141 31 20MB
German Pages 611 [616] Year 2003
Dieter Felbick Schlagwörter der Nachkriegszeit 1945-1949
Dieter Felbick
Schlagwörter der Nachkriegszeit
1945-1949
w DE
G
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2003
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt
ISBN 3-11-017643-2 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
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Für Cornelia
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abkürzungen, Siglen und Konventionen
VIII IX
1 1.1 1.2
Einleitung Schlagwort-Forschung Leitlinien des Schlagwort-Gebrauchs 1945-1949
1 3 14
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.2 2.2.1 2.2.2
Schlagwörter Merkmale und Definition Formale Merkmale Semantische Merkmale Pragmatische Merkmale Definition Was ist ein Schlagwort nicht? Beschreibung von Schlagwörtern Beschreibungskategorien Schlagwort-Varianten
17 17 17 19 23 24 25 29 29 34
3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3
Nachkriegszeit Politische Geschichte Sprachgeschichte Das Ende der „Nazi-Sprache" Politische Sprache der BRD Politische Sprache der DDR Öffentlicher Diskurs und Pressewesen Westzonen Sowjetische Zone Gesamtdeutschland
40 40 65 65 67 69 71 71 78 80
4 4.1 4.2 4.3
Quellen, Methode und Gestaltung Quellenkorpus Auswertungsmethode Gestaltung der Wortartikel
82 82 97 100
5
Wörterbuch
103
Schlusswort Quellen- und Literaturverzeichnis Index der Schlagwörter, Varianten und Zweifelsfálle Danksagung
585 587 599 601
Abbildungsverzeichnis
Nr. Quelle
erschienen Zeichner
Wortartikel
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
04.04.46 28.04.49 17.06.49 06.02.47 04.04.46 12.06.47 21.01.48 09.10.47 16.01.49 26.06.47 20.09.47
Mirko Szewczuk Mirko Szewczuk Martin Schongauer Mirko Szewczuk Mirko Szewczuk Mirko Szewczuk unbekannt Mirko Szewczuk unbekannt Mirko Szewczuk unbekannt
Blockade Boogie Woogie Bürokratie Demokratie Demokratie Demokratie Demontage Dollar Dollar Einheit
1 124 141 155 176 186 187 209 215 217 224
20.12.47
unbekannt
Eiserner Vorhang
237
03.02.49 22.12.46 11.05.46 22.04.49 17.07.47 11.05.48 01.01.49 25.10.46 15.01.48 17.02.48 01.05.48 10.10.46
Mirko Szewczuk unbekannt unbekannt unbekannt Mirko Szewczuk unbekannt unbekannt unbekannt Mirko Szewczuk unbekannt unbekannt Mirko Szewczuk
Europa Föderalismus Föderalismus Frieden Marshall-Plan Marshall-Plan Planwirtschaft Speckdänen Volk Währungsreform Währungsreform Wiederaufbau
258 292 295 330 384 387 437 505 527 538 540 553
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
ZEIT 46,007,01 ZEIT 49,017,01 ND 49,139,03 ZEIT 47,006,01 ZEIT 46,007,01 ZEIT 47,024,01 ND 48,021,02 ZEIT 47,041,01 ND 49,013,02 ZEIT 47,026,01 ND 47,220,01 SPIEGEL 47,051/052,08 ZEIT 49,005,01 ND 46,206,02 ND 46,016,02 ND 49,093,02 ZEIT 47,029,01 ND 48,107,02 ND 49,001,04 ND 46,157,02 Zeit 48,003,01 ND 48,040,02 SPIEGEL 48,018,02 ZEIT 46,034,01
Seite
Ich danke Frau Ilona Szewczuk-Zimmer für die freundlich erteilte Abdruckgenehmigung für die 10 Zeichnungen Ihres Vaters Mirko Szewczuk. In den anderen Fällen ist es trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, Kontakt zu den Rechteinhabern herzustellen. Ich bitte diese, sich gegebenenfalls mit mir in Verbindung zu setzen.
Abkürzungen, Siglen und Konventionen Abkürzungen ADN BP BRD CDU DDR dt. FDGB FDJ FDP franz. griech. KPD lat. LDP NLP NSDAP SBZ SED SMAD SPD s.v.
Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Bayernpartei Bundesrepublik Deutschland Christlich-Demokratische Union Deutsche Demokratische Republik deutsch Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Freie Demokratische Partei französisch griechisch Kommunistische Partei Deutschlands lateinisch Liberal-Demokratische Partei Niedersächsische Landespartei Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration Sozialdemokratische Partei Deutschlands sub verbo
Die Abkürzungen der Parteinamen erscheinen in den Belegen des Wörterbuchteils in der damals üblichen Weise mit einem Punkt.
Siglen fur Periodika AN AZ BT BZ DM DR DV DVZ
Aachener Nachrichten Allgemeine Zeitung Badener Tagblatt Berliner Zeitung Der Morgen Die Rheinpfalz Das Volk Deutsche Volkszeitung
χ FH FR HZ KK ND NHK NRZ NWZ NZ NZG RM RP RUF RZ SK SPIEGEL ST STUZ sz TR TS ZEIT
Abkürzungen, Siglen und Konventionen
Frankfurter Hefte Frankfurter Rundschau Heeresgruppen-Zeitungen Kölnischer Kurier Neues Deutschland Neuer Hannoverscher Kurier Neue Ruhr-Zeitung Neue Westfälische Zeitung Neue Zeit Neue Zeitung Rheinischer Merkur Rheinische Post Der Ruf Ruhr-Zeitung Südkurier Der Spiegel Schwäbisches Tagblatt Stuttgarter Zeitung Süddeutsche Zeitung Tägliche Rundschau Der Tagesspiegel Die Zeit
Siglen für Wörterbücher, Handbücher und Quellensammlungen "BROCKHAUS 20 BROCKHAUS
BW 'DFWB 2 DFWB DUDEN 10 "DUDEN 1 "DUDEN
OST WEST FLECHTHEIM 14 DUDEN
HKWML
Der große Brockhaus, 16. Aufl. (1952-1957) Der große Brockhaus, 20. Aufl. (1996-1999) Brockhaus-Wahrig (1980-1984) Deutsches Fremdwörterbuch, 1. Aufl. (1913-1986) Deutsches Fremdwörterbuch, 2. Aufl. (seit 1995) Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden (1999) Duden Rechtschreibwörterbuch, 13. Aufl. (1947, gesamtdeutsch) Duden Rechtschreibwörterbuch, 14. Aufl. (1951, DDR) Duden Rechtschreibwörterbuch, 14. Aufl. (1954, BRD) Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945. Band 3: Programmatik der deutschen Parteien. 2 Teile. Hg. v. Ossip K. Flechtheim. Berlin 1963. Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus-Leninismus (seit 1994)
Abkürzungen, Siglen und Konventionen
WDG WÖGE
XI
Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (1964-1977) Wörterbuch der Geschichte (1984)
Konventionen kursiv
fett KLUGE s.v. „Einheit"
ND 47,213,01
... // ... [] [...] [3] Reich •Diktatur'
Kursivsatz kennzeichnet metasprachliche Verwendung, zeigt also an, dass etwas über das Wort, nicht über die Sache, gesagt wird. Fettdruck dient der Hervorhebung. Namen oder Kurztitel in Versalien verweisen auf einen Eintrag im Literaturverzeichnis. Die im Literaturverzeichnis aufgeführten Nachschlagewerke werden durch Verweis auf das Lemma zitiert, nur bei längeren Artikeln mit Angabe der Seitenzahl. Verweise auf ein Periodikum des Quellenkorpus bestehen aus einer Sigle, dem Jahrgang, der Nummer dieses Jahrgangs und der Seite, im Beispiel also: „Neues Deutschland", Jahrgang 1947, Nummer 213, Seite 1. Zeilenumbruch in Überschriften und auf Plakaten Bei Text in eckigen Klammern handelt es sich um Zusätze des Autors. Auslassung. Im Wörterbuchteil verweist die Zahl auf den entsprechenden Beleg im Anhang des Wortartikels. Verweis auf einen Wortartikel im Wörterbuchteil. Bedeutungsangabe; in Zitaten oft auch als Anführungszeichen gebraucht.
Rechtschreibung Diese Arbeit ist in der seit dem 1. August 1998 geltenden neuen deutschen Rechtschreibung abgefasst. Zitate aus der wissenschaftlichen Literatur sowie das umfangreiche Belegmaterial erscheinen selbstverständlich in originalgetreuer Grafie.
1
Einleitung
Die Abbildung unten zeigt einen Schiffbrüchigen, der sich verzweifelt an den Felsen klammert, an dem sein Schiff gescheitert ist. Dieser Schiffbrüchige steht für Nazi-Deutschland, das den Krieg gegen die verbündeten Demokratien verloren hat und nun an der Demokratie den rettenden Halt findet. Sähe man das Bild unkommentiert, nur mit Angabe des Erscheinungsdatums, wäre das Wort Demokratie der einzige Anhaltspunkt, um sich dem Verständnis zu nähern, z.B. mit Hilfe eines Wörterbuchs. Unter dem Eintrag „Demokratie" findet man in WAHRIG: „Staatsform, bei der ein Staat nach dem Willen des Volkes regiert wird". Diese Definition nutzt dem Interessierten gar nichts! Nun ist WAHRIG ein Wörterbuch, das sehr viele, sehr knapp definierte Lemmata enthält. Zieht man andere einsprachige Wörterbücher heran, die ausführlichere Informationen geben, etwa den 10-bändigen Duden (DUDEN 10), kommt man der Sache jedoch kaum näher. Ebenso wenig nutzt ein Blick in das historische „Deutsche Wörterbuch" von Hermann Paul (PAUL).
Abbüdung 1: ZEIT 46,007,01 vom 04.04.46
2
1 Einleitung
Kein Wörterbuch informiert darüber, dass Demokratie das wohl am häufigsten verwendete Schlagwort der Nachkriegszeit war, welche enormen Erwartungen sich an die Demokratie knüpften, welche Bedeutung Demokratie als einigendes Band zwischen allen am Wiederaufbau beteiligten gesellschaftlichen Gruppen hatte und wie sehr andererseits über die „richtige" Art der Demokratie gestritten wurde. Auch eine kombinierte Lektüre von Wörterbüchern und historischen Darstellungen vermag letztlich keinen Aufschluss darüber zu geben, welche besondere Rolle ein Wort wie Demokratie in einer bestimmten Zeit spielte. Fast durchweg fehlen Hinweise auf Phasen besonderer Aktualität eines Wortes, auf besonders häufigen Gebrauch, auf eine dem Wort innewohnende Brisanz, auf die Umstrittenheit der Bedeutung, usw., kurz auf den Schlagwort-Charakter. Ein Wörterbuch, das solche Informationen bietet, ist nach wie vor ein Desiderat in der Lexikografie. Die vorliegende Arbeit versucht, diese lexikografische Lücke wenigstens für einige wichtige Jahre der deutschen Geschichte zu schließen und knüpft dabei an die etwa 100-jährige Tradition der Schlagwort-Forschung an, die in Kapitel 1.1 vorgestellt werden soll und versteht sich als Vorarbeit für das Projekt eines „Deutschen Schlagwörterbuchs". Daneben stellt die sprachgeschichtliche Forschung natürlich auch einen Beitrag zum Verständnis der betreffenden Epoche dar, denn gerade in den Schlagwörtern manifestiert sich das Denken einer Zeit. Den zeitlichen Rahmen dieser Arbeit bilden die Jahre 1945-1949. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit dem Ende des Dritten Reiches, das mit der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 besiegelt wurde, in den Gebieten, die bereits von fremdem Truppen erobert worden waren, auch schon früher. (Erste Zeitungen der Amerikaner erschienen bereits Ende 1944.) Die „doppelte Staatsgründung" im Herbst 1949 markiert das Ende. Dieser Zeitraum wird in der Historiografie allgemein als „Nachkriegszeit" (im engeren Sinne) bezeichnet und als Vorgeschichte der beiden deutschen Staaten aufgefasst. Problematischer war die Eingrenzung des Untersuchungsgebietes, konkret: Sollten nur die westlichen Besatzungszonen als Bezugsrahmen dienen, nur die SBZ oder alle Zonen? Sprachhistorische Untersuchungen zur politischen Lexik der BRD (z.B. BERGSDORF und BOKE/ LIEDTKE/ WENGELER) bzw. der DDR (z.B. REICH) beziehen in der Regel die Jahre 1945-1949 als Vorgeschichte des jeweiligen Staates ein. Da eine Untersuchung zum öffentlichen Sprachgebrauch der Nachkriegszeit in gesamtdeutscher Perspektive bislang fehlt, bot es sich an, diese Forschungslücke zu füllen, was sich als fruchtbarer Ansatz herausgestellt hat: Gerade an Hand der Schlagwörter lassen sich Gemeinsamkeiten und Auseinanderentwicklungen zwischen Ost und West gut nachvollziehen. Die Leitlinien des Schlagwort-Gebrauchs der Jahre 1945-1949 sind im Kapitel 1.2 zusammengefasst.
1.1
1.1
Schlagwort-Forschung
3
Schlagwort-Forschung
Vorbemerkungen Die Schlagwort-Forschung ist bis heute eine deutsche Angelegenheit, in erster Linie natürlich der Germanisten, in zweiter auch der Politikwissenschaftler und Historiker. Daneben sind es einzelne deutsche Romanisten1 und Anglisten2, die Arbeiten über französische bzw. englische Schlagwörter veröffentlicht haben. Schlagwörterbücher oder theoretische Arbeiten aus dem Ausland, die sich mit der Klasse von Lexemen befassen, die im Deutschen Schlagwort genannt werden, sind nicht bekannt. Was einem Schlagwörterbuch am nächsten kommt sind einige Wörterbücher zum politischen Sprachgebrauch in Großbritannien und den USA.3 Das mag damit zusammenhängen, dass es in vielen Sprachen keine Entsprechung für Schlagwort gibt. Im Deutschen ist das Lexem gegen Ende des 18. Jh. in der Bedeutung aufgekommen, die SANDERS 1865 s.v. „Wort" festhält und im Wesentlichen der heutigen entspricht: ,,Schlag[wort]: 1) ein Wort, das schlagend, in prägnanter Kürze das zu Bezeichnende zusammenfassend bez. [...] b) bes. in Bezug auf Das, was zur Zeit grade an der Tagesordnung ist". In den Beispielen nennt Sanders polirisches Schlagwort, hohles Schlagwort und donnerndes Schlagwort. Die skandinavischen Sprachen und die niederländische haben das deutsche Lexem entlehnt; die französische kennt keine Entsprechung; das Englische weist mit catchword eine nicht unähnliche Prägung auf, die aber nicht so geläufig ist wie Schlagwort im Deutschen.4 Anfange der Schlagwort-Forschung Das oben beschriebene inhaltliche Defizit der Lexikografie wurde von einer Gruppe von Wortforschern bereits Anfang des 20. Jh. in Bezug auf das im Entstehen begriffene Grimmsche DEUTSCHE WÖRTERBUCH beklagt. In der „Zeitschrift für deutsche Wortforschung", die Friedrich Kluge herausgab, erschienen in den Jahrgängen 2 (1902) bis 15 (1914) mehr als ein Dutzend Beiträge von Albert Gombert, Wilhelm Feldmann, Robert Franz Arnold und Otto Ladendorf mit Schlagwort-Sammlungen. Einen vorläufigen Abschluss fand die Sammeltätigkeit 1906 in Ladendorfs „Historischem Schlagwörterbuch"5, das eine nachhaltige Wirkung gehabt hat und auf das sich zahlreiche spätere Arbeiten, auch die vorliegende, berufen. Mit dem Erscheinen des Ladendorfschen Schlag1 Zum Beispiel: KREDEL, Elisabeth: Hundert französische Schlagworte und Modewörter. Gießen 1926. 2 Zum Beispiel: EHLERS, Hans-Jürgen: Das Schlagwort im England des Zweiten Weltkrieges. Studien zur Wortgeschichte und Semantik von Kriegsschlagwörtern. [Masch. Diss.] Tübingen 1953. 3 Zum Beispiel: SAFIRE, William L.: The New language of politics. An Anecdotal Dictionary of Catchwords, Slogans, and Political Usage. New York 1968. 3., erw. Aufl. 1978 unter dem Titel: Satire's Political Dictionary. 4 Vgl. KAEMPFERT, Die Schlagwörter, S. 196 f. 5 LADENDORF, Otto: Historisches Schlagwörterbuch. Ein Versuch. Straßburg, Berlin 1906.
4
1.1
Schlagwort-Forschung
Wörterbuchs sollte deshalb der Beginn der Schlagwort-Forschung angesetzt werden. Die Arbeiten Ladendorfs und seiner Mitstreiter waren indes nicht ohne Vorbilder. Das größte war zweifellos Georg Büchmanns Sammlung „Geflügelte Worte", das so populär war, dass der Büchmann selbst schon fast als ein solches gelten muss. Büchmann verzeichnete „Redensarten, sprichwörtliche Redensarten, Sprüche, Sprichwörter, usw."6, deren historischer oder literarischer Ursprung nachweisbar sein sollte. Schlag- oder Modewörter, die oft der Presse, die damals nicht als normbildend galt, oder der mündlichen Kommunikation entstammten, fanden in der Regel keine Aufnahme. Ladendorf verband mit seinem Schlagwörterbuch die Hoffnung, dass es ein „Büchmann der andere"7 werden möge. Ein weiterer Anstoß für die Beschäftigung mit Schlagwörtern ging vom Literaturwissenschafder Richard Moritz Meyer aus, der „Das Alter einiger Schlagwörter"8 als Nebenprodukt seiner Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts veröffentlichte, wodurch auch der zeitliche Umfang abgegrenzt wird: Die nach ihrem nachgewiesenen oder vermuteten „Geburtstag" geordneten Lemmata beginnen im Jahre 1772 und enden 1899. Verzeichnet sind vor allem Modewörter, für deren Auswahl aber nur vage Kriterien aufgestellt werden, vor allem die allgemeine Verbreitung. Der Autor selbst äußerte die Bitte um Vermehrung seines Materials und regte eine „Kulturgeschichte in Schlagworten"9 an. Die chronologische Ordnung seiner Sammlung und die nahezu fehlende Auseinandersetzung mit dem Schlagwort-Begriff lassen Meyer eher als Inspirator denn als Begründer der Schlagwort-Forschung dastehen. Otto Ladendorf Nach diesem Exkurs in die Vorgeschichte zurück zu Otto Ladendorfs „Historischem Schlagwörterbuch". Ladendorf hat zunächst einer anderen Darstellungsweise als der Meyerschen den Weg gewiesen: „Aus alledem ergibt sich, daß es auf diesem Beobachtungsfelde in der Regel nicht genügt, möglichst genau den Geburtsschein beizubringen, sondern daß man auch der weiteren Entwicklung nachgehen muß, daß man ebenso auf das allmähliche oder plötzliche Absterben als auch auf das Wiederaufleben der Schlagworte zu achten hat. Man hat also nicht sowohl auf eine isolierte Wortbehandlung auszugehen als vielmehr auf prägnante Entwicklungsskizzen. Einzelne Artikel wachsen sich dabei von selbst zu kleinen Wortbiographien aus. Daher ist es von Vorteil, wenn zugleich mit dem Ausdrucke auch etwas Erdreich mit ausgehoben wird." 10
6 Aus dem Vorwort der 1. Aufl. von 1864. Zitiert nach: BÜCHMANN, S. XII. 7 LADENDORF, S. VI. 8 MEYER, Richard M[oritz]: Das Alter einiger Schlagworte. In: Neue Jahrbücher für klassisches Altertum, Geschichte und Iitteratur und für Pädagogik, 1. Abt. (Jahrbücher für klassisches Altertum, Geschichte und Litteratur). 3. Jg./ 5. Band (1900). S. 465-503 u. 554-585. (Ein Sonderdruck erschien unter dem bekannteren Titel: „Vierhundert Schlagworte". Leipzig 1901.) 9 MEYER, S. 582. 10 LADENDORF, S. XII
1.1
Schlagwort-Forschung
5
Er war zudem der erste, der das Schlagwort systematisch vom geflügelten Wort und Modewort abzugrenzen versuchte. Als wesentliche Eigenschaften eines Schlagwortes nennt er die „prägnante Form" und den „gesteigerten Gefühlswert" beim Eintreten für einen „bestimmten Standpunkt"11, ferner weist er auf die „Fülle von Ableitungen und Zusammensetzungen", die ein Schlagwort produziert, ebenso hin wie auch auf den Reiz gerade fremdsprachlicher Lexeme.12 Friedrich Lepp Ein unterschätzter früher Vertreter der Schlagwort-Forschung ist Friedrich Lepp, dessen „Schlagwörter des Reformationszeitalters"13 zwar keine große Vorbildwirkung erzielt haben, dem aber, wie Diekmannshenke feststellt, das Verdienst zukommt, als erster „die Schlagwörter einer Epoche zu behandeln, unter thematischen Gesichtspunkten zu untersuchen und zu ordnen"14. Darüber hinaus finden sich bei Lepp einige erwähnenswerte Aspekte: Er betont den Variantenreichtum seiner Schlagwörter, gerade im satirischen Wortspiel und gibt Auskunft über die gebräuchlichsten (Schlag-) Wortbildungsmuster. Ganz wesentlich erscheint mir, dass Lepp den Gebrauch der Schlagwörter in der Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Parteien verankert,15 was sich zum Teil auch in der Gliederung seiner Wortartikel niederschlägt. Beispielhaft sei auf die Darstellung von Reformation verwiesen, die zahlreiche Facetten des Schlagwortes verzeichnet, einzelnen Gruppen zuordnet und belegt. Dessen ungeachtet trifft die Kritik Diekmannshenkes zu, dass die Schimpfwörter der Zeit einen großen Reiz auf Lepp ausgeübt haben.16 Wilhelm Bauer Das erste Kriegsjahr 1914, in dem die „Zeitschrift für deutsche Wortforschung" ihr Erscheinen einstellte, bedeutet eine Zäsur in der Schlagwort-Forschung. Von germanistischer Seite sind bis nach dem 2. Weltkrieg keine Schlagwort-Studien mehr bekannt. Der einzige nennenswerte Beitrag zwischen 1914 und 1945 stammt von einem Historiker, von Wilhelm Bauer17, doch ist sein Aufsatz umso bedeutender. Bauer stellt fest: Ein Wort ist kein Schlagwort, sondern es wird „im Hin und Her des Streites" zum Schlagwort.18 Diese Metamorphose vollzieht sich durch
11 12 13 14 15 16 17
LADENDORF, S. VII LADENDORF, S. XI. LEPP, Friedrich: Schlagwörter des Reformationszeitalters. Leipzig 1908. DIEKMANNSHENKE, S. 9. LEPP, S. 8 f. Vgl. DIEKMANNSHENKE, S. 10. BAUER, Wilhelm: Das Schlagwort als sozialpsychische und geistesgeschichtliche Erscheinung. In: Historische Zeitschrift 122 (1920). S. 189-240.
18 BAUER, S. 207-210.
6
1.1 Schlagwort-Forschung
eine Erweiterung des Wortinhalts19, die etwa in dem besteht, was Ladendorf den „gesteigerten Gefühlswert" genannt hat: Die Schlagwörter „treten damit aus ihrem sachlich-logischen Stadium in ihr emotionales. Der Eintritt in dieses stellt eben erst die Geburt der Schlagwortes dar."20 Wenn die emotionale Komponente nicht mehr vorhanden ist, hört das Schlagwort auf, eines zu sein: Es stirbt ab.21 In der leidenschaftlichen „Entzweiung der Geister"22 sieht Bauer den Anlass für die Erweiterung des Wortinhalts, den er insgesamt für folgendermaßen bestimmt hält: „Es ist die notwendige Verkürzung, die sich ein Programm, ein Wunsch, ein Ideal, eine Forderung gefallen lassen muß, wenn sie sich an viele einzelne zugleich wendet. Schließlich ist ja jedes Wort eine solche Verkürzung, sonst brauchte es nicht erst langer Definitionen, um seinen Wortinhalt wiederzugeben. Beim Schlagwort kommt aber zu dieser selbstverständlichen Forderung unserer Denkökonomie noch der Stimmungsgehalt hinzu, der den sozialen Willen bis zur Leidenschaftlichkeit erregt."23
Als erster beschreibt Bauer auch pragmatische Eigenschaften des Schlagwortes: Als massenpsychologische Erscheinung fungiert es als eine „Art Zauberformel':24, mit der Gefahr des Missbrauchs: „Dem steht nicht entgegen, daß Schlagworte mißbraucht werden, daß das Gefühlsmäßige in ihnen dazu ausgenutzt wird, um mit berechnender Voraussicht Vorteile zu erreichen. Man beruft sich auf die Öffentliche Meinung und schmuggelt damit die eigene in die Öffentlichkeit, man bedient sich der nationalen Phrase, um hinter ihr recht eigennützige Ziele zu verbergen. Ein Künstler mäßigen Könnens beruft sich auf ein neues Prinzip und sucht damit die Lücken seines Talentes zu decken."25
Schlagwörter treten nach Bauer überall da auf, wo gestritten wird, vornehmlich in der Politik, genauso aber in Kunst und Literatur. Den Rahmen liefert eine Kommunikationsgemeinschaft, bei politischen Schlagwörtem in der Regel die nationale Öffentlichkeit. Aber auch Parteien, Vereine oder sogar Schulklassen und Familien können ihre spezifischen Schlagwörter haben. Hans-Jürgen Ehlers In den 50er Jahren erschien nur eine einzige erwähnenswerte Schlagwort-Arbeit, die Dissertation des Angüsten Hans-Jürgen Ehlers.26 Sie gliedert sich in einen theoretischen und einen darstellenden Teil und enthält einen Anhang mit Belegen, auf die von den Wortartikeln aus verwiesen wird. Ehlers stellt sich in die Tradition Ladendorfs, für dessen Schlagwörterbuch es im englischsprachigen 19 Indem Bauer in der Bedeutungserweiterung ein Definiens für Schlagwörter sieht, kann für ihn ein Neologismus kein Schlagwort sein. 20 BAUER, S. 212. 21 BAUER, S. 231. 22 BAUER, S. 228. 23 BAUER, S. 231. 24 BAUER, S. 224. 25 BAUER, S. 228. 26 EHLERS, Hans-Jürgen: Das Schlagwort im England des Zweiten Weltkrieges. Studien zur Wortgeschichte und Semantik von Kriegsschlagwörtern. [Masch. Diss.] Tübingen 1953.
1.1 Schlagwort-Forschung
7
Raum kein Äquivalent gab, und entwickelt dessen und Bauers Ansätze weiter. Vieles, was später an WÜLFING, DIECKMANN und KAEMPFERT neu erscheint, hat EHLERS vorweggenommen, allerdings operiert er noch mit anderen Begriffen, als Semantik und Pragmatik sie in späteren Jahrzehnten bereit gestellt haben. Aus diesem Grund — und sicher auch wegen ihrer geringen Verbreitung — hat Ehlers' Arbeit keinen Einfluss auf die deutsche Schlagwort-Forschung ausüben können, zumal sie sich mit der englischen und nicht mit der deutschen Sprache befasst. Wulf Wülfing In den frühen 60er Jahren erhielt die germanistische Lexikologie im Allgemeinen und die Schlagwort-Forschung im Besonderen durch die Wiederbelebung der „Zeitschrift für deutsche Wortforschung", später umbenannt in „Zeitschrift für deutsche Sprache", einen neuen Anstoß. Sie veröffentlichte u.a. über mehrere Jahre hinweg einige Dissertationen in Fortsetzungen, darunter Cornelia Bertlings „Die Sprache des Nationalsozialismus"27 und Wulf Wülfings „Schlagworte des Jungen Deutschland"28. Wülfing knüpft weitestgehend an Bauer an, führt dessen Ansätze fort und korrigiert ihn in einem wichtigen Punkt: Er billigt dem Schlagwort keine a priori innewohnende Emotionalität zu: „Es ist sinnvoller, das Schlagwort als einen sprachlichen Ausdruck zu betrachten, von dem sich derjenige, der ihn benutzt, erhoffen kann, er werde beim Hörer Emotionen mobilisieren, bei denen man nicht von vornherein anzunehmen braucht, daß sie sogleich wieder durch Reflexion zunichte gemacht werden."29 Walther Dieckmann Ein starker Impuls für die Wiederaufnahme von Schlagwort-Untersuchungen ging Ende der 60er Jahre von Walther Dieckmanns „Sprache in der Politik" aus, obwohl gerade Dieckmann die Abkehr von der „Wortforschung" älteren Zuschnitts vollzog und eine Forschungsrichtung begründete, die seit einiger Zeit als „Politolinguistik" bezeichnet wird.30 Dieckmann ist zwar durchaus lexikologisch orientiert, betrachtet die Lexik aber in einem neuen Zusammenhang und gibt damit Antworten auf viele Fragen, 27 BERNING, Cornelia: Die Sprache des Nationalsozialismus. In: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 16-19 (1960-1963). In überarbeiteter Fassung als Monografie erschienen mit dem Titel: „Vom „Abstammungsnachweis" zum „Zuchtwart". Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 1964. Nochmals überarbeitet und stark erweitert wieder erschienen als: SCHMITZ-BERNING, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin, New York 1998. 28 WÜLFING, Wulf: Schlagworte des Jungen Deutschland. Mit einer Einführung in die Schlagwortforschung. Berlin 1982. [Überarb. Version der Diss. Bonn 1963, veröffentlicht in: Zeitschrift für deutsche Sprache 21-26 (1965-1970)] 29 WÜLFING, S. 38. 30 Zum Stand der Disziplin vgl. KLEIN, Josef: Politische Kommunikation - Sprachwissenschaftliche Perspektiven. In: Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Hg. v. Otftied Jarren, Ulrich Sarcinelli u. Ulrich Saxer. Opladen 1998. S. 186-210.
8
1.1 Schlagwort-Forschung
die der tief greifende Wandel der Politik (und ihrer Sprache) in den 60er Jahren aufgeworfen hat. Weder die traditionellen (strukturalistischen) Beschreibungsmethoden konnten bestimmte Phänomene erklären, noch waren sprachkritische Abhandlungen dazu geeignet. Dieckmann hat den Weg für eine kritische aber wissenschaftlich fundierte Beschäftigung mit der politischen Sprache geebnet, indem er den herkömmlichen Ansätzen neue — pragmatische, sozialwissenschaftliche - an die Seite gestellt hat. Zentral ist für ihn die Frage nach der Funktion von Sprache in der Politik. In Bezug auf die Rolle der Schlagwörter bedeutet das einen entscheidenden Perspektivenwechsel: Sie sind ihm zufolge primär im Kontext des politischen Handelns zu sehen. Dieckmann charakterisiert Schlagwörter folgendermaßen: „Der beste Weg, zu einer Definition des Schlagwortes zu gelangen, fuhrt über seine Verknüpfung mit der öffentlichen Meinungssprache, d.h. über seine Funktion. Das Schlagwort dient der Beeinflussung der öffentlichen Meinung im System der Meinungsbildung (Erziehung) und Meinungsänderung (Propaganda). Das setzt die Öffentlichkeit des Sprechens voraus und beim Sprecher den Willen zur Beeinflussung dieser Öffentlichkeit. Damit lassen sich Modewörter ausschließen, denen zwar mit ihrer weiten Verbreitung das Moment der Öffentlichkeit nicht abgesprochen werden kann, die aber nicht auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung aus sind. [...] Das Schlagwort gehört zur Sprache der Überredung, aber nur da, wo sie öffentlich ist. Ein Wort ist also nie als solches ein Schlagwort, sondern wird dazu immer erst in bestimmten Situationen. Man kann zwar sagen, daß die Wörter Demokratie, Fortschritt, Sozialismus u.a. heute meistens als Schlagwörter verwendet werden, aber sie haben daneben, z.B. in der Wissenschaftssprache, auch andere Gebrauchsweisen. Das Schlagwort ist eine Erscheinung der parole, nicht der langue. Ein Wort ist nicht Schlagwort, sondern wird als Schlagwort gebraucht." 31
Als hilfreich für die semantische Beschreibung von Schlagwörtern hat sich vor allem Dieckmanns Begriff der ideologischen Polysemie erwiesen. Ideologisch polysem nennt er Lexeme, „die verschiedenen Ideologien gemeinsam sind und deren verschiedene Sinndeutungen nebeneinander in einer Sprache auftauchen."32 Das Standardbeispiel für einen solchen Fall ist Demokratie, das mindestens von 1945 bis 1989 in Deutschland verschieden in einer westlichen und einer östlichen Variante aufgefasst wurde. Während der Sprachkritiker von „seinem" Begriff als dem „richtigen" ausgeht, muss der Linguist dem doppelten Begriff Rechnung tragen, um nicht in einer im Sinne der eigenen Ideologie verzerrten Wahrnehmung zu verharren. Es ist Dieckmanns Verdienst, diese einfache Tatsache benannt und ins Bewusstsein gebracht zu haben. Er hat dadurch einer unvoreingenommenen, von der Sprachkritik klar getrennten, sprachwissenschaftlichen Analyse der politischen Lexik den Weg gewiesen. Rainer Freitag Eine Sonderstellung nimmt Rainer Freitag in der Schlagwort-Forschung ein, da er aus der Perspektive der marxistischen Linguistik die Stellung des Schlagwortes in 31 DIECKMANN, Sprache in der Politik, S. 102 32 DIECKMANN, Sprache in der Politik, S. 71.
1.1
Schlagwort-Forschung
9
der politischen Kommunikation und Lexik behandelt.33 Aus diesem Blickwinkel haben Schlagwörter erstens eine kognitive Funktion, „sie erwachsen aus der Notwendigkeit, bestimmte Erscheinungen und Gegebenheiten des gesellschaftlichen Lebens zu benennen oder/ und im Bewußtsein der Sprachgemeinschaft aufzuwerten."34 Ein Schlagwort zu prägen oder auch wieder fallen zu lassen ist Sache der herrschenden Klasse und dann legitim, wenn das Schlagwort mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit übereinstimmt, was nach Freitag in der sozialistischen Gesellschaft der Fall ist, während in der bürgerlichen Gesellschaft das Schlagwort oft zu Manipulationszwecken verwendet wird.35 Vorwürfe der westdeutschen Forschung und Sprachkritik, die der DDR Manipulation mit Schlagwörtern vorwerfen, weist Freitag zurück. Die Annahme ideologischer Polysemie fur bestimmte Lexeme ist Freitag entweder nicht bekannt oder wird von ihm nicht berücksichtigt. In der bürgerlichen, vom Klassenantagonismus geprägten Gesellschaft erfüllt das Schlagwort hauptsächlich seine zweite Funktion als Kampfwort und wird damit zum Mittel des Klassenkampfes.36 Was andere als „Gruppengebundenheit" des Schlagwortes beschreiben, wird hier als „Klassengebundenheit" gesehen. Am wirkungsvollsten war Freitags Abgrenzung des Schlagwortes von ähnlichen sprachlichen Erscheinungen wie dem Modewort und dem Terminus.37 Diese Typologie von sprachlichen „Prestigeformen", wie Freitag sie nennt, ist vorher nie konsequent unternommen worden, und die meisten späteren Einteilungen basieren auf seinen Vorschlägen.
Josef Klein Die politische Lexik und insbesondere Schlagwörter weisen oft eine sehr dynamische Bedeutungsentwicklung auf, die von den Sprachverwendern in ihrem Sinne beeinflusst wird. Josef Klein postuliert sogar einen „Kampf um Wörter" und unterscheidet mehrere Typen dieses Kampfes. 38 Er hat damit die Aufmerksamkeit auf den Umstand gelenkt, dass gerade die Politik sich nicht nur die Eigenschaften von Schlagwörtern wie die Emotionalität oder ihre inhaltliche Unbestimmtheit passiv zu Nutze macht, sondern aktiv versucht Begriffe zu besetzten oder die Deutungshoheit über Begriffe zu erlangen. 33 FREITAG, Rainer: Linguistische Untersuchungen zum Wesen des politischen Schlagwortes [Masch. Diss.] Leipzig 1973. 34 35 36 37
FREITAG, Linguistische Untersuchungen, S. 10. Vgl. FREITAG, Linguistische Untersuchungen, S. 12. Vgl. FREITAG, Linguistische Untersuchungen, S. 13. Dieser Abschnitt ist fast identisch als Aufsatz erschienen, der besser zugänglich ist als die maschinenschriftliche Dissertation: FREITAG, Rainer: Zum Wesen des Schlagwortes und verwandter sprachlicher Erscheinungen. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 23 (1974). S. 119-139.
Vgl. Kap. 2.1.5. 38 Vgl. Kap. 2.2.2.
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1.1
Schlagwort-Forschung
Gerhard Strauß/ Ulrike Haß/ Gisela Harras Wenn auch der Ansatz ein anderer ist, muss „Brisante Wörter" von Gerhard Strauß, Ulrike Haß und Gisela Harras39 als der gelungenste Beitrag in Wörterbuchform zur Schlagwort-Forschung seit Ladendorf gelten. Neben der praktischen Bedeutung für den Benutzer ist die Vorbildwirkung auf spätere Werke hervorzuheben, die in Vorworten immer wieder betont wird. „Brisante Wörter" ist eigentlich das Ergebnis der Bemühungen um ein Wörterbuch der „schweren Wörter" im Deutschen.40 Die Faktoren, die das Verständnis von Wörtern erschweren und eine Erklärung notwendig machen können, sind vielfältig: Sie reichen von „unterschiedliche [n] Wertsetzungen" über „die Vagheit von Mode- und Schlagwörtern" bis zu dem „mit dem Gebrauch vieler bildungssprachlicher Ausdrücke verknüpfte[n] Prestigeanspruch, z.B. subtil, kulinarisch, elitär". Um die „Konfliktträchtigkeit solcher Wörter zu betonen" wurde der Ausdruck schwer zu Gunsten von brisant vermieden.41 Doch nicht nur der Titel rückt das Wörterbuch in die Nähe der Schlagwort-Thematik: Innerhalb des Abschnitts „Politik und Ideologie" ist Schlagwörtern breiter Raum gewidmet. Manfred Kaempfert 1990 entwirft Manfred Kaempfert42 das Konzept eines Schlagwörterbuchs, das sich vor allem auf Ladendorf beruft, aber auch auf einer Linie mit LEPP, BAUER und EHLERS liegt. Kaempfert gebührt das Verdienst, der Idee Ladendorfs zu einer neuen linguistischen Grundlage verholfen zu haben. Wie für Ladendorf ist für Kaempfert das Schlagwörterbuch bzw. die stärkere Berücksichtigung von Schlagwort-Eigenschaften in den allgemeinen Wörterbüchern ein lexikografisches Desiderat. Er entwickelt daher einen Vorschlag für die Konzeption eines deskriptiven, nicht wertenden oder kritischen Schlagwörterbuches und stellt neun Postulate auf, die auch für die vorliegende Arbeit gelten sollen und deshalb hier nahezu vollständig wiedergegeben werden: „1. Bezüglich der lexikalischen Erscheinungsform sind alle v o r k o m m e n d e n Varianten (möglichst mit relativen Häufigkeitsangaben) anzuführen; der Lexikograph wird in nicht wenigen Fällen aus eigenem Ermessen eine N o r m a l f o r m ansetzen, die auch als L e m m a erscheint. 2. Die Zeit, in der das Schlagwort eine Rolle in der öffentlichen Diskussion gespielt hat, wird nur ungefähr anzugeben sein, gestützt auf Frequenzbeobachtungen am
39 STRAUSS, Gerhard/ HAß, Ulrike/ HARRAS, Gisela: Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist. Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch. Berlin, New York 1989. 40 Vgl. HAUSMANN, Franz-Josef: Das Wörterbuch der schweren Wörter. In: Wörterbücher. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. Band 2. Hg. v. Franz Josef Hausmann u.a. Berlin, New York 1990. S. 1206-1210. 41 STRAUß/HAß/HARRAS, S. 9. 42 KAEMPFERT, Manfred: Das Schlagwörterbuch. In: Wörterbücher. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. Band 2. Hg. v. Franz Josef Hausmann u.a. Berlin, New York 1990. S. 1199-1206. KAEMPFERT, Manfred: Die Schlagwörter. Noch einmal zur Wortgeschichte und zum lexikologischen Begriff. In: Muttersprache 100 (1990). S. 192-203.
