit der Übersicht [?] Ihres wie [?] treffenden [?] Geistes durchleuchten [?] werden. Ihnen und Frau Schmitt alles Gute von Ihrem
W. J.
15. Walter Jellinek an Carl Schmitt Brief, Adresskopf: Heidelberg,/Mozartstraße 15 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6537
den 24.V.1933. Lieber Carl Schmitt! Heute besprachen wir in der Fakultät die Nachfolge von Anschütz.73 Das Ergebnis der – noch vorläufigen – Aussprache war, daß wir drei treffliche Leute vorschlagen wollen, unter denen Sie sich nicht befinden. In dem 71 Sehr roher, grammatisch unvollständiger Entwurf mit einigen Streichungen, schwer lesbar und hier nur ungefähr erfasst. 72 Dass Schmitt nicht zuletzt deshalb von der Handelshochschule nach Köln an die Universität zurückwechselte, um wieder juristische Studenten und Schüler zu haben, ist vielfach belegt. So schreibt Ernst Rudolf Huber am 20. November 1932 an Tula Simons, Schmitt wechsele „teils aus Drang zur Universität, teils aus Flucht vor der Politik“ (hier zitiert nach Stefan Breuer, Carl Schmitt im Kontext, Berlin 2012, S. 225). Zum Kölner SS 1933 vgl. Reinhard Mehring, Carl Schmitt (1888–1985). Sinnwandel eines Semesters. Vom Agon mit Kelsen zum Probelauf des „Kronjuristen“, in: Steffen Augsberg/Andreas Funke (Hrsg.), Kölner Juristen im 20. Jahrhundert, Tübingen 2013, S. 137–161.
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Schreiben an das Ministerium soll aber gesagt werden, daß Sie die Vorgeschlagenen weit überragten, daß wir es aber für ausgeschlossen hielten, Sie für Heidelberg zu gewinnen. Wären Sie wohl so freundlich, mir bald mitzuteilen (wir haben schon am Sonnabend wieder Sitzung), ob jene Vermutung zutrifft. Augenblicklich ist ja Baden durch seine 1000 RM-Grenze für alle monatlichen Bezüge konkurrenzunfähig, aber da werden wir wohl bald irgendwie zu einer „Gleichschaltung“ mit Preußen kommen.74 Aber sonst? Die Fakultät möchte nicht gern einen Korb bekommen. Daß es für uns eine [Seitenrand:] Riesenehre wäre, Sie zu gewinnen, brauche ich Ihnen nicht zu sagen, auch nicht, daß ich über Ihr Hiersein glücklich wäre. Stets Ihr Walter Jellinek
16. Walter Jelinek an Carl Schmitt Brief, Adresskopf: Heidelberg,/Mozartstraße 15 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6538
den 28.V.1933. Lieber Carl Schmitt! Natürlich können Sie sich nicht von heute auf morgen entscheiden.75 Wir werden es jetzt so machen: Sie werden gleichsam auf einer besonderen Liste, hors concours, unico loco76 vor dem Dreiervorschlag genannt mit dem Bemerken, daß wir hoffen, in der nächsten Zeit berichten zu können, ob Ihre außerordentliche Kraft für die Universität Heidelberg zu gewinnen ist. Da der schriftliche Vorschlag noch in Umlauf gesetzt werden muß und dann noch über den Engeren Senat77 geht, haben Sie etwas Zeit gewonnen, bis etwa Mitte der Pfingstwoche. 73 Anschütz hatte sein Ordinariat nahe der Emeritierungsgrenze aus politischen Gründen niedergelegt. 74 Leicht ironische Anspielung. 75 Jellinek scheint hier auf eine Antwort Schmitts auf den Brief vom 24. Mai Bezug zu nehmen, die aber nicht erhalten ist. 76 Außer Konkurrenz, einzige Stelle. 77 Jellinek war für das Jahr 1933 ursprünglich als Rektor vorgesehen. Sein Amt als gewähltes Mitglied des Engeren Senats stellte er dann schon Ende April zur Verfügung.
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Wie wäre es, wenn Sie am Mittwoch nach Pfingsten oder am Sonnabend vor Pfingsten einmal bei uns herein schauten?78 An Pfingsten selbst und am Dienstag darauf geht es nicht gut, da mein Bruder heiratet.79 Wegen der Vorlesungen werden wir bald einig werden. Zwecks Ausgleichs der guten und schlechten Semester80 ist es seit Anschütz-Thoma hier üblich, daß die beiden Ordinarien Staatsrecht und Verwaltungsrecht jährlich (nicht semesterweise) abwechselnd lesen, also zwei Semester hintereinander die gleiche Vorlesung. Die kollegialen Verhältnisse innerhalb der Fakultät sind ausgezeichnet. Ob aber die Frequenz der Studenten Ihnen genügen wird? Folgende Zahlen aus meinem Notizbuch, die ich gerade zur Hand habe und die aus den Jahren 1930/31, 1931 stammen, interessieren Sie wohl: [Seitenrand:] StR. [Staatsrecht] 117, VerwR. [Verwaltungsrecht] 108, VöR [Völkerrecht] 86, Allg Stl. [Allgemeine Staatslehre] 195, Übriges 85. – Ihr „Reichsstatthaltergesetz“,81 für das ich Ihnen vielmals danke, werde ich demnächst studieren. Herzlichst Ihr
Walter Jellinek
17. Walter Jellinek an Carl Schmitt Karte, hs., gedr. Adresskopf: Mozartstraße 15; Adresse: Herrn Professor Dr. Carl Schmitt/Köln a/Rh – Lindenthal/Pfarriusstraße 6 Privatbesitz Dr. Gerd Giesler
Heidelberg, den 28.VI.1933. Mozartstr. 15 Lieber Carl Schmitt! Meine Frau und ich würden uns sehr freuen, wenn Sie anläßlich Ihres Vortrags82 bei uns wohnen würden. Auch hoffen wir, daß Sie mehrere Tage 78 Pfingsten fiel 1933 auf den 4./5. Juni; Schmitt kam erst am 6./7. Juli nach Heidelberg. 79 Jellinek hatte drei Brüder und zwei Schwestern. Zwei Brüder starben im Kindesalter. Gemeint ist der Bruder Otto Jellinek (1896–1943), der im Juli 1943 an den Folgen einer mehrwöchigen Gestapohaft verstarb (Kempter (wie Anm. 2), S. 501, 516). Jellineks Schwester Paula (1891–1981) emigrierte zunächst nach Spanien, kehrte dann im Spanischen Bürgerkrieg nach Deutschland zurück, ging nach Wien und emigrierte 1938 nach Ägypten, wo sie als Masseurin arbeitete. 1958 kehrte sie nach Europa zurück (Kempter (wie Anm. 2), S. 502–503). Die Schwester Dora (1888–1992) überlebte das KZ Theresienstadt (Kempter (wie Anm. 2), S. 524). 80 Heidelberg war Sommeruniversität mit niedrigen Studentenzahlen im Winter. 81 Carl Schmitt, Das Reichsstatthaltergesetz, Berlin 1933. 82 Vortrag am 6. Juli in Heidelberg.
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hier bleiben. Unser Fremdenzimmer ist nicht sehr groß, hat aber fließendes kaltes und warmes Wasser. Schreiben Sie doch bitte, wann Sie kommen. Mit herzlichen Grüßen Ihr Walter Jellinek
18. Carl Schmitt an Walter Jellinek Karte, gedr. Adresskopf: Professor Carl Schmitt/Köln-Lindenthal/Pfarriustr. 6 BA Koblenz N 1242
Lieber Walter Jellinek, vielen herzlichen Dank. Ich würde Ihrer freundlichen Einladung mit besonderer Freude folgen, wenn ich nicht schon durch eine Verabredung mit Siebeck (Tübingen)83 gebunden wäre und mit ihm und E. von Beckerath84 im Viktoria-Hotel85 wohnen müßte. Da ich aber bis Samstag abend in Heidelberg bleibe, hoffe ich Zeit genug zu haben, um in aller nötigen Ruhe mich mit Ihnen besprechen zu können. Auf Wiedersehen also und die herzlichsten Grüße Ihnen und Ihrer hochverehrten Gattin von Ihrem Carl Schmitt. 2.7.33. Am 6./7. Juli 1933 ist Schmitt dann in Heidelberg. Zum 6. Juli notiert er nur knapp ins Tagebuch: „Heidelberg, guter Vortrag, überfüllte Aula.“ Zum 7. Juli notiert er: „Mittags bei Jellinek, vorher bei Anschütz. Abends Kultusminister, dann mit Siebeck, Beckerath, Brinkmann.“
Anhang 1. Diskussionsbeitrag Jellineks in der Aussprache zum Thema Beamtenrecht auf der Tagung der Staatsrechtslehrervereinigung am 28. Oktober 1931 in Halle „Mit zu den wichtigsten Teilen des Gerberschen Berichts gehörte m. E. die rechtspolitische Forderung, gewisse staatliche Stellen dem Berufsbeamtentum vorzubehalten, so vor allem die mit wesentlichen Hoheitsbefugnissen 83 84 85
Oskar oder Werner Siebeck, Verleger. Erwin von Beckerath (1889–1964), befreundeter Nationalökonom. Neckar-Hotel Victoria.
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versehenen. Dies steht in engem Zusammenhang mit der in der heutigen Aussprache vielfach genannten sog. Institutionellen Garantie des Berufsbeamtentums. Nur glaube ich, daß man den richtigen Kern dieser von Carl Schmitt vorgetragenen Lehre nicht nur rechtspolitisch anerkennen, sondern auch rechtsdogmatisch für die Lösung einer bekannten Streitfrage nutzbar machen kann. [. . .] So richtig also die Lehre Carl Schmitts von der [. . .] institutionellen Garantie ist, die im Art. 129 RVerf. liege, so wenig vermag ich ihm in seiner Ansicht über die Nicht-Garantie von Gehaltsansprüchen in bestimmter Höhe beizupflichten.“ Jellinek kritisiert dann eingehend einen Verweis auf Hugo Preuß („Aber gerade Preuß ist für unsere Frage kein Kronzeuge.“) und nennt ausführlich weitere entstehungsgeschichtliche Gegengründe. (S. 118–120) Umgehend nimmt er seine Ausführungen in seinen Aufsatz Wohlerworbene Besoldungsrechte der Beamten in Zeiten der Not auf (dort S. 43 f.). 2. Abschrift eines maschinenschriftlichen Briefes an die Allgemeine Beamten-Correspondenz, Jellinek von Schmitt mit Visitenkarte „ergebenst“ überreicht Die ABC (Allgemeine Beamten-Correspondenz) war ein täglich erscheinender „Unabhängiger Nachrichtendienst für Beamtenpolitik“. Für die Schriftleitung zeichnete Dr. phil. A.[rthur] Rathke86 verantwortlich. Die Berliner Adresse war Wilhelmstraße 143. Es handelt sich um ziemlich apokryphe hektographierte schreibmaschinegeschriebene Blätter. Die Ausgabe vom 5. November 1931 besteht aus drei Blättern und widmet sich (namentlich nicht gezeichnet) unter der Überschrift „Prof. Schmitt sucht sich zu rechtfertigen“ fast ausschließlich dem Vortrag Carl Schmitts vom 4. November 1931 im Rundfunk der „Deutschen Welle“ über „Verfassungsstaat und Staatsnotstand“. Der Bericht wendet sich gegen Schmitts „Umwertung aller Rechtswerte“ als „Verteidiger der Regierung“ und schreibt: „Die Beamtenschaft wird, wohlgemerkt nicht als Interessensgruppe, sondern aus rechtlichen Erwägungen, seine Darlegungen nicht widerspruchslos hinnehmen können. [. . .] die Beamtenschaft wird sich durch eine Rechtsauslegung dieser Art nicht davon abhalten lassen, ihr wahres Recht bei den ordentlichen Gerichten zu suchen, wo es hoffentlich in besserer Hut ist als an der Berliner Handelshochschule.“ (S. 3)
86 Dazu vgl. Arthur Rathke, Der Reichsbund der Beamten, 1924; Wie werde ich Beamter?, Berlin 1940; Ewige Infanterie, Berlin 1942; Beamtenpolitik ist Staatspolitik. Gesammelte Aufsätze aus den Jahren 1949–1953, Deutscher-Beamten-Verlag 1953; Wie leben die Beamten? Eine Untersuchung über die sozialen Verhältnisse der deutschen Beamtenschaft im Jahre 1957, Deutscher Beamtenbund 1958; sein Sohn Arthur Rathke (1920–1980) wurde Arzt, CDU-Politiker und zuletzt Regierungssprecher und Staatssekretär in Kiel.
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Abschrift87 Prof. Dr. Carl Schmitt
Berlin NW, den 11. Nov. 1931 Flotowstr. 5
An die Allgemeine Beamten-Correspondenz Berlin SW. 48. Sehr geehrter Herr! Sie haben in Ihrer Nr. 256 vom 5.11.1931 einen Bericht veröffentlicht,88 in welchem Sie versuchen, mein wissenschaftliches Ansehen herabzusetzen. Ich kenne die Motive nicht, die Sie dazu treiben. Sollte es aber das sachliche Interesse des deutschen Berufsbeamtentums sein, das Sie bewegt, so möchte ich Ihnen sagen, dass Ihr Kampf gegen die Lehre von der institutionellen Garantie weder wissenschaftlich noch beamtenpolitisch klug ist. Man kann meine Ablehnung der ziffernmässigen Garantie bekämpfen; aber dass man glauben kann, für diese ziffernmässige Garantie sei etwas gewonnen, wenn man die Lehre von der institutionellen Garantie und darüber hinaus noch alle wissenschaftlichen Äusserungen ihres Urhebers, schließlich sogar noch die Hochschule, an der er tätig ist, zu disqualifizieren sucht, lässt sich aus sachlichen Gründen nicht mehr begreifen. Auf dem letzten Staatsrechtslehrertag in Halle, Ende Oktober d. J., hat der Referent, Prof. Gerber-Tübingen, wie Sie aus Zeitungsberichten hätten entnehmen können, die institutionelle Garantie stark betont; er hat sogar gefordert, dass sie ausdrücklich in den organisatorischen Teil der Reichsverfassung aufgenommen werde. Hervorragende Kollegen, die als Vorkämpfer des deutschen Berufsbeamtentums bekannt sind, wie Prof. Giese-Frankfurt, vertreten neben der Lehre von der ziffernmässigen Garantie die Lehre von der institutionellen Garantie. Ich weiss, dass Viele sie, sei es mit, sei es ohne ziffernmässige Garantie, für eine unentbehrliche Verteidigungslinie des deutschen Berufsbeamtentums und für den einzigen Schutz gegen einen Missbrauch des besoldungsgesetzlichen Änderungsvorbehalts halten. Ich habe sie aus wissenschaftlichen Gründen 1927 aufgestellt und verstehe nicht, welches sachliche Interesse das deutsche Berufsbeamtentum daran haben könnte, in der heutigen Lage eine Alternative zu proklamieren, die lautet: nicht Institution, sondern Geld! 87
[handschriftlich nicht von Schmitts Hand]. O. N., Prof. Schmitt sucht sich zu rechtfertigen. Er spricht auf der ‚Deutschen Welle‘ über ‚Verfassungsstaat und Staatsnotstand.‘, in: ABC 1931 Nr. 256 (7. Jg.), Berlin/Biesenthal, den 5.XI.1931. 88
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Da ich nicht die Ehre habe, Sie persönlich zu kennen, weiss ich also nicht, welche Gründe Sie zu Ihrem Vorgehen veranlassen. Ich kenne auch nicht Ihre Informations- und Motivationsquellen. Wenn Sie sich Ihre Informationen über mich und meine Lehre aus meinen Veröffentlichungen, insbesondere dem Aufsatz der Deutschen Juristen-Zeitung vom 15. Juli 1931 und der kürzlich bei Reimar Hobbing erschienenen Abhandlung „Freiheitsrechte und institutionelle Garantien“ verschafften, würden Sie es wohl nicht wagen, über einen Rechtsgelehrten so zu sprechen, wie Sie es tun. Wenn Sie dagegen andere private Informations- und Motivationsquellen haben, so kann ich nur sagen, dass es einer deutschen Beamtenorganisation nicht würdig ist, sich zum Werkzeug irgend eines privaten, gegen meine Person gerichteten Kampfes zu machen. Mit vorzüglicher Hochachtung Gez. Prof. Carl Schmitt89 3. Um die Auslegung des Artikels 129. Ein Schriftwechsel mit Prof. Schmitt Die Allgemeine-Beamten-Correspondenz druckte Schmitts Schreiben zusammen mit einer redaktionellen Vorbemerkung und einer Erwiderung des Herausgebers Dr. Rathke unter dem Titel „Um die Auslegung des Artikels 129. Ein Schriftwechsel mit Prof. Schmitt“ in der ABC-Korrespondenz Nr. 271 vom 24.11.1931 im vollen Umfang ab. Die redaktionelle Vorbemerkung lautet:
Anm. d. Schriftleitung: Unsere Veröffentlichung über den bekannten Rundfunkvortrag Prof. Dr. Schmitts vom 4. November auf der ‚Deutschen Welle‘ (ABC Nr. 256 vom 5.11.1931) hat einen Schriftwechsel zwischen Prof. Schmitt und unserem Herausgeber zur Folge gehabt, den wir nachstehend ungekürzt zum Abdruck bringen. Das sachliche Interesse der deutschen Beamtenschaft an dem behandelten Gegenstand rechtfertigt es u. E., die gewechselten Briefe nicht als Privatschreiben zu betrachten. Auf einen Kommentar zu dieser Veröffentlichung verzichten wir. An diese Vorbemerkung schließt unter der Überschrift „Schreiben des Prof. Dr. Carl Schmitt (11.XI.31)“ Schmitts Brief in voller Länge an. Darauf folgt:
Antwort des Herausgebers der ABC-Korrespondenz (19. November 31) Sehr geehrter Herr Professor! In Beantwortung Ihrer geschätzten Zuschrift vom 11. ds. Mts. darf ich Ihnen zunächst versichern, dass mir in meinen von Ihnen behandelten Ausführungen eine Disqualifikation Ihrer wissenschaftlichen Arbeit oder gar Ihrer Person völlig fern gelegen hat. Ich habe 89
[handschriftlich nicht von Schmitts Hand].
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als wissenschaftlich empfindender Mensch eine viel zu grosse Hochachtung vor wissenschaftlicher Arbeit und Betätigung, als dass ich es für zulässig halten könnte, eine wissenschaftliche Lehre und ihre Urheber statt mit sachlichen Argumenten, mit Methoden persönlicher Verunglimpfung zu bekämpfen. Gerade deswegen aber habe ich es lebhaft bedauert, dass Ihr Rundfunkvortrag vom 5. November – Sie verzeihen mir hoffentlich dieses Urteil – nach meinem Dafürhalten nicht auf der sonstigen Höhe Ihrer mir wohl bekannten wissenschaftlichen Arbeiten stand, für deren bekannt werden ich im übrigen selbst dadurch etwas beigetragen habe, dass ich eine in ihrem Sinne gehaltene Abhandlung Ihres Schülers Schröder verlegt habe.90 Sachlich gehe ich, der ich seit über 10 Jahren im Dienste der deutschen Beamtenbewegung teils an führender Stelle, teil[s] schriftstellerisch tätig bin, mit Ihnen in der Frage völlig einig, dass Artikel 129 der Reichsverfassung eine Garantie der Institution des Berufsbeamtentums in sich schliesst; es ist mir auch niemals eingefallen, diese Ihre verdienstvolle Lehre insofern zu bekämpfen, lediglich dagegen wende ich mich, und glaube als Nichtjurist dabei in guter Gesellschaft zu sein, dass Artikel 129 sich auf eine institutionelle Garantie beschränkt und die individuellen Rechte der Beamten ausschliesst; die Alternative lautet also nicht, wie Sie formulieren: Institution oder Geld; vielmehr muss man sie m. E. so stellen[:] institutionelle oder individuelle Garantie, wobei nach meinem Dafürhalten die Interessen des Berufsbeamtentums nur gewahrt bleiben, wenn man beide Fragen vollinhaltlich bejaht. Ich hoffe, sehr verehrter Herr Professor, dass Sie meinen Ausführungen entnehmen, dass mich bei meinen Darlegungen keinerlei dunkle Motive geleitet haben; lediglich das sachliche Interesse des Kampfes für die Rechte des Berufsbeamtentums, dessen Zeitschriften meine Correspondenz weitgehend mit Material versorgt, war der Grund zu meinem Aufsatz. Ich würde es lebhaft bedauern, wenn Sie daraus auf die Absicht eines persönlichen Kampfes gegen Ihre auch von mir hochgeschätzte Person schliessen würden; nichts liegt mir ferner als das, wofür Sie mir aber hoffentlich auch das Recht zubilligen, die Interessen des deutschen Berufsbeamtentums in der Form zu verteidigen, wie ich das für zweckmässig und wirksam halte. Dass dies nach den Folgen, die gerade Ihre Auslegung des Artikels 129 für die Beamtenschaft zweifellos gehabt hat, notwendigerweise im gegenwärtigen Augenblick in schärferer Form geschehen muss, als es sonst meinerseits üblich ist, dafür bietet das Elend, das die unaufhörlichen Gehaltskürzungen über die Beamten gebracht haben, wohl eine ausreichende Erklärung. Aus 90 [Wilhelm Schröder, Die wohlerworbenen Rechte der Beamten in ihrer politischen und juristischen Bedeutung, Deutsche Beamten-Warte (Beamtenpresse), Berlin 1930].
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demselben Grunde hoffe ich auch Ihr Einverständnis dazu voraussetzen zu dürfen, dass ich sowohl Ihr geschätztes Schreiben als auch meine Antwort darauf in meiner Correspondenz ungekürzt veröffentliche. Ich benutze die Gelegenheit, Sie, hochverehrter Herr Professor, meiner besonderen Hochachtung zu versichern und zeichne als Ihr sehr ergebener gez. Rathke.
4. Aus Carl Schmitts Glosse zum Wiederabdruck des Aufsatzes Wohlerworbene Beamtenrechte und Gehaltskürzungen in den Verfassungsrechtlichen Aufsätzen (Berlin 1958, 179) „Der Aufsatz ist in der Deutschen Juristenzeitung vom 15. Juli 1931 Sp. 917–921 erschienen. Er hat eine geradezu erbitterte Polemik entfesselt, weil er die Behauptung einer ziffernmäßigen Garantie widerlegte und damit die Zulässigkeit von Gehaltskürzungen anerkannte. Die Vertreter der Beamtenorganisationen sahen darin einen Verrat am Beamtentum. Zahlreiche Aufsätze und Gutachten suchten den Schein einer entgegengesetzten herrschenden Meinung zu bewirken. Rechtswissenschaftliche Zustimmung in der damaligen Zeitschriftenöffentlichkeit fand die These von der institutionellen (im Unterschied von der ziffernmäßigen) Garantie ausdrücklich nur bei W. Schröder und E. Friesenhahn [. . .] Trotzdem hat sich der Gedanke der institutionellen Garantie des deutschen Berufsbeamtentums durchgesetzt.“
5. Jellinek über Schmitt in: Wohlerworbene Besoldungsrechte der Beamten in Zeiten der Not, in: Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt Jg 53 Heft 3 vom 16. Januar 1932, S. 41–47, hier: 41 f. „[. . .] I. Die Streitfrage. Bis vor kurzem war es nahezu einstimmige Meinung,91 daß sich der Satz des Artikel 129 Abs. 1 RB.: „Die wohlerworbenen Rechte der Beamten sind unverletztlich“ insbesondere auch auf die ziffernmäßige Höhe ihres Diensteinkommens beziehe. [. . .] Neuerdings wird diese bisher völlig herrschend gewesene Ansicht von Carl Schmitt und zweien seiner Schüler, Ernst Friesenhahn und Wilhelm Schröder bekämpft, von Schröder allerdings mit wesentlichen Einschränkungen. Die ‚neue 91 Vgl. einerseits den Gutachtenband des Beamtenbundes der Freien Stadt Danzig vom Dezember 1928: „Können Beamtengehälter . . . herabgemindert werden?“ mit Beiträgen von Triepel und anderen, andererseits W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3. Aufl. 1931 S. 210 f., S. 190.
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Lehre‘, wie sie im folgenden genannt werden soll, taucht erst im Jahre 1930, dem Beginn der gegenwärtigen Krise, auf und beruht auf dem Gedanken, RB. Art. 129 habe im wesentlichen nur eine „institutionelle Garantie“ des Berufsbeamtentums als solchen schaffen, aber keineswegs dem einzelnen Beamten mehr als einen standesmäßigen Unterhalt zubilligen wollen, vor allem nicht einen vor der einfachen Gesetzgebung sicheren Anspruch auf ein ziffernmäßig bestimmtes Gehalt. Es ist wichtig, den zeitlichen Zusammenhang der neuen Lehre mit der gegenwärtigen Krise zu unterstreichen, da durch die neueren Ausführungen Carl Schmitts92 der – von ihm sicher nicht gewollte – Anschein erweckt wird, er habe seine heutige Ansicht schon im Jahre 1928 in seiner Verfassungslehre vertreten. Richtig daran ist, daß Carl Schmitt in der Verfassungslehre zu RB. Art. 129 die treffende Bemerkung macht, der Artikel schütze nicht nur subjektive Beamtenrechte, sondern außerdem das Institut des Berufsbeamtentums als solches.93 Er deutet damit RB. Art. 129 im gleichen Sinne, wie dies Martin Wolff schon bei Art. 153 getan hatte, welche Bestimmung ebenfalls neben dem Schutze unzähliger Eigenrechte das ganze Institut des Privateigentums aufrechterhalten wissen will.94 Jene Wendung aber, wonach RB. Art. 129 kein Recht auf ein ziffernmäßig bestimmtes Gehalt gebe, findet sich in der Verfassungslehre Carl Schmitts noch nicht.95 Sie taucht erst in der Schrift seines Schülers Wilhelm Schröder über die wohlerworbenen Rechte der Beamten auf,96 und kurz darauf im Aufsatz Friesenhahns, ebenfalls eines Schülers von ihm, über Gehaltskürzungen und wohlerworbene Beamtenrechte, erschienen am 4. Juli 193097. Dies zu betonen, ist aus zwei Gründen wichtig. Einmal wären die Ausführungen eines solch angesehenen Gelehrten wie Carl Schmitt zur Frage der Gehaltskürzung sicher von besonderem Gewicht, wenn er sie schon vor der heutigen Krise in seinem Anfang 1928 erschienenen, ausgezeichneten systematischen Werke ausgesprochen hätte. Dies ist aber nicht der Fall. Sodann besteht bei Lehrmeinungen, die erst in einer gegebenen geschichtlichen Lage 92 Carl Schmitt, Wohlerworbene Beamtenrechte und Gehaltskürzungen, DJZ. 1931 Sp. 917 ff., vgl. auch Carl Schmitt in: Notverordnung und öffentliche Verwaltung, herausgegeben von der Verwaltungs-Akademie 1931, S. 26 ff. [beides glossiert in Schmitts Verfassungsrechtlichen Aufsätzen S. 174–180 und S. 236–262]. 93 Carl Schmitt, Verfassungslehre 1928 S. 172. 94 Martin Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, Festgabe für Kahl 1923, S. 5 f. 95 So mit Recht Richard Thoma in den Mitteilungen des Verbandes der deutschen Hochschulen 11 (1931) S. 137 ff. 96 Wilhelm Schröder, Die wohlerworbenen Rechte der Beamten (Art. 129 RB.) in ihrer juristischen und politischen Bedeutung 1930. 97 Ernst Friesenhahn, Gehaltskürzungen, wohlerworbene Beamtenrechte, in: Wirtschaftsdienst 15 (1930), S. 1142 ff.
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auftauchen, die Gefahr, daß sie der Lage zu nahe stehen, um objektiv zu sein. Gar zu leicht wird von mehreren, der augenblicklichen Lage entsprechenden Lösungen einer Schwierigkeit nur eine erkannt und dann über das augenblickliche Bedürfnis hinaus verallgemeinert. Daher sei noch einmal festgestellt, daß die neue Lehre aus dem Krisenjahr 1930 stammt.“
6. Jellinek, Rezension von Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, München 1932 (DJZ 36, 1933, S. 116) Es hätte sich wohl verlohnt, dem tieferen Sinne der Ausdrücke „Legalität“ und „Legitimität“ – der erste für Handlungen, der zweite für Personen und Gewalten gebräuchlich – nachzugeben und vielleicht auch noch mit dem Wort „Loyalität“ in Beziehung zu bringen, ehe die glänzende, nirgends näher erläuterte Antithese zum Titel einer so geistsprühenden Abhandlung gewählt wurde wie der vorliegenden. Denn der Titel läßt kaum ahnen, was uns der hellsichtige Beobachter unseres Verfassungslebens über den Gesetzgebungs-, Jurisdiktions-, Regierungs- und den Verwaltungsstaat und vieles andere Bedeutendes zu sagen weiß. Zunächst erörtert Verf. die Voraussetzungen, unter denen das parlamentsbeschlossene Gesetz die alt überkommene Wertschätzung allein verdient, und rechnet dazu vor allem den im Parlament lebendigen Willen, auch der augenblicklichen Minderheit die „gleiche Chance politischer Machtgewinnung“ zu belassen. Das Kernstück der Schrift ist mit einer Fülle feiner Bemerkungen den drei außerordentlichen Gesetzgebern der Weimarer Verf. gewidmet: dem Verfassungsgesetzgeber, dem Volke beim Volksentscheid und dem Reichspräsidenten bei Handhabung des Art. 48. Danken wir dem Verf. für diesen neuen Beweis der Lebendigkeit seines Geistes! Professor Dr. Walter Jellinek, Heidelberg 7. Jellinek über Schmitt in Leipzig Jellinek war als Beobachter während des ganzen Prozesses anwesend, sah Schmitt dort im Oktober über eine Woche lang und schrieb einen eingehenden Prozessbericht. Auch Anschütz war in Leipzig als Anwalt der preußischen Gegenpartei da, verhielt sich aber, so jedenfalls Jellineks Beschreibung, als sachverständiger Jurist sehr zurückhaltend.98 Die Vertreter des Reiches, Schmitt, Bilfinger und Jacobi, waren dagegen „raffiniert aufeinander eingespielt“ und politisch offensiver. Das Auftreten von Staatsrechtsleh98 Dazu vgl. Gerhard Anschütz, Aus meinem Leben, hrsg. von Walter Pauly, Frankfurt 1993, S. 326 f.
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rern vor dem Staatsgerichtshof sei „ein Problem“, meint Jellinek im Bericht. Etwas „Dämpfung“ insbesondere der polemischen Angriffe auf die Kollegen hätte „ab und zu wohlgetan“. „Ausgezeichnet schnitten Erwin Jacobi und Hans Peters ab“, schreibt Jellinek. Bilfinger dagegen habe mehr für die Kollegen gesprochen. „Carl Schmitt, der in allen seinen Ausführungen den einmal aufgenommenen Faden mit unvergleichlicher Kunst weiter und zu Ende spann und dessen seltene Gabe zur Schau überraschender Perspektiven sich auch hier wieder einmal glänzend bewährte, war dem Gericht wohl etwas unheimlich; denn ein Gericht hat den begreiflichen Wunsch, bei der Urteilsfindung festen Boden unter den Füßen zu behalten, und den hätte es nach Meinung der Richter, die ich sprach, verlassen, wenn es sich der Führung dieses ungewöhnlichen Mannes anvertraut hätte.“99
8. Gutachtenentwurf, verfasst von Walter Jellinek100 Juristische Fakultät Heidelberg, den Auf den Erlass vom 29.5.1933 Nr. A. 12118. Wiederbesetzung des Lehrstuhls für öffentliches Recht
Juni 1933
Durch Entpflichtung des Geh. Justizrats Professor Dr. ANSCHUETZ ist das von ihm bekleidete Ordinariat für öffentliches Recht frei geworden. Der Aufforderung des Herrn Ministers entsprechend macht die Fakultät nachstehend Vorschläge zur Wiederbesetzung des Lehrstuhls. I. Ausser der Reihe und vor dem üblichen Dreiervorschlag nennt die Fakultät den geistvollsten der heutigen Staatsrechtslehrer mittleren Alters: CARL SCHMITT, z. Zt. ordentlicher Professor an der Universität Köln, wohnhaft Köln-Lindenthal, Pfarriusstrasse 6. Geboren 1888 in Plettenberg (Westfalen), promovierte CARL SCHMITT mit einer strafrechtlichen Arbeit in Strassburg, habilitierte sich ebendort 1916, kam nach dem Krieg an die Technische Hochschule in München,101 von dort 1921 als Ordinarius nach Greifswald und dann 1922 nach Bonn. 1928 nahm er einen Ruf an die Handelshochschule Berlin an.102 Seit 1. April dieses Jahres wirkt er wieder als ordentlicher Professor an einer Universität, der von Köln. 99 Walter Jellinek, Der Leipziger Prozess, in: RuPVWBl 53 (1932), S. 901–908, hier: S. 904. 100 Universitätsarchiv Heidelberg, H-II 563/3. 101 [Richtig: Handelshochschule München]. 102 [Der Ruf erfolgte 1927; zum SS 1928 begann Schmitt in Berlin seine Lehrtätigkeit].
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Seine zahlreichen Schriften sind vornehmlich der Staatslehre, der Verfassungslehre, dem geltenden Staatsrecht und dem Völkerrecht gewidmet. Sie verraten ein ganz außergewöhnliches historisches Wissen, eine erstaunliche Belesenheit und eine seltene Kunst des Zusammenschauens und der Erfassung des Wesentlichen. Sein Hauptwerk, die 1928 erschienene Verfassungslehre, ist in seiner Art bahnbrechend, aber schon mit den früheren Werken ‚Politische Romantik‘ (1919, 2. Aufl. 1925) und ‚Die Diktatur‘ (1921, 2. Aufl. 1928) begründete er seinen Ruhm innerhalb und außerhalb Deutschlands. Viel genannt wegen des Titels und des Inhalts wird seine Schrift über den ‚Hüter der Verfassung‘ (1931), berühmt ist auch sein Aufsatz über den ‚Begriff des Politischen‘ (1927), an der Schwelle der neuesten Ereignisse steht seine geistvolle Schrift ‚Legalität und Legitimität‘ (1932). Doch auch die kleineren Aufsätze und Schriften verraten durchweg die Hand des Meisters. Nimmt man hinzu, daß Carl Schmitt ein glänzender Lehrer ist, daß schon drei bedeutende Schüler von ihm habilitiert sind,103 so wird man den Wunsch der Fakultät verstehen, den außergewöhnlichen Mann gerade als Nachfolger eines Mannes von der wissenschaftlichen Bedeutung eines ANSCHUETZ an Heidelberg zu binden. Die große Frage ist nur, ob CARL SCHMITT zu gewinnen sein wird. Keinesfalls möchte sich die Fakultät einer sicheren Ablehnung oder sich lange hinziehenden und dann doch scheiternden Berufungsverhandlungen mit ihm aussetzen. Sie hat daher Schritte unternommen, um zu sondieren, ob CARL SCHMITT die Annahme eines Rufes nach Heidelberg ernstlich in Erwägung ziehen würde, und wird das Ergebnis ihrer Erkundigungen baldigst nachreichen. II. Sollte die Gewinnung Carl Schmitts nicht möglich sein, so schlägt die Fakultät die Professoren KOELLREUTTER, HECKEL und KÖTTGEN vor,104 und zwar die beiden ersten nach dem Alter geordnet, pari passu an erster Stelle, KOETTGEN an zweiter Stelle.105
103 [Gemeint sind hier wohl Ernst Rudolf Huber, Ernst Friesenhahn und Ernst Forsthoff, die von Schmitt in den Bonner Jahren promoviert wurden und sich später unabhängig von Schmitt in Bonn (Huber, Friesenhahn) und Freiburg (Forsthoff) habilitierten.]. 104 Otto Koellreutter, Johannes Heckel, Arnold Köttgen. 105 [Es folgen 3 Seiten gutachterliche Ausführungen zu dieser Dreierliste.].
Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen Korrespondenzen bis 1933 mit Hans Pichler, Eduard Spranger, Alfred Baeumler, Alois Dempf, Paul Ludwig Landsberg, Theodor Litt, Leo Strauss, Helmut Kuhn, Martin Heidegger, Eric Voegelin1 Herausgegeben von Reinhard Mehring Während Carl Schmitt in der Zwischenkriegszeit das Gespräch mit Theologen (Wilhelm Neuss, Erik Peterson, Karl Eschweiler u. a.) intensiv suchte, verhielt er sich den namhaften Fachvertretern der deutschen Universitätsphilosophie gegenüber eigentümlich reserviert. Engere Beziehungen pflegte er eigentlich mit keinem. Vor 1918 suchte er dagegen den Kontakt mit Hans Vaihinger. Seine Habilitationsschrift2 verstand sich explizit als rechtsphilosophische Untersuchung. Aus der Zwischenkriegszeit sind nur wenige Briefe etablierter Universitätsphilosophen (Kriterium: Habilitation) erhalten oder bekannt. Zwar gibt es kleinere Korrespondenzen mit katholischen „Naturrechtlern“. Mit den heute anerkannten Universitätsphilosophen und Ordinarien der Weimarer Republik stand Schmitt aber – in Bonn und Berlin – nur in peripheren Beziehungen. Dabei wurde sein Denken immer wieder mit dem philosophischen „Existentialismus“ und der „Philosophischen Anthropologie“ verbunden. Philosophische Literatur las er eher beiläufig, intensive Scheler-, Jaspers-, Heidegger-, Spranger-, Hartmann- oder Cassirerlektüre ist nicht bezeugt. Am 30. Juli 1927 notiert Schmitt nach einer akademischen Veranstaltung einmal ein „schönes Essen, mit Scheler und Hartmann“ (TB 30.7.1927) in Köln. Mit Helmuth Plessner gab es zwar nähere Begegnungen; ein Widmungsexemplar von Macht und menschliche Natur ist im Nachlass erhalten, briefliche Korrespondenz aber fehlt. 1 Verschiedenen Personen und Archiven habe ich zu danken: Dr. Gerd Giesler für Diverses, Rolf Riess und Prof. Ewald Grothe für Transkriptionshilfen, Dr. Stefan Cramme, Dr. Sylvia Martinsen und Martina Kirstein für gravierende Probleme der Spranger-Transkription, Corrado Badocco für die Auffindung von Schmitts Briefen an Voegelin, Prof. Peter J. Opitz vom Voegelin-Archiv München für wichtige Hinweise und die Druckgenehmigung, Herrn Dr. Meusch und dem Landesarchiv NRW, dem Bundesarchiv Koblenz, der Bayerische Staatsbibliothek, dem Universitätsarchiv Bonn sowie Gerhard Gerstenhöfer (Dempf) und Prof. Annette Kuhn ebenfalls für Abdruckgenehmigungen. 2 Carl Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 1914.
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Einige direkte Kontakte mit Universitätsphilosophen werden hier im Kern der Briefe dokumentiert. Das Resultat ist etwas überraschend: Eine echte Korrespondenz über einen längeren Zeitraum hinweg gab es wohl nur mit Eduard Spranger und Eric Voegelin, sieht man einmal von dem JüngerFreund Hugo Fischer ab, der eher in Schmitts Vernetzung mit der sog. Konservativen Revolution gehört. Sehr peripher blieben die Berührungen mit Helmuth Plessner, Leo Strauss, Helmut Kuhn und Martin Heidegger. Marginal waren auch die Kontakte mit den Berliner Kollegen Arthur Liebert, Nicolai Hartmann und dann Alfred Baeumler. Es muss davon ausgegangen werden, dass Schmitt die Begegnung mit positionell zeitweise recht verwandten Autoren wie Scheler und Heidegger mied. Bei den zahlreichen indirekten Berührungen und Mittlern der jüngeren Generation ist das geradezu überraschend. Bezeichnend ist, dass Schmitts Name im Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Heidegger nicht fällt.3 Von den hier genannten Philosophen interessierte Schmitt sich wohl vor allem für Eric Voegelin, nur mit ihm suchte er auch nach 1945 das Gespräch. Sucht man nach losen Vernetzungen in den spärlichen Philosophenkontakten, so lassen sich die Deutsche Philosophische Gesellschaft, die Hobbes-Gesellschaft und die Kant-Gesellschaft, das Projekt einer Philosophischen Anthropologie sowie die philosophische Rezeption des Begriffs des Politischen nennen. Die engere Beziehung zu Eduard Spranger fällt hier etwas heraus. Über Hans Pichler entstehen erste Berührungen mit der Deutschen Philosophischen Gesellschaft. Ferdinand Tönnies (1855–1936) hatte seine philosophische Professur 1916 niedergelegt und lehrte in Weimar nur noch Soziologie. Drei Briefe Schmitts an Tönnies betreffen die Liberalismuskritik. Ein Brief vom 21. Juni 1930 belegt immerhin, dass Schmitt schon vor 1933 Mitglied der Hobbes-Gesellschaft war.4 Vor 1933 begegnete er auch bereits Hans Freyer (1887–1969), der zwar habilitierter Philosoph war, dann aber als Soziologe lehrte. Briefe Freyers sind erst seit den 40er Jahren erhalten. In seiner Bonner Zeit kam Schmitt über Paul Ludwig Landsberg mit dem Projekt der Philosophischen Anthropologie in Berührung. Er begegnete Plessner, mied aber Scheler. Über seinen Bonner Theologenfreund Erik Peterson lernte er den Göttinger Philosophen Hans Lipps (1889–1941) kennen,5 dem er auch nach 1933 noch gelegentlich begegnete. 3 Ernst Jünger/Martin Heidegger. Briefe 1949–1975, hrsg. von Günter Figal, Stuttgart 2008. 4 Carl Schmitt am 21.6.1930 an Ferdinand Tönnies, in: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek in Kiel (cb 54.56: 734, 10). 5 Vier teils schwer lesbare Briefe von Lipps an Schmitt sind im Nachlass erhalten (RW 265-8866-8869). Im ersten (25.4.1925) dankt er für das Geschenk der Politischen Romantik, auf einer Karte (14.5.1925) für die Broschüre Die Rheinlande als Objekt der internationalen Politik und in einem längeren Brief (25.10.1926) erläu-
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Nur selten trat er vor philosophischem Fachpublikum auf. Am 22. Mai 1929 sprach er auf Einladung seines Berliner Kollegen Arthur Liebert6 vor der Kant-Gesellschaft in Halle über „Staatethik und pluralistischer Staat“. Es war der Eröffnungsvortrag zur international begangenen Jubiläumsveranstaltung des 25. Geburtstags der Gesellschaft.7 Hans Freyer sprach auch auf dieser Tagung. Gleich drei Vorträge fallen ins Jahr 1931, dem Erscheinungsjahr der Broschüre Der Begriff des Politischen. Am 15. Januar 1931 sprach Schmitt vor der Deutschen Philosophischen Gesellschaft8 in Berlin „über Notverordnung“. Mit den nationalistischen Hauptvertretern der Gesellschaft, Hermann Schwarz, Bruno Bauch oder Max Wundt, hatte er aber nichts zu tun; Spranger und Hartmann waren in der Berliner Ortsgruppe engagiert. Der Leipziger „Ganzheitsphilosoph“ Felix Krüger war bis 1934 der Vorsitzende der Gesellschaft. Dessen Schüler Hugo Fischer gab das Organ der Gesellschaft heraus, die Blätter für Deutsche Philosophie. 1934 wechselten Vorsitz und Herausgeberschaft.9 Bruno Bauch wurde Vorsitzender und Heinz Heimsoeth übernahm die Redaktion der Blätter. Schmitt publizierte vor 1933 zwar im Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie10 sowie in den liberalen Kant-Studien, aber nicht in den Blättern für Deutsche Philosophie, obwohl er mit dem Jünger-Freund Hugo Fischer in regelmäßiger Korrespondenz stand.11 Am 8. Juli 1931 sprach er erneut vor der Deuttert er anthropologische Fragen; auf einer Karte vom 8.7.1933 dankt er Schmitt für die Bereitschaft, ihm bei der akademischen Karriere zu helfen. Lipps hatte sich zwar 1921 in der Philosophie habilitiert, wechselte aber 1928 auf ein Extraordinariat in die Mathematik und habilitierte sich 1934 erneut in die Philosophie um, um ab 1936 endlich eine bezahlte Professur in der Frankfurter Philosophie zu erhalten. Lipps war Arzt und Soldat gewesen und äußerte sich im Brief von 1933 gegenüber Schmitt politisch sehr opportunistisch. In seinen Tagebüchern erwähnt Schmitt Begegnungen mit Lipps. 6 Dazu Reinhard Mehring, Arthur Liebert. Ein Geschäftsführer des philosophischen Humanismus im Exil, in: Gerald Hartung/Kay Schiller (Hrsg.), Weltoffener Humanismus. Philosophie, Philologie und Geschichte in der deutsch-jüdischen Emigration, Bielefeld 2006, S. 91–109. 7 Dazu bes. die Begrüßungsansprache von Liebert im Heft 1 (1930) der KantStudien. 8 Dazu jetzt Ulrich Sieg, Geist und Gewalt. Deutsche Philosophen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 2013. 9 Dazu die Mitteilungen in: Blätter für Deutsche Philosophie 8 (1934/35), S. 121–123. 10 Dazu Reinhard Mehring, Carl Schmitt im Archiv, in: Annette Brockmöller/ Eric Hilgendorf (Hrsg.), Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert. 100 Jahre Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Stuttgart 2009, S. 51–67. 11 Nur im Jahre 1931 wird Schmitts Werk auch in den Blättern rezensiert. Zunächst erscheint eine sachlich würdigende, nicht unkritische Rezension der Verfassungslehre durch den Holstein-Schüler Karl Larenz (H. 5, 1931/32, S. 159–162) und das Doppelheft 2/3 (1931) ist dann ein staatsrechtliches Themenheft u. a. mit
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schen Philosophischen Gesellschaft, nun in Leipzig. Vom 13. November 1931 datiert ein Radiovortrag über „Hegel und Marx“.12 Schmitt ist damals an einer philosophischen Diskussion seines Begriffs des Politischen interessiert. Einige Jahre später, am 21. Januar 1938 sprach er dann auf Einladung Gehlens wieder in der Deutschen Philosophischen Gesellschaft in Leipzig und am 29. April 1938 vor der Hobbes-Gesellschaft in Kiel.13 Schmitt verstand sich als „politischer Theologe“. Nach seinen programmatischen Broschüren von 1922 und 1970 ist dieser Befund an sich trivial. Er ist aber in seinem konfessionellen, dogmatischen und akademischen Gehalt aus guten Gründen, der Komplexität und Polysemantik des Werkes wegen, weiterhin umstritten. Diverse Rekonstruktionen liegen vor. Die postidealistische Philosophie nach Hegel, seit den Junghegelianern und nach Nietzsche hatte Philosophie und Theologie als konfessionelle Diskurse einander angenähert. Schmitt neigte in der Linie des lebensphilosophischen „Irrationalismus“14 deshalb auch zu einem weiten und imperialen Verständnis von „Theologie“ und las Philosophen religionsgeschichtlich. Distanz im Selbstverständnis schließt freilich philosophische Interessen und Anregungspotentiale nicht aus. Heinrich Meier15 propagierte schon vor 25 Jahren die wirkmächtige Disjunktionsthese, dass Schmitt seine „Theologie“ als autoritäts- und offenbarungsgebundenen „Gehorsam des Glaubens“ gegen die (sokratische) Philosophie (von Leo Strauss) profilierte. Gespräche mit Anund Abwesenden hat Schmitt nun viele geführt und eine dogmatische Engführung auf eine schlichte und systematisch fragwürdige Unterscheidung verkürzt die intellektuellen Konstellationen beträchtlich. Zweifellos umfassen die frühen Korrespondenzen mit universitär etablierten Philosophen (nicht: rechtsphilosophisch orientierten Juristen wie Alfred Verdross oder Carl August Emge) aber nur einen relativ überschaubaren Teil im labyrinthischen Düsseldorfer Nachlass. Für die Zeit nach 1945 ändert sich das: Schmitt tritt ins Gespräch mit Kojève und Joachim Ritter ein und führt ausBeiträgen von Leibholz, Scheuner, Forsthoff sowie Hubers erster großer Besprechungsabhandlung von Schmitts Werk. Schmitt selbst aber veröffentlichte in den Blättern vermutlich aus grundsätzlichen Vorbehalten keinen Beitrag, weil ihm der organizistische Nationalismus der Blätter nicht zusagte und Othmar Spann auch als Autor mehrfach vertreten war. 12 Carl Schmitt, Hegel und Marx, in: Marx-Engels-Jahrbuch 2004, Berlin 2005, S. 219–227. 13 Dazu vgl. Christian Tilitzki, Der Mythos des Leviathan. Presseberichte und Anmerkungen zu Vorträgen Carl Schmitts in Leipzig und Kiel, in: Schmittiana 6 (1998), S. 167–181. 14 So der Befund von Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 1923, München 2. Aufl. 1926. 15 Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und ‚Der Begriff des Politischen‘. Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart 1988.
Korrespondenz mit Hans Pichler
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giebige Korrespondenzen mit den jungen Ritter-Schülern sowie anderen Philosophen (Karlfried Gründer, Karl-Heinz Ilting, Hermann Lübbe, Odo Marquard, Rainer Specht, Bernard Willms, dem NS-belasteten HartmannSchüler Hermann Wein16 u. a.). Die Korrespondenz mit Arnold Gehlen17 ist eher soziologisch-politisch und berührt Grundlegungsfragen Philosophischer Anthropologie kaum. Die Briefwechsel mit Hans Blumenberg und Jacob Taubes wurden inzwischen veröffentlicht.18 In der späten Selbstdeutung und Vergangenheitspolitik Schmitts sind sie vorsichtig zu lesen. Die Politische Theologie II öffnet sich abgrenzend von der theologischen Dogmatik Erik Petersons erneut philosophischen Fragestellungen und Verfahren. Für die Dokumentation wurde der Personenkreis der „Weimarer Universitätsphilosophen“ formal ziemlich streng genommen. Die wichtigsten akademisch etablierten und profilierten Philosophen aus der Bonner und der Berliner Zeit sollten berücksichtigt werden. Das Kriterium der Venia ist aber nicht immer transparent. Leo Strauss war nicht habilitiert und Eric Voegelin hatte keine Venia für Philosophie. Beide sind aber heute als Philosophen anerkannt. Hans Lipps und Hugo Fischer wurden pragmatisch herausgelassen. Von weiteren Briefen und Berührungen mit anderen Universitätsphilosophen ist auszugehen. Die teils schwierigen Transkriptionen sind mitunter etwas fragmentarisch und unbefriedigend. Eine kritische Edition liegt hier nicht vor.
I. Hans Pichler Hans Pichler (1882–1958) promovierte 1906 in Heidelberg bei Wilhelm Windelband, lebte dann in Wien und wechselte 1913 nach Graz, wo er sich im gleichen Jahr habilitierte. 1921 wurde er als Ordinarius nach Greifswald berufen19 und lehrte dort bis 1949. Pichler war von der deutschen Schulphilosophie von Leibniz, Christian Wolff und Kant stark geprägt und vertrat eine Metaphysik und Ontologie der „Ganzheit“ und „Ge16
Hermann Wein war zeitweise ein Mitarbeiter im Amt Rosenberg. Dazu Reinhard Mehring, Enttäuschende Entwicklung? Arnold Gehlens Briefe an Carl Schmitt, in: Berliner Debatte Initial 18 (2007), S. 105–112. 18 Hans Blumenberg/Carl Schmitt. Briefwechsel 1971–1978 und weitere Materialien, hrsg. von Alexander Schmitz/Marcel Lepper, Frankfurt 2007; Carl Schmitt/ Jacob Taubes. Briefwechsel mit Materialien, hrsg. von Herbert Kopp-Oberstebrink u. a., München 2012; dazu meine Besprechung in: ZRGG 64 (2012), S. 204–207. 19 Dazu vgl. Christian Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Berlin 2002, Bd. I, 104 ff.; Tilitzki betont Pichlers politische Nähe zu Hermann Schwarz in der Deutschen Philosophischen Gesellschaft. Zu Pichler vgl. Günther Jacoby, Denkmal Hans Pichlers zum 5. Todestag, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 17 (1963), S. 462–476. 17
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
meinschaft“. Wie Schmitt wechselte auch Pichler 1921 aus dem katholischen Süden nach Greifswald. Dort lehrte er neben Hermann Schwarz (1864–1951), einem Mitbegründer der Deutschen Philosophischen Gesellschaft, der schon 1923 in die NSDAP eintrat. Im Tagebuch erwähnt Schmitt eine erste Begegnung mit Pichler am 29. Oktober 1921. Für beide war Greifswald im WS 1921/22 noch „neu“. Nach Schmitts Weggang schrieben sich beide 1922 öfters. Pichler spricht Anfang Mai von so manchem „frdl. Kartengruss“. Die Tagebuchfragmente erwähnen für diesen Zeitraum noch drei weitere Briefe, so dass die ganze Korrespondenz wohl mindestens zwanzig Briefe umfasste. Schmitt traf Pichler später gelegentlich erneut in Berlin. Am 22. Januar 1929 schickte er den Begriff des Politischen und sah Pichler dann am 25. Januar zum Mittagessen. Schmitts Tagebuch verzeichnet am 13. Januar 1933 noch einen Brief „an Pichler nach Greifswald“. Die Beziehung erlosch aber nach dem Greifswalder Intermezzo allmählich. Im Nachlass befinden sich zwei Sonderdrucke. Der erste (Zur Lehre von Gattung und Individuum, in: Beiträge zur Philosophie des Deutschen Idealismus, hrsg. von Arthur Hoffmann/Horst Engert, Erfurt 1918, 1–13) enthält keine Lesespuren. Den zweiten (Die Problematik der politischen Moral, in: Archiv für angewandte Soziologie 3, 1931, 106–121) hat Schmitt durchgearbeitet. Pichler zitiert hier Schmitts Begriff des Politischen und schreibt S. 112 (von Schmitt angestrichen): „Carl Schmitt verdanken wir die merkwürdige und für Viele sicher beunruhigende Feststellung, daß alle echten politischen Theorien den Menschen als ‚böse‘ voraussetzen, d.h. negativ bewerten.“20
1. Hans Pichler an Carl Schmitt Brief, ms. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-11058
Greifswald, Pension Leplow, 8.4.22. Lieber Herr Schmitt. Ihre frdl. Zeilen21 freuten mich herzlichst, teilten mir aber Ihre Adresse nicht mit. Nun sind Sie gewiss schon in der Heimat?22
20 Zur politischen Haltung Pichlers vgl. auch ders., Die Objektivität in der Politik, in: Blätter für Deutsche Philosophie 7 (1933), S. 259–266. 21 Briefe Schmitts an Pichler wurden bisher nicht gefunden. 22 Bonn/Rheinland; Schmitt wechselte zum SS 1922 von Greifswald nach Bonn. Dazu vgl. Matthias Braun/Volker Pesch, Die Umstände der Berufung Carl Schmitts nach Greifswald, in: Schmittiana 7 (2001), S. 195–206.
Korrespondenz mit Hans Pichler
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Scheffer23 war einige Tage hier, wohnte bei Ihnen,24 war aber sehr fleissig und fuhr allzu schnell wieder fort. Jetzt ist er in Genua. Herr Merk25 schickte mir zwei Abhandlungen, schrieb aber seine Adresse so undeutlich, dass mein Dankbrief als unzustellbar zurückkam – bitte: wie ist sie? Lassen Sie mich von Ihrer Ferienreise hören und von Ihren ersten Bonner Erlebnissen. Wie war es in Marburg? Wer sind die Diadochen Natorps?26 Also lauter Fragen. Von uns ist nichts zu berichten, das Wetter ist ganz übel. Ich las vielerlei Politisches: das beste ist Haller über die Ära Bülow.27 Wir alle grüssen Sie herzlichst Ihr ganz ergebener Hans Pichler
2. Hans Pichler an Carl Schmitt Brief, ms. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-11059
Greifswald, Pension Leplow, 7.5.22. Lieber Freund. Sie sandten mir in den Ferien so manchen frdl. Kartengruss28 – ich konnte ihn nie richtig erwidern, da ich Ihre Adresse nicht wusste. 23
Der Russlandexperte und Journalist Paul Scheffer (1883–1963). Also wohl in Schmitts alter Greifswalder Wohnung. 25 Gemeint sein könnte der Rechtshistoriker Walther Merk (1883–1937), 1919 Prof. in Rostock, 1920 in Marburg; Pichler erkundigt sich nach Schmitts damaligem Marburger Aufenthalt, auch aus Interesse an der Nachfolge Paul Natorps (1854–1924). 26 Schmitt war damals einige Zeit in Marburg, um die Promotion seiner irischaustralischen Geliebten Kathleen Murray bei E. R. Curtius zu unterstützen. Dazu eingehend Reinhard Mehring, „mit symbolischer Bedeutung in der Bahnhofstraße“: Carl Schmitts Greifswalder Intermezzo, in: Joachim Lege (Hrsg.), Greifswald – Spiegel der deutschen Rechtswissenschaft 1815 bis 1945, Tübingen 2009, S. 323–353; ders., Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, München 2009, 129 ff. Paul Natorp lehrte von 1893 bis 1922 in Marburg; Nicolai Hartmann wurde sein Nachfolger und Martin Heidegger erhielt 1923 ein Extraordinariat in Marburg. 27 Johannes Haller, Die Ära Bülow. Eine historisch-politische Studie, Stuttgart 1922. 28 Fehlt. Schmitts Tagebuch verzeichnet dann Briefe an Pichler vom 22. Mai, 16. Juli und 21. August 1922, dazu am 22. Juli 1922 einen „Brief von Pichler, der mir viel Freude machte“ und auch Kathleen Murray betraf. 24
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
Sie werden nun schon – organisch oder unorganisch?29 – in Bonn inkorporiert sein, lassen Sie mich bitte darüber hören. Da die neu hergekommenen Herren Holstein,30 Radon (Mathematik), Jachmann (Latinistik) recht munter und nett sind, bin ich nicht ganz verlassen. Ich bin neugierig, ob Holstein hier d.h. in seiner Fakultät Glück hat – mir gefällt er sehr. Schlick31 hat die Berufung nach Wien noch nicht angenommen, er fordert nun, nachdem seine bisherigen Bedingungen erfüllt wurden, eine Wohnung an der Peripherie des 18. oder 19. Bezirks bis Pfingsten. Was macht der treue Zigeuner?32 Und das Max Weber-Heft?33 Aus der beiliegenden Einladung34 ersehen Sie, wie sehr ich meine bescheidenen Talente ausschlachte. Von uns allen herzlichsten Gruss Ihr ergebenster Hans Pichler 3. Hans Pichler an Carl Schmitt Brief, ms. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-11060
Greifswald, Karlsplatz 15, 3.XII.22. Lieber Herr Schmitt. Kommen Sie doch von Berlin nach Greifswald! Eine Unterkunft könnten wir auch improvisieren – wir würden uns herzlich freuen, Sie wiederzusehen. 29 Anspielung auf philosophische Kategorien der Schule Othmar Spanns, die Schmitt als politische Romantik ablehnte. Ironischer Kontroverspunkt zwischen Schmitt und Pichler. 30 Günther Holstein vertrat Schmitts Lehrstuhl nach dessen Weggang und wurde 1924 dessen Nachfolger in Greifswald. Schmitt polemisierte gegen Holstein, so im Briefwechsel mit Rudolf Smend. Dazu vgl. Stefan Korioth, „Geisteswissenschaftliche Methode“ und Rückwendung zum Rechtsidealismus: Günther Holstein (1892–1931), in: Joachim Lege (wie Anm. 26), S. 285–302. 31 Der Philosoph Moritz Schlick (1882–1936) wechselte 1922 als Nachfolger Ernst Machs von Kiel nach Wien. 1936 wurde er dort im Treppenhaus der Universität von einem ehemaligen Studenten erschossen. 32 Autobiographisch konnotierter Novellenentwurf von Carl Schmitt, Der treue Zigeuner, in: Schmittiana 7 (2001), S. 20–27. 33 Carl Schmitt, Soziologie des Souveränitätsbegriffs und politische Theologie, in: Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber, Bd. II, München 1923, S. 3–35. 34 Fehlt.
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Wir sind sehr zufrieden mit unserer Wohnung, sie ist behaglich und prächtig. Es lässt sich nicht in Erfahrung bringen, ob Holstein in den Vorschlag aufgenommen wurde – eisiges Schweigen – Neuwiem35 soll gegen ihn wettern; falls er in der Liste steht, ist seine Sache doch noch nicht gewonnen. Vielleicht hören Sie authentisches in Berlin. Meine Abhandlung,36 die Sie in Ihrer Entwicklung so freundlich gehegt haben, trug mir einige Ermunterungen ein. Ich muss mich weit mehr schinden als im letzten WS, da ich alles erstmalig lese, ausserdem fehlt jede Verführung, die mich mit meiner Einsamkeit entzweien könnte. Scheffer ist in Moskau, vielleicht treffe ich ihn in den Weihnachtsferien in Berlin. Mit unseren herzlichsten Grüssen Ihr ergebener Hans Pichler
4. Hans Pichler an Carl Schmitt Brief, ms. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-11061
Greifswald, Karlsplatz 15, 8.4.23. Lieber Herr Schmitt. Meine Erwartung Sie in Berlin zu treffen – der Brief37 kam doch in Ihre Hand? – blieb leider unerfüllt. Wann werden wir uns nun wieder sehen? In der Vjschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte hat der Freiburger Historiker Below38 meine Geschichtsphilosophie besprochen und es dabei ungnädig vermerkt, dass ich mich auf Ihre Romantik berufe. 35 Erhard Neuwiem (1889–1943), Verwaltungsrechtler, 1920 Prof. Greifswald, 1930 Prof. Münster. 36 Wahrscheinlich: Hans Pichler, Zur Philosophie der Geschichte, Tübingen 1922. 37 Pichlers Brief fehlt. 38 Georg von Below, Rezension von Hans Pichler, Zur Philosophie der Geschichte (wie Anm. 36), in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 17 (1923), 176; Below schreibt in der kurzen und ansonsten lobenden Besprechung: „Nicht einverstanden bin ich mit der Einschätzung, die die romantische Bewegung bei P. erfährt. [. . .] S. 13 verweist P. auf die Studie von SCHMITZ
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
Ich habe einen ganz kleinen Aufsatz über Weisheit und Tat39 geschrieben, darf ich ihn Ihnen unterbreiten, bevor er in die Welt geht? Alles Liebe Ihr getreuer Hans Pichler Viele Grüsse von meiner Frau.
5. Hans Pichler an Carl Schmitt Brief, ms. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-11062
Greifswald, Karlsplatz 15, 19.7.23. Liebster Herr Schmitt. Ich erröte, dass Ihre frdl. Karte mir zuvorkam – ich muss Ihnen für Ihr überaus repräsentatives Buch über den Katholizismus40 danken! Ich musste Ihr Werk freilich im steten Hinblick auf Sie lesen,41 der Katholizismus kam dabei zu kurz, und diese Befangenheit, nur den Prediger, nicht die Predigt zu hören, raubt mir nun alle Fähigkeit zu zeigen, dass Sie sich nicht ganz an mich verschwendet haben. Ich werde Sie doch in diesen Ferien sehen? Ich bin fast immer in Greifswald, mache nur drei-Tage-Ausflüge zum Meer – vielleicht beteiligen Sie sich an einem solchen Ausflug? Ab dem 10. August entleeren sich ja die Bäder! Im Sept. bin ich auf einen Sprung in Berlin, auch dort könnten wir uns sehen. Sie könnten aber auch bei uns in Greifswald wohnen! Meine Frau ist in Carlshagen bei Usedom. Ich lechze nach Semesterschluss.
[sic!] DOROTIC. Allein diese gibt ein Zerrbild von der Romantik.“ Pichlers Verweis auf Schmitt ist denkbar beiläufig und harmlos. Pichler schreibt in einer Fußnote zur „Passivität“ der Romantik: „Über die zweideutige Stellung des Romantikers zur Vergangenheit und Zukunft vgl. Schmitt-Dorotic´, Politische Romantik, 1919, S. 49 ff.“. Below (1858–1927) war nationalistisch engagiert, betonte die positive Rolle der Romantik und gab damals mit Othmar Spann zusammen die Reihe Herdflamme heraus. 39 Hans Pichler, Weisheit und Tat, Erfurt 1923. 40 Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Hellerau 1923. 41 Evtl. Anspielung auf Schmitts Verhältnis zu K. Murray.
Korrespondenz mit Hans Pichler
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Dass Sie meine Schrift42 so freundlich aufnahmen, hat mich sehr beglückt. Ich will ein Exemplar an Blei43 senden. Auf gutes Wiedersehen! Ihr getreuer Hans Pichler
6. Hans Pichler an Carl Schmitt Brief, ms. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-11063
Greifswald, Karlsplatz 15, 30.X.23. Lieber Herr Schmitt. Schönsten Dank für Ihre liebe Karte.44 Ich hatte immer auf das Wiedersehen gewartet. – Wären Sie doch in Greifswald geblieben! Ich bin jetzt ganz einsam hier. Scheffer hat gar nichts mehr von sich hören lassen. Wären Sie doch in Greifswald geblieben! Alles Gute, auch von meiner Frau Ihr getreuer Hans Pichler
7. Hans Pichler an Carl Schmitt Karte, hs., gedr. Adresse: Prof. Hans Pichler/Karlspl. 15/Greifswald LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-11064
12.X.27 Lieber Herr Schmitt Endlich Zeichen,45 dass Sie mein gedenken – ich danke Ihnen nun herzlich für den Begriff des Politischen46 – für mich überaus wichtig. Ich grüble, was hinter Ihren Ausführungen stehen mag (bei Mittelmässigem frage ich, was davor steht) – hinter Ihren Ausführungen, denn „Freund u. Feind“ ist eine 42
Evtl. Hans Pichler (wie Anm. 39). Franz Blei (1871–1942), bedeutender Publizist, 1917 bis 1933 mit Schmitt eng befreundet. 44 Nicht erhalten. 45 Verlorener Antwortbrief. 46 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 58 (1927), 1–33. 43
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
formale Kennzeichnung und sie werden uns den Sinn, der im jus belli et pacis liegt, nicht vorenthalten. [Randergänzung:] Der Hinweis auf Halbes ist freilich schon ein Ansatz dazu. – Es besteht noch die Möglichkeit, dass ich Ihnen räumlich näher komme, bin in Marburg vorgeschlagen,47 dort scheint ein Protest gegen meine Berufung vorzuliegen – Sie erratens! – Mein neues Werk, eine konstruktive Psychologie,48 bekommen Sie bald. Alles Herzliche Ihr getreuer Hans Pichler
8. Hans Pichler an Carl Schmitt Karte ohne Datum, vermutlich Ende 1931, hs., gedr. Adresse: Prof. Hans Pichler/Karlspl. 15/Greifswald, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-11057
Lieber Herr Schmitt Herzlichen Dank für die freundliche Aufnahme und für das Buch,49 das eben eingetroffen ist. Ich werde es zwölfmal lesen – einmal las ich es eben schon. Ich schrieb Ihnen damals, es müsse hinter der Freund-Feind-Konstellation noch etwas dahinterstehen. Zu diesen Hintergründen scheint in der Tat Ihr Weg, der auch auf das Wesen der Pluralität zielt, zu führen. Alles Herzliche, auch von meiner Frau Ihr getreuer Hans Pichler.
II. Eduard Spranger Der Dilthey-Schüler Eduard Spranger (1882–1963)50 war einer der wichtigsten, einflussreichsten und auch bedeutendsten Universitätsphilosophen 47 Pichler stand zusammen mit Dietrich Mahnke (1884–1939) hinter dem politisch nicht gewollten Hans Driesch für die Hartmann-Nachfolge auf dem zweiten Listenplatz; Martin Heidegger rückte dann aber als Hartmann-Nachfolger ins Ordinariat auf und Mahnke erhielt das frei gewordene Extraordinariat. Mahnke war Leibnizexperte und Gymnasiallehrer, promovierte 1925 bei Husserl und habilitierte sich (bei Pichler) in Greifswald. Als Heidegger dann 1928 nach Freiburg wechselte, kam Pichler nicht mehr in Frage und Hermann Ebbinghaus erhielt das Ordinariat (dazu Tilitzki (wie Anm. 19), S. 256 ff.). 48 Hans Pichler, Zur Logik der Seele, Erfurt 1927. 49 Vermutlich Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, München 1932. 50 Dazu Reinhard Mehring, „Berliner Geist“ als „Lebensform“: Eduard Spranger (1882–1963), in: Individualität und Selbstbestimmung. Festschrift für Volker Ger-
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der Zwischenkriegszeit. Seit 1911 Professor in Leipzig, seit 1919 Ordinarius in Berlin, genoss Spranger in Forschung, Lehre und Verwaltung hohes Ansehen und großen Einfluss. Politisch ist er umstritten. Die NDB schreibt, dass der „konservative, monarchistisch orientierte S. [. . .] sich erst spät zum Vernunftdemokraten wandelte“.51 Schmitt begegnete ihm schon früh und wurde 1933 dann an der Berliner Universität sein Kollege. Die Beziehungen waren lange kollegial, respektvoll und freundschaftlich. Spranger zitierte Schmitt bis 1933 häufig zustimmend. Noch im Dezember 1932 plauderte Schmitt „nett mit Spranger“ (TB 17.12.1932). Spranger schrieb (18.12.1932) an Käthe Hadlich: „Gestern war ich bei Sombart und hatte eine interessante Unterhaltung mit Carl Schmitt, der nach Köln geht.“52 Der deutschnationale und vernunftrepublikanische Spranger wurde dann ein erklärter Gegner des Nationalsozialismus und beide mieden fortan den Umgang.53 Ein Aufsatz Der politische Mensch als Bildungsziel setzt sich Ende 1933 ausführlicher mit Schmitts Begriff des Politischen auseinander. Spranger war 1945 als erster Nachkriegsrektor der Berliner Universität in das Verfahren von Schmitts Entlassung involviert. Schmitt publizierte daraufhin in Ex Captivitate Salus ein „Gespräch mit Eduard Spranger“, das hier im Anhang zusammen mit einer Entgegnung Sprangers erstmals aus dem Manuskript in der ursprünglichen Fassung abgedruckt ist. Die Auseinandersetzung mit Spranger begleitete Schmitt über Jahrzehnte. Sprangers Philosophie interessierte ihn aber nicht näher, obgleich der Begriff des Politischen54 einen wichtigen Verweis auf dessen Lebensformen enthält. Die meisten Briefe an Spranger bis 1945 sind insgesamt als Kriegsverlust verloren bzw. von Spranger vernichtet worden.55 So muss von einem weithardt zum 65. Geburtstag, hrsg. von Jan-Christoph Heilinger/Colin King/Héctor Wittwer, Berlin 2009, S. 379–403; ders., Das pädagogische Gewissen. Grundlinien der Bildungsphilosophie Eduard Sprangers (1882–1963), in: Pädagogische Rundschau 67 (2013), S. 405–420. 51 Alban Schraut/Werner Sacher, Spranger, in: Neue Deutsche Bibliothek 24 (2010), S. 743–745, hier: S. 744. 52 Die umfangreiche Korrespondenz zwischen Spranger und Käthe Hadlich ist über Internet abrufbar (bbf.dipf.de/digitale-bbf/editionen/spranger-hadlich). 53 Einige von Sprangers Publikationen aus der NS-Zeit sind aus den elfbändigen Gesammelten Schriften herausgelassen worden. Eine vollständige Dokumentation dieser Schriften findet sich bei Benjamin Ortmeyer (Hrsg.), Eduard Sprangers Schriften und Artikel in der NS-Zeit. Dokumente 1933–1945, Frankfurt a. M., o. J. 54 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, München und Leipzig 1932, S. 47; Schmitt zieht hier eine Linie von Dilthey über Spranger zu Plessner und schreibt: „Sehr treffend sagt Ed. Spranger in dem Kapitel ‚Der Machtmensch‘ seiner ‚Lebensformen‘: ‚Für den Politiker steht natürlich die Wissenschaft vom Menschen im Vordergrunde des Interesses.‘ Nur scheint mir, daß Spranger dieses Interesse zu sehr technisch als Interesse an der technischen Handhabung des menschlichen ‚Triebmechanismus‘ sieht“.
