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German Pages 344 Year 2011
SCHMITTIANA NEUE FOLGE
Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts
Band I
Herausgegeben von der Carl-Schmitt-Gesellschaft
A Duncker & Humblot · Berlin
SCHMITTIANA NEUE FOLGE
Band I
SCHMITTIANA NEUE FOLGE
Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts
Herausgegeben von der Carl-Schmitt-Gesellschaft
Band I
SCHMITTIANA NEUE FOLGE Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts Band I
Herausgegeben von der Carl-Schmitt-Gesellschaft
Duncker & Humblot · Berlin
Veröffentlicht unter Mitwirkung des wissenschaftlichen Beirats der Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V. Mitglieder des Beirats: Jürgen Becker Gerd Giesler Reinhard Mehring Christoph Schönberger (Vorsitzender) Wolfgang H. Spindler Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V., c/o Stadtarchiv, Bahnhofstraße 103, 58840 Plettenberg (www.carl-schmitt.de) Redaktion: Gerd Giesler und Martin Tielke
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0945-9960 ISBN 978-3-428-13688-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 * ∞
Internet: http://www.duncker-humblot.de
In Erinnerung an Piet Tommissen 20. März 1925 – 21. August 2011
Editorial Mit der vorliegenden ersten Ausgabe einer neuen Folge der Schmittiana knüpft die im Jahr 2007 – zunächst als „Carl-Schmitt-Förderverein Plettenberg e. V.“ – gegründete Carl-Schmitt-Gesellschaft e. V. an ein verdienstvolles Periodikum von Professor Dr. Piet Tommissen an. Dieser hat von 1988 bis 2003 in acht Bänden zahlreiche Inedita, Zeugnisse, Forschungsergebnisse, Dokumente, Briefe und andere Materialien herausgebracht und damit wichtige „Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts“ (so der spätere Untertitel der Reihe) geliefert. Für sein Einverständnis, das er uns noch wenige Monate vor seinem Tod gegeben hatte, die „Neue Folge“ unter dem altbewährten Titel zu beginnen, sind wir ihm dankbar. Der Bedarf an einer solchen neuen Folge hat sich durch das ungebrochen große Interesse an Schmitts Werk und Biographie erwiesen. Zwar wurde in den letzten Jahren eine beachtliche Anzahl von Materialien und Quellen veröffentlicht, die zu ihrer Erhellung beitrugen. Doch sind noch viele „Lücken“ und Fragen in der international anhaltenden Diskussion geblieben, die nach einer breiteren Quellenbasis verlangten. Jenseits der bereits publizierten Tagebücher und größeren Korrespondenzen Schmitts fehlte das geeignete Organ, um solche Texte zugänglich zu machen. Die Schmittiana Neue Folge wollen diese Lücke schließen. Sie verstehen sich als ein strikt dokumentarisch ausgerichtetes, in unregelmäßigen Abständen erscheinendes Organ für kleinere Korrespondenzen, noch unbekannte oder an entlegenen Stellen publizierte Texte und auch für quellenorientierte Forschungsberichte. Bestimmte Interpretationslinien oder Forschungstendenzen sind in keiner Weise vorgegeben. Die Schmittiana sind weder nur einer einzelnen Disziplin verpflichtet noch wollen sie den Gang der Diskussion kommentieren, steuern oder vorentscheiden. Vielmehr stehen die Schmittiana für alle editorisch-dokumentarischen Beiträge offen, die Leben und Werk Carl Schmitts sachlich erhellen. Zur qualifizierten Teilnahme an diesem offenen Projekt laden wir ein. Der wissenschaftliche Beirat der Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V.
Inhaltsverzeichnis Die Weimarer staatsrechtliche Diskussion im Spiegel des Rezensionswerkes von Carl Schmitt. Sechs Rezensionen. Vorgestellt von Reinhard Mehring . . . . . . .
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Martin Otto (Hrsg.) „Es ist eigenartig, wie unsere Gedanken sich begegnen.“ Erwin Jacobi und Carl Schmitt im Briefwechsel 1926 bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Ellen Thümmler und Reinhard Mehring (Hrsg.) „Machen Sie mir das Vergnügen und erwähnen Sie die Negerplastik“. Waldemar Gurian – Carl Schmitt. Briefwechsel 1924 bis 1932 . . . . . . . . . . . . . . 59
Rolf Rieß (Hrsg.) Lilly von Schnitzler – Carl Schmitt. Briefwechsel 1919 bis 1977 . . . . . . . . . . . . 113
Martin Tielke Die Bibliothek Carl Schmitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
Die Geburtsurkunde Carl Schmitts. Vorgestellt von Gerd Giesler . . . . . . . . . . . . . . . 333
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
Die Weimarer staatsrechtliche Diskussion im Spiegel des Rezensionswerkes von Carl Schmitt. Sechs Rezensionen Vorgestellt von Reinhard Mehring Carl Schmitt hat von früher Jugend an bis ins hohe Alter durchgängig zahlreiche Besprechungen und auch Besprechungsabhandlungen geschrieben. Nur einige widmen sich verfassungsrechtlichen Fragen. Weitaus mehr behandeln ideengeschichtliche Themen. Schmitts weit verstreutes Rezensionswerk ist bisher noch nicht hinlänglich bekannt. Erstmals werden hier einschlägige Texte aus der Weimarer Zeit wieder abgedruckt, die die Staatstheorie und Positivismuskritik im Richtungsstreit betreffen. Besprechungen der Arbeiten von Leo Wittmayer, Gerhard Anschütz und Hans Carl Nipperdey werden dabei um frühe Besprechungen zu Konrad Beyerle und Rudolf Kjellén ergänzt. Das Bild vom Weimarer Rezensenten ließe sich durch weitere kritische Scharmützel mit Fritz Stier-Somlo oder Richard Thoma ergänzen. Weggefährten und Antipoden wie Hans Kelsen und Hermann Heller, Otto Koellreutter, Rudolf Smend und Erich Kaufmann hat Schmitt dagegen nicht als Rezensent eingehender bedacht. Die wenigen hier vorliegenden sind deshalb die wichtigsten Rezensionen zum Richtungsstreit der Weimarer Staatsrechtslehre. Den Rechtshistoriker Konrad Beyerle (1872–1933) kannte Schmitt persönlich aus seiner Münchner Zeit. Obgleich es keine nähere Beziehung gab, spielte Beyerle noch für den (abgelehnten) Ruf nach München im Sommersemester 1933 eine Rolle. Kurz vor dessen Tod traf Schmitt Beyerle noch am 30./31. März 1933 in München. Er schrieb seine Besprechung zwischen dem 28. Mai und 7. Juni 1922 mitten in die Trennung von seiner ersten Frau Cari hinein. Vermögenstrennungen waren damals für ihn auch persönlich ein Thema. Seine erste Wittmayer-Besprechung verfasste Schmitt am 18. Februar 1923 und schickte sie noch am gleichen Tag an die Frankfurter Zeitung, wo sie am 2. März in der Literarischen Beilage erschien. Der Wiener Staats- und Verwaltungsrechtslehrer Leo Wittmayer (1876–1932) wurde dann zu einem ersten kritischen Gegner. Spätestens nachdem er eine negative Besprechung der Parlamentarismus-Broschüre publiziert hatte,1 rechnete 1 Leo Wittmayer, Besprechung von Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München 1923, in: Archiv des Öffentlichen Rechts
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Schmitt ihn – brieflich am 21. Mai 1925 gegenüber Rudolf Smend2 – einer feindlichen jüdischen Front zu. Schmitt publizierte damals für den befreundeten Nationalökonomen Kurt Singer (1886–1972), Schriftleiter des Hamburger „Wirtschaftsdienstes“, mehrere kleinere Besprechungen. Der schwedische Geograph und Staatswissenschaftler Rudolf Kjellén (1864–1922) wurde im konservativen Lager als ein Pionier geopolitischen Denkens breit rezipiert. Die Kjellén-Besprechung wurde hier aufgenommen, weil sie die Stichworte „Leviathan“ und „organische Staatslehre“ ausgibt. Mit seiner Mitte August 1926 geschriebenen Besprechung des Verfassungskommentars von Gerhard Anschütz (1867–1948) positionierte Schmitt sich dann zum Hauptvertreter des juristischen Positivismus. Eine briefliche Antwort von Anschütz ist nicht erhalten. Beide begegneten einander aber gelegentlich kollegial und respektvoll distanziert. Hans Carl Nipperdey (1895–1968) dagegen wurde im Frühjahr/Sommer 1932 zu einem der wichtigsten Betreiber der Berufung Carl Schmitts an die Kölner Universität und war im Sommersemester 1933 dann als Dekan ein enger Kollege. Reinhard Mehring
8, 1925, S. 231 ff.; vgl. ders., Rezension von Carl Schmitt, Verfassungslehre, München 1928, in: Archiv des Öffentlichen Rechts, in: Reichs-Verwaltungsblatt, 1929, S. 10. 2 Schmitt am 21. Mai 1925 an Smend, in: „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“. Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend, hrsg. R. Mehring, Berlin 2010, S. 44.
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1. Konrad Beyerle, Das Haus Wittelsbach und der Freistaat Bayern, München/ Berlin/Leipzig. T. 1: Rechtsgrundlagen für d. Auseinandersetzung zwischen Staat u. Dynastie, 1921 T. 2: Die Rechtsansprüche des Hauses Wittelsbach, 1922 (Aus: Kölnische Volkszeitung Nr. 436 [Abend-Ausgabe] vom 6. Juni 1922, S. 1)
Die Auseinandersetzung zwischen dem Hause Wittelsbach und dem Freistaat Bayern In einer Frage, in der legitimistische und revolutionäre Prinzipien ihren ganzen Doktrinarismus entfalten können, in der aus dem großen Arsenal der Geschichte Argumente für jede Romantik und jedes Ressentiment zu holen sind, in einer solchen Frage hat ein Rechtsgelehrter den Mut gehabt, sich auf seine Wissenschaft zu besinnen und die Frage anders zu stellen: nicht Monarchie oder Republik, sondern Recht und Unrecht. In zwei Veröffentlichungen des Münchener Juristen Prof. Konrad Beyerle (Das Haus Wittelsbach und der Freistaat Bayern und Die Rechtsansprüche des Hauses Wittelsbach, München, J. Schweitzers Verlag 1921 und 1922) ist dieser Gesichtspunkt mit einem großen geschichtlichen Material durchgeführt, durchaus von den anerkannten Prinzipien des modernen Verfassungsrechts ausgehend, ohne legitimistische Antiquitäten und falschen Historismus, aber ganz auf dem Boden des Grundsatzes, daß wohlerworbene Rechte geschützt sind und bei einer Enteignung Entschädigung gewährt werden muß. Nach der geltenden deutschen Verfassung (Art. 153) könnte eine entschädigungslose Enteignung nur durch ein Reichsgesetz (nicht durch ein Land) verfügt werden. Also nicht das „Recht auf dem Thron“ ist zu diskutieren. Es handelt sich um vermögensrechtliche Ansprüche, wie die des früheren Monarchen an der Zivilität, der Familienmitglieder an den Apanagen und namentlich – das ist im Falle des Hauses Wittelsbach der eigentliche Streitpunkt – um die Ansprüche des Hauses Wittelsbach an dem Hausgut, das mit dem Staatsgut zu einer Gesamtmasse vereinigt ist. Der Wortlaut der bayerischen Verfassung von 1818 hat hier zu einer allgemein verbreiteten, dem Hause Wittelsbach sehr ungünstigen Auffassung geführt. Im III. Titel dieser Verfassung ist nämlich, unter der Überschrift Von dem Staatsgute das gesamte Hausgut, Liegenschaften und sogar Mobilien dem „unveräußerlichen Staatsgut“ zugeschrieben. Heute, da der Staat als selbständige juristische Persönlichkeit dem Herrscher und dem fürstlichen Hause zweifellos als völlig verschiedenes Rechtssubjekt gegenübersteht, würde eine solche Bestimmung
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natürlich eine vollkommene Entäußerung des fürstlichen Besitzes an den Staat bedeuten. Vom heutigen Staatsbegriff aus gesehen, wäre jener Vorgang des Jahres 1818 eine erstaunliche Schenkung, die der König von Bayern gemacht hätte, und Rechtsansprüche ständen ihm heute nicht mehr zu, wenn es vielleicht auch billig erschiene, ihm eine Abfindung zu geben. Demgegenüber unternimmt das Werk von Beyerle den Nachweis, daß weder in dem bayerischen Haus- und Staatsfideikommiß von 1804 noch in der Verfassung von 1818 eine Entäußerung des Hausguts an den Staat beabsichtigt war. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts und nur allmählich hat sich in Deutschland die Vorstellung durchgesetzt, daß Staat und Herrscher zwei vollständig getrennte Rechtssubjekte sind, deren Vermögen wie das von zwei verschiedenen Personen auseinanderzuhalten ist. In Deutschland beruht die Entwickelung des Staatsgedankens auf einer eigenartigen Verquickung mit den überlieferten, patrimonialen Vorstellungen. Nach der französischen Domänenlehre war die Situation allerdings von abstrakter Einfachheit, alles Eigentum des Königs war Staatseigentum und der König nur Staatsorgan, nicht mehr Privatperson. Dagegen entstand in Deutschland der staatliche Gedanke (und damit die Konsequenz, daß die Domänen Zubehör der Landeshoheit sind) zum Teil gerade auf hausgesetzlicher Grundlage, durch Einrichtungen wie Stammgüter und Primogenitur. Es gibt eine lange Epoche, in der man sich durchaus nicht bewusst ist, daß Staat und Fürst nicht dasselbe sind. Im Jahre 1818 war jedenfalls der Einschnitt noch nicht gegeben, „das Band zwischen Fürstenhaus und Staatsgut noch nicht zerschnitten“. Was „Staat“ in dem Wort „Staatsgut“ bedeutet, ist daher nicht vom heutigen Staatsbegriff aus zu beurteilen. Die ideengeschichtliche Entwickelung der Vorstellungen vom „Staat“ war 1818 noch weit davon entfernt, eine klare Alternative zu stellen. Das dargelegt zu haben, ist ein wissenschaftliches Verdienst des Werkes von Beyerle; es geht weit über die praktische Streitfrage der hier in Frage stehenden Auseinandersetzung hinaus. Demnach sind in dem heutigen bayerischen Staatsgut Bestandteile des wittelsbachischen Hausgutes mit dem rein staatlichen Eigentum zu einer Gesamtmasse vermischt, und es müssen jetzt die einzelnen Vermögensgruppen – Domänen, Mobilar, Archive, Residenzschlösser mit Inventar, die Sammlungen wie Hof- und Staatsbibliothek usw. – auf ihre besondere Herkunft untersucht werden. Soll also die jahrhundertelange Verbindung Bayerns mit dem Hause Wittelsbach in einem Zivilprozeß enden, in dem, wie bei einer Zimmervermieterin, um jede Waschschüssel gestritten wird? Das wäre ebenso würdelos, wie es, bei der verwickelten Rechtslage, sinnlos wäre. Auch in Bayern wird vielmehr das Verfahren notwendig werden, das in fast allen deutschen Ländern eingeschlagen wurde: Regelung im Wege gegenseitiger Verständigung, die durch ein staatliches Gesetz sanktioniert wird.
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2. Leo Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1922 (Aus: Literaturblatt der Frankfurter Zeitung, Nr. 5 vom 2. März 1923, S. 2, Besprechungen)
Der Verfasser verspricht, das Thema in „seiner ganzen politischen Tragweite und in seiner Plastik“ zu behandeln. Wir haben alle eine formalistisch-positivistische Staatsrechtslehre noch zu sehr in Erinnerung, um dieses Versprechen nicht mit den größten Erwartungen zu hören. Ganz treffend wird der nichts-als-positiven Richtung zum Vorwurf gemacht, sie beraube sich der Möglichkeit, „dem großen Einfluß der neben den Rechtssätzen noch wirksamen motivierenden Kräfte, Anschauungen und Imponderabilien gerecht zu werden.“ Das ist richtig, und um politisch zu sprechen, dürfte vielleicht noch zu bemerken sein, daß in der Ablehnung des Politischen eine besonders infame Art der Politik liegen kann. Daß der Verfasser seine politische Ueberzeugung ausspricht und sich als Demokraten bekennt, wird man als Zeichen intellektueller Ehrlichkeit ansehen. Und wenn nach der methodologischen Inflation des letzten Jahrzehnts jemand wieder zur Sache kommt, so empfindet man das als eine wahre Wohltat. Also das Buch erregt große Erwartungen. Es hält auch manches: viele historisch-politischen Beziehungen der neuen und der alten Verfassung werden klar; gute Bemerkungen über die politisch-soziologische Wirklichkeit des Parteiwesens und der Bürokratie machen das Bild der Verfassung lebendig; dazu kommt eine interessante Kritik der Behandlung, die der Verfassungsgesetzgeber, zwischen altem und neuem Regime schwankend, der Reichsregierung widerfahren ließ; eine lesenswerte Verteidigung des Parlamentarismus und der Demokratie, temperamentvolle Aeußerungen über den fürstendienerischen Minister des ancien régime. Manchmal wird etwas allzu billig als „Doktorfrage“ abgetan, dann wieder so eine wichtige Angelegenheit wie der Föderalismus als „nur politisch“ abgewiesen, obwohl er einem auf die Dynamik politischen Lebens gerichteten Interesse gerade dadurch interessant sein müßte. Für einen wirklichen Mangel halte ich es, daß die politisch wie juristisch zentrale Bedeutung wichtiger Materien ignoriert wird. Wittmayer glaubt, Verfassungsänderungen hätten nur einen „Seltenheitswert“. Das ist eine sonderbare Verkennung der tatsächlichen Sachlage und der zahllosen Diskussionen, die sich bei den verschiedensten Gesetzen immer von neuem über den Begriff der Verfassungsänderung ergeben haben. Noch unerklärlicher ist die Behandlung des Ausnahmezustandes, der nur ganz beiläufig einigemale gestreift wird, obwohl er doch das theoretische und praktische Interesse beanspruchen muß, das allen Konflikts- und Ausnahmefällen zukommt. Die bisherige Praxis des Artikels 48 der Reichsverfassung ist für wesentliche Fragen entscheidend gewesen, für die Position der Organe des Reichs
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(wieweit ist der Artikel 48 ein Machtmittel in der Hand des Reichspräsidenten, der Reichsregierung, des Reichtags?) wie für das Verhältnis des Reichs zu den Ländern (die bayerische Praxis des Art. 48 Absatz 4!). Hier hat der Verfasser das Problem nicht einmal gesehen. Sein Werk ist eine Reihe von Erörterungen, die sich um drei grundsätzliche Punkte der Weimarer Verfassung gruppieren: Demokratie, Unitarismus und Parlamentarismus. Historisch-politische Reflexionen, gutes juristisches Urteil und eine besondere Art Beredsamkeit machen das Buch interessant. Aber ich fürchte, in dem, was eigentlich erwartet wurde, ist man enttäuscht. Denn es fehlt an jeder, das politische und soziologische Material gestaltenden Begrifflichkeit und Systematik. Weder ist ein neuer Typus staatsrechtlichen Denkens realisiert, noch liegt die umfassende Fülle etwa von Mohls Arbeiten vor. Die mit Bildern und Andeutungen geschmückte Sprache, die sich oft arge Feuilletonismen leistet, ist kein Ersatz für das, was man vermißt. Das Buch ist weder konzis, noch kompakt. Es bleibt beachtenswert als Dokument vielseitigen juristischen Wissens und darum auch eine lehrreiche Lektüre. 3. Leo Wittmayer, Reichsverfassung und Politik (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 24), Tübingen 1923 (Aus: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche 47, 1924, S. 349–351)
In der Schrift ist weniger von Politik als von „Entpolitisierung“ die Rede. Der Verfasser versteht darunter, negativ und polemisch, alle politischen Bestrebungen und Einrichtungen, welche die parteipolitische Methode der Entscheidung durch Mehrheitsabstimmung ablehnen oder irgendwie den parteipolitischen Kampf vermeiden. Auf seine „Entpolitisierungsliste“ setzt er: die itio in partes in der Verfassung des alten Reiches, die Lehre von den unveräußerlichen Grundrechten; den Schutz nationaler und anderer Minderheiten, deren Rechte dem parteipolitischen Kampf und der Majorisierung entzogen sind; obrigkeitsstaatliche Ideen und Institutionen, wie das „über den Parteien“ stehende Beamtentum; den Reichspräsidenten, insofern in seiner Stellung ein „transzendenter Repräsentationsgedanke“ sich zur höchsten Wirkung steigert; die „Verankerung“ einer Norm in der Verfassung; berufsständische Vertretung mit ihrem Gedanken einer Arbeitsgemeinschaft statt der Gegensätze von Parteien und Lebensanschauungen; Entscheidung durch unabhängige Richter; Abstimmung durch das Volk, solange das Volk als Ganzes, nicht einfach die Parteien entscheiden sollen. Manches freilich wird von dieser Liste wieder gestrichen: die Abstimmung durch das Volk
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kann z. B. nicht vom parteipolitischen Leben isoliert und emanzipiert werden und bedeutet deshalb ebenso sehr eine Politisierung wie Entpolitisierung; ähnlich die Institution eines vom ganzen Volk gewählten Reichspräsidenten. Auch berufsständische Vertretungen können dieses Schicksal haben. Schließlich auch die Aufnahme und die Verankerung in der Verfassung; denn wenn sie einerseits geeignet ist, den parteipolitischen Kampf zu beendigen, so kann sie ebensogut den noch heftigeren Kampf um eine Verfassungsänderung hervorrufen; und wenn unabhängige Richter wichtige politische Fragen entscheiden, so entsteht eben ein politischer Kampf um die Besetzung der Richterstellen usw. Die Liste ist also nicht klar und evident. Der Verfasser selbst definiert die Politisierung als die „Überantwortung von bisher einseitig autoritär oder wenigstens von Nichtinteressierten bearbeiteten öffentlichen Angelegenheiten an das freie Spiel der gesellschaftlichen Kräfte, wie sie in den allgemeinen Vertretungskörpern oder in Volksabstimmungen tätig werden“ (S. 31). Er ignoriert also die Bewegung, deren Argument gerade darin besteht, daß die parteipolitische „Maschine“ das freie Spiel der Kräfte störe und fälsche; ebenso läßt er es unbeachtet, daß es ein proparlamentarisches Argument ist, im Parlament nicht einfach eine Interessen-, sondern eine Volksvertretung zu sehen. Seinen eigenen Standpunkt bekennt er so: „Jede übermäßige oder unzeitgemäße Einstellung auf Entpolitisierung bekundet Schwäche, verrät ungesunde, besorgniserregende, jedenfalls undeutsche Kampfmüdigkeit, die den Stellungskrieg mit seine Eingrabungen dem vorwärtstragenden Bewegungskrieg vorzieht“ (S. 35). Nun, die Freude am Kampf, manchmal sogar eine besorgniserregende Freude, gehört wohl mehr auf die antiparlamentarische Seite. Vielleicht erlaubt man mir, hierfür auf meine Abhandlung über „die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ zu verweisen. Infolge der unkritischen Identifizierung von Politik und parlamentarischer Parteipolitik bringt der Verfasser eine heterogene „Entpolitisierungsliste“ zustande, die nur durch eine Etikette zusammengehalten wird: Nicht heutige Parteipolitik. Auf eine solche Liste kann man vieles setzen, jedenfalls beruht sie nur auf einer Übereinstimmung im Negativen (und noch dazu in dem Negativen eines schlagwortartig unklar gelassenen Positiven), und könnte ein Schulbeispiel werden für die logischen Bedenken, die sich gegen eine Bestimmung per negativum erheben. So kommt es, daß die obrigkeitsstaatlich-autoritäre Politik mit einer anarchistisch-syndikalistischen Feindschaft gegen jede Politik und mit der wiederum wesentlich anders gearteten rechtsstaatlichen Tendenz einer Entscheidung durch unabhängige, objektive Richter in Eins zusammenfließt. Es ist wohl nicht zulässig, die Angelegenheit in dem Maße skizzenhaft zu behandeln, wie der Verfasser es getan hat. Er hat seinem eigenen Thema dadurch geschadet. Denn eine Aufreihung verschiedenartiger Tendenzen, die aus einer politisch-taktischen
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Gruppierung durch einen gemeinsamen Gegner verbunden sein können, wäre an sich außerordentlich interessant. Auch enthält die Schrift manches gute ideengeschichtliche Aperçu (z. B. S. 5), und es war nicht nötig gewesen, durch eine Bemerkung über den „alten Hegel“ (S. 32) einer subalternen Ahnungslosigkeit entgegenzukommen. Der Gesamteindruck bleibt, daß zahlreiche bedeutende Fragen allzu leichthin gestreift werden, während der Verfasser an zwei wesentlichen Erscheinungen harmlos vorbeigeht: erstens gibt es für ihn anscheinend nur innenpolitische Fragen und keine Außenpolitik, womit er allerdings in einer alten deutschen Tradition bleibt. An das zweite habe ich in meiner Besprechung von Wittmayers Hauptwerk „Die Weimarer Verfassung“ (im Literaturblatt der Frankfurter Zeitung vom 2. März 1923) erinnert: daß nämlich in der Ablehnung des Politischen eine ganz besondere Art Politik liegen kann. Von allem anderen abgesehen würde die Mißachtung dieser beiden Momente genügen, um den sehr allgemeinen Titel „Reichsverfassung und Politik“ in eine irreführende Verschwommenheit aufzulösen.
4. Rudolf Kjellén, Der Staat als Lebensform, 4. Aufl., in neuer berechtigter Übertragung von T. Sandmeier, Berlin-Grunewald 1924 (Aus: Wirtschaftsdienst 10, 1925, S. 1010. Kritische Blätter vom 28. Juni 1925)
Politik und Friedensvertrag Das bekannte Buch des 1922 verstorbenen schwedischen Gelehrten wird hier in einer neuen Übersetzung und in einer von den zeitgebundenen Aktualitäten der Kriegsausgaben gereinigten, neuen deutschen Ausgabe vorgelegt. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß es auch in dieser Form wie bisher den politisch gebildeten deutschen Leser in hohem Maße interessieren wird wegen der Fülle und Mannigfaltigkeit seiner treffenden Beobachtungen zur Geographie, Außenpolitik und Soziologie der Staaten. Am meisten verdankt die Geopolitik, die Betrachtung der geographischen Zusammenhänge in der politischen Entwicklung und dem geschichtlichen Schicksal der Staaten, Kjellén eine besondere Förderung und Belebung. Darüber hinaus von einer neuen, „biologischen“ Staatslehre zu sprechen, wie es gerade mit Bezug auf Kjellén oft geschieht, wäre wohl übertrieben. K. betont allerdings lebhaft, daß der Staat eine überpersönliche Einheit ist, eine lebendige Person, ein Individuum und ein Organismus, daß die Nationen „ethnische Personen“ sind (so beantwortet er etwas zu einfach die schwierige Frage nach dem Kriterium einer Nation, wobei er Rasse, Sprache, und andere Kriterien ab-
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lehnt); er stellt die geopolitische, außenpolitische, nationalpolitische, wirtschafts- und sozialpolitische Einheit der Staaten mit großer Deutlichkeit heraus und zur Veranschaulichung dieser Einheit dient der Vergleich mit einem Lebewesen. Das kann man doch nicht biologische Staatsauffassung nennen. Es ist vielmehr eine Bereicherung der alten organischen Staatslehren und dient theoretisch dem Zweck, die durch alle Veränderungen gleich bleibende Kontinuität aufzuweisen. Moralisch und politisch dient es der Ablehnung einer allzu mechanischen, rationalistisch zweckhaften Auffassung des Staates. So kann das Wort „Leben“ viele Funktionen haben. Geistesgeschichtlich gehört K.’s Ansicht in die Reihe der Theorien, die sich gegen die liberale Einschränkung und Herabminderung des Staates richten. Die vorliegende Abhandlung ist in einer höchst charakteristischen und interessanten Weise ein anti-liberales Buch. Ohne daß gerade dies wahrscheinlich in der Absicht seines Verfassers gelegen wäre, und ohne daß eine bewußte Tendenz vorliegt, arbeitet es daran, dem großen Mythus „Staat“ neues Leben zuzuführen. Darin dürfte der letzte Sinn dieses Begriffes vom Leben und seiner Anwendung auf den Staat enthalten sein.
5. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis. 3. u. 4. völlig umgearb. Aufl. (Stilkes Rechtsbibliothek, 1), Berlin 1926 (Aus: Juristische Wochenschrift 55, 1926, S. 2270–2272)
Die Vorzüge dieses Kommentars sind besonders in der vorliegenden neuen Auflage so offensichtlich und bereits so bekannt, daß es keines Lobes und keiner Empfehlung mehr bedarf. Hier verbindet sich eine ungewöhnliche Erfahrung mit großer juristischer Klarheit und Sicherheit, und für eine Besprechung, die nicht den zahllosen Einzelheiten eines Kommentars nachgehen kann, wird kaum etwas übrigbleiben als der Hinweis auf dieses neue Beispiel der Meisterschaft des berühmten Verf. Soll der Kommentar in seiner rechtswissenschaftlichen Besonderheit als Ganzes gekennzeichnet werden, so wird man sagen müssen, daß er die glänzenden Eigenschaften besitzt, welche die vor dem Kriege in Deutschland herrschende staatsrechtliche Methode auszeichnete. Dabei liegt allerdings eine Frage sehr nahe: Die Weimarer Verfassung ist nicht nur als rechtliche Form eines völlig veränderten politischen Zustandes, sondern auch in ihrer Anlage als Typus einer Verfassung von allen früheren deutschen Verfassungen verschieden; sie ist etwas anderes als Bismarcks Verfassung von 1871 oder die preußische Verfassung von 1850; werden sich also die heutigen staatsrecht-
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lichen und politischen Verhältnisse mit den in der Vorkriegszeit herrschenden Begriffen meistern lassen? Auch in einem Kommentar, der Satz für Satz und auch oft Wort für Wort den Verfassungstext mit Anmerkungen begleitet, müssen doch die grundsätzlichen und systematischen staatsrechtlichen Begriffe bei jeder schwierigen Stelle zutage treten. Es gehört zu dem, was man in der Vorkriegszeit als „Positivismus“ bezeichnete, daß man die Erörterung grundlegender verfassungsrechtlicher Begriffe vermied, um die Verfassung nach Art eines bürgerlichen Gesetzbuches zu interpretieren und im übrigen bei jeder wirklichen Schwierigkeit auf den „Gesetzgeber“ zu verweisen. Aber was in den stabilen Verhältnissen der Jahre 1871–1914 durchgehen konnte, ist heute nicht mehr möglich und versagt vor den eigentlichen Problemen des heutigen deutschen Staatsrechts, vor Verfassungsbestimmungen wie Art. 48 (Ausnahme-Zustand), Art. 76 (Verfassungsänderung), Art. 109 (Gleichheit vor dem Gesetz), Art. 153 (verfassungsmäßiger Schutz des Privateigentums) usw. Charakteristisch für jenes Verfahren ist die Behandlung, welche Art. 109 Abs. 1 („Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich“) in dem Kommentar erfährt. Als erstes Argument wird hier geltend gemacht, daß es sich um eine Gleichheit vor dem Gesetz, nicht des Gesetzes handele. Daraus soll folgen, daß „Gleichheit vor dem Gesetz“ nur Gleichheit vor dem das Gesetz anwendenden Richter oder Verwaltungsbeamten bedeutet (S. 305). In Wahrheit besagt die Wendung „Gleichheit vor dem Gesetz“ sprachlich und rechtsgeschichtlich ebensogut Gleichheit vor dem Gesetzgeber wie Gleichheit vor dem Richter und es scheint mir höchst unnatürlich, das Eine im Gegensatz zum Andern zu stellen und zu behaupten, daß die „Gleichheit vor dem Gesetz“ Gleichheit nicht vor dem Gesetze selbst, sondern nur vor der Anwendung des Gesetzes besagen soll. Die scheinbar so elegante Unterscheidung: „Gleichheit vor dem Gesetz, nicht Gleichheit des Gesetzes“ hält einer Prüfung nicht stand. Ihr Effekt beruht darauf, daß sie das Wort „vor“ als lokale Präposition betont und dadurch den Eindruck hervorruft, das Gesetz müsse wie eine Art Richterstuhl gedacht werden, vor welchem der Deutsche erscheint; und weil man im allgemeinen nicht vor dem Gesetzgeber, sondern vor dem Richter oder einer Verwaltungsbehörde erscheint, erhält die Beweisführung etwas Plausibles, und die Gleichheit besteht nur noch vor dem bereits erlassenen und nicht vor dem noch zu erlassenden Gesetz. Man braucht aber diese Argumentation nur einmal näher zu untersuchen, um ihre unausgesprochene rechtsirrtümliche Voraussetzung zu erkennen, die bei Anschütz immer wiederkehrt und ein Ausfluß dessen ist, was man vielfach für „Positivismus“ hält: daß der Gesetzgeber Souverän ist und beliebig Staatsakte und Maßnahmen in Form eines Gesetzes vornehmen kann. Der „Vorrang des Gesetzes“, der allerdings zu den Grundlagen des modernen Rechtsstaates gehört, verändert dadurch sein We-
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sen und führt zur Auflösung aller verfassungsmäßigen Zuständigkeiten. Richtig verstanden setzt der „Vorrang des Gesetzes“ voraus, daß der Gesetzgeber etwas anderes tut als der Richter oder der Verwaltungsbeamte, daß er nämlich Gesetze im materiellen Sinne gibt, d.h. Rechtsnormen aufstellt, an welche Staatsbürger, Verwaltung und Rechtsprechung gebunden sind, nicht aber, daß die für eine solche Gesetzgebung (in materiellem Sinne) zuständigen Organe die Form des Gesetzes für alle möglichen Staatsakte und Maßnahmen benutzen können. Es wäre zweifellos verfassungswidrig, wenn durch Mehrheitsbeschluß des Reichtags auf dem Wege der Art. 68 ff. RVerf. bestimmt werden sollte: die Ehe des Herrn X wird geschieden; oder: das Vermögen des Herrn Y wird enteignet; oder: Herr Z wird entmündigt. Solche Beschlüsse sind in der Sache Akte der Rechtsprechung oder der Verwaltung und die Verfassung setzt, von besonderen Ausnahmen (wie Kriegserklärung nach Art. 45; Feststellung des Jahreshaushaltes nach Art. 85; Enteignung durch Gesetz nach Art. 156) abgesehen, grundsätzlich einen materiellen Gesetzesbegriff voraus. Normalerweise muß das, was der Gesetzgeber in der Form eines Gesetzes erläßt, auch in der Sache Aufstellung einer Rechtsnorm sein. Der formalistisch veränderte Gesetzesbegriff macht den Gesetzgeber zum Souverän, was er in einer gewaltenteilenden Verfassung nicht ist. Wenn das „Positivismus“ sein soll (das Wort ist leider ein unklares Schlagwort geworden), so ist diese Art „Positivismus“ eben abzulehnen, weil sie die organisatorischen Grundlagen der Weimarer Verfassung auflöst und in einer für die deutsche Vorkriegsjurisprudenz charakteristischen Weise den Sinn der sogenannten „Gewaltenteilung“ mißachtet. Für die Weimarer Verfassung wie für alle geschriebenen Verfassungen des bürgerlichen Rechtsstaates gilt immer noch der alte Satz, daß ein Staat, in welchem die Teilung der Gewalten, d.h. die verfassungsmäßige Begrenzung und Unterscheidung der wichtigsten staatlichen Kompetenzen, nicht durchgeführt ist, überhaupt keine Verfassung hat. Die Weimarer Verfassung würde jede organisatorische Festigkeit verlieren, wenn man das verkennt, was übrigens auch den klaren Absichten von Hugo Preuß entsprach, der weniger in den Grundrechten als in der Organisation den Schutz der bürgerlichen Freiheit suchte und meiner Unterscheidung von Gesetz und Maßnahme und der Kritik des Mißbrauches von Art. 76 lebhaft zugestimmt hat (DJZ. 1924 Spalte 653). Wenn alles, was der Gesetzgeber in Form eines Gesetzes tut, eo ipso Gesetz ist, dann entfällt nicht nur theoretisch die Unterscheidung von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung, sondern auch das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Rechtsprechung. Anschütz ist der Meinung, die Bedeutung der Grundrechte beschränke sich in erster Linie darauf, daß sie das „Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“ kasuistisch darlegen (S. 300). Aber dieses Prinzip erhält seinen Sinn erst durch die materielle Unterschei-
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dung von Gesetz und Verwaltung und setzt einen materiellen Begriff des Gesetzes voraus. Sobald der Gesetzgeber in der Form des Gesetzes beliebig Verwaltungsakte und Richtersprüche vornehmen kann, werden die für die Gesetzgebung zuständigen Organe zu höchsten Verwaltungsbehörden und höchsten richterlichen Instanzen; sie können dann die Gesetze durchbrechen, Ausnahmen machen, Kabinettsjustiz üben und einen Absolutismus durchführen, der durch die Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Justiz gerade verhindert werden soll. Wenn das „Positivismus“ ist, so versteckt sich hinter diesem nur die Unfähigkeit, aus dem absolutistischen Denken herauszutreten und die maßgebenden Begriffe des bürgerlichen Rechtsstaates zu erkennen. Der Gesetzgeber ist nur darin allmächtig, daß die von ihm aufgestellten Normen alle binden, auch die für die Gesetzgebung zuständigen Organe selbst; nicht aber darin, daß alles, was er tut, eben deshalb Gesetz ist. Wo die Verfassung von Gesetzgebung spricht, ist grundsätzlich ein materieller Gesetzesbegriff anzunehmen. Die Unterschiebung oder Verwechslung eines formellen Gesetzesbegriffes hebt die Abgrenzung der verfassungsmäßigen Zuständigkeiten und damit die organisatorischen Grundlagen der Verfassung selber auf. Das zeigt sich am deutlichsten bei der bundesstaatlichen Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit, wo es leider von Anschütz (S. 51 ff.) nicht erwähnt wird. Wenn das Reich auf den Gebieten, auf denen es nach Art. 6 ff. die Gesetzgebungszuständigkeit hat, während die Verwaltung nach Artikel 14 den Ländern bleibt, in der Form eines einfachen Reichsgesetzes beliebig Verwaltungsakte, Richtersprüche oder Einzelmaßnahmen anordnen könnte, so wäre die Zuständigkeitsverteilung zwischen Reich und Ländern aufgehoben. Das Reich könnte z. B. durch ein „Reichsgesetz“ unter Durchbrechung aller landesrechtlichen Normen und Zuständigkeiten an einem bestimmten preußischen oder bayerischen Bergwerk das Bergwerkseigentum verleihen, während es nach Art. 7 Ziff. 16 wohl ein Berggesetz erlassen, nicht aber im Einzelfalle Verwaltungsakte auf bergrechtlichem Gebiete vornehmen oder sonstwie die bestehende Zuständigkeitsverteilung durchbrechen kann. Nur wenn dieser grundsätzlich materielle Gesetzesbegriff festgehalten wird, können auch die am meisten umstrittenen Bestimmungen der Weimarer Verfassung richtig verstanden werden. Der Satz z. B. „Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich“ begründet nicht nur eine Gleichheit vor dem das Gesetz anwendenden Richter oder Verwaltungsbeamten, sondern setzt wesentlich voraus, daß der Gesetzgeber Gesetze im materiellen Sinne erläßt. Denn vor einem „Gesetz“, welches in der Sache ein Richterspruch oder eine konkrete Einzelmaßnahme wäre, kann faktisch und begrifflich keine Gleichheit bestehen. Vor dem Satz: Herr X wird enthauptet, gibt es keine Gleichheit, und es ist ganz willkürlich zu sagen, die Gleichheit be-
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stehe darin, daß jeder, bezüglich dessen ein solcher Befehl ergeht, enthauptet werden müsse. Gerade das Konkrete, nur den Einzelfall Betreffende einer wirklichen Maßnahme schließt die Gleichheit vor dieser Maßnahme aus, während es zum Wesen der Rechtsnorm gehört, daß vor ihr eine Gleichheit möglich und sogar begriffsnotwendig ist. Es wäre natürlich unrichtig, den Satz von der Gleichheit vor dem Gesetz dahin auszudehnen, daß jede Sonderregelung verboten und nur ein für alle Deutschen in gleicher Weise geltendes Gesetz für zulässig gehalten wird. Das ist schon deshalb unmöglich, weil sonst jedes Landesgesetz eo ipso ein Verstoß gegen Art. 109 Abs. 1 RVerf. wäre. Auf der anderen Seite ist es aber ebenso unrichtig und übertrieben, dem Satz jede Bedeutung für den Gesetzgeber abzusprechen und ihn auf die Gesetzesanwendung zu beschränken, d.h. in den, etwas ganz anderes besagenden Satz abzuändern, daß Gesetze auf jeden Fall ohne Ansehen der Person angewandt und vollzogen werden müssen. Ausnahmegesetze sind durch Art. 109 Abs. 1 RVerf. verboten. Die Grenze zwischen einer zulässigen Sonderregelung und einem Ausnahmegesetz wird oft schwierig zu bestimmen sein, aber es ist nicht einzusehen, warum man deshalb die Unterscheidung von Sondergesetz und Ausnahmegesetz ablehnen will, während doch allgemein, auch von Anschütz (S. 285 bis 287), die Unterscheidung von Sondergericht und Ausnahmegericht angenommen wird. Auch das Verbot der Ausnahmegerichte (Art. 105 RVerf.) und der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter und ihre Bindung an das Gesetz (Art. 102) haben einen materiellen Gesetzesbegriff zur Grundlage und werden sinnlos, wenn der Gesetzgeber die Form des Gesetzes für Richtersprüche und Einzelmaßnahmen beliebig gebrauchen darf. Als weiteres Beispiel für die sachliche Unterscheidung von Gesetzen und Gesetzesanwendungsakten sei noch auf Art. 153 RVerf. hingewiesen. Die Auslegung dieser wichtigen Bestimmung ist allerdings besonders verwirrt durch das Bestreben, den Enteignungsbegriff des Art. 153 auch auf Gesetzgebungsakte auszudehnen, um auch gegenüber dem Gesetzgeber den Schutz dieser Verfassungsbestimmung zu erreichen. Anschütz folgt hier der durch Triepel, Martin Wolff und das Reichsgericht zur Herrschaft gebrachten und sicher auch richtigen Meinung, daß Art. 153 Abs. 2 Schranken für den Gesetzgeber enthalte (S. 397 ff.). Daß eine Enteignung „nur zum Wohle der Allgemeinheit“ vorgenommen werden kann, bedeutet jedenfalls eine solche allgemein anerkannte Schranke. Dagegen wird immer übersehen, daß in diesem Art. 153 Abs. 2 neben der einen Schranke „nur zum Wohle der Allgemeinheit“ noch eine koordinierte, zweite Schranke für den Gesetzgeber aufgestellt worden ist: die Enteignung kann nur „auf gesetzlicher Grundlage“ vorgenommen werden. Während Anschütz sonst mit Recht jedes Wort des Verfassungstextes sorgfältig beachtet, ignoriert er hier auffälligerweise eine so bedeutungsvolle Wendung. Das erklärt sich daraus, daß er sie aus
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einem formalistischen Gesetzesbegriff heraus überhaupt nicht verstehen kann. Es ist aber doch wohl ein Unterschied, ob die Verfassung in Art. 156 eine Enteignung „durch Gesetz“ ausdrücklich für zulässig erklärt, oder ob sie in Art. 153 eine Enteignung „auf gesetzlicher Grundlage“ verlangt. „Auf gesetzlicher Grundlage“ bedeutet hier, daß der Gesetzgeber nicht selbst den konkreten Enteignungsakt vornehmen, sondern nur die Voraussetzungen und das Verfahren der Enteignung angeben darf, die Enteignung selbst aber dann auf der Grundlage eines solchen Enteignungsgesetzes als ein Akt der Gesetzesanwendung erscheint, der den vom Enteignungsgesetz aufgestellten Voraussetzungen und seinem Verfahren entspricht. Während die Worte „nur zum Wohle der Allgemeinheit“ durch einen inhaltlichen Zweck die Zulässigkeit gesetzgeberischer Vermögensentziehungen einschränken, enthalten die Worte „auf gesetzlicher Grundlage“ einen für die rechtsstaatliche Entwicklung des Enteignungsrechts typischen verfahrensmäßigen Schutz des Privateigentums. Die von der Verfassung selbst aufgestellte Unterscheidung einer „Enteignung durch Gesetz“ (Art. 156) und einer „Enteignung auf gesetzlicher Grundlage“ (Art. 153) und die Trennung von Enteignungsgesetz und Enteignungsakt sind demnach keine juristischen Spitzfindigkeiten, sondern beruhen auf elementaren Unterscheidungen, die von der Theorie und der Praxis des bürgerlichen Rechtsstaates entwickelt worden sind. Den letzten Grund für die systematische Unklarheit eines mißverstandenen „Positivismus“ erblicke ich in folgendem: In jedem Staate muss es eine Instanz geben, die ausnahmsweise und mit souveräner Macht Handlungen vornimmt, welche aus dem normalen System der geregelten Zuständigkeiten herausfallen oder es durchbrechen. Es ist eine für die Weimarer Verfassung fundamentale Frage, wer solche Souveränitätsakte berechtigterweise vornehmen kann. Auf verschiedenen Wegen, oft unter Benutzung des Art. 48, oft wieder unter Benutzung des Art. 76 RVerf. hat man Souveränitätsakten eine verfassungsmäßige Grundlage gegeben. Dieser schwierigen Frage, deren ausführliche Erörterung ich mir vorbehalten möchte, ist die deutsche Staatsrechtslehre meistens aus dem Wege gegangen, wobei sie sich einiger aus der Vorkriegszeit übernommener Schablonen bediente. Leider hat selbst der Kommentar von Anschütz eine so wichtige Angelegenheit, wie den Versuch einer systematischen und historisch gründlichen Auslegung des Art. 48 Abs. 2 mit einer summarischen Handbewegung verständnislos abgetan, ohne ihren theoretischen und praktischen, verfassungsrechtlichen Sinn zu beachten (S. 175). Ich fürchte aber, die deutsche Staatsrechtslehre verzichtet auf ihre eigentliche Aufgabe, wenn sie es für „Positivismus“ hält, in den leeren Geleisen des alten Staatsrechts zu bleiben und wie in jenen behaglichen Zeiten mit einer Art Kurzschluß des juristischen Denkens einfach den „Gesetzgeber“ als Deus ex machina erscheinen zu las-
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sen. Die verfassungsmäßige Befugnis, Gesetze zu geben, muß von der Befugnis, Souveränitätsakte vorzunehmen, unterschieden werden. Der Satz: „Gesetz ist Gesetz“ enthält eine vielleicht noch gefährlichere Gedankenlosigkeit als die berühmte Gleichung „Mark ist Mark“. Für diese kurze Besprechung muß es genügen, die grundlegenden Fragen der verfassungsmäßigen Zuständigkeiten, des materiellen Gesetzesbegriffes und ihre weiteren Folgerungen, die sich insbesondere für den Begriff der materiellen Verfassungsänderung (Art. 76) und die Unterscheidung von Gesetzgebungs- und eigentlichen Souveränitätsakten ergeben, mit einem Worte anzudeuten. Kein Kommentar, der wissenschaftliche Beachtung verdient und am wenigsten dieses bedeutende Werk eines großen Rechtsgelehrten kann einer grundlegenden Systematik entgehen, wenn auch die Form des Kommentars solche Erörterungen leicht zurücktreten läßt. Eine Kritik des Werkes von Anschütz muß also gerade diese grundlegenden Begriffe hervorheben; dann wird sich zeigen, vor welcher ungeheuren, aber auch ehrenvollen Aufgabe die neue deutsche Staatsrechtslehre steht. Die glänzende Leistung von Anschütz erhält dann eine zentrale Stellung, um welche die wissenschaftlichen Meinungen sich für oder wider gruppieren.
6. Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung. Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, in Gemeinschaft mit Anschütz u a. hrsg. von Hans Carl Nipperdey. Bd. 1: Allgemeine Bedeutung der Grundrechte und die Artikel 102–117, Berlin 1929. (Aus: Juristische Wochenschrift 60, 1931, S. 1675–1677)
Der praktische Wert dieses groß angelegten Sammelwerkes, von dem inzwischen auch der zweite und dritte Band erschienen sind, hat wohl allgemeine Anerkennung gefunden. Es ist hier nicht über den Begriff des Kommentars zu streiten. Jedenfalls hat der Herausgeber dadurch, daß er diesen Weg der Erläuterung von Verfassungsartikeln wählte, nicht nur einem Bedürfnis schneller Orientierung genügt, sondern auch gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung dieses Bedürfnisses noch verstärkt, nämlich die immer deutlicher hervortretende Neigung der Gerichtspraxis, Verfassungsbestimmungen, wenigstens solche des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, zur unmittelbaren Grundlage von Prozeßentscheidungen zu machen. Der verhältnismäßig große Raum, der den einzelnen Mitarbeitern zur Verfügung steht, ermöglicht es ihnen, nicht nur erläuternde Wortinterpretationen, sondern auch tiefer dringende, mit dem wissenschaftlichen Schrifttum und den Vorentscheidungen der Rechtspraxis sich auseinandersetzende Darlegungen
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zu geben. Wer die Schwierigkeiten des II. Hauptteils der Reichsverfassung kennt, wird mit besonderer Dankbarkeit feststellen, daß manche Mitarbeiter von jener Möglichkeit Gebrauch gemacht haben. Daß die verschiedenen und verschiedenartigen Kommentatoren ihre Aufgabe nicht alle gleich auffassen, ist nicht verwunderlich. Es finden sich Beiträge, die mehr wissenschaftlich-systematisch gehalten sind, während andere nur die den Vorbehalt des Gesetzes ausfüllenden Gesetzesbestimmungen nach der Art eines praktischen Kommentars erläutern. Einige Kommentare sind umfangreiche Aufsätze und Abhandlungen geworden, andere, z. B. die Bem. von Mende zu Art. 108 (S. 149), enthalten nur kurze, skizzenhafte Hinweise. Neben einer gedrängten Zusammenfassung, wie den Aufsatz von H. Pohl über Art. 112 (S. 250–268), stehen umfangreiche, in die Allgemeinheit des Problems vordringende Monographien, wie die von Gerber über Minderheitenschutz zu Art. 113 (S. 269–350). Der äußerlichen Ungleichmäßigkeit entspricht eine Verschiedenheit der Gesichtspunkte für Auswahl und Darstellung des Materials. Zwei besonders wichtige Grundrechte, Art. 114 und 115, sind im Gegensatz zu der sonstigen Isolierung jedes einzelnen, auch des kleinsten Artikels, miteinander verbunden, die gemeinsame Behandlung aber ist gleichzeitig in der Weise getrennt, daß die beiden Artikel a) nach der Seite der Justiz (durch Mannheim) und b) nach der Seite der Polizei- und Finanzgewalt (durch A. Koettgen) erörtert werden. Es liegt nahe, zu fragen, warum dieser Ansatz zu einer Systematik nicht auch sonst durchgeführt ist, und warum ferner die weit dringlichere und eigentlich verfassungsrechtliche Frage nach der Seite des Gesetzgebers übergangen wurde. Von größerer Bedeutung ist es, daß die grundlegenden Begriffe, die einer rechtswissenschaftlichen Behandlung von Grundrechtsartikeln erst ihren spezifischen Sinn geben, von den verschiedenen Autoren verschieden gehandhabt werden. Bei der außerordentlichen Schwierigkeit dieser Materie wird man nicht erwarten können, daß alle Autoren gleicher Ansicht sind, und daß gerade hier eine Einmütigkeit herrschen soll, die es anderswo nirgends gibt. Aber einige Mitarbeiter bemühen sich um das eigentliche Problem dieses Teiles der Weimarer Verfassung sehr eingehend, andere dagegen scheinen die verfassungsrechtliche Seite ihres Themas gar nicht zu bemerken. Nicht nur der Begriff des Grundrechts selbst, auch die allgemeinen Begriffe jeder Verfassungslehre, die für diesen Zweig der Rechtswissenschaft ebenso unentbehrlich sind wie der allgemeine Teil des bürgerlichen Rechts für dieses, also Begriffe wie Verfassung, Verfassungsgesetz, Verfassungsänderung, ferner die Vorstellungen von „Rechtsstaat“ und „Gesetz“, enthalten Folgerungen, die für jeden Grundrechtsartikel unmittelbar aktuell sind. Während nun z. B. Graf Dohna in seinem Aufsatz über Art. 105
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(S. 110 ff.) den rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff in seiner Bedeutung erkennt und namentlich den Zusammenhang des Art. 105 mit Art. 109 – Ausnahmegericht und Ausnahmegesetz – mit der ganzen Sicherheit des rechtsstaatlich empfindenden Strafrechtslehrers heraushebt, während auch ein Jurist von hervorragender praktischer Erfahrung und Umsicht, wie von Staff, in seiner Abhandlung zu Art. 102–105 (S. 54–110) die zentrale Stellung des richtig erfaßten Gesetzesbegriffs für das Problem der Rechtspflege nachdrücklich betont, hat A. Koettgen gerade in dem Aufsatz über Art. 114/115 (S. 350) die im gleichen Band (S. 47) von Richard Thoma ausdrücklich anerkannte Unterscheidung von genereller Norm und Durchbrechung brevissima manu abgetan. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, daß den beiden Aufsätzen von R. Thoma (Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze der deutschen Reichsverfassung im allgemeinen) und von F. Stier-Somlo (Die Gleichheit vor dem Gesetz S. 158–218) im Rahmen eines solchen Sammelkommentars eine zentrale Stellung zukommt. Sie bilden sozusagen das systematische Rückgrat des Werkes. Was zunächst den Aufsatz von Thoma angeht, so sprengt er in gewissem Sinne den Rahmen des Kommentars. Bei dem großen Reichtum seiner allgemein-verfassungsrechtlichen Gedanken kann er hier nicht im ganzen erörtert werden. Insbes. muß ich es mir versagen, an dieser Stelle auf die Frage der Grenzen der Revisionsbefugnis des Art. 76 RVerf. einzugehen, obwohl Thomas Stellungnahme gerade für dieses schwierige Problem von größter prinzipieller Bedeutung ist, weil er wenigstens für den Fall individueller Durchbrechungen eine Grenze der Änderungsbefugnis anerkennt und damit implizite das bequeme und beliebte, aber erstaunlich unlogische Gegenargument abweist, daß die Befugnis zu Verfassungsänderungen grenzenlos sein müsse, weil man noch keine subaltern einfache Formel für die genauen Grenzen gefunden habe. Ebensowenig kann in dieser kurzen Besprechung auf Thomas Lehre vom Primat des Völkerrechts eingegangen werden (S. 47 ff. Völkerrechtliche Geltungskraft grundrechtlicher Normen, genauer wohl: Grundrechtliche Geltungskraft völkerrechtlicher Normen), weil ihre S. 50 vorbehaltene nähere Untersuchung abgewartet werden muß, ehe man die konkrete Wirkung des in sich sehr vieldeutigen „Primates“ „des“ Völkerrechts erkennen kann; vorläufig darf man wohl nicht annehmen, daß dieser Primat dazu dienen soll, die Weimarer Verfassung in eine „Unterverfassung“ und die nationale Existenz des deutschen Volkes, das sich selbst diese Verfassung gegeben hat, in ein bloßes „Gelten“ höchst problematischer „Normen“ zu verwandeln. Es können also nur einige Hinweise zu dem Nipperdeyschen Gesamtwerk gemacht werden. Wenn nun der Herausgeber in seinem Vorwort sagt, Thoma habe „über den Inhalt und die Methoden des vorliegenden Werkes in seiner einleitenden Abhandlung das Erforderliche gesagt“, so trifft das nicht zu. Ge-
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rade weil die Abhandlung Thomas so reichhaltig und bedeutungsvoll ist, fällt es um so mehr auf, daß kein einziger der Mitarbeiter dieses Bandes sich der mit so viel Gründlichkeit und Feinheit entwickelten Erkenntnisse dieser Einleitung bedient oder gar sie fruchtbar gemacht hätte. Doch muß anerkannt werden, daß Stier-Somlo sich wenigstens mit Thomas früherem Aufsatz: Grundrechte und Polizeigewalt (Festg. zur Feier des 50jährigen Bestehens des PrOVG. 1925) auseinandersetzt (S. 166). Was Thomas Stellungnahme im einzelnen angeht, so dürfte seine These von der präsumtiven Positivität und Aktualität der Grundrechtsbestimmungen am bekanntesten geworden sein und den größten Erfolg haben. Er sieht die Einheitlichkeit des Grundrechtsteiles der Weimarer Verfassung nicht etwa darin, daß die Grundrechte ein „Niederschlag der Rechtskultur“ sind oder daß in ihnen eine einheitliche inhaltliche Zweckbestimmung zu erkennen wäre; das einheitliche Band besteht nur in einer verfassungspolitischen Intention und einer verfassungsdynamischen Funktion. Die praktische Bedeutung dieser etwas abstrakten Einheit liegt darin, daß sie einen einheitlichen Auslegungsgrundsatz, nämlich den „Grundsatz der Auslegung als Rechtssatz“ begründet. Die Jurisprudenz hat, „wenn nicht Treu und Glauben verletzt werden sollen, von mehreren, mit Wortlaut und Dogmengeschichte und Entstehungsgeschichte vereinbaren Auslegungen einer Grundrechtsnorm allemal derjenigen den Vorzug zu geben, die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet. So allein kann die deutsche Rechtswissenschaft und Rspr. der Bedeutung der grundrechtlichen Verfassungsbestimmungen gerecht werden, die doch, wie es der 6. Ziv.Sen. des RG. schon i. J. 1921 ausgedrückt hat (RG. 102, 165 = JW. 1924, 52) „als Heiligtum des deutschen Volkes gedacht sind “ (S. 9). Auch „eine Art Zwangslage der juristischen Praxis“ soll zu dem gleichen Ergebnis drängen, weil sonst „systemloser Willkür Tür und Tor geöffnet“ wäre. „Entweder sind die grundrechtlichen Normen in der Regel und im Zweifel unverbindlich, oder sie sind in der Regel und im Zweifel verbindlich. Da das erstere sicher falsch ist, so ist das letztere nicht abzulehnen“ (S. 12). Ob die Logik der Alternative eine solche Präsumtion rechtfertigen kann, scheint mir fraglich. Jedenfalls ist die unabsehbare organisatorische Einwirkung einer allgemeinen Positivierung des zweiten Hauptteils der Verfassung, die ich in dem Aufsatz „Zehn Jahre Reichsverfassung“: JW. 1929, 2313 ff. und in meinem Gutachten zum Polnischen Liquidationsabkommen (3. Februar 1930) behandelt habe, Thoma nicht verborgen geblieben. Leider begnügt er sich mit einer kurzen Erwähnung (S. 13 Anm.). In Wahrheit würde eine immer weiter getriebene Positivierung aller denkbaren „Grundrechte“ die deutsche Rechtspflege mit völlig neuen Funktionen in das politische System der Weimarer Verfassung einführen. Allerdings sagt Thoma gleichzeitig, daß trotz jener Vermutung stärkster Wirkungskraft alle Streitigkeiten über den spe-
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ziellen Inhalt einer bestimmten Grundrechtsnorm offengelassen seien, insbes. z. B. die Frage, ob Art. 109 sich auch an den Gesetzgeber oder nur an die Verwaltung und Rspr. wende. Aber bei aller Anerkennung der theoretischen Feinheit einer solchen Unterscheidung und bei allem Respekt vor seinem energischen Protest, daß es ein „grober Irrtum“ wäre, die behauptete Auslegungsregel auch für Streitigkeiten über den speziellen Inhalt einer bestimmten Grundrechtsnorm anzuwenden, darf man doch wohl fragen, was die Vermutung der stärksten Wirkungskraft eigentlich besagt, wenn sie nicht für den Inhalt gelten soll, sondern nur für eine von jedem Inhalt getrennte und unterschiedene „Geltung“. Übrigens wird auf S. 12 bei Heranziehung der Entstehungsgeschichte eine Äußerung des Abgeordneten Düringer als Beweismittel angeführt, in welcher Düringer dem Abgeordneten Beyerle dafür dankt, daß dieser einen Weg gefunden habe, um unter Beibehaltung der Leitgedanken des Abgeordneten Naumann den Abschnitt der Grundrechte „so auszugestalten, daß er einen juristisch faßbaren Inhalt bekam“. Gilt die Vermutung nicht für den Inhalt (wie sie trotz der feinen Differenzierung Thomas von der Praxis sicher verstanden wird), so bleibt es dabei, daß sie bedeutungslos ist. Wir hätten dann eben auch „leerlaufende“ Heiligtümer. Thoma behandelt die Grundrechte sämtlich als subjektive Rechte und Ansprüche. Sehen wir von seiner bekannten formalen Einteilung in verfassungskräftige, reichsgesetzeskräftige und landesgesetzeskräftige Rechte ab und fragen wir nach einer gegenständlichen Einteilung, so findet sich S. 20 die Antwort: Alle Grundrechte sind entweder a) Freiheitsverbürgungen, das sind die einzelnen Freiheitsrechte (Art. 114 f.), die Thoma jedoch nur als verfassungsrechtliche Ausgestaltungen eines „allgemeinen Freiheitsrechtes“ konstruiert (gegen diese Konstruktion Stier-Somlo im gleichen Bande S. 168/9); oder b) subjektive Rechte des aktiven Status (wie Wahl- und Stimmrechte) oder c) subjektive Rechte des positiven Status (z. B. Art. 112 Abs. 2, 114 Abs. 2, 124 Abs. 2, 126, 129, 131, 137 Abs. 5, 140, 146 Abs. 2, 147, 153 Abs. 2, 156 Abs. 3). Innerhalb dieser Kategorien werden die Grundrechte in einfache und gesteigerte, allgemeine und besondere, ferner in allumfassende und reichsbürgerliche, endlich in öffentlich-rechtliche und privatrechtliche gesondert. Gegenüber dieser Einteilung möchte ich betonen, daß die höchstverschiedenartigen Gewährleistungen des zweiten Hauptteils der RVerf. unmöglich als subjektive Ansprüche konstruiert werden können und daß es insbes. notwendig ist, vor allem die institutionellen Garantien von solchen subjektiven Ansprüchen streng zu unterscheiden. Sonst gerät die Auslegung von Artikeln, wie 127, 129, 142 u. a. ins Uferlose. Die Gutachten zu dem im Augenblick besonders aktuellen Art. 129 und zum Problem der wohlerworbenen Beamtenrechte zeigen, welche praktisch unmöglichen „Ansprüche“ hier als Grundrechte konstruiert werden können und
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wie sehr eine Unterscheidung von institutioneller Garantie und subjektivem Anspruch notwendig ist. Außerdem aber muß bei allen Grundrechtsansprüchen die Eigenart der verschiedenen Subjekte eines verfassungsrechtlichen Anspruches beachtet werden. Denn die Struktur des ganzen Staatswesens ist davon abhängig. Das auf Freiheit vom Staat, also auf Nichtintervention gerichtete Freiheitsrecht des isolierten Einzelmenschen ist logisch und praktisch von dem verfassungsrechtlichen Anspruch einer kollektiven Größe (wie Religionsgesellschaft, sonstige Körperschaft, Gewerkschaft usw.) so verschieden, daß es nur verwirren kann, beides mit dem gleichen Wort zu bezeichnen. Ein auf Grundrechten innerstaatlicher Kollektivgrößen aufgebauter Staat wäre ein pluralistisches Gebilde, ein Agglomerat verschiedener, miteinander Kompromisse schließender Organisationen, eine in sich heterogene „Polykratie“ (wenn ich dieses sehr prägnante Wort von J. Popitz hier übernehmen darf) und jedenfalls etwas anderes als die homogene nationale Demokratie der Weimarer Verfassung. Die Anerkennung von grundrechtlichen Ansprüchen des einzelnen auf positive Leistungen des Staates, z. B. Arbeit, Schutz, Versorgung, ergibt einen wieder ganz anders konstruierten Staat als die Anerkennung von liberalen, d.h. wesentlich negativen Freiheitsrechten des isoliert gedachten Einzelmenschen usw. Thoma erkennt zwar „Institutsgarantien“ ohne weiteres an (S. 21, 30), aber wohl nur in dem Sinne der beiläufigen Bemerkung von Martin Wolff, in dessen berühmtem Aufsatz über Art. 153 (Festgabe für Kahl, 1923, IV S. 5), nicht in der systematischen Bedeutung, zu welcher der Begriff in meiner Verfassungslehre entwickelt ist. Eine genauere Durchbildung des Begriffes „Institutsgarantie“ würde die Unvereinbarkeit einer solchen Gewährleistung mit einem Grundrecht als einem subjektiven Recht schnell zutage treten lassen. Daß Thoma auch bei echten Freiheitsrechten noch von Institutsgarantien spricht (z. B. S. 21), zeigt die Unklarheit, denn es gehört zum Wesen der Freiheit, daß sie selbst prinzipiell keine Institution werden kann. Stier-Somlo lehnt jeden Gedanken einer institutionellen Garantie ab (S. 170. Anm.) und meint, die Unterscheidung der Grundrechte im eigentlichen Sinne von solchen institutionellen Garantien sei nur vom Standpunkt der bürgerlichen Verfassung vor der Staatsumwälzung des Jahres 1918 zutreffend. Aber in dieser Hinsicht ist doch wohl noch etwas Kontinuität in der Weimarer Verfassung enthalten; man wollte in Weimar weder zum sozialistischen noch zum pluralistischen Kollektivstaat übergehen, und das Problem der strukturellen Verschiedenheit der Garantien des zweiten Hauptteils der Verfassung bleibt in seiner ganzen folgenreichen Schwere bestehen. Der Aufsatz Stier-Somlos über die Gleichheit vor dem Gesetz steht wegen des begrifflichen Zusammenhanges von Gleichheit und Gesetzesbegriff systematisch betrachtet im Mittelpunkt dieses ersten Bandes. Nachdem die
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wichtigsten Thesen und Argumente (Triepel, Leibholz, E. Kaufmann, Nawiasky) erörtert sind, umschreibt Stier-Somlo seinen eigenen Standpunkt dahin, daß er, unter Ablehnung rechtsphilosophischer Begründung (namentlich der E. Kaufmanns) den Gleichheitssatz des Art. 109 Abs. 1 als eine allgemeine Formel betrachtet, die, zusammengenommen mit anderen, unmittelbar geltenden Rechtssätzen der RVerf., zu der Auslegung zwinge, „daß auch der Gesetzgeber an ihn gebunden ist“. Art. 109 Abs. 1 ist danach der Ausdruck eines auch den Gesetzgeber unmittelbar bindenden Grundgedankens der Rechtsgleichheit (S. 190, 193, 195, 200). Doch soll damit keine starre und unbewegliche Formel gegeben sein, sondern dem richterlichen Ermessen ein Spielraum gegeben werden, wobei der Richter die Frage, ob persönliche und sachliche Rechtsgleichheit vorliegen, i. S. des von Stier-Somlo in der Festgabe von Laband (S. 445 ff.) entwickelten Gebotes der Rechtmäßigkeit handhaben soll. Subjektive Werturteile seien damit zwar nicht vermieden, aber sie würden „doch unter der strengen Zucht, die von dem Gebot der Rechtmäßigkeit ausgeht, beherrscht“. Angesichts dieser Stellungnahme ist die neuerliche Äußerung von Anschütz: JW. 1930, 2915 besonders interessant. Sie zeigt, wie sehr es hier an Einigkeit oder auch nur an überwiegender Meinung fehlt. Denjenigen, die das Bedürfnis nach einer herrschenden Lehre haben, um schnell zu wissen, wie es nun eigentlich mit Art. 109 Abs. 1 steht, ist die Orientierung heute nicht leicht gemacht. Solange eine Autorität wie Anschütz sich jeder Anerkennung einer Bindung des Gesetzgebers verschließt – selbst in der von mir vorgeschlagenen Beschränkung auf das Verbot echter Ausnahmegesetze – wird die Praxis nicht leicht der „neuen Lehre“ folgen. Und so wäre es also „alte Lehre“, daß ein einfaches Gesetz genügt, um auf legale Weise die Köpfe unmittelbar rollen zu lassen, während eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, wenn ein Ausnahmegesetz sie rollen lassen soll, weshalb es in jeder Hinsicht „einfacher“ wäre, sich den Weg über das Ausnahmegesetz zu sparen. Darin, daß die rechtphilosophische Argumentation in Fragen des Staatsund Verfassungsrechts leicht zu unabsehbaren Entfernungen vom konkreten Gegenstand führt, wird man Stier-Somlo lebhaft zustimmen können. Das gilt am meisten und selbstverständlichsten für die Versuche, statt einer Staats- und Verfassungstheorie eine allgemeine Rechtstheorie, statt dieser wiederum eine Erkenntnistheorie und schließlich nur eine allgemeine Methodologie zu geben, um durch eine Staatslehre ohne Staat, eine Verfassungslehre ohne konkreten Verfassungsbegriff und eine Methodologie ohne Methode unser Fach im eigentlichsten Sinne des Wortes gegenstandslos zu machen. Für ein Werk wie den vorliegenden Kommentar gehört es zu seiner ratio essendi, die spezifisch verfassungsrechtlichen Fragen auch durch die kommentatorischen Details hindurch im Auge zu behalten. Man darf deshalb für die neue Bearbeitung von Nipperdeys Werk in dieser Hinsicht ei-
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nige Ergänzungen für wünschenswert halten. Denn vor einem solchen Monumentalwerk deutscher Rechtswissenschaft darf unter keinen Umständen auch nur entfernt der Eindruck entstehen, den sonst gelegentlich pamphletistische Verwertungen der Worte „Rechtsstaat“ und „Grundrechte“ in peinlicher Weise hervorrufen und der am besten von dem Spruch aus den „Zahmen Xenien“ getroffen wird: Die Deutschen sind ein gut Geschlecht Ein jeder sagt: will nur, was recht; Recht aber soll vorzüglich heißen, Was ich und meine Gevattern preisen. Am wenigsten läßt sich die Frage nach den grundlegenden Gesamtentscheidungen, die zur Weimarer Verfassung wie zu jeder Verfassung gehören, einfach ignorieren. Obwohl die vorliegende Besprechung sich nur auf den ersten Band beziehen soll, darf doch wohl daran erinnert werden, daß im dritten Band, besonders in den Aufsätzen von H. Lehmann (S. 137 f.) und Stoll (S. 179 f.), dieses Problem sehr stark hervortritt, während es im ersten Bande nur von Stier-Somlo (S. 170) erkannt ist. Die wichtigsten grundsätzlichen Erörterungen zur Weimarer Verfassung, die in den letzten Monaten erschienen sind, stellen die Frage nach dieser Gesamtentscheidung bewußt in den Mittelpunkt, nämlich der Aufsatz von Franz Neumann über die soziale Bedeutung der Grundrechte in der Weimarer Verfassung (Die Arbeit, Ztschr. f. Gewerkschaftpolitik u. Wirtschaftskunde, 1930, Heft 9, S. 560 ff.) – eine besonders beachtenswerte, ausführliche Besprechung des Nipperdeyschen Kommentarwerkes – und die fesselnde und lebendige, wenn auch manche vielleicht beunruhigende Broschüre von Otto Kirchheimer, Weimar und was dann (Berlin, Laubsche Verlagsbuchhandlung, 1930). Daß es sich bei diesen kurzen Andeutungen nicht darum handelt, das verdienstvolle Werk Nipperdeys herabzusetzen, braucht nicht wiederholt zu werden. Es kam nur darauf an, gewisse, die systematische Seite betreffende Unstimmigkeiten und Ergänzungsmöglichkeiten zu erwähnen. Eine solche Art Kommentar, in welchem jeder einzelne Artikel von einem anderen Mitarbeiter kommentiert wird, ist ein Novum in unserer rechtswissenschaftlichen Literatur und auch nicht den alphabetisch geordneten wissenschaftlichen Handwörterbüchern zu vergleichen. Vieles wird hier durch neue Erfahrungen erst erprobt werden müssen. Dann wird sich zeigen, wie weit die Form des Kollektivkommentars in unserer wissenschaftlichen Jurisprudenz durchdringen und die Arbeit der wissenschaftlichen Einzelpersönlichkeit verdrängen oder „überhöhen“ kann – eine auch für die soziologische Wirklichkeit des Juristenstandes und der akademischen Rechtswissenschaft schicksalsvolle Frage. Vielleicht zeigt sich Näheres schon bei einer neuen
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Auflage, die wir erhoffen und erwarten. Bei dem Kommentar oder dem systematischen Werk eines einzelnen Schriftstellers ist die Kontinuität normalerweise nicht gefährdet und die Neuauflage im allgemeinen kein spezifisches Problem; sie dient einfach dazu, fortwährend Verbesserungen anzubringen und das Werk immer brauchbarer zu gestalten. Für den Kollektivkommentar dagegen und das Kommentarkollektiv der am Kommentar beteiligten Schriftsteller entsteht bei der Neuauflage eine weit schwierigere Aufgabe. Dann werden nämlich die vorhandenen Unstimmigkeiten und Verschiedenheiten entweder noch auffälliger hervortreten oder aber, im besseren Falle, durch einen Kollektivgeist überwunden, der eine immer größere Harmonie und Konkordanz der Methoden wie der Ergebnisse bewirken müßte.
„Es ist eigenartig, wie unsere Gedanken sich begegnen.“ Erwin Jacobi und Carl Schmitt im Briefwechsel 1926 bis 1933 Herausgegeben von Martin Otto Einleitung Mit wenigen Juristen arbeitete Carl Schmitt so eng zusammen wie mit dem 1884 geborenen Erwin Jacobi. Von Jacobi übernahm er den Begriff der „Verfassungsdurchbrechung“, ohne seine Quelle zu verschweigen. In dem Vorwort zur 1928 erschienenen zweiten Auflage der „Diktatur“ nahm Schmitt ausdrücklich auf „den Bericht meines verehrten Kollegen Erwin Jacobi“ Bezug.1 Durchweg wohlwollende Zitierungen Jacobis finden sich in Veröffentlichungen vor und nach 1945. Im 1933 abbrechenden Briefwechsel mit dem Leipziger Professor ist weder das eigenartige Werben um die Gunst eines bereits etablierten älteren Kollegen noch manchmal nur wenig camouflierte Eifersucht („Andere veröffentlichen meine Bücher“2) zu bemerken. Antisemitismus lässt sich in den Äußerungen Schmitts über Erwin Jacobi, den evangelisch getauften Sohn eines jüdischen Kaufmanns aus Zittau in der sächsischen Oberlausitz,3 nicht nachweisen. Zwei der wenigen 1 Carl Schmitt, Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, 2. Aufl., Berlin 1928, S. V. Vgl. auch: Erwin Jacobi, Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Art. 48 Reichsverfassung, erstmals in: VVDStRL 1, 1924, S. 105–136. Eine Hervorhebung Jacobis als „Urheber“ der Verfassungsdurchbrechung etwa: Carl Schmitt, Verfassungslehre, Berlin/Leipzig 1928, S. 100. 2 Tagebucheintrag vom 20. November 1932, bezogen auf: Ernst Rudolf Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Oldenburg 1932; zitiert nach: Carl Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934, hrsg. von Wolfgang Schuller in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler, Berlin 2010, S. 236. 3 Zu seiner Biographie grundlegend: Martin Otto, Von der Eigenkirche zum Volkseigenen Betrieb: Erwin Jacobi (1884–1965). Arbeits-, Staats- und Kirchenrecht zwischen Kaiserreich und DDR, Tübingen 2008; ders., in: Sächsische Lebensbilder, Bd. 6, Leipzig/Stuttgart 2009, S. 365–375; ders., „Schlagwortartiges Reden kirchlicher Kreise.“ Zum 125. Geburtstag von Erwin Jacobi (1884–1965), dem „letzten mitteldeutschen Kirchenrechtler“, in: ZevKR 54, 2009, S. 465–481.
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Duzfreunde Jacobis, die Schmitt persönlich bekannten Walter Jellinek und Eugen Rosenstock-Huessy hatten einen ähnlichen konfessionellen Hintergrund, von dem Schmitt auch wusste. Immerhin hatte Walter Jellinek 1912 Schmitts „Gesetz und Urteil“ durchaus wohlwollend rezensiert,4 was Jacobi nicht entgangen sein dürfte. Erstmals begegnet waren sich Schmitt und Jacobi spätestens auf der Gründungsversammlung der Staatsrechtslehrervereinigung am 13. und 14. Oktober 1922 in Berlin.5 Beide waren junge Ordinarien, die sich durch Veröffentlichungen ein gewisses Renommee verschafft hatten. Auch sonst lassen sich biographische Parallelen aufzeigen. Innerhalb der akademischen Welt waren beide Aufsteiger. Die Schmitts waren katholische Moselaner, mütterlicherseits kamen Verwandte aus Lothringen hinzu. Die Jacobis waren jüdische Viehhändler in der Mark Brandenburg gewesen, die Familie der Mutter stammte aus England. Der borussophile Protestantismus, der die deutschen Universitäten dominierte, hatte beide, bei aller Sympathie für den Staat Preußen, nicht geprägt, gleichzeitig wies der familiäre Hintergrund über die Grenzen des Deutschen Reichs hinaus. Beide hatten von zwei Professoren prägende Eindrücke empfangen: Otto Mayer und Rudolf Sohm. Schmitt hatte bei ihnen in Straßburg gehört, in Leipzig wurden sie die wichtigsten Lehrer Erwin Jacobis.6 Am Krieg hatten beide nicht als Frontsoldaten teilgenommen; Jacobi wurde wegen eines Herzleidens früh ausgemustert, Schmitt tat im Stellvertretenden bayerischen Generalkommando in München Dienst. Im Krieg wurden sie zu außerplanmäßigen Professoren ernannt. Den ersten Ruf erhielten sie, zeitlich versetzt, nach Greifswald. Schließlich wurden sie Ordinarien an heimatnahen Universitäten, in Bonn und Leipzig. Grundlage ihrer engen Zusammenarbeit war die zweite Tagung der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer 1924 in Jena. Heinrich Triepel als Vorsitzender hatte zunächst ein bundesstaatsrechtliches Thema mit den Referenten Kurt Perels7 und Erwin Jacobi vorgesehen.8 Jacobi war darin aus4
Walter Jellinek, in: AöR 32, 1912, S. 296–299. Beide als Teilnehmer verzeichnet bei: Heinrich Triepel, Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, in: AöR 43, 1922, S. 349 ff. 6 Vgl. etwa Jacobis Nachruf auf Mayer in den „Leipziger Neuesten Nachrichten“ vom 30. September 1924 und Jacobis Aufsatz „Rudolph Sohm und das Kirchenrecht“ (in: Forschungen und Fortschritte 1964, S. 345 ff.). Mayer und Jacobi gaben den nachgelassenen zweiten Band von Sohms Kirchenrecht heraus (Leipzig 1923). 7 Kurt Perels (1878–1933), aus Berlin, Schüler Triepels, 1908 Professor Greifswald, 1909 Kolonialinstitut Hamburg, seit 1919 Universität Hamburg; führender Staats-, Verwaltungs- und Kolonialrechtler, unter seinen Schülern die später Schmitt verbundenen Hamburger Öffentlichrechtler Rolf Stödter (1909–1993) und Hans-Peter Ipsen (1907–1998). 1933 Selbstmord, da er seine „arische Herkunft“ belegen 5
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Feldpostkarte Erwin Jacobi an Ulrich Stutz, Poststempel „Leipzig/1.1.17“ Aufgenommen Frühjahr 1916. Erwin Jacobi in Zivil mit Hut. Vorne von links nach rechts: General Maximilian von Laffert (1855–1917), „Eroberer von Lille“, Oberstleutnant Georg, Kronprinz von Sachsen (1893–1943), Leutnant Max Immelmann (1890–1916), berühmter Jagdflieger. Siehe Brief Nr. 9, S. 52. (Universitätsarchiv Zürich, Nachlass Ulrich Stutz).
gewiesen, er hatte sich 1916 in Leipzig zum „Rechtsbestand der Bundesstaaten“ für Staatsrecht nachhabilitiert und dabei ein staatsrechtliches Problem der Bismarckverfassung, den nicht geregelten Fortfall eines Bundesstaates nach Aussterben der regierenden Dynastie und dessen Folgen für das Stimmenverhältnis im Bundesrat, behandelt.9 Jacobi war hierfür von Paul Laband kritisiert worden.10 Erstmals hatte er hier den Begriff der „Vermusste. Seine Frau starb bereits 1926. Vgl. Hans Peter Ipsen, Erinnerung an elf Staatsrechtslehrer, in: Festschrift Werner Thieme, Köln usw. 1993, S. 1063–1081 (hier S. 1064 f.). 8 Schreiben Triepel an Schmitt vom 3. Februar 1924 (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-16399). 9 Erwin Jacobi, Der Rechtsbestand der deutschen Bundesstaaten, Leipzig 1917. 10 Paul Laband, in: AöR 37, 1918, S. 135.
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fassungsdurchbrechung“ gebraucht.11 1919 hatte Jacobi als Zuschauer an den Beratungen der Reichsverfassung teilgenommen und sich in einer weiteren Veröffentlichung für den Erhalt des Staates Preußen ausgesprochen.12 Jacobi gehörte weder zu den älteren Staatsrechtlern, die, in unterschiedlichen Nuancen, das Ende der Monarchie bedauerten, noch zu der kleinen linksliberalen Minderheit um den Kölner Staatsrechtler Fritz Stier-Somlo, dessen Pläne, eine „republikanische“ Vereinigung zu gründen, für Unruhe gesorgt hatten.13 Nachdem Perels wegen einer Erkrankung seiner Ehefrau ausgefallen war, entschloss sich Triepel, das Thema der zweiten Tagung an den Ereignissen des „Krisenjahres“ 1923, insbesondere der staatsrechtlich relevanten Reichsexekution gegen Sachsen und Thüringen, auszurichten.14 Für dieses Thema war Carl Schmitt, der bereits umfangreich zum Ausnahmerecht veröffentlich hatte, nahezu prädestiniert,15 zudem ließ er sich damals keiner Fraktion in der Staatsrechtslehre zuordnen. Umgekehrt war Jacobi auch im Notverordnungsrecht, das im Arbeitsrecht eine besondere Rolle spielte, ausgewiesen.16 In Jena waren Schmitt und Jacobi mit der überwiegenden Ablehnung ihrer Fachkollegen konfrontiert worden.17 Politische Gründe haben keine Rolle gespielt, denn auch der linksliberale Stier-Somlo begrüßte die Reichsexekution politisch und auch der in Jena nicht anwesende Hugo Preuß wünschte eine starke Rolle des Reichspräsidenten.18 Dass Schmitt Jena als Niederlage empfand, lässt sich den Tagebüchern entnehmen,19 für Jacobi gilt es ebenfalls. Noch in einem 1963 verfassten Brief an Jürgen Bay, einen Doktoranden des ehemaligen Forsthoff-Assistenten Alfred Voigt, 11 Jacobi, Rechtsbestand (wie Anm. 9), S. 25; demnach könne der Kaiser sich bei Abschluss eines Friedensvertrags über den in der Verfassung garantierten Bestand einzelner Bundesstaaten hinwegsetzen. 12 Erwin Jacobi, Einheitsstaat oder Bundesstaat, Leipzig 1919. 13 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3, München 1999, S. 186; Ulrich M. Gassner, Heinrich Triepel. Leben und Werk, Berlin 1998, S. 134. 14 Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 84 f. 15 Umfangreiche Nachweise hierzu bei Günter Maschke, Vorwort, in: Carl Schmitt, Staat, Großraum, Nomos, Berlin 1995, S. XIII–XXVII (insb. S. XVI) u. ö. 16 Erwin Jacobi, Das Verordnungsrecht im Reiche seit dem November 1918, in: AöR 39, 1920, S. 273–361. 17 Vgl. die Diskussion in VVDStRL 1, 1924, S. 137–139; ferner Fritz StierSomlo, Die zweite Tagung der Vereinigung deutscher Staatrechtslehrer, in: AöR 46, 1925, S. 88–105. 18 Weitere Nachweise bei Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 93 f. 19 Tagebuch vom 14. April 1924: „die Diskussion nachher widerwärtig“. Für die gesamte Einsicht in die unveröffentlichten Teile der Tagebücher danke ich Herrn Dr. Gerd Giesler, Berlin.
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ist ein Unbehagen zu spüren, das nicht allein der politisch brisanten Materie geschuldet war,20 denn bis in sein letztes Lebensjahr und durch die DDR unbeeindruckt konnte Jacobi sehr freimütige Briefe schreiben. In jedem Fall entwickelte sich aus der Tagung in Jena eine fachliche Freundschaft oder „Solidargemeinschaft“; beide verstanden sich als Minderheit, die sich gegenseitig stärken müsse, doch allein aus dem Methodenstreit und einer womöglich situativen Abneigung gegen Hans Kelsen lässt sich dies nicht erklären. Immerhin hielten methodische Gemeinsamkeiten Schmitt nicht von einem höchst komplizierten Verhältnis zu Rudolf Smend oder Abneigung, offen gegen Erich Kaufmann, versteckt gegen den „wüsten Pfaffen“ Günther Holstein, ab. Jacobi unterhielt dagegen ein durchgängig gutes Verhältnis zu Smend und wusste auch von der Feindschaft Schmitts mit Stier-Somlo und teilte dies Dritten mit,21 was ihn nicht davon abhielt, Stier-Somlos „Reichs- und Landesstaatsrecht“ wohlwollend zu besprechen.22 Für das fachliche Fortkommen waren beide nicht aufeinander angewiesen; dass Jacobi sich für ihn gegenüber der Handelshochschule Berlin verwendete kann nur als Nebeneffekt bezeichnet werden und wurde von beiden auch so gesehen. Der Briefwechsel Schmitt-Jacobi ist nur fragmentarisch erhalten, insgesamt zwölf Briefe und Postkarten, mit einer Ausnahme ausschließlich von Jacobi an Schmitt, überliefert im Nachlass im Landesarchiv Düsseldorf. Der Nachlass von Erwin Jacobi ist im Universitätsarchiv Leipzig überliefert und enthält ausschließlich einen Sonderdruck, den Schmitt noch 1965 an Jacobi schickte. Zweimal wurde Erwin Jacobi bei Luftangriffen auf Leipzig ausgebombt; allerdings sind vor 1945 zurückreichende Archivalien durchaus erhalten. Einzelne Stücke scheinen sich auch noch in Familienbesitz zu befinden, mit großer Sicherheit aber keine Korrespondenz mit Carl Schmitt. Mindestens zwei von Schmitt erwähnte Briefe sind nicht überliefert oder 20 Näher hierzu Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 398. Der 1935 geborene Bay hatte Jacobi sieben Fragen gestellt, auf die dieser teilweise nicht einging. Jacobi betonte, dass es ihm nicht darum gegangen sei, ob Art. 48 WRV „billigenswert“ sei; Bays Fragen hatten jeden Ansatz von Kritik vermieden. Vgl. auch Jürgen Bay, Der Preußenkonflikt. Ein Kapitel aus der Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik, Diss. iur., Erlangen 1965. 21 Jacobi im November 1926 an die Handelshochschule Berlin; Carl Schmitt werde „von allen Fachgenossen, außer vielleicht von Stier-Somlo, mit dem er persönlich verfeindet ist, als eine wissenschaftliche Persönlichkeit ersten Ranges eingeschätzt“. Näher Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 111 f. 22 Erwin Jacobi, in: Archiv für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt 2, 1925, S. 76 f. Allerdings am 16. Dezember 1927 sehr deutlich gegenüber dem Freund Eugen Rosenstock-Huessy: „Die stärksten Eindrücke auf staatsrechtlichem Gebiete habe ich in der letzten Zeit von Carl Schmitt, Heller und Triepel gehabt.“ Näher Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 172.
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beantwortet.23 Auf die komplizierte Nachlasssituation Jacobis wurde bereits hingewiesen.24 Hinweise auf fehlende Briefe Jacobis an Schmitt gibt es nicht; demnach setzte die Korrespondenz mit einem nicht überlieferten Neujahrsbrief Schmitts an Jacobi vom Dezember 1925 ein. Mit Jacobis Antwort beginnt der überlieferte Teil. Der Briefwechsel ist teilweise recht familiär und bezieht auch die Ehefrauen und Jacobis 1918 geborenen Sohn Rudolf mit ein. Bis zu seinem Tod verwahrte Schmitt eine Aufnahme Rudolf Jacobis, der als Maatanwärter der Reichskriegsmarine 1941 durch einen Unfall ums Leben kam.25 Bei aller Freundlichkeit verbleibt immer eine höfliche Distanz. Die Krankheit von Duschka Schmitt ist Gegenstand der Korrespondenz; ein Schicksalsschlag auf Seiten Jacobis, der Tod von zwei weiteren Söhnen als Kleinkinder 1925, fand keine Erwähnung.26 Jacobi war ein leidenschaftlicher Geigenspieler, was in vielen Briefen zum Ausdruck kam, nicht aber gegenüber dem gleichfalls musikalisch interessierten Schmitt. Aber auch Berufungsangelegenheiten und universitärer Klatsch fehlen weitgehend. Insgesamt zeichnet den Briefwechsel eine starke Gebundenheit an äußere Umstände aus. Am 9. Juli 1931 kam es zu einem kurzen Besuch Schmitts bei der gesamten Familie Jacobi in Leipzig, der im Tagebuch fast euphorisch geschildert wurde, im Briefwechsel aber keine Spuren hinterließ.27 In jedem Fall hielt Schmitt Jacobi für eine staatsrechtliche Begabung, die seine eigenen Arbeiten vortrefflich ergänzte. Tatsächlich liegt auf dem staatsrechtlichen Œuvre Jacobis ein Schatten. Während der gesamten Weimarer Republik galt er als einer der bedeutendsten Vertreter seines Faches, seine Monographie zum Staatsrecht dieser Republik wurde bereits bewor23 Schmitt notiert am 23. März 1929 in sein Tagebuch „in plötzlicher guter Laune Brief an Jacobi geschrieben“, es findet sich auch keine Antwort. Am 3. April 1933 notiert Schmitt in sein Tagebuch „[. . .] an Jacobi geschrieben [. . .]“, der Brief lässt sich ebenfalls nicht nachweisen. Vgl. hierzu Schmitt, Tagebücher (wie Anm. 2), S. 278. 24 Zum Nachlass allgemein Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 9 f. 25 Eine Fotopostkarte (Poststempel unlesbar, wahrscheinlich 1926) mit dem Text „Lieber Onkel, vielen Dank für die Pralinen.“ (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-A 20559). Zu Rudolf Jacobi auch Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 256. 26 1925 starben der 1923 geborene Gottfried Jacobi und der 1925 geborene Thomas Jacobi; vgl. Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 101. Gegenüber anderen Briefpartnern, etwa Rudolf Smend oder Walter Jellinek, kam Jacobi darauf auch in späteren Jahren zurück. 27 Carl Schmitt, Tagebücher (wie Anm. 2), S. 122. („Tief gerührt von der Freundlichkeit, Verehrung, und Anhänglichkeit der Jacobis“; Rudolf Jacobi „sehr nett und manierlich“, Nora Jacobi „überaus sympathisch“. Nora Jacobi geborene Smith (1887–1963), Diplom-Handelslehrerin, seit 1917 Ehefrau von Erwin Jacobi.
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ben.28 Jacobi kam jedoch nicht dazu, dieses Werk zu vollenden, das Dritte Reich bedeutete ein Veröffentlichungsverbot, nach 1945 war das Thema veraltet und das Ansehen der als gescheitert geltenden Weimarer Republik ohnehin nicht hoch. Für die staatsrechtliche Bedeutung Jacobis ist man auf ein Torso angewiesen; versprengte Veröffentlichungen in Festschriften, Zeitschriften und dem „Handbuch des Deutschen Staatsrechts“.29 Auch Carl Schmitt hat eine große staatsrechtliche Monographie Jacobis, in der er vielleicht eine Ergänzung seiner „Verfassungslehre“ sah, immer unterstützt,30 und es war auch Schmitt, der Erwin Jacobi als Prozessbevollmächtigten der Reichsregierung vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich ins Spiel brachte.31 Beide verkörperten die Mindermeinung „Schmitt-Jacobi“, auch wenn einzelne Kollegen wie Richard Thoma ihre Meinung vorsichtig revidiert hatten32 und der wichtigste Vertreter der herrschenden Meinung, Heinrich Triepels Doktorand Richard Grau, sich teilweise angenähert hatte.33 Politisch schien Schmitt mit Jacobi genauso übereinzustimmen wie mit dem praktizierenden Deutschnationalen Bilfinger. Laut dem Tagebuch sympathisierte der „liebe Kerl“ Jacobi 1931 mit dem Nationalsozialismus.34 Der zeitlebens parteilose Jacobi war in Gutachten wiederholt gegen Reformvorhaben sächsischer Linksregierungen vorgegangen, auch mit seinem Staatsrechtslehrerreferat, das auch die Absetzung der linken Landesregierung Zeigner behandelte. 1929 war Jacobi Gutachter für die deutschnationalen Dissidenten der „Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung“. Auf der anderen Seite konnte der konziliante Jacobi als Direktor des Leipziger „Instituts für Ar28 So findet sich im Einband von Walter Jellinek, Verwaltungsrecht, Berlin 1928, ein Hinweis auf das Staatsrecht von Jacobi. Näher zu diesem Buch Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 172 ff. 29 Erwin Jacobi, Reichsverfassungsänderung, in: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Bd. 1, Berlin/Leipzig 1929, S. 233–277; ders., Die verfassungsmäßigen Wahlrechtsgrundsätze als Gegenstand richterlicher Entscheidung, in: Festschrift Richard Schmidt, Bd. 1, Leipzig 1932, S. 59–93; ders., Die Rechtsverordnungen, in: Gerhard Anschütz/Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, Tübingen 1932, S. 236–255; ders., Die Verwaltungsverordnungen, in: ebd., S. 256–263. 30 So teilte Carl Schmitt dem Verlagsleiter Ludwig Feuchtwanger am 3. August 1926 als möglichen Autor von einem „Grundriß des Staatsrechts“ mit: „Haben Sie schon an Erwin Jacobi in Leipzig gedacht. Ich wüsste sonst niemanden“. In: Rolf Rieß (Hrsg.), Carl Schmitt – Ludwig Feuchtwanger. Briefwechsel 1918–1935, Berlin 2007, S. 184. 31 Näher: Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 208 mit weiteren Nachweisen. 32 Richard Thoma, Die Regelung der Diktaturgewalt, in: DJZ 29, 1924, S. 648–662. 33 Richard Grau, Diktaturgewalt und Reichsverfassung, in: Gedächtnisschrift Emil Seckel, Berlin 1927, S. 430–491. 34 Carl Schmitt, Tagebücher (wie Anm. 2), S. 96.
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beitsrecht“ mit Gewerkschaften, der Arbeiterbildung oder dem sozialdemokratischen sächsischen Ministerialbeamten Robert Ulich gut zusammenarbeiten,35 wenn auch der junge Ernst Fraenkel in ihm 1932 eine „bürgerliche Gegenoffensive gegen das Vordingen sozialistischer Kräfte im Arbeitsrecht“ sah.36 Schmitt wollte den konservativen Rudolf Smend 1932 als Prozessbevollmächtigten des Reichs verhindern. Als Experten für Verfahrensfragen konnte man Smend, wie Bilfinger, kaum bezeichnen. Jacobi wurde von Schmitt gerade für den komplizierten verfahrensrechtlichen Teil benötigt.37 Zudem war Jacobi ein Leipziger Professor, hatte im Reichsgericht sozusagen einen „Heimvorteil“; viele Richter kannte er persönlich, etwa vom gemeinsamen Musizieren, darunter auch Reichsgerichtspräsident Erwin Bumke, der dem Staatsgerichtshof vorstand und Jacobi 1930 zustimmend zitiert hatte.38 Der sozialdemokratische Gewerkschaftsfunktionär Clemens Nörpel berichtete 1928, dass Jacobi bei den Mitgliedern des Reichsarbeitsgerichts, einem Senat des Reichsgerichts, fachlich angesehen und beliebt war.39 Gegenüber dem schillernden Schmitt und dem wenig bekannten Bilfinger dürfte Jacobi auf das Gericht als Ausweis juristischer Solidität gewirkt haben, auch im Vergleich zur Gegenseite, darunter der unberechenbare Hermann Heller.40 Schmitt, der die Bedeutung des Zugangs zum Machthaber hoch einschätzte,41 bezog auch den Zugang zum Reichsgericht in seine Prozessstrategie mit ein. Eigene Prozesserfahrungen mögen ihn in der Wahl des als ausgleichend und ruhig beschriebenen Jacobi bestärkt haben. Nicht nur weil diese Mitarbeit auch finanziell lukrativ war, erreichten die Beziehungen zwischen Schmitt und Jacobi Ende 1932 den Höhepunkt ge35 Zu dem Historiker Robert Ulich (1890–1977) vgl. nur Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 180. 36 Ernst Fraenkel, Die politische Bedeutung des Arbeitsrechts (1932), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, Baden-Baden 1999, S. 469–480 (475 f.). 37 Etwa Tagebucheintrag vom 5. Oktober 1932: „Morgens kam Erwin Jacobi, arbeitete im Zimmer von Duschka. Wir besprachen seine großartige Übersicht über alle prozessualen Möglichkeiten.“ Schmitt, Tagebücher (wie Anm. 2), S. 222. 38 Vgl. näher hierzu Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 214. Verfahrensgegenstand 1930 war eine auch Schmitt bekannte Entscheidung über die Verfassungskonformität des preußischen Wahlrechts. 39 Clemens Nörpel, Rezension Erwin Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, in: Die Arbeit, 1928, S. 61–65. Nörpel war als Schöffe selbst Mitglied des Reichsarbeitsgerichts. 40 Heller war in Leipzig kein Unbekannter, von 1921 bis 1926 Leipziger Privatdozent, und hatte in dieser Zeit für mehrere öffentliche Skandale gesorgt, vgl. Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 114 ff. 41 Carl Schmitt, Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, Pfullingen 1954.
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genseitigen Einvernehmens. Während des Prozesses war es im Sommer und Herbst 1932 zu mehreren Treffen in Berlin und Leipzig gekommen. Jacobi bemühte sich anlässlich dieser Treffen, den losen Kontakt seines Freundes Walter Jellinek zu Schmitt zu vertiefen,42 letztlich erfolglos, womöglich schätzte Jacobi auch das Verhältnis Schmitts zu Bilfinger falsch ein. Als sich Schmitt und Jacobi, diesmal in Begleitung seiner Ehefrau Nora, am 26. März 1933 in Weimar begegneten,43 war Hitler bereits Reichskanzler. Gerade weil Jacobi als Staatsrechtslehrer galt, der vom Nationalsozialismus wenig zu befürchten habe, muss ihn das „Gesetz zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums“ schlagartig getroffen haben. Im Sommer 1933 führte er einen tragischen Kampf gegen eine unerbittliche Bürokratie und geriet in den Blickwinkel eines früheren Studenten, des ehrgeizigen Oberregierungsrates, Zivilrechtlers und Nationalsozialisten Heinrich Lange.44 Dass Jacobi auch die Hilfe Carl Schmitts suchte, der eine glänzende Karriere vor sich zu haben schien, war nahe liegend. 1964 schrieb der Rechtshistoriker Hans Thieme, 1931 in Frankfurt bei Franz Beyerle habilitiert und von 1940 bis 1945 Professor in Leipzig, Jacobi habe 1933 die „Treuelosigkeit von Kollegen“ erleben müssen.45 Das konnte nur auf Carl Schmitt bezogen werden. Zunächst hat sich Schmitt für Jacobi aber wie für keinen anderen Kollegen eingesetzt. Irreparabel beschädigt wurde das Verhältnis beider dann dadurch, dass Schmitt vom 30. September bis zum 2. Oktober 1933 am „Nationalsozialistischen Juristentag“ in Leipzig teilnahm und dort den Vortrag „Staat, Bewegung, Volk“ hielt. Von Jacobi hielt er sich fern. Rudolf Smend, ebenfalls unter den Teilnehmern, besuchte Jacobi.46 Von Carl Schmitt ist dies nicht bekannt. Auch nach seiner erzwungenen Versetzung in den Ruhestand blieb Jacobi mit Kollegen in Kontakt, darunter seinem Lehrstuhlnach42 Am 17. Oktober 1932 warteten Schmitt und Jacobi bei Gotheiner „vergebens auf Walter Jellinek“ (Schmitt, Tagbücher, wie Anm. 2, S. 225), am 25. Oktober 1932 kam es zu einem Treffen (Schmitt, Tagebücher, wie Anm. 2, S. 227). Vgl. aber auch das Schreiben vom 16. November an Schmitt. 43 Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 231 ff. Vgl. auch Schmitt, Tagebücher (wie Anm. 2), S. 274; Schmitt suchte mit den Eheleuten Jacobi das „Residenz-Cafe“ auf. Im Tagebuch äußerte er sich zurückhaltend über Jacobis Referat „Entwicklungslinien im Reichsaufbau“ („langsam und stark von mir abhängig“). 44 Zu Heinrich Lange (1900–1977), 1933 Referent im sächsischen Volksbildungsministerium, 1934 Professor in Breslau, 1939 in München, nach 1951 in Saarbrücken und Würzburg vgl. nur Wilhelm Wolf, Vom alten zum neuen Privatrecht. Das Konzept der normgestützten Kollektivierung in den zivilrechtlichen Arbeiten Heinrich Langes (1900–1977), Tübingen 1998. 45 Hans Thieme, Erwin Jacobi 80 Jahre alt, in: JZ 19, 1964, S. 72. 46 Hierzu vgl. Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 242 f. Auf den Besuch bezieht sich ein Brief Jacobis an Smend vom 7. Dezember 1933. Von Schmitt ist nicht die Rede. Auch die entsprechenden Tagbucheinträge Schmitts enthalten keinen Hinweis.
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folger Hans Gerber;47 Schmitt war nicht darunter. 1935 wurde Schmitt von dem von der SS angegriffenen Otto Koellreutter seine einstige Nähe zum „Juden Jacobi“ vorgeworfen, der sein „persönlicher Adlatus“ im Preußenschlagverfahren gewesen sei.48 Es verhinderte nicht, dass Schmitt mit Koellreutter, beide hatten mittlerweile ihren Lehrstuhl verloren, nach 1945 einen regen Briefwechsel führte. Schmitts Kontakt zu Jacobi, der ab 1946 wieder in Leipzig lehrte, lebte nicht wieder auf. Allzu wohlfeile Deutungen verbieten sich. Jacobi hatte nach 1945 keine Schwierigkeiten, ehemaligen Nationalsozialisten „Persilscheine“ auszustellen,49 und zu Schülern Schmitts unterhielt er gute Beziehungen. Sein Nachkriegsverhältnis zu Werner Weber, der bis 1948 in Leipzig lehrte, war sehr gut,50 ebenso zu Ernst Forsthoff.51 Jacobi hielt trotz der deutschen Teilung und des „Kalten Krieges“ an so vielen „Westkontakten“ fest; dass er ein gesamtdeutsches Gewissen der Rechtswissenschaft darstellte. Doch Schmitt war nicht darunter. Dabei nahmen sich beide weiter als Gelehrte zur Kenntnis, Schmitt etwa Jacobi 1952 in seinem Gutachten für die Buderus-Stahlwerke.52 Jacobi subsumierte Schmitts „Verfassungslehre“ in seinem Beitrag für die Jellinek-Gedächtnisschrift 1955 in einer nicht recht zu ihm passenden Ausdrucksweise unter „Wetterleuchten des aufkommenden Faschismus“.53 In der darauf aufbauenden mutigen Buchausgabe von 1958, die nur in der DDR erschien, fiel das Urteil über Schmitt dagegen deutlich ausgewogener aus.54 Als Ernst-Wolfgang Böcken47 Hans Gerber (1889–1981), 1929 Professor Tübingen, 1934 Leipzig, 1941 bis 1957 Freiburg (Br.); engagierter evangelischer Christ (Gustav-Adolf-Verein, Evangelisches Hilfswerk), darüber auch Kontakt zu Rudolf Smend; vgl. Martin Bullinger, Hans Gerber, in: AöR 106, 1981, S. 651–654. 48 Hierzu vgl. nur Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 248 f. Auch Schmitt war von der SS wegen seiner Kontakte vor 1933 angegriffen worden. 49 Zahlreiche Beispiele bei Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 273 ff. 50 Vgl. nur den Nachruf: Werner Weber, Erwin Jacobi, in: AöR 90, 1965, S. 240 f. 51 Korrespondenz mit Forsthoff etwa bei Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 400. Bereits 1926 forderte Schmitt seinen Doktoranden Forsthoff auf, ein Exemplar seiner Dissertation „Der Ausnahmezustand der Länder“ an Erwin Jacobi zu schicken, „es wird ihn sehr interessieren“. Vgl. Dorothee Mußgnug/Reinhard Mußgnug/Angela Reinthal (Hrsg.), Briefwechsel Ernst Forsthoff – Carl Schmitt (1926–1974), Berlin 2007, S. 33. 52 Carl Schmitt, Rechtsstaatlicher Verfassungsvollzug (1952), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1958, S. 452–488 (458). 53 Erwin Jacobi, Zum geheimen Stimmrecht, in: Gedächtnisschrift Walter Jellinek, München 1955, S. 141–153 (148). 54 Erwin Jacobi. Freie Wahlen und geheime Abstimmung in der bürgerlichen Demokratie, Berlin 1958, S. 47. Hier wurde Schmitt zusätzlich für die Unverzichtbarkeit des (in der DDR besonders brisanten) „administrativ-rechnerischen Apparates“
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förde Erwin Jacobi 1964 in Leipzig besuchte, war Nora Jacobi nicht mehr am Leben.55 War sie womöglich Schmitt gegenüber argwöhnischer als Jacobi selbst? Carl Schmitt, von Böckenförde über den anstehenden Besuch bei Jacobi informiert, ließ Grüße übermitteln.56 Der schwer herzkranke Jacobi freute sich ehrlich und erwiderte sie; kurzzeitig lebte der Kontakt wieder auf. Doch für ein Revirement war es schon zu spät, auch wenn im März 1965 Schmitt einen Sonderdruck zu Jacobi in die DDR schickte. Wenig später, am 5. April 1965 starb Erwin Jacobi in Leipzig. In Gesprächen nach 1945 hatte Carl Schmitt Jacobi gelegentlich als zonenübergreifendes Beispiel benannt, was für ein hohes Alter Zuckerkranke erreichen können. Schmitt überlebte ihn schließlich um 20 Jahre.
(Wahlurnen, Wahlkabinen) zitiert. Zu dieser kurz nach Erscheinen verbotenen Veröffentlichung: Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 383–386. 55 Nora Jacobi starb am 14. Januar 1963. Böckenförde besuchte Jacobi mit seinem Bruder Werner (1928–2003) wahrscheinlich im Februar/März 1964. 56 Das geht aus einem Schreiben Jacobis an Böckenförde vom 16. März 1964 hervor; vgl. auch freundliche Auskunft Ernst-Wolfgang Böckenförde an den Verfasser, 6. September 2004; umfangreich hierzu Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 402 f.
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Carl Schmitt / Erwin Jacobi
Briefe 1. Erwin Jacobi an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6478
Leipzig, Mozartstr. 9 II, 13.1.26 Sehr verehrter, lieber Herr Kollege Schmitt, von Herzen erwidere ich Ihre Neujahrswünsche und bedanke mich für Ihren lieben Brief und die reizende Sendung an Rudi, die grosse Freude gemacht hat. Sie haben sehr richtig vermutet, daß ich ebenso wie Sie nicht aus, noch ein weiss vor Arbeit. Zu aller Examens- und Kolleghetze kommt dies Jahr bei uns noch das Dekanat, das in Leipzig scheußliche Arbeit macht. Trotzdem bin ich fest entschlossen, zur Staatsrechtslehrertagung nach Münster57 zu kommen; und die Zusage Ihrer Teilnahme macht mir den Kongress zu einer wirklichen Freude. Wir müssen uns wirklich gegenseitig stärken gegenüber der Seichtheit, die, wie Sie mir mit Recht schrieben, um sich greift. Platter Rationalismus, wobei platt auch noch den Akzent hat. Auch mir ist es unverständlich, wie jetzt offenbar auch Anschütz und Thoma sich von Kelsen einwickeln lassen58 können. Dieses Nebeneinanderstellen einer extrem mechanistisch gedachten Faktizität und eines in Wahrheit doch lächerlich sinn- und wertlosen logischen Normenkomplexes ist mir unerträglich. Richard Schmidt spricht von Kelsen nicht anders als von „dem dummen Kerl“. Damit ist die Sache freilich nicht abzutun. Ich würde Sie, lieber Herr Schmitt, oder vielleicht auch Smend für berufen halten, hier einmal eine schlagende Abrechnung zu halten. Nur ist es leider ja so, dass auch das wieder eine neue Reklame für die „reine Rechtslehre“ lieferte, genau so wie der prächtige Streit ums Soll zwischen Kelsen und Sander.59 Weiss der Teufel, warum auf diese Sache alle Gesetzmäßigkeiten der Reklametechnik so zutreffen. Ihre Besprechungen und Aufsätze, die Sie mir zuzuschicken so gütig waren, kann ich gerade in diesem Zusammenhange nicht als „unnütz“ erken57 Vierte Tagung der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer am 29. und 30. März 1926 in Münster; hierzu vgl. Stolleis, Geschichte (wie Anm. 13), S. 189 f. 58 Anschütz und Thoma waren 1926 zusammen mit Karl Rothenbücher (als erste „Reichsdeutsche“) Mitherausgeber der von Hans Kelsen herausgegebenen „Zeitschrift für öffentliches Recht“ (ZöR) geworden, ein „freundliches Signal des österreichischen Positivismus gegenüber den führenden deutschen Positivisten“ (Stolleis, Geschichte, wie Anm. 13, S. 170). 59 Zu diesem „prächtigen“ (und „schulimmanenten“) Streit umfangreich: Axel-Johannes Korb, Kelsens Kritiker. Ein Beitrag zur Geschichte der Rechts- und Staatstheorie (1911–1934), Tübingen 2010, S. 166–185.
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nen. Sie geben immer wieder neuen Impuls zu wirklich wissenschaftlicher Betrachtungsweise und strotzen von Ideen. Deswegen möchte ich Ihnen aber doch für das Jahr 1926 die Inspiration und Arbeitszeit zu einem grösseren Werke gönnen, denn es ist nun einmal so, daß bei uns das Wohlbefinden durchaus im Verhältnis zur Produktion steht. An dem beiliegenden Aufsatz60 mögen Sie also ermessen, wie kläglich mir zumute ist. Dazu noch die wirklich ärgerliche Bemerkung von Anschütz, die nicht viel besser ist, als wenn er gleich gesagt hätte: Die Mehrheit der Abstimmung hat sich gegen Schmitt-Jacobi entschieden.61 Mein einziger Trost in dieser Richtung ist, dass die letzte Tagung in Leipzig, soweit ich sehen konnte, einstimmig gegen eine endlose Diskussionsrede von Anschütz entschieden hat, auch im Sinne einer nicht sehr schmeichelhaften Ablehnung des Gesamtstils.62 Freuen wir uns auf Münster! Ich habe noch den Dank und die herzlichen Grüße meiner Frau zu übermitteln und bleibe immer Ihr aufrichtig ergebener Erwin Jacobi Vielen Dank Rudi. [handschriftlich; von Rudolf Jacobi]
2. Erwin Jacobi an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6479
Leipzig, 8.9.26. Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt! Mit aufrichtiger Betrübnis höre ich von Ihrem Mißgeschick.63 Möge sich alles bald zum Guten wenden. Unter diesen Umständen komme ich auf jeden Fall zu Ihnen, obwohl ich ursprünglich gleich zurückreisen wollte. Aber Ihre Einladung, für die ich Ihnen freundlich danke, kann ich nicht mit einem Nein beantworten. Nun habe ich für die Nacht zwischen dem 13. und dem 14. bereits Hotelzimmer bestellt, und es ist in diesen Verhandlungstagen vielleicht auch wichtiger, in Köln zu wohnen. Dann aber werde 60 Wahrscheinlich: Erwin Jacobi, Die Verordnung zur einstweiligen Regelung der Aufwertung vom 4. Dezember 1924, in: DJZ 30, 1925, S. 306–309. 61 Die „ärgerliche Bemerkung“ von Anschütz ist nicht überliefert. Anschütz gehörte mit Triepel und Stier-Somlo dem ersten Vorstand der Staatsrechtslehrervereinigung an, der letztmals 1925 in Leipzig amtierte. 62 Ein entsprechender Diskussionsbeitrag von Anschütz ist nicht verzeichnet; Jacobi bezieht sich wohl auf die Vorstandswahl und ähnliche Interna. 63 Bezieht sich wahrscheinlich auf den Krankenhausaufenthalt von Duschka Schmitt. Eine Kenntnis Jacobis von Schmitts am 10. Juli 1926 bestätigter Exkommunikation und ihrer Vorgeschichte ist eher fernliegend.
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ich mit bestem Dank von Vorschlag Gebrauch machen und also wahrscheinlich am Mittwoch oder schon am Dienstag zu Ihnen übersiedeln, um 1 oder 2 Tage mit Ihnen zu sein. Ich gebe Ihnen selbstverständlich noch rechtzeitig (nachträglich ergänzt: genauen) Bescheid. Haben Sie vielen Dank. Ich freue mich jetzt erst wirklich erst auf den Juristentag,64 von dem ich mir im übrigen garnichts verspreche. Mit herzlichen Grüßen von meiner Frau und Rudi bleibe ich Ihr ganz ergebener Erwin Jacobi 3. Erwin Jacobi an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6480
Leipzig, 19.9.26. Lieber, verehrter Herr Schmitt! Der heutige Sonntag soll durch ein Plauderstündchen mit Ihnen gefeiert werden. Daß ich pünktlich und gesund in Leipzig angekommen bin, brauche ich nicht mehr zu sagen. Ihr Herr Bruder65 hat mich nach schöner Nachtfahrt wohlbehalten am Bahnhof Köln abgesetzt, wofür ich ihm nochmals meinen Dank mit herzlichem Gruß zu übermitteln bitte. Als ich in Leipzig früh ankam, waren Ihre Rosen noch ganz frisch und ich konnte meiner Frau eine große Freude machen; zwei von den Rosen stehen noch heute in schönster Blüte auf unserem Tisch. Meine Frau läßt sich besonders dafür wie für die schönen Ansichtskarten und Grüße bedanken, die sie mit Rudi herzlich erwidert. Die zwei Tage bei Ihnen, lieber Herr Schmitt, werden mir unvergesslich sein – nicht nur wegen der besonderen Sorgfalt, mit der Sie mich umgeben und verwöhnt haben, sondern wegen der unvergleichlichen Eindrücke, die ich in der kurzen Zeit empfangen habe: der erste Blick auf das Siebengebirge; Ihr wunderbares Schlößchen;66 der Spaziergang ins Krankenhaus67 64 Bezieht sich auf den 34. Deutschen Juristentag vom 12. bis 15. September 1926 in Köln; Jacobi referierte zu dem Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. Vgl. auch Erwin Jacobi, in: 34. DJT (1926), Bd. 2, S. 73–108. Entgegen seinen Befürchtungen wurde Jacobis Referat freundlich aufgenommen. 65 Joseph (Jupp) Schmitt (1893–1970), Arzt und jüngerer Bruder Carl Schmitts. 66 Schmitts ab 1926 bezogenes Haus in Bonn-Friesdorf, Bonner Straße 211. Vgl. auch Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, München 2009, S. 196. 67 Duschka Schmitt befand sich ab Ende Juni wegen einer Rippenfellentzündung für fünf Monate (bis Oktober 1926) im Johanniterkrankenhaus Bonn; vgl. Mehring (wie Anm. 66), S. 196.
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und damit die Bekanntschaft mit Ihrer Gemahlin; der Abend am Strom; der Morgen in Bonn – Ruine Heisterbach68 – Petersberg – Königswinter – und als Abschluß die eigentümliche Autofahrt durch Abend und Nebel – ich glaube, daß auch in diesen Tagen ein künstlerisches Prinzip gewaltet hat; jedenfalls steht das Ganze wie eine Einheit vor mir. Vor allem: die liebenswürdige Persönlichkeit Ihrer Gemahlin, der ich meine herzlichsten Grüße auszurichten bitte. Versäumen Sie nicht, lieber Herr Schmitt, mir rechtzeitig mitzuteilen, wann Ihre Frau in Ihr Nest einzieht. Ich möchte dann wenigstens in Gedanken an dieser Freude teilnehmen. Von größtem Wert war mir wieder die Verständigung mit Ihnen über so viele wichtige Punkte unseres Faches. Es ist eigenartig, wie sehr unsere Gedanken sich begegnen. Ich kann Ihnen auch nach der Lektüre Ihrer Anschütz-Kritik69 nur sagen, daß ich allem vorbehaltlos zustimme. Der Gegensatz von Art. 153 und 15670 war mir entgangen – Ihre Deutung ist aber durchaus einleuchtend. Schlagend der Hinweis auf die Zwecklosigkeit des Art. 1471 bei der Anerkennung von Gesetz = Gesetz. Die Schwierigkeit besteht natürlich auch hier wieder in der Abgrenzung von gesetzlicher Spezialregel und gesetzlicher Sondermaßnahme [durchgestrichen: -regelung]. Es wird darauf ankommen, daß nicht auf den konkreten Fall oder auf eine Mehrheit konkreter Fälle abgestellt ist, sondern auf abstrakte Tatbestandselemente, mögen diese Regeln auch nur in einem einzelnen Fall – oder überhaupt nicht zur gesetzlichen Anwendung gelangen. Meisterhaft finde ich, wie Sie Anschütz sein Recht machen lassen und doch eine scharfe Kritik üben, an dem Punkte, der uns aber heute der Entscheidende ist. Auch mein Staatsrecht72 wird hier scheitern; es wird gewiß einiges Staunen, aber nicht entfernt die Bewältigung der „ungeheuren“ modernen Aufgabe der Staatsrechtslehre bringen. Ein schlechtes Gefühl bei der Abfassung meines Briefes. 68 Kloster Heisterbach, Ruine eines mittelalterlichen Zisterzienserklosters im Siebengebirge nahe Königswinter. Beliebter Ausflugsort. 69 Vgl. die in diesem Band (S. 17–23) abgedruckte Besprechung von Carl Schmitt, Gerhard Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reichs, 3. und 4. Aufl., in: JW 55, 1926, S. 2270–2272. 70 Artikel 153 WRV (Auszug): „Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen.“ Artikel 156 WRV (Auszug): „Das Reich kann durch Gesetz, unbeschadet der Entschädigung, in sinngemäßer Anwendung der für Enteignung geltenden Bestimmungen, für die Vergesellschaftung geeignete private wirtschaftliche Unternehmen in Gemeineigentum überführen.“ 71 Artikel 14 WRV (Wortlaut): „Die Reichsgesetze werden durch die Landesbehörden ausgeführt, soweit nicht die Reichsgesetze etwas anderes bestimmen.“ 72 Bezieht sich auf das nie erschienene „Reichs- und Landesstaatsrecht“ Jacobis in der „Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaften“.