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Schlagwort-Forschung
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Korpus. Der Wert eines Schlagwörterbuchs liegt vor allem in der Darstellung der kurzfristigen, zu einer relativ eng umrissenen Zeit aktuellen Schlagwörter. [...] 3. Eher selten wird man einen 'Erstbeleg' anfuhren können, d.h. den Text, in dem der Ausdruck in seinem Schlagwort-Sinn geprägt wurde (so z.B. bei Nibelungentreue·. Reichstagsrede des Fürsten von Bülow am 29.3.1909), in allen Fällen aber ist die Gruppe namhaft zu machen, von der das Schlagwort seinen Ausgang genommen hat, oder genauer: die es in seinem programmatischen oder wertsetzenden Sinn getragen hat. 4. Der Artikel muß den politischen und ideellen Horizont nachzeichnen, der den Sinngehalt der Prägung bedingt, und 5. eine Definition aufstellen, die sowohl den Kern als auch die Variationsbreite dieses Inhalts absteckt. 6. Da in aller Regel die Schlagwörter bzw. die mit ihnen angesprochenen Themen in der öffentlichen Diskussion umstritten sind, ist diese Strittigkeit des Gedankens mit ihren verschiedenen Positionen zu skizzieren und - wie natürlich auch das Vorige - mit charakteristischen Zitaten zu belegen. [...] 7. So gut wie alle Schlagwörter haben von dem Zeitpunkt an, in dem sich ihr öffentlicher Gebrauch durchgesetzt hat, eine Tendenz zur 'Sinnendeerung', [...]. Dies kann zu einer eigenen Phase (einer Endphase) in der Geschichte des Schlagworts werden; auch das ist zu dokumentieren. 8. Die Existenzzeit eines Schlagworts ist abgelaufen, wenn es nicht mehr in aktueller Kommunikation, affirmativ oder polemisch, verwendet wird: es schwindet (falls es ein Neologismus war) ganz aus dem Gebrauch oder fallt in den 'normalen' Wortschatz zurück; spätere Verwendung ist in der Regel nur noch zitierend. [...] 9. Die Artikel eines Schlagwörterbuchs bewegen sich teilweise auf der Grenze zwischen Sprach- und Sachwörterbuch: wer die Strittigkeit des Schlagworts, und das heißt ja der in ihm ausgedrückten Idee, darstellt, muß das Thema, die Sache, um die es geht, darlegen."43 Des weiteren gibt Kaempfert eine Definition des Schlagwortes: „Die Bestimmungsstücke des Begriffs liegen zum Teil auf morphologisch-syntaktischer, im wesentlichen jedoch auf semantischer und pragmatischer Ebene. 1. Semantisch: Unter Schlagwörtern verstehen wir solche Ausdrücke, in denen sich ein Programm konzentriert oder die eine Zielvorstellung benennen. 2. Pragmatisch: Ein Ausdruck mit dieser semantischen Eigenschaft wird erst dadurch zum Schlagwort, daß er in einer gegebenen Gesellschaft oder Gruppe (im Grenzfall auch für ein Individuum allein) besondere Aktualität und Bedeutung gewinnt. 3. Morphologisch: Schlagwörter sind Lexeme oder Syntagmen mit dem Status von Mehrwortlexemen [...].,zgáíí im 19. Jh. aus dem Englischen und Französischen neu entlehnt und zunächst auf Diskussionen in diesen Ländern bezogen.625 Bereits in den 40er Jahren tritt Sozialismus als Schlagwort in Erscheinung. Durch das „Kommunistische Manifest" von Marx und Engels (1848) verengte sich der Inhalt von einer 'Lehre, die auf die Verbesserung des menschlichen Zusammenlebens zielt' auf die wirtschaftlichen Aspekte des Zusammenlebens. Kern sozialistischer Forderungen war seitdem die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Während im „Kommunistischen Manifest" die revolutionär-sozialistische, kommunistische Linie vertreten wurde, verbanden „Teile der bürgerlichen Demokraten [...] ihre demokratischen Zielvorstellungen mit dem neuen Schlagwort und nannten sich sotial-demokratisch. Ihr Verständnis vom Sozialismus konzentrierte sich auf Reformen zur Verbesserung der sozialen Lage vornehmlich der Arbeiter. In der deutschen Arbeiterbewegung, die sich ab Mitte der 60er Jahre des 19. Jh. politisch organisierte, lassen sich diese beiden Spielarten des Sozialismus-Begriffes, der 'marxistisch-revolutionäre' und der 'reformistisch-demokratische', bis zum Ende der Wei625 Das Folgende nach SCHOTTMANN, s.v. „Sozialismus", S. 430-452. Vor allem zur Frühgeschichte des Lexems vgl. MÜLLER.
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marer Zeit verfolgen. In der wechselvollen Geschichte der SPD war diese Opposition häufig Anlaß für Fraktionsbildungen bis hin zu Parteispaltungen."626 Der positive Klang, den Sozialismus für große Teile der Öffentlichkeit schon in der Kaiserzeit hatte, zeigte sich im 1. Weltkrieg, als in national gesinnten Kreisen der Versuch unternommen wurde, Sozialismus aus dem marxistischen Zusammenhang zu lösen und mit dem Schlagwort deutscher oder nationaler Sozialismus für eine klassenübergreifende Solidarität zu werben.627 In der schlechten wirtschaftlichen Lage nach dem Krieg, verstärkt noch einmal seit der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929, etablierte sich Sozialismus als Gegenentwurf zum Kapitalismus. Übereinstimmender programmatischer Gehalt war die Forderung nach einer gerechteren Wirtschaftsform, nach dem Ende der Ausbeutung. Für die SPD war Sozialismus ein Ideal, das weit über den wirtschaftlichen Bereich hinausging und gleichsam paradiesische Vorstellungen von einem menschenwürdigen Dasein beinhaltete.628 Zum Erreichen dieses Ziels propagierte die SPD den Weg der Reformen und der Demokratie — das andere Leitwort der Partei. Der Soz/alismus-üegáñ der KPD entbehrte dieses quasi-religiösen Charakters — Sozialismus war für sie ein revolutionäres Kampfwort in scharfer Opposition zu Kapitalismus - ebenso wie der Nähe zur Demokratie. Die KPD lehnte die bestehende bürgerliche Demokratie ab und setzte das Beispiel der Sowjetunion dagegen, in der die sozialistische Utopie verwirklicht worden war. Den ideologiesprachlichen Sozialismus-ftzgáíí marxistisch-leninistischer Prägung definiert das WÖGE folgendermaßen: „erste (niedere) Phase der einheitlichen kommunistischen Gesellschaftsformation (Kommunismus), die auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln, der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse im Bündnis mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, der Intelligenz und den anderen werktätigen Schichten sowie auf der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei in der Gesellschaft beruht."629 Wenn die bürgerlichen Parteien auch nicht für den Sozialismus waren, so war es doch nur die DNVP, die das Schlagwort im Negativen aufgriff und dagegen agitierte. Schottmann belegt indessen, „daß die Assoziationen dieses Schlagwortes so positiv waren, daß mit der Ablehnung des Sozialismus der Hinweis einhergehen mußte, man sei mitnichten 'antisozial' eingestellt."630 Für die frühen Jahre der Weimarer Republik gilt wohl ein anderer Befund: Clason weist auf national-konservativer Seite eine Beibehaltung des Schlagwortes vom deutschen/ nationalen Sozialismus aus Kriegstagen nach.631 Offenbar hat die NSDAP es vermocht, den Kreisen der „Konservativen Revolution" dieses Schlagwort abspenstig zu machen. 626 627 628 629 630 631
SCHOTTMANN, s.v. „Sozialismus", S. 432. Vgl. SCHOTTMANN, s.v. „Sozialismus", S. 433 f. SCHOTTMANN, S. 435, belegt die quasi-relgiöse Verwendung des SPD-Leitwortes. WÖGE, s.v. „Sozialismus". SCHOTTMANN, s.v. „Sozialismus", S. 441. Vgl. CLASON, S. 88 91.
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Die NSDAP war die einzige größere Partei, die sozialistisch im Namen führte. Die taktischen Erwägungen, die einer Verbindung von national und sozialistisch zu Grunde liegen, sind offenkundig. Gemeinsam mit herkömmlichen SovjatismusBegriffen war dem vagen national-sozialistischen Programm nur die Ablehnung des Kapitalismus, die auch freilich nicht den Kern der Ideologie ausmachte. Schottmann verzeichnet für das erste Jahr der Nazi-Herrschaft eine Frequenzsteigerung des Lexems, u.a. in der Variante Sozialismus der Tat.632 Thema Die Herrschaft der Nationalsozialisten wurde als Verlust aller bisher gültigen Werte angesehen. Während die Grundrechte — die Achtung der Menschenwürde, die bürgerlichen Freiheiten, usw. - und das Rechtsstaatsprinzip einvernehmlich wieder restituiert und in den Verfassungen verbrieft wurden, bestand Uneinigkeit darüber, welches Wertesystem oder welches gesellschaftliche Organisationsprinzip am ehesten in der Lage sei, die Grundrechte dauerhaft zu garantieren. Zur Debatte standen das Christentum als überliefertes ethisches Normprinzip, die Demokratie als gesellschaftliche Herrschafts- und Organisationsform und der Sozialismus als zur Veränderung drängendes gesellschaftliches Ordnungsprinzip mit ethischem Anspruch, das an der Wirtschaftsverfassung ansetzte. Ob der Sozialismus eine geeignete Grundlage für den deutschen Wiederaufbau sei, und wenn ja, wie man diesen Sozialismus gestalten sollte, ferner sein Verhältnis zu Christentum und Demokratie sind Gegenstand des SchlagwortGebrauchs der Nachkriegszeit. Diskurs 1945 herrscht eine positive Grundstimmung für den Sozialismus, die ihren Ausdruck in zahlreichen Äußerungen findet, wie etwa, das Zeitalter des Sozialismus sei nun angebrochen, oder man dürfe sich dem sozialistischen Zug der Zeit nicht verschließen. [1, 2, 3] Aus den vorliegenden Quellen erschließt sich nicht unmittelbar, wodurch der sozialistische Zeitgeist letztlich motiviert ist, denn schon 1945 wird seine Existenz bereits konstatiert. Einige Faktoren, die zu seiner Entstehung beigetragen haben können, sollten hier genannt werden: 1. Bis 1933 hatten sich nur KPD und SPD den Nationalsozialisten widersetzt, ohne in der einen oder anderen Weise Konzessionen zu machen; während die KPD bereits verboten war, konnte die SPD noch als einzige Partei gegen das Ermächtigungsgesetz stimmen. Die Haltung der Kirchen beispielsweise war weniger eindeutig. 2. Spätestens mit der Weltwirtschaftskrise war in Deutschland die Ablehnung der bisherigen kapitalistisch-liberalistischen Wirtschaftsordnung allgemein ver-
632 Vgl. SCHOl'lMANN, s.v. „Sozialismus", S. 442. Ausführlicher noch zu Sozialismus der Tat GLUNK, s.v. „Sozialismus".
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breitet. Nicht zuletzt die Nazis selbst profitierten von dieser „sozialistischen" Stimmung, um dennoch mit der Schwerindustrie zu paktieren. 3. Der Sieg der sozialistischen Sowjetunion, die während des Krieges in den düstersten Farben geschildert worden war, konnte trotz allem Schrecken, den er in Deutschland verbreitete, seine überzeugende Wirkung nicht verfehlen. Der als schicksalhaft empfundene Untergang des Nationalsozialismus musste fast zwangsläufig dazu führen, die Prinzipien seiner Gegnern anzuerkennen — Demokratie und Sozialismus. Dementsprechend bekennen sich nicht nur die Arbeiterparteien, sondern auch bedeutende Teile der Union zum Sozialismus. Insbesondere die Ost-CDU unter ihrem Vorsitzenden Jakob Kaiser propagiert das neue Konzept eines christlichen Sozialismus. Auf publizistischer Seite treten der RUF und die FH für den Sozialismus ein. Die größten Kontroversen knüpfen sich an den christlichen Sozialismus, der in der zweiten Jahreshälfte 1947 von der Union als Programm zu Gunsten einer schärferen Profilierung gegenüber dem Sozialismus marxistisch-leninistischer Prägung, den die SED vertritt, aufgegeben wird. Die Frequenz von Sozialismus geht Ende 1947 dadurch insgesamt stark zurück. Aufkommen Die Ost-SPD ist die erste Partei, die in ihrem Gründungsaufruf im Juni 1945 den Sozialismus als Ziel der neuen Ordnung in Deutschland benennt. [4] Sowohl sie als auch die West-SPD verwenden Sozialismus von Anfang an als Hochwertwort. Auch die Kölner Leitsätze der CDU vom Juni [5] und die Frankfurter Leitsätze vom September 1945 [6] enthalten ein Bekenntnis zum Sozialismus. Entfaltung In ungebrochener Tradition verwendet die SPD Demokratie und Sozialismus als ihre wichtigsten Fahnenwörter. Die frühen Belege dokumentieren, dass die Sozialdemokraten die Zeit für „reif halten, eine sozialistische Ordnung in Deutschland zu verwirklichen. Kurt Schumachers Entwurf für die wirtschaftlichen Leitsätze der SPD stehen unter dieser Prämisse [7], und nicht nur die SPD der Ostzone [4] und Bayerns [8] sehen durch das Scheitern des Nationalsozialismus die Entwicklung zum Sozialismus vorgezeichnet: Die oben angeführten Belege dokumentieren bis 1947 den „sozialistischen Zug der Zeit" in ganz Deutschland. Der Anspruch des Sozialismus ist für die SPD durch den strikten Gegensatz zum Nationalsozialismus legitimiert. Nur in einem einzelnen Fall stilisiert sie den Sozialismus zur Heilslehre schlechthin [9], charakteristisch ist hingegen seine Identifizierung mit anderen Miranda, mit Humanismus [10], mit Freiheit [11, 12], Persönlichkeit [13], Gerechtigkeit [11], vor allem aber mit Demokratie. Demokratie und Sozialismus sind für die Sozialdemokraten untrennbar miteinander verbunden, und sie legen eine besondere Betonung darauf, dass ihnen De-
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mokratie nicht Mittel zum Zweck, sondern ein Wert an sich ist. [13] Damit unterscheiden sie sich von KPD und SED, die als orthodoxe marxistische Position den „demokratischen Weg zum Sozialismus" propagieren. [14] Gerade der Stellenwert der Demokratie und der Demokratie-Begtiff, der die Freiheit der Persönlichkeit einschließt, unterscheidet den Sozialismus der SPD von dem der Kommunisten. Sozialismus bleibt bis zum Ende des Untersuchungszeitraums das zentrale Schlagwort der SPD, obwohl der sozialistische Zeitgeist im Westen längst dem Antikommunismus gewichen und Sozialismus von bürgerlicher Seite bereits pejorisiert ist. Typisch für die SPD-Wahlplakate 1949 ist die Reihung der erwähnten Hochwertwörter. [15,16,17] Der stärkste Ausdruck des sozialistischen Zeitgeistes nach dem Krieg ist wohl das Bekenntnis bedeutender Teile der bürgerlich-christlichen Unionsparteien zum Sozialismus. Charakteristisch für ihre Umdeutung des Begriffs ist die Verbindung von Christentum und Sozialismus, und zwar in der Weise dass der ethische Anspruch aus dem Christentum abgeleitet wird, während der Sozialismus als wirtschaftliches und soziales Programm zur Erfüllung dieses Anspruchs fungiert. Zum Hauptvertreter dieser Programmatik avanciert 1946 der Vorsitzende der Ost-CDU Jakob Kaiser, nachdem schon 1945 in den erwähnten Kölner und Frankfurter Leitsätzen ein sozialistisches Selbstverständnis formuliert worden war. Die Schlagwort-Variante christlicher Sozialismus Ìst so bedeutend, dass sie als selbstständiger Eintrag in diesem Wörterbuch behandelt wird. (Dort auch mehr zum Verhältnis von Christentum und Sozialismus.) Die starke Popularisierung durch verschiedene Parteien lässt den Begriff in der breiten Öffentlichkeit verflachen. Die „Frankfurter Hefte", die neben der Union selbst eine Spielart des christlichen Sozialismus vertreten, sehen den reduzierten allgemeinen Begriff gerade in der wirtschaftlichen Komponente, die der christliche Sozialismus betont. [18] Vielleicht liegt hier der Schlüssel zum anfänglichen Erfolg dieses Konzepts. Die KPD ist im Gebrauch von Sozialismus wie mit ihrem ganzen ideologiesprachlichen Wortschatz überhaupt zunächst zurückhaltend. So enthält ihr Gründungsaufruf das viel zitierte Diktum, dass es falsch wäre, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen.633 [19] Aus der DVZ ist auffälligerweise kein einziger Beleg vorhanden, in dem Sozialismus in ähnlicher Weise verwendet wird wie im 633 Dass diese Haltung nicht nur aus taktischen Gründen in der Öffentlichkeit vertreten wurde, zeigt der ebenfalls bekannte Aufsatz von Anton Ackermann: „Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus?" (Veröffentlicht in der „Einheit", Heft 1 vom Februar 1946, S. 22 ff., wiederabgedruckt in: FLECHTHEIM, Band 3,2, S. 336 ff.), in dem tatsächlich ein solcher Weg proklamiert wurde. Dieser war jedoch im Herbst 1948 zu Ende, als im Gefolge der Sezession der jugoslawischen Kommunisten die Stabilisierung der SED vorangetrieben wurde. Eine Stellungnahme des Parteivorstandes erklärte die Theorie vom besonderen deutschen Weg zum Sozialismus schlicht für falsch [20], worauf eine Woche später Anton Ackermann im ND seine Thesen widerrief und im Aufsatz „Über den einzig möglichen Weg zum Sozialismus" (ND 48,223,02 vom 24.09.48) allein das sowjetische Vorbild gelten ließ.
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Sprachgebrauch der Ost-SPD. Die SED übernimmt 1946 schließlich aber den SPD-Gebrauch, der sich u.a. in einer quasi-religiösen Verwendung in den „Grundsätzen und Zielen der Sozialistischen Einheitspartei" niederschlägt: „In diesem Zeichen werden wir siegen!"634 [21] Mit der Etablierung des Union-Schlagwortes christlicher Sozialismus sieht sich die SED genötigt, der Verflachung „ihres" Sozialismus aufklärend entgegenzuwirken. Im August erscheint der erste einer ganzen Reihe von Artikeln, in denen der marxistische So^ialismus-Begññ von anderen abgegrenzt wird. [22] Solange christlicher Sozialismus als Schlagwort aktuell ist, kontrastiert die Union ihr Christentum mit Marxismus, was primär auf die SED, weniger die SPD, (die sich zwar auf Marx beruft, Marxismus aber nicht aktiv verwendet und darüber hinaus eine recht differenzierte Auffassung vertritt), zielt. Sowohl die Reklamierung des Sozialismus-Begriffes durch die SED als auch eine Reihe weiterer Umstände bewirkt in der CDU ab 1947 eine Pejorisierung von Sozialismus. Inhaltlich beginnt die Distanzierung der Union vom Sozialismus in der Wirtschaftspolitik, die 1947/48 einen Paradigmenwechsel durchmacht: Planerische Elemente treten zu Gunsten marktwirtschaftlicher Grundsätze, die sich nach dem Währungsschnitt im Juni 1948 bewähren, in den Hintergrund, und das in dieser Zeit ebenfalls pejorisierte Planwirtschaft wird fur die Unionsparteien völlig zum Kennzeichen des Sozialismus. 1949, als diese Entwicklungen einen gewissen Abschluss gefunden haben, stellt die Union die soziale Marktwirtschaft des Westens mit dem Attribut der 'Freiheit' dem Sozialismus und der Planwirtschaft mit dem Attribut der 'Unfreiheit' gegenüber. Da die SPD ihr eigenes Fahnenwort Sozialismus nicht entscheidend gegen den marxistischen Begriff abgrenzen kann — m.E. liegen tatsächlich keine zwei Schlagwort-Varianten vor —, gelingt es der CDU, die den Gleichklang der Schlagwörter als Gleichheit der Position darzustellen. [23] Die Liberalen sowie die konservative NLP und Deutsche Union lehnen von Anfang an jede Art von Sozialismus ab. Ihr Gebrauch ist vor allem durch Polemik gekennzeichnet, indem sie den klassischen Sozialismus mit Nationalsozialismus gleichsetzen. [24, 25] Nach 1947 überwiegt die Gleichsetzung von Sozialismus mit Planwirtschaft. [26] Abklingen und Nachwirkungen In der Epoche der beiden deutschen Staaten bleibt Sozialismus ein Leitwort der DDR. „Es wurde zunächst von dem Aufoau der Grundlagen des Sozialismus (bis 1958) gesprochen, danach von der Vollendung des Sozialismus, an dessen Stelle 1962 das Schlagwort vom umfassenden Auftiau des Sozialismus in der DDR trat."635 Mit
634 Das geflügelte Wort In hoc signo rinces (In diesem Zeichen wirst du siegen!) geht auf Eusebios von Caeserea zurück, der in seiner Kirchengeschichte berichtet, wie dem Kaiser Konstantin vor der Schlacht ein Kreuz und die Worte „Damit siege!" am Himmel erschienen. 635 REICH, s.v. „Sozialismus", S. 204.
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inflationärer Häufigkeit kam in der öffentlichen Sprache der DDR das Adjektiv sozialistisch vor. 636 Dem DDR-Gebrauch entspricht in der BRD die Vermeidung, ja Stigmatisierung von Sozialismus. Ab 1972, anlässlich des Wahlkampfs, war demokratischer Sozialismus ein Schlagwort, mit dem die SPD versuchte, Sozialismus aus der Opposition zu Freiheit, wie es die Unionsparteien propagierten, zu lösen. Auch die Identifizierung von Sozialismus mit dem Herrschaftssystem der DDR sollte überwunden werden.637 Das ist damals nicht gelungen, weshalb Sozialismus bis heute im konservativen Lager ein stigmatisierter Begriff geblieben ist - zumal sich seit 1989 noch die Assoziation an die Niederlage der sozialistischen Welt in den Wortinhalt mischt. Unterdessen entwickelt sich Sozialismus zu einem Begriff der Historiker.
Literatur Dirks, Walter: Das Wort Sozialismus. In: FH 46,007,628-643 vom Oktober 1946. FABRITZEK, Uwe G./ KREMENDAHL, Hans: Demokratischer Sozialismus. In: KAMPF UM WÖRTER, S. 121-139. Lederer, Robert: Artikel „Demokratischer Sozialismus". In: HKWML, Band 2 (1995), Sp. 555-569. Liedtke, Frank: Sozialismus - ein Reizwort. In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 20 (1989), S. 23-38. [behandelt den Gebrauch in der BRD ab den 50er Jahren] Müller, Hans: Ursprung und Geschichte des Wortes „Sozialismus" und seiner Verwandten. Piss. Bonn 1963] Hannover 1967. NIEHR s.v. „Demokratischer Sozialismus", S. 141-150. Schieder, Wolfgang: Artikel „Sozialismus". In: GESCHICHTLICHE GRUNDBEGRIFFE, Band 5 (1984), S. 923-996. SCHOTTMANN, s.v. „Sozialismus", S. 430-452.
Belege 1. Mit grenzenlosem Staunen vernimmt man, daß sich bei der Militärregierung in München nicht weniger als 14 Personen um die Genehmigung beworben haben, e i n e P a r t e i z u g r ü n d e n . Wohl verstanden, jeder e i n e Partei, also 14 Parteien insgesamt. Wem sträuben sich da nicht die Haare? Was sind das für Politiker, die jetzt schon wieder glauben, für jeden Interessentenhaufen, für jede Meinungsverschiedenheit eine Partei gründen zu müssen? Ist das die polirische Lehre, die sie aus dem verhängnisvollen Parteiwirrwarr der Jahre 1920-1933 gezogen haben? Verstehen sie die Zeichen der Zeit so, daß für die politische Erziehung des deutschen Volkes nicht einmal ein Dutzend Parteien genügt, 636 Vgl. REICH, s.v. „sozialistisch". 637 Vgl. NIEHR, s.v. „Demokratischer Sozialismus", S. 141-150. Nach dem Ende der DDR griff die SED auf diese Sozialismus-Konzeption zurück und machte sie zu ihrem neuen Namen: PDS. Vgl. daneben auch FABRITZEK/ KREMENDAHL, S. 121-139.
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sondern vierzehn nötig sind? Selbstverständlich nur demokratische Parteien! Denn alle Politiker sind doch heutzutage überzeugte Demokraten, mindestens seit dem Zusammenbruch der Nazi-Herrschaft. Vielleicht sind auch alle 14 reine Sozialisten, um ja zeitgemäß zu sein. „Parteienwirrwarr", SZ 45,003,01 vom 12.10.45.
2. Wir befinden uns, wie beinahe jedes Anzeichen klarlegt, nicht auf einem epochalen Höhepunkt, auch nicht in der Mitte von ihm oder nach ihm, sondern am Beginn eines neuen großen Abschnittes der Geschichte. Das Zeitalter des I n d i v i d u a l i s m u s ist in seiner Art so grausig untergegangen wie die früheren Zeiten in ihrer Weise. [...] Einen solchen H u m a n i s m u s - als Signatur der Zeit - gibt es nicht mehr, [...] Es gibt auch keinen L i b e r a l i s m u s mehr - als Signatur der Politik [...] Und der K a p i t a l i s m u s - als Signatur der Wirtschaft - ist im Sterben begriffen.
[...]
Wer aber nicht tot ist oder im Sterben liegt, sondern aus der vergangenen individualistischen Epoche noch lebt - als Signatur des Übergangs - , das ist der N a t i o n a l i s m u s . [...] Seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es für alle, die nicht im Bann von Illusionen, von Wunschträumen oder von romantischen Schwärmereien stehen, keinen Zweifel mehr, daß der Entwicklungszug - der alles andere als zufallig oder fatumgleich ist - zum S o z i a l i s m u s hin geht. Kogon, Eugen: „Über die Situation", FH 47,001,19-22 vom Januar 1947.
3. Jakob Kaiser, mit einer Schumacher-Broschüre in der Tasche, im Interzonenzug aus Berlin gekommen, entschuldigte sich bei den 400 Delegierten des CDU-Zonen-Parteitages in Recklinghausen, bevor er seine Stellungnahme zum Marxismus kundtat. „Ich will nicht sagen, daß die CDU eine sozialistische Partei ist. Aber ich möchte, daß wir gegenüber dem Zeitgeschehen, dem sozialistischen Zug, nicht den Kopf in den Sand stecken". SPIEGEL 47,033,03 vom 16.08.47.
4. Aufruf der SPD vom 15.06.45 Niemals und von niemanden soll das deutsche Volk je wieder als vertrauensseliges Opfer gewissenloser politischer Abenteurer mißbraucht werden. Der politische Weg des deutschen Volkes in eine bessere Zukunft ist damit klar vorgezeichnet: Demokratie in Staat und Gemeinde, Sozialismus in Wirtschaft und Gesellschaft! FLECHTHEIM, Band 3,2, S. 1.
5. Kölner Leitsätze der CDU vom Juni 1945 So vertreten wir einen wahren christlichen Sozialismus, der nichts gemein hat mit falschen kollektivistischen Zielsetzungen, die dem Wesen des Menschen von Grund auf widersprechen. FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 30-33.
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Frankfurter Leitsätze der CDU vom 01.09.45 [Zwischentitel] Sozialismus und Eigentum Wir bekennen uns zu einem wirtschaftlichen Sozialismus auf demokratischer Grundlage, und zwar in folgender Form: Wir erstreben die Überführung gewisser großer Urproduktionen, Großindustrien und Großbanken in Gemeineigentum. Wir wollen ferner, daß die Wirtschaft im großen einheitlich und planvoll gelenkt werde, weil nur dadurch Fehlanzeigen und Verschwendung volkswirtschaftlichen Gutes verhindert und ein Wiederaufbau nach sozialen und gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsgesichtspunkten, und nicht nur nach privatwirtschaftlichen Rentabilitätsgrundsätzen gesichert werden kann. [...] Wie in seinen Zielen so soll auch in seinen Methoden der Sozialismus demokratisch und nicht diktatorisch sein. Er muß also getragen werden vom Volke und seinen Organen selbst und muß innerhalb seines Rahmens genügend Platz lassen für die Entfaltung persönlicher Initiative und für den Wettbewerb der besten Leistung. Uberhaupt muß das neue System planvoller Wirtschaftslenkung mit der alten abendländischen Idee der freien und verantwortlichen Persönlichkeit ausgefüllt undbelebt werden. Es ist daher unser sozialistisches Ziel, einer möglichst großen Zahl von Menschen ein Leben in Freiheit von Not, in menschlicher Würde und Selbstverantwortung zu sichern. FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 41 f.
7. Leitsätze der SPD zum Wirtschaftsprogramm. Entwurf Dr. Kurt Schumachers von 1945 Die Zeit ist heute reif, den Sozialismus zur Angelegenheit des ganzes Volkes zu machen. FLECHTHEIM, Band 3,2, S. 9. 8.
„Die neue Welt kann nur die des Sozialismus sein // Rede des bayrischen Ministerpräsidenten Dr. Högner in München" SZ 45,016,01-02 vom 27.11.45. 9.
Nazismus bedeutet die Negation aller menschlichen Werte überhaupt. Sozialismus dagegen ist freudige Bejahung aller schöpferischen, positiven Kräfte des Lebens, ist Inbegriff aller Ideale, die von den großen Geistern und Führern der Menschheit gedacht und empfunden worden sind. Richard Weimann (Mitglied des Zentralausschusses der SPD): „Unsere kulturpolitischen Aufgaben" DV 45,039,02 vom 18.08.45.
10. Das Volk muß zum wahren Idealismus wieder zurückgeführt werden, zum wahren S o z i a l i s m u s , zum wahren H u m a n i s m u s . „Optimismus und Idealismus" DV 46,022,01 vom 27.01.46.
11. Freiheit! Nur eine lebendige Demokratie auf allen Gebieten des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens kann die persönliche Freiheit des Menschen garantieren. Die Sozialdemokratische Partei will die l e b e n d i g e D e m o k r a t i e , sie will den S o z i a l i s m u s . Denn Sozialismus ist Demokratie in höchster Vollendung. Die bürgerlichen
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wollen keinen Sozialismus. In ihnen sammelt sich bereits wieder verdächtig viel reaktionäres Element, das den K a p i t a l i s m u s zu retten versucht. Gerechtigkeit! Die Sozialdemokratische Partei will die G e r e c h t i g k e i t f ü r a l l e . Nicht mehr dürfen althergebrachte Rechte und Gesetze sich wie eine ewige Krankheit von Geschlecht zu Geschlecht weiterschleppen. Herren und Knechte darf es im neuen Deutschland nicht mehr geben. Gesetz und Recht müssen für alle gleich sein. Not und Unglück müssen von allen gemeinsam getragen, Glück und Freude aber allen gleicherweise zuteil werden. Daß das Leben für alle gleich lebenswert und niemand mehr des anderen Knecht und niemand mehr des anderen Herr ist, dafür kämpft die Sozialdemokratie. Sie will eine neue, gerechte Ordnung aller geistigen, wirtschaftlichen und politischen Regungen unserer Zeit in einem demokratischen, freiheitlichen Sozialismus. Sie will eine lebendige Demokratie für das schaffende Volk. Neue Impulse, neues Leben, neue Kraft strömen vom Wirken der Sozialdemokratischen Partei aus. N u r e i n e s t a r k e S o z i a l d e m o k r a t i e k a n n D e u t s c h l a n d r e t t e n . Durch ihre Stärkung trägst auch du zur Rettung Deutschlands bei. DR 46,101,05 vom 14.09.46. 12. Politische Leitsätze der SPD vom 11.05.46 [Zwischentitel] Freiheit und Sozialismus Der Charakter der deutschen Sozialdemokratie besteht in ihrem kompromißlosen Willen zu Freiheit und Sozialismus. Die deutsche Sozialdemokratie ist stolz darauf, daß sie die einzige Partei in Deutschland war, die unter den größten Opfern für die Ideen der Demokratie, des Friedens und der Freiheit eingetreten ist. Sie ist auch heute die Partei der Demokratie und des Sozialismus in Deutschland. FLECHTHEIM, Band 3,2, S. 20. 13. Die Demokratie bedeutet über den Rahmen der Staatsform hinaus jene Form des menschlichen Zusammenlebens, die uns zur Zeit als die günstigste und v o l l k o m m e n s t e erscheint, weil sie innerhalb einer zum Kollektivismus und Mechanismus drängenden technischen Umwelt das R e c h t d e r P e r s ö n l i c h k e i t im Rahmen der Gemeinschaft zu garantieren vermag. Deshalb können und dürfen wir die Demokratie nicht bloß als Mittel zum Zweck ansehen, sondern als ein e r s t r e b e n s w e r t e s Ideal, für das es sich zu kämpfen und zu arbeiten lohnt. Ein solches Ideal aber kann nicht auf Kündigung leben! Also nicht Sozialismus d u r c h Demokratie, sondern Sozialismus u n d Demokratie! „Sozialismus und Demokratie" DV 46,070,01 vom 24.03.46. 14. Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 21.04.46 [Zwischentitel] Der Kampf um den Sozialismus Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands erstrebt den demokratischen Weg zu Sozialismus; sie wird aber zu revolutionären Mitteln greifen, wenn die kapitalistische Klasse den Boden der Demokratie verläßt. FLECHTHEIM, Band 3,2, S. 358 f.
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15.
Plakat Her SPD vom September 1949 Unser Ziel ist der // Sozialismus! // Wir rufen // unsere Gesinnungsgenossen in Stadt und / / Land auf uns auf diesem Weg zu folgen! // Sozialdemokratische Partei Deutschlands TOMAN-BANKE, sp/5/49.
16. Plakat Her SPD vom September 1949 Sozialistischer Aufbau // durch Neubau / / Praktische Demokratie // durch soziale Gerechtigkeit // Deutschlands Einheit //in Freiheit / / SPD TOMAN-BANKE, sp/6/49.
17. Plakat Her SPD vom September 1949 fur Frieden, Freiheit, Sozialismus! TOMAN-BANKE, sp/16/49.
18. Schließlich ist auch im Bereich des Sprachgebrauchs manches geschehen; jedenfalls erinnern wir uns nicht, daß ein Katholik zur Ordnung gerufen worden wäre, der einmal ein paar Jahre lang das Wort „Nationaler Sozialismus" vertrat. Der Begriff Sozialismus ist sehr aufgelockert worden, und sein Schwergewicht hat sich entschieden von der Seite des „Weltanschaulichen" nach der Seite des Wirtschaftlichen und Sozialen verschoben. Wenn man von einem Unbekannten hört, er sei Sozialist, so stellt man sich unter ihm weder einen Revoluzzer noch einen Freidenker vor noch auch nur einen Mann ohne Kragen mit einer roten Blume an der Jacke, sondern zunächst einmal den Anhänger einer gebundenen demokratischen Wirtschaft, und von dieser Basis aus fragt man erst weiter: KPD, SPD oder CDU? Freidenker oder Christ? Arbeiter, Bürger oder Intellektueller? Staats- oder Volkssozialist? Das ist der unbefangene heutige Sprachgebrauch; er stimmt mit unseren Auffassungen vom namenbestimmenden Schwergewicht der Sache überein. Walter Dirks: „Das Wort Sozialismus", FH 46,007,628-643, S. 640 f. vom Oktober 1946.
19. Aufruf der KPD vom 11.06.45 Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk. FLECHTHEIM, Band 3,2, S. 316.
20. Den Bericht der von der 12. Tagung des Parteivorstandes eingesetzten Kommission über die Thesen: „Die Novemberrevolution und die Lehren aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" erstattete der Genösse F r e d O e l ß n e r . Der jetzt vorliegende Text der Thesen ist das Ergebnis einer gründlichen Arbeit der Kommission unter Teil-
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nähme der Genossen Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl. Von den Problemen, über die Genösse Fred Oelßner zu berichten hatte, wurde besonders die Frage eines besonderen deutschen Weges zum Sozialismus Gegenstand einer ernsten und grundsätzlichen Diskussion, an der die Genossen Anton Ackermann, Bernhard Koenen, Paul Wandel, Helmut Lehmann, Wilhelm Pieck und Fred Oelßner teilnahmen. Das Ergebnis dieser notwendigen Klärung wurde vom Genossen Otto Grotewohl in seinem Schlußwort zusammengefaßt, der in voller Ubereinstimmung mit dem gesamten Parteivorstand die falsche und gefährliche Theorie eines besonderen d e u t s c h e n Weges zum Sozialismus ablehnte. „Der Parteivorstand // 13. Tagung des Parteivorstandes der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands am 15./16. September", ND 48,217,02 vom 17.09.48.
21. Grundsätze und Ziele der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 21.04.46 [Zwischentitel] Das Wesen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands Die Einheit der sozialistischen Bewegung ist die beste Gewähr für die Einheit Deutschlands! Sie wird den Sieg des Sozialismus sichern! Der Sozialismus ist das Banner der Zukunft! In diesem Zeichen werden wir siegen! FLECHTHEIM, Band 3,2, S. 359. 22.
Die Zeiten sind zum Glück vorbei, wo die Nationalsozialisten mit ihrem Gerede vom „deutschen Sozialismus" breite Massen ködern konnten. Die Nazis nahmen sich nicht viel Mühe, um eine Definition ihres Begriffes „Sozialismus" zu geben. Einmal hieß es, „Sozialismus" sei „Arbeitsgemeinschaft", dann „Willensgemeinschaft", „Blutgemeinschaft" u. ä. m. Ley verstieg sich sogar soweit, die Leistungssteigerung in der Rüstungsindustrie als „Sozialismus" zu bezeichnen. Dieser ganze hanebüchene Blödsinn liegt hinter uns. Aber auch in unseren Tagen wird mit dem S c h l a g w o r t „Sozialismus" nicht wenig Mißbrauch getrieben. Das ist immer der Fall, wenn die Not des Volkes am höchsten steigt. Nach dem ersten Weltkrieg tröstete man die werktätigen Massen mit der Versprechung, „der Sozialismus marschiert". Heute, während der Katastrophe, in die Hider Deutschland gestürzt hat, reden sogar bürgerliche Parteien vom „Sozialismus". Die CDU verspricht „christlichen Sozialismus" oder einen „Sozialismus aus christlicher Verantwortung". Unter bürgerlichen Intellektuellen fehlt es nicht an Schattierungen eines „Gefühls-,, und „Weltanschauungssozialismus", für den man vergeblich nach einem Programm suchen würde. Unsere Partei, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, beruht auf dem w i s s e n s c h a f t l i c h e n , von Karl Marx und Friedrich Engels begründeten Sozialismus. Für sie darf es keine Verschwommenheit und Unklarheit geben. Auf die Frage: „Was ist unter Sozialismus zu verstehen", antwortet der Marxismus: Unter Sozialismus ist die Gesellschaftsordnung zu verstehen, bei der der Grund und B o d e n , die Bodenschätze, die Produktionsmittel (Fabriken und Maschinen), das Verkehrswesen, die Banken usw. nicht einzelnen Personen oder Vereinigungen (Aktiengesellschaften usw.) gehören, die sie für ihre private Bereicherung ausnutzen, sondern Gemeingut des Volkes bzw. des sozialistischen Staates sind. Die sozialistische Gesellschaftsordnung macht die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen unmöglich; im Sozialismus gibt es keine Ausgebeuteten und Ausbeuterklasse, die Kapitalisten und Großgrundbesitzer sind enteignet. „Was ist Sozialismus, was ist er nicht?", ND 46,106,03 vom 27.08.46.
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23. Mit dem Begriff Sozialismus verbindet noch heute die breite Masse unseres Volkes die materialistische Weltauffassung der SPD und der KPD. Er wird, von den beiden marxistischen Parteien folgerichtig durchdacht, zum Kampfbegriff gegen das Recht jedes Menschen auf Eigentum (Verstaatlichung) gebraucht. Die CDU lehnt den Begriff des Sozialismus in dieser Form konsequent ab. Die CDU will den Menschen aus der Vermassung und den Fesseln des Staates, die in ihrer schärfsten Form in der Bürokratie zum Ausdruck kommen, befreien. Sie bejaht das Recht auf Eigentum. Wenn man uns aber eine „Partei des Besitzes" nennen will, so nenne man uns gleichzeitig ein Land, in dem es politische Freiheit ohne Schutz des Besitzes gibt. Wir sind keineswegs nur eine Partei des Besitzes, sondern auch eine Partei aller Besitzlosen, die wieder zu Besitz gelangen wollen. Nur die Partei derjenigen, denen Besitzlosigkeit politisches Ideal ist, wollen wir nicht sein. POLITISCHES ABC DER CDU, s.v. „Sozialismus" (Bundestags-Wahlkampf 1949). 24. Programmatische Richtlinien der Freien Demokratischen Partei vom 04.02.46 8. In dem Bewußtsein, daß das höchste Glück der Erdenkinder die Persönlichkeit ist, soll der neue demokratische Staat des deutschen Volkes als ein freier Staat die freie Entfaltung der Persönlichkeit auf allen Gebieten fördern. Nach der Vernichtung der Freiheit durch die Staatsgewalt eines nationalistischen und sozialistischen Staates ist jetzt für lange Zeit die Sicherung der Freiheit in Politik, Wirtschaft und Kultur die vordringlichste Aufgabe der Demokratie: Vereinigungsfreiheit, Freiheit des Gedankens und der Rede, der Schrift und der Presse, der Forschung und der Lehre, des Glaubens und des Bekennens! Jeder Totalitätsanspruch nationalistischer, klerikaler oder sozialistischer Färbung ist ein Feind der Demokratie. Der Volksstaat, den wir erstreben, erträgt weder den Klassenstaat, noch den Obrigkeitsstaat. Der marxistische Sozialismus führt wie der nationalistische Sozialismus gleichermaßen zu einem totalitären Staat. Statt der Verstaatlichung des Menschen erstrebt die freie Demokratie die Vermenschlichung des Staates. Frei sei der Mensch im freien Staat und frei der deutsche Volksstaat im freien Bund der Völker und Staaten der Erde! FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 274. 25. Die Demokratische Union lehnt jeden Sozialismus ab, sei es als National-Sozialismus oder als International-Sozialismus. Sie erstrebt an seiner Stelle den Staat der sozialen Gerechtigkeit, der mit jedem politischen Klassenkampf unvereinbar ist, weil er die demokratische Freiheit mißachtet. Franz Henkel: „Die Demokratische Union stellt sich vor", NHK 46,007,05 vom 25.01.46. 26.