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gehenden Verlust der Briefe Schmitts an Spranger ausgegangen werden. Bei der Durchsicht und Verbesserung der schwierigen Transkriptionen waren Dr. Sylvia Martinsen und dann Martina Kirstein, die Bearbeiterin des Spranger-Hadlich-Briefwechsels, eine große und selbstlose Hilfe.
1. Eduard Spranger an Carl Schmitt Postkarte, gest. 23.12.1922, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15583
Herrn Professor Dr. Schmitt-Doroticˇ Bonn/Rh. Meckenheimer Landstraße 45. Charlottenburg, Pestalozzistr. 9a. Den 23. Dezbr. 1922. Hochverehrter Herr Kollege! Als eine besonders willkommene Weihnachtsgabe erhielt ich heut Ihr Buch über die Diktatur.56 Erlauben Sie mir, Ihnen schon vor der Lektüre zu danken und damit den wiederholten Dank für die „Politische Theologie“57 zu verbinden, die ich inzwischen mit gespanntem Interesse gelesen habe. Ihr neuer Begriff der Souveränität fesselt mich sehr; auch Ihre historischen Ausführungen haben mich über entscheidende Punkte erfreulich belehrt, vor allem in dem Gedanken der Säkularisierung theologischer Begriffe innerhalb der Politik. Ich danke Ihnen, daß Sie mir Gelegenheit zu einer Begegnung hier58 gegeben haben, und bleibe in lebhafter Verehrung mit den besten Wünschen zur Jahreswende Ihr ganz ergebener Eduard Spranger. 55
So die Mitteilung des Herausgebers Hans-Walter Bähr in: Eduard Spranger, Briefe 1901–1963. Gesammelte Schriften Bd. VII, Tübingen 1978, S. 461. 56 Carl Schmitt, Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, München und Leipzig 1921. 57 Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München und Leipzig 1922; von Spranger zitiert in: Der Sinn der Voraussetzungslosigkeit in den Geisteswissenschaften, 1929, in: Gesammelte Schriften Bd. V, S. 151–183, hier: S. 156; zur Sicht Schmitts in der Linie Diltheys auch ders., Der gegenwärtige Stand der Geisteswissenschaften und die Schule, 1922, in: Gesammelte Schriften Bd. V, S. 20–69, hier: S. 41. 58 Offenbar trafen sich beide in Berlin. Schmitt war 1922 wiederholt in Berlin, zuletzt Mitte Oktober bei der Gründungsveranstaltung der Staatsrechtslehrervereinigung.
Korrespondenz mit Eduard Spranger
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2. Eduard Spranger an Carl Schmitt Postkarte, hs., gest. Charlottenburg 13.5.1923 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15584
Herrn Professor Dr. Schmitt-Doroticˇ Bonn/Rh. Universität. Charlottenburg 4, Pestalozzistr. 9a, den 12. Mai 1923. Hochverehrter Herr Kollege! Mit gewohnter Begierde habe ich sofort Ihre neue Schrift59 gelesen und mich in tausend Beziehungen dadurch angeregt gefunden. Wenn Diderot vom Kunstwerk sagt, seine Wirkung beruhe nicht nur auf seinem unmittelbaren Gehalt, sondern auf seinen – ins Unendliche – weisenden rapports, so gilt das auch von Ihren Ausführungen. Die Stelle über das Heimatgefühl der kathol. Bevölkerung traf gerade so glücklich in meine momentanen Interessen hinein, daß ich sie in einer kl. Broschüre60 gleich zitieren durfte. Im übrigen erleuchten Sie mir, dem Protestanten, das Unausschöpfbare dieser complexio oppositorum61 von vielen Seiten her, ohne ihr das Arcanum zu nehmen. Vielen herzlichen Dank! Ihr verehrungsvoll ergebener Eduard Spranger.
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Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Hellerau 1923. Eduard Spranger, Der Bildungswert der Heimatkunde, Berlin 1923; Wiederabdruck in: ders., Gesammelte Schriften Bd. II, S. 294–319, hier: S. 318 f.; Spranger zitiert Schmitt in der letzten Fußnote anknüpfend an den Satz: „Wehe dem Menschen, der nirgends wurzelt!“ „Vgl. Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Hellerau 1923, über das besondere Heimatgefühl der katholischen Bevölkerung:“ Spranger zitiert dann ausführlich aus Schmitt 1923. 61 Anspielung auf einen Schlüsselbegriff der Katholizismus-Broschüre. 60
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
3. Eduard Spranger an Carl Schmitt Postkarte, hs., gest. Berlin 30.11.1923 [Briefmarke 10 Milliarden Reichsmark] LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15585
Prof. Spranger Wilmersdorf, Hohenzollerndamm 39. Herrn Professor Dr. jur. Carl Schmitt Bonn/Rh. Universität. Jur. Fakultät. Wilmersdorf, den 30. Nov. 23. Hochverehrter Herr Kollege! Für Ihre neue Gabe62 kann ich Ihnen nicht genug danken. Die Anregungen, die gerade der philosophisch und geistesgeschichtlich interessierte Leser aus Ihren Schriften entnimmt, ist [sind] unvergleichlich. Der 1. Teil war mir eine lehrreiche Fortsetzung unseres Gespräches im Berliner Sprechzimmer.63 Die historischen Dokumente S. 22 und S. 38 sind unwiderleglich. Eine kleine Nuance würde ich vielleicht hinzufügen: Neben dem reinen Rationalismus (mit s. Idee des uniformen Naturrechtes) läuft seit 1700 ein etwas anderer Denktypus einher, den ich als die Metaphysik der Relationen und Analogien im universellen Harmoniesystem bezeichne.64 Er bedeutet doch schon eine gewisse Relativierung des starren Vernunftsystems. Beispiele: Shaftesbury (relations.) Montesquieu (rapports) Leibniz (prästabilierte Beziehungen.) später Herder u. die histor. Schule. Die Theorie der Balance65 könnte nun so gedeutet werden, daß aus der Fülle bestehender (oder möglicher) Relationen ein Parlamentsbeschluß diejenige hervorgehoben [heben?] würde, die den größten rationalen Gehalt 62 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München und Leipzig 1923; Spranger zitiert diese Schrift wiederholt emphatisch zustimmend und ausführlich sowohl im Gesamtertrag der Parlamentarismuskritik als auch mit den Ausführungen zur marxistischen Geschichtsphilosophie. Dazu vgl. Eduard Spranger, Das deutsche Bildungsideal der Gegenwart, 1926, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. V, S. 30–106, hier: S. 39 und S. 60; ders., Von der deutschen Staatsphilosophie der Gegenwart, 1928, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. V, S. 107–128. 63 Gemeint ist wohl das Dozentenzimmer der Universität. 64 Spranger bezieht sich hier auf seine wichtige Studie Der Bildungswert der Heimatkunde von 1923 (in: ders., Gesammelte Schriften Bd. II, S. 294–319. Dort schreibt Spranger zu seinen Ausführungen über Leibniz, Shaftesbury, Montesquieu und Herder: „Ich nenne diesen Typus der Weltansicht die Metaphysik der harmonisch-gesetzlichen Relationen.“ (S. 306). 65 Dazu Schmitts Ausführungen Kap. II. über „Die Prinzipien des Parlamentarismus“.
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oder Normalitätsgehalt [?] besitzt. Ob das in den polit. Quellen außer Montesquieu zu belegen ist, weiß ich freilich nicht. – Ihre Auffassung des Marxismus66 (dessen positivistische Seite Sie nicht ganz leugnen werden) stellt zum 1 Male die eigentlich innere, über die termini hinausgehende Beziehung zu Hegel her. Es ist sozusagen der latente Gehalt dieser sich materialistisch nennenden Theorie. Der Schlußteil eröffnet Perspektiven, die mir aus dem Umgang mit der Jugendbewegung67 vertraut sind. Es ist merkwürdig, wie diese Form des polit. élan vitale auch ohne alle Berührung mit bewußten Theorien allenthalben emporwächst. Empfangen Sie noch einen herzlichen Dank u. verehrungsvolle Grüße Ihres ganz ergebenen Eduard Spranger
4. Carl Schmitt an Eduard Spranger [Ansichtskarte Dubrovnik-Ragusa], Nachlass Spranger, BArch., N 1182/262; Kopie LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-533
Njemacˇka Deutsches Reich Herrn Professor Dr. Ed. Spranger Berlin Universität Philosophische Fakultät [Adresse gestrichen und weitergeleitet: Hohenzollerndamm 39] Hochverehrter Herr Kollege! Ich danke Ihnen herzlich für die Zusendung der neuen Auflage Ihrer Lebensformen,68 und bin sehr glücklich, daß die Ruhe der Ferien und eine Umgebung wunderbarer Geschichtlichkeit es mir erlauben, den Reichtum und die Weisheit Ihres Buches ganz von neuem in mich aufzunehmen. In großer Verehrung bleibe ich stets Ihr Carl Schmitt Ragusa vecchia, 28.8.25.
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Dazu Kap. III. „Die Diktatur im marxistischen Denken“. Dazu vgl. Eduard Spranger, Psychologie des Jugendalters, Leipzig 1924. 68 Eduard Spranger, Lebensformen. Geisteswissenschaftliche Psychologie und Ethik der Persönlichkeit, 1914, 5. verb. Aufl., Halle 1925. 67
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
5. Eduard Spranger an Carl Schmitt Brief, hs., Adressenstempel: Professor Spranger/Berlin-Wilmersdorf/Hohenzollerndamm 39, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15588
26.11.27. Hochverehrter, lieber Herr Kollege! Schon seit vielen Wochen liegt der Umschlag dieses Briefes an Sie fertig. Ich wollte Ihnen sofort nach der Lektüre Ihres Aufsatzes über „Das Wesen des Politischen“69 schreiben, der mir in seiner entschiedenen, Klarheit schaffenden Art stärksten Eindruck gemacht hat. Damals mußte ich beruflich verreisen. Ich kann sagen ganz in Ihre Nähe (Cobern70 bei Coblenz), hatte aber gar keine freie Verfügung auch nur über einen halben Tag. Im Durchfahren durch Godesberg sandte ich Ihnen einen herzlichen Gruß, den Sie vielleicht doch telepathisch gefühlt haben. Nun lese ich zu meiner großen Überraschung, aber auch zu meiner egoistischen Freude, daß Sie nach Berlin an die Handelshochschule gehen.71 Die Nachricht ist doch richtig? Meine herzlichen Wünsche für diese wichtige Entscheidung. Sind Sie über die Wohnungsfrage schon im Klaren? Kann ich dabei etwas helfen? In Berlin ist ein hervorragendes Klima, wenn Sie die tief und feuchtgelegenen Stellen meiden. Schlachtensee oben, nicht die Seeseite, wäre sehr geeignet. Wenn Ihnen der Norden nicht unsympathisch ist, so ist auch Frohnau sehr hübsch.72 Vermutlich siedeln Sie zu Ostern über. Ich freue mich unsagbar, Sie dann in der Nähe zu haben, obwohl die Erfahrung leider lehrt, daß man in Berlin nur glaubt, sich jederzeit erreichen zu können. Daß Politik etwas anderes ist als Diskussion und als Wirtschaft, haben Sie unseren Zeitgenossen deutlich gesagt. Am Schinkelplatz73 träumt man von anderen Dingen. Auch dafür ist es gut, daß Sie nach Berlin kommen. 69 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 57 (1927), S. 1–33; Spranger sprach damals am 24.11.1927 in der Berliner Akademie über „Schulverfassungslehre“: Eduard Spranger, Die wissenschaftlichen Grundlagen der Schulverfassungslehre und Schulpolitik, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. I, Heidelberg 1969, 90–161. 70 Weinort an der Untermosel. 71 Schmitt wechselte zum SS 1928 an die Handelshochschule. 72 Schlachtensee und Frohnau sind Stadtteile im Berliner Südwesten bzw. Norden. 73 Platz in Berlin vor dem Schlossplatz mit Bauakademie, Friedrichswerderscher Kirche, Kommandantur, dem Sitz der Berliner Garnison und vor allem der Hochschule für Politik.
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In der Hoffnung, daß das Befinden Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin günstig ist und alle Anstrengungen des Umzugs74 ihr ferngehalten werden können, bin ich mit vielen treuen Grüßen Ihr dankbarer Eduard Spranger.
6. Eduard Spranger an Carl Schmitt Postkarte, hs. [Ansicht: Heidelberg, Schlossportal des Ottheinrichsbaus] LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15587
Herrn Professor Dr. Carl Schmitt Berlin NW Klopstockstr. 48 Heidelberg, den 1.1.29. Hochverehrter lieber Herr Kollege! Ihre sehr freundlichen Zeilen vom 24. XII. haben mich ein wenig betrübt. Sie sagten mir, daß Sie mit Ihren Eltern Weihnachten feiern würden.75 Nun scheinen Sie ganz allein in dem Ihnen so unlieben Berlin gewesen zu sein. – Ich war zum Fest (man nennt es so) nicht ganz auf dem Posten. 5 sog. Ferientage hier dienen der konzentrierten Arbeit. Dann folgt noch eine Arbeitsgemeinschaft von 3 Tagen in Nürnberg. Hoffentlich bringt mir das neue Jahr bald eine Begegnung mit Ihnen. Ihnen aber möge es im Süden und im Norden76 Gutes bereiten und Ihr Werk fördern zur Beglückung Ihrer Freunde! Immer Ihr dankbarer
Ed. Spranger.
74 Schmitt pendelte im SS 1928 zwischen Bonn und Berlin und zog erst zum WS 1928/29 nach Berlin. An Hadlich schreibt Spranger am 20. November 1928: „Gestern gab ich ein Diner für Carl Schmitt-Dorotic, das ohne Eingreifen sehr gut funktionierte.“ 75 Duschka Schmitt war damals lebensgefährlich erkrankt in der Schweiz. 76 Anspielung auf Duschka im Süden (Schweiz).
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
7. Eduard Spranger an Carl Schmitt Postkarte, hs., gest. Heiden (Schweiz) 6.IX.29, Ansichtskarte Seeansicht LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15588
Herrn Prof. Dr. Carl Schmitt St. Gallen Kantonsspital. Heiden, Hôtel Freihof,77 6. IX. 29. Hochverehrter, lieber Herr Kollege! Würden Sie mir wohl die Freude machen, mich in der nächsten Woche (Montag ist hier noch ein Kongreßtrubel) hier oben einmal zu besuchen? Wenn Sie v. St. Gallen um 9 mit der Autopost abfahren, sind Sie um 10 hier. Ich würde empfehlen, bei „sichtigem“ Wetter schon in Grub78 (9.50) auszusteigen, wo ich Sie an der Kirche erwarten würde. In der Nähe ist ein hervorragender Aussichtspunkt. Zwischen 5 und 6 gibt es die verschiedensten Rückfahrgelegenheiten. Paßt es Ihnen so nicht, komme ich auch einmal nach St. Gallen,79 wo ich noch einen 2. Besuch machen möchte. Mit den wärmsten Wünschen für Ihre Frau Gemahlin Ihr herzlich grüßender
Eduard Spranger.
8. Eduard Spranger an Carl Schmitt hs., Adressenstempel: Prof. Eduard Spranger/Berlin-Dahlem-Dorf/Fabeckstr. 13 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15589
3.3.30. Hochverehrter, lieber Herr Kollege! Das beiliegende populäre Erzeugnis80 eines von Arbeitsnot bedrängten Semesters ist Ihrer Aufmerksamkeit nicht wert. Ich habe aber nun einmal da77 Kurhotel, Dorf im Appenzeller Vorderland (Schweiz). Am 14.9.1929 schreibt Spranger an Hadlich: „Prof. Schmitt hat mich hier besucht. Gestern m. Gegenbesuch in St. Gallen, auch bei s. Frau (erfolgreich lungenoperiert) u. Prof. Müller.“ Im Oktober 1929 zitiert Spranger damals Schmitts Neutralisierungsdiagnose: Zur geistigen Lage der Gegenwart, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. V, S. 211–232, hier: S. 218. 78 Über 800 Meter hoch gelegener Skiort in der Ostschweiz bei Heiden. 79 Der Besuch in St. Gallen erfolgte wohl; dazu Brief Nr. 9. 80 Eduard Spranger, Wohlfahrtsethik und Opferethik in den Weltentscheidungen der Gegenwart. Rede gehalten bei der Reichsgründungsfeier der Friedrich-WilhelmsUniversität Berlin am 18. Januar 1930, Berlin 1930; die Broschüre ist im SchmittNachlass erhalten. Spranger bekennt sich hier zu Stresemann und Hindenburg.
Korrespondenz mit Eduard Spranger
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von gesprochen81 und füge es der Ordnung halber diesen Zeilen bei, die Sie bitten sollen, mir Ihre Preuß-Rede82 nicht vorzuenthalten. Zugleich kommt mein verspäteter Dank für die Leihgabe Maurras.83 Auch mein Akademievortrag84 stand unter dem Zeichen des Zeitmangels. Ich habe bisher nur Stellen aus dem Buch85 lesen können. Könnten Sie es wohl noch bis gegen Ende März entbehren? Falls nicht, bitte nur 1 Zeile. Ich muß in nächster Zeit auf 10 Tage zu Vorträgen86 verreisen. Dann hoffe ich Sie wiedersehen zu dürfen. Werden Sie mich Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin gütig empfehlen! Ich bin in herzlicher Verehrung Ihr dankbarer und getreuer Eduard Spranger.
9. Eduard Spranger an Carl Schmitt Brief, hs., Adressenstempel: Prof. Eduard Spranger/Berlin-Dahlem-Dorf/Fabeckstr. 13 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15590
12.7.30. Hochverehrter, lieber Herr Kollege, Ihre gütigen Zeilen87 veranlassen mich zu einer Generalbeichte. Sie haben vermutlich den Eindruck von mir, daß ich mich vor Ihrer Güte und Freundschaft zurückziehe. Ich darf aber versichern: dürfte ich hier ich selbst sein, so wäre ich vielleicht der geselligste Mensch. Stattdessen lebe ich in den 81 Spranger und Schmitt hielten die Reden zur Reichsgründungsfeier gleichsam in Parallelaktion in der Universität und der Handelshochschule. Laut TB hörte Schmitt am 8.2.1930 „mit Spranger und Smend zusammen“ Vorträge. Vielleicht sprach Spranger damals auch von seinem Vortrag. 82 Carl Schmitt, Hugo Preuß in der deutschen Staatslehre, Vortrag vom 18. Januar 1930 zur Reichsgründungsfeier in der Berliner Handelshochschule, Erstveröffentlichung in: Die Neue Rundschau 31 (1930), S. 289–303. 83 Charles Maurras (1868–1952), Autor der Action Française. 84 Eduard Spranger setzte sich am 27. Februar 1930 in der Preußischen Akademie der Wissenschaften unter dem Titel „Ideologie und Wissenschaft“ kritisch mit Karl Mannheims Schrift „Ideologie und Utopie“ auseinander. Dazu vgl. Eduard Spranger, Ideologie und Wissenschaft, in: Forschungen und Fortschritte (1930), S. 131–132; Nachweis des unveröffentlichten Vortrags in: ders., Gesammelte Schriften Bd. V, 178. 85 Maurras. 86 Spranger reiste bis zum 18. März u. a. nach Karlsruhe, Stuttgart und Würzburg. 87 Fehlt.
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drückendsten Bindungen: meine Tage und Stunden sind im Semester meist auf 2–3 Wochen vorausbelegt. Nur einer besonderen Kunst gelingt es, nach allen Seiten hin auszubalanzieren. So bin ich, zu meinem Schmerz, auch morgen Abend nicht frei. – Manchmal, wenn zufällig irgendwann ein Vacuum entstand, hätte ich gern meine Sehnsucht nach einem Zusammensein mit Ihnen erfüllt. Aber ich kann Sie doch nicht einfach überfallen. So bin ich am Montag in den Kaiserhof88 gegangen (v. Seeckt-Kreis)[,] eigentlich nur in der stillen Hoffnung, Sie dort zu treffen. Leider vergebens! Ich las kurz vorher Ihre wieder so eindrucksvolle, gedankenreiche Rede über Staatsethik.89 Überhaupt sind Ihre Gedanken meine Lieblingsnahrung, wenn ich wählen darf. Aus all diesen Gründen bitte ich Sie inständig: Entziehen Sie mir Ihr Wohlwollen nicht. Was Sie mir als Schuld zurechnen können, ist in Wahrheit ein von mir selbst beklagtes Schicksal[.] Ich bin zudem seit Wochen so müde, daß ich dem Dienst kaum noch gewachsen bin. Wo werden Ihre hochverehrte Frau Gemahlin und Sie Erholung suchen? Ich plane, um den 10. August zunächst nach Oberbayern, von dort irgendwo nach Tirol zu gehen. Daß ich es wieder so gut treffen könnte, wie im vorigen Jahr in St. Gallen,90 wage ich kaum zu hoffen. Aber in der 2. Hälfte des September bin ich voraussichtlich hier. Und da muß es doch endlich einmal glücken. Indem ich Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin meinen tief gefühlten Dank sage und noch einmal an Ihre Nachsicht appelliere, bleibe ich in treuer freundschaftlicher Verehrung stets Ihr Eduard Spranger.
88 Hans von Seeckt (1866–1936), Generalstabschef und nach 1918 Chef der Heeresleitung. 1930 bis 1932 war Seeckt für die DVP im Reichstag. Seeckt, Walter Simons und Wilhelm Solf gründeten den SeSiSo-Club, der im Berliner Hotel Kaiserhof tagte. Seeckt war auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft 1914, in der Schmitt 1932 sprach. 89 Carl Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat, in: Kantstudien 30 (1930), S. 28–42; direkt zitiert bei Spranger, Weltanschauung, Erziehung, Schule (1931), in: ders., Gesammelte Schriften Bd. III, Heidelberg 1970, S. 118–125, hier: S. 120; für Sprangers eigene staatsethische Position ders., Probleme der politischen Volkserziehung, 1928, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. VIII, Tübingen 1970, S. 169–191; Sprangers damaliger vernunftrepublikanischer, deutschnationaler und preußisch-protestantischer Standpunkt ist insgesamt gut ersichtlich aus: Eduard Spranger, Volk, Staat, Erziehung. Gesammelte Reden und Aufsätze, Leipzig 1932. 90 Hinweis darauf, dass Spranger nach St. Gallen kam.
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10. Eduard Spranger an Carl Schmitt Brief, hs., Adressenstempel: Prof. Eduard Spranger/Berlin-Dahlem-Dorf/Fabeckstr. 13 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15591
18.I.31 Hochverehrter, lieber Herr Kollege! Bei dem mir unvergeßlichen Zusammensein in Ihrem Hause91 lernte ich einen Herrn Dr. Pfister kennen, der neulich in meiner Sprechstunde bei mir war und mich um meine Unterschrift für eine Denkschrift92 ersuchte, die das Werkstudententum93 mit einer Berliner Modeschule in Verbindung bringen will. Ich habe von vornherein nicht begriffen, wie man sich des Dämons und Problems Mode von einer Schule aus bemächtigen will. Ich finde eben auch die sog. Denkschrift so mager und unbestimmt, daß ich doch – trotz des günstigen persönlichen Eindrucks – keineswegs in der Lage bin, einfach meine Unterschrift darunter zu setzen, zumal, da ich mit solchen Zustimmungen trübe Erfahrungen gemacht habe. Das Problem „Mode“ und das Problem „Werkstudententum“ sind zu groß, als daß man auf 2 Seiten davon reden könnte. Deshalb bin ich durch den Wortlaut des Aufrufs eigentlich schwer enttäuscht. Können Sie mir raten und Ihre mir maßgebliche Meinung sagen? Ich bin noch ziemlich erschöpft und muß dafür um Verzeihung bitten, daß Sie vermutlich schon meiner Handschrift die Entstehung dieser Zeilen in einer [. . .] späten Tagesstunde ansehen werden. Aber um Verzögerungen zu vermeiden, verzichte ich auf die Hilfe einer Sekretärin. Für eine kurze Stellungnahme wäre ich Ihnen sehr dankbar. Mit verehrungsvollen Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin Ihr herzlich und treu ergebener Eduard Spranger. [Seitenrand:] Der Tod von Holstein94 hat mich sehr erschüttert. 91 Schmitt notierte am 4.10.1930 ins TB: „Schöner Abend mit Spranger, Jauer und seiner Frau, Adams und Pfister, schön erzählt [. . .], Spranger rührender und würdevoller Freund.“ Wenige Tage nach Sprangers Brief, am 23. Januar 1931, meint Schmitt dann selbst: „Pfister wenig beachtet, hatte einen schlechten Eindruck.“ 92 Josef Pfister/Richard Dillenz, Deutsche Mode?, Berlin 1931. 93 Werkstudenten waren neben dem Studium förmlich als Arbeitskräfte in Industrie und Landwirtschaft tätig und vom Militärdienst freigestellt. Durch die ökonomische Not der Nachkriegszeit war ein solches „Jobben“ parallel zum Studium damals schon verbreitet. Dazu vgl. Michael Grüttner, Die Studentenschaft in Demokratie und Diktatur, in: Geschichte der Universität Unter den Linden Bd. II, Berlin 2012, S. 42 f., S. 203 f.
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11. Eduard Spranger an Carl Schmitt Brief, hs., ohne Briefkopf, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15592
Schönwald bei Triberg95 Den 28. August 31. Hochverehrter, lieber Herr Kollege! Ihre beglückende Nachricht wurde mir hierher nachgesandt.96 Ich nehme von ganzem Herzen an der Freude teil, die Ihre hochverehrte Frau Gemahlin und Sie erfüllt. Dem Vater darf man zu einer Tochter noch ganz besonders Glück wünschen. Möge ihr Weg aus dem Dunkel dieser Tage in eine schönere deutsche Zukunft führen und die Liebe, mit der sie begrüßt wird, dereinst auf viele Menschen um sie ausstrahlen! Denn nun, hochverehrter, lieber Freund, ist es mit dem bloßen Denken an Macht und Staat vorbei. Nun werden zartere Arme Sie in andere Regionen führen. In herzlichster Treue empfehle ich mich Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin und Ihnen Ihr Eduard Spranger.
12. Eduard Spranger an Carl Schmitt Brief, hs., ohne Briefkopf, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15593
z. Z. Coburg, den 1.1.32 Hochverehrter, lieber Herr Kollege! Die Doppelseitigkeit aller Geschicke im Leben habe ich lange nicht so tief empfunden wie beim Empfang Ihrer gütigen, freundschaftlichen Zeilen.97 Daß Sie für den festlichen Tag der Taufe Luise Animas an mich gedacht haben,98 beglückt mich mehr als ich sagen kann; aber in dieses Glück 94 Günther Holstein (1892–1931), Schüler von Erich Kaufmann und Rudolf Smend, in Bonn einige Zeit Schmitts Kollege, Prof. in Greifswald und Kiel, war am 11. Januar 1931 verstorben (siehe auch Anm. 30). 95 Ort im Schwarzwald. 96 Nachricht von der Geburt Anima Schmitts am 20. August 1931. Dazu vgl. Reinhard Mehring, „Eine Tochter ist das ganz andere“. Die junge Anima Schmitt (1931–1983), Plettenberger Miniaturen 5, Plettenberg 2012. 97 Fehlt. 98 Offenbar war Spranger zur Taufe am 2. Januar 1932 eingeladen. Es kamen u. a. die Theologen Karl Eschweiler und Romano Guardini sowie Johannes Popitz.
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mischt sich sogleich die große Betrübnis, gerade jetzt fern zu sein! Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin und Ihnen danke ich von Herzen für das mich ehrende Gedenken. Ich bitte Sie, meine wärmsten Glückwünsche zu der Taufe entgegenzunehmen. Sie gelten gewiß zunächst der Stunde der heiligen Handlung selbst. Aber eben in diese Stunde eingeschlossen liegen ja alle Zukunftshoffnungen, alle Gefühle, mit denen man am Beginn eines jungen Menschenlebens sich bewegt findet: in diesem Sinne, der zuletzt über alle Worte ist, bitte ich Sie, meine Glückwünsche zu deuten. Ich habe in den letzten Monaten viel Ihrer gedacht, und zwar so intensiv, daß eine Ansichtskarte mir allzu inadäquat erschienen wäre. Die Hoffnung, Sie einmal bei Zusammenkünften zu finden, bei denen ich Sie sonst treffen durfte, hat sich leider nicht erfüllt. Im August habe ich eine total verregnete Erholungsreise nach dem Schwarzwald gemacht. Im Oktober war ich in Griechenland, freilich sehr kurz und gehetzt. Auf der Rückreise konnte ich – wenn auch in der Dunkelheit – wenigstens 2 Stunden durch die Straßen von Belgrad99 wandern. Ich freue mich darauf, Ihnen einmal erzählen zu dürfen. Hier in Coburg suche ich ein paar stille Tage; am 7.I. muß ich zu einer Sitzung in Würzburg100 sein. Es ist der 1. Tag eines neuen Jahres. Auch dies ein Anlaß, verehrten Freunden treue Wünsche auszusprechen. Sie geben einen besonderen Klang: Denn Ihr Leben ist jetzt erst in tiefster Bedeutung der Zukunft verbunden. Möge Ihnen daraus erwachsen alles, was das Dasein reich macht. Im Geiste bin ich morgen in Ihrem kleinen Kreise. Seien Sie gewiß der warmen Dankbarkeit und Treue Ihres Eduard Spranger
Am 7. Februar notiert Schmitt dann ins TB: „Spranger machte Besuch mit einigen Blumen, war herzlich und mild“. 99 Spranger bezieht sich auf Schmitts Interesse an Serbien, das schon durch dessen Frau Duschka gegeben war. Spranger war vom 10. bis 27. Oktober in Griechenland, überwiegend zu Vorträgen in Athen, und kehrte am 30. Oktober nach Berlin zurück. Dazu vgl. Spranger am 5.12.1931 eingehend an Georg Kerschensteiner, in: Kerschensteiner/Spranger, Briefwechsel 1912–1931, hrsg. von Ludwig Englert, München 1966, S. 321 f. 100 Gemeint ist eine Sitzung des Vorstandes des Hochschullehrerverbandes; dazu Sprangers Brief vom 3.1.1932 an O. F. Bollnow, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. VII, Tübingen 1978, S. 144.
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13. Eduard Spranger an Carl Schmitt Brief, Adressenstempel: Prof. Eduard Spranger/Berlin-Dahlem-Dorf/Fabeckstr. 13, BArch., N 1182/460
27.9.32 Lieber Herr Kollege! Natürlich habe ich mich gleich auf Ihr neuestes Geschenk101 gestürzt. Ich bin heut abend spät nur der Einleitung Herr geworden und bin, wie jedes Mal, von den Hammerschlägen Ihrer Worte tief getroffen. Wie viele übrigens gibt es, die diese konzentrierteste Lebendigkeit des Gegenwartsringens voll verstehen?- Ich bin kein Jurist und fühle, daß das Juristsein heut in unbegrenzte Gestalten ausgeweitet wird! Ich bin eine trübe, von Zeitforderung und innerem Müssen erzeugte Mischung von Pädagogen und Philosophen und einfach mitkämpfendem Deutschen. Es wird nicht leicht sein, unsere Kategorien aufeinander zu reduzieren. Trotzdem kommt es mir immer vor, als ob das, was ich gern hätte sagen wollen, von Ihnen gesagt worden ist. Und mehr Anlaß zur Dankbarkeit kann man natürlich nicht geben. Fast ist es unanständig, zu schreiben und zu danken, wenn man gerade bis S. 26 gelesen hat. Daran ist zuerst Ihre aufrüttelnde Darstellung schuld. Aber noch andere Fragen, die ich in mir trage: Wie geht es Luise Anima? Ich sehe sie noch im Wagen102 vor mir. Und ich habe gehört (von Leist),103 daß Sie einen Ruf nach Köln104 haben. Dazu kann ich nun garnichts sagen, als daß mir die Vorstellung betrübend ist, Sie nicht mehr in Berlin zu wissen. Ein wirklich platonischer Gedanke! Denn wenn ich nicht für den größten Teil des Oktober wieder auf Aktionsreisen gehen müßte, so dürfte ich Sie ja bald einmal sehen. Jedenfalls sind meine treuen Gedanken und herzlichen Wünsche bei Ihnen, Ihrer Frau Gemahlin und der Kleinen! Ihr dankbarer Eduard Spranger 101
Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, München und Leipzig 1932. Kinderwagen. 103 Erich Leist (1892–1964), Dr. jur, damals Personalreferent und Ministerialbeamter in der Abteilung für das Hochschulwesen und für Wissenschaft im Preußischen Kultusministerium. Sein Nachfolger wurde Johann Daniel Achelis. Leist schied im Nationalsozialismus aus dem Ministerium aus und arbeitete als Rechtsanwalt und Bankier. 104 Schmitt erhielt Anfang August 1932 den Ruf und wechselte zum SS 1933 nach Köln. 102
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14. Eduard Spranger an Carl Schmitt hs. [Ansichtskarte Meereswogen Groeten ult Zandvoort], Stempel Zandvoort 25.X.1932, dazu handschriftliche Notiz Schmitt: „Spranger 23/10/32“ LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15594
Deutsches Reich Herrn Professor Dr. Carl Schmitt Berlin NW Flotowstr. 5 Zandvoort, 25.X.32. Hochverehrter lieber Herr Kollege! Ich habe immer noch nicht für Legalität und Legitimität gedankt,105 obwohl ich es sofort mit Spannung gelesen habe, auch viel dazu zu fragen und zu sagen hätte. Aber Sie haben für so etwas jetzt keine Zeit, bei Ihren wichtigen Aufgaben.106 Nehmen Sie daher vorläufig nur diesen Gruß. Ich habe in Haag, Amsterdam und Leiden gesprochen,107 genieße heute einen einsamen Tag am Meer. Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin und Luise Anima viele Grüße. In steter treuer Verehrung Ihr Ed. Spranger. Am 18. Dezember 1932 schreibt Spranger an Käthe Hadlich: „Gestern war ich bei [Werner] Sombart und hatte eine interessante Unterhaltung mit Carl Schmitt, der nach Köln geht.“ Schmitt notierte dazu (TB 17.12.1932): „plauderte nett mit Spranger und Demuth“. Es gab weitere Begegnungen. Am 26. Januar 1934 berichtet Spranger an Hadlich von einer Begegnung am 16. Januar „im Harnackhaus bei einem Essen neben Carl Schmitt“. Spranger ist damals mit Schmitt politisch entzweit. Schmitt notierte dazu (TB 16.1.1934): „Dann im Harnackhaus, der Präsident Planck, Bruns, Oberst von Reichenau, Smend, Spranger usw. Schöne Gesellschaft, ich war überlegen und guter Dinge, leider sehr rot im Gesicht.“ Am 18. März 1934 schreibt Spranger an Hadlich aus St. Gallen: „Ist es nicht seltsam, daß dies St. Gallen gerade mit der Erinnerung an die Begegnung mit Carl Schmitt verknüpft ist? Er – wenn man so sagen darf – treibt mich davon.“ Am 5. April 1936 erwähnt Spranger eine Veranstaltung im Harnackhaus („Der ‚Staatsrat‘ Karl Schmitt war auch da“). Am 5. September 1943 schreibt er, dass „Staatsrat Schmitt“ ausgebombt wurde, und am 105 Offenbar hat Spranger den vorigen Brief vom 27.9.1932 nicht abgeschickt, weshalb er sich im Spranger-Nachlass im Bundesarchiv Koblenz befindet. Es lässt sich vermuten, dass Spranger den Brief auch aus politischen Gründen nicht abschickte, spielt er doch nun leicht ironisch auf Schmitts „wichtige Aufgaben“ an. 106 Schmitts Engagement als Anwalt des Reiches vor dem Leipziger Staatsgerichtshof. 107 Spranger sprach am 19. und 20. Oktober in Amsterdam, am 22. in Haag und am 24. Oktober in Leiden. Dazu Spranger am 25.10.1932 an K. Hadlich, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. VII, S. 146.
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14. September erwähnt er die Mühen der Korrespondenz, „teils Trostschreiben an Abgebrannte. (z. B. Heymann (74 Jahre), Schuchardt (85 Jahre.), Staatsrat Carl Schmitt, der Theoretiker des Systems“.
15. Eduard Spranger an Carl Schmitt Karte, ms. m. hs. Unterschrift, Briefkopf: Friedrich-Wilhelms-Universität/Unter den Linden 6 Berlin, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15595
Berlin, den 27. Juni 1945. Herrn Staatsrat Professor Dr. C. Schmitt Schlachtensee Schönererzeile 13. Sehr geehrter Herr Staatsrat! Zu meinem Bedauern bin ich durch eine Erkrankung,108 die mich ans Bett fesselt, verhindert, den Termin am Donnerstag um ½ 10 Uhr für unsere Besprechung109 innezuhalten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir sie auf Sonnabend ½ 10110 verschieben könnten. Mit verbindlichen Empfehlungen Spranger
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Spranger war damals bettlägrig an der Ruhr erkrankt. Spranger war seit dem 23. Mai 1945 der erste kommissarische Nachkriegsrektor (als solcher vom russischen Magistrat am 8. Juni bestätigt) der Berliner Universität. Er war damit für die Entlassung der nationalsozialistisch belasteten Dozenten zuständig. Spranger beabsichtigte zunächst eine Fragebogenaktion und eine „Art von Ehrengericht“. Erst später gab es eine Verfügung des Magistrats, dass alle Parteimitglieder abgesetzt sind. Dazu vgl. Erinnerungsbericht von Spranger: Die Universität Berlin nach Kriegsende 1945 (1955), in: ders., Gesammelte Schriften Bd. X, S. 273–321, hier: 288; dazu jetzt Reimer Hansen, Von der Friedrich-Wilhelms- zur Humboldt-Universität, in: Geschichte der Universität Unter den Linden Bd. III, Berlin 2012, S. 19–123. 110 Der Samstag war der 30. Juni 1945, wie von Schmitt auf der Mappe (Material 3; RW 265-21466) festgehalten. 109
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Materialien 1. Spranger 1933/34 über Schmitts Begriff des Politischen Spranger setzt sich mit Schmitts Begriff des Politischen 1933 ausführlicher in einem Aufsatz (Der politische Mensch als Bildungsziel, in: Die Erziehung 9 (1933/34), Heft 2, 65–79, bes: 65–68) auseinander und meint abschließend: „Das Freund-Feind-Verhältnis weist also zurück auf den Machtwillen als ein Urphänomen des Lebens.“ (66) Er insistiert damit gegen Schmitt auf seinen Lebensformen und antwortet akademisch mit einem Rückverweis auf seine ältere Schrift. Zusammenfassend schreibt er 1934 in der Zeitschrift Forschungen und Fortschritte auch (Der politische Mensch als Bildungsziel, in: Forschungen und Fortschritte 10, 1934, 41–42): „Um den Kern des neuen Gedankens richtig zu erfassen, müßte man über das Wesen ‚des Politischen‘ klar sein. Der führende Staatsrechtler Carl Schmitt hat als das Urphänomen, auf das alle politischen Gruppierungen zurückgingen, das Freund-Feind-Verhältnis bezeichnet. Und ohne Zweifel durchzieht diese Erscheinung alle Kulturgebilde, die sich als politisch betont aus dem Gesamtleben der Völker herausheben. Aber die Frage drängt doch weiter: Weshalb sind Menschen einander Freund oder Feind? Sie sind es oft aus Motiven und in Verhaltungsweisen, die mit dem ‚Politischen‘ wenig zu tun haben, auch wenn man, wie ich es für richtig halte, die Bedeutung dieses Wortes auf einen Ursinn zurückverfolgt, der noch vor der äußeren und inneren Gliederung des Staatslebens liegt. Zu vollem Bewusstsein gekommen ist das Politische allerdings erst im Rahmen und am Leben der Polis. – Das Freund-Feind-Verhältnis der Menschen kann eine bloße Horizontalbeziehung zwischen Gruppen und Individuen bezeichnen. Das Urpolitische hingegen liegt in der Vertikalbeziehung, in der Tendenz, oben zu sein, nicht unten. Mit anderen Worten: der Wille zur Macht, als eine Urtatsache des Zusammenlebens, ja schon als vitale Wurzel des Einzellebens, ist der Kern des Politischen.“ 2. Gespräch mit Eduard Spranger (Sommer 1945). Originalmanuskript (Sammlung Tommissen, LAV NW, Abtlg. Rheinland, RW 579-676) im Vergleich mit der Druckfassung aus: Ex Captivitate Salus, Köln 1950, 9–12; Abweichungen des Manuskriptes sind kursiv gekennzeichnet, Ergänzungen der Druckfassung werden in Klammern [ ] zugefügt. Wer bist du? Tu quis es? Das ist eine hintergründige [abgründige] Frage. Sie erhob sich fast bedrohlich [Ich stürzte Ende Juni 1945 tief in sie hinein], als der Philosoph Eduard Spranger, Ende Juni 1945 in Berlin-Dahlem, von mir die Beantwortung eines Fragebogens erwartete. Bei diesem
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Anlaß hat der große Pädagoge mir erklärt, meine Vorlesungen seien sehr geistreich, ich selber aber, [meine Persönlichkeit und mein Wesen,] undurchsichtig. Das traf mich wie ein schlimmer Vorwurf und besagte: was du denkst und sprichst, mag interessant und klar sein, aber was du bist, dein Wesen, ist trübe und unklar. Ich bin darüber sehr erschrocken. Was nützen die schönsten Vorlesungen, was helfen die klarsten Formulierungen, was nützt der Geist? Auf das Wesen kommt es an. [Oder auf das Sein und die Existenz.] Ein schweres, [von der Philosophie noch] ungelöstes Problem fiel mir auf die Seele. [Ist Durchsichtigkeit des Denkens mit Undurchsichtigkeit des Wesens überhaupt vereinbar? Und wie sind solche Widersprüche möglich?] Die Gegensätze von Sein und Bewußtsein, Leben und Denken, Instinkt contra Intellekt, Seele wider Geist, ganze Reihen teils uralter, teils hochmoderner Antithesen überrollten mein Gemüt. Was soll[te] ich nun tun? Soll[te] ich mich anstrengen, durchsichtig zu werden? Oder soll[te] ich versuchen, den Nachweis zu liefern, daß ich gar nicht undurchsichtig bin sondern – wenigstens für wohlwollende Durchleuchter – völlig transparent? Ich sah meinen Interrogator an und dachte: Wer bist du denn eigentlich, daß du mir solche Fragen stellst? Woher deine unglaubliche Überlegenheit? Was ist denn das Wesen der Macht, die dich instand setzt [ermächtigt und ermutigt], mir Fragen zu stellen, [Fragen, die mich selbst in Frage stellen sollen und] die [infolgedessen] in ihrer [letzten] Auswirkung [nur] Schlingen und Fallen sind? Diese Gegenfrage lag nahe. Aber mir liegt es nicht, Gegenfragen zu stellen. Mein Wesen mag undurchsichtig sein, jedenfalls ist es defensiv. Ich bin ein kontemplativer Mensch und neige wohl zu scharfen Formulierungen, aber nicht zur Offensive, auch nicht zur Gegenoffensive. Mein Wesen ist langsam und geräuschlos, wie ein stiller Fluß, wie die Mosel, tacito rumore Mosella.111 Aber auch in der Defensive bin ich schwach. Ich bin kein rechthaberischer Mensch. Ich habe zu wenig praktisches Interesse an mir selbst, zuviel theoretisches Interesse an den Ideen meiner Gegner, auch wenn sie als Ankläger auftreten. Ich bin zu neugierig auf die gedanklichen Voraussetzungen jedes Vorwurfes, jeder Anklage und jedes Anklägers. Deshalb gebe ich weder einen guten Ankläger noch einen guten Angeklagten ab. Doch bin ich immer noch lieber Angeklagter als Ankläger. Die J’accuse-Typen mögen ihre weltgeschichtliche Rolle [auf der Weltbühne] spielen. Mir ist das Pro111 Decimus Magnus Ausonius (4. Jahrh.), Mosella, hrsg. von Ludwig Tross, Hamm 1824, V 22: „Culmina villarum pendentibus edita ripis, / Et virides Baccho colles, et amoena fluenta / Subter labentis tacito rumore Mosellae“ („Auf dem hängenden Ufer erbaut die prangenden Villen, / Hügel mit Reben bekrönt, des Bacchus Gab‘, / Liebliche Fluth, die hier in stillem Murmeln dahinfließst“).
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sekutorische noch unheimlicher als das Inquisitorische. Vielleicht geht das bei mir auf theologische Wurzeln zurück. Denn Diabolus heißt der Ankläger. Ich bin verloren, wenn mein Gegner ganz böse ist und ich nicht ganz gut. Aber das war hier nicht der Fall. [Aber so lag der Fall hier nicht.] Mein Befrager meinte es streng, aber nicht böse. Ich dagegen meinte gar nichts. Ich wollte [und erwartete] auch nichts von ihm. Ich wollte ihn wiedersehen, denn meine alte Liebe zu ihm war noch nicht erloschen. Deshalb konnte ich ihn sehen, während er mich nicht sah. Er war ganz davon durchdrungen, Recht behalten zu haben in jeder Hinsicht Recht zu haben, ethisch, philosophisch, pädagogisch, geschichtlich und politisch. Alles Recht und alles, [was es in dieser Hinsicht nur geben konnte,] justa causa und res judicata, war auf seiner Seite. Ich weiß als Jurist, was das bedeutet. Ich kenne die kleine Taktik menschlichen Rechthabens. Außerdem kenne ich das europäische Völkerrecht und seine Geschichte. Ich bin heute – trotz Quincy Wright112 – der einzige Rechtslehrer dieser Erde, der das Problem des gerechten Krieges, einschließlich [leider] des Bürgerkrieges, in allen seinen Tiefen erfaßt und erfahren hat. Ich kenne also auch die große Tragik menschlicher Rechthaberei. So bin ich wehrlos. Wehrlos, doch in nichts vernichtet. Diesem berühmten Pädagogen [Manne], dem ich jetzt als ein in Frage gestellter Mensch gegenüber saß, [diesem Philosophen und Pädagogen] hatte ich vor Jahren alle Verehrung und Anhänglichkeit meiner Seele entgegengebracht. In der Erinnerung an diese Zeit [und in dem Bewusstsein, ihm nichts Böses getan oder auch nur gewünscht zu haben,] antwortete ich ihm wie einem Philosophen, nicht wie einem Fragebogen. Ich sagte ihm: „Mein Wesen mag [wohl] nicht ganz durchsichtig sein. Mein Fall aber läßt sich benennen, mit Hilfe eines Namens, den ein großer Dichter gefunden hat. Es ist der schlechte, unwürdige und doch authentische Fall eines christlichen Epimetheus.“ Aus dieser Antwort ist [aber] kein Gespräch mehr entstanden. [Sommer 1945.]
112 Philip Quincy Wright (1890–1970), Politikwissenschaftler für internationale Beziehungen, lange in Chicago. Werke u. a.: A Study of War, Chicago 1942.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
3. Mappe113 über Eduard Spranger im Nachlass (LAV NW, Abtlg. Rheinland, RW 265-21466); Schmitt notiert auf das Deckblatt: Ms für Ex Captivitate Salus 1946/7 Ich habe lange genug im amerikanischen Massenlager 1945/46 aus dem Blechnapf gegessen; um hier mitreden zu können Ende Juni 1945 Berlin Dahlem Fabeln 30/6 1945 Gespräch mit Eduard Spranger Dazu Fakten Spranger Tagebuch 1979114 Spranger-Druckfehler an Gerd G.[iesler] geleit[et] (30/6/79) Rosenbaum Rhein-Merk. Nov. 1950115 4. Tübinger Bemerkungen Sprangers über Schmitt. Schmitts Berliner Schüler Serge Maiwald (1916–1952)116, nach 1945 Herausgeber der Zeitschrift Universitas in Tübingen, schreibt am 19. Februar 1948 an Schmitt (LAV NW, Abtlg. Rheinland, RW 579-440): „[. . .] Ihre Grüsse und Empfehlungen an die Herren Professoren Spranger, Guardini und Steinbüchel117 habe ich schon vor längerer Zeit ausgerichtet. Mit besonderer Wärme und Anteilnahme sind diese Grüsse gerade von 113
Die Mappe enthält darüber hinaus u. a. Zeitungsausschnitte zu Ex Captivitate Salus und zu Spranger. Ein eingeklebtes Zeitungsportrait im Hamburger Sonntagsblatt vom 7.7.1957 würdigt Spranger ausdrücklich gegen die Darstellung von Schmitt. Die Mappe enthält auch eine Kopie des betreffenden Fragebogens, der vom „Leitenden Ausschuss der Abtl. Wissenschaft in der Abtl. Volksbildung beim Magistrat der Stadt Berlin“ veranlasst wurde. Er hieß: „Fragebogen zur Feststellung der politischen Angehörigkeit zum Nationalsozialismus“ und fragte nach Partei- und Organisationszugehörigkeiten. 114 Intensiv arbeitete Schmitt durch: Eduard Spranger, Die Universität Berlin nach Kriegsende, in: Gesammelte Schriften Bd. X: Hochschule und Gesellschaft, Tübingen 1973, 273–321 (RW 265-28630). 115 Schmitt meint hier einen Artikel seines alten Studienfreundes und Weggefährten Eduard Rosenbaum (1887–1979), Carl Schmitt vor den Toren, in: Rheinischer Merkur Nr. 48 vom 25.11.1950, S. 18–19; der Vergleich Sprangers mit Rosenbaum deutet auf die große Intensität und feindliche Wendung der Beziehung hin. 116 Serge Maiwald (1916–1952), Berliner Schüler Schmitts, Herausgeber der Zeitschrift Universitas. 117 Romano Guardini (1885–1968), kathol. Priester, Philosoph und Theologe, Mentor der Quickborn-Bewegung, 1922 Habilitation in Bonn, seit 1923 Prof. in Berlin, ab 1945 in Tübingen und ab 1948 in München; Theodor Steinbüchel (1888–1949), kathol. Priester, Philosoph und Theologe, 1922 Habilitation in Bonn, seit 1926 Professor, ab 1935 Prof. für Moraltheologie in München, ab 1941 in Tübingen.
Korrespondenz mit Eduard Spranger
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Herrn Steinbüchel aufgenommen und erwidert worden. [. . .] Herr Prof. Spranger – mit dem ich übrigens im Zusammenhang mit meiner Arbeit mehrfach zusammengekommen bin – konnte hingegen bei meiner Erwähnung Ihres Namens und bei Übermittlung Ihrer Grüsse (vor etwa einem Jahr) nicht umhin, einige richtende Bemerkungen zu machen. In seinen Worten war aber auch Bewunderung enthalten. Er sagte etwa: ‚Prof. Schmitt, ein ungemein begabter, genialer Mensch!‘ Als ich ihm berichtete, wieviel ich und auch andere Schüler Ihnen in fachlicher, aber auch persönlicher Hinsicht verdanken, wurde Spranger etwas verwirrt und sagte zu mir unter anderem: ‚Es ehrt Sie, daß Sie sich auch heute noch zu Ihrem Lehrer bekennen, aber ich sehe die Dinge etwas anders.‘ Übrigens macht Spranger heute einen etwas alten und müden Eindruck, so daß man wirklich Mitleid mit ihm haben könnte. Seine etwas oberlehrerhafte Art hat er bewahrt. Auch seine Vorlesungen, die ich hin und wieder besucht habe, sprechen mich nicht an. Seine Gedanken haben immer etwas von dem Geschmack von destilliertem Wasser. Ich glaube nicht, daß er noch etwas Wesentliches zu sagen hat; aber er macht zugleich einen etwas wehmütigen Eindruck, so als ob er im Begriff sei, sein Lebenswerk jetzt abzuschliessen und Abschied zu nehmen. [. . .]“ Später schreibt Maiwald am 14. November 1950 an Schmitt (RW 579-442): „Daß Prof. Spranger in Tübingen eine gewisse Polemik u. Stimmung gegen Ihr Buch ‚Ex Captivitate Salus‘ erzeugt und geschürt hat, werden Sie gehört haben. Auch ich erhielt eine – ziemlich niveaulose –, Notiz zu Seite 12–15 von ‚Ex Captivitate Salus‘ mit einem an sich freundlichen Begleitschreiben, auf das ich ebenso freundlich, aber bestimmt antwortete. Die Notiz – von etwa 1 Maschinenseite – macht in polemischer Weise den Versuch, das damalige Gespräch zu bagatellisieren, anders hinzustellen und die Form dieser Selbstbekundung überhaupt anzugreifen. Es lohnt wirklich nicht, darauf einzugehen. Sicher werden Sie diese Notiz schon kennen; wenn nicht, dann sende ich sie Ihnen zu.“ Ein anschließender Brief vom 29. November 1950 belegt, dass Schmitt Sprangers „Notiz“ dann durch Maiwald erhielt.
5. Abschrift eines maschinenschriftl. Typoskripts von Eduard Spranger, dazu handschriftl. Randbemerkung Schmitt: „erhalten durch Maiwald 24/1 51“ (LAV NW, Abtlg. Rheinland, RW 265-21466) Nicht für die Presse Zu Carl Schmitt, Ex captivitates Salus. S. 9–12 In unseren Zeiten klagen viele Menschen darüber, dass Ihr Gedächtnis schlecht geworden sei. Dieser Fall kommt aber auch dann vor, ohne dass
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
der Inhaber des Gedächtnisses sich dessen bewusst ist. Dies ist die mindeste Interpretation, die ich dem Bericht von Carl Schmitt über das Gespräch mit mir aus dem Juli 1945118 zu geben weiss. Eine weniger freundliche Auslegung wäre die, dass hier ein tatsächlicher Vorgang in einer literarisch wirksamen (oder wirksam sein sollenden) Weise zurecht gemacht worden ist, um eine bestimmte Verteilung von Licht und Schatten über zwei Gestalten zu erreichen. Im ganzen bin ich der Meinung, dass es mir nicht ansteht, eine ‚Berichtigung‘ zu schreiben, weil der Urteilsfähige sich dergleichen selbst berichtigt. Ich beschränke mich daher auf ‚Bemerkungen‘ zum Text. 1) Wenn in einem wichtigen Augenblick zwei Männer sich untereinander auf das Blut der Wahrhaftigkeit ausgesprochen haben,119 so gilt das nach einem immer noch nicht erloschenen Kanon als eine Privatissime-Angelegenheit zwischen ihnen. Man wird vergeblich in den Zeitungen des Jahres 1945 nachblättern, ob ich etwas über Äusserungen des Herrn Professor Schmitt veröffentlicht habe. 2) Das Gespräch in seiner heutigen Gestalt sieht so aus, als ob es sich um verschiedene wissenschaftliche Meinungen oder diskutable moralische Standpunkte gedreht habe. Herr Prof. Schmitt hat ja wohl die Zeit – mindestens um 1944 – auch miterlebt. Wie er als ‚Hüter der Verfassung‘ oder als Anwalt der Gerechtigkeit sich mit den Ereignissen damals abgefunden hat, mag er mit sich selbst abmachen. Ich habe nicht die Gewohnheit, in den Gewissen anderer herumzustöbern. Und nicht einmal auf mein ‚Wissen‘ von ihm brauche ich zurückzugreifen. Andere wissen sehr viel mehr in dieser Hinsicht. 3) Ich habe von Herrn Professor Schmitt so wenig ‚die Beantwortung eines Fragebogens erwartet‘, dass ich ihm vielmehr geraten habe, keinen Fragebogen auszufüllen. Wer von der Universität Berlin nichts mehr wollte, konnte es unterlassen. [handschriftliche Ergänzung Schmitt: „Ehrengericht Nov. 1950 (?)“] Wenn ich damals auch Rektor der Universität Berlin war, so brauche ich wohl nicht zu versichern, dass ich nicht der Erfinder des Fragebogens gewesen bin. Die hier berührte Nuance des Berichtes von Professor Schmitt charakterisiert die Methode seiner Nuancierung überhaupt. (Ob sie unter der sehr eng gewählten Kategorie der ‚Klugheit‘ zweckmässig ist, überlasse ich dem Urteil seiner Leser.) gez. Eduard Spranger.
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Es war wohl der 30. Juni 1945. Beide führten das Gespräch demnach nicht nur dienstlich.
Korrespondenz mit Alois Dempf
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III. Alois Dempf In Schmitts Bonner Jahren vertrat Adolf Dyroff (1866–1943) als Ordinarius – neben dem Psychologen Gustav Störring – die Philosophie. Schmitt hatte nur lose Kontakte zu ihm, obgleich seine spätere Frau Duschka Todorovic´ in Bonn zunächst Philosophie studierte.120 Näher interessierten ihn die katholischen Naturrechtler, die er aber mehr als Theologen wahrnahm. In Bonn und Köln sind hier u. a. Johannes Hessen, Aloys Müller, Johannes Thyssen oder Siegfried Behn zu nennen. Schmitt korrespondierte mit Behn nach 1945 im Zusammenhang mit seinem Festschriftbeitrag für Erich Przywara. Auch eine periphere Korrespondenz mit Erich Rothacker erfolgte erst ab 1933. Wichtiger war wohl Alois Dempf (1891–1982); Dempf promovierte 1921 in München über Aristoteles; 1926 habilitierte er sich in Bonn mit Unterstützung von Dyroff mit einer Arbeit über „Das Unendliche in der mittelalterlichen Metaphysik und in der Kantischen Dialektik“. Dempf war ein Schüler von Hermann Platz und gehörte der Liturgischen Bewegung und dem Quickborn an. Er war Redakteur der Zeitschrift Abendland, publizierte damals über die „Weltanschauung“, Ethik und Metaphysik des Mittelalters und 1929 dann sein Buch Sacrum Imperium.121 Dempf aktualisierte 120 Schmitt hatte in München Kontakt mit dem Bruder Anton Dyroff (1864–1948), einem Staatsrechtsprofessor der Münchner Universität. Eine Korrespondenz mit dem Bonner Philosophen Adolf Dyroff (1866–1943) ist erst nach 1933 erhalten und betrifft eher Duschka Schmitt (RW 579-466). Der Katholik Dyroff, von den Nationalsozialisten zwangsemeritiert, bittet seine einstige Studentin um Hilfe für einen Druckkostenzuschuss für eine Publikation des Bonner Kollegen, Theologen und Historikers Leopold Karl Goetz (1868–1931). Duschka berichtet Dyroff daraufhin am 21.6.1936 von ihrer erfolgreichen Intervention beim jugoslawischen Gesandten Aleksandar Cincar-Markovic´ und schlägt eine Widmung der Arbeit dem „Andenken des jugoslawischen Königs Alexander“ vor. Duschka dankt am 2.7.1936 umgehend für das Erscheinen des Buches: Leopold Karl Goetz, Volkslied und Leben der Kroaten und Serben, 2 Bde., Heidelberg 1936/37. Ein erhaltener Brief von Dyroff vom 10. 7. 1936 (RW 265-18629) an Duschka Schmitt betrifft einige serbische Gedichte aus diesem Buch. Das Buch von Goetz, von Dyroff posthum mit herausgeben, ist „Frau Staatsrat Duschka Schmitt“ sowie der Witwe von Goetz gewidmet. Im Nachwort zum zweiten Band (II, 215) heißt es auch: „im besonderen ist hier Frau Staatsrat Professor Carl Schmitt in Berlin zu nennen.“ Dyroff dankt Carl Schmitt später (Brief vom 12.1.1938; RW 265-3063) für einen Abend in Berlin und einen Weihnachtsgruß. Schmitt erwähnte in der Bonner Zeit gelegentlich serbische Lieder. Es ist möglich, dass Duschka Schmitt damals als Studentin bei der Sammlung und Übersetzung der Lieder half. Die Sammlung von Volksliedern war ein romantisches Motiv. Schmitt setzt die serbischen Lieder deshalb auch von der Romantik ab in: ders., Illyrien. Notizen von einer dalmatinischen Reise, in: Hochland 23 (1925), S. 293–298. 121 Der 1932 für Schmitt als Verbindungsmann zur Wehrmacht nicht unwichtige Horst Michael schrieb eine Rezension in: Historische Zeitschrift 145 (1931), S. 151–157; der kühne Versuch von Andreas Koenen (Der Fall Carl Schmitt. Sein
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
das christliche Mittelalter vor 1933 durch eine Abendland- und Reichskonzeption. 1930 wurde er a.o. Professor in Bonn und später Ordinarius in Wien; in Wien war er einige Jahre als Gegner des Nationalsozialismus suspendiert. 1934 äußerte er sich in einer pseudonymen Publikation Die Glaubensnot der deutschen Katholiken äußerst negativ über Schmitts „totalen Staat“ und dessen Unterstützung der „Deutschen Christen“. Er schreibt: „Der antirömische Affekt, den er selbst längst erkannt und benannt hat, hat ihm dabei ein Schnippchen geschlagen. Da zudem die große Beweglichkeit dieses ‚theologischen Politikers‘ ihn schon vor seiner eigenen Theorie des ‚totalen Staates‘ zum Bekenntnis der ‚totalen Bewegung‘ weitergeführt hat, darf man wohl auch annehmen, daß er bald auch von seinem katholischen Deutschtum, wenn sich dessen Erfolglosigkeit zeigt, zum nächsten Thema hinüberwechseln werde! Jedenfalls wird er [. . .] niemals in seine eigene Kirche eintreten. Sie ist also von Anfang an dazu verurteilt, eine Kirche ohne Haupt zu sein.“122 Ähnlich sahen es damals auch engere Weggefährten wie Franz Blei und Waldemar Gurian. Nach 1948 wechselte Dempf nach München und äußerte sich wiederholt kritisch über Schmitt. Dempf gehörte in Bonn nur zum weiteren Bekanntenkreis Schmitts, in die katholischen Vernetzungen mit Hermann Platz und dem Akademikerverband, der Quickborn-Bewegung und Maria Laach, Wilhelm Neuß, Carl Muth und Peterson. Am 15. November 1925 notiert Schmitt einmal ins Tagebuch: „Herrn Dempf in Halle, dem Freund von [Rudolf] Pannwitz, kurz geantwortet.“ Der Brief betraf wohl eine Verabredung, denn am 20. November notiert Schmitt: „Um 9 nach Köln, traf an der Rheinuferbahn Dempf, sprach nett mit ihm.“ Am 22. November 1925 heißt es: „Mit Peterson noch zum Hansa-Cafe, dann zu [Arnold] Schmitz, Dr. Dempf, langweilig, müde, traurig.“ In der Politischen Theologie II (Berlin 1970, S. 21 f.) erwähnt Schmitt indirekt die „gemeinsame Bonner Zeit“ und distanziert sich von Dempfs Behauptung, Schmitt habe sich der „totalitären Staatsdoktrin“ angenähert, weshalb seine „besten Schüler, Waldemar Gurian und Werner Becker“, in der Alternative zwischen Schmitt und Peterson zu Peterson übergelaufen seien.123
Aufstieg zum ‚Kronjuristen des Dritten Reiches‘, Darmstadt 1995), Schmitt der Abendland-Bewegung anzunähern, ist hier nicht zu diskutieren. 122 Alois Dempf, Die Glaubensnot der deutschen Katholiken, Zürich 1934, hier nach dem Wiederabdruck in: Alois Dempf 1891–1982. Philosoph, Kulturtheoretiker, Prophet gegen den Nationalsozialismus, hrsg. von Vincent Berning/Hans Maier, Weißenhorn 1992, S. 196–242, hier: S. 239. 123 In seinem Handexemplar (RW 265-28245) S. 21 verweist er auch auf Dempfs Besprechung von Petersons Traktaten im Hochland 44 (1952), S. 67.
Korrespondenz mit Alois Dempf
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1. Carl Schmitt an Alois Dempf Karte, hs., Adresse durchgestrichen, nachgeschickt nach: Altomünster, bei München Bayerische Staatsbibliothek, Nachlass Alois Dempf (Ana 494)
Prof. Schmitt Endenicher Allee 20 Bonn a. Rh. Herrn Alois Dempf Verlag Max Niemeyer Gotha (Saale) 16.7.24. Sehr geehrter Herr! Ich danke Ihnen bestens für die freundliche Zusendung Ihres Werkes „Weltgeschichte als Tat und Gemeinschaft“,124 dessen große, universale Aspekte mich im höchsten Maße fesseln. In der Arbeit dieses letzten Semestermonats muß ich mich leider mit dieser kurzen Dankbezeugung zufrieden geben und kann Sie nur bitten, die Versicherung einer aufrichtigen Hochschätzung entgegenzunehmen. Ihr sehr ergebener Carl Schmitt 2. Alois Dempf an Carl Schmitt Brief, hs., Briefkopf: Abendland. Deutsche Monatshefte für europäische Kultur, Politik und Wirtschaft, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-2820125
Köln, den 28.XII.25. Sehr verehrter Herr Professor! Ich sende Ihnen mit bestem Dank die beiliegenden Hefte zurück. Ihr Rat in der Personenfrage für das geplante Völkerbundsheft des „Abendland“126 ist 124 Alois Dempf, Weltgeschichte als Tat und Gemeinschaft. Eine vergleichende Kulturphilosophie, Halle (Niemeyer) 1924. 125 Das erste Heft erschien im Oktober 1925. Die Schriftleitung hatte Friedrich Schreyvogel (Wien). Die Redaktion lag in der Kölner Marzellenstraße. Dempf ist im Impressum nicht erwähnt. Keiner der elf Herausgeber stand Schmitt persönlich nahe. 126 Heft 5 vom 1. Februar 1926 mit Beiträgen von Ignaz Sippel, Theodor Brauer, Nationalrat Streeruwitz, Paul Jostock, Alfred Verdross, Karl Heyer, Hans Hartmann, Leo Bourgeois.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
mir von großem Wert gewesen. Leider entspricht der mir so sehr gerühmte Artikel Guardinis127 über den Völkerbund nicht ganz meinen Erwartungen, er deckt sich sachlich fast genau mit der englischen Auffassung (Delisle Burns in den Judd. M. N.).128 Ich sehe auch ein, dass es eine praktische deutsche Auffassung und Stellungnahme zum Völkerbund aus verschiedenen Gründen nicht geben kann. Dennoch kann ich kein Völkerbundheft geben ohne die ideale deutsche Auffassung des Völkerbundes und Völkerrechts, die vor allem durch die Kritik der französischen und angelsächsischen Ideologie eine politische Bedeutung hätte. Werden Sie sich, sehr verehrter Herr Professor, nicht doch entschließen können, diese Kritik für „Abendland“ zu schreiben? Der Name „Abendland“ verpflichtet uns zur Ablehnung der humanitär-liberalen- und Majoritätsideologie und zur Betonung der autoritären, theonomen Sanction und Norm für einen auf die christlichen Völker einzugrenzenden Völkerbund. Es gibt ja auch wirklich eine personalistische christliche Moral, wenn sie auch noch nicht die Form einer wissenschaftlichen Ethik besitzt und die traditionelle scholastische Naturrechtslehre, – eine Normerkenntnislehre der conscientia – viel mit Aristoteles rationalisierend, wohl ebenso als erledigt gelten kann wie das rationalistische Naturrecht der Aufklärung. Und diese christliche Moral ist die einzige, die der drohenden Auflösung der „Ethik der nationalen Idee“ in den liberalen Internationalismus und ihrer „etatistischen“ Versteifung im Fascismus entgegenwirken kann, weil sie allein ein Nebeneinander von sittlichen Nationen als konkreten Werten ermöglicht. Ich wüsste wirklich nicht, wer ausser Ihnen, sehr verehrter Herr Professor, diese Gedanken autoritativ in Deutschland vertreten kann, und bitte Sie darum herzlich um einen Beitrag über einige principielle Fragen des Völkerrechts. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Dr. A. Dempf Bonn, Argelanderstr. 142
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Romano Guardini (1885–1968), Mentor der Quickborn-Bewegung, 1922 PD Theologie Bonn, 1923 Prof. Breslau/Berlin, 1939 Zwangsemeritierung, nach 1945 Prof. in Tübingen und (wie Dempf) München. 128 Abkürzung nicht ermittelt; Cecil Delisle Burns (1879–1942), u. a.: The morality of nations. An essay on the theory of politics, London 1915; A short history of international intercourse, New York 1923.