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Lieber Herr Schmitt, ich werde mich freuen, Gutes von Ihnen zu hören. Seien Sie inzwischen herzlich gegrüßt und mehrmals bedankt von Ihrem Erwin Jacobi.
4. Erwin Jacobi an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6481
Leipzig C 1, am 10. Dezember 1927 Str. des 18ten Oktober Nr. 17 Hochverehrter, lieber Freund! Mit grosser Freude habe ich die zweite Auflage Ihrer Diktatur in Empfang genommen, in die ja nun auch die Diktatur des Reichspräsidenten von der Jenaer Tagung aufgenommen ist. Ich danke Ihnen herzlich für die wertvolle Gabe und beglückwünsche Sie zu Ihren steigenden Erfolgen. Nach der Deutschen Juristenzeitung haben Sie Berlin angenommen,73 und ich freue mich schon ganz besonders, dass sich dadurch sicherlich ein häufigeres persönliches Zusammensein ermöglichen lassen wird, nachdem ich immer Verlangen trage. Ich habe in der letzten Zeit Ihre Schrift über Volksbegehren und Volksentscheid74 studiert und möchte gern über manches darin mit Ihnen sprechen. Versäumen Sie nicht, Ihre Reise möglichst über Leipzig einzurichten! Der Abschied von Bonn wird Ihnen gewisse gerade wegen der grossen landschaftlichen Schönheit nicht leicht werden. Hoffentlich sind Sie und Ihre hochverehrte Frau Gemahlin aber doch mit freudigem Herzen bei der Übersiedelung, zu der meine Frau und ich Ihnen das Allerbeste wünschen. Was wird denn nun aus Bonn? Es ist ja nun ganz verwaist, nachdem auch Erich Kaufmann nach Berlin gegangen ist? 73 Deutsche Juristen Zeitung 32, 1927, S. 1539 f. Ausgabe vom 15. November 1927. Dort: „Prof. Dr. Erich Kaufmann, Berlin, ist zum Honorarprof. der Univ. Berlin ernannt. [. . .] Prof. Dr. Carl Schmitt, Bonn, ist zum Prof. an der Handelshochschule Berlin [. . .] ernannt worden.“ Jacobi hatte gegenüber der Handelshochschule Berlin positiv zu Carl Schmitt Stellung genommen. Hierzu umfassend Christian Tilitzki, Carl Schmitt an der Handels-Hochschule Berlin 1928–1933, in: Schmittiana 4, 1994, S. 157–202. 74 Carl Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren. Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie, Berlin 1927. Ursprünglich ein vor der Juristischen Gesellschaft Berlin am 11. Dezember 1926 gehaltener Vortrag.
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Ich grüße Sie und Ihre hochverehrte Frau Gemahlin zugleich im Namen meiner Frau aufs herzlichste und bin in alter Treue Ihr Erwin Jacobi
5. Erwin Jacobi an Carl Schmitt [Postkarte ohne Datum; Poststempel: Leipzig S 3/27.8.30] LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6482
Professor Dr. Erwin Jacobi Leipzig C 1 Strasse des 18. Okt. 17 Hochverehrter, lieber Herr Kollege! Bitte haben Sie die Güte, das Gutachten in der Wahlrechtsreform,75 wenn Sie es gelesen haben, Herrn Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Ernst Isay,76 Berlin-Grunewald Egerstr. 12, zu übersenden, der Einblick nehmen möchte. Ich habe heute Ihr Gutachten zum Liquidations-Abkommen77 mit größtem Genuß studiert. S. 10, IV 1 linke Spalte habe ich Bedenken gegen den Ausdruck „unentbehrlich“. Er scheint mir etwas zu stark. 75
Jacobi hatte für den preußischen Landesverband der „Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung“, der von Horst Holstein (1894–1945), dem Bruder des Staatsrechtlers Günther Holstein vertreten wurde, ein Gutachten erstellt. Hierzu zeitgenössisch Erwin Bumke (Hrsg.), Ausgewählte Entscheidungen des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts gemäß Artikel 13 Absatz 2 der Reichsverfassung, Bd. 2: Verfassungsmäßigkeit des preußischen Wahlrechts, Berlin 1930, S. 5 ff. 76 Ernst Isay (1880–1943), Oberlandesgerichtsrat in Hamm, ab 1924 Oberverwaltungsgerichtsrat in Berlin (bis 1934), Privatdozent für Staatsrecht in Münster, Schriften insbesondere zum Staatsangehörigkeitsrecht, zum Völkerrecht und zum Internationalen Privatrecht; vgl. Stolleis, Geschichte (wie Anm. 13), S. 357. Schmitt kannte Isay aus Bonn; Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 66), S. 141, 170. 77 Mit dem Deutsch-Polnischen Liquidationsabkommen vom 31. Oktober 1929 verzichtete das Deutsche Reich auf sämtliche privaten Forderungen vor dem Ersten Weltkrieg. Im Gegenzug wurde deutschen Ansiedlerfamilien, die im nunmehrigen Polen verblieben waren, ihr Eigentum garantiert. Das Abkommen wurde im Deutschen Reich innenpolitisch angegriffen; dabei wurde auch versucht, das Grundrecht auf Eigentum gegen das Abkommen zu instrumentalisieren. In dem von Jacobi gelobten Abschnitt erteilte Schmitt diesen Bestrebungen eine klare Absage. Carl Schmitt hatte im Auftrag der Reichsregierung gemeinsam mit Gerhard Anschütz ein
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S. 11 unten 2. Zeile 6: Es genügt natürlich auch einfaches Landesgesetz. Ganz ausgezeichnet sind die Ausführungen unter V. Mit herzlichen Grüßen auch an die hochverehrte gnädige Frau immer Ihr Erwin Jacobi
6. Nora und Erwin Jacobi an Duschka Schmitt [Ansichtskarte, Motiv: Lausitzer Gebirge/Der Berg Oybin, Poststempel: Oybin78 O.Lausitz 30.12.31] LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6483
30.12.31. Hochverehrte, gnädige Frau! Mit dem Geschenk des in jeder Beziehung gelungenen Bildes haben Sie meiner Frau und mir die größte Freude gemacht, für die wir Ihnen und Ihrem Gemahl aufrichtig und herzlich danken. Die Anima79 scheint ja ein ganz besonders liebes Wesen zu sein. Wir wünschen Ihnen Dreien ein recht gutes 1932! Ihre Erwin u. Nora Jacobi.
7. Erwin Jacobi an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6484
Litzlberg,80 5.9.32. Lieber, verehrter Herr Schmitt! Vielen, vielen Dank für Ihren lieben Brief und die Abnahme aller Arbeit. Ich finde Ihre Schrift ausgezeichnet und keiner Abänderung oder Ergänzung bedürftig. Inzwischen sind auch die Erklärungen der Fraktionen eingeganzustimmendes Gutachten erstellt. Gegen das Abkommen lagen Gutachten von Erich Kaufmann, Heinrich Triepel und Walter Simons vor. Vgl. auch Otto, Eigenkirche (wie Anm. 3), S. 112 ff. Gutachten abgedruckt in: Carl Schmitt, Ratifikationen völkerrechtlicher Verträge und innerstaatliche Auswirkungen der Wahrnehmung auswärtiger Gewalt (1929), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1958, S. 124–139. 78 Oybin, Berg und Kurort im Zittauer Gebirge, Schmalspurbahn nach Jacobis Heimatstadt Zittau; die Familie Jacobi besaß dort ein Ferienhaus. 79 Anima Schmitt (1931–1983), geboren am 20. August 1931 in Berlin, Schmitts einzige Tochter. 80 Litzlberg, Ort und Sommerfrische am Attersee, Bezirk Vöcklabruck (Oberösterreich), Jacobis Ferienort 1932.
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gen. Ich glaube eigentlich nicht, daß hierauf eine besondere Entgegnung nötig ist, arbeite aber doch für alle Fälle einen Entwurf aus, den ich Ihnen übermorgen schicken lasse. Natürlich ganz kurz. Ich nehme an, daß wir, wenn Bayern und Baden geantwortet haben, noch einmal in Berlin wegen der Gegenerklärung werden zusammen kommen müssen. Ich werde also diese Antworten noch in Litzlberg abwarten und sie ja zuversichtlich, wie alles Bisherige, hierhergeschickt bekommen. Dann werde ich aber nach Durcharbeitung der Gegenerklärungen, jedenfalls nach Leipzig fahren. Telegraphieren Sie bitte gleichwohl hierher, sowie Sie wissen, wann wir in Berlin zur Vorbesprechung sein müssen. Viele liebe Grüsse und nochmals schönen Dank, auch für das feine Zitat, von Ihrem getreuen Erwin Jacobi
8. Erwin Jacobi an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6485
Professor Dr. Erwin Jacobi Leipzig C1 Strasse des 18. Okt. 17, 16.11.32 Lieber und verehrter Schmitt! Nach einem vergeblichen Telephonanruf heute abend muss ich Ihnen meinen Dank schriftlich zum Ausdruck bringen, der mir auf dem Herzen liegt, seit heute früh die Anweisung auf 10.000 RM eintraf. Ich war erst über die Höhe erschrocken, da ich auf Grund einer früheren Unterredung mit Bilfinger (im Anfang der Sache) die 10.000 als Honorar für uns drei zusammen aufgefaßt habe. Bilfinger, den ich telephonisch sprach, hat mich aber beruhigt, dass das Honorar nicht unangemessen hoch und es nicht notwendig sei, einen Teil gleich an die Hindenburgspende81 zu überweisen, wie ich erst annehmen wollte. Die Steuern werden ohnehin für Kürzung sorgen! Ich mache aber gern jede Aktion mit, die Sie in Richtung einer Abgabe für angezeigt halten. Sehr interessant Triepels richtige Stellungnahme zu dem Verhältnis von 48 Abs. 1 und 2.82 Was sagen Sie zum Aufsatz Jellineks? Meine Frau kann 81
1927 errichtete Stiftung des Reichspräsidenten für Hinterbliebene des Ersten Weltkriegs. 82 Heinrich Triepel, Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs im Verfassungsstreite zwischen Preußen und dem Reich, in: DJZ 37, 1932, S. 1501–1508.
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sich nicht ausschütten vor Lachen über die „Naivität“, die ja wirklich zum Teil rührend ist. Er ist aber doch ein Prachtkerl! Sein Einstehen für Bilfinger ist ganz in unserem Sinne. Bei Ihnen, scheint mir, hat er ein gewisses eigenes Angstgefühl in die Richter projiziert.83 Auf Wiedersehen am 26.!84 Viele herzliche Grüsse von Frau Nora, Rudi und mir an Frau Schmitt, Anima und Sie. Ihr dankbarer Erwin Jacobi
9. Erwin Jacobi an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6486
Leipzig, 7.5.33 Lieber und verehrter Freund Carl Schmitt! Es tut mir bis zu einem gewissen Grade leid, daß ich Sie heute in persönlichem Interesse angehen muß. Wenn ich aber daran denke, wie gerne ich Ihnen im umgekehrten Falle helfen würde, fällt es mir nicht schwer, zu bitten. Ich bin durch § 3 des Gesetzes vom 7.4.33 bedroht. Denn ich bin erst 1916 planmäßiger Professor geworden. Am 1.8.1914 war ich Privatdozent mit kleinem Lehrauftrag und bereits Mitglied einer Prüfungskommission an einem Universitätsinstitut, aber nicht planmässiger Beamter. Allerdings von 1907–1911 Referendar, habe dann den Assessor gemacht, bin aber nicht in den Staatsdienst als Assessor gegangen, sondern habe mich habilitiert. Bei Beginn des Krieges wurde ich [eingeschoben: als Ungedienter] eingezogen, aber als dienstuntauglich bald wieder entlassen. 1916 war ich in Lambersart bei Lille,85 G.K. XIX, aber in Zivil, um dem Sächsischen Kronprinzen Staatsrecht vorzutragen (2 Monate).86 Später wurde ich als Land83 Bezieht sich auf. Jellineks Prozessberichterstattung im „Reichsverwaltungsblatt“. Vgl. Walter Jellinek, Der Leipziger Prozeß, in: RVBl. 53, 1932, S. 901–908 (901); Carl Schmitt sei den Richtern „etwas unheimlich“ gewesen. 84 Am 26. November 1932 gab Franz von Papen ein Frühstück für Schmitt, Jacobi und Bilfinger in der Reichskanzlei; vgl. Schmitt, Tagebuch (wie Anm. 2), 238 f. 85 Lambersart, Vorort von Lille (Departement Nord), deutsches Etappenquartier im Ersten Weltkrieg. 86 Sächsischer Kronprinz: Georg von Sachsen (1893–1943), ältester Sohn des letzten sächsischen Königs Friedrich August III. (1865–1932), seit 1912 Offizier, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, Oberstleutnant, nach 1918 Jesuit und Priester, unter
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sturmmann im Innern verwendet, während des Semesters danach wieder für die inzwischen erhaltene Professur reklamiert. Beide Ausnahmen des § 3 sind also für mich nicht glatt. Am 1. Mai erklärte mir [eingeschoben: ausgerechnet] der Nat. Soz. Kollege,87 der im Ministerium wegen der Säuberung zusammen mit Studenten verhandelt hat, dass ich nichts zu befürchten habe. Sowohl von Seite der Professoren wie von Seite des Führers der National-Sozialistischen Studentenschaft sei man mit Entschiedenheit für mich eingetreten. Der Kollege sagte mir wörtlich, ich hätte die Herzen der Studenten gewonnen. Das war für mich eine ganz tiefe Freude und Genugtuung. Heute erfahre ich, daß von irgend einer [eingeschoben: mir unbekannten] Seite aus der Partei die Frage wieder aufgerollt werden soll. Vom neuen sächsischen Unterrichtsminister Gerullis88 habe ich an sich alles Wohlwollen zu erwarten. Aber er kann doch auch nicht, wie er will. Soeben erfahre ich zudem, daß er den Posten garnicht übernehmen wird. Wer also Unterrichtsminister wird, steht noch offen. Könnten Sie, lieber und verehrter Freund, dafür sorgen, daß durch AVO die Privatdozentur der Beamteneigenschaft gleichgestellt wird, oder in anderer Weise das Damoklesschwert über mir beseitigen? Ich traue Ihnen in dieser Beziehung den nötigen Einblick in die Verhältnisse zu, und dass Sie mich nicht zu denen rechnen, gegen die sich der Sinn des Gesetzes richtet, weiß ich. Am Dienstag soll eine Konferenz der Kultusminister in Berlin stattfinden. Ich grüße Sie und Frau Schmitt sowie Anima von Herzen. Meine Frau würde sich anschließen, wenn sie nicht in Berlin wäre, um meine Schwester89 zu besuchen. nicht ganz geklärten Umständen verstorben (im Groß-Glienicker-See bei Berlin ertrunken). 87 Wahrscheinlich Paul Ritterbusch (1900–1945), ein Schüler Richard Schmidts, seit 1928 zunächst heimlich Nationalsozialist, seit 1929 Privatdozent für Staats- und Völkerrecht in Leipzig, Oktober 1933 Professor Königsberg, später Kiel und Berlin, bedeutender Wissenschaftsorganisator („Aktion Ritterbusch“); zu diesem vgl. Martin Otto, in: NDB 21, 2003, S. 668 ff., Ein gemeinsames Vorgehen von Ritterbusch und Schmitt bestätigen auch die Tagebücher Schmitts (wie Anm. 2), S. 302, Eintrag vom 11. September 1933: „Ritterbusch kam um ½ 4. Mit ihm zur Voßstraße, bei Papen für Jacobi [. . .].“ 88 Georg Gerullis (1888–1945), Sprachwissenschaftler (Baltische Philologie), seit 1922 Professor Leipzig, März bis Mai 1933 sächsischer Kultusminister, parteiloser Konservativer. Jacobi ging zum Zeitpunkt seines Schreibens noch von einer längeren Amtszeit von Gerullis aus. 89 Erna Jacobi, verheiratet mit dem klassischen Archäologen Karl Anton Neugebauer (1886–1945). Der gemeinsame Sohn Erwin Neugebauer, ein Patenkind Er-
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Meine Kollegs halte ich vor überfüllten Hörsälen. Das Statthaltergesetz90 ist schon behandelt. Herzliche Grüße! Ihr Erwin Jacobi
10. Carl Schmitt an Erwin Jacobi LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-13111/1
Preußischer Staatsrat den 18. Juli 1933 Sehr verehrter, lieber Herr Jacobi! Ich bin der Überzeugung, daß Ihre Tätigkeit in dem großen Prozess Preußen – Reich von Juli bis Oktober 1932 Sie in hervorragendem Maße als Beamten bewährt hat.91 Das Deutsche Reich hat sich Ihrer in einem überaus schwierigen und gefährlichen Kampf um die Beseitigung einer marxistischen Regierung bedient; darin liegt für jede nationale deutsche Regierung eine Anerkennung Ihrer nationalen Zuverlässigkeit, die Sie meines Ermessens jedem altbewährten Beamten gleichstellt. Ich bitte Sie, von diesem Schreiben jeden Ihnen geeignet (handschriftlich ergänzt: erscheinenden) Gebrauch zu machen. Mit den besten Grüßen stets Ihr gez Carl Schmitt
win Jacobis, beging 1940 Selbstmord und wurde von dem späteren Berliner Theologieprofessor Helmut Gollwitzer (1908–1993) bestattet; vgl. Helmut Gollwitzer/Eva Bildt, Ich will Dir schnell sagen, daß ich lebe, Liebster. Briefe aus dem Krieg 1940–1945, München 2008, S. 70. Die Familie Neugebauer gehörte zu Martin Niemöllers Gemeinde in Berlin-Dahlem und zur Bekennenden Kirche. 90 Vgl. Carl Schmitt, Das Reichsstatthaltergesetz, Berlin 1933. Das Gesetz, teilweise auch auf Erfahrungen des „Preußenschlages“ zurückgehend, wurde von Carl Schmitt und Johannes Popitz ab April 1933 ausgearbeitet; vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 66), S. 308 ff. 91 Hierzu Ernst Nolte, Carl Schmitt und der Marxismus, in: Der Staat 44, 2005, S. 187–211 (202 f.).
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11. Erwin Jacobi an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6487
Leipzig, am 16. September 1933 Lieber und hochverehrter Carl Schmitt! Während Sie Weltgeschichte machen,92 muss ich Sie in meiner Angelegenheit auch noch mit der Aufklärung eines Mißverständnisses behelligen. Ich komme aber bestimmt nicht wieder! Aus der beiliegenden Abschrift eines Schreibens von Herrn Oberregierungsrat Lange und dem Durchschlag meiner Antwort können Sie alles ersehen. So etwas hat gerade noch gefehlt! Herr von Papen hat mir geschrieben, dass er sich bei Herrn M.93 für mich verwandt habe. Dafür wie überhaupt für Ihr ganzes mannhaftes Eintreten in dieser Angelegenheit danke ich Ihnen von Herzen, mag die Sache ausgehen, wie sie will. Ihr aufrichtig ergebener Erwin Jacobi
12. Erwin Jacobi an Carl Schmitt LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-6488
8. III. 65 Besten Dank für die Übersendung Ihres bedeutenden Aufsatzes.94 Erwin Jacobi [von Carl Schmitt handschriftlich vermerkt:] † 5. April 65
92 Am 15. September 1933 tagte der neue Preußische Staatsrat, dem auch Schmitt angehörte. Vgl. Joachim Lilla, Der Preußische Staatsrat 1921–1933. Ein biographisches Handbuch, Düsseldorf 2005; Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 66), S. 333. 93 Der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann (1879–1947). Papens „Verwenden“ stand wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem Vorgehen von Schmitt und Ritterbusch. 94 Carl Schmitt, Die vollendete Reformation. Bemerkungen und Hinweise zu neuen Leviathan-Interpretationen, in: Der Staat 4, 1965, S. 51–69.
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Materialien 1. Erwin Jacobi, Rezension von: Fritz Stier-Somlo, Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht, Berlin und Leipzig 1924. In: Archiv für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt 2, 1925, S. 76 f.
Schon der vorliegende 1. Band95 des deutschen Reichs- und Landesstaatsrechts von Stier-Somlo verdient eine besondere Empfehlung gerade an den Leserkreis dieser Zeitschrift. Denn der Verfasser gibt hier eine Darstellung des geltenden deutschen Reichsstaatsrechts, die mehr als jedes andere bisher erschienene staatsrechtliche Werk geeignet ist, auch den praktischen Juristen über den gegenwärtigen Stand des deutschen Staatsrechts zu orientieren. Der Verfasser ist mit ausgezeichnetem Erfolg bemüht, nicht nur durch reichhaltige Literaturangaben, sondern durch unmittelbare Darstellung der in der Literatur vertretenen Meinungen den Leser über den Stand jeder einzelnen Frage zu unterrichten und ihm so eine eigene Stellungnahme zu ermöglichen. Dabei ist das Ziel des Verfassers offenbar das der absoluten Vollständigkeit; er geht an keinem Gegenstand vorüber, der irgendwie mit der Weimarer Verfassung und ihren Nebengesetzen zusammenhängt, auch wenn dabei – wie in den Fragen der Grundrechte, der Sozialisierung, Verhältnis von Staat und Kirche, Staat und Schule – andere Rechtsgebiete betreten werden. Jedenfalls steht in dem Buch noch viel mehr, als das etwas zu knapp gehaltene alphabetische Sachverzeichnis angibt. (Für eine künftige Neuausgabe wären in diesem Sachverzeichnis auch mehr Verweisungen erwünscht, z. B. müsste das Stichwort „Reichswehr“, das jetzt fehlt, mit Verweisung auf „Wehrverfassung“ erscheinen.) Dass man bei einer so umfassenden Gesamtdarstellung nicht immer mit der vom Verfasser vertretenen Ansicht gehen kann, ist selbstverständlich. Eine Hervorhebung von Differenzpunkten kann hier um so mehr unterbleiben, als vielfach bei den geschilderten Methoden des Verfassers die Meinungsverschiedenheiten selbst zum Ausdruck gelangen. Die vom Verfasser in seinem Vorwort erbetenen Verbesserungsvorschläge dürften auch nicht im Sinne einer grundrechtlichen Kritik zu verstehen sein. Da will ich denn nicht verschweigen, daß es mir auch bei Berücksichtigung der akademischen Zwecke des Grundrisses zweifelhaft erscheint, ob die in dem ersten Bande enthaltene knappe Behandlung der „Grundfragen und Grundbegriffe des Staatsrechts“, soweit sie auf eine gekürzte und darum vergröberte Wiedergabe der allgemeinen staatsrechtlichen Lehren Georg Jellineks herauskommt, nicht vielleicht durch einen Hinweis auf die Literatur der allgemeinen Staatslehre erreicht werden könnte. Im zweiten 95
Ein angekündigter zweiter Band ist nie erschienen.
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Bande ist der Überblick über die Geschichte des deutschen Staatsrechts dadurch verzerrt, daß der Verfasser in dem Bestreben nach Kürze von der staatrechtlichen Entwicklung der deutschen Länder, in der doch jahrhundertelang die deutsche Verfassungsgeschichte überhaupt nur besteht, so gut wie nichts berichtet. Im dritten Bande endlich gibt das der Behandlung des geltenden Reichsstaatsrechts zugrunde gelegte System bisweilen zu Bedenken Anlaß: Den 1. und 2. Abschnitt (die Entstehung und die Weiterentwicklung der neuen Reichsverfassung – S. 176 übrigens falsche Überschrift!) möchte ich noch zur Staatsrechtsgeschichte im 2. Bande, den 4. Abschnitt (Lehre von den Rechtsquellen) zu den allgemeinen Grundbegriffen im 1. Bande verweisen. Der Behandlung des Ausnahmezustandes unter „Rechtsverordnungen“ (§ 17) erscheint mir ebenso bedenklich, wie die Behandlung der Verwaltungsverordnungen unter „Rechtssetzung“ (§ 96). Wenn der 9. Abschnitt unter „Funktionen“ des Reichs die Formen der Staatstätigkeit begreift, so ist es nicht richtig, daß §§ 84, 90 unter demselben Wort die Zuständigkeiten des Reichspräsidenten und des Reichsrats behandeln. Es ist selbstverständlich, daß diese Einwendungen nichts an dem eingangs abgegebenen Urteil ändern. Das Buch ist die beste Einführung in das geltende Reichsstaatsrecht, die man heute jemandem in die Hand geben kann. Professor Dr. Erwin Jacobi, Leipzig.
2. Heinrich Lange an Erwin Jacobi LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-11989
Sächsisches Ministerium der Volksbildung
Dresden N 6 (Postfach), den 15. Sept. 1933 Carolaplatz 2.
Sehr geehrter Herr Professor! Ich erhielt soeben die Mitteilung, dass Sie Herrn Professor Carl Schmitt und Herrn Privatdozenten Dr. Ritterbusch mitgeteilt haben, ich fordere von beiden in Ihrer Angelegenheit eine Erklärung, dass Sie sich hervorragend bewährt haben und dass Sie für die Zukunft die Gewähr bieten, stets rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten. Ich stelle fest, dass ich eine solche Erklärung nicht gefordert habe, bedaure das Mißverständnis, das ich Ihrer Erregung zuschreibe, und ersuche Sie, auch Ihrerseits bei den genannten Herren eine Richtigstellung herbeizuführen. In vorzüglicher Hochachtung gez. Lange
„Machen Sie mir das Vergnügen und erwähnen Sie die Negerplastik“. Waldemar Gurian – Carl Schmitt. Briefwechsel 1924 bis 1932 Herausgegeben von Ellen Thümmler und Reinhard Mehring1 Vorbemerkung Waldemar Gurian (1902–1954) ist als ein Begründer der vergleichenden Totalitarismusforschung einer der Väter der neueren Politikwissenschaft. Das war ihm nicht an der Wiege gesungen. Es war der politische Ertrag einer kurzen, nur 52 Jahre währenden, expansiven Lebensbahn. Gurian wurde in St. Petersburg geboren und ging mit seiner Mutter und Schwester 1911 im Kindesalter nach Deutschland. Er wurde 1914 katholisch getauft, besuchte in Berlin und Venlo (Niederlande) die Schule und legte 1920 in Düsseldorf sein Abitur ab. Damals wurde er preußischer Staatsbürger. Gurian studierte dann an verschiedenen deutschen Universitäten, u. a. in Köln, München und Breslau, und promovierte 1923 bei Max Scheler mit einer knappen Studie über „Die deutsche Jugendbewegung“. Danach arbeitete er als Journalist bei der Kölnischen Volkszeitung und anderen wichtigen Blättern. Im selben Jahr begegnete er wohl erstmals Carl Schmitt. Wie Gurian selbst in seiner Monographie über die Ideen des französischen Katholizismus2 schrieb, stand er in den Jahren 1924 bis 1926 mit Schmitt im intensiven Kontakt.3 Begegnungen und Briefe greifen aber über diese Jahre hi1 Schmitts Briefe an Gurian wurden von Ellen Thümmler im Nachlass Waldemar Gurians (Washington, Library of Congress) aufgefunden. Vgl. jetzt: Ellen Thümmler, Katholischer Publizist und amerikanischer Politikwissenschaftler. Eine intellektuelle Biografie Waldemar Gurians, Baden-Baden 2011. 2 Waldemar Gurian, Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus 1789/1914, M. Gladbach 1929. 3 Im Vorwort (S. VIII) schreibt Gurian im August 1928: „Herr Professor Carl Schmitt regte die Beschäftigung mit Lamennais an, die zu Studien über die Auseinandersetzung des französischen Katholizismus mit der nachrevolutionären Ordnung geführt hat.“ Gurian publizierte auch: Lamennais, in: Die Schildgenossen 7, 1927, S. 499–517 und 8, 1928, S. 1–23, als Rezension von Gurian 1929 vgl. Bern-
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naus. Carl Schmitt wurde zu einer der prägendsten und wichtigsten Begegnungen. Heinz Hürten, Gurians Biograph, spricht von einer „Hassliebe“4 zu Schmitt. In den Bonner Jahren war der Umgang zweifellos auch für Schmitt anregend und wichtig. Beide begegneten sich auch in – von Alois Dempf5 beschriebenen – katholischen Kreisen der Bonner Universität. Dort trafen sich u. a. der Romanist Hermann Platz und die Theologen Erik Peterson, Wilhelm Nyssen und Karl Eschweiler, Werner Becker, Paul und Alfons Adams, Gottfried Hasenkamp, Franz Kramer und Johannes Kirschweng.6 Gurian verglich Schmitt schon 1926 mit Charles Maurras. Schon damals kam es zu einer Abkühlung und feinen Brüchen im Verhältnis. Gurian blieb aber für Schmitts politische Biographie bedeutsam. Er rückte Schmitt als „säkularisierten Katholiken“7 schon vor 1933 in die Nähe des Faschismus und schrieb nach 1933 aus dem Schweizer Exil gegen den „Kronjuristen“ an. Gurian war darüber entsetzt, dass Schmitt sich aus Zynismus an den „nationalsozialistischen Cäsarismus“8 angepasst habe, und lieferte nationalsozialistischen Kritikern gezielte Argumente für Schmitts Sturz in der Ämterhierarchie. Nachweislich hat die SS seine Artikel für ihr Dossier gegen Schmitt verwendet.9 So wirkte Gurian intentional und effektiv am Sturz mit. In seinen „Deutschen Briefen“ aus Luzern empfahl er zuletzt recht unverblümt Schmitts Verhaftung.10 Schon 1934, nach dem 30. Juni und hard Braubach, Der französische Katholizismus zwischen Staat und Gesellschaft, in: Die Schildgenossen 9, 1929, S. 393–406. 4 Heinz Hürten, Waldemar Gurian. Ein Zeuge der Krise unserer Zeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Mainz 1972, S. 13. 5 Alois Dempf, Fortschrittliche Intelligenz nach dem Ersten Weltkrieg, in: Hochland 61, 1969, S. 234–242. 6 Einen kurzen Überblick gibt Barbara Nichtweiß, Erik Peterson. Neue Sicht auf Leben und Werk, 2. Aufl., Freiburg i. Br. 1994, S. 722 ff. 7 Waldemar Gurian, Der säkularisierte Katholizismus, in: Heiliges Feuer 15, 1927/28, S. 442–448; auf Schmitt anspielend auch Gurian, Charles Maurras, in: Der Gral 21, 1926, S. 236–244; vgl. auch Gurian, Welt und Kirche, in: Abendland 2, 1926/27, S. 362–366. 8 Waldemar Gurian, Um das Ansehen der deutschen Wissenschaft, in: Deutsche Briefe Nr. 39 vom 28.6.1935 (Wiederabdruck in: Heinz Hürten, Hrsg., Deutsche Briefe 1934–1938. Ein Blatt der katholischen Emigration, Mainz 1969, Bd. 1, S. 443). 9 Gurian kommentierte die Artikel des Schwarzen Korps ausführlich: Die NSTreibjagd gegen NS-Kronjuristen Carl Schmitt hat eingesetzt, in: Deutsche Briefe Nr. 116 vom 11.12.1936 und Nr. 117 vom 18.12.1936 (in: Hürten, Hrsg., Deutsche Briefe 1934–1938, Bd. 2, S. 498 f.). 10 Waldemar Gurian, Auf dem Weg in die Emigration oder ins Konzentrationslager?, in: Deutsche Briefe vom 24.12.1936 (in: Hürten, Hrsg., Deutsche Briefe 1934–1938, Bd. 2, S. 510).
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Schmitts Artikel „Der Führer schützt das Recht“, kritisierte er den nationalsozialistischen „Kronjuristen“ als politischen „Opportunisten“ und Dezisionisten. Er begann seinen Artikel geradezu prophetisch: „In seiner Politischen Romantik (1. Aufl. München 1919) hat Carl Schmitt Adam Müllers Wandlungsfähigkeit und Bereitschaft, sich den jeweils Herrschenden zur Verfügung zu stellen, mit schonungsloser Ironie der allgemeinen Verachtung preisgegeben. Wie wird es aber ihm selber ergehen, wenn künftige Historiker sich mit seinem Schaffen und seiner Entwicklung befassen werden? Es wird ihnen sehr leicht fallen, Carl Schmitt gegen Carl Schmitt auszuspielen.“11 Gurian folgte auch in weiteren Artikeln dieser Strategie, den Weimarer Schmitt gegen den „mit zynischer Anpassungsfähigkeit“ ausgestatteten Nationalsozialisten auszuspielen. Diese Anwendung der Romantikkritik auf Schmitt selbst, auch von anderen (Neundörfer 1924/25,12 Kirschweng 1926,13 Sauter 1926,14 Löwith 193515), hat Schmitt besonders getroffen. Denn er wollte, wie Gurian wusste, auf gar keinen Fall als Romantiker betrachtet werden. Auch die zentrale These, dass der „Ordnungsdenker“ doch politischer Dezisionist und Opportunist geblieben sei, zielte diametral gegen Schmitts Selbstverständnis. Gurian suchte polemische Strategien, die bei den Nationalsozialisten wirkten und Schmitt persönlich in seinem Selbstverständnis trafen. Eine umfassende Dokumentation des Verhältnisses ist an dieser Stelle nicht möglich. Hier können nur die erhaltenen Briefe aus den Nachlässen von Gurian (Washington, Library of Congress, Box 1, Folder 13) und Schmitt (Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Standort Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt RW 265) sowie einige einschlägige Artikel abgedruckt werden. Einige signifikante Tagebucheintragungen Schmitts werden 11 Waldemar Gurian (unter dem Pseudonym Paul Müller, Köln), Entscheidung und Ordnung. Zu den Schriften von Carl Schmitt, in: Schweizerische Rundschau 34, 1934/35, S. 566–576, hier: S. 566. 12 Karl Neundörfer (1885–1926), Jurist und katholischer Priester, Politische Form und religiöser Glaube. Eine Bücherbesprechung, in: Schildgenossen 5/6, 1925/26, S. 323–331, hier: S. 325: „Aber so scharf Schmitt auch mit der Romantik ins Gericht geht, in Hinsicht auf das Verhältnis von Religion und Recht bleibt er doch in der Linie, welche die Romantik eingeschlagen hat.“ 13 Johannes Kirschweng (1900–1951), katholischer Schriftsteller und Priester, 1919 Studium der katholischen Theologie und Philosophie am Priesterseminar Trier und an der Universität Bonn, 1924 Priesterweihe: Der Romantiker Carl Schmitt, in: Rhein-Mainische Volkszeitung Nr. 16 vom 21.1.1926. (im Anhang). 14 Johannes Sauter, Antiromantik oder Unromantik?, in: Wiener Reichspost Nr. 66 vom 7.3.1926, S. 22 f. (im Anhang). 15 Karl Löwith (unter Pseudonym Hugo Fiala), Politischer Dezisionismus, in: Revue Internationale de la Théorie du Droit 9, 1935, S. 101–123: „Mit dieser Romantik charakterisiert Schmitt nicht zuletzt auch sich selbst, weil sein eigener Dezisionismus ein okkasioneller ist.“ (S. 104).
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ergänzend berücksichtigt. Ausführlicher werden auch einige Rezensionen zitiert, um die Aufnahme der Romantikkritik als zentrales Thema zwischen Gurian und Schmitt sichtbar zu machen. Schmitts Briefe an Gurian scheinen ziemlich vollständig erhalten zu sein. Gurian trug sie in die Schweiz und die USA. Dort übernahm er im November 1937 eine Professur für Political Science in Notre Dame/Indiana. Von seinen Briefen an Schmitt dagegen sind nur zwei im Nachlass erhalten. Beide waren für Schmitt von vergangenheitspolitischer Bedeutung. Die oft erörterte Frage, ob Schmitt eine Polemik Gurians gegen Hugo Ball direkt instruierte, lässt sich aus den vorliegenden Briefen nicht eindeutig beantworten. Sie belegen eher, dass der Streit mit Ball nur ein erster Vorfall in einer Kette von Vorkommnissen war, die zum Abbruch der Beziehungen und zum persönlichen Zerwürfnis führten. Diese Vorkommnisse sind noch genauer rekonstruierbar. Dazu gehört eine Polemik Gurians gegen Ernst Robert Curtius,16 die in den Briefen keine Erwähnung findet. Schon die erhaltenen Briefe aber bringen mikroanalytische neue Einblicke in die mentorschaftliche Beziehung der Jahre 1924 bis 1926 im Horizont romantikkritischer Sondierung des katholischen Terrains.
16 Waldemar Gurian, Gegen die Diktatur der Zeit. Offener Brief an Ernst Robert Curtius, in: Im Schritt der Zeit, Sonntagsbeilage der Kölnischen Volkszeitung 67, 1926, Nr. 786, S. 1. Gurian warf Curtius vor, in seinen Frankreich-Studien nur ein liberal-relativistischer Kritiker im Dienste des europäischen Geistes, ein Reaktionär ohne Unterscheidungsvermögen zu sein.
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Briefe 1. Am 27. Mai 1924 trifft Schmitt „Gurian mit seiner Frau“ in Bonn zum Kaffee. Aus dieser Zeit datiert ein erster erhaltener Brief.
Heisterbach, 12. Juni 1924. Lieber Herr Dr. Gurian! herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief. Ich sende Ihnen die Zeitungsausschnitte hier zurück. Der Aufsatz über Haecker17 ist keine Speise für mein primitives Gemüt; ich lese Hölderlin lieber in Hölderlins Werken. Ihre Besprechung von Bonsels18 ist vortrefflich. Warum verwirklichen Sie nicht selbst den Plan einer wöchentlichen Literaturkritik? Für die Herzen-Übersetzung19 bin ich Ihnen aufrichtig dankbar. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich bald wieder in Bonn besuchten, wie das letzte Mal und lade Sie mit Ihrer Gattin20 bestens ein. Auf Wiedersehen, stets Ihr Carl Schmitt. 2. Am 28. Juni gibt es ein erneutes Treffen mit Gurian und Frau in Köln, „nette Leute anscheinend“ (TB 28.6.1924). Vermutlich gab Gurian Schmitt damals ein Manuskript mit.
30/6. 24. Lieber Herr Dr. Gurian, mir scheint der Aufsatz21 seitenweise nicht schlecht. Wenn Sie das Recht zu Korrekturen haben, könnten Sie doch leicht etwas daraus machen. Auf Wiedersehen, mittwoch Nachmittag herzlich Ihr Carl Schmitt. 17
Nicht ermittelt. Besprechung unbekannt, wahrscheinlich Waldemar Bonsels (1880–1952), evtl.: Narren und Helden. Aus den Notizen eines Vagabunden, Frankfurt 1923. 19 Alexander Herzen (1812–1870), russischer Schriftsteller; Gurian übersetzte vermutlich: Sistematicˇeskaja chrestomatija, Berlin 1923. 20 Gurian heiratet seine Frau Edith, geb. Schwarzer, aus Breslau im Frühjahr des Jahres. Das Ehepaar wohnte zunächst in Köln, später in Bad Godesberg. 21 Nicht ermittelt. 18
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3. Herrn Dr. W. Gurian Cöln-Deutz Von Sandtplatz 1.22 Lieber Herr Dr. Gurian, vielen Dank für Ihren sehr interessanten Brief23 über Tjutscheff.24 Ich komme erst Donnerstag (übermorgen) nach Cöln zum Examen, werde aber wohl bis nach 4 Uhr in Anspruch genommen sein und bin um 5 Uhr bei Deis (am Rathaus).25 Wenn Sie gut Zeit haben erwarte ich Sie dort (mein Bruder26 wird wahrscheinlich auch da sein, vielleicht noch ein Bekannter), sonst ein anderesmal. Beste Grüße an Ihre Frau und an Sie von Ihrem Carl Schmitt. 15.7.24. 4. Bonn, 25. Juli [1924]27 Endenicher Allee 20 Lieber Herr Dr. Gurian! Samstag habe ich in Köln Referendarexamen, haben Sie vielleicht Nachmittags Zeit? Wir könnten zusammen Kaffee trinken und einen Nachmittag für nächste Woche verabreden. 22
Von-Sandt-Platz, Köln-Deutz, Nähe Hohenzollernbrücke und Messe. Fehlt. 24 Fjodor Iwanowitsch Tjutc ˇ ev (1803–1873), Diplomat und Lyriker, lebte vor 1848 lange in München auch in Romantikerkreisen, 1921 und 1923 erschienen Sammlungen seiner Werke. 25 Weinhaus Deis, Köln-Altstadt, Unter Goldschmied; ins Tagebuch notiert Schmitt: mit „Gurian, [Alois] Dempf und Jup bei Deis“ (TB 17.7.1924). Alois Dempf (1891–1982), katholischer Philosoph, Studium der Philosophie und Medizin, 1921 Promotion in München über den „Wertgedanken der aristotelischen Philosophie und Ethik“, 1926 Habilitation in Bonn, Mitarbeit beim „Abendland“, 1937 Professur in Wien, 1938 Verlust der Lehrbefugnis, nach 1945 Wiederaufnahme der Professur und Wechsel nach München 1948. 26 Joseph (Jupp) Schmitt, jüngerer Bruder von Carl. 27 Jahresangabe Gurian. 23
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Das Examen dauert etwa bis 3 oder ½ 4; wenn es Ihnen Recht ist, geben Sie bitte telefonisch Nachricht an das Oberlandesgericht (Pförtner),28 wo Sie um 4 Uhr zu treffen sind. Herzlichst Ihr Carl Schmitt. In Eile! 5. [Ansichtkarte Bergpanorama Oberstdorf]29
Herrn Dr. Waldemar Gurian Köln-Deutz von Sandtplatz 1 (oder Straße) 17/8 24. Lieber Herr Dr. Gurian! Für Ihre mir sehr lesenswerte Schrift über die Jugendbewegung30 und für das schöne Buch von Wittig31 danke ich Ihnen herzlich. Ich habe jetzt Zeit beides zu lesen. Ihre Pläne und Entschlüsse für die Zukunft interessieren mich sehr, ich wünsche Ihnen alles Gute und zweifle nicht an einem guten Ausgang. Soviel an mir liegt, trage ich gern dazu bei. Beste Grüße Ihnen und Ihrer verehrten Gattin. Stets Ihr ergebener Carl Schmitt. [Rand:] Abs. Prof. Schmitt/z. Zt. München, Theresienstr. 3c Duncker & Humblot Am gleichen Tag trifft Schmitt in München den Hochland-Herausgeber Karl Muth und verspricht ihm ein geplantes Vorwort zur zweiten Auflage der „Politischen Romantik“ zum separaten Abdruck. Er bringt dann Dusˇka Todorovic´ in die Schweiz zur Kur. In Lugano holt ihn Hugo Ball am 19. August vom Bahnhof ab. Bis zum 9. September bleibt Schmitt in Lugano und begegnet Ball in dieser Zeit wiederholt. Am 17. September kehrt er nach Bonn zurück. 28
Schmitt musste in seiner Bonner Zeit ständig Staatsexamina am Oberlandesgericht Köln (Reichenspergerplatz) abnehmen. 29 Luftkurort im Allgäu. 30 Waldemar Gurian, Die deutsche Jugendbewegung. Versuch einer systematischen Analyse ihres Wesens und ihrer einzelnen Formen, Diss. Köln 1923, Habelschwerdt 1923. 31 Joseph Wittig (1879–1949), 1909 PD für Kirchengeschichte, Breslau, seit 1911 Prof., Wendung zur Kirchenkritik und religiösen Dichtung, Hochlandautor, Konflikt mit der Anstaltskirche; mehrere Bücher Wittigs aus diesen Jahren kämen in Betracht.
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6. [Karte Oberhofen am Thunersee]
Deutschland Herrn Dr. Waldemar Gurian Köln-Deutz (Rhein) von Sandtplatz 1. Lugano, 6. Sept. 1924 Lieber Herr Dr. Gurian! Ich danke Ihnen herzlich für Ihren freundlichen Brief,32 der mir über mehrere Stationen hierher nachgesandt wurde. Nächste Woche gedenke ich nach Deutschland zurückzukehren und etwa 20. September wieder in Bonn zu sein. Es wäre für mich eine aufrichtige Freude, wenn wir uns noch im September treffen könnten, vielleicht machen Sie an meine Bonner Adresse einen Vorschlag, da Sie nicht so frei über Ihre Zeit verfügen können, wie ich in diesen Wochen über meine. Beste Grüße an Sie und Ihre verehrte Gattin von Ihrem ergebenen Carl Schmitt. 7. Bonn, den 19. September 1924 Lieber Herr Dr. Gurian! besten Dank für Ihren freundlichen Brief. Die Zeitungsausschnitte, die Sie mir so liebenswürdig übersenden, interessieren mich außerordentlich, am meisten natürlich Ihr Aufsatz über die russische Revolution als Ausdruck des russischen Wesens,33 den ich für eine hervorragende Leistung halte. Was den Aufsatz von Thormann34 angeht, so fühle ich wohl seine Antipa32
Fehlt. Waldemar Gurian, Die russische Revolution als Ausdruck des russischen Wesens, in: Orplid. Literarische Monatsschrift in Sonderheften, hrsg. von Martin Kockenbach, Jg. 1, Heft 11: Völkische Erneuerung, Leipzig und Köln 1925, S. 47–52; auch veröffentlicht in: Augsburger Postzeitung, Sonntagsbeilage Nr. 36 vom 6.9.1924. 34 Werner Thormann, Katholizismus und Romantik, in: Augsburger Postzeitung Nr. 206 vom 6.9.191924, S. 1–3; vgl. auch ders., Friedrich Schlegels Concordia. Eine Studie zur Weltanschauung der Spätromantik, Diss. Frankfurt 1920; Druckfassung: Prophetische Romantik, 2. Aufl., Wiesbaden 1924; Thormann (1894–1947), war ein linkskatholischer Journalist, von 1923 bis 1933 Redakteur der Rhein-Mainischen Volkszeitung, 1933 Emigration nach Frankreich. 33
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thie gegen mich, fühle aber nicht den Beruf, sie zu teilen. Ich habe übrigens in den Ferien ein längeres Vorwort zur 2. Auflage der Politischen Romantik entworfen, das im Novemberheft das Hochland35 eröffnen soll. Die Äußerung von Pohl36 über meinen Jenenser Vortrag ist mir beruflich interessant. Am 6. September war nämlich die Nummer der deutschen Juristenzeitung schon erschienen, in welcher der hervorragendste Wortführer der in Jena mich ablehnenden Mehrheit, Geheimrat Thoma, Heidelberg, offen erklärt: „Seitdem die Referate im Druck vorliegen, kann ich mich dem Gewicht ihrer Beweisgründe nicht mehr entziehen.“37 Auch auf dem Juristentag in Heidelberg38 ging man von der Richtigkeit meiner Thesen aus; was in Jena „herrschende Ansicht“ war, ist es heute nicht mehr. Ich würde gern an einem Nachmittag der nächsten Woche nach Köln kommen, vielleicht ¼ nach 4 dort Trankgasse39 eintreffen, mit Ihnen und Ihrer Gattin vielleicht bei Eigel40 Kaffee trinken und einen Spaziergang durch die alte Stadt machen, nach der ich mich seit langem sehne. Bitte geben Sie mir Nachricht, ob Ihnen Dienstag oder Mittwoch nachmittag Recht wäre. Auf Wiedersehn, lieber Dr. Gurian, herzliche Grüße Ihnen und Ihrer verehrten Frau. Stets Ihr Carl Schmitt. Am 23. September fährt Schmitt „nachmittags nach Köln, Gurian und Mirgeler41 getroffen“ (TB 23.9.1924).
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Carl Schmitt, Romantik, in: Hochland 22, 1924, S. 157–171. Als Vorwort wieder abgedruckt in Carl Schmitt, Politische Romantik, 2. Aufl., München 1925. 36 Johann Heinrich Pohl (1883–1931), Völkerrechtler, 1910 PD, 1912 ao. Prof. Greifswald, o. Prof. 1919 Rostock, 1920 Tübingen, 1929 Breslau; gemeint ist Heinrich Pohl, Staatsrechtsprobleme. Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer hielt ihre zweite Tagung am 14. und 15. April 1924 zu Jena ab (Tagungsbericht), in: Hochland 22, 1924/25, S. 245–248, hier etwa 248: „Die von Schmitt und Jacobi vertretene Grundauffassung von der Bedeutung des Artikels 48 Absatz 2–4 wurde von den meisten in Jena versammelten Staatsrechtslehrern abgelehnt.“ 37 Richard Thoma (1874–1957), Die Regelung der Diktaturgewalt, in: DJZ 29, 1924, Sp. 654–660, hier: Sp. 657: „Ich bin in der [Jenaer] Diskussion, wiewohl unter Vorbehalt, der neuen Lehre i. S. der herrschenden Meinung entgegengetreten. Seitdem mir aber jetzt diese scharfsinnigen Vorträge [neben Schmitt auch Erwin Jacobi] im Druck vorliegen, kann ich mich dem Gewicht ihrer Beweisgründe nicht mehr entziehen. Zum mindesten ist die Kritik an der herrschenden Lehre siegreich.“ 38 33. Deutscher Juristentag 11.–13. September 1924. 39 Köln, direkt am Hauptbahnhof. 40 Traditionscafé, seit 1851 Brückenstr. 1–3.
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8. Herrn Dr. W. Gurian Köln-Deutz v. Sandplatz 1. Lieber Herr Dr. Gurian! diese Woche lag ich krank zu Bett. Wollen wir uns Dienstag Nachmittag in Cöln treffen, wieder 4 ¼? Vielleicht können Sie es einrichten, ich bin jedenfalls an der Trankgasse. Besten Dank für Ihren Brief!42 Wegen des Briefes an Prof. Muth43 möchte ich noch überlegen. Herzliche Grüße an Sie und Ihre verehrte Gattin. Stets Ihr Carl Schmitt. 4/10 24.
9. Herrn Dr. Waldemar Gurian Köln-Deutz vom Sandplatz 1. 15/10 24. Lieber Herr Dr. Gurian! Freitag bin ich in Köln zum Examen. Wenn Sie nachmittags Zeit haben, könnten wir uns vielleicht um ½ 5 bei Eigel treffen? Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer verehrten Gattin Stets Ihr Carl Schmitt 41 Albert Mirgeler (1901–1979), kathol. Historiker und Publizist, promovierte 1929 bei Hans Freyer: Kettelers Begriff des deutschen Katholiken, Diss. phil., Leipzig 1929. 42 Fehlt. 43 Karl Muth (1867–1944), Herausgeber des Hochland; dazu vgl. Piet Tommissen (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Carl Muth und Carl Schmitt, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1998, S. 125–159; Briefe von Schmitt an Muth sind vom Sommer 1924 bis zum März 1926 nicht übermittelt. Schmitt traf Muth aber in dieser Zeit wiederholt in München. Der erwähnte Brief könnte sich etwa auf den vereinbarten Romantik-Beitrag oder, wahrscheinlicher, auf eine evtl. Empfehlung Gurians an die Zeitschrift beziehen.
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10. Herrn Dr. Waldemar Gurian Köln=Deutz v. Sandplatz 1. Lieber Herr Dr. Gurian! in dem Oktoberheft des Neuen Merkur44 fand ich S. 55 ff. wieder eine seitenlange Anspielung auf meine Arbeiten, Donoso Cortes, Dezision etc. ohne daß sie den Namen nennt; diesmal ist Willy Haas45 der Autor. Was soll man dazu sagen? Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer verehrten Gattin! Stets Ihr Carl Schmitt 23/10 24.
11. Herrn Dr. Waldemar Gurian Köln= v. Sandplatz 1. 28/10 24. Lieber Herr Dr. Gurian! besten Dank für Ihre Briefe! Morgen (Mittwoch) nachmittag komme ich nach Cöln, ich fahre 4 Uhr von Bonn ab und bin etwa ¼ 5 Trankgasse. Wenn Sie Zeit haben, mich zu treffen, möchte ich Sie darum bitten, wenn Ihre Gattin sich anschließen will, so wäre das ein Zeichen besonderer Freundlichkeit. 44 Willy Haas, Stimmen zur Erneuerung des deutschen Menschen. Eine Diskussion, in: Der Neue Merkur. Monatshefte 8, 1924/25, S. 55–68; Haas inszeniert ausgehend von Cortes’ Absage an die „Clasa dicutidora“ eine imaginäre Diskussion radikaler Jugend zur ausdrücklichen „Kritik“ (S. 68) der „deutschvölkischen und nationalsozialen Bewegung“. 45 Willy Haas (1891–1973), bedeutender Publizist, aus den Kreisen von Franz Kafka und Max Brod, nach 1918 in Berlin, begründete 1925 die Wochenzeitung „Die literarische Welt“; 1933 Emigration, 1948 Rückkehr nach Hamburg, Mitarbeiter der „Welt“.
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Auf Wiedersehen, herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt Am nächsten Tag notiert Schmitt ins Tagebuch (29.10.1924): „Gurian, den ich erwartet hatte, war nicht da.“ Die nächsten Wochen trifft er Gurian dann aber sehr häufig, teils täglich, auch mit anderen Schülern wie Werner Becker zusammen. Am 1. Januar 1925 erscheint in der Kölnischen Volkszeitung Gurians lange Besprechung der (Carl Schmitt gewidmeten) Dissertation von Kathleen Murray über „Taine und die englische Romantik“.46 Murray war 1921/22 eine Geliebte Schmitts gewesen und die Dissertation trägt Züge einer Koautorschaft. Es ist davon auszugehen, dass Schmitt Gurian auf Murrays Buch hinwies, ohne von seinem persönlichen Verhältnis zu sprechen.
12. Bonn, den 15. November 1924 Lieber Herr Dr. Gurian! Ich erhielt soeben eine Sendung mehrerer Nummern der RMZ,47 die mich sehr erfreute, besonders wegen Ihres Aufsatzes über Scheler48 und Wittig. Herr Mirgeler schrieb mir von Breslau, wo er bei Prof. Rosenstock49 wohnt und bittet mich, Sie zu veranlassen, ihm einmal Nachricht zu geben. Von einem der besten Literaturhistoriker,50 die ich kenne, der außerdem gerade die mystische Literatur großartig überblickt, bekam ich heute folgende Äußerung über den „mystischen Honigheim“:51 Der Beruf eines im 46
Waldemar Gurian, Rezension von Kathleen Murray, Taine und die englische Romantik, München 1924, in: Literarische Beilage der Kölnischen Volkszeitung Nr. 1 vom 1. Januar 1925. 47 Rhein-Mainische Volkszeitung. 48 Veröffentlichung in der Rhein-Mainischen Volkszeitung nicht ermittelt. Aber: Gurian, Joseph Wittig und Max Scheler. Ein Vergleich, in: Germania Nr. 494 vom 13.11.1924, Gurian kritisierte darin Schelers Abkehr vom katholischen Glauben. Max Scheler (1874–1928), Soziologe und Philosoph, 1921 Professur an der Universität Köln, Mitbegründer einer katholischen Erneuerungsbewegung. 49 Eugen Rosenstock (1888–1973), Soziologe und Rechtshistoriker, 1910 Diss., 1912 PD Leipzig, 1923 Professur in Breslau, Freundschaft mit Joseph Wittig, 1933 Emigration nach New Hampshire, USA. 50 Nicht ermittelt. 51 Paul Honigsheim (1885–1963), Soziologe aus dem Weber-Kreis, seit 1919 PD in Köln, Leiter der Kölner Volkshochschule, ab 1927 Prof. für Philosophie in Köln, 1933 Emigration; gemeint ist: Paul Honigsheim, Soziologie der Mystik, in: Versuche zu einer Soziologie des Wissens, hrsg. von Max Scheler, München 1924, S. 323–346.
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Textilgewerbe tätigen Menschen (S. 335)52 würde durch Inbeziehung-Setzen zum Autor auf magischem Wege das soziologisch-zweckmäßige Resultat erzielen: den Strick zum Aufhängen. So wäre die über = irdische Haltung dokumentiert, wie auch mit allen „Formen übersättigten Sozialtriebes als Ursachen der Entfaltung von Mystik“ (337)53 die stilgemäße und endgültige „Verknüpfung“ hergestellt. Das Urteil über H. lautet: „Ich habe noch nie etwas so schamlos-Inferiores gelesen.“ – Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Arbeit und sende Ihnen und Ihrer verehrten Gattin herzliche Grüße. Stets Ihr Carl Schmitt. 13. [Ansichtskarte Kulm Hotel Mte. Brè]
Deutschland Herrn Dr. W. Gurian und Frau Godesberg am Rhein Victoriastr. 13. Mit allen guten Wünschen für das Neue Jahr Ihr Carl Schmitt 27/12 24.
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Zitat Honigsheim: „Innerhalb dieses Bevölkerungsteiles aber bietet wiederum der Beruf eines im Textilgewerbes tätigen Menschen den unter sonst gleichen Bedingungen günstigsten Boden für Verbreitung und Zähigkeit im Festhalten der einmal erfassten Mystik.“ (S. 335). 53 Honigsheim spricht S. 336 von „Formen unbefriedigten Sexualtriebes als Förderungsmöglichkeiten der Mystik“.
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Waldemar Gurian / Carl Schmitt
14. Herrn Dr. Waldemar Gurian Godesberg Victoriastr. 13. Lieber Herr Dr. Gurian! bei unserer Verabredung habe ich vergessen, daß ich morgen (Samstag) nachmittag ½ 4 schon mit Prof. Beyerhaus54 zusammenzukommen versprochen habe; also geht es diesmal nicht; schade. Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer verehrten Gattin von Ihrem Carl Schmitt. 9/1 25.
15. Herrn Dr. Waldemar Gurian Godesberg Viktoriastr. 13. Lieber Herr Dr. Gurian, morgen (Sonntag) nachmittag komme ich etwa um 3 oder 4 nach Godesberg, mit Prof. Neuss.55 Ich will dann versuchen, bei Ihnen vorzusprechen, vielleicht kann ich dann die Krippe56 doch noch sehn. Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer Gattin, stets Ihr Carl Schmitt. 10/1 25.
54 Gisbert Beyerhaus (1882–1960), Historiker, Schüler von Aloys Schulte, 1920 PD Bonn, 1926 ao. Prof. Bonn, 1932 Ordinarius für Mittlere und neuere Geschichte Breslau, 1947 Gastprofessor Münster. 55 Wilhelm Neuss (1880–1965), Kirchenhistoriker, katholischer Priester, 1911 Diss., 1913 PD Bonn, seit 1917 dort Prof., ab 1920 o. Prof. für Kirchengeschichte Bonn, ab 1927 o. Prof. für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit und Geschichte der christlichen Kunst. 56 Weihnachtskrippe.
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16. Herrn Dr. Waldemar Gurian Godesberg Viktoriastr. 13. 24/1 25 Lieber Herr Dr. Gurian! gestern Mittag habe ich Sie plötzlich nicht mehr gesehen, ich hätte Sie gerne mit Prof. Kaufmann57 bekannt gemacht. Nun, ein anderes Mal. Heute morgen las ich Ihre Besprechung des Röm. Kath.58 Die Besprechung von Steffes59 im Lit. Handweiser60 habe ich gesehen. Am gleichen Morgen (gestern) war in der KV61 ein Aufsatz Kath. Literatur erschienen, dessen Schluß (der Künstler als Priester) ganz aus meinem Romantik-Vorwort ist. Das nennt man also negativ und zersetzend.62 Über den F. Thompson-Aufsatz63 von Paul Adams64 wird sich Dr. Rick65 sehr ärgern. Das hindert 57 Erich Kaufmann (1880–1972), Staats- und Völkerrechtler, 1903 Diss., 1908 PD Kiel, 1912 Prof. Kiel, 1913 Königsberg, 1917 Bonn, 1927 Berlin, 1934 Entlassung, 1938 Flucht nach Holland, ab 1947 o. Prof. in München; Kaufmann war ein enger Bonner Kollege Schmitts; seit Mitte der 20er Jahre war das Verhältnis aber stark belastet, später sind beide verfeindet. 58 Besprechung der ersten Auflage von „Römischer Katholizismus und politische Form“, Hellerau 1923: Gurian, Die Zeit im Buch, in: Kölnische Volkszeitung, Sonntagsbeilage Im Schritt der Zeit Nr. 62 vom 25.1.1925, S. 2 f. (im Anhang). 59 Johann Peter Steffes (1883–1955), kathol. Priester, 1920 PD Münster, ab 1921 Prof. in Frankfurt, Göttingen und Nijmegen, ab 1927 Münster. 60 Heinrich Klinkenberg, Besprechung von Johann Peter Steffes, Die Staatsauffassung der Moderne, Freiburg 1925, in: Literarischer Handweiser. Kritische Monatsschrift, hrsg. Gustav Keckeis 1, 1925, Heft 1, S. 37–38. Dort heißt es S. 38: „Gegenüber der negativen und zersetzenden Kritik, die C. Schmitt-Dorotic in seiner ‚Politischen Romantik‘ übt, berührt hier das sachlich-klare und ruhige Urteil von Steffens angenehm.“ 61 L. S. [unbekannt]: Vom Wesen katholischer Literatur, in: Kölnische Volkszeitung Nr. 59 vom 23.1.1925, S. 2. Morgenausgabe, S. 1. Darin heißt es: „Die nichtkatholische Literatur ist gekennzeichnet dadurch, 1. daß die Kunst im modernen Weltbilde seit Klopstock an die Stelle der Kirche getreten ist. Der Künstler schon als Künstler ist Priester; 2. der Künstler ist autonomer Gestalter und Richter seiner Probleme. Innerhalb der katholischen Literatur lassen sich nun verschiedene Stufen finden.“ (S. 1). 62 Wörtl. Anspielung auf die Besprechung von Klinkenberg. 63 Francis Thompson (1859–1907), religiöser Dichter. 64 Paul Adams, Ueber Francis Thompson, in: Kölnische Volkszeitung, Sonntagsbeilage Im Schritt der Zeit Nr. 62 vom 25.1.1925. Paul Adams (1894–1961), 1925 Promotion über den Dichter Christian Dietrich Grabbe, 1928 bis 1934 Journalist bei der „Germania“, besonders Theaterkritiken in der Beilage „Das Neue Ufer“.
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nicht, daß der Aufsatz sehr schön ist. Auf Wiedersehn. Herzliche Grüße an Ihre verehrte Gattin. Stets Ihr ergebener Carl Schmitt [Auf der Vorderseite der Karte schreibt Schmitt unter dem Absender:] Hat der Verlag Hegner ein Expl. der Besprechung66 erhalten?
17. Bonn, den 6. Februar 1925. Lieber Herr Dr. Gurian! besten Dank für den interessanten Aufsatz,67 den mir Ihre Gattin liebenswürdiger Weise überbrachte und den ich hiermit zurückgebe. Der faszinierende Titel hat meine dialektischen Neigungen allzusehr gereizt, als daß ich das Ganze für vollendet halten könnte. Aber ich glaube, daß er für andere Leser dafür um so besser wirkt. Wenn ich mir eine Anregung erlauben darf, so ist es folgendes: Der Satz mit dem Wort Okkasionalismus stößt den Biedermann ab, lassen Sie es bitte ganz aus dem Spiel, es geht nämlich auch ohne diesen Satz ganz glatt weiter. Dann: Die Ästhetisierung ist Folge, nicht Wesen der Romantik; hier müssen Sie einem Scholastiker einige Pedanterie gestatten. Ferner: Vielleicht sagt man bei Eichendorff und Görres, daß sie nicht wesentlich Romantiker war[en]; ich fürchte, das wird der Bürgersmann (und nun gar die Bürgersfrau) nicht recht einsehen. Besonders Seite 4 beginnt man vielleicht am besten mit der Zustimmung: erst ist der Romantiker in der ästhetischen Sphäre, hier ist dann alles entzückend, und wir sind mit allen einig; und dann erst den Gegensatz: Die Auflösung der sachlichen Echtheit. Wollen Sie das Wort moralisch vermeiden? Es ist als Gegensatz zum Ästhetischen doch prägnant. – Und schließlich: Machen Sie mir das Vergnügen und erwähnen Sie die Negerplastik,68 neben Buddhismus, Laotseismus,69 Dadaismus (Vielleicht S. 8, unten). Der Schluß fehlt wohl noch. So wie er da steht, scheint der ganze Artikel geschrieben zu 65 Dr. Karl Rick, geb. 1882 in Siegburg, Diss. 1905, seit 1908 Lehrer am Städt. Gymnasium Bonn, zum Oktober 1924 Wechsel als Studienrat zum Kaiser-WilhelmsGymnasium Aachen, von 1926 bis 1943 dort auch Lektor für Englisch an der Technischen Hochschule Aachen, seit 1933 NSDAP, seit 1939 Schulleiter in Aachen; Rick stand in Bonn mit Schmitt in engerer Verbindung. 66 Gurians Besprechung der ersten Auflage von Schmitts Katholizismus-Broschüre (Anhang). 67 Nicht ermittelt. 68 Anspielung auf damalige Idole der modernen Kunst. Dazu vgl. Carl Einstein, Negerplastik, Leipzig 1915. 69 Laotse.
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sein, um zu beweisen, daß E. u. G.70 keine Romantiker sind. Das ist aber kein Thema für einen kleinen Artikel und zweitens doch nur beiläufig gesagt. Ich habe mir überlegt, ob man den Künstler-Kult nicht etwas illustrieren könnte unter Hinweis auf Richard Wagner. Diese Zeiten sind allerdings vorbei. Ich halte übrigens (zu S. 9) die Zeit Louis Philipps71 für ebenso ideal wie die von 1800–1830. Denken Sie nur an Chopin, die Sand, Musset, den jungen Victor Hugo, Liszt und dies ganze Theater. Immerhin, wer kennt das in Deutschland. Wir haben ja immer eigentlich nur National=Liberalismus gehabt und Richard Wagner gehört dahin, samt seinem von Muckermann72 gepriesenen Weih=Schau=Sing=Bühnen=Mysterium. Auf Wiedersehen, lieber Herr Dr. Gurian. Ich wünsche Ihnen baldige Besserung Ihres Befindens und grüße Sie und Ihre Gattin herzlich. Stets Ihr ergebener Carl Schmitt. 18. Bonn, den 16. Februar 1925 Lieber Herr Dr. Gurian! leider konnte ich gestern nicht nach Godesberg kommen, auch die übrigen Tage dieser Woche wird es nicht gehen. Ich schicke Ihnen Rosanow73 heute durch die Buchhandlung Cohen.74 70
Eichendorff und Görres. Louis Philippe I (1773–1850), der „Bürgerkönig“, von 1830 bis 1848 der letzte französische König. 72 Friedrich Muckermann (1883–1946), Jesuit, Publizist, 1926 bis 1931 Herausgeber der katholischen Literaturzeitschrift „Gral“, 1934 Emigration; dazu vgl. Hubert Gruber, Friedrich Muckermann S. J. 1883–1946. Ein katholischer Publizist in der Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist, Mainz 1993. 73 Vermutl. Vassiliy V. Rozanov (1856–1919), Dostojewski und seine Legende vom Großinquisitor, Berlin 1924; Gurian ordnete Rozanov in einer Literaturbesprechung wie folgt ein: „Als zwei besonders bedeutsame Vertreter dieser neuen philosophischen Bewegung in Rußland wären zu nennen: Wassily Rosanow (1856–1918) und N. Berdjajew. Rosanows wichtigstes Werk heißt Der Sinn des Lebens. Er gilt ‚als der originellste Geist der russischen Literatur in den letzten Jahrzehnten‘. In die religions-philosophische Bewegung, die mit Dostojewski und Solowjew anhebt, und in Rosanow gipfelt, gehört auch Nikolai Berdjajew.“, Waldemar Gurian, N. Berdjajew, Die Weltanschauung Dostojewskis, in: Literarische Blätter der Kölnischen Volkszeitung Nr. 5 vom 29.1.1925, S. 6 f. 74 Verlagsbuchhandlung Cohen in Bonn seit 1828, seit 1938 unter dem Namen Bouvier weitergeführt. 71
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Über den Brief von Ball75 habe ich mich etwas gewundert. Sie scheinen bei ihm einen sensiblen Punkt getroffen zu haben.76 Widerlegen Sie den Vorwurf durch ein schönes, gründliches Buch! 75 Ball schrieb am 11. Februar 1925 aus Rom an Gurian: „Sehr geehrter Herr Dr. Gurian,/erst seit wenigen Tagen weiss ich, dass die Besprechung, die Sie mir zu schicken wagten, in der ‚Kölnischen Volkszeitung‘ erschienen ist./Da Sie mir die Besprechung eingeschrieben, wenn auch ohne Begleitbrief zugehen liessen, wünschen Sie offenbar eine Antwort. Hier ist sie:/aufgrund welcher Leistungen und welchen Passes erlaubt man Ihnen, in einer der ersten katholischen Zeitungen Deutschlands 8 Spalten über ein Buch zu schreiben, das ‚Die Folgen der Reformation‘ betitelt ist?/Wenn Herr Prof. Schmitt mich recht unterrichtet hat, sind Sie ein junger Herr aus seinem Seminar, und nicht einmal ein Deutscher, sondern Russe./Ein Gefühl für Schicklichkeit und Verantwortung (Sie sprechen von solchen Gefühlen) müsste Ihnen verbieten, an der Beurteilung deutscher Neuerscheinungen überhaupt mitzuarbeiten./Das ist es, was ich zu Ihrer Besprechung zu sagen habe./In Ergebenheit/Hugo Ball“ (in: Hugo Ball, Briefe 1904–1927, in: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 10/2, Göttingen 2003, S. 119. Der Brief ist im Nachlass Waldemar Gurians enthalten (Library of Congress, Washington, D. C., Box 4, Folder 1). In diesen Wochen schreibt Schmitt u. a. auch Carl Muth, Hermann Hesse und Ludwig Feuchtwanger in Sachen Gurian/Schmitt. Parallel zum Brief an Gurian schreibt Ball am 11. Februar auch an Schmitt. In diesem nicht abgeschickten Brief heißt es u. a.: „Nun ist vor kurzem das Buch erschienen und in einer tonangebenden katholischen Zeitung erscheint (als erste Besprechung, so eilig hatte man’s) eine Rezension von Dr. Gurian, die nicht nur für mein Buch, sondern auch für mich selbst vernichtend ist. Dr. Gurian ist ein unbedeutender junger Mann, das sehe ich aus Sätzen, die er bei anderer Gelegenheit geschrieben hat. Aber Dr. Gurian ist, wie Sie mir selbst einmal mitteilten, Schüler Ihres Seminars und ich darf ruhig annehmen, Ihr bevorzugter Schüler. Dass seine Rezension keinen Anspruch auf Selbstständigkeit erheben kann, geht (freilich nur privatim für mich) daraus hervor, dass sie Fakten und Meinungen enthält, die auf Ihre Gespräche mit mir in Lugano zurückgehen. Sagen Sie mir, verehrter Herr Professor, was soll ich von all dem halten? Denn nicht wahr, es ist doch so, dass Sie seit Monaten mit mir in vertraulicher Korrespondenz stehen?“ (ebd., S. 120 f.); Schmitt und Ball korrespondierten 1924 häufiger miteinander. Schmitt traf Ball im August 1924 in der Schweiz und suchte ihm eine Publikation der „Folgen der Reformation“ auszureden. Noch im Januar 1925 rechnete Ball mit einer positiven Unterstützung durch Schmitt. Am 5. Januar schrieb er an Schmitt: „Herrn Dr. Gurian danke ich sehr für sein freundliches Interesse. Treffen Sie wohl einmal mit ihm zusammen oder gehört er gar zu Ihrem Seminar? Darf ich Sie in diesem Falle bitten, ihm einen Gruss zu vermitteln?“ (ebd., S. 102) Noch am 27. Januar schrieb er: „Sie versprachen mir eine Rezension der ‚Volkszeitung‘. War es das Beiliegende, oder ist sonst noch etwas erschienen? Es interessiert mich wirklich, weil es doch die führende katholische Zeitung ist.“ (ebd., S. 110). 76 Gurians Besprechung von Hugo Ball, Die Folgen der Reformation, München 1924, in: Literarische Beilage der Kölnischen Volkszeitung Nr. 2 vom 8.1.1925, S. 6. Darin heißt es u. a.: „Um so bedauernswerter ist es, daß Hugo Ball mit seinem neuesten Werk auf ein sehr tiefes Niveau der Streitschriftenliteratur herabgestiegen ist. In diesen vier Kapiteln der Folgen der Reformation erkennt man fast nichts mehr wieder von der vornehmen und friedlichen Art des ausgezeichneten Schweizer Schriftstellers. Stellenweise lesen sich diese vier Kapitel, denen man es ansieht, daß
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Ich sende Ihnen beiliegende Anfrage der Dioskuren.77 Hätten Sie nicht L[ust, da]s zu machen? Man bezahlt, wie mir Braubach78 sagt, sehr anständig. Hoffentlich geht es Ihnen gesundheitlich besser. Stehen Sie aber nicht zu früh auf! Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer verehrten Gattin von Ihrem Carl Schmitt. Gurian hatte Balls Buch „Byzantinisches Christentum“ zuvor positiv besprochen79 und schrieb später auch ein würdigendes Nachwort zum Tode Balls in der Kölnischen Volkszeitung80 und auch ein Vorwort zur Wiederauflage des Buches „Byzantinisches Christentum“,81 das auch Schmitt schätzte.
sie unter den Hitzegraden der Kriegszeit entstanden sind, wie ein Pamphlet. Es wäre besser gewesen, wenn die Publikation eines solchen Buches unterblieben wäre, namentlich in diesem Augenblick, wo manche Gemüter ehedem schon durch den neuen Aufstieg des Katholizismus in Angst und Schrecken versetzt sind.“ Die umfangreichere Fassung der Augsburger Postzeitung (Sonntagsbeilage Nr. 5 vom 30.1.1925, S. 1–3.) wird hier im Anhang abgedruckt. 77 Die Dioskuren. Jahrbuch für Geisteswissenschaften, 1922/1924, programmatisch bedeutende Zeitschrift; ein Beilegezettel zum dritten Band von 1924 vermerkt „auf Verlangen“ des Herausgebers Walter Strich, dass der „Vertrag mit dem Verlag gelöst“ wurde. Es kam nicht mehr zu einem weiteren Band. 78 Bernhard Braubach (1892–1930), Bonner Schüler Carl Schmitts, publizierte in den Dioskuren: Der Bereich des Politischen im Katholizismus, in: Die Dioskuren 3, 1924, S. 216–244; Braubach stand mit Gurian in Verbindung. 79 Waldemar Gurian, Byzantinisches Christentum, in: Literarische Beilage der Augsburger Postzeitung Nr. 45 vom 5.11.1924 (Gurian verteidigte Ball hier auch gegen Kritiker). 80 Waldemar Gurian, Hugo Ball, in: Kölnische Volkszeitung vom 25.9.1929, S. 2 f. 81 Waldemar Gurian, Vorwort, in: Hugo Ball, Byzantinisches Christentum. Drei Heiligenleben, München 1931, S. VII ff.; genaue Ausführungen zum Verhältnis Gurian – Ball und zum Zustandekommen von Gurians Vorwort jetzt bei Bernd Wacker, Nachwort, in: Hugo Ball, Byzantinisches Christentum. Drei Heiligenleben, hrsg. und kommentiert von Bernd Wacker, Sämtliche Werke und Briefe Bd. VII, Göttingen 2011, S. 499–579, hier S. 546–548 u. S. 571–577.
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19. [Ansichtskarte Heidelberger Schloss, gest. Bonn 18.4.1925]
Herr Dr. W. Gurian Godesberg Viktoriastr. 13. 18.4.25. Lieber Herr Dr. Gurian! Diese Nummer der „Werkblätter“82 ist armselig und albern. Der Aufsatz83 über den Völkerbund eine F. W. Försterei,84 das Eintreten85 für Scelle86 82 Werkblätter aus der katholischen Jugendbewegung, hrsg. von Lorenz Fischer, später Werkblätter für Kultur, Politik, Wirtschaft, Arbeit und religiöse Lebensgestaltung, Ruhr 1924/27, hier: 2. Jg., Nr. 3 vom 16.4.1925. In einzelnen Beiträgen der Werkblätter wurden Gurians Arbeiten zur deutschen Jugendbewegung kritisiert, was ihn zu einer Gegenstellungnahme veranlasste, vgl. Waldemar Gurian, Erklärung, in: Werkblätter der katholischen Jugendbewegung Nr. 19 vom 7.8.1925, S. 3. 83 Gerhard Graehl, Eine Frage des Völkerbundes, in: Werkblätter aus der katholischen Jugendbewegung Nr. 3 vom 16.4.1925, S. 1 f. Darin heißt es: „Grundlage der Zusammenarbeit einzelner wie ganzer Völker kann nur gegenseitiges Vertrauen und ehrlicher Wille zur Verständigung sein. Ob diese Voraussetzungen in Deutschland heute erfüllt sind, erscheint mir sehr zweifelhaft. ihr Mangel aber und überhaupt das geringe Verständnis und Interesse für Fragen internationaler Art ist großenteils ebenfalls auf unser Schuldkonto zu buchen“. 84 Friedrich Wilhelm Förster (1869–1966), seit 1914 Prof. für Pädagogik und Philosophie in München, legte 1920 seine Professur nieder. Im Laufe des Jahres 1925 druckten die Herausgeber der Werkblätter für die Berufstätigen im Quickborn (Lorenz Fischer, Rolf Ammann und Franz Mahner) einzelne Beiträge Försters zur deutschen Rüstungspolitik ab. 85 Friedrich Veith, Jeunesse dorée. Paris, Anfang April, in: Werkblätter aus der katholischen Jugendbewegung Nr. 3 vom 16.4.1925, S. 3 f.; Auseinandersetzung um die Vorlesung für internationales Recht an der Universität Paris. Der Senat hatte sich gegen Georges Scelle und für Prof. Le Fur ausgesprochen, der Unterrichtsminister ernannte jedoch Scelle. Daraufhin erhoben sich die Studenten: „Denn heute ist es im lateinischen Viertel gerade in der Studentenschaft der Rechtsfakultät Sitte geworden, die Republik und die Demokratie schlecht zu finden, und die Enkel derer, die 1830 und 1848 auf den Barrikaden für die Freiheit kämpften, und für die Republik, träumen heute von Autoritätsstaat, von den Königlilien Frankreichs, vom Faschismus und finden ja eine ganze, übrigens sehr logische und strenge Ideologie vor, die ihnen die Zeitung ‚L’Action Franc¸aise‘ liefert. [. . .] Georges Scelle ist mit einem guten Tropfen Nepotismus-Öl gesalbt: Während der Wahlen hatte dieser Geist für den Linksblock und speziell für den Unterrichtsminister Franc¸ois Albert Propaganda gemacht, so daß man die Beförderung als Belohnung für ‚treue Dienste‘ ansehen konnte. [. . .] Das war natürlich ein sehr guter Vorwand, gegen ihn zu manifestieren. Man würde ihn einfach in der Vorlesung nicht zu Worte kommen lassen.“ Die Studenten traten in Streik.
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eine instinktlose F.Z.erei,87 und diese ganze tantenhafte Biedermeierei also katholische Jugend!88 Sehr deprimiert Ihr Carl Schmitt. Am 10. Mai 1925 erscheint in der Sonntagsbeilage der Kölnischen Volkszeitung „Im Schritt der Zeit“ Gurians Besprechung der zweiten Auflage von Schmitts Buch „Politische Romantik“ (im Anhang).
20. [gestemp. 14.8.1925]
Herr Dr. W. Gurian Godesberg Viktoriastr. 13. Dürfte ich Sie um die Freundlichkeit bitten, Herrn Friesenhahn89 zu sagen, daß er für das Institut das von C. v. Loesch90 herausgegebene Buch Volk unter Völkern anschafft. Besten Dank 21. 14/8 25 Lieber Herr Gurian, ich lese gerade während der Eisenbahnfahrt91 Souday’s92 Besprechung von diesem Donnerstag und möchte Sie auf den ele86 Georges Scelle (1878–1961), französischer Völkerrechtler, ab 1912 Universität Dijon und ab 1932 Paris; Vizepräsident des Institut de Droit International. Schmitt setzte sich 1938 ausführlicher mit Scelle in seiner Broschüre „Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff“ auseinander. 87 Evtl. auf die Frankfurter Zeitung anspielend. 88 Paul Rothe, Kirche, Vaterland und Quickborn, in: Werkblätter der katholischen Jugendbewegung Nr. 3 vom 16.4.1925, S. 2 f. 89 Ernst Friesenhahn (1901–1984) war 1925 Schmitts Bonner Assistent, ab 1938 ao., ab 1946 o. Professor in Bonn. 90 Karl C. von Loesch (Hrsg.), Volk unter Völkern. Bücher des Deutschtums Bd. 1, Breslau 1925; Publikation des Deutschen Schutzbunds des Grenz- und Auslanddeutschtums, mit zahlreichen Beiträgen u. a. von Max Hildebert Boehm, Karl Haushofer oder auch Hedwig Hintze. 91 Schmitt fährt am 18. April mit Dus ˇka Todorovic´ nach München, Salzburg und Triest, um dann weiter nach „Illyrien“, in die kroatische Heimat Dusˇkas, zu fahren. 92 Paul Souday (1869–1929), franz. Literaturkritiker der Zeitschrift Le Temps, Romantikforscher; die Besprechung wurde nicht ermittelt.
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ganten Schluß der Kritik von Regnier divertissement provincial93 aufmerksam machen. Herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau Stets Ihr Carl Schmitt 22. [Stadtansicht Dubrovnik]
(Ragusa) Nyemac´ka Deutsches Reich Herrn Dr. Waldemar Gurian Godesberg a. Rhein Victoriastr. 13. Dubrovnik (Ragusa) Hotel Imperial, 26.8.25. Lieber Herr Dr. Gurian! Ist Ihr Aufsatz über Bismarck und Lagarde inzwischen erschienen?94 Schicken Sie ihn mir, ebenso wie andere mich interessierende Dinge an die obige Adresse, die auf etwa 14 Tage gilt. Ich besuche dieser Tage R. Pannwitz,95 der seit Jahren auf einer Insel vor Ragusa 93 Henri de Régnier (1864–1936), Le divertissement provincial. Roman, Paris 1925; romantisch-symbolist. Schriftsteller. 94 Der Aufsatz wurde nicht ermittelt; Gurian besprach die Neuausgabe der Gesammelten Schriften Lagardes für die Kölnische Volkszeitung. Darin heißt es: „Das scharfe Verständnis dieses genialen und unvergesslichen Universitätslehrers für alle Fragen der Politik, der Religion, des Unterrichtes, der vaterländischen Erneuerung und des deutschen Gedankens hat bei den Parteien verschiedenster Weltanschauung Beifall gefunden. [. . .] Diese seltsame Vielseitigkeit der Weltanschauung Lagardes ist aber nicht etwa ein Zeichen des Mangels an Charakter, sondern geht auf eine ganz einheitliche Grundidee zurück. Lagarde hat vielleicht von allen Zeitgenossen der Reichsgründung zuerst die Schwächen und Mängel des neuen Deutschen Reiches erkannt und seine politische Lebensarbeit ging nur darauf aus, vor den Gefahren zu warnen, die seinem Volke durch die Veräußerlichung und das Versinken im öden Materialismus drohten, und er hat sich als ein guter Prophet bewährt, wie die Entwicklung der Dinge ja gezeigt hat.“, in: Kölnische Volkszeitung, Literarische Beilage Nr. 11 vom 12.3.1925, S. 6. 95 Rudolf Pannwitz (1881–1969), Privatgelehrter und Publizist, seit 1921 auf der Insel Kolocop nahe Dubrovnik lebend; Schmitt begegnet Pannwitz am 16. September, ärgert sich aber bald über eine folgende Unterstützungsbitte.
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wohnt. Im übrigen ist man hier ziemlich abgeschnitten, die Zeitungen aus Berlin und Paris kommen nach einer Woche an. Dafür ist das Land herrlich und die Menge geschichtlicher Erinnerungen überwältigend. Ich bleibe mit den besten Grüßen für Sie und Ihre Frau, stets Ihr ergebener Carl Schmitt. 23. [Kunstpostkarte Skulptur Marko Marulic´ Splic´ani.]
Nyemac´ka Deutsches Reich Herrn Dr. Waldemar Gurian Godesberg am Rhein Victoriastr. 13. Lieber Herr Dr. Gurian! Wer war Vladimir Lamansky,96 Professor a. d. Univ. Petersburg? Er hat 1884 ein erstaunlich interessantes Buch in Petersburg veröffentlicht, das ich seit 3 Tagen mit Spannung lese, Secrets d’état de Venise.- Wollen Sie mir nicht einmal einen Peltastes-Aufsatz97 schicken (nach Zagreb, poste restante)? – Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer Frau! Stets Ihr Carl Schmitt. Cavtat (Ragusa vecchia), 5/9 25. das alte Epidaurus 24. [Briefkopf Hotel Esplanade Zagreb]
22/9 25. Lieber Herr Dr. Gurian! hier in Zagreb erhielt ich Ihren letzten Brief.98 Der vorige99 ist, mit mehreren anderen, durch die Dummheit eines Hotelportiers zurückgegangen; sehr 96 Vladimir I. Lamanskij (1833–1914), Slawist, (Secrets d’État de Venise. Documents, extraits, notices et études servant à éclaircir les rapports de la seigneurie avec les Grecs, les Slaves et la Porte ottomane à la fin du XVe et au XVIe siècle, St. Petersburg 1884). 97 Gurian verwandte das Pseudonym Peltastes als Literaturrezensent der Kölnischen Volkszeitung. Seine Besprechungen unter dem Titel „Die Zeit im Buch“ in der Literarischen Beilage erschienen in einem Takt von etwa 14 Tagen.
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schade. Doch freue ich mich, wenigstens diese Nachricht von Ihnen zu haben. Die Peltastes-Aufsätze habe ich mit großem Interesse gelesen. Der über Nietzsche100 scheint mir besonders gelungen. Der Österreichische101 ist für mich nicht überzeugend; vielleicht ist Illyrien kein Land, um eine Verteidigung Österreichs interessant zu finden. Wegen der Tagung in Maria Laach müssen wir uns nach meiner Rückkehr noch unterhalten. Der Aufsatz von Adams102 war mir sehr wertvoll (*/* in Gesinnung und auch fachlich.[)] Muckermanns Besprechung103 will ich erst ganz lesen, ehe ich ur98
Fehlt. Fehlt. 100 Nicht ermittelt. 101 Nicht ermittelt. 102 Die erwähnte Tagung in Maria Laach vom 2. bis 5. September 1925 suchte nach dem Bericht von Paul Adams das Verhältnis von Liturgie und bildender Kunst zu klären. Dazu vgl. Paul Adams, Liturgie und bildende Künste, in: Werkblätter für Kultur, Politik, Wirtschaft, Arbeit und soziale Lebensgestaltung Heft 32 vom 5.11.1925, S. 3 f. 103 Friedrich Muckermann, Dichtung und Leben. Auf der Gralwarte, in: Der Gral 19, 1925, Heft 12, S. 593–597: „Der Raum reicht diesmal nicht aus, noch eine Reihe von Neuerscheinungen zu besprechen. Darum nur ein paar Worte zu dem in zweiter Auflage vorliegenden Buch von Carl Schmitt Die politische Romantik, das in diesem Heft ausführlich gewürdigt wird. Der gelehrte Verfasser hat den bekannten Subjektivismus der Romantiker näherhin als Occasionalismus bestimmt, d.h. eine Seelenhaltung, die alles, ohne es nach seiner objektiven kausalen Verknüpfung zu werten, nur als occasio, als Gelegenheit für oder als Anlaß zu einem Roman, in diesem Fall einer ganz persönlichen dichterischen, wissenschaftlichen oder dichterischen Äußerung nimmt. Ob alles das, was wir romantisch nennen, damit erklärt oder auch nur richtig charakterisiert ist? Ob es überhaupt möglich, die vielgestaltigen Bewegungen, die wir als romantisch bezeichnen, auf eine kurze Formel zu bringen? Ob nicht überhaupt die ganze „Subjektivität“ dieses Genies dahin verstanden werden muß, daß jegliche zugestandene Willkür doch eben nur dem Genie verstattet wurde, weil Genie sich mit Natur und Gesetz deckt? So geistreich ist Carl Schmitt, daß die Furcht entsteht, er habe am Ende auch recht occasionalistisch die Romantik benutzt, um aus Anlaß ihrer Kritik sprühende Funken zu schlagen. Mir will scheinen, als ob die Schwäche im Politischen ganz ungerechterweise zur occasio genommen wird, um sich geradezu über Männer zu mokieren, die auf diesem Gebiet, wie in der Zeit des Absolutismus nur allzu verständlich, gewiß Kinder waren und blieben, darum aber doch auf anderen ganz etwas anderes! Es soll ja auch heute noch Professoren geben, die, ein stolzer Schwan auf dem Weiher ihres Faches, doch eine sehr komische Figur machen, wenn sie politisch ans Land steigen. Man lese nur die größeren Jugendschriften Friedrich Schlegels, und man wird finden, welch ein tiefer Ernst hinter der Ironie von Jena steckte. Auch läßt sich dartun, daß gerade die Entwicklung dieses Führers in innerer psychologischer Gesetzmäßigkeit erfolgte. Diese Zweifel möchte ich nicht unterdrücken, aber noch einmal betonen, daß sie auf der Grundlage größter Hochachtung vor der sachlichen Leistung dieses Buches geäußert werden.“ (S. 596 f.). Muckermann nimmt auf die Besprechung von Prof. Dr. Günther Müller zu Friedrich Schlegel und Carl Schmitt im selben Heft Bezug, vgl. Günther Müller: Um Friedrich Schlegel, in: ebd. S. 571–575. Müller schließt seine Be99
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teile. Die kindische Retourkutsche von der occasio ist allerdings so unsachlich und ahnungslos, dabei anmaßend und innerlich bösartig, daß ich mir nicht viel verspreche. An Przywaras’ Aufsatz [?]104 interessierte mich vor allem das Abrücken von Adam Müller.105 Wie erklären Sie sich, daß das Berl. Tageblatt meiner Pol. Romantik einen Leitartikel106 widmet? Zufällig erhielt ich gestern die Nummer vom trachtungen: „Hier scheint mir eine andere und eine entscheidende Sphäre der Auseinandersetzung Schmitt-Schlegel zu liegen. Schlegel, zeitweise Romantiker, aber nicht mehr ‚politische Romantik‘ kann nun fordern, daß nicht die Fällung der Entscheidung, sondern die ‚richtig‘ gefällte Entscheidung gefordert wird. Kehrt in dieser Form der alte Kampf Thomismus-Voluntarismus wieder, als neuer Abschnitt eines ‚unendlichen Gesprächs‘? Ich will diese Frage nicht entscheiden, auf die Gefahr hin, entschiedenen Anhängern der Schrift ‚Politische Romantik‘ als entscheidungsunfähiger Subromantiker zu gelten“ (S. 575). 104 Erich Przywara, Augustinismus und Romantik, in: Stimmen der Zeit 109, 1925, S. 470–472, hier: S. 471 f.; auch in ders., Ringen der Gegenwart. Gesammelte Aufsätze 1922–1927, Augsburg 1929, Bd. 1, S. 214–221; Przywara antwortet (laut Vorwort, Gesammelte Aufsätze, 1929, Bd. 1, S. VIII–IX) hier auch auf die ausführliche und lobende Auseinandersetzung von Karl Eschweiler, Zur Krisis der neuscholastischen Theologie, in: Bonner Zeitschrift für Theologie und Seelsorge 1, 1924, S. 313–337; Eschweiler formuliert zunächst einen Eindruck bzw. Einwand von Przywaras Werk: „Romantisch! Adam Müllers ‚Lehre vom Gegensatz‘ oder die Schellingsche Dialektik der ‚polaren Potenzen‘ “ (S. 329); er nennt es dann aber das „bedeutendste Zeichen der kritischen Besinnung“ (S. 330); Przywaras Sammelbesprechung „Augustinismus und Romantik“ würdigt Schmitts Romantikkritik eingehend als Zugang zum Augustinismus als „letzten Muttergrund des Romantischen“. Wo Schmitt die Gegenrevolution gegen die Romantik in Stellung bringt, findet Przywara den Augustinismus. Schmitts Interesse an Przywara datiert vielleicht seit dieser Zeit. 105 Der Jesuit und Publizist Erich Przywara (1889–1972) hatte herausgegeben: Adam Müller, Schriften zur Staatsphilosophie, München 1923, dort Vorwort S. V–XII. 106 Berliner Tageblatt vom 3.9.1925. Dr. Friedrich Hertz fasst unter dem Titel „Romantik, Politik und Gegenwart“ zusammen: „Angesichts dieser Strömung verdient die soeben in zweiter Auflage erschienene Studie des Bonner Staatsrechtslehrers Professor C. Schmitt ‚Politische Romantik‘ (Dunker und Humblot) besondere Beachtung. Vollendete Sachbeherrschung, begriffliche Schärfe und planvolle, bei aller Vergeistigung meisterhaft klare Darstellung, bieten dem Leser hohen Gewinn und Genuß. Schmitt untersucht zuerst zahlreiche Auffassungen des Romantischen in der Politik, die ein ‚geistesgeschichtliches Labyrinth‘ bilden. [. . .] Carl Schmitt erblickt das Wesentliche in der Verneinung der Kausalität, der berechenbaren Ursächlichkeiten, der Bindung an eine Norm. Er findet eine Aehnlichkeit mit dem philosophischen Occasionalismus gegeben, dem die ganze Welt nur als Anlass oder Gelegenheit (occasio) des schrankenlos freien Wirkens Gottes erscheint. Nun kann auch an die Stelle Gottes das Volk, der Staat oder das Individuum treten. Insbesondere die Romantik ist subjektivierter Occasionalismus, das heißt im Romantischen behandelt das Subjekt die Welt als Anlaß und Gelegenheit seiner freispielenden Produktivität, als Ausgangspunkt eines Schweifens ins Grenzenlose und Unfaßbare, in die Vergangenheit oder Zukunft, in das Uebersinnliche, den Rausch, den Traum, das
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3. September, Morgenausgabe, in welcher es steht. Voll des höchsten Lobes; also kennen sie mich doch; daß Th. Wolff107 von meinem Völkerbundaufsatz108 und dem Rheinlandvortrag109 weiß, ist ganz sicher. Dann fand ich zufällig das Heft der Revue des deux mondes110 vom 1. September, das ich Ihnen dringend empfehle; ein Aufsatz über Rousseau111 ist eine wunderbare Ergänzung Ihres Referates;112 ein Aufsatz über die Prinzessin von Belgiojoso113 ein schlagendes Dokument zu Ihrer These, daß die nationale Bewegung von Frauen getragen werden muß. Das Tagebuch von E. Ollivier114 ist wägend [?] und lehrreich. Ich habe eine herrliche Reise hinter mir und freue mich darauf, Ihnen zu erzählen. Anfang Oktober denke ich wieder in Bonn zu sein. Auf Wiedersehen, lieber Herr Gurian, herzliche Grüße für Sie und Ihre Frau. Stets Ihr Carl Schmitt. Vom 20. bis 24. September ist Schmitt in Zagreb und kehrt dann nach Deutschland zurück. Er verbringt noch einige Tage in Hamburg und trifft Gurian dann ab dem 31. Oktober die nächsten Wochen und Monate hindurch wieder regelmäßig, nun auch zusammen mit Erik Peterson, Paul Adams, Ernst Friesenhahn und anderen. Am 11. Dezember erzählt Gurian dabei von seinem „Aufenthalt in Paris“. Am 3. März 1926 besucht Schmitt Gurians daheim in Godesberg und besichtigt das neugeborene Kind Johanna. Am 4. März notiert Schmitt, er habe sich mit Gurian und Adams „nett unterhalten, beide überredet, Bücher zu schreiben“. Abenteuer – kurz fort von der konkreten Wirklichkeit. Die politische Romantik kann sich daher jeder Tendenz hingeben, sie ist im Wesentlichen eine ästhetische, lyrische Stimmungsäußerung, ohne eigene Aktivität.“ 107 Theodor Wolff (1868–1943), 1906 bis 1933 Chefredakteur des Berliner Tageblatts, Emigration, in Frankreich verhaftet, 1943 KZ-Sachsenhausen, Tod dann in Berlin. 108 Carl Schmitt, Die Kernfrage des Völkerbundes, in: Schmollers Jahrbuch 48, 1925, S. 1–26. 109 Carl Schmitt, Die Rheinlande als Objekt der internationalen Politik, Köln 1925. 110 Seit 1829 fortdauernd existierende bedeutende Zeitschrift. 111 Louis Gillet, La collection girardin a chaalis. – Le reliquaire de Jean-Jacques, in: Revue des deux mondes 29, 1925, S. 134–161. 112 Nicht ermittelt. 113 Italien. Prinzessin Christina Belgiojoso-Trivulzi (1800–1871), Pariser Salondame; A. Augustin-Thierry, La Princesse Belgiojoso et Augustin Thierry. – Lettres inédites, in: Revue des deux mondes 29, 1925, S. 70–111. 114 Emile Ollivier (1825–1913), Politiker, 1869 faktisch Premierminister Frankreichs, Gegenspieler Bismarcks im deutsch-französischen Krieg, Flucht nach Italien, 1873 Rückkehr nach Frankreich. Vielbändige Memoiren: L’Empire libéral, Paris 1895/1918; hier: Journal intime. – IV. 1861–1862, in: Revue des deux mondes 29, 1925, S. 162–184.
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25. Herrn Dr. Waldemar Gurian Godesberg Victoriastr. 13. 20/11 25. Lieber Herr Dr. Gurian, an Ihrem heutigen Peltastes-Aufsatz115 hatte ich großes Interesse, aus inhaltlichen Gründen. Wollen Sie mir eine kritische Bemerkung erlauben? Die (sehr berechtigte) Kritik an Honigsheim kommt zu schnell, zu unvorbereitet und wirkt nicht durch den Gegensatz zu sonstigem Lob; meiner Empfindung nach müßte man erst in aller Ruhe loben, ehe man eine solche Verurteilung enunziert. Dies als Zeichen aufrichtigen Interesses! Mit herzlichen Grüßen an Sie und Ihre Frau Ihr Carl Schmitt 26. Herrn Dr. Waldemar Gurian Victoriastr. 13. Godesberg Lieber Herr Dr. Gurian! herzlichen Dank für Ihre Weihnachtsgrüße, die ich herzlich erwidere. Heute nachmittag war ich mit Dr. Steinlein,116 meinem Vetter, schon daran, nach Godesberg zu kommen, es fing aber an zu regnen, sodaß wir doch zu Hause blieben und ich endlich die Besprechung von L. 115
Nicht ermittelt. Gurian veröffentlichte im November 1924 unter Bezug auf Schmitts „Politische Theologie“ auch eine Kritik an Honigsheim: Ein Traum vom Dritten Reich, in: Hochland 22, 1924/25, S. 237–242. Gurian spielt darin Max Webers „Tragik“ gegen Honigsheims „humanitäre Romantik“ aus und fordert unter Berufung auf Carl Schmitt und Donoso Cortes eine „Entscheidung“. Wenn er Weber gegen Honigsheim ausspielt, so bestreitet er Honigsheim die legitime Weber-Schülerschaft und spricht sie Carl Schmitt und dessen „Politischer Theologie“ der „Entscheidung“ zu. Schmitt war ein Münchner Weber-Schüler. Die Kontrastierung von Honigsheim mit Weber dürfte deshalb von Gesprächen mit Schmitt über Max Weber angeregt sein. 116 André Steinlein (1891–1965), Lothringer Vetter Carl Schmitts, aus der mütterlichen Linie.
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Romier117 fertig machte. Morgen nachmittag wollen wir es wieder versuchen. Auf Wiedersehen, bitte sagen Sie auch Ihrer Frau meine besten Grüße. Ihr Carl Schmitt 26. Dez. 1925. 27. [Postkarte gestemp. Altona/Elbe 17.3.1926]
Abs. Prof. Schmitt z. Zt. Berlin W.8 Wilhelmstr. 65. Herrn Dr. Waldemar Gurian Godesberg (Rheinland) Victoriastr. 13. Lieber Herr Dr. Gurian! Eben lese ich in der Lit. Welt118 die Anzeige einer Schrift von Rosenstock über Wittigs „Ächtung“! Ich will sie mir in Berlin (wohin ich morgen reise) gleich verschaffen. Aus Wien erhielt ich die Nachricht, in der „Reichspost“ habe am 7. März119 ein langer „Schmähartikel“ gegen meine Pol. Romantik von einem Dr. Sauter120 gestanden; leider konnte ich ihn noch nicht lesen. Ich vermute, es ist derselbe Verfasser, der sich auch in der Augsburger Postzeitung121 geäußert hat. Der Artikel soll 117
Lucien Romier, Explication de notre temps, Paris 1925. In: Die Literarische Welt 2, 1926, Nr. 11, S. 8; Anzeige des Verlags Lambert Schneider: Eugen Rosenstock, Religio depopulato. Zu Josef Wittigs Ächtung, Berlin 1926; Werbetext: „Die Auseinandersetzung zwischen dem bekannten Theologen und der Kirche wird hier dem Soziologen Anlaß, den historischen Prozeß zu schildern, durch den sich die Einheit, Papst, Kirche, Volk aufzulösen droht und aufs lebendigste die Gründe darzustellen, warum diese Einheit notwendigerweise sich aufheben muß.“ 119 Johannes Sauter, Antiromantik oder Unromantik?, in: Wiener Reichspost Nr. 66 vom 7.3.1926, S. 22 f. (Auszug im Anhang). 120 Johannes Sauter (1891–1945) war von 1916 bis 1922 katholischer Priester und studierte dann ab 1923 parallel in München und Wien. In München promovierte er 1926 über „Die Sozialphilosophie Franz von Baaders“. In Wien gehörte er zum Kreis um Othmar Spann und promovierte dort 1925. 1927 wurde er in Wien PD für Gesellschaftslehre und 1933 apl. Prof.; 1939 wurde er in den Ruhestand versetzt. Damalige Werke: Johannes Sauter (Hrsg.), Franz von Baader. Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, Jena 1925; ders., Die Sozialphilosophie Franz von Baaders, Diss. München 1926; ders., Baader und Kant, Jena 1928. 118
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„inspiriert“ sein.122 Na ja. – Meine Broschüre über den Völkerbund123 ist inzwischen erschienen, ich habe noch kein Exemplar bekommen und hoffe, die Sendung in Berlin vorzufinden; sie erscheint in einem Moment,124 der einen Prüfstein ihrer Haltbarkeit abgeben kann. – Viele herzliche Wünsche für Ihr Lamennais-Buch125 und viele Grüße an Sie und Ihre Frau! Stets Ihr Carl Schmitt. Hamburg 18/3 1926. Gurian dankt Schmitt im Vorwort seiner historischen Studie zum französischen Katholizismus nach 1789 dafür, dass er sein Interesse an der französischen Literatur geweckt und gefördert habe. Inhaltlich nimmt er auf Schmitts Deutung der französischen Gegenrevolutionäre de Maistre, de Bonald und Chateaubriand Bezug. Für die Kölnische Volkszeitung bespricht er im Sommer 1926 u. a. Romantik-Studien von Viktor Klemperer126 und Julius Petersen127 und rückt hier von Schmitts Sicht etwas ab.
28. [gestemp. 6.4.27 Godesberg]
Herrn Dr. Waldemar Gurian Godesberg Victoriastr. 13. (?) Lieber Herr Gurian, ich schlage vor: Donnerstag Abend, Hotel Continental, ½ 8. Auf Wiedersehen, herzliche Grüße Ihnen und Ihrer Frau von Ihrem Carl Schmitt 6/4 27. 121 J. S., Germania irredenta, in: Augsburger Postzeitung Nr. 17 vom 22.1.1926, S. 1 f. 122 Schmitt vermutet eine Inspiration durch Othmar Spann, den er vehement ablehnte. 123 Carl Schmitt, Die Kernfrage des Völkerbundes, Berlin 1926. 124 Im Oktober 1925 war der Locarno-Vertrag unterzeichnet worden. Am 10. Februar 1926 beantragte das Reichskabinett Luther die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund. Seit dem 8. März 1926 tagte damals die Genfer Völkerbundversammlung. Am 17. März, also einen Tag vor Schmitts Brief an Gurian, vertagte sie die Aufnahme Deutschlands auf den Herbst (dazu vgl. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 8, Stuttgart 1984, S. 572 f.). 125 Felicité de Lamennais (1782–1854); Waldemar Gurian, Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus, Mönchen-Gladbach 1929. 126 Viktor Klemperer, Geschichte der französischen Literatur, Bd. 5: Die französische Literatur von Napoleon bis zur Gegenwart, 2 Teile, Berlin-Leipzig 1926. 127 Julius Petersen, Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik. Eine Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, Leipzig 1926.
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Nach diesem Brief gibt es eine erste Lücke in der bislang dichten Brieffolge. Wahrscheinlich rührt sie von einer Verstimmung her, die im Briefwechsel mit dem Hochland-Herausgeber Karl Muth anklingt. Schmitt macht Gurian für die Verbreitung einer diskreten Publikationsanfrage verantwortlich und fragt bei Muth am 26. April 1926 an, ob er Gurian diskrete Informationen weitergegeben habe. Muth verneint das vehement mit umgehendem Schreiben vom 27. April. Er wendet sich dann am 1. Mai 1926 auch gegen das „grundlose Gerede“, die Zeitschrift Hochland rücke von Schmitt ab. Schmitt schreibt daraufhin am 4. Mai an Muth: „Ich habe den Urheber der Schwätzerei gründlich beschämt und bin Ihnen für die schnelle und gründliche Erledigung dieser Angelegenheit von Herzen dankbar.“128 Nicht Gurians Ball-Verriss und der resultierende Bruch zwischen Ball und Schmitt führten demnach zu einer ersten Pause in der Korrespondenz, sondern eine Indiskretion Gurians bezüglich Schmitts Publikationsplänen. Es kommt zwar zu weiteren Treffen. Am 17. September notiert Schmitt dann aber ins Tagebuch: „traf im Institut Gurian und ein paar Studenten, mit Gurian unterhalten (der Papst hat die Action franc¸aise verboten), widerlicher Kerl, dieser Gurian.“ (TB 17.9.1926).129 Paul Adams schildert die Vorgänge später in einem Brief an Gurian:130 „Schmitt sprach mit mir über Sie. Er fragte mich, was Sie gegen ihn hätten. Ich sagte ihm, Sie nähmen an, daß er etwas gegen Sie hätte + Sie könnten sich sein Verhalten nicht erklären. Darauf er: Sie möchten doch nicht kleinlich von ihm denken. Er trüge einen einzelnen faux pas nicht nach. Hinterher traf ich ihn noch mal: er sagte, daß er Ihren Aufsatz in K. V. gelesen [hat], was offenbar eine freundl. Aktion war. Er sagte dann auch, er hätte nichts gegen Sie + äußerte sich in sehr anständiger Weise über Sie + sprach nicht günstig über das Benehmen von Karl Muth Ihnen gegenüber. Muth wäre alte Generation. Ihre Geschichte, daß Sie so heimatlos wären, wäre ein außerordentliches + schon darum müsste man Sie respektieren. Ich schlage Ihnen nun vor, daß Sie wiederkommen, sich in der alten Weise wieder gegen Schmitt benehmen + gelegentliche Verstöße übersehen. Schmitt hat eben persönlich viel auszubaden + zu tragen + ist unruhig + nervös. Schließlich muß man ihm in seiner Situation auch vieles nachsehen. – Ich denke, daß Sie von der Unterredung mit mir keine Erwähnung machen anderen oder Schmitt gegenüber. Er tut 128 Piet Tommissen (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Carl Muth und Carl Schmitt, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1998, S. 125–159, hier: 138. 129 Gurian publizierte damals: Die Kirche und die Action franc ¸ aise. Eine prinzipielle Darlegung, in: Das Heilige Feuer 14, 1926/27, S. 330–345, hier bes. S. 343: „Das Vorgehen der Kirche gegen die Action franc¸aise ist nichts anderes als der Beginn des Vorgehens gegen den sog. Säkularisierten Katholizismus, der selber wiederum nur eines der vorhandenen Systeme des sog. Konservativen Nihilismus ist, den man vielleicht einmal Weltanschauung des 20. Jahrhunderts nennen wird, wie man den Liberalismus die Weltanschauung des 19. genannt hat.“ Dazu schon früher: Waldemar Gurian, Die Action franc¸aise und die Kirche, in: Rhein-Mainische Volkszeitung Nr. 246 vom 23.10.1926, später Waldemar Gurian, Die Abendlandideologie als Maske des französischen Nationalismus, in: Abendland 2, 1926/27, S. 277–279, Waldemar Gurian, Der integrale Nationalismus in Frankreich. Charles Maurras und die Action Franc¸aise, Frankfurt 1931. 130 Paul Adams an Waldemar Gurian am 9.2.1927 (Nachlass Waldemar Gurian, Washington Library of Congress, Box 1, Folder 3).
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mir doch herzlich leid. Im Grunde ist er ein armer Kerl, was nichts verächtlich-mitleidiges bedeutet.“
29. [RW 265-5510; handschriftlich]
25 Bd du Montparnasse 22 Juni 27 Bei Dr. Pfafferott131 Lieber Herr Professor, Eben habe ich mit grosser Freude Ihren Artikel über Macchiavelli132 gelesen. Besonders schön nimmt sich zumal in der K.V. der Satz über den „tugendhaften“ Politiker aus.133 Heute morgen hatte ich ein langes Gespräch mit de Lanxx,134 dem Leiter des hiesigen Völkerbundssecretariates. Bei dieser Gelegenheit hätte ich Ihre Politik-Definition135 gut verwenden können. Ich wäre Ihnen sehr dankbar wenn Sie mir gleich zwei Abzüge senden würden. Es wäre doch nötig, dass in Paris nicht nur Ludwig & Co136 als deutsche Grössen gefeiert würden. Herrn Dr. Pfafferott, einen der wenigen deutschen Katholiken mit politischem Sinn, würde Ihre Arbeit sicher interessieren. Noch etwas: Soll ich, wie ich seinerzeit bei Maritain137 für die Übertragung Ihrer Politischen Romantik gesorgt habe, für die Übertragung anderer Werke sorgen? Die Kernfrage des Völkerbundes, der Parlamentarismus, das 131 Henning Pfafferott (1888–1937), Frankreich-Korrespondent der Kölnischen Volkszeitung und der Germania; Gurian dankt Pfafferott im Vorwort von Waldemar Gurian, Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus 1789/1914, M. Gladbach 1929. 132 Carl Schmitt, Macchiavelli. Zum 22. Juni 1927, in: Kölnische Volkszeitung Nr. 448 vom 21.6.1927, S. 1. 133 Wörtlich nicht zu finden, evtl. gemeint: „Bei ihm [Macchiavelli] ist die Humanität noch nicht zur Sentimentalität geworden.“ 134 Evtl. Pierre de Lanxx. 135 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 58, 1927, S. 1–33. 136 Emil Ludwig (1881–1948), geb. in Breslau, jüd. Journalist und Autor zahlreicher populärer historischer Biographien, lebte damals in der Schweiz, ab 1940 in den USA. 137 Jacques Maritain (1882–1973), Philosoph und Theologe, Vertreter der neuthomistischen Theologie, enger Kontakt zwischen Maritian und Gurian nach der Verurteilung der Action franc¸aise durch den Vatikan 1926 und den Stellungnahmen Maritains. Der Briefwechsel zwischen Gurian und Maritain enthält keine Hinweise auf Schmitt.
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letzte Kapitel der Politischen Theologie (das andere für Franzosen wohl zu schwer) würden hier grossen Erfolg finden. – Ich denke, dass ich demnächst Ed. Berth138 sehe. – Ich bitte mir 2 Expl. Ihrer Völkerbundschrift zu senden. Mir geht es nicht gerade gut. Ich bitte mich Ihrer Frau Gemahlin zu empfehlen. Mit besten Grüssen Waldemar Gurian Pierre Linn139 habe ich mehrfach gesehen. Am 7. November 1927 warnt Karl Muth erneut vor Gurians Indiskretionen. Schmitt antwortet Muth daraufhin am 15. November 1927: „Wegen Herrn Dr. Gurian möchte ich nicht viel schreiben. Es scheint sein Schicksal zu sein, zu trüben und zu verwirren. Ich habe viel Mitleid mit ihm; seine journalistische Intelligenz ist groß. Sie wissen, daß ich ihm gern helfen möchte, weil es ihm schlecht geht. Er macht es einem aber sehr schwer. Seitdem ich fürchten muß, daß er dazu beigetragen hat, daß Hugo Ball mich so schrecklich missverstand, suche ich die persönlichen Beziehungen mit Gurian zu meiden, wobei ich glaube, daß weniger das, was er sagt und an Zwischenträgereien macht, als seine Art Sein Verwirrungen und irritierende Missverständnisse hervorruft. Ich hätte schon vor 1 ½ Jahren, als er mir unrichtigerweise von der Indiskretion der Hochland-Redaktion (wegen meines Manuskripts über Parlamentarismus) erzählte, wissen müssen, wessen er fähig ist.“140 Am gleichen Tag, dem 15. November, trifft Schmitt Gurian dennoch erneut und auch die nächsten Wochen sieht er ihn wiederholt. Am 19. Dezember fährt er mit Gurian nach Köln zu einem „Vortrag von Maritain, wir waren enttäuscht“ (TB 19.12.1927). Am nächsten Tag kommt es in Bonn zu einer Begegnung mit Jacques Maritain, Eschweiler und Gurian. „Gurian war anscheinend müde und gab mir beim Abschied nicht die Hand.“ (TB 20.12.1927). Am nächsten Tag folgt ein Eklat: „Um 5 mit Eschweiler zu Gurian, der sich lümmelhaft benahm. Ich ging weg.“ (TB 21.12.1927) Umgehend schreibt Eschweiler141 an Gurian über die Ereignisse vom Vortag: „Selbstverständlich werde ich die Zeugenschaft für das überaus traurige Geschehen, das den gestrigen Tag mir [. . .] hat, solange wie möglich für mich behalten, d.h. solange, bis ich nicht durch das Gerede, das eventuell daraus entstehen könnte, vor authentischen Menschen zu zeugen gezwungen bin. Ich habe Prof. 138
Edouard Berth (1875–1939), syndikalistischer Theoretiker. Werke u. a.: Les méfaits des intellectuels, préface de Georges Sorel, Paris 1914. 139 Pierre Linn (1897–1966), französischer Bankier und Philosoph im MaritainKreis in Paris, übersetzte Schmitts Pol. Romantik. 140 Schmitt am 15.11.1927 an Muth, in: Politisches Denken. Jahrbuch 1998, S. 145. 141 Karl Eschweiler (1886–1936), eng mit Schmitt befreundeter Theologe, Auseinandersetzung mit dem französischen thomistischen Denken in: Zwei Wege der neueren katholischen Theologie, Augsburg 1926; daneben: ders., Eine neue Kontroverse über das Verhältnis von Glauben und Wissen, in: BZThS (Bonner Zeitschrift für Theologie und Seelsorge) 3, 1926, S. 260–276; und ders., Eine neue Kontroverse (II), in: BZThS 4, 1927, S. 155–160. Die damaligen Briefe Eschweilers an Schmitt erwähnen den Vorfall nicht.
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Schmitt gebeten und sein Einverständnis erhalten zum Verschweigen – Aus dem unsachlichen Sich-Verletzt-Fühlen kann nur Zerstörung, Vernichtung folgen“. Gurian emanzipiert sich damals mit seinem Buch über „Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus 1789/1914“. Hier arbeitet er Schmitts Anregungen monographisch auf und nimmt doch bereits seine „römische“ Gegenposition ein. Einerseits zieht er Schmitts Linie der katholischen Gegenrevolution mit Chateaubriand, Lamennais, Montalembert und Veuillot aus, wobei er Schmitts Romantikkritik auf Chateaubriand anwendet, Montalemberts parteipolitisch-parlamentarischen Kurs ablehnt und die ultramontane Wendung des französischen Katholizismus durch Lamennais und Veuillot in den Kategorien Schmitts mit einiger Sympathie schildert; andererseits verwirft er das resultierende Bündnis von Katholizismus und Nationalismus gegen Revolution und Laizismus, in dem der Nationalismus nach 1900 mit der Action franc¸aise über den Katholizismus siegte. Gurian bietet also den römischen Katholizismus gegen Schmitts Nationalismus auf. Nicht zufällig zerbricht das Verhältnis damals auch über einen Streit um die Action franc¸aise. Gurian rückt Schmitt dann in zwei Artikeln von 1928 und 1929 bereits in die Nähe des Faschismus.142 Mit Karl Eschweiler steht er aber auch über den Bruch mit Schmitt hinaus bis 1933 in engerer Verbindung. In seinen Studien zu Lamennais greift er auf Eschweilers „Zwei Wege der neueren Theologie“ zurück. Er betrachtet Eschweiler nach 1933 dann als einen „nationalsozialistischen Theologieprofessor“, der von Schmitt zum Nationalsozialismus verführt wurde.143
30. [RW 265-5511/1; maschinenschriftlich mit handschriftl. Unterschrift]
Godesberg 7. Juni 1929 Sehr verehrter Herr Professor, Nach langem Ueberlegen habe ich mich zu diesem Briefe entschlossen. Ich erkläre durch ihn ausdrücklich, dass der Vorgang im Dezember 1927144 von mir sehr bedauert wird. 142 „Was dem bisher herrschenden und das parlamentarische Regime bestimmenden bürgerlichen Rechtsstaat – dessen Prinzipien und Struktur von Schmitt in seiner Verfassungslehre (Verlag Duncker und Humblot, München, 1928) ausgezeichnet analysiert und geschildert werden – nicht möglich war, die Aufhebung der Spannung zwischen dem besitzlosen Proletariat und dem auf Bildung und Besitz trotz aller formalen Gleichheit der Bürger ruhenden Nationalstaat, ist dem faschistischen Regime gelungen. Daher sieht Schmitt das Italien Mussolinis als eine wahre Demokratie an, während der für den bürgerlichen Rechtsstaat bezeichnende Parlamentarismus als etwas Liberales erscheint, als eine liberale Hemmung und Einschränkung der Demokratie.“ (Waldemar Gurian, Der Faschismus, in: Heiliges Feuer 16, 1928/29, S. 507–518, hier 508). 143 Waldemar Gurian, Deutsche Briefe vom 12.10.1934 (in: Hürten, Hrsg., Deutsche Briefe 1934–1938, Bd. 1, S. 33 f.).