Plakat Hpr FDP von 1947 Sozialismus // bedeutet Zwangswirtschaft // Darum // freie Bahn // einer freien Wirtschaft // Freie Demokratische Partei FDP WASMUND, Plakat Nr. 100.
Speckdänen Schlagwort-Varianten: andere Varianten: Ableitungen: häufige Verbindungen: Schlagwortfeld: Aktualität als Schlagwort:
Speck-Separatisten
Separatismus 1945-1946
Speckdänen ist eine scherzhaft-pejorative Bezeichnung für Bewohner Südschleswigs, übertragen auch auf die anderer Grenzgebiete, die materieller Vorteile zuliebe die Zugehörigkeit ihrer Region zu Deutschland in Frage stellen.
Wort- und Begriffsgeschichte Das Lexem - nur im Plural belegt - ist allem Anschein nach eine umgangssprachliche Ad-hoc-Bildung des Jahres 1945 oder 1946. Thema und Diskurs Separatismus Aufkommen Das Schlagwort kommt 1945 auf, ist im Korpus allerdings nicht in bildlicher Darstellung und durch rückverweisende Äußerungen belegt. [1, 2] Entfaltung Speckdänen ist eine abwertende Bezeichnung für Bewohner Südschleswigs, die wirklich oder vermeintlich — wegen einer großzügigeren Lebensmittelversorgung einen Anschluss ihrer Region an Dänemark erstrebten. Speck, ein hochwertiges Nahrungsmittel, das in Deutschland äußerst knapp war, steht als metonymische Katachrese für solche Anreize, und macht das eigentlich Pejorative aus: Die kurzfristige Befriedigung eines Grundbedürfnisses kontrastiert mit dem ideellen Wert einer Staats- bzw. Volkszugehörigkeit. Speckdänen sind gewissermaßen Separatisten aus niederen Beweggründen. Gleichzeitig klingt das Schlagwort durch die Assonanz lächerlich. Auf Grund der beiden Belege, die Speckdänen als geläufige Wendung aufgreifen, kann von einem Gebrauch in ganz Deutschland ausgegangen werden. Abklingen und Nachwirkungen Nach 1946 konnte das Schlagwort nicht mehr nachgewiesen werden. Die politische Entwicklung und die strenge Absage von allen Seiten an separatistische
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Speckdänen
Tendenzen lässt vermuten, dass Speckdänen 1947 die Brisanz verliert und als Schlagwort schwindet. Dass Speckdänen in keinem einzigen der hier benutzen Wörterbüchern oder Lexika verezeichnet ist, ist m.E. vor allem darauf zurückzufuhren, dass das Lexem wahrscheinlich umgangssprachlich markiert war.
Abbildung 20: ND 46,157,02 vom 25.10.46
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Speckdänen
Belege 1. Zwei Erscheinungen laufen sozusagen parallel: Die Separatisten in der Politik - und die Separatisten im täglichen Leben. Die Separatisten politischer Prägnanz, das sind die „Speckdänen" in Flensburg und Schleswig, die heute ihr Vaterland wie das Hemd wechseln möchten und noch gestern stramme Nationalisten waren. Das sind ferner die Separatisten im Rheinland und im Saargebiet, das sind aber auch die famosen Partikularisten vom reaktionären Flügel der bürgerlichen Parteien in Bayern. Sie alle glauben durch „Flucht" aus dem Vaterland ein besseres Leben zu gewinnen. „Das Volk weiß es besser", ND 46,086,01 vom 03.08.46. 2.
Die starke Zentralisierung, die sich bereits in der Weimarer Republik von Jahr zu Jahr mehr durchsetzte, die im Hider-Deutschland zum Staatsprinzip erhoben wurde und die während des Krieges ihren Höhepunkt erreichte, hat jetzt starken zentrifugalen Gegenkräften Platz gemacht. Wie so oft bei uns - man könnte hier geradezu von einem deutschen Fehler sprechen - , schwingt das Pendel wieder einmal weit aus, so weit, daß man versucht sein könnte, von einer Flucht aus der Einheit zu sprechen. Wir meinen damit nicht etwa jenen sehnsüchtigen Separatismus, der heute sein schlagendes Sinnbild in dem „Speckdänen" gefunden hat. Was wir meinen, ist vielmehr jene Überspitzung des föderativen Gedankens, die sich bis zu dem Wunsch versteigt, die deutsche Staatseinheit zu zerschlagen. Richard Tüngel: „Die fünfte Zone", ZEIT 46,028,01 vom 29.08.46.
Staatenbund Bundesstaat
totalitär Schlagwort-Varianten: andere Varianten: verwandte Wortformen: häufige Verbindungen: Schlagwortfeld: Aktualität als Schlagwort:
total, Totalitarisme totalitärer Staat, totaler Staat Demokratie, Freiheit, Planwirtschaft 1945-1949
Totalitär wird als Schlagwort des Westens zur Charakterisierung der SED-Herrschaft in der Ostzone gebraucht, vor allem zu ihrer Parallelisierung mit der nationalsozialistischen Herrschaft. Hauptmerkmal des Totalitarismus ist das Fehlen der Freiheit.
Wort- und Begriffsgeschichte Totalitär, nach dem 'DFWT3, s.v. (1981), im früheren 20. Jh. aufgekommen, ist eine Ableitung von total, nach dem Vorbild von frz. totalitaire. Den Anstoß zur Bildung des Adjektivs gab wahrscheinlich das im Deutschen schon seit dem späten 18. Jh. belegte Totalität. Den Kern der Bedeutung macht das lat. Etymon totus 'vollständig, ganz' aus. Von Interesse ist hier nur die Verwendung im politischen Kontext, die fur Totalität, die nach PAUL „seit Mitte des 19. Jh. zunehmend", nach dem OFWB „mit Beginn des 20. Jh. zunehmend" zu verzeichnen ist. Der begriffsgeschichtlich bedeutsame Bezug von totalitär auf den faschistischen Staat entsteht in Italien, wo der Liberale Giovanni Amendola 1923 der erste war, der es abwertend gebrauchte.638 Mussolini und seine Gefolgsleute selbst rezipierten das Lexem und bezeichneten die Herrschaft ihrer Partei als totalitär. „1931 führte [der profaschistische Staatsrechtler] Carl Schmitt die Begriffe Totalstaat' und 'der totale Staat' in den politischen Sprachgebrauch Deutschlands ein"639, die später von den Nationalsozialisten ebenfalls selbstreferenziell verwendet wurden.640 Parallel zu
638 Vgl. BRACHER, Totalitarismus, Sp. 491, und PETERSEN, S. 108. 639 PETERSEN, S. 98 f. 640 Dies gilt zumindest für Totalität. Vgl. 'DFWB, s.v. „Totalität", und PAUL, s.v. „total". Zum assoziativen Horizont von totalitär gehört sicher auch der von Goebbels propagierte totak Krieg.
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dieser Entwicklung griff die antifaschistische Opposition das Lexem auf, zuerst die italienische, später auch die deutsche.641 Der Bezug von totalitär auch auf die kommunistische Herrschaft in der Sowjetunion wird im Westen hergestellt, wie Petersen darlegt: „Ende der zwanziger Jahre tauchte der Begriff 'totalitarian' in den angelsächsischen Ländern auf zur Bezeichnung gemeinsamer Wesenszüge sowohl des Faschismus wie des Bolschewismus. [...] Mit der Machtergreifung Hitlers verstärkte sich im Bereich der westlichen Demokratien der Eindruck, daß mit dem Auftauchen von Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus ein neuartiger Staats- und Gesellschaftstypus entstanden sei"642. Ohne auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus einzugehen, lassen sich einige Merkmale des totalitären Staates, die in den allgemeinsprachlichen Begriff eingegangen sind, beschreiben: Der totalitäre Staat ist insofern „total", als er einen allumfassenden Herrschaftsanspruch reklamiert, der sich auf alle Gebiete der Gesellschaft und bis in den persönlichen Lebensbereich des einzelnen Menschen erstreckt. Totalitäre Regime wurden als neue, zeittypische Form der Herrschaft empfunden. Bracher sieht den Unterschied zu älteren autoritären Regierungsformen im ambivalenten Verhältnis zur modernen Demokratie: „Sie verneinen zwar das System der repräsentativen Demokratie, stellen sich aber zugleich als die höhere Form einer wahren Volksherrschaft dar. Zur Durchsetzung benutzen sie pseudodemokratische Legitimierungs- und Akklamationsakte, organisieren sie 'Wahlen' als alternativlose Zustimmung zur Herrschaft des Führers oder der Monopolpartei."643 Als weiteres Merkmal nennt er: „Neben dem Monopol der Ideologie und der Einheitspartei ist es besonders die Kontrolle aller modernen Mittel der Kommunikation und des Zwanges, die den Unterschied gegenüber früheren oder bloß 'autoritären' Formen der Diktatur [...] ausmacht."644 Thema Während anfänglich nur das Wesen des nationalsozialistischen Staates als totalitär charakterisiert wird, ist bald die Herrschaftspraxis in der SBZ das vorrangige Thema. Diskurs Totalitär erscheint primär im Rahmen des Diskurses über die östliche Form der Demokratie und hat für westliche Gruppen die Funktion eines anti-kommunistischen Schlagwortes.
641 642 643 644
Der früheste Beleg, den das 'DFWB überhaupt für PETERSEN, S. 98 f. BRACHER, Totalitarismus, Sp. 491. BRACHER, Totalitarismus, Sp. 492.
totalitär bringt, stammt von
1937.
totalitär
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Aufkommen Ein erster Beleg für totalitär findet sich in einer amerikanischen Heeresgruppenzeitung [1], die nächsten stammen aus den programmatischen Schriften der Westzonen-Parteien [2, 3]. Sie alle stellen offenbar Reaktionen auf den totalen Staat der letzten zwölf Jahre dar und entbehren der anti-kommunistischen Komponente. Diese erscheint erstmalig explizit im Programm der FDP vom 04.02.46. [4] Ein frühes Kuriosum, das das Fortwirken der LTI unfreiwillig dokumentiert, liefert die „Kampfgemeinschaft füir totale Demokratie". [5] Entfaltung Der Anlass, zu dem die Kommunisten der Ostzone mit dem Vorwurf konfrontiert werden, eine totalitäre Herrschaft errichten zu wollen, ist ihre Vereinigung mit der SPD. Leider lassen sich die Vorwürfe hier nur indirekt an Hand der Reaktion des ND belegen. [6, 7] Die Kritik macht sich an der Vormachtstellung der SED in der Ostzone fest; ab dem Jahr 1947 kristallisiert sich jedoch ein Merkmal heraus, das den Begriff des Schlagwortes totalitär bestimmt: das Fehlen der Freiheit. In dem Maße wie Freiheit im Westen als wichtigstes Merkmal der eigenen Ordnung, nämlich der westlichen Form der Demokratie gesehen wird, wird totalitärer Staat zum Synonym für die östliche Form der Demokratie. Der Ost-West-Gegensatz findet u.a. im Wortpaar Freiheit / Totalitarisme seinen Ausdruck. [8, 9,10] Der Vorwurf, dass sich die Politik der SED damit in Kontinuität zum Nationalsozialismus befinde, ist auf Grund der Begriffsgeschichte bereits in totalitär impliziert und wird verschiedentlich auch explizit geäußert. [11,12] Obwohl der Bezug von totalitär auf die SED bzw. auf den Ost-West-Konflikt dominiert, wird das Schlagwort in den Westzonen auch in anderen Kontexten gebraucht, so im Planwirtschafts- und Föderalismus-Diskurs. Im Zusammenhang mit der Planwirtschaft wird oft gewarnt, dass dem Staat durch Sozialisierungen und Planungsaufgaben eine zu große MachtfüUe zufallen würde, die mit der des Dritten Reiches vergleichbar sei. [13] Kontinuitäten werden auch zwischen der dirigistischen (Kriegs-) Wirtschaft des Dritten Reiches und der Bedarfswirtschaft der Nachkriegszeit konstatiert. [14] Die Föderalisten sehen das bestimmende Element des Totalitarismus (und damit auch die Parallele zwischen Drittem Reich und dem SED-Regime) primär im Zentralismus. [15] Folgerichtig spricht der RM vom totalitären Preußentum. [16] Die SED vermeidet es nach ihren ersten Reaktionen, das Schlagwort aufzugreifen. Spätere Belege als die oben genannten von Ende 1946/ Anfang 1947 sind nicht im Korpus enthalten. Abklingen und Nachwirkungen Im Westen bleibt totalitär als anti-kommunistisches Schlagwort latent aktuell, wobei sich Totalitarismus zur dominierenden Variante entwickelt. Die umfangreiche Literatur, die nach dem Krieg die gemeinsamen Wesenszüge der Totalitarismen
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beschreibt, mündet in die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die Totalitarismus als geschichts- bzw. politikwissenschaftlichen Terminus etabliert. Dieser ist, wie die Totalitarismus-Forschung insgesamt, jedoch dem Vorwurf ausgesetzt, einseitig anti-kommunistisch ausgerichtet zu sein. Die DDR weist die Lexeme als antikommunistische Propaganda zurück. DUDEN 10 und BW verzeichnen sowohl totalitär als auch Totalitarismus, behandeln Totalitarismus aber als sekundär und geben unter totalitär die Bedeutung dem westdeutschen Verständnis gemäß an645; 16BROCKHAUS beinhaltet nur das Lemma „totaler Staat, totalitärer Staat"; 20BROCKHAUS hat zusätzlich auch „Totalitarismus" aufgenommen, unter dem die Forschung zum Thema behandelt wird. WDG646 und WÖGE markieren beide Lexeme als zur westlichen Ideologiesprache gehörig: „Die Lehre vom T. ist gegenwärtig in den kapitalistischen Haupdändern die am weitesten verbreitete ideologische Erscheinungsform des Antikommunismus. In der BRD bildet sie eine regierungsamtlich verbindliche Grundlage des gesamten Bildungs- und Erziehungswesens."647 Literatur Ahrend, Hannah: Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. Frankfurt/ Main 1955. BRACHER, Karl Dietrich: Artikel „Totalitarismus". In: STAATSLEXIKON, Band 5 (1989), Sp. 491-494. STRAUß/ HAß/ HARRAS, s.v. „totalitär, totalitärer Staat" und „Totalitarismus". Lieber, Hans-Joachim: Zur Theorie totalitärer Herrschaft. In: Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. v. Hans-Joachim Lieber. Bonn 1991. S. 881-932. (Schriftenreihe der Bundeszentrale fur politische Bildung; 299) Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung. Hg. v. Eckhard Jesse. Bonn 1996. (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung; 336). darin: PETERSEN, Jens: Die Entstehung des Totalitarismus-Begriffs in Italien. S. 95117.
645 DUDEN 10, s.v. „totalitär": „mit diktatorischen Methoden jegliche Demokratie unterdrückend, das gesamte politische, gesellschaftliche, kulturelle Leben [nach dem Führerprinzip] sich total unterwerfend, es mit Gewalt reglementierend." (Die eckigen Klammern gehören zum Zitat.) 646 WDG, s.v. „totalitär": „aus bürgerl.-liberaler Sicht geprägte, in Gegensatz zum Begriff der bürgerlichen Demokratie gestellte Bez. für faschistisch-diktatorisch, das gesamte gesellschaftliche Leben im Staat und das persönliche Leben der Bürger staatlich beherrschend: [...] wird, die historischen Tatsachen kraß entstellend, von antikommunistischen Ideologen diffamierend zur Bez. des demokratischen Zentralismus sozialistischer Staaten gebraucht." 647 W O G E , s.v. „Totalitarismus".
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Belege 1. Gibt es das, eine Kollektivschuld? Entweder stellt Werfel sich auf den kollektiven Standpunkt des totalitären Staates und wird damit zum Anhänger der von ihm verworfenen Idee oder aber er lehnt diesen Standpunkt ab, und verliert damit die Möglichkeit, eine Kollektivschuld zu konstruieren. HZ/Frankfiirter Presse 45,009,04 vom 14.06.45. 2. Leitsätze der Christlich-Demokratischen Partei im Rheinland und Westfalen (Kölner Leitsätze). 2. Fassung vom 01.09.45 12. Ziel unseres politischen Willens ist der soziale Volksstaat als Bürge eines beständigen inneren und äußeren Friedens. Alle Formen des öffentlichen Gemeinschaftslebens kommen aus der Demokratie. Jeder Totalitäts- und Diktaturanspruch wird verworfen. Mißbrauch der Demokratie und ihrer Einrichtungen wird mit allen Machtmitteln des Staates bekämpft. FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 35. 3. Soester Programm des Zentrums vom 14.10.45 Das Zentrum war und ist die sozial-fortschrittliche Partei des deutschen Volkes auf überkonfessioneller und demokratischer Grundlage. Wahrheit, Recht und Freiheit, die ewigen Gesetze des Naturrechts und die tragenden Ideen der christlich-abendländischen Kultur sind die Triebkräfte und Wegweiser seines politischen Strebens. Freiheit und Würde der menschlichen Persönlichkeit sind Grundsteine der Gesellschaft und des Staates. Der totale Staat wird schärfstens abgelehnt. Das Zentrum ist Hüter des Reichsgedankens auf föderativer Grundlage. Es achtet die Rechte und das Eigenleben der Länder und die Eigenart der deutschen Stämme in Kultur und Religion. FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 244. 4. Programmatische Richtlinien der Freien Demokratischen Partei vom 04.02.46 8. In dem Bewußtsein, daß das höchste Glück der Erdenkinder die Persönlichkeit ist, soll der neue demokratische Staat des deutschen Volkes als ein freier Staat die freie Entfaltung der Persönlichkeit auf allen Gebieten fördern. Nach der Vernichtung der Freiheit durch die Staatsgewalt eines nationalistischen und sozialistischen Staates ist jetzt für lange Zeit die Sicherung der Freiheit in Politik, Wirtschaft und Kultur die vordringlichste Aufgabe der Demokratie: Vereinigungsfreiheit, Freiheit des Gedankens und der Rede, der Schrift und der Presse, der Forschung und der Lehre, des Glaubens und des Bekennens! Jeder Totalitätsanspruch nationalistischer, klerikaler oder sozialistischer Färbung ist ein Feind der Demokratie. Der Volksstaat, den wir erstreben, erträgt weder den Klassenstaat, noch den Obrigkeitsstaat. Der marxistische Sozialismus führt wie der nationalistische Sozialismus gleichermaßen zu einem totalitären Staat. Statt der Verstaatlichung des Menschen erstrebt die freie Demokratie die Vermenschlichung des Staates. Frei sei der Mensch im freien Staat und frei der deutsche Volksstaat im freien Bund der Völker und Staaten der Erde! FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 274.
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S o viel Zustimmung das W ö r t e r b u c h d e s U n m e n s c h e n bei vielen Lesern gefunden hat, so ungern hat man die Hinweise und Zitate öffentlicher Äußerungen hingenommen, die wir ihm an dieser Stelle gelegentlich beigefügt haben. Sie sind natürlich nicht — wie jemand in der Gegenwehr meinte — als „ A n w ü r f e " aufzufassen, sondern sie dienen dazu, allen, die es angeht, nahezulegen, auch die eigene Zunge zu prüfen. Sprachkritik ist kein unverbindliches Spiel, und die gute innere Gesinnung allein tuts nicht, s o lange sie nicht als Rede und Gebärde wirklich und lebendig wird. Einen solchen Hinweis verdient auch die Satzung einer „Kampfgemeinschaft für totale Demokratie", die uns von deren Geschäftsstelle in H a m b u r g eingeschickt worden ist. In diesem Falle ist an der antinazistischen Meinung und Bewährung der Verfasser schon gar nicht zu zweifeln, und gleichwohl wird etwa der Zweck dieser Neugründung darin bezeichnet, „die Demokratie nicht nur in der Politik, sondern auch auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens d u r c h z u f ü h r e n " ; man fordert ferner „ein offenes Bekenntnis zur Totalität der Demokratie und einen kampffreudigen E i n s a t z für die Verwirklichung unserer Ziele"; man beabsichtigt die „Verbreitung, Vertiefung und Festigung des total-demokratischen G e d a n k e n g u t e s und die verantwortungs- und zielbewußte E i n f l u ß n a h m e " . Auch dies alles ist wahrscheinlich „nicht so gemeint", wie es dasteht. Aber es ist zu furchten, daß das, was dasteht, auf die Dauer mehr wiegt als das, was gemeint ist. „Redaktionelle Anmerkungen", Wandlung 46,007,639 vom 01.07.46. 6. D e r S E D wird von ihren Gegnern immer wieder der lächerliche Vorwurf gemacht, daß sie eine „totalitäre" Partei sei, die die anderen Parteien „ a u f s a u g e n " und ein „Einparteiensyst e m " aufrichten wolle. Einen Beweis für diese Behauptung sind uns die Verfechter der „wahren Demokratie" freilich bis zum heutigen T a g e schuldig geblieben. Sie können ihn auch gar nicht erbringen, weil alle Tatsachen das gerade Gegenteil beweisen. „Totalitäre Partei?", N D 46,144,01 vom 10.10.46.
7. Churchill machte sich zum Wortführer der konservativen und imperialistischen Kreise Englands und der U S A und versah das wirkliche demokratische Volksregime mit dem Titel „Totalitarismus". I m Westen lehnen die S P D - F ü h r e r das einheitliche Handeln der Kommunisten und Sozialisten und die Bildung einer einheitlichen Arbeiterpartei ab. Sie vermeiden es, offen gegen die Einheit aufzutreten, u m die einfachen Arbeiter, die beharrlich zur Einheit streben, nicht von sich abzustoßen. Überall argumentieren sie, die Schaffung der Einheitspartei widerspreche der Demokratie, führe zum „Totalitarismus" und bahne der Diktatur einer Partei den Weg. N a c h der Meinung dieser SPD-Führer ist also die organisatorische und politische Zersplitterung der Arbeiterklasse, ihre Spaltung, eines der Prinzipien der Demokratie, wogegen die Vereinigung der Arbeiter in eine Partei zum „Totalitarismus" führen müsse. Dagegen spricht niemand davon, daß in England, w o nur eine Partei an der Macht ist, ein totalitäres Regime herrscht. „Die 8. Tagung des Parteivorstandes der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands / / Otto Grotewohl zur politischen Lage", N D 47,023,03 vom 28.01.47. 8. Die Labilität eines solchen weltpolitischen Gleichgewichts muß bei jeder der beiden größten Weltmächte das Verlangen hervorrufen, stark zu bleiben und innerhalb des eigenen
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Bereichs die größtmögliche Stabilität zu garantieren. Das ist für Rußland sehr viel leichter als für die USA. Der Sowjetstaat herrscht als totalitäre Macht nicht nur über die Sowjetbürger, sondern ebenso über die Staaten östlich des Eisernen Vorhangs. Die Krisenfestigkeit wird hier mit der Unfreiheit der Menschen und der Völker bezahlt, die Vollbeschäftigung mit beliebig harten Arbeitsbedingungen und, wenn es sein muß, mit beliebigem Hunger. Die USA dagegen sind ein Zentrum der Kraft und nicht der Macht. Die Regierung in Washington kann weder die eigenen Bürger noch die Staaten Amerikas und Westeuropas mit totalitären Methoden einsetzen. Sie kann es nicht und sie will es auch nicht: Der Gegensatz zwischen dem Westen und dem Osten besteht gerade darin, daß der Westen sich für die Freiheit und die Würde der Menschen und der Völker und gegen jeden Totalitarismus und Robotismus erklärt hat. Die USA können daher nur eine Ordnung freiwillig beschränkter Freiheiten bejahen. Eine Stabilität des Westens kann allein in gemeinschaftlicher Arbeit gewonnen werden. „Produktive Geschenke / / Die USA und die Stabilisierung des Westens", ZEIT 47,035,01 vom 28.08.47. 9. [Zwischentitel] Die ideologischen Fronten Wir bleiben uns durchaus der ideologischen Schwierigkeiten bewußt, die das Verhältnis zwischen Ost und West bestimmen. Diese Schwierigkeiten verursachen das Hin und Her in der Auseinandersetzung um das deutsche Schicksal. Wir wissen auch, daß sie nicht durch Bildung einer gesamtdeutschen Körperschaft von heute auf morgen aus der Welt zu schaffen sind. Wir sind im Gegenteil der Meinung, daß diese Auseinandersetzungen auch in dieser Körperschaft eine Rolle spielen werden. Und sie sollen auch eine Rolle spielen. Denn sie müssen ausgetragen werden. Will man die ideologischen Auseinandersetzungen, um die es geht, auf vereinfachende Formeln bringen, so muß man sagen: Die Auseinandersetzungen gehen im wesentlichen zwischen dogmatischem Marxismus mit seinem totalitären Willen einerseits, und einer Welt, der die persönliche Freiheit und das Recht der Persönlichkeit oberstes Gesetz ist. Das gilt auf politischem und auf wirtschaftlichem Gebiet. Diese Auseinandersetzungen, um die es vor allem auch in Deutschland geht, sind durch die Gegenwart der Besatzungsmächte noch um ein Beträchtliches verstärkt worden. Vor allem die ideologischen Gegensätze sind genährt und verschärft worden. Aber diese Gegensätze sind nicht dadurch zu lösen, daß man nun Deutschland mehr oder weniger zum Mittel in diesen Auseinandersetzungen macht. Deutschland muß vielmehr das Recht haben, in freier geistiger Entscheidung im eigenen Volkskörper diese Auseinandersetzung der Ideenwelten auszutragen. In freier geistiger Entscheidung. Das bedeutet in seiner Gesamtheit und im freien Fluß der Meinungen zwischen Ost und West und Süd. Träger dieser ideologischen Auseinandersetzungen sind im wesentlichen die Parteien. „Deutschland zwischen Ost und West / / Jakob Kaiser auf der Jahrestagung der Christlich-Demokratischen Union", NZ 47,209,04 vom 07.09.47. 10. In der Sendereihe „Freiheit gegen Totalitarismus" führte ein Sprecher der amerikanischen Militärregierung aus: [...]. „Die Einheit Deutschlands", TS 48,76,02 vom 02.04.48. 11. Die Geschichte des Antifaschismus in der Ostzone, die nicht mit der des Antitotalitarismus verwechselt werden darf, ist leicht geschrieben. Vier Parteien, befohlen, nicht gewach-
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sen, stehen an ihrem Anfang. Sie taten, was die eine wollte. Wenn sie sprach, hörte es sich an wie eine, und so existierten sie in fiktiver, friedlicher Gemeinsamkeit, bis das Schlagwort von der „Einheit der Arbeiterklasse" sie auf drei reduzierte. Seitdem hat die Entwicklung der CDU gezeigt, daß sich ein echtes politisches Bedürfnis — und Opposition in einer Demokratie ist nichts anderes - auch dann Geltung verschafft, wenn es nicht in das Schema paßt. Jetzt scheint das Ende dieser Entwicklung gekommen zu sein. Mit dem Schlagwort von der „Einheit des Vaterlandes" glaubt man, aus drei Parteien zwei machen zu können, und es genügt durchaus, wenn man zu diesem Zwecke die CDU von Jakob Kaiser trennt, denn dann wäre sie nicht länger mehr eine eigene Partei, sondern sänke genau wie die LDP auf das Niveau einer Filiale der SED herab. „Fiktion als Politik", TS 47,293,02 vom 16.12.47.
12. Die östliche „Volksdemokratie" hat die letzte Scheu abgelegt und den Geist des Nationalismus für ihre Zwecke beschworen. Damit findet sich auf der Possenbühne auch ein Toter: Der Antifaschismus, der, 1945 zum stereotyp wiederkehrenden Attribut erhoben, von den Kommunisten als Firmenschild gepachtet, nun auch propagandistisch beerdigt werden müßte. Man wird vergeblich auf den „flammenden Protest der aufrechten Antifaschisten" warten, man wird vergeblich annehmen, daß die VVN [Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus] im Namen der Opfer des Faschismus ihre Stimme gegen das erhebt, was sie bisher als ihren Todfeind bezeichnet hat. Man wird nur erneut konstatieren können, daß 1945 der Totalitarismus in der Ostzone nicht beseitigt wurde. „'Volksdemokratische' Tragikomödie", TS 48,139,02 vom 18.06.48.
13. Der Zonenausschuß der CDU., die höchste Parteiinstanz der CDU. in der britischen Zone, hielt in Lippstadt eine mehrtägige Sitzung ab und nahm vor allem zu der Frage der Sozialisierung Stellung. Der Zonenvorsitzende Dr. Adenauer hielt dazu ein Referat, in dem er das Problem der Sozialisierung als gegenwärtig besonders aktuell bezeichnet. Man spreche davon, daß dem neu zu schaffenden Deutschland, also einem noch nicht existierenden zentralen Staat, die Verstaatlichung übertragen werden solle. Damit würde diesem Staat eine größere Macht gegeben als sie der nationalsozialistische je besessen habe. „Die CDU.", so sagte Dr. Adenauer jedoch hierzu, „hält es angesichts der Mentalität der Deutschen nicht für angemessen, die Macht des Staates in einer die Freiheit gefährdenden Weise dadurch noch zu steigern, daß man dem Staat zu der politischen auch noch die wirtschaftliche Macht zuerkennt. Das ist der Weg zum totalitären Staat." „Zonenausschuß der CDU. zur Sozialisierung", RP 46,085,03 vom 23.12.46.
14. Nur eine kleine liberalistische Gruppe vertritt heute den Standpunkt, daß der „Bezugscheinsozialismus" oder die „Befehlswirtschaft", wie das heutige überspannte Bewirtschaftungssystem genannt wird, völlig abgeschafft werden könnte und sollte. Die aktivsten Kreise der Wirtschaft - früher hätte man wohl gesagt: die Vertreter des „Unternehmertums" - machen, wie unser westdeutscher Korrespondent im folgenden schildert, praktische Reformvorschläge. Nach einer Geldreform freilich [...] könnten sich neue Aspekte insofern ergeben, daß eine wirkliche „Lenkung" der Marktwirtschaft aufgebaut wird, vor allem von der Seite der Kreditpolitik her, während eine totalitäre Verwaltungswirtschaft, wie wir sie als Erbteil der vergangenen Jahre heute mitschleppen, dann entbehrlich erscheint. „Soziale Marktwirtschaft", ZEIT 47,031,07 vom 31.07.47.
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15. Unter Föderalismus verstehen die Zentralisten eine Spielart des Separatismus. Unter Zentralismus verstehen die Föderalisten den totalitären Staat. Ernst Friedlaender: „Föderalismus und Zentralismus", ZEIT 47,001,01 vom 02.01.47.
16. Heute, da der beispiellose Bankrott des totalitären Preußentums in seiner letzten und kaum mehr steigerungsfähigen nationalsozialistischen Verirrung unseren Erdteil in den Grundfesten erschüttert hat, da sich überall die Überzeugung durchzusetzen beginnt, daß die Zentralisierung und Militarisierung der deutschen Wirtschaftskultur und Volkskraft zwangsläufig immer wieder zu neuen Katastrophen treiben mußte, da man allgemein begreift, daß die Schaffung in sich ausgeglichener und deshalb ausgleichender Sozialorganismen erforderlich ist, da erscheint es notwendig, jene erst zwei Jahrzehnte zurückliegenden Erinnerungen wachzurufen. Albert Lötz: „Klarstellungen", RM 46,032,01-02 vom 02.07.46.
Umerziehung Schlagwort-Varianten: andere Varianten: verwandte Wortformen: häufige Verbindungen: Schlagwortfeld: Aktualität als Schlagwort:
re-education, Riickerçehung untergehen Entnazifizierung, Demokratie 1945-1947
Umerziehung ist der deutsche Ausdruck für das in den USA geprägte Konzept der re-education, das durch vornehmlich bildungspolitische Maßnahmen den Prozess der Demokratisierung in Deutschland fördern sollte. Die anderen Besatzungsmächte übernahmen das Konzept in Grundzügen, so dass Umerziehung in allen Zonen gebräuchlich war.
Wort- und Begriffsgeschichte648 Es handelt sich bei Umerziehung um eine Lehnübersetzung oder zumindest eine Lehnbedeutung zu engl, re-education. Die Prägung von engl, re-education für das Konzept, Frieden und Sicherheit durch Demokratisierung herbeizuführen, geht wahrscheinlich auf den amerikanischen Publizisten Leopold Schwarzschild und das Jahr 1939 zurück; der damalige US-Vizepräsident Henry Wallace machte das Lexem populär. Bungenstab beschreibt re-education als amerikanisches Schlagwort, das einerseits als griffige Formel für die eine Politik steht und das andererseits auch von einer Sinnendeerung betroffen war, insofern die praktische Politik den hohen moralischen Ansprüchen nicht genügte. Thema Die amerikanische Re-education-Politik nach dem Zweiten Weltkrieg war das positive Gegenstück zur Entnazifizierung und bedeutete die Unterstützung institutioneller Demokratisierungs-Maßnahmen auf geistigem Gebiet. „Unter dem Begriff Re-education wurden demnach alle diejenigen Maßnahmen zusammengefaßt, die darauf abzielten, auf der geistigen und emotionalen Ebene den Deutschen die Grundsätze, Prinzipien und Haltungen demokratischen Zusammenlebens verständlich zu machen".649 Ansatzpunkt der Umerziehungs-Politik war in erster Linie das Bildungswesen. Die anderen Besatzungsmächte übernahmen von den Amerikanern dieses Konzept, insbesondere den Konnex zur Demokratie und die Fokussierung auf Schul- und Hochschulausbildung. Unterschiede in den Westzonen ergaben sich in 648 Ich stütze mich für diesen Abschnitt auf BUNGENSTAB, S. 18 f. 649 BUNGENSTAB, S. 18.
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der Intensität der Maßnahmen, wobei die USA ihrem Sendungsbewusstsein entsprechend die größte Aktivität entfalteten. In der Ostzone dagegen führte die Sowjetunion die konsequenteste Umerziehung durch, jedoch auf der Basis eines anderen Demokratie-Verständnisses. Diskurs Knapp die Hälfte der insgesamt 21 Belege stammt aus dem Jahr 1945, aus allen Zonen, ausschließlich mit neutraler oder positiver Wertung und fast ausschließlich unter Verwendung des deutschen Lexems Umerziehung (¡re-education ist insgesamt nur viermal in zitierender Verwendung in den Westzonen belegt). Die übrigen Belege stammen aus den Jahren 1946/47, mehrheitlich aus den Westzonen und zeichnen sich dort durch einen zunehmend kritischen Ton aus. Aufkommen Schon im Mai 1945 berichten die amerikanischen Heeresgruppen-Zeitungen von ersten Erfolgen der Umerziehung in Aachener Schulen. [1] Zur gleichen Zeit benennen die Richtlinien des ZK der KPD die „allgemeine antifaschistische Umerziehung" als Aufgabe der zu schaffenden Parteizeitung. [2] Entfaltung 1945 wird Umerziehung als Schlagwort aufgegriffen. Die durchweg positiven Verwendungen kontextualisieren die Eckpunkte der alliierten Umerziehungs-Konzepte: Demokratisierung und Erziehungswesen. Ohne Unterschied trifft dies auf Äußerungen aus der Ostzone [3] wie aus den Westzonen zu [4], wobei die CDU sogar in ihren Frankfurter Leitsätzen Umerziehung als Ziel formuliert. [5] Ab 1946 mehren sich in den Westzonen kritische Stimmen zur Umerziehung. Es wird nun thematisiert, dass es sich um ein Konzept der Amerikaner (und Briten) handelt. Während die gute Absicht nicht in Frage gestellt wird, richtet sich die Kritik gegen den Umstand, dass die Umerziehung durch andere Maßnahmen, wie die These von der Kollektivschuld, konterkariert würde. [6, 7] Ebenso werden Zweifel an der Durchführbarkeit geäußert, jedenfalls in Bezug auf die Kriegsgeneration. [8] Abklingen und Nachwirkungen Nach 1947 sind keine Belege mehr im Korpus aufgefallen. Bungenstab führt aus, dass Amerikaner und Briten selbst zu dieser Zeit bereits vermieden, von re-education zu sprechen, das für deutsche Ohren wohl zu rigide klang und entsprechend hohe Erwartungen weckte; sie ersetzten es durch das unverbindlicher klingende re-orientation, das im Korpus jedoch nicht nachzuweisen war.650
650 Vgl. BUNGENSTAB, S. 18.
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Literatur BUNGENSTAB, Karl-Emst: Umerziehung zur Demokratie. Re-education-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945-1949. Düsseldorf 1970. Füssl, Karl-Heinz: Die Umerziehung der Deutschen unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945-1955. 2. Aufl. Paderborn 1995.
Belege l. 651 Die Londoner Zeitung „Star" berichtet aus dem obersten alliierten Hauptquartier: Amtlich wird hier die Ansicht vertreten, daß das Ergebnis der in Aachen gemachten Erfahrungen bei der Umerziehung von Kindern vom Nationalsozialismus vielleicht ermutigend ist. Heute sind bereits sechs Kindergärten in Aachen wieder eröffnet und es wird erwartet, daß die umgebildete Stadtverwaltung in Kürze vier Elementarschulen mit 25 Lehrern und 600 Kindern eröffnen wird. Das Ziel der Erziehung ist, die Wurzeln der nationalsozialistischen politischen und militaristischen Lehrsätze zu zerstören. Bevor eine Schule wieder eröffnet werden kann, wird die Zusicherung verlangt, daß kein Lehrer den Militarismus oder die Naziführer verherrlichen wird oder eine Unterscheidung wegen Verschiedenheit der Rasse oder Religion zuläßt. Außerdem darf kein Lehrer versuchen Prinzipien des Krieges oder der Kriegsvorbereitungen zu predigen. Die Turnstunde darf nicht so ausgebaut werden, daß sie zu einer militärischen Ausbildung wird. „Aachener Lehrer arbeiten an demokratischer Umerziehung", HZ/ Mitteilungen, Alliiertes Nachrichtenblatt der Alliierten 6. Heeresgruppe 45,005,03 vom 12.05.45. 2.
Richtlinien des ZK der KPD für die Arbeit der deutschen Antifaschisten in dem von der Roten Armee besetzten Gebiet vom 05.05.45 II. Aufgaben für das gesamte von der Roten Armee besetzte Gebiet: a) Herausgabe einer antifaschistischen deutschen Zeitung unter dem Namen „Deutsche Volkszeitung". [...] Die antifaschistischen, fortschrittlichen Kräfte sollen in der Zeitung zu Wort kommen, um die Einheit der fortschrittlichen Kräfte aus allen werktätigen Schichten, der Kommunisten, Sozialdemokraten, bürgerlichen Demokraten und Christen, auf neuer, antifaschistischer Grundlage zu schaffen. Die Zeitung soll die Bevölkerung im Geiste friedlicher Zusammenarbeit und Freundschaft der Völker, besonders mit der Sowjetunion, erziehen. Durch grundsätzliche Aufsätze ist die allgemeine antifaschistische Umerziehung zu fördern, besonders die Aufklärung über das Wesen des deutschen Imperialismus, des preußischen Militarismus und des Rassismus. Die Zeitung soll die Bevölkerung überzeugen, daß ehrliche Erfüllung der Wiedergutmachungsbedingungen, gründliche Liquidierung des Nazismus, Abkehr von der Naziideologie und von Revancheplänen, konsequente Demokratisierung des gesamten Denkens und Handelns sowie freundschaftliches Verhalten zur Sowjetunion und zu den anderen demokratischen Völkern die Voraussetzung ist für eine würdige Existenz des deutschen Volkes und für die spätere Rückkehr in die Gemeinschaft der Völker. UM EIN ANTIFASCHISTISCH-DEMOKRATISCHES DEUTSCHLAND, S. 5-11.