Korrespondenz mit Alois Dempf
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3. Alois Dempf an Carl Schmitt Brief, ms., Briefkopf: Abendland. Deutsche Monatshefte für europäische Kultur, Politik und Wirtschaft, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-2821
Köln, den 11. Januar 1926 Herrn Professor Dr. Carl Schmitt Bonn Endenicher Allee 20 Sehr geehrter Herr Professor! Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief vom 8. ds. Mts. und werde sofort die Weitersendung des Briefes an Graf Egbert Silva Tarouca129 veranlassen. Ich bedauere es sehr, dass Sie sich nun doch nicht zu einer, wenn auch kritischen Stellungnahme zum Völkerrecht und Völkerbund entschlossen haben.130 Aber ich hoffe, dass sich nun doch an das nur teilweise gelungene Heft über Völkerbund und Völkerrecht eine Fortsetzung anschliessen wird, in der die Themen im einzelnen gründlicher und kritischer behandelt werden. Ich hoffe, dass nun Altbundeskanzler Seipel131 selbst die christliche Völkerrechtsauffassung darstellen wird. Die Beziehungen zu Drummont132 sind nun endlich durch Graf Lerchenfeld133 hergestellt. Ich freue mich sehr, wenn ich mich wieder einmal an einer Ihrer Zusammenkünfte mit Herrn Professor Peterson134 beteiligen dürfte. Darf ich Sie um die Liebenswürdigkeit bitten, mir Ort und Zeit vielleicht auf einer
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Graf Egbert Silva-Tarouca (1887–1971), österreichischer Publizist. Schmitt äußerte sich monographisch: ders., Die Kernfrage des Völkerbundes, Berlin 1926. 131 Ignaz Seipel (1876–1932), Prof. für Moraltheologie in Salzburg, 1922–1924 und 1926–1929 Bundeskanzler von Österreich für die Christsoziale Partei. Sein Beitrag hieß: Internationale Zusammenarbeit, in: Abendland 1 (1926), Heft 5, 131–133. 132 Edouard Drumont (1844–1917), Vertreter der Action Française, Publizist. 133 Hugo Graf von und zu Lerchenfeld (1871–1944), Diplomat, 1921/22 bayerischer Ministerpräsident für die Bayerische Volkspartei, 1924–1926 Reichstagsabgeordneter, dann Gesandter in Österreich, Gegner des Nationalsozialismus; Lerchenfeld war einer der Herausgeber der Monatshefte. 134 Schmitt war mit dem Theologen Erik Peterson (1890–1960) in seiner Bonner Zeit eng befreundet. Später schrieb er seine Politische Theologie II (Berlin 1970) gegen Peterson; Dempf könnte hier auf eine gemeinsame Begegnung vom 22. November 1925 anspielen. 130
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
Karte mitzuteilen? Meine Habilitation soll angeblich noch im Januar vor sich gehen.135 Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich Ihr sehr ergebener Dr. A. Dempf. Schmitt notiert am 14. Januar 1926 ins Tagebuch: „Brief von Dempf“.
IV. Alfred Baeumler Alfred Baeumler (1887–1968) wurde 1924 Privatdozent für Philosophie an der TU Dresden und 1925 Studienrat an einem Gymnasium. 1929 erhielt er ein Ordinariat in Dresden. Das von Baeumler zusammen mit Manfred Schröter herausgegebene Handbuch der Philosophie, dem Schmitt offenbar zunächst einen Beitrag zugesagt hatte, wurde 1924 mit dem Verlag vereinbart. Umgehend begann Baeumler mit der Autorenwerbung. Er fragte bei zahlreichen anerkannten Philosophen an: u. a. bei Hermann Nohl, Georg Misch, Hans Freyer, Martin Heidegger, Romano Guardini, Hans Driesch, Eduard Spranger, Karl Jaspers.136 Eine briefliche Anfrage an Schmitt erfolgte am 13. Mai 1925. Weit später erst erfolgten im zweiten Durchgang dann Anfragen bei Günther Holstein (1928) und Karl Larenz. Auf den hier dokumentierten Brief antworteten Baeumler und Schröter am 19. September 1925;137 Baeumler zitierte Schmitt dann 1926 in seiner Bachofen-Einleitung.138 Baeumler gab heraus: Bachofen, Selbstbiographie und Antrittsrede über das Naturrecht, Halle 1927. Schmitts späteres Diktum von Bachofen als „Erbe Savignys“ könnte von Baeumler beeinflusst sein. Im Nachlass Schmitts befindet sich ein Sonderdruck Baeumlers (RW 265-24833), das Nachwort „Bachofen und die Religionsgeschichte“ zur Neuausgabe der Bachofen-Auswahl.139 Die Widmung lautet: „Carl Schmitt / dem Lehrer des Rechts / in rechtlosen Zeiten – / in Bewunderung und Verehrung / Alfred Baeumler / Dez. 1965“. Schmitt notiert dazu als Randbemerkung: „b. 11/12/65 u[nd] 1 Expl. Land & Meer v[on] 1954 ab integro nascitur ordo. Alfred Baeumler“. Offenbar hat 135
Der Abschluss des Verfahrens datiert mit dem 26.2.1926. Liste nach Philipp Teichfischer, Die Masken des Philosophen. Alfred Baeumler in der Weimarer Republik – eine intellektuelle Biographie, Marburg 2009, S. 129 f. 137 Teichfischer (wie Anm. 136), S. 137. 138 Alfred Baeumler (Hrsg.), Johann Jakob Bachofen. Der Mythus von Orient und Occident. Eine Metaphysik der Alten Welt, München 1926. 139 Alfred Baeumler, Nachwort: Bachofen und die Religionsgeschichte, in: ders., Das mythische Weltalter, München 1965, S. 315–352. 136
Korrespondenz mit Alfred Baeumler
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Schmitt also mit einer Buchsendung und Widmung geantwortet. Der Sonderdruck ist mit Unterstreichungen durchgearbeitet und mit wenigen Randbemerkungen versehen. Zu Baeumlers Satz: „Das Wort ‚Muttersprache‘ [. . .] ist ein Verführer“, ergänzt Schmitt S. 351: „Das Wort ‚Vaterland‘ nicht?“ Baeumler bekannte sich schon vor 1933 zum Nationalsozialismus und wurde 1933 der Berliner Universität auf einen Lehrstuhl für Politische Pädagogik oktroyiert, was zum scharfen Protest Eduard Sprangers führte.140 Schmitts Tagebücher erwähnen wenige gelegentliche Begegnungen. Auf Einladung der „Wehrgeistigen Arbeitsgemeinschaft“ von Baeumler und Walter Elze hielt er am 24. Januar 1934 seinen Vortrag über Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches.141 Er hörte mehrere Vorträge Baeumlers und stand zu ihm in politischer Differenz. Baeumler und Emge waren wie Schmitt zwar als wichtige Akteure im NS-Wissenschaftssystem in diverse Besetzungsfragen und Vorgänge einbezogen, eine nähere Zusammenarbeit zwischen Baeumler und Schmitt gab es an der Berliner Universität aber dennoch wohl nicht. Aus Schmitts Brief geht hervor, dass er 1925 offenbar erwog, seiner Politischen Theologie eine Staatsphilosophie folgen zu lassen. Dass er seine Zusage wieder zurückzog, ist über den Anlass „Spann“ hinaus von grundsätzlicher Bedeutung.
Carl Schmitt an Alfred Baeumler ms. Durchschlag, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-456
Prof. Dr. C. Schmitt
Bonn, 6. August 1925. / Endenicherallee 20.
Sehr verehrter Herr Doktor! [daneben handschriftlich: Baeumler] Aus den letzten Ankündigungen Ihres philosophischen Gesamtwerkes, an welchem ich mitzuarbeiten die Ehre habe, entnehme ich, dass sich unter den Mitarbeitern auch Herr Prof. Othmar Spann befindet. Als ich es übernahm, für Ihr Gesamtwerk die Staatsphilosophie142 zu bearbeiten, wurde 140 Der Rücktritt Sprangers, in: Deutsche Allgemeine Zeitung 72 Jg. (1933), Nr. 195 (27.4.1933), Morgenausgabe, S. 2; Wiederabdruck in: Eduard Spranger, Schriften und Artikel in der NS-Zeit. Dokumente 1933–1945, Frankfurt o. J., 276. Dazu jetzt: Geschichte der Universität Unter den Linden. Bd. II: Die Berliner Universität zwischen den Weltkriegen 1918–1945, Berlin 2012, S. 315 ff. 141 Carl Schmitt, Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, Hamburg 1934; ein Teilnachlass Baeumlers im „Philosophischen Archiv“ der Universität Konstanz enthält keine Briefe Schmitts. 142 Alfred Baeumler/Manfred Schröter (Hrsg.), Handbuch der Philosophie, 4 Bde., München 1927–1934. Der Band „Staatsphilosophie“ erschien erst 1933 und wurde von Günther Holstein und dessen Schüler Karl Larenz verfasst.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
sein Name nicht genannt. Jedenfalls ist der sachliche Gegensatz zwischen Prof. Othmar Spann143 und mir so gross, dass meiner Meinung nach eine einheitliche Wirkung eines Werkes, an welchem beide mitarbeiten, unmöglich ist und der Eindruck entsteht, dem ich mich auf keinem Fall aussetzen möchte, dass ich mich an dem beteilige, was im prägnanten Sinne eine liberale Diskussion ist. Ich bitte mich nicht dahin misszuverstehen, als ob ich das Werk und die Bedeutung von Prof. Spann herabsetzen wollte, aber ich lehne es ab, an seiner Seite in der Öffentlichkeit zu erscheinen, nicht nur weil er zu dem Kreis derjenigen gehört, welche systematisch meine Arbeit ignorieren und meinen Namen grundsätzlich nicht nennen, sondern auch deshalb, weil ich ein Problem wie Staatsphilosophie heute zu ernst nehme, als dass ich es in einer äusseren Umgebung erscheinen lassen könnte, die bei jedem ehrlichen Leser die Meinung hervorruft, als fügte ich mich mit meinen Ansichten irgend einer die Gegensätze umfassenden und daher relativierenden Synthese oder einem organischen Hören, oder wie man dergleichen immer nennt, relativistisch ein. Sie werden es, wenn Ihnen meine Schriften bekannt sind, verstehen, dass ich mit meinen Thesen über die liberale Diskussion, die heute, wenn auch meist ohne Quellenangabe,144 zum Gegenstand einer neuen Diskussion gemacht und daher nur zur Wiederbelebung der Diskussion missbraucht werden, – wenn ich also mit solchen Thesen mich einem im Grunde doch nur diskutierenden Gesamtwerke nicht einfügen kann. Der Gegensatz ist so gross, dass meiner Ansicht nach ein solches Gesamtwerk, wenn sowohl Spann wie ich darin vertreten wären, aufhörte ein Gesamtwerk zu sein und eine Art geisteswissenschaftlichen Magazines würde. Ich möchte daher von meiner Arbeit zurücktreten und zweifle nicht daran, dass Sie leicht einen geeigneteren, anpassungsfähigeren Mitarbeiter145 finden werden. Mitte August werde ich mich wahrscheinlich einige Tage auf der Durchreise in München aufhalten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir für den 143 Othmar Spann (1878–1950), Prof. für Nationalökonomie und Gesellschaftslehre in Wien; Schmitt fühlte sich seit seiner Romantikkritik von Othmar Spann und dessen Schule polemisch verfolgt und lehnte auch Spanns organizistische Ständestaatslehre vehement ab. 144 Andeutung des Vorwurfes, dass Othmar Spann Schmitts Politische Romantik nicht ordentlich zitierte. 145 Schmitt schätzte Holstein nicht sehr. Gleichwohl oder eben deshalb schrieb er am 1. Juni 1927 an Smend, er „habe ihn [Holstein] dringend für die ‚Staatsphilosophie‘ bei dem philosophischen Handbuch des Verlages Oldenbourg empfohlen“ (Reinhard Mehring (Hrsg.), „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“. Briefwechsel Carl Schmitt/Rudolf Smend 1921–1961, Berlin 2010, 2. Aufl. 2012, S. 61). Holstein passte seiner Auffassung nach besser in ein von der „organischen“ Lehre Spanns beeinflusstes Handbuch. Vielleicht deshalb war Schmitts Verhältnis zu Baeumler nicht dauernd zerbrochen.
Korrespondenz mit Paul Ludwig Landsberg
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Fall, dass Sie eine persönliche Rücksprache für zweckmässig halten, mitteilen, ob ich Sie am 15., 16. oder 17. August aufsuchen oder treffen kann. Mit der Versicherung vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener
V. Paul Ludwig Landsberg Paul Ludwig Landsberg (1901–1944) war ein Sohn von Schmitts Bonner Kollegen Ernst Landsberg (1860–1927). Er war ein Schüler Max Schelers, rezipierte den Ordo-Gedanken des Mittelalters, rief die Jugend von der „Anarchie zur Ordnung“146 zurück und unterschied dabei scharf zwischen dem „Heilswissen“ Platons und der metaphysischen Schau des Aristoteles.147 Er promovierte 1923 bei Scheler in Köln und habilitierte sich dann 1928 in Bonn. Adolf Dyroff schrieb das ausführliche Erstgutachten zur Habilitation über Augustinus. Studien zur Geschichte seiner Philosophie. Die Philosophen Gustav Störring und Max Wentscher, der Germanist Oskar Walzel, Mathematiker Felix Hansdorff und der Kunsthistoriker Paul Clemen äußerten sich im Umlauf positiv. Adolf von Harnack und Carl Schmitt wurden als externe Kollegen um Äußerungen gebeten. Auf ein zunächst erwünschtes Gutachten von Spranger verzichtete die Kommission dann. Schmitt äußerte sich zurückhaltend, nutzte die Anfrage aber, um für seinen Freund Arnold Schmitz zu intervenieren. Landsbergs späterer handschriftlicher Brief vom 25. November 1931 an Schmitt ist mikrogrammatisch geschrieben und sehr schwer lesbar. Landsberg ist damals als Privatdozent „zwecks Vornahme wissenschaftlicher Arbeiten“ im Wintersemester beurlaubt. Für den Brief an Schmitt ist seine damalige längere Abhandlung „Zur Soziologie der Erkenntnistheorie“ besonders aufschlussreich, die für einen Ausgleich der gegenstrebigen „individualistischen“ und „demokratischen“ Tendenzen der Gegenwart argumentiert und sich dabei auch gegen Diktatur und Rassenbiologie erklärt.148 1933 publizierte Landsberg in der Zeitschrift für Sozialforschung dann über 146 Paul Ludwig Landsberg, Die Welt des Mittelalters und wir. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über den Sinn eines Zeitalters, Bonn 1922, S. 116, vgl. S. 121. 147 Paul Ludwig Landsberg, Wesen und Bedeutung der platonischen Akademie, Bonn 1923; ders., Zur Erkenntnissoziologie der aristotelischen Schule, in: Max Scheler (Hrsg.), Versuche zu einer Soziologie des Wissens, München 1924, S. 295–301. 148 Paul Ludwig Landsberg, Zur Soziologie der Erkenntnistheorie, in: Schmollers Jahrbuch 55 (1931), S. 769–808.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
„Rassenideologie und Rassenwissenschaft“.149 Am 10. Februar 1933 beantragte die Philosophische Fakultät für ihn noch – auf Betreiben von Ernst Robert Curtius und mit Unterstützung Erich Rothackers – einen „besoldeten Lehrauftrag für Philosophie der romanischen Völker“ beim preußischen Ministerium (UA Bonn PF-PA 299, Bl. 55, 59). Für das Sommersemester 1933 wurde Landsberg von der Bonner Fakultät „zwecks wissenschaftliche[r] Studien im Auslande“ (Bl. 62a) beurlaubt. Im September 1933 wurde ihm die Lehrbefugnis nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entzogen. Landsberg emigrierte nach Frankreich und Spanien und lehrte ab 1937 an der Pariser Sorbonne. In der Exilzeitung Die Zukunft veröffentlichte er zahlreiche Artikel gegen Hitler. Nach Einmarsch der Deutschen wurde er 1943 unter dramatischen Umständen von der Gestapo verhaftet und verstarb 1944 tragisch im KZ-Oranienburg. Sein Bruder war im Ersten Weltkrieg gefallen, seine Mutter Anna Landsberg (1878– 1938) beging Suizid. Schmitt verkehrte in seinen frühen Bonner Jahren viel im vornehmen und reichen Hause Landsberg und unterhielt sich hier auch mit dem jungen Philosophen. Die erste Begegnung erfolgte am 2. Juni 1922. Um 4 Uhr „kam der junge Landsberg, ein Schlaks, etwas Ähnlichkeit mit Georg Eisler, aber nur im Benehmen, er sprach vom Mittelalter, ich hörte freundlich zu, über Descartes“ (TB 2.6.1922). „Der Junge erinnert mich sehr stark an Georg Eisler“, heißt es bald erneut (TB 22.6.1922).150 Später spricht Schmitt von „jüdischer Dreistigkeit und Flegelhaftigkeit“ (TB 2.11.1923) Die Tagebücher erwähnen ihn nun die folgenden Jahre häufiger. „Immer das Gefühl geheimer Feindschaft“, heißt es dabei auch einmal (TB 21.1.1926). Am 5. Mai 1927 notiert Schmitt, dass Landsberg ihm seine Arbeit über Augustinus „interessant“ vorlas. Landsberg hörte am 20. Mai 1927 dann in der Berliner Hochschule für Politik den Vortrag über den Begriff des Politischen. Im Tagebuch heißt es: „Schnell umgekleidet; müde und nervös zur Hochschule, roter Koffer (Sombart war da, [Franz] Blei mit einer schönen Frau), verlor die Übersicht, kein guter Vortrag, deprimiert. Abscheuliche Diskussion (der Assistent Bloch von Sombart, Paul Landsberg sehr schön, [Hermann] Heller verteidigte mich rührend)“. Am 25. Januar 1929 notiert 149 Paul Ludwig Landsberg, Rassenideologie und Rassenwissenschaft. Zur neuesten Literatur über das Rassenproblem, in: Zeitschrift für Sozialforschung 2 (1933), S. 388–406. 150 Dazu vgl. Roland Marwitz, Der junge Landsberg, in: Hochland 40 (1947), S. 164–169; Stefan Moebius, Paul Ludwig Landsberg – ein vergessener Soziologe. Zu Leben, Werk, Wissens- und Kultursoziologie Paul Ludwig Landsbergs, in: Sociologia Internationalis 41 (2003), S 77–111; umfassend Michele Nicoletti, Da che parte dobbiamo stare: il personalismo di Paul Ludwig Landsberg, Soveria Mannelli 2007; vgl. auch Volker Siebels, Ernst Landsberg (1860–1927), Tübingen 2011.
Korrespondenz mit Paul Ludwig Landsberg
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Schmitt: Mit Landsberg im Café „nett geplaudert“. Landsberg gehört zu den Pionieren der Philosophischen Anthropologie. Seine Einführung in die philosophische Anthropologie erschien 1934 noch in Frankfurt bei Klostermann. Sie setzt das „Wesen“ der Philosophischen Anthropologie in eine Dynamik der „Humanisierung“. Die Philosophische Anthropologie ist demnach eine Form der „Selbstauffassung“ in „Beziehung zur Humanitätsidee“. Dies zeige sich in einem Prozess der Verinnerlichung und einer Bewegung zur „Innerlichkeit“, Individualität und „inneren Erfahrung“, die Landsberg für schicksalhaft hält und die sich gegenüber „mythischen“, „poetischen“, „theologischen“ und auch „naturwissenschaftlichen“ Anthropologien behauptet. Landsberg bezieht sich systematisch vor allem auf Scheler und Heidegger.151 Pascal ist ein früher Referenzautor.152 Ein Einfluss Heideggers findet sich in einem 1935 in Frankreich erschienen Essay über „Die Erfahrung des Todes“.153 In einer Liste „erteilte Refus“ führt Schmitt Landsberg nach 1945 als einen der „stille[n] (nicht zitierte[n] Autoren)“ (RW 265-19600) auf.
1. Widmungsexemplar Paul Ludwig Landsberg, Wesen und Bedeutung der platonischen Akademie. Eine erkenntnissoziologische Untersuchung, Bonn 1923 LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-23822
Herrn Professor Carl Schmitt in aufrichtiger Verehrung P.L.L. 9.11.23. Das Exemplar enthält außer der Autorenwidmung und einem Besitzvermerk „Carl Schmitt/Bonn 9/11/23“ noch eine eingeklebte Adresskarte der Mutter Anna Landsberg mit handschriftlicher Ergänzung: „Mit sehr herzlichem Gruße von Ihrer“ [Frau Anna Landsberg, Bonn, Humboldtstrasse 14] 22. Juni 1923“. Landsberg übergab das Widmungsexemplar wohl am gleichen Tag in der Vorlesung, „in der der junge Landsberg war, was mich etwas störte“ (TB 9.11.1923). Schmitt revanchierte sich umgehend mit seiner Parlamentarismusschrift. Am 12.11.1923 notierte er dann ins Tagebuch: „etwas gelesen über Platon von Landsberg“. Am 15.11.1923 heißt es im Tagebuch: „Mit Landsberg zur Rheinuferbahn und [von Köln aus] nach Bonn zurückgefahren, gut unterhalten.“
151 Paul Ludwig Landsberg, Einführung in die philosophische Anthropologie, Frankfurt 1934, S. 178. 152 Paul Ludwig Landsberg, Pascals Berufung, Bonn 1929. 153 Paul Ludwig Landsberg, Die Erfahrung des Todes, Luzern 1937; Neuausgabe: Frankfurt 1973.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
2. Handschriftliche Briefe Schmitts im Habilitationsverfahren Der Dekan Heinrich Konen154 schreibt Schmitt am 26. Mai 1928 (UA Bonn PF-PA 299, Bl. 21): „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir eine Auesserung über Herrn Dr. Paul Landsberg zukommen lassen würden. Er hat sich hier zur Habilitation angemeldet, und ich würde mich aufrichtig freuen, wenn er als gescheiter Mann in die Reihe unserer Fakultät aufgenommen würde. Vielleicht sind Sie auch in der Lage, Herrn Spranger zu einer günstigen Auesserung zu veranlassen.“ Schmitt antwortet daraufhin:
2.1. Carl Schmitts gutachterliche Äußerung UA Bonn PF-PA 299, Bl. 16
Nicolassee bei Berlin, 5. Juni 1928 Potsdamer Chaussee 49 Villa Muthesius Sehr verehrter Herr Kollege! Ihr Schreiben habe ich während meines Pfingstaufenthaltes in Godesberg erhalten. Leider konnte ich Sie telefonisch nicht erreichen und bekam bei meinem Anruf im Physikalischen Institut keine Antwort. Was Herrn Dr. Landsberg angeht, so erkläre ich gern, daß ich ihn für einen Menschen von echt philosophischem Geist und Interesse halte. Um ein ausführlicheres Gutachten abzugeben, müsste ich seine Schriften von neuem durcharbeiten, wozu mir jetzt, während des Semesters, die Zeit fehlt. Herrn Kollegen Spranger hoffe ich dieser Tage zu treffen (er hat kein Telefon, daher ist eine Verabredung mit ihm nicht so prompt zu bewerkstelligen, wie sonst in Berlin). Ich werde Ihnen Sprangers Antwort gleich mitteilen und ihn zu veranlassen suchen, Ihnen unmittelbar zu schreiben. Darf ich diese Gelegenheit benutzen, um Ihnen, sehr verehrter Herr Kollege und Ihrer sehr verehrten Gattin meine besten Empfehlungen und Grüße zu sagen. Stets Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt.
154 Heinrich Mathias Konen (1874–1948) war Direktor des physikalischen Instituts, 1929 bis 1931 Rektor der Universität, Zentrums- und später CDU-Politiker und NRW-Kultusminister; 1934 wurde er zwangsemeritiert.
Korrespondenz mit Paul Ludwig Landsberg
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2.2. Ergänzungsschreiben Schmitts UA Bonn PF-PA 299, Bl. 26
Berlin 6/6 28 Sehr verehrter Herr Kollege! Darf ich meiner Antwort auf Ihre Frage wegen des Herrn Dr. Landsberg noch eine Bemerkung beifügen, die mir am Herzen liegt. Ich hörte, daß Herr Dr. Arnold Schmitz,155 der Musikhistoriker, den Professor-Titel erhalten soll. Wenn Sie meine Ansicht über diese Frage interessiert, so möchte ich zum Ausdruck bringen, daß ich Herrn Dr. Arnold Schmitz für einen besonders werthen und gründlichen Gelehrten halte, der diesen Titel gewiß ganz besonders verdient. Ich kenne Herrn Schmitz seit 6 Jahren und habe seine wissenschaftliche Entwicklung mit besonderem Interesse verfolgt. In vorzüglicher Hochachtung bleibe ich, sehr verehrter Herr Kollege, Ihr sehr ergebener Carl Schmitt. Konen dankte Schmitt am 8. Juni 1928 (Bl. 27) für beide „Zuschriften“ und betonte: „Die erste derselben wird ohne Zweifel Herrn Dr. Landsberg ausserordentlich nützlich sein und dazu dienen, gewisse Bedenken von Herrn Kollegen [dem Nationalökonomen Arthur] Spiethoff zu zerstreuen.“ Am 25. Juni 1928 (Bl. 31) schreibt Konen noch einmal, dass inzwischen „gewisse Bedenken gegen eine offizielle Befragung von Spranger“ bestehen und Schmitt sich hier nicht weiter bemühen soll. Das Verfahren verläuft zügig. Im November erfolgt das Habilitationskolloquium über „Die Stellung der Phänomenologie in der Entwicklung der modernen Philosophie“ und am 1. Dezember 1928 die öffentliche Antrittsvorlesung über „Pascals religionsphilosophische Berufung“.
3. Paul Ludwig Landberg an Carl Schmitt Brief, hs., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-8628
Paris 25.11.31 Verehrter Herr Professor! Ihre Zusendung und die Widmung156 darin waren mir eine große Freude. Es ist wichtig für die Möglichkeit des Philosophierens [?] selber, daß man sicher ist, wirklich zu Jemandem und mit Jemandem zu sprechen. Bei der 155 Arnold Schmitz (1890–1980), seit Bonner Tagen lebenslang befreundeter Musikwissenschaftler, Prof. in Breslau und ab 1946 in Mainz. 156 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, München und Leipzig 1932.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
heutigen Lage können vielleicht nur wenige untereinander sich dies versichern. Es kann ja wirklich kaum mehr jemand deutsche Sätze richtig lesen. Vielen Dank also! – Ihren Tractat [Der Begriff des Politischen] habe ich wiederum mit lebhafter Beteiligung verschlungen. Abgesehen von sehr geringen Einzelheiten (Urteil über Plessner, einzelne Formulierungen, Hegelfrage) kann und muss ich jedem Satze zustimmen. Was Sie sagen[,] ist im Wesentlichen evident. Darauf kommt es an. Die Kraft der Form und die Wahrheit des Friedens sind ja nicht zu trennen. Es geht mir aber seltsam; heute indem ich das Wesen des Politischen bei Ihnen nur teilweise [?] richtig bestimmt finde, entdecke ich, wie fremd mir dies ist. Meine Sicht als Philosoph ist immer mehr das Verstehen geworden. Keineswegs sind alle Dinge „gut“, aber es will mir oft scheinen, als ob auch das Böse gut wäre. Es ist sicher irgendwie töricht und gleichsam unmenschlich[,] die Dinge von Oben zu sehen, aber können wir als theoretische Menschen, als Betrachter anders? Können wir anders, auch wenn wir das Wesen des Politischen bestimmen? War der alte Goethe wirklich nur liberal und können wir nicht doch eine überpolitische Geisteslage ahnen, die mit der unterpolitischen eines ökonomischen Liberalismus nichts zu tun hat? (Alle diese Fragezeichen müßen Sie dreifach unterstrichen denken)[.] Diese überpolitische Betrachtung kann natürlich nicht antipolitisch sein, sondern sie wird auch das Wesen des Politischen gelten lassen. Der centrale Einwand ist dagegen, daß wir keine reinen Geister sind, noch sein wollen! Aber erwarten wir alle vom Betrachter des Weltwesens es nicht doch immer zu sein? Hat dieser stets vergebliche Versuch seine Wahrheit, mit den Augen eines Engels gleichsam zu erblicken nicht sein Recht, wie er seine innere Notwendigkeit hat? Und dann: Der Liberalismus ist mindestens in Deutschland tot und begraben, aber stehen wir nicht erschauernd vor der entsetzlichen Vermassung Heute, die er sicher durch die dequalifizierte Schablone seines „Individualismus“ mit geschaffen hat.157 Gewinnen die Worte: „Freiheit des Einzelnen zu seiner Wesenserfüllung“ nicht schon wieder neuen Sinn aus solcher neuer Situation? Sind es nur Reste von bürgerlichem Liberalismus – gut eingeerbt – die in mir unter Anderem sich gegen die Lebensverzärtelung der demokratischen Stube zur Wehr setzen, oder ist es nicht auch Sinn für die Qualitäten des Menschen, die bedroht sind, nicht zuletzt Bildung im echten Sinne? Soviel Worte, soviel Fragezeichen. Wäre Ihr antiliberaler Tractat – ich empfinde ihn mehr als solchen, ohne damit seinen Erkenntniswert schmälern zu wollen – nicht zu ergänzen durch einen Tractat gegen Demokratie und Diktatur der Massen und Demagogen? Der politisierte Pöbel, der seine Feinde überall da sieht, wo ein geschickter Demagoge ihm den Feinde vorgaukelt, nicht mehr die Unpolitik, sondern die miserable Po157
Dazu aufschlussreich vgl. Paul Ludwig Landsberg (wie Anm. 147).
Korrespondenz mit Paul Ludwig Landsberg
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litik verletzter Kleinbürger – in ihrem dezimierten Wesen selbst Resultat des bürgerlichen Zeitalters – scheint mir in Deutschland aktuelle Gefahr. Anders liegen die Dinge hier in Frankreich. Hier gibt es [. . .] bourgeoise Ideologie und unpolitisch drapierte Politik. Ich wünschte[,] Ihr Tractat würde übersetzt. Er enthält eine penetrante, kraftvolle und endgültige Kritik der officiellen französischen Polt.[ik] seit 1918. Die Gruppen, die hier dagegen ankämpfen[,] könnten den Bundesgenossen bremsen [?]. Ich denke an Erscheinungen wie Viénots verdientes Buch: Incertitudes Allemandes158 [darunter:] oder an Jacques Kayser: „La Paix en péril“159 (N.R.Fr.),160 die zeigen, daß die Krise des bürgerlichen Zeitalters auch vor Frankreich nicht Halt macht. Damit bin ich schon bei diesem so überaus schmerzlichen, hohen und geradezu umtreibenden Problem: Deutschland–Frankreich angelangt: besonders schmerzlich für die Deutschen, die das Wohl eines Frankreichs, nicht die tönenden Autoritäten mit Goldhintergrund, ungeniert [?] lieben, ohne doch wohl damit ihrer andersartigen Liebe zum deutschen Vaterland Abbruch zu tun. Frankreich unser Feind – Der Gedanke ist mir entsetzlich bis in’s Physische hinein. Sind diese Völker nicht zueinander wie geschaffen, gerade in der Verschiedenheit ihres Seins? Und muß immer wieder der Bruder der Feind sein? Welch’ dunkles Gesetz! Das echte Frankreich ist doch wirklich kein „höheres Drittes“, sondern nur eine tiefere Realität, der man sich nicht entziehen kann. (Noch mehr in der Provinz, als hier in Paris, das wie alle Großstädte wird). Was wird uns die dunkle Zukunft hier bringen? Auf der einen Seite die Starrheit der Herrschenden in Fr.[ankreich] und daheim bei uns die Vertretung [?] der nationalsozialistischen Pöbelmassen. Ich schäme mich nicht Angst zu haben um Europa, das Gute in Frankreich und Deutschland in den Geistern [?] beginnt eine dem Politischen sich nähernde Realität zu werden. Es wäre sehr interessant und mehr als Das, wenn es eine wirkliche Geschichte der Feindschaften gäbe, die bis zur Ahnung ihrer verborgenen, letzten Gründe gelangen würde. Jedenfalls wird Feindschaft auch den Völkern mit der Zeit immer schwer[er?] und es bedarf immer mehr Kunst eben der Feind zu werden. Der Primitive besitzt keinen Begriff des Menschen, der auch den Stammesfremden umfasst. Der Mensch existiert je nur im Stamme. Dann ist Feindschaft leicht. Das Politische ist leider eine Spur, die primär aus ihrer Autonomie zu deuten ist, aber die Konflikte sind gerade das Furchtbarste, Konflikte wie etwa zwischen Religion und Aesthesis u.s.w. 158 Pierre Viénot, Incertitudes allemandes. La crise de la civilisation bourgeoise en Allemagne, Paris 1931. 159 Jacques Kayser, La Paix en péril, Paris 1931. 160 Wahrscheinlich: La Nouvelle Revue Française (NRF); Beiträge Kaysers finden sich dort in den Jahrgängen 1929/31 aber nicht.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
Zu Ihrem Aufsatz über die Neutralisierungen161 möchte ich ganz besonders unterstreichen, was Sie über das Verhältnis des 17ten und 18ten Jahrhunderts sagen. Ich habe voriges Semester über 17tes Jahrhundert Kolleg gelesen und bin zu feinste[n] identische[n] Formulierungen gelangt. Bei dieser Gelegenheit habe ich übrigens auch zum ersten Mal den ganzen Hobbes im Original kennen gelernt. Das ist wirklich ein Geist von oft erschütternder Wirklichkeitsnähe. Wir verstehen ihn Heute besser als Tönnies162 vor dem Kriege. Einzelne Kapitel des Leviathan sind von einer geistigen Kühnheit und einem Sinn für das Wesentliche, die ihnen einen wirklich dauernden Wert geben. Ich verstehe Ihre Vorliebe hier sehr gut. Die eigentliche Würdigung des Hobbes steht noch aus. Entschuldigen Sie diesen langen Brief voll von Fragen und nehmen Sie ihn als Zeichen, wie sehr Ihre Gedanken in mir weiterwirken. Ihr ergebener Paul L. Landsberg.
VI. Theodor Litt Theodor Litt (1880–1962) wurde 1919 Professor in Bonn und 1920 als Nachfolger Sprangers Ordinarius für Philosophie und Pädagogik in Leipzig. 1937 legte er sein Amt aus politischen Gründen nieder, wurde 1945 erneut Professor in Leipzig und wechselte 1947 dann nach Bonn. Litt vertrat schon vor 1933 eine bedeutende, an Hegel und Dilthey geschulte Sozialphilosophie und Pädagogik. Rudolf Smend163 rezipierte seine sozialphilosophische Grundlegung Individuum und Gemeinschaft164 als philosophische Basis der Verfassungstheorie. Litt stand auch in enger Verbindung mit Spranger. Carl Schmitt war am 8. Juli 1931 zum Vortrag an der Universität Leipzig und sprach über seinen Begriff des Politischen, dessen Broschürefassung er in diesen Wochen gerade abschloss. Dazu notierte er ins Tagebuch: „12.15. Uhr nach Leipzig, ohne jede Anstrengung, der gute Hugo Fischer holte mich ab. Hotel Astoria, nett gewohnt. Fischer blieb bei mir, wir plauderten und schwätzten über England, über das filioque165 etc. Um 161 Carl Schmitt, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, in: ders., Der Begriff des Politischen (wie Anm. 156), S. 66–81. 162 Ferdinand Tönnies, Hobbes’ Leben und Lehre, 1896, 2. Aufl. Stuttgart 1922. 163 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, Berlin 1955, 123 ff. 164 Theodor Litt, Individuum und Gemeinschaft. Grundlegung der Kulturphilosophie, 1919, 2. Aufl. Leipzig 1924. 165 Trinitätstheologischer Streitpunkt des Glaubensbekenntnisses, Differenzpunkt zwischen römischem und orthodoxem Christentum.
Korrespondenz mit Theodor Litt
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4 kam auch [Alfred] Bäumler aus Dresden, ein überaus schlauer pfiffiger Kerl. [Erwin] Jacobi verfehlte mich um 6, was mich sehr ärgerte. War aber entzückend am Telephon. Um ½ 8 traf ich [Felix] Krüger und [Hans] Freyer. Hielt meinen Vortrag (Fräulein [Annie] Kraus war da!), gut, nett, aber etwas fehlte. Nachher Diskussion an der Sache vorbei. In Auerbachs Keller mit Krüger, Alfred Schultze usw. Sehr nett, leider noch mit Bäumler auf seinem Zimmer Sekt getrunken, bis ½ 4.“166 Litt gehörte wie Krüger und Freyer zur Philosophischen Gesellschaft. Schmitts Vortrag fand deshalb wohl auf deren Einladung hin statt. Litts handschriftlicher Brief bezieht sich offenbar auf die „Diskussion an der Sache vorbei“. Am anderen Tag trifft Schmitt erneut Fischer, Baeumler und Jacobi und fährt dann nach Berlin zurück. Litts Brief enthält wenige stenographische Randbemerkungen Schmitts.
Theodor Litt an Carl Schmitt Brief, hs., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-8879
Leipzig, den 10.7.31. Sehr verehrter Herr Kollege! Es ist wirklich schade, dass wir unsere Diskussion nicht am Abend fortsetzen konnten. Ich war nachher einfach zu müde. Die Differenz scheint mir auf Folgendes hinauszulaufen. Ich unterscheide die soziologische Eingliederung aller konkreten Träger des Kulturprocesses von dem Geltungsgehalt des durch sie Erarbeiteten u. Geschaffenen. Jene bestimmt die Richtung des Schaffens und des Fragens, ohne notwendig den Gehalt als solchen an die Situation zu binden. Z. B. sehen wir, die heute Lebenden, das „Wesen“ des Politischen „richtiger“ als manche Frühere, weil uns das Politische mit so unerhörter Wucht auf die Seele fällt. Die allgemeinen Begriffe von „Staat“, „Politik“ u. dgl., die in dieser Situation gewonnen werden, brauchen deshalb keines Wegs in diese Situation gebunden zu sein. Was Sie über das „Wesen“ des Politischen, im Verhältnis zu den Kulturprocessen u.s.w. aussagen, scheint mir deshalb durchaus „gültig“! Auch für die Klärung der „konkreten Bewusstheit“, in deren Forderung ich mit Ihnen durchaus einig gehe, ist, wie ich meine, die Mitarbeit dieser allgemeinen Begriffe (die ich von den „idées generales“ aufs schärfste unterscheide)167 nicht zu entbeh166 Carl Schmitt, Tagebücher 1930–1934, hrsg. von Wolfgang Schuller, Berlin 2010, S. 122. 167 Dazu vgl. Carl Schmitt, Nationalsozialistisches Rechtsdenken, in: Deutsches Recht 4 (1934), 226–229, hier: S. 226: „Wir erleben heute den Bankrott der idées générales.“ Schmitt erinnert dies als Zitat von 1932. Wahrscheinlich sprach er aber
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
ren. Ist doch der Begriff „konkrete Bewusstheit“ selbst ein solcher Allgemeinbegriff! Von ihm unterscheide ich diejenigen Ideen, in denen sich der „Mythos“ einer bestimmten Epoche zusammenfasst („Freiheit“, „Plan“)[.]168 An sie die Forderung der Allgemeingültigkeit zu stellen[,] wäre natürlich widersinnig. Ich hoffe auf Fortsetzung der Diskussion in Davos!169 Mit den besten Grüssen Ihr Th. Litt
VII. Leo Strauss Leo Strauss (1899–1973) promovierte 1921 bei Ernst Cassirer in Hamburg und war von 1925 bis 1932 ein Mitarbeiter von Julius Guttmann bei der Moses-Mendelssohn-Jubiläumsausgabe der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Er ging dann mit einem Rockefeller-Stipendium, mit gutachterlicher Unterstützung Schmitts, nach Paris und emigrierte später nach England und in die USA, wo er in Chicago schulbildend wirkte. Anders als Kuhn oder Plessner erstrebte oder erlangte er in Deutschland nicht die Venia für Philosophie. Heinrich Meier betonte die Bedeutung von Strauss für Schmitts Profilierung einer Alternative zwischen politischer Philosophie und Theologie; er sprach von einem „Dialog unter Abwesenden“ und veröffentlichte die drei erhaltenen Briefe an Schmitt. Durch die Publikation der Tagebücher wissen wir heute genauer, dass die Beziehung für Schmitt eher beiläufig war und Strauss seine strategischen Bitten um gutachterliche Unterstützung und Informationen zur Hobbes-Edition mit einer umgehenden Überreichung seiner „Anmerkungen“ zu Schmitts Begriff des Politischen verband.170 Schmitt schrieb damals mehrere Gutachten für die Rockefeller-Stiftung. Als Hobbes-Experte war er damals noch nicht mit selbständigen Publikationen hervorgetreten und seine Forschungsinteressen selbst bereits in Leipzig darüber und sein Gespräch mit dem „weltberühmten“ Rechtsgelehrten, das er 1934 zitiert, war schon 1931. 168 Litt charakterisiert mit diesen Stichworten wohl den Liberalismus und Bolschewismus. 169 Die Davoser Hochschulkurse wurden von Gottfried Salomon-Delatour (1892–1964) organisiert, den Schmitt schon aus Münchner Tagen kannte. Schmitt hatte im April 1928 an den ersten Davoser Hochschulkursen teilgenommen. 1929 kam es zur berühmten Kontroverse zwischen Heidegger und Cassirer. Vom 22. März bis 11. April 1931 fanden die vierten und letzten Davoser Kurse statt. Das Projekt scheiterte dann an der Finanzierung. Litts Hoffnung blieb deshalb unerfüllt. 170 Dazu auch die Schreiben von Dr. August Wilhelm Fehling (1896–1964) vom Berliner Sekretariat der Rockefeller-Stiftung vom 29.1.1932 und 11.3.1932 (RW 265-11681/2).
Korrespondenz mit Leo Strauss
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lagen in den frühen 30er Jahren auch ganz auf den staatsrechtlichen Fragen.171 Die Vorgeschichte der Begegnung ist bisher ungeklärt. Strauss172 stellte sich Schmitt am 27. November 1931 mit seinen Hobbes-Studien vor. „Dr. Strauss hat sich angemeldet, kam um 5, ein feiner Jude, gelehrt, arbeitet über Hobbes,173 freute mich über seine These“ (27.11.1931). Am 21. Dezember bringt Strauss sein Hobbes-Manuskript vorbei und bittet dann um eine Empfehlung für die Rockefeller-Stiftung. Seine Anmerkungen sind „auch ein Geschäft auf Gegenseitigkeit“.174 Schmitt liest sie im Typoskript und vermittelt sie an Lederers Archiv. Er schreibt dann das Gutachten für das Rockefeller-Stipendium, bricht aber 1933 den Kontakt ab. Strategische Interessen gehen aus Strauss’ Briefen deutlich hervor. Schmitt rezipierte Strauss zum damaligen Zeitpunkt als Hobbes- und Spinoza-Forscher eher beiläufig. Sein fortdauerndes Interesse an Strauss belegt jetzt wieder der späte Briefwechsel mit Jacob Taubes. Eine Engführung seiner Philosophenkorrespondenzen auf Strauss ist aber abwegig. Im (von Meier nicht berücksichtigten) Nachlass sind zahlreiche Handexemplare von Strauss erhalten. Der Sonderdruck der Anmerkungen ist dabei in einen Band „Auseinandersetzungen mit Carl Schmitt 1924–1940“ eingebunden, den Schmitt am 27. November 1942 aus Prag von Gustav von Schmoller erhielt. Schmoller verwandte den Widmungssonderdruck von 171 Zu Schmitts Hobbes-Bild und dessen Wirkungsgeschichte vgl. Reinhard Mehring, Carl Schmitt, Leo Strauss, Thomas Hobbes und die Philosophie, in: Philosophisches Jahrbuch 112 (2005), S. 378–392; ders., Thomas Hobbes im konfessionellen Bürgerkrieg. Carl Schmitts Hobbes-Bild und seine Wirkung im Kreis der alten Bundesrepublik, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft 36 (2008), S. 518–542; Schmitts Bonner Schüler Werner Becker promovierte „Über die Staatslehre des Hobbes“; Schmitts längeres Dissertationsgutachten vom 17.7.1925 ist jetzt veröffentlicht in: Carl Schmitt/Rudolf Smend (wie Anm. 145), S.164 f.; Strauss kannte Becker aber offenbar persönlich nicht und sein Kontakt mit Schmitt entstand nicht über Werner Becker (dazu vgl. Strauss’ Brief von 1933 an Karl Löwith, in: Leo Strauss, Gesammelte Schriften, hrsg. von Heinrich u. Wiebke Meier, Bd. III: Hobbes’ politische Wissenschaft und zugehörige Schriften – Briefe. Stuttgart 2001, S. 633). 172 Leo Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitts ‚Begriff des Politischen‘, in: ASwSp 67 (1932), 732–749. 173 Dazu das Vorwort von Heinrich Meier in: Leo Strauss, Gesammelte Schriften, Bd. III (wie Anm. 171), S. IX f. 174 Heinrich Meier moniert wohl diese Formulierung meiner – auf einer vorläufigen Transkription der Tagebücher basierenden – Biographie Carl Schmitts (wie Anm. 26 ), S. 277 als „irreführende Darstellung“ im Nachwort zur dritten Auflage seines Schmitt-Strauss-Buches (Carl Schmitt, Leo Strauss und ‚Der Begriff des Politischen‘. Zu einem Dialog unter Abwesenden, 1988, 3. Aufl. Stuttgart 2013, S. 195). Wenn ein Nachwuchswissenschaftler sich für ein Gutachten mit einer Besprechungsabhandlung bedankt und auch später noch um akademische Unterstützung ersucht, ist aber – nicht nur, aber auch – von einem strategischen Verhältnis zu sprechen.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
Strauss. Beim Binden wurde die Widmung bis auf die Unterschrift abgeschnitten. Die handschriftliche Unterschrift von Strauss ist noch deutlich lesbar (RW 265-28422). Der Sonderdruck enthält nur wenige Marginalien mit Bleistift, Rotstift und Tinte aus unterschiedlichen Zeiten. Mehrfach notiert Schmitt an den Rand: „gut“. Emphatisch unterstreicht er die abschließenden Sätze: „In einem solchen Horizont hat Hobbes die Grundlegung des Liberalismus vollzogen. Eine radikale Kritik am Liberalismus ist also nur möglich auf Grund eines angemessenen Hobbes-Verständnisses.“ (S. 749) Dazu notiert Schmitt mit Bleistift „richtig“ und rekapituliert insgesamt mit Tinte (in früher Handschrift aus früher Lektüre): „Sehr gut, aber lies doch nur einmal bedächtig De Cive Cap. XVII §§ 11 und 12.“ Die Erstausgabe von Philosophie und Gesetz von 1935 (RW 265-24659) erhielt Schmitt laut Besitzvermerk 1935 durch Karl Buchholz. Sie ist intensiv durchgearbeitet und enthält zahlreiche Randbemerkungen (besonders zur Einleitung) meist mit Tinte aus späterer Zeit. So glossiert Schmitt den Titel: „Philosophie und das Unglückswort: Gesetz, statt Nomos“. Es finden sich hier auch späte polemische Bemerkungen. Auf S. 29 bemerkt Schmitt bspw. zu Strauss’ „Idee des Gesetzes“: „Ergo: Naturrecht! Das ist also des Pudels Kern! Der casus macht mich lachen. Was ist ein Jude, der nicht mehr weiss, was nümoò ist?“ Zum Schlusssatz (S. 122) und Rückgang auf Platon bemerkt er: „radikal verstehen vgl. Seite 28! Besser verstehen als er sich selbst versteht!“ Schmitt zitierte Strauss 1938 im Leviathan-Buch. In eines seiner Handexemplare (RW 265-27453) notiert er zum „Blick des ersten liberalen Juden“ (S. 86) und den Spinoza-Ausführungen an den Rand: „Antwort an Leo Strauss Philosophie und Gesetz Seite 11; Spinoza radikale Aufklärung; Hobbes etc. gemässigt!“ Schmitt besaß weitere Bücher von Strauss: so De la Tyrannie in der französischen Ausgabe von 1954 als Widmungsgeschenk von Nicolaus Sombart mit Besitzvermerk vom 28.8.1954 (RW 265-25185), die deutsche Übersetzung Über Tyrannis (Neuwied 1963; RW 265-26975), Naturrecht und Geschichte (Stuttgart 1956) mit Besitzvermerk vom 18. September 1956 (RW 265-26590), zwei Exemplare von Hobbes’ politische Wissenschaft (Neuwied 1965), ebenfalls Geschenke (des Ebracher Seminars von 1966 mit Widmung zahlreicher Teilnehmer RW 265-22368 und von Julius Hadrich RW 265-24268). Alle diese späteren Werke enthalten nur wenige Marginalien. Den Titel: Hieron oder über die Tyrannis ergänzt Schmitt: „oder: der Tyrann als tragische Rolle“. Zu Naturrecht und Geschichte notiert er in den Umschlag: „Legalität vs. Plato/Gesetz contra Recht 150/151“ und „Hobbes Atheist: 206“. In Kopie besaß Schmitt auch das „Preface to the english translation“ des Spinoza-Buches von 1962 (RW 265-29299). Alle diese Texte hat Schmitt gelesen und durchgearbeitet, teils in wiederholter Lektüre.
Korrespondenz mit Leo Strauss
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1. Leo Strauss an Carl Schmitt Brief mit schwarzer Tinte geschrieben, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15910
Berlin-Neutempelhof, den 13. März 1932. Hohenzollernkorso 11. Sehr geehrter Herr Professor! Das Sekretariat der Rockefeller-Stiftung175 hat mir nunmehr mitgeteilt, dass das deutsche Komitee der Stiftung mich in dem von mir gewünschten Sinn der Pariser Zentrale empfohlen hat. Die endgültige Bestätigung steht für Mitte Mai zu erwarten. Da diese Bestätigung, wie ich höre, bisher noch in keinem Fall versagt worden ist, so kann ich jetzt doch wohl damit rechnen, dass ich im Herbst dieses Jahres nach Paris geschickt werde. Ich kann die Gelegenheit dieser Mitteilung nicht vorübergehen lassen, ohne Sie nochmals des herzlichsten Dankes für Ihre Unterstützung meiner Bewerbung zu versichern. Aber es ist nicht allein diese Hilfe in einer äusseren, immerhin beinahe lebenswichtigen Angelegenheit, die mich zur Dankbarkeit Ihnen gegenüber verpflichtet. Erlauben Sie mir, sehr geehrter Herr Professor, es einmal auszusprechen, dass das Interesse, das Sie meinen Hobbes-Studien176 entgegengebracht haben, die ehrenvollste und verbindlichste Bestätigung meiner wissenschaftlichen Arbeit darstellt, die mir je zuteil geworden ist und die ich mir überhaupt denken kann. In ausgezeichneter Hochachtung ergebenst grüssend Leo Strauss.
2. Leo Strauss an Carl Schmitt Brief, ms. mit handschriftlichen Korrekturen u. U. LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15911177
Berlin-Neutempelhof, den 4. September 1932. Hohenzollernkorso 11. Sehr verehrter Herr Professor! Ich habe mir in den letzten Tagen die Gedanken, die Sie in Ihrem „Begriff des Politischen“ ausgesprochen haben, und auch meine inzwischen im Ar175
Berliner Büro. Dazu vgl. Leo Strauss, Gesammelte Schriften, Bd. III (wie Anm. 171). 177 Von diesem Brief existiert (RW 265-15911/2-3) eine maschinenschriftliche Abschrift im Schmitt-Nachlass, mit handschriftlicher Ergänzung Schmitts. 176
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
chiv für Sozialwissenschaft veröffentlichten Einwendungen nochmals überlegt. Dabei sind mir zwei Punkte aufgefallen, die ich, da ich sie ja nun nicht mehr in meiner Rezension darlegen kann, Ihnen brieflich vortragen möchte. Soweit ich aus verschiedenen Unterhaltungen über Ihr Buch gesehen habe, ist Ihre These darum besonders Mißverständnissen ausgesetzt, weil sie sich gelegentlich etwa folgendermaßen ausdrücken: Der politische Gegensatz ist der höchste Intensitätsgrad aller möglichen Gruppengegensätze. Diese Formulierungen legen das Mißverständnis nahe, als ob das Politische immer schon menschliche Gegensätze an sich unpolitischen Charakters als schon vorhanden voraussetzte, m. a. W., als ob das Politische etwas Nachträgliches sei. Wenn ich Ihre Meinung aber recht verstanden habe – und zwar mehr aus einem Gespräch als aus Ihrer Schrift –, so geht sie doch aber gerade dahin, dass es eine primäre Tendenz der menschlichen Natur gibt, exklusive Gruppen zu bilden. Bei dem Versuch einer eingehenderen Analyse Ihrer Schrift gewinnt man den Eindruck, dass die auf den ersten Blick völlig einheitlich erscheinende Polemik gegen die Linke in zwei unvereinbare, zum mindesten heterogene Gedankenreihen auseinanderfällt. Der Gegensatz Links-Rechts stellt sich dar 1. als der Gegensatz von internationalistischem Pazifismus und bellizistischem Nationalismus und 2. als Gegensatz von anarchistischer und autoritärer Gesellschaft. Es bedarf keines Beweises, dass diese beiden Gegensätze an sich sich nicht miteinander decken. In meiner Rezension habe ich dar/gelegt, dass und warum mir der 2. Gegensatz (Anarchie-Autorität) als der radikalere und in letzter Instanz allein in Betracht kommende Gegensatz erscheint. Dabei kann man sich aber selbstverständlich nicht beruhigen. Das zunächst nur empirische Zusammenfallen von bellizistischem Nationalismus und Sympathie für autoritäre Ordnung wird ja nun wohl nicht ganz zufällig sein. Ist es in Ihrem Sinn, wenn man den Zusammenhang von „Autoritarismus“ und „Nationalismus“ – lassen Sie mir diese Abbreviaturen einmal durchgehen – folgendermassen auseinanderlegt: Das letzte Fundament der Rechten ist der Satz von der natürlichen Bosheit des Menschen; weil der Mensch von Natur böse ist, darum braucht er Herrschaft. Herrschaft ist aber nur herzustellen, d.h. Menschen sind nur zu einigen in einer Einheit gegen – gegen andere Menschen. Jeder Zusammenschluss von Menschen ist notwendig ein Abschluss gegen andere Menschen. Die Abschliessungstendenz (und damit die Freund-Feind-Gruppierung der Menschheit) ist mit der menschlichen Natur gegeben; sie ist in diesem Sinn das Schicksal. Aber das so verstandene Politische ist nicht das konstitutive Prinzip des Staates, der „Ordnung“, sondern nur die Bedingung des Staates. Dieses Rangverhältnis von Politischem und Staat tritt nun allerdings, wie ich glaube, in Ihrer Schrift nicht genügend hervor. Ihr Satz: „Der Begriff des Staates setzt den
Korrespondenz mit Leo Strauss
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Begriff des Politischen voraus“, ist zweideutig; „Voraussetzung“ kann eben konstitutives Prinzip und Bedingung besagen. Im ersteren Sinn wird sich der Satz kaum aufrecht erhalten lassen, wie bereits die Etymologie (politisch-polis) beweist. Das meinte wohl auch der Rezensent Ihrer Schrift in der Rhein-Mainischen Volkszeitung178 (5. Juli), als er Ihnen „Soziologismus“ vorwarf. Ich schliesse mit der Bitte, dass Sie diesen Nachtrag zu meiner Rezension mit derselben Nachsicht zur Kenntnis nehmen mögen wie die Rezension selbst. In ausgezeichneter Hochachtung ergebenst grüssend Leo Strauss. 3. Leo Strauss an Carl Schmitt Brief mit schwarzer Tinte geschrieben, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-15912
4 rue du Parc de Montsouris, Paris (14e), den 10. Juli 1933 Sehr verehrter Herr Professor! Zunächst darf ich Ihnen mitteilen, dass das Rockefeller-Stipendium, das ich wesentlich Ihrem Gutachten über den Ihnen vorgelegten ersten Teil meiner Hobbes-Arbeit verdanke, mir nunmehr für ein zweites Jahr bewilligt worden ist. Ich gedenke, noch ein zweites Semester hier zu studieren, um im Frühjahr des nächsten Jahres nach England zu gehen. Sodann möchte ich Sie ergebenst um eine Auskunft bitten. Sie erzählten mir gelegentlich, dass Professor Friedrich179 (von der Harvard-University) Ihnen von einem Plan, eine Kritische Ausgabe der Hobbes’schen Werke180 zu veranstalten, Mitteilung gemacht habe. Mir läge nun sehr viel daran, an dieser Edition mitzuarbeiten. Ich verfüge über eine genügende editionstechnische Erfahrung, und ausserdem werde ich während meines Aufenthaltes in England ja Gelegenheit haben, mich in die Hobbes-Manuskripte einzuarbeiten. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir gelegentlich mitteilten, ob Aussichten bestehen, dass die Edition der Hobbes’schen Werke – ich weiss nicht einmal, ob es sich um alle oder nur um die politischen 178 Georg Schmitt, Der Begriff des Politischen oder Soziologie wider Willen. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, in: Rhein-Mainische Volkszeitung vom 5. Juli 1932. 179 Carl Joachim Friedrich (1901–1984), seit 1931 Prof. in Harvard, mit Schmitt vor 1933 gut bekannt. 180 Die Edition kam nicht zustande.
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Schriften handeln würde –, zustande kommt, und ferner, ob Sie bereit wären, mir dazu zu verhelfen, dass ich an dieser Ausgabe beteiligt würde. – Über „Paris“ kann ich Ihnen schwerlich etwas berichten, was Ihnen nicht schon bekannt wäre. Von den hiesigen Gelehrten haben den stärksten Eindruck auf mich gemacht der Arabist Massignon181 und André Siegfried.182 Die Philosophie befindet sich hier im grossen und ganzen noch in dem Vorkriegs-Stadium, die Arbeiten sind im allgemeinen, d.h. im Durchschnitt solider als in Deutschland, was wohl mit der durchschnittlich besseren humanistischen Schulung hierzulande zusammenhängt. Inzwischen habe ich mich ein wenig mit Maurras183 beschäftigt. Die Parallelen mit Hobbes – von einer Abhängigkeit kann wohl kaum die Rede sein – sind frappant. Ich wäre sehr froh, wenn ich ihn einmal sprechen könnte. Wären Sie in der Lage und bereit, mir ein paar Zeilen zur Einführung bei ihm zu schreiben? Sie würden mich auch dadurch sehr verpflichten. Indem ich Sie nochmals meines aufrichtigen Dankes für die Förderung versichere, die Sie mir haben zuteil werden lassen, verbleibe ich in ausgezeichneter Hochachtung ergebenst Leo Strauss.
VIII. Helmut Kuhn184 Helmut Kuhn (1899–1991) war ein Schüler von Max Dessoir und Eduard Spranger. 1930 habilitierte er sich an der Berliner Universität mit einer Arbeit zur Ästhetik. Im Nationalsozialismus wurde ihm 1937 die Venia entzogen;185 Kuhn emigrierte in die USA und kehrte nach 1945 auf philosophische Lehrstühle nach Erlangen und München zurück. Seine Besprechung von Schmitts Begriff des Politischen in den Kant-Studien (38, 1933, 190– 196) wurde vermutlich von Arthur Liebert angeregt, Schmitts Berliner Kollegen an der Handelshochschule und Redakteur der Kant-Studien, mit dem 181 Louis Massignon (1883–1962), berühmter Orientalist, Prof. am Collège de France. 182 André Siegfried (1875–1959), Pariser Soziologe. 183 Charles Maurras. 184 Briefe Schmitts an Kuhn sind im Kuhn-Nachlass (Ana 581) in der Bayerischen Staatsbibliothek München nicht erhalten. Schmitts Brief an die Tochter Annette Kuhn erhielt ich in Kopie von ihr selbst. Annette Kuhn (geb. 1934) wurde 1966 Professorin für Geschichtsdidaktik in Bonn. 185 Dazu eingehender Volker Gerhardt u. a., Berliner Geist. Eine Geschichte der Berliner Universitätsphilosophie bis 1946, Berlin 1999, S. 281 ff.
Korrespondenz mit Helmut Kuhn
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Kuhn ständig zusammenarbeitete. Kuhns Rezension antwortet wohl schon auf die Besprechungsabhandlung von Leo Strauss. Schmitt notiert zwar ins Tagebuch: „Dummer Artikel eines Juden in den Kant-Studien über meinen Begriff des Politischen; frech und unverschämt.“ (20.4.1933) Seine Randnotizen im Sonderdruck der Rezension (RW 265-22468) aber sind vielfach anerkennend. Schmitt findet insbesondere das „Ethos“ der „Vorordnung“ des Politischen „richtig“. „Richtig“ findet er auch, dass Kuhn zu den „Folgerungen“ schreibt: „Aber im Grunde ist mit dieser Theorie weder dem Nationalismus noch dem Liberalismus oder Sozialismus oder einer sonstigen politischen Richtung geholfen.“ Jahrzehnte später wird Kuhn seine SchmittKritik als Anhang zu seinem platonischen Hauptwerk Der Staat wiederveröffentlichen.186 Er zeigt damit an, dass die Auseinandersetzung mit Schmitt ihm ein Anstoß zur Ausarbeitung einer platonischen politischen Philosophie war, die sich von den anthropologischen Verkürzungen der Weimarer Atmosphäre abstieß. Ein Nachklang der Besprechung, auch ein „Dialog unter Abwesenden“, ist ein kurzer Kontakt Schmitts mit Kuhns Tochter Annette Kuhn. Schmitt begegnete ihr auf einem Ebracher Seminar und es kam zu einer kleinen Korrespondenz, die sich mit der Betonung der christlichen „Transzendenz“ wohl indirekt auch an Helmut Kuhn richtet.
1. Helmut Kuhn an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-8546
Berlin-Dahlem, den 11. April 1933 Gosslerstr. 29 Sehr verehrter Herr Professor! Seit längerer Zeit studiere ich Ihre verschiedenen Veröffentlichungen, und ich rechne sie zu den Bedeutendsten, was im Deutschland der Nachkriegszeit auf dem Gebiete der Rechtsphilosophie und der theoretischen Politik veröffentlicht worden ist. Auf Grund meiner ernsten Bemühungen, die Absicht Ihrer Philosophie – so darf ich wohl das Ganze Ihrer wissenschaftlichen Arbeit bezeichnen – zu verstehen, habe ich mich dazu entschlossen, eine Besprechung Ihrer Schrift „Der Begriff des Politischen“ für die „KantStudien“ zu übernehmen. Ich gestatte mir nun, Ihnen einen Abzug der Besprechung zu übersenden. Das Polemische überwiegt darin, und danach könnte es vielleicht sonderbar scheinen, dass ich Ihnen meinen Versuch vorlege. Ich bin aber, da ich Sie, wenn auch nicht persönlich, so doch als Au186 Helmut Kuhn, Der Staat. Eine philosophische Darstellung, München 1967, S. 447–458.
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tor kenne, überzeugt, dass Sie Ihre Thesen gern jeder Beurteilung aussetzen, wenn diese nur das Niveau Ihrer Problemstellung erreicht. Ob diese Bedingung erfüllt ist, kann ich selbst nicht beurteilen, nur hoffen, und in dieser Hoffnung sende ich Ihnen die Besprechung zu. Auch möchte ich an dem Geschriebenen nichts nachträglich deuteln und nichts abschwächen. Erlauben Sie mir nur, einen Schritt über die in einer Rezension gebotene Zurückhaltung hinauszugehen und ein Wort über den positiven Gesichtspunkt meiner Kritik hinzuzufügen. Ein solcher positiver Gesichtspunkt ist aber nach dem gewöhnlichen Sinn von Positivität gar nicht vorhanden. Ich versuche, den in ihrer Schrift verborgenen „Nihilismus“ aufzudecken, aber nicht von einem als positiv gesetzten (als Standpunkt fixierten) Inhalt aus. Ich versuche, diesen Nihilismus zu sich selbst, seinem philosophischen Bewusstsein zu bringen und zu zeigen, wie aus ihm die radikale Frage nach einem Inhalt überhaupt – im Grunde identisch mit der sokratischen Frage nach dem Ügaqün – entspringt. Diese Frage, und zwar als unausweichliche Frage und Vorbedingung aller Philosophie und aller Staatsphilosophie, ist das einzig Positive in meiner Kritik. Ob diese Frage in ihrem eigenen Sinn, d.i. philosophisch beantwortet werden kann, ob also Philosophie, die mit dieser Frage anhebt – die Philosophie des isolierten Subjekts – möglich ist, bleibt offen. Dabei sehe ich natürlich, dass man der „unausweichlichen“ Frage in der Realität der Existenz sehr wohl und zwar in aller Ehrlichkeit ausweichen kann. Man kann auf die Philosophie und ihre spezifische Begründung verzichten, durch diesen Verzicht der persönlichen, nicht mehr zur Begründung verpflichteten Entscheidung Raum geben und auf dieser Grundlage eine Ethik, Staatsphilosophie usw. entwickeln. Das ist wohl auch das Schema aller heut noch durch positiven Gehalt wirkenden Staatslehre und Politik, nur dass die Ehrlichkeit des Verzichts fehlt. Ihre Schrift scheint mir bedeutungsvoll, weil sie genau an den Punkt führt, wo diese Ehrlichkeit nicht mehr zu umgehen ist. Was aber den Verzicht auf Philosophie angeht, so bin ich überzeugt: jeder müsste gern bereit sein, sich von ihr zu trennen – sieht sie doch, abgesehen von allem anderen, der Aufgabe, die Quadratur des Zirkels zu finden, sehr ähnlich. Nur eine Kleinigkeit ist hinderlich. Unsere Selbstrechtfertigung führt uns immer wieder zu dem Versuch, uns mit Anderen (freilich immer nur mit einzelnen Anderen) ‚im Ernst‘ und nicht nur ex praeconcessis zu verständigen. Vielleicht kommt aber darin die Grundlage unserer Existenz in der europäischen Kultur und der zur Philosophie selbst gehörige „Liberalismus“ zum Vorschein. Vielleicht müssten wir also den Verzicht auf Philosophie teuer bezahlen. In aufrichtiger Hochschätzung Ihr sehr ergebener Helmut Kuhn.
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2. Carl Schmitt an Annette Kuhn Brief, hs., Privatbesitz Prof. Annette Kuhn
Liebes Fräulein Dr. Annette Kuhn: Ihre Kritik des Bonald-Buches von Robert Spaemann187 trifft mit grausamer Richtigkeit das Unfertige eines Buches, dessen Inhalt und Ausführung hinter der grossartigen Herausforderung des Titels zurückbleibt. Anscheinend ist die Titel-These expost über einer früheren, unverändert gebliebenen Arbeit gehisst worden. Darf ich Ihnen jetzt den umstehenden Hobbes-System-Kristall überreichen, der im letzten Herbst aus Ebracher Diskussionen erwachsen ist. E.W. Böckenförde188 hat die Fotokopie gemacht. Zuschade, dass Sie damals nicht dabei waren! Wenn Sie sich einmal eine Stunde Zeit nehmen könnten und das Licht dieser 5 Achsen von oben nach unten und unten nach oben, von links nach rechts und rechts nach links spielen lassen, werden Sie zu dem Thema Bonald einiges erfahren, woran die Fragebogen-Frage nach dem „Atheismus“ einfach abgleitet. Entscheidend ist natürlich, ob die Achse 1-5 inhaltlich auswechselbar ist, der Satz also z. B. lauten könnte: Allah ist gross;189 oder: Diamat; oder: es lebe die Freiheit etc. Weder für Hobbes noch für Bonald war sie auswechselbar. Vielen Dank für die Zusendung dieser Ihrer, wie Sie sehen mich sehr aufregenden Kritik, auch für Ihren freundlichen Begleitbrief,190 und herzliche Wünsche für Ihre weitere wissenschaftliche Arbeit! Ihr Carl Schmitt. 187 Annette Kuhn, Rezension von Robert Spaemann, Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration. Studien über L. G. A. de Bonald, München 1959, in: Philosophische Rundschau 8 (1960), 208–211. In der Besprechung heißt es u. a.: „Gefangen durch seine Dialektik ist es dem Verf. nicht gelungen, geistesgeschichtlich den Ursprung der Soziologie aufzuweisen, ohne dabei ihren philosophischen Prämissen zu verfallen. [. . .] Ähnlich dem Verhalten Bonalds bezieht der Verf. keine Position. Er übernimmt das Erbe Bonalds, des Philosophen wider Willen, und verharrt in der Ausweglosigkeit der Dialektik.“ (S. 211). 188 Ernst-Wolfgang Böckenförde (*1930), bedeutender Jurist, späterer Bundesverfassungsrichter. 189 Schmitt druckte den Hobbes-Kristall in seinen „Hinweisen“ zur Ausgabe des Begriffs des Politischen von 1963 ab. Dort schreibt er: „Dieser ‚Hobbes-Kristall‘ (die Frucht einer lebenslangen Arbeit an dem großen Thema im ganzen und dem Werk des Thomas Hobbes im besonderen) verdient einen Augenblick der Betrachtung und des Nachdenkens. Offensichtlich enthält der erste Satz, die Achse 1-5, bereits eine Neutralisierung der Gegensätze des innerchristlichen Religionskrieges. Sofort erhebt sich die Frage, ob die Neutralisierung über den Rahmen des gemeinsamen Bekenntnisses zu Jesus Christus hinaus weitergetrieben werden könnte, etwa zu dem gemeinsamen Glauben an Gott – dann könnte der erste Satz auch lauten: Allah ist groß –, oder noch weiter bis zu irgendeiner der vielen interpretationsbedürftigen Wahrheiten“ (Der Begriff des Politischen, Berlin 1963, S. 122). 190 Fehlt.