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Wenn Sie es wollen, können Sie meinen Brief an Herrn Prof. Eschweiler senden, der als einziger infolge seiner Anwesenheit von diesem Vorgange weiss. Es verbleibt mit dem Ausdruck der grössten Hochachtung Waldemar Gurian Schmitt erwähnt am 17. Juni den Eingang dieses Briefes im Tagebuch, aber keine Reaktion oder Antwort.
31. [RW 265-5511/2; maschinenschriftl. gleichlautende „Abschrift eines Briefes (datiert: Godesberg, 7. Juni 1929) an Prof. Carl Schmitt in Berlin.“ Darunter: handschriftl. Liste Schmitts von Personen, denen er den Brief zur Kenntnis gab:] 1) Tommissen 22/11 70 2) EWBö 27/11 70 3) H-D. Sander 2/12 70 4) Herrn Petwaidic 5) George Schwab 11/12 70145
32. [RW 265-5511/4;146 Fotokopie einer handschriftlichen Abschrift Schmitts des Briefes vom 7. Juni 1929 mit Ergänzungen]
Carl Schmitt. S. 88/89/90147 Brief von Waldemar Gurian, Godesberg, 7. Juni 1929 Sehr verehrter Herr Professor, Nach langen Ueberlegungen [Original: langem Ueberlegen] habe ich mich zu diesem Briefe entschlossen. Ich erkläre durch ihn ausdrücklich, dass der Vorgang im Dezember 1927 von mir [Original: sehr] bedauert wird. 144
Es handelt sich um den im Tagebuch erwähnten Streit vom 21. Dezember 1927. Personen: Piet Tommissen, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Hans-Dietrich Sander, Walter Petwaidic, George Schwab. 146 RW 265-5511/3: Fotokopie der Abschrift RW 265-5511/2. 147 Die Seitenangabe verweisen wohl auf Gurians pseudonyme Schrift: Um des Reiches Zukunft. Nationale Wiedergeburt oder politische Reaktion, Freiburg i. Br. 1932. 145
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Wenn Sie [Original: es] wollen, können Sie meinen Brief an Herrn Prof. Eschweiler senden, der als einziger infolge seiner Anwesenheit von diesem Vorgange weiss. Es verbleibt mit dem Ausdruck der grössten Hochachtung (gez.) Waldemar Gurian 33. [Schreibmaschine mit handschriftl. Korrekturen und Unterschrift; Briefkopf Professor Carl Schmitt/Berlin NW87 /Flotowstr. 5]
30. April 1932 Sehr geehrter Herr Doktor! Nach Rücksprache mit Herrn Dr. Adams, der in kurzem verreist, schicke ich heute das Manuskript Ihrer Sorel-Arbeit148 unmittelbar an Ihre Adresse. Es hat mich ausserordentlich interessiert, diese sehr wertvolle Abhandlung im Manuskript zu lesen. Gerade darin, dass sie sich auf eine zusammenhängende Darstellung der Gedanken Sorels beschränkt, liegt ein ganz besonderes Verdienst. Ich kenne die Schriften Sorels genug, um beurteilen zu können, wie schwierig eine solche Arbeit ist, wie leicht bei den vordergründigen Widersprüchen und wechselnden Meinungen Sorels der Kern verkannt und verfehlt werden kann, und wie notwendig es vor allen Dingen ist, gegenüber summarischen und oberflächlichen Mythenbildungen einen derartig soliden und echten Denker und Menschen wie Sorel richtig zu erfassen. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, müsste Ihre Arbeit in Deutschland heute mindestens ebensoviel Interesse finden, wie damals etwa „Die Wegbereiter des modernen Frankreich“ oder das Barrès-Buch von E. R. Curtius.149 Hoffentlich geht es also mit rechten Dingen zu. 148 Evtl. der erst 1934 veröffentlichte Text von Waldemar Gurian, Georges Sorel, in: Schweizerische Rundschau 34, 1934/35, S. 315–324. In diesem Besprechungsessay zur Monographie von Michael Freund (Georges Sorel, Frankfurt 1932) heißt es einleitend: „Schon vor Jahren hatten Carl Schmitt und Erwin von Beckerath – der erste in der Studie über die geistesgeschichtlichen Grundlagen des Parlamentarismus (1923), der zweite in seinem trotz aller Änderungen bis heute grundlegenden Faschismusbuch (1927) – die entscheidende Bedeutung von Sorel für das politische Denken unserer Zeit hervorgehoben und dadurch das traditionelle Schema erledigt, mit dem er als angeblicher Theoretiker eines überwundenen antiparlamentarischen Syndikalismus abgetan wurde“ (hier: S. 315). Vgl. auch Gurians frühere Arbeiten zu Sorel: Der Vater des Bolschewismus und Faschismus? Georges Sorel, in: Germania Nr. 171 vom 13.4.1929. 149 Ernst Robert Curtius, Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich, Potsdam 1919; Maurice Barrés und die geistigen Grundlagen des französischen Nationalismus, Bonn 1921.
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Ich darf Sie noch auf eine vor wenigen Wochen in Mailand erschienene Sammlung Sorelscher Nachkriegsaufsätze „L’Europa sotto la tormenta“ hinweisen, von der namentlich auch die Einleitung von Mario Missiroli150 für Sie bedeutungsvoll ist. Ich bin mit den besten Grüssen Ihr sehr ergebener Carl Schmitt. Für die weitere polemische Verschärfung des Beziehungsbruchs sind außer Schmitts nationalsozialistischer Entscheidung auch einige publizistische Äußerungen nicht unwichtig. So veröffentlichte Günther Krauss, ein enger Schüler Schmitts, 1933 unter dem Pseudonym Clemens Lang einen Schmähartikel gegen den politischen Katholizismus, der die neue Einheit von Drittem Reich und katholischer Kirche noch nicht erkannt habe.151 Krauss erwähnte Gurian hier als „Armenier-Juden“152, der mit seinem Versuch der wissenschaftlichen Bekämpfung des Bolschewismus153 gescheitert sei. Gurian ahnte zumindest den Autor.154 Den auf Gurian gezielten Vorwurf, dass der deutsche Katholizismus „sich zu stark überjuden ließe“155, formulierte Albert Wiedemann in derselben Ausgabe der Zeitschrift Deutsches Volkstum dann direkt. Gurian und andere hätten das von Schmitt erarbeitete Wesen des Staatlichen und Politischen verkannt und falsch kritisiert. Gurian antwortete darauf im Januar 1934 in der Germania und unterstellte Lang, in seinem Urteil von Carl Schmitt abhängig gewesen zu sein.156 Gurian führte den gegen ihn gerichteten Angriff auf Carl Schmitt zurück. Die Beziehung zerbrach 1933 endgültig. Auch nach Kriegsende beobachtete Gurian dabei Schmitts weitere Entwicklung.
150 Giorgio Sorel, L’Europa sotto la tormenta. Con pref. et a cura di Mario Missiroli, Milano 1932; Missiroli (1886–1974). 151 Clemens Lang, Die katholische Kirche und das Volk der Deutschen, in: Deutsches Volkstum 15, 1933, S. 1036–1047. 152 Ebd., S. 1038. 153 Waldemar Gurian, Der Bolschewismus. Einführung in Geschichte und Lehre, Freiburg i. Br. 1931. 154 Im Nachlass Gurians befindet sich ein Brief an Karl Eschweiler vom 23. Dezember 1933, in dem Gurian auf den Artikel Bezug nimmt: „Ich bin auf das 2. Dezemberheft des Deutschen Volkstums aufmerksam gemacht worden und habe den Artikel von Clemens Lang – wenn ich recht unterrichtet bin ein Pseudonym für einen aus Köln stammenden Schueler von Carl Schmitt – gelesen. [. . .] In dem Artikel von Clemens Lang [. . .] werde ich wegen meiner Abstammung angegriffen – und zwar als Autor des Bolschewismusbuches, das als ‚wissenschaftlich‘ herabgesetzt wird.“ (Nachlass Gurian, Library of Congress, Washington, D. C., Box 3, Folder 6). 155 Albert Wiedemann, Stimme aus der katholischen Jugend, in: Deutsches Volkstum 15, 1933, S. 567 f. 156 Waldemar Gurian (Pseudonym L. S.), „Kirchenvolk“ oder Kirche und Volk? Voraussetzungen und Grenzen einer Kritik der kirchlichen Entwicklung, in: Germania Nr. 13, 1934.
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Anhang: Rezensionen 1. Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Hellerau 1923. Die Dioskuren. Jahrbuch für Geisteswissenschaften 3, 1924. Ernst Michel, Zur Grundlegung einer katholischen Politik, 2. vollst. umgearb. Aufl., Frankfurt/M. 1924. (Aus: Die Zeit im Buch, in: Kölnische Volkszeitung, Sonntagsbeilage Im Schritt der Zeit Nr. 62 vom 25. Januar 1925, S. 2 f. [Verf. W. Gurian, unter dem Pseudonym Peltastes]) Über das Leben entscheidet der letzte Augenblick. Das Schicksal eines Buches bestimmt oft der erste Satz. Wer gleich am Anfange von Carl Schmitts Schrift Römischer Katholizismus und politische Form die lapidare Feststellung liest: „Es gibt einen antirömischen Affekt“, der wird nicht so leicht dieses Buch achtlos zur Seite legen. Und er wird nicht enttäuscht werden. Die Diktion des ersten Satzes ist die Diktion des ganzen Werkes. Die knappe Präzision, welche durch prinzipielle Feststellung langatmige Belege und Zitate überflüssig macht und mit einem frappanten Bild mehr Licht in dunkle Zusammenhänge bringt, als komplizierte geistesgeschichtliche Analysen es vermögen, konnte nur von einem Autor erreicht werden, der Sinn für die Kadenz einer Periode und die Gewichtigkeit eines Argumentes mit Wissen um letzte unerklärbare Gegebenheiten und mit Ehrfurcht vor den Geheimnissen der religiösen Welt vereint. In dieser Schrift wird nicht mit der Geschicklichkeit eines Jongleurs der Weltanschauungen eine Stimmung erzeugt, die jedes Denken als eine verdächtige Tätigkeit und den Willen zur Klarheit als dürren Intellektualismus erscheinen läßt. Keine feierliche Pathetik täuscht über einen Mangel an Distanz gegenüber den Lesern hinweg. Schmitt weiß „um das irrationale Dunkel der menschlichen Seele“. Aber er benutzt dieses Wissen nicht, um die Richtungslosigkeit zum einzigen Lebensprinzip zu machen. Im Gegenteil: die Welt ist hierarchisch geordnet. Eine Welt, in der die Rationalität der Ordnung irgendwelchen irrationalen Launen dient, ist keine Welt, sondern nur eine Riesenmaschine. In ihr gibt es keine Menschen mehr, sondern nur Betriebskontrolleure und Betriebsfunktionäre. In ihr gibt es keine Staaten mehr. Ein Staat kann nur dann existieren, wenn es eine transzendente Welt gibt, die repräsentiert werden kann. Woher sonst soll die staatliche Autorität die Energie zu ihrer Existenz und den Anspruch auf Geltung nehmen? Es gäbe nur Betriebe, die man nicht stillstehen lassen dürfe. Es gäbe kein Recht, es gäbe keine Religion, es gäbe nur den Willen, durch geregelte Produktion die Laune der Konsumption zu befriedigen. Dem Elektrizitätswerk ist es gleich, ob es mit seinem Strome die ewigen Lampen vor katholischen Altären speist, oder ob es die Theater und Tanzlokale der Stadt beliefert. In der Fähigkeit, gleichzeitig ganz verschiedene Bedürfnisse zu befriedigen, zeigt sich der Irrationalismus einer Welt, die zur Riesenmaschine geworden ist. „Es gibt einen antirömischen Affekt.“ Er vernichtet Staaten: denn er macht blind dafür, daß gerade die römische Kirche Repräsentantin der politischen Form ist, auf der alle Staatlichkeit beruht: ihre Autorität gründet sich darauf, dass sie Christus,
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den Mensch gewordenen Sohn Gottes, repräsentiert. Er schafft gerade im Namen der Freiheit Sklaven des Betriebes und der Maschine; man ist nicht mehr Repräsentant einer heiligen Idee oder einer autoritären Person; man ist nur noch Exponent einer blinden Masse. Er zerreißt die Einheit von Natur und Ratio; bald ist Gott nur der von der Welt abgewandelte verborgene Gott und die Welt eine Beute sinnloser Gewalt; bald versinkt jede Transzendenz vor der Allmacht der Immanenz. Daß eine Schrift heute mit dieser Diagnose beginnen kann, daß sie also auf alle Entschuldigung und Angleichung der katholischen Welt verzichtet, daß sie im Gegenteil den Gegner mit jener Mischung von liebevollem Interesse und souveräner Ueberlegenheit behandelt, die den bedeutenden Arzt auszeichnet und doch nicht vom Hochmut esoterischer Sekten und Kreise bestimmt ist, dies zeugt mehr als Aufzählungen vieler Namen für die Situation des deutschen Katholizismus in unseren Tagen. Man hat gemeint – und wir stellen diese Meinung nur fest, ohne zu ihnen irgendwie Stellung zu nehmen; man hat also gemeint, der Katholizismus müsse aus dem Exil herauskommen, und man sah ihn schon auf dem Heimwege – ja, aber zu welcher Heimat? Zur Kultur. Zu einer einflußreichen Stellung in der Oeffentlichkeit? Das sagte man nicht. Vielleicht wollte man nur Schlafende aufrütteln und ihnen zeigen, daß das, was sie als Exil ansahen, gar nicht ein Exil, sondern ihre Heimat ist – und gerade darum stieß man so laut in die Fanfare, daß mancher Hindämmernde erschreckt auffuhr, irgend etwas hörte, sich fragte: Was soll das? Und als er noch immer keine Antwort vernahm, sich auf die andere Seite legte und weiter schlief. Es gibt Menschen, die überhaupt nicht aufzurütteln sind. Aber es gibt auch solche, die nicht ahnen, in einer wie schönen Welt sie eingenickt sind. Und so ist zu hoffen, daß die Leser der Schrift Römischer Katholizismus und politische Form merken, was eigentlich der Katholizismus bedeutet. In ihr wird nicht demonstriert und nicht widerlegt. In ihr wird nicht verteidigt, sondern angegriffen; dem Gegner wird nachgewiesen, daß gerade er die Welt zertrümmert, als deren Verteidiger er auftritt, und es wird ihm gezeigt, daß gerade die Institution, welche er angreift, die Schützerin seiner Welt ist. Carl Schmitt bemerkt an einer Stelle, daß die „Kraft zum Wort und zur Rede ein Kriterium menschlichen Lebens ist, Rhetorik in ihrem großen Sinne“. Wenn das wahr ist – und daß es wahr ist, bezeugen Gestalten wie die Kirchenväter –, so wird man den Aufsatz Bernhard Braubachs: Der Bereich des Politischen im Katholizismus (Dioskuren Band III) natürlich nicht in die gleiche Kategorie mit Carl Schmitts Schrift einordnen können. Es ist eine von reichem Wissen und metaphysischem Blick zeugende Darstellung der katholischen Lehre über die Rangordnung des Politischen in der Kirche. Wenn auch Braubach auf frappante Vergleiche und kühne Antithesen verzichtet, so wirkt doch der Beginn seines Aufsatzes suggestiv: „Als mit dem Kriege in Deutschland die alte Staatsform zusammenbrach, deren Anhänger scheu ins Privatleben flüchteten und auch die sozialistische Revolution keinen genügend breiten und tiefen Boden im Volke fand, erschien vielen die katholische Kirche als die einzige feststehende öffentliche Macht. . .“ Braubachs Aufsatz ist eine gelehrte Abhandlung, die in einer Zeit, welche zur Unterschätzung von Exaktheit und Wissenschaft neigt, besonders beachtenswert ist. Man kann die These Braubachs vielleicht knapp so formulieren: Der Katholizismus hat keine eigene politische Idee, die nur politisch ist. Zwar steht der Katholizis-
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mus dem Politischen nicht indifferent gegenüber; es besteht kein Gegensatz zwischen Schmitt und Braubach in der Beurteilung des Verhältnisses von Katholizismus und politischer Form. Aber „das Politische ist etwas Sekundäres im Katholizismus, als Mittel hingeordnet auf den Zweck des Heils und der Heiligung der Menschen und daher von ihm aus in Sinn, Wert und Gestalt geweiht“. So ist der scheinbare Opportunismus aller katholischen Politik und ihre gleichzeitige prinzipielle Bestimmtheit verständlich gemacht. Auch im Aufbau ihres Lebens bedient sich die Kirche zeitlicher Formen. Aber sie kann diese nur soweit übernehmen, als sie mit ihrem auf göttlicher Autorität gegründeten Fundament in Einklang zu bringen sind. Ganz eindeutig und vielleicht manche überraschend, welche nicht die aktuell-soziologische und die politische Seite dogmatischer Streitigkeiten sehen, ist der Abschnitt über Vatikanisches Konzil und Parlamentarismus. Braubach weist überzeugend nach, daß „der Münchener Professor und Stiftspropst Döllinger bei seinem Kampf gegen die Unfehlbarkeitserklärung ausführte, die letzte Entscheidung über das, was katholisch ist, liege nicht bei dem Nachfolger Petri, sondern bei der kirchlichen Gesamtheit, deren wahre Interpretation die Wissenschaft sei. Also der ganze Aufwand an Uebertragung von parlamentarischer Theorie auf die Konzilberatungen war Mittel dazu geworden, der gnadenhaft übernatürlichen Autorität des Papstes und des Konzils die nur menschliche Wissenschaft entgegenzustellen . . . Für unsere Zeit ist es charakteristisch, daß ein Jahrbuch wie die Dioskuren, welches sein bestimmtes Gesicht hat – es ruft zur „Besinnung“ auf, die der Entscheidung vorangehen soll – in einem den Grundideen des politischen Lebens gewidmeten Bande auch den Katholizismus, und zwar von einem Katholiken behandeln läßt. Ich weiß nicht, ob man diesen Zustand begrüßen soll. In ihm drückt sich das Bestreben aus, den Katholizismus „einzuordnen“. Aber der Katholizismus kann alles ertragen, und so wird er es auch ertragen, daß er modern ist. Schmitt und Braubach sehen gerade in der Vielgestaltigkeit katholischer Politik ein Charakteristikum des Katholizismus. Aber sie verfallen nicht in den Fehler, diese scheinbare Prinzipienlosigkeit durch eine antithetische Gegenüberstellung von zwei Polen, deren einer die Kirche und deren anderer die Welt ist, als Angleichung der katholischen Kirche an die Zeitnöte zu deuten. Ernst Michel betont in seiner Schrift Zur Grundlegung einer katholischen Politik unermüdlich, daß die Geschichte in der Durchdringung von Welt und Kirche besteht, daß infolgedessen die Kirche nicht eine eigene politische Formenwelt habe, sondern in die Formen der Welt eingehe. Katholische Politik besteht in ihrer Befreiung von der Zerrissenheit und Isolierung. „Katholisch ist (das) christliche politische Handeln dann, wenn es, als Bereich des christlichen Glaubenslebens, aus den Gnadenkräften der Erneuerung ursprünglich und gesund geworden ist und sich nun in ursprünglicher Wirklichkeitsfülle darlebt.“ Man muß viele Verdienste der Schrift Michels anerkennen. Etwa den überzeugenden Nachweis, daß katholische Politik nicht in der Restaurierung bestimmter Formen der Vergangenheit besteht. Man kann auch anerkennen, daß dem Kampfe gegen starre Sozialprinzipien eine richtige Erkenntnis zugrunde liegt. Die Erkenntnis der Tatsache nämlich, daß eine unberechtigte Formalisierung der Prinzipien, d.h. eine unberechtigte Ausdehnung der Definition eines konkreten Falles sie starr und zu einer „Kulisse“ werden läßt: d.h. der gemeinte Sinn wird nicht mehr gesehen. Aber
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vielen Grundpositionen Michels wird man nicht zustimmen können, und zwar vor allem wegen der Zerreißung der Welt in Kirche und Welt, die nachträglich erst durch die Entscheidung des „einzelnen“ wieder vereint werden. Wenn auch Michel den einzelnen als Repräsentanten von Gemeinschaften sieht, so übersieht er doch den Charakter der Gesamtkirche als Repräsentantin Christi und damit der wahren Humanität als der erlösten Menschheit. Und noch einen Einwand möchte ich gegen Michel erheben: Der Charakter der Politik als eines Handelns, dessen Subjekt der Staat ist (daher zielt alle Politik darauf ab, sich der Staatsgewalt zu bemächtigen), wird von Michel nicht beachtet. Das hängt mit seiner fragwürdigen Auffassung des Staates als einer zeitgeschichtlichen Erscheinung zusammen. So bleibt die Definition der katholischen Politik unklar. Alles Handeln des Katholiken würde unter diese Bestimmung fallen. Eine prinzipielle Bemerkung möge diesen Hinweis auf drei Autoren, die das Verhältnis von Katholizismus und Politik einer prinzipiellen Analyse unterziehen, abschließen. Es wäre falsch, Ernst Michel etwa Carl Schmitt entgegenzustellen, den „Römischen Katholizismus und politische Form“ als eine objektive Sinndeutung zu betrachten und Ernst Michels Schrift als Aufruf zur persönlichen Entscheidung, der aus dem Sich-Hineinstellen in die Nöte des Augenblicks entstanden ist, aufzufassen. Diese Antithese verliert gleich ihre Suggestivität, wenn man bedenkt, daß der Zugang zur objektiven Welt nur durch eine subjektive Entscheidung möglich ist, und daß andererseits die subjektive Welt erst von der objektiven her ihren wahren Wert gewinnt. Und daß in Carl Schmitts Schrift auch eine Entscheidung aus dem Augenblick gefällt wird, sieht man aus ihrer Rhetorik. „Rhetorik setzte eine Hierarchie voraus. Denn ihre große Resonanz kommt aus dem Glauben an die Repräsentation.“
2. Hugo Ball, Die Folgen der Reformation, München/Leipzig 1924. (Aus: Augsburger Postzeitung, Sonntagsbeilage Nr. 5 vom 30. Januar 1925, S. 1–3; Verf. W. Gurian) In der Schweiz hatte sich während der Jahre 1914–18 ein Kreis von Deutschen gebildet, die von der deutschen Schuld am Ausbruche des Weltkrieges überzeugt waren. Diesem Kreise gehörte Grelling an, jener Deutsche, der in seinem „J’accuse!“ die Unschuld des Vielverbandes und die teuflische Gemeinheit der deutschen Regierung nachzuweisen versucht hatte. Diesem Kreise verdankte die „Freie Zeitung“ ihr Dasein, in der verkrachte Journalisten wie Rösemeier und Fabrikanten langatmiger Schundromane wie Stilgebauer ihre Erzeugnisse unterbrachten. Die „Freie Zeitung“ warf unermüdlich der deutschen Presse vor, daß sie eine langweilige Sammlung monotoner Lügen sei. Wahrscheinlich rechnete sich die „Freie Zeitung“ zur deutschen Presse; denn es war wegen ihres plumpen und grobschlächtigen Stiles unmöglich, sie dauernd zu lesen. Daher überraschte es, Artikel in diesem Blatte zu finden, die, elegant und suggestiv geschrieben, nicht nur von verletzter Eitelkeit und aufgeblasener Wichtigtuerei zeugten, sondern in denen sich eine metaphysisch und theologisch begründete Haltung zeigte. Mochte auch der
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Haß Hugo Ball für entscheidende Seiten deutschen Lebens blind machen, mochte ihm die deutsche Geschichte seltsam verzerrt erscheinen, mochten infolgedessen seine Artikel auch zur Emigrantenliteratur zählen, sie hatten es doch nicht verdient, in einem Organ bezahlter Verräter zu erscheinen. Und so mußte man auch bedauern, daß Hugo Ball sein „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“157 genanntes Werk Anfang 1919 im Verlage der Grelling, Ferman [?] und Stilgebauer, im Freien Verlage Bern, erscheinen ließ. Dieses Buch enthielt eine Anklage des deutschen Volkes. Es hatte den Sinn, die „während des vierjährigen Krieges gegen die Regierungen der Mittelmächte erhobene Schuldfrage systematisch auf die Ideologie der Klassen und Kasten, die diese Regierungen möglich machten und stützten, auszudehnen“. „Ich fand,“ heißt es im Vorwort, und suchte zu dokumentieren: eine Konspiration der protestantischen mit der jüdischen Theologie (seit Luther) und eine Konspiration beider mit dem preußischen Gewaltstaat (seit Hegel), die nicht nur die Unterwerfung Europas und die Weltherrschaft erstrebte, sondern die gleichzeitig ausging auf die universale Zerstörung von Religion und Moral.“ Und im Nachwort findet sich der Satz: „Eine Vervollständigung der Kritik des theokratischen Systems der Mittelmächte würde ergeben, daß die Schuldfrage in letzter Instanz sich gegen das Papsttum richtet als gegen das letzte Refugium militärischer Bevormundungssysteme, die auf die Gottesweihe und die Gottesstellvertreterschaft sich berufen.“ Die „Kritik der deutschen Intelligenz“ war vom Glauben geschaffen worden, daß der „Protestantismus eine Irrlehre ist; eine Irrlehre aber auch der Katholizismus, der sich auf der Erde etabliert: Gott und die Freiheit können nicht verwirklicht werden, sie sind Ideale“. In der deutschen Geschichte sah Ball die Sammelstätte aller Irrlehren. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation wurde von ihm ebenso erbarmungslos als Ausdruck des Strebens nach Weltherrschaft verworfen, wie Luther, der Zertrümmerer mittelalterlicher Einheit, schonungslos als ein Mann charakterisiert wurde, der die Freiheit des deutschen Volkes an die Tyrannei der Fürsten verriet. Preußen erschien als das satanische Reich, das sich mit dem Reich Gottes gleichsetzte. Gegen die deutschen Klassiker, gegen die deutsche idealistische Philosophie von Kant bis Hegel wurde der Vorwurf geschleudert, sie hätten im Namen einer „intelligiblen Freiheit“ jenseits von Raum und Zeit die wahre Freiheit aufgegeben und damit den unheilvollen Erfolg Luthers noch befestigt. Marx und Lasalle wurden als Männer hingestellt, denen der Sozialismus nur ein Mittel für die Emanzipation des Judentums war, und die das Proletariat an Preußen ausgeliefert haben. Bismarck erschien in seinem Zynismus – er stand blasphemisch zur Religion, höhnisch zum Volke – als eine notwendige Erfindung der Weltseele, um „Europa an einem flagranten Beispiel zu zeigen, worin man in Deutschland sich einig ist, und was einer vermag, der die deutschen Freiheitsbegriffe versteht“. Und weiter heißt es: „Das Aufkommen Bismarcks bedeutet die Vorbereitung des dritten und letzten Einbruchs teutscher Barbarei in die romanische Zivilisation.“ Alles Antideutsche wird von Ball verherrlicht. Dem deutschfreundlichen Benedikt XV., dem „kompromittierten Papste“ stellt er Kardinal Mercier als den Gegenpapst gegenüber, „der eine Kirche der christlichen Intelligenz begründen wird“. Mit Freude frägt er: „Wo fand sich in Deutschland jene vergötternde Begeisterung, jene 157
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Zärtlichkeit, mit der französische Geister Frankreich „Notre Dame“ und „La Douce France“ nannten?“ Und: „Wo fand man in Deutschland jenen Geist der Freiheit, der das Gewissen des russischen Volkes seit 1825 in heftigen Wehen geschüttelt hat?“ Und mit tiefer Befriedigung wird festgestellt: „Auch Deutschland hatte seine großen Männer, aber der Widerspruch, in dem sie zur Gesamtheit standen, und jene mit sich selbst unzufriedene Selbstzufriedenheit, die das Volk charakterisiert, verwandelte in diesen Männern die Liebe zu Haß, die Freude in Verzweiflung. Vom Banausentum in Intrigue und Verzweiflung eingekreist, sahen sie ihre besten Entwürfe verkümmern. Von keiner begeisternden Welle getragen, wurde ihr Schaffen ihnen zur Qual, ihr Leben zum Leidensweg und wenn sie die Aussichtslosigkeit erkannten, war es zu spät. Sie fühlten sich auf verlorenem Posten und je später sie es einsahen, desto blutiger lehnten sie die Gemeinschaft ab.“ Was soll das deutsche Volk tun, um aus seinem gegenwärtigen Zustande, aus seiner Verworfenheit herauszukommen?“ Darauf antwortet Hugo Ball in einer Frage: „Hat das deutsche Volk jede Besinnung verloren? Fühlt es sich wirklich nur noch berufen, alles Große zu vernichten und zu bekämpfen, statt in Scheu und Demut die Waffen wegzuwerfen und die Hände auszustrecken?“ Das Vorwort zur „Kritik der deutschen Intelligenz“ ist vom 24. Dezember 1918 datiert. Das Werk blieb fast unbeachtet. Zwar griff ein findiger Literat namens Bloch die in ihm enthaltene Verherrlichung von Luthers Gegenpart, Thomas Münzer, auf [. . ., Setzerfehler], kann man nur unbekannte Bücher in einer solchen Weise „vertiefen“ und „popularisieren“. Und es war gut, daß die „Kritik der deutschen Intelligenz“ nur wenige Leser fand: Ball konnte als Verfasser des „Byzantinischen Christentums“ (Duncker und Humblot, 1923) berühmt werden, das nicht ein Buch der Kritik sondern ein Buch der Liebe ist. So wäre es heute nicht mehr nötig, auf die „Kritik der deutschen Intelligenz“ einzugehen, so könnte man dieses Werk, da das „Byzantinische Christentum“ deutlich eine Wandlung in entscheidenden Ansichten beweist, als eine höchstens literarisch interessante Erscheinung betrachten, in der bestimmte Zeittendenzen einen überspitzten Ausdruck gefunden haben – wenn nicht Hugo Ball selber die Aufmerksamkeit auf sein erstes Buch durch eine Neuausgabe gelenkt hätte. Er hat große Teile der „Kritik der deutschen Intelligenz“ in einem Bande „Die Folgen der Reformation“ gesammelt, der Ende 1924 im Verlage Duncker und Humblot, München und Leipzig, erschienen ist. Daß Ball nicht mehr auf dem Boden seiner alten Ansichten steht, zeigen deutlich folgende Tatsachen: In den „Folgen der Reformation“ wird nirgendwo bemerkt, daß sie ein stellenweise leicht überarbeiteter Auszug aus der „Kritik der deutschen Intelligenz“ sind. Bemerkt wird nur, daß die vier Kapitel dieses Buches 1914–18 entstanden sind. Entscheidende Abschnitte des alten Werkes sind fortgelassen. Die Mazziniverherrlichung ist gestrichen; die Baader-Apotheose ist stark gemildert, Zitate aus Bakunin sind gekürzt. Man sieht deutlich das Bestreben, alle Angriffe gegen Papsttum und Katholizismus fortfallen zu lassen. Man findet in den „Folgen der Reformation“ weder jene Angriffe auf die mit Habsburg und Hohenzollern verbündete Kurie, noch jene prinzipiellen Anklagen gegen den Katholizismus, der die Blicke der Menschen von der Wirklichkeit in das Jenseits ablenke und der andererseits „das Reich Gottes auf Erden etablieren“ wolle. Am deutlichsten aber sieht man, daß Ball heute andere Anschauungen hat als 1918 aus dem, was in den „Folgen der Reformation“ zum ersten Mal gedruckt wird. Es ist allerdings herzlich we-
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nig. Abgesehen von einer interessanten Anmerkung aus der hervorgeht, daß Hugo Ball sich nicht mehr als Freund der „Bakuninschen Philosophie“ betrachtet, ist von großer Bedeutung die neuverfaßte Einleitung in das 2. Kapitel (35–38), die entscheidende Einsichten über die Lehre der Kirche von den „zwei Reichen, dem übernatürlichen und dem natürlichen“ enthält. In ihr heißt es: „die Vernunft auf den Verstand oder gar auf den gesunden Menschenverstand und schließlich auf den materiellen Nutzen zu reduzieren, das hieß in summa ein Reich verleugnen, das gerade die göttlichsten Interessen des Menschen pflegte und schützte“. Dann wird in ihr der Zusammenhang der „eine direkte unmittelbare allegorienfeindliche Verbindung mit Gott“ erstrebenden Mystik mit einer „Verarmung der Imagination“ intellektualistischem und schließlich abstraktem Denken gezeigt. Aber können diese wenigen Seiten, welche vielleicht eine neue theologisch-metaphysische Fundierung schaffen sollen, das positive, von Ball jetzt nicht mehr anerkannte Weltbild der „Kritik der deutschen Intelligenz“ ersetzen? Die Tendenz des Intelligenzbuches war ganz eindeutig: Ball glaubte damals an eine Demokratie, deren Garant und Träger die Vereinigung der Intelligenz Europas sein würde. Die Prinzipien dieser Demokratie sind Freiheit und Heiligung; Freiheit von aller Knechtung durch irdische Herren (etwa Staatsallmacht, Weltherrschaft eines Volkes), aber auch Freiheit von der Knechtung durch himmlische Herren. Es gibt keinen Gott, verkündet Ball, d.h. er ist stets zu verwirklichen; und das geschieht auf Erden. So erklären sich die scharfen Angriffe auf den „totalen, gekreuzigten Heiland“, aber auch die Ablehnung des Atheismus; „Es gibt keinen Gott außer in der Freiheit und keine Freiheit außer in Gott.“ Durch die Freiheit wird die Heiligung des Einzelnen ermöglicht. Jeder Mensch ist heilig, denn in jedem Menschen kann der Erlöser der Welt verborgen sein. Damit ist die prinzipielle Grundlage der „Kritik der deutschen Intelligenz“ angedeutet. Man sieht gleich, daß Balls Haß gegen Deutschland metaphysisch und theologisch begründet ist; daß er gleichzeitig gegen Papst und Luther kämpfen muß. Für den Papst gibt es einen Gott und eine Kirche und Luther sucht um den Preis der irdischen Freiheit die himmlische Freiheit zu sichern: genau so handeln seine Nachfolger, die deutschen Klassiker und Philosophen [,] sie ersetzen seine himmlische Freiheit durch die intelligible Freiheit; dadurch werden sie neben Luther die besten Stützen und Sicherer des preußischen Gewaltstaates, dessen Weltherrschaftspläne durch sie eine theologische und metaphysische Weihe erhalten, wie vordem die Päpste im Mittelalter durch ihr Bündnis mit den Kaisern den deutschen Glauben an eine Kulturmission schufen und festigten. Das Preußentum enthüllte sich in seiner Metaphysik und Religion der Brutalität in Bismarck, der im Privatleben ein Christ war, dem beim Abendmahl die Tränen über die Backen liefen, der aber im öffentlichen Leben vor keiner Gewalttätigkeit zu Gunsten Preußens zurückschrak. In Marx und Lasalle fand Preußen seine besten Verbündeten. Diese Juden nutzten das Freiheitsstreben des Proletariats, um, wie Lasalle einen persönlichen, oder wie Marx einen metaphysisch-jüdischen Machtehrgeiz zu befriedigen. Und da Judentum und Preußentum auf der gleichen Idee, auf der Herrschaft der Auserwählten beruhen, so spricht Ball von einer deutsch-jüdischen Konspiration zur Zerstörung der Moral. Mit diesen Mächten der Verworfenheit, die ihren Ursprung im jenseitigen Macht- und Rachegott des Alten Testamentes, Jehova, haben, und sich über das Papsttum, Luther, Preußen, Kant, Hegel bis zu ihrem Höhepunkt im Habsburg-Hohenzollern der Jahre 1914–18 entfal-
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ten, kämpfen die Mächte der Freiheit und der Moral. Ihre Geschichte wird von Ball nicht so deutlich gezeigt, wie die Geschichte ihrer satanischen Gegner. Sie tauchen zunächst auf in den frühmittelalterlichen Kulturleistungen Arabiens, Spaniens und Italiens. Dann äußern sie sich in den Bauernkriegen der Reformationszeit und in der Gestalt Thomas Münzers, des Führers aufständischer Volksscharen. Sie gewinnen europäische Bedeutung und erhalten Welteinfluß in der französischen Revolution. Ihr Geist bleibt lebendig trotz Napoleon, den Ball, so scheint es, dem Teufelsreiche zurechnet. In Weitling, dem ersten deutschen Sozialisten verkörpern sie sich noch einmal, werden aber auch da wie stets unterdrückt. Sie zeigen sich im Kampfe der russischen Revolutionäre um die Freiheit, trotzdem sie durch den Verrat der jüdischen Bolschewisten eine Niederlage erleiden. Sie erreichen im Kampfe der Entente gegen Hohenzollern-Habsburg einen entscheidenden Höhepunkt. Man sieht also, daß Balls Geschichtsbild streng dualistisch ist, dem heiligen Gottesreich wird das satanische Teufelsreich entgegengesetzt, Juden und Deutsche erscheinen als Hauptmächte des Reiches der Finsternis, während Franzosen und Russen – die Angelsachsen scheint Ball nicht zu kennen, nur Präsident Wilson taucht gelegentlich als natürlich von den Deutschen zurückgestoßener Weltheiland auf – die Hauptvorkämpfer des Lichtreiches sind. Die deutschen Bürger des Lichtreiches werden von ihrem eigenen Volke verkannt und ausgestoßen, angefangen mit Münzer bis Weitling und Schopenhauer. Die „Folgen der Reformation“ unterscheiden sich von der „Kritik der deutschen Intelligenz“ nur dadurch, daß die Metaphysik, die Theologie und wichtige Teile der Geschichte (z. B. das Papsttum) gestrichen und nur die Anklagen gegen das deutsche Volk, gegen Marx und Lasalle stehen geblieben sind. Es ist also ein Werk, das unverständlich ist. Man liest nur die Kritik und weiß nicht, von welchen Prinzipien sie ausgeht, die „Folgen der Reformation“ sind zu einem rein negativen Werke geworden. Aus der „Kritik der deutschen Intelligenz“ konnte man wenigstens erkennen, was Ball als Heilsweg für Deutschland ansah. Er erblickte ihn in der Selbstaufgabe, in der Absage an die bisherige Geschichte, in der Kapitulation vor der Entente. Die „Folgen der Reformation“ sind aber nur eine Sammlung negativer Tatsachen. Wenn ein Deutscher diesem Werke wirklich glauben würde, so müßte er Selbstmord begehen. Denn sein Volk müßte ihm als das verworfene, schlechthin böse Volk erscheinen. Der Titel „Die Folgen der Reformation“ ist irreführend. Die Bosheit des deutschen Volkes ist nicht eine Folge der Reformation. Sie war schon vorher da. Die „Folgen der Reformation“ sind nicht die Folgen der Reformation, sondern Folgen der konstitutionellen deutschen Bosheit. Sonst sind die Ausführungen Balls über das Bündnis der Päpste mit den Kaisern des Mittelalters unverständlich, das der deutschen Roheit die Weihe der Kulturmission verlieh. Es ist sehr bedauerlich, diese Feststellungen bei einem Schriftsteller mit einer Prägnanz und Wucht des Stils wie Ball machen zu müssen. Aber sie müssen gemacht werden. Man versteht einfach nicht, warum Ball sich zu einer solchen Auswahl aus der „Kritik der deutschen Intelligenz“, wie es die „Folgen der Reformation“ sind, entschlossen hat, daß er heute nicht mehr alles glaubt, was er 1918 geschrieben hat, ist sehr schön. Aber dann hätte er das Buch radikal umgestalten müssen. Peinlichste historische Versehen sind stehen geblieben. Bismarck wird für Olmütz verantwortlich gemacht. Gegen Luther wird der Vorwurf der Häresie wegen einer durchaus korrekt-katholi-
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schen Lehre erhoben. Die Argumentation gegen Kant, Hegel, Bismarck ist nicht systematisch geführt – so oft sie auch auf wirklich entscheidende Argumente trifft (vor allem bei Hegel) – sondern mit Hilfe der Glossierung einzelner Aussprüche und Sätze. So wird gerade Ball der beste Apologet seiner Gegner. Er rettet sie durch seine ungenügend fundierten Angriffe. Die „Kritik der deutschen Intelligenz“ war im Kriege entstanden. Leidenschaft mochte damals manches seltsame Urteil entschuldigen. Ueber 6 Jahre sind seit dem Waffenstillstand vergangen. Ball hatte genug Gelegenheit, die These vom Kampfe der Entente für Freiheit und Demokratie in ihrem Kulissencharakter zu erkennen. Aber nicht einmal alle Stellen, welche Verherrlichungen der deutschen Kriegsgegner enthalten, sind gestrichen und geändert, wenn auch ein Angriff auf den kriegsfeindlichen deutschen Professor Sombart durch einen Angriff auf Eduard Meyer ersetzt ist. (S. 11). Wozu, fragt man sich immer wieder, mußten die „Folgen der Reformation“ erscheinen? Wollte Ball beweisen, daß er den Mut hat unpopuläre Ansichten zu vertreten? Dieser Mut ist sehr anerkennenswert, aber die unpopulären Ansichten müssen so vorgetragen werden, daß sie begründet erscheinen. Der Vorwurf des mangelhaften Verantwortungsgefühls ist der schwerste, den man gegen einen Menschen erheben kann. Es ist schwer, ihn gegen Ball nicht zu erheben. Als einzige Entschuldigungsmöglichkeit bleibt die Annahme, daß Hugo Ball glaubte, wenn man die „Kritik der deutschen Intelligenz“ gekannt hätte, wäre ihm nicht hohes Lob und begeisterte Anerkennung für das „Byzantinische Christentum“ zuteil geworden; daß er also durch die „Folgen der Reformation“ zeigen wollte, was für eine Vergangenheit er habe. Ich weiß nicht, ob diese Annahme mehr als nur eine Annahme ist. Aber auch wenn sie der Wirklichkeit entspräche, könnte man diese Veröffentlichung nicht billigen. Durch einen Akt persönlicher Demut hätte er dann gerade dem Bösen, das er bekämpft, einen großen Dienst erwiesen, denn wir fürchten, daß diese „Folgen der Reformation“ als eine Apologie der Reformation wirken werden.
3. Carl Schmitt, Politische Romantik, 2. bearb. und erw. Aufl., München/Leipzig 1925. Kurt Borries, Die Romantik und die Geschichte. Studien zur romant. Lebensform, Berlin 1925. Fritz Strich, Deutsche Klassik und Romantik oder Vollendung und Unendlichkeit. Ein Vergleich, 2. verm. Aufl., München 1924. (Aus: Die Zeit im Buch, in: Kölnische Volkszeitung, Sonntagsbeilage im Schritt der Zeit Nr. 343 vom 10. Mai 1925, S. 2 f. [Verf. W. Gurian, unter dem Pseudonym Peltastes]) Carl Schmitt gibt in seiner Politischen Romantik „eine sachliche Antwort auf eine ernstgemeinte Frage“. Er bestimmt die Romantik als subjektivierten Okkasionalismus: „d.h. im Romantischen behandelt das romantische Subjekt die Welt als Anlaß und Gelegenheit seiner romantischen Produktivität“. Als Konsequenz dieser Formel ergibt sich eine prägnante Definition der politischen Romantik: Sie „ist ein Begleit-
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affekt des Romantikers zu einem politischen Vorgang, der okkasionell eine romantische Produktivität hervorruft“. Der Politischen Romantik geht also jede eigene politische Aktivität ab: „Romantische Aktivität ist contradictio in adjecto“. Das isolierte, absolute Ich des Romantikers ist über jede Politik erhaben und kann jede Politik als Anlaß zu seiner Produktivität benutzen. Wie es unmöglich ist, politische Lyrik mit einer ganz bestimmten Politik zu identifizieren, alle Politik kann in lyrischen Gedichten verherrlicht oder verdammt werden, ebenso unmöglich ist es, politische Romantik in eine notwendige Beziehung zu einer bestimmten Politik zu bringen. Sie kann ebenso gut monarchische und demokratische, konservative oder revolutionäre Gedanken für ihre Produktivität benutzen. Daher muß jeder Versuch, sie durch eine bestimmte politische Haltung zu definieren, ebenso scheitern, wie der Versuch einer Definition der Romantik überhaupt durch Aufzählung romantisierter Objekte. Das ist nämlich ein entscheidendes Ergebnis des Werkes von Carl Schmitt: Es gibt kein spezifisches, romantisches Objekt. Es gibt nur ein romantisches Subjekt. Dieses Ergebnis wird nicht mit Hilfe des Herantragens abstrakter Normen an die konkrete, historische Wirklichkeit gewonnen. Zwar betont Carl Schmitt, daß „jede Äußerung im Geistigen, bewußt oder unbewußt, ein – rechtgläubiges oder häretisches – Dogma zur Prämisse hat“; zwar stellt er ausdrücklich fest, daß man „jede geistige Bewegung metaphysisch und moralisch ernst nehmen“ muß, „aber,“ fährt er fort, „nicht als Exempel für einen abstrakten Satz, sondern als konkrete geschichtliche Wirklichkeit im Zusammenhang eines geschichtlichen Prozesses.“ Sein Werk ist ein musterhaftes Beispiel einer Fähigkeit, konkret-historische und metaphysisch-normative Betrachtungsweise zu verbinden. Dadurch wird einerseits verhindert, daß die mannigfaltigsten Erscheinungen, deren Individualität von der historischen Situation unablösbar ist, auf einen allgemeinen Satz zurückgeführt werden, anderseits unmöglich gemacht, mit Hilfe einer imprägnanten Verwendung des Wortes Romantik „überall in der Weltgeschichte Romantik zu entdecken“. Die Romantik ist für Carl Schmitt der Ausdruck einer ganz bestimmten, historischen Situation. Das zeigt sofort deutlich ein Vergleich des subjektivierten Okkasionalismus, der ihr Wesen ausmacht, mit dem Okkasionalismus eines Geulincx, Malebranche und Géraud de Cordemoy. Die metaphysischen Systeme dieser Männer werden als okkasionalistisch bezeichnet, „weil sie die Beziehung des Okkasionellen an den entscheidenden Punkt setzen: in der Philosophie des Malebranche zum Beispiel ist Gott die letzte, absolute Instanz und die ganze Welt und alles, was in ihr vorgeht, bloßer Anlaß seiner alleinigen Wirksamkeit.“ In der Romantik tritt an Stelle Gottes das einzelne Subjekt. Sie ist daher nur möglich in einer Zeit, in welcher der Glaube an Gott als die höchste Realität der Metaphysik erschüttert ist, die nach neuen höchsten Realitäten sucht. Als diese neuen Realitäten werden die Menschheit (das Volk) und die Geschichte betrachtet. Die Menschheit erscheint als revolutionärer, die Geschichte als konservativer Demiurg. Und in diesem Kampfe der Realitäten entsteht die Romantik: Die Romantiker sind jene Männer, welche sich in diesem Kampfe nicht entscheiden wollten, d.h. „sich in diesem Kampf der Gottheiten mit ihrer subjektiven Persönlichkeit reservierten“. Sie spielten die Realitäten gegeneinander aus; hier hat die berühmte romantische Ironie ihre Wurzeln. Und so wurden sie, die Männer um die Wende des 18. Jahrhunderts,
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zu Vorboten einer individualistisch aufgelösten Gesellschaft, die für das bürgerliche 19. Jahrhundert charakteristisch ist: „Nur in einer bürgerlichen Welt, die das Individuum im Geistigen isoliert,“ kann „das ästhetisch produzierende Subjekt“ eine entscheidende Rolle erhalten. „In dieser Gesellschaft ist es dem privaten Individuum überlassen, sein eigener Priester zu sein . . . Im privaten Priestertum liegt die letzte Wurzel der Romantik und der romantischen Phänomene.“ In der bürgerlichen Gesellschaft gibt nur „die mechanische Berechenbarkeit des Ursächlichen . . . dem Leben und dem Geschehen Konsequenz und Ordnung“. Und da diese Kausalität in der religiösen und metaphysischen Sphäre unmöglich ist – in ihnen sind nur normative Zusammenhänge möglich – so wird die Romantik für das geistig-religiöse Leben der bürgerlichen Gesellschaft charakteristisch. Aber die Romantik ist zu keiner sachlichen Produktivität fähig, der private Priester kann nicht aus sich heraus eine Welt schaffen: die Romantik ist nur ein ästhetisch-lyrischer Begleitaffekt verschiedenster Vorgänge. Alle „geistige Produktivität wird ins Aesthetische verlegt,“ und von da aus werden alle anderen Gebiete erfaßt. Aber alles Geistige, auch die Kunst selbst, wird in seinem Wesen verändert und sogar gefälscht, wenn das Aesthetische verabsolutiert und zum Mittelpunkt erhoben wird.“ Die Aesthetisierung der Welt ist eine Folge der Durcheinanderwirbelung aller Sphären, die für die Romantik charakteristisch ist. Wie man sieht, ist Carl Schmitts Werk berufen, der romantischen Legende von der Romantik, der Romantisierung der Romantik ein Ende zu bereiten. Er stellt unerbittlich fest, daß die Romantik von niemandem ernst genommen werden darf, dem es auf Sachlichkeit und Echtheit ankommt. Die Romantik leugnet überhaupt alles Ernste und daher alles Echte. Kann man die Welt jener Männer ernst nehmen, für welche alles zum Anlaß für Romane wird? Denn alles kann romantisiert, zum Objekt einer lyrisch-ästhetischen Produktivität werden. Wenn Carl Schmitt sich in seinem Werke so eingehend mit einer unbedeutenden und zweifelhaften Persönlichkeit wie Adam Müller befaßt, wenn er mit unnachsichtiger Strenge Aufsätze eines Friedrich Schlegel analysiert, Aussprüche eines Novalis zusammenstellt, die – wenn man ihren Gehalt aus der geheimnisvoll klingenden Formulierung herausschält – oft von einer erstaunlichen Banalität oder einer unwiderstehlichen Lächerlichkeit sind, so treibt ihn natürlich nicht der Glaube an eine sachliche Bedeutung der Romantik, die sich zuerst in den Romantikern des beginnenden 19. Jahrhunderts zeigte. Die Romantik ist sachlich bedeutend nur als Ausdruck einer ungläubigen Mentalität, für welche die Unfähigkeit, sich zu entscheiden, charakteristisch ist. Und so ist es Empörung darüber, daß Männer, für welche die wichtigste Quelle politischer Vitalität, der Glaube an das Recht und die Empörung über das Unrecht nicht existiert, als Vorbilder für die Gegenwart hingestellt werden, aus der heraus Carl Schmitt sein Werk geschrieben hat. Mit strenger Eindeutigkeit wird folgendes Urteil über die Romantik gefällt: „Aus der Struktur des Romantischen – als einem zur ästhetischen Produktivität gewendeten okkasionalistischen Konsentement ergibt sich die Entscheidung: die völlige Unvereinbarkeit des Romantischen mit irgendeinem moralischen rechtlichen oder politischen Maßstab.“ Da man – leider auch in katholischen Kreisen – die Romantik in eine enge Beziehung mit dem Katholizismus bringt, auch dann, wenn man so vorsichtig ist, sie
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nicht mit ihm zu identifizieren, so ist es angebracht, die Auffassungen Carl Schmitts über das Verhältnis von Romantik zur katholischen Kirche kurz zu skizzieren. Die Sympathie der Romantiker für das katholische Mittelalter beweist gar nichts. Das Mittelalter ist eben auch ein Anlaß zur lyrisch-ästhetischen Produktivität. Es kann auch negativ romantisiert werden. (Michelet) Das starke Interesse der Romantiker für die katholische Kirche ist auch nur daraus zu erklären, daß die Kirche den Romantikern ein unerschöpfliches Reservoir von Suggestionen bietet: „In der katholischen Kirche und ihrer Theologie waren in einem Jahrtausend geistiger Arbeit alle menschlichen Probleme in der höchsten Form, die sie haben können, nämlich theologisch, erörtert. Das war ein mächtiges Arsenal von handlichen Begriffen und tiefsinnigen Formeln. Worte wie Gnade, Erbsünde und Offenbahrung gebrauchen die Romantiker als kostbare Behälter, in welche das romantische Erlebnis sich ergießt.“ Aus Anlaß der Konversionen von Romantikern (z. B. Adam Müller) wird bemerkt: „(Als Katholik) hört er allmählich auf, sich als Romantiker zu zeigen . . . Jedenfalls ist es unrichtig, ihn einen Romantiker zu nennen, weil er Katholik war . . . Der Katholizismus ist nichts Romantisches. So oft die katholische Kirche das Objekt romantischen Interesses war . . ., sie selbst ist nie Subjekt und Träger einer Romantik gewesen.“ Die Romantiker geraten unter den Einfluß jeder starken Macht; warum soll die katholische Kirche sie nicht anziehen? Mag sein, daß für manche Romantiker die Konversion von heilsamer Wirkung war, daß sie von ihnen ernst genommen wurde. Aber damit war auch die Romantik zu Ende, für welche die Welt eine Aufeinanderfolge von Anlässen für lyrisch-ästhetische Produktivität ist. Kurt Borries’ Werk „Die Romantik und die Geschichte“ ist auch an Stellen, wo Schmitt nicht genannt ist, sehr stark von der „Politischen Romantik“ beeinflußt. Ich zitiere nur einige Stellen: S. 17: „Der Romantiker will sich reservieren, aber nicht resignieren.“ (Vgl. Schmitt: Ich nenne nur Stellen, die in der 1. Auflage, die Borries kennt, vorlagen. Ich zitiere die Seitenzahl nach der 2. Auflage. (Der Romantiker) reserviert sich in dem Kampfe der Gottheiten mit seiner subjektiven Persönlichkeit (96). Borries S. 62: „Den ewig erneuerten Anspruch (der Realitäten) und (ihren) unbequemen Zudrang abzuwehren, mußte nunmehr der Spieltrieb vor allem bedacht sein, und er versuchte es in der Form der Ironie.“ (Vgl. Schmitt, 107: Das Angriffsziel (der romantischen Ironie) ist . . . die objektive Realität, die sich um das Subjekt nicht kümmert.) Borries S. 19: „Auf romantischen Lebensläufen ruht, wie auf der Romantik überhaupt, die Ironie des Schicksals.“ (Schmitt S. 133: „Der ironische Romantiker war das Opfer einer bösen Ironie geworden.“) Man könnte noch mehr ähnlicher Parallelstellen anführen; solange Borries nicht nachweist, daß ihm und Schmitt ein „höheres Dritte“, d.h. eine gemeinsame Quelle vorliegt, kann man sagen, daß er mehr, als es auf den ersten Blick scheint, von der „Politischen Romantik“ beeinflußt ist. Leider unternimmt er trotzdem den zum Fehlschlagen verurteilten Versuch, die Romantiker zu rehabilitieren, d.h. ihre Bedeutung für die moderne Historie nachzuweisen. Die alten Thesen vom Organismusgedanken und kulturhistorischen Gefühl der Romantik werden – gestützt durch eine fleißige Zitierung der Quellen – wieder einmal aufgestellt. Nur ist Borries genötigt, immer wieder das Fragmentarische, Unfertige der romantischen Aeußerungen zu betonen. Wenn er untersucht hätte, daß sich darin gerade das Wesen der romantischen, unproduktiven, rein akkompagnierenden Geistigkeit zeigt, daß die Ausführungen – etwa bei F. Schlegel – hinter den Projekten in erstaunlicher Diskrepanz nicht nur zufällig
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zurückbleiben, so hätte er seine Thesen nicht aufrechterhalten können, aber kein subromantisches Werk geschrieben. Das fünfte Kapitel seines zweiten Buches: Der Staat, welches den Staatsauffassungen der Romantiker gewidmet ist, schließt mit einem Satze, in dem eine die romantischen Staats„theorien“ vernichtende Wendung vorkommt, nämlich: „. . . um doch endlich mit einem positiven Gewinn abzuschließen . . .“ Und sogar dieser positive Gewinn besteht nur in Andeutungen, die – so ist leider zu fürchten – dazu noch von Borries hineingelesen worden sind. Borries hat wenigstens ein Empfinden für die Notwendigkeit von Definitionen. Und er bemüht sich, den Begriff Romantik nicht uferlos zu gebrauchen. So erscheint es ihm problematisch, Kleist und Hölderlin als Romantiker zu bezeichnen. (1.) von Schelling schreibt er: „Schelling war kein Romantiker.“ (200.) Und er hat wenigstens die Gewissenhaftigkeit, seine Darstellung mit vielen Zitaten aus den Romantikern zu dokumentieren. Zwar erliegt er dadurch dem Verhängnis einer objektiven Ironie – seine Zitate widerlegen seine Thesen – aber er schützt doch so sein Buch gegen den Vorwurf einer unendlichen, in jeder Beziehung unprägnanten Geschwätzigkeit. Diesen Vorwurf muß man mit aller Deutlichkeit gegen Fritz Strichs Deutsche Klassik und Romantik erheben. Wenn man den Untertitel: Oder Vollendung und Unendlichkeit, gelesen hat, so weiß man eigentlich alles, was im Buche drin steht. Klassik ist Kunst der Vollendung, Romantik der Unendlichkeit. Klassik ist Form, Romantik Ausdruck. Theodor A. Mayer hat in der „Deutschen Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte“ (1925, Heft 2) dem Buche von Strich einen Artikel von 42 Seiten gewidmet. Er schließt mit folgender Feststellung: „Ziehen wir das Ergebnis: Kunst, die nur Ausdruck, nicht Form ist, gibt es nicht!“ Wenn man auch diesen Satz nicht als eine gerade erschütternde Tatsache bezeichnen kann, so mußte er gegen Strich gesagt werden. Das sagt alles über sein Werk. Doch kann man ihm nicht allen Wert absprechen: Sein Buch ist ein klassischer Fall subromantischer Literatur. Alles löst sich auf in Totalitäten, höheren Einheiten; antithetische Begriffe bedeuten im Grunde genommen das gleiche, alle Sphären wirbeln kunterbunt durcheinander. Ab und zu fällt eine treffende Bemerkung, aber, wie es scheint, nur aus Versehen, und der Strom lyrisierend-ästhetisierender Produktivität fließt weiter. Wenn Carl Schmitt eine Rechtfertigungsschrift für das Erscheinen seiner „Politischen Romantik“ nötig hätte, so brauchte sie nicht mehr geschrieben zu werden: Strich ist ein Romantiker, der die Romantik als Anlaß benutzt. Und das will schon einiges besagen. Vielleicht hilft sein gleichsam potenzierter subjektivistischer Okkasionalismus dazu, den einfachen subjektivistischen Okkasionalisms der Romantiker zu durchschauen.
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4. Carl Schmitt, Politische Romantik, 2. bearb. und erw. Aufl., München/Leipzig 1925.158 (Aus: Rhein-Mainische-Volkszeitung Nr. 16 vom 21. Januar 1926, S. 1) Johannes Kirschweng, Der Romantiker Carl Schmitt [Redaktionelle Vorbemerkung:] Wir hoffen, daß sich niemand an diesem „boshaften“ Beitrag zu der von Carl Schmitt neu belebten Erörterung des Begriffes der Romantik skandalisieren wird. Die Schriftleitung Wir haben lange nicht gewußt, was Romantik sei, und so haben wir uns gequält mit der romantischen Erklärung, Romantik sei progressive Universalpoesie. Wir haben uns sagen lassen, die Pyramiden seien ein Ausdruck romantischen Weltgefühls, die Gotik sei Romantik, der Barock und noch manch andere. Von diesen und von anderen Thesen aus suchten wir zum Wesen der Romantik vorzudringen. Vergeblich, bis Carl Schmitt uns belehrte, Romantik sei subjektivierter Occasionalismus. Sehr einfach und sehr einleuchtend ohne Frage. Das Wesen der Romantik ist also, um es noch schlichter auszudrücken, daß sie ohne Wesen, ohne Substanz ist. Der Romantiker ist ein Mensch ohne wesentliche, verbindliche Beziehungen. Alles ist ihm nur ein Anlaß, sich selbst zu produzieren, Anlaß zu Stilübungen, mögen diese nun zu Marienliedern oder philosophischen und staatsrechtlichen Betrachtungen werden. Wie ein eingefleischter Grammatiker Homer und Platon, Caesar und Cicero nur bemühen wird, um bei ihnen Beispiele für die Regeln und Ausnahmen seiner Grammatik zu finden, so wird der Romantiker Grammatik und Philosophie, Religion und Politik, Pilgerfahrten nach Rom und Reisen nach Illyrien nur „zum Vehikel seines romantischen Interesses machen, zu Instrumenten, auf denen sein aufgeregter Geist eine Weile spielt zum Entzücken der aufhorchenden Menge, solange bis er ermüdet zu anderen greifen muß. Die Melodie aber, die in den verschiedensten Tonarten und Klangfarben gespielt wird, ist immer nur er selber. Wir kennen Beispiele, daß einer so die Welt in Staunen und Begeisterung versetzt, dadurch, dass er ihr auf einem (. . .) Instrument aufspielte, das er die „Welt des Mittelalters“ nannte, bis er es plötzlich beiseite legte und zu einem nicht minder kostbaren griff das antik war und das „platonische Akademie“ hieß. Alle Romantik ist subjektivierter Occasionalimus. Mit dieser neu gewonnenen Erkenntnis dürfen wir uns wohl zutrauen, solche sonderbare Wesen, Romantiker genannt, aus anderen herauszutrennen. Sie sind nicht selten und in Carl Schmitt selber scheint uns einer zu begegnen. 158 Der Artikel, obgleich von Piet Tommissen in der Bibliographie von 1959 (in: Hans Barion u. a. (Hrsg.), Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, Berlin 1959) aufgeführt, ist weitgehend unbekannt. Er wurde hier aufgenommen, weil er zu den Kontroversen um Schmitts Romantikkritik gehört, aus dem Bonner Umkreis kommt, über Insiderinformationen – wie den Verweis auf Blei und Bertram – verfügt und eine zentrale polemische Strategie der Schmitt-Kritik einführt – Schmitt als opportunistischer Romantiker –, die Gurian, Löwith, René König und andere nach 1933 weiter verwandten.
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Er mag erschrecken oder mit seiner bekannten vornehmen Geste überlegen abwinken, wir halten ihn in der Tat für einen ganz hervorragenden Romantiker im Sinne seiner eigenen Definition. Carl Schmitt hat die Kritik zu dem Instrument gemacht, auf dem er sich selber spielt. Carl Schmitt: das ist ohne Frage eine sehr feine und elegante Melodie. Carl Schmitt contra Romantik! Das ist ein ganz glänzendes Thema, würdig, immer und überall gespielt zu werden, in umfangreichen Abhandlungen und in kurzen Aufsätzen, in Franz Bleis großem Zirkus, „Bestiarium der deutschen Literatur“ genannt159, in Deutschland und in Illyrien. Da hebt ein Funkeln und Glänzen an, ein Spiel mit dialektischen Konstruktionen, daß dagegen eine mondbeglänzte Zaubernacht als sehr harmloses und kindliches Vergnügen erscheinen muß. Wir können uns nicht denken, daß ein Mensch, der auch nur leises Gefühl für die ästhetischen Wirkungen solcher Dinge hat, an Carl Schmitts Ausführungen nicht das innigste Vergnügen haben sollte. Wer aber zugleich auch nur die mindeste Fähigkeit zur Kritik, die mindeste Selbständigkeit hat, wird mitten darin lachend oder weinend oder zürnend ausrufen: „Aber das ist ja blutige Romantik!“ Carl Schmitts zahlreiche Zitate, deutsche französische, englische und spanische dürfen einen nicht täuschen. Alles sieht verändert aus im ultravioletten Licht seiner genialen Kritik, nur man muß die Dinge schon einmal aus dem Bereich jener Wirkung rücken, um ihre Naturfarbe zu erkennen. Wir glauben aber, auch abgesehen von dieser etwas boshaften und oberflächlichen Anwendung seines Romantikbegriffes, in Carl Schmitt einen Romantiker sehen zu dürfen. Natürlich kommen wir jetzt trotz all unserer Schüchternheit nicht daran vorbei, zu sagen, oder wenigstens anzudeuten, was wir unter einem Romantiker verstehen. Unsere Ansicht darüber ist kindlich genug. Aber wir haben sie nun einmal. Wir glauben, daß ein Romantiker ein Mensch der Sehnsucht ist und nicht der Erfüllung, des Erlebens und nicht des Besitzens, des seelischen Nordens und nicht des Südens, daß darum auch besondere Zusammenhänge bestehen zwischen den nordischen Göttern und der Romantik, weiter, daß diese naturgemäß Bewegung ist und nicht friedliches Ausruhen, ein nach allen Höhen und Tiefen des Daseins suchen, statt an der Oberfläche sich seiner zu freuen. Der Romantiker ist darum auch der Mensch des Rausches und der Qual, der Extase und der Verzweiflung. Das alles ist keine Definition, aber es genügt wohl, um den Schrecken groß sein zu lassen, wenn wir jetzt behaupten, Carl Schmitt sei Romantiker auch in diesem Sinne. Wir schätzen Carl Schmitt sehr hoch, und wir glauben, daß die meisten Deutschen, die man in Deutschland sehr und hoch schätzen muß, Romantiker sind. Daß er aber zu diesen meisten und nicht zu den wenigen anderen gehört, das geht für uns gerade aus der Art hervor, in der er die Romantik bestimmt. Ein solch erhitzter Kampf wird von wahrhaft geistigen Menschen nur dann geführt, wenn der Kampfplatz weniger in der Außenwelt als in ihrem Innern liegt. Wer am meisten Norden 159 [Franz Blei, Das große Bestiarium der (modernen) Literatur, 6.–8. Aufl. Berlin 1924.]
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in sich trägt, wird am meisten den Süden lieben und den Norden bekämpfen, vorausgesetzt, daß er die geistigen Maße eines Menschen besitzt, mit den man rechnen muß, die geistigen Maße eines Carl Schmitt. Er ist ja wahrhaftig nicht der erste, der sich von Dingen, die er immer nur für Anfänge und Ausgangspunkte nehmen kann, dadurch zu befreien sucht, daß er Gericht hält über sie. Wer zu hören versucht, der wird denn auch gerade bei Carl Schmitt jenen Ton ingrimmiger Entrüstung vernehmen, der seinen Grund nicht wohl in wissenschaftlichem Eifer, sondern nur in der glühenden Atmosphäre ganz persönlicher Beteiligung haben kann. Jedenfalls wird der, der einmal die Legende Carl Schmitts zu schreiben hat, wie Ernst Bertram160 die Nietzsches schrieb, das Judaskapitel nicht auslassen dürfen. Im literarischen Ratgeber für 1926 nennt Ph. Funk die Arbeiten des Carl Schmitts ein Plädoyer, ihn selber den Staatsanwalt eines gewissen Positivismus gegen die Romantik. Das ist sehr schön gesagt. Wir glauben aber, daß dieser Staatsanwalt eines Tages verhüllten Hauptes das Tribunal verlassen wird, weil er sonst fürchten müßte, auf die Anklagebank versetzt zu werden und weil auf die Dauer niemand Verräter seiner selbst sein kann.
5. Carl Schmitt, Politische Romantik, 2. bearb. und erw. Aufl., München/Leipzig 1925161 (Aus: Wiener Reichspost Nr. 68 vom 7. März 1926, S. 22) Johannes Sauter, Antiromantik oder Unromantik? Im Glauben, eine gute Sache in beste Hände zu nehmen, ließ der Bonner Rechtsgelehrte Karl Schmitt eine „Politische Romantik“ (1925) erscheinen, über die der Kenner der Romantik ruhig hinweggehen könnte, wenn nicht die Nichtkenner nunmehr diese Arbeit als wissenschaftliche Gegeninstanz gegen die geschichtlich-konkrete Romantik in Anspruch nähmen. Der Verfasser, von Haus aus jeder historischen Einfühlungsgabe bar, ließ sich durch seine rhetorische Gewandtheit dahin verleiten, in freischwebender Konstruktionsspielerei einen aus Geist und Phantasie gewobenen Schleier über die wahre Romantik zu werfen, was um so verfänglicher wirken muß, als Schmitt seine subjektiven Ideenassoziationen mit dem glitzernden Zierrat deutscher, französischer und spanischer Quellschriften auszustatten weiß. Trotz dieses zweifachen, stilistischen und quellenkundlichen Vorzuges darf man sich aber nicht täuschen lassen; mit dem Anschein der Gründlichkeit führt uns Schmitt am Wesen der Romantik vorbei. Schmitt bedient sich einer glatten Aequivokation. Diese Romantik, wie sie Schmitt sieht, lehnen wir auch ab. Das ist das Grundgebrechen der endlosen Auseinandersetzung über Romantik: jeder macht sich seine eigene „Romantik“ zurecht, un160 [Dazu vgl. Ernst Bertram, Judas, in: ders., Nietzsche. Versuch einer Mythologie, 1918, 7. Aufl., Berlin 1928, S. 160–175.] 161 Aufgrund der Länge des Textes wird hier nur der erste Teil (etwa ein Viertel) der Besprechung abgedruckt. Die Ausgaben der Wiener Reichspost sind online abrufbar.
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ter bestmöglicher philosophischer Verbrämung der liberalen Zerrurteile, zusammengesetzt mit einigen Fetzen romantischer Kleider aus zweiter und dritter Hand. Daß es bei einem solch ungeschichtlichen Verfahren bei einem rein geistesgeschichtlichen Problem nicht vorwärts geht, ist klar. Dieser Mißstand ist aber umso verderblicher, als selbst die gebildete Welt an dieser Maniriertheit keinerlei Anstoß nimmt. Im Gegenteil: Von der liberalen Geschichtsfälschung glaubte man zu wissen, Romantik ist Subjektivismus, Gefühlsschwärmerei, also ist jedes Phantasieren und Drauflosschwärmen die gesuchte Romantik. Bei Schmitt kommt noch dazu, daß er für sein Angehen sogar einen Rechtsgrund in Anspruch nehmen will. Er leitet nämlich die Romantik ab von „Roman“, Fabel. Alles ist da romanhaft, ohne jegliche Beziehung zur Wirklichkeit, ohne allen substantiellen Gehalt, es soll niemals eine Entscheidung getroffen werden, dafür sollen alle Gesetze und moralischen Bindungen in eine „tumultuarische Buntheit“ aufgelöst werden, alles wird dem Romantiker „Anlaß, sich selbst zu produzieren, Anlaß zum Lyrismus“, „subjektiviertem Okkasionalismus“, wird zum „Vehikel des romantischen Interesses“; und so ist das Leben des Romantikers der taumelnde Tanz um seinen wechselnden Fetisch, in Rausch, in Ekstase, in Verzweiflung, in Verzückung, in Ermattung, Marienlieder – Liebeslieder, Marseillaise – „Gott erhalte“, Rom – Delphi: – alles „hochromantisch“. Das ist die Rhapsodie von Karl Schmitt! Wer sich an einer dialektischen Operette berauschen will, lasse sich die Melodie Karl Schmitt vorspielen; Partitur 234 Seiten. Das allerinteressanteste ist aber, daß sich Schmitt an seiner eigenen Melodie berauscht; denn ihm wird die historische Romantik zu einem „Vehikel seines romantischen Interesses“, einem Anlass zur Spielerei und so behaupte ich denn, daß Schmitt – dank seiner eigenen Definition – der allervorzüglichste Romantiker ist. [. . .]
Lilly von Schnitzler – Carl Schmitt. Briefwechsel 1919 bis 1977 Herausgegeben von Rolf Rieß Grande Dame in vier deutschen Staaten Am 29. Dezember 1918 notiert Thomas Mann in sein Tagebuch: „. . . Melancholisch – verstimmt. Abendgang. Zum Abendessen Ebers, der von dem Salon der Frau von Schnitzer erzählte, wo er Heinrich, Hausenstein, Rilke u. a. Berühmtheiten getroffen . . . Wurde mir bewusst, daß ich eine einsame, abgesonderte grüblerische wunderlich untrübe Existenz führe. H.’s Leben dagegen ist jetzt sehr sonnig . . .“.1 Abgesehen davon, dass Thomas Mann den Namen nicht richtig wiedergibt – Schnitzer, statt Schnitzler – ist es bemerkenswert, dass es einen weiteren Salon in München, neben den Bechsteins und Bruckmanns u. a.,2 gab, der bisher noch nicht die Aufmerksamkeit gefunden hat, die ihm zukommt. Dies sollte weniger aus Gründen der „Berühmtheiten“ geschehen, die doch alle gut bekannt sind, als vielmehr aus Rücksicht auf die Frau, die den Salon organisierte, Lilly von Schnitzler. Ihr Leben pendelte zwischen Kunst, Mäzenatentum und Politik. Die Maler Max Beckmann, Theo Garve, Werner Gilles, Ernst Wilhelm Nay, die Schriftsteller Ernst Jünger, Elisabeth Langgässer, Friedrich Sieburg, die Philosophen und Theologen Hermann Keyserling und Erich Przywara, aber auch der Staatsrechtler Carl Schmitt und der kulturpolitische Schriftsteller und Kulturorganisator Prinz Rohan, die Politiker Richard Kühlmann, Hjalmar Schacht, um nur einige wenige zu nennen, gehörten zu ihrem Bekannten- und Freundeskreis. Die Lebenszeit von Lilly von Schnitzler (1889–1981) umfasste mehr als 90 Jahre, in denen in 1 Thomas Mann, Tagebücher 1918–1921, hrsg. v. Peter de Mendelssohn, Frankfurt/M. 1998, S. 119. 2 Vgl. Wolfgang Martynkewicz, Salon Deutschland. Geist und Macht, 1900–1945, Berlin 2009; Fabrice d’Almeida, Hakenkreuz und Kaviar. Das mondäne Leben im Nationalsozialismus, 2. Aufl., Düsseldorf 2008. Jetzt ist eine neue Abhandlung herausgekommen, die auf dem Nachlass fußt: Christian Lenz, Lilly und Georg Schnitzler, in: Max Beckmann Archiv Erwerbungen 2008–2010, Heft 11/12, München 2010, S. 13–30. Das Heft enthält zahlreiche Briefe aus dem Nachlass, darunter auch 17 Briefe von Carl Schmitt.
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Deutschland vier politische Systeme, die DDR nicht mitgerechnet, sich ablösten: Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und die Bundesrepublik. Diese Zeiten konnte Lilly von Schnitzler, dank ihres Mannes, des I. G.-Farben-Vorstandsmitgliedes Georg von Schnitzler (1884–1962), in wichtigen Zentren des wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens verbringen und so an Entwicklungen teilhaben, in die Einblicke zu nehmen den meisten Bürgern versagt war. Hier seien nur die Orte Köln, München, Berlin, Frankfurt/M. aufgeführt, die nach 1945 noch um das Lebenszentrum Lilamor in Murnau, ergänzt werden müssen. Neben diesen persönlichen und zeitgeschichtlichen Aspekten lohnt sich die Beschäftigung mit Lilly von Schnitzler aber auch deswegen, da man an ihr das Verhalten einer Adeligen in der Moderne,3 nach dem Verlust der überlieferten adeligen Privilegien, studieren kann. Erstaunlicherweise gibt es bis heute kaum Literatur über diese Frau, von der Carl Schmitt in seiner Geburtstagsrede anlässlich seines 50. Geburtstag schwärmte: „Zuerst, im Jahre 1915, während der ersten Kriegsjahre, habe ich meine liebe und verehrte Freundin Frau von Schnitzler in München kennengelernt. In diesem Jahr entstand unsere Bekanntschaft, jedes weitere Jahr hat sie wachsen lassen, so phantastisch die politischen und sozialen Wandlungen dieser Zeit gewesen sein mögen; ich weiß keinen Abschnitt, der nicht unserer Freundschaft eine neue Seite und eine neue Bestätigung gegeben hätte, die beste Weggenossin dieser 20 Jahre, die innigste aller meiner guten Freundschaften.“4 Die wenigen knappen Darstellungen stammen meist von Freunden und tragen hagiographische Züge5 oder sind Nachrufe, deren gattungsimmanente Grenzen bekannt sind.6 Auch Selbstdarstellungen7 und Ver3 Vgl. Monika Wienfort, Gesellschaftsdamen, Gutsfrauen und Rebellinnen. Adelige Frauen in Deutschland 1890–1939, in: dies. und Eckart Conze (Hrsg.), Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 181–203; dies., Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006; Christa Diemel, Adelige Frauen im bürgerlichen Jahrhundert. Hofdamen, Stiftsdamen, Salondamen 1800–1870, Frankfurt/M. 1998. 4 Carl Schmitt, Eine Tischrede (1938), in: Schmittiana 5, 1996, S. 9–12, hier S. 10. 5 Hans-Georg v. Studnitz, Menschen aus meiner Welt, Frankfurt/M./Berlin/Wien 1985, S. 55–69. Eine Ausnahme stellt der Artikel von Sabine Hock in der „Frankfurter Biographie“ Bd. 2, hrsg. von Wolfgang Klötzer, Frankfurt/M. 1996, S. 321 f., dar. Vgl. jetzt auch: Andreas Hansert, Brechungen der Moderne. Der Salon der Lilly von Schnitzler in Frankfurt a. M., in: ‚Bereitschaft zum Risiko‘. Lilly von Schnitzler 1889–1981. Sammlerin und Mäzenin. Bearb. von Brigitte Salmen und Christian Lenz [Ausstellungskatalog], Murnau 2011, S. 26–32. 6 Vgl. Dieter Hoffmann, Ein Leben in schöpferischer Neugier. Zum Tode der Frankfurter Kunstfreundin und Beckmann-Sammlerin Lilly von Schnitzler, in: Frankfurter Neue Presse vom 30.6.1981; Klaus Gallwitz, Muse und Sammlerin. Zum Tode von Lilly von Schnitzler, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.7.1981; pia, Frankfurt gedenkt Lilly von Schnitzlers, in: Frankfurter Rundschau
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öffentlichungen von ihr8 sind spärlich. Zwar hat sie 1948 in einem Brief an Dr. Joachim Moras, den Mitherausgeber der Zeitschrift „Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken“ um eine Bestätigung ihrer schriftstellerischen Tätigkeit nachgesucht, jedoch hat dies vorwiegend taktische Gründe, wie aus einem Brief an Hans Paeschke hervorgeht: „Ich erbat s. von Dr. Moras eine Erklärung, dass ich v. 1924–1934 Mitarbeiterin an d. Europäischen Revue gewesen bin, in organisatorischer u. redaktioneller Eigenschaft. Ich schrieb in d. ersten Jahren Buch-, Ausstellungskritiken, Darstellungen (so 1929 v. Barcelona, Kulturbd. Kongress,9 dortigen Fronleichnamsbegängnis) – darüber hinaus wäre ich dankbar, wenn Sie mir vom ‚Merkur‘ aus e. Anfrage an mich ergehen liessen, ob ich bereit sei, für die Marginalien, kleingedruckter Teil, – zu schreiben? – Ich werde derzeitig von d. zuständigen Amt um Vorlage derartiger Unterlagen ersucht um mir mein Arbeitszimmer zu erhalten. Es ist d. Schlafwohnraum m. Mannes. Kehrt dieser, wie ich hoffe, im Laufe dieses Jahres zurück, so werden wir ohnehin Jeder nur 1 Schlafwohnraum haben. Sie sehen, dass die Frage wahrhaft lebenswichtig für mich ist.“10 Sie kündigte des Weiteren an: „Ich will, nach . . . [1 Wort nicht lesbar] von verschiedenen Seiten in der Tat daran gehen, manche Manuskripte durchzuarbeiten, Novellen, Gedichte – u. mich dann in der Kurzgeschichte einmal versuchen. Dazu reicht es vielleicht, da ich vor Allem e. Organ für das Impressionistische habe, für d. Stil, Lebensstil, Lebensgefühl von Heute. E. fragwürdige Feststellung, nicht wahr?“11 Über ihre Jugend ist wenig bekannt, desgleichen über ihre Ausbildung.12 Ins Blickfeld gerät sie, als sie 1910 Georg von Schnitzler heiratet, einen vom 13.7.1981; ner., Stets der Moderne zugetan. Lilly von Schnitzler im Alter von 92 Jahren gestorben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.6.1981. 7 Vgl. Lilly von Schnitzler, Frankfurt zwischen den beiden Weltkriegen. Erinnerungen der Frau Lilly von Schnitzler geb. von Mallinckrodt, für das Stadtarchiv Frankfurt a. M. auf Tonband gesprochen am 5. März 1962 (Institut für Stadtgeschichte FFM, Chroniken, S 5/364). Ob sich autobiographisches Material noch im Nachlass befindet ist, ist nicht geklärt. 8 Vgl. Lilly von Schnitzler, Max Beckmann, in: Der Querschnitt 8, 1928, S. 268; dies, Die Weltausstellung Barcelona 1929, in: ebd. 9, 1929, S. 583 f., wiederabgedruckt in: Europäische Revue 5, 1929, S. 286–288. 9 Schnitzlers waren maßgeblich an der Organisation des Kongresses vom Verband für kulturelle Zusammenarbeit beteiligt, der vom 16.–19. Oktober 1929 in Barcelona stattfand und auf dem Carl Schmitt seinen Vortrag „Die europäische Kultur im Zwischenstadium der Neutralisierung“ hielt. Schnitzler war Reichskommissar für die parallel laufende Weltausstellung in Barcelona, deren deutscher Pavillon von Mies van der Rohe entworfen worden war. 10 Brief Lilly von Schnitzler an Hans Paeschke, 24.4.1948 (DLA Marbach). 11 Ebd. 12 Vgl. jetzt: Christian Lenz, Lilly von Schnitzler – und Georg, in: „Bereitschaft zum Risiko“ (wie Anm. 5), S. 9–25, bes. S. 9.
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Juristen, der den Ersten Weltkrieg in München im stellvertr. Generalkommando des 1. Bayerischen Armee-Korps in der Abteilung des später umstrittenen Hauptmann Roth verbringt, wo er auch Carl Schmitt kennenlernt.13 Seine Frau pflegt zu dieser Zeit bereits Kontakte zu Künstlerkreisen in München. Als Georg in die chemische Industrie eintritt, zieht das Paar nach Frankfurt/M. Hier spielt ihr Salon schon bald eine Rolle in der Kultur der wirtschaftlich starken Stadt, die aber auch durch die Universität, die Museen, das Institut für Sozialforschung u. a. Institutionen das Bild einer bürgerlich-liberalen Zivilgesellschaft repräsentiert.14 Adorno besucht genauso ihren Salon wie der Industrielle Richard Merton oder der Verleger Heinrich Simon. Soweit man über die Inhalte der Zusammenkünfte urteilen kann, handelt es sich um typische Repräsentationen adeliger Lebenswelten, die mit interessanten Leuten geschmückt wurden.15 Hierbei ist auffällig, dass sich Lilly früh an philosophisch-esoterischen Fragen interessiert zeigt, die vor allem die Schule der Weisheit des Darmstädter Philosophen Hermann Keyserling16 vertritt, dem Lilly ein Leben lang die Treue hält. Aber auch Fragen der Sinologie und des Buddhismus interessieren sie, weswegen die damals führenden Sinologen Richard Wilhelm17 und Erwin Rouselle eingeladen wurden. „In der Zeit zwischen 1860 und 1920 erreichte die europäische Faszination durch Asien einen Höhepunkt“, konstatiert der Historiker J. Osterhammel.18 Während sich aber das reale Asien in dieser Zeit oft nach westlichem Vorbild modernisierte, propagierten einige westeuropäische Gelehrte, wie z. B. Richard Wilhelm die verstärkte Hinwendung und Beschäftigung mit altasiatischen Traditionen des Konfuzius und Laotse. Dazu schreibt der Historiker Osterhammel: „In einer Krise, die in manchen Augen gleichermaßen das Christentum wie das rationale Weltbild der Naturwissenschaften zu erfassen schien, lockte Asien mit der unerschöpften Tiefe seiner verschiedenen ‚Weisheitslehren‘. Sie wurden kulturkritisch oder als individuelle Erlösungshoffnung gegen die geistigen Angebote des Westens ins Feld geführt“; und weiter: „Ein undifferenziertes ‚Asien‘ wurde auf diese Weise als Ursprungsort von Erlösungslehren zum Inbegriff eines Irrationalismus, der einem westlichen Vernunftglauben, wie er bis in den 13 Vgl. unten die Briefe Nr. 5 vom 27.7.1920, Nr. 7 vom 14.8.1920, Nr. 11 vom 31.5.1923, Nr. 67 vom 9.9.1950. 14 Vgl. Volker Breidecker, Der Geist von Frankfurt, in: Süddeutsche Zeitung vom 29.12.2009, S. 13; Andreas Hansert, Brechungen der Moderne (wie Anm. 5). 15 Vgl. Anm. 3. 16 Vgl. Ute Gahlings, Hermann Graf Keyserling. Ein Lebensbild, Darmstadt 1996. 17 R. Wilhelm war der erste Übersetzer klassischer chinesischer Schriften wie „I Ging“, „Tao Teking“ u. a. 18 Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 1153 f.
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theologisch kühlen Kulturprotestantismus zu reichen schien, polemisch entgegengesetzt werden konnte.“19 Dieser Hang zum Irrationalismus und die Abkehr vom westlichen Vernunftdenken stellen aber nur eine Facette des Lebens der Lilly von Schnitzler dar. Die andere Seite bildete die Ästhetik, die sich verstärkt der Klassischen Moderne zuwandte, auch in Zeiten, als dies nach 1933 nicht mehr opportun erschien. Auch hier betätigte sie sich im Rahmen des adeligen Selbstverständnisses als Mäzenatin in einer Weise, die z. T. quer zur herrschenden Kunstauffassung stand. So unterstützte sie den von den Nationalsozialisten geächteten Max Beckmann, aber auch – und hier in Übereinstimmung mit Carl Schmitt – Emil Nolde, Werner Gilles, Ernst Wilhelm Nay u. a. Finanzieren konnte sie das durch die Berufstätigkeit ihres Mannes, der seit 1926 ordentliches Vorstandsmitglied der I. G. Farben war, bekannt als „der Diplomat und Verkäufer der I. G.“. Damit kam sie zwangsläufig auch mit den Nationalsozialisten in Berührung und pflegte neben Kontakten zur örtlichen Parteiprominenz wie dem Frankfurter Oberbürgermeister Friedrich Krebs, auch Kontakte in allerhöchste Kreise bis zu Hitler. Ihr Mann förderte im Auftrag der I. G. Farben die NSDAP, aber auch die SA und SS großzügig mit Spenden. Durch die Heirat ihrer Tochter band sie sich auch familiär an diese Kreise.20 Anders sah es aus mit ihren zahlreichen jüdischen Freunden und Bekannten. Über direkte Hilfen zugunsten ihrer jüdischen Freunde, wie z. B. Heinrich Simon, Georg Swarzenski oder Richard Merton ist nichts bekannt geworden. Allerdings nahmen einige den Kontakt zu ihr nach 1945 wieder auf. Unklar ist, inwieweit sie und ihr Mann über die Verbrechen des Nationalsozialismus informiert waren. Ihre Briefe an Hermann Keyserling und Hans Georg von Studnitz deuten an, dass sie mehr wusste, als sie später zuzugeben bereit war. Auch Aussagen aus der eigenen Familie, zeigen, dass sie wohl stärker involviert waren. So klagte Dorothy Moltke über ihren Sohn Joachim Wolfgang, den Bruder des in Plötzensee hingerichteten Helmut James Graf von Moltke: „Berlin 5.11.33 . . . Ich war sehr bestürzt, als ich gestern einen Brief von Jowo bekam, er sei gerade der S. A. beigetreten 19
Ebd. Die Tochter Liselotte Schnitzler war seit 1934 mit dem Diplomaten Herbert von Scholz verheiratet. Scholz, geb. 1906, 1923 Freikorps „Oberland“, 1925 Abitur, anschließend Studium der Rechtswissenschaft und Philosophie. 1931 Promotion zum Dr. phil., 1.8.1931 NSDAP (Nr. 505786), 1932 SA, 1933 SS-Stubaf, 20.4.1934 SS-Stuf. z. b.V. RESS., 1935 GR in der Botschaft Washington, 1936 DS, 1940 Konsul in Boston, 1941 GRIb. Kl. bei der Gesandtschaft Budapest, 1943 K. I.Kl. in Mailand, 1944 GK in Turin, 21.12.1944 SS-Oberf. (BDC, SS-Pers. – Akte und Sippenakte Herbert Scholz). Vgl. Hans-Jürgen Döscher, Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der Endlösung, Berlin 1987, S. 46. 20
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(Nazi-Sturmabteilungen). Das erscheint mir ganz unnötig, aber er ist 24 und muß wissen, was er tut. Wenn C. B. einträte, fände ich es ganz natürlich und richtig, da er immer mit den Nazis sympathisiert hat. Jowo meint, es sei gut für seine Zukunft und hat ganz bewußt sein Urteil und seine Vernunft abgeschaltet und ist entschlossen, ‚das Beste daraus zu machen‘. Schnitzler sind Nazis – ihr riesiger chemischer Betrieb I. G. Farben, wo er Direktor ist, macht riesige Profite an der unglaublich großen Nachfrage nach braunen Hemden und Nazifahnen –, und das hat ohne Zweifel seine Bedenken zerstreut, zumal er dort viele Nazis trifft und nie Kritik hört oder liest. Wir hingegen hören und lesen kaum etwas anderes. Ich gebe zu, es ist mißlich, fruchtlos und bringt nichts ein, so von ganzem Herzen gegen die Machthaber zu sein, und ich wünschte, besonders für Helmut James und Willo, es wäre nicht so, aber das ist Daddys Einfluß, wir sind alle unfähig zu Kompromissen mit unserem Gewissen, und das ist, was mir an Jowos Handlung mißfällt, obwohl sie sich wahrscheinlich als höchst nützlich bei der Erlangung eines Postens erweisen wird. . . .“21 Georg von Schnitzler bekannte in seinen Aussagen 1945, dass er bereits 1943 von den Konzentrationslagern Kenntnis hatte.22 Und noch 1955 erinnert der vertriebene Industrielle Richard Merton Lilly an einen Brief von 1936, den er ihr geschickt hatte, der mit den Worten endet: „Man will eben gern dabei sein. Der Geltungstrieb ist ein sehr starker Trieb bei allen Menschen in allen Gesellschaftsklassen, und genau so, wie man aus Geltungstrieb dabei sein wollte, ist es dann später vorgekommen, daß manche Menschen aus Geltungstrieb nie dabei gewesen sein wollten, jedenfalls das behaupteten. Da ist es eine vielleicht glückliche Einrichtung der menschlichen Psyche, daß man leichter den Glauben an andere verliert als an sich selbst. So schließe ich mit dem Wunsch, aber auch in der Gewißheit, daß Sie, liebe Lilly, den Glauben an sich selbst wie in der Vergangenheit so auch in Zukunft nie verlieren werden, und in der Hoffnung, daß Sie trotz dieses mit großer ‚Narrenfreiheit‘ geschriebenen Briefes mir Ihre Freundschaft erhalten.“23 Noch im Spätsommer 1943 hofft Lilly auf den Aufstand der SS, da diese die reine Lehre verteidigen.24 21
Dorothy von Moltke, Ein Leben in Deutschland. Briefe aus Kreisau und Berlin 1907–1934. Eingel., übers. und hrsg. von Beate Ruhm von Oppen, München 1999, S. 258. 22 Vgl. die Befragungen Georg von Schnitzlers durch die amerikanischen Behörden zur Vorbereitung des I. G. Farben-Prozesses am 2.5. und 5.5.1947 (Institut für Zeitgeschichte, NI-12547). 23 Richard Merton an Lilly von Schnitzler vom 18.2.1955 (Nachlass Richard Merton, Hessisches Wirtschaftsarchiv). 24 So schreibt sie in einem Brief an Hermann Keyserling vom 4.9.1943: „Ich begrüsse, wie Sie, die Ära Himmler. D. S. S. war seit Jahren d. einzige Zelle, wo die geistige Substanz d. Revolution noch bewahrt wurde; sie ist nun mal d. Jesuiten-
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1945 bricht diese Welt des auf bürgerlichen Reichtum gegründeten Mäzenatentums scheinbar zusammen. Materielle Verluste ihrer Häuser in Berlin und Frankfurt, sowie die Inhaftierung Georgs und die Blockierung seiner Konten (vgl. Brief vom 13.9.1950) stellen Lilly vor neue Aufgaben. Nun droht Georg, als Kriegsverbrecher angeklagt,25 die Todesstrafe, zumindest hegt Lilly diese Befürchtung. Lilly, mittlerweile zum Katholizismus konvertiert, was ihr früherer Psychiater C. G. Jung, bei dem sie etliche Therapiestunden in den 20er und 30er Jahren genommen hatte, süffisant kommentiert,26 versucht nun alles, um das Leben ihres Mannes zu retten, was ihr schließlich auch gelingt. Georg, zwar verurteilt, aber nur wegen Wirtschaftsverbrechen im Krieg, kommt bereits Weihnachten 1949 wieder frei. „Oben bleiben“ heißt ein weiteres Lebensprinzip des Adels.27 Nun wird das alte Leben, so gut es geht, wieder aufgenommen. Während Georg eine Art Wirtschaftsdienst für Spanien betreibt – die Hintergründe liegen dabei noch völlig im Dunkeln – widmet sich Lilly weiter der Kunst. Ihre Erfüllung findet dies in der Gründung der Max-Beckmann-Gesellschaft 1953/54 und in der Begleitung zahlreicher Veranstaltungen, Ausstellungen wie der mäzenatischen Betreuung junger Künstler.28 Nach und nach sterben ihr Mann (1962), aber auch ihre Freundin Margarete von Hohenzollern-Sigmaringen
orden, u. dieser hat ja nicht nur Hexen verbrannt. Ich glaube heute an ihre schöpferische Mission, u. zudem ist sie d. letzte Ordnungselement, das die Massen in Zucht halten kann u. d. Chaos verhüten, – ich hoffe auch wie Sie, dass d. russische Front hält. Darüber hinaus ist alles dunkel: Eines weiss man nur gewiss, dass man lieber erschlagen wird, als die Entwicklung nochmal auf sich zu nehmen, von Erscheinungen wie Sprenger abhängig zu sein. Und ich meine, die Frage stellt sich nun so, dass man erschlagen wird, – oder es überlebt, aber er wird keinesfalls noch auf seinem Stuhl sitzen, denn, denn dafür garantiert die Ära Himmler. – Ich setze also jetzt auch ganz auf diesen und spreche es auch aus . . .“ (Nachlass Hermann Keyserling, TU Darmstadt). 25 Im Nürnberger I. G. Farben-Prozess ab 1947 wurde gegen leitende Angestellte des Konzerns Anklage erhoben wegen 1. Verbrechen gegen den Frieden, 2. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Plünderung und Raub in besetzten Gebieten, 3. Versklavung der Zivilbevölkerung, 4. Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen und 5. Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden. Schnitzler wurde verurteilt wegen Anklagepunkt 2, da er polnische und französische Chemiebetriebe zugunsten der I. G. Farben ausgebeutet hatte. 26 Jungs Brief an Lilly von Schnitzler ist abgedruckt in: „Bereitschaft zum Risiko“ (wie Anm. 5), S. 189 f. 27 Vgl. Rudolf Braun, Konzeptionelle Bemerkungen zum Obenbleiben. Adel im 19. Jahrhundert, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Europäischer Adel 1750–1950, Göttingen 1990, S. 87–95. 28 Vgl. Brigitte Salmen, Lilly von Schnitzler in Murnau, in: „Bereitschaft zum Risiko“ (wie Anm. 5), S. 45–53.
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(1962)29 und ihr „Lebensfreund“ Karl Anton Prinz Rohan (1978). Immer wieder versucht sie ihre alten Netzwerke zu aktivieren, was ihr auch meist gelingt. An ihre große Zeit, die 20er/30er Jahre, kann sie nicht mehr anknüpfen und sie zieht sich mehr und mehr nach Lilamor (L’amour de Lilly) zurück, ihrem Landhaus in Murnau. 1981 stirbt sie. In der Kunstwelt bleibt sie, wie auch die Nachrufe zeigen, unvergessen. Auch diese Anmerkungen müssen unvollständig bleiben. Vieles konnte nur angedeutet oder musste weggelassen werden, wie z. B. ihr Selbstverständnis der Frauenrolle oder ihre liebevolle Fürsorge für Pater Erich Przywara. Eine kritische Biographie steht bis heute aus.
Abb. 1: Lilly von Schnitzler, 1937 (Privatbesitz).
29 Vgl. Johann Georg Prinz von Hohenzollern, Lilly von Schnitzler, „Weißt Du mein Lieber . . .“ Erinnerungen des Sohnes ihrer Freundin Margarete von Hohenzollern, in: ‚Bereitschaft zum Risiko‘ (wie Anm. 5), S. 55–60.
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Abb. 2: Georg von Schnitzler, 1926 (Privatbesitz).
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Abb. 3: Lilly von Schnitzler in ihrem Haus Lilamor/Murnau vor den Bildern „Der Leiermann“ und „Kleines Monte Carlo Felsenstadtbild“ von Max Beckmann, 1950er Jahre (Privatbesitz). Herausgeber u. Verlag danken Jeannette und Nikolas Scholz für die Abdruckerlaubnis der Fotografien.
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Briefe 1. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
München, 1.4.1919 Sehr verehrte gnädige Frau, Ihren freundlichen Brief fand ich bei meiner Rückkehr aus einem mehrwöchentlichen Aufenthalt in Tölz30 vor. Ich danke Ihnen sehr dafür und beeile mich, ihn gleich nach Möglichkeit zu beantworten, aufrichtig bedauernd, daß die Antwort nicht in persönlicher Unterhaltung geschehen kann. Ihr Horoskop kannte ich ja schon längere Zeit. Daß es Ihnen in diesen Monaten schlecht gehen muß, ist danach allerdings sicher. Der Hauptgrund liegt darin, daß der Saturn an einer für Sie besonders gefährlichen Position rückläufig ist und es bis 22. April d. J. bleibt; ich glaube, daß dann die schlimme Einwirkung aufhört, zumal der zweite Übeltäter, der Uranus, der sich seit längerer Zeit auf der Spitze Ihres Todeshauses bewegt, dann ebenfalls eine fühlbare Distanz erreicht haben wird. Ich glaube, daß es Ihnen im Lauf des Sommers besser geht. Nach dem Horoskop müssen Sie in Ihrem Umgang mit älteren Leuten sehr vorsichtig sein, auch mit Reisen in den nächsten Monaten sich in Acht nehmen, denn die beiden genannten Herrn, Saturn und Uranus, sind mysteriöse Instanzen, denen gegenüber nichts hilft als ein inneres Sich-zusammenhalten und ein ergebenes Schweigen. Auch mit Ihren Kindern müssen Sie besonders vorsichtig sein. Doch dürfen Sie nicht in Angst geraten. Sie haben ein glückliches Horoskop und von den Krisen, die Sie erfahren, kann man eben bei der allgemeinen Einrichtung des menschlichen Schicksals überhaupt nicht verschont bleiben. Wenn ich eben von Ergebung sprach, meinte ich nicht, daß Sie auf den großartigen Elan Ihrer Natur verzichten sollen. Es handelt sich nur für einige Monate um eine Respektfrist. Jetzt muß ich aber von meinem Augurenstuhl heruntersteigen, damit ich nicht den Ruf eines gesetzten Mannes gefährde. Ich grüße Sie bestens, ver30 Schmitt hielt sich des Öfteren in Bad Tölz bei Georg Alexander Krause (1885–1955) auf, einem Fabrikanten, Erfinder und langjährigen Freund, bei dem er auch das Kriegsende 1918 erlebte. Vgl. Carl Schmitt, Eine Tischrede (1938), in: Schmittiana 5, 1996, S. 9–11, wo es heißt: „Gegen Ende des Krieges 1918 kam ich zu meinem Freund Georg Alexander Krause in sein gastliches Haus. Die Monate des Zusammenbruchs waren auch für mich die Zeit schlimmster Verzweiflung und aussichtsloser Depressionen. Ich habe bei ihm ein wahres Asyl gefunden. In einer Phase schwärzester Verzweiflung eine wahre Rettung. Für die kein Wort des Dankes ausreicht.“
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ehrte gnädige Frau, sage auch die Grüße meiner Frau und bitte Sie, Ihrem Gatten unsere Grüße mitzuteilen. Stets Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt
2. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14105
Frankfurt, 27.7.1920 Lieber Schmitt; in Bestätigung meiner beiden Telegramme von gestern und heute berichte ich Ihnen hiermit kurz über meine Schritte bei der Frankf.,31 nachdem ich eine Telefonverbindung zu den gewünschten Stunden nicht herbeiführen und auch vermutlich morgen früh wegen meiner alltäglich um 7 ½ anzutretenden Fahrt nach Höchst nicht ermöglichen kann. – Den eigentlichen Referenten32 für pol. süddeutsche Angelegenheiten habe ich auch nicht sprechen können. Er hat mir Donnerstag, den 29.7. eine Stunde zwischen 5 und 7 Uhr nachm. reserviert und werde ich dann erst in der Angelegenheit klar sehen. Bisher sprach ich 2 andere Redakteure, darunter einen weiblichen Frl. Zündorf,33 die mir persönlich bekannt ist. Nach dem aus diesen Unterlagen gewonnenen Eindruck halte ich es für ausgeschlossen, dass die Frankf. eine Erklärung nach der von Ihnen entworfenen aufnimmt, sie hat sich viel zu sehr auf die Bekämpfung Roths34 eingestellt und obendrein eine sehr hohe Meinung von der Zuverlässigkeit ihres süddeutschen Korrespondenten, den sie mit dieser Erklärung desavouiren würde. Ich darf voraussetzen, dass Sie die verschiedenen Artikel der Frankf. aus den letzten Tagen über R. kennen und inzwischen wohl auch von dem recht unangenehmen Seitenhieb v. Endres – viele Sonnenburg! –, den die „Welt am Montag“35 unter schreiender Überschrift wiedergibt, Kenntnis erhalten – 31
Frankfurter Zeitung. Julius Goldschmidt: Vgl. Brief Nr. 4. 33 Fräulein Zündorf: Es konnte nichts Näheres ermittelt werden. 34 Dr. Christian Roth (1873–1934), Hauptmann im stellvertretenden Generalkommando des 1. Bayer. Armee-Korps, München, Leiter der Abt. P, Vorgesetzter von Schnitzler und Schmitt (vgl. Carl Schmitt, Die Militärzeit 1915 bis 1919. Tagebuch Februar bis Dezember 1915, hrsg. von Ernst Hüsmert und Gerd Giesler, Berlin 2005, S. 183–185), DNVP, Hauptmann der Landwehr, 1920–1921 bayerischer Staatsminister der Justiz, später Amtsanwalt der Polizeidirektion in München, 1928 Generalstaatsanwalt des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, 1924 Mitglied des Reichstags der Nationalsozialistischen Freiheitspartei. Vgl. Peter Winter, Dr. Christian Roth, Biographie eines bayerischen Juristen und Politikers, Diss., Regensburg 1990. 35 Dort heißt es in der Ausgabe vom 26.7.1920 unter der Überschrift „Ludendorffs Paradies“: „Herr Ludendorff hat sich in Bayern ansässig gemacht. Sehr be32
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alle diese Dinge machen es mir sehr schwer bei der Frankf. deren fast bolschewistische Haltung in den letzten Monaten selbst die wildesten Frankf. Demokraten frissiert hatte, etwas zu erreichen. Es könnte sich im besten Falle darum handeln, eine kurze rein sachliche und völlig unpolemische Erklärung der alten Mitarbeiter – außer uns kommt wohl niemand in Betracht, da die anderen Hilfsreferenten sämtl. bay. Staatsbeamte – hereinzubekommen, in der wir R. seine liberale Amtsführung, politische Großzügigkeit und humane, wirkl. polizeiungehörige Menschenbehandlung bezeugen. Wollen Sie eine solche auf alle Fälle einmal vorbereiten um sie nach Empfang meines hoffentlich günstigen Telegramms durch Eilboten zu behändigen? Ihre Erklärung36 selbst hat meinen vollen Beifall und werde ich sie mit Vergnügen hinter Ihnen unterschreiben, falls die M[ünchner] N[euste] N[achrichten] sie aufnimmt. Zu einigen kleinen Änderungen möchte ich jedoch vorher raten. 1) Ich würde die Bezeichnung „Hauptmann“ nur einmal zu Anfang der Erklärung brauchen und sie später durch das neutrale „Dr.“ ersetzen. 2) „Inkarnation des gesunden Menschenverstandes“ „mythologische Figur eines bornierten Reaktionärs“ klingt mir ein wenig literarisch, wollen Sie nicht einfach sagen bzw. gegenüberstellen Personifizierung des ges. Mensch. Verst. und „Schreckbild eines bornierten Reaktionärs“. 3) der Hinweis auf Timm geht für mein Gefühl zu weit ins Einzelne, haben Sie aber bestimmte Gründe Timms mit hineinzubringen, so würde greiflich! Nirgends in Deutschland kann sich ein reaktionärer Militarist so wohl fühlen wie in dem Lande, wo die Kappfreunde offiziell die Regierungsgewalt haben. Besonders die Justizverhältnisse Bayerns müssen für Herrn Ludendorff anheimelnd sein. Ist doch neuerdings in München ein Deutschnationaler Justizminister geworden, der Hauptmann Dr. Roth. Dieser Herr Roth war während des Krieges Leiter des militärischen Überwachungsdienstes im Stellvertretenden Generalkommando des I. Bayerischen Armeekorps.“ Die „Süddeutsche Presse“ des demokratischen Majors Endres schreibt über seine Tätigkeit in dieser Amtsstelle: „Er hat in dieser Stellung nicht nur ein Amt, sondern eine Meinung, und diese Meinung deckte sich mit den schärfsten Anforderungen des militärischen Unterdrückungssystems, das während des Krieges gehandhabt wurde. Die Vergewaltigung aller derer, die gegen die offizielle Kriegszielpolitik und die der Annexionisten aufzutreten wagten. Er war der typische Repräsentant der Vereinigung von verfolgungssüchtigem Polizeigeist mit militärischem Machtdünkel. Wenn man in Zensurfragen auf dem Kriegsministerium und auf dem Generalkommando zu tun hatte, so war es ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die Nacht hieß Hauptmann Dr. Roth. Daß die Demokratische Partei es neben diesem Herrn Roth noch immer im bayerischen Ministerium aushält, beweist, welches Maß von reaktionärer Belastungsprobe die bayerischen „Demokraten auszuhalten fähig sind.“ 36 Erklärung zu Gunsten Roths. Vgl. Schmitt, Die Militärzeit 1915–1919 (wie Anm. 34), S. 518 ff.
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ich es nicht in der polemischen Form „wird auch nicht bestreiten“ sondern in der bejahenden „kann an erster Stelle bezeugen“ tun. 4) Die Schlußworte „als anständige Menschen“ fordern zur Glossierung heraus, ich meine „dürfen wir um der Wahrheit willen nicht schweigen“ müßte genügen. Es sind unwesentliche Abänderungen und überlasse ich es Ihnen, wie weit sie ihnen folgen wollen, die unter 4) würde ich allerdings wohl unter allen Umständen vornehmen. Meine Unterschrift würde lauten Dr. G. v. S., Direktor der Höchster Farbwerke. Mit besten Grüßen an Sie, den Herrn Minister,37 München und die anderen Freunde, stets Ihr aufrichtiger Georg Schnitzler
3. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14106
Den Haag, 14. August 1920 Parkweg 25 Herrn Dr. Karl Schmitt Schraudolphstrasse 5 München Lieber Schmitt, Anbei erhalten Sie Abschriften eines Briefwechsels mit der „Frankfurter Zeitung“,38 aus denen Sie alles Notwenige ersehen werden. Pressefehden sind kein Vergnügen; das werden Sie wahrscheinlich im Verfolg der Angelegenheit in München auch erfahren haben. – 37
Hugo am Zehnhoff (1855–1930), in dessen Düsseldorfer Kanzlei Schmitt sein Referendariat absolvierte, war seit 1899 MdR, von 1919 bis 1927 preußischer Justizminister. Er war ein Förderer Schmitts, den dieser oft besuchte. Im Gespräch mit Figge und Groh bezeichnet Schmitt 1971 die Begegnung mit Am Zehnhoff als die wichtigste seines Lebens. Vgl. „Solange das Imperium da ist.“ Carl Schmitt im Gespräch mit Klaus Figge und Dieter Groh 1971. Hrsg. von Frank Hertweck u. Dimitrios Kisoudis in Zus.arb. mit Gerd Giesler, Berlin 2010, S. 81. 38 Vgl. oben, Brief Nr. 2.
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Die verschiedenen Beleg-Exemplare haben Sie mir wohl nach Frankfurt zugesandt, sodass ich bei meiner Rückkehr Montag den 23. ds. über die Entwicklung der Angelegenheit genau im Bilde sein werde. – Inzwischen geniesse ich meine kurzen Ferien hier am Meer, die vom Wetter leidlich begünstigt sind. – Ihre freundlichen Zeilen erhielt ich gerade noch vor meiner Abreise und danke Ihnen herzlichst dafür. Sie waren mir, wie jedes Zeichen Ihres Gedenkens, eine grosse Freude, und hoffe ich sehr bald in Frankfurt oder in München unsern in dieser etwas leidigen Angelegenheit aufgenommenen schriftlichen Gedankenwechsel durch einen eingehenden mündlichen zu ergänzen. Mit besten Grüssen auch an Ihre verehrte Frau Gemahlin, denen meine Frau sich anschliesst, bin ich stets Ihr getreuer Georg Schnitzler
4. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. o. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14107
Den Haag, 14. August 1920 Parkweg 25 An die Redaktion der „Frankfurter Zeitung“, Frankfurt a. M. Im Besitze Ihres Geehrten vom 11. ds. Mts. muss ich vorausschicken, dass infolge meiner am 4. August nach hier erfolgten Abreise mir erst durch Ihren Brief die erste Nachricht über die inzwischen in München erfolgte Veröffentlichung der Dr. Roth betreffenden Erklärung zugegangen ist. Mir fehlen noch Beleg-Exemplare der verschiedenen in Betracht kommenden Zeitungsnotizen, sowie nähere Mitteilungen des Herrn Dr. Schmitt. – Zur Sache: Auf Grund der eingehenden Besprechung mit Herrn Dr. Goldschmidt liess ich mich davon überzeugen, dass es der Frankfurter Zeitung, nachdem sie in der bekannten spätern Notiz sich dahin geäussert hatte, der weiteren Tätigkeit Dr. Roths als Justizminister abwartend gegenüber stehen zu wollen, im Augenblick nicht möglich sei, eine Erklärung, wie sie von Dr. Schmitt und mir beabsichtigt war, commentarlos aufzunehmen, da diese als Eintreten für Roth gedeutet werden könnte. Es erschien mir dies schon wegen der politisch anders orientierten Richtung der Frankfurter Zeitung verständlich und drang ich daher nicht weiter auf die Aufnahme einer der-
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artigen Erklärung, da ich mit Herrn Dr. Goldschmidt der Meinung war, dass durch Anfügung eines Kommentars, wie Herr Dr. Goldschmidt ihn für unvermeidlich bezeichnete, der Wert der Erklärung illusorisch gemacht werden würde. – Ich machte jedoch gleichzeitig darauf aufmerksam, dass die Erklärung wahrscheinlich in einer Münchener Zeitung erscheinen würde, woraus ja schon zur Genüge erhellte, dass ich die Erklärung als solche nicht für unnötig hielt, sondern sie nur in Ihrem Blatte und mit dem Zusatz, den Sie ihr hätten geben müssen, für zwecklos erachtete. – Das Resultat der Unterhaltung mit Herrn Dr. Goldschmidt telegrafierte ich Dr. Schmitt (von dem bekanntlich die Initiative bei der ganzen Aktion ausging, und der die weitere Bearbeitung der Angelegenheit in Händen hatte) nach München mit etwa folgenden Worten: „Frankfurter abrät Erklärung, da sie die Aeusserungen mit einem skeptischen Kommentar versehen müsste, verweist im übrigen auf relativ freundliche Notiz39 vom (ich glaube 25. Juli 2. Morgenblatt)“. – Diese Mitteilung, deren Kürze durch ihre telegrafische Uebermittlung veranlasst wurde, sollte lediglich Dr. Schmitt ins Bild setzen, und lag mir selbstverständlich nichts ferner als hiermit eine Unterlage für eine Polemik in der bayerischen Presse gegen Ihr geschätztes Blatt zu bieten. Mit vorzüglicher Hochachtung
5. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14108
Frankfurt, 27.11.1922 Schlägt vor, den angekündigten Besuch Schmitts in Frankfurt um einige Tage zu verschieben.
6. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14109
Frankfurt, 20.2.1923 Lieber Schmitt; meine Freude von Ihnen zu hören, ist ein wenig getrübt durch Ihre Mitteilung, dass Sie gesundheitlich zum Teil so schlechte Zeiten gehabt haben, und wenn ich auch nicht recht weiß, was Sie bei der irischen Armee hätten machen sollen, so kann ich mir doch gut vorstellen, wie we39
Vgl. oben, Anm. 35.
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nig es Sie gelockt haben mag, bei physischer Depression nach dem hohen Norden zu pilgern.40 – Nun finden Sie also den Weg ins Rheinische zurück und ich gratuliere Ihnen von Herzen zu dem glänzenden Anlauf, den Ihre Karriere verdientermaßen nimmt.41 Auch die größere Nähe, in die Sie nun uns wieder gerückt sind, begrüße ich freudig und es ist wohl nicht zu viel von der Zukunft erwartet, wenn ich einmal auf Ihren baldigen Besuch hier rechne mit dem Sie meiner Frau wie mir im gleichen eine große Freude machen würden. Sie wissen, dass Sie bei vorheriger Ansage uns stets als Hausgast in unserem Fremdenzimmer willkommen sind. – Mein eigenes Leben geht in einem raschen, vielleicht allzu raschen Wirbel dahin. Die Konjunktur ist im allgemeinen nicht ungünstig gewesen und ich sehe mich eigentlich schon heute zwar noch nicht rechtlich, aber doch tatsächlich in der Spitzengruppe der leitenden Personen unserer Industrie.42 Es mußte und muß noch immer viel Schutt auch im Personalen abgefahren werden, ehe wir ganz aus dem Vorkriegsmäßigen und aus der Kriegswirtschaft heraus sind. Bei diesem Revirement bin ich ziemlich reibungslos auf meinen Posten gekommen. In Berlin bin ich wohl ein ebenso häufiger Gast wie Sie und es geht mir wie Ihnen, dass meine ursprüngliche Antipathie und mein Streben nach Dezentralisation, wie ich es mir im Revolutionsjahre vorstellte, vor der unbestreitbaren Vitalität und Intensität Berlins kapitulieren mußten. Jetzt bewege ich mich dort in allen möglichen Verbänden und Ausschüssen herum und bemühe mich außerdem durch zweckmäßige Verteilung meiner Abende dem geistigen und gesellschaftlichen Berlin in etwa zu folgen. Sie werden wohl gerade wieder in Greifswald43 zurück sein, wenn ich im Laufe der Woche auf 2 Sitzungstage in Berlin bin; ich werde aber versuchen, Sie in Am Zehnhoffs Dienstwohnung anzurufen und ein Wiedersehen zu vereinbaren. Mit Scheffer44 bin ich in meinem schwiegerelterlichen Haus wiederholt im Haag zusammen gewesen und schätze ihn als einen außerordentlich klugen und anregenden Journalisten, er hat mit viel Geschick den Weg vom Ästheten zum Politiker gefunden und wir haben gemeinsam manche unterhaltende Stunde am Strand von Scheveningen über Politik und Wirtschaft 40
Schmitt war im Dezember 1922 bei Eislers in Hamburg. Berufung auf eine Professur nach Bonn am 30.3.1922. 42 Georg von Schnitzler wurde 1920 bereits stellvertretendes Vorstandsmitglied von Hoechst und Leiter des Farbenverkaufs, 1924 ordentliches Vorstandsmitglied. Vgl. Jens Ulrich Heine, Verstand und Schicksal. Die Männer der I. G. Farbenindustrie A.G. (1925–1945) in 161 Kurzbiographien, Weinheim u. a. 1990, S. 133–136, hier 135. 43 Schmitt lehrte in Greifswald im Wintersemester 1921/22. Vgl. Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, München 2009, S. 129. 44 Paul Scheffer (1883–1963), Journalist, ab 1920 Auslandskorrespondent, vor allem in der Sowjetunion, 1933–37 Chefredakteur des Berliner Tageblatts. 41
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gehabt – Dass letztere trotz allen Geredes auf erstere noch nicht den geringsten Einfluß hat und dass unser armes Europa noch immer durchaus nicht von Vernunft, sondern ausschließlich von nationalen und strategischen Gesichtspunkten behandelt wird, ist leider eine Binsenwahrheit, mit der ich Ihnen nichts neues sage – Bei verschiedenen unsere Industrie betreffenden Verhandlungen mit Italien und Frankreich habe ich den fatalen Einfluß dieser Nachkriegspsychose nur zu sehr am eigenen Leibe fühlen gelernt, gleichzeitig aber auch zu meinem Nutzen erfahren, wie sehr bei jeg. großen Geschäft der wirtschaftliche Gedanke von der politischen Einsicht bedient sein muß. Ich denke dann oft an unsere Unterhaltungen in der Abt. P45 und hätte Sie gerne in meiner Nähe, um gemeinsam den Schlüssel zum Psychologischen zu suchen. Meine Frau, der es bei noch immer ungünstiger Konstellation der Sterne nur wechselnd geht, sendet Ihnen ihre besten Grüße; ich selbst bleibe in alter Freundschaft Ihr aufrichtiger Georg Schnitzler
7. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14127
[o. O., o. D., 1923] Lieber Dr. Schmitt Schicke Ihnen hier unsere Geburtshoroskope, da Sie es dann viel leichter haben? Ich habe e. merkwürdige Erfahrung rein mystischer Natur im letzten Jahr gemacht, bin sehr fromm geworden, direkt katholisch fromm;46 nach 10 Jahren absoluten, 3 Jahren relativen Unglaubens. Zwischen dieser Tatsache und dem Wunsche nach einem 3. Kinde, das quasi durch Erkenntnis und zum Dank und einem neuen Teil des Vaters im Himmel, für Offenbarung und Gestaltung dienen soll, sind okkulte Zusammenhänge, über die ich mit keinem Menschen sprechen kann. Aber Sie sollen es wissen, denn ich will von meinem Horoskop erfahren, ob die Aspekte für einen Sohn, denn nur dieser kann 1. das erfüllen, was ich brauche, e. rein menschliche Entwicklung, nichts Äußerliches, auch würde ich es für meinen Mann und die Familie wünschen. 45 46
Vgl. oben, Anm. 34. Lilly von Schnitzler ist aber erst 1945 zur katholischen Kirche übergetreten.