651 Die Meldung ist vollständig wiedergegeben.
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3. Nur ein langandauemder Friede gibt uns die Möglichkeit, durch demokratische Umerziehung unseres Volkes und durch ehrliche Arbeit an der Wiedergutmachung der angerichteten Schäden die Achtung der anderen Völker wiederzugewinnen und fur uns selbst eine neue Lebensbasis aufzubauen. Gerhard Kegel: „Instrument des Friedens", B Z 45,042,01 vom 03.07.45.
4. Die Engländer nennen es „re-education", — „Rückerziehung". Sie wollen damit sagen, daß die bisher faschistisch, autoritär regierten Völker zum Bewußtsein demokratischer Volksrechte gegenüber ihren Regierungen und zur Erweckung des humanitären Fühlens zurückerzogen werden müssen. „Der Einzelne", N H K 45,039,02 vom 30.10.45.
5. Frankfurter Leitsätze der CDU vom 01.09.45 [Zwischentitel] Das Schulwesen Die Umerziehung des deutschen Volkes beginnt mit der Umerziehung der Jugend, also mit der Umbildung der Schule. [...] Wir sehen eine Staatsschule vor, die den jungen Menschen auf der Grundlage einer aus den Werten der europäischen und deutschen Geschichte erwachsenen positiven humanitären Ethik bildet, eine Staatsschule, die nicht antichristlich und antikirchlich, sondern dem Geist des Christentums und anderen in unserem Bereich gewachsenen Strömungen offensteht. FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 36-45.
6. Die Kräfte der Besinnung im Deutschtum zu wecken, war Aufgabe einer weitblickenden Realpolitik der Alliierten. Sie faßte sie in dem Programm der „reeducation" zusammen. Und sie wurde eingeleitet durch die T h e s e v o n d e r d e u t s c h e n Kollekt i v s c h u l d . Der Anklage-„Schock", daß sie alle mitschuldig seien, sollte die Deutschen zur Erkenntnis der wahren Ursache ihrer Niederlage bringen. Man kann heute, fast ein Jahr nach Verkündigung der These, nur sagen, daß sie ihren Zweck verfehlt hat. Eugen Kogon: „Gericht und Gewissen", FH 46,001,28 vom April 1946.
7. In Ihrer wie in anderen Zeitungen lese ich viel von Umerziehung des deutschen Volkes. Ich habe die Hoffnung, daß eine solche Umerziehung wirklich stattfindet. Aber ich sehe keine Möglichkeit dazu. Das deutsche Volk ist krank, es ist vom nationalistischen bösen Geist besessen. Nun wird ihm von den Alliierten befohlen: „Sei rein!" Aber man tut nichts, um dem Patienten zu helfen. Man verordnet ihm löffelweise Abscheu vor sich selbst, das ist alles. Leserbrief von Dolf Kiesel: „Kranke Ärzte", S P I E G E L 47,009,22 vom 01.03.47. 8.
Eines Tages werden einige waghalsige Seiltänzer versuchen, über den Abgrund zu kommen, neue Taue zu knüpfen, vielleicht eine stabile Brücke zu errichten, auf der die jungen Deutschen in das gemeinsame europäische Lager kommen können. [...]
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Wit sehen im großen und ganzen nur zwei Mittel, mit Hilfe derer ein solcher Brückenbau möglich wäre. Eines ist heute in aller Munde. Es heißt „reeducation". Kein schönes Wort. Jedenfalls nicht viel schöner als das nationalsozialistische Wort von der „Umschulung". Hat man sich einmal wirklich vorgestellt, wen man rückerziehen will? Können junge Menschen, die sechs Jahre lang fast ununterbrochen dem Tod gegenüberstanden, noch einmal zu Objekten eines Erziehungsprozesses gemacht werden? Soll Erziehung, Bildung, Belehrung hier konkurrieren mit einer Erlebnissphäre, in der in jeder Stunde die ganze menschliche Existenz aufs Spiel gesetzt wurde? Andersch, Alfred: „Das junge Europa formt sein Gesicht", Ruf 46,001 vom 15.08.46, wieder in dtv, S. 21-26.
Unitarismus Zentralismus
Volk / VolksSchlagwort-Varianten: andere Varianten: verwandte Wortformen:
häufige Verbindungen: Schlagwortfeld: Aktualität als Schlagwort:
Volksarstf, Volksbeamter, Volksdemokratie, volkseigen, Volkskongress, Volkskontrolle, Volkspartei, Volkspolizei, Volksrichter, Volksschule, Volksstaat
1945-1949
Volk ist, in erster Linie als determinierender Bestandteil zahlreicher Komposita, ein hoch frequentes Schlagwort der Kommunisten bzw. in der SBZ. Entsprechend dem alten sozialistischen Begriff, der das Volk mit den Werktätigen identifiziert, kennzeichnet Volk den Paradigmenwechsel im Sozialismus: Während ein Lexem wie Polizei als Simplex mit der kapitalistischen Ordnung verbunden wird, weist das Bestimmungswort Volks- der Polizei ihre Aufgabe im neuen Staat zu als "Polizei aus dem Volk, fur das Volk'.
Wort- und Begriffsgeschichte Volk hat historisch zwei Grundbedeutungen: 1. 'Menschenmenge' und 2., in erweiterter Bedeutung 'eine durch gemeinsame Kultur und Geschichte verbundene Menschengruppe, Nation'. Als spezielle Varianten von 2. nennt PAUL u.a. a) 'die unteren Volksschichten' wie in das gemeine Volk (dazu z.B. Volksschule und Volkshochschule), b) Volk „aufwertend auf das Ursprüngliche, Bodenständige bezogen, bes. durch Herder", wie in ein Mann aus dem Volk, und c) 'auf das Gemeinwesen bezogen' wie in Volksherrschaß.^2 Die ideologiesprachliche Verwendung geht einerseits auf die Französische Revolution zurück, andererseits auf die (deutsche) Romantik, wobei der Meinungsgehalt jeweils positiv ist. Bezeichnete Volk im 18. Jh. noch die Summe der Untertanen eines Fürsten653, so wandelte sich der Begriff im Gefolge der Französischen Revolution in dem 652 Vgl. PAUL, s.v. „Volk". 653 Vgl. DIECKMANN, Information oder Überredung, S. 96 ff. Volk war im 19. Jh. der staatsrechtliche Begriff, dem als ethnologischer die Natío« — 'Gemeinsamkeit derer mit gleicher Abstammung, Kultur, Sprache' — entsprach.
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Maße, wie aus Untertanen Staatsbürger wurden. „Die neue Auffassung spiegelt sich in Wortneubildungen wie Volksmajestät, Volkssouveränität, Volkswillen, Volksvertreter, Volksmann etc. - Volk ist jetzt die Gesamtheit der Staatsbürger, wobei in der Praxis die Tendenz besteht, das Volk auf den Dritten Stand, das Bürgertum zu beschränken."654 Diesen Volksbegriff nennt Dieckmann vereinfachend den liberalen. Die sozialistische Bewegung übernahm ihn im Kern, identifizierte mit Volk aber die arbeitenden Klassen, bzw. schloss die im Kapitalismus Herrschenden aus dem Bedeutungsumfang aus. Der andere Strang ideologiesprachlicher Verwendung ist der romantische Volksbegriff, „dem die Neubildungen Volkstum, volkstümlich, [...] Volkscharakter, Volksgeist, Volksseele, Volkskörper, Volkheit, völkisch, volklich u.a. zuzuordnen sind. Das Volk wird in ihnen a) als eine natürliche Einheit angesehen, b) als Überperson mit eigener Existenz und personalen Eigenschaften begriffen."655 Was die „natürliche Einheit" ausmacht, sind die gemeinsame Abstammung, Geschichte, Sprache und Kultur. In der „Konservativen Revolution" der Weimarer Republik wurde der romantische Volksbegriff neu belebt und als Schlagwort gebraucht. Die deutschnationale Rechte propagierte die metaphysische Einheit des Volkes mit eigener Individualität und richtete sich so gegen den demokratischen Staat, der von nicht mehr als einer Summe von Individuen getragen werden sollte. Diese wurde von den Konservativen als Masse abgewertet.656 Von den Nationalsozialisten wurde dieser mythische Volksbegriff um eine biologistische Komponente erweitert, indem sie Volk in einen Zusammenhang mit Rasse und Blut stellten.657 In dieser „völkischen" Ausprägung war Volk (wenigstens seit 1929) ein zentrales Schlagwort der NSDAP. „Allgemein ist nach 1933 eine explosive Zunahme der Bildungen mit Volk und völkisch zu verzeichnen."658 Während zu Weimarer Zeiten der romantische und völkische Volksbegriff als Schlagwörter dominierten, verwendete die SPD Volk weiterhin positiv im liberalen, staatsbürgerlichen Sinne und „warb mit Volksstaat und Volksherrschaft für die demokratische Republik"659. Die KPD verwendete 1929-1934 statt des von der Rechten besetzten Volk eher Masse im positiven Sinne.660 Die zentrale Stellung von Volk im Vokabular der deutschen Kommunisten nach dem Dritten Reich geht nach Bartholmes auf internationale sprachliche Entwicklungen im kommunistischen Lager zurück: 654 655 656 657 658
DIECKMANN, Information oder Überredung, S. 97. DIECKMANN, Information oder Überredung, S. 97. Mehr dazu bei CLASON, S. 126-134. Vgl. SCHMITZ-BERNING, s.v. „Volk", „völkisch", und zahlreiche Derivative von Volk. SCHOTTMANN, s.v. „Volk, Einheit, Volksgemeinschaft", S. 485. Zu den zahlreichen Derivativen vgl. SCHMITZ-BERNING. 659 SCHOTTMANN, s.v. „Volk, Einheit, Volksgemeinschaft", S. 484. 660 Vgl. SCHOTTMANN, s.v. „Volk, Einheit, Volksgemeinschaft", S. 484.
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„Von Volksfront sprach Thälmann schon am 11.6.31 (Kampfreden, Berlin 1931, S. 47), Bedeutung gewann dieser Begriff jedoch erst 1934, als Thorez am 9.10.34 mit der Parole Front Populaire eine Erweiterung des Kurses der Hmheitsfront ankündigte und damit eine neue Periode vor allem französischer und spanischer Geschichte einleitete. Volksgerichte (ein Wort mit älteren Wurzeln) gab es in der Sowjetunion (narodnyj sud), es gab solche auch 1936 in Spanien und 1945 in Dresden, bevor die SMA auf Grund eines Kontrollratbeschlusses am 20.10.45 diese Bezeichnung verbot. Die Bezeichnung Volksrichter dagegen wurde eingeführt. Über die Hälfte der nachstehenden Zusammensetzungen und Fügungen sind im Deutschen vor 1945 - abgesehen von einzelnen kommunistischen Publikationen über die Sowjetunion - nicht belegt. Sie wurden nach sowjetischem Vorbild geformt und sind als Namen staatlicher Einrichtungen in den aktiven Wortschatz weiter Kreise gedrungen."«!
Thema In allen Parteien herrschte die Überzeugung, die Herrschaft der Nazis sei gegen das Volk gerichtet gewesen. Ziel fast aller politischen Parteien und Gruppierungen war es, volksnah zu sein, in bewusster Abkehr vom Nazismus.
Diskurs Als Hochwertwort wird Volk nach Ende des Dritten Reiches allgemein gebraucht. Der Schwerpunkt der Verwendung liegt jedoch in der Ostzone, ab 1946 bei der SED.
Aufkommen Die ersten Belege für Volk oder für Komposita mit Volk stammen vom Juni 1945.
Entfaltung Volk allein ist nur bedingt als Schlagwort anzusehen. Es erscheint als Hochwertw o r t - oft in der Fügung deutsches Volk — in mehreren Parteiprogrammen und Aufrufen der frühen Nachkriegszeit, namentlich im Aufruf der Ost-CDU [1], der Freien Demokraten [2] und der Christlich-Sozialen Volkspartei in Stuttgart 662 . Das biologistische Moment, das den nationalsozialistischen Ko/kr-Begriff bestimmt hat, ist eliminiert, statt dessen begegnet wieder der ältere liberale bzw. sozialistische Begriff. Die auffällige Berufung auf das Volk impliziert den Vorwurf, dass die Nationalsozialisten das Volk missachtet haben, und insofern liegt im Gebrauch von Volk nur eine scheinbare Kontinuität. Vielmehr wird der „richtige" Volks-Bcgnff wieder restauriert. Vor allem die Kommunisten betonen immer wieder die Kluft, die zwischen dem Volk und den Machthabern bestand. [3, 4] Die KPD bezeichnet sich selbst
661 BARTHOLMES, Tausend Worte Sowjetdeutsch, S. 24. 662 Die Christlich-Soziale Volkspartei paraphrasiert den Aufruf der Ost-CDU.
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als die Partei des Volkes [5], die SED prägt den Slogan Durch das Volk, mit dem Volk, für das Volk.663 Von anderen Gruppen unterscheidet der SED-Gebrauch sich nur durch seine außerordentlich hohe Frequenz. Der TS konstatiert, dass alle Parteien, die sich vor der Berliner Wahl im Oktober 1946 vorstellen dürfen, eigentlich die oben genannte Devise übernehmen könnten, erbittet aber jeweils Definitionen, was unter Volk verstanden wird. [6] Während keine Partei dieser Bitte nachkommt, distanziert sich die SPD von der plakativen Verwendung des Lexems. [7] Zum Schlagwort wird Volk vornehmlich als determinierender erster Bestandteil zahlreicher Komposita. Der Schlagwort-Charakter entsteht dadurch, dass jeweils durch das Determinans eine Opposition zum Simplex hergestellt wird. Ein Volksrichter ist also im Gegensatz zum herkömmlichen Richter einer, der etwas mit dem Volk zu tun hat; die Existenz einer Volksdemokratie impliziert, dass die normale, nicht determinierte Demokratie den Bestandteil Volk irgendwie entbehrt. Die Komposita aktualisieren verschiedene Bedeutungsaspekte von Volk·. 1. Volk steht für 'das ganze Volk' in Volksstaat oder Volkspartei. Mit beiden verbindet sich die Forderung, ideologische, Standes- oder Klassen-Gegensätze zu überbrücken. In diesem Sinne wird Volk von den nicht-kommunistischen Parteien gebraucht. 2. Volk steht für 'das einfache Volk' in Volksschule und Volkshochschule. Diese Bedeutung ist nicht zeittypisch, Lexeme gehören schon vor 1945 fest dem deutschen Wortschatz an. 3. Volk steht für Volkstümlich, volksverbunden' in Volksar^t, Volkslehrer, Volkspolizei, Volksrichter usw. Diese vor allem von der SED verwendeten Komposita betonen die gewünschte enge Bindung zwischen einfachem Volk und bislang privilegierten Berufen, die u.a. mit einer stärkeren Öffnung der Ausbildungsgänge für Personenkreise erreicht werden soll, die nach ihrer bisherigen Schulbildung nicht qualifiziert sind, aber über eine antifaschistisch-demokratische Gesinnung verfügen. Die Volks-Bemfe beinhalten daher immer auch ein politisches Moment. 4. Volk im Sinne des alten sozialistischen Volksbegriffs ist Bestandteil von Volksdemokratie, Volkseigentum, usw., und zeigt den Gegensatz zu den im Kapitalismus herrschenden Verhältnissen an. Auch diese Art der Verwendung ist SEDtypisch. Die Komposita werden als besonderes Merkmal der SED-Sprache rezipiert und kritisiert. [8] Obwohl der Begriff ein anderer ist, liegt gerade in der Vielzahl der Komposita eine Kontinuität zur Nazi-Sprache, die den Zeitgenossen nicht verborgen bleibt. [9] Einzelnen Komposita sollen im Folgenden separat behandelt werden, da sie unterschiedlichen Themen und Diskursen zuzuordnen sind.
663 Z.B. in „Des Volkes Wille ist oberstes Gesetz // Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zu den Gemeindewahlen 1946", N D 46,057,03 vom 30.06.46.
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1. Volkspartei Auch wenn sich die KPD/ SED als Partei des Volkes versteht [5, 10], etabliert sich das Lexem nur im Westen Deutschlands. Die Unionsparteien bezeichnen sich als Volksparteien bzw. streben an, solche zu werden, in der SPD ist das Lexem umstritten. [7,11] Ferner haben die „Christlich-Soziale Volkspartei" in Stuttgart und die „Christliche Volkspartei" im Saarland (beide später CDU) das Lexem zum Bestandteil ihres Namens gemacht. Älter ist bereits der Name Demokratische Volkspartei (später FDP). [12] Bei SPD und Union hat sich die Bezeichnung Volkspartei durchgesetzt und bis heute gehalten. Volksstaat Der Volksstaat ist das Gegenteil des Obrigkeitsstaates, und wahrscheinlich eine Lehnübersetzung von Demokratie.664 In der konkreten Situation von 1945 ist Volksstaat das Gegenteil der Nazi-Diktatur. Wilhelm Schäfer definiert in DR: „Der moderne Volksstaat ist die Zusammenfassung aller möglichen Bekenntnisse, Weltanschauungen, Parteien und Verbände. Er ist auf Leben und Sterben gezwungen, alle diese Volksteile zu gemeinsamer Arbeit, zu einem friedlichen Nebeneinander und Miteinander zu bringen, sie zur Toleranz zu erziehen."665 Auffällig häufig wird von den nicht-kommunistischen Parteien die Errichtung eines Volksstaates gefordert, ein wahrer Volksstaat [2], ein Volksstaat im Gegensatz zum Klassenstaat [13], ein socialer Volksstaat. [14, 15] Trotzdem markiert der DUDEN 10 das Lexem als „bes. kommunist.", wohl auf Grund älterer Phasen des Gebrauchs.666 Laut Bartholmes wurde in „der SED-Sprache [...] Volksstaat als Bezeichnung für den eigenen Staat nicht verwendet."667 Das WDG fuhrt Volksstaat nicht. 2. Volksschule Die Volksschule wird gelegentlich durch die emphatische Betonung des Wortbestandteils Volk in den Schlagwortkreis mit hereingezogen. [16] 3. Volksarzt Als Bezeichnung eines volkstümlichen oder auch eines ungelernten Arztes ist Volksang schon fur das 19. Jh. belegt.668 Die SED greift das Lexem auf und wirbt 1947 für die Schnellausbildung zum Volksarzt, dessen Aufgabe nicht nur in der medizinischen Betreuung, sondern auch in der politischen Schulung bestehen soll. 664 Vgl. "BROCKHAUS, s.v. „Volksstaat": „Nach 1918 führten Württemberg und Hessen amtlich den Namen V." 665 „Zum Aufbau des neuen Staates // Betrachtungen und Gedanken von Wilhelm Schäfer, Vorsitzender des Bundes der freireligiösen Gemeinden der Pfalz", DR 45,008,03 vom 24.10.45. 666 „Der Volksstaat" war seit 1869 das Zentralorgan der Sozialistischen Arbeiterpartei. Vgl. WÖGE, s.v. „Volksstaat". 667 BARTHOLMES, Das Wort "Volk', s.v. „Volksstaat". 668 Vgl. BARTHOLMES, Das Wort 'Volk', s.v. „Volksarzt".
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War es auf anderen Gebieten schon bedenklich, wenn der Laie mit der richtigen Gesinnung dem Experten mit der falschen vorgezogen oder gleichgestellt wurde, so erwies sich der in Schnellkursen ausgebildete Volksarzt als nicht für die Praxis geeignet. Die Politisierung des Arztberufes ist auf heftige Kritik gestoßen, und nicht von ungefähr mussten Kritiker im Volksarzt - nur kurz nach dem Nürnberger Ärzteprozess — Parallelen zum Dritten Reich sehen. Es sind allerdings nur zwei kritische Belege im Korpus enthalten. [9, 17] Letztlich hat sich Volksar^t auch nicht etablieren können: Kein Wörterbuch verzeichnet das Lexem. Volksbeamtentum Nur belegt 1945 in DM. [18] Impliziert ist der Vorwurf der Volksferne an die bisherige Verwaltung. Es muss sich um eine Ad-hoc-Bildung handeln, denn nicht einmal BARTHOLMES, Das Wort Volk', verzeichnet das Lexem. Volkspolizei 1945 wird in Berlin unter dem Kommando von Oberst Markgraf die Volkspolizei gegründet. Getreu der Devise Aus dem Volk für das Volk soll die Volkspolizei kein Repressionsinstrument der Machthaber sein, sondern dem Volk verbunden bleiben. [19] Zwar ist die Volkspolizei zum Spezifikum der SBZ/ DDR geworden - so markieren es auch alle Wörterbücher —, mit ähnlicher Zielsetzung ist im Ruhrgebiet 1945 jedoch auch vorübergehend eine Volkspolizei geschaffen worden. [20] Volksrichter „Die deutsche Justiz soll ihren bürokratisch-juristischen Charakter abstreifen und volkstümlichen und volksmäßigen Charakter annehmen."669 Dieses von Kommentator des liberalen „Morgen" ausgegebene Ziel sollte durch die Stärkung des Laienelements in der Rechtsprechung erreicht werden, nachdem die Justiz im Dritten Reich, aber auch schon früher, als Repräsentanz des Obrigkeitsstaates galt. Seit Ende 1945 wurden in der SBZ Laienrichter in Kurzlehrgängen ausgebildet, und die DDR hielt bis 1952 an diesem Konzept fest. Ihre Volksnähe bestand wie bei den Volksärzten in der richtigen politischen Einstellung.670 Auch wenn genau das Gegenteil beabsichtigt war, frappiert doch die lexikalische Nähe zum Volksgerichtshof des Dritten Reiches. [21] Während der 16BROCKHAUS (1957) Volksrichter noch als Lemma führt, bleibt das Lexem in allen anderen Wörterbüchern und Lexika unerwähnt.
669 Dr. Schiffer: „Rechtssicherheit in der Demokratie", DM 45,053,02 vom 03.10.45. 670 Vgl. BARTHOLMES, Das Wort 'Volk', s.v. „Volksrichter". Bartholmes gibt als frühesten Beleg des Lexems die „Grundsätze und Ziele der SED" vom April 1946 an. Zur Sache vgl. VOLKSRICHTER IN DER SBZ/ DDR 1945 BIS 1952.
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4. Volksdemokratie Volksdemokratie ist ein Pleonasmus, weil gr. demos ohnehin Volk' bedeutet. Die Bildung ist — obwohl nicht sehr glücklich — deshalb nicht abwegig, weil sie den Vorwurf impliziert, dass in der alten, westlichen Demokratie, die im Marxismus als Herrschaftsform des Kapitalismus interpretiert wird, das Volk nur scheinbar herrscht. In der Volksdemokratie dagegen herrscht es tatsächlich. Diese Unterscheidung verfestigt sich in zwei Schlagwort-Varianten Demokratie).
Der Vofcikoojreä U n i t . . . Abbüdung 21: Z E I T 48,003,01 vom 15.01.48
Volkskonmss67'1 Am 26.11.47 lädt der Parteivorstand der SED Vertreter der antifaschistisch-demokratischen Parteien, der Massenorganisationen und auch Vertreter der westdeutschen Parteien zum „Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden" am 6. und 7. Dezember 1947 nach Berlin ein. Anlass für die Bildung des Volkskongresses ist es, der gerade tagenden Londoner Außenministerkonferenz deutsche Forderungen nach Aufhebung der Zonengrenzen und einem Friedensvertrag vorzulegen. Der als Repräsentation des Volkes bezeichnete Volkskongress wird in Westdeutschland als SED-Inszenierung angesehen [25], ebenfalls von der OstCDU, die sich einer Teilnahme versagt. Der Zweite Deutsche Volkskongress (März 1948) wählte den Deutschen Volksrat als eine Art Vorparlament, das eine Verfassung ausarbeitete und sie dem Dritten Deutschen Volkskongress zuleitete, der sie am 25. Mai 1949 annahm.
671 Vgl. auch BARTHOLMES, Das Wort "Volk', s.v. „Volkskongreß".
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volkseigen / Volkseigentum / Eigentum des Volkes Volkseigen, diese laut Bartholmes „fruchtbarste der in der SED-Terminologie gebrauchten Zusammensetzungen mit Volk"612 ist ein Neologismus673 und dient ab 1945 als Attribut für entschädigungslos enteigneten und verstaatlichten Betriebe in der SBZ/ DDR. Ehe das Adjektiv aufkommt und ungeheuer produktiv in der Wortbildung wirkt, verwendet die SED Eigentum des Volkes, so auch in der gesamten Kampagne, die den „Volksentscheid über die Überfuhrung der Betriebe von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes" am 30. Juni 1946 in Sachsen begleitet. Auch das entsprechende Gesetz bleibt bei diesem Wortgebrauch. Die ersten Belege von volkseigen / Volkseigentum im Korpus stammen vom Herbst 1947. [22, 23] Doch erst 1948 setzt sich volkseigen gegen Bezeichnungskonkurrenten wie landeseigen offiziell durch.674 [24] Volkskontrolle Mitte 1947 ruft die SED die Volkskontrolle als eine Art „Bewegung" ins Leben, teilweise organisatorisch verfestigt in den Volkskontrollausschüssen. Gemeint ist die „gesellschaftliche Kontrolle der Durchführung von Beschlüssen der Partei und der Staatsorgane"675, hauptsächlich in der Wirtschaft. Volkskontrolle, in der SBZ als 'Kontrolle durch das Volk' propagiert, wird im Westen, das semantische Potenzial ausnutzend, als 'Kontrolle des Volkes (durch die Partei, den Staat)' interpretiert. [23] Abklingen und Nachwirkungen Viele der SBZ-Bildungen mit Volk bleiben okkasionell. Von den hier erwähnten sind Volksançt und Volksbeamter und auch Volkskongress nicht in 14DUDEN OST (1951) enthalten. Ansonsten bestätigt sich bei der Durchsicht der RechtschreibWörterbücher die Differenz von östlichen und westlichen Ke/Ar-Komposita: Volksdemokratie, volkseigen, Volkskontrolle, Volkspolizei und Volkrichter finden sich ausschließlich im 14DUDEN OST, während Volksschule und Volksstaat nach der 13. Auflage von 1947 erst wieder im 14DUDEN WEST (1954) aufgenommen sind. In der weiteren Entwicklung ist eine Pejorisierung von Volk im Westen zu beobachten. Der negative Meinungsgehalt rührt in erster Linie von der Verwendung im Dritten Reich her; daneben spielt wohl auch die Volksmusik, die im Vergleich mit der neuen Rock-/ Pop-Musik ausgesprochen konservative Züge trägt, eine Rolle. 672 BARTHOLMES, Das Wort 'Volk', s.v. „volkseigen". 673 BARTHOLMES, Das Wort 'Volk', s.v. „volkseigen", weist zwar nach, dass der Ausdruck älter ist, jedoch nichts mit der sozialistischen Bedeutung zu tun hat. 674 Vgl. BARTHOLMES, Das Wort Volk', s.v. „volkseigener Betrieb". 675 WDG, s.v. „Volkskontrolle"
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1989 begegnet Volk verstärkt in den Parolen der Oppositionsbewegung der DDR: Wir and das Volk und später Wir sind ein Volk. Diese Parolen sind im Hinblick auf diese Arbeit sehr interessant: Zum einen verblüfft den westlichen Beobachter der unbefangene Umgang mit Volk, der so in der BRD zum gleichen Zeitpunkt nicht möglich war. Darin offenbart sich die ideologische Polysemie des Lexems, das im sozialistischen Staat DDR ganz anders aufgefasst wurde als im Westen und eben nicht verpönt war. Wenn die DDR-Opposition also Volk als Schlagwort gebrauchte, handelte es sich um eine Auseinandersetzung mit der Ost-Variante von Volk. Zum anderen zeigt sich in der späteren Parole Wir sind ein Volk die lange deutsche Tradition als ungebrochen, das Gemeinwesen mit dem Volk zu identifizieren, denn was gefordert wurde war ja ein Deutschland, war ein Staat, in welcher Form auch immer.
Literatur BARTHOLMES, Herbert: Das Wort Volk' im Sprachgebrauch der SED. Wortgeschichtliche Beiträge zur Verwendung des Wortes "Volk' als Bestimmungswort und als Genitivattribut. Düsseldorf 1964. (Die Sprache im geteilten Deutschland; 2) Gschützer, Fritz/ Kosellek, Reinhart/ Schönemann, Bernd/ Werner, Karl Ferdinand: Artikel „Volk, Nation, Nationalismus, Masse". In: GESCHICHTLICHE GRUNDBEGRIFFE, Band 7 (1992), S. 141-431. SCHOTTMANN, s.v. „Volk, Einheit, Volksgemeinschaft", S. 475-503. VOLKSRICHTER IN DER SBZ/ DDR 1945 BIS 1952. Eine Dokumentation. Hg. u. eingeleitet v. Hermann Wentker. München 1997.
Belege 1. Aufruf der Ost-CDU vom 26.06.45 Deutsches Volk! In der schwersten Katastrophe, die je über ein Land gekommen ist, ruft die Partei Christlich-demokratische Union Deutschlands aus heißer Liebe zum deutschen Volk die christlichen, demokratischen und sozialen Kräfte zur Sammlung, zur Mitarbeit und zum Aufbau einer neuen Heimat. Aus dem Chaos von Schuld und Schande, in das uns die Vergottung eines verbrecherischen Abenteurers gestürzt hat, kann eine Ordnung in demokratischer Freiheit nur erstehen, wenn wir uns auf die kulturgestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums besinnen und diese Kraftquelle unserem Volke immer mehr erschließen. FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 27. 2.
Programmatische Richtlinien der Freien Demokratischen Partei vom 04.02.46 3. Im Innern soll das Reich als Staat des deutschen Volkes ein wahrer Volksstaat sein, der sich jeglicher Diktatur widersetzt und keine Reste des alten Obrigkeitsstaates mehr duldet. Völlige Rechtssicherheit soll die Freiheit des Staatsbürgers schützen. Es soll nur ein Recht
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in Deutschland geben, ein gleiches Recht für alle, ohne Ansehen der Person, des Standes, der Konfession, der Rasse und des Geschlechts. FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 272. 3. So war die preußische Verwaltungsmaschine gekennzeichnet durch den steifen, volksfremden und oft genug volksfeindlichen Beamten, der sich als Angehöriger einer besonderen, höheren Kaste fühlte, sich von dem kleinen Mann, dem Mann von der Straße sorgfaltig distanzierte und jede Berührung mit dem Volke vermied, und der in seinem Beruf nur eine Bürde, eine Last sah, die man eben seiner Karriere wegen tragen mußte. Das Verwaltungssystem der Nazis, das die verbrecherische Raubpolitik dieser Banditen zu ermöglichen und durchzuführen hatte, war eine Peitsche in der Hand der großen und kleinen Führer, um das deutsche Volk auf ihrem Wege vorwärtszutreiben. Speichelleckerei und Karrieremachen, Korruption, Schwindel und Verbrechertum im Verwaltungsapparat sowie beispiellose Niedertracht und brutaler Zwang dem Volke gegenüber - das war der Stil des faschistischen Verwaltungssystems. Der neugeschaffene deutsche Verwaltungskörper in der Sowjetzone hat selbstverständlich nun auch seinen eigenen Arbeitsstil, der seinen Grundsätzen und seinen Zielen entspricht: eben den demokratischen Arbeitsstil. Das Grundlegende ist vor allem die Erkenntnis, daß der Verwaltungsapparat fur das Volk da ist und nicht umgekehrt, und daß jeder Beamter, vom kleinsten Angestellten bis zum Direktor, unmittelbar Diener am Volke ist. Er ist also nicht nur seinem Chef verantwortlich, sondern dem Volksganzen. Um diese Verantwortung aber tragen zu können, genügt es nicht, daß er seine Pflichten nur kennt, er muß sie auch politisch verstehen, er muß seinen Beruf wirklich als eine Berufung ansehen und von tiefem Verantwortungsbewußtsein durchdrungen sein. „Für einen demokratischen Arbeitsstil", TR 45,134,01 vom 17.10.45. 4. In die neuen Amtsstuben sind antifaschistische Beamte oder Staatsangestellte eingezogen, die ihren Dienst in aufrichtiger demokratischer Weltanschauung versehen und sich bemühen sollen, ihre Anordnungen und Entschließungen mit dem wahren Volkswillen und dem wirklichen Volksbesten in Übereinstimmung zu bringen. [...] Ein frischer Wind weht durch unsere neuen Amtsstuben. Sorgen wir dafür, daß er diese von allem Dunst der Vergangenheit endüftet und daß Beamtentum und Publikum gemeinsam die Ämter mit demokratischem Geist und demokratischem Wesen erfüllen. Dann können auch Volkseinheit und Volkswohlstand auf die Dauer nicht ausbleiben. Werner Kauffmann: „Beamtentum und Publikum", DV 46,002,01-02 vom 04.01.46. 5. Genösse Ulbricht hat auf der Bezirkskonferenz von Groß-Berlin die Kommunistische Partei Deutschlands die Partei des Aufbaus, die Partei des Volkes genannt. Jeder Kommunist muß sich der hohen Verantwortung bewußt sein, die in der Zugehörigkeit zu dieser Partei zum Ausdruck kommt. „Die Bewährungsprobe", DVZ 45,018,01 vom 03.07.45. 6.
[Der TS forderte im Vorfeld der Wahlen in der Ostzone und in Berlin die Parteien - auch Westparteien - auf, sich selbst darzustellen. Dazu erhielten die Parteien einen Brief, in dem u.a. Folgendes stand:]
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Da alle Parteien wohl das Motto annehmen können, das kürzlich von dem Vorsitzenden der Sozialistischen Einheitspartei, Otto GrotewohL, aufgestellt wurde: „Alles durch das Volk, mit dem Volk und für das Volk", so scheint uns hier die Linie zu liegen, auf der die einzelnen Parteien das, was sie gemeinsam haben, und das, was sie voneinander unterscheidet, mit besonderer Klarheit darlegen können. Wichtig wäre vor allem eine Definition des Begriffes „Volk". Wichtig wäre auch zu erfahren, welches Wahlsystem die Parteien im einzelnen begünstigen, wie sie sich die künftige parlamentarische Arbeit im einzelnen denken und wie sie die Ansprüche des einzelnen Staatsbürgers mit etwaigen Lenkungsnotwendigkeiten des Staates (soweit sie solche anerkennen) in Einklang bringen möchten. Schließlich wäre ganz besonders wichtig die genaue Deutung der Begriffe sozialistisch, christlich (im politischen Sinne), demokratisch und liberal, wie sie in der Arbeit der Parteien und in der praktischen Stellung zu Tagesfragen zum Ausdruck kommen soll. TS 46,195,02 vom 22.08.46.
7. Die Sozialdemokratie lehnt die verwaschene und von den Reaktionären jeder Richtung stets mißbrauchte Bezeichnung als Volkspartei ab. Die Parole „Alles durch das Volk, mit dem Volk und für das Volk" ist zu billig und führt irre, wenn „das Volk" nichts zu sagen hat. Gustav Klingelhöfel 076 : „Die Sozialdemokratische Partei", TS 46,213,02 vom 12.09.46. 8.
Die Frage, die das Berliner Blatt [die BZ] stellt, und die Antwort, die es gibt, entbehren der gesunden Logik freien Denkens. In seinen Spalten entwickelt sich immer mehr jene merkwürdige Abart der Logik, die man in zeitgemäßer Sprachschöpfung etwa „Volkslogik" nennen könnte. Sie verhält sich zu der Logik an sich wie die Volksdemokratie der SED zu Demokratie unserer Prägung. Das ist in beiden Fällen nicht unser Geschmack „Wer ist eigentlich die Union?", NZ 47,284,01 vom 05.12.47. 9. Das Dritte Reich liebte es, mit dem Wort „Volk" verschwenderisch umzugehen. [...] Zwar mußte die „Volksverbundenheit" es hinnehmen, daß der volksnahe Führer nur in einer donnernden Wolke motorisierter Polizei die Begeisterung der Seinen in der Wilhelmstraße zu ertragen vermochte. Je mehr dem aber so war, um so unentbehrlicher wurde die demonstrative Plakatierung des „Volkes" in jeder nur möglichen Verbindung. [...] Eines aber ist auch dem Dritten Reich nicht gelungen: Die Schaffung des - Volksarztes! Hier hat nun offenbar das Vierte Reich seine große Chance, - jedenfalls wie die SED es sieht. Und so vernehmen seine demokratischen Bürger denn mit Staunen, die entnazifizierten Pg's wahrscheinlich mit brennendem Neide, folgende Meldung des Deutschen Pressedienstes: Für die Schaffung eines neuen Arzt-Typs, des aktiv am politischen Leben teilnehmenden Volksarztes, trat auf einer Gesundheitskonferenz der SED in Halle Hugo Graef vom Zentralsekretariat der SED ein. „Dem Volksarzt fallt auch die wichtige Aufgabe zu, den Patienten politisch zu beeinflussen", erklärte Graef und machte den Ärzten zum Vorwurf, sie hätten den Kontakt zum Volke verloren und sich durch den Zwang zum Geldverdienen in eine unwürdige Stellung gebracht. ZEIT 47,020,03 vom 14.05.47.
676 Leiter des politischen Büros der SPD Berlin.
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10. Getragen von dem hohen Verantwortungsgefühl gegenüber unserem Volke und dem demokratischen Neuaufbau unserer deutschen Heimat, bekundet die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands zu den bevorstehenden Gemeindewahlen ihren Willen zur Errichtung einer antifaschistisch-demokratisch-parlamentarischen Republik. Nicht Föderalismus, nicht Partikularismus, unser Ziel ist der demokratische Aufbau Deutschlands als Einheitsstaat mit dezentralisierter Verwaltung in den Ländern. Zur Verwirklichung dieses großen Zieles ist die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands bereit, mit allen ehrlichen antifaschistisch-demokratischen Kräften und Parteien unseres Volkes zusammenzuarbeiten, f...] Durch das Volk, mit dem Volk, für das Volk „Des Volkes Wille ist oberstes Gesetz // Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zu den Gemeindewahlen 1946", ND 46,057,03 vom 30.06.46.
11. Über die SPD in den kommenden Wahlen sprach Wilhelm Κ η o t h e [SPD-Großhessen]: „Für uns ist die Demokratie kein Lippenbekenntnis oder eine t a k t i s c h e G e g e n w a r t s e i n s t e l l u n g . Demokratie bedeutet Humanismus und Duldung, allerdings ohne ihrem Gegner die Möglichkeit zu geben, die Demokratie wieder abwürgen zu können. Die Sozialdemokratie muß die deutsche Massenpartei werden, neben dem Arbeiter müssen wir die geistig schaffenden Menschen für uns gewinnen. Bauern und Arbeiter sind auf allen Gebieten aufeinander angewiesen, wir müssen die s o z i a l d e m o k r a t i s c h e V o l k s p a r t e i werden." „Befehlsempfang in Berlin? Zur Einheitserklarung der SPD und KPD", TS 45,058,02 vom 28.12.45.
12. Zu dieser Kontinuität gehört auch der Name, der gewählt wurde. „Demokraten", „Volksparteiler" - das war seit 1863 hierzulande eine feste Marke, bevor es Allerweltsmode wurde, sich „Demokrat" zu nennen, und bevor Hugo Stinnes in der Fraktion einer „Deutschen Volkspartei" saß. Es ist verzichtet worden, irgendein schmückendes und auszeichnendes, vielsagendes oder nichtssagendes Beiwort anzufügen. Ist das nicht zu wenig, zu bescheiden oder zu - unverbindlich? Es könnte einer meinen, das Bekenntnis zur „formalen Demokratie" — dieser Begriff war immer in leicht herabsetzendem Sinn gebraucht - locke keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Das mag fur die schlafenden Hunde zutreffen; wir wollen sie nicht stören. In unserem Lande hatte das Wort nie einen bloß formalen Charakter, sondern war sinnerfüllt, von praller Inhaltlichkeit: Bürgertrotz gegen Kasernengeist, Selbstverwaltung gegen Staatsbevormundung, wirtschaftlicher Wagemut gegen Behördengängelung, Freiheit des Menschentums im bürgerlichen und religiösen Raum gegenüber historischem Legitimitätsanspruch, war er staatlich, sei er kirchlich gemeldet; dies Land kennt ja auch seine religiösen Sonderungen. Theodor Heuss: „Demokratische Volkspartei", TS 46,207,02 vom 05.09.46.
13. Unsere Zielsetzung als die einer deutschen Volks- und Staatspartei demokratischen und liberalen Gedankengutes läßt sich in die sieben Grundgebote zusammenfassen: wir wollen einen deutschen Nationalstaat, aber keinen nationalistischen Staat; wir wollen einen Einheitsstaat mit Zentralgewalt, aber keinen zentralistischen Staat, wir wollen einen sozialen Staat, aber keinen sozialistischen Staat, wir wollen einen Volksstaat, aber keinen Klassenstaat; wir wollen einen Staat des Rechtes und der Gesittung, einen Staat wahrer Kultur und wahren Menschentums, einen Staat, der eine politische, wirtschaftliche, geistige und seeli-
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sehe Heimat des deutschen Volkes und ein Hort des Friedens, der Freiheit und des Fortschritts in der Menschheit ist. Wilhelm Külz: „Die Ziele der Liberal-Demokratischen Partei", 46,195,02 vom 22.08.46.
