Verordnete Unterordnung: Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit (1945–1963) [Reprint 2014 ed.] 9783486828825, 9783486560725

Mit dem Anstieg der weiblichen Erwerbstätigkeit und dem damit verbundenen Vordringen der Frau in typisch männliche Beruf

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German Pages 355 [356] Year 1994

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Table of contents :
Einleitung: Problemstellung - Methode - Forschungsstand
Kapitel I Zwangslage : Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)
1. Einsatz von Frauen auf Männerarbeitsplätzen
1.1. Oberpräsident Hans Fuchs und die Pflichtarbeit-Verordnung
1.2. Arbeitskräftemangel in der Trümmerbeseitigung
1.3. Britische Maßnahmen zur Einbeziehung der Frau in die Trümmerbeseitigung
1.4. Einstellung der deutschen Arbeitsbehörden gegenüber der Beschäftigung von Frauen im Bau- und im Baunebengewerbe
2. Strukturveränderungen in der Frauenerwerbsarbeit
2.1. Die Volkszählung in der britischen Besatzungszone vom 29. Oktober 1946
2.2. Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit zwischen 1880 und 1945
2.3. Anstieg und Veränderung der Frauenerwerbstätigkeit nach 1945
3. Staatlicher Arbeitsschutz und gewerkschaftliche Verbesserungsvorschläge
3.1. Umgehung der Arbeitsschutzbestimmungen durch die Arbeitgeber
3.2. Anfänge und Entwicklung des staatlichen Arbeitsschutzes in Deutschland
3.3. Gewerkschaftliche Forderungen zur Verbesserung des Schutzes der erwerbstätigen Frau
4. Der nordrhein-westfälische Hausarbeitstag
4.1. Widerstände gegen die Einführung eines Hausarbeitstages
4.2. Auslegung des Gesetzestextes durch die Arbeitgeber
4.3. Das Ende des Hausarbeitstages in Nordrhein-Westfalen
Kapitel II Auswirkungen: Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)
1. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung nach der Währungsreform
1.1. Folgen der steigenden Lebenshaltungskosten 1948
1.2. Wirtschaftswachstum in Nordrhein-Westfalen
1.3. Arbeitsmarktentwicklung für Männer und Frauen
2. Reaktion der Arbeitsbehörden und der Gewerkschaften auf die steigende Frauenerwerbslosigkeit
2.1. Die Fachausschüsse für Frauenfragen
2.2. Maßnahmen der Arbeitsbehörden zur Behebung der Frauenarbeitslosigkeit
2.3. Kritik der Gewerkschaften an den eingeleiteten Maßnahmen und Gegenvorschläge zur Verbesserung der Lage der berufstätigen Frau
3. Zurückdrängung der Frau von Männerarbeitsplätzen
3.1. Veränderte Einstellung von Wirtschaft und Verwaltung gegenüber erwerbstätigen Frauen
3.2. Doppelverdiener im öffentlichen Dienst
3.3. Entlassung von Straßenbahnschaffnerinnen
3.4. Vorgehens weise von Arbeitgebern und Arbeitsbehörden gegen Frauen auf Männerarbeitsplätzen
Kapitel III Kontinuitäten: Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)
1. Katholische Kirche und Nachkriegsfamilie
1.1. Die Psychologin Martha Moers über die Auswirkungen der Berufstätigkeit auf die Frau
1.2. Soziale Lage und Krisensymptome der Nachkriegsfamilie
1.3. Ursachen für die Zerrüttung der Nachkriegsfamilie aus Sicht der katholischen Kirche
2. Gründung der Familienverbände und des Bundesministeriums für Familienfragen
2.1. Der Deutsche Familienverband
2.2. Der Familienbund der Deutschen Katholiken
2.3. Die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen und der Bund der Kinderreichen Deutschlands
2.4. Entstehung und Arbeitsweise des Bundesministeriums für Familienfragen
2.5. Das Aktionsprogramm des Bundesfamilienministers Wuermeling zur Stabilisierung der Familie
3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz vom 13. November 1954
3.1. Die Anfänge der Kinderbeihilfe in Deutschland
3.2. Erste Forderungen nach einer Wiedereinführung der Kinderbeihilfe nach dem 2. Weltkrieg
3.3. Die Kindergelddebatte in der ersten Hälfte der 50er Jahre
4. Instrumentalisierung der Familienpolitik zur Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit
4.1. Kritik der katholischen Kirche an der Müttererwerbsarbeit
4.2. Mediziner und Pädagogen über die negativen Auswirkungen der weiblichen Berufstätigkeit auf die Familie
4.3. Nachbesserungen zum Kindergeldgesetz
4.4. Die familienpolitische Bilanz des Bundesfamilienministers Wuermeling
4.5. Katholische Bemühungen zur Festigung der Familienstruktur
4.6. Gründe für das Scheitern der katholisch-konservativen Strategien gegen die Frauenerwerbstätigkeit
Kapitel IV Widerstand: Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)
1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat um den Gleichheitsgrundsatz von Mann und Frau und den Anspruch der Frau auf gleichen Lohn
1.1. Frauenforderungen an den Parlamentarischen Rat
1.2. Die Vorstellung des Rechtswissenschaftlers Richard Thoma von der Ungleichheit von Mann und Frau
1.3. Die Diskussion im Ausschuß für Grundsatzfragen über den Gleichheitsartikel
1.4. Öffentlicher Protest und Revision des Gleichheitsartikels
1.5. Widerstände der Parteien gegen die Festschreibung einer Sozial- und Wirtschaftsordnung
1.6. Das Votum des Parlamentarischen Rates für Lohngleichheit von Mann und Frau
2. Einstellung von Juristen und Kirchen zur Anpassung der Familienrechtsbestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches an den Gleichheitsgrundsatz
2.1. Regierungserklärung des Bundeskanzlers Konrad Adenauer am 20. September 1949
2.2. Das patriarchalische Ordnungsprinzip im Widerstreit der Juristen
2.3. Christliche Vorstellungen von der Stellung der Frau in der Ehe
2.4. Reaktionen der Kirchen auf die Denkschrift des Bundesministeriums für Justiz zur Familienrechtsreform
3. Die Diskussion über die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts
3.1. Der Kampf des Bundesministers der Justiz Thomas Dehler für seinen Gesetzentwurf
3.2. Parlamentarischer Widerstand der CDU/CSU gegen den Regierungsentwurf
3.3. Die revidierte Fassung des Regierungsentwurfs
3.4. Beratungsmarathon im Rechtsausschuß und Verabschiedung des Gleichberechtigungsgesetzes
4. Frauenarbeitslohn zwischen Vorurteilen und Arbeitgeberinteressen
4.1. Die Beratungen des Ausschusses für Arbeit des Wirtschaftsrates über die Grundsätze der Lohnregelung
4.2. Die Entwicklung der Frauenlöhne seit Beginn der industriellen Frauenarbeit
4.3. Gutachterstreit zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften um die Lohngleichheit
4.4. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1955 und die Leichtlohngruppen für Frauen
Kapitel V Übergänge: Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder“ (1950-1963)
1. Der Korea-Boom und der wirtschaftlich-industrielle Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland
1.1. Der Angriff der nordkoreanischen Truppen am 25. Juni 1950
1.2. Die Folgen des Korea-Konfliktes auf die westdeutsche Wirtschaftsentwicklung
2. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes in den 50er Jahren
2.1. Die Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland vom 13. September 1950
2.2. Die sprunghafte Zunahme der Erwerbstätigen während des Wirtschaftsbooms
2.3. Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit und Veränderungen der Frauenarbeit in den einzelnen Wirtschaftszweigen
3. Bemühungen der Gewerkschaften zur Verbesserung der Situation der erwerbstätigen Frau
3.1. Gründung der Hauptabteilung Frauen des Deutschen Gewerkschaftsbundes
3.2. Arbeitslosigkeit älterer Frauen und ihr Abbau durch Arbeitsbeschaffungs- und Umschulungsmaßnahmen
3.3. Schlechte Aufstiegschancen für Frauen
4. Anstieg der Berufskrankheiten und Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes
4.1. Umfrageergebnisse der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände von 1961
4.2. Gründe für den Anstieg von Berufskrankheiten bei Frauen
4.3. Widerstände gegen den Ausbau des Mutterschutzes in den Nachkriegsjahren
4.4. Verabschiedung und Handhabung des Mutterschutzgesetzes von 1952
Zusammenfassung
Verzeichnis der Tabellen
Abkürzungsverzeichnis
Quellen und Literatur
Personenregister
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Verordnete Unterordnung: Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit (1945–1963) [Reprint 2014 ed.]
 9783486828825, 9783486560725

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Klaus-Jörg Ruhl · Verordnete Unterordnung

Klaus-Jörg Ruhl

Verordnete Unterordnung Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit (1945 -1963)

R. Oldenbourg Verlag München 1994

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultäten I-IV der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ruhl, Klaus-Jörg: Verordnete Unterordnung : berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit (1945-1963) / Klaus-Jörg Ruhl. - München : Oldenbourg, 1994 Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Habil.-Schr. ISBN 3-486-56072-7

© 1994 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Umschlaggestaltung : Dieter Vollendorf Gesamtherstellung : R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-56072-7

Inhalt

Einleitung: Problemstellung - Methode - Forschungsstand

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Kapitel I Zwangslage : Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

25

1. Einsatz von Frauen auf Männerarbeitsplätzen 1.1. Oberpräsident Hans Fuchs und die PflichtarbeitVerordnung 1.2. Arbeitskräftemangel in der Trümmerbeseitigung 1.3. Britische Maßnahmen zur Einbeziehung der Frau in die Trümmerbeseitigung 1.4. Einstellung der deutschen Arbeitsbehörden gegenüber der Beschäftigung von Frauen im Bau- und im Baunebengewerbe 2. Strukturveränderungen in der Frauenerwerbsarbeit 2.1. Die Volkszählung in der britischen Besatzungszone vom 29. Oktober 1946 2.2. Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit zwischen 1880 und 1945 2.3. Anstieg und Veränderung der Frauenerwerbstätigkeit nach 1945 3. Staatlicher Arbeitsschutz und gewerkschaftliche Verbesserungsvorschläge 3.1. Umgehung der Arbeitsschutzbestimmungen durch die Arbeitgeber 3.2. Anfänge und Entwicklung des staatlichen Arbeitsschutzes in Deutschland 3.3. Gewerkschaftliche Forderungen zur Verbesserung des Schutzes der erwerbstätigen Frau 4. Der nordrhein-westfälische Hausarbeitstag 4.1. Widerstände gegen die Einführung eines Hausarbeitstages 4.2. Auslegung des Gesetzestextes durch die Arbeitgeber 4.3. Das Ende des Hausarbeitstages in Nordrhein-Westfalen

25 25 26 30

37 41 41 43 47

52 52 55 62 70 70 77 80

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Inhalt

Kapitel II Auswirkungen: Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

84

1. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung nach der Währungsreform 1.1. Folgen der steigenden Lebenshaltungskosten 1948 1.2. Wirtschaftswachstum in Nordrhein-Westfalen

84 84 94

1.3. Arbeitsmarktentwicklung für Männer und Frauen 2. Reaktion der Arbeitsbehörden und der Gewerkschaften auf die steigende Frauenerwerbslosigkeit

98

104

2.1. Die Fachausschüsse für Frauenfragen 2.2. Maßnahmen der Arbeitsbehörden zur Behebung der Frauenarbeitslosigkeit

106

2.3. Kritik der Gewerkschaften an den eingeleiteten Maßnahmen und Gegenvorschläge zur Verbesserung der Lage der berufstätigen Frau

112

3. Zurückdrängung der Frau von Männerarbeitsplätzen 3.1. Veränderte Einstellung von Wirtschaft und Verwaltung gegenüber erwerbstätigen Frauen 3.2. Doppelverdiener im öffentlichen Dienst 3.3. Entlassung von Straßenbahnschaffnerinnen 3.4. Vorgehensweise von Arbeitgebern und Arbeitsbehörden gegen Frauen auf Männerarbeitsplätzen

Kapitel I I I Kontinuitäten : Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963) 1. Katholische Kirche und Nachkriegsfamilie 1.1. Die Psychologin Martha Moers über die Auswirkungen der Berufstätigkeit auf die Frau 1.2. Soziale Lage und Krisensymptome der Nachkriegsfamilie . . 1.3. Ursachen für die Zerrüttung der Nachkriegsfamilie aus Sicht der katholischen Kirche 2. Gründung der Familienverbände und des Bundesministeriums für Familienfragen 2.1. Der Deutsche Familienverband 2.2. Der Familienbund der Deutschen Katholiken 2.3. Die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen und der Bund der Kinderreichen Deutschlands

104

116 116 117 120 121

128 128 128 129 135

138 138 142 145

Inhalt

2.4. Entstehung und Arbeitsweise des Bundesministeriums für Familienfragen 2.5. Das Aktionsprogramm des Bundesfamilienministers Wuermeling zur Stabilisierung der Familie 3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz vom 13. November 1954 3.1. Die Anfänge der Kinderbeihilfe in Deutschland 3.2. Erste Forderungen nach einer Wiedereinführung der Kinderbeihilfe nach dem 2. Weltkrieg 3.3. Die Kindergelddebatte in der ersten Hälfte der 50er Jahre . . 4. Instrumentalisierung der Familienpolitik zur Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit 4.1. Kritik der katholischen Kirche an der Müttererwerbsarbeit.. 4.2. Mediziner und Pädagogen über die negativen Auswirkungen der weiblichen Berufstätigkeit auf die Familie 4.3. Nachbesserungen zum Kindergeldgesetz 4.4. Die familienpolitische Bilanz des Bundesfamilienministers Wuermeling 4.5. Katholische Bemühungen zur Festigung der Familienstruktur 4.6. Gründe für das Scheitern der katholisch-konservativen Strategien gegen die Frauenerwerbstätigkeit

Kapitel IV Widerstand : Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957) 1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat um den Gleichheitsgrundsatz von Mann und Frau und den Anspruch der Frau auf gleichen Lohn 1.1. Frauenforderungen an den Parlamentarischen Rat 1.2. Die Vorstellung des Rechtswissenschaftlers Richard Thoma von der Ungleichheit von Mann und Frau 1.3. Die Diskussion im Ausschuß für Grundsatzfragen über den Gleichheitsartikel 1.4. Öffentlicher Protest und Revision des Gleichheitsartikels . . . 1.5. Widerstände der Parteien gegen die Festschreibung einer Sozial-und Wirtschaftsordnung 1.6. Das Votum des Parlamentarischen Rates für Lohngleichheit von Mann und Frau

7

147 153

156 156 162 166

176 176 178 182 189 192 198

201

201 201 204 208 213 218 221

8

Inhalt

2. Einstellung von Juristen und Kirchen zur Anpassung der Familienrechtsbestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches an den Gleichheitsgrundsatz 2.1. Regierungserklärung des Bundeskanzlers Konrad Adenauer am 20. September 1949 2.2. Das patriarchalische Ordnungsprinzip im Widerstreit der Juristen 2.3. Christliche Vorstellungen von der Stellung der Frau in der Ehe 2.4. Reaktionen der Kirchen auf die Denkschrift des Bundesministeriums für Justiz zur Familienrechtsreform 3. Die Diskussion über die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts 3.1. Der Kampf des Bundesministers der Justiz Thomas Dehler für seinen Gesetzentwurf 3.2. Parlamentarischer Widerstand der C D U / C S U gegen den Regierungsentwurf 3.3. Die revidierte Fassung des Regierungsentwurfs 3.4. Beratungsmarathon im Rechtsausschuß und Verabschiedung des Gleichberechtigungsgesetzes

225 225 226 230 233

237 237 245 250 256

4. Frauenarbeitslohn zwischen Vorurteilen und Arbeitgeberinteressen 4.1. Die Beratungen des Ausschusses für Arbeit des Wirtschaftsrates über die Grundsätze der Lohnregelung 4.2. Die Entwicklung der Frauenlöhne seit Beginn der industriellen Frauenarbeit 4.3. Gutachterstreit zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften um die Lohngleichheit 4.4. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1955 und die Leichtlohngruppen für Frauen

275

Kapitel V Übergänge: Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

280

1. Der Korea-Boom und der wirtschaftlich-industrielle Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland 1.1. Der Angriff der nordkoreanischen Truppen am 25. Juni 1950 1.2. Die Folgen des Korea-Konfliktes auf die westdeutsche Wirtschaftsentwicklung

261 261 264 268

280 280 281

Inhalt 2. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes in den 50er Jahren 2.1. Die Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland vom 13. September 1950 2.2. Die sprunghafte Zunahme der Erwerbstätigen während des Wirtschaftsbooms 2.3. Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit und Veränderungen der Frauenarbeit in den einzelnen Wirtschaftszweigen 3. Bemühungen der Gewerkschaften zur Verbesserung der Situation der erwerbstätigen Frau 3.1. Gründung der Hauptabteilung Frauen des Deutschen Gewerkschaftsbundes 3.2. Arbeitslosigkeit älterer Frauen und ihr Abbau durch Arbeitsbeschaffungs- und Umschulungsmaßnahmen 3.3. Schlechte Aufstiegschancen für Frauen 4. Anstieg der Berufskrankheiten und Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes 4.1. Umfrageergebnisse der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände von 1961 4.2. Gründe für den Anstieg von Berufskrankheiten bei F r a u e n . . 4.3. Widerstände gegen den Ausbau des Mutterschutzes in den Nachkriegsjahren 4.4. Verabschiedung und Handhabung des Mutterschutzgesetzes von 1952

9 286 286 288 291 296 296 298 304 312 312 313 317 322

Zusammenfassung

331

Abkürzungsverzeichnis

335

Verzeichnis der Tabellen

336

Quellen und Literatur

337

Personenregister

352

Einleitung: Problemstellung - Methode - Forschungsstand

„Der rasche Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem Krieg und die hohen Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts wären ohne die absolute und relativ steigende Beschäftigung von Frauen in diesem Umfang nicht möglich gewesen". 1 Diese Feststellung traf die Bundesregierung 1966 in einem Bericht über die Situation der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft. Sie ist ohne Zweifel zutreffend. Ob als Trümmerfrauen oder Industriearbeiterinnen: Frauen waren in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit am Wiederaufbau der Städte und an der Ingangsetzung der Industrieproduktion beteiligt. Und ohne den ständig zunehmenden Anteil erwerbstätiger Frauen in den 50er Jahren wäre das „Wirtschaftswunder" kaum möglich gewesen. 2 Mit dem Anstieg der weiblichen Erwerbstätigkeit und dem damit verbundenen Vordringen der Frau in typisch männliche Berufssparten ging dennoch nicht die Anerkennung der erwerbstätigen Frau durch die Gesellschaft einher. Die Frauen durften zwar arbeiten, aber sie blieben, was sie auch schon vor 1945 gewesen waren: eine nahezu beliebig verfügbare und dirigierbare Arbeitskraftreserve. Warum war das so? Und gab es Bemühungen, diesen Zustand zu ändern? Die vorliegende Studie über die erwerbstätige Frau in den Jahren zwischen dem Kriegsende und dem Ende der Ära Adenauer 1963 wird unter anderem diesen beiden Fragen nachgehen. Im Mittelpunkt steht jedoch die Antwort auf folgende Fragen: warum wurde allgemein die berufstätige Frau und warum speziell in den Jahren nach der Währungsreform von 1948 und während der Ära Adenauer diskriminiert, und welcher Strategien bedienten sich dabei jene Gruppierungen und Institutionen, die entweder generell gegen die Frauenarbeit eingestellt waren oder aber die Arbeitskraft der Frau zu ihrem Vorteil auszunutzten versuchten? Zwischen 1945 und 1963 war der Zwang zur Existenzsicherung das Hauptmotiv für Frauen, eine Berufstätigkeit aufzunehmen. 3 Frauen gingen arbeiten, weil sie entweder alleinstehend waren oder weil der Verdienst des Ehemannes nicht ausreichte. In den seltensten Fällen erfolgte 1 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. V. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 909 (Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft), S. 92. 2 Zwischen 1950 und 1962 stieg der Anteil der erwerbstätigen Frauen um 70% (Die Zunahme bei Männern lag bei 40%). Angaben nach: Läge, Helga: Die Industriefähigkeit der Frau. Ein Beitrag zur Beschäftigung der Frau in der Industrie, Düsseldorf 1962, S. 18. 3 Brandt, Gisela u.a.: Zur Frauenfrage im Kapitalismus. 4. Aufl. Frankfurt 1979, S. 65.

12

Einleitung

eine Berufsaufnahme, um durch die Berufswelt Selbstverwirklichung zu erfahren. 4 Diese Absicht war jedoch in akademischen Kreisen weit verbreitet, unter Angestellten nicht ohne Bedeutung, aber sie spielte so gut wie keine Rolle unter Industriearbeiterinnen, dem Gros der berufstätigen Frauen. Denn die weiblichen Beschäftigten in der Industrie wurden schon aufgrund ihrer schulischen und beruflichen Ausbildung fast ausschließlich auf nachgeordneten Positionen eingesetzt, aus denen nur wenige den Aufstieg schafften. Den Zwang der Frauen zur Berufsaufnahme nutzten die Unternehmen konsequent zu ihrem Vorteil aus. Günstige Wirtschaftslagen förderten die Frauenarbeit, Wirtschaftskrisen hingegen die Frauenarbeitslosigkeit. Bei einem Wirtschaftsaufschwung bedienten sich die Unternehmen der weiblichen Arbeitskraftreserve, und sie trennten sich im allgemeinen zuerst von ihren weiblichen Arbeitskräften, wenn die Wirtschaftsentwicklung in eine Krise geriet. Die Unternehmen griffen verstärkt auf Frauen zurück, wenn der männliche Arbeitsmarkt keine Reserven mehr aufwies. Dann wurde fast jede Frau genommen. Bedingung war nur, daß ein Minimum an Arbeitskraft erbracht wurde. Die auf Arbeitsteilung eingerichteten, automatisierten Betriebe konnten sich mit solchen „Hilfsarbeiterinnen" eher zufrieden geben als die Handwerksbetriebe, die in fast allen Bereichen auf qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen waren. Frauen wurden aber auch deswegen angeworben, weil sie aufgrund ihrer geringen Qualifikation weniger Lohn beanspruchen konnten. Der Wirtschaftsaufschwung förderte also vor allem die unqualifizierte Frauenarbeit. In der Wirtschaftskrise entledigten sich die Unternehmen zuerst ihrer „unproduktiven", weil unqualifizierten Mitarbeiter. Leidtragende dieser Unternehmenspolitik waren immer die Frauen. Einzelne Unternehmen versuchten in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ihren Arbeiterinnen, die ja weiterhin auf den Verdienst angewiesen waren, den Arbeitsplatz unter gewissen Bedingungen, die grundsätzlich die Frauen benachteiligten, zu erhalten. So wurden Tariflöhne gedrückt und die kostenintensiven Arbeitsschutzmaßnahmen aufgehoben oder nur sehr oberflächlich gehandhabt. Die Frauen waren gegen diese Willkürmaßnahmen im allgemeinen machtlos, da sie bei Protest oder Gegenwehr mit der Entlassung rechnen mußten. Als Anwalt der Arbeitnehmer traten die Gewerkschaften auf. Ihre Aufgabe sahen sie darin, den Arbeitnehmern eine angemessene Entlohnung für ihre Arbeitsleistung zu erkämpfen und das Recht auf einen Arbeitsplatz durchzusetzen. Die Gewerkschaften unterstützten jedoch eine Lohnund Arbeitsplatzsicherungspolitik, die vorrangig auf eine Besserstellung der männlichen Arbeitskräfte hinauslief. 4

1961 waren das etwa 0,9% der erwerbstätigen Frauen. Dazu: Holzer, Dagmar u.a.: Frauenemanzipation in der BRD, in: Kürbiskern 1971, S. 120-134, hier: S. 125.

Problemstellung - Methode - Forschungsstand

13

Dem Schutz der Frau am Arbeitsplatz waren die Arbeitsbehörden, insbesondere die Gewerbeaufsichtsämter, verpflichtet, die vom Gesetzgeber angehalten waren, die Einhaltung der Arbeitsschutzgesetze zu sichern. Die Arbeitsschutzbestimmungen waren jedoch fast ausschließlich von männlichen Abgeordneten des Reichstags ausgearbeitet worden, die neben dem Schutz der Frau vor speziellen Gefahren am Arbeitsplatz auch immer die Absicht verfolgten, den Frauen den Zugang zu gewissen (männlichen) Berufen zu versperren. Als Gegner einer (dauernden) Berufstätigkeit trat insbesondere die westdeutsche Gesellschaft in ihrer Gesamtheit auf. Die Frau, so lautete die weitverbreitete Meinung, sei zunächst einmal Ehefrau und Mutter und habe in diesem Rahmen ihre Pflichten zu erfüllen. Mädchen sollte jedoch Gelegenheit gegeben werden, nach dem Schulbesuch einen Beruf zu ergreifen, der mit der Heirat aufzugeben war. Im Idealfall sollte der Beruf eine Vorbereitung auf Ehe- und Mutterpflichten sein. Das war dann der Fall, wenn die Mädchen in einem hauswirtschaftlichen Beruf arbeiteten. Ansonsten war die Berufstätigkeit auch dazu geeignet, sich die Mittel für eine Aussteuer zusammenzusparen. Diese Vorstellung von der Frau als Ehefrau und Mutter wurde von den Konservativen in allen Parteien vertreten und vor allem von der katholischen Kirche, deren Hauptanliegen darin bestand, die durch Krieg und Nachkriegszeit in Krise geratene Familie wieder zu stabilisieren. Sie war es dann auch, die in der weiblichen Berufstätigkeit eine wesentliche Ursache für Krise und Verfall der Institution Familie ausmachte. Die Lage der berufstätigen Frau Ende der 40er und in den 50er Jahren wurde also durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt. Zu den wichtigsten gehörten ohne Zweifel auf der einen Seite die Wirtschaftsentwicklung, die entweder die Frauenerwerbstätigkeit förderte oder sie behinderte, und auf der anderen Seite die konservative Frauen- und Familienideologie, die eine Frauenerwerbstätigkeit ablehnte. Und diese Polarität bestimmte auch die öffentliche Auseinandersetzung um die erwerbstätige Frau in den 50er Jahren. Während die Unternehmen im „Wirtschaftswunder" die Frauen mit steigenden Löhnen in die Betriebe lockten, versuchten konservativ-katholische Politiker die Frau von der Berufsaufnahme abzuhalten. Als Sieger ging die Wirtschaft aus diesem Streit hervor, da immer mehr Frauen dem Ruf der Unternehmen folgten und eine Erwerbstätigkeit aufnahmen. Jedoch verzögerte die konservative Ideologie die Anerkennung der berufstätigen Frau durch die Gesellschaft, so daß die erwerbstätige Frau die Verliererin war: ihre Nichtanerkennung führte dazu, daß sie weiterhin eine schlechtere Berufsausbildung erhielt und geringere Aufstiegschancen besaß und daß sie selbst ihre Berufstätigkeit gering einschätzte. Diese Auseinandersetzung um die Berufstätigkeit der Frau gehörte in der Ära Adenauer zu den zentralen innenpolitischen Themen. In unzähli-

14

Einleitung

gen Presseveröffentlichungen wurde gestritten, Partei bezogen. Berufene und Ungefragte meldeten sich mit Beiträgen zu Wort, versuchten die Diskussion in die eine oder andere Richtung zu verlagern. Die Öffentlichkeit nahm an dem Disput regen Anteil. Die historische Forschung hat diese Auseinandersetzung bisher völlig ausgeklammert. Der Grund dürfte vor allem in dem politischen Dogmatismus gegenüber einer Epoche liegen, die sich dem Betrachter als eine Erfolgsbilanz darbietet. Denn die konservativ-bürgerliche Regierung unter dem CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer erzielte im innenpolitischen Bereich, vor allem in der Wirtschaftsund Sozialpolitik, große Erfolge.5 Historiker jedoch, die Erfolge nachzeichnen, können leicht in den Verdacht geraten, Hagiographie zu betreiben. So blieb bisher die Ära Adenauer in ihren innenpolitischen Dimensionen ein weithin von der Forschung vernachlässigtes Terrain.6 Zu Unrecht, wie zu belegen sein wird. Denn die 50er Jahre als unmittelbare Vorgeschichte unserer Gegenwart brauchen eine kritische Aufarbeitung, um zu verstehen, warum einzelne Prozesse und Entwicklungen so schwerfällig abgelaufen sind und zum Teil heute noch nicht einer befriedigenden Lösung zugeführt werden konnten. Die Nachzeichnung der Diskussion um die berufstätige Frau in den 50er Jahren könnte dazu einen Beitrag leisten. Die vorliegende Studie versucht nicht, die Betroffenheit der berufstätigen Frauen darzustellen. Es geht auch nicht um den Lebenskampf dieser Frauen und nicht um die familiären Krisen, die durch Autoritätsverschiebung und Frauenberufstätigkeit ausgelöst wurden. Vielmehr werden in einer wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Verlaufsanalyse die strukturellen und ideologischen Komponenten untersucht, die auf die berufstätige Frau einwirkten, um sie in ihrer untergeordneten Position zu belassen. Das sind nach unserer Einschätzung in erster Linie die Wirtschaftsentwicklung mit ihren Krisen und Wachstumsphasen (darin eingeschlossen die Unternehmenspolitik), der Staat mit seinen Ausführungsorganen, die konservative Frauen- und Familienideologie und schließlich die Gewerkschaften mit ihren Vorstellungen. Zu diesem Zweck mußte im wirtschaftlichen Bereich detailliert die Entwicklung der weiblichen Berufstätigkeit vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Rekonstruktion beschrieben werden. Auskunft mußte gegeben werden über die Gründe für den Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit sowie über die Ursachen der Frauenarbeitslosigkeit. Weiterhin gehörten 5 Zur Ära Adenauer vor allem: Schwarz, Hans-Peter: Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949-1963. 2 Bde., Stuttgart 1981. 6 So auch Doering-Manteuffel, Anselm: Die Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer. Außenpolitik und innere Entwicklung 1949-1963, Darmstadt 1983, S. 5. Weiterhin: Abelshauser, Werner: Die langen fünfziger Jahre. Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland 1949-1966, Düsseldorf 1987, S. 15 („Die langen fünfziger Jahre ... sind für die Geschichtsschreibung noch Neuland".).

Problemstellung - Methode - Forschungsstand

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dazu Angaben über die Veränderungen der weiblichen Berufstätigkeit in den einzelnen Wirtschaftsbereichen. Die staatlich-politische Ebene bedurfte besonderer Beachtung. Der Staat hatte nämlich einerseits die Berufstätigen vor der Willkür der Unternehmen zu schützen, andererseits mußte er der Wirtschaft Impulse vermitteln und in Krisenzeiten die Arbeitslosigkeit durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen abmildern oder abbauen. Die Regierung hatte es schließlich in der Hand, Gesetze auszuarbeiten, die den Schutz der Frau am Arbeitsplatz verbesserten oder Gesetze zu verzögern, die der Berufstätigkeit der Frau förderlich oder hinderlich waren. Da die Regierung in den 50er Jahren von einer konservativ-bürgerlichen Koalition gestellt wurde, in welcher katholische Traditionalisten maßgeblichen Einfluß besaßen, spielte die konservative Frauen- und Familienpolitik eine nicht unerhebliche Rolle bei der Behinderung von Gesetzgebungsverfahren, die der Frau im öffentlich-rechtlichen Bereich mehr Rechte einräumen wollten.7 Hier galt es insbesondere die Institutionen zu benennen und ihre Arbeitsweise zu beschreiben, die ein Interesse daran hatten, die untergeordnete Position der Frau festzuschreiben. Im einzelnen waren das die katholische Kirche, die Familienverbände und das Familienministerium. Die Bemühungen der Gewerkschaften waren darauf gerichtet, die Situation der erwerbstätigen Frau zu verbessern. Das war sowohl im Bereich des Arbeitsplatzes als auch auf der Ebene der Tarifabschlüsse möglich. Zu untersuchen waren vor allem die Vorschläge der Gewerkschafterinnen, und in diesem Zusammenhang war danach zu fragen, inwieweit diese Vorschläge Einfluß auf die Entwicklung nahmen. Das Thema mußte sachlich und zeitlich eingegrenzt werden. Der Komplex berufstätige Frau konnte nicht in allen Aspekten untersucht werden. Die Studie konzentriert sich vielmehr auf den industriell-gewerblichen Bereich und somit auf die Industriearbeiterin. Ausgeklammert wurde weitestgehend die Situation der berufstätigen Frauen in den gehobenen Berufen und in der Landwirtschaft. Diese Eingrenzung scheint gerechtfertigt, da die Industriearbeiterinnen zwei Drittel der weiblichen Arbeitnehmer stellten. Die stellenweise starke Ausrichtung auf das nordrhein-westfälischen Industriegebiet könnte den Verdacht aufkommen lassen, daß es sich bei dieser Studie um eine lokale Untersuchung handelt. Das ist nicht der Fall. Als Ausgangspunkt für die Untersuchung bot sich dieser Raum zunächst einmal wegen der günstigen Quellenlage an, zum anderen aber auch deswegen, weil in Nordrhein-Westfalen die Nachkriegsprobleme in einem weitaus stärkeren Maße anzutreffen sind als in den anderen Ländern: 7

Auf diesen Zusammenhang verwies zuerst: Jurczyk, Karin: Frauenarbeit und Frauenrolle. Zum Zusammenhang von Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland von 1918-1975. 3. Aufl. Frankfurt 1978, S. 90-95.

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Einleitung

etwa die prekären sozialen Verhältnisse in den städtischen Trümmerlandschaften, die Flüchtlingsnot, aber auch der Zwang der Frauen zur Aufnahme einer Berufstätigkeit in einem Betrieb. Das nordrhein-westfälische Industriegebiet ist somit Ausgangspunkt der Untersuchung, die über den amerikanisch-britischen Wirtschaftsraum in eine allgemeine Betrachtung der Situation der berufstätigen Frau in der Bundesrepublik Deutschland überleitet. Dennoch bleibt aufgrund der benutzten Quellenbasis das Ruhrgebiet der Raum, aus dem Beispiele zur Untermauerung der Beweisketten herangezogen werden. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung wurde mit dem Kriegsende (1945) und dem Ende der Ära Adenauer (1963) festgelegt. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt jedoch auf den Jahren zwischen der Währungsreform (1948) und dem Abschluß der Debatte um die Gleichberechtigung von Mann und Frau (1957/58). In diesem Jahrzehnt wurde besonders massiv gegen die Erwerbstätigkeit der Frau Stellung bezogen. Diese zeitliche Begrenzung läßt sich einerseits inhaltlich rechtfertigen, da sich nach 1963 die Situation der berufstätigen Frau spürbar verbesserte, ohne daß ihr jedoch die volle Gleichberechtigung in der Arbeitswelt zugestanden wurde. Weiterhin läßt sie sich mit der Verfügbarkeitsgrenze des staatlichen Archivguts rechtfertigen, das einer 30-Jahre-Sperrfrist unterliegt. Die Quellengrundlage dieser Studie setzt sich aus verschiedenen Archivalien zusammen, wobei die Bestände des Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchivs in Düsseldorf ( = HStA), vor allem die vielen Dossiers des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales, den Grundstock bilden. 8 Sie geben in den Berichten der Gesundheitsämter und verschiedener Stadtverwaltungen Auskunft über die sozialen Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen und in den Berichten der Gewerbeaufsichtsämter über die Situation der berufstätigen Frau. Diese Dossiers bieten auch Einblick in die Arbeitsschutzgesetzgebung (Mutterschutzgesetz), die Tarifentwicklung und die Sozialversicherung. Ergänzung finden diese Archivalien durch die Auswertung der umfangreichen Presse-Ausschnittsammlung des Presseund Informationsamtes der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Weiterhin von Bedeutung sind die Bestände des Archivs des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Düsseldorf ( = ADGB), in denen sich vor allem die Bemühungen der Gewerkschafterinnen um eine Verbesserung der Situation der erwerbstätigen Frau widerspiegeln. Die Protokolle der Bundesfrauenausschußsitzungen sind darüberhinaus eine wichtige Quelle zur Bewertung der gewerkschaftlichen Arbeit. Die Familienpolitik der Bundesregierung und der verschiedenen Institutionen und Organisationen wurde anhand der Bestände des Bundesministeriums für Familienfragen und der Familienverbände rekonstruiert, 8

Vgl. dazu: Die Bestände des Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchivs. Kurzübersicht. 2. Aufl. Düsseldorf 1984.

Problemstellung - Methode - Forschungsstand

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die (mit A u s n a h m e des F a m i l i e n b u n d e s der Deutschen Katholiken) im Bundesarchiv in K o b l e n z ( = B A ) lagern. 9 D i e Sitzungs- u n d Ausschußsitzungsprotokolle des Parlamentarischen Rates s o w i e die Akten des Bundesministeriums für Justiz wurden in Bezug auf die Gleichberechtigungsdebatte ausgewertet. Vertiefung u n d Ergänzung erfuhren die g e n a n n t e n Archivalien durch die Sitzungsprotokolle des Zonenbeirats der britischen Z o n e u n d des Länderrats des amerikanischen Besatzungsgebiets s o w i e durch verschiedene N a c h l ä s s e , unter anderem den sehr materialreichen N a c h l a ß der FDP-Politikerin Maria-Elisabeth Lüders. Schließlich konnten n o c h einzelne Bestände des Bundesministeriums für Arbeit herangezogen werden. 1 0 Weit über 1 0 0 0 0 0 Seiten A k t e n w u r d e n durchgesehen, um die wirtschaftspolitischen, sozialpolitischen u n d ideologischen Aspekte der Thematik in den Griff zu b e k o m m e n . Zu den Archivalien k a m e n die veröffentlichten Quellen hinzu (mit alliierten Amtsblättern", Bundestagsprotokollen u n d -drucksachen 1 2 s o w i e Berichten u n d Drucksachen des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1 3 ), Umfrageergebnisse 1 4 , Gesetzestexte 1 5 , Statistiken 1 6 u n d die zahlreichen zeitgenössischen Zeit9

Vgl. dazu: Grainer, Gerhard u.a.: Das Bundesarchiv und seine Bestände. 3. ergänzte und neu bearb. Aufl. Boppard 1977. 10 Im allgemeinen handhabten die benutzten Archive die 30-Jahre-Sperrfrist flexibel. So gab zum Beispiel das Nordrhein-Westfälische Hauptstaatsarchiv die Akteneinsicht bis ins Jahr 1963 frei. Auch die Archivalien des Bundesministeriums für Familienfragen konnten nach Freigabe durch die damalige Bundesministerin Rita Süssmuth uneingeschränkt eingesehen werden. Dieses Entgegenkommen war beim Bundesministerium für Justiz nicht zu erreichen, und auch das Bundesministerium für Arbeit bestand auf Sperrfristen, vor allem bei den Akten, die Auskunft geben über die Arbeitsbeschaffungsprogramme der Bundesregierung. " Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Berlin o.J. Amtsblatt der Militärregierung Deutschland. Britisches Kontrollgebiet, o.O. 19451949. 12 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode 1949/53 - V. Wahlperiode 1965/69, Bonn 1949-1969 bzw. Anlagen zu den Stenographischen Berichten. I. Wahlperiode 1949/53 - V. Wahlperiode 1965/69, Bonn 1949-1969. 13 Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1947-1949. Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte und dem Deutschen Bundestag, Wissenschaftlicher Dienst. Bearb. von Christoph Weisz und Hans Woller. 6 Bde., München 1977. 14 Ergebnisse einer Umfrage über die Belastung der erwerbstätigen Frau durch Beruf, Haushalt und Familie, Köln 1961. 15 Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, Band 1 ff., Düsseldorf 1946/47 ff.; Bundesgesetzblatt. Hrsg. vom Bundesministerium der Justiz. Teil I, Bonn 1949-1963. 16 Die Industrie in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. vom Statstischen Bundesamt, Wiesbaden 1951-1957; Statistik der britischen Besatzungszone. Hrsg. vom Statistischen Amt für die britische Besatzungszone, Hamburg o.J.; Statistik der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Stuttgart 1952-

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Einleitung

schriftenaufsätze, in d e n e n sich die D i s k u s s i o n e n u n d Dispute um die berufstätige Frau niedergeschlagen haben. 1 7 D i e historische Forschung hat - wie bereits angedeutet - die wirtschaftlichen u n d sozialen Determinaten der Ära A d e n a u e r weitgehend ausgeklammert. 1 8 Einen ersten Versuch, die Grenzmarke 1949 zu überschreiten, unternahm Hans-Günter Hockerts vor z e h n Jahren mit seiner Studie über die alliierte u n d deutsche Sozialversicherungspolitik. 1 9 D i e s e m Beispiel ist bislang n i e m a n d gefolgt. 2 0 D i e Arbeiten v o n Werner Abelshauser 2 1 , Harald Winkel 2 2 u n d Karl Hardach 2 3 sind j e d o c h recht gute Überblicksdarstellungen zur wirtschaftlichen Entwicklung in den Nachkriegsjahren. A m besten ist die Zeit zwischen d e m Kriegsende u n d der G r ü n d u n g der Bundesrepublik erforscht: vor allem auch auf wirtschafts- u n d sozialpolitis c h e m Gebiet. D i e Arbeit v o n Werner Abelshauser über die alliierte Wirtschaftspolitik 2 4 ist e b e n s o hervorzuheben wie die Bewertung der A n f ä n g e der Sozialen Marktwirtschaft durch Gerold Ambrosius 2 5 oder der v o m Institut für Zeitgeschichte herausgegebenen S a m m e l b a n d über den sozialen U m b r u c h in der E n d p h a s e des Zweiten Weltkrieges u n d der WährungsFortsetzung Fußnote von Seite 17 1955; Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Stuttgart 1952-1963; Statistisches Handbuch von Deutschland 1928-1944. Hrsg. vom Länderrat der amerikanischen Besatzungszone, München 1949. 17 Die Caritas-Bibliothek in Freiburg erwies sich als eine wahre Fundgrube für seltene und schwer zugängliche Literatur. 18 Zur Geschichte der Nachkriegszeit: Düwell, Kurt: Entstehung und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland (1945-1961). Eine dokumentierte Einführung, Köln 1981; Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, Göttingen 1982; Birke, Adolf M.: Nation ohne Haus. Deutschland 1945-1961, Berlin 1989; weiterhin: Schwarz: Die Ära Adenauer. Entsprechend dem Forschungsstand sind die genannten vier Darstellungen stärker auf die politische Entwicklung fixiert. Zur Sozialgeschichte der Nachkriegszeit: Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum Kontinuitätsproblem. Hrsg. von Werner Conze und Mario Rainer Lepsius, Stuttgart 1983. 19 Hockerts, Hans Günter: Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945 bis 1957, Stuttgart 1980. 20 Vgl. jedoch: Alber, Jens: Der Sozialstaat in der Bundesrepublik 1950-1983, Frankfurt 1989. 21 Abelshauser, Werner: Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Frankfurt 1983. 22 Winkel, Harald: Die Wirtschaft im geteilten Deutschland 1945-1970, Wiesbaden 1974, S. 47. 23 Hardach, Karl: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. 2. durchgesehene Aufl., Göttingen 1979. 24 Abelshauser, Werner: Wirtschaft in Westdeutschland 1945-1948. Rekonstruktion und Wachstumsbedingungen in der amerikanischen und britischen Zone, Stuttgart 1975. 25 Ambrosius, Gerold: Die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland 1945-1949, Stuttgart 1977.

Problemstellung - Methode - Forschungsstand

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reform. 2 6 A u c h die Frauenarbeit (mit Hausarbeit u n d Berufstätigkeit) ist v o n Doris Schubert einer ersten Bewertung unterzogen worden 2 7 , w o b e i j e d o c h zu b e m ä n g e l n ist, daß der Forschungsansatz mit seiner allzu vere i n f a c h e n d e n Kapitalismuskritik u n d die u n g e n ü g e n d e Quellenbasis zu überspitzten Resultaten führten, die sehr oft einer N a c h p r ü f u n g nicht standhalten. Jedoch ist anzuerkennen, daß mit dieser Untersuchung zum ersten Mal die Frauenforschung die Zäsur 1945 überschritten hat, nachd e m sie sich ein Jahrzehnt lang vor allem mit T h e m e n aus dem Bereich der Frauenbewegung 2 8 , der Frauenarbeit 2 9 u n d der Rolle der Frau im „Dritten Reich" 3 0 beschäftigt hatte. 31 Der v o n Doris Schubert 3 2 eingeschlag e n e W e g wurde aber nicht konsequent weiter verfolgt. 3 3 Zu den in meiner Studie angeschnittenen Problemen gibt es so gut wie keine neuere Untersuchung 3 4 , u n d auch die älteren beruhen nur auf d e m

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Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. Hrsg. von Martin Broszat u.a., München 1988. Weiterhin: Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953. Hrsg. von Heinrich August Winkler, Göttingen 1979. 27 Schubert, Doris: Frauen in der deutschen Nachkriegszeit. Band 1: Frauenarbeit 1945-1949. Quellen und Materialien, Düsseldorf 1984. 28 Vgl. u.a.: Greven-Aschoff, Barbara: Die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland 1894-1933, Göttingen 1981; Richebächer, Sabine: Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. Deutsche proletarische Frauenbewegung 1890-1914, Frankfurt 1982; Wittrock, Christine: Weiblichkeitsmythen. Das Frauenbild im Faschismus und seine Vorläufer in der Frauenbewegung der 20er Jahre. 2. Aufl. Frankfurt 1985. 29 Winkler, Dörte: Frauenarbeit im „Dritten Reich", Hamburg 1977; Bajohr, Stefan: Die Hälfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914 bis 1945. 2. Aufl. Marburg 1984. 30 Klinksiek, Dorothee: Die Frau im NS-Staat, Stuttgart 1982; Tidl, Georg: Die Frau im Nationalsozialismus, Wien 1984. 31 Vgl. den Literaturbericht von Frevert, Ute: Bewegung und Disziplin in der Frauengeschichte. Ein Forschungsbericht, in: Geschichte und Gesellschaft 1988, S. 240262. 32 Frau Schubert gehörte einem Kreis von feministischen Wissenschaftlerinnen an, die in der von Annette Kuhn herausgegebenen Buchreihe „Geschichtsdidaktik" ihr Forum fanden. Mitte der 80er Jahren erschienen mehrere Beiträge zur Frau in der Politik und in der Arbeits weit zwischen 1945 und 1949. Vgl. dazu: Frauen in der Geschichte. Band V: „Das Schicksal Deutschlands liegt in der Hand seiner Frauen". Frauen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Hrsg. von Anna-Elisabeth Freier und Annette Kuhn, Düsseldorf 1984; Frauen in der deutschen Nachkriegszeit. Band 2: Frauenpolitik 1945-1949. Hrsg. von Annette Kuhn, Düsseldorf 1986. 33 Vgl. dazu aber die Skizze von Frevert, Ute: Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt 1986, S. 244-262; dies.: Frauen auf dem Weg zur Gleichberechtigung. Hindernisse, Umleitungen, Einbahnstraßen, in: Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte. Hrsg. von Martin Broszat, München 1990, S. 113-130, hier: S. 113-122. 34 Als Vorarbeiten zu dieser Studie liegen jedoch zwei Quellenbände vor: Unsere verlorenen Jahre. Frauenalltag in Kriegs- und Nachkriegszeit 1939-1949. Hrsg. von

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Einleitung

damals erreichbaren Material, und dazu gehörten selbstverständlich nicht die noch gesperrten Archivalien. Über die Entwicklung der Wirtschaft in den 50er Jahren liegen insbesondere die Arbeiten von Ferdinand Grünig35, Rolf Krengel36 und Peter Schwanse37 vor, die aus verschiedenen Perspektiven die Expansion der westdeutschen Industrie und den Anstieg der Beschäftigung im „Wirtschaftswunder" beleuchten. Mit der weiblichen Erwerbstätigkeit beschäftigten sich seit Mitte der 50er Jahre vor allem Soziologen, nachdem sie seit Ende der 40er Jahre den Einfluß, den die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Kriegsund Nachkriegszeit auf die Struktur und die Funktion der Familie ausübte, untersucht hatten. Von den familiensoziologischen Arbeiten wären in erster Linie diejenigen von von Hilde Thurnwald, Helmut Schelsky, Gerhard Wurzbacher und Gerhard Baumert sowie dem Autorenteam um Rolf Fröhner zu nennen. Die erste familiensoziologische Untersuchung führte Thurnwald 38 1948 in Berlin durch. Sie ist rein deskriptiv. Wichtiger sind die Studien von Schelsky39 und Wurzbacher 40 , deren Ergebnisse 1953 und 1954 veröffentlicht wurden. Schelsky konzentrierte sich insbesondere auf die sogenannten Schicksalsfamilien. Anhand zahlreicher Monographien versuchte er festzustellen, welche gesellschaftlichen Kräfte die Familie als soziale Institution bestimmen und in welcher Richtung die Effekte gehen. Aus dem Material versuchte er, durch eingehende Analysen Schlüsse über den Wandel der familiären Institution überhaupt zu ziehen. Auf ähnlichem Material basierte die Untersuchung von Wurzbacher, der versuchte, eine Typologie der Beziehungen zwischen den Ehegatten, Eltern und Kindern, sowie den Verwandten zu entwerfen. In der von Baumert41 in Darmstadt durchgeführten Untersuchung wurde die Familie als eine der wenigen noch existierenden Primärgruppen betrachtet. Deshalb hielt er es für äußerst wichtig, zu erfahren, welche Forlsetzung Fußnote von Seite ¡9 Klaus-Jörg Ruhl, Darmstadt 1985 und Frauen in der Nachkriegszeit 1945-1963. Hrsg. ders., München 1988. 35 Grünig, Ferdinand und Rolf Krengel: Die Expansion der westdeutschen Industrie 1949 bis 1954, Berlin 1955. 36 Krengel, Rolf : Anlagevermögen, Produktion und Beschäftigung der Industrie im Gebiet der Bundesrepublik von 1924 bis 1956, Berlin 1958. 37 Schwanse, Peter: Beschäftigungsstruktur und Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 1963, Berlin 1965. 38 Thurnwald, Hilde: Gegenwartsprobleme Berliner Familien, Berlin 1948. 39 Schelsky, Helmut: Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung und Deutung einer empirisch-soziologischen Tatbestandsaufnahme, Stuttgart 1953. 40 Wurzbacher, Gerhard: Leitbilder gegenwärtigen deutschen Familienlebens. Methoden, Ergebnisse und sozialpädagogische Folgerungen einer soziologischen Analyse von 164 Familienmonographien, Stuttgart 1954. 41 Baumert, Gerhard: Deutsche Familien nach dem Kriege, Darmstadt 1954.

Problemstellung - Methode - Forschungsstand

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Funktionen die Familie primär für Individuum und Gesellschaft erfüllt, welche Struktur sie aufzeigt, mit welcher gesellschaftlichen Dynamik sie sich vor allem auseinanderzusetzen hat und in welchem Maße sie sich in dieser Auseinandersetzung zu behaupten weiß. Die Probleme wurden sowohl anhand objektiver Beobachtung als auch auf der Ebene der sujektiven Erfahrung der Familienmitglieder analysiert. Einige Jahre später, 1956, wurde eine ausführliche Untersuchung von Frohner/Stackelberg/Eser 42 veröffentlicht. Weil sich eine neue Struktur der Familie zu entwickeln schien, wollten die Verfasser die typischen familiären Merkmale und die Symptome des Strukturwandels ermitteln. Die Autoren wollten das auf differenzierte Weise feststellen für die verschiedenen sozialen Schichten, Berufsgruppen, Altersklassen und konfessionellen Gruppierungen. Leider besitzt diese umfangreiche Untersuchung einen rein deskriptiven, nichtanalytischen Charakter, zudem ist sie viel zu umfassend angelegt, wodurch sie an Tiefe und Relevanz erheblich einbüßte. In den genannten Studien wird, wenn auch sehr am Rande auf die weibliche Erwerbstätigkeit eingegangen. Bei den seit Mitte der 50er Jahre veröffentlichten Studien über Frau und Beruf muß unterscheiden werden zwischen den Untersuchungen, die sich generell gegen eine Frauenerwerbsarbeit aussprachen, was etwa Otto Speck tat,43 und denjenigen, welche die weibliche Erwerbstätigkeit unterstützten, aber Kritik an den Arbeitsbedingungen der Frauen anmeldeten. 44 Auch Teilbereiche des Frauenarbeitsschutzes (mit dem Mutterschutzgesetz) erfuhren eine erste Bewertung,45 ebenso die weibliche Entlohnung.46 42

Fröhner, Rolf u.a.: Familie und Ehe. Probleme in den deutschen Familien der Gegenwart, Bielefeld 1956. 43 Speck, Otto: Kinder erwerbstätiger Mütter. Ein soziologisch-pädagogisches Gegenwartsproblem, Stuttgart 1956. 44 Herrmann, Algard Hedwig: Die außerhäusliche Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen. Eine sozialpolitische Studie, Stuttgart 1957; Hofmann, Anton u.a.: Frauen zwischen Familie und Fabrik. Die Doppelbelastung der Frau durch Haushalt und Beruf, München 1958; Hinze, Edith: Lage und Leistung erwerbstätiger Mütter. Ergebnisse einer Untersuchung in Westberlin, Berlin 1960; Schmidt, Norbert: Die Berufstätigkeit der Frau als soziologisches Problem, Stuttgart (Diss.) 1960; Pfeil, Elisabeth: Die Berufstätigkeit von Müttern. Eine empirisch-soziologische Erhebung an 900 Müttern aus vollständigen Familien, Tübingen 1961 ; Lehr, Ursula: Die Frau im Beruf. Eine psychologische Analyse der weiblichen Berufsrolle, Frankfurt 1969. 45 Braun, Heinrich: Mutterschutz in der Bundesrepublik. Entwicklung, Stand, Probleme. Eine sozialpolitische Studie, Frankfurt 1960; Citak, Bilge: Der Schutz der arbeitenden Frau im deutschen Recht, Würzburg (Diss.) 1962. Zum Hausarbeitstag: Pieh, Georg: Der Anspruch auf Gewährung eines Hausarbeitstags an berufstätige Frauen mit eigenem Hausstand, Erlangen (Diss.) 1954; Jaeger, Werner: Der Hausarbeitstag nach dem Recht des Landes Nordrhein-Westfalen, Köln (Diss.) 1962. 46 Heim, Friedel : Gleiche Leistung, Voraussetzung für gleiche Entlohnung von gewerblichem Lohnarbeiter und gewerblicher Lohnarbeiterin, Frankfurt (Diss.) 1951; Müller, Dieter: Die Lohnpolitik in Deutschland in den Jahren 1945 bis zur Wäh-

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Einleitung

Der Streit um die Familienpolitik in der Ära Adenauer füllt Regale, aber nur ansatzweise fand eine Annäherung an das Thema im Zusammenhang mit der weiblichen Erwerbstätigkeit statt.47 D i e Dissertation von Jutta Akrami-Göhren 4 8 blieb in der Bewertung der familienpolitischen Vorstellungen der Parteien stecken, und Ingrid Langer-El Sayed 4 9 verlegte ihren Untersuchungsschwerpunkt in die 70er Jahre, was auch Alfons Cramer in seiner soziologischen Untersuchung der Familienpolitik in der Bundesrepublik tat. 50 Einem feministischen Ansatz ist Astrid Joosten in ihrer Magisterarbeit verpflichtet, die sich ausschließlich auf Sekundärliteratur und veröffentlichte Quellen stützt. 51 Auch die Auseinandersetzungen u m die Familienrechtspolitik blieben bislang unberücksichtigt. Erwähnenswert sind nur der recht fehlerhafte Bericht der Journalistin Marianne Feuersenger, in dem sie versuchte, die öffentliche Diskussion nachzuzeichnen, 5 2 die Dissertation v o n Ines Reich-Hilweg, die an verschiedenen Gerichtsurteilen den K o m p l e x Gleichberechtigung abhandelte, 5 3 und eine neue Bewertung des „restaurativen" Familienrechts der Nachkriegszeit. 5 4 D i e zahlreichen juristischen Dissertationen aus den 50er Jahren beschäfti-

Fortsetzung Fußnote von Seite 21 rungsreform, Meisenheim 1952; Braunwarth, Henry: Die Spanne zwischen Männer- und Frauenlöhnen. Tatsächliche Entwicklung und kritische Erörterung ihrer Berechtigung, Köln 1955. 47 Stein, Bernhard: Der Familienlohn. Probleme einer familiengerechten Einkommensgestaltung, Berlin 1956; Bühler, Hans Harro: Familienpolitik als Einkommens· und Eigentumspolitik. Diskussion und staatliche Maßnahmen in der Bundesrepublik, Berlin 1961. 48 Akrami-Göhren, Jutta: Die Familienpolitik im Rahmen der Sozialpolitik mit besonderer Berücksichtigung der Vorstellungen und der praktischen Tätigkeit der CDU, Bonn (Diss.) 1974. 49 Langer-El Sayed, Ingrid: Familienpolitik: Tendenzen, Chancen, Notwendigkeiten. Ein Beitrag zur Entdämonisierung, Frankfurt 1980. Einem marxistischen Ansatz verpflichtet ist Haensch, Dietrich: Repressive Familienpolitik. Sexualunterdrückung als Mittel der Politik, Reinbek 1969. 50 Cramer, Alfons: Familie und Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1982. 51 Joosten, Astrid: Die Frau, das „segenspendende Herz der Familie": Familienpolitik als Frauenpolitik in der Ära Adenauer, Pfaffenweiler 1990. Vgl. auch: Delille, Angela und Grohn, Andrea: Blick zurück aufs Glück. Frauenleben und Familienpolitik in den 50er Jahren, Berlin 1985. 52 Feuersenger, Marianne: Die garantierte Gleichberechtigung. Ein umstrittener Sieg der Frauen, Freiburg 1980. 53 Reich-Hilweg, Ines: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Gleichberechtigungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 GG) in der parlamentarischen Auseinandersetzung 1948-1957 und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1953— 1975, Frankfurt 1979. 54 Voegeli, Wolfgang und Willenbacher, Barbara: Zur Restauration des Familienrechts nach dem 2. Weltkrieg, in: Jahrbuch für Sozioökonomie und Gesellschaftslehre 1987, S. 12-57.

Problemstellung - Methode - Forschungsstand

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gen sich vornehmlich mit juristischen Besonderheiten der geplanten Familienrechtsreform. 55 Somit bleibt als Resümee des Forschungsstandes: es gibt mit Ausnahme der Untersuchung von Doris Schubert keine Studie, die auch nur ansatzweise der Fragestellung dieser Abhandlung folgt, um die Situation der erwerbstätigen Frau vor dem Hintergrund der Wirtschaftsentwicklung und der konservativen Ideologie zu bewerten. Diese für einen Historiker ungewöhnlich günstige Situation, die es möglich macht, ein relativ unerforschtes Gebiet als erster in Angriff zu nehmen, verpflichtet in besonderem Maße, die wirtschaftlichen, sozialen und ideologischen Komponenten gewissenhaft zu analysieren und in den zeitgeschichtlichen Kontext zu stellen. Bleibt zum Schluß noch der Dank an jene, die bei der Entstehung dieser Studie, einer gekürzten Freiburger Habilitationsschrift, geholfen haben. Da wären zunächst einmal die Archivare und Mitarbeiter von Bibliotheken zu nennen, die nicht müde wurden, meine Neugierde zu befriedigen. Eine angenehme Arbeitsatmosphäre bot das Düsseldorfer Hauptstaatsarchiv, wo ich mehrere Wochen mit Archivstudien verbrachte und in Dr. Nagel und Dr. Faust zwei kompetente Ansprechpartner vorfand. Unkonventionell und geradezu familiär war die Betreuung im Archiv des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Düsseldorf mit ihrem Leiter Dr. Schubert. In beiden Archiven wurde mir auch über die 30-Jahre-Sperrfrist hinaus Einblick in die Akten gewährt, was ich mit großer Genugtuung und Freude registriert habe. Korrekt ging es wie immer im Bundesarchiv in Koblenz und im Zwischenlager des Bundesarchivs in St. Augustin/Hangelar zu. Die Referenten Dr. Werner und Dr. Kreikamp waren mir mit ihren Auskünften eine große Hilfe. Ein Teil der Aktenbestände wurde mir erst nach Rücksprache mit den Besitzern bzw. den Bundesministerien vorgelegt. Hier gilt mein Dank Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth, der damaligen Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, die mir ohne Einschränkungen das gesamte Archivmaterial des Bundesfamilienministeriums zur Einsicht freigab sowie dem Bundesminister für Arbeit und Soziales Dr. Norbert Blüm. Weiterhin gilt mein Dank der ehemaligen Bundesministerin für Gesundheitswesen Frau Dr. Elisabeth Schwarzhaupt, deren Nachlaß ich auswerten durfte. Gern erinnere ich mich an meinen Aufenthalt in der Freiburger Caritas55

Vgl. u.a.: Alebrand, Heinrich: Die Neuregelung des ehelichen Güterrechts nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau gemäß Art. 3 Abs. 2 G G , Mainz (Diss.) 1953; Brincker, Walter: Die Schlüsselgewalt der Ehefrau nach dem Gleichberechtigungsgesetz, Köln (Diss.) 1962; Diesel, Jürgen: Zur Reform des Familienrechts im Hinblick auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG), München (Diss.) 1962; Senfft, Heinrich: Die Haus- und Berufsarbeit der Ehefrau bei Gleichberechtigung der Geschlechter, Tübingen (Diss.) 1956.

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Einleitung

Bibliothek mit ihrem reichen und gut geordneten Buch- und Zeitschriftenbestand, der für meine Arbeit sehr wertvoll war. Für ihre freundliche Mithilfe habe ich den Mitarbeiterinnen zu danken. Zu danken habe ich schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Gewährung eines Habilitandenstipendiums und eines Druckkostenzuschusses. Herzlich gedankt sei - last not least - dem Freiburger Zeithistoriker und langjährigem Kollegen Prof. Dr. Bernd Martin, dessen Förderung und Hilfe ich sehr wohl zu schätzen weiß. Wenn ich diese Studie meiner Mutter widme, dann ist das nicht Pflicht, sondern Ausdruck großer Dankbarkeit.

Kapitel I

Zwangslage: Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

1.

Einsatz von Frauen auf Männerarbeitsplätzen

1.1.

Oberpräsident Hans Fuchs und die PflichtarbeitVerordnung

Am 31. Juli 1945, zwölf Wochen nach Kriegsende, erließ Hans Fuchs, Oberpräsident der Nord-Rheinprovinz, die „Verordnung über die Leistung von Pflichtarbeit". 1 Nach dem Einmarsch der Amerikaner war Fuchs die Verwaltung des „Rhine Province District", der die Rheinprovinz, das Saargebiet und die bayerische Pfalz umfaßte, anvertraut worden, und die Briten hatten ihn zum Oberpräsidenten ernannt, als sie am 21. Juni die Kontrolle über die Nord-Rheinprovinz übernahmen. 2 Die britische Militärregierung war durchaus von der Kompetenz und dem Engagement, das Fuchs an den Tag legte, angetan. Weniger gefiel ihr, daß der Oberpräsident Anweisungen ignorierte, wenn sie ihm nicht paßten. Als ausgewiesener Gegner des Nationalsozialismus glaubte Fuchs, sich diese Freiheiten erlauben zu dürfen. Daß er Mitglied der Zentrumspartei gewesen und 1933 von den Nationalsozialisten als Oberpräsident der Provinz Rheinland abgesetzt worden war, war für die Amerikaner Grund genug, den Einundsiebzigjährigen zu reaktivieren. Aber auf Dauer gingen seine Eigenmächtigkeiten den Briten zu weit, und am 2. Oktober 1945 wurde er entlassen.3 Er habe, so lautete die Begründung, die Entnazifizierung der ihm unterstellten Behörden nicht mit dem nötigen Nachdruck durchgeführt, 4 und das war in den Augen der Besatzungsmacht, die über 1

Mitteilungs- und Verordnungsblatt des Oberpräsidenten der Nordrhein-Provinz, Nr. 1 vom 20. August 1945. Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit 1945— 1963. Hrsg. von Klaus-Jörg Ruhl, München 1988, S. 42-45. 2 Höroldt, Dietrich: Hermann Wandersieb, in: Aus dreißig Jahren. Rheinisch-westfälische Politiker-Porträts. Hrsg. von Walter Forst, Köln 1979, S. 222-231, hier: S. 226-227. 3 Fast zur gleichen Zeit wurden die Oberbürgermeister Konrad Adenauer (Köln) und Wilhelm Füllenbach (Düsseldorf) von der Militärregierung abgesetzt. 4 Irmgard Lange skizziert in der Einleitung ihrer Dokumentation (Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen. Richtlinien-Anweisungen-Organisation, Siegburg 1976, S. 16-23) die Entnazifizierungsmaßnahmen in den beiden Landesteilen Nordrhein und Westfalen und kommt zu dem für sie überraschenden Ergebnis, daß in Westfalen die Entnazifizierung von deutscher Seite weitaus effektiver betrieben wurde als in Nordrhein. Als Erklärung nennt sie die schweren Verwüstungen im verstädterten Nordrhein. Auf die Rolle des Oberpräsidenten Hans Fuchs geht sie nicht ein. Auch Wolfgang Krüger kann sich nicht erklären, warum in der Nord-Rheinprovinz

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I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

jeden Befehl und jede Anordnung Vollzugsmeldung erwartete, eine unverzeihliche Unterlassung. 5 Daß Fuchs bewußt Nationalsozialisten den Säuberungsmaßnahmen entzog, ist zu bezweifeln. Im Gegensatz zur britischen Besatzungsmacht wußte er aber, daß die meisten Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst der NSDAP nur beigetreten waren, um ihren Arbeitsplatz zu behalten oder um überhaupt eine Anstellung zu finden. Und im Angesicht der enormen Sachprobleme, die es zu bewältigen galt, wollte Fuchs auf die Kompetenz der Mitläufer nicht verzichten. Die „Verordnung über die Leistung von Pflichtarbeit" war keine Eigenmächtigkeit des Oberpräsidenten, sondern eindeutig eine von der Besatzungsmacht initiierte Maßnahme, wobei sich die Briten aller Wahrscheinlichkeit nach an amerikanischen Vorgaben orientierten. Denn die Registrierung der arbeitsfähigen Bevölkerung war schon Wochen zuvor in der amerikanischen Zone in die Wege geleitet worden.

1.2.

Arbeitskräftemangel in der Trümmerbeseitigung

Auf den ersten Blick scheint die Verordnung vom 31. Juli 1945 auf die Massenmobilisierung der arbeitsfähigen Bevölkerung hinauszulaufen. 6 So mußten sich nicht nur Männer zwischen dem 14. und dem 65. Lebensjahr bei den zuständigen Arbeitsämtern melden, sondern auch Frauen „im Alter vom vollendeten 16. bis zum vollendeten 45. Lebensjahr"; es sei denn, sie hatten Kinder unter 14 Jahren zu betreuen oder hilfsbedürftige Angehörige zu versorgen. Wer dieser Aufforderung nicht Folge leistete, der lief Gefahr, daß ihm die Lebensmittelzuteilung gesperrt wurde. Diese Warnung wirkte jedoch nicht unbedingt abschreckend. Wer es sich leisten konnte, entzog sich der Registrierung. Das Schwarzmarktgeschäft bot auf angenehme, wenn auch auf gefährliche Weise die Möglichkeit, einer normalen Berufstätigkeit aus dem Wege zu gehen. Wenn auch Fortsetzung

Fußnote von Seite 25

„kaum Unterlagen über eigenständige Entnazifizierungsmaßnahmen im Jahre 1945 überliefert sind" (Entnazifiziert! Zur Praxis der politischen Säuberung in Nordrhein-Westfalen, Wuppertal 1982, S. 27). 5 Als am 5. Juli 1945 Rudolf Amelunxen von den Briten zum Oberpräsidenten der Provinz Westfalen bestellt wurde, lautete die Anweisung des Militärgouverneurs, daß sowohl Amelunxen als auch die von ihm berufenen Beamten ihr Amt „lediglich nach dem Belieben der Militärregierung innehaben", daß „Ungehorsam gegen die Anordnungen der Militärregierung ... nicht geduldet" werde und alle Beamten „allein auf Anweisung der Militärregierung handeln" (zitiert nach: Teppe, Karl: Rudolf Amelunxen, in : Aus dreißig Jahren, S. 58). 6 Zu den folgenden Ausführungen vgl. auch: Schubert, Doris: Frauen in der deutschen Nachkriegszeit. Bd. 1: Frauenarbeit 1945-1949. Quellen und Materialien, Düsseldorf 1984, insbes. S. 76-82.

1. Einsatz von Frauen auf Männerarbeitsplätzen

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Männer den organisierten Schwarzmarkt beherrschten, so gab es doch auch Frauen, die sich daran professionell beteiligten. Mit der Pflichtarbeit-Verordnung beabsichtigte die Militärregierung aber auf keinen Fall den Masseneinsatz der arbeitsfähigen Bevölkerung. Das wäre zu diesem Zeitpunkt, wenige Wochen nach Kriegsende, als die allgemeine Produktionsaufnahme in der Industrie noch nicht erlaubt war und als große Teile der Bevölkerung noch umherirrten, unrealistisch gewesen. Die Verordnung bildete für die Militärregierung in erster Linie die rechtliche Grundlage - und auf die kam es den korrekten Briten sehr an - , jederzeit deutsche Arbeitskräfte für den Eigenbedarf, der naturgemäß den Vorrang vor allen öffentlichen Arbeiten besaß, anzufordern. Und diese Präferenz der Besatzungsmacht geht auch eindeutig aus dem Text der Verordnung hervor. 7 Für die deutschen Behörden besaß die Registrierung der arbeitsfähigen Bevölkerung eher Volkszählungscharakter. Da sie über keine oder nur ungenügende Zahlenangaben über die Bevölkerung verfügten, bot die Registrierung einerseits relativ verläßliche Daten, die unbedingt zur Berechnung der Lebensmittelrationen benötigt wurden. Andererseits konnte man sich einen ersten Überblick über das Arbeitskräftepotential verschaffen. Im Laufe der folgenden Monate wurden weitere Registrierungen vorgenommen, 8 bis dann die Besatzungsmächte am 29. Oktober 1946 eine zoneneinheitliche Volkszählung durchführten. 9 Über das Ergebnis der Registrierung liegen ebenso wenig Zahlen vor wie über die Anzahl der Arbeitskräfte, die von der Militärregierung angefordert wurden. Ob der Oberpräsident Arbeitsverpflichtungen im Rahmen der gemeinnützigen Arbeit, also „zur Sicherstellung der Ernährung, zur Wiederinstandsetzung der für den öffentlichen Dienst erforderlichen Gebäude, zur Bereitstellung des notwendigen Wohnraums und zur Versorgung der Bevölkerung mit Heizstoffen", 10 aussprach, ist auch nicht bekannt. Sie sind nicht auszuschließen; sie dürften aber nicht sehr umfangreich gewesen sein, nimmt man die Zahlen von 1947 zum Vergleich. Im März 1947, zu einem Zeitpunkt, als die Arbeitspflicht-Bestimmungen er7

Vgl. dazu auch das Referat „ D i e Arbeitsverpflichtung" gehalten von R. Aengenvoort vor Leitern der Vermittlungsabteilungen der Arbeitsämter in Grefrath, Anfang Mai 1946 (HStA-NW 62/92-94). 8 Hier ist vor allem der Kontrollratsbefehl Nr. 3 (Registrierung der im arbeitsfähigen Alter stehenden Bevölkerung, Registrierung der Arbeitslosen und deren Unterbringung in Arbeit) vom 17. Januar 1946 zu nennen (abgedruckt in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 1/2, S. 2-3). Wer nach dem 8. Mai 1945 bereits registriert worden war, der brauchte sich nicht erneut beim Arbeitsamt melden. * Die Ergebnisse der Volkszählung für die britische Besatzungszone liegen vor in: Statistik der britischen Besatzungszone. Bd. 1, Heft 1-6, Minden o.J. Zum Vier-Zonen-Gebiet vgl. die nicht immer verläßliche Statistik des Länderrats: Statistisches Handbuch von Deutschland 1928-1944. Hrsg. vom Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebietes, München 1949. 10 Frauen in der Nachkriegszeit, S. 43.

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heblich ausgebaut und verschärft worden waren, zählte das Landesarbeitsamt 1119 Arbeitsverpflichtete: 889 männliche und 230 weibliche Arbeitskräfte." Das waren gerade 0,03% der Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen. In den ersten Monaten nach Kriegsende bestand in den Arbeitsbehörden Unsicherheit darüber, nach welchen gesetzlichen Bestimmungen die zwangsweise Einweisung in Arbeit erfolgen sollte. Da die „Dienstpflichtverordnung" vom 13. Februar 1939 nicht außer Kraft gesetzt worden war12, kam sie in Verbindung mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 13 zur Anwendung, wenn ein Arbeitsbefehl (bei einem Arbeitseinsatz für die Militärregierung) oder eine Dienstverpflichtung (für alle übrigen Arbeiten) ausgesprochen wurde. Diese Unsicherheit wurde durch die Verordnung Nr. 54 der Militärregierung (Dienstverpflichtung) vom 22. Oktober 1946 behoben.13 Auf deutsche Anregung hin wurde das Wort „Dienstverpflichtung", weil es ein nationalsozialistischer Terminus war, durch „Arbeitsverpflichtung" ersetzt.14 Bei den Trümmermassen in den Städten hätte es eigentlich nahe gelegen, Arbeitsverpflichtungen für die Trümmerbeseitigung in großem Rahmen auszusprechen. Das war aber nicht der Fall. Auf den ersten Blick ist das unverständlich. Die Stadtverwaltungen mußten doch ein Interesse daran haben, daß die Trümmer, die den Verkehr ebenso behinderten wie den Wiederaufbau, fortgeräumt wurden. Das hatten sie auch. Nur, es gab schwer überbrückbare Probleme, und so blieb der Schutt einfach liegen. Was fehlte, waren Arbeitsgerät, Arbeitskräfte und Geld. Vor allem mangelte es an Arbeitsgerät, um den Schutt abzutransportieren. Es ging ja nicht darum, den Schutt von einer Straßenseite auf die andere zu schaufeln. Vielmehr mußten Lastwagen bereitgestellt werden, besser noch Gleise, Lokomotiven und Loren, um die Trümmermassen an geeigneten 11 Entwicklung des Rheinisch-westfälischen Arbeitsmarktes. Monatsbericht des Landesarbeitsamts Nordrhein-Westfalen vom März 1947, in: Arbeit und Sozialpolitik 1947, Nr. 5/6, S. 1-4, hier: S. 2. Der Höhepunkt der Arbeitsverpflichtung wurde im Juli 1947 mit 1861 Arbeitskräften erreicht (Notleidender Arbeitsmarkt im Juli 1947. Monatsbericht des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen vom Juli 1947, in: ebd. Nr. 14, S. 1-8, hier: S. 2). 12 Reichsgesetzblatt 1939, S. 206. 13 Abgedruckt in: Amtsblatt der Militärregierung Deutschland. Britisches Kontrollgebiet 1946, Nr. 14, S. 327-328. 14 Vgl. weiterhin die Ausführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 54 (abgedruckt in: Amtsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 1/2, S. 5) und die Anordnung des Präsidenten des Zentralamtes für Arbeit „betr. Verordnung Nr. 54: Arbeitsverpflichtung" vom 31. Januar 1947 (ebd., 1, 1947, Nr. 3, S. 71). Zur Arbeitsverpflichtung in der britischen Zone vgl.: Duvernell, Helmut: Gegenwartsfragen des deutschen Arbeitsrechts unter besonderer Berücksichtigung des Rechtszustands in der britischen Zone, Hamburg 1948, S. 51-53. Und zu den übrigen Besatzungszonen: Deutschland-Jahrbuch 1949. Hrsg. von Klaus Mehnert und Heinrich Schulte, Essen o.J., S. 244; Endriss, W.: Die Dienstverpflichtung. 2 Teile, in: Beruf und Arbeit 1947, Nr. 15, S. 7 und Nr. 16, S. 13.

1. Einsatz von Frauen auf Männerarbeitsplätzen

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Plätzen außerhalb der Städte abzulagern. Aber all das war nicht vorhanden oder wurde von der Besatzungsmacht für den Eigenbedarf requiriert. Zudem wurden die Aufrufe der Stadtverwaltungen, sich an der Trümmerbeseitigung zu beteiligen, möglichst noch unbezahlt, weil die Kommunen kaum in der Lage waren, Löhne auszuzahlen, konsequent überhört. Wer arbeiten mußte, um Geld zu verdienen, oder wollte, was in der ersten Zeit nach dem Krieg nur bedingt der Fall war, der fand auch relativ leicht eine Anstellung in einem der größeren Industriebetriebe, im Handel und dann vor allem in der Landwirtschaft. In den Betrieben mußte auch Schutt geräumt werden, und außerdem mußten Werkhallen und Maschinen repariert werden. Aber diese Arbeiten wurden recht gut bezahlt, denn die Unternehmer konnten sich diese unproduktiven Arbeiten leisten, weil sie über erhebliche Bargeld-Reserven verfügten. Sie gingen sogar dazu über, Arbeitskräfte regelrecht zu horten.15 Damit entzogen sie der öffentlichen Hand einen Großteil der männlichen Arbeitskräfte, die dringend zur Schuttbeseitigung in den Städten gebraucht wurden. Für die Aufräumarbeiten blieben den Kommunen in den ersten Wochen und Monaten nach Kriegsende nur die aus dem öffentlichen Dienst entlassenen und die von britischen Militärgerichten abgeurteilten NSDAP-Mitglieder übrig, denen diese Arbeit zur Sühne auferlegt wurde,16 und dann die ungelernten Arbeiter, die Hilfsarbeiter. Personen also, die über keine Berufsausbildung verfügten. Und zu dieser Gruppe gehörte der ehemalige Bataillonskommandeur, 17 der außer dem Kriegshandwerk nichts gelernt hatte, aber vereinzelt auch Frauen der jüngeren und mittleren Jahrgänge, die auf einen Verdienst angewiesen waren, da sie entweder über keine Ersparnisse verfügten oder keine Eltern und Verwandten hatten, die sie mit durchzogen, oder aber auch mit keinem Besatzungssoldat befreundet waren, der sie mit Lebensmittel versorgte. Aber die Verwendung von Frauen in der Trümmerbeseitigung wurde von den Behörden gar nicht gern gesehen. Die Trümmerbeseitigung galt als Männerarbeit. So waren in den ersten Monaten nach Kriegsende auch relativ wenige Frauen in der Trümmerbeseitigung anzutreffen. In Berlin - und das war sicherlich eine Ausnahme - lagen die Verhältnisse anders. Hier gab es einen weitaus größeren Frauenüberschuß als in Nordrhein-Westfalen. Beim Einmarsch der Roten Armee setzte sich die Bevölkerung zu fast zwei Drittel (63,2%) aus Frauen zusammen, 18 die sich dem Druck der sowjetischen Militärkommandatur nicht ohne weiteres entziehen konnten. 15

Borchert, Dieter: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik in Nordrhein-Westfalen seit Ende des II. Weltkrieges bis 1949/50, Frankfurt 1987, S. 139, 142. 16 Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen, S. 20-21. 17 Voigt, Adalbert: Umschulungsmaßnahmen der Arbeitsämter im Bereich des Landesarbeitsamtes Schleswig-Holstein, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 1/2, S. 47-51, hier: S. 49. " Meyer, Sibylle und Schulze, Eva: Wie wir das alles geschafft haben. Alleinstehende Frauen berichten über ihr Leben nach 1945, München 1985, S. 216.

30

1.3.

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

Britische Maßnahmen zur Einbeziehung der Frau in die Trümmerbeseitigung

Ab Frühjahr 1946 stieg der Frauenanteil in der Trümmerbeseitigung in Nordrhein-Westfalen merklich, seit Herbst 1946 sogar rapide an. Weiterhin war eine deutliche Zunahme des Frauenanteils in den Bauberufen und den Baunebenberufen mit ihrem hohen Hilfsarbeiteranteil auszumachen. Es lag nicht so sehr daran, daß viele Frauen ihre Ersparnisse aufgebraucht hatten und nun gezwungen waren, eine Berufstätigkeit aufzunehmen. Vielmehr wirkten sich Maßnahmen aus, die von der Militärregierung angeordnet worden waren. Die Fachleute in der britischen Militärregierung wollten nicht einsehen und verstanden die deutschen Skrupel nicht, warum in einer Zeit, in der jeder, der körperlich arbeiten konnte, gebraucht wurde, nicht auch Frauen in den Arbeitsprozeß einbezogen und gegebenenfalls auch auf Männerarbeitsplätzen eingesetzt werden sollten. Aufgrund der Erfahrungen, die sie mit der Mobilisierung und dem Arbeitseinsatz von Frauen in Großbritannien während des Krieges gemacht hatten, 19 forderten sie kategorisch eine stärkere Berücksichtigung der Frauen. Sie beließen es aber nicht bei Appellen, sondern griffen rigoros in das Sozialversicherungssystem und in die Arbeitsschutzbestimmungen ein, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Nach dem Waffenstillstand mußte vielerorts die Rentenzahlung eingestellt werden oder sie wurde, da nur ein geringes Beitragsaufkommen bestand, nur zögerlich, und dann nur in Teilbeträgen vorgenommen. 20 Die prekäre Finanznot einschließlich der organisatorischen Schwierigkeiten, die sich aus dem Beschluß des Magistrats der Stadt Berlin, die Zentralen der Reichsversicherungsträger zu schließen, 21 ergaben, nahm die Besatzungsmacht zum Anlaß, das Sozialversicherungssystem umzugestalten. Dabei orientierte sie sich am heimischen Beispiel 22 und verordnete den 19

Calder, Angus: The People's War. Britain 1939-1945, London 1969; Winkler, Dörte: Frauenarbeit im „Dritten Reich", Hamburg 1977, S. 176-183. 20 HStA-NW 4 7 / 1 3 (Monatsbericht des Oberpräsidenten über Kriegspensionen der Nordrhein-Provinz an die Militärregierung vom 10. August 1946). 21 Dobbernack, Wilhelm: Betrachtungen über die Neuordnung der deutschen Sozialversicherung und ihre Problematik, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 1/2, S. 58-64, hier: S. 62. 22 Unter der Labour-Regierung wurde der Beveridge-Plan (Sozialversicherung und verwandte Leistungen. Bericht von Sir William Beveridge. Dem Britischen Parlament überreicht im November 1942, Z ü r i c h / N e w York 1943) zur Reform des britischen Sozialrechts von 1942 weiterentwickelt, und zwischen 1946 und 1948 traten mehrere Gesetze in Kraft, die nach dem Anspruch des Premierministers Attlee auf „Milderung von Härten in besonderen Fällen (und) auf wirtschaftliche Sicherheit für Alle abzielt(en)". Dazu: Das englische Sozial-Versicherungsgesetz von 1946, in: Gewerkschaftliche

1. Einsatz von Frauen auf Männerarbeitsplätzen

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Rentenempfängern, den Krankenversicherungspflichtigen und den Arbeitslosen erhebliche Renten- und Leistungseinbußen. 2 3 Seit Sommer 1945 schickte die Militärregierung über ihre „Manpower"Abteilung 2 4 eine Flut von Sozialversicherungsdirektiven, zwischen August 1945 und Dezember 1946 insgesamt 24 an der Zahl, 25 auf den Dienstweg, die den Versicherungsträgern und Behörden en detail vorschrieben, wer, w e n n überhaupt, wieviel Rente oder wieviel Arbeitslosenhilfe erwarten durfte. 26 Betroffen von den Einschränkungen waren grundsätzlich alle Rentner und Sozialversicherten ; Frauen der jüngeren Jahrgänge, die verwitwet waren, aber in besonderem Maße. Fortsetzung Fußnote von Seite 30 Information Nr. 1 vom 24. Oktober 1946, S. 1-4 (HStA-NW 38/154) sowie die Ausführungen eines Angehörigen der Manpower Division der britischen Militärregierung: Beatty, T.J.: Soziale Sicherheit in Großbritannien. 2 Teile, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 2, 1948, Nr. 9, S. 339-340 und Nr. 11, S. 419-422. 23 Hockerts, Hans Günter: Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945 bis 1957, Stuttgart 1980. Stärker auf die Vorgänge in der britischen Besatzungszone eingehend: Naujeck, Kurt: Die Anfänge des sozialen Netzes 1945-1952, Bielefeld 1984. 24 Im Sommer 1945 begann die britische Militärregierung damit, sogenannte Zonenzentralämter zu bilden. Diese Zentralämter entstanden als reine Hilfs- und Ausführungsorgane der Militärregierung, und sie entsprachen in etwa den ehemaligen Reichsbehörden. Es gab Zentralämter für Wirtschaft und Ernährung, für Ernährung und Landwirtschaft, für Vermögensverwaltung, für Verkehr, für Vermessungswesen und für Arbeit. Die Weisungen ergingen den Zentralämtern durch die Hauptabteilungen (Divisions) der Control Commission for Germany - British Element (CCG/BE). Die Kontrolkommission mit Sitz in Berlin war die oberste Verwaltungsbehörde der britischen Besatzungszone. Die Manpower Division war die Weisungsbehörde des Zentralamts für Arbeit. Vgl. dazu: Vogel, Walter: Westdeutschland 1945-1950. Der Aufbau der Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen über den Ländern der drei westlichen Besatzungszonen. 3 Teile, Boppard 1956-1983. 25 Die Sozialversicherungsdirektiven Nr. 1 bis Nr. 24 der Kontrollkommission sind abgedruckt in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 1/2, S. 10-23. Und das waren die wichtigsten Neuordnungsmaßnahmen: 1. Beschränkung der Leistungen der Krankenversicherungen auf die Regelleistungen; Beseitigung der gleichen Bedingungen für Krankenhauspflege der Versicherten und deren Familienangehörigen; Gewährung des Krankengeldes erst nach einer Wartezeit von 7 Tagen (Direktive Nr. 4). 2. Einschränkungen der Leistungen in den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten (Direktive Nr. 1); in der Unfallversicherung (Direktive Nr. 12), in der knappschaftlichen Rentenversicherung (Direktive Nr. 13) und Einschränkungen auch in der Arbeitslosenhilfe (Direktiven Nr. 2, 7, 10, 21). 3. Beseitigung des Versorgungsrechts für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene und Überführung der Rentenansprüche auf die Rentenversicherungen (Direktiven Nr. 11, 19, 24). 26 HStA-NW 38/161 („Die Reform der Sozialversicherung aus dem Blickpunkt der britischen Besatzungszone" von Regierungsdirektor Schieren, Direktor des Oberversicherungsamts Dortmund, undatiert, S. 1-17).

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Schon in der 1. Sozialversicherungsdirektive vom 28. August 1945 wurde der Weg vorgezeichnet, den die Briten beabsichtigten einzuschlagen.27 So durfte niemand mehr als eine Rente beziehen, entweder eine Invalidenrente oder eine Unfallrente oder eine Kriegsrente. Ausgezahlt wurden vorerst nur 50% der zustehenden Rentenhöhe, und auf rückständige Renten für die Zeit vor dem 1. Mai 1945 mußten die Empfänger völlig verzichten. Gestrichen wurden Kinderzuschüsse und Waisenrenten für Kinder über 14 Jahren, es sei denn, sie besuchten noch die Schule, dann gehörten sie noch bis zum 16. Lebensjahr zum Kreis der Berechtigten. Der gravierendste Einschnitt, der insbesondere jüngere Kriegerwitwen betraf, war die Entscheidung der Militärregierung, die Kriegsrente abzuschaffen und die Betroffenen in die gesetzliche Invaliden- und Angestelltenversicherung zu überführen, 28 vorausgesetzt es bestand ein Bedürftigkeitsanspruch, der außerdem nachgewiesen werden mußte. Als bedürftig galten jüngere Kriegerwitwen, wenn sie vier waisenberechtigte Kinder oder mindestens zwei waisenberechtigte Kinder unter 6 Jahren aufzogen. 29 Nach Kriegsbeginn hatte der nationalsozialistische Staat allen Ehefrauen von Wehrmachtsangehörigen den sogenannten Familiennunterhalt (FU) gewährt. 30 Damit sollten die Soldaten an der Front der Sorge um die materielle Absicherung der Ehefrau enthoben werden, was im Ersten Weltkrieg nur in bescheidenem Umfang der Fall gewesen war und zu gro-

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Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 1/2, S. 10-11. Die Abschaffung der Wehrmächte- und Kriegerrente wurde von der Militärregierung mit Sozialversicherungsdirektive Nr. 11 am 16. Januar 1946 bekannt gegeben, und sie trat am 1. August 1946 in Kraft. Offiziell begründeten die Briten die Abschaffung der Kriegerrente damit, daß die Kriegsrente „eine pro-militaristische Einrichtung" sei (HStA-NW 47/30 [Protokoll der Tagung der Dezernenten der Wohlfahrts- und Jugendarbeit am 26. Juni 1946, S. 1]). Dazu muß erwähnt werden, daß der nationalsozialistische Staat, eine ganze Reihe von Sondervergünstigungen für Wehrmachtsangehörige und deren Hinterbliebene zahlte. Es gab: Alterszulagen für Wehrdienstbeschädigte, Veteranensold für Frontkämpfer, Ehrensold für Träger höchster Kriegsauszeichnungen, Zulagen für Schutztruppengeschädigte, Elterngaben (wenn der Sohn gefallen war) sowie weitere Vergünstigungen (HStA-NW 42/ 147 [Schreiben des Oberpräsidenten der Nordrhein-Provinz an die Versorgungsämter vom 14. August 1945]). 29 Weiterhin als bedürftig galten Frauen : 1. die dauernd oder länger als 26 Wochen invalide waren, 2. die das 65. Lebensjahr vollendet hatten, 3. die das 55. Lebensjahr vollendet und mindestens vier lebende Kinder geboren hatten. (HStA-NW 47/29 [An alle Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen! - Informationsblatt der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, Düsseldorf, im Juli 1946, S. 1-6, hier: S. 3]. 30 Reichsgesetzblatt 1939, S. 1531-1533; 1940, S. 911-918 (Einsatz-Familienunterhaltsgesetz und Durchführungsverordnung vom 26. Juni 1940). 28

1. Einsatz von Frauen auf Männerarbeitsplätzen

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ßer Unruhe unter den Betroffenen geführt hatte. 31 Der Familienunterhalt war recht gut bemessen. Für viele Frauen war der Familienunterhalt so attraktiv, daß sie ihre Berufstätigkeit aufgaben oder heirateten, um einer möglichen Dienstverpflichtung zu entgehen. 3 2 Diese Entwicklung hatten die Nationalsozialisten nicht voraussehen können, und sie waren deshalb um so enttäuschter, als sie merkten, wie sich die Frauen auf diese Weise den „nationalen A u f g a b e n " entzogen. 3 3 Fiel der E h e m a n n an der Front, erhielt die Kriegerwitwe eine Rente, die sogenannte Kriegsrente, die während des Krieges wiederholt aufgebessert wurde und der Witwe eine ausreichende materielle Sicherheit bot. Indem nun die britische Besatzungsmacht den Kreis der Kriegsrentenempfänger drastisch einschränkte, da j a eine nachgewiesene Bedürftigkeit Voraussetzung für den Erhalt der Kriegsrente war, wurde mit einem Schlag eine nicht unbeträchtliche Zahl von Frauen gezwungen, eine Berufstätigkeit aufzunehmen. 3 4 Bajohr, Stefan : Die Hälfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914 bis 1945. 2. verbesserte Aufl. Marburg 1984, S. 256. 32 Gersdorff, Ursula von: Frauen im Kriegsdienst 1914-1945, Stuttgart 1969, S. 53; Unsere verlorenen Jahre. Frauenalltag in Kriegs- und Nachkriegszeit 1939-1949. Hrsg. von Klaus-Jörg Ruhl, Darmstadt 1985, S. 49-53. 33 Den Nationalsozialisten waren nicht so sehr die Hände wegen der parteiamtlichen Frauen- und Mutterideologie gebunden, sondern vor allem deswegen, weil sie befürchteten, die Frauen könnten unter den Lasten, die auf sie abgewälzt worden waren, zusammenbrechen und in Opposition zum Regime geraten. Nichts war Hitler unangenehmer, als die Vorstellung, Zustände wie 1918 mit Unzufriedenheit und Revolution in Deutschland zu haben. Und als unsichere Kantonisten, die mit allen Mitteln zu umwerben waren, galten in seinen Überlegungen die Arbeiterschaft und die Frauen. Das Desinteresse an einer Arbeitsaufnahme, insbesondere unter Arbeiterfrauen, war den Behörden natürlich bekannt, und es wurden immer neue Maßnahmen ergriffen, um die Frauen auf Arbeitsplätze zu drängen, die durch die Einberufung der Männer zur Wehrmacht freigeworden waren. 31

Zum Fraueneinsatz während des Zweiten Weltkrieges: Overy, Richard: „Blitzkriegswirtschaft"? Finanzpolitik, Lebensstandard und Arbeitseinsatz in Deutschland 1939-1942, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 36, 1988, Nr. 3, S. 379-435, hier: S. 425^132. 34 Es ist ungemein schwierig, genaue Angaben darüber zu machen, wie viele Frauen von der Abschaffung der Kriegsrente, und hier sind vor allem die jüngeren Witwen interessant, betroffen wurden. Die Schwierigkeit ergibt sich dadurch, daß die Zahlen, die in den Behördenvorgängen genannt werden, verschiedene geographische Bezugsgrößen haben, und daß auch nicht zwischen dem Alter der nicht mehr Versorgungsberechtigten unterschieden wird. Einer Niederschrift über eine Besprechung zwischen der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz und dem Landesarbeitsamt Nordrhein-Provinz vom 26. April 1946 (HStA-NW 47/29) ist zu entnehmen, daß von den Witwen, die in der Nordrhein-Provinz bislang Kriegsrente erhalten hatten, etwa 53% (oder 42659 Frauen) nach der Rentenumstellung nicht mehr anspruchsberechtigt wären. Als die Militärregierung Ende August 1946 Zahlenmaterial über das vorläufige Ergebnis der Rentenumstellung vom Arbeitsministerium anforderte, wurde die Zahl der nicht mehr Rentenberechtigten mit 174469 angegeben (HStA-NW 47/29

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I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

Die Kriegerwitwen, die keinen Bedürftigkeitsanspruch besaßen, waren plötzlich mit der Situation konfrontiert, sich eine Lohnarbeit zu suchen. Sie reihten sich in die Schar all jener Frauen ein, die mit Lohnarbeit ihren Lebensunterhalt verdienen mußten. Das waren junge und ältere, ledige, verheiratete und geschiedene, vor allem aber Frauen, die das Geld brauchten für sich und ihre Familie. Da die traditionell weiblichen Arbeitsplätze Mangelware waren - immer schon und erst recht bei der stockenden Wirtschaftsentwicklung - , mußten nicht wenige Frauen auf Männerarbeitsplätze ausweichen. Das waren in der Regel Arbeitsplätze, die sich in städtischen Regionen befanden und die von Männern nicht besetzt werden konnten, weil am Ort Männermangel herrschte oder - und das war gar nicht so selten der Fall - weil Männer sich um diese Tätigkeit drückten, da sie bessere, vor allem körperlich nicht so anstrengende Arbeitsbedingungen bevorzugten. Die Trümmerbeseitigung sowie das Bau- und das Baunebengewerbe waren eine der Anlaufstellen für arbeitssuchende Frauen. Die Tätigkeitsbereiche boten den Vorteil, daß keine Ausbildung, keine Vorkenntnisse nötig waren. Schon nach kurzer Anlernzeit konnte die Arbeit aufgenommen werden. Außerdem gab es Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen, die man gut für die Familie brauchen konnte. 35 Daß das Bau- und das Baunebengewerbe wegen der gesundheitsschädigenden Arbeit und der derben Um-

Fortsetzung Fußnote von Seite 33 [Schreiben vom 24. August 1946]). Damit waren aber auf keinen Fall nur Witwen gemeint. Denn außer den jüngeren Kriegerwitwen gab es noch andere Kriegshinterbliebene und Kriegsbeschädigte, deren Rentenanspruch erlosch. Bei vorsichtiger Schätzung dürften in Nordrhein-Westfalen etwa 60000 jüngere Kriegerwitwen keine Rente mehr erhalten haben. Das heißt nun aber nicht, daß die Betroffenen geschlossen auf den Arbeitsmarkt drängten. Ein nicht geringer Prozentsatz wird bei Eltern oder Schwiegereltern eine vorübergehende soziale Absicherung gefunden haben. Die geschätzte Zahl verringerte sich - wenn auch minimal - , als die Sozialversicherungsdirektive Nr. 11 durch die Direktive Nr. 27 abgelöst wurde (Die Direktive Nr. 27 ist abgedruckt in : Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 5, S. 155-157; die Durchführungsverordnung, in: ebd., Nr. 7/8, S. 233239). Die neue Direktive war Ergebnis eines anhaltenden Protests der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen. Denn durch die Umstellung der Kriegsrenten auf Zivilrenten bekamen die Kriegsbeschädigten deutlich geringere Unterstützung als andere Versorgungsempfänger. Eine Modellrechnung für einen Rentenempfänger mit Frau und zwei Kindern ergab, daß er nur halb soviel bekam wie ein Wohlfahrtsempfänger mit Frau und zwei Kindern (HStA-NW 47/17 [Antrag von Ministerpräsident Amelunxen vom 10. August 1946]). 35 Schwer- und Schwerstarbeiterzulagen erhielten Berufstätige unter der Voraussetzung, daß sie „dauernd schwere körperliche Arbeit unter erschwerten Arbeitsbedingungen leisten". Die wöchentliche Arbeitszeit mußte mindestens 54 Stunden betragen (HStA-NW 45/729-/31 [Einstufung der Arbeiterberufe in die Klassen der Normalarbeiter, der Teilschwer-, Schwer- und Schwerstarbeiter, S. 2-3]).

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gangssprache in keinem guten Ruf stand, 36 wirkte abschreckend, aber letztlich gab die Notlage den Ausschlag. In den Jahren 1946 und 1947 gehörten die Trümmerfrauen und die Frauen auf dem Bau zum alltäglichen Bild in den Ruhrgebietsstädten. Es waren jedoch nicht viele Frauen, die dieser Arbeit nachgingen. Bei der Volkszählung am 29. Oktober 1946 wurden in der britischen Zone rund 3000 Trümmerfrauen gezählt. In der Statistik wurden sie als Baustättenarbeiterinnen geführt (vgl. dazu Tabelle 1). Insgesamt 7427 Frauen arbeiteten in der Trümmerbeseitigung sowie im Bau- und im Baunebengewerbe: 37 5822 Frauen in den Bauberufen und 1585 Frauen in der Berufsgruppe Steingewinnung und -Verarbeitung; 38 das waren gerade 0,27% der berufstätigen Frauen in der britischen Besatzungszone. Damit Frauen überhaupt in der Trümmerbeseitigung und im Bau und im Baunebengewerbe arbeiten konnten, stornierte die Militärregierung im Alleingang oder im Zusammenspiel mit den anderen Besatzungsmächten über den Alliierten Kontrollrat seit Ende 1945 wichtige Arbeitsschutzbestimmungen. Hier wäre vor allem das Kontrollratsgesetz Nr. 32 über die Beschäftigung v o n Frauen bei Bau- und Wiederaufbauarbeiten v o m 10. Juli 1946 zu nennen. 3 ' Speziell für die Frauen auf dem Bau wurden detaillierte Vorschriften erlassen, die ausführten, welche Arbeitsgänge für

36

Die Trümmerbeseitigung gehörte nicht zu den angesehenen Tätigkeiten ebenso wie das Bau- und das Baunebengewerbe, das allgemein als schwer, schmutzig und gesundheitsschädigend abgewertet wurde. Diese ablehnende Einstellung war so tief im Bewußtsein der Bevölkerung verankert, daß der Maurerberuf trotz intensiver Werbung des Innungsverbandes in der Nachkriegszeit ständig unter Nachwuchsproblemen zu leiden hatte. Auch die große Zahl offener Stellen im Baugewerbe beruhte im wesentlichen auf dem schlechten Image dieser „harte(n), rauhe(n), derbe(n) Männerarbeit" (Söllner, P.: Wenn ich Maurer werde. Die Bauberufe, die große Chance der Gegenwart und der Zukunft, in: Beruf und Arbeit 1947, Nr. 17, S. 4-5 und Nr. 18, S. 6-7; hier: S. 5). 37 Schubert: Frauen in der deutschen Nachkriegszeit, S. 77 nennt 7291 Frauen als Arbeiterinnen im Bau- und Baunebengewerbe. Es handelt sich hier wohl um einen Additionsfehler. 38 Die Tendenz war steigend: Sieben Monate später waren nach einer Aufstellung des Arbeitsministeriums 2868 Frauen im westfälischen Baugewerbe beschäftigt: in der Aufräumarbeit und im sonstigen Oberbau arbeiteten 2380 Frauen, im Tiefbau 311 und im Baunebengewerbe 177. Dortmund, Bottrop, Gelsenkirchen und Bochum verzeichneten jeweils mehr als 450 und bis zu 630 Frauen im Einsatz (HStA-NW 37/647 II [Veränderungen der im Baugewerbe beschäftigten Frauen, Stichtag 20. Mai 1947, Blatt 111]). 39 Amtsblatt der Militärregierung 1946, Nr. 12, S. 277-278). Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 52. Das Gesetz Nr. 32 hob die Bestimmungen der Verordnung vom 30. April 1938 über die Arbeitszeit (Reichsgesetzblatt 1938, S. 447) auf. In der britischen Zone war die Verordnung bereits Anfang 1946 aufgehoben worden.

36

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

Tabelle 1 Frauen im Bau- und im Baunebengewerbe (Erwerbspersonen nach Berufen und sozialer Stellung) Abhängige

Selbständige

insgesamt

Bauberufe Maurer Maurerhelfer Betonbauer Eisenbieger und -flechter Zimmerer Dachdecker Gerüstbauer Pflasterer Asphalt- und Betonstraßenbauer Brunnenbauer Tiefbauarbeiter Schornsteinfeger Bauerhaltungsarbeiter Stukkateure und Putzer Fliesenleger Ofensetzer Glaser Maler Sonstige Bauausstattungsarbeiter Baustättenarbeiter

-

726 26 -

139 88

_ -

20 -

_ 726 26 -

159 88

-

-

-

27

-

27

-

-

-

4 677 -

52 48 24 41 83 701 4 2931

-

7 2 7 30 185 -

4 677 -

52 55 26 48 113 886 4 2931

Steingewinner und -erarbeiter Steinmetze Natursteingewinner und -verarbeiter Erdengewinner Stein- und Erdaufbereiter Formsteinhersteller Ziegler Sonstige Branntsteinhersteller Töpfer Kerammaler Sonstige Keramiker

95 134 29 70 119 632 12 85 126 248

-

39 16 -

95 134 29 70 119 632 12 124 142 248

(Quelle: Berufszählung. Die Bevölkerung der britischen Besatzungszone nach den Ergebnissen der Berufszählung vom 20. Oktober 1946. Teil I, in: Statistik der Britischen Besatzungszone Bd. 1, Heft 6, S. 42-49) Frauen geeignet w a r e n u n d w e l c h e nicht. 40 A l s f ü r F r a u e n zu schwer galten: Abbrucharbeiten; schwere Schaufelarbeiten; Arbeiten im T i e f b a u ; O b e r b a u a r b e i t e n an E i s e n b a h n e n und S t r a ß e n b a h n e n ; A r b e i t e n mit Preßl u f t w e r k z e u g e n ; T r a g e n v o n schweren L a s t e n ; A r b e i t e n auf Gerüsten, L e i t e r n · und D a c h a r b e i t e n . Anweisung zur Durchführung des Kontrollgesetzes Nr. 32 betr. Beschäftigung von Frauen bei Bau- und Wiederaufbauarbeiten vom Oktober 1946, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 1/2, S. 3-4. Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 57-59.

40

1. Einsatz von Frauen auf Männerarbeitsplätzen

1.4.

37

Einstellung der deutschen Arbeitsbehörden gegenüber der Beschäftigung von Frauen im Bau- und im Baunebengewerbe

Mit den Eingriffen in die Sozialgesetzgebung und mit der Aufhebung von Arbeitsschutzbestimmungen eröffnete die Militärregierung den Frauen die Möglichkeit, im Bau- und Baunebengewerbe eine Anstellung zu finden, die seit jeher als Domäne des Mannes galten. Politiker und Behörden, insbesondere die einschlägigen Abteilungen in den verschiedenen Arbeitsreferaten,41 beobachteten diese Entwicklung mit Besorgnis. Sie waren der Ansicht, und darin wurden sie von der breiteren Öffentlichkeit bestärkt, daß eine Beschäftigung in diesem Bereich aus gesundheitlichen und sittlichen Gründen, insbesondere wegen der körperlich schweren Arbeit und der fehlenden sanitären Einrichtungen, nicht zu vertreten sei.42 Und sie waren von Anfang an gewillt, dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben, sie gar nicht erst zur Entfaltung kommen zu lassen. Mit lautem Protest war bei den deutlich abgegrenzten Befugnissen zwischen Siegern und Besiegten nichts zu erreichen. Mit der Entlassung des Oberpräsidenten Hans Fuchs hatte die Militärregierung ein deutliches Zeichen gesetzt, und die Politiker hielten sich möglichst verdeckt. Somit mußte die deutsche Verwaltung hilflos mitansehen, wie die Briten in den Jahren 1945 und 1946 das Sozialversicherungssystem demontierten.43 Ein Jahr später, 1947, gelang es den deutschen Fachleuten aber, die Militärregierung zu einer ersten Kurskorrektur zu bewegen : ein Teil der Frauen erhielten wieder Anspruch auf eine Kriegshinterbliebenenrente.44 41

In der Nordrhein-Provinz war das die Abteilung Arbeit, die von Julius Scheuble geleitet wurde. August Halbfell stand dem Generalreferat Arbeit der westfälischen Provinzial-Regierung vor. Halbfell (SPD) übernahm dann auch in der ersten von den Briten ernannten Landesregierung den Posten eines Ministers für Arbeit, den er bis 1950 inne hatte. 42 Die Trümmerfrauen und die Frau auf dem Bau waren in der Öffentlichkeit sehr umstritten. Einerseits wurden sie bedauert, weil sie eine solche Arbeit verrichten mußten, um ihr Geld zu verdienen, andererseits wurden sie verachtet, als Mannweiber hingestellt, weil sie einen Beruf ausübten, der nach Ansicht der breiten Öffentlichkeit für Frauen ungeeignet war. Die Medien sahen sich schließlich veranlaßt, die Trümmerfrauen in Schutz zu nehmen. Veröffentlicht wurden umfangreiche Reportagen, die an dem schlechten Image der Trümmerfrauen nichts änderten - vorerst nichts (vgl. Westdeutsches Volks-Echo vom 7. Juni 1946, abgedruckt in: Unsere verlorenen Jahre, S. 204-207). Die Medien legten mit diesen Berichten aber den Grundstein für einen Mythos, der Jahre später zum Selbstläufer wurde, als Politiker die Trümmerfrauen verherrlichten und zum Symbol des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs stilisierten. 43 Zu dem vergeblichen Versuch Konrad Adenauers, des Vorsitzenden der C D U der britischen Zone, die Sozialversicherungsreform im Zonenbeirat auf die Tagesordnung zu setzen vgl. Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen, S. 34. 44 Durch die Reform der Versorgungsrenten für Kriegsbeschädigte, die zum 1. Au-

38

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

Nicht nur in der Sozialversicherungsfrage ließ die Besatzungsmacht die Politiker auflaufen. Auch in der Arbeitsschutzfrage zeigten die Briten keine Bereitschaft, von ihrem einmal eingeschlagenen Weg abzugehen. Wenn die Politiker Einwände erhoben, wurden sie von der Militärregierung arrogant abgewiesen. Bezeichnend ist folgender Vorgang, der sich auf der Tagung des Zonenbeirats, dem Beratungsgremium der Chefs der Länder und Provinzen der britischen Zone, Ende November 1946 zutrug. Auf der 9. Tagung des Zonenbeirats legte der SPD-Politiker Franz Spliedt, der Vorsitzende des Sozialpolitischen Ausschusses, dem Zonenbeirat einen Entschließungsantrag vor, in dem die britische Kontrollkommission (Controll Commission for Germany-British Element) ersucht wurde, „dafür Sorge zu tragen, daß bei der Eingliederung weiblicher Arbeitskräfte in den Wirtschaftsprozeß der Frauenschutz aufrechterhalten bleibt". 45 Als Begründung führte er an, die Frau sei in „ihrer körperlichen und seelischen Kraft" der Arbeit nicht gewachsen. Es müsse sichergestellt werden, daß „die Frau als Mutter und Erhalterin des deutschen Volkes keinen Schaden leidet". Die Kontrollkommission nahm sich des Antrags zwar an, überging aber in ihrer Stellungnahme den Hauptpunkt, indem sie auf ein anderes Problem, nämlich die Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Arbeit einging, das Spliedt nur am Rande mitangesprochen hatte. Als im Zonenbeirat auf diese Unterlassung hingewiesen wurde, blieb den Teilnehmern nichts anderes übrig, als die Anfrage zu wiederholen, in der Hoffnung, daß die Kontrollkommission doch noch eine befriedigende Antwort übermitteln würde. 46 Die Politiker mußten sich diese Behandlung gefallen lassen, aber ohne Einfluß auf die Entwicklung blieben sie nicht. Sie konnten über die ihnen unterstellten Behörden ihre Vorstellungen, zumindest in modifizierter Form, zur Geltung bringen - was dann auch versucht wurde. Den Anfang machte der Oberpräsident von Westfalen, Rudolf Amelunxen (CDU), mit der „Anordnung über den Einsatz von Frauen auf Bauten" vom 21. März Fortsetzung

Fußnote von Seite 37

gust 1947 in Kraft trat, kamen nämlich Witwen mit 1 Kind unter 3 Jahren oder mit 2 Kindern unter 8 Jahren in den Genuß einer Rente. Nach den Berechnungen des Landesversicherungsamts Rhein-Provinz waren das 7700 Witwen (HStA-NW 47/17 [Renten an Beschädigte und ihre Hinterbliebene vom 27. Februar 1947]). Zur Neuordnung der Leistungen für Kriegsbeschädigte: Dobbernack, Wilhelm: Die Leistungen an Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene in der britischen Zone, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 9, S. 326-330 und Radtke, Wilhelm : Die Renten der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen in der britischen Zone, in: ebd., S. 331-333. 45 BA-Z 2/55 (Antrag „Schutz der Frau im Erwerbsleben" vom 14. November 1946), Blatt 15. 46 Ebd. (9. Sitzung des Zonenbeirats vom 27.-29. November 1946 - Sitzungsprotokoll - S. 28). Zur Antwort der Kontrollkommission vgl. weiter unten S. 69.

1. Einsatz von Frauen auf Männerarbeitsplätzen

39

1946, wobei er sich auf die Vorlage seines „Arbeitsministers", des SPDPolitikers August Halbfell, stützte.47 Indem die Arbeitszeitordnung vom 30. April 1938 mit ihrem Beschäftigungsverbot für Frauen auf dem Bau aufgehoben wurde,48 entsprach der Oberpräsident den Anweisungen der Militärregierung. Gleichzeitig nannte er die Bedingungen, unter denen Frauen die Beschäftigung gestattet war. Unter der Voraussetzung, daß auf keine männlichen Arbeitskräfte zurückgegriffen werden konnte, durften Frauen im Bau- und Baunebengewerbe Verwendung finden. Aber auch nur dann, wenn sie nicht schwanger waren, kein Kind unter 10 Jahren betreuen mußten und wenn sie sich einem amtsärztlichen Tauglichkeitstest unterzogen hatten. Diese Vorbedingungen waren so abgefaßt, daß die britische Besatzungsmacht keinen Widerspruch anmelden konnte. Intern wurde das Problem weiter diskutiert, insbesondere die Frage, wie die Eingangsvoraussetzungen für Frauen erschwert werden könnten. Das Ergebnis der Beratungen ging am 29. April 1946, etwa einen Monat nach Veröffentlichung der Anordnung, dem Präsidenten des Landesarbeitsamtes als Weisung des Oberpräsidenten zu.49 Der Präsident überarbeitete die Weisung und übersandte sie den Arbeitsämtern.50 Die Mitarbeiter der Arbeitsämter wurden aufgefordert, Männer - notfalls auch „nicht volltaugliche Männer" - vor Frauen der Bauwirtschaft zu zuführen. Auch jugendliche männliche Arbeitslose ab 16 Jahren sollten den Vorzug vor Frauen besitzen. Weiterhin wurde den Mitarbeitern nahegelegt, bei Betriebsprüfungen darauf zu achten, ob nicht Männer auf leichteren Arbeitsplätzen zugunsten von Frauen abgelöst werden könnten, und bei der Ausgabe von Lebensmittelkarten sollten die einzelnen Arbeitsverhältnisse überprüft werden, ob nicht die Möglichkeit einer Auswechslung bestünde. Wenn auf diese Weise alle Möglichkeiten ausgeschöpft waren - erst dann sollte auf Frauen zurückgegriffen würden. Bei der Vermittlung sollte den Frauen deutlich erklärt werden, daß ihr Einsatz im Baugewerbe eine „Notstandsmaßnahme" sei. Im übrigen, so lautete die Anweisung, käme für Frauen nur Hilfsarbeit infrage, denn es sei „unerwünscht", daß Frauen durch Heranbildung zur ungelernten Arbeiterin an typisch männliche Berufe gebunden würden. Die Weisung schloß mit der Aufforderung, eine enge Zusammenarbeit 47

HStA-NW 37/647 II, Blatt 1-2. Reichsgesetzblatt 1938, S. 447 sowie der kommentierte Gesetzestext in: Arbeitszeitordnung nebst Ausführungs- und Durchführungsbestimmungen sowie Vorschriften über Sonntagsarbeit und Lohnzahlung an Feiertagen. Kommentar von J. Denecke, München 1950, S. 24-128. 49 HStA-NW 45/115-122 (Anordnung des Oberpräsidenten an Präsident des Landesarbeitsamts vom 29. April 1946). 50 HStA-NW 37/647 II (Runderlaß des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Westfalen-Lippe vom 5. Juni 1946), Blatt 1-3. 48

40

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

zwischen Arbeitsämtern und Gewerbeaufsichtsämtern herzustellen. Die Arbeitsämter wurden angehalten, den Gewerbeaufsichtsämtern alle notwendigen Daten, wie Anzahl der Frauen, Anschrift des Unternehmens und Lage der Baustelle, mitzuteilen, damit die Gewerbeaufsichtsbeamten die unfalltechnischen, hygienischen und sonstigen Arbeitsschutzmaßnahmen überprüfen konnten. Abgesehen davon, daß die vorgeschlagene Prüfung der Arbeitsverhältnisse unrealistisch war, da das Personal dafür gar nicht ausreichte,51 erwiesen sich die Mitarbeiter der Arbeitsämter als Schwachstellen im Kontrollsystem. Die Angestellten orientierten sich bei ihrer Vermittlungstätigkeit an den örtlichen Gegebenheiten, an der Nachfrage nach Frauen und vor allem an der Notlage, in der sich einzelne Frauen befanden. Vor die Wahl gestellt, eine Frau, die händeringend um eine Anstellung bat, aufgrund der Weisung nach Hause zu schicken, oder ihr zu helfen, entschieden sie normalerweise im Sinne der Frau. Bei ihren Routinekontrollen stießen die Gewerbeaufsichtsbeamten auf Frauen, die Tätigkeiten verrichteten, die auch bei weitester Auslegung der alliierten Arbeitsschutzbestimmungen nicht zu rechtfertigen waren. Insbesondere die Herstellung von Dachziegeln an sogenannten Roll- oder Schlagtischen wurde als für Frauen zu schwer eingestuft, da die Arbeitsvorgänge, wie das Gewerbeaufsichtsamt Dortmund zu berichten wußte, mit Heben, Stoßen und Glätten Arm-, Brust- und Bauchmuskulatur überanstrengten.52 Die Gewerbeaufsichtsbeamten forderten und erreichten auch die sofortige Ablösung der Frauen.53 Und bitterlich beklagten sie sich bei ihrer vorgesetzten Dienststelle, dem Regierungspräsidium bzw. dem Arbeitsministerium, über die nachgiebige Vermittlungstätigkeit in den Arbeitsämtern.54 Es war sicherlich nicht ganz fair, die Mitarbeiter der Arbeitsämter für alle Auswüchse am Arbeitsplatz verantwortlich zu machen. So mancher Unternehmer nutzte bewußt die Notlage der Frauen aus, um sie mit Arbeiten zu beschäftigen, die selbst für Männer harte Knochenarbeit waren.55

51

Koch: Wiederaufbau des Arbeitsschutzes, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 6, S. 215-216. 52 HStA-NW 37/647 II (Gewerbeaufsichtsamt Dortmund an Regierungspräsidenten Arnsberg vom 20. August 1946), Blatt 31. " HStA-NW 37/647 II (Regierungspräsident Köln an Arbeitsminister betr. Lagebericht des Gewerbeaufsichtsamts Bonn vom 2. April 1947), Blatt 95. 54 HStA-NW 45/115-122 (Arbeitsminister an Landesarbeitsämter betr. Zusammenarbeit der Gewerbeaufsichts- und Arbeitsämter beim ungewöhnlichen Fraueneinsatz vom 27. Januar 1947, S. 1). 55 HStA-NW 37/647 II (Regierungspräsident Arnsberg an Arbeitsminister betr. mangelnder Arbeitsschutz für Frauen vom 24. September 1946), Blatt 89-90. Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 54-56.

2. Strukturveränderungen in der Frauenerwerbsarbeit

41

Zudem war äußerst umstritten, welchen Arbeitsgang man als schwer und welchen als noch tragbar einstufen sollte.56 Hierbei kam es sehr oft auf das subjektive Empfinden des Gewerbeaufsichtsbeamten an.57 Frauen waren durchaus in der Lage, viele Tätigkeiten, die bislang ausschließlich Männern vorbehalten gewesen waren, ohne sichtbare Überlastung und dann noch in zufriedenstellender Weise durchzuführen. Aber den Arbeitsbehörden ging es ums Prinzip: Frauen sollten möglichst gar nicht erst in das Bau- und Baunebengewerbe vermittelt werden. Im Streit zwischen den Gewerbeaufsichtsämtern und den Arbeitsämtern sprach der Arbeitsminister Ende Januar 1947 ein Machtwort.58 Er wies die Arbeitsämter an, jeden geplanten Fraueneinsatz auf bisher von Männern eingenommenen Arbeitsplätzen mit besonders erschwerten Bedingungen den örtlichen Gewerbeaufsichtsämtern zu melden, die ihrerseits verpflichtet waren, die Arbeitsplätze auf ihre Eignung für Frauen zu überprüfen. Und außerdem, und das war eine weitere Verschärfung der Kontrollmaßnahmen, sollten die Gewerbeaufsichtsämter in Zweifelsfällen die Entscheidung des Arbeitsministeriums einholen. Mit dieser Anordnung hoffte der Arbeitsminister, sei das „Gegeneinanderarbeiten zweier Behörden", wie er es nannte, beigelegt.59

2.

Strukturveränderungen in der Frauenerwerbsarbeit

2.1.