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2. Wie steht es mit meiner Gesundheit, denn die nächsten Pflichten sind immer die ersten, u. mein Mann, mit dem ich seit 1 Jahr wieder in ganz besonders innigem Einvernehmen lebe kann nur e. gesunde Frau gebrauchen.47 Wie ist es mit Geldverhältnissen, erben u.s.w.? Liege mit Luftröhrenentzündung. Kann ich die 2 Jahreshoroskope für 1923 bald haben? Verzeihen Sie diese unbescheidene Bitte von Herzen immer Ihre Lilly Schnitzler
8. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Aus Schmitts Tagebuch „Der Schatten Gottes“, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-19605, S. 43, 54 (Veröff. in Vorber.)
[1923] An Frau von Schnitzler: das Buch von Schmitz über den Geist der Astrologie, das ich eben abgeschickt habe (diese und die nächsten 5 Zeilen sind gestrichen) Das Buch von Schmitz über den Geist der Astrologie habe ich eben an Sie abgeschickt. Es ließ sich nicht ganz vermeiden, dass ich das Gespräch mit Ihnen in der Eisenbahn fortsetzte und dass ich noch inzwischen gelegentlich Dinge verfehle (. . .), welche (. . .) dass Sie freundlich zusahen, als sich der oft versteckte D. U. meiner Natur zeigte (einige Wörter nicht zuzuordnen) heute völlig unmöglich, völlig unmöglich (mehrere Wörter nicht deutbar) freundlich die Hand gab (3 Wörter nicht deutbar) Ich wünsche von Herzen, dass Sie guter Dinge bleiben können. Vielen Dank und viele Grüße an Sie und Georg und immer Ihr ergebener Carl Schmitt An Frau von Schnitzler, 3.3.23. Liebe gnädige Frau, heute bekam ich Ihren Brief, gestern Nachmittag Ihre Arbeit. Unter allen Reservationen, mit beschwörenden Vorbehalten und Restriktionen, bei allen Heiligen und himmlischen Heerscharen mich salvierend und nur unter dem Schutz des Generalpardon, den die Unwiderstehlichkeit eines solchen Briefes gewährt, also nur zitternd möchte ich Ihnen antworten, dass ich die Zeit vom 3. April bis 7. April, 14. auf 15. April Ihnen damals genannt habe; dabei kann ich jetzt nicht einmal Näheres sagen über die terrestrischen Einflüsse, weil ich keine Tabellen habe. Verges47
Erwähnung dieses Ausspruchs im Tagebuch von Schmitt, Januar 1923.
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sen Sie nicht, dass diese Dinge nur ein Signal sind, um ihren eigenen Definitionsgang (die jeder Mensch, sicher jede Frau hat) wach zu rufen. Ganz kann es gar nicht sein, ohne eine Scharlatanerie zu werden. Sie dürfen mich nicht quälen mit weiteren Fragen. Man muss entweder in aller Umständlichkeit rechnen (Progressiva, professionelles Horoskop) und das dauert Wochen und führt dazu, dass man wenigstens mit gutem Gewissen sagen kann, man habe sich angestrengt, etwas zu sehen, oder man weckt in dem anderen einige unbewusste Komplexe und hat dann die Chance (völlig unberechenbar von Intuitionen). Nochmals: alles andere ist Scharlatanerie. Wie kann ich jetzt etwas sagen, wenn ich seit Wochen an juristischen Doktorarbeiten und vielen anderen Produkten mich damit ermüde, von gleichgültiger Holzhackerarbeit betäubt, unter Lieblosigkeiten verschlittert, gequält von einer Einsamkeit, die sich an mir rächt, weil ich ihr einmal entfliehen wollte und jetzt höhnt wie eine Frau, zu der man zurückkehrt nach einem misslungenen Fluchtversuch? My heart by many snares beguiled Has groan timorous and wild. Liebe, liebe, liebe gnädige Frau, das Buch von Oskar A. H. Schmitz „Aus Frankreich“, habe ich nicht. Für den politischen vielen Dank. Grüßen Sie Georg; ich habe bei meinem Besuch zu wenig mit ihm gesprochen. Grüßen Sie Ihre beiden Töchter von mir von ganzem Herzen Ihr Carl Schmitt
9. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14138
[o. O., o. D.] 31.5.23 [Datum von Schmitt] Mein lieber Schmitt, Wir freuen uns von ganzem Herzen, wenn Sie Samstag 9. über das Wochenende bis Montag 11. Juni zu uns kommen. Also ich rechne fest darauf, und hoffe bis dahin meinen anti-römischen Affekt durchgekämpft zu haben. Scheffer sehe ich auch sehr gern wieder. Roth kam Samstag Sonntag aus München um Georg zu besuchen. Es war sehr nett. Aber Ihr Besuch wird für mich noch viel schöner. Ihre L. S. M.
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10. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
[o. O., o. D.] Mein lieber Schmitt, Ihr Buch48 erfreute mich sehr und habe ich schon viel Anregendes darin gelesen, tausend Dank, dass Sie es mir schickten! Es ist so freundlich, dass Sie daran dachten. – Noch mehr beglückten mich aber Ihre warmen Worte. Ich weiss nicht wodurch ich sie verdiente, denn eine plötzliche menschliche Wärme, die die Atmosphäre zwischen zwei Menschen füllt, – ein „Sich die Hand reichen“ über die weiten Wasser hinweg, die jede Menscheninsel von der Anderen trennt, ist eine Wohltat die unvermittelt oft wie ein Stern am dunklen Himmel erscheint u. sich beinah der eigenen Verantwortlichkeit entzieht. Es ist wohl Frauenaufgabe den Weg zum Menschlichen zu sichern u. diese Einsamkeiten aufzubrechen, die Jeden von uns im Letzten umnachten. Ich empfand von je die Tragik, die Ihr eignes Schicksal um Sie legt, die Don Quichoterie, der entlaufene Kleriker, den Nachzügler der Kreuzzüge, das sachliche Gelehrtentum mit seinen Hang zum Konstruktiven, zur Abstraktion „die die eisige Luft Grünewaldischer Gletscher des Isenheimer Altars wahr machen“ – und dann wieder das Menschliche das in all dieser Komplexheit eigentlich nur eine Frauenhand braucht – trotz allem! Sie haben mich sehr glücklich gemacht, wenn Sie mir mit Ihrem Brief glauben machen konnten, dass ich meine Frauenaufgabe einmal, für eine Stunde wenigstens, erfüllt habe!
11. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
[o. O., o. D.] [ohne Anrede] Ich fürchte, ich habe Sie sehr missbraucht mit meinem Wissensdurst, ich hatte etwas Reue, dass wir so sehr viel über Astrologie gesprochen haben. Ihre Decke ist richtig gefunden worden; ein Vetter, Scheibler, hat sie mit nach Cöln genommen, weil mir die Versandverhältnisse jetzt zu unsicher waren. Mein Vetter wollte d. Decke dann baldmöglichst an Sie weiterleiten. 48
Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Hellerau 1923.
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Uns geht es soweit gut, so gut wie es einem gehen kann, wenn man die Verhältnisse so fühlt wie wir u. so mit empfindet. – Die Kinder49 lassen Sie sehr grüssen, Sie haben ihnen e. grossen Eindruck gemacht. Georg u. ich wünschen ihnen weiter alles Gute von Herzen ihre Liliane Schnitzler
12. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14122
[o. O., o. D.]50 Mein lieber Schmitt, Hugo Ball51 liegt in seinem geschmackvollen Einband und Buch vor mir und ich freue mich, ihn am 7. Juli auf meine Ferienreise nach Holland mitnehmen zu können. Haben Sie 1000 Dank dafür, lieber Schmitt! Ich fand es rührend, dass Sie daran dachten und da meine Bibliothek der Punkt ist, an dem ich sterblich bin, haben Sie mir eine wirklich große Freude damit gemacht. – Die Heiligen sind überhaupt e. merkwürdiges Problem und ich freue mich, es an Hand dieses Buches in Ruhe am Meeresstrand etwas durchdenken zu können. Ein junger Student, mit dem ich befreundet, schickte mir wenige Tage später die Blümlein d. Hlg. Franz v. Assisi, von Rilke übertragen, und in d. Insel herausgegeben52, – meine Schwiegermutter die Briefe Otto Gildemeisters,53 was mir einstweilen nichts sagt – Frau Jay,54 meine Freundin, orientalische Märchen.
49
Da von den beiden Kindern die Rede ist, Gabriele (geb. 3.11.1918) und Lilo (geb. 2.11.1910), muss der Brief erst im Jahr 1923 f. geschrieben worden sein. Die unsicheren Verhältnisse im Rheinland lassen auch diesen Schluss zu. 50 Das Datum des Briefes dürfte wohl der 7.7.1923 gewesen sein, das Schmitt im Tagebuch vermerkt. 51 Es handelt sich um: Hugo Ball, Byzantinisches Christentum. Drei Heiligenleben, München/Leipzig 1923. 52 Gemeint ist wahrscheinlich folgende Ausgabe: Franz , Die Blümlein [I fioretti, deutsch] des heiligen Franziskus von Assisi. Aus d. Ital. übertr. von Rudolf G. Binding, Leipzig 1911. 53 Otto Gildemeister, Briefe. Hrsg. von Lissy Susemihl-Gildemeister, Leipzig 1922. Gildemeister (1823–1902) war Journalist, Schriftsteller, Politiker und Bremer Bürgermeister. 54 Herta Jay, Freundin von Lilly v. Schnitzler.
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So sehen Sie, habe ich wirklich e. bunte neue Lektüre, in der mich Ihr Buch und der Band aber am meisten interessieren. Die bürgerlich-patrizische Welt d. Herren Gildemeister ist mir sehr uninteressant, wie ich zur Bourgeoisie überhaupt gar kein Verhältnis habe, trotzdem Georg ihr ganz und ich ihr teilweise entspringen. Lebensformen – und Anschauungen, Stilund Führung des Geistig Schaffenden, des Künstlers, oder des Aristokraten sind mir adäquat, aber vom Bourgeois trennt mich ein Abgrund. Was ich bei einem kurzen Aufenthalt in Hamburg vorige Woche erneut feststellen konnte. Ihr Kaktus entwickelt sich auf meinem Schreibtisch. Er erinnert mich jeden Morgen! Ihr Besuch55 war uns und besonders auch mir eine herzliche Freude, leid war es mir nur um den letzten Abend, den ich viel lieber bei Ihnen geblieben wäre. Ich freue mich aber schon auf Ihr Kommen im Spätsommer oder Herbst, und wir wollen ganz fest an diesem 10 tägigen Besuch halten. Inzwischen habe ich durch die Franziskanerinnen hier e. sehr bescheidenes, ganz junges, aber nettes Hausmädchen bekommen und ich bitte Sie sich nicht mehr zu bemühen. Georg und ich wünschen Ihnen e. angenehmen Sommer, ich bitte Sie mir Scheffer auch noch in Holland zu gönnen, wo ich vom 7. Juli bis 20. August mich aufhalten werde. Sie kommen wohl nicht hin? Er kann sich von seiner Zeitung hinbeordern lassen. Und nun nochmals von Herzen alles Gute und ein sehr freundschaftliches Gedenken Ihrer Liliane Schnitzler
13. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
[o. O., o. D.] Mein lieber Dr. Schmitt, Mein Mann hat mir geschrieben, dass er dies letzte Wochenende mit Ihnen verbringen wollte. Ich freue mich dessen so herzlich für ihn, denn er wird von diesem Besuch viel Anregung mitnehmen u. seine freundschaftlichen Gefühle für Sie werden eine lebendige Erneuerung finden. Ich hoffe, er 55
Schmitt besuchte die Familie Schnitzler am 16./17. Juni 1923.
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wird Sie in bestem Wohlbefinden antreffen; Stadt und Wirkungskreis müssten Ihnen in dem wirtschaftlich, politisch und religiös jetzt doch sehr interessanten Rheinland sehr zusagen.56 Die Luft in München ist dick und unerträglich geworden. Mir wäre es auch eine Freude gewesen, hätte ich einmal wieder mit Ihnen sprechen können, das religiöse, im engeren Sinn katholische Problem57 beschäftigt mich sehr. – Auch wäre es mir leichter gewesen, Ihnen eine Bitte mündlich vorzutragen, die ich nun doch schriftlich formulieren muss. Es wäre mir sehr wichtig zu wissen wie mein laufendes Horoskop ist für dies und das kommende Jahr, es stehen mir mancherlei Entschlüsse bevor u. Frau Welser58 die ich in M. konsultierte, ist mir nicht zuverlässig genug. – Nur die mir sehr grosse Wichtigkeit dieser Angelegenheit entschuldigt meine Anfrage, die Ihnen hoffentlich nicht zuviel Mühe macht. Tausend Dank und beste Grüsse [Unterschrift Liliane Schnitzler] Geburtstag: 25. Juni 1889 (gegen 8 Uhr früh)
14. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Karte, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14139
Frankfurt/M., 3.11.1924 [Poststempel] Mein lieber Schmitt Die letzten Wochen waren nach vielen Richtungen sehr inhaltsreich und produktiv für mich, leider kam ich aber gar nicht dazu in Frage Ball59 etwas zu tun und Ihnen für d. verschiedenen Zusendungen zu danken. Wenn ich von Paris zurückkehre, wohin ich morgen zu e. Kongress der „Union Intellectuelle Franc¸aise“60 reisen e. Vereinigung der d. heterogensten Ele56
Es geht um Schmitts Übersiedlung nach Bonn im Mai 1922. Lilly von Schnitzler spielt hier vermutlich auf Schmitts Buch „Römischer Katholizismus“ vom April 1923 an, an dem Schmitt seit 1922 arbeitet. 58 Wohl eine Wahrsagerin in München. 59 Es geht hier um die finanzielle Unterstützung des ehemaligen Dadaisten und katholischen Schriftstellers Hugo Ball, der krank und verarmt in der Schweiz lebte. Schmitt und seine Frau hatten im August/September 1924 Ball besucht. Zum spannungsreichen Verhältnis Ball-Schmitt vgl. Bernd Wacker, Die Zweideutigkeit der katholischen Verschärfung – Carl Schmitt und Hugo Ball, in: ders. (Hrsg.), Die eigentlich katholische Verschärfung . . . Konfession, Theologie und Politik im Werk Carl Schmitts, München 1994, S. 123–145; Manfred Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888–1936, Paderborn usw. 1998, S. 553–559. 60 Union Intellectuelle Franc ¸ aise: Vorläufer des Europäischen Kulturbundes. Vgl. Guido Müller, Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. 57
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mente, Poincaré61 und d. Cardinal Dubois62 angehören und die die Annäherung der geistigen französischen und deutschen Kreise jenseits d. Politischen anstrebt. Nach Reise werde ich Ihnen lange schreiben und wir werden überlegen wie d. Hilfe f. Ball am besten ist. – D. Gedichte d. Hennings,63 d.h. ihre Prosa, war das merkwürdigste und gequälteste, das ich je las. – Der römische Katholizismus ist mir lieber, aber schön und edel ist auch dies. Hörten Sie mal v. e. Dr. Richard Wilhelm?64 der Sinologe hier an der Universität, der nach 25 Jahren China vor 4 Wochen bei uns ankam u. seither bei uns wohnte, d. Weise u. d. Gütige. Sie müssen ihn bei uns mal treffen. Wie geht es Ihnen? Immer sehr Ihre L. S. M.
15. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14140
Giger’s Hotel Waldhaus Sils-Maria, o. D. [Sept. 1925] Mein lieber Schmitt, Es ist nun eine lange Weile her, dass wir nichts von Ihnen hörten und ich möchte gern von Ihnen wissen, wie es Ihnen geht, – ob Sie Anfang August wie Sie dies beabsichtigt, geheiratet haben, – ob die Widerstände in der Familie Ihrer Frau sich behoben – ob Sie wie geplant, Ihre Hochzeitsreise nach Ragusa, Dalmatien, gemacht haben?65 Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund, München 2005, S. 338. Guido Müller, Lilly von Schnitzler-Mallinckrodt und europäische Geistesaristokratie: die Förderung der „Europäischen Revue“ und des „Europäischen Kulturbunds“ 1924–1934, in: Brigitte Salmen/Christian Lenz (Hrsg.), „Bereitschaft zum Risiko“ (wie Anm. 5), S. 33–44. 61 Raymond Poincaré (1860–1934), französischer Ministerpräsident (1912–1913) und Präsident (1913–1920), der wesentlich die Verantwortung für die Aufnahme des Schuldparagraphen in den Versailler Vertrag trägt. 62 Louis-Ernest Dubois (1856–1929), Erzbischof von Rouen und Paris. 63 Emmy Hennings, Helle Nacht. Gedichte, Berlin 1922. Emmy Ball-Hennings (1885–1948), Schriftstellerin, war seit 1920 mit Hugo Ball verheiratet. Vgl. Berhard Echte/Katharina Aemmer, „ich bin so vielfach . . . .“ Emmy Ball Hennings (1885– 1948), Texte/Bilder/Dokumente, Frankfurt/M. und Basel 1999. 64 Richard Wilhelm (1875–1930), Missionar, Sinologe, Professor in Frankfurt/M. seit 1924, Übersetzer des „I Ging“. 65 Schmitt hat sich Ostern 1925 verlobt und dann auch im August/September eine Dalmatienreise unternommen. Darüber hat er geschrieben: C. Schmitt, Illyrien. Notizen von einer dalmatinischen Reise, in: Hochland 23, Bd. 1, 1925, S. 293–298.
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Ihr Semester fängt ja erst im Oktober wieder an und ich hoffe Sie dann auch mit Ihrer Frau über das Wochenende oder vielleicht die Allerheiligen Tage, zu Gast zu haben bei uns! Wo Sie inzwischen sind, weiss ich garnicht. – Ich bedauere dies umsomehr als ich Ihnen wissen lassen wollte, dass vom 14.–20. September durch die Darmstädter Tagung66 e. Reihe ganz interessanter Menschen in unserer Ecke wohl zusammenströmen werden und ich in Verbindung damit einige Abende bei uns arrangieren will, wo Sie wohl Menschen getroffen hätten, die Ihnen wichtig od. interessant sein könnten. Prof. Rich. Wilhelm, der Sinologe, Dr. Hahn67, e. junger Psychiater, der durch e. Halbschlafsbehandlung Erstaunliches erreicht, – Rohan68 – Fürst Schönburg-Waldenburg,69 wahrscheinlich Weyreich70 – Gegenspieler von Wilhelm als weisser u schwarzer Magier, – etc. – Sollten Sie in diesen Tagen mit Ihrer Frau – auch allein – in unserer Gegend sein, so sind Sie uns herzlich willkommen. Später im Oktober – Ende Oktober z. B. finden Sie e. Teil dieser Menschen auch noch, denn sie sind ja teilweise ortsansässig. Dann kann ich Ihnen vor allem mein Haus anbieten. Dieses Mal käme nur in Frage um 2–3 Tage in F. anzuhalten falls Sie in der Nähe wären. Ich möchte ja auch, dass Sie 1–2 Tage Vorträge in D. – gerichtet von Keyserling71 – hörten, der Grundton geht durch alle gleich. Allerdings würden Sie es wohl als überflüssige Säkularisierung empfinden, aber da Europa durchweg katholisch, wäre es ja noch kein Einwand. Auch sind da Erneuerungsmomente, selbst für d. Kirche. Ich habe nach d. langen Krankheitswinter, der mir anschlies66 Es handelt sich dabei um die Tagung der „Schule der Weisheit“ des Grafen Keyserling. 67 Es handelt sich wahrscheinlich um Dr. Rudolf Hahn (1876–1962), der ab 1907 an der Nervenklinik in Frankfurt/M. tätig und dort ab 1924 Oberarzt war. Seit März 1936 war er Leiter der Fürsorgestelle für Gemüts- und Nervenkranke und wurde am 1.9.1945 auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt. Ich danke Volker HarmsZiegler vom Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/M. für die Auskunft. 68 Karl Anton Prinz von Rohan, (1898–1975), österreichischer Publizist, versuchte nach dem Ersten Weltkrieg einen Zusammenschluss der konservativen geistigen Elite gegen Bolschewismus und Liberalismus, 1925 gründete er die der Abendlandsidee verpflichtete „Europäische Revue“, politisch war er dem italienischen Faschismus zugeneigt, 1933 begrüßte er begeistert die „nationale Revolution“, ab 1935 Mitglied der NSDAP und Antisemit, spielte aber nach 1938 keine bedeutende politische Rolle mehr; nach 1945 war er vor allem für die Sudetendeutsche Landsmannschaft tätig. Vgl. Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus (wie Anm. 59), S. 565–569. 69 Fürst Schönburg-Waldenburg, fränkisch-thüringisches Adelsgeschlecht: Es kommen mehrere Personen in Frage. Vgl. Genealogisches Handbuch des Adels, Fürstliche Häuser XV, Limburg/Lahn 1997, S. 390–397. 70 Weyreich: Es konnte nichts Näheres ermittelt werden. 71 Hermann Graf Keyserling, (1880–1946), Philosoph und Schriftsteller.
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send an m. Karwoche auf dem M. Cassino72 m. e. Grippe einbrachte, e. lange Erholung gebraucht u. bin seit Ende Juni von Hause weg, 4 ½ Wochen Sanatorium, 14 Tage bei m. Eltern in Holland m. d. Kindern, dann 10 Tage London mit Georg und jetzt noch 14 Tage Engadin, was uns beiden sehr wohl tut – Georg ist im Gegensatz zu mir, frischer denn je in seine Ferien gegangen und ist ausserordentlich wohl, macht hier Hochtouren. Ich bin so glücklich, dass es ihm so gut geht. Der Kulturbund ruht, doch werden wir nun, da die Mühe geräumt, der Frage der Gründung im Oktober näher treten. In Frankreich, Italien, Schweiz funktioniert es schon sehr gut und e. Reihe Deutsche sind dort sehr empfangen, umgeben worden und haben gesprochen: Die Europäische Norm(?) entwickelt sich sehr gut, d. Diskussionen fangen im Herbst an und sind hervorragend besetzt. Söderblom,73 Pater Lippert,74 Peter Wust,75 – Dichter aller Länder zu ihren Problemen etc. Rohan ist jetzt sehr vom Verlag Bachem und von d. Cölnischen Volkszeitung gestützt und propagiert, wird e. sehr bedeutenden Vortrag,76 den ich im Konzept las, im Oktober November in Deutschland halten, wird auf Bitte d. Gruppe um die Cöln. Volksztg. in Cöln anfangen, wo ich mich freuen würde, wenn Sie ihn hörten. Andernfalls erscheint er bei Bachem, wo Sie ihn lesen können: Die Aufgabe unserer Generation in 14 Tagen Einsamkeit und Meditation am atlantischen Meere ins Reine geschrieben. Eben ist Alpenglühen über d. Bergen, das so schön, dass ich schliesse – Immer von Herzen Ihre Lilly Schnitzler
72
Es handelt sich hier um das Gründungskloster der Benediktiner. Nathan Söderblom (1866–1931), evangelischer Theologe und Erzbischof von Schweden, dem 1930 der Friedensnobelpreis verliehen wurde. 74 Peter Lippert, (1879–1936), römisch-katholischer Priester und Theologe, Jesuit, Mitarbeiter der Jesuitenzeitschrift „Stimmen der Zeit“. 75 Peter Wust, (1884–1940), christlicher Existenzphilosoph, der die Annäherung an den Renouveau Catholique um Léon Bloy, Jacques Maritain u. a. suchte. Nach 1933 war er im kirchlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 76 Karl Anton Rohan, Die Aufgabe unserer Generation, Köln 1926. 73
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16. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14141
Frankfurt/M., 9.10.1927 Einladung zur Tagung des Europäischen Kulturbundes am 19.–22.10.1927 in Frankfurt und Heidelberg77
17. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 3 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14142
Frankfurt/M., 30.VIII.[1931] Mein lieber Carl Schmitt, Mit welcher Freude und Überraschung ich gestern Ihre Mitteilung über die Geburt der kleinen Anima Louise bekommen habe, können Sie sich kaum vorstellen! Zunächst Ihnen und ihrer lieben Frau unsere wärmsten Glückwünsche, von ganzem Herzen nehmen wir teil an Ihrem Glück. Denn ein Solches ist es gewiss für Sie Beide. So sinnvoll, dass der Segen des Himmels so sichtbar nach dem weiten Weg, den Ihre Frau – und Sie mit Ihr – die letzten Jahre der Krankheit machen mussten, nun über Ihre Gemeinschaft gekommen ist. Es ist und bleibt ein tiefes Symbol für jede Ehe, wenn dieser Sinn sich in Ihr erfüllt. Ich erinnere mich Ihrer Liebe zu meinen beiden Kindern, Ihres Interesses an der Art und Entwicklung derselben, – ich habe daran gesehen, wie sehr das Kind auch Ihrer menschlichen Gefühlsseite in Ihnen entspricht. Wie schön, dass es ein kleines Mädchen ist! Nur ein Solches kann ich mir zu Ihnen und Duschka passend denken! Ich komme im September nach Berlin und hoffe, Sie alle Drei, das kleine Wunder mit dem schönen Namen, dann zu sehen! Treulichst Ihre Lily Schnitzler
77 Die deutsche Kulturbundgruppe wurde im September 1926 – siehe bereits die Andeutung in Brief Nr. 15 – als Unterorganisation des Internat. Verbandes für kulturelle Zusammenarbeit (s. Anm. 60) gegründet; deren Sitz war zunächst Heidelberg, später Berlin, erster Präsident war der Heidelberger Archäologe Ludwig Curtius, Sekretär der junge Politikwissenschaftler Arnold Bergsträsser und Schatzmeisterin LvS.
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18. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 8 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14131
17.12.[1936?] 41 Westendstrasse [Frankfurt] Mein lieber Carl Schmitt, Die Weihnachtswoche naht heran, Sonntag brennen wir das letzte Licht des Adventskranzes an. Ich möchte Ihnen vor dem Feste, und im Angesicht des sich neigenden Jahres einen Gruss der Freundschaft schicken, einen Gruss der Verbundenheit, und einen Gruss der Gläubigkeit an diese schöne Gemeinsamkeit eines jahrelangen 2 Jahrzehnte langen Weges, der sich immer wieder geheimnisvoll kreuzt. Weil ich an Sie und diese Gemeinsamkeit glaube, war mir Ihr letzter Besuch eine so grosse Freude. Und dennoch eine Freude, die eine so tiefe Sorge in mir zurückliess, dass ich Ihnen zunächst gar nicht schreiben konnte. Ich empfand, wie stark der Bogen Ihrer Spann- und Tragkraft überspannt war, wie schmal der Leib auf dem Ihre Vitalität, Ihr Lebenswille und die Problematik der Umwelt, einen gespenstischen Tanz um das Gleichgewicht aufführten. Ich hätte Sie mit einem grossen Koffer auf 1 Jahr Urlaub an den Golf von Sorrent, oder nach Griechenland in den östlichen Golf hinter Athen, oder auf eine griechische Insel (wo überall man das Leben mit so unendlich wenig fristet, dass man meint, in grosser Not, immer irgendwo eine Freundeshand zu finden, die Einem solchen Aufenthalt ohne jede Einschränkung ermöglicht). Oder, wenn dies alles nicht ginge, ½ Jahr Reise um die Welt auf einem der deutschen Grossschiffe; diese Reisen sollen viel erfreulicher sein, wie man sie sich gemeinhin vorstellt. An einen dieser fernen Orte hätte ich Sie bringen mögen, wo man wieder in die eigene Tiefe, und auch die Untiefen loten kann Distanz und Klarheit gewinnt und jene Überlegenheit, die jegliche Missdeutung, jegliches Missverständnis leicht tragen lassen. Ich meine, es müsse noch nicht zu spät sein, um solchen Urlaub nachzusuchen? Nehmen Sie es nicht als unerbetene Einmischung, lieber Freund, – es ist fast nur ein Selbstgespräch. Von mir ist nicht viel Neues zu berichten. Georg arbeitet zuviel, aber das ist auch zwangsläufig, jagt mir aber manche bange Sorge auch ein, denn die Bilanz könnte dort auch einmal passiv werden, wenngleich die Belastung durch die Materie, eine viel geringere ist, wie bei Ihnen. Die Verantwortung gegenüber einer Wissenschaft ist eben grösser, wie die gegen ein Wirtschaftsunternehmen. Ich war für eine deutsche Kulturschau,78 zu welcher die Anglo German Fellowship das Frankfurter Städtische Modeamt und unseren ausgezeichne78 Im Nachlass von Hermann Keyserling hat sich ein Artikel „Frankfurter Mode in London. Schöner Erfolg des Städtischen Modeamtes“ erhalten. Als Gäste werden
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ten Oberbürgermeister79 eingeladen hatte, 3 Wochen in England. Die Organisation und Leitung der Sache oblag mir, ich hatte e. kleines Büro mit 2 Sekretärinnen im Hotel eingerichtet bekommen. Es war e. schwierige und verantwortungsvolle Arbeit, die gottlob erfolgreich beendet werden konnte. Ich sah und hörte viel Interessantes und Wissenwertes in dieser Zeit. – Ich war in London und zu den Wochenenden auf dem Land. Hier ist nun viel Arbeit, wichtige und unwichtige, aber Beide muss gleichermassen geleistet werden, man kann nicht wählen. – M. Schwiegermutter wohnt wie alljährlich auf 2 Monate bei uns, meine Mutter beansprucht auch viel Zeit, sodass ich Mitte Januar gern meinen Flug nach Berlin auf 3–4 Wochen antreten werde. Vorher liegt Weihnachten mit viel Verpflichtungen. Von 31.XII. bis 7.I. gehen Georg, Gabriele und ich auf die Bühler Höhe80 in den Schwarzwald, wo ich mich freue, Rohans neues Buch81 zu lesen, das mir sehr gut erscheint, unser aller Fragestellungen. Bitte sagen Sie Ihrer lieben Frau, wohin ich 80 Mark Quote 1936 für Gilles82 senden soll, von dem ich mir dann Anfang Januar in Berlin ein Aquarell aussuchen werde. Meine Schrift bleibt schlecht seit dem Autounfall und der Läsion des rechten Handgelenks. Pardonnez moi! Viele gute Gedanken inniger Treue und warmer Anteilnahme an Ihrem Ergehen L. S.
genannt: Frau von Ribbentrop, Prinzessin Margarethe von Hohenzollern-Sigmaringen, Lady Mount Temple, Baron u. Baronin von Schroeder, Frau Chamberlain, Frau von Schnitzler, Staatsrat Dr. Krebs u. a. Zur Veranstaltung heißt es: „Die Veranstaltung war ein voller Erfolg für die Stadt Frankfurt am Main und ihren Oberbürgermeister, darüber hinaus für das schaffende Deutschland . . .“. Vgl. Irene Guenther, Nazi Chic? Fashioning Women in the Third Reich, Oxford/New York 2004, S. 3–4. 79 Friedrich Krebs (1894–1961), NS-Oberbürgermeister in Frankfurt/M., der immer wieder in parteiinterne Kämpfe mit dem Gauleiter Sprenger geriet. Vgl. Andreas Hansert, Brechungen der Moderne. Der Salon Lilly von Schnitzler in Frankfurt a. M., in: „Bereitschaft zum Risiko“ (wie Anm. 5), S. 29 f. 80 Bühler Höhe: Kurhotel im Schwarzwald. 81 Karl Anton Rohan, Schicksalsstunde Europas, Graz 1936. 82 Werner Gilles (1894–1961), Maler, dessen Werke während der NS-Zeit als entartet galten. Carl Schmitt unterstützte Gilles und besaß mehrere Bilder von ihm. Gilles lebte 1939 mehrere Monate im Hause Schmitts.
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19. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Karte, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
Dez. 21.36 Mein lieber Freund Carl Schmitt, Diese herrliche Motette, geschrieben typographisch von einem Freunde, dem Sohne Rudolf Kochs83, sende ich Ihnen zu dieser Weihnacht, deren Ernst wir wohl alle auf unseren Schultern fühlen. Es ist aber gut, dass ein Teil der amtlichen Last von Ihnen genommen ist, damit Sie wieder zu sich kommen können. Der Gedanke muss für Jeden, der Sie lieb hat beruhigend sein, denn es war zu viel, u. spürbar. Ist der Text Carossa84 nicht schön? Ich freue mich, Sie, die liebe Duschka u. das Kind Ende Januar wiederzusehen. Immer Ihre L. S. M.
20. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Telegramm, 1 S., hs. o. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14143
18.6.1938 [Poststempel] Telegramm mit Besuchsankündigung für 10.–13.7.1938 an Duschka Schmitt, Schmitts 50. Geburtstag.
21. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Telegramm, 1 S., hs. o. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14110
10.7.1938 Glückwunschtelegramm von Georg Schnitzler zum 50. Geburtstag.
83
Rudolf Koch (1876–1934), Kalligraph und Schriftentwickler für den Insel-Ver-
lag. 84
Hans Carossa (1878–1956), Arzt und Schriftsteller.
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
22. Lilly von Schnitzler an Anima Schmitt Karte, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14121
Frankfurt a. M., Karsamstag Westendstrasse 41 [o. D.] Liebe kleine Anima, dies Medaillon möchte ich dass Du trägst, damit es Dich schützt und glücklich macht. Es kommt aus d. Benediktiner Closter Einsiedeln, wo es gesegnet wurde. Eine Tante, die Dich sehr lieb hat und an Deine kleine Seele und Deine grossen Augen denkt, schickt es Dir mit so viel guten Wünschen für Dich, Herzenskind! Tante Lilly
23. Lilly von Schnitzler an Frau Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
28.XI.[1939] Meine liebe Frau Duschka, Seit wir uns sahen, ist die alte Welt unwiderruflich untergegangen? Wie wird die neue, nach 6 Monaten Krieg und vielleicht dem dann einsetzenden Frieden – oder nach 5–7 jähriger Vernichtung aussehen? Ich komme zu Weihnachen nach Berlin, auf 6 Wochen, u. hoffe sehr viel von Ihnen u. Carl Schmitt dann zu sehen. Einstweilen bitte ich Sie mir freundlichst die Trostarie von Günther85 senden zu wollen, die ich nirgends finde. Am 6. Dezember habe ich 40 Schwestern v. Roten Kreuz bei mir; ich will e. kleinen Vortrag halten u. Gedichte lesen; möchte mit d. Dichtern d. deutschen Barock, Fleming,86 Günther beginnen, m. d. „7. Einsamkeit“ von Nietzsche87 enden, dazwischen u. andern Claudius.88 1000 Dank. In alter Treue Ihnen u. Schmitt vieles u. warmes Gedenken! L. S. 85 Johann Christian Günther (1695–1723), Lyriker. Die „Trostaria“ war eines von Schmitts Lieblingsgedichten. 86 Paul Fleming (1609–1640), Lyriker. 87 Vgl. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, in: ders., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, 2. Aufl., Bd. 3, München 1988, S. 545 f. 88 Matthias Claudius (1740–1815), Journalist und Lyriker.
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24. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14144
Frankfurt/M.[28.3.1940 von Schmitt notiert] Mein lieber Carl Schmitt, Nun bin ich schon über 4 Wochen in unserer stillen Provinz, lag 14 Tage mit Grippe und hatte Musse die Berliner Zeit zu überdenken. Dabei ist mein Herz immer warm und dankerfüllt, wenn ich daran denke, wie viel mir Ihre und Duschkas89 Freundschaft in dem letzten Dezennium immer wieder wachsend bedeutet hat, welch enges Band, ähnliche Reaktionen auf die Zeiterscheinungen, ähnliche Ziele, Liebhabereien, Geschmack in der Kunst um uns geschlungen haben. Die Stunden mit Ihnen, lieber Freund, sind immer von solcher Intensität und Zartheit der Beziehung zu Einander getragen, dass sie zum Besten gehören, das ich von meinen Berliner Wochen mitnehme. Wie ja überhaupt das für mich persönlich, ganz persönlich in der Empirie meines eigensten Lebens – Positivste an der Zeit die echte Verbundenheit, und das Begegnen neuer Menschen, das Entdecken neuer Persönlichkeiten in den verschiedensten Sphären ist, die nur eine aufgelokkerte Zeit, eine revolutionäre Zeit, die alte Grenzen und Schichten sprengt, zusammenführen kann. Wir beide neigten wohl stets in diese Richtung, und war uns das Schicksal darin auch freundlich. Ich denke an die Tafelrunde Ihres 50. Geburtstags.90 Oberheid91 besuchte mich. Er ist wilder Soldat, ganz Revolutionär, übt Christentum besser, leistet mehr Seelsorge wie er meint, im Gewande des Kriegers, wie des Priesters, der veraltet sei. Es ist merkwürdig, wie aus dem gärenden Most, noch kein Wein, aus dem Umhergetriebenen Ruhelosen, noch kein Sesshafter werden will, in einem tieferen Sinn. Die ordo ist nicht seine Sache, wird sie es je werden? – Ich war wie immer angezogen und bezwungen von der Gewalt und Unerbittlichkeit seines Wesens, das von Melancholie tief beschattet war, mehr noch wie sonst. Die letzten Jahre und Enttäuschungen haben ihm schwer zugesetzt. – Von Rohan bekam ich diesen schönen, merkwürdigen Brief den einzigen, den ich seit Berlin erhielt. Ich finde das bedeutendste darin die Analogie die er zwischen Jüngers Buch92 und der modernen Malerei als Ausdruck und Stil zieht. Das scheint mir wahr und sehr bemerkenswert. 89
Duschka Schmitt (1903–1950), Schmitts zweite Ehefrau. Vgl. Telegramm vom 10.7.1938. 91 Heinrich Oberheid (1895–1977), Theologe, Bischof der Deutschen Christen, nach 1945 Industrieller. Vgl. Heiner Faulenbach, Ein Weg durch die Kirche. Heinrich Josef Oberheid (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, 105), Köln/Bonn 1992. LvS spielt hier offenbar auf Oberheids Tätigkeit als Bischof der Deutschen Christen an. 90
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Zur Zeit lese ich „Das Reich der Söhne“ von Schmidhauser,93 und versuche darin Wurzeln und Erklärungen für vieles Heutige zu finden. Abstrus wird doch irgendwie echt. Welches Enigma bleibt – der deutsche Mensch, wie soll er je mit seinem Nachbar leben, wo er sich selbst, seinen Nächsten immer wieder unbegreiflich ist? Ich gehe am 8. April auf 4 Wochen in e. kleines Sanatorium in Loschwitz bei Dresden, meine Form der Retraite. Kommen Sie nicht einmal zu e. Wochenende herüber; das wäre sehr beglückend, lieber Carl S.! Immer und sehr Ihre L. S. M.
25. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
Sanatorium Möller Dresden-Loschwitz 14.4.40 Mein sehr lieber Carl Schmitt, warmen Dank für ihren guten Brief. Er brauchte 4 Tage zur Reise BerlinDresden. Die Aussicht, Sie hier zu einem Wochenende zu sehen, ist sehr beglückend. Ich möchte das Nächste, sonst das Übernächste vorschlagen? Der 20./21. April wäre das beste, weil das Nächste. – Man kann heute nie wissen, was kommt. Es ist wieder so viel zu sagen, seit wir uns sahen. Ich bin neugierig was Frau Oberheid, Frau Jünger94 ihnen erzählt, welchen Eindruck Sie hatten? – Oberheid hat mich ergriffen, sehr tief und bewegend, bei unserer letzten Begegnung, vor 4 Wochen. Er ist der Jüngsten Einer heute – der reinste, brennendste Ausdruck, Dessen worum es geht. Zugleich ist er schon überholt. Möchte seine Welt siegen, dann wäre alles in Ordnung, und käme aus dem gärenden Wein wirklich die neue „ordo“ – Der Brief Müllers95 ist sehr klug, und so wahr empfunden! Seine Fragestellung entspricht mehr meiner Reaktion, wie der, auch sehr tiefgründige, 92
Ernst Jünger, Auf den Marmorklippen, Hamburg 1939. Julius Schmidhauser, Das Reich der Söhne, Berlin 1940. Schmidhauser (1893–1970) war ein Schweizer Philosoph, der zum Kreis der Neuen Front, einer faschistisch-korporatistischen Intellektuellengruppe, gerechnet werden kann. Vgl. Dino Larese (Hrsg.), Philosophen am Bodensee, Friedrichshafen 1999, S. 39–52. 94 Gretha Jünger, geb. von Jeinsen (1906–1960), erste Ehefrau Ernst Jüngers. 95 Johannes Müller (1864–1949), lutherischer Theologe und Schriftsteller, der ab 1916 auf Schloss Elmau Kurse abhielt, die allen möglichen Lebensfragen dienten. 93
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aber mir zu „unmenschliche“ Brief Rohans. Müller legt den Finger auf Jüngers Wunde: ich las die Marmorklippen zweimal um mich meines ersten Eindrucks, der vor allem Staunen war, zu vergewissern. Ein falscher Ton darin bei aller Esthetik oder darum, – das Konstruierte, (das sich darin dem „Arbeiter“96 auf ganz anderem Wege nähert) war mir peinlich. Es ist eben irgendwo auch „unmenschlich“, daher unwahr, künstlich, – peinlich. Dabei ein wunderbares Kunstwerk, das ich mit dem grössten Genuss am l’art pour l’art las. Welche Bilder! Rohans Vergleich mit dem Stil der neuen Malerei, fand ich hervorragend, und sehr eigenständig empfunden. Aber Müller trifft den Kern, bei aller Anerkennung. Ich freute mich der Abkehr von der Zukunftsvision des kommenden Menschen- und Staatstypus im „Arbeiter“, und dennoch war mir das Buch lieber wie die Marmorklippen, substanzmässig. Und das abenteuerliche Herz!97 Wahrer, echter, ehrlicher, menschlicher. Ich möchte Jünger sehr gern kennen lernen. Auch Müller muss ein sehr feiner Mensch sein. Dieses Elmau war doch eine merkwürdige Sache! Ich beendete soeben den bei Luser herausgekommenen Novellenband von Dr. Andric´.98 Ein erstaunliches Buch, auch so gestaltet, und ganz im Stil des Landes, seines Lebensgefühls. Aber schon die Resignation, der Pessimismus des Orients! Wie ergibt sich der Osten in seine Erdgebundenheit, wie will daneben der nordische Mensch das Feuer und Licht vom Himmel holen! Auf meiner kurzen, 48 std. Pause in Berlin, war ich vorigen Sonntag 2 std. bei Nolde.99 Der ist der Kämpfer! Ich war sehr beeindruckt, u. irgendwie befreit u. beglückt, von Andric´’s Buch; dass es sowas gibt, Minister im Frack und schreibt gerade dieses so tief leidenschaftliche, menschliche, sensible Buch! Grüssen Sie Ihre beiden lieben Frauen. Auf Wiedersehen! L. S. 96
Ernst Jünger, Der Arbeiter. Herrschaft u. Gestalt, Hamburg 1932. Ernst Jünger, Das abenteuerliche Herz. Figuren und Capriccios [2. Fassung], Hamburg 1938. 98 Ivo Andric ´ , Die Novellen. (Übers. aus dem Serbokroatischen besorgte Alois Schmaus), Wien/Leipzig 1939. Ivo Andric´ (1892–1975), Schriftsteller und Diplomat, seit 1939 Gesandter des Königreichs Jugoslawien im Deutschen Reich, 1961 Nobelpreis für Literatur. 99 Emil Nolde (1867–1956), Maler, der nach einer vergeblichen Annäherung an die Nationalsozialisten schließlich 1941 mit Malverbot belegt worden ist und dessen Werke als „entartet“ angesehen wurden. Es liegt ein Brief von Nolde aus dieser Zeit vor. Der Noldebrief ist abgedruckt in: „Bereitschaft zum Risiko“ (wie Anm. 5), S. 160 f. Dort auch weitere Literatur zu Nolde. Die Familie Schnitzler besaß über 20 Gemälde von Beckmann, den sie auch in Amsterdam unterstützte, und mehrere Bilder von Emil Nolde. Auch Nolde wurde während der NS-Zeit von Schnitzlers und auch von Carl Schmitt durch den Kauf von Bildern unterstützt. Vgl. Gerd Giesler, Carl Schmitt und die Künste in der Plettenberger Nachkriegszeit, Plettenberg 2010, S. 5. 97
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
26. Lilly von Schnitzler an Frau Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
o. O., 29.7.1940 Meine liebe Frau Schmitt, Ich dankte Carl Schmitt schon mit e. Karte für seine freundlichen Worte und die Fürsorge für meine Amulette. Ich trage sie nun wieder, u. fühle mich im Schutz ihrer Symbole und der Erinnerungen, deren Träger sie sind, geborgen. – Es ist mir leid, dass Andric´ sie mir nicht bringen konnte; die nobelste Männererscheinung, die mir seit langem begegnet ist. Ich beklage, ihn so selten zu sehen, u. möchte Sie um den gemeinsamen Wohnsitz beneiden! – Anbei übersende ich Ihnen nochmals Abzüge u. die Filme m. kleinen Photos. Ich finde das stehende v. Anima100 so vorteilhaft u. hübsch; es gefällt mir besser wie das Grosse, das Sie mir zeigten. Für den Fall, dass Sie ebenso dächten, sollten Sie die Filme z. Vergrösserung haben. – Anima danke ich sehr f. ihren schönen Brief m. d. hübschen Randzeichnungen! Oberheid101 war auf der Durchreise von Dijon n. Düsseldorf 2 Std. bei uns – müde und irgendwie enttäuscht. Es scheint doch, dass d. neuentstehende Welt für unsere Zwischengeneration viel schmerzlichen Abschied bedeutet, den wir unterschätzt haben, weil wir das Neue überschätzten. D. Neue tritt an unter d. Zeichen des Kleinbürgerlichen bei uns, dies siegt auf allen Gebieten. Es ist ein so geistfeindlicher Aspekt, dass es uns schwer treffen muss; Russland ist geistiger u. Italien aristokratischer. – Auch das wird s. Korrektiv finden, aber es wird lange brauchen – zunächst wird alle Qualität, alle Differenzierung, in der Vermassung des deutschen Kollektivismus untergehen, – England u. Frankreich werden darin aufgesogen werden, anstatt dass sie uns befruchten. – Man braucht viel Philosophie um für sich u. seine Kinder abzudanken, im Sinne eines überpersönlichen Verzichts, der wohl 2 Generationen auferlegt sein wird? Verzicht auf die Qualität auf allen Gebieten. D. Bilder v. Haus d. deutschen Kunst102 sind schauerlich; ich meine, sie würden schlimmer, statt besser. Aber auch das ist im Augenblick logisch, jetzt offizielle Kunst inmitten d. blutigsten Krieges ist unmenschlich und Krampf. 100
Die Tochter Anima Schmitt (1931–1983). Vgl. oben, Anm. 91. 102 Vgl. Johanna Müller-Meiningen, Haus der Deutschen Kunst, in: München – „Hauptstadt der Bewegung“. [Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, 22. Oktober 1993 bis 27. März 1994]/[Red.: Ulrike Haerendel/Bernadette Ott], München 1993, S. 320. 101
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Ich lese d. „Spektrum Europas“ v. Keyserling103 wieder, u. finde darin die Lebendigkeit u. Wahrheit, die ihn meist auszeichnet. D. Buch wirkt tragisch heute. Ich hoffe n. Holland zu Beckmann104 auf 10 Tage reisen zu können, dann wollen Rohan u. ich uns 1 Woche treffen, – wenn die Aktion geg. England105 mich nicht so lähmt, dass ich mich überhaupt nicht wegrühre. Was machen Sie, Carl Schmitt, diesen Sommer? Alles Liebe Ihre L. S.
27. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Berlin-Dahlem, den 24. Dezember 1940 Sehr verehrte, liebe Frau von Schnitzler! Ihr schönes Weihnachtsgeschenk kam in jeder Hinsicht rechtzeitig an, zur rechten Zeit auch im Zusammenhang des Gesprächs, das meine Seele eigentlich stets mit Ihnen führt. In dieser letzten Woche habe ich, durch meinen alten Freund Paul Adams106 veranlaßt, zum erstenmale C. G. Jung107 gelesen, von dem ich bisher nur das kannte, was ich vor 4 Jahren einmal bei einer Lesung in Ihrem Frankfurter Haus, als nächtliche Bettlektüre halb im Schlaf aufgenommen hatte. Ich fand in dem neuen Buch „Religion und Psychologie“108 soviel Wissen, daß ich aufs tiefste beruhigt war, obwohl 103
Hermann Keyserling, Das Spektrum Europas, Heidelberg 1928. Lilly von Schnitzler besuchte den Maler Max Beckmann, der 1937 als „entarteter“ Künstler nach Amsterdam ging in Amsterdam zweimal, im Oktober 1940 und 1942. Vgl. Max Beckmann/Mathilde Q. Beckmann, Tagebücher 1940–1950, München 1955 (u. ö.). 105 Am 13. August 1940 begann die sog. Luftschlacht um England, die Invasion Großbritanniens wurde am 17. September 1940 aufgegeben. 106 Paul Adams (1894–1961), Literaturhistoriker, später Redakteur der Kulturbeilage der Germania „Das neue Ufer“ und ab 1934 Redakteur beim Rundfunk in München. Vgl. Piet Tommissen, Briefe an Carl Schmitt. Eine erste Auswahl, in: Schmittiana 3, 1991, S. 117–124. 107 Carl Gustav Jung (1875–1962), Schweizer Psychoanalytiker, dessen Archetypenlehre versuchte tiefere Schichten der Patienten zu erschließen. Sowohl Lilly von Schnitzler als auch Karl Anton Rohan waren seine Patienten. Im Max Beckmann Archiv haben sich drei Briefe erhalten, darunter einer, in dem er scharf mit den Deutschen abrechnet. Vgl. Max Beckmann Archiv. Erwerbungen 2008–2010, S. 95 f. 108 C. G. Jung, Psychologie und Religion. Die Terry Lectures 1937, geh. an d. Yale University, Zürich/Leipzig 1940. 104
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ich in keiner Weise Patient bin. Sehr lebhaft war dabei in mir der Wunsch, daß Jung einmal meinen „Leviathan“109 lesen möge. Er wird dort einiges finden und ich hätte dann die Genugtuung, mit einer bescheidenen Gegengabe auf ein unermeßliches Geschenk geantwortet zu haben. Die nächtliche Bettlektüre während eines Logierbesuchs bei Freunden scheint eine für meine Seele typische Form der Begegnung mit Ideenträgern zu sein. Vorige Woche war ich mit Dusˇka einige Tage bei Jünger in Kirchhorst zu Besuch; dort las ich nachts E. A. Poe’s „Hinab in den Malstrom“. Das hat meiner Erkenntnis Amerikas mehr genützt, als viele Reisen. Die ungeheuerliche geistige Größe Poes hatte ich bisher nicht begriffen, weil ihm für mich, wie für meine ganze Generation, immer etwas von dem schlechten Parfüm der Grusel-Romantik, ja der Hans-Heinz-Ewers-Zeit110 anhaftete. Jetzt erst sehe ich, um was es sich handelt; auch, was Baudelaire111 an ihm fand. Dessen „Mon coeur mis à nu“ ist heute ebenfalls ganz neu. Für die Erzählung Poes vom Maelstrom müßten Sie sich einmal eine Stunde sammeln. Ich sehe: Amerika ist Europa, europäischer Großraum im fabelhaften Sinne des Wortes. Wir denken alle in großer Liebe und Freundschaft an Sie. Anima ist sehr glücklich über das schöne Geschenk. Hoffentlich kommen Sie bald einmal wieder nach Berlin, damit wir uns sehen. Ich möchte Ihnen entweder Rüssel, Lob der rechten Einsamkeit,112 oder Karl Vosslers Ausgabe der „Welt im Traum“ der anglikanischen Nonne Sor Juana Inés de la Cruz113 schenken und fürchte, daß Sie beides schon längst haben. Rüssel ist schön, aber für Sie als C. G.-Jung-Adeptin, sicher nicht neu; die Sor Juana liebe ich: „Wir müssen nach der Heimat gehn, um diese Heilige Zeit zu sehn.“
109 Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Hamburg 1938. 110 Hanns-Heinz Ewers (1871–1943), Schriftsteller, der vor allem für seine Schauergeschichten bekannt geworden ist. Seine große Zeit hatte er vor dem Ersten Weltkrieg bzw. kurz danach. 111 Charles Baudelaire (1821–1867) hat sich intensiv mit den Schriften Poes beschäftigt und diese auch übersetzt. Poes Einfluss ist vor allem in Baudelaires „Die Blumen des Bösen“ (1857) sichtbar. 112 Herbert Werner Rüssel, Das Lob der rechten Einsamkeit, [Amsterdam] 1940. 113 Sor Juana Inés de la Cruz (1651–1695), mexikanische Nonne und Schriftstellerin. Vgl. Juana Inés , Primero sueño. Eine Dichtung der „Zehnten Muse von Mexiko“ = Die Welt im Traum. Hrsg. von Karl Vossler, Berlin 1941 [vielm. 1940].
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Alle guten Wünsche für Sie und die Ihren im Neuen Jahr. Ich bleibe stets Ihr unveränderlicher Carl Schmitt
28. Lilly von Schnitzler an Duschka Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
[Frankfurt] 41 Westendstr, 7.IV. [1941] Meine sehr liebe Frau Schmitt, Die Ereignisse der letzten Tage haben meine Gedanken häufig zu Ihnen geführt, u. ich habe Ihrer und Ihrer Gefühle in meinem Herzen bewegt gedacht. – Wie schmerzlich ist diese neuen Wunde für alle Teile!114 Ich kenne Serbien nicht, aber durch Sie und Andric´ ist es mir lieb geworden. Umso schuldiger und bitterer empfinde ich meine Unterlassung: in der Überlastung der Abreise übersah ich Ihr Buch zu kouvertieren. Bork ist aber jederzeit anzurufen, u. eine Stunde mit ihm zu vereinbaren, wo Sie meine Wohnung offen finden. In m. Arbeitsraum, kleines Atelier, liegt es im rechten Bücherregal, im untersten Regal, mit einem Blick und Griff zu erfassen. Verzeihen Sie mir bitte m. Vergesslichkeit, ich war müde u. mutlos bei meiner Abreise. Ist Pali Telekis115 Tod nicht verständlich? Er wollte nicht mehr, erschöpft über alle Maassen, unendlich einsam u. enttäuscht. Nun beginnt die Karwoche, dann Auferstehung, – und dann soll es Frühling werden. Am Montag ist Animas grosser Tag; ich werde in Gedanken bei Ihnen sein. Ich schrieb nochmals an Hanfstaengl116 um den herrlichen Lochnerdruck.117 Ich wünschte so sehr, das liebe Kind erhielte ihn von ihrer „Patin“. Ihnen und Carl Schmitt u. dem Kinde alle Wünsche treuester Freundschaft. Gott schütze auch Ihre fernen Lieben Ihre L. S. M. 114
Es könnte sich um Serbien handeln. Graf Pal Teleki (1879–1941), ungarischer Ministerpräsident 1920/21 und 1939 bis 1941, Professor für Geographie, der Ungarn 1939–41 aus nationalistischen Gründen stärker an das nationalsozialistische Deutsche Reich heranführte. Als seine Schaukelpolitik zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich scheiterte, erschoss er sich in der Nacht vom 2. auf 3. April 1941. 116 Hier ist die Graphische Anstalt Hanfstaengl gemeint. 117 Es handelt sich um ein Marienbild, vermutlich „Madonna im Rosenhag“ von Stefan Lochner (ca. 1400–1451), dem bedeutendsten Vertreter der Kölner Malerschule. 115
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29. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U. Max-Beckmann-Archiv, München
12.5.1941 Sehr verehrte, liebe Frau von Schnitzler! Bevor mich der Berliner Betrieb wieder verschlingt, möchte ich Ihnen wenigstens mit einem Wort für die schönen und tröstlichen Tage in Ihrem Hause danken, die mich erquickt haben, wie eine frische Quelle an einer staubigen Straße. Daß ich bei meinem Besuch Ihrer Tochter Gabriele118 persönlich zu ihrer Verlobung gratulieren konnte, erscheint mir dabei als eine besonders schöne Vergünstigung. Denn das Glück der Jugend ist eine so reine und unwiederholbare Gnade, daß mich schon der Anblick und die Anwesenheit aufs tiefste nährt und beglückt. Es ging mir so bei der ersten heiligen Kommunion von Anima, an der ich teilnahm, mit dem deutlichen Gefühl, daß die Teilnahme meine eigentliche und beste Form des Glückes ist. Mit eigenem „Glück“ weiß ich nichts anzufangen, ich wüßte eigentlich nicht, was das sein soll. In der Eisenbahn konnte ich manches Gesprächsthema für mich fortführen. Über allem aber stand die Gewißheit, daß Ihre Erhebung zur regina amicitiae119 einer bedeutenden Wirklichkeit entspricht und daher vollgültig ist. Betrachten Sie daher die Eintragung in Ihr Gästebuch120 als eine konstituierende Urkunde, deren Sinn über einen freundlichen Dank noch hinausgeht. Die Aufsätze aus dem Februarheft der Neuen Rundschau habe ich gelesen. Besonders dankbar bin ich Ihnen für den über den „Januskopf der Droste“.121 So dumm die Überschrift; so kitschvoll – Wilhelm-Schäferhaft mancher Satzbau; so treffend sind die haupt. Erkenntnisse: Alles sei dem Verfasser voll und vorbehaltlos verziehen, weil er einem wirklich eine neue Begegnung mit Annette verschafft. Das ist ganz wunderbar. Es ist ganz unfaßbar schön, ein Beispiel des Satzes von Angelus Silesius: Wer Gott sieht, fühlt, riecht und schmeckt ihn auch.122 118
Gabriele von Schnitzler verlobte sich 1941 mit Franz Seefried, dem Schwager von Albert Prinz von Bayern. Seefried war für den Schering-Chemiekonzern tätig. Die Heirat fand am 8./9.8.1941 in Frankfurt/M. statt. Vgl. Adalbert von Bayern, Erinnerungen 1900–1956, München 1991, S. 417, 432 u. 477. Gabriele von Schnitzler war mit ihrer Mutter lt. Gästeliste von Duschka Schmitt aus den Jahren 1938/1940 am 26. Februar 1939 bei Schmitts zum Mittagessen eingeladen. Privatarchiv Giesler/Hüsmert. 119 Vgl. Carl Schmitt, Tagebücher 1930–1934 (wie Anm. 34), S. 368. 120 Die Eintragung konnte nicht eingesehen werden. 121 Vgl. Alfred Morhenn. Der Januskopf der Droste, in: Die Neue Rundschau 52, 1941, S. 94–104.
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Celine123 dagegen ist doch nur ein Clown, und leider kein richtiger, sondern ein biologisch ausgerichteter. Mit Lawrence124 bin ich noch nicht fertig. Celine und das Heft der Neuen Rundschau erhalten Sie dieser Tage zurück. Als ich abends in meiner Wohnung eintraf, war Werner Gilles da, aus Italien zurückgekehrt. Er will so schnell wie möglich zurückkehren. Hoffentlich gelingt ihm das. Dusˇka hat sich über Ihre Grüße und über die Nachricht von der Verlobung Gabrieles sehr gefreut; sie wünscht von Herzen Glück und läßt vielmals grüßen. Auch Anima ist lebhaft dabei. Im Zusammenhang des Themas, das Sie bei unserem Abschiedsgespräch berührten, kann ich nur sagen, daß die Sorge, hier wäre ein Medea-Komplex125 drohend, hoffentlich überwunden ist. Im übrigen ist das ein großes, tragisches Motiv. Ich habe aber nur Euripides’ und Senecas’ Medea gelesen, scheue mich vor der des Grillparzer und kenne die der Klassizisten des 17. und 18. Jahrhunderts gar nicht.126 Wohl aber ein herrliches Bild von Corot (?), das früher in Berlin in der Nationalgalerie hing.127 Alles Gute für Ihre schnelle Gesundung, liebe und verehrte Frau von Schnitzler, und viele Grüße Ihres alten und unveränderlichen Carl Schmitt
30. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief 4 S., hs. m. U., o. O., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14145
o. O., 13.V.41 Mein lieber Carl Schmitt, Es will mich dünken, als hätte ich Ihnen sehr zu danken für die Treue, mit der Sie meiner bescheidenen Anregung auf einen Besuch hierher, gleich gefolgt sind! 122 Angelus Silesius, (d. i. Johann Scheffler) (1624–1677), Arzt, Priester, und fürstbischöflicher Rat und Schriftsteller, der vor allem durch mystische Gefühlslyrik bekannt wurde, aber der auch die Kunst der antithetischen Zuspitzung beherrschte. Das Zitat aus dem „Cherubinischen Wandersmann“ lautet genau: „Die Sinnen sind im Geist all ein Sinn und Gebrauch; /Wer Gott beschaut, der schmeckt, fühlt, riecht und hört ihn auch.“ (Angelus Silesius, Sämtliche poetische Werke in drei Bänden, hrsg. v. Hans Ludwig Held, München 1952, Bd. 3, S. 179. 123 Louis-Ferdinand Céline (1894–1961), französischer Arzt und Schriftsteller, Antisemit und Kollaborateur. 124 David Herbert Lawrence (1885–1930), Schriftsteller. 125 Dies meint den Hass der Mutter gegen die Tochter. 126 Vgl. Ludger Lütkehaus (Hrsg.), Mythos Medea, Leipzig 2001. 127 Bild von Corot: Konnte nicht ermittelt werden.
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Ich wäre beinah bedrückt von diesem, heute grössten Freundschaftsbeweis, Opfer von Zeit und Mühsal der Reise, – wenn ich nicht, in so eindeutiger Weise wie noch nie, empfunden hätte, dass Ihre Seele in den dicken, alten Mauern meiner Häuser eine Heimat gefunden hätte, dass Wärme, Geborgenheit, ja Liebe ihr hier ein Klima sichern, in dem sie die Blätter öffnet, die fast immer wie die der goldenen Blüte der Chinesen128 über dem damantnen Kelch geschlossen bleiben. Vielleicht hat Benito Cerreno129 mir den Zauberstab in die Hand gedrückt, mit dem ich die schüchternen Blütenblätter entfalten kann, – jedenfalls habe ich dem Dämon dies Mal ins Antlitz gesehen, in seinen Augen, die wie magisch hinter den Ihrigen standen, den Umweg gelesen, den Sie stets zu sich selbst, zur Proportion der Dinge machen müssen, – den gespenstischen Vorgang ahnend gefühlt, durch den Sie, seherisch den metaphysisch-kosmischen Hintergrund, das wahre Gesetz der Situation schauend, – den jeweiligen „exploiteurs“ in die Arme getrieben werden, ihre Taten legitimieren und sich dann qualvoll wieder distanzieren müssen. – Welche Einsamkeit, welche Not muss dies auslösen. Wenn also mein altes Haus Sie in seine mütterlichen Arme geschlossen haben sollte, und Sie hier das absolute Vertrauen, die absolute Solidarität einmal wieder wohltuend empfunden haben sollten, so wäre ich glücklich darüber. Mir jedenfalls, lieber Freund Carl Schmitt, war Ihr Besuch eine tiefe Freude und unsere Gespräche sind immer eine frische Quelle. Irgendwie berühre ich da Schichten an die ich in der heutigen Alltagsbeanspruchung nicht immer hinreiche. Grüssen Sie die liebe Duschka und Anima Ihre Ihnen immer getreueste L. S.
31. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
14.5.1942 Sehr verehrte, liebe, gute, schöne Frau von Schnitzler! Vor einigen Tagen bin ich von einer Reise nach Ungarn130 zurückgekehrt und fand zu meiner großen und freudigen Überraschung eine Weinsendung 128 Vgl. Richard Wilhelm/Carl Gustav Jung, Das Geheimnis der goldenen Blüte. Ein chinesisches Lebensbuch, Zürich 1929. 129 Herman Melvilles Erzählung „Benito Cereno“, auf die Schmitt sich häufig bezog, weil er seine eigene Situation im Dritten Reich darin wiederfand, war 1938 auf Deutsch erschienen. 130 Carl Schmitt hatte auf Einladung Hans Freyers Vorträge zum Verwaltungsrecht und zur Völkerrechtlichen Großraumordnung in Budapest gehalten. Vom 30. April bis zum 8. Mai 1942 hat er sich in Budapest aufgehalten. Vgl. Christian
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unerklärlicher Herkunft zu Hause vor. Heute erhalte ich Ihren Brief und bin doppelt glücklich, daß ich diese kostbare und tröstliche Sendung Ihrer Freundschaft verdanke. Dazu die Freude über einen so schönen Brief! Vielen Dank und alle guten Wünsche für Ihre Tochter Gabriele. Ich hatte gehofft, Dusˇka bei meiner Rückkehr nach Berlin hierher zurückgekehrt zu finden. Am 16. April ist sie nach Kroatien gereist, mit einer Aufenthaltserlaubnis für 14 Tage und bis heute habe ich nichts von ihr gehört.131 Jetzt bin ich doch unruhig geworden. Aber die Verbindung mit Kroatien ist langwierig und offizielle Stellen möchte ich nicht, oder noch nicht in Anspruch nehmen. Hoffentlich kommt bald eine Nachricht. Sie wissen, daß ich sie nur mit großer Sorge reisen ließ, aber gegen ihre Entschlüsse ist nichts zu wollen. In Budapest war es wunderschön. Am Donnerstag, den 07. Mai war ich zum Frühstück bei Ihrer Tochter Liselotte132 eingeladen, in Buda, Fortuna 13. Es war ganz besonders schön. Mit Dr. Scholz habe ich mich gut unterhalten, die beiden Jungens bewundert, vor allem aber auch über Ihre und Georgs Tochter gefreut und in ihr den Vater und die Mutter wiedererkannt. Dieser Besuch gehört zu den schönsten Erinnerungen dieser an interessanten Begegnungen sehr reichen ungarischen Reise. Sehr merkwürdig war die Bekanntschaft mit einigen Ungarn, so Bela von Imredy,133 den früheren Ministerpräsidenten und mit Gajzago,134 einem bedeutenden Diplomaten und Juristen, merkwürdig, wegen der unmittelbaren gegenseitigen Sympathie, die mir, da ich in Berlin in dieser Hinsicht nicht verwöhnt bin, von Herzen wohl tat und mir, seit vielen Jahren zum erstenmal wieder, das Glück unbefangen menschlicher Beziehungen verschaffte, in denen ich mich ergehen und meines und des Gesprächspartners Geist genießen konnte, ohne die mißtrauische Vorsicht, die auf Piratenschiffen135 am Platze Tilitzki, Die Vortragsreisen Carl Schmitts während des Zweiten Weltkrieges, in: Schmittiana 6, 1998, S. 191–270. 131 Reise Dus ˇkas nach Kroatien: Mitte April fährt Dusˇka nach Kroatien um ihren Bruder aus der Haft der faschistischen Ustascha zu befreien, was ihr auch gelingt. Mitte Mai kehrt sie wieder nach Berlin zurück. Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 43), S. 411 f. 132 Liselotte Schnitzler war seit 1934 mit Herbert von Scholz (geb. 1906) verheiratet, der in Budapest seit 1941 an der Botschaft tätig war. Vgl. Hans-Jürgen Döscher, Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der Endlösung, Berlin 1987, S. 46. 133 Bela von Imredy, von 1938–1939 Ministerpräsident Ungarns. 134 Ladislaus von Gajzago (1883–1953), Diplomat und Jurist, den Schmitt immer wieder zitierte, so auch im „Nomos der Erde“, S. 88. Pfingsten 1942 gab Schmitt ihm ein Exemplar seines „Leviathan“ mit Widmung; vgl. C. Schmitt, Tagebücher 1930–1934 (wie Anm. 34), S. 368. 135 Anspielung auf Melvilles „Benito Cereno“.
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ist. Eine große Erholung. Auch die Gespräche mit Prof. Freyer,136 dem Direktor des deutschen, wissenschaftlichen Instituts in Budapest, waren eine Erquickung. Im Nationalmuseum sah ich die fabelhaften skythischen Goldhirsche und die ostgotischen Schalen und Fibeln. Ungeheuerlich, sie in der Hand zu halten. Was Ihnen der Pfarrer in Ihr Gästebuch geschrieben hat, ist in der Tat schön und treffend. Ich selber kann seit einigen Monaten nur noch Konrad Weiß137 lesen, und kann seine Worte in jeder Situation stundenlang vor mich hinsagen, wie meine bäuerlichen Ahnen das Vaterunser und das Ave Maria. Am Karfreitag dieses Jahres, den ich in der Trostlosigkeit Berlins und noch des gegenwärtigen Berlin verbrachte, begegnete mir ein Sonett von Konrad Weiß, das so anfängt: Ich wollte zeigen, was ich sah und was ich immer mehr erfuhr, und fand mich auf der eignen Spur besinnungslos und mir geschah, als ich mich fand, war ich schon da. Ich bin geteilt, und in der Spur des Schmerzes fand lebendig nur ich mich erkannt auf Golgatha.138 Doch ist das alles in großen Zusammenhängen, nicht etwa einzelne „Gedichte“, ganz aus dem Blut der deutschen Sprache, die einzige liturgische Kraft, die es jemals in deutscher Sprache gegeben hat, bei aller Verehrung für Hölderlin. Aber davon ein anderes Mal. Heute nur ein Wort des Dankes und die Versicherung meiner treuen Freundschaft Stets Ihr Carl Schmitt Ich würde gerne wissen, ob Sie den Aufsatz über den Katechon (Thess. 2, Kap. 2, Vers 6/7) im „Reich“ vom 19. April139 gelesen haben.
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Hans Freyer (1887–1969), Soziologe, Philosoph und Historiker, von 1935–1944 Leiter des Deutschen Kulturinstituts in Budapest. Schmitt war mit ihm seit 1929 befreundet. 137 Konrad Weiß (1880–1940), katholischer Schriftsteller und Kunstkritiker, den Schmitt immer mehr schätzte. 138 Konrad Weiß, Gedichte 1914–1939, hrsg. von Friedhelm Kemp, München 1961, S. 93. 139 Carl Schmitt, Beschleuniger wider Willen oder Problematik der westlichen Hemisphäre, in: Das Reich vom 19.4.1942, wieder abgedruckt in: C. Schmitt, Staat, Großraum Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916–1969, hrsg. v. Günter Maschke, Berlin 1995, S. 431–440.
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32. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Berlin, den 20. Mai 1942 Sehr verehrte, liebe Frau von Schnitzler! Die schöne Nachricht von dem Erscheinen eines Sohnes Ihrer Gabriele hat uns alle – Dusˇka, Anima und mich – sehr beglückt. Wir gratulieren herzlich, mit allen guten Wünschen für Mutter und Kind. Mit jedem Kind beginnt, potenziell, eine neue Zeit. Mit diesem aber wird es, so hoffen wir, sich so verhalten wie mit dem Knaben, der in der 4. Ekloge Vergils140 begrüßt wird, die ich, wie von selbst, daraufhin wiedergelesen habe und die Sie jetzt auch einmal wiederlesen müssen, zumal es eine schöne Übersetzung von R. A. Schröder141 gibt, aber auch mehrere andere, die einem das Hoffnungsvolle eines solchen Augenblicks in rührender Weise vermitteln. Vielen Dank für Ihre Karte! Dusˇka ist also wiedererschienen; nach 4 Wochen Aufenthalt in einer Räuberhöhle kehrt sie strahlend, wohlgenährt und wohlbehalten, siegreich nach Hause zurück, sodaß alle Sorgen töricht erscheinen. Den Kampf um die Rettung Ihrer Sippe hat sie mit allem Erfolg durchgeführt. Hoffentlich kann sie Ihnen bald davon erzählen. Sie haben mir, liebe Frau von Schnitzler, durch die Verschaffung der Weinsendung einen solchen großen Freundschaftsdienst erwiesen, daß ich mich etwas geniere, von Ihrem Vorschlag auch Tischwein zu besorgen, gleich Gebrauch zu machen. Macht es Ihnen wirklich keine Mühe, so nehme ich es aber gern an. Denn die Not ist groß, und nichts ist trauriger, als bei Beginn des Sommers in Berlin vor einem leeren Weinkeller zu sitzen. Kisten und Flaschen wurden vorschriftsmäßig zurückgeschickt. Dusˇka wird einen eigenen Brief schreiben und läßt heute nur herzlich grüßen und gratulieren. Wir wünschen alle ein schönes Pfingstfest. Gott segne Sie und die Ihrigen! Von ganzem Herzen Ihr Carl Schmitt
140
In der 4. Ekloge Vergils (20. v. Chr.–19. n. Chr.) wird ein neues, goldenes Zeitalter angekündigt, was als Hinweis auf die Geburt Jesu verstanden wurde. Schmitt hatte bereits 1929 einen Briefwechsel über die Ekloge geführt. Vgl. Carl Schmitt/Ludwig Feuchtwanger, Briefwechsel 1918–1935, hrsg. v. Rolf Rieß, Berlin 2007, S. 306 f. 141 Rudolf Alexander Schröder (1878–1962), Schriftsteller, mit ihm hatte Lilly v. Schnitzler auch noch nach 1945 Kontakt gehalten (Vgl. DLA Marbach, Max Beckmann Archiv).
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Über Konrad Weiß muß ich Ihnen lange erzählen. Die Zeilen, die ich Ihnen hier auf die Rückseite des Bildes aufgeschrieben habe sind aus dem Schlußgedicht der „Cumäischen Sibylle“ (1921). Der „starke Hirsch“ ist Christus. In allen alten Mythen ist der Hirsch das geheimnisvolle Trost-Tier.
33. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Karte, 1 S., mit Bild von ungar. Hirsch und Fibeln, hs. m. U., Max-BeckmannArchiv, München
[24.5.]1942 Bild an Bild, die ihre Fügung tragen, Wort an Wort, die eine Seele wagen, Sieh, es ist das Haus, darin du wohnst, Fragen an die Zukunft, dir umsonst. Sieh und weile nicht, er geht voraus, wie ein Schicksalstummes Angesicht steht der starke Hirsch vor deinem Haus. (Konrad Weiß)142 Für Frau von Schnitzler zur Geburt Ihres Enkels Franz Georg Maria Aufgeschrieben von Carl Schmitt Berlin, Pfingsten 1942
34. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
21.XII.1942 Liebe und verehrte, Frau von Schnitzler! Ihr freundliches Weihnachtsgedenken hat mich sehr gerührt. Vielen herzlichen Dank und auch von uns allen die besten Grüsse und Wünsche für das Weihnachtsfest und das kommende Jahr! Wie schön, dass Sie im November noch einmal bei uns waren! Wir erinnern uns noch oft daran, wie an ein gutes Zeichen. 142 Schmitt zitiert mit kleinen Ungenauigkeiten, vgl. Konrad Weiß, Gedichte (wie Anm. 138), S. 157.
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Hier erhalten Sie eine Kleinigkeit für Ihren Weihnachtstisch. Auf Umwegen habe ich durch einen Freund in Prag einen tschechischen Buchbinder gefunden, der mir das Reclam-Heft eingebunden hat. Der Verlag selbst weigerte sich, mir ein gebundenes Exemplar zu besorgen. Das Büchlein trägt die Widmung „Meiner Tochter Anima erzählt“, und so ist es tatsächlich entstanden.143 Aber ich weiss wohl, dass ich kein Erzähler bin und wollte nicht etwa mit Dickens A Childs History of England144 konkurrieren. Nicht einmal die „Geschichte der Lady Killigrew“ (S. 31 f.) ist „erzählt“, sondern eine Fall-Darstellung.145 Aber ich rechne mit Ihrer Nachsicht, falls Sie sich zur Lektüre entschliessen sollten, und sehe Sie milde lächeln, wenn Sie beobachten, wie die allgemeine Hilflosigkeit des Mannes gegenüber der Frau in der besonderen Hilflosigkeit eines Vaters gegenüber seiner Tochter ihren Höhepunkt erreicht und ein Professor des Völkerrechts sich in einen Plauderonkel von entwaffnender Harmlosigkeit verwandelt. Hoffentlich haben Sie mit den Ihrigen schöne Tage der Ruhe und Sammlung! Gott gebe uns allen Gleichmut und Standhaftigkeit in den kommenden Zeiten, für die es zu meinen schönsten Hoffnungen gehört, dass mir Ihre Freundschaft erhalten bleiben möge. Allzeit und überall Ihr Carl Schmitt
35. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Telegramm, 1 S., hs. o. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14146
31.12.1942 [Aufgenommen] Danktelegramm für „Land und Meer“
143
Carl Schmitt, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Stuttgart
1942. 144
Charles Dickens, A Childs History of England, 1852–1854. Die Darstellung von Dickens (1812–1870) gilt als wenig geglückt. 145 Schmitt erzählt von der englischen Lady Killigrew, die Piraterie betrieb, gefasst und zum Tode verurteilt, schließlich begnadigt wird. Die Geschichte ist – als Plagiat – aufgenommen in: Hans Leip, Bordbuch des Satans. Geschichte der Freibeuterei, München 1959, S. 133 ff.
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36. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14148
o. O., 29.3.1943 Mein lieber Carl Schmitt, meine Gedanken gehen besorgt bei jedem Berliner Angriff immer zu Ihnen, Duschka, Anima. Ich weiss, dass Dahlem in der Einflug-Richtung liegt. Wie ist Ihr Keller? Wie halten Ihre Nerven die Probe aus? Denken Sie, Erna H[anfstaengel]146, diese deutsche Eiche, aus bajuwarischem und amerikanisch-deutschem Blut (Mayflower + 1840er Revolutionär) flieht in die Umgegend, schläft seit Monaten keine Nacht mehr im eigenen Hause in München, weil sie solch schweren Schock zurück behielt. Georg kam gestern aus Cöln und d. Rheinland zurück, in C. 50% aller Häuser und Wohnungen zerstört oder unbewohnbar, Wilhelm Kemper147 gab ihm d. genauen Ziffern, grauenhaft. D. Gesicht des Landes wird sich in 1 Generation völlig amerikanisieren, denn d. Bauten d. letzten 1000 Jahre werden bis Kriegsende in den grösseren Städten zumindest, zum grossen Teil verschwunden sein, die Neubauten á la Stalin und Amerika . . . Ich bot Ungewitters148 meine Berliner Wohnung für Kriegsdauer an, aber sie waren sofort untergekommen. In der Tat ist sie mit d. Glasdächern und Glaswänden im 5. Stock, im Krieg praktisch unbewohnbar, weil zu gefährdet. – Was sind Ihre Pläne? Führen die Osterferien Sie nicht einmal her? 146 Erna Hanfstaengl (1885–1981), Münchner Gesellschaftsdame. Sie war die älteste Schwester von Ernst „Putzi“ Hanfstaengl, Hitlers Auslandspressechef, der aber 1937 bereits floh. Erna wurde 1923 eine Affäre mit Hitler nachgesagt, die dieser im Völkischen Beobachter dementieren ließ. 1943 war sie in ein Komplott von Heinrich Himmler gegen Hitler verwickelt, das eine neue Regierung unter Himmlers Leitung und unter Einbeziehung von Hermann Schmitz (I. G. Farben) und Johannes Popitz an die Macht bringen sollte. Vgl. Peter Conradi, Hitlers Klavierspieler. Ernst Hanfstaengl: Vertrauter Hitlers, Verbündeter Roosevelts, Frankfurt/M. 2007, S. 76 f.; Reinhard R. Doerries, Hitler’s Last Chief of Foreign Intelligence. Allied Interrogations of Walter Schellenberg, London/Portland 2003, S. 112 f., 142 f. Erna Hanfstaengl war lt. Gästeliste von Duschka Schmitt aus den Jahren 1938/1940 mehrmals Gast im Hause Schmitt. Privatarchiv Giesler/Hüsmert. 147 Hier dürfte eine Namensverwechslung vorliegen. Vermutlich handelt es sich um den Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei, Franz Kemper (1880–1945), der 1945 ohne Verfahren erschossen wurde. 148 Claus Ungewitter (1890–1946), Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie, überzeugter Nationalsozialist. Vgl. Peter Hayes, Die Degussa im Dritten Reich. Von der Zusammenarbeit zur Mittäterschaft, München 2009, S. 90 ff.
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Das wäre sehr schön und beglückend. Ich würde Sie bitten unser lieber Gast zu sein. Noch haben wir hier ruhige Nächte: Ruhe vor dem Sturm oder sind wir in der Tat hier so uninteressant vom kriegstechnischen Standpunkt? Man hofft es in tiefster Brust. Ich war im Februar 10 Tage in Paris, nun 1 Woche z. Besuch m. Mutter im Chiemgau, aber nichts kann das verdüsterte Gemüt, seit Stalingrad, und der Entwicklung, die sich nach aussen und innen immer klarer abzeichnet, noch erhellen. Auch der einl. Artikel Heers149 kann nicht dazu beitragen mich aufzurichten . . . er ist erschütternd für e. Mann, der immerhin auf e. geschicktes Niveau u. e. entsprechenden Stil Anspruch macht. Wo sind wir hingekommen? Kommen Sie, mein Freund, ein Gespräch mit Ihnen wird mir wohltun, wie „Land und Meer“ es tat. Es ist so klug, so tief, und so überlegen. Gott schütze Sie und Ihre Lieben Immer Ihre L. S. M.
37. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
29.6.1943 Bitte Schnitzlers um 200g. Schwarzbrot und Lobpreis von Schmitts „Land u. Meer“ durch Fritz Usinger, Brehm u. Grüninger.
38. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 1 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg Bahnhof (Westfalen) Brockhauserweg 10, 27.8.1943 Sehr verehrte, liebe Frau von Schnitzler! In der Nacht vom 23.–24. August ist unsere Wohnung in Dahlem, Kaiserswertherstr. 17 durch eine Luftmine zerstört worden. So „treiben uns lächelnd hinaus die Götter“.150 Jetzt habe ich mit Dusˇka eine Unterkunft hier im Sauerland gefunden. Daß wir am Leben geblieben sind, ist ganz uner149
Friedrich Heer (1916–1983), österreichischer Kulturhistoriker und Schriftsteller, Redakteur der kath. Wochenzeitung „Die Furche“. 150 Zitat aus Hölderlins Gedicht „Stimme des Volkes“: „Und wie des Adlers Jungen, er wirft sie selbst/Der Vater aus dem Neste, damit sie sich/Im Felde Beute suchen, so auch/Treiben uns lächelnd hinaus die Götter.“ Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, hrsg. v. Friedrich Beissner (Stuttgarter Ausgabe), Bd. 2/1, S. 50.
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klärlich. Zum Glück war Anima nicht dabei; sie ist seit 4 Wochen in Cloppenburg im Oldenburgischen. Hoffentlich geht es Ihnen und den Ihrigen gut. Wir grüßen Sie herzlich mit allen guten Wünschen. Stets Ihr getreuer Carl Schmitt
39. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Telegramm, 1 S., hs. o. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14147
31.8.1943 [Aufgenommen] Telegramm Schnitzlers in dem sie ihre tiefe Erschütterung über die Zerstörung von Schmitts Haus ausdrückt.
40. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14149
Mühlen, Post Bergen II (Chiemgau), 1.IX.43 Mein liebster Freund Carl Schmitt, m. Telegramm, das ich gleich nach Eintreffen hier auf dem Hof meiner Geschwister Gustav und Lydia –, an Sie sandte, – ich fand hier Ihren über Frankfurt gekommenen Brief vom 27.VIII. vor, – drängt es mich nun noch diese Zeilen, in der Morgenfrische des 1. Sept., folgen zu lassen. Brauche ich Ihnen zu sagen, wie erschüttert ich bin, über den Schlag, der Sie getroffen hat? Aber es traf mich nicht unvorbereitet. Ich hatte e. Vorgefühl, dass es geschehen würde, und schrieb Ihnen am 24. sofort, Sie möchten mir doch e. Karte über Ihr u. den Ihrigen Ergehen schicken. Sie wird Sie nicht erreicht haben; sie kam v. Attersee in Oberösterreich. – Nun steht also das kleine Haus nicht mehr, das für alle Freunde e. Hort des Friedens, der Geborgenheit, der Treue und Heimkehr war; stets offen und bereit in seiner nimmermüden Gastfreundschaft. Als ich angesichts d. wachsenden Bedrohung Berlins, die Häuser überdachte, die mir dort wichtig sind, stand Ihres an erster Stelle (Gustav u. Lydia151 haben hier ihr wahres Heim). Es 151 Gustav Wilhelm Otto von Mallinckrodt (1892–1982), Bankier; Lydia Andrussow (1893–1982), verheiratet mit Gustav von Mallinckrodt. Gustav und Lydia von Mallinckrodt waren lt. Gästeliste von Duschka Schmitt aus den Jahren 1938/1940 mehrmals Gäste im Hause Schmitt. Privatarchiv Giesler/Hüsmert.
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wird vielen gehen wie mir. – Duschka wird die vielen Dinge beklagen, die sie mit Liebe sammelte; die Bilder, den Flügel, hübsches Gerät, an dem wir uns bei Tisch erfreuten. Sie sind Ihrer Bibliothek des wichtigsten Werkzeugs beraubt, – wie viele Bücher mit Widmungen, wieviel wertvolle Briefe mögen hier untergegangen sein. – Ich fühle vollauf mit Ihnen und Duschka, die Beides Menschen von Ordnung sind, wie sich das Leben unter einem solchen Vorgang desintegriert. Aber was ist es neben Ihrer wunderbaren Errettung? Ich finde sie so symbolisch. Fast atme ich auf: nun haben Sie die Gefahr hinter sich und sind bewahrt geblieben. Sie also sind erwählt für die Arche Noah. Es ist das wichtigste dies erkennen zu dürfen. Und mich dünkt es, an dieser Bewahrung keine Vermessenheit es zu glauben. Der Preis ist hoch, aber er sühnt Schuld. Auch dies muss den Alp haben u. den Atem freier gehen lassen. – Jeder von uns muss in diesem Kriege zahlen, – was mag Georg und meiner noch harren? Und das ist gut so. Individuelles und Kollektives ist zu sühnen. Ungeheuerlich ist das Kollektivkonto. Nun ist die Erde und das Bewusstsein wieder jungfräulich für Sie: Ihr Geist, Ihr Können, Ihr Lebenswerk in Büchern und Reden öffnete Ihnen die Tore Europas, und zwar des Wirklichen und dass das kommen muss, wenn nicht Gott dem Teufel doch die Welt für eine Zeitspanne überlassen hat. Diese Frage steht noch offen: Der Sieg Russlands, ebenso wie das Verlassen anderer Machtpositionen würde dies allerdings bestätigen. Ihr leichtestes Gepäck ist also Ihr schwerwiegendstes. Duschka ist e. zu östlicher und metaphysisch orientierter Mensch, um objektverhaftet zu sein. Das, was sie wahrhaft braucht, wird ihr neu zufliessen: andere Bilder Noldes, Gilles, Nays152 werden andere Wände schmücken. Animas harrt bereits der Lochner nochmals; es wird m. 1. Geschenk an Sie sein, wenn ich an meine Dinge, die seit 15 Monaten wachsend versteckt worden sind, wieder herankomme. – Ich habe mir ja das Unendliche, und immer wieder fragwürdige Kreuz auferlegt gehabt seit eben Jahresfrist – meine Bibliothek, alle Wertsachen, Kunst, Teppiche, Möbel, Silber, Gerät an verschiedenen Orten, wie auch unsere Kleider zu verschicken. Ein grosser Kräfteverbrauch, dessen Unfruchtbarkeit mich oft bis zur Rebellion bedrückte. Auch schien es mir metaphysisch fragwürdig? Ob solche Sicherung schicksalsmässig irgendwelchen Sinn hat, wird sich ja erst beim Ende erweisen. Immerhin entsprach sie meiner objektiven Haftung, einem Verantwortungsgefühl gegen die gesammelten und geerbten Kulturgüter, die in e. so grauenhaft verwüsteten und verarmten Lande, doppelte Bedeutung gewinnen. Auch war es e. Mutterinstinkt, der den Kindern etwas 152 Wilhelm Nay (1902–1968), Maler. Sowohl Schmitt als auch Schnitzlers besaßen mehrere Werke von Nay. Vgl. Elly Nay, Ein strahlendes Weiss. [Meine Zeit mit E. W. Nay], Berlin/Köln: H. Nay; [München]: [Hirmer] 1984.
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an Sinn und Frucht meines Leben hinterlassen wollte, wenn ich erlöschen sollte. Ich gedenke am 1.X. heimzukehren. Es wäre gut und nötig angesichts d. Gang d. Dinge, sich dann zu sehen. Mein Gästezimmer ist intakt, Duschka und Sie sind willkommen. Ich habe noch e. gute Stoffadresse, nichts offizielles, wo Duschka dort auf ihre Gutscheine noch wahrhaft gute Stoffe bekommen würde. F[rankfurt] hat auch ausgezeichnete Herrenschneider; ich habe e. sehr gute Schneiderin Wiener Art und ebensolchen Schneider f. mich, aber den ich Duschka empfehlen könnte. Unser Weinkeller, wie Küche sind noch gut bestellt – so Gott will bis dahin weiter, sodass Sie sich etwas erholen können! Bitte kommen Sie: jeder Schicksalsschlag rückt die, die zusammengehören, näher! – Ich war mit Georg von Beginn bis Mitte August in Reichenhall, dann 14 Tage b. Freunden am Attersee wo wir Lilo153 und ihre Lieben trafen. Rohan kam auch hin (Ich schicke Ihnen vertraulich s. Frankreichbericht154) mit s. Frau auf einige Tage. Es war beglückend und harmonisch, vom Wetter begünstigt. Ich brachte am 2. S[eptember] Georg bis München auf den Heimweg: er ist ab 1.IX. wieder im Geschirr, plant Mitte Oktober 14 Tage in die skandinavischen Staaten zu reisen, will mich mitnehmen (6.X). Ich glaube nicht an diese Möglichkeit. In München wohnte ich bei unserer Freundin Erna.155 Sie setzt z. Zeit alle Hoffnung auf ihren Freund Heinrich H[immler], und hat diesem sehr radikale u. mutige Vorschläge unterbreitet. Wenn sie mit ihrer Conception auch Recht hat, dass in extremis nur dort d. Mittel noch bereinigt sind, vielleicht d. Äußerste, u. inneres Chaos zu verhüten, Hand in Hand mit unmittelbaren Reformen, – so fürchte ich, ist es für Alles zu spät. D. Schicksalsrad rollt. Ich verstehe nur nicht, dass Russland und Amerika die lachenden Erben des zerstörten, aber doch mit starken, seelischen und konstruktiven Geistes noch begabten Europa, in Sonderheit Mitteleuropas, sein sollen? Da stimmt etwas nicht in der Rechnung, u. so glaube ich zunächst noch an e. völlig überraschende Lösung, die der göttlichen Ordnung, nach allen Seiten, wieder Platz schafft. Ist nicht unser Konto bereits ausgeglichen? D. Kämpfe an der Ostfront müssen grauenhaft sein, unsere Soldaten heldisch. Es lässt mich nicht schlafen, wenn ich mir diese Schlachten des Materials, den Nahkampf vorstelle . . . und Hamburg, Berlin, Nürnberg, in den letzten 4 Wochen. Welches Leiden! Man grübelt, grübelt. Wer hat Boris156 ermordet? Die eigene Opposition od. die Russen? 153
Ihre Tochter Liselotte. Was Rohan 1943 aus Frankreich vertraulich zu berichten hat, ist leider nicht zu ermitteln. In seinen Memoiren steht darüber nichts. 155 Erna Hanfstaengl. 156 Boris III. von Bulgarien (1894–1943), bulgarischer Zar aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha, der aus außenpolitischen Gründen mit den Nationalsozialisten sich verbündete. Kurz vor seinem Tode hatte er sich in Berlin geweigert, der 154
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Der Westen schürzt sich; es scheint, als hätten Engländer und Russen auch keine Zeit mehr zu verlieren, dass sie mit allen Mitteln noch dieses Jahr die Entscheidung herbeiführen wollen. Die Russen scheinen Hunger zu fürchten und die wachsende Liebedienerei des Hochkonservativen Churchill,157 und ebenso Edens158 gegenüber Stalin, beweisen, dass sie d. eigene Ohnmacht spüren u. d. entscheidenden Schlag nun von Landvolk zu Landvolk (s. Land und Meer)159 geführt werden kann. Wird d. Badoglio160 Regiment sich halten können, wenn sie nicht bald Frieden machen? Ich fürchte dort Revolution u. d. Ende d. Monarchie. E. radikale Linksregierung macht dann sofort Frieden. – Alles dies am gegenüber kann man nur an e. metaphysische Ordnung glauben, wo keinem die Bäume in d. Himmel wachsen. Schreiben Sie mir über Ihr Ergehen ins Hotel Axelmannstein, Reichenhall, August in Reichenhall, wo ich nochmals von 8.–21. IX. mich aufhalte. Ihnen und heute in besonderer Verbundenheit Ihrer und Duschkas gedenkend Ihre L. S. M.
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Plettenberg II (Westfalen) den 28. September 1943 Liebe und verehrte Frau von Schnitzler! Ich war längere Zeit auf Reisen, eine Woche in Berlin, und antworte deshalb erst jetzt, um Sie zu fragen, ob es Ihnen passen würde, wenn ich mit Sowjetunion den Krieg zu erklären. Daher ist Schnitzlers Vermutung, die Russen seien für seinen Tod verantwortlich, eher unwahrscheinlich. Gerüchte bezichtigen die Nationalsozialisten als Hintermänner. 157 Winston Churchill (1874–1965), englischer Premierminister 1940–1945, 1943 begannen die Kriegskonferenzen, z. B. Casablanca, an der Stalin wegen Stalingrad aber noch nicht teilnehmen konnte. Worin sie die „Liebedienerei“ sieht, bleibt unklar, da Churchill den Einfluss der Sowjetunion in Mitteleuropa gerade eindämmen wollte. 158 Robert Anthony Eden (1897–1977), konservativer britischer Politiker, 1943 Außenminister. 159 Sie bezieht sich hier auf Carl Schmitts Büchlein „Land und Meer“. 160 Pietro Badoglio (1871–1956), italienischer Militär und Politiker, der nach einem innerfaschistischen Putsch am 23. Juli 1943 neuer Regierungschef wurde und am 8. September 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten verkündete, der zur Besetzung Italiens durch deutsche Truppen führte. Am 8. Juni 1944 musste Badoglio zurücktreten.
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Dusˇka Mitte Oktober, etwa am 7. oder 8. für einige Tage zu Ihnen kommen und von Ihrer gütigen Einladung Gebrauch machen würde? Das Leben eines Flüchtlings161 ist voller Schikanen und Unberechenbarkeiten; die Zahl der Behörden, mit denen man zu tun hat, verdreifacht sich plötzlich; zahllose Kleinigkeiten des täglichen Lebens, die sich selbst im Kriege von selbst erledigen, werden plötzlich zu Problemen. Und wenn man mit den Methoden und Denkgewohnheiten eines Professors des Völker- und Verfassungsrechts solche Probleme lösen muß, ist man in der qualvollen Lage eines Athleten, der gezwungen wird, leere Streichholzdosen mit großem Muskelaufwand zu stemmen. Aber die psychischen Reserven Dusˇkas sind anscheinend unerschöpflich und was mich anbetrifft, so gilt der Satz: on se lasse de tout, excepté de penser. Den Frankreich-Bericht Rohans habe ich nicht erhalten, was ich nur der Ordnung halber mitteile. Ein Schneider in Frankfurt, der uns einige Wintersachen machen könnte, wäre eine große Wohltat, was ich für den Fall mitteile, daß er rechtzeitig benachrichtigt werden muß. Wichtiger als alles andere ist, daß ich Sie bald wiedersehen und sprechen kann. Ihr Brief war für mich ein unendlicher Trost. Herzliche Grüße, auch von Dusˇka, und immer Ihr getreuer Carl Schmitt
42. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg II (Westfalen), den 6. Oktober 1943 Liebe und verehrte, Frau von Schnitzler! Seit Freitag, also seit 4 Tagen war hier die Post infolge des Luftangriffs auf Hagen gestört. Ihr Telegramm vom 2. Oktober kam erst heute Nachmittag hier an, wie überhaupt erst heute seit 4 Tagen die erste Post ankam. Die Nachricht von dem Angriff auf Frankfurt hat uns sehr beunruhigt. Ich würde, wenn es Ihnen recht ist, trotzdem und gerade deshalb gern kommen, aber wir haben von Berlin Nachricht erhalten, daß ein Wagen mit Büchern und Hausrat gestern nach hier abgegangen ist und das müssen wir hier abwarten, weil das Auspacken, Aufstellen und Lagern solcher Dinge ein neues fürchterliches Problem ist.162 161
Die Formulierung, „Flüchtling“ gebraucht Schmitt auch gegenüber Ernst Jünger. Vgl. Ernst Jünger/Carl Schmitt, Briefwechsel 1930–1983, hrsg. von Helmuth Kiesel, Stuttgart 1999, S. 171. 162 Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 43), S. 414.
Briefwechsel 1919 bis 1977
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Ich hoffe nur, daß wir dann später kommen können und bitte Sie heute dringend um Nachricht über Sie selbst, Ihr Haus und Ihre Angehörigen. Ich halte es für möglich, daß ich den Oktober hindurch noch hierbleiben kann; Anfang November muß ich wieder nach Berlin. Für Mitte November habe ich eine schöne Einladung nach Budapest,163 der ich gerne folgen würde. Der armen Dusˇka wird es hier schwer gemacht. Zum Glück ist das Wetter herrlich wie nur im Sauerland. Heute war ich im Wald und habe an Sie gedacht. Die Sonne ist durch die seeige Luft rätselhaft klar; die Berge träumen in sich hinein. Willst du umsonst gewesen sein du seelig silberblauer Tag? O Gott, in einer solchen Zeit solche zu Schönerem gemachte Tage. Aber wir gehören selber tief in die Verstrickung der Zeit, sind ihr „eingegoren“. Ich fand vorige Woche, bei einem Freund im Hochsauerland,164 eine mir bisher unbekannte „Notiz für Carl Schmitt“ von dem Dichter Konrad Weiß aus dem Jahre 1933, in der es wörtlich heißt: „Dieser Zeit miteingegoren Geht die Gabe uns verloren“, bleibt „nur das Sein, und dafür der Dank allein“.165 Auf Wiedersehen, herzliche Grüße von Dusˇka und Ihrem getreuen Carl Schmitt
43. Lilly von Schnitzler an Duschka Schmitt Karte, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
[o. O., o. D.] Lilly von Schnitzler lädt vermutlich 1943 (im Advent) Duschka zu einem Imbiss nach einem Konzert „Bachstunde“ von Hans Bork ein.
163 Vom 5. bis 13. November hält Schmitt auf Einladung Hans Freyers einen Vortrag über die Wandlungen des völkerrechtlichen Kriegsbegriffs und an der Universität über „die heutige Lage der Europäischen Rechtswissenschaft“. Vgl. Tilitzki, Die Vortragsreisen Carl Schmitts (wie Anm. 130). 164 Dr. Franz Schranz in Siedlinghausen; vgl. Jünger/Schmitt, Briefwechsel (wie Anm. 161), S. 171. 165 Ungenau zitiert! Vgl. Konrad Weiß, Gedichte 1914–1939 (wie Anm. 138), S. 655.
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
44. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14134
Frankfurt/M. 13.XI [1943] Lieber Freund, Am 7.XI. habe ich m. lieben Mutter im Chiemgau d. Augen geschlossen. Krankheit und Ende waren schwer, – Lungenentzündung. Aber das freie, bewusste, wollende Sterben eines a-christlichen, unkirchlichen Menschen war e. tiefes Erlebnis. Furchtlos und klar ging sie in d. Frieden, den sie sich wünschte. – Ich bin sehr getroffen. – Am Mittwoch-Donnerstag bin ich in Berlin. Bitte telegraphieren Sie mir, ob Sie dort, wo und wann wir uns sehen können? Je nachdem komme ich Dienstag Abend od. bleibe noch Freitag dort. Ich habe e. großes Bedürfnis Sie und Duschka zu sprechen. Immer Ihre Lilly Schnitzler
45. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg II (Westfalen), den 31. Dezember 1943 Liebe und verehrte Frau von Schnitzler! Wo und wie mögen Sie in diesem Jahr Weihnachten und Neujahr begangen haben? Ich bin am 22. Dezember von Berlin hierher gefahren und habe mit Dusˇka und Anima bei meinen Plettenberg-Verwandten eine ruhige Woche verbracht. Anfang Januar kehre ich mit Dusˇka in den Berliner Kessel zurück. Ihr schönes Weihnachtsgeschenk habe ich in Berlin erhalten und hier auf den Weihnachtstisch gelegt. Laudse166 ist eine wunderbare Nahrung wohl geeignet, einem die immer wiederkehrenden Anfälle eines „Willens zu“ etwas abzugewöhnen. Man sieht dann deutlicher dass dieser jämmerliche „Wille zu“ die tiefste Ohnmacht, weil unfruchtbare Ohnmacht ist. Aber der Anblick des zerstörten Berlin, die zertrümmerten Wohnblöcke im Inneren der Stadt, der weggeblasenen Villen in den Vororten vermittelt doch noch Erkenntnisse anderer Art, Enthüllungen der Kern-Situation des christlichen Äon und des 166 Laudse = Laotse: Vermutlich eine Übersetzung Richard Wilhelms des Tao Te King. Das Buch des Alten vom Sinn und Leben, Jena 1923.
Briefwechsel 1919 bis 1977
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Schicksals der termitisierten massa perditionis unserer Großstädte, die keiner Erschütterung, keiner Erweckung, keiner Wiedergeburt mehr fähig sind. Ich bleibe dabei: tout ce qui arrive est adorable,167 und vertraue auf den geheimnisvollen Sinn dieses tremendum. Beten Sie für uns, wie wir für Sie beten und seien Sie, mit herzlichen Wünschen für Ihr Haus und Ihre Familie, innigst gegrüßt von Ihrem getreuen Carl Schmitt Anima wird sich besonders bedanken für das entzückende Büchlein!
46. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Karte, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14150
18.1.1944 Schnitzler bittet um Maße für die Anfertigung eines Anzuges und beklagt, nichts von Carl Schmitt gehört zu haben.
47. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Berlin-Schlachtensee, Schönererzeile 19 den 20. Januar 1944 Sehr verehrte, liebe Frau von Schnitzler! Eben erhielt ich Ihren Brief vom 18. Januar. Vielen herzlichen Dank, in tiefer Rührung über Ihre Mühe und Sorge um mich. Man hat mir bei P[opitz] von Ihrem Telefongespräch erzählt, aber so unklar, daß ich die Angelegenheit für erledigt hielt. Inzwischen bin ich zwischen Plettenberg und Berlin herumgereist und habe mir die oben angegebene Wohnung gefunden, in der Dusˇka schon wohnt, um sie beziehbar zu machen, während ich noch bei P[opitz] wohne, morgen wieder nach Plettenberg reise, um einiges zu holen und nächste Woche umziehe. Ich kann jetzt nicht nach Frankfurt kommen, werde aber sofort zu Ihnen reisen, sobald es eben geht. Ein schwarzer Anzug wäre mir äußerst notwendig, wenn der Stoff einigermaßen gut ist. Ich telegrafiere Ihnen, sobald ich mit Dusˇka gesprochen habe, die ich im Au167 Alles, was geschieht, ist anbetungswürdig: Diesen öfter bei Léon Bloy zu findenden Satz (z. B. im Tagebuch unter dem 31.7.1894, dem 8.6.1895) zitierte Carl Schmitt immer wieder, oft im Gegensatz zu Hegel.
170
Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
genblick nicht erreichen kann (dieses schreibe ich abends bei P[opitz]. Morgen früh muß ich gleich zur Bahn). Hoffentlich kommt das Telegramm rechtzeitig an. Es tut mir so leid, daß ich durch die ungenaue Übermittlung Ihres Telefongespräches soviel Warten verursacht habe. Ein spanischer Freund hat mir Stoff für einen Anzug aus Spanien geschickt, aber von grauer Farbe. Meine Reise nach Spanien und Portugal ist auf April-Mai vertagt. Ich halte hier Vorlesungen as usual. In diesem Augenblick (7 Uhr) kommt Alarm und wir müssen in den Luftschutzkeller. Ich telegraphiere morgen früh. Nochmals vielen Dank und innigste Wünsche für Sie und die Ihrigen. Immer Ihr Carl Schmitt 48. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 1 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Berlin Schlachtensee, Kaiserstuhlstr. 19 den 24. Oktober 1946 Liebe und verehrte Frau von Schnitzler Heute, am Tage des Erzengels Raphael,168 melde ich mich bei Ihnen. Seit einigen Tagen bin ich wieder zu Hause.169 Ihren August-Brief170 habe ich auf wundersame Weise erhalten, mit unendlichem Dank, etwas von Ihnen zu hören, was mich mit solcher Freude erfüllte, als hätte ich eine Schwester erhalten. Bald schreibe ich mehr, heute nur diese Meldung. Dusˇka hat das schwere Jahr tapfer und ungebrochen bestanden; mir ist es gelungen, eine Exercitie daraus zu machen. Oft war es sehr hart. Sagen Sie Georg meine herzlichsten Grüße; ich habe oft an ihn gedacht. Ich will jetzt versuchen, in den Westen zu kommen, doch ist das mit grossen Schwierigkeiten verbunden. Wir möchten unsere Tochter wiedersehen, die in Cloppenburg im Oldenburgischen ist und von der wir jetzt 2 Jahre getrennt sind. Geben Sie bald wieder Nachricht! Ich bleibe stets und überall Ihr getreuer Carl Schmitt 168 In der christlichen Tradition schafft der Erzengel Raphael eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. Er gilt auch als Patron der Reisenden und himmlischer Arzt. Sein Festtag ist der 29. September. 169 Carl Schmitt war am 10. Oktober aus amerikanischer Internierung entlassen worden. Die Straße, in der sein Haus stand, war inzwischen in „Kaiserstuhlstr.“ umbenannt worden. 170 Der Brief scheint sich nicht erhalten zu haben.
Briefwechsel 1919 bis 1977
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49. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
Berlin W 35, Graf Speestraße 23, 29.XI.46 Ach liebster Carl Schmitt, nehmen Sie es nicht als eine Gleichgültigkeit, wenn ich Ihre Zeilen vom 24.X., die mich 14 Tage später erreichten, nicht postwendend beantwortete. Ich war zu benommen davon, und wollte meinen Brief als e. grosses Fest in e. Feierstunde begehen – es sollte keine Antwort, sondern ein Gesang der Freude und des Dankes werden. Und die umbarmherzige Zeit, dieses Problem, das mir in Bewältigung und Gestaltung Zeit meines Lebens mehr wie jedes Andere, zu schaffen machte, – überwältigte, vergewaltigte mich auch dieses Mal. Inzwischen war ich 1 Woche in Godesberg, besuchte Freund Heinrich [Oberheid]. Wir machten Pläne. Diese ihnen zu unterbreiten, ist nun das drängende Anliegen dieses Briefes, der Ihnen zugleich mein tiefes Glück sagen soll, Sie bei Duschka zu wissen, mit Allem was dies beinhaltet und bedeutet. – Lieber Carl Schmitt, wir haben verlernt zu weinen. Ich habe mir dieses Glück lange bewahrt, wie denn die selige Kindheit lange mein Teil geblieben. Ich war ein Kind des Glücks, ob man dies bleibt? Ich frage mich dies heute, ist es e. immanente Eigenschaft? Georgs älteste Schwester Deichmann171 die e. höchst wundersamen, ergreifenden Weg e. Rationalistin, Atheistin, die vor 20 Jahren aus der evang. Kirche austrat, vor Jahresfrist katholisch wurde u. e. herrliche Katholikin schönster Prägung ist – vorige Woche in Godesberg zu mir sagte: „Du bist ein Gotteskind“ – ich war so frappiert u. zugleich nachdenklich von diesem Wort. Und frage mich ob Glücks- u. Gotteskind das Gleiche – ob es ein Leben währt, jenes Gesetz, das irgendwie das Böse bannte? All diese Gedanken sind aber nur Um- und Abweg, denn ich wollte von Ihnen sprechen. Dass ich weinte, Tränen des Glückes, als ich Ihre Zeilen in Händen hielt, Ihre wunderschöne Schrift, die irgendwie die göttliche „ordo“ spiegelt, wiedersah. Und nun sehne ich mich mit Heinrich nach e. Wiedersehen. Und wir planten, dass Sie in den heiligen Nächten mit ihm zu mir kämen. Ich kann Sie Beide komfortabel unterbringen. Es wäre wunderbar, könnten wir Beide, besser gesagt, wir Drei, einige Tage zusammen hier zubringen. In e. tiefen Keller d. Rheingaus blieben mir einige köstliche Tropfen erhalten, C.A.R.E. Pakete e. amerik. Vetters geben den Zusatz. So könnten wir der himmlischen u. irdischen Liebe gleichermassen dienen. Bitte überlegen Sie, u. schreiben Sie mir postwendend besser noch Telegramm, ob Sie eine Möglichkeit sehen, nach dem 26. 171
ratet.
Georgs Schwester Ada war mit dem Kölner Bankier Karl Deichmann verhei-
172
Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
bis Dreikönigstag, einige Tage bei mir zuzubringen. Ich habe eine wundersame Kapelle nahe m. Wohnung, e. sehr feinen Pfarrer u. die Weihnachtsu. Jahresendtage werden unter seinem Schutz u. Zeichen stehen. Er würde Ihnen sehr gefallen: ein merkwürdiger Typ, Synthese zwischen Jesuiten und Benediktiner vereint also viele Gegensätze. – Mein Beichtvater u. der, bei welchem ich konvertierte, ist ein franziskanischer Mensch, e. sich in der Hingabe verzehrender Heiliger, der die Sünder mehr liebt wie die Gerechten. Hätte er sich meiner sonst angenommen? Ja, liebster Carl Schmitt, Eilen Sie her. Wie unendlich wohl täten Gespräche mit Ihnen u. Heinrich [Oberheid]. Dieser ist sehr still und viel älter geworden, ja alt u. weise. Bis dahin, war für diesen Feuerkopf der schmerzlichste Weg. Alles ist ihm genommen, zerbrochen. Anders – wie uns, die wir vom linken Rheinufer sind. Ihn zu sehen tut weh, und doch ist er heroisch wie er das andere Ufer gesucht u. gefunden hat. – Auch für Georg war der Weg unendlich weit, denn er war wahrhaft ein Kind geblieben, der nur Liebeskummer gekannt. Wenn es auch ewig wahr bleibt, dass Liebesleid sehr schmerzt, wie jedes Andere auf dieser Erde, so ist es eine sehr an diese Erscheinung gebundene Erfahrung, die uns, weil sie nur persönlich ist, keine Schau in die überpersönlichen grossen Zusammenhänge vermittelt. Diese hat er nun in 1 ½ J. Abtrennung von mir gewonnen. Der liebe Gott sandte ihm e. Schutzengel u. die Gnade d. Glaubens, um in der Erkenntnis, ihn vor der Dunkelheit, Menschenhass u. Menschenverachtung zu bewahren. Aber die schwerste Runde liegt vor uns. Am 4.II. ist er abgereist; d. Trümmer des Dürerhauses umgeben ihn nun.172 – Ich habe Tage gebraucht, um den Schlag, den ich zwar lange erwartet, zu parieren. Ich war wie betäubt, u. lag Tage u. Nächte in e. Art Dämmerschlaf. Heute Nacht, mit Kaffee u. e. Kirsch, komme ich wieder zurück in die Welt – und zu Ihnen, liebster Freund. Man muss alle Kräfte des Gottvertrauens, das Wissen um allen Sinn, wenn wir ihn verstehen u. darnach leben, mit Gottes Hilfe – mobilisieren in solchen Stunden. Ja, das Leben ist eine lange Exerzitie geworden. Aber ich bin voller Ungenüge, und ermangele der Konzentration u. Kontinuität darin. – Nur die Liebeskraft für Georg, Rohan173 (der in gleicher Lage wie er, in Wien, nachdem er 1 Jahr Ihr Schicksal teilte), die Freunde, ist ungemindert, u. e. merkwürdige Kraft u. Biegsamkeit im Sturm scheint mir gegeben. Duschka ist die Erde mit 1000 Wurzeln, auch sie war Ihnen beigegeben. Möchten wir es bestehen und überstehen! Heinrich Georges Mord im 172 Der Nürnberger Prozess gegen die I. G.-Farben begann am 27.8.1947, die Anklageschrift wurde am 3.5.1947 eingereicht. 173 Karl Anton Rohan war vom 29.12.1945 bis 14.7.1947 interniert, zunächst von den Amerikanern, dann von den Österreichern. Er berichtete darüber in seinen Memoiren „Heimat Europa“, Düsseldorf/Köln 1954, S. 314–331.
Briefwechsel 1919 bis 1977
173
Lager,174 auch er wurde im K.Z. von heute ermordet, – hat mich sehr beeindruckt! Duschka 1000 Grüsse, immer und sehr Ihre L. S.
50. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 1 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
10.6.1947 Carl Schmitt dankt am 10.06.1947 für einen Besuch bei Lilly von Schnitzler und erkundigt sich nach Georg: „Alle unsere Kraft wurzelt in unserm Leidvertrauen.“
51. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
o. O., o. D. [1947] M. lieber Carl Schmitt, ja das war allen Beteiligten e. arge Enttäuschung. Nicht zum Wenigsten d. Schreiber dieser einl. Zeilen der von Sigmaringen auf 48 Std. hergeeilt war. Die Fürstin v. H.-S.175 – meine liebste Freundin seit Jahren – brachte ihn mit, als ich ihr schrieb, dass ich Sie z. Wochenende eingeladen hätte. E. merkwürdiger Mensch, gehemmt u. intellektuell sehr selbstsicher, soll aber, mit d. Anwalt Becker176 (der 32 J. alt Sohn d. Kultusministers †, Weizsäcker verteidigt), d. kommende Anwalt u. Jurist d. südbadisch-württembergischen Gegend sein. Er bekennt sich als ihr Schüler, zu ihrem Berliner Kreise gehörend? Ihr Urteil über ihn wäre mir wertvoll? – Ich bin seit 1 Woche bettlägerig, bei drohender Blutvergiftung, wegen verschleppter Beinwunde. Ich musste Rudy D.177 auch so 2 Tage empfan174
Der Schauspieler Heinrich George starb am 25.9.1946 in Internierungshaft im Lager Sachsenhausen. 175 Margarete von Hohenzollern-Sigmaringen, Tochter des Königs Friedrich August III. von Sachsen (1900–1962). Johann Georg Prinz von Hohenzollern, Lilly von Schnitzler, „Weißt Du mein Lieber . . .“ Erinnerungen des Sohnes ihrer Freundin Margarete von Hohenzollern, in: „Bereitschaft zum Risiko“ (wie Anm. 5), S. 55–60. 176 Helmut Becker (1930–1993), Rechtsanwalt und Bildungspolitiker, Mitbegründer des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Mitglied der NSDAP seit 1937, Assistent des Schmitt-Schülers Ernst Rudolf Huber. Vgl. Ulrich Raulff, Kreis ohne Meister, München 2009, S. 382–493. 177 Rudolf Diels (1900–1957), Jurist, seit 1930 im preußischen Innenministerium, nach 1933 erster Chef des Geheimen Staatspolizeiamts (Gestapa) und Obersturmbannführer der SS, nach Machtkämpfen zwischen Göring und Himmler 1934 entlas-
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
gen. Wir waren gleichmässig traurig! E. Schweizer Verleger erbat kurze Memoiren u. apercus Zeit 1929–1934. – Er schreibt daran. Er will d. nächste Zeit einmal 1 Woche nach F. kommen, um Kogons178 reiche Bibliothek als Unterlagenmaterial zur Verfügung zu haben. – Ob Sie dann herreisen würden? Vielleicht mit Oberheid? Es verlohnte sich. Anima erwarte ich mit Freuden. Sehr neugierig auf sie, trotz oder wegen Ihrer Beschreibung, die mir nur noch nicht genügt. Ernst Wilhelm Nay, bei dem ich uns angesagt, war getröstet über Ihre Absage, da nichts im Atelier sei, gegenwärtig. Und ob Sie das nächste Mal nicht Dusˇka mitbrächten? Immer ihre L. S. 52. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., o. O., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
11.8.1947 Mein lieber Freund Carl Schmitt, bei unserer gemeinsamen Freundin Erna auf einige Tage im bayr. Gebirge senden wir Ihnen gemeinsam d. herzlichsten Grüsse. – Wir haben viel von d. Berliner Zeiten gesprochen u. mancher heissen Diskussion – Sie ist souverän – sehr klug (wie es im Testament gefordert wird: seid klug wie die . . .) u. hat diese merkwürdige Form des „Durch-sehens“, in Verbindung mit konstanten Vorstellungen, die für mich immer etwas Überzeugendes hat. – Es wird wohl doch so sein wie Sie sagten, mit der existentiellen Verbundenheit mit . . . Das liegt sehr tief, jenseits alles Konkreten löst daher auch keine Beunruhigung bei Denen, die sie lieben, aus. – Sie hat ihre schöne Überlegenheit u. Gelassenheit u. Kontinuität in der Erscheinung, Kleidung, Lebensstil, Umwelt, als wenn diese sich ihrem Gesetz – Ernas – beugten. Man fühlt sich bei ihr geborgen. Ihre Ruhe und Zuversicht tun wohl. Sie glaubt an den grossen Vorsprung des deutschen Menschen durch die ungeheure Leiderfahrung u. die gewonnenen Erkenntnisse – Auf eine „Elite“ bezogen hat sie Recht, – ob das Kollektiv sen und mit dem Posten eines Regierungspräsidenten in Köln abgefunden. Die SSKarriere verlief aber weiter. Nach 1945 stellte er sich als Belastungszeuge bei den Nürnberger Prozessen zur Verfügung. Veröffentlichte seine Memoiren unter dem Titel „Lucifer ante portas: Zwischen Severing und Heydrich“, Zürich: Interverlag [1949] und Stuttgart: Dt. Verl.-Anst. 1950. Vgl. Klaus Wallbaum, Der Überläufer. Rudolf Diels (1900–1957). Der erste Gestapo-Chef des Hitler-Regimes, Frankfurt/M 2010. 178 Eugen Kogon (1903–1987), Journalist und Politologe, Begründer der „Frankfurter Hefte“ und Verfasser des ersten Standardwerkes über den „SS-Staat“.