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Transzendenz Nach oben offen Offen-barung
Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
Kristall (System des Thomas Hobbes) Achse: 3–3
1 Jesus ist the Christ 5 2 Quis interpretabitur? 4 3 Auctoritas, non veritas! 3 4 Potestas directa (non indirecta)! 2 5 Gehorsam und Schutz 1 und Schutz und Gehorsam und unten geschlossen Diesseitig. materielle Bedürftigkeit Immanenz Für Fräulein Dr. Annette Kuhn ein- und sorgfältig gemalt und aufgeschrieben von Carl Schmitt
28/2/1961
Korrespondenz mit Martin Heidegger
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IX. Martin Heidegger Heidegger und Schmitt wurden vor 1933 schon als komplementäre Autoren wahrgenommen, die sich wechselseitig erhellten. Leo Strauss und Helmut Kuhn waren beide von der Philosophie Martin Heideggers (1889–1976) stark beeindruckt. Bald schrieben mit Herbert Marcuse und Karl Löwith auch zwei enge Heidegger-Schüler kritische Auseinandersetzungen mit Schmitt. Vor und nach 1933 finden sich aber wohl keine direkten persönlichen Kontakte. „Ging nicht zu Heidegger“, notiert Schmitt am 1. Dezember 1927 – im Erscheinungsjahr des Begriffs des Politischen wie von Sein und Zeit – ins Tagebuch, als Heidegger in Bonn einen Vortrag über „Kants Lehre vom Schematismus und die Frage nach dem Sinn von Sein“ hält. Nur im Jahre 1933 gab es wohl einen politischen Schulterschluss und eine persönliche Begegnung. Im Schmitt-Nachlass befindet sich ein Widmungsexemplar der Rektoratsrede über Die Selbstbehauptung der deutschen Universität191 191 Martin Heidegger, Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Rede gehalten bei der feierlichen Übernahme des Rektorats der Universität Freiburg i. Br. Am 27.5.1933, Breslau 1933 (RW 265-24812); Schmitt besaß (RW 265-28106) auch die um Heideggers Rektoratsbericht ergänzte Neuausgabe von 1983 (Martin Heidegger, Die Selbstbehauptung der deutschen Universität – Das Rektorat 1933/34, Frankfurt 1983) mit Besitzvermerk („erhalten um Pfingst (Mai) 1983“). Den gesamten Text hat Schmitt damals erneut durchgearbeitet und mit Randbemerkungen versehen.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
mit der Widmung: „Mit deutschem Gruß/Heidegger“ (RW 265-24812). Darunter steht ein Besitzvermerk „Carl Schmitt/Juli 1933“. Demnach erfolgte die Sendung der Rektoratsrede Wochen vor Heideggers Brief (RW 2655839) vom 22. August. Das Widmungsexemplar ist mit Bleistiftunterzeichnungen ohne Randbemerkungen durchgearbeitet. Schmitt antwortete auf Heideggers Sendung der Rektoratsrede mit der gerade erschienenen Neufassung seines Begriffs des Politischen von 1933. Heidegger antwortete dann seinerseits auf Schmitts Gegengabe mit seinem Brief vom 22. August 1933, den Schmitt höchstwahrscheinlich am 27. August beantwortete, notierte er doch einen Antwortbrief stenographisch unter Heideggers Brief. Die Notizen konnten durch Hans Gebhardt weitgehend entziffert werden. Eine Berliner Begegnung am 8. oder 9. September 1933 ist wahrscheinlich.192 Schon im Wintersemester 1933/34193 und dann WS 1934/35 setzte Heidegger sich dann umgehend kritisch mit Schmitts Begriff des Politischen auseinander, weshalb es nicht zu weiteren Kontakten kam. Schmitt las nach 1945 zahlreiche Schriften Heideggers. Nachgelassene Materialien zu Heidegger und dessen Schülern (Löwith u. a.) finden sich zahlreich. Der Abdruck von Heideggers Brief in der Heidegger-Gesamtausgabe (GA Bd. XVI, 156) berücksichtigt Schmitts Marginalien nicht und löst einige Abkürzungen auf.
1. Martin Heidegger an Carl Schmitt Brief, hs., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-5839
Freiburg i. Br. 22. August [19]33. Sehr verehrter Herr Schmitt! Ich danke Ihnen für die Übersendung Ihrer Schrift, die ich in der zweiten Auflage schon kenne u.[nd] die einen Ansatz von der größten Tragweite enthält. Ich wünsche sehr, mit Ihnen darüber einmal mündlich sprechen zu können. An Ihrem Zitat von Heraklit hat mich ganz besonders gefreut, daß Sie den basileŸò nicht vergessen haben, der dem ganzen Spruch erst seinen vollen Gehalt gibt, wenn man ihn ganz auslegt. Seit Jahren habe ich eine solche Auslegung mit Bezug auf den Wahrheitsbegriff bereit liegen – das ñdeice und ýpoûhse, die im Frag.[ment] 53 vorkommen. 192
Dazu vgl. Reinhard Mehring, 9. September 1933 im Kaiserhof? Martin Heidegger und Carl Schmitt – nach neuer Quellenlage, in: Merkur 67 (2013), 73–78; ders., Heideggers Wintersemester 1934/35, in: Zeitschrift für Ideengeschichte Jg. 7, Heft 1 (2013), 118–121. 193 Martin Heidegger, Über Wesen und Begriff von Natur, Geschichte und Staat, in: Heidegger-Jahrbuch 4 (2009), S. 53–88.
Korrespondenz mit Eric Voegelin
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Aber nun stehe ich selbst mitten im pülemoò u. Literarisches muß zurücktreten. Heute möchte ich Ihnen nur sagen, daß ich sehr auf Ihre entscheidende Mitarbeit hoffe, wenn es gilt, die juristische Fakultät im Ganzen nach ihrer wissenschaftlichen und erzieherischen Ausrichtung von Innen her neu aufzubauen. Hier ist es leider sehr trostlos. Die Sammlung der geistigen Kräfte, die das Kommende heraufführen sollen, wird immer dringender. Für heute schließe ich mit freundlichen Grüßen Heil Hitler! Ihr Heidegger
2. Carl Schmitts stenographische Randnotiz eines Antwortbriefes 27/8 33 Sehr verehrter Herr Heidegger, vielen Dank für Ihren Brief. Auch ich würde mich sehr freuen, mit Ihnen mündlich sprechen zu können. Wie groß meine Freude ist (über Ihre Wahrnehmung zum pülemoò bitte ich Sie aus den beiliegenden Andeutungen meiner kleinen Antrittsvorlesung194 zu entnehmen. Auch meinen Willen zu jeder Art von Mitarbeit dürfen Sie darin erkennen. Ich weiß, um wie viel es geht. Ihre Rede195 war ein großartiger Aufruf. Ob ihn die Vielen verstehen, ist gleichgültig. Ich kenne auch die Macht des [. . . . . . . . . . . .] Willens, der Vergleich als eines [. . . .] Modus, das bewundert [. . . . .,]
X. Eric Voegelin Eric Voegelin (1901–1985) war seiner akademischen Herkunft nach ein kritischer Schüler von Othmar Spann und Hans Kelsen, die Schmitt beide vehement ablehnte. Er promovierte in Wien bei Spann und Kelsen, ging dann längere Zeit zu Forschungszwecken in die USA und nach Frankreich und habilitierte sich 1928 für „Gesellschaftslehre“ in Wien. Er war dort Privatdozent, Mitarbeiter von Kelsen und ab 1930 von Adolf Merkl. Kelsen 194
Die Kölner Antrittsrede Reich – Staat – Bund wurde erst 1940 in Carl Schmitt, Positionen und Begriffe, Berlin 1940; S. 190–198 veröffentlicht, in diesem Band S. 42–51. 195 Rektoratsrede.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
kritisierte schon im Habilitationsgutachten Voegelins Orientierung an Platon, während Voegelin umgekehrt schon früh die rechtstheoretische Engführung von Kelsens Staatslehre ablehnte. Er war damals finanziell ungesichert, benötigte immer wieder Stipendien (u. a. der Rockefeller Foundation) und suchte nach 1933 noch akademische Anstellungen in Österreich oder Deutschland. Er emigrierte dann 1938 über die Schweiz in die USA und lehrte dort nach verschiedenen Zwischenstationen ab 1942 an der Louisiana State University in Baton Rouge, bis er 1958 auf einen Lehrstuhl für „politische Wissenschaft“ nach München berufen wurde. Nach seiner Emeritierung kehrte er 1969 in die USA zurück und war danach Scholar und Fellow der Hoover Institution der Stanford University. Dort liegen auch Schmitts Briefe an Voegelin.196 Voegelin arbeitete vor 1933 bereits an einer philosophischen Staatslehre, einer „Staatslehre als Geisteswissenschaft“, die von der „Wendung der deutschen Staatslehre zur Geisteswissenschaft“ ausging. Hier war eine kritische Auseinandersetzung mit dem „soziologischen Horizont“ Schmitts geplant.197 Voegelin schloss das Typoskript seiner Besprechungsabhandlung der Verfassungslehre am 15. März 1931 ab und muss seinen Text deshalb umgehend in den Druckfahnen an Schmitt gesandt haben. Am 27. März 1931 notiert Schmitt in sein Tagebuch: „War fleißig, ging nach dem Essen nicht zu Bett, las den Aufsatz von Voegelin, der sehr gut ist.“ Beide verband später die religiöse und ideengeschichtliche Interpretation politischer Bewegungen. Keiner der Briefe ist aber in die Selected Correspondence 1924–1949 (Missouri 2009) aufgenommen.
1. Carl Schmitt an Erich Voegelin Brief; hs., gedruckter Briefkopf: Professor Carl Schmitt/Berlin NW 87/ Klopstockstr. 48
30. März 1931. Sehr verehrter Herr Kollege Voegelin, ich muß Sie sehr um Entschuldigung bitten, daß ich erst jetzt auf Ihr freundliches Schreiben antworte und die Korrekturfahnen Ihres Aufsatzes198 zurückgebe. Aber in diesen letzten Wochen war ich von aktuellen, 196 Eric Voegelin Papers, Hoover Institution, Stanfort University. Box 33/Folder 10 und Box 25/Folder 37; Kopien befinden sich im Voegelin Archiv München. 197 Dazu Peter J. Opitz, Fragmente eines Torsos. Werkgeschichtliche Studien zu Erich Voegelins „Staatslehre“ und ihrer Stellung im Gesamtwerk, in: Voegeliana. Occasional Papers No. 74 3. Aufl. 2011 (Privatdruck).
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prompt zu behandelnden Fragen fortwährend geplagt – für einen systematischen Theoretiker ist das eine schwierigere Situation als für einen „neutralen“ Formalisten. Außerdem mußte ich eine Buchausgabe meines „Hüter der Verfassung“199 besorgen. Es macht mir, nach der Lektüre Ihres Aufsatzes über meine „Verfassungslehre“, eine ganz besondere Freude, Ihnen ein Exemplar meines neuen Buches zusenden zu lassen. Da gegenwärtig in meinem Arbeitszimmer eine große Unordnung herrscht, und ich Ihre Adresse verlegt habe, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilen wollten, wohin die Sendung adressiert werden soll. Über das, was Sie das zwei Sinnige meiner Art Stoff-Behandlung200 nennen, würde ich gern mit Ihnen sprechen; auch über die Antithese Stoff und Begriff, die Sie mir entgegenhalten. Heute kommt es mir nur darauf an, Ihnen für Ihre musterhaft klare, sachliche und gerechte Art der Kritik zu danken. Es ist das erste Mal, daß meine „Verfassungslehre“ einen Kritiker findet, von dem kritisiert zu werden und mit dem sich auseinanderzusetzen ich 198 Erich Voegelin, Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Versuch einer konstruktiven Analyse ihrer staatstheoretischen Prinzipien, in: Zeitschrift für Öffentliches Recht 11 (1931), 89–109. 199 Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931. 200 Voegelins Kritik beginnt im zweiten Teil mit dem Satz: „In den staatstheoretischen Untersuchungen Schmitts treffen nun zwei Motivreihen aufeinander.“ (S. 99) Voegelin spricht dann von einer „Zwei-Sinnigkeit von ursprünglich gegebener Anschauung und überlieferten Formen“ (S. 99). Abschließend spricht er erneut von einer „Zwei-Sinnigkeit der Untersuchungen Schmitts [. . .], die aus dem Zusammentreffen der Anschauungsfülle mit einem traditionsgebundenen Begriffsapparat entsteht“ (S. 107). Voegelin nennt die Verfassungslehre auch treffend „die idealtypische Konstruktion des konstitutionellen Ideensystems“ (S. 108). Diese „immanente“ und juristische Rekonstruktion sei als Idealisierung und „neue Sinngebung“ am „Aufbau eines politischen Ideensystems zum Zweck der interpretativen Durchleuchtung der Weimarer Verfassung“ (S. 108) zu betrachten. Voegelin macht deshalb vor allem zwei Einwände. Schmitt verwechsele 1) seine Idealisierung und Verfassungspolitik mit der Verfassungswirklichkeit von Weimar selbst – Smend und Kirchheimer sprachen hier vom „Begriffsrealismus“ Schmitts – und 2) Schmitt perpetuiere als Jurist in immanenter Betrachtung und juristischer Teilnehmerperspektive sachunangemessene konstitutionelle Grundbegriffe: namentlich der „Formprinzipien“ Identität und Repräsentation. Voegelin schlägt hier in „transzendenter“ oder philosophischer Perspektive eine andere Begrifflichkeit und „Typenkasuistik“ (S. 106) vor, um den „Verfall der Form“ (S. 105) im demokratischen Staat differenzierter zu beschreiben. So schlägt er (S. 103 f.) etwa vor, bei der Analyse der Repräsentation zwischen dem Charisma eines Herrschers, dem „Pathos“ einer politischen Einheit und dem „Sinnbild“ der Staatseinheit zu unterscheiden. Voegelins Besprechung ist zweifellos sehr bedeutend und für die weitere Entwicklung von Voegelins Repräsentationsbegriff wichtig. Seine Unterscheidung zwischen Schmitts juristischer Idealisierung (und politischem Selbstmissverständnis) und seinem eigenen Versuch einer „transzendenten“, die juristische Binnenperspektive transzendierenden philosophischen Staatslehre ist völlig zutreffend. Schmitt hat das sofort gesehen.
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als eine fruchtbare Weiterführung der Erkenntnis empfinde; sowohl in den prinzipiellen Fragestellungen (des transzendenten oder immanenten Standpunktes je einer politischen Idee), wie in allen Einzelfragen, besonders der Unterscheidung von Identität und Repräsentation, in deren Kritik Sie treffend erkennen, daß Identität kein Formprinzip ist. Ich darf nochmals wiederholen, daß ich hier zum ersten Male einer Kritik begegne, die mich zum größten menschlichen und sachlichen Respekt bewegt. Vielleicht bemerken Sie an meinem neuen Buch, wie sehr ich mich weiter bemühe, der Staatslehre „ihr Gebiet zu erarbeiten“. Ihren Aufsatz „Die Einheit des Rechtes und das soziale Sinngebilde Staat“201 möchte ich in diesen letzten Ferienwochen in Ruhe lesen. Die Lektüre ist nun nicht leicht; aber an Stellen wie S. 88 (über politische Theorie) erwacht auch bei mir größeres und lebhafteres Verständnis. Es würde mich außerordentlich freuen, wenn ich bald wieder Gelegenheit fände,202 ein Gespräch mit Ihnen zu führen. Mit den besten Empfehlungen und Grüßen bin ich, sehr verehrter Herr Voegelin, Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt.
201 Erich Voegelin, Die Einheit des Rechtes und das soziale Sinngebilde Staat, in: Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts (1930/31), Heft 1/2, S. 58–89; Voegelins Februar 1931 erschienener SD ist mit Widmung im Schmitt-Nachlass (RW 265-24280) erhalten. Die Widmung lautet: „Herrn Prof. Schmitt mit bestem Dank / für seine Liebenswürdigkeit und mit / ausgezeichneter Verehrung / Erich Voegelin“. Die „Liebenswürdigkeit“ verweist auf eine initiale Begegnung. 202 Offenbar gab es zuvor eine Begegnung. Sie könnte im Zusammenhang mit damaligen Bemühungen um eine Berufung Schmitts nach Wien auf die Nachfolge Kelsens erfolgt sein. Schmitt hatte über einen langen Zeitraum hinweg engere Kontakte mit Alfred Verdross. Vor 1933 war auch sein Verhältnis zu Voegelins Lehrer Kelsen persönlich keineswegs sonderlich schwierig. Kelsen unterstützte im Herbst 1932 eine Berufung Schmitts nach Köln, wo Kelsen damals lehrte (dazu Reinhard Mehring, Carl Schmitt (1888–1985). Sinnwandel eines Semesters. Vom Agon mit Kelsen zum Probelauf des „Kronjuristen“, in: Steffen Augsberg/Andreas Funke (Hrsg.), Kölner Juristen im 20. Jahrhundert, Tübingen 2013, S. 137–161). Dennoch implizierte Voegelins Interesse an Schmitt in der antipodischen Stellung und Alternative auch eine gewisse Abwendung von Kelsen, die Kelsen als solche auch registrierte.
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2. Erich Voegelin an Carl Schmitt Brief, ms. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-387
Dr. Erich Voegelin Privatdozent III. Pfarrhofgasse 13
Wien, 3. Juni 1933
Herrn Professor Dr. Carl Schmitt Universität Köln Sehr verehrter Herr Professor: Soeben ist mein Buch über „Ras[s]e und Staat“203 erschienen und ich habe mir erlaubt, Ihnen durch den Verleger204 ein Exemplar zuschicken zu lassen. Ich glaube, dass die Abhandlung Sie interessieren wird, da ein Versuch, das Rasseproblem im Rahmen eines Systems der Staatslehre zu behandeln[,] bisher meines Wissens noch nicht gemacht wurde. Mit den besten Empfehlungen bin ich Ihr immer verehrungsvoll ergebener Erich Voegelin 203 Erich Voegelin, Rasse und Staat, Tübingen 1933; Schmitt lehrte damals im SS 1933 noch in Voegelins Geburtsstadt Köln, wechselte aber bald nach Berlin. Voegelins Lage war in diesen Monaten völlig ungesichert. Seine Assistentenstelle lief am 31. Juli 1933 aus. Am 21. Juli 1933 schrieb er an Eduard Baumgarten: „Ausserdem befasse ich mich jetzt energisch mit der Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen. Eben bin ich von einer Reise zurück – ich war eine Woche in Berlin und habe versucht, Anknüpfungspunkte zu finden. So haben sich auch einige Chancen gezeigt, darunter eine Assistentenstelle bei Baeumler – und ich werde jetzt sehen, ob sich irgendetwas Greifbares im Laufe der nächsten Monate ergibt.“ (zitiert bei Opitz, wie Anm. 197, S. 47 f.). Nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 sind diese Bemühungen und Erwartungen erstaunlich. In „Rasse und Staat“ (Tübingen 1933) distanziert Voegelin sich von Schmitt, wenn er schreibt: „Carl Schmitt hat das Problem des ‚Politischen‘ ausführlich behandelt und in seiner Verfassungslehre das Problem der staatlichen ‚Existenz‘ gestellt, ohne daß aber diese Versuche noch zu einem System gediehen wären.“ (S. 7) Voegelin bezieht sich hier polemisch auf Schmitts Bezeichnung der Verfassungslehre als „Versuch eines Systems“. Er schreibt auch gegen die „Spaltung der Menschheitsgeschichte“: „Es ist der Bruch, der [. . .] mitbedingt ist durch die Zersetzung des Pneuma und Soma Christi zu partikulären Gemeinschaften und deren ‚Politik‘ auf dem Hintergrund des Fichteschen Gegensatzes von göttlichem und teuflischem Reich, oder wie er heute von Carl Schmitt formuliert wird, des existentiellen Freund-Feind-Gegensatzes.“ (S. 160 f.). 204 Mohr, Tübingen.
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3. Carl Schmitt an Eric Voegelin Brief; hs., gedruckter Briefkopf: Prof. Dr. Carl Schmitt/Plettenberg II (Westf.)/ Brockhauserweg 10; handschriftl. Notiz Voegelin: „3. Juli“
16. Juni 1950. Sehr geehrter Herr Prof. Erich Voegelin! Dr. Jos. Kaiser,205 zur Zeit in Ann Arbor Mich.,206 machte mir den Vorschlag, Ihnen die beiden anliegenden Schriften207 an Ihre Wiener Adresse zu schicken.208 Das tue ich sehr gern. Ich würde Ihnen auch gern weitere Arbeiten von mir schicken. Meine Bemühungen, Ihre seit 1938 erschienenen Schriften kennen zu lernen, sind leider ohne Erfolg geblieben. Im Goethe-Jahr habe ich die letzten Kapitel (97 ff.) Ihrer „Rassenidee in der Geistesgeschichte vor 1933“ wieder gelesen209 und wieder einmal festgestellt, daß die Lautverstärker der heutigen Öffentlichkeit alles Wesentliche mit Sicherheit verfehlen oder ignorieren. In unveränderter Hochschätzung Ihr Carl Schmitt.
205
Joseph H. Kaiser (1921–1998), Schüler Schmitts, späterer Nachlassverwalter. Ann Arbor, University of Michigan. 207 Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaften, Tübingen 1950; ders., Ex Captivitate Salus, Köln 1950; es sind die ersten beiden größeren Nachkriegspublikationen Schmitts. Der Nomos der Erde war damals noch nicht erschienen. 208 Kaiser hatte damals mit Voegelin Kontakt aufgenommen. Ein Brief Voegelins vom 18. Mai 1950 an Kaiser ist im Schmitt-Nachlass erhalten. Voegelin fragt darin auch nach der Adresse Schmitts. 209 Erich Voegelin, Die Rasseidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus, Berlin 1933; das Glossarium (Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951, Berlin 1991) notiert eine Relektüre am 9. Mai 1949. Aufschlussreicher ist aber Schmitts Eintrag vom 21. Dezember 1947 (S. 65): „Was verbindet mich mit Erich Voegelin? Er hat die zentrale Bedeutung Goethes erkannt und zwar kritisch erkannt; wenn ein Unheil eingetreten ist, so kann es geistesgeschichtlich nur auf den Goethe-Kult zurückgeführt werden. Vor allem ist der spezifisch neudeutsche Rassebegriff nur aus dem Goethe-Kult erklärlich.“ 206
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4. Eric Voegelin an Carl Schmitt Brief, hs., Briefkopf Louisiana State University; Randbemerkung Schmitts: „b.[eantwortet] 16/7 50“, dazu kurze stenographische Bemerkungen LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-17335
Salzburg 3. Juli 1950. Sehr verehrter Herr Professor Schmitt: Ihre freundliche Sendung vom 16. Juni hat mich in Wien erreicht, aber erst hier in Salzburg210 finde ich einen Augenblick Ruhe, um Ihnen zu danken und Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich freue, daß eine Verbindung wiederhergestellt ist. Ihre Studie über „Die Lage der Europäischen Rechtswissenschaft“211 zeigt die alte Meisterschaft; sie scheint mir so bedeutend, daß ich mich frage, ob man nicht – trotz der leidigen, politischen Widerstände, die sich erheben würden – den Versuch machen sollte, sie in einer amerikanischen Zeitschrift herauszubringen. Wenn der Gedanke Ihnen sympathisch ist, würde ich im Herbst, nach meiner Rückkehr, mich ein bischen umsehen. Ganz besonders danke ich Ihnen, daß Sie mir das sehr persönliche „Ex captivitate salus“ schickten. Mit Freude sehe ich, daß unsere Sympathien (Bodin, Hobbes) in die gleiche Richtung gehen. Nur, was Bodin betrifft,212 würde ich mir einen Zweifel an seiner „Neutralität“ erlauben.213 Zwar ist er „neutral“ im „Nahkampf“ der streitenden Konfessionen – aber er ist „neutral“, weil er selbst eine neue, andere, mystische Position gefunden hat, die der Mystik des Dionysius Areopagita nahesteht. Ich sehe bei Bodin eher den Versuch einer gesellschaftlichen Restauration, in der die alten Gewalten (Kaiser-Papst) durch die neuen (Nationaler König-mystischer Philosoph) ersetzt werden. Es scheint mir hier einer der in Frankreich wiederholten Versuche vorzuliegen, einen neuen pouvoir spirituel zu schaffen – wie später bei Comte.214 Ich schätze Bodin so besonders hoch, weil er verstanden hat, daß eine Gesellschaft ohne den pouvoir spirituel nicht leben kann, das[s] 210
Voegelin hatte damals ein Reisestipendium. Carl Schmitt, Lage (wie Anm. 207). 212 Eric Voegelin, Jean Bodin, hrsg. von Peter J. Opitz, München 2003; Voegelin arbeitete schon 1934 in Paris an einem Buch über Bodin. Peter J. Opitz publizierte 2003 Manuskripte aus den Jahren 1941 und 1948. 213 Voegelin bezieht sich hier auf Carl Schmitt, Ex Captivitate (wie Anm. 207), S. 65: „In dem hoffnungslosen Nahkampf des theologischen Streites wird er neutral.“ 214 Dazu Eric Voegelin, Die Krise. Zur Pathologie des modernen Geistes, München 2008, S. 195–289. 211
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die dogmatisierten Konfessionen jedoch nicht mehr diese Funktion erfüllen können – eine ähnliche Situation wie heute, da die dogmatisierte[n] Ideologien zu einem Weltskandal geworden sind. Also nochmals vielen Dank – und verzeihen Sie, bitte, die Kürze meiner Bemerkungen im Drang einer Reise. Seit 1938 habe ich nur Abhandlungen publiziert. Nun, da ich Ihre Adresse habe, werde ich Ihnen einige im Herbst schicken. In den letzten 10 Jahren habe ich an einer größeren „History of Political Ideas“ gearbeitet. Die ersten zwei Bände (Altertum, Mittelalter) sollen nächstes Jahr erscheinen.215 Mit den herzlichsten Grüßen und allen guten Wünschen bin ich, Ihr stets ergebener Eric Voegelin
5. Carl Schmitt an Eric Voegelin Brief; hs., Stempel: „Österreichische Zensorstelle 386/2“
Plettenberg (Westfalen) 16/7 1950 Sehr geehrter Herr Professor Voegelin! Ihr Schreiben vom 3. Juli will ich – womöglich noch vor Ihrer Rückreise in die Vereinigten Staaten – wenigstens mit einem Wort des Dankes bestätigen. Ich bin glücklich über Ihr Interesse an Bodin und bin sicher, dass ich Sie in Ihrer Beurteilung richtig verstehe. Das ist mir so wichtig, dass ich Ihnen das übrig gebliebene Stück eines Aufsatzes aus dem Jahre 1941216 schicke, nur, um die Andeutungen von „Ex captivitate salus“ ein wenig zu vervollständigen. Mit grosser Erwartung sehe ich Ihrer Geschichte der politischen Ideen entgegen. Ich habe, ohne Namen, in der Zeitschrift „Universitas“ eine Besprechung von Verdross’217 Grundriss der [„]Antiken Rechts[-] 215 Dazu ist es nicht gekommen. Voegelins mehrbändiges Werk blieb bei Lebzeiten unveröffentlicht, weil Voegelin in den 50er Jahren von einer Ideengeschichte zu einer Philosophie der Politik und Geschichte wechselte. Dazu eingehend Peter J. Opitz, Zur Genesis und Gestalt einer politischen Ideengeschichte. Ein Vademecum zu Eric Voegelins History of Political Ideas, in: Zeitschrift für Politik 59 (2012), 257–281. 216 Carl Schmitt, Die Formung des französischen Geistes durch den Juristen, in: Deutschland-Frankreich. Vierteljahresschrift des Deutschen Instituts Paris 1 (1941), S. 1–30. 217 Alfred Verdross (1890–1980), seit 1924 Prof. in Wien, war ein gemeinsamer Bekannter.
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und Staatsphilosophie“218 veröffentlicht und dort meinen Protest dagegen angemeldet, dass „Polis“ mit „Staat“ verdeutscht wird. Der beiliegende kleine Aufsatz über Legalität219 ist ebenfalls nur eine in der Antichambre des Weltgeistes abgegebene Besuchskarte; es ist – von der Einleitung und dem Schluss abgesehen – wörtlich die Beantwortung einer Frage, die Kempner220 mir in Nürnberg Mai 1947 gestellt hat (in der Formulierung: „Warum sind die Staatssekretäre Hitler gefolgt?“)[.] Ich glaube, dass hier das grosse Schlüsselproblem der modernen Demokratie liegt. Der russische Oberst, der mich Ende April 1945 in Berlin vernahm, stimmte mir lebhaft zu und liess mich nach dieser Antwort frei, als einzigen unter 12 Verhafteten. Ein politischer Kommissar hätte das natürlich nicht getan. Dass ich mich über eine Publikation meiner Schrift „Die Lage der Europäischen Rechtswissenschaft“ in einer amerikanischen Zeitschrift sehr freuen würde, ist leicht verständlich. Die Beschwörung am Schluss221 wird auch in Europa nicht mehr verstanden (ausser in Frankreich). Mit allen guten Wünschen für Ihre Arbeit, insbesondere das geplante grosse Werk und der Bitte, Ihnen gelegentlich eine Publikation an Ihre Adresse in Louisiana schicken zu dürfen[,] bin ich Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt
218
Carl Schmitt, Rezension zu: Alfred Verdross, Grundlinien der antiken Rechtsund Staatsphilosophie, 2. Aufl. Wien 1951, in: Universitas 4 (1949), S. 587–588, hier: S. 588: „Wer eine antike Polis als ‚Staat‘ bezeichnet, entfesselt unabsehbare Projektionen aus durchaus anders gelagerten Gemeinwesen. Die ‚Polis‘ einen Staat zu nennen ist nur solange möglich, als ‚Staat‘ ein völlig leerer Allgemeinbegriff für Gemeinwesen, politische Einheiten und Herrschaftsorganisationen der verschiedensten Art ist, denen gegenüber das auf Götterkult und Götterglauben beruhende Gemeinwesen der Polis seine geschichtliche Einmaligkeit verliert.“ 219 Carl Schmitt, Das Problem der Legalität, in: Die Neue Ordnung 5 (1950), S. 270–275. 220 Robert Kempner (1899–1993), Stellvertreter des Chefanklägers bei den Nürnberger Prozessen. Dazu vgl. Carl Schmitt, Antworten in Nürnberg, hrsg. von Helmut Quaritsch, Berlin 2000. 221 Gerade diesen Schluss hat Schmitt für die Druckfassung von 1950 gegenüber der Fassung von 1944/45 verändert. Dazu die eingehende Fußnote 387 zum Brief Schmitts vom 9. Januar 1945 an Rudolf Smend, in: Briefwechsel Carl Schmitt/Rudolf Smend (wie Anm. 145), 113 f.
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6. Eric Voegelin an Carl Schmitt Brief, ms. m. U., Briefkopf Louisiana State University; Randnotiz Schmitt: „b 8/8 51.“222
8 May 1951 Professor Carl Schmitt Brockhauserweg 10 Plettenberg II, Westfalen Sehr geehrter Herr Professor Schmitt: Verzeihen Sie mein ungebührlich langes Schweigen. Ihr Brief vom 16. Juli, sowie Ihre Sendungen („Das Problem der Legalität“, „Formung des französischen Geistes“ und „Recht und Raum“)223 erreichten mich erst nach meiner Rückkehr nach Amerika Ende September. Und zu der Zeit war ich begraben in der Abfassung der Walgreen Lectures, die ich im Februar in Chicago zu halten hatte. Erst jetzt, nach Fertigstellung des MS zum Druck,224 kann ich meinen Schreibtisch aufräumen. Bei der Chicagoer Gelegenheit fand ich übrigens in Max Rheinstein225 einen warmen Bewunderer Ihrer Studie über „Die Lage der Europäischen Rechtswissenschaft“. Auch er fand, dass sie im Englischen erscheinen sollte. Aber wir wissen beide nicht recht, wie man das anfangen soll. Die amerikanischen Publikationsgewohnheiten lassen eine Studie dieses Umfangs nicht zu: für einen Artikel in einer Zeitschrift ist sie zu lang, für ein Buch zu kurz. Wir sind beide an der Sache interessiert, und vielleicht findet sich doch ein Weg. Und nun lassen Sie mich sehr herzlich für die Separata danken, und im besonderen für den Artikel über die französischen Legisten. Ich bedauere nur[,] dass er mit p. 22 abbricht, denn die Zeitschrift[,] in der er erschienen ist, ist hier kaum zu beschaffen. Ihre Einordnung Bodin’s in die Legistenkultur erscheint mir über allen Zweifel richtig, und ausgezeichnet fundiert. Ich würde mir keine Korrektur erlauben, sondern nur eine Ergänzung (ich glaube, ich habe das in meinem früheren Brief angedeutet), insofern als die spezifische Toleranz Bodin’s ihre Wurzeln in einer Mystik hat, die seinem Werk die Wucht über die anderen Legisten hinaus gegeben hat. In dieses Problem spielt die von Ihnen berührte Frage der jüdischen Mutter hin222
Die Antwort vom 8. August fehlt. Carl Schmitt, Recht und Raum, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann. Ein Gedenkbuch, hrsg. von seinen Freunden, Berlin 1951, S. 244–251. 224 Eric Voegelin, The New Science of Politics. An Introduction, Chicago 1952. 225 Max Rheinstein (1899–1977), Jurist, Diss. München 1924, 1932 Habilitation in Berlin, 1933 Emigration, seit 1942 Professor in Chicago; Kurzbiographie in: Reinhard Rürup, Schicksale und Karrieren. Gedenkbuch, Göttingen 2008, S. 305–308. 223
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ein.226 Ich kann mich nicht zu einer Entscheidung für oder gegen entschliessen, solange nicht einwandfreie dokumentarische Beweise in der einen oder anderen Richtung vorliegen. Soviele Berichte der frühen Biographen sind angezweifelt worden[,] bis ihre Richtigkeit belegt worden ist, dass ich eine Ueberraschung auch in diesem Punkt für möglich halte. Man hat auch Bodin’s aktiven Calvinismus bezweifelt[,] bis seine Eintragung im Gefängnisregister gefunden wurde. Man kann schwer darum herumkommen, dass auf dem Höhepunkt seiner pro-christlichen Haltung, im Lettre à Jean Bautru,227 Christus im Verhältnis zu Plato steht, Mohammed zu Christus, als der grössere Prophet. Und Bodin’s Selbsteinordnung als „Prophet vierter Klasse“ (nach dem Schema von Maimonides) wäre auch zu bedenken; ebenso der Höchstrang vom Moses im Methodus.228 Auch die Argumente von Carosci in seinem Bodinwerk229 kann man nicht vernachlässigen. Ich wäre also im Augenblick für Suspension des Urteils in dieser Frage. Sicher scheint mir nur, dass sich das „Judaisieren“ Bodin’s nicht nur im Heptaplomeres230 findet, sondern sich als Konstante vom ersten bis zum letzten Werk hindurchzieht. Und, erlebnismässig tiefer noch als das Judaisieren, zieht sich von 1563 bis zum Ende die Mystik der inversio im Sinne des Dionysius Aeropagita. Die Parallele mit Lessing ist, aus Anlass des Bodin’s Heptaplomeres, oft gezogen worden. Aber ich bezweifle, dass sie mehr als die Oberfläche des Toleranzproblems berührt. Die eigentüm226 1936 schon schrieb Schmitt in einer Rezension der Bodin-Arbeit seines Schülers Francisco J. Conde: „Condes Arbeit ist mit großer Sorgfalt, mit guter Literaturkenntnis und echt philosophisch-konstruktivem Sinn geschrieben. Daß Bodins Souveränitätsbegriff von einem neutralen und toleranten Monotheismus abhängig ist, wird sehr deutlich. Infolgedessen ist neben Bodins ‚Sechs Büchern über die Republik‘ vor allem sein ‚Heptaplomeres‘ die wichtigste Grundlage für Condes Buch. Im engsten Zusammenhang mit dieser Lehre vom neutralen Staat und dieser Art toleranten Monotheismus ist es für uns von Bedeutung, daß Hermann Conrings oft angezweifelte Behauptung, Bodin sei mütterlicherseits jüdischer Abstammung, inzwischen durch E. Pasque (Revue d’Histoire de l’Eglise de France, Bd. XIX, 1933, S. 457 ff.) bestätigt worden ist: Seine Mutter, Catalina Dutrestre, war eine spanische Jüdin, die aus dem ‚intoleranten‘ Spanien in das ‚tolerantere‘ Frankreich emigriert war.“ (Carl Schmitt, Rezension von F. J. Conde, El pensiamiento político de Bodino, Madrid 1935, in: Deutsche Juristen-Zeitung 41, 1936, Sp. 181– 182, hier: Sp. 182). 227 Jean Bodin, Lettre à Jean Bautru de Matras, in: Paul Colomiès, Gallia Orientalis, Hagae 1665, 76 ff.; dazu Eric Voegelin, Jean Bodin (wie Anm. 212), S. 40–46. 228 Jean Bodin, Methodus ad facilem historiarum cognitionem, Paris 1566 (Nachdruck Aalen 1967). 229 Gemeint ist wohl: Aldo Garosci, Jean Bodin: politica e diritto nel rinascimento francese, Milano 1934. 230 Jean Bodin, Colloquium heptaplomeres de rerum sublimium arcanis abditis, Schwerin 1875 (Nachdruck Hildesheim 1970).
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liche, joachitisch-johanneische Religiosität Lessings ist in ihrem Wesen vielleicht am deutlichsten von ihren Systemfrüchten bei Fichte, Schelling und Hegel her zu erkennen. Sie ist nicht die Toleranzwurzel Bodin’s. Bei Bodin glaube ich, ausser der dionysischen Mystik, eher eine Anlehnung an die arabische Idee zu finden, die Religionsdebatte auf die sapientes231 zu beschränken und das vulgus232 auf dem Niveau der Gesetzesgläubigkeit zu halten. Darauf scheint mir die Stelle des Heptaplomeres zu deuten, in der Bodin ausdrücklich feststellt, dass die volle Harmonie gegenseitiger Duldung nur unter savants233 möglich ist, die einzusehen vermögen, das[s] hinter den divergenten dogmatischen Symbolen, die jeder behält, die gleiche inversio234 zu Gott zu finden ist. Für das Volk (das geneigt wäre, seine dogmatischen Differenzen durch Bürgerkriege auszutragen) wird die souveräne Staatsordnung über die Religionsdifferenzen gestellt; aber für den Souverän kann diese Ueberordnung nur legitimiert werden durch das Verstehen der Irrelevanz der dogmatischen Differenzen im Lichte der Mystik. Dieser Gedanke einer arabischen Anlehnung wird überdies dadurch nahegelegt, dass gleichzeitig Richard Hooker235 diese Idee in England hat, unter ausdrücklichem Verweise auf Averroes. Die Idee scheint in der Luft gelegen zu haben. Beiliegend ein Stück meiner Marx-Studien.236 Ich glaube, Sie werden manche Berührungspunkte mit dem Problem der revolutionären Legitimität finden. Mit nochmaligem besten Dank, und herzlichen Grüssen, bin ich Ganz ergebener Eric Voegelin
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Die Weisen. Das Volk. 233 Gelehrten. 234 Umkehr. 235 Richard Hooker (1554–1600), englischer Theologe: Of the Laws of Ecclesiastical Polity, London 1594/97; Voegelin äußerte sich über Hooker in seiner History of Political Ideas V: Religion and the Rise of Modernity. Collected Works Vol. 23, Baton Rouge 1998, S. 70–106. 236 Eric Voegelin, The Formation of the Marxian Revolutionary Idea, in: Review of Politics 12 (1950), 275–302; Abdruck in: Erich Voegelin, Die Krise (wie Anm. 214), S. 349–426; Voegelin schickte einen broschierten Sonderdruck mit Widmung: „Prof. Carl Schmitt mit / herzlichen Grüßen / E. V.“ (RW 265-24281). 232
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7. Carl Schmitt an Eric Voegelin Brief, hs., nicht von Schmitt datiert: „den 8. August 1951“
Sehr geehrter Professor Eric Voegelin, Ihr Schreiben vom 8. Mai erhielt ich erst im Juni, bei der Rückkehr von einer Spanien-Reise. Ich habe in Madrid, Barcelona, Santiago de Compostela, Sevilla und Murcia Vorträge über das Thema „La Unidad del Mundo“ gehalten. In Murcia habe ich eine besonders wertvolle Bekanntschaft gemacht: den dortigen Catedralico des Derecho politics, prof. Enrique Tierno Galván,237 wahrscheinlich einer der besten Leser Ihrer Geschichte der politischen Ideen, auf die wir alle mit grosser Spannung warten. Tierno wird Ihnen auch seinen kleinen Aufsatz238 über die scotistischen Voraussetzungen Bodins schicken. Ich bin Ihnen für Ihr Schreiben vom 8. Mai sehr dankbar. Leider kenne ich Garosci noch nicht; wie und wann ist das Bodinwerk Garosci’s erschienen? Alles was Bodin betrifft, erregt mich sehr. Der Aufsatz, den ich Ihnen geschickt habe (Die Formung des französischen Geistes durch den Legisten), ist nur ein bescheidener Versuch. Angesichts der entscheidenden Wirkung, die das Werk Bodins für die Enttheologisierung der Rechtswissenschaft gehabt hat, ist der (theologische) Boden, in dem seine Gedanken gewachsen sind, umsowichtiger. Hier stehen sicher noch grosse überraschende Entdeckungen bevor, die uns – zwischen Theologie und Technik – unmittelbar auch selbst betreffen. Dem Kapitel Ihrer Ideen-Geschichte, in dem Sie dieses Thema behandeln, sehe ich mit einer [. . .] Ungeduld entgegen, die durch Ihr Schreiben und durch Ihren Aufsatz „The Formation of the Marxian Revolutionary Idea“ geweckt ist und die Sie nach meinen Äusserungen zu Bodin und Hobbes und nach dem Notschrei des „Ex Captivitate Salus“ sicher verstehen und vergeben werden. In dem Aufsatz über die Marxistische Idee der Revolution ist der Abschnitt „Socialistic Man“ der Höhepunkt nicht nur des Aufsatzes selbst[,] sondern alles dessen, was bisher zu dem Thema und zur Kritik des Marxismus gesagt worden ist. Ihr „incredible as it may sound“ (S. 292 oben)239 ist so unwiderleglich und unwiderstehlich, das[s] ich zu gern die Antwort eines Marxisten hören würde. Aber diese Art intellektueller Neugierde ist ja 237 Enrique Tierno Galván (1918–1986), Philosoph und Jurist, 1948 Prof. Universität Murcia, 1966 Princeton/USA, Rückkehr nach Spanien, Mitbegründer der sozialistischen Partei, ab 1977 Abgeordneter der Partido Socialista Popular. 238 Enrique Tierno Galván, Los Suquestos scotistas en la teoría de Jean Bodin, 1950, in: ders., Obras completas. Tomos I (1945–1955), Madrid, 279–304. 239 Voegelin, in: Review of Politics (wie Anm. 235), S. 292: „Again, incredible as it may sound, this is the vision which Marx transfers to the situation of the modern industrial system.“ Der Satz ist von Schmitt im SD angestrichen. Der SD enthält nur wenige Anstreichungen und Randbemerkungen.
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längst altmodisch geworden und wird immer enttäuscht. Im übrigen hat auch Georg Lukacs „Der junge Hegel“240 von neuem davon überzeugt, dass es sich um Hegel, und zwar den Hegel der Phänomenologie des Geistes handelt. Es ist erstaunlich, wie dieses Zeitalter des deutschen Geistes – 1770 bis 1815 – immer neue Hintergründe zeigt: hinter Goethe-Schiller tauchte Hölderlin-Kleist auf (mit einem neuen Goethe); heute liest man die Phänomenologie des Geistes mit einer Spannung, die sie auch zu einem literarischen Meisterwerk erhebt, was unseren Shakespeare lesenden Grossvätern wohl als ein portentum241 erscheinen würde. Sie erwähnen Hooker, sodass ich an Passerin d’Entrèves242 dachte. Aber sein letztes Buch (über Naturrecht) hat mich enttäuscht. Der kleine Zeitungsaufsatz, den ich beilege, enthält nur einige Gedanken aus einer Leviathan-Rede,243 die anlässlich einer Hobbes-Gedenkfeier am 5. April 1951 geplant war, die aber [in Frankfurt] nur als Gesprächsstück „gestiegen“ ist. Meine Antwort von heute ist nur eine Empfangsbestätigung für Ihr Schreiben und Ihren Aufsatz. Werden Sie in diesem Sommer wieder nach Europa kommen? Sie machen mir mit jeder Zusendung eines Aufsatzes oder gar eines Buches von Ihnen eine ganz ausserordentliche, ungewöhnliche Freude, für die ich Ihnen zu grösstem Dank verpflichtet bleibe. Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt.
8. Carl Schmitt an Eric Voegelin Entwurf, hs., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-13706
Plettenberg (Westfalen) 30. April 1955 Sehr verehrter Herr Voegelin, verzeihen Sie mir bitte eine Frage; sie quält mich[,] seitdem ich Ihr Buch The New Science of Politics lese, also seit zweieinhalb Jahren. Die subaltern-behördenhafte Behandlung, die Ihr Buch in der Zeitschrift des HerderVerlages „Wort und Wahrheit“244 gefunden hat, hat mich empört, wenn 240
Georg Lukács, Der junge Hegel, Zürich 1948. Vorzeichen. 242 Alessandro Passerin d’Entrèves, Natural Law, London 1951. 243 Carl Schmitt, Dreihundert Jahre Leviathan. Zum 5. April 1951, in: Die Tat, Zürich, 5. April 1951. 244 Gotthard Montesi, Weltmacht Gnostizismus. Rezension zu: Eric Voegelin, The New Science of Politics, Chicago 1952, in: Wort und Wahrheit 8 (1953), S. 622–624; 241
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auch nicht überrascht.245 Damals, als ich die Besprechung las, wollte ich Ihnen schreiben. Doch wäre der Anlass zu sehr von einem emotionalen Eindruck bestimmt gewesen. Heute schreibe ich nach langer Überlegung. Ich weiss nicht, ob Sie wissen, in welchem Maße das Problem der Repräsentation in Deutschland lebendig ist und namentlich von jungen Jahrgängen diskutiert wird. In der amtlichen Öffentlichkeit ist das nicht zu spüren. Dort feiert man lieber den 80. Geburtstag von Thomas Mann oder den 150. Todestag von Schiller oder in 4 Jahren den 200. Geburtstag Schillers etc. etc. [Darübergeschrieben:] Repräsentation als Convention [?] Aber gerade die politische Theorie kommt nicht weiter ohne eine Konzentrierung auf die Repräsentation. Ich habe hier einige Arbeiten vor mir, besonders eine Marburger Dissertation,246 die natürlich nicht gedruckt werden. Indem ich nun Seite 107–110 Ihres Buches247 zum zwanzigsten Male lese, frage ich mich immer wieder von neuem, warum Sie den Gedanken des katÍxwn (2 Thess. 2,6) weglassen. In der Civitas Dei des Hl. Augustinus, Buch XX cap. 19, wird es doch mit Respekt behandelt, wenn auch ohne Antwort. Aber ich bleibe bei meiner These, dass das Kaisertum der Ottonen so, d.h. als katÍxwn, und nicht anders zu erklären ist, bis gegen 1000 (Nomos der Erde, Seite 29)248 dann renovatio-Ideen das Bild veränderten. Ich verstehe nicht, warum Sie den katÍxwn einfach verschweigen. Solange ein katÍxwn verhanden ist, präsent, bedarf es keiner Repräsentation. Das also ist eine Lücke in Ihrem Buch. Irgend etwas treibt mich, Ihnen das auszusprechen. Ich habe Ihnen verschiedene Aufsätze geschickt und verstehe es, dass Sie mir nicht schreiben. Aber unabhängig von der Situation, die sich aus schwarzen Listen und Verfehmungen durch massgeMontesi wendet sich gegen die gnostische „Unsicherheit“ und meint: „Voegelin neigt zu sehr der Annahme eines Grundbruchs im Sein zu, der Natur und Übernatur radikal trennt.“ (S. 624). 245 Montesi hatte Schmitts Nomos der Erde zuvor kritisch rezensiert: Gotthard Montesi, Carl Schmitt redivivus, in: Wort und Wahrheit 6 (1951), S. 221–224. 246 Wahrscheinlich: Rüdiger Altmann, Das Problem der Öffentlichkeit und seine Bedeutung für die moderne Demokratie, Diss. Marburg 1954. 247 Eric Voegelin, The New Science of Politics. An Introductory Essay, Chicago 1952; Schmitts Handexemplar (RW 265-24283) trägt den Besitzvermerk: „Carl Schmitt 10/XI 52“. Es enthält zahlreiche Bleistifteintragungen und Randnotizen, dazu einen Rotstiftvermerk (p. 70), aber keine wiederholten Anstreichungen aus mehreren Schichten und Stiften. 248 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde, Köln 1950, S. 33: „Seitdem die deutschen Könige sich eine Hausmacht schufen, wurde das Kaisertum ein Bestandteil dieser Hausmacht. [. . .] Aus dem starken Kat-echon der fränkischen, sächsischen und salischen Zeit wurde ein schwacher, nur noch konservativer Erhalter und Bewahrer.“ Die Frage nach dem Katechon (Aufhalter) des Endes der Geschichte war für Schmitts geschichtstheologische Spekulationen zentral.
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Carl Schmitt im Gespräch mit Philosophen
bende Gruppen für einen amerikanischen Autor [Abbruch des Briefentwurfs, wenige stenographische Ergänzungen]
9. Eric Voegelin an Carl Schmitt Brief, ms. m. U., Briefkopf: Louisiana State University, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-17337
26. Oktober 1955 Herrn Professor Dr. Carl Schmitt Brockhauserweg 10 Plettenberg Lieber Herr Schmitt: Es ist nun einen Monat, dass ich von einer Sommerreise zurück bin.249 Das Aergste des Anfangs ist überstanden und ich beeile mich Korrespondenz zu erledigen, bevor die Wintersaison wieder in Gang kommt: in drei Wochen muss ich in Chicago sein, bei einem Toynbee-Symposion, und der Vortrag250 muss druckreif geliefert werden. Lassen Sie mich sagen, wie sehr ich mich gefreut habe, Sie in Heidelberg251 nach so vielen Jahren so frisch und energisch wieder zu sehen. Und ein besonderes Vergnügen war es, Ihre bezaubernde Tochter252 kennen zu lernen. Hoffen wir nur, dass Sie bald aus dieser unguten Studentenatmosphäre253 herauskommt. Ich bin gespannt, wie sich die Situation in der Heidelberger Juristischen Fakultät, die [Ernst] Forsthoff mir angedeutet hat,254 weiter entwickelt. Jedenfalls, ich habe ihm dieser Tage geschrieben, dass mein sabbatical leave255 für nächstes Jahr so gut wie sicher ist, und dass ich für Pläne betreffend Gastvorlesungen oder dergl. für den Herbst 1956 frei bin. Im Augenblick bin ich etwas im Gedränge. Der Satz des Exodus Bandes256 soll am 1. Januar beginnen, und ich habe noch manches zu verarbei249
2. Europareise Voegelins nach seiner Emigration. Später: Eric Voegelin, Toynbee’s History as a Search for Truth, in: The Intent of Toynbee’s History, ed. Edward T. Gargan, Chicago 1961, S. 183–198. 251 Genaues Datum nicht ermittelt. 252 Anima Schmitt (1931–1983). 253 Anima brach damals ihr Studium ohne Abschluss ab. 254 Offenbar traf Voegelin auch Forsthoff in Heidelberg. 255 Auszeit, Freisemester. 256 Eric Voegelin, Israel and Revelation, Baton Rouge 1956 (Order and history I). 250
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ten, das ich in Schweden im Sommer notiert habe. Nach Neujahr wird es leichter gehen. Mit allen guten Wünschen und Grüssen für Sie und Annemarie,257 Sehr herzlich Ihr Eric Voegelin
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Gemeint ist: Anima.
„Die ‚nicht selbstverständliche‘ Begegnung zwischen uns“: Der Briefwechsel von Joachim Ritter und Carl Schmitt im wirkungsgeschichtlichen Horizont Herausgegeben von Mark Schweda Einleitung Die vielfältigen und weit reichenden Wirkungen Carl Schmitts in der politischen Ideengeschichte der Bundesrepublik sind von der Forschung inzwischen mehrfach aufgezeigt und zum Teil bis in Einzelheiten nachgezeichnet worden.1 Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs zunächst zutiefst diskreditiert und weithin isoliert, wurde der prominente Staatsrechtler in der Abgeschiedenheit seines sauerländischen Refugiums im Laufe der 1950er Jahre zum Zentrum eines weit gespannten Netzwerks intensiver Gesprächskontakte und Briefwechsel, gegenseitiger Einladungen und Bezugnahmen sowie informeller Diskussionskreise und Veranstaltungsforen abseits des öffentlichen Lebens und akademischen Betriebs der Zeit.2 Legendär ist seine Begabung, besonders Vertreter der jungen Generation, des akademischen Nachwuchses intellektuell in seinen Bann zu ziehen und als umfassend gebildeter, anregender Gesprächspartner, lebenserfahrener Ratgeber und fürsorglicher „Ersatzdoktorvater“ gleichsam eine „Fernuniversität in einer Person“3 zu bilden, durch die namhafte Repräsentanten des bundesrepublikanischen Geisteslebens entscheidende Anregungen und Prägungen erhielten. Neben Ernst Forsthoffs Ebracher Kursen4 verläuft ein zentraler Strang dieser bemerkenswerten Wirkungsgeschichte über Joachim Ritter und sein Collegium Philosophicum in Münster.
1 Vgl. insbes. Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993; Jan-Werner Müller, A dangerous mind. Carl Schmitt in post-war European thought, New Haven u. a. 2003. 2 Vgl. Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, München 2009, S. 463 f. u. 504 f. 3 van Laak, Gespräche (wie Anm. 1), S. 140. 4 Vgl. Florian Meinel, Die Heidelberger Secession. Ernst Forsthoff und die Ebracher Ferienseminare, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 5, 2011, H. 2, S. 89–108; dazu van Laak, Gespräche (wie Anm. 1), S. 200–208.
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Joachim Ritter und seine Philosophie der Moderne im Zeichen der Entzweiung Der Münsteraner Ordinarius Joachim Ritter (1903–1974) war, „wenn nicht einer der bekanntesten, so doch einer der einflussreichsten Philosophen Deutschlands“5 nach dem Zweiten Weltkrieg. Von ihm gingen wesentliche Anstöße und Beiträge zum philosophischen Diskurs der Bundesrepublik aus, z. B. in den Debatten über die Verfasstheit der modernen Industriegesellschaft, die Erneuerung der praktischen Philosophie oder den Sinn theoretischer Bildung. Sein hochschul- und wissenschaftspolitischer Einsatz hat sowohl den Wiederaufbau universitärer Strukturen nach dem Krieg als auch ihre Reform im Laufe der folgenden Jahrzehnte maßgeblich mit getragen und so auch die institutionelle Verfassung akademischer Forschung und Lehre nachhaltig geprägt. Einige ehemalige Schüler Ritters zählen mittlerweile zu den bedeutendsten Gelehrten nach 1945 und wirkten als Publizisten und Sachverständige, in politischen Ämtern und hochschulpolitischen Gremien, im Rechtswesen oder in kirchlichem Auftrag zum Teil weit über den akademischen Wissenschaftsbetrieb selbst hinaus.6 Als Sohn eines Arztes in Geesthacht geboren,7 studierte Ritter Philosophie, evangelische Theologie, Deutsch und Geschichte in Heidelberg, Marburg, Freiburg und Hamburg, wo er 1925 von Ernst Cassirer mit einer Studie über Cusanus promoviert wurde.8 Als Assistent Cassirers protokollierte er 1929 die Davoser Disputation mit Martin Heidegger, in der sich einige der zentralen kulturellen und politischen Spannungen der Zeit zu verdichten schienen. Die Alternative zwischen einer transzendentalphilosophischen Reflexion kulturell objektivierter geistiger Leistungen in der Tradition des Neukantianismus auf der einen und ihrer lebens- und existenzphilosophischen Deutung als relative Ausdrucksgestalten geschichtlich situierten Daseins auf anderen Seite wurde auch für seine eigene gedankliche Entwicklung prägend.9 Im Frühwerk von Karl Marx schien er zeitweise die Mög5 Henning Ottmann, Joachim Ritter, in: Julian Nida-Rümelin/Elif Özmen (Hrsg.), Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen. 3., neubearb. Aufl., Stuttgart 2007, S. 559–565, hier: S. 559. 6 Vgl. Jens Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006. 7 Vgl. Odo Marquard, Ritter, Joachim, in: Neue Deutsche Biographie 21, 2003, S. 663–664. 8 Joachim Ritter, Docta Ignorantia. Die Theorie des Nichtwissens bei Nicolaus Cusanus, Leipzig 1927. 9 Vgl. Ulrich Dierse, Geschichtlichkeit. Ritters frühe Arbeiten zu Cassirer und Dilthey, in: ders. (Hrsg.), Joachim Ritter zum Gedenken (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse 4), Mainz 2004, S. 29–42.
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lichkeit einer geschichtsphilosophischen Auflösung der Antithetik von Geist und Leben, Vernunft und Geschichte angelegt zu sehen.10 Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann für den aufstrebenden Privatdozenten, der Ende 1932 von Cassirer mit einer Arbeit über Augustinus11 habilitiert worden war, ein heikler Balanceakt zwischen innerer Distanz und äußerer Anpassung.12 Wegen der Nähe zu Cassirer, seiner ersten Ehe mit der 1928 verstorbenen Mary Einstein und Gerüchten um marxistische Umtriebe unter Verdacht, sah er sich verstärkt politischen Anfeindungen und Bewährungsproben ausgesetzt. Im Mai 1937 trat er in die NSDAP ein, betätigte sich auch in ihren Gliederungen, doch der akademische Aufstieg stockte. Als man ihn 1941 schließlich zum außerordentlichen Professor ernannte und im Mai 1943 ein Ruf nach Kiel erging, befand er sich als Reserveoffizier längst im Kriegseinsatz. Obwohl noch 1944 ‚UKgestellt‘, konnte er die Professur nicht mehr antreten, da er bald darauf in britische Gefangenschaft geriet. Im Jahr 1946 übernahm Ritter den Lehrstuhl für Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, an der er – unterbrochen von einer Gastprofessur in Istanbul zwischen 1953 und 1955 – bis zur Emeritierung blieb. Hier entfaltete er eine rege Lehrtätigkeit, hielt viel beachtete Vorlesungen zur Gesellschaftstheorie, politischen Philosophie und Ästhetik13 und begründete sein berühmtes Collegium Philosophicum. Er begann, seinen Standpunkt in einer Reihe von Aufsätzen auszuformulieren14 und jenen Kreis von Schülern um sich zu sammeln, der „in der späteren Institutionengeschichte der bundesrepublikanischen Philosophie als derjenige Flügel des hermeneutischen Denkens wirksam geworden ist, der die praktische Philosophie rehabilitierte: eben als Ritter-Schule“15. Mit ehemaligen Schülern sowie Kollegen wie Erich Rothacker, Hans-Georg Gadamer oder Hans Blumenberg verbanden ihn vielfältige Arbeitsbeziehungen, aus denen zahlrei10 Vgl. Gunter Scholtz, Joachim Ritter als Linkshegelianer, in: Dierse (Hrsg.), Joachim Ritter zum Gedenken (wie Anm. 9), S. 147–161. 11 Joachim Ritter, Mundus Intelligibilis. Eine Untersuchung zur Aufnahme und Umwandlung der neuplatonischen Ontologie bei Augustinus, Frankfurt a. M. 1937. 12 Vgl. zum Folgenden Hans Jörg Sandkühler, „Eine lange Odyssee“. Joachim Ritter, Ernst Cassirer und die Philosophie im ‚Dritten Reich‘, in: Dialektik, 2006, H. 1, S. 139–179. 13 Vgl. Joachim Ritter, Vorlesungen zur Philosophischen Ästhetik, hrsg. v. Ulrich von Bülow und Mark Schweda, Göttingen 2010. 14 Einige der wichtigsten gesammelt in: Joachim Ritter, Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel, Frankfurt a. M. 1969; ders., Subjektivität. Sechs Aufsätze, Frankfurt a. M. 1974. 15 Odo Marquard, Abschied vom Prinzipiellen. Auch eine autobiographische Einleitung, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien, Stuttgart 1981, S. 4–22, hier: S. 5.
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che Forschungsprojekte und dauerhafte Kooperationen hervorgingen.16 Daneben entwickelte Ritter auch einen beachtlichen wissenschafts- und hochschulpolitischen Einsatz. So saß er in den Gründungsausschüssen der Universitäten Bochum, Dortmund und Konstanz, war Mitglied der wissenschaftlichen Akademien in Düsseldorf und Mainz und wirkte seit 1965 im Wissenschaftsrat an der Umsetzung der Hochschulreform mit. Seine letzten Lebensjahre waren vor allem der Arbeit am groß angelegten Historischen Wörterbuch der Philosophie gewidmet, dessen Leitung er 1961 übernommen hatte.17 Ritters tätige Mitwirkung an und in den Institutionen der im Aufbau begriffenen Bundesrepublik findet ihre Entsprechung in seinem Werk. In eine Vielzahl kleinerer Publikationen zerstreut, bietet es dem systematischen Gehalt nach eine philosophische Theorie der Moderne.18 Ausgehend von einer liberalen Auslegung Hegels19 und in strikter Abgrenzung von der zeitgenössischen Zivilisationskritik vertritt Ritter die Überzeugung, dass die mit wissenschaftlich-technischem Fortschritt, Industrialisierung und Französischer Revolution einhergehende Entzweiung von Zukunft und Herkunft die notwendige Bedingung für die universelle Verwirklichung substantiellen menschlichen Seins darstellt und daher grundsätzlich zu bejahen ist. Mit ihr emanzipiert sich die moderne Gesellschaft zwar aus der geschichtlichen Überlieferung, gibt deren Gehalte dabei aber zugleich so frei, dass sie in der von historischem und ästhetischem Sinn getragenen Perspektive der Subjektivität angeeignet und bewahrt werden können.20 In der bürgerlichen Industriegesellschaft und dem freiheitlichen Rechtsstaat setzt sich demnach – auch und gerade im emanzipatorischen Bruch mit der Vergangenheit – die von der antiken Polis ausgehende weltgeschichtliche Entfaltung des Menschseins in den Sitten und Einrichtungen politisch verfasster, auf indi16 Vgl. zur Wirkung Hermann Lübbe, Affirmationen. Joachim Ritters Philosophie im akademischen Kontext der zweiten deutschen Demokratie, in: ders., Philosophie in Geschichten. Über intellektuelle Affirmationen und Negationen in Deutschland, München 2006, S. 152–168. 17 Vgl. Walter Tinner, Das Unternehmen Historisches Wörterbuch der Philosophie, in: Riccardo Pozzo/Marco Sgarbi (Hrsg.), Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte (= Archiv für Begriffsgeschichte, Sonderh. 7), Hamburg 2010, S. 9–13. 18 Vgl. dazu ausführlich Mark Schweda, Entzweiung und Kompensation. Joachim Ritters philosophische Theorie der modernen Welt, Freiburg i. Br. 2013. 19 Vgl. Henning Ottmann, Hegel im Spiegel der Interpretationen, Berlin 1977, S. 299–346. 20 Vgl. Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution. Mit einer Bibliographie zur politischen Theorie Hegels, von Karlfried Gründer (= Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften 63), Köln/Opladen 1957.
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viduelle Freiheit ausgerichteter Gemeinschaften fort.21 Dabei hält Ritter zwar am Gegenstand und Anspruch der Metaphysik als Erster Philosophie fest, begreift sie aber als ‚Hermeneutik der geschichtlichen Wirklichkeit‘, die das gesellschaftlich-politische Leben der Zeit im Hinblick auf das darin zum Tragen kommende vernünftige Weltverständnis der metaphysischen Tradition auslegt. In der Deutung der philosophischen Überlieferung wird so zugleich die Verfasstheit der eigenen Gegenwart in den Blick genommen und zur Bestimmung gebracht. Dabei wird ein Begriff von Philosophie wirksam, nach dem diese „im Wandel ihrer geschichtlichen Positionen und in der Entgegensetzung der Schulen und Richtungen als die Eine perennierende Philosophie das ihr immanente Prinzip vernünftigen Begreifens zu immer reicherer Entfaltung bringt“22. Das Politische als existenzieller Kampfschauplatz und geschichtliche Gegenwart der Vernunft Die Bekanntschaft Carl Schmitts mit Joachim Ritter bahnte sich auf verschiedenen Wegen an. Zum einen hatte Ernst-Wolfgang Böckenförde seit seinem Eintritt ins Münsteraner Collegium Mitte der 50er Jahre eine Verbindung zwischen Schmitt und Ritter herzustellen versucht.23 Zum anderen scheint auch Schmitt selbst unabhängig davon den Kontakt gesucht zu haben.24 Bereits 1949 hatte Clemens Graf Podewils25 ihn auf Ritter aufmerksam gemacht, den er aus der Kriegsgefangenschaft kannte. Und auch der mit beiden befreundete Johannes Winckelmann26 hatte Ritter ihm gegenüber erwähnt und ihm Auszüge von Briefen gesandt. So dürfte Schmitt zumindest in groben Zügen über den Philosophen im Bilde gewesen sein, als er ihm Ende 1955 durch Winckelmann seinen Beitrag zur Festschrift zu Ernst Jüngers 60. Geburtstag27 übermitteln ließ und damit persönlich den Kontakt aufnahm. 21
Vgl. Joachim Ritter, Zur Grundlegung der praktischen Philosophie bei Aristoteles, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 46, 1960, S. 179–199. 22 Joachim Ritter, Zur Neufassung des ‚Eisler‘. Leitgedanken und Grundsätze eines Historischen Wörterbuchs der Philosophie, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 18, 1964, S. 704–708, hier: S. 707. 23 Ernst-Wolfgang Böckenförde, briefliche Auskunft vom 17.6.2009. 24 Vgl. van Laak, Gespräche (wie Anm. 1), S. 196. 25 Clemens Graf von Podewils (1905–1978), dt. Schriftsteller. Vgl. Albert von Schirnding, Clemens Hans Theodor Konstantin Maria Graf von Podewils-JunckerBigatto, in: Neue Deutsche Biographie 20, 2001, S. 558 f. 26 Johannes Winckelmann (1900–1985), deutscher Jurist und Max-Weber-Herausgeber. Vgl. Dirk Kaesler, Die Zeit der Außenseiter in der deutschen Soziologie, in: Karl-Ludwig Ay/Knut Borchardt (Hrsg.), Das Faszinosum Max Weber. Die Geschichte seiner Geltung, Konstanz 2006, S. 169–195.
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Der Text, eine bei aller freundschaftlichen Verbundenheit durchaus kritische Auseinandersetzung mit Jüngers Ausführungen zum Ost-West-Konflikt28, musste unweigerlich Ritters Interesse wecken. Gerade von seinem Aufenthalt als Gastprofessor in Istanbul zurückgekehrt, hatte der Münsteraner Ordinarius soeben einen Aufsatz abgeschlossen, in dem er seine Erfahrungen in der Türkei philosophisch verarbeitete und dabei selbst auf Jüngers einschlägige Abhandlung zu sprechen kam. Waren in den Schriften der ersten Nachkriegszeit verschiedentlich noch Motive der kulturpessimistischen Zivilisationskritik Weimarer Prägung angeklungen, so wird hier nun – „nachtürkisch“29 – ein entschieden zustimmendes Verhältnis zur modernen Gesellschaft formuliert. Wie im Spiegel der „Europäisierung“, jenes Vorgangs, in dem auch die Türkei unter Atatürk in den von Europa ausgehenden Sog der Modernisierung hineingerissen wurde, scheint Ritter zu erkennen, dass die Idee des Fortschritts „da etwas anderes bedeutet, wo sie nicht das Idol einer leeren Perfektion ist, sondern die Notwendigkeit meint, diejenigen Möglichkeiten menschlichen Seins zu schaffen, die in den europäischen Ländern längst zur selbstverständlichen Voraussetzung eines menschlichen Lebens geworden sind“30. In dieser Abkehr vom verfallstheoretischen Denken wird die Auseinandersetzung mit Ernst Jünger als einem seiner bedeutendsten Vertreter zum wichtigen Ausgangspunkt. Tatsächlich zeichnet sich in der jeweiligen Beschäftigung mit Jünger auch schon der gedankliche Horizont ab, in dem sich der Austausch zwischen Schmitt und Ritter in den folgenden Jahren bewegen wird. In seiner Schrift hatte Jünger die politische Konfrontation der beiden großen Machtblöcke, die damals die Weltlage bestimmte, auf einen fundamentalen Gegensatz von westlicher Freiheit und östlichem Schicksalszwang zurückgeführt, der im Laufe der Geschichte – von der Schlacht bei Marathon und den Feldzügen Alexanders über das Amselfeld und die Belagerung von Wien bis zur Berlin-Blockade – bloß in wechselnden Gestalten in Erscheinung tritt.31 Schmitt 27 Carl Schmitt, Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes von Ost und West. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Schrift: „Der gordische Knoten“, in: Armin Mohler (Hrsg.), Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1955, S. 135–167. 28 Ernst Jünger, Der gordische Knoten, Frankfurt a. M. 1953. 29 Odo Marquard, Zukunft und Herkunft. Bemerkungen zu Joachim Ritters Philosophie der Entzweiung, in: ders., Skepsis und Zustimmung. Philosophische Studien, Stuttgart 1994, S. 15–29, hier: S. 23 f. 30 Joachim Ritter, Europäisierung als europäisches Problem, in: Europäisch-asiatischer Dialog. Vorträge der Tagung in Bottrop vom 25. bis 28. Oktober 1955, hrsg. vom Vorstand des Landesverbandes nordrhein-westfälischer Geschichtslehrer, Düsseldorf 1956, S. 9–19, hier: S. 14 f. 31 Vgl. Jünger, Der gordische Knoten (wie Anm. 28), S. 5 f.
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bemerkt dazu in seinem Festschriftbeitrag, damit werde das Geschehen „aus der tagespolitischen Aktualität in eine andere Sphäre erhoben“32 und als „Gleichnis polarer menschlicher Grundhaltungen“33 gedeutet. Gegenüber diesem „Denken in Polaritäten“ bringt er dann die „fundamentale Verschiedenheit“ des „konkret geschichtlichen Denken[s]“ als „Denken einmaliger Situationen und damit einmaliger Wahrheiten“34 zur Geltung. Die Zeitdiagnose kann das historisch singuläre Gepräge der Gegenwart, die „Spannung eines einmaligen, unwiederholbaren, geschichtlichen Vorgangs“35, nicht im Rückgang auf elementare Gegebenheiten erfassen, die wie im ewigen Kreislauf der Natur in immer neuen Variationen wiederkehren. Der „durch geschichtliche Verortungen“ entstehende „Nomos der Erde“ werde damit „seines eigentlichen Heute und Hier beraubt“36. Ähnlich setzt sich auch Ritter mit Jüngers Tendenz auseinander, die globalen Spannungen der Zeit als Ausdruck eines mythischen Antagonismus von Orient und Okzident zu deuten und damit über ihren konkreten historischen Sinn hinwegzusehen. Damit würden „die rote Sonne Japans, der Drachen Chinas, die Sichel der Sowjetunion, der Halbmond des Islams“ alle „in einem gleichmachenden und um die geschichtliche Vielfalt unbekümmerten Begriff miteinander verknüpft“37. Eine solche Betrachtung sei „eine Simplifikation der Geschichte, ein Anachronismus und die romantische Illusion, die das Gegenwärtige wie das Zukünftige [. . .] verschleiert.“38 Aus dieser Kritik ergeben sich auch inhaltlich ähnliche Deutungen der globalen Lage. Anders als bei Jünger wird sie bei Schmitt wie bei Ritter nicht als Ausdruck eines prinzipiellen Gegensatzes von Ost und West, sondern als Ergebnis einer umfassenden welthistorischen Entwicklung aufgeschlüsselt. So versteht Schmitt die Konfrontation der Machtblöcke gemäß der dialektischen „Frage-Antwort-Struktur aller geschichtlichen Situationen und Ereignisse“39 als Resultat der von England ausgehenden Herausforderung durch den Prozess der Technisierung und Industrialisierung. Mit der russischen Revolution sei „ein industriell zurückgebliebenes Agrarreich instandgesetzt“ worden, „sich der industriellen Technik zu bemächtigen, ohne die es in einem modernen Weltkrieg zu einer bequemen Beute jedes indus32 Schmitt, Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes (wie Anm. 27), S. 135. 33 Ebd., S. 138. 34 Ebd., S. 146 f. 35 Ebd. 36 Ebd., S. 148. 37 Ritter, Europäisierung als europäisches Problem (wie Anm. 30), S. 9 f. 38 Ebd., S. 17. 39 Schmitt, Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes (wie Anm. 27), S. 151.