Die Volkszählung in der britischen Besatzungszone vom 29. Oktober 1946

Während die Beamten in den Arbeitsbehörden Überlegungen anstellten, wie den Frauen im Rahmen der alliierten Bestimmungen der Zugang zu Männerarbeitsplätzen im Bau- und im Baunebengewerbe erschwert werden könnte, waren überall im Vier-Zonen-Gebiet Statistiker dabei, die Daten der Volkszählung vom 29. Oktober 1946 zu ordnen und auszuwerten. Aus Papiermangel konnten die Ergebnisse erst Jahre später, teils in mehrbändigen Werken, veröffentlicht werden.60 Vorab wurden aber schon Teil56

Schubert: Frauen in der deutschen Nachkriegszeit, S. 79-80. HStA-NW 37/647 II (Regierungspräsident Münster an Arbeitsminister betr. Einsatz von Frauen bei der Herstellung von Dachziegeln vom 5. Januar 1947), Blatt 51. 58 HStA-NW 45/115-122 (Arbeitsminister an die Landesarbeitsämter betr. Zusammenarbeit der Gewerbeaufsichts- und Arbeitsämter beim ungewöhnlichen Fraueneinsatz vom 27. Januar 1947, S. 2). 5 ' Schubert: Frauen in der deutschen Nachkriegszeit, S. 82-83. Doris Schubert ist der Ansicht, daß der Arbeitsminister (nicht der Präsident des Landesarbeitsamtes) „nicht zuletzt aus Angst vor öffentlicher Kritik" diese Anordnung erließ. Die Aktenlage bestätigt diese Deutung nicht. 60 Für die britische Zone liegen die Volkszählungsergebnisse vor in: Statistik der britischen Besatzungszone. Bd. 1, Heft 1-6, Minden o.J. und für Nordrhein-West57

42

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

e r g e b n i s s e a u f B e h ö r d e n e b e n e in U m l a u f gebracht, d i e v o n dort aus ihren W e g in d i e A m t s b l ä t t e r der e i n z e l n e n Ministerien 6 1 u n d d a n n in d i e Presse fanden.62 W a s d i e Statistiker über d i e Erwerbstätigkeit der F r a u e n i m a l l g e m e i n e n u n d ü b e r d e n A n t e i l der F r a u e n in M ä n n e r b e r u f e n i m s p e z i e l l e n herausf a n d e n , dürfte d i e B e a m t e n in d e n A r b e i t s b e h ö r d e n überrascht h a b e n . D e n n registriert w u r d e nicht nur e i n b e m e r k e n s w e r t e r A n s t i e g der Frauenerwerbstätigkeit, d e n d i e E x p e r t e n nicht für m ö g l i c h g e h a l t e n hatten, 6 3 registriert w u r d e a u c h d i e A n w e s e n h e i t v o n F r a u e n in n a h e z u allen M ä n n e r b e r u f e n , w a s es in d i e s e m U m f a n g nicht e i n m a l w ä h r e n d d e s Z w e i t e n W e l t k r i e g s g e g e b e n hatte. A u f d e n ersten Blick s c h i e n e n d i e ermittelten E r g e b n i s s e d a s g e n a u e G e g e n t e i l , d i e A b w e n d u n g der Frau v o m B e r u f s l e b e n , a u s z u s a g e n . S o w a r der A n t e i l der berufstätigen F r a u e n in N o r d r h e i n - W e s t f a l e n seit 1938 u m 18% g e f a l l e n . 6 4 In a b s o l u t e n Z a h l e n b e d e u t e t e das, d a ß i m O k t o b e r 1946 1 6 8 3 5 4 F r a u e n w e n i g e r als 1938 e i n e m L o h n e r w e r b n a c h g i n g e n . 6 5 a u f d i e G e s a m t h e i t der registrierten F r a u e n b e z o g e n -

Und

das waren die

F r a u e n z w i s c h e n d e m 15. u n d d e m 50. Lebensjahr, d i e sich bei d e n Arb e i t s ä m t e r n hatten m e l d e n m ü s s e n - g i n g v o n drei a r b e i t s f ä h i g e n F r a u e n nur e i n e einer Berufstätigkeit nach. 6 6 Fortsetzung Fußnote von Seite 41 falen in: Beiträge zur Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen. Heft 3: Landesu n d Kreisergebnisse aus der Volks- u n d Berufszählung 1946. Hrsg. vom Statistischen Landesamt Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1950. 61 Im Bereich der Arbeitsbehörden handelte es sich um folgende Schriftreihen: Arbeit u n d Sozialpolitik. Mitteilungsblatt des Arbeitsministeriums Nordrhein-Westfalen (seit 1947); Arbeitsblatt für die britische Zone. Hrsg. vom Zentralamt für Arbeit (seit 1947); Statistische Mitteilungen des Arbeitsministeriums Nordrhein-Westfalen. Hrsg. von der Hauptabteilung Landesarbeitsamt (seit 1946). 62 Luyken, Richard: Der A u f b a u des statistischen Dienstes der Arbeitsverwaltung der Zone, in: Arbeitsblatt für die britische Z o n e 1, 1947, Nr. 1, S. 33-35. 63 Tritz, Maria: Zeitbedingte Aufgaben des Fraueneinsatzes, in: Arbeitsblatt f ü r die britische Z o n e 1, 1947, Nr. 3, S. 90-92, hier: S. 90. 64 Das Jahr 1938 wurde als Bezugsjahr gewählt, weil 1938 das letzte Friedensjahr war. Außerdem wurde am 25. Juni 1938 (wiederholt am 15. April 1941) von der Arbeitsverwaltung eine Arbeitsbucherhebung durchgeführt, die die erste ihrer Art war. Leider wurden bei dieser Erhebung nur die Arbeiter und Angestellten gezählt, nicht aber die Beamten u n d die mithelfenden Familienangehörigen. Zu den Ergebnissen der Arbeitsbucherhebung: Die berufstätigen Arbeiter, Angestellten u n d Beamten in der Bundesrepublik Deutschland 1938 u n d 1951. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn o.J.[1952], 65 Oft, Emil: Die Beschäftigung im Bereich der britischen Z o n e Deutschlands 1938, 1941 u n d 1946 - Eine Statistische Bilanz, in: Arbeitsblatt für die britische Z o n e 1, 1947, Nr. 4, S. 125-129, hier: S. 126. 66 Bei den diversen Registrierungsmaßnahmen wurden bis Oktober 1946 3 152289 Frauen erfaßt, die im arbeitsfähigen Alter standen. Von diesen Frauen waren 1227736 berufstätig, 867823 als Arbeiter, Angestellte u n d Beamte u n d 359913 als Selbständige u n d mithelfende Familienangehörige. Der nichtberufstätige Anteil be-

2. Strukturveränderungen in der Frauenerwerbsarbeit

43

Aber diese Zahlen zeigten die weibliche Berufstätigkeit nur als Momentaufnahme. Sie spiegelten somit nicht die Dynamik der Entwicklung wieder, die dahinter stand. Und diese Entwicklung wies - nach den Monaten der Apathie kurz nach Kriegsende - eindeutig auf einen Anstieg der weiblichen Berufstätigkeit hin. Denn innerhalb eines Dreivierteljahres, zwischen Februar und Oktober 1946, hatten sich etwa 118000 Frauen einen Arbeitsplatz gesucht ( + 16%), und die Tendenz war steigend. 67 Gleichzeitig nahm die weibliche Arbeitslosigkeit ab. Bei den weiblichen Arbeitslosen lag der Schwerpunkt auf den kaufmännischen, den Büround Verwaltungsberufen, die während des Zweiten Weltkrieges den größten Zulauf gehabt hatten, und in der Gruppe der Hausgehilfinnen. Erhebliche Arbeitslosenzahlen wiesen dann noch die Hilfsarbeiter, die landwirtschaftlichen Berufe, die Textilbranche und die Gaststättenberufe auf. Die verhältnismäßig hohe Arbeitslosenquote in der Gruppe der kaufmännischen und der Büro- und Verwaltungsberufe dürfte sich auch damit erklären, daß ein Teil der Arbeitslosen wegen ihrer Zugehörigkeit zur NSDAP entlassen worden war. Von den Entnazifizierungsmaßnahmen der britischen Besatzungsmacht waren ja nicht nur Männer betroffen.

2.2.

Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit zwischen 1880 und 1945

Diese Entwicklung, der Anstieg der weiblichen Erwerbstätigkeit, hätte die Experten eigentlich nicht überraschen dürfen. Denn seit Statistiker Buch führen über die Erwerbstätigkeit der Bevölkerung, und das ist seit 1882 der Fall, stieg der Anteil der Frauen, die einer Berufstätigkeit nachgingen, sowohl prozentual als auch in absoluten Zahlen, kontinuierlich an. 68 Der Fortsetzung

Fußnote von Seite 42

trug 1924553 Frauen, die entweder als arbeitsunfähig (1849278) und arbeitslos (41 001) oder als arbeitsunfähig (34274) galten. Bis zum 31. März 1948 stieg die Anzahl der registrierten Frauen auf 3 542371, von denen 1257089 beschäftigt waren: 91458 Selbständige, 243752 mithelfende Familienangehörige, 921869 Angestellte und Beamte. Nicht berufstätig waren 2285282 Frauen: 31956 Arbeitslose, 2206072 Arbeitsbefreite und 47254 Arbeitsunfähige. Auf je 100 registrierte Frauen entfielen 35,6 Berufstätige und 64,4 Unbeschäftigte (ADGB-BV/14 [Lage der Frauenarbeit im Bezirk des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 1948]). Die in der Tabelle 3 aufgeführte Zahl über die weibliche Berufstätigkeit (30. September 1946) weicht von der hier genannten Zahl ab, weil in der Nachkriegszeit normalerweise nur die Arbeiter, Angestellten und Beamten in der Statistik, nicht aber auch die Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen aufgeführt wurden. 67

Die Entwicklung des Arbeitsmarktes in der britischen Zone im Jahre 1946, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 1/2, S. 35-38, hier: S. 36. 68 Willms, Angelika: Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit im Deutschen Reich, Nürnberg 1980; Stockmann, Reinhard: Gewerbliche Frauenarbeit in

44

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

Anteil der Frauen im Erwerbsleben nahm v o n 24% (1882) über 30,4% (1907) auf 36,1% (1939) im D e u t s c h e n Reich zu, v o n 7 7 9 4 0 0 0 Erwerbspers o n e n im Jahre 1882 auf 1 2 8 0 2 0 0 0 im Jahre 1939. N o c h deutlicher wird der Vorgang, w e n n nur diejenigen Frauen in Betracht g e z o g e n werden, die im erwerbsfähigen Alter stehen: d a n n nämlich war 1882 j e d e 3. Frau u n d 1939 bereits j e d e 2. Frau berufstätig (vgl. dazu Tabelle 2). Tabelle 2

Frauenerwerbstätigkeit, 1882-1939

Weibliche Erwerbspersonen (in 1000) Erwerbsquote der Frauen Erwerbsquote der Frauen im erwerbsfähigen Alter Erwerbsquote der Männer im erwerbsfähigen Alter Erwerbsquote der alleinstehenden Frauen im erwerbsfähigen Alter Erwerbsquote der verheirateten Frauen im erwerbsfähigen Alter Anteil der Frauen in der Landwirtschaft an allen weiblichen Erwerbspersonen Anteil der Frauen in der Hauswirtschaft an allen weiblichen Erwerbspersonen Anteil der Frauen in Industrie und Handwerk an allen weiblichen Erwerbspersonen Anteil der Frauen in den übrigen Dienstleistungen an allen weiblichen Erwerbspersonen

1882

1907

1925

1939

7794 24,0

9742 30,4

11478 35,6

12802 36,1

37,5

45,9

48,9

49,8

95,5

95,2

95,3

95,6

69,4

71,7

73,8

77,2

9,5

26,3

29,1

33,8

61,4

49,8

43,3

38,3

18,0

16,1

11,4

10,5

12,8

19,5

24,8

25,0

7,7

14,6

20,5

26,1

(Quelle: Willms, Angelika: Grundzüge der Entwicklung der Frauenarbeit von 1880 bis 1980, in: Müller, Walter u.a.: Strukturwandel der Frauenarbeit 1880-1980, Frankfurt 1983, S. 35)

M ö g l i c h machte diesen Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit die Industrielle Revolution u n d ein wirtschaftlich-industrieller A u f s c h w u n g seit den späten 90er Jahren des 19. Jahrhunderts 6 9 s o w i e der U m s t a n d , d a ß 95% der im erwerbsfähigen Alter stehenden M ä n n e r arbeiteten. D a bei anhaltendem Wirtschaftswachstum bald kaum n o c h auf nutzbare m ä n n l i c h e

Fortsetzung Fußnote von Seite 43 Deutschland 1875-1980. Zur Entwicklung der Beschäftigungsstruktur, in: Geschichte und Gesellschaft 11, 1985, S. 447-475. 69 Hoffmann, Walther: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1965.

2. Strukturveränderungen in der Frauenerwerbsarbeit

45

Kapazitätsreserven zurückgegriffen werden konnte, mußten notgedrungen Frauen stärker in den Arbeitsprozeß miteinbezogen werden. 70 Die Gründe, warum Frauen dem Angebot zur Arbeitsaufnahme folgten, waren vielschichtig. 71 Im Vordergrund stand jedoch die individuelle und familiäre Notsituation. Frauen gingen arbeiten, weil der Verdienst des Ehepartners nicht ausreichte, um die Familie zu ernähren. Frauen gingen aber auch arbeiten, weil sie ledig oder alleinstehend waren. Und der Anteil der Ledigen und Alleinstehenden nahm als Folge der explodierenden Bevölkerungsentwicklung - vor dem Ersten Weltkrieg betrug der jährliche Bevölkerungsüberschuß 800 000 Menschen und nach dem Krieg immerhin noch die Hälfte - und vor allem als Folge des Ersten Weltkrieges immer mehr zu. Um 1880 war die Masse der berufstätigen Frauen in Positionen beschäftigt, die weitestgehend mit der Hausfrauentätigkeit in Einklang standen. 72 Ihr Auskommen fanden die Frauen in der Landwirtschaft (61,4%) und in den hauswirtschaftlichen Berufen (18,0%). Im Handel und in der Industrie waren noch relativ wenige Frauen anzutreffen (12,8%), und der Dienstleistungssektor spielte auch keine große Rolle als Auffangbecken arbeitssuchender Frauen (7,7%). Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1939 veränderte sich die weibliche Erwerbsstruktur zwar nicht grundlegend, aber in den einzelnen Wirtschaftszweigen vollzogen sich innerhalb von knapp sechzig Jahren doch bedeutsame Umschichtungen. 73 So kehrte eine große Anzahl von Frauen dem Land den Rücken und wanderte in besserbezahlte Berufe ab. Und auch die Bereitschaft, als Dienstpersonal der Herrschaft das Silber zu putzen, ließ deutlich nach. 74 70

Weiler, Rudolf: Wirtschaftswachstum und Frauenarbeit, Freiburg 1962. Dazu: Otto, Rose: Über Fabrikarbeit verheirateter Frauen, Stuttgart 1910; Glass, Frieda und Kische, Dorothea: Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der erwerbstätigen Frau, Berlin 1930; Meister, Angela: Die deutsche Industriearbeiterin. Ein Beitrag zum Problem der Frauenerwerbsarbeit, Jena 1939, S. 17-36. 72 Zur Entwicklung der Frauenarbeit im Deutschen Reich von 1880 bis 1933: Müller, Walter u.a.: Strukturwandel der Frauenarbeit 1880-1980, Frankfurt 1983; Handbuch der Frauenbewegung. 4. Teil: Die deutsche Frau im Beruf. Hrsg. von Helene Lang und Gertrud Bäumer, Berlin 1901; Kuczinsky, Jürgen: Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterinnen in Deutschland von 1700 bis zur Gegenwart, Berlin 1965; Knapp, Ulla: Frauenarbeit in Deutschland. Bd. 2: Hausarbeit und gesellschaftsspezifischer Arbeitsmarkt im deutschen Industrialisierungsprozeß, München 1984; Die Frau in der deutschen Wirtschaft. Hrsg. von Hans Pohl, Stuttgart 1985; Bajohr: Die Hälfte der Fabrik. 73 Kleber, Wolfgang: Die sektorale und sozialrechtliche Umschichtung der Erwerbsstruktur im Deutschen Reich und der Bundesrepublik Deutschland 18821970, in: Beschäftigungssystem im gesellschaftlichen Wandel. Hrsg. von Max Haller und Walter Müller, Frankfurt 1983, S. 24-75. 74 Zu den häuslichen Diensten: Ottmüller, Uta: Die Dienstbotenfrage. Zur Sozialgeschichte der doppelten Ausnutzung von Dienstmädchen im deutschen Kaiserreich, Münster 1978; Freudenthal, Margarete: Gestaltenwandel der städtischen bür71

46

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

Die beachtliche Abwanderungsbewegung aus der Landwirtschaft ( — 23,1%) und das nachlassende Interesse an hauswirtschaftlichen Berufen ( — 7,5%) führte dazu, daß im Jahre 1939 das Hauptbetätigungsfeld der erwerbstätigen Frau längst nicht mehr der landwirtschaftliche (38,3%) und der hauswirtschaftliche Bereich (10,5%) waren. Nur noch knapp die Hälfte (48,8%) der erwerbstätigen Frauen arbeitete in diesen frauenspezifischen Berufen. 1882 waren es noch Dreiviertel gewesen (79,4%). Bevorzugt wurden von den Frauen Tätigkeiten in der Industrie und im Handel ( + 12,2%) und vor allem im Dienstleistungssektor (+18,4%). Dort hatten sie auch die besten Chancen, eine Anstellung zu finden. Sie arbeiteten im Bekleidungsgewerbe, in der Textilindustrie, in der Nahrungs- und Genußmittelbranche und nicht zuletzt im Erziehungsbereich. Aber auch dort verrichteten sie Tätigkeiten, die der Hausfrauenarbeit nicht unähnlich waren. 73 Seit der ersten Berufszählung im Jahre 1882, die noch sehr ungenau in ihren Differenzierungsmerkmalen war, traten auch einige bemerkenswerte Veränderungen im sozialen Status der erwerbstätigen Frau auf. Wenn auch der überwiegende Teil der Frauen als mithelfende Familienangehörige oder als Arbeiterinnen beschäftigt war - und das über fast sechzig Jahre hinweg ohne allzu großen Schwankungen unterworfen zu sein - , so war doch der Anteil der Frauen mit Angestellten- und Beamtenstatus kräftig gestiegen (+13,9%). Hingegen waren die Chancen der Frau, als Selbständige ihren Lebensunterhalt zu verdienen, weiter gesunken ( —5,9%). 76

Während des Zweiten Weltkrieges stieg der Anteil der Frauen unter der erwerbstätigen Bevölkerung auf eine bis dahin nie gekannte Größenordnung. Im Juli 1944 ging nahezu jede zweite Frau einer Berufstätigkeit nach

Fortsetzung Fußnote von Seite 45 gerlichen und proletarischen Hauswirtschaft unter besonderer Berücksichtigung des Typenwandels von Frau und Familie, vornehmlich in Südwest-Deutschland zwischen 1760 und 1932, Würzburg 1934 (Nachdruck: Berlin .1986); Tenfelde, Klaus: Dienstmädchengeschichte. Strukturelle Aspekte im 19. und 20. Jahrhundert, in: Die Frau in der Wirtschaft, S. 105-119. 15 Zur Frauenarbeit im „Dritten Reich": Härtling, Else: Die Lage der erwerbstätigen Frau unter besonderer Berücksichtigung der gehobenen Berufe und der arbeitseinsatzpolitischen Fragen, Heidelberg (Diss.) 1941; Mason, Tim: Zur Lage der Frauen in Deutschland 1930-1940: Wohlfahrt, Arbeit und Familie, in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie. Bd. 6, Frankfurt 1976, S. 118-193; vor allem aber: Winkler: Frauenarbeit im „Dritten Reich" und Bajohr: Die Hälfte der Fabrik. 76 Zu Selbständigen, Beamten und Angestellten: Habeth, Stephanie: Die Freiberuflerin und Beamtin (Ende des 19. Jahrhunderts bis 1945), in: Die Frau in der Wirtschaft, S. 155-170; Frevert, Ute: Traditionale Weiblichkeit und moderne Interessenorganisation: Frauen in Angestelltenberufen 1918-1933, in: Geschichte und Gesellschaft 7, 1981, S. 507-533; Schulz, Günther: Die weiblichen Angestellten vom 19. Jahrhundert bis 1945, in: Die Frau in der Wirtschaft, S. 179-215.

2. Strukturveränderungen in der Frauenerwerbsarbeit

47

(49,8%), insgesamt 14,8 Millionen Frauen.77 Gegenüber 1939 war das ein Anstieg von 271000 Frauen. Damit war das weibliche Arbeitskräftereservoir weitgehend ausgeschöpft.78 Um diesen hohen weiblichen Beschäftigungsstand zu erreichen, hatten sich die Nationalsozialisten eine ganze Reihe von gesetzlichen und propagandistischen Maßnahmen einfallen lassen.79 Dabei mußten sie ideologische Hemmschwellen überwinden, was ihnen noch am leichtesten fiel, und dabei mußten sie sich auch mit dem passiven Widerstand der Frauen am Arbeitsplatz auseinandersetzen, der von Arbeitsverweigerung bis hin zu Arbeitsbummelei reichte.80 Schließlich fanden sie einen Ausweg aus dem Dilemma, einerseits die Reproduktionsfähigkeit der deutschen Frau zu erhalten, andererseits deren Arbeitskraft in Anspruch zu nehmen: soweit das möglich war, tauschten sie die vorhandenen weiblichen Arbeitskräfte zwischen den einzelnen Wirtschaftsgruppen aus und ließen das Heer der Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen auf die von Männern und Frauen freigewordenen Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie und in der Landwirtschaft nachrücken. 81

2.3.

Anstieg und Veränderung der Frauenerwerbstätigkeit nach 1945

Nach der Kapitulation wurden der weiblichen Erwerbstätigkeit im allgemeinen düstere Zukunftsaussichten prognostiziert. In den Arbeitsbehörden ging man davon aus, daß ebenso wie nach dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Frauen nicht mehr gebraucht werden würden.82 Tatsächlich sanken die Beschäftigungszahlen im Vier-Zonen-Gebiet rapide ab. 77

Blaich, Fritz: Wirtschaft und Rüstung im „Dritten Reich", Düsseldorf 1987, S. 105. 78 Diese Ansicht ist zuletzt von Richard Overy (Blitzkriegswirtschaft, S. 425-431) vorgetragen worden. 79 Zu den gesetzlichen Maßnahmen: Eichholtz, Dietrich: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945. Bd. 1: 1939-1941, Bd.2: 1941-1943, Berlin 1984; Bd. 1, S. 79-86; Bd. 2, S. 210-211 und zu den propagandistischen: Rupp, Leila J.: Mobilizing Women for War. German and American propaganda, 1939-1945, Princeton 1978, S. 115-136. 80 Vgl. dazu: Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938-1945. Hrsg. von Heinz Boberach, München 1984, insbes. die Bände 7, 12-17. 81 Statistische Angaben über Ausländer und Kriegsgefangene in der deutschen Wirtschaft bei: Wagenführ, Rudolf: Die deutsche Industrie im Krieg 1939-1945, Berlin 1963, S. 139. Vgl. weiterhin: Pfahlmann, Heinz: Fremdarbeiter und Kriegsgefangene in der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, Darmstadt 1968 und Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin/Bonn 1985. 82 Diese Ansicht ist schon vom Ansatz her falsch. Denn nach dem Ersten Weltkrieg waren weitaus weniger Verluste unter der männlichen Bevölkerung zu beklagen als

48

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

Für den Rückzug der Frauen aus der Berufstätigkeit nach der Kapitulation gab es eine ganze Reihe von Gründen : da war der Ehemann zurückgekehrt oder Frauen hatten geheiratet; aber auch Arbeitsplätze waren zerstört oder konnten nicht wieder besetzt werden, da die Rüstungsproduktion eingestellt worden war; und der Dienstpflichtzwang bestand nicht mehr. Außerdem waren viele Frauen, die eine Familie besaßen und deren Ehemann berufstätig war, völlig mit der Ernährungssicherung ausgelastet. Hinzu kam, daß Frauen wenig Neigung verspürten, eine Arbeit aufzunehmen, weil „die Gesamtverhältnisse", wie die Industrie- und Handelskammer Düsseldorf zu berichten wußte, „die Ausübung einer Tätigkeit auch wenig lohnend erscheinen lassen".83 Anfang 1946, als die ersten statistischen Angaben vorlagen, war der Tiefpunkt der weiblichen Erwerbstätigkeit - zumindest in NordrheinWestfalen - längst überschritten. Immer mehr Frauen kehrten in die Berufstätigkeit zurück (vgl. dazu Tabelle 3). Ohne Zweifel machten sich die Maßnahmen der britischen Besatzungsmacht ebenso bemerkbar wie die Notlage, die immer mehr Ledige, aber auch Flüchtlings- und Vertriebenenfrauen sowie Ausgebombte zwang, ein Lohnverhältnis einzugehen.84 Unter diesen Voraussetzungen war es eigentlich nicht verwunderlich, daß es bald kaum noch Berufe gab, in denen Frauen nicht anzutreffen waren.85 Nach Auswertung der Haushaltungslisten stellten die Statistiker dann auch fest, daß Frauen nur noch in Bereichen nicht beschäftigt waren, die körperliche Schwerstarbeit verlangten oder äußerst gefährlich waren oder die eine spezielle Berufsausbildung voraussetzten. Als Beispiele für Schwerstarbeit sind Berufe im Bergbau und im Transportwesen zu nennen. Als gefährlich sind gewiß die Tätigkeiten bei der Feuerwehr oder die des Tauchers einzustufen. Wenn Frauen aber keinen Zugang zu den Ingenieurberufen hatten, dann lag das daran, daß ihnen

Fortsetzung Fußnote von Seite 47 1945. Auch war der Anteil deutscher Kriegsgefangener in den Lagern der Westmächte relativ klein. Und außerdem: das Reichsgebiet hatte so gut wie keine materiellen Schäden in Form von Zerstörungen zu verzeichnen. Unter diesen Voraussetzungen waren die Chancen für Frauen, die eine Berufstätigkeit anstrebten, sogar als sehr günstig zu bezeichnen. 83 Möglichkeiten eines verstärkten Arbeitseinsatzes der Frau. Bericht der Industrieund Handelskammer Düsseldorf, Düsseldorf 1947, S.9. 84 Auf den bestehenden Zusammenhang zwischen den sozialpolitischen Maßnahmen der britischen Besatzungsmacht und dem Anstieg der weiblichen Erwerbstätigkeit weist auch Maria Tritz, die Referentin für Fraueneinsatz des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen, hin: Maria, Tritz: Zeitbedingte Aufgaben, S.98. 85 Mit dieser Feststellung ist natürlich nicht gemeint, daß Frauen auch gleichzeitig in führende Positionen einrückten. Spitzenpositionen waren ihnen im allgemeinen auch weiterhin versperrt.

2. Strukturveränderungen in der Frauenerwerbsarbeit

49

Tabelle 3 Berufstätige Frauen (Arbeiter, Angestellte und Beamte) in NordrheinWestfalen sowie Anzahl der weiblichen Arbeitslosen und der offenen Stellen für Frauen 1938 (ohne Beamte), 1941, 1946-1950 Stichtag

Beschäftigte

Arbeitslose

Offene Stellen

25.06.38 15.08.41 31.01.46 30.03.46 30.06.46 30.09.46 31.12.46 31.03.47 30.06.47 30.09.47 31.12.47 31.03.48 30.06.48

1017186 1272045 718800 766100 822226 867823 899031 915039 927061 918088 924385 921869 952385

_

_

-

-

-

-

-

51431 41001 58089 59415 49093 34 435 32274 31956 33263

-

45320 47459 45682 57565 65327 68844 59499 72472 71860

(Quelle: HStA-NW 45/204-206 - Statistische Mitteilungen des Arbeitsministeriums Nordrhein-Westfalen. Hrsg. von der Hauptabteilung II Landesarbeitsamt Jg. 19461948; Oft, Emil: Die Beschäftigung im Bereich der britischen Zone Deutschlands 1938, 1941 und 1946 - Eine statistische Bilanz, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 4, S. 125-129, hier: S. 126)

diese Laufbahn bislang konsequent vorenthalten w o r d e n war mit dem Hinweis, sie besäßen kein mathemathisch-technisches Verständnis (vgl. dazu Tabelle 4). W i e stark den Frauen der Einbruch in die Männerberufe gelungen war, läßt sich daran ablesen, daß Frauen mit A u s n a h m e des Eisen- u n d Metallerzeugers u n d des Schriftgießers alle anderen in der Metall- u n d Eisenindustrie a n g e b o t e n e n Berufe einnahmen. Sie waren als Stangenzieher u n d Former beschäftigt, als Schmelzer u n d Gießer, sie durften schweißen, löten u n d nieten u n d f a n d e n das Vertrauen des Arbeitgebers als Dreher, Fräser u n d Schmiede. 8 6 Frauen hatten auch Z u g a n g zu den Bauberufen

86

Nach einer Aufstellung von Doris Schubert: Frauen in der deutschen Nachkriegszeit, S. 83, die durch die Volksbefragung von 1946 und die Aktenbestände des Arbeitsministeriums bestätigt wird, arbeiteten Frauen als Koksfahrerinnen in Hochofenbetrieben, als Probenehmerinnen in Hochofen-, Martin- und Thomasstahlwerken, als Rollgangsmaschinistinnen und Löscherinnen in Walzwerken, als Kehrerinnen und Türzieherinnen in Blechwalzwerken, als Packerinnen und Sortiererinnen in der Glasindustrie, als LKW-Fahrerinnen, als Bleigitterputzerinnen im Akkumulatorenfabriken, als Kranführerinnen, Maschinistinnen, Stoff- und Kauenwärterinnen in der Hüttenindustrie, als Blockputzerinnen in Stahlwalzwerken und als Sägerinnen, Abstecherinnen, Rohrrichterinnen und Gewindeschneiderinnen in Röhrenwerken.

50

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

Tabelle 4 Berufe ohne Frauenanteile, Oktober 1946 (in Klammern die Berufsgruppennummern) Forst, Jagd- und Fischereiberufe (12) Bergmännische Berufe (21) Bauberufe (24)

Metallarbeiter und zugehörige Berufe (25/26) Holzverarbeitung und zugehörige Berufe (29/31) Ingenieure und Techniker (41)

Technische Sonderfachkräfte (42) Maschinisten und zugehörige Berufe (43) Verkehrspersonal (52)

Reinigungsarbeiter (62) Rechts- und Sicherheitswahrer (72) Erziehungs- und Lehrberufe, Seelsorge (81)

Berufsjäger, Hochseefischer Bergmann Maurer, Eisenbieger und -flechter, Gerüstbauer, Asphalt- und Betonstraßenarbeiter, Schornsteinfeger Eisen- und Metallerzeuger, Schriftgießer, Eisenschiffbauer Mühlenbauer Markscheider, Bergingenieure, Steiger, sonstige Ingenieure der Bodenerschließung, Schiffsingenieure, sonstige Ingenieure der Energieumwandlung, Hütteningenieure, -techniker, Schiffsbau- und Schiffmaschineningenieure Taucher Lokomotivführer, Lokomobilenführer, Schiffsmaschinist, Baggermaschinist, Heizer Transportarbeiter, Straßenmeister/Straßenwärter, See- und Küstenschiffer, nautischer Schiffsoffizier, Lotse, sonstiges Wasserverkehrspersonal Müllbeseitiger Feuerwehrbeamte und -angestellte evangelischer Geistlicher, katholischer Geistlicher, Rabbiner

(Quelle: Berufszählung. Die Bevölkerung der Britischen Besatzungszone nach den Ergebnissen der Berufszählung vom 29. Oktober 1946. Teil II, in: Statistik der Britischen Besatzungszone Bd. 1, Heft 6, S. 1-73)

erhalten und bei Bahn, Post und bei den Verkehrsbetrieben ihre Position ausbauen können. 87 Die Masse der Frauen arbeitete 1946 jedoch in Berufen, in denen Frauen in der Mehrzahl auch schon vor dem Kriegsausbruch Anstellung 87

Nach den Berechnungen von Resi Dieckmann (Die Frauenarbeit im Ruhrgebiet. Eine Untersuchung über strukturelle Grundlagen, kriegsbedingte Wandlung und künftige Gestaltung der Frauenarbeit im westfälischen Ruhrgebiet, Münster (Diss.) 1949, S. 45-54) war die Zunahme der Frauen in einzelnen Wirtschaftszweigen, die vor Kriegsausbruch fast ausschließlich Männern vorbehalten gewesen waren, außergewöhnlich hoch. Bezogen auf das Jahr 1938 (= 100) betrug der Beschäftigungsindex 1947 im Verkehrswesen (ohne Bahn und Post) 915; bei Bahn und Post lag er bei 315. Weitere Angaben: Feinmechanik und Optik (571), Industrie der Steine und Erden (513), Bergbau (450) und Bauindustrie (371).

2. Strukturveränderungen in der Frauenerwerbsarbeit

51

gefunden hatten. Und das waren Berufe im Textilgewerbe, im Warenhandel und in der Verwaltung, und das waren vor allem auch die häuslichen Dienste, die aber aufgrund der schwierigen Versorgungslage erhebliche Einbußen zu verzeichnen hatten. 88 Eine Ausnahme bildete die Landwirtschaft, in der sich der weibliche Anteil mehr als verdoppelte. Der Beschäftigungshöhepunkt wurde hier Mitte 1946 erreicht, danach erfolgte eine langsame aber stetige Abnahme durch die Abwanderung der Frauen in die Industriegebiete 89 (vgl. dazu Tabelle 5).

Tabelle 5 Berufstätige Frauen (Arbeiter, Angestellte und Beamte) in NordrheinWestfalen nach Wirtschaftsgruppen 1938 (ohne Beamte), 1946-1947. Wirtschaftsabteilung Land- und Forstwirtschaft Industrie und Handwerk Handel und Verkehr Öffentliche und private Dienste Häusliche Dienste insgesamt

25.6. 1938

%

31.12. 1946

%

31.12. 1947

%

37047 379468 220340

3,6 37,3 21,7

84238 282462 158291

9,4 31,4 17,6

72804 304592 173549

7,9 32,9 18,8

101723 278608

10,0 27,4

178820 195220

19,9 21,4

191052 182388

20,7 19,7

1017186 100,0

899031 100,0

924385 100,0

(Quelle: HStA-NW 45/115-122 - Lage der Frauenarbeit im Bezirk des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen; HStA-NW 45/204-206 - Statistische Mitteilungen des Arbeitsministeriums Nordrhein-Westfalen. Hrsg. von der Hauptabteilung II Landesarbeitsamt Jg. 1948)

In Düsseldorf, um nur ein Beispiel zu nennen, waren Ende 1946 etwa 56000 Frauen berufstätig. 90 In der Mehrzahl arbeiteten sie in kaufmänni88

Frauen nahmen in der Regel untergeordnete Positionen ein. In der Verwaltung besaßen sie noch die besten Aufstiegschancen. Am 31. März 1947 beschäftigten die Gemeinden und Gemeindeverbände Nordrhein-Westfalens 150838 Bedienstete. An der Gesamtzahl waren die Frauen mit 23% beteiligt. Bei den Beamten betrug ihr Anteil 18,6%, davon über die Hälfte im gehobenen Dienst. 58% standen im Angestelltenverhältnis, davon 74,1% im mittleren und 14,2% im einfachen Dienst (HStA-NW 45/324-329 [Statistische Kurzberichte des Landes Nordrhein-Westfalen. Hrsg. vom Statistischen Landesamt Düsseldorf 1948, Nr. 4 vom 6. September 1948]). 89 Weitere Informationen zur Beschäftigungslage der erwerbstätigen Frau in Nordrhein-Westfalen sind der ausführlichen Studie von Dieter Borchert (Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, S. 225-240) zu entnehmen. 90 Nach dem Ergebnis der Volkszählung vom 29. Oktober 1946 hatte Düsseldorf eine Gesamtbevölkerung von 421649 Personen. Davon waren 187788 Männer und 233 861 Frauen. Wenn in Düsseldorf 56000 Frauen berufstätig waren, heißt das aber nicht, das alle diese Frauen aus Düsseldorf kamen ; bei einem Teil der Frauen dürfte es sich um Pendler aus dem Umland gehandelt haben.

52

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

sehen Berufen, bei Verwaltungen und Behördendienststellen (22600). Es folgten die Hausgehilfinnen (14000), und schon mit deutlichem Abstand die Arbeiterinnen der Textil- und Bekleidungsindustrie (3550) und die Beschäftigten in der gewerblichen Wirtschaft (3100). Das Gaststättengewerbe zählte rund 2600 weibliche Arbeitskräfte, während in der eisen- und metallverarbeitenden Industrie 160 Facharbeiterinnen registriert wurden." Unterschiedlich hoch war der Frauenanteil in den einzelnen Wirtschaftszweigen der rheinischen Metropole. In der Bekleidungsindustrie war er mit 80% am höchsten. Es folgten die Elektroindustrie mit 40 bis 60% und die chemische Industrie mit etwa 30 bis 40%. Am niedrigsten, unter 10%, lag der weibliche Arbeitnehmersanteil in der eisenschaffenden Industrie, in der Baustoffindustrie und im Baugewerbe, und dort vor allem nahmen Frauen Männerarbeitsplätze ein.' 2 Daß der Frauenanteil gerade in diesen Wirtschaftszweigen so niedrig lag, hing im wesentlichen damit zusammen, daß es den Arbeitsbehörden weitgehend gelungen war, Frauen von Männerarbeitsplätzen mit besonders erschwerten Arbeitsbedingungen fernzuhalten.

3.

3.1.

Staatlicher Arbeitsschutz und gewerkschaftliche Verbesserungsvorschläge Umgehung der Arbeitsschutzbestimmungen durch die Arbeitgeber

In den ersten Nachkriegsjahren fanden immer wieder Frauen Zugang zu Männerarbeitsplätzen, die nach Ansicht der Arbeitsbehörden dort nicht hingehörten. In der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um Flüchtlingsfrauen aus dem Osten, die direkt von den Unternehmen unter Umgehung der Arbeitsämter eingestellt wurden. Die Unternehmen bedienten sich dabei Maklerfirmen, deren Mitarbeiter sich in den Flüchtlingslagern nach geeigneten Frauen umschauten. Geködert wurden die Frauen mit Akkordlöhnen und Schwerstarbeiterzulagen, und da sie froh waren, daß man ihnen eine Verdienstmöglichkeit anbot, akzeptierten sie schwere körperliche Arbeit und das Einatmen gesundheitschädigender Stoffe. Die Gewerbeaufsichtsbeamten nannten das „modernen Sklavenhandel". 93 Die Unternehmen setzten sich mit dieser Praxis bewußt über die bestehenden Arbeitsschutzbestimmungen hinweg, was die Gewerbeaufsicht nicht bereit war, stillschweigend hinzunehmen. Eine Überwachung der gesamten Wirtschaft war aus Mangel an Beamten, aber auch aufgrund der " Möglichkeiten eines verstärkten Berufseinsatzes von Frauen, S. 7. Ebd., S. 7-8. H S t A - N W 4 5 / 1 1 5 - 1 2 0 (Gewerbeaufsichtsamt Krefeld an Regierungspräsident vom 16. Februar 1948).

92 93

3. Staatlicher Arbeitsschutz und Gewerkschaften

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schlechten Arbeitsbedingungen, bis 1948 nicht möglich. So fehlte es an Dienstwagen ebenso wie an Schreibpapier, Schreibmaschinen und Fachliteratur. Deshalb konnten in den Jahren 1946 und 1947 auch nur relativ wenige Übertretungen geahndet werden.94 Ihre Kontrollmaßnahmen konzentrierten die Gewerbeaufsichtsämter insbesondere auf das Bau- und das Baunebengewerbe. Denn als Problembetriebe galten vornehmlich Unternehmen, in denen Dachziegeln hergestellt und Bruchsteine transportiert wurden oder in denen bei Schleif- und Putzarbeiten Blei, Silikose und Asbest freigesetzt wurden. Im einzelnen waren das Steinbruchunternehmen, 95 Dachsteinbetriebe96 und Isoliermittelfabriken. 97 Sobald den kontrollierenden Beamten Unregelmäßigkeiten auffielen, veranlaßten sie den Austausch der Frauen durch Männer. Die Betriebe folgten der Anordnung im allgemeinen umgehend, wenn auch ungern, da es nicht ganz leicht war, männlichen Ersatz zu bekommen. 98 Einzelne Unternehmen versuchten durch Hinhaltetaktiken, der Ablösung ihrer weiblichen Arbeitskräfte zu entgehen. So gaben sie an, die Frauen nur auf Probe eingestellt zu haben, um zu prüfen, ob Frauen überhaupt in der Lage seien, den Anforderungen gerecht zu werden. Die bisher ermittelten Ergebnisse seien jedoch sehr zufriedenstellend, und damit der Beweis erbracht, daß die Frauen durchaus die ihnen zugewiesenen Arbeiten leisten könnten. Oder sie stuften die Flüchtlingsfrauen als Frauen zweiter Klasse ein, die im Gegensatz zu den einheimischen Frauen sehr wohl körperlich schwere Arbeit verrichten könnten, da sie diese Arbeit von Hause aus gewöhnt seien.99 Die Gewerbeaufsichtsbeamten ließen sich von solchen Spitzfindigkeiten nicht beeindrucken und beharrten auf Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen. Wiederholt kam es vor, daß bei Nachprüfungen festgestellt 94

Nach einer Aufstellung der Gewerbeaufsichtsverwaltung des Landes NordrheinWestfalen für das Jahr 1950 wurden 1949 (bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Ausstattung der Gewerbeaufsichtsämter nur unwesentlich verbessert) etwa ein Drittel (30,2%) der Betriebe mit bis zu vier Beschäftigten von der Gewerbeaufsicht einer Kontrolle unterzogen. Etwas günstiger lagen die Verhältnisse in größeren Betrieben: etwa 35,1% der Betriebe mit 5 bis 49 Beschäftigte und 72,5% der Betriebe mit über 50 Beschäftigten wurden von der Gewerbeaufsicht besichtigt (Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten. Bundesrepublik Deutschland und Land Berlin 1950. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn 1951, S. 5). 95 HStA-NW 37/647 II (Gewerbeaufsicht Köln an Regierungspräsident betr. Beschäftigung von Frauen in Steinbrüchen vom 5. Mai 1947). 96 HStA-NW 37/647 I (Staatlicher Gewerbearzt Düsseldorf an Arbeitsministerium betr. Frauenbeschäftigung in der Zementdachsteinindustrie vom 17. Oktober 1947). 97 HStA-NW 37/647 I (Gewerbeaufsichtsamt Recklinghausen an Regierungspräsident betr. Frauenarbeit in Schlackenwolle-Verarbeitungsbetrieben vom 8. November 1947). 98 HStA-NW 37/647 I (Regierungspräsident Köln an Arbeitsminister betr. Lagebericht des Gewerbeaufsichtsamts Bonn vom 2. April 1947). 99 HStA-NW 37/647 II (Gewerbeaufsichtsamt Köln an Regierungspräsident betr. Beschäftigung von Frauen in Steinbrüchen vom 5. Mai 1947).

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wurde, daß die Unternehmer den Auflagen der Gewerbeaufsicht überhaupt nicht nachgekommen waren und die Frauen nur pro forma umgesetzt hatten. 100 Die Unternehmen rechtfertigten sich mit dem Argument, die Frauen hätten verlangt, wieder auf ihren alten Arbeitsplätzen eingesetzt zu werden. Die Beamten versuchten erst gar nicht, den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen nachzuprüfen, sondern erteilten eine Verwarnung. Es gab aber auch Unternehmen, die Frauen mit Tätigkeiten beschäftigten, für die bislang, da es sich um Männerarbeitsplätze handelte, noch keine Schutzbestimmungen erlassen worden waren. In solchen Fällen mußte das Arbeitsministerium die Entscheidung über die Weiterbeschäftigung der Frauen fällen. Wie im Falle der Blockputzerinnen, deren Arbeit darin bestand, fehlerhafte Stellen an der Oberfläche der Blöcke durch Schleifen zu beseitigen und tiefere Risse mit kleinen Preßlufthämmern herauszustemmen, wurde zunächst ein generelles Arbeitsverbot erteilt, da der zuständige Gewerbeaufsichtsbeamte die Arbeit als für Frauen zu schwer einstufte. 101 Auf Einspruch des betroffenen Unternehmens nahm zunächst der Gewerbearzt zu dem Problem Stellung, 102 und dann wurde noch ein Forschungsinstitut konsultiert. 103 Aufgrund dieser Expertisen erlaubte dann das Arbeitsministerium die Weiterbeschäftigung von Frauen als Stahlputzerinnen. Jedoch mußten gewisse Schutzmaßnahmen eingehalten werden. Soweit sich das überprüfen läßt, begünstigten die Gewerbeaufsichtsbeamten die Unternehmen nicht zum Schaden der Frauen, sieht man einmal davon ab, daß die Anordnungen der Gewerbeaufsichtsämter zu Verdiensteinbußen oder im schlimmsten Fall zur Entlassung führen konnten, was aber bis zur Währungsreform höchst selten vorkam. Die Beamten hielten sich vielmehr eng an die gesetzlichen Vorgaben, wie sie in den Arbeitsschutzbestimmungen ihren Niederschlag gefunden hatten. 104 Und diese Bestimmungen waren in erster Linie dazu da, die Arbeitnehmer, in diesem Fall die Arbeitnehmerinnen, vor einzelnen Arbeitgebern zu schützen, die wenig Rücksicht auf die Gesundheit ihrer Arbeitskräfte nahmen. 100 HStA-NW 37/647 II (Regierungspräsident Köln an Arbeitsminister betr. Lagebericht des Gewerbeaufsichtsamtes Bonn vom 2. April 1947). 101 HStA-NW 4 5 / 1 1 5 - 1 2 0 (Auszug aus dem Bericht des Gewerbeaufsichtsamtes Siegen vom 4. August 1947). 102 HStA-NW 37/647 I (Staatlicher Gewerbearzt Münster an Arbeitsminister betr. Frauenarbeit in den Geisweiler Eisenwerken vom 20. Februar 1948). 103 HStA-NW 37/647 I (Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie Dortmund an Arbeitsminister vom 16. Juni 1948). 104 Gegen diese Feststellung spricht auch nicht die Ausnahmeregelung des Arbeitsministeriums über die Beschäftigung von Frauen in der Zementindustrie ( H S t A - N W 37/647 I [Arbeitsminister an die leitenden Gewerbeaufsichtsbeamten betr. Frauenarbeit in der Zementindustrie vom 9. März 1948]), die „im Wiederaufbauinteresse" erlaubt wurde, aber nur für Frauen, die sich einer amtsärztlichen Untersuchung unterzogen hatten. Außerdem mußten die Arbeitsplätze strengen Sicherheitsbestimmungen gerecht werden.

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3.2. Anfänge und Entwicklung des staatlichen Arbeitsschutzes in Deutschland Das war auch der Grund, warum der Staat im 19. Jahrhundert Arbeitsschutzbestimmungen nicht nur einführte, sondern mit dem Gewerbeaufsichtsamt auch eine Behörde schuf, die die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften kontrollierte.105 Die Frauen waren aber nicht die ersten, denen der Staat Schutz gewährte. Schutzwürdig galten zunächst nur die Kinder, deren Arbeitskraft die Unternehmer in der Anfangsphase der Industrialisierung rücksichtslos ausnutzten, zum Schaden der Kinder, zum Schaden des Staates und nicht zuletzt auch zum Schaden der Unternehmer. Denn die früh verschlissenen Kinder eigneten sich nur bedingt zu Rekruten, und sie waren im Erwachsenenalter kaum noch als Arbeitskräfte zu gebrauchen.106 Als erstes europäisches Land führte England ein Kinderschutzgesetz ein. Das war 1802.107 Preußen folgte dem englischen Beispiel 1839. Das preußische Kinderschutzgesetz verbot nicht nur die Beschäftigung von Kindern unter 9 Jahren, es beschränkte auch die Arbeitszeit der Jugendlichen von 9 bis 12 Jahren auf 10 Stunden, führte regelmäßige Pausen und Sonntagsruhe ein und untersagte jegliche Nachtarbeit.108 1853 wurde dann ein Verbot über die Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren ausgesprochen, und eine weitere Kürzung der Arbeitszeit für Jugendliche unter 14 Jahren angeordnet.109 Gleichzeitig wurde mit den Fabrikinspektoren 105 Deutschbein, E. und Vogler, H.: Gewerbeaufsicht und Rechtsentwicklung einer technischen Sonderbehörde, in: Bundesarbeitsblatt 1954, S. 519-528, hier: S. 521. Die Gewerbeaufsicht wurde 1878 im Deutschen Reich zwingend eingeführt und ihre Befugnisse in den folgenden Jahrzehnten Schritt für Schritt weiter ausgebaut. In den Aufgabenbereich der Gewerbeaufsicht fielen 1946 unter anderem: Unfallund Gesundheitsschutz, Frauen-, Jugendlichen- und Kinderschutz, Schutz der Sittlichkeit in den Betrieben, Überwachung von Heimarbeit, Überwachung der Arbeitszeit, der Sonn- und Feiertagsruhe, Überprüfung von Dampfkesseln, Druckanlagen, Feuer-und Explosionsschutz, Überwachung des Sprengstoffwesens. ,06 Gladen, Albin: Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Eine Analyse ihrer Bedingungen, Formen, Zielsetzungen und Auswirkungen, Wiesbaden 1974, S. 16-18.

Zur Arbeitsschutzgesetzgebung weiterhin : Albrecht, Gerhard : Sozialpolitik, Göttingen 1955; Erdmann, Gerhard: Die Entwicklung der deutschen Sozialgesetzgebung. 2. erweiterte Aufl., Göttingen 1957. 107 Kulischer, Josef: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Bd. II: Die Neuzeit, München 1965, S. 469. 108 Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken vom 9. März 1839, in : Gesetzessammlung für die königlichen Preußischen Staaten, Berlin 1839, S. 156-158. Zur öffentlichen und parlamentarischen Diskussion um den Kinderschutz: Köllmann, Wolfgang: Die Anfänge der staatlichen Sozialpolitik in Preußen bis 1869, in: Vierteljahrshefte für Wirtschaftsgeschichte 53, 1966, S. 9-35. 109 Gesetz betr. einige Änderungen des Regulativs vom 9. März 1839 über die Be-

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eine wirksame und unabhängige Arbeitsaufsicht geschaffen, die den Intentionen des Gesetzgebers Nachdruck verleihen konnte. 110 Zwischen 1846 und 1858 ging daraufhin die Zahl der Kinder, die in Fabriken beschäftigt wurden, um fast zwei Drittel von 31000 auf 12000 zurück. 111 Die Arbeitgeber glichen diesen Arbeitskräfteverlust durch die fortschreitende Technisierung in den Fabriken und eine verstärkte Anwerbung von Frauen aus. Die Einbeziehung der Frau in den industriellen Arbeitsprozeß wurde von den männnlichen Kollegen als bedrohliche Konkurrenz empfunden. Die Männer fürchteten um ihre Arbeitsplätze, da den Frauen bei gleicher Arbeit niedrigere Löhne gezahlt wurden. Deswegen kam es innerhalb der Arbeiterbewegung zu heftigen Auseinandersetzungen. Einzelne Genossen forderten die Abschaffung der industriellen Frauenarbeit, und sie sprachen sich dafür aus, diese Forderung im Parteiprogramm festzuschreiben. Solches Ansinnen konnte jedoch mit dem Argument abgewiesen werden, daß man die arbeitslosen Frauen dann scharenweise in die Prostitution treiben würde. 112 Auch standen der Realisierung dieser Forderung ökonomische Gründe entgegen: viele Arbeiterhaushalte waren auf den Mitverdienst der Ehefrau angewiesen. Trotzdem konnten die Stimmen in der Arbeiterbewegung nicht zum Schweigen gebracht werden, die eine Beschränkung, wenn nicht sogar ein Verbot der Frauenarbeit forderten. Und auch im konservativen Lager, so auf dem Vereinigungsparteitag in Gotha 1875, sprach man sich gegen die Frauenarbeit aus, wenn auch aus anderen Gründen: die erwerbstätige Frau paßte nicht ins konservative Familienbild. Angenommen wurde dann allerdings nur der geänderte Programmvorschlag, in dem es hieß: „Verbot der Kinderarbeit und aller die Gesundheit und Sittlichkeit schädigenden Frauenarbeit". 113 Wenn sich bei den Konservativen keine Mehrheit für ein Verbot der Frauenarbeit in der Industrie fand, dann lag das auch daran, daß aufgrund gesamtwirtschaftlicher Erfordernisse auf die weibliche Arbeitskraft nicht ohne weiteres verzichtet werden konnte. Einig waren sich aber Sozialdemokraten und Konservative, daß der Frau, wenn sie schon arbeitete, ein besonderer Arbeitschutz zugestanden werden müßte. Denn zu schützen sei die Frau vor sittlichen Gefahren am Arbeitsplatz und ge-

Fortsetzung Fußnote von Seite 55 schäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken vom 16. Mai 1853, in: Gesetzessammlung, Berlin 1853, S. 225-227. 110 Anton, Günther: Geschichte der preußischen Fabrikgesetzgebung bis zu ihrer Aufnahme durch die Reichsgewerbeordnung. Hrsg. von Horst Bülter, Berlin 1953, S. 85-90. 111 Gladen: Geschichte der Sozialpolitik, S. 40. 112 Thönnessen, Werner: Frauenemanzipation. Politik und Literatur der deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung 1863-1933, Frankfurt 1969, S. 28. 115 Ebd., S. 34.

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schützt werden m ü ß t e auch ihre Gesundheit, u n d dabei wurde vor allem an d e n Erhalt ihrer Reproduktionsfähigkeit gedacht. 1 1 4 D a Widerstände unterschiedlichster Art ü b e r w u n d e n werden mußten, die v o n E i n w ä n d e n der Arbeitgeber bis hin zu Vorbehalten der Politiker reichten, 1 1 5 entwickelte sich der Frauenarbeitsschutz, der zunächst nur ein Schutz für Industriearbeiterinnen war, nur sehr langsam. 1 1 6 D i e ersten M a ß n a h m e n z u m Schutz der erwerbstätigen Frau erfolgten 1878. 117 Sie sahen das Verbot der Beschäftigung v o n Frauen unter Tage in Bergwerken, Salinen u n d Gruben vor. Verboten wurde auch die Beschäftigung v o n W ö c h n e r i n n e n innerhalb v o n 3 W o c h e n nach ihrer Niederkunft. 1 1 8 Außerd e m behielt sich der Bundesrat das Recht vor, Frauenarbeit dort zu verbieten, w o die Gesundheit u n d die Sittlichkeit der Frau Schaden erleiden könnte. 1 1 9 114 Arbeitsschutz für erwerbstätige Frauen, in: Bundesarbeitsblatt 1950, S. 386-388, hier: S. 387; Langer-El Sayed, Ingrid: Familienpolitik: Tendenzen, Chancen, Notwendigkeiten. Ein Beitrag zur Entdämonisierung, Frankfurt 1980, S. 67. 115 Gladen: Geschichte der Sozialpolitik, S. 79-80. 116 Die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom 21. Juni 1869, die nach der Reichsgründung als Reichsgewerbeordnung für die Bundesstaaten verbindlich wurde, enthielt noch keine besonderen Bestimmungen über den Frauenarbeitsschutz. 117 Gesetz betr. die Abänderung der Gewerbeordnung vom 17. Juli 1878 (Reichsgesetzblatt 1878, S. 199-212). Den Anstoß gaben die 1877 veröffentlichten Ergebnisse der durch Beschluß des Bundesrats vom 31. Januar 1874 angeordneten „Erhebungen zur Erörterung der Frage über die Erweiterung des gesetzlichen Schutzes der in Fabriken beschäftigten Frauen und Minderjährigen". Vgl. dazu: Ergebnisse der über die Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken auf Beschluß des Bundesrats angestellten Erhebungen, zusammengestellt im Reichskanzleramt, Berlin 1877. 118 Jedoch war weder der Arbeitgeber zur Fortzahlung des Lohnes für diese Schutzzeit verpflichtet, noch erhielt die Wöchnerin von irgendeiner anderen Stelle eine finanzielle Wochenhilfe. Erst das Gesetz betr.: die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 (Reichsgesetzblatt 1883, S. 73-104) gewährte den Wöchnerinnen für drei Wochen nach der Niederkunft eine Unterstützung wie im Krankheitsfalle, das heißt die Hälfte des Tagelohnes. Die Unterstützung konnte als Mehrleistung auf sechs Wochen erweitert und auch auf die nicht versicherten Ehefrauen der Versicherten ausgedehnt werden. Da sich diese Bestimmungen des ersten Krankenversicherungsgesetzes des Reiches nur auf die versicherten gewerblichen Arbeiterinnen bzw. die Ehefrauen der versicherten gewerblichen Arbeiter bezogen, erhielt praktisch nur ein kleiner Teil der weiblichen Bevölkerung die finanzielle Wochenhilfe der Krankenversicherung. Zwischen 1902 und 1939 ergingen insgesamt sechzehn Anordnungen mit besonderen Schutzbestimmungen für Frauen: 1. (1. März 1902) Vulkanisieren von Gummiwaren (Reichsgesetzblatt 1902, S. 590) 2. (17. Juni 1905) Errichtung und Betrieb von Bleihütten (Reichsgesetzblatt 1905, S. 545) 3. (16. Mai 1907) Herstellung von Alkali-Chromaten (Reichsgesetzblatt 1907, S. 233) 4. (6. Mai 1908) Herstellung elektrischer Akkumulatoren (Reichsgesetzblatt 1908,

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E i n e n erheblichen Fortschritt brachte die N o v e l l e zur G e w e r b e o r d n u n g v o m 1. Juni 1891, 120 n a c h d e m der Bundesrat die ersten Gesetzesentwürfe v o n 1 8 8 7 / 8 8 nicht genehmigt hatte. 121 D i e Höchstarbeitszeit für Frauen über 16 Jahren wurde auf elf Stunden bei Verbot der Nachtarbeit u n d ein e m Beschäftigungsverbot an V o r a b e n d e n v o n Sonn- u n d Feiertagen nach 17.30 U h r festgelegt. 1 2 2 Obligatorisch wurde die einstündige Mittagspause, die für Frauen, die einen Haushalt zu versorgen hatten, auf Antrag u m eine volle Stunde verlängert werden mußte. Weiterhin erfolgte die Verlängerung der Schonfrist für W ö c h n e r i n n e n v o n drei auf vier bis sechs W o c h e n nach der Niederkunft. In den f o l g e n d e n Jahren bis z u m Kriegsausbruch 1914 wurden weitere Beschäftigungsverbote u n d -beschränkungen für bestimmte G e w e r b e eingeführt. 1908 wurde schließlich der Maximalarbeitstag der Frauen auf 10 Stunden u n d an den V o r a b e n d e n von Sonn- u n d Feiertagen auf 8 Stunden

Fortsetzung Fußnote von Seite 57 S. 172) 5. (25. November 1909) Herstellung von Zichorien (Darren) (Reichsgesetzblatt 1909, S. 968) 6. (20. November 1911) Einrichtung von Steinbrüchen und Steinhauereien (Reichsgesetzblatt 1911, S. 955) 7. (24. November 1911) Arbeiten in Rohzuckerfabriken, Zuckerraffinerien und Melasseenzuckerungsanstalten (Reichsgesetzblatt 1911, S. 958) 8. (27. Januar 1920) Herstellung von Bleifarben und Bleiverbindungen (Reichsgesetzblatt 1920, S. 109) 9. (13. Dezember 1921) Einrichtung und Betrieb von Zinkhütten und Zinkrohhütten (Reichsgesetzblatt 1921, S. 564) 10. (27. Mai 1930) Zum Schutz vor Bleivergiftung bei Anstreicharbeiten (Reichsgesetzblatt 1930, S. 183) 11. (30. Januar 1931) Herstellung und Lagerung von Thomasmehl (Reichsgesetzblatt 1931, S. 17) 12. (29. Mai 1935) Arbeiten unter Druckluft (Reichsgesetzblatt 1935, S. 715) 13. (22. Juni 1936) Beschäftigung in der keramischen Industrie (Reichsarbeitsblatt 1936, S. 171) 14. (5. Juni 1937) Ziegeleiverordnung (Reichsgesetzblatt 1937, S. 968) 15. (23. Dezember 1938) Glashüttenverordnung (Reichsgesetzblatt 1938, S. 1196) 16. (4. Oktober 1939) Beschäftigung an Seifenpressen (Reichsarbeitsblatt 1939, S. 133) 120 Gesetz betr. die Abänderung der Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891 (Reichsgesetzblatt 1891, S. 261-262). 121 Born, Karl Erich: Staat und Sozialpolitik seit Bismarcks Sturz. Ein Beitrag zur Geschichte der innenpolitischen Entwicklung des Deutschen Reiches von 1890— 1914, Wiesbaden 1957, S. 34. 122 Die im Jahre 1899 auf Entschließung des Reichstags vom 22. Januar 1898 vorgenommene Erhebung der Gewerbeaufsichtsbeamten „über die Beschäftigung verheirateter Frauen in den Fabriken" (Pohle, L.: Die Erhebungen der Gewerbeaufsichtsbeamten über die Fabrikarbeit verheirateter Frauen, in: Schmollers Jahrbuch, N.F. 1901, S. 259), ergab eine durchschnittliche tägliche Arbeitszeit von 9 bis 11 Stunden.

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herabgesetzt, 1 2 3 u n d damit die 5 8 - S t u n d e n - W o c h e eingeführt. 1 2 4 Weiterhin wurde der W ö c h n e r i n n e n s c h u t z auf acht W o c h e n , v o n d e n e n sechs W o chen nach der N i e d e r k u n f t liegen mußten, ausgedehnt. 1 2 5 Zu Beginn des Ersten Weltkriegs setzte die Reichsregierung den größten Teil der Arbeitschutzbestimmungen für Frauen mit dem „ N o t g e s e t z " v o m 4. August 1914 außer Kraft. 1 2 6 Ü b l i c h wurden tägliche Arbeitszeiten bis zu 14 Stunden, u n d üblich wurde auch wieder die Nachtarbeit u n d die Arbeit an S o n n - u n d Feiertagen. 1 2 7 Mit der A u f h e b u n g der Arbeitsschutzbestimm u n g e n k o n n t e n Frauen wieder unter Tage eingesetzt werden 1 2 8 u n d auch in Betrieben, in denen gesundheitschädigende Stoffe verarbeitet wurden. 1 2 9 Einen wesentlichen Fortschritt für den Mutterschutz brachte j e d o c h eine Verordnung des Bundesrates v o m 3. D e z e m b e r 1914, die die W o c h e n hilfe während des Krieges regelte. Sie führte die sogenannte Kriegs- bzw. R e i c h s w o c h e n h i l f e ein. D a n a c h wurde als Regelleistung ein Beitrag zu den K o s t e n der Entbindung, ein W o c h e n g e l d für acht W o c h e n u n d eine Beihilfe für H e b a m m e n d i e n s t e u n d ärztliche Behandlungen bei Schwangerschaftsbeschwerden s o w i e ein Stillgeld bis zu z w ö l f W o c h e n gewährt. 1 3 0 123

Syrup, Friedrich: Hundert Jahre Sozialpolitik 1839-1939. Bearb. von Otto Neuloh, Stuttgart 1957, S. 157. 124 Diese Höchstarbeitszeitregelung war schon vorher von einigen Unternehmen auf freiwilliger Basis eingeführt worden, da sie herausgefunden hatten, daß durch Arbeitszeitverkürzung die Arbeit intensiviert werden kann. Vgl. dazu: Weber, Max: Zur Psychophysik der industriellen Arbeit, in: Archiv für Sozialwissenschaften, 28, 1908, Heft 1, S. 246. 125 Gesetz betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung vom 28. Dezember 1908 (Reichsgesetzblatt 1908, S. 667-676). Mit diesem Gesetz, das am 1. Januar 1910 in Kraft trat, führte die Reichsgesetzgebung eine arbeitsrechtliche Schutzfrist für werdende Mütter ein. Eine weitere Ausdehnung des Mutterschutzes lag darin, daß die Schutzbestimmungen der Gewerbeordnung, die bisher nur für Fabrikbetriebe galten, nun auch in Betrieben angewandt werden mußten, in denen mindestens zehn Arbeiter beschäftigt waren. 126 Gesetz betr. Ausnahmen von Beschäftigungsbeschränkungen gewerblicher Arbeit vom 4. August 1914 (Reichsgesetzblatt 1914, S. 333-334). 127 Preller, Ludwig: Sozialpolitik in der Weimarer Republik, Stuttgart 1949, S. 34; Chemnitz, Walter: Frauenarbeit im Kriege, Berlin 1920, S. 86. 128 Oppenheimer, Hilde und Radomski, Hilde: Die Probleme der Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft, Mannheim 1918, S. 27. 129 Zu den Arbeitsbedingungen der erwerbstätigen Frauen im Ersten Weltkrieg: Bajohr: Die Hälfte der Fabrik, S. 130-158. 130 Während die Verordnung vom 3. Dezember 1914 die Wochenhilfe auf die Wöchnerinnen beschränkte, deren zum Kriegsdienst eingerufene Männer vor ihrer Einberufung der Krankenkasse angehört hatten, sah eine weitere Verordnung vom 23. April 1915 vor, daß minderbemittelte Wöchnerinnen, deren Ehemänner zum Kriegsdienst einberufen wurden, auch dann eine Wochenhilfe erhalten sollten, wenn der Ehemann vor seiner Einberufung nicht versichert war. Als Minderbemittelte im Sinne des Gesetzes galten neben den traditionellen Minderbemittelten alle eine Familienunterstützung beziehenden Ehefrauen Einberufener.

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N a c h Kriegsende wurden die Einschränkungen der Arbeitsschutzbes t i m m u n g e n wieder a u f g e h o b e n , u n d es wurde für alle Arbeitnehmer der 8-Stunden-Tag eingeführt. 1 3 1 D i e wirtschaftlichen u n d politischen Prob l e m e der Weimarer Republik führten j e d o c h dazu, d a ß eine in Aussicht gestellte Verbesserung des Arbeitsschutzes nicht verwirklicht werden konnte. Immerhin k o n n t e der Mutterschutz ausgebaut werden. N a c h d e m Gesetz v o m 16. Juli 1927 hatte die Schwangere das Recht, die Arbeit 6 W o c h e n vor der N i e d e r k u n f t niederzulegen. 1 3 2 Für die Zeit nach der N i e derkunft blieb es bei dem bisherigen Arbeitsverbot v o n 6 W o c h e n , das durch Strafvorschriften gesichert wurde. Während der Schwangerschaft oder im Wochenbett g e n o ß die Arbeitnehmerin einen b e s o n d e r e n Kündigungsschutz (von sechs W o c h e n vor bis sechs W o c h e n nach der Niederkunft). Stillenden Frauen war auf Verlangen während 6 M o n a t e n nach ihrer N i e d e r k u n f t eine Stillpause bis zu zweimal eine halbe Stunde oder eine Stunde täglich freizugeben. D i e Nationalsozialisten änderten zunächst nichts an den geltenden Arbeitsschutzbestimmungen. 1 3 3 Erst in der neuerlassenen Arbeitszeitordnung 151

Die Demobilmachungsordnung (mit Anordnung vom 23. November 1918 und mit Ergänzung vom 17. Dezember 1918) brachte allen gewerblichen und öffentlichen Betrieben einschließlich des Bergbaus ohne Unterschied des Alters und Geschlechts oder der Arbeitsweise den 8-Stunden-Tag, der aber bereits durch die am 21. Dezember 1923 aufgrund des Ermächtigungsgesetzes ergangene „Verordnung über die Arbeitszeit" (Reichsgesetzblatt 1923, S. 1249-1250) wieder in Frage gestellt wurde. Danach konnte die tägliche Arbeitszeit durch tarifvertragliche Vereinbarung oder durch den Reichsarbeitsminister für ganze Gewerbezweige und Bezirke oder durch aufsichtsbehördliche Ausnahmeregelungen nach Anhörung der Betriebsvertretung für einzelne Betriebe bis zu 10 Stunden täglich, notfalls darüber hinaus, verlängert werden. Durch diese Ausnahmen, vor allem durch die weitere Bestimmung, daß die Duldung oder Annahme freiwilliger Mehrarbeit unter gewissen Umständen straflos sei, wurde allerdings in den ersten Jahren nach der Inflation der 8-Stunden-Tag im weiten Umfang zur Ausnahme, der lOstündige Arbeitstag zur Regel. Als im Jahre 1926 die Arbeitslosigkeit wieder erheblich anstieg, setzte eine Gegenbewegung ein, die zum Erlaß des sogenannten Arbeitszeit-Notgesetzes vom 14. April 1927 (Reichsgesetzblatt 1927, S. 109-111) und zu einer neuen Fassung der Arbeitszeitordnung (AZO) führte, durch die die Bestimmung über die Duldung freiwilliger Mehrarbeit beseitigt und zur Eindämmung der Mehrarbeit die Zahlung einer besonderen Vergütung für Arbeit über 8 Stunden vorgeschrieben wurde. 132 Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vom 16. Juli 1927 (Reichsgesetzblatt 1927, S. 184) bzw. vom 29. Oktober 1927 (Reichsgesetzblatt 1927, S. 325). 133 Die einzige Änderung gegenüber dem vorhergehenden Zustand war die Zusammenfassung des geltenden Arbeitsrechts in der „Verordnung über die neue Fassung der Arbeitsschutzverordnung" vom 26. Juli 1934 (Reichsgesetzblatt 1934, S. 80). Vgl. auch: Die Arbeitszeitordnung in der Fassung der Verordnung über die neue Fassung der Arbeitszeitordnung vom 26. Juli 1934 unter Berücksichtigung der Durchführungsbestimmungen und zugehörigen Gesetze und Verordnungen. Erläutert von Gerhard Erdmann und Hermann Meissinger. 5. vollkommen neubearb. Aufl. Berlin 1934.

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von 1938 wurden die Schutzbestimmungen für Frauen weiter ausgedehnt, indem die bisher geltenden Beschränkungen auf große Betriebe und Betriebe besonderer Art fortfielen.134 Weiterhin wurde für erwerbstätige Mütter und für werdende Mütter durch das Mutterschutzgesetz vom 17. Mai 1942 der Arbeitsschutz erweitert, um, wie es in der amtlichen Begründung hieß, „die im Erwerbsleben stehende Frau vor Gefahren für ihre Mutterschaftsleistung zu schützen, einen ungestörten Schwangerschafts- und Geburtsverlauf sicherzustellen sowie Stillen und Pflegen des Kindes zu gewährleisten".135 Wesentliche Verbesserungen gegenüber dem Gesetz von 1927 bestanden vor allem darin, daß der Geltungsbereich jetzt auch auf erwerbstätige Frauen in der Land- und Forstwirtschaft, der Tierzucht und der Fischerei ausgedehnt und die Wochen- und Stillgeldzahlungen beträchtlich angehoben wurden. Hinzu kam das Verbot, werdende Mütter in Akkord- oder Bandarbeit zu beschäftigen. Außerdem wurden die Stillpausen verlängert und der Kündigungschutz erweitert. Für alle berufstätigen Frauen wurde dann 1943 noch ein unbezahlter Hausarbeitstag „zur Erledigung persönlicher und häuslicher Angelegenheiten" eingeführt.136 Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen nicht wie im Ersten Weltkrieg außer Kraft gesetzt.137 Jedoch konnten Ausnahmen, die fast ausschließlich die Arbeitszeit betrafen, erlassen werden, aber nur durch besondere Anordungen. 138 Dies geschah aber bereits durch Erlaß vom 11. September 1939, wodurch in dringenden Fällen ohne besondere Genehmigung Frauen über 16 Jahre bis zu 10 Stunden, aber nicht über 56 Stunden in der Woche beschäftigt werden durften.139 Auch eine Kürzung der Pausen für Frauen sowie eine Beschäfti134 Verordnung über die neue Fassung der Arbeitszeitordnung und über andere arbeitszeitliche Vorschriften vom 30. April 1938 (Reichsgesetzblatt 1938, S. 446-447). Die Verordnung trat am 1. Januar 1939 in Kraft. Die kommentierte Verordnung ist unter anderem abgedruckt in: Arbeitszeitordnung, S. 1-10 (Text), 24-149 (Kommentar). 135 Reichsgesetzblatt 1942, S. 321; Mutterschutzgesetz. Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter vom 17. Mai 1942 mit amtlicher Ausführungsverordnung und Durchführungsbestimmungen. Erläutert von F.H. Schmidt und M. Bauer, Leipzig 1944. Zur Entstehung und Bedeutung des Mutterschutzgesetzes: Bajohr: Die Hälfte der Fabrik, S. 298-315 und Winkler: Frauenarbeit im Dritten Reich, S. 154-157. 136 Anordnung des Reichsarbeitsministers über Arbeitszeitverkürzung für Frauen, Schwerbeschädigte und minderleistungsfähige Personen (Freizeitanordnung) vom 22. Oktober 1943 (Reichsarbeitsblatt 1943, S. 325). Zur Entstehung der sogenannten Freizeitanordnung und ihrer Weiterentwicklung mit dem Hausarbeitstag vgl. unten S. 70 ff. 137 Winkler: Frauenarbeit im Dritten Reich, S. 154-157. 138 Ebd., S. 160-163. 139 Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 9. September 1939 betr. Ausnahmen vom Arbeitsschutzgesetz (Reichsarbeitsblatt 1939, S. 293), ergangen auf Grund des § 5 der Verordnung zur Abänderung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiet des Arbeitsrechts vom 1. September 1939 (Reichsgesetzblatt 1939, S. 1683).

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I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

gung zur Nachtzeit konnte mit Genehmigung des Gewerbeaufsichtsamts oder des Reichsarbeitsministeriums gestattet werden. 140 Durch die Verordnung vom 11. August 1944 wurde schließlich für Frauen die 56-StundenWoche obligatorisch. 141

3.3.

Gewerkschaftliche Forderungen zur Verbesserung des Schutzes der erwerbstätigen Frau

Bei Kriegsende ergab sich nun folgende Situation: ein Teil der Arbeitsschutzbestimmungen für erwerbstätige Frauen war außer Kraft gesetzt, und die Arbeitsbehörden besaßen das Recht, Ausnahmeregelungen zu erlassen. Die britische Militärregierung übernahm zunächst den vorgegebenen Zustand. 142 Denn nach dem Einmarsch hob sie nur solche Gesetze auf, die Nationalsozialisten privilegierten oder Personen wegen ihrer Rasse, Staatsangehörigkeit oder ihres Glaubens benachteiligten. Erste Eingriffe in die Arbeitsschutzbestimmungen erfolgten im Juni 1945 und zwar wie bei der Sozial- und Rentenversicherung aus Geldmangel. So wurden bis auf weiteres die Zahlungen des Wochengeldes im Rahmen des Mutterschutzgesetzes ausgesetzt. 143 Mit der Wiedereinführung der 48-Stunden-Woche im Januar 1946 erfolgte einerseits die Rückkehr zum 8-Stunden-Tag, andererseits blieben die bestehenden Gesetze, Verordnungen und Verfügungen aus der nationalsozialistischen Zeit in Kraft, wenn sie nicht im Widerspruch zum Grundsatz des 8-Stunden-Tages standen. 144 Ausdrücklich wurde den Arbeitsbehörden untersagt, neue Gesetze einzuführen. Ihr Aufgabenbereich bestand darin, die Durchführung der alten - und natürlich auch der von der Militärregierung erlassenen neuen - Gesetze und Verordnungen, und dazu gehörte zum Beispiel die Kontrollratsdirektive über Frauen auf dem Bau, zu kontrollieren. Diese Kontrollfunktion erwies sich in den ersten beiden Jahren nach dem Krieg als äußerst schwierig: Es fehlten die notwendigen Beamten. 145 140

Weitere Ausnahmen folgten, wie etwa die Anordnung über die Beschäftigung von Frauen auf Fahrzeugen vom 30. Oktober 1940 (Reichsarbeitsblatt 1940, S. 283), die es Frauen unter bestimmten Bedingungen gestattete, öffentliche Verkehrsmittel zu lenken. 141 Winkler: Frauenarbeit im Dritten Reich, S. 162. 142 Vgl. u.a.: Kontrollratsdirektive Nr. 1 (Aufhebung von Nazi-Gesetzen) vom 20. September 1945, in: Amtsblatt der Militärregierung 1945, Nr. 5, S. 37-38. 143 BA-Z 40/218 (Schreiben der Manpower Division an die Regierungen der britischen Zone vom 3. Mai 1946). 144 Kontrollratsdirektive (Regelung der Arbeitszeit), in: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland 1946, Nr. 5, S. 115-116. 145 Aus einem Aktenvermerk des Arbeitsministeriums kurz vor der Währungsreform geht hervor, daß sich die Arbeitsämter über die Gewerbeaufsichtsämter be-

3. Staatlicher Arbeitsschutz und Gewerkschaften

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Die Unternehmen konnten somit relativ unbehelligt den Frauen die jeweiligen Arbeitsbedingungen vorschreiben, was in kleineren und mittleren Betrieben eher der Fall war als in Großbetrieben. Da die wenigen Gewerbeaufsichtsbeamten sich vorrangig auf die Einhaltung der Schutzbestimmungen für Frauen im Bau- und im Baunebengewerbe konzentrierten, 1 4 6 blieben Verstöße gegen den Frauenarbeitsschutz in anderen Bereichen der industriellen u n d handwerklichen Produktion über Monate hin ungeahndet. Eine ausreichende Anzahl von Gewerbeinspektoren, weiblicher Gewerbeinspektoren, war d a n n auch eine der zentralen Forderungen, die von den Frauen, die in den Gewerkschaften der britischen Zone organisiert waren, erhoben wurden, um die Lage der berufstätigen Frau zu verbessern. Diese Gewerbeinspektorinnen sollten nicht nur im Baugewerbe, sondern auch in allen anderen Industriezweigen eingesetzt werden. Begründet wurde die Forderung nach Gewerbeinspektorinnen damit, daß Frauen „in gesundheitlicher und sittlicher Hinsicht sowie mit Rücksicht auf die sozialen Verhältnisse der berufstätigen Frauen meistens mehr Verständnis" besäßen und „leichter das Vertrauen der Arbeiterinnen als ein M a n n " gewännen. 1 4 7 Aber nicht nur Gewerbeinspektorinnen wurden gefordert. Die Gewerkschafterinnen, die glaubten, daß jetzt - nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches" und in einer Zeit des Männermangels - die Gelegenheit günstig wäre, die Situation der erwerbstätigen Frau wesentlich zu verbessern, präsentierten ein ganzes Bündel von Forderungen, um die traditionellen Barrieren gegen die Frauenarbeit auf breiter Front zum Einsturz zu bringen. Adressanten ihrer Forderungen waren Gewerkschaften u n d PoliFortsetzung Fußnote von Seite 62 klagten, die aus Mangel an Fachkräften - „die erst nach mehrmaligem Anfragen und langen Wartezeiten zur Verfügung stehen" - nicht in der Lage wären, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Der Verfasser des Vermerks schlug vor, die Möglichkeit einer Personalaufstockung zu überprüfen (HStA-NW 45/115 [Aktenvermerk der Abteilung IIb vom 17. Juni 1948]). 146 Der Grund dürfte einerseits im öffentlichen Interesse gelegen haben, da - wie bereits oben ausgeführt - Frauen auf dem Bau für untragbar gehalten wurden ; andererseits wischte die Militärregierung eine seit Jahrzehnten bestehende Arbeitsschutzbestimmung einfach vom Tisch, was nicht einmal die Nationalsozialisten gewagt hatten. Es galt also besonders wachsam diesen Bereich zu kontrollieren, was sich auch in der Tatsache niederschlägt, daß die Akten der Gewerbeaufsichtsämter über Frauen auf dem Bau den größten Umfang aufweisen. 147 Enderle, Irmgard: Frauenüberschuß und Erwerbsarbeit, Köln 1947, S. 8. Neben Irmgard Enderle trat auch Margarete Brendgen, Mitarbeiterin des Düsseldorfer Landesarbeitsamtes, mit einer Broschüre („Frau und Beruf. Beitrag zur Ethik der Frauenberufe unserer Tage", Köln 1947) an die Öffentlichkeit, um für Verständnis für die Frauenerwerbstätigkeit zu werben. Während Frau Enderle ihre Forderungen kurz, aggressiv und bestimmt vortrug, bemühte sich Frau Brendgen einen vermittelnden-verständnisvollen Ton anzuschlagen, um im Endeffekt die gleichen Forderungen wie Frau Enderle vorzustellen.

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I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

tiker, Arbeitgeber und Arbeitsverwaltungen und nicht zuletzt die breite Öffentlichkeit, von der sie sich Verständnis und Unterstützung erhofften.148 An erster Stelle ihrer Wunschliste stand die Forderung nach Ausweitung des weiblichen Berufsraums. Frauen sollten die Möglichkeit haben, jeden Beruf zu ergreifen; es sei denn, das Tätigkeitsfeld entsprach nicht der „besonderen Konstitution der Frau". Gewerbeinspektorinnen sollten einem eventuellen Mißbrauch ebenso vorbeugen wie sogenannte Sozialbeamtinnen, die insbesondere die persönlichen Belange der Frauen schützen sollten. Der Berufsraum sollte aber nicht nur erweitert werden, es sollten auch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß Frauen nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer Arbeitsplätze in bislang von Männern dominierten Erwerbszweigen einnehmen konnten.149 Zu diesem Zweck sollte schon in der Schule auf die Selbstverständlichkeit und Bedeutung des Berufslebens hingewiesen werden, und es sollten Lehrstellen und berufliche Ausbildungsstätten bereitgestellt werden. Damit Frauen mit Kindern eine Berufstätigkeit aufnehmen konnten, sollten Kindergärten geschaffen werden. Denjenigen Frauen, die neben ihrer Berufstätigkeit noch einen Haushalt zu versorgen hatten, sollte in jedem Monat ein freier, bezahlter Hausarbeitstag gewährt werden.150 Schließlich wurde der Zustand, daß Frauen bei gleicher Arbeit wie Männer weniger Lohn erhielten, als unerträglich empfunden. Der alte gewerkschaftliche Grundsatz: Gleiche Arbeit - gleicher Lohn, sollte erfüllt werde. Eine Verbesserung des Mutterschutzes stand desweiteren auf dem Forderungskatalog, ebenso der Wunsch nach der ersatzlosen Streichung des hauswirtschaftlichen Pflichtjahres, das nach Ansicht der Gewerkschafterinnen unnötig war und außerdem die jungen Frauen auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter festlegte.151 148 Im allgemeinen wurde in der Tagespresse der Jahre 1946 bis 1948 sehr freimütig und aufgeschlossen über die Probleme und die Situation der erwerbstätigen Frauen berichtet. Von einer Diskriminierung der Frauenarbeit kann nicht die Rede sein, im Gegenteil, es wurde immer wieder um Verständnis für die erwerbstätigen Frauen geworben und für eine Verbesserung ihrer Lage plädiert. Diese liberale Einstellung fand in den konfessionell gebundenen Zeitungen und Zeitschriften, aber auch in den Zeitschriften, die sich mit Arbeitsmarktproblemen beschäftigten, keine Fortsetzung. Diese Feststellung ist das Ergebnis einer - wenn auch punktuellen - Durchsicht verschiedener Zeitungen und Zeitschriften. Auf ihrer Tagung in Bad Pyrmont vom 20.-23. Juni 1947 forderte der Frauenring der britischen Zone in einer „Friedensresolution" (ADAG-BV/67) im Abschnitt über „Wirtschaftsfragen" unmißverständlich, daß der Frau in den handwerklichen Berufen „sowohl bei der Ausbildung, wie auch bei der Ausübung keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt werden" und eine „genügende Anzahl handwerklicher Lehrstellen" für weibliche Lehrlinge zur Verfügung gestellt werden. 150 Zur Gesetzgebung des Hausarbeitstages vgl. unten S. 70 ff. 151 Enderle: Frauenüberschuß, S. 11.

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Ein Teil dieser Forderungen wurde zum ersten Mal nach einer gewerkschaftlichen Frauenarbeitstagung Ende November 1946 in einer Resolution vorgetragen, die an das Zonensekretariat der Gewerkschaften und an das Zentralamt für Arbeit gerichtet war.152 Das Zonensekretariat wurde aber nicht nur ersucht, sich für die Realisierung dieser Forderungen einzusetzen, die Gewerkschafterinnen stellten auch den Antrag, einen gewerkschaftlichen Frauenausschuß zu bilden.153 Nachdem die Gewerkschaften dem Antrag stattgegeben hatten, fanden seit Januar 1947 in unregelmäßigen Abständen Frauenausschuß-Sitzungen statt, in denen die Gewerkschafterinnen aktuelle Probleme der Frauenerwerbstätigkeit diskutierten und Handlungsstrategien entwarfen.154 Als 12-Punkte-Programm wurden dann die Forderungen der Gewerkschafterinnen in die „Grundsätze und Richtlinien für die Frauenarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes" aufgenommen, 155 wobei die Forderungen auf Druck der Männer im Gewerkschaftsbund teilweise überarbeitet und abgemildert wurden.156 Die Gewerkschaften waren bemüht, den Forderungen ihrer weiblichen Mitglieder Nachdruck zu verleihen. In den meisten Fällen blieb der gewerkschaftliche Einsatz für die erwerbstätige Frau ohne Erfolg - zumindest bis zur Währungsreform. So konnten in der Anpassung der Frauenlöhne an die Männerlöhne nur minimale Fortschritte erzielt werden und in der Garantierung der weiblichen Arbeitsplätze in Männerberufen überhaupt keine. In der Lohnfrage hielt sich die Besatzungsmacht an den ein152 ADGB-BV/40 (Einstimmig angenommene Resolution während der ersten gewerkschaftlichen Frauen-Arbeitstagung vom 20.-22. November 1946 im „BuntenHaus", Bielefeld). Vgl. auch: Die Gewerkschaftsbewegung in der britischen Besatzungszone. Geschäftsbericht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (britische Zone) 1947-49, Köln o.J., S. 478. 153 Frauenausschüsse gab es schon in einzelnen Städten, etwa in Bochum (HStA-RW 177/164). Durch den Zusammenschluß dieser Frauenauschiisse zu einem Zonen-Frauenauschuß erhofften sich die Gewerkschafterinnen mehr Nachdruck für ihre Forderungen. 154 Insgesamt sieben Ausschuß-Sitzungen fanden 1947 statt. Und zwar am 9./10. Januar, 14./15. Februar, 28./29. März, 1. Juni, 29. Juni, 4./5. September und vom 28.30. Oktober. Die Protokoll-Niederschriften (ADGB-BV/40) vermitteln einen Eindruck von dem Engagement, mit dem die Gewerkschafterinnen sich für die Belange der erwerbstätigen Frauen einsetzten. 155 Die Gewerkschaftsbewegung in der britischen Besatzungszone, S. 488-489. 156 Um nur einige Beispiele zu nennen: in den „Grundsätzen und Richtlinien für die Frauenarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes" vom 28. August 1947 (ADGB-BV/40) wurde zunächst die „Einführung eines freien, bezahlten Hausfrauenarbeitstages in jeder Woche" gefordert, in der überarbeiteten Fassung vom 16. September 1947 (ebd.) ist dann nur noch die Rede von einem freien Hausfrauenarbeitstag einmal im Monat. Die „grundsätzliche Erschließung aller geeigneter Arbeitsgebiete" wurde abgemildert durch die Streichung des Wortes „grundsätzlich" und die Forderung nach „Beschaffung von Lehrstellen" wurde abgeändert in „ausreichende Beschaffung von Lehrstellen".

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I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

mal eingeschlagenen Kurs, u n d die Arbeitgeber zeigten w e n i g Bereitschaft, den Frauen den W e g in qualifizierte Berufe zu ebenen. U n n a c h g i e b i g beharrte die britische Militärregierung auf d e m seit Kriegsbeginn bestehenden Lohnstopp. 1 5 7 Nachträglich bestätigte der Alliierte Kontrollrat im Oktober 1945 diese allgemein in den Besatzungszonen gehandhabte Praxis. 158 Angesichts gravierender Mängel im L o h n g e f ü g e sah sich der Kontrollrat j e d o c h im September 1946 genötigt, einige K o n z e s s i o n e n zu machen. Im einzelnen hieß das: A b s c h a f f u n g der Stundenl ö h n e unter 0,50 R M u n d Gleichstellung der Frauen- u n d M ä n n e r l ö h n e bei gleicher Arbeit. 1 5 ' Bei der letzten Bestimmung handelte es sich um eine „ K a n n - B e s t i m m u n g " , die z u d e m der Öffentlichkeit u n d somit den betroffenen Frauen nicht bekannt gemacht werden durfte. 1 6 0 Eine A n p a s s u n g der Lohnstrukturen unterblieb im Regelfall mit A u s n a h m e in den s o g e n a n n t e n Problemindustrien, w i e Baugewerbe, Bergbau, Textilindustrie u n d Reichsbahn, w o es zu neuen Tarifabschlüssen kam. 1 6 1 D i e Beschäftigten in diesen Wirtschaftszweigen waren während des „Dritten Reiches" v o n Lohnerhöhungen ausgeschlossen g e w e s e n u n d b e f a n d e n sich somit auf einem extrem

157

In Verbindung mit der „Verordnung über die Lohngestaltung" vom 25. Juni 1938 (Reichsgesetzblatt 1938, S. 691) und der Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. September 1939 (ebd. 1939, S. 1609) wurde durch die Kriegswirtschaftsverordnung vom 12. Oktober 1939 („2. Durchführungsbestimmungen zum Abschnitt III [Kriegslöhne] der Kriegswirtschaftsverordnung") ein Einfrieren der Löhne bestimmt. Trotz dieses generellen Lohnstopps blieben Lohnerhöhungen möglich, wenn der Treuhänder für Arbeit den ihm unterbreiteten Vorschlägen zustimmte. Im allgemeinen konnten mit Lohnerhöhungen nur diejenigen Berufsgruppen und Betriebe rechnen, die in der Rüstungsproduktion beschäftigt waren. Durch Kontrollratsgesetz Nr. 77 (Schließung einzelner Organisationen und Dienststellen auf dem Gebiet der Arbeit, in: Amtsblatt der Militärregierung 1946, Nr. 3, 5. 29) wurde die Institution des Reichstreuhänders der Arbeit abgeschafft. Die Verordnung Nr. 7 (Übertragung der Amtsgewalt der Reichstreuhänder der Arbeit, in: ebd., 1946, Nr. 4, S. 7) der britischen Militärregierung vom 27. August 1945 übertrug dann das Recht, Tarifordnungen und Lohnordnungen zu erlassen, den Präsidenten der Landesarbeitsämter, die ihrerseits auf die Zustimmung der Militärregierung angewiesen waren. Bereits wenige Monate später wurde dieses komplizierte Verfahren aufgegeben, als die Militärregierung den Gewerkschaften und den Arbeitgebervertretungen die Tarifautonomie zugestand, ohne aber auf ihr Zustimmungsrecht zu verzichten. 158 Kontrollratsdirektive Nr. 14 (Grundsätze für die Bestimmungen betreffs der Arbeitslöhne), in: Amtsblatt der Militärregierung 1946, Nr. 9, S. 188-189. Vgl. auch: Herschel, Wilhelm: Rechtsfragen des Lohnstopps, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 7/8, S. 272-275. 159 Kontrollratsergänzung zur Direktive Nr. 14 (Lohnpolitik), in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 7/8, S. 231. 160 Müller, Dieter: Die Lohnpolitik in Deutschland in den Jahren 1945 bis zur Währungsreform, Meisenheim 1952, S. 76. 161 Deutschland-Jahrbuch 1949, S. 241.

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niedrigen Lohnniveau. 162 Eine Anpassung in den anderen Berufszweigen abzulehnen, dafür gab es genügend Gründe. 163 Nach amtlichen Lohnerhebungen im Juni 1947 lag der durchschnittliche Stunden verdienst einer Arbeiterin um 40% niedriger als bei einem Arbeiter, und der durchschnittliche Brutto-Wochenverdienst war bei einem Arbeiter doppelt so hoch wie bei seiner Kollegin. 164 Der Ausdehnung des Berufsraums für Frauen standen Arbeitgeber und Arbeitsverwaltung weitgehend ablehnend gegenüber. In einer von der Düsseldorfer Industrie- und Handelskammer Ende 1947 durchgeführten Umfrage über die Möglichkeiten eines verstärkten Arbeitseinsatzes von Frauen wurde von den Arbeitgebern eine verstärkte Beschäftigung von Frauen im allgemeinen begrüßt, aber im gleichem Atemzug daraufhin gewiesen, daß die Erfahrungen mit Frauen nur dann befriedigend ausfallen, wenn es sich um Arbeiten handelt, die „dem Wesen und der Eigenart der Frauen entsprechen". 165 Diese Einengung der erwerbstätigen Frauen auf die traditionellen Frauenberufe dürfte den Gewerkschafterinnen ebenso wenig gefallen haben wie die Feststellung, daß die Ausweitung des weiblichen Berufsraums nicht ohne weiteres erfolgen könnte. In der Industrie, so wurde argumentiert, sei die Bereitschaft, Frauen auf Männerarbeitsplätzen einzusetzen im 162

Drohsei, Petra: Die Entlohnung der Frau nach 1945, in: Frauen in der Geschichte. Bd. V. Hrsg. von Anna-Elisabeth Freier und Annette Kuhn, Düsseldorf 1984, S. 202-230, hier: S. 213. 163 Heim, Friedel: Gleiche Leistung Voraussetzung für gleiche Entlohnung von gewerblichem Lohnarbeiter und gewerblicher Lohnarbeiterin, Frankfurt (Diss.) 1951, S. 24-35 nennt insgesamt neun Gründe, die dazu benutzt wurden, um den erwerbstätigen Frauen einen geringeren Lohn als Männern für die gleiche Tätigkeit zu zahlen. Im einzelnen sind das: (1.) die soziale Ungleichheit der Geschlechter; (2.) der soziale Makel, der der Frauenarbeit anhaftet; (3.) die (angebliche) Minderleistung der Frau ; (4.) die Anschauung, daß die Arbeit der Frau leichter sei als die des Mannes; (5.) die (scheinbar) geringeren Reproduktionskosten der Frau; (6.) der (angeblich) für die Frau nicht erforderliche Familienlohn ; (7.) das Verhältnis von Angebot und Nachfrage; (8.) der mangelnde Einsatz der Frau für ihre eigenen wirtschaftlichen und sozialen Interessen; und (9.) der erhöhte Arbeitsschutz für Frauen. 164 Ergebnisse der amtlichen Lohnerhebungen in der britischen Zone, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1948, Nr. 1/2, S. 59. Gegenüber dem Juni 1946 veränderte sich der durchschnittliche Stunden verdienst der Arbeiterinnen kaum: 58,5 Rpf (1946) zu 58,2 Rpf (1947). Hingegen war eine Verschlechterung gegenüber den Männerlöhnen deutlich auszumachen: 95,9 Rpf (1946) zu 103,1 (1947). Das Auseinandergehen der Lohnschere hing auch damit zusammen, daß einzelne Unternehmen außertarifliche Löhne für qualifizierte Arbeiter bezahlten. Qualifizierte Arbeiterinnen waren unter den Frauen aufgrund der fehlenden Ausbildung relativ selten anzutreffen. Vgl. dazu: Ergebnisse der amtlichen Lohnerhebungen in der britischen Zone, in : Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 7/8, S. 275. 165 HStA-NW 110/849 (Möglichkeiten eines verstärkten Berufseinsatzes von Frauen vom 4. Februar 1948 [Schreiben der Industrie- und Handelskammer an den Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 8]).

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I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

allgemeinen groß, aber in den Handwerksbetrieben gäbe es erhebliche Schwierigkeiten dadurch, „daß das Handwerk eine besondere Traditionsgebundenheit aufweist und auch die Abnehmerkreise an die Erledigung von Arbeiten durch Männer gewohnt sind".166 Einen Riegel glaubte auch die Arbeitsverwaltung den Ambitionen der Gewerkschaftsfrauen vorschieben zu müssen. Unter der programmatischen Überschrift „Zeitbedingte Aufgaben des Fraueneinsatzes" stellte Maria Tritz vom Düsseldorfer Landesarbeitsamt fest, daß die Wirtschaft zur Zeit auf den verstärkten Einsatz der Frau angewiesen sei.167 Wegen des Männermangels müsse die Arbeitskraft der Frau stärker als bisher den vordringlichen Arbeitsprogrammen nutzbar gemacht werden. Bei der Vermittlung von Frauen in handwerkliche Berufe empfahl sie jedoch äußerste Zurückhaltung, um eine dauernde Bindung an typische Männerarbeit zu verhindern. Und sie schloß ihren Artikel mit der Aufforderung an die Arbeitsämter, daß die Frauenvermittlung, sobald es die Verhältnisse erlauben, „die artgemäße Beschäftigung der Frau in die traditionellen Frauenberufe anstreben" müsse.168 Die Situation war schwierig, das mußten sich die Gewerkschafterinnen in ihren Ausschußsitzungen immer wieder eingestehen. Es bedurfte noch großer Anstrengungen, die Vorbehalte gegen die Frauenarbeit und die Widerstände gegen eine Verbesserung des Frauenarbeitsschutzes aus dem Weg zu räumen. Es galt aber auch die Bereitschaft der erwerbstätigen Frauen zu wecken, sich für ihre Angelegenheiten einzusetzen und zu engagieren. Zum Leidwesen der Gewerkschafterinnen war die Masse der berufstätigen Frauen an einer Verbesserung ihrer Lage nur bedingt interessiert und schon gar nicht an einem Eintritt in eine Gewerkschaft. 169 Gewisse Hoffnungen setzten die Gewerkschafterinnen auf die Politiker, die, erst einmal von der Bevormundung und Kontrolle der Besatzungsmacht entbunden, nicht ohne weiteres in der Lage wären, ihre Forderungen beiseite zu schieben. Denn die Frauen waren eine Macht, ihre Stimmen konnten die Wahlausgang entscheidend beeinflussen, und kein Politiker, welcher Partei er auch angehörte, konnte diese Tatsache ignorieren. Am 20. April 1947 fanden in Nordrhein-Westalen die ersten Landtagswahlen statt, die von der CDU mit 37,5% der gültigen Stimmen vor der SPD (32,0%) gewonnen wurden.170 Zwei Monate später wählte der Land166

Ebd., S. 9. Tritz: Zeitbedingte Aufgaben, S. 90-92. 168 Ebd., S. 92. 169 HStA-RW 177/164 (Arbeitsbericht des Frauenausschusses des Industrieverbandes Metall, Bezirk, Bochum, vom 3. Mai 1947) und ADGB-BV/40 (Protokoll über die Sitzung des Frauenausschusses der britischen Zone vom 29. Juni 1947 in Bielefeld, S. 2). 170 Landtagswahlergebnisse in: Neubeginn und Restauration. Dokumente zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949. Hrsg. von Klaus-Jörg Ruhl. 3. Aufl. München 1989, S. 503. 167

3. Staatlicher Arbeitsschutz und Gewerkschaften

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tag am 17. Juni 1947 den CDU-Politiker Karl Arnold zum Ministerpräsidenten, der eine Koalitionsregierung aus CDU, SPD, Zentrum und K P D bildete, die - nach Ausscheiden der beiden kommunistischen Kabinettsmitglieder im Februar 1948 - bis Juli 1950 Bestand hatte. 171 Damit war die Bedingung erfüllt, die die britische Kontrollkommission an die Bereitschaft geknüpft hatte, der Regierung ein Mitspracherecht in der Gestaltung und Kontrolle des Frauenarbeitsschutzes einzuräumen. 172 Und daß etwas im Arbeitsschutz für die Frauen getan werden mußte, darauf wurden die Politiker von den Gewerkschafterinnen, deren Appelle immer dringender wurden, sehr nachdrücklich hingewiesen. Es könne doch nicht im Interesse des Staates sein, so die Gewerkschafterinnen, tatenlos zuzusehen, wie sich zusehends die Gesundheit und die Leistungskraft der erwerbstätigen Frau durch die Dauerbelastung mit Berufstätigkeit und Hausarbeit verschlechtere. Immer öfter klagten auch Unternehmen, daß Frauen zu oft erkrankten oder einfach zu Hause blieben, um sich ihrem Aufgabenbereich als Hausfrau besser widmen zu können. Bei allem Verständnis für die schwierige Situation der Frauen in einer durch die Nachkriegsverhältnisse bedingten schwierigen Zeit konnten weder die Unternehmen noch die berufstätigen Frauen, die von Entlassung bedroht waren, ein Interesse daran haben, daraus einen Dauerzustand zu machen. Überlegungen wurden angestellt, wie den Frauen im Rahmen der eingeschränkten Möglichkeiten spürbare Erleichterung verschafft werden könnte. Als ein Ausweg aus dem Dilemma wurde die Verbesserung des Hausarbeitstages ins Auge gefaßt.

171

Handbuch politischer Institutionen und Organisationen 1945-1949. Bearb. von Heinrich Potthoff, Düsseldorf 1983, S. 69-70. 172 BA-Z 2/57 (11. Sitzung des Zonenbeirats am 29.-30. April 1947). Fünf Monate ließ sich die Kontrollkommission Zeit, um eine Anfrage des SPD-Politikers Franz Spliedt zum Frauenarbeitsschutz zu beantworten. Vgl. dazu oben S. 38.

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I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

4.

Der nordrhein-westfälische Hausarbeitstag

4.1.

Widerstände gegen die Einführung eines Hausarbeitstages

Schon während des Zweiten Weltkriegs waren Überlegungen angestellt worden, welchen Ausgleich der erwerbstätigen Frau für ihre mühsame Doppelarbeit in Beruf und Haushalt gewährt werden könnte, um ihr die Möglichkeit einzuräumen, frei von ihren betrieblichen Verpflichtungen die im Haushalt anfallende Arbeit mit Wäschewaschen und notwendigen Besorgungen zu verrichten. Das Ergebnis der Beratungen zwischen dem Reichsarbeitsministerium und der Arbeitsfront war die „Anordnung über Arbeitszeitverkürzung für Frauen, Schwerbeschädigte und minderleistungsfähige Personen" vom 22. Oktober 1943.173 Nach dieser sogenannten „Freizeitanordnung" war erwerbstätigen Frauen mit eigenem Hausstand bei einer Arbeitszeit von mindestens 48 Stunden in der Woche „auf Verlangen", einmal im Monat ein unbezahlter Hausarbeitstag zur „Erledigung häuslicher und persönlicher Angelegenheiten" zu gewähren.174 Frauen mit einem oder mehreren Kindern, die „ohne ausreichende Hilfe" betreut wurden, hatten Anspruch auf mindestens zwei Hausarbeitstage und besaßen außerdem das Recht, sich von Mehrarbeit, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit freistellen zu lassen. In der Praxis bereitete die Auslegung des Gesetzestextes alsbald Schwierigkeiten. So war vor allem der Begriff „eigener Hausstand" mißverständlich. War unter Hausstand etwa zu verstehen, daß Frauen eine eigene Wohnung haben mußten oder daß sie Familienangehörige zu versorgen 173

Reichsgesetzblatt 1943, S. 325. Erste Anklänge eines Hausarbeitstages finden sich in § 14 der vorläufigen Landesarbeitsordnung vom 24. Januar 1919 (Reichsgesetzblatt 1919, S. 111), die eine Sonderregelung für landwirtschaftliche Arbeitnehmerinnen, „die ein Hauswesen zu versorgen haben", vorsah. Ferner bestimmte der Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 12. Dezember 1939 (Reichsarbeitsblatt 1939, S. 380), daß die Gewerbeaufsichtsämter aus dringenden Gründen verkürzte Arbeitszeiten an einzelnen Werktagen für verheiratete Frauen anordnen konnten. Aber diese Regelung hatte keine anspruchsbegründende, bindende Wirkung und war somit eine Ermessensfrage. Das Gleiche gilt für den Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 31. Juli 1940 („betr. Freizeit für berufstätige Frauen mit eigenem Hausstand" [Reichsgesetzblatt 1940, S. 210]), in dem zum ersten Mal der Begriff der „berufstätigen Frau mit eigenem Haushalt" auftauchte. In diesem Erlaß wurden die Gewerbeaufsichtsämter „ersucht", „ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Beanspruchung der Frauen mit eigenem Hausstand zu richten und auf die Betriebe dahin einzuwirken, daß diesen Frauen ausreichende Freizeit zur Erledigung ihrer häuslichen Aufgaben gewährt wird". Der Kreis der von dieser unverbindlichen Sollvorschrift erfaßten Frauen war noch eng gezogen. Auch über das Entgelt an diesem sogenannten „Waschtag" wurden vorläufige Regelungen getroffen. Verbindliche Schutzbestimmungen waren somit noch nicht vereinbart. 174

4. Der nordrhein-westfälische Hausarbeitstag

71

hatten? Und weiter: wie sollten ledige Frauen ohne eigene Wohnung und ohne Familienangehörige behandelt werden? Der gut gemeinte Rat des Regierungsrats Schmidt aus dem Reichsarbeitsministerium, „eine zu starre Auslegung des Begriffe Hausstand (...) zu vermeiden", 175 konnte kaum als wirkliche Hilfestellung gewertet werden. Das Reichsarbeitsministerium sah sich schließlich veranlaßt, in einer Bekanntmachung zu den strittigen Punkten Stellung zu nehmen, ohne sie völlig zu beseitigen. 176 Die Freizeitanordnung wurde nach der Kapitulation nicht außer Kraft gesetzt. Die Bereitschaft der Frauen, den Hausarbeitstag in Anspruch zu nehmen, war wegen des damit verbundenen Lohnausfalls relativ gering. Es gab jedoch Unternehmen, die ihren besten Arbeitskräften freiwillig einen bezahlten Hausarbeitstag gewährten. 177 Seit Ende 1946 wurde unter den Gewerkschafterinnen die Forderung laut, die Freizeitanordnung weiter auszubauen und zu vervollkommnen. 178 Die Frauen in der K P D waren es schließlich, die die Initiative ergriffen. Am 10. November 1947 brachte die KPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag einen Antrag zur Abänderung der Freizeitanordnung ein.179 Der vorgelegte Gesetzestext, der aus drei Paragraphen bestand, sah folgende Verbesserungen gegenüber der Freizeitanordnung vor: der Hausarbeitstag sollte allen Frauen mit eigenem Hausstand einmal im Monat gewährt werden, wenn ihre Wochenarbeitszeit „mindestens 40 Stunden" betrug (§ 1, Ziffer 1); er sollte unter Zugrundelegung des „Tagesdurchschnittslohns der vorhergehenden Lohnberechtigungsperiode" vergütet werden (§ 2, Ziffer 1); die Arbeitszeit, die durch den Hausarbeitstag ausfiel, durfte nicht durch „Vor- und Nacharbeit" ersetzt werden (§ 2, Ziffer 2). Der letzte Paragraph (§ 3) bestimmte den Zeitpunkt des Inkrafttretens und hob „entgegenstehende Bestimmungen" auf. Noch bevor der Gesetzestext im Landtag zur Beratung anstand, erarbeitete die Arbeitsschutzabteilung des Arbeitsministeriums Stellungnahmen

175

Schmidt, F.H.: Die Freizeitanordnung, in: Deutsche Wirtschaftszeitung Nr. 1/2, 17. Januar 1944, S. 7. 176 Bekanntmachung des Reichsarbeitsministers zur Freizeitanordnung vom 22. Oktober 1943 vom 4. Mai 1944 (Reichsarbeitsblatt 1944, S. 62). 177 HStA-NW 45/123 („Arbeitseinsatzmäßige Stellungnahme zur Freizeitgewährung für Frauen mit eigenem Hausstand" [Aufzeichung der Abteilung IIb des Arbeitsministeriums vom 25. November 1947]). 178 So unter anderem im „Arbeitsprogramm für die Betriebe" des Frauenausschusses der Industriegewerkschaft Metall in Bochum vom 15. November 1946 (HStA-RW 177/164) und in den „Grundsätzen und Richtlinien für die Frauenarbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes" vom 26. August 1947 (ADGB-BV/30). 179 Landtag für Nordrhein-Westfalen - 1. Wahlperiode. Landtagsdrucksache Nr. 11-160. Vgl. auch: Pich, Georg: Der Anspruch auf Gewährung eines Hausarbeitstages an berufstätige Frauen mit eigenem Hausstand, Erlangen (Diss). 1954, S. 5-6.

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I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

zur Neuordnung des Hausarbeitstages. 180 Die Beamten kamen zu dem Ergebnis, daß aufgrund „sozialpolitischer" Gesichtspunkte den Frauen ein bezahlter Hausarbeitstag zugestanden werden müßte. Demgegenüber sei jedoch der „produktionspolitische" Gesichtspunkt in Abwägung zu bringen. Immerhin kämen Zweidrittel der 918000 erwerbstätigen Frauen (Stand: 30. September 1947) in den Genuß eines bezahlten Hausarbeitstages, und das würden die Arbeitgeber nicht ohne weiteres akzeptieren, die ja den Hausarbeitstag bezahlen müßten. Als Kompromiß wurde vorgeschlagen, den KPD-Antrag vorerst, zumindest bis nach der Währungsreform, auf Eis zu legen. Nach der Währungsreform, so die Argumentation, müßte ohnehin über die Arbeitszeitfrage und die Forderung nach gleichem Lohn für Männer und Frauen diskutiert werden. Sollte in den Gesprächen keine Einigung erzielt werden, sei „die Gewährung eines bezahlten Hausarbeitstages bei mindestens 48 Arbeitsstunden wöchtlich gerechtfertigt". 181 Am 28. November 1947 beschäftigte sich der Landtag in 1. Lesung mit dem KPD-Antrag. 182 Die KPD-Abgeordnete Grete Thiele begründete den Antrag ihrer Partei damit, daß die Doppelbelastung der berufstätigen Frau „zu einem Raubbau an der Gesundheit und der Arbeitskraft der Frau geführt (hat)". Das eingebrachte Gesetz solle dazu beitragen, „daß endlich einmal die schwere Lage der berufstätigen Frau erleichtert werde". Nachdem die Zentrums-Abgeordnete Helene Wessel den Antrag unterstützt und gebeten hatte, den vorliegenden Antrag an den Arbeitsausschuß des Landtages zu überweisen, „um die ganze Materie gründlich durchberaten zu können", wurde der Antrag einstimmig an den Ausschuß verwiesen. 183 In der 1. Sitzung des Arbeitsausschusses am 17. Januar 1948 stellte der Abgeordnete Küll den Antrag, eine Stellungnahme des Bundesvorstandes der Gewerkschaften einzuholen, was für das weitere Procedere nützlich sein könnte. Ergänzend teilte er mit, daß er Kenntnis erhalten habe, daß die Industriegewerkschaft Metall den Entwurf eines Rahmentarifs ausge-

180

HStA-NW 45/123 („Lageübersicht für den Herrn Minister für die 1. Lesung des KPD-Gesetzes der Abteilung Arbeitsschutz" [undatiert] und „Arbeitseinsatzmäßige Stellungnahme" [vgl. Anm. 181]). 181 Der Referent, der sich für den „produktionspolitischen" Gesichtspunkt und damit gegen den Hausarbeitstag aussprach, gab damit im wesentlichen Stimmen aus der Unternehmerschaft wieder, die er eingeholt hatte. Inwieweit sich deren Ansicht mit seiner eigenen Einstellung deckten, sind seiner Aufzeichnung nicht zu entnehmen. 182 Stenographischer Bericht des Landtages von Nordrhein-Westfalen - I. Wahlperiode. 22. Sitzung am 10. November 1947, S. 179-181. 183 HStA-NW 45/123 (Aktennotiz vom 28. November 1947).

4. Der nordrhein-westfálische Hausarbeitstag

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arbeitet habe, in dem der Hausarbeitstag tariflich mitverankert werden soll.184 Das Arbeitsministerium wurde beauftragt, eine Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes einzuholen. Wiederholte mündliche Anfragen und schließlich am 8. März 1948 auch in schriftlicher Form beim Deutschen Gewerkschaftsbund, Bezirksverband Nordrhein-Westfalen, in Köln blieben trotz Anmahnung unbeantwortet. 185 Es war offensichtlich, der Deutsche Gewerkschaftbund wollte sich nicht festlegen und wich einer Stellungnahme aus. Innerhalb der Gewerkschaften, zwischen den Einzelgewerkschaften, aber auch zwischen männlichen und weiblichen Gewerkschaftsmitgliedern, gingen nämlich die Ansichten über den sozialpolitischen Wert des KPD-Antrages sehr auseinander. Unter anderem wurde befürchtet, daß die Vergünstigungen, die über die noch geltende Freizeitanordnung hinausgingen, den Frauen eher schaden als nützen würden, wenn es nach der Währungsreform zu angespannten Arbeitsmarktverhältnissen kommen sollte, womit allgemein gerechnet wurde. 186 Denn die Arbeitgeber könnten, so die Einwände, die Frauen, die keinen Anspruch auf einen Hausarbeitstag hätten, den Anspruchsberechtigten aus Gründen der Kostenersparnis vorziehen, wenn nicht sogar den letzteren kündigen. Uneinigkeit über den Hausarbeitstag herrschte nicht nur unter den Gewerkschaften, auch die Länderregierungen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, dem Zusammenschluß der amerikanischen und britischen Besatzungszone, waren nicht in der Lage, eine Übereinkunft in dieser Frage zu erzielen. Der Vorstoß Niedersachsens, mit einem eigenen Vorschlag eine zoneneinheitliche Regelung herbeizuführen, scheiterte an der unterschiedlichen Interessenlage, die sehr deutlich in der Sitzung des Unterausschusses „Arbeitsrecht" des Länderrats am 16. Februar 1948 zu Tage trat. 187 Die niedersächsische Vorlage sah vor, daß den berufstätigen Frauen mit eigenem Hausstand generell zwei Hausarbeitstage im Monat zugestanden werden sollten. 188 Sie ging damit wesentlich über die bisherigen Vorschläge hinaus. 189 Hessen lehnte die Vorlage ab, weil sie sich „gerade im 184

HStA-NW 45/123 (Auszugsweise Abschrift aus der Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses am 17. Januar 1948). 185 HStA-NW 45/123 (Schreiben des Arbeitsministeriums an den Deutschen Gewerkschaftsbund vom 8. März 1948). 186 HStA-NW 45/123 (Bericht der Abteilung III Arbeitsschutz vom 3. November 1948). 187 BA-Z 1/916 (Sitzungsprotokoll Unterausschuß Arbeitsrecht vom 16. Februar 1948), Blatt 113-115. 188 HStA-NW 45/123 (Schreiben des niedersächischen Arbeitsministers an den Arbeitsminister Nordrhein-Westfalens vom 14. Januar 1948) sowie BA- Ζ 1/917, Blatt 659 (Schreiben des niedersächischen Arbeitsministers an Sozialpolitischen Ausschuß des Länderrats vom 14. Januar 1948. 189 Als der Vorschlag Niedersachsens in der Öffentlichkeit publik wurde, erschien

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I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

Falle einer Währungsreform zum Nachteil der berufstätigen Frau auswirken müsse". Für den bayerischen Vertreter ging die Vorlage zu weit, weil den Frauen ein zusätzlich bezahlter Urlaub bis zu 24 Tagen im Jahr zugebilligt werde. Er legte seinerseits dem Ausschuß einen Entwurf vor, demzufolge Frauen einmal im Monat einen bezahlten Hausarbeitstag, aber nur an einem Sonnabend, in Anspruch nehmen durften. 190 Sowohl gegen den niedersächsischen Vorschlag als auch gegen den Entwurf Bayerns bezog Nordrhein-Westfalen Stellung. Sein Vertreter urteilte, daß der bayerische Entwurf kaum den Bedürfnissen der berufstätigen Frau gerecht werde, und dem Vorschlag Niedersachsens räumte er keine allzu großen Chancen ein, von der britischen Militärregierung akzeptiert zu werden. Kontroverse Stellungnahmen gaben die Abgesandten von Wirtschaft und Gewerkschaft ab. Während von der Wirtschaft eine Neuregelung des Hausarbeitstages kategorisch mit dem Argument abgelehnt wurde, es sei widersinnig, für nicht geleistete Arbeit noch etwas zu bezahlen, plädierten die beiden Gewerkschaftsvertreter für eine Neugestaltung der Freizeitanordnung. Sie favorisierten einen Kompromiß, der teils Elemente aus der niedersächsischen Vorlage, teils Elemente aus dem Entwurf Bayerns enthielt und sprachen sich dafür aus, den Frauen zwei bezahlte Hausarbeitstage zu gewähren, die dann jeweils an einem Sonnabend in Anspruch genommen werden sollten. Diese Regelung, so die Gewerkschafter, besäße den Vorteil, daß bei der geltenden Wochenarbeitszeit „in den meisten Fällen nur die Zeit eines vollen Arbeitstages für die Arbeit ausfalle". 191 Fortsetzung Fußnote von Seite 73 in den Einzelhandelsnachrichten des Einzelhandelsverbandes am 20. März 1948 ein polemischer Artikel, in dem vorgerechnet wurde, daß bei Annahme dieses Vorschlages die weiblichen Arbeitnehmer nur noch durchschnittlich 10 2 / 3 Monate im Jahr arbeiten würden und unter Einrechnung der Weihnachtsgratifikation ein Gehalt von 12 1/2 Monaten erhielten. Drohend Schloß der Autor seinen Artikel: „Da die Frauenarbeit in Deutschland heute eine weit größere Rolle spielt als früher, müßte sich die dadurch entstehende Kostenerhöhung auf die Gestehungskosten sehr stark auswirken". 190 BA-Z 1/916 (Entwurf des Gesetzes über den Hausarbeitstag der berufstätigen Frauen), Blatt 129-131. Der bayerische Entwurf war ausgesprochen unternehmerfreundlich. In der Begründung des Gesetzes wurde nämlich darauf hingewiesen, daß Frauen, die an vier Tagen in der Woche je 8 Stunden und Samstags 5 Stunden arbeiten, den Anspruch auf einen Hausarbeitstag verlören. Da viele Betriebe inzwischen zu dieser Arbeitszeitgestaltung übergegangen waren, reduzierte sich die Anzahl der anspruchsberechtigten Frauen beträchtlich. Am 1. Mai 1948 trafen sich Vertreter der Spitzenverbände der Arbeitgeber und der Gewerkschaften in Frankfurt, um über den Hausarbeitstag zu diskutieren. Sie einigten sich darauf, daß „Frauen mit eigenem Hausstand oder mit Haushaltsführung für hilfsbedürftige Eltern, Geschwister oder Kinder ohne ausreichende Hilfe.. .einen freien (und bezahlten) Hausarbeitstag zur Erledigung häuslicher und

4. Der nordrhein-westfälische Hausarbeitstag

75

Alle Beteiligten an der Diskussion, das darf wohl vorausgesetzt werden, wußten über die schwierige Lage, in der sich die berufstätige Frau durch ihre Doppelbelastung befand, Bescheid. Dennoch wurden sozialpolitische Argumente eindeutig zu Gunsten der Kosten-Nutzen-Rechung zurückgestellt. Die Frage war nun, wie sollten sich die nordrhein-westfälischen Parlamentarier, verhalten? Sollten sie den Vorschlägen, dem Begehren der Wirtschaft und der Gewerkschaften folgen und eine abwartende Haltung einnehmen, um dann nach der Währungsreform eine zoneneinheitliche Lösung anzustreben? Oder sollten sie in eigener Verantwortung das Gesetzgebungsverfahren, das in einigen Ländern schon angelaufen war, beschleunigen? In den ersten Monaten des Jahres 1948 lief die Tendenz eindeutig darauf hinaus, zunächst einmal abzuwarten, und es war nur folgerichtig, daß sich die Arbeitsminister des Vereinigten Wirtschaftsgebietes auf ihrer Konferenz in Rothenburg o. d. T. vom 21. bis 22. Mai 1948 einstimmig darauf einigten, erst nach der Währungsreform und dann zoneneinheitlich den Hausarbeitstag einzuführen." 2 Zwischenzeitlich nahm der Unmut der Gewerkschafterinnen, die mit ihrer Forderung nach einem Hausarbeitstag in der Presse überwiegend Zustimmung und Unterstützung fanden, immer mehr zu, nachdem auch Statistiken den Beweis erbrachten, daß die berufstätige Frau sehr unter der Doppelbelastung litt. In den Ländern, die am weitestens mit dem Gesetzgebungsverfahren fortgeschritten waren, gerieten die Politiker zunehmend unter Druck. Die Gewerkschafterin Elisabeth Innes sprach aus, was viele dachten: „Wenn der Staat verlangt, daß die Frauen sowohl als Mütter und Hausfrauen als auch als Arbeitnehmer im üblichen Sinne ihre Pflichten erfüllen, so obliegt es dem Staate, die Voraussetzungen dafür zu schaffen". 193 Bis zur Währungsreform hielt der einmal getroffene Konsens, danach zogen die Parlamentarier die Initiative an sich. Als erstes Land des Vereinigten Wirtschaftsgebiets verabschiedete die Bürgerschaft Bremens am

Fortsetzung Fußnote von Seite 74 persönlicher Angelegenheiten gewährt (wird)". Frauen mit mindestens einem Kind sollte bei nicht ausreichender Hilfe ein weiterer, aber unbezahlter Hausarbeitstag zur Verfügung stehen (Die Gewerkschaftsbewegung in der britischen Besatzungszone. Geschäftsbericht des DGB [britische Zone] 1947-1949, Köln o.J. S. 492). Die Einigung hatte keinerlei Einfluß auf die parlamentarischen Beratungen, weder 1948 noch 1949. 192 BA-Z 1/916 (Schreiben des Arbeitministers Schleswig-Holstein an Länderrat vom 12. Juli 1948), Blatt 176. " 3 Innes, Elisabeth: Der bezahlte Hausarbeitstag, in: Die Genossin 1948, Nr. 5 / 6 , S. 49-51, hier: S. 49.