Briefwechsel 1919 bis 1977
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nicht aber so fragwürdig ist, wie jedes Kollektiv? Sie teilt mit Heinrich O[berheid] die völkischen Sympathien. Ich war 3 Wochen in d. hiesigen Gegend, 4 Tage bei Lydia179 auf e. Alm 1000 m hoch. Diese ist, trotz ihrer Begrenzung doch ein wunderbarer Mensch: welche Substanz! Wir können nicht mit den Slawen mit: ex oriente lux? Sie liess auch grüssen. Am 14.–15.8. bin ich in N.180, hoffe ihn zu sehen, grosse Dinge, er ist aus völlig freier, eigener Entscheidung in diesen Tagen den gleichen Weg gegangen, wie ich vor 2 Jahren.181 Ich bin nun ganz ruhig, diese Stärkung wird ihn durchhalten lassen. Die Entscheidung mag noch 1 Jahr dauern, ich muss es sogar wünschen. E. grausame Zeit, manche Stunde will sie über die Kraft scheinen. – Obige Mitteilung nur für Sie: beten Sie für ihn! – Im Oktober komme ich an den Rhein. Sehen wir uns dann? L. S. M.
53. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 3 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
Fft/M. 9.XII.[1947] Sehr haben wir Sie vermisst, mein lieber Carl Schmitt – Diels u. Heinrich O[berheid] waren 2 ½ Tage zusammen hier. Die Funken sind gestoben. D. ist viel reifer geworden und steht wunderbar. Die hohe Meinung, die man von Ihm haben dürfte, bestätigt sich. Seine überraschende Klugheit, die Schärfe seiner Formulierungen ist nun noch unterbaut durch geistige Vertiefung. Er hat viel nachgedacht, viel gelesen, – sehr viel gelitten. – Sie hätten in die Diskussion genau das hereingebracht, was sie noch vollkommen ergänzt hätte. Menschlich war die Lücke noch fühlbarer. Ich hatte versucht, Sie über Oberheid zu erreichen, da ich 14 Tage in Hohenzollern182 war u. von der französischen Zone aus jede Post schwer u. langsam geht. Sonst war ich sehr angetan von der Atmosphäre dort. Ich gedenke demnächst wieder meine Schwiegermutter183 zu besuchen. Ob wir uns dann in Godesberg treffen können oder würden Sie im Spätwinter einmal bis Frankfurt vorstossen. Vielleicht mit Duschka? Diels käme 179
Lydia von Mallinckrodt, vgl. oben, Anm. 151. Nürnberg, wo Georg von Schnitzler inhaftiert war. 181 Georg v. Schnitzler konvertierte 1947 zum Katholizismus. 182 Dort lebte die langjährige beste Freundin von Schnitzler Margarete von Hohenzollern Sigmaringen. 183 Der Brief muss dann von 1947 stammen, da Frau Fanny von Schnitzler, geb. Joest im April 1948 verstorben ist. 180
176
Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
dann gewiss wieder her. Aber kann man Pläne machen? Am 12. Januar soll die Verteidigung im I. G. Prozess beginnen; es wird bis Juni mit den Playdoyers gerechnet. D. amerik. Anwalt184 fand drüben so viel Unterstützung, dass von hoher Stelle seine Rückkehr hierher verlangt wurde, jedoch v. Military Government abgelehnt. Weitere Schritte werden zu lange dauern, selbst wenn sie den gewünschten Erfolg brächten, um ihn in G’s Fall noch aktiv werden lassen zu können. Er ist aber drüben e. Ferment u. arbeitet weiter an Aufklärung. – Ansonsten steht alles bei Gott u. die allgem. Entwicklung kann hier allein d. Lösung bringen. 13.XII.47 Neue Nachrichten v. G[eorg]. Ich reise dorthin vor Weihnacht. Nachher sind Pläne schwer zu machen. E. herrlicher Brief Rohans v. Traunsee, wo er mit s. schwer leidenden Frau überwintert. Er schreibt viel, – scheint völlig gelassen, sehr distanziert zu Welt und Menschen. Empfiehlt d. gerade erscheinende Werk Przywaras.185 – R. fragt besonders nach Ihnen. Sagt Ihre Gestalt wüchse unablässig für ihn. – Leistikow186 besuchte mich, e. feiner, verhaltener, reifer Mann – seiner Kunst sehr ähnlich! – Immer Ihre L. S. M.
54. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg, den 24. März 1948 Liebe, innigst verehrte Frau von Schnitzler, diese beiliegende Notiz aus dem Camp187 wird Sie, wie ich hoffe, als Ostergruss noch erreichen; sie ist so persönlich, privat und intim, dass ich 184 Amerikanischer Anwalt: konnte nicht ermittelt werden. Die Anwälte von Georg Schnitzler im Nürnberger I. G.-Farben-Prozess waren Dr. Walter Siemers und Dr. v. Keller. Eventuell war dies Warren E. Magee, ein amerikanischer Anwalt, der Helmut Becker im Wilhelmstraßenprozess bei der Verteidigung Weizsäckers unterstützte. Vgl. Bernd Boll, Fall 6: Der IG-Farben-Prozess, in: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952, Frankfurt 1997, S. 133–143. 185 Erich Przywara, Vier Predigten über das Abendland. Geleitwort von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 1948. Lilly von Schnitzler wird sich in den nächsten Jahren um den depressiven, zurückgezogen lebenden Pater bis zu seinem Tod kümmern. 186 Hans Leistikow, (1892–1962), Maler und Graphiker.
Briefwechsel 1919 bis 1977
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sie Ihnen, Ihnen mit besonderer Freude, aber auch besonderer Sorge, übergebe. Nehmen Sie sich eine Stunde ungestörter Ruhe und Sammlung um sie zu lesen. Es ist kein Gedicht und kein Essay. Es ist eine nur mich und meine nächsten Freunde angehende Dokumentation eines extremen Augenblickes.188 Ich wollte Ihnen eigentlich die andere Notiz „Salus ex captivitate“ zuerst schicken; sie hätte vielleicht auch besser an den Anfang gepasst. Aber ich habe kein Exemplar mehr und es ist für mich so schwierig, eine Abschrift zu beschaffen. Ich hoffe, Ihnen später ein Exemplar übersenden zu können. Heute muss ich es wagen, Ihnen diese vielleicht allzu selbstbiographisch erscheinende Camp-Notiz mit der Bitte um eine gelegentliche, nicht eilige Lektüre in die Hände zu legen. Ich schreibe dieses etwas umständlich, weil ich Ihnen längst einen Brief schuldig bin, um Ihnen für Ihren Besuch zu danken, um meine tiefe Anteilnahme an dem Los und den einzelnen Leidensstationen unseres G.189 auszusprechen, schliesslich auch, um meinerseits wieder einer Nachricht von Ihnen würdig zu werden, wonach ich mich oft sehne. Lassen Sie mich also mein langes Zögern nicht entgelten. Ich hoffe, dass Möss.190 das MS. überbracht hat. Es ist wichtig, des deutschen Namens wegen, dass dieses Expose191 im September 1945 vorlag. Sie brauchen sich nicht mit einer Lektüre abzuquälen, aber es gehört doch in ihre Hände. Rudolf192 wird es vielleicht interessieren. Leider höre ich nichts von ihm und mein Plan, nach Godesberg zu reisen um ihn zu treffen, ist entfallen. Dusˇka ist nach Cloppenburg gereist, um Anima zu holen. Wir grüssen Sie zum Osterfest mit tausend herzlichen Wünschen für Sie und die Ihrigen und freuen uns auf das nächste Wiedersehen. Immer Ihr getreuer Carl Schmitt
187 Carl Schmitt war am 26.9.1945 verhaftet und am 31.10.1945 in das Internierungslager Berlin-Lichtenfelde Süd überstellt worden. Erst am 10.10.1946 kam er wieder frei. 188 Vgl. Carl Schmitt, Zwei Gräber, in: ders., Ex captivitate salus, Köln 1950, S. 35–53. 189 Georg von Schnitzler war noch immer inhaftiert, aber das Urteil war noch nicht gefällt. 190 Wilhelm Mössinger: Es konnte nicht mehr ermittelt werden. 191 Carl Schmitt, Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege“, hrsg. von Helmut Quaritsch, Berlin 1994. 192 Es könnte sich um Rudolf Diels handeln.
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
55. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg, den 15. April 1948 Liebe und verehrte Frau von Schnitzler! Die Anzeige vom Tode der Mutter Georgs193 haben wir erhalten, ein grosses Dokument für den, der es zu lesen weiss. Wir gehören dazu und ich vertraue darauf, dass Sie uns als solche Leser kennen und anerkennen werden. Über ein Wort der Nachricht von Ihnen, Georg und Liselotte wären wir mit grosser Dankbarkeit erfüllt. Dass Sie neulich bei uns waren, wirkt immer noch nach und ich bin immer noch glücklich, dass ich Sie in meinem Zimmer gesehen habe. Hoffentlich ist die Notiz über die 2 Gräber194 richtig bei Ihnen angelangt. Anima, die jetzt hier in Plettenberg zur Schule geht (auf Obersekunda) ist betrübt, dass sie bei Ihrem Besuch nicht anwesend war. Dusˇka macht sich viele Sorgen mit dem Haushalt. Von Oberheid habe ich lange nichts gehört, was mich etwas beunruhigt. Mich quält das grosse Thema, von dem das von Wilhelm Mössinger überbrachte Manuskript vom Sommer 1945 nur ein Anfang ist. Viele Grüsse und Wünsche von Dusˇka, Anima und von Ihrem getreuen Carl Schmitt 56. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
Klinik Wilke, Eiderstetterstr. 2, Wiesbaden, 21.4.48 Soeben habe ich d. Lektüre Ihres Briefes (z. 2. Mal) u. die, dessen, was Sie die Camp-Notiz „Zwei Gräber“ nennen zum 1. Mal beendet. – Die Frage bleibt offen, ob man unmittelbar, gewissermassen „augenblicklich“ auf solch tiefschürfende Gedanken, wie Sie hier aufgeworfen, antworten soll, aber die Reaktion bei mir ist so mächtig, umso mächtiger als Sie in ihrem vor wenigen Tagen erhaltenen Brief noch einmal auf diese „Notiz“ zurückkamen. – Wenn Sie schreiben, dass d. grosse Thema d. Arbeit v. Sommer 1945 Sie quält, so haben Sie gewiss Recht: es ist von brennender Aktualität, denn darum geht es ja. Selbst die Dumpfheit u. Starrsinnigkeit u. Egozentrik des von Christoph C[olumbus]. entdeckten Erdteils u. seiner heuti193 Georg von Schnitzlers Mutter Fanny von Schnitzler, geb. Joest, starb am 10.4.1948. 194 Vgl. oben, Anm. 188.
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gen Bewohner erfüllt dies dunkel, u. es mag morgen ein brennenderes Thema noch werden. Die Fragestellung ist es, worum es geht. Ich weiss dies, u. weil sie heute G[eorg] ganz direkt berührt, morgen noch anders entscheiden u. entscheidend sein kann, geht sie auch mich an. Viel mehr aber bewegt mich der Hintergrund der „Zwei Gräber“. – Die darin aufgeworfenen Fragen von „Ost u. West“ – vom Freitod – sind in den letzten Wochen so hochaktuell, so bedrängend geworden, dass diese Auseinandersetzung, aus Ihrer Feder, mir wie eines jener Geschenke vorkam, die Sie so schön bezeichnen, wenn Sie von den Büchern sprechen, nach denen unsre Hand greift „zur rechten Stunde“, um die Stelle zu finden, deren wir alsdann bedürfen. (vgl. Proudhon)195 Der Tod m. Schwiegermutter, der Verlust e. Uhrenarmbandes, das mir Georgs Lieblingstante, Frau von Harck, Leipzig, die mit 75 J. nach d. Vernichtung ihres Hauses in dreitägigem langsamen u. bewussten Hinscheiden auf ihren Freitod – sie nahm Veronal – mit besonderem Vermerk vermachte, haben m. schon lange dünn gewordenes Nervenkapital plötzlich aufgebraucht. Es war die letzte Abhebung vom Konto. – D. letzten Monate brachten zu viel Probleme, zu viel Unruhe, zu viel Kampf-Krampf – Leerlauf – fruchtlosen Einsatz – dazu die Erkenntnis, dass G’s Situation sich zwar sehr gebessert hat, persönlich u. durch die allgemeine Wende d. legistischen Aspekts, des Kampfes unter Einander „über die Legalität des Verfahrens“, der lebhaft tobt, – dass andrerseits aber alle diese Ansätze nicht ausreichen werden, um d. entscheidenden Männer hierorts z. Einstellung zu bewegen, was die einzige wahrhaftige Tat wäre. Ich weiss, dass gerade die für G. Verantwortlichen klar sehen, u. bei ihrer Integrität, einer Katholik, der täglich kommuniziert, um Erleuchtung bittend damit er kein Unrecht spreche, gewiss in grossem Konflikt stehen. – Nationale Ehre, Prestige und wie der Worte mehr sind, sind von je gefährliche Begriffe gewesen, die auch hier zu Fehlschlüssen führen können – u. werden, wie ich fürchte. Kurzum, mein Freund, der Krug ist drei Jahre zu Wasser gegangen, – genau genommen 10 Jahre nahezu, für uns Alle – u. hat plötzlich e. grossen Riss bekommen. Der Töpfer im Himmel u. ein Gehilfe auf Erden werden ihn wieder flicken, darum ist mir nicht bang. Aber die Verdunklung, ja Auswegslosigkeit der deutschen Lage, die Bedrohung durch Überrollung v. Osten u. Bolschewisierung, wie sie dort nun reissend fortschreitend unter 195 Schnitzler bezieht sich hier auf eine Stelle aus Schmitts Notiz „Zwei Gräber“, in der er über seine Däubler-Studien berichtet und über einen Fund bei Proudhon über die „promethidische Nordlicht-Idee aus Saint-Simonistischen Kreisen“ (S. 50). Dort heißt es zum Fund: „Die geheimnisvolle Hand, die unsern Griff nach Büchern lenkt, hat mir jene Stelle bei Proudhon erst spät zugeführt und aufgeschlagen“. Schmitt, Ex captivitate salus (wie Anm. 188), S. 50.
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Assistenz d. Klassenhasses, Ressentiments, Machttriebes aus d. eigenen Reihen wird wie eine Welle über mir zusammenschlagen. Es wäre viel darüber zu sagen, – wozu? Soviel aber, dass die ersten lösenden Tränen mir bei Lektüre Ihrer „Gräber“ kamen. Georg hatte mir vor 14 Tagen e. so unendlich bewegenden Brief über die Beisetzung seiner Mutter, unseren Gang durch die Ruinen Cölns, die doch die erschütterndsten Aller bleiben, denn das römische romanische, heilige Köln war in seiner Grossartigkeit, Weite, seiner Rom u. der nordischen Hanse gleichermassen angeschlossenen, noch lebendigen Geschichte, im deutschen Raum einmalig, durch die aufgerissenen Gräber Melatens,196 wo alle unsere Vorfahren ruhen, seine und meine, – geschrieben. Ihre „Notiz“ war eine Ergänzung. – In der mir seit Wochen wie mit dunklen Tüchern verhangenen Welt u. Zukunft, ging plötzlich e. Spalt auf, e. Lichtstrahl erhellte mein gequältes Herz, u. ich dankte Gott, der wieder in grosser Not, mir den Retter das rettende Wort, die Befreiung von der Klammer des Kleinmuts, der Furcht, der Hoffnungslosigkeit, gesandt. – Mein Freund, Carl Schmitt, und so verdichtete sich in mir Wunsch und Vorstellung, dass ich das Pfingstfest in Plettenberg begehen könnte? Der heilige Geist, die dritte Peson, hat immer f. mich e. mystische Anziehung u. Bedeutung gehabt. Vielleicht ist es das Intellektualistische, vielleicht der Teufel, der mir die dritte Person bedeutsam machte, ehe ich die Gestalt Christi für mich entdeckte – Immer mehr gibt es nur die Bindungen aus der Seele, – jene aus dem reinen Geist – auf der anderen Seite was uns nicht tiefste, echteste Gefühls- u. Herzensbindung fällt ab. Dahin gehören ja auch die Blutsbande, die e. unerklärliche Bedeutung dabei gewinnen als wären sie e. Überparteiliches, das sich gegen d. übermässigen Subjektivismus jüngerer Jahre wieder durchsetzen will. Die Verbundenheit in den eigensten u. letzten geistigen Positionen ist der zweite Pfeiler. In Ihnen, – auch Duschka mit Anima – vereinigen sich mir Beides in seltenster Weise, vor allem höre und lerne ich bei Ihnen jene Töne aus d. Geiste, die gerade die sind, die ich suche, die auf mich gestimmt sind. – Und so frage ich zunächst nur akademisch, weil ich ja in vielen Bindungen stehe, die meine Pläne entscheiden können, gegen eigene Wünsche, ob ich in dem kleinen Hotel-Gasthaus in ihrer Nähe, wo Dusˇka mich bereits einmal ansagte, auf 8 Tage etwa, e. Zimmer erhalten könnte? Ich würde Plettenberg zu einer Nachkur benutzen, deren ich bedürfen werde, nach anstrengenden Einspritzungen in Fuss- u. Kniegelenke, die wegen Überanstrengung entzündliche Prozesse entwickelt haben. – Ich wollte zunächst auf den Girsberg, oder nach Krauchenwies zu m. Freundin Hohenzollern-Sigmaringen-Wettin197 gehen, wo ich (an letzterem Ort) nahe d. Bodensee, d. 2 Enkelsöhne 196 197
Kölner Friedhof. Margarete von Hohenzollern-Sigmaringen, vgl. oben, Anm. 175.
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Scholz198 auf einige Tage in Ferien nehmen könnte. Dies mag nötig werden, da um Salem199 ernste Schulprobleme f. die Buben entstehen. – Mein Geist und meine Seele ziehen mich aber zu Ihnen, Carl Schmitt, dem Freunde, dem mein Herz wahrhaft zitternd entgegenschlug, als ich die „Gräber“ las. „Die Erlösung aus dem Geist“ das ist es, was mich an Rohans Seite berief, dort 10 Jahre verharren liess, mich zeitlebens dorthin streben lassen wird – was mich zu ihnen führt, Carl Schmitt, wie der Dürstende die Quelle sucht. Ich würde mir reichliches Essen (Amerika Pakete) mitbringen – wie ich eine Kiste m. 10 Flaschen edlen Weines an Sie gelangen lassen könnte, die in Eltville lagern, müssten Sie mich wissen lassen? Sollte der Plan sich realisieren, würde ich Lilo mitbringen, die e. Erfrischung sehr braucht, deren geistige Nahrung immer wieder von meiner Seite bestritten, u. herangebracht werden muss – vorausgesetzt, dass e. Arbeit, die sie täglich antreten will, sich nicht bis dahin konkretisiert u. sie zurückhält. Ich meine wir sollten alsdann Rudolf200 f. 3 Tage zitieren? Heinrich201 u. ich sind in Sorge um ihn, ob er seine hohen Gaben u. Erkenntnis u. Erfahrungen – drei seltene Dinge endlich disziplinieren u. damit einsatzreif u. schlagkräftig, erfolgversprechend machen wird? – Vielleicht könnten Sie ihm hier ins Gewissen reden? Draussen vor dem Fenster meiner kleinen Klinik, brechen die Fliederknospen, „Zwei Gräber“ haben die Knospen meiner Seele wieder schüchtern schwellen lassen. Bisher sah ich den Frühling nicht mehr, seit dem 1. April, als Georg mich nach e. zauberhaft besonnten Rheinfahrt, in Frankfurt verliess. – Seine unvorstellbar schönen Liebesbriefe sind meine höchste Verpflichtung, sie halten mich hier, lassen mich mich immer wieder finden. Ihre Liebeskraft, Echtheit, Sprachschönheit, Gedankentiefe im Raum des Evangeliums u. der Liebessehnsucht machen sie geradezu zu Dokumenten, die überliefert zu werden, verdienen. Er ist e. Abelard,202 e. Tristan,203 ja e. Franziskus204 mit S. Chiara.205 Ihre L. S. 198 Es handelt sich um die Söhne ihrer Tochter Liselotte (Lilo), Wilhelm Georg und Manfred Scholz. 199 Internat Salem: Elitäres Privatgymnasium mit Ansätzen der Reformpädagogik. 200 Rudolf Diels ist wohl hier gemeint. 201 Heinrich Oberheid. 202 Petrus Abaelardus (1079–1142), bedeutender französischer Philosoph und Theologe, dessen allgemeine Bekanntschaft sich aber mehr seinen Liebesbriefen an seine Schülerin Heloise verdankt. 203 Tristan, Figur aus dem höfischen Roman von Gottfried von Straßburg aus dem 12. Jahrhundert, ein tapferer Ritter, der durch einen Liebestrank auf immer an die Königstochter Isolde gebunden ist. Der Roman weist eine Vielzahl von Interpretationsproblemen auf.
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57. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler206 Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg, den 30. April [1948] Liebe hochverehrte Frau von Schnitzler! Ich bin von Ihrem Brief ganz ergriffen und denke mit grosser Teilnahme daran, dass Sie in einer Klinik sind und die physischen tormenta zu allem Traurigen noch hinzukommen. Aber ich höre aus Ihren Worten auch eine starke Kraft und verborgene Reserven heraus. So hat Ihr Brief als Mitteilung etwas Tröstliches, und es berührt mich aufs tiefste, dass Sie meine Notiz über die „Gräber“ mit soviel freundschaftlichem Sinn gelesen haben und so darauf eingehen. Wir möchten alles tun, um die Verwirklichung Ihres geplanten Pfingstbesuches bei uns zu ermöglichen. Pfingsten selbst ist das Hotel schon ganz besetzt; der Andrang aus dem ganzen Ruhrrevier ist fürchterlich. Aber liesse es sich nicht etwas später einrichten? Oder kann ich nicht irgendwohin kommen, wo ich Sie sehen und sprechen kann? Es haben sich allerdings für die nächsten Wochen einige Besuche angesagt, darunter auch der Anwalt Koerners207 aus Nürnberg, aber das muss ich dann einrichten. Ihr Besuch in Plettenberg war viel zu kurz. Bei mir braucht es auch immer eines längeren Anmarsches, ehe ich mich aus der dichten Versponnenheit meiner beruflich-wissenschaftlichen Begriffsnetze etwas gelöst und für die Schwingungen eines menschlich-unbedenklichen Gesprächs frei gemacht habe. Darum wäre es auch für mich eine ganz ausserordentliche Wohltat, einmal mehrere Tage ungestört zu Ihrer Verfügung zu haben. Ich weiss, dass Sie das richtig verstehen. Sie wissen auch, wie Niemand sonst, wie tief und schwer die „Ungeduld der Gerechtigkeit“ mich plagt und welche unabsehbare Verantwortung drin liegt. Ich kann es mir nicht mehr leicht machen und erschrecke täglich vor der Wahrheit und Unentrinnbarkeit der Erkenntnis, die in den überwältigendem Satze Saint Martin’s208 liegt: „Um sicher zu sein, dass man wiedergeboren ist, muss man alles um sich her wiedergebä204 Franziskus von Assisi (1181/82–1226), Begründer der Minoritenorden, der durch Verzicht auf sein reiches Erbe und durch die Hinwendung zum evangelischen Armutsideal eine charismatische Rolle im Hochmittelalter spielte. 205 S. Chiara: Klara von Assisi. 206 Vgl. Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951, hrsg. von Eberhard v. Medem, Berlin 1991, S. 142 f. 207 Paul Koerner (1893–1957), Staatssekretär Görings und von diesem wie Schmitt in den Preußischen Staatsrat berufen, angeklagt im Wilhelmstraßen-Prozess, zu 15 Jahren Haft verurteilt, 1951 begnadigt. 208 Louis-Claude de Saint-Martin (1743–1803), französischer Mystiker und Böhme-Übersetzer.
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ren“. Aber ich entferne mich von dem überaus praktisch-technischen Mitteilungszweck dieses Briefes, und wiederhole deshalb meine Bitte um Ihre baldige Entscheidung. Ich wäre unendlich glücklich, wenn die von Ihnen geplante Zusammenkunft in irgendeiner Weise bald zustande käme und halte mich immer für Sie bereit. An G[eorg] denke ich sehr viel. Jetzt wird es am 6. Mai ein Jahr,209 dass ich aus dem Nürnberger Gefängnis entlassen wurde. Übermorgen sind orthodoxe Ostern, worauf sich Dusˇka sehr freut. Sie lässt Ihnen ihre herzlichen Grüsse und Wünsche sagen, und Anima ist natürlich sehr begierig, Sie bald zu sehen und Ihnen vorgestellt zu werden. Ich bleibe aus ganzer Seele immer Ihr Carl Schmitt
58. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
Klinik Wilke 1 Bierstadterstr. Wiesbaden 9.5.[1948] M. lieber Carl Schmitt, ich bin sehr ergriffen von Ihrem Brief. Also, ich schlage das erste oder 2. Wochenende nach Pfingsten für e. Besuch vor. Vielleicht bringen Sie Anima mit, das wäre schön? Sie können Beide bei mir wohnen, – Am 18.–22. Mai ist eine wesentliche Dichtertagung210 in Frankfurt: Ich bleibe Pfingsten für dieselbe zu Hause. Ich habe auch keine Kraft zu reisen. Es war wohl zu viel in letzter Zeit, u. ich bin so oft in grosser Anfechtung. – Ich lud die Elisabeth Langgässer,211 welche auch e. Vortrag in d. Dichtertagung hält, um ihres erschütternden, hellsichtigen Buches „Das un209 Schmitt war am 29. März 1947 nach Nürnberg überstellt und dort zu Vernehmungen durch Robert Kempner bis zum 13. Mai 1947 festgehalten worden. Seit dem 6. Mai 1947 war er aber in einem Haus für „voluntary witnesses“ untergebracht. 210 Es handelt sich um den Zweiten Deutschen Schriftstellerkongress vom 19.–22. Mai 1948 unter Vorsitz von Hans Mayer anlässlich der Zentenarfeier der Revolution von 1848. Elisabeth Langgässer hielt dort das Referat „Die Sprache des Schriftstellers in Isolierung und dialogischer Begegnung“. Vgl. Marbacher Magazin 85, 1999, S. 112. 211 Vgl. Elisabeth Langgässer an Waldemar Gurian vom 24.5.1948: „. . . In Frankfurt wurde ich überfallen mit Aufträgen: die Presse, der Rundfunk bemächtigten sich meiner, ich wurde gezeichnet (vielmehr karikiert, muss man schon sagen!) geknipst u.s.w. und wohnte bei der Frau des 1. Kaufmännischen Direktors der früheren I. G., die einen enormen geistigen Kreis hatte und heute noch hat, obwohl sie natürlich stark reduziert ist – aber mit Anstand reduziert. Grosse gesellschaftliche Klasse, wirkliche „grande dame“, jüngste Tochter verheiratet mit dem Enkel der Prinzessin Louis Ferdinand. Sie hatte mich bei dem Kongressbüro als Gast erbeten. In ihrem Haus (vielmehr ihrer wunderbaren Atelierwohnung) konnte ich einladen, wen ich wollte – Franzosen vor allem, Lektor von Gallimard, Madame Malraux und andere Leute.“ Elisabeth Langgässer, Briefe 1924–1950, Bd. 2, hrsg. von Elisabeth Hoff-
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auslöschliche Siegel“ als Wohngast, 18.–22. V. zu mir ein. – Ihre 20 Seiten mit Zitaten Donoso Cortés212 haben mich an d. Wurzel ergriffen, welcher Geist, dieser Mann. Sprachen Sie nicht von ihm, es sei der Spanier über den e. vorwitziger Student e. Arbeit schreiben wollte?213 – Ich schrieb an Diels, ihn befragend, welches Wochenende er nach Fr. kommen könne? Dies ist also e. Zwischenbescheid, damit Sie beide Daten im Kalender aufnehmen können. Immer Ihre L. S. 59. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Karte, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14152
Frankfurt/M., 1.VII.1948 M. sehr lieber Carl Schmitt, nachdem ich d. Plan zum 60. Geburtstag am 10.VII. wie es m. Gefühl entsprach, zur Stelle zu sein, bereits daran gegeben hatte, gibt e. soeben erhaltene Einladung n. Holstein mir die Möglichkeit d. Umweg über Plettenberg wieder zu erwägen. D. Billet ist in d. Einladung inbegriffen. – Ehe ich mich in die Hoffnung e. Wiedersehens wieder einspinne, will ich zunächst nur einfach anfragen, wie Duschka u. Sie über solchen Besuch denken. – Ob ich auf Ihrem Diwan übernachten könnte (auch eine Geldreformfrage . . .)? – Ich brächte e. Weinangebinde (2 Fls.) u. meine „fourage“ mit. Feste Planung kann ich meinerseits auch noch nicht machen. Es ist also e. Vorfühlen, doch wäre es sehr beglückend, wenn es gelänge. Ihre L. S. 60. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 1 S., ms. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
[ohne Datum] Carl Schmitt übersendet am 11.7.1948 Lilly von Schnitzler sein Gedicht „Gesang des 60jährigen“. Mit der handschriftlichen Widmung „Für Frau von Schnitzler invariabiliter C. S.“ mann, Berlin 1987, S. 776. – Carl Schmitt hatte zu Elisabeth Langgässer ein ausgesprochen reserviertes Verhältnis. 212 Vgl. Carl Schmitt, Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation. Vier Aufsätze, Köln 1950. 213 „Vorwitziger Student“: 1933 wollte Ossip K. Flechtheim bei Carl Schmitt in Köln über Donoso Cortés promovieren. Da Flechtheim weder katholisch war noch Spanisch las, lehnte Schmitt ab, was ihm später als antisemitisch ausgelegt wurde. Vgl. Piet Tommissen, Bemerkungen zum Verhör Carl Schmitts durch Ossip K. Flechtheim, in: Schmittiana 2, 1990, S. 142–148.
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61. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
Uffing am Staffelsee, 11.11.49 Mein lieber, lieber Carl Schmitt, Wir sind beide beinah seit Jahresfrist sehr schweigsam. Zeiten der Dürre. Sie werden ihre Gründe haben – vielleicht heisst es wieder, einen der vielen Tode sterben – und das „Werden“ will noch nicht. Bei mir ist es wohl so. Ich war geschäftlich in Österreich – abschliessend 8 Tage mit Rohan zusammen Er ist so frei u. reif u. still – staunenswert für s. 52 Jahre. Ich brachte ihm die „Strahlungen“,214 4 Bücher von Benn215 – den Faustus216 – aber es war mir, als stünde ich mit leeren Händen da. Ich hoffe, es ist keine Indiskretion wenn ich Ihnen seinen Brief schicke. – Sie sind ihm der wesentlichste Mensch in Deutschland, wohin er sehr strebt. So mag er mir verzeihen. Die Ärzte verordnen mir seit ¾ Jahr, ohne Erfolg, größte Ruhe. Nun bin ich auf 14 Tage bei Erna Hanfstaengl, die grüssen lässt. Dann fahre ich in d. Chiemgau zu Lydia Mallinckrodt, ein ebenso warmer Ofen, wie Erna. Ich bin sehr ausgefroren, das Jahr 49, das ich immer fürchtete, ist zuviel gewesen u. will kein Ende nehmen. Nun sehe ich Georg217 3 x in 5 Wochen, von hier aus. Er hat „überwunden“, heiter, frei, humorvoll, fädelt er die Tage, und beschämt mich. Allerdings ist er sehr gesund, schläft gut – ich halte mich indess an Goethes Wort, dass man die allzu Gesunden beargwöhnen muss, u. dass Krankheit notwendig u. förderlich. Lilo218 arbeitet fleissig u. erfolgreich auf der Länderbank – Gabriele erwartet ihr 3. Kind in diesen Tagen.219 E. glückliche, normale Ehe, wo alles an seinem Platz steht, vor allem der liebe Gott. – Georgs Prüfung wird wohl ihre Zeit aus-dauern: 5.V.1950. Ich kehre Mitte Dezember nach Hause zurück. Oberheid tröstet mich, dass Schmer214
Ernst Jünger, Strahlungen, Tübingen 1949. Gottfried Benn(1886–1956), expressionistischer Schriftsteller. 1949 waren von Benn folgende Titel erschienen: „Roman des Phänotyps“, „Ausdruckswelt“, „Trunkene Flut“, „Drei alte Männer“, „Der Ptolemäer“. 216 Thomas Mann, Dr. Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde, Stockholm 1947. 217 Georg von Schnitzler war am 29./30.7.1948 zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Die Untersuchungshaft wurde angerechnet, Schnitzler Ende 1949 aus dem Gefängnis in Landsberg entlassen. 218 Liselotte Schnitzler. 219 3. Kind von Gabriele Seefried: Es dürfte sich hierbei um Johannes Graf Seefried auf Buttenheim handeln. 215
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zen, wenn sie keine tödliche Ursache haben, einmal ihr Ende finden. Ich denke noch vor Weihnachten geschäftlich ins Rheinland zu fahren; es wird von meinem Ergehen abhängen, ob ich Plettenberg einschalten kann. Ich möchte es sehr gern, es wäre an der Zeit. – Immer Ihre L. S. M.
62. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
[Oberföhren] 8.XII.[1949] Mein lieber Carl Schmitt, wie bin ich glücklich, dass Dusˇka220 nun zurückkehrt – das wird doch die ganze Lage bei Ihnen zu Hause ändern, selbst wenn sie noch ein Rekonvaleszentendasein führt, wird Ihre Atmosphäre das Heim wieder ordnen u. beleben! – Ich war gerade dabei Ihnen zu schreiben, Sie möchten Silvester u. Neujahr doch bei mir in F. verleben, wo Georgs Bett wohl noch verwaist sein wird. Nun werden Sie hoffentlich ein besseres Jahr zu Hause mit Frau u. Tochter beginnen, 1949 war für viele Menschen sehr schwer, wie ich weiss. Es brachte die endgültige Quittung auf die übermässige Verausgabung des letzten Jahrzehnts. – Wie sehr wünsche ich, dass Dusˇka sich nun endgültig erholt, sie hat ja grosse Reserven, u. die Urkraft der Slawin, die ich zuerst in Friesdorf221 staunend erkannte. Dazu hat sie den inneren Ort u. die Standhaftigkeit, von denen aus ja auch die Physis bestimmt wird. Für uns alle sehe ich ab 1950 erst den leisen Beginn der Wende, 1952– 53 wird es erst sich auswirken, dass wir noch da und nötig sind. Sie gewiss. – Alles braucht viel Zeit heute, und die Jahre beginnen zu zählen, leider. – Über Jünger222 behalte ich noch m. Meinung vor, s. „Strahlungen“ gefallen mir sehr, – er selbst hat eine schwierige Aura für mich. Lesen Sie die 4 Bände Gottfried Benn, Limes Verlag. Darüber wüsste ich gern Ihr Urteil. Immer L. S.
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Dusˇka Schmitt hatte sich in Heidelberg einer Operation unterziehen müssen. Früherer Wohnort Schmitts in Bonn. Vgl. oben, Anm. 214.
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63. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 4 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg, den 17.12.1949 Hochverehrte, liebe Frau von Schnitzler! Tausend Dank für Ihr Schreiben vom 8.XII. aus Oberföhren und für die Übermittlung des Briefes von R[udolf] D[iels]! Ich richte diesen meinen Brief an Ihre Frankfurter Adresse, hoffend dass Sie jetzt gesund und heil wieder in Ihrer Wohnung sind und dort gesammelte und ruhige Festtage verbringen. Dusˇka lässt Sie herzlichst grüssen und Ihnen ein schönes Weihnachtsfest wünschen. Sie ist vorige Woche gut aus Heidelberg zurückgekehrt. Die Operation scheint tatsächlich gut gelungen zu sein, die beiden Ärzte (Prof. Siebeck, der Internist, und Prof. Bauer der Chirurg)223 haben sich hervorragend bewährt. Wir hoffen ein friedliches Weihnachtsfest in unserer kleinen Familie feiern zu können. Vergessen Sie bitte nicht, liebe und verehrte Frau von Schnitzler, Georg von uns zu Weihnachten und Neujahr auf das herzlichste zu grüssen. Wir hoffen, ihn im kommenden Jahr wiederzusehen. Dann muss er uns viel erzählen. Das Unglück und Leid ist das einzige, was einen Menschen adelt. Ich habe es neulich bei einem Besuch von Ernst Jünger224 empfunden, dessen Nachteil darin besteht, dass er niemals in einer Zelle war. Wir freuen uns auf den Besuch von Frau Jünger,225 die in der ersten Hälfte des Januar kommen will. Anima ist lieb und klug und wächst heran. Ostern kommt sie auf Oberprima. Ich würde gerne einmal Liselotte226 wiedersehn und mir von ihren Erfahrungen der letzten Jahre erzählen lassen. Dass es Gabriele227 gut geht, freut uns alle sehr. Unsere spanischen Freunde bewähren sich gut, wenigstens in meinem Fall. Es war besonders eindrucksvoll, dass mir in Spanien,
223 Richard Siebeck (1883–1965), Professor für innere Medizin, Leiter der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg, mit Schmitt seit Berliner Zeiten bekannt. Karl-Heinrich Bauer (1890–1978), Professor in Breslau und seit 1943 Leiter der Chirurgischen Klinik in Heidelberg. 224 Es handelt sich um den Besuch im November 1949, der zu einer weiteren Entfremdung Schmitts von Ernst Jünger beitrug. Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 43), S. 467 f.; Martin Tielke, Der stille Bürgerkrieg. Ernst Jünger und Carl Schmitt im Dritten Reich, Berlin 2007, S. 108 f. u. 112. 225 Greta Jünger besucht Schmitt im Januar, was zu erheblichen Verwirrungen führte. 226 Schnitzlers jüngere Tochter. 227 Schnitzlers ältere Tochter.
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insbesondere das Vitoria-Institut228 in Madrid und die führende spanische Zeitschrift für Völkerrecht in demselben Augenblick Publizität im Weltstil verschafften, als in Deutschland Kogon, Thieme229 und ähnliche versuchten, „Carl Schmitt redivivus“ ihren Terror zu organisieren, ganz töricht schon deshalb, weil ich ja dank ihrer Verfolgung überaus „vivus“ geblieben bin, so dass der Versuch eines Tanzes auf meinem Grabe sich als verfrüht erwies, selbst wenn man mich von neuem eingesperrt hätte. Sie haben recht, liebe Frau von Schnitzler, dieses Jahr 1949 war schwer. Mir hat besonders leid getan, dass wir uns in diesem Jahr nicht sehen konnten. Hoffentlich bringt uns das kommende Jahr diese Möglichkeit. Ihr Bruder Gustav230 hatte einmal auch einen Besuch Ihrer Schwägerin Lydia in Aussicht gestellt, aber auch daraus ist leider nichts geworden. Wenn Sie wieder einmal an Rohan schreiben, grüssen Sie ihn bitte herzlich von uns. Ich denke oft an ihn und wenn mir eine alte Nummer der Europäischen Revue in die Hände fällt, bewundere ich immer wieder seine bedeutende Leistung. Sie wird nicht spurlos untergehen. Die Psychosen des Jahres 1945 werden aufhören, selbst wenn sie durch andere abgelöst werden. Das kleine Quantum von Sinn und Recht, ohne das auch die Chaopoliten nicht existieren können, wird dann wieder erkennbar werden und auch Rohan zugute kommen. Alle drei, Dusˇka, Anima und ich wünschen Ihnen ein schönes Weihnachtsfest und ein gutes Neujahr, Ihnen und den Ihrigen, insbesondere Georg und Liselotte. Ich bleibe von ganzem Herzen Immer Ihr Carl Schmitt
228 Schmitt konnte in Spanien 1949 seinen 1944 am Instituto Francisco Vitoria de Madrid gehaltenen Vortrag „Francisco de Vitoria und die Geschichte seines Ruhmes“ veröffentlichen: Carl Schmitt, La justificación de la ocupación de un nuevo mundo (Francisco de Vitoria), in: Revista española de derecho internacional 2/1, 1949, S. 13–45. 229 Es ist nicht ganz ersichtlich, worauf sich Schmitt hier konkret bezieht, denn die meisten Artikel mit „Carl Schmitt redivivus“ erscheinen erst 1950/51. Kogon und Thieme dürften als katholische Gegner Schmitts seine besondere Abneigung erregt haben. Vgl. Hans Thieme, Carl Schmitts Apologie, in: Deutsche UniversitätsZeitung 5, 1950, H. 22, S. 18. Aber schon 1949 gab es – wenn auch nur indirekt nachweisbar – Angriffe von Thieme auf Schmitt; vgl. Carl Schmitt. Briefwechsel mit einem seiner Schüler. Hrsg. von Armin Mohler, in Zus.arb. mit Irmgard Huhn und Piet Tommissen, Berlin 1995, S. 71 und 72. 230 Gustav Mallinckrodt.
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64. Lilly von Schnitzler an Anima Schmitt Karte, hs. o. U., o. D., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
[Frühjahr 1950231] Meine liebe Anima, ich komme heute mit e. Bitte zu Dir: als Du e. kleines Mädchen warst, hast Du mir einmal die Trostarie232 wunderschön mit bunten Stiften illustriert geschenkt. Sie blieb immer e. Lieblings-Stück von mir. – Aus bestimmten Gründen hätte ich sie gern hier, kannst Du sie schicken? Kannst Du sie mit der Maschine abschreiben? Ich möchte Deine Zeit so wenig wie möglich beanspruchen f. m. Wunsch. – In der kleinen Buchhandlung dieses winzigen Nordseebades konnte ich sie nicht finden noch bestellen – M. Mann u. ich erholen uns sehr gut in der Abgeschiedenheit hier oben, b. Meeresrauschen, Sturm, Möwenflug. Wir bleiben bis Ende März. Im Mai wollen wir Euch in Plettenberg besuchen, od. Anfang Juni. Grüsse Dir u. d. Eltern – D. Patentante233 L. S. [Auf der Rückseite der beiliegenden Postkarte mit Bild des Hauses von Georg und Lilly von Schnitzler in Frankfurt, das am 12.09.44 von Bomben zerstört wurde (Abb. siehe Seite 256), hat Lilly von Schnitzler notiert:] Sic transit gloria mundi . . . z. Erinnerung an die Gespräche am Kamin. für Carl Schmitt
231 Die Karte dürfte erst im Frühjahr 1950 geschrieben worden sein, da Lilly und Georg Schnitzler nach seiner Haftentlassung einen Nordseeurlaub gemacht haben. 232 Vgl. oben, Anm. 85. 233 Im Tagebuch hält Carl Schmitt eine Äußerung Dus ˇkas von 1931 fest: „zum P. Rauterkus bei der Taufe von Anima, als er vorschlug, Frau von Schnitzler in dem Irrtum zu lassen, sie sei Patin, obwohl sie nur Zeugin war: Das Taufkind ist ein Juristenkind, da dürfen wir [uns] solche Ungenauigkeiten nicht leisten.“ (Schmitt, Tagebücher, wie Anm. 119, S. 361).
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
65. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Abschrift Tommissen, LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
[ca.1950] Prof. Dr. Carl Schmitt Plettenberg (Westf.) Brockhauserweg 10 Sie haben uns sehr gefehlt! Lilly Schn. ............. Der Tocqueville Aufsatz234 dicht, menschlich. Es ist nicht zufällig, dass Sie ihn R[ohan] zudenken. R. hat substantiell, u. im äusseren Schicksal, Analogien mit A. de T. – Mir gab die Lektüre viel.
66. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14111
Frankfurt, 8. Juni 50 Lieber Schmitt, nun trennen uns schon 4 Tage seit dem schönen Wochenende in Plettenberg. Eine glühende Hitze brütet über unserer Dachkammer und wir denken sehnsüchtig an die balsamische Waldluft zurück, die abends von den Plettenberger Wäldern herunterkam. Es war eine wahre und große Freude für uns, mit Ihnen und Ihren Lieben fast 2 volle Tage ganz ungestört beisammen zu sein. Viele wertvolle Gespräche haben wir gehabt und manche wichtige Unterrichtung habe ich erfahren. Ihre Schrift235 habe ich noch in der Bahn mit großem Interesse ausgelesen, sie ist in allen Teilen überzeugend und als Ihr erster Schritt zum come back sicher von wesentlicher Bedeutung. Die nächsten Schriften werden nun mehr sachlicher Würdigung begegnen, nachdem, wie ich mich ausdrückte, „der Stier nicht zweimal in die Arena kommt“. Unter allgemeinen Betrachtungen haben wir eigentlich noch nicht genug über das Landsberg-Problem236 gesprochen. Ich 234 Carl Schmitt, Existentielle Geschichtsschreibung: Alexis de Tocqueville, in: Universitas 5, 1950, S. 1175–1178 (auch in: Ex captivitate salus, wie Anm. 188, S. 25–33). 235 Schmitt, Ex captivitate salus (wie Anm. 188). 236 In Landsberg am Lech war das Gefängnis der in Nürnberg als Kriegsverbrecher Verurteilten, in dem auch Georg von Schnitzler von 1948 bis 1949 einsaß. Vgl. Thomas Reithel, Die Strafanstalt Landsberg am Lech und der Spöttiger Friedhof (1944–1958), München 2009.
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lebe doch noch sehr mit meinen Gedanken bei den noch eingeschlossenen Kameraden, und die Probleme von Schuld und Unschuld im moralischen und rechtlichen Sinne und wer zu Recht und wer zu Unrecht sitzt, beschäftigen mich täglich. Daher rührt wohl auch mein überspitzter Komplex: Wie konnten wir solcher Verbrecherbande folgen und meine völlige Mitleidlosigkeit mit der sog. „verschworenen Gemeinschaft“. Doch haben Sie mir dazu ja manch aufklärendes gesagt. Einen kleinen Ausschnitt aus Landsberg stellt beifolgender Briefteil von Armee-Oberrichter Lehmann237 dar, der Sie als document humain und gleichzeitig in Ihrer Eigenschaft als Rechtslehrer interessieren mag. Von verschiedenen Seiten hörte ich, dass sich die Dinge dort mit meinem Weggang verschlechtert haben, aber ich weiß noch nicht, worin die Verschlechterung besteht. Vielleicht ist es auch der sich bei der Länge der Haftzeit immer mehr verstärkende Druck seelischer Natur, der den Menschen so schwer aufliegt. Für mich ist es eine gewisse Genugtuung aus dem Brief zu lesen, dass meine immer wiederholten Versuche, etwas aufmunterndes zu schreiben, ein Echo finden. Ihnen und Ihrer Duschka nochmals von Herzen für die Gastfreundschaft dankend und mit besten Grüßen an sie beide und die so gescheite Anima Ihr Georg Schnitzler
67. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14112
Frankfurt, 9. September 50 Mein lieber Schmitt, mit tiefer Erschütterung habe ich den Begleitbrief an Lilly zu Ihrem uns freundlichst gewidmeten Buch gelesen.238 Sie selbst ist seit 14 Tagen in Abano zu einer Fango-Kur, wohin ich ihr am 18.9. folgen will, wir wollen dann gemeinsam nach Rom, eine Dankes- und Pilgerfahrt! Uns beiden war es nicht gegenwärtig, dass Ihre arme wunderbare Dusˇka erneut die Heidelberger Klinik hat aufsuchen müssen,239 hatten wir doch im Anschluss an unseren Besuch in Plettenberg so sehr gehofft, die Schmerzen, 237 Rudolf Lehmann (1890–?), Jurist, bis 1937 im Reichsjustizministerium, danach Senatspräsident im Reichskriegsgericht, Generalstabsrichter; er wurde im sog. OKW-Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt. Vgl. Fall 12. Das Urteil gegen das Oberkommando der Wehrmacht, gefällt am 28. Oktober 1948 in Nürnberg vom Militärgerichtshof 5 d. Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin 1960, S. 283 ff. und 292. 238 Carl Schmitt, Ex captivitate salus (wie Anm. 188). 239 Dus ˇka Schmitt stirbt am 3.12.1950.
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die sie so heroisch ertrug, seien nur intercortal und auf die Narben der ersten Operation zurückzuführen. Nun sind Sie und Ihre reizende Anima wieder in tiefste Sorge gestürzt und zu allem anderen sind Sie von materieller Bedrängnis geplagt. – Wie gerne möchte ich Ihnen helfen, lieber Schmitt, und bin doch selber entmachtet. Es scheint kein besonders äußeres Glück über der équipe Roth240 gestanden zu haben, der doch so viele nicht alltägliche Menschen angehört haben: Der „Chef“ früh gestürzt und früh gestorben,241 Freyberg, Schätz und Schachinger,242 alle vor der Reihe dahingegangen und Sie und ich die Opfer des verlorenen Krieges, denn, wenn auch entnazifiziert, ist meine Situation durch das ungeheuerliche I. G. Farben Gesetz völlig in Frage gestellt. Der allmächtige „controller“, einer der Nbger. Ankläger, der alles darauf angelegt hatte, mich und meinen Direktor Kugler243 wegen der Tschechoslowakei auf Lebenszeit hinter Gardinen zu bringen, wird zweifellos alles tun, um bei mir die gleiche Rolle zu spielen wie Erich Kaufmann244 bei Ihnen. Die Pilger-Reise schenkt mir ein italienischer Freund, mit dem ich seit 1919 geschäftlich und persönlich verbunden war. Das Buch habe ich mit ebensoviel Anteilnahme wie Interesse gelesen und bringe es Lilly nächste Woche nach Italien mit, den Begleitbrief schickte ich voraus. Werden Sie es verstehen, am meisten beeindruckte mich das Gespräch mit Eduard Spranger,245 von dem ich bisher nichts anderes wußte, als dass er Dilthey240 Damit meint Schnitzler die im Armeeoberkommando Diensttuenden im 1. Weltkrieg. 241 Zu Christian Roth vgl. oben, Anm. 34. 242 Zu Freyberg, Schätz und Schachinger vgl. Schmitt, Die Militärzeit (wie Anm. 34), s. dort das Personenregister. 243 Es ist nicht ganz klar, wen Schnitzler mit dem allmächtigen Controller meint. Dies könnte Drexel A. Sprecher, der Chef der Abteilung für den I. G. Farben Prozess, sein oder auch Josiah E. Dubois, der stellvertretende Hauptankläger, der 1953 die Milde des Urteils beklagt (Die Strafen waren „so milde, dass sie sogar einen Hühnerdieb erfreut hätten.“) Vgl. Josiah E. Dubois, Generals in grey suits, London 1953, S. 339. Hans Kugler (1900–1968), Direktor bei der I. G. Farben, war beteiligt an der Konfiszierung der Fabriken in den besetzten Gebieten und wurde in Nürnberg zu 1 ½ Jahren Gefängnis verurteilt. 244 Erich Kaufmann (1880–1972), ehemaliger Bonner Kollege und Intimfeind Schmitts. Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 43), S. 314; Helmut Quaritsch, Eine sonderbare Beziehung. Carl Schmitt und Erich Kaufmann, in: Bürgersinn und staatliche Macht in Antike und Gegenwart. Festschrift für Wolfgang Schuller, Konstanz 2000, S. 71–87. 245 Schnitzler nimmt hier Bezug auf das „Gespräch mit Eduard Spranger (Sommer 1945)“, das in „Ex captivitate salus“ (wie Anm. 188, S. 9–12) abgedruckt ist. Es geht dabei um die Ausfüllung eines Fragebogens der Universität Berlin, dessen erster Rektor nach 1945 der Philosoph und Pädagoge Eduard Spranger (1882–1963) war.
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Schüler246 war und zu der Gilde derer gehört, die glauben, dass die menschliche Geschichte einen erkennbaren Sinn habe. Spät-Hegelianer oder selbständige Denker? Mir fehlt das Urteils-Vermögen, aber Sie wissen, dass sie mir wenig bedeuten und meine eigene Lebenserfahrung mich nach anderen Systemen tendieren läßt. Von Ihnen selbst lernte ich 1914/17, dass Hegel auf das deutsche Denken verhängnisvollsten Einfluß gehabt hat und ich sehe in ihm, ohne an seiner Größe zu zweifeln, den – vielleicht ungewollten – Vater von Bismarck und Hitler – den Apostel der säkularisierten StaatsVergottung. Was Sie daher vom Geist schreiben und was mich tief bewegt hat, ist darum wohl sicher nicht Hegels „absoluter Geist“. Oder werden Sie dabei über den Dilettanten lachen, der philosophische Dinge nur halb versteht? Da wir so viel über Entnazifizierung sprachen, interessiert Sie vielleicht beiliegender Einstellungs-Bescheid des Öff[entlichen] Klägers, Frkft vom 25.07.50.247 Bitte frdl. um dessen gelegentliche Rücksendung, da ich nur wenige Photokopien besitze, aber vielleicht interessiert Sie die Art der Behandlung propter proprium causam.248 In herzlichen Gedanken und innigen Mitgefühlen mit Ihnen dreien immer in Freundschaft Ihr Georg Schnitzler
68. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
13.9.1950 Mein lieber Carl Schmitt, Ihr gestriger Brief249 hat mich tief bewegt. Der Wunsch Ihnen im Geist vor meiner übermorgigen Abreise aus der Ferne die Hand zu drücken, lässt mich kurz zur Feder greifen. Trotz des Ernstes Ihres ersten Briefes hatte ich nicht geglaubt, dass Duskas Zustand so ernst sei, wie Sie ihn nun in Ihrem zweiten Brief beschreiben. Mit dieser furcht246
Wilhelm Dilthey (1833–1911), Philosoph. Dort heißt es zur Begründung: „Insgesamt ergibt sich also, dass der Betroffene zwar präsumtiv als hauptschuldig oder belastet anzusehen ist, dass aber materiell keine Tatbestände nach Art. 5, 7 und 9 vorliegen, welche eine Klageerhebung mit diesem Ziel rechtfertigen würden [. . .] Das anhängige Verfahren ist daher gem. § 2 Abschl. Ges. nicht mehr fortzuführen, nachdem eine Klageerhebung mit dem Ziel der Einstufung als hauptschuldig oder belastet nicht zu rechtfertigen ist.“ Der Akt umfasst insgesamt fünf Seiten. Vgl. HHStAW Abt. 520/F-Z Nr. 6728. Ich danke für die Hinweise Frau Christiane Kleemann vom Hessischen Hauptstaatsarchiv. 248 Wegen der eigenen Sache. 249 Nicht gefunden. 247
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baren Prüfung sich nun auseinanderzusetzen ist Ihnen allen dreien auferlegt, u. Animas junges Herz wird von einem Leid getroffen, das ihre Tragkraft übersteigen wird. Und auch der Heroismus Dusˇkas wird auf eine Folter gespannt, zu der man nur erschüttert schweigen kann. Ich danke Ihnen, dass Sie mir in all Ihrer Sorge so viel Aufmerksamkeit schenken, u. denke mich schon in unsere künftige Unterhaltung über Hegel u. den Hegelianismus hinein. Zu Ihrer konkreten Frage über die Auswirkung des Einstellungs-Beschlusses wäre zu sagen, dass ich nunmehr jedem normalen Deutschen gleichgestellt bin, unter keiner Diskriminierung, welcher Art auch immer, stehe, dass meine Konten deblockiert sind – was freilich zunächst nur geringe Bedeutung hat, da sie fast ausschliesslich Aktien der I. G. enthalten u. Forderungen an die I. G. betreffen – und dass ich im Besitz von Kennkarte u. Auslandspass bin – alles Ergebnis der letzten 4 Wochen. In Gedanken mit Ihnen mit treuen Grüssen Ihr Georg Schnitzler
69. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
Venedig, 19.9.1950 Mein lieber treuer, guter Freund Carl Schmitt Mit den gleichen Schmerzen mit denen Duska mich zuletzt in Plettenberg erlebte, liege ich hier in Venedig u. denke seit 1 Woche unablässig an die Kranke und Sie und Anima. Da m. Kopfschmerzen in der Tat Nervenschmerzen sein sollen mag ein Teil davon auf die mich nur im Schlaf verlassende Vorstellung von Ihrer Trauer u. Dusˇkas Leiden, daran ihr Teil haben. Es ist e. Erscheinung dieses Zustandes, dem ich seit 1 ½ Jahren verfallen bin, dass das Weltleid u. die Leiden Derer, die ich liebe, mein eigenes in e. Maasse werden, dass ich wehrlos seinem Ansturm preisgegeben bin. Es ist als integriere ich es, als müsse ich es mittragen. Ich habe viel über den Sinn solcher Identifizierung nachgedacht, denn es ist ja etwas anderes wie stellvertretendes Leiden, mit dem man zu nützen vermöchte. – So fühle ich e. sterilen Schmerz und flüchte mich in die Hoffnung, dass die Gedanken u. Gebete, die zu Dusˇka gehen, doch nicht umsonst sein möchten? – Schaue ich Georgs ungebrochene Gesundheit, Kraft und Lebensfreude an, so bin ich versucht zu glauben, dass die Ausschliesslichkeit, mit der ich 4 ½ Jahre ihm alle die Meinigen hingab ihm dies Phänomen „gezaubert“ haben mag? –
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Georg stiess am Samstag 16. zu mir, er brachte ihren Brief an ihn mit der mich, wie ich schrieb, seitdem nie, keine Stunde entlassen hat, aus dem Bannkreis von Dusˇkas frühzeitiger Abberufung. Liebster C. S., lassen Sie uns daran festhalten, dass Gott Jedem nach seinem Masse aufgibt, u. dass Dusˇkas Tragkraft diesem Leiden gewachsen ist. Wie Sie ja auch schreiben, dass ihre seelische Kraft nicht nachgegeben hat! – Es bleibt aber unser armes Menschenherz, das vom Anblick, Vorstellung solcher Qual gemartert wird – und das Wissen um den kommenden Abschied. Ich bin, hier auf dieser Reise, um die mich Jeder beneiden mag, eingeladen von italien. Freunden, meiner Gesundheit in Abano, meiner Freude in Venedig, auf einem Schloss im Veneto, – meiner religiösen Hingabe in Rom, – leben zu dürfen, – tief beschattet von Ihrer Trauer, u. merke wie unlöslich doch die Bande echter Freundschaft sind und wie sehr auch ich an Dusˇka hänge, die ich nun doch auch 20 Jahre als unvergleichlich hingebende Gattin u. Mutter erlebt habe – und immer mehr bewundern lernte. Nach Empfang ihres Briefes, den G. mir nachschickte, das Buch brachte er mir mit u. lese ich nun darin, nachdem ich die Kostprobe in d. Frankf. Zeitung250 schon mit grosser Befriedigung abgedruckt fand – schrieb ich sofort an Dusˇka. Ich denke, es wird ihr vorgelesen worden sein? Ich lasse heute einige weitere Zeilen folgen. – Ich versuche mich in die Bilder zu versenken, die durch Ihre Seele gehen mögen, auf diesem Wegstück zwischen Hier u. Drüben? Vielleicht ist es leichter, wie wir vermeinen, weil man nun wahrhaft sich selbst in u. bei Gott weiss, u. seine Lieben nur noch ihm anvertrauen kann, u. dabei erfährt, dass es nur auf seinen Schutz ankommt. – Wie ohnmächtig ist der Mensch, u. wie dunkel sind die Wege Gottes, für unser Heil. Wäre unser Gottvertrauen immer stark genug, so brauchten wir uns nie u. vor nichts zu fürchten. Dusˇka lebt nun bereits im Absoluten, u. könnte uns gewiss schon viel vom Geheimnis sagen, – aber sie wird schweigen, wie sie es immer tat. – Wir kehren etwa am 20.X. zurück. Ich denke daran, gleich auf dem Wege in Heidelberg251 auszusteigen, wenn ich mich vorher vergewissert habe, ob m. Besuch genehm. Ich wünsche mir so sehr, Sie noch einmal zu sehen, aber der Wunsch ist gewiss sehr egoistisch. Es sind noch 4 Wochen bis dahin . . . Seien Sie jedenfalls versichert, mein Freund, dass ich täglich u. stündlich in dieser Zeit an Sie, das Kind und Dusˇka denken werde, – wie ich vorgestern in S. Marco,252 dieser byzantinischen Kirche, in d. Messe, mich nicht von dem Bitten für Dusˇka entfernen konnte. 250 Carl Schmitt, Die Weisheit der Zelle, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.8.1950. (Auch in: Schmitt, Ex captivitate salus, wie Anm. 188, S. 55–78.). 251 Dus ˇka wurde in Heidelberg von den Professoren Siebeck und Bauer operiert. Vgl oben, Anm. 223. 252 San Marco in Venedig.
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Dank Ihnen noch für die schöne Widmung im Buche – ja, möchte ich Ihnen u. dem Kinde ein wenig Freude u. Rat u. Hilfe in der kommenden Zeit bringen können. Schutzengel? – Georg grüsst Sie herzlich mit Dank für d. Brief, den er ja bereits beantwortete – er ist wieder in starker, optimistischer Form, nachdem er d. Einbruch d. Gesetzes überwunden hat. Er hat e. wahrhaft gesunde u. glückliche Natur. Mit Gabriele sprachen wir viel von Ihrem Schicksal, d. Kind nahm auch sehr innigen Anteil. – Wie mag Rom werden, ich gehe zwiespältig hin, nachdem ich 1925 mit Rohan, das Anno Santo floh, um mit ihm die Karwoche auf dem M. Cassino zu verbringen? Bitte schreiben Sie e. Karte, wie es geht, vom 25.–30.9., nach c/o Marchese Serra di Cassano Follina presso Treviso Ihre L. S.
70. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14151
Malaga, 12.4.1951 Schnitzler knüpft an Schmitts bevorstehende Spanienreise an. [. . .] In Madrid sollte ich mit Eugenio d’Ors u. einem Kreis v. Freunden Rohans bei Contesa Carmen de Jabes zusammentreffen, es gelang nur halb, weil es zu kurz angesagt war: es kam aber e. Bekannter von Ihnen: Mediziner u. Philosoph: Pedro Luis Entelecho (Lista 11), der sich auf Ihr Kommen freut. [. . .]
71. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg, den 8. November 1951 Hochverehrte, liebe Frau von Schnitzler, für Ihre gütige Einladung und die Zusendung des Aufsatzes über Beckmann danke ich aufs herzlichste. Ich halte mir die Tage ab 2. Dezember jedenfalls für Sie frei, bis ich weiteres von Ihnen höre. Ich war einigemale verreist und muss in der 2. Hälfte November eine kleine Auslandsreise (Holland) machen. Meine Lage ist in jeder Hinsicht ungeordnet. Deshalb müssen Sie mein langes Schweigen verstehen und verzeihen. Ich freue mich unendlich, Sie und Georg bald wiederzusehen und mit Ihnen sprechen zu können.
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Sie werden nicht bemerkt haben, dass in demselben Heft der „Besinnung“, das Sie mir freundlicherweise schickten und dessen „Kurzbiographie“ Max Beckmanns253 mich aufs höchste interessierte, dass also in demselben Heft eine boshafte und herabsetzende Kritik meines Büchleins „Ex Captivitate Salus“ steht.254 Offensichtlich braucht es solcher Sinnverdrehungen, wie sie sich der mir unbekannte Kritiker und der Herausgeber der Zeitschrift leisten, um die Besinnung auf das teuflische Unrecht des Jahres 1945 nicht aufkommen zu lassen. Als Dokument von unserer Zeitenschande füge ich noch einen Prospekt bei, dessen Synopsis von Nein und Ja die Lage eines ehrlichen Denkers erkennbar macht.255 Eine Ihnen vielleicht kurzweilige Ergänzung habe ich auf der Ja-Seite nachgetragen,256 in Erwartung Ihrer Stellungnahme: Herzliche Grüsse und Wünsche Ihnen und Georg von Ihrem alten Carl Schmitt
72. Carl Schmitt an Georg von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg, den 12. November 1951 Mein lieber Georg von Schnitzler! Ihre Sendung hat mich tief gerührt und – über die grosse Erleichterung, die sie für meine momentane Lage bedeutet weit hinaus – als Zeichen Ihrer treuen Freundschaft beglückt und gestärkt. Ich werde mich für den Besuch zum 8./9. Dezember bereithalten und hoffe, Ihnen dann mehr zu erzählen. Bis dahin muss sich auch die an sich klare Rechtslage meiner Ansprüche aus dem Bundesgesetz zu Art. 131 des Bonner Grundgesetzes entschieden haben.257 253 Peter Beckmann, Kurzbiographie eines Malers, in: Die Besinnung 6, 1951, S. 149–158. 254 Bruno Seidel, Carl Schmitt, Ex captivitate salus, in: ebd., S. 172 f. 255 Prospekt des Greven-Verlags mit der Ankündigung dreier Neuerscheinungen Schmitts („Nomos der Erde“, „Ex captivitate salus“ und „Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation“) und der Überschrift „Carl Schmitt Ja und Nein“ (vorh. im Nachlass Schmitts, RW 265-20178). 256 Der Satz lautet: „Ich denke, also habe ich Feinde/ich habe Feinde, also bin ich. C. S.“ 257 Es geht um die Bezüge Schmitts und um seine Pensionierung die am 1.5.1952 mit knapp 1400 DM Pension erfolgte. Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 43), S. 486.
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Also vielen herzlichen Dank Ihnen und Ihrer Frau! Von Oberheid erhielt ich eine kurze Mitteilung aus der Schweiz. In der 2. Novemberhälfte werde ich eine Woche in Holland sein. Auf den Besuch bei Ihnen in Frankfurt freue ich mich sehr. Ich schicke Ihnen noch ein Exemplar des Prospektes C. S., den der Greven-Verlag entworfen hat. Es ist doch ein erstaunliches Dokument. Übrigens ragt der Satz von Ernst Jünger sprachlich und gedanklich in einer imponierenden Weise gegenüber den anderen Sätzen hervor, in seiner Treffsicherheit, eine Situation und ein Schicksal mit einigen kalten Beobachtungen zu bestimmen.258 Alle guten Wünsche für Ihr Befinden und auf ein gutes Wiedersehen im Dezember Ihr alter Carl Schmitt
73. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
24.12.1951 Liebe und verehrte Frau von Schnitzler, ich denke immer noch an die beiden herrlichen Abende in Ihrer Wohnung, dankerfüllten Herzens, und grüsse Sie, Georg und Lilo herzlich zum Weihnachtsfest, mit vielen herzlichen Wünschen für Sie und die Ihrigen! In Wilfingen war es sehr interessant; Ihre Grüsse werden bestens erwidert. Haben Sie das (in nur 250 Exemplaren gedruckte) neue Buch von Jünger „Am Kieselstrande“259 erhalten? Ich halte es für ein reifes „Abenteuerliches Herz“.260 Vietta261 habe ich in Darmstadt getroffen; eine sehr fruchtbare Unterhaltung. 258 Der Satz, den Jünger unter dem Datum des 14.12.1943 in den „Strahlungen“ notierte, lautet: „Carl Schmitt ist unter allen Geistern, die ich kennenlernte, jener, der am besten definieren kann. Als klassischer Rechtsdenker ist er der Krone zugeordnet, und seine Lage wird notwendig schief, wo eine Garnitur des Demos die andere ersetzt. Das sind so Missgeschicke des Berufs.“ 259 Ernst Jünger, Am Kieselstrande, Frankfurt/M. 1951. 260 Ernst Jünger, Das abenteuerliche Herz. Figuren und Capriccios [2. Fassung], Hamburg 1938. 261 Egon Vietta (1903–1959), Jurist, der aber als Literaturkritiker bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung arbeitete und Schmitts „Nomos der Erde“ sehr wohlwol-
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Hier schicke ich Ihnen, liebe Frau von Schnitzler, die beiden Bilder von Dusˇka, die Sie sich gewünscht haben. Anima lässt vielmals grüssen und alles Gute wünschen. Das kommende Jahr soll uns alle in unserer Freundschaft stärken und bestätigen. Ich bleibe stets Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt Plettenberg, 24/12/51
74. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14113
Frankfurt, 2. März 52 Lieber Carl Schmitt, als unseren Anteil am „Oberheid-Fonds“ für die Monate Januar/April 1952 darf ich Ihnen nebenlaufend DM 100,– senden. – Prof. Holfilus262 wird Ihnen von seinem Besuch bei uns erzählt haben. Vielleicht war die Aussprache doch von einem gewissen Nutzen, wenn ich auch selbst in der Wirtschaft nur mehr wenig Einfluß habe. Auch mit Grauert263 sprach ich erneut eingehend über Ihren Fall und befürwortete neuerlich einen Mitarbeiter-Vertrag mit einer größeren Industrie-Firma, gegebenfalls mit seiner eigenen. Er ist ja ein sehr aufgeschlossener und an der allg. Entwicklung interessierter Mann, wenngleich er sich zunächst von jeder öffentlichen Betätigung völlig zurückhält. Wir selber sind wieder im Begriff für einige Wochen nach der iberischen Halbinsel zu fahren und freuen uns auf das Zusammensein mit Kindern und Enkeln und den vielen dortigen Freunden. In alter Freundschaft mit Grüßen von uns beiden Ihr Georg Schnitzler
lend rezensierte. Vgl. Egon Vietta, Raum, Ort und Recht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.4.1953. 262 Prof. Holfilus: Es konnte nichts Näheres ermittelt werden. 263 Ludwig Grauert (1891–1964), vor 1933 leitende Stellung im Arbeitgeberverband der nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie, im Februar 1933 Ministerialdirektor der Polizeiabteilung des preußischen Innenministeriums, im April Staatssekretär im preußischen Innenministerium (bis 1936), 1933 auch Preußischer Staatsrat. Grauert war Berater Görings in Industriefragen.
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75. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14129
Frankfurt/M., 4.5.[1952] Mein lieber Carl Schmitt, Nur e. kurzen Gruss um Ihnen zu sagen, mit welcher tiefen Freude ich von Georg von der befriedigenden Ordnung Ihrer Angelegenheiten hörte.264 – Wie sehr habe ich seit Duschkas Tod immer wieder mich um Sie gesorgt: es war zu viel des Leides und der Nöte. Nun wird e. schwerer Druck von Ihnen genommen sein. Auch Anima wird in ihren Studien und Plänen sich freier bewegen können.265 Ich hörte zuletzt durch Gilles von ihr, in München; ich würde sie gern wiedersehen. Wir rüsten f. den August in unser Sommerhaus in Murnau am Staffelsee, zwischen Oberammergau und Garmisch, Schnellbusstation, 60 Minuten v. München. Wir gedenken immer d. Sommer – bis in d. Spätherbst, – dort zuzubringen. Ich dränge mehr aufs Land wie Georg, hoffe jedoch, dass auch er Freude an dem Leben dort finden wird, umsomehr als er seine Basis und Aktionsradius hier nicht verliert. Ich spüre doch den Drang nach Arbeit, Kontakt mit der Wirtschaft, in ihm. Wollen Sie mir Oberheids neue Adresse in Kaiserswerth schicken? Ich bin viel zu lang ohne Nachricht von ihm, nach Jahren viel stärkerer Fühlungnahme, hört man kaum von ihm. Und doch meine ich: „tenez les reups“? In Madrid begegnete ich Lopez Igor, dem bekannten Arzt, bei Gabriele S. Carpenhauer [?], kluger Mann, der Sie sehr grüssen liess. Spanien war wieder, und mehr denn je, faszinierend für mich. Kommen Sie durch F., so lassen Sie es wissen, Mai–Juni sind wir hier. Getreulichst immer Ihre L. S. M.
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Zahlung der Pension, die Schmitt ab dem 1. Mai 1952 erhielt. Anima beginnt 1951 ein Studium an der Kunstakademie in München, um Bühnenbildnerin zu werden. Im Sommersemester 1952 studiert sie in Hamburg, im Herbst ist sie Praktikantin am Landestheater Darmstadt. Sie bricht das Praktikum ab, um in Heidelberg eine Ausbildung zur Übersetzerin und Dolmetscherin zu machen. 265
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76. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 1 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg, 19.9.1952 Schmitt berichtet, dass er „vorige Woche“ Frau Schnitzler in Frankfurt nicht angetroffen habe, er aber erneut vom 23.–26.9. dorthin zu Besprechungen reist. Wohnort sei das Hotel „Hallischer Hof“.
77. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland RW 265-14104
Murnau, 6. November [1952?] Lieber Carl Schmitt, über Ihren l. Brief haben Lilly und ich uns sehr gefreut. Ihr Besuch hier war der anregendste des ganzen Sommers und liebster und wir rechnen bestimmt darauf, dass Sie ihn das nächste Jahr, wenn uns der Herrgott Leben und Gesundheit erhält, wiederholen. Das mir frd. Zugesandte, anbei wieder zurückfolgende Gutachten266 habe ich mit Interesse gelesen. Aufrichtig gesagt, es befriedigt mich nicht. Ich bin nicht in der Lage nachzuprüfen, ob die juristischen Schlüsse, die der Verfasser zieht, zutreffend sind oder nicht. In praxi gehen sie m. E. allemal fehl, da ja internationale Verträge allemal eine Abänderung erfahren können, wenn die Partner – aus welchen Gründen auch immer – eine solche Abänderung wünschen. Dies ist aber bei der Mosel-Kanalerneuerung bei beiden Hauptpartnern D. und F. der Fall. Beide waren sich aber auch von vornherein darüber klar, dass die beiden kleineren Partner Belgien und Luxemburg wegen Berücksichtigung ihrer eigenen Ansprüche und Wünsche zu begrüßen waren. Was in der Tat auch geschehen. Wozu aber die theoretische Auseinandersetzung über §§ des Montan-Vertrages? Sehr viel wirksamer wäre es für mein Gefühl gewesen, die Fragen des Naturschutzes und wasserrechtliche Gesichtspunkte herauszustellen, die ja in der Tat die ausschlaggebenden sind. – Es ist ein Jammer, dass nun auch der letztere Naturfluß im Westen Deutschlands der Industrialisierung zum Opfer fällt, nachdem Rhein, Main und Neckar auf ewig verschandelt sind. Auch hier am Alpenrand beschäftigt es immer weitere Kreise, was aus unseren Flüssen und Seen wird, die in unserer Gen.Kdo-Zeit noch fast unberührt dalagen und heute schon so weitgehend verschmutzt, gestaut u.s.w. sind. – Dass der Kochel-See z. B. durch das Bayern-Werk einer langsamen 266
Das Gutachten zur Mosel-Kanalerneuerung hat sich nicht auffinden lassen.
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Versumpfung zugeführt wird, dass die Isar in Tölz wie die Oder in Oberschlesien ausschaut, dringt kaum bis nach München geschweige denn bis Bonn! In alter Freundschaft wie immer Ihr Georg S.
78. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14114
7.7.1953 Geburtstagsbrief von Georg Schnitzler zum 65. Geburtstag, in dem er die lange Bekanntschaft herausstellt und Schmitt ein Weiterleben in Werk und Schülern prophezeit.
79. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 7 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14153
Haus Lilamor, Murnau, 7.7.53 Mein lieber Carl Schmitt, Aus dem Kreis der Freunde erging die ehrenvolle Aufforderung an mich, ich möge im Namen der Freunde, Ihnen am 11. Juli, unsere Wünsche darbringen. Ich bin daher doppelt geschmerzt an diesem memorablen Tage Ihres 65. Geburtstages, in Ihrer Mitte fehlen zu müssen. Zu spät ist mir bewusst geworden, dass es sich an diesem 11. Juli wieder um einen Markstein an Ihrem Wege – ein Halbstundenzeichen auf dem Zifferblatt der Lebensuhr handelt. – Unabweisbare Pflichten halten mich fern. Kann dieser Brief an die Stelle des Wortes treten? Ich überlasse die Entscheidung Ihren Freunden und Ihnen selbst? Mindestens aber will ich versuchen mit ihm unter Ihnen zu sein. Ja, es ist mir e. echter und harter Verzicht an dem 11. Juli nicht in diesem Kreis mit Ihnen zu feiern. Feiern, mit altem Wein und gutem Gespräch, die Feier zu ehren das gehörte stets zur Tradition, zur besten Gewohnheit um Sie, in Ihrem Hause. Sie waren ein Freund von echten Feiern. Mit Ihnen die unvergessliche Duschka. In unserer an wahrer Freude rar gewordenen Zeit waren die festlichen Daten in Ihrem Hause stets Anlass zu Treffen, bei denen (die Menschen die) [Streichung von L. S.] Auswahl der Menschen, die Pflege von Küche und Keller, zu allem aber jene echte Wärme und Verbundenheit im Menschlichen, wie im Geistigen, e. nahezu
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einzigartige Atmosphäre schufen. Ich denke an die Begegnungen in Steglitz, an die hohen und weiten Räume der Arno Holz – Schillerstrasse – an Dahlem, den 50. Geburtstag mit der Überreichung des Leviathan, – zuletzt an Plettenberg zum 60., als Duschka nach Oldenburg gefahren war, um unter grösster Mühsal, 1948, Eier, Schinken, Butter heimbrachte, – in Mengen, die der Gastlichkeit ihrer serbischen Heimat entsprachen. Und dies, vergessen wir es nicht, in den kritischen Tagen der Währungsreform. An diesem 11. Juli wird die Academia Moralis Gastgeberin sein.267 Ich werde im Geist unter Ihnen sein. Hier handelt es sich um die Ehrung des Mannes, der geistigen Figur Carl Schmitt, im Kreise der Männer. – Soll hier eine Frauenstimme erklingen? Es wurde so von ihnen beschlossen Und zwar für jenen Bereich des Gefühls, in dem die Freundschaft beheimatet ist. Lieber Carl Schmitt, Sie sind ein Freund, der Freund par excellence. Ich bin geneigt zu glauben, dass Freundschaft das gemässe Klima Ihrer Gefühle, die gemässe Form Ihrer menschlichen Bejahung und Bindung überhaupt ist. Ich darf dies aus der Erfahrung einer nahezu 40. jähr. Freundschaft sagen: der Ausbruch des ersten Weltkrieges führte uns, meinen Mann und mich, gerade verheiratet, mit Ihnen zusammen. Lassen Sie es mich Ihnen heute wiederholen dürfen, welche Bedeutung diese herrliche facultas der Freundschaft und ihr Willkomm, – diese hohe Begabung, für uns [alle: gestrichen] hat. Ich spreche hier nicht von uns Beiden allein, sondern für jenen Kreis von Getreuen, der Sie von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Ort zu Ort begleitete, – für Jenen, den Sie sich immer neu, in jeder Phase und Situation schufen. Sie besitzen als Freund, was der Franzose nennt „la génie de l’amitié“, jene Einfühlung, jene Hingabe für und an den Anderen, jene Zartheit, Diskretion, jene Scheu in Wort und Gesten, – in Auswahl der Blume, wie des Buches, der Widmung in ihm, die die [wahre: gestrichen] Freundes[schaft: gestrichen]liebe auszeichnet. – Und dazu die Treue, die das Signet der Freundschaft ist. Diese Treue ist es, die uns, [heute: gestrichen], wie ein Magnet, um Sie scharen wird, am 11. Juli. Wenn ich noch ein ganz Persönliches [Wort: gestrichen] hier hinzusetzen darf, so möchte ich versuchen jenes Besondere im Wort einzufangen, um das Sie mich bereichert haben. Ich bin in Ihrer Person einer Wertordnung und einem Wert begegnet, die in ihrer Eigenart für mich einmalig waren und bleiben. Es ist in Ihnen e. Element der Eindeutigkeit u. Beharrlichkeit, sowohl in Ihrer menschlichen Haltung, wie in Ihrem Schrifttum, Ihrer formation d’esprit, – ja, hin bis zur klaren und schönen Ordnung Ihrer Handschrift, – das mir Anruf und Beispiel war. Dies muss besonders gesagt sein, 267 Academia Moralis war der Name für einen Kreis, der Carl Schmitt in der Nachkriegszeit finanziell unterstützte; vgl. Wilhelm Schmitz, Zur Geschichte der Academia Moralis, in: Schmittiana 4, 1994, S. 119–156.
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
gegenüber dem Pluralismus, der vor Freund und Feind als oft missverständliches, oder gar fragwürdiges Charakteristikum, heraus gestellt wird. – Ich kenne den Einwand, weiss, was er meint – und doch verkennt er die Kausalität: die geistige Verführung eines allzu differenzierten, relativierenden Verstandes, – zugleich, – so paradox es klingen mag – der geheime Enthusiasmus, die Begeisterungsfähigkeit, die Sie, nach eigener Erklärung erst überschätzen lässt, um endlich richtig einzuschätzen? – Ist es nicht die Formel aller wahrhaft Liebenden? Wenn Sie mir als Erster Melville in die Hand drückten, – mir Léon Bloy schenkten, – wenn Sie mir von Augustin sprachen, mit dem Zusatz, dass kein wesentlicher Gedanke je gedacht worden wäre, der nicht irgendwo und irgendwann in der katholischen Kirche seinen Niederschlag gefunden habe, e. Aussage, deren ich mich bei meiner Konversion erinnerte, wenn Sie im „Leviathan“ – in „Land und Meer“ [handschriftlicher Eintrag von C. S.: in „Ex Captivitate Salus“] tiefgründige Erkenntnisse mit lateinischer Luzidität, und doch mit deutscher Mystik, niederlegten, – stellten Sie für mich e. einmalige Funktion dar. Ihr Tief- und Scharfsinn, das hohe und unbestechliche Denken und Folgern, die probité intellectuelle waren von romanischer Prägung, – der Moselwein, den Sie trinken, vom Limes bezeichnet. Das Liebenswerte jedoch war mir jenes Element der Fantasie, des Phantastischen, des Knabenhaften, Verirrten und Verlorenen, ja Ängstlichen, der seine Wurzeln im versteckt Gemütvollen und Verwundbaren, hat. Sie sind ein Teil wahrer deutscher Wesenheit. Ich kehre zurück zu Ihrer Treue, zu unserer Treue. Die Versammlung des 11. Juli wird Zeugnis von Beiden geben. Möchten Sie Verehrung und Wärme spüren, lieber Carl Schmitt, die Ihnen aus ihr entgegenströmen. – Die Segenswünsche, die wir Ihnen entgegenbringen, damit Sie in Gesundheit, äusserem und innerem Frieden, den 70. Geburtstag im gleichen Kreise feiern mögen. Ich bin und bleibe Ihre Lilly Schnitzler-Mallinckrodt.
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80. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 3 S., hs., m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14123
Windmühlstr. 16 24.XI.[1953] Mein lieber Freund Carl Schmitt, seit dem 11. Juli haben wir kein Lebenszeichen, und sind beunruhigt, nach beinah ½ Jahre, ohne Nachricht von Ihnen zu sein. – Ich musste an der memorablen Geburtstagsfeier268 fehlen Ich sandte Barion269 e. Brief zur eventuellen Verlesung anstatt erbetenen Ansprache „für die Freunde“. – Er bestätigte den Brief mit freundlichen Kommentaren. – Oberheids schrieben von der gelungenen Zusammenkunft, – ich las mit Genugtuung die PresseNotizen. Doch verlangt uns nach mehr. – Wir sind nun unterwegs am 1.XII., nach dem Rheinland. Ich schlug vor 10 Tagen Oberheids den 2. od. 3. abends zu einer Zusammenkunft in Kaiserswerth bei O., vor – Sie, Barion – wir. – Wir sind betrübt, ohne Antwort. Bitte nehmen Sie den Faden auf und versuchen Sie den Termin mit den Beiden festzuhalten? Am 2. abends sind wir nun bei Grauerts – am 2. tagsüber in Düsseldorf – es wäre schön, wenn der Abend des 3. – Donnerstag – uns ein Wiedersehen und e. gutes Gespräch brächte? Auch von Anima höre ich nur indirekt – jedoch Gutes. In alter Treue stets Ihre L. S. M.
81. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. o. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14124
Frankfurt/M., 4.III.[1954] Mein lieber Carl Schmitt, Es war, wie immer, ein Gewinn und eine Freude, Sie zu sehen. Die alte, menschliche unabdingbare Zusammengehörigkeit wird bei jeder Begegnung so lebendig und beglückend spürbar. Sie haben mir wertvolle Anregungen f. d. Tagung der Beckmann Gesellschaft im Sommer, in München und Mur268
Es handelt sich um die Feier zu Schmitts 65. Geburtstag, der in Düsseldorf und Plettenberg gefeiert wurde, Der Brief müsste also 1953 eingeordnet werden. 269 Hans Barion (1899–1973), Theologe und Kirchenrechtler, nach 1933 Mitglied der NSDAP, 1945 Entzug der Lehrbefugnis, enger Freund Carl Schmitts.
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nau-Lilamor,270 gegeben. Ich lese m. Bewegung „Die Welt des Schmerzes“ v. Warnach.271 Können Sie mir leihweise d. Artikel über moderne Kunst aus „Wort – Wahrheit“,272 überlassen? – Wollen Sie ihn mir freundlicherweise nach Bad Homburg v. d. Höhe Pension Villa Nova, Friedrich Promenade schicken? Wir fahren von Montag 8. bis Freitag 12. dorthin, um uns auszuruhen, spazieren zu laufen. – Am Sonntag 14. möchte ich zu Warnach fahren, und alles Nähere mit ihm besprechen. D. Programmschluss steht vor meiner Amerikareise (14.IV.–10.VI). – In Paris will ich bestimmt Raymond Aron273 besuchen. Er ist mir kein Fremder, aus s. Artikeln. Wollen Sie, absprachegemäss, mich bei ihm zwischen 10.–13. April anmelden? Ich rufe ihn dann bei meiner Ankunft in Paris gleich an. Noch lieber wäre mir, wenn er, liebenswürdiger Weise, mich bereits hierher wissen ließ, ob er in Paris zu der Zeit und welchen Tag er mich empfangen kann? Sofern er so weit disponieren kann. Grüssen Sie Anima. D. Kind geht mir durch den Kopf. Ich war traurig, dass sie sich von Darmstadt aus nie meldete. Ein Brief von mir dorthin blieb ohne Antwort. Sie soll im Sommer mit Ihnen nach Lilamor kommen? Sehen wir Sie vor d. 9. April hier? Das wäre schön. 82. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. o. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14125
Frankfurt/M., 10.III.[1954] Mein lieber Carl Schmitt, Das war eine wichtige Sache, die Lektüre des Artikels von Warnach über d. abstrakte Malerei 1951 geschrieben. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie 270 Die Tagung der Max-Beckmann-Gesellschaft fand am 24./25. Juli 1954 statt. Vgl. Blick auf Max Beckmann, hrsg. von Hans Martin Freiherr von Erffa und Erhard Göpel, München 1962, S. 280; Doris Schmidt, Bericht über die 1. Tagung der Max Beckmann Gesellschaft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.8.1954. Carl Schmitt hatte am 23. September 1926 in Frankfurt a. M. anlässlich einer Abendeinladung im Hause Schnitzler Max Beckmann kennengelernt (Eintrag im Tagebuch, unveröffentlicht; Nachlass Schmitt, LAV RW 265-21638). 271 Walter Warnach, Die Welt des Schmerzes, Pfullingen 1952. Warnach setzt sich darin mit der Kriegs- und Nachkriegszeit auseinander. 272 Walter Warnach, Das Andere und die Zeichen. Ein Versuch über abstrakte Malerei, in: Wort und Wahrheit 6, 1951, S. 839–850. 273 Raymond Aron (1905–1983), französischer Soziologe, seit 1955 an der Sorbonne, ab 1970 am Collège de France, war mit Carl Schmitt seit 1953 bekannt. Aron, aus dem jüdischen Bürgertum stammender Liberaler, nahm Schmitt in Schutz. Vgl. Raymond Aron, Erkenntnis und Verantwortung. Lebenserinnerungen, München/ Zürich 1985, S. 418 f.
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dankbar ich Ihnen für die leihweise Überlassung bin. Ich hätte gewiss diese Nummer d. Zeitschrift, drei Jahre zurückliegend, nur schwer, – und nach langer Bemühung –, finden können. D. Lektüre hat entschieden f. m. Aufforderung an Warnach b. unserem Sommer-Treffen d. Max Beckmann Gesellschaft in München-Murnau, e. Vortrag zu übernehmen.274 Ich habe mich telephonisch b. Warnach f. kommenden Sonntag angesagt – werde die letzte Mappe Beckmanns visionäre Lithos, 15 Stück, „Tag und Träume“ benannt, mitnehmen. Der letzte Satz d. Aufsatzes fasst das Werk Beckmanns und Rouaults in e. Satz zusammen,275 dazu soll er diese Blätter sehen. Übrigens, was Warnach über Kandinsky und Klee 1951 schreibt, hat sich bis heute noch bestätigt und vertieft.276 Er hat wirklich Antennen. – Sein Stil in d. „Welt des Schmerzes“, ein ergreifendes Buch, ist viel besser, konziser, klarer geworden. Der des Aufsatzes ist noch „deutsch“ im schlechten Sinn einer grauenhaften Verschachtelung und Brüche der Sätze. – Schwer verständlich. – Aber lassen Sie mich dies noch Ihnen sagen, verehrter Freund, dass ich durch Warnach hindurch wieder Ihr Bild so klar habe leuchten sehen und Ihre Bedeutung in der Hellsicht und Erkenntnis, die Sie haben – wie viele Sie spannen – wie tief Sie denken. Immer wieder finde 274 Warnach hielt keinen Vortrag, nahm aber an einer Diskussion „Die Künstler und die Zeitgenossen“ teil. Andere Teilnehmer waren Benno Reifenberg, E. W. Nay, Franz Roh, Werner Haftmann u. a. Vgl. Blick auf Max Beckmann (wie Anm. 270), S. 280 und S. 213–234. 275 Der Satz heißt: „Die hohe Wahrheit in den Bildern eines Max Beckmann oder Georges Rouault, ihr unersetzlicher Zeugniswert für diese unsere Lebenswelt erschüttert und versetzt in eine lähmende Trauer durch die Unerbittlichkeit, mit der sie uns den Grad der Deformation, auf dem wir stehen, fühlen läßt. Mit vollem Bedacht dessen, was in einer solchen Annahme impliziert ist, möchte ich dem Glauben Ausdruck verleihen, daß in der Formensprache der jüngsten abstrakten Malerei zumindest die Möglichkeit bereitliegt, den lähmenden Bann zu brechen, ohne auch nur eine Parzelle der nothaft errungenen geschichtlichen Wahrheit, die immer auch eine Heilswahrheit ist, preiszugeben.“ Walter Warnach, Das Andere und die Zeichen (wie Anm. 272), wieder abgedruckt in: ders., Wege im Labyrinth, Pfullingen 1982, S. 720. Am 6. April 1954 hatte Carl Schmitt an Warnach u. a. geschrieben: „Ich hatte nicht gedacht, dass sich Frau von Schnitzler mit solchem Eifer und so schnell auf Sie stürzen würde, um Sie für Ihre Beckmann-Sache zu vereinnahmen. Jetzt bin ich betroffen, sowohl von diesem Eifer wie von dieser Eile. Ich hatte ihr Ihren Namen genannt und Ihr Buch sowie Ihren Aufsatz über moderne Malerei empfohlen; es war auch von Murnau die Rede; aber so, wie Sie es mir jetzt mitteilen, hatte ich es mir nicht gedacht. Es tut mir besonders leid, dass Sie sich plötzlich in einer Gesellschaft sahen, in der Menschen waren, denen Sie sonst aus dem Wege gehen würden . . . . Ich habe mit Beckmann noch weniger zu tun als Sie und will Ihnen offen aussprechen, dass ich mir bei dieser Beckmann-Aktion ein wenig vorkomme, wie Hänsel und Gretel im Knusperhäuschen.“ Nachlass Warnach, Stadtarchiv Köln. 276 Vgl. Walter Warnach, Das Andere und die Zeichen (wie Anm. 272), S. 709– 712 und 714.
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ich Sie auf meinem Wege, immer wieder sagen Sie mir e. entscheidendes Wort an e. Wegescheide immer wieder bereichern Sie mich durch e. neuen Ausblick. Auch dies Mal war d. Hinweis auf Warnach geistig und praktisch sehr wesentlich. Es gibt eben nur einen Carl Schmitt. Ihre dankbare L. S. M. Aron u. Mme Ponceau277 vorgemerkt!
83. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14115
Frankfurt, 15.3.54 Mein lieber Carl Schmitt, Lilly hat mir viel von Ihrem Zusammensein in D’dorf erzählt und von Ihrer glänzenden geistigen und physischen Kondition. Ich beglückwünsche Sie umso mehr dazu, als ich weiß, wie mühsam doch für Sie der simple Alltag ist, nachdem Sie Duschka so früh hergeben mußten. Der Beitrag des Spaniers278 zu Ihrer Festschrift hat mich sehr beeindruckt; die Betrachtung, dass sich gerade im Spanischen, das trotz der zahllosen politischen niemals eine geistige Revolution erlebt hat, sich die Ziellosigkeit des heutigen Daseins am prägnantesten auswirkt, war mir neu – und auch die Parallele zu Calderons279 „Das Leben ein Traum“ – Sie wissen, dass die Spanier „Segismondo“ für eine der größten Schöpfungen der Welt-Literatur halten – hat mich sehr gefesselt. – Es ist seltsam, wie wenig die iberische Geisteswelt nördlich der Pyrenäen bekannt ist, und wer nicht gerade Vossler280 gelesen oder wen nicht der Zufall des Lebens wie mich mit der „hispanidad“ zusammengeführt hat, weiß eigentlich nichts davon. Trotz Lorca, Picasso, Casals, Unamuno,281 – um nur einige Namen zu nennen aus ganz verschiedenen Disziplinen, glaubt man im allg. die hispa277 Michelle Ponceau, Pariser Freundin von Schmitt, verheiratet mit dem Philosophen Amedée Ponceau (1884–1948), Verfasser des Buches „Timoléon. Réflexions sur la tyrannie“ (Paris 1950). 278 Luis Legaz y Lacambra, Völkerrechtsgemeinschaft, Ideologie, Utopie und Wirklichkeit, in: Hans Barion u. a. (Hrsg.), Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, Berlin 1959, S. 123–145. 279 Pedro Calderón de la Barca (1600–1681), spanischer Schriftsteller. 280 Karl Vossler (1872–1949), Romanist. Vgl. Brief Nr. 27. 281 Garcia Lorca (1898–1936), Schriftsteller, der von Francos Anhängern ermordet wurde; Pablo Picasso (1881–1973), spanischer Maler; Pablo Casals (1876–1973),
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nische Welt neben der angelsächsischen, französischen und deutschen ignorieren zu können! Also haben Sie nochmals vielen Dank für diese Zusendung und seien Sie in der Hoffnung auf baldiges Wiedersehen hier herzlichst gegrüßt von Ihrem getr. Georg Schnitzler
84. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4. S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
Murnau (OBB), 16.X.[1954] Mein lieber Freund Schmitt, Seit einiger Zeit denke ich beunruhigt an Sie; allzu lange hörten wir nicht von Ihnen. Ich liess ihnen Ende Juli die Todesanzeige meines 2. Bruders Willy zugehen. Mit 57 Jahren in 10 Minuten e. Hornissenstich auf der Jagd erlegen. 3 unmündige Söhne, 2 Töchter, beweinen ihn mit uns. – Auch hier blieben Sie stumm. – Wo sind Sie? Wo ist Anima? D. Faden droht dünn zu werden, – nicht im Geistigen, nicht im Seelischen. Verbundenheit u. Treue können nicht gemindert werden – aber wir entbehren den Kontakt, der eine liebe Gewohnheit langer Jahre war. – Am 29.X. tritt Georg ins biblische Alter ein. Kinder und alle 5 Enkel, meine 2 Brüder u. Ihre Frauen Lydia und Valentine (geb. v. Joest aus Wesseling b. Bonn), Georgs Bruder Werner u. Frau werden ihn mit uns feiern. – Eine ganz kleine Kapelle, die ich z. Dank für diesen Tag auf unserem Anwesen errichtete, „Gott z. Ehre, den Toten u. den Lebenden“ steht überm Eingang, drinnen ist e. Namenstafel, sehr heterogen u. ganz persönlich, Derer, die uns erleuchtet, geführt haben, oder nur frohe u. warme Stunden bereitet. D. Meisten sind durch ungewöhnliche Schicksale bezeichnet, drei Männer in amerikanischen K.Z.’s, darunter gestorben. – Duschka war eine Lichtgestalt, ihr Leben u. ihr Tod für mich eine tiefe u. grosse Erinnerung, sie soll auch in d. Kapelle, u. damit in unserm Gebet aufgenommen werden. Ich möchte sie mit ihrem vollen Namen aufführen: Duschka Schmitt – v. Dorotic´. Ist das richtig?282 Cellist, der sich auf die Seite der spanischen Republik stellte; Michel Unamuno (1864–1936), Schriftsteller, der sich zunächst Franco anschloss, dann aber sich gegen ihn stellte, als er die Gewaltakte Francos verurteilte. 282 Nicht richtig! Dorotic ´ war der Geburtsname von Schmitts erster Ehefrau. Dusˇka war eine geborene Dusˇanka Todorovic´.
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Und wann sehen Sie sich Lilamor an? Wenn Sie uns die Monatswende in diese Gegend führt, so würden Sie uns die grösste Freude machen, ein Glas Wein mit uns auf die alte Freundschaft und Georgs nächstes Jahrzehnt, zu trinken. – Am 8.XI kehren wir nach Frankfurt für den Winter, 16 Windmühlstrasse zurück. Anfang Dezember will ich ins Rheinland an meines Bruders Grab, der in der Mallinckrodtschen Familienstatt, Köln-Melaten, auf seinen Wunsch beigesetzt wurde. M. Vater liegt da, – Georg u. ich wollen auch dorthin. – Ich will alsdann zu Oberheid, – zu Ihnen? Jedenfalls möchte ich Sie sehen. Also hier oder dort au revoir, Georg und ich grüssen Sie in alter Anhänglichkeit und wünschen, dass diese Zeilen Sie bei guter Gesundheit antreffen – diese bleibt wichtigstes Gut – Ihre alte L. S. M. Wir lasen Rudolf Diehls Broschüre z. Fall John283 – vieles wahr, aber überschärft in Stil und Formulierung.
85. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Karte, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14130
[o. O., o. D.] Diese Karte geht erneut auf ein Treffen bei Oberheids aus, diesmal aber mit „vielleicht noch Barion“.
86. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14116
Frankfurt/M, 8. November 54 Lieber Carl Schmitt, seien Sie vielmals bedankt für Ihre lieben Glückwünsche, der Tag verlief bei herrlichstem Wetter in schönster Harmonie. Ihr Buch über das Macht-Problem284 habe ich mit größtem Interesse gelesen. Es ist glänzend und hat mir ganz neue Aspekte eröffnet. Dass die Macht weder böse noch gut ist und dass sie auch in der Hand des grausam-
283
Rudolf Diels, Der Fall Otto John. Hintergründe und Lehren, Göttingen 1954. Carl Schmitt, Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, Pfullingen 1954. 284
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sten Diktators ein Ding an sich bleibt, ist in der überzeugendsten Weise dargetan. Hoffentlich werden wir bald die Freude haben, Sie hier oder in D’dorf wiederzusehen. Mit allen guten Gedanken und schönsten Grüßen Ihr Georg Schnitzler
87. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
o. O., 9.XI.[1954] Mein lieber Freund Carl Schmitt, Georg übergibt mir Ihr letztes Buch, Ihre Geburtstagsgabe an ihn, zur Lektüre. Ehe ich es beginne auf seine dringende Empfehlung hin, eile ich aber noch Sie zu fragen ob Sie in der Woche nach dem 5. Dezember in Plettenberg sind? Ich treffe Rohan am 5.XII. in D dorf. S. Verleger Diederichs285 hat ihm dort im Industrieklub e. Vortrag arrangiert, do. im engeren Kreis b. Botschafter Rahn.286 R. se laisse faire. Er freute sich über ihre gute Kritik der „Heimat Europa“. Ich finde es e. zutiefst bewegendes Buch: dass es noch solche Menschen wie R. in dieser Welt gibt, u. dass sie äussern, was er, so, „en passant“, zwischen den Zeilen „weltanschaulich“ äussert! Ich habe Sehnsucht nach Plettenberg nach Duschkas Grab, deren Tod sich ja nun im Dezember wieder jährt. – Ich hoffe sehr, Sie dort zu finden, R. erhofft sich auch e. gutes Gespräch. Georgs Geburtstag war e. wunderbar harmonisches Familienfest. Dass Prof. Erhard,287 der Wirtschaftsminister, dessen Politik Georg sehr bewundert, – ihm länger schrieb u. telegrafierte, – dass alle I. G. Firmen seiner
285 Peter Diederichs (1904–1990), Verleger, der den von seinem Vater Eugen Diedrichs gegründeten gleichnamigen Verlag fortführte. 286 Rudolf Rahn (1900–1975), Diplomat, Mitglied der NSDAP, auf verschiedenen Posten während der NS-Zeit als Gesandter tätig, 1945–1947 inhaftiert, Zeuge im Wilhelmstraßen-Prozess, danach Geschäftsführer bei Coca-Cola in Düsseldorf. Vgl. Rudolf Rahn, Ruheloses Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Düsseldorf 1949 (im Diederichs Verlag). 287 Ludwig Erhard (1887–1977), CDU-Politiker, Wirtschaftsminister und Vater des „Wirtschaftswunders“.
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
mit Geschenken gedachten, ebenso das Ausland, war unerwartet. Für uns ist nur wichtig, dass wir gesund mit den Unsrigen beisammen sind. Ich hoffe bald zu lesen, dass wir Sie nach dem 5.XII. in Plettenberg besuchen dürfen? Immer von Herzen mit allerschönsten Grüssen von uns beiden Ihre Lilly Schnitzler
88. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg, den 11. November [1954] Hochverehrte, liebe Frau von Schnitzler, in der Woche nach dem 5. Dezember werde ich in Plettenberg sein. Auf Ihren und Rohans Besuch freue ich mich unendlich. Sie dürfen nicht vergessen, wie arm und einsam ich in Plettenberg lebe, ein Philemon ohne Baucis288 – die jämmerlichste Rolle, in die ein alter Mann hineingeraten kann. Sagen Sie das auch Rohan, damit er nicht erschrickt. Und teilen Sie die Zeit Ihrer Ankunft rechtzeitig mit; ich besorge dann ein erträgliches Quartier. Das Buch Rohan’s289 ist so wunderbar und voller tröstlicher Dinge. Nach der Inflation des Geredes über Europa und dem verlogenen Getue der Europa-Integranten eine wahre Wohltat. Es hat mich von Herzen erfreut zu hören, das Georgs Geburtstag so schön verlaufen ist. Auch, dass ihm das „Gespräch über die Macht“ gefallen hat (ich dachte es mir; das Wort „dämonisch“ kommt in diesem Gespräch nicht vor); sagen Sie ihm bitte, dass der Nordwestdeutsche Rundfunk Köln die Sendung des Gesprächs am Montag den 22. November, abends 22.10 wiederholt, mit 2 ganz guten Berufssprechern (leider nicht mit einer weiblichen Stimme für die Partie des J.! In
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Philemon und Baucis: Nach den „Metamorphosen“ des Ovid besuchten Zeus und Hermes verkleidet eine Stadt der Menschen, die sie aber abweisen. Nur ein altes Ehepaar, Philemon und Baucis, nimmt sie in ihrer armen Hütte auf und bewirtet sie. Dafür wurden sie belohnt und da sie den Wunsch äußern, sich nie trennen zu müssen, weil sie sich noch immer lieben, dürfen sie gemeinsam sterben und werden in eine Eiche und eine Linde verwandelt. Vgl. Publius Ovidius Naso, Metamorphosen 8, 611–724. 289 Karl Anton Rohan, Heimat Europa (wie Anm. 173).
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Wirklichkeit ist es nämlich ein Gespräch zwischen Anima und mir und als solches habe ich es auch auf einem Tonband).290 Alle guten Wünsche für Sie und Georg und auf ein gutes Wiedersehen im Dezember Immer Ihr alter Carl Schmitt Haben Sie das fabelhafte Benito-Cereno-Gespräch von Nicolaus Sombart291 in der FAZ von Samstag, den 30.X. gelesen? Hätte es nicht im Feuilleton gestanden, so wäre der Krach enorm. So aber finden sie es höchst interessant. Den Teufel spürt das Völkchen nie.292
89. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2. S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-401
Frankfurt am Main Windmühlstr. 16, 16.XI.54 Lieber Freund Carl Schmitt, welch beglückende Nachricht, dass Sie zwischen dem 5.–9.XII. in Plettenberg sein werden.293 Rohan spricht am 4. und 3.XII im Industrieklub und bei d. früheren Botschafter Rahn in Düsseldorf. Das hat sein Verleger Diederichs in eigener Initiative arrangiert. Wir hoffen, dass es das Richtige für ihn u. sein Buch ist. Die Welt ist derart, – heute – dass wenige nur das Entscheidende u. Aktuelle an dem Buch sehen. – Das liegt ja tief, ich wusste, dass Sie es erkennen. R. wird einsam bleiben, wie seinesgleichen.
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Im Nachlass hat sich das Tonband nicht erhalten. Nicolaus Sombart, Benito Cereno – ein Mythos – Ein erdachtes Gespräch, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.10.1954. 292 Vgl. Goethe Faust I, Auerbachs Keller. 293 Carl Schmitt schrieb am 18. November 1954 an Walter Warnach: „Wie ich höre, werden Frau v. Schnitzler und der Prinz Rohan am 3. und 4. Dezember in Düsseldorf sein . . . Werden Sie dabei sein? Ich komme natürlich nicht hin. Doch ist mir der Besuch der Beiden in Plettenberg für die Woche nach dem 5. Dezember angekündigt.“ Am 7. Januar 1955 schrieb er an Warnach: „Die Rundfunksendung über die Sitzung der Max Beckmann-Gesellschaft habe ich zufällig gehört; ich gestehe, dass ich mich gefreut habe, Ihre Stimme zu erkennen und dem, was Sie sagten, lebhaft zustimme (z. B. über Marées). Im übrigen fand ich Reifenberg dumm und verkrampft, Haftmann besser als ich nach seinem Buch erwartet hatte, und das Ergebnis war: genug von Beckmann.“ Nachlass Warnach, Stadtarchiv Köln. 291
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Wir werden am 22.XI. uns d. Cölner Sendung294 vormerken. Dank f. die Mitteilung. – D. Artikel Sombart schnitt ich mir vor 14 Tagen aus, dachte mir, dass sie auf die F.A.Z. abonniert seien, verzichtete daher auf d. Versand an Sie. – Sie hören zeitig wann wir eintreffen. Ich denke am 7.XII. nachmittags Immer Ihre L. S.
90. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14126
Frankfurt/M., 10.II.[1955] Mein lieber Carl Schmitt, Mein Besuch in Kaiserswerth ist nun, mit Oberheidschem Einverständnis, auf 27.–28. festgelegt. Es wäre sehr beglückend, wenn die im November/ Dezember missglückte Verabredung dort nun durch einen schönen, fruchtbaren Abend ersetzt würde? Ich selbst war im Dezember bei Oberheids durch missliche Umstände völlig übermüdet und hoffe dies Mal auf mehr Frische. Es ist viel zu besprechen. Georg, der zum gleichen Wochenende grosses Corpsfest hat, lässt durch mich aufs Herzlichste grüssen, getreulichst Ihre Lilly Schnitzler
91. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14133
Godesberg/Rhein 4.III.[1955?] Mein lieber Carl Schmitt, Soeben höre ich von Frau Oberheid, dass noch kein Bescheid von Ihnen vorliegt, dass Sie am 6. abends mit Oberheids und mir in Kaiserswerth zusammen sein wollen? Ich hatte Ihr Kommen angesagt, um einmal wieder 294 Sendung im WDR am 22.11.1954. Die Sendung trug den Titel „Macht – so gefährlich wie immer, so verdeckt wie nie“. Der Staatsrechtler Carl Schmitt über Prinzipien der Macht.
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zusammen zu sein. Es tut sehr not und ich habe Sehnsucht – und mir macht Herzweh ob Ihrer Schweigsamkeit – nach solchem Wiedersehen. Bitte seien Sie also am 6. abends in Kaiserswerth mit Ihrer L. S. M.
92. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14117
z. Zt. St. Peter, Nordsee, 21.3.56 Mein lieber Carl Schmitt, Sie scheinen wie ganz aus unserem Gesichtskreis entschwunden, nach Frankfurt kommen Sie offenbar nicht mehr und Begegnungen in D’dorf haben sich nicht mehr ergeben. Lilly besuchte dort vor 2 Monaten Oberheids, aber Sie konnten nicht kommen. Nun möchte ich wieder einmal ein Lebenszeichen geben, hoffend vielleicht auch von Ihnen ein solches zu erhalten. – Wir befinden uns an der Nordsee – zum 4.ten Male seit meiner Freilassung – und immer wieder zur gleichen Jahreszeit im Vorfrühling oder richtiger Spätwinter, denn hier oben geht es spät auf mit dem Frühjahr, aber es ist viel Sonne und kein Niederschlag und wäre nicht der eisige Wind aus dem Osten, man wäre doch versucht zu glauben, der diesmal so endlose Winter müsse einmal sein Ende finden. Während Lilly trotz mancher körperlicher Behinderung durch ihr Bein eine ständige Aktivität zu entwickeln vermag, die immer wieder meine Bewunderung hat – sie bewältigt täglich eine riesige Korrespondenz in drei Sprachen und ist, wie Sie wissen, der spiritus rector der Beckmann-Gesellschaft – spielt sich mein Leben in sehr viel ruhigeren Bahnen ab. Von den alten Weggenossen ist nun auch einer der Letzten Herbert Dirksen,295 dahingegangen, v.d.Heydt296 in Ascona ist alt und krank, die früheren Berufskollegen, soweit sie noch leben, im eigenen Leben mehr oder weniger verankert – die jüngeren Mitar295 Herbert von Dirksen (1882–1955), Diplomat, 1928–1933 Botschafter in Moskau, 1933–1938 Botschafter in Tokio, 1938/39 als Nachfolger von Ribbentrop Botschafter in London, nach 1945 Leiter der Politischen Abteilung in der Auswertungsgruppe der Organisation Gehlen, die Entnazifizierung hat er „nur mit Glück überstanden“ Vgl. Eckart Conze u. a., Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010, S. 373. Dabei halfen ihm u. a. Theodor Heuss und Heinrich Brüning. Er veröffentlichte auch Memoiren: Herbert von Dirksen, Moskau, Tokio, London. Erinnerungen u. Betrachtungen zu 20 Jahren deutscher Außenpolitik 1919–1939, Stuttgart 1949. 296 Eduard v. d. Heydt (1882–1964), Bankier mit Kontakten zum deutschen Kaiser Wilhelm II., Göring und zum Stinnes-Konzern, lebte seit 1929 auf dem Monte Verità bei Ascona, seit April 1933 NSDAP-Mitglied, ab 1937 Schweizer Bürger, 1939 Austritt aus der NSDAP, Förderer und Sammler von Kunst, die er u. a. dem Städtischen Museum Wuppertal und dem Museum Rietberg, Zürich, vermacht hat.
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beiter von früher, fast alle wieder in guten oder glänzenden Stellungen, zwar anhänglich, aber mich in keiner Weise mehr benötigend – kurzum das eigene Leben ist fast ganz auf den engeren Kreis der Familie zurückgeführt, dazu auf die mancherlei Interessen geistiger und künstlerischer Art und auf die Beobachtung wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Vorgänge, deren Niederschlag Sie dann ja in den periodischen Berichten an meine spanischen Freunde finden. Es geht einem Wirtschaftler wohl wie dem sprichwörtlichen Mimen, dem die Nachwelt keine Kränze windet. – Auch ich will nicht leugnen, dass mir die Erkenntnis nicht leicht geworden ist, dass man eben in keiner Weise mehr gebraucht wird. Weder wird man begrüßt, wie das schöne in der Wirtschaft übliche Wort lautet, noch wird man gefragt. Im besten Falle haftet noch ein kleiner Rest von „grand old man“ an einem, das sich in vielen freundlichen Worten an Erinnerungstagen, wie meinem 70. Geb. Tag manifestiert. – Ein Gelehrter hat insofern das bessere Los, als seine Taten in seinen Schriften, seinen Schülern fortwirken, ein depossedierter Wirtschaftler ist ein Offizier ohne Soldaten und ich hätte eigentlich, der ich mein Privatleben so sehr von meinen Geschäftsleben zu trennen wusste, nicht geglaubt, die völlige Absetzung vom praktischen Geschehen werde mich so treffen, wie dies in der Tat im gewissen Umfang wenigstens der Fall ist. Dabei bin ich mir durchaus der Bevorzugung dankbar bewusst, im 72. Lebensjahr noch im vollen Besitz meiner Gesundheit zu sein, und, abgesehen von meinem harmonischen und glücklichen Privat- und Familienleben mich wieder in einer zwar nicht besonders glänzenden aber auskömmlichen materiellen Lage zu befinden, eine Erwartung, die ich vor 5 Jahren keineswegs hegen durfte. Die allgemeinen Dinge bewegen mich nach wie vor aufs lebhafteste, obgleich sie mich persönlich eigentlich nur mehr wenig berühren – vielleicht wird man im Alter altruistischer, und es ist wohl nur eine Laune vor mir selbst, dass ich sage: es geschieht für meine Enkel, denn die werden als Deutsche bzw. Österreicher ja die Zukunft mitzugestalten haben. – Und da darf ich ein paar Gedanken äußern, die vielleicht auch Ihre Zustimmung finden. – Als Adenauer 1953 seinen großen Wahlsieg feierte,297 quittierte ich dies mit 2 Reaktionen, über die ich damals ausgiebig mit Rohan sprach, die dieser freilich nicht ganz wahrhaben wollte, die sich dann aber doch, wie ich meine, als richtig herausstellten: Die erste war: jetzt sind die 1945er aus der Legalität in die Legitimität eingerückt und die 297 Konrad Adenauer (1876–1967), deutscher Bundeskanzler, CDU. Die CDU gewann 1953 die Bundestagswahlen mit einem Stimmenplus im Vergleich zur ersten Wahl von 14,2% und kam auf ein Gesamtergebnis von 45,2%.