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triell bewaffneten Eroberers werden mußte“40. Und auch für Ritter stellt die Weltlage im Grunde „die Frucht und das Werk des europäischen Geistes selbst“ dar, „nicht das ihm Fremde, sondern die reale Entfaltung dessen, was als Möglichkeit und als Ziel in ihm angelegt und von ihm selber hervorgebracht ist“.41 In der vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt erfassten östlichen Hemisphäre begegnet Europa letzten Endes der universalistische Zug seiner eigenen Geschichte, die mit der Europäisierung über alle Grenzen hinweg auf den gesamten Erdball ausgreift und so ihre „innere Universalität zur äußeren Realität“42 entfaltet. Schließlich beziehen sich auch beide Abhandlungen auf Hegel, um die angemessene Brennweite der zeitdiagnostischen Perspektive im Spannungsfeld von historischem Konkretismus und philosophischer Abstraktion zu erörtern. Schmitt verwahrt sich zwar dagegen, mit seinen Erwägungen zur „Dialektik des geschichtlich-Konkreten“43 sogleich „summarisch und automatisch als Hegelianer eingestuft und abgetan zu werden“44. Deutlich bekundet er sein tiefes Misstrauen gegenüber der Geschichtsphilosophie der Aufklärung und dem positivistischen „Vergesetzlichungs-Wahn des 19. Jahrhunderts“45 wie überhaupt jedem Versuch, konkrete historische Erfahrungen zu allgemeinen Verlaufsgesetzen der Geschichte als solcher zu generalisieren und ihren „eigentlich geschichtlichen Nerv“46 so gerade zu verfehlen. Allerdings legt er zugleich Wert darauf, Hegel selbst von diesem Verdikt auszunehmen, biete doch dessen „Geschichts-Dialektik genug Möglichkeiten, die echte Einmaligkeit des geschichtlichen Geschehens zu erreichen“, wie schon die grundlegende Vorstellung bezeuge, „daß die Menschwerdung des Gottessohnes die Achse der Weltgeschichte ist“47. Am Ende seiner Ausführungen ist es schließlich der Passus der hegelschen Rechtsphilosophie über das Meer als Element der Industrialisierung, von dem ausgehend Schmitt Coda und Ausblick seines Beitrags formuliert.48 Auch Ritter nimmt die Geschichtsphilosophie hegelscher Prägung stets gegen den historistischen Verdacht in Schutz, bloß „der spekulative Entwurf“ zu sein, der „eine Menschheitsgeschichte in ihrem Ablauf aus den Elementen des bloßen Vorstellens konstruiert“49. Im40
Ebd., S. 164. Ritter, Europäisierung als europäisches Problem (wie Anm. 30), S. 17. 42 Ebd., S. 18. 43 Schmitt, Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes (wie Anm. 27), S. 147. 44 Ebd., S. 153. 45 Ebd. 46 Ebd., S. 154. 47 Ebd., S. 153. 48 Vgl. ebd., S. 164 f. 49 Ritter, Europäisierung als europäisches Problem (wie Anm. 30), S. 17. 41
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mer wieder streicht er heraus, dass Hegels Begriff der Gegenwart die umfassende Präsenz des in der metaphysischen Tradition von alters erörterten Göttlichen und Absoluten mit der historischen Aktualität des Hier und Jetzt in eins setzt, sodass sein Denken diesseits aller theoretischen Konstruktion und Deduktion jederzeit auf die Auslegung der historisch vorgegebenen Wirklichkeit bezogen bleibt. Die philosophische Theorie wird „auf die Analyse der konkreten, geschichtlichen Bewegung verwiesen“, sofern sie „die vorhandene Vernunft und Substanz der Zeit in dem, was ist, begreifen und sich nicht im bloßen Meinen und entwerfenden Vorstellen verlieren will“50. Ihr Wahrzeichen ist so Hegels „Eule der Minerva“, die „erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug“51 beginnt. In der Auseinandersetzung mit Jünger treten damit bereits wesentliche Konvergenzen, aber auch Divergenzen zwischen Schmitt und Ritter zu Tage. So wird das Feld des Politischen, der Gesellschafts-, Rechts- und Staatsphilosophie, als gemeinsames Themengebiet abgesteckt, die Frage der Geschichtlichkeit des Allgemeinen und seiner Stellung zur gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit der Zeit als zentrales Problem ausgemacht und die Philosophie Hegels als theoretischer Bezugsrahmen anerkannt. Unter diesen Vorzeichen musste Ritters Schaffen aus Schmitts Warte in der Tat bedeutsam erscheinen. Seine eigenen Überlegungen kreisten in den 50er Jahren verstärkt um das Verhältnis zwischen den allgemeinen normativen Grundlagen des Rechts auf der einen Seite und der historisch vorgegebenen positiven gesetzlichen Ordnung auf der anderen, das in methodologischer Hinsicht nicht zuletzt die Beziehung der Rechtswissenschaft zu Philosophie und Theologie betraf. Schon das Gutachten, das er 1952 für die Buderus-Werke erstellt hatte, ging der Frage nach, inwieweit eine Sozialisierung im Sinne eines direkten, nicht weiter durch Gesetze vermittelten Vollzugs der Staatsverfassung vorzunehmen wäre, und unterstrich in diesem Zusammenhang die rechtsstaatliche Bedeutung der Unterscheidung zwischen der Verfassung als normativer Grundordnung eines Gemeinwesens und ihrer konkreten gesetzlichen Ausgestaltung.52 In der Folgezeit kommt Schmitt in genereller, theoretisch reflektierender Form immer wieder auf dieses Problem der Vermittlung zwischen allgemeinen Grundlagen der Ordnung und ihrer konkre50
Ritter, Hegel und die französische Revolution (wie Anm. 20), S. 38 f. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1821), hrsg. v. Eva Moldenhauer/ Karl Markus Michel (= Werke in 20 Bänden, Bd. 7), Frankfurt a. M. 1970, S. 28. 52 Carl Schmitt, Rechtsstaatlicher Verfassungsvollzug. Rechtsgutachten zu der Frage: Ist den Eigentümern der von Art. 41 der Verfassung des Landes Hessen Abs. 1 Nr. 1 betroffenen Gegenstände ihr Eigentum durch Art. 41 mit Inkrafttreten der Verfassung entzogen worden?, Wetzlar 1952. Wiederabgedruckt in: Carl Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958, S. 452–488, hier: S. 460 f. 51
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ten gesetzlichen Wirklichkeit zurück. Insbesondere seine Ausführungen zur verfassungsrechtlichen ‚Tyrannei der Werte‘ formulieren eine scharfe Absage an zeitgenössische Bestrebungen zur wertphilosophischen Erneuerung des Naturrechts als eines Bestandes normativer Prinzipien, die unmittelbar zur Legitimation und Beurteilung des positiven Rechts heranzuziehen wären. In ihrer idealen, von allem Sein abgelösten Geltung sind Werte letztlich auf Durchsetzung angelegt und entfalten so in Beziehung auf die Wirklichkeit eine zerstörerische Aggressivität: „Die Idee bedarf der Vermittlung, und wenn sie in nackter Unmittelbarkeit oder in automatischem Selbst-Vollzug in die Erscheinung tritt, ist der Schrecken da und das Unglück furchtbar“53. In der Abwehr dieses abstrakten wertphilosophischen Normativismus wird Ritters praktische Philosophie für Schmitt bedeutsam. Auch sie wendet sich gegen jene neukantianisch geprägten Werttheorien, die „die Normen menschlichen Seins und Handelns [. . .] hypostasieren“ und sie so „als an sich und unabhängig von der Wirklichkeit geltende ‚Werte‘ und ‚Ideen‘ zu einem transzendenten, bewußtseins- wie geschichtsunabhängigen Reich ‚idealen Seins‘ “54 erheben. Das betrifft auch die wertphilosophisch begründeten Naturrechtslehren der Nachkriegszeit, deren rational deduzierter Normenbestand als „Recht a priori [. . .] die politisch-geschichtliche Wirklichkeit der Zeit und das aus ihr hervorgehende positive Gesetz außer sich“55 hat. Im Ausgang von Aristoteles fasst Ritter menschliches Handeln dagegen als „Praxis“ im Sinne jenes „tätigen Lebensvollzug[s]“56, in dem jedes Lebewesen seine natürlichen Anlagen und Fähigkeiten betätigt und seine Natur so zu der ihm gemäßen Lebensweise verwirklicht. Auch der Mensch aktualisiert seine Naturanlage zur Vernunft demnach erst im institutionellen Rahmen einer politisch verfassten, auf Freiheit angelegten Gemeinschaft und bringt sein Wesen so zur vollen Entfaltung. Das allgemeine Prinzip steht den konkreten geschichtlichen Verhältnissen aus dieser Sicht nicht abgetrennt gegenüber, sei es als ‚perennierendes Sollen‘, hinter dem die Realität stets zurückbleibt, oder als Inbegriff idealer Werte und Normen, die zunächst gedanklich zu erfassen und dann politisch in die Tat umzusetzen wären. Es ist vielmehr in der historischen Entwicklung der menschlichen 53 Carl Schmitt, Die Tyrannei der Werte. Überlegungen eines Juristen zur WertPhilosophie, Privatdruck Stuttgart 1960, später veröffentlicht in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1967, S. 37–62, hier: S. 62. 54 Joachim Ritter, „Naturrecht“ bei Aristoteles. Zum Problem der Erneuerung des Naturrechts (= Res publica 6), Stuttgart 1961, S. 11. 55 Ebd., S. 32. 56 Joachim Ritter, Das bürgerliche Leben. Zur aristotelischen Theorie des Glücks, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik 32, 1956, H. 1 (Ehrengabe an Alfred Petzelt), S. 60–94, hier: S. 61.
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Lebenszusammenhänge immer schon in Verwirklichung begriffen und hat in ihnen so auch stets bereits habituell und institutionell manifeste gesellschaftlich-politische Wirklichkeit. In dieser hegelianischen Optik zeigt sich die „institutionelle Wirklichkeit menschlichen Selbstseins“ in den „objektiven und allgemeinen Institutionen, Gesetze, Gewohnheiten in einem Staate, der auf Freiheit gegründet ist“57. Vor diesem Hintergrund wird Ritter dann bei Schmitt wie zuvor bereits Hans Freyer für eine „nicht-marktkonforme Hegel-Interpretation“58 in Anspruch genommen, von der auch politisch eine „andere Hegel-Linie“ ausgehe als jene marxistische Rezeptionslinie, „die ebenfalls mit Hegel beginnt“, aber „mit Lenin und Stalin“59 endet. In den Händen der Neomarxisten wird Hegels Denken für Schmitt gleichsam zum Brandsatz, zum „absoluten Beschleuniger [. . .], dessen Negation nur noch Bewegung und dessen Bewegung nur noch Negation ist, also totale Nichts-als-Bewegung, die man sich schließlich nur noch als einen Veitstanz permanenter Säuberungen und Kriminalisierungen vorstellen kann“60. Dagegen habe Ritter gezeigt, „daß Hegels Philosophie ein System von Vermittlungen ist“, das „Herkunft und Zukunft“61 verbindet. Er und Freyer haben Hegel damit in Schmitts eschatologischer Sicht als Aufhalter zur Geltung gebracht, also als jene geschichtliche „Kraft, die die Macht des Bösen für eine Zeitlang niederhält und den schlimmsten Beschleunigern auf dem Wege zum Abgrund entgegentritt“62. Ihr Hegelianismus wird so für den Staatsrechtler zur Beschwörung jener „haltenden Mächte“, die nach Freyer „den Fortschritt tragen, ohne sich dabei zu verzehren“63. Allerdings unterschätzt eine solche Einreihung Ritters in eine rechtshegelianisch-(neo)konservative Traditionslinie zeitdiagnostischen Denkens64 57 Joachim Ritter, Moralität und Sittlichkeit. Zu Hegels Auseinandersetzung mit der kantischen Ethik, in: Joachim Ritter/Friedrich Kaulbach (Hrsg.), Kritik und Metaphysik. Studien Heinz Heimsoeth zum achtzigsten Geburtstag, Berlin 1966, S. 331–351, hier: S. 348 f. 58 Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (1943–44), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958, S. 386–429, hier: S. 429. 59 Carl Schmitt, Die andere Hegel-Linie. Hans Freyer zum 70. Geburtstag, in: Christ und Welt vom 25.7.1957, S. 2. 60 Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (wie Anm. 58), S. 429. 61 Ebd. 62 Schmitt, Die andere Hegel-Linie (wie Anm. 59). 63 Hans Freyer, Der Fortschritt und die haltenden Mächte, in: Zeitwende 24, 1952, H. 4, S. 287–297, hier: S. 296. 64 Ähnlich später auch bei Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1985, S. 90.
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nicht nur die marxistischen Wurzeln und Prägungen seiner Hegeldeutung, die die emanzipative Konstitutionsform der modernen bürgerlichen Industriegesellschaft und die mit ihr eintretende Entzweiung von Herkunft und Zukunft in den Mittelpunkt rückt. Sie wird in der Folge auch dem entschieden ‚emanzipatorischen‘ Zug der daraus entwickelten Deutung der Moderne nicht gerecht, der in der geschichtsphilosophischen Perspektive universeller Freiheitsverwirklichung zum Tragen kommt und die antike Polis für ihn mit der modernen bürgerlichen Gesellschaft verbindet. Im Entwurf eines unveröffentlicht gebliebenen Beitrags zur Festschrift anlässlich Schmitts 80. Geburtstags führt Ritter aus, wie der Zerfall der aristotelischen Tradition praktischer Philosophie bloß einen verarmten, auf Macht- und Herrschaftserhalt beschränkten Begriff des Politischen zurücklässt, dem der Bezug auf die freie Entfaltung des Menschseins abgeht.65 Anders als der von Freyer ausgehende technokratische Konservativismus, für den die abendländische Geschichte mit der von technisch-ökonomischen Sachzwängen beherrschten modernen Industriegesellschaft in einen stabilen Endzustand übergeht, ist Ritters Sicht der Moderne gerade nicht auf das Ende der Geschichte, sondern auf ihre Vollendung, nicht auf Stabilität und Selbsterhaltung, sondern auf Freiheit und Selbstentfaltung bezogen. Mit Hegel hebt sie die moderne Gesellschaft und den liberalen Rechtsstaat als weltgeschichtlichen Ertrag der Revolution aus den historischen Umwälzungen der Zeit heraus, um „die freie geistige Wirksamkeit der Person und ihr gediegenes persönliches Leben in den bürgerlichen Ordnungen als das substantielle Ziel“ zu begreifen, „um dessen Verwirklichung es zuletzt im freiheitlichen Staat geht“.66 Freilich dürfte Schmitt diese Differenz keineswegs entgangen sein. In einem späten Aufsatz zu Clausewitz wendet er sich wie beiläufig noch einmal Ritters Deutung der hegelschen Geschichtsphilosophie als „Philosophie der Vermittlung“67 zu. Ritter hatte gelegentlich auf Hegels Bewunderung Napoleons als ‚historisches Individuum‘ und ‚Weltseele zu Pferde‘ hingewiesen und dabei unterstrichen, dass damit „nicht Napoleon der Eroberer, sondern der des Code Napoléon“ gemeint sei, „gegen den man [. . .] nicht in Gemeinschaft mit den Baschkiren in den Kampf ziehen darf“68. Napoleon steht hier mithin für die institutionelle Realisierung der Freiheit im moder65
Vgl. dazu ausführlich Mark Schweda, Joachim Ritters Begriff des Politischen. Carl Schmitt und das Münsteraner Collegium Philosophicum, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 4, 2010, H. 1, S. 91–111. 66 Ritter, Hegel und die französische Revolution (wie Anm. 20), S. 50. 67 Carl Schmitt, Clausewitz als politischer Denker, in: Der Staat 4, 1967, S. 479–502, hier: S. 499. 68 Joachim Ritter, Diskussionsbem. zu Iring Fetscher, Zur Aktualität der politischen Philosophie Hegels, in: Joachim Ritter/Jürgen Blühdorn (Hrsg.), Hegel-Bilanz. Zur Aktualität und Inaktualität Hegels, Frankfurt a. M. 1973, S. 193–230, hier: S. 219.
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nen Rechtsstaat. Das „vernünftige Resultat der napoleonischen Zeit im Gang der Geschichte“ bestehe „im Zusammenhang mit der Bewahrung der Freiheit“ darin, „daß das universelle Prinzip der Gesellschaft seine Verwirklichung in den geschichtlichen Staaten erhält“69. Bei Schmitt wird nun gegen diese hegelianische Bewunderung Napoleons als Vorreiter aufklärerischen Gedankenguts, dessen Siegeszug die rechtlich-politischen Errungenschaften der Französischen Revolution ohne ihre blutigen Gräuel zu bringen versprach, die radikale national-revolutionäre „Napoleon-Feindschaft Fichtes“70 in Stellung gebracht. Mit dieser antithetischen Gegenüberstellung erneuert Schmitt nicht nur seinen ideologiekritischen Vorbehalt gegen den im Gewande eines rational-humanitären Universalismus auftretenden Imperialismus der Westmächte. Sie schließt letztlich auch eine Absage an den aus seiner Sicht unentschiedenen Theoretizismus eines hegelianischen Vermittlungsdenkens ein, das „mit gutem Gewissen in der Rolle von Auguren den Flug der Eule von Minerva beobachten [will], ohne sich in die dreckichte Wirklichkeit einer Revolution ‚hineinzustürzen‘ “71. Carl Schmitt im Collegium Philosophicum Die intellektuelle Ausstrahlung Carl Schmitts faszinierte auch einige der begabten und vielversprechenden Studenten und Absolventen, die Joachim Ritter seit Ende der 1940er Jahre in seinem Münsteraner Collegium Philosophicum um sich sammelte. Aus Anlass der Feier zum zehnjährigen Bestehen des Kreises lud Ritter Schmitt am 9. März 1957 erstmals persönlich zu einem Vortrag nach Münster ein. Der Besuch, zugleich sein erster Auftritt überhaupt an einer deutschen Universität nach dem Krieg, wurde für Schmitt selbst zu einem Erfolgserlebnis, bildete darüber hinaus aber auch einen entscheidenden Ausgangspunkt seiner späteren bundesrepublikanischen Wirkungsgeschichte. Der Kreis um Ritter umfasste damals nicht nur Anhänger unterschiedlichster philosophischer Strömungen, darunter „Thomisten [. . .], Positivisten, Logiker, Marxisten und Skeptiker“72, sondern auch Vertreter anderer Fach69
Ebd. Schmitt, Clausewitz als politischer Denker (wie Anm. 67), S. 494. 71 Ebd., S. 498. Vgl. zum zeitgenössischen Kontext und Horizont dieser Hegeldiskussion Otto Pöggeler, Hegel und die Französische Revolution, in: Elisabeth Weisser-Lohmann/Dietmar Köhler (Hrsg.), Verfassung und Revolution. Hegels Verfassungskonzeption und die Revolutionen der Neuzeit (= Hegel-Studien Beiheft 42), Hamburg 2000, S. 210–225. 72 Robert Spaemann, Philosophie zwischen Metaphysik und Geschichte. Philosophische Strömungen im heutigen Deutschland, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie 1, 1959, S. 290–313, hier: S. 313. 70
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richtungen wie etwa Rechtswissenschaft, Theologie, Soziologie, Psychologie, Mathematik und Kunstgeschichte. Zu seinen Teilnehmern gehörten z. B. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Karlfried Gründer, Martin Kriele, Hermann Lübbe, Odo Marquard, Reinhart Maurer, Ludger Oeing-Hanhoff, Willi Oelmüller, Günter Rohrmoser, Jürgen Seifert, Robert Spaemann und Bernard Willms. Daneben stand das Collegium auch interessierten Hochschullehrern anderer Fakultäten offen. So waren bisweilen Helmut Schelsky und Hans Freyer zugegen, außerdem bestanden Verbindungen zu anderen Münsteraner Kollegen Ritters wie Josef Pieper, Hans J. Wolff und Benno von Wiese.73 Der äußeren Form nach waren die Zusammenkünfte des Collegiums von der Tradition informeller Studiengruppen und exklusiver Oberseminare geprägt. In ihnen sollte zwischen 12 bis 20 von Ritter persönlich ausgewählten Studenten und Doktoranden „ein wissenschaftliches Gespräch in Gang gebracht werden, das die Ebene von Ausbildung [. . .] überschritt und etwas von dem konstituierte, was Universität ausmacht und von bloßen Hochschulen unterscheidet.“74 Unter Ritters Leitung befasste man sich jedes Semester mit einem klassischen philosophischen Text, darunter etwa Kants Kritik der reinen Vernunft oder Hegels Rechtsphilosophie.75 Daneben wurden seit 1956 in einem kleineren Lesekreis Neuerscheinungen besprochen. So referierte Robert Spaemann über Leo Strauss’ Naturrecht und Geschichte, Odo Marquard über Herbert Marcuses Triebstruktur und Gesellschaft und Jürgen Seifert über Carl Schmitts Nomos der Erde.76 Die Veranstaltungen zeichneten sich dadurch aus, dass „Ritter zwar den Rahmen setzte, aber eine Vielfalt unterschiedlicher Positionen zu Wort kommen ließ. [. . .] Fremdartiges zu ertragen und es zu ermöglichen, daß jeder im Collegium sich selbst und eigene Fragen einzubringen vermag, war für Joachim Ritter eine Bedingung für Hegels ‚Scheinen der Sittlichkeit‘. Das Realisieren eines solchen Ansatzes machte Ritter zum Garanten eines Freiraumes des Denkens“77. Unter diesen Voraussetzungen konnte sich im Collegium eine für das geistige Leben der Zeit beispiellose Kultur regen intellektuellen Austauschs 73 Vgl. Jürgen Seifert, Joachim Ritters „Collegium Philosophicum“. Ein Forum offenen Denkens, in: Richard Faber/Christine Holste (Hrsg.), Kreise – Gruppen – Bünde. Zur Soziologie moderner Intellektuellenassoziationen, Würzburg 2000, S. 189–197, hier: S. 191 f. 74 Ebd., S. 190. 75 Vgl. Walter Magaß, Erinnerungen an das „Collegium Philosophicum“ in Münster 1949–52, in: Schmittiana 5, 1996, S. 147–150, hier: S. 148. 76 Vgl. Seifert, Joachim Ritters „Collegium Philosophicum“ (wie Anm. 73), S. 192. 77 Ebd., S. 191.
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und intensiver philosophischer Auseinandersetzung entfalten. Ernst Tugendhat erinnert sich, der „Kreis um Joachim Ritter“ sei „damals wohl der lebendigste in Deutschland“78 gewesen. Während andernorts die Wiederaneignung der Klassiker im Vordergrund stand, wurde philosophische Lektüre hier auf das Zeitgeschehen bezogen. Einige Schüler Ritters setzten sich mit dessen Hegel-Interpretation und der in ihr entwickelten Zeitdiagnose auseinander und akzentuierten dabei andere, religionsphilosophische oder staatstheoretische Gesichtspunkte.79 Andere wandten sich verstärkt weiteren Philosophen der Aufklärung und des Deutschen Idealismus zu, mit denen sich Ritters hegelianische Perspektive ergänzen, relativieren oder konterkarieren ließ.80 Daneben blieb auch Aristoteles als Ausgangspunkt der hermeneutischen Tradition praktischer Philosophie präsent, mitunter kontrastiert durch Plato.81 Ritter moderierte, vermittelte Kontakte und lud auswärtige Vortragsgäste ein, so Julien Freund, Arnold Gehlen, Gabriel Marcel oder eben Carl Schmitt.82 Bereits nach dem ersten Zusammentreffen 1957 betont Joachim Ritter in einem Dankesbrief die anhaltende Präsenz Schmitts in seinem eigenen Denken und den Diskussionen seiner Schüler.83 Tatsächlich sollte sich der Einfluss bei einigen Mitgliedern des Collegiums in der Folge verstärkt bemerkbar machen. Dabei eröffnete sich entsprechend der inneren Liberalität des Kreises als „Forum offenen Denkens“84 und der Heterogenität der theoretischen und politischen Standpunkte – „Radikale links, Radikale rechts – die ‚Schule‘ hatte [. . .] offene Ränder und repräsentiert eben auch darin bundesrepublikanische Wirklichkeit“85 – ein breites Spektrum an Rezeptionsperspektiven auf Schmitts Werk, wobei nicht zuletzt das jeweilige Ver78
Ernst Tugendhat, Vorrede, in: ders., Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 1992, S. 7–18, hier: S. 9. 79 Vgl. Günter Rohrmoser, Subjektivität und Verdinglichung. Theologie und Gesellschaft im Denken des jungen Hegel, Gütersloh 1961; Reinhart Maurer, Hegel und das Ende der Geschichte, Stuttgart 1965. 80 Vgl. Ursula Franke, Kunst als Erkenntnis. Die Rolle der Sinnlichkeit in der Ästhetik des Alexander Gottlieb Baumgarten, Wiesbaden 1972; Willi Oelmüller, Die unbefriedigte Aufklärung. Beiträge zu einer Theorie der Moderne von Lessing, Kant und Hegel, Frankfurt a. M. 1969; Bernard Willms, Die totale Freiheit. Fichtes politische Philosophie, Köln/Opladen 1967. 81 Vgl. Günther Bien, Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles. Freiburg i. Br. 1973; Reinhart Maurer, Platons „Staat“ und die Demokratie. Historisch-systematische Überlegungen zur politischen Ethik, Berlin 1970. 82 Vgl. Jürgen Seifert, Beobachtungen eines Außenseiters im ‚Collegium Philosophicum‘, in: Schmittiana 5, 1996, S. 121–126. 83 s. unten, Briefe Nr. 16 u. 17. 84 Seifert, Joachim Ritters „Collegium Philosophicum“ (wie Anm. 73), S. 189. 85 Hermann Lübbe, zit. nach Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit (wie Anm. 6), S. 23.
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hältnis zum Ansatz des philosophischen Lehrers Ritter eine Rolle spielen mochte. So formierte sich auf der einen Seite seit den späten 60er Jahren eine Art ‚rittersche Rechte‘, in der zunehmend ein gewisses Ungenügen an Joachim Ritters zustimmender Deutung der Moderne im Zeichen des positiv gewendeten Entzweiungsbegriffs zum Ausdruck kam. Gegenüber der Konzentration der ritterschen Hegelinterpretation auf Entzweiung und bürgerliche Gesellschaft wurde in diesem Zusammenhang nachdrücklich an den zentralen systematischen Stellenwert erinnert, der bei Hegel selbst der Kategorie der Versöhnung zukommt.86 Im Zuge der entsprechenden systematischen Bestrebungen, angesichts vermeintlicher Krisen- und Verfallserscheinungen der modernen liberalen Gesellschaft erneut die Versöhnungspotentiale von Nation und Religion zur Geltung zu bringen, konnte man sich konsequenterweise durchaus affirmativ auf Schmitts partikularistisches Politikverständnis87 oder seine politische Theologie88 beziehen und insofern mitunter als echter Gesinnungsschmittianer durchgehen.89 Andererseits zeigen sich im Laufe der 1960er Jahre zeitweise auch Ansätze einer ‚ritterschen Linken‘, die an Ritters hegelianischer Deutung der modernen bürgerlichen Industriegesellschaft im Zeichen der Vollendung der Weltgeschichte den kritischen Stachel und das auf praktische Veränderung ausgerichtete Geschichtsbewusstsein vermisste und die Auseinandersetzung mit ihr so unter gleichsam spiegelverkehrten Vorzeichen suchte.90 In dieser Stoßrichtung wurden insbesondere bei Jürgen Seifert verschiedentlich Umrisse eines „Linksschmittianismus“ ausgemacht, der an entsprechende Positionen aus der Spätzeit der Weimarer Republik91 anknüpft92 und sie für die teils heftig 86
Vgl. Rohrmoser, Subjektivität und Verdinglichung (wie Anm. 79), S. 85 f. Vgl. Bernard Willms, Selbstbehauptung und Anerkennung. Grundriß einer politischen Dialektik, Opladen 1977, S. 18 f. 88 Vgl. Günter Rohrmoser, Religion und Politik in der Krise der Moderne, Graz u. a. 1989, S. 72–92. 89 Vgl. Bernard Willms, Carl Schmitt – Jüngster Klassiker des politischen Denkens?, in: Helmut Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaft Speyer, Berlin 1988, S. 577–597, hier: 595 f. 90 Vgl. etwa Hans Jörg Sandkühler, Praxis und Geschichtsbewusstsein. Studie zur materialistischen Dialektik, Erkenntnistheorie und Hermeneutik, Frankfurt a. M. 1973, S. 374 f. 91 Vgl. Reinhard Mehring, Otto Kirchheimer und der Links-Schmittismus, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Der Staat des Dezisionismus. Carl Schmitt in der internationalen Debatte, Baden-Baden 2007, S. 60–82. 92 Vgl. allerdings Seifert, Beobachtungen eines Außenseiters (wie Anm. 82), S. 126; dazu auch ders., Theoretiker der Gegenrevolution. Carl Schmitt 1888–1985, in: Kritische Justiz 2, 1985, S. 193–200. 87
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geführten zeitgenössischen Kontroversen um Notstandsgesetzgebung, Außerparlamentarische Opposition und Linksterrorismus produktiv macht.93 Zwischen diesen beiden Polen bildeten vor allem Ernst-Wolfgang Böckenförde, Martin Kriele und Hermann Lübbe, aber auch Odo Marquard und Robert Spaemann, eine breite Mitte, in der „Carl Schmitt liberal rezipiert“94 wurde. Dabei mag Joachim Ritter durchaus die normativen Prämissen bereitgestellt haben, unter denen sich der Rezeptionsprozess vollzog, und damit auch das Selektionskriterium, mit dessen Hilfe sich seine Schüler daran machten, „alles zu prüfen und das Gute zu behalten“95. Ein Grundmuster dieser eklektischen Aneignung bestand jedenfalls darin, Schmitts schneidende Liberalismuskritik gleichsam umzupolen und zu Gunsten der modernen, bürgerlichen Gesellschaft und des freiheitlichen Rechtsstaats zu wenden, über dessen weltgeschichtliche Bedeutung man sich im Münster der 50er Jahre in Ritters Vorlesungen die Augen öffnen lassen konnte. Aus Sicht der ritterschen Mitte hatte Schmitt „die Genesis des Liberalismus plausibel beschrieben; es blieb lediglich nachzuholen, diese Genesis zu bejahen.“96 Unter dem Eindruck ‚politischer‘ Tendenzen der Zeit um 1968, die in außerparlamentarischer Opposition und Linksterrorismus auf eine Art Kriegserklärung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der BRD hinauszulaufen schienen, musste eine solche Bekräftigung des in ihr bereits erreichten liberalen Status quo nur umso dringlicher erscheinen. Dabei mochte man sich zwecks ‚modernitätstraditionalistischer‘97 Verteidigung einer Ordnung, deren Legitimität nicht mehr eigens zur Disposition gestellt, sondern schlicht vorausgesetzt wird, beim antimodernen Dezisionisten Schmitt theoretisch durchaus effektiver munitionieren können als beim modernen „Ambivalenzdenker“98 Ritter. Jedenfalls wurden die von Schmitt ursprünglich in liberalismuskritischer Absicht eingeführten Konzeptionen nach dem vorgezeichneten liberalen Rezeptionsmuster etwa im Sinne souveräner Rechtsstaatlichkeit verfassungsrechtlich fruchtbar gemacht wie sein Begriff des Politischen99, mit 93 Vgl. ders., Kampf um Verfassungspositionen. Materialien über Grenzen und Möglichkeiten von Rechtspolitik, Köln, Frankfurt a. M 1974. 94 Hermann Lübbe, Carl Schmitt liberal rezipiert, in: Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum (wie Anm. 89), S. 427–440, hier: S. 428. 95 Ebd. 96 Ebd., S. 431 f. 97 Odo Marquard, Zeitalter der Weltfremdheit? Beitrag zur Analyse der Gegenwart, in: ders., Apologie des Zufälligen. Philosophische Studien, Stuttgart 1986, S. 76–97, hier: S. 94. 98 Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit (wie Anm. 6), S. 39. 99 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum (wie Anm. 89), S. 301–318.
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Blick auf die Verfahrenslegitimät demokratischer Mehrheitsentscheide parlamentarismustheoretisch eingefasst wie sein Dezisionismus100 oder unter umgekehrten geschichtsphilosophischen Wertvorzeichen integriert wie sein Bild der fortschreitenden Neutralisierung politischer Kampfschauplätze.101 Auf diese Weise wurde Carl Schmitt unter ritterschen Prämissen – sowohl von echten Gesinnungsschmittianern als auch von ihren linken Opponenten102 argwöhnisch beäugt – „für den Hausgebrauch der Bundesrepublik“103 anschlussfähig gemacht. Briefe 1. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11644 1956 Jan. 7
Münster i. W., den 7.1.1956 Setürnerstr. 20 Hochverehrter Herr Schmitt! Unser gemeinsamer Freund Johannes Winckelmann104 übermittelte mir in diesen Tagen Ihre Bemerkungen105 zu Jüngers Schrift „Der gordische Knoten“106. Ich danke Ihnen herzlich für die freundliche Gabe, die für mich nun die persönliche Verbindung zu dem Manne herstellt, dessen Deutung der staatlichen und gesellschaftlichen Welt mich seit langem und immer wieder intensiv beschäftigt hat. Was Sie zu Jünger sagen, trifft vor allem im Kritischen genau das, was meiner Meinung nach zu dieser Schrift gesagt werden muß. Wenn das geschichtlich Besondere und Einmalige im Allgemeinen verschwindet, ist dies nicht weniger bedenklich, als wenn umgekehrt (was häufiger ist) das Allgemeine in dem positiv isolierten Besonderen untergeht. Ich lese in diesem Jahr Gesellschaftsphilosophie107 und bin in den letzten Wo100
Vgl. Lübbe, Carl Schmitt liberal rezipiert (wie Anm. 94), S. 435 f. Vgl. Odo Marquard, Artikel „Neutralisierungen, Zeitalter der“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter/Karlfried Gründer, Band 6, Basel 1984, Sp. 781 f. 102 Vgl. Jürgen Habermas, Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der Bundesrepublik, in: ders., Die Normalität einer Berliner Republik, Frankfurt a. M. 1995, S. 112–122. 103 Robert Hepp in einer Diskussionsbemerkung zu Böckenförde, Begriff des Politischen (wie Anm. 99), S. 310. 104 s. Anm. 26. 105 Schmitt, Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes (wie Anm. 27). 106 Jünger, Der gordische Knoten (wie Anm. 28). 101
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chen dabei, die klassische politische Ökonomie zu interpretieren. Da stieß ich bei Smith108 wieder auf den von Ihnen wohl zuerst herausgehobenen Gegensatz von Meer und Land, der mir zuerst durch Ihre Leviathan-Interpretation109 nahegebracht worden ist. Und nun spinnen sich die Fäden dieser hintergründigen Beziehung in Ihrer Auseinandersetzung mit Jünger bis zur Gegenwart fort. Es ist für mich ein seltsames Zusammentreffen, daß ich selber durch die Erfahrungen, die ich während eines zweijährigen Aufenthaltes in der Türkei mit den Problemen der „Europäisierung“ gemacht habe, zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Jüngers Europa-Asien-Theorie geführt wurde. Eine kleine Arbeit hierüber ist jetzt in Druck gegangen.110 Ich werde mir erlauben, sie Ihnen zuzuschicken, sobald sie vorliegt. Vielleicht wird sich, sehr verehrter Herr Schmitt, die Gelegenheit zu einer persönlichen Begegnung einmal ergeben. Ich würde dann froh sein, Ihnen für alles das persönlich danken zu können, was ich Ihnen geistig im Felde der geschichtlichen und politischen Theorie in langen Jahren schuldig geworden bin. In Verehrung verbleibe ich Ihr Ihnen sehr ergebener Joachim Ritter
2. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg, 9/2 56 Sehr verehrter Herr Ritter, Ihr Schreiben vom 7. Januar erhielt ich nach meiner Rückkehr von einer Reise in der ersten Januar-Hälfte, auf der ich auch Winckelmanns in Oberursel besucht habe. Ich habe mich über Ihre freundlichen Worte ganz außerordentlich gefreut und hätte Ihnen schon längst geantwortet, wenn ich nicht in den letzten drei Wochen völlig davon absorbiert gewesen wäre, ein Manuskript satzfertig zu machen und mit dem Verleger über ein Zitat zu disku107 Joachim Ritter, Die Emanzipationstheorie der bürgerlichen Gesellschaft und Hegel (Vorlesung WS 1955/56), DLA Marbach, Nachlass Ritter (Bestand LamsfußBuschmann III,32). 108 Adam Smith (1723–1790), schottischer Philosoph, Vordenker der klassischen Nationalökonomie. Vgl. z. B. Karl Ballestrem, Adam Smith, München 2001. 109 Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Hamburg 1938. 110 Ritter, Europäisierung als europäisches Problem (wie Anm. 30).
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tieren. Jetzt ist es soweit. Obwohl es sich nicht um ein dickes Buch handelt, sondern nur um eine Abhandlung von etwa 80 Druckseiten Oktav (über Hamlet und den Einbruch der Zeit in das Spiel)111, war ich doch völlig okkupiert. In meinem Alter wird jeder Satz und jedes Wort zu einem ungeheuerlichen Problem. Ich habe mich besonders darüber gefreut, daß Sie eine persönliche Begegnung in Aussicht stellen, und ich möchte Ihnen vor allem sagen, daß ich immer bereit bin und im Laufe der nächsten 2 Monate auch gerne nach Münster komme, um Sie zu sehen, ebenso wie ich mich freuen würde, Sie hier im Sauerland bei mir zu begrüßen. Die Gesprächs-Themen, die nach Ihrem Schreiben vom 7. Januar und nach meiner – nur sehr lückenhaften – Kenntnis Ihrer Arbeiten zwischen uns fällig sind, lassen sich brieflich kaum auch nur ausdrücken. Besonders begierig bin ich auf Ihre Erfahrungen mit der „Europäisierung“ der Türkei und Ihre Auseinandersetzung mit Ernst Jüngers Europa-Asien-Theorie. Es tut mir leid, daß ich Ihre Vorlesungen über Gesellschafts-Philosophie und die Ergebnisse Ihres Studiums der klassischen politischen Ökonomie nicht einfach als Hörer vernehmen kann. Das wäre für mich der schnellste und sicherste Weg zum Verständnis. Darf ich mir noch erlauben, meinen Aufsatz „Nehmen/Teilen/Weiden“112 beizufügen, eine Art Corollarium zu meinem Buch über den „Nomos der Erde“113, ein Versuch, der die lebhafte Zustimmung des verstorbenen Nationalökonomen Carl Brinkmann114 (gestorben Mai 1954 in Tübingen) gefunden hat, was mir den Mut gibt, Sie zu bitten, die angemarkten Stellen doch einmal zu überfliegen und sich durch die – bei italienischen Setzern unvermeidlichen – Druckfehler nicht stören zu lassen. Ich grüße Sie herzlich und hoffe auf ein gutes Gespräch mit Ihnen, für das ich Ihnen sehr dankbar bin. Ihr sehr ergebener Carl Schmitt. 111
Carl Schmitt, Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel, Düsseldorf/Köln 1956. 112 Carl Schmitt, Nehmen/Teilen/Weiden. Ein Versuch, die Grundfragen jeder Sozial- und Wirtschaftsordnung vom Nomos her richtig zu stellen, in: Gemeinschaft und Politik. Zeitschrift für soziale und politische Gestaltung 1, 1953, H. 3, S. 17–27. Bei dem Ritter zugeschickten Druck dürfte es sich um die italienische Ausgabe handeln (Revue internationale de sociologie I/1, Roma 1954). 113 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln 1950. 114 Carl Brinkmann (1885–1954), deutscher Soziologe und Volkswirt (gestorben am 20. Mai 1954 in Oberstdorf). Vgl. Reinhard Blomert, Intellektuelle im Aufbruch. Karl Mannheim, Alfred Weber, Norbert Elias und die Heidelberger Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit, München 1999, S. 26 f.
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3. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg, 10/4 56 Sehr verehrter Herr Joachim Ritter! Ihren Aufsatz aus der Alfred-Petzelt-Ehrengabe „Das bürgerliche Leben. Zur aristotelischen Theorie des Glücks“115 habe ich mit großem Gewinn gelesen und lese ich mehrmals wieder. Es ist eine überaus dichte, in sich selbst wie im verarbeiteten Material sehr gedrängte Erörterung eines umfassenden Themas, das zahllose weitere Probleme enthält. Mir fällt die Feder aus der Hand, wenn ich das bedenke. Ich schreibe Ihnen heute in lebhafter Dankbarkeit nur einige Punkte, die Ihnen zeigen mögen, wie fruchtbar Ihre Arbeit für einen Juristen des öffentlichen Rechts werden kann, wenn er sich die Mühe gibt, Ihre Darlegungen in sich aufzunehmen. Dabei greife ich mir einige Einzelheiten fast impressionistisch heraus, um nicht in den unabsehbaren Strom systematischer Erwägungen hinein zu geraten. Das Wort vom „tätigen Lebensvollzug“ (S. 61 u. ö.) hat mich deshalb getroffen, weil mir klar wird, daß das Problem des Verfassungsvollzugs, das mich aus sehr konkretem Anlaß beschäftigt,116 durch diesen philosophischen Bezug bedeutend vertieft wird. Das Vollzugsproblem (ein Zentralproblem jeder Rechtsphilosophie) ist durch den subalternen Normativismus des letzten Jahrhunderts mechanisiert und auseinandergeschnitten worden, etwa so, daß der Richter das Gesetz vollzieht wie der Bahnwärter den Eisenbahnfahrplan. Die Aktualisierung eines „Natur“-Kernes gehört dazu. Das ist die Verfassung (im Sinne von Polis, nicht von Taxis). Ich denke gerade über das große Thema der verfassunggebenden Gewalt nach und finde in Ihrem Aufsatz große Anregungen. Es ist mir gelungen, in meinem Fach die Unterscheidung von Verfassung und Verfassungsgesetz durchzusetzen (Verfassungslehre §§ 8–11)117; das hat große Auswirkungen zur Folge gehabt und wird sie noch haben. Ihr Aufsatz kam mir wie ein Bote als philosophischer Zuruf. Denn das Thema ist schwer. Die bisherige demokratische Lehre: potestas constituens – potestas constituta ist reiner Spinozismus: natura naturans – natura naturata. Dann traf mich der Satz S. 67/83 vom „Ort“: die Polis ist der „Ort“ der Philosophie. Darf ich Sie bitten, die Anmerkung auf S. 20, 21 meines „Nomos der Erde“118 über topos einmal zu lesen? Sie 115 116 117 118
Ritter, Das bürgerliche Leben (wie Anm. 56). Schmitt, Rechtsstaatlicher Verfassungsvollzug (wie Anm. 52). Carl Schmitt, Verfassungslehre, München/Leipzig 1928, S. 87–121. Schmitt, Nomos der Erde (wie Anm. 113).
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
richtet sich unausgesprochen gegen die m. A. nach flache Behandlung des topos-Problems durch E. R. Curtius119, der nicht einmal die thèse von E. Thionville, Paris 1855120 kennt, aus der er viel hätte lernen können. Ferner beschäftigt mich natürlich, was Sie S. 86 über das „Haus“ sagen. Ich wäre glücklich, von Ihnen einmal ex professo etwas über das Verhältnis von oûkoò und püliò zu hören; ich meine, eine eigene Darstellung dieses Verhältnisses. oûkoò ist der topos der Monarchie; püliò der Herrschaft von Vielen usw. Dann oûkoò als Gegensatz zu Schiff; ein unheimliches Thema, wenn man es in seiner ganzen weltgeschichtlichen und philosophischen Konkretheit sieht, das ein antiker Mensch noch nicht ahnen konnte. Ich könnte noch viele Themen aus Ihrem Aufsatz aufgreifen, z. B. die platonische Herrschaft der Philosophen im Zusammenhang mit der Tyrannis. Es wird mir aber schwer, soviel zu schreiben[,] und ich möchte Sie nur bitten, diese sehr flüchtigen Andeutungen nur als Symptom des sehr lebhaften Wunsches nach einem Gespräch aufzufassen. Das Schlimmste ist, daß alle philosophischen Themen bei mir sofort in den Zusammenhang sehr konkreter und aktueller verfassungsrechtlicher Fragen hereingeraten, also in das, was Sie das „Dieses“ nennen (S. 82) und wovon sich die meisten Philosophen gern ins „Allgemeine ohne das Dieses“ zurückziehen, am schlimmsten die das sogenannte Naturrecht traktierenden Philosophen und – noch schlimmer – die Theologen. Also vielen Dank für die freundliche Zusendung des Aufsatzes und seine Widmung121! Ich weiß nicht, was ich Ihnen als Dank schicken soll. Wenn Sie die Verfassungslehre noch nicht besitzen, möchte ich Ihnen ein Exemplar des 1954 erschienenen Neudrucks122 übersenden, natürlich auch gern den Nomos der Erde123. In 2–3 Wochen erscheint eine Abhandlung Hamlet oder Hekuba, der Einbruch der Zeit in das Spiel124, die Sie sofort nach Erscheinen erhalten. Mit den besten Grüßen und in aufrichtiger Verehrung Ihr Carl Schmitt. 119 Vgl. Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1948. 120 Eugène Thionville, De la théorie des lieux communs dans les Topiques d’Aristote et des principales modifications qu’elle a subies jusqu’à nos jours, Paris 1855. 121 „Herrn Professor Carl Schmitt in dankbarer Verehrung. 29/3 56 Joachim Ritter“ (LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 23962). 122 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 2. Aufl., Berlin 1954. 123 Schmitt, Nomos der Erde (wie Anm. 113). 124 Schmitt, Hamlet oder Hekuba (wie Anm. 111).
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4. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg 6/6 56 Sehr verehrter Herr Professor Ritter, hier übersende ich Ihnen ein Exemplar meines Hamlet-Hekuba-Büchleins mit der Bitte, es als kleine Gegengabe für Ihren großen Aristoteles-Aufsatz anzusehen, obwohl es von der „Umwelt“ dieses Aufsatzes ganz – ich hätte beinahe gesagt: toto coelo125 – verschieden ist. Doch werden Sie aus dem 2. Exkurs S. 62 entnehmen können, daß ein Zusammenhang mit „Staat“ und Polis trotzdem besteht und die Gegengabe insofern nicht völlig beziehungslos ist. Ich habe soeben die von Joh. Winckelmann herausgegebene „Staatssoziologie“ Max Webers126 erhalten, zu meiner großen Freude, und lese mit Eifer darin herum. Oft empfinde ich den lebhaften Wunsch, die ganz außerordentliche Editions-Leistung, die unser gemeinsamer Freund für das Werk Max Webers erbracht hat, in der größeren Öffentlichkeit gewürdigt zu sehen. Diese Leistung wirkt auf dem Hintergrund der heute herrschenden Unredlichkeit umso großartiger. Ich wollte Sie in diesem Zusammenhang noch darüber informieren, daß die Erwähnung eines Briefes von W. Benjamin auf S. 64 nur ein Akt der Notwehr ist.127 In der kürzlich bei Suhrkamp erschienenen Ausgabe von W. Benjamins Schriften durch Prof. Adorno in Frankfurt, ist nämlich mein Name, den Benjamin korrekt zitiert hat, einfach gestrichen worden.128 Aus solchen Fälschungen machen die heutigen Editoren sich kein Gewissen mehr. Doch ist das nur eine á propos-Bemerkung, die durch den großen Eindruck der gegenteiligen Qualitäten von Winckelmanns 125
Lat.: „Soweit der Himmel reicht“. Max Weber, Staatssoziologie. Zweite, durchgesehene und ergänzte Auflage, hrsg. von Johannes Winckelmann, Berlin 1956. 127 Vgl. den Brief Walter Benjamins an Carl Schmitt vom 9.12.1930, in dem er den Einfluss von Schmitts Schriften auf seine Arbeit zum Ursprung des Deutschen Trauerspiels herausstreicht; zuerst abgedruckt in der Dissertation von Hans-Dietrich Sander, Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie, Basel/Tübingen 1970, S. 173. Der Brief löste später eine Auseinandersetzung über die Beziehungen zwischen dem Denken Schmitts und dem Benjamins aus und spielte auch in der Kontroverse über Schmitts Einfluss auf die Kritische Theorie eine Rolle. Zu Schmitt und Benjamin vgl. Susanne Heil, Gefährliche Beziehungen. Walter Benjamin und Carl Schmitt, Stuttgart 1996; Ausgangspunkt der breiteren Kontroverse war Ellen Kennedy, Carl Schmitt und die Frankfurter Schule. Deutsche Liberalismuskritik im 20. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 12, 1986, S. 380–419. 128 Walter Benjamin, Schriften, 2 Bde., hrsg. v. Theodor W. Adorno/Gretel Adorno, Frankfurt a. M. 1955. 126
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
Herausgeber-Arbeit veranlaßt ist, von der ich aufs lebhafteste wünsche, daß sie verdientermaßen anerkannt und nicht in dem zu erwartenden Gerede der bisherigen Editoren zerredet wird (was ich manchmal befürchte). Ich bleibe mit den besten Grüßen und Wünschen Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt. 5. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11645 1956 Juni 16
Münster Zumsandeplatz 36, den 16.6.56 Sehr verehrter Herr Kollege Schmitt, ich muss sehr um Nachsicht dafür bitten, dass ich Ihnen für Ihren „Hamlet“ und Ihren freundlichen Brief noch nicht dankte; ich tue es auch heute in Eile und bedrängt von den vielfältigen Anforderungen des Tages; eine Hegel-Arbeit hat mich völlig in den letzten Wochen mit Beschlag belegt, aber nun ist das Gröbste getan und ich werde auch den Kopf für die gründliche Lektüre des „Hamlet“ freihaben, auf die ich mich freue. Aufs Tiefste berührt mich Ihr eigentliches Anliegen, das Politische, die geschichtliche Wirklichkeit als – wie Hegel sagt – „vorhandene Wirklichkeit der Vernunft, die Idee“129 zu begreifen. Das ist in Wahrheit die Achse, um die sich alles dreht in einer Zeit, in der beides, Geist und Wirklichkeit, auseinandergetrieben, in der Beziehungslosigkeit aufeinander beide deformieren, der Geist zum romantischen Spiel und Wehruf über die schlechte Wirklichkeit, und die gesellschaftlich geschichtliche Wirklichkeit herabgewürdigt zur Geistlosigkeit abstrakter sozialer Vorgänge. Ihre Nomos-Abhandlung bringt die Dinge genau auf den Punkt, an dem die Einheit aufleuchtet, in der die elementaren Prozesse des Geschichtlichen und das „Sittliche und Rechte“ (nümoò) in dem „was ist“ dasselbe sind, und dies so, dass die verhängnisvolle Reduktion auf die eine oder die andere Seite verhindert und die Tiefe der Wirklichkeit selbst sichtbar wird. Es gibt, glaube ich, auch im Politischen die Schicht der „Bewegung im Grunde“, im Verhältnis zu der der Wechsel der herrschenden Richtungen und ihre Vielfalt sekundär werden, weil nicht sie die Sache selbst sind, die in ihnen treibt und die Richtung bestimmt. Wer 129 Vgl. z. B. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, in: ders., Jenaer Schriften 1801–1807, hrsg. v. Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel (= Werke in 20 Bänden, Bd. 2), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1996, S. 9–138, hier: S. 26 f.
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wie Sie diese Schicht begreift und aus ihr und über sie spricht, muss mit solchen Fälschungen rechnen, wie Ihr Brief sie andeutet; sie gehören zu dem unbeirrbaren Festhalten der Sache. Was ist dafür zu tun, dass Winckelmanns Herausgebertätigkeit richtig gewürdigt wird? Ich selbst kann es nicht tun, weil ich nicht genügend der erforderlichen Kenntnisse in dem Felde der inneren Entwicklung von Webers Schriften habe, es ist auch niemand in meinem Kreise, den ich hierfür nennen könnte; aber ich will mich umsehen. In dem „Lesekreis“ meines Collegiums hat kürzlich ein junger Jurist130 verständig und sorgfältig über Ihre letzten Arbeiten berichtet; ich will ihn jetzt bitten, Ihren „Hamlet“ nachzulegen. Verzeihen Sie die Eile, in der ich Ihnen schreibe, ich grüsse Sie in Verehrung als Ihr Ihnen sehr ergebener Ritter. 6. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11646 1956 Juli 25
25.7.1956 Sehr verehrter Herr Kollege Schmitt, die beigefügte kleine Abhandlung131 faßt einige Erfahrungen zum Problem der Modernisierung und Europäisierung zusammen, die ich während meines zweijährigen Aufenthaltes in der Türkei gemacht habe. Ihr Anfang ist eine Auseinandersetzung mit Jüngers „Gordischem Knoten“132, die, wie ich glaube, nicht ohne Zusammenhang mit den Problemen ist, die Sie in Ihrer Auseinandersetzung mit dem gleichen Buch zur Sprache gebracht haben. Die Abgabe des Manuskripts für die Drucklegung erfolgte schon im letzten Dezember, so daß ich nicht mehr dazu gekommen bin, die mir später bekannt gewordene Literatur zum gleichen Problem nachzutragen. Ich sende Ihnen diese Abhandlung, um Ihnen meine Verehrung auf das herzlichste zu bezeugen, und verbleibe mit aufrichtigen Grüßen und Wünschen Ihr Ihnen sehr ergebener Joachim Ritter 130 Jürgen Seifert, Dezision und Nomos in den Nachkriegsschriften von Carl Schmitt, Vortrag im SS 1956 im Münsteraner Collegium Philosophicum. Vgl. ders., Joachim Ritters „Collegium Philosophicum“ (wie Anm. 73), S. 192. 131 Ritter, Europäisierung als europäisches Problem (wie Anm. 30). 132 Jünger, Der gordische Knoten (wie Anm. 28).
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
7. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
neujahrsgruss 1957133 links:
rechts:
jetzt ist die zeit gekommen
wie ist mein herz beklommen
die alles unrecht heilt
wie sind wir eingekeilt
es wird nicht mehr genommen
es wird nicht mehr genommen
es wird nur noch geteilt
es wird nur noch geteilt Herrn Professor Joachim Ritter, mit herzlichem Dank für seine Aufsätze (auf die ich noch eingehend antworten werde) und mit allen guten Wünschen für das kommende Jahr, von dem ich mir eine persönliche Begegnung erhoffe. 30/12 56 Carl Schmitt.
8. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAN NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11647 1957 Jan. 6
6.1.1957 Sehr verehrter Herr Kollege Schmitt! Für Ihren dialektischen Neujahrsgruß danke ich Ihnen von Herzen. Er gibt nun den Anstoß zu dem Brief an Sie, den ich seit langem schreiben will. In diesem Wintersemester besteht mein Collegium Philosophicum zehn Jahre. Es ist der Kreis der Schüler und derer, die nun in der Philosophie und in anderen Fächern promoviert haben, Assistenten an hiesigen Instituten sind oder in einer anderen beruflichen Tätigkeit stehen. Sie sind zusammengeblieben und kommen regelmäßig am Freitagabend zusammen zu philosophischer Arbeit und Diskussion, die in diesem Winter Hegels Logik zum Gegenstand hat. Es gibt auch ein paar jüngere Studenten darunter, die mir durch ihre lebhafte Teilnahme und ihre Begabung aufgefallen sind und 133 Abgedruckt unter dem Pseudonym Erich Strauss in: Rüdiger Altmann/Johannes Gross (Hrsg.), Die neue Gesellschaft. Bemerkungen zum Zeitbewusstsein, Stuttgart 1958, S. 68.
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die ich so aus der großen Masse der Studierenden herausgenommen habe. Das Besondere des Kreises liegt vielleicht darin, daß so viele seiner Mitglieder nun durch Jahre zusammengeblieben sind. Unter ihnen zwei, die seit 1946, seitdem ich hier meine Lehrtätigkeit begonnen habe, dabei sind. Dieses „Jubiläum“ möchten wir feiern. Und nun wage ich, Ihnen die Bitte vorzutragen, die das Collegium mit mir auf dem Herzen hat: Wir möchten Ende des Semesters ein kleines „Symposion“ veranstalten; und wir bitten Sie, dafür nach Münster zu kommen, um uns in diesem Kreis einen Vortrag zu halten. Ich weiß, daß diese Bitte vielleicht unbescheiden ist: Der Kreis ist klein, und wir wollen auch davon absehen, dem geplanten „Symposion“ durch Einladung von Gästen einen offizielleren Charakter zu geben. Das würde dem persönlichen Sinn und Stil des Kreises nicht entsprechen, und Sie können sicher sein, verehrter Herr Kollege Schmitt, daß Sie dankbare und aufmerksame Zuhörer haben werden. Wir haben uns in den letzten Jahren immer wieder mit Fragen der Gesellschaft, des Staates, der Geschichte etc. beschäftigt. In dem zum Collegium gehörenden Lesekreis hat uns im vergangenen Semester ein junger Jurist zusammenhängend über Ihre Schriften berichtet134, und es ist so kein Zufall, daß wir gerade Sie bitten, uns mit einem Vortrag zu erfreuen, dessen Thema natürlich ganz Ihrer Wahl überlassen bleibt, wenn uns auch alles, was mit dem Umkreis des „Nomos“ zu tun hat, besonders willkommen sein würde. Ich möchte zu dem gleichen Tage auch unseren gemeinsamen Freund Dr. Johannes Winckelmann einladen. Ich bitte ihn, über das Problem des modernen Staates bei Max Weber zu sprechen. Wir denken dabei so zu disponieren, daß vielleicht Winckelmann am Vormittag und Sie am Nachmittag sprechen werden. Für diese Sitzungen stehen jeweils etwa 2 ½ bis 3 Stunden zur Verfügung. Es wäre schön, wenn Zeit für eine anschließende Diskussion freibleibt. Am Abend wollen wir in einfachster Form gesellig beisammen sein. Leider kann ich heute noch nicht ein genaues Datum vorschlagen, da wir erst in der nächsten Sitzung des Collegiums sehen müssen, wann seine Teilnehmer können. Unsere Absicht ist, für diese Veranstaltung Montag, den 4.3.57 zu nehmen und nur dann, wenn die Mitglieder nach Beginn der Semesterferien nicht mehr zur Verfügung stehen sollten, auf Sonntag, den 24.2.57 zu gehen. Ich darf aber vielleicht heute schon fragen, ob Sie für diese Zeit eine Zusage geben können. 134
s. Anm. 130.
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
Der bisherige Rektor hat mir für dieses „Symposion“ eine Summe zur Verfügung gestellt, die es mir freilich zu meinem Bedauern nicht ermöglicht, ein entsprechendes Honorar anzubieten. Doch kann ich Ihnen insgesamt 200 DM übermitteln, die dafür ausreichen dürften, Reisekosten, Unterkunft etc. zu bestreiten. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß ich gleichwohl an Sie die Bitte richte zu kommen. Ich bin davon überzeugt, daß für das Fortbestehen des Geistes die kleinen persönlichen Kreise, wie Inseln lebendiger Kontinuität, wichtig sind. Aber zu ihnen gehört freilich konstitutiv, daß sie nicht über die Mittel verfügen, die Sie in einem öffentlichen Sinn angebotsfähig machen. Für eine kurze gelegentliche Antwort wäre ich sehr dankbar, von der ich hoffe, daß sie eine Zusage enthalten wird. In aufrichtiger Verbundenheit und herzlicher Verehrung Ihr Ihnen sehr ergebener Joachim Ritter
9. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg 13/1 57 Sehr verehrter Herr Prof. Ritter! Für Ihr Schreiben vom 6. Januar und die freundliche Jubiläums-Einladung zum Ende des Semesters sage ich Ihnen meinen herzlichen Dank. Ich folge der Einladung sehr gerne und kann mir Ende Februar oder Anfang März die Ihnen passenden Tage ohne weiteres frei halten. Das Thema Nomos oder Nomos der Erde würde ich gern behandeln, weil es sich mit den anderen Themen eines solchen Symposions und Colloquiums gut verbinden läßt. Auf die Begegnung mit Ihnen und Johannes Winckelmann freue ich mich ganz besonders. Ihre 4 Aufsätze – Vom bürgerlichen Leben, Europäisierung als Europäisches Problem, Experiment und Wahrheit beim Kunstwerk135, und das Wesen der Philosophie136 – haben eine Fülle von Gedanken in mir wachgerufen und, in Gedanken, zu lebhaften Gesprächen mit Ihnen geführt. Leider 135
Joachim Ritter, Experiment und Wahrheit im Kunstwerk, in: Stahl und Eisen 73, 1953, S. 92–99. 136 Joachim Ritter, Wesen der Philosophie, in: Leo Brandt (Hrsg.), Aufgaben deutscher Forschung, Köln/Opladen 1952, S. 65–71.
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wird bei mir mit zunehmendem Alter der Weg zur schriftlichen Fixierung immer langsamer und mühseliger. Umsomehr freue ich mich auf meinen Besuch in Münster und die damit gegebene Möglichkeit eines persönlichen Gesprächs. Ich würde Ihnen aber auch, unter dem Eindruck Ihres Aufsatzes über das Kunstwerk, gern einmal hier in Plettenberg meine Bilder (von E. W. Nay137, Werner Held138, Werner Gilles139 u. a.) zeigen. Das Thema Ihres Aufsatzes über Europäisierung interessiert mich auch in der türkischen Anwendung; dafür finden Sie in meinem (1944 gehaltenen, 1950 gedruckten) Vortrag über „die Lage der Europäischen Rechtswissenschaft“ auf Seite 9 Anm. 4 ein hübsches Beispiel.140 Ich habe übrigens auch den Vortrag im Rhein-Ruhr-Klub veranlaßt, der nächsten Mittwoch stattfindet.141 Daß Sie dabei anwesend sein könnten, wage ich allerdings nicht zu hoffen. Ich bedaure das, denn ich bin sicher, daß es sich um eine überaus lebhafte Auseinandersetzung handeln wird. Mit A. Kojève stehe ich seit 2 Jahren in Briefwechsel. Sie müssen mir verzeihen, sehr verehrter Herr Professor Ritter, daß ich mich in meiner heutigen Antwort mit einigen Andeutungen begnüge. Ich habe im Augenblick ausländischen Besuch, und muß – nach dem Vortrag Kojève in Düsseldorf – am folgenden Montag in Aachen an der Technischen Hochschule einen Vortrag über „Hamlet als mythische Figur der Gegenwart“142 halten, wofür ich meine Neigung zu kontemplativer Unbeweglichkeit mit einer Extra-Kraft-Anstrengung überwinden muß. Ich bleibe mit meinem Dank für Ihre ehrenvolle Einladung und mit verehrungsvollen Grüßen stets Ihr Carl Schmitt.
137 Ernst Wilhelm Nay (1902–1968), dt. Maler. Vgl. Elly Nay, Ein strahlendes Weiss. Meine Zeit mit E. W. Nay, Berlin, Köln 1984. 138 Werner Heldt (1904–1954), dt. Maler und Grafiker. Vgl. Wieland Schmied, Werner Heldt, Köln 1976. 139 Werner Gilles (1894–1961), dt. Maler. Vgl. Alfred Hentzen, Werner Gilles, Köln 1960. 140 Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (wie Anm. 58). 141 Am 16.1.1957 sprach Alexandre Kojève im Düsseldorfer Rhein-Ruhr-Klub. Vgl. Alexandre Kojève, Düsseldorfer Vortrag: Kolonialismus in europäischer Sicht, in: Schmittiana 6, 1998, S. 126–143. 142 Carl Schmitt, Hamlet als mythische Figur der Gegenwart, Vortrag am 21.1.1957 an der RWTH Aachen. Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 2), S. 503.
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
10. Joachim Ritter an Carl Schmitt DLA Marbach, Nachlass Ritter
15.1.1957 Sehr verehrter Herr Kollege Schmitt! Über Ihren freundlichen Brief und Ihre Zusage, bei dem geplanten „Symposion“ zu uns zu sprechen, habe ich mich sehr gefreut, und ich danke Ihnen herzlich. Leider haben meine jungen Freunde mit dem Datum Unsinn gemacht. Der von ihnen vorgeschlagene 4.3. ist Rosenmontag und so denkbar ungeeignet. Darf ich jetzt fragen, ob Ihnen Samstag, der 9.3. ebenso recht ist? Falls ich nichts von Ihnen höre, rechne ich mit Ihrem Einverständnis. In das Einladungsschreiben, das ich unseren auswärtigen Mitgliedern schicke, möchte ich gern die Vortragsthemen aufnehmen. Darf ich Sie bitten, mir die genaue Formulierung Ihres Themas kurz mitzuteilen? Leider ist es mir ganz unmöglich, morgen an dem Vortrag von Kojève teilzunehmen. Der Gegenstand hätte mich außerordentlich interessiert. Mit nochmaligem Dank und in herzlicher Verehrung Ihr Ihnen ergebener Ri
11. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg 25/1 57 Sehr verehrter Herr Professor Ritter, vielen Dank für Ihr Schreiben vom 15. Januar! Ich merke mir also vor: Samstag, den 9. März. Das Thema möchte ich so formulieren: Der heutige Nomos der Erde. Mit vielen verehrungsvollen Grüßen Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt.
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12. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11648 1957 Feb. 28
28.2.1957 Hochverehrter Herr Kollege Schmitt! Darf ich heute schnell anfragen, wann Sie zu Ihrem Vortrag in unserem Kreise nach Münster kommen werden, damit ich Ihnen rechtzeitig ein Hotelzimmer belegen und Sie selbst abholen oder abholen lassen kann. Das Programm für den Samstag, 9.3., (ich darf das wiederholen) sieht vor, daß Johannes Winckelmann am Vormittag um 10,15 Uhr zum Problem des modernen Staates bei Max Weber spricht und daß Sie dann am Nachmittag um 16,30 Uhr Ihren Vortrag halten. Für eine baldige Nachricht wäre ich Ihnen sehr dankbar und verbleibe in der Freude, Sie bald hier begrüßen zu können und in aufrichtiger Verehrung Ihr Ihnen sehr ergebener Ri
13. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg 3/3 1957 Vielen Dank, sehr verehrter Herr Professor Ritter, für Ihre Mitteilung vom 28/2! Ich habe vor, Freitag abend 20.08 mit dem Eilzug von Hagen in Münster einzutreffen, und wäre Ihnen für die Besorgung eines guten Hotelzimmers sehr dankbar. An Herrn Dr. Joh. Winckelmann habe ich geschrieben; möglicherweise kommt er über Plettenberg, sodaß wir dann zusammen einträfen. Ich freue mich ganz außerordentlich auf unsere Begegnung in Münster und bin in aufrichtiger Verehrung Ihr sehr ergebener Carl Schmitt.
14. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11649 1957 März 11
11.3.57 Verehrter, lieber Herr Schmitt, am heutigen Nachmittag bin ich durch meine Sprechstunde gebunden, die ich nur im äussersten Notfall ausfallen lasse,
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weil oft Studierende von auswärts kommen, die dann ihr Geld vergeblich verfahren. So werde ich Sie nicht zur Bahn bringen können; ich wünsche Ihnen von Herzen eine gute Heimfahrt und hoffe, dass diese anstrengenden Tage nicht zu viel von Ihnen verlangt haben. Mit einer großen und warmen Beglückung erfüllt mich der Gedanke an Ihren Besuch bei uns und im Collegium Philosophicum; Sie werden auch die herzliche Dankbarkeit gespürt haben, in der sich die Jugend Ihnen zuwandte; mein und unser Wunsch ist es, dass die nun endlich persönlich geknüpfte Verbindung lebendig weiterbestehen möge. Ich danke Ihnen noch einmal in herzlicher Verehrung für alles, was Sie uns persönlich wie sachlich gegeben haben. Ihr Ritter 15. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg 14/3 57 Lieber und verehrter Herr Ritter, an meinen Besuch bei Ihnen in Münster denke ich mit großer Freude und Dankbarkeit zurück. Soviel echte akademische Tradition voll Geist und Leben war für mich eine wahre Erquickung, ich hätte beinahe gesagt ein wahrer Trost, wenn ich mich nicht des (noch zu deutenden) Satzes von Goethe erinnerte: Trost ist ein absurdes Wort143. Dazu kam noch die Gastfreundschaft, mit der ich bei Ihnen und Ihrer verehrten Frau im Hause aufgenommen wurde. Solche Begegnungen gehören zu den großen Festen meines Lebensabends. Die herrliche Feier des 10. Jahrestages Ihres Collegium Philosophicum kam dann noch wie der schäumende Kelch hinzu. Ich habe diesen Aufenthalt in Münster in allen seinen Einzelheiten als ein wunderbares Omen empfunden und bin fröhlich – omine auctus144 – in mein San Casciano145 zurückgekehrt. Was Sie in wenigen Jahren an der Universität Münster aufgebaut haben, ist bemerkenswert. Das Recht eines solchen Urteils wird mir keiner, auch keiner meiner Verfolger, absprechen können. Wenn ich Ihnen heute ein 143 „Ja, schelte nur und fluche fort, / Es wird sich Bessres nie ergeben; / Denn Trost ist ein absurdes Wort: / Wer nicht verzweifeln kann, der muß nicht leben.“ (Johann Wolfgang von Goethe, Sprichwörtlich, in: ders., Sämmtliche Werke. Wohlfeile Volksausgabe, 12 Bde., Bd. 4, Herisau 1837, S. 133–141, hier: S. 137). 144 Lat.: „Ermutigt“. 145 Anspielung auf den Ort von Niccolò Machiavellis Verbannung sowie an die Legende vom Heiligen Cassian von Imola; s. Brief Nr. 60.