14. Leitsätze der Christlich-Demokratischen Partei im Rheinland und Westfalen (Kölner Leitsätze). 2. Fassung vom 01.09.45 12. Ziel unseres politischen Willens ist der soziale Volksstaat als Bürge eines beständigen inneren und äußeren Friedens. Alle Formen des öffentlichen Gemeinschaftslebens kommen aus der Demokratie. Jeder Totalitäts- und Diktaturanspruch wird verworfen. Mißbrauch der Demokratie und ihrer Einrichtungen wird mit allen Machtmitteln des Staates bekämpft. FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 35. 15. Plakat der CDU Hannover von 1946 Baue mit uns an einem neuen Deutschland und du baust in einem sozialen Volksstaat an Deiner eigenen Selbständigkeit! // Christlich-Demokratische Union, Hannover WASMUND, Plakat Nr. 47.
16. Die deutsche Volksschule braucht in ihrer Unterrichtsgestaltung nicht mehr ein Kompromiß zwischen verschiedenen Schultypen zu sein. Ob Konfessionsschule, Weltanschauungsschule oder Simultanschule - diese Fragestellung gibt es nicht mehr, es geht nur noch um die deutsche Volksschule schlechthin, aber um die geht es auch wirklich. [...] Der ethische Wert des Lehrerberufs wird künftig noch größer werden als bisher; der Lehrer wird nicht nur ein Volksschullehrer, sondern ein Volkslehrer sein, und er wird die Volksschule gestalten können zur Grundschule echten Menschentums und wahren Menschheitsdienstes. Wilhelm Külz: „Die deutsche Volksschule", DM 45,065,01-02 vom 17.10.45.
17. Vor einiger Zeit fand in Halle eine Gesundheitskonferenz der SED statt, auf der, wenn auch offensichtlich gegen einigen Widerstand, die parteiamtliche Forderung auf Schaffung eines „Volksarztes" zur politischen Beeinflussung der Patienten ausgesprochen wurde. Dieser Begriff des Volksarztes wie eines politisch ausgerichteten Gesundheitswesens war bereits in Heft Nr. 2/46 des „Aufbau" näher umrissen. Es scheint uns gefahrlich und dem ärztlichen Sittengesetz zuwiderlaufend, unter dem Deckmantel eines neuen Arztbegriffes politische Beeinflussung der Patienten treiben zu wollen. Die Erfahrungen des Nürnberger Ärzteprozesses haben zur Genüge gezeigt, wohin es führt, wenn Ärzte Parteidogmen und Staatsbefehle über die Grundforderungen eigener ethischer Handlungsweise zu stellen bereit sind. Nürnberg lehrt uns, daß der Arztstand und die Ausübung des ärztlichen Berufes von jeglicher politischen Beeinflussung frei sein muß, daß der Arzt seine Hilfe dem Menschen schlechthin gewährt, und der Patient niemals wieder zum politischen Objekt des Arztes werden darf. „Volksarzt und Ambulatorium", NZ 47,160,02 vom 12.07.47.
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18. Der einzelne findet seine Einstellung zum Gemeinschaftsleben in überwiegendem Maße dadurch, wie der Beamte ihm entgegentritt. Bei dieser Entwicklung wird es ganz wesentlich sein, ob das deutsche Beamtentum ein wirkliches Volksbeamtentum wird oder ist. [...] Deshalb ist die Fragestellung nicht die: Ehrenamt oder Berufsbeamtentum?, sondern: Ehrenamt und Berufsbeamtentum, jedes an seiner Stelle und jedes mit dem seiner Art entsprechenden Aufgabenkreis, beide ausgeglichen zusammenarbeitend als wahres Volksbeamtentum. Wilhelm Külz: „Das Volksbeamtentum", DM 45,057,01-02 vom 07.10.45.
19. „Aus dem Volk für das Volk", das ist der Leitsatz für die neu aufgestellte Berliner Polizei. Das bedeutet: 1. Daß bereits in der Auswahl der Polizeimänner der Wille zu einer wirklichen Volkspolizei zu erkennen sein muß. Dieser Aufgabe werden wir bei unserer Neuaufstellung gerecht und sorgen so gleichzeitig dafür, daß keine faschistischen Elemente Unterschlupf bei uns finden; 2. Daß diese Volkspolizei die Interessen des Volkes aller Schichten der ehrlich Schaffenden vertreten soll. Wir sind uns darüber im klaren, daß das einen Bruch mit sämtlichen früheren Traditionen bedeutet. Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgabe ist die politische Haltung jedes einzelnen Angehörigen der Polizei, d.h. seine Erkenntnis, daß die Polizei nicht das willenlose Werkzeug einer volksverachtenden Machthaberclique, sondern ein bewußtes, der Sache des Volkes dienendes wahrhaft demokratisches Organ wird. Nur so wird die Polizei ihren neuen Aufgaben gerecht werden. Nur so wird auch sie die Unterstützung des Volkes finden. Oberst Markgraf, Polizeipräsident von Berlin: „Die neue Berliner Polizei", BZ 45,032 vom 21.06.45. 20.
Nur durch gewissenhafte und hingebungsfreudige Arbeit aller in Frage kommenden Stellen kann der festgefügte Bau einer wahren V o l k s p o l i z e i geschaffen werden. „Die neue Polizei im Ruhrgebiet // Vom Nazi-Terror zu einer wahren Volkspolizei", RZ 45,029,02.
21. Das Volksempfinden ist schon gesund, wenn man nur das Volk selber durch den Mund seiner wahren Vertreter seinem Rechtsempfinden Ausdruck geben läßt, und nicht den Vertretern einer Unterdrückerschicht den verlogenen Begriff eines sogenannten Volksempfindens zur Tarnung ihrer Willkür und bloßen Machtjustiz an Gesetzes Statt an die Hand gibt. Dr. Helmut Ostmann: „Richter aus dem Volke", BZ 45,177,01 vom 08.12.45. 22.
Bei dem, was heute mehr volkstümlich als richtig „Sozialisierung" genannt wird, handelt es sich in Wirklichkeit um eine Umwandlung bisheriger privatkapitalistischer Konzern-Betriebe in gemeinwirtschaftliche Betriebe, sei es daß sie an Städte, an Länder oder an das Reich ü b e r e i g n e t werden. Da städtische Magistrate, Länderregierungen oder die uns hoffentlich bald wieder zugestandene Reichsregierung aus demokratischen Volkswahlen hervorgehen, kann man sagen, daß solche Betriebe in die Hand des Volkes übergehen. Es ist dann die „öffentliche Hand" an Stelle der privaten Hand, die wirtschaftet. Die deutsche Eisenbahn, das Postwesen, fast sämtliche Kraft- und Wasserwerke befinden sich seit Jahr
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und Tag in öffentlicher Hand, ohne daß sie je „sozialisiert" worden wären. Auch die landes- oder volkseigen gewordenen Betriebe in der Ostzone sind keine „sozialistischen Inseln" inmitten der bürgerlichen Demokratie, sondern nach dem terminus technicus der Volkswirtschaftslehre „Staatsbetriebe". Lex Ende: „Die 'Sozialisierung'", ND 47,236,02 vom 09.10.47.
23. Eines der wesentlichsten Merkmale der Demokratie ist neben der unbedingten Gewährleistung der persönlichen Freiheit - insbesondere der Rede- und Meinungsfreiheit, sowie der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit- die Kontrolle aller staatlichen Funktionen durch die gewählten Vertreter des Volkes, durch das Parlament. Das ist die Volkskontrolle, die unseren demokratischen Anschauungen entspricht. Frei von Furcht und autoritärer Beschränkung soll sie in allen Bezirken unseres öffentlichen Lebens am Werke sein. Wo sie fehlt oder versagt, dort fehlt oder versagt die Demokratie. Etwas ganz anderes ist dagegen die Kontrolle, die nach dem Willen der SED neuerdings durch sogenannte „Volkskontrollausschüsse" hergestellt werden soll. Wir sehen in ihnen eine Einrichtung, die nach unseren Begriffen vom Keime her undemokratisch ist. Man wird sie uns gewiß als „volksdemokratisch" empfehlen, aber das gerade ist für unser in mehr als zweijähriger Erfahrung geschärftes Gehör bereits verdächtig. Die von uns bevorzugte Demokratie bedarf keiner schmückenden Beiwörter. Volkskontrollausschüsse sind in unseren Augen eines der verschiedenartigen Mittel, um die absinkende Kurve der SED wieder etwas nach oben zu biegen. Sie erscheinen uns fast als ein taktisches Element der permanenten Revolution - ausgerechnet in einer Zeit, in der wir von der Union eine wichtige Aufgabe auch darin sehen, der anhaltenden Revolution mit den klärenden Grundsätzen gesunder Ordnung und Disziplin entgegenzutreten. Dies alles macht es uns zur Pflicht, die von der SED empfohlenen Volkskontrollausschüsse klar, entschieden und unnachgiebig abzulehnen. Doch was sind eigentlich Volkskontrollausschüsse? Die demokratische Volkskontrolle, so sagt uns die SED, ist eine Selbsthilfemaßnahme der Werktätigen unseres Landes und soll die behördlichen Kontrollen ergänzen. Aufgabe der Volkskontrollausschüsse (wir wollen sie VKA nennen) soll es sein, die Produktion und das Verbleiben der Waren zu überwachen, den Bürokratismus und Schlendrian in Wirtschaft und Verwaltung zu bekämpfen und in den volkseigenen Betrieben die Arbeitsproduktivität zu heben. Der VKA soll nur dem Volke verantwortlich sein und also auch von dessen Vertrauen getragen werden. „Richtige und falsche Kontrolle", NZ 47,269,01 vom 16.11.47.
24. Ein Wort, das noch vor kurzem „neu" war, ist inzwischen ein fester Begriff in Deutschland geworden. Abgeleitet von dem Hauptwort „Volkseigentum", kennzeichnet es einen bisher in unserem Vaterland unbekannten, ja unerhörten Zustand. Es besagt, daß Elektrizitätswerke, Kohlengruben, Eisenhütten, Maschinen-, Textil- und sonstige Fabriken nicht mehr Privateigentum irgendwelcher Millionäre, sondern von nun an und für immer Volkseigentum sind. Das gesamte deutsche Volk hat allen Grund, den Männern und Frauen dankbar zu sein, die diese Umwälzung herbeigeführt haben, nicht zuletzt der sozialistischen Besatzungsmacht und ihren Vertretern, ohne die ein solcher Lastenausgleich auf Kosten der kapitalistischen Kriegsverbrecher zugunsten des durch den Hitlerkrieg verarmten Volkes
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nicht möglich gewesen wäre. Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan: Das Eigentum der Hauptschuldigen am Kriege wurde Eigentum des Volkes. „Volkseigen", ND 48,155,01 vom 07.07.48.
25. Jede Darbietung hat die für sie geeignete Räumlichkeit. Theateraufführungen, beispielsweise, finden am besten in einem Theater statt. Mit einem sicheren Instinkt für diese Zusammenhänge hatte die KPD, die aus rätselhaften Gründen in der Ostzone SED heißt, sich als Tagungsort für ihren „Volkskongreß" die Deutsche Staatsoper in Berlin ausgesucht. Akteure der KPD und etliche Statisten, die auf dem Personenverzeichnis als Vertreter aller Parteien aus allen Teilen Deutschlands vermerkt waren, führten anläßlich der Londoner Konferenz die Festoper „Das einige Deutschland" auf. [...] Die KPD [hier ist die SED gemeint] hat bekanntlich einen eigenartigen Sprachgebrauch. Die Diktatur heißt bei ihr Demokratie und die Demokratie heißt bei ihr Diktatur. Unter einem Volksblock versteht die KPD eine Organisation, in der sie selbst alles zu sagen hat und die anderen Parteien nichts. Die „Blockpolitik" besteht darin, daß die KPD befiehlt und die anderen gehorchen. Als diese anderen sind in der Ostzone die LDP und die CDU vorgesehen. Die LDP hat in Dr. Külz einen Vorsitzenden, die die Freude am grenzenlosen Gehorsam für liberal und demokratisch zu halten scheint. Der Vorsitzende der Ostzonen-CDU dagegen, Jakob Kaiser, hat sich den klaren Sinn für Worte und Werte bewahrt. Und so weiß er denn seit geraumer Zeit, daß die sogenannte Blockpolitik nichts anderes ist als eine Schlepptaupolitik der KPD. „Gekapptes Schlepptau", ZEIT 47,051,01 vom 18.12.47.
Volksdemokratie Demokratie
Währungsreform Schlagwort-Varianten: andere Varianten: verwandte Wortformen: häufige Verbindungen: Schlagwortfeld: Aktualität als Schlagwort:
B-Mark, Geldreform
hastenausgleich, Separatismus 1948
Als Schlagwort der SED steht die in den Westzonen durchgeführte Währungsreform 1948 für die Spaltung Deutschland und Berlins.
Wort- und Begriffsgeschichte Eine Währungsreform ist allgemein eine Neuordnung des Geldwesens durch den Staat, in der Regel als äußerstes Mittel, um inflationären Tendenzen entgegenzuwirken. Thema Parallel zur Londoner Konferenz 1948, die unter Ausschluss der Sowjets stattfand, einigten sich die westlichen Alliierten darauf, eine Währungsreform in ihren Zonen durchzuführen, nachdem Verhandlungen mit der Sowjetunion über ein gemeinsames Vorgehen ohne Erfolg geblieben waren: Sie wurde geheim vorbereitet, am 18. Juni 1948 verkündet, und am 21. Juni wurde die Reichsmark von der „Deutschen Mark" abgelöst und durch das berühmte Kopfgeld von 40 bzw. 60 DM in Umlauf gebracht. Löhne, Renten, Mieten und Pachtzinsen wurden im Verhältnis 1:1 in neuer Währung gezahlt, während Ersparnisse nur 6,5% und Verbindlichkeiten 10% ihres alten Wertes behielten. Am 23. Juni 1948 führte die SMAD ihrerseits eine Währungsreform in der Ostzone durch, die im Gegensatz zum Westen die Kleinsparer vor der Privatwirtschaft begünstigte. Die Ostwährung galt auch für Groß-Berlin, doch die westlichen Besatzungsmächte führten am 25. Juni in ihren Sektoren zusätzlich die DMark ein. Die Scheine waren in Berlin anfänglich mit einem großen „B" gekennzeichnet. Im Gefolge dieser Maßnahmen kam es in Berlin zu einer Eskalation des Kalten Krieges: Die Sowjetunion verbot die D-Mark im Osten der Stadt und begann
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Währungsreform
Abbildung 22: ND 48,040,02 vom 17.02.48
zusätzlich die Blockade West-Berlins. Die separate Währung vollzog die Trennung Deutschlands in zwei Wirtschaftsräume. Diskurs Bis sich im Frühjahr 1948 Gerüchte über die bevorstehende Währungsreform verdichten, ist sie eine Forderung, die hauptsächlich im Westen erhoben wird. Mit seinem Vollzug wird der Währungsschnitt jedoch vor allem im Osten als Schritt zur Teilung Deutschlands wahrgenommen, wodurch der Aspekt der wirtschaftlichen Gesundung in den Hintergrund tritt. Der Schwerpunkt der Verwendung bzw. der Kritik liegt bei der SED. Aufkommen Ab Januar 1946 sind Forderungen nach einer Währungsreform belegt. Einen ersten Hinweis auf den Schlagwort-Gebrauch mit deutschlandpolitischem Hintergrund enthält die Warnung des ND vor einem einseitigen Vorgehen [1], doch erst die Reaktion auf die durchgeführte westdeutsche Währungsreform läutet die eigentliche Schlagwort-Phase ein. [2] Entfaltung Die SED wirft den Westmächten vor, die Spaltung Deutschlands durch die Währungsreform vollzogen zu haben. [3] Das Attribut separat unterstreicht diese Sichtweise.
Währungsreform
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In den Mittelpunkt des Diskurses rückt die doppelte Währungsreform in Berlin. Die SBZ nimmt nicht hin, dass im Westen der Stadt auch die Deutsche Mark als Zahlungsmittel gilt, und diffamiert das westdeutsche Geld fur Berlin als schlechtes Geld unter dem Schlagwort B-Mark oder auch Bärenmark. [4, 5] Das „B" steht eigentlich für „Berlin", soll in B-Mark jedoch wohl auch als das „B" im Alphabet, also als Kennzeichen des zweiten Ranges aufgefasst werden. Bärenmark spielt einerseits auf das Berliner Wappentier an, andererseits auf die damals schon geläufige Büchsenmilch-Marke. Abklingen und Nachwirkungen Währungsreform ist nur im Juni 1948 ein Schlagwort des öffentlichen Diskurses. Vorher wird sie vornehmlich im wirtschaftlichen Fachdiskurs thematisiert, und nachdem der Währungsschnitt in Westen und Osten durchgeführt ist, ist das Thema nicht mehr brisant. Brisant bleibt hingegen die Auseinandersetzung um die Berliner Ausgabe der D-Mark, bis zu ihrem Ende Anfang September 1948 von der SED als B-Mark abgelehnt. [6] 677 In den 50er Jahren entwickelt sich Währungsreform zum historischen Terminus. Ein entsprechender Bezug zur deutschen Nachkriegszeit wird in allen Wörterbüchern hergestellt. Literatur Broosch, Karsten: Die Währungsreform 1948 in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Eine Untersuchung zur Rolle des Geldes beim Ubergang zur sozialistischen Planwirtschaft in der SBZ. [Diss. Leipzig] Herdecke 1998. Währungsreform und soziale Marktwirtschaft. Hg. v. Wolfram Fischer. Berlin 1989. Zur Vorgeschichte der deutschen Mark. Die Währungsreformpläne 1945-1948. Eine Dokumentation. Hg. v. H. Möller. Basel, Tübingen 1961.
Belege 1. Seit Monaten nimmt das Thema Geldreform einen großen Raum in der öffentlichen Diskussion ein, seit der Londoner Konferenz nicht ohne Folgen für unser wirtschaftliches Leben. Damals waren sich alle Außenminister darüber einig, daß eine solche Reform nur dann Sinn und Erfolg haben kann, wenn sie für g a n z Deutschland durchgeführt wird. „Geldreform", ND 48,029,01 vom 04.02.48. 2. [Seitentitel] „Westmächte vollenden Spaltung Deutschlands" „An das deutsche Volk! // Gegen die Zerreißung der Nation durch die separate Währungsreform / / Aufruf des Parteivorstandes des SED" ND 48,140,01 vom 19.06.48. 677 Die Berliner Ausgabe wurde abgeschafft und durch die reguläre „Deutsche Mark" ersetzt.
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Währungsreform
3. Das Ungeheuerliche ist geschehen. Die Westmächte haben alle Vorschläge auf eine gemeinsame Währungsreform für ganz Deutschland in den Wind geschlagen und durch die soeben verkündete p o l i t i s c h e Währungsaktion in den Westzonen die von ihnen seit langem betriebene, bewußt gewollte und im Gegensatz zum Volksbegehren auf Einheit Deutschlands e r w ü n s c h t e S p a l t u n g D e u t s c h l a n d s v o l l e n d e t . Die Untat ist vollbracht. Die Westmächte haben im Dezember die Londoner Friedenskonferenz gesprengt, weil sie ihre Kolonie Bizonien nicht verlieren wollten. Sie haben nunmehr, indem sie dem deutschen Volke, das nicht befragt wurde, für einen Teil ihres Landes neues Geld aufzwingen, diesen Sonderstaat endgültig geschaffen. Ein anderes Geld, ein anderer Staat. Diese teuflische Waffe des Geldes haben sie benutzt, um uns schlimmer zu schlagen als wir 1945 geschlagen waren. [Seitentitel] „Westmächte vollenden Spaltung Deutschlands" „Die Untat", N D 48,140,01 vom 19.06.48.
4. „Westgeld schlechtes Geld — Berlin will gutes Geld / / Vorschläge der Wirtschafts-Kommission an Marschall Sokolowskij" N D 48,142,01 vom 22.06.48.
5. „B-Mark ruiniert Berliner Westen // Verkehrseinschränkungen -
Betriebsstillegungen-
'Urlaub' ohne Urlaubsgeld" N D 48,157,01 vom N D 48,157,01.
6. „Das Ende der wertlosen B-Mark" N D 48,205,03 vom 03.09.48.
„Um Gottes Willen, heiliger Martin, doch nicht jetzt
vor der
Hamburger Echo Währungsreform!"
Abbildung 23: S P I E G E L 48,018,02 vom 01.05.48
Westblock Schlagwort-Varianten: andere Varianten: verwandte Wortformen: häufige Verbindungen: Schlagwortfeld: Aktualität als Schlagwort:
Ostblock, Blockbildung
Europa, Weststaat 1945-1949
Unter dem Schlagwort Westblock richtet der kommunistische Osten den Vorwurf gegen die westlichen Staaten, sich als Block in aggressiver Weise gegenüber Russland und Osteuropa abzugrenzen.
Wort- und Begriffsgeschichte Nach Paul ist Block in der politischen Sprache „seit Anfang 20. Jh. Bez. von Bündnissen, zunächst innenpolitisch, daher seit 1907 Blockparteien (Trü.)".678 Als Bezeichnung für ein Bündnis von Staaten ist Block vor 1945 nicht gebräuchlich. Thema Nach dem berühmten Zitat Stalins, das Milovan Djilas überliefert hat, würde jeder der Sieger sein System in den von ihm besetzten Gebiet einführen.679 Tatsächlich verfuhr die Sowjetunion in Osteuropa so, dass sie in allen Staaten Volksdemokratien unter kommunistischer Vorherrschaft etablierte, während die USA die nicht-kommunistischen Länder durch die umfassende Wirtschaftshilfe des Marshall-Plans an sich zu binden suchte. Beide Einflussbereiche, die sich später in Militärbündnissen formierten, standen sich in ihrer Grundkonstellation schon seit Kriegsende gegenüber. Diskurs Während der Londoner Konferenz von 1945 (10. September bis 2. Oktober) wirft die Sowjetunion den anderen Siegermächten vor, sich und ihren Einflussbereich als Westblock gegenüber der Sowjetunion abgrenzen zu wollen. Im Westen wird dieser Vorwurf dementiert und bedauert. Die deutschen Zeitungen geben diesen Diskurs unter den Besatzern wieder. Nach den unmittelbaren Reaktionen (im Oktober und November) verstummt der kurze Diskurs wieder. Da das Thema aber an Brisanz gewinnt, je mehr sich Westen und Osten sichtbar voneinander entfernen, lebt auch der Diskurs über die Blockbildung wieder auf, beson678 Vgl. PAUL, s.v. „Block". 679 „Dieser Krieg ist nicht wie in der Vergangenheit; wer immer ein Gebiet besetzt, erlegt ihm auch sein eigenes gesellschaftliches System auf. Jeder fuhrt ein eigenes System ein, soweit sein Armee vordringen kann. Es kann ja nicht anderes sein." DJILAS, S. 146.
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Westblock
ders in Deutschland, wo man im Hinblick auf die staatliche Einheit die Blockbildung besonders aufmerksam verfolgt. Aufkommen Westblock wird im Herbst 1945 in der Sowjetunion als Reaktion auf französische und englische Europa-Pläne geprägt. Die deutsche Öffentlichkeit wird Ende September mit dem neuen Schlagwort konfrontiert, wobei die SMAD es erstaunlicherweise der liberalen Parteizeitung DM überlässt, erst einen Kommentar der „Iswestja" [1] und eine Woche später der „Prawda" [2] wiederzugeben.680 Entfaltung Während die in Frankreich und England vorgeschlagenen Bezeichnungen für den engeren Zusammenschluss Westeuropas das Gemeinsame betonen, bringt Westblock das ausgrenzende und zweifellos vorhandene antikommunistische Moment europäischer Einigungs-Konzepte auf eine griffige Formel. Das Schlagwort vom Westblock erfasst schon Ende 1945 die politische Situation, die im Entstehen begriffen ist, so treffend, dass der Westen fast erschrocken reagiert. 1945 wird Westblock noch als Menetekel, nicht als Realität aufgefasst. Block mit determinierendem Beiwort bedeutet 'Zusammenschluss bei gleichzeitiger Abgrenzung' gegen etwas, wobei Block auch durch die Komponente 'fest' einen 'wehrhaften Zusammenschluss' meint. Im determinierenden Beiwort IVest- ist der Gegensatz zum Osten bereits impliziert, ein Westblock steht also als festes Gebilde von Staaten einem ebensolchen Ostblock gegenüber. (*Nord- oder *Südblock ergeben angesichts der Kräfteverhältnisse keinen Sinn, es bleiben also nur zwei Varianten.) Westblock impliziert demnach den Vorwurf, dass die Koalition des 2. Weltkriegs aufgekündigt werden und durch einen Antagonismus West-Ost ersetzt werden soll. Als Schlagwort erlebt Westblock zunächst nur eine kurze Blüte bis Ende 1945, doch im Herbst 1946 kommt das Schlagwort fast zwangsläufig wieder an die Oberfläche, weil sich abzeichnet, dass eben dieses Menetekel der Blockbildung eintritt. Die SED verbindet mit Westblock jeweils ausdrückliche Vorwürfe. [3, 4] Die westdeutsche Öffentlichkeit weist den Vorwurf der Blockbildung zurück. [5, 6] Zugleich nimmt sie das Schlagwort auf, um die Tatsache der sich festigenden Einflussbereiche zu thematisieren. [7, 8] In diesem Zusammenhang wird auch das Lexem Ostblock verwendet, das jedoch noch nicht als Gegenprägung fungiert. Blockbildung wird synonym zu Westblock von östlicher Seite als Vorwurf an den Westen gerichtet [9], im Westen wird es ohne eindeutige Wertung gebraucht. [10] Abklingen und Nachwirkungen Die DDR behält Westblock nicht als Schlagwort bei: Weder das DDR-HANDBUCH, noch REICH, KINNE/ STRUBE-EDELMANN oder das WÖGE ver-
680 Weder die amtliche TR, noch DVZ oder DV gehen 2ur gleichen Zeit auf das Thema ein.
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Westblock
zeichnen Westblock. Als einziges Wörterbuch überhaupt hat der DUDEN 10 Westblock (mit Hinweis auf die Nachkriegszeit) aufgenommen. Während Westblock nach 1949 schwindet, wird Ostblock im Westen zur gängigen Bezeichnung, die sich bis 1989 und teilweise länger hält und bis heute voll lexikalisiert ist. 2 0 BROCKHAUS (1998) markiert Ostblock bereits als veraltet: „früher im Zusammenhang mit dem Ost-West-Konflikt in den Staaten der wesd. Welt gebräuchl. Schlagwort für alle europ. und asiat. Staaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter Sowjet. Hegemonie gerieten [...]".
Belege 1. Moskau, 21. September (TASS). Der diplomatische Redakteur der „I s w e s t j a " schreibt: [...) Man kann eine zunehmende Verstärkung der Tätigkeit von Elementen feststellen, die den Wunsch haben, die Konferenz der Großmächte fur gewisse Ziele zu gebrauchen (und vielleicht sogar scheitern zu lassen), die mit einer Festigung der gegenseitigen Verständigung und einer Zusammenarbeit, die beide unter den Bedingungen des Friedens so notwendig sind, überhaupt nichts zu tun haben. Wir meinen damit das äußerst geräuschvolle Lärmen gewisser französischer Presseorgane, das teilweise von der englischen Presse unterstützt wird, zu dem Projekt des sogenannten „Westblocks". Als wir seinerzeit verkündeten, daß dieser Entwurf einen ganz klaren antisowjetischen Charakter trägt, machten gewisse Presseorgane und besonders die englische Zeitschrift „Tribüne" der Sowjetpresse den Vorwurf, daß sie schlecht unterrichtet und daneben mißtrauisch sei, und klagte sie noch anderer ähnlicher Sünden an. Indessen haben im Laufe der seitdem vergangenen Wochen nicht nur zahlreiche französische Wirtschaftswochenzeitschriften, die in Verbindung mit Trusts und Bankkreisen stehen, begonnen, eine nach der anderen die Notwendigkeit des „Westblocks" darzulegen, sondern dieser „Westblock" fand auch die Unterstützung amtlicher Personen. Er wurde u.a. vom „Populaire" - der Zeitung der französischen Sozialistenpartei - mit ganz besonderem Eifer verteidigt. Ein beträchtlicher Teil der französischen Presse setzt unablässig die Agitation zur Schaffung der westlichen Union der Mächte fort: die einen sprechen von „westlichem Komplex", die anderen von „westlicher gemeinsamer Freundschaft", von der „Gesamtheit Westeuropas", „europäischer Union", den „Vereinigten Staaten von Europa" usw. Leon B l u m machte den Vorschlag, nicht von „Westblock" zu sprechen, sondern von „der westlichen Familie". Aber wie dem auch immer sei, und welche Worte man auch dafür gebraucht, es ist klar, daß in Wirklichkeit der „Westblock" sich von der „westlichen Familie" genau so unterscheidet wie der blaue Teufel vom grünen. „'Westblock' und Londoner Konferenz // Emstzunehmender Kommentar der 'Iswestja' und eine Kritik am französisch-spanischen Wirtschaftsabkommen", DM 45,044,01 vom 22.09.45. 2.681
Moskau, 30. September. Der diplomatische Beobachter der „Prawda" schreibt: „Gewisse politische Männer im Ausland haben den Plan eines „Westblocks" vorgeschlagen. Ein wichtiger Teil der öffentlichen Meinung in England und Frankreich nahm diesen Plan, der 681 Der Artikel ist vollständig wiedergegeben.
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Westblock
eine tatsächliche Bedrohung zur Teilung Europas in feindliche Blocks und eine politische Wiedererweckung des antisowjetischen Sanitätskordons darstellt, ohne großen Enthusiasmus auf. Wir kommen auf diese Frage zurück, weil gegenwärtig die auswärtige Presse und auch politische Kreise lebhaft die Frage des „Westblocks" diskutieren. Es ist bemerkenswert, daß die Urheber dieses sehr zweifelhaften Unternehmens den Augenblick der Sitzung des Rates der Außenminister für den passendsten angesehen haben, um zu versuchen, von der Propagierung der Pläne des „Westblocks" zu seiner Verwirklichung überzugehen. Das sind unbestreitbare und allen wohlbekannte Tatsachen. Um den wahren Grund der projektierten Pläne zu verbergen, begleiten die Anhänger des „Westblocks" immer häufiger den Wunsch nach einer Teilung Europas in gegnerische Blocks mit einem Vorwurf gegen die Sowjetunion. Sie entrüsten sich und klagen an und gelangen sogar, wie z.B. der „Daily Telegraph" und die „Morning Post", dahin, ohne Berufung und ohne Beweis zu erklären, daß Rußland sich mehr und mehr von den internationalen Lösungen der Probleme entfernt, um zu seinen eigenen regionalen Lösungen zurückzukehren. Sie heucheln ihre absolute Aufrichtigkeit, geben sich leidenschaftlich als Gegner der Teilung Europa in Blocks aus, und nichtsdestoweniger wird ihr Nebelschleier niemanden täuschen. Diese Gentlemen sind aus der Wirklichkeit ausgebrochen. Sie werfen eine große historische Erfahrung, die durch die Nationen, die eine überragende Rolle in den Nachkriegsverhältnissen zu spielen berufen sind, erworben wurde, über Bord. Die Erfahrung lehrt, daß die freiheitsliebenden Völker einen glühenden Verteidiger der Sicherung des Friedens und der internationalen Sicherheit in der Sowjetunion haben, einen überzeugten Gegner der Politik der antagonistischen Blocks. Ein Rückfall in die Antisowjetunionpolitik, gleichgültig, mit welcher Soße sie serviert wird, stellt einen Versuch dar, die Sache des Friedens und der Sicherheit zu durchkreuzen." „'Die Welt ist unteilbar' // "Prawda' gegen Westblock - Ein Nachtusch zu Londoner Konferenz", DM 45,052,01 vom 02.10.45.
3. Wir werden gleich sehen, daß die Vereinigten Staaten von Europa n i c h t s a n d e r e s a l s e i n g r o ß e r a n t i - s o z i a l i s t i s c h e r B l o c k s e i n s o l l e n . [...] Denn der Zweck seines [i.e. Churchills] Vorschlages besteht gerade im Gegenteil darin nämlich, die Sowjetunion von den übrigen Staaten Europas zu isolieren und ihr zu diesem Zwecke einen W e s t b l o c k entgegenzustellen. „Was heißt "Vereinigte Staaten von Europa?'", ND 46,152,02 vom 19.10.46.
4. „Militarisierung des Westblocks eingeleitet" ND 48,155,01 vom 07.07.48.
5. Es gilt, eine neue Ordnung zu schaffen; eine Ordnung, die weder ein schrankenloser Individualismus noch ein totalitärer Kollektivismus sein kann. Das Ziel aller wirklichen Föderalisten ist der organische Neubau der Gesellschaft von innen her, der erst in seiner letzten (oder vorletzten) Etappe zur europäischen Föderation fuhren kann. [...] Es gibt keinen Delegierten, der die Tatsache des „ e i s e r n e n V o r h a n g s " nicht aufrichtig bedauert und der Hoffnung Ausdruck verliehen hätte, ihn baldigst aufgehen zu sehen. Niemand hat einem „Westblock" das Wort geredet. „Kongreß von Montreux" [Kongreß der „Union Européenne des Fédéralistes"], RM 47,033,01 f. vom 06.09.47.
Westblock
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Wie wenig die Zentralverwaltung für das kulturelle Moment ein Auge hat, zeigt sich darin, daß sie den Begriff der abendländischen Kulturgemeinschaft als fragwürdige Konstruktion zurückweist und in ihr so etwas wie einen kulturpolitischen Westblock erblickt, hinter dem sich eine gefahrliche Reaktion verberge. Für die Ostzone gibt es, wie Präsident Wandel auf dem Kongreß mit einer keinerlei Widerspruch zulassenden Bestimmtheit erklärte, nur den Totalitätsanspruch der staatlichen Einheitsschule als dem Geist der östlichen Demokratie und der allgemeinen Menschlichkeit durchaus entsprechend. Zu fordern, daß die Eltern das Recht hätten, die Erziehung der Kinder selbst zu bestimmen, sei ein nicht ernst zu nehmendes Begehren. Carl Augstein: „Pädagogik in Ost und West", TS 47,244,02 vom 18.10.47. 7. Nach dem zweiten Weltkrieg glaubte man, dem kommunistischen Rußland werde das gelingen, was niemandem früher gelungen war: nämlich den Balkan als Pulverfaß zu entschärfen und den Völkern dort eine andere Ruhe als die des Friedhofs zu bringen. Die Rechnung der Sowjets ging jedoch nicht auf. In Belgrad ist eine schwere Krise ausgebrochen. „Riß im Ostblock", ZEIT 48,027,02 vom 01.07.48.
8. Solange Deutschland nicht zu einem Eckpfeiler des Friedens wird, dadurch, daß man es wirklich neutralisiert, solange es Objekt bleibt für das Spiel der Mächte, solange die gespenstische Drohung, Europa könne in einen Ost- und Westblock zerfallen, über einem wehrlosen Deutschland steht, kann die Kriegsgefahr aus Europa nicht verbannt, kann Deutschland nicht zu einem gesunden demokratischen Staat entwickelt werden. Richard Tüngel: „Deutschland neutralisiert", ZEIT 47,010,01 vom 06.03.47. 9. „Molotow wirft Westmächten "Blockbildung' vor // Rußlands Forderung auf Zweidrittelmehrheit überstimmt" SZ 46,065,01 vom 13.08.47. 10. Denn Europa kann weder ohne Rußland noch in einer Blockbildung gegen Rußland leben. Deutschland ist nur ein Vorland Rußlands. Es liegt in der Mitte zwischen dem Westen und zwischen dem Osten und muß mit beiden leben. Hans-Werner Richter: „Deutschland - Brücke zwischen Ost und West", RUF46,004 (dtv 46-49) vom 01.10.46.
Weststaat Schlagwort-Varianten: andere Varianten: verwandte Wortformen: häufige Verbindungen: Schlagwortfeld: Aktualität als Schlagwort:
Weststaat (1) Westzonen, Weststaat (2) Ostzone Westdeutschland
Einheit, Westblock 1947-1948
In den Westzonen Deutschlands wird die separate Gründung eines Weststaats (1) befürwortet, der als Kern des ganzen Deutschland eine Vorreiterrolle erfüllen soll. Die SED lehnt mit der Variante Weststaat (2) die westliche als gegen die deutsche Einheit gerichtet ab.
Wort- und Begriffsgeschichte Aus standardsprachlichen Elementen gebildet, ist Weststaat im politischen Kontext ein Neologismus. Thema Im Gefolge der gescheiterten Londoner Konferenz (25. November — 15. Dezember) 1947 reift bei den westlichen Siegermächten der Entschluss, eine Staatsgründung im Westen ohne weitere Rücksicht auf die Entwicklung in der Ostzone voranzutreiben. Diskurs Die Idee einer westdeutschen Staatsgründung wird in der Öffentlichkeit der Westzonen ab 1948 lebhaft diskutiert und tendenziell begrüßt, nachdem sie teilweise schon früher erwogen worden war. Auf scharfe Ablehnung stößt der Plan jedoch bei der SED. Aufkommen Als erstes bringt noch kurz vor der Londoner Konferenz der TS „die westdeutsche Variante" ins Spiel. [1] In diesem frühen Beleg wird der Grundgedanke der Deutschlandpolitik, der der Bundesrepublik bei ihrer Gründung mitgegeben wurde, bereits formuliert; sogar der Name „Bundesrepublik" ist vorweggenommen. Die nächsten Belege sind Reaktionen auf die Londoner Konferenz in Westund Ostdeutschland. [2, 3, 4] Entfaltung Die Zeit der höchsten Frequenz des Schlagwortes ist 1948. In den Westzonen wird das Für und Wider der separaten Staatsgründung vor dem Hintergrund der
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gewünschten deutschen Einheit abgewogen. Während in einer frühen Reaktion der Frankfurter Wirtschaftsrat einen Weststaat verwirft [5], herrscht in allen anderen Stellungnahmen der Tenor, dass eine westdeutsche Staatsgründung zwar nur die zweitbeste Lösung für Deutschland sei, dass aber der staatliche Neuanfang nicht länger durch aussichtslose Verhandlungen mit der Sowjetunion verzögert werden dürfe. Der Westen solle entschlossen vorangehen, doch das Tor zur Ostzone offenlassen, bis dort eine freie Entscheidung möglich sei — dass sie zu dieser Zeit nicht möglich ist, wird allgemein vorausgesetzt. [6, 7, 8] „Die Zeit" formuliert zudem, was 40 Jahre lang mit allen Konsequenzen die Doktrin der BRD sein sollte, nämlich dass der westdeutsche Staat als Kern eines späteren Gesamtdeutschland angesehen wird [8], oder in einer prägnanteren Formulierung: „Der deutsche Staat ist dort, wo er in Freiheit gewollt wird." [9] Die SED reagiert auf die Pläne zum Weststaat (1) mit einer Ablehnung des Schlagwortes. Eine separate Staatsgründung widerspricht der von der SED so stark propagierten Einheit, die als deutschlandpolitisches Schlagwort alles dominiert. Dementsprechend stellt sie beim Gebrauch von Weststaat (2) die Befürworter des Weststaats als Gegner der deutschen Einheit, als Separatisten hin. [10]
Abklingen und Nachwirkungen Als Ende 1948 die westdeutsche Staatsgründung endgültig in die Wege geleitet wird, bricht der Diskurs über das „Ob" ab, sowohl im Westen als auch im Osten; im Diskurs über das „Wie" spielt Weststaat keine Rolle mehr. Einen lexikografischen Niederschlag hat Weststaat nicht gefanden.