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Chancen derjenigen, die irgendwie mit den 12 Hitler-Jahren an prominenter Stelle in Kontakt waren, sind dahin, die andere: jetzt gilt wieder das Wort von Louis Philippe: enrichissez vous!298 – Und nun meine ich heute, dass diese Periode jetzt zu Ende geht. Was sich Bonn in diesem letzten Halbjahr an Mißgriffen geleistet hat, kann nicht ohne politische Folgen bleiben. Die geradezu diabolische Art, die kleinen Parteien zerschlagen zu wollen299 und abgespaltene Satelliten einzugemeinden, hat sich als Bumerang erwiesen und eine Gewerkschaftsfront der „Bedrohten“ geschaffen. 6 Minister ohne Basis300 in einem parlamentarischen Regime mitzuschleppen, scheint mir ein Hohn auf die sog. Demokratie, die in diesem Lande ohnehin ein zartes Pflänzchen ist. Quo usque tandem? möchte man dazu sagen und ich kann mir auch weiterhin nicht vorstellen, dass der von Brentano301 kürzlich bei einem öffentlichen Vortrag in Frankfurt vertretene „Immobilismus“ hinsichtlich der Wiedervereinigung über die nächste Bundestagswahl durchgehalten werden kann. Und ebenso dürfte es mit dem enrichissez vous des Substanz-Besitzes i. J. 1957 zu Ende gehen. – Dies soll keine Kritik an Erhard sein, dem ich wirklich „du génie“ zusprechen möchte und der hoffentlich auch in einer zeitgemäß umgewandelten Regierung seinen Platz behaupten wird. Sein Kampf um die Stabilität der Preise ist wahrhaft heroisch, in seiner Abwehr gegen den zügellosen Egoismus ganzer Wirtschaftsgruppen verdient er ehrliche Bewunderung. – Betrachtet man das öffentliche Leben in seiner Gesamtheit, so will mir, wenn ich es mit den Zeiten nach dem ersten Weltkrieg vergleiche, als auffallend erscheinen, wie wenig starke Talente in allen Domänen zu verzeichnen sind. – Das Mittelmaß feiert überall Triumphe. In der Wirtschaft gibt es keine Vöglers, Boschs und Duisbergs,302 in der Malerei keine Beckmanns und Noldes, und auch die 298 Bereichert Euch!: Der französische Bürgerkönig Louis-Philippe I. (1773–1850), von 1830–1848 König der Franzosen, förderte das französische Bürgertum und damit die französische Wirtschaft. In diesem Zusammenhang steht auch die Parole „Bereichert Euch!“. 1848 wurde Louis-Philippe gestürzt und ging nach England ins Exil. 299 Hier sind verschiedene Parteien gemeint, das Zentrum, die Deutsche Partei möglicherweise aber auch die 1953 verbotene Deutsche Reichspartei oder die 1956 verbotene KPD. 300 Als am 23.2.1956 die FDP-Fraktion mehrheitlich beschloss, die Regierungskoalition mit der CDU/CSU zu kündigen und in die Opposition zu gehen, gründete eine Minderheit die Freie Volkspartei (FVP), der sich vier FDP-Minister (Blücher, Neumayer, Preusker, Schäfer) anschlossen. Weitere zwei Minister (Erhard und Balke) waren Nichtmitglieder des Bundestages. 301 Heinrich von Brentano (1904–1964), CDU, von 1955 bis 1961 Außenminister. 302 Albert Vögler (1877–1945), Industrieller, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke, unterstützte Hitler finanziell und war auch Teilnehmer an dem Treffen
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Publizistik lebt noch von den Schriftstellern der Zwischenkriegszeit. – Mit fast allen hatte uns das Leben in Berührung gebracht und es gewährt im Alter, wie mir scheint, doch eine große Befriedigung, den Weg so vieler bedeutender Persönlichkeiten gekreuzt zu haben. In Frankfurt bemühen wir uns noch immer, in den beschränkten Möglichkeiten unserer heutigen kl. Wohnung einen gewissen gesellschaftlichen Kontakt mit Menschen der verschiedensten Schichten aufrechtzuerhalten.So feierten wir vor 3 Wochen – recht schmerzlich – den Maler Garve,303 der als Professor der Landeskunstschule nach Hamburg geht, auf einer verlängerten cock-tail party ab, zu der von Ihnen bekannten Persönlichkeiten Beutler,304 Reifenberg305 und Reinhardt306 erschienen waren. Alle sind sie Siebziger oder nahe daran und es sieht nicht so aus, als ob ihnen Nachfolger gleichen Formats folgen werden. Können wir nicht hoffen, Sie einmal zu etwas ähnlichem bei uns in Frankfurt zu sehen, oder kann es Sie nicht reizen, die Beckmann-Tagung Ende Juni/Anf. Juli etwa in Lilamor/Murnau mitzubegehen. – Es wäre doch für uns eine bes. große Freude Sie dann einmal wieder bei uns zu haben und alte Erinnerungen auszutauschen. – Der Platz Murnau ist auch von der Natur so begnadet, dass er bei schönem Wetter etwas unbeschreibbar Paradiesisches aufzuweisen hat. Vor allem aber hoffe ich, dass dieser Brief Sie bei guter Gesundheit und innerer Harmonie erreicht und schließe ihn mit den herzlichen Grüßen von uns beiden als Ihr getreuer Georg Schnitzler
vom 20.2.1933, an dem auch Schnitzler teilnahm. Robert Bosch (1861–1942), Industrieller, Vorstandsvorsitzender der IG Farben, der sich auch für ein vereintes Europa einsetzte und aktiv den Widerstand gegen Hitler unterstützte. Carl Duisberg (1861–1936), Industrieller, Aufsichtsratsvorsitzender der IG-Farben. Vögler und Bosch hatten Kontakte zum Widerstandskreis von Carl Goerdeler. 303 Theo Garve (1902–1987), Maler. 304 Ernst Beutler (1885–1960), Germanist, Leiter des Freien Deutschen Hochstifts. 305 Benno Reifenberg (1892–1970), Journalist der Frankfurter Zeitung, nach 1949 Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 306 Karl Ludwig Reinhardt (1886–1958), Professor für Altphilologie in Frankfurt.
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93. Carl Schmitt an Georg von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg-San Casciano den 23.3.1956 Lieber und verehrter Herr von Schnitzler, können Sie sich denken, was die obenstehende Ortsangabe307 besagt? Wenn nicht, erzähle ich es Ihnen gelegentlich. Mein Wunsch nach einem Gespräch mit Ihnen ist lebhaft und sogar heftig. Ihr Schreiben aus St. Peter beantworte ich deshalb sofort; es war für mich ein unbeschreiblicher Trost. Oft wollte ich Ihnen in diesen letzten Monaten und Jahren schreiben, namentlich dann, wenn ich unter dem unmittelbaren Eindruck Ihrer Berichte aus Barcelona stand. Aber bei dem Gedanken an eine schriftliche Erörterung der Fragen unserer aktuellen Lage fällt mir die Feder aus der Hand.308 Jetzt, wo ich durch Ihren Brief zu meiner Freude das Recht erhalten habe, wieder von privaten und persönlichen Dingen zu sprechen, benutze ich den Anstoß, den Sie mir dadurch gegeben haben, mit dankbarem Eifer. Sie haben das Glück, in einem Haushalt zu leben, der in allem Wesentlichen durch die Jahrzehnte und die Katastrophe hindurch derselbe geblieben ist. So fahren Sie auf dem Meer in einem guten und soliden Boot. Ich treibe auf einem Balken. Das ist die enorme Verschiedenheit unserer Situation, und wenn ich mich oft plötzlich effaciere oder in Stummheit verfalle, müssen Sie das bedenken. Im Grunde sind es meine Verfolger, die mich am Leben halten und mich dazu zwingen, den Tag, an dem sie auf meinem Grab tanzen, möglichst lange hinauszuschieben. Wenn ich dann aber plötzlich einen Brief erhalte, wie Ihren aus St. Peter, fühle ich mich plötzlich wieder in einem nicht nur polemisch bestimmten Dasein und sehe, daß es noch Weggenossen gibt, mit denen ich eine gemeinsame Sprache spreche und bin beglückt, ein menschliches Wort zu vernehmen. Die Erfahrungen, die wir seit der Moskauer Reise Adenauers309 machen müssen, sind bedrückend und erdrückend. Ihre Diagnose und Prognose halte ich für richtig und auch in der Formulierung für unübertrefflich. Das war stets eine besondere Begabung von Ihnen und scheint mir in den letzten 307
Benennung in Anlehnung an Machiavellis Exilort. Es handelt sich dabei um Berichte zur Weltlage, die Georg v. Schnitzler für den früheren I. G.-Farben-Repräsentant in Spanien, Fernando Birk, verfasste. Ein 15-seitiger Bericht vom März 1953 ist im Nachlass Carl Schmitts vorhanden; LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14103. 309 Konrad Adenauer reiste im September 1955 nach Moskau und brachte die letzten verurteilten Kriegsgefangenen, knapp 10.000, in die BRD. 308
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Jahren bei Ihnen immer ausgeprägter zu werden. Auch die Weisheit, mit der Sie die Erfahrungen des Alters aussprechen, tat mir wohl. Bei mir bleibt immer zuviel intellektuelle Schärfe und meine Heiterkeit eines allwissenden Greises ist etwas anderes als Ihre Güte – und Klugheit gesättigte Milde. Ich kann diese pointierenden Formulierungen einfach nicht lassen, obwohl ich weiß, daß ich die Menschen damit nur reize und meinen Verfolgern billige Trümpfe in die Hand spiele. Es tut mir leid, daß ich Ihren 70. Geburtstag nicht gebührend gefeiert habe. Darf ich Ihnen verspätet den Nachdruck meiner Verfassungslehre310 schicken, falls Sie das Buch nicht in Ihrer Bibliothek haben? Es ist doch eine Illustration zu dem, was Sie über die Zwischenkriegszeit von 1923– 1933 sagen, über unsere Zeit, die sich vor allen anderen Zeiten sehen lassen kann, es ist also eine beweiskräftige Illustration, daß diese Verfassungslehre von 1928 nach mehr als 25 Jahren Katastrophen-Schicksals im Jahr 1954 unverändert nachgedruckt werden konnte und, wie mir der Verleger schreibt, schon wieder verkauft ist und nochmals neugedruckt werden soll. Das ist der Grund, warum ich dieses Buch gern in Ihrem Besitz wüßte, ohne Rücksicht darauf, ob Sie es lesen oder darin nachschlagen. Sie klagen darüber, daß der Mann der Wirtschaft keinen Dank findet und schnell vergessen wird. Der Gelehrte und Publizist dagegen erscheint, geradezu weise, im Vergleich zum Wirtschaftler als der wahre Egoist, der sein Werk mit seinem Namen versieht und dadurch an sich und seine Person bindet. Ich sehe heute keinen Vorzug mehr darin. Wenn ich nach Frankfurt komme, melde ich mich bestimmt. Bei Ihrer Frau muß ich aber befürchten, daß ihr Interesse an mir nur noch über ihr Interesse an der Beckmann-Gesellschaft geht. Heute wollte ich Ihnen nur meinen Dank für Ihren Brief aussprechen und Ihnen beiden in alter und unveränderlicher Freundschaft meine herzlichen Grüße und alle guten Wünsche für ein schönes Osterfest aussprechen. Stets Ihr getreuer Carl Schmitt Mir kommt zum Bewußtsein, daß Sie mich noch nicht in Plettenberg besucht haben; wenn Sie mit der Bahn fahren, müßten Sie einmal auf der Strecke Hagen-Siegen-Frankfurt dort aussteigen.
310
Carl Schmitt, Verfassungslehre, München/Leipzig 1928 (2. Aufl., Berlin 1954).
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94. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14154
Frankfurt/M., 12.IV.56 Mein lieber Carl Schmitt, Ihr Brief vom 23. März hat Georg und mich gleichermassen bewegt. Als ich vor 4 Tagen von einer 10 tägigen Fahrt, mit allen 4 Enkelsöhnen im Alter von 11–19 Jahren (die 2 älteren von Lilo, die 2 jüngeren Gabrieles Söhne) nach Holland-Antwerpen, heimkehrte, – gab Georg ihn mir zu lesen. Er bestätigte, was Heinrich und Margarete Oberheid mir von Ihrer Verfassung, Ihrem Ergehen, erzählt hatten. – Ja, Duschkas Verlust musste jeden Mann aufs Tiefste treffen, denn sie war ja ein selten grosser Charakter und eine wunderbare Frau. Wieviel mehr aber einen so „ungeschützten“ Menschen wie Sie, Carl Schmitt, einen so verwundbaren, verwundeten? Einen Mann, dem eine warme, geordnete, gepflegte Atmosphäre in der Häuslichkeit, Erwärmung, Schutzhaut bedeutet? Dessen empfindlicher Schönheitssinn nach der Blume im Glase, dem brennenden Kerzenlicht, – dem geschmackvoll, festlich gedeckten Tisch mit der phantasievollen Küche Duschkas, – verlangte? – Dazu die heitere, gütige Ironie, mit der sie Unbill der äusseren Welt bagatellisierte, in ihre natürlichen Grenzen verwies, ihr mit dieser Souveränität das Gewicht nehmend. – Ich kenne verschiedene San Casciano? Sie meinen natürlich ein symbolisches, das ein Korrelat zu Ihrem Plettenberger Leben darstellte? Ich spüre seit Längerem wie Sie sich wachsend in dies Schneckenhaus, das keines ist, zurückziehen. Wohl höre ich immer wieder, dass Ihre alte Anziehungskraft sich ungemindert bewährt, dass Sie junge Menschen immer wieder um sich versammeln, aber mir selbst war es nicht mehr vergönnt, Sie zu sehen. In der Stille unseres holsteinischen Refugiums regte ich dann Georg an, mit männlicher Feder, Ihnen einmal zu schreiben, mich auf das Band alter Kameradschaft verlassend. Ich hatte Recht. Nun ist der Faden wieder geknüpft. Sie sind und bleiben für ihn der Zeuge seiner Münchner Jahre im Generalkommando 1914–18, später der Freund, dessen hoher juristischer Rang in ihm auch den Juristen ansprach. – Für mich, Carl Schmitt, waren Sie noch etwas Persönlicheres, Intimeres, e. sentimentales Band hatte sich über geistige, religiöse Berührungen, Kontakte gesponnen; Sie gehörten, seit München, zu meinem innerlich nächsten Kreis, waren wichtig für mich; Ihre Aussagen für meine eigene Lebensgestaltung, oft Richtung gebend. – Das hat sich nicht geändert. Deshalb wollte ich mich nicht damit abfinden, dass wir uns seit 2 Jahren – meinem Besuch bei Ihnen in Plettenberg mit Rohan – nicht mehr sahen. Ich möchte Sie einmal 2–3 Tage bei uns in Lilamor wissen, ist das nicht zwischen Anfang Juli und Anfang No-
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vember möglich? Die schönste, stillste, wundersamste Zeit ist dort der Oktober. Das Gebirge hat e. seltene Anziehung mit der starken Luft, den starken Farben des Herbstes. – 800 m hoch liegt Lilamor. – Gern würde ich Ihnen Lilamor zeigen, das uns e. neue Heimat der Seele geworden. Landschaft, Klima, beglücken mich. Das kleine Haus aus den Gegebenheiten eines alten verfallenen Maler-Atelierhauses heraus, „geworden“, gewandelt, birgt, was wir an Bildern, Büchern, Möbeln, gerettet haben. Es ist genau so viel – fast mehr noch, – wie wir für den heutigen Lebensrahmen, brauchen, – uns wünschen. Dort werden Sie auch die Mehrzahl meiner BeckmannSammlung sehen, aber was haben Sie mit der Beckmann-Gesellschaft, – und unsere persönliche Verbindung – mit ihr zu tun? Diese Bemerkung in Ihrem Briefe war mir nicht verständlich? Inzwischen sind wir nun vom 1.–18. Mai, dann wieder von 10.–20. Juni noch hier in Frankfurt, und freuen uns auch hier aufs Wärmste Ihres Besuches. Ich möchte es Ihnen warm machen, lieber Freund, gewiss, Sie schreiben von einem anderen seelischen Temperament wie Georg, – Sie sind sensibler, empfindlicher, viel phantasievoller, daher viel verwundbarer. Es fehlt Ihnen die Gefährtin alter Tage, die diese Reaktion auf Kausalitäten oder Feindschaften – „entgiftet“ – ich habe, so weit ich konnte, versucht Georg, seit seiner Rückkehr Weihnachten 49, Distanz zu seiner Ausschaltung, und mich oft kränkenden Ignorierung, zu geben. Sein unkompliziertes Wesen mit einer Tendenz zur Vogel Strauss Politik –, kam ihm auch entgegen, sich in freundlichem Genuss aller guten Dinge dieser Welt – in einer bescheiden – demütigen Übung im kirchlichen Christentum, – einen innerlich befriedeten, harmonischen, heiter-gelösten Raum zu schaffen, in dem er, – wie in eigener „game-reservation“ – mit Frau, Kindern, Enkeln, Geschwistern, fröhlichen Gemütes lebt. Dazu liest er viel, denkt freundlich, schreibt seine Berichte 3x jährlich, die ihm Anlass sind, sich auf e. Thema zu konzentrieren. – Ich finde das ein schönes, sinnvolles Dasein für einen Siebzigen. Seine Ausstrahlung ist wohltuend, weil sie sehr gleichmässig, er ist ein ruhender Pol für mich, wie für seine ganze Umgebung. Sie empfinden das sehr richtig u. formulieren es sehr schön. Könnten einige Tage in Lilamor Sie ein wenig von der Misanthropie des „Sensitif“ befreien, so würde mich das, mit Ihnen, glücklich machen, liebster Carl Schmitt? Sie schreiben nichts von diesem hochbegabten Kinde Anima, die sich der sogenannten Patin, seit Jahren, entzogen hat? Auch nach ihr, frage ich Oberheid immer. Ihre allzeit getreue, Sie sehr liebende L. S. M.
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95. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14118
Frankfurt/M., 19. Mai 56 Mein lieber Carl Schmitt, die mir frd. zugesandte Zeitschrift mit Animas humor – und schwungvollem Spanien-Artikel311 habe ich richtig erhalten und mit Interesse gelesen. – Es ist in der Tat ein denkwürdiges Land, dieses Spanien mit seinen krassen klimatischen und menschlichen Gegensätzen, dessen grosse weltweite Leistungen keineswegs aus dem sonnigen Süden der Levante, wie der durchschnittliche Deutsche sich das vorstellt, sondern aus der Härte und Dürre von Castilien und Estremadura und z. T. auch aus dem fast afrikanischen Andalusien herrühren. Es ist für den westdeutschen Europäer so unverständlich wie der slawische Osten, beide haben das gemeinsam, dass die cartesianische ratio, die doch mehr oder weniger den übrigen kontinentalen Völkern eigen ist, bei ihnen keinen Boden hat, den ihre Entschlüsse und Handlungen aus ganz anderen uns fernliegenden Quellen stammen und dass unsere Urteile über sie stets Fehlurteile sind. – So weiß kein Mensch zu sagen, was geschehen wird, wenn Franco312 plötzlich abberufen werden sollte. Nach meiner Kenntnis ist nichts für einen solchen Fall vorgesehen und es ist sehr gut möglich, dass die gleichen Leute, die jetzt täglich zur Messe und Communion gehen, in einigen Monaten Priester und Nonnen wieder die Kehle durchschneiden. Ein selten guter Kenner des Landes, Prinz „Mapel“ Hohenlohe, mit einer Mexikanerin verheiratet, sagte bei einem Essen unter Freunden, als man seinen Butler lobte, er ist der erste, der mir die Kehle durchschneiden wird. Auf die Frage, warum er denn einen so unsicheren Mann behalte, antwortete er, inzwischen bedient er mich gut. Da Spanien offenbar Bonn nur wenig interessiert, macht man wenigstens keine Fehler in seiner Behandlung. Die Referenten, die sich mit der Abwicklung der laufenden Fragen beschäftigen, sind artige sachkundige Leute, die keinen Anstoß erregen. Möge es so bleiben und sich nicht auch jenseits der Pyrenäen der Dilettantismus breit machen, mit dem man auf sog. „höchster Ebene“ die russischen Fragen behandelt. – In der auslaufenden Adenauer-Ära wird man wohl kaum mit diesbezüglichen Änderungen rechnen dürfen, denn der alte Recke sitzt so fest in seinen eigenen Vorstellungen, beherrscht so souverän seine Umgebung, dass er nicht ein Jota vom heutigen Pfade abweichen wird. Nach den Bundestagswahlen werden dann neue Register aufgezogen werden und es schien mir sehr charakteristisch, 311
Nicht nachweisbar. Francisco Franco (1892–1975), spanischer General und Diktator, der sich im spanischen Bürgerkrieg 1936–1939 an die Macht gebracht hat und sie bis zu seinem Tode behielt. 312
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dass die beiden Schüsse auf die gegenwärtige festgefahrene Situation wiederum aus der Ecke kamen, die traditionell die stärksten politischen Energien aufweist, nämlich aus dem Raum Köln-Dortmund. – Der Süden, zu dem ich auch Frankfurt rechne, bringt solche Energien niemals auf, er schimpft zwar, drückt sich aber, wenn es ernst wird. So hat man zwar in Augsburg vor Jahresfrist H. Blank313 mit Bierfilzen und ähnlichem beworfen, bei der Wehrpflicht aber werden sie alle Hände wieder an die Hosennaht nehmen und brav mitmachen. Auch Hitler wäre nie über die Münchner Bierkeller hinausgekommen, wenn Göbbels ihm nicht damals Berlin erobert hätte. – Über all solche Dinge mal wieder mit Ihnen reden zu können, wäre ein großer Genuß. Zunächst fahre ich nun nach Spanien zu dem alljährlichen diesmal ein wenig verspäteten Frühjahrsbesuch. – Aber ich denke, in der zweiten Hälfte Juni wird sich ein Wiedersehen einrichten lassen. – Am schönsten wäre es, Sie kämen nach Ffm., wo wir Sie zwar nicht als Hausgast aufnehmen können, da wir kein Zimmer mehr dafür haben – aber wo wir hier im Hause die Mahlzeiten hätten. Geht das nicht, so könnten wir vielleicht einmal nach Plettenberg mit dem Auto über Nacht kommen. Lilly fährt diesmal nicht mit nach Spanien, da ihre Anwesenheit dringend in Murnau benötigt wird, wo sie sich übrigens gleichzeitig im dortigen UnfallKrankenhaus einer Behandlung ihres Beins unterziehen will, das ihr doch in der letzten Zeit mancherlei Beschwerde gemacht hat. – So werden wir uns beide hier zwischen 10. und 15. Juni wieder zusammenfinden. Mit allen guten Pfingstgedanken und herzlichen Grüßen Ihr Georg Schnitzler
96. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14155
Murnau, 8.6.56. Mein lieber Freund Carl Schmitt, Wenngleich mein Brief vor 6 Wochen, – in freundschaftlicher-liebender Sorge geschrieben – unbeantwortet blieb, ist mein Herz unverändert bewegt um Ihrem Ergehen: oder gerade, ob Ihres ungewohnten Schweigens. Georg ist in Spanien auf 3 Wochen, bei seinen Freunden in Barcelona, – in Madrid bei Gabriele. Ich musste dieses Mal darauf verzichten ihn in das wunderbare Land zu begleiten, weil viel Arbeit mich hierher zieht. Allerhand ist in die313 Theodor Blank (1905–1972), Verteidigungsminister, der die Bundeswehr ab 1950 aufbaute.
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sen verflossenen 14 Tagen hier getan worden – geschehen. Ich ordnete die Bibliothek, viele Papiere u.s.w. – Rohan ist seit 5 Tagen hier bei mir, kam Ende Mai von 14 täg. Aufenthalt, als Gast der Luft Hansa, aus USA zurück, arbeitet hier an e. Reihe v. Artikeln über die sehr einschneidenden Eindrücke dort. Er besuchte bereits drei Mal –, in früheren Aufenthalten in Lilamor, – den im benachbarten Uffing am Staffelsee lebenden Pater Erich Przywara.314 Gestern war dieser 4 Stunden hier. Zu dritt hatten wir ein wunderbares Gespräch, das natürlich Carl Schmitt mit einbezog – und zutiefst anging. Ich war tief beeindruckt von der warmen, spontanen Güte und Menschlichkeit, dem Humor, dieses grossen Geistes. – Wir, vor allem Pater Przywara u. Rohan, die seit 30 Jahren befreundet und bekannt sind, waren der Meinung, dass Sie, lieber Carl Schmitt, in dieser Begegnung fehlten. P. Pz. würde Sie sehr gern persönlich kennen lernen,315 Sie sprechen. Nun lebt er völlig zurückgezogen, sehr leidend mit e. Krankenschwester, auf diesem kleinen Nachbardorf, verlässt den Ort nur 2x im Jahr um bis München, zu seinem Arzt zu fahren. Andererseits wissen Sie, dass es ein grosser, sehr persönlicher Wunsch von mir ist, den Georg teilt, dass Sie unser kostbares Tuskulum mit den 18 Bildern Beckmanns und anderen Bildern, die Sie erfreuen werden, – vor allem Gottes herrlicher Landschaft, sehen möchten. Mein Vorschlag geht nun dahin, dass Sie in der ersten Juliwoche, d.h. ab 30. Juni einige Tage herkommen. Wir treffen nahezu zu gleicher Zeit, aus Frankfurt hier ein; es würde e. sehr stille Woche sein, – Ich fahre Sie im Auto herüber zu Pater Przywara, hole ihn von dort zu uns, wenn er wohl genug ist, zu kommen. – Rohan würde Sie vielleicht auch noch 1 Tag sehen, er käme aus Salzburg herüber. Ich glaube, jene Gemütsverdunkelung, von der Ihr Brief an Georg ein so erschütterndes Zeugnis gab, würde sich aufhellen in den Gesprächen mit diesem nahezu einmaligen Geiste, – in den Mauern Lilamors und in der alten Freundschaft, die Sie hier umfangen würde! Eilen Sie her, Carl Schmitt, verlieren Sie keine Zeit mehr, – Nutzen Sie die Gelegenheit zu solch gelöster Begegnung mit Pater Przywara. – Schreiben Sie mir nach Frankfurt, dass Sie kommen. Ich treffe dort am 13. Juni wieder mit Georg zusammen. Immer Ihre L. S. M. Rohan lässt getreulich und ergeben grüssen! 314
Erich Przywara (1889–1972), katholischer Theologe und Philosoph, Jesuit, der die Jesuitenzeitschrift „Stimmen der Zeit“ bis zum Verbot 1941 herausgab. 315 Beide hatten sich aber bereits in Davos 1927 kennengelernt; vgl. auch Schmitts Benito-Cereno Bericht von 1945 (RW 265-19389). Vgl. Carl Schmitt an Erich Przywara vom 15.7.1953 (Nachlass Przywara, Archiv Prov. Germ. SJ). Vgl. Reinhard Mehring, Carl Schmitts Bruno Bauer, Autor vor allem der ‚Judenfrage‘ von 1843, in: Klaus-M. Kodalle/Tilman Reitz (Hrsg.), Bruno Bauer. Ein ‚Partisan des Weltgeistes‘?, Würzburg 2010, S. 342–345.
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97. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14156
Frankfurt/M., 15.6.56 Grosse Freude hier, ob der Aussicht Ihres Besuches hier, Mittwoch 20.6. – 7 Uhr abends! Der beste Wein kommt ins Eis. Przywara316 und Walter Otto317 (Tübingen) hatten bereits „Hamlet oder Hekuba“ gelesen. Nun schreibt Walter Warnach diese Kritik,318 die Sie gewiss kennen? Ich wäre glücklich, wenn Sie hier ein Exemplar mit e. freundlichen, persönlichen Wort, mitbringen wollten. Ist diese Bitte unbescheiden? Ich würde diese Kritik Warnachs, falls Sie ihrer nicht bedürfen, – hinten herein heften ins Buch. Es ist ein kleiner Ehrgeiz viele „Schmitts“ mit Widmung, wie das memorable Leviathan319 – Juli 1937, – in meiner Privatbibliothek zu besitzen. Ob ich diesen Band verstehen werde? Immer Ihre getreue L. S. M.
98. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 8 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14157
Frankfurt/M., 21.6.56 Mein lieber verehrter Carl Schmitt, Ich eile Ihnen zu sagen, wie sehr uns der Abend mit Ihnen beglückt hat. Ich wähle dieses Wort, weil diese Begegnung und dieses Gespräch befriedeter, heiterer, gelöster war, wie die Letzten. Wenn Sie uns schrieben von tiefer Trauer, ja Verzweiflung, von einer Ausweglosigkeit Ihrer Daseinsform, so waren wir vorbereitet, Sie verdüstert, innerlich vereinsamt, an dieser Vereinzelung schwer tragend, – bitter, zu finden. Solche Klänge verspürten wir mit grosser innerer Anteilnahme, bei den früheren 2–3 Unterhaltungen der letzten Jahre. Sie schienen freier, darf ich sagen: weniger subjektiv fixiert, – überlegen, freier, distanzierter vom eigenen Erleben negativer Erfahrungen, – gelassen. 316 Vgl. Erich Przywara, Mythos und Mysterium, in: Die Besinnung, H. 6, 1956, S. 231. 317 Walter Friedrich Otto (1874–1958), Altphilologe, der sich vor allem mit der griechischen Mythologie und den Göttern Griechenlands auseinandergesetzt hat. 318 Walter Warnach, Hamlet-Mythos und Geschichte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.6.1956. 319 Das Buch war leider nicht zugänglich.
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Dass diese humorvolle Gelassenheit, die ja seit Jahren Georgs Haltung gegenüber dem ihn in Wahrheit, seit 1945, verschlossenen „Zugang der Macht“ besitzt, hat nichts zu tun, mit einem billigen Sichzurückziehen auf andere Inhalte, d.h. ein sich „Abwenden“, was ja eine andere Art der Vogel Strauss Politik wäre. Ich meine, dieses Suchen nach analogen Situationen in der geschichtlichen Empirie der letzten 500 Jahre, wäre eine fruchtbare Form der Selbstbefreiung, zugleich mit einem nützlichen Beitrag zur Geschichte, zur Psychologie. Die Auffindung der geschichtlichen Situation des „Hamlet“, der Zusammenhänge, – Ursache und Wirkung in der Zeit, dazu die Definition des Unterschiedes zwischen Tragödie als gestaltetes Spiel oder gelebter Tragödie –, die sich irgendwie gegenseitig ausschliessen, woher die Hegelsche Auffassung, dass die „Komödie“ eine bessere Antwort wie die „Tragödie“ sei, – das Alles hat Ihnen die Erklärung, das „positive Vorzeichen“ zur eigenen Erfahrung gegeben. Ich glaube, dies ist immer der Schlüssel für Harmonie, Bejahung alles Erlebens, dass wir es verstehen, in e. tiefsten Sinne. Nur das Gefühl Objekt eines sinnlosen Geschehens zu sein, eines „Zufalls“, von Kobolden, Lemuren zu dummer Malerei, Spiel, auserlesen worden zu sein – nicht einmal von echten Dämonen oder gar vom Teufel, – das ist demütigend, unversöhnlich. Durchschauen wir eine Situation, so ist sie schon halb entgiftet. Auch sind wir ja nie ohne eigene Schuld, ist nicht die grosse Vorgabe, von der Sie sprechen, – sei es im Politischen, sei es in der Liebe, – ein hoher Luxus? Und muss nicht jeder Luxus bezahlt werden? La générosité du cœur, jene bei uns zu Lande nahezu unbekannte Eigenschaft, (die z. B. Keyserling in hohem Masse besass) setzt sich selber wehrlos aus, durch das „Vorbieten“ das ihr innewohnt. Sie geben zunächst stets eine Chance: sei es einem Studenten, sei es Hitler oder Frank.320 Diese „Klugheit“ ist kälter und ökonomischer. Habe ich Sie richtig verstanden? D. 2. Teil des Abends war äusserst spannend für mich: ich las gestern spät noch einmal Warnachs Kritik, – und siehe da – ich verstand sie ohne Schwierigkeit. Schade, dass der letzte, menschlich so wichtige Absatz nicht gedruckt wurde. Es ginge ja so darum, diese Aura „des kalten, diabolischen Geistes, der sich um jeden Preis dem jeweiligen Mächtigen zur Verfügung stellte“, die ja gerade gute Menschen – und ein solcher ist Reifenberg in seiner Noblesse par excellence, – so erschreckt, und die vor dem Phänomen C. Sch. nicht zur Ruhe kommen lässt, – zu zerstören. Sie sind ja in 15 Jahren geradezu zum Symbol dieser diabo320 Hans Frank (1900–1946), NSDAP, 1919 Mitglied eines Freikorps und der DAP, 1919–1924 Jurastudium, 1923 SA, Teilnahme am Hitlerputsch, seit 1927 Rechtsanwalt in München, bayrischer Justizminister 1933, Präsident der Akademie für Deutsches Recht 1933, Generalgouverneur für das Generalgouvernement Polen 1939, in Nürnberg hingerichtet 1946. Frank war zeitweiliger Mentor Schmitts, vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 43), S. 325 ff.
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lischen Haltung, ihrem Exponenten, gemacht worden. Es beweist Ihre Bedeutung, es ist eine hohe Reverenz vor Ihrem Geist, Ihrem Einfluss, – und, wie diese Menschen es empfinden, eine Enttäuschung am Charakter C. Sch’s, – alles in allem, also das Gegenbild einer sehr hohen Meinung. Warnach kennt Sie, ich glaube das Gleiche von mir sagen zu dürfen. Darum willigte Duschka ein Ihre Lebensgefährtin zu sein, Sie zum Vater ihres Kindes zu machen. ? – Diese unbestechliche Frau, der es ja nur um das Reinste ging. Sie war nicht blind, sie „gab nicht vor“, – aber sie schätzte richtig ein. Warum sind Ihre Freunde, Oberheid, Georg, ego – Ihnen durch ein Leben treu, glauben an Sie? Ich meine, wenn man sich erkannt, – Ursache und Wirkung d. eigenen Verhaltens nüchtern sieht, d.h. auch die unvermeidliche Wirkung auf den viel oberflächlicheren, von Schwäche „Mintos(?)“ beladenen Mitmenschen, sieht, – durchschaut, – verliert jede Erfahrung ihre Bitternis. Sie schwimmen sich gewissermassen frei an der Auffindung des Mythos v. Hamlet,321 über Benito Cerreno322 zu Carl Schmitt. Das ist eine fruchtbare Form. Vielleicht geben Sie damit für die tiefer Verstehenden e. Stichwort f. die politische Situation von Morgen, die näher sein mag, wie wir glauben. Ich erachte, als die grösste Erschwerung in Ihrem seelischen Weg der letzten Jahre, die Beraubung durch Duschkas Tod. Sie war das komplementäre Element, die durch ihre Souveränität, ihren Stolz, Ihren Humor, immer die volle Freiheit besass und zu vermitteln vermochte. Sie hätte so vieles für Sie entwertet, den Weg verkürzt, – wie viel im Sentimentalen, d.h. im Raum des Gefühls, des Seelischen, liegt, das habe ich seit 1950 gesehen. Mein grösstes Anliegen war nach Georgs Heimkehr, ihm so viel persönliche Positionen, nicht Potemkinsche Dörfer, echte Werte hinzustellen, zu pflegen, dass das Glück in Familie, Häuslichkeit, Aufrichtung eines neuen Heims und Hauses in Lilamor e. Äquivalent für die verlorene Macht, Einfluss, Auswirkung, Einsatz waren – dies Ventil war Ihnen versagt. Umso beglückender zu sehen, liebster Carl Schmitt, dass Sie einen anderen Weg in die Freiheit – über den neuen Mythos – fanden. – Und nun lassen Sie mich noch sagen, dass ein weiterer Meilenstein auf dieser Strasse die Begegnung mit Przywara wäre. Sie haben Recht, dass Sie Begegnungen nicht suchen. Ich weiss seit langem, dass was uns bestimmt, ist, uns findet. Aber wollen Sie mehr, wie diesen merkwürdigen Gruss, der, – ebenso 321 Carl Schmitt, Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel, Düsseldorf/Köln 1956. 322 Vgl. Marianne Kesting (Hrsg.), Herman Melville, Benito Cereno, Frankfurt 1972; Sava Klicˇkovicˇ, Benito Cereno – Ein moderner Mythos, in: Hans Barion u. a. (Hrsg.), Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, Erster Teilband, Berlin 1968, S. 265–275; Enrique Tierno Galvan, Benito Cereno oder der Mythos Europa, in: ebenda, S. 345–356.
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merkwürdig, über Rohan und Lilamor führt, – plötzlich aus Bayern nach Westfalen geht: Sie möchten kommen, Sie seien jederzeit erwartet. – Wir sind vom 1. Juli bis in den späten November in Lilamor. Am 25. August gehen wir z. „Jedermann“, Don Giovanni und Egmont nach Salzburg, anschliessend zu Schiele323 nach Niederösterreich, dann 3 Tage nach Venedig z. Biennale, quer durch Norditalien nach Genua, ital. – und französ. Riviera, mit Besuch Picassos in Vallauris, – d. Kapelle in Vence, die Matisse324 ausmalte, die Kirche von Assy mit Lurc¸ats325 Malereien, in der Haute Savoie (diese méaréants, Existentialisten, die Kirchen ausmalen müssen!!) über den Genfer See zurück. Das wird uns wohl etwa bis 15.9. von Lilamor entfernt halten. Wenn es zu dieser Fahrt, über Venedig hinaus, kommt? – Dieu seul le sait – Also September 2. Teil – Oktober –, wären herrliche Monate, im klaren Herbstlicht Lilamors. Aber auch im August – 1.–25.8. sind wir dort, falls dies Datum Ihnen besser f. e. 2–3 tägigen Besuch passt? Sie müssen sich soviel Zeit nehmen: m. Przywara brauchen Sie 2–3 Gespräche. Ihre Widmung im „Hamletbuch“326 ergriff mich sehr. Gibt es äussere Enttäuschungen – verschlossener „Machtzugang“, die dadurch nicht vielfach aufgewogen würden? Ihre Ihnen immer und immer dankbar verbundene L. S. M. 99. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14136
Glion s/Montreux-Suisse, 16.9.[1956] Schnitzler berichtet von einem Radunfall, von Lektüre von Przywaras „Augustin“ und Schmitts „Hamlet oder Hekuba“ und der „Würdigung“ von Schmitts Buch im Spiegel.327 323
Egon Schiele (1890–1918), österreichischer Maler. Henri Matisse (1869–1954), französischer Maler, den mit Picasso eine Künstlerfreundschaft verband. Die Kirche in Vence hielt er für sein Meisterwerk. 325 Jean Lurc ¸ at (1892–1966), französischer Maler und Teppichkünstler. 326 „An Frau Lilly von Schnitzler als Gruß und Zeichen von ihrem beständigen Freund, ihrem aufrichtigem Verehrer und ihrem dankbaren Gast. Frankfurt, 20. Juli 1956 Carl Schmitt 324
Deutschland ist Hamlet, sagt Freiligrath vor 1848, (S. 11) Europa ist Hamlet, sagt Paul Valery nach 1918 So geht ein Weg von Deutschland nach Europa, ihn geht ein Hamlet, keine Hekuba“ Herausgeber u. Verlag danken Jeannette und Nikolas Scholz für die Überlassung der Widmung.
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100. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14158
Murnau, bei Sonnenaufgang: 17.X.1956 Lieber Freund Carl Schmitt, Nun sind Sie abgereist, es sind genau 12 Std. her, 6 Uhr früh. Der Abschied fiel mir schwerer wie sonst. War es, weil diese Begegnung, dieser Aufenthalt in unserem neu aufgerichteten Heim und Leben, besondere Bedeutung besass, – oder weil ich dankbar und glücklich war, die im Vorjahr bei Ihnen verspürte Entspannung, Lösung, Erlösung bestätigt, fester gegründet und begründet zu sehen? Oder war es ganz einfach, weil mich Ihr Wesen, Ihre Wärme, Ihr Brennen, Ihre Hingabe – dies wundersame Vermögen eines ungeminderten Affekts, Enthusiasmus – glücklich machte, mich hinriss. Ich fühlte mich angesprochen, gesteigert, wie eh und je, durch Ihre Gegenwart. Kann es in den reifen Jahren Beglückenderes geben, als wenn alte Freundschaft sich derart immer neu erfüllt und erweist? Ja, dass wir in unserm Eigenstem durch sie immer wieder erkannt werden? – Ich hatte mir Ihren Besuch innig gewünscht, seit dem Tag, als ich – nahezu vor 2 Jahren – Duschkas Namen auf die Seite der Namenstafel in der Kapelle schrieb – derer, die „uns erleuchtet und geführt haben, weiter führen“ – Sie sollten sehen, wie hoch ich diese seltene und unvergessliche Frau stelle. Und nun waren Sie also da. Alles war schön in diesen Tagen, die allzu schnell vergingen. Für mich jedoch das Entscheidende, glauben zu dürfen, dass Sie Frieden gefunden, dass die Bitterkeit – ja eine gewisse Form einer zwingenden Vorstellung des Verfolgtseins – schwindet, dass Sie jene Heiterkeit und Ruhe nun finden, die wir uns für die späten Jahre wünschen. Die Auswahl des Gedichts Däublers,328 das Sie in Ihrer Widmung in dem herrlichen Band anführen: Ja, wer am Tag sein Eigenstes erfasst, der kann nicht tiefer schauen und weilen. Der fliegt nicht. Denn das All ist ohne Last. Und Ruhe wird ihn plötzlich übereilen. 327
Vgl. Die Mutter ist tabu, in: Der Spiegel vom 29.8.1956, S. 41 f. Theodor Däubler, Der Ausbruch, in: ders., Dichtungen und Schriften, hrsg. von Friedhelm Kemp, München 1956, S. 643–647, hier S. 644. Schnitzler hat die Zeilen. „Ja wer am Tag . . . plötzlich übereilen“ wörtlich übernommen. Bei dem Gedicht handelt es sich um einen Auszug aus Däublers großem Epos „Das Nordlicht“, dem Schmitt eine seiner ersten Veröffentlichungen (Theodor Däublers „Nordlicht“. Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes, München 1916) widmete. Dort rühmt er bereits das Gedicht (S. 17): „Die größte Zeit mittelalterlicher Mystik mit ihrer pantheistischen Tiefe und Schönheit lebt jugendlich und unberührt in dem Werke, in wunderbaren Strophen, wie denen des Gedichtes ‚Der Ausbruch‘ . . . .“ 328
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Wenn Sie in Lilamor diese Auffindung der Ruhe, „die uns übereilt“, gesucht haben, erfühlt, so ist das das grösste Geschenk, – Gastgeschenk, – das Sie mir machen können. Die Vorstellung dieser Ruhe beherrschte mich bei seiner Schöpfung, – bis in jede Bank, auf den kleinen Wegen. Wahrlich, dies Gedicht „der Ausbruch“ ist ein herrlicher Hinweis, eine gnadenreiche Deutung. Carl Schmitt, lassen Sie uns diesen Besuch zwischen uns zu guter, alljährlicher Gewohnheit hier werden, so lange uns der Vater im Himmel noch den Anblick dieser wunderbaren Schöpfung Seiner Erde vergönnt. Es dünkt mich, als sei ein köstlicher, neuer Abschnitt unserer beschwingten, beschwingenden, liebenden Freundschaft angebrochen. Immer Ihre L. S. M.
101. Carl Schmitt an Georg von Schnitzler Brief, 1 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg, 20/12/1956 Lieber Herr von Schnitzler, meine Weihnachts- und Neujahrswünsche für Sie und Ihre hochverehrte Frau verbinde ich mit der Übersendung dieses längst versprochenen (also kein echtes Weihnachtsgeschenk darstellenden) Buches „Verfassungslehre“. Wenn Sie gelegentlich darin herumblättern, werden Sie an manche auch heute noch nicht gelösten Fragen erinnert. Das Interessanteste an dem Buch ist sein Buch-Schicksal; 1928 veröffentlicht und 1954 unverändert von neuem gedruckt, mit einem unwahrscheinlichen Erfolg. Sollte sich wirklich in diesen 26 Jahren nichts geändert haben? Ich hoffe, daß Sie mit Ihrer Familie ein schönes Weihnachtsfest feiern und das Neue Jahr mit gutem Mut beginnen und zu Ende führen. Für Ihr Scheiben vom November mit Ihrer Stellungnahme zu dem Gutachten von Prof. Jos. Kaiser (Freiburg) zur Frage der Mosel Kanalisation,329 habe ich mich noch nicht bedankt. Ich hole das 329 Vgl. Ludwin Vogel, Deutschland, Frankreich und die Mosel. Europäische Integrationspolitik in den Montan-Regionen Ruhr, Lothringen, Luxemburg und der Saar, Essen 2001, S. 219–329. Carl Schmitt verfasste auf die Kanalisation ein Spottgedicht: „Gesang des alten Mosellaners 1957: die menschheit wird jetzt integriert die mosel wird kanalisiert das sakrament bleibt umgebogen dem laien bleibt der Kelch entzogen verborgen bleibt der liebe gott die ganze welt wird melting pot
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hiermit nach. Ihre Äußerung war mir sehr wertvoll und bestätigte meinen Eindruck. Ich bleibe diesseits und Jenseits aller Grenzen und Linien Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt
102. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14119
Frankfurt/M., 18. Januar 57 Mein lieber Carl Schmitt, mit Ihren freundlichen Weihnachtgrüßen und mit der Zusendung Ihres neu aufgelegten Buches über die Verfassungslehre von 1928 haben Sie mir eine große Freude gemacht. – Ich habe inzwischen den größten Teil des Buches gelesen und mein Wissen über staatsrechtliche Belange damit sehr erweitert. Was Sie vor 30 Jahren schrieben, ist von so starker Aktualität, dass es heute hätte geschrieben sein können und es ist nur zu berechtigt, dass die Neuauflage, wie Sie sagen, so großen Anklang findet. Es ist, als ob Sie seherisch die Labilität der heutigen verfassungsrechtlichen Lage vorausgesehen hätten und dies letztere ist mir erst durch die Lektüre Ihrer Ausführungen über das parlamentarische System voll zum Bewußtsein gekommen. In unmittelbarem Zusammenhang damit bin ich mit dem Vorgehen des „Alten von Rhöndorf“330 in diesen letzten Monaten eigentlich recht zufrieden, mir scheint, die Erfahrungen, die er in D’dorf und auf den Stuttgarter Parteitag gemacht hat, sind doch nicht spurlos an ihm vorübergegangen und man muß bei aller Objektivität eine Flexibilität trotz seines hohen Alter bewundern. Am Fall Eden331 muß man des weiteren feststellen, dass der „Alte“ doch wohl recht hatte, keinen „Kronprinzen“ zu bestellen. – Denn den alten Churchill muß es sicher heute wurmen, dass er seinem purchant fries am Etonboy-Typ nachgegeben und einen völlig unzureichenden Mann nach vorne geschoben hat. Auch bei der neuen Kabinett-Bildung in England scheinen die „Eton-Boys“ sich wieder überfordert
die automatik wird global dem laien reicht man veronal.“ Vgl. Schmitt. Briefwechsel mit einem seiner Schüler (wie Anm. 229), S. 232. 330 Konrad Adenauer. Auf dem 6. Bundesparteitag der CDU wurde ein neues Statut verabschiedet. In Düsseldorf führte der Bruch mit der FDP zum Sturz der Regierung von Karl Arnold. 331 Sir Antony Eden folgte am 6.11.1955 Churchill als Premierminister.
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zu haben und diese merkwürdige Schwäche der Engländer für den tadellos sitzenden cut mag ihnen noch teuer zu stehen kommen. – Überhaupt sieht die äußere Welt ordnungsreich aus und ich vermag den momentanen Optimismus vieler sog. Osteuropa-Kenner332 nicht zu teilen, die an eine ernstliche Schwächung des Sowjet-Regimes glauben. Uns selber geht’s nach Wunsch. Wir stehen in Begriff nach München zu fahren um dort zunächst eine sehr nette Verlobung nach vorheriger Konversion unserer Nichte Nadine von Mallinckrodt mit einem Baron Redwitz,333 Abt. Leiter bei Eurostahl-Essen – und daran anschließend Schachts 80. Geburtstag334 mitzufeiern. Daran anschließend in Freiburg/Br. eine weitere Geb.-Tags-Feier: Fürstin Hohenzollern335 und Besuch in Basel und Zürich. Dort Wiedersehen mit meinen alten aber noch voll im Business stehenden schweizerischen Gesprächspartner – Dr Koechlin336 und Eduard v. d. Heydt. Den ganzen Februar aber werden wir dann hier in Ffm. sein und es wäre eine große Freude Sie hier zu sehen. Mit freundschaftlichen Grüßen wie immer Ihr Georg S. 103. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Karte, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14132
o. O., o. D. [1957?] Zum Geburtstag, lieber Freund Carl Schmitt, treueste Wünsche und Gedanken. Oberheid telefoniert mich 3–4x pro Woche an, ich erfuhr von Animas Besuch. Ich freute mich f. Sie, Duschkas Tochter (sie sind e. Einheit bei mir) bei Ihnen zu wissen. Umst. Bild337 ist m. tägliche Erbauung. Von Herzen Ihre L. S. 332 Dies ist eine Spitze gegen z. B. Meissner, den Ostexperten des Auswärtigen Amts. Im Februar 1956 begann mit dem XX. Parteitag der KPdSU und der Abrechnung Chruschtschows mit Stalin die Tauwetter-Periode, die von manchen Beobachtern bereits als Ende des Kalten Kriegs gesehen wurde. 333 Philipp Ernst Max Josef Rudolf Maria Freiherr von Redwitz (23.3.1925), Abteilungsleiter bei Eurostahl-Essen, Heirat am 2.6.1957 mit Nadine von Mallinckrodt. 334 Hjalmar Schacht (1877–1970), Reichsbankpräsident, Reichswirtschaftsminister, der in Nürnberg als Hauptkriegsverbrecher angeklagt, aber in allen Punkten freigesprochen wurde. 335 Margarete von Hohenzollern. 336 Carl Koechlin (1889–1969), Delegierter und Verwaltungsratspräsident der Chemiefirma Geigy, Mitglied des Bankrats der Schweizerischen Nationalbank, Mitglied der Liberaldemokraten.
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104. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14159
18.11.1957 Schnitzler bittet um die Abschrift eines Gedichts, berichtet vom Verkauf („eine Art Stiftung“, zum ½ Wert) ihrer Beckmann-Sammlung an das Wallraf-Richartz-Museum in Köln und lädt Schmitt ein.
105. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14160
Frankfurt/M., Sonntag 6 Uhr früh 24.XI.57 Mein sehr lieber Carl Schmitt, Unser Gespräch ging mir in den Nachtstunden nach. Ja, Frischzellen, Gesichtsoperation, Sputnik, es ist nur eine Gradfrage des Sündenfalls; wir pfuschen dem Schöpfer und Herrn aller Dinge eben ins Handwerk. – Daneben scheint mir der Geschlechts- oder gar der Liebesakt – nur einen schlechten Vorspann haben leisten zu müssen von je, im christlichen Sündenbegriff. Ich habe den als solchen nie als sündhaft ansehen können, wenn wir nicht uns in eine Abhängigkeit, Hörigkeit dieses Natur gegebenen Triebes oder, in Zusammenhang mit demselben, in die eines Menschen begeben. – An sich ist er weder gut noch böse, ebenso wenig wie Hunger oder Durst, die auch nur „böse“ werden, wenn sie in eine Völlerei oder Sucht, – Trunksucht –, ausarten. Ob in oder ausser der Ehe geübt, ist es doch nur eine Frage des persönlichen Ethos wie wir ihn gestalten, in unser Leben einbauen? Mit diesem spontanen und paganen Lebensgefühl bin ich geboren, habe so gelebt und kann diese Ur-Schau auch nicht ändern. Daneben gibt es den „ordo“, den e. grosse und ehrwürdige Institution wie die Kirche aufgerichtet hat, der m. E. wesentlich sozialen Charakter hat, e. Ordnungsmoment ist. Wie weit ein kanonisches Recht göttliches Recht ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Im Falle des Verstosses gegen diesen „ordo“ habe ich im Beichtstuhl es immer Gott anheim gegeben, zu entscheiden, und habe bereut, aus tiefstem Herzen, – womit immer, ich Seine Majestät beleidigt, oder gegen Sein Gesetz verstossen zu haben mag? Dass die Kirche heute, wo dem Leibe im Säkularisierungsprozess, eine neue Bedeutung gegeben, wo er von der mittelalterlich-christlichen Auslegung des „Gefässes der Sünde“ befreit ist durch seine Anerkennung im Sport, die fast heidnische 337 Es handelt sich um Max Beckmann, Meeresstrand (Wallraf-Richartz-Museum Köln), eine Schenkung von L.v.S. an Köln.
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Pflege seiner Schönheit, – mit ihrer Interpretation und Forderung dem Geschlechtsakt gegenüber, nicht noch die gebildete, noch die weniger gebildete Jugend halten und befriedigen kann, ist ja weithin sichtbar. Ebenso ist die rigorose Handhabung d. Unlöslichkeit der Ehe unhaltbar geworden. D. kanonische Recht müsste da andere Regeln ausarbeiten unter eiserner Beibehaltung des Prinzips. Soweit dieser Aspekt, sind wir wohl einig? Nicht aber kann ich Ihnen folgen, was d. Priesterzölibat anbelangt. Ich finde dies e. weise und absolut notwendige Institution. Ich kann nicht beurteilen, wie die Priesterehe sich in der griechisch-orth. Kirche in der Praxis ausgewirkt hat, – d. protestantische Pfarrhaus war in vielen Fällen meiner Erfahrung abschreckend, während gewiss die Pfarrhausköchin auch kein erhebendes Beispiel ist. Aber das Prinzip der Möglichkeit echter Begegnung, echter Liebeserfahrung, durch die jeder nicht ganz asketisch und dem vollkommenen Opfer zugeneigte Mensch wohl hindurch gehen sollte, ist für den Weltpriester nicht verschlossen, während er andererseits nicht der Belastung mit der fatalen Intimität, Promiskuität des ehelichen Zustandes, der Belastung mit Familie Familiensorgen, Verantwortung f. leibliche Kinder ausgesetzt ist. Man kann nicht Vater vieler, einer Gemeinde, sein, wenn man um eigene, u. Eigenes, sich täglich annehmen muss. – Matrone und Hetäre waren für die Frau schon eine vielfach weise Zweiteilung, bei der Jede zu ihrem Recht und Ansehen kam. Heute sind die „Legitime“ und die „Sekretärin“ ja auch Ausfluss der gleichen Schwierigkeiten; unter normalen, heutigen Arbeitsbedingungen in Familie und Haushalt, auch noch die geistige Gefährtin, die Kameradin für das Berufsleben des Mannes, mit dessen Inhalten, – dazu auch noch die anziehende, gepflegte Geliebte zu sein. – Lieber Carl Schmitt, Sie haben an Duschkas Seite diese Klippen vermeiden können – haben Sie bewusst vermieden, in einer weisen Handhabung, die aber keineswegs generalisiert werden kann und zu der auch solche Partnerin gehörte. – Ich bin also doch für das Priester-Zölibat, und habe nirgendwo bisher eine peinliche, chokante Begegnung mit e. engstirnigen, lebensfremden Priester gemacht. Im Gegenteil, ich staune, (in Deutschland und Frankreich jedenfalls) – wie verständnisvoll im Gespräch, im Beichtstuhl, die Priester sind, auch für Rebellen wie mich, – für ungewöhnliche Situationen, frage mich, woher ihnen dieses Verständnis für komplizierteste, subtile Situationen und Standorte kommen? Viel schlimmer sind Regel oder Dogma – nicht die menschliche Verständnislosigkeit, die gewiss, je nach der Artung oder Engstirnigkeit, vorhanden ist, – aber erstaunlich selten geworden. Jesuiten, Benediktiner, Kapuziner, Dominikaner sind, als Menschen angesprochen, m. Erfahrung nach, überraschend menschlich – unterliegen nur den Geboten der Kirche in ihren Forderungen. Also selbst der Ordensmann hat Fantasie genug für die menschlichen Nöte, erst Recht aber der nur zölibatäre Weltpriester.
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Ich musste doch meine Auffassung noch einmal verteidigen . . . Sündenbock? Das ist e. alttestamentarische Definition. Warum sagen Sie nicht Opferlamm? Finden Sie es, metaphorisch gesehen, nicht e. hohe Auszeichnung Opferlamm sein zu dürfen, als Letzter u. Bedeutendster im Reiche des Geistig-Intellektuellen übrig zu bleiben, um die Sühne zu leisten? Glauben Sie nicht, dass man es so sehen kann, sollte, um der inneren Haltung und aus eigener Lebenskunst dazu? – In der Biographie Edith Steins,338 deren Lektüre ich gerade beendete, haben viele jüdische Konvertiten, Ordensleute, den gewaltsamen Judentod freiwillig als Sühne, einmal für die Schuld ihres Volkes am Messias, – z. Andern f. die deutsche Blutschuld – geleistet. Wir haben, Georg und ich, Nürnberg und Landsberg schliesslich gern auf uns genommen, um unser Teil an Sühne zu leisten. – Ich glaube in d. Bereitschaft zu dieser Einstellung liegt der Schlüssel. Darum ergreift und bewegt mich der Tod des armen Diels339 so sehr, weil er diesen Weg ins Freie nicht fand, es ist das „Sesam öffne Dich“ für den Christen. – Hat Christus uns das Opferlamm – Sündenbock – nicht vorgelebt? Es soll nicht vermessen klingen, Ihn hier anzuführen, – Keyserling sagt: „es kommt alles darauf an, jede Situation mit ihrem positiven Vorzeichen zu versehen.“ Immer und dankbar Ihre L. S.
106. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Karte, 1 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14130
o. O., o. D.340 M. lieber Freund C. S., wenn ich Sie recht verstehe, werden Sie also am 29.–30.X. d.h. Oktober, nicht nach Kaiserswerth kommen? Ich schlug O[berheid] vor, dass wir nur à 5 bei ihm essen wollten, – Georg, ich – Hausleute, vielleicht noch Barion, aber e. Begegnung wie oft – ohne Beziehung auf 70. Wir sind alsdann im Rheinland. Man sollte doch keine Gelegenheit z. Wiedersehen ungenutzt lassen, unbeschadet Ihres Besuches in Frankfurt im November Ganz Ihre L. S. 338 Edith Stein (1891–1942), katholische Religionsphilosophin und Ordensfrau jüdischer Abstammung, die in Auschwitz ermordet wurde. 339 Rudolf Diels starb 1956 bei einem Jagdunfall. 340 Die Karte zeigt vermutlich Lilamor und ist ungefähr auf August/September 1958 zu datieren.
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107. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14161
6.10.1958 Schnitzler regt ein Treffen um den Reformationstag bei Oberheids an, auch um auf Schmitts 70. Geburtstag anstoßen zu können.
108. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 3 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14162
20.12.1958 Weihnachtsgrüße der Schnitzler an Schmitt mit Erwähnung der Geburtsanzeige von Beatriz Isabel Duschka, der Tochter von Anima Schmitt.
109. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14163
16.2.1959 Schnitzler regt ein Treffen mit Schmitt in der Woche vom 23.02. bis 01.03.1959 an.
110. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14164
Frankfurt/M. 4.III.59 Lieber Freund Carl Schmitt, Ihr ergreifender Brief ist wahrhaft der eines Wehrlosen. Wüsste die Öffentlichkeit heute dass der „Zyniker“ C. S., dem sie kalten Opportunismus in den 30er Jahren nachweisen möchte – ein solch verwundbarer, mit dünnster Schutzhaut ausgestattener Geist ist – ein Mensch zartesten Gemütes. – Nun, einige von uns, und ich glaube, es sind mehr wie Sie meinen, wissen es! Ich würdige diese Einwände gegen Bonn und Frankfurt341 vollauf. – Mir geht es, unter anderen Aspekten derart mit Berlin, wo ich nie wieder war, seit 1943, als in jener Novembernacht Berlin unterging.342 341 Einwände Schmitts gegen Bonn als Sitz der neuen Regierung, und Frankfurt als Sitz der Universität und des Instituts für Sozialforschung. 342 Schnitzler meint hier die Zerstörung ihres Berliner Hauses am 23.11.1943.
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Am 12. Oktober ist Pater P[rzywaras] 70. Geburtstag. Auch er wird nur von einem sehr kleinen Kreis, gemessen an seiner Bedeutung, umgeben sein: D. kleine Festessen wird in Lilamor stattfinden. Rohan wird kommen. Kennen Sie Behn343 aus Bonn; er scheint sich um e. Festschrift zu kümmern? Ich würde vorschlagen, dass Sie vor oder nach diesem Datum einige Tage in Lilamor bleiben. Mitte Oktober ist dort eine herrliche Zeit, die Luft stärkend, das Licht glasklar. Kann man so lange im Voraus planen? Ich habe es von je und eh, – mit gutem Erfolg. Ein alter indischer Spruch sagt: „Vorstellung schafft Wirklichkeit“. Seien Sie meiner steten, warmen liebevollsten Verbundenheit und – meines Einfühlens versichert, – erheben Sie sich jedoch, der Frühling kommt – Anima ist zufrieden – ein Enkelkind Duschkas geboren. Das Leben ist immer wieder reich und lebenswert. Immer getreulichst L. S. M.
111. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14165
20.3.1959 Schnitzler äußert ihre Enttäuschung, dass Schmitt nicht gekommen ist und bietet ein neues Treffen an. Sie erwähnt ihre geplante Südamerikareise nach Brasilien und einen Artikel gegen Ivo Andric´.
112. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14166
22.7.1959 Erneute Einladung zu Pater Przywaras Geburtstag am 12.10.1959.
343 Siegfried Behn (1884–1970), katholischer Philosophie- und Pädagogikprofessor in Bonn, er gab 1959 die Festschrift für Przywara heraus („Der beständige Aufbruch. Festschrift für Erich Przywara, S. J.“, Nürnberg 1959), in der auch Schmitt einen Beitrag hatte („Nomos – Nahme – Name“, S. 92–105), den er als Ergänzung zu seinem „Nomos der Erde“ ansah.
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113. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14135
11.9.1959 Wiederum Einladung zu Pater Przywaras Geburtstag am 12.10.1959. Dabei erwähnt sie Besuche Barions und Animas bei Schmitt.
114. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 579-545
Plettenberg, 15.9.1959 Liebe und verehrte Frau von Schnitzler, gut, dass Sie mir einen so milden und liebevollen Brief geschrieben haben! Ich hätte mich längst melden sollen, aber es geht mir durchaus nicht so gut, wie es Frau Oberheid (wohl unter dem Eindruck einer schönen Geburtstagsfeier im Juli) Ihnen erzählt hat. Ich plage mich mit einer verschleppten Lungenentzündung und kann keine Reise ohne Begleitung machen. Bei Oberheid frage ich gleichzeitig wegen des 12. Oktober an. Von der Festschrift zum 70. Geburtstag344 habe ich keine Silbe gehört, obwohl ich, vor einem Jahr, meinen schönen Beitrag pünktlich – wahrscheinlich als Erster – abgeliefert habe. Weder Korrektur (trotz höflicher Bitte um solche) noch sonst etwas. Aber ich kenne die Schicksale von Festschriften! Die vor einiger Zeit zu meinem 70. Geburtstag erschienene345 (rein fachlich verfassungsjuristisch) hat ebenfalls das Schicksal alles Grossen und Edlen geteilt, nämlich schon in der Wiege von bösartigen Verfolgern bedroht worden zu sein. Aber Was böser Menschen Hass erfand Dies Buch zu unterdrücken Das machte Gott der Herr zuschand Um es zu recht zu rücken. Als sie aufs Klügste griffen an Da fand er eine andre Bahn Und liess die Festschrift glücken. Ich sehe täglich mehr, wie wenig ich den Tod Dusˇkas verwunden habe; auch das entzückende Enkelkind kann mich nicht darüber hinwegbringen. 344
Festschrift für Erich Przywara, vgl. oben, Anm. 343. Hans Barion/Ernst Forsthoff/Werner Weber (Hrsg.), Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, Berlin 1959. 345
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
Mit unbeschreiblicher Dankbarkeit richten sich meine Erinnerungen auf Ihre schöne Gedenk-Kapelle in Lilamor; wie wunderbar haben Sie dadurch einen vereinsamten Menschen getröstet! Wenn ich mich mit Oberheid verständigt habe, schreibe ich Ihnen Näheres. Inzwischen alle guten Wünsche für Ihre Erholung in dem schönen Vorarlberg und herzliche Grüsse Ihres alten und getreuen Carl Schmitt 15/9/59
115. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 5 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14137
26.9.1959 Nochmals die Einladung zu Przywaras Geburtstag. Schnitzler sieht im Leben von Przywara, Rohan, Georg Schnitzler, Oberheid u. Schmitt eine „Schicksalsanalogie“. Sie lädt auch Barion ein, Schmitt zu begleiten.
116. Georg von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14120
Frankfurt/M., 13.Dezember 59 Mein lieber Carl Schmitt, zu meiner lebhaften Freude kommt es nun doch noch im alten Jahre zu der Ehrung für Sie im kleinen Kreise, die Oberheid für Sie organisieren will. Sie war für den Anfang des Monats geplant und Lilly und ich hatten beide unsere Teilnahme daran zugesagt. Nun muss ich aber doch Lilly das Kommen nach D’dorf allein überlassen. Trotz meines ziemlich fortgeschrittenen Lebensalters habe ich eben doch noch mehr „appointments“ als man eigentlich mit 75 haben sollte und diese betreffen nun gerade meine Aufgaben, die mit meinem alten hobby: Iberische Welt zusammenhängen. – Eine gewisse Parallelität zu Ihnen selber, die Sie ja Ihre einzige Tochter nach Spanien verheiratet haben. Sie haben von Lillys und meiner gemeinsamen Reise nach Brasilien letzten Frühjahr gehört. – Es ist schade, dass Sie dies Jahr nicht nach „Lilamor“ kommen konnten, wir hätten so vieles darüber erzählen können. Heute sei nur erwähnt, dass wir den Tropen gesundheitlich gänzlich unangefochten widerstanden – eine übrigens in den letzten Jahrzehnten wiederholt bestätigte Erfahrung, dass kurze Aufenthalte in den Tropen für ältere Menschen keineswegs eine Gefährdung, sondern einen
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Auftrieb bedeuten – als ob die kontinentale Wärme die altgewordenen Organe seelischer und körperlicher Art direkt aufwärme und erneuere. Eben im Zusammenhang mit diesen iberischen Dingen muß ich Weihnachts-Veranstaltungen der deutsch-ibero-amerikanischen Gesellschaft in Ffm., zu deren Präsidium ich mich vor 2 Jahren habe breitschlagen lassen, präsidieren und sie fallen gerade auf den 18. und 19.12. Trotz meines Fernbleibens von D’dorf nehme ich aber im Geist mit allen und guten Wünschen an der Ehrung vom 19.12. teil. Was Sie als Staats- und Völkerrechtler geleistet haben, ist aere perennius und die zeitgebundenen Schwierigkeiten, die Ihnen zuteil wurden, fallen langsam dem Vergessen anheim. Ich selbst werde es immer als dankbare Beglückung empfinden, dass der erste Krieg, der für uns beide so viel bessere Erinnerungen hinterlassen hat, als der zweite, uns im G.Kdo I b. A.K. zusammenführte. Die Stadt München steht für mich noch immer unter dem Aspekt der G.Kdo. Tätigkeit und mein Lebensweg würde mich bestimmt nicht so hoch in der Wirtschaft geführt haben, hätte ich nicht die Disziplin des G.K. und den geistigen Austausch mit Ihnen erfahren. – Als, glaube ich, einziger meiner nächsten kaufmännischen Collegen war ich dadurch der Enge entwachsen, die nun einmal ein Correlat des Wirtschaftlers in der Praxis zu sein scheint, der sich viel zu früh des abstrakten Denkens entwöhnt. – Heute wird es mir manchmal schwer, noch schwierige abstrakte Dinge mir einzuverleiben und in den heutigen Gesprächen mit unserem gemeinsam verehrten P. Przywara muß ich leider stets wieder feststellen, wie gering mein Wissen verglichen an dem seinigen und an dem Ihrigen ist. In Gedenken an dies alles drücke ich Ihnen ergebenst die Hand als Ihr stets freundschaftlich ergebener Georg Schnitzler
117. Carl Schmitt an Georg von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg, 29.12.1959 Lieber Georg von Schnitzler! Sie haben mir einen so schönen und tröstlichen Brief geschrieben, wie ihn eben nur ein Altersgenosse schreiben kann. Im kommenden Jahre 1960 werden es 45 Jahre, dass wir uns kennen – welch ein langer Weg und welche Fülle der Erinnerungen! Aber auch welche Einsamkeit angesichts dessen, was man heute die „unbewältigte Vergangenheit“ nennt, um uns zu bewältigen und des (nur uns zugänglichen, eigentlichen) Arcanums dieser
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
schicksalsreichen Jahre zu berauben. Es sind nur Wenige übrig geblieben, die wir als „Gleiche“ anerkennen können. Wir sollten uns nicht beklagen. Sogar der scheinbar so glückliche alte Goethe (sein ganz besonderes, uns erst heute verständliches Glück war es, dass man damals, nach 1815, noch nicht so ent-bonapartisierte, wie man heute entnazifiziert!) also dieser erfolgreiche, weise, alte Goethe schreibt wörtlich den Satz: „Der Alte (sic! Nicht etwa: Das Alter) verliert eines der grössten Menschenrechte; er wird nicht mehr von seinesgleichen beurteilt“.346 Statt dessen werden wir von jugendlichen Rückverfertigern und alten Umschaltern beurteilt. Aber ich will mich hüten, bitter zu werden und Ihnen lieber auf Ihren Brief antworten, indem ich Ihre Wünsche auf das herzlichste erwidere. Über den Abend im Hause Oberheid wird Ihre Frau Ihnen berichtet haben; sie selber hat eine unbeschreiblich schöne, ergreifende Ansprache gehalten, die alle Anwesende aufs tiefste gerührt hat. Wie ich aus einem Schreiben des P. Przywara347 entnehme, ist sie jetzt wieder in Lilamor. Ich hoffe, dass Sie ein schönes Weihnachtsfest gefeiert haben und das Neue Jahr gut beginnen. Mein Plan, Sie in Frankfurt zu besuchen (Lilamor wäre mir doch zu weit), halte ich fest; ich nehme an, dass Sie Ende Februar-Anfang März dort sind und darf mich um diese Zeit nochmals bei Ihnen melden, um etwas zu verabreden. Dass Sie noch immer so grosse Interessen haben und sogar den Ozean noch überqueren, bewundere ich aufrichtig. Es entspricht Ihrem grossen Lebensstil, der mich stets beeindruckt hat. Im Rückblick vom Alter her sieht man die Linien des Lebens deutlicher in Ihrer Kontinuität, als in der Aktivität des jugendlichen Eifers. Diese Kontinuität hat etwas Beruhigendes und lässt einen zusammenhängenden Sinn des individuellen Lebens ahnen, den man sonst schmerzlich vermisst. Vielleicht interessiert Sie der erste Satz der beiliegenden Besprechung einer führenden spanischen Zeitschrift, wegen des schönen vollsaftigen Wortes „lozania“,348 das ich noch nicht kannte, das Ihnen aber, als Präsident einer Ibero-Amerikanischen Gesellschaft geläufig sein wird. Ich will es mir gleich aneignen, um Ihnen und Ihrer verehrten Frau für das kommende Jahr diese „plena lozania“ von ganzem Herzen zu wünschen! Stets Ihr alter und getreuer Carl Schmitt
346 Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, aus Kunst und Altertum 1826. 347 Erich Przywara, Brief vom 23.12.1959 (Arch. Prov. Germ. S.J., Abt. 4–182, E1261). 348 Lozania = Frische.
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118. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Karte, 1 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
o. O., 5.7.1960 Diesen lächelnden Propheten Daniel habe ich während meines Aufenthaltes in Santiago de Compostela (Mai–Juni 1960) täglich besucht; jedes Mal mit dem heftigen Wunsch, Ihnen, liebe und verehrte Frau von Schnitzler, zu erzählen, was ich durch ihn erfahren habe. In einer Stadt wie Santiago lese ich in den alten Steinen wie in einer Biblia Pauperum. Vor 50 Jahren schwärmten wir für den Bamberger Reiter. Heute hat mir dieser lächelnde Daniel unendlich mehr zu sagen; sogar mehr als die beiden herrlichen Statuen der Ecclesia und der Synagoge im Strassburger Münster, mehr auch zu demselben Thema: Kirche und Synagoge! Herzliche Grüsse Ihres alten Carl Schmitt 5/7/1960
119. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg 7/7/60 Hochverehrte, liebe Frau von Schnitzler, Ihr Brief vom 2. Juli macht mich stolz auf meine Generation. Ich ahnte leider nichts von dem Fest Ihrer goldenen Hochzeit und komme nun mit meinen Glückwünschen zu spät. Aber wenn ich Ihren Lebensweg und Ihr Lebenswerk überblicke, befällt mich ein unbändiger Stolz. Das ist ein schöner Triumph, und wir brauchen uns vor den Ex-Post-Besserwissern nicht zu fürchten. Es ist einfach grossartig, und ich freue mich sowohl für Sie, liebe und verehrte Frau von Schnitzler, wie für Georg, dass Ihnen die unwiderlegliche Bestätigung eines solchen seltenen Festes zuteil geworden ist. Unsere Freundschaft ist jetzt beinahe ebenfalls der Jahreszahl einer goldenen Feier nahe, doch wäre es unfromm, auch nur einige Jahre in die Zukunft hinein zu rechnen. Dagegen konnte ich in Santiago den Tag meines goldenen Doktorjubiläums stilgerecht begehen (24. Juni 1960). Ich hatte nämlich an diesem Tage im Jahre 1910 an der damals deutschen Universität Strassburg summa cum laude promoviert.349 In Deutschland ist es üblich, bei diesem Anlass das Doktordiplom zu erneuern; aber die sog. TraditionsUniversität für Strassburg ist oder war Frankfurt, heute eine Verfolger-Zen349 Carl Schmitt promovierte mit einer Arbeit „Über Schuld und Schuldarten. Eine terminologische Untersuchung“, Breslau 1910 bei Fritz van Calker am 24.6.1910. Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 43), S. 32–36.
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trale. Ein französischer, junger Strassburger Freund, Max-Weber-Übersetzer und begeisterter Kenner meiner Schriften,350 agrégé an der dortigen Universität, wollte in Strassburg etwas organisieren, aber ich habe ihn gebeten, das zu unterlassen, um nicht der Meute einen neuen Anlass zu liefern. So kam es in Santiago de Compostela zu einer schönen „conmemoria“. Anima hat sich natürlich besonders darüber gefreut. Sie erwartet für Ende Juli ihr zweites Kind. Das erste – Beatriz-D – ist entzückend und macht mir die Rolle des „abuelo“ zu einem grossen Vergnügen. Ich könnte mir denken, dass Georg ebenfalls nicht ohne Begabung für eine solche Rolle ist. Ich war über 2 Monate in Santiago. Leider werden die Rückfälle des Wirbelknochenleidens, das mich schon im ersten Weltkrieg plagte, immer heftiger und schmerzhafter. Das Reisen ist für mich eine wahre Qual. Momentan ruhe ich von der Rückreise aus, hoffend, dass ich Ihrer gütigen Einladung für den Oktober folgen kann. Natürlich waren Anima und Alfonso sehr traurig, dass ich nicht bleiben wollte. Beim Abschied sagte Anima „ich weiss wohl, warum Du nicht bleibst; wir können Dir hier alles bieten, was Du in Deutschland hast, nur nicht Deine Feinde“. Das ist es. Diese Situation ist fesselnd, und das wunderbare Glück der geistigen Zeugung bleibt doch zu sehr an die eigene Sprache gebunden. Anima hat zwar eine Übersetzung von Ex Captivitate Salus veröffentlicht,351 die von den Sachkennern – wie Julian Marias,352 oder Luis Diez del Corrals353 so vollkommen gepriesen wird, dass sie gar nicht mehr als „Übersetzung“, sondern als Original-Spanisch wirke, aber wenn Sie im Sommer einmal eine Stunde Zeit haben, dann lesen Sie doch bitte das neulich (im Seewald-Verlag Stuttgart) erschienene Buch: Das Erbe Adenauers, von Rüdiger Altmann,354 und Sie werden sicher meine Freude an solchen geistigen Weiterwirkungen mitempfinden. Oft habe ich mich an Ihr schönes Haus Lilamor und die rührende Kapelle erinnert. An Rohan musste ich (wegen seines herrlichen Ronchamp-Aufsat350 Julien Freund (1921–1993), französischer Politologe und Soziologe, Mitglied der Resistance, von R. Aron promoviert, lehrte er an den Universitäten Straßburg, Brügge und Montreal. Vordenker der Nouvelle Droite. Vgl. Günter Maschke, Erinnerung an Julian Freund, in: Sezession 25, 2008, S. 32 f. 351 Carl Schmitt, Ex captivitate salus. Experiencias de los años 1945–1946, Santiago de Compostela 1960. Das von Schmitt auf 1958 datierte Vorwort ist übersetzt in: Schmittiana 2, 1990, S. 79 f. u. 140 ff. 352 Julián Marias Aguilera (1914–2005), spanischer katholischer Philosoph, befreundet mit Ortega y Gasset; unter der Franco-Diktatur konnte er in Spanien keine Professur erhalten, weswegen er in den USA lehrte. 353 Luis Díez del Corral (1911–1998), spanischer Jurist und Politologe an der Universität Madrid. 354 Rüdiger Altmann, Das Erbe Adenauers. Stuttgart-Degerloch 1960.
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zes in der Przywara-Festschrift)355 lebhaft denken, als ich den Valle de los Caidos besuchte (mit Don Luis Diez del Corral und seiner entzückenden, malitiösen Frau). Hoffentlich sehen wir uns also im Oktober! Ihrer Beckmann-Tagung wünsche ich fruchtbaren Verlauf. Ich bleibe stets Ihr alter und getreuer Carl Schmitt
120. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., o. O., o. D., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14128
[1962] [Der erste Teil, eine Seite, des Briefes fehlt!] Schnitzler sendet Geburtstagswünsche.
121. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 1 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
Plettenberg-San Casciano, den 3. November 1962 Liebe, hochverehrte Lilly von Schnitzler, zum Allerseelentag war ich in Arnsberg, um das Grab des in diesem Jahre verstorbenen Landesforstmeister Böckenförde356 zu besuchen; dann ging ich noch zum Grabe Dusˇkas und meiner Eltern. Dieses Jahr hat viele Freunde und Bekannte vorangehen lassen. Dass Georg unter ihnen war,357 hat mir meine Einsamkeit am stärksten zum Bewusstsein gebracht. Ich bin kein guter Briefschreiber mehr. Umso tiefer rührt mich jede Zeile von Ihnen. Auch wenn ich nicht gleich antworte und lange schweige, bleiben Sie treu und geduldig mit mir. Ich führe viele Gespräche mit Ihnen in Gedanken – irgendwo werden Sie gehört und vernommen. Immer Ihr alter und getreuer Carl Schmitt 355 Karl Anton Rohan, Besuch in Ronchamp, in: Der beständige Aufbruch (wie Anm. 343), S. 83–92. 356 Landesforstmeister Josef Böckenförde in Arnsberg. Sein Sohn Ernst-Wolfgang Böckenförde, der Staatsrechtler und spätere Richter am Bundesverfassungsgericht, stand ab den späten 50er Jahren in Kontakt mit Carl Schmitt, ebenso sein Bruder, der katholische Theologe, Kanonist und Domkapitular Werner Böckenförde. 357 Georg von Schnitzler verstarb am 24.5.1962 in Basel.
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
122. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14167
Murnau, 7.XI.62 Mein Freund Carl Schmitt, Wie ich dies Epithat, Ihren Namen, an diesem November-Frühmorgen, 5 ½ Uhr, wo ich, wie üblich seit 1945, bei Morgengrauen, sogar nächtlicher Dunkelheit, am Schreibtisch sitze, – niederschreibe, kommt mir das Bewusstsein, dass wir Beide tiefer denn je zusammengehören; wir, die Zurück-Gebliebenen. Vor mir steht auf m. Schreibtisch, neben Georgs Bild, Duschkas. Jenes, kurz vor ihrem Tod, das ernste und das lächelnde, die wunderbaren Augenbrauen, liegend, wo ihre Haarfülle, das mädchenhafte Gesicht von überirdischer Süssigkeit – (ein Wort, das im gesunden Leben sich nie auf die etwas strenge Architektur, Geschlossenheit, v. Gesicht und Frisur anwenden liess) – umrahmen. Leiden u. der tiefe Ernst, der doch wohl Grundzug ihres Wesens war, – bezeichnen das eine, – eben jenes süsse Lächeln in Augen und Mund das andere. – Sie haben es mir zu Weihnachten 1951 gesandt mit dem Widmungswort: Die Toten wollen uns sagen, dass sie uns weitertragen. Ich habe es aus einer Lade mit Photos, Briefen wieder hervorgeholt, denn nun geht es auf d. 1. Adventssonntag zu, – 4 Wochen vor Max Beckmann, – 1 Jahr nachdem Georg zu Weihnacht 1949 heimkehrte, – schloss sie ihre beseelten, unvergesslichen Augen. Und wie grossartig muss ihr Sterben gewesen sein. Ich bin so sehr beschäftigt vom Sterben, vom „guten Tod“, vom guten Ende, seitdem ich Georg und meine liebste Freundin Margarethe358 dahin gehen sah. – Als d. Ärztin Ethes mir, aus heiterem Himmel, d. Hoffnungslosigkeit des Totalkrebses telefonierte, der Mitte September festgestellt wurde, nachdem sie seit 28. Juli krank war, war ich entschlossen m. ganze Planung auf ihre Pflege einzustellen, eventuell auf Monate, zu ihr auf ihr Häuschen, nahe Freiburg, zu ziehen. Rohan, dem ich dies schrieb, antwortete: „welch grosse Aufgabe Ihrer liebsten Freundin b. Sterben helfen zu dürfen“. Als ich 4 Tage nach ihrer Operation, 3.X., – eben am 7.X. ankam, war sie so ausschliesslich beansprucht von den unaufhörlichen Manipulationen, – e. nahezu pausenlosen Erbrechen, dass nur wenige Minuten an ihrem Bett in d. Freiburger Klinik, – kein kontinuierliches Gespräch, – möglich waren. E. gequälte Kreatur, die mit letzter Kraft versuchte, mit den grausamen Beschwerden, von Sekunde zu Sekunde, fertig zu werden. Sie klagte nie, 358
Margarete von Hohenzollern-Sigmaringen.
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lächelte, hob die Hand, winkte, – bei ihren Kindern stellte sie kurze Fragen nach deren Ergehen, – über Tod, Abschied, Glauben, sprach sie kein Wort, – der ihr befreundete Hauskaplan der Familie brachte ihr jeden Morgen d. Hostie, die sie schweigend nahm, – am letzten Tag bat er sie die 3 jüngsten Kinder zu segnen, – sie tat es mechanisch. – Bis 1 Woche vor ihrem Tod, 16.X. sprach sie mit der befreundeten Ärztin nur über d. Erkrankung, deren Wesen sie ergründen wollte, m. d. sichtlichen Wunsch dringend, zu leben? – Georgs Situation war in den 6 ½ Tagen nach d. Operation, bis z. Ende, ganz die gleiche; d. Mensch wird in solcher Lage der Freiheit beraubt und seine ganze Substanz richtet sich, soweit sie noch d. Ausrichtung fähig, – darauf würdig, beherrscht, klaglos, diese furchtbare Prüfung zu bestehen. D. Auseinandersetzung m. Gott, dem Sterben, muss vorangehen, aber dann schweigt der Mensch. – Ich weiss von Oberheid, dass Duschka mit seltener Souveränität ihr Ende gestaltete, welche Kraft! Ich wüsste gern noch mehr von ihren letzten Lebenswochen und schaue ihre Bilder um Aufschluss an? Ihre Zeilen vom 3.X. erreichten mich gestern. Vielen Dank. Ja, auch ich las am Allerseelen Tag in der kleinen Kapelle auf unserem Grund, „Gott z. Ehre, den Toten u. den Lebenden“, schrieb ich 1954, da ich sie Georg z. 70. Geburtstag schenkte, über den Eingang, – die Namen, die 1962 der Namenstafel hinzufügte . . . Ausser Duschka, Elisabeth Langgässer, steht nun Margarete v. Hohenzollern, Herzogin zu Sachsen, auf der linken Seite des Kreuzzeichens, dort wo die Namen derer verzeichnet sind, die mich erleuchteten, „führten“. . . Bisher waren nur Duschka u. die Langgässer dieser Bezeichnung, Auszeichnung würdig – innerhalb meines weiblichen Kreises, – nun kam Margarethe dazu. – Rudolf Alexander Schroeder359 ging im August auch dahin – Wann sehen wir uns wieder? Es war e. bittere Enttäuschung, dass Sie u. Oberheid absagten – Beide aus Gesundheitsgründen. Ich bleibe bis Beginn Januar hier, – will e. völlig stillen, zurückgezogenen Advent, hier begehen. – Margarethes Verlust, Sterben hat alles neu bluten machen; nun brauche ich wieder Zeit um m. Gleichgewicht zu finden. Aber wie final ist der Abschied, wie gewandelt das Lebensgefühl fortan, u. gewiss für alle irdische Zeit, – wenn man den Kameraden e. glücklichen, zutiefst verbundenen Alltags, verliert . . . Meine persönliche Welt war mir heil erhalten geblieben, trotz allem, – solange Georg bei mir war. Nun ist sie unvollkommen, an der Wurzel verändert . . . Pater Przywara, der seit nahezu 1 Jahr in d. qualvollsten Verdunkelung, in einer seiner depressiven Krisen seiner Gemütskrankheit (die ja Erbanlage), – abmüht, um wieder ans Licht zu finden, spricht nie vom Tode, Ende, sondern nur von der Verwandlung. Das Wort ist mir tröstlich. 359
Rudolf Alexander Schröder starb am 22.8.1962.
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
Im Januar kehre ich n. Frankfurt zurück. Im späten Winter wollen Rohan und ich e. Fahrt durch Westfalen, das er nicht kennt, machen. Wir kämen nach Plettenberg. – Inzwischen empfangen Sie e. Waldkranz zum 1. Adventsonntag für Duschkas Grab; es ist mir so ums Herz, dass ich ihr diesen Kranz, in diesem Jahr schicken möchte. Sie schreiben nichts von Ihrer Gesundheit – von Anima – wo werden Sie zu Weihnachten sein? Immer Ihnen verbunden, – wobei Georg als Dritter, unverändert mit uns ist, – Ihre L. S. M.
123. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
[o. O.], 18.12.1962 Liebe, hochverehrte Frau von Schnitzler, der schöne, große Waldkranz ist am 2. Dezember angekommen; ich habe ihn zum Grab Dusˇkas gebracht und die 1. Adventskerze angezündet. Soviel ich mich erinnere, habe ich Ihnen das auch gleich am 3. oder 4. Dezember mitgeteilt. Vielen herzlichen Dank für Ihre Karte! Ich werde das Weihnachtsfest hier einsam verbringen und zu serbisch-orthodoxen Weihnachten (am 6. Januar) einen jugoslawischen Freund360 in Hamburg besuchen. Was Sie mir von P. Przywara schreiben, bewegt mich tief. Wann kommen Sie aus den Winterferien, mit Rohan, den ich gern einmal wieder sprechen möchte. Ich habe gar kein Weihnachtsgeschenk für Sie, das tut mir so leid. Der beiliegende spanische Vortrag ist meine Erwiderung auf eine Rede von Dr. Manuel Fraga Iribarne, im Frühjahr dieses Jahres in Madrid.361 Ich habe einige Zeilen angemerkt, die Sie lesen möchten, wenn Sie einmal Zeit und Ruhe haben: An Georg muß ich viel denken; der Streit um die EWG362 beschäftigt und erregt mich sehr und ich habe niemand, mit dem ich sprechen kann. 360
Sava Klicˇkovic´ (1916–1990), ehemaliger Doktorand Schmitts. Carl Schmitt wurde am 21.3.1962 Ehrenmitglied des Instituto de Estudios Politicas in Madrid. Die Rede des Direktors Manuel Fraga Iribarne „Carl Schmitt, el hombre y la obra“ ist erschienen in: Revista de Estudios politicos 122, März/April 1962, S. 3–15. Dort (S. 19–36) ist auch Schmitts Vortrag „El orden del mundo después de la Segunda Guerra mundial“ abgedruckt. Der deutsche Text des Vortrags ist erschienen in: Schmittiana 2, 1990, S. 11–30 und 79 f. 361
Briefwechsel 1919 bis 1977
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Aber das sind angesichts meines Alters törichte Anwandlungen und es ist nicht nur frömmer, sondern auch klüger sich zufrieden zu geben. Ein schönes Weihnachtsfest und ein gutes Neues Jahr wünscht Ihnen in treuen Gedanken Ihr alter, unveränderlicher Carl Schmitt 18/12/62
124. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U. LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14168
Murnau, 29.6.65 Wo mögen diese Zeilen Sie, lieber Carl Schmitt, antreffen? Sie werden zu den Sommerwochen mit Anima und den Enkel rüsten? Es ist gut, dass Santiago Compostela so weit nördlich in Spanien liegt, – eine grüne Insel der ganzen Provinz –, sodass auch Juli-August dort gewiss erträglich sind? Im Alter gewinnt die Familie, – besonders die Enkel, ja eine immer stärkere Bedeutung nichtwahr? Den Anstoss zu diesem Gruss der Treue, liebster Freund C. S., gaben mir ein Gespräch mit meinem 2. Enkel Seefried Ferdinand, 20 ½ J, der Architektur studiert, – über den Partisanen,363 – zum zweiten auch Artikel,364 der so merkwürdig zweigesichtig, der aber so viel Anerkennung des grössten deutschen Staatsrechtlers enthält, dass Sie ihn lesen sollen. Peter Beckmann, der einzige Sohn des Malers, Mediziner, schickte ihn mir um m. Verehrung und Freundschaft für Sie wissend. Ferd. entwickelte von sich aus, e. ähnliche Theorie über konventionelle Kriegsführung oder Guerillakrieg, e. Frage, die ja durch Vietnam-Vietkong aktueller denn je, ist. Ich habe leider den „Partisan“ in meiner Frankfurter Bibliothek, ich hätte ihn ansonsten F. gern geliehen. Ob Sie ein übriges Exemplar für diesen sehr lebendigen, gar nicht konformistischen j. Menschen hätten! Ref. Ferd. Seefried Klingsorstrasse 10 II. App.21 München 61 362 Es ging dabei um Englands Beitritt zur EWG und die Zahlungen in den Agrarfond. Frankreichs Landwirtschaft sollte geschützt werden. 363 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1963. 364 Manfred Friedrich, Unvereinbar: Recht und Macht. Die gefährlichen Lehren des Juristen Carl Schmitt, in: Die Welt vom 24.6.1965, S. 327. Es handelt sich um die Rezension des Buches „Legitimität gegen Legalität“ von Hasso Hoffmann.
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
Er sollte für seine These einen soliden Unterbau haben; er neigt zu Schlagworten. Ich bin wieder in Lilamor seit Pfingsten. Nach e. Kur im Veneto, Montegrotto – Abano, b. m. gebrochenen Stieder. Ich fuhr anschl. nach Ravenna, das ich nicht kannte. Sahen Sie je die Herrlichkeiten dieser sonst bescheidenen, reizlosen Stadt. Die Zeugnisse hellenisch-romanischer byzantinischer Kunst und Haltung insbes. der frühchristlichen, sind über Maassen, schön und ergreifend; die feinen Mosaiken, aus winzigen Steinen, nahezu alle auf Goldgrund, mit nichts Ähnlichem, – Hagia Sophia oder San Marco, Venedig, – zu vergleichen. – Lilamor stürzte mich in Kälte und Regen, das Moor war wieder in seinen Urzustand eines Sees verwandelt. – Seit einigen Tagen ist endlich warmes Sommerwetter. Wir rüsten z. Jahresversammlung der Beckmann-Gesellschaft, für die ich in Lilamor stets einen Empfang, 50– 60 Personen, auch e. Reihe von Personen aus dem Rheinland – gebe. – Im August bin ich zu Festspielen in Salzburg u. Bayreuth, wo ich junge Neffen, Nichten, Enkel, stets mit hinnehme, um sie mit Mozart, Wagner vertraut zu machen. In Salzburg belege ich stets 1 Woche lang d. Vorlesungen der Hochschulwochen, – die ich mit Rohan besuche. Leider ist Pater Przywara, seit 2 ½ Jahren, unverändert schwer gemütskrank. Sein altes, zyklisches Leiden, claustrophobie, Verfolgungswahn, u.s.w., das aber nun nicht mehr weichen will, weil die Abwehrkräfte im Alter (72) geschwächt sind. – In Österreich verbringe ich dann 10 Tage m. d. glücklichen Seefriedfamilie, 4 Kinder, Gabriele baute ein Strandhaus in Mallorca, wo ich 14 Tage mit ihr u. Mann u. 3 Kindern, – zu Ostern verbrachte; nachher noch 2 Wochen in Madrid, wo ich immer wieder auf Sie angesprochen werde! Ende September plane ich nach England zu fliegen, wo in der Tate Gallery, London, die bisher umfassendste Ausstellung – in N. York, Museum of Modern Art zusammengestellt, – Beckmann’s. d. spröden Engländer gewinnen, überzeugen soll. In Lilamor habe ich seit 12 Jahren, auch 1965 wieder, 3 Künstlerzimmer: ein Grieche, ein Böhme, in Salzburg malend (Hradil), – ein Berliner – alles Maler.365 Lilo mit Söhnen wohlauf. Manfred d. 2. Sohn, Referendar, steht in d. Doktorat in Würzburg, (Prof. Raschhofer),366 macht dann d. Assessor, – ist leidenschaftlicher Jurist, was Georg in jungen Jahren auch war. Der Ältere in d. Industrie. 365
Rudolf Hradil (1925–2005), 1965 Stipendiat der Max-Beckmann-Gesellschaft. Hermann Raschhofer (1905–1979), Völkerrechtler, Berater von Karl Hermann Frank, dem Staatsminister beim Reichsprotektor Böhmen und Mähren, NSDAP-Mitglied, vielfältige Kontakte zu NS-Kreisen in Böhmen und der Slowakei, ab 1952 Professor in Kiel, ab 1956 in Würzburg. Vgl. Samuel Salzborn, Zwischen Volksgruppentheorie, Völkerrechtslehrer und Volkstumskampf. Hermann Raschhofer als Vordenker eines völkischen Minderheitenrechtes, in: Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts 21, 2006, H. 3, S. 29–52. Vgl. Manfred Scholz, Die Behandlung der Goa-Frage durch die Vereinten Nationen, Diss. Würzburg 20.07.1970. 366
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Ich verliere leider meine Frankfurter Wohnung, weil d. gut gebaute Haus, 1880, e. Hochhaus weichen soll . . . ich wohnte 20 Jahre, davon 12 mit Georg, darin! Ebenso geht mein treues Diener-Ehepaar, – sie Köchin-Beschliesserin, er Diener-Gärtner, 1966 in Ruhestand. Auch sie waren 20 Jahre unsere Gefährten. Beide Tatsachen belasten den kommenden Winter . . . Nun, Gott wird weiter helfen, wie Er es bisher stets tat. – Die Welt ist so wirr und bedrohlich, wie kaum je – überall Kriege, Bürgerkrieg, Probleme, – bei voller Beschäftigung der Industrie doch diese schlechten Kurse, die das Budget unter Druck setzen! So, lieber Freund, nun hat. d. Zeitungs-Gespräch mich zu solch langem Bericht verführt! Vielleicht haben die Nachrichten Sie ein wenig interessiert? Wann sehen wir uns wieder? Ich entbehre es stets, wenn wir uns allzu lange nicht sprechen konnten. Oberheid schreibt müde; ich meine, die wirtschaftliche Arbeit hat ihn überfordert? Mit 1000 guten Wünschen immer und immer, Ihre getreue L. S. M.
125. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland unpaginiert
Plettenberg-San Casciano, den 1. Juli 1965 Liebe, sehr verehrte Frau von Schnitzler, voller Bewunderung für Ihren ungebrochenen élan vital und tief gerührt von Ihrer treuen Erinnerung, benutze ich den Antrieb, den Ihr Schreiben mir gibt, um sofort mit einer Zeile zu antworten. Jede Einzelheit Ihres Berichtes interessiert und beschäftigt mich. Für Ihre schönen Sommerpläne wünsche ich Ihnen von Herzen Glück und Gesundheit und Freude an Ihren Kindern und Enkelkindern. Was Sie von Ravenna schreiben, rief viele Erinnerungen an einige Tage der Karwoche 1932 in mir wach, die ich dort verbracht habe.367 Mich hat eine 14 tätige Pfingstreise nach Freiburg und Heidelberg über die Grenzen meines psychosomatischen Potenzials belehrt. Ich musste sie machen, um zwei alte Freiburger Freunde nochmals zu sehen, und in Heidelberg der Witwe meines im April verstorbenen Freundes Richard Sie367 Das Paralleltagebuch weist dazu einen Eintrag auf (S. 409), das Tagebuch selbst erwähnt Ravenna nicht. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (wie Anm. 119), S. 409.
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
beck368 (des Internisten; er war mit seiner Frau auf Animas Hochzeit 1957) einen Condolenzbesuch zu machen; auch, um am Grabe Max Webers (das nicht weit vom Grabe Richard Siebecks auf dem Bergfriedhof in Heidelberg liegt) einen Sühnekranz niederzulegen.369 Vielen Dank Ihnen und Peter Beckmann für den Besprechungsaufsatz in der „Welt“.370 Wenn Sie sich für solche Konjunkturen meines Rufes und meines Namens interessieren, müssten Sie eigentlich auch einen Bericht371 über die am vorigen Samstag (26. Juni) in Paris in der Sorbonne stattgefundene soutenance de thèses eines Strassburgers Julien Freund kennen lernen, der den „Begriff des Politischen“ verteidigte, unter dem Vorsitz von Raymond Aron. Dass nun auch Ihre erinnerungsreiche Frankfurter Wohnung in der Windmühlenstrasse vom Golem verschlungen wird, tut mir weh. Heinrich Oberheid und Frau erwarte ich für die Mitte Juli hier; auch Anima kommt zu Besuch. Für den Prinzen Rohan füge ich (als Dank) einen wichtigen Aufsatz Barion’s bei; eine fabelhafte Wiederaufnahme eines unter demselben Titel in der Europäischen Revue Juliheft 1933 veröffentlichten Aufsatzes.372 Dieses Heft von 1933 heute zu lesen ist aufregender als jede heutige Revue. Die Abhandlung über die „Theorie des Partisanen“ lasse ich Ihrem Enkel durch den Verlag übersenden. Hat es Sinn, an P. Przywara zu schreiben? Sin más por hoy Ihr alter, getreuer Carl Schmitt
126. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14170
Murnau, o. D. [06.07.1968] Schnitzler gratuliert zum 80. Geburtstag. 368
Vgl oben, Anm. 223. Schmitt betrachtet sich auch als Schüler Max Webers. 370 Vgl. Anm. 364. 371 Die Welt vom 26.6.1965. 372 Hans Barion, Kirche oder Partei? Der Katholizismus im Neuen Reich, in: Europäische Revue 9, 1933, S. 401–409; ders., Kirche oder Partei? Römischer Katholizismus und politische Form, in: Der Staat 4, 1965, S. 131–176. In beiden Aufsätzen nimmt Barion auf Carl Schmitt Bezug. Die Aufsätze sind auch abgedruckt in: Hans Barion, Kirche und Kirchenrecht. Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Werner Böckenförde, Paderborn u. a. 1984, S. 445–508, besonders 454 f., 464 ff., 468 ff., 493 und 497. 369
Briefwechsel 1919 bis 1977
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127. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Karte, 1 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
19.07.68 Vielen Dank, liebe und hochverehrte Frau von Schnitzler, für Ihren wunderbaren Geburtstagsbrief, der mich hier erreichte und aufs tiefste gerührt und beglückt hat. Ich habe den Geburtstag in dem umstehenden Ihnen bekannten Hostal de los Reyes Católicos mit einigen Freunden und Verwandten unter Ausschluss jeder manipulierten Öffentlichkeit wie ich glaube würdig gefeiert. Hoffentlich ist es mir vergönnt, Sie einmal wieder zu sehen. Anima und ihren 4 Kindern geht es gut; alle lassen herzlich grüssen. Ich bleibe in treuer Erinnerung Ihr alter Carl Schmitt Saludos afectuosos Anima
128. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs., m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14169
Murnau, 25.XI.68 Lieber Freund Carl Schmitt, Sie werden nun schon etliche Tage wieder in das friedliche Haus a. Brockhauser Weg heimgekehrt sein. Die Erinnerung an den 19. Oktober, die so warme Betreuung der Hausfrau im Hause Oberheid, – an die würdige edle Feier, die der Lebensfreund Heinrich Oberheid für Sie richtete, wird in Ihnen nachklingen. – Ich höre noch im Ohr die unvergleichliche Rede Barions, die ein rhetorisches Kunstwerk war. Sie stand durchaus im Mittelpunkt der Feier, denn sie fasste biographisch Ihr Leben, – und andernteils Ihr Lebenswerk, eindringlich zusammen. Welche Gründlichkeit, Genauigkeit – die summarische Feststellung der „säkularen“ Gewichts-Bedeutung Ihrer Lehre und Schriften, – zuletzt der Hinweis auf die Irrfahrten des Odysseus, – die, wie Sie mir einmal in Berlin erklärten, z. Pluralismus Ihrer Schau und Ihres Wesens gehörten. Und dann jenes Wort Tennyson373 von den „fetten Jahren“ des alten Odysseus. Ich möchte glauben, dass Tennyson Recht hat, wenn er das Alter 373 Lord Alfred Tennyson (1809–1892), Ulysses. Schmitt selbst wählte für die zweite ihm gewidmete Festschrift ‚Epirrhosis‘ (wie Anm. 323) ein Gedicht Tennysons.
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
für uns als eine Ernte des reifen Getreides und des fetten Viehs bezeichnet. Ich hörte mit Freude Ihre Darstellung von Animas erfüllten, harmonischen Daseins, mit 4 Kindern, an, – von dem wunderbaren Santiago de Compostela, wo die schönste Kirche der Christenheit, in dem regenreichen Tale des grünen Flusses steht. – Und der Segen einer Freundschaft und der Verehrung der Schüler.374 Rohan sagte mir, auf unserer Autoheimfahrt nach Oberbayern, wo er noch 2 Tage in Lilamor blieb, dass Sie in Aussicht stellten, im Sommer – Herbst 1969 einmal zu ihm kommen zu wollen, wo wir ein Treffen haben könnten? Möchte uns dieses geschenkt werden. In Treue und Dankbarkeit Ihrer gedenkend, lieber Carl Schmitt – Georg dabei einbeziehend, Ihre L. S. M. Lange leben, heisst gar Vieles überleben. Geliebte, gehasste, gleichgültige Menschen, Königreiche, Hauptstädte, ja Wälder und Bäume, die wir jugendlich gesät und gepflanzt. Wir überleben uns selbst und erkennen, durchaus dankbar, wenn uns auch nur einiges Leben des Leibes und Geistes übrig bleiben. Alles Dieses Vorübergehende Lassen wir uns gefallen Bleibt uns nur das Ewige, Jeden Augenblick gegenwärtig, So leiden wir nicht an der vergänglichen Zeit. Aus Goethes Briefen 1823 Für Carl Schmitt, z. 80. Geburtstag. L. S. M.
374 Schmitt verbrachte seinen 80. Geburtstag bei seiner Tochter Anima in Santiago de Compostela. Die Feier in Deutschland fand am 19.10.1968 mittags im Industrie-Club Düsseldorf statt, abends traf man sich dann bei Oberheid. Vgl. Mehring, Carl Schmitt (wie Anm. 43), S. 539 f.
Briefwechsel 1919 bis 1977
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129. Carl Schmitt an Lilly von Schnitzler Brief, 1 S., hs. m. U., Max-Beckmann-Archiv, München
21.2.1977 Liebe verehrte, Frau Lilly von Schnitzler, unser Telefon-Gespräch von gestern abend war für mich ein unerwartetes Geschenk. Ich schicke Ihnen hier die Seiten, die Frau Ernst Jünger (Gretha von Jeinsen) 1955 veröffentlicht hat.375 Tout ce qui arrive est adorable – dieser Satz von Léon Bloy376 ist vernünftiger als Hegels Satz: alles was ist, ist vernünftig.377 Stets Ihr alter Carl Schmitt 21. Februar 1977
Anlage: Gretha von Jeinsen, Silhouetten, S. 172–175
130. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 6 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14171
25.2.1977 Schnitzler dankt für das Porträt Duschkas aus der Feder von Gretha v. Jeinsen und huldigt ihr überschwänglich.
131. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 4 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14172
12.4.1977 Schnitzler schreibt von Oberheids schwerer Krankheit und wünscht von Schmitt ein Treffen, „ein schicksalhaftes Zusammensein“.
375 Gretha von Jeinsen, Duschka, in: dies., Silhouetten. Eigenwillige Betrachtungen, Pfullingen 1955, S. 172–175. 376 Vgl oben, Anm. 167. 377 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts [= Werke Band 7], hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1986, S. 24: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“
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Lilly von Schnitzler / Carl Schmitt
132. Lilly von Schnitzler an Carl Schmitt Brief, 2 S., hs. m. U., LAV NW, Abt. Rheinland, RW 265-14173
28.4.1977 Schnitzler bedauert Schmitts Absage eines Treffens in Düsseldorf und kündigt einen Tagesbesuch in Plettenberg an, wenn sie Oberheids Auto bekäme.
Abb. 4: Vorderseite der Postkarte: Villa von Schnitzler, Westendstraße 41, Frankfurt am Main. Rückseite: Lilly von Schnitzler: Sic transit gloria mundi . . . z. Erinnerung an die Gespräche am Kamin. für Carl Schmitt † 12. IX. 44. Siehe Karte Nr. 64, Seite 189. (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 579-401).
Die Bibliothek Carl Schmitts Von Martin Tielke* „Die fata libellorum und die fata ihrer Leser gehören auf eine geheimnisvolle Weise zusammen.“1
Über private Gelehrtenbibliotheken gibt es eine umfangreiche Literatur. Sieht man aber näher hin, so wird man feststellen, dass diese Literatur rapide abnimmt, je näher man der Gegenwart kommt. Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen ganz überwiegend frühneuzeitliche Bibliotheken. Nur vergleichsweise wenige Arbeiten finden sich über besondere Sammlungen von Wissenschaftlern aus dem 19. Jahrhundert. Das 20. Jahrhundert schließlich ist kaum vertreten. Das hat natürlich seine objektiven Gründe. Im 18. Jahrhundert verschwand der Typus des Universalgelehrten, dessen letzter Vertreter in Deutschland vielleicht Albrecht von Haller war. Die fortschreitende Differenzierung der Wissenschaften und das Anwachsen der Literaturproduktion ließen eine universale Kompetenz einfach nicht mehr zu. Jetzt schlug die Stunde des Fachgelehrten, der sich, ob er wollte oder nicht, immer weiter spezialisieren musste und der doch schließlich auch sein Fach nur noch in einem stets kleiner werdenden Ausschnitt überblickte. Max Weber hat die Verarmung, zu der diese objektive Bereicherung des Wissens für die Wissenschaftler führt, mit einer berühmt gewordenen Formel umschrieben: „Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz“. Der Prozess hat seine Entsprechung in der Bibliotheksgeschichte. War es in der frühen Neuzeit noch üblich, dass der Gelehrte sich bei seiner Arbeit * Ich danke Gerd Giesler für die Ermutigung, das Thema anzugehen sowie für vielfältige Unterstützung. 1 So formuliert Carl Schmitt in dem ominösen „Waschzettel“ zu seinem Leviathan-Buch, abgedruckt u. a. in: C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols. Mit e. Anh. u. e. Nachw. d. Hrsg. [Günter Maschke], Köln-Lövenich 1982, S. 244. – Vgl. Carl Schmitt an Ernst Jünger vom 23. Januar 1955: „Den Teil meiner Bibliothek, den die Amerikaner 1945 beschlagnahmt und mir 1952 zurückgegeben haben, habe ich im Dezember 1954 an das Antiquariat Kerst in Frankfurt verkauft. Traurig, aber schließlich konnte ich es nicht anders einrichten. Schließlich ist es auch natürlich, dass die Schicksale der Bücher den Schicksalen der Menschen folgen.“ (Ernst Jünger/Carl Schmitt, Briefe 1930–1983. Hrsg., komm. u. mit e. Nachw. von Helmuth Kiesel, Stuttgart 1999, S. 267 f.).
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primär auf die eigene Bibliothek stützte und die Universitätsbibliothek, wenn überhaupt, nur ergänzend heranzog, so wurde das im 19. Jahrhundert zunehmend unmöglich. Ein schönes Beispiel hierfür liefert der Historiker Leopold von Ranke. Er machte den nachgerade heroisch anmutenden Versuch, ohne die öffentliche Bibliothek auszukommen, und ist damit grandios gescheitert. Seine Privatbibliothek nahm derartige Dimensionen an, dass schließlich in allen Räumen seiner großen Wohnung die Wände nicht nur mit Bücherregalen bis an die Decke versehen, sondern auch fünf Zimmer damit so gefüllt waren, dass Regale magazinartig im Raum standen. Zudem waren die Bücher auf den einzelnen Regalböden in Zweier-, ja sogar in Dreierreihen hintereinander aufgestellt.2 Da kein Katalog existierte und auch der größte Geist nicht alle Titel einer so umfangreichen Bibliothek im Kopf haben und sogleich zuverlässig lokalisieren kann, da obendrein die häufig wechselnden Amanuenses des berühmten Professors mehr verwirrt als orientiert waren, führte das schließlich dazu, dass Ranke sich in seiner eigenen Bibliothek nicht mehr zurechtfand und die öffentliche Bibliothek in Anspruch nehmen musste, obwohl er die benötigten Bücher doch selbst besaß. Über eine Gelehrtenbibliothek ähnlichen Ausmaßes verfügten später nur noch ganz wenige Menschen, etwa der mit Carl Schmitt befreundete Nationalökonom und Soziologe Werner Sombart, der in seiner Grunewald-Villa unvorstellbare 30 000 Bände beherbergte.3 Für die jüngste Zeit wäre der Schmitt-Schüler Reinhart Koselleck zu nennen, dessen Bibliothek erstaunliche 18 000 Bände umfasste.4 Private wissenschaftliche Bibliotheken sind, im Unterschied zu öffentlichen Bibliotheken, an die endliche Existenz ihres Besitzers gebunden. Wenn Erasmus in seine Bücher schrieb: „Sum Erasmi nec muto dominum“ (Ich gehöre dem Erasmus und wechsele nicht den Herrn), so war das mit dem Eintritt seines Todes Makulatur. Ein neuer Herr setzt neue Regeln. Seine geistigen Interessen mögen denjenigen des Vorbesitzers ähnlich sein, identisch sind sie nie, und so lösen sich Bibliotheken gewöhnlich früher oder später auf. Die Bücher werden zumeist verkauft. Idealerweise bleibt die Sammlung geschlossen erhalten, wie im Fall der Ranke-Bibliothek, für die der amerikanische Käufer, die Universität Syracuse im Staate New York, sogar ein eigenes und ziemlich pompöses Gebäude errichtete. Die Bibliothek von Werner Sombart verkauften die Erben nach Japan, wo sie in 2 Bernhard Hoeft, Das Schicksal der Ranke-Bibliothek (Historische Studien, 307), Berlin 1937, S. 9, 13. Der genaue Umfang der Ranke-Bibliothek ist nicht bekannt, die Schätzungen liegen bei 16 000 Bänden. 3 Vgl. den Bericht seines Sohnes: Nicolaus Sombart, Jugend in Berlin 1933–1943, 6. Aufl., Frankfurt a. M. 2001, S. 52 ff.; sowie den Katalog: Katalog der Werner-Sombart-Bibliothek in der Städtischen Universität Osaka, [Tokyo] 1967. 4 Vgl. Reinhard Laube, Zur Bibliothek Reinhart Kosellecks, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 3, 2009, H. 4, S. 97–112.
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der Universitätsbibliothek von Osaka ein neues Domizil fand. Reinhart Kosellecks Bibliothek ist heute im Marbacher Literaturarchiv untergebracht. Diese Beispiele bilden jedoch die Ausnahme. In den meisten Fällen ist die Geschlossenheit der privaten Sammlungen nicht zu wahren, und die Bücher werden stückweise an den Mann oder die Frau gebracht, d.h. die Bibliothek wird in alle Winde verstreut, oder – um es positiv zu formulieren – die Bücher tauchen in den an Überraschungen reichen, schon die Autoren der Antike faszinierenden Kreislauf des Habent sua fata libelli ein. Eine private Bibliothek ist freilich auch schon zu Lebzeiten ihres Besitzers an dessen kontingente Existenz gebunden, und diese steht nach wie vor unter dem Wort des Apostels Paulus: „Wenn sie sagen Friede und Sicherheit, dann kommt plötzliches Verderben über sie.“ Auch über dem wohlsituierten Hüter der Bibliothek schwebt – wie niemand besser wusste als Carl Schmitt – die Ausnahme als stets gegenwärtige, die Kruste alltäglicher Mechanik plötzlich durchbrechende Möglichkeit. Unverfügbarkeiten des Schicksals, individuelle Schläge wie überindividuelle Katastrophen oder ganz einfach nur neue Lebensorientierungen oder ein banaler Wechsel der Interessensgebiete des Besitzers können leicht auf private Bibliotheken durchschlagen und dazu führen, dass die Bücher auch schon zu Lebzeiten des Sammlers in jenen Kreislauf gelangen. Dann nämlich, wenn er sich zu – freiwilligen oder unfreiwilligen – Verkäufen entschließt oder auf andere Weise – Geschenk, Diebstahl, Nicht-Rückgabe verliehener Exemplare – Bücher seine Bibliothek verlassen. Die spezifische Prägung, die der Urheber der Sammlung gegeben hat, und die ebenso Aufschluss gibt über seine eigene Prägung, ist damit verwischt; der Spiegel, den eine Bibliothek für ihren Besitzer darstellt, und in dem gerade das erkennbar wird, was ein gewöhnlicher Spiegel nicht zeigt, ist zerbrochen. Dieser Spiegel ergibt sich im Übrigen nicht allein durch das, was der Sammler erwarb und besaß, sondern auch und vor allem durch die Form seiner Besitzergreifung und Aneignung, dadurch, wie er mit den Büchern umging, sie erschlossen und sich erarbeitet hat. Die Ranke-Bibliothek war am Ende selbst für ihren Besitzer unbrauchbar, da keinerlei Findmittel existierte. Dagegen ist die Bibliothek etwa des Kunsthistorikers Aby Warburg für den über die Nachwirkung der Antike Arbeitenden von unschätzbarem Wert schon deshalb, weil ihr Begründer über die bloße formale Verzeichnung der Titel hinaus auch die Inhalte der Bücher und Zeitschriften detailliert und kompetent mit einem gedruckten Katalog erschloss.5 Carl Schmitt war eine Generation jünger als Werner Sombart und hat eine vergleichbar große Bibliothek nicht besessen; auch an den Umfang der 5 Catalog of the Warburg-Institute-Library. University of London, 2. ed., vol. 1–12, suppl. 1, Boston/Mass. 1967 und 1971. Das Verzeichnis weist 110 000 Titel nach.
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Bibliothek von Reinhart Koselleck reicht die seine bei weitem nicht heran. Die im Nordrhein-Westfälischen Landesarchiv in Düsseldorfer aufbewahrte Bibliothek Schmitts umfasst rund 3 400 Bände Monographien; dazu kommen noch einmal etwa 2 700 Sonderdrucke sowie ein Bestand an Zeitschriften, der im gedruckten Nachlassverzeichnis nicht weiter spezifiziert ist. Schaut man sich diese Bücher näher an, so wird man schnell bemerken, dass die meisten Titel nach 1945 erschienen sind, die Bibliothek mithin überwiegend erst in den letzten vier Lebensjahrzehnten Schmitts entstanden ist. Tatsächlich handelt es sich bei der nachgelassenen Bibliothek um die Sammlung des späten Carl Schmitt, des von der offiziellen Wissenschaft abgeschnittenen Plettenberger Privatiers. Was die Bibliothek des berühmten Professors in Amt und Würden angeht, also den Bestand bis 1945, so ist sie in Düsseldorf nur in Resten noch erhalten. Das hat natürlich seinen Grund in der politischen Geschichte und den Kontingenzen der Biographie. Carl Schmitt wurde annähernd hundert Jahre alt. Ein solches Leben ist allein schon durch seine Länge reich an Wechselfällen. Hinzu kommt, dass dieses Leben mit dem 20. Jahrhundert zusammenfiel, einer Epoche des globalen Weltbürgerkrieges, durch die sich wie durch wenige zuvor eine Blutspur ideologisch begründeter Gewalt zieht. Wie für seinen Freund Ernst Jünger gilt auch für Carl Schmitt, dass er mit seinem langen Leben Zeuge dieses seines Jahrhunderts ist und sich dessen Gewaltgeschichte nicht entziehen konnte, wobei er auch nicht nur passives Objekt war. So hat er – im Unterschied zu dem konsequent sich verweigernden Jünger – sich heftig mit dem NS-Regime eingelassen und dabei seine Unschuld verloren. Wie er dafür nach 1945 zu büßen hatte, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass der für Carl Schmitt schmerzlichste Verlust nächst dem des Lehrstuhls derjenige seiner Bibliothek war. Als sie am 18. Oktober 1945 von der amerikanischen Besatzungsmacht beschlagnahmt wurde, war sie über 25 Jahre hinweg relativ kontinuierlich gewachsen und gezielt vermehrt worden. Im Kontrast zu dem unruhigen, ja hektischen Leben ihres Eigentümers war sie in ruhiger, lang anhaltender und systematischer Sammlungsarbeit entstanden und verkörperte das Resultat geradezu vorbildlichen bibliothekarischen Bestandsaufbaus. Sie stand auf dem Höhepunkt ihrer Geschichte, sowohl qualitativ wie quantitativ. Für ihren Umfang zu diesem Zeitpunkt gibt es voneinander abweichende Angaben. Eberhard von Medem, der vor 1945 enger Mitarbeiter Schmitts war und dessen Haus „fast wie ein Elternhaus“ ansah, mithin einen guten Einblick gehabt haben dürfte, meint 1988, dass die Bibliothek etwa 3 300 Bände umfasste.6 Dagegen spricht der Legal Adviser der amerikanischen 6 Eberhard von Medem, Der wissenschaftliche Nachlaß von Carl Schmitt. Information über Inhaltsübersicht und Zugangsmöglichkeit des im Hauptstaatsarchiv
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Militärregierung, Karl Loewenstein, von „approximately 5 000“ Bänden, wobei er die Sonderdrucke, die nochmal einen großen Umfang hatten, ausdrücklich unberücksichtigt ließ.7 Loewenstein hat seine Angabe nach einer genauen Inspizierung am 4. Oktober 1945 zwecks Übernahme durch die amerikanische Militärregierung gemacht und das wenige Tage später schriftlich festgehalten, während von Medem aus einem Abstand von über 40 Jahren spricht und wohl nur seine mehr oder weniger zuverlässige Erinnerung an die Wohnung Schmitts wiedergibt. Vielleicht noch zuverlässiger als Loewensteins Angabe dürfte die Zahl sein, die von dem neuen Besitzer der Bücher genannt wird: Der Bibliothekar der Legal Division bei der amerikanischen Militärregierung, Lt. H. O. Witten, spricht am 10. Januar 1946 von „approximately 4 500 books and pamphlets“.8 Dem entsprechen die Angaben, die sowohl von amerikanischer wie von deutscher Seite bei der Rückgabe der Bibliothek 1952 gemacht werden (vgl. dazu unten). Dabei ist jedoch zu bedenken, dass Carl Schmitt infolge der Ausbombung 1943 einen Teil seiner Bibliothek nach Plettenberg geschafft hatte, der den Amerikanern nicht in die Hände fiel. Der Gesamtumfang seiner Bibliothek muss mithin zum Zeitpunkt ihrer Beschlagnahme bei deutlich mehr als 4 500, wahrscheinlich bei rund 6 000 Bänden gelegen haben. Nun ist, einmal abgesehen von den unterschiedlichen und auch unterschiedlich praktizierten Arten der Zählung – Titel oder Bände?, nur Monographien oder auch Sonderdrucke?, Zeitschriftenhefte oder Zeitschriftenjahrgänge? –, bei den Zahlenangaben für Bibliotheken zu bedenken, dass man mit ihnen nur Ignoranten beeindrucken kann; sagen sie doch noch gar nichts aus über die Güte einer Sammlung. Die Ranke-Bibliothek war vor aller Quantität durch ihre Qualität bedeutend. In ihr befanden sich sehr umfangreich die Quellen, über die der Historiker gearbeitet hat. Ein derartiges qualitatives Niveau gilt für viele private Bibliotheken, deren Eigentümer ja in der Regel ein sehr spezifisches und nachdrücklich verfolgtes Interesse haben. Das gilt insbesondere auch für die Bibliothek Carl Schmitts, wobei Düsseldorf lagernden Bestandes, in: Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaft Speyer. Hrsg. von Helmut Quaritsch, Berlin 1988, S. 25. Für das Zitat „fast wie ein Elternhaus“ vgl. Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, München 2009, S. 364. Bei der von von Medem genannten Zahl von 3 300 Bänden dürften die zahlreichen Sonderdrucke nicht berücksichtigt sein; wohl auch nicht die Zeitschriften. 7 Library of Professor Carl Schmitt, 10.10.1945; Karl Loewenstein Papers, Box 28, Folder 1, Amherst College Archives and Special Collections, Amherst (MA). (Ich danke Peter Nelson vom Amherst College für die großzügige Überlassung von Kopien und die Erlaubnis des Zitierens.) 8 Report on recent library acquisitions, 10.1.1946; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7.