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Exemplar meines Buches „Verfassungslehre“146 übersende, so ist das nur ein kleines Zeichen meiner aufrichtigen Bewunderung und Verehrung. Ich füge noch einige Kleinigkeiten bei: ein gebundenes (neben einem gehefteten) Exemplar von Land und Meer147 für Hanns-Henning148; mir fällt dabei ein, daß eigentlich Susanne149 eines bekommen müßte, denn diese „weltgeschichtliche Betrachtung“ ist meiner Tochter Anima erzählt und damals, 1942, als sie zuerst erschien, schrieb mir Gottfried Benn150, daß das wichtig sei, während Bruno Brehm151, der damals vor El-Alamein lag152, mir schrieb, er und seine Kameraden hätten sich gefragt: warum erzählt C. S. das einem Mädchen und nicht uns, die wir das Mißverhältnis zur See am mangelnden Nachschub erfahren? Aber gleichwohl: Das Büchlein ist nun einmal Hanns-Henning versprochen. Dann lege ich noch einen Aufsatz zur Phonetik des Wortes „Raum“ bei, wegen des Luther-Zitates, in welchem Raum und Nehmen zusammen vorkommt.153 Schließlich noch ein nachträgliches Exposé zu meinem Hamlet-Hekuba-Buch; die Eröffnungsansprache zu einem Diskussionsabend im Hause Eugen Diederichs in Düsseldorf.154 Sollten Sie dieses Exposé schon haben, so finden Sie sicher jemand, an den Sie es weitergeben können, z. B. Herrn Marquard155, der den letzten Satz auf Seite 3 eigentlich weiterdichten müßte.156 146 147
Schmitt, Verfassungslehre (wie Anm 117). Carl Schmitt, Land und Meer – eine weltgeschichtliche Betrachtung, Leipzig
1942. 148 (Hanns) Henning Ritter (1943–2013), dt. Publizist und Schriftsteller, Sohn Joachim Ritters. 149 Tochter Joachim Ritters. 150 Gottfried Benn (1886–1956), dt. Arzt, Lyriker und Essayist. Vgl. z. B. Wolfgang Emmerich, Gottfried Benn, Reinbek b. Hamburg 2006. 151 Bruno Brehm (1892–1974), österr. Schriftsteller. 152 Kleinstadt an der ägyptischen Mittelmeerküste, bei der die deutsche und italienische Armee in zwei entscheidenden Schlachten des Zweiten Weltkriegs auf dem afrikanischen Kontinent im Juli und Oktober/November 1942 schwere Niederlagen erlitten. Vgl. z. B. Michael Carver, El Alamein. Der Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs, Tübingen 1963. 153 Carl Schmitt, Raum und Rom. Zur Phonetik des Wortes „Raum“, in: Universitas 6, 1951, S. 963–967. 154 Gehalten am 12.6.1956, erstmals abgedruckt: Carl Schmitt, Was habe ich getan?, in: Dietsland-Europa 2, 1957, H. 1, S. 7–9. Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 2), S. 503. 155 Odo Marquard (* 1928), dt. Philosoph, Schüler Ritters. Vgl. Peter Kampits, Odo Marquard, in: Nida-Rümelin/Özmen (Hrsg.), Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen (wie Anm. 5), S. 434–437. 156 „Ich tue was ich will und halte was mich trifft,/Bis was ich nicht will tut mit mir ein Sinn wie Schrift.“ Konrad Weiß, zit. nach Schmitt, Was habe ich getan? (wie Anm. 154), S. 9.
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Zum Schluß erlaube ich mir noch eine sehr persönliche Bitte: ich fand bei meiner Rückkehr das Buch von Prof. Peter Schneider (Mainz) „Ausnahmezustand und Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von C. S.“157 hier vor und habe es dieser Tage gelesen. Es ist ein so neuartiger Stil der Behandlung eines Autors, daß ich mich und mein Werk zunächst einmal total „verfremdet“ fühle. Deshalb wäre mir das Urteil von erfahrenen Kollegen von ganz besonderem Wert. Wenn Sie also – im Laufe der kommenden Monate – einmal Zeit haben, sich das Buch anzusehen (es ist in der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart erschienen), und mir Ihren Eindruck mitteilten, wäre das für mich sehr wertvoll und eine echte Hilfe. Es erheben sich angesichts dieses Buches und seines neuen Stiles sehr viele grundsätzliche Fragen, die ich hier nicht einmal andeuten, viel weniger anfassen will. Nach diesem wunderschönen Besuch hat sich das Bild Münsters für mich gewandelt. Ich darf dabei nicht vergessen, daß es unser gemeinsamer Freund Hannes Winckelmann ist, dem ich Ihre Bekanntschaft verdanke und dessen Max-Weber-Vortrag und anschließende Diskussion zu der seltenen plenitudo mentis158 dieser Tage wesentlich beigetragen hat. Ich danke Ihnen und Ihrer verehrten Frau von ganzem Herzen, grüße Sie beide und Ihre Kinder vielmals und bleibe mit allen guten Wünschen Stets Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt.
16. Joachim Ritter an Carl Schmitt DLA Marbach, Nachlass Ritter
29.3.1957 [handschriftlicher Zusatz: abgeändert u. neu gefasst] Lieber und verehrter Herr Schmitt! Heute sind zwei Wochen vergangen, seitdem Sie hier waren. Inzwischen ist auch Ihr Brief gekommen, der mich tief bewegt und erfreut hat und mit ihm die vielen, lieben Gaben: Ihre Verfassungslehre und dazu die großartige spanische Abhandlung über Benito Cereno159 und „Land und Meer“ für die 157 Peter Schneider, Ausnahmezustand und Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, Stuttgart 1957. 158 Lat.: „Fülle des Geistes“. 159 Carl Schmitt diente die Figur aus der Erzählung Herman Melvilles zur Deutung der eigenen Rolle im Nationalsozialismus sowie allgemein der Rolle des Intellektuellen in der modernen Massengesellschaft. Vgl. Thomas O. Beebee, Carl
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Kinder, die Ihnen beide persönlich noch danken werden. Haben Sie Dank für alles! Seien Sie nachsichtig mit mir, daß ich heute nur kurz und in Eile schreibe. Die Arbeit hat sich in den letzten zwei Wochen gehäuft. Erst heute morgen bin ich auch mit den Vorlesungen für Jugoslawien160 fertig geworden, die durch die „Situation“ dort Probleme aufgaben, die sonst nicht zu berücksichtigen sind.161 Es drängt mich, vieles mit Ihnen zu besprechen und zu erörtern, auch das, was Sie hier in Ihrem Vortrag gesagt haben. Es ist ein Schlüssel, der vieles aufschließt, und immer wieder zeigt sich neues, das sich mit ihm verknüpft; und dann habe ich das beglückende Gefühl, daß es viele Fäden gibt, die von dem, was mich beschäftigt, zu Ihrer These führen. Seit Sie hier waren, habe ich immer stärker das Bedürfnis, Dinge, die mich bewegen, mit Ihnen besprechen zu können. Und so wirkt Ihr Besuch unmittelbar fort und trägt Frucht. Marquard hat in diesen Tagen die Fundamentalkantate162 und Ihre Ballade163 abgezogen. Er wird Sie Ihnen selbst schicken. Dienstagfrüh gehen wir auf die Reise, von der wir Ende April zurückkommen wollen. Dann werde ich auch endlich dazu kommen, alles, was Sie mir geschickt haben, nicht nur anzublättern, sondern wirklich zu lesen und durchzuarbeiten. Darauf freue ich mich. In herzlicher Verehrung und Dankbarkeit Ihr Joachim Ritter
Schmitt’s Myth of Benito Cereno, in: Seminar: A Journal of Germanic Studies 42, 2006, S. 114–134. 160 Joachim Ritter, Der Aufgang der griechischen Philosophie, Vortrag Zagreb 1957, DLA Marbach, Nachlass Ritter (Bestand Dölle-Oelmüller). 161 Nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands 1956 hatte die Sowjetunion den Druck auf die jugoslawische Regierung unter Tito wieder erhöht. So musste Jugoslawien 1957 die DDR als Staat anerkennen, was den Abbruch der Beziehungen zur BRD nach sich zog. Vgl. Holm Sundhaussen, Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943–2011, Wien/Köln/Weimar 2012, S. 122 f. 162 Odo Marquard, Fundamentalkantate für Solostimme und Chor mit gemischten Gefühlen zum zehnjährigen Bestehen des Collegium Philosophicum Münster, in: Dierse (Hrsg.), Joachim Ritter zum Gedenken (wie Anm. 9), S. 175–184. 163 Carl Schmitt (unter dem Pseudonym Erich Strauss), Die Sub-Stanz und das Sub-Jekt. Ballade vom reinen Sein, in: Civis 2, 1955, H. 9, S. 29–30.
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17. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11650 1957 Apr. 1
1.4.1957 Lieber und sehr verehrter Herr Schmitt! Morgen werden wir auf die Reise nach Jugoslawien gehen, gestern wurde unser Sohn eingesegnet, bis zum Samstag beanspruchte mich die Vorbereitung meiner Vorlesung in Zagreb, die durch die dort gegebene Situation und im Gedanken an die eingeladenen Kollegen Probleme aufgab, die sonst nicht begegnen.164 Heute früh noch das Gutachten über eine erstaunlich gute und gediegene Dissertation zur Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts, die durchgearbeitet und nicht nur gelesen sein wollte.165 So bitte ich Sie sehr herzlich um Nachsicht dafür, daß weder Ihr Brief, der mich tief bewegt hat, noch Ihre Gaben bisher ein Echo gefunden haben. Ich wollte nicht schnell „zwischendurch“ schreiben, aber nun geht es wie fast immer: Ich muß in Eile und bedrängt von vielerlei, das noch erledigt sein will, an Sie schreiben, wenn ich Sie überhaupt noch vor der Abreise erreichen will. Haben Sie vielen Dank für alles; die Verfassungslehre muß liegen bleiben zur Rückkehr Ende April; aber den Beitrag für die Ahlmann-Schrift166, das Nachwort zum Hamlet und die spanische Melville-Interpretation habe ich gleich mit den zu ihnen gehörigen Büchern mit Spannung gelesen und auch den jungen Freunden weitergegeben. Haben Sie Dank für alles. Henning fügt diesem Gruß einen Dankbrief bei, aus dem Sie ersehen mögen, daß es ihm wie seinem Vater geht; die Schule fordert viel und zu viel, ich sehe, wie Henning darum kämpft, sich ein wenig Zeit für das Eigene zu retten. Aber das Ergebnis dieser Überbeanspruchung ist, daß die Studierenden auf der Universität Sekundaner und Primaner bleiben, fixiert auf das Lernen eines vorgeschriebenen Stoffes und ohne die freie Selbständigkeit, der die eigene Orientierung das Erste ist; dagegen haben wir uns zu behaupten und auch gegen die eigene Resignation, vor so viel zähflüssiger Lernbereitschaft ohne den Geist freier und leidenschaftlicher Anteilnahme, der doch allein dem sonst toten Stoff Leben gibt. Auf der kleinen, aus dem Betrieb ausgegrenzten Insel waren Sie zu Gast; was Sie gesagt und vorgetragen haben, lebt und wirkt fort in vielen Gedanken und in manchem Gespräch, das sich 164
s. Anm. 160 u. 161. Vermutlich Heinrich Schepers, Andreas Rüdigers Methodologie und ihre Voraussetzungen. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Schulphilosophie im 18. Jahrhundert (= Kantstudien, Ergänzungshefte 78), Köln 1959. 166 Carl Schmitt, Recht und Raum, in: Johann Daniel Achelis (Hrsg.), Tymbos für Wilhelm Ahlmann. Ein Gedenkbuch, hrsg. von seinen Freunden, Berlin 1951, S. 241–251. 165
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daran angeknüpft hat. Sie haben mir und ebenso den jungen Freunden Mut gemacht und uns in dem, was wir versuchen, mehr als Sie es wissen können, bestätigt. Wir leben doch alle heute irgendwie als Leibnizsche Monaden; was bedeutet es dann, wenn sich unversehens zeigt, daß es Fäden gibt, die zu dem hinführen, was andere, auch sie auf sich selbst verwiesen, tun. Ihr Besuch wirkt fort und trägt Frucht; das Bedürfnis, das Eigene in der Auseinandersetzung und im geistigen Gespräch mit Ihnen zu überprüfen und genauer zu bestimmen, wird bleiben, und ich wünsche mir nur, daß auch die persönliche Verbindung erhalten bleiben möge. Marquard wird Ihnen in diesen Tagen den Abzug der „Ballade“ und seiner „Fundamentalkantate“ schicken.167 Diesen Brief begleiten die besonderen Grüße meiner Frau und meiner Kinder und alle unsere guten Wünsche. In herzlicher Verehrung und Verbundenheit Ihr Joachim Ritter 18. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11651 1957 Mai 17
17.5.1957 Lieber und verehrter Herr Schmitt! Durch Freund Winckelmann hörte ich kürzlich mit großer Bestürzung, daß Sie durch einen Unfall fest ans Krankenlager gebunden sind. Ich darf Ihnen von uns allen sagen, daß wir Ihrer mit allen guten Genesungswünschen gedenken. Nach meiner Rückkehr aus Jugoslawien hat mich der Betrieb mit Prüfungen und allem was dazu gehört, wieder ganz mit Beschlag belegt. Ich habe, wie Sie wissen, eine große Freude an der Lehrtätigkeit; aber die Zunahme der Masse der Studierenden ist beängstigend. Die Möglichkeiten persönlichen Kontaktes wird [sic] immer mehr beschnitten und nur Reste des Otium, aus dem doch unsere Arbeit leben soll, lassen sich retten. Wohin soll das führen? Meine Frau und die Kinder sind wohlauf und grüßen Sie mit mir. In herzlicher Verbundenheit und Verehrung stets Ihr Joachim Ritter 167
s. Anm. 162 u. 163.
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19. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg, 28.7.1957 Lieber und verehrter Herr Ritter, so geht es einem, wenn man extra schöne Briefe schreiben will: im Kopf werden sie fertig und immer schöner und das Papier bleibt unbeschrieben, bis sich schließlich eine mitleidige Stenotypistin findet, die den Abgrund vom Kopf zum Papier zu überbrücken geeignet scheint. Diese Brücke hat sich zufällig in Gestalt meiner Tochter Anima gefunden. Sehen wir also zu, ob sie hält und was dabei herauskommt. Es ist mir ein kleiner Trost, dass mein Brief wenigstens noch zum Schluss des Semesters eintreffen kann. Denn es wäre traurig, wenn ich die Zusendung eines Buches wie Ihres Hegel und die Französische Revolution168, das am 5. Juni 1957 hier eintraf, nicht einmal im gleichen Semester beantwortete. Ich muss Ihnen für diese Zusendung um so mehr danken, als ich bei Ihnen die Antwort auf zahlreiche Hegel-Fragen mit einer vorbildlichen Exaktheit und Präzision gefunden habe. Die Fragestellung, die für ein Buch entscheidend ist, trifft genau das Konkrete und damit das Richtige; die Beantwortung scheint mir nicht nur musterhaft und überlegen, sondern auch endgültig, soweit es in solchen Angelegenheiten überhaupt etwas Endgültiges gibt. Denn auch die Frage, ob Staat und Geschichte für Hegel zu Ende waren – wie Alexandre Kojève sehr entschieden behauptet – ist ja noch nicht endgültig beantwortet, und deswegen wird Ihnen jeder für Ihre klaren und überzeugenden Darlegungen auf S. 29 ff. besonders dankbar sein. Gewundert hat mich nur, dass in der Bibliographie von Kojève unter Nr. 207 nur ein Aufsatz aus dem Jahre 1946169 genannt ist, während die sensationelle „Introduction à la lecture de Hegel“170 (Vorlesungen an der Sorbonne, die ein Hörer und Schüler mitgeschrieben hat und die in der NRF bei Gallimard erschienen ist) unerklärlicherweise nicht erwähnt wird. Unerklärlicherweise natürlich angesichts der sonst so vorbildlichen Gründlichkeit. Natürlich war es für mich eine besondere Freude, dass Sie meinen bescheidenen Hinweis auf die Bedeutung des Gegensatzes von Land und Meer erwähnt haben.171 Die schwierige Frage des Verhältnisses von Philosophie und Politik bei Hegel ist ebenso taktvoll wie sicher beantwortet und 168
Ritter, Hegel und die französische Revolution (wie Anm. 20). Alexandre Kojève, Hegel, Marx et le Christianisme, in: Critique 1, 1946, S. 339–366. 170 Alexandre Kojève, Introduction à la lecture de Hegel. Leçons sur la Phénoménologie de l’Esprit, Paris 1947. 171 Vgl. Ritter, Hegel und die französische Revolution (wie Anm. 20), Anm. 32. 169
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aus der dumpfen Sphäre politischer Ressentiments befreit. Das alles sind nur einige Andeutungen, die meinen Dank für Ihr Buch begleiten sollen. Eine erschöpfende Erörterung wäre für die vorhin erwähnte momentane Brücke eine zu starke Belastung. Ich finde Ihr Buch erquickend im Vergleich zu den „Aspekten der Hegelschen Philosophie“ von Adorno172, wo in dem Worte „Bauernschlauheit“ auf S. 49 ein charakteristischer Pferdefuss ans Licht kommt, der sich als ein Bumerang erweist, in dessen Licht das Motto am Anfang sowie die Notiz am Schluss sich als eine grandiose schöne Synthese von Pferdefuss und Bumerang entpuppen. Ende des Monats fahre ich nach Wiesbaden um an der Veranstaltung teilzunehmen, die dort aus Anlass des 70. Geburtstages von Hans Freyer173 von seinen Freunden, Schülern und Verehrern geplant ist. Arnold Gehlen174 hält eine Rede über Geschichte und Soziologie. Werden Sie auch dort sein? Ich würde mich natürlich besonders freuen Sie wiederzusehen. Ich habe auf die Bitte der Wochenzeitung Christ und Welt einen Aufsatz geschrieben,175 den ich beifüge, um womöglich Ihr Urteil darüber zu hören. Mit Freyer verbindet mich insbesondere die gemeinsame Erinnerung an Dr. Ahlmann,176 den ich infolgedessen gegen Schluss des Aufsatzes besonders hervorgehoben habe. Die Erinnerung an meinen Besuch in Münster vom März dieses Jahres ist immer noch unverändert und unvermindert lebendig, auch die Dankbarkeit dafür, dass Sie mir eine solche Möglichkeit der Gespräche mit Ihnen und Ihren jungen Leuten gegeben haben. Ich hoffe dass Sie gute und erholsame Ferien haben und grüße Sie und Ihre verehrte Frau herzlich. Mit allen guten Wünschen Ihr Carl Schmitt. 172
Theodor W. Adorno, Aspekte der Hegelschen Philosophie, Frankfurt a. M.
1957. 173
Hans Freyer (1887–1969), dt. Soziologe und Philosoph. Vgl. Jerry Z. Muller, The other god that failed. Hans Freyer and the deradicalization of German conservatism, Princeton, NJ 1987. 174 Arnold Gehlen (1904–1976), dt. Philosoph und Soziologe. Vgl. Henning Ottmann, Arnold Gehlen, in: Nida-Rümelin (Hrsg.), Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen (wie Anm. 155), S. 244–250. 175 Schmitt, Die andere Hegel-Linie (wie Anm. 59). 176 Wilhelm Ahlmann (1895–1944), dt. Bankier und Privatgelehrter, Schüler Hans Freyers. Vgl. Peter Wulff, Vom Konservativen zum Widerständler: Wilhelm Ahlmann (1895–1944). Eine biografische Skizze, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59, 2011, H. 1, S. 5–26.
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
20. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11652 1957 Dez. 23
Münster, den 23.12.57 Ihnen, lieber und sehr verehrter Herr Schmitt, die herzlichsten Wünsche und Grüße zum Jahreswechsel und für die Weihnachtstage von uns allen. Möchten Sie mir die freundliche Gesinnung bewahren, auch wenn die Monate vergehen, ohne dass Sie von mir hören. Es ist immer ein wenig zu viel, doch wünsche ich mir oft ein Gespräch mit Ihnen und recht sehr hoffe ich, dass das kommende Jahr eine neue Begegnung mit Ihnen bringt. In herzlicher Verehrung Ihr sehr ergebener Ritter
21. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg den 30. Dezember 1958 Sehr verehrter Herr Professor Ritter, die freundliche Glückwunschadresse, die Sie und Ihre jungen, philosophischen Freunde mir im Sommer dieses Jahres zu meinem 70. Geburtstag übersandt haben, erreichte mich in Spanien am Cap Finisterre. Ich habe mich sehr darüber gefreut und möchte Ihnen meinen Dank aussprechen, bevor dieses Jahr zu Ende geht. Ich verbinde damit meine herzlichen Segenswünsche für das kommende Jahr, daß es Ihnen und Ihren Schülern und Freunden ein weiteres Wachstum Ihrer so großartig begonnenen philosophischen Arbeit bringen möge. Darf ich mir erlauben, ein Exemplar meines Büchleins Ex Captivitate Salus177 für Ihre Seminar-Bibliothek beizufügen? Der dort abgedruckte Gesang des Sechzigjährigen vom Jahre 1948 hat keine Anti-Strophe des 70jährigen erhalten. Einmal hört das Singen auf. Ich grüße Sie und Ihre Freunde vom Philosophischen Colleg aufs beste und bleibe in dankbarer Erinnerung Ihr alter Carl Schmitt. 177
Carl Schmitt, Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945–47, Köln 1950.
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22. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11653 1959 Jan. 22
22.1.1959 Lieber und sehr verehrter Herr Schmitt! In der letzten Sitzung des Collegium habe ich Ihre Grüße übermitteln können und die Widmung vorgelesen, die Sie der Gabe für das Collegium mitgegeben haben. Es war mir eine große Freude, von Ihnen zu hören. Wir sind ja nun, wie die Dinge bei dem immer wachsenden Massenbetrieb liegen, mehr und mehr Gefangene unserer amtlichen Stellung und in unserer Bewegungsfreiheit durch die Überbeanspruchung eingeschränkt. Ich wäre sonst am liebsten einfach einmal zu Ihnen nach Plettenberg gefahren. In der letzten Sitzung des Collegium ein großartig fundiertes und überlegenes Referat von Böckenförde178 über Eigenständigkeit des Rechts. Es ließ erkennen, wieviel er Ihnen zu danken hat. Die Art, wie dieser junge Gelehrte in philosophischer Tapferkeit seinen eigenen Weg zu gehen bereit ist, hat für mich etwas Ergreifendes und zugleich ungemein Ermutigendes. Wir tragen die Last des letzten halben Jahrhunderts auf unseren Schultern, und wir werden uns nie mehr von ihr befreien können. Die rückblickende Verarbeitung des Geschichtlichen ist vielleicht das eigentümliche Amt des an seiner Erfahrung gebildeten Denkens, seine Zeit nicht die Dämmerung des Morgens, sondern des Abends.179 Aber dazu gehört die nächste Generation, die in die Zukunft geht, und es ist gut, Menschen wie Böckenförde und die anderen jungen Leute in der Nähe zu haben. Düstere Gedanken und Hoffnungslosigkeiten werden so korrigiert. Meine Frau, die in diesen Tagen nochmals mit Hingabe „Ex Captivitate Salus“ gelesen hat, grüßt Sie mit mir, und auch die Kinder grüßen. In Verehrung und Dankbarkeit und mit allen guten Wünschen Stets Ihr Joachim Ritter
178
Ernst-Wolfgang Böckenförde (*1930), dt. Staatsrechtler, Rechtsphilosoph und ehem. Verfassungsrichter, Schüler Ritters und Schmitts. Vgl. Dieter Gosewinkel, „Beim Staat geht es nicht allein um Macht, sondern um die staatliche Ordnung als Freiheitsordnung“. Biographisches Interview mit Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht, Frankfurt a. M. 2011, S. 307–486. 179 Anspielung auf Hegels allegorische Bezugnahme auf die Eule der Minerva (s. Anm. 51).
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23. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg 3/2 59 Lieber und verehrter Herr Ritter, eben las ich in dem ganz hervorragend guten Zeit-Archiv180 die Notiz zu Andric´181, die ich Ihnen gleich übersenden möchte, mit vielem Dank für Ihr Schreiben vom 22. Januar und für die Zuwendung der Novelle von Andric´, die ich als besondere Aufmerksamkeit empfunden habe. Ich füge noch die Abschrift eines Schreibens von Ernst Jünger über das Buch des Grafen von Krockow182 bei; vielleicht macht es Ihnen so viel Spaß wie mir. Jünger habe ich geantwortet, ich hätte alle möglichen Arten von Schülern, aber ein Krokodil wäre nicht darunter; er müsse sich deshalb anderswo erkundigen. Die Übernahme eines vor Haß und Perfidie triefenden Pamphlets wie das des Mendelssohn’schen183 (Krockow S. 144/5) in ein wissenschaftlich sein sollendes Buch ist allerdings unglaublich. Ich hoffe von Herzen, daß es Ihnen, Ihrer sehr verehrten Frau und Ihren Kindern gut geht und Sie alle sich bester Gesundheit erfreuen. In aufrichtiger Verehrung bleibe ich Ihr alter Carl Schmitt. Darf ich mich für Physis – Ethos – Ousia vormerken lassen (ich fand es bei Odo Marquard, Skeptische Methode Seite 74 Anm. 4 angekündigt)184,
180 Das von Paul Weinreich (1906–1974) herausgegebene „Deutsche Zeit-Archiv, Pressebericht und Zeitungsausschnittsdienst“, erschien in mehreren Serien, Schmitt bekam die (seit 1946 bestehende) Ausgabe B für Kulturnachrichten. 1961 eingestellt. Weinreich war Lektor bei der Hanseatischen Verlagsanstalt Hamburg. 181 Ivo Andric ´ (1892–1975), jugoslaw. Schriftsteller, Politiker und Diplomat, Träger des Literaturnobelpreises 1961. Vgl. Peter Thiergen (Hrsg.), Ivo Andric´. Beiträge des Zentenarsymposions an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg im Oktober 1992 (= Vorträge und Abhandlungen zur Slawistik 25), München 1995. 182 Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958. 183 Peter de Mendelssohn, Der Geist in der Despotie. Versuche über die moralischen Möglichkeiten des Intellektuellen in der totalitären Gesellschaft, Berlin 1953. 184 Odo Marquard, Skeptische Methode im Blick auf Kant, Freiburg i. Br./München 1958. Der dort genannte Aufsatz Ritters ist nicht erschienen; Vorstudien finden sich in seinem Nachlass im DLA Marbach.
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und darf ich Ihnen einen Aufsatz Nomos – Nahme – Name185 schicken, den ich zum 70. Geburtstag Przywaras186 (Oktober d. J.) geschrieben habe? Beigabe: Brief Ernst Jünger an Carl Schmitt (6.1.59)187
24. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
7/3 59 Lieber und verehrter Herr Ritter, die Aristoteles-Stelle, von der ich Ihnen sprach und in der fileƒn, ýrÜn, to ÷gaphtün, kÇdesqai vorkommen, ist Pol. II c. 15, 16, 17 (1262 b f.). Ich erinnere mich dankbar unseres schönen Gespräches, Ihres inhaltreichen Vortrags und Ihrer und Ihrer verehrten Frau erquickende Gastlichkeit. Zeus Xenios soll es Ihnen lohnen! Ihr alter Carl Schmitt. Die bekannte Stelle im Neuen Testament lautet ÷gap@te (nicht: fileƒte) toˇò ýxqroˇò (nicht: pülemouò) in der Vulgata: diligite (nicht amate) inimicos (nicht hostes)188
25. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11654 1960 Feb. 16
16. Februar 1960 Sehr verehrter Herr Schmitt! Die „jungen Leute“ haben mir berichtet, daß sie Sie zu Besuch und Diskussion nach Münster geladen haben, und haben auch mich gebeten teilzuneh185
Carl Schmitt, Nomos – Nahme – Name, in: Siegfried Behn (Hrsg.), Der beständige Aufbruch. Festschrift für Erich Przywara, Nürnberg 1959, S. 92–106. 186 Erich Przywara, SJ (1889–1972), dt. Philosoph und Theologe, maßgeblicher redaktioneller Mitarbeiter der katholischen Monatsschrift „Stimmen der Zeit“. Vgl. Martha Zechmeister, Przywara, Erich, in: Neue Deutsche Biographie 20, 2001, S. 752 f. 187 Abgedruckt in: Ernst Jünger/Carl Schmitt, Briefe 1930–1983, hrsg., komm. u. m. e. Nachw. v. Helmuth Kiesel, Stuttgart 1999, S. 363 f. 188 Lukas 6,27.
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men. Darauf freue ich mich, auf das Gespräch wie auf die persönliche Begegnung mit Ihnen nach langer Zeit. Ob ich mich bereits am Samstag vormittag freimachen kann, ist noch fraglich; es hängt davon ab, wie weit die Menge des auf meinem Schreibtisch Wartenden abgearbeitet ist. Heute möchte ich Sie auch im Namen meiner Frau vor allem herzlich bitten, am Sonntag unser Tischgast zu sein. Näheres (Abholung usw.) können wir am Samstagabend vereinbaren. Es wäre schön, wenn Sie diese Zeit für uns freihalten könnten. In herzlicher Verehrung und in der Freude, Sie wiederzusehen, bin ich Ihr Ihnen sehr ergebener Joachim Ritter
26. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg 18/2 60 Lieber und verehrter Herr Ritter, herzlichen Dank Ihnen und Ihrer sehr verehrten Frau für die freundliche Einladung zu Sonntag Mittag, die ich mit grosser Freude annehme. Ich weiss, wie sehr Sie in Anspruch genommen sind, zumal während des Semesterschlusses; lassen Sie sich deshalb den Samstag Vormittag nicht rauben! Dagegen würde ich gern bei meinem Besuch am Sonntag mit Ihnen einen Augenblick über das in beiliegender Kurz-Besprechung enthaltene Problem sprechen, das unseren gemeinsamen Freund Johannes Winckelmann (erinnern Sie sich an seinen Vortrag 1957 in Ihrem Seminar?) mächtig aufregt. Ich komme Sonntagmittag zu Ihnen, Sie brauchen mir die gewünschte Zeit nur telefonisch mitzuteilen. Auf ein gutes Wiedersehen! Ihr alter Carl Schmitt Über Ihren Hegel-Artikel189 (tausend Dank für die Übersendung) ebenfalls mündlich!
189 Joachim Ritter, Art. „Hegel“, I: Leben und Werk, II: Rechts- und Staatsphilosophie, in: Staatslexikon, hrsg. v. d. Görres-Gesellschaft, 6. Aufl., Freiburg i. Br. 1959, Bd. 4, Sp. 24–34.
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Handschriftl. Zusatz: „Begreifen, was ist“ im politisch-geschichtlichen Feld. Ein Hegel-Gruss aus dem Collegium Philos. in Verehrung 11/1.60. Ritter
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Handschriftl. Zusatz: Bei Hegel von Rechtsstaat zu sprechen ist ein Verstoß gegen den Grundsatz quellengebundener Terminologie! 4 x „Rechtsstaat“ ganz falsch! Am Rand: ? bei Hegel kein Wort von „Rechtsstaat“
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27. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Lieber und verehrter Herr Ritter, eben habe ich unserem gemeinsamen Freund Hannes W.190 zu seinem 60. Geburtstag geschrieben und mich dabei natürlich auch Ihrer lebhaft erinnert. Der schönen Aufnahme, die Sie und Ihre sehr verehrte Frau mir im Februar bereitet haben, gedenke ich noch immer in herzlicher Dankbarkeit. Hoffentlich haben Sie sich in den Ferien gut erholen können. Ich schicke als Drucksache ein kleines Exposé über Wert-Philosophie (Privatdruck)191, eine im Augenblick für uns Juristen geradezu lebenswichtige Angelegenheit. Der Kampf gegen Forsthoff192 (Heidelberg) nimmt steinzeitliche Formen an. Welchen Kindes Vater dieser Krieg sein wird, kann man gespannt sein. Hoffentlich geht es bei Ihnen friedlicher zu! Herzliche Grüße und Wünsche Ihres alten 29/3 60
Carl Schmitt.
Ich komme nicht los von dem Satz aus Schillers 7. Brief über die Ästhetische Erziehung des Menschen: „Man wird in anderen Weltteilen in dem Neger die Menschheit ehren, und in Europa sie in dem Denker schänden“193. Sic, 1795! Heute, 1960, erfahre ich’s am eigenen Leibe!
28. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
31/1/61 Lieber und verehrter Herr Ritter, ich habe den Anfang des Jahres in Heidelberg bei Forsthoff verbracht (der für einige Tage von Zypern gekommen war) und fand Ihren freundlichen Neujahrsgruss bei meiner Rückkehr hier vor. Über Ihre Zeilen bin ich geradezu beglückt; sowohl in der Erinnerung an unsere Begegnung in Ebrach, wie auch in der Erwartung eines guten und fruchtbaren Weiterganges unserer Gespräche. Forsthoff lässt Sie herzlich grüßen; er wäre ganz besonders 190
Johannes Winckelmann, s. Anm. 26. Schmitt, Die Tyrannei der Werte (wie Anm. 53). 192 Ernst Forsthoff (1902–1974), dt. Rechtswissenschaftler und Schüler Schmitts, von 1960 bis 1963 Präsident der Verfassungsgerichts in Zypern. Vgl. Florian Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und seine Zeit, Berlin 2011. 193 Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, in: ders., Sämtliche Werke in 5 Bänden, hrsg. v. Peter André Alt/Albert Meier/Wolfgang Riedel, Bd. 5, München 2004, S. 570–669, hier: S. 590. 191
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dankbar, wenn er Ihre Ebracher Ausführungen bald in seiner Reihe „Res publica“ veröffentlichen könnte;194 geben Sie ihm doch bald eine kurze Mitteilung dazu; seine Adresse ist: President of the Supreme Constitutional Court, Nicosia, Cyprus. Über den umstehenden „Hobbes-Kristall“195 (in Ebrach entstanden, von E. W. Böckenförde fotokopiert) hoffentlich gelegentlich mündlich. Heute nur meine herzlichen Grüsse und Wünsche! Ihr alter Carl Schmitt [Umseitig: Abbildung Hobbes-Kristall]
29. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter [Ansichtskarte MS „Amazon“]
22/8/61 Lieber und verehrter Herr Ritter, in einem schönen ruhigen Sommer der Nordwestküste Spaniens (wo 1936 die Legion Condor lag196) haben Ihre beiden Aufsätze197 mir die richtigen Themen ungestörter Contemplation vermittelt und eine grosse Freude an Ihrer klugen und gründlichen Klärung. Vielleicht muss ich doch noch einmal das Schwert ziehen und auf den Begriff des Politischen zurückkommen; eine wahre Wohltat Ihre endgültige Sicherung der historischen Wahrheit vom zoon politikon! Ihnen, Ihrer verehrten Frau und Ihren Kindern herzliche Grüsse und Wünsche für eine gute Ferienerholung! Stets Ihr alter Carl Schmitt Ich bin über London (Tilbury) – Vigo hierher gefahren; der beste Weg nach Spanien, wie schon die Korsaren des 16. Jahrhunderts
194
Vgl. Ritter, „Naturrecht“ bei Aristoteles (wie Anm. 54). Abbildung in Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963, S. 122. 196 Verdeckt operierende Einheit der deutschen Wehrmacht im spanischen Bürgerkrieg, u. a. an der Bombardierung Guernicas beteiligt. Vgl. Stefanie Schüler-Springorum, Krieg und Fliegen. Die Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg, Paderborn 2010. 197 Ritter, „Naturrecht“ bei Aristoteles (wie Anm. 54); ders., Grundlegung der praktischen Philosophie (wie Anm. 21). 195
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30. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
26/10/61 Lieber und verehrter Herr Ritter, wahrscheinlich können Sie nicht ermessen, was Ihre Schrift über das „Naturrecht bei Aristoteles“198 für einen alten Juristen bedeutet. Es ist eine wahre Erlösung, den Nebel tausendjähriger Über-Redungen und scholastischer Verwertungen (zu Antworten auf ganz anders gemeinte Fragen) fallen zu sehen. Ich bin Ihnen von Herzen dankbar (um ganz zu verstehen, was das in concreto bedeutet, müssten Sie allerdings die Glosse Seite 427 – 427 [sic] meiner Verfassungsrechtlichen Aufsätze mit dem Hinweis auf Ihre Hegel-Arbeit lesen199) und durch Ihre Widmung beglückt. Jetzt warten wir mit umso größerer Spannung auf Ihren Kommentar zur Rechtsphilosophie. Ich kann Ihnen im Augenblick nur die beil. Publikation zur Wertphilosophie schicken. Den Inhalt kennen Sie im Wesentlichen. Er hat eine gewisse Aktualität erhalten – zufällig, aber es gibt eben keinen Zufall – durch die neue päpstliche Encyklika „Mater et Magistra“200, die im lateinischen Text von bonum spricht, im offiziellen italienischen aber von valori und im Deutschen – bewusst und absichtlich wertphilosophisch (Herder-Korrespondenz Sept. 1961) – von Werten.201 Ordo bonorum im lateinischen Text ist im deutschen mit „rechte Ordnung der Werte“ übersetzt, im italienischen noch schöner mit Gerarchia di valori. Herzliche Grüsse Ihnen, Ihrer verehrten Frau und Ihren Kindern und alles Gute für das kommende Wintersemester! Stets Ihr alter Carl Schmitt.
198
Ritter, „Naturrecht“ bei Aristoteles (wie Anm. 54). Vgl. Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (wie Anm. 58), S. 426–429. 200 Johannes XXIII., Mater et Magistra. De recentioribus rerum socialium processibus ad christiana praecepta componendis. Litterae Encyclicae (15.5.1961), in: Acta Apostolicae Sedis 53, 1961, S. 401–464. 201 Vgl. die dt. Übersetzung in: Herder-Korrespondenz 15, 1961, S. 536–558, hier: S. 551. 199
250
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31. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11655 1962 Mai 10
10. Mai 1962 Lieber verehrter Herr Schmitt! Eben habe ich Herrn Freund202 mit dem in Abschrift beigefügten Brief gebeten, am 29.5. bei uns zu sprechen. Ich hoffe, daß Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind. Da es mir unbescheiden erscheint, Herrn Freund einfachhin zu einem Vortrag aufzufordern – zumal ich noch nicht weiß, ob ich ihm überhaupt wenigstens mit einem Beitrag die zusätzlichen Reiseunkosten erstatten kann –, habe ich die Form gewählt, an Ihre Verabredung mit ihm anzuknüpfen. Das schließt für uns die Hoffnung und den herzlichen Wunsch ein, Sie mit Herrn Freund zusammen in unserem Kreise endlich einmal zu sehen. Ich bitte Sie, wenn Sie unseren Vorschlag für sinnvoll halten, sich mit Herrn Freund in Verbindung zu setzen. Dr. Bökkenförde hat mir zugesagt, daß er für Ihre Unterbringung usw. hier sorgen will. Auf alle Fälle wird das Philosophische Seminar die Hotelunterbringung für Herrn Freund übernehmen. Seien Sie nachsichtig, wenn ich nur kurz und geschäftlich schreibe. Es liegt mir daran, daß die Briefe schnell herausgehen. Die Zeit, die für die weitere Abrede zur Verfügung steht, ist nicht mehr lang. In alter und herzlicher Verehrung bin ich stets Ihr Joachim Ritter
32. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg den 12. Mai 1962 Sehr verehrter, lieber Herr Ritter, allerherzlichsten Dank! Ich freue mich ganz ausserordentlich auf das Wiedersehn mit Ihnen und hoffe, dass am Montag, den 28. Mai, alles gut klappt. Ihnen und Ihrer sehr verehrten Frau viele Grüsse und Wünsche Ihres alten Carl Schmitt. 202 Julien Freund (1921–1993), frz. Soziologe und Politikwissenschaftler. Vgl. Sèbastien de La Touanne, Julien Freund, Penseur „machiavélien“ de la politique, Paris 2004.
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33. Joachim Ritter an Carl Schmitt DLA Marbach, Nachlass Ritter [Kopie]
22. Mai 1962 Hochverehrter lieber Herr Schmitt! Dr. Böckenförde hat Sie bereits unterrichtet, daß die Festlegung der Rektorenwahl auf den 28. Mai203 uns genötigt hat, Herrn Freund um Vorverlegung seines Besuches um einen Tag zu bitten. Er hat das freundlicherweise zugesagt und wird am Sonntag, den 27., 20 Uhr, in unserem Kreise sprechen. Ich nehme an, daß er im Lauf des Tages hier eintreffen wird. Um entsprechende Nachricht habe ich ihn gebeten. Da ihm sehr daran gelegen ist, Sie zu sehen, wäre es schön, wenn Sie es einrichten könnten, auch bereits am Mittag oder Nachmittag des Sonntags hier einzutreffen. Doch ich nehme an, daß Sie inzwischen von Herrn Freund gehört und vielleicht sogar mit ihm eine Abrede getroffen haben. Für Sie wie für Herrn Freund ist je ein Zimmer im Hotel „Rheinischer Hof“ reserviert. Sobald ich von Herrn Freund höre, wann er eintrifft, werde ich Ihnen die Zeit telegraphisch weitergeben. Ich hoffe sehr, daß diese an sich unwillkommene Umlegung den Vorteil mit sich bringt, daß wir am Sonntag oder am Montag Sie und unseren französischen Gast bei uns sehen können. In Verehrung und mit herzlichen Grüßen, die ich auch von meiner Frau zu übermitteln habe, bin ich stets Ihr Joachim Ritter
34. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11656 1962 Mai 24 [Telegramm]
24.V.1962 HERR FREUND TRIFFT SONNTAG 14.24 IN MUENSTER EIN. HERZLICHST = RITTER+
203 Ritter wird für das akademische Jahr 1962/63 zum Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gewählt. Vgl. Joachim Ritter, Jahresbericht 1963 des Rektors, Münster 1964.
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
35. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11657 1962 Juni 5
5. Juni 1962 Lieber verehrter Herr Schmitt! Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen noch einmal herzlich dafür zu danken, daß Sie die Bekanntschaft unseres Kreises mit Herrn Julien Freund vermittelt haben. Ich hatte in Oeynhausen noch einmal Gelegenheit, mit ihm einen längeren Spaziergang zu machen, der Anlass zu philosophischem und persönlichem Gespräch war. Dabei war ich beglückt über die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, die die Begegnung mit ihm menschlich und geistig kennzeichnete. Sein Vortrag war wahrhaft ausgezeichnet. Dazu ergab sich dann, daß auch das, was ich in Oeynhausen zu Hegel’s Staatslehre vorzutragen hatte, wohl in wichtigsten Punkten seine Zustimmung und sein Interesse fand. Wie schön war es, daß Sie wieder einmal hier waren, auch in unserem Hause. Meine Frau wünscht sich jetzt mit mir, daß wir einmal Gelegenheit haben, Sie endlich in Ihrer Plettenberger Welt zu besuchen. Vielleicht geben Sie uns freundlicherweise ein Zeichen, wenn Sie wieder von Spanien zurück sind. Die nächsten Semesterwochen sind auch hier sehr besetzt, so daß ich nicht viel Möglichkeit zu freier Disposition mehr habe. In alter dankbarer Verehrung bin ich stets Ihr Joachim Ritter
36. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg den 1. Mai 1963 Lieber und verehrter Herr Ritter, darf ich Sie mit einer Anfrage überfallen? Es handelt sich um einen besonders interessanten, gebildeten und europäisch berühmten Spanier, Luis Diez del Corral204 (Verfasser von El rapto de Europa, deutsch bei Beck in Mün204 Luís Díez del Corral y Pedruzo (1911–1997), spanischer Jurist und Politikwissenschaftler. Vgl. Gustav E. Kafka, Ein spanischer Universalist: Luís Díez del Corral, in: Hochland 60, 1968, S. 667–670.
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chen erschienen205), mit dem ich Sie gern bekannt machen würde, und ihn mit Ihnen. Er ist in diesen nächsten Wochen zweimal in Deutschland: am 20. Mai (Technische Hochschule) in Aachen, und am 18. Juni in München. Wenn es sich improvisieren liess, dass er – vielleicht wie voriges Jahr Julien Freund – bei Ihnen einen Vortrag oder Colloquium hielt [sic], wäre das wahrscheinlich für alle Beteiligten hochinteressant. Er ist Ordinarius an der Universität Madrid, war spanischer Kulturattaché in Paris, etc. etc. vor allem: ein Caballero de buena raza206 und Freund Ortegas207. Verzeihen Sie den Überfall. Ich weiss dass Sie tief in der Arbeit stecken. Also: sin más por hoy208! Herzliche Grüße und Wünsche Ihnen, Ihrer verehrten Frau und ihren Kindern! Ihr alter Carl Schmitt.
37. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11658 1963 Mai 4
4. Mai 1963 Lieber und hochverehrter Herr Schmitt! Nachdem ich Ihren Brief vom 1. erhalten hatte, habe ich lange mit meiner Rektoratssekretärin den Terminkalender geprüft. Das Ergebnis war negativ. Es gibt keine Möglichkeit, einen Besuch Ihres spanischen Gastes, auch wenn wir besten Willens sind, noch einzuschieben, weder im Mai noch im Juni. Darüber bin ich recht deprimiert. Es gehört zu den Dingen, mit denen ich mich in diesem Jahr abfinden muß, daß immer wieder mir persönlich Wichtiges und Wichtigstes wegen „amtlicher“ Verpflichtungen beiseite gesetzt wird. Ob es nicht möglich sein wird, Herrn del Corral später einmal, vielleicht in Verbindung mit Köln oder Bonn, wieder einzuladen? Man wird, wie ich meine, nicht so sehr schwer Mittel dafür erreichen können, da die Beziehungen zur spanischen geistigen Welt bei uns allzu schmal sind. So kann ich Ihnen nur mit einem Gefühl wirklichen Bedauerns für Ihren 205
Luís Díez del Corral y Pedruzo, El rapto de Europa. Una interpretación histórica de nuestro tiempo, Madrid: Revista de occidente 1954; dt.: Der Raub der Europa. Eine historische Deutung unserer Zeit, München 1959. 206 Span.: „Ein Herr aus sehr gutem Hause“. 207 José Ortega y Gasset (1883–1955), span. Philosoph und Soziologe. Vgl. Rafael Capurro, Ortega y Gasset, in: Julian Nida-Rümelin (Hrsg.), Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen von Adorno bis v. Wright, 2. Aufl., Stuttgart 1999, S. 542–546. 208 Span.: „Mehr nicht für heute“.
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
schönen Hinweis Dank sagen, der mich als Zeichen der Verbundenheit meines Kreises mit Ihnen beglückt hat. Ich grüße Sie in herzlicher Verehrung, Ihr Joachim Ritter
38. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11659 1963 Juli 23
23. Juli 1963 Hochverehrter lieber Herr Schmitt! Vielleicht hat Dr. Böckenförde Ihnen gesagt, welches Mißgeschick ich mit der Erfüllung meines Wunsches, Ihnen zu Ihrem 75. Geburtstag zu gratulieren, hatte. Ich war irrigerweise der Meinung, daß Sie bis Anfang August nicht in Plettenberg sein würden. Das habe ich in München auch Herrn Dr. Mohler209 gesagt. Ich fürchte, daß auch er Ihnen nicht rechtzeitig geschrieben hat. Für alle diese Irrungen und Missverständnisse bitte ich um Nachsicht. Nun möchte ich heute anfragen, ob es Ihnen recht sein könnte, wenn ich am [handschriftl. eingesetzt: ] Di 6.8.63 August [sic] nachmittags mit Frau, Sohn und Dr. Gründer210 nach Plettenberg kommen würde, um Ihnen persönlich und unmittelbar nachträglich Glück zu wünschen. Ich werde am Vormittag in Soest zu tun haben und könnte gegen 16 Uhr in Plettenberg sein, um dann noch abends nach Münster zurückzufahren. Wäre es Ihnen möglich, mir kurz Bescheid zu geben, damit ich disponieren kann? In herzlicher Verehrung stets Ihr Joachim Ritter
209
Armin Mohler (1920–2003), Schweizer Publizist und Politikwissenschaftler, zeitweise Privatsekretär Ernst Jüngers (1949–1953) und Geschäftsführer der Carl Friedrich von Siemens Stiftung (1964–1985). 210 Karlfried Gründer (1928–2011), dt. Philosoph, Schüler Ritters. Vgl. Odo Marquard (Hrsg.), Disiecta membra. Studien Karlfried Gründer zum 60. Geburtstag. Mit einem Vorwort von Wilhelm Schmidt-Biggemann, Basel 1989.
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39. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg den 26. Juli 1963 Lieber, sehr verehrter Herr Ritter, vielen Dank für Ihr Schreiben vom 23. Juli! Ich freue mich sehr auf Ihren Besuch und erwarte Sie, Ihre sehr verehrte Frau, Ihren Sohn und Herrn Dr. Gründer am Dienstag, den 6. August, wie vorgeschlagen, nachmittags gegen 16 Uhr. Auf ein gutes Wiedersehen! Ihr alter Carl Schmitt. [Beigefügt: Postkarte von Plettenberg mit handschriftlich eingetragener Markierung] Zur Orientierung des Fahrers: Ich wohne nahe der Lenne-Brücke, am linken Lenne-Ufer, in dem angemarkten Hause, Brockhauserweg 10. C. S.
40. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 265-11660
Münster, 26. August 1963 Lieber verehrter Herr Schmitt, Als ich in Trier’s Buch über Venus211 diesen Abschnitt über „nemesthai“ las, dachte ich gleich, daß Ihnen das hier Gesagte wichtig sein könnte. Ich ließ daher das Kapitel fotokopieren und schicke Ihnen jetzt mit herzlichem Gruß und in Gedanken an die schönen Nachmittagsstunden in Ihrem Hause einen Abzug. In Verehrung Ihr Ritter
211 Jost Trier, Venus. Etymologien um das Futterlaub (= Münstersche Forschungen 15), Köln 1963.
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
41. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg/San Casciano den 28. August 1963 Sehr verehrter, lieber Herr Ritter, Ihre Zusendung der Photokopie von Jost Triers nemesthai hat mich tief gerührt. Ich denke immer noch an Ihren wundervollen Besuch in Plettenberg und erhalte jetzt dieses Zeichen Ihres aufmerksamen Interesses an meinen Gedanken. Als Antwort schicke ich hier den Vorabdruck eines Nomos-Aufsatzes, der in der Festschrift für P. Erich Przywara SJ 1959 total begraben ist.212 Was mich (trotz der durch mein Alter gehemmten Reaktionsfähigkeit) so plötzlich reagieren läßt, ist eine Bemerkung Trier’s auf Seite 75: Homer habe das Wort nomos nicht verwendet. Ich bin sicher, daß Sie meinen Eifer verstehen, wenn Sie anfangen, die auf S. 98 (unten) meines Beitrags angezeichnete Stelle zu lesen. Ich kenne nichts Spannenderes als eine Wortgeschichte von Nomos. Aber der Einzige, den ich bisher mit meinem Eifer überzeugen konnte, ist Prof. Hermann Schmidt (Philosophische Rundschau 1961 und Der Staat 1963).213 Wenn Sie Jost Trier für dieses Thema interessieren könnten, wäre ich Ihnen besonders dankbar. Er hat mir vor 20 Jahren sehr freundlich geschrieben und ich habe ihm im Nomos der Erde (1950) S. 43/44 meinen Dank offen und uneingeschränkt bekundet. Sollte er aber zu denen gehören, denen es unerwünscht ist, meinen Namen zu hören, so möchte ich natürlich nichts gesagt haben. Herr Dr. Gründer hat mir Trier’s Aufsatz über Clemenswerth214 geschickt, was für mich ein weiterer Anlaß war, die sprachwissenschaftliche Genialität dieses Autors zu bewundern. Entschuldigen Sie, lieber und verehrter Herr Ritter, meinen allzu eifrigen Widerhall auf Ihre freundliche Sendung! Ich dachte mir aber, der Hinweis auf den Zusammenhang von Nomos und Hegels „System der Bedürfnisse“215 (vgl. den Zusatz auf S. 95 meines Aufsatzes) hätte möglicherweise Interesse für Sie und so wäre meine Antwort der Versuch eines sachlichen Eingehens auf Ihre Zusendung und nicht nur ein bloßes Wort des Dankes, das als solches 212
Schmitt, Nomos – Nahme – Name (wie Anm. 185). Vgl. Hermann Schmidt, Der >Raum< der Erkenntnis und der Raum der Politik, in: Philosophische Rundschau 9, 1961, S. 18–47; ders., Der Nomosbegriff bei Carl Schmitt, in: Der Staat 2, 1963, S. 81–108. 214 Jost Trier, Clemenswerth, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 27, 1948, H. 1, S. 48–60. 215 Vgl. Hegel, Grundlinien (wie Anm. 51), §§ 189–208. 213
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in Gefahr ist, banal zu wirken und meine aufrichtige Dankbarkeit nicht richtig zum Ausdruck zu bringen. Ihnen und Ihrer sehr verehrten Frau und Ihren beiden Kindern viele herzliche Grüße und Wünsche für den beginnenden neuen Abschnitt der Sommerferien! Stets Ihr alter Carl Schmitt.
42. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11643 o. D.
Verehrter, lieber Herr Schmitt, am Heiligen Abend wollte ich bei Ihnen anrufen, um Ihnen unsere Weihnachts- und Neujahrswünsche zu übermitteln, musste aber feststellen, dass uns das Fernsprechamt keine Anrufnummer nennen konnte. So seien sie Ihnen denn in Verehrung und Verbundenheit auf diesem Wege dargebracht. Meine Frau und ich haben in den letzten zwei Monaten nicht die Zeit gefunden für den geplanten Abendbesuch bei Ihnen, meine Frau wurde bald nach der Rückkehr und einigen Feiertagen durch die Vorbereitung eines Umzugs sehr beansprucht, den wir jetzt kurz vor den Feiertagen glücklich hinter uns gebracht haben. Ich hatte mich bei vielen Verpflichtungen mit einer hartnäckigen Erkältung abzufinden, die noch fortdauert und mir die Lust zu zusätzlichen Unternehmungen nimmt. Schließlich ist jetzt unsere Tochter bei uns, die Mitte Januar für ein Jahr in die USA an das Medical Center der Yale-Universität geht; auch das fordert Vorbereitungen, die die Zeit meiner Frau einschränken. Nun möchte Sohn Henning, der für einige Feiertage von Berlin hier ist, von Herzen gerne Sie besuchen und Ihnen unsere Grüße bringen. Er könnte in den Tagen zwischen den Festen kommen, mit dem Zuge 17.26 in Plettenberg sein, dort für eine Nacht ein Hotelzimmer nehmen und abends bei Ihnen sein. Bitte geben Sie mit aller Offenheit Bescheid, ob Ihnen in diesen Tagen ein solcher Besuch willkommen ist, Henning wird auch im März hier sein und könnte dann mit uns zu Ihnen kommen. Sollten Sie zustimmen, bitte telefonisch oder telegraphisch Nachricht, wann Sie ihn erwarten und vielleicht auch, wo er am besten übernachtet. Für diese stillen Tage (in denen ich den Rektor vertrete) ein grosses Abendprogramm; Vorträge zum Universitätsproblem (für März im Rhein-Ruhr-Club und im Wissenschaftsrat zum Begriff einer wissenschaftlichen Hochschule)216 und Vorbereitung 216 Joachim Ritter, Freiheit der Forschung und Lehre. Zur Aufgabe der Universität in der industriellen Gesellschaft, Vortrag März 1964 Rhein-Ruhr-Club; ders.,
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
wie Abfassung eines Nietzsche-Kapitels in der Vorlesung dieses Semesters über „Kunst und Gesellschaft“217. Grosse Freude daran, endlich wieder auch für die eigenen Dinge und die Arbeit mit den Studenten da zu sein. Wir alle grüßen Sie von Herzen, Ihr Ritter
43. Joachim und Edith Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11661 1964 Nov. 8 [Ansichtskarte: Naturschutzpark Lüneburger Heide]
8. November 1964 Seit einigen Tagen allen Verpflichtungen entronnen, in der spätherbstlichen Heide, der uns von Kindheit und Jugend her heimatlichen. Wir grüssen Sie, verehrter Herr Schmitt, mit herzlichen Grüssen und Wünschen. Können Sie noch nach Münster schreiben, wann Sie zwischen 15/11 und 15/12 nicht in Plettenberg sein werden; wir möchten Sie bald einmal sehen und möchten für einen abendlichen Besuch zu schneller Anmeldung „disponieren“ können. Ihre Joachim Ritter und Edith Ritter
44. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg, den 17. November 1964 Herzlichen Dank, lieber Herr Ritter, Ihnen und Ihrer verehrten Frau für den Gruss aus der Lüneburger Heide und für die grosse Freude, die mir die Aussicht auf einen Besuch von Ihnen bereitet! Im Moment bin ich schlecht dran und wegen Mittelohrerkrankung in ärztlicher Behandlung. Das sauerländische Wetter bleibt sich und seinem Namen (Sauerland heisst: nasses Land) treu, und ich möchte nicht, dass Sie eine Reise hierher machen und dabei nur einen heiseren alten Mann treffen, der nur noch als Veranschaulichung der schlimmsten Leib-Seele-Problematik (commercium mentis et Freiheit der Forschung und Lehre. Zur gesellschaftlichen Funktion der deutschen Universität, Vortrag vor dem Wissenschaftsrat. München, 16./17. Oktober 1964, beides DLA Marbach, Nachlass Joachim Ritter. 217 Joachim Ritter, Kunst und Gesellschaft, Vorlesung WS 1963/64 (III,45/V,25), DLA Marbach, Nachlass Joachim Ritter.
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corporis218, cartesianisch gesagt) einen gewissen pädagogischen Demonstrationswert hat. Ich melde mich Ende des Monats nochmals. Heute nur dieser kurze Gruss als Dank und Ausdruck aller meiner guten Wünsche! Unveränderlich Ihr alter Carl Schmitt. P. S. Eine Bitte (in der Erinnerung an Ihren Besuch im August 1963): kleben Sie bitte die beigefügte Briefmarke aus der Reihe Grosse Deutsche auf Seite 75 (neben der zwischentextlichen Anmerkung S. 75/76) meines „Begriffs des Politischen“ Neudruck 1963 ein!219
45. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
15/7/67 Lieber, sehr verehrter Herr Ritter, ist es denkbar, dass wir uns in den nächsten Wochen oder Monaten einmal sehen? Ich habe ein grosses Anliegen, nicht in eigener Sache sondern die erste vollständige Bruno-Bauer-Darstellung und -Edition betreffend. Im September/Oktober bin ich in Spanien bei meiner Tochter. Nach Ebrach kann ich nicht kommen. Doch käme ich gerne eigens nach Münster, wenn Sie eine Stunde Zeit für mich haben. Die besten Grüße und Wünsche Ihres alten, leider unveränderlichen Carl Schmitt.
218
Lat.: „Zusammenspiel von Geist und Körper“. Briefmarke „Franz Oppenheimer“ (1964) der Deutschen Bundespost aus der Reihe „Bedeutende Deutsche“ (1961–65). Oppenheimer (1864–1943), dt. Nationalökonom und Soziologe, war u. a. akademischer Lehrer des späteren Bundeskanzlers Ludwig Erhard. Seine Konzeption eines liberalen Sozialismus beeinflusste Erhards Vorstellungen von sozialer Marktwirtschaft. Vgl. Dirk Kaesler, Oppenheimer, Franz, in: Neue Deutsche Biographie 19, 1998, S. 572–573. In dem genannten Passus von „Der Begriff des Politischen“ setzt sich Schmitt kritisch mit Oppenheimers Staatsauffassung auseinander. 219
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
46. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11662 1967 Juli 25
25.7.1967 Lieber, verehrter Herr Schmitt, für Ihren Brief vom 15. Juli danke ich Ihnen herzlich. Ich werde den ganzen August in Münster sein und freue mich sehr, Sie endlich wieder einmal nach langer Zeit zu sprechen. Selbstverständlich bin ich bereit, nach Plettenberg zu kommen; es gibt einen guten Zug, mit dem man nachmittags dort sein kann. Da meine Frau im kommenden Monat unseren Enkelsohn David hüten muß, wird sie zu ihrem Leidwesen nicht mitfahren können; sie hat mich beauftragt, Ihnen das mit ihren Wünschen und Grüßen zu übermitteln. Ebenso würden wir uns sehr freuen, wenn wir Sie hier in Münster als unseren Gast begrüßen könnten. Bitte schreiben Sie mir ganz offen, was Ihnen am liebsten ist. Ich möchte keine Einladung aussprechen, der zu folgen Ihnen Mühe und Last bedeuten würde. Soweit ich bisher übersehe, bin ich nur am 11. und 12., dazu am 3., 4. + 5. August gebunden. Ich bitte Sie so, einen Termin vorzuschlagen und zu entscheiden, ob wir uns in Münster oder bei Ihnen sehen sollen. Meine Frau würde sich verständlicher Weise über eine Zusage für Münster besonders freuen. Ich schicke Ihnen mit gleicher Post zwei kleine Arbeiten zu Politik und Ethik220, die Sie vielleicht interessieren könnten. In Verehrung bin ich stets Ihr Joachim Ritter 47. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg, den 27. Juli 1967 Sehr verehrter, lieber Herr Ritter, vielen Dank für Ihr Schreiben vom 25. Juli, dessen Güte und Grosszügigkeit mich aufs tiefste rührt. Sie überlassen mir die Wahl und es versteht 220 Joachim Ritter, „Politik“ und „Ethik“ in der praktischen Philosophie des Aristoteles, in: Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 74, 1967, S. 235–253; ders., Moralität und Sittlichkeit (wie Anm. 57).
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sich von selbst, dass ich am liebsten nach Münster käme, schon um dem freundlichen Vorschlag Ihrer sehr verehrten Frau zu folgen. Leider haben sich aber in der letzten Zeit die Begleiterscheinungen meines hohen Alters sehr fühlbar gemacht. Meine unberechenbare, oft lähmende Ermüdbarkeit könnte sogar ein Gespräch über das sachlich-wissenschaftliche Thema – Bruno-Bauer-Edition – gefährden. So gehe ich denn dankbar auf Ihre Bereitschaft ein, die Reise nach Plettenberg auf sich zu nehmen. Ich schlage als Datum einen der drei Tage (nach Ihrer Auswahl) vor: Montag 7/8, Dienstag 8/8, Mittwoch 9/8. Ich würde Sie in Altena abholen (Der D-Zug von Münster 12.06 kommt 13.54 in Altena an). Die eigentliche Besprechung könnte nachmittags in meiner Wohnung stattfinden. Ich würde gern den Kenner aller Unterlagen, Herrn Akademierat Dr. H. M. Sass221 von der Philos. Forschungsstelle in Bochum, für eine Stunde hinzuziehen, wozu er bereit ist, wenn Sie zustimmen. Sollte sich im Anschluss daran noch Raum für ein sommerliches Gespräch zwischen uns beiden ergeben – z. B. die beiden Sonderdrucke –, so fände ich das wunderbar. Ich bringe Sie hier unter und am anderen Morgen an den D-Zug Altena – Münster, sodass Sie nachmittags wieder zuhause sein könnten. Staunen Sie bitte nicht über meine Eisenbahnverkehrstechnische Informiertheit; sie beruht auf einem schönen Präzedenzfall, den ich noch in bester Erinnerung habe: Hennings Besuch bei mir in Plettenberg. Indem ich Sie bitte, Ihrer verehrten Frau meinen Dank für Ihre Einladung zu übermitteln und meine Grüße und Empfehlungen auszusprechen, bleibe ich mit allen guten Wünschen für Sie und die Ihrigen unveränderlich Ihr alter Carl Schmitt.
48. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11663 1967 Juli 31
31.7.1967 Lieber, verehrter Herr Schmitt, Dank für Ihren Brief; ich werde also, wenn es Ihnen recht ist, Mittwoch, den 9. August, aus den von Ihnen vorgeschlagenen Tagen wählen und an diesem Tage mit dem von Ihnen angegebenen Zug 13.54 Uhr in Altena ankommen. Dankbar würde ich sein, wenn ich nach der Ankunft in Plettenberg mich noch ein Stündchen zurückziehen dürfte. Ich stehe regelmäßig 221
Hans Martin Sass (*1935), dt. Philosoph und Medizinethiker.
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früh auf und bin brauchbarer, wenn ich die gewohnte Mittagsruhe nicht ausfallen lassen muß. Meine Frau grüßt Sie mit herzlichen Wünschen; sie würde am liebsten mitkommen, doch muß sie, wie ich Ihnen schrieb, unsern Enkelsohn hüten, dessen Eltern eine Ferienfahrt machen. Ich freue mich sehr, Herrn Saß bei Ihnen zu sehen; er ist der souveräne Kenner aller Texte aus dieser Zeit und ihrer Probleme. Alles sei Ihnen überlassen, richten Sie es bitte so ein, daß Sie auf keinen Fall durch meinen Besuch belastet und ermüdet werden. Falls Sie mit meinem Vorschlag einverstanden sind, ist eine weitere Nachricht nicht notwendig. In der Freude Sie wiederzusehen bin ich in steter Verehrung Ihr Joachim Ritter
49. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11664 1967 Aug. 14
14.8.1967 Lieber und sehr verehrter Herr Schmitt, mit großem Dank denke ich an das Gespräch mit Ihnen, das für mich wahrhaft Ermutigung, Anregung und Bestätigung war; ich bin heiter und in dem Bewußtsein nach Münster gefahren, daß der Gedanke nur wahrhaft lebt und begreifbar ist aus der Erfahrung der Tiefe und aus den Friktionen, die der Wirklichkeit angehören. Ich habe mir vorgenommen, gelegentlich wieder einmal bei Ihnen anzufragen, ob ein Besuch willkommen ist. Meine Frau dankt Ihnen sehr herzlich für den Gruß des „unveränderten“ C. S. Dem Sohn schickte ich die Photokopie von „Was habe ich getan?“;222 am Freitag werde ich ihn in Heidelberg besuchen und Gelegenheit haben, hieran und an unsere Unterhaltung anknüpfend, mit ihm das Gespräch fortzuführen. Dr. Gründer, dem ich vom Besuch bei Ihnen erzählte, dankt für Ihre Grüße; er sagte mir, daß es aus der „Konfliktszeit“ keine Briefe Yorcks223 gibt, doch will er Ihnen unmittelbar schreiben. Mit Herrn Saß werde ich mich sofort nach dessen Rückkehr wegen des Manuskripts über Bruno Bauer in Verbindung setzen. Ich möchte es auch, 222
Schmitt, Was habe ich getan? (wie Anm. 154). Paul Yorck von Wartenburg (1835–1897), dt. Jurist und Philosoph, Briefpartner Wilhelm Diltheys. Vgl. Jerzy Krakowski (Hrsg.), Dilthey und Yorck. Philosophie und Geisteswissenschaften im Zeichen von Geschichtlichkeit und Historismus (= Acta Universitatis Wratislaviensis 1788), Wrocław 1996. 223
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wenn Sie damit einverstanden sind, Herrn Dr. Gründer vorlegen, der mir vielleicht bei seiner Beurteilung aus seiner großen Kenntnis der Theologie des 19. Jahrhunderts helfen kann. Wir müssen dann sehen, wie sich der Weg zu seiner Veröffentlichung bahnen läßt.224 Die Sache ist großartig und – auch aus menschlichen Gründen – jeder Mühe wert. Sobald wir klar sehen, werde ich Ihnen berichten. Ich freue mich, Sie in Ebrach wiederzusehen und wünsche Ihnen von Herzen gute Reise und frohe Tage in Spanien. In steter Verehrung bin ich Ihr Joachim Ritter
50. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11665 1968 Juli 6
44 Münster, den 6. Juli 1968 Hittorfstr. 46 Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt, von Herrn Böckenförde hörte ich, daß Sie Ihren Geburtstag in Spanien feiern, und weiß nun nicht, ob Sie die Wünsche meiner Frau und meiner Kinder und meine Wünsche noch rechtzeitig erreichen. Es sind Wünsche der Verehrung und des Dankes, der Erinnerung an unvergeßliche Gespräche und Begegnungen, an Aufnahmen, Bestätigung und Ermutigung. ‚Carl Schmitt‘ ist, seit wir uns zuerst sahen, in einer ständigen und eigentümlich wirksamen Praesenz für uns da: Der in Erfahrung Weise, der für das verborgene Wesen empfindlich Offene, der aus der Fülle des Geistigen und des Politischen, ihrer Gefährdung und Tiefe Denkende und Sprechende – Meer, Staat, Recht, Landschaft, Dichtung, Brauch, Bild, Mensch und dieser Mensch, das Begriffliche als Metapher und das Metaphorische als Begriff, so als seien die sich im Grunde knüpfenden Beziehungen des Späten und des Frühen, des Ursprünglichen und des dem Ursprung Fernen in einem Zusammenhang verknüpft, der das Verborgene und zugleich das in allem zu Tage liegende Scheinende und Gegenwärtige ist. Was mich im Gespräch mit Ihnen persönlich und mit Ihren Büchern vielleicht am meisten berührt, ist die merkwürdige Kraft, die Isolierungen und 224 Vgl. Bruno Bauer, Studien und Materialien. Aus d. Nachlass ausgew. u. zsgest. von Peter Reimer/Hans-Martin Sass. Hrsg. vom Forschungsinstitut der Friedrich-EbertStiftung und dem Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Assen 1972.
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die Abgrenzungen zu durchdringen nicht, um sie in ein Allgemeines verdampfen zu lassen, sondern um das in diesen Stehende in dem Allgemeinen aufzuheben und damit zu seinem Begriff und Grunde zu bringen. Ich konnte so etwa verstehen, was die Herkunft des „Politischen“ von ‚Polis‘ sachlich bedeutet. Sie haben mir einmal gesagt, warum ich nicht für ‚Stadt‘ ‚Polis‘ sage, warum ich also nicht das Allgemeine in seiner vollen konkreten und geschichtlichen Bestimmtheit nehme. Die Erfahrung war dann, daß mit dieser Konkretion das Allgemeine, das ich suchte, erst wirklich hervortreten konnte. Man wird einmal sagen, daß Sie gewußt und ausgesprochen haben, was sich im Grunde der Umbrüche und Umstürze dieses Jahrhunderts im Wanken der Dinge ereignet hat und ereignet, und wie in ihnen zu Ohnmacht und Frustration die Nähe des Bleibenden gehöre. Man könnte in der Erfahrung dieses Jahrhunderts müde werden. Sie haben jede Stufe der Enttäuschung und auch der Widerlegung auf einer höheren Stufe der Erfahrung hinter sich gelassen und in die fortgehende Zuwendung zum Wesentlichen „aufgehoben“: Welche Unbeirrbarkeit in sich und im Verhältnis zur Welt und darin welche Bezeugung des Geschichtlichen im Geschehenden. Ich wünsche Ihnen, lieber Herr Schmitt, daß Sie sich der Zeichen der Verehrung und des Dankes, die in diesen Tagen zu Ihnen kommen, freuen und daß Ihnen die Gelassenheit eines aus vieler Erfahrung hervorgegangenen Wissens die Heiterkeit des Geistes in einer Zeit bewahrt, in der das Unheitere und Hektische sich laut gebärdet und gebärden muß. Wir sprechen in diesen Tagen viel von Ihnen, nehmen Sie bitte den Versuch, in diesem Briefe die Verehrung, in der wir an Sie denken, und ihren Grund wenigstens anzudeuten als Geburtstagsgruß freundlich auf. Ihr Ritter 51. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg, den 26. Dezember 1968 Lieber und verehrter Herr Ritter, Ihr wunderschöner Brief zu meinem 80. Geburtstag hat mich im Juli in Santiago de Compostela225 erreicht; er hat mich aufs tiefste gerührt und 225 Schmitt verbringt den Geburtstag bei seiner Tochter. Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 2), S. 539.