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29. Juni 1948 eine N e u o r d n u n g des Hausarbeitstages." 4 Einen M o n a t später, a m 22. Juli 1948, folgte Nordrhein-Westfalen. 1 9 5 Im nordrhein-westfälischen Landtag f a n d das Gesetz, das eine unveränderte Fassung des K P D - A n t r a g e s war, die einstimmige Z u s t i m m u n g des Plenums. 1 9 6 Mit der parlamentarischen Verabschiedung war aber n o c h nicht gesagt, d a ß die britische Militärregierung auch zustimmen würde. D e r Justizminister, der C D U - P o l i t i k e r Gustav H e i n e m a n n , war da sehr optimistisch, als er in seiner Stellungnahme zum Gesetz erklärte, „es verstößt nicht gegen die B e s t i m m u n g e n der Verordnung Nr. 57". 197 U n d der Minister fuhr fort: „ G e g e n ü b e r dem sozialpolitischen H a u p t z w e c k des Gesetzes.. .ist die Frage der Bezahlung eines freien Hausarbeitstages im

1,4 Gesetz über den Hausarbeitstag vom 29. Juni 1948 (Bremer Gesetzblatt 1948, S. 95). Kurze Zeit später, am 8. Oktober 1948, trat noch eine Durchführungsbestimmung in Kraft (Bremer Gesetzblatt 1948, S. 188). Das Gesetz ist abgedruckt in: Mutterschutzgesetz. Kommentar von Walter Hiersemann und Peter G. Meisel, Berlin 1966, S. 291-295. Das Hausarbeitsgesetz Bremens legte fest, daß bei sechs Arbeitstagen in der Woche und bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 44 Stunden der Hausarbeitstag gewährt werden muß. Wenn im laufenden Monat an fünf Tagen bezahlte oder unbezahlte Arbeitsbefreiung gewährt wurde, blieb der Anspruch bestehen. Auch bei Arbeitsunfähigkeit, die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesen werden mußte, bestand ein Anspruch, wenn bis zu zwölf Tagen im laufenden Monat Arbeitsunfähigkeit vorlag. 195 Gesetz über Freizeitgewährung für Frauen mit eigenem Hausstand im Lande Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1948 (Gesetzblatt Nordrhein-Westfalen, S. 833). Mit der Verabschiedung von Gesetzen über den Hausarbeitstag folgten Hamburg am 17. Februar 1949 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1949, S. 15) und Niedersachsen am 9. Mai 1949 (Gesetz- und Verordungsblatt Niedersachsen 1949, S. 735). Die Gesetze sind abgedruckt in: Mutterschutzgesetz, S. 299-300 (Nordrhein-Westfalen), S. 295-296 (Hamburg), S. 297-299 (Niedersachsen). Das Gesetz Hamburgs ging von einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 48 Stunden aus. Anspruch auf einen bezahlten Hausarbeitstag bestand, wenn in jeder Woche mindestens an sechs Tagen gearbeitet wurde. Der Hausarbeitstag war darüber hinaus weiblichen Arbeitnehmern bei 40stündiger Arbeitszeit zu gewähren, wenn mindestens ein Klein- oder schulpflichtiges Kind oder eine arbeitsunfähige Person im Haushalt lebte. Der Anspruch auf einen bezahlten Hausarbeitstag entfiel, wenn im laufenden Monat mehr als fünf Tage bezahlte oder unbezahlte Arbeitsbefreiung gewährt wurde oder wenn Arbeitsunfähigkeit von mehr als zwölf Tagen im laufenden Monat vorlag. Niedersachsen berechtigte Frauen mit eigenem Hausstand zur Inanspruchnahme eines arbeitsfreien Waschtages im Monat, wenn sie im Durchschnitt mindestens 40 Stunden in der Woche arbeiteten und wenn an keinem Werktag Arbeitsbefreiung vorlag. Alle übrigen Ländern der drei westlichen Zonen blieben bei den Regelungen der Freizeitanordnung von 1943. 196 Stenographischer Bericht des Landtages von Nordrhein-Westfalen - 1. Wahlperiode. 52. Sitzung am 27. Juli 1949, S. 761. I9 ' Verordnung Nr. 57 (Befugnisse der Länder in der britischen Zone) vom 1. Dezember 1946 in: Amtsblatt der Militärregierung 1946, Nr. 14, S. 344-345.

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77

M o n a t v o n völlig untergeordneter Bedeutung u n d kann weder als eine Lohnfrage n o c h als eine Frage der Lohngesetzgebung angesehen werden". 1 9 8 Ein halbes Jahr brauchte die britische Militärregierung, um dem Hausarbeitstaggesetz die Z u s t i m m u n g zu erteilen." 9 Mit der Verkündung im Gesetz- u n d Verordnungsblatt erlangte das „Gesetz über die Freizeitgewährung für Frauen mit e i g e n e m Hausstand" am 12. Februar 1949 Rechtskraft. 2 0 0

4.2.

Auslegung des Gesetzestextes durch die Arbeitgeber

S c h o n nach w e n i g e n W o c h e n wurde deutlich, daß ein „schlecht redigiertes" Gesetz das Parlament passiert hatte. 201 Verheerend waren die Folgen, die das Gesetz in der Privatwirtschaft auslöste. Keiner wußte so richtig, w e l c h e Rechte ihm zustanden: die Frauen nicht u n d auch die Arbeitgeber nicht. U n d wie in solchen Fällen üblich, ging die stärkere Partei, in diesem Fall die Arbeitgeber, dazu über, den Gesetzestext in ihrem Sinne auszulegen, zurechtzubiegen. 2 0 2 K a u m Probleme hatten Frauen in großen U n t e r n e h m e n oder dort, w o viele Frauen, w i e in der Textilindustrie, beschäftigt waren. G a n z anders lagen die Verhältnisse im Einzelhandel u n d in kleinen Betrieben. 2 0 3 Mit al-

" 8 HStA-NW 45/123 (Begründung [des Justizministers des Landes NordrheinWestfalen], undatiert, S.2). 199 Die Zustimmung erfolgte am 31. Januar 1949. Vgl. die Mitteilung des Landtagspräsidenten in der 77. Sitzung des Landtages von Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 1949 (Stenographischer Bericht, S. 1555). 200 Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 1949, Nr. 2, S. 6. 201 Jaeger, Werner: Der Hausarbeitstag nach dem Recht des Landes NordrheinWestfalen, Köln (Diss.) 1962, S. 19. 202 Nachdem das Gesetz einige Monate in Kraft war, erbat das Arbeitsministerium mit Erlaß Nr. 24/29 vom 22. Juni 1949 (HStA-NW 45/124) von den Gewerbeaufsichtsämtern Stellungnahmen über die bisher gesammelten Erfahrungen mit der Handhabung des Hausarbeitstages. Die einlaufenden Berichte bewerteten das Gesetz als eine Fehlkonstruktion und führten Beispiele an, wie die Unternehmen trickreich die Bestimmungen umgingen. Auch die gleichzeitig mitangeforderte Stellungnahme zu der in Bearbeitung befindlichen gesetzlichen Neufassung des Gesetzes fiel negativ aus. Vgl. insbesondere die Berichte folgender Gewerbeaufsichtsämter, die zwischen dem lo. Juli und dem 19. Juli 1949 in der Zentrale eintrafen: Aachen („bei Betrieben und Betriebsvertretungen herrscht im allgemeinen Unklarheit"); Krefeld („kein Gebrauch von Gesetz gemacht"); Mönchengladbach („Wille des Gesetzgebers wirkt sich zum Nachteil der berufstätigen Frauen aus"); und zum neuen Gesetzentwurf: Duisburg („keine Sonderrechte für Frauen"). 203 HStA-NW 45/123 (Gewerbeamt Essen an Arbeitsministerium betr.: Auswirkun-

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len Mitteln versuchten die Arbeitgeber die Frauen daran zu hindern, ihren freien Hausarbeitstag in Anspruch zu nehmen. Furcht machte sich dort breit, nachdem Vorfälle bekannt geworden waren, daß Geschäftsinhaber unter nichtigen Vorwänden Frauen, die auf ihren Hausarbeitstag bestanden, entlassen hatten und dazu übergegangen waren, nur noch Frauen einzustellen, die kein Anrecht auf einen Hausarbeitstag besaßen. 204 Da bei minimaler Belegschaft ein Betriebsrat nicht zwingend vorgeschrieben war, der zu Entlassungen und Einstellungen gehört werden mußte, blieben die weiblichen Arbeitnehmer im Einzelhandel der Willkür des Arbeitgebers ausgesetzt. Die meisten Frauen fügten sich, verzichteten auf ihre Rechte, um in einer Zeit relativ hoher Arbeitslosigkeit den Arbeitsplatz zu sichern. Nicht so die gewerkschaftlich organisierten Frauen, die ihren Hausarbeitstag, für den sie so lange gekämpft hatten, in Gefahr sahen, daß er sich zum Bumerang für die erwerbstätige Frau entwickeln könnte. Sie drängten die Gewerkschaftsführung, etwas zu unternehmen, um dem untragbaren Zustand ein Ende zu bereiten. 205 Die Gewerkschaften nahmen sich der Sorgen und Ängste der Basis an und versuchten, mit dem Arbeitsministerium in einen Dialog zu treten, um die ärgsten Ungereimtheiten im Gesetz aus dem Weg zu räumen. Klärungsbedürftig waren im wesentlichen der Begriff „eigener Hausstand", der sehr verschieden ausgelegt wurde und das Problem, daß das Gesetz keinerlei Bestimmungen darüber enthielt, ob die Freizeitanordnung und die Ergänzungsanordnungen noch in Kraft waren; weiterhin die Fragen, welche Behörden die Durchführung des Gesetzes überwachten und wie Verstöße geahndet werden sollten. Für die Bezirksleitung der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft in Düsseldorf unverständlich, blockierte das Arbeitsministerium die signalisierte Gesprächsbereitschaft, indem eine Antwort auf ihr Angebot unterblieb. Noch immer war das Ministerium darüber verärgert, daß ein Jahr zuvor der Deutsche Gewerkschaftsbund die Beantwortung der übermittelten Fragen ohne Angabe von Gründen verweigert hatte. Zweimal wiederholte die Gewerkschaft ihr Anliegen, beim dritten Mal stellte sie ein Ultimatum: Wenn die Gewerkschaft nicht „spätestens in zwei Wochen von Ihnen eine Erklärung zu den aufgeworfenen Problemen oder über die von Ihnen eingeleiteten Schritte" (zur Revision des Gesetzes) erhalte, dann

Fortsetzung

Fußnote von Seite 77

gen des Hausarbeitstags vom 18. Juli 1949. Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 68-69. 204 Vgl. folgende Zeitungartikel: Der freie Hausarbeitstag, in: Rheinische Zeitung vom 16. April 1949; Der Sonntag ist kein Waschtag, in: Freies Volk vom 22. April 1949; Der Hausarbeitstag wird zur Kampffrage, in: Volksecho vom 23. April 1949. 205 A D G B - B V / 3 2 (Schreiben der Industriegewerkschaft Bergbau, Bochum, an Deutschen Gewerkschaftsbund - Bundesvorstand, Düsseldorf, am 13. April 1949).

4. Der nordrhein-westfälische Hausarbeitstag

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werde sie an die Öffentlichkeit gehen und die unhaltbare Situation darstellen.206 Das Arbeitsministerium hielt es für angebracht, darauf zunächst nicht zu antworten. Und auch im Rechtsausschuß des Landtags, der seine Beratungen über einen neuen Entwurf des Gesetzes zum Hausarbeitstag aufgenommen hatte,207 war wenig Bereitschaft auszumachen, die Gewerkschaften beratend hinzuzuziehen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund nahm diese „Nichtbeachtung" zum Anlaß, sich in einem Schreiben an den Landtagspräsidenten über dieses Verhalten zu beklagen. Er bat um Mitwirkung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die er damit begründete, daß „auch vor 1933 alle Parlamente die Gewerkschaften zu Gesetzen gehört haben, durch welche irgendwie ihre Interessen berührt worden sind". 208 Mit Ablauf des Ultimatums machte die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft ihre Drohung wahr. In einer mehrseitigen Denkschrift, die von gewerkschaftlichen Frauengruppen dem Ministerpräsidenten, dem Arbeitsminister und dem Landtagspräsidenten persönlich übergeben wurden,209 wurden alle Fehlleistungen und Versäumnisse, die dem Gesetz anhafteten, offengelegt und dabei nicht vergessen, den beteiligten Stellen schuldhaftes Versagen vorzuwerfen.210 Da war die Rede von „unfähigen Regierungsmethoden", von Handlungsweisen, die „nicht geeignet (sind), das Vertrauen in die parlamentarische Arbeit zu festigen", und gezielt wurden Vorwürfe „gegen die für die Formulierung des Gesetzestextes zuständigen Beamten und die für die sachliche Richtigkeit verantwortlichen Regierungsstellen" erhoben. Dieser letzte Vorwurf war nach den Querelen zwischen Gewerkschaften und Arbeitsministerium verständlich, konnte aber den an den Pranger gestellten Personenkreis kaum treffen. Denn wäre es nach den Beamten gegangen, dann hätte das Gesetz über den Hausarbeitstag das Parlament in wesent206

H StA-NW 45/123 (Schreiben der Deutschen Angestellten Gewerkschaft, Bezirksleitung Düsseldorf, an das Arbeitsministerium vom 21. April 1949). 207 Entwurf und Begründung des Gesetzes tragen das Datum 27. April 1949 (HStA-NW 50/1005). 208 ADGB-BV/32 (Schreiben des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Bezirk Nordrhein-Westfalen, an den Präsidenten des Landtages Nordrhein-Westfalen vom 3. Mai 1949). 209 Dieser Vorgang ist einer Flugschrift „Hausarbeitstag - ja oder nein?" zu entnehmen (HStA-NW 45/123). 210 Denkschrift der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft Landesverband Nordrhein-Westfalen zu dem Gesetz über die Freizeitgewährung für Frauen mit eigenem Hausstand vom 16. Mai 1949 (HStA-NW 45/123). Unterstützung fand die Aktion der Deutschen-Angestellten-Gewerkschaft durch Eingaben von Textilfabriken und der Industriegewerkschaft Textil, Bekleidung, Leder (HStA-NW 45/123 [Entschließung der Belegschaft der Sammet- und Plüsch-Fabrik in Süchteln vom 25. Mai 1949] und die [Entschließung der Industriegewerkschaft Textil, Geschäftsstelle Bochum, vom 26. Mai 1949]).

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I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

lieh veränderter Form oder überhaupt nicht passiert. Und die redaktionelle Verantwortung lag nicht bei den Beamten, sondern letztendlich beim Parlament. 211

4.3.

Das Ende des Hausarbeitstages in Nordrhein-Westfalen

Die Politiker waren gefordert, der Rechtsunsicherheit ein Ende zu bereiten. 212 Im Arbeitsausschuß und im Unterausschuß des Arbeitsausschusses des Landtages, der in erneute Beratungen über den Hausarbeitstag eintrat, kam es zu heftigen Debatten und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Die Mitglieder der Ausschüsse einigten sich schließlich, daß eine Änderung oder vielleicht sogar eine Neufassung des Gesetzes erforderlich sei, wobei auch die Möglichkeit, eine Durchführungsverordnung zu erlassen, nicht ausgeschlossen wurde. 213 Ein erster Neuentwurf fand nicht den Beifall der Parlamentarier und wurde nach kurzer Beratungsphase durch eine überarbeitete, straffere Fassung ersetzt.214 In diesem Gesetzesentwurf wurde neben einer genauen Aufzählung der anspruchsberechtigten Frauen und der Festlegung der Entlohnung bestimmt, daß der Anspruch auf einen Hausarbeitstag entfalle bei schuldhaftem Fernbleiben von der Arbeit sowie bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als 12 Tagen im Monat. Ferner war als Neuerung vorgesehen, die Aufsicht über die Durchführung der Bestimmungen des neuen Gesetzes den Gewerbeaufsichtsämtern anzuvertrauen ; ebenso sollte mit Geldstrafe bis 150 DM oder mit Haft bestraft werden, wer gegen dieses Gesetz verstieß. Die Arbeitsschutzabteilung des Arbeitsministeriums konnte sich auch mit diesem Entwurf nicht anfreunden. In einer Denkschrift wurden noch

211

Am gleichen Tag, als die Denkschrift übergeben wurde, antwortete das Arbeitsministerium der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft. Lapidar wurde mitgeteilt: „ D i e Mängel des Gesetzes sind hier bekannt durch die laufenden Berichte der Gewerbeaufsichtsämter". Und weiter: „Durchgreifende Änderung wird ausgearbeitet" (HStA-NW 4 5 / 1 2 3 [Schreiben des Arbeitsministeriums an Deutsche AngestelltenGewerkschaft am 16. Mai 1949]). 212 Für den öffentlichen Dienst wurde durch den Innenminister eine Empfehlung „bis zum Inkrafttreten gesetzlicher Durchführungsbestimmungen" veröffentlicht, die den Begriff eigener Hausstand an Hand von Bestimmungen bestehender Gesetze näher erläuterte (Arbeit und Sozialpolitik 3, 1949, Nr. 12, S. 13). Die Empfehlung stammt vom 19. Mai 1949. 213 HStA-NW 4 5 / 1 2 3 (Aktenvermerk vom 8. März 1949). 214 H S t A - N W 50/1005 (Entwurf vom 21. Juli 1949 und die redigierte Fassung vom 10. August 1949).

4. Der nordrhein-westfälische Hausarbeitstag

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einmal alle Argumente aufgelistet,215 die gegen einen Hausarbeitstag in der anvisierten Form sprachen, wobei es sich im wesentlichen um die gleichen Argumente handelte, die schon anderthalb Jahre zuvor, zu Beginn der parlamentarischen Beratungen Anfang des Jahres 1948, vorgetragen worden waren. Wenn einleitend der sozialpolitische Charakter des Hausarbeitstages herausgestellt wurde, dann war das nur noch eine unwillig vorgetragene Pflichtübung. Denn im weiteren Verlauf der Ausführungen wurde eindeutig gegen den Hausarbeitstag Stellung bezogen, der nur Ärger beschere durch „Störung des Arbeitsflusses und der Planung" und durch „wirtschaftliche Belastungen". Wenn der Hausarbeitstag gerechtfertigt sei, dann nur aus „hygienischen Belangen". Der Verfasser der Denkschrift plädierte dafür, den Hausarbeitstag aus der staatlichen Gesetzgebung herauszunehmen und seine Gestaltung den Tarifpartnern zu überlassen, was schon seit einiger Zeit von Arbeitgebern und Gewerkschaften gefordert werde. Wenn das nicht möglich sei, dann sollte ein Hausarbeitstag nur den Frauen gewährt werden, die mindestens 48 Stunden wöchentlich arbeiteten und „erhebliche" Hausarbeit verrichteten. Die harsche Stellungnahme sollte keinen direkten Einfluß auf die weitere Entwicklung haben. Denn über die Beratungen in den Parlamentsausschüssen trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Für die Länderregierungen bedeutete das, daß es ihnen fortan gemäß Artikel 72 Abs. 1 des Grundgesetzes untersagt war, weitere Regelungen auf dem Gebiet des Hausarbeitstags-Rechts zu treffen, da sämtliche Ländergesetze auf diesem Gebiet nach den Vorschriften der Artikel 123 Abs. 1 und Artikel 125 Ziff. 2 des Grundgesetzes Bundesrecht geworden waren und als partielles Bundesrecht innerhalb des jeweiligen Landes weitergalten.216 Diese Rechtsansicht wurde seitens des Arbeitsministeriums dem Arbeitsausschuß mitgeteilt; dieser nahm daraufhin eine Entschließung an, in der festgestellt wurde, daß das Hausarbeitstagsgesetz der konkurrierenden Gesetzgebung angehöre und daher nunmehr zur Gesetzeskompetenz des Bundes gehöre; gleichzeitig gab man der Hoffnung Ausdruck, daß der Bund sich der ganzen Materie klärend annehmen möge. Diese Entschließung wurde dem Landtag mitgeteilt, der sich mit diesem Ergebnis der Ausschüsse befaßte und zum gleichen Ergebnis kam.217 215 HStA-NW 50/1005 (Denkschrift der Abteilung Arbeitsschutz zum Entwurf eines Gesetzes über Freizeitgewährung für erwerbstätige Frauen, undatiert). 2,6 ADGB-BV/35 (Rundschreiben Nr. 114/49 des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Bezirk Nordrhein-Westfalen, an alle Orts- und Kreisausschüsse vom 19. September 1949). 217 Stenographischer Bericht des Landtages von Nordrhein-Westfalen - 1. Wahlperiode. 114. Sitzung vom 9. November 1949, S. 3511. Ein nochmaliger Vorstoß der Landtagsfraktion der KPD, dem Gesetz vom 27. Juli 1948 die Ermächtigung zum Erlaß von Durchführungsverordnungen beizufügen (Landtag für Nordrhein-Westfalen - 1. Wahlperiode. Landtagsdrucksache Nr. II/ 1439 vom 21. Januar 1950), wurde vom Landtag dem Arbeitsausschuß überwiesen.

82

I. Frauenerwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit (1945-1948)

Damit fand der erste Teil der Auseinandersetzung um das nordrheinwestfälische Hausarbeitstagsgesetz seinen parlamentarischen Abschluß. Der zweite Teil wurde vor Gerichten ausgetragen und zog sich über zehn Jahre hin, in denen die Arbeitgeber mit allen Mitteln versuchten, den Hausarbeitstag zu Fall zu bringen. Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes wurden bis 1962 mehr als 1000 Arbeitsgerichtsprozesse geführt, um den Arbeitnehmerinnen ihre nach dem Hausarbeitstagsgesetz zustehenden Rechte zu sichern.218 Viermal nahm das Bundesarbeitsgericht zu strittigen Fragen Stellung. Mit Urteil vom 14. Juli 1954 stellte es fest, daß das nordrhein-westfälische Hausarbeitstagsgesetz nicht gegen Artikel 3 Grundgesetz verstößt und definierte den Begriff des „eigenen Hausstandes".219 Knapp zwei Jahre später befanden die Berliner Richter, daß ein Hausarbeitstagsanspruch auch im Urlaubsmonat besteht.220 Schließlich fiel am 17. Januar 1958 beim Bundesarbeitsgericht die Entscheidung, daß gleichgültig auf wie viele Wochentage verteilt nur eine Mindestbelastung von 40 Stunden in der Woche erforderlich sei, um ein Anrecht auf den Hausarbeitstag zu haben.221 Im Jahr darauf wurde allen Familienangehörigen das gleiche Recht auf Inanspruchnahme des Hausarbeitstages zugestanden.222 Die industriellen Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen waren aber nicht bereit, die Grundsatzentscheidungen hinzunehmen, und im Gleichklang mit der C D U / C S U plädierten sie für eine Gesetzänderung,223 die darauf hinauslief, nur solchen Frauen einen Anspruch auf einen Hausarbeitstag Fortsetzung Fußnote von Seite 81 Dieser lehnte den Antrag wegen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ab (Landtagssitzung vom 17. Februar 1950) und empfahl dem Landtag, ebenfalls eine ablehnende Stellung einzunehmen, was auch geschah. Wohl nahm der Landtag eine Entschließung an, in der die Hoffnung auf eine einheitliche gründliche und umfassende Neuregelung auf Bundesebene zum Ausdruck kam (Landtagssitzung vom 13. November 1951), damit die den Arbeitsfrieden störende Rechtsunsicherheit recht bald aufhören möge. 218 ADGB-BV/35 (Deutscher Gewerkschaftsbund, Pressenotiz vom 19. März 1962). 219 Vereinbarkeit des Hausarbeitstagsgesetzes Nordrhein-Westfalen mit dem Grundgesetz. Auslegung des Art. 3 GG. Sozialstaatlichkeit nach Art. 20 und 28 GG. Zum Begriff des eigenen und eigengeführten Hausstandes - Urteil vom 14. Juli 1954 (1 AZR 105/54), in: Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichtes. Bd. 1, Berlin 1955, S. 51-60. 220 Hausarbeitstag - Urteil vom 2. November 1956 (1 AZR 115/55), in: ebd. Bd. 3, Berlin 1957, S. 163-167. 221 Hausarbeitstag der Heimarbeiterin? - Urteil vom 17. Januar 1958 (1 AZR 170/ 57), in: ebd. Bd. 5, Berlin 1958, S. 175-178. 222 Hausarbeitstag in Nordrhein-Westfalen bei ausreichender Entlastung - Urteil vom 8. Januar 1959 (1 AZR 472/58, in: ebd. Bd. 7, Berlin 1960, S. 178-181. 223 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. III. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 784. (Antrag der Abgeordneten Diebächer, Schmidt und Genossen betr.: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des nordrheinwestfälischen Hausarbeitstagsgesetzes vom 14. Januar 1959).

4. Der nordrhein-westfälische Hausarbeitstag

83

einzuräumen, deren 40stündige Mindestbelastung in der Woche auf sechs Arbeitstage verteilt war.224 Einen Schlußstrich unter den Streit um den nordrhein-westfälischen Hausarbeitstag zog der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts am 16. März 1962 als er feststellte: 1. Der Hausarbeitstag wird ohne Rücksicht auf den Familienstand gewährt, 2. Als eigener Hausstand gilt jede überwiegend eigenmöblierte Wohnung (mindestens ein Zimmer), 3. Anspruch auf einen Hausarbeitstag besteht nur dann, wenn entweder an 6 Tagen mindestens 40 Stunden oder an 5 Tagen über 46 Stunden in der Woche gearbeitet wird.225 Nach dieser Entscheidung entfiel für den größten Teil der weiblichen Arbeitnehmer der bezahlte Hausarbeitstag. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sprach von einem „schwarzen Tag für Hunderttausende schwerarbeitender Frauen und Mütter". 226 Von einer Verfassungsklage wurde aber abgesehen, nachdem „namhafte Verfassungsrechtler" den Deutschen Gewerkschaftsbund wissen ließen, „daß nach ihrer Auffassung eine Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg bietet" und die Erstellung eines Gutachtens abgelehnt hatten.227 Mit der Darstellung des Hausarbeitstages bin ich der Entwicklung vorausgeeilt. Kehren wir also zurück in die unmittelbare Nachkriegszeit, ins Jahr 1948, als die Währungsreform in den Westzonen eingeführt wurde, die so nachhaltige Auswirkungen auf die erwerbstätigen Frauen haben sollte.

224

HStA-NW 22/1071 (Offener Brief des Deutschen Gewerkschaftsbundes/Landesbezirk Nordrhein-Westfalen zum Hausarbeitstag an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages vom 26. Oktober 1959). Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 69-71. 225 Hausarbeitstag in Nordrhein-Westfalen - Beschluß vom 16. März 1962 (GS 1/61 GS 2/61), in: Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts. Bd. 13, Berlin 1964, S. 1-31. 226 Hausarbeitstag in Bedrängnis, in: Rheinischer Merkur vom 30. März 1962. 227 ADGB-BV/35 (Briefentwurf betr.: Hausarbeitstag Nordrhein-Westfalen vom 15. August 1962).

Kapitel II

1.

1.1.

Auswirkungen: Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung nach der Währungsreform Folgen der steigenden Lebenshaltungskosten 1948

Am 21. Juni 1948 begann die Währungsreform, von der niemand so richtig wußte, wie sie sich auf die weitere sozioökonomische Entwicklung des Landes auswirken würde. Die Pessimisten in den Arbeitnehmer- und Gewerkschaftskreisen prophezeiten für die britische Besatzungszone 1,5 Millionen Arbeitslose (500000 Männer und 1 Million Frauen),1 für die Westzonen sogar insgesamt 7 Millionen, 2 und eine stockende Industrieproduktion.3 Die Optimisten um Ludwig Erhard, den Direktor der Verwaltung für Wirtschaft im Vereinigten Wirtschaftsgebiet, erwarteten einen konjunkturellen Aufschwung bei nur leicht steigender Arbeitslosigkeit.4 Der Erfolg der Währungsreform war sofort spürbar: über Nacht füllten sich die Geschäfte mit Waren, die es offiziell seit Jahren nicht mehr zu kaufen gab; das Geld hatte wieder einen festen Wert; der Schwarzmarkt verschwand fast völlig. Die Unternehmer, die seit Monaten mit der Währungsreform gerechnet hatten, hatten einen Großteil ihrer produzierten Waren nicht zum Verkauf angeboten, sondern gehortet, obgleich dieses 1 Tatsächlich stieg die Arbeitslosigkeit in der britischen Besatzungszone zwischen dem 30. Juni und dem 31. Dezember 1948 von 217078 Arbeitslosen (161091 Männer und 55987 Frauen) auf 418329 Arbeitslose (306306 Männer und 112023 Frauen). Aber die befürchteten 1,5 Millionen Arbeitslose wurden auch bis Ende 1949 - inzwischen war die Arbeitslosigkeit relativ kräftig angestiegen - mit insgesamt 826856 Arbeitslosen nicht einmal annähernd erreicht (Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in der britischen Zone Ende Juni 1948, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 2, 1948, Nr. 9, S. 322-324, hier: S. 322; Die Arbeitslosigkeit im Vereinigten Wirtschaftsgebiet im Winter 1948/49, in: Arbeitsblatt 1, 1949, Nr. 3, S. 87-95, hier: S. 87. 2 HStA-NW 45/115-122 (Vortrag in Stichworten: Geldreform und Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen gehalten [vom Arbeitsminister] auf der Pressekonferenz am 3. Mai 1948). 3 HStA-NW 115-122 (Der Arbeitsminister: Bericht über die Arbeitsmarktentwicklung im Bezirk des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen im April 1948 vom 7. Mai 1948, S. 1); Maaßen, Paul-Josef: Die Folgewirkungen der Währungsreform auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit unter besonderer Berücksichtigung der britischen Zone, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 2, 1948, Nr. 3, S. 85-88, hier: S. 87. 4 Hartwig, Adolf: Geldreform und Arbeitsmarkt, in: Arbeit und Sozialpolitik 1948, Nr. 9/10, S. 5-9, hier: S. 5:

1. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung

85

verboten war.5 Mit dem „Kopfgeld" und dem in Deutscher Mark ausgezahlten Lohn wurde die Bevölkerung in die Lage versetzt, die angebotenen Güter auch zu kaufen. Und die Bereitschaft zum Konsum war nach den jahrelangen Entbehrungen groß. In den folgenden Monaten verbesserte sich die Versorgungslage deutlich, da die Besatzungsmächte ihre Hilfslieferungen kräftig erhöhten 6 und dazu übergingen, die Handelsbeschränkungen weiter abzubauen. Zwischen dem 1. und 4. Quartal 1948 stiegen die Nahrungsmittelimporte in die Bizone von 2,382 Millionen Dollar auf 5,469 Millionen Dollar.7 Kartoffeln, Gemüse und Obst wurden aus der Rationierung herausgenommen, und Nahrungsmittel konnten bald ohne Schlangestehen erworben werden. Hungerödeme, die noch ein Jahr zuvor an der Tagesordnung gewesen waren, verschwanden fast völlig.8 Obwohl Engpässe in der Belieferung mit Nahrungsmittel auch weiterhin blieben, war im allgemeinen alles zu bekommen, was zum Aufruf vorgesehen war.® Schwierigkeiten bestand eine zeitlang in der Eiweißversorgung, weil während der Wintermonate die Milchablieferung an die Molkereien nicht störungsfrei verlief.10 Und auch die Belieferung der Metzgereien mit Fleisch ließ zu wünschen übrig. Da Nordrhein-Westfalen seinen Fleischbedarf zu 45% aus den Zufuhren aus den anderen Ländern der britischen und amerikanischen Zone deckte und bei der Ernährung seiner Bevölkerung zu 73% (Anfang 1949) von ausländischen Importen und Ausgleichslieferungen zwischen den Ländern abhängig war, führten Schwierigkeiten beim Produzenten oder im Verkehrswesen automatisch zu Ver-

5

Abelshauser, Werner: Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Frankfurt 1983, S. 51. 6 Hier muß insbesondere auf die GARIOA-Lieferungen des amerikanischen Kriegsministeriums hingewiesen werden, die sich von 263 Millionen Dollar (1946/ 47) auf 580 Millionen Dollar (1947/48) erhöhten (Wiederaufbau im Zeichen des Marshallplans. Hrsg. vom Bundesminister für den Marshallplan, Bonn 1953, S. 23). 7 Abelshauser, Werner: Wirtschaft in Westdeutschland 1945-1948. Rekonstruktion und Wachstumsbedingungen in der amerikanischen und britischen Zone, Stuttgart 1975, S. 165. 8 Vor allem bei den zurückkehrenden Kriegsgefangenen waren Hungerödeme anzutreffen. In Düsseldorf wurden Ende 1948 monatlich 10 bis 15 Fälle registriert (HStA-NW 6/251 [Jahresbericht für 1948 des Gesundheitsamtes der Stadt Düsseldorf über die allgemeinen gesundheitlichen Verhältnisse, S. 2]). ® Im Schatten des Hungers. Dokumentarisches zur Ernährungspolitik und Ernährungswirtschaft in den Jahren 1945-1949. Hrsg. von Hans Schlange-Schöningen, Hamburg 1955, S. 206-226. 10 Die Milchablieferung fiel im Vereinigten Wirtschaftsgebiet von 650000 to (1947) auf 552000 to (1948) und stieg dann 1949 auf 823000 to (ADGB - BV/39 [Die soziale Lage der Landarbeiter in Westdeutschland. Manuskript des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften vom November 1949, S. 10]).

86

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

sorgungsengpässen, die aber bei weitem nicht das Ausmaß der Jahre 1946 bis 1948 erreichten." Dem deutlich besseren Warenangebot standen auf der anderen Seite steigende Lebenshaltungskosten gegenüber. Denn die wachsende Nachfrage führte zwangsläufig zu Preissteigerungen. 12 Zudem blieb die Kaufkraft erheblich hinter der Preisentwicklung zurück. Im Gegensatz zum Preisstopp wurde nämlich der Lohnstopp erst am 3. November 1948 aufgehoben, 13 und auch danach kam es im Vergleich zur Preisentwicklung zu nur mäßigen Lohnerhöhungen, denen die Gewerkschaften, wenn auch widerwillig, zustimmten (vgl. dazu die Tabellen 6 und 7). Zunächst hatte es nicht danach ausgesehen. Denn als der Lohnstopp aufgehoben wurde, kündigten die Gewerkschaften unter dem Eindruck steigender Preise einen Großteil der Tarifverträge und drängten die Arbeitgeber zu Verhandlungen. 14 Sie forderten Lohnerhöhungen bis zu 30% und gaben durch Streiks, vor allem im Bergbau, zu verstehen, daß sie gewillt waren, auch das äußerste Mittel einzusetzen. Die Arbeitgeberverbände sprachen sich generell gegen Lohnerhöhungen aus. Ihrer Ansicht nach führten Lohnerhöhungen zur „Durchkreuzung der schwebenden Preissenkungs-Aktion, bringen zwangsläufig erneute Preissteigerungen und begründen die Gefahr inflationistischer Tendenzen". 15 Als weiteres Argument gegen Lohnerhöhungen wurden fehlende Betriebsmittel und die damit verbundene Zahlungsunfähigkeit der Unternehmen ins Feld geführt. Daß die Gewerkschaften schließlich ihre Forderungen drosselten, hing damit zusammen, daß der Anstieg der Arbeitslosigkeit ihnen ein vorsichtigeres Taktieren aufzwang. Mit dem Ergebnis, daß nur mäßige Lohnabschlüsse erzielt wurden. Während sich die Bruttolöhne im 2. Halbjahr 1948 gegenüber dem ersten nur um 5,5% erhöhten, stiegen die Lebenshaltungskosten für einen 4-Personen-Haushalt um 17%. So verteuerten sich die Nahrungs- und Genußmittel zwischen Mai 1948 und Februar 1949 durchschnittlich um 33%, 11 HStA-NW 8/21 I (Krisenzeiten und Besserung der Versorgung von NordrheinWestfalen, Aufzeichnung vom 13. Januar 1949), Blatt 3-4. 12 Der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets sah sich schließlich dazu veranlaßt, gegen die Preissteigerung vorzugehen, indem er mit dem „Gesetz gegen Preistreiberei" vom 7. Oktober 1948 versuchte, eine überhöhte Preisgestaltung durch Androhung von Gefängnisstrafen einzudämmen (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1948, S. 99). 13 Gesetz zur Aufhebung des Lohnstopps vom 3. November 1948, in: Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948, S. 117. Vgl. auch: Goldschmidt, Heinz: Zum „Gesetz zur Aufhebung des Lohnstopps", in: Arbeitsblatt für die britische Zone 2, 1948, Nr. 12, S. 453—455. 14 HStA-NW 49/45 (Aufzeichnung der Abteilung Schlichtungswesen des Arbeitsministeriums vom 2. März 1949), Blatt 10. 15 HStA-NW 49/45 (Situationsbericht der Abteilung Schlichtungswesen des Arbeitsministeriums vom 17. März 1949), Blatt 45.

87

1. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung

Tabelle 6 Durchschnittliche Stundenverdienste in Rpf. bzw. Pf. in der gewerblichen Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen 1946-1949. MÄNNER Jahr/Monat

Facharbeiter

angelernte Arbeiter

Hilfsarbeiter

Arbeiter insgesamt

1946 März Juni Sept. Dez. 1947 April Juni Sept. Dez. 1948 März Juni Sept. Dez. 1949 März Juni

104,8 106,0 107,7 105,2 106,5 109,8 109,8 113,4 112,5 114,6 125,2 132,1 135,1 139,0

96,9 97,0 98,1 97,6 97,8 103,4 103,2 104,4 106,4 108,0 117,6 126,1 128,2 132,6

77,2 78,7 80,1 80,2 80,5 90,2 85,1 86,3 87,1 91,1 100,3 105,7 108,2 113,2

94,9 96,1 97,6 97,8 99,4 103,9 102,8 104,0 104,9 107,4 117,1 124,3 126,9 131,1

Jahr/Monat

Facharbeiter

angelernte Arbeiter

Hilfsarbeiter

Arbeiter insgesamt

1946 März Juni Sept. Dez. 1947 April Juni Sept. Dez. 1948 März Juni Sept. Dez. 1949 März Juni

58,9 60,2 60,9 59,8 61,3 62,1 63,2 65,5 65,4 66,0 76,9 80,1 83,5 88,8

58,9 60,2 60,9 59,8 61,9 62,1 62,5 65,5 65,4 66,0 76,0 80,1 83,5 88,8

52,4 53,3 55,2 55,2 57,3 56,4 57,3 57,6 58,5 60,5 66,9 71,3 73,2 76,1

56,3 57,0 58,3 57,9 59,8 59,7 60,1 61,9 62,6 63,5 72,9 76,7 79,7 84,0

FRAUEN

(Quelle: Statistisches Jahrbuch Nordrhein-Westfalen. Hrsg. vom Statistischen Landesamt Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1950, S. 222)

88

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Tabelle 7 Durchschnittliche Wochenverdienste in RM bzw. DM in der gewerblichen Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen 1946-1949 MÄNNER Jahr/Monat

Facharbeiter

angelernte Arbeiter

Hilfsarbeiter

Arbeiter insgesamt

1946 März Juni Sept. Dez. 1947 April Juni Sept. Dez. 1948 März Juni Sept. Dez. 1949 März Juni

43,61 46,89 45,02 44,03 40,96 45,54 43,55 47,32 47,07 48,09 56,84 62,68 64,15 66,40

39,69 42,68 40,84 41,18 38,24 42,83 40,94 42,70 44,35 45,13 53,55 59,60 61,31 63,69

30,99 33,37 32,04 34,06 30,29 36,91 33,35 35,03 35,03 36,97 43,68 48,80 50,34 53,48

38,66 41,85 40,56 41,14 38,45 42,91 40,70 42,94 43,44 44,70 52,65 58,46 60,11 62,61

Jahr/Monat

Facharbeiter

angelernte Arbeiter

Hilfsarbeiter

Arbeiter insgesamt

1946 März Juni Sept. Dez. 1947 April Juni Sept. Dez. 1948 März Juni Sept. Dez. 1949 März Juni

20,06 22,16 21,32 21,76 20,54 22,06 21,77 24,10 24,46 24,86 30,76 33,84 36,19 38,16

20,06 22,16 21,32 21,76 21,61 22,06 21,50 24,10 24,46 24,86 31,45 33,84 36,19 38,16

18,44 19,34 19,60 20,86 19,33 20,32 20,32 21,60 22,53 23,23 26,65 29,97 31,47 33,46

19,29 21,01 20,46 21,35 20,52 21,33 20,87 23,00 23,55 24,17 29,39 32,33 24,40 36,89

FRAUEN

(Quelle: Statistisches Jahrbuch Nordrhein-Westfalen. Hrsg. vom Statistischen Landesamt Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1950, S. 222)

1. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung

89

und die Tendenz war steigend. 16 Um nur einige Beispiele zu nennen: der Preis für ein Ei stieg zwischen September 1949 und März 1950 um 0,06 DM auf 0,36 DM, ein Kilogramm Gemüse um 0,08 DM auf 0,72 DM, ein Kilogramm Margarine um 0,47 D M auf 5,37 DM und um ein letztes Beispiel aufzuführen: ein Kilogramm Käse um 1,44 DM auf 4,00 DM. Billiger wurden Nährmittel, Marmelade und Fisch.17 Die Teuerungsrate bei Haushaltswaren belief sich auf 25% im Dezember 1949, wobei vor allem Waschtöpfe, die sich reger Nachfrage erfreuten, überproportionale Preissprünge machten. Die Bekleidung erreichte ebenfalls im Dezember mit einem Preisanstieg von 28% ihren vorläufigen Höhepunkt. Gefragt waren Damenstrümpfe, Damenunterkleider und Bettlaken. 18 Das Realeinkommen der Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenhaushaltungen lag Ende 1948 in Nordrhein-Westfalen erheblich niedriger als 1937." Neben Einkommenseinbußen vollzog sich auch eine weitgehende Umschichtung innerhalb der Arbeitnehmergruppen. So wurde der Abstand im durchschnittlichen Lebensstandard zwischen Arbeitern, Angestellten und Beamten kleiner. Das durchschnittliche Arbeitseinkommen in einem Arbeiterhaushalt mit vier Personen betrug 247,82 DM, in Angestelltenhaushalten 320,54 DM und 343,45 DM in Beamtenhaushalten. Auf der anderen Seite vergrößerte sich der Anteil der Bezieher kleiner Einkommen erheblich. 20 Rund 45% aller Familien im Vereinigten Wirtschaftsgebiet konnten mit

16 HStA-NW 49/45 (Entwicklung von Einzelhandelspreisen in Nordrhein-Westfalen, Juni 1948 - Februar 1949), Blatt 13. 17 HStA-RW 177/40 (Erhebung zur monatlichen Statistik der Einzelhandelspreise in Bochum, März 1950). Weitere Preise im März 1950: für 2 Zimmer mit Küche in einfacher Wohngegend waren 40 DM an Miete zu entrichten; 1 Zigarette kostete 0,10 DM, 1 kg Kaffee 30 DM und 1 Liter Bier 1,00 DM. Für 1 Herrenanzug waren 130 DM aufzubringen, 3 DM für Socken, 28 DM für 1 Paar Schuhe; für 1 Damen-Wintermantel 90 DM, für 1 Rock 24 DM, für 1 Paar Strümpfe 4,50 DM. Bettlaken waren für 11 DM zu haben, 1 Kilowatt Strom kostete 0,40 DM. Haarschneiden für Männer machte 0,70 DM, für Frauen waren 2,50 DM zu bezahlen. Ein Emaille-Kochtopf belastete das Haushaltsbudge mit 5,50 DM, mit 56 DM eine Matratze und mit 1,40 DM der Kinobesuch. 18 HStA-NW 49/45 (Entwicklung von Einzelhandelspreisen), Blatt 13. 19 Hingegen lagen die Nominaleinkommen für Arbeiter um 51%, für Angestellte um 28% und für Beamte um 22% höher als 1937. Osterkamp, K. : Der Lebensstandard der Arbeitnehmer. Ergebnisse einer Haushaltsbucherhebung der Gewerkschaften, in: Arbeitsblatt 1, 1949, Nr. 6, S. 199-203, hier: S. 200. 20 Osterkamp, K : Die Einkommensschichtung der Arbeitnehmerhaushaltungen. Weitere Ergebnisse der Haushaltsbucherhebung der Gewerkschaften, in : Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften 2, 1949, Nr. 1, S. 3-5, hier: S. 4.

90

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

ihrem Einkommen nur die nötigsten Bedürfnisse decken, 21 dazu zählen: Ernährung, Miete, Heizung und Beleuchtung, Reinigung und Körperpflege, Verkehr, Instandsetzung von Kleidung und Hausrat. Diese Familien waren nur in bescheidenem Umfang in der Lage, sich Genußmittel, Kleidung, Schuhe, Hausrat, Vergnügungen und Bildungsangebote zu leisten, und dann auch nur unter Einschränkung der dringendsten Bedürfnisse. Neben der Schicht der Bezieher kleiner Einkommen machte sich nach der Währungsreform der Anstieg der Einkommen besonders qualifizierter Arbeitnehmer bemerkbar, deren Anteil gegenüber der Vorkriegszeit aber recht klein war. Signifikant war das Einkommensgefälle zwischen Stadt und Land. An der untersten Einkommensgrenze lagen die Arbeiter in der Landwirtschaft 22 und in der Textilindustrie mit einem durchschnittlichen Monatsverdienst von 154,99 DM beziehungsweise 184,17 DM. War eine Frau der alleinverdiendende Haushaltsvorstand, so sank der durchschnittliche Verdienst erheblich ab und lag nicht selten unter dem Existenzminimum. Deutlich besser standen sich die Metallarbeiter mit 227,24 DM im Monatsdurchschnitt, die Arbeiter in der Verkehrswirtschaft (234,55 DM), die Bauarbeiter (243,43 DM) und vor allem die Bergleute mit einem Monatsverdienst von 253,93 DM. 23 Groß war die Zahl der Hilfsbedürftigen, die von der offenen Fürsorge betreut werden mußten. In Nordrhein-Westfalen waren das Ende 1948 895000 Personen, die durchschnittlich 83,21 DM Unterstützung im Monat erhielten. Fast die Hälfte (45%) der Fürsorgeberechtigten waren Flüchtlinge, hinzu kamen Kriegsbeschädigte, Evakuierte, zurückgekehrte Kriegsgefangene, ehemalige politische Gefangene, Kleinrentner und Pflegekinder. 24 Im allgemeinen führte das verbesserte Warenangebot zu einem deutlichen Rückgang der typischen Mangelkrankheiten. Die Gesundheitsämter stellten übereinstimmend fest, daß „es während des Jahres 1948 zu einer Besserung des Allgemeinzustandes und der Widerstandsfähigkeit gekommen ist". 25 Deutlich nahm die Anzahl der Lebensmittelatteste, ein Gradmesser für eine schlechte Ernährungssituation, ab. Waren im Kreis Geilenkirchen-Heinsberg kurz vor der Währungsreform noch 5400 Atteste ausgestellt worden, so sank die Zahl der Berechtigten nach dem 21. Juni 21

Osterkamp: Der Lebensstandard der Arbeitnehmer, S. 200. ADGB-BV/39 (Die soziale Lage der Landarbeiter in Westdeutschland, S. 12). 23 Osterkamp, K.: Lebensstandard der Arbeiter in wichtigen Wirtschaftszweigen, in: Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften 2, 1949, Nr. 2, S. 13-16, hier: S. 14. 24 Die Entwicklung der offenen Fürsorge seit der Währungsreform, in: Nachrichtendienst 1949, S. 40-42, hier: S. 40. 25 HStA-NW 6/242 (Jahresbericht für 1948 des Gesundheitsamtes des Regierungsbezirks Aachen, Kreis Geilenkirchen-Heinsberg, über die allgemeinen gesundheitlichen Verhältnisse, S. 2). 22

1. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung

91

1948 auf 2.500.26 Fallende Krankenziffern verzeichneten Tuberkulose und Diphtherie, aber auch die Geschlechtskrankheiten und die sogenannten Erschöpfungszustände pendelten sich allmählich im Normbereich ein.27 Wegen der beengten häuslichen Verhältnisse blieb die Anzahl der Hauterkrankungen ziemlich konstant hoch.28 Auffällig hoch war die Anzahl der Fehlgeburten. In Essen wurden 1948 bei 2322 Geburten 630 Fehlgeburten registriert.29 In Bonn machten die Fehlgeburten 34,8% der gemeldeten Geburten aus, das waren 9,8% mehr als 1947. Nach Ansicht des Gesundheitsamts dürfte der tatsächliche Prozentsatz noch um einiges höher gelegen haben, da „nicht alle Fehlgeburten gemeldet werden".30 Als Gründe für die vielen Fehlgeburten wurden „die schlechten sozialen und wohnmäßigen Verhältnisse" genannt.31 Immer mehr Frauen gerieten in den Verdacht, eine Abtreibung vorgenommen zu haben. Denn nach der Diagnose der behandelnden Ärzte „(deuteten) zahlreiche fieberhafte Erkrankungen und die hohe Zahl (der Fehlgeburten) auf Abtreibung hin".32 In Dortmund wurden 172 Frauen angezeigt und von der Kriminalpolizei verhört. In 144 Fällen konnte eine vollzogene Abtreibung nachgewiesen werden, die mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen geahndet wurde.33 Der Abschreckungscharakter dieser Urteile, in der Lokalpresse besonders herausgestellt, blieb ohne Wirkung.34 In ihrer sozialen Not suchten und fanden die Frauen Ärzte, nicht 26

Ebd., S. 2. Ebd. 28 HStA-NW 6/251 (Jahresbericht für 1949 des Gesundheitsamtes Düsseldorf...), Blatt 4. 29 HStA-NW 6/260 (Jahresbericht für 1948 des Gesundheitsamtes der Stadt Essen über die allgemeinen gesundheitlichen Verhältnisse, S. 32a-32b). Die überwiegende Mehrheit der Geburten in der Nachkriegszeit waren Hausgeburten, die von Hebammen betreut wurden. Eine ärztlich geleitete Schwangerschaftsfürsorge war noch weithin unbekannt. 30 HStA-NW 6/243 (Jahresbericht für 1948 des Gesundheitsamtes des Stadtkreises Bonn... S. 2). 31 HStA-NW 6/242 (Jahresbericht für 1948 des Gesundheitsamtes des Regierungsbezirks Aachen, Kreis Geilenkirchen-Heinsberg.. .S. 2). 32 HStA-NW 6/247 (Jahresbericht für 1948 des Gesundheitsamtes der Stadt Dortmund. . .S. 2). In Düsseldorf wurde dazu übergegangen, „jede fieberhafte Fehlgeburt, von der das Gesundheitsamt Kenntnis erhielt, der Kriminalpolizei zu melden" (HStA-NW 6 / 251 [Jahresbericht für 1948 des Gesundheitsamtes Düsseldorf.. .S. 2]). 33 HStA-NW 6/247 (Jahresbericht für 1948 des Gesundheitsamtes der Stadt Dortmund. . .S. 2). 34 Um die in Not geratenen Frauen vor den Risiken einer illegalen Schwangerschaftsunterbrechung zu schützen, wurde wiederholt öffentlich der Versuch unternommen, den § 218 aufzuheben und die soziale und ethische Indikation zuzulassen. Als Diskussionsforum bot sich die von der amerikanischen Armee herausgegebene Zeitung „Die Neue Zeitung" an. Die in dieser Zeitung seit Ende 1946 geführte Diskussion, an der unter anderem auch der Münchener Philosoph Romano Guardini teilnahm, stieß auf breite Resonanz (vgl. Die Neue Zeitung vom 20. Januar 1947). 27

92

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

selten üble „Kurpfuscher", 35 die sich zu einer Abtreibung bereit fanden und wie die Frauen riskierten, wegen Tötung oder Beihilfe verurteilt zu werden. 36 Bis 1950 verbesserte sich der allgemeine Gesundheitszustand der Bevölkerung so weit, daß er sogar den Vorkriegszustand übertraf. Es wurden auch wieder Klagen laut, daß Frauen „häufig eine Neigung zu Fettsucht" zeigten. 37 Daß trotz ausreichender Ernährung wieder deutlich mehr Erkrankungen mit Mangelerscheinungen auftraten, hing einerseits damit zusammen, daß Männer und Frauen der unteren Einkommensschichten sich die Kosten für eine ausgewogene und reichlich bemessene Nahrungsaufnahme gleichsam vom Munde absparten, um Artikel des täglichen Bedarfs kaufen zu können. Andererseits zwang die steigende Teuerung zu Einschränkungen. 38 Nur minimale Fortschritte wurden zwischen 1948 und 1950 in der Wohnraumsituation erzielt, obwohl sich der Wohnbestand um 61936 Wohnungen erhöhte: Ende 1949 lebten noch immer 9,02% der Bevölkerung in unzumutbaren Verhältnissen, allein 51874 Personen in Bunkern Fortsetzung Fußnote von Seite 91 Vgl. weiterhin: Fecht, Karl Elmar: Das Recht der Ungeborenen. Vortrag gehalten am 15. Dezember 1946, Karlsruhe 1947; Algermissen, Konrad: Das werdende Menschenleben im Schutze der christlichen Ethik. Zur Auseinandersetzung um den § 218 StGB, Celle 1947; Ammann, Walter: Gedanken zum § 218, in: Die Lücke 1947, Nr. 7/8, S. 9-10; Guardini, Romano: Die soziale Indikation für die Unterbrechung der Schwangerschaft. Ein Vortrag vor Ärzten, in: Frankfurter Hefte 2, 1947, S. 926-938; Steidle, Robert: Junge Generation in Not und Hoffnung, Nürnberg 1948; Heinrich, Kurt Johannes: § 218. Eine katholische Untersuchung, Mainz 1948; Maget, Adolphe: Heirat und Medizin, Einsiedeln/Köln 1948; Giesen, Wilhelm: Grundsätzliches zur Schwangerschaftsunterbrechung, Tübingen 1948; Guardini, Romano: Das Recht des werdenden Menschenlebens. Zur Diskussion um den § 218 des Strafgesetzbuches, Stuttgart/Tübingen 1949; Harmsen, Hans: Abtreibung und Empfängnisverhütung in Deutschland, in: Zeitschrift für Sozialhygiene 1949, Nr. 2, S. 28-30. 35 So berichtete das Gesundheitsamt des Oberbergischen Kreises, daß „von dritter Hand die Fehlgeburt eingeleitet wird. Die Frau kommt dann in blutendem Zustand zum Geburtshelfer oder ins Krankenhaus und wird dort in Gegenwart von Zeugen (Hebammen) ordnungsgemäß curettiert" (HStA-NW 6/269 [Jahresbericht für 1950 des Gesundheitsamtes des Oberbergischen Kreises.. .S. 2]). 36 Die Abtreibungszahlen blieben auch in den folgenden zwei Jahren relativ hoch, wobei zu bemerken ist, daß den Gesundheitsämtern Abtreibungen nur in Einzelfällen bekannt wurden. Demnach dürfte die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher gelegen haben. In Aachen waren 1950 Verfahren gegen 51 Personen, Frauen und Ärzte und weiter nicht genannte Personen, anhängig. Verurteilt wurden 5 Personen mit bis zu einem halben Jahr Gefängnis, 3 Personen bekamen bis zu einem Jahr und 1 Person mehr als ein Jahr Haft. 42 Personen erhielten Geldstrafen (HStA-NW 62/265 [Jahresbericht für 1950 des Gesundheitsamtes Aachen...S. 2]). 37 HStA-NW 6/269 (Jahresbericht für 1950 des Gesundheitsamtes der Stadt Köln...S. 1). 38 HStA-NW 6/265 (Jahresbericht für 1950 des Gesundheitsamtes der Stadt Aachen...S. 1).

t. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung

93

und Kellern.39 Die relativ höchste Wohnungszunahme verzeichneten die Regierungsbezirke Düsseldorf, Arnsberg und Münster und innerhalb dieser Bezirke insbesondere die zum Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk gehörenden Kreise, die im Rahmen des Bergarbeiter- und Stahlarbeiter Bauprogramms bevorzugte Mittelzuweisungen erhalten hatten.40 Von den 61936 Wohnungen wurden durch Neubau 27932 Wohnungen und 424 Wohnungen für die Besatzungsmacht (46%), durch Wiederaufbauen 14319 Wohnungen (23%) und durch Wiederherstellung 18988 Wohnungen (31%) erstellt.41 Die Masse der Wohnungen wurde durch private Bauherren (82,69%) finanziert, es folgten die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen (11,64%) und die Behörden und öffentlichen Körperschaften (5,67%).42 Trotz der regen Bautätigkeit lag der Wohnungsbestand Ende 1949 noch deutlich unter dem Vorkriegsbestand ( - 27,98%). Das lag daran, daß dem Ausbau des Wohnungsbestandes eine Bevölkerungszunahme von 340729 (im Jahre 1949) gegenüberstand. 43 Von Juni 1948 bis März 1950 verzeichnete Nordrhein-Westfalen einen Bevölkerungsanstieg von über 400000 auf 13,1 Millionen Menschen. Seit 1946 war das ein Zuwachs von + 12,4%.44 Der Bevölkerungsanstieg setzte sich zusammen aus zurückkehrenden Kriegsgefangenen, zwischen dem 1. Juli und dem 31. Dezember 1949 insgesamt 49664, Flüchtlingen aus der sowjetischen Besatzungszone und im Rahmen des Zonenaustausch-Programms sowie Zuwanderem aus anderen Ländern des westlichen Zonengebiets, die von den günstigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktverhältnissen in Nordrhein-Westfalen angelockt wurden.45

39

HStA-NW 45/354-357 (Der Minister für Wiederaufbau des Landes NordrheinWestfalen: Vierteljahresbericht über Wohnverhältnisse und Bautätigkeit im Lande Nordrhein-Westfalen. IV. Quartal 1949, S. 4). Nicht 61936, sondern 65 581 Wohneinheiten wurden später errechnet: 30 Jahre Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen 1948-1978. Hrsg. vom Institut für Landesund Stadtentwicklungsforschung, Dortmund 1980, S. 20, Tabelle 11. 40 HStA-NW 45/354-357 (Vierteljahresbericht, S. 11-13). 41 Ebd., S. 24. 42 Ebd., S. 12. 43 Ebd., S. 1. 44 Petzina, Dietmar: Industrieland im Wandel (1945-1948), in: Westfälische Geschichte. Bd. 3. Hrsg. von Wilhelm Kohl, Düsseldorf 1984, S. 452 (Tabelle 6). 45 HStA-NW 45/354-357 (Vierteljahresbericht, S. 2 und 6).

94

1.2.

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Wirtschaftswachstum in Nordrhein-Westfalen

Die wirtschaftliche Entwicklung im „gelobten" Land Nordrhein-Westfalen war wegen der günstigen industriellen Struktur bemerkenswert. 46 So erhöhten sich die Indexziffern der industriellen Produktion (1936= 100%) von 47% im Mai des Jahres 1948 auf 90% im Mai 1949.47 Damit setzte sich die 1947 eingeleitete Aufwärtsentwicklung fort, der nun durch die Währungsreform neue Impulse zugeführt wurden. Denn das neue Geld belebte zunächst den Konsumgütermarkt, dessen Produktion sich von Mitte 1948 bis Mitte 1949 mehr als verdoppelte, von 33,2% auf 73,7%. Der Anstieg der Verbrauchsgüterindustrie übertrug sich auf die Produktionsgüterindustrie, die von 74,8% auf 98,3% zunahm und schließlich auf die Investitionsgüterindustrie, deren Indexzahlen, immer gemessen am Stand von 1936 ( = 100%), sich ebenfalls verdoppelten, von 35,8% auf 73,4%.48 Entscheidend für das sprunghafte wirtschaftliche Wachstum in Nordrhein-Westfalen, aber auch in den Westzonen, wo das Ausmaß der Gesamtexpansion zwischen 1948 und 1950 nach dem Index der industriellen Erzeugung 86% von 1936 betrug, 49 war aber nicht die Währungsreform selbst, sondern die vorhandene industrielle Überkapazität, die bisher bei weitem noch nicht ausgeschöpft worden war. 50 Aber auch die in einzelnen Industriezweigen bislang nicht genutzten Kapazitäten konnten in den folgenden Jahren wegen bestehender Produktionsbeschränkungen, fehlender Rohstoffe und nicht zuletzt wegen der Zonentrennung und den daraus resultierenden Schwierigkeiten nur in recht unterschiedlichem Umfang in Anspruch genommen werden. Somit ergab sich zwischen 1948 und 1950 in einzelnen Industriezweigen zwangsläufig eine unterschiedliche Produktionsentwicklung, was nicht ohne Rückwirkungen auf den Arbeitsmarkt blieb. Im Durchschnitt des Jahres 1948 erreichten oder überschritten nur ganz wenige Industriezweige des Vereinigten Wirtschaftsgebiets das Produktionsniveau von 1936 (vgl. dazu Tabelle 8). Dazu gehörten die Erdölgewinnung ( + 43% gegenüber 1936), die Nahrungsmittelindustrie (+19%)

46

Der Begriff „gelobtes" Land wurde von dem Präsidenten des Landesarbeitsamtes Hermann Wilrodt geprägt. Vgl. seinen Aufsatz: Das „gelobte" Land NordrheinWestfalen. Gedanken zur Arbeitsmarktlage, in: Bundesarbeitsblatt 1, 1950, S. 2 0 9 211. Weiterhin ders.: Aufstieg an Rhein und Ruhr. Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen, in: Arbeitsblatt 1, 1949, Nr. 2, S. 58-60. 47 Borchert: Arbeitsmarkt, S. 97. 48 HStA-NW 7 / 1 1 3 (Die industrielle Produktion Nordrhein-Westfalens), Blatt 68. 49 Grüning, Ferdinand und Krengel, Rolf: Die Expansion der westdeutschen Industrie 1948 bis 1954, Berlin 1955, S. 13. 50 Daß die Währungsreform nicht der Auslöser des Wirtschaftsaufschwungs war, betont auch Gerold Ambrosius: Die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland 1945-1949, Stuttgart 1977, S. 182.

95

1. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung Tabelle 8 Produktionsniveau und Zuwachsraten der westdeutschen 1948-1950 (1936=100) Industriezweig/ Industriegruppe

Industriezweige Erdölgewinnung Nahrungsmittel Elektrotechnik übriger Bergbau Gummi-/Asbestverarb. Kohlenbergbau Bekleidungsindustrie Chem. Industrie Sägewerke/Holzverarb. Feinkeramik Holzverarbeitung Maschinenbau Feinmechanik/Optik Zellstoff/Papier NE-Metallindustrie Steine und Erden Textilindustrie Druckereien Eisen-, Blech- und Metallwarenindustrie Lederindustrie Eisen-, Stahl- und Tempergießereien Brauereien Kaltwalzwerke Papierverarbeitung Stahlbau Eisen- und Stahlerzeugung Tabakverarbeitung Fahrzeugbau Schiffbau Industriegruppen Nahrungs- und Genußmittelindustrie Bergbau Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie Verbrauchsgüterindustrie Investitionsgüterindustrie Gesamte Industrie

Produktionsindex

Zuwachs 1950/48

Industrie

1948

1950

in %

Durchschnittl. jährl. Zuwachsrate in %

143 119 106 89 82 79

251 144 198 131 117 99

73 72 64

133 106 102

56 53 52 52 51 51

124 122 97 100 95 119

76 21 87 47 42 26 122 82 46 58 75 122 129 86 94 86 132 137

32,6 10,1 36,8 21,1 19,2 15,2 49,1 34,8 21,0 25,8 32,4 49,0 51,4 36,5 39,4 36,5 52,5 53,9

47 46

94 77

100 66

41,5 28,7

44 41 41

87 68 78

39 38 33 30 27

58 82 83 126 53

100 66 92 152 47 117 155 313 97

41,2 29,0 38,4 58,6 21,2 47,2 59,8 103,3 40,5

80 80

112 102

41 28

18,8 13,2

57 54 51

108 113 114

89 110 121

37,4 44,9 48,7

60

111

86

36,2

(Quelle: Grünig, Ferdinand und Krengel, Rolf: Die Expansion der westdeutschen Industrie 1948 bis 1954, Berlin 1955, S. 14)

96

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

und die elektrotechnische Industrie ( + 6%). Die Gründe für die relativ hohe Produktion dieser Industriezweige liegen auf der Hand: Die Erdölförderung war schon in der Kriegszeit wesentlich über das im Basisjahr 1936 erzielte Ergebnis hinausgewachsen, die Nahrungsmittelindustrie der Westzonen hatte erheblich mehr Menschen zu versorgen als vor dem Kriege, und die elektrotechnische Industrie hatte bereits kurz nach Kriegsende beträchtliche Anstrengungen unternommen, um den Ausfall der früheren Lieferungen aus Mitteldeutschland durch westdeutsche Erzeugnisse zu ersetzen.51 Relativ hoch war im Jahre 1948 die Produktion der Gummi- und Asbestverarbeitung (82% von 1936). Auch der Index der bergbaulichen Erzeugung überschritt, nicht zuletzt infolge der bewußten Forcierung des Kohlenbergbaus, die Produktion der gesamten Industrie (60% von 1936) erheblich. Als weitere Industriezweige, die 1948 einen überdurchschnittlich hohen Produktionsstand erzielen konnten, sind die Bekleidungsindustrie, die Sägewerke und die Holzbearbeitungsindustrie zu nennen. Die Bekleidungsindustrie wurde durch die Zonentrennung strukturell begünstigt, und die Sägewerke und die Holzverarbeitungsindustrie mußten umfangreiche Aufträge der Besatzungsmächte erledigen. Niedrige Produktionsziffern wiesen hingegen der Schiffbau (27%) und der Fahrzeugbau (30%) auf, die unter den Baubeschränkungen und -verboten der Militärregierungen litten."Bei den Wirtschaftszweigen Eisen-, Stahl- und Tempergießereien, Eisen-, Blech- und Metallwarenindustrie sowie bei der Lederindustrie, deren Erzeugnisse jeweils erheblich unter dem Durchschnitt der gesamten Industrie lagen, machte sich 1948 die strukturelle Benachteiligung durch die Zonentrennung, etwa der Ausfall der früheren Lieferanten in Mittel- und Ostdeutschland, besonders bemerkbar. Der Absatz der Genußmittelindustrie litt an den hohen Verbrauchssteuern und der zunächst noch geringen Qualität der Erzeugnisse. Enorme Produktionssteigerungen erfuhr bis 1950 der Fahrzeugbau ( + 313%), die Tabakverarbeitung (+155%) und die Papierverarbeitung (+152%), weiterhin die Druckereien (+137%), die Textilindustrie (+132%), die Feinmechanik (129%) und der Maschinenbau (+122%). Hingegen blieb die Expansion der durch die Zonnentrennung strukturell benachteiligten Lederindustrie ( + 66%), der Brauereien ( + 66%) sowie des Stahlbaus ( + 47%) hinter dem Durchschnittswert zurück. Ein um die Jahreswende 1948/49 einsetzender Konjunkturabschwung auf den Weltmärkten verlangsamte das wirtschaftliche Wachstum in Nordrhein-Westfalen, vor allem aber im Vereinigten Wirtschaftsgebiet, ganz beträchtlich. Die westdeutsche Wirtschaft trat übergangslos in eine 51

Deutschland-Jahrbuch 1949, S. 176-177. Entwicklung und Ursachen der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland (1946-1950). Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn 1950, S. 3. 52

1. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung

97

fünfzehnmonatige deflationistische Phase ein. 53 Während der Index der Industrieproduktion zwischen Januar und März 1950 von 81% auf 99% (1936= 100%) anstieg, und somit immerhin noch um beachtliche 22% zunahm, begannen die Preise nachzugeben, so daß die Lebenshaltungskosten von ihrem höchsten Stand im Dezember 1948 um fast 9% auf ihren tiefsten im Mai 1950 zurückgingen. 54 Sinkende Preise verringerten die Investitionsneigung der Unternehmer und veranlaßten die Konsumenten in der Erwartung weiterer Preiseinbrüche zur Zurückhaltung. Die beginnende Liberalisierung des Außenhandels erhöhte zwar die Einfuhren, wirkte sich aber kaum auf die deutsche Ausfuhr aus, weil ein großer Teil der Produktionsverbote und Produktionsbeschränkungen erst kurz zuvor aufgehoben worden war. Die Folge der verlangsamten wirtschaftlichen Entwicklung war ein merklicher Anstieg der Arbeitslosenquote, die aufgrund der günstigen Wirtschaftswachstums in Nordrhein-Westfalen weit niedriger ausfiel als in den übrigen westdeutschen Ländern. Zunächst einmal ist festzuhalten, daß die Währungsreform nicht zu der von einem Teil der Fachleute befürchteten Massenarbeitslosigkeit führte. 55 In den ersten Monaten nach der Währungsumstellung nahm die Anzahl der Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen ebenso zu, wie die der Arbeitslosen. Insbesondere bisher nicht erwerbstätige Frauen bemühten sich um eine Beschäftigung, aber auch „zahlreiche Personen, die bisher die gelegentlichen Verdienste durch Schwarzhandel den meist niedrigen Einkünften einer geregelten Beschäftigung vorgezogen hatten, (sahen sich) genötigt, sich dem Arbeitsamt zwecks Vermittlung in eine Arbeitsstelle zur Verfügung zu stellen". 56 So meldeten die Arbeitsämter „ungewöhnlich hohe Zahlen von Stellenvermittlungen". 57 53

Abelshauser, Werner: Probleme des Wiederaufbaus der westdeutschen Wirtschaft 1945-1953, in: Politische Weichenstellungen in Nachkriegsdeutschland 1945-1953. Hrsg. von Heinrich August Winkler, Göttingen 1979, S. 240. 54 Hardach, Karl : Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1976, S. 218. 55 Zu den Auswirkungen der Währungsreform auf den Arbeitsmarkt: Hartwig, Adolf: Geldreform und Arbeitsmarkt, in: Arbeit und Sozialpolitik 1948, Nr. 9/10, S. 5-9; ders.: Nach sechs Wochen! Auswirkungen der Geldreform auf den nordrhein-westfälischen Arbeitsmarkt, in: Arbeit und Sozialpolitik 1948, Nr. 15, S. 1-4; ders.: Noch einmal: Geldreform und Arbeitsmarkt, in: Arbeit und Sozialpolitik 1948, Nr. 18, S. 4-5; Maaßen, Paul-Josef: Die Folgewirkungen der Währungsreform auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit unter besonderer Berücksichtigung der britischen Zone, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 2, 1948, Nr. 3, S. 85-88; Markus, Erich: Währungsreform und Arbeitsmarkt, in: Arbeit und Sozialpolitik 1948, Nr. 8, S. 4-5; Redlich, Hans: Die Struktur der Arbeitslosigkeit NordrheinWestfalens nach der Währungsreform, in: Arbeit und Sozialpolitik 1948, Nr. 21, S. 3-4. 56 Borchert: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, S. 97. 57 HStA-NW 45/115-122 (Der Arbeitsminister: Bericht über die Arbeitsmarktent-

98

1.3.

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Arbeitsmarktentwicklung für Männer und Frauen

Von Ende Juni bis Ende Dezember 1948 nahm die Anzahl der Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen um über 210000 Personen ( + 5,5%) - darunter mehr als 84000 Frauen - zu, während die Zunahme im gleichen Zeitraum des Vorjahres lediglich 85000 Personen ( + 2,4%) betragen hatte bei den Frauen war es wegen der schlechten Ernährungslage hingegen zu einer Abnahme von 2676 Personen gekommen ( — 0,29%).58 Das Angebot an offenen Stellen ging um über 113000 ( — 52,2%) zurück, wobei die Abnahme bei den Frauen höher ausfiel (-58,2%) als bei den Männern ( — 49,3%) (vgl. dazu Tabelle 9). Gleichzeitig stiegen zwischen Mai und August 1948 die Arbeitslosenzahlen kontinuierlich ( + 27,4%) und erreichten mit 159577 Arbeitslosen, davon 56088 Frauen, ihren vorläufigen Höchststand. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit hatte verschiedene Ursachen. Zunächst einmal waren vor der Währungsreform in vielen Wirtschaftsbereichen Arbeitskräfte „gehortet" worden, da es sich zahlreiche Betriebe bei dem hohen Geldüberhang leisten konnten, mehr Beschäftigte als in normalen Zeiten einzustellen. Aus Kosten- und Konkurrenzgründen wurden nunmehr viele Unternehmen gezwungen, den überhöhten Bestand an Arbeitskräften wieder abzubauen. Hinzu kamen Flüchtlinge und heimkehrende Kriegsgefangene, die den Arbeitsmarkt nun ebenso „belasteten" wie die zunehmende Leistungssteigerung der Beschäftigten und der Rückgang der Fehlschichten.59 Die Masse der Arbeitslosen bestand jedoch zu dieser Zeit aus nicht voll einsatzfähigen Personen, während Facharbeiter und sonstige „Vollverwendbare" praktisch sofort wieder vermittelt werden konnten.60 Noch war der Anstieg der Arbeitslosigkeit aber nicht besorgniserregend. Noch gab es ausreichende Arbeitsplatzreserven, um zumindest einen Teil der auf den Arbeitsmarkt drängenden Arbeitssuchenden aufzunehmen. Denn gleichzeitig mit dem Auffüllen der Arbeitsplatzreserven vollzog sich eine Abwanderung von den „überbeschäftigten" in die „unterbeschäftigten" Wirtschaftszweige. Eine Überbeschäftigung bestand vor der Währungsreform vor allem in der chemischen Industrie, im Bekleidungsgewerbe, in der Wasser-, Gas- und Elektizitätsversorgung, aber auch

Fortsetzung

Fußnote von Seite 97

Wicklung im Bereich des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen im August 1948 vom 6. September 1948, S. 1). 58 Vgl. dazu Tabelle 9. 59 Wendepunkt der Arbeitsmarkt- und Lohnsteuerung, in: Der Betriebsberater 1948, Nr. 16, S. 330-331. 60 HStA-NW 45/204-2C6 (Der Arbeitsminister: Bericht über die Arbeitsmarktentwicklung des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen im November 1948).

1. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung

99

Tabelle 9 1. Beschäftigte Arbeiter, Angestellte und Beamte in Nordrhein-Westfalen (1948-1950) Stichtag

Männer

Frauen

Insgesamt

30. 6.1948 30. 9.1948 31.12.1948 31. 3.1949 30. 6.1949 30. 9.1949 31.12.1949 31. 3.1950 30. 6.1950 30. 9.1950 31.12.1950

2906141 2972654 3035 155 3032958 3043450 3064361 3079486 3055470 3150923 3221282 3220646

952385 990134 1037024 1055916 1073451 1087097 1 113667 1 115600 1 166647 1201700 1233141

3858526 3962788 4072179 4088874 4116901 4151458 4193153 4171070 4317570 4422982 4453787

2. Die Anzahl der Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen Stichtag 30. 6.1948 30. 9.1948 31.12.1948 31. 3.1949 30. 6.1949 30. 9.1949 31.12.1949 31. 3.1950 30. 6.1950 30. 9.1950 31.12.1950

Männer 88997 87746 67423 93604 127642 126073 138791 187130 158704 114300 155790

Frauen 33263 50913 38820 46103 55068 58304 57316 70047 70537 59645 56542

Insgesamt 122260 138659 106243 139707 182710 184377 196107 257177 229241 173745 212332

3. Die Anzahl der Offenen Stellen in Nordrhein-Westfalen Stichtag 30. 6.1948 30. 9.1948 31.12.1948 31. 3.1949 30. 6.1949 30. 9.1949 31.12.1949 31. 3.1950 30. 6.1950 30. 9.1950 31.12.1950

Männer 144920 93 095 73537 45722 30845 32530 18882 29035 28608 36061 16457

Frauen 71860 40100 29990 31021 22756 22601 15132 23293 19966 23093 13 840

Insgesamt 216780 133195 103527 76743 53601 55131 34014 52328 48574 59154 30397

(Quelle: Borchert, Dieter: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik in NordrheinWestfalen seit Ende des II. Weltkrieges bis 1949/50, Frankfurt 1987, S. 139-141)

100

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

im Holz- und Schnitzgewerbe und in der Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik. Ende März 1948 vermuteten Experten eine „Überbeschäftigung" von rund 60000 Personen im Vergleich zu 1938.61 In anderen Wirtschaftszweigen wie im Maschinenbau, in der Textilindustrie, im Bau- und im Baunebengewerbe, und in der Eisen-, Stahl- und Metallherstellung bestand hingegen eine Unterbeschäftigung. Die beträchtliche Abnahme der Beschäftigung in diesen Wirtschaftsbereichen um rund 460000 Personen zwischen 1938 und 1948 war darauf zurückzuführen, daß die Nahrungs- und Genußmittelindustrie verstärkt auf Rohstoffimporte angewiesen war und daß es im Bereich der Industrie der Steine und Erde an Kohlenlieferungen mangelte. 62 Somit hielt sich die Zunahme der Arbeitslosenzahlen zunächst auch in relativ engen Grenzen, wobei der Umfang der Entlassungen durch Kurzarbeit teilweise aufgefangen werden konnte. Besonders von der Arbeitslosigkeit betroffen waren Männer in den kaufmännischen, den Büro- und Verwaltungsberufen (zwischen 31. Mai 1948 und 9. Juli 1948 eine Zunahme von +10%) und in den Metallberufen ( + 33,4%), sowie als Hilfsarbeiter ( + 34,5%) und als Bauarbeiter ( + 38%).63 Wie bei den Männern so waren auch bei den Frauen Nichtqualifizierte in einem größeren Maße von der Arbeitslosigkeit betroffen als Qualifizierte. Unter den arbeitslosen Frauen waren Hilfsarbeiterinnen mit 57,9% vertreten, in den kaufmännischen und den Büro- und Verwaltungsberufen wurde der Anstieg der Arbeitslosigkeit um + 36,7% und in den hauswirtschaftlichen Berufen um +24,6% registriert. 64 In vielen Fällen führte mangelnde Mobilität mit zur Arbeitslosigkeit. Denn es gab zum Teil durchaus Stellen in ausreichender Anzahl. So überstieg beispielsweise am 30. September 1948 die Anzahl der offenen Stellen für männliche Hilfsarbeiter die Anzahl der Arbeitslosen um über 15000. Bei den Bauarbeitern wurden rund 12000 offene Stellen mehr als Arbeitslose gemeldet. Lediglich bei den kaufmännischen, den Büro- und Verwaltungsberufen übertraf die Anzahl der Arbeitslosen die der gemeldeten offenen Stellen mit rund 18 000 beträchtlich. Bei den Frauen überstieg bei den hauswirtschaftlichen Berufen die Anzahl der offenen Stellen die Anzahl der arbeitslos Gemeldeten um rund 8.000; demgegenüber lag die Arbeitslosenziffer bei den kaufmännischen, den Büro- und Verwaltungsberufen um 9.763 und bei den Hilfsarbeiterinnen um rund 1100 über der Anzahl der gemeldeten offenen Stellen. 65 Seit der Jahreswende 1948/49 veränderte sich der Arbeitsmarkt ra-

61 62 63 64 65

Markus: Währungsreform und Arbeitsmarkt, S. 4. Ebd., S. 5. Hartwig: Nach sechs Wochen, S. 3. Ebd. Redlich: Die Struktur der Arbeitslosigkeit, S. 6.

1. Soziale Lage und wirtschaftliche Entwicklung

101

pide.66 Von nun an stiegen die Arbeitslosenziffern relativ kräftig an und erreichten Ende 1949 mit 196107 Arbeitslosen und am 31. März 1950 mit 257177 einen neuen Höchststand. Damit erfuhr die Arbeitslosigkeit seit Dezember 1948 eine Steigerung von +84,6% bis Ende 1949 und sogar von + 142,1% bis März 1950. Gleichzeitig stiegen aber auch die Beschäftigungszahlen weiter an: von Ende 1948 bis Ende 1949 stetig um rund 120000 Personen ( + 3,0%), nach einigen Schwankungen bis Ende 1950 sogar um über 380000 ( + 9,4%). Von Dezember 1948 bis Ende 1949 nahm die Beschäftigungszahl der Männer aber nur um + 1,7% zu, während die der Frauen um +7,4% zunahm; bis Ende 1950 ergab sich ein Zuwachs von +6,1% bei Männern und +18,9% bei Frauen. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit verlief bei den männlichen und weiblichen Erwerbspersonen unterschiedlich. Während die Arbeitslosigkeit bei Frauen im Verlauf dieses Zeitraums nicht mehr auf den geringen Stand des Juni 1948 ( = 100%) zurückging, stiegen die Arbeitslosenziffern der Männer zwar ebenfalls zunächst an, erreichten aber bereits im Juli 1948 (+16%) ihren vorläufigen Höchststand und lagen ab September (—1,3%) immerhin ein halbes Jahr lang unter dem Stand des Juni 1948. Ansonsten verzeichnete der Anstieg der Arbeitslosenzahlen bei Männern und Frauen eine ähnliche Tendenz. Nach kurzem, bei den Frauen beträchtlichem Ansteigen, nahm die Arbeitslosigkeit bis Ende 1948 kontinuierlich zu, um vom Januar 1949 bis zum Frühjahr 1950 ebenso kontinuierlich wieder anzusteigen, wobei sich im März 1950 die Steigerungsrate sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen auf 110% einpendelte. Die seit der Jahreswende 1948/49 verstärkt einsetzende Arbeitslosigkeit wurde durch verschiedene Ursachen ausgelöst. Einerseits nahm die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit zu. So stieg die durchschnittliche Wochenarbeitszeit je Beschäftigten in der Industrie von 38,5 Stunden im Jahre 1946 auf 45,5 Stunden im Juni 1949.67 Der Anstieg der Wochenarbeitszeit beruhte im wesentlichen auf der zunehmenden Bereitschaft der 66 Vgl. dazu: Entwicklung und Ursachen der Arbeitslosigkeit. Weiterhin: Beschäftigung und Arbeitslosigkeit im Vereinigten Wirtschaftsgebiet im ersten Vierteljahr 1949, in: Arbeitsblatt 1, 1949, Nr. 5, S. 159-164; Die Struktur der Arbeitslosigkeit im Vereinigten Wirtschaftsgebiet im Frühjahr 1949, in: ebd. Nr. 6, S. 203-206; Die gebietliche und berufsgruppenmäßige Belastung durch die Arbeitslosigkeit im Vereinigten Wirtschaftsgebiet Mitte 1949, in: ebd. Nr. 9, S. 334-344; Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt im Vereinigten Wirtschaftsgebiet im 1. Halbjahr 1949, in: ebd. Nr. 7, S. 241-246; Beschäftigung und Arbeitslosigkeit im Vereinigten Wirtschaftsgebiet im zweiten Vierteljahr 1949, in: ebd. Nr. 8, S. 282-286. 67 Statistisches Jahrbuch Nordrhein-Westfalen. Hrsg. vom Statistischen Landesamt Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1950, S. 222. Das Gewerbeaufsichtsamt Solingen stellte fest, daß in seinem Bereich Arbeitszeiten bis zu 50 Stunden in der Woche in der chemischen und in der Textilindustrie gar nicht so selten vorkamen (HStA-NW 37/9 [Jahresbericht 1949 des Gewerbeaufsichtsamtes Solingen]).

102

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Arbeitnehmer, Überstunden abzuleisten. In der Öffentlichkeit wurde dieser Vorgang als Ungerechtigkeit gegenüber den Arbeitslosen empfunden, denen durch diese Praxis Arbeitsplätze vorenthalten wurden.68 Andererseits wurde aber immer deutlicher erkennbar, daß die der Industrie nach dem Währungsschnitt verbliebene Kapitaldecke zu knapp war, um die entsprechend dem konjunkturellen Anstieg möglichen Produktionsleistungen auch tatsächlich zu erbringen.69 Außerdem erforderte der Verlust der ehemaligen deutschen Ostgebiete zusätzliche Lebensmittelexporte. Um diese zu finanzieren, mußte die deutsche Industrie unbedingt wieder verlorenengegangenen Anschluß an den Weltmarkt finden. Und das hieß : die Industrie mußte modernisieren und rationalisieren, um möglichst rentabel zu produzieren. Für die Beschäftigten wurde nun deutlich spürbar, daß viele Unternehmen zu dem für lange Jahre aufgegebenen Leistungsprinzip zurückkehrten. „Überschüssige" Arbeitskräfte wurden deshalb abgebaut, insbesondere in der erheblich überbesetzten Landwirtschaft. Weiterhin machte sich nun auch der durch die Währungsreform ausgelöste Erwerbszwang bei Frauen verstärkt bemerkbar. 70 Frauen gingen arbeiten, weil der Ehemann gefallen, vermißt oder noch nicht aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war; weil sie vom Ehemann geschieden oder getrennt lebten; weil der Verdienst des Ehemannes nicht ausreichte. Flüchtlinge und Ausgebombte suchten Arbeit, weil sie das Verlorene durch ihre Mitarbeit ersetzen wollten und junge Mädchen, weil sie einen eigenen Hausstand gründen wollten. Jüngere Frauen von Akademikern wollten eine Beschäftigung, weil deren Männer unentgeltlich arbeiteten; Studentinnen brauchten einen Verdienst, um weiterstudieren zu können, und Frauen, die bisher von ihrem Vermögen gelebt hatten und denen durch die Währungsreform die Existenzgrundlage genommen worden war.71 Viele Frauen waren bisher arbeitsbefreit gewesen, sie traten jetzt aber aufgrund der „Verarmung" - zwangsläufig als Arbeitssuchende auf dem Arbeitsmarkt in Erscheinung. Hierbei handelte es sich vor allem um ältere 68

Aufgrund der bekannten Überstundenzahlen wurden allein für einige Gewerbegruppen rund 50000 rechnerisch mögliche zusätzliche Arbeitsplätze ermittelt. In Verhandlungen gelang es einigen Arbeitsämtern, die Betriebe durch Einführung von Schichtarbeit oder auch von befristeten Arbeitsverhältnissen zum Abschluß weiterer Arbeitsverträge zu bewegen. 69 HStA-NW 4 5 / 1 1 5 - 1 2 2 (Der Arbeitsminister: Bericht über die Arbeitsmarktentwicklung des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen im April 1949 vom 5. Mai 1949, S. 2); Entwicklung und Ursachen der Arbeitslosigkeit, S. 2. 10 Dieckmann, Resi: Die Frauenarbeit im Ruhrgebiet. Eine Untersuchung über strukturelle Grundlagen, kriegsbedingte Wandlung und künftige Gestaltung der Frauenarbeit im westfälischen Ruhrgebiet, Münster (Diss.) 1949, S. 57-61. 71 HStA-NW 4 5 / 1 1 5 - 1 2 2 (Niederschrift über die Sitzung des Fachausschusses für Frauenfragen am 26. Oktober 1948, Anhang: Arbeitsvermittlung bisher nicht berufstätiger und nicht voll verwendungsfähiger Frauen, S. 1-2).

2. Reaktion auf die steigende Frauenerwerbslosigkeit

103

Frauen ohne Berufserfahrung und auch um nicht voll arbeitsfähige Frauen, die nur sehr schwer durch die Arbeitsämter zu vermitteln waren. 72 So nahm vom 30. Juni 1948 bis zum Ende des Jahres 1948 die Anzahl der arbeitsbefreiten Frauen um rund 45 000 ab.73 Mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit vollzogen sich zugleich Veränderungen in der weiblichen Beschäftigungsstruktur. Zwischen 1946 und 1950 sank die Beschäftigungszahl in der Land- und Forstwirtschaft von 84238 auf 51058 Personen ( — 5,2%) und in den häuslichen Diensten von 195220 auf 188 564 ( — 6,4%); weiterhin in den öffentlichen und privaten Diensten von 178820 auf 187654 ( - 4 , 7 % ) . Hingegen stieg die Beschäftigungszahl in der Wirtschaftsabteilung Industrie und Handel von 282462 auf 542843 Personen (+12,6%) sowie im Handel und Verkehr von 158291 auf 263022 ( + 3,7%) (vgl. dazu Tabelle 10).

Tabelle 10 Berufstätige Frauen (Arbeiter, Angestellte und Beamte) in NordrheinWestfalen nach Wirtschaftsgruppen 1948-1950 Wirtschaftsabteilung Land- und Forstwirtschaft Industrie und Handwerk Handel und Verkehr Öffentliche und private Dienste Häusliche Dienste insgesamt

31.12. 1948

%

31.12. 1949

%

31.12. 1950

%

64842 405385 197030

6,3 39,1 18,9

55 842 464815 223640

5,0 41,7 20,1

51058 542843 263022

4,2 44,0 21,3

188287 18,2 184253 16,6 187654 15,2 181480 17,5 184117 16,6 188564 15,31 1037024 100,0 1 113667 100,0 1233141 100,0

(Quelle: Monatsberichte des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen, in: Arbeit und Sozialpolitik 1949, Nr. 2, S. 2; 1950, Nr. 2, S. 3; 1951, Nr. 2, S. 3)

72

Redlich: Zur Problematik der Arbeitslosigkeit, S. 6. Am 31. März 1948 gab es 2206072 arbeitsbefreite Frauen in Nordrhein-Westfalen (ADGB-BV/14 [Lage der Frauenarbeit im Bezirk des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 19481).

73

104

2.

2.1.

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Reaktion der Arbeitsbehörden und der Gewerkschaften auf die steigende Frauenerwerbslosigkeit Die Fachausschüsse für Frauenfragen

Vor der Währungsreform konnten die Arbeitsbehörden nicht ahnen, daß der Anstieg der Arbeitslosigkeit relativ gering ausfallen würde. Vorsorglich hatten sie sich auf den Katastrophenfall eingestellt und eine ganze Reihe von Arbeitslenkungs-und Arbeitsbeschäftigungsmaßnahmen entwickelt. So wurde auf der Konferenz der Arbeitsbehörden des Vereinigten Wirtschaftsgebiets am 5. Mai 1948 „zur Sicherung des Beschäftigungsstandes und zur Ermittlung neuer Arbeitsmöglichkeiten" unter anderem vorgeschlagen, die Kündigung von Arbeitsverhältnissen zu erschweren und bei unvermeidbaren Entlassungen zuerst die gut vermittlungsfähigen Arbeitskräfte, zuletzt die sozial schwächeren und schwer vermittelbaren Arbeitnehmer zu entlassen. Außerdem wurde zur Vermeidung von Entlassungen die Einführung von Kurzarbeit vorgesehen, sowie die Beschränkung der Arbeitszeit auf 48 Wochenstunden und die Ermittlung zusätzlicher Beschäftigungsmöglichkeiten. Ergänzt werden sollten diese Maßnahmen durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wozu Aufforstungen ebenso gehörten wie der Bau und die Instandsetzung von Verkehrswegen. 74 Für den Bereich der britischen Besatzungszone waren bereits am 14. April 1948 auf Weisung des Präsidenten des Zentralamts für Arbeit Beratungsausschüsse und speziell für Frauen sogenannte Fachausschüsse für Frauenfragen bei den Landesarbeitsämtern ins Leben gerufen worden. 75 Seit dem 25. Mai 1948 trafen sich in unregelmäßigen Abständen Vertreterinnen der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der öffentlichen Körperschaften, 7 6 74

Borchert: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, S. 94-95. Anweisung des Präsidenten des Zentralamts für Arbeit vom 14. April 1948 „betr. Errichtung von Beratungsausschüssen bei den Landesarbeitsämtern und Arbeitsämtern", in: Arbeitsblatt für die britische Zone 2, 1948, Nr. 5, S. 162-163. Mit dieser Anweisung erfüllten die Arbeitsbehörden die Anordnungen der Kontrollratsdirektive Nr. 29 („Errichtung von Beratungsausschüssen bei den Arbeitsämtern") vom 17. Mai 1946 (abgedruckt in: Amtsblatt des Kontrollrats für Deutschland 1946, Nr. 7, S. 47), in der die Arbeitsbehörden angewiesen worden waren, Bestimmungen für die Beratungsausschüsse auszuarbeiten. 76 Als Arbeitgebervertreterinnen nahmen an der 1. Sitzung eine Hausfrau, die Landes-Innungsmeisterin Bekleidung, eine Schwester, die Gesellschafterin einer Firma und die Inhaberin eines Unternehmens teil. Auf Arbeitnehmerseite waren es neben einer Zuschneiderin nur Gewerkschafterinnen. Eine Referentin im Sozialministerium, eine Leiterin einer Wohlfahrtsschule, die Rektorin einer Hilfsschule, die Leiterin eines Verpflegungsamtes sowie eine Referentin der Düsseldorfer Industrieund Handelskammer waren als Vertreterinnen der öffentlichen Körperschaften anwesend. Weiterhin wurde das Arbeitsministerium und das Landesarbeitsamt durch Mitarbeiterinnen vertreten (HStA-NW 4 5 / 1 1 5 - 1 2 0 [Einladungsschreiben des Ar75

2. Reaktion auf die steigende Frauenerwerbslosigkeit

105

um das Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen in Fragen der Frauenvermittlung und der weiblichen Berufsberatung zu beraten. 77 In den Sitzungen kamen in den folgenden Monaten und Jahren alle relevanten Themen zur Sprache. Diskutiert wurde über die Berufsberatung für weibliche Jugendliche, 7 8 über die Vermittlung nicht voll verwendungsfähiger Frauen, über Pflichtarbeit, aber auch über die Arbeitsmarktlage in den gehobenen Frauenberufen. 7 9 Als die Arbeitslosigkeit zunahm, standen die Nachtarbeit, 8 0 Nachwuchsfragen in den Angestelltenberufen, 8 1 die Zumutbarkeit von Arbeit 82 oder auch zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für erwerbsbeschränkte Frauen auf der Tagesordnung. 8 3 D a einzelne Gewerkschafterinnen sowohl dem Fachausschuß für Frauenfragen als auch dem Zonenfrauenausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes angehörten, 8 4 konnten die gewerkschaftlichen Forderungen und Stellungnahmen unmittelbar den Arbeitsbehörden, in diesem Fall dem Landesarbeitsamt, vorgetragen werden. Inwieweit gewerkschaftliche Anregungen dann auch übernommen und in der Praxis umgesetzt wurden, läßt sich schwer ausmachen.

Fortsetzung Fußnote von Seite 104 beitsminister an die Mitglieder des Fachausschusses für Frauenfragen vom 10. Mai 1948]). 77 HStA-NW 45/115-122 [Niederschrift über die erste Sitzung des Frauenausschusses für Frauenfragen für das Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen am 25. Mai 1948 vom 2. Juni 1948]. Ihren persönlichen Eindruck über diese erste Sitzung hat eine der Teilnehmerinnen, die Frauenreferentin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Henrike Stein, in einer Aufzeichnung festgehalten, die abgedruckt ist in: Frauen in der Nachkriegszeit 1945-1963. Hrsg. von Klaus-Jörg Ruhl, München 1988, S. 77-80. Weiterhin wurde im Mai 1948 eine Zentralvermittlungsstelle für Frauenberufe beim Landesarbeitsamt Hessen eingerichtet, die dann ab Dezember 1948 auch im Bereich des Vereinigten Wirtschaftsgebiets die Vermittlung von Frauen gehobener Berufe übernahm. Dazu: Kapitain, Α.: Zentralvermittlungs- und Zentralausgleichsstelle für gehobene Frauenberufe in Frankfurt a. Main, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 3, 1949, Nr. 2, S. 68-69. 78 HStA-NW 45/115-122 (Niederschrift über die Sitzung vom 27. Juli 1948). 79 HStA-NW 45/115-122 (Niederschrift der Sitzung vom 19. Januar 1949). 80 HStA-NW 45/115-122 (Niederschrift von der Sitzung am 30. März 1949). 81 HStA-NW 45/115-122 (Niederschrift über die Sitzung vom 3. Juni 1949). 82 HStA-NW 45/115-122 (Niederschrift über die Sitzung vom 23. Juni 1949). 83 HStA-NW 50/1436 (Niederschrift über die Sitzung vom 17. November 1949). Weitere Themen bis Mitte 1950 waren die Arbeitsmarktlage der weiblichen Angestellten, die Heimarbeit in der Bekleidungsindustrie (HStA-NW 45/115-122 [Niederschrift über die Sitzung vom 23. Februar 1950]) und die Beschäftigung von Frauen bei den Nahverkehrsbetrieben sowie die Abgrenzung des Personenkreises zwischen den vom Arbeitsamt und den vom Wohlfahrtsamt unterstützten Frauen (HStA-NW 50/1009 [Niederschrift über die 10. Sitzung am 1. Juni 1950]). 84 Das gilt für Henrike Stein, Frauenreferentin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, und Margarete Traeder, Frauenreferentin der IG Metall.

106

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

2.2.

Maßnahmen der Arbeitsbehörden zur Behebung der Frauenarbeitslosigkeit

In den ersten sechs Monaten nach der Währungsreform brauchten die Arbeitsbehörden keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wie vor der Währungsumstellung geplant, einzuleiten: der Wirtschaftsaufschwung an Rhein und Ruhr bot trotz leicht steigender Arbeitslosigkeit einen ungebrochen günstigen Stellenmarkt. Relativ problemlos verlief die Vermittlung derjenigen Frauen, die Berufserfahrung aufweisen konnten. Schwieriger gestaltete sich hingegen die Vermittlung nicht voll verwendungsfähiger Frauen, zumeist verheiratete Frauen, die entweder nur halbtags arbeiten wollten oder keine berufliche Qualifikation aufweisen konnten; aber auch die Vermittlung von Schulabgängerinnen bereitete Sorgen. Die Arbeits- und Berufswünsche der berufsungewohnten Frauen erstreckten sich meist auf Arbeiten, welche die Möglichkeit boten, nebenbei den Haushalt zu versorgen. So wurden Büroarbeiten bevorzugt, die keine besonderen Vorkenntnisse verlangten. Bestanden in den Angestelltenberufen keine Verdienstmöglichkeiten, dann wurden auch gewerbliche Arbeiten angenommen, vor allem Näharbeiten. Besonders interessiert waren die berufsungewohnten Frauen an der Übernahme von Heimarbeit, während nur ein geringes Interesse an hauswirtschaftlichen Stellen bestand. 85 Die steigende Anzahl von Problemfällen versuchten die Arbeitsämter über die „Frauenselbsthilfe" und die „Aktion Nordsee", aber auch über Heimarbeit und das „hauswirtschaftliche Lehrjahr" in den Griff zu bekommen. Mißverständlich ist die Bezeichnung „Frauenselbsthilfe". Denn hier halfen sich nicht Frauen gegenseitig, ihre Probleme zu lösen, sondern der Staat unterstützte arbeitslose Frauen bei der Suche nach Verdienstmöglichkeiten. In Frankfurt, wo die „Frauenselbsthilfe" im August 1948 eingeführt wurde, arbeitete sie nach folgendem Prinzip: in Presse und Rundfunk wurde die Bevölkerung aufgefordert, in Not geratenen Frauen die Ausbesserung reparaturbedürftiger Kleidungsstücke zu überlassen ; wer einen Auftrag zu vergeben hatte, der meldete sich beim Arbeitsamt und dort wurden die Adressen geeigneter Auftragnehmerinnen mitgeteilt. 86 In Köln, wo das hessische Modell nachgeahmt wurde, war das Ergebnis enttäuschend. Auf einer Sitzung des Fachausschusses für Frauenfragen wurde festgestellt, daß „zwar überall genügend Bewerberinnen vorhanden

15

HStA-NW 45/115-122 (Niederschrift über die Sitzung des Fachausschusses für Frauenfragen am 26. Oktober 1948, Anhang). 86 Hamann, Erna: „Frauenselbsthilfe" - Ein Versuch der Arbeitsbeschaffung für bisher nicht erwerbstätige Frauen, in: Arbeitsblatt 1, 1949, Nr. 2, S. 69-71.

2. Reaktion auf die steigende Frauenerwerbslosigkeit

107

seien, daß es aber an Aufträgen fehle". Es wurde vermutet, daß nicht ausreichend Werbung betrieben worden sei.87 Seit Juli 1948 wurde in der britischen Zone die „Aktion Nordsee", die Anwerbung deutscher Mädchen für hauswirtschaftliche Arbeiten in Großbritannien, und zwar in enger Zusammenarbeit der britischen und deutschen Behörden, geplant und durchgeführt88 In den ersten Monaten beschränkte sich die Vermittlung auf hauswirtschaftliche Kräfte für Krankenhäuser, Heime, Anstalten und bäuerliche Haushaltungen, später fanden Mädchen auch als Stationsschwestern in Krankenhäusern und als Haushaltshilfen in städtischen Privathaushalten Verwendung. Die Bewerberinnen mußten zwischen 18 und 35 Jahre alt sein, gesund sein und einen guten Leumund besitzen. Hauswirtschaftliche Erfahrungen wurden nicht vorausgesetzt. Die Vermittlung erfolgte über die Arbeitsämter, wobei die endgültige Entscheidung einem britischen Sachbearbeiter vorbehalten blieb. Die betreffenden Frauen mußten sich für die Dauer von zwei Jahren verpflichten. Sie erhielten einen Wochenlohn von umgerechnet 28 bis 37 DM nebst freier Unterkunft und Verpflegung. Die soziale Absicherung ließ zu wünschen übrig und war ein wesentlicher Kritikpunkt der Gewerkschaften an der Aktion Nordsee. 89 Während sich die deutschen Mädchen nämlich für zwei Jahre verpflichten mußten, gingen die Arbeitgeber dieses Wagnis nicht ein und konnten den Vertrag jederzeit lösen. Bei einer Erkrankung mußte die Hausgehilfin damit rechnen, jederzeit zurückgeschickt zu werden. Kranken- und Unfallversicherungsschutz war nicht vorgesehen.90

87

HStA-NW 50/1436 (Niederschrift über die Sitzung des Fachausschusses für Frauenfragen am 17. November 1949). 88 Zu den folgenden Ausführungen: Tritz, Maria: Die „Aktion Nordsee". Anwerbung deutscher Hausgehilfinnen für Großbritannien, in: Arbeitsblatt 1, 1949, Nr. 7, S. 254-256 und den Bericht einer Hausgehilfin, in dem die Motive erläutert werden, warum junge Mädchen sich nach Großbritannien vermitteln ließen: „Die Übersiedlung nach England wird von den meisten Mädchen als eine Art Erlösung empfunden, Erlösung von dem Mangel" (Neumann, Dietlind: Als Hausgehilfin in England, in: ebd., S. 266-268). 89 ADGB-BV/40 (Protokoll über die Zonenausschußsitzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Oktober 1948 in Bielefeld, S. 2-3). 90 Auf Einladung des Fachausschusses für Frauenfragen nahmen am 26. Oktober 1948 Vertreter des Ministry of Labour zu einigen kritischen Punkten Stellung (HStA-NW 45/115-122 [Niederschrift der Sitzung vom 26. Oktober 1948, S. 1-2]). Zur zweijährigen Pflichtzeit erklärten die britischen Beamten, daß diese Verpflichtung „nur aus Zweckmäßigkeitsgründen angenommen (worden) sei, um wiederholte Verlängerungen der Aufenthaltsgenehmigung zu vermeiden". Ansonsten besäßen die Mädchen ebenfalls das Recht, jederzeit das Arbeitsverhältnis zu lösen. Schwierig blieb die Sozialversicherungsfrage, da zwischen dem besetzten Teil Deutschlands und Großbritannien kein Sozialversicherungsabkommen bestand. Jedoch war vorgesehen, daß erkrankten Mädchen ärztliche Hilfe zustand. Nur bei dauernder Erwerbslosigkeit war die Rückführung nach Deutschland vorgesehen.

108

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Da nach wie vor in Nordrhein-Westfalen eine große Nachfrage nach Haushaltsgehilfinnen bestand, wurden Stimmen in der Öffentlichkeit gegen die Förderung der Aktion laut. Jedoch war „die überwiegende Mehrzahl der Mädchen keinesfalls bereit, in einem deutschen Haushalt als Hausgehilfin zu arbeiten".' 1 Neben Studentinnen und Abiturientinnen, die ihr Studium aus wirtschaftlichen Gründen abbrechen oder zurückstellen mußten, befanden sich unter den Bewerberinnen Stenotypistinnen, Schwesternhelferinnen, Arbeiterinnen, Hausgehilfinnen, hingegen war die typische Hausgehilfin mit langjähriger Berufspraxis nur vereinzelt anzutreffen. 92 Die Aktion Nordsee war recht erfolgreich: von September 1948 bis Mai 1949 wurden 3900 hauswirtschaftliche Arbeitskräfte nach Großbritannien vermittelt. Weniger erfolgreich verlief die Anwerbung von Textilarbeiterinnen nach Großbritannien. Während die Vermittlungstätigkeit schon kurz nach Beginn in der britischen Besatzungszone eingestellt wurde, räumte die amerikanische Militärregierung der britische Regierung das Recht ein, 10000 in der amerikanischen Besatzungszone ansässige sudetendeutsche Frauen für die britische Textilindustrie anzuwerben.' 3 Sehr beliebt bei Frauen war die Heimarbeit, die neben der Arbeit die gleichzeitige Betreuung der Kinder ermöglichte. Die Arbeitsämter standen der Vermittlung von Heimarbeit eher distanziert gegenüber. Das hing damit zusammen, daß die Heimarbeit konjunkturanfällig war; und da nur unzureichende Kontrollen bestanden, besaßen die Auftraggeber jederzeit die Möglichkeit, den Heimarbeitern die Arbeitsbedingungen zu diktieren. Vor dem Krieg gab es im Deutschen Reich annähernd eine halbe Million Heimarbeiter, von denen die Mehrzahl Frauen waren. 94 Die Heimarbeit war vor allem in Sachsen, in Mitteldeutschland, in Brandenburg und in Schlesien sehr verbreitet, während im Gebiet der späteren Westzonen höchstens ein Drittel der Heimarbeiter ihr Auskommen fanden. In erster Linie vergaben das Bekleidungsgewerbe und die Textilindustrie Heimarbeit, es folgten das Nahrungs- und Genußmittelgewerbe, das Holz- und Schnitzstoffgewerbe, die Eisen- und Metallverarbeitung sowie die Industrie der Steine und Erden. Mit Kriegsbeginn führte der Rohstoffmangel zu vorübergehenden Einschränkungen in der Heimarbeit, die dann aber stark gefördert wurde, um alle noch vorhandenen Arbeitskraftreserven in den Dienst der Rüstungs" Ebd., S. 2. 92 Die Mädchen kamen aus kaufmännischen Berufen (30%), aus verschiedenen gewerblichen Berufen (30%) und aus hauswirtschaftlichen Berufen (30%). 93 Sudetendeutsche Texilarbeiterinnen für England, in: Christ unterwegs 1949, S. 16-17; Anwerbung sudetendeutscher Frauen für die Textilindustrie in England. Kostenübernahme durch die öffentliche Fürsorge, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst 1949, S. 89-91. 94 Zu den folgenden Ausführungen: Kapitain, Α.: Fragen der Heimarbeit, in: Arbeitsblatt 1, 1949, Nr. 5, S. 181-182.

2. Reaktion auf die steigende Frauenerwerbslosigkeit

109

industrie zu stellen. Viele Frauen nutzten die Möglichkeit, Heimarbeit zu übernehmen, um sich „auf diese Weise einem geordneten Arbeitseinsatz zu entziehen" 95 In Teilbereichen der Metall-, der Bekleidungs- und der Textilindustrie wurde 1944 die betriebliche Herstellung verboten und völlig auf Heimarbeit umgestellt.96 Nach dem Krieg belebte sich auch die Heimarbeit allmählich, da zahlreiche Betriebe, die noch zerstört waren, dazu übergingen, die früher in Werkstätten ausgeführten Arbeiten, in Heimarbeit herstellen zu lassen. Das waren in erster Linie Betriebe der Bekleidungsindustrie.97 Mit der Zuwanderung der Flüchtlinge vergaben insbesondere neu gegründete kleinere und mittlere Flüchtlingsbetriebe aus Mangel an Betriebskapital und Räumen Heimarbeit an Flüchtlinge. Zum Teil brachten die Flüchtlinge auch neue Heimindustrien aus dem Osten mit, wie zum Beispiel die Herstellung der Gablonzer Glas- und Schmuckwaren. Vor der Währungsreform war die Heimarbeit recht beliebt, da die Heimarbeiter einerseits ihre Arbeitszeit beliebig einteilen konnten und daneben Zeit für die Beschaffung von Lebensmitteln besaßen, und andererseits, weil teilweise Rohstoffe bei der Bearbeitung abfielen, die zur eigenen Verwendung überlassen wurden. Die Heimarbeiter hatten dadurch unter Umständen einen höheren Reallohn als solche Arbeiter, die nur nach Nominallöhnen bezahlt wurden. Nach der Währungsreform gestaltete sich die Lage für die Heimarbeiter zunächst sehr ungünstig. Viele Unternehmen entließen aus Kapitalmangel einen großen Teil ihrer Heimarbeiter. Mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit erhöhte sich insbesondere unter den in ländlichen Bezirken wohnenden Flüchtlingen, denen keine Möglichkeit zu einer anderen Beschäftigung am Wohnort oder in der näheren Umgebung geboten werden konnte, die Nachfrage nach Heimarbeit. Im Januar 1949 wurden in Nordrhein-Westfalen von 3329 Auftraggebern insgesamt 38590 Heimarbeiter beschäftigt. Hinzu kamen noch etwa 10000 Heimarbeiter in der Minden-Bündener-Zigarrenindustrie 98 und zahlreiche erstmalig oder kurzfristig mit Heimarbeit beschäftigte Personen, so daß die Gesamtzahl der Heimarbeiter etwa 50000 betrug und damit den Vorkriegsstand des Jahres 1938 erreichte.99 95

HStA-NW 62/184 (Schreiben des Leiters des Arbeitsamtes Wuppertal an den Reichstreuhänder der Arbeit vom 5. Juli 1941). 96 HStA-NW 62/146-147 (Rundverfügung 225/44 des Präsidenten des Gauarbeitsamtes und Treuhänders der Arbeit vom 15. September 1944), Blatt 34. 97 HStA-NW 37/721 II (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Krefeld an Arbeitsminister vom 14. Dezember 1949), Blatt 79. 98 HStA-NW 37/721 II (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Minden an Arbeitsminister vom 19. Dezember 1949), Blatt 61. 99 HStA-NW 37/721 II (Schreiben des Arbeitsministers an den Bundesminister für Arbeit vom 15. März 1950), Blatt 94. Teilabdruck in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 96-98.

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II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Die Heimarbeit konzentrierte sich auf einige wenige Standorte und auf bestimmte Erzeugnisse, wie die Solinger Schneidwarenindustrie, die Wuppertaler Bandwirkerei- und -Weberei, die Krefelder Krawattennäherei, die Aachener Korbwarenherstellung, die Bielefeld-Herforder Wäsche- und Kleiderkonfektion, die Minden-Bündener Zigarrenindustrie und die Hagener Kettenindustrie.100 Die Arbeits- und Lohnschutzbestimmungen für die Heimarbeit regelte das Heimarbeitsgesetz von 1939.101 Das Heimarbeitsgesetz übertrug den Gewerbeaufsichtsämtern, dem Reichstreuhänder der Arbeit und den Sondertreuhändern der Heimarbeit sowie den Arbeitsämtern verschiedene Aufgabengebiete bei der Überwachung der Heimarbeit. Als nach dem Krieg die Reichstreuhänderverwaltung aufgelöst wurde, war zunächst unklar, wer das Aufgabengebiet der Reichstreuhänder übernehmen sollte. In Nordrhein-Westfalen wurde bis Ende 1945 die Entgeltüberwachung neu aufgebaut.102 Mit der Entgeltüberwachung wurden zwei Entgeltprüferinnen des Landesarbeitsamtes beauftragt, die die Entgeltkontrollen bei den mit Heimarbeit Beschäftigten durchführten - aber auch nur in der Bekleidungsindustrie, weil „sie deren schwierige Tarife besonders gut beherrschen". Gelegentlich wurden Heimarbeiterkontrollen auch von Gewerbeaufsichtsbeamtinnen durchgeführt. Mit Stichproben allein konnten aber die Mißstände in der Heimarbeit nicht behoben werden.103 Die Heimarbeiter waren weitgehend hilflos dem Gebaren der Unternehmen ausgesetzt. So wurde von einem Tag zum anderen die Ausgabe von Heimarbeit eingestellt oder in den eigenen Betrieb verlagert, ohne Rücksichtnahme auf die Heimarbeiter, die teilweise seit Jahren für das Unternehmen gearbeitet hatten. Außerdem wichen Auftraggeber ihren tarifli100

Ebd. Heimarbeiterschutz wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland üblich. Das erste Schutzgesetz für Heimarbeit wurde 1911 erlassen (Hausarbeitsgesetz vom 20. Dezember 1911, in: Reichsgesetzblatt 1911, S. 976). Es enthielt im wesentlichen nur Vorschriften über den Betriebs- und Gesundheitsschutz in der Heimarbeit. Lohnschutzvorschriften mit Aushang von Lohnverzeichnissen und Angaben von Lohnbüchern und Arbeitszetteln erfolgten am 1. Januar 1918. Eine Neufassung des Hausarbeitsgesetzes wurde dann am 27. Juni 1923 (Reichsgesetzblatt 1923, S. 467) vom Reichstag verabschiedet. Wenn auch das Hausarbeitsgesetz von 1923 einen großen Fortschritt auf dem Gebiet des Heimarbeitsschutzes bedeutete, so ließen doch die Schwerfälligkeit der Fachausschüsse für die Überwachung des Entgelts der Heimarbeit und unzureichende Gesetzesvorschriften das Gesetz scheitern. Demgegenüber stellte das Heimarbeitsgesetz vom 23. Mai 1934 (Reichsgesetzblatt 1934, S. 214) sowie seine Neufassung vom 30. Oktober 1939 (Reichsgesetzblatt 1939, S. 2145) eine wesentliche Verbesserung des Heimarbeitsschutzes dar. 102 HStA-NW 37/721 II (Schreiben des Arbeitsministers an Bundesminister für Arbeit vom 15. März 1950), Blatt 96. 103 HStA-NW 37/47 (Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen über die Organisation und Tätigkeit der Gewerbeaufsicht 1950, Anlage G), Blatt 4 und 12. 101

2. Reaktion auf die steigende Frauenerwerbslosigkeit

111

chen Verpflichtungen aus. In der Solinger Schneidwarenindustrie kündigten Arbeitgeber Tarifverträge und setzten es durch, daß der Grundpreis bis zu 35% gekürzt wurde. Das führte dazu, daß Stundenlöhne, die bis Ende 1948 zwischen 1,20 DM und 2,40 DM lagen, teilweise bis auf 0,60 DM zurückgestuft wurden.104 Die Mißstände in der Heimarbeit waren allgemein bekannt, und der Wirtschaftsrat versuchte auch mit einer Neufassung des Heimarbeitsgesetzes die Rechte der Heimarbeiter, die Pflichten der Unternehmen und die Kontrollaufgaben des Staates festzuschreiben.105 Aber erst nach Gründung der Bundesrepublik konnte der Deutsche Bundestag 1950 ein Heimarbeitsgesetz verabschieden, das das Heimarbeitsrecht wesentlich verbesserte.106 Mit der Einführung eines freiwilligen landwirtschaftlichen Lehrjahres im Landesarbeitsamtsbezirk Nordrhein-Westfalen versuchten die Arbeitsbehörden, die Arbeitslosigkeit vor allem unter der weiblichen Jugend in den Griff zu bekommen.107 Das landwirtschaftliche Lehrjahr löste eine heftige öffentliche Diskussion aus. Die Hausfrauenverbände begrüßten die Einführung des landwirtschaftlichen Lehrjahres als einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der kinderreichen Familien und als Vorbereitung der jungen Mädchen auf ihre spätere Rolle als Hausfrau und Mutter.108 Massive Kritik äußerten die Gewerkschafterinnen. Sie stießen sich zunächst einmal daran, daß das Lehrjahr im Grunde nichts anderes war als das nationalsozialistische Pflichtjahr.109 Und das war entgegen den natio104

HStA-NW 37/721 II (Schreiben des Arbeitsministers an Bundesminister der Arbeit vom 15. März 1950), Blatt 96. 105 HStA-NW 62/169 (Wirtschaftsrat Drucksache Nr. 1346 vom 18. Juni 1949. Antrag des Verwaltungsrats - Entwurf eines Heimarbeitsgesetzes mit Begründung), Blatt 1-25. 106 Heimarbeitsgesetz vom 14. März 1951 (Bundesgesetzblatt 1951, S. 191) und 1. Rechtsverordnung zur Durchführung des Heimarbeitsgesetzes vom 9. August 1951 (Bundesgesetzblatt 1951, S. 511). Die Gesetzestexte sind auch abgedruckt in: Heimarbeitsgesetz. Kommentar von Wilhelm Maus, München 1953. Erstmals enthielt das Heimarbeitsgesetz Vorschriften über Kündigungsfristen. Es umfaßte auch den Schutz der in Heimarbeit beschäftigten Hilfskräfte von Hausgewerbetreibenden und ihnen gleichgestellten Personen. 107 Hamann, Erna: Die Situation der Frauenarbeit, in: Arbeitsblatt 1, 1949, Nr. 4, S. 124-128, hier: S. 126. 108 Kipp-Kaule, Liesel: Hauswirtschaftliches Lehr- oder Anlern Verhältnis? in: Die Genossin 1948, Nr. 7, S. 92-94. 109 Zum nationalsozialistischen Pflichtjahr: Albrecht, Gertrud: Das Pflichtjahr, Berlin 1942; Arnold, Ilse: So schaffen wir! Mädeleinsatz im Pflichtjahr, Stuttgart 1941. Das Pflichtjahr ist nicht zu verwechseln mit der Arbeitsdienstpflicht und dem Landjahr. Der Frauenarbeitsdienst (FAD), der sich aus dem 1932 geschaffenen Arbeitsdienst der weiblichen Jugend entwickelte, hatte zunächst die Aufgabe, arbeitslose Mädchen umzuschulen und in Stellen auf dem Land und in städtischen Haushalten zu vermitteln. Der Dienst dauerte 26 Wochen und wurde freiwillig geleistet. Mit

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II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

nalsozialistischen Intentionen ein Fehlschlag gewesen. Denn das Pflichtjahr hielt weder die Landflucht auf, noch konnte das Interesse an hauswirtschaftlichen Berufen geweckt werden. Im Grunde war die Ablehnung gegenüber den hauswirtschaftlichen Berufen darauf zurückzuführen, daß die Arbeitsbedingungen schlecht waren und daß die Bezahlung zu gering ausfiel. Außerdem war die Arbeitszeit unregelmäßig und engte somit den persönlichen Freiraum der Mädchen stark ein.110

2.3.