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„spezifisches Interesse“ bei ihm nicht gleichzusetzen ist mit einem fachlich beschränkten Interesse. Die Bedeutung der Bücher für Carl Schmitt An Schmitts Bibliothek9 fällt zunächst ins Auge, dass sie vielsprachig war. Wie ihr Besitzer sich nicht nur in den alten Sprachen, sondern auch in den wichtigen modernen Wissenschaftssprachen selbstverständlich bewegte, so finden sich in seiner Bibliothek neben den deutschsprachigen Titeln Bücher in allen bedeutenden europäischen Sprachen, wobei der Schwerpunkt unverkennbar auf den romanischen – in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit: Spanisch, Französisch, Italienisch, Rumänisch, Portugiesisch – liegt. Aber schon hier, bei dem äußerlichen Merkmal der Sprache, ist etwas für die Person und die Eigenart Carl Schmitts Wichtiges festzuhalten. Der sprachlich-intellektuelle Zugang nämlich war für ihn nicht der einzige. Die befreundete Musikwissenschaftlerin Eta Harich-Schneider übersandte ihm 1953 einen japanischsprachigen Druck, wofür der Empfänger sich mit folgenden Worten bedankte: „Für Ihren Aufsatz über die japanische Hofmusik tausend Dank. Obwohl ich kein japanisch verstehe, lese ich ihn mit reiner Freude wie ein Bild von Paul Klee.“10 Hier wird deutlich, dass Carl Schmitt neben dem intellektuellen ein ästhetisches Verhältnis zu Büchern hatte, wie er ja auch nicht richtig erfasst ist, wenn man ihn ausschließlich als Wissenschaftler, gar nur als Juristen sieht. Seine künstlerische Ader bestimmte ebenso seine Sicht auf Bücher. Er konnte sich schon an der äußeren Erscheinung eines schönen Buches erfreuen, und er fand Gefallen an einem Schriftbild als an einer ästhetischen und auch enigmatischen Darstellung. „Mein Geheimnis ist die Schrift“ notierte er 1974 in deutscher, lateinischer, griechischer und stenographischer Schrift.11 Dass ein Buch allein schon in seiner Schriftform ein Geheimnis darstellte, musste den immer wieder um politische Arkana kreisenden Denker faszinieren. Mit seiner eigenen Geheimschrift, seiner individuellen 9 Wenn im folgenden von der CS-Bibliothek die Rede ist, so auf der Basis meines (bis auf weiteres unvollständigen) Versuchs, diese Bibliothek in ihrem Gesamtumfang zu rekonstruieren; als PDF-Datei einsehbar auf der Seite der Carl SchmittGesellschaft: www.Carl-Schmitt.de. 10 Schmitt an Harich-Schneider, 14.11.1953; Staatsbibliothek zu Berlin, N. Mus. Nachl. 96, D 41. 11 Abbildung bei: Paul Noack, Carl Schmitt. Eine Biographie, Berlin/Frankfurt a. M. 1993, nach S. 180. Zur Bedeutung von Schrift – auch in der Form einer Notenpartitur – für Schmitt vgl.: „Solange das Imperium da ist.“ Carl Schmitt im Gespräch mit Klaus Figge und Dieter Groh 1971. Hrsg. von Frank Hertweck u. Dimitrios Kisoudis in Zus.arb. mit Gerd Giesler, Berlin 2010, S. 51–53.
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Abb. 1: „. . . wie ein Bild von Paul Klee“: Blatt mit stenographischen Notizen Schmitts (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-20927).
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Form der Gabelsberger Stenographie, hinterließ er der Nachwelt ein Problem (Abb. 1), das heute größer ist als die Entzifferung von Hieroglyphen; für diese gibt es mehr Lesekundige als für jene. Sodann wird an der Publikation über die japanische Hofmusik klar, dass die Beschimpfung der Hochschulprofessoren als Fachidioten durch die antiautoritären Studenten von 1968 auf Carl Schmitt am allerwenigsten zugetroffen hätte. Er überschritt geradezu lustvoll die Grenzen seines juristischen Faches ständig nach allen Seiten. In seiner Bibliothek begegnen folglich allenthalben die unterschiedlichsten Wissensgebiete, die entlegensten Themen und seltensten Bücher. Was die Beschäftigung mit ihr so spannend macht, ist die Fülle an Überraschungen, die sie bereithält. Sie zeigt die Ausnahme von jener Regel des unentrinnbaren Zwangs zum Spezialistentum. Die Formel Max Webers vom Fachmenschen stimmt für Carl Schmitt – und das macht einen Teil seines Faszinosums aus – gerade nicht. Dafür bietet seine Bibliothek einen überaus eindrucksvollen Beleg. Dass ihr Besitzer gewillt war, die Grenzen seines Faches zu ignorieren, ist bereits in den frühesten biographischen Zeugnissen greifbar. Als der 19jährige Carl Schmitt, ein „obskurer junger Mann bescheidener Herkunft“, wie er sich selbst bezeichnet,12 1907 in die Hauptstadt Berlin kam, um an der ersten Universität Deutschlands die Rechte zu studieren, hatte er nach eigenem Zeugnis so viel katholische Substanz, dass er das Histrionenhafte der weltberühmten Berliner Professoren schnell durchschaute. Zwei von ihnen beeindruckten ihn besonders. Der eine, der Jurist Josef Kohler, war für Schmitt ein eitler Selbstdarsteller; der andere, der Altphilologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, ein „Ich-verpanzerter Bürgerlicher“. Bei aller kritisch-respektlosen Distanz, die das gerade von einem Provinzgymnasium kommende Erstsemester Carl Schmitt hier gegenüber den Wissenschaftsmandarinen des Wilhelminismus an den Tag legte, wird jedoch auch eine Gemeinsamkeit sichtbar: Sowohl Josef Kohler wie Wilamowitz-Moellendorff haben die Grenzen ihrer Fächer souverän ignoriert. Der erste äußerte sich nicht nur in zahlreichen Werken zu den unterschiedlichsten Fragen seines Faches, etwa zum Patentrecht, zum See- und Handelsrecht, zum Strafrecht, sondern ebenso zu Dante, Petrarca, Shakespeare oder Laotse. Er schrieb darüber hinaus Romane, Gedichte und Theaterstücke. Der andere bezeugt in seinen Erinnerungen, wie bereichernd für ihn gerade das außerfachliche Lesen war, das er bei seinen Besuchen in Bibliotheken besonders schätzte: „Gerade dadurch, dass man vornahm, was durch Titel oder Verfasser reizte, worauf gerade das Auge fiel, dass man ohne besonderen Zweck las, erweiterte den Horizont.“13 12 Carl Schmitt, 1907 Berlin, in: Schmittiana 1, 2. Aufl., 1988, S. 11–21; Zitat auf S. 20.
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Dem wird der angehende Jurastudent Carl Schmitt unbedingt beigepflichtet haben, zeigte er doch schon mit dem Besuch der Vorlesung eines Altphilologen den Willen, sich nicht auf sein Fach zu beschränken. Seine nichts als juristischen Kollegen sollte er später, als er seinerseits ein berühmter Vertreter seines Faches war, ziemlich verächtlich als „positivistische Gesetzeshandwerker“ bezeichnen, die sich für das, was links und rechts vom Wege lag, gar nicht interessierten und die darum auch in ihrem Fach zu vielleicht zureichenden, aber eben nicht hinreichenden Leistungen in der Lage waren. Das war bei Carl Schmitt – und das nicht zuletzt macht seine Bedeutung aus – völlig anders. Nicht nur ließ er scheinbar mühelos die ganze Breite europäischer Bildung in seine Werke einfließen, er las auch wie Wilamowitz-Moellendorff ganz ohne besonderen Zweck, angetrieben allein von einem grenzenlosen Interesse, einer nie zu stillenden Neugier. In seinen frühen Tagebüchern ist immer wieder die Rede vom „Herumlesen“, zuweilen verbunden mit spürbar schlechtem Gewissen: „Ich ging noch zur Bibliothek; las herum . . .“, „las dann Ibsen statt zu arbeiten“. Er unterbrach seine juristische Arbeit regelmäßig mit fachfremder Lektüre: „dann zur Bibliothek und machte den Schriftsatz, während ich dazwischen Bab und Shaw las.“14 Wie jemand bei dieser Arbeitsmethode im Alter von 22 Jahren mit einem höchst anspruchsvollen Thema summa cum laude zum Dr. jur. promovieren konnte, ist eines der vielen Rätsel des Phänomens Carl Schmitt. In den frühen Tagebüchern teilt der junge Jurist ziemlich detailliert seine Lektüren mit, wobei erstaunlicherweise juristische Literatur am wenigsten genannt ist. Allerdings unterscheidet ihn von Wilamowitz, dass er in seinem Herumlesen etwas anderes sieht als bloße Aleatorik; er vertraut vielmehr einem providentiellen Sinn. Als Schmitt nach dem Krieg in amerikanischer Haft sitzt, erinnert er an die großen Vorläufer seiner Profession. Darunter stehen ihm zwei besonders nahe, nämlich Jean Bodin und Thomas Hobbes. Nachdem er ihre Gestalten beschworen hat, heißt es weiter: „Die unsichtbare Hand, die unsern Griff nach Büchern lenkt, hat mir seit dreißig Jahren immer wieder ihre Bücher und immer wieder an der prägnanten Stelle aufgeschlagen, damals, als mir meine Bibliothek noch nicht weggenommen war.“15 Der dies schrieb, saß als Gefangener der Besatzungsmacht im Internierungslager, und währenddessen hatten die Besatzer seine Bibliothek be13 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen 1848–1914, Leipzig 1928, S. 150 f. 14 Carl Schmitt, Tagebücher Oktober 1912 bis Februar 1915. Hrsg. von Ernst Hüsmert, Berlin 2003, S. 241, 205 und 292. Die Beispiele ließen sich reichlich vermehren. 15 Carl Schmitt, Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, Köln 1950, S. 64.
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schlagnahmt. Was das für einen Gelehrten bedeutet, sagen die Brüder Grimm in ihrem Wörterbuch, wenn sie den Gelehrten folgendermaßen definieren: „seinen mittelpunkt hat er in der bücherwelt [. . .], wer dort am meisten heimisch ist, ist der gelehrteste.“16 Dieses seines Mittelpunktes also sah Carl Schmitt sich 1945 beraubt. Die Bibliothek war sein Lebenselixier, ihre Wegnahme nahm ihm gewissermaßen die Luft zum Atmen. In der erneuten Haft in Nürnberg 1947 äußert er sich zu seinen persönlichen Vermögensverhältnissen und betont, wie er in dem ganz auf schnelle Bereicherung ausgerichteten NS-Staat eine Ausnahme dargestellt habe. Bei ihm habe es sich um den „seltenen oder auch seltsamen Fall eines Staatsrates“ gehandelt, bei dem es nichts zu plündern gab. Weder habe er ein Auto besessen, noch ein Haus oder Grundstück, und finanziell sei er nach 1933 schlechter gestellt gewesen als vorher.17 Nur eben die Bibliothek nimmt er ausdrücklich davon aus. Sie bezeichnet er als sein einziges Vermögen. Das war durchaus in einem weiteren als bloß materiellen Sinn zu verstehen. Die Bibliothek war der Raum, in dem sein Geist sich bewegte; die Bücher waren der Nährboden seines Denkens. Mit ihnen pflegte Carl Schmitt ein Zwiegespräch, zu ihnen hatte er ein höchst persönliches Verhältnis: „. . . man hat mein intimstes Eigentum, meine Bibliothek, weggenommen“, klagt er am 17. August 1949.18 In den Tagebüchern ist diese besondere, intime Beziehung allenthalben greifbar. Fast jeder Eintrag berichtet von Lektüren und Begegnungen mit Büchern. Ebenso ist in den ausgedehnten Briefwechseln, die Schmitt pflegte, immer von Büchern und Leseerfahrungen die Rede; der Briefwechsel mit Ernst Jünger etwa ist geradezu ein einziger Austausch solcher Leseerfahrungen. In welchem Maße Carl Schmitt in der Literatur lebte, macht eine Anekdote aus den späten Berliner Jahren deutlich. Der Architekt und Baurat Otto Hodler, der wie ein Familienmitglied im Haus des preußischen Finanzministers, Nachbarn und engen Freundes Carl Schmitts, Johannes Popitz, in Dahlem lebte, wurde einmal von diesem aufgefordert, eine Karikatur von Schmitt zu zeichnen. Die Skizze zeigt Frau Schmitt hoch oben auf der Leiter beim Aufhängen der Gardinen, während der Ehemann die Leiter sichern musste. Er tat das mit der einen Hand, während er in der anderen ein Buch hielt, in das er lesend vertieft war. Popitz fand die Szene außer16
Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 5, Sp. 2963. Und zwar deshalb, weil seine juristische Gutachtertätigkeit vor 1933 jährlich 10 000–15 000 Mark eingebracht habe, während die Aufwandsentschädigung als Staatsrat lediglich 6 000 Mark im Jahr betrug. Carl Schmitt, Antworten in Nürnberg. Hrsg. von Helmut Quaritsch, Berlin 2000, S. 70 f. 18 Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951, hrsg. von Eberhard Frhr. von Medem, Berlin 1991, S. 264. 17
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ordentlich treffend, weil sie Schmitts Unbeteiligtheit an praktischen Dingen des Alltags und seine Fixierung auf Bücher darstellte.19 Ein solcher ständiger Umgang hinterließ in den Büchern Spuren. Während ihrer Beschlagnahme stieß Joseph Kaiser Anfang der 50er Jahre auf Schmitts Bibliothek im Amt des US-High Commissioner for Germany im IG-Farbengebäude in Frankfurt. Er sah in den Büchern den Dialog, den Carl Schmitt mit den in seiner Bibliothek versammelten Autoritäten führte, die vielen handschriftlichen, teilweise stenographischen Eintragungen, die für die Augen keines anderen Lesers bestimmt waren, und empfand „eine tiefsitzende Scham: die zeitweise Beschlagnahme der Bücher und deren Verfügbarkeit war mir ein bis dahin unvorstellbarer Einbruch in den Intimbereich wissenschaftlicher Arbeit.“20 Auch später in Plettenberg blieb die Bibliothek als sein allerpersönlichster Bereich für Schmitt von herausragender Bedeutung. Noch in den Wahnvorstellungen, die ihn am Ende seines Lebens peinigten, war der größte Tort, den ihm die Feinde zufügen konnten, dass sie sich an seiner Bibliothek vergriffen.21 Zum Zeitpunkt dieser Wahnvorstellung allerdings war Schmitts Bibliothek mit dem Nachlass längst in einem staatlichen Archiv gesichert. Das hat eine längere Vorgeschichte. Wolfgang Mommsen, Archivrat und späterer Präsident des Bundesarchivs, der viele Nachlässe für sein Haus erwarb, bemühte sich seit 1956 mit großer Hartnäckigkeit um Carl Schmitts Sammlung von Manuskripten, Briefen und Büchern. Bis 1971 schrieb er immer wieder deswegen an Schmitt, besuchte ihn auch wiederholt persönlich in Plettenberg. Am 3. Juni 1966 bot er sogar an, die berüchtigten stenographischen Texte Schmitts übertragen zu lassen; das Bundesarchiv habe Erfahrung in der Transkription von Altgabelsberger Stenographie.22 Schmitt bekundete gegenüber Mommsens Werben zwar grundsätzliche Bereitschaft, konnte sich aber zu einer Entscheidung nicht durchringen. Immer neue Gründe standen dagegen. Einmal wollte er zuvor noch die Papiere ordnen, dann wieder bat er um Bedenkzeit, oder er musste das Ganze erst mit seiner Tochter Anima besprechen. 19
Brief von Otto Hodler an Carl Schmitt, 9.7.1972; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-6147. Laut Auskunft des Sohnes von O. Hodler ist die Zeichnung an Schmitt geschenkt worden. (Brief von Christian Hodler an den Verf. vom 10.5.2010). Die Publikation der Briefe Otto Hodlers ist in Vorbereitung. 20 Joseph H. Kaiser, Das Glossarium von Carl Schmitt. Eindrücke und Hinweise, in: Schmitt, Glossarium (wie Anm. 18), S. XVI, Anm. 8. 21 Ernst Hüsmert, Die letzten Jahre von Carl Schmitt, in: Schmittiana 1, 2. Aufl., 1988, S. 51. 22 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-2175 ff. – Wäre Carl Schmitt doch nur auf dieses Angebot eingegangen, möchte man als dummer Ochs vor der Fülle dieser stenographischen Texte ausrufen!
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Ebenso wie das Bundesarchiv scheiterte eine durch Johannes Gross vermittelte Anfrage der Bibliothek des Deutschen Bundestages. Später zeigten sich die Universitätsbibliotheken Bielefeld, Bochum und Münster interessiert.23 Letztere betonte ihre landesbibliothekarische Zuständigkeit und hatte auch schon konkrete Pläne für die Ordnung des Bestandes entwickelt. Doch auch hier zögerte Schmitt und behandelte die Dinge dilatorisch. Bertram Haller, der für die Universitätsbibliothek Münster die Verhandlungen mit Schmitt führte, bezeugt, was auch das Bundesarchiv schon zu spüren bekam, dass nämlich Schmitt sehr unsicher gewesen sei.24 Ihm war wohl klar: Mit der Trennung von seiner Bibliothek schnitt er einen wesentlichen Teil seines Lebens ab. Schließlich gab Ernst-Wolfgang Böckenförde den Ausschlag. Unter Berufung auf ihn meldet sich am 10. Dezember 1974 Archivdirektor Janssen vom Nordrhein-westfälischen Hauptstaatsarchiv bei Schmitt und möchte nach Plettenberg kommen, um über den Nachlass zu sprechen.25 Auch jetzt aber zögerte Schmitt und machte sich insbesondere Sorge um die Sicherheit und unbefugte Benutzung seiner Tagebücher, worauf Janssen ihm eine nochmalige Beratung mit Böckenförde empfahl. Das hat offenbar Erfolg gehabt, denn am 27. Juni 1975 dankt Janssen für die Übersendung des unterschriebenen Depositalvertrages.26 In den folgenden Jahren kam der Nachlass mit der Bibliothek in mehreren Teillieferungen nach Düsseldorf. Ausschlaggebend dafür, dass Carl Schmitt sich auch mit seinen Büchern für ein Archiv und nicht für eine Universitätsbibliothek entschied, war vielleicht der Gedanke, dass diese Bücher vom handschriftlichen Nachlass ihres Besitzers nicht zu trennen sind, und der schien Carl Schmitt in einem staatlichen Archiv am besten aufgehoben. Schmitts Spuren in seinen Büchern Die handschriftlichen Texte sind dort entstanden, wo nach Grimm der Gelehrte seinen Mittelpunkt hat: in der Bibliothek. Die Bücher sind der Humus, auf dem jene Texte gewachsen sind, und sie gehören insofern dazu. Im Fall Schmitts heißt das aber noch mehr. Für seinen Nachlass gilt, dass zwischen Manuskripten und Drucken nicht eindeutig zu unterscheiden ist, eine klare Grenzziehung zwischen beiden ist hier nicht möglich. Carl 23 von Medem, Der wissenschaftliche Nachlass von Carl Schmitt (wie Anm. 6), S. 25 f. 24 Telefonische Mitteilung von B. Haller an den Verf. vom 17.2.2010. Vgl. auch die Briefe Hallers im Nachlass Schmitts. Dass Böckenförde zuvor für Bielefeld votierte, sagt von Medem, Der wissenschaftliche Nachlass von Carl Schmitt (wie Anm. 6). 25 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-10430. 26 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-10434.
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Schmitt hat eine große, thematisch ausgreifende Bibliothek nicht nur besessen – er hat sie sich erarbeitet und angeeignet. Er war ihrer wahrhaftig Herr, nicht allein ihr formal-juristischer, sondern vor allem ihr geistiger Eigentümer. Die Spuren solcher Aneignung und Besitzergreifung finden sich zunächst in Einträgen und Anstreichungen, die er bei der Lektüre vorzunehmen pflegte. Gelegentlich dokumentierte er auch auf dem Vorsatz eines Buches die Chronologie seiner Beschäftigung mit ihm. So etwa bei dem 1930 erschienenen Titel Die Religionskritik Spinozas von Leo Strauss, einem für die Hobbes-Deutung Schmitts zentralen Werk. Auf Blatt 2 dieses Buches steht unter dem Namenszug Schmitts der Eintrag: „1. Begegnung: Frühjahr 1932; 2. Begegnung: Sommer 1937; 3. Begegnung (1. Wieder-Begegnung) Juli 1945 (Anstoß das Gespräch mit Eduard Spranger 30/6 45).“ Dieses Buch muss Schmitt also noch kurz vor der Beschlagnahme seiner Bibliothek in der Hand gehabt und darin Einträge vorgenommen haben. In den fünfziger Jahren tauchte es dann im Antiquariatshandel auf. Als Karl Löwith aus der Emigration an die Universität Heidelberg zurückkehrte, vermerkte er diesen Titel von Leo Strauss als ein Desiderat der dortigen philosophischen Seminarbibliothek. Am 28. Juni 1956 kann er überrascht an Strauss melden, dass er dessen Buch aus einem Antiquariatskatalog bestellt habe, „und siehe da: das mit vielen Randbemerkungen versehene Exemplar von C. Schmitt!“ Er teilt Strauss den Eintrag Schmitts mit und fragt ratlos: „Wie ist diese sog. 3. Begegnung zu verstehen?“27 Hier hat man eine Andeutung davon, dass Löwith nicht auf der Höhe des „Dialogs unter Abwesenden“ stand, den Carl Schmitt mit Leo Strauss führte, und den Heinrich Meier anhand der verschiedenen Druckausgaben von Der Begriff des Politischen in einem viel beachteten Buch minutiös nachbuchstabiert.28 Leo Strauss war nicht der einzige, mit dem Carl Schmitt derartige Dialoge führte. Ein anderer wichtiger Autor war für ihn – mit Strauss in einem Atemzug genannt – Walter Benjamin.29 In dessen 1928 erschienenem Trauerspielbuch finden sich ebenso die Spuren eines „Dialogs unter Abwesen27 Brief von Löwith an Strauss, in: Leo Strauss, Gesammelte Schriften. Hrsg. von Heinrich Meier, Bd. 3, Stuttgart/Weimar 2001, S. 683. 28 Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen“. Zu einem Dialog unter Abwesenden. Erweiterte Neuausgabe, Stuttgart/Weimar 1998; ders., Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung politischer Theologie und politischer Philosophie, Stuttgart/Weimar 1994. In der Anmerkung 128 auf S. 172 dieses Buches geht Meier auf das von Löwith 1956 erworbene Exemplar des Spinoza-Buches ein und teilt mit, dass dieser es bis 1973 besaß und es sich nun in seinem Besitz befinde. 29 „An Taubes habe ich einen Antwortbrief geschrieben, der hoffentlich eine weitere Behandlung des Themas Leviathan und der drei für mich wichtigen Autoren: Leo Strauss, Walter Benjamin und Hermann Cohen ermöglicht . . .“; so Schmitt am 6.12.1977 an Armin Mohler, in: Carl Schmitt, Briefwechsel mit einem seiner Schü-
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den“. Benjamin schickte sein Buch im Dezember 1930 an Schmitt. Er schreibt ihm dazu, wie viel er ihm verdankt, und dass er seinen Werken „eine Bestätigung meiner kunstphilosophischen Forschungsweisen durch Ihre staatsphilosophischen entnommen habe“.30 Diese Inspiration war wechselseitig. Wie im Fall Leo Strauss hat Schmitt Benjamins Buch mehrfach und zu verschiedenen Zeiten intensiv durchgearbeitet und mit zahlreichen Anmerkungen versehen. Dieses Buch, mit dem Benjamin sich nicht habilitieren konnte, weil die Frankfurter Professoren es nicht verstanden, hat Schmitt als erster kritisch zu würdigen gewusst.31 Für sein denkwürdiges, gewohnte Denkschablonen konterkarierendes Verhältnis zu Benjamin liefern die dicht beschriebenen Vorsatzblätter des Trauerspielbuches entscheidende Aufschlüsse. Hier – wie auch im publizierten Aufsatz von 1956 – wird bemängelt, dass Benjamin sich zwar auf Schmitts Souveränitätslehre beruft, jedoch nichts über den Leviathan sagt, was jedoch für die Abgrenzung der kontinentalen Barocktragödie vom Shakespearschen Drama unerlässlich sei. Schmitt wollte sein eigenes Buch über den Leviathan verstanden wissen als einen – „leider unbeachtet geblieben(en)“ – Versuch, „Benjamin mit der Darlegung eines großen politischen Symbols zu antworten.“32 Solche Antwort im Jahr 1938 und die Erwartung, dafür auch noch Beachtung zu finden, war noch abenteuerlicher als die Antwort auf Leo Strauss im Jahre 1933. Auf dem Vorsatz des Trauerspielbuches notierte Schmitt auch etwas Grundsätzliches über sein Verhältnis zu Benjamin, das ebenso gut auch für Strauss gilt: „Mein Gespräch mit W. Benjamin: ‚beispiellose Intensität des Gesprächs mit einer nicht zu überbietenden Ferne vom Partner‘.“ Damit bezieht er sich auf Benjamins Aura-Begriff („einmalige Erscheinung einer Ferne, so nahe sie sein mag“), um die Besonderheit der Beziehung zu bezeichnen. Jenseits von „Einfluss“, „Nähe“ und „Kontinuität“ stellt sie eine Konstellation dar, die einen Dialog über die offiziellen Fronten hinweg erlaubt.33 Es ließen sich wohl noch manche derartige überraschende Koinziler. Hrsg. von Armin Mohler in Zusammenarbeit mit Irmgard Huhn und Piet Tommissen, Berlin 1995, S. 421 f. 30 Benjamin an Schmitt, 9.12.1930; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-1228. Das Exemplar von Benjamins Buch befindet sich heute im Nachlass; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland RW 265-29012. Benjamin betont auch in einem „Lebenslauf“ den Einfluss Carl Schmitts auf ihn; vgl. Siegfried Unseld (Hrsg.), Zur Aktualität Walter Benjamins, Frankfurt a. M. 1972, S. 46 f. 31 Carl Schmitts Buch Hamlet oder Hekuba (1956) „ist die erste kritische Auseinandersetzung mit Benjamins Trauerspielbuch, und die interessanteste bis heute.“ Jacob Taubes, Die politische Theologie des Paulus, 2. Aufl., München 1995, S. 18. 32 Schmitt an Hansjörg Viesel, 12.4.1973, in: H. Viesel, Jawohl, der Schmitt. Zehn Briefe aus Plettenberg, Berlin 1988, S. 14. 33 Vgl. Reinhard Mehring, „Geist ist das Vermögen, Diktatur auszuüben.“ Carl Schmitts Marginalien zu Walter Benjamin, in: Daniel Weidner (Hrsg.), BenjaminStudien, Bd. 2, München 2010. Mehring sieht die Beziehung vielleicht etwas zu
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denzen beschreiben, zieht man systematisch die Arbeitsexemplare Schmitts aus seiner Bibliothek mit ihren vielen handschriftlichen Eintragungen heran. Sie sind voller „Dialoge unter Abwesenden“. Die zahlreichen Randbemerkungen im Exemplar des Spinoza-Buches von Leo Strauss oder des Trauerspielbuches von Walter Benjamin waren die Regel. Schmitt las seine Bücher mit dem Stift in der Hand und versah sie mit Strichen, Marginalien, Glossen und Kommentaren, beschrieb die Blancoseiten der Vorsatzblätter mit weiterführenden Gedanken, klebte Zettel in sie, legte Zeitungsausschnitte oder Briefe in sie ein. Wenn man manchmal vielbeschäftigten Professoren nachsagt, sich den Inhalt von Büchern durch Handauflegen anzueignen, so verfügte Carl Schmitt über diese Gabe offensichtlich nicht. Nahezu jeder Band aus seiner Bibliothek erzählt von der genauen Lektüre, der intensiven Auseinandersetzung, die der Besitzer mit dem Autor führte. Als Eberhard von Medem in den 80er Jahren eine erste Nachlass-Verzeichnung im Düsseldorfer Archiv anfertigte, sagte er von den Büchern: „Es ist geradezu überwältigend, in welch großer Zahl von Publikationen solche Anmerkungen enthalten sind. Man fragt sich, woher C. S. die Zeit für eine so intensive kritische und vergleichende Lektüre genommen hat.“34 Die Bücher aus Schmitts Bibliothek sind mit ihren vielen Einträgen Teil seines handschriftlichen Werkes; ein Teil, der immer noch nicht in seiner Bedeutung als handschriftlicher Nachlass-Bestand wahrgenommen, geschweige denn von der Forschung systematisch gesichtet ist. Dabei finden sich auch – hier, wo Schmitt keine Rücksicht auf eine Öffentlichkeit nehmen musste – offen-ungeschützte Stellungnahmen, wie etwa im Fall von Theodor W. Adornos Versuch über Wagner. Auf dem Umschlag seines Exemplars dieses Buches hat Schmitt sehr entschieden „Versuch über“ durchgestrichen und durch „Mord an“ ersetzt (Abb. 2 u. 3). Nicht minder heftig kommentierte Schmitt seinen Ausschluss von der „Zeit“ durch die Gräfin Dönhoff 1954, indem er in seinem Klavierauszug von Glucks Oper Orpheus die Furien der Unterwelt, die Orpheus vergeblich um Erbarmen anflehte, mit jener Gräfin gleichsetzte (Abb. 4). Auch seinen satirischen Neigungen ließ er freien Lauf: Aus Christian Graf von Krockows Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger wurde „Eine christianisch-Krokodilische Untersuchung“ (Abb. 5 u. 6).35 sehr unter dem Aspekt eines unterstellten publikationsstrategischen Interesses von Schmitt. Das scheint mir schon darum unzulässig, weil Benjamin 1956, als Schmitt über ihn publizierte, so gut wie unbekannt war. 34 von Medem, Der wissenschaftliche Nachlass von Carl Schmitt (wie Anm. 6), S. 28. 35 Das „Krokodil“ geht wohl auf Ernst Jünger zurück; vgl. Ernst Jünger. Arbeiter am Abgrund (Marbacher Katalog, 64), Marbach 2011, S. 240 f.
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Abb. 2: „Mord an Wagner“: Theodor W. Adorno, Versuch über Wagner, Berlin/Frankfurt a. M. 1952, Schutzumschlag (Besitz Gerd Giesler, Berlin).
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Abb. 3: Auf dem Titelblatt ist der Mord verändert in: „Versuch einer Überlegenheit über Wagner“ (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-28120).
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Abb. 4: „Gräfin Dönhoff“: Christoph Willibald Gluck, Orpheus. Oper in 3 Akten. Klavierauszug (Edition Peters, 54b), Leipzig o. J. (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-27622).
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Gräfin Dönhoff hat 1954 dafür gesorgt, dass Carl Schmitt nicht mehr in der „Zeit“ veröffentlichen konnte.
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Abb. 5: „Eine christianisch-Krokodilische Untersuchung“: Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958, Umschlagseite 1 (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 0265-28050).
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Abb. 6: „Einer bleibt übrig“: Dass., Titelblatt. Während Jünger und Heidegger nach 1945 bald wieder zu Ehren kamen, blieb Schmitt dies versagt.
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Das sind spektakuläre Anmerkungen an prominenter Stelle, auf die man schnell stößt. Es gibt aber auch an Stellen, an denen man es niemals vermuten möchte, einen bescheidenen Bleistiftstrich, der plötzlich ein schweres Gewicht bekommt und ein helles Licht wirft auf Carl Schmitt und sein Verhältnis zu den Größen seiner Zeit, etwa zu Thomas Mann. Schmitt hatte Mann zunächst bewundert. An seine Schwester Auguste schickte er am 28. November 1911 „ein Bruchstück aus einem noch nicht erschienenen Roman von Thomas Mann, dem Verfasser des ‚kleinen Herrn Friedemann‘ und von ‚Luischen‘ “ und versieht das mit der Empfehlung: „Lies es langsam durch; es ist überaus fein und bewußt geschrieben, ich habe es unzähligemale gelesen und freue mich immer von neuem an dem glänzenden Stil und dem kühlen, halb ironischen aber durchaus sachlichen Erzählen.“36 Kurz darauf schlägt die Bewunderung für Thomas Mann um in einen Spott, der in seiner Schärfe seinesgleichen sucht. In den 1913 unter dem Pseudonym Johannes Negelinus veröffentlichten Schattenrissen heißt es von Thomas Mann: „Ist es mir doch Schicksal und Beruf, das, was alle wissen, ebenfalls nicht zu übersehen und diese Sonderstellung niemandem zu verschweigen.“37 Es ist kaum anzunehmen, dass Mann die nur in kleiner Auflage erschienenen Schattenrisse eines obskuren Negelinus zur Kenntnis genommen hat, doch dieser Satz machte die Runde und dürfte dem Adressaten schwerlich verborgen geblieben sein; spätestens, als Gerhard Nebel ihn 1950 als – freilich ungenau zitiertes – Motto über seinen Thomas Mann-Geburtstagsartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung setzte, in dem er eine Kritik vortrug, die völlig auf der Linie Schmitts lag und die unverkennbar durch ihn inspiriert war. Schmitt unterstellte Thomas Mann in jenem Sketch, sich „für den größten lebenden Künstler Deutschlands“ zu halten. Tatsächlich aber zeichne ihn ein „Mangel an Ernstlichkeit“ aus. Schmitt erkannte die melancholische Ironie Manns als „humanistische Leere“ (Nebel), als flachen Relativismus eines müden Skeptikers, der ihm umso unerträglicher wurde, als er inzwischen die Bekanntschaft Theodor Däublers gemacht hatte. Dessen erratisches Werk Das Nordlicht war für Carl Schmitt der Gegenpol zum Werk Manns, die wahre, tiefe, an den Mythos reichende Dichtung. Er pries es als „großartige Verneinung“ der relati36 Carl Schmitt, Jugendbriefe. Briefschaften an seine Schwester Auguste 1905–1913. Hrsg. von Ernst Hüsmert, Berlin 2000, S. 110. Es handelt sich wohl um die erste Veröffentlichung (Bruchstück aus einem Roman) des Felix Krull, die 1911 im Almanach des S. Fischer Verlages erschien. Zum Verhältnis Schmitt-Mann vgl. auch Reinhard Mehring, Das „Problem der Humanität“. Thomas Manns politische Philosophie, Paderborn 2003, S. 119–131. 37 Zit. nach: Ingeborg Villinger, Carl Schmitts Kulturkritik der Moderne. Text, Kommentar und Analyse der „Schattenrisse“ des Johannes Negelinus, Berlin 1995, S. 48.
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vistischen und oberflächlichen Gegenwart, für die Thomas Mann stand. Bei Däubler fand er den Willen zur anspruchsvollen moralischen Entscheidung, zu der unfähig zu sein jener hinter seiner Ironie versteckte. Für Schmitt hieß der eigentlich bedeutende Dichter der Zeit von nun an Theodor Däubler und nicht Thomas Mann, und dass später diesem statt jenem der Nobelpreis verliehen wurde, war für Schmitt nur ein weiterer Beweis für die Flachheit der Zeit und ihren Mangel an Ernst. Die scharfe Kritik Schmitts hat Thomas Mann ihm nicht verziehen. Er reagierte darauf – für Schmitt sicher wenig überraschend – mit vornehmer Ignoranz. „Carl Schmitt kenne ich überhaupt nur vom Hörensagen“, versicherte er Pierre-Paul Sagave 1952.38 Schmitt hat sich öffentlich zwar nicht mehr zu Thomas Mann geäußert, doch in seinen Briefen und Tagebüchern bleibt er präsent. Ebenso in seiner Bibliothek. Hier gibt es eine Spur, die vollkommen abgelegen ist. Unter seinen Büchern befand sich das filmgeschichtlich nicht unwichtige Werk von Hans Richter: Filmgegner von heute – Filmfreunde von morgen, Berlin 1929.39 In diesem Buch sind keinerlei Eintragungen Schmitts enthalten, mit Ausnahme einer Stelle, die mit einem Bleistiftstrich markiert ist. Auf der Seite 43 geht es um die spezifische Ästhetik des Films, die gegen diejenige des Romans abgehoben wird. Zur Verdeutlichung letzterer ist ein längeres Zitat aus dem Zauberberg angeführt. Folgender Satz ist von Carl Schmitt angestrichen: „Jene ideellen Widerstände gegen Krankheit und Tod, deren Niederlage vor der Übergewalt einer niederträchtigen Natur Herrn Settembrini so schmerzte, mußten dem kleinen Naphta fremd sein, und seine Art, die Verschlimmerung seines Körperzustandes aufzunehmen, war denn auch nicht Trauer und Gram, sondern eine höhnische Aufgeräumtheit und Angriffslust sondergleichen, eine Sucht nach geistiger Bezweifelung, Verneinung und Verwirrung, die die Melancholie des anderen aufs schwerste reizte und ihre intellektuellen Streitigkeiten täglich verschärfte.“
Thomas Mann hat – in dem zitierten Brief an Sagave – bestritten, dass sein Naphta eine historische Person zum Vorbild hat (wofür gewöhnlich Georg Lukács, gelegentlich auch Carl Schmitt genannt wird). Es handele sich vielmehr um eine Verdichtung gewisser Zeitströmungen, die in den zwanziger Jahren im Schwange waren, um eine ganz und gar synkretistische Figur. Aber Synkretismus heißt eben auch, dass bestimmte Züge konkreter Personen eingeflossen sind. Tatsache ist, dass Carl Schmitt diese Stelle aus dem Zauberberg durch Anstreichung hervorgehoben hat. Sollte er sich in dem „kleinen Naphta“ wiedererkannt haben? Sollte dann dessen „höhnische 38 Mann an Sagave, 18.2.1952 (unveröffentlicht); Thomas-Mann-Archiv der ETH Zürich. (Zitiert mit frdl. Genehmigung des Thomas-Mann-Archivs und des S. Fischer-Verlages). 39 Das Buch befindet sich im Besitz des Verfassers (Geschenk von Ernst Hüsmert, der es von C. Schmitt erhielt).
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Aufgeräumtheit und Angriffslust sondergleichen“ eine Reaktion Manns auf die scharfe Kritik in den Schattenrissen sein? Sollte Thomas Manns beharrliches Ignorieren Carl Schmitts eine Folge davon sein, dass dieser seine Melancholie „aufs schwerste“ gereizt hat? Diese spekulativen Fragen können hier nur gestellt, nicht diskutiert, geschweige denn beantwortet werden. Sie lassen aber erahnen, welche Weiterungen sich aus den handschriftlichen Einträgen Carl Schmitts in seinen Büchern ergeben können, und zwar nicht einmal aus Wortkommentaren, sondern allein schon aus einem kleinen, unscheinbaren Beistiftstrich. Die handschriftlichen Einträge werden da besonders interessant, wo sie sich in den eigenen Werken finden. In dem in Düsseldorf erhaltenen Teil der Bibliothek stehen Schmitts Werke in ziemlicher Vollständigkeit. In der Regel sind es die Arbeitsexemplare des Verfassers, die mit handschriftlichen Zusätzen und Ergänzungen übersät sind. Dabei handelt es sich natürlich nicht nur um Fehlerkorrekturen, sondern um „Dialoge mit Abwesenden“, den Austausch und die Weiterführung von Gedanken, die Revision oder Verschärfung von Thesen, die Profilierung von Freund und Feind. Eine kritische Gesamtausgabe der Werke Carl Schmitts – sollte es sie je geben – wird mit diesen Handexemplaren ein reiches Arbeitsfeld vorfinden, das die Kenntnis des im Druck fixierten Werkes noch einmal erweitern und vertiefen, vielleicht sogar modifizieren kann. Hier ist jedoch wiederum zu betonen, dass es sich bei der in Düsseldorf aufbewahrten Bibliothek um eine – wenn auch große – Restbibliothek handelt. Wie auf das Individuum, so schlugen die Brüche des Jahrhunderts auch auf Schmitts Bibliothek durch, oder, wie er es in einem Brief an den Direktor der Bibliothek des Bundesgerichtshofes 1979 formuliert: „Meine Privatbibliothek hat die betäubenden Peripetien meines privaten Schicksals von 1918 bis 1979 getreulich geteilt.“40 Diese Peripetien, die durchaus keine bloß privaten sind, hat Schmitt selbst – sehr knapp – ausgeführt. Aus Anlass der Abgabe-Entscheidung von 1977 skizzierte er die Geschichte seiner Bibliothek. Die jeweils eine DIN-A-4-Seite umfassenden, fragmentarischen und ins Unreine geschriebenen Texte sind einmal mit „60 Jahre Bibliothek CS“ und im anderen Fall mit „Private Arbeits-Bibliothek von Professor Carl Schmitt 1977“ überschrieben.41 Im zweiten Text heißt es: 40
Schmitt an Hildbert Kirchner, 5.3.1979 (im Besitz Kirchner, Karlsruhe). Der erste, längere Text ist veröffentlicht in: Ingeborg Villinger (Bearb.), Verortung des Politischen. Carl Schmitt in Plettenberg (Beiträge zur Plettenberger Stadtgeschichte, 2), Hagen 1990, S. 36. Der zweite Text findet sich in: Dirk van Laak/Ingeborg Villinger (Bearb.), Nachlass Carl Schmitt. Verzeichnis des Bestandes im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv (Veröffentlichung der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, C/32), Siegburg 1993, S. 374. 41
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„Eine solche Ansammlung von Büchern, Schriften und Papieren spiegelt über 60 Jahre deutscher und europäischer Geschichte, und zwar unter innen- und außenpolitischen Gesichtspunkten. Die großen Peripetien und Katastrophen des 20. Jahrhunderts, zwei für Deutschland verlorene Weltkriege (1914–1919; 1939– 1945), politische und soziale Umwälzungen (1918/19, 1945/49), aber auch privatpersönliche Auswirkungen politischer Katastrophen, Ereignisse wie Umzüge infolge von Berufungen, Verdrängungen vom Lehrstuhl am Ende jedes verlorenen Krieges (1918, 1945), totale Ausbombung (1943), Diebstahl bzw. Unterschlagungen (z. B. 1921), siebenjährige Beschlagnahme durch die USA-Besatzungsmacht, Legal Department . . .“ [Der Text bricht hier ab.] Im anderen Text ist des Weiteren für die Geschichte der Bibliothek noch genannt: „Verlagerungen; teilweiser Verkauf in Geldnot (1957)“.
Die Notiz lässt erkennen, dass Carl Schmitt die Geschichte seiner Bibliothek als Reflex primär der objektiven Geschichte verstand. Das bezieht sich auf den Zusammenhalt der Sammlung, nicht auf die Zusammensetzung der Titel. Als reine Fachbibliothek zum öffentlichen Recht war die Bibliothek zwar bedeutend, ist als solche aber nur von mäßigem Interesse. Sie ist auch als bloße Fachbibliothek noch nicht Spiegel einer Persönlichkeit, das heißt, sofern die Bücher sozusagen in jungfräulichem Zustand sind. Je mehr sie aber die Spuren ihres Besitzers enthalten, um so mehr werden auch die Fachbücher zu individuellen Exemplaren, und das ist eben bei den Büchern Carl Schmitts in hohem Maße der Fall. Zudem finden sich in sehr vielen Büchern wie auch insbesondere in der großen Zahl der Sonderdrucke Widmungen von Kollegen, die Aufschluss geben über das Beziehungsgeflecht der akademischen Jurisprudenz. Es finden sich aber auch die außerjuristischen Widmungsautoren. Roman Schnur, der die Bibliothek in Mainz noch in Augenschein nehmen konnte, bevor große Teile von ihr 1954 verkauft wurden, fiel die hohe Zahl der Widmungsexemplare ins Auge, und er vermerkt: „Sehr aufschlussreich die Widmungen aus der NS-Zeit.“42 An den Widmungen, die Carl Schmitt seinerseits verfasste, ist nicht nur ihre alle Konvention hinter sich lassende Originalität bemerkenswert, sondern es sind vor allem die literarischen, philosophischen, künstlerischen, religiösen, kurz: nicht-juristischen Bezüge des Autors, der sich allemal lieber auf Theodor Däubler, Konrad Weiß, Léon Bloy oder Herman Melville berief als auf die Koryphäen seines Faches. So ist auch der außerjuristische Teil seiner Bibliothek der eigentlich interessante. Die Faszination, die Carl Schmitt heute nach wie vor ausübt, geht weniger von ihm als Juristen aus, vielmehr von dem, womit er über die Grenzen seines Faches hinausgeht, und was das konkret ist, lässt sich in seiner Bibliothek erfassen. Folgt Carl Schmitt mit der Sammlung von rechtsdogmatischer Literatur einer überper42 Roman Schnur, Aufklärung. Bemerkungen zu einem Sammelband mit Studien über Carl Schmitt [= Complexio Oppositorum], in: Der Staat 27, 1988, S. 443.
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sönlichen beruflichen Pflicht, so hier seiner ganz persönlichen Neigung; sind dort die objektiven Zwänge bestimmend, so hier der persönliche Geschmack. Die nicht-fachlichen Bücher sind in ungleich höherem Maße subjektgebunden als die fachlichen, und ihr Umfang war erheblich: „Die Mehrzahl der Bücher bestand nicht aus rechtsdogmatischer Literatur.“43 Das heißt: Wenn man die CS-Bibliothek als Spiegel versteht und aus ihr Aufschluss über die Eigenart ihres Besitzers gewinnen will, so ist der nicht-juristische Teil der ungleich bedeutendere. Die Bibliothek bis zum Zweiten Weltkrieg Schmitt selbst datiert den Beginn seiner Bibliothek in das Jahr 1915. Aus der davor liegenden Zeit, die er als „Vorgeschichte“ bezeichnet, nennt er lediglich eine unbedeutende Anzahl erhalten gebliebener Bücher: „Sie haben sich in einem oft ganz zerlesenen (Zustand) und nur aus buchfetischistischer Neigung bis heute (1977) konserviert [. . .] lebenslange Begleiter (in Konvikt, Kaserne, Kamp und Gefängnis), z. B. Reclamhefte (Marc Aurel, Grillparzer) oder Schulausgaben (Tacitus Historien), Romane etc. Die wissenschaftlich-literarische Berufsbibliothek beginnt in München 1915/16 und entwickelt sich nach beruflichen und privaten Bekanntschaften (Theodor Däubler, Theodor Haecker, Konrad Weiss, Franz Blei, Otfried Eberz etc.). Dazu kamen durch Ereignisse (Umzüge, Berufungen, Prozesse, grosse Gutachten, Kontroversen, politische Polemik etc.) bedingte Themen. Der Schwerpunkt bleibt unverändert von 1915 bis 1976 ein durch persönliche Beteiligung und Erfahrung gewecktes und genährtes juristisch-wissenschaftliches Interesse.“44 Schmitt bestätigt mit dieser Aussage in gewisser Weise jene von Roman Schnur: Er nennt an erster Stelle literarische Größen, die für die Entwicklung seiner „wissenschaftlich-literarische(n) Berufsbibliothek“ entscheidend waren, und erst in zweiter Linie kommen die fachlichen, politisch-juristischen Themen. Was er als „Vorgeschichte“ abtut, muss aber doch schon mehr als eine bloße Ansammlung von Schulbüchern und zerlesenen Reclamheften gewesen sein. An seine Schwester Auguste berichtet er 1912, wieder einmal zum Umzug genötigt zu sein, weil man ihm gekündigt habe. Das sei lästig, weil er inzwischen so viele Bücher besitze, dass er jedes Mal die Hälfte nach Hause schicken müsse. Wäre er frei von diesen Zwängen, so hätte er „eine schöne Bibliothek schon zusammen.“45 43 Ebd., S. 442 f. Diese Aussage über die alte (Stand 1945) Bibliothek Carl Schmitts erscheint mir allerdings zweifelhaft. Vielleicht hatte Roman Schnur noch nicht den ganzen Bestand, der in Teillieferungen nach Mainz kam, gesichtet. 44 Zitiert nach: Villinger, Verortung des Politischen (wie Anm. 41), S. 36. 45 Carl Schmitt, Jugendbriefe (wie Anm. 36), S. 153.
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Die Auswirkungen politischer Katastrophen auf Schmitts Bibliothek beginnen mit dem Ersten Weltkrieg, genauer: mit der Niederlage Deutschlands in diesem Krieg, die ihre Spuren – man kann hier nur hypothetisch formulieren – wohl auch in der Bibliothek hinterließ. Schmitt war seit Anfang 1916 als Dozent an der Universität Straßburg tätig, hatte aber seinen Lebensmittelpunkt in München. Über seine Straßburger Dozententätigkeit ist wenig bekannt, doch ist wahrscheinlich, dass der überstürzte Wechsel Elsass-Lothringens zu Frankreich auch den Straßburger Dozenten Schmitt traf. Die „Reichsuniversität“ Straßburg war allein schon mit ihrem Namen eine Provokation für die neuen Herren und das erste Ziel der Französisierung. Sie wurde so schnell wie möglich, am 30. November 1918, geschlossen, der Rektor seines Amtes enthoben. Die Professoren und Dozenten flohen über die Rheinbrücke bei Kehl. Nach Wochen wurde ihnen gestattet, ihre Möbel, aber nichts sonst, herüberzuholen. Carl Schmitt wird Bücher in Straßburg zurückgelassen haben müssen. In München erlebte er dann wenig später den blutigen Terror der Revolution von 1919 aus nächster Nähe. Beide Ereignisse nennt er ausdrücklich als für die Geschichte seiner Bibliothek wirksame Faktoren, doch bleibt unklar, wie und in welchem Maße sie sich ausgewirkt haben. Ein weiterer und diesmal privat-persönlicher Einbruch in die Bibliothek ist leider ebenso wenig näher zu bestimmen wie die vorherigen, politisch bedingten. Er war verursacht durch die erste Ehefrau Schmitts, Pauline Marie Dorotic´, genannt „Cari“. „Schmitts Liebesleben ist eine Passionsgeschichte“, stellt sein Biograph Mehring fest und belegt das ebenso detailliert wie überzeugend.46 Sexualität erfuhr Schmitt als Heimsuchung durch eine anarchische Gewalt, gegen die er machtlos war, und mit der sukzessiven Veröffentlichung seiner Tagebücher liegt das immer klarer zutage. Für den Charakter seiner Frau, einer wahren femme fatale, war Carl Schmitt erstaunlich blind. Cari, die sich als Gräfin ausgab, war in Wirklichkeit eine Hochstaplerin, ebenso verlogen wie kriminell, und der verliebte Ehemann, der doch als Jurist einen Blick dafür hätte haben sollen, wollte das offen zutage Liegende über Jahre hinweg nicht wahrhaben. Die unselige Liaison endete nach quälenden Jahren schließlich 1921 in einer privaten Katastrophe. Die Frau verschwand und ließ dabei einen Teil des gemeinsamen Hausstandes mitgehen, darunter auch einen großen Teil der Bibliothek.47 Wenn auch der Verlust nicht mehr zu spezifizieren ist, so ist doch anzunehmen, dass Cari einen Sinn für die wertvolleren Bücher hatte (und dass „Wert“ für sie das war, als was Schmitt es später in Die 46
Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall (wie Anm. 6), S. 238. Günther Krauss gegenüber sagte Carl Schmitt, dass ihm damals „große Teile seiner Bibliothek gestohlen worden seien“; Schmittiana 5, 1996, S. 178. 47
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Tyrannei der Werte bestimmte, nämlich eine ökonomische Kategorie). Darunter sollen sich auch diejenigen befunden haben, die Schmitt für die Erarbeitung seiner wichtigen und umfangreichen Werke Die Diktatur – 1921 noch veröffentlicht unter dem Verfassernamen Schmitt-Dorotic´ –, wie wohl auch Politische Romantik (1919) benutzt hatte.48 Der genaue Umfang des durch Schmitts erste Ehefrau verursachten Schadens ist deshalb nicht zu benennen, weil die Akten der Staatsanwaltschaft München, die sich mit der Sache befasste, nicht mehr erhalten sind. Zudem hat Carl Schmitt, desillusioniert und beschämt, eine damnatio memoriae über die Frau verhängt und alle Spuren konsequent getilgt. Der Name Caris durfte im Hause Schmitt nicht mehr genannt werden, sie erschien höchstens noch als „diese Dame“.49 Ihr weiteres Schicksal, das sie später nach Wesermünde und schließlich auf die ostfriesische Insel Langeoog führte, war bis in die jüngste Zeit völlig unbekannt.50 Die Bombardierung von Schmitts Haus am 23./24. August 1943 Die Bibliothek Carl Schmitts hat sich in den folgenden beiden Jahrzehnten, sieht man von den vielen Umzügen ab, ruhig und kontinuierlich entwickeln können. Nicht nur entfaltete sie sich in dieser Zeit zu ihrem größten Umfang, sie war auch für die staats- und völkerrechtliche Literatur dieser Jahrzehnte von einer Qualität, die sie danach nie wieder erreichen sollte. Der Zweite Weltkrieg verursachte allerdings einen erneuten Einbruch, der auf den ersten Blick katastrophisch schien, sich dann aber doch noch als relativ glimpflich herausstellte. Schmitt war zu dieser Zeit Professor für öffentliches Recht an der Berliner Universität und wohnte seit sieben Jahren in einem gemieteten Haus in der Kaiserswerther Str. 17 in Dah48
Mündl. Mitteilung von Piet Tommissen (Brüssel) an den Verf. Selbst ein so enger Freund wie Paul Adams konnte es nicht wagen, das Thema anzusprechen: „Im übrigen gibt es so etwas wie schwierige Punkte oder Wunden, die man nicht berührt. Ich würde nie wagen, mit C. S. über seine erste Ehe zu sprechen . . .“; Adams an Günther Krauss, 3.12.1934, in: Schmittiana 8, 2003, S. 220. 50 Pauline Marie Dorotic ´ heiratete am 25.6.1931 in zweiter Ehe in Wesermünde den Bootsführer Adolf Peter Büschen, der von der ostfriesischen Insel Spiekeroog stammt; sie nannte sich seitdem Mary Büschen. Das Paar wurde 1944 in Bremerhaven ausgebombt und verzog dann nach Langeoog, wo Mary Büschen, wie auch schon zuvor in Wesermünde, als Heilpraktikerin tätig war. Sie gab an, bis zum Physikum Medizin studiert zu haben. 1949 versuchte sie vergeblich, als Verfolgte des NS-Regimes eine Geschädigtenrente zu erhalten (sie war 1934 von der Gestapo wegen einer unbedachten Äußerung für einige Tage inhaftiert worden). 1968 verstarb sie in Osnabrück. (Vgl. Niedersächsisches Landesarchiv, Staatsarchiv Aurich, Rep. 252 Nr. 2489 „Entschädigung Mary Büschen“). 49
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lem. Seit die Royal Air Force ab Ende 1942 die Stadt systematisch bombardierte, war Berlin Kriegsschauplatz. Anfang August 1943 bringt Dusˇka, die (zweite) Ehefrau Schmitts, die gemeinsame Tochter Anima auf eine katholische Schule nach Cloppenburg, um sie vor den Bombenangriffen zu schützen. Carl Schmitt sitzt „mit unserer angsterfüllten Köchin Anne“ allein in seinem Haus und schreibt an Gretha Jünger, dass ganz Berlin flüchte und Zehntausende von Wohnungen einfach leer ständen. „Ich kann mich nicht entschließen, mitzuflüchten und genieße die Einsamkeit am Schreibtisch.“51 Die Ruhe war trügerisch. In der Nacht vom Montag, dem 23. August, auf Dienstag, den 24., fiel eine Luftmine fünf Meter entfernt vor das Nachbarhaus Nr. 15 und traf auch das Haus Schmitts. Er und seine mittlerweile zurückgekehrte Frau konnten sich mit knapper Not aus dem zusammenstürzenden und brennenden Haus durch ein Kellerfenster retten. Dabei rezitierte der große Däubler-Kenner dessen Gedicht „Der Nachtwandler“: Naht mir gar nichts auf den Spitzen, Leise wie ein Geisterhauch? Licht fällt durch die Mauerritzen, Was du fühlst, ist grauer Rauch: Jedes Ding kriegt Silberschlitzen, Und es klingt und knistert auch.52
„Daß wir am Leben geblieben sind, ist ganz unerklärlich“, schreibt Schmitt drei Tage später an Lilly von Schnitzler.53 Das Haus war nicht mehr bewohnbar, seine rechte Seite völlig zerstört, die linke stand noch, allerdings ohne Fenster und Türen. Hier befand sich die Bibliothek, die – in der Nachbarschaft brannte es heftig und Funkenflug versengte noch vieles 51
Schmitt an G. Jünger, 8.8.1943, in: Ingeborg Villinger/Alexander Jaser (Hrsg.), Briefwechsel Gretha Jünger – Carl Schmitt (1934–1953), Berlin 2007, S. 80. 52 Schmitt geht in einem Brief an Karl Epting vom 23.10.1943 detailliert auf eine gerade in Paris erschienene und vom dortigen Deutschen Institut geförderte deutsch-französische Lyrikanthologie ein und bemängelt neben dem Fehlen von Konrad Weiß, einem „wichtigen Namen der Zukunft“, auch das Fehlen von Däublers Gedicht „Der Nachtwandler“. Dieses habe er „neulich in neuer, blitzartiger Helle erlebt“, als sein Dahlemer Haus von einer Luftmine weggeblasen worden sei, und er, „diese Verse zitierend, aus den Trümmern herauskroch“. Zit. nach FrankRutger Hausmann, Die Überlegenheit der Sprache der Unterlegenen. Linguistische Kriegserfahrung: Carl Schmitts Urteil über eine französische Anthologie deutscher Lyrik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 5.11.2004. Auch Schmitts anderer literarischer Fixstern, Konrad Weiß, wurde ihm in dieser Erfahrung zum Trost. An Franz Schranz schreibt er am 2.10.1943: „Noch immer tröstet mich die Konrad Weiß’sche ‚Notiz für Carl Schmitt‘, besonders der vielsagende Vers Dieser Welt miteingegoren/Ging die Habe uns verloren.“ (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 579-528). Ähnlich an Lilly von Schnitzler, 6.10.1943; vgl. in diesem Band, S. 167. Vgl. auch Schmitts Brief an Jünger vom 9.10.1943, in: Jünger/Schmitt, Briefe 1930–1983 (wie Anm. 1), S. 171. 53 Schmitt an v. Schnitzler, 27.8.1943; vgl. in diesem Band, S. 161 f.
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in Schmitts Haus – wunderbarerweise vom Feuer verschont blieb, ebenso wie die in allen Räumen herumliegenden Briefe.54 Das Ehepaar Schmitt nahm sein Unglück mit philosophischer Gelassenheit. „Ich fühle mich ohne Hab und Gut noch reicher als vorher und sehe lachend zu, wie die Freunde und Verwandte unser verlorenes Gut beweinen“, schreibt Dusˇka. Für den 24. August war der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger eingeladen. Der Termin wurde keineswegs abgesagt, vielmehr nahm man wie geplant den Kaffee in einem notdürftig wieder hergerichteten Winkel des Souterrains ein.55 Das Ambiente passte zum Thema: Fraenger diskutierte mit Schmitt seine Hieronymus-Bosch-Deutung. Gegen Abend dann kam Wilhelm Ahlmann zu Besuch, mit dem man noch ein Glas Wein in den Trümmern trank, bevor der Dienstwagen von Johannes Popitz das Ehepaar Schmitt um 20 Uhr zum Schlesischen Bahnhof brachte, von wo aus es Berlin mit dem Ziel Plettenberg verließ. Zwei Tage später berichtet Schmitt Ernst Jünger nach Paris unter Anrufung Léon Bloys: „Tout ce qui arrive est adorable. In der Nacht vom 23.–24. August hat eine Luftmine unsere Wohnung zerstört; wir sitzen hier im Sauerland als Obdachlose, keineswegs bedrückt oder traurig.“56 Im nächsten Brief, den er am 7. September an Jünger schreibt, kommt er noch einmal auf die Ausbombung zu sprechen, und jetzt ist auch von der Bibliothek die Rede: „Meine Bücher und Briefe scheinen zum großen Teil ‚ge54
Die Angaben finden sich in einem serbisch geschriebenen Brief von Dusˇka Schmitt an Sava und Milka Klicˇkovic´ vom 3.9.1943, dessen deutsche Übersetzung mir Gerd Giesler freundlicherweise zur Verfügung stellte. „Es war wie ein Wunder, dass . . . die Bibliothek nicht brannte“, heißt es hier. Dass in Schmitts Haus alle Räume mit Briefen auf dem Fußboden übersät waren, bezeugt Otto Hodler in seinem Tagebuch. Vgl. Martin Tielke, Carl Schmitt, Johannes Popitz und der Widerstand. Das Zeugnis Otto Hodlers (Publikation in Vorber.). 55 Vgl. die Darstellung Fraengers in einem Brief an Wolfgang Frommel vom 29.12.1950 anlässlich des Todes von Dusˇka Schmitt; auszugsweise zitiert in: Schmittiana 2, 1990, S. 155, Anm. 50. Davon weicht die sich auf die Erinnerung Anni Stands berufende Darstellung Paul Noacks insofern ab, als er von einem Mittagessen spricht, das man auf der Terrasse eingenommen habe. (Noack, Carl Schmitt. Eine Biographie, wie Anm. 11, S. 235). Die Beziehung zu Fraenger ist ein schönes Beispiel für die außerjuristischen Interessen Schmitts. Er war der erste, mit dem Fraenger über sein großes Bosch-Buch diskutierte, das 1947 unter dem Titel Das Tausendjährige Reich erschien. Im Auftrag Fraengers studierte Schmitt während seiner Vortragsreise in Spanien im Juni 1943 Bildmotive Boschs im Prado. Vgl. Petra Weckel, Wilhelm Fraenger (1890–1964). Ein subversiver Kulturwissenschaftler zwischen den Systemen, Potsdam 2001, S. 137 f.; Wilhelm Fraenger, Korrespondenz mit Hans Arp, Carl Schmitt und Franz Roh, in: Sinn und Form 57, 2005, S. 303–330. 56 Jünger/Schmitt, Briefe 1930–1983 (wie Anm. 1), S. 167. Ernst Jünger erwähnt die Ausbombung Schmitts unter dem Datum des 30. August 1943 in den Strahlungen.
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borgen‘ zu sein, d.h. sie liegen in einem Schuppen in Dahlem. Frau Schmitt läuft von Pontius zu Pilatus, um Kisten und Abtransportmöglichkeiten zu besorgen. Im ganzen ist die Zerstörung des Haushalts und der Wohnung ziemlich vollständig. So treiben uns lächelnd hinaus die Götter.“57 Schmitts Eindruck, dass, während er und seine Frau als „Obdachlose“ im Sauerland saßen, seine Bibliothek „zum großen Teil geborgen“ war, traf dank der Hilfe guter Nachbarn zu. Diese haben sich in Berlin intensiv nicht nur um den Hausrat, sondern auch um die Bücher, Manuskripte und Urkunden gekümmert. Zunächst war das Frau Haidi Hahm, Ehefrau des Direktors des Museums für deutsche Volkskunde, Prof. Konrad Hahm, die den Ausgebombten, wie Dusˇka schreibt, „rührend geholfen“ hat.58 Da die „Bergungsstelle“ nur die Möbel räumte, die sie in einem Schuppen der Gaststätte Alter Krug in der Königin-Luise-Str. 52 unterbrachte, alles übrige aber liegen ließ, fuhr Haidi Hahm ständig mit einem kleinen Leiterwagen hin und her und brachte den Inhalt der Schränke vorläufig bei sich, in der Gelfertstr. 13 a, unter. Offensichtlich gab es in Berlin für derartige Kleinigkeiten keine Transportmöglichkeiten mehr. Dusˇkas Laufereien von Pontius zu Pilatus lassen sich aus ihren Briefen rekonstruieren. Am 28. August fragt sie von Plettenberg aus bei Gretha Jünger in Kirchhorst an, „ob Sie nicht ein Lastauto oder Möbelwagen besorgen könnten, damit man die Bibliothek zu Ihnen retten kann oder sonst etwas.“ Auch um Kisten und Koffer bittet sie, von denen Haidi Hahm nicht genug hatte. Ebenso schreibt Dusˇka nach Cloppenburg, wo die Wirtsleute von Anima ein Lagerhaus haben, in dem sie die Bibliothek unterzubringen hoffte. Die wertvollsten Stücke aus Schmitts Bibliothek hat Erland WeberSchumburg59 zunächst gesichert. Am 27. August berichtet er Schmitt nach 57 Ebd., S. 170. Der letzte Satz ist ein Zitat aus Hölderlins Gedicht Stimme des Volkes: „Und wie des Adlers Jungen, er wirft sie selbst/Der Vater aus dem Neste, damit sie sich/Im Felde Beute suchen, so auch/Treiben uns lächelnd hinaus die Götter.“ Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, hrsg. v. Friedrich Beissner (Stuttgarter Ausgabe), Bd. 2/1, S. 50. 58 Brief von Dus ˇka Schmitt an Gretha Jünger vom 28.8.1943; DLA Marbach, Bestand A: Jünger, Zugangsnummer HS.1994.0009. Die folgenden Details hieraus. (Ich verdanke G. Giesler die Mitteilung dieses Briefes). Haidi Hahm, geb. Blåfield, Berliner Bekannte Schmitts, gebürtige Finnin und in Berlin als Kulturkorrespondentin für Skandinavien akkreditiert, Ehefrau von Prof. Dr. Konrad Hahm, Direktor des Museums für deutsche Volkskunde. Mit dem Ehepaar waren Schmitts befreundet. Im Nachlass Schmitts liegen Gedichte von Konrad Hahm, zu denen Carl Schmitt vermerkt hat: „Für mich eine sehr wichtige Erinnerung“; LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 265-21112. Vgl. auch die Briefe und Postkarten von Haidi und Konrad Hahm an Schmitt; LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 265 Nr. 5640–5647. 59 Erland Weber-Schumburg, geboren in Wiesbaden am 24.1.1913, hatte in Tübingen, Berlin und Freiburg die Rechte studiert und 1937 die erste, 1940 die zweite juristische Staatsprüfung abgelegt. Seit 1942 arbeitete er als Syndikus einer Aktien-
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Plettenberg, dass er die ihm am wichtigsten erscheinenden Bücher herausgesucht und, da Popitz erklärt habe, in seinem Haus keinen Platz mehr zu haben,60 im trockenen Keller seines Onkels in der Amselstraße 18 untergebracht habe.61 Carl Schmitt erteilte ihm daraufhin detaillierte Anweisungen, insbesondere bittet er ihn, die alten Drucke von Grotius und Hobbes sowie die Gedichte von Konrad Weiß zu sichern; auch Manuskripte, hinter denen sich die Vorarbeiten zum Nomos der Erde verbergen. „Die Notizen zu völkerrechtlichen Arbeiten habe ich ausgesondert und werde sie morgen abholen“, schreibt Weber-Schumburg am 30. August.62 Einige Wochen später trifft den Retter das gleiche Schicksal. Am 24. November muss WeberSchumburg Schmitt unter dem Briefkopf „Berlin Central Hotel“ mitteilen, dass er selbst nun auch ausgebombt sei und nicht einmal mehr ein Hemd zum Wechseln habe. Und wie Carl Schmitt nimmt er es mit an Ernst Jünger erinnernder désinvolture: „Schlimmer ist es, dass der Kaiserhof mit dem ganzen Weinlager zerstört ist. Wie schön wäre es gewesen, wenigstens noch bei einer guten Flasche Trost suchen zu können.“63
gesellschaft in Berlin. Nach dem Krieg ließ er sich als Rechtsanwalt in Sigmaringen nieder. In welchem Verhältnis er zu Carl Schmitt stand, ist nicht ganz deutlich. Im Sommer 1944 wurde er in Hamburg mit einer Dissertation über schwedisches Erbrecht mit magna cum laude zum Dr. jur. promoviert. (Erland Weber–Schumburg, Das schwedische internationale Erbrechtsgesetz vom 5.3.1937, Maschr. Diss. jur., Hamburg 1944). In der Vorbemerkung der Dissertation heißt es: „Teile des Manuskripts und sämtliche Exzerpte sind durch Luftkriegshandlungen zerstört worden und konnten nicht im ursprünglichen Umfange wieder hergestellt werden.“ Damit dürfte die an Schmitt am 24.11.1943 berichtete völlige Zerstörung seiner Berliner Wohnung gemeint sein. Da Carl Schmitt in der Dissertation mit keinem Wort erwähnt wird, ist es unwahrscheinlich, dass Weber-Schumburg sein Schüler war. Jedoch bedankt er sich brieflich bei Schmitt für dessen Zuspruch, ohne den er die Arbeit wohl nicht so bald abgeschlossen hätte. (Weber-Schumburg an Schmitt, 14.8.1944; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 579-416). Auch nach dem Krieg schreibt er noch an Schmitt; diese Briefe liegen ebenfalls in der Sammlung Tommissen (ebd.). 60 Popitz besaß selbst eine große Bibliothek, die einen derartigen Umfang angenommen hatte, dass er sie kaum noch sinnvoll aufstellen konnte. In der Haft 1944/45 schreibt er: „Die Beschäftigung mit einer ganzen Reihe von Fachgebieten führte allmählich zu einer nicht unbedeutenden Bibliothek, deren gute und übersichtliche Aufstellung in den letzten Jahren zu einem ungelösten Problem wurde.“ Johannes Popitz, Meine beiden Freunde: Goethe und Fontane, in: Antidoron. Edgar Salin zum 70. Geburtstag, Tübingen 1962, S. 35 f. 61 Laut Berliner Adressbuch war dieser Onkel der Versicherungskaufmann Christian Holler. Vgl. auch den Brief Hodlers an Schmitt vom 21.10.1943; LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 265-6136. 62 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-17803. Am Nomos der Erde arbeitete Schmitt seit 1943. 63 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-17805.
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Von dem Dahlemer Kreis hat vor allem aber Johannes Popitz bei der Bergung des Hausrats und der Bibliothek wie dann auch bei der Beschaffung einer neuen Wohnung entscheidende Hilfe geleistet. Bei ihm wohnte der Baurat Otto Hodler, den Popitz in sein Haus aufgenommen hatte, um bei eigenen Bombenschäden gleich einen Fachmann zur Seite zu haben. Dessen Dienste ließ er nun Schmitt zuteil werden. Hodler sortierte die in dem Holzschuppen des Alten Krugs zwischengelagerte Bibliothek und veranlasste ihre Verpackung sowie den Abtransport nach Plettenberg. Offenbar standen ihm als preußischem Baurat andere Möglichkeiten zu Verfügung als Dusˇka: „Ich bestellte 20 oder 30 Kisten, packte die Bücher alle ein und ließ sie mit einem Lastwagen nach Plettenberg fahren. So war seine Bibliothek gerettet. Ich habe tagelang daran gearbeitet und alles allein gemacht.“64 Ob aber Hodler wirklich „alle“ Bücher abtransportierte, ist höchst unwahrscheinlich. In 20 bis 30 Kisten lassen sich üblicherweise höchstens 1 000 bis 1 500 Bände transportieren. Selbst wenn sie, wie Hodler bezeugt, sehr schwer waren und diese Zahl überschritten wurde, dürfte der ganz überwiegende Teil der Bibliothek in Berlin verblieben sein. Popitz spricht in seinem Brief vom 22. Oktober 1943 an Schmitt von dem Unstern, der über der Rettung des Hausrats liege. Hodler „will nun wenigstens dafür sorgen, daß Ihre Bücher restlos in Kisten verpackt werden, damit eventuelle Einzeltransporte möglich sind.“65 Tatsächlich ist wohl nur der Einzeltransport eines kleineren, jedoch wichtigen Teiles nach Plettenberg abgegangen, wie auch ein weiterer Brief Hodlers nahelegt.66 Dusˇka schreibt in ihrem Brief an Sava und Milka Klicˇkovic´ aus Plettenberg: „Wir wollen uns zwei Kellerzimmer als Bibliothek und Arbeitszimmer einrichten.“ In der Tat hielt sich Carl Schmitt in diesen Monaten viel in Plettenberg auf und benötigte hier Arbeitsmöglichkeiten. Als dann Ende des Jahres in Berlin-Schlachtensee ein neues Haus bezogen werden konnte, kam hier mit den rund 5 000 Bänden, die Loewenstein 1945 in seinem Gutachten nennt, nur ein Teil der Bibliothek zur Aufstellung; die 64 Tagebuchaufzeichnung Otto Hodler, im Besitz seines Sohnes Christian Hodler. Hodler sagt auch (in einem Brief an Schmitt vom 21.10.1943), dass die Kisten sehr schwer waren und von vier Leuten transportiert werden mussten. Zur Rolle Hodlers vgl. Martin Tielke, Carl Schmitt, Johannes Popitz und der Widerstand (wie Anm. 54). 65 Popitz an Schmitt, 22.10.1943; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-11168. 66 Am 23.10.1943 schreibt er an Schmitt: „Für den Fall, daß Sie, verehrter Herr Professor, im Wintersemester Vorlesung halten, müssen Sie wohl irgendwo eine Bleibe haben. Dabei werden Sie auch Bücher und andere Dinge Ihrer Wohnung benötigen, es wäre dann ja nicht richtig, alles nach Plettenberg zu senden.“ Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-6137. Dass tatsächlich am 5. Oktober ein Wagen mit Büchern und Hausrat nach Plettenberg abgegangen ist, bestätigt Schmitt in einem Brief an Lilly v. Schnitzler vom 6.10.1943; vgl. in diesem Band S. 166.
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nach Plettenberg verbrachten Bücher verblieben dort. Dafür spricht, dass wichtige Stücke, die 1945 eindeutig vorhanden waren – wie z. B. der Leviathan von Hobbes – keine Stempel der amerikanischen Besatzungsmacht tragen;67 dass Christel Hoberg-Heese von der imponierenden „Fülle von Büchern“ spricht, die sie unmittelbar nach Schmitts Entlassung aus der Nürnberger Haft in seiner Plettenberger Wohnung sah;68 dass Roman Schnur bei seiner Sichtung des von den Amerikanern 1952 freigegebenen Bestandes wichtige Literatur vermisste;69 dass Schmitt 1953 von Plettenberg aus weitere Bücherkisten nach Mainz schickte;70 vor allem aber, dass er in einem Brief an Ernst Jünger vom 23. Januar 1955 sagt, die Amerikaner hätten 1945 nur einen Teil seiner Bibliothek beschlagnahmt.71 Nicht alles konnten die Helfer in Berlin retten. Das älteste Buch aus Schmitts Bibliothek, eine Inkunabel von Duns Scotus aus dem Jahr 1497, die Schmitt Weihnachten 1934 als Geschenk erhalten hatte,72 blieb zunächst verschwunden und fand sich erst nach einiger Zeit wieder. Das kostbare Stück war durch die Explosion in einen benachbarten Ententeich geschleudert worden und hatte dort drei Wochen lang im Wasser gelegen. Am 21. September schrieb Johannes Popitz mit dem Briefkopf des preußischen Finanzministers deswegen an den Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts. Er fragt an, „ob es möglich ist, das Buch noch einigermaßen zu retten. Ich bitte in jeder Weise nach Maßgabe Ihrer Sachkunde zu verfahren. Die Kos67 Stichproben an den in Düsseldorfer befindlichen Büchern – etwa 50, die 1945 in Schmitts Bibliothek vorhanden waren, wurden überprüft – ergaben, dass sich in keinem ein amerikanischer Stempel findet! 68 Vgl. Gerd Giesler, Carl Schmitt und die Künste in der Plettenberger Nachkriegszeit (Carl Schmitt Opuscula/Plettenberger Miniaturen, 3), Plettenberg 2010, S. 22. 69 Schnur an Schmitt, 18.10.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-14219. 70 Schmitt an Schnur, 17.2.1953 und 13.3.1953; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13496 und 13497. 71 Jünger/Schmitt, Briefe 1930–1983 (wie Anm. 1), S. 267. Auch in einem Brief an Ernst Forsthoff vom 10.11.1948 spricht Schmitt von Büchern, die der Beschlagnahme entgangen sind. Ernst Forsthoff/Carl Schmitt, Briefwechsel Ernst Forsthoff Carl Schmitt (1926–1974). Hrsg. Von D. Mußgnug, R. Mußgnug u. A. Reinthal, Berlin 2007, S. 49. 72 Es handelt sich um: Johannes Duns Scotus, Quaestiones subtilissimi Scoti in metaphysicam Aristotelis. Eiusdem de primo Rerum principio tractatu. Atq. theoremata. [Hrsg. von Mauritius Hibernicus], Venetiis, per Bonetum Locatellum, 1497. Im Tagebuch heißt es am 24.12.34: „(Bekam von Duns Scotus geschenkt) und las das herrliche Gebet am Schluss von de primo principio“; Carl Schmitt, Tagebücher 1930–1934. Hrsg. v. Wolfgang Schuller in Zusammenarb. mit Gerd Giesler, Berlin 2010, S. 375. Leider ist der Name des Schenkers nicht zu entziffern.
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ten zu ersetzen, ist Herr Staatsrat Schmitt durchaus bereit.“73 Der Direktor des Kupferstichkabinetts antwortet umgehend, lässt aber auch die Zwänge der kriegsbedingten Mangelwirtschaft erkennen. Der Pergamenteinband des Buches sei nicht mehr zu retten, ob der Herr Staatsrat nicht vielleicht ein Stück Pergament besorgen könne. „Die feuchten Blätter müssen einzeln zwischen Fließpapier getrocknet werden, was hier öfter gemacht wird. Das Auseinandernehmen des Buches ist unbedenklich, nur etwas zeitraubend. Ich hoffe, dass es gelingen wird, das Buch trocken zu bekommen und auch auf eine Art zu binden, die der bisherigen nahekommt.“74 Am 9. Oktober bemüht Schmitt deswegen die Dienste Ernst Jüngers in Paris: „Durch Vermittlung von Herrn Popitz hat das Berliner Kupferstichkabinett die Wiederherstellung übernommen. Die feuchten Blätter werden einzeln zwischen Friespapier [sic!] getrocknet. Leider kann der Pergamentdeckel nicht mehr verwendet werden. Der Buchbinder fragt jetzt an, ob ich ihm ein Stück Pergament verschaffen könnte. Wäre das in Paris möglich? Größe des Buches: 36 cm hoch. 24 cm breit 3–4 cm dick.“75 Diese Angabe ist erfreulich konkret. Wie schon bei dem Titel über japanische Hofmusik bezeugt auch dieses Buch das außerfachliche Interesse seines Besitzers, in diesem Fall an mittelalterlicher Theologie, und darüber hinaus seine bibliophile Neigung. Der darin gleichgestimmte Freund in Paris verspricht Hilfe und antwortet am 20. November: „Nach dem gewünschten Pergament habe ich mich eifrig umgesehen und hoffe, dass ich es Ihnen recht bald schicken lassen kann. Ich sprach darüber mit Herrn Gummersbach, einem in allen Haut und Lederdingen höchst erfahrenen Manne, der das Stück auf mittelalterliche Weise gerben lassen will. Es freut mich, dass Sie den Duns Scotus der Feuerwelt entziehen konnten, hoffentlich kommt er gut in die neue Zeit.“76 Dem weiteren Briefwechsel ist nicht zu entnehmen, ob und wann Jünger das in Aussicht gestellte Pergament schickte. 73
Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin, I. Historische Abt., Kupferstichkabinett, Allgem. Museumskorrespondenz, Bd. 4, 1943. 74 Brief von Prof. Winkler an Popitz, 24.9.1943; Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin (wie Anm. 73). Popitz, der diese Nachricht an Schmitt weitergibt, zeigt dabei, dass das Bild des steifen preußischen Konservativen nicht so ganz auf ihn zutrifft: „Obgleich die Menge von Eselshäuten in Deutschland zweifellos erheblich ist, habe ich doch Zweifel, ob es Ihnen gelingen wird, ein verwendbares Stück zu erlangen.“ Popitz an Schmitt, 4.10.1943; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-11167. 75 Jünger/Schmitt, Briefe 1930–1983 (wie Anm. 1), S. 170 f. 76 Ebd., S. 172. Ein „Herr Gummersbach“ taucht in den Pariser Tagebüchern Jüngers nicht auf. Wohl hingegen mehrfach der Buchbinder Gruel, bei dem Jünger Büttenpapiere und Schatullen für seine Manuskripte bezog und wohl auch Einbände machen ließ. Am 26.6.1943 heißt es: „Bei Gruel. Der Aufenthalt dort und die Unterhaltung über Lederarten und Einbände vermittelt mir immer die Vorstellung einer
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Doch muss die Restaurierung der Inkunabel vorzüglich gelungen sein, und das Stück ist auch gut in die neue Zeit gekommen, denn als Schmitt es 1966 über das Bonner Antiquariat Semmel zum Verkauf anbietet, erkennt nicht einmal der Antiquar, dass es sich um ein vor nicht allzu langer Zeit restauriertes Buch handelt und preist es in seinem Katalog als „ungewöhnlich gut erhaltene Inkunabel“ an.77 Carl Schmitt – oder vielmehr seine Frau, die diese praktischen Dinge in die Hand nahm, weil Schmitt dazu ganz offensichtlich unfähig war – fand schließlich im Dezember 1943 eine neue Bleibe in der Schönerer Zeile 19 (nach dem Krieg umbenannt in Kaiserstuhlstraße) in Berlin-Schlachtensee. Die Bibliothek, sofern sie in Berlin verblieben war, war zwischenzeitlich in der Turnhalle einer Volkschule untergebracht. Bei der Wohnungssuche half – neben Popitz – eine Bescheinigung des Berliner Universitätskurators, nach der Schmitt „in Ausübung seines Berufes neben dem üblichen Wohnraum zwei besondere Zimmer für seine wissenschaftliche Arbeit und zur Unterbringung der umfangreichen Bibliothek dringend benötigt.“78 Kriegsende und Beschlagnahme der Bibliothek (1945–1952) Nach Kriegsende wurde die private Bibliothek für Carl Schmitt von gesteigerter Bedeutung. Berlin, das vor 1933 und noch bis in den Krieg ein exzellentes Bibliothekswesen besaß, erfuhr auch auf diesem Feld einen Aderlass sondergleichen. Georg Leyh nahm 1947 eine Bestandsaufnahme der deutschen Bibliotheken vor und konstatierte „eine Katastrophe, die in der Geschichte der Bibliotheken und in der Geschichte der Wissenschaft keinen Vergleich hat“.79 Das galt insbesondere für Berlin. Die öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken waren hier weitgehend vernichtet bzw. ausgelagert oder noch nicht wieder zugänglich. Da die amerikanischen, britischen und französischen Truppen erst im Juli/August in der Stadt eintrafen, lag die politische und administrative Macht auch im Westen Berlins zuspäten, erlesenen Blüte des Handwerks. Mit welchem Genuß würde man in Städten leben, die nur von solche Typen bewohnt wären.“ Jünger, Sämtliche Werke 3, S. 88. 77 Ex Bibliotheca Carl Schmitt, in: Der Mediaevist. Berichte aus dem Büchermarkt von E. Semmel, 128, 1966, Nr. 150 (Ex. in der Bayerischen Staatsbibliothek und im Nachlass Schmitts). 78 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-21268. Tatsächlich ist das (erhaltene) Haus in der Schönerer Zeile 19, eine 1897 erbaute Villa, sehr viel größer und repräsentativer als das zerstörte in der Kaiserswerther Str. 17, das vergleichsweise bescheiden war (vgl. die Ansichtszeichnung des Architekten in der Akte des Bau-und Wohnungsaufsichtsamtes Zehlendorf). 79 Georg Leyh, Die deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken nach dem Krieg, Tübingen 1947, S. 5.
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nächst bei den Russen. Sie haben nicht nur öffentliche Sammlungen, sondern auch zahlreiche Bibliotheken von nationalsozialistisch belasteten Personen in die Sowjetunion verbracht.80 Dass Schmitts Bibliothek nicht darunter war, verdankt sich offenbar dem Umstand, dass die Sowjets ihn nicht als hinreichend NS-belastet betrachteten, wie sie ihn ja auch nach ihrer Besetzung von Schlachtensee im April zwar verhört, aber sonst nicht weiter behelligt hatten. Angesichts der Notlage der Berliner Bibliotheken hat Schmitt Anfang Juni 1945 seine Privatbibliothek für wissenschaftliche Benutzung der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, wofür das große Haus in der Schönerer Zeile gut geeignet war. Diese Maßnahme, die auch den Zweck hatte, die Bibliothek zu schützen, hatte Schmitt mit dem Zehlendorfer Kulturbeauftragten Dr. Podach vereinbart.81 Als Karl Loewenstein von der amerikanischen Militärregierung am 4. Oktober 1945 die Bibliothek begutachtete, hing an der Tür zu den beiden Räumen, in denen sie untergebracht war, ein gedrucktes Plakat der Zehlendorfer Bezirksverwaltung, mit dem in vier Sprachen darauf hingewiesen wurde, dass es sich bei dieser Bibliothek um eine private Forschungsbibliothek handelt, die nur mit Genehmigung der Bezirksverwaltung zugänglich sei. Es war möglich, Bücher aus der Bibliothek zu entleihen; zu diesem Zweck existierte auch ein Ausleihbuch, in dem Loewenstein die Namen von bekannten Gelehrten und Juristen entdeckte.82 Vor allem für den Eigentümer aber wurde die Bibliothek jetzt von geradezu existentieller Bedeutung. Im Sommer 1945 nämlich erhielt er den Auftrag, ein großes völkerrechtliches Gutachten über das Verbrechen des Angriffskrieges abzufassen. Der Auftraggeber Friedrich Flick wollte sich damit gegen eine mögliche Anklage in Nürnberg wappnen. Für Schmitt war 80 Die Verluste sind beschrieben in: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Bd. 14: Berlin, Teil 1. Bearb. von Alwin Müller-Jerina und Friedhilde Krause, Hildesheim/Zürich/New York 1995, S. 30 ff. 81 Der 1894 in Budapest geborene Erich Friedrich Podach war 1927 in Berlin zum Dr. phil. promoviert worden und trat dann vor allem mit Veröffentlichungen zu Nietzsche und mit medizinhistorischen Arbeiten hervor. 1933 emigrierte er in die Schweiz, kehrte aber 1940 nach Deutschland zurück und arbeitete in Berlin als Mitarbeiter des Verlages Otto Schwartz & Co. Am Ende des Krieges war er – wie Carl Schmitt – zum Volkssturm eingezogen. 1955 wurde er Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Stuttgart. Er starb 1967 in Heidelberg. Vgl. International biographical dictionary of Central European emigrés 1933–1945, hrsg. vom Inst. für Zeitgeschichte München und von der Research Foundation for Jewish Immigration, New York, unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss, vol. II/2, München usw. 1983, S. 913. 82 Library of Professor Carl Schmitt, 10.10.1945; Karl Loewenstein Papers, Box 28, Folder 1, Amherst College Archives and Special Collections, Amherst (MA). Vgl. Schmittiana 3, 1991, S. 86.
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der Auftrag schon des Honorars wegen überlebenswichtig, denn seit April bezog er kein Gehalt mehr und war ansonsten mittellos. Das Gutachten, das Schmitt am 25. August abschloss – und das übrigens eine entschiedene Stellungnahme zu den NS-Verbrechen enthält, allerdings nicht in moralischen, sondern juristischen Termini –, ist ausschließlich mit Hilfe der eigenen Bibliothek entstanden, da Schmitt zu dieser Zeit keinen Zugang zu einer einschlägigen öffentlichen Bibliothek hatte. Weder konnte er auf die hier in erster Linie in Betracht kommende und von ihm früher stark genutzte exzellente Bibliothek des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (heute: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg) zurückgreifen, die während des Krieges aus ihrem Domizil im Berliner Schloss nach Brandenburg evakuiert worden war, noch stand die Preußische Staatsbibliothek zur Verfügung, die ihre Bestände ebenfalls weitgehend ausgelagert hatte. Die Universitätsbibliothek, die den Krieg wunderbarerweise unversehrt überstanden hatte, lag im russischen Sektor der Stadt und war nicht zugänglich. So blieb Schmitt für die Arbeit an seinem Gutachten nur die eigene private Bibliothek. Sie war aber ausreichend, wenn man einmal vom neuesten Stand der englischen Strafrechtsdogmatik absieht.83 Während Carl Schmitt zu Hause in seiner Bibliothek an dem Gutachten über das Verbrechen des Angriffskrieges arbeitete, betrieb Karl Loewenstein seine Verhaftung, weil er ihn der Vorbereitung eben dieses Verbrechens für schuldig hielt. Loewenstein war als Professor des öffentlichen Rechts ein alter Bekannter und Kollege Carl Schmitts. Ebenfalls in enger Schülerbeziehung zu Max Weber stehend, kannte er Schmitt schon seit seiner Münchener Zeit.84 Er war befreundet mit Thomas Mann, mit dem er die pessimistische Einschätzung der Möglichkeiten einer Rückkehr der Deutschen zur freiheit83 So die Einschätzung von Helmut Quaritsch, der das Gutachten Schmitts edierte (Carl Schmitt, Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege“. Hrsg., mit Anm. u. e. Nachw. versehen v. Helmut Quaritsch, Berlin 1994, S. 151). Quaritsch geht in seinem Nachwort auf S. 145 f. auch auf die Situation von Schmitts Bibliothek ein. Er hatte offensichtlich drei der vier Verkaufslisten des Antiquariats Kerst von 1954/55 (s. unten) vorliegen. 84 Loewenstein hatte 1914 bei Moritz Julius Bonn studiert, der dann auch für Schmitt wichtig wurde. Er lebte später zur gleichen Zeit in München wie Schmitt und stand mit ihm in persönlichem Kontakt, wie sich aus seinem Brief an Schmitt vom 29.10.1923 ergibt. Darin bittet er Schmitt um die Zusendung von dessen Schrift Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus und schreibt: „Leider habe ich seit Ihrem Weggang von München nicht mehr das Vergnügen einer persönlichen Begegnung gehabt, was ich sehr bedauere.“ (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-8898). Zu Loewenstein vgl. Markus Lang, Karl Loewenstein. Transatlantischer Denker der Politik (Transatlantische historische Studien, 28), Stuttgart 2007.
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lichen Demokratie teilte. Für Schmitt war Loewenstein ein ernstzunehmender und anfangs durchaus geschätzter Kollege; in seiner Schrift Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus äußert er sich 1923 sowohl anerkennend wie kritisch über Loewenstein. Umgekehrt rühmt dieser die Schrift 1925 als eine geniale Abhandlung.85 Später verstärkte sich die Kritik, nicht nur Loewensteins in seiner Wahrnehmung Carl Schmitts, sondern auch umgekehrt; als Loewenstein 1959 ebenfalls als Autor einer Verfassungslehre hervortrat, ließ Schmitt das nicht unkommentiert.86 Loewenstein war 1933 in die USA emigriert und im Juli 1945 als ziviler „Legal Adviser“, Rechtsberater, für die amerikanische Militärregierung nach Deutschland zurückgekehrt. Gleich nach seiner Ankunft verfasste er, datiert auf den 15. August, ein erstes Gutachten über Carl Schmitt. Dieses Gutachten ist nicht erhalten, dafür jedoch sein zweites: Observations on Personality and Work of Professor Carl Schmitt vom 14. November 1945.87 Darin betont er seine „close familiarity“ mit Schmitts Werk seit drei Jahrzehnten, und in der Tat war seine Kritik an Schmitt bei manchen Ungenauigkeiten und grotesken Behauptungen – er machte ihn zum weltweiten Vordenker des Faschismus – durchaus zu Differenzierungen fähig, mehr noch, er er85 Vgl. Joseph W. Bendersky, Carl Schmitt’s path to Nuremberg. A sixty-year reassessment, in: Telos 139, 2007, S. 10. Schmitt äußert sich in seiner Parlamentarismus-Schrift in der Anmerkung auf S. 45 über Loewenstein. Das Verhältnis war in den zwanziger Jahren auf Seiten Schmitts von Respekt, auf Seiten Loewensteins von Bewunderung geprägt. Auf der Staatsrechtslehrertagung in Halle 1931 hörte Schmitt dann allerdings ein Referat Loewensteins und fand es „scheußlich“. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930–1934 (wie Anm. 72), S. 141. 1932 gibt es Briefkontakt und man unterhält sich freundlich (ebd., S. 202). Am 20. März 1933 dringt Loewenstein sogar in Schmitts Träume: „Traum von einem Juden, der Löwe heißt und mir vorwirft, dass ich ihn einen Löwen genannt habe; ich erwidere ihm: Der Mensch ist das Wesen aller Wesen (sonderbar [Loewenstein], Vortrag am! Salto mortale in die Metaphysik)“ (ebd., S. 356). Als Schmitt 1946 im Internierungslager davon erfährt, dass Loewenstein Vorträge zu dem Thema seiner Parlamentarismus-Schrift von 1923 hält, die Loewenstein 1925 so gerühmt hatte, meint er zu Dusˇka: „Alles bewegt sich noch in der Diskussion, die ich seit 1923 führe. Sie werden verstehen, dass ich traurig werde, wenn ich mich so mundtot gemacht sehe.“ Schmitt an Dusˇka Schmitt, 19.8.1946; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13462. 86 Schmitt warf Loewenstein vor, den Titel von ihm gestohlen zu haben. An Joseph Kaiser schreibt er am 9.4.1965: „. . . wenn ich jetzt noch einmal ein systematisches Buch über ‚Verfassung‘ zu schreiben hätte (Gott behüte mich davor!), dann würde ich, statt einer Verfassungslehre eine ‚Verfassungsvollzugslehre‘ schreiben, und Karl Löwenstein hätte dann, nach weiteren 30 Jahren, einen schönen Titel für ein neues Buch.“ Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13139. 87 Karl Loewenstein Papers, Box 28, Folder 2, Amherst College Archives and Special Collections, Amherst (MA). Das erste Gutachten Loewensteins vom 15. August 1945 ist nur aus seinem Office Diary bekannt; vgl. Bendersky, Carl Schmitt’s path to Nuremberg (wie Anm. 85), S. 10.
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kannte dessen überragende Bedeutung an und gab ohne weiteres zu, dass Carl Schmitt „one of the most eminent political writers of our time“ und „a man of near-genius rating“ sei: „He possesses not only a vast and by no means sterile erudition, drawing from an immense store of factual information such constructive conclusions as have greatly contributed to the shaping of the things to come in the past. He is one of those rare scholars who combine learning with imagination; book knowledge with a realistic sense of what is possible in politics; scientific training with political versatility. Without doubt Carl Schmitt is the most prominent personality in the field of public law and political science Germany has produced since Georg Jellinek.“ Schmitt sei als juristische Autorität vielleicht „the most quoted German legal author of this generation, with the possible exception of Hans Kelsen.“ Auch sah Loewenstein im Unterschied zu Schmitts schlichteren Verfolgern, dass dieser kein „Totengräber Weimars“ war, sondern ganz im Gegenteil: „his criticism was constructive in that it pointed out defects of its political structure which, if remedied in time, might have led to its preservation.“ Joseph Bendersky sagt dazu: „Loewenstein wrote one of the most intellectually laudatory appraisals Schmitt had ever received.“88 Jedoch, Loewensteins Lob war vergiftet, seine Hymnen auf Schmitt waren taktischer Natur. Er stimmte sie an in der Absicht, die Fallhöhe umso eindrucksvoller vor Augen zu stellen. Gerade weil Carl Schmitt ein so bedeutender Autor mit internationaler Reputation war, hat er mehr zur Stützung des NS-Regimes beigetragen, als mancher andere. Wäre er nur in Deutschland bekannt gewesen, so könne man ihn vernachlässigen. „But his authority has been recognized for many years in foreign countries, particularly in France, Spain and Latin America.“ „In this writer’s opinion Carl Schmitt is one of the intellectual props of the Hitler state who has actively prepared and promoted the acts of aggression committed by the latter.“ Ließe man ihn ungeschoren davonkommen, so wäre das ein Schlag ins Gesicht der neu aufzubauenden Demokratie in Deutschland. Für sein Urteil dienten Loewenstein vor allem zwei Titel von Schmitt als Beweis: einmal die Rechtfertigung der Röhm-Morde in dem Artikel Der Führer schützt das Recht, und sodann Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Mit dieser zweiten Schrift von 1939 sei der Verfasser zum geistigen Wegbereiter des Zweiten Weltkrieges geworden und deshalb als ein Hauptkriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Die Festnahme und Anklage Schmitts also stand 1945 zuoberst auf der Agenda Loewensteins. Doch wie zuvor schon die Russen, die Carl Schmitt 88 Bendersky, Carl Schmitt’s path to Nuremberg (wie Anm. 85), S. 15. Loewensteins Urteil über Schmitts „konstruktive“ Kritik an der Weimarer Republik verkehrte sich allerdings 1960 in sein genaues Gegenteil; vgl dazu unten, Anm. 122.
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Ende April 1945 verhört, aber nicht verhaftet hatten, verhielten sich auch die Amerikaner zunächst zurückhaltend. Der mit polizeilichen Aufgaben betreute Public Safety Branch, an den Loewenstein sich mit seinem ersten Memorandum vom 15. August wandte und bei dem er am folgenden Tag auch persönlich vorstellig wurde, war desinteressiert, zeigte sich aber bereit, Carl Schmitt Loewenstein zuliebe festzunehmen, was diesen in seinem Selbstverständnis als Entnazifizierer beleidigte. Er blieb hartnäckig und hatte schließlich beim amerikanischen Nachrichtendienst Erfolg: Am 26. September 1945 wurde Carl Schmitt von diesem verhaftet, und zwar „without charges“,89 also ohne dass dabei Anklagepunkte genannt wurden. Das war eine erste Andeutung davon, dass es nicht so einfach war, juristisch gegen Carl Schmitt vorzugehen. Loewenstein wollte nicht nur den Mann, sondern auch seine Bücher. Daher inspizierte er am 4. Oktober die Bibliothek Schmitts und beschrieb sie in einem Gutachten vom 10. Oktober.90 Loewenstein fand die Bibliothek Schmitts systematisch geordnet aufgestellt und in gutem Zustand in zwei großen Räumen des Hauses Kaiserstuhlstr. 19 in Schlachtensee vor. Den Umfang der Bibliothek gibt er recht präzise an: „It consists of approximately 5 000 volumes. If the reprints are included the number is considerably higher.“ Er nennt also den Umfang, ohne die zahlreichen Sonderdrucke einzubeziehen. (Mit „reprints“ sind ganz offensichtlich „offprints“ gemeint.) Die Bibliothek sei die seines Wissens vollständigste Sammlung zum Recht der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. „There is practically no subject on which I had been working in US Group CC on which full documentation could not be found in it. If it could be catalogued its usability would be enhanced considerably.“ Angesichts der Zerstörungen deutscher Bibliotheken und der gezielten Entfernung juristischer Titel aus der Weimarer Zeit während des Nationalsozialismus sei die Sammlung Schmitts für die Arbeit der Militärregierung von großem Nutzen. Er empfiehlt ihre Beschlagnahmung: „The library should be impounded, placed at the disposal of Group CC and other official agencies and utilized to the full extent of its facilities. Since much of our work deals with the state of law prior to 1933 and books on this period have been eliminated from most libraries the library will prove indispensable for our purposes.“ Dass Schmitt die Bibliothek öffentlich zugänglich gemacht und unter den Schutz des Zehlendorfer Bezirksamts gestellt hatte, kann Loewenstein natürlich nicht beeindrucken: „Its legal validity seems doubtful since the Be89
So steht es in Loewensteins Office Diary, zit. nach: Bendersky, Carl Schmitt’s path to Nuremberg (wie Anm. 85), S. 13 f. Der Verhaftungsbefehl ist nicht bekannt. 90 Library of Professor Carl Schmitt, 10.10.1945; Karl Loewenstein Papers, Box 28, Folder 1, Amherst College Archives and Special Collections, Amherst (MA).
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zirksamt has not power to exclude American users.“ Loewenstein nimmt gleich drei Bücher aus Schmitts Bibliothek mit, die er auch ordnungsgemäß in das Ausleihbuch einträgt, nämlich einmal Arnold Köttgen, Deutsches Universitätsrecht (Tübingen 1933), das er für seine aktuelle Arbeit benötigte, und die beiden Titel Schmitts (Völkerrechtliche Grossraumordnung und Der Führer schützt das Recht), die ihm als Beweise für die NS-Kriminalität ihres Verfassers dienen sollten. Diese beiden Titel „should be submitted to CIA as instruments of confrontation in case Schmitt would deny his Nazi activities.“ Loewenstein beschließt sein Gutachten mit dem Satz: „In the opinion of this writer Schmitt qualifies as a war criminal. He is one of the intellectual instigators of Hitlers acts of aggression and aided and abetted them by his influential authorship. I hardly know of any individual person who has contributed more for the defense of the Nazi regime than Carl Schmitt. I suggest that the case be submitted to the War Criminal Commission for further action.“ Schmitts Bibliothek interessierte Loewenstein also aus zwei Gründen. Einmal sah er sie als ein mögliches Beweismittel für die NS-Kriminalität ihres Eigentümers, worauf noch zurückzukommen sein wird. Mit seiner zweiten Begründung stellte sich Loewenstein als Jurist ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Sie ist nämlich rein pragmatisch und als rechtliche Basis einer Beschlagnahme mehr als zweifelhaft: Loewenstein weist darauf hin, dass Schmitts Bibliothek der Besatzungsmacht bei ihrer Arbeit nützlich sein könnte. Dieser Hinweis auf den praktischen Nutzen der Bücher Carl Schmitts für die Militärregierung verfehlte auch nicht seine Wirkung. Am 16. Oktober – Schmitt war seit drei Wochen in Haft – erschien ein Vertreter der Library Section des Office of the Director of Intelligence der amerikanischen Militärregierung bei Dusˇka Schmitt und präsentierte ihr ein formloses Schreiben, in dem es hieß: „It is hereby ordered and authorized to confiscate and remove the library of Prof. Schmidt [sic!], Kaiserstuhlstr. 19, for future use by this office. The library, or parts thereof, are not to be removed by anyone but representatives of this office.“91 (Abb. 7) Zwei Tage später wurde die Bibliothek auf amerikanischen Lastwagen abtransportiert. Carl Schmitt sollte sie in dieser Vollständigkeit nie wiedersehen. Der Rechtstitel, mit dem die Sequestrierung geschah und von dem in der Verfügung nicht die Rede ist, war das Military Government Law No. 52. Dieses Gesetz erlaubte es, das Eigentum nationalsozialistischer politischer Organisationen wie auch aller Personen, die im politischen oder wirtschaftlichen Leben NS-Deutschlands eine wichtige Rolle gespielt hatten, zu beschlagnahmen (to block). Auch der zentrale Sitz der amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland, das Gebäude der IG-Farben in Frankfurt, in 91
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Abb. 7: Beschlagnahmungsverfügung der amerikanischen Militärregierung vom 18.10.1945 (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-10602).
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das später, nach der Auflösung von OMGUS [= Office of Military Government for Germany [U.S.]], die Schmitt-Bibliothek verbracht wurde, war auf dieser Grundlage in Beschlag genommen worden. Aber war Carl Schmitt eine im Sinne des Gesetzes Nr. 52 wichtige Person des politischen oder wirtschaftlichen Lebens? Dass in dem Beschlagnahmungsbefehl dieses Gesetz nicht genannt ist, ist kein Zufall. Wie Schmitt schon „without charges“ verhaftet worden war, so gehörte er auch nicht – entgegen seiner eigenen Aussage wie auch der Loewensteins92 – zu dem Personenkreis, der in „automatic arrest“ genommen wurde. Dieser Kreis war sehr weit gezogen und erfasste sämtliche Funktionsträger des NSStaates bis hinunter zum unbedeutenden Dorfbürgermeister. Aber selbst durch dieses engmaschige Raster fiel Schmitt hindurch, weil er dafür ein viel zu kleiner Fisch war. Zwar war er preußischer Staatsrat gewesen, doch damit verhielt es sich so wie mit dem „Titularbischof“ in der katholischen Kirche: Es klang großartig, war aber tatsächlich im NS-Herrschaftsgefüge völlig bedeutungslos. Und auch für die standespolitische Rolle, die Schmitt bis 1936 bei den Universitätsjuristen gespielt hatte sowie für seine Vortragsreisen im Ausland während des Krieges, die eine gewisse wissenschaftspolitische Bedeutung hatten, interessierten sich die Amerikaner herzlich wenig. Für diese vergleichsweise harmlosen, von der harten Politik weit entfernten Dinge griff der „automatic arrest“ nicht. Das erklärt die amerikanische Zurückhaltung gegenüber Loewensteins Vorstoß vom August 1945, wie es auch dessen Frustration erklärt, mit der er sich im September 1946 wieder in die USA zurückzog. Auch hier aber gab er keine Ruhe und setzte sich weiterhin für ein schärferes Vorgehen gegen ehemalige Nazis und insbesondere gegen Carl Schmitt ein. Was letztlich ausschlaggebend dafür war, dass die Verhaftung am 26. September 1945 erfolgte, bleibt unklar. Die Internierungsmethoden der Amerikaner waren ziemlich willkürlich, und Loewenstein war als Jurist bei der Besatzungsmacht hochangesehen, sein Wort hatte Gewicht. Allerdings war dieses Wort nicht ehrlich, Loewenstein redete doppelzüngig. Dusˇka und Schmitts Rechtsanwalt Friedrich Carl Sarre gegenüber beschwichtigte er und stellte den Fall als harmlos dar. Carl Schmitt gehöre seiner Meinung nach nicht zu den sog. Kriegsverbrechern und würde daher auch nicht gerichtlich verurteilt. Seine Bibliothek erhalte er zurück.93 In der Tat aber 92 Schmitt: „Ich habe, kraft des automatischen Arrests, das Jahr 1945–46 in einem dieser Konzentrationslager zugebracht.“ (Schmittiana 2, S. 140). Loewenstein äußerte gegenüber Rechtsanwalt Sarre, dass Schmitt in automatic arrest genommen worden sei. (Sarre an Dusˇka Schmitt, 6.12.1945; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-12245). Dagegen stellt Helmut Quaritsch klar, dass Schmitt nicht zu dem Personenkreis gehörte, der in automatischen Arrest genommen wurde (Schmitt, Antworten in Nürnberg, wie Anm. 17, S. 11 f.).
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agierte er in entgegengesetztem Sinn. Zur selben Zeit, zu der Loewenstein sich so gegenüber Schmitts Rechtsanwalt äußerte, schrieb er seine zitierten Observations on Personality and Work of Professor Carl Schmitt, womit er darauf insistierte, dass Schmitt als Schreibtischtäter ein gefährlicher „war criminal“ und unbedingt zu bestrafen sei. Dieser Vorwurf, ein Schreibtischtäter gewesen zu sein, wurde Schmitt auch später durch Kempner in Nürnberg gemacht, der keine anderen Beweise für Kriegsverbrechen gegen Schmitt ins Feld führen konnte, als diejenigen, die schon Loewenstein anführte, und die sich im Wesentlichen auf die Schrift Völkerrechtliche Großraumordnung stützten. Doch da hatte das Nürnberger Gericht längst – etwa in seinem Urteil über Baldur von Schirach vom 30.9./1.10.1946 – klargestellt, dass es Schreibtischtäterschaft im Sinne der Vorbereitung eines Angriffskrieges ausdrücklich nicht als Strafgrund anerkannte, worauf hinzuweisen Schmitt gegenüber Kempner nicht versäumte.94 Es ist eben keine justiziable, sondern eine moralische Kategorie. Carl Schmitt hat das gesehen und zu nutzen verstanden. „Ich möchte aber wissen, was mir zum Vorwurf gemacht wird“, fragt er zu Anfang seines ersten Verhörs durch Kempner am 3. April 1947, und er stellt fest: „Alle bisherigen Vernehmungen endeten schließlich in wissenschaftlichen Erörterungen.“95 Auf diesem Feld aber war Carl Schmitt in seinem Element, und hier zeigte er sich – sei es in der Begegnung mit Loewenstein, Flechtheim oder Kempner96 – als der bei weitem Überlegene. Es war ihm 93 Sarre an Dus ˇka Schmitt, 6.12.1945; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-12245. An Rudolf Smend schreibt Dusˇka am 20.12.1945: „Die Bibliothek von Carl Schmitt ist am 18. Oktober beschlagnahmt und abgeholt worden; sie soll nach einem halben Jahr zurückgegeben werden.“ „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“. Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend 1921–1961. Hrsg. v. Reinhard Mehring, Berlin 2010, S. 115. 94 In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 28. April 1947; Schmitt, Antworten in Nürnberg (wie Anm. 17), S. 83–91 (insbesondere S. 89). 95 Schmitt, Antworten in Nürnberg (wie Anm. 17), S. 52. 96 Dafür, dass Carl Schmitt von Loewenstein verhört wurde, gibt es nur das Zeugnis von Schmitt (Schmitt, Glossarium, wie Anm. 18, S. 264); für Flechtheim nur dessen eigenes – unzuverlässiges – Zeugnis (vgl. Claus-Dietrich Wieland, Carl Schmitt in Nürnberg (1947), in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 2, 1987, S. 96–122; Schmittiana 2, S. 142–148); für Kempner vgl. Schmitt, Antworten in Nürnberg (wie Anm. 17). – Dass die Verfolgung Schmitts nach dem Krieg ausschließlich von deutschen jüdischen Emigranten ausging, musste Carl Schmitt in seiner irrationalen „Angst vor den Juden“ (so die wiederholte Formulierung im Tagebuch 1930–1934) bestätigen. Die Amerikaner haben bei der personellen Zusammensetzung des Nürnberger Gerichts darauf geachtet, keine (jüdischen) Emigranten zu beteiligen, weil sie den Vorwurf der Rache vermeiden wollten. Die einzige Ausnahme war – Kempner. Gerd Giesler weist mich auf den geistigen Hintergrund Kempners hin, der damit angedeutet ist, dass der Bruder Walter Kempner (1903–1997) als „Leibarzt“ Stefan Georges 1933 an dessen Sterbebett
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ein leichtes nachzuweisen, dass seine Völkerrechtliche Großraumordnung eben nicht der Vorbereitung eines Angriffskrieges diente. Seiner Überlegenheit in dieser Diskussion war er sich auch durchaus bewusst; man kann sogar bemerken, dass er die in wissenschaftlichen Erörterungen endenden Vernehmungen in gewisser Weise genoss. Schließlich war er es auch, der sie in den fünfziger Jahren zuerst publizierte.97 Wie es aber für die Inhaftierung Carl Schmitts keine justizfesten Gründe gab, so gab es sie auch nicht für die Sequestrierung seiner Bibliothek. Loewenstein hatte sie, nachdem er beim Public Safety Branch damit gescheitert war, dem CIA anempfohlen, und so geschah die Beschlagnahme im Namen des Office of the Director of Intelligence, also des amerikanischen Nachrichtendienstes. Dieser Abteilung unterstand das Berlin Document Center im ehemaligen Postgebäude am Wasserkäfersteig in Zehlendorf, wohin amerikanische Lastwagen die Bücher Schmitts am 18. Oktober 1945 brachten. Das Document Center war die Sammelstelle für alle einschlägigen Dokumente in Hinsicht auf die geplanten Kriegsverbrecherprozesse. Man handelte damit ganz im Sinne der ersten Begründung Loewensteins: Carl Schmitts Bibliothek galt als Beweisstück für NS-Täterschaft. Doch bereits nach wenigen Wochen fiel das Auge der Rechtsabteilung der Militärregierung auf diese Sammlung. Lt. Col. Marye und Legal Adviser Dickman machten ihren Vorgesetzten Alvin Rockwell darauf aufmerksam, dass sich beim Document Center „a very substantial German library“ befände, eben diejenige Schmitts.98 Angesichts der Unvollständigkeit der eigenen Bibliothek sei es dringend erwünscht, die Bibliothek Schmitts in die Rechtsabteilung der Militärregierung zu übernehmen. Rockwell empfahl in einem handschriftlichen Vermerk die Annahme des Vorschlags. Hatte man hier bereits erkannt, dass Carl Schmitts Bibliothek als mögliches Beweismittel für NS-Verbrechen ihres Eigentümers untauglich war? Dann galt jetzt nur noch der zweite, utilitaristisch-pragmatische Gesichtspunkt Loewensteins. Bei der Legal Division gab es in der Tat einen dringenden Bedarf an Schmitts Büchern. Mit der Kapitulation Deutschlands sah sich die Siegermacht in dem besetzten Land einer Situation gegenüber, in der von einem geordneten „Staat“ nicht mehr die Rede sein konnte. Das Rechtssystem stand und auch in der amerikanischen Emigration einer der aktivsten Georgeaner blieb. Vgl. Ulrich Raulff, Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, 2. Aufl., München 2010. 97 Carl Schmitt, Das Problem der Legalität, in: Die Neue Ordnung 5, 1950, S. 270–275; ders., Der Zugang zum Machthaber, ein zentrales verfassungsrechtliches Problem, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, Berlin 1958, S. 430–440. 98 Marye und Dickman an Rockwell, 23.11.1945; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7.
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war in weiten Teilen neu zu schaffen, und das war im Wesentlichen die Aufgabe der Legal Division der Militärregierung. Die Zuständigkeit dieser Abteilung erstreckte sich von der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten über das Bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, die Zusammensetzung und Verfasstheit der Gerichte, der Anwaltskammern, die Organisation des Gefängniswesens bis hin zu völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang der Nürnberger Prozesse. Die besondere Bedeutung gerade dieser Abteilung ihrer Militärregierung war den Amerikanern frühzeitig klar, und sie schickten hervorragende Juristen nach Deutschland, die zuvor auch in den USA sorgfältig auf die Situation vorbereitet worden waren. Trotz aller Vorbereitungskurse aber waren sie natürlich nur bedingt mit den deutschen Verhältnissen vertraut,99 weshalb sie durch viele emigrierte deutsche Juristen unterstützt wurden, die als Zivilmitarbeiter der Legal Division tätig waren. Zwei von ihnen hatten speziell mit der Bibliothek Carl Schmitts zu tun: neben Karl Loewenstein war das William Dickman (früher: Wilhelm Dickmann).100 Die Juristen der amerikanischen Militärregierung hatten im Berlin des Jahres 1945 dasselbe Problem wie der Flick-Gutachter Carl Schmitt: Leistungsfähige juristische Bibliotheken gab es nicht bzw. waren nicht zugänglich. Die nach Lage der Dinge einzig in Betracht kommende Bibliothek, die der Universität, lag im russischen Sektor der Stadt, dessen Kommandant den Amerikanern den Zutritt verweigerte. In ihrem eigenen Sektor gab es zwar viele schöne Villen mit so mancher Privatbibliothek, aber eben keine öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken. Nun hatte Carl Schmitt die 99 Die Schwierigkeiten fingen schon mit der Sprache an, was die kuriose Folge hatte, dass der Bibliothekar der Legal Division bei der Anfertigung eines Katalogs die deutschen Titel ins Englische übersetzte! Vgl. Report on recent library acquisitions, 10.1.1946; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7. 100 William J. Dickman (= Wilhelm Dickmann), war in der Weimarer Republik zunächst Richter in Berlin, dann angesehener Rechtsanwalt. 1938 emigrierte er in die USA. Nach der Niederlage Deutschlands kehrte er zurück und arbeitete als Ziviljurist für die Rechtsabteilung der amerikanischen Militärregierung, für die er etwa das Gesetz zur Auflösung des Landes Preußen formuliert hat. (Vgl. Ernst C. Stiefel/Frank Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil, Tübingen 1991, S. 137 f., 155). Bei der Übernahme der Schmitt-Bibliothek durch die Legal Division war Dickman führend beteiligt, ebenso bei der erneuten Verhaftung Schmitts am 19. März 1947. Er war mit Robert Kempner befreundet (vgl. R. Kempner, Ankläger einer Epoche, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1983, S. 179). Die jahrzehntelange Vertrautheit mit dem Werk Carl Schmitts jedoch, die Loewenstein für sich in Anspruch nehmen konnte, gab es weder bei Kempner noch bei Dickman: Letzterer schreibt noch im Januar 1946 in seinen Vermerken Schmitt mit „dt“, und das Telegramm, mit dem Kempner am 18. März 1947 bei der Legal Division nach Material über Schmitt anfragt, vermag dessen Namen ebenso wenig korrekt wiederzugeben.