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aufs kräftigste gestärkt und mich alle diese letzten Monate hindurch treulich begleitet. Ich habe viele Entwürfe eines einigermaßen adäquaten Dankes versucht, die mir aber niemals ausreichend erschienen. Nur so ist es gekommen, dass ich am Ende des Jahres, in dessen Mitte ich einen so unvergleichlichen Geburtstagsbrief erhalten habe, als undankbarer Empfänger dastehe und an Ihre Nachsicht appellieren muss. Ein solcher Brief ist ja kein isoliertes Schriftstück. Bei jedem Wort schwingen zahllose Erinnerungen an unsere Begegnungen und Gespräche mit, an Münster, Ebrach und Plettenberg, an Ihre verehrte Frau und Ihre Kinder und an gemeinsame Freunde. Von den 17 Mitarbeitern der Festschrift „Collegium Philosophicum“ zu Ihrem 60. Geburtstag (1965)226 sind nicht weniger als fünf Mitarbeiter227 der Festschrift ýpûrrwsiò zu meinem 80. Geburtstag228; diese 5 sind sämtlich Mitarbeiter des II. Bandes der ýpûrrwsiò, d.h. der mit mir nach 1945 in Beziehung gekommenen, also der jüngeren Bekannten, wobei dieser zweite Band ebenfalls 17 Mitarbeiter hat. Das scheint mir doch auf einen tieferen Zusammenhang zu deuten, über den wir uns einmal in einem kontemplativen Moment unterhalten müssten. Vielleicht, lieber und verehrter Herr Ritter, sind Sie so – Verzeihung – unendlich viel jünger als ich, und noch lange nicht so museumsreif, dass Sie der kontemplativen Lähmung so stark wie ich unterliegen und die schönsten und wichtigsten Briefe ebendeshalb monatelang unbeantwortet lassen. Jetzt aber höre ich durch Karlfried Gründer, dass Sie gern eine Kopie Ihres Briefes vom Juli hätten, übrigens ein Wunsch, für den ich das grösste Verständnis habe, denn ich schreibe meine Briefe spontan und würde sie dann gelegentlich später gern nocheinmal lesen. Ich lasse Ihnen also eine Fotokopie machen, die mir für Ende des Monats versprochen ist und die Sie dann sofort erhalten. Ich glaube, dass Sie die Gesinnung wie die Stimmung dieser meiner Zeilen gut verstehen und sage Ihnen und den Ihrigen, insbesondere Ihrer sehr verehrten Frau, meine herzlichsten Festtags- und Neujahrswünsche. In treuer Erinnerung bleibe ich stets Ihr alter Carl Schmitt. 226 Ernst-Wolfgang Böckenförde u. a. (Hrsg.), Collegium Philosophicum. Studien Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel/Stuttgart 1965. 227 Es handelt sich um Ernst-Wolfgang Böckenförde, Karlfried Gründer, Hermann Lübbe, Günter Rohrmoser und Robert Spaemann. 228 Hans Barion/E.-W. Böckenförde/E. Forsthoff/W. Weber (Hrsg.), Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, 2 Bde., Berlin 1968.
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
52. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg, den 5. Oktober 1969 Lieber, sehr verehrter Herr Ritter, dass dieses bisher so fatale Jahr 1969 mir noch ein so schönes, kostbares Geschenk wie Ihre „Metaphysik und Politik“229 auf den Tisch legen würde, hatte ich nicht erwartet. Ich danke Ihnen herzlich dafür und gratuliere Ihnen und uns allen zu der eindrucksvollen Sammlung Ihrer Aufsätze, die ein Bild Ihrer Produktivität der letzten Jahrzehnte vermittelt, das nicht nur bei den professionellen Aristotelologen und Hegelingen Interesse und kollegiale Neugierde erregen wird, sondern auch die kontemplativen Betrachter bereichert und weiterführt. Für mich war schon eine flüchtige Begegnung mit vielen zufällig beim Aufschlagen wiedergelesenen Stellen eine wahre Beglückung, zumal mit ihnen die Erinnerung an viele Gespräche verbunden ist, die ich mit Ihnen in Münster, Ebrach und Plettenberg führen durfte. Ich hoffe, dass diese Publikation ein Vorbote zu weiteren Arbeiten ist, insbesondere zu Ihrem Kommentar zu Hegels Rechtsphilosophie, zu dem doch schon soviel an erkennbaren Resultaten vorliegt. Ich muss mit meinen Wünschen sehr vorsichtig sein, denn das Konto meiner Lebenserwartung wird täglich geringer, aber eine Zusammenfassung Ihrer großen Hegel- und Aristoteles-Kenntnis in der Form eines systematischen Kommentars zur Rechtsphilosophie Hegels möchte ich doch noch gern zur Kenntnis nehmen, ehe ich diese irdische Wanderbühne verlasse. Ich grüße Sie und Ihre sehr verehrte Frau aufs herzlichste, wünsche Ihnen beiden und Ihren Kindern Gesundheit und Freude an Ihrer wissenschaftlichen Arbeit, von der ich soeben wieder ein besonders schönes Beispiel von Ihnen erhalten habe. Stets Ihr alter Carl Schmitt.
229
Ritter, Metaphysik und Politik (wie Anm. 14).
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53. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11666 1971 März 1
1.3.1971 Verehrter, lieber Herr Schmitt, den Verlag Schwabe & Co in Basel habe ich veranlasst, Ihnen den 1. Band des von dem alten münsterer Kreis herausgegebenen „Historischen Wörterbuchs der Philosophie“230 in meinem Auftrag zu schicken. Ich möchte mit der Zusendung dieses aus viel Mühe und Sorge hervorgegangenen Buchs nicht Ihre Zeit beanspruchen, sondern Ihnen zum Ausdruck bringen, dass ich das Bedürfnis habe, Ihnen vorzulegen, was mich lange beschäftigt hat. Ein Werk, in dem so viele Geister verschiedenster Standpunkte und Richtungen des Interesses mitarbeiten, gibt dem einlässlichen Blick leicht zu erkennen, wo seine Mängel, Lücken, Unzulänglichkeiten usf. liegen. Der Gedanke war, gegenüber den Reduktionen und dürren Formalisierungen den Reichtum in der Vielfalt des im Begriff aufgehobenen Geistes wenigstens scheinend gegenwärtig zu halten, und der Wunsch dies als Element der alles implizierenden und bewahrenden Gegenwart wirksam werden zu lassen. Was in dem passionierten Willen der jungen Freunde seinen Grund hatte und aus ihm hervorging, ist inzwischen zu einem „Unternehmen“ geworden, dem sich auch der nicht mehr entziehen kann, der wünschte, die endlich gewonnene Freiheit des Alters freier nutzen zu können. Das Manuskript des 2. Bandes (D–F) soll in wenigen Wochen in den Umbruch gehen; die Veröffentlichung des 3. Bandes (G–J) bereiten wir für 1972 vor. Ich höre von Herrn Schmitz231 in Mainz und kürzlich von Herrn Specht232, der hier einen ausgezeichneten Vortrag hielt, dass Sie krank waren, und wünsche Ihnen von Herzen auch im Namen meiner Frau schnelle und nachhaltige Genesung und Kräftigung, zu der das Frühjahr, was wir nun sehnlichst erwarten, beitragen möge. In Verehrung bin ich stets der Ihre Joachim Ritter
230 Historisches Wörterbuch der Philosophie. Völlig neubearbeitete Ausgabe des Wörterbuchs der philosophischen Begriffe von Rudolf Eisler, Bd. 1: A–C, hrsg. v. Joachim Ritter, Basel/Stuttgart 1971. 231 Arnold Schmitz (1893–1980), dt. Musikwissenschaftler. 232 Rainer Specht (*1930), dt. Philosoph, Schüler Ritters.
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Joachim Ritter/Carl Schmitt
54. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
9/3/1971 Lieber und verehrter Herr Ritter, ich schreibe diese Zeilen hinter dem Rücken der Ärzte, aber die Freude über Ihren Brief vom 1. März und den grossartigen Band I Ihres Philosophischen Wörterbuches lässt mich jede Vorsicht vergessen. Dass Sie und Ihre sehr verehrte Frau sich meiner so freundlich erinnern, ist ein wahrer Trost. Ich bin seit über zwei Monaten bettlägerig (Herzinfarkt) und soll noch einige Monate unter dem Regime der Ärzte bleiben. Ich erinnere mich vieler Gespräche mit Ihnen, zur Zeit aus besonderem Anlass des Gespräches über Heidegger (Ebrach) und des mir von Ihnen zugesandten Aufsatzes von H. von März 1934233 und meiner Besuche in Ihrer gastlichen Wohnung und hoffe, dass es mir vergönnt ist, im Sommer eine Fortsetzung zu erleben, wenn Sie mich hier (wo es wunderbar ruhig ist) einmal besuchen können. Über Hanns-Hennings Strukturalismus-Arbeit bin ich hocherfreut. Er trifft die ungenauen Kombinationen heterogener Methoden bei Lévi-Strauss genau. Als ich auf seinen Wunsch einen anspruchslosen Zeitungsaufsatz über Rousseau234 schickte (voriges Jahr) ahnte ich nicht, dass Rousseau ihn im Zusammenhang mit den Thesen von Lévi-Strauss interessierte; sonst hätte ich ihn auf den hübschen englischen Aufsatz hingewiesen, den ich in meiner Schrift „Hamlet oder Hekuba“ auf S. 69 Anm. 1 zitiert habe235 (S. 73 Anm. 23 ist übrigens auch Lucien Goldmann zitiert236); mein Rousseau-Aufsatz betrifft nur Rousseau’s exzentrische Position (als ‚Partisan‘) in ihrer ‚Irregularität‘. Sagen Sie das ihm gelegentlich; die von ihm und Wolf Lepenies herausgegebene Theorie-Diskussion237 ist für mich (schon wegen seines kritischen Naturzustand-Themas bei Lévi-Strauss) ganz unschätzbar. Jetzt aber schnell ins Bett zurück! Ich grüße Sie herzlich, wiederhole meinen Dank, füge ein hermetisches Alterswerk bei, ohne Sie mit der Lek233 Im Nachlass Schmitts befindet sich eine Kopie von Martin Heidegger, Warum bleiben wir in der Provinz?, in: Der Alemanne vom 7.3.1934. 234 Carl Schmitt, Dem wahren Johann Jakob Rousseau. – Zum 28. Juni 1962, in: Zürcher Woche Nr. 26 vom 29.6.1962, S. 1. 235 Laura Bohannan, Miching Mallecho, That means witchcraft, in: The London Magazine 1, 1954, Nr. 5, S. 51–60. 236 Lucien Goldmann, Le Dieu caché. Étude sur la vision tragique dans les Pensées de Pascal et dans le théâtre de Racine, Paris 1955. 237 Wolf Lepenies/Hanns Henning Ritter (Hrsg.), Orte des wilden Denkens. Zur Anthropologie von Claude Lévi-Strauss, Frankfurt a. M. 1974.
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türe belasten zu wollen, und bitte vor allem, Ihrer Frau meine Grüsse und Wünsche zu übermitteln. In treuer Erinnerung Ihr alter Carl Schmitt. 55. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11667 1971 Dez. 28
Münster, den 28. Dezember 1971 Sehr verehrter und lieber Herr Schmitt, Es wird dies heute abend kein „wirklicher“ Brief an Sie werden, doch habe ich einfach den Wunsch, Ihnen wenigstens brieflich herzliche Grüsse und Wünsche zum Jahreswechsel auszusprechen, in Verehrung und in dem Verlangen, Ihnen deutlich zu machen, dass wir nicht „fortgegangen“ sind, sondern Ihnen unverändert verbunden sind und bleiben möchten. Ich habe immer einmal durch Herrn Specht238, Herrn Sander239, durch Herrn Böckenförde, den ich jetzt zu meiner Freude als Mitglied der Akademie in Düsseldorf240 häufiger sehe, von Ihnen gehört – der Wunsch, Sie zu besuchen, hat sich nicht verwirklicht. Wir sind jetzt durch die letzten Arbeiten für den zweiten Band des Wörterbuchs sehr beansprucht, der im Januar erscheinen soll, das mag mich ein wenig bei Ihnen entschuldigen. Für das Neue Jahr wünsche ich Ihnen Gesundheit und vor allem Freude daran, dass vieles von dem, was Sie gesagt haben, im Fortgang der Zeit von Neuem seine Wahrheit und Legitimität erweist. In herzlicher Verehrung, Ihr Ritter 56. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg-Pasel, den 15. Januar 1972 Lieber und verehrter Herr Ritter, dass ich Ihre Grüsse und Wünsche für das Jahr 1972 erst heute beantworte, erklärt sich aus meiner prekären Gesundheit: ich muss die wenigen Augen238
s. Anm. 232. Hans-Dietrich Sander (*1928), dt. Publizist (s. Anm. 127). 240 Gemeint ist die Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, heute Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste, mit Sitz in Düsseldorf. 239
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blicke, in denen ich einige Zeilen schreiben kann, geduldig abwarten und schnell ergreifen. Ihr Schreiben vom 28. Dezember hat viele Erinnerungen in mir wachgerufen. Ich lebe hier in einer Landschaft, die wie durch ein Wunder noch den Anblick eines unzerstörten Bildes darbietet, einer von allen Seiten unterhöhlten Fassade, die mich nicht mehr täuscht aber doch noch soviel Leben hat, dass einem das „ne troublez pas son agonie“241 naheliegt. Ihre Rektoratsrede vom 16. November 1962242 ist mir zum täglich benutzten Kompass für die philosophische Orientierung geworden. Trotz meines langen Schweigens hat der beständige Kontakt mit Ihren Gedanken keinen Augenblick versagt, wobei ich hinzufügen darf, dass er sich keineswegs auf diese gedankenreiche Rede über die Landschaft beschränkt. Ich hatte gehofft, Ihnen die Raumkapsel, in der ich philosophiere, einmal zeigen zu können; leider lässt mein debiler Zustand keine Pläne zu. Hoffentlich kann ich bei Ihnen einmal später in diesem Jahre, wenn die Tage länger geworden sind, wieder anfragen. Ich erwidere Ihre Wünsche aufs herzlichste, für Sie, für Ihre sehr verehrte Frau und für Ihre Kinder, insbesondere für Hanns Henning, dessen Aufsatz über Lévi-Strauss als Leser Rousseaus243 mich von Neuem beschäftigt, nachdem ich einen wilden Über-Rousseau (Ronald D. Laing (ed Suhrkamp 314)244 vom Übersetzer zugeschickt erhalten habe. Stets Ihr alter Carl Schmitt.
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Franz.: „Stört seinen Todeskampf nicht“; Anspielung auf den Ernest Renan zugeschriebenen Ausspruch „La France se meurt, ne troublez pas son agonie!“, zit. n. Paul Déroulède, L’Alsace Lorraine et la fête nationale. Conférence faite à Paris le 12 juillet 1910, Paris 1910, S. 7. 242 Joachim Ritter, Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft. Rede bei der feierl. Übernahme des Rektoramtes am 16. Nov. 1962 (= Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität 54), Münster 1963. 243 Hanns Henning Ritter, Claude Lévi-Strauss als Leser Rousseaus. Exkurse zu einer Quelle ethnologischer Reflexion, in: Lepenies/Ritter (Hrsg.), Orte des wilden Denkens (wie Anm. 237), S. 113–159. 244 Ronald D. Laing, Phänomenologie der Erfahrung. Aus dem Englischen von Klaus Figge und Waltraud Stein, Frankfurt a. M. 1969.
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57. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg-Pasel, den 19. März 1972 Lieber und verehrter Herr Joachim Ritter, eine Empfangsbestätigung für den 2. Band Ihres Historischen Wörterbuches der Philosophie245 darf ich nicht unterlassen, wenn ich auch meine mühsame Handschrift dabei in Bewegung setzen muss. Dieser zweite Band lässt die zeitgerechte Aktualität und Unentbehrlichkeit des grossartigen encyclopädischen Werkes noch deutlicher erkennen als der erste: Friedensforschung, Freund-Feind, Dezisionismus und andere Stichworte sind lebendige Parallelen von heute zu den Wörterbüchern von Bayle246 und Diderot247. Witzige Futuristen und Dadaisten hatten die Notwendigkeit moderner Wörterbücher schon unmittelbar nach dem ersten Weltkriege erkannt, so Giovanni Papini248, mit seinem Dizionario del uomo salvaggio [sic]249; auch sein herrlicher „Gog“250 liegt in dieser Richtung. Die offizielle akademische Philosophie kam nicht mit, doch weiss ich, dass Croce251 und Gentile252 solche Symptome begriffen. Bei uns beherrschte der Geist Sprangers253 den Raum. Ich wollte Sie mit solchen Reminiszenzen nicht aufhalten und nur ein Wort des lebhaftesten Dankes umschreiben. Sollte es mir vergönnt sein, Sie wiederzusehn und ein Gespräch mit Ihnen zu führen, so hätten wir schon 245 Historisches Wörterbuch der Philosophie. Völlig neubearbeitete Ausgabe des Wörterbuchs der philosophischen Begriffe von Rudolf Eisler, Bd. 2: D–F, hrsg. v. Joachim Ritter, Basel/Stuttgart 1972. 246 Pierre Bayle, Dictionnaire historique et critique, 2 Bde., Rotterdam 1697. 247 Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, hrsg. v. Denis Diderot, Jean-Baptiste le Rond d’Alembert, 28 Bde., Paris 1751–1780. 248 Giovanni Papini (1881–1956), ital. Schriftsteller. 249 Giovanni Papini/Domenico Giuliotti, Dizionario dell’omo salvatico, Florenz 1923. 250 Giovanni Papini, Gog, Florenz 1929. 251 Benedetto Croce (1866–1952), ital. Philosoph und Politiker. Vgl. Domenico Conte, Weltgeschichte und Pathologie des Geistes: Benedetto Croce zwischen historischem Denken und Krise der Moderne. Aus dem Italienischen übers. von Charlotte Voermanek, Leipzig 2007. 252 Giovanni Gentile (1875–1944), ital. Philosoph und Politiker. Vgl. Jürgen Charnitzky, Giovanni Gentile und der Faschismus. Ein Verhältnis zwischen Kohärenz und Ambivalenz, Frankfurt a. M. 1995. 253 Eduard Spranger (1882–1963), dt. Philosoph und Pädagoge. Vgl. Werner Sacher/Alban Schraut (Hrsg.), Volkserzieher in dürftiger Zeit. Studien über Leben und Wirken Eduard Sprangers, Frankfurt a. M. 2004.
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an diesem unschätzbaren Geschenk ein grosses Thema. Ich freue mich, dass Sie zu einer solchen, mehr als nur organisatorischen Leistung den Impuls geben und wünsche Ihnen von Herzen Freude an dieser Arbeit und den besten Erfolg. In alter Verehrung und mit den besten Grüssen und Wünschen für Sie, für Ihre sehr verehrte Frau und für Hanns-Henning stets Ihr Carl Schmitt.
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Plettenberg-Pasel 3.4.1973 Lieber und verehrter Herr Joachim Ritter, wir haben uns auf einem Wege getroffen, auf dem gegenseitiges Verständnis und menschliches Vertrauen sich nicht von selbst verstehen. Ich meine den Weg, den Sie uns in unser Bewusstsein gehoben haben, den gefahrenvollen Weg, auf dem die Theorie zur Vernunft der Wirklichkeit geführt wird. Als wir uns persönlich kennen lernten, war ich beinahe so alt wie Sie jetzt werden. Das gibt mir keinerlei Vorrang, wohl aber die Möglichkeit eines Rückblickes, der einen Lebensabend mitumfasst. Als fröhliches Omen stand in den Anfängen unserer Bekanntschaft die abendliche Feier, mit der Ihr Philosophisches Seminar seinen zehnten Jahrestag beging, am 9. März 1957. Das war für mich ein Teil der gastfreundlichen Aufnahme, die ich bei Ihnen in Münster gefunden habe, nicht nur in Ihrem Philosophischen Seminar, sondern auch an Ihrem Tisch bei Ihrer verehrten Frau als Hausherrin. Das kann ich nicht vergessen. Ihr weltbekanntes wissenschaftliches Werk werden andere wirkungsvoller rühmen können als ich in meinem San Casciano. Dann folgten die für mich fruchtbaren Gespräche des Ebracher Seminars von Ernst Forsthoff und heute lese ich in den beiden Bänden Ihres „Historischen Wörterbuchs der Philosophie“ manchen Artikel, wie ein Veteran die Geschichte der Feldzüge liest, die er mitgemacht hat. Ich lese das bereits mit einem Fuss im Nachen des Charon254, auf die Abfahrt wartend, aber mit einer Spannung, als nähme der alte Odysseus die Odyssee als Reiselektüre mit. Sollte dann drüben, jenseits der Linie, ein rhadamantischer Senat255 mich nach meinen Weggenossen fragen, so würde 254 Charon, in der griech. Mythologie der Fährmann, der die Verstorbenen über den Totenfluss zum Eingang des Totenreichs Hades bringt.
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ich Zeus Xenios Ihren Namen rühmend nennen. Das zu Ihrer Person. Zu beidem aber, zu Ihrer Person und Ihrem grossen philosophischen Werk, würde ich melden: ka˝ nümon ñgnw.256 Carl Schmitt. 59. Joachim Ritter an Carl Schmitt LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 11668 1973 Mai 6
Münster, 6. Mai 1973 Lieber und sehr verehrter Carl Schmitt, Ihren schönen Geburtstagsbrief habe ich bewegt von der Gesinnung, in der Sie sich mir zuwenden, gelesen. Ich danke Ihnen von Herzen. Die „nicht selbstverständliche“ Begegnung zwischen uns, von der Sie schreiben, ist nun längst zu einem Element und Bestandteil meines Lebens geworden, so eingeflochten und eingelassen in das Eigene, dass es nur schwer wäre es von ihm zu unterscheiden oder abzugrenzen. Wo die Dinge wanken und ungewiss werden, werden wir Ihre Stimme weiterhin hören, und was Sie sagen, wird wichtiger werden. Es ist nichts umsonst und alles wird weiterwirken. Ich grüsse Sie mit meiner Frau in dankbarer Verehrung und bin stets Ihr Ritter 60. Carl Schmitt an Joachim Ritter DLA Marbach, Nachlass Ritter
Plettenberg-Pasel 8. März 1974 Lieber und verehrter Herr Joachim Ritter, vielen Dank für die freundliche Zusendung Ihrer Aufsätze und für die Widmung, die mir wohlgetan hat.257 Ich führe viele Gespräche mit Ihnen; wäh255
Rhadamantys, in der griech. Mythologie Richter über die Toten. Altgriech.: „Er kannte das Gesetz“, vor dem Hintergrund der einschlägigen Überlegungen Schmitts gelegentlich auch übersetzt mit „Er kannte den Ort“. Zugleich Inschrift auf Schmitts Grabstein; vgl. dazu Dirk van Laak, Plettenberg. Der Ort als Gesetz, in: Hilmar Schmundt/Milosˇ Vec/Hildegard Westphal (Hrsg.), Mekkas der Moderne. Pilgerstätten der Wissensgesellschaft, Köln u. a. 2010, S. 202–209. 256
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rend meiner Spaziergänge in dieser Landschaft, die ich Ihnen gern einmal zeigen möchte, wenn der Winter endlich einmal aufgehört hat. Ihre Abhandlung über die „Landschaft“258 ist unerschöpflich; einen gründlicheren Leser als mich werden Sie nicht so leicht dafür finden. Aber auch jedes der anderen Stücke dieser Ihrer reichen Sammlung. Mit allen guten Wünschen für Sie und ihre sehr verehrte Frau In treuer Erinnerung Ihr alter Carl Schmitt. [Beigefügt: Postkarte San Casciano] Joachim Ritter zur gelehrten Information für einen stets willkommenen Besuch: Der heilige Cassian (nach welchem hunderte von Ortschaften in Italien, Frankreich und Spanien benannt sind) ist als Märtyrer der Diokletianischen Verfolgung gestorben; er war Lehrer; seine Schüler haben ihn bei den Heiden denunziert und mit ihren Eisengriffeln langsam getötet. Näheres im Missale Romanum, 13. August.259 Exoterisch: Der Brief Machiavellis aus San Casciano an seinen Freund Vettori vom 10. Dezember 1513.260 8/3/74 C.S.
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„C.S. in herzlicher, alter Verehrung. 6/3 74“ (LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 0265 Nr. 26659). 258 Ritter, Landschaft (wie Anm. 242). 259 Vgl. Missale Romanum. Ex Decreto SS. Concilii Tridentini Restitutum Summorum Pontificum Cura Recognitum, Rom 1962, S. 624. 260 Abgedruckt z. B. in Niccolò Machiavelli, Der Fürst. Aus dem Italienischen von Friedrich von Oppeln-Bronikowski, mit einem Nachwort von Horst Günther, Frankfurt a. M., S. 9–14.
Prof. Jürgen Becker danke ich für die Erlaubnis zur Nutzung des Nachlasses von Carl Schmitt im Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, Dr. h. c. Henning Ritter (†) für die Erlaubnis zur Nutzung des Nachlasses von Joachim Ritter im Deutschen Literaturarchiv Marbach, sowie Prof. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Dr. Gerd Giesler und Prof. Hans-Martin Sass für wichtige inhaltliche Hinweise.
Briefwechsel Michael Rumpf – Carl Schmitt Herausgegeben von Michael Rumpf Vorbemerkung Mein Vater, Helmut Rumpf, der Carl Schmitt seit 1939 kannte und von ihm promoviert worden war, nahm den Kontakt nach dem Krieg wieder auf und besuchte ihn gelegentlich in Plettenberg. Bei einem seiner Besuche erzählte er ihm davon, dass ich im Anschluss an mein Staatsexamen über die Kunstphilosophie des frühen Walter Benjamin nun an einer Dissertation über Benjamin arbeitete. Durch meinen Vater vermittelt, erhielt ich von Carl Schmitt eine Fotokopie des berühmten Briefes von Walter Benjamin an ihn und versuchte seinen Hintergrund in einem Aufsatz mit dem Titel „Radikale Theologie. Benjamins Beziehung zu Carl Schmitt“ zu erhellen. Das Buch „Walter Benjamin – Zeitgenosse der Moderne“, in welchem mein Aufsatz 1976 publiziert wurde, sandte ich mit einem kurzen Begleitschreiben an Carl Schmitt, woraus sich der abgedruckte Briefwechsel entwickelte.
1. Michael Rumpf an Carl Schmitt Brief, 1 S., ms. m. U.
Viktoriastraße 22 69 Heidelberg Heidelberg, den 24.10.76 Sehr geehrter Herr Professor, vor einiger Zeit schickte Ihnen mein Vater im Manuskript einen kleinen Aufsatz von mir, der Walter Benjamins Bekenntnis zu Ihnen zu interpretieren versucht. Inzwischen ist er in leicht veränderter Form in einem Sammelband gedruckt worden,1 den Ihnen zuzusenden ich mir erlaube. Ich hoffe, Sie können dem Aufsatz trotz des etwas schlagwortartigen Titels und 1 Michael Rumpf, Radikale Theologie. Benjamins Beziehung zu Carl Schmitt, in: Gebhardt/Grzimek/Harth u. a. (Hrsg.), Walter Benjamin – Zeitgenosse der Moderne, Kronberg 1976, S. 37–50. Wiederabdruck in: Michael Rumpf, Elite und Erlösung. Zu antidemokratischen Lektüren Walter Benjamins, Cuxhaven 1997, S. 7–30.
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trotz seiner Unzulänglichkeiten etwas abgewinnen. Er ist vor einigen Jahren konzipiert und war ursprünglich nur dazu gedacht, den damals ungedruckten Brief Benjamins an Sie zu präsentieren, ein Überraschungseffekt, der mit dem Erscheinen des Bandes I der Werkausgabe hinfällig wurde.2 Vielleicht ist der Aufsatz dennoch nicht ganz überflüssig. Er teilt die Absicht, auf unveröffentlichtes Material aufmerksam zu machen, mit einem zweiten Beitrag von mir, der Benjamins Beziehung zu George untersucht.3 In der Hoffnung, Ihre Zeit nicht ungebührlich beansprucht zu haben, verbleibe ich hochachtungsvoll
2. Carl Schmitt an Michael Rumpf Brief, 4. S., hs.
Plettenberg Pasel 11 c 27.Oktober 1976 Sehr geehrter Herr Rumpf ich benutze einen Augenblick allgemeiner Windstille, um Ihre Sendung vom 24. Oktober gleich zur Kenntnis zu nehmen und Ihnen mit einigen Zeilen meinen lebhaften Dank auszusprechen. Das gilt vor allem für Ihre beiden Beiträge des Sammelbandes, deren erhellende Informiertheit einfach unschätzbar ist. Es gilt aber auch für die ander[e]n Beiträge. Zahllose Reminiszenzen aus den Jahren 1915–1942 werden dabei wach – uferlos. Jedenfalls wünsche ich Ihrem Sammelband die intensive Aufmerksamkeit aller literaturwissenschaftlichen und auch aller zeitgeschichtlichen Experten. Ich kann nicht auf persönliche Dinge eingehen. Erlauben Sie mir einige Einzel-Bemerkungen, die sich aus Zufalls-Assoziationen der ersten Lektüre ergeben. Zunächst zu Tiedemann, der sich als fanatischen Editions-Helden geriert, den philologische Streitpunkte „auf die Barrikade bringen“ können, wie er einmal betont hat. Schön. Nehmen Sie also bitte einmal die erste Ausgabe von Benjamins „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ (Rowohlt 1928) zur Hand und lesen Sie dort auf Seite 76 (Mitte) den sonderbaren Namen Robert Silmer. Wer jemals versucht hat, sich über Staatsrecht oder über Verfassungsrecht die ersten, orientierenden Informationen zu verschaffen, kennt sich hier sofort aus und weiss, dass W. B. den Verfasser von „Patriarcha“, Sir Robert Filmer gemeint hat.4 Der Name fehlt in keinem re2
Vgl. Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd. I, 3, hrsg. von Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a. M. 1974, S. 887. 3 Michael Rumpf, Faszination und Distanz. Zu Benjamins George-Rezeption, in: Gebhardt u. a. (wie Anm. 1), S. 51–70.
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levanten Buch und steht z. B. in Georg Jellineks Allgemeiner Staatslehre – übrigens auch in meiner „Verfassungslehre“ von 1928 – im Namenregister. W. B. würde sich über den Druckfehler tot geärgert haben. Tiedemann dagegen übernimmt den Silmer getreulich in seinen Neudruck. Vielleicht hält er das für Pietät? Noch eine philologisch-linguistische Notiz. In Ihrem C. S. Beitrag sprechen Sie von Rezeption, wofür das deutsche Wort „Einvernahme“ (S. 38 oben, S. 45 unten) aber auch „Vereinnahmung“ (S. 66 unten) der deutschsprachige Terminus ist. Ich quäle mich seit 40 Jahren damit, den Begriff „Nomos“ (m. E. von nÍmein, nehmen, die Nahme) begreiflich zu machen und die Verwechslung von Nomos und (lateinisch) lex oder von Nomos und auch Norm aufzuklären (durch Begriff wie Landnahme, Seenahme, Industrienahme). Auch das deutsche Wort nomen „Name“ empfängt dadurch neue Kräfte. Eine Stadt „nehmen“, vgl. das französische Wort prise (im Seekrieg völkerrechtlich, aber auch in der Gaunersprache: eine Frau „nehmen“; sogar die berühmte Halb-Konvertitin, Simone Weil erzählt, Christus sei ihr im Gebet erschienen und habe sie „genommen“: il m’a prise). Wenn ich sage, ich hätte Ihren Aufsatz „Radikale Theologie“ genommen, (was wirklich der Fall ist), so sage ich mehr als wenn ich ihn nur „zur Kenntnis“ genommen, oder nur „wahr“ genommen hätte. Und nun erst B. Brechts berüchtigte (und in der Tat schauderhafte) Maß-Nahme, die übrigens in die für W. B. kritische Berliner Zeit 1930/31 fällt (vgl. G. Scholem, Freundschaft, 1975 (S. 200 ff.). Benjamins Schweigen zu bestimmten kritischen Themen oder Problemen ist ein vielsagendes Schweigen. Das gilt in ganz spezieller und spezifischer Weise und Intensität für das ganze weite Gebiet des römischen Katholizismus. Meine Schrift „Römischer Katholizismus“ von 1923 hat B. bestimmt genau gelesen. Doch verstummt er in gewissen Situationen, wie auch ich das getan habe und noch tue (vgl. die unheimliche Stelle bei Scholem, Freundschaft, S. 231 oben!)5 Wenn Sie dann in Scholem’s genanntem Buch am Schluss, S. 291/2 den Brief aus Jerusalem vom 6. März 1931 lesen – vor allem die Stelle über Selbstmord und Selbstbetrug – dann werden Sie verstehen, dass auch ich hier verstumme. Übrigens sagt Scholem an anderer Stelle (S. 279 Zeile 5) nicht „Selbstmord“ sondern „Freitod“. Sie werden mir nachempfinden, lieber Herr Rumpf, dass ich hier abbreche. Es wäre noch unendlich vieles zu sagen (z. B. über den vorzüglichen Beitrag von Ulrich Schödlbauer, der mich als Juristen besonders gefesselt hat, oder 4
Das Buch „Patriarcha oder Die natürliche Gewalt der Könige“ (1680) ist 2009 als Book on demand nachgedruckt worden. 5 Gershom Scholem, Walter Benjamin – die Geschichte einer Freundschaft, Frankfurt a. M. 1975.
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zu Bernd Witte’s Freude an Franz Blei’s „Bestiarium“;6 Witte können Sie gelegentlich sagen, dass Johannes Negelinus der Bestiograph der Spezies Karl Kraus in diesem Zoo ist; was H. Muth zu den Schattenrissen des Joh. Negelinus sagt, ist auf Desorientierung angelegte Dummheit; etc. etc.)7 also: ich bedanke mich herzlich für Ihr Geschenk und wünsche dem Sammelband die wohlverdiente Wirkung. Der anliegende Sonderdruck über Nomos und Nahme ist keine Gegen-Gabe, sondern nur ein Behelf, um meine Empfangsbestätigung nicht allzu summarisch erscheinen zu lassen. Schade, dass ich von meinem Nomos-Beitrag in der Festschrift für Przywara S. J. (bei Glock & Lutz in Nürnberg, 1959) keinen Abzug mehr habe.8 Ihr Carl Schmitt 3. Michael Rumpf an Carl Schmitt Brief, 1 S., ms. m. U.
Viktoriasstr. 22 69 Heidelberg Heidelberg, den 17.11.76 Sehr geehrter Herr Prof. Schmitt, ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihren ausnehmend freundlichen Brief vom 27.10., der mich sehr gefreut hat und mir eine Fülle von Anregungen bot. So überraschend wie wertvoll war mir Ihr Hinweis auf den Bestiographen Negelinus, dem es sicherlich nicht entgangen ist, daß der ‚Spiegel‘ jüngst (Nr. 47) ein anonym erschienenes, philosophisches Bestiarium besprach.9 Besonders aufschlußreich ist Ihre Korrektur des Druckfehlers im Namen Filmers, der mir bisher nicht aufgefallen war. Wie ich feststellte, hat sich der Druckfehler noch bis in die Werkausgabe Benjamins gerettet. (Band I, 1 S. 264) Da meine Dissertation speziell über Benjamins Trauer6
Hier liegt ein Irrtum vor. Auf Bleis „Bestiarium literaricum, das ist Genaue Beschreibung Derer Tiere des Literarischen Deutschlands“ von 1920 beziehe ich mich am Anfang des Aufsatzes über Benjamins George-Rezeption, vgl. Anm. 3, S. 51. 7 Die Erwähnung Muths bezieht sich auf: Heinrich Muth, Carl Schmitt in der deutschen Innenpolitik des Sommers 1932, in: Theodor Schieder (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte der Weimarer Republik (Historische Zeitschrift, Beiheft 1), München 1971, S. 74–147; in Anm. 13 bei Rumpf (wie Anm. 1) zitiert. – Zum Pseudonym Negelinus vgl. Ingeborg Villinger, Carl Schmitts Kulturkritik der Moderne: Text, Kommentar und Analyse der „Schattenrisse“ des Johannes Negelinus, Berlin 1995. 8 Carl Schmitt, Nomos-Nahme-Name, in: Siegfried Behn (Hrsg.), Der beständige Aufbruch. Festschrift für Erich Przywara, Nürnberg 1959, S. 83–92. 9 Vgl. Nonnescius nemo/Physiologus alter [Gerhard Funke], Bestiarium philosophicum, Bonn, 1976.
Briefwechsel 1976 bis 1980
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spielbuch handelt, erhoffe ich Ihre Erlaubnis, Ihren Fund in einer Anmerkung der Öffentlichkeit zugänglich machen zu dürfen.10 Ihr Fingerzeig zu Benjamins mutmaßlicher Kenntnis Ihrer Schrift über den Katholizismus hat mir deutlich gemacht, welchen Schwierigkeiten ein Versuch begegnet, Benjamins geistige Topologie auszumessen. Sein vielsagendes Schweigen, von dem Sie sprechen, hat ihr Komplement in einem vielverschweigenden Schreiben, für welches Hamann ein Vorbild zu sein scheint. Scholem hat einmal auf ihn als einen geistigen Ziehvater Benjamins aufmerksam gemacht.11 Vielleicht wird einmal Benjamins im Nachlaß erhaltener ‚Dialog über die Religiosität der Gegenwart‘ gedruckt und man erhält so Aufschluß über seine Stellung zum Christentum im allgemeinen. Allerdings stammt dieser Dialog aus dem Jahre 1913 und kann daher keine Spuren einer Lektüre Ihrer Schrift enthalten.12 Besonderen Dank schulde ich Ihnen für die Zusendung Ihres Aufsatzes ‚Nehmen, teilen, weiden‘, der in seiner klaren Darstellung von Grundproblemen mich tief beeindruckt hat.13 Ihre ‚radikale Etymologie‘ führt zu den Sachen selbst, wenn ich mir diese Assoziation erlauben darf. Hochachtungsvoll
4. Michael Rumpf an Carl Schmitt Brief, 1 S., ms. m. U.
Viktoriastr. 22 6900 Heidelberg Heidelberg, den 6.4.78 Sehr geehrter Herr Professor, wie Sie durch meinen Vater wohl wissen, habe ich den Abschluß meiner Promotion zurückgestellt, um zunächst meine Ausbildung als Referendar 10
Vgl. Michael Rumpf, Spekulative Literaturtheorie. Zu Walter Benjamins Trauerspielbuch, Königstein 1980, S. 56. 11 Es handelt sich nicht um ein Zitat. Scholem schrieb in einem Brief vom 30.3.1931 an Benjamin, dieser könnte „der legitime Fortsetzer der fruchtbarsten und echtesten Traditionen eines Hamann und Humboldt“ sein. – Walter Benjamin, Briefe, Bd. 2, hrsg. von Gershom Scholem/Theodor W. Adorno, Frankfurt a. M. 1966, S. 526. 12 Abgedruckt im Bd. 2,1 der Gesammelten Schriften, Frankfurt a. M. 1977, S. 16–35. 13 Carl Schmitt, Nehmen, Teilen, Weiden (1953) in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1926–1954, 3. Aufl., Berlin 1985, S. 489–504.
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Michael Rumpf/Carl Schmitt
vorzuziehen, doch hatte ich das Glück, in der Zwischenzeit ein älteres Projekt zum Druck befördern zu können. Ihres Interesses für Walter Benjamin eingedenk, erlaube ich mir, Ihnen einen Sonderdruck dieser Arbeit zuzusenden, und hoffe, sie vermag zu überzeugen.14 Anläßlich Ihres anstehenden Ehrentages ist es mir ein Anliegen, Ihnen mitzuteilen, daß mir eine Neuauflage, oder, schöner noch, eine Sammlung Ihrer so bedeutsamen Schriften wünschenswert erscheint. Mit dem Ausdruck bleibender Hochachtung
5. Carl Schmitt an Michael Rumpf Brief, 1 S., hs.
An Herrn Michael Rumpf in Heidelberg Pl. Pasel, 11c 18/4/78 Sehr geehrter Herr Rumpf: Ihr Forschungsbericht zur W. B.-Literatur nach 1972 hat in meiner Person einen geradezu prädestinierten Leser gefunden. Die erstklassige Information über verwickelte, zum Teil auch bösartig tabuisierte Themen ist für den informationsbedürftigen Leser eine wahre Wohltat, die ich wenigstens mit einem Wort des Dankes bestätigen möchte. Ich weiss nicht, ob Sie den Aufsatz von Prof. Jacob Taubes (Berlin FU, F. Bereich 11) kennen, der den Titel führt: Der liebe Gott steckt im Detail (Die Welt, 10.12.1977). Taubes Titel zielt auf die Gralshüter des Walter Benjamin-Heiligtums, die „nicht auch nur eine Silbe Hebräisch“ können oder kannten: E. Bloch, W. Adorno, S. Krakauer, H. Arendt, Bert Brecht. Die Publikationen, über die Sie berichten, halten es vielleicht für schädlich, diese semantisch sprachliche Seite des Komplexes zu erwähnen. Der Marxismus ist zu allem nütze; er ersetzt jedes weitere Studium. Ich möchte mit dieser kurzen Bemerkung nur sagen, daß ich die DetailArbeit Ihres Berichts aufrichtig bewundere. Insofern ist Ihre mühevolle Forschungsarbeit nicht umsonst gewesen. Ich weiss auch um den Seltenheitswert eines sorgfältigen Lesers Bescheid. Deshalb möchte ich, der ich mich für einen sorgfältigen Leser Ihrer Rezensions-Arbeit halten darf, dieses kurze Wort des Dankes nicht unterlassen. Mit allen guten Wünschen Ihr Carl Schmitt
14 Michael Rumpf, Walter Benjamins Nachleben, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwiss. und Geistesgesch. 52, 1978, H. 1, S. 137–166.
Briefwechsel 1976 bis 1980
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6. Carl Schmitt an Michael Rumpf Brief, 1 S., hs.
Plettenberg, Pasel 11c 27/4/78 Sehr geehrter Herr Rumpf, vielen Dank für Ihre freundliche Zusendung vom 6. d. M.! Ihre ausgezeichneten Einzel-Analysen habe ich mit grossem Interesse und reichem Gewinn an Informationen gelesen. Hoffentlich findet Ihre methodisch-exakte Arbeit Verständnis und Anerkennung in einer so verwirrten Atmosphäre angeblich freier Diskussion und herrschaftsloser Disputation! Inzwischen hat Prof. Taubes in seinem Seminar FU (FB 11) festgestellt, dass Walter Benjamin weder Marxist noch Zionist war, sondern „politische Theologie“ vom jüdischen Standpunkt und Horizont her unternommen hat. Ihre eigene methodische Selbstbegrenzung, lieber Herr Rumpf, wird Sie hoffentlich auch vor den traurigen Missdeutungen schützen, denen meine Bemühungen jetzt wieder von neuem zum Opfer fallen, nämlich in den Beiträgen von F. Scholz der eben erschienenen Sammlung „Politische Theologie?“ hrsgegeben von Prof. Schindler.15 Bei solchen Seminar-Übungen können einem beide Opfer-Objekte – Peterson und C. S. – leid tun: Christianos (was wir doch beide zu sein glaubten) ad (Seminar-) Leones! Alle guten Wünsche für Ihre weitere wissenschaftliche Arbeit! Ihr Carl Schmitt
7. Michael Rumpf an Carl Schmitt Brief, 1 S., ms. m. U.
Viktoriastr. 22 6900 Heidelberg Heidelberg, den 27.6.78 Sehr geehrter Herr Professor Schmitt, durch den Abschluß meines zweiten Staatsexamens verhindert, konnte ich Ihnen leider bisher nicht auf Ihren freundlichen Brief vom 27.4. antworten. Ich möchte jedoch nicht länger versäumen, mich für ihr wohlwollendes Interesse, insbesondere auch für den anregenden Hinweis auf den Sammelband von Prof. Schindler, zu bedanken. 15 Alfred Schindler (Hrsg.), Monotheismus als politisches Problem? Erik Peterson und die Kritik der politischen Theologie, Gütersloh 1978, S. 120–148.
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Michael Rumpf/Carl Schmitt
Sehr erheitert haben mich Ihre treffenden Anmerkungen zur herrschaftsfreien Diskussionsatmosphäre – liegt hier nicht eine Verwechslung von herrschaftsfrei und machtlos vor? – und zum sie erfüllenden Gebrüll der Seminarlöwen, ist es doch für jüngere Wissenschaftler wichtiger, die Untertöne dieses ‚Gebrülls‘ zu registrieren, als sachliche Erkenntnisse zu rezipieren. Im übrigen reden ja dieselben Leute mühelos von hochschulpolitischen Fronten, die vom Freund- Feind-Denken angeblich weit entfernt sind. Mit den besten Wünschen für Ihren nahenden Ehrentag
8. Michael Rumpf an Carl Schmitt Brief, 1 S., ms. m. U.
Schillerstr. 10 6719 Bockenheim 25.5.79 Sehr geehrter Herr Professor Schmitt, vielleicht interessiert Sie die beiliegende Rezension16 des nunmehr auch schon 3 Jahre alten Benjamin-Buches, das ansonsten nicht so oft besprochen wurde, wenngleich es wahrscheinlich dazu beigetragen hat, daß Benjamin mittlerweile öffentlich kritisiert werden darf (so Raddatz neulich in der ‚Zeit‘).17 Für die vielen, von meinem Vater übermittelten Hinweise zu Benjamin danke ich herzlich. Mit freundlichen Grüßen
16
Gerd Hemmerich, Walter Benjamin – Zeitgenosse der Moderne? Sammelrezension in: Philosophisches Jahrbuch, Freiburg 1979, 1. Halbband, S. 196–201. 17 Fritz R. Raddatz, Das Kind von Marx und Heine, Die Zeit Nr. 15 vom 6.4.1979.
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9. Michael Rumpf an Carl Schmitt Brief, 1 S., ms. m. U.
Schillerstr. 10 6719 Bockenheim 12.8.1980 Sehr geehrter Herr Professor Schmitt, nach langen Verzögerungen sind die Arbeit und die Promotion nun endlich abgeschlossen, und das Benjamin-Buch liegt vor. Ich habe mir erlaubt, Ihr Interesse vorauszusetzen und es Ihnen zuzuschicken.18 Leider mußte ich, um nicht durch Verlagsverhandlungen und Drucklegung noch mehr Zeit zu verlieren und dabei in der unabsehbar ansteigenden Flut der Benjamin-Literatur zu ertrinken, kurz entschlossen eine Veröffentlichungsart wählen, die nicht sehr schön ist, aber sich für Dissertationen immer mehr einbürgert. Es erschien mir als das kleinere Übel. Vor kurzem erschien ein Heft der Zeitschrift ‚Alternative‘ über Benjamin (Alternative, hrsg. v. Hildegard Brenner, Heft 132/133, Jg. 1980, Berlin, Titel: Faszination Benjamin), worin sich der Herausgeber von Benjamins soeben veröffentlichtem Moskauer Tagebuch (Suhrkamp Verlag), ein Herr Gary Smith, über den Umfang des bisher noch unpublizierten BenjaminMaterials äußert. Er erwähnt dabei unter anderem Briefe an Sie, macht aber nicht deutlich, ob diese unveröffentlicht seien. Gibt es überhaupt außer dem mittlerweile berühmten Brief an Sie noch andere, vielleicht in fremden Händen? Für eine kurze Antwort bei Gelegenheit wäre ich sehr dankbar. Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit, hochachtungsvoll
10. Carl Schmitt an Michael Rumpf Brief, 1 S., hs.
Sept. 80 Lieber Dr. Michael Rumpf; diese Zeilen sollen nur eine Bitte um Nachsicht sein. Ich habe meine Briefschuld – die tiefere Wurzeln hat, als nur akademische Höflichkeitspflicht – sehr ernst genommen. Der jahrzehntelange Streit um Walter Benjamin ist ein Symptom hintergründiger Fronten und fanatischer Feindschaften, nicht nur innermarxistischer, sondern auch innerjüdischer „Meinungsverschiedenheiten“. In diesem gift- und dynamit-gela18
Vgl. Anm. 10.
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Michael Rumpf/Carl Schmitt
denen Feld bewegt sich jeder Satz, den man heute zum Thema Walter Benjamin äußern kann. + Ich stehe noch unter dem niederschmetternden, unmittelbaren Eindruck der Beurteilung von 1) Hanna Ahrend [sic] durch Ernst Simon, Entscheidung zum Judentum, Bibl. Suhrkamp 2) Fuld: W. B. Biographie, und jetzt, seit 8 Tagen 3) Francis Rosenstiel u. Shoham, Der Sieg des Opfers (bei Klett-Cotta), das die Lage ändert19. Wenn Sie diese Antwort enttäuscht, so wird mich Ihre Enttäuschung betrüben. Deshalb möchte ich Sie bitten, Geduld zu haben. Ich kann nicht wissen, an welchen Strand unserer zahllosen Fachbereiche Ihre weitere Arbeit Sie hintragen wird. Das Thema Benjamin enthält viele total verdrehten Wegweiser. Soweit für heute. Mich würde jedes Wort sehr interessieren, das Sie fachlich zu Fietkau’s Buch (Schwanengesang 48, bei Rowohlt 1978) äußern.20 Ich schicke Ihnen gern ein Exemplar für Ihre Privatbibliothek. Herzliche Grüsse und Wünsche Ihres ur-alten Carl Schmitt + [am Rand eingefügt:] Die von Ihnen genannte Literatur H. Brenner, Gary Smith ist, wie mir scheint schon politisch über soll (durch die Zensur).21
11. Michael Rumpf an Carl Schmitt Brief, 1 S., ms. m. U.
Schillerstr. 10 6719 Bockenheim Bockenheim, den 21.9.1980 Sehr geehrter Herr Professor, haben Sie vielen Dank für Ihren freundlichen Brief, über den ich durchaus nicht enttäuscht war, ganz im Gegenteil. Ihre Diagnose, daß im Streit um Walter Benjamin viel Hintergründiges mitspielt, trifft den Kern, allerdings ist dieser Streit ja nur einer von vielen innerhalb der Geisteswissenschaften, und ich bin bis heute nicht ganz sicher, ob sie sich nicht genauso um andere Persönlichkeiten kristallisieren könnten als die jeweils Erwählten. Bei aller 19 Ernst Simon, Entscheidung zum Judentum. Essays und Vorträge, Frankfurt a. M. 1980; Werner Fuld, Walter Benjamin. Zwischen den Stühlen. Eine Biographie, München 1979; Francis Rosenstiel/Shlomo Giora Shoham, Der Sieg des Opfers. Jüdische Anfragen, Stuttgart 1980. 20 Wolfgang Fietkau, Schwanengesang auf 1948. Ein Rendezvous am Louvre: Baudelaire, Marx, Proudhon und Victor Hugo, Reinbek b. Hamburg 1978. 21 Schmitt bezieht sich auf Heft 132/133 der Zeitschrift „Alternative“, hrsg. v. Hildegard Brenner u. a., in der Gary Smith zum Moskauer Tagebuch Benjamins in einem Interview befragt wird.
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Erbittertheit bleibt doch ein Element des Zufälligen. Jedenfalls gehe ich sehr gerne den von Ihnen gegebenen Hinweisen auf Ernst Simon u. a. nach, denn die spezifisch jüdischen Hintergründe sind mir weniger geläufig. Für das Buch von Fietkau wäre ich sehr dankbar, denn ich besitze es weder, noch habe ich es bis jetzt gelesen. Kurze Besprechungen von Benjaminiana und seines hochinteressanten Moskauer Tagebuchs (Suhrkamp 1980) darf ich Ihnen demnächst, nach Erscheinen, zusenden.22 Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen
12. Michael Rumpf an Carl Schmitt Brief, 1 S., ms. m. U.
Bockenheim, den 3.12.80 Sehr geehrter Herr Professor Schmitt, ungebührlich lange zögere ich meinen Brief schon hinaus, und auch der heutige wird nicht das enthalten, was Sie sicherlich mit Recht erwarten, eine Stellungnahme zu Fietkaus Buch. Leider bin ich durch die vertraglich terminierte Herausgabe eines Textbandes für den Philosophieunterricht der Oberstufe so stark beansprucht, daß ich bisher nur rund 100 Seiten des „Schwanengesangs“ bewältigt habe. Eine genauere Beurteilung des Buches, das ich mir so umfänglich und schwierig nicht vorgestellt habe, wird mir erst in den Weihnachtsferien möglich sein. Soviel vorweg. Es ist gut geschrieben und zeugt von genauer Kenntnis der Zeit, steht also vom Niveau her durchaus über dem Durchschnitt literaturwissenschaftlicher Arbeiten, und seien sie marxistischer Herkunft. Ob Fietkaus Absicht, geschichtliche Niederschläge noch in sprachlichen Fugen zu sammeln, gerechtfertigt ist, dies zu beurteilen, wird davon abhängen, welchen geschichtsphilosophischen Wettergott man anerkennt. Ich persönlich neige bei solchen Analysen zur Skepsis. Was Benjamins BaudelaireÜbersetzungen angeht, so scheint Fietkau ihre Qualität zu überschätzen. Meiner Bitte um Nachsicht und meiner Versprechen einer ausführlicheren Äußerung schließen sich meine Wünsche für ein frohes Fest und weiteres Wohlergehen zuversichtlich an. Nochmals herzlichen Dank für die Bereicherung meiner Wissens- und Bücherwelt. 22 Michael Rumpf, Rezension von Walter Benjamin, Moskauer Tagebuch, in: Neue deutsche Hefte 27, 1980, H. 3, S. 614–617.
Carl Schmitt. Notizen zu seinen Geburtstagsansprachen 1948 und 1953 Herausgegeben von Gerd Giesler Nach der Entlassung aus dem Nürnberger Justizgefängnis im Mai 1947 wohnte Carl Schmitt mit Ehefrau – und ab Ostern 1948 auch mit Tochter Anima – im Haus seiner Schwestern in Plettenberg-Eiringhausen, Brockhauser Weg 10. Zum ersten Mal seit vier Jahren war die Familie wieder vereint, wenn auch die Räumlichkeiten beengt waren und die finanzielle Situation karg. Der sich wieder etablierende Freundeskreis half durch regelmäßige Spenden, eingezahlt auf ein Konto bei der Plettenberger Sparkasse.1 Aus den Aufzeichnungen im Tagebuch-„Glossarium“ wissen wir von Schmitts Verbitterungen in dieser Zeit. Anders als zum 50. Geburtstag in Berlin, der vier Abende lang gefeiert wurde,2 gab es zum 60. Geburtstag am 11. Juli 1948 nur eine bescheidene häusliche Feier, Gedichte wurden rezitiert und es wurde musiziert; Carl Schmitt hielt eine kleine Ansprache und las zum Schluss den „Gesang des Sechzigjährigen“ vor, den er bald darauf auch an Freunde verschickte3 und in „Ex captivitate salus“ abdruckte. Der 65. Geburtstag am 11. Juli 1953 wurde dagegen zu einem Ereignis dank des Einsatzes der Academia moralis.4 In ihr hatten sich seit Ende der 1 Siehe den Auszug des Sonderkontos der Pfarr-Caritas Plettenberg zugunsten Carl Schmitt, abgebildet in: Dorothee Mußgnug et al.(Hrsg.), Ernst Forsthoff-Carl Schmitt. Briefwechsel 1926–1974, Berlin 2007, S. 533. 2 Gästebuch Duschka Schmitt mit Aufzeichnung der Gäste und Speisenfolge (Landesarchiv NRW, Abtlg. Rheinland, Nachlass Schmitt, RWN 260-467). 10. Juli, Sonntag abend, Lilly v. Schnitzler, Georg Krause, Bischof Heinrich Oberheid, Minister Johannes Popitz; 11. Juli Montag abend, Vater Johann, Corina Sombart; 12. Juli, Dienstag abend (Smoking), Lilly v. Schnitzler, Prof. Emge u. Frau, Dr. v. Leers u. Frau; Herr v. Mallinckrodt u. Frau; Dr. Ungewitter u. Frau; Corina Sombart; 13. Juli, Mittwoch abend (Schüler), Prof. W. Weber, Dr. Lohmann, v. Mutius, Gutjahr, v. Medem, v. Schmoller, v. Schweinichen, v. Gneist, Dr. Schmitt, Pfeiffer. 3 Eberhard von Medem (Hrsg.), Carl Schmitt. Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951, Berlin 1991, Eintrag vom 14.7.1948. Zur Adressaten-Liste der verschickten Exemplare siehe die Aufstellung im Nachlass (RW 265-19600). 4 Zur Academia Moralis und zum Festakt siehe Piet Tommissen (Hrsg.), Schmittiana IV, Berlin 1994, S. 137 f.
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Carl Schmitt. Notizen zum 60. und 65. Geburtstag
1940er Jahre Freunde und Kollegen versammelt, die in unregelmäßigen Abständen Vortragsabende in Köln und Bad Godesberg organisierten, vor allem um Carl Schmitt wieder ein öffentliches Forum zu bieten. Der Jubilar wurde in einem Festakt mit 150 geladenen Gästen in den Düsseldorfer Rheinterrassen geehrt, eine Bibliographie und das Manuskript einer Festschrift5 überreicht, neben den Häuptern der Akademie sprach für die Jugend u. a. Nicolaus Sombart. Musikalisch wurde die Feier umrahmt von der Pianistin Meta Hoentzsch und der Sängerin Otti Lewinski-Dollhausen, die Schmitts Lieblingsode „Die frühen Gräber“ von Gluck vortrug. Abends klang der Geburtstag in Plettenberg aus mit dem Sketsch „Einer bleibt übrig“, in dem Tochter Anima die Hauptrolle spielte.6 Die folgenden Notizen befinden sich neben anderen in einem Oktavheft im Nachlass Carl Schmitt (Landesarchiv NRW, Abtlg. Rheinland, RW 26521265). Die handschriftlichen Notizen sind in Gabelsberger Stenographie verfasst und von Hans Gebhardt übertragen worden. Nicht deutbare Stellen sind mit spitzen Klammern gekennzeichnet.
Carl Schmitt, 60. Geburtstag am 11. Juli 1948 Notizen für die Ansprache [Ein Blatt] 60. Es gibt für mich keine Festschrift zum 60. Geburtstag, wie sie viele meiner Fachgenossen der früheren Jahrgänge in berühmten Beispielen aufzuweisen haben. 1) Aus dem Bewusstsein heraus habe ich mir selber etwas als Dokument geschrieben. Das kann natürlich keine optimistische Jubelschrift sein. Vor 10 Jahren, zu meinem 50. Geburtstag, habe ich mir die Schrift über den Leviathan geschrieben, die damals hat gedruckt werden können, wenn auch nur sukzessive , und ich tat sie meinen Freunden damals überreichen. Sie war nicht optimistisch, und in der Vorrede steht unter anderem: Der 5 Piet Tommissen, Versuch einer Carl-Schmitt-Bibliographie, Academia Moralis, Düsseldorf 1953, 43 Seiten. Die Festschrift, deren Publikation für 1954 vorgesehen war, ist nicht erschienen. Ein Exemplar des Typoskripts ist im Nachlass vorhanden (RW 265-21368); mehrere Beiträge daraus sind in die Festschriften von 1959 bzw. 1968 für Carl Schmitt übernommen worden. 6 Nachlass Schmitt, RW 265-19160; abgedruckt in: Gerd Giesler, Carl Schmitt und die Künste in der Plettenberger Nachkriegszeit (Plettenberger Miniaturen 4), Plettenberg 2010, S. 26–28; in leicht veränderter Fassung abgedruckt in Schmittiana IV, wie Anm. 4, S. 300–302.
Carl Schmitt. Notizen zum 60. und 65. Geburtstag
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Name des Lev.[iathan] wirft einen langen Schatten, er hat das Buch des Thomas H.[obbes] getroffen und wird auch wohl auf dieses kleine Büchlein fallen.7 Er ist wirklich darauf gefallen und auch auf seinen Autor. Ich kann mich rühmen, dass die Schicksale meiner Bücher und mein eigenes Schicksal untrennbar miteinander [verbunden] sind und sehe darin ein Zeichen der existentiellen Echtheit von uns beiden, von meinen Büchern und [meiner] Person. Ein mit hartem Schicksal bezahltes, aber im Ergebnis doch rühmenswertes Zeichen, die Signatur alles auf meinem Fachgebiet. Dieses Mal kann ich kein gedrucktes Buch vorlegen. Aber ich habe in diesen Tagen das druckfertige Ms.[Manuskript] eines umfassenden Werkes über den Nomos abgeschlossen. Ich übergebe es hiermit der Öffentlichkeit eines sehr kleinen Kreises, der[en] Öffentlichkeit mir aber echter zu sein scheint, als [die] der großen, gelenkten Öffentlichkeit lizenzierter Publizität. Dieses Buch ist in vielen Jahrzehnten entstanden, ich habe es mir zum 60. Geburtstag abgeschlossen und teile Ihnen das mit, wobei ich es völlig offen lasse, ob es Sinn hat, darauf zu hoffen, dass ich Ihnen eines Tages das fertig gedruckte Buch selber überreichen kann.8 Die Schicksale von Büchern sind zu geheimnisvoll und undurchdringlich, als [dass ich es] wagen könnte, hier auch nur Hoffnung zu haben. Ich habe aber auch keine Befürchtungen, und so freue ich mich [des] gegenwärtigen Augenblicks, der mich mit meinen Freunden vereinigt, dass ich diese, auf ein Buch bzg. machen kann. Ich muss mit diesem Ms[Manuskript] fliehen wie Latona9 mit ihrem Kind. Es wird sich vielleicht eine Insel Naxos finden. Sie gratulieren einem Nachbarn oder Freund oder Wissenschaftler. Mit wem haben Sie es denn eigentlich zu tun. Mit einem Namen, einem Mythos? 7 Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlags eines politischen Symbols, Hamburg 1938, S. 6. 8 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, erschien 1950 im Greven Verlag Köln. In einem Brief an Walter Warnach vom 11. November 1950 schrieb Schmitt: „Ich habe gerade das erste Exemplar des ‚Nomos der Erde‘ erhalten (Dr. Epting hat mir ein Exemplar vorbinden lassen) und möchte Frau Schmitt noch die Freude machen, dass sie es noch in die Hand nimmt, nachdem sie die 7 Jahre seiner Entstehung – Ausbombung, 20. Juli 44, Volkssturm, Eroberung durch die Russen, Internierung durch die Amerikaner, Nürnberg, die kalte Verfolgung und Ritualmordversuche aller Art – tapfer und furchtlos durchgestanden hat.“ (Privatarchiv). Die Widmung an Duschka Schmitt ist abgedruckt in: „Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler“, hrsg. v. Armin Mohler, Berlin 1995, S. 89. Dieses erste Exemplar schenkt Schmitt nach dem Tod seiner Frau Gretha Jünger und erweiterte die Widmung (Kopie im Landesarchiv NRW, Abtlg. Rheinland, Nachlass Tommissen, RW 579-682). 9 Geliebte Jupiters, die vor dem Zorn Junos floh und schließlich mit ihren Kindern Zuflucht auf der Insel Delos [!] fand.
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Carl Schmitt. Notizen zum 60. und 65. Geburtstag
2) Einen Wunsch [hatte ich damals 1938]: Auf Gerechtigkeit10 Das kann ich heute nicht mehr [haben]; einmal fehlt der Zweck, und zweitens fehlt das Vertrauen auf die Gerichte. Jurist, mein Fach, lache Indem Sie mir heute gratulieren, erweisen Sie mir einen schlechten Liebesdienst, der größer und zu ist Was jeder andere. Er kommt eigentlich nicht unter alle 7 Werke der Barmherzigkeit: Gefangene befreien, Kranke besuchen, trösten. Dieser Glückwunsch würde schon genügen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen Tag erlebe; dass ich so bleibe, und von so viel Freundschaft und Liebe be[gleitet bin], ist erstaunlich.
Carl Schmitt, 65. Geburtstag am 11. Juli 1953 Notizen für die Ansprache [Erstes Blatt] 11.7.53 I. Die Toten: Tröstung. Verlust der Freunde der härteste Verlust, Trost ist kein absurdes Wort (Goethe).11 [schwache Schriftzüge, daneben notiert] Typischer Verlust des Alters; Vereinsamung; Angst, . [daneben notiert] Verlust der großen existentiellen Zeugen; Wehrlosigkeit gegen die Geschichtsforschungen, die Situation wird dadurch bestimmt – und Verleumdungen. 10 Den Brief vom 14.1.1942 zu Rudolf Smends 60. Geburtstag beendet Schmitt mit der Schlussformel: Auf Gerechtigkeit – alle Zeit!, siehe Reinhard Mehring (Hrsg.), „Auf der gefahrvollen Straße des öffentlichen Rechts“, Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend 1921–1961, Berlin 2010, S. 108. 11 Ja, schelte nur und fluche fort, / Es wird sich Beßres nie ergeben; / Denn Trost ist ein absurdes Wort: / Wer nicht verzweiflen kann, der muß nicht leben. Goethe, Sprichwörtlich (AGA 1, 429).
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Tiefer Sinn: Mortis peribant argumenta tuae (Lukan)12 Kampf um den Sinn unseres Todes, den konkreten Geschichtssinn, dessen sich sofort der Parteienstreit bemächtigt, um ihn für ihre Zwecke zu vereinnahmen in einem oft sehr schmutzigen Topf. [links oben, unter dem Datum] Die Eltern. Meine Frau. J. Popitz, W. Ahlmann, Karl Durst. ; Jens Jessen; Gustav Adolf Walz; Erich Marcks; Die Jugendfreunde: Otto von Schweinichen; Herbert Gutjahr Moritz von Weithmann ; Heinrich Popitz, Maiwald. II. Die heute Lebenden EPÍRRHOSIS, die Stärkung: (1. Gebot, erkenne die Lage) 1) Der Grenzer: Schritt über eine Grenze, die Altersgrenze, woher, wohin, in welcher Begleitung. Eine Linie, immer weiter von der Jugend, vom Mannesalter, schließlich jenseits der Linie des Lebens selbst; 2) Der Abenteurer: Die Anekdote vom Deutschen 1947/48: Der in Deutschland geblieben ist; Das großartige Wort von Ch. Péguy (das ich Warnach verdanke: Das Familienfest ist die Ergänzung: der Lehrer des Volks- und Verfassungsrechts, der seinen Beruf ernst nimmt und seine Positionen. Hugo Ball: „In der Gewissensform seiner Begabung erlebt er seine Zeit“
12 pulveris exigui sparget non longa vetustas congeriem bustumque cadet mortisque peribunt argumenta tuae. Lukan, Pharsalia, Buch 8, Verse 867–869 Prosaübersetzung Ehlers (Sammlung Tusculum): in kurzer Frist wird das Häuflein Staub verfliegen, das Grab einsinken und die Spur von deinem Tod vergehen.
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Carl Schmitt. Notizen zum 60. und 65. Geburtstag
3) Der Nicht-Rechthaber: Mein größter Ruhmestitel, das höchste Lob; unglaublicher Rekord für einen Juristen und ganz unwahrscheinlich für einen Philosophen. Heinz [recte: Hugo] Kükelhaus: Der am wenigsten rechthaberische Mensch der Welt. Keine Schule, keine Clique, keine Organisation, keine Generallinie, keine General. . . (größte Freiheit und Offenheit, die Festgabe beweist und ist schon dadurch eine ýpûÞ‰wsiò Darin liegt eine Unterlegenheit, ja Wehrlosigkeit (gegenüber den zahlreichen Zeitgenossen), vor allem einer weit verbreiteten Art, die sich mit anderen aufwerten, sie verschaffen sich ein ethisches Erlebnis, kein ethisches Hochgefühl, indem sie Wehrlose verfolgen und verleumden. Darin liegt die Überlegenheit über falsche Fragesteller und der Festlegung auf ephemere Fragesteller, . . . Überlegenheit der Freiheit des Geistes. Das Siegel der Freiheit; das Zeichen, an dem sich die Sonne der Freiheit erkennen, die Sonne, die die Schriftzüge des Geistes erkennen lässt und zu lesen wissen. 4) Die Wirkung alles dessen: Die Verfolger greifen ins Leere; sie schießen immer an eine Stelle, an der ich längst nicht mehr bin; come back unmöglich; denn wie soll der zurückkommen, der nicht zweimal durch den Fluss geht? Die Jahre sind nicht mein, die mir die Zeit genommen, die Jahre sind nicht mein, die mir noch
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werden kommen, mein ist der Augenblick. Ein schöner Augenblick13 Aber er bedarf einer Erörterung. III. Der Dank: An die Veranstalter und Teilnehmer dieses schönen Festes; die A[cademia ]M[oralis] und ihre Freunde und Förderer, die Mitarbeiter der Festgabe, den Verfasser der Bibliographie. An alle Anwesenden und alle, die sich dieses Tages heute erinnern. Vor allem aber die AM. Das Moralische versteht sich heute nicht mehr von selbst; in einer solchen Zeit ist eine AM nicht nur förderungswürdig, sondern geradezu unentbehrlich, lebensnotwendig, eine Einrichtung, die das Moralische als etwas, das selbstverständlich wieder als selbstverständlich geworden ist, welches dazu beiträgt; das Normale nicht normiert, sondern selbstverständlich. Schluss:
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Was wäre ich, wenn ich nicht das Wissen meines Lebens , ein alter Mann mit Ruhestunden. Das Feuer ist erloschen, der Gedanke ist frei, die Sonne der Freiheit.
Mein sind die Jahre nicht die mir die Zeit genommen / Mein sind die Jahre nicht / die etwa möchten kommen Der Augenblick ist mein / und nehm’ ich den in acht So ist der mein / der Jahr und Ewigkeit gemacht. Adalbert Elschenbroich (Hrsg.), Andreas Gryphius, Gedichte. Eine Auswahl. Text nach der Ausgabe letzter Hand von 1663, Stuttgart, 1982, S. 106.