Kritik der Gewerkschaften an den eingeleiteten Maßnahmen und Gegenvorschläge zur Verbesserung der Lage der berufstätigen Frau

Die gewerkschaftlichen Frauenausschüsse forderten deshalb auch bessere Arbeitsbedingungen und die „Schaffung von Arbeitsverträgen auch für Hausangestellte auf Grund von Tarifverträgen". 111 Wenn diese Vorbedingungen befriedigend gelöst seien, so die Gewerkschafterinnen, „werden auch junge Mädchen gern den Hausangestelltenberuf ergreifen". 112 Wie gering die Bereitschaft unter den Frauen war, eine Hausarbeitsstelle anzutreten, belegt die Statistik. Am 30. Juni 1949 fielen 38,8% aller bei den Arbeitsämtern gemeldeten offenen Stellen unter die Rubrik „Hausgehilfinnen und verwandte Berufe". 113 Die Mehrzahl der weiblichen Arbeitssuchenden lehnte jedoch eine Vermittlung in diese Stellen ab, „gegebenenfalls unter Verzicht auf die Arbeitslosenfürsorge". 114 Statt junge Mädchen ein landwirtschaftliches Lehrjahr ableisten zu lassen, sollte ihnen nach Ansicht der Gewerkschafterinnen in einem weit größeren Umfang als bisher die Möglichkeit eröffnet werden, an der LehrFortsetzung Fußnote von Seite

III

Kriegsbeginn wurden ledige Frauen zum Arbeitsdienst eingezogen. Dazu: Marawske-Birkner, Lilli: Der weibliche Arbeitsdienst. Seine Vorgeschichte und gegenwärtige Gestaltung, Leipzig 1942. Das Landjahr bestand seit 1934 und sollte den schulentlassenen Jugendlichen aus Großstädten Gelegenheit geben, durch Arbeit auf dem Lande die Mißverständnisse zwischen Stadt und Land abzubauen. Dazu: Das Landjahr. Hrsg. von Erwin Gentz, Eberswalde o.J. 110 Kipp-Kaule, Liesel: Hauswirtschaftliches Lehr- oder Anlernverhältnis, S. 93. 111 ADGB-BV/2 (Protokoll über die Tagung der Frauenausschüsse der Bünde vom 25.-27. Januar 1949 in Rod a.d.Weil [Taunus], Anhang: Stellungnahme zum hauswirtschaftlichen Lehr- und Anlernverhältnis in privaten Haushaltungen). 112 Bericht über eine Sitzung des Landesfrauenausschusses Württemberg-Baden, in: Die Genossin 1949, Nr. 2, S. 46. Vgl. auch: Warum Mangel an Hausgehilfinnen, in: Beruf und Arbeit 1948, Nr. 38, S. 5. 113 Hamann, Erna: Die Frau auf dem Arbeitsmarkt, in: Arbeitsblatt 1, 1949, Nr. 11, S. 423-426, hier: S. 424. 114 Hamann, Erna: Die Situation der Frauenarbeit, S. 125.

2. Reaktion auf die steigende Frauenerwerbslosigkeit

113

lingsausbildung teilzunehmen. Diesem Vorschlag standen jedoch Ende der 40er Jahre zwei wesentliche Hindernisse entgegen: die ablehnende Einstellung der Öffentlichkeit und der gewerblichen Wirtschaft gegenüber der Frauenarbeit. Es war allgemein üblich, daß der Sohn nach der Schulentlassung eine Berufsausbildung aufnahm; für die Tochter war das keine Selbstverständlichkeit. Wenn die Tochter einen Beruf ergriff, so war das in der Regel der Beginn eines wenige Jahre umfassenden Durchgangsstadiums, das mit der Heirat endete. Eltern gaben nicht selten den Ausschlag bei der Berufswahl ihrer Tochter, wobei sie sich weniger von Interessen und Begabungen leiten ließen, sondern an der späteren Rolle ihrer Tochter als Hausfrau und Mutter orientierten, und das hieß, Hinwendung auf hauswirtschaftliche Tätigkeitsbereiche. 115 Die gewerbliche Wirtschaft hatte diese gesellschaftlichen Vorgaben zu berücksichtigen und verschloß der weiblichen Jugend bestimmte Lehrberufe. Denn es lohnte sich nicht für die Betriebe, eine kostenintensive Ausbildung durchzuführen, wenn die Jugendliche kurze Zeit nach der Ausbildung ihre Berufstätigkeit aufgab, um zu heiraten. Hinzu kam, daß viele Mädchen, auf ihre späteren Aufgaben in der Familie fixiert, kaum eine innere Beziehung zu ihrer Berufstätigkeit entwickelten und deswegen häufig den Arbeitsplatz wechselten, was die Unternehmen immer wieder bemängelten. Während Ende 1946 in der britischen Besatzungszone den männlichen Schulentlassenen die Wahl zwischen 200 Lehrberufen offen stand, waren es bei den Mädchen weniger als 60. Auf 300120 männliche Lehrlinge kamen 82781 weibliche. Mehr als zwei Drittel der weiblichen Lehrlinge wurden als Verkäuferin (36411), Schneiderin (16349) und Friseuse (6853) ausgebildet. Es folgten mit Abstand: ländliche Hausarbeitslehrlinge (4361), Putzmacherinnen (3534), ländliche Hauswirtschaftslehrlinge (1964) und Wäscheschneidernenin (1108), um hier nur die Lehrberufe anzugeben, die mehr als 1000 Lehrlinge aufwiesen. 116 Wenn dieser Zustand geändert werden sollte, dann mußte vor allem die Einstellung der Eltern und der breiten Öffentlichkeit gegenüber der Berufsaufnahme der weiblichen Jugend eine grundsätzliche Wandlung erfahren. Margarete Brendgen vom Düsseldorfer Landesarbeitsamt bot eine Lösung an: ein Drei-Punkte-Programm zur Revidierung überkommener

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Hamann: Die Frau auf dem Arbeitsmarkt, S. 425-426. Molle, Fritz: Die Lehrlinge in der britischen Zone, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 5, S. 161-165, hier: S. 165. Ein Jahr später verbesserte sich die Ausbildung für die weibliche Jugend etwas. Mit Stand vom 30. September 1947 waren 2592 weibliche Nachwuchskräfte in überwiegend oder ausschließlich männlichen Berufen als Lehr- oder Anlernlinge tätig. 116

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II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Verhaltensmuster und zur Verbesserung der Chancen für die weibliche Jugend auf dem Arbeitsmarkt. 117 Zunächst einmal forderte sie den Ausbau der Berufsberatung, um die „Spannung zwischen Beruf und Verheiratung" abzubauen. 118 Ihrer Ansicht nach konnte das am beste durch die Einbeziehung der Eltern in die Berufsberatung erreicht werden. Konkret hieß das: die Berufsberatung sollte sich mit Vorlesungen und Tagungen in die Ausbildung der künftigen Lehrerinnen, Fürsorgerinnen und Jugendpflegerinnen einschalten; auch sollte die Berufsberatung die Eltern auf Schulelternabenden auf die Berufsmöglichkeiten ihrer Töchter hinweisen und sich in Presse und Rundfunk an die Öffentlichkeit wenden. Weiterhin forderte Margarete Brendgen eine bessere Schulausbildung. So sollten die Bildungsziele der allgemein- und berufsbildenden Schulen neu formuliert werden. Im einzelnen hieß das: Verlängerung der Schulpflicht von acht auf neun Schuljahre; einheitlicher Bildungsstand für Jungen und Mädchen bei Abschluß der Schulzeit; Vorbereitung der Mädchen nicht nur „auf Heim, Ehe und Familie", 119 sondern zugleich auch Heranbildung für das Erwerbsleben in der Wirtschaft; Reform der höheren Schule, damit die Mädchen Bildung nicht als Selbstzweck, sondern als soziale Verpflichtung verstehen. Im dritten Punkt ihres Programms forderte Margarete Brendgen einen verstärkten Ausbau des Lehrstellenangebots für weibliche Jugendliche. Durch den Ausbau des weiblichen Lehrstellenangebots erhoffte sie sich eine Ausweitung der qualifizierten Frauenarbeit, um damit „die Berufsarbeit der Frau aus der ungelernten herauszuziehen und sie zu einer selbständigen und verantwortlichen zu machen". 120 Denn in der Hauswirtschaft und in der Industrie stand die Frau im allgemeinen noch immer auf der Stufe der Hilfskraft. Für die Hauswirtschaft forderte sie deshalb auch die Einführung des hauswirtschaftlichen Anlernverhältnisses und die Förderung der hauswirtschaftlichen Lehre und für die Industrie die Einrichtung von Lehrwerkstätten und die Übertragung der Ausbildungsleitung auf weibliche Ausbilder. Sie schloß ihre Ausführungen mit der Feststellung: „Es muß ... sowohl im Interesse der berufstätigen Frau als auch im Interesse des Ausbaus

117 Brendgen, Margarete: Fragen der weiblichen Berufsberatung. Referat gehalten am 27. Juli 1948 im Ausschuß für Frauenfragen. Anlage zur Niederschrift über die Sitzung des Fachausschusses für Frauenfragen vom 27. Juli 1948, S. 1-8 (HStA-NW 45/115-122). Vgl. auch den Artikel von Erna Hamann, die stärker auf organisatorische Fragen der Arbeitsvermittlung eingeht: Hamann, Erna: Arbeitsmarkt und Arbeitsvermittlung der Frauen, in: Arbeitsblatt 1, 1949, Nr. 12, S. 4 6 5 ^ 6 9 . 118 HStA-NW 4 5 / 1 1 5 - 1 2 2 (Brendgen, S. 2). 119 Ebd., S. 3. 120 Ebd., S. 6.

2. Reaktion auf die steigende Frauenerwerbslosigkeit

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unserer Wirtschaft das Ziel der Nachwuchslenkung sein, das Niveau der Frauenberufsarbeit zu heben". 121 Von dem, was Margarete Brendgen vorschlug, wurde bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland so gut wie nichts realisiert. Die geforderte Neuorientierung im weiblichen Lehrlingswesen hätte aber auch eine Bewußtseinsveränderung der Bevölkerung vorausgesetzt, zumindest hätte sie von den Arbeitsbehörden und den Politikern forciert und von der Wirtschaft unterstützt werden müssen. 122 Dazu fehlte fast jede Bereitschaft. Als Anfang 1949 die Frauenarbeitslosigkeit spürbar anstieg, wurde im Arbeitsministerium die Möglichkeit diskutiert, den weiblichen Berufsraum zu erweitern. Die Gewerbeaufsichtsämter wurden um Vorschläge gebeten, Tätigkeiten zu nennen, die für Frauen geeignet seien, bisher aber noch nicht von Frauen ausgeführt worden waren. 123 Die eingereichten Vorschläge, die im Arbeitsministerium zu einem nach Wirtschaftszweigen geordneten „Katalog der Frauenarbeit" zusammengestellt wurden, der dann den Arbeitsämtern für ihre Vermittlungsarbeit zur Verfügung gestellt werden sollte, führte ausschließlich Hilfsarbeiten auf. Im Wirtschaftszweig Steine und Erden schien nach Ansicht der Gewerbeaufsichtsämter für Frauen geeignet die Werkzeugausgabe (sofern neben der Frau noch ein männlicher Arbeiter anwesend war), die Kontrolle des Wasserzulaufs an Misch- und Rührschnecken 124 und in Schmirgelpapierfabriken das Schneiden, Zählen, Aufleimen und Verpaken der Schmirgelpapierbogen. 125 Und allen Ernstes wurde im Bereich Brand- und Formsteinherstellung vorgeschlagen, Frauen könnten sich eignen für das Mischen von Farben und das Naßhalten von Formlingen. 126 Kein Arbeitgeber wäre bereit gewesen, für diese niederen Dienste, die 121

Ebd., S. 8. Die Bemühungen des Arbeitsministeriums, das Anfang März 1949 die Arbeitsämter instruierte (HStA-NW 45/6 [Rundverfügung Nr. 115/49 des Arbeitsministeriums an die Vorsitzenden der Arbeitsämter vom 2. März 1949]), „in Anbetracht. . .der unumgänglichen Notwendigkeit einer gegenwärtigen und zukünftigen Erweiterung der Berufsmöglichkeiten der Frau...in enger Zusammenarbeit und unter Hinzuziehung der örtlichen Berufsvertretungen und antragstellenden Ausbilder" zu prüfen, „welche Lehr und Anlernstellen in Landwirtschaft, Handwerk, Industrie, Handel, Verwaltung, die bisher für männliche Jugendliche vorgesehen waren, von weiblichen Nachwuchskräften eingenommen werden können", scheiterten im wesentlichen an den Vorbehalten des Handwerks. 123 HStA-NW 37/647 I (Rundverfügung Nr. 237/49 des Arbeitsministeriums an die Vorsitzenden der Arbeitsämter vom 7. April 1949). 124 HStA-NW 37/647 II (Aufzeichnung der Abteilung III Β 3 vom 24. Januar 1951), Blatt 206-209. 125 HStA-NW 37/647 I (Schreiben des Arbeitsministeriums an das Landesarbeitsamt Düsseldorf vom 7. März 1950), Blatt 205-206. 126 HStA-NW 37/647 II (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Dortmund an Arbeitsministerium vom 5. Juni 1950), Blatt 224-225. 122

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II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

von den Arbeitnehmern so nebenher übernommen wurden, extra eine weibliche Hilfskraft einzusetzen. Im Druckgewerbe lehnten die Unternehmer, auch wenn sie Arbeitsvorgänge für Frauen anzubieten hatten, die Einstellung von Frauen rigoros ab, da „in einigen Jahren durch Ausscheiden eines Teils dieser Kräfte infolge Heirat der Nachwuchs in Frage gestellt und hierdurch die Leistungsfähigkeit des gesamten Druckereigewerbes gemindert wird".127 Die Aktion wurde schließlich eingestellt, da die Sachbearbeiter im Arbeitsministerium erkannten, daß ihre Bemühungen ohne Erfolg blieben.

3.

Zurückdrängung der Frau von Männerarbeitsplätzen

3.1.

Veränderte Einstellung von Wirtschaft und Verwaltung gegenüber erwerbstätigen Frauen

Parallel zu den Bemühungen für arbeitslose Frauen Arbeitsmöglichkeiten ausfindig zu machen, nahm die Bereitschaft zu, die weibliche Erwerbstätigkeit einzuschränken. Gefördert wurde diese Entwicklung durch mehrere Faktoren. Einmal durch die veränderten Wirtschaftsbedingungen, zum anderen durch die steigende Männerarbeitslosigkeit, aber auch durch die Aufhebung der Ausnahmebestimmungen im Arbeitsschutz. So gingen Arbeitgeber dazu über, unqualifizierte Frauen durch qualifizierte Männer zu ersetzen, um im Kampf um Produktionsleistungen und Marktanteile konkurrenzfähig zu bleiben. Behörden und Verkehrsbetriebe kündigten weiblichen Arbeitnehmerinnen, weil sie glaubten, es ihren Mitarbeitern, die aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt waren, schuldig zu sein, den früheren Arbeitsplatz freizumachen. Und die Arbeitsbehörden drängten die Unternehmen, Frauen von Männerarbeitsplätzen (mit erschwerten Arbeitsbedingungen) zu entfernen und Frauen nicht mehr in Nachtschichten einzusetzen. Bis zur Währungsreform konnten es sich die Unternehmen leisten, Frauen, die keine Berufsausbildung besaßen, auf Männerarbeitsplätzen einzusetzen, wo sie in der Regel Aushilfsdienste übernahmen. Qualität spielte in dieser Zeit keine übergeordnete Rolle, da der Markt durch die Zonentrennung und den fehlenden Auslandsexport kaum Konkurrenz bot.128 Das änderte sich mit der Währungsumstellung und der Belebung der Konjunktur. Der Export nahm zu und setzte ebenso wie das Verbraucherverhalten höhere Maßstäbe in die Qualität und die Produktvielfalt. 127

HStA-NW 50/1436 (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Aachen an Arbeitsministerium vom 15. August 1949). 128 Hardach, Karl: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1976, S. 125.

3. Zurückdrängung der Frau von Männerarbeitsplätzen

117

Diese neue Situation zwang die Unternehmen zur Rationalisierung und zur Anwerbung besonders qualifizierter Facharbeiter.129 Diese Neuorientierung der Unternehmenspolitik führte zu umfangreichen Entlassungen, bestenfalls zu Umsetzungen, von unqualifizierten Frauen, die durch heimkehrende Kriegsgefangene oder abgeworbene Fachkräfte aus dem Handwerk ersetzt wurden.130 Protest an diesen Maßnahmen wurde nicht laut. Die Gewerkschaften und Betriebsräte anerkannten die Notwendigkeit dieser Maßnahme. Die Öffentlichkeit erfuhr von diesen Vorgängen, wenn überhaupt, nur am Rande; in der Tagespresse war das kein Thema. Da die Frauen nicht qualifiziert waren, mußten sie eben damit rechnen, entlassen zu werden.

3.2.

Doppelverdiener im öffentlichen Dienst

Erregte öffentliche Diskussionen gab es hingegen, wenn Frauen, die ein Studium absolviert hatten, aus akademischen Berufen ausscheiden und Männern Platz machen sollten oder wenn Frauen, deren Tätigkeit sich in aller Öffentlichkeit vollzog, ihren männlichen Kollegen weichen mußten. Dann erhob sich ein Sturm der Entrüstung: Tageszeitungen, Frauenzeitschriften und der Rundfunk berichten ausführlich über diese „Ungerechtigkeiten". Eine besondere Zielscheibe für die öffentliche Kritik war das Gebaren im öffentlichen Dienst. Seit Jahren gab es dort zahlreiche Stellen, die nicht besetzt waren, obwohl genügend Anwärter zur Verfügung standen. Die unübersehbaren Lücken waren entstanden durch die Gefallenen und die Kriegsgefangenen, vor allem aber durch die Säuberungsmaßnahmen der Besatzungsmacht im Rahmen der Entnazifizierung.131 Der öffentliche Dienst besetzte aber nur sehr zögerlich die freigewordenen Stellen, und auch dann blieb der größere Teil unbesetzt: entweder waren die Stellen gesperrt und blieben reserviert für die entlassenen Kriegsgefangenen 132 , 129 Siebert, Valentin: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik in der Nachkriegszeit, Stuttgart 1956, S. 64-65. 130 Ebd. 131 Krüger, Wolfgang: Entnazifiziert! Zur politischen Praxis der politischen Säuberung in Nordrhein-Westfalen, Wuppertal 1982. 132 Eigentlich war es untersagt, für die Kriegsgefangenen Arbeitsplätze freizuhalten. Nach Kriegsende setzte die britische Besatzungsmacht mit der Arbeitsvermittlungsdirektive Nr. 33 vom 14. Juni 1946 die Verordnung zur Abänderung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiet des Arbeitsrechts vom 1. September 1939 (Reichsgesetzblatt 1939, S. 1683) außer Kraft, die den Wehrmachtsangehörigen ein Anrecht auf ihren alten Arbeitsplatz zugestand. Der Präsident des Zentralamtes für Arbeit bestätigte Ende Januar 1948, daß weiterhin die Anordnung der Militärregierung gälte (Anordnung des Präsident des Zentralamts für Arbeit betr. Arbeitsverhältnis entlassener Kriegsgefangener vom 26. Januar 1948, abgedruckt in: Arbeits-

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II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

oder sie blieben unbesetzt, weil Kommunen und Staat die Finanzmittel für eine Personalaufstockung nicht aufbringen konnten. Dieser Umstand zwang viele Jungakademiker und Jungakademikerinnen zur Arbeitslosigkeit. Der Neid auf diejenigen, die eine Stelle hatten, war groß und nahm noch zu, wenn beide Ehepartner verdienten, es sich also um sogenannte Doppelverdiener handelte. Das negativ besetzte Schlagwort von den Doppelverdienern, das schon nach dem Ersten Weltkrieg und dann während der Weltwirtschaftskrise viel Schaden angerichtet hatte, wurde auch in der Nachkriegszeit aktiviert und beschränkte sich fast ausschließlich auf die akademischen und Beamtenkreise. 133 Der Angriff richtete sich dabei ausschließlich gegen die erwerbstätige Ehefrau, der vorgeworfen wurde, einem arbeitslosen Kollegen die Stelle zu versperren. Es bestand jedoch für den Dienstherrn die Möglichkeit, die Doppelverdiener zu entlassen. Während des „Dritten Reiches" war nämlich im Jahre 1937 das Reichsbeamtengesetz (RBG) geändert worden. 134 Es sah im § 63, Abs. 1 vor, daß eine verheiratete Beamtin zu entlassen war, wenn ihre Versorgung als gesichert gelten konnte, worunter das Anrecht des Ehemannes auf eine Beamtenpension verstanden wurde. Aufgrund der prekären Stellensituation im öffentlichen Dienst häuften sich seit 1946 die Fälle, daß erwerbstätigen Frauen nach ihrer Verheiratung gekündigt wurde. Ende 1947 sah sich das nordrhein-westfälische Innenministerium veranlaßt, gegen diese Praxis einzuschreiten. Im Innenministerium wurde die Ansicht vertreten, daß der § 63 RGB „typisch nationalsozialistisches Gedankengut (enthalte) und daher nicht mehr verbindlich (sei)". 135 Verbindlich hingegen sei die Weimarer Verfassung, die bisher noch nicht außer Kraft gesetzt worden sei. In ihr sei in Artikel 109 der Grundsatz der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Geschlechter zum Gesetz erhoben, und unter Zugrundelegung dieses Grundsatzes seien in Artikel 128 ausdrücklich alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte beseitigt. In diesem Sinne habe auch das Reichsgericht in der Weimarer Republik die Entlassung weiblicher Beamten nach ihrer Verheiratung für verfassungswidrig erklärt. Schließlich äußerte der Sachbearbeiter, der eine Vorlage für den MiniFortsetzung Fußnote von Seite 117 blatt für die britische Zone 2, 1948, Nr. 3, S. 82). Die Behörden fanden immer wieder Möglichkeiten, diese Anordnung zu umgehen. Vgl. auch: Der Anspruch des Heimkehrers auf den alten Arbeitsplatz, in: Beruf und Arbeit 1947, Nr. 12, S. 10-11. 133 Vgl. die Artikel aus Frauenzeitschriften, die abgedruckt sind in: Schubert: Frauen in der deutschen Nachkriegszeit, S. 328-330. 134 Reichsbeamtengesetz vom 26. Januar 1937 (Reichsgesetzblatt 1937, S. 39). 135 HStA-NW 110/849 (Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte. Aktennotiz vom 3. Dezember 1947).

3. Zurückdrängung der Frau von Männerarbeitsplätzen

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ster ausarbeitete, die Meinung, daß „bei einem Widerspruch zwischen einer Grundrechtsbestimmung der Weimarer Verfassung und einem NS-Gesetz heute nicht das NS-Gesetz (vorgeht), sondern die Verfassungsbestimmung". Und weiter: „Demnach stützen sich die (in der letzten Zeit) getroffenen Maßnahmen gegen weibliche Beamten auf ein nicht mehr geltendes Gesetz und sind daher nichtig und rückgängig zu machen". 136 Der SPD-Innenminister Walter Menzel stimmte mit den Ausführungen seines Sachbearbeiters überein und übermittelte seinen Ministerkollegen am 15. Januar 1948 seine Stellungnahme. 137 Er bat um Revision des § 63 RBG mit seiner sogenannten Zölibats-Klausel. Das Kabinett stimmte dem Antrag des Innenministers zu, und mit Runderlaß vom 26. Februar 1948 wurde festgestellt, daß die weitere Anwendung der Vorschriften des § 63, Abs. 1 RGB bei verheirateten weiblichen Beamten mit den geltenden staatsrechtlichen Grundsätzen nicht mehr vereinbar sei.138 Das hinderte jedoch nicht das Landesverwaltungsgericht Münster in einem Rechtsstreit die Klage einer Volksschulehrerin abzuweisen, die auf Wiedereinstellung geklagt hatte, nachdem sie im Dezember 1946 entlassen worden war. Die ehemalige Lehrerin stützte ihre Klage auf den Erlaß des Innenministers. Das Gericht erklärte, daß dieser Erlaß für die Gerichte nicht verbindlich sei und führte aus, daß § 63 RGB weder als nationalsozialistische Sonderbestimmung, noch als undemokratisch, noch als Sonderbestimmung gegen sämtliche weiblichen Beamten, sondern vielmehr nur als eine gegen verheiratete und dabei hinreichend versorgte weibliche Beamte gerichtete Maßnahme anzusehen sei, die nur den Zweck habe, die Not der noch nicht untergebrachten Anwärter auf Beamtenstellen zu beheben. 139 136 Ein anderer Sachbearbeiter sprach sich gegen die Weiterbeschäftigung von schwangeren Frauen aus. Seiner Ansicht nach war es für den öffentlichen Dienst untragbar, „sowohl im Verhältnis zu den männlichen Kollegen als auch zum Publikum, daß eine hochschwangere Frau sich in diesem Zustand im Dienst präsentiert". Und er führte weiter aus: „Hinzu kommt aber auch, daß eine Frau nach Eintritt der Schwangerschaft in den meisten Fällen für den Dienst wiederholt und längere Zeit ausfallen wird. Diese Ausfälle werden sich nach der Entbindung nach allgemeiner Erfahrung fortsetzen bzw. wiederholen. Es kann aber dem öffentlichen Dienst nicht zugemutet werden, solche Beamtinnen mit durchzuschleppen und andere Beamtinnen oder Beamten ihren Dienst tun zu lassen" (HStA-NW 110/849 [Aktennotiz vom 10. Dezember 1947]). 137

HStA-NW 110/849 (Schreiben des Innenministers an sämtliche Minister vom 15. Januar 1948). Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 74-77. 138 Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. März 1948, S. 78. Eine Ergänzung erfolgte in einem Runderlaß des Innenministers vom 14. Mai 1949 (Ministerialblatt des Landes Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1949, S. 649), der jetzt auch weibliche Büroangestellte miteinbezog. 139 HStA-NW 110/849 (Abschrift des Gerichtsurteils vom 18. November 1949 in dem Verwaltungsrechtstreit der Maria D. gegen den Regierungspräsidenten Münster). Teilabdruck in : Frauen in der Nachkriegszeit, S. 89-92.

120

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Desweiteren machte das Gericht geltend, daß ein Gesetz nicht dadurch unwirksam werde, daß es mit den geltenden staatsrechtlichen Grundsätzen oder den „modernen demokratischen Grundgedanken" nicht mehr vereinbar sei. Da eine einheitliche Auffassung darüber, was unter „geltenden staatsrechtlichen Grundsätzen" und „modernen demokratischen Grundgedanken" zu verstehen sei, weder in der Rechtslehre noch in der Anschauung der Bevölkerung vorhanden sei, könnten derartige Ansichten eines mehr oder weniger bestimmbaren Teiles der Bevölkerung nicht zur Aufhebung gesetzlicher Bestimmungen führen. Die antidemokratische Einstellung des Gerichts wurde im Innenministerium mit Bedauern zur Kenntnis genommen.140 Das Urteil mußte akzeptiert werden, da es rechtskräftig war und somit keine Berufung beim obersten Verwaltungsgericht eingelegt werden konnte. Damit blieb weiterhin die Möglichkeit bestehen, verheirateten Beamtinnen zu kündigen, und dieses Recht wurde schließlich durch das Bundespersonalgesetz vom 17. Mai 1950 bestätigt,141 die den strittigen Zölibats-Paragraphen nur insoweit abänderte, als aus der Muß-Vorschrift eine Kann-Vorschrift wurde.142

3.3.

Entlassung von Straßenbahnschaffnerinnen

Großen Anteil nahm die Öffentlichkeit auch an der Entlassung von Straßenbahnschaffnerinnen, an deren Anblick sich die Bevölkerung seit den Kriegsjahren gewöhnt hatte. Als erste Gerüchte Mitte 1949 aufkamen, daß in Dortmund Schaffnerinnen durch Männer ersetzt werden sollten,143 stellte das Arbeitsministerium gegenüber der Industriegewerkschaft Metall fest, daß das Ministerium nicht daran interessiert sei, Schaffnerinnen abzulösen, da die Tätigkeit einer Schaffnerin durchaus als geeigneter Frauenberuf angesehen werde.144 Als sich die Gerüchte zu festen Fakten verdichteten, wurde im Arbeitsministerium die Richtlinie ausgegeben, sich 140

HStA-NW 110/849 (Schreiben des Innenministers an die Kultusministerin vom 17. Juli 1950). Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 102-103. 141 Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen (Bundespersonalgesetz) vom 17. Mai 1950 (Bundesgesetzblatt 1950, S. 207). 142 Die Bemühungen des Innenministers, nach der Verabschiedung des Bundespersonalgesetzes über einen Kabinettsbeschluß die Gesetzmäßigkeit seines Runderlasses feststellen zu lassen, blieben ohne Erfolg (HStA-NW 110/849 [Schreiben des Innenministers an den Ministerpräsidenten und die Minister vom 25. August 1950]). 143 Die Industriegewerkschaft Metall verdächtigte das Arbeitsministerium die Ablösung der Schaffnerinnen über die Arbeitsämter zu betreiben (HStA-NW 50/1436 [Schreiben der Industriegewerkschaft Metall Mühlheim an das Landesarbeitsamt vom 1. Juni 1949]). 144 HStA-NW 50/1436 (Schreiben des Arbeitsministeriums an die Industriegewerkschaft Metall Mühlheim vom 24. Juni 1949).

3. Zurückdrängung der Frau von Männerarbeitsplätzen

121

nicht in diesen Vorgang einzumischen und allein den Tarifpartnern die Angelegenheit zu überlassen. 145 Um sich der Frauen zu entledigen, benutzten die Verkehrsbetriebe jede sich bietende Gelegenheit. Es reichten schon kleine Unaufmerksamkeiten, um eine Kündigung auszusprechen. 146 Schließlich gingen sie dazu über, an Hand manipulierter Krankentabellen den hohen Krankenstand der Schaffnerinnen nachzuweisen. 147 Amtsärztliche Untersuchungen belegten die Haltlosigkeit solcher Behauptungen. 148 Trotzdem wurde um die Jahreswende 1949/1950 der größte Teil der Schaffnerinnen entlassen, und auch eine Vereinbarung der Gewerkschaft ÖTV und der Vereinigung öffentlicher Verkehrsbetriebe in Essen konnte daran nichts ändern. 149 Ende 1951 waren nur noch ganz vereinzelt Schaffnerinnen in den Ruhrgebietsstädten anzutreffen. 150

3.4. Vorgehensweise von Arbeitgebern und Arbeitsbehörden gegen Frauen auf Männerarbeitsplätzen So rabiat wie die Verkehrsbetriebe und die Industrieunternehmen gingen die Arbeitsbehörden nicht vor, um Frauen von Männerarbeitsplätzen mit erschwerten Arbeitsbedingungen oder auch aus der Nachtarbeit abzulösen. Vor der Währungsreform spielte Nachtarbeit kaum eine Rolle: entweder fehlten Stromkapazitäten oder es bestanden Produktionsbeschränkungen. Nach der Währungsreform nahm die Nachtarbeit unter günstigeren Wirtschaftsbedingungen in einzelnen Industriezweigen sprunghaft zu. 145

HStA-NW 37/647 II (Aktennotiz der Abteilung IVa vom 31. August 1949), Blatt 126-127. Das Gewerbeaufsichtsamt Dortmund meldete, daß einer Schaffnerin gekündigt wurde, weil sie mit einem Fahrgast sprach, während ein anderer noch ohne Fahrschein war (HStA-NW 50/1436 [Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Dortmund an das Arbeitsministerium vom 15. Juni 1949]). 147 Schreiben der Süddeutschen Eisenbahn Gesellschaft an das Arbeitsamt Essen vom 27. Juli 1949, abgedruckt in: Unsere verlorenen Jahre. Frauenalltag in Kriegsund Nachkriegszeit 1939-1949. Hrsg. von Klaus-Jörg Ruhl, Darmstadt 1985, S. 221-222. HStA-NW 37/647-11 (Aufzeichnung des leitenden Arztes des Landesarbeitsamtes, Schuwirth, betr. Beschäftigung von Frauen als Straßenbahnschaffnerinnen vom 8. September 1949), Blatt 122-123. Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 84-86. HStA-NW 37/647 II (Rundschreiben Nr. V/14 der Gewerkschaft ÖTV an die Bezirksleitungen betr. Beschäftigung von Frauen als Straßenbahnschaffnerinnen vom 26. Juni 1950), Blatt 136-137. Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 100-101. 150 Auch die Rheinschiffahrt schränkte die Beschäftigung von Frauen in der Binnenschiffahrt ein. Im November 1948 wurden weibliche Schiffsjungen nur noch auf der Rheinstrecke unterhalb Duisburg zugelassen. (HStA-NW 37/647 I [(Rundschreiben Nr. 125 des Zentralauschusses der deutschen Binnenschiffahrt an den Verband der deutschen Rheinreeder vom 3. November 1948]), Blatt 265. 146

122

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Frauennachtarbeit war vor allem in Lebensmittelfabriken, in der Textilund Bekleidungsindustrie und desweiteren in der chemischen Industrie anzutreffen. Die Gewerkschaften stellten sich, nachdem die Frauennachtarbeit größere Ausmaße angenommen hatte, auf den Standpunkt, Nachtarbeit für Frauen generell zu untersagen, da der Frauenarbeitsschutz Nachtarbeit verbiete. 151 Wiederholt beklagten sie sich bei den Arbeitsbehörden über die Gewerbeaufsichtsämter, die ohne Nachprüfung viel zu schnell und in einem viel zu großen Umfang ihrem Recht, Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, entsprachen. 152 Auch wenn die Gewerkschaften in ihrer Anklage übertrieben bzw. nicht richtig informiert waren, 153 schnitten sie einen Punkt an, der in den Arbeitsbehörden kontrovers gehandelt wurde. Während die Arbeitsschutzabteilung des Arbeitsministeriums daran interessiert war, den Arbeitsschutzbestimmungen wieder allgemeine Gültigkeit zu verschaffen, war die Arbeitsvermittlung bestrebt, den Frauen die Arbeitsplätze zu erhalten. Denn die Ablösung hätte für viele Frauen Arbeitslosigkeit auf unbestimmte Zeit zur Folge gehabt. Das Arbeitsministerium entschloß sich nach internen Beratungen für eine Übergangslösung. Am 18. November 1948 wurde eine Anordnung erlassen, in der alle Ausnahmemöglichkeiten im Rahmen der Arbeitszeitordnung fortfielen. Damit besaß die Arbeitszeitordnung von 1938 wieder ihre volle Gültigkeit. 154 Dann wurden Ausnahmegenehmigungen für Frauennachtarbeit nur noch erteilt, wenn feststand, daß ein „öffentliches Interesse" vorlag 155 und wenn ein Austausch von Frauen und Männern nicht möglich war, weil entweder keine Männer zum Austausch zur Verfügung standen oder Frauen nicht auf anderen Arbeitsplätzen untergebracht werden konnten. Die Arbeitsbehörden waren also bemüht, Frauen aus der Nachtarbeit herauszuziehen, aber nicht, wenn die betroffenen Frauen dadurch arbeitslos wurden. Die Ausnahmeregelungen, die befristet waren und nur für Betriebe mit 151 HStA-NW 50/1436 (Schreiben des Arbeitsministers an Gewerbeaufsichtsamt Siegen vom 25. Juni 1948). 152 HStA-NW 50/1002 (Schreiben des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Bezirk Nordrhein-Westfalen, an Regierungspräsidenten Köln vom 30. November 1948). 153 HStA-NW 50/1002 (Schreiben des Regierungspräsidenten Köln an den Deutschen Gewerkschaftsbund, Bezirk Nordrhein-Westfalen, vom 24. Januar 1949). 154 HStA-NW 37/647 I (Erlaß betr. Arbeitszeitvorschriften vom 18. November 1948). 155 Als am 16. Juli 1948 die Arbeitsgemeinschaft Feinmechanik und Optik Nachtarbeit beantragte (HStA-NW 50/1002), da die Belegschaft an höheren Löhnen interessiert sei, lehnte das Arbeitsministerium mit der Begründung ab: „Die Erhöhung der Lohnerträge und die damit zusammenhängenden Wünsche der Belegschaft können unmöglich als öffentliches Interesse gewertet werden" (HStA-NW 50/1002 [Schreiben des Arbeitsministeriums an die Arbeitsgemeinschaft Feinmechanik und Optik vom 10. August 1948]).

3. Zurückdrängung der Frau von Männerarbeitsplätzen

123

drei Schichten galten, waren an eine ganze Reihe von Bedingungen geknüpft. 156 So mußten die Schichten wöchentlich wechseln, und die Arbeiterinnen durften nicht junger als 18 Jahre alt sein. Untersagt wurde Nachtarbeit für Schwangere und stillende Mütter. Wenn Frauen mit Kindern unter 14 Jahren, die sie beaufsichtigten, Nachtarbeit ablehnten, durften ihnen keine Nachteile entstehen, somit auch keine Entlassung. Schließlich mußte das Unternehmen nachts für warme Mahlzeiten sorgen und eine „einwandfreie Aufsicht" gewährleisten. Im Laufe des Jahres 1949 wurden die Bedingungen weiter verschärft: jetzt wurden Untersuchungen durch den Werksarzt, mindestens einmal im Vierteljahr, für alle Frauen in Nachtarbeit verbindlich, und Frauen, die Kinder unter 3 Jahren zu betreuen hatten, wurde Nachtarbeit grundsätzlich verboten. Die Gewerkschaften waren aber auch damit nicht zufrieden, da die Frauennachtarbeit nur unwesentlich eingeschränkt wurde. Denn immer mehr Unternehmen gingen dazu über, ihre Anträge auf Frauennachtarbeit mit dem Hinweis zu versehen, daß bei Ablehnung des Antrags, die zur Nachtarbeit vorgesehenen Frauen entlassen werden müßten, 157 und die Gewerbeaufsichtsämter befürworteten fast ausnahmslos die Anträge. Die Gewerkschaften warfen den Arbeitsbehörden vor, „bei den Anträgen auf Nachtarbeit nur das Interesse der Arbeitgeber ausschlaggebend (zu berücksichtigen)". 158 Nach ihren Feststellungen leisteten Frauen in den meisten Fällen nur Nachtarbeit, um nicht entlassen zu werden. 159 Arbeitsministerium und Gewerkschaften wollten das gleiche: das Verbot der Frauennachtarbeit. Nur die Wege dorthin stimmten nicht überein. Die Gewerkschaften strebten das totale Verbot an, auch dann, wenn da156

HStA-NW 37/649 I (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Köln an die AigaNahrungsmittelfabrik Köln vom 29. Dezember 1948). 157 HStA-NW 37/649 II (Schreiben der Schraubenfabrik Funcke und Hueck Hagen an Gewerbeaufsichtsamt Hagen vom 21. März 1949). 158 So die Gewerkschafterin Elisabeth Innes in einer Diskussion des Fachausschusses für Frauenfragen über Frauennachtarbeit. Die Vertreterin des Arbeitsministeriums Parusel bestritt dieses. Sie wies daraufhin, daß „die Gewerbeaufsicht.. .die Anträge auf Nachtarbeit mit großer Vorsicht und Zurückhaltung entgegennimmt). .. Im übrigen ist die Gewerbeaufsicht bei Prüfung der Anträge an das Gesetz gebunden und kann sie nur in diesem Rahmen genehmigen und die Fristen entsprechend festsetzen". Und sie fügte noch hinzu, daß „die Genehmigung in den Betrieben ausgehängt werden muß, so daß die Kontrolle der Bedingungen durch die Belegschaft selbst erfolgen kann" (HStA-NW 45/115-122 [Niederschrift über die Sitzung des Frauenausschusses für Frauenfragen am 30. März 1949]). 159 HStA-NW 50/1002 (Schreiben des Deutschen Gewerkschaftsbundes an Landesarbeitsamt vom 28. Mai 1949). Demgegenüber stellten führende Gewerbeaufsichtsbeamte nach einer Konferenz fest, daß Frauen in der Nachtschicht arbeiteten, weil sie dort mehr Lohn erhielten, oder weil sie Alleinverdiener waren, die für den Unterhalt der Familie aufkommen müßten (ebd., Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Köln an Arbeitsministerium vom 6. September 1948).

124

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

durch Frauen arbeitslos wurden.160 Es ging ihnen ums Prinzip, um die Erhaltung des Frauenarbeitsschutzes. Das Arbeitsministerium favorisierte weiterhin eine Übergangslösung und setzte sich nach einer Unterredung zwischen Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Arbeitsschutzabteilung mit seiner Strategie durch. Aufgrund dieser Unterredung wurden die Gewerbeaufsichtsämter Anfang 1950 auf das weitere Procedere festgelegt.161 Die Gewerbeaufsichtsämter wurden angehalten, keine Dauerausnahmen mehr für Nachtarbeit von Frauen zu erteilen. Soweit Arbeiterinnen noch auf Arbeitsplätzen mit Nachtarbeit beschäftigt waren, sollte ihre Vermittlung auf andere Arbeitsplätze betrieben werden. Da es sich in der Mehrzahl um Arbeitsplätze in der Gußeisen- und chemischen Industrie handelte und in der näheren Umgebung keine Arbeitsplätze ohne Nachtarbeit für die Frauen zur Verfügung standen, sollten die Nachtarbeitsgenehmigungen noch vorübergehend verlängert, aber auf die derzeitigen Arbeitsplatzinhaberinnen beschränkt bleiben. Bei ihrem Ausscheiden durften die Arbeitsplätze nur mit Männern besetzt werden. Wenn Frauen Arbeitsplätze ablehnten, die ihnen von der Arbeitsvermittlung angeboten wurden, kam für sie eine Verlängerung der Nachtarbeitsgenehmigung nicht mehr in Frage. Gegenüber Frauen auf Männerarbeitsplätzen gingen die Arbeitsbehörden in ähnlicher Weise vor wie gegenüber Frauen in Nachtschicht. So wurde in einem ersten Schritt die Weiterbeschäftigung von Frauen untersagt,162 um dann in einem zweiten Schritt Ausnahmeregelungen zu erlassen, die es vor allem Frauen ohne Aussicht auf eine Anschlußbeschäftigung ermöglichten, weiterhin auf dem Arbeitsplatz zu verbleiben. Im Baugewerbe verließ Anfang 1949 die letzte Trümmerfrau ihren Arbeitsplatz. Nur zwei Frauen gelang es, im Baugewerbe auf Dauer Fuß zu fassen. Baufirmen in Bochum und Dortmund beantragten Mitte 1948 bei den zuständigen Arbeitsämtern die Zulassung von Maurer-Umschülerinnen.163 Da die Anträge von der Gewerkschaft unterstützt wurden,164 zogen die Arbeitsbehörden ihre anfänglich geäußerten Bedenken zurück.165 Damit dieser Vorgang möglichst eine Ausnahme blieb, erließ das Arbeitsministerium eine Anordnung, nach der Mädchen und Frauen zur Umschu160 HStA-NW 45/866-873 (Rundschreiben Nr. 16 der Industriegewerkschaft Druck und Papier, Gau Nordrhein-Westfalen, an die Ortsvereinsvorstände vom 31. Oktober 1949). 161 HStA-NW 45/7 (Rundschreiben Nr. 50/28 des Arbeitsministeriums an die Gewerbeaufsichtsämter vom 10. Februar 1950). 162 HStA-NW 37/647 I (Erlaß des Arbeitsministers vom 18. November 1948). 163 HStA-NW 45/66 (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Dortmund an Regierungspräsidenten Arnsberg vom 14. Juni 1948). 164 HStA-NW 37/647 I (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Dortmund an Regierungspräsidenten Arnsberg vom 29. September 1948), Blatt 260. 165 HStA-NW 37/647 I (Schreiben des Regierungspräsidenten Arnsberg an Gewerbeaufsichtsamt Dortmund vom 26. Juni 1948), Blatt 259.

3. Zurückdrängung der Frau von Männerarbeitsplätzen

125

lung nur dann zugelassen werden durften, wenn der Amtsarzt bei den Interessentinnen Schwindelfreiheit festgestellt hatte. In Teilbereichen des Baunebengewerbes zog sich die Ablösung der Frauen über Jahre hin. Als dem Arbeitsministerium der Abbau der Frauenarbeit in der Frechener Steinzeugindustrie nicht schnell genug ging - innerhalb von einem Jahr waren von 48 Frauen nur 8 Frauen ausgeschieden166 - , wurde das Gewerbeaufsichtsamt in Köln angewiesen, innerhalb von drei Monaten die Frauenarbeit einzustellen, notfalls unter Zuhilfenahme von Zwangsmitteln.167 Die örtliche Presse erfuhr jedoch von diesem Vorhaben und berichtete darüber. 168 Um keine Unruhe in der Bevölkerung aufkommen zu lassen, zog das Arbeitsministerium die Anweisung zurück.169 Bei der Ablösung der Bleigitterputzerinnen traten Differenzen zwischen den Arbeitsbehörden auf. Während das Gewerbeaufsichtsamt Köln betonte, daß „das Putzen und Entgraten eine ausgesprochene Frauenarbeit (sei) und Männer dafür nicht geeignet (seien)",170 stufte die Arbeitsschutzabteilung des Arbeitsministeriums die Arbeit als gesundheitsgefährdend ein.171 Nachdem die Industriegewerkschaft Metall die Partei des Gewerbeaufsichtsamtes ergriffen hatte,172 wurde eine auf fünf Jahre befristete Ausnahmegenehmigung erlassen, die an eine ganze Reihe von Bedingungen gekoppelt war.173 Nicht nur Frauen wurden von Männerarbeitsplätzen verdrängt, auch der weibliche Nachwuchs auf männlichen Lehr- und Anlernberufen sah sich Druck ausgesetzt, vor allem durch das Handwerk, das nach wie vor den berufstätigen Frauen mit Reserve begegnete. Auf der einen Seite war zwar ein Anstieg der weiblichen Lehrlingszahlen in überwiegend männlichen Lehr- und Anlernberufen von 2572 (Stand: 30. September 1947) über 4.157 (30. Juni 1949) auf 4169 (30. Juni 1950) festzustellen, wobei mit 1337 HStA-NW 50/1436 (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Köln an Regierungspräsidenten Köln vom 8. August 1949). 167 HStA-NW 50/1436 (Erlaß vom 16. Dezember 1949). 168 Kölnische Rundschau vom 11. Februar 1950. HStA-NW 50/1436 (Schreiben Hauptabteilung III - Arbeitsschutz an Hauptabteilung V - Landesarbeitsamt vom 3. April 1950). 170 HStA-NW 50/1436 (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Köln an Arbeitsministerium vom 26. April 1949). Der Kölner Regierungspräsident unterstützte die Ansicht des Gewerbeaufsichtsamtes und fügte hinzu: „In diesem Falle handelt es sich um körperlich sehr leichte Arbeiten, so daß die Beschäftigung von Männern aus rein wirtschaftlichen Überlegungen nicht zu vertreten wäre" (ebd., Schreiben des Regierungspräsidenten Köln an Arbeitsministerium vom 16. Mai 1949). 171 HStA-NW 50/1436 (Schreiben Arbeitsministerium an Gewerbeaufsichtsamt Köln vom 18. Juli 1949). 172 HStA-NW 50/1436 (Schreiben der Industriegewerkschaft Metall an Arbeitsministerium vom 10. Oktober 1949). 173 HStA-NW 37/647 I (Schreiben Gewerbeaufsichtsamt Köln an Akkumulatorenfabrik Hagen in Köln vom 31. Oktober 1949), Blatt 18.

126

II. Währungsreform und berufstätige Frau (1948-1950)

Lehrlingen der niedrigste Stand am 30. Juni 1948 erreicht wurde. Auf der anderen Seite war aber die Masse der weiblichen Lehrlinge (75%) in Berufen anzutreffen, in denen Frauen schon vor dem Krieg erwerbstätig gewesen waren. 174 Von den 4169 Lehrlingen waren 2186 in kaufmännischen, Büro- und Verwaltungsberufen, weitere 657 in Bekleidungsberufen und 215 in der Nahrungsmittel- und Genußmittelherstellung beschäftigt. Neu auf dem Ausbildungsplan für Mädchen standen: Tierpfleger, Keramformer, Dreher, Maschinenschlosser, Orgelbauer, Bandwirker und Schildermacher. Gleichzeitig führten 31 Berufe, teilweise schon seit 1949, keine weiblichen Lehrlinge mehr. Im April 1949 forderte das Arbeitsministerium über die Gewerbeaufsichtsämter Angaben über die Anzahl der Frauen auf Männerarbeitsplätzen und den Umfang von Ausnahmegenehmigungen an. 175 Ein Dreivierteljahr später trafen die ersten Berichte ein, die bestätigten, daß es den Arbeitsbehörden gelungen war, ein Großteil der Frauen auf Männerarbeitsplätzen abzulösen und die Ausnahmebestimmungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Es war jedoch kein einheitliches Bild, das sich den Auswertern im Arbeitsministerium bot. So gab es Regionen, in denen sich weder Frauen auf Männerarbeitsplätzen befanden noch Ausnahmeregelungen in Kraft waren. Das waren zumeist Gebiete mit relativ geringer Arbeitslosigkeit. Dazu gehörten zum Beispiel der Regierungsbezirk Aachen. 176 In den Ruhrgebietsstädten Dortmund 177 und Essen, 178 die eine hohe Arbeitslosigkeit aufwiesen, befanden sich hingegen noch relativ viele Frauen auf Männerarbeitsplätzen und auch die Anzahl der Ausnahmeregelungen war recht groß. Insgesamt gesehen war es den Arbeitsbehörden aber gelungen, das dauerhafte Festsetzen der Frau auf Männerarbeitsplätzen zu verhindern, zumindest die Anzahl der Frauen auf Männerarbeitsplätzen gegenüber 1946/1947 erheblich zu reduzieren. Die Frauen waren wieder auf die tra174 HStA-NW 4 3 / 4 7 9 (Ausweitung des Berufsraumes der Frau. Weibliche Nachwuchskräfte in überwiegend männlichen Lehr- und Anlernberufen im Bereich Nordrhein-Westfalen, undatiert). Vgl. auch: Pardun, Karl: Ausweitung der Berufsmöglichkeiten für den weiblichen Nachwuchs, in: Arbeit und Sozialpolitik 1947, Nr. 13, S. 1-4; Molle, Fritz: Die Lehrlinge in der britischen Zone, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1947, S. 161-165; ders.: Die Berufsnachwuchslenkung in der britischen Zone, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 194§, S. 259-263. 175 HStA-NW 37/647 I (Schreiben des Arbeitsministeriums an Gewerbeaufsichtsämter vom 8. April 1949), Blatt 91. 176 HStA-NW 37/647 I (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Aachen an Arbeitsministerium vom 4. Dezember 1949), Blatt 57-87. 177 HStA-NW 37/647 I (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Dortmund an Arbeitsministerium vom 31. Dezember 1949), Blatt 28-30. 178 HStA-NW 37/647 I (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Essen an Arbeitsministerium vom 29. Dezember 1949), Blatt 42-44.

3. Zurückdrängung der Frau von Männerarbeitsplätzen

127

ditionell weiblichen Berufsfelder zurückgedrängt, soweit sie nicht arbeitslos waren oder durch Rückkehr in die Familie die Erwerbstätigkeit ganz aufgegeben hatten. Daß Frauen, insbesondere verheiratete Frauen mit Kindern, die Berufstätigkeit aufgaben, wurde von der katholischen Kirche und konservativen Politikern allgemein begrüßt. Denn nach ihrem Verständnis war die Frauenerwerbstätigkeit eine wesentliche Ursache für Krise und Verfall der Familie. Ich komme damit zum Versuch verschiedener Institutionen, über die Einschränkung der Frauenarbeit die Stabilisierung der Familie herbeizuführen.

Kapitel III

Kontinuitäten: Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

1.

Katholische Kirche und Nachkriegsfamilie

1.1. Die Psychologin Martha Moers über die Auswirkungen der Berufstätigkeit auf die Frau Im Frühsommer 1949, wenige Monate vor der ersten Bundestagswahl, erschien in einem kleinen Recklinghausener Verlag ein unscheinbares Buch, kaum zweihundert Seiten stark. Dreitausend Exemplare wurden aufgelegt, was in einer Zeit, in der immer noch Papiermangel herrschte, recht ungewöhnlich war. Doch die Verfasserin, Martha Moers, war keine Unbekannte. Die Psychologieprofessorin war seit mehr als einem Jahrzehnt eine gern gesehene Gastrednerin auf Kongressen und Bildungsveranstaltungen, denn sie beschäftigte sich mit einem Thema, das an Aktualität nichts eingebüßt hatte: sie sprach über die Auswirkungen der Erwerbstätigkeit auf die Frau. Im Jahre 1943 trug sie zum ersten Mal ihre Überlegungen in dem Buch „Der Fraueneinsatz in der Industrie" vor.1 Unter psychologischen Fragestellungen untersuchte sie den Einfluß der Erwerbstätigkeit auf die seelische Einstellung und den Organismus der Frau. Das Buch nun, das 1949 veröffentlicht wurde und den Titel trägt „Frauenerwerbsarbeit und ihre Wirkung auf die Frau", 2 war in der Beweisführung im wesentlichen identisch mit der Schrift von 1943. Der Stoff war nur neu gegliedert, um einige Aspekte erweitert und mit aktuellen statistischen Daten angereichert. Das Ergebnis war aber dasselbe, und es gipfelte in der Feststellung: Erwerbsarbeit schadet der Frau, seelisch und körperlich und verhindert die Reproduktion. „Der natürliche Beruf der Frau", so Martha Moers, sei Hausfrau, Gattin, Mutter. Er sei für die Frau „die Erfüllung ihres ureigensten Seins", er böte ihr die Möglichkeit, „Körper und Seele so einzusetzen, wie es ihrer natürlichen Veranlagung - biologisch und auch seelisch-geistig gesehen am besten entspricht". 3 1

Moers, Martha: Der Fraueneinsatz in der Industrie. Eine psychologische Untersuchung, Berlin 1943. 2 Moers, Martha: Frauenerwerbsarbeit und ihre Wirkung auf die Frau, Recklinghausen o.J. 3 Moers: Frauenerwerbsarbeit, S. 31. Einschränkend fügt sie aber hinzu: „Die Erwerbsarbeit, im besonderen der außerhäusliche Beruf, kann zwar auch den Fähigkeiten der Frau in ausgezeichneter

1. Katholische Kirche und Nachkriegsfamilie

129

U n d sie forderte die Rückkehr vor allem der berufstätigen, verheirateten Frauen in den S c h o ß der Familie, um ihren reproduktiven A u f g a b e n n a c h z u k o m m e n . D e n n „ d i e Zukunft unseres Volkes (kann) nur aufgebaut werden, w e n n der letzte Grundstein, die mütterlich-leibliche u n d besonders auch seelisch-geistige Leistungsfähigkeit nicht angetastet wird". 4 Mit ihren Feststellungen u n d Forderungen b e f a n d sich die Wissenschaftlerin in Ü b e r e i n s t i m m u n g mit der katholischen Kirche, die ein Interesse daran hatte, d a ß die Ausführungen der Verfasserin einem m ö g lichst großen Leserkreis zugänglich gemacht wurden. D a s gab d a n n auch den Ausschlag, d a ß Martha Moers' Buch als Veröffentlichung des katholischen Bildungswerkes D o r t m u n d in einer relativ h o h e n A u f l a g e erschien. 5

1.2.

Soziale Lage und Krisensymptome der Nachkriegsfamilie

D i e katholische Kirche war die einzige Institution, der es gelang, relativ unbeschadet das „Dritte Reich" zu überstehen. 6 Im politisch-administrativen Vakuum, das nach der Selbstauflösung u n d d e m Verbot der staatlichen Stellen entstand, übernahm sie mit D u l d u n g der Westalliierten die Fortsetzung Fußnote von Seite 128 Weise angepaßt sein; sie kann als Arbeiterin, Angestellte, Beamtin oder in einem freien Beruf Vorzügliches leisten; aber wenn die Frau sich der Berufsarbeit ganz hingibt, so kann es doch vorkommen, daß - besonders in biologischer, aber auch in seelisch-geistiger Hinsicht - Grundlagen und Kräfte nicht oder nicht voll zur Entfaltung gelangen" (S. 31-32). Und sie führt weiter aus: „Es muß zugegeben werden, daß die hauptberufliche Erwerbsarbeit, die die Frau vielleicht jahrelang ausübt, ihre viele Vorteile bringen kann, wie zum Beispiel Erweiterung des Gesichtskreises, Anpassung an eine nur nach sachlichen Gesichtspunkten geordnete Tätigkeit, Schulung im Umgang mit Menschen verschiedenster Art usw., aber es besteht nicht selten die Gefahr, daß andere Anlagen der Frau, und sehr oft sind es gerade die spezifisch weiblichen Antriebe und Charakterzüge, nicht nur brach liegen, sondern auch verkümmern können" (S. 32). Um dann schließlich festzustellen: „Die (typische) Frau ist...von Natur aus auf den - meistens vollbefriedigenden - Beruf der Frau und Mutter körperlich und seelisch ausgerichtet...Die typische Frau vermag darum nicht ohne weiteres den Anspruch des Berufslebens zu erfüllen". (S. 176). 4 Moers: Frauenerwerbsarbeit, S. 180. 5 Von der Kritik wurde das Buch freundlich besprochen, das „viele Anregungen" enthalte und „sehr (zu empfehlen)" sei. So der Rezensent M. Lohmann in: Bundesarbeitsblatt 1950, S. 228. Die Besprechung läßt erkennen, daß der Rezensent über die Lektüre des Inhaltsverzeichnisses kaum hinausgekommen ist. Denn was er über den Inhalt der drei Kapitel schreibt wird im Buch überhaupt nicht behandelt. 6 Zur katholischen Kirche im „Dritten Reich": Katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Aufsatzsammlung. Hrsg. von Dieter Albrecht, Mainz 1976; Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus. Hrsg. von Klaus Gotto und Konrad Repgen, Mainz 1980.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

moralische Führung, die ihr auch von Nichtkatholiken zugestanden wurde.7 Denn die einen suchten Halt und Orientierung, die anderen waren beeindruckt von der Kontinuität der katholischen Organisation und vom Widerstand der Kirche gegen den Nationalsozialismus, der erst in den 60er Jahren in Zweifel gezogen wurde.8 Die katholische Kirche setzte ihre Organisation und ihre Verbindungen ein, um zur Linderung von Not und Elend beizutragen. Über ihre Verbindungen ins Ausland erhielt die Kirche die Unterstützung der Katholiken im westlichen Europa und in Amerika.9 Umfangreiche Hilfssendungen entsandte der Vatikan,10 der auch einen Hilfsdienst für deutsche Kriegsgefangene einrichtete. Hilfslieferungen kamen auch aus den Vereinigten Staaten11 und aus Kanada, aus Großbritannien und aus den Niederlanden. Irland und die Schweiz nahmen erholungsbedürftige Kinder auf.12 Katholische Wohlfahrtsorganisationen, vor allem die Caritas, versorgten Kranke und Kriegsversehrte in eigenen Krankenhäusern, Tuberkulosestätten und Erholungsheimen und die Alten in Altenheimen. Jugendliche fanden Aufnahme in Waisenhäusern, Lehrlings- und Studienheimen. Kindern standen Krippen und Kindergärten zur Verfügung. Außerdem unterhielt die Caritas Notküchen und Bahnhofsmissionen und arbeitete eng mit den staatlichen und anderen Wohlfahrtsorganisationen zusammen.13 7

Zur katholischen Kirche in der Nachkriegszeit: Deutscher Katholizismus nach 1945. Kirche-Gesellschaft-Geschichte. Hrsg. von Hans Maier, München 1964; Katholizismus, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik 1945-1963. Hrsg. von Albrecht Langner, Paderborn 1980; Katholiken und ihre Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von Günter von Gorschenek, München 1976; Kirche und Katholizismus 1945-1949. Hrsg. von Anton Rauscher, München 1977; Katholizismus im politischen System der Bundesrepublik 1949-1963. Hrsg. von Albrecht Langner, Paderborn 1978. 8 Hier ist insbesondere die von Rolf Hochhuths Theaterstück „Der Stellvertreter" (Reinbek 1963) ausgelöste Diskussion um Papst Pius XII zu nennen. Vgl. auch: Hochhuth, Rolf: Der Stellvertreter-Soldaten. Dramen. Mit 33 Diskussionsbeiträgen, Gütersloh 1968. ' Klein, Franz: Drei Jahre katholische Auslandshilfe 1946-1948, in: Caritas 50, 1949, S. 62-69. Vgl. vor allem: Wollasch, Hans-Josef.: Humanitäre Auslandshilfe für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Darstellung und Dokumentation kirchlicher und nichtkirchlicher Hilfe, Freiburg 1976, S. 21-30. 10 Lehnert, Pascalina: Die Nachkriegshilfe Papst Pius' XII, in: Caritas 1972, S. 94-98. 11 McSweeney, Edward: Amerikanische Wohlfahrtshilfe für Deutschland 19451950, Freiburg 1950. 12 Crivelli, Giuseppe: Die Hilfe der Schweizerischen Caritas für Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, in: Caritas 1972, S. 85-87; Waltz-Birrer, Martha: Kinderhilfsaktion der Schweizerspende in Freiburg (Breisgau), in: Caritas 1972, S. 86-90. 13 Liebe überwindet all>;s. Von großstädtischer Not und karitàtiver Hilfe, Essen 1945-1948. Hrsg. vom Caritasverband für die Stadt Essen, o.O. o.J. [1949].

1. Katholische Kirche und Nachkriegsfamilie

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D i e H i l f s m a ß n a h m e n der Caritas galten insbesondere den Vertriebenen u n d Flüchtlingen. 1 4 Für die geistliche Betreuung wurden b e s o n d e r e Seelsorger eingesetzt, u n d auch in materieller Hinsicht wurde versucht, die Lage der Vertriebenen zu verbessern, entweder durch S p e n d e n oder durch Unterstützung ihrer Bestrebungen, sich eine n e u e Existenzgrundlage aufzubauen. Unter der W o h n u n g s n o t , der Nahrungsmittelknappheit u n d den prekären Gesundheitsverhältnissen litten vor allem die kinderreichen Familien, u n d ihnen wandte die Kirche ihre ganze Aufmerksamkeit zu. 15 D a s größte Problem, vor das sich die Familien der Nachkriegszeit gestellt sahen, war aber nicht Hunger o d e r Krankheit, sondern Kriegstod oder G e f a n g e n schaft des Vaters. M i n d e s t e n s ein Drittel der Nachkriegsfamilien hatte den Ausfall des Vaters zu beklagen, 1 6 u n d in ihnen mußte die Ehefrau s o w o h l die Erziehungsaufgaben als auch die Rolle des Ernährers übernehmen, w a s sie sehr oft schon während des Krieges getan hatte. D i e materielle N o t l a g e z w a n g viele Frauen, eine außerhäußliche Erwerbstätigkeit a u f z u n e h m e n . D a s war aber nicht nur in den unvollständigen Familien der Fall. A u c h in denjenigen Familien, in d e n e n ein M a n n v o r h a n d e n war, aber w e g e n Krankheit oder Kriegsversehrtheit nicht in 14 Vgl. dazu insbesondere den Bestand Ζ 18 (Kirchliche Hilfsstelle, München) im Bundesarchiv. Weiterhin: Piischel, Erich: Die Hilfe der deutschen Caritas für Vertriebene und Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1966), Freiburg 1972. 15 Zu der Familiensituation in der Nachkriegszeit: Rodnick, David: Postwar Germans. An anthropologist's account, New Haven 1948; Thurnwald, Hilde: Gegenwartsprobleme Berliner Familien. Eine soziologische Untersuchung an 498 Familien, Berlin 1948; Pfeil, Elisabeth: Flüchtlingskinder in der neuen Heimat, Stuttgart 1951; Baumert, Gerhard: Deutsche Familien nach dem Kriege, Darmstadt 1954; Wurzbacher, Gerhard: Leitbilder gegenwärtigen deutschen Familienlebens. Methode, Ergebnisse und sozialpädagogische Forderungen einer soziologischen Analyse von 164 Familienmonographien, Stuttgart 1954; Schelsky, Helmut: Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung und Deutung einer empirisch-soziologischen Tatbestandsaufnahme, Stuttgart 1954; Wirth, Dieter: Die Familie in der Nachkriegszeit. Desorganisation oder Stabilität? in: Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Kapitulation und Grundgesetz. Hrsg. von Josef Becker u.a., München 1979, S. 193-216; Sieder Reinhard: Sozialgeschichte der Familie, Frankfurt 1987.

Erlebnisberichte über Familienleben in der Nachkriegszeit: Meyer, Sibylle/ Schulze, Eva: Von Liebe sprach damals keiner. Familienalltag in der Nachkriegszeit, München 1985; dies.: „Als wir wieder zusammen waren, ging der Krieg im Kleinen weiter". Frauen, Männer und Familien in Berlin der vierziger Jahre, in: „Jetzt kriegen wir andere Zeiten". Auf der Suche nach der Volkserfahrung in nachfaschistischen Ländern. Hrsg. von Lutz Niethammer und Alexander von Plato, Berlin 1985, S. 305-341 ; Willenbacher, Barbara: Zerrüttung und Bewährung der Nachkriegs-Familie, in: Broszat, Martin/Henke, Klaus-Dietmar/Woller, Hans (Hrsg.): Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München 1988, S. 595-618. " Thurnwald: Gegenwartsprobleme Berliner Familien, S. 17.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

der Lage war, eine Berufstätigkeit auszuüben, wurde die Frau berufstätig.17 Sie übernahm dabei nicht nur die Rolle des Ernährers, sondern versuchte zugleich die durch die Erwerbsunfähigkeit des Mannes drohende soziale Deklassierung der Familie zu verhindern, zumindest jedoch solange aufzuhalten, bis der Mann seine Ernährerrolle wieder übernehmen konnte. 18 Neben ihrer Berufstätigkeit hatten die Frauen eine ganze Reihe weiterer Arbeitsleistungen zu erbringen, die teilweise sehr zeitraubend waren. So mußten Lebensmittel beschafft werden. Das heißt, es mußte vor den Lebensmittelgeschäften angestanden werden oder es mußten Hamsterfahrten aufs umliegende Land unternommen werden; es waren aber auch im Tauschhandel oder auf dem Schwarzmarkt Lebensmittel zu erwerben. Zum Arbeitsalltag gehörte dann weiter der Gang auf die Behörden, um wichtige Dokumente zu besorgen, zum Beispiel die Lebensmittel- und Kleiderkarten. Selbstverständlich gehörten zur Tätigkeit der berufstätigen Frau auch die Erziehung der eigenen Kinder und die Pflege des kranken Ehemannes." Kam der Ehemann aus der Gefangenschaft zurück, mußte sie zudem die auftretenden Spannungen zwischen den Kindern und dem Heimkehrer schlichten, da der Vater nach mehrjähriger Abwesenheit als ein „Fremder" angesehen wurde. 20 Die berufstätigen Mütter mußten bei ihrer enormen Arbeitsbelastung Prioritäten setzen. Leidtragende waren in der Regel die Kinder und Jugendlichen, die relativ frei und ungebunden aufwuchsen, da sie während der Abwesenheit der Mütter weitestgehend sich selbst überlassen waren. Vor dem Hintergrund der schwierigen Lebens- und Umweltbedingungen waren Jugendverwahrlosung und eine erhöhte Jugendkriminalität die natürliche Folge. Bei der Jugendkriminalität handelte es sich zum Großteil um Eigentums- und Wirtschaftsdelikte. Dazu gehörte die illegale Beschaffung von Nahrungsmitteln, Kohle und Brennholz sowie die Teilnahme der Jugendlichen an Schwarzmarktgeschäften. Im wesentlichen waren das alles Delikte, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht verurteilt wurden, da sie zum Überleben notwendig waren. 21

17

Wirth: Die Familie in der Nachkriegszeit, S. 199. Thurnwald: Gegenwartsprobleme Berliner Familien, S. 16-18. " Schelsky: Wandlungen der deutschen Familie, S. 246-254. 20 Sieder: Sozialgeschichte der Familie, S. 238. 21 Zur Jugendkriminalität in der Nachkriegszeit: Bader, Karl S.: Soziologie der deutschen Nachkriegssoziologie, Tübingen 1949; Schmidt, Theo: Phänomenologisch-soziologische Untersuchung der Kriminalität der weiblichen Jugend im Amtsgerichtsbezirk Ludwigshafen am Rhein in den Jahren 1939 bis 1952, Mainz (Diss.) 1969; Rottenecker, Heribert: Strukturwandel der Familie im industriellen Zeitalter und Jugenddeliquenz sowie Feger, Gottfried: Die unvollständige Familie und ihr Einfluß auf die Jugendkriminalität, in: Familie und Jugendkriminalität. Bd. 1. Hrsg. von Th. Würtenberger, Stuttgart 1969. 18

1. Katholische Kirche und Nachkriegsfamilie

133

Hinter der sexuellen Verwilderung der Mädchen stand der Zwang zur Nahrungsmittelsicherung über die Freundschaft zu einem Besatzungssoldaten im Vordergrund oder auch die Sehnsucht nach Freundlichkeit, Liebe und Geborgenheit." Denn im Elternhaus, wo der alltägliche Existenzkampf zur Entfremdung der einzelnen Familienmitglieder geführt hatte, fehlten in vielen Fällen Geborgenheit und Liebe.23 Die Gründe für die Entfremdung der Familienmitglieder sind vielschichtig. Zunächst einmal handelte es sich um einen Konflikt zwischen Eltern und Kindern, der teilweise bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurückreichte. Es war Absicht der Nationalsozialisten, die Jugend an sich zu binden und gleichzeitig die Bindung der Kinder an das Elternhaus zu lockern. Dieses Anliegen gelang sehr oft und führte zur Unterminierung der elterlichen Autorität bis hin zur Denunziation der Eltern durch die Kinder.24 Nach dem Krieg wurde dann die Autorität der Eltern weiter abgebaut, als sich ein Teil der Jugendlichen wegen ihrer Zugehörigkeit zur Hitler-Jugend verantworten mußte; für etwas also, was die Eltern unterstützt und gefördert hatten. Die Jugendlichen sahen sich von den Eltern verraten. Die Folge war ein rapider Vertrauensschwund und regelrechtes oppositionelles Verhalten.25 Als ein weiterer Grund für das Anwachsen des innerfamiliaren Konfliktpotentials sind die Probleme zu nennen, die sich durch die Rückkehr des Vaters aus dem Krieg oder aus der Gefangenschaft ergaben und sowohl das Verhältnis des Vaters zu den Kindern als auch das Verhältnis der Ehegatten untereinander betrafen. Vor allem die Rolle der Frau innerhalb der Familie hatte eine deutliche Wandlung erfahren, die von den meisten Männern nicht ohne Widerspruch akzeptiert wurde. Durch die lange Abwesenheit des Mannes war die innerfamiliare Autorität auf die Mutter übergegangen.26 Sie hatte in der Erziehung und im Beruf bewiesen, daß sie durchaus in der Lage war, die Aufgaben des Mannes mit Erfolg zu erledigen. Aufgrund des Selbstwertgefühls, das sie sich erworben hatte, war sie nicht ohne weiteres bereit, ihre Position zu räumen.27 Traditionell-patriarchalische Grundeinstellung und modernistisch-emanzipatorisches Selbstwertgefühl lösten tiefgreifende familiare Spannungen aus. Eng verbunden mit dieser Autoritätsverschiebung war das Verhältnis zwischen dem heimkehrenden Vater und den Kindern, die sich plötzlich einem „Fremden" gegenüber sahen, der zudem die väterliche Autorität 22

Thurnwald: Gegenwartsprobleme Berliner Familien, S. 145-146. Wirth: Die Familie in der Nachkriegszeit, S. 201. 24 Grunberger, Richard: Das zwölfjährige Reich. Der deutsche Alltag unter Hitler, Wien 1971, S. 250. 25 Thurnwald: Gegenwartsprobleme Berliner Familien, S. 148. 26 Wirth: Die Familie in der Nachkriegszeit, S. 202. 27 Baumert, Gerhard: Jugend der Nachkriegszeit. Lebensverhältnisse und Reaktionsweisen, Darmstadt 1952, S. 51. 23

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

zurückverlangte. 28 Die Kinder ergriffen Partei für die Mutter, die außerdem erkennen mußte, daß sich ihre Einstellung gegenüber dem Ehepartner verändert hatte. Sie war nicht ohne weiteres bereit, ihren Platz zu räumen, und sie mußte sich auch eingestehen, daß das Bild, das sie sich vom Partner bewahrt hatte, idealistisch war und in der Realität nicht mehr mit den Vorstellungen und Wünschen korrespondierte. 29 Zu dieser Erkenntnis gelangten Frauen vor allem in solchen Ehen, die kurz nach Kriegsbeginn geschlossen worden waren, ohne das die Heiratswilligen genügend Zeit gehabt hatten, sich näher kennenzulernen. 30 In diesen Ehen war zudem der Wunsch nach einer späteren Versorgung oder die Möglichkeit, mit einer Ehe sich einem Arbeitseinsatz in der Rüstungsindustrie zu entziehen, 31 oft das Hauptmotiv für die Frau, eine feste Verbindung einzugehen, und die Ehefrau rechnete wohl nur selten mit der Rückkehr ihres mitunter in Ferntrauung verbundenen Partners. Die Rückkehr des Ehemannes nach jahrelanger Gefangenschaft bedeutete für beide Teile eine erschütternde Enttäuschung, der man sich durch rasche Trennung zu entledigen suchte. 32 Die Folge war ein rapider Anstieg der Ehescheidungen in den ersten Nachkriegsjahren. Die Scheidungsquote betrug unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg, im Jahre 1939, 8,9 (bezogen auf 10000 Einwohner) und hatte damit seit 1900 einen Höchststand erreicht. 1946 lag sie in den Westzonen bei 11,2, also leicht über dem Vorkriegsstand, stieg 1947 auf 16,8 und 1948 auf 18,8. Dann setzte eine rückläufige Tendenz ein, die von

n

Sieder: Sozialgeschichte der Familie, S. 238. Der Heimkehrer und seine Ehe, in: Rheinischer Merkur vom 18. Dezember 1950, abgedruckt ist der Artikel in: Zentner, Kurt: Aufstieg aus dem Nichts. Deutschland von 1945 bis 1963. Eine Soziographie in 2 Bänden. Band 1, Köln 1954, S. 86. 30 Dirks, Walter: Was die Ehe bedroht. Eine Liste ihrer kritischen Punkte, in: Frankfurter Hefte 1951, Nr. 6, S. 18-28, hier: S. 21. 31 Unsere verlorenen Jahre. Frauenalltag in Kriegs- und Nachkriegszeit 1939-1949. Hrsg. von Klaus-Jörg Ruhl, Darmstadt 1985, S. 32 ff. 32 Ehe- und Familienprobleme und deren Beilegung gehörten in den ersten Nachkriegsjahren zu den am häufigsten diskutierten Themen. Vgl. etwa die Auswahl von Zeitungsartikeln aus Frauenzeitschriften, die abgedruckt sind in : Frauenalltag und Frauenbewegung im 20. Jahrhundert. Band IV: Frau in der Nachkriegszeit und im Wirtschaftswunder 1945-1960. Zusammengestellt und kommentiert von Annette Kuhn und Doris Schubert, Frankfurt 1980, S. 17-21 und weiterhin Friedrich Hollanders Lebenshilfe-Sendungen im Nordwestdeutschen Rundfunk, die gesammelt sind in: Vor den Toren der Wirklichkeit. Deutschland 1946-47 im Spiegel der Nordwestdeutschen Hefte. Hrsg. von Charles Schüddekopf, Berlin/Bonn 1980, S. 313-317. Vgl. weiterhin: Seeler, Angela: Familie und andere Lebensformen in den Nachkriegsjahren im Spiegel der Frauenzeitschriften, in: Frauen in der Geschichte V. Hrsg. von Anna-Elisabeth Freier und Annette Kuhn, Düsseldorf 1984, S. 90-111. 29

1. Katholische Kirche und Nachkriegsfamilie

135

16,9 im Jahre 1949 über 15,7 (1950) bis 11,6 (1955) abfiel, womit der Vorkriegsstand in etwa wieder erreicht wurde." Den größten Anteil an allen Ehescheidungen in Nordrhein-Westfalen nahmen mit je 42% in den Jahren 1947 und 1948 die Kriegsehen ein, die kaum mehr als fünf Jahre Bestand gehabt hatten. Die Ehen wurden geschieden wegen Ehebruchs (18%) und anderer Eheverfehlungen (68%).34 Die Männer waren im Durchschnitt 35 bis 40 Jahre alt und die Frauen zwischen 25 und 30 Jahren. Am häufigsten kamen Ehescheidungen unter Arbeitern vor. In weitem Abstand folgten Kaufleute und Künstler, während die Scheidungsfrequenz unter den akademischen Berufen, den Selbständigen und den selbständigen Bauern am geringsten war, und sie verringerte sich bei Ehen mit zwei Kindern auf weniger als die Hälfte, bei drei Kindern schon auf ein Sechstel.35

1.3.

Ursachen für die Zerrüttung der Nachkriegsfamilie aus Sicht der katholischen Kirche

Nach Ansicht der katholischen Kirche waren Not und Elend nur bedingt verantwortlich für das Auseinanderbrechen der Ehen.36 Denn es gäbe genügend Gegenbeispiele, die bewiesen, daß die Nachkriegssorgen Familienmitglieder enger zusammenrücken ließen, um gemeinsam die Probleme in den Griff zu bekommen. Die wahren Gründe für die Destabilisierung der Institution Familie, so ließ die Kirche verlauten, lägen tiefer. Verantwortlich sei der fortschreitende Entchristianisierungsprozeß des Ehe- und Familienlebens, der vorangetrieben werde durch die materialistische Einstellung der Menschen gegenüber vorehelichem und außerehelichem Geschlechtsverkehr, gegenüber gewollt kinderlosen Ehen und gegenüber der Ehescheidung.37 Der Materialismus, der seine stärkste Ausprägung im Nationalsozialismus erfahren habe, habe aber nachdrücklich seine Untauglichkeit bewiesen. Nach den Jahren der Abkehr von Gott sei es Gebot der Stunde, zu den christlichen Werten und Idealen zurückzukehren und die Ehe und die Familie wieder in die Lage zu versetzen, ihren Aufgaben als Reproduk13

Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1957, Stuttgart 1957, S. 56 (Tabelle 12). 34 Gerfeldt, Ewald: Lebensform und Ehekrise, in: Soziale Welt 1951/52, S. 7-17, hier: S. 13. 55 Ebd., S. 15. 36 Graf, Otto: Die geistig-seelische Lebenssituation der Familie von heute, in: Ehe und Familie als Fragen der Zeit. Dritte Wanderakademie für den Klerus der Erzdiözese Köln. Hrsg. vom Erzbischöflichen Seelsorgeamt Köln, Köln 1950, S. 57-76, hier: S. 65. 37 Klausener, Hedwig: Familiennot-Frauennot-Jugendnot. Antworten des Christen, in : Katholische Fürsorgearbeit im 50. Jahr des Werkes von Frau Agnes Neuhaus, Dortmund 1950, S. 47-60, hier: S. 48.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

tions- und Erziehungsstätte gerecht zu werden. Pater Urban Plotzke, der sich eingehend mit der Nachkriegsehe, mit ihren „sittlichen Schwächen und ihrer Heilung" beschäftigte, meinte dann auch: „Die Ehe ohne die Grundlage der Religion ist wie ein Baum, dem die Feuchtigkeit und Nährkraft des Bodens entzogen ist".38 Und weiter: „Die Religion ist der natürliche und unentbehrliche Mutterboden des gesunden und harmonischen Ehe- und Familienlebens". 39 Die Rechristianisierung der westdeutschen Gesellschaft wurde von der katholischen Kirche zum Programm erhoben und seit Kriegsende aktiv propagiert. Den Anfang machten die bayerischen Bischöfe. Nach ihrer ersten Zusammenkunft nach dem Kriege am 28. Juni 1945 erklärten sie: „Ein durch und durch christliches Volk müssen wir wieder werden". 40 Sie forderten: „Die Familie muß wieder ein unantastbares, gottgeweihtes und gottgesegnetes Heiligtum werden". Und weiter: „Die Reinheit des Lebens, die Heiligkeit und Unauflöslichkeit der Ehe müssen wieder über alles hochgehalten werden". „Dann", so stellten sie schließlich fest, „dürfen wir hoffen, daß neues Leben ersteht aus den Trümmern und Ruinen und daß wir mit Gottes Hilfe ein neues christliches, glückliches Deutschland aufbauen können". 41 Als sich die deutschen Bischöfe am 23. August 1945 in Fulda trafen, gaben sie die Losung aus: „Entweder mit Christus wieder bergan, einer schöneren Zukunft entgegen, oder ohne, ja gegen Christus hinab in den völligen Untergang". 42 Und apodiktisch erklärte der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger am 2. Februar 1946: Die Beschaffung von Arbeit und Brot, von Wohnung und Kohle mag vordringlich sein, „entscheidend für den Aufbau ist allein, ob sich unser Volk zum wahren Gott und Herrn bekehrt". Die Forderung der Stunde laute deshalb: „Wiederaufbau für Gott und mit Gott". 43 Die Kirche beließ es nicht bei Appellen. Sie ging dazu über, in Hirtenbriefen 44 und Kirchentagsresolutionen, in Entschließungen der Vertretertagungen 45 und in Vorträgen der Katholischen Sozialen Woche,46 aber 38

Plotzke, Urban : Ehe und Familie im Spiegel unserer Zeit. Überlegungen und Erfahrungen, Berlin 1949, S. 70. 39 Ebd., S. 77. 40 Dokumente deutscher Bischöfe. Band 1 : Hirtenbriefe und Ansprachen zur Gesellschaft und Politik 1945-1949. Bearb. von Wolfgang Lohr, Osnabrück 1985 (Erstes gemeinsames Hirtenwort der bayerischen Bischöfe nach dem Krieg, Eichstätt, 28. Juni 1945), S. 29-32, hier: S. 31. 41 Ebd., S. 32. 42 Ebd. (Erster gemeinsamer Hirtenbrief der deutschen Bischöfe nach dem Krieg, Fulda, 23. August 1945), S. 40-45, hier: S. 43. 43 Ebd. (Lorenz Jaeger, Erzbischof von Paderborn: Fastenbrief über den „Wiederaufbau für Gott mit Gott", 2. Februar 1946), S. 73-80, hier: S. 74. 44 Ebd. 45 Entschließungen der Vertretertagung des Mainzer Katholikentages 1948. Hrsg.

1. Katholische Kirche und Nachkriegsfamilie

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auch in direkten Aktionen den Politikern Handlungsanweisungen und Forderungskataloge zu unterbreiten. So setzte sie die konservativen Abgeordneten im Parlamentarischen Rat unter Druck, den Schutz der Ehe und der Familie 47 und das Elternrecht in der Verfassung zu verankern. 48 Was von der ersten Bundesregierung, einer konservativ-bürgerlichen Koalition, erwartet wurde, das trug der Würzburger Bischof Julius Döpfner auf einer öffentlichen Kundgebung im Plenarsaal des Bundeshauses Ende September 1951 vor. Der Staat, so der Bischof, soll „die Familie als Ursprungszelle der menschlichen Gesellschaft achten" und „die bedrohte Familie schützen und die Selbständigkeit der Familie fördern". 49 Konkret hieß das: die Kirche verbat sich einerseits die Einmischung des Staates in die inneren Angelegenheiten der Familie, verpflichtete aber andererseits den Staat, durch Hilfestellungen die Familie in ihrer Selbständigkeit zu stärken, 50 und zwar im Rahmen des Subsidaritätsprinzips," das Fortsetzung Fußnote von Seite 136 vom Zentralkomitee zur Vorbereitung der Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands, Paderborn 1948. 46 Christliche Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Vortragsreihe der 2. Katholischen Sozialen Woche in München 1949. Hrsg. von Heinrich Krehle, München 1950. 47 Als der Parlamentarische Rat bei seinen Beratungen über ein Grundgesetz für die Bundesrepublik überhaupt keine Anstalten traf, den Schutz der Ehe und Familie im Verfassungstext zu verankern, setzte die Kirche die Abgeordneten der CDU/ CSU und der Zentrumspartei massiv unter Druck, indem einerseits die verschiedensten kirchlichen Stellen mit teilweise identischem Wortlaut Petitionen an den Parlamentarischen Rat einreichten, und andererseits die Kirche direkt mit den Abgeordneten sprach, mit dem Erfolg, daß im Artikel 6 des Grundgesetzes „Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung" gestellt wurde. Die Petitionen befinden sich im Aktenbestand Ζ 5/110 des Bundesarchivs. 48 Nicht alles gelang, was die katholische Kirche forderte, denn die Freidemokraten waren gegen Vorrechte der Kirche und gegen eine zu enge Bindung von Staat und Kirche, und gegen den Willen der FDP konnte die CDU/CSU ihre Vorstellungen nicht durchsetzen, so daß in kirchlichen und gesellschaftspolitischen Fragen sehr oft nur ein Kompromiß über die konträren Meinungen hinweg half, was der Kirche natürlich nicht gefiel. Vgl. etwa die Erklärung der deutschen Bischöfe zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, (abgedruckt in: Dokumente deutscher Bischöfe, S. 311-316) in der festgestellt wird: „Wir können dieses Grundgesetz (...) nur als ein vorläufiges betrachten, das baldigst einer Ergänzung bedarf. Wir werden den Kampf um die Gewissensfreiheit und volles Elternrecht nicht einstellen" (S. 315). Die katholische Kirche protestierte damit gegen die sogenannte BremerKlausel, die Ausnahmen von der Verpflichtung ermöglichte, daß der Religionsunterricht in allen Schulen bindendes Lehrfach war. 49 Döpfner, Julius: Die Kirche als Hüterin der Familie, in: Breitesten Schichten Eigentum an Wohnung zu schaffen, das ist heute die Aufgabe. Referate und Reden des Altenberger Treffens, o.O. o.J., S. 82-88. 50 Zur Familie in der katholischen Soziallehre: Prinz, Franz: Die Familie als Gemeinschaft, München 1955, S. 549-558; Ehe und Familie. Die Familie im Recht, Familienpädagogik, die Familie in der Gemeinschaft. Hrsg. von Julius Dorneich,

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

besagt, daß der Staat zu Hilfeleistungen verpflichtet sei, wenn die Familie in Not gerate. Aus Döpfners Darlegungen über die staatlichen Hilfsmaßnahmen für die Familie kristallisierten sich schließlich drei Forderungen heraus, die von der Kirche in den nächsten Jahren mit Beharrlichkeit erhoben wurden. An erster Stelle stand die Wiederherstellung der väterlichen Autorität in der Familie, 52 dann wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen für kinderreiche Familien und schließlich die Rückkehr der berufstätigen Mütter in die Familie. Die beiden letzten Punkte waren eng miteinander verknüpft: die wirtschaftliche Unterstützung sollte die Mütter von einer Arbeitsaufnahme abhalten oder sie zur Aufgabe einer Erwerbstätigkeit bewegen. Die katholische Kirche konnte ihre Forderungen stellen, sie konnte sie auch anmahnen, sie konnte sie aber nicht eigenständig durchsetzen, denn sie verfügte über Macht nur im moralischen Sinn. Da die Politiker der Christlich Demokratischen Union (CDU), der Christlich-Sozialen Union (CSU) und des Zentrums, die ihr nahestanden, ihr Hauptaugenmerk auf die Bewältigung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus im Vereinigten Wirtschaftsgebiet und in der Bundesrepublik Deutschland richteten, befürwortete sie die Gründung von Familienverbänden, die als Interessenverbände der Familie konzipiert die Belange der Kirche gegenüber den Politikern durchsetzen und das kirchliche Rechristianisierungsprogramm aktiv unterstützen sollten. 53

2.

Gründung der Familienverbände und des Bundesministeriums für Familienfragen

2.1.

Der Deutsche Familienverband

Am Rande der Katholischen Sozialen Woche, einer Vortragsveranstaltung, die alljährlich in München stattfand, bildete sich 1948 ein Freundeskreis katholischer Laien, der Überlegungen anstellte, eine Familienorganisation zu gründen, 54 die sowohl beim Gesetzgeber als auch bei den FamiFortsetzung

Fußnote von Seite 137

Freiburg 1959, S. 297; Klüber, Franz: Grundfragen der christlichen Soziallehre. IV. Teil: Die Familie, o.O. o.J. , S. 6-8. 51 Klüber, Franz: Katholische Gesellschaftslehre. Band 1: Geschichte und System, Osnabrück 1968, S. 870-872. 52 Vgl. dazu das nächste Kapitel. 53 Wingen, Max: Der gesellschaftspolitische Wert der Familienverbände, in: Politisch-Soziale Korrespondenz 13, 1964, Nr. 14, S. 7-12. 54 Zum Deutschen Familien verband: Witt, Kurt: Der Deutsche Familien verband

2. Gründung der Familienverbände und des Bundesministeriums

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lien die Voraussetzungen für eine aktive Familienpolitik schaffen sollte. 55 . Vorbild waren die Familienverbände in Frankreich 56 und Belgien, 57 treibende Kraft der Flame van N u f f e l , den der Krieg nach Deutschland verschlagen hatte. 58 Als ehemaliges aktives Mitglied des belgischen Bundes der Kinderreichen konnte er auf einschlägige Erfahrungen verweisen. 5 9 Zwei Jahre später wurde der Deutsche Familienverband ( D F V ) gegründet, und nochmals zwei Jahre später wurde van N u f f e l nach internen Querelen wegen „Unfähigkeit" seines Postens als Generalsekretär enthoben. 6 0 D i e Verbandsspitze um den Präsidenten Franz Umstaetter, die sich aus ehemaligen Mitgliedern der bündischen Jugend, des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM) und der katholischen Jugend zusammensetzte, 6 1 Fortsetzung Fußnote von Seite 138 (DFV), in: Ehe und Familie. Grundsätze, Bestand und fördernde Maßnahmen. Hrsg. von Alice und Robert Scherer und Julius Dorneich, Freiburg 1956, Spalte 193-199, hier: Spalte 193. Weiterhin: Craushaar, H.: Der Deutsche Familienverband, in: Die Mitarbeiter 7, 1958, S. 297-300; Fischer-Wollpert, Rudolf: Der Deutsche Familienverband, in: Seelsorger in der Zeit 22, 1951/52, Nr. 5, S. 209-210; Renkewitz, Heinz: Zwanzig Jahre Deutscher Familienverband, in: Die Familie 1968, Nr. 12, S. 7-12. 55 Zur Familienbewegung in Deutschland: Krause-Lang, Martha: Familienbewegung in Deutschland, in: Caritas 52, 1951, Nr. 3/4, S. 69-75; Weitmann, Alfred: Katholische Familienbewegung in Deutschland, in: Lebendige Seelsorge 2, 1951, Nr. 4, S. 122-123; Fischer, Guido: Familie und Familienbewegung, in: Soziale Welt 3, 1952, Nr. 2, S. 173-182; Martin, Emil: Katholische Familienbewegung in Deutschland, in: Werkhefte der katholischen Laienarbeit 6, 1952, Nr. 3, S. 56-60; Boudet, Robert: Familienaktion und Familienpolitik, in: Dokumente 8, 1952, Nr. 6, S. 497-504; Kirschner, Berna: Der Stand der Familienbewegung, in: Echo der Zeit 1954, Nr. 10, S. 12; Ludwig, Ph.: Familienbewegung in Europa, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1955, Nr. 175 vom 17. September 1955, S. 1465-1468; Familienbewegung in der Welt und in Deutschland, in: Herder Korrespondenz 9, 1954/55, Nr. 2, S. 52-54. 56

Bonnamour, Marc: Wo stehen die französischen Familienorganisationen? in: Ausländische Sozialprobleme 1951, Nr. 5, S. 49-51; Balkenhol, Hermann: Familienbewegung in Frankreich, in: Werkhefte katholischer Laienarbeit 5, 1951, Nr. 7, S. 153-155; Barbier-Duval, Yves: Familienbewegung in Frankreich, in: Lebendige Seelsorge 2, 1951, Nr. 4, S. 120-122; Die katholische Familienbewegung in Frankreich, in: Kirchenzeitung für das Bistum Aachen 8, 1953, Nr. 2, S. 2-3; Lutz, Charles: Die französische Familienbewegung, in: Oberrheinisches Pastoralblatt 59, 1958, Nr. 12, S. 336-346; Grotz, Josef: Katholische Familienbewegung in Frankreich, in: Geist und Leben 31, 1958, Nr. 3, S. 212-214. 57 Der belgische Familienverband, in: Werkhefte katholischer Laienarbeit 5, 1951, Nr. 12, S. 257-258; Delgrange, Raoul: Familienbewegung in Belgien, in: Jugendwohl 34, 1953, Nr. 5, S. 196-199. 58 Umstaetter, Franz: Zwanzig Jahre Deutscher Familienverband e.V., in: Die Familie 1968, Nr. 12, S. 7-11, hier: S. 7. 5 ' Nuffel, G. J. van: Familienlohn - Ausgleichskassen in Belgien, in: Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftspraxis in Betrieb und Verwaltung 2, 1950, Nr. 4, S. 84-87. 60 BA-B 195/18 (Protokoll der Konstituierenden Sitzung des Geschäftsführenden Bundesvorstandes des Deutschen Familienverbandes vom 16. Mai 1952). 61 Umstaetter: Zwanzig Jahre Deutscher Familienverband, S. 7.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

hatte den Ehrgeiz, den Deutschen Familienverband zu der einzigen Familienorganisation in der Bundesrepublik aufzubauen. Der Deutsche Familienverband nahm Kontakt zur katholischen Kirche auf, um sich ihre Unterstützung zu sichern. Es fanden eine Reihe von Sondierungsgesprächen mit Vertretern der katholischen Kirche statt, unter anderem mit dem Kölner Erzbischof Frings.62 Der Meinungsaustausch verlief für den Deutschen Familienverband enttäuschend. Die katholische Kirche, die zunächst Interesse signalisiert hatte, war nicht bereit, den Deutschen Familienverband zu unterstützen. Sie favorisierte die Gründung eines eigenen Familienverbandes, der wenige Monate nach Abbruch der Gespräche aus der Taufe gehoben wurde. Der Deutsche Familienverband hielt die Gründung des Familienbundes der Deutschen Katholiken für eine „historische Fehlentscheidung", 63 da dadurch die Einheitlichkeit und damit zugleich die Schlagkraft der Familienorganisationen geschwächt werde.64 Die katholische Kirche konnte sich mit dem Deutschen Familienverband nicht einigen, weil es unterschiedliche Ansichten über die politische Ausrichtung und den organisatorischen Aufbau des Verbandes gab.65 Ein Familienverband, der die Unterstützung der Kirche haben wollte, durfte nicht „politisch und konfessionell neutral" sein, und es genügte nicht, seine Organisation im wesentlichen auf die Unterstützung wichtiger Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aufzubauen. 66 Die katholische Kirche forderte konfessionelle Gebundenheit und eine aggressive Mitgliederwerbung, denn über die Mitglieder wollte sie direkten Einfluß auf die Familien nehmen. Nachdem der Deutsche Familienverband von der katholischen Kirche eine Absage erhalten hatte, weitete er seine Organisation auf das gesamte Bundesgebiet aus. Gegründet wurden Landesverbände in Bayern, BadenWürttemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. 1956 Schloß sich der Deutsche Familienverband mit der 1950 gegründeten „Deutschen Familie" zusammen67 und trat in Fusionsverhandlungen mit dem Bund der Kinderreichen Deutschlands, die aber nur in Baden-Würt62

Ebd. Ebd. 64 Mitgliedern des Familienbundes der Deutschen Katholiken war es jedoch nicht verboten, zugleich Mitglied im Deutschen Familienverband zu sein. 65 Martin, Emil: Ich weiß, es ist ein heißes Eisen. Diskussion um den Deutschen Familienverband, in: Michael 9, 1951, Nr. 47, S. 5; Wüst, Georg: Deutscher Familienverband, in: Werkhefte katholischer Laienarbeit 5, 1951, Nr. 7, S. 159-160; Diskussionen um den Deutschen Familienverband, in: ebd. 5, 1951, Nr. 12, S. 260-261. 66 Drei Jahre nach seiner Gründung besaß der Deutsche Familienverband erst 285 Mitglieder (BA-B 195/18 [Protokoll der Bundesvorstandssitzung des Deutschen Familienverbandes vom 5. Mai 1953]). 67 BA-B 153/829 (Schreiben Franz Umstaetters an Bundesfamilienministerium vom 12. April 1956). 63

2. Gründung der Familien verbände und des Bundesministeriums

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temberg zum Z u s a m m e n s c h l u ß der beiden Verbände im Juli 1955 führten. 6 8 1951 wurde der Verband Mitglied der „ U n i o n Internationale des Org a n i s m e s Familiaux" ( U I O F ) , der Dachorganisation der europäischen u n d überseeischen Familienorganisationen. 6 9 Der U I O F gehörten auch eine Vielzahl familienpflegerischer, caritativer u n d sozialtätiger Organisat i o n e n an. Getragen wurde der Familienverband v o n den Mitgliedsbeiträgen, d e n S p e n d e n u n d den Zuschüssen des Bundesinnenministeriums 7 0 s o w i e des Presse- u n d Informationsamtes der Bundesregierung; 7 1 u n d auf Landese b e n e (in Baden-Württemberg) k a m e n n o c h ein Staatszuschuß der Landesregierung u n d gelegentliche Zuschüsse seitens der k o m m u n a l e n Behörd e n hinzu.' 2 Zu den bekanntesten Mitgliedern gehörten die Wissenschaftler H a n s Achinger, L u d w i g N e u n d ö r f e r , Helmut Schelsky u n d der Schriftleiter der Ärztlichen Zeitung Ferdinand Oeter. D a s D F V - P r o g r a m m war v o n „christlichem Geist" getragen u n d forderte eine „familienhafte Orientierung des gesamten öffentlichen Lebens", vor allem in der Wirtschafts- u n d Sozialpolitik. 7 3 Angestrebt wur68

BA-B 153/829 (Geschäfts- und Tätigkeitsbericht des DFV/BKD-Landesvorstandes Baden-Württemberg vom 16. Mai 1958, S. 7). Zwischen dem 1. Januar 1954 und dem 1. Januar 1958 stieg die Anzahl der Mitglieder des Landesverbandes Baden-Württemberg von 38 auf 5500 Mitglieder. 69 Zur UIOF: Internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Familie, in: Nachrichten des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 1949, Nr. 1/2, S. 1-3; Internationale Zusammenarbeit zugunsten der Familie, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1954, Nr. 184 vom 30. September 1954, S. 1626; Umstaetter, Franz: Union Internationale des Organismes Familiaux: Weltweiter und weltoffener Zusammenschluß der Familienorganisationen, in: Die Mitarbeit 7, 1958, S. 314-315. 70 Das Bundesinnenministerium zahlte 10000 DM pro Jahr (BA-B 153/829 [Schreiben des Deutschen Familienverbandes an das Bundesinnenministerium vom 19. November 1955]). 71 Der Deutsche Familienverband gab seit 1955 die Monatszeitschrift „Unsere Welt" und einmal im Jahr die Festschrift „Pro Familia" heraus. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zahlte einen monatlichen Zuschuß von 1500 DM und erhielt dafür 3000 Gratisexemplare. (BA-B 153/829 [Schreiben Bundesfamilienministerium an Deutschen Familienverband vom 28. August 1957]). Als das Presse- und Informationsamt seine Zuschüsse an den Deutschen Familienverband kürzte, stand der Verband vor der Frage, entweder das Erscheinen seiner Monatszeitschrift einzustellen oder sie mit der Monatszeitschrift „Die Familie" des Bundes der Kinderreichen Deutschlands zusammenzulegen. Der DFV entschloß sich zur Fusion (Umstaetter: Zwanzig Jahre Deutschen Familienverband, S. 9). 72 BA-B 153/829 (Rundschreiben des Deutschen Familienverbandes und des Bundes der Kinderreichen Deutschlands im Landesverband Baden-Württemberg an die Bundesvorstandsmitglieder vom 22. März 1957, S. 4). 73 Witt: Der Deutsche Familienverband, Spalte 196-197; Der Deutsche Familienverband - Grundsätze und Forderungen, in: Jugendwohl 33, 1952, Nr. 7/8, S. 230232; Programmschrift des Deutschen Familienverbandes von 1955 (BA-B 191/104) - abgedruckt in: Ruhl, Klaus-Jörg (Hrsg.): Frauen in der Nachkriegszeit 1945— 1963, München 1988, S. 121-122.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

den Verbesserungen im Wohnungsbau mit der Beschaffung von Grund und Boden für Kleinsiedlungen, die Förderung des Wohnungsbaus, insbesondere für kinderreiche Familien, denen auch bevorzugte Baudarlehen und Hypotheken gewährt werden sollten. Ein Kündigungsschutz sollte den Arbeitsplatz sichern, Arbeitsschutzgesetze den Frauenarbeitsplatz sicherer machen. Unter dem Punkt Lohnpolitik wurde die Zahlung von Kindergeld durch Familienausgleichskassen gefordert und unter dem Punkt Steuerpolitik eine fühlbare steuerliche Begünstigung der Familien unter Berücksichtigung der Kinderzahl. Eine Umgestaltung des Tarifwesens bei der Bundesbahn und der Bundespost war ebenso im Programm festgeschrieben wie der Ehrenschutz für die Familie in der Öffentlichkeit, worunter die Propagierung des Familiengedankens auf der einen und der Schutz vor der Verunglimpfung durch Film, Funk und Presse auf der anderen Seite verstanden wurde.

2.2.

Der Familienbund der Deutschen Katholiken

Nahezu identisch mit den Forderungen des Deutschen Familienverbandes waren die sozialpolitischen Anliegen des Familienbundes der Deutschen Katholiken. 74 Auch hier wurden Familienzulagen durch Familienausgleichskassen angestrebt, die Förderung des Familieneigenheimbaues, die genügende Berücksichtigung der Familie bei der geplanten Großen Steuerreform, Familientarife bei den öffentlichen Verkehrsmitteln und die „familiengerechte Ordnung von Arbeitszeit und Muße". Und das alles zur „Verwirklichung eines gesunden Familienlebens". 75 Die Gründung des Familienbundes der Deutschen Katholiken geht aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine Initiative des Würzburger Bischofs Julius Döpfner zurück.76 Auf der Fuldaer Bischofskonferenz im August 74

Groebmair, Karlheinz: Der Familienbund der Deutschen Katholiken. Aufbau und Ziele, in: Zur katholischen Familienarbeit in Deutschland. Hrsg. vom Familienbund der Deutschen Katholiken, München 1954, S. 21-23. 75 Ebd., S. 22. 76 In der Festschrift zum zehnjährigen Bestehen des Familienbundes behauptete sein Präsident Hans Hutter, daß „im Frühjahr 1953 unter der Leitung von Eminenz Döpfner.. .und der Gräfin von Eitz.. .Priester und Laien zusammengekommen waren, um eine Familienbewegung im katholischen Volksteil der Bundesrepublik ins Leben zu rufen" (Hutter, Hans: Zehn Jahre Familienbund der Deutschen Katholiken 1953-1963, in: Zehn Jahre Familienbund der Deutschen Katholiken 19531963. Hrsg. vom Familienverband der Deutschen Katholiken, München 1963, S. 5-8, hier: S. 5). Nach den ermittelten Daten zur Entstehungsgeschichte des Familienbundes muß hier ein Irrtum (oder ein Druckfehler) vorliegen oder Hutter bezieht sich nur auf die Vorgänge in Bayern. Denn im Frühjahr bestand der Familienbund schon auf Diözesanebene. Wahrscheinlich haben die Gespräche ein Jahr früher, im Frühjahr 1952, stattgefunden. In der Festschrift zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen des Familienbundes bietet Hutter dann eine weitere Lesart an, die

2. Gründung der Familienverbände und des Bundesministeriums

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1952 wurde dann beschlossen, einen katholischen Familienbund zu gründen.77 Von da ab liefen die Vorbereitungen in den einzelnen Diözesen an, zuerst in der größten, der Erzdiözese Köln. Zu diesem Zweck trafen sich die Dechanten, um sich über Zielsetzung, Aufbau und Einführungsmodus des Familienbundes zu verständigen.78 Die Dechanten gelangten zu der Ansicht, daß zwar schon viel von der Kirche für die Familie getan worden sei, aber es müsse „noch mehr getan werden". 79 Vor allem müßte die wirtschaftliche Not der Familie mit Kindern behoben, die Ehescheidungserleichterungen beseitigt und gegen die öffentliche Diffamierung kinderreicher Familien vorgegangen werden. Ein Familienbund könne helfen, diese unhaltbaren Zustände zu ändern. Vorausetzung für eine erfolgreiche Arbeit seien jedoch drei Bedingungen. So müsse erstens der geplante Familienbund ein „machtvoller" Familienbund sein. „Nur so greift er hinein in die konkreten Dinge und in die Gesetzgebung und die Atmosphäre". 80 Er müsse deshalb auch über eine große Mitgliederzahl verfügen, denn nur ein großer Bund mit eigenen Mitgliedern könne nach außen wirkungsvoll in Erscheinung treten. Und zweitens müsse er katholisch sein, da die anstehenden Probleme „nur von katholischer Seite gelöst werden können". 81 Schließlich sei drittens der Familienbund eng an die Kirche zu binden. Die Dechanten waren sich einig, daß der Familienbund in erster Linie für Katholiken gedacht war, und dort sollte er auch wirken.

Fortsetzung Fußnote von Seite 142 auch nicht korrekt ist (Hutter, Hans: Fünfundzwanzig Jahre Familienbund der Deutschen Katholiken. Rückblick und Ausblick, in : Fünfundzwanzig Jahre Familienbund der Deutschen Katholiken 1953-1978, München 1978, ohne Paganierung, hier: erste Seite des Artikels). Danach haben Männer und Frauen zusammen mit dem Episkopat 1953 die Gründung des Familienbundes beschlossen. 77 Zum Familienbund der Deutschen Katholiken: Schönwälder, Ferdinand: Familienbund deutscher Katholiken, in: Klerusblatt 33, 1953, Nr. 13 vom 1. Juli 1953, S. 196-197; Groebmair, Karlheinz: Der Familienbund der Deutschen Katholiken, in: Ehe und Familie, Spalte 197-198; ders.: Der Familienbund der Deutschen Katholiken, in: Die Mitarbeit 7, 1958, S. 302-305; Der Familienbund der deutschen Katholiken. Aufbau und Ziele, in: Zur Lage der Familienarbeit in Deutschland 1954, S. 21-23; Acht Jahre Familienpolitik-acht Jahre Zentraler Familienrat. Hrsg. vom Familienverband der Deutschen Katholiken, München 1961; Hutter, Hans: 10 Jahre Familienbund der deutschen Katholiken, in: St. Konradsblatt 47, 1963, Nr. 24, S. 10-11. 78 Niederschlag der Besprechung der Dechantenkonferenz vom 27. November 1952 betr. Familienbund deutscher Katholiken, in : Kirchlicher Anzeiger der Erzdiözese Köln 92, 1952, S. 466-470. 79 Ebd., S. 467. 80 Ebd. 81 Ebd., S. 468.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Über die Frage des organisatorischen Aufbaus kamen die Dechanten überein, daß in den Pfarreien Familien-Räte gebildet werden sollten, 82 deren Vertreter dann dem Diözesan-Familienrat angehören sollten. Nachdem der Familienbund am 1. Juni 1953 auf Bundesebene seine Tätigkeit aufgenommen hatte, entsandten die Diözesan-Familienräte Vertreter in den Zentralen Familienrat. Im Bundesstatut des Familienbundes der Deutschen Katholiken, das auf der konstituierenden Sitzung des Familienbundes am 16. Oktober 1953 beschlossen wurde, fand der organisatorische Aufbau seinen Abschluß. 83 In diesem Statut wurde auch festgelegt, daß dem Präsidium, dem ständigen Führungsorgan des Bundes, ein Beauftragter des Episkopats angehörte. 84 In der Erzdiözese Köln wurde am 4. Januar 1953, dem Sonntag vor dem Fest der Heiligen Familie, ein Hirtenwort verlesen, das die Kirchenbesucher aufforderte, dem Familienbund beizutreten. 85 Eine Diözese nach der anderen folgte diesem Beispiel. So war es in der Diözese Würzburg der 3. Mai 1953, an dem das Hirtenwort zur Gründung des Familienbundes der Deutschen Katholiken von den Kanzeln verlesen wurde.86 Die Werbung für den Familienbund erfolgte in den Kirchenzeitungen und wurde von den katholischen Organisationen unterstützt.87 Ende 1954 arbeiteten 15 von 19 Diözesan-Familienräte, die sich auf insgesamt 857800 Mitglieder stützten. Von den Mitgliederbeiträgen mußte ein Drittel an die Bundesgeschäftsführung abgeführt werden. Im Jahre 1954 waren das 33 500 DM, zu denen noch 12000 DM hinzukamen, die von der Fuldaer Bischofskonferenz beigesteuert wurden und weitere

Ebd., S. 469. Das Bundesstatut ist unter anderem abgedruckt in: Bundesstatut des Familienbundes der deutschen Katholiken, München 1953; Kirchlicher Anzeiger der Diözese Hildesheim 1954, Nr. 4, S. 79-81 ; die revidierte Fassung in: Wüst, Georg: Auftrag und Weg. Erläuterungen zum Bundesstatut des Familienbundes der Deutschen Katholiken, München 1961. Die Änderungen gegenüber der ersten Fassung betrafen die Zusammensetzung des Zentralen Familienrates. 84 Mit Erfolg setzte sich der Familienbund dagegen zur Wehr, daß für den Verband „stottrige Abkürzungen" verwendet wurden. Dazu: Werkhefte für die Mitarbeit im Familienbund der Deutschen Katholiken. Hrsg. vom Diözesan-Familienrat im Bistum Münster, Münster 1954, S. 11. 85 Niederschlag der Besprechungen, S. 469. 86 Würzburger Diözesanblatt 99, 1953, Nr. 7 vom 15. April 1953, S. 79-80. 87 Eitz, Sophie Gräfin zu: Familie-hilf dir selbst! Zur bevorstehenden Gründung des Familienbundes der deutschen Katholiken in unserer Diözese, in: Der Sonntag (Limburg) 7, 1953, Nr. 8 vom 22. Februar 1953, S. 2; Der Familienbund Deutscher Katholiken, in: Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 100, 1953, Nr. 18 vom 3. Mai 1953, S. 5; Brauchen wir einen katholischen Familienbund? in: Augsburger Katholische Kirchenzeitung 8, 1953, Nr. 18 vom 3. Mai 1953, S. 5; Schönwälder, Ferdinand: Familienbund der deutschen Katholiken, in: Klerusblatt 33, 1953, Nr. 13, S. 196-197; Wo bleiben die Erfolge? Ein Jahr Familienbund der deutschen Katholiken, in: Kirche und Leben (Münster) 9, 1954, Nr. 2, S. 1. 82 83

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41000 DM des Bundesinnenministeriums. 88 Die Planer hatten damit erreicht, was sie wollten: der Familienbund der Deutschen Katholiken war der mitgliederstärkste und reichste Familienbund in der Bundesrepubik, und der machtvollste und einflußreichste zugleich.

2.3.

Die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen und der Bund der Kinderreichen Deutschlands

Nach der Gründung des Familienbundes der Katholiken Deutschlands sah sich die evangelische Kirche, die der aufkommenden Familienbewegung zunächst distanziert gegenüberstand, 89 aus Gründen der Parität gezwungen, ihrerseits einen Familienverband ins Leben zu rufen, der, so war es vorgesehen, Einfluß auf „Gesetzgebung und Verwaltungspraxis im familiengünstigen Sinne" nehmen sollte.90 Bewußt wurde darauf verzichtet, den Familienverband auf der Basis von Mitgliedern aufzubauen. Die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, die sich am 10. September 1953 konstituierte, wurde vielmehr getragen von verschiedenen evangelischen Verbänden, vom Central-Ausschuß für die Innere Mission bis hin zum Deutschen Evangelischen Kirchentag. Die Aufgabe der Führung der Aktionsgemeinschaft bestand im wesentlichen darin, die Aktionen der einzelnen Verbände zu koordinieren und gemeinsame Stellungnahmen zu aktuellen familienpolitischen Problemen abzugeben. Bei einer solchen lockeren Organisationsform, wie sie die Aktionsgemeinschaft darstellte, kam es sehr auf die Führungs- und Durchsetzungsqualitäten des Präsidenten an. Der mehrfache Wechsel an der Spitze der Evangelischen Aktionsgemeinschaft innerhalb weniger Jahre deutet daraufhin, daß die schwierigen Organisationsprobleme so manchen scheitern ließen.91 Am 24. März 1954 schlossen sich die drei Familien verbände zur Arbeitsgemeinschaft deutscher Familienorganisationen zusammen, die nicht als Dachorganisation mit der Aufgabe einer gemeinsamen Vertretung nach außen gedacht war, sondern zur gemeinsamen Willensbildung in einzelnen aktuellen familienpolitischen Fragen.92 Als vierter Familienver88 Zu den Angaben: Situationsbericht der Bundesgeschäftsführung des Familienbundes der Deutschen Katholiken zum 1. Januar 1955, S. 2 und 3 (BA-B 153/829). 89 Vgl. Lilje, Hanns: Evangelische Gedanken zur Familienpolitik, in: Informationsblatt für die Gemeinden in den niederdeutschen lutherischen Landeskirchen 3, 1954, Nr. 3, S. 33-35, hier: S. 33. 90 Grohmann, Gertrud: Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, in: Ehe und Familie, Spalte 199-200; dies.: Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, in: Der Mitarbeiter 7, 1958, S. 305-306. " Der erste Präsident der Aktionsgemeinschaft war Martin Donath, es folgte Friedrich Münchmeyer, dann Emmi Welter und schließlich wieder Martin Donath. 92 BA-B 191/115 (Die Familie der Bundesrepublik. Leistung-Erfolg. Sonderdruck

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

band trat am 28. September 1955 der Bund der Kinderreichen Deutschlands (BKD) der Arbeitsgemeinschaft bei. Der Bund der Kinderreichen Deutschlands war keine Neu-, sondern eine Wiedergründung. 93 Gegründet wurde er zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges, als sich verschiedene Organisationen kinderreicher Familien zum „Reichsbund der Kinderreichen Familien Deutschlands zum Schutz der Familie" zusammenschlossen. Der Reichsbund setzte sich während der Weimarer Republik unter anderem ein für die Ermäßigung des Schulgeldes und der Fahrpreise, für die Senkung der Einkommenssteuern und für die Einführung einer Wohnluxussteuer. Nach Hitlers Machtantritt wurde der Reichsbund der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) unterstellt und 1939 in „Reichsbund Deutsche Familie" umbenannt. Nach dem Krieg kam es zur Wiedergründung von Kinderreichenbünden auf Landesebene und für kurze Zeit auch zu einer Vereinigung in Leverkusen, die aber schon nach kurzer Zeit wieder aufgelöst wurde zugunsten des am 25. Oktober 1954 gegründeten Bundes der Kinderreichen Deutschlands, dem sämtliche in der Bundesrepublik bestehenden Kinderreichenorganisationen beitraten.94 Auf der Zusammenkunft der Landesvorsitzenden des Bundes am 23. Januar 1955 wurde die Bundestagsabgeordnete Eva Gräfin Finckenstein, die zunächst dem Gesamtdeutschen Block/BHE angehörte und dann der CDU beitrat, zur Präsidentin gewählt.95 Der Bund der Kinderreichen Deutschlands mußte in den ersten Jahren seines Bestehens mehrere Krisen überstehen, an denen er fast zerbrochen wäre. Da war zunächst einmal eine Betrugsaffäre, und dann gab es tiefgreifende Auseinandersetzungen zwischen der Bundesführung und einzelnen Landesvorsitzenden, 96 die den Rücktritt der Gräfin Finckenstein bewirkten.97 Und die Fusionsverhandlungen mit dem Deutschen Familienverband führten auch nicht gerade zu einer Beruhigung des krisengeschüt-

Fortsetzung

Fußnote von Seite 145

der Monatszeitung des Deutschen Familienverbandes „Die Familie". Hrsg. anläßlich des internationalen Familienkongresses in München, im Juli 1954). Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 119-120. 93 Zum Bund der Kinderreichen Deutschlands: Merzenich, Toni: Der Bund der Kinderreichen Deutschlands (BKD), in: Ehe und Familie, Spalten 199-202; ders.: Der Bund der Kinderreichen Deutschlands, in: Die Mitarbeit 7, 1958, S. 300-302. 94 BA-B 195/2 (Der Mitarbeiterbrief des Bundes der Kinderreichen Deutschlands vom September 1957, S. 5). 95 BA-B 195/6 (Protokoll über eine Zusammenkunft der Landesvorsitzenden des Bundes der Kinderreichen Deutschlands am 23. Januar 1955). 96 Bei der Betrugsaffäre handelte es sich um die Unterschlagungen des Kulturreferenten Otto Kinsky, der nach seiner Verhaftung Selbstmord beging. 97 BA-B 195/2 (Protokoll des Bundesverbandstages vom 28./29. September 1957).

2. Gründung der Familien verbände und des Bundesministeriums

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telten Bundes. 9 8 1959 zählte der B u n d 33 000 Mitglieder, v o n denen zwei Drittel den Landesverbänden N i e d e r s a c h s e n u n d Bayern (je 1 0 0 0 0 Mitglieder) a n g e h ö r t e n . " D e r Bund war „parteipolitisch u n d konfessionell neutral", u n d er hielt es für seine Pflicht, „alle M a ß n a h m e n zu unterstützen, die geeignet sind, die natürliche Entfaltung der Familie u n d ihre gemeinschaftsbildenden u n d gemeinschaftserhaltenden Werte zu sichern. 1 0 0 Seine „volkspolitische A u f g a b e " betrachtete er erst d a n n als erfüllt, „ w e n n die wertvolle, an Kindern reiche Familie wieder z u m vorbildlichen Leitbild im V o l k e g e w o r d e n ist". 101 D i e Forderungen, die der Bund an die Regierung u n d die Parteien richtete, waren weitgehend identisch mit den Forderungen der anderen Familienverbände. 1 0 2

2.4.