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seine zwar für öffentlich erklärt, doch war es für die Besatzungsmacht natürlich undenkbar, wie andere gewöhnliche Nutzer in das Haus Schmitts zu gehen und sich seinen Ausleihbedingungen zu unterwerfen. Sie brauchten für ihre Rechtsabteilung eine eigene Bibliothek. Schon im Januar 1945 hatten die Amerikaner vorausschauend damit begonnen, anhand zirkulierender Listen eine juristische Reference Library zusammenzustellen, konnten aber im Herbst dieses Jahres noch bei weitem keinen hinreichenden Erfolg damit verzeichnen. So musste ihr Augenmerk zwangsläufig auf den Fundus im Document Center fallen. Nach einer Inspektion der Schmitt-Bibliothek durch Vertreter der Legal Division lautete das Votum für den Chef der Rechtsabteilung: „All branches of the Legal Division have now expressed themselves in favor of taking over the law books from the library of Dr. Schmidt [sic!]. . . The collection numbers about 4 000 volumes, that is about twice the number of our present law collection, and includes many series, reference material and books which will be of great value in our work and which are not available elsewhere. No more complete collection of German law can be had anywhere, except for the German law collection at the University Library, which is inaccessible for the time being.“101 Die Bibliothek Carl Schmitts wanderte jetzt vom Document Center am Wasserkäfersteig in das US-Hauptquartier im Gebäude des ehemaligen Luftgaukommandos in der Kronprinzenallee 170–172 (heute: Clayallee). Die Bibliothek der Rechtsabteilung der amerikanischen Militärregierung, die bis dahin nur eine bescheidene, mit vielen Lücken behaftete Sammlung darstellte, war mit dieser Übernahme schlagartig zu einer „einzigartige(n) Sammlung“ geworden, „die im Laufe der Zeit auch von anderen Abteilungen der Militärregierung sowie von den Richtern der Nürnberger Prozesse, von britischen Kräften und der Militärmission benutzt wurde.“102 Stolz fordert der Bibliothekar der Legal Division am 10. Januar 1946, dass die Erwerbung von Schmitts Bibliothek „as widely as possible“ bekannt gemacht werde, „in order to draw the attention of members of LD now on the wide scope of our library.“103 Die Rechtsabteilung der Militärregierung würde ihrem Namen keine Ehre gemacht haben, hätte sie sich nicht auch hinsichtlich der rechtlichen Seite der Sache Gedanken gemacht. Man war sich durchaus bewusst, über fremdes Eigentum zu disponieren, über Eigentum zudem, das nicht aus einer 101 Memorandum [von Marye und Dickman] for Mr. Fahy, 5.12.1945; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7. 102 Stiefel/Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil (wie Anm. 100), S. 194. 103 Report on recent library acquisitions, 10.1.1946; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7.
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NS-Dienststelle stammte oder einem hochrangigen Funktionär gehörte, sondern einem Privatmann und Wissenschaftler, dessen NS-Kriminalität allererst noch zu beweisen und – wie sich nach und nach herausstellte – wohl eher zurückhaltend zu bewerten, jedenfalls juristisch kaum zu fassen war. Das muss bei den Amerikanern zu Diskussionen geführt haben, denn in seinem Gutachten vom 14. November – das vielleicht aus Anlass solcher Diskussionen nach einer Initiative Dusˇkas zur Freigabe der Bücher entstand – geht Loewenstein ausdrücklich auf diesen Punkt ein und fühlt sich bemüßigt zu betonen, dass mit der Beschlagnahme der Bibliothek deren Eigentumstitel nicht berührt werde. Die Bücher seien für den Fall einer möglichen Rückgabe klar zu kennzeichnen. Entsprechend wollte man in der Legal Division mit der Bibliothek umgehen: „All the books of the Dr. Schmidt [!] Law Collection are earmarked as being Dr. Schmidt’s property and they will be kept separately by us so that in case ultimate disposition of the title to the books will be made by higher authority no difficulties will arise in separating the books again from the rest of the law books of the Legal Division.“104 Der Leiter der Rechtsabteilung, Charles Fahy, der diese Vereinnahmung der Schmitt-Bibliothek zu verantworten hat, war einer der fähigsten Juristen seines Landes und vor Antritt seines Postens bei der Militärregierung stellvertretender US-Justizminister gewesen. Ihm schien die vorgeschlagene Praxis offensichtlich unbefriedigend, und er zeichnete den Bericht seiner Untergebenen zur Übernahme der Bibliothek ab, nicht ohne seiner Paraphe eine zweifelnde handschriftliche Bemerkung hinzuzufügen: „These books are private property . . . should we not make arrangements for compensation?“ Die Bedenken Fahy’s löste sein weniger skrupulöser Mitarbeiter Alvin Rockwell, der ihm im Juni 1946 als Direktor der Legal Division nachfolgen sollte, mit einem dilatorischen Formelkompromiss: Solange unklar ist, ob Carl Schmitt verurteilt wird, gilt das Gesetz Nr. 52. Erst danach stelle sich die Frage einer Entschädigungszahlung.105 Tatsächlich zeigte man sich schließlich im Juli 1947 zur Zahlung von 500 bis 1 000 Mark bereit, was für eine Bibliothek dieser Güte ein lächerlich geringer Betrag war.106 Dass 104 Memorandum [von Marye, Dickman und Witten, Chief of Library] to Mr. Charles Fahy, 18.12.1945; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7. 105 Handschriftlicher Vermerk von A. Rockwell für Mr. Fahy, 3.1.1946; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7. 106 Request of Requisitioning of the Library of Dr. Carl Schmitt of BerlinSchlachtensee, Kaiserstuhlstrasse 19, 8.7.1947; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7. (Der Text dieses Dokuments ist auf dem Film des Bundesarchivs teilweise unlesbar.) Zum Vergleich: Allein für den Duns ScotusBand, den Carl Schmitt 1966 verkaufte, verlangte der Antiquar DM 2 000; vgl. Der
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man im Sommer 1947 eine Entschädigungszahlung ins Auge fasste, kam nicht von ungefähr. Seit dem 17. März dieses Jahres gab es ein OMGUSGutachten, das die eigentumsrechtlichen Probleme bei der Enteignung von deutschem Privateigentum behandelte und sich für einen weitgehenden Eigentumsschutz aussprach. Das führte am 11. Juli zu einer neuen Besatzungsdirektive, die eine in diesem Punkt deutlich freundlichere Politik bedeutete.107 Das amerikanische Angebot ist wahrscheinlich eine direkte Folge dieser Neuorientierung. Für die Bibliothek Carl Schmitts blieb das ohne Konsequenzen. Die Amerikaner, denen sie offensichtlich für ihre Arbeit unentbehrlich geworden war, behielten sie über volle sieben Jahre und überführten sie nach der Auflösung von OMGUS 1949 in die Rechtsabteilung des US-High Commissioner for Germany (HICOG) nach Frankfurt. Sie gehorchten damit einer praktischen Notwendigkeit, die jedoch von Anfang an, schon mit dem Gutachten Loewensteins vom 14. November 1945, mit Skrupeln hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieses Handelns belastet war. Durch die Aktenvermerke zieht sich die wiederkehrende Feststellung, dass man nicht Eigentümer von Schmitts Büchern, sondern nur ihr vorübergehender Besitzer ist, und geradezu peinlich achtete man darauf, entsprechend mit ihnen zu verfahren. Nicht nur sollten sie in der Bibliothek der Legal Division strikt von den übrigen Büchern separiert stehen, sie sollten auch durch Stempel unübersehbar als das Eigentum Carl Schmitts gekennzeichnet sein, um so eine Rückgabe jederzeit möglich zu machen. Jedes Buch erhielt also in der Titelei eine mit schwarzer Tinte handschriftlich vermerkte Nummer sowie zwei Stempel; einen großen roten, der den Besitzer auswies: LEGAL DIVISION/U.S. GROUP, CC, (GERMANY)/LIBRARY und einen kleineren schwarzen, der den Eigentümer nannte: PROF. CARL SCHMITT-LIBRARY (Abb. 8). Dass man darüber hinaus auch noch mit weißer Tusche ein großes „S“ auf die U1-Seite der Bücher malte, war dann doch vielleicht etwas viel der Kennzeichnung, sagt aber eben damit etwas aus: Dieses übergroße „Earmarking“ von Schmitts Büchern verriet das schlechte Gewissen. Nun bestand, wie schon gesagt, die Schmitt-Bibliothek nicht nur aus juristischen Titeln. Mit den intellektuellen Sternen am Himmel Carl Schmitts, mit Theodor Däubler, Konrad Weiß, Donoso Cortés oder Léon Bloy konnte die amerikanische Militärregierung weiß Gott nichts anfangen. Auch Zimelien wie die Inkunabel von Duns Scotus, die Erstausgabe des Mediaevist (wie Anm. 77), Nr. 150. Die Erstausgabe des Leviathan von Hobbes hätte einen noch erheblich höheren Preis erzielt. 107 Vgl. Dieter Waibel, Von der wohlwollenden Despotie zur Herrschaft des Rechts. Entwicklungsstufen der amerikanischen Besatzung Deutschlands 1944–1949, Tübingen 1996, S. 79 f.
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Abb. 8: Die beiden Stempel der amerikanischen Besatzungsmacht, in: Henry St. John Bolingbroke, Letters on the study and use of history, Basil 1788 (Besitz Gerd Giesler, Berlin).
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Leviathan108 sowie weiterer zeitgenössischer Drucke von Hobbes, die Testina-Ausgabe der Werke Machiavellis von „1550“,109 die französische Ausgabe von Grotius’ De jure belli ac pacis von 1703110 oder der Six livres de la république von Bodin,111 die Erstausgaben von Joseph de Maistre112 oder Bruno Bauer, dürften bei ihr ebenso wenig auf Interesse gestoßen sein wie das Geheimtagebuch des Sir Samuel Pepys. Das gilt nicht minder für 108 Es wird gelegentlich bezweifelt, dass es sich bei Schmitts Exemplar des Leviathan (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-24550) um die Erstausgabe handelt. Tatsächlich gibt es drei verschiedene Ausgaben mit dem Druckvermerk: „London, Printed for Andrew Crooke, at the Green Dragon in St. Pauls Churchyard, 1651“. Da der Leviathan von seinem ersten Erscheinen an ein „sehr verrufenes Werk“ (Hegel) und bald schon verboten war, das Buch infolgedessen sehr gesucht und hoch gehandelt wurde, gab es zwei clandestine Nachdrucke, die durch Verwendung desselben Imprints den Anschein der Erstausgabe erwecken. Der erste dieser beiden Nachdrucke verwendet auch dieselbe Platte für das Titelkupfer, dessen Abnutzung ein Unterscheidungskriterium zur Erstausgabe, der sog. Head-Edition, ist. Vgl. Hugh Macdonald/Mary Hargreaves, Thomas Hobbes. A bibliography, London 1952, S. 27–35. Bei Carl Schmitts Exemplar handelt es sich ganz eindeutig um die echte Erstausgabe, die Head-Edition, jedoch zeigt das Titelbild die Abnutzungserscheinungen der zweiten Ausgabe, der sog Bear-Edition, muss also entweder einer der letzten Abzüge der Erstausgabe oder nachträglich ausgetauscht worden sein. Wegen dieser minderen Qualität verwendete Schmitt das Bild auch nicht für sein Buch über den Leviathan, sondern entnahm es „der besseren Deutlichkeit wegen“ einer Ausgabe von 1750 (vgl. C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, Hamburg 1938, S. 26 f.). Seine höchst kostbare Erstausgabe hat Schmitt – laut seinem Eintrag auf dem Vorsatz – 1922 von dem befreundeten Philosophen Hans Pichler zum Abschied von Greifswald als Geschenk erhalten. „Wären Sie doch in Greifswald geblieben! Ich bin jetzt ganz einsam hier,“ ruft dieser Schmitt am 30. Oktober 1923 nach (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-11063) und erinnert wehmütig an die Begegnungen mit ihm, Paul Scheffer und Franz Blei. 1959 hat Carl Schmitt sein Exemplar des Leviathan restaurieren und in einen neuen Halbledereinband binden lassen. 109 Die fünfbändige Testina führt, um den Index librorum prohibitorum zu unterlaufen, das Erscheinungsjahr 1550, ist tatsächlich aber später, wohl nach 1588 in Genf erschienen. Auch sie erlebte anonyme Nachdrucke. Genaueres kann zu Schmitts Exemplar nicht gesagt werden, da es bislang nur aus dem Antiquariatskatalog bekannt ist. Vgl. Der Mediaevist (wie Anm. 77), Nr. 474. 110 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-26004. Die Elzevir-Ausgabe von Grotius’ Historia Gotthorum, Vandalorum, & Langobardorum (Amsterdam 1655), die Ernst Jünger 1943 in Paris erwarb und mit seinem Exlibris versah, gelangte von diesem erst 1958 als Geburtstagsgeschenk mit einer Widmung an Carl Schmitt (vgl. unten, S. 331 f.). 111 Carl Schmitt besaß eine französische, Paris 1580 (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-22687), italienische, Genua 1588 (ebd., RW 265-24549) sowie eine lateinische, Frankfurt 1641 (ebd., RW 265-23362) Ausgabe dieses Werkes. 112 Schmitt besaß z. B. die Erstausgabe von Les soirées de Saint-Pétersbourg (Paris 1821) sowie die erste, neunbändige Gesamtausgabe de Maistres (Oeuvres, Lyon 1834–1842). Vgl. Der Mediaevist (wie Anm. 77) Nr. 483 und 480.
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die Œuvres de Blaise Pascal, für Theologen wie Augustinus oder Thomas von Aquin, Erik Peterson oder Erich Przywara, Philosophen wie Aristoteles oder Hegel, Leo Strauss, Max Scheler, Ludwig Wittgenstein oder Walter Benjamin, Dichter wie Friedrich von Spee oder Annette von Droste-Hülshoff, Literaten wie Franz Blei und Albert Paris Gütersloh. Zu Dadaisten wie Hugo Ball und Kurt Schwitters dürften amerikanische Militärs nur ganz ausnahmsweise eine Beziehung gehabt haben. Und was sollten sie wohl mit den Metamorphosen Ovids, den Komödien des Aristophanes, Tragödien des Aeschylus oder des Sophokles, zumal, wenn sie im griechischen Original vorlagen? Was mit den Ausgaben der Septuaginta und der Vulgata oder einem von der Abtei Maria Laach herausgegebenen Laienbrevier? Was schließlich konnten sie anfangen mit den Zeichnungen Karl Friedrich Schinkels, den Opernpartituren Willibald Glucks oder Richard Wagners, dem Klavierauszug von Händels Messias? Diesen, für eine juristische Reference Library gänzlich ungeeigneten Teil der Bibliothek hat man – sofern er nicht schon 1943 nach Plettenberg verbracht worden war – gleich wieder in die Kartons zurück gepackt, wie der Bibliothekar der Legal Division, H. O. Witten, schreibt. Er beziffert den gesamten Bestand auf „approximately 4 500 books and pamphlets“ und will die nichtjuristischen Titel beiseitelassen: „A certain number will be eliminated as they have no bearing on legal matters. They will be kept in cases until such time when the final fate of this formerly private library will be decided. All other books will be incorporated into the catalogue of LD Library.“ Auch der hohe Anteil an fremdsprachigen Titeln fiel dem Bibliothekar auf, und er macht genauere Angaben dazu: „An estimated ¼th of the books of this library are not German Language publications. The most frequently encountered languages are French and Italian, but there are some books in English, Spanish, Portuguese, Romanian, Finish, Latin and Polish.“113 Hier ist davon die Rede, dass man die Titel in den allgemeinen Katalog der Legal Division einarbeitete. Tatsächlich aber sollte es dann von der Schmitt-Bibliothek auch einen separaten Katalog geben, den bereits Loewenstein angeregt hatte. Er wurde offenbar erst auf Nachfrage ausgehändigt, wie aus einem Vermerk von Bibliothekarin Majorie Robbins vom 27. Februar 1947 hervorgeht: „The Carl SCHMITT Library Catalogue is in the Legal Division Library in the possession of the librarian.“ Wurde der allgemeine Katalog vermutlich als Zettelkatalog geführt, so lag dieser in Bandform vor, wie sich aus einem zweieinhalb Seiten umfassenden Gutachten ergibt, das William Dickman am 6. Februar 1947 über Carl Schmitt – wohl im Zusammenhang mit dessen erneuten Verhaftung und Überstellung 113 Report on recent library acquisitions, 10.1.1946; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7.
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nach Nürnberg – verfasste. Dickman weist darin auf die Werke Schmitts hin, die in der Bibliothek der Legal Division vorhanden und im Katalog der Carl Schmitt-Bibliothek auf den Seiten 361–366 verzeichnet seien.114 Auch mit der Verzeichnung in einem separaten, bei der Bibliothekarin unter Verschluss gehaltenen Katalog bezeugt man die eigene Unsicherheit in Hinsicht auf den rechtmäßigen Besitz von Carl Schmitts Büchern. Diesen Katalog seiner Bibliothek bekam Carl Schmitt übrigens nie zu sehen.115 So verständlich und nachvollziehbar der Literaturbedarf der Militärregierung war, so macht das doch die juristische Grundlage nicht besser. Indem das Document Center sich im November 1945 damit einverstanden erklärt hatte, Schmitts Bibliothek an die Legal Division abzugeben, war in gewisser Weise zugestanden, dass diese nicht als Beweismittel gegen ihren Eigentümer zu verwenden war, mithin die Rechtsgrundlage des Besitzes entfiel. In der Folge geriet die Begründung, warum man die Bücher ihrem Eigentümer dennoch weiterhin vorenthielt, zu einem einzigen Eiertanz. Man beruhigte sich damit, dass der Fall Schmitt ja noch „in suspense“ war und er vielleicht ja doch noch als Kriegsverbrecher angeklagt und verurteilt würde, womit dann „probably“ auch die Konfiszierung seines Eigentums verbunden sein werde. Das war eine Basis, die sich auf etwas stützte, was Carl Schmitt ganz besonders liebte: irreale Bedingungssätze. Als dann aber Schmitt am 10. Oktober 1946 aus dem Internierungslager entlassen wurde, war klar, was Kempner ein halbes Jahr später in Nürnberg noch einmal bestätigte: Carl Schmitt war juristisch nicht zu belangen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Sequestrierung seiner Bibliothek reine Willkür und allein gestützt auf die Macht des Stärkeren, auf die „power“, die Loewenstein beim Bezirksamt Zehlendorf, das Schmitts Bibliothek schützen wollte, eben völlig zu Recht nicht sah. Auch in diesem Fall galt: Auctoritas non veritas facit legem. Dusˇka, die beherzte Ehefrau Carl Schmitts, hat große Anstrengungen unternommen, ihren Mann aus der Haft freizubekommen. Sie hat auch in mehreren Anläufen versucht, die Bibliothek wiederzuerhalten. Nicht nur schrieb sie etliche Briefe in dieser Sache, sie ließ auch den mit Schmitt befreundeten Dr. Karl von Lewinski am 19. November und am 1. Dezember 114 Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt. Memorandum to Mr. Alvin J. Rockwell, 6.2.1947; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7. 115 „Ein Verzeichnis (Register) habe ich nie erhalten.“ Schmitt an Kirchner (wie Anm. 40). Der amerikanische Bandkatalog von Schmitts Bibliothek ist offenbar einer Kassation zum Opfer gefallen. Laut Auskunft der National Archives and Records Administration ist er in den Beständen der U.S. High Commission for Germany (Record Group 466) nicht mehr vorhanden. (Brief von Rebecca L. Collier, National Archives and Records Administration, College Park, Maryland, an den Verf. vom 22.4.2010).
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1945 bei Loewenstein vorsprechen116 und wiederholt Schmitts Anwalt Sarre deswegen mit Loewenstein verhandeln. Zudem mobilisierte sie Freunde wie den Schmitt-Schüler Hans Schneider, der als Legal Consultant für die Transport Division der amerikanischen Militärregierung arbeitete. Als solcher wandte dieser sich bereits am 5. November 1945 an den Director of Intelligence und machte energisch geltend, dass eine solche ungesetzliche Beschlagnahme die gesamte deutsche wissenschaftliche Öffentlichkeit alarmieren müsse. Dieser Fall sei ein Testfall dafür, welchen Status die Besatzungsmacht der Wissenschaft in Deutschland einzuräumen gedenke.117 Und in einem Brief an seinen im Camp sitzenden Lehrer tröstet Schneider ihn damit, dass schon viele Rechtsgelehrte in Haft genommen wurden, wie z. B. Grotius, dem dann die Flucht in einer Bücherkiste gelang.118 Am 7. Februar 1947 schließlich suchte Dusˇka den Leiter der Legal Division, Alvin Rockwell, persönlich auf, um die Rückgabe der Bibliothek ihres Mannes zu erreichen. Sie ließ sich von Karl von Lewinski begleiten, der als Dolmetscher fungierte. Rockwell seinerseits wollte William Dickman, seinen Spezialisten für Carl Schmitt, hinzuziehen, der jedoch kurzfristig verhindert war. Dusˇka machte geltend, dass ihr Mann im Oktober 1946 ohne Auflagen aus der Haft entlassen worden sei. Damit sei auch jeder Grund für die Beschlagnahme der Bibliothek hinfällig. Sie forderte ihre umgehende Rückgabe. Rockwell, der – wie schon gezeigt – weniger skrupulös als sein Vorgänger Fahy war, lehnte das ab. Er verwies darauf, dass die Rechtslage sich geändert habe bzw. im Prozess der Veränderung sei. Die Kontrollratsdirektive Nr. 38, die in den Westzonen schon gültig sei, werde derzeit in Berlin implementiert. Wenn das geschehen sei, werde es die gleichen Entnazifizierungsverfahren geben wie dort. Carl Schmitt werde möglicherweise ein Spruchkammerverfahren zu erwarten haben, das auch sein Eigentum berühren könnte. Das müsse man abwarten.119 Immerhin zeigte sich Rockwell für die Zwischenzeit zu Zugeständnissen bereit: „. . . we would investigate 116 Laut dem Taschenkalender von Dus ˇka Schmitt; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-20827. Der mit einer Amerikanerin verheiratete Lewinski (2.12.1873–29.10.1951) hatte in den USA amerikanisches Recht studiert und war von 1920 bis 1931 als Diplomat in den USA tätig gewesen. 1931 schied er aus dem diplomatischen Dienst aus und ließ sich als Rechtsanwalt in Berlin nieder. 1946 wurde er hier Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (heute: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg). Von 1949 bis zu seinem Tode war er in Washington als Geschäftsmann und Berater der Bundesregierung tätig. Lewinski gab 1946 auch eine Entlastungserklärung für Carl Schmitt ab, in der er besonders auf dessen Beziehung zu Popitz hinwies (LAV NRW, Abt. Rheinland, RW 265-21781). 117 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-14018. 118 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-14025.
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the present location of all of the books constituting the library and determine whether we could not give Dr. and Mrs. Schmitt a satisfactory form of receipt which would include an inventory of the volumes in our possession.“120 Die wiederum in einen irrealen Bedingungssatz eingekleidete Argumentation ist nicht schlüssig. Die Kontrollratsdirektive Nr. 38 sah die Übertragung der Entnazifizierung auf deutsche Stellen vor. Mit welcher Begründung hätten die Amerikaner die Bibliothek Schmitts noch zurückhalten sollen? Das Zugeständnis, das Rockwell machte, kann ebenfalls nur als Ausdruck von schlechtem Gewissen interpretiert werden. Tatsächlich fiel der Vorstoß Dusˇkas zusammen mit Aktivitäten, Carl Schmitt erneut zu verhaften und in die Nürnberger Prozesse hineinzuziehen. Die treibenden Kräfte waren dabei Karl Loewenstein, William Dickman und Robert Kempner. Loewenstein war im September 1946 als Mitarbeiter der Militärregierung ausgeschieden und in die USA zurückgekehrt, nicht ohne zum Abschied in einem Memorandum den amerikanischen und deutschen Stellen mangelnde Energie bei der Verfolgung von NS-Tätern vorzuwerfen. Seine Kritik machte er dann auch in der New York Times öffentlich, wobei er, ohne den Namen zu nennen, deutlich auf Carl Schmitt hinwies.121 Er wollte sich insbesondere mit seinem Misserfolg in Sachen Carl Schmitt – der einen Monat nach Loewensteins Rückkehr in die USA freigekommen war – nicht abfinden und behielt ein nachhaltig schlechtes, von Empörung geprägtes Verhältnis zu Carl Schmitt bei.122 Da Loewenstein bei 119 Wie dilatorisch die Amerikaner die Sache behandelten, zeigt sich daran, dass erst sechs Monaten nach dem Termin Lewinski von Dickmann zu einem Gespräch gebeten wurde. Er habe den Antrag von Dusˇka zu bearbeiten. Dazu bedürfe es zunächst der Ausfüllung des Entnazifizierungsfragebogens durch Carl Schmitt. „Er fragte weiter, was Sie zur Zeit täten, was ich dahin beantwortete, dass Sie zur Zeit brach lägen.“ (Lewinski an Schmitt, 6.8.1947; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-8745). Laut Bescheinigung des Bezirksamtes Zehlendorf vom 19.11.1946 war Carl Schmitt zu dieser Zeit als „freischaffender Wissenschaftler registriert.“ (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-21453). 120 Visit of Mrs. Carl Schmitt Concerning the Carl Schmitt Library, Vermerk von A. Rockwell, 7.2.1947; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7. 121 Mit einer bemerkenswerten Charakterisierung, nämlich als einer „person of integrity [who] lends his name, for selfish and opportunistic reasons, to a party which he professes to have despised all the time, [and] contributed to entrenching the regime“. Zit. nach: Bendersky, Carl Schmitt’s path to Nuremberg (wie Anm. 85), S. 21. 122 Loewensteins Verfolgung Carl Schmitts war ganz und gar von moralischer Empörung geprägt, die sich später noch steigerte und – da sie immer ein schlechter Ratgeber ist – Loewensteins Urteil getrübt hat. Das wird insbesondere in Bezug auf den gemeinsamen Lehrer Max Weber deutlich. Als Wolfgang Mommsen 1959 seine Studie über Max Weber und die deutsche Politik vorlegte, in der die Abhängigkeit Schmitts von Weber herausgearbeitet und die These vertreten ist, dass Schmitt die
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den Amerikanern einen großen Ruf hatte und als „Rechtspapst“ des Alliierten Kontrollrats in Berlin galt,123 blieb sein Vorstoß nicht ohne Wirkung. Die Legal Division geriet deswegen Anfang des Jahres 1947 mächtig unter Druck, Carl Schmitt belastendes Material zu liefern. Zunächst war das Schmitt-Gutachten Loewensteins vom 14. November 1945 in den Akten nicht mehr auffindbar, doch „we now urgently need the information which it contains . . . Any other information you may have on Professor Schmitt would also be welcomed.“124 Die Formulierung lässt schon ahnen, dass die verzweifelte Suche nicht viel zutage brachte. Da man Loewensteins Gutachten nicht mehr fand, schrieb William Dickman, der laut Kempner mit einem Telefonanruf in Nürnberg die erneute Verhaftung Schmitts veranlasst haben soll, am 6. Februar schnell ein neues Gutachten über Schmitt, das mit seinem Resumé zum Teil wortgleich mit früheren Äußerungen Loewensteins übereinstimmt: „To my mind Carl Schmitt is a war criminal . . . He tried to justify Hitler’s acts by pseudo legal method. Particularly his article ‚Der Fuehrer schuetzt das Recht‘ is a typical example of the perversion of German legal thinking under the Hitler regime.“125 Am 18. März telegraphiert Kempner aus Nürnberg und fragt an, ob „material on Carl Schmidt [sic!]“ vorhanden sei. Er bittet um Übersendung nach Nürnberg. Die Antwort fiel für Kempner enttäuschend aus: Außer einem Memorandum, das die Rechtsabteilung am 14. März hastig zusammengestellt hatte, einem Fragebogen vom 17. März 1947126 sowie einer Photokopie von Schmitts NSDAP-Mitgliedskarte vemochte man Kempner nichts zu liefern. Die nicht justiziable Basis für die Verfolgung Carl Schmitts blieb nach wie vor „SchreibtischLegitimitätslehre Webers weiter- und zu Ende gedacht habe, hat Loewenstein das als „schwere Verunglimpfung“ Webers empfunden und ausgesprochen emotional reagiert. Carl Schmitt brandmarkte er jetzt als „Mephisto der deutschen Vor-HitlerZeit“ und „Geburtshelfer des Tausendjährigen Reiches“. (Karl Loewenstein, Max Weber als „Ahnherr“ des plebiszitären Führerstaates, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 13, 1961, S. 275–289; Zitate auf S. 287 f.). Das war das Gegenteil von dem, was er in seinem Gutachten vom 14. November 1945 über Schmitt festgestellt hat, wo dessen Warnungen vor den immanenten Schwächen der Weimarer Republik anerkannt sind (vgl. oben, S. 296). 123 Die Bezeichnung „Rechtspapst“ für Loewenstein stammt von Reinhold Maier, den die Militärregierung 1945 zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gemacht hatte; zit. nach: Stiefel/Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil (wie Anm. 100), S. 201. 124 Legal Division to Office of the Deputy Theater Judge Advocate, 2.1.1947; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7. 125 Staatsrat Prof. Dr. Carl Schmitt. Memorandum to Mr. Alvin J. Rockwell; Bundesarchiv Koblenz, OMGUS, Shipment 17, Box 53-2, Folder 7. 126 Der (nicht erhaltene) Fragebogen steht vermutlich in Zusammenhang mit dem Verhör Schmitts durch Ossip K. Flechtheim am 27.3.1947. Vgl. Wieland, Carl Schmitt in Nürnberg; Schmittiana 2, S. 142–148 (wie Anm. 96).
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täterschaft“ und namentlich seine beiden Titel Der Führer schützt das Recht sowie Völkerrechtliche Großraumordnung. Trotz aller verzweifelten Suche war inzwischen längst klar geworden: Carl Schmitt juristisch belastendes und gerichtlich verwertbares Material lag nicht vor. Angesichts dieser Situation wird seine Bibliothek erneut zum Argument. Dickman führt Schmitts Schriften ins Feld, die in seiner Bibliothek in großer Vollständigkeit versammelt seien, und Kempner erweitert bei seinem Verhör Schmitts vom 29. April 1947 diesen Vorwurf mit folgendem denkwürdigen Satz: „Sie haben in Ihrer eigenen Bibliothek Schriften über die totalitäre Diktatur.“127 Das ist nun in der Tat die schiere Verzweiflung, und damit machte Kempner sich geradezu lächerlich. Die Zusammensetzung einer privaten wissenschaftlichen Bibliothek als strafwürdig ansehen zu wollen zeigt nur, wie wenig substantiiert die Anklagepunkte gegen Carl Schmitt waren. Helmut Quaritsch bemerkt dazu: „Die Vorstellung, eine ‚Vernehmung‘ des Verfassers von Büchern und Aufsätzen könnte die Frage beantworten, ob er zu den ‚Hauptkriegsverbrechern‘ gehöre oder nicht, ist strafprozessual abenteuerlich.“128 Der Versuch, Carl Schmitt als NS-Täter und „war criminal“ zur Anklage zu bringen, war juristisch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dass Kempner in seinen verschiedenen Erinnerungen an seine Verhöre Schmitts – wie Helmut Quaritsch mit großer Klarheit herausgearbeitet hat – widersprüchlich, ja verwirrt erscheint, unterstreicht nur seine Hilflosigkeit und Unprofessionalität in dieser Sache. Er argumentierte zwar mit den Schriften Carl Schmitts, hat sie aber wahrscheinlich – da er, ebenso wie Dickman, den Namen des Verfassers am 18. März 1947 noch mit „dt“ schreibt – nie, oder höchstens kursorisch gelesen. Trotzdem ließ er sich mit Schmitt auf Diskussionen darüber ein, wobei er sich zwangsläufig blamieren musste. Da die in wissenschaftlichen Erörterungen endenden Verhöre Schmitts nur die Überlegenheit des Verhörten über seinen Interrogator ans Licht brachten, jedoch zu keinerlei gerichtsverwertbaren Ergebnissen führten, wurde Schmitt in Nürnberg folgerichtig am 6. Mai 1947 aus der Haft entlassen. Er musste sich noch einige Tage als Zeuge zur Verfügung halten und konnte Nürnberg schließlich am 21. Mai als freier Mann verlassen. Da er seine verbeamtete Professur verloren hatte, über keinerlei Subsistenzmittel und auch kein Vermögen verfügte, war eine Rückkehr nach Berlin kaum möglich. Carl Schmitt ging nach Plettenberg und lebte hier mit Frau und Kind im Haus seiner Schwestern am Brockhauser Weg 10. Er veröffentlichte schon bald wieder einige Schriften, ohne dabei auf seine Bibliothek zurückgreifen zu können. Einer dieser Titel, Der Nomos der Erde 127 128
Schmitt, Antworten in Nürnberg (wie Anm. 17), S. 66. Helmut Quaritsch, in: Schmitt, Antworten in Nürnberg (wie Anm. 17), S. 20.
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im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, erschien im Jahre 1950 und zählt zu den Hauptwerken des Verfassers. Im Vorwort nennt er es „die wehrlose Frucht harter Erfahrungen“. Das ist zweifellos zu verstehen als eine Anspielung auf die Zeit seiner Haft und die Entbehrung der Bibliothek. Doch wäre dieses umfangreiche und gelehrte Buch wohl nicht möglich gewesen, wenn es nicht schon vor der Wegnahme der Bibliothek weitgehend erarbeitet worden wäre. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, ein solches Buch, eines der bleibenden völkerrechtlichen Werke des 20. Jahrhunderts, ohne die Umgebung einer umfassenden und wohlsortierten Bibliothek zu schreiben. Wie Carl Schmitt aber sein ganz sicher nach 1945 entstandenes und zwischen 1948 und 1950 in vier Folgen anonym erschienenes Repetitorium zum Völkerrecht ohne seine Bibliothek zustande gebracht hat, bleibt ein Rätsel. Die Rückgabe der Bibliothek 1952 Seit dem Vorstoß Dusˇkas bei dem Leiter der Legal Division Alvin Rockwell im Februar 1947 hatte Carl Schmitt nichts mehr von seiner Bibliothek gehört. Das Verzeichnis, das Rockwell zusagte, wurde nie geliefert. Obwohl alle Bemühungen, Carl Schmitt zur Anklage zu bringen, gescheitert waren, wurde das vorgebliche Beweismittel Bibliothek nicht freigegeben. Erst 1951 zeichnete sich ab, dass die Amerikaner sie gern loswerden wollten. Sie fürchteten aber mögliche Schadensersatzansprüche des Eigentümers, wobei sie, was ihnen durchaus klar war, in einer schwachen Position gewesen wären. Daher ließen sie zunächst über ihren Cultural Institutions Officer Edgar Breitenbach vorfühlen, ob Schmitt „would be willing to relinquish claims he might have against the US Government, in case the books were released to him.“129 Breitenbach ging die Sache vorsichtig diplomatisch an und suchte die Frage zunächst mündlich zu klären über die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Bad Godesberg. Diese Vermittlungsinstanz war glücklich gewählt, denn zur Forschungsgemeinschaft hatte nicht nur Breitenbach gute Verbindungen, sondern auch Carl Schmitt. Der Generalsekretär der DFG (damals noch unter dem Namen „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“), Kurt Zierold, hatte schon 1949 versucht, Schmitt ein Stipendium zu verschaffen, was nicht gelang.130 129 Breitenbach an Deputy High Commissioner Mr. Debevoise, 24.4.1952; Bundesarchiv Koblenz, B 323/395, fol. 81. Breitenbach teilt hier mit, dass er schon vor einiger Zeit von Mr. Karro über die geplante Rückgabe der Bibliothek Carl Schmitts informiert worden sei. 130 Am 10.12.1949 schreibt Zierold an Schmitt: „Bei uns ist angeregt worden, Ihnen zur Erleichterung Ihrer wirtschaftlichen Situation ein Stipendium der Notgemeinschaft zu geben.“ An sich seien diese Stipendien nur für Nachwuchskräfte
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Neben Zierold konnte Schmitt auch die DFG-Mitarbeiter Eberhard von Medem, seinen Schüler und ehemaligen Assistenten, sowie Gisela von Busse zu seinen Freunden zählen. Vor allem letztere wurde jetzt für Schmitt wichtig. Sie hatte 1928 mit einer Arbeit über die Staatsphilosophie Adam Müllers promoviert und war über dieses Thema mit Schmitt persönlich bekannt geworden. Tatsächlich aber hatte sie schon vorher mit dessen Buch über den Römischen Katholizismus eine initiatorische Begegnung gehabt.131 Nach ihrer Ausbildung zur Bibliothekarin an der Preußischen Staatsbibliothek, war sie von 1930 bis zum Kriegsende in Berlin für die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft tätig gewesen und setzte diese Tätigkeit mit der Wiederbegründung der Notgemeinschaft 1949 in Bad Godesberg und nach ihrer Umbenennung in Deutsche Forschungsgemeinschaft 1951 fort; als einzige der Mitarbeiter die Kontinuität dieser Einrichtung über drei Staatsformen hinweg verkörpernd. Als Leiterin des Bibliotheksreferats der DFG war sie insbesondere für die Beschaffung ausländischer Literatur zuständig und verfügte somit über beste Kontakte nach Amerika.132 Von Medem hatte Schmitt im Dezember 1951 von den Bemühungen und der Anfrage Breitenbachs unterrichtet und ihn um genauere Anweisungen und Ermächtigungen gebeten. Breitenbach wolle eine schnelle Erledigung der Sache. Schmitt reagierte jedoch zurückhaltend. Seine Bibliothek wurde 1945 formlos und ohne weitere Regularien abtransportiert. Wenn er sie jetzt zurückbekäme, „so kann das nicht einfach in der Weise geschehen, dass mein Eigentum in seinem jetzigen Zustand mir ebenso formlos wieder vorgeworfen wird, wie es mir damals weggenommen wurde. Es wäre ja auch nicht schön, wenn ich mit meinen geliebten Büchern in die Lage geriete, in die Michael Kohlhaas mit seinen Pferden geraten ist.“133
bestimmt, „der Hauptausschuss hat aber dahin entschieden, dass, wenn es sich um einen Forscher ersten Ranges handelt, ausnahmsweise auch andere Persönlichkeiten ein Stipendium erhalten dürfen.“ Daraufhin stellte Carl Schmitt im Januar 1950 den Antrag, gegen den es dann Widerstand gab. Am 20. März muss Zierold ihm mitteilen: „Ich bin nicht mehr sehr optimistisch; die Menschen sind engherziger und nachtragender als ich glaubte.“ Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-18555. 131 Vgl. v. Busse an Schmitt, 9.1.1954. Schon am 29.3.1944 hatte sie besorgt gefragt: „Ist Ihre ganze Bibliothek verbrannt?“; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 579-391. Von seinem Leviathan-Buch hatte Schmitt 1938 ein Exemplar mit einer lateinischen Widmung an Gisela von Busse geschenkt, das sich heute im Besitz von Heinrich Meier befindet (frdl. Mitteilung von G. Giesler). Am 12.4.1951 schenkte er ihr „Ex captivitate salus“ mit Widmung (vgl. Antiquariat Heckenhauer, Tübingen, Liste Frühjahr 2011, Nr. 19). 132 Horst Braun, Gisela von Busse 1899–1987, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 35, 1988, S. 206–210. 133 Schmitt an von Medem, 16.12.1951; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13270.
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Die Rückgabe verzögerte sich also, weil auf beiden Seiten Bedenken bestanden. Die Amerikaner wollten Konsequenzen ihrer widerrechtlichen Beschlagnahme aus dem Wege gehen und suchten daher einen möglichst informellen und stillschweigenden Weg, während Carl Schmitt dies zunächst nicht hinzunehmen bereit war. Davon abgesehen war es für ihn ein Problem, den Amerikanern, wie gefordert, schnell anzugeben, wohin die Bücher transportiert werden sollten. „In Plettenberg, in meiner Mansardenwohnung, kann ich nichts mit den Büchern anfangen. Das Lagergeld für einen Spediteur kann ich nicht aufbringen.“134 Schmitt hatte sich deswegen an seinen Schüler Werner Weber in Göttingen gewandt, der interessiert war, für sich bzw. sein Göttinger Seminar die Bibliothek zu kaufen, hatte jedoch noch nichts von dort gehört. Schließlich äußert er von Medem gegenüber sein Misstrauen hinsichtlich des Mittelsmannes: „Ich kenne Herrn Breidenbach [sic!] nicht, und Sie kennen ihn auch nicht. Sie sagen mit Recht, dass die jetzt auftretende plötzliche Eile etwas Erstaunliches hat. Das finde ich nämlich auch, und deshalb habe ich Hemmungen, nun meinerseits ebenfalls sehr eilig zu sein.“ Während dieser Verhandlungen Schmitts mit von Medem befand Gisela von Busse sich auf einer Dienstreise in Amerika. Kaum zurück, schaltet sie sich Anfang Januar vermittelnd in die Sache ein und sucht Schmitts Bedenken zu zerstreuen. Sie versichert ihm, dass Breitenbach nicht nur vertrauenswürdig, sondern auch ein alter Freund von ihr sei. Sie habe nochmal mit ihm wegen der Bibliothek gesprochen und den Eindruck, „dass die Amerikaner jetzt diese Bücher gern los werden wollen.“ Es sei an der Zeit für eine erneute Initiative.135 Carl Schmitt zeigt sich tief gerührt, „dass Sie mir und dem letzten Eigentum, das ich noch habe, soviel Mühe und Interesse widmen.“136 Er hat mehrere Gespräche mit von Busse und reist auch zu ihr nach Godesberg. Ihr gelingt es, die Sache voran zu treiben. Am 27. Februar teilt sie mit, dass sie jetzt wisse, zu welchem Amerikaner sie gehen müsse, um die Bücher frei zu bekommen. Gisela von Busse hat es geschickt verstanden, eine Verhärtung der Fronten zu verhindern. Sie riet Carl Schmitt zur Zurückhaltung und empfahl ihm ein pragmatisches Verhalten: „Sie kennen ja auch die Amerikaner aus persönlicher Erfahrung, und Sie werden mir recht geben, wenn ich behaupte, dass man besser tut, von ihnen keine formalen Erklärungen irgend134 Ebd. Schmitt hatte zu dieser Zeit keine geregelten Einkünfte. Erst ab dem 1.5.1952 erhielt er eine Pension. 135 von Busse an Schmitt, 4.1.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-2421. 136 Schmitt an v. Busse, 5.1.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-12859.
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welcher Art zu erwarten.“137 Sie riet Schmitt dringend – vorausgesetzt die Bibliothek sei im großen und ganzen intakt geblieben –, in derselben Weise informell zu agieren, zumal die Amerikaner es „hier ganz offenbar wünschen“. Schmitt erklärte daraufhin, dass er keine formellen Erklärungen von den Amerikanern erwarte, „aber ich hoffe, dass sie es auch nicht von mir erwarten. Ich möchte keine Erörterung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit dessen, was mit der Bibliothek geschehen ist.“138 Dem Liebhaber Kleists stand das Beispiel des Michael Kohlhaas lebhaft vor Augen. Der Kunsthistoriker und Bibliothekar Edgar Breitenbach,139 der im Hintergrund die Fäden zog, war 1933 in die USA emigriert, wo er sich 1937 naturalisieren ließ. Im Herbst 1945 kam er als Mitarbeiter der Besatzungsmacht zurück. Als Cultural Institutions Officer erwarb er sich große Verdienste um den Wiederaufbau der deutschen Museen, Archive und insbesondere Bibliotheken. Vor allem um die Rückgabe einer wissenschaftlichen Bibliothek hat er sich verdient gemacht, deren Beschlagnahme in ihrer Ignoranz gewisse Parallelen mit derjenigen Carl Schmitts aufweist. Die „Bibliothek für Zeitgeschichte“, die heute eine Abteilung der Württembergischen Landesbibliothek bildet und die eine der bedeutendsten zeitgeschichtlichen Sammlungen Europas ist, nannte sich bis 1948 „Weltkriegsbücherei“, da sie als Dokumentation zum Ersten Weltkrieg entstanden war. Wie im Fall Carl Schmitt allein schon der Titel seines Buches Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte in Verbindung mit dem Erscheinungsdatum 1939 der Besatzungsmacht als Beweis galt für die kriegstreibende Absicht ihres Verfassers, so war allein der Name „Weltkriegsbücherei“ ausreichend, um den rein wissenschaftlichen Charakter dieser Bibliothek nicht zur Kenntnis zu nehmen und sie als „mi137 von Busse an Schmitt, 4.1.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-2421. 138 Schmitt an v. Busse, 5.1.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-12859. 139 Der aus Hamburg gebürtige Breitenbach (1903–1977) war Panofsky-Schüler und an der Preußischen Staatsbibliothek zum Bibliothekar ausgebildet worden, wo er zusammen mit Gisela v. Busse Ausbildung und Examen absolvierte. Für den Wiederaufbau des deutschen Bibliothekswesens nach 1945 hat Breitenbach Entscheidendes geleistet. Die Berliner Amerika-Gedenkbibliothek ist im Wesentlichen sein Werk, ebenso hat er bei der Neugründung der Bibliothek der Freien Universität in Berlin eine entscheidende Rolle gespielt. 1955 ging er zurück in die USA und war von 1956 bis 1973 Leiter der Prints and Photographs Division der Library of Congress. Das Angebot, Generaldirektor der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu werden, schlug er 1962 aus. Vgl. Gisela von Busse, Edgar Breitenbach in memoriam (1903–1977), in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 25, 1978, S. 167–179; Art. „Breitenbach, Edgar“, in: Ulrike Wendland, Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil, Bd. 1: A–K, München 1999, S. 68–70.
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litaristisch“ zu konfiszieren. Die Amerikaner verbrachten sie 1945 in die Library of Congress nach Washington. 1947 bedauerte das State Department das „Missverständnis“ und gab die Bibliothek im folgenden Jahr zurück. An der Aufklärung des Missverständnisses hatte Edgar Breitenbach maßgeblichen Anteil. Auch jetzt spielte er in Sachen Schmitt-Bibliothek eine entscheidende Rolle, und so war, wie schon bei ihrer Sequestrierung, auch bei ihrer Rückgabe wiederum ein deutscher Remigrant beteiligt. Am 17. Juli 1952 kann Gisela von Busse Schmitt mitteilen, dass die Bibliotheksfrage geklärt sei. Sie forderte ihn auf, ein Schreiben an M. G. B. Monroe, Office of General Council, HICOG, in Mehlem zu richten und sich dabei auf Breitenbach zu berufen. Schmitt solle angeben, wohin die Bücher zu transportieren seien. Die Verzichtserklärung auf Schadensersatzansprüche könne Schmitt unbesorgt geben: „Nach dem, was uns Herr Breitenbach sagt, dürfte ein Verlust von im Höchstfalle 5% eingetreten sein. Die Bibliothek umfasse jetzt rund 4 500 Bände und eine Reihe Pakete mit offenbar Aufzeichnungen und Broschüren.“140 Auch die Frage der Transportkosten war inzwischen insoweit geklärt, als die Amerikaner dafür aufkommen wollten. Schmitt dankt Gisela von Busse nochmals für ihren Einsatz und gibt ihr Vollmacht für alle erforderlichen Erklärungen. Er teilt mit, dass die Bücher in das Institut für Europäische Geschichte nach Mainz verbracht werden sollen.141 Edgar Breitenbach hatte sein Schreiben an den Deputy High Commissioner Debevoise in dieser Sache mit einer Bemerkung beendet, die auch ein abschließendes Urteil über die sieben Jahre der Sequestrierung dieser Privatbibliothek bedeutet: „Since the requisition of the library was, to my knowledge, more expedient than legal (no private libraries were confiscated except those of war criminals) the return of the books to the owner is considered advisable.“142 Damit ist nicht nur die Einzigartigkeit der jahrelangen Wegnahme der Bibliothek bestätigt, es ist auch – und zwar von amerikanischer Seite! – deutlich gemacht, was schon am Anfang der Aktion von Loewenstein als ein Argument ins Feld geführt wurde und was dann über die ganze Zeit der Beschlagnahme auschlaggebend blieb: Gesichtspunkte der Nützlichkeit nämlich und nicht der Rechtlichkeit. Ganz nebenbei und formlos ist Loewensteins Behauptung, Carl Schmitt sei ein „war criminal“, zurückgenommen. So war noch der Akt der Rückerstattung bestimmt von dem Bewusstsein, sich der Bibliothek Carl Schmitts aus praktischen Er140 von Busse an Schmitt, 17.7.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-2424. 141 Schmitt an von Busse, undatiert; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-12858. Das Schreiben Schmitts an Monroe mit der Verzichtserklärung vom 29.8.1952: Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13306. 142 Breitenbach an Debevoise, 24.4.1952; Bundesarchiv Koblenz, B 323/395, fol. 81.
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fordernissen widerrechtlich bemächtigt zu haben. Die viel beschworene pragmatische Formlosigkeit der Amerikaner war in diesem Fall nur die Kaschierung einer groben Verletzung dessen, was sie ansonsten so hoch achten: der rule of law. Vielleicht hat auch die große Politik, das Schmitt’sche Thema der Souveränität, bei der Freigabe eine Rolle gespielt. Auf der Rückseite des Briefes, den Gisela von Busse am 17. Juli 1952 an Schmitt schrieb, hat dieser einen rot angestrichenen Zeitungsausschnitt aufgeklebt. In der kurzen Notiz ist gemeldet, dass in den seit dem 26. Mai 1952 vorliegenden „Deutschlandverträgen“, die die Ablösung des Besatzungsstatuts der drei Westalliierten regelten, auch die Rückgabe von beschlagnahmtem deutschen Privateigentum vorgesehen sei. Ein Jahr nach Inkrafttreten müsse dies geschehen, spätestens aber zum 1. Oktober 1953. Wenn auch die Ratifizierung dieser Verträge erst 1955 erfolgte, so hatte sich doch schon seit einiger Zeit abgezeichnet, dass damit auch die Rückgabe der Bibliothek Carl Schmitts sich nicht länger würde vermeiden lassen. Ganz so informell, wie Gisela von Busse sie beschrieb, waren die Amerikaner dann allerdings doch nicht. Sie wussten sehr wohl um die Schwäche ihrer Position und mochten dem mündlichen Verzicht Schmitts auf jegliche Ansprüche nicht trauen. Um sich gegen eventuelle Forderungen abzusichern, musste Schmitt einen Vertrag unterzeichnen, mit dem er „auf alle Klagegründe, Abmachungen, Ansprüche und Forderungen wegen der Beschlagnahme, des Besitzes, der Verwaltung und Benutzung der vorerwähnten Bücher“ verzichtet.143 Besonders gefreut haben wird den Eigentümer der Paragraph 2 dieses Vertrages, mit dem die Besatzungsmacht sich als wahrlich generöser Sieger zeigte: „Fuer Verbesserungen an den Buechern, die in der Zeit, in der sie sich im Besitz und in der Verwaltung von Ministerien, Behoerden oder Vertretern der Vereinigten Staaten von Amerika befanden, durch Neubinden oder auf andere Weise erfolgt sind, wird keine Verguetung beansprucht oder irgendeine sonstige Forderung erhoben.“ Einzelne Bücher, die zunächst nicht auffindbar waren und die Schmitt reklamierte, wurden von den Amerikanern nachgeliefert, so dass der Schwund insgesamt nur gering war. Carl Schmitt verhandelte deswegen noch mit der Bibliothekarin des High Commissioner, Marjorie N. Robbins, und schloss das siebenjährige amerikanische Intermezzo seiner Bibliothek am 14. November 1952 mit folgendem, nicht weiter kommentierungsbedürftigen Satz an Robbins ab: „Erlauben Sie mir bitte, Ihnen für die gütige Aufmerksamkeit, die Sie für meine – in vierzig Jahren wissenschaftlicher Arbeit erwachsene – Bibliothek gezeigt haben, meinen besonderen Dank zu sagen.“144 143 So der Wortlaut der offiziellen Übersetzung des in Englisch formulierten Textes; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-21871.
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Buchverkäufe ab 1954 Wie aber Schmitt die Sache jenseits solcher Höflichkeiten sah, macht ein Brief an den mit Ernst Jünger befreundeten Schweizer Chemiker Albert Hofmann deutlich. Als Hofmann nach dem Krieg seine Jünger-Ausgaben zu komplettieren suchte, wendete er sich deswegen auch an Carl Schmitt, der ihm folgendes schreibt: „Von kleineren Aufsätzen aus den Jahren 1930/31 besitze ich noch ‚Das Unzerstörbare‘ (aus dem Reich, von Hielscher) und eine Variante der Totalen Mobilmachung. Beides überlasse ich Ihnen gerne, wenn Sie es noch nicht haben und es Sie interessiert. Ich habe jede Anwandlung von Besitzerfreude, auch gegenüber solchen Kostbarkeiten, in mir ertötet, seit man mir in Berlin im Herbst 1945 meine schöne Bibliothek weggenommen hat . . .“.145 Die solchermaßen abgetötete Besitzerfreude führte in den letzten Lebensjahrzehnten Schmitts zu immer wiederkehrenden Buchverkäufen. Von derartigen bibliophilen Befindlichkeiten abgesehen war von vornherein klar, dass Schmitt in den beengten Wohnverhältnisse im Dachgeschoss des Hauses am Brockhauser Weg in Plettenberg die große Bibliothek nicht würde aufstellen können. „Ich kann die Bücher beim besten Willen hier in Plettenberg nicht unterbringen“, hatte er an von Busse geschrieben,146 und das war einer der Gründe dafür, dass die Rückgabe sich in die Länge zog und nicht schnell in der formlosen, amerikanisch-lockeren Weise über die Bühne gebracht werden konnte. Auch hier bot die Freundin ihre Hilfe an: „Wenn Sie keinen anderen Platz dafür wissen, würden wir versuchen, die Kisten vorübergehend hier in der Forschungsgemeinschaft in Godesberg aufzustellen.“147 Doch schon bald musste sie dieses Angebot wieder zurückziehen. Bei der Forschungsgemeinschaft waren inzwischen große Mengen mit Büchern der alten Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft angekommen, so dass der Raum knapp geworden war. Eberhard von Medem brachte die Kölner Benediktiner sowie Carl Schmitts Freund Heinrich Oberheid ins Spiel, der in Kaiserswerth offenbar über genügend Platz verfügte.148 Schließlich bot sich das Institut für Europäische Geschichte der Universität Mainz an, dessen Direktor Joseph Lortz Schmitt 144
Schmitt an Robbins, 14.11.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13345. 145 Schmitt an Albert Hofmann, 1.12.1948; zit. nach: Sammlung Albert Hofmann. Auktion am 26./27. November 2009 in Basel, Stargardt-Katalog 692, Nr. 465, S. 255. 146 Schmitt an von Busse, 5.1.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-12859. 147 von Busse an Schmitt, 4.1.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-2421.
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freundschaftlich verbunden war. Ihm, der ihm offensichtlich aus einer großen Verlegenheit geholfen hatte, versichert Schmitt am 12. Dezember 1952: „Dafür, dass Sie meiner armen, geschundenen Bibliothek ein so großmütiges Asyl gewähren, bleibe ich Ihnen immer dankbar.“ Lortz fragt nach einem Verzeichnis der Bücher, und Schmitt verweist ihn an die amerikanische Bibliothekarin Robbins bei der Law Library in Bad Godesberg.149 Doch Lortz bekam dieses Verzeichnis ebenso wenig zu sehen wie der Eigentümer der Bücher. Es war klar, dass die Unterbringung in Mainz nur provisorisch sein konnte. Ebenso klar war, dass sich die Wohnsituation und die finanzielle Lage Carl Schmitts nicht wesentlich ändern würden. Er bezog zwar auf Grund des Artikels 131 GG seit dem 1. Mai 1952 eine Pension, doch war diese nicht üppig, und er musste sehen, wie er zu weiteren Einnahmen kam. 1954 entschloss er sich daher zum Verkauf der in Mainz stehenden Bibliothek. Am liebsten wäre es ihm gewesen, die Sammlung geschlossen und in öffentlichem Besitz zu erhalten. Karl Maria Hettlage, Professor an der Mainzer Universität und mit Schmitt seit 1932 bekannt, machte ihn darauf aufmerksam, dass die Universitätsbibliothek vielleicht Interesse hätte. Deswegen schrieb Schmitt am 31. Mai 1954 an deren Direktor, der jedoch ablehnte, da zu viele Dubletten mit hätten erworben werden müssen und der Etat sehr angespannt wäre.150 Ebenso misslangen offensichtlich Versuche Werner Webers, die Sammlung nach Göttingen zu holen. So kam der Buchhandel in den Blick. Auf das Frankfurter Antiquariat Kerst war Schmitt schon früher aufmerksam geworden. Es hatte 1952 seine Positionen und Begriffe angeboten, und der Autor wollte das Buch kaufen, musste sich aber sagen lassen, dass es schon weg wäre. Auf alle Titel Carl Schmitts lägen außerordentlich viele Vorbestellungen vor, und man wäre daher sehr an seinen Büchern interessiert. Das Interesse machte man auch in den folgenden Jahren deutlich. 1953 meldete Kerst sich wieder bei Schmitt, um von ihm Dubletten seiner Bücher zu erhalten; die Nachfrage wäre sehr groß.151 1954 fuhr Schmitt nach Frankfurt, traf aber im Antiquariat Kerst niemanden an, worauf die Firma sich umgehend brieflich bei ihm meldete und einen Besuch in Plettenberg in Aussicht stellte, der auch im November dieses Jahres stattfand. 148 von Busse an Schmitt, 27.2.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-2422. 149 Schmitt an Lortz, 12.12.1952 und 2.5.1954; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13241 und RW 265-13244. 150 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-6037; RW 265-13627; RW 265-16700. 151 Kerst an Schmitt, 21.3.1952 und 4.4.1953; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-444 und RW 265-445.
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Anschließend begutachtete Kerst den Bestand in Mainz, für den der Händler dann rund 4 500 DM bot. Man ist sich schnell einig geworden. Am 2. Dezember 1954 schreibt Schmitt an Lortz: „Heute bin ich mit einem Vertreter des Göttinger und Frankfurter Antiquariats Rolf Kerst über das Schicksal der Bücher einig geworden, die von mir in Ihrem Institut für Europäische Geschichte lagern. Ich habe ihm eine Bescheinigung darüber gegeben, dass er die Bücher abholen kann.“152 Kerst hatte erklärt, keinen gedruckten Katalog vorlegen zu können. Es wurden lediglich maschinenschriftlich vervielfältigte Listen angefertigt, was die Dokumentation des Bestandes außerordentlich erschwert, denn diese auf schlechtem Papier verbreiteten Listen machten einen derart provisorischen Eindruck, dass keine Bibliothek und kein Archiv sie der Aufbewahrung für wert hielten. Selbst die verkaufende Firma archivierte kein Exemplar. Piet Tommissen forschte 1965 nach ihnen und musste sich von Kerst sagen lassen, dass man sie nicht mehr besitze. Kerst macht auch eine Aussage über den Teil der Bibliothek, der nicht zum Verkauf kam: „Herr Prof. Schmitt hat das dem Gehalt nach wohl wichtigste Stück seiner Bücherei behalten. Der an uns verkaufte Teil entsprach in seiner Zusammensetzung dem Arbeitsgebiet seines Besitzers.“153 Weder bei der Deutschen Nationalbibliothek noch beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels sind die Verkaufslisten erhalten, und auch im Nachlass Carl Schmitts existiert lediglich eine von ihnen mit der Zählung 48/54. Auf ihr ist handschriftlich vermerkt: „Ein Katalog von vier“.154 Diese Liste enthält insgesamt 794 Nummern; in einem ersten Teil (Nr. 1–533) „Allgemeines Staatsrecht und Staatslehre“, im zweiten (Nr. 534–794) „Völkerrecht. Internationale Beziehungen“. Das Angebot wurde von vielen Käufern wahrgenommen, sowohl von Privatpersonen wie auch von Bibliotheken, in denen man – wie z. B. in den juristischen Seminarbibliothek in Bonn, Göttingen und Gießen oder in der Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe – heute die Bücher sofort an den roten Stempeln der Amerikaner erkennt. Es gibt aber auch Fälle, wo diese Stempel überklebt und nicht ohne weiteres erkennbar sind.155 Der Großteil der juristischen Fachbibliothek Carl Schmitts ist mit diesem Verkauf in alle Winde zerstreut worden. An Armin Mohler schreibt Schmitt, dass er seine Bibliothek „an das Antiquariat Kerst verschleudern musste, weil ich keinen Platz für sie hatte, kein Lagergeld bezahlen konnte und niemandem damit lästig werden wollte.“156 Gegenüber dem Direktor der Bi152
Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13245. Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-453. 154 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-21871. 155 So in der Bibliothek des Juristischen Seminars der Universität Bonn. (Frdl. Mitteilung von Bibliotheksleiter Carl Erich Kesper). 156 Schmitt, Briefwechsel mit einem seiner Schüler (wie Anm. 29), S. 257. 153
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bliothek des Bundegerichtshofes wird er später das „Verschleudern“ noch etwas präzisieren: „Den grössten Teil [der Bibliothek, M. T.] musste ich damals (1953/4) aus Geldnot verschleudern.“157 Weitere Verkäufe sind zuweilen schwer zu fassen. So bot Schmitt 1961 der Bibliothek der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer Bücher an und schickte dem dortigen Bibliotheksdirektor eine Liste. Doch ist nicht zu rekonstruieren, um was es sich dabei handelte und ob es zu Käufen kam.158 In den 60er Jahren soll das Antiquariat Eschenburg in Kiel Bücher Schmitts verkauft haben, doch da keine Kataloge angefertigt wurde, ist das heute nicht mehr zu fassen. Dagegen ist ein großer und wichtiger Verkauf durch das Bonner Antiquariat Emil Semmel im Jahre 1966 gut dokumentiert. Semmel hatte sich im Vorjahr bei Schmitt gemeldet und Interesse bekundet. Im Unterschied zu Kerst machte die Firma einen ordentlich gedruckten Katalog, der auch in Bibliotheken greifbar ist; er umfasst 884 Nummern. Einzelne Schmitt-Bücher, die zunächst nicht verkauft wurden, sind in einem folgenden Semmel-Katalogen angeboten.159 Bei diesem Semmel-Verkauf trat die Zweigbibliothek für Recht und Wirtschaft der Universität Gießen als ein Käufer auf; etliche der von Semmel angebotenen Bücher stehen heute in Gießen.160 1968 wird ein weiterer Antiquar auf die noch immer stattliche Bibliothek in Plettenberg aufmerksam: Sauer & Auvermann möchte sie übernehmen und verkaufen. Außerdem zeigt die Firma sich daran interessiert, von Schmitt Nachdruckrechte seiner Werke zu erwerben. Das blieb zunächst ohne Folgen, aber im Frühjahr 1972 sind Vertreter des Antiquariats Sauer & Auvermann in Plettenberg und inspizieren die Bibliothek. Trotz der umfangreichen Verkäufe hatte Schmitt viele wertvolle Dinge behalten und auch in erheblichem Umfang neu erworben. Die Antiquare fanden einen sehr zögerlichen Carl Schmitt vor. Er äußerte Bedenken, dass seine Bücher in unrechte Hände kämen. Daraufhin bot der Händler an, die Bibliothek geschlossen ins Ausland zu verkaufen. Am 16. Januar 1973 teilte er 157
Schmitt an Kirchner (wie Anm. 40). Geschäftsführender Direktor der Bibliothek der Hochschule für Verwaltungswissenschaft Speyer an Schmitt, 24.11.1961; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-9304. Der Bibliotheksdirektor erklärte, etwa 30 % der auf der von Schmitt zugesandten Liste verzeichneten Titel kaufen und sie – wohl aus haushaltstechnischen Gründen – möglichst schnell, noch 1961, einarbeiten zu wollen. Laut Inventarbuch der Bibliothek ist es dazu jedoch nicht gekommen (frdl. Mitteilung von Dipl.-Bibl. Sybille Wanda, Bibliothek Speyer, vom 17.6.2010 an den Verf.). 159 Ex Bibliotheca Carl Schmitt, in: Der Mediaevist 128 (wie Anm. 77). In der Nummer 130 sind einzelne Titel erneut angeboten. 160 Für diesen Hinweis danke ich dem Kollegen Dr. Arne Upmeier, Ilmenau (früher Gießen), der mir Kopien aus dem Gießener Inventarbuch vermittelte. 158
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Schmitt mit, dass er in Spanien einen Interessenten gefunden hätte. Auch an seine verlegerischen Ambitionen erinnerte Sauer & Auvermann nochmal und wollte das Leviathan-Buch Schmitts nachdrucken.161 Aber auch im Fall Sauer & Auvermann ist der genaue Umfang der Verkäufe nicht mehr festzustellen. Die Beziehungen zu Auvermann werden überschattet von einem wohl nicht mehr aufzuklärenden Fall. Als Ernst Hüsmert und Joseph Kaiser 1984 die Restbibliothek Schmitts durchsahen, um die Abgabe an das Düsseldorfer Archiv vorzubereiten, stellten sie fest, dass 1974 Bücher an Auvermann gegeben wurden, für die keine Abrechnung erfolgte. Carl Schmitts Hausdame Anni Stand erinnerte sich umso genauer daran, als sie ihren Wäschekorb für den Transport zur Verfügung stellte, den sie dann nicht mehr wieder sah. Der Antiquar, von Hüsmert befragt, bestätigte zwar seinen Besuch bei Schmitt, stritt aber ab, mit einem Wäschekorb voller Bücher davongefahren zu sein.162 Vor allem mit dem Kerst-Verkauf von 1954/55 ist die Bibliothek Carl Schmitts als eine – wie Loewenstein in seinem Gutachten 1945 feststellte – unvergleichliche Sammlung der staats- und völkerrechtlichen Literatur zwischen 1915 und 1945 weitgehend aufgelöst. Von dem in Mainz lagernden Buchbestand konnte das Institut für Europäische Geschichte 58 Titel behalten, die sich auch heute dort befinden. Weitere 67 Titel überließ Schmitt Roman Schnur, der ihm bei der Abwicklung des Verkaufs zur Hand ging. Diese Bücher erscheinen dann 1999 im Angebot des Tübinger Antiquariats Heckenhauer zur Kölner Antiquariatsmesse.163 Schmitt selbst behielt einen Kernbestand, dessen genauer Umfang unbekannt ist. Zudem hatte er schon 1943 einen Teil seiner Bibliothek, darunter wohl die ihm besonders wichtigen Bücher, nach Plettenberg verlagert. Gesetzt den Fall, dass die drei verschollenen Kerst-Listen einen entsprechenden Umfang haben, wie die im Nachlass liegende Verkaufsliste 48/54, wären 1954/55 etwa 3 200 Bücher durch Kerst zum Verkauf gelangt. Geht man von einem Gesamtumfang des 1945 beschlagnahmten Bestandes von 4 500 Bänden aus – die Zahl, die der Bibliothekar der Amerikaner 1946 nennt, und die Edgar Breitenbach 1952 bestätigt –, so hat Carl Schmitt von diesem Teil seiner Bibliothek rund 1 200 Bände behalten. Während der Mainzer Episode gab es einen gewissen Schwund im Bestand. Etliche Bücher waren ausgeliehen, und Schmitt bat 161 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-17213; RW 265-17214; RW 265-17215; RW 265-568. 162 Briefwechsel Auvermann-Hüsmert 1984–1985; im Besitz von Ernst Hüsmert, Herscheid. 163 Kölner Antiquariatsmesse, 15.–17. Oktober 1999. 14. Kölner Verkaufsausstellung des Verbandes Deutscher Antiquare e. V. [Katalogred.: Michael Trenkle], Köln 1999.
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Lortz, die Entleiher zu veranlassen, diese Bücher direkt zu ihm nach Plettenberg zu senden. Während er die fehlenden Stücke von den Amerikanern zurückbekam, musste Schmitt sie im Fall des Mainzer Instituts verloren geben. Auf seinem entsprechenden Gesuch hat er später handschriftlich notiert: „Keiner hat eines zurückgegeben!“164 Diebsgut, Kriegsbeute oder Verkauf durch CS? Als Carl Schmitt am 7. April 1985 gestorben war, erhob sich in der Fachwelt sogleich die Frage nach seiner Bibliothek. Ein Bibliothekar des Bundesverfassungsgerichts schickte die Todesanzeige an Antiquare in München und Berlin – nicht ohne den Hintergedanken, sich für die eigene Institution sozusagen schon ein Vorkaufsrecht zu sichern – mit dem Hinweis: „Was muss dieser Mann, dessen Bedeutung für die Wissenschaft von Staat und Politik kaum überschätzt werden kann, im Laufe seines langen Gelehrtenlebens für eine Privatbibliothek aufgebaut haben!“ Dabei ging er von einer ungestörten und kontinuierlichen Entwicklung aus und stellte nicht die Peripetien und Katastrophen in Rechnung, die mit diesem langen Leben in diesem Jahrhundert verbunden waren. Der Informant musste sich jedoch nach einem Gespräch mit Ernst-Wolfgang Böckenförde, der damals nicht nur Richter am Bundesverfassungsgericht, sondern auch Vorsitzender von dessen Bibliotheksausschuss war, schnell korrigieren: „Professor Schmitt habe seine Sammlung, die in der Tat von unvergleichlicher Fülle und Qualität gewesen sei, schon vor längerer Zeit veräußert“.165 Das hätte man in der Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts wissen können, denn sie gehörte 1954 zu den Käufern bei Kerst, wo sie 148 Bücher Carl Schmitts erwarb. Mit ihnen bestritt die Karlsruher Bibliothek im Jahre 2008 eine kleine Ausstellung.166 Dass man hier 2008 auf die Bücher Carl Schmitts im eigenen Bestand aufmerksam wurde, lag an den roten Stempeln, die kaum zu übersehen wa164 Schmitt an Lortz, 10.12.1954; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13246. 165 Dr. Mackert, Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts, an Schweitzer Sortiment, Fachbuchhandlung für Recht, Wirtschaft und Steuern, München, 16.4.1985 und 30.5.1985; Antwortbrief, 24.5.1985; Brief von Struppe & Winckler, Fachbuchhandlung für Recht und Wirtschaft, Berlin, an Mackert, 8.7.1985. Registratur der Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe. Ich danke dem Direktor der Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Roth-Plettenberg, für die freundliche Überlassung von Kopien und die Erlaubnis des Zitierens. 166 Frdl. Mitteilung v. Ltd. Bibliotheksdirektor Volker Roth-Plettenberg an den Verf., 10.2.2010. Vgl. Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts, Bibliotheksinfo Nr. 120: „Werke aus der Bibliothek Carl Schmitt im hiesigen Bestand“. Von diesen 148 Titeln sind übrigens nur ganz wenige in der Kerst-Liste 48/54 enthalten.
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ren. Dieses übergroße „Earmarking“ der Amerikaner erregte immer wieder mal Aufsehen und führte zu Irritationen. Die auffälligen Stempel ließen zuweilen auch die Frage aufkommen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Der Göttinger Philosoph Günther Patzig erwarb 1955 für DM 3,50 im Göttinger Antiquariat Peppmüller Schmitts Exemplar der Erstausgabe des Tractatus logico-philosophicus von Ludwig Wittgenstein (London 1922) und – nachdem er das Buch zehn Jahre besessen hatte – erweckten die Stempel in ihm gewisse Skrupel, und er wendete sich brieflich an Schmitt: „Es liegt nach diesen Befunden nahe, zu vermuten, dass die Entfernung des Bandes aus Ihrer Bibliothek nicht völlig mit rechten Dingen zugegangen ist. Als gutgläubiger Erwerber fühle ich mich verpflichtet, Ihnen Ihr Buch wieder anzubieten.“ Tatsächlich war das für Patzig wohl eher ein Anlass, die Gründe für die höchst erstaunliche Tatsache zu erfahren, warum ein Jurist so feine Antennen für ein für ihn völlig abgelegenes und selbst für Philosophen in den zwanziger Jahren vollkommen unbekanntes Buch besaß: „Es war mir immer interessant, dass Sie schon im Jahre 1926 auf Wittgensteins Tractatus aufmerksam geworden sind und ihn vielleicht auch gelesen haben, während noch 1925 Wittgenstein selbst in ganz Manchester kein Exemplar seines Buches finden konnte und sogar in Wien das Interesse an Wittgensteins Tractatus erst 1924 durch einen Vortrag von K. Reidemeister geweckt worden sein soll.“167 Carl Schmitt antwortete postwendend und versicherte die Rechtmäßigkeit des Besitzes: „Die beiden Stempel der amerikanischen Behörde haben nur in etwa fünf Fällen von mehreren tausend juristischen Büchern zu einer persönlichen Rückfrage bei mir geführt. Sie, sehr geehrter Herr Professor Patzig, gehören zu diesen Rarissimi.“ Sodann klärte er die Provenienz des Buches auf und macht, indem er sein spezifisches Interesse daran bezeichnet, noch einmal deutlich, inwiefern er über die „juristischen Gesetzeshandwerker“ seines Faches weit hinausging: „Der Tractatus-Logico-Philosophicus von Wittgenstein war das Geschenk eines Wiener Freundes, Franz Blei. Mich beschäftigte damals die Frage, wieweit diese Methode der Darstellung für eine Darstellung juristischer Gedankengänge fruchtbar gemacht werden könnte.“ Schmitt bat Patzig, das Buch zu behalten, dankte ihm aber ausdrücklich für sein Angebot, „weil ich ein persönliches Verhältnis zu den Büchern meiner früheren Bibliothek hatte und noch habe“.168 Caspar von Schrenck-Notzing bekam ebenfalls Zweifel angesichts der Stempel und fragte Armin Mohler: „Diebsgut oder Verkauf durch CS“? 167
Patzig an Schmitt, 26.4.1965; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-10865. 168 Schmitt an Patzig, 29.4.1965; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13357.
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Schmitt reagierte in einer für ihn typischen, sein Denken beleuchtenden Weise: „Schrencks (an sich ganz intelligente) Alternative: Diebsgut oder Verkauf durch CS? erfasst nicht das Ganze der konkreten Situation; übrigens ist sie (diese alternative Frage) ein hübsches Beispiel für die Abhängigkeit der Antwort von der Fragestellung; sie könnte einem jungen Historiker als guter Übungsfall dienen und ihn Sorgfalt lehren.“169 Noch nach 25 Jahren meldete sich der Direktor der Bibliothek des Bundesgerichtshofes bei dem 90jährigen Carl Schmitt. Er war in seinem Haus auf das Buch von Ernst Wolff über den ersten Präsidenten des deutschen Reichstages, späteren Präsidenten des Reichsverfassungsgerichts, Eduard von Simson (Berlin 1929) gestoßen und registrierte überrascht die Stempel: „Da einen Bibliothekar die Provenienzen von Büchern immer interessieren, hier im übrigen der Verdacht besteht, es könnte sich um ‚Kriegsbeute‘ handeln, erlaube ich mir die Anfrage, ob Sie zur Erhellung der Angelegenheit etwas beitragen können.“170 Auch in diesem Fall antwortete Schmitt prompt und beruhigte den neuen Besitzer. Er zeigte sich auch jetzt noch interessiert an dem längst verlorenen Stück aus seiner Bibliothek: „Angesichts mehrerer individueller Schicksale einzelner derartig stigmatisierter Exemplare würde es mich interessieren, das Exemplar, das hier in Frage steht, einmal zu sehen bezw. wiederzusehen.“171 Leider könne er jedoch nicht mehr reisen und möchte auch weiter keine Umstände machen. Die höflich-verklausulierte Bitte, das Buch zugeschickt zu erhalten, wurde nicht erfüllt. Das Verhältnis zu seinen Büchern hatte sich für Schmitt in den sieben Jahren der Beschlagnahme verändert. Wie über so vieles, sprach er auch darüber widersprüchlich: Einmal ist die Rede von der „armen, geschundenen Bibliothek“,172 dann wieder attestierte er den Amerikanern eine „sorgfältige“ Behandlung.173 Letzteres mochte sich vielleicht auf den Zusammenhalt der Sammlung als ganze und ihre Katalogisierung beziehen, nicht dagegen auf die einzelnen Bücher. Ihre rohe, um nicht zu sagen barbarische Traktierung, die Verunzierung mit großen roten Stempeln und aufgemalter Tusche empfand der Eigentümer als Stigmatisierung, mehr noch: als Schändung. Die derart verunstalteten Bücher, so soll er gesagt haben, „ekelten“ ihn an, und er wolle sie nicht mehr in die Hand nehmen. Nach einem Ondit unter Antiquaren habe Carl Schmitt niemals Bücher gekauft, die mit einem 169 Schmitt an Mohler, 11.11.1958, in: Schmitt, Briefwechsel mit einem seiner Schüler (wie Anm. 29), S. 257. 170 Kirchner an Schmitt, 26.2.1979; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-1328. 171 Schmitt an Kirchner, 5.3.1979; im Besitz Kirchner, Karlsruhe. 172 Schmitt an Lortz, 12.12.1952; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13241. 173 Laut Schnur, Aufklärung (wie Anm. 42), S. 442.
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Stempel verunziert waren.174 Zwar hat er viel in seine Bücher hineingeschrieben, scheute auch, wie etwa im Falle von Adornos Versuch über Wagner (Abb. 2 und 3) oder von von Krockows Buch Die Entscheidung (Abb. 5 und 6), nicht davor zurück, eine Titelei kräftig mit dem Stift zu bearbeiten, aber dass er zu wertvolleren Stücken durchaus ein respektvolles Verhältnis hatte, zeigen etwa seine Bemühung um die Wiederherstellung der durch Wasser beschädigten Duns-Scotus-Inkunabel sowie die aufwendige Restaurierung seiner Erstausgabe des Leviathan im Jahr 1959. Die Bibliothek in Plettenberg Auch unter den vollkommen anderen Bedingungen seines Lebens nach 1945 und auch in ihrer stark dezimierten Form in der Plettenberger Mansardenwohnung blieb die Bibliothek für Carl Schmitt der Lebensmittelpunkt. Gern lud er – dessen geradezu orientalische Gastfreundschaft legendär war – sich Gäste ins Sauerland ein, damit „wir abends zusammen Wein trinken und uns im Schatten meiner kleinen Bibliothek in Ruhe unterhalten können.“175 Das Gespräch war für Carl Schmitt – wie er immer wieder betonte – ein belebendes, ein geradezu lebensnotwendiges Element, wobei er sich auf einen Satz Goethes berief.176 Doch dazu gehörte für ihn notwendig nicht nur die Flasche Wein, sondern auch, dass das Gespräch im „Schatten“ einer – und sei es auch kleinen – Bibliothek geführt werden konnte. Das nicht zuletzt war der Grund, warum es Schmitt so schwer fiel, sich von ihr zu trennen, warum die Verhandlungen über seinen Nachlass sich derart über die Jahrzehnte hinzogen und so viele Archiv- und Bibliotheksdirektoren deswegen vergeblich nach Plettenberg pilgerten. Insbesondere Wolfgang Mommsen, der sich als der verantwortliche Archivar des Bundesarchivs volle 25 Jahre mit großem Einsatz darum bemühte, muss darüber schier verzweifelt sein. Das Gespräch war für Carl Schmitt gebunden an Buch und Bibliothek, zu den „Dialogen unter Abwesenden“ gehörten die unter Anwesenden. Bei seinen Besuchen im „Siedlinghäuser Kreis“, jenem Gesprächskreis um den Landarzt Franz Schranz, war es, wie ein Teilnehmer, der Philosoph Josef 174 Vgl. Nachwort von Helmut Quaritsch in: Schmitt, Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges (wie Anm. 83), S. 146. 175 So Schmitt in einem Brief vom 11.11.1953; zit. nach Dirk van Laak Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 136. 176 Nämlich aus dem Märchen am Ende der Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten: „ ‚Was ist herrlicher als Gold?‘ fragte der König. ‚Das Licht,‘ antwortete die Schlange. ‚Was ist erquicklicher als Licht?‘ fragte jener. ‚Das Gespräch,‘ antwortete diese.“ Goethes Werke (Hamburger Ausgabe), 7. Aufl., Bd. 6, Hamburg 1968, S. 215.
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Pieper, von Schmitt bezeugt, „ein Genuß, seiner funkelnden Konversation zuzuhören“.177 Aber Schmitt fuhr auch darum gern nach Siedlinghausen, weil das für ihn „ein geheimnisvoll prädestinierter Platz (war), um Bücher zu treffen, die mir an keiner andern Stelle der Welt begegnen“.178 Die Begegnung mit Büchern und die funkelnde Konversation sind zwei Seiten ein und derselben Medaille; das Gespräch ist auf das Buch bezogen. Als Jacob Taubes, nachdem ihm Carl Schmitt jahrzehntelang seine Sonderdrucke als „Flaschenpost“ nach Amerika geschickt hatte, sich spät und nach langem Zögern entschloss, den Dialog unter Abwesenden in einen von Angesicht zu Angesicht umzuwandeln und zu dem uralten Carl Schmitt ins Sauerland zu fahren, musste er bei dem peripatetischen Gang auf dem „Joachim-Ritter-Weg“179 die Erfahrung machen: „Die Gespräche waren ungeheuerlich.“ Zu diesen Gesprächen mit dem Thema „Juden und Heiden“, „Volk und Volkwerdung“ aber gehörte dann notwendig die Ergänzung durch das Buch, in diesem Fall das Buch der Bücher. Im Anschluss an das Gespräch ging man ins Haus, „und er sagte: Nun, Taubes, wir lesen Römer 9–11“.180 Buch und Bibliothek waren für Carl Schmitt die Bedingung der Möglichkeit des Gesprächs, oder besser gesagt: damit aus dem Gespräch kein „ewiges“ wurde, damit es nicht in okkasionalistische Belanglosigkeiten absank, in „eine Welt ohne Substanz und ohne funktionelle Bindung, ohne feste Führung, ohne Konklusion und ohne Definition, ohne Entscheidung, ohne letztes Gericht“,181 war der sichere Halt der Bücher notwendig. Das Gespräch war mehr als nur „erquicklich“ (Goethe). Es war für Carl Schmitt kein bloßer, vom Wein beflügelter Austausch beliebig sich ergebender subjektiver Befindlichkeiten, sondern vielmehr der Modus, in dem sich seine Gedanken verfertigten. Deshalb standen auch die Gespräche des Plettenberger Privatiers „in der Sicherheit des Schweigens“ immer im anregenden und sicheren Halt gebenden Schatten der Bibliothek. Hier fanden sie ihren Rahmen und ihre Bezugspunkte, hier erst wurden sie fruchtbar. Inter folia fructus – das galt auch 177 Josef Pieper, Noch wußte es niemand. Autobiographische Aufzeichnungen 1904–1945, München 1976, S. 197. Pieper urteilt fasziniert, aber auch kritisch über Carl Schmitt. Dieser äußert sich 1942 sehr freundlich über Pieper; vgl. Jünger/ Schmitt, Briefe1930–1983 (wie Anm. 1), S. 146. 178 Schmitt an Jünger, 17.9.1941, in: Jünger/Schmitt, Briefe 1930–1983 (wie Anm. 1), S. 129 f. Vgl. seinen Brief an Lilly von Schnitzler vom 24.12.1940: „Die nächtliche Bettlektüre während eines Logierbesuchs bei Freunden scheint eine für meine Seele typische Form der Begegnung mit Ideenträgern zu sein.“ (in diesem Bd., S. 150). 179 „Schmitt hatte die Angewohnheit, seine Straßen und Wege nach denen zu benennen, mit denen er zuerst dort spaziert ist.“ Jacob Taubes, Die Politische Theologie des Paulus, 2. Aufl., München 1995, S. 10. 180 Ebd., S. 11. 181 Carl Schmitt, Politische Romantik, 2. Aufl., Berlin 1925 (u. ö.), S. 25.
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und insbesondere für den Meister des gesprochenen Wortes Carl Schmitt, und es galt für den Debattierer in Max Webers Dozentenseminar wie für den Star am Bonner und Berliner Katheder, für den Vortragsreisenden, den passionierten Briefschreiber, den mit dem Gymnasiasten Nicolaus Sombart durch den Grunewald Spazierenden, den in Siedlinghausen „funkelnd konversierenden“, wie schließlich für den Plettenberger Privatmann, der auch mit 90 Jahren noch in der Lage war, seinem Besucher Jacob Taubes die „stürmischsten Gespräche, die ich je in deutscher Sprache geführt habe“, zu verschaffen (was bei dem Feuerkopf Taubes etwas heißen will!).182 Die 1953 von Schmitt als klein bezeichnete Bibliothek war dies in Relation zu ihrem früheren Umfang. Sie wuchs bald wieder so an, dass sie an die Grenze ihrer Aufstellungskapazität kam. Schon Anfang dieses Jahres hatte Schmitt eine große Bücherkiste von Plettenberg nach Mainz geschickt, „weil sich hier weitere Büchermassen bedrohlich anhäuften.“183 Die Bücher vermehrten sich in den fast vier Jahrzehnten, die Schmitt in Plettenberg noch blieben, schnell wieder; vor allem auch durch Geschenke von Autoren aus aller Welt, die ihre Monographien und Sonderdrucke dem „man of neargenius rating“ (Karl Loewenstein) ins Plettenberger Haus schickten, durchaus in dem dankbaren Bewusstsein, als Zwerge auf den Schultern eines Riesen zu stehen. Doch da der Raum – auch nachdem Schmitt mit Anni Stand 1970 ein eigenes kleines Haus, eine „Raumkapsel“, wie er sagte, in Plettenberg-Pasel bezogen hatte – beengt blieb und dem Umfang der Bibliothek von vornherein Grenzen setzte, kam es immer wieder zu Verkäufen, deren wichtigster zweifellos der über das Antiquariat Semmel im Jahre 1966 war, wo Carl Schmitt sich auch von seiner vom fatum gezeichneten Inkunabel trennte. Während diese seitdem verschollen blieb, tauchte ein anderes wertvolles Buch aus Schmitts Bibliothek jüngst wieder einmal aus dem Dunkel auf. Bei der Autographenauktion von Stargardt in Berlin am 19./20. April 2011 gelangte der Elzevir-Druck von Grotius’ Historia Gotthorum, Vandalorum, & Langobardorum (Amsterdam 1655) zum Verkauf. Ernst Jünger hatte ihn 1943 in Paris erworben, mit seinem Exlibris versehen, und dann 1958 Schmitt zum 70. Geburtstag geschenkt. Der Wunsch, den Jünger mit seinem Geschenk verband – „Möge er [der Band] noch lange in Ihrem Besitz bleiben.“ – sollte sich nicht erfüllen. Das Buch gehört zu denen, die Schmitt acht Jahre später über Semmel verkaufte.184 Ernst Jünger blieb das nicht 182
Jacob Taubes, Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügungen, Berlin 1987, S. 25. Schmitt an Schnur, 17.2. und 13.3.1953; Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 265-13496/13497. 184 Vgl. Jünger/Schmitt, Briefe 1930–1983 (wie Anm. 1), S. 352; Der Mediaevist (wie Anm. 77), Nr. 267. 183
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verborgen, und seine Reaktion schlug sich nieder in einer zweiten, auf den 9.12.1984 datierten Widmung, die folgenden etwas melancholischen, seine Erfahrung als Buchmensch und Krieger verdichtenden Wortlaut hat: „Habent sua fata libelli et balli. Alle Bücher sind nur Leihgabe. Dem derzeitigen Besitzer Karl Heinrich Rexroth“.185 Neben dem Verkauf gab es schließlich das Verschenken, das eine lückenlose Rekonstruktion des Bestandes unmöglich macht, denn Carl Schmitt hat immer wieder generös Bücher aus seiner Bibliothek verschenkt, in der Regel versehen mit einer originellen, auf den Beschenkten zugeschnittenen Widmung, die jedoch immer auch etwas über den Widmungsautor aussagt. Der inhaltliche Schwerpunkt der Bibliothek verlagerte sich nach 1945 von der juristischen Literatur weg, und das entsprach einer neuen Orientierung ihres Eigentümers. Der aus der Gemeinschaft seiner Fachkollegen Ausgestoßene konnte nun frei von jeglichen Verpflichtungen die weitgespannten Dimensionen seines Geistes nach Belieben durchmessen und das tun, wovon er als junger Referendar geträumt hatte: „Dann ging ich in schönster Ruhe zur Bibliothek und freute mich der vielen schönen Bücher, die es gibt und wäre am liebsten ein ganz freier, ungebundener Schriftsteller geworden, der sich freut zu lesen und zu schreiben, ohne Zwang, so wie es ihm gefällt.“186 Das war seine Version vom „Reich der Freiheit“, für das der junge Karl Marx „Jagen und Fischen“ an den Horizont gemalt hatte. In dieser letzten Phase seines Lebens in Plettenberg philosophierte Carl Schmitt über Nehmen, Teilen, Weiden (1953) und – im Anschluss an seine Verhöre durch Kempner – über die Macht und den Zugang zum Machthaber (1954), beschäftigte sich mit Shakespeare und Walter Benjamin (Hamlet oder Hekuba, 1956), mit Wertphilosophie (Die Tyrannei der Werte, 1960), der Theorie des Partisanen (1963) und kehrte schließlich noch einmal zu seinem eigentlichen Thema, der Politischen Theologie (Politische Theologie II, 1970), zurück, um gegenüber seinen Kritikern darauf zu beharren, dass deren Erledigung eine Legende sei. So blieb er als Autor weiterhin präsent, wenn er auch die erstaunliche Produktivität der zwanziger Jahre nicht mehr erreichen, nach dem Nomos der Erde kein magistrales Hauptwerk mehr hervorbringen und das nicht wettmachen konnte, was er „zu den große Versäumnissen (seines) Lebens“ zählte: eine umfassende und systematische Arbeit über das Verhältnis von Savigny und Hegel nicht vorgelegt zu haben.187 185
Vgl. Stargardt Auktion, Berlin, vom 19./20. April 2011, Katalog 695, Nr. 115. Carl Schmitt, Tagebücher. Oktober1912 bis Februar 1915. Hrsg. von Ernst Hüsmert, Berlin, 2003, S. 258 (Eintrag vom 26.11.1914). 187 Carl Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, Berlin 1958, S. 428. Dieses Thema markierte übrigens seine sachliche Differenz zum Freund Johannes Popitz. 186
Die Geburtsurkunde Carl Schmitts Vorgestellt von Gerd Giesler Seitdem die Internet-Enzyklopädie Wikipedia ihren Artikel zu Carl Schmitt mit dem Satz beginnen lässt „Carl Schmitt (eigentlich Karl Schmitt . . .)“, hat sich diese Behauptung der Fehlschreibung ubiquitär verbreitet. Als Quelle wird angegeben eine Rezension der Tagebücher Schmitts aus der Militärzeit 1915 bis 1919 des Konstanzer Arbeits- und Zivilrechtlers Bernd Rüthers (Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abt., Band 124 (2007), S. 731), nach dessen Aussage Schmitt durch die Neuschreibung seines Vornamens mit C die persönliche Bedeutung nach außen habe steigern wollen. Die Geburtsurkunde aus dem Standesamt Plettenberg beweist die Solidität des Rütherschen Distinktionsarguments. Wie aus Äußerungen Schmitts im Freundes- und Besucherkreis bekannt ist, hat er sich über die in deutschsprachigen Ländern vielfältige Namensvetternschaft seines Familiennamens belustigt, was z. B. im Sketsch „Einer bleibt übrig“ zu seinem 65. Geburtstag persifliert wurde: „. . . Und bei alledem die Last unabsehbarer Namensvetternschaften mit Würde getragen hat.“ Nach 1945 war durch die Prominenz des SPD-Parlamentariers Carlo Schmid manche Verwechslung bei der Postadressierung gegeben, so dass aus dem Bonner Abgeordnetenbüro fehlgeleitete Post nach Plettenberg geschickt wurde. Dabei wurde der auch im Literarisch-Künstlerischen bewanderte SPDProminente, über den Ernst Jünger mehrfach Schmitt informierte, ironisch der Carl mit der Null genannt. Im Parlamentarischen Rat hatte das Mitglied Süsterhenn anlässlich des Vorhabens, einen Verfassungsgerichtshof einzusetzen, provokant geäußert „Wir haben keine Angst vor der, von dem mit zwei ‚t‘ geschriebenen Namensvetter des Herrn Kollegen Carlo Schmid, an die Wand gemalten Gefahr einer sogenannten justizförmigen Politik“. Dass vielfach in offiziellen wie privaten Schreiben, Zitatnachweisen oder Bibliothekskatalogen aus Carl der von Rüthers apostrophierte Karl Schmitt wurde, ist öfter bemerkt worden. Sogar offizielle Urkunden haben diese Fehlschreibung übernommen, was etwa die im Nachlass vorhandene Verleihungsurkunde für das bayerische König-Ludwig-Kreuz für Heimatverdienste von 1916 zeigt, oder das Besitz-Zeugnis für das Preußische Eiserne Kreuz 2. Klasse von 1920 und die Urkunde für das silberne Treudienst-Ehrenzeichen in Anerkennung für 25jährige treue Dienste von 1938. Er selbst hat dagegen in allen bekannten Briefen, Druckwerken oder anderen Materialien niemals anders als mit seinem Vornamen Carl unterschrieben bzw. den Vornamen drucken lassen. (Abbildung © Carl-Schmitt-Gesellschaft e. V.)
Personenregister Personennamen aus Literatur- und Quellenangaben bleiben unberücksichtigt. Kursive Seitenangaben verweisen auf Fußnoten. Abaelardus, Petrus 181 Adams, Alfons 60 Adams, Paul 60, 73, 82, 84, 88, 93, 149, 284 Adenauer, Konrad 216, 219, 223, 232, 244 Adorno, Theodor 116, 271, 272 f., 329 Aeschylos 309 Ahlmann, Wilhelm 286 Albert [Prinz v. Bayern] 152 Albert, Franc¸ois 78 Altmann, Rüdiger 244 Ammann, Rolf 78 Andric´, Ivo 147 f., 151, 238 Anschütz, Gerhard 9, 10, 18–23, 29, 44 f., 49 Aristophanes 309 Aristoteles 309 Arnold, Karl 232 Aron, Raymond 206, 208, 240, 252 Aquin, Thomas von 309 Augustinus 204, 309 Auvermann (Antiquar) 325 Baader, Franz von 100 Bab, Julius 265 Badoglio, Pietro 165 Bakunin, Michail 100 f. Ball, Hugo 62, 65, 76 f., 88, 90, 99, 100–103, 134, 136 f., 309 Barion, Hans 205, 210, 236, 239 f., 252 f. Baudelaire, Charles 150
Bauer, Bruno 308 Bauer, Karl-Heinrich 187, 195 Bay, Jürgen 36, 37 Becker, Hellmut 173 Becker, Werner 60, 70 Beckerath, Erwin von 93 Beckmann, Max 113, 117, 122, 147, 149, 196 f., 206, 207, 213, 246, 250 Beckmann, Peter 249, 252 Behn, Siegfried 238 Belgiojoso-Trivulzi, Christina 84 Bendersky, Joseph 296 Benedikt XV. [Papst] 99 Benjamin, Walter 269–271, 309, 332 Benn, Gottfried 185 f. Berdjajew, Nikolai 75 Bergsträsser, Arnold 140 Berth, Edouard 90 Bertram, Ernst 108, 110 Beutler, Ernst 218 Beyerhaus, Gisbert 72 Beyerle, Franz 9, 11, 12, 27, 41 Bilfinger, Carl 39–41, 51 f. Birk, Fernando 219 Bismarck, Otto von 17, 80, 84, 99, 101–103, 193 Blank, Theodor 224 Blei, Franz 108, 109, 282, 308, 309, 327 Bloch, Ernst 100 Bloy, Léon 139, 169, 204, 255, 281, 286, 306 Blücher, Franz 217 Bodin, Jean 265, 308
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Personenregister
Böckenförde, Ernst-Wolfgang 42 f., 92, 245, 268, 326 Böckenförde, Josef 245 Böckenförde, Werner 43, 245 Bolingbroke, Henry St. John 307 Bonald, Louis-Gabriel-Ambroise de 87 Bonn, Moritz Julius 294 Bonsels, Waldemar 63 Boris III. [Zar von Bulgarien] 164 Bork (Hausmeister v. LvS) 151 Bork, Hans 167 Borries, Kurt 106 f. Bosch, Hieronymus 286 Bosch, Robert 217, 218 Braubach, Bernhard 77, 96 f. Brehm, Bruno 161 Breitenbach, Edgar 315–319, 325 Brentano, Heinrich von 217 Brod, Max 69 Büschen, Adolf Peter 284 Büschen, Mary 284 Bumke, Erwin 40 Busse, Gisela von 316–321, 322 Caesar, Gajus Julius 108 Calderón de la Barca, Pedro 208 Carossa, Hans 143 Carpenhauer, S. 200 Casals, Pablo 208 Céline, Louis-Ferdinand 153 Chamberlain (Frau) 142 Chateaubriand, Franc¸ois-René de 87, 91 Chopin, Frédéric 75 Churchill, Winston 165, 232 Cicero, Marcus Tullius 108 Claudius, Matthias 144 Cohen, Hermann 269 Columbus, Christoph 178 Corot, Jean Baptist Camille 153 Cortés, Donoso 69, 85, 184, 197, 306
Curtius, Ernst Robert 62, 93 Curtius. Ludwig 140 Däubler, Theodor 179, 230, 278 f., 281 f., 285, 304, 306 Dante [Alighieri] 264 Deichmann, Ada, geb. von Schnitzler 171 Deichmann, Karl 171 Dempf, Alois 60, 64 Dickens, Charles 159 Dickman, William 302 f., 304 f., 309–314 Diederichs, Peter 211, 213 Diels, Rudolf 173, 175, 177, 181, 184, 187, 209, 236 Diez del Corral, Luis 244 f. Dirksen, Herbert 215 Döllinger, Ignaz von 97 Dönhoff, Marion Gräfin 271, 274 f. Dohna, Alexander Graf zu 24 Dorotic´, Pauline Marie 284 (s. a. Schmitt, Cari und Büschen, Mary) D’Ors, Eugenio 196 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 75 Droste-Hülshoff, Annette von 309 Dubois, Josiah E. 192 Dubois, Louis-Ernest 137 Duisberg, Carl 217, 218 Duns Scotus, Johannes 290 f., 329 Ebers, Georg 113 Eberz, Otfried 282 Eden, Robert Anthony 165, 232 Eichendorff, Joseph von 74 f. Endres (Major) 124 f. Entelecho, Pedro Luis 196 Epting, Karl 285 Erasmus, Desiderius 258 Erhard, Ludwig 210, 217 Eschweiler, Karl 60, 83, 90–94 Euripides 153 Ewers, Hans-Heinz 150
Personenregister Fahy, Charles 304, 305, 311 Ferman (Verleger) 99 Feuchtwanger, Ludwig 39, 76, 157 Figge, Klaus 126 Fischer, Lorenz 78 Flechtheim, Ossip K. 184, 301, 313 Fleming, Paul 144 Flick, Friedrich 293, 303 Förster, Friedrich Wilhelm 78 Forsthoff, Ernst 36, 42, 290 Franco, Francisco 208 f., 223, 244 Fraenger, Wilhelm 286 Fraenkel, Ernst 40 Fraga Iribarne, Manuel 248 Frank, Hans 227 Frank, Karl Hermann 250 Franziskus [von Assisi] 134, 182 Freund, Julien 244, 252 Freyberg, Baron von 192 Freyer, Hans 68, 154, 156, 167 Friedrich August III. [König von Sachsen] 173 Friesenhahn, Ernst 79, 84 Frommel, Wolfgang 286 Funk, Ph. 110 Gajzago, Ladislaus von 155 Garve, Theo 113, 218 Georg [Kronprinz von Sachsen] 35, 52 George, Heinrich 173 George, Stefan 301 Gerber, Hans 42 Géraud de Cordemoy 104 Gerullis, Georg 53 Geulincx, Arnold 104 Giesler, Gerd 36, 257, 286 f., 301 Gildemeister, Otto 134 f. Gilles, Werner 113, 117, 142, 153, 163, 200 Gluck, Christoph Willibald 271, 274, 309 Goebbels, Josef 224
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Göring, Hermann 173, 182, 199, 215 Görres, Johann Joseph von 74 Goethe, Johann Wolfgang von 185, 242, 254, 329 f. Gollwitzer, Helmut 54 Goldschmidt, Julius 124 Goldschmidt (Dr.) 127 f. Gotheiner 41 Grau, Richard 39 Grauert, Ludwig 199, 205 Grelling, Kurt 98 f. Grillparzer, Franz 153, 282 Groh, Dieter 126 Gross, Johannes 268 Grotius, Hugo 288, 308, 311, 331 Gruel (Pariser Buchbinder) 291 Grüninger, Horst 161 Günther, Johann Christian 144 Gütersloh, Albert Paris 309 Gurian, Edith 63 Gurian, Johanna 84 Gurian, Waldemar 59–111, 183 Haas, Willy 69 Haecker, Theodor 63, 282 Haftmann, Werner 207, 213 Hahm, Haidi 287 Hahm, Konrad 287 Hahn, Rudolf 138 Haller, Albrecht von 257 Hanfstaengl, Erna 160, 164, 174, 184 Hanfstaengl, Ernst 160 Harck, Frau von 179 Harich-Schneider, Eta 262 Harms-Ziegler, Volker 138 Hasenkamp, Gottfried 60 Hausenstein, Wilhelm 113 Heer, Friedrich 161 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 16, 99, 101, 103, 169, 193 f., 227, 255, 308, 309, 332 Heidegger, Martin 277
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Personenregister
Heller, Hermann 9, 37, 40 Hennings, Emmy 137 Hertz, Friedrich 83 Herzen, Alexander 63 Hesse, Hermann 76 Hettlage, Karl Maria 322 Heuss, Theodor 215 Heydt, Eduard von der 215, 233 Himmler, Heinrich 118 f., 160, 164, 173 Hitler, Adolf 41, 117, 160, 193, 217 f., 224, 227, 296, 298, 313 Hobbes, Thomas 265, 269, 288, 290, 306, 308 Hoberg-Heese, Christel 290 Hodler, Christian 267, 289 Hodler, Otto 266, 267, 286, 288, 289 Hölderlin, Friedrich 63, 107, 156, 161, 287 Hofmann, Albert 321 Hohenzollern-Sigmaringen, Margarete von [Herzogin von Sachsen] 119, 120, 142, 173, 175, 180, 233, 246 f. Holfilus (Prof.) 199 Holler, Christian 288 Holstein, Günther 37, 49 Holstein, Horst 49 Homer 108 Honigsheim, Paul 70, 85 Hradil, Rudolf 250 Huber, Ernst Rudolf 173 Hürten, Heinz 60 Hüsmert, Ernst 325 Hugo, Victor 75 Immelmann, Max 35 Imredy, Bela von 155 Ipsen, Hans-Peter 34 f. Isay, Ernst 49 Jabes, Contesa Carmen de 196 Jacobi, Erna 53 Jacobi, Erwin 33–57, 67
Jacobi, Gottfried 38 Jacobi, Nora 38, 41, 43, 50, 52 Jacobi, Rudolf (Rudi) 38, 44–46, 52 Jacobi, Thomas 38 Janssen, Wilhelm 268 Jay, Herta 134 Jellinek, Georg 56, 296 Jellinek, Walter 34, 38, 41, 51, 52 Juana Ines [de la Cruz] 150 Jünger, Ernst 113, 145, 147, 150, 166, 186 f., 198, 255, 257, 260, 266, 271, 277, 286, 290 ff., 308, 321, 331, 333 Jünger, Gretha 146, 187, 255, 285, 287 Jung, Carl Gustav 119, 149 f. Kafka, Franz 69 Kaiser, Joseph 231, 267, 295, 325 Kandinsky, Wassily 207 Kant, Immanuel 99, 101, 103 Kaufmann, Erich 9, 29, 37, 48, 50, 73, 192 Keller, von (Anwalt) 176 Kelsen, Hans 9, 37, 44, 296 Kemper, Franz 160 Kemper, Wilhelm 160 Kempner, Robert 183, 301, 303, 310, 312–314, 332 Kempner, Walter 301 Kerst, Rolf 294, 322–326 Keyserling, Hermann 113, 116 f., 138, 149, 227, 236 Killigrew, Mary [Lady] 159 Kirchheimer, Otto 30 Kirchner, Hildbert 280, 311, 324, 328 Kirschweng, Johannes 60 f. Kjellén, Rudolf 9, 10, 16 Klee, Paul 207, 262 f. Kleemann, Christiane 193 Kleist, Heinrich von 107, 318 Klemperer, Viktor 87 Klicˇkovic´, Milka 286, 289 Klicˇkovic´, Sava 248, 286, 289
Personenregister Koch, Rudolf 143 Koechlin, Carl 223 Koellreutter, Otto 9, 42 König, René 108 Koerner, Paul 182 Köttgen, Arnold 24 f., 298 Kogon, Eugen 174, 188 Kohler, Josef 264 Konfuzius 116 Koselleck, Reinhart 258–260 Kramer, Franz 60 Krause, Georg Alexander 123 Krauss, Günther 94, 283 Krebs, Friedrich 117, 142 Krockow, Christian Graf von 271, 276, 329 Kühlmann, Richard von 113 Kugler, Hans 192 Laband, Paul 29, 35 Laffert, Maximilian von 35 Lagarde, Paul de 80 Lamanskij, Vladimir I. 81 Lamennais, Felicité de 59, 87, 91 Lang, Clemens (Ps. f. G. Krauss) 94 Lange, Heinrich 41, 55, 57 Langgässer, Elisabeth 113, 183 f., 247 Lanxx, Pierre de 89 Laotse 116, 168, 264 Lasalle, Ferdinand 99, 101 f. Lawrence, David Herbert 153 LeFur, Louis 78 Lehmann, H. 30 Lehmann, Rudolf 191 Leibholz, Gerhard 29 Leistikow, Hans 176 Lewinski, Karl von 310, 311, 312 Leyh, Georg 292 Linn, Pierre 90 Lippert, Peter 139 Liszt, Franz 75 Lochner, Stefan 151, 163
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Loesch, Karl von 79 Loewenstein, Karl 261, 289, 293–298, 300–303, 305 f., 309–313, 319, 325, 331 Löwith, Karl 61, 108, 269 Lopes, Igor 200 Lorca, Garcia 208 Lortz, Joseph 321–323, 326, 328 Louis Philippe I. [König von Frankreich] 75, 217 Ludwig, Emil 89 Lukács, Georg 279 Lurc¸at, Jean 229 Luther, Martin 99–102 Machiavelli, Niccoló 89, 219, 308 Magee, Warren E. 176 Mahner, Franz 78 Maier, Reinhold 313 Maistre, Joseph de 87, 308 Malebranche, Nicolas 104 Mallinckrodt, Gustav Wilhelm Otto von 162, 188 Mallinckrodt, Lydia von 162, 175, 185, 188, 209 Mallinckrodt, Nadine von 233 Malraux, Madame 183 Mann, Heinrich 113 Mann, Thomas 113, 278–280, 291, 294 Mannheim, Karl 24 Marc Aurel 282 Marées, Hans von 213 Marías Aguilera, Julián 244 Maritain, Jacques 89 f., 139 Marx, Karl 99, 101 f., 332 Marye (Lt. Col.) 302, 304 f. Matisse, Henri 229 Maurras, Charles 60, 88 Mayer, Hans 183 Mayer, Otto 34 Mayer, Theodor A. 107 Mazzini, Giuseppe 100
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Personenregister
Medem, Eberhard von 260 f., 271, 316 f., 321 Meier, Heinrich 269, 316 Meissner, Boris 233 Melville, Herman 154 f., 204, 228, 281 Mende 24 Mercier, Desiré-Joseph 99 Merton, Richard 116–118 Meyer, Eduard 103 Michel, Ernst 97 f. Michelet, Jules 106 Mies van der Rohe, Ludwig 115 Mirgeler, Albert 67, 68, 70 Missiroli, Mario 94 Mössinger, Wilhelm 177 f. Mohl, Robert von 14 Mohler, Armin 269, 323, 327, 328 Moltke, Dorothy 117 Moltke, Helmut James von 117 Mommsen, Wolfgang 267, 329 Monroe, M. G .B. 319 Montalembert, Charles de 91 Moras, Joachim 115 Mount-Temple [Lady] 142 Muckermann, Friedrich 75, 82 Müller, Adam 61, 83, 105 f., 316 Müller, Günther 82 Müller, Johannes 146 f. Münzer, Thomas 100, 102 Murray, Katheleen 70 Musset, Alfred de 75 Mussolini, Benito 91 Muth, Carl 65, 68, 76, 88, 90 Mutschmann, Martin 55 Napoléon 102 Nawiasky, Hans 29 Nay, Ernst Wilhelm 113, 117, 163, 174, 207 Nebel, Gerhard 278 Neugebauer, Karl Anton 53 f.
Neugebauer, Erwin 53 f. Neumann, Franz 30 Neumayer, Fritz 217 Neundörfer, Karl 61 Neuss, Wilhelm 72 Niemöller, Martin 54 Nietzsche, Friedrich 82, 110, 144, 293 Nipperdey, Hans Carl 9 f., 25, 29 f. Noack, Paul 286 Nörpel, Clemens 40 Nolde, Emil 117, 147, 163 Novalis 105 Nyssen, Wilhelm 60 Oberheid, Heinrich 145 f., 148, 171 f., 174 f., 178, 181, 185, 198, 200, 205, 210, 214 f., 221 f., 228, 233, 237, 239, 240, 242, 247, 251–256, 321 Oberheid, Margarete 221 Ollivier, Emile 84 Osterhammel, Jürgen 116 Otero, Alfonso 244 Otto, Walter Friedrich 226 Ovidius Naso, Publius 309 Paeschke, Hans 115 Pannwitz, Rudolf 80 Papen, Franz von 52 f., 55 Pascal, Blaise 309 Patzig, Günther 327 Paulus [Apostel] 259 Peltastes (Ps. für Gurian) 81 f., 85, 95, 103 Pepys, Samuel 308 Perels, Kurt 34, 36 Petersen, Julius 87 Peterson, Erik 60, 84, 309 Petrarca, Francesco 264 Petwaidic, Walter 92 Pfafferott, Henning 89 Picasso, Pablo 208, 229 Pichler, Hans 308
Personenregister Pieper, Josef 330 Platon 108 Platz, Hermann 60 Podach, Erich Friedrich 293 Poe, Edgar Allan 150 Pohl, Johann Heinrich 24, 67 Poincaré, Raymond 137 Ponceau, Amedée 208 Ponceau, Michelle 208 Popitz, Johannes 28, 54, 160, 169, 170, 266, 286, 288–292, 311, 332 Preusker, Victor-Emanuel 217 Preuß, Hugo 19, 36 Proudhon, Pierre-Joseph 179 Przywara, Erich 83, 113, 120, 176, 225 f., 228 f., 238–242, 245, 247 f., 250, 252, 309 Quaritsch, Helmut 294, 300, 314 Rahn, Rudolf 210, 213 Ranke, Leopold von 258 Raschhofer, Hermann 250 Rauterkus (Pater) 189 Redwitz, Philipp Freiherr von 233 Regnier, Henri de 80 Reidemeister, Kurt 327 Reifenberg, Benno 207, 213, 218, 227 Reinhardt, Karl Ludwig 218 Rexroth, Karl Heinrich 332 Ribbentrop, Annelies 142 Ribbentrop, Joachim von 215 Richter, Hans 279 Rick, Karl 73 f. Rilke, Rainer Maria 113, 134 Ritterbusch, Paul 53, 55, 57 Robbins, Marjorie 309, 320, 321, 322 Rockwell, Alvin 302, 305, 310, 311 f., 313, 315 Roh, Franz 207 Rohan, Karl Anton Prinz 113, 120, 138 f., 142, 145, 147, 149, 164, 166, 172, 176, 181, 185, 188, 196,
341
211–213, 216, 221, 225, 229, 238, 240, 244, 246, 248, 250, 252, 254 Romier, Lucien 86 Rosenstock-Huessy, Eugen 34, 37 Roth, Christian 116, 124–127, 132, 192 Roth-Plettenberg, Volker 326 Rothenbücher, Karl 44 Rouault, Georges 207 Rouselle, Erwin 116 Rousseau, Jean-Jacques 84 Rozanov, Vasily 75 Rüssel, Herbert Werner 150 Rüthers, Bernd 333 Sagave, Pierre-Paul 279 Saint-Martin, Louis-Claude de 182 Sand, Georges 75 Sander, Fritz 44 Sander, Hans-Dietrich 92 Sarre, Carl 300, 301, 311 Sauter, Johannes 61, 86 Savigny, Friedrich Carl von 332 Scelle, Georges 78 f. Schachinger, Hermann 192 Schacht, Hjalmar 113, 233 Schäfer, Hermann 217 Schäfer, Wilhelm 152 Schätz, 192 Scheffer, Paul 129, 132, 135, 308 Scheibler (Vetter v. LvS) 133 Scheler, Max 59, 70, 309 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 83, 107 Schiele, Egon 229 Schinkel, Karl Friedrich 309 Schlegel, Friedrich 66, 82 ff., 105, 106 Schmid, Carlo 333 Schmidhauser, Julius 146 Schmidt, Richard 44, 53
342
Personenregister
Schmitt, Anima 50, 53, 140, 144, 148, 150–154, 157, 159 f., 162 f., 168 f., 170, 174, 177 f., 180, 183, 187–189, 192, 194, 199 f., 205 f., 209, 213, 222 f., 233, 237–239, 244, 248 f., 252–254, 267, 285, 287 Schmitt, Auguste 278, 282 Schmitt, Cari 9, 283 (s. a. unter Dorotic´ und Büschen) Schmitt, Duschka (Dusˇka) 38, 40, 45 f., 65, 79, 140, 150, 152–155, 160–164, 166–175, 177 f., 180, 183 f., 186–189, 191, 193–195, 199, 202 f., 208 f., 213, 228, 239, 245, 247 f., 266, 285–287, 289, 295, 298, 300 f., 305, 310–312 (s. a. unter Todorovic´) Schmitt, Josef (Jupp) 46, 64 Schmitz, Hermann 160 Schmitz, Oskar A. H. 131 f. Schneider, Hans 311 Schnitzler, Lilly von 285 Schnitzler, Valentine (gen. Fanny), geb. Joest 175, 178, 209 Schnur, Roman 281 f., 290, 325, 331 Schönburg-Waldenburg [Fürst] 138 Scholz, Herbert 117, 155 Scholz, Jeannette 122 Scholz, Manfred 181 Scholz, Nikolas 122 Scholz, Wilhelm Georg 181 Schopenhauer, Arthur 102 Schranz, Franz 167, 285, 329 Schrenck-Notzing, Caspar von 327 f. Schroeder [Baron u. Baronin] 142 Schröder, Rudolf Alexander 157, 247 Schulte, Alois 72 Schwab, George 92 Schwitters, Kurt Seefried auf Buttenheim, Ferdinand Graf 249 f. Seefried auf Buttenheim, Franz Graf 152
Seefried auf Buttenheim, Gabriele Gräfin, geb. von Schnitzler 134, 142, 152 f., 155, 157, 185, 187, 196, 200, 221, 224, 250 Seefried auf Buttenheim, Johannes Graf 185 Semmel, Emil 292, 324, 331 Seneca, Lucius Annaeus 153 Shakespeare, William 264, 270, 332 Shaw, George Bernard 265 Siebeck, Richard 187, 195, 252 Sieburg, Friedrich 113 Siemers, Walter 176 Silesius, Angelus 152 f. Simon, Heinrich 116 f. Simons, Walter 50 Simson, Eduard von 328 Singer, Kurt 10 Smend, Rudolf 9, 10, 37, 38, 40–42, 44, 301 Söderblom, Nathan 139 Sohm, Rudolf 34 Solowjew, Wladimir 75 Sombart, Nicolaus 213 f., 331 Sombart, Werner 103, 258 f. Sophokles 309 Sorel, Georges 93 f. Souday, Paul 79 Spann, Othmar 86 f. Spee, Friedrich von 309 Spranger, Eduard 192, 269 Sprecher, Drexel A. 192 Sprenger, Jakob 119, 142 Staff, von 25 Stalin, Iosif 160, 165, 233 Stand, Anni 286, 325, 331 Steffes, Johann Peter 73 Stein, Edith 236 Steinlein, André 85 Stilgebauer, Edward 98 f. Stier-Somlo, Fritz 9, 25–30, 36 f., 45 Stödter, Rolf 34 Stoll, 30
Personenregister Strauss, Leo 269–271, 309 Strich, Fritz 107 Strich, Walter 77 Studnitz, Hans Georg von 117 Stutz, Ulrich 35 Swarzenski, Georg 117 Szilvinyi, Liselotte (gen. Lilo), von, geb. von Schnitzler 117, 134, 155, 164, 178, 181, 185, 187 f., 198, 221, 250 Taubes, Jacob 269 f., 330 f. Teleki, Pal 151 Tennyson, Alfred Lord 253 Thieme, Hans 41, 188 Thoma, Richard 9, 25–28, 39, 44, 67 Thompson, Francis 73 Thormann, Werner 66 Tjutcˇev, Fjodor Iwanowitsch 64 Tocqueville, Alexis de 190 Todorovic´, Dusˇka 65, 79, 209 Tommissen, Piet 92, 108, 323 Triepel, Heinrich 21, 29, 34–36, 37, 39, 45, 50, 51 Ulich, Robert 40 Unamuno, Miguel de 208, 209 Ungewitter, Claus 160 Usinger, Fritz 161 Vergilius Maro, Publius 157 Veuillot, Louis 91 Vietta, Egon 198 Vögler, Albert 217, 218 Voigt, Alfred 36 Vossler, Karl 150, 208
343
Wagner, Richard 75, 250, 273, 309 Warburg, Aby 259 Warnach, Walter 206–208, 213, 226–228 Weber, Max 85, 244, 252, 257, 264, 294, 312 f., 331 Weber, Werner 42, 317, 322 Weber-Schumburg, Erland 287 f. Weiß, Konrad 156, 158, 167, 281 f., 285, 288, 306 Weitling, Wilhelm 102 Weizsäcker, Ernst von 176 Welser (Wahrsagerin) 136 Weyreich 138 Wiedemann, Albert 94 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 264 f. Wilhelm II. [Kaiser des Deutschen Reiches] 215 Wilhelm, Richard 116, 137 f., 226–228 Wilson, Woodrow 102 Winkler, Friedrich 291 Witten, H. O. 261, 305, 309 Wittgenstein, Ludwig 309, 327 Wittig, Joseph 65, 70, 86 Wittmayer, Leo 9, 13, 16 Wolff, Ernst 328 Wolff, Martin 21, 28 Wolff, Theodor 84 Wust, Peter 139 Zehnhoff, Hugo am 126, 129 Zeigner, Erich 39 Zierold, Kurt 315 f. Zündorf (Frl.) 124