Belege 1. Daß hier dem deutschen Westen eine große Aufgabe zufallt, liegt im natürlichen Wesen der Nachkriegsgeschichte. Daß der Westen nicht auf den Osten auszustrahlen vermöchte, daß im Westen Geschaffenes nicht gemeinsames Gut beider Zonen werden könnte, werden selbst die ärgsten Feinde westdeutscher Übergangsprogramme nicht behaupten können. Insofern ist ein westdeutsches Programm kein Separatismus, sondern ein friedenerhaltendes Element. Der Westen Deutschlands kann nicht demokratisch prosperieren, ohne daß der Osten Deutschlands davon Notiz nehmen muß; der Osten Deutschlands vermag das nicht, ohne daß es einen Einfluß auf die Weltpolitik hat; die Weltpolitik kann dieses Element einer deutschen Entwicklung nicht registrieren, ohne ihm Rechnung zu tragen. Das westdeutsche Programm ist in Wirklichkeit die w e s t d e u t s c h e V a r i a n t e j e n e s g e s a m t d e u t s c h e n P r o g r a m m s , das in Vergessenheit geraten ist, weil Jaita und Potsdam weiter zurückliegen als Moskau und Paris. Die westdeutsche Bundesrepublik wäre nur die folgerichtige Entwicklung des föderalistischen Prinzips, das der westlichen Konzeption vom Neuaufbau zugrunde liegt, ohne daß es einer Vereinigung mit dem Osten Deutschlands irgendwelche Hindernisse bereitet. Die Stärkung des föderalistischen Gedankens (einer der wesentlichsten Programmpunkte der westlichen Alliierten) geht mit den Notwendigkeiten eines organisch zusammenwachsenden Staatskörpers Hand in Hand. Der Föderalismus, also die Bundesstaatlichkeit mit Ablehnung des zentralistischen Ein-
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Weststaat
heitsgedankens (der seit Bismarck Deutschland zu einem unkontrollierbaren Automaten gemacht hat), ist das Prinzip, dem sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika als auch England und Frankreich zustimmen, weil sie darin die einzige Gewähr fur eine wirkliche Neuformung Deutschlands sehen. Der Zentralismus ist jene politische manière de vivre, welche die Deutschen seelisch vergiftet hat, nämlich mit der Wahnidee des „größeren Deutschland", mit der „Reichs"idee, deren Barbarossabart durch alle Tische der Weltpolitik gewachsen ist. Nur durch eine unverwässerte bundesstaatliche Struktur, die mit demokratischen Institutionen von unten herauf beginnt, kann in Deutschland ein im wirklichen Bewußtsein des Bürgers wurzelndes demokratisches System erreicht werden. Diese Methode ist die einzige, die hier überhaupt noch nicht versucht worden ist. Walter Gong: „Die westdeutsche Variante", TS 47,272,02 vom 21.11.47. 2. „Marshalls Trumpfkarte': Weststaat // Die Aufteilungspläne der Westmächte und die Potsdamer Beschlüsse" ND 47,285,01 vom 06.12.47.
3. „'Eventualplan' für die Westzonen / / Falls London scheitert - Drei-Zonen-Union mit eigener Währung" RP 47,046,01 vom 13.12.47.
4. „Londoner Fehlschlag belebt die Weststaat-Pläne // Dreierkonferenz für sofortige Entscheidungen beabsichtigt - Beratungsthema auch Währungsreform — Sowjetische Gegenschritte erwartet" NRZ 47,100,01 vom 17.12.47.
5. „Wirtschaftsrat lehnt Weststaat-Pläne ab // Vereinigung aller Zonen bleibt Ziel - Neue Lage macht Zwischenlösungen unerläßlich - Wirtschaftsparlament in Sicht" NRZ 47,101,01 vom 20.12.47. 6.
Wir müssen uns vor allem darüber klarwerden, daß jede Zusammenfassung in unserem zersplitterten Deutschland uns der Einheit näher bringt und uns nicht etwa von ihr entfernt, sofern nur diese Zusammenfassung das letzte Ziel eines Gesamtstaates nicht preisgibt. Warnende SED-Telegramme, die jede Zusammenkunft von Ministerpräsidenten westlich des Eiserner Vorhang als Verrat an der deutschen Einheit brandmarken, sind politische Spiegelfechterei. Es läßt sich nicht bestreiten, daß innerhalb einer Realpolitik des kleineren Übels ein zweigeteiltes Deutschland immer noch weniger schlimm wäre als ein viergeteiltes Deutschland. „Westdeutschland" und ein „Weststaat", das sind allerdings unmögliche Formeln, weil sie so klingen, als ob der Westen saturiert sein und den Osten „abschreiben" könnte. Sie wären kaum besser als „Restdeutschland" und ein „Reststaat", die den Verzicht und die Resignation bedeuten würden. Es kann immer nur um Deutschland gehen, um ein Kerndeutschland also, sofern es — vorläufig — unvollständig bleiben müßte. Nur auf ein solches Kerndeutschland, das, seiner Idee nach, von Beginn an das ganze Deutschland wäre, ließe sich ein politischer Wille richten, der das Recht nicht preisgibt. Und wo könnte es gelegen sein? Dort und nur dort, wo die größten Möglichkeiten,
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deutsch zu sein, gegeben wären. Da die westlichen, besonders die angelsächsischen, Besatzungsmächte uns einen weit größeren Spielraum der friedlichen Eigenentwicklung einräumen als die alles gleichschaltende östliche Besatzungsmacht, kann unsere Wahl nicht zweifelhaft sein. Ernst Ftiedlaender: „Neuer Abschnitt", ZEIT 48,001,01 vom 01.01.48.
7. Als im Frühjahr der Zusammenbruch der Moskauer Konferenz die prinzipielle Unmöglichkeit enthüllt hatte, mit dem totalitären Rußland ein Kondominium in Deutschland zu errichten, schien es für die Alliierten das einzig Gegebene, ohne weiteren verhängnisvollen Zeitverlust zum wenigsten in dem von ihnen beherrschten Teile von Deutschland die konstruktive Lösung durchzuführen, die sich für das Ganze als unmöglich erwiesen hatte, und hier in W e s t d e u t s c h l a n d ein Kerngebiet der Ordnung, des Rechtes, der Freiheit und des wirtschaftlichen Wiederanstiegs zu schaffen. Wilhelm Röpke: „Die Entscheidung des Westens // Nach den Konferenzen von London und Frankfurt", RM 48,004,03 vom 24.01.48. 8.
Sollten dagegen die Besatzungsmächte zustimmen, so könnte es keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten, sich in allen deutschen Ländern des Westens auf einen klaren und einheitlichen Modus der Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung zu einigen. Und es müßte dann allerdings eine echte Nationalversammlung sein, die eine gesamtdeutsche Verfassung zu beschließen hätte. Wir wollen keinen Westsstaat, sondern einen deutschen Staat: ein Kerndeutschland also, solange es noch nicht das ganze Deutschland sein kann. Unter uns leben Millionen von Vertriebenen und Geflüchteten aus allen Teilen unserer Heimat, die von uns gewaltsam abgetrennt sind oder in denen durch Gewalt eine freie politische Willensbildung verhindert wird. Wir sind daher sehr wohl in der Lage, hier im Westen eine für ganz Deutschland repräsentative Nationalversammlung zu wählen, und diese Versammlung könnte dann eine für ganz Deutschland repräsentative Verfassung beschließen. Man muß mit der Freiheit dort beginnen, wo Freiheit möglich ist. Daß sie im Westen möglich wird, dafür werden die deutschen Ministerpräsidenten einzutreten haben. Ernst Ftiedlaender: „Notwendige Entschlüsse", ZEIT 48,025,01 vom 17.06.48.
9. Diese einfache und klare Politik fehlt in Deutschland. Sie fehlt, weil wir zuwenig wahrhaft unabhängige Politiker haben, die den Blick nach vorwärts richten und durch keinerlei Sonderinteressen gehemmt sind. Es scheint, daß erst der verhinderte Berliner Oberbürgermeister, Stadtrat Reuter, unseren Ministerpräsidenten in Rüdesheim klargemacht hat, wie sehr ein im Westen begründeter deutscher Staat auch im Interesse des deutschen Ostens liegt. Man hatte sich an das Wort „Weststaat" geklammert. Aber für jeden Menschen mit einigem politischen Instinkt müßte es feststehen, daß ein deutscher Staat, der das ganze und freie Deutschland will, nicht deshalb zum „Weststaat" wird, weil sein Hoheitsgebiet zur Zeit durch fremde Gewalt auf den deutschen Westen beschränkt ist. Der deutsche Staat ist dort, wo er in Freiheit gewollt wird. Einen „Weststaat" gibt es erst dann, wenn der politische Wille am Eisernen Vorhang seine Grenze findet, und das wird niemals geschehen. „Deutsche Tabu-Politik", ZEIT 48,031,01 vom 29.07.48.
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10. Am 7. und 8. Januar fand in Frankfurt am Main eine Konferenz der Vertreter der bürgerlichen Parteien und der Sozialdemokratie der Westgebiete statt, auf der diese den Vorschlägen der westlichen Besatzungsmächte auf Bildung des Weststaates zustimmten. Das ist eine unerhörte Preisgabe der nationalen Interessen des deutschen Volkes, durch die Deutschland als Staat, als Wirtschafts- und Kulturgemeinschaft zerschlagen wird. Gegen dieses unerhörte Verbrechen wandte sich die zweite Tagung des Deutschen Volkskongresses am 17. und 18. März, indem sie das deutsche Volk zur nationalen Selbsthilfe aufrief. Das ist der tiefe Sinn, der in dem Aufruf des Volkskongresses zum Volksbegehren für die Einheit Deutschlands liegt. Die alliierten Mächte sollen wissen, daß das deutsche Volk sich nicht als Kolonialvolk behandeln lassen will, sondern für die Einheit seines Vaterlandes, für seine nationale Existenz und für die Erhaltung seines Lebens durch den demokratischen Aufbau seiner Wirtschaft kämpft. Gerade für diesen Kampf wurde durch die Bildung des Deutschen Volksrates dem deutschen Volke eine Führung gegeben, die mit eiserner Konsequenz und großer Energie die nationalen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Forderungen verficht und sie zum Siege führen wird. In dieser Bedeutung des Volksrates liegt auch die Erklärung dafür, warum alle antidemokratischen Parteien und Organisationen, die den Westmächten hörig sind, gegen den Deutschen Volksrat eine wüste Hetze betreiben, so wie sie das auch gegenüber dem Volkskongreß tun. Aber so wenig sie dadurch dem Volkskongreß Abbruch tun können, so wenig gelingt ihnen das gegenüber dem Volksrat. Wilhelm Pieck: „Der Deutsche Volksrat und seine Aufgaben", N D 48,115,02 vom 21.05.48.
Wiederaufbau Schlagwort-Varianten: andere Varianten: verwandte Wortformen: häufige Verbindungen:
Schlagwortfeld: Aktualität als Schlagwort:
Auflau, Neuaufbau, Neubau, selten: Umbau bauen, auflauen, wiederauflauen, neubauen antifaschistisch-demokratischer Auflau, geistiger und materieller Wiederauflau, die Rolle des/ der... beim Wiederauflau, Auflau der/ des..., auflauwillige Kräfte, Auflau auf demokratischer Grundlage Demokratie, Demontage, Marshall-Plan 1945-1949
Seit Kriegsende bezeichnet Wiederauflau als allgemeines Hochwertwort den Weg aus den materiellen und immateriellen Trümmern, die das Dritte Reich hinterlassen hat.
Wort- und Begriffsgeschichte Als Ableitung vom Verb bauen stammt Wiederauflau aus dem Standardwortschatz. Frühere Phasen der Aktualität im öffentlichen Diskurs oder als Schlagwort sind nicht bekannt; die Metaphorik des Aufbauens ist aber geläufig. Thema Unmittelbar nach dem Kriegsende war Deutschland ein großer Trümmerhaufen. Am augenfälligsten waren die in Trümmern liegenden Städte sowie die weitgehend zerstörte wirtschaftliche Infrastruktur. Zerstört waren aber auch die Strukturen des öffentlichen Lebens: Soweit der Krieg sie nicht schon zum Erliegen gebracht hatte, geschah dies mit Zusammenbruch der Nazi-Herrschaft bzw. mit der Entfernung von Nazis aus allen Ämtern durch die Sieger. Es gab ferner mit der Auflösung der NSDAP keine politischen Strukturen mehr, es gab aber auch keine Verwaltung, keine Schulen, keine Presse usw.682 Spätestens mit der Niederlage brachen zudem die geistigen Grundlagen des Dritten Reiches in sich zusammen. Diskurs Alle Gruppierungen und Parteien sprechen den Aufbau als Gebot der Stunde an, und zwar auf allen Gebieten: materielle Schäden, Strukturen, geistige Grundlagen.683 [1] Eine eigentliche Wiederaufbau-Debatte gibt es nicht, weil Wiederauf682 Die Lexeme Zusammenbruchsgesellschaft und Stunde Null, die diese Situation umreißen, kommen im Korpus nicht vor. 683 WENGELER, Vom ]eTvgTamm bis zur Vollbeschäftigung, S. 383 f., ordnet Wiederaufbau und Neuaufbau unter den „Wirtschaftspolitischen Leitvokabeln" ein, was einen falschen Eindruck erzeugt.
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bau eine so allgemeine Forderung ist. Die Kontroverse um das „Wie" des Wiederaufbaus ist nicht prägend für den Schlagwort-Gebrauch. So lange wie die Trümmer allen erkennbar vor Augen stehen, bleibt der Aufbau die dringendste Tagesaufgabe und damit ein brisantes Thema. Aufkommen Unmittelbar nach dem Krieg - zum Teil offenbar schon vorher [2] — wird Wiederauflau zur großen Losung für alles und alle. Wiederauflau etabliert sich sofort als Hochwertwort mit sehr hoher Frequenz und behält diesen Status. Unter dem Dach der gemeinsamen Aufgabe Wiederauflau sammeln sich die antifaschistischen Kräfte jeglicher Herkunft. Entfaltung Man kann nur ahnen, wie tief der Eindruck der allgegenwärtigen Trümmer und des völligen Zusammenbruchs bei den Deutschen wirkte: Die außerordentliche Häufigkeit, mit der vom Wiederauflau die Rede ist, ja, mit der er beschworen wird, deutet es immerhin an. Der Wiederaufbau weist den Weg aus diesen Trümmern heraus in die Zukunft, wobei die Richtung, die man einschlägt, zunächst nicht angesprochen wird. Darin liegt die große integrative Kraft des Schlagwortes. Gelegentlich wird Wiederauflau als Ziel genannt, obwohl er nur der Weg ist zu einem noch nicht näher definierten Ziel. [3] Das Verb auflauen gibt den Ableitungen seine positive Wertung mit. Auflauen ist der Gegensatz von niederreißen, zerstören, Tätigkeiten, die in die Zeit des Krieges gehören. Im Frieden können durch den Wiederauflau wieder bleibende Werte geschaffen werden. Das Lexem beinhaltet auch eine appellative Komponente, die Aufforderung, sich zu beteiligen, den Aufruf zum Gemeinschaftswerk, und diese begünstigt die Karriere als Schlagwort. Dementsprechend häufig tritt Wiederauflau in appellativen K o n t e x t e n auf: Helft mit beim Wiederauflau ... ; ... rufen wir alle auf-
bauwilligen Kräfte auf... Die Zusammensetzung mit neu akzentuiert diesen Aspekt stärker als Wiederauflau oder Aufbau. Das selten verwendete Umbau ist ein sprachlicher Kompromiss zwischen den Varianten. Ebenfalls selten, und nur in der SBZ finden sich Wieder- und Neugeburt. [4] Die Notwendigkeit des Wiederaufbaus erstreckt sich auf nahezu alles. Einige fordern den Wiederauflau an sich, ohne zu erläutern, was damit gemeint ist. Formulierungen wie geistiger und materieller Neuaufbau versuchen, die große Aufgabe grob zu umreißen. Wiederauflau fängt im Kleinen und Konkreten an, heißt, ein zusammengestürztes Haus wieder bewohnbar oder eine Straße wieder passierbar zu machen, heißt Wasser- oder Stromleitungen zu reparieren oder eine Straßenbahnverbindung wieder in Betrieb zu nehmen. Im übertragenen Sinne wird eine Verwaltung mederaufgebaut, der neue Staat, das Recht, die Schule, die Demokratie, der Sozialismus, die Sozialversicherung. Die Spannweite des Wiederaufbaus zeigt sich in Kontexten wie kultureller oder sittlicher Wiederaufbau. [5]
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Abbildung 24: ZEIT 46,034,01 vom 10.10.46
Besonders häufig wird Wiederauftau als Hochwertwort zusammen mit anderen Hochwertwörtern gebraucht: Auftau der Demokratie und des Sozialismus, Wiederaufbau des Rechts und der Kultur. Die Objekte des Wiederauftaus sind so mannigfaltig, die Benutzungshäufigkeit ist so hoch, dass schon 1945 einige Zeitgenossen davor warnen, Wiederauftau zum inhaltslosen Schlagwort verkommen zu lassen. Die Wiedereröffnung eines Sportvereins oder eines Kabaretts z.B. möchte der Autor von Beleg [6] nicht als Wiederauftau gelten lassen, und auch das Wegräumen von Schutt, so wichtig es ist, ist für ihn kein Wiederauftau. Wichtiger sind ihm Dinge, die nicht auf der Straße liegen. Er bemängelt weiterhin, dass der Wiederauftau öfter im Munde geführt als wirklich praktiziert wird. Obwohl Wiederauftau, Auftau, Neuauftau und Neubau meistens synonym, manchmal auch im selben Kontext gebraucht werden, ist in den beiden Varianten
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Wieder- und Neuauflau ein konzeptioneller Gegensatz angelegt: Während wieder das Anknüpfen an Altes impliziert, betont -$neu den Bruch mit der Vergangenheit, in der sich die Katastrophe angebahnt und ereignet hat. Dieser Gegensatz wird verschiedentlich semantisch ausgeschöpft, so schon 1945/46 von Kurt Schumacher [7, 8], so auch von Vertretern der „jungen Generation", die jeweils den Wiederauflau verwerfen zu Gunsten des Neuauflaus/ Neubaus. Für einen dezidierten Wiederauflau tritt erkennbar niemand ein. In den Aufrufen und Programmen fast aller Parteien wird ebenfalls für den Neuauflau geworben, ohne allerdings auf den Gegensatz abzuheben.684 Auch die erwähnte stärkere appellative Komponente in Neuauflau legt in Aufrufen und Programmen den Gebrauch dieser Variante nahe, so dass der Umstand nicht überinterpretiert werden darf. Ein wirklicher Streit über das Neu und Wieder des Aufbaus entsteht jedenfalls nicht, er geht über einzelne Äußerungen oder kommunale Debatten nicht hinaus, so dass man nicht von zwei konkurrierenden Schlagwort-Varianten sprechen kann. Im Großen und Ganzen war es wohl evident, dass auch ein Wiederauflau keine Rekonstruktion der Verhältnisse der Weimarer Zeit oder gar des Kaiserreiches, sondern eben etwas Neues bringen würde. Für die Beratungen des Parlamentarischen Rats stellt KILIAN ebenfalls keine Distinktion fest.685 Zwei Jahre nach Kriegsende erhält der Aufbauwille in West-Deutschland einen neuen Schub, als US-Außenminister Marshall ein Hilfsprogramm ankündigt, das als Marshall-Plan berühmt wurde, offiziell aber den Titel European Recovery Program, zu deutsch Europäisches Wiederauflau-Programm, trug. Wiederauflau Europas, genauer der wirtschaftliche Wiederaufbau, war das Ziel des Marshall-Plans, ein Ziel das durch einen etwa gleichzeitig beschlossenen -^Demontage-Plan konterkariert wurde. Die Kritik, die sich gegen die Demontagen erhebt, koppelt den Marshall-Plan an das positive Schlagwort Auflau und weist das Antonym Abbau den Demontagen zu. [9,10] Alle neu oder wieder gegründeten Parteien sind selbstverständlich dem Aufbau verpflichtet. Die bayrische „Wirtschaftliche Wiederaufbau-Vereinigung" macht das Lexem zum Bestandteil ihres Namens, alle anderen Parteien versuchen mit Slogans vom positiven Wert des Lexems zu profitieren. Im Jahre 1946 bezeichnet sich die KPD selbst als Partei des Auflaus, die Niedersächsische Landespartei wirbt auf Plakaten Wir bauen Deutschland! Behörden und Institutionen füh-
684 CDU, Frankfurter Leitsätze, 1945: eine neues Deutschland; CDU, Aufruf Südwürttemberg-Hohenzollern, 1946: Neubau; CDU, Aufruf von Neheim-Hüsten, 1946:... ruft alle neubauwilligen Kräfte... ; CDU, Programm Neheim Hüsten, 1946: [Zwischentitel] Kultureller Wiederaufiau: bau des gesamten Hnjehungs- und Schulwesens, SED, Grundsätze und Ziele, 1946: Wiederaufiau der deutschen Wirtschaft; NLP, Vorstellung der Partei in NHK 46,005,05: Neuauflau. 685 Vgl. KILIAN, S. 29, Fußnote 12.
[Absatz] 1. Neu-
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ren den Auflau im Namen: Es gibt eine Internationale Wiederauflaubankm, in Köln wird der Aufbau von einer Wiederauflau-GmbH organisiert, im Bezirk RheinlandHessen-Nassau ist die Schaffung einer Oberen Auflaubehörde und einer Unteren Aufbaubehörde vorgesehen 687 . Die Frequenz des Schlagwortes nimmt nach 1947 ab, es bleibt aber weiterhin aktuell: Im Juni 1949 kündigt der (Ost-) Berliner Bürgermeister Ebert ein Wiederaufbauprogramm für seine Stadt an [11], und im Bundestagswahlkampf präsentieren sich alle Parteien als Vorreiter des Wiederaufbaus. [ 1 2 , 1 3 , 1 4 ]
Abklingen und Nachwirkungen Wiederauflau bleibt über 1949 hinaus aktuell. Ein Relikt des Aufbau-Booms ist heute die „Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)", die die Marshall-Plan-Gelder verwaltet. Die Wörterbücher verzeichnen allesamt Wiederaufbau und stellen das Lexem in einen Bezug zur Nachkriegszeit, indem sie entsprechende Beispielkontexte anführen. Neuaufbau ist ähnlich repräsentiert. Eine Ausnahme macht PAUL, der Wiederaufbau explizit als „Hoffnungswort von 1945" bezeichnet, Neuaufbau hingegen gar nicht aufnimmt. Zum DDR-Gebrauch vermerkt REICH, s.v. „Aufbau": „Das Schlagwort vom demokratischen Auflau wurde etwa 1953 abgelöst vom sozialistischen Aufbau, seit
1962 vom umfassenden Auflau des Sozialismus in der DDR." Belege 1. Und wenn nun die „Berliner Zeitung" von der Stadt Berlin übernommen wird, dann soll sie das Organ dieser Einheit aller ehrlichen antifaschistischen Kräfte Berlins sein. Auf den geistigen und materiellen Trümmern des schmachvoll zusammengebrochenen Hider-Reiches ein neues demokratisches Berlin, ein Berlin der Arbeit, des Friedens und des Fortschritts aufzubauen, das ist eine gigantische Aufgabe, die den Zusammenschluß und die Mobilisierung aller Kräfte erfordert. Das Banner dieser Einheit, dieses festen Blocks einer kämpferischen Demokratie soll unsere „Berliner Zeitung" sein. BZ 45,031,01 vom 20.06.45. 2.
Kein Wort ist wohl seit den Tagen im März und April mehr im Munde geführt worden als das des Wiederaufbaues. Man hatte schon vorher darüber gesprochen, insbesondere im Zusammenhang mit den verwüsteten Städten, die ja bekanntlich innerhalb dreier Jahre schöner und besser wieder erstehen sollten, aber es waren doch in der Mehrzahl Wünsche und Träume. Dann kam die Besatzung und von dieser Stunde ab wurde der Begriff Wiederaufbau zum Leitmotiv in allen Variationen erhoben. „Voraussetzungen für Deutschlands Wiederaufbau", BT 45,029,01 vom 10.11.45.
686 RM 46,013,01 vom 25.04.46. 687 RM 46,040,04 vom 30.07.46.
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3. Die Verantwortlichen für das Deutschland von heute, die durch alle Schrecken der HitlerHölle hindurch mußten, die am Sonntag über den Sender zum ersten Male vor dem ganzen deutschen Volke sprachen, kennen nur ein richtungsgebendes Ziel für die nächste Epoche: den geistigen und materiellen Wiederaufbau Deutschlands. Er ist nur möglich im Rahmen der Berliner Beschlüsse, und zwar mit allen Konsequenzen, die unabänderlich daraus gezogen werden müssen. Wir müssen jetzt den einzigen, steinigen Weg, der uns allein in eine bessere Zukunft weist, gemeinsam gehen. Die Einheit der Parteien ist also eine Zwangsläufigkeit, das Ergebnis klarer, nüchterner Erkenntnis. „Aussprechen, was ist!", DV 45,035,01 vom 14.08.45. 4. Wir wollen, daß das neue Jahr zum Jahr der Neugeburt unseres Volkes werde. Neugeburt unseres Volkes, das heißt lernen, selbstverantwortlich die neue Volksdemokratie schmieden, in der das Wohl des Volkes oberstes Gesetz jeden Handelns sein soll. Walter Ulbricht: „Was wir wollen", DVZ 45,172,01 vom 31.12.45. 5. Aufruf der CDU vom 26.06.45 Durch die verderblichen Lehren des Rassenhasses und der Völkerverhetzung hat Hitler weite Teile der Jugend vergiftet. Sie muß wieder zur Erkenntnis wahrer sittlicher Werte geführt werden. Wissenschaft und Kunst sollen sich frei entfalten, und die Lehren echter Humanität, deren deutsche Künder der ganzen Menschheit gehören, sollen den sittlichen Wiederaufbau unseres Volkes tragen helfen. FLECHTHEIM, Band 3,1, S. 28. 6. Da ertönt ζ. B. an allen Ecken und Enden, bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten das Wort „Wiederaufbau". Als Begriff und Programm ist das zweifellos eine gute und äußerst aktuelle Sache, um deren reichlichen Inhalt sich das verflossene Regime bis zum letzten Atemzug durch Bereitstellung überwältigender Trümmermassen bemüht hat. Aber als bloßes, zu Tode gerittenes Schlagwort will sie uns weniger imponieren. Leider ist die Gefahr augenscheinlich, daß man von dem so nötigen Wiederaufbau sehr viel mehr hört als sieht. Das wirkt dann auf die Dauer verdrießlich, entkleidet den Begriff seines inneren Wertes und macht ihn zur fettigen Scheidemünze, die in ihrer Abgegriffenheit keine Prägekontur mehr erkennen läßt. Wenn die Industrie sich auf noch so bescheidener Basis auf Friedenserzeugung umstellt, das Handwerk eifrig an Ausbesserungen geht, weil ihm für Neuanfertigungen einstweilen die Materialien fehlen, der Kleingärtner seine Blumenbeete mit Kohl und Kartoffeln bepflanzt: das ist in der Tat Wiederaufbau, klein und mühselig, aber immerhin ... Wenn aber ein Sportverein oder ein Fußballklub seinen Betrieb wieder aufnimmt und ein Winkelunternehmer das 397. Berliner Kabarett eröffnet, dann möchten wir nicht gern etwas von „Wiederaufbau" hören. Ihn wollen wir uns doch lieber etwas wichtiger vorstellen. Diese wichtigen Angelegenheiten liegen nicht auf der Straße, auch nicht in Gestalt der Schuttmassen. Es war gewiß verdienstlich von den Besatzungs- und städtischen Behörden, daß sie alsbald alle verfügbaren Kräfte für die Räumung und Säuberung der Berliner Straßen aufboten. Aus Verkehrs- und hygienischen und Schönheitsgründen, wenn das Wörtchen Schönheit im derzeitigen Berlin überhaupt gebraucht werden darf. Das war und ist aber mit einer guten alten Bezeichnung Straßenreinigung und noch kein Wiederaufbau.
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Durchaus unbekömmlich für das Ansehen dieses Begriffs ist es aber auch, wenn in der öffentlichen Berichterstattung über die verschiedenen Nachrichtenmittel und aus den verschiedenen Nachrichtenquellen Wiederaufbaumaßnahmen als vollzogene Tatsachen vorweggenommen werden, während sie noch nicht über den Zustand der Planung oder Vorbereitung hinausgediehen sind. Wenn den Berlinern versichert wird, diese oder jene Eisenbahn- oder Straßenbahn-Verbindung funktioniere wieder, und wenn sie dann nach einem längeren Anmarsch zur Abfahrtstelle erfahren, daß mit der Verwirklichung - vielleicht - in naher, aber jedenfalls noch unbestimmter Zukunft zu rechnen sein, wenn sie an den Anschlagtafeln gar amtlich lesen, in den nächsten Tagen werde die Gasversorgung wieder aufgenommen und dann sechs Wochen später davon immer noch keine Rede ist, dann macht ihnen diese Art Wiederaufbau nicht den mindesten Spaß, sondern sie fühlen sich genarrt und werden verärgert und geraten schließlich gegenüber allen solchen Ankündigungen und Versprechen in einen Zustand, in dem sie das Kind mit dem Bade ausschütten und überhaupt an nichts mehr glauben wollen. Das möchte man doch herzlich gern vermieden sehen, selbst wenn es dazu notwendig ist, einstweilen den Mund etwas weniger voll Wiederaufbau zu nehmen. Agricola: „Wiederaufbau // Ein überanstrengtes Schlagwort", DM 45,031,02 vom 07.09.45.
7. „An keiner Stelle können wir heute da anknüpfen, wo wir 1933 haben aufhören müssen," sagte Dr. Kurt Schumacher auf einer Kulturveranstaltung der Sozialdemokraten, die Sonntag im Galeriegebäude zu Herrenhausen stattfand. „Ohne die Entprivatisierung der großen Vermögen und ohne Schaffung sozialistischer Wirtschaftsformen ist Deutschland nicht möglich. Darum kann es keinen Wiederaufbau des Alten geben. Würden wir aus dem Schutt die alten Steine und die unzureichenden Bindemittel des Kapitalismus nehmen und damit wieder aufbauen, dann hätten wir den Verfall und den Schwamm im Haus, bevor es überhaupt fertig wäre. Die alte Sozialverfassung können wir nicht mehr gebrauchen. Darum wollen wir den sozialistischen Neubau." „Wir wollen sozialistischen Neubau // Dr. Schumacher verlangt Demokratie und Sozialismus für die Jugend", NHK 45,047,02 vom 27.11.45. 8.
Dr. Schumacher erklärte weiter, daß man den Begriff „Wiederaufbau" nicht zu schematisch begreifen solle. Die Sozialdemokratie strebe keinen Wiederaufbau an, der möglicherweise zu viel Elemente des Kapitalismus und der Reaktion enthalte, sondern die Sozialdemokratie wolle e i n e n N e u b a u i m S i n n e d e s S o z i a l i s m u s . Zum Sozialismus führen aber nicht nur die marxistischen Auffassungen als einziger Weg; man möge nicht vergessen, daß viele der besten Kämpfer für diese große Menschheitsidee auch aus anderen Beweggründen, aus philosophischen, ethischen und religiösen Impulsen heraus für das gleiche Ziel arbeiteten. „Sozialismus und Demokratie untrennbar / / Dr. Schumacher auf der Funktionärsversammlung der SPD", TS 46,093,02 vom 21.04.46.
9. Allerdings, die ausgesperrten Arbeiter in Kiel-Friedrichsort, sie haben es ihnen weiß auf schwarz gegeben: „Wir wollen arbeiten und nicht demontieren" und „Ist Demontage Wiederaufbau? Nein! Hunger!" Solche Sätze haben sie mit weißer Farbe an den schwarzen Bretterzaun ihrer zugesperrten Fabrik , der „Holmag", gemalt. Jan Molitor: „Eine Fabrik muß nach Nürnberg", ZEIT 47,039,02 vom 25.02.47.
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10. Karl Arnold ging hinter die Kulissen. Kurz darauf tauchte er am Rednerpult direkt vor den Abgeordneten wieder auf. „Das 'Ja' des Marshall-Plans als ein Mittel des Aufbaus und das 'Nein' des Demontage-Plans als eine Maßnahme des Abbaus haben in den Vorstellungen der Bevölkerung ein Doppelgesicht geschaffen, das geeignet ist, das Vertrauen in den Fortschritt und in die europäische Zusammenarbeit aufs schwerste zu belasten", sagte er. „...endgültig zu erschüttern", hieß es im Manuskript. SPIEGEL 47,044,02 vom 01.11.47.
11. „Berlin im Mittelpunkt des Ost-West-Handels // Friedrich Ebert kündigt umfassenden Plan für den Wiederaufbau der deutschen Hauptstadt an" ND 49,148,01 vom 28.06.49.
12. Plakat der CSU von 1949 Wir können nicht zaubern aber wir bauen auf // gegen Sozialisierung // Deine Stimme der Partei der Verantwortung // wählt CSU POLITIK UND PLAKAT, Plakat Nr. 58.
13. Plakat der CDU vom September 1949 Am Scheideweg // der Wirtschaft // Unsere Stimme führt / / z u Arbeit und Aufbau // Wir wählen CDU [Bild: eine Wegkreuzung] TOMAN-BANKE, cd/3/49.
14. Plakat der SPD vom September 1949 Die SPD baut // ein neues Deutschland TOMAN-BANKE, sp/10/49.
Wiedergutmachung / Reparationen Schlagwort-Varianten: andere Varianten: verwandte Wortformen: häufige Verbindungen: Schlagwortfeld: Aktualität als Schlagwort:
wieder gutmachen,
niedergutmachen
Wiederauflau 1945-1949
Wiedergutmachung bezeichnet die materiellen Ausgleichsleistungen an die Siegermächte (Reparationen) und die Begleichung der moralischen Schuld an denen, die unter den Nationalsozialisten zu leiden hatten.
Wort- und Begriffsgeschichte Die Wortbildung ist eigentümlich: Auf den ersten Blick könnte das Lexem der Kindersprache entstammen, einmal wegen der so einfach klingenden Lexeme gut und machen, dann aber auch wegen der implizierten naiven Vorstellung, dass eine schlechte Sache — ein Fehler, eine Sünde, ein Missgeschick — ungeschehen gemacht werden könne. Damit kontrastiert die ungewöhnliche Substantivierung -machung, die dem Lexem einen geradezu bürokratischen Stempel aufdrückt. Nach dem 1. Weltkrieg wurde Wiedergutmachung (auch im Plural) in der Bedeutung 'Kriegsentschädigung' synonym (vielleicht als Lehnübersetzung) zu Reparationen) gebraucht.688 Als Substantivierung zu reparieren bedeutet Reparation zunächst 'Ausbesserung, Instandsetzung' (zuerst belegt 1577, bis ins 19. Jh.). Im Zusammenhang mit den Deutschland im Versailler Vertrag auferlegten finanziellen und materiellen Entschädigungsleistungen erhält Reparationen (selten im Singular) die spezielle Bedeutung Wiedergutmachung, Kriegsentschädigung'.689 Das gleichbedeutende frz. réparations hat auf diese neue, schlagwortartig verwendete Variante eingewirkt.690 Der Bezug zum 1. Weltkrieg war jedenfalls 1945 noch Bestandteil der Bedeutung, und auch heute wird Reparationen wohl eher mit dem 1. als dem 2. Weltkrieg oder anderen Kriegen in Verbindung gebracht. Das 'DFWB bringt indes Beispiele für beides. Thema Die Forderung nach Wiedergutmachung wird zunächst von den Kriegsgegnern an Deutschland gerichtet, die unter der deutschen Besatzung gelitten haben: Russ-
688 Vgl. 'DFWB, s.v. „Reparation" (1977). 689 Vgl. PAUL, s.v. „reparieren". 690 Vgl. 'DFWB, s.v. „Reparation" (1977).
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Wiedergutmachung / Reparationen
land, die Ostblockländer, Frankreich, Benelux. Finanzielle Entschädigung steht im Mittelpunkt, obwohl es auch um moralische Schuld geht. Daneben ist Wiedergutmachung auch ein innerdeutsches Thema. Opfer des Faschismus fordern Wiedergutmachung. Es wird aber auch die Frage erörtert, was von den ungeheuren Verbrechen überhaupt wiedergutgemacht werden kann. Praktisch konnte Wiedergutmachung nur materiell erfolgen. Die umfangreichsten Reparationen hatte die SBZ/ DDR zu leisten691, während sich die der Westzonen in Grenzen hielten (->Demontage). Besondere Bedeutung hatte in der Bundesrepublik die Wiedergutmachung am jüdischen Volk, die mit Israel vertraglich geregelt wurde. Diskurs Es sind als erstes die Sieger, allen voran die Sowjetunion, die Wiedergutmachung von Deutschland erwarten. Die Parteien müssen sich damit auseinandersetzen und nehmen alle Stellung dazu. Die Diskussion um (auferlegte) Reparationen und (freiwillige) Wiedergutmachung aus moralischer Verpflichtung läuft ineinander. Aufkommen Die ersten Forderungen nach Wiedergutmachung finden sich in den Blättern der Besatzungsmächte. [1, 2, 3] Entfaltung Bereits in diesen ersten Belegen erscheint die Problematik der Wiedergutmachung in ihrer finanziellen und moralischen Dimension: Wiedergutmachung bedeutet einerseits den Ausgleich materieller Kriegsschäden im Ausland, der Deutschland von den Siegermächten auferlegt wird. Der rechtliche Terminus für solche Leistungen, der in den entsprechenden Kontexten überwiegt, ist Reparationen, Wiedergutmachung ist seltener, aber auch üblich. [4] Die Ungewissheit über die Höhe und Dauer der Reparationen ist in den Westzonen auch eng mit der Frage des wirtschaftlichen Neuanfangs verknüpft [5], zudem entsteht ein Streit mit den Besatzungsmächten, ob Lieferungen als Reparationen oder Exporte gelten sollen. [6] Wiedergutmachung bedeutet andererseits die Begleichung einer moralischen Schuld an den besetzten Staaten und an den Opfern des Faschismus in Deutschland, die nur bedingt materiell erfolgen kann. Daraus folgt die Argumentation, dass Reparationen bzw. finanzielle Entschädigung allein nicht zur Wiedergutmachung taugen, sondern dass eine Erkenntnis der Schuld und eine Besserung damit einhergehen müssen. [7, 8] Welch ungekannte Dimension die Schuld hat und wie unmöglich eine Wiedergutmachung ist, offenbart im Nachhinein ein Zitat des Vorsitzenden der Ost-CDU Hermes. [9] 691 Zu Umfang und Dauer von Reparationen und Demontage vgl. DDR-HANDBUCH, s.v. „Reparationen".
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Wiedergutmachung / Reparationen
Umstritten ist, welche Personenkreise in Deutschland Wiedergutmachungsleistungen erhalten sollen. Die Opfer des Faschismus werden an erster Stelle genannt [10], doch auch die Kriegsversehrten und die Vertriebenen fordern sie für sich ein. [11] In den programmatischen Äußerungen der ostdeutschen Sozialisten wird stereotyp Wiedergutmachung gefordert, und zwar häufig zusammen mit Wiederauflau. [12, 13] Reparationen wird in der Ostzone nie in Bezug auf die eigene Situation verwendet, eine deutliche Auswirkung der sowjetischen Sprachpolitik. Abklingen und Nachwirkungen Sofern sich das ND nicht im Rahmen des westlichen Diskurses äußert, wird Wiedergutmachung nach 1946 in der SBZ nicht mehr verwendet. In der Bundesrepublik wird Wiedergutmachung nach dem Wiedergutmachungsabkommen mit Israel aus dem Jahr 1952 vor allem auf Leistungen an den Judenstaat verengt. Paul dokumentiert jedoch auch den frühen Sprachgebrauch: „seit 1945 auch speziell W. für die Opfer des nat.soz. Regimes, z.B. im Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt 'Gesetz Nr. 9 betreffend sozialrechtliche W. von Schäden, die durch das nationalsozialistische System verschuldet worden sind' (Nr. 3, Feb. 1946)".692 Dass die Frage der Wiedergutmachung in der Bundesrepublik bis heute aktuell ist, zeigt die Debatte um Entschädigung von Zwangsarbeitern. In allen gegenwartssprachlichen Wörterbüchern fehlt für Wiedergutmachung der Bezug zur Nachkriegszeit; das selbe gilt für Reparationen. Literatur Goscher, Constantin: Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus 1945-1954. München 1992. Peterson, Birgit: Die amerikanische Reparationspolitik in Deutschland 1945-1949 im Spannungsfeld der deutschlandpolitischen Zielsetzungen der vier Mächte. [Diss.] Würzburg 1993.
Belege 1. Es wird Generationen brauchen, bis die Namen Warschau, Lublin, Rotterdam, Lidice, Distomo, Majdanek, Birkenau, Treblinka und viele andere der Kulturmenschheit etwas anderes bedeuten werden, als ein Versinken der Deutschen in unvorstellbarer Barbarei. Das Schuldkonto, das die nationalsozialistische Regierung auf die Schultern des deutschen Volkes geladen hat, wird niemals wieder gutzumachen sein. „Der Nazi-Massenmord in Krieg und Frieden bleibt Denkmal des 3. Reiches", HZ/Mitteilungen, Alliiertes Nachrichtenblatt der AMerten 6. Heeresgruppe 45,005,04 vom 12.05.45.