Entstehung und Arbeitsweise des Bundesministeriums für Familienfragen

Wichtigster Ansprechpartner der Familienverbände u n d Relaisstation ihrer familienpolitischen Forderungen war das Bundesministerium für Familienfragen, das im Oktober 1953 errichtet wurde. 1 0 3 Vorausgegangen waren m o n a t e l a n g e Diskussionen. In diesen D i s k u s s i o n e n ging es u m die Inhalte der Familienpolitik im allgemeinen u n d u m ihre Vertretung im ad98

Die Gesprächspartner waren sich einig, daß es für die familienpolitische Arbeit von Vorteil wäre, wenn die konfessionell und parteipolitisch ungebundenen Familienorganisationen zu einem einzigen großen Verband fusionieren würden. Die strittigen Fragen, die dieser Fusion entgegenstanden, konnten von keiner der beiden Parteien gelöst werden. Nach dem Scheitern der Verhandlungen setzte sich innerhalb des Bundes immer mehr die Meinung durch, daß der Name Bund der Kinderreichen Deutschlands keine Anziehungskraft besäße, und es wurde vorgeschlagen, den Bund in Deutsche Familien-Union umzutaufen. Dazu kam es nicht, aber dann doch zur Fusion mit dem Deutschen Familienverband im Jahre 1968. 99 Protokoll des 2. Bundesverbandstages vom 17./18. Juni 1960. Nach den Angaben der Landesverbände nahmen die Mitgliederzahlen von 20000 (1957) über 26000 (1958) auf 33000 (1959) zu. In Niedersachsen war das eine Zunahme von 128% (von 4600 auf 10600 Mitglieder) und in Hessen von 100% (von 961 auf 1099), während der mitgliederstärkste Landesverband Bayern nur 27% verzeichnete (von 8100 auf 10300). 100 BA-B 195/6 (Bundesstatut des Bundes der Kinderreichen Deutschlands vom 1. Januar 1955). 101 BA-ZSg 169/1 (Grundsatzprogramm des Bundes der Kinderreichen Deutschlands vom 18. Juni 1960). 102 Forderungen an die Parteien, in: Der Mitarbeiterbrief Januar/Februar 1957, S. 1-2. 103 Zum Familienministerium: Aufgaben und Aufbau des Bundesministeriums für Familie und Jugend. Hrsg. vom Bundesministerium für Familie und Jugend, Bonn 1968; Attenberger, Gerhart u.a.: Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit. 2. Aufl. Bonn 1970 (geht weniger auf die geschichtliche Entwicklung und mehr auf den Aufbau des Familienministeriums ein).

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

ministrativ-staatlichen Bereich im besonderen. Anfang 1952 favorisierte die CDU/CSU den Vorschlag, innerhalb des Bundesinnenministeriums ein Familienreferat einzurichten, da dort bereits ein Frauenreferat bestand.104 Nach Ansicht des CDU-Abgeordneten Bernhard Winkelheide sollte das Familienreferat „eine Untersuchungsstelle für die Lebensgrundlagen und die Schutzbedürftigkeit der Familien, besonders der kinderreichen Familien, sein", weiterhin eine Koordinierungsstelle für Familienfragen in den Ministerien und schließlich sollte sich das Referat der Förderung und des Aufbaus der Familie annehmen. 105 Diesen Vorschlag lehnte der Koalitionspartner FDP ebenso ab wie die SPD-Opposition. Die FDP hielt es für ausreichend, wenn mehr als bisher in allen Ministerien und bei allen gesetzgeberischen Organen der Blick auf den Schutz der Familie gerichtet werde,106 und die SPD stellte sich auf den Standpunkt, daß mit der Errichtung eines Familienreferats keineswegs die Sicherung der Familie, und dabei ging es ihr in erster Linie um die finanzschwachen Familien, gewährleistet sei.107 Diese Ablehnung hatte zur Folge, daß der Widerstand innerhalb der CDU gegen diese „Minimallösung" zunahm, und sich schließlich die Vorstellung durchsetzte, Familienpolitik durch ein eigenes Ministerium vertreten zu lassen.108 In seiner Regierungserklärung am 20. Oktober 1953 begründete Bundeskanzler Adenauer die Einrichtung eines Familienministeriums mit der „Überalterung des deutschen Volkes" und die sich daraus ergebenden volkswirtschaftlichen Probleme. Abhilfe, so erklärte er, könne nur durch „Stärkung der Familie und durch Stärkung des Willens zum Kinde" erreicht werden. Da die allgemeine Entwicklung jedoch der Gründung einer gesunden Familie abträglich sei, müsse dieser Entwicklung durch eine „zielbewußte Familienpolitik" entgegengewirkt werden.109 Dem Bundesministerium für Familienfragen wurde die Aufgabe zugeteilt, die Belange der Familie in der Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu wahren, den familiengerechten Wohnbau unter vordringlicher Berücksichtigung größerer Familien zu fördern, den Familiengedanken in der Öffentlichkeit zu schützen und zu fördern und bei der Schaffung eines Ehe- und Familienrechts, das der besonderen Funktion von Mann und 104

BA-Nachlaß Lüders/225 (Aufzeichnung über die Sitzung im Bundesinnenministerium vom 26. Januar 1953). 105 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 246. Sitzung vom 22. Januar 1953, S. 11.740. 106 Ebd. 107 Ebd., S. 11.741. 108 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 3967 (Antrag der Fraktion der C D U / C S U betr. Familienreferat im Bundesinnenministerium vom 13. Dezember 1951). 109 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. Il.Wahlperiode. 3. Sitzung vom 20. Oktober 1953, S. 18.

2. Gründung der Familien verbände und des Bundesministeriums

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Frau in der Ehe Rechnung tragen sollte, mitzuwirken.110 Zu diesem Zweck sollte das Familienministerium erstens eng mit den zuständigen Fachministerien zusammenarbeiten, zweitens wissenschaftliche Daten über die Situation der Familie erarbeiten und drittens Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Das Familienministerium besaß für die Familiengesetzgebung keine Federführung. Federführend für diese Gesetzgebung blieben, wie schon vor der Errichtung des Familienministeriums, die einschlägigen Ministerien, also das Arbeitsministerium (für das Kindergeldgesetz), das Wohnbauministerium (für das Wohnungsbaugesetz), das Finanzministerium (für die Steuerreform) und das Justizministerium (für das Familienrechtsgesetz). Das Familienministerium blieb in Familienfragen auf die Mitwirkung an den Gesetzesvorhaben der Fachressorts beschränkt. Die Mitwirkung bestand in Vorlagen an das Bundeskabinett, in Stellungnahmen zu Kabinettsvorlagen anderer Ministerien und in der Mitarbeit bei interministeriellen Besprechungen und Ausschußsitzungen sowie in Erörterungen mit den zuständigen Referenten der federführenden Ressorts. In der Zeit von 1953 bis Ende 1958 brachte das Familienministerium acht Kabinettsvorlagen ein. Im gleichen Zeitraum nahm es in fünfzehn Fällen zu Kabinettsvorlagen anderer Ministerien schriftlich Stellung. 1 " Da das Familienministerium eine relativ schwache Position gegenüber den federführenden Ressorts hatte, bediente es sich bewußt der Familienverbände, die von ihm animiert wurden, Druck auf das jeweilige Ministerium auszuüben. Auf einen entsprechenden Wink des Familienministeriums hin deckten die Familienverbände das Ministerium, das Schwierigkeiten bereitete oder Gesetzesvorhaben verzögerte, mit Denkschriften, Vorschlägen und Resolutionen ein, oder sie nahmen direkte Gespräche mit den Ministerialbeamten auf." 2 Bei der Neubildung der Bundesregierung nach den Bundestagswahlen 110

Neue Bundesminister über ihre Aufgaben. Erste Interviews im Nordwestdeutschen Rundfunk, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1953, Nr. 203 vom 23. Oktober 1953, S. 1694; Wuermeling, Franz-Josef: Warum ein Ministerium für die Familie, in: ebd. 1953, Nr. 216 vom 11. November 1953, S. 1795-1796; Bundesminister für Familienfragen, in: ebd. 1953, Nr. 247 vom 29. Dezember 1953, S. 2059; BA-B 153/500 (Entwurf des Wirtschaftsplans für das Rechnungsjahr 1953). 111 BA-B 153/421 (Gutachten über die Organisation und Wirtschaftlichkeit des Bundesministeriums für Familien- und Jugendfragen, April 1959, S. 5). 112 BA-B 191/118 (Schreiben Martin Donath an Familienbund der Deutschen Katholiken vom 12. Oktober 1956). Vgl. auch die Auflistung der Rundschreiben und Anlagen des Bundes der Kinderreichen Deutschlands, die abgedruckt sind in: Der Mitarbeiterbrief, September 1957, S. 1-6 (Sonderdruck als Anlage zum Geschäftsbericht Bundesverbandstag 1957 in Berlin).

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

im Herbst 1957 wurden die Kompetenzen des Familienministeriums ausgeweitet. Das Bundesinnenministerium mußte die Abteilung Jugendfragen - mit Ausnahme der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften abgeben." 3 Das Familienministerium erhielt die Bezeichnung Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen. Durch die Übernahme des Bundesjugendplans wuchs der Etat von rund 600000 DM im Jahre 1957 auf rund 64 Millionen DM im Jahre 1958 an. Auch der Personalbestand des Familienministeriums nahm zu: von 33 (im Jahre 1955) auf 82 Planstellen (1958)."4 Der „wissenschaftliche Familienbeirat", der sich am 29. Oktober 1954 zu seiner konstituierenden Sitzung traf, war Beratungsgremium und Sachverständigengruppe zugleich.115 Er trat drei- bis viermal im Jahr zusammen und äußerte sich zu geplanten Gesetzesvorhaben, machte Verbesserungsvorschläge und stellte dem Familienministerium wissenschaftliche Daten zur Situation der Familie zur Verfügung. Seine zwölf Mitglieder setzten sich aus Theologen, Soziologen, Medizinern, Juristen und Pädagogen zusammen, unter ihnen die Präsidenten der Familienverbände," 6 die aber nicht als Vertreter ihrer Organisationen auftraten, sondern als Einzelpersönlichkeiten, worauf der Familienbund der Deutschen Katholiken großen Wert legte.117 Als „Beirat für Familienfragen" wurde das Gremium fünf Jahre später neu konstituiert." 8 113

Attenberger: Das Bundesministerium, S. 34. BA-B 153/421 (Gutachten, S. 6). 115 Beirat beim Bundesministerium für Familienfragen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1954, Nr. 204 vom 28. Oktober 1954, S. 1.815. 116 Dem wissenschaftlichen Beirat gehörten an als: Vertreter der Wissenschaft: Prof. Dr. Hans Harmsen, Uni Hamburg Prof. Dr. Joseph Höffner, Uni Münster Prof. Dr. Ludwig Neundörfer, Uni Frankfurt Vertreter der Praxis : Dr. Cilly von Aubel, Schriftstellerin Klaus von Bismarck, Leiter des Sozialreferats der Evangelischen Kirche Westfalen Dr. Josepha Fischer-Erling, katholische Beratungsstelle für Ehe- und Familienfragen Dr. Mauê, Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Antonie Nopitsch, Berufsverband evangelischer Fürsorgerinnen Vertreter der Familienverbände: Franz Umstaetter, Deutscher Familienverband Joseph Hall, Familienbund der Deutschen Katholiken Friedrich Münchmeyer, Evangelische Aktionsgemeinschaft Eva Gräfin Finckenstein, Bund der Kinderreichen Deutschlands. I,7 BA-B 153/829 (Zentral-Mitteilungsdienst, Nr. 10, S. 5). 118 BA-B 191/110 (Schreiben des Bundesfamilienministers an Martin Donath vom II. November 1958). Dem Beirat für Familienfragen gehörten neben den Präsidenten der Familienverbände nur noch Vertreter der Wissenschaft an. 114

2. Gründung der Familienverbände und des Bundesministeriums

151

Der wissenschaftliche Beirat war nicht das einzige Wissenschaftsgremium, das sich mit der Familie beschäftigte. Bereits am 21. Januar 1954 wurde von der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt ein Arbeitsausschuß „Familie und Sozialpolitik" eingesetz. Die Gesellschaft, in den 20er Jahren gegündet und nach 1945 wiedergegründet, stellte sich die Aufgabe, die überfällige Sozialreform in Gang zu setzen und Vorschläge zu unterbreiten. Dem Arbeitsausschuß gehörten mit Hans Achinger, Ludwig Neundörfer und Ferdinand Oeter prominente Mitglieder des Deutschen Familienverbandes an. 119 Wissenschaftlicher Beirat und Arbeitsausschuß ergänzten sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Jedoch gab es gravierende Meinungsunterschiede. So vertrat der wissenschaftliche Beirat die Ansicht, Kinderbeihilfen seien Teil der Familienpolitik, während der Arbeitsausschuß Kinderbeihilfen als Familienlastenausgleich und damit als einen Teil der Sozialpolitik definierte. 120 Wichtigster Tätigkeitsbereich des Familienministeriums in den 50er Jahren war die Öffentlichkeitsarbeit, die dazu diente, den Familiengedanken in der Öffentlichkeit zu propagieren. In Vorträgen und Diskussionen vor Verbänden, Organisationen und sonstigen Zusammenschlüssen trugen die Mitarbeiter des Ministeriums die Leitgedanken der Familienpolitik vor, schrieben für Zeitungen und Fachzeitschriften Aufsätze und Abhandlungen und standen für Interviews zur Verfügung - allen voran : der Bundesfamilienminister Franz-Josef Wuermeling. Während seiner achtjährigen Amtszeit, von 1953 bis 1962, verfaßte Wuermeling (oder ließ schreiben) über 900 Vorträge, Referate und Artikel, pro Jahr also mehr als 100. Er war ein ungemein agiler Minister, der von sich und seinen Mitarbeitern das Äußerste forderte. Ständig war er präsent: hielt hier eine Rede, gab dort ein Interview, eröffnete wenig später eine Ausstellung oder erwies sich als wortgewandter Teilnehmer in einer Diskussionsrunde. Den Liberalen und Sozialdemokraten waren sein Eifer und vor allem die von ihm repräsentierte Familienpolitik ein Dorn im Auge, und sie drängten bei Etatdebatten im Bundestag auf Auflösung des Ministeriums, 121 und als ihnen das nicht gelang, begannen sie, ihn lächerlich zu machen, indem sie ihn als Sonntagsredner und Demagogen titulierten. 119

Weiterhin gehörten (1954) dem Arbeitsausschuß an: Doetsch, Franz Lepinski, Mackenroth, Albert Müller, Hans Muthesius, Richter, Riffel, Christa Springe, Gabriele Wülker. 120 Die Gesellschaft für Sozialen Fortschritt gab eine eigene Zeitschrift heraus: Sozialer Fortschritt. Weiterhin eine wissenschaftliche Schriftenreihe: Sozialpolitische Schriften. Zeitschrift und Schriftenreihe begleiteten kritisch die sozial- und familienpolitischen Aktivitäten der Bundesregierung und nahmen im gesellschaftlichen Spektrum einen links-katholischen Standpunkt ein. 121 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographischer Bericht. II. Wahlperiode, 89. Sitzung vom 21. Juni 1955, S. 5042.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Die Wochenzeitung „Die Zeit" gab ihm den Namen Abraham a Santa Wuermeling,122 für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" war Wuermeling der „Familienbewacher". 123 Auch in den eigenen Reihen war er nicht unumstritten. Aber auch gegen den Rat engster Mitarbeiter: Adenauer hielt an ihm fest, und ließ ihn nicht einmal dann fallen, als er mit Rücktrittsdrohungen Positionsverbesserungen erreichen wollte. Daß Adenauers Wahl auf Wuermeling fiel, war eigentlich nicht überraschend. Denn Wuermeling hatte schon vor seiner Ernennung zum Bundesfamilienminister mit einer „Kampfgruppe für die Familie" im Bundestag und in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam gemacht. Entscheidend war jedoch, daß Wuermeling wie kein anderer das Vertrauen der katholischen Kirche besaß, die in ihm dann auch den beredtsten Anwalt für ihr Rechristianisierungs- und Familienerneuerungsprogramm fand. Und Wuermeling erklärte im Gegenzug, daß er die Kirche für seinen besten und wichtigsten Mitstreiter in seinem Aufgabengebiet halte, und zwar insbesondere für die notwendige „innere, ethische Erneuerung vieler Familien im Lande draußen". 124 Daß seine erste Amtshandlung darin bestand, dem Familienbund der Deutschen Katholiken seine Aufwartung zu machen, war auch Ausdruck tiefer Verbundenheit mit seiner Kirche, der er lange Jahre im Sozialdienst Katholischer Männer und in der Fides Romana gedient hatte. Wuermeling war 52 Jahre alt, als er zum Bundesfamilienminister ernannt wurde. Bereits mit 21 Jahren promoviert er zum Dr. rer. pol. und war bis zu seiner Zwangspensionierung aus politischen Gründen im Jahre 1938 zunächst im Preußischen Innenministerium, dann bei der Provinzialverwaltung Kassel als Landesrat tätig. Der Jurist übernahm dann leitende Funktionen in der Industrie und wurde nach dem Krieg Vorstandsmitglied der Basalt-AG in Linz (Rhein). In Linz war er auch vorübergehend Bürgermeister, wurde Landtagsabgeordneter und gehörte seit 1947 dem rheinland-pfälzischen Kabinett als Staatssekretär im Innenministerium an. Zwei Jahre später zog er als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein. Wuermeling, Vater von fünf Kindern, war ein Katholik konservativer Prägung, der nach seinem Amtsantritt als Bundesfamilienminister zäh und eigenwillig seine familienpolitischen und damit gesellschaftspolitischen Vorstellungen verfolgte.125 122

Familienminister und destruktive Kritiker, in: Politisch-Soziale Korrespondenz 3, 1954, Nr. 5, S. 16-17. 123 Der Spiegel vom 12. April 1961, Titelseite und Titelgeschichte „In Untreue fest". 124 Verhandlungen vor dem Deutschen Bundestag. Stenographischer Bericht. II. Wahlperiode, 13. Sitzung vom 5. Februar 1954, S. 397. 125 Wuermeling, Franz-Joseph, in: Internationales Biographisches Archiv (Munzinger-Archiv). Eine Loseblatt-Sammlung; HStA-Nachlaß Lüders (Emil Schäfer: Der Familienminister) - abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 117-119.

2. Gründung der Familienverbände und des Bundesministeriums

153

Familienpolitik in der Ära Adenauer wurde weitgehend selbständig von Wuermeling formuliert und gestaltet, er war ihr Motor und wichtigster Interpret zugleich.126 Trotz zunehmender Kritik an seinen Vorstellungen hielt er unbeirrt an dem einmal eingeschlagenen Kurs fest. Als er 1962 durch Bruno Heck ersetzt wurde, war er darüber tief enttäuscht, noch mehr aber über den Unverstand und die Kurzsichtigkeit im eigenen politischen Lager, das nicht länger bereit war, seinen Vorgaben und Einfällen zu folgen. Zu seinem 80. Geburtstag im Jahre 1980 glaubte die katholische Allgemeine Sonntagszeitung feststellen zu dürfen : „Wuermeling stand für Anfang und Höhepunkt bundesdeutscher Familienpolitik: von da an ging's bergab".127 Aus katholisch-kirchlicher, aber auch aus historischer Perspektive ist diese Feststellung zutreffend. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß der erste Familienminister der Bundesrepublik Deutschland eine tragische Figur war. Er versuchte, sich mit dem katholisch-restaurativen Gedankengut des 19. Jahrhunderts gegen eine unaufhaltsam fortschreitende Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung zu stemmen - und wurde einfach zur Seite geschoben. Als er sich schließlich immer mehr in Widersprüche verstrickte in dem Versuch, seine Familienpolitik zu verteidigen, blieb der CDU kaum etwas anderes übrig, als ihn abzulösen.

2.5.

Das Aktionsprogramm des Bundesfamilienministers Wuermeling zur Stabilisierung der Familie

In enger Anlehnung an die katholische Soziallehre unterteilte Wuermeling Familienpolitik in einen inneren und einen äußeren Bereich. Für den inneren Bereich waren die Kirchen und die Familienverbände verantwortlich, sie sollten über ihre Organisationen im Rahmen seelsorgerischer und fürsorgerischer Maßnahmen die Gesundung der Familie von innen herbeiführen. Für den äußeren Bereich fühlte er sich verantwortlich. Seine Aufgabe sah er darin, durch ein staatliches Hilfsprogramm die äußere Stabilität der Familie zu sichern. Bei diesem staatlichen Hilfsprogramm für die Familie, so Wuermeling, „gehe es vor allem um äußere und materielle Dinge, deren Verwirklichung aber tragende Voraussetzung für rechtes Leben der Familie" sei. 126

Zu Wuermelings Familienpolitik: Haensch, Dietrich: Repressive Familienpolitik. Sexualunterdrückung als Mittel der Politik, Reinbek 1969; Akram-Göhren, Jutta: Die Familienpolitik im Rahmen der Sozialpolitik mit besonderer Berücksichtigung der Vorstellungen und der praktischen Tätigkeit der C D U , Bonn (Diss.) 1974; Langer-El Sayed, Ingrid: Familienpolitik. Tendenzen, Chancen, Notwendigkeiten. Ein Beitrag zur Entdämonisierung, Frankfurt 1980. 127 Die Allgemeine Sonntagszeitung 25, 1980, Nr. 25 vom 7./8. November 1980, S. 2.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Wie er sich ein solches Hilfsprogramm vorstellte, das gab er der Öffentlichkeit im Dezember 1953 als 8-Punkte-Programm bekannt 128 und im August 1954 in einer Rede vor katholischen Studentenverbindungen in Münster als erweitertes 12-Punkte-Programm. 129 Die einzelnen Programmpunkte deckten sich weitestgehend mit den Forderungen der Familienverbände an den Staat. Als erster Programmpunkt wurde der familiengerechte Wohnungsbau genannt. Die Familie sollte wieder so wohnen können, daß der Raumbedarf sowohl ihre Größe als auch ihren Lebensstandard berücksichtigte. Das Eigenheim mit Garten wurde zum Ideal erklärt. Es sollte so groß sein, daß auch die junge Familie darin wachsen konnte, ohne nach einigen Jahren erneut in Raumnot zu geraten, und kinderreiche Familien müßten, so erklärte der Familienminister, so untergebracht werden, daß sich die Kinder gesund und frei entfalten könnten. Zur Erreichung dieses Ziels sollte die Gesetzgebung im sozialen Wohnungsbau die entsprechenden Mittel bereitstellen. Die Punkte zwei bis vier befaßten sich mit der Verbesserung des Einkommens. Kindergeld sollte ab dem dritten Kind gezahlt werden und angestrebt wurden Verbesserungen bei den Kriegsopferrenten, in der Sozialversicherung, beim Lastenausgleich und in der allgemeinen Fürsorge, weiterhin eine stärkere Berücksichtigung der Familien mit Kindern in der Steuergesetzgebung. Mit der Förderung junger Ehen beschäftigte sich der vierte Programmpunkt. Zur Errichtung eines eigenen Hausstandes sollten die Kreditinstitute jungen heiratswilligen Menschen verbilligte Kredite gewähren (Punkt 5), „wenn sie durch eigenes Sparen vor der Familiengründung den Beweis ihrer Förderungswürdigkeit und persönlichen Tüchtigkeit erbracht haben". 130 Die Zusammenführung von Familienmitgliedern, die wegen nicht ausreichender Wohngelegenheiten an verschiedenen Orten lebten, sollte durch Industrieverlagerungen und die Bereitstellung von Familienwohnungen am neuen Arbeitsplatz des Familienernährers herbeigeführt werden (Punkt 6). Um den Familien die Möglichkeit zu eröffnen, gemeinsam in den Urlaub zu fahren, sollten die Bahntarife zugunsten kinderreicher Familien gesenkt werden (Punkt 7), und Gesellschaften und Vereinigungen sollten am Urlaubsort die Betreuung der Familien übernehmen (Punkt 8). 128 Wuermeling, Franz-Josef: Das muß geschehen! Die Familie fordert vom Bundestag, in: Kirchenzeitung vom 6. Dezember 1953. 129 Wuermeling, Franz-Josef: Hilfe für die Familie. Ein Programm des Bundesministers für Familienfragen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1954, Nr. 144 vom 5. August 1954, S. 1289-1291; ders.: Das Programm des Bundesministeriums für Familienfragen, in: Zentral-Informationsdienst Nr. 8 vom 12. November 1954, S. 1-4 (BA-B 153/829). 130 Wuermeling: Das Programm, S. 2.

2. Gründung der Familienverbände und des Bundesministeriums

155

Der Punkt 9 sah eine Verschärfung des Ehe- und Familienrechts vor. Es sollte Ehepartnern künftig die Scheidung erschwert werden. 131 Besonderen Wert legte Wuermeling auf die Existenzsicherung der bäuerlichen Familien. Zu diesem Zweck sollten die bäuerliche Landarbeit erleichtert und die Lebens- und Arbeitsverhältnisse auf dem Lande im allgemeinen verbessert werden (Punkt 10). Mit beruflichen Problemen beschäftigten sich die beiden letzten Punkte (11 und 12). Es wurde an die Wirtschaft appelliert, bevorzugt Familienväter einzustellen, und zur Entlastung der Mütter sollten hauswirtschaftliche und pflegerische Berufe wieder stärker gefördert werden. Außerdem sollten die Müttererholung ausgebaut, der Mutterschutz erweitert und Ehevorbereitungs- und Eheberatungsarbeit privater und kirchlicher Stellen unterstützt werden. 132 Nachdem er seinen Zuhörern sein Programm erläutert hatte, stellte er abschließend, ganz im Sinne des katholischen Rechristianisierungsprogramms, fest: „Alle äußere und wirtschaftliche Hilfe für unsere Familie kann auf die Dauer nichts nützen, wo unsere Familien innerlich nicht in Ordnung sind, wo die innere Ethik und die Bindung an das Sittengesetz und an Gottes Ordnung fehlt". Gebot der Stunde sei deshalb „die in Gottes Ordnung erlebte Familie". 133

131 In einem Entwurf des „Programms der Bundesregierung für familienpolitische Maßnahmen" vom 14. Mai 1954, der „nicht für die Veröffentlichung" vorgesehen war, wurde genau erläutert, was darunter zu verstehen war. So sollte eine Scheidung der Ehe auf Antrag des schuldigen Ehegatten gegen den Willen des unschuldigen Teils nicht mehr zulässig sein (BA-B 153/541). 132 Wuermelings 8-Punkte-Programm von Ende 1953 enthielt folgende Forderungen: 1. Familiengerechter Wohnungsbau 2. Bevorzugter Familieneigenheimbau 3. 20 DM monatliches Kindergeld ab dem dritten Kind 4. Hohe Kinderzuschläge für alle Rentenempfänger 5. Hohe Steuerfreibeträge für Familien mit Kindern 6. Familienermäßigungen bei der Bundesbahn 7. Schutz der überbeanspruchten Mütter 8. Mehr Schutz schuldlos verlassener Frauen und Kinder. 133 Wuermeling: Hilfe für die Familie, S. 1291.

156

3.

3.1.

III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz vom 13. November 1954

Die Anfänge der Kinderbeihilfe in Deutschland

Wuermeling erklärte seinen Zuhörern aber auch, daß „Familienpolitik kein Zweig der heilenden Fürsorge in den negativen Wechselfällen des Lebens (sei)".134 Womit er ausdrücken wollte, daß Familienpolitik nicht als Teil der Sozialpolitik zu gelten habe. Denn die von ihm geforderten finanziellen Hilfen waren nicht dafür vorgesehen, die soziale Not der Familien mit Kindern in den unteren Sozialschichten zu lindern. Das sollte auch weiterhin Aufgabe der Sozialfürsorge und der Volkswohlfahrt bleiben. Vielmehr sollten die finanziellen Zuwendungen den Geburtenschwund und die Berufstätigkeit von Müttern eindämmen.135 Auch wenn Wuermeling sich während seiner Amtszeit mit Vehemenz zur Wehr setzte und wortreich Verteidigungslinien gegen den Verdacht, er betreibe Bevölkerungspolitik136 und versuche die Frau zu domestizieren, aufbaute: er war mit seiner Programmatik fest verwurzelt in der Kontinuität konservativer Familienpolitik, mit der seit jeher die Förderung des Geburtenanstiegs und die Domestizierung der Frau bei gleichzeitiger Zurückdrängung der berufstätigen Mütter verfolgt wurde. Und Mittelstück dieser Familienpolitik war (und ist) die Kinderbeihilfe. Der Ruf nach der Kinderbeihilfe setzte in Deutschland ein mit einer öffentlichen Diskussion, die von Nationalökonomen und Ärzten kurz vor dem Ersten Weltkrieg ausgelöst wurde.137 Es war ihnen aufgefallen, daß sich das generative Verhalten der Deutschen verändert hatte.138 Als Ursa134

Wuermeling: Das Programm, S. 2. Vor allem die erwerbstätigen Mütter der mittleren und gehobenen Sozialschichten sollten an den häuslichen Arbeitsplatz zurückkehren. 134 Wuermeling, Franz-Josef: Familienpolitik ist Staatspolitik. Europa stirbt, wenn unsere Familien nicht gesunden - Stetig wachsende übrige Welt, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1954, Nr. 174 vom 16. September 1954, S. 1534-1537; ders.: Keine Bevölkerungspolitik, sondern Friedenspolitik. Der Staat steht im Dienste am Menschen, nicht umgekehrt, in: ebd. 1955, Nr. 231 vom 9. Dezember 1955, S. 1767-1768; ders.: Bevölkerungspolitik und Geburtenbeschränkung, in: Gesellschaftspolitische Kommentare 1959, Nr. 18, S. 178-179. 137 Zum Nachweis der Diskussion: Schmidt, P.: Bibliographie der Frage des Geburtenrückgangs, in: Deutsches Statistisches Zentralblatt 1913 ff. (bis Mitte 1915 wurden über 600 Schriften und Aufsätze verzeichnet); eine erste Bewertung der Diskussion erfolgte durch : Roesle, E. : Der Geburtenrückgang, seine Literatur und die Methodik seiner Ausmaßbestimmung, Leipzig 1914. 138 Wolf, J.: Der Geburtenrückgang. Die Rationalisierung des Sexuallebens in unserer Zeit, Jena 1912; Graßl, J.: Der Geburtenrückgang in Deutschland, seine Ursa135

3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz

157

chen machten sie die Industrialisierung, die Landflucht und dann vor allem die besonderen Lebens- und Wohnbedingungen in den Städten aus,139 die dazu geführt hatten, daß immer mehr Familien sich entschlossen, durch bewußte Empfängnisverhütung die Kinderzahl zu begrenzen. Praktiziert wurde die Empfängnisverhütung zuerst in Familien mit mehreren Kindern und zwar in Familien der Mittel- und Oberschicht, mehr bei Protestanten als bei Katholiken,140 und später auch in Arbeiterfamilien. Dieser Vorgang, das fanden die Wissenschaftler heraus, hatte bereits in der Depression der 70er Jahre eingesetzt, war aber lange verdeckt geblieben, da eine verbesserte medizinische Versorgung die Sterblichkeit heruntergedrückt hatte. Daher war trotz einer erheblichen Auswanderungsbewegung die Bevölkerung kontinuierlich angestiegen. Ihren Höhepunkt hatte der Bevölkerungsanstieg um die Jahrhundertwende erreicht, als ein jährliches Wachstum von 14,8% registriert wurde.141 Danach war die Geburtenziffer schneller gefallen als die Sterbeziffer, und das war dann auch der Auslöser für die Wissenschaftler gewesen, nach den Hintergründen dieser Entwicklung zu forschen (vgl. dazu Tabelle 11). Konservative Publizisten griffen die Untersuchungsergebnisse auf und alarmierten die Öffentlichkeit. Dem deutschen Volk, so ließen sie wissen, stände der „Volkstod" bevor, wenn nicht sofort etwas gegen sexuelle Enthaltsamkeit und steigende Abtreibung unternommen werde. Gleichzeitig stellten sie die „wahren" Schuldigen an den Pranger. Für sie waren das in erster Linie die Anhänger des Neomalthusianismus, 142 dann die Individualisten und Materialisten,143 und vor allem auch die Frauen der Oberund Mittelschicht, denen sie vorwarfen, in die Berufstätigkeit zu streben Fortsetzung Fußnote von Seite 156 chen und seine Bedeutung, München 1914; Grotjahn, Α.: Geburtenrückgang und Geburtenregelung vom Standpunkt der individuellen und sozialen Hygiene, Berlin 1914. 139 Schweninger: Wohnungswesen, Berlin 1914. 140 Rost, E.: Geburtenrückgang und Konfession, Köln 1913. 141 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1952, Stuttgart 1952, S. 13. 142 Brentano, L.: Die Malthus'sche Lehre und die Bevölkerungsbewegung der letzten Dezenien, München 1909; Siebert, F.: Der Neomalthusianismus und die öffentliche Ankündigung der Verhütungsmittel, in: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 1912; Thomas Robert Malthus (1766-1834), anglikanischer Geistlicher, stellte folgende These auf: Die Welt geht dem Hungertod entgegen, wenn die Bevölkerungsentwicklung sich selbst überlassen bleibt; nur Geburtenkontrolle, Geburtenplanung, -lenkung und -regelung kann sie davor bewahren; ohne solche Maßnahmen ist der Weltfriede dauernd bedroht, da Kriege durch den „Bevölkerungsdruck" ausgelöst werden; die Eugenik fordere eine Beschränkung und Lenkung auf Züchtung hochwertigen Lebens und Verhinderung von unwertem Leben. Vgl. dazu: Leclercq, Jacques: Die Familie. Ein Handbuch, Freiburg 1955, S. 260271. 143 Teilhaber, F.Α.: Das sterile Berlin, Berlin 1914.

158 Tabelle 11 Jahr

1870 1880 1890 1891 1895 1896 1900 1901 1910 1911 1912 1914 1916 1917 1931

III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963) Eheschließungen, Geborene, Geburtenüberschuß 1870-1931 Eheschließungen

Geburten

insgesamt

auf 1000 Einwohner

insgesamt

auf 1000 Einwohner

Geburtenüberschuß auf 1000 Einwohner

313961 337342 395356 399398 414218 432107 476491 468329 496396 512819 523491 460608 279076 308446 515403

7,7 7,5 8,0 8,0 8,0 8,2 8,5 8,2 7,7 7,8 7,9 6,8 4,1 4,7 8,0

1569206 1696175 1759253 1840172 1877278 1914749 1996139 2032313 1924778 1870729 1869636 1818596 1029484 912109 1031770

38,5 37,6 35,7 37,0 36,1 36,3 35,6 35,7 29,8 28,6 28,3 26,8 15,2 13,9 16,0

11,1 11,6 11,4 13,6 13,9 15,5 13,6 15,1 13,6 11,3 12,7 7,8 -4,0 -6,6 4,7

(Quelle: Bevölkerung und Wirtschaft 1872-1972. Hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Stuttgart 1972, S. 102-103)

und nicht mehr bereit zu sein, zu stillen und Kinder zu erziehen, was aber zu den natürlichen Aufgaben einer Mutter gehöre. 144 Als Gegenbild zur Ein-, Zwei-und Drei-Kind-Familie wurden die kinderreichen Landwirtschafts- und Handwerkerfamilien idealisiert sowie die Schutzbedürftigkeit der Familie gegen äußere Zersetzung und inneren Zerfall herausgestellt. Die Politiker wurden gedrängt, die Strafbestimmungen gegen Abtreibung zu verschärfen und einen „gerechten" Familienlohn einzuführen. Es sei ungerecht, so argumentierten die Verfechter eines Familienlohns, daß das Leistungslohnprinzip für den Ledigen ebenso gälte wie für den Familienvater mit mehreren Kindern, dessen Ehefrau dann gezwungen sei, aus wirtschaftlicher Not, ebenfalls eine Berufstätigkeit aufzunehmen. Es sei hingegen gerecht, wenn der Familienvater noch Kinderbeihilfen für seine Kinder bekäme. Die Bemühungen, Kinderbeihilfen einzuführen, kamen über Absichtserklärungen, Initiativen und Anträge nicht hinaus. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914 ebbte die öffentliche Diskussion um den „Volkstod" schließlich ab - andere, wichtigere Probleme als Volksvermehrung und finanzielle Unterstützungen für kinderreiche Familien standen im Vordergrund des politischen und öffentlichen Interesses. ,44 Berger, L.: Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Beruf und Fruchtbarkeit unter besonderer Berücksichtigung des Königreichs Preußen, in: Zeitschrift des Königlich-Preußischen Landesamtes 1912.

3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz

159

Bis 1917, dann lebte die Diskussion wieder auf. Inzwischen lagen neue Zahlen vor und die belegten einen weiteren, deutlichen Rückgang der Geburtenentwicklung. 145 An sich war das nicht weiter verwunderlich, da die Masse der Männer an den Fronten stand und die Frauen im heiratsfähigen Alter in der Rüstungsindustrie eingesetzt waren, aber für Familienschützer und Volkstumsideologen war das ein alarmierendes Zeichen. In einer Neuauflage der „Volkstod"-Diskussion profilierten sich im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik zwei politische Lager, deren familienpolitische Zielvorstellungen sowohl Gemeinsames als auch Trennendes aufwiesen. Auf der einen Seite warb eine religiös-ethische Richtung, die vor allem im konservativ-katholischen Klientel Unterstützung fand, und auf der anderen Seite eine völkische, die ihr Zustimmungspotential in rechten und völkischen Zirkeln rekrutierte. Beide Richtungen stimmten überein in der Forderung nach einer „großzügigen Familienpolitik" mit Familienzulagen und weiteren steuerlichen Vergünstigungen für kinderreiche Familien. 146 Und sie stimmten auch überein in der Forderung nach Rückkehr der berufstätigen Frau in die Familie, wo sie ihre Lebensaufgabe mit Mutterschaft, Kindererziehung und Haushaltsführung übernehmen sollte.147 Das Trennende betraf die soziale und gesellschaftliche Rolle, die der Familie eingeräumt wurde. Im Mittelpunkt der völkischen Ideologie standen Staat und Volk. Der Familie war nur eine dienende Rolle zugedacht. Sie sollte zur Erhaltung und Festigung der staatlichen Macht ebenso beitragen wie zur rassischen Vervollkommnung des Volkes. Der völkische Staat hatte durch finanzielle Hilfen, die in Form von staatlichen Zuwendungen erfolgen sollten, die Gründung von Familien ebenso zu unterstützen wie die Familien mit Kindern. Als Gegenleistung wurde von den Familien Reproduktionshöchstleistungen erwartet, wobei es jedoch unter den Völkischen Meinungsunterschiede gab, ob die angestrebte Geburtenentwicklung sich an den Vorkriegszahlen orientieren oder ob nur der aktuelle Stand gehalten werden sollte.148 Ganz anders die katholisch-konservativen Vorstellungen: nach der katholischen Soziallehre ist die Familie ihrem Ursprung nach dem Staat und der Gesellschaft vorgeordnet und von Gott als Selbstzweck eingesetzt. Der Staat hat zwar für die Familie zu sorgen, aber die Familie ist nicht um des 145 Burgdörfer, Friedrich: Das Bevölkerungsproblem, seine Erfassung durch Familienstatistik und Familienpolitik mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Reformpläne und der französischen Leistungen, München 1917. 146 Dazu gehörten auch: die Beseitigung von gesetzlichen Ehehindernissen, Erziehungskosten, Förderung des Familieneigenheims (Zahn, Friedrich: Familie und Familienpolitik, Berlin 1918). 147 Jurczyk, Karin : Frauenarbeit und Frauenrolle. Zum Zusammenhang von Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland 1918-1975. 3. Auflage, Frankfurt 1978. 148 Fichtel : Der Familienlohn, S. 77.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Staates willen da. Somit darf der Staat auch nicht den Intimbereich der Familie antasten und die Erziehung innerhalb des Familienverbandes an außerfamiliäre Einrichtungen delegieren. Die Hauptfunktion von Familie und Ehe besteht in der Erzeugung und Aufzucht der Kinder, die nach christlichen Geboten zu erziehen sind.149 In der Weimarer Republik konnten weder die Konservativen noch die Völkischen ihre familien- und bevölkerungspolitischen Ambitionen realisieren. Die Völkischen besaßen bis 1930 keinen nennenswerten politischen Rückhalt im Reichstag, und die Konservativen, soweit sie dem Zentrum angehörten, mußten Rücksicht auf ihren sozialdemokratischen Koalitionspartner nehmen, dessen sozialpolitisches Engagement dem Ausbau des staatlichen Fürsorgesystems, nicht aber der Familienpolitik galt.150 Immerhin gelang es dem Zentrum in der Nationalversammlung von 1919, den Schutz der Familie in der Verfassung festzuschreiben151, und 1927 der SPD die Zustimmung abzuringen, den Staatsbeamten pro Kind eine Kinderzulage in Höhe von 20 RM zu gewähren.152 Das Zentrum konnte sich vorübergehend damit trösten, daß nach Kriegsende ein Großteil der berufstätigen Frauen teils freiwillig, teils unter Zwang dem Erwerbsleben den Rücken kehrte und daß, wohl auch als Folge der Rückkehr der Frau in die Familie, die Geburtenentwicklung vorübergehend anstieg, ohne daß jedoch die Vorkriegszahlen auch nur annähernd erreicht wurden. Ab 1924 zeigte die Geburtenentwicklung dann wieder eine rückläufige Entwicklung. Im Jahre 1929 erreichte der Geburtenüberschuß mit 5,4 je 1000 Einwohner nur reichlich ein Drittel der entsprechenden Zahl um die Jahrhundertwende, und als Folge der Weltwirtschaftskrise ging er dann sogar auf 3,5 zurück.153 Wieder wurden Stimmen laut, die den bevorstehenden „Volkstod" der Deutschen prognostizierten.154 149

Prinz, Friedrich: Die Familie als Gesellschaft, München 1955, S. 538, 549-550. Sieder, Reinhard: Sozialgeschichte der Familie, Frankfurt 1987, S. 221-222. 151 Strelewicz, Willi: Aus den familienpolitischen Debatten der deutschen Nationalversammlung 1919, in: Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung. Hrsg. von Max Horkheimer, Paris 1936, S. 586. 152 Besoldungsgesetz vom 16. Dezember 1927, § 14 [Kinderzuschläge] (Reichsgesetzblatt 1927, S. 349-355). Mit Verordnung des Reichspräsidenten vom 5. Juni 1931 (Reichsgesetzblatt 1931, S. 279) wurden die Kinderzulagen neu festgesetzt: für das 1. Kind 10 RM, für das 2. Kind 20 RM, für das 3. und 4. Kind je 25 RM und für jedes weitere Kind je 30 RM. 153 Wiel, P.: Fünfzig Jahre deutsches Bevölkerungsproblem, in: Der Arbeitgeber vom 15. Dezember 1950, S. 47. 154 Burgdörfer, Friedrich: Der Geburtenrückgang und seine Bekämpfung. Die Lebensfrage des deutschen Volkes, Berlin 1929; ders.: Volk ohne Jugend. Geburtenschwund und Überalterung des deutschen Volkskörpers. Ein Problem der Volkswirtschaft - der Sozialpolitik der nationalen Zukunft, Berlin 1932; Müller, J.: All150

3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz

161

Die neuerliche Diskussion um Geburtenschwund und Volksvergreisung fiel zusammen mit dem Aufstieg der NSDAP. Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, erhielten die Völkischen - und zwar deren radikalste Ausprägung - Gelegenheit, ihre familien- und bevölkerungspolitischen Vorstellungen zu realisieren.155 Als Anreiz zur Familiengründung und zur Reproduktion wurden seit Juni 1933 Ehestandsdarlehen gewährt.156 Speziell für kinderreiche Familien wurden Kinderbeihilfen eingeführt: im September 1935 zunächst die einmalige Kinderbeihilfe,157 im April 1936 die laufende Kinderbeihilfe. 158 Seit September 1938 erhielten Beamte und Angestellte des Reiches, der Länder und Gemeinden Kinderzulagen,159 und ab 1941 wurde ein allgemeines Kindergeld von 10 RM pro Kind und Monat gezahlt.160 Für die Landbevölkerung gab es dann noch Einrichtungszuschüsse und Einrichtungsdarlehen.161 Erwähnenswert sind außerdem die Ausbildungsbeihilfen (für Familien mit vier und mehr Kindern), die sich aus Beihilfen für das Schulgeld, für die Lebenshaltungskosten, für die Fahrkosten und für die Lehrmittelkosten zusammensetzten, 162 und dann die Ermäßigungen für Kinderreiche im Tarif- und Beitragswesen (bei der Reichsbahn und beim Besuch von Veranstaltungen), sowie die Patenschaften, die für dritte und vierte Kindern bis zur Vollendung des 14. Jahres liefen.163 Fortsetzung Fußnote von Seite 160 gemeine und psychische Begründung des Geburtenrückgangs und Möglichkeiten seiner Begründung, in: Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik 134, 1931, S. 638. 155 Zur nationalsozialistischen Familienpolitik: Ruhl, Klaus-Jörg: Die nationalsozialistische Familienpolitik (1933-1945). Ideologie-Maßnahmen-Bilanz, in: Geschichte und Wissenschaft 1991, Heft 8, S. 4 7 9 ^ 8 8 . Weiterhin: Muehlfeld, Klaus und Schönweiss, Friedrich: Nationalsozialistische Familienpolitik. Familiensoziologische Analyse der nationalsozialistischen Familienpolitik, Stuttgart 1989. 156 Das Ehestandsdarlehen. Kommentar zum Gesetz über Förderung der Eheschließung von H. Jancke und K. Blume, Berlin 1934. 157 Verordnung über die Gewährung von Kinderbeihilfen an kinderreiche Familien vom 15. September 1935 (Reichsgesetzblatt 1935, S. 1160). 158 Reichsgesetzblatt 1936, S. 252. 159 Änderung des Besoldungsgesetzes vom 27. September 1938: Kinderzuschläge für jedes eheliche Kind, gestaffelt nach der Ordnungsnummer der Geburt von 10 RM (erstes Kind) bis 30 RM (viertes und weitere Kinder) im Monat (Reichsgesetzblatt 1938, S. 1210). 160 Gesetz über die Vereinfachung der Kinderzuschläge für Beamte vom 15. Januar 1941 (Reichsgesetzblatt 1941, S. 33). 161 Förderung des Bauerntums und des Landvolkes enthalten in der Verordnung vom 7. Juli 1938 (Reichsgesetzblatt 1938, S. 835). 162 Ausbildungsbeihilfe/Schulgeldermäßigung enthalten in der 7. Durchführungsverordnung zur Gewährung von Kinderbeihilfen vom 13. März 1938 (Reichsgesetzblatt 1938, S. 241) und in der S.Durchführungsverordnung vom 1. Juni 1938 (Reichsgesetzblatt 1938, S. 616). 163 Bergmann, Christel: Nationalsozialismus und Familienschutz, Freiburg (Diss.) 1962, S. 40-41.

162

III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Die große Steuerreform vom 16. Oktober 1934 bedachte kinderreiche Familien gleich mit einer ganzen Reihe von Vergünstigungen. So wurden die Kinderfreibeträge bei der Lohnsteuer angehoben, und ab dem sechsten Kind entfiel die Zahlung von Lohnsteuer. Erhöht wurden auch die Freigrenzen für die Vermögenssteuer sowie die Besteuerungsgrenze beim Erbgang in gerader Linie.164 In den Genuß der weitaus meisten Vergünstigungen kamen jedoch nur die sozial Schwachen mit großer Kinderzahl, da niedrige Einkommen ebenso wie die Anzahl der Kinder (fünf oder mehr) Voraussetzung für die Gewährung der staatlichen Zuwendungen waren. Bevölkerungspolitisch erreichten die Nationalsozialisten zwar nicht ihr Ziel, die Geburtenentwicklung auf den Stand vor dem Ersten Weltkrieg anzuheben, aber es gab im „Dritten Reich" deutlich mehr Eheschließungen und mehr Geburten, weit mehr als in der Weimarer Republik. Die Beihilfen in Verbindung mit dem propagandistisch geförderten Mutterkult bewirkten diese Entwicklung, andere Faktoren unterstützten sie wesentlich. Die Zurückdrängung der berufstätigen Frau in den häuslichen Bereich wurde nach anfänglichen Bemühungen aufgegeben, da in der Aufrüstungsphase seit 1937 auf die Frau als Arbeitskraft nicht verzichtet werden konnte.165

3.2.

Erste Forderungen nach einer Wiedereinführung der Kinderbeihilfe nach dem 2. Weltkrieg

Mit der Begründung, es handele sich hier um „Teile der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung und Bevölkerungspolitik" wurden auf Anordnung des Alliierten Kontrollrats nach Kriegsende abgeschafft: das allgemeine Kindergeld, die Ehestandsdarlehen und weitere staatliche Vergünstigungen für die Familie. Bei dieser Entscheidung spielte, wie auch bei der Stornierung anderer sozialer Leistungen, die prekäre Finanzlage eine nicht unerhebliche Rolle, zumal die Zahlung von Kindergeld in einer ganzen Reihe von Staaten eine Selbstverständlichkeit war,166 und somit Kin164 Einkommenssteuergesetz vom 16. Oktober 1934: Staffelung der Einkommenssteuer und der Kinderzahl (Reichsgesetzblatt 1934, S. 1005); Vermögenssteuergesetz: Freibetrag für Ehefrauen und jedes minderjährige Kind 10000 RM (Reichsgesetzblatt 1934, S. 1052); Erbschaftssteuergesetz: 5 Steuerklassen und Verwandtschaftsgrad (Reichsgesetzblatt 1934, S. 1056). 165 Bajohr, Stefan: Die Hälfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914 bis 1945. 2. verbesserte Aufl. Marburg 1984, S. 219-227. 166 In einer vom Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen veranlaßten Übersetzung eines Artikels über Familienbeihilfen im Jahre 1947 aus der Revue Internationale du Travail (1948, Nr. 4/5, S. 524 ff.) werden über 20 Staaten aufgeführt, die bei Kriegsende Familienbeihilfen gewährten (ADGB-BV/12 [Gewerkschaftsrat betr. Familien-Beihilfen vom 8. Juli 1949]).

3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz

163

dergeld nicht einfach als nationalsozialistisches Gedankengut abgetan werden konnte." 7 Wiederholt stellten dann auch Behörden Anträge auf Wiedereinführung des Kindergeldes, die aber vom Zentralamt für Arbeit in der britischen Zone mit dem Hinweis abgelehnt wurden, „staatliche Regelungen (haben) zur Zeit keine Aussicht auf Erfolg". 168 Als nach der Währungsreform die Verbraucherpreise bei relativ niedrigem Lohnniveau kräftig anzogen, wurde gleich von drei Seiten die Zahlung von Kinderbeihilfen, wenn auch aus verschiedenen Motiven, befürwortet: von den Gewerkschaften, die lohnpolitisch argumentierten, vom bremischen Senator für Arbeit und Wohlfahrt Gerhard van Heukelum, dem die Arbeitsmoral in Gefahr schien und von der katholischen Kirche, die gegen die Berufstätigkeit von Müttern eingestellt war.169 Ende Juni 1949 erklärten die Gewerkschaften ihren Ansprechpartnern in der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, 170 daß unter den gegebenen Umständen der Leistungslohn die kinderreichen gegenüber den ledigen Arbeitnehmern benachteilige. Es sei aber nicht zweckmäßig, den Familienvätern Sozialzulagen zu zahlen, „weil dadurch die Gefahr bestünde, daß Familienväter, insbesondere kinderreicher Familien, zuerst entlassen würden". 171 Das Problem, so die Gewerkschafter, könnte nur gelöst werden, wenn Familienhilfen bezahlt würden, die aber unbedingt über Familienausgleichskassen erfolgen müßten, da dann eine gleichmäßige Verteilung der Lasten auf alle Betriebe gewährleistet sei. 167 Erhalten blieben Kinderermäßigungen in der Einkommen- und Lohnsteuer, Kinderzuschläge zu verschiedenen Sozialleistungen, Kinderbeihilfen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst (pro Kind 20 DM) und in Einzelfällen Kinderzulagen, die von privaten Arbeitgebern auf Grund tariflicher oder betrieblicher Vereinbarungen gewährt wurden. 168 Vgl. unter anderem den Antrag des Kreisamtes mit Schreiben vom 8. September 1947 und die Antwort des Präsidenten des Zentralamtes für Arbeit vom 10. April 1948 (BA-B 153/733). 169 Zur Kindergeldgesetzgebung: Stein, Bernhard: Der Familienlohn. Probleme einer familiengerechten Einkommensgestaltung, Berlin 1956, S. 200-248; Ehe und Familie. Grundsätze, Bestand und fördernde Maßnahmen. Hrsg. von Alice und Robert Scherer und Julius Dorneich, Freiburg 1956, Spalten 225-240; Entwicklung und Tendenzen der sozialen Sicherheit: Bundesrepublik Deutschland. Studie durchgeführt auf Wunsch der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Genf 1959, S. 194-225. 170 Aus einer Aktennotiz geht hervor, daß in den Gesprächen zwischen der Verwaltung für Wirtschaft und dem Gewerkschaftsrat von der Wiedereinführung von Familienunterstützungen zum ersten Mal Ende Mai oder Anfang Juni 1949 die Rede war. Um das Problem auszudiskutieren, wurde eine Besprechung auf den 28. Juni 1949 festgesetzt (BA-B 153/733 [Schreiben der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets an Direktor der Verwaltung für Arbeit vom 9. Juni 1949]). 171 BA-B 153/733 (Vermerk betr. Teilnahme an einer Besprechung zwischen dem Gewerkschaftsrat und der Verwaltung für Wirtschaft am 28. Juni 1949 vom 29. Juni 1949).

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Die Gewerkschaften beantragten die Einsetzung eines Ausschusses bestehend aus Vertretern der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände, der Vorschläge für eine entsprechende Gesetzgebung ausarbeiten sollte.172 Die Beamten der Verwaltung für Wirtschaft waren damit einverstanden, baten jedoch die Gewerkschaften, einen Fragebogen zu erstellen, der dann den einzelnen Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet werden sollte. Erst nach Eingang der Stellungnahmen sollte eine größere Kommission den anstehenden Komplex weiter klären.173 Großes Interesse an der Wiedereinführung von Familienhilfen schienen die Beamten nicht zu haben, denn intern wurde Anfang August 1949 die Sprachregelung ausgegeben, den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden die Initiative zu überlassen und sich erst dann wieder einzuschalten, wenn sich eine Einigung zwischen den Sozialpartnern abzeichnen sollte.174 Diese Regelung galt bis Mitte Dezember 1949, dann wurde sie vom Bundesarbeitsminister Anton Storch (CDU) umgestoßen, der es plötzlich sehr eilig hatte, als er sein Ministerium beauftragte, nicht auf die Umfrageergebnisse zu warten,175 sondern umgehend verwertbares Material über die Familienausgleichskassen und die damit zusammenhängenden Fragen zu beschaffen. 176 Der Sinneswandel im Ministerium wurde herbeigeführt durch die CDU/CSU-Fraktion, die am 4. November 1949 im Bundestag den Antrag einbrachte, die Bundesregierung möge „recht bald" einen Gesetzesentwurf zur Errichtung von Familienausgleichskassen vorlegen, um „die besonderen materiellen Lasten der Familie tragbar zu gestalten".177 Mit dem CDU-Antrag wurde ein Anliegen der katholischen Kirche realisiert, die seit der katholischen Woche 1948 in München konkrete Hilfsmaßnahmen für die Familie mit Kindern forderte, „damit die Frauenarbeit verschwindet, wo die Mutter wichtigeres zu tun hat". 178 So der Sozialwissenschaftler Hans Achinger, der seit Beginn der 50er Jahre zusammen mit Joseph Höffner, dem Professor für Christliche Sozialwissenschaften und späteren Erzbischof von Köln, und dem Ge172

BA-B 153/733 (Schreiben des Gewerkschaftsrats der vereinten Zonen an den Direktor der Verwaltung für Arbeit vom 28. Juni 1949). 173 BA-B 153/733 (Vermerk der Hauptabt. III betr.: Familienbeihilfen vom 6. August 1949). 174 BA-B 153/733 (Hauptabt. III an Hauptabt. IV betr.: Ergänzung der Sozialversicherung durch Einführung eines staatlichen Systems der Familienhilfe und des Familien-Lastenausgleichs vom 5. August 1949). 175 Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft übersandte mit Schreiben vom 17. April 1950 ihre Stellungnahme zum Fragebogen (BA-B 211/15). 176 BA-B 153/733 (Vermerk der Hauptabt. III vom 10. Dezember 1949). 177 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 163 (Antrag der Abgeordneten Gockeln, Even, Winkelheide, Heix und Genossen betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Errichtung einer Familien-Ausgleichskasse vom 4. November 1949). 178 Achinger, Hans: Soziallöhne, in: Wirtschaftszeitung (Stuttgart) vom 2. Juli 1949.

3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz

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schäftsführer des Bundes katholischer Unternehmer Winfried Schreiber ein Dreigestirn bildete, das im Sinne der katholischen Kirche starken Einfluß auf die Gestaltung der bundesrepublikanischen Sozialpolitik nahm.179 Gedrängt fühlte sich der Bundesarbeitsminister aber auch durch die Arbeitsminister der Länder, die seit Februar 1949 einen Meinungsaustausch über die Einführung von Kinderbeihilfen führten und im Begriff waren, eine Einigung zu erzielen. Treibende Kraft war der bremische Senator für Arbeit und Wohlfahrt Heukelum (SPD),180 der unter anderem negative Auswirkungen auf die Arbeitsmoral befürchtete, wenn den erwerbstätigen Familienvätern kein Anrecht auf Kinderbeihilfen zugestanden werde. Denn bei den gegenwärtig geltenden Richtsätzen der Wohlfahrtsämter, die zusätzlich Kinderbeihilfen gewährten, bekämen Arbeitslose mehr Geld als Berufstätige, und er rechnete seinen Kollegen folgendes Beispiel vor: in Bremen verdient ein Zimmermann mit 10 Kindern unter 14 Jahren im Monat 260 DM ; bei Arbeitslosigkeit bekommt er vom Wohlfahrtsamt 354 DM, die sich zusammensetzen aus 44 DM für den Haushaltsvorstand, 30 DM für die Ehefrau, 250 DM für die Kinder (pro Kind 25 DM) und 30 DM Mietzuschuß. Dieser unerträgliche Zustand, so Heukelum, müsse abgestellt werden, und als einzige Lösungsmöglichkeit, die ihm erfolgversprechend schien, schlug er die Wiedereinführung der Kinderbeihilfe vor.181 Heukelum dann weiter: „Es ist höchste Zeit, daß der Staat etwas unternimmt und die Kinderbeihilfen in eine gesetzliche Form bringt.182 Auf Initiative der Arbeitsminister wurde im Bundestag ein Unterausschuß für Kinderbeihilfen gebildet, dessen Vorsitz Heukelum übernahm. 179 Dazu: Hockerts, Hans-Günter: Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945 bis 1957, Stuttgart 1980 Weiterhin: Achinger, Hans: Zur Neuordnung der sozialen Hilfe. Konzept für einen deutschen Sozialplan, Stuttgart 1954; Achinger, H a n s / H ö f f n e r , Joseph/Muthesius, Hans/Neundörfer, Ludwig: Neuordnung der sozialen Leistungen. Denkschrift auf Anregung des Bundeskanzlers, Köln 1955; Schreiber, Wilfrid: Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft, Köln 1955. 180 Am 22. und 23. Februar 1949 referierte Heukelum vor dem Sozialausschuß des Deutschen Städtetages in Karlsruhe über das Thema „Kinderbeihilfen" ; erneut auf der Tagung des gleichen Ausschusses in Eßlingen am 22. und 24. September 1949. Das Arbeitsblatt veröffentlichte in seinem Juniheft einen Artikel von ihm, der als Vorschlag das Problem unter der Überschrift „Staatliche Kinderbeihilfen?" zur Diskussion stellte (Arbeitsblatt 1949, Nr. 6, S. 213-214). 181 Unterstützung fand Heukelum in einer von J. Schiefer (nordrhein-westfälisches Arbeitsministerium) verfaßten „Denkschrift über das Verhältnis der Alfu und Wohlu zum Lohn in Bezug auf ein Gesetz zur Gewährung von Kinderbeihilfen", das von den Arbeitsministern der Länder am 1. Juli 1949 auf der 8. Sitzung des Ausschusses für Arbeit des Länderrats in Auftrag gegeben war und dem Unterausschuß Kinderbeihilfen des Bundesrates als Diskussionsgrundlage diente (BA-B 157/755). 182 BA-B 153/733 (Heukelum, G. van: Bemerkungen zur Frage: Staatliche Kinderbeihilfen? Dezember 1949, S. 4).

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Am 21. Dezember 1949 trafen sich dann in Königstein Vertreter der Sozialausschüsse des Deutschen Städtetages und des Landkreistags, ferner Vertreter der Arbeitgeberverbände, der Gewerkschaften und des Vereins für öffentliche und private Fürsorge sowie die Mitglieder des Unterausschusses, um Richtlinien für die Regelung der Kinderbeihilfen auszuarbeiten.183 Nach kontrovers geführter Diskussion konnten sich die Teilnehmer auf Richtlinien für eine Sofortlösung einigen, die ein staatliches Kindergeld bis zu einem Jahresbruttoeinkommen von 4800 DM vorsah. Die Kinderbeihilfen sollten vom dritten Kind ab gewährt werden und zwar für das 3. und 4. Kind je 20 DM, für die weiteren Kinder fallende Beträge, jedoch nur bis zu einem Höchstbetrag von insgesamt 100 DM, und sie sollten nur gezahlt werden für Kinder unter 16 Jahren. Nach diesen Vorgaben kamen für die Beihilfen rund 1,8 Millionen Kinder (von 11,8 Millionen184) in 750000 Haushaltungen in Frage. Die Teilnehmer beschlossen dann, die Richtlinien in einer Denkschrift der Bundesregierung und der Öffentlichkeit vorzulegen. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, umgehend Maßnahmen einzuleiten, denn man könne nicht abwarten, bis eine umfassende, alles berücksichtigende Regelung erfolgt sei. Es sei deshalb zweckmäßig, zunächst die erarbeiteten Richtlinien am 1. April 1950 in Kraft treten zu lassen, die dann durch eine umfassende Regelung abgelöst werden müßten.

2.3.

Die Kindergelddebatte in der erste Hälfte der 50er Jahre

Die Bundesregierung ging auf die Vorschläge nicht ein, als ihr die Denkschrift Anfang Februar 1950 zugesandt wurde.185 Da die Resonanz der Länder auf die Richtlinien der Soforthilfe in der Mehrzahl positiv ausfiel,186 brachte der bremische Senat am 30. März 1950 einen Initiativ-An-

1,3 BA-B 153/733 (Niederschrift über die vom Unterausschuß Kinderbeihilfen des Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik des Bundesrates einberufene Konferenz am 21. Dezember 1949 in Königstein, undatiert) und (Vermerk der Hauptabt. III betr.: Kinderbeihilfen vom 28. Dezember 1949). Vgl. auch: Auerbach, Walter: Ein Übergangsgesetz über die Gewährung von Kinderbeihilfen, in: Bundesarbeitsblatt 1950, Nr. 1, S. 11-14. 184 Von den 11,8 Millionen Kindern unter 16 Jahren waren 6,9 Millionen Alleinkinder, 2,9 Millionen Zweitkinder, 1,2 Millionen Drittkinder, 500000 Viertkinder, 200000 Fünftkinder, 80000 Sechstkinder, 30000 Siebtkinder und 10000 Kinder noch höheren Grades. 185 BA-B 153/733 (Denkschrift: Warum staatliche Kinderbeihilfe?). 186 BA-B 153/733 (Vermerk der Hauptabt. III vom 2. März 1950).

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trag im Bundesrat ein,187 der die Bundesregierung zwingen sollte, sich offiziell mit der Angelegenheit zu beschäftigen.188 Fast gleichzeitig legten die Fraktionen von SPD und Zentrum Gesetzentwürfe vor,189 und der Bundestagsausschuß für Sozialpolitik ersuchte die Bundesregierung erneut, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten.190 Durch diese Vielzahl von Gesetzentwürfen, denen weitere folgen sollten,191 wurde das Gesetzgebungsverfahren nicht nur komplexer, sondern auch schwieriger, und damit verschlechterten sich die Aussichten auf eine schnelle Kindergeldregelung. Ein Umstand, der vor allem der Bundesregierung entgegenkam, deren Aktionsfeld zu diesem Zeitpunkt, Anfang der 50er Jahre, nicht die Sozialpolitik, sondern die Wirtschaftspolitik war, mit deren Hilfe sie die noch junge Bundesrepublik stabilisieren wollte. Die geringen Haushaltseinnahmen, über die der Bund verfügte, kamen entweder als Subventionen der Wirtschaft zugute (1950 knapp 2 Milliarden DM) oder wurden im Wohnungsbau investiert (über 3 Milliarden DM). Die Initiativen von Bundesrat und Bundestag führten zu dem gewünschten Ergebnis: die Bundesregierung reagierte. Am 28. April 1950 erteilte das Kanzleramt dem Arbeitsminister den Auftrag, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten und zwar auf folgender Grundlage: Kindergeldzahlung ab dem 3. Kind bis zu einer gewissen Einkommensgrenze und Mittelaufbringung durch die Wirtschaft über Familienausgleichskassen.192 Die Regierung machte sich damit den CDU/CSU-Antrag zueigen. Das Arbeitsministerium sah sich außerstande, kurzfristig einen Gesetzentwurf zu erarbeiten.193 Kaum lösbar schien das Problem, einen Konsens herzustellen: einmal zwischen den verschiedenen Vorstellungen über die Finanzierung und die Trägerschaft der Kindergeldleistungen und zum anderen zwischen den auseinandergehenden Ansichten über den Empfängerkreis.194 187 Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland. Sitzungsbericht. 17. Sitzung vom 30. März 1950, S. 293-294. 188 Bundesrat, Drucksache Nr. 155/50. 189 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 740 (Antrag der Fraktion des Zentrums betr. Finanzhilfe für kinderreiche Familien vom 22. März 1950) und Nr. 774 (Antrag der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Kinderbeihilfen vom 27. März 1950). 1,0 Ebd., Nr. 870 (Antrag des Ausschusses für Sozialpolitik vom 27. April 1950). Insgesamt elf Entwürfe gingen dem Bundestag zwischen November 1949 und Oktober 1954 zu. 1.2 BA-B 153/733 (Schreiben des Staatssekretärs des Innern im Bundeskanzleramt an Bundesarbeitsminister vom 28. April 1950). 1.3 BA-B 153/733 (Schreiben des Bundesarbeitsministers an Staatssekretär des Innern im Bundeskanzleramt vom 22. Mai 1950 und Schreiben desselben vom 3. Juni 1950). 194 Sauvy, Α.: Die Familienzulagen - Vor- und Nachteile, Anhänger und Gegner, in: Ausländische Sozialprobleme 1952, Nr. 8/9, S. 85-93.

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Die Sozialdemokraten wünschten ein allgemeines staatliches Kindergeld, das von den Finanzämtern ausgezahlt und aus allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert werden sollte.195 Außerdem sprachen sie sich dafür aus, daß sämtliche Steuervergünstigungen, die bis dahin den Familien gewährt worden waren, wegfielen. Die Christdemokraten setzten sich dafür ein, Familienausgleichskassen als rechtlich selbständige Körperschaften einzurichten und die benötigten Mittel durch lohnsummensteuerähnliche Arbeitgeberbeiträge aufzubringen. 196 Das Zentrum schlug vor, Familienausgleichskassen bei den Finanzämtern zu bilden und die Leistungen über eine Sondersteuer zu finanzieren. 197 Diese Sondersteuer sollte bei ledigen, kinderlosen und kinderarmen Einkommensbeziehern erhoben werden. Für Verheiratete war eine Befreiung während der ersten drei Jahre nach der Eheschließung vorgesehen. Und Kindergeld sollte erst ab dem 4. Kind gezahlt werden. 198 Für den Zentrums-Antrag setzte sich insbesondere der Publizist und Herausgeber der Ärztlichen Mitteilungen Ferdinand Oeter ein.199 Während die Sozialdemokraten das Kindergeld allen Kindern gewähren wollten, jedoch ohne Rücksicht auf die Ausbildungsdauer höchstens bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, befürworteten die Christdemokraten eine Förderung allein der Dritt- und Mehrkinder. Sollten sich diese noch in Ausbildung befinden, waren jedoch Leistungen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres vorgesehen. Die Freidemokraten und die Deutsche Partei (DP), die zusammen mit den Christdemokraten die Regierungskoalition unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) stellten, traten mit eigenen Vorschlägen - das galt aber nur für die F D P - erst sehr spät an die Öffentlichkeit, als die Ent" 5 Antrag der SPD vom 27. März 1950 vgl. Anm. 189. 196 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 2427 (Antrag der Fraktion der C D U / C S U betr. Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung von Familienausgleichskassen vom 4. Juli 1951). Vgl. auch: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I.Wahlperiode. 162. Sitzung vom 13. September 1951, S. 6569-6579 (1. Beratung über den C D U / C S U - E n t w u r f ) . 197 Ebd., Nr. 2859 (Antrag der Fraktion des Zentrums betr. Einrichtung von Familienausgleichskassen bei den Finanzämtern vom 22. November 1951). 198 Antrag des Zentrums vom 22. März 1950 vgl. Anm. 189. 199 Oeter, Ferdinand: Organischer Ausgleich der Familienlasten. Wandel des Familienaufbaues - Mechanische Lösungsversuche - Gerechte Einkommensrelationen, in: Bundesarbeitsblatt 1950, Nr. 7, S. 273-274; ders.: Der Ausgleich der Familienlasten, in: Volksgesundheitsdienst 2, 1951, Heft 11, S. 275-277; ders.: Ausgleich der Familienlasten. Eine notwendige Klärung, in: Bundesarbeitsblatt 1952, Nr. 6, S. 307-309; ders.: Organischer Ausgleich der Familienlasten - Aufgabe und Voraussetzung echter Marktwirtschaft, in: Der Arbeitgeber 4, 1952, Nr. 6 vom 15. März 1952, S. 209-211 ; ders.: Familienlastenausgleich und Subsidaritätsprinzip in der Sozialversicherung. in: Deutsche Versicherungszeitschrift 6, 1952, Nr. 7 / 8 vom 20. Juli 1952, S. 169-171.

3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz

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Scheidungen praktisch schon gefallen waren. 200 Beide Parteien konnten sich lange nicht für die von den Christdemokraten und den Sozialdemokraten favorisierten Kindergeld-Systeme entscheiden. Die F D P folgte weitgehend dem Kurs der Arbeitgeberverbände, und die DP machte sich die Ansicht der Bauernverbände zu eigen. Wenn die Sozialdemokraten Kindergeldzahlungen befürworteten, die sämtliche Familien einschlossen, und sich gegen die Berücksichtigung der Kinderzahl bei der Besteuerung aussprachen, dann diente eine solche Politik der Einkommensnivellierung. Die gut gestellten Schichten sollten nicht mehr in den Genuß der mit steigendem Einkommen ebenfalls wachsenden Steuerermäßigung kommen. Das von der SPD bevorzugte Verfahren begünstigte alle Familien, ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens, also auch diejenigen, die wegen zu niedriger Einkommen keine direkten Steuern mehr zahlen mußten. Diese Wirkung wurde noch verstärkt, wenn die Förderung bereits beim ersten Kind einsetzte. Wenn die Christdemokraten sich für die Zahlung der Kinderbeihilfen erst ab dem 3. Kind aussprachen, dann sollte nur denjenigen Hilfe zukommen, die zu weiteren generativen Anstrengungen bereit waren. Von den Ein- und Zwei-Kinder-Familien wurde nicht erwartet, daß sie ihr generatives Verhalten ändern würden. Ihre Hoffnung setzten die Christdemokraten auf die kinderreichen Familien. Die Kinderbeihilfen sollten sie animieren, weitere Kinder in die Welt zu setzen und die Mütter davon abhalten, wegen finanzieller Schwierigkeiten eine Berufstätigkeit aufzunehmen. 201 Nach den ersten Beratungen zeichnete sich in den Gremien, und das waren ein vom Finanzausschuß des Bundestages eingesetzter Arbeitsstab über Kinderhilfen, ein interministerieller Ausschuß bestehend aus Vertretern der Ministerien Arbeit, Finanzen, Landwirtschaft und Inneres sowie der Sozialpolitische Ausschuß des Bundestages, eine Mehrheit ab, die sich für das staatliche Kindergeldsystem aussprach. 202 Sie eignete sich damit die Ansicht der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften an, 203 die im September 1950 bei einem Sachverständigen-Hearing vor dem Sozialpolitischen Ausschuß für eine staatliche Lösung plädierten, weil „nur so 200

Die FDP legte dem Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages einen Gesetzentwurf vor, der aber den üblichen parlamentarischen Weg nicht ging. Der Entwurf ist abgedruckt bei: Oeter, Ferdinand: Familienpolitik, Stuttgart 1954, S. 233-235. 201 Höffner, Joseph: Ausgleich der Familienlasten, Paderborn 1954, S. 16-18. 202 HStA-NW 45/894-896 (Protokollnotiz über die Sitzung des Lohn- und Sachbearbeiterausschusses in Königswinter betr.: Gesetzvorlage über Kindergeld vom 12. Mai 1950). 203 Wenn die Gewerkschaften sich 1949 für Familienausgleichskassen und jetzt für eine staatliche Regelung aussprachen, dann ist in diesem Verhalten kein Widerspruch auszumachen. Vor Gründung der Bundesrepublik war die Einführung von Familienausgleichskassen die einzig gangbare Möglichkeit, um in den Genuß von Kinderbeihilfen zu gelangen.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

eine einheitliche, gleichmäßige und gerechte Durchführung des Gesetzes gewährleistet sein würde."204 Die Arbeitgeberverbände waren auch gegen das Familienausgleichskassen-System, weil sie nicht bereit waren, die Finanzierung der Kinderbeihilfen zu übernehmen. Monate später, die Konjunktur lief immer schneller, befürchteten sie dann, Kinderbeihilfen könnten die Frauen, die dringend im Arbeitsprozeß gebraucht wurden, von der Arbeitsaufnahme abhalten, und sie warnten vor den negativen Folgen, die das Kindergeld auf die Selbsthilfefunktion der Familie ausüben könnte.205 Mit aller Deutlichkeit sprach sich Bundesfinanzminister Fritz Schäffer in einem Schreiben an den Bundesarbeitsminister am 22. Januar 1951 gegen die staatliche Regelung aus, die „außerhalb jeder realisierbaren Möglichkeit" liege.206 Bei der schwierigen Finanzlage des Bundes, so Schäffer weiter, sei „die Abwälzung der aufzubringenden Mittel auf die Unternehmer" und die Einrichtung von Familienausgleichskassen ein Gebot der Stunde, und er forderte den Arbeitsminister auf, „diesen Vorschlag unter den obwaltenden finanziellen Umständen als einzig realisierbaren vor dem zuständigen Bundestagsausschuß zu vertreten". Mit diesem Machtwort war die staatliche Variante noch nicht vom Tisch,207 aber das Pendel bewegte sich in Richtung auf die privatwirtschaftliche Variante und dafür sorgte vor allem der massive Einsatz der katholischen Kirche für das Familienausgleichskassen-System. Den Anfang machte der „Arbeitskreis für Familienausgleichkassen", der sich im Dezember 1950 auf Initiative der Katholischen Sozialen Woche konstituierte und im Mai 1951 als Arbeitsergebnis eine Denkschrift zur Einrichtung von Familienausgleichskassen veröffentlichte, die allen wichtigen politischen Gremien und Persönlichkeiten zugeleitet wurde.208 Es folgten ka204

BA-B 153/733 (Vermerk der Abt. III betr.: Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik des Deutschen Bundestages vom 14. September 1950, Anlage 2: Stellungnahme der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, S. 3). Zur Einstellung der Gewerkschaften zum Familienausgleichskassen-System : Osterkamp, K.: Familienausgleichskassen sind lohnpolitisch bedenklich, in: Soziale Sicherheit 1952, Nr. 11, S. 327-332. 205 Gedanken zur sozialen Ordnung. Der Öffentlichkeit übergeben von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln 1953, S. 6. 206 BA-B 153/733 (Schreiben des Bundesministers der Finanzen an den Bundesminister für Arbeit vom 22. Januar 1951). 207 Im Arbeitsministerium wurde eine zeitlang eine Zwischenlösung favorisiert. Es war vorgesehen, ein Sondervermögen „Kinderbeihilfen" bei den Finanzämtern einzurichten, das sich vor allem aus Beiträgen der Arbeitgeber zusammensetzen sollte. Die Finanzämter waren als Auszahlungsstellen für das Kindergeld gedacht (BA-B 153/734 [Gedanken zu einem Referentenentwurf eines vorläufigen Gesetzes über Kinderbeihilfen vom 12. Juni 1951] und [Vermerk der Abt. III betr.: Gewährung von Kindergeldzulagen durch Familienausgleichskassen oder staatliche Kinderbeihilfen? vom 6. September 1951]). 208 Familienzulagen durch Familienausgleichskassen, München 1951.

3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz

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tholische Publizisten und Wissenschaftler, allen voran Joseph Höffner, der in Artikeln, Vorträgen und vor Ausschüssen für das katholische Anliegen warb.209 Die Verfasser der Denkschrift lehnten staatliche Kinderbeihilfen mit dem Hinweis ab, die Übertragung dieser Aufgabe auf den Staat beinhalte den „unbedingten Glauben an die Omnipotenz des Staates, der die Möglichkeit, das Recht und die Pflicht haben müsse, für alles und jegliches zu sorgen". Nach christlicher Auffassung könne es „nicht Aufgabe des Staates sein, selbst Angelegenheiten in die Hand zu nehmen, die von einer niedrigeren Gemeinschaft wahrgenommen werden" könnten. 210 Die Aufgabe des Staates im Rahmen der Familienpolitik läge ganz woanders. Man müsse sich davor hüten, Familie und Jugend verstaatlichen zu wollen. Ein wachsendes Abhängigkeitsgefühl vom Staat und seiner „Wohltätigkeit" unter gleichzeitiger Einengung der äußeren und inneren Selbständigkeit der Persönlichkeit wäre die Folge. Eine Finanzierung der Familienzulagen durch die Steuer würde eine Loslösung vom Produktionsprozeß und von der spezifischen Preiskalkulation bedeuten und müßte deshalb ernste volkswirtschaftliche Bedenken auslösen. Es sei primär Aufgabe der Wirtschaft, für den wirtschaftenden Menschen und damit auch für seine Familie zu sorgen, eine Aufgabe, der sich die Wirtschaft nicht entziehen könne und dürfe, „wenn sie dem Gemeinwohl dienen" wolle. „Dem Staat" hingegen falle „die Aufgabe zu, geeignete Hilfestellung, besonders durch entsprechende Gesetzgebung, nicht zuletzt durch steuerliche Rücksichten zu leisten".211

Fortsetzung Fußnote von Seite 170 Dazu auch: Groebmair, Karlheinz (Mitglied des Arbeitskreises für Familienausgleichskassen und zukünftiger Generalsekretär des Familienbundes der Deutschen Katholiken): Familienzulagen - aber wie? in: Bundesarbeitsblatt 1952, S. 665-668; ders.: Familienzulagen durch Familienausgleichskassen, in: Die Familie, ihre Krise und deren Überwindung. Vortragsreihe der 3. Katholischen Sozialen Woche 1951 in München. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Sozialen Woche, Augsburg 1952, S. 102-114. 20 ' Vgl. Königswinter Kreis. Zusammenfassender Bericht über die Aussprache am 20. März 1951 betr.: Kinderzulagen erstattet von Joseph Höffner (BA-B 153/734); Höffner, Joseph : Familienausgleichskassen. Eine dringende Forderung der christlichen Soziallehre, in: Trierer Theologische Zeitschrift 60, 1951, S. 425-432; Ausgleich der Familienlasten, in: Herder-Korrespondenz 1951, Nr. 2, S. 85-92; David, J.: Familienzulagen. Was sie sind und was sie wollen, in: Priester und Arbeit 1952, Heft 4, S. 170-178. 2,0 Familienzulagen durch Familienausgleichskassen, S. 3. 211 Ebd., S. 6. Das Familienausgleichskassen-System wurde in der Weimarer Republik schon erprobt. Den Anfang machte 1919 der Verband der Arbeitgeber im Bergischen Industriegebiet. Es folgte 1920 der Verband der Berliner Metallindustrie, 1921 der Verband der thüringischen Textilindustrie und der Arbeitgeberverband der feinkeramischen Industrie, und 1924 wurden die Familienausgleichskassen bei den Apothe-

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Dieses Plädoyer für das Subsidaritätsprinzip in Verbindung mit dem stärker werdenden katholischen Element in der bundesrepublikanischen Politik gab den Ausschlag: die Einheitsfront der Arbeitgeberverbände gegen das System der Familienausgleichkassen begann zu bröckeln, und immer mehr Verbände akzeptierten die privatwirtschaftliche Lösung. 212 Nur der Zentralverband des Deutschen Handwerks und der Deutsche Bauernverband hielten ihren Widerstand gegen die Familienausgleichskassen noch eine Zeitlang aufrecht. 213 Das katholische Engagement ließ im interministeriellen Ausschuß, der sich inzwischen mehrheitlich auf das Familienausgleichskassen-System festgelegt hatte, die Befürchtung aufkommen, der Bundesregierung, die weiterhin der Familienbeihilfe eher abwartend-desinteressiert gegenüberstand, könnte „die Initiative bei der Lösung des (Kinderbeihilfen) Problems entgleiten". 214 Auf Vorschlag des Innenministeriums erarbeitete das Arbeitsministerium eine Denkschrift, um „nach außen die Initiative zu zeigen". 215 Veröffentlicht wurde die Denkschrift Anfang April 1952.216 Dann versuchte das Arbeitsministerium, eine Einigung zwischen allen beteiligten Ressorts herbeizuführen, mit dem Ziel, einen vorlagefähigen Gesetzentwurf dem Bundestag zuzuleiten. Als Änderungs- und Ergänzungswünsche der Ressorts für weiteren Aufschub sorgten - es handelte sich im wesentlichen um technische Probleme - , wollte der Arbeitsmini-

Fortsetzung Fußnote von Seite 171 kern eingeführt (Nicki, Walter: Familienbeihilfen und Berufsgenossenschaften, in: Die Berufsgenossenschaft 1952, Nr. 3, S. 2). 212 BA-B 153/755 (Vermerk der Abt. III betr.: Kinderhilfen [Kinderausgleichskassen] vom 24. Januar 1952). Der Vermerk gibt eine Besprechung im Bundesarbeitsministerium wieder, an der mehrere CDU-Abgeordnete und Joseph Höffner, aber auch der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände Greiss, teilnahmen. Greiss teilte der Runde mit, daß die Bundesvereinigung einen Ausschuß für Familienlohn gebildet habe, der Grundsätze aufgestellt habe, die im Oktober 1951 den einzelnen Arbeitgeberverbänden zur Stellungnahme übersandt worden seien. Bisher sei keine entgegengesetzte Stellungnahme eingegangen. In den Grundsätzen hieß es unter anderem: „Es wird grundsätzlich einer Regelung (...) im Rahmen der Selbstverwaltung, nicht mittels staatlicher Zahlungen zugestimmt" (S. 3). 213 BA-B 153/755 (Vermerk der Abt. III betr.: Kinderbeihilfen [Familienausgleichskassen] vom 11. Januar 1952). Weiterhin: HStA-NW 42/722 (Anlage zum Kurzprotokoll der 148. Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik am 12. September 1952). 2,4 BA-B 153/755 (Vermerk der Abt. III betr.: Kinderbeihilfen [Familienausgleichskassen]; Staatssekretärsbesprechung im Bundesministerium vom 31. März 1951). 215 BA-B 153/755 (Vermerk der Abt. III betr.: Kinderbeihilfen (Familienausgleichskassen) vom 11. Januar 1952). 216 Probleme der Kinderbeihilfen (Familienausgleichskassen). Denkschrift des Bundesministers für Arbeit. Sonderdruck aus dem Bundesarbeitsblatt Nr. 4/52, Stuttgart 1952 (oder in: Bundesarbeitsblatt 1952, Nr. 4, S. 209-218).

3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz

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ster über einen Kabinettsbeschluß eine Entscheidung erzwingen. 2 1 7 D a s Kabinett billigte am 7. Oktober 1952 im wesentlichen die v o m Arbeitsminister aufgestellten Grundsätze für eine Gesetzesvorlage, da aber zahlreiche Einzelheiten umstritten blieben, wurde das Problem auf die Referent e n e b e n e zurückgeschoben. 2 1 8 A u c h im Beratungsausschuß des Bundestages traten die A b g e o r d n e t e n auf der Stelle, nicht einmal ein erneutes Sachverständigen-Hearing brachte Fortschritte. 219 Es schien u n m ö g l i c h , einen tragbaren K o n s e n s herbeizuführen. 2 2 0 D a die Bundesregierung nicht in der Lage war, die gewünschte Gesetzesvorlage vorzulegen, einigten sich die Koalitionsparteien am 10. N o v e m b e r 1952, den C D U / C S U - A n t r a g ( v o m 4. Juli 1951) als gem e i n s a m e Vorlage der Regierungsparteien zu beraten. 2 2 1 D i e Beratungen liefen sich alsbald an der Frage fest, o b die Kinderbeihilfen Steuer- u n d abgabenfrei sein sollten oder nicht. 2 2 2 N a c h zähen Verh a n d l u n g e n konnte sich die Koalition zu e i n e m K o m p r o m i ß durchringen, den sie am 26. Juni 1953 in e i n e m g e m e i n s a m e n Entwurf im Bundestag einbrachte. 2 2 3 Gleichzeitig legte die S P D einen neuen, ihren zweiten Entwurf, zu e i n e m Kinderbeihilfengesetz vor, in d e m sie sich für eine Familienausgleichskasse als Körperschaft des öffentlichen Rechts aussprach. 2 2 4 D i e 217

BA-B 153/756 (Zusammenstellung der wesentlichen Äußerungen der Ressorts zum Antrag des Bundesministers für Arbeit auf Herbeiführung eines Kabinettsbeschlusses betreffend Grundsätze für eine Lösung des Problems der Kinderbeihilfen [Familienausgleichskassen] vom 22. Juli 1952). 218 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Band 5: 1952. Bearb. von Kai von Jena, Boppard 1989, S. 614-615 (251. Kabinettssitzung vom 7. Oktober 1952). Zweimal wurde die Vorlage von der Tagesordnung abgesetzt: am 10. Juni 1952 und am 1. Juli 1952 (S. 376 und 419). 219 BA-B 153/757 (Protokoll über die 149. Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik am 19. September 1952). Gehört wurden Joseph Höffner und Ferdinand Oeter, weiterhin Vertreter einzelner Berufsverbände sowie der Gewerkschaft. Höffner veröffentlichte seine „Leitsätze zum Familienlastenausgleich", die er dem Ausschuß vortrug, in einer Broschüre: ders.: Ausgleich der Familienlasten, Paderborn 1954. 220 HStA-NW 42/722 (Kurzprotokoll über die Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 8. November 1952). 221 HStA-NW 42/722 (Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 11. November 1952). 222 BA-B 149/1329 (Vermerk betr.: Kinderbeihilfegesetz vom 22. Juni 1953). 223 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 4545 (Antrag der Fraktionen der C D U / C S U , FDP, DP betr.: Entwurf eines Gesetzes über die steuerliche Behandlung von Leistungen im Rahmen des Familienausgleichs vom 19. Juni 1953). (vgl. auch: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 277. Sitzung vom 26. Juni 1953, S. 13822-13825). 224 Ebd., Nr. 4562 (Antrag der Fraktion der SPD betr. Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Beihilfen für Familien für Kinder [Kinderbeihilfengesetz], ohne Datum).

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Sozialdemokraten boten den Kompromiß an, die Beihilfen in Höhe von 20 DM sollten zunächst ab dem 3. Kind gewährt werden und ab dem 1. Oktober 1954 ab dem 2. Kind, und die Mittel sollten durch die Beiträge aller unbeschränkt steuerpflichtigen Personen, die zur Einkommensteuer veranlagt waren, und alle Arbeitgeber aufgebracht werden. Obwohl sich alle im Bundestag vertretenen Parteien, zumindest verbal, einig waren, daß ein Kinderbeihilfengesetz notwendig sei, gelang es nicht, eine Verständigung über die neuen Entwürfe herbeizuführen. Unüberbrückbar schienen die Positionen, die von Christdemokraten, Freidemokraten und Sozialdemokraten bevorzugt wurden. Schließlich wurde am 2. Juli 1953 auf Antrag der FDP der Fortgang der Beratungen auf den 2. Bundestag vertagt.225 Als im Oktober 1953 der 2. Bundestag sich konstituierte, war gegenüber dem 1. Bundestag eine wesentliche Veränderung eingetreten: es gab ein Familienministerium. Und das bedeutete: weitere Verzögerungen in der Kinderbeihilfenregelung mußten jetzt unter allen Umständen vermieden werden, wenn die konservative Familienpolitik, die mit großem propagandistischen Aufwand angekündigt wurde, nicht diskreditiert werden sollte. Nach Aufnahme der Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß wurde dann auch relativ schnell ein Kinderbeihilfengesetz zum Abschluß gebracht. Anfang März 1954 brachte die CDU/CSU-Fraktion eine InitiativVorlage ein,226 die der Ausschuß als Beratungsgrundlage annahm. Am 12. Juli konnte dem Plenum ein Entwurf zugeleitet werden, der nach kontrovers geführten Debatten und einer Reihe von Änderungen in der Endabstimmung der 3. Lesung am 14. Oktober 1954 mit knapper Mehrheit von 215 gegen 202 Stimmen bei einer Enthaltung verabschiedet wurde.227 Das Kindergeldgesetz228 war ein völlig unzulänglich konstruiertes Gesetz,229 das in den folgenden Jahren ständiger Reparaturarbeiten be225

HStA-NW 42/722 (Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 2. Juli 1953). 226 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 319 (Antrag der Fraktion der C D U / C S U betr. Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen vom 11. März 1954). 227 Ebd. 48. Sitzung vom 24. Oktober 1954, S. 2392. 228 Gesetz über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen (Kindergeldgesetz) vom 13. November 1954 (Bundesgesetzblatt 1954, S. 333). Vgl. auch: Die Kindergeldgesetze in der ab 1. Februar 1956 geltenden Fassung. Textausgabe. Hrsg. von Heinz Goldschmidt und Karl Andres, Berlin 1956. 229 Molitor, Bruno: Das Dilemma der Familienausgleichskassen. Zum ersten Geschäftsbericht ihres Gesamtverbandes, in: Die neue Ordnung 10, 1956, S. 363-367;

3. Die Auseinandersetzung um das Kindergeldgesetz

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durfte. 2 3 0 Aber die Christdemokraten u n d die katholische Kirche hatten erreicht, was sie w o l l t e n : das Kindergeldgesetz war endlich verabschiedet, u n d es trug deutlich ihre Handschrift. 2 3 1 D e n n Kindergeld gab es für dritte u n d weitere Kinder, sofern diese nicht älter als 18 Jahre (bei Berufsausbild u n g nicht älter als 25 Jahre) waren, in H ö h e v o n 25 D M ; Träger der Leistungen waren bei den einzelnen Berufsgenossenschaften errichtete Familienausgleichskassen ; u n d die Arbeitgeber finanzierten die Leistungen, die nach der L o h n s u m m e berechnet wurden. 2 3 2 Mit der Verabschiedung des Kindergeldgesetzes war ein zentrales Anliegen der Familienschützer in den christlichen Parteien, in der katholischen Kirche u n d in den Familienverbänden in Erfüllung gegangen. Wurde nun aber mit dem Kindergeld im R a h m e n der familienpolitischen O f f e n s i v e auch erreicht, w a s damit beabsichtigt war? Änderte sich das

Fortsetzung Fußnote von Seite 174 Geschäftsberichte des Gesamtverbandes der Familienausgleichskassen - Körperschaft des öffentlichen Rechts für die Jahre 1956, 1957, 1958 (BA-B 153/732). 230 Knapp einen Monat nach dem Kindergeldgesetz wurde das Kindergeldanpassungsgesetz erlassen (Gesetz über die Anpassung der Leistungen für Kinder in der gesetzlichen Unfallversicherung, in der gesetzlichen Rentenversicherung, in der Arbeitslosenversicherung sowie in der Kriegsopferversorgung an das Kindergeldgesetz [Kindergeldanpassungsgesetz] vom 7. Januar 1955 [Bundesgesetzblatt 1955, S. 17]) und etwa ein Jahr später das Kindergeldergänzungsgesetz (Gesetz zur Änderung des Kindergeldgesetzes [Kindergeldergänzungsgesetz] vom 23. Dezember 1955 [Bundesgesetzblatt 1955, S. 841]). 231 Goldschmidt, Heinz: Das Kindergeldgesetz, in: Bundesarbeitsblatt 1954, S. 726-730. 232 Den keiner Berufsgenossenschaft angeschlossenen Renten- und Unterstützungsempfängern hatten die Träger dieser Leistungen ab 1. Januar 1955 Kinderzulagen zumindest in Höhe des von den Familienausgleichskassen gewährten Kindergeldes zu zahlen. Die Kosten dafür hatte der jeweilige Versicherungs- oder Versorgungsträger aus seinen gewöhnlichen Einnahmen zu bestreiten. Nur die Aufwendungen für Kinderzulagen an Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung erstatte der Bund aus allgemeinen Haushaltsmitteln. Für die Empfänger von Leistungen aus dem Lastenausgleich erübrigte sich eine besondere gesetzliche Regelung, da hier bereits von vornherein höhere Kinderzulagen als nach den Kindergeldgesetzen gezahlt wurden. Die Personen, die weder Angehörige einer Familienausgleichskasse sein konnten noch Empfänger der erwähnten Renten- oder Versorgungsleistungen waren, erhielten erst ab 1. Februar 1956 durch das Kindergeldänderungsgesetz einen Anspruch auf direkte Einkommenshilfen zuerkannt. Hierbei handelte es sich um Arbeitnehmer, die nicht bei einer Berufsgenossenschaft, sondern bei einem anderer Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert waren, aber nicht den allgemeinen tariflichen Bestimmungen im öffentlichen Dienst unterlagen und somit nicht in den Genuß der Kindergeldzulagen des öffentlichen Dienstes gelangten. Außerdem handelte es sich um Selbständige, die ihren Lebenunterhalt aus Vermietung, Verpachtung oder Kapitalerträgen bestritten und schließlich um die Empfänger von Fürsorgeunterstützung.

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

generative Verhalten der Westdeutschen, gab es in der Folgezeit mehr Kinder? U n d vor allem: K o n n t e die Müttererwerbstätigkeit erfolgreich eingedämmt werden?

4.

4.1.

Instrumentalisierung der Familienpolitik zur Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit

Kritik der katholischen Kirche an der Müttererwerbsarbeit

Seit der Währungsreform im Jahre 1948 n a h m der Anteil der erwerbstätigen Frauen mit Kindern unter 14 Jahren ständig zu. Statistisch verläßliches Zahlenmaterial lag zwar lange Zeit nicht vor, aber die T e n d e n z , das war offensichtlich, war steigend. 2 3 3 U m f r a g e n nannten auch die Gründe, 2 3 4 warum Mütter berufstätig waren. D i e meisten Mütter gingen arbeiten, u m den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Mütter gingen aber auch arbeiten, u m die schulische u n d berufliche Ausbildung ihrer K i n d e r zu gewährleisten, oder sie wollten mit ihrem Beitrag den Lebensstandard der Familie verbessern. Hinter dieser Einstellung verbarg sich der Wille z u m sozialen Wiederaufstieg der durch Kriegs- u n d Nachkriegsentwicklung deklassierten Familien u n d der j u n g e n Familien. D i e Umfra233

Die Anfang der 50er Jahre veröffentlichten Zahlen über die Ausweitung der Müttererwerbstätigkeit zeigten kein einheitliches Bild, zumal sie zum Teil auf Schätzungen beruhten. So nahm Hans Achinger in einer vom Frankfurter Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten 1952 durchgeführten Untersuchung über die wirtschaftliche Lage junger Familien an, daß 28% aller Ehefrauen mit Kindern unter 14 Jahren erwerbstätig seien (Achinger, Hans u.a.: Reicht der Lohn für Kinder? Frankfurt 1952, S. 48). Bei Umfragen in sechs Landgemeinden des Kreises Aschaffenburg wurde festgestellt, daß dort 10% aller Mütter ständig außer Haus arbeiteten (Wenzel, G.: Familienverhältnisse und Erziehungslage in der Gegenwart, in: Die Bayerische Schule 1952, Heft 18, S. 12-14). Eine 1953 vom Stadtschulamt München an sämtlichen Volks- und Sonderschulen durchgeführte Erhebung bezifferte den Anteil der Kinder erwerbstätiger Mütter auf 31,33% (Die großstädtische Familiensituation bei Volks- und Sonderschulen, in: Pädagogische Welt 1954, Nr. 1, S. 7-8). Und der Soziologe Otto Speck glaubte im gleichen Jahr aufgrund der von ihm ermittelten Zahlen feststellen zu dürfen: „In der Bundesrepublik haben (heute) 43% der Familienhaushalte eine berufstätige Mutter oder Ehefrau" (Speck, Otto: „Was sollte ich den ganzen Tag bei meinem Kind"? Zum Problem der Kinder berufstätiger Mütter, in: Unsere Jugend 1953, Heft 4, S. 146-152, hier: S. 146). 234 Eine der ersten Erhebungen wurde 1950 vom amerikanischen Office of the United High Commissioner of Germany, Office of Labor Affairs, in Verbindung mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund in einigen hessischen Orten durchgeführt. Befragt wurden 256 verheiratete, verwitwete und geschiedene Frauen. Dazu : Maxson, Rhea: Warum sind Frauen erwerbstätig? Bad Godesberg 1952.

4. Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit

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gen machten aber auch deutlich, daß ein Großteil der Mütter bereit gewesen wäre, ihre Berufstätigkeit aufzugeben, wenn die finanzielle Situation dies zugelassen hätte." 5 Die katholische Kirche beobachtete den Anstieg der Müttererwerbstätigkeit, der, wie sie meinte, ihr Rechristianisierungsprogramm gefährdete, mit steigender Sorge. Auch wenn ihr bekannt war, warum die Mütter einer außerhäuslichen Tätigkeit nachgingen, so lehnte sie doch aus prinzipiellen Gründen die Müttererwerbstätigkeit ab.236 Denn „die Berufstätigkeit der verheirateten Frau", so die Kölner Kirchenzeitung, „wirkt ehezersetzend und, weil sie in höchstem Grade kinderfeindlich ist, volks- und kulturzersetzend. Sie entseelt das Heim, das nun den Mann nicht mehr für die Mühe des Tages belohnt und für neue Arbeit stärkt, das den Kindern nicht mehr das warme Nest ist, nicht mehr Ort der Geborgenheit und Hafen letzter Zuflucht in der Liebe der Mutter. Die Frau betrügt sich um ihre besten Lebenswerte. Sie löst die Menschen aus den ursprünglichen, von der Natur selbst gewollten Bindungen". 237 Da die katholische Kirche den berufstätigen Müttern nicht ihre außerhäusliche Tätigkeit verbieten konnte, versuchte sie, die Frauen unter moralischen Druck zu setzen, und das erfolgte in Hirtenbriefen, 238 Predigten und in Artikeln in den verschiedenen Kirchenzeitungen, aber auch in Veranstaltungen kirchlicher Organisationen. Sie wies die Frauen auf ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter hin, deren Vernachlässigung letztlich die Familie und insbesondere die Kinder zu spüren bekämen, was ja wohl nicht Absicht, aber mit der Berufsaufnahme die unausweichliche Folge wäre. Konservative Soziologen und Pädagogen, Publizisten und Ärzte unterstützten das Anliegen der Kirche. 239 Sie wurden nicht müde, die negati235

Zur Begründung der Erwerbstätigkeit: Hofmann, Anton Christian/Kersten, Dietrich: Frauen zwischen Familie und Fabrik, München 1958; Schmidt, Norbert: Die Berufstätigkeit der Frau als soziologisches Problem, Stuttgart (Diss.) 1959, S. 120-132; Warum arbeiten diese Frauen? in: Werkvolk I960, S. 214-218; Jaeke, Gertrud: „... anstatt sich um die Kinder zu kümmern". Erwerbstätige Mütter - arbeiten sie aus Drang nach Luxus oder aus Not/Ergebnisse einer Untersuchung, in: Christ und Welt 13, 1960, Nr. 49 vom 1. Dezember 1960; Dunckelmann, Henning: Die erwerbstätige Ehefrau im Spannungsfeld von Beruf und Konsum. Dargestellt an den Ergebnissen einer Befragung, Tübingen 1961; Ergebnisse einer Befragung über die Belastung der erwerbstätigen Frauen durch Beruf, Haushalt und Familie. Hrsg. vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Köln 1961, S. 11-19. 236 Hausmann, Christian: Leitbilder der katholischen Frauenbewegung der Bundesrepublik, Freiburg (Diss.) 1973, S. 80-94. 237 „1st Mutter nicht da?" in: Kirchenzeitung (Köln) 1952, S. 103. 238 Stellungnahme der deutschen Bischöfe zur 40-Stunden-Woche und zur Frauenarbeit vom November 1955, Köln 1955. 239 Vom 26. September bis 4. Oktober 1959 fand in Karlsruhe die Bundesausstellung „Die Familie" statt, deren Schirmherr der Bundesfamilienminister war. In der aufwendig ausgestatteten Ausstellung wurde die Familie von ihrem „göttlichen Ursprung" bis zum „sozialen Wohnungsbau" dargestellt. Bezeichnenderweise wurde die Frau nur als sorgende Hausfrau und Mutter gezeigt, nicht aber auch als Er-

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ven Seiten der Müttererwerbstätigkeit herauszustellen, indem sie die gesundheitlichen und seelischen Risiken auflisteten, die der berufstätigen Mutter, den Kindern und der Familie insgesamt bevorstünden.

4.2.

Mediziner und Pädagogen über die negativen Auswirkungen der weiblichen Berufstätigkeit auf die Familie

Der Göttinger Frauenarzt Heinz Kirchhoff schreckte nicht davor zurück, ein Horrorszenarium zu entwerfen, um seine Behauptung zu stützen, daß die Erwerbstätigkeit zu seelischen und körperlichen Störungen und letztlich zur Minderung der weiblichen Reproduktionsfähigkeit führe. 240 Seiner Ansicht nach hätten Mädchen, die bereits in der Pubertäts- und Postpubertätsphase eine Berufstätigkeit aufnahmen, nicht nur mit Störungen des Menstruationsrhythmus und mit dem völligen Erlöschen der monatlichen Blutungen zu rechnen, sondern auch mit vielseitigen krankhaften Veränderungen, die über eine schmerzhafte Menstruation bis hin zum Zurückbleiben des Gebärmutterwachstums reichten. Die Folgen wären Fehlund Frühgeburten, und der Gynäkologe weiter: „Nicht selten kann es durch fehlende oder ungenügende Eibildungen zur Sterilität kommen". 241 Im Arbeitsprozeß stehende Frauen hätten vegetativ-nervöse Abweichungen und Skelett- und Muskelbelastungsschäden mit Senkfüßen zu erwarten, weiterhin Krampfaderbildungen, Wirbelsäulenveränderungen mit ständigen Kreuzschmerzen, Hängeleib und dadurch bedingte Darmträgheit. Auch bestände Aussicht auf Fehlgeburten und insbesondere von Frühgeburten. Außerdem sei die Gefahr gegeben, daß bestehende Leiden sich verschlechterten, das gälte etwa für Herz- und Kreislauferkrankungen, von chronischen Bronchitiden, von Magen- und Darmleiden und von Schäden durch Gebärmuttersenkungen. Kirchhoffs Resümee lautete dann auch: die außerhäusliche Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern müßte verboten werden. 242 Sein Stuttgarter Kollege Franz Bauer sekundierte ihm: Vom Standpunkt des Arztes aus Fortsetzung

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werbstätige (Bundesausstellung 1959 „ D i e Familie". Organisationsplan [B 191/ 118]). 240 Kirchhoff, Heinz: Die Belastung der berufstätigen Frau und die damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren, in: Ärztliche Mitteilungen 1961, Nr. 23, S. 1304— 1311. Teilabdruck in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 226-233. Vgl. auch: Mayer, August: Doppelberuf der Frau als Gefahr für Familie, Volk und Kultur, in: Münchener Medizinische Wochenzeitschrift 98, 1956, S. 649 und 692. 241 Kirchhoff: Die Belastung der berufstätigen Frau, S. 1308. 242 Kirchhoff, Heinz: Referat auf der Tagung der Internationalen Organisation der Familienverbände 1961 in Madrid, auszugsweise veröffentlicht in: Die Familie 1962, Nr. 2, S. 17-18.

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sprächen g e n ü g e n d G r ü n d e gegen die außerhäusliche Berufsarbeit der Gattin u n d Mutter. D e n n „durch die D o p p e l b e l a s t u n g droht der Frau der Verlust ihrer protrahierten Jugendlichkeit und die Frühinvalidität". 2 4 3 N i c h t weniger drastisch warnten S o z i o l o g e n u n d P ä d a g o g e n vor den Gefahren, denen eine Familie ausgesetzt sei, der eine erwerbstätige Mutter angehöre. D i e D o p p e l b e l a s t u n g der Frau mit Beruf u n d Haushalt, so die Wissenschaftler, führe zur Überbelastung; Streitereien wären unausweichlich, schließlich die Scheidung. A u c h sei die Erziehung der Kinder bei Abwesenheit der Mutter nicht mehr gesichert u n d damit die seelische Entwicklung der Kinder in Gefahr. Vorprogrammiert seien die Folgen der seelischen „Unterernährung": zunächst Gemütsarmut, d a n n Abfall der schulischen Leistungen, schließlich Verwahrlosung. M a h n e n d verwiesen sie auf die 3 M i l l i o n e n Schlüsselkinder, die w e g e n fehlender Aufsicht herumlungerten. 2 4 4 243

Bauer, Franz: Die berufstätige Frau als Gattin und Mutter in der Sicht des Arztes, in: Gesundheitsfürsorge 6, 1956, Nr. 5, S. 107-114, hier: S. 114. Weiterhin: Kepp: Die soziale Bedeutung der Frauenarbeit 1957, Nr. 1, S. 5-6; Oeter, Ferdinand: Die Erwerbstätigkeit der Frau als soziologisches und gesundheitspolitisches Problem, in: Frau im Beruf 8, 1958, Nr. 1, S. 3 - 4 ; Nr. 3, S. 10-12; Gitsch, E./Zacherl, H.: Mutterschaft im Zeitalter der Vollbeschäftigung, in: Ärztliche Mitteilungen 1961, Nr. 7, S. 392-395; Flatters, Hans: Kritische Untersuchung der Neugeborenensterblichkeit in einer Großstadt, in: Ärztliche Mitteilungen 1961, Nr. 18, S. 1020-1024; Vasterling, H.W.: Die außerhäusliche Erwerbstätigkeit der Frau und Mutter aus der Sicht des Frauenarztes, in: Die Familie 1963, Nr. 8, S. 11-13. 244 Zur Müttererwerbstätigkeit und ihre Auswirkungen auf Familie und Kindererziehung: Speck, Otto: Kinder erwerbstätiger Mütter. Ein soziologisch-pädagogisches Gegenwartsproblem, Stuttgart 1956; Hinze, Edith: Lage und Leistung erwerbstätiger Mütter. Ergebnisse einer Untersuchung in Westberlin, Berlin 1960, S. 242-273. Weiterhin: „Ist Mutter nicht da?" in: Kirchenzeitung (Köln) 3, 1952, Nr. 7, S. 103; Goeken, Anna: Erwerbstätige Mütter. Erfahrungen aus der caritativen Familienfürsorge, in: Caritas 53, 1952, Nr. 7/8, S. 166-172, hier: S. 168-170; Erwerbstätige Mütter. Ein Gespräch in der Konferenz, in: Elisabeth-Brief 1952, S. 81-85; Glücksmann-Lüdy, Elisabeth: Sollen Mütter erwerbstätig sein? in: Neues Beginnen 1954, Nr. 9, S. 148-150; Aebli, Jakob: Der Einfluß der Erwerbstätigkeit der Mütter auf die Erziehung der Kinder, in: Pro Juventute 36, 1955, Nr. 7/8, S. 303-306; KrauseLang, Martha: Erwerbstätige Mütter, in: Elisabeth-Brief 6, 1955, Nr. 6, S. 128-131; Moor, Emmy: Familienmütter in der Erwerbsarbeit, in: Pro Juventute 36, 1955, Nr. 2/3, S. 110-114; Abegg, Walter: Berufstätige Mütter und ihre Kinder, in: Pro Juventute 1956, S. 190-192; Soeken, Gertrud: Die seelische Gesundheit der Familie bei Erwerbstätigkeit der Mutter, in: Soziale Arbeit 4, 1955, Nr. 11, S. 554-556; Wehr, Aloys: Berufstätige Mütter - gestörte Familie, in: Jugendschutz 2, 1957, Nr. 5, S. 17-19; Krause-Lang, Martha: Wenn die Mutter fehlt, in: Jugendwohl 38, 1957, Nr. 4, S. 283-287; Die erwerbstätige Mutter und ihr Kind, in: Herder-Korrespondenz 11, 1957, Nr. 6, S. 250-253; Fischer-Erling, Josepha: Erwerbstätige Mütter, in: Die christliche Frau 46, 1957, Nr. 1, S. 1-10, hier: S. 8-10; Haller, Leo Herbert: Die Erwerbstätigkeit deutscher Mütter, in: Unsere Jugend 1958, Nr. 6, S. 260269, hier: S. 264-266; Berufstätigkeit der Ehefrau - ein Krisenherd für die Ehe? in:

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Es dauerte oft Jahre, bis seriöse Wissenschaftler und Statistiker nachweisen konnten, daß die vertretenen Behauptungen falsch waren oder daß es sich um Halbwahrheiten handelte. Das galt etwa für die Zahlen der ganz oder teilweise sich selbst überlassenen Kinder, die sogenannten Schlüsselkinder. Jahrelang wurden Angaben über unbeaufsichtigte Kinder kolportiert, die maßlos übertrieben waren, aber genau den Effekt erzielten, der beabsichtigt war: die erwerbstätigen Mütter gerieten in den Verdacht, lieb- und herzlos zu sein und nur den Erwerb von Luxusgütern im Sinn zu haben.245 Konkrete Zahlen über das Ausmaß der unzulänglich betreuten Kinder wurden erst 1964 veröffentlicht.246 Danach waren im Jahre 1962 rund I,3 Millionen Mütter mit rund 1,9 Millionen Kindern unter 14 Jahren außerhäuslich (außerhalb der Land- und Forstwirtschaft) erwerbstätig.247 Das bedeutete, daß 16,4% oder etwa jedes sechste Kind der insgesamt II,6 Millionen Kinder dieses Alters eine außerhäuslich erwerbstätige Mutter hatte. 7,7 Millionen oder 66,8% der Kinder unter 14 Jahren wurden von einer nicht erwerbstätigen Mutter betreut, während die Mütter von 2 Millionen (16,8%) Kindern in Haushaltsnähe einer Berufstätigkeit nachgingen.248 Nur relativ wenige Kinder erwerbstätiger Mütter waren einen Teil des Tages oder den ganzen Tag unbetreut: zum Erhebungszeitpunkt waren es 7000 Kinder unter 6 Jahren (davon 6000 den ganzen Tag unbetreut) und 170000 Kinder zwischen 6 und 14 Jahren (hier gab es wegen des Schulbesuchs praktisch keine ganztägig unbetreuten Kinder). In der Gruppe der Schulpflichtigen nahm die Zahl der (halbtags) unbetreuten Kinder mit dem Alter zu; so waren 38000 der Sechs- bis unter Zehnjährigen und Fortsetzung

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Münchener katholische Kirchenzeitung 52, 1959, Nr. 16, S. 309; Maeder, Paula: Die Doppelarbeit der Frau - ein pädagogisches Problem, in : Blätter des PestalozziFroebel Verbandes 11, 1960, Nr. 3, S. 75-83; Adam, Rudolf: Die erwerbstätige Mutter und die Erziehung ihrer Kinder, in: Praxis der Kinderpsychologie 9, 1960, Nr. 6, S. 220-224. 245 Kölmel, Luise: Schlüsselkinder, in: Blätter der Wohlfahrtspflege 101, 1954, Nr. 8, S. 292-293; Stütz, Luzie: Schlüsselkinder, in: Frauenland 1959, Nr. 9/10, S. 142-143; Hellbrügge, Th.: Waisenkinder der Technik, in: Westermanns Monatshefte 1961, Nr. 3, S. 147-151. 246 Schubnell, Hermann: Die Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern und die Betreuung ihrer Kinder, in: Wirtschaft und Statistik 1964, S. 444—456; Betreuung der Kinder (unter 14 Jahren) erwerbstätiger Mütter außerhalb der Land- und Forstwirtschaft, in : Die Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern und die Betreuung ihrer Kinder 1962. Hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Stuttgart 1965; Speck, Otto: Erwerbstätige Mütter und ihre Kinder in der bundesdeutschen Statistik, in : Bayerischer Wohlfahrtsdienst 17, 1965, Nr. 4, S. 41^12. 247 Wenn die in der Land- und Forstwirtschaft arbeitenden Frauen mitgezählt werden, hatten 1,5 Millionen erwerbstätige Mütter 2,3 Millionen Kinder unter 14 Jahren zu betreuen (Schubnell : Die Erwerbstätigkeit von Frauen, S. 456). 248 Betreuung der Kinder, S. 17.

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132000 der Zehn- bis unter Vierzehnjährigen nach Schulschluß sich selbst überlassen.249 Die konservativen Wissenschaftler kritisierten nicht nur die Müttererwerbstätigkeit, sie machten sich auch Gedanken darüber, wie den erwerbstätigen Müttern geholfen werden könnte, aber nicht in dem Sinne, wie den Frauen ihre außerhäusliche Arbeit erleichtert, sondern unter dem Aspekt, wie die Müttererwerbstätigkeit verhindert werden könnte. So wurde dann auch der Ausbau von Kindergärten, Krippen und Tagesheimen abgelehnt. Denn „Kind und Mutter gehören von Natur aus zusammen", 250 und sie begrüßten die Entscheidung der Kölner Stadtverordneten, keine Kinderkrippen zu errichten, um „den Müttern nicht noch Vorschub (zu) leisten, ihre Kinder abzustellen".251 Gerade noch akzeptabel war das Verhalten eines „sozial eingestellten" Unternehmers einer rheinischen Großstadt, der nur noch Mütter beschäftigte, die den Nachweis erbrachten, daß ihr Mitverdienst aus sozialen Gründen notwendig war. Diese Mütter, aber auch nur diese, hatten dann ein Anrecht, ihr Kind dem Werkskindergarten oder dem Werkskinderhort anzuvertrauen, wenn, und auch dies mußte bewiesen werden, die Mütter niemanden besaßen, der die Beaufsichtigung der Kinder übernehmen konnte.252 Als Maßnahmen gegen die Müttererwerbstätigkeit wurden einerseits pädagogisch-präventive Vorkehrungen vorgeschlagen, wie etwa die Erziehung der Jugend zur Familie. Ziel dieser Erziehungsmaßnahmen sollte „das Wecken von Mutter- und Vateridealen und von Opfergesinnung (sein), um nicht später vor den Alltagsanforderungen des Haushalts und der Familie leichtfertig zu fliehen." 253 Um die „Flucht" der Frau von ihrem häuslichen Arbeitsplatz zu stoppen, sollte die männliche Jugend auf die häusliche Mitarbeit gelenkt werden, „mit der später der Ehemann dazu beiträgt, seiner Frau das Interesse und die Freude an der Hausarbeit zu erhalten". 254 Geschirrabtrocknen, Teppichklopfen und Einkaufen sollten nicht länger als Zumutung eingestuft und als „Weiberarbeit" abqualifiziert werden. Auch sollte der Jugendliche „die Befähigung zur echten

249

Ebd., S. 19. Scholl, Robert: Was tun wir gegen die zunehmende Berufsarbeit der Mütter? in: Blätter der Wohlfahrtspflege 1955, S. 137-139. 251 Speck, Otto: Zur pädagogischen Problematik der Erwerbstätigkeit von Müttern, in: Jugendwohl 1957, S. 134-139, hier: S. 137. 252 Busch: Berufstätige Arbeiterfrauen. Ein schwieriges soziales Anliegen, in: Priester und Arbeiter 1953, S. 212-215, hier: S. 215. 253 Speck. Otto: „Was sollte ich den ganzen Tag bei meinem Kind?" Zum Problem der Kinder berufstätiger Mütter, in: Unsere Jugend 1953, S. 146-152, hier: S. 151. 254 Ebd. 250

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Wirtschaftsführung" erlernen, um über die „Aktivierung des Sparwillens" der „Erwerbstätigkeit (seiner Ehefrau) als solcher zu begegnen". 255 Weiterhin wurde angeregt, in der Mütterberatung und in der Ehevorbereitung verstärkt auf die Probleme der Müttererwerbstätigkeit hinzuweisen und die Frauen mit aller Deutlichkeit auf die gesundheitlichen und familienschädigenden Aspekte aufmerksam zu machen, die mit der Aufnahme einer Berufstätigkeit für Frau, Familie und Kind verbunden wären. 256 Als weitere Maßnahmen gegen die Müttererwerbstätigkeit wurde andererseits ein finanziell-offensives Vorgehen vorgeschlagen, und dazu gehörte in erster Linie die Kinderbeihilfe, von deren Wirkung Wissenschaftler und katholische Kirche gleichermaßen überzeugt waren. 257 Wenn die Kinderbeihilfen aber greifen sollten, dann mußten sie, und darüber herrschte unter den konservativen Wissenschaftlern und Publizisten Einigkeit, so reichlich bemessen sein, daß die Mütter nicht aus wirtschaftlicher Not zur Arbeitsaufnahme gezwungen waren. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht.

4.3.