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[Zweites Blatt, nachträglich notiert] Definition: Steigbügelhalter, Schrittmacher der Diktatur, Totengräber der Weimarer Verfassung. Selbstdefinitionen: Ein weißer Rabe, der auf allen schwarzen Listen steht, Fragebogenantworten immer bereit halten: Ein Professor, der übrigens Staatsrat war, ich glaube er hieß Schmidt (Exposé von Fritsch)14
g
Chamäleon
Der mit 2 tt geschriebene Namensvetter des Herrn Kollegen Carlo Schmid im parlamentarischen Rat. Der nicht [ent]nazifizierte Nicht-Nazi. Ein Körnchen vom Salz der Erde. Der Kronjurist dreier Reiche Ein Mann, der niemals Entschädigungsansprüche erhoben hat. Ein weißer Rabe, der auf keiner schwarzen Liste fehlt. Ich tue, was ich will, und halte, was mich trifft, bis was ich nicht will tut mit mir ein Sinn wie Schrift, ich warte, wo ich bin und klammere das Wort, bis mich das Wort verklammernd trägt wie Samen fort.15 Streichen Sie doch das Wort Kartell und sagen Sie statt dessen: Integration Streichen Sie doch das Wort: politisch und sagen Sie statt dessen: Integration; Streichen Sie doch das Wort: und sagen Sie synchronoptisch [quer dazu notiert:] Gratulation von Erik Peterson aus Rom vom 12.7.1948 zum 60. Geburtstag bei den Akten Peterson
14
Siehe Glossarium, Eintrag vom 20.1.1952. Generaloberst v. Fritsch hatte diese Formulierung in einer Tagebuchnotiz festgehalten, als es um die verschwörerische Aktivitäten einiger Militärs anlässlich der Entmachtung der Spitze der Reichswehr Anfang 1938 ging. 15 Konrad Weiß, Verse aus „Largiris“ (Nachgelassene Gedichte), in: Gesammelte Gedichte, Zweiter Teil, München 1949, S. 228.
Berichtigungen und Ergänzungen zu Band I Rieß, Briefwechsel Lilly von Schnitzler-Carl Schmitt S. 113, 1. Abs., 5. Z. v. o. Untrübe; korrekt: trübe S. 127, Brief Nr. 4 Zum in der 1. Z. v. o. erwähnten Brief vom 11. ds. Monats: Im Nachlass Schmitt befindet sich ein Durchschlag des Schreibens von Dr. H. Simon, FZ, vom 11. August 1920 (RW 265-11432). S. 128, Brief Nr. 6 20.2.1923; korrekt: 20.2.1922 S. 130, Brief Nr. 7 Zum Datum des Briefes: Eingang lt. Tagebuch von Carl Schmitt am 2.3.1923 S. 134, Brief Nr. 12 Datum, Anm. 50 Das Datum des Briefes dürfte wohl der 7.7.1923 gewesen sein . . .; korrekt: Lt. Tagebuch erhält Schmitt den Brief am 4.7.1923, so dass er vor diesem Datum verfasst worden ist. S. 201, Brief Nr. 77 [1952?]; korrekt 1956; vgl. auch den Brief Nr. 101 v. 20.12.1956 Giesler, Die Geburtsurkunde Carl Schmitts S. 333 f. Inzwischen ist das Original der Geburtsurkunde Carl Schmitts ermittelt worden; sie ist auf der Homepage der Carl-Schmitt-Gesellschaft (www.carlschmitt.de) abgebildet.
Abbildungsnachweis Seite 180, 181 Privatarchiv Prof. Annette Kuhn Seite 245, 246 Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt RW 265-27151
Personenregister (Band I und II) Kursive Seitenangaben verweisen auf Fußnoten Abaelardus, Petrus (I) 81 Achelis, Johann Daniel (II) 144, 236 Achterberg, Norbert (II) 63 Acker, Detlev (II) 55, 59 f. Adams, Alfons (I) 60 Adams, Paul (I) 60, 73, 82, 84, 88, 93, 149, 284; (II) 141 Adenauer, Konrad (I) 216, 219, 223, 232, 244 Adorno, Gretel (II) 223 Adorno, Theodor W. (I) 116, 271, 272 f., 329; (II) 223, 239, 253, 279, 280 Aemmer, Katharina (I) 137 Aeschylos (I) 309 Ahlmann, Wilhelm (I) 286; (II) 11, 236, 239, 291 Albert [Prinz v. Bayern] (I) 152 Albert, Franc¸ois (I) 78 Alembert, Jean-Baptiste Le Rond d’ (II) 271 Alexander [der Große] (II) 206 Almeida, Fabrice d’ (I) 113 Alt, Peter André (II) 247 Althusius, Johannes (II) 77, 78, 101 Altmann, Rüdiger (I) 244; (II) 197, 226 Ammann, Rolf (I) 78 Andric´, Ivo (I) 147 f., 151, 238; (II) 242 Anschütz, Gerhard (I) 9, 10, 17–23, 29, 39, 44 f., 47, 49; (II) 55, 60 f. 63, 85, 88–90, 92, 95 f., 99 f., 105, 106–108, 115–117 Aquin, Thomas von (I) 309
Arendt, Hannah (II) 280, 284 Aristophanes (I) 309 Aristoteles (I) 309; (II) 153, 156, 161, 205, 210, 215, 223, 243, 246, 248 f., 260, 266 Arnold, Karl (I) 232 Aron, Raymond (I) 206, 208, 240, 244, 252 Arp, Hans (I) 286 Atatürk, Mustafa Kemal (II) 206 Augsberg, Steffen (II) 105, 186 Augustin-Thierry, A. (I) 84 Augustinus, Aurelius (I) 204, 309; (II) 161 f., 203 Ausonius, Decimus Magnus (II) 148 Auvermann [Antiquar] (I) 325 Averbeck, Hubertus (II) 85 Averroes (II) 194 Ay, Karl-Ludwig (II) 205 Baader, Franz von (I) 86, 100 Bab, Julius (I) 265 Bachofen, Johann Jakob (II) 158 Badocco, Corrado (II) 119 Badoglio, Pietro (I) 165 Badura, Peter (II) 66 Bähr, Hans-Walter (II) 132 Bärtschi, Christian (II) 57 Baeumler, Alfred (II) 119 f., 158–161, 169, 187 Bakunin, Michail (I) 100 f. Ball, Hugo (I) 62, 65, 76 f., 88, 90, 99–103, 134, 136 f., 309; (II) 291 Ballestrem, Karl (II) 219
298
Personenregister (Band I und II)
Barion, Hans (I) 108, 205, 210, 228, 236, 239 f., 252 f., 265 Barrés, Maurice (I) 93 Batocki-Friebe, Adolf von (II) 62 Bauch, Bruno (II) 121 Baudelaire, Charles (I) 150; (II) 284, 285 Bauer, Bruno (I) 308; (II) 259 f., 262, 263 Bauer, Karl-Heinrich (I) 187, 195 Baumgarten, Alexander Gottlieb (II) 215 Baumgarten, Eduard (II) 187 Bay, Jürgen (I) 36, 37 Bayle, Pierre (II) 271 Becker, Carl Heinrich (II) 63 Becker, Helmut (I) 173, 176 Becker, Jürgen (II) 274 Becker, Maren (II) 30 Becker, Werner (I) 60, 70; (II) 154, 171 Beckerath, Erwin von (I) 93; (II) 108 Beckmann, Mathilde Q. (I) 149 Beckmann, Max (I) 113, 115, 117, 122, 147, 149, 196 f., 206, 207, 213, 234, 246, 250 Beckmann, Peter (I) 197, 249, 252 Beebee, Thomas O. (II) 235 Behn, Siegfried (I) 238; (II) 153, 243, 278 Beissner, Friedrich (I) 161, 287 Belgiojoso-Trivulzi, Christina (I) 84 Below, Georg von (II) 127, 128 Bendersky, Joseph (I) 295–297, 312 Benedikt XV. [Papst] (I) 99 Benjamin, Walter (I) 269–271, 309, 332; (II) 223, 275 f., 279–285 Benn, Gottfried (I) 185 f.; (II) 233 Berdjajew, Nikolai (I) 75 Bergsträsser, Arnold (I) 140 Berning, Vincent (II) 154 Berth, Edouard (I) 90 Bertram, Ernst (I) 108, 110
Beutler, Ernst (I) 218 Beyerhaus, Gisbert (I) 72 Beyerle, Franz (I) 9, 11–12, 27, 41; (II) 92 Bien, Günther (II) 215 Bildt, Eva (I) 54 Bilfinger, Carl (I) 39–41, 51 f.; (II) 8, 45, 115 f. Binding, Rudolf G. (I) 134 Birk, Fernando (I) 219 Bismarck, Otto von (I) 17, 80, 84, 99, 101–103, 193; (II) 30–32 Blank, Theodor (I) 224 Blei, Franz (I) 108, 109, 282, 308, 309, 327; (II) 129, 154, 162, 278 Bloch, Ernst (I) 100; (II) 280 Bloch, Kurt (II) 162 Blomert, Reinhard (II) 220 Bloy, Léon (I) 139, 169, 204, 255, 281, 286, 306 Blücher, Franz (I) 217 Blühdorn, Jürgen (II) 212 Blumenberg, Hans (II) 123, 203 Bluntschli, Johann Kaspar (II) 46, 77 Bodin, Jean (I) 265, 308; (II) 77, 189 f., 192–195 Böckenförde, Ernst-Wolfgang (I) 42 f., 92, 245, 268, 326; (II) 179, 205, 214, 217, 218, 241, 248, 250 f., 254, 263, 265, 269, 274 Böckenförde, Josef (I) 245 Böckenförde, Werner (I) 43, 245 Boehm, Max Hildebert (I) 79 Boehme, Hermann (II) 8 Bohannan, Laura (II) 268 Bohle, Thomas (II) 55, 63, 79 Bolingbroke, Henry St. John (I) 307 Boll, Bernd (I) 176 Bollnow, Otto F. (II) 143 Bonald, Louis-Gabriel-Ambroise de (I) 87; (II) 179 Bonn, Moritz Julius (I) 294 Bonsels, Waldemar (I) 63
Personenregister (Band I und II) Boos, Roman (II) 57 Borchardt [stud. jur.] (II) 97 Borchardt, Knut (II) 205 Boris III. [Zar von Bulgarien] (I) 164 Bork [Hausmeister v. LvS] (I) 151 Bork, Hans (I) 167 Borries, Kurt (I) 103, 106 f. Bosch, Hieronymus (I) 286 Bosch, Robert (I) 217, 218 Bourgeois, Leo (II) 155 Bovensiepen, Rudolf (II) 66 Brandt, Leo (II) 228 Braubach, Bernhard (I) 60, 77, 96 f. Brauer, Theodor (II) 155 Braun, Horst (I) 316 Braun, Matthias (II) 124 Braun, Rudolf (I) 119 Brecht, Bert (II) 277, 280 Brehm, Bruno (I) 161; (II) 233 Breidecker, Volker (I) 116 Breitenbach, Edgar (I) 315–319, 325 Brenner, Hildegard (II) 283 f. Brentano, Heinrich von (I) 217 Breuer, Stefan (II) 105 Briefs, Götz Anton (II) 9 Brinkmann, Carl (II) 77, 92, 108, 220 Brockmöller, Annette (II) 121 Brod, Max (I) 69 Brüning, Heinrich (II) 87 Bruns, Viktor (II) 145 Buchholz, Karl (II) 172 Buchholz, Werner (II) 96 Bülow, Bernhard Fürst von (II) 125 Bülow, Ulrich von (II) 203 Büschen, Adolf Peter (I) 284 Büschen, Mary (I) 284 Bullinger, Martin (I) 42 Bumke, Erwin (I) 40, 49; (II) 91 Burns, Cecil Delisle (II) 156 Busse, Gisela von (I) 316–321, 322 Buys, Johannes Theodor (II) 74
299
Caesar, Gajus Julius (I) 108 Calderón de la Barca, Pedro (I) 208 Calker, Fritz von (I) 243 Capurro, Rafael (II) 253 Carossa, Hans (I) 143 Carpenhauer, S. (I) 200 Carver, Michael (II) 233 Casals, Pablo (I) 208 Cassian von Imola [Hl.] (II) 232, 274 Cassirer, Ernst (II) 170, 202 f. Céline, Louis-Ferdinand (I) 153 Chamberlain [Frau] (I) 142 Charnitzky, Jürgen (II) 271 Chateaubriand, Franc¸ois-René de (I) 87, 91 Chopin, Frédéric (I) 75 Churchill, Winston (I) 165, 232 Cicero, Marcus Tullius (I) 108 Cincar-Markovic´, Aleksandar (II) 153 Claudius, Matthias (I) 144 Clausewitz, Karl von (II) 212, 213 Clemen, Paul (II) 161 Cohen, Hermann (I) 269 Colli, Giorgio (I) 144 Collier, Rebecca L. (I) 310 Colomiès, Paul (II) 193 Columbus, Christoph (I) 178 Comte, Auguste (II) 189 Conde, Francisco J. (II) 193 Conradi, Peter (I) 160 Conring, Hermann (II) 193 Conte, Domenico (II) 271 Conze, Eckart (I) 114, 215 Cordemoy, Géraud de (I) 104 Corot, Jean Baptist Camille (I) 153 Cramme, Stefan (II) 119 Croce, Benedetto (II) 271 Curtius, Ernst Robert (I) 62, 93; (II) 162, 222 Curtius, Ludwig (I) 140 Däubler, Theodor (I) 179, 230, 278 f., 281 f., 285, 304, 306
300
Personenregister (Band I und II)
Dahlheimer, Manfred (I) 136, 138 Dahlmann, Friedrich Christoph 77 Dallmann (II) 94 Dante [Alighieri] (I) 264 Debevoise, Eli Whitney (I) 319 Defoe, Daniel (II) 67 Deichmann, Ada, geb. von Schnitzler (I) 171 Deichmann, Karl (I) 171 Dempf, Alois (I) 60, 64; (II) 119, 153–158 Demuth, Fritz (II) 145 Descartes, René (II) 162 Dessoir, Max (II) 176 Dickens, Charles (I) 159 Dickman, William (I) 302 f., 304 f., 309–314 Diderot, Denis (II) 133, 271 Diederichs, Eugen (II) 233 Diederichs, Peter (I) 211, 213 Diels, Rudolf (I) 173, 175, 177, 181, 184, 187, 209 f., 236 Diemel, Christa (I) 114 Dierse, Ulrich (II) 202 f., 235 Diez del Corral, Luis (I) 244 f.; (II) 252 Dillenz, Richard (II) 141 Dilthey, Wilhelm (II) 130, 131 f., 168, 202, 262 Dionysius Aeropagita (II) 189, 193 Dirksen, Herbert (I) 215 Döllinger, Ignaz von (I) 97 Dönhoff, Marion Gräfin (I) 271, 274 f. Doerries, Reinhard R. (I) 160 Döscher, Hans-Jürgen (I) 117, 155 Dohna, Alexander Graf zu (I) 24 Donoso Cortés, Juan (I) 69, 85, 184, 197, 306 Dorotic´, Pauline Marie (I) 284 [s. a. Schmitt, Cari und Büschen, Mary] Draht, Martin (II) 96–98 Dreyer, Fritz (II) 59 f.
Driesch, Hans (II) 130, 158 Droste-Hülshoff, Annette von (I) 309 Drummont, Edouard (II) 157 Dubois, Josiah E. (I) 192 Dubois, Louis-Ernest (I) 137 Duch, Arno (II) 75 Duisberg, Carl (I) 217, 218 Duns Scotus, Johannes (I) 290 f., 329 Durst, Karl (II) 291 Dutrestre, Catalina (II) 193 Duve, Thomas (II) 67 Dyroff, Adolf (II) 153, 161 Dyroff, Anton (II) 153 Ebbinghaus, Hermann (II) 130 Ebers, Georg (I) 113 Eberz, Otfried (I) 282 Echte, Bernhard (I) 137 Eden, Robert Anthony (I) 165, 232 Ehlers, Wilhelm (II) 291 Eichendorff, Joseph von (I) 74 f.; (II) 70 Einer, A. (II) 53 Einer, Ch. (II) 53 Einstein, Carl (I) 74 Einstein, Mary (II) 203 Eisfeld, Jan (II) 53 Eisler, Georg (II) 162 Eisler, Rudolf (II) 267, 271 Elias, Norbert (II) 220 Elschenbroich, Adalbert (II) 293 Elster, Ludwig (II) 55, 59 f. Elze, Walter (II) 159 Emge, Carl August (II) 122, 159, 287 Emmerich, Wolfgang (II) 233 Endres [Major] (I) 124 f. Eneccerus, Ludwig (II) 60 Engert, Horst (II) 124 Englert, Ludwig (II) 143 Entelecho, Pedro Luis (I) 196 Epting, Karl (I) 285; (II) 289 Erasmus, Desiderius (I) 258
Personenregister (Band I und II) Erffa, Hans Martin von (I) 206 Erhard, Ludwig (I) 211, 217; (II) 259 Eschweiler, Karl (I) 60, 83, 90–94; (II) 24, 93, 119, 142 Euripides (I) 153 Ewers, Hans-Heinz (I) 150 Faber, Richard (II) 214 Fahy, Charles (I) 304, 305, 311 Faulenbach, Heiner (I) 145 Fehling, August Wilhelm (II) 170 Feller, Fritz (II) 91, 96–98 Ferman [Verleger] (I) 99 Fetscher, Iring (II) 212 Feuchtwanger, Ludwig (I) 39, 76, 157 Fichte, Johann Gottlieb (II) 194, 213, 215 Fietkau, Wolfgang (II) 284 f. Figal, Günter (II) 120 Figge, Klaus (I) 126, 262; (II) 7, 270 Filmer, Robert (II) 276 Fischer, Hugo (II) 120 f., 123, 168 Fischer, Lorenz (I) 78 Flechtheim, Ossip K. (I) 184, 301, 313 Fleiner, Fritz (II) 55, 61 Fleischmann, Max (II) 64 Fleming, Paul (I) 144 Flick, Friedrich (I) 293, 303 Förster, Friedrich Wilhelm (I) 78 Forsthoff, Ernst (I) 36, 42, 239, 290; (II) 72, 88, 104, 117, 122, 198, 201, 210, 247, 265, 272, 287 Fraenger, Wilhelm (I) 286 Fraenkel, Ernst (I) 40 Fraga Iribarne, Manuel (I) 248 Franco, Francisco (I) 208 f., 223, 244 Franc¸ois-Poncet, André (II) 8 Frank, Hans (I) 227 Frank, Karl Hermann (I) 250 Franke, Ursula (II) 215 Frantz, Constantin (II) 56, 70 Franziskus [von Assisi] (I) 134, 182
301
Freiligrath, Ferdinand (I) 229 Freund, Julien (I) 244, 252; (II) 215, 250–252 Freyberg, Baron von (I) 192 Freyer, Hans (I) 68, 153, 156, 167; (II) 120 f., 158, 169, 211 f., 214, 239 Friedmann, Alfred (II) 89 Friedrich II. [König von Preußen] (II) 47 Friedrich August III. [König von Sachsen] (I) 173 Friedrich, Carl Joachim (II) 100 f., 175 Friedrich, Manfred (I) 249 Friesenhahn, Ernst (I) 79, 84; (II) 102, 113 f., 117 Fritsch, Werner von (II) 294 Frommel, Wolfgang (I) 286 Fuld, Werner (II) 284 Funk, Ph. (I) 110 Funke, Andreas (II) 105, 186 Funke, Gerhard (II) 278 Fur, Louis le (I) 78 Gadamer, Hans-Georg (II) 203 Gahlings, Ute (I) 116 Gajzago, Ladislaus von (I) 155 Gallwitz, Dieter (I) 114 Gangl, Manfred (II) 88 Gargan, Edward T. (II) 198 Garosci, Aldo (II) 193, 195 Garve, Theo (I) 113, 218 Gebensleben (II) 96–98 Gebhardt, Hans (II) 288 Gebhardt, Peter (II) 275 Gehlen, Arnold (II) 122 f., 215, 239 Gentile, Giovanni (II) 271 Georg [Kronprinz von Sachsen] (I) 35, 52 George, Heinrich (I) 173 George, Stefan (I) 301 f.; (II) 276, 278
302
Personenregister (Band I und II)
Gerber, Hans (I) 42; (II) 110 Gerhardt, Volker (II) 130 f., 176 Gerstenhöfer, Gerhard (II) 119 Gerstenmaier, Eugen (II) 8 Gerullis, Georg (I) 53 Geulincx, Arnold (I) 104 Gierke, Otto von (II) 56–58, 61 f., 65, 66, 77, 81 Giese, Friedrich (II) 110 Giesler, Gerd (I) 33, 36, 126, 147, 152, 160, 162, 257, 262, 272, 286 f., 290, 301, 307, 316; (II) 7, 57, 65, 107, 119, 150, 274, 287–294 Gildemeister, Otto (I) 134 f. Gilles,Werner (I) 113, 117, 142, 153, 163, 200; (II) 229 Gillet, Louis (I) 84 Gluck, Christoph Willibald (I) 271, 274, 309; (II) 288 Gneist, von (II) 287 Goebbels, Josef (I) 224 Göpel, Erhard (I) 206 Göring, Hermann (I) 173, 182, 199, 215; (II) 36 Görres, Johann Joseph von (I) 74 f. Goethe, JohannWolfgang von (I) 185, 213, 242, 254, 329 f.; (II) 70, 83, 166, 196, 232, 290 Goetz, Leopold Karl (II) 153 Götz, Lina (II) 73 Goldmann, Lucien (II) 268 Goldschmidt, Julius (I) 124, 127 f. Goll, Iwan (II) 53 Gollwitzer, Helmut (I) 54 Gosewinkel, Dieter (II) 241 Gotheiner (I) 41 Gottfried [von Straßburg] (I) 181 Grabbe, Christian Dietrich (I) 73 Graehl, Gerhard (I) 78 Grau, Richard (I) 39 Grauert, Ludwig (I) 199, 205 Grelling, Kurt (I) 98 f.
Greven, Michael Th. (II) 56 Grillparzer, Franz (I) 153, 282 Grimm, Jacob (I) 266 Grimm, Wilhelm (I) 266 Groh, Dieter (I) 126, 262; (II) 7 Gross, Johannes (I) 268; (II) 226 Grothe, Ewald (II) 87, 119 Grotius, Hugo (I) 288, 308, 311, 331 Gruber, Hubert (I) 75 Gruel [Pariser Buchbinder] (I) 291 Gründer, Karlfried (II) 123, 204, 214, 218, 254–256, 262 f., 265 Grüninger, Horst (I) 161 Grüttner, Michael (II) 141 Gryphius, Andreas (II) 293 Grzimek (II) 275 Guardini, Romano (II) 142, 150, 156, 158 Günther, Horst (II) 274 Guenther, Irene (I) 142 Günther, Johann Christian (I) 144 Gütersloh, Albert Paris (I) 309 Gurian, Edith (I) 63 Gurian, Johanna (I) 84 Gurian, Waldemar (I) 59–111, 183; (II) 154 [s. a. unter Peltastes] Gutjahr, Herbert (II) 287, 291 Guttmann, Julius (II) 170 Haas, Willy (I) 69 Habermas, Jürgen (II) 211, 218 Hacke, Jens (II) 202, 215, 217 Hadlich, Käthe (II) 131, 137 f., 145 Hadrich, Julius (II) 172 Haecker, Theodor (I) 63, 282 Haenisch, Konrad (II) 58 f., 62 Haerendel, Ulrike (I) 148 Haftmann, Werner (I) 207, 213 Hahm, Haidi (I) 287 Hahm, Konrad (I) 287 Hahn, Rudolf (I) 138 Haller, Albrecht von (I) 257 Haller, Bertram (I) 268
Personenregister (Band I und II) Haller, Johannes (II) 125 Hamann, Johann Georg (II) 279 Hanfstaengl, Erna (I) 160, 164, 174, 184 Hanfstaengl, Ernst (I) 160 Hansdorff, Felix (II) 161 Hansen, Reimer (II) 146 Hansert, Andreas (I) 114, 116, 142 Harck, Frau von (I) 179 Hardt (II) 275 Hargreaves, Mary (I) 308 Harich-Schneider, Eta (I) 262 Harms-Ziegler,Volker (I) 138 Harnack, Adolf von (II) 161 Hartmann, Hans (II) 155 Hartmann, Nicolai (II) 119–121, 126, 130 Hartung, Gerald (II) 121 Hasenkamp, Gottfried (I) 60 Hausenstein, Wilhelm (I) 113 Haushofer, Karl (I) 79 Hayes, Peter (I) 160 Heckel, Johannes (II) 117 Heer, Friedrich (I) 161 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (I) 16, 99, 101, 103, 169, 193 f., 227, 255, 309, 332; (II) 12, 24–26, 43 f., 48, 81, 122, 135, 168, 194, 196, 204, 208 f., 211 f., 214–216, 219, 224, 226, 238, 241, 244, 245 f., 252, 255, 256, 266 Heidegger, Martin (I) 277; (II) 119 f., 125, 130, 158, 163, 170, 181–183, 202, 242, 268 Heil, Susanne (II) 223 Heilinger, Christoph (II) 131 Heimsoeth, Heinz (II) 121, 211 Heine, Heinrich (II) 282 Heine, Jens Ulrich (I) 129 Heinig, Hans-Michael (II) 78 Held, Hans Ludwig (I) 153 Heldt, Werner (II) 229 Helfritz, Hans (II) 89
303
Hella [Geliebte Schmitts] (II) 92 Heller, Hermann (I) 9, 37, 40; (II) 96, 97, 162 Hemleben, Johannes (II) 57 Hemmerich, Gerd (II) 282 Henkel, Michael (II) 96 Hennings, Emmy (I) 137 Hensel, Albert (II) 104 Hentzen, Alfred (II) 229 Hepp, Robert (II) 218 Heraklit (II) 50, 182 Herberg (II) 71 Herder, Johann Gottfried (II) 134 Herrmann, Albert (II) 85 Hertweck, Frank (I) 126, 262; (II) 7–9, 14, 19 Hertz, Friedrich (I) 83 Herzen, Alexander (I) 63 Hesse, Hermann (I) 76 Hessen, Johannes (II) 153 Hettlage, Karl Maria (I) 322 Heuss, Theodor (I) 215 Heydrich, Reinhard (I) 174 Heydt, Eduard von der (I) 215, 233 Heyer, Karl (II) 155 Heym, Georg (II) 53 Heymann, Ernst (II) 98, 146 Hilgendorf, Eric (II) 121 Hiller, Kurt (II) 53 Himmler, Heinrich (I) 118 f., 160, 164, 173 Hindenburg, Paul von (II) 138 Hinrichs, Bernhard (II) 97 Hintze, Hedwig (I) 79 Hitler, Adolf (I) 41, 117, 160, 193, 217 f., 224, 227, 296, 298, 313, (II) 16, 18, 36, 49, 162 Hobbes, Thomas (I) 265, 269, 288, 290, 306, 308; (II) 77, 168, 171, 179 f., 189, 219, 289 Hobbing, Reimar (II) 111 Hoberg-Heese, Christel (I) 290
304
Personenregister (Band I und II)
Hock, Sabine (I) 114 Hodler, Christian (I) 267, 289 Hodler, Otto (I) 266, 267, 286, 288, 289 Hoeft, Bernhard (I) 258 Höhn, Reinhard (II) 57 f. Hölderlin, Friedrich (I) 63, 107, 156, 161, 287; (II) 196 Hoentzsch, Meta (II) 288 Hoffmann, Arthur (II) 124 Hoffmann, Dieter (I) 114 Hoffmann, Elisabeth (I) 184 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus (II) 80 Hofmann, Albert (I) 321 Hofmann, Hasso (I) 249 Hofmann, Walter (II) 59 Hohenzollern, Johann Georg von (I) 120, 173 Hohenzollern-Sigmaringen, Margarete von [Herzogin von Sachsen] (I) 119, 120, 142, 173, 175, 180, 233, 246 f. Holfilus [Prof.] (I) 199 Holler, Christian (I) 288 Holste, Christine (II) 214 Holstein, Günther (I) 37, 49; (II) 90, 126 f., 141 f., 158, 159 f. Holstein, Horst (I) 49, 158 Homer (I) 108; (II) 73; 256 Honigsheim, Paul (I) 70, 85 Hooker, Richard (II) 194, 196 Hradil, Rudolf (I) 250 Huber, Ernst Rudolf (I) 33, 87, 173; (II) 11, 14, 18, 20, 75, 88, 104, 105, 117, 122 Huber, Eugen (II) 57 Hürten, Heinz (I) 60, 91 Hüsmert, Ernst (I) 153, 160, 162, 265, 278 f., 325, 332; (II) 57 Hugo, Victor (I) 75; (II) 284 Huhn, Irmgard (I) 188, 270 Humboldt, Wilhelm von (II) 279 Hummel, Fritz (II) 97 f. Husserl, Edmund (II) 130
Iamone, Enrico (II) 56 Ihering, Rudolf von (II) 102 Ilting, Karl-Heinz (II) 123 Immelmann, Max (I) 35 Imredy, Bela von (I) 155 Ipsen, Hans-Peter (I) 34 f. Isay, Ernst (I) 49 Ishida, Yu¯ji (II) 10 Jabes, Contesa Carmen de (I) 196 Jachmann, Günther (II) 126 Jacobi, Erna (I) 53 Jacobi, Erwin (I) 33–57, 67; (II) 87 f., 92, 101, 103, 115 f., 169 Jacobi, Gottfried (I) 38 Jacobi, Nora (I) 38, 41, 43, 50, 52 Jacobi, Rudolf (Rudi) (I) 38, 44–46, 52 Jacobi, Thomas (I) 38 Jacoby, Günther (II) 123 Jacoby, Henry (II) 58 Jahrreiss, Hermann (II) 67 Jansen, Christian (II) 96 Janssen, Wilhelm (I) 268 Jaser, Alexander (I) 285 Jaspers, Karl (II) 89, 158 Jauer, Otto (II) 141 Jay, Herta (I) 134 Jeinsen, Gretha von (I) 255 Jellinek, Dora (II) 107 Jellinek, Georg (I) 56, 296; (II) 60 f., 77, 87, 277 Jellinek, Otto (II) 107 Jellinek, Paula (II) 107 Jellinek, Walter (I) 34, 38, 41, 51, 52; (II) 87–117 Jessen, Jens (II) 291 Johannes XXIII. [Papst] (II) 249 Jostok, Paul (II) 155 Juana Inés [de la Cruz] (I) 150 Jünger, Ernst (I) 113, 145, 147, 150, 165 f., 185, 186 f., 198, 255, 257, 260, 266, 271, 277, 286, 290 ff.,
Personenregister (Band I und II) 308, 321, 330, 331, 333; (II) 10, 120, 205–207, 209, 218–220, 225, 242 f., 254 Jünger, Gretha (I) 146, 187, 255, 285, 287 [s. a. unter Jeinsen] Jung, Carl Gustav (I) 119, 149 f., 153 Kaesler, Dirk (II) 205, 259 Kafka, Franz (I) 69 Kafka, Gustav E. (II) 252 Kahl, Wilhelm (II) 114 Kaiser, Christian (II) 56, 63, 79 Kaiser, Joseph (I) 231, 267, 295, 325; (II) 188 Kampits, Peter (II) 233 Kandinsky, Wassily (I) 207 Kant, Immanuel (I) 86, 99, 101, 103; (II) 123, 214, 215, 242 Karl [der Große] (II) 26 Kaufmann, Arthur (II) 55 Kaufmann, Erich (I) 9, 29, 37, 48, 50, 73, 192; (II) 60, 88 f., 142 Kaulbach, Friedrich (II) 211 Kayser, Jacques (II) 167 Keckeis, Gustav (I) 73 Keiper, Gerhard (II) 56 Keller, von [Anwalt] (I) 176 Kelsen, Hans (I) 9, 37, 44, 296; (II) 54, 105, 183 f., 186 Kemp, Friedhelm (I) 156 Kemper, Franz (I) 160 Kemper, Wilhelm (I) 160 Kempner, Robert (I) 183, 301, 303, 310, 312–314, 332; (II) 191 Kempner, Walter (I) 301 Kempter, Klaus (II) 87, 89 Kennedy, Ellen (II) 223 Kerschensteiner, Georg (II) 143 Kerst, Rolf (I) 257, 294, 322–326 Kesper, Carl Erich (I) 323 Kesting, Marianne (I) 228 Keyserling, Hermann (I) 113, 116 f., 119, 138, 149, 227, 236
305
Kiesel, Helmuth (I) 165, 257; (II) 243 Killigrew, Mary [Lady] (I) 159 King, Colin (II) 131 Kirchheimer, Otto (I) 30; (II) 185 Kirchner, Hildbert (I) 280, 311, 324, 328 Kirschweng, Johannes (I) 60 f., 108–110 Kirstein, Martina (II) 119, 132 Kisoudis, Dimitrios (I) 126, 262; (II) 7–9, 14, 19 Kjellén, Rudolf (I) 9, 10, 16; (II) 77 Klee, Paul (I) 207, 262 f. Kleemann, Christiane (I) 193 Klein, Franz (II) 81 Kleist, Heinrich von (I) 107, 318; (II) 196 Klemperer, Viktor (I) 87 Klicˇkovic´, Milka (I) 286, 289 Klicˇkovic´, Sava (I) 228, 248, 286, 289 Klinkenberg, Heinrich (I) 73 Klippel, Diethelm (II) 53 Koch, Rudolf (I) 143 Kockenbach, Martin (I) 66 Kodalle, Klaus-M. (I) 225 Koechlin, Carl (I) 223 Köhler, Dietmar (II) 213 Köhler, Michael (II) 61 Koellreutter, Otto (I) 9, 42; (II) 53, 65, 67, 76, 78, 92, 117 Kölz, Alfred (II) 61 Koenen, Andreas (II) 9–11, 13, 15, 153 König, René (I) 108 Koerner, Paul (I) 182 Köttgen, Arnold (I) 24 f., 298; (II) 117 Kogon, Eugen (I) 174, 188 Kohler, Josef (I) 264 Kojève, Alexandre (II) 123, 229 f., 238 Kolbenheyer, Erwin Guido (II) 10 Konen, Heinrich (II) 164
306
Personenregister (Band I und II)
Konfuzius (I) 116 Kopp-Oberstebrink, Herbert (II) 123 Korb, Axel-Johannes (I) 44 Korioth, Stefan (II) 126 Kormann, Karl (II) 58–61 Koselleck, Reinhart (I) 258–260 Kottler, Liselotte (II) 67 Kottler, Wilhelm (II) 66 f., 85, 86 Krabbe, Hugo (II) 74 Kracauer, Siegfried (II) 280 Kramer, Franz (I) 60 Kraus, Annie (II) 169 Kraus, Karl (II) 278 Krause, Friedhilde (I) 293 Krause, Georg Alexander (I) 123; (II) 287 Krauss, Günther (I) 94, 283 f. [s. a. unter Lang] Krebs, Friedrich (I) 117, 142 Kriele, Martin (II) 214, 217 Krockow, Christian Graf von (I) 271, 276 f., 329; (II) 242 Krüger, Felix (II) 121, 169 Kubo, Keiji (II) 65 Kühlmann, Richard von (I) 113 Kühnemann, Max (II) 98–100 Kükelhaus, Hugo (II) 292 Kugler, Hans (I) 192 Kuhn, Annette (II) 119, 176, 177, 179 f. Kuhn, Helmut (II) 119 f., 170, 176–181 La Touanne, Sébastien de (II) 250 Laak, Dirk van (I) 280, 329; (II) 201, 205, 273 Laband, Paul (I) 29, 35; (II) 87, 99 Laffert, Maximilian von (I) 35 Lagarde, Paul de (I) 80 Laing, Ronald D. (II) 270 Lamanskij, Vladimir I. (I) 81 Lamennais, Felicité de (I) 59, 87, 91 Landsberg, Anna (II) 162 f.
Landsberg, Ernst (II) 161 Landsberg, Paul Ludwig (II) 119 f., 161–168 Lang, Clemens [Ps. f. G. Krauss] (I) 94 Lang, Markus (I) 294 Lange, Heinrich (I) 41, 55, 57 Langgässer, Elisabeth (I) 113, 183 f., 247 Lanxx, Pierre de (I) 89 Laotse (I) 116, 168, 264 Larenz, Karl (II) 121, 158, 159 Larese, Dino (I) 146 Lasalle, Ferdinand (I) 99, 101 f.; (II) 82 Laube, Reinhard (I) 258 Lawrence, David Herbert (I) 153 Leers, Johann von (II) 287 Legaz y Lacambra, Luis (I) 208 Lege, Joachim (II) 125 f. Lehmann, H. (I) 30 Lehmann, Rudolf (I) 191 Lehnert, Erik (II) 57 Leibholz, Gerhard (I) 29; (II) 122 Leibniz, Gottfried Wilhelm (II) 123, 134, 237 Leip, Hans (I) 159 Leist, Erich (II) 144 Leistikow, Hans (I) 176 Lenin, Wladimir Iljitsch (II) 211 Lenz, Christian (I) 113–115, 137 Lepenies, Wolf (II) 268, 270 Lepper, Marcel (II) 123 Lerchenfeld, Hugo Graf von und zu (II) 157 Lessing, Gotthold Ephraim (II) 193 f. Lévi-Strauss, Claude (II) 268, 270 Lewinski, Karl von (I) 310 f. 312 Lewinski-Dollhausen, Otti (II) 288 Leyh, Georg (I) 292 Liebert, Arthur (II) 9, 120 f., 121, 176 Lieberwirth, Rolf (II) 63
Personenregister (Band I und II) Lilienthal, Karl von (II) 73 Lilla, Joachim (I) 55 Lingelbach, Gerhard (II) 96 Linn, Pierre (I) 90 Lippert, Peter (I) 139 Lipps, Hans (II) 120, 121, 123 Liszt, Franz (I) 75 Litt, Theodor (II) 119, 168–170 Lochner, Stefan (I) 151, 163 Locke, John (II) 77 Loening, Edgar (II) 62 Loesch, Karl von (I) 79 Loewenstein, Karl (I) 261, 289, 293–298, 300–303, 305 f., 309–313, 319, 325, 331 Löwith, Karl (I) 61, 108, 269; (II) 171, 181 f. Lohmann, Karl (II) 8, 287 Lokatis, Siegfried (II) 10, 15 Lopes, Igor (I) 200 Lorca, Garcia (I) 208 Lortz, Joseph (I) 321–323, 326, 328 Louis Philippe I. [König von Frankreich] (I) 75, 217 Ludendorff, Erich (I) 125 f. Ludwig XIV. [König von Frankreich] (II) 27 Ludwig, Emil (I) 89 Lübbe, Hermann (II) 123, 204, 214, 218, 265 Lütkehaus, Ludger (I) 153 Lukács, Georg (I) 279; (II) 196 Lukan, Markus Aennaeus (II) 291 Lurc¸at, Jean (I) 229 Luther, Martin (I) 99–102; (II) 233 Macdonald, Hugh (I) 308 Mach, Ernst (II) 126 Machiavelli, Niccolò (I) 89, 219, 308; (II) 232, 274 Mackert [Bibliothekar] (I) 326 Magaß, Walter (II) 214 Magee, Warren E. (I) 176
307
Magnus (II) 97 Mahner, Franz (I) 78 Mahnke, Dietrich (II) 130 Maier, Hans (II) 154 Maier, Reinhold (I) 313 Maimonides (II) 193 Mainzer, Gertrud (II) 65 Maistre, Joseph de (I) 87, 308 Maiwald, Serge (II) 150 f., 291 Malebranche, Nicolas (I) 104 Mallinckrodt, Gustav Wilhelm Otto von (I) 162, 188 Mallinckrodt, Lydia von (I) 162, 175, 185, 188, 209; (II) 287 Mallinckrodt, Nadine von (I) 233 Malraux, Madeleine (I) 183 Mann, Heinrich (I) 113 Mann, Thomas (I) 113, 185, 278–280, 291, 294; (II) 197 Mannheim, Karl (I) 24; (II) 139, 220 Marc Aurel (I) 282 Marcel, Gabriel (II) 215 Marcks, Erich (II) 14, 291 Marcuse, Herbert (II) 181, 214 Marées, Hans von (I) 213 Marías Aguilera, Julián (I) 244 Maritain, Jacques (I) 89 f., 139 Mark, Walther (II) 125 Marquard, Odo (II) 123, 202 f., 206, 214, 217, 218, 233, 235, 237, 242, 254 Marschler, Thomas (II) 24 Martinsen, Sylvia (II) 119, 132 Martynkewicz, Wolfgang (I) 114 Marwitz, Roland (II) 162 Marx, Karl (I) 99, 101 f., 332; (II) 122, 202, 282, 284 Marye [Lt. Col.] (I) 302, 304 f. Maschke, Günter (I) 36, 156, 244, 257; (II) 13, 18, 54, 57, 75 Massignon, Louis (II) 176 Matisse, Henri (I) 229 Maurer, Reinhart (II) 215
308
Personenregister (Band I und II)
Maurras, Charles (I) 60, 88; (II) 139, 176 Mayer, Hans (I) 183 Mayer, Otto (I) 34; (II) 87 Mayer, Theodor A. (I) 107 Mazzini, Giuseppe (I) 100 Mecklenburg, Frank (I) 303 f., 313 Medem, Eberhard von (I) 183, 260 f., 266, 268 f., 271, 316 f., 321; (II) 287 Mehring, Reinhard (I) 10, 46, 49, 54, 129, 155, 187, 192, 197, 225, 227, 243, 261, 270, 278, 283, 301; (II) 8, 10–12, 16, 18, 19, 53, 54, 64, 77, 88, 105, 121, 123, 125, 130, 142, 160, 171, 182, 186, 201, 216, 229, 233, 264, 290 Meier, Albert (II) 247 Meier, Heinrich (I) 269, 316; (II) 122, 170 f. Meier, Wiebke (II) 171 Meinel, Florian (II) 88, 201, 247 Meissner, Boris (I) 233 Melville, Herman (I) 153 f., 204, 228, 281; (II) 236 Mende (I) 24 Mendelssohn, Peter de (II) 242 Mendelssohn-Bartholdy, Felix (II) 93, 95 Mercier, Desiré-Joseph (I) 99 Merkl, Adolf (II) 183 Merton, Richard (I) 116–118 Meusch, Matthias (II) 119 Meuter, Günter (II) 56, 70 Meyer, Eduard (I) 103 Meyer, Georg (II) 46 Michael, Horst (II) 153 Michel, Ernst (I) 97 f. Michel, Karl Markus (I) 255; (II) 24, 209, 224 Michelet, Jules (I) 106 Mies van der Rohe, Ludwig (I) 115 Mirgeler, Albert (I) 67, 68, 70 Misch, Georg (II) 158 Missiroli, Mario (I) 94
Möbius, Stefan (II) 162 Möhler, Johann Adam (II) 24 Mössinger, Wilhelm (I) 177 f. Mohl, Robert von (I) 14 Mohler, Armin (I) 188, 269 f., 323, 327, 328; (II) 10, 206, 254, 289 Moldenhauer, Eva (I) 255; (II) 24, 209, 224 Moltke, Dorothy (I) 117 Moltke, Helmut James von (I) 117 Mommsen,Wolfgang (I) 267, 312, 329 Monroe, M. G. B. (I) 319 Montalembert, Charles de (I) 91 Montesi, Gotthard (II) 196 f. Montesquieu, Charles de Secondat Baron de (II) 134 f. Montinari, Mazzino (I) 144 Moras, Joachim (I) 115 Morgenstern, Ulf (II) 55, 60, 63, 66 Morhenn, Alfred (I) 152 Mount-Temple [Lady] (I) 142 Mozart, Wolfgang Amadeus (II) 92 Muckermann, Friedrich (I) 75, 82 Müller [Chirurg von Duschka] (II) 138 Müller, Adam (I) 61, 83, 105 f., 316; (II) 75 Müller, Aloys (II) 153 Müller, Günther (I) 82 f. Müller, Guido (I) 136 f. Müller, Jan-Werner (II) 201 Müller, Johannes (I) 146 f. Müller, Roger (II) 61 Müller-Jerina, Alwin (I) 293 Müller-Meiningen, Johanna (I) 148 Münzer, Thomas (I) 100, 102 Muller, Jerzy Z. (II) 239 Murray, Kathleen (I) 70; (II) 125, 128 Musset, Alfred de (I) 75 Mußgnug, Dorothee (I) 42, 290; (II) 72, 287 Mußgnug, Reinhard (I) 42, 290; (II) 72 Mussolini, Benito (I) 91
Personenregister (Band I und II) Muth, Carl (I) 65, 68, 76, 88, 90; (II) 154 Muth, Heinrich (II) 278 Mutius, Bernhard von (II) 287 Mutschmann, Martin (I) 55 Naas, Stefan (II) 63 Napoléon (I) 102; (II) 26–28, 44, 212 f. Natorp, Paul (II) 125 Naumann, Friedrich (II) 46, 61, 81 Nawiasky, Hans (I) 29; (II) 79 Nay, Elly (I) 163; (II) 229 Nay, Ernst Wilhelm (I) 113, 117, 163, 174, 207; (II) 229 Nebel, Gerhard (I) 278 Neugebauer, Erwin (I) 53 f. Neugebauer, Karl Anton (I) 53 f. Neumann, Franz (I) 30 Neumann, Volker (II) 54 Neumayer, Fritz (I) 217 Neundörfer, Karl (I) 61 Neuss, Wilhelm (I) 72; (II) 119, 154 Neuwiem, Erhard (II) 127 Nichtweiß, Barbara (I) 60 Nicolaus [de Cusa] (II) 202 Nicoletti, Michele (II) 162 Nida-Rümelin, Julian (II) 202, 233, 239, 253 Niekisch, Ernst (II) 10 Niemayer, Theodor (II) 64 Niemöller, Martin (I) 54 Nietzsche, Friedrich (I) 82, 110, 144, 293; (II) 122, 258 Nipperdey, Hans Carl (I) 9 f., 23, 25, 29 f. Noack, Paul (I) 262, 286 Nörpel, Clemens (I) 40 Nohl, Hermann (II) 158 Nolde, Emil (I) 117, 147, 163 Nolte, Ernst (I) 54 Novalis (I) 105 Nyssen, Wilhelm (I) 60
309
Oberheid, Heinrich (I) 145 f., 148, 171 f., 174 f., 178, 181, 185, 198, 200, 205, 210, 214 f., 221 f., 228, 233, 237, 239, 240, 242, 247, 251–256, 321; (II) 287 Oberheid, Margarete (I) 221 Oeing-Hanhoff, Ludger (II) 214 Oelmüller, Willi (II) 214, 215 Oeter, Stefan (II) 11 Özmen, Elif (II) 202, 233 Ofner, Julius (II) 81 Ollivier, Emile (I) 84 Opitz, Peter J. (II) 119, 184, 187, 189 f. Oppenheimer, Franz (II) 259 Ors, Eugenio d’ (I) 196 Ortega y Gasset, José (I) 244; (II) 253 Ortmeyer, Benjamin (II) 131 Osterhammel, Jürgen (I) 116 Otero, Alfonso (I) 244 Ott, Bernadette (I) 148 Otte, Holger (II) 74 Otten, Henrique Ricardo (II) 56, 70 Ottmann, Henning (II) 202, 204, 239 Otto, Martin (I) 33; (II) 53, 55, 60–62, 64, 67, 73 f., 81, 87, 96 Otto, Walter Friedrich (I) 226 Ovidius Naso, Publius (I) 212, 309 Paeschke, Hans (I) 115 Pannwitz, Rudolf (I) 80; (II) 154 Panofsky, Erwin (I) 318 Papen, Franz von (I) 52 f., 55; (II) 33, 39 Papini, Giovanni (II) 271 Pascal, Blaise (I) 309; (II) 163, 165, 268 Pasque, E. (II) 193 Passerin d’Entrèves, Alessandro (II) 196 Patzig, Günther (I) 327 Paulus [Apostel] (I) 259 Pauly, Walter (II) 63, 73
310
Personenregister (Band I und II)
Péguy, Charles (II) 291 Peletier, W. M. (II) 74 Peltastes [Ps. für Gurian] (I) 81 f., 85, 95, 103 Pepys, Samuel (I) 308 Perels, Kurt (I) 34, 36 Pesch, Volker (II) 124 Peters, Hans (II) 116 Petersen, Julius (I) 87 Peterson, Erik (I) 60, 84, 309; (II) 119 f., 123, 154, 157, 281, 294 Petrarca, Francesco (I) 264 Petwaidic, Walter (I) 92 Petzelt, Alfred (II) 210, 221 Pfafferott, Henning (I) 89 Pfeiffer, Helmut (II) 287 Pfister, Josef (II) 141 Picasso, Pablo (I) 208, 229 Pichler, Hans (I) 308; (II) 119 f., 123–130 Pieper, Josef (I) 330; (II) 214 Planck, Max (II) 145 Platon (I) 108; (II) 161, 163, 172, 184, 193, 215 Platz, Hermann (I) 60; (II) 153 Plessner, Helmuth (II) 119 f., 131, 166, 170 Podach, Erich Friedrich (I) 293 Podewils, Clemens Graf (II) 205 Poe, Edgar Allan (I) 150 Pöggeler, Otto (II) 213 Pohl, Johann Heinrich (I) 24, 67; (II) 64 Poincaré, Raymond (I) 137 Polak, Karl (II) 89 Ponceau, Amedée (I) 208 Ponceau, Michelle (I) 208 Popitz, Johannes (I) 28, 54, 160, 169, 170, 266, 286, 288–292, 311, 332; (II) 14, 39, 142, 287, 291 Pozzo, Ricardo (II) 204 Preller, Ludwig (II) 61 Preusker, Victor-Emanuel (I) 217
Preuß, Hugo (I) 19, 36; (II) 57, 74, 109, 139 Proudhon, Pierre-Joseph (I) 179; (II) 284 Przywara, Erich (I) 83, 113, 120, 176, 225 f., 228 f., 238–242, 245, 247 f., 250, 252, 309; (II) 153, 242 f., 256, 278 Pufendorf, Samuel (II) 43 Quaritsch, Helmut (I) 177, 192, 261, 266, 294, 300, 314, 329; (II) 191, 216 f. Racine, Jean (II) 268 Radbruch, Gustav (II) 54 f., 65, 73, 89, 92 Raddatz, Fritz J. (II) 282 Radon, Johann (II) 126 Rahn, Rudolf (I) 210, 213 Ranke, Leopold von (I) 258 Raschhofer, Hermann (I) 250 Rathke, Arthur (II) 109, 111 f., 113 Ratzel, Friedrich (II) 77 Raulff, Ulrich (I) 173, 301 Rauterkus [Pater] (I) 189 Redwitz, Philipp Freiherr von (I) 233 Regenbogen, Otto (II) 89 Régnier, Henri de (I) 80 Reichenau, Walter von (II) 145 Reichert, Klaus (II) 53 Reidemeister, Kurt (I) 327 Reifenberg, Benno (I) 207, 213, 218, 227 Reinhardt, Karl Ludwig (I) 218 Reinthal, Angela (I) 42, 290; (II) 72 Reithel, Thomas (I) 190 Reitz, Tilman (I) 225 Renan, Ernest (II) 270 Rexroth, Karl Heinrich (I) 332 Rheinstein, Max (II) 192 Ribbentrop, Annelies von (I) 142 Ribbentrop, Joachim von (I) 215
Personenregister (Band I und II) Richter, Hans (I) 279 Rick, Karl (I) 73 f. Riedel, Wolfgang (II) 247 Rieß, Rolf (I) 39, 157; (II) 87, 119 Rilke, Rainer Maria (I) 113, 134 Ritter, Edith (II) 258 Ritter, (Hanns) Henning (II) 233, 236, 257, 261, 268, 270, 272 Ritter, Joachim (II) 122, 201–274 Ritter, Susanne (II) 233 Ritterbusch, Paul (I) 53, 55, 57; (II) 67 Robbins, Marjorie (I) 309, 320, 321, 322 Rockwell, Alvin J. (I) 302, 305, 310, 311 f., 313, 315 Röder, Werner (I) 293 Roh, Franz (I) 207, 286 Rohan, Karl Anton Prinz (I) 113, 120, 138 f., 142, 145, 147, 149, 164, 165, 172, 176, 181, 185, 188, 196, 211–213, 216, 221, 225, 229, 238, 240, 244, 245, 246, 248, 250, 252, 254 Rohrmoser, Günter (II) 214, 215 f., 265 Romier, Lucien (I) 86 Rosenbaum, Eduard (II) 150 Rosenstiel, Francis (II) 284 Rosenstock-Huessy, Eugen (I) 34, 37 Roßkopf, Veit (II) 7 Roth, Christian (I) 116, 124–127, 132, 192 Roth-Plettenberg,Volker (I) 326 Rothacker, Erich (II) 153, 162, 203 Rothe, Paul (I) 79 Rothenbücher, Karl (I) 44 Rouault, Georges (I) 207 Rouselle, Erwin (I) 116 Rousseau, Jean-Jacques (I) 84; (II) 268, 270 Rozanov, Vasily (I) 75 Rubinstein, Sigmund (II) 75 Rückert, Friedrich (II) 80
311
Rüdiger, Andreas (II) 236 Rürup, Reinhard (II) 192 Rüssel, Herbert Werner (I) 150 Rüthers, Bernd (I) 333 Ruhm von Oppen, Beate (I) 118 Rumpf, Helmut (II) 275 Rumpf, Michael (II) 275–285 Sacher, Werner (II) 131, 271 Sagave, Pierre-Paul (I) 279 Saint-Martin, Louis-Claude de (I) 182 Salin, Edgar (I) 288 Salmen, Brigitte (I) 114, 119, 137 Salomon-Delatour, Gottfried (II) 170 Salzborn, Samuel (I) 250 Sand, Georges (I) 75 Sander, Fritz (I) 44 Sander, Hans-Dietrich (I) 92; (II) 57, 223, 269 Sandkühler, Hans Jörg (II) 203, 216 Sarre, Carl (I) 300, 301, 311 Sass, Hans-Martin (II) 261 f., 274 Sauter, Johannes (I) 61, 86, 110 f. Savigny, Friedrich Carl von (I) 332; (II) 81, 158 Scarbi, Marco (II) 204 Scelle, Georges (I) 78 f. Schachinger, Hermann (I) 192 Schacht, Hjalmar (I) 113, 233 Schäfer, Hermann (I) 217 Schäfer, Wilhelm (I) 152 Schätz (I) 192 Scheffer, Paul (I) 129, 132, 135, 308; (II) 125, 127, 129 Schefold, Dian (II) 74 Scheibler [Vetter v. LvS] (I) 133 Scheler, Max (I) 59, 70, 309; (II) 119 f., 161, 163 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (I) 83, 107; (II) 194 Schelsky, Helmut (II) 214 Schenk, Lydia (II) 73 Schepers, Heinrich (II) 236
312
Personenregister (Band I und II)
Scheuner, Ulrich (II) 122 Schieder, Theodor (II) 278 Schiele, Egon (I) 229 Schiller, Friedrich von (II) 70, 73, 196 f., 247 Schiller, Kay (II) 121 Schindler, Alfred (II) 281 Schinkel, Karl Friedrich (I) 309 Schirnding, Albert von (II) 205 Schlegel, Friedrich (I) 82 ff., 105, 106 Schleicher, Kurt von (II) 33, 35, 39 f. Schlick, Moritz (II) 126 Schmaus, Alois (I) 147 Schmid, Carlo (I) 333; (II) 294 Schmidhauser, Julius (I) 146 Schmidt, Doris (I) 206 Schmidt, Hermann (II) 255 f. Schmidt, Richard (I) 39, 44, 53, 67 Schmidt, Walter (II) 97 Schmidt-Biggemann, Wilhelm (II) 254 Schmied, Wieland (II) 229 Schmitt, Anima (I) 50, 53, 140, 144, 148, 150–154, 157, 159 f., 162 f., 168 f., 170, 174, 177 f., 180, 183, 187–189, 192, 194, 199 f., 205 f., 209, 213, 222 f., 233, 237–239, 244, 248 f., 252–254, 267, 285, 287; (II) 142, 144 f., 198 f., 233, 238, 287 f. Schmitt, Auguste (I) 278, 282 Schmitt, Cari (I) 9, 283; (II) 64 [s. a. unter Dorotic´ und Büschen] Schmitt, Duschka (Dusˇka) (I) 38, 40, 45 f., 65, 79, 140, 150, 152–155, 160–164, 165–175, 177 f., 180, 183 f., 186–189, 191, 193–195, 199, 202 f., 208 f., 213, 228, 239, 245, 247 f., 266, 285–287, 289, 295, 298, 300 f., 305, 310–312; (II) 137, 143, 153, 287, 289 [s. a. unter Todorovic´] Schmitt, Georg (II) 175 Schmitt, Johann (II) 287 Schmitt, Josef (Jup) (I) 46, 64
Schmitz, Alexander (II) 123 Schmitz, Arnold (II) 93, 154, 161, 165, 267 Schmitz, Hermann (I) 160 Schmitz, Oskar A. H. (I) 131 f. Schmitz, Wilhelm (I) 203 Schmoller, Gustav von (II) 77, 287 Schmundt, Hilmar (II) 273 Schneider, Hans (I) 311 Schneider, Peter (II) 234 Schnitzler, Georg von (I) 113–256 Schnitzler, Lilly von (I) 113–256, 285, 289; (II) 287 Schnitzler, Valentine (gen. Fanny), geb. Joest (I) 175, 178, 209 Schnur, Roman (I) 281 f., 290, 325, 328, 331; (II) 56 Schödlbauer, Ulrich (II) 277 Schönberger, Christoph (II) 58, 74 Schönburg-Waldenburg [Fürst] (I) 138 Scholem, Gershom (II) 277, 279 Scholtz, Gunter (II) 203 Scholz, F. (II) 281 Scholz, Herbert (I) 117, 155 Scholz, Jeannette (I) 122, 229 Scholz, Manfred (I) 181, 250 Scholz, Nikolas (I) 122, 229 Scholz, Wilhelm Georg (I) 181 Schopenhauer, Arthur (I) 102 Schramm, Wilhelm Ritter von (II) 10 Schranz, Franz (I) 167, 285, 329 Schraut, Alban (II) 131, 271 Schrenck-Notzing, Caspar von (I) 327 f. Schreyvogel, Friedrich (II) 155 Schroeder [Baron u. Baronin] (I) 142 Schröder, Klaus-Peter (II) 100 Schröder, Rudolf Alexander (I) 157, 247 Schröder, Wilhelm (II) 112–114 Schröter, Manfred (II) 158, 159 Schubert, Franz (II) 95 Schubert, Werner (II) 66
Personenregister (Band I und II) Schuchardt (II) 146 Schücking, Adelheid (II) 58 Schücking, Lothar Engelbert (II) 60 Schücking, Walther (II) 55, 58 f., 60, 61–63, 66, 70 Schüler-Springorum, Stefanie (II) 246 Schuller, Wolfgang (I) 33, 192, 290; (II) 7, 169 Schulte, Aloys (I) 72 Schultze, Alfred (II) 169 Schulze (II) 101 Schwab, George (I) 92 Schwarz, Hermann (II) 121, 123, 124 Schweda, Mark (II) 203 f., 212 Schweinichen, Otto von (II) 287, 291 Schwitters, Kurt (I) 309 Seeckt, Hans von (II) 140 Seefried auf Buttenheim, Ferdinand Graf (I) 249 f. Seefried auf Buttenheim, Franz Graf (I) 152 Seefried auf Buttenheim, Gabriele Gräfin, geb. von Schnitzler (I) 134, 142, 152 f., 155, 157, 185, 187, 196, 200, 221, 224, 250 Seefried auf Buttenheim, Johannes Graf (I) 185 Seiberth, Gabriel (II) 11, 103 Seidel, Bruno (I) 197 Seifert, Jürgen (II) 214, 215, 216, 225 Seipel, Ignaz (II) 157 Semmel, Emil (I) 292, 324, 331 Seneca, Lucius Annaeus (I) 153 Serner, Walter (II) 53 Severing, Carl (I) 174 Seydel, Max von (II) 30 f. Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper Earl of (II) 134 Shakespeare, William (I) 264, 270, 332; (II) 196 Shaw, George Bernard (I) 265 Shoham, Shlomo Giora (II) 284 Siebeck, Oscar (II) 108
313
Siebeck, Richard (I) 187, 195, 252 Siebels, Volker (II) 162 Sieburg, Friedrich (I) 113 Sieg, Ulrich (II) 121 Siegfried, André (II) 176 Siemers, Walter (I) 176 Silesius, Angelus (I) 152 f. Silva-Taruca, Egbert Graf (II) 157 Simon, Ernst (II) 284 f. Simon, Heinrich (I) 116 f. Simons, Tula (II) 105 Simons, Walter (I) 50; (II) 91, 140 Simson, Eduard von (I) 328 Singer, Kurt (I) 10 Sint, Peter Paul (II) 75 Sinzheimer, Hugo (II) 55, 57, 58, 65 Sippel, Ignaz (II) 155 Slapnicar, Klaus W. (II) 67 Smend, Rudolf (I) 9, 10, 37, 38, 40–42, 44, 301; (II) 62, 88, 96, 126, 139, 142, 145, 160, 168, 171, 185, 191, 290 Smith, Adam (II) 219 Smith, Gary (II) 283 f. Söderblom, Nathan (I) 139 Sohm, Rudolf (I) 34; (II) 81 Solf, Werner (II) 140 Solowjew, Wladimir (I) 75 Sombart, Corina (II) 287 Sombart, Nicolaus (I) 213 f., 258, 331; (II) 172, 288 Sombart, Werner (I) 103, 258 f.; (II) 131, 145, 162 Sophokles (I) 309 Sorel, Georges (I) 93 f. Souday, Paul (I) 79 Spaemann, Robert (II) 179, 213, 214, 217, 265 Spann, Othmar (I) 86 f.; (II) 122, 126, 128, 160 f., 183 Specht, Rainer (II) 123, 267, 269 Spee, Friedrich von (I) 309 Spendel, Günter (II) 73
314
Personenregister (Band I und II)
Spiethoff, Arthur (II) 165 Spinoza, Baruch (I) 269; (II) 171 f. Spranger, Eduard (I) 192, 269; (II) 119–121, 130–152, 159 f., 161, 164 f., 168, 176, 271 Sprecher, Drexel A. (I) 192 Sprenger, Jakob (I) 119, 142 Staff, von (I) 25 Stahl, Friedrich Julius (II) 25 Stalin, Iosif (I) 160, 165, 233; (II) 211 Stand, Anni (I) 286, 325, 331 Stapel, Wilhelm (II) 10 Steffes, Johann Peter (I) 73 Stein, Edith (I) 236 Stein, Lorenz von (II) 81 Stein, Waltraud (II) 270 Steinbüchel, Theodor (II) 150 f. Steiner, Rudolf (II) 57 Steiniger, Peter Alfons (II) 89 Steinlein, André (I) 85 Stiefel, Ernst C. (I) 303 f., 313 Stier-Somlo, Fritz (I) 9, 25–30, 36 f., 45; (II) 53, 76 Stilgebauer, Edward (I) 98 f. Stödter, Rolf (I) 34 Störring, Gustav (II) 153, 161 Stoll (I) 30 Stolleis, Michael (I) 36, 44, 49; (II) 53, 58, 60, 77, 88 f. Strauss, Herbert A. (I) 293 Strauss, Leo (I) 269–271, 309; (II) 119 f., 122 f., 170–176, 181, 214 Streeruwitz, Ernst (II) 155 Stresemann, Gustav (II) 138 Strich, Fritz (I) 103, 107 Strich, Walter (I) 77 Studnitz, Hans Georg von (I) 114, 117 Stutz, Ulrich (I) 35 Sundhausen, Holm (II) 235 Susemihl-Gildemeister, Lissy (I) 148 Swarzenski, Georg (I) 117
Szilvinyi, Liselotte (gen. Lilo) von, geb. von Schnitzler (I) 117, 134, 155, 164, 178, 181, 185, 187 f., 198, 221, 250 Taine, Hippolyte (I) 70 Taubes, Jacob (I) 269 f., 330 f.; (II) 123, 171, 280 f. Teichfischer, Philipp (II) 158 Teleki, Pal (I) 151 Tennyson, Alfred Lord (I) 253 Thieme, Hans (I) 41, 188 Thiergen, Peter (II) 242 Thionville, Eugène (II) 222 Thoma, Richard (I) 9, 25–28, 39, 44, 67; (II) 87, 90, 95 f., 99, 107, 114 Thompson, Francis (I) 73 Thormann, Werner (I) 66 Thudichum, Ferdinand (II) 81 Thümmler, Ellen (I) 59 Thyssen, Johannes (II) 153 Tiedemann, Rolf (II) 276 f. Tielke, Martin (I) 187, 286, 289 Tierno Galvan, Enrique (I) 228; (II) 195 Tilitzki, Christian (I) 48, 155, 167; (II) 53, 58, 61, 122 f., 130 Tinner, Walter (II) 204 Tito, Josip Broz (II) 235 Tjutcˇev, Fjodor Iwanowitsch (I) 64 Tocqueville, Alexis de (I) 190 Todorovic´, Dusˇka (I) 65, 79, 209 Tönnies, Ferdinand (II) 120, 168 Tommissen, Piet (I) 68, 88, 92, 108, 149, 188, 270, 284, 323; (II) 7, 147, 287 Trenkle, Michael (I) 325 Triepel, Heinrich (I) 21, 29, 34–36, 37, 39, 45, 50, 51; (II) 88, 90, 113 Trier, Jost (II) 255 f. Tross, Ludwig (II) 148 Tucht, Julius (II) 56 Tugendhat, Ernst (II) 215
Personenregister (Band I und II) Ueberschär, Gerd R. (I) 176 Ulich, Robert (I) 40 Unamuno, Miguel de (I) 208, 209 Ungewitter, Claus (I) 160; (II) 287 Unseld, Siegfried (I) 270 Urs von Balthasar, Hans (I) 176 Usinger, Fritz (I) 161 Vaihinger, Hans (II) 119 Valery, Paul (I) 229 Vec, Milosˇ (II) 273 Veith, Friedrich (I) 78 Verdross, Alfred (II) 122, 155, 186, 190, 191 Vergilius Maro, Publius (I) 157 Vettori, Francesco (II) 274 Veuillot, Louis (I) 91 Viénot, Pierre (II) 167 Viesel, Hansjörg (I) 270 Vietta, Egon (I) 198 f. Villinger, Ingeborg (I) 278, 280, 282, 285; (II) 278 Vitoria, Francisco de (I) 188 Voegelin, Eric (II) 119 f., 123, 183–199 Vögler, Albert (I) 217, 218 Voermanek, Charlotte (II) 271 Vogel, Ludwig (I) 231 Voigt, Alfred (I) 36 Volhard, Rüdiger (II) 53, 216 Volkmann, Richard (II) 60, 85 Vollmar, Emma (II) 56 Vollmar, Georg (II) 56 Vollmar, Hermann (II) 56 Vorwerk, Friedrich (II) 9, 21 Vorwerk, Herbert (II) 66 Vossler, Karl (I) 150, 208 Wacker, Bernd (I) 77, 136 Wagner, Richard (I) 75, 250, 272 f., 309 Waibel, Dieter (I) 306 Wallbaum, Klaus (I) 174
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Walz, Gustav Adolph (II) 291 Walzel, Oskar (II) 161 Wambach, Lovis Maxim (II) 53 Wanda, Sybille (I) 324 Warburg, Aby (I) 259 Warnach, Walter (I) 206–208, 213, 226–228; (II) 289, 291 Weber, Adolf (II) 55 Weber, Alfred (II) 89, 220 Weber, Max (I) 85, 244, 252, 257, 264, 294, 312 f., 331; (II) 87, 126, 205, 223, 227, 231, 234, 265 Weber, Werner (I) 42, 239, 317, 322; (II) 104, 287 Weber-Schumburg, Erland (I) 287 f. Weckel, Petra (I) 286 Wehberg, Hans (II) 55, 58, 66 Wehler, Hans-Ulrich (I) 119 Weil, Simone (II) 277 Wein, Hermann (II) 123 Weinrich, Peter (II) 242 Weiß, Konrad (I) 156, 158, 167, 281 f., 285, 288, 306; (II) 233, 294 Weisser-Lohmann, Elisabeth (II) 213 Weissmann, Karlheinz (II) 10 Weithmann, Moritz von (II) 291 Weitling, Wilhelm (I) 102 Weizsäcker, Ernst von (I) 176 Welser [Wahrsagerin] (I) 136 Wendland, Ulrike (I) 318 Wentscher, Max (II) 161 Westphal, Hildegard (II) 273 Weyreich (I) 138 Wiedemann, Albert (I) 94 Wieland, Claus-Dietrich (I) 301, 313 Wienfort, Monika (I) 114 Wiesberger, Hella (II) 57 Wiese, Benno von (II) 214 Wieser, Friedrich 55 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von (I) 264 f. Wilhelm II. [Kaiser des Deutschen Reiches] (I) 215; (II) 58
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Personenregister (Band I und II)
Wilhelm, Richard (I) 116, 137 f., 154, 226–228 Wilhelmine von Bayreuth [Markgräfin] (II) 47 Willms, Bernhard (II) 123, 214, 215 f. Wilson, Woodrow (I) 102 Winckelmann, Johannes (II) 205, 218 f., 223, 225, 227 f., 231, 234, 237, 244, 247 Windelband, Wilhelm (II) 123 Winkler, Friedrich (I) 291 Witte, Bernd (II) 278 Witten, H. O. (I) 261, 305, 309 Wittgenstein, Ludwig (I) 309, 327 Wittig, Joseph (I) 65, 70, 86 Wittmayer, Leo (I) 9, 13–16 Wittwer, Héctor (II) 131 Wolf, Wilhelm (I) 41 Wolff, Christian (II) 123 Wolff, Ernst (I) 328 Wolff, Hans J. (II) 214
Wolff, Martin (I) 21, 28; (II) 114 Wolff, Theodor (I) 84 Wolzendorff, Dolores (II) 56 Wolzendorff, Elise (II) 65, 84 Wolzendorff, Gustav (II) 85 Wolzendorff, Kurt (II) 53–86 Wright, Philip Quincy (II) 149, 253 Wulff, Peter (II) 239 Wundt, Max (II) 121 Wust, Peter (I) 139 Yorck von Wartenburg, Paul (II) 262 Zachariae, Karl Salomo (II) 27, 44 Zahn, Christian Jakob (II) 70 Zechmeister, Martha (II) 243 Zehnhoff, Hugo am (I) 126, 129; (II) 64 Zeigner, Erich (I) 39 Zierold, Kurt (I) 315 f. Zündorf [Frl.] (I) 124