692 PAUL, s.v. „Wiedergutmachung".
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Wiedergutmachung / Reparationen
2. Auf diesen deutschen Soldaten, die jetzt heimkehren, liegt eine große Verantwortung. In den nächsten Wochen und Monaten können sie ihrem eigenen Volke gegenüber wenigstens teilweise gutmachen, was die Wehrmacht durch ihren sinnlosen Widerstand vernichtet hat. Die Wiedergutmachung findet ihren besten Ausdruck in intensiver Bearbeitung des Landes. Denn das deutsche Volk wird diesen Winter nur das zu essen haben, was auf dem eigenen Boden gewachsen ist. „Querschnitt", HZ/Kölnischer Kurier 45,010,01 vom 02.06.45.
3. Zahllos sind die Verbrechen des Hiderregimes. Die Völker der Sowjetunion werden es mit vollem Recht in Erinnerung behalten, daß diese Verwüstungen das Werk deutscher Hände sind. Ihre resdose Wiedergutmachung ist Deutschlands Pflicht. „Leben erwacht aus den Ruinen", TR 45,023,01 vom 09.06.45.
4.
In drei Memoranden vom 6. November 1946, 14. Januar 1947 und 25. Januar 1947 sind die niederländischen Forderungen auf Wiedergutmachung niedergelegt. Es hat aber eine ungeheure Überraschung hervorgerufen, daß neben den wirtschaftlichen Ansprüchen sich territoriale Forderungen anmeldeten. Einmütige, eindrucksvolle Protestkundgebungen durchliefen das westdeutsche Land. Niederländischerseits spricht man nur von „G r e n z b e r i c h t i g u n g e n " . Georg Schreiber: „Forderungen auf deutsches Land im Westen. Ansprüche der Niederlande", ZEIT 47,049,03 vom 04.12.47.
5.
Unter dem Begriff „Reparation" vereinigen sich die materiellen Interessen der Sieger an Deutschland. Die Form und die Mittel des Regimes des Besatzungsmächte in Deutschland werden von ihr mitbestimmt; sie bildet den Schlüssel zur politischen Gestaltung der deutschen Wirtschafts- und Sozialordnung. Wilhelm Weniger: „Die produktive Reparation", FH 47,003,237 vom März 1947. 6. [Zwischentitel] Das Wort „Reparationen" nicht erwünscht In der Antwort auf die Bitte des Wirtschaftsrates, R e p a r a t i o n s l e i s t u n g e n a n H o l z auf ein Mindestmaß zu beschränken, wendet sich das Zweizonenkontrollamt der Militärregierungen zunächst scharf gegen den Gebrauch des Wortes „Reparationen" und verlangt vom Wirtschaftsrat, der Öffentlichkeit mitzuteilen, daß die Holzexporte aus der englisch-amerikanischen Zone nach dem Weltmarktpreis in fremder Währung bezahlt würden, wofür für die deutsche Bevölkerung Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter eingekauft würden. Die Exporte hätten keinen nennenswerten Einfluß auf die Holzverknappung. Auch halte sich der Holzeinschlag in angemessenen Grenzen. „Vorläufig keine Währungsreform / / Tagung des Wirtschaftsrates — Berichte der Direktoren — Erklärungen der Militärregierungen", RP 47,032,01 vom 06.09.47.
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7.693 REPARATIONEN sind ein nach dem ersten Weltkriege im internationalen Sprachgebrauch geläufiger Begriff. Der Deutsche, der scheußliche Wortgebilde liebt, übersetzt ihn mit „Wiedergutmachung". In der Tat sollen Reparationen einen angerichteten Schaden gutmachen - das „Wieder" ist ganz überflüssig. Wenn also jetzt Maschinen, Arbeitskraft und Nahrung aus Deutschland herausgeholt werden, um damit einiges von dem wiederherzustellen, was die Hitlerpartei, Himmlers Kumpane, die Wehrmachtskommandeure und Industriekapitäne zu gleichen Teilen gestohlen und verwüstet haben, so handelt es sich um den Versuch eines materiellen Ersatzes. Um den Versuch: denn es soll etwas gutgemacht werden, was gar nicht gutgemacht werden kann. Und damit kommen wir auf die zweite, wichtigere Bedeutung des Begriffs „Reparationen". Der Titel, unter dem sie verlangt werden, ist wesentlicher als das, was durch sie praktisch geleistet wird. Es ist der Titel der Moral. Man kann einen Schaden beheben, falls er nicht, wie diesmal, allzu „total" ist. Dazu sind uns in den Kapitulationsbedingungen die Reparationen auferlegt worden, die wir in aller Einsicht und Selbstverständlichkeit zu erfüllen haben. Darüber gäbe es auch dann keine Diskussion, wenn sie äußerlich möglich wäre. Nach den unglückseligen Erfahrungen, die nach dem Ende des vorigen Weltkrieges gemacht wurden, ist es natürlich, daß die Reparationen anders aussehen und anders verwirklicht werden als damals. Die Art, in der es geschieht, hat gleichzeitig den Zweck, die Wiederholung eines Attentats auf das Leben der Menschheit, wie es das nationalsozialistische Deutschland beging, zu verhindern. Und hier wird bereits das Moralische gestreift. Ein Unrecht ist überhaupt nur moralisch, materiell nie gutzumachen. Dazu gehört, daß wir unsererseits die Notwendigkeit der Reparationen nicht nur nicht als ein menschliches Unrecht, das uns zugefügt wird, sondern als Zwang eines göttlichen Rechts empfinden, kraft dessen wit uns innerlich wandeln. Es gehört zweitens dazu, daß wir die Gründe begreifen und anerkennen, und drittens, daß wir durch das Materielle und Moralische hindurch zu dem sachlich-politischen Hintergrund vordringen. Erst wenn wir alle die Überzeugung haben, die einige wenige von uns schon immer hatten, daß nämlich ohne diese Diebstähle von Lebens- und Produktionsmitteln in anderen Ländern, besonders in Rußland, Frankreich, Holland und Belgien, ohne diese Verschleppung von Arbeitskraft, ohne die Verschleuderung technischer und hygienischer Hilfsmittel der Krieg weit früher zu Ende gewesen wäre, weil die Agonie des nationalsozialistischen Fassadenstaates dadurch beschleunigt und der chronische Mangel sichtbarer und unentrinnlicher geworden wäre — erst dann, meinen wir, wenn jeder einzelne Deutsche das einsieht, werden die Reparationen an uns selber fruchtbar werden. TS 45,018,02 vom 06.11.45.
8. Wenn wir das erreichen, ein freiheitsliebendes demokratisches und friedfertiges Deutschland in Europa zu haben, dann ist das eine größere Reparation als alle Maschinen, die auf deutschem Boden stehen. Kurt Schumacher: „Sozialismus — Gegenwartsaufgabe", NHK 46,037,03 vom 10.05.46.
9. Auf der großen Einheitskundgebung der vier antifaschistischen Parteien, die, wie erinnerlich, der Stellungnahme zu den Berliner Beschlüssen der Alliierten gewidmet war, ist es auch zu einer bemerkenswerten Äußerung zur Judenfrage gekommen. Der Vorsitzende der „Christlich-Demokratischen Union", Dr. Andreas Hermes, erklärte folgendes:
693 Der Artikel ist vollständig wiedergegeben.
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Wiedergutmachung / Reparationen
„Unter allen Verbrechen des Nazisystems ist vielleicht das an den Juden im In- und Ausland begangene das entsetzlichste. Hier gilt es, eine große Schuld zu sühnen und wiedergutzumachen. Wir Antifaschisten wollen unseren jüdischen Mitbürgern sagen, daß wit unsere Tore weit aufmachen für sie und daß wir hoffen, sie werden die jahrtausendealte Weisheit ihres Volkes mit in den Dienst des Wiederaufbaues eines besseren Deutschland stellen." „Zur Judenfrage", NZ 45,032,01 vom 28.08.45.
10. Die Ausführungen von Staatskommissar Auerbach betrachte ich als eine Sache, die den Deutschen nicht oft genug gesagt werden kann, da sie sie noch immer nicht begriffen haben. Es ist natürlich leicht, wie Dr. Schumacher es im Wahlkampf tat, die Kriegsversehrten und gar das ganze deutsche Volk als Opfer des Faschismus zu bezeichnen. Es ist wahr, kein Volk außer dem jüdischen, hat unter Hider so sehr gelitten, wie das deutsche, aber kein Volk ist, insgesamt genommen, an Hider so schuldig wie das deutsche. Darum ist es ein Gebot der menschlichen Gerechtigkeit, an den eigentlichen Opfern des Faschismus Wiedergutmachung zu üben, bevor von irgendeinem anderen Personenkreis auch nur die Rede sein kann. Leserbrief von Hans-Dieter Meinelt: „Opfer des Faschismus", SPIEGEL 47,043,22 vom 25.10.47.
11. Im vergangenen Jahr hat Papst Pius XII. in einem Brief an die deutschen Bischöfe von einer Wiedergutmachung des an zwölf Millionen ausgewiesenen Deutschen begangenen Unrechts gesprochen. Ausgewiesene aus den deutschen Ostgebieten faßten das Wort Wiedergutmachung in ihrem Sinne auf: sie denken nur an eine Rückkehr in die alte Heimat (ohne sich in der Regel über das Wie besondere Gedanken zu machen). „Der Papst und die Oder-Neiße-Iinie", FH 49,001,03 vom 01.01.49.
12. Der mit der Verordnung des Magistrats geführte Schlag gegen die ökonomischen Grundpfeiler des deutschen Faschismus ist nur als erster, wenn auch besonders wichtiger Schritt auf dem Wege der stärkeren Heranziehung der aktiven Nazis und Kriegsgewinnler zur Wiedergutmachung und zum Wiederaufbau anzusehen. Weitere Maßnahmen gegen die sich vielfach mit größter Unverfrorenheit wieder breitmachenden Faschisten dürften folgen, insbesondere auf solchen Gebieten, die unter den heutigen Verhältnissen unter starker Uberbesetzung leiden, oder wo eine große erzieherische Aufgabe zu erfüllen ist, die man unmöglich in faschistischen Händen belassen kann. Die junge antifaschistische Demokratie ist genötigt, hart zuzuschlagen, aber nicht, um zu rächen, sondern um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, um wiedergutzumachen, wiederaufzubauen. Karl Maron (Bürgermeister): „Zur Beschlagnahme der Nazivermögen", BZ 45,051,01 vom 13.07.45.
13. Grundsätze und Ziele der Statistischen Einheitspartei Deutschlands vom 21.04.46 Von allen Schichten des deutschen Volkes haben die Werktätigen das größte Leid, die größten Lasten getragen. Sie sind die große Mehrheit des Volkes. Auf ihren Schultern ruht in erster Linie die Last des Wiederaufbaus und der Wiedergutmachung. FLECHTHEIM, Band 3,2, S. 356.
Wirtschaftsdemokratie Demokratie
Zentralismus / Unitarismus Schlagwort- Varianten: andere Varianten: verwandte Wortformen: häufige Verbindungen: Schlagwortfeld: Aktualität als Schlagwort:
demokratischer Zentralismus Zentralist, ^entralistisch; Unitarist, unitarisch, unitaristisch Einheit, Föderalismus, Preußen Herbst 1945-1949
Zentralismus und Unitarismus sind bis 1949 Stigmawörter der Föderalisten fur Positionen, die entweder einen Einheitsstaat oder eine starke Zentralgewalt in einem Bundesstaat anstreben. Bis 1947 häufig auf die Einheitsbefiirworter in Berlin und vor allem die SED angewendet, wobei ein starker anti-preußischer Affekt mitschwingt, sind die Lexeme ab 1948 primär Schlagwörter im Diskurs der Westzonen. Die SED fuhrt Anfang 1949 die Gegenprägung demokratischer Zentralismus ein, die das Organisationsprinzip der „Partei neuen Typus" bezeichnet.
Wort- und Begriffsgeschichte Zentralismus Als Ableitung zu zentralisieren und Zentralist kommt Zentralismus im späten 19. Jh. auf, bedeutungsgleich mit engl, centralism und frz. centralisme. Zum Bedeutungskern gehört die lat. Wurzel centrum — 'Mittelpunkt' und der Kontext der (staatlichen) Organisation: Als 'auf ein Zentrum hinordnendes Prinzip' ist Zentralismus auch in den gegenwartssprachlichen Wörterbüchern verzeichnet, z.B. im DUDEN FREMDWÖRTERBUCH: „das Bestreben, Politik und Verwaltung eines Staates zusammenzuziehen u. nur eine Stelle mit der Entscheidung zu betrauen". Im 'DFWB begegnet der seltene Fall, dass ein Lexem als Schlagwort definiert wird: Zentralismus ist ein „im Zusammenhang mit der Entwicklung der europäischen Nationalstaaten verwendetes politisches Schlagwort zur Bezeichnung eines staatlichen Struktur-, Organisations-, Ordnungs- und Herrschaftsprinzips in der Bed. '(Streben nach) Festigung der Staatsgewalt durch Konzentration der politischen Macht und der staatlichen Entscheidungsbefugnisse in einer zentralen übergeordneten/ obersten Instanz; straff organisierte Verwaltung, Leitung, Regierung, bei der die politische Entscheidungskraft, alle politische Kompetenzen ausschließlich beim Staat oder einem staatlichen Zentralapparat konzentriert und die politische Eigenständigkeit der dem Staatswesen eingegliederten gesellschaftlichen Teilgebilde,
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Zentralismus / Unitarismus
Körperschaften o.ä. weitgehend eingeschränkt ist', selten auch für 'zentralistíscher Einheitsstaat', auf unterschiedlich strukturierte Gesellschaftssysteme bezogen und unterschiedlich wertend verwendet und je nach politischem Standort gleichbed. gebraucht mit Bürokratismus, Dirigismus, Kollektivismus, Unitarismus, Totalitarismus, Universalismus und früher vereinzelt mit Absolutismus, Josefinismus, Despotismus, im Ggs. zu Föderalismus, Partikularismus, Regionalismus, Atomismus, meist abwertend verwendet im Sinne von 'Streben, Prinzip, System, das das gesamte politische, soziale, wirtschaftliche, kulturelle Leben bürokratisch, technokratisch, dirigistisch bzw. kontrollmonopolistisch, diktatorisch verwaltet und so jede freie politische Willensbildung, Initiative unterdrückt, dem Totalitätsanspruch des Staates oder eines staatlichen Zentralorgans unterwirft'"694. Unitarismus Als Unitarier bezeichneten sich zunächst die Anhänger einer protestantischen Lehre, die die Einheit Gottes in der Trinität betonten. Aus dem angelsächsischen Sprachraum stammend, wurde das Lexem in den deutschen eingeführt, wo im frühen 19. Jh. das Abstraktem Unitarismus abgeleitet wurde. Zu Grunde liegt den gelehrten Bildungen lat. unitas = 'Einheit' bzw. unitaris — 'einheitlich'. Unitarismus dient „vor allem im staatlich-politischen Bereich zur Bezeichnung eines (zentralistischen) Bundesstaats oder Staatenbunds, in dem die Selbständigkeit der Gliedstaaten stark eingeschränkt ist (Ggs. Föderalismus, Partikularismus)" 695 , seltener für die in Deutschland nicht sehr verbreitete religiöse Lehre. Unitarismus diente entweder als neutrale Bezeichnung oder als negatives Schlagwort der Föderalisten für die gegensätzliche Position zum Föderalismus/ Partikularismus. Eventuell diente das Lexem auch ohne emotionale Komponente als Selbstbezeichnung; 696 das positive Schlagwort der Unitaristen war "Einheit bzw. Unitas. Beide Lexeme stehen im historischen Zusammenhang der immer wieder neu belebten Debatte über das Verhältnis eines deutschen Gesamtstaates zu seinen Gliedern, insbesondere bei den Verfassungsberatungen der Jahre 1848, 1871 und 1918, aber durchaus auch in der jeweiligen Zwischenzeit, z.B. bei der Reichsreform-Diskussion in der Weimarer Republik, bei denen sich die Anhänger einer starken Zentralgewalt und die Vertreter größtmöglicher Unabhängigkeit der Staaten/ Länder oft unversöhnlich gegenüber standen. Die Phasen dieses Streites sind ausführlich unter dem Eintrag -^Föderalismus dargestellt. Es sollte an dieser Stelle jedoch noch festgehalten werden, dass der unitarische/ zentralistische Standpunkt mit Preußen identifiziert wurde. Preußen war durch sein Übergewicht stärker als alle anderen deutschen Staaten und Länder mit dem Gesamtstaat verflochten, was sinnfällig in der Wahl des preußischen Königs zum deutschen Kaiser zum Ausdruck kam.
694 'DFWB, s.v. „Zentralismus" (1983). 695 'DFWB, s.v. „Unitarismus" (1983). Der erste Beleg für die Verwendung im politischen Kontext, den das 'DFWB anfuhrt, datiert von 1849. 696 Das ' D F W B belegt eine solche Verwendung allerdings nicht.
Zentralismus / Unitarismus
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Zentralismus und Unitarismus erscheinen hier gemeinsam, weil sie als Feindwörter der Föderalisten nahezu gleichbedeutend gebraucht werden. Thema und Diskurs Föderalismus Aufkommen Die Siegermächte trugen dem von ihnen erkannten Zusammenhang zwischen dem im Dritten Reich praktizierten Zentralismus und der Macht der Nazi-Diktatur dadurch Rechnung, dass sie im Abkommen von Potsdam eine dezentrale Neustrukturierung Deutschlands festschrieben. [1] Dies bestärkte die föderativen deutschen Kräfte in ihrer alten Ablehnung von Unitarismus und Zentralismus als Prinzipien des Staatsaufbaus: Aus den Monaten Oktober und November 1945 stammen die ersten Belege für SchlagwortGebrauch. [2, 3] Entfaltung Zentralismus Bereits in den Belegen [3, 4] wird deutlich, wie sehr der gesamte Föderalismus-Oiskurs der Nachkriegszeit historisch determiniert ist. Es wird auch deutlich, dass nicht nur die Weimarer Republik und die Nazi-Diktatur den argumentativen Rahmen für die Ablehnung des Zentralismus abgeben, sondern dass diese mindestens bis ins zweite Kaiserreich zurückreicht. Die anti-preußische Haltung ist sogar älter, namentlich im Rheinland, das im Gefolge des Wiener Kongresses (1815) von Preußen inkorporiert wurde. Die Argumentation der Föderalisten geht aber über diesen Rahmen hinaus, indem sie Zentralismus als das Prinzip darstellt, das kontinuierlich und sich steigernd von der preußischen Hegemonie über das Bismarcksche Reich und die Weimarer Republik zur Hitlerschen Diktatur führte. [5, 6] Die Identifizierung der Kontinuitäten mit dem Zentralismus, der von den Föderalisten schon immer abgelehnt wurde, bedeutet gleichzeitig die Rehabilitierung der eigenen Position, wohingegen verschiedentlich eingewendet wird, dass die schwersten Angriffe auf die Weimarer Republik von Bayern aus erfolgten, während Preußen eine Stütze der Demokratie gewesen sei. [7] Der Argwohn der Föderalisten gegen Berlin und alle Verfechter des Einheitsstaates bringt das Schlagwort Zentralismus schon 1946 in Zusammenhang mit der SED. [8, 9] Doch auch zurückhaltendere Vertreter des föderalen Prinzips als der „Rheinische Merkur" thematisieren Parallelen zwischen den Vorstellungen der SED und dem Staat der Nationalsozialisten, die u.a. im zentralistischen Staatsaufbau bestehen. [10]
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Zentralismus / Unitalismus
Auch wenn keine Gruppe explizit für Zentralismus eintritt, regt sich doch Widerspruch gegen die Gleichsetzung des Einheitsstaates bzw. von Einheit mit Zentralismus. [11,12,13] 1948, als klar ist, dass es einen föderativ verfassten Staat im Westen Deutschlands geben wird und als mit dem Frankfurter Wirtschaftsrat eine Art vorparlamentarische Repräsentation geschaffen ist, verengt sich der Diskurs im Westen auf die Gestaltung der neuen Institutionen und der Verfassung. Von Seiten der Föderalisten wird wieder mit dem Schlagwort Zentralismus vor einer zu starken Gewichtung der zentralen bzw. der Bundesinstanzen gewarnt. [14] In der SBZ etabliert die SED im Zuge ihrer organisatorischen Straffung das Mehrwortlexem demokratischer Zentraüsmus. Da auch für die Sozialisten Zentralismus allein eine negative Wertung beinhaltet [10], nehmen sie durch das positive Attribut demokratisch eine Gegenprägung vor. Otto Grotewohl fuhrt den Begriff in seinem Referat auf der 1. Parteikonferenz der SED vom 25.-28. Januar 1949 über die „Partei neuen Typus" ein. [15] Die scheinbare Unvereinbarkeit von Demokratie und Zentralismus, die im deutschen Sprachraum auf Grund der Schlagwortgeschichte möglicherweise stärker empfunden wurde als in anderen Ostblockstaaten, kann durchaus als beabsichtigt gelten, weil das Besondere der Partei neuen Typus gerade in der Verbindung von demokratischen Wahlen der Führungsgremien von unten nach oben mit absoluter Weisungsbefugnis der gewählten Gremien von oben nach unten liegt - diese Verbindung macht die Schlagkraft der Partei aus.697 Unitarismus Unitarismus wird oft mit Zentralismus im selben Kontext gebraucht, nahezu synonym, was bewirkt, dass das schwächere Unitarismus, das ursprünglich vereinheitlichende Tendenzen innerhalb eines Bundesstaates bezeichnet, durch die semanti-
697 Obwohl der Begriff in der SBZ neu eingeführt wird, kann er bereits auf eine längere Vorgeschichte zurückblicken: „Der d.Z. entstand als Organisationsprinzip der revolutionären Arbeiterpartei, das das einheitliche Handeln aller ihrer Mitglieder und die Durchführung der von der Leitung gefaßten Beschlüsse gewährleistet, und wurde erstmalig 1847 im Statut des Bundes der Kommunisten verankert. Er wurde später von W. I. Lenin in der Partei neuen Typs weiterentwickelt. Jede marxistisch-leninistische Partei ist nach den Prinzipien des d.Z. aufgebaut. Das bedeutet: Leitung der Partei von einem gewählten Zentrum aus; periodische Wahl aller leitenden Parteiorgane von unten nach oben; Kollektivität der Leitung; periodische Rechenschaftspflicht der Parteiorgane vor den Organisationen, durch die sie gewählt wurden; straffe Parteidisziplin und Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit; unbedingte Verbindlichkeit der Beschlüsse der höheren Organe für die unteren Organe und die Mitglieder, deren vielfältige Erfahrungen in die Beschlüsse der höheren Organe einfließen; aktive Mitarbeit der Parteimitglieder in ihren Organisationen zur Durchsetzung der Beschlüsse. Der d.Z. verbindet so einen straffen Zentralismus mit breiter innerparteilicher Demokratie und ist entscheidend für die Einheit und Geschlossenheit, die Erhaltung der Kampfkraft der marxistisch-leninistischen Partei als Führerin der Arbeiterklasse u n d aller W e r k t ä t i g e n . " W O G E , s.v. „demokratischer Zentralismus".
Zentralismus / Unitarismus
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sehe Nähe zum allgemein abgelehnten Zentralismus pejorisiert wird. [3, 8, 10] Allerdings ist Unitarismus weniger frequent als Zentralismus. Abklingen und Nachwirkungen Zentralismus In der Bundesrepublik wird der Diskurs über ein Mehr oder Weniger an Föderalismus weitergeführt: Boke nennt „Zentralismus als konzeptuelle Gegenvokabel zu Föderalismus und als Anti-Mirandum, das sich besonders gut zur Diffamierung des politischen Gegners eignete"698, und zwar für ihren gesamten Untersuchungszeitraum bis 1961. Wann Zentralismus aus dem öffentlichen Diskurs der BRD geschwunden ist, ließ sich nicht ermitteln. Im Rahmen der Diskussion um die staatliche Gestaltung der Wiedervereinigung 1989/90 erscheint das Lexem (im Gegensatz zu Bundesstaat und Staatenbund) nicht mehr und hat auch bis heute keine Renaissance erlebt. In der DDR wurde der demokratische Zentralismus „das Organisations- und Leitungsprinzip der marxistisch-leninistischen Partei und des sozialistischen Staates"699 und blieb damit in der öffentlichen Sprache präsent, wenn auch nicht als Schlagwort. Alle gegenwartssprachlichen Wörterbücher verzeichnen Zentralismus, ohne auf seine zeitweilige Brisanz einzugehen; unter dem Lemma „Zentralismus" verzeichnet das WDG demokratischer Zentralismus als Neuprägung der DDR700, BW definiert ihn ohne Bezüge als „kommunistisches Organisationsprinzip nach Lenin".701 Unitarismus Im bundesrepublikanischen Sprachgebrauch ändert sich die Verwendung von Unitarismus. Boke fasst zusammen: „Im Gegensatz zu Zentralismus war Unitarismus ein Fahnenwort der Vertreterinnen einer Stärkung des Gesamtstaates. Im Sprachgebrauch dieser Parteien avancierte es wie Einheit, Vereinheitlichung/ Einheitlichkeit zur positiven Konkurrenzvokabel von Zentralismus"1®1 Allerdings wurde
698 BOKE, Zwischen Föderalismus und Zentralismus, S. 84. 699 WÖGE, s.v. „demokratischer Zentralismus". 700 WDG, s.v. Zentralismus": „ N e u p r ä g . D D R der demokratische Z. Organisationsprinzip der S02. Demokratie, das gekennzeichnet ist durch eine zentrale Leitung und Planung wie durch die schöpferische Mitarbeit aller und die stufenweise von unten nach oben erfolgende Wahl sämtlicher leitender Organe." 701 DUDEN 10 erwähnt die Sonderbedeutung nicht, bringt als Beispiel s.v. „Zentralismus" aber: „Der Komsomol ist nach dem Prinzip des demokratischen Z. aufgebaut (Leonhard, Revolution 57)«. 702 BOKE, Zwischen Föderalismus und Zentralismus , S. 94. Bokes Untersuchung über die AdenauerÄra schließt in der Regel die Nachkriegszeit mit ein. Ihr Befund widerspricht dem hier festgestellten jedoch nicht, da ihr frühester Beleg von 1950 stammt. Dass im Korpus dieser Arbeit eine positive Verwendung gar nicht zu belegen war und der Wandel in der Wertung zwischen 1949
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das Lexem nach wie vor von den Gegnern eines starken Gesamtstaates pejorisierend in Zusammenhang mit Zentralismus gebracht.703 Als Terminus der Historiografie bezeichnet Unitarismus (in allen eingesehenen Werken) die Gegenposition zum Föderalismus in allen Diskursen um das Gewicht der Gliedstaaten im Gesamtstaat seit 1848. Für die lexikografische Repräsentation gilt das selbe wie für Zentralismus·. Ein Eintrag ist jeweils enthalten, ohne Hinweis auf Brisanz oder bestimmte historische Kontexte.
Literatur BOKE, Karin: Zwischen Föderalismus und Zentralismus. Leitvokabeln zum bundesstaatlichen Aufbau. In: BOKE/ LIEDKTE/ WENGELER, S. 51-129. Johnstone, Monty: Artikel „demokratischer Zentralismus". In: HKWML, Band 2 (1995), Sp. 569-580.
weitere Literatur unter -^Föderalismus
Belege 1. Potsdamer Protokoll vom 02.08.45 9. Die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten in Deutschland soll auf die Dezentralisierung der politischen Gliederung und die Entwicklung der örtlichen Verantwortlichkeit ausgerichtet werden. DOKUMENTE ZUR DEUTSCHLANDPOLITIK, S. 2101-2122. 2.
An zu vielen Stellen hat man gleich im Großen angefangen, statt von unten heraufzugehen. Auch hat man nicht überall erkannt, daß die gesamte deutsche Entwicklung auf ein Föderativsystem zusteuert, das weder mit dem Zwitter des Bismarckschen Bundesstaates, noch mit dem Zentralisationswahnsinn eines „Großdeutschen Reiches" (der nicht erst mit Hitler, sondern schon gleich 1918 mit dem sozialdemokratischen Anschlußpropagandisten Paul Löbe begann) das mindeste zu tun hat. „Die deutschen Länder", TS 45,007,02 vom 11.10.45.
3.704 Föderalismus bedeutet, wie der Name sagt, ein Bundesverhältnis. Das setzt freie und gleichberechtigte Vertragsteile voraus. Beim politischen Bund ist es wie in einer guten Ehe: jeder Teil verzichtet freiwillig auf ein Stück seiner persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit, um durch die Lebensgemeinschaft höhere Ziele zu erreichen, als sie jedem Teil für sich allein möglich sind. Das Gegenteil eines freien Bundes ist Herrschaft, der auf der be-
und 1950 daher so abrupt erscheint, könnte darauf zurückzuführen sein, dass hier die Jahrgänge 1948/49 weniger intensiv ausgewertet wurden als die vorangegangenen. 703 Vgl. BOKE, Zwischen Föderalismus und Zentralismus, S. 95 f. 704 Der Beleg ist umfangreicher unter •^'Föderalismus wiedergegeben.
Zentralismus / Unitarismus
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herrschten Seite die Knechtschaft entspricht. Das Bismarcksche Reich war ein Scheinbund deutscher Fürsten, denn in Wirklichkeit spielte der König von Preußen die erste Geige, seine Vettern von Gottes Gnaden hatten sich auf die mehr oder minder überflüssige Begleitung zu beschränken. Auch die Republik von Weimar wurde von den Staatsrechtslehrern noch überwiegend als Bundesstaat aufgefaßt. Man kann das füglich bezweifeln. Das Wort „Bund" kommt in der Verfassung nicht vor. In ihrem Vorspruch wird das deutsche Volk in seiner Gesamtheit als der einzige Träger der höchsten Staatsgewalt bezeichnet. Wohl werden „Stämme" und „Länder" erwähnt, aber der Ausdruck „Staaten" für die Länder ist ängstlich vermieden, wenn gelegentlich auch von einer „Staatsgewalt" der Länder die Rede ist. Das Gesetzgebungsrecht der Länder wurde in der Weimarer Verfassung stark verkümmert. Durch die Erzbergersche Steuerreform, die weit über die in der Verfassung vorgesehene Reichszuständigkeit hinausging, wurden die Länder und Gemeinden zu Kostgängern des Reiches herabgedrückt. In der Reichsverwaltung bildete sich ein Zentralismus heraus, bei dem alle Fäden in der Riesenzentrale Berlin zusammenliefen und so alles Eigenleben und jeder Mut zur Verantwortung an den unteren Stellen erstickt wurde. Diese üble Erscheinung trat nicht nur in der Staatsverwaltung auf. Ich war am 28. Februar 1933 nach einer Wahlversammlung in einer norddeutschen Großstadt selbst Zeuge des bedrückenden Schauspiels, wie ein Gewerkschaftsführer alle Augenblicke zum Telephon rannte und immer wieder hilflos erklärte, er könne nichts unternehmen, weil er keine Verbindung mit seiner Zentrale in Berlin bekomme. Die Gleichschaltung der Länder durch die Nationalsozialisten war nur der folgerichtige Abschluß einer Entwicklung, die bereits mit der Weimarer Verfassung eingesetzt hatte. Wilhelm Hoegner: „Föderalismus, Unitarismus oder Separatismus?", SZ 45,012,01-02 vom 13.11.45.
4. Von hier aus ist die Abneigung der im Wesen demokratischen Bayern gegen „Preußen" zu verstehen: es ist eine instinktive Abneigung, die auf einem tiefen Gefühl für geschichtliche Realitäten beruht. Sie greift manchmal fehl in der Wahl ihrer Objekte, indem sie Norddeutsche angreift, die in ihrer Gesinnung weniger „preußisch" sind als manche Bayern. Sie befindet sich auch in der ständigen Gefahr eines romantischen, von allen politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten absehenden Partikularismus. Aber es ist sehr wahrscheinlich, daß diese „separate" Utopie in gleichem Maße schwindet, wie es gelingt, den Albdruck des großen preußischen Blocks durch dessen Zerlegung zu beseitigen. Nur ein echter Föderalismus kann den Separatismus auslöschen, der ebenso wie der Zentralismus eine durch die Geschichte bewiesene ständige Gefahr für Deutschland bildet. Dem Föderalismus muß daher die Zukunft gehören. Franz Josef Schöningh: „Löst Preußen auf! / / Bemerkungen zum deutschen Föderalismus", SZ 45,006,02 vom 23.10.45.
5. 705 Der Zentralismus ist n i c h t deutschen Wesens, er wurde dem deutschen Volke aufgezwungen. Was Bismarck begonnen hatte, fand seinen letzten katastrophalen Ausdruck in dem zentralistischen Staate Adolf Hitlers. Der Zentralismus, der die Diktatur als natürlichen Sohn gezeugt hat, war immer ein Unheil für Deutschland, wenn er zeitweise auch irgendeine Scheinblüte auftrieb. Das deutsche Volk wußte nichts mit ihm anzufangen, er war ihm wesensfremd. Seine schlimmsten Blüten waren Kadavergehorsam und Erdrosselung des politischen Denkens. Ein Reich, das auf solchen Säulen aufgebaut ist, muß zugrunde gehen. Es zerbrach das Bismarcksche Reich, an dessen Gründung der Satz stand:
705 Vollständiger Text s.v. „Föderalismus".
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Zentralismus / Unitarismus
Setzt Deutschland nur in den Sattel, reiten wird es von selbst. Aber es konnte nicht reiten, das war sein Verhängnis. Erbärmlich zerbrach das „tausendjährige" Reich in vieltausend Scherben. An seinem Anfang stand das Versprechen der Freiheit, an seinem Zusammenbruch klirrten die Ketten unseliger Knechtschaft. Ein zentralistisches Deutschland wird i m m e r in der Gefahr der Diktatur stehen. Es ist nicht wahr, daß der Zentralismus das System der Stärke sei. Wer dies für richtig hielte, würde Stärke mit Gewalt und Brutalität verwechseln. Gewiß, es kann geschehen, daß der zentralistisch regierte Staat einmal eine Kette zerbrechen, eine Fessel zerreißen mag, aber es ist gewiß, und die Erfahrung bestätigt und erhärtet es uns selbst, die wir Zeugen waren, daß er dafür tausend andere, stärkere Fesseln und schnürende, klirrende Ketten schafft. Die preußisch-deutsche Geschichte der letzten Jahrzehnte lehrt uns diese Erfahrung auf Schritt und Tritt, bis endlich der Fuß des Diktators im Nacken eines jeden Deutschen saß. Staatsminister Dr. Haberer: „Der neue Stern", RM 47,010,01-02 vom 22.03.47. 6.
Wir bleiben auch angesichts des preußischen Grabes bei unserer alten Behauptung, daß Preußen eine Gesinnung ist und fügen der Klarheit halber hinzu, daß sie noch lebt. Wir können auf so schmalem Raum nicht nachweisen, was an sich leicht nachweisbar wäre: daß jenes deutsche Wesen, das noch heute die Achtung der Welt besitzt, genossenschaftlichem und föderalistischem Denken entstammte, und daß unsere Entartung und der Haß der übrigen Welt mit dem Zentralismus und mit dem ihm unlösbar verbundenen Nationalismus wuchsen. Preußen aber bedeutet nichts anderes als dies: nationalistischer, zentralistischer Einheitsstaat. „Ist Preußen tot?", SZ 47,026,01 vom 15.03.47. 7_706
In einem Artikel über die deutschen Länder sagt eine Berliner Tageszeitung, man habe nicht überall erkannt, daß die gesamte deutsche Entwicklung auf ein Föderativsystem zusteuere, das werde mit dem Zwitter des Bismarckschen Bundesstaates noch mit dem Zentralisationswahnsinn eines „Großdeutschen Reiches" das mindeste zu tun habe. Das letztere versteht sich von selbst; aber es ist sicher noch nicht die Zeit gekommen, Strukturfragen des kommenden deutschen Staates zu erörtern, über die einmal ein aus demokratischen Wahlen hervorgegangenes Parlament nach Beendigung des jetzigen Interregnums und nach Wiederherstellung einer souveränen deutschen Staatsgewalt entscheiden wird. Es wäre indessen eine reizvolle Arbeit, einmal im einzelnen darzulegen, welchen hervorragenden Anteil gerade das deutsche Föderativsystem infolge des Mangels einer wirklich starken Zentralgewalt an der Entwicklung des Nationalsozialismus zur diktatorischen Macht in Deutschland hatte. Es war doch wohl so, daß gerade die zentralen Gewalten, zu denen neben der Reichsregierung infolge seiner räumlichen Größe auch die Regierung Preußens zählt, von einigen sehr kurzen Intervallen der Reichspolitik abgesehen, unter größten Schwierigkeiten und ständigen Auseinandersetzungen mit einigen der föderativen Regierungen die Hüter der Demokratie und entschlossene Gegner des Nationalsozialismus gewesen sind. Die ersten erfolgreichen Ansätze der nationalsozialistischen Bewegung wurden nicht zufallig in Bayern gemacht, das sich nach dem Zusammenbruch von 1918 in den Jahren 1920 bis 1924 sehr bald zum Zentrum der nationalsozialistischen Reaktion entwickelte. Hier wurden Hitler und seine Mitputschisten vom 9. November 1923 nach kurzer Festungshaft in Gnaden zu neuer Aktivität entlassen. Hier und auch in anderen föderati-
706 Reaktion auf Beleg 2.
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ven Ländern konnte er seine Agitation ungehindert betreiben, während er z.B. in Preußen jahrelang ein Redeverbot hatte. „Das deutsche 'Föderativsystem'", NZ 45,072,01 vom 13.10.45. 8.
Preußen besteht nicht mehr. Aber sein Geist - der gleiche, dessen Ungeist soeben beschworen wurde - er lebt und dirigiert die Gespenster der Vergangenheit. Von neuem sind diesmal gewisse Preußen „des Ostens" aufgestanden und proklamieren, geistige EintopfFanatiker sie, wider alle Vernunfüehren der Geschichte ihre unitarische Republik mit der Zentrale Berlin, nach ihrer unmaßgeblichen Ansicht das Zentrum dessen, was sie unter deutscher Kultur zu verstehen gelernt haben. [...] [Zitat des Publizisten Erik Reger, TS]: „[...] Die Argumentation [Walter Ulbrichts], die 'Sozialistische Einheitspartei' sei 'Garant' des Friedens (und der freundlichst anheimgegebene Schluß, man brauche deshalb ein unitarisches 'Reich', damit sie es beherrsche), ist zu primitiv, als daß ihr jemand vertrauen könnte, der Hider nicht gerade aus einer Entfernung von sechzehnhundert Kilometern erlebt hat. Die Wahl zwischen föderativer Republik und unitaristischem 'Reich' ist die Wahl zwischen Frieden und Krieg; einzig deshalb wird die föderalistische Forderung erhoben, und wer hier 'Zerstückelung' gegen 'Einheit' stellt, begeht ganz einfach eine Fälschung der Begriffe." „Umbrae Borussiae", RM 46,063,02 vom 18.10.46. 9.
So ist die stärkste Partei der Ostzone in den letzten Tagen mit einem Verfassungsentwurf herausgekommen, der den Zentralismus in höchster Potenz zum Ziele hat. Es sind demnach noch immer Kräfte am Werk, die selbst nach den katastrophalen Erfahrungen der letzten Jahre dem Volke erneut einen Eintopf-Staat zumuten. Malburg, Friedrich: „Zur Eröffnung des Landtags", RM 46,073,01 vom 22.11.46.
10. [...] die Führer der Einheitspartei haben genau erfaßt, was es für den Fortschritt ihrer Sache bedeuten würde, wenn ein straff zentralistisches Einheitsdeutschland geschaffen und Berlin zum Sitz der Zentralregierung gemacht würde. Sie sind auch darin die starren Schüler von Marx und Engels, die beide der Überzeugung waren, daß Bismarck durch seinen Unitarismus ihre Arbeit tun werde. Sie präsentieren gegenwärtig ihre Klassenkampfinteressen geschickt als nationale Forderungen. Eugen Kogon: „Die Einheitspartei", FH 46,003,08-10 vom 01.06.46.
11. Wer Preußentum und Militarismus und unter deren Zeichen die Gefahren des staatlichen Zentraliemus bekämpfen will, der vermag das nicht mit konservativen Ausflüchten, wie Föderalismus und Partikularismus, die auf der gleichen historischen Entwicklungsebene liegen und heute ausgeblasene Eier sind. Den wirklichen Gefahren des deutschen Zentralismus, die im Militarismus und im Preußentum des zweiten Kaiserreiches und im autokratischen Cäsarentum des Dritten Reiches lagen, kann man zum wirklichen Nutzen der deutschen Nation nur begegnen mit der Erziehung des deutschen Volkes zur Demokratie und des deutschen Staatsbürgers zu einem wirklichen Demokraten (Beifall). „Um die Einheit der Nation / / Kundgebung der vier antifaschistischen Parteien im Funkhaus", DV 46,025,01 vom 31.01.46.