Nachbesserungen zum Kindergeldgesetz

Das Kindergeldgesetz, das nach jahrelangen Querelen zwischen den Parteien Ende 1954 den Bundestag passierte, war enttäuschend. Kritik wurde dann auch sofort laut an den viel zu geringen Beihilfebeträgen. Die deutschen Bischöfe meldeten sich mahnend zu Wort: „Der Anfang ist gemacht, wenn auch das bisher Erreichte noch keineswegs genügt". Und weiter: „Es sollte das Bemühen aller Kräfte sein, auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiter fortzuschreiten". 258 Kritik wurde auch laut an der Regelung, Kindergeld erst ab dem 3. Kind zu gewähren. Im Rahmen der Bemühungen, den Geburtenanstieg zu fördern, sei diese Regelung, so hieß es, gerade noch vertretbar, aber es sei doch sehr fraglich, ob damit auch das Kernproblem, die soziale Not der Familie und der damit verbundene Zwang der Mutter zur Erwerbstätigkeit, gelöst werde. Und, so der Wissenschaftler Arnd Jessen in seinem Gutachten für die 255

Haller, Leo Herbert: Die Erwerbstätigkeit deutscher Mütter, in: Unsere Jugend 1958, S. 260-268, hier: S. 268. 256 Ebd. 257 David, J.: Familienzulagen. Was sie sind und was sie wollen, in: Priester und Arbeiter 1952, Nr. 4, S. 170-178; Wingen, Max: Wesen und Problematik der Familienzulagen, in: Carl Sonnenschein-Blätter 2, 1954, Nr. 3/4, S. 123-130; Pitz, Elisabeth: Familienausgleich auf dem Wege, in: Politisch-Soziale Korrespondenz 1954, Nr. 3, S. 11-19. 238 Wortlaut der Stellungnahme der deutschen Bischöfe zur Frage der Vierzigstundenwoche und zur Frauenarbeit, in: Informationsdienst der Arbeitsgemeinschaft der katholischen deutschen Frauen 1956, Nr. 2, S. 14-18, hier: S. 17.

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Gesellschaft für Sozialen Fortschritt, man könne doch nicht davon ausgehen, daß nur Mütter mit drei und mehr Kindern zur Berufsaufnahme gezwungen würden. Es sei doch vielmehr so, daß der Mitverdienst der Ehefrau schon bei einem oder zwei Kindern vorläge. Abhilfe könnte in diesem Fall nur die Gewährung höherer Beihilfen und dann schon ab dem 2. Kind schaffen.259 Nachdem die erste Euphorie über den Abschluß des Kindergeldgesetzes, die von Christdemokraten und Famlienverbänden gleichermaßen geschürt wurde, verflogen war,260 kehrte Ernüchterung ein, und der Blick über die Grenzen ins benachbarte Frankreich machte allzu deutlich, daß zu großem Jubel auch kein Anlaß war. Denn in Frankreich bedachte der Staat Familien mit Kindern recht großzügig. So erhielt in Frankreich ein Arbeitnehmer für seine fünf minderjährigen Kinder monatlich 493 DM, in der Bundesrepublik 75 DM. Wortreich tröstete Familienminister Wuermeling seine Zuhörer über das „bescheidene Ergebnis" hinweg, indem er einerseits darauf hinwies, daß die finanziellen Hilfen des Staates sich ja nicht nur auf das Kindergeld beschränkten, und andererseits erklärte, mit dem Kindergeldgesetz sei erst ein Anfang gemacht worden, es gälte nun, die Kindergeldleistungen zügig auszubauen.261 Und seine Hoffnungen waren nicht unbegründet, da die Bundesregierung die Absicht verfolgte, eine großangelegte Sozialreform durchzuführen. 262 Mit der Ausarbeitung eines Sozialreformplans war das Arbeitsministerium beauftragt. Die Vorarbeiten entwickelten sich aber nicht nach den Vorstellungen des Bundeskanzlers Adenauer, der schließlich die vier Professoren Hans Achinger, Joseph Höffner, Hans Muthesius und Ludwig Neundörfer bat, ihm ein Gutachten auszuarbeiten. In diesem als „Rothenfelser Denkschrift" bekannt gewordenen Professoren-Gutachten wurde nachdrücklich auf die Bedeutung eines Familienlastenausgleichs, worunter im wesentlichen Kinderbeihilfen verstanden wurden, hingewiesen und eine Anhebung der bestehenden Zahlungen befürwortet. 263 Adenauer for-

259

Jessen, Arnd: Der Aufwand für Kinder in der Bundesrepublik im Jahre 1954. Eine statistische Untersuchung, in: Familie und Sozialreform, Berlin 1955, S. 83155. 260 Glücksmann-Lüdy, Elisabeth: Wem hilft das Kindergeldgesetz in seiner heutigen Fassung? Wem hilft es nicht? in: Neues Beginnen 1954, Nr. 12, S. 197-198. 261 Wuermeling, Franz-Josef: Familienpolitik oder staatliche Kinderfürsorge? Eine Probe auf die sittliche Kraft, uns neuen Vermassungstendenzen zu widersetzen, in: Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung 1956, Nr. 2 vom 4. Januar 1956, S. 11-12. 262 Dazu vor allem: Hockerts, Hans Günter: Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkreigsdeutschland. Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945 bis 1957, Stuttgart 1980, S. 242 ff. 263 Neuordnung der sozialen Leistungen. Denkschrift, auf Anregung des Herrn

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III. Familienpoiitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

derte daraufhin den Familienminister auf, in einer Denkschrift die Situation der Familie in der Bundesrepublik im Vergleich zur Situation im Ausland darzustellen und Vorschläge zu unterbreiten, wie am besten den Familien geholfen werden könnte.264 Mit der Abfassung der Denkschrift wurde der Beirat des Familienministeriums beauftragt. Die Denkschrift war Mitte November 1955 fertiggestellt und wurde allen wichtigen Persönlichkeiten und Institutionen übergeben in der Absicht, die Thematik in der Öffentlichkeit auszudiskutieren.265 Die katholische Kirche und die Familienverbände begrüßten einhellig die Denkschrift. Der Münsteraner Bischof Michael Keller würdigte die Denkschrift als einen „wertvollen Ansatzpunkt für eine zeitgemäße Ausrichtung einer im besten Sinne modernen Familienfürsorge". 266 Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken schrieb dem Familienminister: „Sie haben wahrhaft eindrucksvoll die Anliegen der Familie herausgearbeitet und man wird an der Denkschrift nicht mehr vorbeigehen können, auch wenn vorerst die liberale Pressemeute wieder kläfft". 267 Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Familienorganisationen stellte fest, daß „die in dieser Denkschrift niedergelegten Forderungen und deren Begründung unsere ungeteilte Zustimmung finden".268 Die knapp dreißigseitige Denkschrift ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird ein kurzer Überblick über die Höhe der Kinderbeihilfen in ausgewählten Ländern gegeben, es folgt eine soziologische Bewertung der Entwicklung der Familie in den letzten hundert Jahren. Im Hauptteil, dem zweiten Teil der Denkschrift, wird an zahlreichen Zahlenbeispielen vorgerechnet, wie teuer ein oder mehrere Kinder in den unterschiedlichsten Gehaltsstufen den Eltern kommen. Der dritte Teil bietet schließlich Lösungen zur Diskussion an, wie die Situation kinderreicher Familien verbessert werden kann. Die Verfasser der Denkschrift kamen aufgrund ihrer Berechnungen zu Fortsetzung Fußnote von Seite 183 Bundeskanzlers erstattet von den Professoren Hans Achinger, Joseph Höffner, Hans Muthesius, Ludwig Neundörfer, Köln 1955. 264 Das Problem eines Familienlastenausgleichs. Wie ist die Lage der deutschen Familie und welche Konsequenzen sind zu ziehen? in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1955, Nr. 221 vom 25. November 1955, S. 18691870, hier: S. 1869. 265 BA-B 191/104 (Der Familien-Lastenausgleich. Erwägungen zur gesetzlichen Verwirklichung. Eine Denkschrift des Bundesministers für Familienfragen. Bonn, im November 1955). 266 BA-B 153/812 (Schreiben des Bischofs von Münster an Familienminister Wuermeling vom 16. Dezember 1955). 267 BA-B 153/812 (Schreiben des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken an Familienminister vom 24. November 1955). 268 BA-B 191/116 (Schreiben der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Familienorganisationen an Bundeskanzler Adenauer vom 30. November 1955).

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dem Ergebnis, daß „schon bei drei Kindern die Mehrzahl aller Arbeitnehmer und Selbständigen in den Bereich des Existenzminimums (geraten), wenn nicht auch die Mutter einer Erwerbstätigkeit außer Haus nachgeht" und daß „bei mittleren und höheren Einkommen das Großziehen mehrerer Kinder überwiegend den Abstieg in eine andere soziale Schicht zur Folge (hat)".269 Um die Lage der Familie mit Kindern zu verbessern, schlug die Denkschrift einen „schichtenspezifischen" Ausgleich der Familienlasten vor, der wie bisher über Kindergeld und Einkommen- und Lohnsteuer erfolgen sollte. Vorgeschlagen wurde ein etappenweiser Ausgleich in Höhe von 50% der errechneten Kinderkosten. Als Sofortmaßnahme wurde geraten, erstens eine Ausdehnung des Kindergeldes auf das 2. Kind und zweitens eine Anhebung des Freibetrages bei der Einkommensteuer, um zunächst einmal den Ausgleich von etwa einem Drittel der Kinderkosten zu erreichen. Mahnend schloß die Denkschrift: „Wenn ein wirkungsvoller Ausgleich der Familienlasten weiterhin hinausgeschoben wird, muß befürchtet werden, daß binnen absehbarer Zeit die Mehrzahl vor allem der jungen Mütter Erwerbsarbeit in den Betrieben leistet... Die Nachteile für die Familie, darüber hinaus für den gesamten seelischen Bereich des menschlichen Lebens, sind offenkundig". 270 Wie beabsichtigt löste die Denkschrift eine breite öffentliche Diskussion aus,271 in der die bereits in den 20er Jahren geführte Debatte um den Familienlohn wieder auflebte. 272 Daß die Sozialdemokraten während der Be269

Der Familien-Lastenausgleich, S. 16. Ebd., S. 24. Zur Diskussion über die Denkschrift: Müller, Α.: Stand und Zukunft des Familienlastenausgleichs (zu einer Denkschrift des Bundesministers für Familienfragen), in: Sozialer Fortschritt 4, 1955, S. 283-302; Schmitz, Ernst: Der Familienlastenausgleich. Zur Denkschrift des Bundesministers für Familienfragen, in: Gesellschaftspolitische Kommentare 1956, Nr. 7, S. 4-6; Welty, Eberhard: Sozialreform - Familienlastenausgleich, in: Die neue Ordnung 10, 1956, S. 48-52; Osterloh, Edo: Besserer Familienausgleich - ja oder nein? in: Soziale Sicherheit 5, Nr. 2, 1956, S. 37-39; Molitor, Bruno: Eine Denkschrift bringt Klarheit - Zur Frage der Familienbeihilfen, in: Die neue Ordnung 10, 1956, Nr. 2, S. 105-111; Willgerodt, H.: Familienlastenausgleich und Sozialreform, in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung der Wirtschaft und Gesellschaft 8, 1956, S. 123-157; Wehr, Aloys: Der Familienlastenausgleich, in: Soziale Arbeit 5, 1956, Nr. 9, S. 398-401 ; Jahn, Erwin: Über den Geburtenrückgang. Zu einer Denkschrift des Bundesministers für Familienfragen, in: Neues Beginnen 1957, Nr. 11, S. 165-166; Wülker, Gabriele: Warum Familienlastenausgleich, in: Pro Familia 1958, Nr. 4, S. 6-7; Oeter, Ferdinand: Ein familienpolitisches Aktionsprogramm, in: Die Neue Ordnung 12, 1958, Nr. 5, S. 356-365; Schreiber, Wilfrid: Zur Frage des Familienlasten-Ausgleichs. Versuch einer Gesellschaftsschau in neuer Perspektive, in: Politisch-Soziale Korrespondenz 8, 1959, Nr. 2, S. 8-10; Wingen, Max: Probleme des Familienausgleichs. Anmerkungen zu einer internationalen Studientagung, in: Die Neue Ordnung 13, 1959, Nr. 6, S. 438-443. 270 271

272

Zur Debatte in der Bundesrepublik: Stein, Bernhard: Der Familienlohn. Pro-

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III. Familienpolitik: und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

ratungen über das Kindergeldgesetz schon Teile der Forderungen, die jetzt das Familienministerium in seiner Denkschrift erhob, vorweggenomm e n hatten, kommentierte die katholische Zeitung „Michael" mit der Feststellung, „das sollte wahrhaftig kein Grund sein, sich nun schmollend in die Ecke zurückzuziehen". 2 7 3 D i e Zeitung bezog sich damit auf kritische Stellungnahmen innerhalb der Unionsparteien, die Wuermelings Vorschlag als „Anbiederung" an die Sozialdemokraten auslegten. 274 Kritik wurde an den Berechnungsgrundlagen laut, 27S was zu umfangreichen Neuberechnungen führte. 276 Kritik wurde vor allem aber v o m Bund Fortsetzung Fußnote von Seite 185 bleme einer familiengerechten Einkommensgestaltung, Berlin 1956; Nell-Breuning, Oswald von: Familie, Familienunterhalt, Familienlohn, Familienausgleich, München 1957; Wingen, Max: Familienlohn - Familienlastenausgleich, in: Die neue Ordnung 12, 1958, Nr. 3, S. 169-181; Wuermeling, Franz-Josef: Der ominöse „Familienlohn", in: Politisch-Soziale Korrespondenz 7, 1958, Nr. 21, S. 4-6; Die Sozialpartner und die Familienpolitik. Gespräch über den Familienlohn mit Beiträgen von Bundesfamilienminister Franz-Joseph Wuermeling, Günther Tiede (Arbeitgeberverbände) und Martin Croll (Gewerkschaften), in: Sozialer Fortschritt 7, 1958, Nr. 5, S. 108-114 (dazu eine kritische Leserzuschrift: Scholz, Franz Joseph: Das Gespräch über den Familienlohn, in: Sozialer Fortschritt 1958, Nr. 6, S. 151-152); Dreier, Wilhelm : Der Familienlohn und die marktwirtschaftliche Einkommensverteilung, in: Ordo Socialis 1958/59, S. 73-84. 27J Andergast, Erwin: Dr. Wuermeling besser als sein Ruf. Endlich eine Denkschrift ohne Taktik zum Familien-Lastenausgleich, in: Michael 13, 1955, Nr. 48 vom 27. November 1955, S. 9. 274 Von ihrem Standpunkt aus war die Kritik berechtigt. Denn der Familienminister besaß eine Fähigkeit, die bei seinen konservativen Parteifreunden immer wieder für Verwirrung sorgte. So redete Wuermeling monatelang mit der ihm eigenen Hingabe über ein Problem, daß man annehmen mußte, das sei die von ihm gewünschte Zielrichtung. Aber auf einmal warf er das Steuer herum und akzeptierte Vorschläge, die er vorher völlig abgelehnt hatte. Dieses Verhalten ist vor allem in der Kindergeldfrage auszumachen, als er sich sozialdemokratischen Positionen annäherte, weil er merkte, daß sie seinem familienpolitischen Gesamtkonzept eher dienlich waren, als ein stures Festhalten an seiner Position. Diese Wandelbarkeit - die sich im wesentlichen auf die Aneignung organisatorisch-technischer Aspekte beschränkte - wurde von den Wissenschaftlern im Beirat des Familienministeriums gefördert, die ihn mit Daten und Fakten konfrontierten, denen er nicht ohne weiteres ausweichen konnte, wenn er sich vor ihnen nicht lächerlich machen wollte. Vgl. dazu : Wuermeling, Franz-Josef : Kindergeld reformieren - aber wie? Diskussionsgrundlagen zur Frage der Aufbringungsmethode, in: Rheinischer Merkur 1959, Nr. 3, S. 17. 275 Achinger, Hans: Kinderkosten falsch berechnet, in: Deutsche Zeitung vom 24. Dezember 1955. 276 Zur ökonomischen Lage der Familie: Die wirtschaftliche Lage der Familie in der Bundesrepublik, in: Herder-Korrespondenz 11, 1957, Nr. 6, S.276-283; Hat die Familie ein Recht auf Ausgleich ihrer Lasten? in: Herder-Korrespondenz 11, 1957, Nr. 8, S. 383-389; Der Ausgleich der Familienlasten in der deutschen Bundesrepublik, in: Herder-Korrespondenz 11, 1957, Nr. 9, S. 435-443; Schmucker, Helga: Einfluß der Kinderzahl auf das Lebensniveau der Familie. Empirische Untersu-

4. Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit

187

der Steuerzahler erhoben, der in einer umfangreichen Denkschrift gegen die konservative Familienpolitik der „kleinen Schritte" Stellung bezog. 2 7 7 Bemängelt wurde, d a ß die christdemokratischen Politiker keine klare u n d logisch aufgebaute Begründung vorlegen könnten, aus der hervorginge, w a r u m Kindergeld g e s c h a f f e n u n d was damit erreicht w e r d e n sollte. Bevor die Politiker neue Pläne zur Verbesserung der Kindergeldleistungen anböten, so die Denkschrift, sollten sie zunächst einmal ihre Zielplanung offenlegen. 2 7 8 Zwei Jahre später ging das Familienministerium, zumindest indirekt, in einer weiteren, v o m Wissenschaftlichen Beirat erstellten Denkschrift, die n o c h umfangreicher als die erste war u n d neue Berechnungen über die wirtschaftliche Lage der Familie mit Kindern vorlegte, auf die Vorwürfe des Bundes der Steuerzahler ein. 2 7 9 D i e Ausführungen des B u n d e s wurden

Fortsetzung Fußnote von Seite 186 chung anhand der Ergebnisse der Lohnsteuerstatistik 1955, in: Sozialer Fortschritt 1959, Nr. 10, S. 232-235 (Teil I), Nr. 11, S. 253-256 (Teil II); Bühler, Hans Harro: Die statistischen Grundlagen der Familienpolitik. Zur Problematik ihrer Gewinnung, in: Sozialer Fortschritt 8, 1959, Nr. 2, S. 42-46; Die ökonomischen Grundlagen der Familie in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. Gutachten des Ausschusses für Familienfragen der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt mit Vorschlägen zur Neuordnung des Familienlastenausgleichs in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1959. 277 BA-B 191/115 (Kindergeld. Denkschrift des Bundes der Steuerzahler, 1958). Teilabdruck in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 137-14. 278 Unüberhörbar waren die grundsätzlichen Bedenken, die in der Denkschrift gegen eine Kindergeldzahlung angemeldet wurden. So wurde betont, daß eine allzu großzügige Kindergeldleistungen den Eltern das Bewußtsein der Eigenverantwortlichkeit nähme und zu der Meinung führen könnte, daß Großziehen von Kindern zum Teil Sache des Staates sei. Außerdem seien Familien mit Kindern nicht durchweg sozial deklassiert, sie fühlten sich auch nicht als „Verband der Geschädigten und Bestraften" (Ebd., S. 32). Wenn aber schon die politische Entscheidung für ein Kindergeld getroffen werde, so sei bei der Aufbringung der Mittel davon auszugehen, daß durch das Kindergeld ein echter Ausgleich der Familienlasten geschaffen werde. Dieser sei nicht über ein künstliches Gebilde wie den schichtenspezifischen Familienlastenausgleich möglich, sondern nur durch eine Kinderlosen-Sondersteuer oder durch Entnahme der Mittel aus dem allgemeinen Steueraufkommen. Bemängelt wurde auch die Auszahlung von Kindergeld über Familienausgleichskassen der Berufsgenossenschaften: „Organisatorisch keine gute Lösung" und auch mit der Kindergeldzahlung ab dem 2. Kind war der Bund der Steuerzahler nicht einverstanden. Abschließend forderte er eine Neugestaltung des Kindergeldrechts, das diese Kritikpunkte berücksichtigte, aber er war skeptisch: „Es muß befürchtet werden, daß der Gesetzgeber beabsichtigt, mit dem bisherigen Flick- und Stückwerk beim Kindergeld fortzufahren" (Ebd., S. 33). Vgl. auch: Kindergeldgesetzgebung ohne Konzeption, in: Arbeit und Sozialpolitik 14, 1960, Nr. 12, S. 353-354. 279 Die wirtschaftliche Situation der Familien in der Bundesrepublik. Denkschrift des Familienministeriums, Bonn 1959 (B 191/109).

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III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

als „einseitige individualistische Betrachtungsweise" abqualifiziert,280 und die Forderung nach Offenlegung der familienpolitischen Ziele mit der Bemerkung abgetan: „Es gehört zum Dilemma der Familienpolitik in der Bundesrepublik, daß sie ... in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung verkannt (wird)".281 Diese Nichtbeachtung der vom Bund der Steuerzahler eingebrachten Vorbehalte konnte sich das Familienministerium erlauben, denn inzwischen hatte der Bundestag das Kindergeld (für Dritt- und weitere Kinder) zweimal erhöht: von 25 DM auf 30 DM im Juli 1957282 und von 30 DM auf 40 DM im März 1959.283 Außerdem war der Kreis der Empfangsberechtigten ausgeweitet worden durch Miteinbeziehung der Gastarbeiter, 284 und über eine weitere Anhebung des Kindergeldes und eine weitere Ausdehnung des Empfängerkreises wurde auch schon im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages debattiert. Das Ergebnis war das Kindergeldanpassungsgesetz,285 das rückwirkend ab 1. April 1961 nicht nur die Gewährung von Kindergeld für Zweitkinder (wenn das Einkommen der Eltern 7200 DM im Jahr nicht überschritt) brachte, sondern auch eine partielle Reform der Finanzierungsweise und des Auszahlungssystems. Das Zweitkindergeld wurde vollständig aus Bundeshaushaltsmitteln finanziert und von einer bei der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung errichteten eigenen Kindergeldkasse erhoben. Es war vorgesehen, diese Regelung auch auf die anderen Bezieher von Kindergeld auszudehnen, aber aus Zeitmangel konnte sich der Bundestag nicht mehr damit beschäftigen.286

280

Ebd., S. 2. Ebd., S. 40. 282 Gesetz zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften der Kindergeldgesetze vom 27. Juli 1957 (Bundesgesetzblatt 1957, S. 1061). 283 Zweites Gesetz zur Änderung von Vorschriften der Kindergeldgesetze vom 16. März 1959 (Bundesgesetzblatt 1959, S. 253). 284 Zahlung von Kindergeld an spanische Gastarbeiter ab 1. Januar 1961 gemäß 5. Verordnung zur Durchführung des Kindergeldgesetzes und des Kindergeldanpassungsgesetzes (Spanien) vom 17. Januar 1960 (Bundesgesetzblatt 1960, S. 850). 285 Gesetz über die Gewährung von Kindergeld für zweite Kinder und Errichtung einer Kindergeldkasse (Kindergeldkassengesetz) vom 18. Juli 1961 (Bundesgesetzblatt 1961, S. 1001). 286 Eine grundsätzliche Neufassung des Kindergeldrechtes, die sich damit weiter dem SPD-Vorschlag zu Beginn der 50er Jahre näherte, erfolgte mit Wirkung vom 1. Juli 1964 durch das Bundeskindergeldgesetz vom 14. April 1964 (Bundesgesetzblatt 1964, S. 265). Dieses erhöhte das Mehrkindergeld und staffelte es progessiv nach der Kinderzahl (monatlich 50 DM für das dritte, 60 DM für das vierte und 70 DM für das fünfte und weitere Kind). Das gesamte Kindergeld wird seitdem durch Bundeshaushaltsmittel finanziert, die Verwaltung von der Bundeskindergeldkasse bei der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sowie den Arbeitsämtern wahrgenommen. 281

4. Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit

4.4.

189

Die familienpolitische Bilanz des Bundesfamilienministers Wuermeling

Mitte 1961 zog Wuermeling, seit acht Jahren im Amt, Bilanz über sein Wirken als Familienminister: „Es waren damals (1953) acht Punkte, die inzwischen bis auf den letzten, der kurz vor der Verwirklichung steht (gemeint war die Teilrevision des Scheidungsrechts), sämtlich und zum Teil erheblich über das damals vorgesehene Maß hinaus verwirklicht worden sind.. .Alles in allem eine Bilanz, von der ich sagen darf, daß sie wesentlich mehr Aktiva aufweist, als ich mir damals vor acht Jahren vorgestellt habe".287 Wuermeling konnte mit dem Erreichten zufrieden sein, sein staatliches Hilfsprogramm für die Familie, das in konzertierter Aktion mit der katholischen Kirche und den Familienverbänden zustande gekommen war, ließ sich durchaus sehen.288 Neben den Kindergeldleistungen gab es Hilfen zum Bau von Familieneigenheimen 289 mit Familienzusatzdarlehen, niedrig verzinslichen Darlehen, Wohnungsbeihilfen und verbilligten Bankdarlehen im Rahmen der Aktion „Junge Familie"; steuerliche Vergünstigungen bei der Geburt von Kindern, Steuerfreibeträgen und steuerlichen Begünstigungen für Kinder, die wegen ihrer Schul- und Berufsbildung auswärtig untergebracht werden mußten (vgl. dazu Tabelle 12). Im öffentlichen Dienst wurden die Kinderzuschläge erhöht und der Ortszuschlag eingeführt; ständig verbessert wurden die Familienleistungen für Sozialleistungsempfänger mit Zuschüssen für alle Kinder von Alten287

Wuermeling, Franz-Josef: Erfolge der Familienpolitik. Was in acht Jahren erreicht wurde, in : Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1961, Nr. 97 vom 27. Mai 1961, S. 933-934, hier: S. 934. Teilabdruck in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 146-153. 288 Zur Bilanz der finanziellen Hilfen für die Familie: Die Familienpolitik der C D U / C S U . Rednerdienst (Oktober 1963). Hrsg. von der Bundesgeschäftsstelle der C D U ; Rothe, Friedrich: Entwicklung der Familiengesetzgebung in der Bundesrepublik seit 1945, in: Caritas 65, 1964, Nr. 2, S. 62-70, hier. S. 65-70; Akrami-Göhren, Jutta: Die Familienpolitik im Rahmen der Sozialpolitik mit besonderer Berücksichtigung der Vorstellungen und der praktischen Tätigkeit der CDU, Bonn (Diss.) 1974, S. 277-349. Zum Vergleich der Familienleistungen in der Bundesrepublik und im westlichen Ausland: Oeter, Dietrich: Familienfördernde Maßnahmen in Frankreich, Belgien und der Bundesrepublik Deutschland, in: Familie und Gesellschaft. Hrsg. von Ferdinand Oeter, Tübingen 1966, S. 305-356. 289 Das Erste Wohnungsbaugesetz vom März 1950 (Bundesgesetzblatt 1950, S. 831) zielte noch auf eine größtmögliche Zahl Wohneinheiten ab. Eine Novelle zu diesem Gesetz im August 1953 (Bundesgesetzblatt 1953, S. 1037-1054) brachte die ersten größeren Förderungsmaßnahmen für den Bau von Eigenheimen. Das Zweite Wohnbau- (und Familienheim) gesetz vom 27. Juni 1956 (Bundesgesetzblatt 1956, S. 523) schließlich gab das Ziel der maximalen Erstellung von Wohneinheiten auf, vor allem zugunsten der Eigenheim-, insbesondere des Familieneigenheimbaus.

190

III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Tabelle 12 Gegenüberstellung der familienpolitischen Ausgangspositionen im Jahre 1953 und der Situation im Jahre 1963 1. Kindergeld - Kinderzuschläge - Kinderzuschüsse A. Kindergeld (für Selbständige und Arbeitnehmer der privaten Wirtschaft) 1953 ab 1.01.1955 ab 1.10.1957 ab 1.03.1959 ab 1.04.1961

nichts 25 DM 30 DM 40 DM 25 DM

ab dem 3. Kind ab dem 3. Kind ab dem 3. Kind für das 2. Kind

B. Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst 1953 25 DM 30 DM 35 DM

1957 30 DM 35 DM 40 DM

1963 40 DM 45 DM 50 DM

1953 261 DM 311 DM 382 DM 453 DM 524 DM

1959 460 DM 600 DM 750 DM 900 DM 1050 DM

1962 485 DM 675 DM 775 DM 925 DM 1075 DM

1949 600 DM 600 DM

1953 600 DM 600 DM

1958 900 DM 1680 DM

1962 1200 DM 1680 DM

600 DM

840 DM

1800 DM

1800 DM

Für Kinder bis zum 6. Lebensjahr Für Kinder bis zum 14. Lebensjahr Für Kinder bis zum 25. Lebensjahr

C. Kinderzuschüsse für Alters- und Invalidenrentner 1953 1958 1959 1962 1963

20,00 37,85 40,10 47,40 51,20

DM DM (durchschnittlich) DM (durchschnittlich) DM (durchschnittlich) DM

2. Steuervergünstigungen A. Steuerfreies Einkommen bis (monatlich) bei bei bei bei bei

Familien Familien Familien Familien Familien

mit mit mit mit mit

1 Kind 2 Kindern 3 Kindern 4 Kindern 5 Kindern

B. Entwicklung der Steuerfreibeträge Für das 1. Kind für das 2. Kind für das 3. und jedes weitere Kind

C. Steuerfreier Betrag für Kinder in Schul- oder Berufsausbildung (bei auswärtiger Unterbringung) bis bis bis bis

1956 1957 1958 1962

480 720 900 1200

DM DM DM DM

4. Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit

191

3. Wohnungsbauförderung A. Aktion „Junge Familie" 4000 D M Darlehen durch Banken und Sparkassen (durch den Bund verbilligt) Voraussetzungen: Ehepartner nicht älter als 40 Jahre und Einkommensgrenze bei 750 DM (monatlich) zuzüglich 150 DM für jedes Familienmitglied. B. Wohnbeihilfen Nur 10% der Gesamtkosten gelten als Eigenleistungen für Familien mit 2 Kindern bei Jahreseinkommen bis zu 6000 D M 3 Kindern bei Jahreseinkommen bis zu 7000 D M 4 Kindern bei Jahreseinkommen bis zu 9000 D M C. Familienzusatzdarlehen 1953 1956 1963

keine je 1500 D M für das 3. und jedes weitere Kind je 2000 D M für das 2. und jedes weitere Kind

D. Niedrig verzinsliche Darlehen für junge Ehepaare 2000 D M (2% Zinsen, 10% Tilgung) Voraussetzung: Antragsteller nicht länger als 5 Jahre verheiratet und nicht älter als 35 Jahre (Quelle: BA-B 153/829 - Gegenüberstellung der familienpolitischen Ausgangspositionen im Jahre 1953 mit dem heute Erreichten, S. 1-8, hier: S. 1-6)

und Invalidenrentnern. Anrecht bestand auf eine Ehrenpatenschaft des Bundespräsidenten bei der Geburt des 7. Kindes, und berechtigt war die ganze Familie zur Familienerholung in Ferienstätten; die überlastete Mutter konnte eine Müttergenesung in den Heimen des Müttergenesungswerkes in Anspruch nehmen. Es wurden Erziehungs- und Ausbildungshilfen gewährt und Schülertarife auf allen Verkehrsmitteln, insbesondere auf der Bundesbahn, die auch Familienermäßigungen und Geschwistertarife eingeführt hatte. Hinzu kamen Geschwisterermäßigungen auf der Universität und Beihilfen zum Hochschulstudium nach dem Honnefer-Modell. Im Jahre 1962 zahlte der Bund 7,93 Milliarden DM an Einkommenshilfen für Familien mit Kindern. An direkten Einkommenshilfen, worunter das Kindergeld und die Kindergeldzulagen im öffentlichen Dienst im Sozialbereich zu verstehen sind, waren das 4,13 Milliarden DM und an indirekten Einkommenshilfen mit den Ermäßigungen bei der Einkommensund Lohnsteuer, aber auch mit den Einnahmeausfällen bei der Bundesbahn und öffentlichen Verkehrsbetrieben, 3,8 Milliarden DM. 290 2,0

Finanzbericht 1964. Die volkswirtschaftlichen Grundlagen und die wichtigsten finanzwirtschaftlichen Probleme des Haushaltsplans der Bundesrepublik Deutschland für das Rechnungsjahr 1964. Hrsg. vom Bundesministerium der Finanzen, Bonn 1965, S. 147-148.

192

III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

4.5.

Katholische Bemühungen zur Festigung der Familienstruktur

Wuermeling hatte das Seine für den äußeren Bereich der Familienpolitik getan, für den inneren waren die katholische Kirche und die Familienverbände zuständig und diese waren nicht weniger erfolgreich in ihrem Bemühen, die bundesrepublikanische Gesellschaft im Sinne des Rechristanisierungsprogramms auf christliche Werte, christliche Moral und Familiensinn einzustimmen. Jedoch beschränkte sich diese moralisch-propagandistische Offensive im wesentlichen auf den katholischen Teil der Bevölkerung, mithin auf etwas weniger als die Hälfte der Gesamtbevölkerung, die, soweit es sich um Strenggläubige handelte, unter Anleitung der Kirche auf Distanz zu den Protestanten gingen.291 Die katholische Kirche bemühte sich unablässig, ihre moralischen Postulate unter den Katholiken durchzusetzen, zur Richtschnur im Leben des Einzelnen zu machen. Sie nahm sich Kraft ihrer moralischen Autorität das Recht heraus, sittliche Normen in allen gesellschaftlichen Bereichen einzuführen und die Menschen auf ihre Einhaltung festzulegen. Im Bereich der Politik beschränkte sie sich auf gelegentliche Ermahnungen an die Adresse der Politiker, in der Kultur versuchte sie Maßstäbe zu setzen und Maßregeln durchzusetzen. In Teilbereichen betätigte sie sich als Zensor, weil sie glaubte, Schaden abwenden zu müssen. Das galt etwa für den Bereich der Filmkunst, die wegen ihrer sinnlichen Direktheit und manipulativen Beeinflussung das besondere Mißtrauen weckte. Direkte Aktionen gegen Filmtheater und Spielfilme, wie gegen den Film „Die Sünderin" mit Hildegard Knef in der Hauptrolle im Jahre 1951,292 waren die Ausnahme, aber verbale Proteste gegen einzelne Filme die Regel. Nur wenige Zelluloidstreifen fanden die Gnade der Katholischen Filmselbstkontrolle, deren Filmbesprechungen in Schaukästen vor den Kirchen den Gläubigen Auskunft gaben, ob es für die einzelnen Familienmitglieder vertretbar war, die in den örtlichen Filmtheatern angelaufenen Spielfilme anzusehen. Im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Saubere Leinwand" fanden nur Spielfilme christlich-normativen Inhalts freundliche Aufnahme, Heimatfilme im allgemeinen auch, aber schon die

2,1

Das zeigte sich vor allem auch in der kirchlichen Diskussion um die Mischehe, die von katholischer Seite abgelehnt wurde. Vgl. etwa das Hirtenwort der deutschen katholischen Bischöfe über die Mischehe, in : Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 1958, Nr. 4 vom 8. Januar 1958. Weiterhin: Dechamps, Bruno: Die Mischehe in unserer Gesellschaft. Unheilvolle Säkularisation, in: Gesellschaftspolitische Kommentare 1958, Nr. 6, S. 63-64. 292 Kardinalswort gegen die „Sünderin", in: Kirchliches Mitteilungsblatt für das Dekanat Herne 1951, Nr. 10 vom 11. März 1951, S. 1-4. Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 115-116.

4. Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit

193

Darstellung eines Ehebruchs erregte den Mißmut der gestrengen Zensoren.293 Auch im Bereich der Literatur setzte die Kirche fest, was erlaubt war.294 Nicht erlaubt war Erotisches in Schrift und Bild, gefördert wurden Bücher über die Familie.295 Die Produktion dieser Bücher stieg vom Beginn der 50er Jahre Jahr für Jahr an und erreichte um 1960 ihren Höhepunkt. Es gab Aufklärungsbücher,296 Bücher zur Vorbereitung auf die Ehe,297 Bücher über den Sinn der Ehe und der Familie298 und Bücher über die Krisen in der Ehe und solche, wie man diese Krisen überwindet.299 Auch wenn mit diesen Büchern, die ihre Ergänzung in zahllosen Broschüren und Zeitschriftenaufsätzen fanden, die Absicht verfolgt wurde, den Familiengedanken zu stärken und die Mehrkinder-Familie zu verklären, so waren sie (wenn sich die Autoren nicht gerade auf wort- und trostreiche Allgemeinplätze, was nicht selten vorkam, beschränkten) gegenüber den realen Problemen durchaus aufgeschlossen, und boten immer neue Lösungsmöglichkeiten (auch wenn es immer die alten waren) zur Beilegung von krisenhaften Lebenssituationen an, die im wesentlichen auf den Verzicht der Frau zugunsten der Familie hinausliefen. Direkte Einflußnahme der Kirche auf die Familie erfolgte in Gesprächen, Kursen und Veranstaltungen. So wurden Jugendliche auf ihre spätere Rolle im Beruf (beim Jungen) und im Haushalt (bei Mädchen) eingestimmt; Verlobte fanden in besonderen Vorbereitungskursen und Mütter 2,3

Zum Kino der 50er Jahre: Cehak, Martha: Das Bild der Familie im deutschen Film, Hamburg 1958; Kotulla; Theodor: Zum Gesellschaftsbild des Films in der Bundesrepublik, in: Frankfurter Hefte 1962, Nr. 6, S. 43-59; Hack, Lothar: Filmzensur in der Bundesrepublik, in: Frankfurter Hefte 1964, Nr. 2-4, S. 27-41; Meyer, Barbara: Gesellschaftliche Implikationen bundesdeutscher Nachkriegsfilme, Frankfurt (Diss). 1964; Höfig, Willi: Der deutsche Heimatfilm 1947-1960, Stuttgart 1973. 294 Zur Literatur der 50er Jahre: Endres, Elisabeth: Die Literatur der Adenauerzeit, München 1980. 295 Der Christ in Ehe und Familie. Hinweise auf empfehlenswerte Bücher und Schriften über Ehe und Familie. Im Auftrage des Familienbundes der deutschen Katholiken zusammengestellt von Josef Eger, Augsburg 1956. 296 Gesundes Geschlechtsleben. Handbuch für Ehefragen. Hrsg. von F.X. Hornstein und A. Faller, München 1950; Stecher, Α.: Zeitwahl in der Ehe. Knaus, Ogino, Smulders, Zürich (9. Aufl. 1948). 29 ' Der ewige Ring. Ein Lesebuch für Braut- und Eheleute. Hrsg. von H. Bachmann, Freiburg (4. Aufl.) 1954; Konertz, P.: Über Liebe und Ehe. Briefe an Brautleute, Freiburg (4. Aufl.) 1955. 298 Dufoyer, P.: Die vollendete Ehe. 6 Bände, München 1949-1954; Leclercq, J.: Die Familie, Freiburg 1959; Hart, K.: Die Ehe als heiliges Geheimnis, Augsburg 1952; Wirtz, H.: Vom Eros zur Ehe. Die naturgetreue Lebensgemeinschaft, Heidelberg [127.-137. Tsd.] 1958. 299 Portmann, H.: Das bedrohte Sakrament. Gedanken zur Ehekrise der Gegenwart, Kevelaer 1950; Firkel, E.: Brief an Bedrängte in Lebensnot, Liebesnot und Glaubensnot, Wien 1951; Jansen, F.: Ehe in Gefahr. Vom Glück und Leid der Liebe, Paderborn 1958.

194

III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

in der Mütterberatung Auskunft und Hilfe in allen Lebensfragen und natürlich auch Unterstützung in der Kinderpflege und in der Erziehung. 300 Massiv wurde gegen die Müttererwerbstätigkeit Stellung bezogen, und die verheiratete Frau auf ihre „segensreiche" Rolle innerhalb der Familie verwiesen. Die Berufstätigkeit wurde der Frau im allgemeinen nicht untersagt, aber die Hinführung zu hauswirtschaftlichen Berufen gefördert und Edith Steins Longseller „Die Frau in Ehe und B e r u f zur Lektüre empfohlen.301 Die kirchlichen Einrichtungen beließen es aber nicht bei Hilfestellungen in Lebensfragen, sie halfen auch in Not geratenen, weil arbeitslosen, Familienvätern bei der Beschaffung eines Arbeitsplatzes, und sie unterstützten kinderreiche Familien durch stundenweise Aushilfe oder auch länger beim Ausfall der Mutter durch Krankheit. Sie halfen auch mit Sach- und Geldspenden. 302 Diese Kombination aus staatlicher Hilfe, seelsorgerischem Beistand und propagandistisch gefördertem Familienidyll führte vor dem Hintergrund einer expandierenden Wirtschaft, die Sicherheit und Zukunft versprach und damit einer Perspektive, wie sie seit Jahren nicht mehr bestand, zu dem bevölkerungspolitischen Erfolg, den sich die konservativen Parteien und die katholische Kirche erwünschten. Denn nach 1955 war ein deutlicher Anstieg bei den Eheschließungen und den Geburten festzustellen (vgl. dazu Tabelle 13). Der Höchststand an Eheschließungen mit 10,7 Eheschließungen (auf 1000 Einwohner) im Jahre 1950 wurde zwar nicht wieder erreicht, aber der Abwärtstrend, der 1954 mit 8,7 Eheschließungen seinen Tiefpunkt erreichte, konnte abgebremst und von einem allmählichen Aufwärtstrend abgelöst werden, der mit 9,3 Eheschließungen im Jahre 1962 seinen Gipfel markierte, um dann endgültig in einen Abwärtstrend umzuschlagen. Gaben sich 1954 906336 Verlobte das Jawort, so waren es 1962 154944 mehr. 303

300

Alpers, Hilde: Vorbereitung des jungen Mädchens auf die Ehe, in: Pro Familia 1957, Nr. 3, S. 20-22; Wüst, Georg: Ehe- und Familienbildung, in: Pro Familia 1961, Nr. 6, S. 17-20; Hofmann, Anton: Ehevorbereitung, in: Pro Familia 1960, Nr. 5, S. 7 - 9 ; Krechel: Bedeutung und Durchführung des Eheseminars, in: Mitteilungen für die Seelsorge im Bistum Trier 1955, S. 50-57; Wirtz, H.: Geheimnis und Wirklichkeit der Ehe. Das Eheseminar, Heidelberg 1958. 301 Stein, Edith: Die Frau in Ehe und Beruf, Freiburg 1962. 302 Dold, E.: Die Familienpflegerin, in: Oberrheinisches Pastoralblatt 57, 1956, S. 161-174; Pfannkuch, W.: Hauspflege, eine Hilfe für die Familie, in: Neues Beginnen 4, 1954, S. 83-91; Schwestern bauen das Familienleben wieder auf. Erlebnisberichte deutscher katholischer Schwestern über ihre sozial-apostolische Arbeit in der Familie, Kevelaer 1954. 303 Rytlewski, R a l f / O p p de Hipt, Manfred: Die Bundesrepublik in Zahlen 1945/ 49-1980. Ein sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, München 1987, S. 52.

4. Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit Tabelle 13 Jahr

1938 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963

195

Eheschließungen, Geborene, Geburtenübeschuß 1938, 1946-1963 Eheschließungen insgesamt auf 1000 Einwohner 645062 400399 482 193 525160 506199 535708 522946 483358 462101 453 168 461818 478352 482590 494110 503981 521445 529901 530640 507644

9,4 8,8 10,1 10,7 10,2 10,7 10,3 9,5 9,0 8,7 8,8 9,0 9,0 9,1 9,2 9,4 9,4 9,3 8,8

Geburten auf 1000 insgesamt Einwohner 1348534 732998 781421 806074 832803 812835 795608 799080 796096 816028 820128 855887 992228 904465 951942 968629 1012687 1018552 1054123

19,6 16,1 16,4 16,5 16,8 16,2 15,7 15,7 15,5 15,7 15,7 16,1 16,6 16,7 17,3 17,4 18,0 17,9 18,3

GeburtenÜberschuß auf 1000 Einwohner 7,9 3,2 4,3 6,0 6,4 5,7 5,0 5,0 4,2 5,0 4,5 4,8 5,2 5,7 6,3 5,9 6,9 6,6 6,6

(Quelle: Bevölkerung und Wirtschaft 1872-1972. Hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Stuttgart 1972, S. 103)

Eine ähnliche Entwicklung durchlief die Lebendgeburtsrate, die mit 16,8 Lebendgeborene (auf 1000 Einwohner) im Jahre 1949 ihren Höhepunkt verzeichnete, bis 1955 auf 15,7 abfiel und dann fast kontinuierlich auf 18,7 im Jahre 1963 anstieg.304 Gleichzeitig stellten die Statistiker einen deutlichen Rückgang der kinderlosen und der Ein-Kind-Familie fest, ein mäßiges Ansteigen der Zahl der Zwei-Kinder-Familie und eine starke Zunahme der Familien mit drei und mehr Kindern.305 Den Trend hin zur Mehr-Kinder-Familie konnten auch die Meinungsbefrager ausmachen. Deutlich verschob sich die Vorstellung von der „idealen" Kinderzahl bei Befragungen im Jahr 1950 und und dann wieder im Jahr 1958 in Richtung auf die kinderreiche Familie. Der Wunsch nach kinderloser Ehe ( — 7%),

304

Ebd. Vgl. auch: Eheschließungen, Geborene und Gestorbene im Jahre 1961, in: Wirtschaft und Statistik 1964, S. 206-209, hier: S. 207. 305 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. V. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 2532 (betr. Bericht der Bundesregierung über die Lage der Familie in der Bundesrepublik Deutschland vom 28. Januar 1968, S. 166 [Tabelle 4]).

196

III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Ein-Kind-Ehe ( - 6 % ) und Zwei-Kind-Ehe ( - 4 % ) verlagerte sich zum Wunsch nach der Familie mit drei Kindern (+17%). 306 Diese Trendmeldungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der Bundesrepublik der 50er Jahre die Kleinfamilie dominierte. 307 Von den 7,6 Millionen Haushalten mit Kindern unter 18 Jahren hatten 1957 mehr als vier Fünftel (82,9%) ein oder zwei Kinder, aber nur jeder zehnte Haushalt drei Kinder (11,3%) und sogar nur jeder zwanzigste vier und mehr Kinder (5,85%.)308 Die Statistiker fanden aber noch andere bemerkenswerte Zusammenhänge über den Geburtenanstieg in der 2. Hälfte der 50er Jahre heraus. So lagen zwar die Kinderzahlen auf dem Lande nach wie vor bedeutend höher als in der Stadt, und die selbständigen Landwirte und landwirtschaftlichen Arbeiter hatten weitaus mehr Kinder als alle anderen Bevölkerungsgruppen. Auch waren außerhalb der Land- und Forstwirtschaft die Unterschiede zwischen den Kinderzahlen der Arbeiter, Beamten und Selbständigen ziemlich gleich geblieben, wobei die Angestellten jedoch die wenigsten Kinder hatten. 309 Neu war hingegen die Erkenntnis, daß nicht mehr die Familien mit den niedrigsten, sondern die Familien mit den höchsten Einkommen die meisten Kinder hatten. Das galt sowohl für die Selbständigen als auch für die Beamten, Angestellten und Arbeiter. Die meisten Kinder unter der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung hatten die Beamten mit einem Monatsgehalt von über 1200 DM. Soweit sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg geheiratet hatten, waren ihre Familien fast so groß wie die der selbständigen Landwirte. Weiterhin wurde festgestellt, daß die Bevölkerungsgruppen, die früher die größte Kinderzahl hatten, also die Bauern, die Landarbeiter und gewerblichen Arbeiter, den stärksten Geburtenrückgang zu verzeichnen hatten, und daß das generative Verhalten nicht religionsspezifisch war, 310 aber die Kinderzahl bei den Vertriebenen um rund 5% höher lag als bei der einheimischen Bevölkerung. 311 Ohne Zweifel war es gelungen, das generative Verhalten der Westdeutschen zu verändern, zumindest aber „positiv" zu beeinflussen. Hingegen erwiesen sich alle Bemühungen - sieht man einmal von Einzelfällen ab - , die Müttererwerbstätigkeit einzudämmen, als wirkungslos. So stieg zwischen 1950 und 1962 die Zahl der außerhäuslich erwerbstätigen Frauen 306

Ebd. Kinderzahlen der Ehejahrgänge 1899 und früher und 1900 bis 1960, in: Wirtschaft und Statistik 1962, S. 590-595, hier: S. 594. 308 Schmucker, Helga: Die ökonomische Lage der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Tatbestände und Zusammenhänge, Stuttgart 1961, S. 83 (Tabelle 5). 309 Schwarz, Karl: Die Kinderzahlen in den Ehen nach Bevölkerungsgruppen. Ergebnis des Mikrozensus 1962, in: Wirtschaft und Statistik 1964, S. 71-77, hier: S. 77. 3,0 Ebd., S. 72. 311 Ebd., S. 73. 307

197

4. Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit

Tabelle 14 Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern mit Kindern unter 14 Jahren 1950, 1957 und 1962, in 1000 (1950= 100)

Frauen im Alter von 13 und mehr Jahren davon : Verheiratet Nichtverheiratet Erwerbstätige Frauen darunter: Verheiratete Frauen ohne Kinder Verheiratete Mütter Nichtverheiratete Mütter Abhängig erwerbstätige Frauen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft darunter: Verheiratete Frauen ohne Kinder Mütter davon: Verheiratete Mütter Nichtverheiratete Mütter

1950

1957

1962

22118 (100)

23804 (108)

24196 (109)

11810 (100) 10308 (100) 7944 (100)

13153 (111)

14219 (120) 9978 (97)

1690 (100) 1194 (100) 290 (100)

2202 (130)

4332 (100)

6058 (140)

6657 (154)

562 (100) 417 (100)

1116 (199) 986 (236)

1645 (293) 1308 (314)

336 (100)

760 (226)

1088 (324)

81 (100)

226 (279)

220 (272)

10651 (103) 9373 (118)

1738 (146) 287 (99)

9449 (119) 2658 (157) 2078 (174) 261 (90)

(Quelle: Schubnell, Hermann: Die Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern und die Betreuung ihrer Kinder, in: Wirtschaft und Statistik 1964, S. 444-456, hier: S. 447, Tabelle 5)

um 19%, die Zahl der erwerbstätigen verheirateten Frauen, die keine Kinder unter 14 Jahren hatten, um 57% - aber die Zunahme bei den erwerbstätigen (verheirateten und nichtverheirateten) Müttern mit Kindern unter 14 Jahren betrug 184%. 1950 waren 417000 Mütter in abhängiger Stellung (außerhalb der Forst- und Landwirtschaft) erwerbstätig, 1962 dagegen 1,3 Millionen Mütter ( + 314%). Ihre Zahl hatte sich damit in zwölf Jahren mehr als verdreifacht (vgl. dazu Tabelle 14). Nicht weniger rasant war die Entwicklung zwischen 1957 und 1962. Innerhalb dieses Zeitraums wurde ein Anstieg von 322000 erwerbstätigen

198

III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Müttern registriert ( + 78%). Bei den Müttern mit einem Kind betrug die Zunahme 24%, bei denen mit zwei Kindern 44% und bei denen mit drei und mehr Kindern sogar 86%.312 Die Anzahl der Mütter mit drei und mehr Kindern verdoppelte sich somit innerhalb von fünf Jahren, von rund 55000 auf 109000. Im Oktober 1962 hatten von 100 erwerbstätigen Frauen 41 keine Kinder, 38 ein Kind, 31 zwei Kinder und weitere 31 drei und mehr Kinder. 313

4.6. Gründe für das Scheitern der katholisch-konservativen Strategien gegen die Frauenerwerbstätigkeit Woran lag es nun, daß die konservativen Strategien gegen die Müttererwerbstätigkeit erfolglos blieben? Welche Gründe lassen sich auflisten? Zunächst einmal fiel das Kindergeld viel zu gering aus, um „Wirkung" zu erzielen, und auch dann, als es erhöht und auf die zweiten Kinder ausgeweitet wurde, konnte die wirtschaftliche Situation der Familien mit Kindern dadurch nur unwesentlich verbessert werden. Der Zwang vieler Mütter zur Mitarbeit blieb bestehen, wenn die Familie nicht Not leiden, wenn gewisse Anschaffungen - lebensnotwendige, aber auch solche, die den Lebensstandard verbesserten - getätigt werden und wenn die Ausbildung der Kinder gewährleistet sein sollte.314 Hätte die Bundesregierung gleich zu Beginn der 50er Jahre das Kindergeld ab dem 2. Kind und in einer Höhe, die sich an dem französischen Vorbild orientierte, zur Auszahlung gebracht, dann hätte zumindest in kinderreichen Familien der Zwang der Mütter zur Berufsaufnahme nicht in diesem Umfang bestanden. Wenn die Möglichkeit zur Aufgabe der Berufstätigkeit bestanden hätte, wären nicht wenige Frauen an den häuslichen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Denn für die meisten Frauen war die Arbeit in den Betrieben keine Selbstverwirklichung, wie etwa für die Akademikerinnen in der Verwaltung oder auch als Selbständige, sondern eine ungeliebte, zudem mühsame und wenig anziehende Beschäftigung, was vor allem mit den unzulänglichen Arbeitsbedingungen zusammenhing. Für die konservativ-bürgerliche Koalitionsregierung war das Problem 312

Schubnell, Herrmann: Die Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern und die Betreuung ihrer Kinder, in: Wirtschaft und Statistik 1964, Nr. 8, S. Ί4Ί Ί56, hier: S. 450. Dazu auch: Lüttig, Gerlinde: Die Erwerbstätigkeit von Müttern und die Betreuung ihrer Kinder nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes, in : Neues Beginnen 1965, Nr. 2, S. 22-24. 313 Bünger, Fritz Emil: Familienpolitik in Deutschland. Neue Erkenntnisse über den Einfluß des sogenannten „Gießkannenprinzips" auf die Wirksamkeit sozialpolitischer Maßnahmen, Berlin 1970; S. 91. 314 Schmucker: Die ökonomische Lage der Familie, S. 60-63.

4. Eindämmung der Frauenerwerbsarbeit

199

der arbeitenden Mütter jedoch eher ein Randproblem ; sie konzentrierte Energie und Haushaltsmittel auf zentrale Probleme, und dazu gehörte in erster Linie die Wirtschaft, deren Produktivkraft nach Ansicht der Vertreter einer Sozialen (aber doch liberal-individualistischen) Marktwirtschaft um den Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard letztlich der politischen und gesellschaftlichen Stabilität der Bundesrepublik zugute kam.315 Da der Bund nicht über die Mittel verfügte, oder sie nur über die Streichung von Subventionen hätte erhalten können, wälzte er zwar einerseits die Finanzierung des Kindergeldes auf die Wirtschaft ab, aber andererseits durfte die Belastung wiederum nicht so hoch ausfallen, daß dadurch die Wirtschaft in ihrem Investitions- und Handlungsspielraum eingeengt worden wäre. Das Ergebnis war dann auch ein Kindergeldgesetz, das die Bundesregierung und die Wirtschaft akzeptieren konnten, aber nicht die katholische Kirche und die Familienpolitiker.316 Noch ein zweiter Punkt muß in Betracht gezogen werden. Als sich der Wirtschaftsaufschwung nach 1950 in Bewegung setzte, war alsbald der Arbeitskräftemarkt ausgedünnt. Die Wirtschaft richtete daraufhin ihren Blick auf die weibliche Arbeitskraftreserve. In der Folgezeit gehörten die Wirtschaftsverbände zu den heftigsten Kritikern des Kindergeldes, auch, weil sie zunächst glaubten, sie hätten mit zu hohen Eigenbelastungen zu rechnen, vor allem aber, weil sie befürchteten, Kindergeldzahlungen könnten die Frauen an der Aufnahme einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit hindern. Wirtschaftstheoretiker, die diesen Verbänden nahestanden, waren es dann auch, die die Warnung in die öffentliche Diskussion einbrachten, Familienbeihilfen würden der Familie die Eigenverantwortung nehmen.317 3,5

Zur Sozialen Marktwirtschaft: Müller-Armack, Alfred: Die Anfänge der Sozialen Marktwirtschaft-zugleich eine Dokumentation ihrer Entwicklung in den Jahren 1945, 1946, 1947, 1948, in: Die Zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland-eine Bilanz. Hrsg. von Richard Löwenthal und Hans-Peter Schwarz, Stuttgart 1979, S. 123-148; Welteke, Marianne: Theorie und Praxis der Sozialen Marktwirtschaft. Einführung in die politische Ökonomie der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1976; Soziale Marktwirtschaft-Sozialistische Planwirtschaft. Ein Vergleich Bundesrepublik Deutschland-DDR. Hrsg. von Hannelore Hamel. 5. Aufl. München 1989. 116 Berechnungen ergaben, daß der Bund 478 Milliarden DM hätte aufbringen müssen, um rund 95% der außerhäuslich erwerbstätigen Mütter in die Lage zu versetzen, ihre Berufstätigkeit aufzugeben. Diese Mütter hätten dann monatlich eine Netto-Finanzhilfe von 600 DM erhalten. Bei einer Netto-Finanzhilfe von monatlich 300 DM wäre die Hälfte der erwerbstätigen Frauen nicht länger auf eine außerhäuslichen Tätigkeit angewiesen gewesen. Der Staat hätte dafür Finanzierungsmittel in Höhe von 22 Milliarden DM, fast die Hälfte der Bundeseinnahmen im Jahre 1962, aufbringen müssen (vgl. dazu: Bünger: Familienpolitik in Deutschland, S. 99). 317 Dreier, Wilhelm: Das Familienprinzip. Ein Strukturelement der modernen Wirtschaftsgesellschaft. Familienlastenausgleich, die sozialpolitische Großaufgabe des 20. Jahrhunderts, Münster 1960, S. 56.

200

III. Familienpolitik und Frauenerwerbstätigkeit (1949-1963)

Diese Befürchtung erwies sich als gegenstandslos, weil erstens die Kinderbeihilfen nicht vor 1955 zur Auszahlung gelangten, und zu diesem Zeitpunkt befand sich schon der größte Teil der Mütter in der Erwerbstätigkeit. Zudem fiel zweitens das Kindergeld viel zu gering aus und kam auch erst ab dem 3. Kind zur Zahlung; und der in Frage kommende Empfängerkreis machte nur einen kleinen Prozentsatz der arbeitsfähigen Frauen aus. Und schließlich drittens: die Unternehmen konnten bei anhaltender Konjunktur mit Löhnen locken, die bei weitem das Kindergeldangebot in den Schatten stellten. Nicht von ungefähr forderten wiederholt die katholische Kirche und ihr nahestehende Wissenschaftler: die Wirtschaftsverfassung müsse geändert werden.318 Sie konnten sich aber nicht durchsetzten, denn die Wirtschaftsverfassung eines modernen Industriestaates, wie die Bundesrepublik einer war, war stärker als die katholische Kirche und die Familienverbände, die sich mit der moralischen Aufrüstung der Familie begnügen mußten. Da sich die Familienpolitik aber im wesentlichen nur an den katholischen Bevölkerungsteil wandte, und das wäre als ein weiterer Grund für das Scheitern ihres Anliegens zu nennen, fühlte sich auch nur ein Teil der Frauen von den Vorhaltungen der Kirche angesprochen, und es gab gewiß auch katholische Frauen, die nicht bereit waren, der katholisch-dogmatischen Bevormundung Folge zu leisten. Vor allem waren es aber ökonomische Überlegungen und Operationen im Zeichen der wirtschaftlichen Rekonstruktion, die dem kirchlichen Versuch im Wege standen, die Müttererwerbstätigkeit einzudämmen und eine Familienidylle jenseits der industriellen Wirklichkeit aufzubauen. Während sich in der Frage der Müttererwerbstätigkeit Wirtschaft und Kirche diametral gegenüberstanden, zogen sie, wenn auch mit unterschiedlicher Zielrichtung, in der Frage der Gleichberechtigung der Frau an einem Strang: beide waren gegen die Gleichberechtigung der Frau. Diesem Aspekt im Rahmen der gesetzlichen Gleichberechtigung möchte ich mich jetzt zuwenden.

318

Nell-Breuning, Oswald von: Neoliberalismus und katholische Soziallehre, in: ders.: Wirtschaft und Gesellschaft heute. Band II: Zeitfragen 1955-1959, Freiburg 1960, S. 92-97.

Kapitel IV Widerstand: Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

1.

1.1.

Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat um den Gleichheitsgrundsatz von Mann und Frau und den Anspruch der Frau auf gleichen Lohn Frauenforderungen an den Parlamentarischen Rat

Am 1. September 1948 fand im „Tier-Museum König" in Bonn die konstituierende Sitzung des Parlamentarischen Rates statt, dem die Aufgabe gestellt war, ein Grundgesetz auszuarbeiten. Ein halbes Jahr zuvor hatten sich die Westallierten darüber verständigt, einen westdeutschen Teilstaat zu errichten. Die Ministerpräsidenten wurden beauftragt, eine Regierungsreform nach alliierten Vorgaben zu gestalten. 1 Zu diesem Zweck trafen sich im August 1948 Staatsrechtler auf der Insel Herrenchiemsee, um alternative Lösungsmöglichkeiten für die zentralen Verfassungsprobleme zu erarbeiten und zusammenzustellen. 2 Das Ergebnis des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee war der Herrenchiemsee-Bericht, der einen kompletten Verfassungsentwurf für ein Grundgesetz enthielt. 3 Dieser Bericht wurde zusammen mit anderen, vor allem von den großen Parteien C D U und SPD erarbeiteten Verfassungs-

1

Zur Weststaatgründung: Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle. Band 1 : Vorgeschichte. Bearb. von Johannes Volker Wagner, Boppard 1975 Weiterhin: Merkl, Peter H.: Die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1963; Niclauß, Karlheinz: Demokratiegründung in Westdeutschland. Die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, München 1974. 2 Zum Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee: Der Parlamentarische Rat 1948— 1949. Band 2: Der Konvent auf Herrenchiemsee. Bearb. von Peter Bucher, Boppard 1981 ; Gronau, Hans-Albert von: Der deutsche Föderalismus und der Verfassungskonvent auf Herrenschiemsee, München (Diss.) 1949; Zündorf, Dieter: Der föderalistische und der unitarische Gedanke beim Herrenchiemseer Verfassungskonvent und beim Bonner Parlamentarischen Rat, Köln 1967. 3 Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948. Hrsg. vom Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen, München 1948. Der Bericht ist auch abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat, Band 2, S. 504-630.

202

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

entwürfen, 4 d e m Parlamentarischen Rat als Grundlage für seine Arbeit vorgelegt. 5 D i e Arbeit, die den 65 A b g e o r d n e t e n bevorstand, 6 war nicht ganz leicht. D e n n v o m Parlamentarischen Rat erhofften sich Verbände, Institutionen u n d die verschiedensten Bevölkerungsteile die Realisierung ihrer Wünsche u n d Anliegen. 7 Unter ihnen waren auch die Frauen, insbesondere die in Frauenverbänden u n d G e w e r k s c h a f t e n organisierten Frauen, die ganz konkrete Forderungen an den Parlamentarischen Rat stellten. S o sollte im Verfassungstext festgeschrieben werden: erstens die Gleichberechtigung der Frau, zweitens das gleiche Recht auf Arbeit u n d Lohn u n d drittens die gleichberechtigte Mitwirkung in der Verwaltung. 8 Sollten diese Rechte Berücksichtigung finden, d a n n wäre das gegenüber der Weimarer Verfassung v o n 1919 ein enormer Fortschritt gewesen. D i e Weimarer Verfassung (WV) hatte nämlich den Frauen im Artikel 109 nur 4

Das sind der „Ellwanger-Düsseldorf-Entwurf" ( C D U / C S U ) und der „MenzelE n t w u r f (SPD). Vgl. dazu: Otto, Volker: Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Düsseldorf 1971; Benz, Wolfgang: Förderalistische Politik in der C D U / C S U . Die Verfassungsdiskussion im „Ellwanger Kreis" 1947/48, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25, 1977, Nr. 4, S. 776-820. 5 Zum Parlamentarischen Rat: Stammen, Theo/Maier, Gerold: Der Prozeß der Verfassungsgebung, in: Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Kapitulation und Grundgesetz. Hrsg. von Josef Becker u.a., München 1979, S. 381419; Düwell, Kurt: Entstehung der Bundesrepublik Deutschland 1945-1961. Eine dokumentierte Einführung, Köln 1981, S. 124-137; Köhle, K.: Vorgeschichte, Arbeit und Konflikte des Parlamentarischen Rates, in: Politische Studien 22, 1971, S. 605-613. 6 Der Parlamentarische Rat setzte sich aus 65 Abgeordneten zusammen, die von den Landesparlamenten gewählt worden waren. Die Sitzverteilung erfolgte streng nach dem Proporz. Von den 65 Abgeordneten stellten C D U / C S U und SPD je 27, während die FDP 5 und die DP, das Zentrum sowie die K P D jeweils 2 Abgeordnete im Parlamentarischen Rat hatten. Einer überwältigen Mehrheit von 61 Männern standen 4 Frauen gegenüber. Dazu: Sörgel, Werner: Konsensus und Interessen. Eine Studie zur Entstehung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1969, S. 236-262; Ley, Richard: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Ihre Wahl, Zugehörigkeit zu Parlamenten und Regierungen. Eine Bilanz nach 25 Jahren, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 4, 1973, Nr. 3, S. 373-391. 7 Dazu: Riemer, Eberhard: Die Einflüsse außerparlamentarischer Organisationen auf das Bonner Grundgesetz, Nürnberg (Diss.) 1951. 8 Einzelne Forderungen waren in den Länderverfassungen bereits berücksichtigt worden. Gleiche bürgerliche Rechte und Pflichten ohne Einschränkung in der Ehe sah in Bremen Artikel 22, Abs. 1 vor. Das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit war verankert in Hessen durch Artikel 33, Abs. 2; in Bayern durch Artikel 168, Abs. 1 ; in Bremen durch Artikel 53 ; in Württemberg-Baden durch Artikel 20, Abs. 2; in Württemberg-Hohenzollern durch Artikel 90, Abs. 2; in Baden durch Artikel 37, Abs. 5; in Hamburg durch Artikel 89, Abs. 2; in Nordrhein-Westfalen durch Artikel 24, Abs. 2 und in Rheinland-Pfalz durch Artikel 56, Abs. 2.

1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

203

„grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten" zugestanden. Aufgrund dieses Artikels erhielten die Frauen das aktive und passive Wahlrecht. An der zivilrechtlichen Situation, wie sie im Ehe- und Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) von 1899 festgeschrieben war, hatte sich, trotz der im Artikel 119 zugestandenen Gleichberechtigung in der Ehe, nichts geändert. Weiterhin galt der Mann als Familienoberhaupt und alleiniger Ernährer, der draußen im „feindlichen" Leben stand. Ihm untergeordnet war die unselbständige Frau, deren Arbeitskreis die Familie mit Kindererziehung und Hausarbeit war. 9 Inzwischen waren fünfzig Jahre seit den Beratungen über das Bürgerliche Gesetzbuch und fast dreißig seit Verabschiedung der Weimarer Verfassung vergangen, und die Verhältnisse hatten sich nach zwei Kriegen, nach Inflation, Depression und Besetzung grundlegend geändert. So war die soziale Struktur der Familie einem fortschreitenden Wandlungsprozeß unterlegen. Die verheiratete Frau war nicht mehr allein auf ihren häuslichen Pflichtenkreis beschränkt. Sie war in vielen Fällen Haupternährer der Familie geworden, nicht selten Mitverdiener. Und sie war in Arbeitsbereiche vorgedrungen, die lange Zeit als Domäne des Mannes galten. Dieser veränderten Situation Rechnung zu tragen, indem den Frauen die gleichen Rechte wie den Männern in Familie und Beruf zugestanden wurden, hielten die Frauenverbände und Frauenabteilungen der Gewerkschaften für eine Selbstverständlichkeit. 10 Nicht so die katholische Kirche, deren Bemühen es war, im Rahmen ihres Rechristianisierungsprogramms die Renaissance der Familie vorzubereiten. Gleichberechtigung von Mann und Frau war für die Kirche gleichbedeutend mit Sprengung der von ihr favorisierten traditionellen Familienstruktur. Nach den Jahren unter dem Nationalsozialismus mit seinen familien9

Dazu: Scheffler, Erna: Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im Wandel der Rechtsverordnung seit 1918, Frankfurt 1970; Wilhelm, Wendeline: Die persönliche Stellung der Ehefrau nach dem B.G.B., Göttingen (Diss.) 1931. 10 Zur Entwicklung und Programmatik der Frauenverbände seit 1945: Pauls, Maria: Die deutschen Frauenorganisationen. Eine Übersicht über den Bestand, die Ursprünge und die kulturellen Aufgaben, Aachen (Diss.) 1966, S. 148-225; Wiggershaus, Renate: Geschichte der Frau und der Frauenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik nach 1945, Wuppertal 1979, S. 89-110. Und insbesondere in den Nachkriegsjahren: Hauser, Andrea: Alle Frauen unter einen Hut? Zur Geschichte des Stuttgarter Frauenausschusses, in: Frauen in der deutschen Nachkriegszeit. Band 2: Frauenpolitik 1945-1949. Quellen und Materialien. Hrsg. von Annette Kuhn, Düsseldorf 1986, S. 102-109; Möller, Monika: Der Frauenausschuß in Hamburg-Harburg, in: ebd., S. 110-121; Nödinger, Ingeborg: „Mitwissen, mitverantworten und mitbestimmen". Zu den Anfängen des Demokratischen Frauenbundes Deutschland, in: ebd., S. 122-126; Henicz, Barbara/Hirschfeld, Margit: Der Club deutscher Frauen in Hannover, in: ebd., S. 127-134; dies.: „Wenn Frauen wüßten, was sie könnten, wenn sie wollten". Zur Gründungsgeschichte des Deutschen Frauenrings, in: ebd., S. 135-156.

204

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

zerstörenden Aktivitäten und den nicht minder verheerenden Auswirkungen der Nachkriegsjahre auf die Stabilität der Familie und der Ehe gälte es, so die Forderung der Kirche an den Parlamentarischen Rat, die „Ehe und Familie als die dem Menschen nächstliegende Lebensgemeinschaft und Träger natürlicher Rechte und Pflichten unter den besonderen Schutz des Staates zu stellen".11 Einbezogen in diese Forderung war das Verlangen, die Autorität des Mannes wiederherzustellen.' 2 Eine Gleichberechtigung, wie sie die Frauengruppen anstrebten, kam nicht in Frage, und die Kirche konnte auf Unterstützung rechnen: bei den konservativen Politikern, die der Kirche nahestanden, bei den Männern, die entweder ihre dominierende Rolle in der Familie nicht verlieren wollten oder die Konkurrenz der Frau im Berufsleben fürchteten, aber auch bei den Unternehmern, denen nicht daran gelegen sein konnte, der billigen Arbeitsreserve Frau den gleichen Lohn wie ihrem männlichen Kollegen bei gleicher Arbeit zu geben.

1.2.

Die Vorstellungen des Rechtswissenschaftlers Richard Thoma von der Ungleichheit von Mann und Frau

Drei Wochen nach Beginn der Beratungen im Parlamentarischen Rat fand am 21. September 1948 die 3. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen statt,13 in der zum erstenmal der Gleichheitsgrundsatz zur Diskussion anstand. Dem Herrenchiemsee-Bericht fehlte eine Bestimmung, die direkt Bezug nahm auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau. In Artikel 14 wurde nur in abstrakter und allgemeiner Form festgestellt: (1) Vor dem Gesetz sind alle gleich; (2) Der Grundsatz der Gleichheit bindet auch den Gesetzgeber; " BA-Z 5/110 (Schreiben des Zentralkomitees zur Vorbereitung der Generalversammlung der Katholiken Deutschlands an den Parlamentarischen Rat vom 25. November 1948). Weiterhin: Stellungsnahme der Katholiken der Erzdiözese Köln zu den Fragen des Elternrechts und des Reichskonkordates vom 30. Januar 1949 (BA-Z 5/113). 12 Zu katholische Kirche und Parlamentarischen Rat: Witetschek, H.: Die Haltung des Parlamentarischen Rates zum Verhältnis von Staat und Kirche, in: Politische Studien von Staat und Kirche, in: Politische Studien 25, 1974, S. 283-297; Gotto, Klaus: Die katholische Kirche und die Entstehung des Grundgesetzes, in: Kirche und Katholizismus 1945-1949. Hrsg. von Anton Rauscher, München 1977, S. 88108; Schewick, Burkhard von: Die katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945-1950, Mainz 1980. 13 Der Parlamentarische Rat bestand aus dem Hauptausschuß und 12 Fachausschüssen. Im Hauptausschuß wurden die in den Fachausschüssen erarbeiteten Verfassungsartikel in vier Lesungen diskutiert und zur Abstimmung gestellt.

1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

205

(3) Jeder hat Anspruch auf gleiche wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten. 14 (Variante I) Im „Darstellenden Teil" hieß es zu diesem Artikel schlicht: „Die alte Streitfrage, ob die Gleichheitsforderung auch den Gesetzgeber bindet, wurde in bejahendem Sinne behandelt". 15 Zu Beginn der Sitzung legte der sozialdemokratische Abgeordnete Ludwig Bergsträsser einen von ihm ausgearbeiteten „Katalog der Grundrechte" vor, in dem er in dem mit „Gleichheit" überschriebenen Teil in fünf Absätzen darlegte, was er unter Gleichheit verstand: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der religiösen und politischen Überzeugung. (2) Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. (3) Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauung wegen bevorzugt oder benachteiligt werden. (4) Alle öffentlichen Ämter sind jedermann gleich zugänglich. (5) Frauen und Jugendliche haben für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch auf gleichen Lohn. 16 (Variante II) Die Formulierung des Absatzes (1) stammte aus der hessischen 17 , die Formulierung der Absätze (2) und (3) aus der badischen Verfassung. 18 Der Wortlaut des Absatzes (4) war von Bergstraesser formuliert, der Absatz (5) wiederum aus der hessischen Verfassung entnommen. Für kontroverse Diskussionen innerhalb des Ausschusses für Grundsatzfragen und für leidenschaftliche Auseinandersetzungen im Hauptausschuß bei der Lesung der einzelnen Grundgesetzartikel sollten vor allem die Aussagen in den Absätzen (2) und (5) sorgen, 19 die später auch den Bundestag und schließ14

Bericht über den Verfassungskonvent, S. 62-63. Ebd., S. 22. 16 BA-Z 5/29 (Ausschuß für Grundsatzfragen. 3. Sitzung vom 21. September 1948, S. 45). 17 Art. 1 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946, in: Verfassung des Landes Hessen und Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. 28. überarbeitete Aufl. Bad Homburg 1974. 18 Art. 2 der Verfassung des Landes Baden vom 22. Mai 1947, in: Regierungsblatt der Landesregierung Baden vom 28. Mai 1947. " In der Forschung über die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes fand diese Kontroverse lange Zeit keine Erwähnung. Merkl nennt als wichtigste Streitfragen, denen sich die Verfassungsgeber im Parlamentarischen Rat gegenübersahen: das Problem des Förderalismus, die Finanzverfassung des Bundes und das Elternrecht (Merkl: Die Entstehung der Bundesrepublik, S. 78, 86). In allen anderen Fragen be15

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IV. Gleichberechtigung u n d Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

lieh die Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht und Bundesarbeitsgericht beschäftigten.20 Nach längerer Diskussion kamen die Ausschußmitglieder überein, aus den vorliegenden Vorschlägen den Artikel 19 neu abzufassen, der nun lautete: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. (3) Niemand darf seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden.21 (Variante III) Mit Absatz (2) wurde den Frauen, wie schon in der Weimarer Verfassung, nur die staatsbürgerliche Gleichheit zugestanden.22 Jedoch wurde das einschränkende Wort „grundsätzlich" gestrichen. Als sich der Grundsatzausschuß drei Wochen später wieder mit dem Gleichheitsartikel beschäftigte, hatte sich die CDU-Fraktion inzwischen die Ansichten des Bonner Staats- und Verwaltungswissenschaftlers Richard Thoma zur Gleichheitsfrage zu eigen gemacht. Thoma hatte in einer „Kritischen Würdigung des vom Grundsatzausschuß beschlossenen und veröffentlichten Grundrechtskatalogs" am 25. Oktober 1948 seine Verbesserungsvorschläge zum Grundrechtskatalog an den Parlamentarischen Rat gerichtet.23 Darin stellte er zum GleichheitsFortsetzung Fußnote von Seite 205 stand „grundsätzliche Übereinstimmung", so d a ß es zu „keinen bedeutenden Meinungsverschiedenheiten oder Manövern im Rat k a m " (ebd., S. 92). 20 Zur Entstehungsgeschichte des Gleichheitsartikels: Doemming, Klaus-Berto/ Füßlein, Rudolf W e r n e r / M a t z , Werner: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts 1951; Hilweg-Reich, Ines: M ä n n e r u n d Frauen sind gleichberechtigt. Der Gleichberechtigungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 G G ) in der parlamentarischen Auseinandersetzung 1948-1957 u n d in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1953-1975, Frankfurt 1979; Feuersenger, M a r i a n n e : Die garantierte Gleichberechtigung. Ein umstrittener Sieg der Frauen, Freiburg 1980; Späth, Antje: Vielfältige Forderungen nach Gleichberechtigung u n d „ n u r " ein Ergebnis: Artikel 3 Absatz 2 G G , in: Frauen in der Geschichte V. Hrsg. von Anna-Elisabeth Freier u n d Annette K u h n , Düsseldorf 1984, S. 122-167. 21 Fassung Grundsatz-Ausschuß (I. Lesung) vom 7. Oktober 1948. Drucksache Nr. 143 bzw. Grundgesetz (Entwurf)· Formulierung der Fachausschüsse (Stand 18. Oktober 1948). Drucksache Nr. 203, in: Parlamentarischer Rat. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe). Formulierungen der Fachausschüsse, des Allgemeinen Redaktionsausschusses, des Hauptausschusses u n d des Plenums. Bonn 1948/1949, Bonn 1949, S. 3. 22 Schwanecke, Inge Beate: Die Gleichberechtigung der Frau unter der Weimarer Reichsverfassung, Heidelberg (Diss.) 1931. 23 Drucksache Nr. 244 vom 25. Oktober 1948, in: Parlamentarischer Rat. Fundstellenverzeichnis zum Grundgesetz (Entwurf), Bonn 1948/49, Bonn 1949, S. 20.

1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

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artikel fest, daß es „eine Irrlehre" und „offensichtlich falsch sei" zu glauben, der Gesetzgeber könne dazu verpflichtet werden, allen Menschen gleiche Rechte und Pflichten zuzuteilen. Dieser Glauben entspringe einer „Mißachtung des demokratischen Gesetzgebers", und dem Artikel 19 müsse, um Mißverständnissen vorzubeugen, ein weiterer Absatz folgen, der ausspricht, „ d a ß es im übrigen Pflicht und Recht des Gesetzgebers sei, im Dienste der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls Gleiches gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln". Nach Thomas Vorstellung sollte ein Zusatz zum Gleichheitsartikel lauten: „Im übrigen ist es Aufgabe der Gesetzgebung, im Streben nach Gerechtigkeit und im Dienste des Gemeinwohls Gleiches gleich, Ungleiches verschieden zu behandeln, oder auch nach seiner Eigenart verschieden zu behandeln". Außerdem sprach sich Thoma dafür aus, daß „nach dem Vorbild der Weimarer Verfassung das Wort 'grundsätzlich', welches Ausnahmen für statthaft erklärt, wieder eingefügt" wird. Thoma wollte mit den Vorschlägen einerseits zum Ausdruck bringen, daß nicht jeder Mensch gleich behandelt werden könne, da es Abstufungen in der Gleichheit und damit Ungleichheit gäbe. 24 So könnten einem schwer geistig Behinderten nicht die gleichen Rechte und Pflichten zugestanden werden wie einem geistig Normalen, und die Frau bedürfe aufgrund ihrer biologischen Besonderheit eines besonderen ( A r b e i t s s c h u t zes. Bis zu diesem Punkt waren seine Darlegungen wohl richtig. Andererseits gingen die von ihm vorgeschlagenen Textänderungen eindeutig zu Lasten der Frau. Denn sie ließen bewußt die Möglichkeiten offen, die Frau in allen Lebensbereichen wegen ihrer „Ungleichheit" ungleich zu behandeln und damit letztlich zu benachteiligen. Seine Vorschläge waren im besten Fall eine Festschreibung des status quo von 1919. Der Redaktionsausschuß des Parlamentarischen Rates griff den Wunsch der Christdemokraten nach Aufnahme der Thomaschen Vorschläge auf und formulierte den Gleichheitsartikel um, dessen Neufassung nun lautete: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich; (2) Der Gesetzgeber muß Gleiches gleich, Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln ; (3) Jedoch darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Rasse, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden. 25 (Variante IV) 24

Nach 1945 hat in der Literatur erstmals Ludwig Raiser (Der Gleichheitsgrundsatz im Privatrecht, in: Zeitschrift für das gesamte Handels- und Konkursrecht 1948, S. 75-101) den „Gleichheitsgrundsatz", nach dem „Gleiches gleich, Ungleiches ungleich" behandelt werden soll, erörtert. 25 Drucksache Nr. 282 vom 16. November 1948, in: Parlamentarischer Rat. Fundstellenverzeichnis, S. 20.

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Diese Fassung des Gleichheitsartikels löste in der SPD-Fraktion eine Kontroverse aus. Die Abgeordnete Elisabeth Seibert, Rechtsanwältin und Notarin aus Kassel, trat dafür ein, unbedingt die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Verfassung zu verankern, und es gelang ihr, sich mit ihrer Forderung durchzusetzen, so daß die SPD-Fraktion einen Änderungsantrag stellte, mit dem beabsichtigt wurde, in Absatz (2) mit der Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" die Gleichberechtigung festzuschreiben.

1.3.

Die Diskussion im Ausschuß für Grundsatzfragen über den Gleichheitsartikel

Als der Ausschuß für Grundsatzfragen zu seiner 26. Sitzung am 30. November 1948 zusammentrat, lag ihm der vom Redaktionsausschuß erarbeitete Gleichheitsartikel (Variante IV) und der Abänderungsantrag der SPDFraktion vor. Die Ausgangslage war jedoch äußerst ungünstig, den Gleichberechtigungsanspruch durchzusetzen. In der SPD war der Antrag umstritten, so daß von den sieben männlichen SPD-Ausschußmitgliedern nur bedingt ein Einsatz für die Gleichberechtigung der Frau erwartet werden durfte. Zudem war Elisabeth Seibert, die sich so engagiert für den Änderungsantrag eingesetzt hatte, nicht Mitglied des Ausschusses für Grundsatzfragen, und von der Leiterin der Arbeiterwohlfahrt in Westfalen, Frieda Nadig, die in den bisherigen Ausschußsitzungen nicht besonders hervorgetreten war, konnte nicht erwartet werden, daß sie zu einem verbalen Angriff übergehen würde. Schließlich hatten CDU/CSU und FDP kein Interesse daran, daß die zivilrechtliche Stellung der Frau geändert wurde. Und von der Christdemokratin Helene Weber,26 der zweiten Frau im Ausschuß, war auch kein Votum für eine Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse zu erwarten. Ihr Anliegen - und das schon seit Jahrzehnten - war die Gleichstellung von Mann und Frau im öffentlichen Dienst, worunter sie gleiche Aufstiegschancen für die Frau verstand, und im übrigen trat sie,

26

Die 68jährige Helene Weber war im Kaiserreich zunächst Volksschullehrerin, dann nach Studium in Bonn und Grenoble Oberlehrerin gewesen. Während des Ersten Weltkrieges wurde sie beurlaubt, um eine soziale Frauenschule in Köln, später in Aachen zu leiten. Zugleich war sie Vorsitzende des „Vereins katholischer Sozialbeamtinnen" und Mitglied des „Frauenstimmrechtsverbandes". Nach dem Krieg gehörte sie als Zentrumsabgeordnete der Deutschen Nationalversammlung an. Hauptberuflich war sie seit 1919 leitende Beamtin (zuletzt Ministerialrätin) im Preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt, bis sie 1934 von den Nationalsozialisten entlassen wurde.

1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

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wie ihre Kirche, dafür ein, „daß die Frau für das Familienleben frei wird". 27 Trotzdem stand bei Beginn der Sitzung noch nicht fest, welche Entwicklung die bevorstehende Diskussion nehmen würde. Um Überraschungen möglichst auszuschalten, zog der Ausschußvorsitzende, der Staats- und Völkerrechtler Hermann von Mangoldt (CDU), sofort die Verhandlungsführung an sich und dominierte eindeutig die Diskussion. Mangoldt wußte natürlich, daß der Absatz (1) „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" die Gleichheit der Frau mitbeinhaltete, und in der Weimarer Republik hatte diese Formulierung den Gerichten Anlaß geboten, in Teilbereichen der Frau die Gleichberechtigung zuzugestehen. 28 Es galt also diese Gleichheit einzuschränken und deshalb war ja auch der Thomasche Zusatz von der ungleichen Gleichheit in den Gleichheitsartikel aufgenommen worden. Mangoldt sprach sich zunächst zum Schein gegen den Thomaschen Zusatz aus („Ich weiß nicht, ob wir den Weg gehen sollen, der hier vorgeschlagen ist"), 29 um dann die Ausschußmitglieder mit verschiedenen Formen der Ungleichheit zu konfrontieren. Er stellte dabei eine (vielleicht absichtlich) falsche Behauptung auf („Wenn man sagt: Alle Menschen sind gleich, so zeigt sich doch eben, daß sie praktisch nicht vollkommen gleich sind"), 30 ohne daß er korrigiert wurde. Die Ausschußmitglieder nahmen dem Wissenschaftler fast alles ab, was er sagte. Als Mangoldt die Ausschußmitglieder weitestgehend auf seinen Gedankengang eingeschworen hatte, lenkte er geschickt die Diskussion auf eine andere Ebene, indem er zu bedenken gab, daß die Grundrechte vor der Ungleichheit geschützt werden müßten („absolutes Verbot der ungleichen Behandlung hinsichtlich der Grundrechte"). 31 Sein Gerechtigkeitssinn und seine Besorgnis, die in diesem Wunsch zum Ausdruck kamen, blieben nicht ohne Wirkung. Als nach einer Formulierung gesucht wurde, wie der Gesetzgeber sowohl an die Ungleichheit im allgemeinen als auch an die Gleichheit in den Grundrechten gebunden werden könnte, brachte der sozialdemokratische Abgeordnete Bergsträsser den Vorschlag ein: „ D a n n ist eigentlich der Satz des Redaktionsausschusses das Beste". 32 Und dieser Satz war der Thomasche Zusatz. 27

BA-Z 5/34 (Ausschuß für Grundsatzfragen. 26. Sitzung vom 30. November 1948, S. 60). 28 So stellte das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 6. November 1928 (Juristische Wochenschrift 1928, S. 1119) fest, daß die Gehaltssätze der Besoldungsordnung ohne weiteres auf weibliche Beamte mit gleichem Pflichtenkreis anwendbar seien. 29 BA-Z 5/34 (Ausschuß für Grundsatzfragen. 26. Sitzung vom 30. November 1948, S. 44). 30 Ebd., S. 46. 31 Ebd., S. 51. 32 Ebd., S. 56.

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Damit hatte Mangoldt erreicht, was er wollte. Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz wurde durch den Zusatz von der Ungleichheit wieder relativiert, eine volle Gleichberechtigung von Mann und Frau ausgeschlossen. Und sein Zusatz („Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden"), an dem ihm angeblich soviel lag, war nichts anderes als Augenwischerei. Auf diesen Zusatz konnte ohne weiteres verzichtet werden, was der Hauptausschuß später dann auch tat. Von den Ausschußmitglieder wurde der neue Absatz (1) des Grundrechtsartikels einstimmig angenommen : (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden. Nachdem die Taktik des Ausschußvorsitzenden aufgegangen war, erklärte er großzügig: „In den Absatz (2) könnten wir die Männer und Frauen hineinnehmen", 33 und er plädierte dafür, den vom Ausschuß bereits vorgeschlagenen - vom Redaktionsausschuß aber wieder fallengelassenen - Passus „Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten" aufzunehmen. Auf die Einschränkung „grundsätzlich dieselben" verzichtete er, da im Absatz (1) die entscheidenden Vorbehalte gegenüber einer Gleichberechtigung von Mann und Frau schon formuliert waren. An dieser Stelle der Diskussion meinte Frieda Nadig: „Es ist besser, zu sagen: Männer und Frauen sind gleichberechtigt".34 Der Vorsitzende wollte dann von ihr wissen, ob sie diese Vorschrift auf irgendwelche Rechte ausdehnen wollte, die nicht staatsbürgerliche Rechte wären. Frau Nadig gab zu Protokoll: „Ich denke an das, was unbedingt kommen muß, an die Neugestaltung des Familienrechts, insbesondere die Stellung der Ehefrau". Darauf der Vorsitzende: „Darin sehe ich große Schwierigkeiten". Und Thomas Dehler, der als Vertreter des Redaktionsausschusses der Diskussion beiwohnte, sekundierte ihm: „Dann ist das Bürgerliche Gesetzbuch verfassungswidrig". Frau Nadig konterte: „In den Übergangsbestimmungen muß eine Regelung bis zur Neugestaltung des Familienrechts getroffen werden". 35 Jetzt stand alles bisher Erreichte auf der Kippe. Wenn sich Frau Nadig mit ihrem Vorschlag durchsetzen sollte, mußte der bereits abgehakte Absatz (1) neu behandelt werden und damit wäre Mangoldt's Taktik und das christdemokratische Vorhaben, den Frauen nur eine partielle Gleichberechtigung zuzugestehen, gescheitert. Unterstützung fand Mangoldt bei Thomas Dehler, der sich nicht nur dem Vorschlag des Vorsitzenden anschloß, sondern sich zugleich auch dafür aussprach, wieder die Einschrän33 31 35

Ebd., S. 58. Ebd. Ebd.

1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

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kung („grundsätzlich dieselben") mitaufzunehmen, ohne aber mit dieser letzten Forderung durchzukommen. Mangoldt griff die ihm zuteilgewordene Hilfestellung auf und - um mögliche sozialdemokratische Einwände zu zerstreuen und auch um Frau Nadig zu beruhigen - wies er auf den Absatz (3) hin, demzufolge „Niemand seines Geschlechts wegen ... benachteiligt oder bevorzugt werden" darf, und erklärte, daß in einer Übergangsvorschrift der Absatz (3) „nach manchen Richtungen noch auszusetzen" sei.36 Darunter fielen seiner Interpretation nach „die übrigen Dinge des bürgerlichen Rechts". Mit dieser Konstruktion, deren Spitzfindigkeit Frau Nadig wahrscheinlich während der Diskussion gar nicht durchschaute, hatte Mangoldt die letzte Hürde überwunden, denn Einspruch gegen seine Interpretation wurde von den Sozialdemokraten nicht erhoben. Als Frau Nadig im weitern Verlauf der Diskussion darauf hinwies, daß der Absatz (2) mit der Zuerkennung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten eigentlich „nichts anderes sagt als das, was wir bereits haben", war es reiner Hohn, als der Vorsitzende feststellte, daß der Absatz (2) ein „Fortschritt" sei, denn jetzt werde „ein Satz, der einmal umkämpft worden i s t . . . verfassungsrechtlich gesichert". 37 Die Abstimmung über den Grundsatzartikel, der jetzt unter Artikel 4 geführt wurde, war nur noch Formsache: er wurde einstimmig angenommen, und lautete nun: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden. (2) Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten (3) Niemand darf seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung wegen benachteiligt oder bevorzugt werden. 38 (Variante V) Frieda Nadig dürfte sich wegen unterlassener Gegenwehr von ihrer Kollegin Elisabeth Seibert Vorwürfe eingehandelt haben, denn einen Tag später, in der 27. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 1. Dezember 1948, unternahm sie einen weiteren Versuch, die Gleichberechtigungsformel durchzusetzen, als sie feststellte: „Die jetzige Formulierung ist eine Feststellung, die juristisch längst da ist, es ist viel wichtiger, daß man feststellt: Männer und Frauen sind gleichberechtigt, daß diese For36 37 38

Ebd., S. 59. Ebd., S. 61. Ebd., S. 69.

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

mulierung im Grundgesetz klar und eindeutig verankert wird". 39 Aber auch dieses Mal unterließ es Frau Nadig, das Argument, daß in der Koedifizierung der staatsbürgerlichen Gleichheit der „Fortschritt" läge, mit historischen Fakten und mit der aktuellen gesellschaftlichen Situation der Frau zu entkräften und als einen Rückschritt darzustellen. Nach der Ablehnung im Grundsatzausschuß stellte die SPD den gleichen Antrag im Hauptausschuß in der 17. Sitzung am 3. Dezember 1948. Die Begründung des Antrages übernahm Elisabeth Seibert, die unter anderem ausführte, daß die Frau „auf allen Rechtsgebieten die gleichen Rechte wie der Mann haben müsse, denn sie habe in den Kriegsjahren den Mann an der Arbeitsstelle ersetzt" und sich damit den moralischen Anspruch darauf erworben, „so wie der Mann bewertet zu werden". 40 Gegen den möglichen Einwand, daß die beantragte Neuformulierung „mit einem Schlage das bürgerliche Recht verfassungswidrig" mache, gab sie zu bedenken, daß Artikel 4 im Zusammenhang mit der Übergangsbestimmung des Artikels 148 d zu sehen sei, wo für die Reform des bürgerlichen Rechts eine Zeitspanne bis zum 31. März 1953 vorgesehen sei. Die gegen den SPD-Antrag von den Christdemokraten und den Freidemokraten vorgebrachten Gründe waren ähnlich denen, die schon im Ausschuß für Grundsatzfragen vorgebracht worden waren. So erklärte Mangoldt (CDU), daß es bei einer so weitgehenden Fassung (wie sie der SPDAntrag befürworte) unmöglich sei, zu übersehen, was sich daraus ergeben werde. Aufgrund der Übergangsvorschrift würden diese Vorschriften sofort ungültig werden. Und Mangoldt weiter: „Das bisher geltende Recht würde in sich zusammenfallen, und nichts würde an seine Stelle treten". 41 Auch der Sprecher der FDP, Max Becker, warnte vor den Folgen, die eine Annahme des SPD-Antrages mit sich brächte, denn „die Durchführung gerade nach der bürgerlich-rechtlichen Seite (wird) nicht so leicht sein, wie man sie sich denkt". 42 Als Carlo Schmid (SPD) die Ansicht vertrat, daß „die Frau den Anspruch erheben kann, daß ihr zugetraut wird, mit der gleichen Verantwortlichkeit und der gleichen Fähigkeit für ihre Interessen zu sorgen und durch das Leben zu schreiten", 43 wurde ihm vom CDU-Abgeordneten Kaufmann entgegengehalten, daß er den Beweis vermisse, „daß das nicht bereits in der Formulierung des Artikels drinsteht".44 Der SPD-Antrag wurde abgelehnt und mit 11 zu 9 Stimmen die vom 39

BA-Z 35/35 (Ausschuß für Grundsatzfragen. 27. Sitzung 1. Dezember 1948, S. 14). 40 Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des Hauptausschusses. Bonn 1948/49, Bonn 1949, S. 206. 41 Ebd. 42 Ebd., S. 207. 43 Ebd. 44 Ebd., S. 209.

1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

213

Ausschuß für Grundsatzfragen vorgelegte Fassung (Variante V) ohne Abänderungen angenommen. 45 Auf parlamentarischem Weg war, so schien es, damit die Frage der Gleichberechtigung erledigt. Die konservativ-bürgerliche Mehrheit besaß eine ausreichende Mehrheit, den SPD-Antrag, wenn er erneut gestellt werden sollte, auch in den weiteren Lesungen abzuwehren. Wie es aber weitergehen konnte, das hatte Elisabeth Seibert am Schluß ihrer Rede warnend angekündigt. Wenn der SPD-Antrag abgelehnt werden sollte, so die Abgeordnete, würden „in der gesamten Öffentlichkeit die maßgeblichen Frauen" dazu Stellung nehmen, „und zwar derart, daß unter Umständen die Annahme der Verfassung gefährdet" sei.46

1.4.

Öffentlicher Protest und Revision des Gleichheitsartikels

Elisabeth Seibert hatte nicht zuviel versprochen. Nach der Abstimmungsniederlage der SPD nahmen sich Presse und Rundfunk der Sache an und informierten die Öffentlichkeit.47 Daraufhin begannen Frauengruppen mit ihren außerparlamentarischen Aktionen für die Fassung des SPD-Antrages „Männer und Frauen sind gleichberechtigt". Eine Fülle von Eingaben erreichten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates.48 Sie beinhalteten Proteste und Resolutionen. Die Absender waren organisierte Arbeiterinnen der Gewerkschaften, Betriebsrätinnen, Parlamentarierinnen der Landesparlamente, Beamtinnen und weibliche Angestellte kommunaler Behörden, Gemeindevertreterinnen, jedoch auch Frauenvereine und Frauenringe, Frauenarbeitsgemeinschaften, überparteiliche Frauengruppen und einzelne Frauen.49 45

Ebd. Teilabdruck in: Frauen in der Nachkriegszeit 1945-1963. Hrsg. von KlausJörg Ruhl, München 1988, S. 157-159. 46 Ebd., S. 206. 47 Eine Auswahl von Pressestimmen bei: Späth: Vielfältige Forderungen, S. 142— 149, 154-157; vgl. auch: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 159-162. 48 Welchen Einfiuß die amerikanische Militärregierung und die ihr unterstellte „Women's Affairs Section" auf die öffentliche Diskussion nahm, ist bisher noch nicht erforscht worden. Vgl. aber: Rupieper, Hermann-Josef : Bringing Democracy to the Frauleins. Frauen als Zielgruppe der amerikanischen Demokratisierungspolitik in Deutschland 1945-1952, in: Geschichte und Gesellschaft 1991, S. 61-91. 49 BA-Z 5/110-114 (Eingaben an Grundsatzausschuß) Eingaben kamen unter anderem von : (1) Überparteilicher Frauenring, Siegerland, vom 10. Dezember 1948 (2) Frauenring der Britischen Zone vom 14. Dezember 1948 (3) Frauensekretariat des Freien Gewerkschaftsbundes Hessen, vom 15. Dezember 1948 (4) Heidelberger Frauenverein vom 17. Dezember 1948 (5) Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Bielefeld, vom 21. Dezember 1948

214

IV. Gleichberechtigung u n d Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Der Protest richtete sich gegen die Verweigerung der vollen Gleichberechtigung. Die Eingaben wurden großenteils von Frauen gemacht, die erwerbstätig waren. Sie traten jedoch nicht nur für die Erwerbstätigen ein, sondern für die Frauen allgemein. Sie sahen, daß in der vom Hauptausschuß gewählten Formulierung keine verfassungsrechtliche Basis gegeben war für die zivilrechtliche und berufliche Gleichberechtigung von Mann und Frau, und sie sahen ihre Forderungen als berechtigt an. Der öffentliche Protest blieb nicht ohne Wirkung auf die Unionsparteien, die wenige Tage nach Beginn der öffentlichen Diskussion ihr Entgegenkommen signalisierten. Unter den gegebenen Umständen war das der einzig gangbare Weg, wenn die Christdemokraten sich nicht der Gefahr aussetzen wollten, bei den Bundestagswahlen, die demnächst stattfinden sollten, die Frauen, die eine wahlentscheidende Mehrheit bildeten, gegen sich aufzubringen.50 Zehn Tage nach der Sitzung des Hauptauschusses legte die Unionsfraktion der Öffentlichkeit ihren Abänderungsvorschlag zum Absatz (2) vor: „Männer und Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten. Die Gesetzgebung hat dies auf allen Rechtsgebieten zu verwirklichen".51 Der Abänderungsvorschlag, von Helene Weber, Hermann von Mangoldt und Hermann Fechter im Auftrage der Unionsfraktion konzipiert und als CDU-Antrag angenommen, 52 war nur ein scheinbares Zugeständnis an die Frauen.53 Wer sich in der Materie nicht auskannte, mußte anFortsetzung Fußnote von Seite 213 (6) Süddeutscher Frauenarbeitskreis, Nürnberg, vom 21. Dezember 1948 (7) Überparteiliche Frauengruppe, Karlsruhe, vom 27. Dezember 1948 (8) Weibliche Abgeordnete des Niedersächsischen Landtages, Hannover, vom 29. Dezember 1948 (9) Industriegewerkschaft Metall für die Britische Zone u n d Bremen vom 30. Dezember 1948 (10) Industriegewerkschaft Metall, Mühlheim, vom 30. Dezember 1948 (11) Arbeitsgemeinschaft Frauenringe der französischen Z o n e vom 9. Januar 1949 (12) Beamtinnen u n d weibliche Angestellte im Arbeitsamt Frankfurt vom 8. J a n u a r 1949 (13) Frauenausschuß Dunlop, H a n a u , vom 18. J a n u a r 1948. 50 Auch wenn der Protest in erster Linie von politisch engagierten Frauen getragen wurde, so konnte die Union doch nicht sicher sein, ob die „schweigende Mehrheit" nicht auch ähnliche Ansichten vertrat. 51 Die C D U / C S U im Parlamentarischen Rat. Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion. Bearb. von Rainer Salzmann, Bonn 1981, S. 278. 52 In der Vormittagssitzung der C D U / C S U - F r a k t i o n wurden am 13. Dezember 1948 die Abgeordneten Weber, Fecht u n d Mangoldt beauftragt, „ n o c h eine Formulierung (zu) suchen für einen zweiten (Ab-)Satz". Bis zur Abendsitzung war die Formulierung gefunden, mit der sich die Fraktion einverstanden erklärte. Es wurde d a n n Wert darauf gelegt, d a ß „dieser Beschluß der Presse gleich bekanntgegeben" wurde (Die C D U / C S U im Parlamentarischen Rat, S. 273, 278). " Antrag der C D U / C S U - F r a k t i o n vom 14. Dezember 1948. Drucksache Nr. 376, in: Parlamentarischer Rat. Fundstellenverzeichnis, S. 21.

1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

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nehmen, daß den Frauen jetzt die volle Gleichberechtigung von der C D U zugestanden worden war. Das war aber nicht der Fall, denn im Absatz (1) stand immer noch die Bestimmung von der Ungleichheit, und die war maßgebend. Was die Union getan hatte, war letztlich nur eine kosmetische Operation, im Kern war sie aber keinen Deut von ihrer Position abgerückt. Als der Hauptausschuß in seiner 42. Sitzung am 18. Januar 1949 in die zweite Lesung der Grundrechte eintrat, waren die Abgeordneten der C D U und der F D P um eine Schadensbegrenzung bemüht. 54 Einerseits zollten sie dem öffentlichen Protest Respekt, um aber im gleichen Atemzug zu betonen, dieses „Quasi-Stürmlein", 55 so der Freidemokrat Theodor Heuss, habe sie nicht zu einem Sinneswandel veranlaßt. Andererseits stellten sie sich als Mißverstandene hin, die eigentlich schon immer für die Gleichberechtigung der Frau gewesen wären." So erklärte Staatssekretär Walter Strauß (CDU), daß der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau „uns zumindest seit 1918 in Fleisch und Blut übergegangen ist, so daß uns die (öffentliche) Debatte etwas überrascht hat". 57 Die Union hätte hier wohl einen Fehler begangen: „Wir haben die Dinge zu juristisch und zu wenig politisch gesehen". Helene Weber unterstützte seine Argumentation mit der Bemerkung: „Es liegt uns ja gar nichts an einer bestimmten Formulierung - wenn diese Formulierung unklar und unzureichend erscheint, dann wählen wir eine andere Formulierung". 58 Im Namen seiner Fraktion erklärte sich dann der Abgeordnete Hermann Fecht, zugleich badischer Justizminister, bereit, den SPD-Antrag („Männer und Frauen sind gleichberechtigt") anzunehmen, jedoch sollte 54 Zur Vorbereitung auf die zweite Lesung im Hauptausschuß war die Variante V noch einmal im Ausschuß für Grundsatzfragen durchgesprochen worden. An der Fassung wurde festgehalten; zur Verbesserung des Satzbaues in Absatz (3) das Wort „wegen" weiter vorgezogen. Abgelehnt wurde vom Ausschuß der Vorschlag des Redaktionsausschusses, den dritten Satz im Absatz (1) zu streichen. Mangoldt hielt das für „irrig", da „dann dem Gesetzgeber überhaupt keine Schranken gezogen (seien)" (BA-Z 12/50 [Kurzprotokoll der 42. Sitzung des Hauptausschusses, S. 56]). 55 Parlamentarischer Rat, S. 542. 56 Die Abgeordnete Elisabeth Seibert sprach von einem „Sturm, der draußen in der Öffentlichkeit durch die Abstimmung bei der ersten Lesung im Hauptausschuß ausgelöst wurde" (Parlamentarischer Rat, S. 539). Auch Helene Weber sprach von einem „großen Sturm", der aus den verschiedensten Gruppen entstanden sei (ebd.). Nachdem weitere Debattenredner über den „großen Sturm" Ausführungen gemacht hatten, sah sich Theodor Heuß zu der Bemerkung veranlaßt: „Ich bin kein Fachmann für Meteorologie. Infolgedessen weiß ich nicht genau, wie man Stürme macht oder wie sie entstehen. Aber man muß offenbar das, was in den Zeitungen und Zeitschriften drin war, als Sturm ansehen, während es doch nur ein wildgewordenes Mißverständnis ist" (ebd., S. 542). Zur Bewertung der Protestwelle vgl. Späth: Vielfältige Forderungen, S. 150-153. 57 Parlamentarischer Rat, S. 538. 58 Ebd., S. 539.

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

die CDU/CSU-Formel („Die Gesetzgebung hat dies auf allen Rechtsgebieten zu verwirklichen") mitaufgenommen werden.59 Einstimmig wurde daraufhin der Artikel 4 angenommen, der nun lautete: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Die Gesetzgebung hat dies auf allen Rechtsgebieten zu verwirklichen. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.60 (Variante (VI) Der Union war es durch scheinbares Nachgeben gelungen, die im Absatz (1) aufgeführten Bestimmungen über die ungleiche Behandlung zu retten, und damit war nach wie vor die volle Gleichberechtigung der Frau in Frage gestellt. Aber dann, ganz überraschend, gab die Union nach längeren Diskussionen im Fünfer-Ausschuß den Widerstand auch gegen die von ihr eingebrachte Forderung im Absatz (1), an der sich weiterhin die Öffentlichkeit stieß,61 auf und stimmte in der 47. Sitzung des Hauptausschusses am 8. Februar 1949 in dritter Lesung einer überarbeiteten Fassung des Artikels 4 zu: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden.62 (Variante VII) Gleichzeitig war sie damit einverstanden, daß die zivilrechtlichen Bestimmungen, die dem Artikel 4, Absatz (2), entgegenstanden, solange nur 59

Ebd., S. 542-543. Ebd., Nr. 544. Vgl. auch: Grundgesetz (Entwurf). Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zur Fassung der 2. Lesung des Hauptausschusses (Stand: 25. Januar 1949). Drucksache Nr. 543, in: Parlamentarischer Rat. Grundgesetz, S. 119-120. 61 Grundgesetz (Entwurf). Vorschlag des Fünferausschusses für die 3. Lesung des Hauptausschusses (Stand: 5. Februar 1949). Drucksache Nr. 591, in: Parlamentarischer Rat. Grundgesetz, S. 173. 62 Parlamentarischer Rat, S. 613; Grundgesetz (Entwurf). Fassung der 3. Lesung des Hauptausschusses (Stand: 10. Februar 1949) in Gegenüberstellung mit der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses (Stand: 2. Mai 1949). Drucksache Nr. 751, in: Parlamentarischer Rat. Grundgesetz, S. 196.

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1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

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in Kraft bleiben sollten, bis eine Anpassung an diese Vorschrift erfolgt war, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953." Diese Anpassungsvorschrift wurde im Artikel 138 festgehalten. Bei der endgültigen Zusammenstellung des Grundgesetzes der Bundesrepublik wurden einzelne Artikel auf neue Positionen geschoben. So wurde schließlich der Gleichheitsartikel unter Artikel 3 und die Anpassungsvorschrift unter Artikel 117 geführt. Ohne Zweifel war das Nachgeben der Christdemokraten für die Öffentlichkeit eine Überraschung. Aber es war nicht, wie manche Zeitungen glaubten, eine eingestandene Niederlage, und schon gar nicht war diese Handlung als ein Verzicht auf die vorgetragenen Forderungen nach der eingeschränkten Gleichberechtigung der Frau zu bewerten. Dem Entschluß lagen wahltaktische Überlegungen zugrunde: es war der Union daran gelegen, allen Ballast loszuwerden, der im Bundestagswahlkampf gegen sie verwertet werden konnte. Jedoch waren Juristen an dieser Entscheidung in hohem Maße beteiligt. Denn sie waren nach der Lektüre der Protokolle des Parlamentarischen Rates zu dem Ergebnis gelangt, daß die Union ohne weiteres auf die in der Öffentlichkeit beanstandeten Formulierungen verzichten konnte, ohne damit ihre Position wesentlich zu verschlechtern. Die Juristen stellten nämlich fest, daß alle Abgeordneten, die sich zur Gleichberechtigung der Frau geäußert hatten, sich gegen eine unterschiedslose Gleichberechtigung ausgesprochen hatten.64 Nun hatten sich die Fraktionen bei Beginn der Beratungen im Parlamentarischen Rat darauf geeinigt, daß die Gesprächsprotokolle den Gerichten als Unterlagen zur Auslegung der Verfassungsartikel dienen sollten, gewissermaßen als Beweismaterial.65 Denn in den Protokollen ließen sich die Gedankengänge der Abgeordneten rekonstruieren und somit nachvollziehen, welche Absicht sie mit diesem oder jenen Artikel oder Absatz verfolgten. Da in den Protokollen nun deutlich zum Ausdruck kam, daß die Gleichberechtigung der Frau in einem eingeschränkten Sinn zu verstehen war,66 konnte die Union ohne weiteres auf ihre Zusätze verzichten. Die Gleichberechtigung der Frau, auch wenn sie in der Verfassung garantiert war, war somit nicht eindeutig und ließ Spielraum für die Juristen. Und eindeutig war auch nicht die Anpassungsbestimmung im Artikel 117. 63

Parlamentarischer Rat. Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Drucksache Nr. 850, 859) erstattet von den Berichterstattern des Hauptausschusses für das Plenum. Bonn 1948/49, Bonn 1949, S. 8. 64 Maßfeiler, Franz: Das neue Familienrecht. Gleichberechtigung von Mann und Frau. Gesetzentwurf, Frankfurt 1952, S. 37-38. 65 Parlamentarischer Rat, S. 53. 66 Parlamentarischer Rat. Sach- und Sprechregister zu den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates und seines Hauptausschusses 1948/49, Bonn 1949, S. 56-57.

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Denn nach Artikel 117 sollte nur das dem Artikel 3, Absatz (2) entgegenstehende Recht bis zur Anpassung, längstens bis zum 31. März 1953, in Kraft bleiben, nicht aber das dem Artikel 3, Absatz (3) entgegenstehende Recht, also jene Vorschriften, durch die niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt wird. Dadurch, daß Artikel 3, Absatz (3) hinsichtlich des Geschlechts die Bestimmung in Artikel 3, Absatz (2) inhaltlich wiederholt, in Artikel 117 aber nur Absatz (2) erwähnt, war es möglich die in Artikel 117 gewährte Frist hinauszuschieben. 67

1.5.

Widerstände der Parteien gegen die Festschreibung einer Sozial- und Wirtschaftsordnung

Parallel zur Auseinandersetzung über die Gleichberechtigung der Frau fand im Parlamentarischen Rat eine Debatte statt, in der die alte Forderung, daß der Frau der gleiche Lohn zugestanden werden muß wie dem Mann, wenn beide die gleiche Leistung erbringen, diskutiert wurde. Die Debatte wurde geführt, als die Abgeordneten sich darüber Gedanken machten, ob es sinnvoll wäre, in der Verfassung eine Sozial- und Wirtschaftsordnung festzuschreiben. Nach dem Krieg, als Parteien wieder zugelassen wurden, war die Bereitschaft der Politiker groß, die bisherige Sozial- und Wirtschaftsordnung einer tiefgreifenden Revision zu unterziehen und die Großindustrie, der Mitschuld am Nationalsozialismus und am Krieg vorgeworfen wurde, unter staatliche Kontrolle zu stellen. Die Parteiprogramme der ersten Stunde künden von diesem Bemühen, sie zeigen aber auch, daß bei allen Unterschieden im Detail ein großes Maß an Gemeinsamkeit unter den Parteien bestand. 68 So plädierten die Sozialdemokraten und große Teile der Gewerkschaften für einen gemäßigten „demokratischen Sozialismus", der eine Überführung der Großindustrie in Gemeineigentum vorsah, weiterhin für eine dezentrale Wirtschaftslenkung und für die Beibehaltung der privatwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse im Bereich der mittelständischen Betriebe. 69 Diesem Konzept, wenn auch unterschiedlich begründet, stand der „christliche Sozialismus" nicht allzu fern, der vor allem von Teilen der 67

BA-B 141/2055 (Vermerk betr.: Gleichberechtigung der Frau vom 22. Dezember 1949). 68 Zu den einzelnen Parteiprogrammen: Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945. Bearb. und hrsg. von Ossip Flechtheim. Band 2, Berlin 1963. 69 Ott, Erich: Die Wirtschaftskonzeption der SPD nach 1945, Marburg 1978; Huster, Ernst-Ulrich: Die Politik der SPD 1945-1950, Frankfurt 1978, S. 35-41 ; Bernecker, Walther L. : Die Neugründung der Gewerkschaften in den Westzonen 1945- 1949, in: Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 261-292.

1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

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C D U und der katholischen Kirche befürwortet wurde. 70 Für einen „OrdoLiberalismus", der unter Beibehaltung privater Eigentumsformen für einen geregelten Wettbewerb und für einen kompensatorischen Ausgleich für sozial Schwache sorgen sollte, traten andere Teile der CDU, aber auch die FDP, ein.71 Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und wirksamer Kontrolle unternehmerischer Aktivitäten fand Eingang in zahlreiche Länderverfassungen. Nach den ersten Wahlen in den Ländern der britischen und amerikanischen Besatzungszone waren die Sozialdemokraten bemüht, die Wirtschafts- und Innenressorts in den Besitz zu bekommen, um ihre Vorstellungen, bis hin zur Sozialisierung der Grundstoffindustrie, verwirklichen zu können. 72 Nach dem Zusammenschluß der Bizone kam es bei der Besetzung des Wirtschaftsressorts des Vereinigten Wirtschaftsgebiets zu einer Auseinandersetzung zwischen der C D U / C S U und der SPD. Mit der Begründung, daß die SPD bereits alle acht Wirtschaftsministerien in den Ländern der Bizone besetzt halte, war die C D U nicht bereit, der SPD auch noch das Wirtschaftsressort im Vereinigten Wirtschaftsgebiet zu überlassen. 73 Als die SPD bei der Kampfabstimmung unterlag, zog sie verärgert alle Kandidaten, also auch diejenigen, die sie als Anwärter für die anderen Ressorts genannt hatte, zurück und überließ so den anderen Parteien die Besetzung sämtlicher Direktorenposten. 74 Damit vergab sie die Chance, an der weiteren Gestaltung der Sozial- und Wirtschaftsordnung entscheidend mitzuwirken, und die wurde immer stärker auf einen marktwirtschaftlichen Kurs ausgerichtet. Protagonisten dieses Kurses, die einen freien Wettbewerb und die Privatisierung der Produktionsmittel befürworteten, waren der Direktor der Wirtschaftsverwaltung Johannes Semmler (CSU) und vor allem der ab März 1948 amtierende Ludwig Erhard (CDU), denen es gelang, sich gegenüber den Anhängern des christlichen Sozialismus durchzusetzen. Im Frankfurter Wirtschaftsrat kam es schließlich zu einem mehrheitsbildenden Bündnis zwischen der C D U und der FDP, die ein liberal-konservati70

Focke, Franz: Sozialismus aus christlicher Verantwortung. Die Idee eines christlichen Sozialismus in der katholisch-sozialen Bewegung und in der C D U , Wuppertal 1981, S. 198-218; Uertz, Rudolf: Christentum und Sozialismus in der frühen C D U . Grundlagen und Wirkungen der christlich-sozialen Ideen in der Union 1945-1949, Stuttgart 1981. 71 Schulz, Gerhard: Die C D U - Merkmale ihres Aufbaus, in: Parteien in der Bundesrepublik. Studien zur Entwicklung der deutschen Parteien bis zur Bundestagswahl 1953, Stuttgart 1955, S. 3-153; Gutscher, Jörg Michael: Die Entwicklung der F D P von ihren Anfängen bis 1961, Meisenheim 1967, S. 53-67. 72 Grebing, Helga/Pozorski, Peter/Schulze, Rainer: Die Nachkriegsentwicklung in Westdeutschland 1945-1949, Stuttgart 1980, S. 172. 73 Huster: Die Politik der SPD, S. 56; Ciasen, Christoph: Der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1947-1949, Freiburg (Magisterarbeit) 1981, S. 67. 74 Ebd., S. 68.

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

ves, ebenfalls vorwiegend mittelständisch geprägtes Programm vertrat, und einigen anderen kleineren bürgerlichen Parteien wie der niedersächsischen Deutschen Partei (DP).75 Als die Sachverständigen auf der Insel Herrenchiemsee im August 1948 über ihren Verfassungs-Bericht berieten, stellte sich ihnen auch die Frage, ob sie in der Verfassung eine Sozial- und Wirtschaftsordnung verankern sollten. Sie kamen überein, die „Lebensordnung", worunter sie eine Sozial- und Wirtschaftsordnung verstanden, auszuklammern und diesen Bereich nicht in der Verfassung zu kodifizieren, sondern durch die Gesetzgebung regeln zu lassen.76 Mit dieser Entscheidung entzogen sie sich dem Vorwurf, parteilich zu sein, was der Fall gewesen wäre, wenn sie dem sozial· und wirtschaftspolitischen Kurs der Christdemokraten oder den Vorstellungen der Sozialdemokraten den Vorzug eingeräumt hätten. Als der Parlamentarische Rat zusammentrat, stand er vor der Entscheidung, ob er dieser Vorgabe des Konvents von Herrenchiemsee folgen sollte; und darüber wurde in den ersten Sitzungen des Hauptausschusses und dann im Ausschuß für Grundsatzfragen sehr intensiv diskutiert.77 Die Tendenz zeichnete sich schon nach den ersten Äußerungen ab: die Parteien waren nicht interessiert an der Aufnahme von Bestimmungen für eine Sozial-und Wirtschaftsordnung. So führte in der 2. Sitzung des Hauptausschusses am 8. September 1948 der sozialdemokratische Abgeordnete Carlo Schmid in seiner Grundsatzerklärung aus, daß es sich bei einem Provisorium, wie dem Grundgesetz, an dem sie arbeiten würden, empfehlen würde, anstatt der „Rechtsbestimmungen über die sogenannten Lebensordnungen (...) einen recht klaren und wirksamen Katalog von Individual-Grundrechten aufzustellen". 78 Theodor Heuss (FDP) zeigte sich sehr einverstanden mit dem „Verzicht auf den Gedanken der sozialwirtschaftlichen Ordnung". 79 Als Hauptargument gegen die Aufnahme von Lebensordnungen gaben die Abgeordneten einerseits verfassungsrechtliche Bedenken an, etwa Carlo Schmid in der 2. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 16. September 1948, als er sich gegen die „sogenannten Lebensordnungen" aussprach, da die Verfassung „nur ein Notdach (ist), und zudem (ist) ein Drittel des Volkes zur Bestimmung dieser Lebensordnungen noch nicht zugelassen."80 Andererseits wurde ökonomisch argumentiert, wenn zum Beispiel der Christdemokrat Josef Schräge meinte: „Wir sind ein ar75

Birke, Adolf M.: Nation ohne Haus. Deutschland 1945-1961, Berlin 1989, S. 142. Sörgel: Konsensus und Interessen, S. 14. 77 Niclauß, Karlheinz: Der Parlamentarische Rat und das Sozialstaatspostulat, in: Politische Vierteljahrsschrift 15, 1974, S. 33-45; Hartwich, Hans-Hermann: Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, Köln 1970, S. 24-25. 78 Parlamentarischer Rat, S. 2. 79 Ebd., S. 44. 80 BA-Z 5/29 (Ausschuß für Grundsatzfragen. 2. Sitzung vom 16. September 1948, S. 13). 76

1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

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mes Volk. (...) Unter solchen Bedingungen kann man in die Verfassung keine Rechte aufnehmen, die schließlich nur zu Illusionen verleiten, (...) falsche Hoffnungen erwecken und zu falschen Schlußfolgerungen verlokken". 81 Ob verfassungsrechtliche oder ökonomische Gründe: beide politischen Lager, das bürgerliche wie das sozialistische, waren an einer offenen Situation interessiert. Sie wollten nicht durch die Verfassung in ihrem Handlungsspielraum eingeengt werden, 82 und sie setzten ihre Hoffnungen auf die Bundestagswahlen. Wer auch immer als Sieger aus ihnen hervorgehen würde, der konnte seine sozial- und wirtschaftspolitische Konzeption durchsetzen. Und beide Lager waren optimistisch, daß die Wählergunst ihnen zufallen würde. Als die Abgeordneten sich festlegten, keine Wirtschafts- und Sozialordnung in der Verfassung festzuschreiben, stand ein Nutznießer dieses Entschlusses bereits fest, und das war die Unternehmerschaft. Ihre Verbände hatten das konservativ-bürgerliche Lager wiederholt gedrängt, für die Sicherung der unternehmerischen Autonomie zu sorgen und in Eingaben und Vieraugengesprächen gefordert, auf grundgesetzliche Bestimmungen über die künftige Sozialordnung der Bundesrepublik zu verzichten.83 Im Forderungskatalog der Verbände wurde auch der Wunsch nach mehr Bundeskompetenz im Gesetzgebungsbereich artikuliert. Dahinter verbarg sich die Absicht, die in einigen Länderverfassungen enthaltenen unternehmerfeindlichen Bestimmungen durch höherrangiges Bundesrecht zu überwinden. 84 Als eine Selbstverständlichkeit sahen es die Verbände an, daß die Lohn- und Tarifgestaltung wie bisher in Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Gewerkschaften zu erfolgen habe.