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12. Wenn nichts hilft, muß Hausenstein helfen. Wilhelm Hausenstein, sonst ein Schriftsteller von vielen Graden, ist nun in die politische Arena getreten. Der Kunsthistoriker spielt den Demagogen, und das steht ihm schlecht an. Hausenstein wendet sich gegen Schlagworte, um auf das Schlagwort vom Föderalismus hereinzufallen. [...] „Deutschland ist schon durch seine Geschichte, in der die territorialen Kräfte eine eindringliche Ausbildung erfahren haben, zu föderativer Logik geradezu vorbestimmt." So, jetzt wissen wir es. Föderalismus ist die uns Deutschen „artgemäße" Lebensform. Das ist dieselbe Geschichtsklitterung, wie sie unter Hider und Rosenberg betrieben worden ist. [...] Dieser Versuch einer Argumentation ist überhaupt nur möglich dadurch, daß als Gegenpol des Föderalismus der Zentralismus konstruiert wird. Müssen wir es noch einmal sagen, daß die aufrechterhaltene deutsche Einheit nichts mit Zentralismus zu tun hat, sondern eine organische Dezentralisarion zur selbstverständlichen Voraussetzung hat? „Klassischer Föderalismus", NZ 46,013,01 vom 17.01.46.
13. Unsere Zielsetzung als die einer deutschen Volks- und Staatspartei demokratischen und liberalen Gedankengutes läßt sich in die sieben Grundgebote zusammenfassen: wir wollen einen deutschen Nationalstaat, aber keinen nationalistischen Staat; wir wollen einen Einheitsstaat mit Zentralgewalt, aber keinen zentralistischen Staat, wir wollen einen sozialen Staat, aber keinen sozialistischen Staat, wir wollen einen Volksstaat, aber keinen Klassenstaat; wir wollen einen Staat des Rechtes und der Gesittung, einen Staat wahrer Kultur und wahren Menschentums, einen Staat, der eine politische, wirtschaftliche, geistige und seelische Heimat des deutschen Volkes und ein Hort des Friedens, der Freiheit und des Fortschritts in der Menschheit ist. Wilhelm Külz: „Die Ziele der Liberal-Demokratischen Partei", TS 46,195,02 vom 22.08.46.
14. Die „Frankfurter Charta" - der „Notschuppen", wie General Clay sie nannte - hat den Streit zwischen den Verfechtern eines föderalistischen und eines zentralistischen Systems erneut aufflammen lassen. Dieser Streit ist in Deutschland fast tausend Jahre alt; er hat den Lauf der deutschen Geschichte entscheidend bestimmt, und es ist daher nicht zu verwundern, daß die Frage, um die es bei ihm geht, mit vielen Gefühlen und Gefühlchen belastet ist und die sachlichen Gesichtspunkte bei ihrer Erörterung leicht in den Hintergrund treten. Richard Tüngel: „Gefährliche Vorurteile", ZEIT 48,006,01 vom 05.02.48.
15. Was heißt Partei neuen Typus? 1. Die marxistisch-leninistische Partei ist die b e w u ß t e Vorhut der Arbeiterklasse. 2. Die marxistisch-leninistische Partei ist die o r g a n i s i e r t e Vorhut der Arbeiterklasse. 3. Die marxistisch-leninistische Partei ist die h ö c h s t e F o r m der Klassenorganisation des Proletariats. 4. Die marxistisch-leninistische Partei beruht auf dem Grundsatz des d e m o k r a t i schen Zentralismus. 5. Die marxistisch-leninistische Partei wird durch den Kampf g e g e n d e n O p portunismus gestärkt. 6. Die marxistisch-leninistische Partei i s t v o m G e i s t e d e s I n t e r n a t i o n a l i s m u s durchdrungen.
Zentralismus / Unitarismus
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Die Partei kann ihre fuhrende Rolle als Vorhut der Arbeiterklasse nur in der täglichen operativen Leitung der gesamten Parteiarbeit verwirklichen. Es ist unmöglich, die gesamte Parteiarbeit auf den Gebieten des Staates, der Wirtschaft und des Kulturlebens allseitig zu leiten, wenn die leitenden Parteiorgane große Körperschaften sind, die nur noch parlamentarische Funkdon auszuüben vermögen. Darum hat der Parteivorstand beschlossen, ein P o l i t i s c h e s B ü r o (Politbüro) zur kollektiven operativen Führung der Partei zu bilden. [...] Der demokratische Zentralismus ist das organisatorische Grundprinzip der Partei. Sie kann und darf keine feindlichen Ideologien in ihren Reihen dulden, sie kann und darf nicht ein Konglomerat von widerstrebenden Elementen sein, sondern sie muß der Vortrupp, der Stab der Arbeiterklasse sein. In ihren Reihen muß jeder ein bewußter, aktiver, revolutionärer Kämpfer sein. Eine solche Partei wollen wir aus unserer Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands machen. Dabei ist uns ebenso wie auf ideologisch-politischem, auch auf organisatorischem Gebiete die KPdSU, die Partei Lenins und Stalins das große Vorbild, das uns den Weg zu einer solchen Partei weist. Das Prinzip des demokratischen Zentralismus schließt sowohl die innerparteiliche Demokratie wie die straffe Disziplin aller Parteimitglieder, Funktionäre und Leitungen ein. „Auf dem Wege zu einer Partei neuen Typus // Das Referat des Genossen Otto Grotewohl", ND 49,023,05 vom 28.01.49.
Zweifelsfalle Nicht alle Lexeme, die nach den ersten Auswertungsschritten als Schlagwörter in Betracht kamen, wurden ins Wörterbuch aufgenommen. Diejenigen, die auf Grund der beschriebenen Kriterien ausgeschlossen werden mussten, sollen an dieser Stelle in der gebotenen Kürze vorgestellt werden. Dass sie durch das Auswahlraster fielen, schließt nicht aus, dass sie doch Schlagwörter waren, da sie u.U. allein auf Grund der angewandten Methodik nicht als solche erkannt wurden. Entflechtung Im Potsdamer Abkommen hatten die Siegermächte sich darauf verständigt, die Macht der großen Konzerne durch Dekartelliderung, eingedeutscht Entflechtung, einzuschränken. Einige Belege von 1947 thematisieren begonnene oder geplante Entflechtungsmaßnahmen und deuten an, dass diese höchst umstritten sind.707 Grenzkotrekturen / Grenzberichtigungen Ab Herbst 1946 meldeten die Niederlande Ansprüche auf deutsches Gebiet im Westen an, was sie als Gren^korrekturen oder -berichtigungen bezeichneten. Auf deutscher Seite wurden diese Ausdrücke mit Annexion übersetzt und scharf kritisiert. „Wenn etwas vorher falsch war und dann richtiggestellt wird, so ist das eine Berichtigung. Wenn dagegen etwas vorher richtig war und dann so verändert wird, daß es nicht mehr richtig ist, so nennt man das eine Verfälschung. Wenn man vollends etwas, was zweifellos eine Verfälschung ist, hartnäckig als Berichtigung bezeichnet, so verfälscht man zu allem anderen auch noch die Wahrheit der Sprache. Da uns die Kraft fehlt, einen Machtspruch der Sieger zu berichtigen, wollen wir wenigstens ihre Ausdrucksweise korrigieren. Ein Sechsmächte-Arbeitsausschuß - USA, England, Frankreich, Holland, Belgien, Luxemburg - hat sich in Paris über Grenzveränderungen zu unseren Lasten und zu Gunsten der Beneluxländer geeinigt. Wir wollen diese angeblichen Berichtigungen beim rechten Namen nennen. Wir stellen schlicht und sachlich fest, daß es sich hier um Grenzverfälschungen handelt." „Grenzverfálschungen im Westen", ZEIT 49,003,01 vom 20.01.49.
Imperialismus Das Lexem gehört der marxistischen Ideologiesprache an und wird vorwiegend von der SED verwendet. Der Vorwurf des Imperialismus richtet sich vor allem im Zusammenhang mit dem Marshall-Plan gegen die USA und zieht die Bezeichnung Westdeutschlands als Kolonie nach sich. (->Marshall-Plan, Kolonie)
707 Vgl. WENGELER, Vom JetJermann-Prvgramm bis zur Vollbeschäfiigung, S. 380.
Zweifelsfálle
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Jugend / Junge Generation Zur Jugend oder jungen Generation der Nachkriegszeit zählten nicht nur wirklich junge Leute, sondern alle, die durch die Erziehung des Dritten Reiches geprägt worden waren. Die Redakteure des RUF, der den Untertitel „Zeitschrift der jungen Generation" trug, Alfred Andersch und Hans-Werner Richter gehörten den Geburtsjahrgängen 1914 bzw. 1908 an und waren seit Kriegbeginn Soldaten der Wehrmacht. Die Jugend wird in den Westzonen von allen Seiten beschworen, wenn es um den Wiederaufbau und die Demokratie geht. Zugleich werden die Probleme dieser verführten und durch den Krieg desillusionierten Generation thematisiert. Kriegsverbrecher/ Kriegsgewinnler/ Kriegsinteressenten Im Juli 1946 fand in der SBZ der Sächsische Volksentscheid über die „Überführung der Betriebe von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes" statt, dem umfangreiche Enteignungsmaßnahmen folgten. Im selben verfahren sollten auch Kriegsgewinnler und — Interessenten enteignet werden. Die bürgerlichen Parteien monierten, dass zumindest die Begriffe Kriegsgewinnler und Kriegsinteressenten, nicht hinlänglich definiert seien und befürchteten Willkür bei der Auswahl der zu Enteignenden. In diesem Kontext ist ein vortrefflicher Beleg vorhanden, der allein die Aufnahme als Schlagwort jedoch nicht rechtfertigen konnte. „Die Debatte der Berliner über Kriegsverbrecher, Nazi-Aktivisten, Kriegsinteiessenten und Kriegsgewinnler im Wirtschaftsleben hat sich in den letzten Tagen sehr belebt. Dabei ist etwas Außerordentliches zutage getreten, dem man geradezu sensationelle Bedeutung beimessen muß. Die LDP (den Buchstaben nach: Liberal-Demokratische Partei), Landesverband Berlin, hat sich soeben offen und mit sichtbarer innerer Genugtuung, wenn nicht „Kühnheit" für den Schutz von K r i e g s i n t e r e s s e n t e n und K r i e g s g e w i n n l e r n erklärt. Herr Schwennicke ist in der Berliner Delegiertenversammlung der LDP Herrn Schöpke zur Seite getreten und erklarte nach dem Bericht, den 'Der Morgen' am 26. September (Nr. 225) veröffentlichte: "Nur wenden sich die anderen Parteien, einschließlich der SPD (!) dagegen, daß den Kriegsverbrechern und Nazi-Aktivisten sogenannte 'Kriegsinteressenten' und 'Kriegsgewinnler' gleichgestellt werden. Daß die SED Vertreter diesen Unterschied nicht erkennen sollten, wird niemand behaupten wollen. Aber es kommt ihnen gerade darauf an, mit solchen vagen Ausdrücken, unter denen sich jeder alles oder auch nichts (!) vorstellen kann, der Willkür Tür und Tor zu öffnen.' Die LDP in Berlin möge ein für allemal zur Kenntnis nehmen: wenn die SED von Kriegsinteressenten und Kriegsgewinnlern spricht, dann meint sie K r i e g s i n t e r e s s e n t e n u n d K r i e g s g e w i n n l e r . Diese geben sich mit Vorliebe im Berliner Westen ein Stelldichein und leben "bis auf weiteres' vom Schwarzen Markt. Jeder Berliner, der sich ein wenig auskennt, kann allein aus seinem Stadtteil ein Dutzend solche Kriegsund Nachkriegsgewinnler namhaft machen. Eine andere Kategorie hält in den Konzernbüros die letzten Stellungen der 'alten Herren' und betätigt sich als Spitzel zu den 'Westkontoren'." „LDP wohin?", ND 46,133,01 vom 27.09.46.
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Zweifelsfálle
Mitbestimmung Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer war ein Anliegen aller Parteien, die in wirtschaftlichen Fragen links von den Liberalen standen. Aus der Weimarer Zeit stammende wirtschaftsdemokratische Ansätze der Sozialdemokraten und Gewerkschaftler zielten in den Westzonen auf eine Mitbestimmung auf überbetrieblicher Ebene, doch mussten diese Ansprüche zu Gunsten der betrieblichen Mitbestimmung aufgeben werden ("^ Wirtschaftsdemokratie). Von insgesamt 20 Belegen vermochte keiner eine Einschätzung von Mitbestimmung als Schlagwort zu rechtfertigen.708 Nürnberg / Nürnberger Prozess In Nürnberg, wo die NSDAP ihre Parteitage zelebriert hatte, begann am 20. November 1945 der Hauptkriegsverbrecher-Prozess. Alle Zeitungen, von den Besatzern selbst herausgegeben oder mit ihrer Lizenz, berichteten ausführlich und gaben Seiten lang Zeugenaussagen, Plädoyers und Urteile wieder. Die im Gefolge des Prozesses auftretende metonymische Verwendungsweise deutete auf Schlagwort-Qualitäten hin, doch eindeutige Belege fehlten. „Nürnberg ist nicht der erste politische Prozeß, der im Laufe der neueren Zeit geführt worden ist. Sein besonderes Kennzeichen ist aber im Gegensatz zu allen bisher geführten Prozessen das folgende: Zum ersten Male wird auf internationaler Basis eine ganze Partei, ein politisches System, die von diesem System geschaffene Regierung mit allen ihren Handlungen und Unterlassungen unter Anklage gestellt." „Nürnberg", NHK 45,037,02 vom 23.10.45
Angesichts der Brisanz des Themas muss man davon ausgehen, dass Nürnberg oder Nürnberger Prozess ein Schlagwort war. Möglicherweise handelt es sich hier um einen Fall von Sprachlenkung durch die Besatzungsmächte, die einen (kritischen) Diskurs über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse möglicherweise unterdrückt haben. Konkrete Anhaltspunkte dafür - wie z.B. bei Demontage — gibt es jedoch nicht. Reaktion Als Bestandteil der marxistischen Ideologiesprache wird Reaktion in erster Linie von der SED verwendet, ist aber auch bei allen anderen Gruppierungen belegt. Das häufige Vorkommen im Korpus (61 Belege) schien für eine Aufnahme ins Wörterbuch zu sprechen, doch die genauere Durchsicht zeigte, dass Reaktion / reaktionär nur eine varietätsbedingte Variante von rückwärtsgewandt darstellt, und allenfalls als Schimpfwort fungierte.
708 Vgl. W E N G E L E R , V o m ]eJermann-Pmgramm
bis zur VoUbeschäp&un&
S. 405-412.
Zweifelsfüle
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Umsiedler / Flüchtlinge / Vertriebene Die Vertreibung - so die anerkannte Diktion in der BRD - der deutschen Bevölkerung aus den annektierten Ostgebieten unterlag in der Nachkriegszeit exakten durch die Besatzungsmächte vorgegebenen Sprachregelungen. In der SBZ wurden die Vertriebenen ausschließlich als Umsiedler bezeichnet. „Umsiedler, Flüchtlinge, Ausgewiesene - nennen wir sie wie wir wollen, es sind Opfer des Hiderischen Krieges. Nein, nennen wir sie nicht wie wir wollen, denn jeder Name hat einen Sinn. Ein Ausgewiesener: einer, den man ausstößt, der es nicht wert ist, daß man ihn aufnimmt, der es selbst verschuldet hat, daß man ihn ausstößt. Und ist etwa den Umsiedlern eine größere Schuld zuzusprechen, als denen, die sie jetzt aufnehmen müssen? Flüchtling: hat sich der Wind gelegt, darf er wieder zurückkehren, von wo er geflohen war. Der Umsiedler wird aber hier bleiben müssen. So lauten die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz. Er und seine Kinder und seine Kindeskinder. Und in ihrem Namen, im Namen Deutschlands, muß er, müssen wir alles daran setzen, damit er sich beim Neuaufbau nützlich und vollwertig erweist. Eine Heimat zu verlieren, ist bitter und hart. Keine neue haben, ist ein Verhängnis. Müssen wir ihm nicht helfen, eine neue zu finden? Umsiedler, das ist das richtige Wort. Aber dieser Ausdruck verpflichtet, sowohl den Umsiedler als auch denjenigen, zu dem er umsiedelt. Er verpflichtet auch im weiteren Sinne, nämlich alles zu tun, damit der Umsiedler recht bald aufhört, Umsiedler zu sein und sich als solcher zu fühlen." Michael Tschesnow: „Mit Heiz und Kopf', ND 46,037,02 vom 06.06.46.
In den Westzonen herrschte Flüchtling vor, was für die amerikanische Zone belegt ist. „Die Bezeichnung 'Flüchtling' und 'Ausgewiesene' für deutsche Zivilpersonen wurde von dem amerikanischen Zonenbefehlshaber für bestimmte Personengruppen amtlich festgelegt. 1. Deutsche Zivilpersonen in einer der vier Besatzungszonen, die früher in einer anderen Zone beheimatet waren. 2. Personen, die sich in einer Zone in größerer Entfernung von ihrem in der gleichen Zone gelegenen, ständigen Wohnsitz aufhalten. 3. Personen der 1. oder 2. Gruppe, die sich auf der Durchreise befinden und öffentlicher Fürsorge bedürfen. 4. Personen, die nach Wiedereintreffen an ihrem früheren Wohnort bisher keine feste Unterkunft zugewiesen erhielten und nicht als ständige Einwohner registriert wurden. Die Bezeichnung 'Ausgewiesene' wird für Deutsche angewandt, die aus Osterreich, der Tschechoslowakei und anderen europäischen Gebieten ausgesiedelt wurden." „Wer ist 'Flüchtling'?", RZ 46,058,02 vom 12.01.46
Bereits 1946 kritisierte „Die Zeit" jedoch schon den euphemistischen Sprachgebrauch. „'Flüchtlinge' heißen sie in Deutschland, aber das Wort ist falsch. Es klingt, als seien diese Menschen freiwillig fortgezogen, um einem Druck zu entgehen, wie die 'Réfugiés', die im 17. Jahrhundert, nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes, aus Frankreich auswanderten, um in andern Ländern frei ihrem Glauben anhängen zu können, oder wie die Emigranten zu Zeiten der Französischen Revolution oder unter der Naziherrschaft in Deutschland, die ihr Vaterland verließen, um im Ausland auf den Wandel der politischen
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Zweifelsfälle
Zustände zu warten. Es sind keine Flüchtlinge, sondern Vertriebene. Menschen, die der Krieg aus ihren Wohnungen scheuchte und die nicht zurückkehren dürfen in ihre Heimat, und andere, die nach dem Kriege zwangsweise ausgewiesen wurden aus Gegenden, in denen ihre Vorfahren seit vielen Jahrhunderten ansässig gewesen waren." Richard Tüngel: „Ohne Heimat", ZEIT 46,029,01 vom 05.09.46
Entscheidend dafür, das Lexem nicht aufzunehmen, war, dass ein Diskurs über das Thema „Vertreibung" aus welchen Gründen auch immer nicht stattfand. Nur die Problematik der Eingliederung der Vertriebenen wurde im Westen und Osten thematisiert.
Insbesondere sind auf Grund der Beschränkung auf schriftliche Quellen die Schlagwörter des mündlichen Diskurses unberücksichtigt geblieben. Die Befragung von (einzelnen) Informanden ergab Hinweise auf folgende Schlagwörter der Westzonen: Amerika Der große Einfluss der Vereinigten Staaten auf unsere Kultur beginnt unmittelbar nach dem Krieg. Schon als sich die militärische Niederlage abzeichnete, galten die Amerikaner als der Gegner, vom dem am wenigsten Schlimmes zu erwarten war. Ganze Truppenverbände gaben sich freiwillig in die Hand der Amerikaner, um der russischen Gefangenschaft zu entgehen. Für Teile der Jugend avancierte der freundlichste der Sieger zum Vorbild, was sich in einem positiv bewerteten Schlagwort niederschlug. Ametikanisierung Zugleich beklagen andere Gruppen den wachsenden Einfluss Amerikas, was sich im negativ bewerten Schlagwort Amerikanisierung manifestierte. ûingsen Der Kölner Erzbischof Kardinal Frings hatte in einer Predigt den Diebstahl von Kohle in Notzeiten dem Mundraub gleichgestellt und damit moralisch legitimiert. Die Tätigkeit, zu der sich in der Folge Katholiken wie Nicht-Katholiken ermuntert fühlten, wurde fringsen genannt. Persilscheinlw Der Schein, der mit diesem umgangssprachlichen Ausdruck gemeint ist, ist die Entnazifizierungsurkunde, die dem Inhaber eine weiße Weste bescheinigte. Die
709 Vgl. PAUL, s.v. „Persilschein".
Zweifelsfálle
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Verbindung mit einem bekannten Waschmittel impliziert, dass es etwas zu waschen gab. Vitamin Β Den biologischen Vitaminen, die Prozesse im Organismus anregen, entsprechen im gesellschaftlichen Organismus die guten Beziehungen, für die das Β im übertragenen Vitamin Β steht.
Vorkommenshäufigkeit Die Vorkommenshäufigkeit war letztlich ein zweitrangiges Kriterium für die Bewertung eines Lexems als Schlagwort. Das gleichberechtigte Nebeneinander der Lemmata im Wörterbuch verdeckt die quantitativen Aspekte der Untersuchung jedoch stärker, als wünschenswert ist. Zur Darstellung der Häufigkeits-Relationen zwischen den Schlagwörter sowie zwischen Schlagwörtern und ihren untergeordneten Varianten soll die folgende Übersicht dienen, die auf der Auswertung der datenbankgestützten Belegsammlung beruht.710 Die erste Zahl, die hinter einem (fett gedruckten) Lemma steht, gibt an, wie viele Belege in der Belegsammlung diesem Lemma zugeordnet wurden. Sie wurde durch Filtern aller Datensätze ermittelt, die im Feld „Schlagwort" das betreffende Lexem enthielten. Die zweite Zahl gibt die Zahl der Belege an, in denen das Lexem tatsächlich vorkommt, ungeachtet dessen, welchem Lemma der Beleg zugeordnet wurde. Morphologische Varianten, wie Verbal- oder Adjektivformen zum Substantiv, wurden zusammen gewertet. Bei einigen Lemmata wird diese Angabe differenziert für mehrere (normal gedruckte) Varianten gemacht. Abendland Bekenntnisschule Bekenntnisschule Einheitsschule Gemeinschaftsschule Konfessionsschule Simultanschule Blockade Blockade Luftbrücke Bodenreform Bodenreform demokratische Bodenreform Agrarreform Boogie Woogie Brücke zw. Ost u. West Bundesstaat Bundesstaat Staatenbund Bürokratie Christentum
49/53 16 17 19 6 7 4 17 15 10 124 106 11 11 2/2 29/13 38 31 13 23 / 32 132 / 201
710 Vgl. die Beschreibung der Datenbank in Kap. 4.2.
christlicher Sozialismus Demokratie Demokratie Volksdemokratie Wirtschaftsdemokratie Demontage Einheit Einheit Aktionseinheit Einheitsfront Einheitsstaat Wirtschaftseinheit Eiserner Vorhang Elternrecht Entnazifizierung Entnazifizierung Denazifizierung Europa Europa Pan-Europa Existenzialismus
40/84 478 722 22 13 79/79 418 483 6 21 24 25 38/53 30/66 60 41 12 112 237 6 12/10
Vorkommenshäufigkeit Faschismus Faschismus Nazismus Neofaschismus Amerikanismus antifaschistisch antifaschistisch-demokratisch Föderalismus Föderalismus Partikularismus Separatismus Freiheit Frieden Hennecke Humanismus Humanismus Humanität Junker Kalter Krieg Kollektivschuld Kollektivschuld Schuldfrage Kolonie Kultur Lastenausgleich Marshall-Plan Marshall-Plan EWP/ERP Molotow-Plan Menschenwürde Militarismus Militarismus Demilitarisierung Entmilitarisierung Nationale Front neu neu Neubauer Neulehrer Nihilismus Persönlichkeit Planwirtschaft Planwirtschaft Wirtschaftsplanung) Lenkung Zwangswirtschaft Preußen Privatinitiative Privatinitiative Initiative Quisling
583 139 232 63 6 2 68 47 183 123 19 59 180 / 258 131 / 299 17/16 45 28 23 25/35 10/ 10 6 10 5 15/25 48/117 22/20 101 72 2 4 29/29 91 120 2 6 17 / 16 114 565 5 6 10/11 53 / 61 74 33 15 26 10 38/56 20 18 42 19/15
'
Reich Reich Reichseinheit soziale Marktwirtschaft Sozialisierung Sozialisierung Nationalisierung Verstaatlichung Gemeineigentum Gemeinwirtschaft Sozialismus (inkl. ehr. Soz.) Speckdänen totalitär totalitär Totalitarismus Umerziehung Umerziehung Reeducation Volk Volk Volksarzt Volksbeamter volkseigen Volkskongress Volkskontrolle Volkspartei Volkspolizei Volksrichter Volksschule Volksstaat Währungsreform Währungsreform Geldreform Westblock Westblock Ostblock Blockbildung Weststaat Wiederaufbau Wiederaufbau Neuaufbau Wiedergutmachung Wiedergutmachung Reparationen Zentralismus Zentralismus demokratischer Zentralismus Unitarismus
25 107 11 14/15 84 76 7 21 12 15 190 / 366 3/3 40 32 11 21 18 4 135 532 2 1 9 29 11 8 5 2 4 11 47 33 12 23 12 6 3 26 / 12 126 104 45 65 35 32 49 41 1 9
Schlussbemerkung Am Ende dieses Buches - und am Ende der langen Zeit, in der es entstanden ist, - soll die Frage stehen, ob sich die eingangs formulierten Erwartungen erfüllt haben. Das eine Anliegen bestand darin, den großen Wörterbüchern ein Supplement zur Seite zu stellen, das die Schlagwort-Phasen von Lexemen dokumentiert. Dass es sich um ein berechtigtes Anliegen handelt, wurde an vielen Beispielen deutlich. Das andere Ziel war es, einen Beitrag zum besseren Verständnis der Epoche zu leisten, und es lohnt es sich, hierauf ein wenig ausfuhrlicher einzugehen. Bei der Beschreibung der Auswertungsmethode wurde bereits erwähnt, dass der Quellenlektüre die Sichtung einschlägiger historischer Literatur vorausging. Das Ergebnis dieses Arbeitsschritts bestand u.a. in einer Liste mit Themen und Lexemen, die aus der Sicht des Historikers wichtig sind. Diese Liste weicht ganz erheblich von dem im Wörterbuch präsentierten Ergebnis ab. Was im Rückblick wichtig ist, wurde von den Zeitgenossen oft gar nicht thematisiert und umgekehrt. Hinsichtlich der Themen, die sich dem Interesse der Geschichtswissenschaft entziehen, hat sich die alternative Herangehensweise über die Schlagwort-Geschichte als sehr nützlich erwiesen, um in einige Nischen der Geschichte zu leuchten oder manche Dinge in ein etwas anderes Licht zu setzen. Dabei sind es nicht nur die Kuriosa wie die kommunistische Offensive gegen den Boogie Woogie oder die Hamburger „Kampfgemeinschaft fur totale Demokratie", die überraschen, sondern auch die Ergebnisse zu bekannten Lexemen wie Kalter Krieg oder Kollektivschuld. Unerwartet und deshalb umso interessanter war auch der konkurrierende Sprachgebrauch zwischen Osten und Westen bei Humanismus oder Kultur. Das frappierendste Beispiel für einen Sachverhalt, für den entgegen den Erwartungen kein Schlagwort aufkam, ist der Völkermord an den europäischen Juden. Kein Ereignis der Jahre 1933 bis 1945 beschäftigt die bundesdeutsche Gesellschaft heute so sehr, wie der Judenmord. Mehrere Lexeme unserer Sprache bezeichnen dieses grauenvollste der deutschen Verbrechen: Holocaust, in den 70er Jahren als Titel einer (amerikanischen) Fernsehserie über den Judenmord entlehnt und auf einen biblischen (griech.) Ausdruck für 'Brandopfer' zurückgehend, das bildungssprachliche, aus dem Hebräischen übernommene Shoa und — metonymisch - Auschwitz der Name eines der größten Vernichtungslager. Nur Auschwitz ist in der Nachkriegszeit als Lexem schon bekannt, die Bedeutung, die es heute hat, ist für den Untersuchungszeitraum jedoch nicht nachzuweisen. Wie ist es einzuordnen, dass die Nachkriegszeit kein Wort oder Schlagwort für den Judenmord geprägt hat? Bis einschließlich 1946 war das Thema Konzen-
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Schlussbemerkung
trationslager vor allem in den Zeitungen der Siegermächte sehr präsent. Als Beispiel sei der Prozess gegen die Leiter und Aufseher des Lagers Belsen angeführt, über den die Zeitungen der britischen Zonen ausführlich berichteten. Die Aussagen von Zeugen und Angeklagten, die Plädoyers und schließlich die Urteile wurden in allen Ein2elheiten gedruckt: Gerade die Aussagen — sowohl von Angeklagten als auch von überlebenden Insassen im nüchternen Stil eines Polizeiprotokolls - sind zutiefst erschütternde Zeugnisse für eigentlich nicht vorstellbare Dimensionen der Grausamkeit und des Leids. Im Vordergrund steht die Unmenschlichkeit der Konzentrationslager, während die besondere Stellung der größten Opfergruppe, der Juden, nicht Gegenstand des Prozesses und der Berichterstattung ist. Ganz offensichtlich haben die Zeitgenossen noch nicht ermessen können, weder die Besatzungsmächte noch die Deutschen, welche Bedeutung der Judenmord wirklich hatte.
Alles in allem kommt in den Schlagwörtern der Charakter der Jahre 19451949 als Übergangszeit zum Ausdruck, eine namenlose Zeit, wie 1945 eine Autorin in der Zeitung „Der Morgen" feststellte: Wohin steuern wir? Wird es ein Techniker sein, ein Arzt, ein Erfinder, auf dessen Namen unsere Zeit getauft wird? Sollen wir eines neuen Kopernikus warten, wenn wir an keinen neuen Goethe mehr glauben können? Wir wissen es nicht. Diese Zeit, in der wir uns selbst wiedergefunden haben, ist noch gar keine Zeit. Sie ist geistiges Niemandsland. Aber sie ist, so viel können wir heute schon aussagen, anspruchslos im Äußerlichen, fleißig im Anpacken gestellter Aufgaben, zähe im Ausdauern bei mißüchen Lebensbedingungen. Sie hat, als Restbestand des Verbrecher- oder Nazizeitalters, noch da und dort verzerrte und korrupte Züge. Sie ist ja kein Ganzes. Sie ist noch keine Verheißung. Sie ist ein Beginn, nichts als ein namenloser, aber doch wohl ein tapferer Beginn. Hertha von Gebhardt: „Wie heißt die Zeit?" DM 45,092,02 vom 17.11.1945
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Quellen- und Litetaturvetzeichnis
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Index der Schlagwörter, Varianten und Zweifelsfalle
Schlagwörter, die als selbstständiges Lemma ins Wörterbuch aufgenommen wurden, erscheinen fett gedruckt; Schlagwörter, die einem anderen Lemma nebenoder untergeordnet sind, sowie Schlagwort-Varianten sind ebenfalls fett gedruckt und mit einem Verweis auf das Lemma versehen; andere Varianten erscheinen im Normaldruck mit Verweis auf ein Lemma; Zweifelsfálle, die im direkten Anschluss an den Wörterbuchteil behandelt werden, sind in runde Klammern gesetzt. Abbau -»Demontage Abendland Agrarrefrom -»Bodenreform (Amerika) (Amerikanisierung) Amerikanismus -»Faschismus antifaschistisch -»Faschismus Aufbau -»Wiederaufbau Bekenntnisschule Blockade Blockbildung -»Westblock B-Mark -»Währungsreform Bodenreform Boogie Woogie Brücke zwischen Ost und West Bundesstaat Bürokratie Bürokratismus -»Bürokratie Christentum christlicher Sozialismus Demokratie demokratischer Zentralismus - » Zentralismus Demontage Denazifizierung -»Entnazifizierung Dollar Einheit Einheitsschule -»Bekenntnisschule Einigkeit -»Einheit Eintopf -»Einheit Eiserner Vorhang Elternrecht (Entflechtung) Entnazifizierung Europa Europäisches Wiederaufbauprogramm -»Marshall-Plan
European Recovery Program -»Marshall-Plan Existenzialismus Faschismus (Flüchtlinge) Föderalismus freie Marktwirtschaft -»soziale Marktwirtschaft Freiheit Frieden (fringsen) Geldreform -»Währungsreform Gemeineigentum (Überführung in G.) -»Sozialisierung Gemeinschaftsschule -»Bekenntnisschule (Grenzberichtigungen) (Grenzkorrekturen) Großgrundbesitzer -»Junker Hennecke Hitlerfaschismus -»Faschismus Hitlerismus -»Faschismus Humanismus Humanität -»Humanismus Humanität -»Menschenwürde (Imperialismus) Initiative - » Privatinitiative Jazz -»Boogie Woogie (Jugend) (junge Generation) Junker Kalter Krieg kleine Blockade -»Blockade Kollektivschuld Kolonie Konfessionsschule -»Bekenntnisschule (Kriegsgewinnler) (Kriegsinteressenten)
600 (Kriegsverbrecher) Kultur Laetenausgleich Luftbrücke -»Blockade Marshall-Hilfe ^Marshall-Plan Marshall-Plan Marxismus -»Sozialismus Menschenwürde Menschlichkeit -»Menschenwürde Militarismus (Mitbestimmung) Molotow-Plan -»Marshall-Plan Nationale Front nationale Selbsthilfe -»Nationale Front Nationalisierung Sozialisierung Nationalsozialismus - » Faschismus Naziideologie -»Faschismus Nazismus -»Faschismus Neofaschismus -»Faschismus neu / NeuNeuaufbau-» Wiederaufbau Neubau - » Wiederaufbau Nihilismus (Nürnberg) (Nürnberger Prozess) Ostblock -»Westblock Partikulaiismus - » Föderalismus (Persilschein) Person -»Persönlichkeit Persönlichkeit Planung -»Planwirtschaft Planwirtschaft Preußen Privatinitiative Quisling (Reaktion) Recht der Eltern -»Elternrecht Re-education -»Umerziehung Reich Reparationen -»Wiedergutmachung Säuberung -»Entnazifizierung Schuld -»Kollektivschuld Separatismus -»Föderalismus Simultanschule -»Bekenntnisschule soziale Marktwirtschaft Sozialisierung Sozialismus Sozialismus aus christlicher Verantwortung -»christlicher Sozialismus
Index Speckdänen Staatenbund - » Bundesstaat totalitär Umbau -»Wiederaufbau Umerziehung (Umsiedler) Unitarismus -»Zentralismus Unitarismus -»Einheit Verstaatlichung -»Sozialisierung (V ertriebene) (Vitamin B) Volk / VolksVolksdemokratie -»Demokratie Währungsreform Westblock Westdeutschland -»Weststaat Weststaat Wiederaufbau Wiedergutmachung Wirtschaftsbürokratie -»Bürokratie Wirtschaftsdemokratie -»Demokratie Wirtschaftsplanung -»Planwirtschaft Würde des Menschen -»Menschenwürde Zentralismus Zwangswirtschaft -»Planwirtschaft
Danksagung Diese Arbeit ist an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn im Fach „Deutsche Sprache und ältere deutsche Literatur" entstanden. Sie wurde im Oktober 2001 bei der Philosophischen Fakultät als Dissertation eingereicht. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Betreuer Prof. Dr. Manfred Kaempfert, der mir die Möglichkeit eröffnet hat, dieses interessante Thema zu bearbeiten, und mit seinen zahlreichen Anregungen die Arbeit bereichert hat. Ferner gebührt den zahlreichen Helfern Dank, die die Textmassen korrigiert, Computer-Probleme gelöst oder in anderer Weise zum Gelingen beigetragen haben. Ihren Anteil am Entstehen dieser Dissertation haben auch die Geschäftsführer der celox Telekommunikationsdienste GmbH in Bonn, Dr. Stefan Satder und Dr. Thomas Zundl, die mir durch ihr flexibles Entgegenkommen bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses eine große Last von den Schultern genommen haben. Ich danke auch dem Verlag Walter de Gruyter für die Bereitschaft, das Buch in einem für Dissertationen eher ungewöhnlichen Rahmen herauszubringen, namentlich Dr. Heiko Hartmann und Angelika Hermann für ihre Unterstützung. Den größten Dank bin ich jedoch meinen Eltern schuldig, die mir meinen Weg überhaupt ermöglicht haben, und meiner Frau Cornelia, die so große Geduld aufbringen musste und mich in jeglicher Hinsicht unterstützt hat. Ihr widme ich dieses Buch.
Sabina Schroeter
it Die Sprache der DDR im Spiegel ihrer Literatur Studien zum DDR-typischen Wortschatz 1994. X, 241 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-013808-5 (Sprache, Politik, Öffentlichkeit 2) Auf der Grundlage von 35 Romane und Erzählungen der DDR-Literatur Dieter Herberg / Doris Steffens / ElkeTellenbach
• Schlüsselwörter der Wendezeit Wörter-Buch zum öffentlichen Sprachgebrauch 1989/90 1997. VII, 521 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-015398-X (Schriften des Instituts fur deutsche Sprache 6) Vom „Menschen in der Gerade-nochDDR" zum „künftigen Bundesbürger", „Flüchtlingsmassen" und „Massenflucht", die „Aktenwaschanlage" und - natürlich - der „Wendehals": Die kurze Wendezeit 1989/90 hat uns rund 1.000 neue Wörter beschert, über die Sie in diesem Wörter-Buch alles Wissenswerte finden. Die Autoren verzeichnen die verschiedenen
von 1949 bis 1989 wird der DDRtypische Wortschatz der deutschen Gegenwartssprache untersucht. Birgit Wolf
• Sprache in der DDR
Ü
Ein Wörterbuch 2000. XII, 259 Seiten. Gebunden. ISBN 3-11-016427-2 Zehn Jahre nach der Vereinigung hat die in der DDR aufgewachsene Autorin ihre linguistischen Erfahrungen und Kenntnisse über die Besonderheiten des DDR-Wortschatzes in einer Mischung von sachlichen Erläuterungen und ergänzenden Kontextbeispielen wiedergegeben, ohne an einer strengen Beschreibungssprache festzuhalten. Damit wird erstmals der Versuch unternommen, nicht nur den
Wortbildungen und deren Bedeutung
Sprachgebrauch der SED, sondern
und vermitteln das nötige Hinter-
auch den kritischen Alltagswortschatz
grundwissen. Die vielen Textbelege
zu beschreiben. In diesem Wörterbuch
zeigen, wie die Wörter gebraucht wur-
finden ostdeutsche Leser ihre Vergan-
den bzw. werden.
genheit wieder und westdeutsche lernen, sie besser zu verstehen.
w DE
G
de Gruyter Berlin · New York
www.deGruyter.de
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M
Georg Stötzel / Martin Wengler
• Kontroverse Begriffe Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland 1995. VIII, 8 5 2 Seiten. Broschiert. ISBN 3 - 1 1 - 0 1 4 1 0 6 - X (Sprache, Politik, Öffendichkeit 4 )
Karin Boke / Frank Liedtke / Martin Wengeler
IM Politische Leitvokabeln in der Adenauer-Ära
Cornelia Schmitz-Berning
• Vokabular des Nationalsozialismus
1996. VII, 4 9 6 Seiten. Leinen. ISBN 3 - 1 1 - 0 1 4 2 3 6 - 8 (Sprache, Politik, Öffentlichkeit 8)
[Unveränderter Nachdruck der Ausgabe 1998] 2 0 0 0 .
Das Buch behandelt die Sprache der
XLI, 7 1 0 Seiten.
Politik der Adenauer Ära. Charakteri-
Broschur. ISBN 3 - 1 1 - 0 1 6 8 8 8 - X
stisch fur diese Phase der Sprach- u n d
Dieses Nachschlagewerk
dokumen-
tiert in Wortartikeln die Geschichte u n d die besondere Verwendung von Ausdrücken, die sich dem offiziellen Sprachgebrauch des „Dritten
Rei-
ches" zuordnen lassen. Es wird dargestellt, ob die Ausdrücke schon vor der NS-Zeit benutzt wurden, ob u n d in welcher Bedeutung sie während der NS-Zeit verwendet wurden u n d ob sie eventuell im heutigen
Sprach-
gebrauch weiterleben. Umfangreiche,
Zeitgeschichte ist die Entstehung von politischen Begriffen, die für den öffentlichen Sprachgebrauch in der Bundesrepublik prägend waren.
Gerhard Strauß / Ulrike Haß / Gisela Harras
• Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch
möglichst ungekürzte u n d sprechende
1989. VIII, 7 7 8 Seiten.
Belegbeispiele verdeudichen den Ge-
Broschiert. ISBN 3 - 1 1 - 0 1 2 0 7 8 - X
brauchszusammenhang.
(Schriften des Instituts für deutsche Sprache 2)
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