1.6.

Das Votum des Parlamentarischen Rates für Lohngleichheit von Mann und Frau

Als der Abgeordnete Ludwig Bergsträsser (SPD) in der 3. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 21. Septemberr 1948 den Ausschußmitgliedern seine Vorstellungen vortrug, was seiner Ansicht nach alles in einem Gleichheitsartikel aufgeführt werden müßte, da nannte er im Absatz (5) die Lohngleichheit: „Frauen und Jugendliche haben für gleiche " Ebd., S. 22. 82 Außerdem ist es fraglich, ob die Parteien in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit in der Lage gewesen wären, einen Kompromiß zu erarbeiten. Ihre Positionen lagen doch zu sehr auseinander. 83 Sörgel: Konsensus und Interessen, S. 214-224. 84 Vgl. die Denkschrift: Zum westdeutschen Grundgesetz. Beschluß der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern der Vereinigten Wirtschaftsgebiete. Hauptausschußsitzung, München, den 4. Oktober 1948, abgedruckt in: Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. 60-62.

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Tätigkeit und gleiche Leistung Anspruch auf gleichen Lohn". 85 Ob es angebracht sei, diesen Absatz (5) in den Gleichheitsartikel aufzunehmen, darüber wurde in der 6. Ausschußsitzung am 5. Oktober 1948 diskutiert. Bergsträsser räumte bei seiner Begründung ein, daß es „strittig" sei, ob die Lohngleichheit zur Sozialordnung oder zur Gleichheit gehöre, aber er vertrat die Meinung, „es gehört einfach zur Gleichheit und ist ein Ausflug der Gleichheit". 86 Die Ausschußmitglieder waren nicht bereit, sich Bergsträssers Argument anzuschließen. Der Vorsitzende Mangoldt (CDU) befürchtete Forderungen auch von anderer Seite („wenn wir anfangen, nach einer Seite zu konkretisieren"), und er wies daraufhin, daß dieser Punkt eigentlich zur sozialen Ordnung gehöre, und von dieser Materie sollten sie sich fernhalten. 87 Frieda Nadig sah es ähnlich („gehört nicht unbedingt hier in die Verfassung herein"), sie gab aber zu bedenken, daß der augenblicklichen Situation der Frau Rechnung getragen werden würde, wenn in der Verfassung der Anspruch auf gleichen Lohn verankert würde. Und Frau Nadig weiter: „Wir haben das Gros der Frauen, die auf dem (Lohn-)Gebiet nicht zu ihrem Recht kommen, und eine solche Forderung in der Verfassung könnte eine wirklich grundsätzliche Änderung bedeuten". Sie schlug vor, eine Formulierung zu suchen, „die das ausdrückt, also nicht den sozialpolitischen Anspruch, sondern den Anspruch dieser Kreise". 88 Eine Einigung über die Lohngleichheit konnten die Ausschußmitglieder nicht erzielen, nachdem auch noch das Problem der Ortsklassen und das damit verbundene Lohngefälle zwischen Stadt und Land angeschnitten worden war. Der Vorsitzende schlug dann vor, diese Frage solange zurückzustellen, bis sich die einzelnen Fraktionen darüber verständigt hätten. 89 In den Fraktionssitzungen der C D U / C S U wurde diese Frage nicht diskutiert, obwohl eine Aussprache angekündigt wurde. In der Sitzung vom 4. November 1948 wurde jedoch kein Widerspruch angemeldet, als Helene Weber vorschlug, den Passus „Männer und Frauen stehen bei Wahl und Ausübung des Berufes gleich, verrichten sie gleiche Arbeit, so haben sie Anspruch auf gleiche Entlohnung" im Gleichheitsartikel aufzunehmen. Als Begründung führte sie an, daß mit einem Antrag der SPD zu rechnen sei, „und es wäre besser, dem zuvorzukommen" 9 0 . Die Mitglieder des Ausschusses für Grundsatzfragen erörterten das Problem der Lohngleichheit erst wieder in der 26. Sitzung am 30. November, 85

BA-Z 5/29 (Ausschuß für Grundsatzfragen. 3. Sitzung vom 21. September 1948). BA-Z 5/30 (Ausschuß für Grundsatzfragen. 6. Sitzung vom 5. Oktober 1948), Blatt 28). 87 Ebd., Blatt 287. 88 Ebd., Blatt 291. 89 Ebd., Blatt 293. 90 Die C D U / C S U im Parlamentarischen Rat, S. 128. 86

1. Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat

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und das war dieselbe Sitzung, in der es Mangoldt gelang, die SPD-Formulierung („Männer und Frauen sind gleichberechtigt") abzuwehren. Und Mangoldt war es auch, der wesentlichen Anteil daran hatte, daß die Lohngleichheit im Gleichheitsartikel keine Berücksichtigung fand. In der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion hatte er noch Frau Webers Antrag unterstützt („ließe sich hereinbringen"), 91 wenn er jetzt von einer Unterstützung Abstand nahm, dann tat er das nicht etwa aus wirtschaftspolitischen Überlegungen, weil er ein Lobbyist der Wirtschaftsverbände war, sondern seine Abwehr muß in Zusammenhang mit seinem Bemühen gesehen werden, den Frauen die Gleichberechtigung generell nicht zu gewähren. Hätte er Frau Webers Antrag unterstützt, dann hätte die SPD ihn der Inkonsequenz überführen können, und so mußte er, obwohl er gegen die Lohngleichheit nichts einzuwenden hatte, seine Abwehrstrategie konsequent beibehalten. So erklärte er Frau Weber, daß die Lohngleichheit schon im Absatz (3) („Jedoch darf niemand seines Geschlechts ... wegen benachteiligt oder bevorzugt werden") mitberücksichtigt werde. 92 Als Thomas Dehler (FDP) diese Interpretation in Frage stellte („Es ist kaum enthalten"), befand sich Frau Weber in einer schwierigen Situation. Bestand sie auf die Berücksichtigung des CDU/CSU-Antrages, hätte sie ihren Parteifreund bloßgestellt, und das wollte sie nicht. So baute sie für sich und ihren Parteifreund eine Behelfskonstruktion, um das Gesicht zu wahren. Sie erklärte, daß sie gegenüber den vielen Briefschreibern, die sich für Lohngleichheit ausgesprochen hatten („Wir werden viel gedrängt und müssen Antwort geben"), eine gewisse Sorgfaltspflicht zu erfüllen habe, und bat, im Protokoll zu vermerken, „daß wir den Antrag eingebracht haben und daß in der Diskussion erklärt wurde, der Antrag braucht nicht mehr angenommen werden, weil er durch Absatz (2) und (3) dieses Artikels erledigt ist". 93 Als Frau Nadig bezweifelte, daß der Absatz (3) die Lohngleichheit gewährt, versuchten Mangoldt („Das ist enthalten") und Dehler („Das Ganze hat unübersehbare Konsequenzen") mit Beispielen zu belegen, daß es eine Lohngleichheit nie geben könnte, es gäbe zu viele Ausnahmen („Wir könnten wohl Hunderte von Beispielen bringen"). Der Vorsitzende Schloß die Diskussion um die Lohngleichheit mit der Bemerkung, daß sie keine Zeit hätten, alle Beispiele zu überprüfen. 94 Die Diskussion über die Lohngleichheit war aber damit noch nicht abgeschlossen. Sie flammte in der nächsten Sitzung wieder auf, als über den Artikel 21, Absatz (1) der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten " Ebd. 92 BA-Z 5/34 (Ausschuß für Grundsatzfragen. 26. Sitzung vom 30. November 1948), Blatt 66. 93 Ebd. 94 Ebd., Blatt 69.

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Nationen gesprochen wurde, in dem bestimmt war, daß jede Person das Recht auf Arbeit unter gerechten Lohnbedingungen hat. Als Frau Nadig sich um die Aufnahme der Lohngleichheit bemühte, und dabei eine Formulierung Theodor Heuss' zur Hilfe nahm („Dieser Gesichtspunkt gilt auch für den Lohn"), die im Absatz (3) angehängt werden sollte, war es wieder Mangoldt, der sich dagegen aussprach. Dieses Mal argumentierte er, daß die Lohngleichheit in die soziale Ordnung gehöre, die aber nicht in der Verfassung Berücksichtigung fände. 95 Die Ausschußmitglieder kamen dann überein, daß im Hauptausschuß die Erklärung abgegeben werden sollte, daß der Absatz (3) die Lohngleichheit mitbeinhalte („damit die Juristen bei der späteren Auslegung diese Folgerung ziehen können"). 96 In der 42. Sitzung des Hauptausschusses am 18. Januar 1948 gab Elisabeth Seibert diese Erklärung ab und fügte hinzu: „Ich sage das ausdrücklich (...), damit es in die Motive zur Verfassung hineinkommt und ausdrücklich auch im Protokoll festgehalten wird, so daß zu irgendwelchen Zweifeln infolgedessen gar kein Anlaß mehr besteht".' 7 Diese Ausführung fand allgemeine Zustimmung, so daß der Vorsitzende Schmid (SPD) abschließend feststellte: „Ich kann wohl hier als allgemeine Auffassung des Hauptausschusses feststellen, daß der Satz von der Gleichberechtigung für Mann und Frau beinhaltet, daß Mann und Frau bei gleicher Arbeit gleichen Lohn bekommen". 98 Das Plenum stimmte dieser Feststellung einstimmig zu. So sehr die Wirtschaftsverbände mit der Entscheidung der Fraktionen, keine Sozialordnung in der Verfassung festzuschreiben, zufrieden sein konnten, diese Regelung über die Lohngleichheit, auch wenn sie nicht in die Verfassung aufgenommen worden war, gefiel ihnen überhaupt nicht. Sie mußten sich jetzt darauf einstellen, daß die Gewerkschaften die Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Leistung einfordern würden.

" BA-Z 5/35 (Ausschuß für Grundsatzfragen. 27. Sitzung vom 1. Dezember 1948), Blatt 209-215. " Ebd., Blatt 215. 97 Parlamentarischer Rat, S. 541. " Ebd., S. 543.

2. Juristen und Kirchen zum Gleichheitsgrundsatz

2.

Einstellung von Juristen und Kirchen zur Anpassung der Familienrechtsbestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches an den Gleichheitsgrundsatz

2.1.

Regierungserklärung des Bundeskanzlers Konrad Adenauer am 20. September 1949

225

A m 20. September 1949 gab Bundeskanzler Konrad Adenauer vor dem Bundestag seine erste Regierungserklärung a b . " Die Bundestagswahlen sechs Wochen zuvor hatten keiner der beiden großen Volksparteien eine absolute Mehrheit gebracht. Die Union kam auf 31,0% und die SPD auf für sie enttäuschende 29,2%. Der Wahlkampf war bis zuletzt beherrscht gewesen von sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen. Der Wähler hatte sich schließlich zu entscheiden zwischen der sozialistischen Planwirtschaft und der christdemokratischen Sozialen Marktwirtschaft.100 Die Regierungskoalition aus Unionsparteien, F D P und D P besaß nur acht Mandate mehr als die Opposition, und das war bei den anstehenden außen-, wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen, die aufgrund ihrer richtungsweisenden Bedeutung zu Kontroversen nicht nur zwischen den Regierungsparteien und der Opposition, sondern auch innerhalb des Regierungslagers führen mußten, nicht sehr viel. Daß der Freidemokrat Thomas Dehler, der im Parlamentarischen Rat zusammen mit dem Christdemokraten Mangoldt die Gleichberechtigung der Frau verhindern wollte, zum Justizminister ernannt wurde, war kein gutes Omen. In Adenauers programmatischer Regierungserklärung spielte die Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches keine Rolle. Die Gleichberechtigung wurde nicht einmal erwähnt. Das war auffallend, denn zu anderen nicht weniger brisanten Themen nahm er ausführlich Stellung. Etwa zur Selbstverwaltung der Sozialpartner oder zur Neuordnung der Besitzverhältnisse in der Grundstoffindustrie.101 Während er sich hier dafür aussprach, den gewandelten Verhältnissen durch entsprechende Regelungen Rechnung zu tragen, versicherte er, sich „entschieden" gegen alle Tendenzen zur Wehr zu setzen, die Ehe und Familie bedrohten. Seine Regierung, so Adenauer, stehe „fest auf dem Boden des Artikels 6 des Grundgesetzes, in dem es " Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Stenographische Berichte. 5. Sitzung vom 20. September 1949, S. 22-30. 100 Weber, Jürgen: Wähler und Gewählte. Der Kampf um Bonn, in: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Analysen und Dokumentation. Band 3: Die Gründung des neuen Staates 1949. Hrsg. von Jürgen Weber, Paderborn 1982, S. 97-120, hier: S. 114-115. 101

Verhandlungen des Deutschen Bundestages. 5. Sitzung, S. 24-26.

226

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

heißt: Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung". 102 Die „Frauenfrage" stellte sich dem Regierungschef als Frauenüberschuß und Ledigenproblem dar. Er kündigte an, daß er versuchen werde, diesen Frauen neue Berufe und Ausbildungsmöglichkeiten zu erschließen, und er fuhr fort: „Es wird - wenn es vielleicht zunächst auch nicht so wichtig aussieht - auch beim Wohnungsbau darauf geachtet werden müssen, daß den unverheiratet gebliebenen Frauen wenigstens in etwa ein Ersatz für die fehlende häusliche Behaglichkeit geboten wird". 103 Seine Ankündigung, daß im Innenministerium ein Frauenreferat eingerichtet werde, das helfen solle, die Frauenfrage „einer möglichst guten Lösung zuzuführen", war eher mißverständlich. Denn ein Referat konnte kaum die Probleme der Frauen lösen, aber mit ihm konnte versucht werden, die Aktivitäten der zahlreichen Frauenverbände unter Kontrolle zu bekommen. 104 Ein Frauenreferat ohne Kompetenzbereich, Schutzmaßnahmen für die traditionelle Familie und häusliche Behaglichkeit für Ledige - damit war die Zielsetzung deutlich auszumachen: mit der Reform der Gesetzesbestimmungen, die dem Gleichberechtigungsprinzip entgegenstanden, hatte Adenauer es nicht eilig. Der oppositionellen SPD entging diese Verzögerungstaktik nicht, und sie ergriff die Initiative, um die Gesetzgebungsmaschinerie in Gang zu setzen.

2.2.

Das patriarchalische Ordnungsprinzip im Widerstreit der Juristen

Am 1. Dezember 1949 brachte die SPD-Fraktion einen Initiativantrag im Bundestag ein, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten, um die Gleichberechtigung der Frau zu ver102

Ebd., S. 26. Ebd., S. 27. ,04 Mitte November wurde das Fachreferat im Bundesinnenministerium eingerichtet und mit Dorothea Karsten besetzt. Zu ihrem Aufgabengebiet gehörte neben der Materialsammlung über Frauenangelegenheit insbesondere die Mitarbeit an der Rechtsstellung der Frau in Gesetzgebung und Verwaltung (BA-B 141/2055 [Schreiben des Bundesinnenministeriums an die Oberste Bundesbehörde vom 25. November 1950, Blatt 41]). Die Frauenverbände bezweifelten bei ihrem ersten Zusammentreffen mit der Frauenbeauftragten, ob das Frauenreferat in der Lage sei, „die Belange der Frau überhaupt wirksam fördern zu können" (ebd. [Vermerk über die Tagung über Frauenfragen im Bundesministerium des Innern am 28. Februar 1951], Blatt 54-64, hier: Blatt 55). Die Frauenverbände sollten recht behalten, das Frauenreferat führte trotz zahlreicher Konferenzen mit Frauenverbänden ein Schattendasein. 103

2. Juristen und Kirchen zum Gleichheitsgrundsatz

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wirklichen. 105 In der Antragsbegründung stellte Frieda Nadig, der der Sprung vom nordrhein-westfälischen Landtag in den Bundestag geglückt war, fest, daß die Gleichberechtigung der Frau auf allen Gebieten des zivilen, des Privatrechts und des gesamten wirtschaftlichen und sozialen Lebens zu vollziehen sei.106 Im Vordergrund stand für sie die Umgestaltung des Familien-, Ehe- und Güterrechts, weiterhin des Beamtenrechts. Dieser Ansicht schloß sich in der Aussprache, die einen Tag später stattfand, der christdemokratische Abgeordnete Robert Lehr an, dem es sehr darauf ankam, festzuhalten, daß die Gleichstellung von Mann und Frau nicht schematisch ausgelegt werden dürfe, denn die „Eigenart und die Würde der Frau" müsse auf alle Fälle gesichert werden. 107 Und an die Adresse der katholischen Kirche gewandt, die er zur Mitarbeit aufforderte, erklärte er, daß bei der Reform des Familienrechts nicht beabsichtigt sei, den Gleichheitsgrundsatz uneingeschränkt auszudehnen. 108 Mit diesen Vorgaben, die deutlich die angestrebte Gleichberechtigung der Frau einschränkten, machten sich die für die Anpassung der bestehenden Gesetze an den Gleichheitsgrundsatz zuständigen Ministerien, und das waren in erster Linie die Ministerien des Innern und der Justiz, an die Arbeit. Zu einem ersten Koordinierungsgespräch kam es am 22. Dezember 1949, in dem Absprachen über das weitere Procedere erfolgten. 109 Zur Eile fühlte sich kein Ministerium gedrängt, es wurde sogar die Vermutung geäußert, daß die vorgegebene Anpassungsfrist juristisch nicht haltbar sei. Die Mitarbeiter der Ministerien einigten sich darauf, zunächst einmal zu prüfen, welche Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts einer Anpassung bedurften, 110 und zu diesem Zweck sollte mit den Landesjustizver105 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 176 (Antrag der Fraktion der SPD betr.: Gleichberechtigung der Frauen vom 3. November 1949). Gleichzeitig mit diesem Antrag wurden zwei weitere Anträge eingereicht. Die K P D forderte in ihrem Antrag die Lohngleichheit, dazu vgl. weiter unten S. 268-269, und die SPD wollte mit ihrem zweiten Antrag die Aufstiegschancen der Frauen in der Bundesverwaltung gesichert sehen (ebd., Nr. 177 - Antrag der Fraktion der SPD betr.: Frauen im öffentlichen Dienst bei der Bundesverwaltung vom 8. November 1949). In der Aussprache (Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 20. Sitzung am 2. Dezember 1949, S. 624-631) wurde von den bürgerlichen Parteien der sozialdemokratische Antrag einhellig unterstützt, abgelehnt wurde jedoch der SPD-Vorschlag, daß die Bundesverwaltung vierteljährlich einen Rechenschaftsbericht über den Bestand an weiblichen Mitarbeitern abgeben sollte. 106 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 19. Sitzung vom 1. Dezember 1949, S. 566. 107 Ebd., 20. Sitzung vom 2. Dezember 1949, S. 625. 108 Ebd., S. 626. 109 BA-B 141/2055 (Vermerk betr.: Gleichberechtigung der Frau vom 22. Dezember 1949), Blatt 17-18. 110 Nach einer undatierten Aufstellung waren das folgende Rechtsgebiete: Namens-

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waltungen Fühlung a u f g e n o m m e n werden. Weiterhin wurde beschlossen, mit Frauenarbeitskreisen in Verbindung zu treten, die sich mit der R e f o r m des Familienrechts bereits beschäftigten u n d Vorarbeiten a u f z u w e i s e n hatten. 111 Während die Ministerien ihre Erkundigungen e i n z o g e n , u n d dabei ließen sie sich sehr viel Zeit, 1 1 2 setzte eine Diskussion über die Gleichberechtigung der Frau ein, an der zunächst fast nur Wissenschaftler u n d Frauenverbände beteiligt waren." 3 D i e Vertreterinnen der Frauenverbände trug e n in Versammlungen u n d Arbeitsgemeinschaften ihre Vorstellungen zur R e f o r m des Ehe- u n d Kindschaftsrechts vor; Wisssenschaftler u n d Praktiker f a n d e n sich auf T a g u n g e n zu d e m gleichen Zweck z u s a m m e n . Ihren ersten Höhepunkt erlebte die D i s k u s s i o n auf d e m 38. D e u t s c h e n Juristentag in Frankfurt im September 1950, als die Gleichberechtigung der Frau in der bürgerlich-rechtlichen Abteilung behandelt wurde. 1 1 4 D i e versammelten Juristen waren sich einig, daß eine bevorzugte Rechtsstellung des E h e m a n n e s u n d Vaters in der Form, wie sie in den Bes t i m m u n g e n des Bürgerlichen Gesetzbuches ( B G B ) v o n 1899 ihren N i e derschlag g e f u n d e n hatte, mit d e m Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar war, da diese Bestimmungen die Ehefrau u n d Mutter in ungerechtfertigter Weise zurückstellten.

Fortsetzung Fußnote von Seite 227 recht, Familienrecht, Strafrecht, Arbeitsrecht (mit Entlohnung, Beschäftigungsverbote, Gesundheitsschutz, Arbeitszeit), Sozialversicherungsrecht, Beamtenrecht und Staatsangehörigkeitsrecht (BA-B 141/1102). 1,1 Insgesamt fünf Arbeitskreise waren auf dem Gebiet des Familienrechts tätig: 1. ein Arbeitskreis des Juristenbundes unter der Leitung von Rechtanwältin Hotes; 2. ein Arbeitskreis des Bundes weiblicher Juristen und Volkswirte unter der Leitung von Rechtsanwältin Gethmann; 3. ein katholisch-konfessioneller Arbeitskreis unter der Leitung der Notarin Krauss-Flatten und 4. ein Arbeitskreis des Deutschen Frauenrings in Hannover unter der Leitung der Regierungspräsidentin Benisch. 112 Das Innenministerium sah sich wiederholt veranlaßt, das Justizministerium zu drängen, die Arbeit am Gesetzentwurf aufzunehmen. Nach Mitteilungen an das Innenministerium nahm das Justizministerium im Mai 1950 die Ausarbeitung einer Gesetzesvorlage auf (BA-B 141/2055 [Schreiben des Justizministeriums an das Innenministerium vom 5. Mai 1950]). 113 Dazu gehört auch die Münchener Gesellschaft für Bürgerliche Freiheiten, die Mitte 1950 mit Reformvorschlägen an die Öffentlichkeit trat: Kurreck, Brigitte: Frauen fordern gleiche Rechte! Gesetzesmaterial und Stimmen zum Problem der Gleichberechtigung, zusammengestellt aus Anlaß des 4. Diskussionsabends der Gesellschaft für bürgerliche Freiheiten in München vom 24. April 1950, München 1950. 114 Ein Jahr später wurde das Thema auf dem Deutschen Notartag in München diskutiert. Mit der Gründung der Zeitschrift „Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht" im Jahre 1954 wurde dem großen Interesse an einem Diskussionsforum Rechnung getragen.

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So sprach das Bürgerliche Gesetzbuch, das dem patriarchalischen Ordnungsprinzip folgte und nicht von den Ehegatten als Einzelpersonen, sondern von der ehelichen Lebensgemeinschaft ausging, dem Mann das alleinige Entscheidungsrecht „in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu" (§ 1354 I) und verpflichtete die Frau, „der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten" (§ 1354 II). Das bedeutete, daß der Mann Wohnort und Wohnung bestimmte (§ 1354 I), daß die Frau den Familiennamen des Mannes erhielt (§ 1355), daß auch bei der Haushaltsführung der Mann die oberste Entscheidungsgewalt hatte (§ 1356 I), daß er der Frau die Schlüsselgewalt entziehen konnte (§ 1357 II), daß er berechtigt war, Dienst- und Arbeitsverhältnisse der Frau zu kündigen (§ 1358 I) und daß ihm die Entscheidung, der sogenannte Stichentscheid, zustand, wenn keine Einigung über die Erziehung der Kinder erfolgen konnte (§ 1628)."5 Auseinander gingen die Meinungen der Juristen über die Neuregelung des Entscheidungsrechts in den gemeinsamen ehelichen Angelegenheiten und in Fragen der elterlichen Gewalt. Die einen wollten die Gleichberechtigung konsequent durchführen, das Entscheidungsrecht des Ehemannes und Vaters völlig wegfallen lassen, so daß entweder die §§ 1354 und 1628 ersatzlos zu streichen gewesen wären oder daß die gemeinsame Entscheidungsbefugnis der Ehegatten und Eltern ausdrücklich hätte in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen werden müssen.116

115

Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich nebst Einführungsgesetz mit Wiedergabe der verwiesenen Paragraphen. Hrsg. von Georg Meikel, München 1900, S. 274 ff. 1,6 Sitzungsbericht der Verhandlungen der bürgerlich-rechtlichen Abteilung am 15. September 1950 zum Thema „Die Gleichberechtigung der Frau. In welcher Weise empfiehlt es sich, gemäß Artikel 117 G G das geltende Recht an Artikel 3, Abs. 2 G G anzupassen?" Darin enthalten: Referat von Erna Scheffler, B3-B30 und Koreferat von Eugen Ulmer, B31-B53, in: Verhandlungen des 38. Deutschen Juristentages in Frankfurt 1950, Tübingen 1951; Beschlüsse der bürgerlich-rechtlichen Abteilung des 38. Deutschen Juristentages, in: ebd., B101-B102. Dieser Standpunkt wurde auch vertreten von : Dölle, Hans : Die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Familienrecht. (Eine rechtspolitische Skizze auf rechtsvergleichender Grundlage), in: Um Recht und Unrecht. Festgabe für Erich Kaufmann, Stuttgart 1950, S. 19-46; ders.: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Familienrecht, in: Juristenzeitung 8, 1953, Nr. 12, S. 353-362; Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins, abgedruckt in: Information für die Frau 1952, Nr. 2, S. 23; Vereinigung der weiblichen Juristen und Volkswirte, in: Juristenzeitung 1952, S. 504-505; Arnold, Eugen: Zur Auslegung des Grundsatzes der Gleichberechtigung, in: Deutsche Richterzeitung 1953, S. 81-85; ders.: Eheliche Lebensgemeinschaft und Entscheidungsgewalt, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 1952, S. 719-722; Gerken, Theodor: Allgemeine Wirkungen der Ehe, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 1953, S. 329-332; Scheffler, Erna: Zur Auslegung des Grundsatzes der Gleichberechtigung, in: Deutsche Richterzeitung 1953, S. 85-88; Krüger, Hildegard: Die NichtVerwirklichung

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D i e anderen anerkannten grundsätzlich die persönliche Gleichwertigkeit der Frau, auch in E h e u n d Familie, d o c h wollten sie in irgendeiner, w e n n auch modifizierten u n d abgeschwächten Form, d e m E h e m a n n u n d Vater bei Konfliktfällen ein Recht zum „Stichentscheid" belassen, da dies im Interesse der Erhaltung der Ehe- u n d Familienordnung erforderlich sei. 117 D a n e b e n gab es n o c h eine mittlere M e i n u n g , deren Vertreter zumeist das Entscheidungsrecht des E h e m a n n e s wegfallen lassen (§ 1354), das des Vaters aber beibehalten wollten (§ 1628)." 8

2.3.

Christliche Vorstellungen von der Stellung der Frau in der Ehe

W a s sich da als ein Rechtsproblem darstellte, war zugleich aber auch ein religiöses Problem. D e n n die drei Richtungen vertraten ziemlich g e n a u die Positionen, die v o n den b e i d e n Kirchen zu Ehe u n d Familie e i n g e n o m m e n wurden. A u f der einen Seite stand somit das katholische Lager, das die Familienhierarchie verteidigte, u n d auf der anderen Seite das protestantische Lager, das aber in sich gespalten war: in eine konservativ-protestantische Richtung, die d e m patriarchalischen Ordnungsprinzip verbunden war, u n d eine liberal-protestantische Richtung, die sich für die Partnerschaftsehe aussprach. Fortsetzung Fußnote von Seite 229 der Gleichberechtigung im Regierungsentwurf zur Familienrechtsreform, in: Juristenzeitung 1952, S. 614-617. 117 Bosch, Friedrich Wilhelm: Gleichberechtigung im Bereich der elterlichen Gewalt, in: Süddeutsche Juristenzeitung 5, 1950, Nr. 9, S. 626-644; ders.: Familienrechtsreform, Siegburg 1952; ders.: Neue Rechtsordnung in Ehe und Familie. Eheschließung-Ehescheidung-Gleichberechtigung, Siegburg 1954 (hierin auch weitere bibliographische Angaben über Boschs publizistische und wissenschaftliche Arbeiten). Diesen Standpunkt vertraten auch: Conrad, Hermann: Grundprobleme einer Familienrechtsreform, in: Die Kirche in der Welt. Wegweisung für die katholische Arbeit am Menschen der Gegenwart, Münster 1951, S. 239-246, 383-390; Ermecke, Gustav: Zur Reform des Ehe- und Familienrechtes. Allgemeine sozial-wissenschaftliche Grund- und Leitsätze, in: ebd., S. 259-266; Klein, F.: Die Familie im Brennpunkt werdenden Rechtes in Deutschland, in: Caritas 1951, S. 51-61; Richter, H.: Die Krise der Familie und das Recht, in: Priester und Arbeiter 1951, 238-247; ders.: Abschied von der Familie, in: Deutsche Rundschau 1951, S. 822-827; Heinrich: J.: Die Stellung der Frau in der Familie, in: Priester und Arbeiter 1951, S. 147-152; Reidick, Gertrude: Die hierarchische Struktur der Ehe, München 1953. 118 Boehmer, Gustav: Die Gleichberechtigung der Frau im Eherecht, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 1950, S. 386-393; Schnorr von Carolsfeld, Ludwig: Über das Problem der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau nach der Bonner Bundesverfassung, in: Juristische Rundschau 1950, Nr. 14, S. 417-420; Bettermann, Karl-August: Der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter und das geltende Familienrecht, in: Denkschrift der Evangelischen ForschungsAkademie Christophorus-Stift Hemer, o.O. o.J. [1950], S. 18-27.

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Die Verfechter des hierarchischen Familienaufbaus, die sich die Familienrechtsauffassung der katholischen Kirche zu eigen machten, 119 stellten sich auf den Standpunkt, daß die Ehegemeinschaft der Integration durch eine Autorität bedürfe. 120 Im Gegensatz zur Staatsordnung könne es in der Ehe und Familie keine „Demokratie" geben, denn eine stabile Dyarchie sei undenkbar. Wenn überhaupt eine Ordnung unter den beiden Ehegatten bestehen solle, komme nur eine Monokratie in Betracht, die sich als Über- und Unterordnungsverhältnis (Hierarchie) auswirke. Die Alternative, so der Bonner Rechtswissenschaftler Friedrich Wilhelm Bosch in einem von ihm kreierten Slogan, könne nur lauten: „Hierarchie oder Anarchie!".121 Die Vertreter der katholischen Auffassung sahen jedoch in der hierarchischen Struktur der Ehe nicht nur die Lösung einer rechtstechnischen Konfliktsituation, sondern vor allem ein rechtsethisches Leitbild, dem naturrechtlicher Charakter beigemessen wurde. Die hierarchische Struktur der Ehe wurde als Offenbarungsgut gesehen,122 das als göttliches Recht und Naturrecht überzeitliche Geltung beanspruchen könne und selbst der Änderung durch den staatlichen Gesetzgeber unzugänglich sei.123 Abgeleitet wurde die hierarchische Eheordnung aus der Schöpfungsgeschichte. Da Gott den Mann zuerst erschaffen habe, ergäbe sich sein Vorrang vor der Frau.124 Die Frau sei hingegen „um des Mannes willen", als seine „Gehilfin", erschaffen worden.125 Diese Ursprungsordnung sei aber zugleich eine bleibende Rangordnung, denn die Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes mit ihrer hierarchischen Zuordnung werde bestätigt durch zahlreiche Bibelstellen, die zugleich auch eine Vorrangstellung des Vaters vor der Mutter bezeugten.126 Die Hierarchie in der Ehe sei aber kein Freibrief für die Despotie des Ehemannes. Die männlichen Führungsrechte seien keine eigenmächtigen Herrschaftsrechte, sondern Organrechte, die der Mann als Oberhaupt im übergeordneten Gemeinschaftsinteresse ausübe. Hinter diesem übergeordneten Gemeinschaftsinteresse müßten jedoch die Individualinteressen der Ehegatten, also auch die Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne, "* Zu Familie und Ehe im katholischen Kirchenrecht: Eichmann, E./Mörsdorf, K.: Lehrbuch des Kirchenrechts des CIC. Band 2, Paderborn 1953, S. 129; Gottlob, T.: Grundriß des katholischen Eherechts, Köln 1948; Hanstein, H.: Kanonisches Eherecht, Paderborn 1949. 120 Bosch, Friedrich Wilhelm: Familienrechtsreform, Siegburg 1952, S. 59; Mörsdorf, Klaus: Die hierarchische Struktur der Ehe, München 1953, S. 10; Reidick, Gertrude: Die hierarchische Struktur der Ehe, München 1953, S. 119. 121 Bosch: Familienrechtsreform, S. 90. 122 Mörsdorf:, Klaus: Die rechtliche Stellung von Mann und Frau in Ehe und Familie nach kanonischem Recht, in: Zeitschrift für Familienrecht 1954, S. 27. 125 Bosch: Familienrechtsreform, S. 82. 124 Mörsdorf: Die hierarchische Struktur, S. 5. 125 Reidick: Die hierarchische Struktur, S. 26. 126 Ebd. S. 40-42.

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zurücktreten. 1 2 7 Im übrigen entspräche die hierarchische O r d n u n g der Würde der b e i d e n Gatten. Eine andere Stellung des M a n n e s u n d der Frau wäre unwürdig. 1 2 8 Ein Teil der evangelischen T h e o l o g e n , u n d das war die konservativ-protestantische Richtung, stand der katholischen A u f f a s s u n g sehr nahe, nur leitete sie die Unterordnung der Frau unter den M a n n nicht aus d e m Alten Testament ab, sondern aus dem N e u e n Testament, u n d da vor allem v o m Paulus-Satz „ D e r M a n n ist des W e i b e s Haupt". 1 2 9 D i e Vertreter der liberal-protestantischen Richtung stellten in Abrede, d a ß aus den biblischen W e i s u n g e n Rechtspflichten abgeleitet werden könnten, die im Sinne der staatlichen G e s e t z g e b u n g rechtsverbindlich seien. A u c h lasse sich weder aus d e m Alten n o c h aus d e m N e u e n Testament der N a c h w e i s erbringen, d a ß M a n n u n d Frau seit der S c h ö p f u n g in einem Über- u n d Unterordnungsverhältnis zueinander ständen. 1 3 0 127 Volle Gleichberechtigung der Ehegatten bestände allerdings im sexuellen Bereich der sogenannten Leibesgemeinschaft, also „in der Frage, die das eigentliche Wesen der Ehe betreffen". „Es wäre sinnlos", so wurde erklärt, „im Bereich der Leibesgemeinschaft einem Gatten einen autoritativen Vorrang einzuräumen." Außerdem hieß es, die Frau sei stellvertretender chef de famille. So dürfe und müsse sie entscheiden, wenn der Mann aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ausfalle. 128 Bosch: Familienrechtsreform, S. 96; Reidick: Die hierarchische Struktur, S. 127, 196. 129 Diese Ansicht wurde vertreten von: Brunner, Emil: Gerechtigkeit, Zürich 1943; Althaus, Paul: Gebot und Gesetz, Gütersloh 1952. 130 Theologen wie Karl Barth, Heinrich Greeven und Ernst Wolf vertraten zu den biblischen „Weisungen" über das Verhältnis zwischen Mann und Frau folgende Ansicht: Aus der Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes lasse sich der Nachweis einer schöpfungsmäßigen Über- und Unterordnung von Mann und Frau nicht erbringen. In der Bewertung der Geschlechter, die sich gegenseitig ergänzen sollen, sei nach dem Schöpfungsbericht kein Unterschied zu erkennen. Auch die Differenzierung im Sinne einer seiensmäßigen Über- und Unterordnung seien ausgeschlossen, denn das Sein des Menschen komme erst in der ungleichen Zweiheit von Mann und Frau richtig zum Ausdruck. Aber auch nach dem sogenannten zweiten Schöpfungsbericht sei die Frau als ebenbürtige Ergänzung des Mannes geschaffen, in der sich ihm erst die Mitwelt erschließe. Wenn Gott die Frau als „Gehilfin" des Mannes erschaffen habe, so bedeute das nicht, daß der Mann gleichsam ihr Meister sei. Sie sei vielmehr Gehilfin im Sinne einer „Hilfe, die ihm ein Gegenüber sei". Die Frau sei von Gott als Gefährte und „Partner" des Mannes erschaffen worden. Beide seien verschiedenartig, aber gleichwertig. Bei dem Schöpfungsvorgang sei das Voneinander und Zueinander der Erschaffung von Mann und Weib wesentlicher als die Schaffung nacheinander, in der keine rangmäßige Abstufung erblickt werden könne. Es sei hiernach nicht möglich, die patriarchalische Eheauffassung auf die Schöpfungsgeschichte zu stützen. Das Gleiche gälte für das Evangelium des Neuen Testamentes. Christus habe sich zur Frage der Ehe nur in einzelnen bestimmten Zusammenhängen geäußert. Er mache keinen Rangunterschied zwischen Mann und Frau. Unter seinen Jüngern be-

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Mann und Frau seien, einmal abgesehen von den biologischen Unterschieden, gleichwertig und damit gleichberechtigt, und die Ehe, so der evangelische Theologe Ernst Wolf, sei „eine Aufgabe sittlichen Existierens, keine Naturgegebenheit", ihre rechtliche Ordnung könne daher nicht „naturrechtlich" auf eine Schöpfungsordnung und deren natürliche Struktur zurückgeführt werden.131 Wesentlich für das „Institut" Ehe war dann auch für Wolfs Kollegen Karl Barth, „das echte Gegenüber zur Verwirklichung des Menschseins, des Aufeinanderangewiesenseins zweier in verschiedener Weise gleichrangig verantwortlicher Partner".132

2.4.

Reaktionen der Kirchen auf die Denkschrift des Bundesministeriums für Justiz zur Familienrechtsreform

Anfang März 1951, zwei Jahre vor Ablauf der Anpassungsfrist, veröffentlichte das Justizministerium den ersten Teil einer Denkschrift, die im Auftrag des Ministeriums von Oberlandesgerichtsrätin Maria Hagemeyer verfaßt worden war.133 Mit der Denkschrift sollte einerseits in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden, das Justizministerium beschäftige sich intensiv mit der Familienrechtsreform. In Wirklichkeit waren die Vorarbeiten über das Sichten der Bestimmungen, die einer Anpassung an den Gleichheitsgrundsatz bedurften, nicht hinausgelangt. Andererseits erhoffte sich das Ministerium aus der Diskussion über die Denkschrift verwertbare Anregungen für seine Arbeit. Fortsetzung Fußnote von Seite 232 fänden sich sowohl Frauen wie Männer, er begegne ihnen genau in derselben Weise. Und auch der Paulus-Satz „ D e r M a n n ist des Weibes H a u p t " sei kein Rechtssatz u n d könne auch kein rechtliches Herrschafts- u n d Unterordnungsverhältnis begründen, weil das dazu in Beziehung gesetzte Verhältnis Christi zur Kirche keines sei. Es handele sich dabei um die sittliche Entscheidung zur Liebe u n d Unterordnung, um religiöse Gebote, nicht um Gesetze. Vgl. dazu: Barth, Karl: Die kirchliche Dogmatik. Band 3: Die Lehre von der Schöpfung, Zürich 1945-1951, S. 206, 264, 329-331, 371, 373 (1. Teil), 128 (4. Teil); Greeven, Heinrich: Die Weisungen der Bibel über das rechte Verhältnis von M a n n u n d Frau, in: Ehe u n d Eherecht. Hrsg. von Friedrich Karrenberg u n d Klaus von Bismarck, Stuttgart 1954, S. 4 - 4 6 ; Wolf, Ernst: Gegen die Lehre von der „biblischen Weisung", in: Wolf, Ernst/Liike, G e r h a r d / H a x , Herbert: Scheidung u n d Scheidungsrecht. G r u n d f r a g e n der Ehescheidung in Deutschland. Untersuchung an H a n d der Statistiken, Tübingen 1959, S. 413-428. 131 Wolf: Gegen die Lehre, S. 425. 132 Barth: Die kirchliche Dogmatik, Band 3, Teil 1, S. 206. 133 Denkschrift über die zur Anpassung des geltenden Familienrechts an den Grundsatz der Gleichberechtigung von M a n n u n d Frau (Art. 3 Abs. 2 G G ) erforderlichen Gesetzesänderungen. I. Teil. Im Auftrage des Bundesjustizministeriums ausgearbeitet von Oberlandesgerichtsrätin Hagemeyer, Köln o.J. [1951].

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Im ersten Teil der Denkschrift wurden Vorschläge unterbreitet, wie die §§ 1354-1358 abgeändert werden könnten, um sie dem Gleichheitsgrundsatz anzupassen. Der zweite Teil der Denkschrift, der im August 1951 erschien, 134 nahm zum ehelichen Güterrecht Stellung und der dritte Teil, der Anfang Dezember 1951 vorlag, 135 behandelte das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern, worunter auch der § 1628 mit dem Stichentscheid des Vaters fiel. Die Oberlandesgerichtsrätin sprach sich gegen die Entscheidungsgewalt des Ehemannes und Vaters aus und plädierte dafür, daß in der Ehe jedem Ehepartner die gleichen Rechte zugestanden werden sollten ; auch sollten Mann und Frau ihre Probleme gemeinsam lösen. Sollte es jedoch unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten geben, dann, so ihr Vorschlag, sollten sogenannte Ehehilfen bei Eheproblemen und sogenannte Elternhilfen bei Differenzen in der Kindererziehung eine Lösung herbeiführen. 136 Die Berufsausübung erklärte Frau Hagemeyer zu einer persönlichen Angelegenheit jedes Ehegatten, der jeweils selbst darüber zu bestimmen habe, „auch wenn, zum Beispiel durch die Wahl der Arbeitszeit, das eheliche Zusammenleben beeinflußt" werde. Denn dieser Einfluß, so die Juristin weiter, sei nicht so bedeutend, daß das Recht der Persönlichkeit auf Gestaltung der Berufsausübung nach ihrem Ermessen und ihrer Berufsauffassung zurücktreten müßte. 137 Die Denkschrift, die an Kirchen, Frauenverbände, Gewerkschaften und weitere Institutionen, aber auch an Politiker und Rechtswissenschaftler ging, 138 teilweise verbunden mit der Aufforderung, eine Stellungnahme abzugeben, stieß auf breite Resonanz. Die Angesprochenen reichten Änderungsvorschläge ein, 139 die ebenso wie die Anregungen männlicher und 134

Denkschrift.... II. Teil....Köln, o.J. [1951]. Denkschrift III. Teil...Köln o.J. [1951], 136 Denkschrift, I. Teil, S. 9-12, 15-18, 26 (Anlage 1); Teil III, S. 9-12. 137 Denkschrift, Teil I, S. 23-25, hier: S. 25. 138 Der erste Teil der Denkschrift verließ am 1. März 1951 das Justizministerium, es folgt am 18. August der 2. Teil und am 4. Dezember 1951 der 3. Teil (BA-B 141/ 2055). Den Versand der Denkschrift an die Frauenverbände übernahm das Frauenreferat im Innenministerium. Einigkeit herrschte zunächst nicht darüber, ob der Gewerkschaftsbund mit in den Verteilerschlüssel aufgenommen werden sollte, da er „sich grundsätzlich auf das Arbeitsrecht beschränkt". D a aber Informationen vorlagen, wonach die Frauenabteilung der Industriegewerkschaft beabsichtigte, eine Erörterung der Denkschrift herbeizuführen, wurden auch die Gewerkschaften mitberücksichtigt, und sie erhielten ebenso wie die Frauenverbänden die Denkschrift mit sechswöchiger Verzögerung, ausgehend vom Erstversandtag (BA-B 106/43313 [Vermerk betr.: Die im Auftrag des Bundesjustizministeriums herausgegebene Denkschrift vom 17. April 1951 mit Anlagen]). 139 Zum Beispiel: Evangelische Frauenarbeit in Deutschland am 8. Juni 1951; Deutscher Akademikerinnenbund am 9. August 1951 (abgedruckt in: Frauen in der 135

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weiblicher Bundestagsabgeordneten, die vom Justizministerium zum Informationsaustausch eingeladen wurden, 1 4 0 von den Beamten ausgewertet wurden. D i e beiden Kirchen hielten sich mit offiziellen Stellungnahmen zunächst zurück. Oberkirchenrat Ranke ließ jedoch das Ministerium wissen, daß im Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands ( E K D ) die Bereitschaft bestünde, den § 1354 zu streichen. 141 D a ß für die katholische Kirche ein solcher Schritt auf keinen Fall in Frage kam, wurde unmißverständlich in der Schlußresolution der 3. Katholischen Sozialen Woche artikuliert. Unter dem Punkt „ D i e christlichen Forderungen zum Ehe- und Familienrecht" wurde allen gesetzlichen Bestimmmungen eine Absage erteilt, in denen das Recht der Ehefrau und Mutter verankert werden sollte, bei allen gemeinschaftlichen Eheangelegenheiten mitzuwirken. 142 Anfang 1952 trafen dann die offiziellen Stellungnahmen der beiden Kirchen zur Denkschrift ein. Am 12. Januar 1952 antwortete der Vorsitz e n d e der Fuldaer Bischofskonferenz, der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings, der nicht im einzelnen auf die Vorschläge einging, sondern in einer Tour d'horizont gegen die Grundhaltung der Denkschrift seine Fortsetzung Fußnote von Seite 234 Nachkriegszeit, S. 163-165); 3. Katholische Soziale Woche, Anfang September 1951 (BA-B 106/43313). 140 BA-B 141/2055 (Niederschrift über die Vorbesprechung vom 22. Oktober 1951 über die Durchführung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Mann und Frau), Blatt 174-177 und (Aktennotiz über die Besprechung mit Bundestagsabgeordneten am 15. Januar 1952 zu dem Thema: „Neuordnung des ehelichen Güterrechts"), Blatt 184-186. 141 BA-B 141/2057 (Aktenvermerk vom 13. September 1951). 142 „Die Familie, ihre Krise und deren Überwindung". Schlußresolutionen der 3. Katholischen Sozialen Woche vom 2. September 1951 (BA-B 106/43313). Die 3. Katholische Soziale Woche, die unter dem Motto stand „Die Familie, ihre Krise und deren Überwindung", veröffentliche am 2. September 1951 eine Resolution, in der festgestellt wurde, daß „alle Reformvorschläge (zu begrüßen sind), die bestimmte, derzeit vorhandene, offensichtliche und einseitige Benachteilungen der Frau und Mutter beseitigen wollen". Das galt aber ausdrücklich nur für „die vermögensrechtliche Stellung der Frau". Hingegen „verboten" seien gesetzliche Bestimmungen über ein Recht der Ehefrau und Mutter, „bei allen gemeinschaftlichen Eheangelegenheiten mitzuwirken". Und die Verfasser der Resolution fuhren fort: „Eine Lösung jedoch, die den Satz der heiligen Schrift 'Der Mann ist das Haupt der Frau' für die rechtliche Ordnung von Ehe und Familie grundsätzlich verwirft, ist für das katholische Gewissen untragbar" (ebd., S. 6). Besonderen Wert legte die Resolution auf die Festeilung, „daß die Ehefrau und Mutter ihren Mittelpunkt im Hause hat, daß Frauen- und Mutterpflichten den Vorrang vor anderer Tätigkeit besitzen". Mit Entschiedenheit wurde Stellung dagegen bezogen, diese Naturordnung zu mißachten und „im künftigen staatlichen Gesetz ein fast uneingeschränktes Recht oder ganz allgemein eine Pflicht der Frau und Mutter zu außerhäuslicher Berufstätigkeit festzulegen". Und weiter hieß es in der Resolution: „Etwaige außerhäusliche Berufstätigkeit einer Ehefrau muß in jedem Fall mit der Erfüllung ihrer vorrangigen Familienpflichten vereinbar sein" (ebd.).

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Vorbehalte anmeldete,143 die seiner Meinung nach geprägt war von einer „allzu individualistischen Sozialauffassung". 144 Der Erzbischof machte den Minister darauf aufmerksam, daß der Staat nach Artikel 6, Abs. 1 des Grundgesetzes verpflichtet sei, Ehe und Familie zu schützen. Das könne er aber nicht, wenn die Gleichberechtigung, wie in der Denkschrift geschehen, „schematisch" ausgelegt werde. Nur wenn die Gleichberechtigung Gleiches gleich und Ungleiches verschieden bewerte, könne der Zerstörung der Familie Einhalt geboten werden. Er warnte davor, durch eine falsche Auslegung des Gleichberechtigungsbegriffs die Ordnung von Ehe und Familie umzustoßen, denn nach kirchlichem Ehe- und Familienrecht sei der Mann und Vater der „naturgemäße Träger" der familiaren Autorität.145 Der Stellungnahme der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), die ihr Ratsvorsitzender Bischof Dibelius am 22. März 1952 abgab, war anzumerken, daß hier der Versuch vorlag, die Gleichberechtigungsbefürworter und die Patriarchatsverfechter in einem Kompromiß, der kaum einem evangelischen Geistlichen gefallen haben dürfte, zu vereinen.' 46 So stimmte Dibelius der Streichung des § 1354 zu, aber nur unter der Bedingung, daß „der Letztentscheid des Familienvaters in Bezug auf die Erziehung der Kinder gemäß § 1628 auch im neuen Recht erhalten bliebe", damit nicht „der letzte Rest der Struktur von Ehe und Familie" verschwände.147 Das Schreiben des katholischen Oberhirten war auch an Bundeskanzler Adenauer adressiert, dem sehr daran gelegen war, sein gutes Verhältnis zur Kirche nicht zu belasten. Das Verhältnis zwischen Freidemokraten und katholischer Kirche war dagegen um so schlechter, da die Freidemokraten sich gegen den Versuch der Kirche, sich in Angelegenheiten des 143

BA-B 141/2057 (Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz an Bundesminister Dehler vom 12. Januar 1952), Blatt 10-17. 144 Ebd., S. 3. 145 Ebd., S. 6. Nachdem der Erzbischof seine Stellungnahme abgegeben hatte, wurde von verschiedenen katholischen Stellen Kritik an der Denkschrift geübt. Dazu: Stellungnahme (des Katholischen Deutschen Frauenbundes, des Berufsverbandes katholischer Fürsorgerinnen und des katholischen Fürsorgevereins für Mädchen, Frauen und Kinder) zur Denkschrift, die Frau Oberlandesgerichtsrätin Hagemeyer im Auftrage des Bundesjustizministeriums verfaßte, über die durch Artikel 3 des Grundgesetzes gebotenen Gesetzesänderungen vom 25. Januar 1952 (BA-B 211/112); Wenger, Paul Wilhelm: Ehe oder Zweckverband? Über die Gefahr einer mechanischen „Ehedemokratie", in: Rheinischer Merkur vom 11. Januar 1952; Der Stand der deutschen Familienrechtsreform, in: Herder-Korrespondenz, 1952, S. 325-330. 146 BA-B 141/2057 (Schreiben des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands an Justizminister vom 22. März 1952), Blatt 49-58; abgedruckt in: Familienrechtsreform. Dokumente und Abhandlungen. Hrsg. von Hans Adolf Dombois und Friedrich Karl Schumann, Witten 1955, S. 9-15. 147 Ebd., S. 7.

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

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Staates einzumischen, stemmten, und das nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern, was zu ständigen Reibereien und gegenseitigen Vorwürfen führte. Adenauer wollte keinen neuen Streit und wies den Justizminister an, ihm das Antwortschreiben an den Erzbischof vorzulegen. 148 Dieser Vorzensur konnte sich Dehler kaum entziehen. Was Dehler dem Kanzler schließlich vorlegte, fand dessen Zustimmung. Der Justizminister hatte so geschickt formuliert, daß ihm weder Adenauer noch die Kirche Vorwürfe machen konnten, er beabsichtige, der „individualistischen" Einstellung der Oberlandesgerichtsrätin Folge zu leisten. Dehler beteuerte, daß auch er die Auffassung verträte, daß „die Durchführung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht zu einer schematischen Gleichstellung der Geschlechter führen" dürfe, sondern „daß der natürlichen Ordnung Rechnung getragen werden" müßte. 149 Mit diesen sehr allgemein gehaltenen Worten konnte die Kirche wenig anfangen, sie hätte gern mehr über den Gesetzentwurf erfahren, aber damit konnte Dehler nicht dienen, weil der Entwurf noch nicht fertig war. Er teilte aber dem Erzbischof mit, daß er beabsichtige, den Gesetzentwurf mit den Vertretern der beiden Kirchen zu erörtern. 150

3.

Die Diskussion über die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

3.1.

Der Kampf des Bundesministers für Justiz Thomas Dehler für seinen Gesetzentwurf

Daß die Fertigstellung des Entwurfs auf sich warten ließ, hing im wesentlichen damit zusammen, daß sich das Ministerium erst seit Oktober 1951 intensiver mit der Materie beschäftigte. 151 Hinzu kam, daß der Entwurf als große Lösung konzipiert war. So war angestrebt, nicht nur das geltende bürgerliche Recht an den Grundsatz des Artikels 3, Abs. 2 des Grund-

148

BA-B 141/2057 (Schreiben des Staatssekretärs des Bundeskanzleramtes Otto Lenz an Justizminister vom 29. Januar 1952), Blatt 18. 149 BA-B 141/2057 (Schreiben des Justizministers an den Erzbischof vom 2. Februar 1952), Blatt 19-20. 150 Dennoch war die Kirche mißtrauisch, und sie gab in einer Pressekonferenz preis, daß sie an Kanzler und Justizminister geschrieben hätte, und sie teilte auch den Inhalt ihrer Schreiben mit. Die katholische Presse sprach dann, absichtlich oder nicht, von der Dehler-Denkschrift, die übrige Presse übernahm diesen Terminus, was Dehler sehr verärgerte. Sein Ministerium mußte dann ein Dementi verfassen, das als dpa-Meldung am 19. Februar 1952 an die Zeitungsredaktionen ging (zu diesem Vorgang vgl. BA-B 141/2057, Blatt 24-33). 151

BA-B 141/2065 (Vermerk betr.: Entwurf des Familienrechtsgesetzes vom 18. März 1953), Blatt 40.

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

gesetzes anzupassen, sondern zugleich auch die Rechtseinheit auf dem Gebiet des Familienrechts wiederherzustellen. Und das bedeutete, daß neben dem vom Alliierten Kontrollrat erlassenen Ehegesetz, bei dem es sich um eine überarbeitete Fassung des nationalsozialistischen Ehegesetzes von 1938 handelte, auch die sonstigen seit 1933 entstandenen Gesetze und Verordnungen familienrechtlichen Inhalts ins Bürgerliche Gesetzbuch aufzunehmen waren. 152 Das Reformwerk bestand aus Dutzenden von Bestimmungen, aber kontrovers, auch im Ministerium, wurden nur die §§ 1354, 1356 und 1628 gehandelt. Frau Hagemeyer vertrat eine liberal-(protestantische) Position und hielt die Entscheidungsgewalt des Ehemannes (§ 1354) und Vaters (§ 1628) ebensowenig mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz vereinbar wie die Festschreibung der Hausfrauenehe (§ 1356). Die konservativ-(protestantische) Richtung, die vor allem in Ministerialrat Franz Maßfeller, der vor 1939 bereits im Reichsjustizministerium tätig und Mitgestalter und Kommentator des nationalsozialistischen Ehegesetzes gewesen war, 153 ihren Fürsprecher hatte, setzte sich für Bestimmungen ein, die die Frau verpflichteten, den Haushalt zu führen, und er setzte sich ebenso für den Erhalt des väterlichen Entscheidungsrechts ein, um bei Streitigkeiten in Erziehungsfragen nicht eine außerfamiliäre Schichtungsstelle anzurufen. 154 Denn es sei zu bezweifeln, ob die Entscheidung einer solchen Stelle tatsächlich den Zusammenhalt der Familie fördern würde. Dehlers Einstellung zur Familienreform war lange Zeit von Desinteresse geprägt. Für die Gleichberechtigung der Frau konnte er sich nicht begeistern. Da auch die C D U / C S U nicht nur Eile drängte, gab es für ihn keinen Grund, der Familienrechtsreform Priorität einzuräumen. Für den Justizminister wurde die Familienrechtsreform erst in dem Moment interessant, als die katholische Kirche versuchte, an der Gestaltung des Entwurfs mitzuwirken. Um diese Einflußnahme abzuwehren, war er, ein Vertreter der konservativ-protestantischen Richtung, sogar bereit, sich teilweise die Forderungen der Frauenverbände zueigen zu machen. So kam es, daß der 130 Seiten starke „Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen 152 Für diese zweite Maßnahme war keine Frist für eine Neuregelung gestellt, so daß die Frage der Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts nicht mit derselben Eile durchgeführt werden mußte wie die Anpassungen auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts. Diese Ansicht wurde im Innenministerium vertreten (B 106/433313 [Referat V / 4 an Unterabt. 1/4 betr.: Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung vom 17. April 1952]). 153 Vgl. dazu: Maßfeller, Franz: Das großdeutsche Ehegesetz vom 6. Juli 1938 und seine Ausführungsvorschriften sowie die Familienrechtsnovelle vom 12. April 1938. 2. neubearb. und erw. Aufl. Berlin 1939. 154 BA-B 141/2055 (Niederschrift über die Vorbesprechung vom 22. Oktober über die Durchführung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Mann und Frau), Blatt 174-177.

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

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Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet des Familienrechts (Familienrechtsgesetz)", der am 17. März 1952 dem Bundeskanzleramt zur Durchsicht vorgelegt wurde, 155 die Forderungen der katholischen Kirche (soweit sie sich nicht mit denen der evangelischen Kirche deckten) überhaupt nicht, hingegen die Vorstellungen der evangelischen Kirche und der Frauenverbände weitestgehend berücksichtigte. Zugestanden wurde der Ehefrau die außerhäusliche Berufsaufnahme; außerdem wurde die Entscheidungsgewalt des Ehemannes gestrichen und im § 1354 die Bestimmung des Artikels 3, Abs. 2 („Männer und Frauen sind gleichberechtigt") wörtlich übernommen. Es blieb aber bei der Entscheidungsgewalt des Vaters (§ 1628). Eine unlogische Entscheidung, auf die auch die Vertreter der katholischen Kirche bei ihrem Gespräch im Justizministerium, an dem auch der Justizminister teilnahm, 156 am 4. April 1952 hinwiesen. 157 Die katholische Kirche hatte zu diesem Gespräch ihre erste Garnitur entsandt: den Theologieprofessor Gustav Ermecken, der kurz zuvor mit einem Beitrag für „Die Kirche und die Welt", einem Loseblatt-Lexikon für „die katholische Arbeit am Menschen der Gegenwart", zur Reform des Ehe- und Familienrechts Stellung bezogen hatte; 158 den Domkapitular von Köln Wilhelm Johannes Böhler, der zugleich Beauftragter des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz bei der Bundesregierung war; 159 und schließlich den Bonner Rechtswissenschaftler Friedrich Wilhelm Bosch, der zu den aktivsten Propagandisten der katholischen Naturrechtslehre gehörte und seit Monaten, vornehmlich in Veranstaltungen katholischer Einrichtungen, in immer neuen Variationen die hierarchische Form der Familie rechtfertigte. 160 Aus Gründen der inneren Stabilität der Familie, so erklärten die drei, 155 BA-B 141/2056 (Schreiben des Justizministers an Staatssekretär Bundeskanzleramt vom 17. März 1952), Blatt 6-7. 156 Mit Schreiben vom 19. März 1952 an Erzbischof Frings und den Bischof Dibelius hatte Justizminister Dehler Vertreter der beiden Kirchen zu einem Gespräch über den Entwurf eingeladen. Vorab erhielten die Kirchen aber nur die Gesetzespassagen, die sich mit den Wirkungen der Ehe im allgemeinen sowie mit der elterlichen Gewalt beschäftigten. Hinzu kamen Bestimmungen über die religiöse Kindererziehung (BA-B 141/2057, Blatt 60-62). 157 BA-B 141/2057 (Aktenvermerk über eine Besprechung mit Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche am 4. April 1952 betr.: die wesentlichen Bestimmungen des Entwurfs des Familienrechtsgesetzes zum persönlichen Eherecht, zur elterlichen Gewalt und zur religiösen Kindererziehung), Blatt 86-92. 158 Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Ermecken durch seine Schrift: Der Familiarismus als Ordnungsidee und Ordnungsideal des sozialen Lebens. Ein Beitrag zur Erforschung der Seinsgrundlagen der christlichen Sozialethik und zum Neubau des menschlichen Gemeinschaftslebens heute, Paderborn 1947. 159 Während der Beratungen im Parlamentarischen Rat war Prälat Böhler Verbindungsmann des Episkopats zur CDU/CSU-Fraktion. 160 Bosch plädierte unter anderem auch für die Abschaffung der obligatorischen Ziviltrauung (Christliche Forderung zum Eherecht, in : Frankfurter N e u e Presse vom 30. Oktober 1951).

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sei die Beibehaltung des ehemännlichen Entscheidungsrechtes ebenso zwingend wie notwendig. Es genüge nicht, nur dem Vater das Entscheidungsrecht in Erziehungsangelegenheiten zu belassen. Auch forderten sie, daß im § 1356 die Bestimmung beibehalten wurde, daß es primär Aufgabe und Pflicht der Frau sei, das Hauswesen zu leiten. Denn, so Bosch, es müßte sichergestellt werden, „daß Haushalt und Erziehung der Kinder der Berufstätigkeit vorgingen". 161 Es war offensichtlich: der katholischen Kirche ging es jetzt nicht nur um den Erhalt der hierarchischen Familienstruktur, sondern auch darum, die Frauen, und hier insbesondere die verheirateten Mütter, an der Berufsaufnahme zu hindern, was gesetzlich mit der von Bosch vorgeschlagenen Bestimmung bis zu einem gewissen Grad möglich gewesen wäre. Diese Doppelstrategie wurde nicht in dieser Sitzung im Justizministerium aus der Taufe gehoben, aber sie wurde in der Folgezeit von der katholischen Kirche in ihrer Öffentlichkeitsarbeit konsequent verfolgt. Als Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nahmen Befürworter der konservativ-protestantischen Richtung am Gespräch teil. Das waren die beiden Oberkirchenräte H. Ranke und Osterloh162 sowie der Theologieprofessor Friedrich Karl Schumann, Mitverfasser der Bettermann-Denkschrift, die in der evangelischen Kirche hohes Ansehen genoß,163 da sie Argumentationshilfen für den patriarchalischen Standpunkt der Kirche beigesteuert hatte. Diese drei brachten keine neuen Gesichtspunkte in die Diskussion ein. Die von der EKD festgelegte Linie stand fest: Streichung des § 1354 nur, wenn § 1628 beibehalten wurde. Als sich der Justizminister dem evangelischen Vorschlag anschloß und sich für die Streichung des § 1354 aussprach, quittierten dies die katholischen Vertreter mit Protest: „Mit der Streichung des § 1354 werde man der Auffassung der katholischen Kirche nicht gerecht; diese vertrete das Entscheidungsrecht des Mannes". 164 Diesen Protest nahm Kardinal Frings auf („habe schwere Bedenken gegenüber den Vorschlägen anzumelden"), als er sich am 15. April 1952 an den Justizminister wandte und in eindringlichen Worten bat, seine Entscheidung zu überdenken („es muß alles vermieden werden, was ehe- und familienzerstörend wirkt").165 Die Korrektur der beanstandeten §§ 1354 und 1356 war aber nur ein Punkt in seinem Schreiben und nicht einmal der wichtigste, da immer noch begründete Aussicht bestand, bei einer negativen Entscheidung des Ministers über die engen Beziehungen zum Bun161

BA-B 141/2057, Blatt 91. Im Gesprächsprotokoll wurden sie fälschlicherweise als Ramcke und Oster geführt. 163 Bettermann, Karl-August und Schumacher, Friedrich Karl: Denkschrift der Evangelischen Forschungs-Akademie Christophorus-Stift Hemer, o.O.o.J. [1950]. 164 BA-B 141/2057, Blatt 89. 165 BA-B 141/2057 (Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz an Justizminister vom 15. April 1952), Blatt 80-85. 162

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

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deskanzler und zu den christdemokratischen Abgeordneten Abänderungen im Sinne der Kirche herbeizuführen. Weitaus wichtiger schien ihm im Moment das Anliegen zu sein, den Minister daran zu hindern, das Ehegesetz des Alliierten Kontrollrats ohne Einwilligung des Episkopats in das neue Ehe- und Familienrecht aufzunehmen. Die Aufnahme des Ehegesetzes, so ließ der Erzbischof den Minister wissen, bereite ihm „ernste Sorgen". Er verstünde zwar, daß es nicht angebracht sei, das Ehegesetz „aus dem Gesetz fremder Mächte" herzuleiten, aber ein Gesetz, „gegen das sich schwerste Bedenken vom sittlichen und rechtlichen Standpunkt erhebe", unverändert in das Familienrecht aufzunehmen, dagegen müsse er „schärfsten Protest" erheben. Er erinnerte Dehler daran, daß nach dem Reichskonkordat von 1933 die Bundesregierung verpflichtet sei, mit dem Vatikan in Verbindung zu treten, bevor eine „umfassende Regelung der eherechtlichen Fragen" erfolge. 166 Wenn es sich nur um eine unveränderte Übernahme des Ehegesetzes gehandelt hätte, hätte die Kirche gegen Dehlers Absicht kaum etwas ausrichten können. Das Justizministerium hatte aber den § 48, der die Scheidung regelte, abgeändert. 167 Nach § 48 des Ehegesetzes des Alliierten Kontrollrates war es jedem Ehegatten möglich, nach dreijähriger Trennung die Scheidung der Ehe herbeizuführen, wenn eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten war. Auch der Ehegatte, durch dessen alleiniges oder überwiegendes Verschulden die Ehe zerrüttet worden war, konnte trotz des Widerspruchs des schuldlosen Teils unter Umständen die Scheidung der Ehe erreichen. Das Justizministerium war nun der Ansicht, daß nicht derjenige Ehegatte, durch dessen alleiniges oder überwiegendes Verschulden die Ehe zerstört worden war, noch das Recht erhalten durfte, gegen den Willen 166

Ebd., Blatt 82. Das Bürgerliche Gesetzbuch kannte neben den sogenannten absoluten Scheidungsgründen (§§ 1565-1567 [Ehebruch, Geisteskrankheit u.a.m.]) als relativen Scheidungsgrund nur das ehezerstörende Verschulden (§ 1568). Diese Vorschrift enthielt jedoch erhebliche Schwierigkeiten. So nötigte sie die Gerichte, das Verschulden des einen oder anderen Teils oder beider beweismäßig einwandfrei festzustellen. Bereits in den 20er Jahren entstanden Bestrebungen, neben die Verschuldensscheidung eine Zerrüttungsscheidung zu setzen, die Scheidung also bei Nachweis objektiver Zerrüttung, aber ohne Feststellung des Verschuldens zuzulassen. Die Nationalsozialisten griffen diesen Gedanken auf und lösten das Problem in ihrem Sinne, in dem sie in § 55 des Ehegesetzes vom 6. Juli 1938 die Zerrüttungsscheidung einfügten (vgl. dazu: Blasius, Dirk: Ehescheidung in Deutschland 1794-1945. Scheidung und Scheidungsrecht in historischer Perspektive, Göttingen 1987). In dem mit Kontrollratsgesetz Nr. 16 erlassenen Ehegesetz (Ehegesetz vom 20. Februar 1946. Gesetz Nr. 16 des Kontrollrats in Kraft seit 1. März 1946. Textausgabe mit Anmerkungen. Anhang: Durchführungsverordnungen zum Ehegesetz. Hrsg. von Felix Niesert, Münster 1946) waren die rassischen Bestimmungen gestrichen worden. Das waren der § 48, der die Scheidung bei Verweigerung der Fortpflanzung und die §§ 53 und 58, die die Scheidung bei Unfruchtbarkeit möglich machten. 167

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

des schuldlosen Ehegatten die Ehescheidung herbeizuführen. Deshalb sah der § 1571 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfs vor, daß der Widerspruch des beklagten Ehegatten nur dann nicht zu beachten war, wenn auch ihn ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe traf und „wenn die Aufrechterhaltung der Ehe bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe und des gesamten Verhaltens beider Ehegatten sittlich nicht gerechtfertigt" war. 168 Mit dieser Abänderung bot sich der Kirche die Chance, an das Ehescheidungsgesetz, das schon seit langem ihren Unwillen erregte, heranzukommen. Was der Erzbischof letztlich mit seinem Protest wollte, war dies: er wollte Mitspracherecht bei der Reform des Scheidungsrechts oder alles sollte so bleiben wie bisher. Dehler ging nicht auf das Verhandlungsangebot der Kirche ein, auch war er nicht bereit, das Ehegesetz aus seinem Reformwerk auszuklammern. Daraufhin versuchte die Kirche über ihre Verbindungen ins Kanzleramt, die Aufnahme des Ehegesetzes zu verhindern. Als sich Anfang Juni 1952 ein Referent des Justizministeriums im Kanzleramt nach dem Stand der Arbeiten am Entwurf erkundigte, wurde ihm nahegelegt, das Justizministerium solle auf die Aufnahme des Ehegesetzes in den Entwurf verzichten, und als Begründung wurde zunächst genannt: „Damit würde eine parlamentarische Debatte über das gesamte Eherecht unvermeidlich". Und dann: „Es es sei ja auch bekannt, daß der Herr Kardinal in seiner Pfingstpredigt zu der Frage der Neugestaltung auch des Eheschließungsrechts Stellung genommen habe". 169 Dehlers Verärgerung über die Einmischung der katholischen Kirche fand in dem Entwurf des Familienrechtsgesetzes, den er am 27. Juni dem Kabinett zur Entscheidung vorlegte, ihren Niederschlag. Die §§ 1354 und 1356 waren ersatzlos gestrichen. Das Innenministerium wollte sogar noch weitergehen, und auch das väterliche Entscheidungsrecht streichen, aber soweit war Dehler nicht bereit zu gehen. 170 Dehler stellte seinen Kabinetts-

168

Maßfeller, Franz: Das neue Familienrecht. Gesetzentwurf über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts, Frankfurt o.J [1952], S. 190-191. "» BA-B 141/2060 (Vermerk vom 7. Juni 1951), Blatt 88a. 170 Im Anschreiben zum Gesetzentwurf wies Dehler daraufhin, daß das Innenministerium sich auch für die Streichung des § 1628 ausgesprochen hatte (BA-B 141/ 2060 [Schreiben des Justizministeriums an Innenministerium vom 26. Mai 1952], Blatt 19-20). In einer Besprechung zwischen Vertretern des Innen- und des Justizministeriums stellte sich das Innenministerium auf den Standpunkt, daß sich § 1628 mit dem Grundsatz des Artikels 3, Abs. 2 des Grundgesetzes nicht vereinbaren ließe, und daß der Gesetzgeber bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern in Angelegenheiten, die das Kind beträfen, entweder die Entscheidung dem Vormundschaftsgericht übertragen oder von einer Regelung absehen müßte (BA-B 141/2060 [Protokoll über die Besprechung am 12. Mai 1952 über den Entwurf des Familiengesetzes],

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kollegen den Entwurf als „sorgfältig durchdacht und ausgereift" vor. Sein Ministerium „sei bestrebt gewesen, bis an die äußerste Grenze verbindlicher praktischer Lösungen zu gehen". 171 Der Entwurf habe die Zustimmung sowohl der katholischen als auch der evangelischen Kirche gefunden. Die Behauptung, daß die katholische Kirche dem Entwurf zugestimmt habe, entsprach nicht der Wahrheit. Prälat Böhler hatte dem Justizministerium Anfang Mai einen detaillierten Entwurf überreicht, wie sich die Kirche die Bestimmungen in den §§ 1354 und 1356 vorstellte. Nach dem Vorschlag der Kirche sollte § 1354 aus sechs Absätzen bestehen, der § 1356 aus fünf. Festgeschrieben werden sollte das Entscheidungsrecht des Ehemannes. Und die Ehefrau sollte eine außerhäusliche Tätigkeit auch nur dann aufnehmen dürfen, wenn diese Tätigkeit sich mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbaren ließ.172 Dehler konnte dem Bundeskanzler mit diesen Ausführungen nicht imponieren. Adenauer wußte sehr genau, was die katholische Kirche wollte, und ihm war auch bekannt, daß in diesem Entwurf die katholischen Wünsche überhaupt nicht berücksichtigt worden waren. Massiv ging Adenauer gegen den Entwurf vor, der seiner Meinung nach den ehefeindlichen Tendenzen der Zeit entgegenkam. Er bediente sich dabei nicht nur der katholischen Argumente, sondern übernahm fast wörtlich das Vokabular der Kirche. Seiner Ansicht schlossen sich an Vizekanzler Franz Blücher (FDP), Arbeitsminister Anton Storch (CDU), Otto Lenz (CDU), Staatssekretär im Bundeskanzleramt, und Finanzminister Fritz Schäffer (CSU), der den Vorschlag einbrachte, dem Ehe- und Familienrecht Vorschriften über Ehe und Familie voranzustellen. Als Blücher den Vorschlag machte, den „interessierten" Kabinettsmitgliedern sollte nochmals die Möglichkeit gegeben werden, das Problem in aller Ruhe zu erörtern, sprach sich Dehler zunächst dagegen aus, da er befürchten mußte, weitere Gespräche würden zu Änderungen im Sinne der katholischen Kirche führen. Ihm blieb dann aber nichts anderes übrig, als einzulenken, da sich die Mehrheit am Kabinettstisch für interministerielle Gespräche aussprach. 173 Als zwei Monate später, am 3. September 1952, das Kabinett dem Ent-

Fortsetzung Fußnote von Seite 242 Blatt 2-8; Schreiben Innenministerium an Justizministerium vom 21. Mai 1952, Blatt IIa). 1.1 230. Kabinettssitzung am 27. Juni 1952, in: Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Band 5: 1952. Bearb. von Kai von Jena, Boppard 1984, S. 407. 1.2 BA-B 141/2057 (Abänderuungsvorschläge zum Entwurf des Bundesjustizministeriums für das neue Ehe- und Familienrecht vom 8. Mai 1952), Blatt 95-96. 173 Die Kabinettsprotokolle, S. 409.

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IV. Gleichberechtigung u n d Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

wurf des Familienrechtsgesetzes zustimmte,174 war Dehler der Geschlagene: die katholische Kirche hatte fast alle ihre Forderungen durchgesetzt. Es war ihr nur nicht gelungen, das Ehegesetz aus dem Entwurf zu entfernen. Aber das war wohl die „Gegenleistung", das Zugeständnis, das sie Adenauer erbringen mußte, damit in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entstand, die Bundesregierung sei ein „Erfüllungsgehilfe" des Episkopats. Begründet wurde die Beibehaltung des Entscheidungsrechts des Ehemannes (§ 1354) damit, daß die Entscheidungsbefugnis des Mannes im Konfliktfalle nicht entbehrt werden könnte, weil sonst der Bestand der Ehe, die nach Artikel 6, Abs. 1 des Grundgesetzes unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stände, gefährdet sei. Der § 1356 bestimmte, daß die Ehefrau berechtigt sei, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar sei. Er sprach damit den Vorrang der häuslichen Tätigkeit vor der Erwerbstätigkeit ausdrücklich aus. Beibehalten wurde die väterliche Entscheidungsgewalt (§ 1628), jedoch mit der Einschränkung, daß die Mutter die Hilfe des Vormundschaftsgerichts anrufen konnte, wenn die vom Vater getroffene Entscheidung in einer besonders bedeutsamen Angelegenheit nach ihrer Meinung dem Wohle des Kindes zuwiderlief, oder wenn der Vater sich beharrlich weigerte, den Versuch einer Einigung zu machen oder ihre Auffassung zu berücksichtigen.175 Dehler versuchte bis zuletzt, seine Ministerkollegen davon abzuhalten, die §§ 1354 und 1356 wieder in den Entwurf und in § 1628 die Regelung mit dem Vormundschaftsgericht aufzunehmen, in dem er ihnen mündlich und schriftlich die Gründe auflistete, die dagegen sprachen.176 Sein Widerstand erlahmte auch nach einem Gespräch mit dem Bundeskanzler nicht, dem er einen Tag nach dem Treffen in einem Schreiben standhaft erklärte: „Die gestrige Aussprache (hat) keinen Gesichtspunkt erbracht, der meinen im Entwurf und in meinem Schreiben (an die Kabinettsmitglieder) niedergelegten Standpunkt beeinflussen könnte." 177 Auf Dauer konnte er sich Adenauers Wünschen nicht widersetzen, doch gelang es ihm im letzten Augenblick, an den Schluß des § 1354 einen Satz anzuhängen, der teilweise das Entscheidungsrecht des Ehemannes ein174 244. Kabinettssitzung am 3. September 1952, in: Die Kabinettsprotokolle, S. 548. 175 Hagemeyer, Maria: Der Entwurf des Familiengesetzes. Werden die Erwartungen der Frauen erfüllt? in: Sozialer Fortschritt 1952, Nr. 9, S. 216-218; Strauß, Walter: Der Entwurf des Familienrechtsgesetzes, in: Juristenzeitung 1952, S. 4 4 9 461. 176 BA-B 141/2060 (Schreiben des Justizministers an sämtliche Bundesminister vom 4. Juli 1952), Blatt 96-102. 177 BA-B 141/2060 (Schreiben Dehlers an Adenauer vom 10. Juli 1952), Blatt 103104.

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schränkte, da „ e i n e Entscheidung, die d e m w o h l v e r s t a n d e n e n Interesse der Ehegatten nicht (entsprach), für die Frau nicht verbindlich" war. Gegen Adenauers Versuch, diese Fassung abzuschwächen, 1 7 8 votierte in der S c h l u ß a b s t i m m u n g die Kabinettsmehrheit. D e m Bundesrat ging der Entwurf am 12. September 1952 zur Stellungn a h m e zu, 1 7 9 bereits vierzehn Tage später lagen die Abänderungsvorschläge vor. 1 8 0 D e r Bundesrat lehnte die Ä n d e r u n g des § 48 ab, da er sich bewährt habe u n d u n d in k e i n e m unmittelbaren Z u s a m m e n h a n g zur Gleichberechtigung v o n M a n n u n d Frau stände, u n d er forderte die A u f h e b u n g des Entscheidungsrechts des E h e m a n n e s zugunsten einer partnerschaftlichen Regelung. 1 8 1 D i e Bundesregierung folgte j e d o c h nicht den Vorschlägen des Bundesrates u n d leitete den Entwurf am 23. Oktober 1952 d e m Bundestag zu, vier M o n a t e vor A b l a u f der Anpassungsfrist. 1 8 2

3.2.

Parlamentarischer Widerstand der CDU/CSU gegen den Regierungsentwurf

In der Öffentlichkeit stieß der Entwurf auf breite Ablehnung. 1 8 3 D i e Fraue n v e r b ä n d e u n d die Frauenabteilungen der Gewerkschaften m e l d e t e n Protest an, der, w i e zu erwarten, sich gegen die §§ 1354, 1356 u n d 1628 richtete. 184 Protest k a m auch v o n den katholischen Frauenverbänden: de178 Adenauer schlug folgende Formulierung vor: „Eine Entscheidung in einer Angelegenheit von besonderer Bedeutung, die den wohlverstandenen Interessen der Ehegatten offensichtlich widerspricht, ist für die Frau nicht verbindlich". BA-B 141/2060 (Schreiben Adenauers an alle Bundesminister vom 2. September 1952), Blatt 213-215. 17 ° Bundesratsdrucksache Nr. 220 vom 29. September 1952. 180 Der Bundesrat war nur deswegen so schnell in der Lage, eine Stellungnahme abzugeben, weil ihm der Entwurf schon am 26. Mai 1952 inoffiziell zugeleitet worden war (BA-B 141/2065 [Vermerk betr.: Entwurf des Familienrechtsgesetzes vom 18. März 1953], Blatt 40-42). 181 253. Kabinettssitzung vom 21. Oktober 1952, in: Die Kabinettsprotokolle, S. 627. 182 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 3802. (Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts (Familienrechtsgesetz) vom 23. Oktober 1952). 183 Krüger, Hildegard: Die NichtVerwirklichung der Gleichberechtigung im Regierungsentwurf zur Familienrechtsreform, in: Juristenzeitung 1953, S. 613-617; Beitzke, Günther: Gleichberechtigung und Familienrechtsreform, in: dass. Nr. 24, S. 744-746. 184 Über den Gesetzentwurf wurden die Frauenorganisationen zum ersten Mal bei einer Tagung im Bundesinnenministerium am 10. Juni 1952 informiert (BA-B 141/ 2055 [Bericht über die Tagung des Bundesinnenministeriums mit den Vertreterinnen der Zentralen Frauenorganisationen und den weiblichen Bundestagsabgeord-

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

nen ging j e d o c h die Liberalisierung des Familienrechts entschieden zu weit. D i e M e d i e n griffen den Protest auf u n d berichteten ausführlich über die unterschiedlichen Positionen u n d M e i n u n g e n . Kritik u n d Protest blieben nicht o h n e Wirkung auf die Politiker, als diese a m 27. N o v e m b e r 1952 in der ersten Lesung den Entwurf im Bundestag behandelten. D e n n kein Redner sprach sich vorbehaltslos für den Entwurf aus. D i e Freidemokraten mit ihrem Justizminister, der die Vorlage als „ d i e Frucht einer langen, ich darf sagen, hingebungsvollen Arbeit" vorstellte, plädierten für die Streichung des § 1354 u n d die A u f n a h m e des Ehescheidungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch. 1 8 5 D i e Sozialdemokraten forderten s o w o h l die Streichung des e h e m ä n n l i c h e n als auch des väterlichen Stichentscheids, n a c h d e m sie w e n i g e W o c h e n zuvor n o c h d e m Justizministerium erklärt hatten, sie wären mit der ersten Fassung des Entwurfs, der den väterlichen Stichentscheid enthielt, einverstanden. 1 8 6 D i e Redner der C D U / C S U - F r a k t i o n meldeten, wie der Abgeordnete Weber, „starke Bed e n k e n " gegen die A u f n a h m e des Kontrollrats-Ehescheidungsrechts in das Bürgerliche Gesetzbuch an. U n d warnend fügte Weber hinzu: „ I c h glaube nicht, daß wir diesen Schritt mittun werden". 1 8 7 Fortsetzung Fußnote von Seite 245 neten am 10. Juni 1952], Blatt 204-207). Mit Ausnahme der Vertreterinnen des Katholischen Deutschen Frauenverbandes sprachen sich die Teilnehmerinnen gegen die Beibehaltung des Entscheidungsrechts des Ehemannes und des Vaters aus. In der Folgezeit gaben fast alle Frauenverbände eigene Stellungnahmen zum Entwurf ab und wandten sich gegen die Erhaltung patriarchalischer Leitvorstellungen, die nach Ansicht des Deutschen Frauenrings überholt waren (Denkschrift des Deutschen Frauenrings zum Kabinettsentwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet des Familienrechts [Familienrechtsgesetz]. Ausgearb. von Waldemar Wolle und Hildegard Wolle-Egenolf, Berlin [23. Dezember] 1952). Weitere Stellungnahmen von Frauenverbänden: Stellungnahme des Deutschen Akademikerinnenbundes zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts, im August 1952 (BA-Lüders/224); Stellungnahme der Bundesfrauenkonferenz Heidelberg 10.-12. Oktober 1952 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung des Bonner Grundgesetzes (BA-B 211/15); Vorschläge der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland vom 18. November 1952 (BA-B 211/39); Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über die Gleichstellung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts (Familienrechtsgesetz) vom 25. November 1951 (ADGB-B/59). Vgl. auch: Stellungnahmen zur Ehe- und Familienrechtsreform, in: Informationen für die Frau 1952 (Sonderheft). 185 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 239. Sitzung vom 27. November 1952, S. 11052. 186 BA-B 141/2063 (Vermerk vom 16. Oktober 1952). 187 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 239. Sitzung vom 27. November 1952, S. 11 056.

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

247

Das letzte Wort, bevor sich die Abgeordneten im Rechtsausschuß mit der Vorlage beschäftigten, hatten die Kirchen, von denen vor allem die katholische Kirche bemüht war, auf die weitere parlamentarische Beratung Einfluß zu nehmen. Die evangelische Kirche gab bereits im Dezember 1952 eine Stellungnahme ab, in der zunächst die bekannten Argumente zu den umstrittenen §§ 1354, 1356 und 1628 wiederholt wurden. Dann wurde mit dem Hinweis, daß die „Beibehaltung diverser Bestimmungen in ihrer bisherigen Fassung" bedenklich sei, die Reform des Ehescheidungsrechts begrüßt. 188 Die katholische Kirche, für die wiederum der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz Kardinal Frings sprach, und die sich am 30. Januar 1953 in einem offenen Brief direkt an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags wandte, 189 faßte ebenfalls ihre wiederholt vorgetragenen Vorstellungen und Wünsche zusammen, um dann aber in scharfer Form („Bei aller Zustimmung zu so manchen Vorschlägen des Entwurfs müssen wir gleichwohl eine Reihe von ernsten Einwendungen erheben") gegen einzelne Bestimmungen Einspruch zu erheben. Und dazu gehörte einmal der von Justizminister Dehler eingefügte Schlußsatz im § 1354, der gestrichen werden sollte, da er „die vorher behandelte Entscheidungsgewalt des Mannes nahezu wieder aufhebt", und dann vor allem die Übernahme der Eherechtsbestimmungen. Nach Ansicht der Kirche war es keinem christlichen Abgeordneten zuzumuten, den vorgeschlagenen Regelungen zuzustimmen, und außerdem müßten bei einer gesetzlichen Regelung des Eheschließungs- und Ehescheidungsrechts Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl aufgenommen werden. 190 Dem moralischen Druck der katholischen Kirche konnten sich die CDU/CSU-Abgeordneten, soweit sie der katholischen Konfession angehörten, kaum entziehen, und sie bemühten sich dann auch, im Unterausschuß „Familienrecht" des Rechtsausschusses, der am 5. Februar 1953 nicht einmal drei Monate vor Ende der Anpassungsfrist - die Beratungen 188 BA-Lüders 224 (Stellungnahme der Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland [EKD] zu dem Entwurf eines Familienrechtsgesetzes, Dezember 1952). Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 165-170. Die evangelische Kirche befaßte sich sehr eingehend mit der Reform des Ehescheidungsrechts und führte zu diesem Zweck Gespräche mit Wissenschaftlern und Praktikern. Vgl. dazu: Vermerk vom 25. September 1952 über die Tagung der Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 19. bis 21. September 1952 in Hemer (BA-B 141/2057). 189 BA-Lüders 224 (Schreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz an den Deutschen Bundestag vom 30. Januar 1953). Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 171-175. Vgl. dazu auch die Bemerkungen der Freidemokratin Marie-Elisabeth Lüders vom Februar 1953 (abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 176-177). 190 Die Stellungnahme von Marie-Elisabeth Lüders (FDP) zum Schreiben der Fuldaer Bischofskonferenz ist abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 176-177.

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

aufnahm, 191 den Entwurf im Sinne der katholischen Kirche abzuändern. Als ihnen das nicht gelang, da sich der Koalitionspartner FDP dagegen ebenso sträubte wie die oppositionelle SPD, verzögerten sie die Beratungen. Dann, einen Monat vor Ablauf der Frist, erklärten sie, daß die Zeit zu knapp bemessen sei, den Entwurf gründlich zu beraten, und sie schlugen eine Fristverlängerung vor, die durch eine Verfassungsänderung herbeigeführt werden sollte.192 Zu diesem Zweck traf sich Anfang März Bundeskanzler Adenauer mit dem Oppositionsführer Erich Ollenhauer, der eine Fristverlängerung kategorisch mit dem Argument ablehnte: „Er sei sich zwar darüber im Klaren, daß zunächst eine Periode der Rechtsunsicherheit entstehe, diese werde aber Veranlassung geben, das Gesetz möglichst bald zu verabschieden". 193 Aus der beginnenden Diskussion über eine Fristverlängerung hielt sich die Bundesregierung bewußt heraus und überließ das weitere Vorgehen den Koalitionsparteien, 194 die am 19. März ein Initiativgesetz vorlegten, wonach dem Art. 117, Abs. 1 GG ein zweiter Satz hinzugefügt werden sollte. Dieser Satz sah vor, daß die dem Art. 3, Abs. 2 entgegenstehenden Vorschriften (das waren das Staatsangehörigkeitsrecht, das bürgerliche Recht und das Verfahrensrecht) für zwei Jahre, also bis zum 31. März 1955, außer Kraft gesetzt werden sollten.195 Wenige Tage später konterten die Sozialdemokraten. Sie stellten den Antrag, den Entwurf des Familienrechtsgesetzes einem neu zu bildenden Familienrechtsausschuß zu überweisen, da der bisherige Ausschuß die ihm aufgetragene Aufgabe nicht mit dem nötigen Ernst behandelt habe. Der Ausschuß sollte sofort die bereits begonnene Beratung mit „größtmöglicher" Beschleunigung fortsetzen und seinen Bericht im Mai 1953 vorlegen.196 Über diese beiden Anträge entbrannte im Bundestag eine heftige Auseinandersetzung.197 Als der Rechtsauschuß am 15. April zusammentrat, um die beiden Anträge, die an ihn überwiesen worden waren, zu bera-

1,1

Zwischen dem 5. Februar und 6. März 1953 fanden insgesamt 15 Ausschußsitzungen statt (dazu : Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht [16. Ausschuß] vom 25. April 1957 [B 141/2072]). 192 BA-B 141/2065 (Protokoll der 242. Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht am 6. März 1953). 193 BA-B 141/2074 (Vermerk für den Minister vom 12. März 1953). 194 BA-B 141/2074 (Note vom 13. März 1953). 1.5 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlage zu den Stenographischen Berichten, Nr. 4200 (Antrag von C D U / C S U , FDP, DP, FU (BP-Z) betr. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Art. 117 GG vom 19. März 1953). 1.6 Ebd., Nr. 4220 (Antrag der SPD-Fraktion betr. Bildung eines Familienrechtsausschusses vom 24. März 1953). 197 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 258. Sitzung vom 26. März 1953, S. 12514-12527.

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

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ten, 1 9 8 war der Anpassungstermin seit vierzehn Tage abgelaufen. 1 9 9 U n d das bedeutete: seit d e m 1. April 1953 war es den Richtern freigestellt, o b sie nach dem alten Recht oder nach d e m Entwurf des neuen Familienrechts, das das Justizministerium sämtlichen Gerichten zugesandt hatte, verfahren sollten. 2 0 0 Für den Ausschußvorsitzenden, den Christdemokraten Weber, war dies ein unhaltbarer Zustand, u n d er vertrat die Ansicht, „ d a ß den Gerichten eine A u f g a b e aufgebürdet w o r d e n sei, der sie nicht g e w a c h s e n seien". 2 0 1 D i e Christdemokraten w i e s e n j e d e n Verdacht, die Beratungen b e w u ß t hinausgezögert zu haben, v o n sich. Sie beharrten darauf, den Gesetzesentwurf einer sorgfältigen Prüfung, die auch die Hinzuziehung v o n Sachverständigen einschloß, zu unterziehen 2 0 2 u n d forderten die Sozialdemokraten auf, der Verfassungsänderung, für die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag n o t w e n d i g war, zuzustimmen, bevor sich das C h a o s , das sich abzuzeichnen b e g ä n n e , ausweite. 2 0 3 D i e S P D blieb bei ihrem a b l e h n e n d e n Votum. 2 0 4 Als in der Koalition, vor allem in der F D P , schließlich Stimmen laut wurden, die aus rechtspolitischen Gründen eine Verfassungsänderung ablehnten, 2 0 5 war das Schicksal des Regierungsentwurfes eines Familienrechtsgesetzes besiegelt. 198 BA-B 141/2074 (Protokoll : der 250. Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht vom 15. April 1953). Vier Tage vor Ablauf der Anpassungsfrist hielt der Bonner Rechtswissenschaftler Friedrich Wilhelm Bosch in München einen Vortrag. Er begüßte, daß der Bundestag, und darunter verstand er in erster Linie die Abgeordneten der C D U / C S U , „sich nicht von Übereifrigen hat bedrängen lassen". Und Bosch weiter: „Besser kein geschriebenes Gesetz als eine Regelung, die nicht hinreichend durchdacht werden konnte" (Bosch, Friedrich Wilhelm: Neue Rechtsordnung in Ehe und Familie. Eheschließung-Ehescheidung-Gleichberechtigung, Siegburg 1954, S. 10). 200 Arnold, Egon: Zur Auslegung des Grundsatzes der Gleichberechtigung, in: Deutsche Rechtszeitschrift 1953, S. 81-84; ders.: Angewandte Gleichberechtigung im Familienrecht. Ein Kommentar zu der Rechtssituation seit dem 1. April 1953, Berlin 1954; Knur, Friedrich: Ist der Gleichberechtigungssatz im Familienrecht seit dem 1. April 1953 geltendes Recht, in: Deutsche Notar-Zeitung 1953, S. 345-350. 201 BA-B 141/2074 (Protokoll der 250. Sitzung, S. 8). 202 Ebd., S. 9. 203 Vgl. auch die Befürchtungen von Friedrich Wilhelm Bosch: Familie in Rechtsnot, in: Politisch-Soziale Korrespondenz 1953, Nr. 22, S. 2-7. 204 BA-B 141/2074 (Protokolle der 253. und 256. Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht vom 30. April bzw. 8. Mai 1953). 205 Es ging dabei um die Frage, ob die seit dem 1. April außer Kraft gesetzten Bestimmungen nachträglich wieder in Kraft gesetzt werden dürften. Aus einem Vermerk (betr.: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Art. 117 G G ) des Justizministeriums vom 1. April 1953 geht hervor, daß bereits zu diesem Zeitpunkt eine Verfassungsänderung abgelehnt wurde. Dennoch erarbeitete das Justizministerium auf Wunsch des Rechtsausschusses einen Gesetzentwurf zur Änderung des Art. 117 aus, der dem Ausschußvorsitzenden am 4. Mai 1953 zuging. In der 270. Sitzung des Rechtsausschusses wurden weitere Beratungen über eine Verfassungsänderung ausgesetzt, „bis interfraktionelle Erörterungen zu einer Klärung geführt haben" (BA-B 141/2074).

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Denn aus Zeitgründen war der 1. Bundestag nicht mehr in der Lage, den Gesetzesentwurf zu beraten und zu verabschieden. Da gleichzeitig die für eine Fristverlängerung benötige Bundestagsmehrheit nicht zustande kam, blieb auch die seit dem 1. April 1953 währende rechtsunsichere Situation vorerst bestehen. 206

3.3.

Die revidierte Fassung des Regierungsentwurfs

In der zweiten Bundestagswahl am 6. September 1953 erhielten C D U und CSU zusammen 45,2% der abgegebenen Stimmen, während die SPD um - 0 , 4 % auf 28,8% abrutschte. 207 Obwohl die Christdemokraten die absolute Mehrheit im Bundestag besaßen (244 von 487 Mandaten), was zur Alleinregierung, wenn auch knapp, ausgereicht hätte, entschied sich Adenauer aus außenpolitischen Überlegungen zur Fortsetzung der Koalition mit den Freidemokraten. 208 In der neuen Regierungsmannschaft war Thomas Dehler nicht mehr vertreten. Er übernahm den Vorsitz der FDP-Fraktion. An seine Stelle als Justizminister rückte der bisherige Wohnungsbauminister Fritz Neumayer, ebenfalls ein Freidemokrat. Der fast Siebzigjährige sollte in den folgenden Auseinandersetzungen um die Reform des Familienrechts nicht besonders in Erscheinung treten. Während sich Justizministerium, Bundesregierung und Koalition in der 1. Legislaturperiode bei der Ausarbeitung des Entwurfs und mit seiner parlamentarischen Beratung viel Zeit gelassen hatten, legten sie nach Zusammentritt des neuen Bundestages plötzlich große Geschäftigkeit an den Tag. Im Justizministerium entstand unter Hochdruck ein neuer Regierungsentwurf, dessen Vorlage der Öffentlichkeit in Kürze angekündigt wurde. Außerdem legte die Regierungskoalition am 23. November 1953 eine Neuauflage des Initiativgesetzes zur Verfassungsänderung vor. 209

206

Zur Rechtsprechung nach dem 31. März 1953: Schneider, Hans: Zwischenbilanz im Gleichberechtigungsstreit, in: Juristenzeitung 8, 1953, Nr. 19, S. 590-592; Arnold, Egon: Ist die Durchführung des Art. 3 Abs. 2 GG nunmehr eine richterliche Aufgabe? in: Deutsche Richterzeitung 31, 1953, Nr. 7, S. 117-119; Die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der deutschen Rechtsprechung, in: HerderKorrespondenz 1954, S. 337-341. 207 Diiwell, Kurt: Entstehung und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland (1945-1961). Eine dokumentierte Einführung, Köln 1981, S. 252. 208 Schwarz, Hans-Peter: Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949— 1957, Stuttgart 1981, S. 27^»2. 209 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. II. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 83 (Antrag der Fraktionen der C D U / C S U , G B / BHE, D P betr.: Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zur Änderung des Artikels 117 des Grundgesetzes vom 23. November 1953).

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

251

Die große Eile, die schließlich in Nervosität ausartete, rührte daher, daß vor dem Bundesverfassungsgericht ein Normenkontrollverfahren lief, dessen Urteil - und das befürchteten die Christdemokraten - dem Gesetzgeber bei der weiteren Gestaltung des Ehe- und Familienrechts Fesseln anlegen könnte. Das Normenkontrollverfahren war vom Frankfurter Oberlandesgericht beantragt worden. Die dortigen Richter wollten wissen, ob der Art. 3, Abs. 2 gültige Rechtsnorm sei, was sie bezweifelten. 210 Um sich ihren Handlungsspielraum nicht einengen zu lassen, tat die Regierung etwas, was sie eigentlich nicht tun durfte: sie wurde in Karlsruhe vorstellig, und forderte das Bundesverfassungsgericht auf, das Normenkontrollverfahren auszusetzen. 211 Während sich die Karlsruher Richter mit dem Ersuchen der Bundesregierung beschäftigten, übersandte der Bundesjustizminister am 26. November 1953 dem Bundeskanzleramt den Referentenentwurf eines „Gesetzes über die Gleichstellung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts". 212 Gegenüber dem ersten Entwurf verzichtete er darauf, die Rechtsgleichheit auf dem Gebiet des Familienrechts wiederherzustellen und unterließ es außerdem, die sonstigen seit 1933 erlassenen Gesetze und Verordnungen familienrechtlichen Inhalts zu bereinigen. Der Justizminister unterließ es aber auch, das Ehegesetz des Kontrollrats zu reformieren. 213 Begründet wurde dieses Vorgehen damit, daß das Ehegesetz des Alliierten Kontrollrats „erst eingehend überprüft und erörtert werden (muß), bevor das Recht der Eheschließung und der Ehescheidung wieder in das bürgerliche Recht zurückgeführt werden kann". 214 Mit dieser Entscheidung kam das Justizministerium einem wesentlichen Kritikpunkt der katholischen Kirche am Entwurf I entgegen, und die Kirche konnte auch damit zufrieden sein, daß ihren sonstigen Einwänden in der 2.0

Wenn in einem Gerichtverfahren die Richter die Gültigkeit einer Bestimmung der Verfassung in Zweifel ziehen, dürfen sie nach Art. 100, Abs. 1 GG nicht selbst über eine Rechtsnorm entscheiden, sondern müssen diese Frage vielmehr dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen (vgl. dazu: Verlautbarung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 1953, abgedruckt in: Informationsdienst für Frauenfragen 1954, Nr. 1, Anlage A, S. 1). 2.1 Bonn und Karlsruhe nicht einer Meinung. Bundesregierung beantragt Aussetzung des Gleichberechtigungsverfahrens, in: Frankfurter Neue Presse vom 24. November 1953. 212 BA-B 141/2067 (Schreiben des Bundesjustizministers an Staatssekretär im Bundeskanzleramt vom 26. November 1953). 213 Zum Regierungsentwurf: Finke: Zum Schutz der Ehe und Familie. Der neue Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1954, Nr. 2 vom 6. Januar 1954, S. 10-12 und Nr. 3 vom 7. Januar 1954, S. 20-23. 214 BA-B 141/2067 (Anlage 3 zum Schreiben des Justizministers an Staaatssekretär im Bundeskanzleramt vom 26. November 1953: Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts, S. 1).

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IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Frage des ehemännlichen und väterlichen Entscheidungsrechts (§ 1354 und § 1628) stattgegeben worden war. Der Bundesfamilienminister, der um Stellungnahme gebeten wurde, fand dann auch keinen Anlaß, dem Entwurf sein Plazet zu verweigern.215 Es dürfte sich um einen puren Zufall gehandelt haben, daß am gleichen Tag, nämlich am 18. Dezember 1953, das Bundeskabinett den Entwurf beriet und das Bundesverfassungsgericht sein Urteil im Normenkontrollverfahren bekannt gab. Das Kabinett stimmte dem Entwurf ohne Widerspruch zu, was nicht weiter überraschend war.216 Auch der Karlsruher Spruch enthielt keine sensationellen Überraschungen. 217 Er bestätigte im Grunde nur, was die meisten Gerichte schon praktizierten: die Gleichberechtigung von Mann und Frau war seit 1. April 1953 rechtens, auch im Bereich des Ehe- und Familienrechts. Die Befürchtung der Christdemokraten, das Gericht könnte in der Frage der Entscheidungsbefugnis des Ehemannes und Vaters dem Gesetzgeber Leitlinien vorgeben, erwies sich als unbegründet. Weiterhin konnten die Bundestagsabgeordneten das Ehe- und Familienrecht in der Form verabschieden, die von der Mehrheit des Parlamentes befürwortet wurde. Nicht mehr möglich war nach dem Urteil eine Fristaufschiebung, aber dafür gab es längst keine Parlamentsmehrheit mehr, nachdem sich die Freidemokraten geschlossen zu einem Nein durchgerungen hatten. Die Freidemokaten hatten sich auch dafür ausgesprochen, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen.218 Dabei handelte es um den etwas überarbeiteten Entwurf der Regierung aus dem 1. Bundestag. Die Sozialdemokraten folgten dem Beispiel der FDP und präsentierten einen weiteren Gesetzentwurf,219 der im 1. Bundestag als Entwurf des Rechts- und Frauenausschusses der SPD bekannt geworden war.220 215

BA-B 141/2069 (Vermerk vom 10. Dezember 1953). 13. Kabinettssitzung am 18. Dezember 1953, in: Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Band 6: 1953. Bearb. von Ulrich Enders und Konrad Reiser, Boppard 1989, S. 573-574. 217 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Band 3, Tübingen 1954, S. 225248. Teilabdruck in : Frauen in der Nachkriegszeit, S. 177-178. Vgl. auch: KrügerNieland, Gerda: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in: Deutsche Richterzeitung 1954, S. 23-28; Krauss, Günther: Das Gleichberechtigungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, in: Zeitschrift für Familienrecht 1954, S. 61-67. 218 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. II. Wahlperiode. Anlage zu den Stenographischen Berichten, Nr. 112 (Antrag der FDP-Fraktion betr. Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts vom 2. Dezember 1953). 219 Ebd., Nr. 178 (Antrag der SPD-Fraktion betr. Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Familienrechts an Art. 3, Abs. 2 des Grundgesetzes vom 13. Januar 1954). 220 Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Familienrechts an Art. 3, Abs. 2 GG, vom Rechtspolitischen und Frauenausschuß der Sozialdemokratischen Partei 216

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

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Im Vorfeld der Bundestagsdebatte über diese drei Gesetzentwürfe gab es wieder Proteste der Frauenorganisationen, und in der Presse und im Rundfunk wurde ausführlich über die strittigen Punkte berichtet. Die Parlamentsdebatte selbst fand in einer emotionsgeladenen Atmosphäre statt.221 Die Redner wurden wiederholt durch Zwischenrufe an ihren Ausführungen gehindert. Eine Polarisierung zwischen der Regierungskoalition auf der einen und der SPD auf der anderen Seite fand auch dieses Mal nicht statt, da Befürworter und Gegner einer Familienrechtsreform in allen Parteien vertreten waren, und auch eine Trennlinie zwischen weiblichen und männlichen Abgeordneten war nicht auszumachen, weil bei den Männern wie bei den Frauen geteilte Ansichten über das Reformwerk bestanden.222 Die Rednerinnen, die gegen den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf Stellung bezogen, 223 traten sehr couragiert auf.224 Zu nennen wären da insbesondere die Oberkirchenrätin Elisabeth Schwarzhaupt (CDU), Mitglied der evangelischen Eherechtskommission, die gegen das männliche Entscheidungsrecht anging, und von einem protestantisch-biblischen Standpunkt aus für die Partnerschaft von Mann und Frau plädierte („Es gibt keine theologischen Gründe, die zur Aufrechterhaltung eines überwiegendenen Entscheidungsrechts des Mannes in § 1354 zwingen").225 Ihre sachlich vorgetragenen Argumente stießen nicht nur bei ihren politischen Freunden auf Nachdenklichkeit, selbst die katholische

Fortsetzung Fußnote von Seite 252 Deutschlands entwickelt und vom Parteivorstand gebilligt. 2. neudurchgesehene Aufl. Bonn [Dezember] 1952. 221 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. II. Wahlperiode. 15. Sitzung vom 12. Februar 1954, S. 473-516. 222 Vgl. auch : Gleichberechtigung im Streit der Parteien, in : Geselschaftspolitische Kommentare 1954, Nr. 6/7, S. 9-11. 223 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. II. Wahlperiode. Anlage zu den Stenographischen Berichten, Nr. 224 (Antrag eines Gesetzentwurfs über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts vom 29. Januar 1954). Der Bundesrat nahm am 22. Januar 1954 den Regierungsentwurf mit einigen Änderungen an (Bundesrat. 118. Sitzung vom 22. Januar 1954, S. 4-9). Zu § 1354 hatte der Bundesrat die von seinem Rechtsausschuß und seinem Ausschuß für innere Angelegenheiten vorgeschlagene Beibehaltung des Stichentscheides des Mannes in Angelegenheiten des gemeinsamen elterlichen Lebens gegen einen Antrag der Länder Hessen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein abgelehnt (BA-B 141/2069 [Stellungnahme zu den Beschlüssen des Unterausschusses des Rechtsausschusses des Bundesrates betreffend den Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts vom 8. Januar 1954]). 224 Papenhoff, Wilhelm K.: Die weiblichen Abgeordneten gaben ein Beispiel, in: Die Neue Zeitung 1954, Nr. 38 vom 7. Februar 1954. 225 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. II. Wahlperiode. 15. Sitzung vom 12. Februar 1954, S. 501.

254

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Herder-Korrespondenz kommentierte Frau Schwarzkopfs Vorstellungen mit den Worten: „Das Anliegen der Frauen muß durchaus ernst genommen werden". 226 Ihr zur Seite stand die Freidemokratin Marie-Elisabeth Lüders, die seit Jahrzehnten für die Frauenbewegung stritt. In ihrer Rede attackierte sie zunächst scharf den Bundesjustizminister und den Bundesfamilienminister, die vor ihr am Rednerpult gestanden hatten, und hielt dann eine bonmotreiche Philippika gegen das Patriarchat („Wir wünschen keine Generalvollmacht für den Mann!"). 227 Den Gegenpol zu diesen beiden Frauen bildete der Bundesfamilienminister Franz-Joseph Wuermeling, der sich, ganz im Sinne der katholischen Kirche, für eine Stärkung der männlichen Autorität in der Familie aussprach. Wuermeling griff den Individualismus an („Das Kind lehnt er vielfach ab"), 228 warnte vor einer Gleichberechtigung wie in der D D R („In der letzten Konsequenz enden diese Dinge dann [für Frauen] im Kohlen- oder Uranbergwerk") 229 und forderte eine Familienordnung, die das Wesen und die Würde der Frau achtet und schützt, aber auch Rücksicht „auf das Wohl der Kinder als das höchste Gut unserer Familien" nimmt. 230 Für den Bundesfamilienminister war diese Ordnung weitestgehend gewährt, wenn der Ehemann und Vater die Autorität in der Familie trug, denn „der Sinn der Autorität ist Sorge und Verantwortung für das Familienwohl, und sicher mehr eine Pflicht als ein Recht". 231 Wuermelings Plädoyer für die männliche Autorität war realitätsfern. Denn das Emnid-Institut stellte bei einer Repräsentativ-Umfrage kurz vor der Bundestagsdebatte fest: in etwa zwei Drittel der westdeutschen Familien besteht eine Gleichrangigkeit der Partner; nur bei einem Drittel ist der Mann Patriarch. 232 Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte der Soziologe Gerhard Wurzbacher. 233 226

Der Kampf um die Familienrechtsreform in der Bundesrepublik, in: HerderKorrespondenz 1954, S. 340-343, hier: S. 343. 227 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. II. Wahlperiode. 15. Sitzung vom 12. Februar 1954, S. 504. 228 Ebd., S. 488. 229 Ebd., S. 493. 230 Ebd. 231 Ebd., S. 488. 232 Fröhner, Rolf u.a.: Familie heute. Probleme in den deutschen Familien der Gegenwart, Bielefeld 1956, S. 156. 233 Wurzbacher, Gerhard: Leitbilder gegenwärtigen deutschen Familienlebens, Stuttgart 1954. Von den 164 untersuchten Familien (davon 150 nicht zerstörte, 14 zerstörte Familien) zeichneten sich 14% (21 von den intakten Familien) durch eine Vorrangstellung des Mannes aus, die auch von der Frau nach innen und außen anerkannt wurde. In einer zweiten Gruppe von Familien (11,3%, das waren 17 der intakten Familien) beanspruchte zwar der Mann eine Vorrangstellung, diese wurde aber von der Ehefrau nach außen nur noch teilweise anerkannt und war im Innenverhältnis

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

255

Wurzbacher konnte auch belegen, daß die Bauernfamilien noch am stärksten patriarchalisch strukturiert waren. Mit großem Abstand folgten die Familien der mittleren Beamten und Angestellten sowie die der selbständigen Gewerbetreibenden. Am wenigstens auf die männliche Autorität fixiert waren einerseits die Familien der Akademiker und freien Berufe, andererseits die der Arbeiter und unteren Angestellten. 2 3 4 Männliche Autorität oder Gleichrangigkeit der Partner in der Ehe - das war ein Thema, über das in den Öffentlichkeit in den folgenden Monaten

Fortsetzung Fußnote von Seite 254 der Gatten mehr oder weniger beseitigt. Eine dritte Gruppe von Familien (72,7%, das waren 109 der intakten Familien) beruhte auf der Anerkennung einer grundsätzlichen Gleichrangigkeit der Ehegatten, so daß Vorzugsstellungen nur durch persönliche Überlegenheit oder soziale Ausnahmesituationen bedingt waren. Grundsätzliche Vorrangansprüche der Ehefrau wurden nur in 2% (3 der intakten Ehen) der untersuchten Familien gestellt (ebd., S. 88). Außer diesen 164 Familien untersuchte Wurzbacher nochmals 385 andere Familien, wobei sich ein weitgehend ähnliches Bild innerhalb der vier Gruppen ergab (ebd., S. 88, 89, 159). 234 Ebd., S. 159-160. Wurzbachers Analyse der psychologischen und soziologischen Struktur der Ehegattenbeziehung zu Beginn der 50er Jahre ergab noch einen weiteren, aufschlußreichen Aspekt: Viele, insbesondere ältere Ehen lebten noch nach dem patriarchalischen Leitbild. Die Frau erwartet, daß der Mann ihr die Verantwortung abnahm. Zu dem patriarchalischen Leitbild trugen bei, das Nachwirken elterlicher Vorbilder, religiöse Anschauungen, Unselbständigkeit der Frau in beruflicher und politischer Hinsicht, Sonderstellung des Mannes durch den Beruf, ferner die Geltung ausgesprochen männlicher Anschauungen in Recht, Wirtschaft und Politik. In diesen Ehen wurde zum Teil die überkommene patriarchlische Form bewußt bejaht gegenüber modernen „Auflösungstendenzen". Dabei erwies sich auch das patriarchalische Leitbild durchaus als ein Faktor der „Stabilität" der Familienordnung. In vielen jüngeren Ehen hingegen war es umgekehrt. Schwebte dem Mann das patriarchate Leitbild vor, der Frau aber das der gleichrangigen Gefährtenschaft, so wirkte der patriachale Gedanke nicht stabilisierend, sondern führte zu Konflikten. Gar nicht selten kam es vor, daß der Frau ein patriarchalisches Ehebild vorschwebte, während der Mann eine gleichrangige Partnerschaft erwartete. Hier hatte das patriarchalische Leitbild ebenfalls keine „stabilisierende" Wirkung. Auch wirkt eine nach außen aufrecht erhaltene Scheinautorität des Mannes, die im Innenverhältnis in Wahrheit nicht respektiert wurde, nicht stabilisierend, sondern konfliktfördernd. Es kam also für die Stabilität der Ehe entscheidend darauf an, daß die Gatten nicht verschiedene, sondern gleiche Leitbilder vertraten. Ob die - übereinstimmenden Leitbilder patriarchalisch oder genossenschaftlich geprägt waren, war für die „Stabilität" weniger bedeutend. Schon damit war die These, wie ihn etwa die Kirchen vertraten, daß der Abbau des Patriarchalismus ehezerstörend wirke, weitgehend widerlegt. Auch das gemeinsame Leitbild gleichrangiger Gefährtenschaft der Ehegatten konnte Grundlage einer unverbrüchlichen und untrennbaren ehelichen Bindung sein. Es bestand keinerlei Grund zu der Annahme, daß solche Ehen weniger „stabil" als andere wären (ebd., S. 91-104).

256

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

nach der Bundestagsdebatte erregt diskutiert wurde 235 ; ein anderes das uneingeschränkte Recht der Frau auf Erwerbstätigkeit. 236 In Ermangelung neuer Argumente schlief die Diskussion darüber bald wieder ein. Ein Dauerbrenner in der Presseberichterstattung und in den Fachzeitschriften blieben hingegen die Beratungen im Rechtsausschuß, die sich zu einem wahren Beratungsmarathon entwickelten. Denn der Unterausschuß „Familienrechtsgesetz" des Rechtsausschusses brauchte fast zwei Jahre, um nach siebenundsiebzig Sitzungen zu dem Ergebnis zu gelangen, daß die Ausschußmitglieder sich in den wesentlichen Punkten nicht einigen konnten. 237

3.4.

Beratungsmarathon im Rechtsausschuß und Verabschiedung des Gleichberechtigungsgesetzes

Der Beratungsmarathon begann damit, daß der Rechtsausschuß am 1. April 1954 die Einsetzung des Unterausschusses „Familienrechtsgesetz" in Stärke von 17 Mitgliedern beschloß. 238 Elf Männern standen dabei sechs Frauen gegenüber. Darunter die Veteraninnen aus dem Parlamentarischen Rat: Frieda Nadig (SPD) und Helene Weber (CDU), und die beiden Parlamentsneulinge: Marie-Elisabeth Lüders (FDP) und Elisabeth Schwarzhaupt (CDU), die mit Engagement, Durchsetzungsvermögen und einer Portion Frechheit ein ständiger Unruheherd waren. 239 In der 21. (öffentlichen) Informationssitzung am 12. Juli 1954 fand ein Sachverständigen-Hearing statt, zu dem die Rechtswissenschaftler Günther Beitzke, Friedrich Wilhelm Bosch und Hans Dölle geladen wurden und über die Reform des ehelichen Güterrechts Referate hielten. 240 Damit beendete der Gesamtausschuß zunächst seine Beratungen und überließ die weitere Behandlung der Gesetzentwürfe dem Unteraus235

Vgl. Gleichrangigkeit von Mann und Frau im Streit der Parteien, in: Gesellschaftspolitische Kommentare 1954, Heft 6/7, S. 9-13. Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 179-184. 236 Mörsdorf, Josef: Gestaltenwandel des Frauenbildes und Frauenberufs in der Neuzeit, München 1958, S. 375-379. Weiterhin: BA-Nachlaß Lüders (Gesetzesvorlage über die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Überreicht von der Kölner Frauenkonferenz am 18. Juli 1954). Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 185-189, hier: S. 188-189. 237 BA-B 141/2072 (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht [16. Ausschuß] vom 25. April 1957, S. 2). 238 BA-B 141/2072 (Protokoll der 11. Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht am 1. April 1954). 239 Weiterhin gehörten der Frauenriege an: Lucie Beyer (SPD) und Edeltraut Maria Kuchtner (CSU). 240 Zur Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Eine öffentliche Informationssitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1954, Nr. 129 vom 15. Juli 1954, S. 129.

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

257

schuß „Familienrechtsgesetz", der sich in der Sitzung v o m 10. Februar 1955 konstituierte. D i e Beratungen des Unterausschuß b e g a n n e n am 18. April 1955 u n d erstreckten sich zunächst auf die R e f o r m des Güterrechts. D a b e i handelte es sich überwiegend u m die juristisch-technische Frage, w i e ein Güterstand auszusehen habe, der der Ehefrau einen gerechten Anteil an d e m während der Ehe Erworbenen sichert. Erwartungsgemäß k o n n t e n sich die Ausschußmitglieder o h n e große Schwierigkeiten einigen; fast alle Entscheidungen wurden einstimmig getroffen. 2 4 1 Mit der Eintracht war es aber vorbei, als der A u s s c h u ß seine Beratungen über das Verhältnis der Ehegatten zueinander u n d über das Verhältnis der Eltern zu den Kindern aufnahm. N a c h quälenden D i s k u s s i o n e n , in d e n e n die m ä n n l i c h e n Ausschußmitglieder der C D U / C S U ihre Position hartnäckig verteidigten, rang sich der Unterausschuß am 15. N o v e m b e r 1956 unter tätiger Mithilfe v o n Elisabeth Schwarzhaupt mit nur einer Stimme Mehrheit (8 zu 7 Stimmen) zur ersatzlosen Streichung des § 1354 durch. 2 4 2 Über die §§ 1628 (Stichentscheid des Vaters) und 1629 (Vertretungsrecht des Vaters) kam es j e d o c h zum Stimmenpatt (8 zu 8), so d a ß im Rechtsausschuß abgestimmt werden mußte, u n d der sprach sich jeweils mit Stimmenmehrheit für die Beibehaltung der §§ 1628 u n d 1629 in der Fassung

241

BA-B 141/2071 (Zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung des ehelichen Güterrechts in der Fassung des Unterausschusses „Familienrechtsgesetz" des Bundestages, S. S). 242 BA-B 141/2071 (Vermerk vom 20. November 1956). Der Regieningsentwurf sah vor, daß die Ehegatten alle Angelegenheiten, die das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffen, in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln haben und bei Meinungsverschiedenheiten versuchen müßten, sich zu einigen. Gelang diese Einigung nicht, dann sollte der Mann zu entscheiden haben, aber diese Entscheidung war für die Frau nicht verbindlich, wenn sie dem Wohl der Familie widersprach. Der Regierungsentwurf wollte einerseits außerfamiliären Instanzen, etwa dem Vormundschaftsgericht, keinen Einfluß auf höchstpersönliche, empfindliche intrafamiliäre Angelegenheiten erlauben, andererseits aber diese Angelegenheiten im Interesse des Familienschutzes auch nicht ungeregelt lassen. Der Unterausschuß war nicht bereit, diesen Erwägungen zu folgen, sondern entschied sich, den § 1354 zu streichen. Dabei war für die Mehrheit die Überzeugung maßgebend, daß die vom Regierungsentwurf vorgeschlagene Regelung dem Gleichberechtigungsgrundsatz widerspräche, Mann und Frau also nicht verschieden behandelt werden dürften, daß aber trotzdem keine Stelle außerhalb der Ehe die Befugnis haben dürfte, den Streit der Ehegatten zu entscheiden. Dem Familienfrieden sei am besten gedient, wenn die Eheleute von vornherein wüßten, daß es allein auf ihr Einverständnis ankomme. Überdies dürfe in einem Ehescheidungsprozeß die Rechtsstellung der Frau nicht dadurch geschwächt werden, daß man ihr die Beweislast für die Behauptung aufbürde, die von dem Mann getroffene Entscheidung habe dem Wohl der Familie widersprochen.

258

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

der Regierungsvorlage aus, 243 was zu Protesteingaben der Frauenverbände an den Bundestag führte. 244 Die endgültige Entscheidung lag nun beim Bundestag. Bevor dieser zusammentrat, stellte das Meinungsforschungsinstitut DIVO Bundesbürgern die Frage, ob Frauen die gleichen gesetzlichen und politischen Rechte haben sollten wie Männer. 67% der Befragten bejahten diese Frage, 30% verneinten sie, 8% hatten keine Meinung. Die höchste Ja-Quote (78%) wies die Gruppe der 35 bis 44 Jahre alten Männer auf. Die stärkste Ablehnung (37%) kam von Seiten der bis 25jährigen Frauen. 245 Am 3. Mai 1957 fand die 2. und 3. Lesung des Ehe- und Familienrechts statt, die in die Parlamentsgeschichte eingehen sollte.246 Denn mit allen Verfahrentricks, die gerade noch erlaubt waren, versuchten sich die Gegner und Befürworter der Reform gegenseitig die Mehrheiten zu nehmen. 247 Ein Antrag von Abgeordneten der CDU, den § 1354 in der Fassung der Regierungsvorlage wieder herzustellen, wurde mit 186 gegen 172 Stimmen bei 6 Enthaltungen in namentlicher Abstimmung abgelehnt. Die §§ 1628 und 1629 wurden gegen die gleichlautenden Änderungsanträge der Fraktionen der FDP, der SPD und von Abgeordneten der C D U mit 185 gegen 166 Stimmen bei einer Stimmenthaltung beibehalten. Am 8. Mai 1957 beriet der Unterausschuß des Rechtsausschusses des Bundesrates das Gesetz, das jetzt unter „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts", kurz „Gleichberechtigungsgesetz", geführt wurde. Der von Nordrhein-Westfalen gestellte und von Hessen und Niedersachsen unterstützte Antrag § 1628 zu streichen, wurde abgelehnt. 248 Am 24. Mai 1957 stimmte der Bundesrat dem Gesetz zu, das aber erst ein Jahr später, am 1. Juli 1958, in Kraft trat. 249 243

BA-B 141/2071 (Vermerk vom 13. Dezember 1956). Vgl. auch: Schwarzhaupt, Elisabeth: Bericht über die Vorschläge des Familienrechts-Unterausschusses im Bundestag. Die Wirkungen der Ehe im allgemeinen, in: Zeitschrift für Familienrecht 1957, S. 33-45. 244 Es protestierten u. a.: die Arbeitsgemeinschaft der überkonfessionellen und überparteilichen Frauenorganisationen Deutschlands (am 15. Februar 1957); der Bundesfrauenausschuß der FDP (am 24. Januar 1957); die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG)-Hauptvorstand-Gruppe der weiblichen Angestellten (13. Februar 1957); der Deutsche Verband berufstätiger Frauen; der Frauenverband Hessen, Landesgruppe im Deutschen Frauenring; die Vereinigung weiblicher Juristen und Volkswirte (abgedruckt in: Informationen für die Frau 1957 vom 15. Februar 1957, S. 4-6. 245 Fröhner/Stackelberg/Eser: Familie und Ehe, S. 315. 246 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. II. Wahlperiode. 206. Sitzung vom 3. Mai 1957, S. 11761-11763; 11768-11801. 247 Dazu: Feuersenger, Marianne: Die garantierte Gleichberechtigung. Ein umstrittener Sieg der Frauen, Freiburg 1980, S. 113-119. 248 BA-B 141/2072 (Vermerk vom 9. Mai 1957 und Vermerk vom 17. Mai 1957). 249 Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

259

Was brachte nun der jahrelange Streit in der Öffentlichkeit und im Parlament? Zunächst einmal: aufgewühlte Emotionen. Weiterhin: Enttäuschung auf beiden Seiten, bei den Gegnern wie den Befürwortern der Gleichberechtigung. Vor allem aber: nicht die volle Gleichberechtigung der Frau. 250 Zur Genugtuung der Gleichberechtigungsbefürworter war zwar der § 1354 mit dem Stichentscheid des Ehemannes auf der Strecke geblieben, aber damit konnten katholische Kirche und Konservative leben, da dies auch schon alles war, was der Gesetzgeber der Frau zugestand. 251 D a s Gleichberechtigungsgesetz war, wie ein Kommentator schrieb, „ v o m Geist der vorsichtigen Anpassung an den Gleichberechtigungsgrundsatz erfüllt". 252 Im Klartext hieß das: es war fast alles, nur leicht modifiziert, beim Alten geblieben. So behielt in der Frage der elterlichen Gewalt (§ 1628) der Vater das Entscheidungsrecht; 2 5 3 in der Frage der außerhäuslichen Berufstätigkeit (§ 1356) besaß die Ehefrau nur ein eingeschränktes Recht, da sie nur berufstätig sein durfte, wenn dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war (sogenannte Hausfrauenehe); und selbst in der Frage des Ehe- und Familiennamens (§ 1355) hatte es das Parlament nicht einmal für erforderlich gehalten, eine grundsätzliche ÄnFortsetzung Fußnote von Seite 258 bürgerlichen Rechts [Gleichberechtigungsgesetz] vom 18. Juni 1957 (Bundesgesetzblatt 1957, S. 609-640). Eine Synopsis der Ehe- und Familienrechtsbestimmungen des BGB von 1899, der Regierungsentwürfe von 1952 und 1953 sowie des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957 ist abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 190-203. 250 Dazu die Gesetzkommentare: Reinicke/Schwarzhaupt: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau nach dem Gesetz vom 18. Juni 1957, Stuttgart 1957; Krüger/ Breetzke/Nowack: Gleichberechtigungsgesetz. Kommentar, München 1958; Massfeller/Reinicke: Das Gleichberechtigungsgesetz mit Erläuterungen, Köln 1958; Müller, F. K. Wilhelm: Einführung in das Ehe- und Familienrecht nach dem Gleichberechtigungsgesetz. Ein Grundriß mit Beispielen aus der Praxis, Berlin 1957. Weiterhin: Schwab, Karl Heinz: Ehe und Familie im Lichte des Gleichberechtigungsgesetzes. Rektroratsrede, Erlangen 1958; Müller-Freienfels, Wolfram: Kernfragen des Gleichberechtigungsgesetz, in: Juristenzeitung 1957, S. 685-696; Paulick, H.: Das Eltern-Kind-Verhältnis gemäß den Bestimmungen des Gleichberechtigungsgesetzes, in: Zeitschrift für Familienrecht 1958, S. 1-7; Hagemeyer, Maria: Zum Gleichberechtigungsgesetz, in: Informationen für die Frau 1958, Nr. 5, S. 5-6. 251 Zur Bewertung des Gleichberechtigungsgesetzes aus katholischer Sicht: Ziegler, Albert: Das natürliche Entscheidungsrecht des Mannes in Ehe und Familie. Ein Beitrag zur Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau, Heidelberg 1958; Bosch, Friedrich Wilhelm: Bemerkungen zum Gleichberechtigungsgesetz, in: Zeitschrift für Familienrecht 189-196 und 231-233; ders.: Freiheit und Bindung im neuen deutschen Familienrecht, in: Zeitschrift für Familienrecht 1958, S. 81-88. 252 Dölle, Hans: Familienrecht. Darstellung des deutschen Familienrechts mit rechtsvergleichenden Hinweisen. Band I, Karlsruhe 1964, S. 29. 253 Utz, A. F.: Zum sogenannten Entscheidungsrecht des Mannes, in: Zeitschrift für Familienrecht 1958, S. 411-419.

260

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

derung vorzunehmen. Ganz zu schweigen davon, daß die Frau in das Kollisionsrecht und in das Staatsangehörigkeitsrecht überhaupt nicht miteinbezogen wurde. Die Mehrheit der Parlamentarier wollte der Frau nicht die volle Gleichberechtigung zugestehen. So blieb nur der Weg nach Karlsruhe, um über eine Verfassungsbeschwerde die Gleichberechtigung einzuklagen. Nicht einmal einen Monat nach Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes entsprach der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts einer von verschiedenen Ehefrauen und Müttern angestrengten Verfassungsklage und entzog in einem am 29. Juli 1959 verkündeten Urteil dem Mann das letzte Wort in Fragen der Erziehung der Kinder und aberkannte ihm zugleich das gesetzliche Alleinvertretungsrecht.254 Dementsprechend wurden die §§ 1628 und 1629, Abs. 1 in der Fassung des Gleichberechtigungsgesetzes für nichtig erklärt.255 Bei ernster Uneinigkeit der Eltern mußte künftig von beiden Ehepartnern der Vormundschaftsrichter zur Entscheidung angerufen werden.256 Den vorläufigen Schlußpunkt der gesetzgeberischen Bemühungen zur Verwirklichung des Gleichberechtigungssatzes bildete das Familienrechtsänderungsgesetz vom 11. August 1961,257 in dem der Scheidungsparagraph § 48, Abs. 2, gegen den die katholische Kirche sich so vehement zur Wehr gesetzt hatte, in einer modifizierten Form Aufnahme fand. Im Rechtsausschuß des Bundestages wurde über die Neufassung des § 48 eine heftige Debatte geführt, wobei die CDU/CSU im wesentlichen die 1952/53 im Regierungsentwurf vorgelegte Fassung vertrat, während Sozialdemokraten und Freidemokraten durch eine sogenannte Mißbrauchsklausel das Recht des widersprechenden Ehegatten auf Fortsetzung der Ehe stärker einschränken wollten.

254

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Band 10, Tübingen 1960, S. 59-89. Stellungnahmen zur Entscheidung: Bundesverfassungsgericht zur Gleichberechtigung der Geschlechter, in: Frauen und Arbeit 1959, Nr. 9, S. 13. 255 Im Endeffekt schloß sich das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung der Haltung der Gerichte zwischen dem Inkrafttreten von Art. 3, Abs. 2 GG und des Gleichberechtigungsgesetzes an. 256 Der Tenor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde mit Gesetzeskraft verkündet (Bundesgesetzblatt 1959, S. 633). Vgl. auch: Das gesamte Familienrecht. Sammlung der familienrechtlichen Vorschriften mit Hinweisen unter besonderer Berücksichtigung des Gleichberechtigungsgesetztes und des Familienrechtsänderungsgesetzes. Band 1 : Das innerstaatliche Recht der Bundesrepublik Deutschland. Bearb. von Franz Massfeiler. 2. Aufl. Frankfurt 1962. 257 Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften [Familienrechtsgesetz] vom 11. August 1961 (Bundesgesetzblatt 1961, S. 121). Weiterhin: Ehegesetz nebst Durchführungsverordnungen. Kommentar von Wilhelm Appell u.a., München 1968.

3. Die Regierungsvorlagen zur Änderung des Familienrechts

261

Die Fassung, die schließlich durch Mehrheitsentscheid Gesetz wurde, entsprach weitgehend einem SPD-Vorschlag. 258 Mit dem Scheidungsgesetz wurde aber nicht erreicht, was Bundesfamilienminister Franz-Josef Wuermeling bereits Anfang 1954 gefordert hatte: „Das Scheidungsrecht darf (keinen) Anreiz bilden, bei Schwierigkeiten gleich zum Scheidungsrichter zu laufen und alle Aussicht auf Erfolg zu haben". 259 Das neue Gesetz brachte nicht die Wende. Im Gegenteil: nach 1962 schnellten die Ehescheigungsziffern in die Höhe. 260 Der jahrelange Streit um das Gleichberechtigungsgesetz blieb nicht ohne Wirkung auf andere Bereiche, in denen die Gleichberechtigung von Mann und Frau eine erhebliche Rolle spielte. Das galt etwa für die Frage der Lohngleichheit, die immer wieder gefordert, aber nie wirklich realisiert wurde.

4.

4.1.

Frauenarbeitslohn zwischen Vorurteilen und Arbeitgeberinteressen

Die Beratungen des Ausschusses für Arbeit des Wirtschaftsrates über die Grundsätze der Lohnregelung

Am 14. Juli 1949 tagte der Ausschuß für Arbeit des Frankfurter Wirtschaftsrates. Auf der Tagesordnung stand ein einziger Punkt: Beratung des Gesetzentwurfs „Grundsätze der Lohnregelung". Seit Wochen wurde im Ausschuß über diesen Gesetzentwurf, dem ein Initiativantrag der SPD258 Der SPD-Abgeordnete Adolf Arndt schlug für die Mißbrauchsklausel den Text vor: „... so kann der andere der Scheidung widersprechen, es sei denn, daß auch dieser Ehegatte die innere Bindung an die Ehe verloren hat und es ihm an der wirklichen Bereitschaft fehlt, die Ehe fortzusetzen". Der Gesetzestext lautete: „... es sei denn, daß dem widersprechenden Ehegatten die Bindung an die Ehe und eine zumutbare Bereitschaft fehlen, die Ehe fortzusetzen". 259 Wuermeling, Franz-Josef: Bedeutung und Sicherung der Familie. Revision des Scheidungsrechts erforderlich - Gefahrdung der sozialen Sicherheit - Ernste Forderungen des Bundesministers für Familienfragen, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1954, Nr. 10 vom 16. Januar 1954, S. 73-75, hier: S. 74. 260 Gerichtliche Ehelösungen 1960 bis 1962, in: Wirtschaft und Statistik 1962, 5. 222-224. Wurden 1960 noch 3488 Ehen nach § 48 geschieden, so waren es 1962 2726 (-21,8%). Nach § 43 wurden 42740 Ehen 1960 geschieden und zwei Jahre später bereits 44419 ( + 3,9). Vgl. auch: Höhn, Charlotte: Rechtliche und demographische Einflüsse auf die Entwicklung der Ehescheidungen seit 1946, in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 6, 1980, S. 335-369.

262

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Fraktion zugrunde lag,261 diskutiert, ohne daß die Ausschußmitglieder sich einigen konnten.262 Meinungsverschiedenheiten gab es darüber, ob, und wenn ja, wie die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen bei gleicher Arbeit gesetzlich geregelt werden sollte.263 Der Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates war wenige Wochen zuvor nicht bereit gewesen, die Lohngleichheit im Grundgesetz zu verankern, aber er hatte sich darauf festgelegt, daß der Art. 3, Abs. 2 auch beinhalte, daß Männer und Frauen bei gleicher Arbeit Anspruch auf gleichen Lohn haben. Der Gesetzentwurf, der am 14. Juli dem Ausschuß vorlag, versuchte diesem Anspruch gerecht zu werden. § 1, Abs. 1 bestimmte, und darüber herrschte Einverständnis unter den Fraktionen, daß „die Regelung von Löhnen und Gehältern zwischen den Tarifparteien in freier Vereinbarung gemäß den Bestimmungen des Tarifvertragsgesetzes" erfolgen sollte.264 Damit wurde ein Vorgang fixiert, der seit Jahren, nur im „Dritten Reich" nicht, gehandhabt wurde. Der folgende Absatz (2) war jedoch das Problem, das bei den Politikern Unbehagen auslöste. Vorläufig geeinigt hatten sie sich auf die Formel, daß „nach Inkrafttreten dieses neuen Gesetzes (...) Regelungen von Löhnen und Gehältern, die eine geringere Lohnfestsetzung auf Grund des Geschlechtes vorsehen, nicht vereinbart werden (dürfen)". Wenn das Gesetz in dieser Form zur Verabschiedung gelangen sollte, wäre die Lohngleichheit zwischen Mann und Frau garantiert gewesen und damit ein jahrzehntelanger Streit zum Abschluß gebracht. Die christdemo261

Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1947-1949, Nr. 1044 (Initiativantrag der SPD-Fraktion. Entwurf eines Gesetzes über Grundsätze der Lohnregelung und Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen für Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnlichen Personen vom 5. März 1949). 262 ADGB-BV/15 (Sitzung des Ausschusses für Arbeit des Wirtschaftsrates am 17. Januar 1949, S. 1-2). 263 Zum Grundsatz der Gleichbehandlung in der Lohnfrage: Stree, Walter: Die Gleichberechtigung der Männer und Frauen im Arbeitsleben, Kiel (Diss.) 1953, S. 114-144; Wöhrmann, Albertus: Das Problem der Gleichheit im Arbeitsrecht, Würzburg (Diss.) 1961 ; Frey, Erich: Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Arbeitsrecht, München 1961, S. 27-32; ders.: Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Arbeitsrecht bei geldlichen Ansprüchen, Köln 1964, S. 97-109; Citak, Bilge: Der Schutz der Frau im deutschen Recht, Würzburg (Diss.) 1962, S. 68-72; Bickel, Dietrich: Über die Unmöglichkeit eines Grundsatzes der Gleichbehandlung im Arbeitsrecht, Marburg 1968, S. 8-28. Zur Lohngleichheit im westlichen Ausland: Die Gleichberechtigung der erwerbstätigen Frau. Verfassungsrechtliche Gleichstellungs-, Vertrags- und lohnpolitische Behandlung, in: Bundesarbeitsblatt 1950, S. 192-194; Bülck, Hartwig: Die Lohngleichheit von Mann und Frau als internationales Rechtsproblem, in: Recht der Arbeit 5, 1952, Nr. 1, S. 1-5. 264 ADGB-BV/32 (Entwurf eines Gesetzes über Grundsätze der Lohnregelung vom 21. Juni 1949).

4. Frauenarbeitslohn

263

kratischen und freidemokratischen Ausschußmitglieder waren sich jedoch nicht sicher, ob sie überhaupt so weit gehen durften, und zu diesem Zweck hatte der Ausschuß Vertreter der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und der Frauenverbände zu einem Informationsgespräch geladen.265 Wie zu erwarten, verlief die Diskussion äußerst kontrovers. Das Protokoll vermerkte: „Die Aussprache war sehr lebhaft". 266 Der Arbeitgebervertreter ging sofort zum Angriff über und sprach sich gegen eine Lohngleichheit aus. Er rechnete vor, welche Belastungen auf die Wirtschaft zukämen, wenn die Frauenlöhne auch nur auf 90% der Männerlöhne angehoben werden würden. Er nannte eine Mehrbelastung von 750 Millionen DM. Das wären Summen, so der Arbeitgebervertreter, die von den Unternehmen nicht verkraftet werden könnten. Und außerdem müßte jeder Frauenarbeitsplatz erst einmal einer Arbeitsplatzbewertung unterzogen werden und die erfordere Jahre und „sei für einige Industrien wohl überhaupt nicht möglich". Und drohend fügte er hinzu : Die Arbeitgeber würden sich mit aller Macht dagegen zur Wehr setzen, wenn ein Gesetz verabschiedet werden würde, das alle bestehenden Tarifverträge außer Kraft setze. Der Gewerkschaftsvertreter konterte mit der Feststellung, daß mit einer Stornierung und Abänderung der Tarifverträge nur die Forderung des Grundgesetzes erfüllt werde.267 Die bestehende Ungerechtigkeit auf lohnpolitischem Gebiet könne nicht länger geduldet werden, und was der Arbeitgebervertreter an Zahlen in den Raum stelle, seien Phantomzahlen, mit denen die Absicht verfolgt werde, die berechtigte Forderung nach Lohngleichheit zu desavouieren. Der Mehrbelastung der Wirtschaft, die keiner abstritte, stünden aber auf der anderen Seite besser bezahlte Frauen als Käuferinnen gegenüber. Und außerdem: Durch eine technische Verbesserung der Frauenarbeitsplätze könnten ohne weiteres die Mehrkosten ausgeglichen werden, die durch höhere Löhne entstünden. 265

Zur Frauenlohnfrage in der Nachkriegszeit: Prollins, H./Heitmüller, W.: Gleicher Lohn für gleiche Leistung, in: Nordwestdeutsche Hefte 1, 1946, Nr. 8, S. 1219; Altmann, E.: Frauenarbeit-Frauenlöhne, in: Die Arbeit 2, 1948, Nr. 5, S. 45-47; Debus, Ilse: Gleicher Lohn für Frauen auch bei Akkordrichtsätzen, in: FabrikEcho 2, 1948, Nr. 4, S. 2-3; Wie steht es mit den Frauenlöhnen? in: Der Bund 2, 1948, Nr. 24, S. 3-4; Gilbert, H.: Zur Frauenentlohnung, in: Mensch und Arbeit 1, 1949, Heft 6, S. 8-10; Maucher, Herbert: Zur Frage der Frauenentlohnung. Reiner Leistungs- oder Soziallohn, in: Mensch und Arbeit 1, 1949, Nr. 4, S. 73-74. 266 Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947-1949, Nr. 1480 (Antrag des Ausschusses für Arbeit betr.: Entwurf eines Gesetzes über Grundsätze der Lohnregelung vom 14. Juli 1949). 267 Der Vertreter der Verwaltung für Wirtschaft unterstützte ihn, als er bat, „die Grundrechte, die Frage der Gleichberechtigung und der Verwirklichung der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Leistung doch rechtlich sehr ernst nehmen zu wollen" (ebd., S. 2).

264

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Nachdem die Vertreter ihre Argumente und Gegenargumente ausgetauscht hatten, vollzog der Gewerkschaftsvertreter plötzlich eine Kehrtwendung. Soeben noch darauf bedacht, die Lohngleichheit einzufordern, schränkte er sie wieder ein, als er Verständnis für die Wirtschaft zeigte, die im Wettbewerb mit dem Ausland „ertrags- und konkurrenzfähig" bleiben müßte.268 Indirekt erklärte er sich schließlich mit den niedrigen Frauenlöhnen einverstanden. Über diese Wendung der Aussprache zeigte sich die Christdemokratin Helene Weber konsterniert. Nach ihrem Verständnis, so die Politikerin, sei die Wirtschaft für den Menschen da und nicht der Mensch für die Wirtschaft. Es müsse deswegen weiter darüber diskutiert werden, wie man der Frau helfen kann und nicht, wie man möglichst billig exportiert. Und verärgert stellte sie die Frage: „Haben wir jetzt 1850 oder das Jahr 1949"?269 Ohne Zweifel: Die Frage war überzogen, aber so abwegig war sie wiederum auch nicht. Denn die Einstellung der Arbeitgeber und der männlichen Vertreter der Gewerkschaften gegenüber der Arbeit und Entlohnung der Industriearbeiterin, und nur um die ging es hier, wurde trotz aller Fortschritte, die in den vergangenen Jahrzehnten auf tarifpolitischem Gebiet erzielt worden waren, immer noch von Grundannahmen und Vorurteilen geprägt, die bislang die Entlohnung der erwerbstätigen Frau so schwierig gestalteten und damit eine Einigung über den Gesetzentwurf nahezu unmöglich machten.

4.2.

Die Entwicklung der Frauenlöhne seit Beginn der industriellen Frauenarbeit

Das Dilemma mit dem Arbeitslohn der Industriearbeiterin setzte in den Anfängen der industriellen Produktionsweise ein, als die Hausindustrie ihren Niedergang erlebte und immer mehr Familien in Not gerieten. Um zu überleben, sahen sie sich gezwungen, die Ehefrauen und Töchter, die vorher als mithelfende Familienangehörige an der Produktion beteiligt gewesen waren, in die Fabriken zu schicken, in denen vor allem Bedarf an ungelernten Kräften herrschte.270 Dem Angebot an Arbeitsplätzen in der Industrie stand eine viel größere Zahl an arbeitswilligen Männern und Frauen gegenüber. Da die Frauen, im Gegensatz zu vielen Männern, keine berufliche Qualifikation besaßen, was bei den meisten Arbeitsgängen im industriellen Produktionsprozeß auch nicht Bedingung war, wurden sie von den Unternehmern aus Ko268

Ebd., S. 2. Ebd. 270 Kuczynski, Jürgen: Geschichte des Alltags des deutschen Volkes. Studien 3: 1810-1870, Köln 1981, S. 326-330.

269

4. Frauenarbeitslohn

265

stengründen den Männern vorgezogen. Das brachte wiederum die Männer gegen die Frauen auf : einerseits, weil die Frauen den Lohn drückten, andererseits, weil Frauen ihnen den Arbeitsplatz wegnahmen.271 In dieser Zeit der wirtschaftlichen Existenzängste und des Konkurrenzneides entstanden die Vorurteile über die mindere Wertigkeit der Frauenarbeit, die schließlich von den Unternehmern als Begründung für die unterschiedliche Gestaltung der Männer- und Frauenlöhne herangezogen wurden.272 So wurde behauptet, die Frau leiste im allgemeinen weniger als der Mann. Weiter wurde erklärt, zwischen Männern und Frauen bestünden wesentliche Unterschiede in Kenntnissen, Ausbildung und Erfahrung.273 Auch das „Gefühlsargument" wurde genannt, das besagt, die tägliche Sorge um die Familie stelle die Arbeit der Frau unter ein ganz anderes Gesetz als die Arbeit des Mannes, und daher sei es unzulässig, zu verlangen, daß der weibliche Arbeitnehmer immer mit gleicher Konzentration, gleicher Regelmäßigkeit und gleicher Hingabe arbeite wie der von häuslichen Arbeiten und Sorgen vielfach weniger beanspruchte Mann.274 Schließlich, aber das war dann schon Jahre später, als die Schutzgesetzgebung für Frauen eingeführt wurde, schoben die Arbeitgeber noch das Kostenargument gegen eine Gleichstellung der Löhne nach. Es wurde behauptet, die besonderen Schutzgesetze für Frauen belasteten die Betriebe mit hohen „unproduktiven" Kosten. Diese Vorurteile hielten sich auch dann noch, als die Voraussetzungen, die zu ihrer Entstehung geführt hatten, entfallen waren. Sobald nämlich die Mechanisierung des Produktionsprozesses den Grad erreicht hatte, daß der ungelernte und der angelernte Arbeiter zum eigentlichen Träger der industriellen Produktion aufstieg, wurde der unqualifizierte Arbeiter zu einer vollständigen Arbeitskraft. In den Anfängen der industriellen Produktionsweise erfolgte die Entlohnung nach zwei Lohngruppen: in der einen wurden die Facharbeiter (Gesellen), die über eine Berufsausbildung mit Lehre und abgelegter Prüfung verfügten, zusammengefaßt, in der anderen die Hilfsarbeiter (Helfer).275 Im weiteren Verlauf der industriellen Entwicklung schob sich zwi271

Wilbrandt, Robert: Die Frauenarbeit. Ein Problem des Kapitalismus, Leipzig 1906, S. 67. 272 Braunwarth, Henry: Die Spanne zwischen Männer- und Frauenlöhnen. Tatsächliche Entwicklung und kritische Erörterung ihrer Berechtigung, Köln 1955, S. 117-154. 273 Heim, Friedel: Gleiche Leistung Voraussetzung für gleiche Entlohnung von gewerblichem Lohnarbeiter und gewerblicher Lohnarbeiterin, Frankfurt (Diss.) 1951, S. 24-26. 274 Knolle, H.: Der Frauenlohn, AR-Blattei, Lohn X, S. 2b. 275 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution" 1815— 1845/49, München 1987, S. 244-247.

266

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

sehen Facharbeiter und Hilfsarbeiter der Angelernte. Diese drei Lohngruppen reichten lange Zeit aus. Als sich durch die fortschreitende Mechanisierung und Rationalisierung das Anforderungsprofil der Arbeitsplätze veränderte, erfolgte eine Erweiterung der Lohngruppen um zwei weitere Stufen. Hinzu kamen der „qualifizierte ungelernte Arbeiter" und der „qualifizierte Facharbeiter". Diese Lohngruppen gingen von einem 100-Prozent-Lohn, dem sogenannten Ecklohn, aus.276 Unter Ecklohn wurde der Lohn verstanden, der einem Facharbeiter zu zahlen war, der über 21 Jahre alt war, eine Lehre abgeschlossen hatte und der in seinem Beruf beschäftigt wurde. Auf diesen Ecklohn baute sich die Relation zu den anderen Lohngruppen auf: der Hilfsarbeiter erhielt 75% vom Ecklohn, der angelernte Arbeiter 85%, der qualifizierte angelernte Arbeiter 95% und der qualifizierte Facharbeiter 120%.277 Die Frauenlöhne wurden an Hand dieser (Männer-)Lohngruppen sowie der Alters- und Ortsklassenrelation, abzüglich eines Frauenabschlags errechnet.278 In der Zeit zwischen dem Beginn der Industrialisierung und dem Ausbruch des ersten Weltkrieges betrug der Frauenlohn, abgesehen von einzelnen Ausnahmen, 279 ungefähr 30 bis 60% des Männerlohnes.280 Im ersten Weltkrieg begannen sich die Männer- und Frauenlöhne leicht anzunähern, wenn sich auch keine grundlegende Wandlung der bisherigen Lohnrelation durchsetzen konnte.281 Ein wesentlicher Abbau der Frauenlohn116

Radke, Olaf/Rathert, Wilhelm: Gleichberechtigung? Eine Untersuchung über die Entwicklung der Tariflöhne und Effektivverdienste der Frauen in der Metallindustrie nach dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, Frankfurt 1964, S. 10. 277 Diese einzelnen Gruppen wurden durch sogenannte Tätigkeits- und Persönlichkeitsmerkmale umschrieben, ähnlich der Umschreibung der Lohngruppe des Ecklohnes. Innerhalb der einzelnen Lohngruppen erschien dann wiederum eine Altersrelation - meistens vom 16. bis 21. Lebensjahr. Nach dieser Altersrelation wurde von der Lohnhöhe der einzelnen Lohngruppe ein Abzug vorgenommen. Und weiterhin erschien dann nochmals eine Ortsklassenrelation, durch die wiederum Abschläge an der Lohnhöhe vorgenommen wurden. Die Umschreibung der Lohngruppen, also die Aufzählung der Merkmale nach denen sich bestimmt, in welche Lohngruppe die Arbeit bzw. der Arbeiter eingruppiert werden sollte, enthielt Persönlichkeitsmerkmale (Berufslehre, Anlernzeit) und Tätigkeitsmerkmale. 278 Einige Tarifverträge sahen von den Männerlohngruppen unabhängige Frauenlohngruppen vor, die aber im gleichen Prozentsatz von den Männerlohngruppen abwichen, wenn man die Frauenlohngruppen nach ihren Umschreibungsmerkmalen mit den Umschreibungsmerkmalen der Männerlohngruppen vergleicht. 279 Salomon, Alice: Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit, Berlin 1906, S. 19-20. 280 ADGB-BV/43 (Referat über die Entwicklung der Frauenlöhne im Bundesgebiet anläßlich der Sitzung des DGB-Bundesfrauenausschusses am 25. März 1957 in Hamburg-Hochkamp, S. 5). 281 So verdienten beispielsweise in der Elektroindustrie die weiblichen Arbeitskräfte im Jahre 1916 nur 68% und im Jahre 1918 sogar nur 50% des Männerlohns. In der Chemischen Industrie bewegten sich die Frauenlohnanteile in den Jahren

4. Frauenarbeitslohn

267

spanne erfolgte unmittelbar nach der Revolution von 1918, als es den Gewerkschaften gelang, teilweise eine gleiche Entlohnung für Männer und Frauen durchzusetzen. 282 Nachdem sich aber der Vorkriegsstand in der Arbeitsplatzbesetzung von Männern und Frauen wieder weitgehend eingependelt hatte, machte sich ein leichtes Absinken des Frauenlohnanteils bemerkbar. 283 In der überwiegenden Zahl der Fälle betrug der Frauenlohnanteil in der Weimarer Republik für die weiblichen gewerblichen Arbeiter 60 bis 80%, bei den weiblichen kaufmännischen Angestellten etwa 80 bis 90%. Damit war die Tradition des niedrigen Frauenlohnanteils der Vorkriegszeit gebrochen, wenn auch die anfangs erstrebte grundsätzliche Gleichstellung von Mann und Frau von den Gewerkschaften nicht erreicht werden konnte. 284 Auch von 1933 bis 1945, der Zeit staatlicher Lohnfestsetzung, vollzog sich keine Änderung dieser Relation. 285 Selbst während des Zweiten Weltkrieges konnte sich keine durchgreifende Änderung in der Lohnrelation herausbilden, weil der Staat die eingetretene inflatorische Entwicklung des Geldes nicht durch erhöhte Frauenlöhne verstärken wollte.286 Nach Kriegsende übernahmen die Besatzungsmächte die Regelung der Löhne. 287 Um die inflatorische Geldentwicklung nicht noch mehr zu verstärken, bestätigten sie den allgemeinen Lohnstopp des „Dritten Reiches". 288 Nach der Währungsreform im Juni 1948 wurde durch den Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets am 10. November 1948 der Lohnstopp aufgehoben. Obwohl die Frauenabteilungen der einzelnen GeFortsetzung

Fußnote von Seite 266

zwischen 1915 und 1918 zwischen 44 und 55% des Männerlohns. Das heißt, der Industriearbeiter hatte im Jahr 1918 einen Tagesverdienst von RM 12 und die Industriearbeiterin von RM 6,60 bei gleicher Arbeit. 282 Sperling, H.: Die ökonomischen Hintergründe für die Minderbezahlung der weiblichen Arbeit, Berlin 1930, S. 52. 283 Bajohr, Stefan: Die Hälfte der Fabrik. Geschichte der Frauenarbeit in Deutschland 1914 bis 1945. 2. verbesserte Aufl. Marburg 1984, S. 41-42. 284 Ebd., S. 46. 285 Oehlandt, Elisabeth: Deutsche Industriearbeiterinnenlöhne 1928-1935. Ein Beitrag zum Problem des gerechten Lohns, Rostock 1937, S. 57; Bajohr: Die Hälfte der Fabrik, S. 56-59. 286 Winkler, Dörte: Frauenarbeit im Dritten Reich, Hamburg 1978, S. 164-175. 287 HStA-NW 6 2 / 1 0 7 - 1 0 9 (Schreiben des Regierungspräsidenten/Düsseldorf an Oberpräsidenten der Nord-Rheinprovinz vom 4. Oktober 1945, Blatt 2). 288 Kontrollratsdirektive Nr. 14 (Grundsätze für die Bestimmungen betreffs Arbeitslöhne) vom 12. Oktober 1945, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 1/2, S. 5 - 6 ; Ergänzung zur Kontrallratsdirektive Nr. 14 (Lohnpolitik) vom 13. September 1946, in: ebd., Nr. 7 / 8 , S. 231 ; Verordnung des Präsidenten des Zentralamtes für Arbeit (betr.: Kontrollratsgesetz Nr. 52, hier: eingefrorene Löhne und Gehälter) vom 4. Juli 1947, in: ebd., Nr. 7 / 8 , S. 232; Verordnung des Präsidenten des Zentralamtes für Arbeit (betr. Lohnstopp) vom 18. Juli 1947, in: ebd., Nr. 7 / 8 , S. 231-232.

268

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

werkschaften mit Nachdruck die gleiche Entlohnung von Männern und Frauen bei gleicher Arbeit forderten, 289 ging es den Gewerkschaften in den Jahren 1948 und 1949 vor allem darum, erst einmal einen angemessenen Lohn zu erkämpfen und das durch den Lohnstopp sehr entzerrte Lohngefüge generell zu normalisieren.290 Das war dann auch der Grund, warum sich der Gewerkschaftsvertreter in der Sitzung des Arbeitsausschusses des Wirtschaftsrats am 14. Juli 1949 nicht mit letzter Konsequenz für die Anpassung der Männer- und Frauenlöhne einsetzten. Und so wurde, sehr zum Mißfallen der Gewerkschafterinnen, der Entwurf eines Gesetzes über die „Grundsätze der Lohnregelung" entschärft. Hieß es noch in der Vorlage, daß Tarifverträge keine Regelungen enthalten „dürfen", die die Frauen diskriminieren, so lautete die Neufassung: Tarifverträge „sollen" keine Regelung enthalten.291 An diesem Gummiparagraphen hatten auch die Abgeordneten des Wirtschaftsrates nichts auszusetzen. Denn ohne Gegenstimmen, also auch mit den Stimmen der Sozialdemokraten, wurde das Gesetz verabschiedet,292 das nur deswegen keine Rechtskraft erlangte, weil die Besatzungsmächte ihre Zustimmung verweigerten.293

4.3.

Gutachterstreit zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften um die Lohngleichheit

Nach der Konstituierung des 1. Bundestages griffen die Kommunisten das Problem der Lohngleichheit wieder auf 294 und legten einen Gesetzentwurf vor, in dem gefordert wurde, im Familienrechtsgesetz den Grundsatz zu verankern, daß bei gleicher Arbeit die Frau einen Rechtsanspruch auf 2,9

ADGB-BV/2 (Protokoll über die Tagung der Frauenausschüsse der Bünde vom 25. bis 27. Januar 1949 in Rod a. d. Weil [Taunus]. Tagesordnungspunkt 2: Die tariflichen Bestimmungen über Entlohnung der Frauen, S. 9-18). HStA-NW 49/45 (Schlichtungswesen: Situationsbericht über Massenkündigungen von Lohntarifen infolge des Preislohn-Problems. Drohende Arbeitskämpfe vom 17. März 1949), Blatt 44-^7. 2,0 HStA-NW 45/866-873 (Gewerkschaft Textil-Bekleidung an Arbeitsministerium Nordrhein-Westfalen/Schlichtungsstelle vom 29. Juni 1949). 291 ADGB-BV/32 (Entwurf eines Gesetzes über Grundsätze der Lohnregelung in der Fassung vom 14. Juli 1949). 292 Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947-1949 (Wörtlicher Bericht über die 39. Vollversammlung am 19./20. Juli 1949, S. 1925). 293 Abschließender Bericht des Präsidenten des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes über die Gesetzgebung des Wirtschaftsrates, Frankfurt (7. September) 1949, S. 12. 294 Mit der Lohngleichheitsproblematik hatten sich die Kommunisten bereits in einer Denkschrift an den Wirtschaftsrat befaßt (ADGB-BV/16 [Denkschrift der KPD-Fraktion im Wirtschaftsrat über die Rolle und Bedeutung der Frauen und Jugendlichen im Produktionsprozeß vom 1. November 1948).

4. Frauenarbeitslohn

269

gleichen Lohn, wie er aufgrund tariflicher Vereinbarung den Männern zustand, haben sollte.295 Die KPD-Abgeordnete Grete Thiele begründete in der Bundestagssitzung am 1. Dezember 1949 den Antrag mit den Worten: „Von allen Forderungen, die die Frauen im Sinne der Gleichberechtigung erheben, ist (der Rechtsanspruch der Frauen auf Zahlung von gleichem Lohn bei gleicher Arbeit) eine der wichtigsten Forderungen. Denn heute stehen Hunderttausende von Frauen im Arbeitsprozeß, haben eine Familie zu versorgen und arbeiten unter Bedingungen, die wesentlich schlechter sind als die der Männer". 296 Die Bundestagsparteien anerkannten generell die Lohngleichheit. So erklärte die Christdemokratin Helene Weber: „Es (ist) eine Ungerechtigkeit, Mann und Frau bei gleicher Leistung verschieden zu entlohnen". 297 Die Sprecher der bürgerlichen Parteien (die SPD äußerte sich nicht im Plenum zu dieser Frage) stellten sich aber auf den Standpunkt, daß diese Frage Gegenstand von Tarifverhandlungen und des Tarifrechts sein müßte.298 Die Arbeitgeberverbände teilten diesen Standpunkt und dachten überhaupt nicht daran, den Frauenlohn dem Männerlohn anzupassen oder den Frauenlohn zum Gegenstand von Tarifverhandlungen zu machen.299 Berechnungen ergaben, daß die ersatzlose Streichung der die Frauen diskriminierenden Vertragsbestimmungen den Frauen eine Erhöhung der Löhne bis zu 25% gebracht hätte und daß dabei den Unternehmern eine Erhöhung des Lohnkostenanteils vom Umsatzwert von maximal 5% entstanden wäre - Belastungen, die ohne große Schwierigkeiten von den Unternehmern hätten verkraftet werden können, insbesondere wenn die Belastungen über mehrere Jahre verteilt worden wären.300 Aber den Arbeitgeberverbänden ging es ums Prinzip. Sie ließen die Gewerkschaften wissen, daß sie gegen eine Angleichung und somit gegen eine ersatzlose Streichung der Frauenabschlagsklausel und der gesonderten Frauenlohngruppen wären, da es sich bei den Tätigkeiten um typische Frauenarbeit handele. Und damit die Gewerkschaften nicht auf die Idee kamen, sich bei ihrer Forderung nach Lohngleichheit auf Artikel 3 des Grundgesetzes zu stützen, erklärten sie weiter, daß der 295

Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 206 (Antrag des Abgeordneten Renner und Genossen betr. rechtliche Gleichstellung der Frauen vom 15. November 1949). 296 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 19. Sitzung vom 1. Dezember 1949, S. 567. 2,7 Ebd., 20. Sitzung vom 2. Dezember 1949, S. 624. 298 Ebd., S. 627, 628. 299 Lohn für Frauen und Frauenarbeit, in: Der Arbeitgeber 2, 1950, Nr. 15, S. 2324; Der Frauenlohn im Grundrecht, in: ebd. 2, 1950, Nr. 10, S. 234-237. 300 Stremitzer, Leda: Die wirtschaftliche Bedeutung der Gleichberechtigung von Mann und Frau mit besonderer Berücksichtigung von Frauenerwerbstätigkeit und Frauenentlohnung, Hamburg (Diss.) 1955, S. 95.

270

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Artikel keine Auswirkungen auf die bestehende Tarifordnung habe. 301 Denn dieser Gesetzesartikel binde nur den Staat, Männer und Frauen in der Gesetzgebung gleich zu behandeln. Für eine Entlohnung sei der auf dem Tarifvertrag beruhende Arbeitsvertrag maßgebend und dieser sei ebenso wie der Tarifvertrag ein privatrechtlicher Vertrag. 302 Ihre Interpretation ließ sich der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände (BdA) in mehreren Rechtsgutachten bestätigen. 303 Dabei bewiesen die Gutachter Sinn für überraschende Kehrtwendungen. So kam der Münchener Rechtswissenschaftler Alfred Hueck nach Auswertung der Protokolle des Parlamentarischen Rates und der zum Thema erschienenen Literatur zunächst zu dem Ergebnis, daß der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau „sich auch auf die arbeitsrechtliche Stellung der Frau und insbesondere auf die Bemessung des Lohnes (erstreckt)". 304 Um dann zu erklären, der Grundsatz der Gleichberechtigung binde aber nur den Staat und gelte nicht für Einzelarbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge. Ebenso spitzfindig nahm er zur Lohngleichheit Stellung. Einerseits machte er deutlich, daß die einseitige Schlechterbehandlung der Frauen gegen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstoße und deshalb unzulässig sei. Im gleichen Atemzug schränkte er seine Feststellung wieder ein: „Sofern kein sonstiger Grund für die Schlechterstellung besteht". 305 Die Arbeitgeber hatten aber genügend Gründe, den Frauen die Lohngleichheit vorzuenthalten. Einen Grund führte Hueck gleich selbst an. Denn für ihn kam die Lohngleichheit auch nur dann in Frage, wenn die Gesamtleistung der Frau „innerhalb eines nicht ganz kurz gemessenen Zeitraumes der Gesamtleistung des Mannes in jeder Hinsicht" entsprach. 306 Bei den in der Praxis angewandten Arbeitsplatzbewertungsmethoden, die höchst umstrit-

301

Enderle, Irmgard: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit - Nicht aktuell? in: Die Quelle 1, 1950, Nr. 4, S. 185-187. 302 Arbeitgeberverbände beharren auf Sondertarifen für Frauen, in : Die Neue Zeitung 1950, Nr. 101 vom 6. Mai 1950. 303 Schmidt-Rimpler, Walter/Gieseke, Paul/Friesenhahn, Ernst/Knur, Alexander: Die Lohngleichheit von Männern und Frauen. Zur Frage der unmittelbaren Einwirkung des Art. 3, Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes auf Arbeits- und Tarifverträge, in: Archiv des öffentlichen Rechts 1950/51, S. 165-186; Jellinek, W.: Die Entlohnung der Frau nach Artikel 3 des Grundgesetzes, in: Der Betriebsberater 1950, Nr. 17, S. 425-427; Schätzel, Walter: Welchen Einfluß hat Artikel 3 Abs. 2 des Bonner Grundgesetzes auf die nach dem 24. Mai 1949 geschlossenen Einzelarbeits- und Tarifverträge? in: Recht und Arbeit 1950, Nr. 7, S. 248-254. 304 Hueck, Alfred: Die Bedeutung des Art. 3 des Bonner Grundgesetzes für die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Frauen. Rechtsgutachten erstattet für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln 1951, S. 39. 305 Ebd. 306 Ebd.

4. Frauenarbeitslohn

271

ten waren, konnte es Jahre dauern, bis die Arbeitsbewertung abgeschlossen war. 307 D e r D e u t s c h e G e w e r k s c h a f t s b u n d gab seinerseits Gutachten in Auftrag, in d e n e n naturgemäß eine G e g e n p o s i t i o n b e z o g e n wurde. Für den K ö l n e r Rechtswissenschaftler H a n s N i p p e r d e y war der Artikel 3 des Grundgesetzes kein Programmpunkt, sondern unmittelbar geltendes Recht. 3 0 8 Seiner A u s l e g u n g zufolge waren alle Tarifverträge, die seit d e m 24. Mai 1949 (an diesem Tag trat das Grundgesetz in Kraft) abgeschlossenen w o r d e n waren, ungültig u n d mußten neu ausgehandelt werden, w o b e i darauf zu achten war, d a ß die Frauen bei gleicher Leistung Anspruch auf die tariflichen M ä n n e r l ö h n e haben. 3 0 9 Wer hatte recht: die Gutachter der Arbeitgeber oder die Gutachter der Gewerkschaften. Selbst die Arbeitsgerichte, die sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen hatten, verkündeten recht unterschiedliche Urteile: einmal unterstützten sie die Ansicht der Arbeitgeber, ein anderes Mal die Position der Gewerkschaften. 3 1 0 D a der Bundestag sich viel Zeit mit der A n p a s s u n g des Familienrechtsgesetzes an den Artikel 3 des Grundgesetzes ließ, blieb vorerst eine Rechtsunsicherheit bestehen, die viel R a u m für Interpretationen u n d richterliche A u s l e g u n g e n zuließ. 3 1 1 Inzwischen traten die Gewerkschaften o f f e n s i v für die Lohngleichheit ein: zumindest in der Öffentlichkeit. In den Tarifverhandlungen war 307

Die Entwicklung der Arbeitsbewertungsmethoden ging von den Vereinigten Staaten aus. In Deutschland wurde die Arbeitsbewertung erst seit 1935 angewendet. Besondere Fortschritte machte diese Entwicklung während des Krieges in der Metallindustrie. Sie führte 1944 zur Schaffung des „Lohngruppenkatalogs Eisen und Metall". Die bekannteste deutsche Methode wurde von Euler-Stevens ausgearbeitet (Euler, H. und Stevens, H.: Unterlagen und Anleitungen für die analytische Arbeitsbewertung (als Hilfsmittel für die Leistungsentlohnung), in: Zeitschrift für Maschinenbau und Fertigung 81, 1948, Nr. 3/4). Zur Arbeitsbewertung: Keller, Peter: Grundfragen der Arbeitsbewertung, Köln 1949; Poth, Fritz: Arbeitsbewertung und Frauenentlohnung, in: Sozialer Fortschritt 1, 1952, Nr. 6, S. 66-67; Gaul, Dieter: Die Arbeitsbewertung in ihrer rechtlichen Bedeutung, Kassel 1954; Vorschlag einer Arbeitsbewertung. Hrsg. vom Arbeitsausschuß für Fragen der betrieblichen Leistungsentlohnung im Gesamtverband der metallindustriellen Arbeitgeberverbände. 2 Bde., Wiesbaden 1954. 308 Nipperdey, Hans C.: Gleicher Lohn der Frau für gleiche Leistung. Rechtsgutachten erstattet dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Köln 1951. Weiter: ders.: Gleicher Lohn der Frau für gleiche Leistung. Ein Beitrag zur Auslegung der Grundrechte, in: Recht der Arbeit 1950, Nr. 4, S. 121-128; sowie ders.: Gleicher Lohn für gleiche Leistung, in: Der Betriebsberater 1951, S. 282-284. Ähnliche Ansichten wie Nipperdey vertraten: Bischoff, H.A.: Der Frauenlohn, in: Der Betriebsberater 1950, Nr. 17, S. 427-428 und Beitzke, Günter: Kommentar zu einem Gerichtsurteil, in: Recht der Arbeit 1951, Nr. 1, S. 39-40. 30 » Nipperdey: Gleicher Lohn, S. 30-32. 310 Schulte Langenforth, Maria: Frauenlöhne und Grundgesetz, in: Bundesarbeitsblatt 1953, S. 74-76. 311 Protokoll. Deutscher Gewerkschaftsbund. 1. Frauenkongreß. Mainz 27.-29. Mai 1952, Düsseldorf 1952, S. 56.

272

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

zum Leidwesen der Gewerkschafterinnen 312 - von ihrem Angriffsgeist wenig zu spüren. Hohe Arbeitslosenzahlen und leere Streikkassen ließen sie gegenüber den Arbeitgebervertretern moderat auftreten. Und im übrigen war die Lohngleichheit nur ein Problem und nach Ansicht der Gewerkschaftsvertreter nicht einmal das drängendste. Die Tarifverträge, die zwischen 1950 und 1955 abgeschlossen wurden, sahen dann auch entsprechend aus. In der Mehrzahl der Tarifverträge wurde weiterhin zwischen Frauenlohn und Männerlohn unterschieden, 313 nicht selten sogar unter Hinzufügung einer unmißverständlichen Definition. So hieß es zum Beispiel im Tarifvertrag für die Salinenbetriebe: „Für körperlich leichte Arbeiten, wie sie von Frauen ausgeführt werden können." Oder im Vertrag mit der Rheinisch-Westfälischen Obst- und Gemüseverwertungsindustrie: „Typische Frauenarbeiten sind Arbeiten, die der Konstitution der Frau entsprechen und deshalb in den Betrieben üblicherweise von Frauen verrichtet werden". 314 Die tariflichen Abschläge für Frauenlöhne betrugen durchschnittlich 5 bis 30%.315 In der Baustoffindustrie waren es 20%, in der Chemischen Industrie zum Teil 10 und 18%, in der Feinkeramischen Industrie 25%, im Druckgewerbe bei den angelernten Arbeiterinnen 23% und bei den Hilfsarbeiterinnen 32%, in der Textilindustrie in verschiedenen Tarifbereichen 16 bis 22%.316 Zudem wurden in fast sämtlichen Wirtschaftszweigen die Löhne für männliche Arbeiter stärker erhöht als für weibliche. Lediglich in der Nahrungs- und Genußmittelbranche und in der Bekleidungsindustrie holten die Frauen etwas auf. So stieg in der ersteren der Frauenlohn um 53% (zwischen 1950 und 1955), während die Arbeiter nur 46% gewannen. In der Bekleidungsindustrie erhielten die weiblichen Arbeiter 38% mehr Lohn, die männlichen dagegen nur 35% (vgl. dazu die Tabellen 15 und 16). 312

HStA-RW 177/39 (Entschluß des Frauenarbeitstages des DGB-Landesbezirks Nordrhein-Westfalen vom 5. Mai 1950). 313 Frauenlohn und Männerlohn, in: Der Betriebsberater 7, 1952, Nr. 7, S. 123125; Zur Lohngleichheit von Mann und Frau, in: Die Quelle 3, 1952, Nr. 4, S. 3-5; Nr. 7, S. 3-4; Die Frauenlöhne und der 31. März, in: Sozialer Fortschritt 1953, Nr. 4, S. 83-88; Lohngleichheit für Frauen und Mädchen, in: Die neue Ordnung 7, 1953, S. 234-237. 314 HStA-NW 45/711-713 (Tarifvertrag für den Salinenbergbau vom 30. September 1950 und Tarifvertrag für die Rheinisch-Westfälische Obst- und Gemüseverwertungsindustrie vom 1. August 1951). 315 Poth: Arbeitsbewertung, S. 66. 316 ADGB-BV/68 (Referat R. Beykirch über die Entwicklung der Frauenlöhne im Bundesgebiet anläßlich der Sitzung des DGB-Bundesfrauenausschusses am 25. März 1957 in Hamburg). Teilabdruck in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 216-219. Vgl. auch: Witting, U.: Frauenlohn nach fünf Jahren Grundgesetz, in: Bundesarbeitsblatt 1954, Nr. 7, S. 211-213, hier: S. 212.

273

4. Frauenarbeitslohn

Tabelle 15 Bruttostunden Verdienste männlicher und weiblicher Arbeiter in der Industrie 1954-1957 (in Pfg.)

Eisenschaffende Industrie männlich weiblich weiblich in % zu männlich Metallverarbeitende Industrie männlich weiblich weiblich in % zu männlich Chemische Industrie männlich weiblich weiblich in % zu männlich Industrie der Steine und Erden männlich weiblich weiblich in % zu männlich Glasindustrie männlich weiblich weiblich in % zu männlich Textilindustrie männlich weiblich weiblich in % zu männlich Baugewerbe männlich weiblich weiblich in % zu männlich Druckereigewerbe männlich weiblich weiblich in % zu männlich Schuhindustrie männlich weiblich weiblich in % zu männlich Nahrungs- und Genußmittelindustrie männlich weiblich weiblich in % zu männlich Kunststoffverarbeitende Industrie männlich weiblich weiblich in % zu männlich

1954

1955

1956

1957

220,6 156,8 71,1

237,9 167,7 70,5

259,2 185,9 71,1

284,0 174,9 61,6

189,3 123,9 65,5

200,4 131,5 65,6

219,0 145,0 66,2

231,6 153,3 66,2

192,7 122,1 63,4

202,8 129,7 64,0

221,2 145,6 65,8

234,7 152,8 65,1

171,1 122,0 71,3

184,9 133,7 72,3

201,9 148,0 73,3

220,5 155,9 70,7

175,2 104,2 59,5

185,9 109,9 59,1

202,2 121,3 60,0

223,5 134,8 60,3

157,8 120,5 76,4

166,4 126,5 76,0

181,0 140,1 77,4

206,9 150,5 72,7

184,0 124,2 67,5

199,0 142,5 71,6

212,1 139,4 65,7

231,3 153,9 66,5

210,4 110,3 52,4

221,5 115,1 52,0

238,7 126,0 52,8

269,3 139,5 51,8

166,1 115,7 69,7

173,1 121,5 70,2

187,4 137,3 73,3

201,5 148,1 73,5

160,5 100,6 62,7

171,4 108,5 63,3

186,5 118,0 63,3

203,6 128,7 63,2

168,5 106,5 63,2

180,7 113,7 62,9

197,2 125,6 63,7

209,7 133,7 63,8

(Quelle: BA-B 211/26 - Aufstellung des Deutschen Gewerkschaftsbundes - Bundesvorstand - Hauptabteilung „Frauen")

274

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Tabelle 16 Durchschnittliche bezahlte Wochenarbeitszeit, Bruttostunden- und -Wochenverdienste der Arbeiter in der Industrie einschl. Baugewerbe in der Bundesrepublik (ohne Saarland) 1950-1958 A. Grundzahlen Jahresdurchschnitt 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958

Wochenarbeitszeit Männer Frauen 49,0 48,5 48,5 48,8 49,5 49,8 49,0 47,1 46,4

45,2 44,2 44,7 45,5 45,9 46,1 45,5 44,3 43,1

Bruttostundenverdienst Männer Frauen 138,1 158,2 171,2 178,8 183,8 196,3 213,3 236,1 250,9

88,4 101,5 107,4 112,8 115,9 123,0 136,0 146,1 158,4

Bruttowochenverdienst Männer Frauen 67,65 76,96 82,99 87,19 90,96 97,73 104,49 111,20 116,41

40,01 44,85 48,02 51,34 53,21 56,66 61,94 64,63 68,35

B. Indexzahlen (1950 = 100) Jahresdurchschnitt

1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958

Wochenarbeitszeit Männer Frauen 100 99 99 99 100 101 99 96 94

100 97 99 101 101 102 101 98 95

Bruttostundenverdienst Männer Frauen 100 115 124 130 133 143 156 170 181

100 115 122 128 132 140 155 170 185

Bruttowochenverdienst Männer Frauen 100 114 123 129 134 143 155 162 170

100 112 121 129 134 142 155 167 177

(Quelle: Bundesarbeitsblatt 1960, Nr. 5, S. 156) Vergeblich bemühten sich die Gewerkschaften, über die Ratifizierung der Genfer Konvention Nr. 100 Bewegung in die Lohnfrage zu bekommen. 317 Die Konvention „ Ü b e r gleiches Entgelt für männliche und weibliche Arbeitnehmer für gleichwertige Arbeit" verpflichtete nämlich die Mitgliedsstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), dafür zu sorgen, daß in ihren Ländern Männer und Frauen gleich entlohnt wurden. 3 1 8 D a die Bundesregierung Mitglied der IAO war, hätte sie satzungsgemäß 311

BA-B 211/115 (Schreiben der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft an Bundesarbeitsminister Storch vom 16. Juli 1952). 318 Übereinkommen Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Juni 1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, in: Gleicher Lohn für männliche und weibliche Arbeitnehmer bei gleichwertiger Arbeit, in: Bundesarbeitsblatt 1951, S. 441.

4. Frauenarbeitslohn

275

die Konvention ratifizieren müssen. Die Bundesregierung zog es jedoch vor, sich nicht in die Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber hineinziehen zu lassen und hielt die Konvention unter Verschluß. 3 "

4.4.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1955 und die Leichtlohngruppen für Frauen

Als am 18. Dezember 1953 das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil feststellte, daß die Gleichberechtigung von Mann und Frau auch ohne das fehlende Anpassungsgesetz seit dem 1. April 1953 wirksam sei, geriet die Lohnfrage in Bewegung.320 Der Deutsche Gewerkschaftsbund sah sich durch den Karlsruher Richterspruch in seiner Ansicht bestätigt, daß Artikel 3 des Grundgesetzes auch die Lohngleichheit von Männern und Frauen beinhalte.321 Dies juristisch einwandfrei abzuklären, dazu bot sich ein Musterprozeß vor dem Bundesarbeitsgericht in Kassel an. Der Fall, der schließlich zur Verhandlung kam, war alltäglich. In einer Stuhlfabrik war eine Frau als Hilfsarbeiterin tätig. Ihre Arbeit, die im Stundenlohn vergütet wurde, bestand darin, Holzteile, die von einer Holzbearbeitungsmaschine abgeworfen wurden, zu stapeln. Die Maschine wurde ausschließlich von Männern bedient. Da das Arbeitspensum von der Maschine bestimmt wurde, mußte die Arbeitsleistung, die von den Männern und Frauen erbracht wurde, im wesentlichen gleich sein. Die Hilfsarbeiterin erhielt laut Tarifvertrag der holzverarbeitenden Industrie Niedersachsens 80% der Männerlöhne. Die beschäftigte Arbeitnehmerin klagte nun unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz und das Benachteiligungsverbot auf Zahlung des Männer-Arbeitslohns. Das von den Tarifparteien mit Spannung erwartete Urteil wurde vom 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts am 15. Januar 1955 verkündet.322 Die 319

Nachdem sich der Streit um die Lohngleichheit etwas gelegt hatte, verabschiedete der Bundestag am 7. Dezember 1955 einstimmig den von der SPD-Fraktion eingebrachten Entwurf eines „Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 100 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Juli 1951 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit" (Verhandlungen des Deutschen Bundestages. II. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 1369). 320 Artikel 117 des Grundgesetzes und der Frauenlohn, in: Der Arbeitgeber 8, 1953, Nr. 7, S. 198-201. 321 Zur Diskussion über den Artikel 3 des Grundgesetzes im Arbeitsrecht: BinderWehberg, Friedelind: Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Eine soziologische und arbeitsrechtliche Untersuchung, Berlin 1970. 322 Urteil vom 15. Januar 1955 (1 AZR 305/54) in: Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG E) 1, S. 258; Kommentar von Hilde-

276

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Richter vertraten die Auffassung, daß der Gleichberechtigungsgrundsatz auch den Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau umfasse. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes mit aller Deutlichkeit. Dieser Grundsatz, so die Richter weiter, sei auch für Tarifverträge verbindlich, und damit seien allgemeine Abschlagsklauseln für Frauenlöhne in Tarifverträgen, wenn die Frauen die gleiche Arbeit wie die Männer leisteten, verfassungswidrig und nichtig. 323 Der Deutsche Gewerkschaftsbund war über den Richterspruch höchst zufrieden. Er hatte erreicht, was er wollte: die Bestätigung nämlich, daß der Artikel 3 auch die Lohngleichheit umfaßt. 324 Die Arbeitgeberverbände machten kein Hehl aus ihrer Enttäuschung. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung ließen sie vor der Presse verlauten, daß sie beim Bundesverfassungsgericht gegen die Auffassung, daß im Art. 3 bindendes Recht auch für die Tarifverträge gegeben sei, Beschwerde eingelegen würden. 325 Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber ging dann doch nicht nach Karlsruhe. Sie drohte aber in den folgenden zwei Jahren, diesen Schritt noch zu vollziehen, nachdem sie sich in mehreren Gutachten die Zulässigkeit und die Erfolgsaussicht einer Verfassungsbeschwerde bestätigen ließ. 326 Das war aber nur eine Drohgebärde, denn längst hatten die Arbeitgeber Fortsetzung Fußnote von Seite 275 gard Krüger, in: Neue Juristische Wochenschrift 1955, S. 684-686; Der Betriebsberater 1955, S. 255-258; Der Betrieb 1955, S. 363-364. 323 In zwei weiteren Urteilen, am 2. März und 6. April 1955, wurden einzelne Punkte noch deutlicher formuliert, so daß alle drei Urteile als seine Einheit betrachtet werden müssen. Das Urteil vom 2. März 1955 (1 AZR 246/54) ist abgedruckt in: Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG E) 1, S. 267-298; Kommentar von Hildegard Krüger, in : Neue Juristische Wochenschrift, S. 688 ; Der Betriebsberater 1955, S. 288-289; Der Betrieb 1955, S. 315-316. Das Urteil vom 6. April 1955 (1 AZR 365/54) in: Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG E) 1, S. 348-384. Kommentar in: Der Betriebsberater 1955, S. 542-553; Der Betrieb 1955, S. 583-384. 324 Gleicher Lohn für Mann und Frau, in: Der Gewerkschafter 3, 1955, Nr. 6/7, S. 5-7; Das Bundesarbeitsgericht und die Frauenlöhne, in: Druck und Papier 7, 1955, S. 52-57; Der Frauenlohn, in: Der Arbeitgeber 7, 1955, Nr. 1/2, S. 3 und 5. 325 Der Grundsatz der Gleichberechtigung in der Entlohnung, in: Informationsdienst für Arbeitgeber 1955, Nr. 5 und 6. 326 Klein, Friedrich: Rechtsgutachten über verfassungsrechtliche Fragen des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 2. März 1955 betreffend Lohngleichheit von Mann und Frau, Düsseldorf 1955; Maunz, Theodor: Rechtsgutachten zur Frage, ob Tarifverträge dem Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau unterworfen sind, Düsseldorf 1956; Dietz, Rolf: Rechtsgutachterliche Äußerung zu der Frage, ob Art. 3 Absätze 2 und 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland der Berücksichtigung einer geringeren Wertigkeit von Frauenarbeit gegenüber der Männerarbeit sowie einer typisch geringeren sozialen Belastung der Frau gegenüber dem Mann bei der Aufstellung einer Norm für den Lohn entgegensteht, Köln 1957.

4. Frauenarbeitslohn

277

eine Möglichkeit gefunden, wie sie doch noch die Frauenabschläge, wenn auch nicht als solche gekennzeichnet, in die Tarifverträge einbauen konnten. Den Hinweis hatten, wenn auch unbeabsichtigt, die Kasseler Richter selbst gegeben, als sie erklärten, keine Bedenken anzumelden, „wenn Frauen geringer entlohnt werden, weil gerade sie es sind, die die leichtere Arbeit oder die überwiegend leichtere Arbeit leisten".327 Die Arbeitgeber gingen nun dazu über, neue (Leicht-)Lohngruppen einzuführen, in denen nicht mehr zwischen Frauen- und Männerlöhnen unterschieden wurde, sondern zwischen „leichter" und „schwerer" Arbeit oder auch zwischen „Personen, die überwiegend mit leichter" und solchen, die „überwiegend mit schwerer Arbeit" beschäftigt wurden.328 Die Gewerkschaften erkärten sich damit einverstanden, die Tarifverträge auf diese neuen Lohngruppen umzustellen und die Masse der erwerbstätigen Frauen in die „leichteren" Lohngruppen einzustufen, obwohl sie wußten, daß es sich hier um den „klaren Versuch einer Umgehung des Gleichberechtigungsgrundsatzes durch Vermeidung diffamierender Begriffe und durch Tarnung von Frauenlohngruppen" handelte.329 In der Praxis sah das dann so aus: Vor der Umstellung der Tarifverträge erhielten „Putzfrauen, Flaschenwäscherinnen ohne Verantwortlichkeit" im bayerischen Einzelhandel D M 1,05 die Stunde. Männliche „Laufburschen, Wächter, Hofarbeiter, Austräger und Wagenwäscher" bekamen D M 1,25. Die weibliche Hilfsarbeiterin erhielt also 84% des Männerlohnes für eine Arbeit, die als „gleichwertig" bezeichnet werden durfte. Nach der Umstellung bekamen nun „Arbeitskräfte mit leichterer Arbeit ohne besondere Verantwortlichkeit, wie zum Beispiel Austräger, Wächter und Laufburschen" D M 1,35. Für „sonstige Hilfsarbeiten wie Reinigungsarbeiten, Flaschenwaschen, Etikettieren" wurden dagegen D M 1,15 in der Stunde bezahlt, das waren 85% des Männerlohnes.330 Abgesehen davon, daß der Lohn gestiegen war, war alles beim Alten geblieben: die Arbeiterinnen wurden auch weiterhin bei gleicher Arbeit schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen 331 (vgl. dazu Tabelle 17).

Witting: Lohngleichheit für Mann und Frau, in: Bundesarbeitsblatt 1955, S. 789-796, hier: S. 790. 328 Radke/Rathert: Gleichberechtigung, S. 14. 329 ADGB-BV/38 (Schreiben des DGB-Bundesvorstandes an Mitglieder des Lohnpolitischen Ausschusses im D G B betr.: Stellungnahme des Hauptvorstandes der I G Chemie, Papier, Keramik zu den Bundesarbeitsgerichtsurteilen vom 3. August 1955, S. 6). Vgl. auch: Unzulässigkeit tariflicher Abschlagsklauseln bei Frauenlohn-Kollektivmacht und Individualrechte, in: Der Betriebsberater 11, 1956, Heft 19, S. 152-157. 330 Eisner, Ilse: Der Frauenlohn in unserer Zeit, in: Die Wirtschaft braucht die Frau. Hrsg. von Ruth Bergholtz, Darmstadt 1957, S. 31-55, hier: S. 49. 331 H S t A - N W 62/105-106 (Abschrift aus der Niederschrift über die Besprechung über Fragen des Lohn-, Tarif- und Schlichtungswesens sowie der Heimarbeit am 16./17. Mai 1956 in Königswinter), Blatt 37. 327

278

IV. Gleichberechtigung und Frauenerwerbstätigkeit (1948-1957)

Tabelle 17 Entwicklung der Tariflöhne im Tarifbereich Metallindustrie Niedersachsen 1950-1960 (in % der Facharbeiterlöhne) Tarif gültig ab 01.01.50 01.02.51 01.05.51 16.11.51 01.10.52 01.10.54

14.12.55 01.10.56

01.09.57 01.01.58 01.09.58 01.01.59 01.08.59 01.07.60 01.01.52

Hilfsarbeiter m w 80 80 80 80 80,5 81

Angelernte m w 90 90 90 90 90,5 90,5

64,5 64,5 65,5 65,5 67 67

I. Einfachste Arbeiten m w

II. Einfache Arbeiten m w

80 80

83 83

68,5 67,5

70,5 70,5

I. Einfachste Arbeiten körp. leicht

II. Einfache Arbeiten körp. leicht

80 80 80 80 80 80 80

83 83 83 83 83 83 83

71 71 72 72 72 72 72

74 74 75 75 75 75 75

72 72 74 74 75 75

III. Arbeiten mit Anlernung m w 89 89

75,5 75,5

III. Arbeiten mit Anlernung körp. leicht 89 89 89 90 90 90 90

79 79 80 80 80 80 80

(Quelle: Geschäftsbericht der Abteilung Frauen im Bundesvorstand des DGB 1962-1964, Düsseldorf 1964, S. 89) Sehr zum U n w i l l e n der Gewerkschafterinnen, 3 3 2 die protestierten, auch g e g e n die eigene Gewerkschaftsführung, der sie vorwarfen, „nicht mehr das n o t w e n d i g e Interesse, w e l c h e s der Frage des Frauenlohnes z u k o m m e n müßte", aufzubringen. 3 3 3 D e n G e w e r k s c h a f t e n blieb aber kaum etwas anderes übrig, als sich mit der U m g r u p p i e r u n g in leichte u n d schwere Arbeit 332

Die Forderung des DGB für die berufstätigen Frauen: Gleiche Entlohnung für Männer und Frauen, in: Frauen und Arbeit 1958, Nr. 11, S. 1-6. 333 So H. Beykirch in ihrem Referat in der DGB-Bundes-Frauenausschußsitzung am 25. März 1957 über die Entwicklung der Frauenlöhne (ADGB-BV/43). Vgl. auch die Aussprache über die Frauenlohnfrage in der Ausschußsitzung (ebd. [Niederschrift über die DGB-Bundes-Frauenausschußsitzung am 25. März 1957 in Hamburg]). Weiterhin: Niederschrift über die Sitzung des DGB-Bundes-Frauenausschusses am 29. Mai 1958 in Düsseldorf (ADGB-BV/38). Das Protokoll vermerkte zur Lohnfrage: „Die Kolleginnen (haben) ganz klar ihre Meinung zur Frage des gleichen Lohnes zum Ausdruck gebracht und die Haltung der Tarifsekretäre scharf kritisiert" (S. 1).

4. Frauenarbeitslohn

279

abzufinden. Da sich Tarifverträge nie allein auf Frauenlöhne erstreckten, stand bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern jeweils mehr als eine Angleichung der Männer- und Frauenlöhne auf dem Spiel. Auch die betroffenen Männer wollten Ergebnisse sehen, zum Beispiel Fortschritte in der Arbeitszeitverkürzung, in der Frage der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder andere tarifliche Verbesserungen. So mußten die Gewerkschaften, um für jeden etwas aus den Verhandlungen herauszuholen, kompromißbereit bleiben.334 Ihre Verhandlungsstrategie war dann auch so angelegt, daß die Schere zwischen Männer- und Frauenlöhnen mit jeder Verhandlungsrunde immer enger werden sollte mit dem Ziel, eine völlige Angleichung von Männer· und Frauenlöhnen herbeizuführen. Vorerst versuchten sie die unzufriedenen Gewerkschafterinnen mit dem Hinweis zu vertrösten, daß die Arbeiterinnen von Jahr zu Jahr mehr Geld in ihrer Lohntüte hätten. Tatsächlich stieg 1955 der Bruttowochenverdienst je Arbeitnehmer gegenüber dem Vorjahr um 8,0%, ein Jahr später auf 8,2%, um dann über 5,9% (1957), 6,7% (1958) und 5,1% (1959) im Jahre 1960 mit 8,7% einen Nachkriegshöchststand zu erreichen.335 Der beträchtliche Lohnanstieg war aber nicht in erster Linie den Gewerkschaften und ihrer geschickten Verhandlungsführung zu verdanken, sondern dem wirtschaftlichen Aufschwung in den 50er Jahren, der den Westdeutschen das „Wirtschaftswunder" bescherte, dem ich mich jetzt unter dem Aspekt der Frauenerwerbsarbeit zuwende.

334

Bergmann, Joachim/Jacobi, Otto/Müller-Jentsch, Walter: Gewerkschaften in der Bundesrepublik. Gewerkschaftliche Lohnpolitik zwischen Mitgliederinteressen und ökonomischen Systemzwängen, Frankfurt 1975, S. 25-27. 335 Franke, Adolf: Preise und Löhne in der Bundesrepublik Deutschland 1950, Tübingen 1964, S. 66-75.

Kapitel V Übergänge: Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

1.

Der Korea-Boom und der wirtschaftlich-industrielle Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland

1.1.

Der Angriff der nordkoreanischen Truppen am 25. Juni 1950

Am 25. Juni 1950 überschritten nordkoreanische Truppen den 38. Breitengrad, der Nord- und Südkorea trennt, und marschierten auf Seoul zu. Zunächst handelte es sich nur um einen der zahlreichen Grenzzwischenfälle, die seit Monaten die Beziehungen zwischen den beiden Staaten belasteten. Schuld an der sich verschärfenden Situation hatte der südkoreanische Präsident Syngman Rhee, der einem korrupten Regime vorstand und der mit allen Mitteln versuchte, Nordkorea zu provozieren, um bei einem kommunistischen Angriff mit Hilfe der Vereinigten Staaten die Wiedervereinigung der beiden Länder zu erzwingen. Obwohl die Truman-Administration nicht an einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Teilstaaten interessiert war, ließ sie sich von Rhee und dem amerikanischen Oberbefehlshaber in Japan, General MacArthur, davon überzeugen, daß hinter dem nordkoreanischen Vormarsch die Sowjetunion stand, der jedoch ebenso wenig wie den Vereinigten Staaten an einem kriegerischen Konflikt in Ostasien gelegen war. Mißverständnisse, Vorurteile und Prestigedenken führten schließlich dazu, daß aus einem lokalen Grenzkonflikt ein mehrjähriger Krieg entstand, in dem die Vereinigten Staaten sowie die Sowjetunion und die Volksrepublik China aktive militärische Hilfe leisteten.1 Der Korea-Krieg führte weder zum Sturz des südkoreanischen Regimes, was zunächst Absicht des nordkoreanischen Grenzzwischenfalls gewesen war, noch konnten die beiden Länder wiedervereinigt werden. Als der Krieg nach zweieinhalbjährigem wechselvollen Verlauf zu Ende ging, 1 Zum Korea-Krieg: Spanier, John W.: The Truman-MacArthur Controversy and the Korean War, Cambridge 1959; Paige, Glenn D.: The Korean Decision: June 24-30, 1950, New York 1968; Guttmann, Allen: Korea: Cold War and Limited War. 2. Aufl. Lexington 1972; Bonwetsch, Bernd/Kuhfus, Peter M.: Die Sowjetunion, China und der Koreakrieg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 33, 1985, S. 28-87.

1. Der Korea-Boom

281

wurde beim Waffenstillstand am 26. Juli 1953 „der Status quo ante nur minimal zugunsten Rhees verbessert".2

1.2.

Die Folgen des Korea-Konfliktes auf die westdeutsche Wirtschaftsentwicklung

Mit Kriegsbeginn in Ostasien stieg sprunghaft die Nachfrage des Auslandes nach westdeutschen Investitionsgütern und Rohstoffen, und im Inland begannen die Verbraucher aus Angst, der Konflikt könnte in eine Auseinandersetzung zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ausarten, Konsumgüter zu horten.3 Bis zu diesem Zeitpunkt waren die industriellen Kapazitäten der Bundesrepublik bei weitem noch nicht voll ausgelastet. Diese freien Kapazitäten kamen jetzt der westdeutschen Industrie zugute, ausländische Aufträge zu übernehmen. 4 Das hatte zur Folge, daß die industrielle Produktion in der zweiten Hälfte des Jahres 1950 von Monat zu Monat anwuchs und im Jahr 1951 einen vorläufigen Nachkriegshöchststand erreichte (vgl. dazu die Tabellen 18 und 19). Im November lag der saisonübliche Produktionshöchststand um ein Drittel über dem von 1949Λ Auch die Zahl der Beschäftigten nahm zu, von 14,3 Millionen (30. Juni 1950) auf 14,9 Millionen (30. Juni 1951).6 Dennoch ging die Arbeitslosigkeit nicht spürbar zurück, von 8,2% auf 7,7%.7 Strukturelle Ursachen und der kontinuierliche Strom von Zuwanderern aus dem Osten erschwerten die Lösung des Arbeitslosenproblems auch unter günstigen Nachfragebedingungen. Der Korea-Boom schuf aber auch neue Probleme. Im Herbst 1950 wuchs das Defizit in der Handelsbilanz beängstigend schnell, als die Industrie, die mit kriegsbedingten Verknappungen ihre Erfahrung hatte, ihre Lager an ausländischen Rohstoffen vergrößerte und sich gleichzeitig die Einfuhr infolge der Hamsterkäufe verängstigter Verbraucher erhöhte.8 Zudem führte die stürmische industrielle Entwicklung im Innern 2

Loth, Wilfried: Die Teilung der Welt. Geschichte des Kalten Krieges 1941-1955. 7. überarb. Aufl. München 1989, S. 272. 3 Abelshauser, Werner: Probleme des Wiederaufbaus der westdeutschen Wirtschaft 1945-1953, in: Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953. Hrsg. von Heinrich August Winkler, Göttingen 1979, S. 243. 4 Abelshauser, Werner: Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Frankfurt 1983, S. 68. 5 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1952, Stuttgart 1952, S. 209. 6 Ebd., S. 88-89. 7 Ebd., S. 90. 8 Zwischen September und Dezember 1950 erhöhten sich die Gesamteinfuhren von 1006,3 Millionen DM auf 1323,1 Millionen DM, wobei die Nahrungsmittelimporte von 472,1 Millionen DM auf 511,8 Millionen DM und die Rohstoffimporte von

282

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Tabelle 18 Anstieg des Produktionsindex von 1950 auf 1951 (1936= 100)

Gesamte Industrie Bergbau Grundstoff- u. Produktions-Güterindustrie Investitionsgüter Verbrauchsgüterindustrie Nahrungs- u. Genußmittel

1950

1951

%

110,9 103,7 103,4 112,9 113,4 108,2

131,2 116,4 121,4 147,3 128,8 122,2

18,3 12,2 17,3 30,5 13,6 12,9

(Quelle: Die Industrie der Bundesrepublik Deutschland. Sonderheft 8. Hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Stuttgart 1956, S. 25)

Tabelle 19 Jahr

Die wirtschaftliche Entwicklung 1950-1953 (vierteljährlich) Industrieproduktion (1936=100)

Beschäftigte (Mill.)

Erwerbslosigkeit (in %)

LebensBrutto-Stunhaltung denlöhne (1950=100) (1950=100)

96 107 118 134

13,3 13,8 14,3 14,2

12,2 10,0 8,2 10,7

101 98 99 103

97 98 100 105

1950 I II III IV 1951 I II III IV 1952 I II III IV

129 137 133 146

14,2 14,7 14,9 14,6

9,9 8,3 7,7 10,2

115 119 108 112

108 117 118

136 143 144 158

14,6 15,2 15,5 15,0

9,8 7,6 6,4 10,1

111 109 109 110

120 122 123 124

1953 I II III IV

146 158 160 174

15,2 15,8 16,0 15,6

8,4 6,4 5,5 8,9

109 108 108 107

125 128 128 128

-

(Quelle: Abelshauser, Werner: Die langen fünfziger Jahre. Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland 1949-1966, Düsseldorf 1987, S. 78)

Fortsetzung Fußnote von Seite 281 275,6 Millionen DM auf 434,5 Millionen D M anstiegen. Das Handelsbilanzdefizit betrug in diesem Zeitraum 1260,6 Millionen D M : einem Ausfuhrwert von 3587,4 Millionen DM stand ein Einfuhrwert von 4848,0 Millionen D M gegenüber (Ebd., S. 237).

1. Der Korea-Boom

283

erstmals seit 1946/47 wieder zu Produktionsengpässen, so daß eine zügige Weiterentwicklung der westdeutschen Industrie in Frage gestellt war.9 Um die akuten Engpässe zu überwinden, wurde die gewerbliche Wirtschaft mit dem Investitionshilfe-Gesetz vom Dezember 1951 verpflichtet, eine Milliarde DM für den „vordringlichen Investitionsbedarf' des Kohlenbergbaus, der eisenschaffenden Industrie und der Energiewirtschaft aufzubringen. 10 Durch diesen Investitionstransver wurde der Durchbruch zu einem sich selber tragenden Wirtschaftswachstum erreicht. Entscheidend für die weitere Entwicklung, in der die Schwerindustrie wieder an Bedeutung gewann, war vor allem die beispiellose Expansion des Außenhandels, der die Investitionsgüterindustrie begünstigte." Zwischen 1950 ( = 100) und 1960 nahm der westdeutsche Außenhandel um mehr als das Viereinhalbfache zu (auf 450,8), während der Importindex bei 426,8 lag.12 In Gang gesetzt wurde diese Entwicklung aber durch den Korea-Boom. Auch nach 1952 setzte sich der Aufwärtstrend der deutschen Wirtschaftsentwicklung fort. Jedoch verlief die Entwicklung zwischen 1952 und 1958 nicht mehr so hektisch wie in den Jahren davor. Der Index der deutschen Ausfuhren wuchs in den sechs Jahren nach 1952, in dem zum erstenmal ein positiver Handelsbilanzsaldo erreicht wurde, um annähernd 78 Punkte.13 Die Lebenshaltungskosten gingen nach ihrem Höchststand während des Korea-Booms 1953 sogar etwas zurück, stiegen danach zwar bald wieder an, erhöhten sich zwischen 1954 und 1958 aber nur um insgesamt 9%. Das war gemessen an den Zuwachsraten der führenden Wirtschaftsnationen Europas eine bescheidene Zunahme. 14 Sie ermöglichte attraktive deutsche Exportpreise, die infolge der allgemeinen Unterbewertung der Deutschen Mark noch günstiger wurden und zu steigenden Handelsbilanzüberschüssen15 und wachsenden Devisenreserven führten. Ende der 50er Jahre begann sich die Entwicklung von Preisen und Produktion in der Bundesrepublik allmählich den Verhältnissen in den westlichen Industriestaaten anzugleichen. Der Prozeß war etwa Mitte der 60er Jahre abgeschlossen. Das hatte zur Folge, daß die deutsche Wirtschaft ih9

Salomon, Richard : Begriff und Problematik der wirtschaftlichen Engpässe. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik in den Jahren 1948-1952, Kiel 1954. 10 Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft vom 13. Dezember 1951 (Bundesgesetzblatt 1951, S. 365-378). 11 Abelshauser: Probleme des Wiederaufbaus, S. 245. 12 Mertens, Dieter: Die Wandlungen der industriellen Branchenstruktur in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 1960. Ein Beitrag zur Analyse der Ursachen und Wirkungen differenzierten Wachstums, Berlin 1964, S. 96-97. 13 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1962, Stuttgart 1962, S. 307. 14 Anstieg des Lebenshaltungskostenindex zwischen 1950 und 1959: Bundesrepublik 16%, Vereinigte Staaten 18%, Italien 28%, Großbritannien 33%, Frankreich 42% (Ebd., S. 120*). 15 Die Handelsbilanzüberschüsse wuchsen von 706 Millionen DM (1952) auf 5865 Millionen DM (1958) (ebd., S. 307).

284

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

ren Spitzenplatz international nicht nur einbüßte, sondern die Bundesregierung wurde ständig mit Geldwertproblemen konfrontiert. 16 Denn die Exporterfolge zogen Güter und Dienstleistungen vom Binnenmarkt ab und erhöhten die inländische Geldversorgung. Gleichzeitig gefährdete das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht der Bundesrepublik das gesamte europäische Zahlungssystem.17 Träger des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 50er Jahren war die Industrie. So stieg zwischen 1950 und 1962 der Index der industriellen Produktion auf das Zweieinhalbfache. 18 Die weitaus wichtigsten Industriezweige waren die chemische Industrie (als größter Bereich der Grundstoffund Produktionsgüterindustrien), der Maschinenbau (als vorherrschender Bereich der Investitionsgüterindustrien) und die Textilindustrie (als wichtigster Zweig der Verbrauchsgüterindustrien). Außer diesen Branchen übertrafen nur noch die elektrotechnische Industrie und der Fahrzeugbau einen Anteil von 5% am gesamten industriellen Produktionswert (vgl. dazu Tabelle 20). Gleichzeitig mit der Expansion der Industrie stellte sich eine erhebliche Gewichtsverlagerung zwischen den Industriezweigen ein.19 Während die chemische Industrie ihren Anteil von 9,1% auf über 12,3% und der Maschinenbau seinen Anteil von 8,0% auf 9,1% steigern konnte, nahm der Anteil der Textilindustrie von 11,0% auf 7,0% ab und gleichzeitig verringerte der Kohlenbergbau seinen Strukturanteil von 7% auf 3,5%.20 Andere Zweige, nämlich die Elektrotechnik (von 4,8% auf 8,4%) und der Fahrzeugbau (von 3,7% auf 8,2%), wuchsen in Größenordnungen hinein, mit denen sie 1962 ebenfalls zur Spitzengruppe gehörten. Außerdem setzte sich mit der Spezialisierung der westdeutschen Indu16 Hardach, Karl: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1976, S. 239. 17 Am 6. Mai 1961 wertete die Bundesregierung deshalb die Währung um 5% auf und setzte die neue Dollarparität auf 4,00 DM fest. 18 Zur Expansion der Industrie: Grüning, Ferdinand/Krengel, Rolf: Die Expansion der westdeutschen Industrie 1948 bis 1954, Berlin 1955; Krengel, Rolf: Anlagevermögen, Produktion und Beschäftigung der Industrie im Gebiet der Bundesrepublik von 1924 bis 1956, Berlin 1958; Vedder, Lothar: Das wirtschaftliche Wachstum der Industrie in der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg (Diss.) 1960; Schwanse, Peter: Beschäftigungsstruktur und Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 1963, Berlin 1965; Uebe, Wolfgang: Industriestruktur und Standort. Regionale Wachstumsunterschiede der Industriebeschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland 1950-1962, Stuttgart 1967. " Mertens, Dieter: Wachstumsindustrien, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 1960, Heft 3, S. 282-289; ders.: Veränderungen der industriellen Branchenstruktur in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 1960, in: Wandlungen der Wirtschaftsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. von H. König, Berlin 1962, S. 449-491. 20 Mertens: Die Wandlungen der industriellen Branchenstruktur, S. 29-35; Uebe: Industriestruktur, S. 30-31.

1. Der Korea-Boom

285

Tabelle 20 Entwicklung des Nettoproduktionswertes der Industrie (in Preisen von 1950) nach Zweigen in der Bundesrepublik (ohne Saarland und Berlin), 1950-1962 Industriegruppen bzw. Zweige Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie Steine und Erden Eisenschaffende Industrie Eisen- u. Stahlindustrie Ziehereien/Kaltwalzwerk NE-Metallindustrie Chemische Industrie Mineralölverarbeitung Kautschuk und Asbestverarb. Industrie Sägewerke Zellstoff und Papier Investitionsgüterindustrie Stahlbau Maschinenbau Fahrzeug/Luftfahrzeug Schiffbau Elektrotechn. Industrie Feinmech./optische Industrie ESBM-Industrie Verbrauchsgüterindustrie Feinkeramische Industrie Glasindustrie Holzverarb. Industrie Spielwarenindustrie Papierindustrie Druckereien Kunststoffverarb. Industrie Lederindustrie Textilindustrie Bekleidungsindustrie Nahrungs- und Genußmittelindustrie Bergbau Industrie insgesamt

Index (1950 = 100) 1956 1962

1950

Struktur in % 1962 1956

187 176 193 173 209 187 196 285

288 249 231 179 243 253 368 746

25,4 3,5 4,2 1,4 0,8 1,4 9,1 0,6

24,6 3,2 4,2 1,2 0,8 1,4 9,3 0,9

26,7 3,2 3,5 0,9 0,7 1,3 12,3 1,6

195 121 163 242 183 229 300 378 272 238 203 176 196 191 167 282 176 166 372 152 160 222

289 126 208 373 215 312 605 315 477 307 274 230 229 285 236 332 253 255 1226 181 175 296

1,2 1,6 1,6 24,9 1,9 8,0 3,7 0,5 4,8 1,2 4,8 23,6 0,8 0,7 2,2 0,4 1,2 2,1 0,4 2,2 11,0 2,6

1,3 1,0 1,3 31,4 1,8 9,6 5,8 0,9 6,8 1,4 5,1 21,5 0,8 0,7 1,9 0,7 1,1 1,8 0,7 1,8 9,1 3,0

1,3 0,7 1,2 33,9 1,5 9,1 8,2 0,6 8,4 1,3 4,8 19,8 0,6 0,8 1,9 0,5 1,1 2,0 1,6 1,5 7,0 2,8

177 141 192

231 152 274

17,8 8,3 100,0

16,4 6,0 100,0

15,0 4,6 100,0

(Quelle: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1963, Stuttgart 1963, S. 232-233)

286

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

strie einmal auf die chemische und verwandte Industrien, zum anderen auf metallverarbeitende Investitionsgüterindustrien ein Prozeß fort, der im Deutschen Reich bereits vor dem Ersten Weltkrieg in Gang gekommen war. Und noch eine Veränderung fand im „Wirtschaftswunder" statt: die Neugründung von Produktionsstätten außerhalb der bisherigen industriellen Ballungsgebiete. Es waren jedoch nicht so sehr die strukturellen Veränderungen (die sich für die Zeitgenossen kaum erkennbar über Jahre hinzogen), sondern die ökonomischen Rekorde, die dem „Wirtschaftswunder" seine charakteristische Note gaben : die enormen Produktionsziffern, die steigenden Handelsbilanzüberschüsse, die wachsenden Devisenreserven und das bemerkenswerte Bruttosozialprodukt 21 - erarbeitet in einem Land, in dem noch über Jahre die Kriegsspuren deutlich erkennbar waren. Alles dies wäre aber nicht machbar gewesen, wenn nicht durch eine starke Bevölkerungsvermehrung die nötigen Arbeitskräfte zur Verfügung gestanden hätten.

2.

2.1.

Die Entwicklung des Arbeitsmarktes in der 50er Jahren

Die Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland vom 13. September 1950

Am 13. September 1950 wurde in der Bundesrepublik die Bevölkerung gezählt.22 Es war nicht die erste Volkszählung nach dem Krieg, aber die erste, die von einer Bundesregierung durchgeführt wurde. Die Volkszählung vom Herbst 1946 war eine alliierte Angelegenheit gewesen. Was die Volkszähler an Daten zusammentrugen, enthielt kaum Überraschungen, aber bemerkenswert war doch der beträchtliche Bevölkerungsanstieg seit der Vorkriegszeit, der immerhin + 18,2% betrug. Insgesamt wurde eine Bevölkerung (ohne Westberliner) von 47,6 Millionen nachgewiesen: 22,3 Millionen Männer und 25,3 Millionen Frauen (vgl. dazu die Tabelle 21). Auf 1000 Männer kamen damit 1134 Frauen.23 Bis zur nächsten Volkszählung, die am 6. Juni 1961 stattfand, nahm die 21

Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderung des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen (Sozialbericht 1963), in: Bundesarbeitsblatt 1963, S. 637-665. 22 Vgl. dazu die Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, insbesondere den Band 35 (Die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland nach der Zählung vom 13. September 1950. Heft 1-7, Stuttgart 1952/53). Weiterhin: Horstmann, Kurt: Die Gliederung der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland nach der sozialen Stellung auf Grund der Berufszählung 1950, in: Soziale Welt 4, 1953, S. 112-126. 23 Die Frau im Erwerbsleben. Ein Zahlenbericht. Zusammengestellt und hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn 1954, S. 1 (Übersicht 1).

2. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes

287

Tabelle 21 Entwicklung der Wohnbevölkerung und der Erwerbspersonen im Bundesgebiet 1950-1959 (Jahresdurchschnitt) Jahr insgesamt Mill. 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959

46,9 47,4 47,7 48,1 48,7 49,2 49,8 50,4 51,1 51,7

Wohnbevölkerung Zuweibl Zunahme nahme % % Mill.

1,1 0,7 0,9 1,1 1,0 1,2 1,3 1,3 1,2

25,0 25,2 25,4 25,6 25,9 26,1 26,4 26,7 27,1 27,4

1,0 0,7 0,9 1,0 0,9 1,1 1,2 1,2 1,1

insgesamt Mill. 21,5 21,9 22,2 22,6 23,2 23,7 24,1 24,6 24,8 25,0

Erwerbspersonen Zuweibl. Zunahme nahme % Mill. %

1,7 1,6 1,8 2,3 2,4 1,8 1,8 0,9 0,7

7,6 7,8 7,9 8,1 8,3 8,6 8,8 9,1 9,2 9,3

2,2 2,3 1,9 2,8 3,2 2,3 4,0 1,2 1,0

(Quelle: Wirtschaft und Statistik 1960, S. 30; Statistische Berichte 1960, S. 11)

bundesrepublikanische Bevölkerung um weitere 5,9 Millionen auf 53,9 Millionen zu (+10,0%), wobei sich der Zuwachs zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen zusammensetzte. Dadurch blieb das Zahlenverhältnis zwischen Männern und Frauen annähernd konstant: 1000 zu 1.119.24 Verantwortlich für den rapiden Bevölkerungszuwachs war weniger der Geburtenüberschuß, der im Jahresdurchschnitt etwa 250000 Neubürger erbrachte; verantwortlich waren die Vertriebenen aus den Ostgebieten des Deutschen Reiches und die Flüchtlinge aus der DDR. Zwischen 1950 und 1961 - bis zur endgültigen Abriegelung der deutsch-deutschen Grenze und dem Bau einer Mauer in Berlin - kamen etwa 3,6 Millionen Menschen aus der D D R in die Bundesrepublik, im gleichen Zeitraum kehrte eine halbe Million Bundesbürger der Bonner Demokratie den Rücken und zog in den kommunistischen Machtbereich um. 25 Die Vertriebenen und Flüchtlinge verteilten sich nicht gleichmäßig über die einzelnen Regionen der Bundesrepublik. 26 1950 waren beispielsweise über ein Drittel der Bevölkerung von Schleswig-Holstein und Niedersachsen Vertriebene, während in den Ländern der französischen Besatzungszone der Anteil der Vertriebenen an der Bevölkerung nur rund 3,0% betrug. 27 Zwar war die Wohnraumbeschaffung und die Ernährung der Men24

Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1962, Stuttgart 1962, S. 34 (Tabelle 2). 25 Rytlewski, R a l f / O p p de Hipt, Manfred: Die Bundesrepublik Deutschland in Zahlen 1945/49-1980. Ein sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, München 1987, S. 22. 26 Mora we, Christa: Die Probleme der wirtschaftlichen Gliederung der weiblichen Vertriebenen und Zugewanderten, in: Bundesarbeitsblatt 1954, S. 29-32, hier: S. 32. 27 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik 1952, Stuttgart 1952, S. 30 (Tabelle 13).

288

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

sehen in den Aufnahmeländern leichter als in den Ballungsräumen, aber es fehlte an Arbeitsplätzen. Die unhaltbaren Verhältnisse drängten schließlich zum Handeln: in einer konzertierten Bund-Länder-Aktion wurden die Flüchtlinge aus den überbelegten Ländern in die weniger belegten, überwiegend industriell entwickelten Gebiete, umgesiedelt.28 Bis 1959/60 zogen fast 1,05 Millionen Vertriebene um, davon 48,7% nach Nordrhein-Westfalen, 26,7% nach Baden-Württemberg und 11,6% nach Rheinland-Pfalz. Der Rest wurde auf die Länder Hessen, Hamburg und Bremen verteilt.29

2.2.

Die sprunghafte Zunahme der Erwerbstätigen während des Wirtschaftsbooms

Von den 47,6 Millionen Bundesbürgern (1950) gingen 21,9 Millionen einer Erwerbstätigkeit nach, 1961 etwa 26,8 Millionen bei einer Bevölkerung von 53,9 Millionen. 30 Dies stellte einen Anstieg der Erwerbstätigkeit um 4,9 Millionen Arbeitskräfte dar ( + 22,4%). Zwischen 1950 und 1961 machten sich jedoch deutliche Abflachungstendenzen bemerkbar. Während die Erwerbstätigkeit bis 1956 um 13,2% (Jahresdurchschnitt jährlich 1,8%) zunahm, erreichte sie zwischen 1956 und 1962 nur noch eine Steigerung von 5,8% (Jahresdurchschnitt 0,8%).31 Der wirtschaftliche Aufschwung, der sich seit 1950 vollzog, bewirkte aber nicht nur eine rapide Zunahme der Erwerbstätigen, sondern zugleich eine nicht unerhebliche Wanderung der Erwerbspersonen zwischen den Wirtschaftszweigen32 (vgl. dazu die Tabellen 22 und 23). So verlor die 28

Gesetz zur Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 22. Mai 1951 (Bundesgesetzblatt 1951, S. 350); Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 23. September 1952 (Bundesgesetzblatt 1952, S. 636). Vgl. auch: Siebrecht, Valentin: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik in der Nachkriegszeit, Stuttgart 1956, S. 141-144. 29 Bundesanstalt für Landeskunde und Raumforschung: Die Verteilung der Zuwanderer und Aussiedler auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland. Gutachten des Instituts für Raumforschung, Bad Godesberg 1959, S. 14; Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte: Die Betreuung der Vertriebenen, Flüchtlinge, Zugewanderten, Evakuierten, Kriegssachgeschädigten, Heimkehrer, Kriegsgefangenen, Heimatlosen Ausländer, Ausländischen politischen Flüchtlinge, Auswanderer durch das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Bonn 1961, S. 5. 30 Rytlewski/Opp de Hipt: Die Bundesrepublik Deutschland in Zahlen, S. 78. 31 Ebd. 32 Glastetter, Werner u.a. : Die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland 1950-1980. Befunde, Aspekte, Hintergründe, Frankfurt 1983, S. 147165; Willms, Angelika: Segregation auf Dauer? Zur Entwicklung des Verhältnisses

2. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes

289

Tabelle 22 Wohnbevölkerung im Bundesgebiet nach Wirtschaftsbereichen und Geschlecht (Stand: 13. September 1950) Wohnbevölkerung männlich weiblich Mill. % Mill. %

Wirtschaftsbereich

insgesamt Mill. %

Land- und Forstwirtschaft Industrie und Handwerk Handel, Geld- und Versicherungswesen, Verkehr Öffentlicher Dienst, Dienstleistungen Wirtschaftsbereiche zusammen Selbständige Berufslose Wohnbevölkerung insgesamt

7,0 18,8

14,7 39,6

3,1 10,1

44,8 53,8

3,8 8,7

55,2 46,2

6,7

14,2

3,3

49,3

3,4

50,7

6,4 39,1 8,5 47,6

13,5 82,0 18,0 100,0

2,6 19,2 3,0 22,3

40,9 49,3 35,9 46,9

3,7 19,8 5,5 25,3

59,1 50,7 64,1 53,1

(Quelle: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1954, Stuttgart 1954, S. 112-113)

Tabelle 23 Erwerbstätige im Bundesgebiet nach Wirtschaftsbereichen und Stellung im Beruf (Oktober 1958)

insgesamt Mill. % Wirtschaftsbereich Land- und Forstwirtschaft Produzierendes Gewerbe Handel und Verkehr Öffentlicher Dienst, Dienstleistungen Insgesamt Stellung im Beruf Selbständige Mithelfende Familienangehörige Angestellte und Beamte Arbeiter Insgesamt

3,9 11,6

Erwerbstätige männlich Mill. %

weiblich Mill. %

1,7 8,7 2,7

11,5 56,9 18,1

2,1 2,9

4,7

16,0 47,6 19,3

1,9

23,6 31,9 21,4

4,1 24,5

17,1 100,00

2,0 15,4

13,5 100,00

2,1 9,1

23,1 100,00

3,3

13,5

2,5

16,7

0,7

8,0

2,7 6,3 12,2 24,5

11,1 25,7 49,7 100,00

0,5 3,6 8,6 15,4

3,3 23,8 56,2 100,00

2,2 2,2 3,5

24,2 29,0 38,8 100,00

9,1

(Quelle: Wirtschaft und Statistik 1960, S. 22)

Fortsetzung Fußnote von Seite 288 von Frauenarbeit und Männerarbeit in Deutschland, 1882-1980, in: Müller, Walter u.a.: Strukturwandel der Frauenarbeit 1880-1980, Frankfurt 1983, S. 107-183.

290

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Land- und Forstwirtschaft, in der 1950 über 5,1 Millionen Erwerbstätige arbeiteten, 33 bis 1961 mehr als 1,5 Millionen Arbeitskräfte. 34 Die jahresdurchschnittliche Schrumpfungsrate lag zwischen 1956 und 1962 etwas höher ( - 2 , 7 % ) als zwischen 1950 und 1956 ( - 2 , 3 % ) . Der Gesamtverlust in Höhe von —30,2% bedeutete, daß die Land- und Forstwirtschaft ihren Anteil an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen von 23,2% auf 14,1% verringerte. 35 Die Masse der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte wechselte in das Produzierende Gewerbe über, in dem sich die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 1950 und 1961 um 2,6 Millionen ( + 27,5%) auf 12,4 Millionen erhöhte. Der Anteil dieses Bereichs an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen wuchs von 44,5% (1950) auf 48,7% (1961). Die Industrie, der Träger des Wirtschaftwachstums in den 50er Jahren, stellte 1950 67,2% und 1961 73,5% der Erwerbstätigen. 36 Der tertiäre Sektor mit Handel, Verkehr, Banken und Versicherungen sowie mit dem öffentlichen Dienst und den Dienstleistungen entwickelte sich ebenfalls überdurchschnittlich und beschäftigte 37,2% (1961) der Erwerbspersonen. 37 Die höchste Steigerung der Erwerbstätigenzahl erfuhr der Bereich Kreditinstitute und Versicherungsgewerbe mit 134% (dieser Bereich hatte jedoch einen sehr geringen Anteil an den Erwerbstätigen in der Bundesrepublik). Der Handel registrierte ein Wachstum von 76%, das auch absolut gesehen erheblich ins Gewicht fiel; die Anzahl der Erwerbstätigen vermehrte sich um 1,3 Millionen auf 3,1 Millionen. 38 Mit der Ausdehnung des Dienstleistungsgewerbes zwischen 1950 und 1961 nahm die Angestelltentätigkeit an Bedeutung zu.39 Der Anteil der Angestellten erhöhte sich von 16,0% auf 21,7%, während der Anteil der Beamten von 4,0% auf 4,6% kaum nennenswert zunahm. Hingegen nahm die Zahl der Arbeiter am Wachstum der Erwerbsbevölkerung nicht im gleichen Maße zu, so daß ihr Anteil (alle Lehrlinge und die Heimarbeiter

33

Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1957, Stuttgart 1957, S. 119. 34 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik 1962, S. 143 (Tabelle 1). 35 Schubnell/Herberger/Schwarz/Sperling: Bevölkerungsaufbau und Veränderungen der Bevölkerungsstruktur. Ergebnisse der Volks- und Berufszählung am 6. Juni 1961, in: Wirtschaft und Statistik 1963, S. 515-521, hier: 521. 36 Willms, Angelika: Segregation auf Dauer? S. 136. 37 Erwerbspersonen nach der Stellung im Beruf und nach Wirtschaftsabteilungen. Ergebnisse der Berufszählung am 6. Juni 1961, in: Wirtschaft und Statistik 1963, S. 757 (Tabelle 6). 38 Uebe: Industriestruktur und Standort, S. 21. 39 Die beschäftigten Arbeiter, Angestellten und Beamten in der Bundesrepublik Deutschland 1938 und 1951. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn 1952; Maaßen, Paul-Josef: Die Berufslage der Arbeiter und Angestellten unter Berücksichtigung der älteren Angestellten und übrigen Arbeitnehmer (1950-1952), in: Bundesarbeitsblatt 1953, S. 391-398.

2. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes

291

eingerechnet) unverändert 50,9% betrug. Der Anteil der Selbständigen verminderte sich dagegen von 14,8% auf 12,3%. Am stärksten verringerte sich jedoch der Anteil der mithelfenden Familienangehörigen, der von 14,4% auf 10,3% zurückging. Die Arbeitslosigkeit, die der Bundesregierung und den Arbeitsbehörden in den Jahren 1950 bis 1952 noch so viel Sorgen bereitete, 40 war 1961 beseitigt, als praktisch die Vollbeschäftigung erreicht war. Der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit wurde im März 1950 registriert: 1,0 Millionen arbeitslose Männer und 500000 arbeitslose Frauen; im Jahresdurchschnitt war das eine Arbeitslosenquote von 10,0%.41 Bei den Frauen war fast ein Drittel (29,7%) der Erwerbstätigen arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit blieb bei den Frauen, obwohl ihr Anteil am Erwerbsleben immer mehr stieg, während der nächsten beiden Jahre konstant. 42 Ab 1953, vor allem aber ab 1954 nahm die Frauenarbeitslosigkeit mehr und mehr ab, 43 und 1961 standen 181000 Arbeitslosen, das war eine Arbeitslosenquote von 0,8%, 598000 offene Stellen gegenüber.

2.3.

Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit und Veränderungen der Frauenarbeit in den einzelnen Wirtschaftszweigen

Nutznießer des Wirtschaftsaufschwungs waren in erster Linie die Frauen, 44 da das Reservoir an männlichen Arbeitskräften bald zur Neige ging und Frauen vorerst die einzige Arbeitskraftreserve wa-

40

Die Struktur der Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet. Dauer der Arbeitslosigkeit und Alter der Arbeitslosen, in: Bundesarbeitsblatt 1950, S. 440-447, hier: S. 440; Molle, Fritz: Die Frauenarbeitslosigkeit im Bundesgebiet, in: ebd. 1951, S. 2 8 0 282; Maaßen, Paul-Josef: Entwicklung und Struktur der Arbeitslosigkeit von 19481952, in: ebd. 1952, S. 603-608; Kratzsch, Konrad: Die Stellung der Frau im westdeutschen Erwerbsleben, in: Wirtschaftswissenschaftliche Mitteilungen 3, 1950, Nr. 1, S. 1-2. 41 Analyse der westdeutschen Arbeitslosigkeit. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn 1952, S. 3. 42 Mitte 1950 waren 456000 Frauen arbeitslos, Mitte 1951 451000 und ein Jahr später 456000. 43 Beschäftigung und Arbeitslosigkeit auf dem weiblichen Arbeitsmarkt im 1. Vierteljahr 1954, in: Bundesarbeitsblatt 1954, S. 444-445. 44 Zur Frauenerwerbstätigkeit in den Westzonen bzw. der Bundesrepublik: Entwicklung und Ursachen der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland 1946-1950. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn 1950; Weichmann, Elsbeth: Die Frau in der Wirtschaft. Entwicklung der deutschen Frauenarbeit von 1946 bis 1951, Hamburg 1951.

292

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Tabelle 24 Erwerbsquote und Arbeitnehmerquote im Bundesgebiet 1950-1959 (Jahresdurchschnitt) Jahr 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1958

Erwerbsquote insgesamt Männer Frauen 46,0 46,3 46,7 47,1 47,7 48,3 48,6 48,8 48,6 48,3

63,8 64,0 64,2 64,7 65,2 65,7 65,8 65,3 64,8 64,2

30,5 30,9 31,4 31,7 32,2 33,0 33,4 34,3 34,3 34,2

Arbeitnehmerquote insgesamt Männer Frauen 32,5 33,2 33,8 34,4 35,3 36,1 36,6 36,8 36,7 36,5

48,9 49,4 49,9 50,6 51,5 52,2 52,5 52,1 51,8 51,5

18,2 18,9 19,7 20,3 21,0 21,9 22,5 23,2 23,3 23,1

(Quelle: Die Frau im Staat, in Haushalt und Familie. Ein Zahlenbericht aus der amtlichen Statistik. Hrsg. vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Bonn 1960, A III 2) ren. 4 5 Ergänzung fand der Arbeitsmarkt seit 1954 durch die Gastarbeiter, deren Zahl von 7 2 0 0 0 ( 1 9 5 4 ) a u f 5 0 7 0 0 0 ( 1 9 6 1 ) anstieg. 1950 standen 7,9 Millionen Frauen im Erwerbsleben, 4 6 1961 waren es mehr als 9 , 4 Millionen ( + 19,0%). Der Anteil der weiblichen Erwerbspersonen an der gesamten weiblichen Bevölkerung erhöhte sich damit von 31,4% auf 3 3 , 2 % (vgl. dazu Tabelle 24). Z u m Vergleich: 1939 betrug die Erwerbsquote 30,3 % bei 12,8 Millionen erwerbstätigen Frauen. 4 7 Bis 1952 erfolgte ein relativ langsamer Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit. 48 In der Zeit vom 30. September 1952 bis zum 30. September 1959

Zur weiblichen Erwerbstätigkeit: Die Arbeiter und Angestellten nach Beruf und Alter sowie der Lehrlingshaltung in der Bundesrepublik Deutschland am 31. Oktober 1950. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn 1950; Die Frau in Haushalt und Beruf. Ergebnisse der Volkszählung vom 13. September 1950, in: Wirtschaft und Statistik 1954, S. 326-330; Gottlob, Walburga: Strukturwandlungen in der weiblichen Erwerbstätigkeit, in: Informationen für die Frau 1960, Nr. 5, S. 15-16. 46 Brandenburger, Wolfgang: Die Frau im wirtschaftlichen und sozialen Leben der Bundesrepublik, in: Ärztliche Mitteilungen 1950, Nr. 4, S. 107-109, hier: S. 108. 47 Frauenbeschäftigung 1953 und 1939, in: Arbeits- und Sozialstatistische Mitteilungen. Sonderdruck aus 1954, Nr. 1, S. 2. 48 Die Entwicklung des Arbeitsmarktes im Bundesgebiet im Januar 1953, in: Bundesarbeitsblatt' 1953, S. 129; Die Entwicklung auf dem weiblichen Arbeitsmarkt im Bundesgebiet im ersten Vierteljahr 1953, in: ebd. 1953, S. 471 ; Die Entwicklung des Arbeitsmarktes im Bundesgebiet im Oktober 1953. Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, in: ebd. 1953, S. 730-734; Die Entwicklung des Arbeitsmarktes im Bundesgebiet im 3. Vierteljahr 1954, in: ebd. 1954, S. 717-720, hier: S. 717; Die Beschäftigungslage in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung des Jahres 45

2. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes

293

wuchs die Gesamtzahl der in abhängiger Stellung beschäftigten Arbeiter, Angestellten und Beamten von 15,4 Millionen auf 20,1 Millionen (+30,3%). An dieser Ausdehnung des Arbeitskräftepotentials waren die männlichen Beschäftigten mit + 24,6%, die weiblichen Beschäftigten dagegen mit + 42,9% beteiligt. Das war ein Zuwachs von 2 Millionen auf insgesamt 6,8 Millionen. Damit erhöhte sich der Frauenanteil an den Beschäftigten von 30,9% auf 33,9%. Die Aufwärtsentwicklung der Frauenerwerbstätigkeit seit 1952 verlief in den einzelnen Bundesländern aufgrund des Bevölkerungsaufbaus und der Wirtschaftsstruktur recht unterschiedlich. 49 Der durchschnittliche Zuwachs in der Bundesrepublik von 42,9% wurde vom Stadtstaat Bremen mit 58,0%, vom Landesarbeitsamtbezirk Rheinland-Hessen-Nassau mit 56,6% und von Nordrhein-Westfalen mit 49,2% bei weitem überschritten, während Schleswig-Holstein als reines Agrargebiet bei einem Rückgang der weiblichen Arbeitnehmer von 1958 auf 1959 nur einen Beschäftigungsanstieg von 23,0% seit 1952 verzeichnen konnte. 50 Der Zuwachs an weiblichen Beschäftigten lag in den übrigen Bundesländern zwischen 47,7% in Hamburg und 33,3% in Niedersachsen. Die Länder mit der absolut stärksten Frauenbeschäftigung waren NordrheinWestfalen mit 2,0 Millionen Arbeitnehmerinnen, Bayern mit 1,2 Millionen und Baden-Württemberg mit 1,0 Millionen. Parallel zum Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit traten Veränderungen in den Frauenanteilen der einzelnen Wirtschaftszweige ein.51 Unübersehbar war der stetige Abwärtstrend in der Land- und Forstwirtschaft, die seit 1952 über 100000 Frauen verlor ( - 2 9 , 8 % ) . Während 1952 noch 362977 weibliche Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt waren, wurden 1959 nur noch 255 198 Arbeitnehmerinnen verzeichnet. Der Rückgang war vor allem auf die zunehmende Abwanderung der mithelfenden Familienangehörigen in andere Wirtschaftszweige zurückzuführen. 52 Die stärkste Frauenbeschäftigung wies das Produzierende Gewerbe auf. Hier erhöhte sich die weibliche Arbeitnehmerschaft, die 1952 noch 1,4 Millionen betrug, bis 1959 um 490000 ( + 35,2%). Der Wirtschaftszweig Handel, Geld- und Versicherungswesen, der 1952 700000 Frauen beschäf-

Fortsetzung

Fußnote von Seite 292

1954. Aus dem Jahresrückblick des Bundesministeriums für Arbeit, in: ebd. 1955, S. 313-317. 49 Maaßen: Entwicklung und Struktur, S. 605. 50 Bericht über die Arbeitsmarktlage in der Bundesrepublik und in Berlin (W) im Jahre 1959, in: Bundesarbeitsblatt 1960, S. 269-276, hier: S. 273. 51 Ebd., S. 271. 52 Schnaas, Hermann: Zum Problem der Erwerbstätigkeit der Frau, in: ForfaBriefe 1961, Heft 2, S. 333-48, hier: S. 347.

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V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

tigte, erreichte bereits 1955 die Ein-Millionen-Grenze 53 und lag 1959 mit 1,4 Millionen hinter dem Produzierenden Gewerbe an zweiter Stelle. Die seit 1952 zu beobachtende Zunahme der weiblichen Beschäftigten im Handel sowie im Geld- und Versicherungswesen war ein Zeichen für die Expansion dieses Wirtschaftsbereichs und darüber hinaus für das Bestreben der Frauen, in einem Angestelltenberuf eine Anstellung zu finden. Im Bereich der Dienstleistungen, die mit 280000 einen Anstieg von +31,3% verzeichneten, war seit 1954 mehr als eine Million Frauen beschäftigt. 54 Im Sektor öffentlicher Dienst wurde die Millionen-Grenze erstmals im Jahre 1959 überschritten. Den prozentual stärksten Beschäftigungsanstieg, nämlich 380000 Frauen ( + 89,9%), verzeichnete die Wirtschaftsabteilung Eisen- und Metallerzeugung sowie -Verarbeitung. An zweiter Stelle folgte der Sektor Handel, Geld- und Versicherungswesen mit einer Zunahme von 660000 ( + 88,8%). An dritter Stelle lag das Baugewerbe, das seit 1952 27000 Frauen mehr beschäftigte ( + 83,9%). Die Gesamtzahl aller in der Industrie beschäftigten Männer und Frauen erhöhte sich in der Zeit von 1952 bis 1959 um 2,1 Millionen ( + 34,4%).55 Während die Zahl der männlichen Beschäftigten um + 30,7% stieg, wuchs jedoch die Zahl der weiblichen Arbeitnehmer (Arbeiterinnen und Angestellte) um + 44,8% ( + 668 227). Damit stieg der Anteil der Frauen an den in der Industrie Beschäftigten insgesamt von 26,5% (1952) auf 28,5% (1959). Am größten war der Zuwachs zwischen den Jahren 1954 und 1956 mit 800000 Beschäftigten. 56 Die Industriearbeiterinnen, deren Zahl sich um 480000 ( + 39,7%) erhöhte, blieben nach wie vor die größte Gruppe unter den weiblichen Beschäftigten in der Industrie. 57 Ihre Zahl erhöhte sich aber weit weniger als 53 Bericht über die Arbeitsmarktlage in der Bundesrepublik und in Berlin (West) im Jahre 1958, in: Bundesarbeitsblatt 1959, S. 183-187, hier: S. 184. 54 Niemann, Ursula: Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit der Frauen in Westdeutschland, in: Wirtschaftswissenschaftliche Mitteilungen 1956, Nr. 8 / 9 , S. 5-8, hier: S. 8. 55 Zur Arbeitmarktlage im Bundesgebiet. Beschäftigte in der Industrie, in: Bundesarbeitsblatt 1961, S. 132-133, hier: S. 132. 56 1956 und 1957 wurde mit einem Anteil von 28,9% ein Höchststand erreicht. Diese Quote sank 1958 um —0,1% und ging 1959 um weitere —0,3% zurück. D i e Gründe für diese Entwicklung lassen sich einerseits mit der CDU-Familienpolitik und ihrem familienfreundlichen Klima, andererseits mit den gestiegenen Familieneinkommen erklären. Denn nicht nur junge Frauen gaben ihre Berufstätigkeit auf, weil sie ein Kind bekamen, sondern auch ältere Frauen kehrten zu „Küche und Kind" zurück, weil ihr Mitverdienst nicht mehr unbedingt notwendig war. 51 Tritz, Maria: Die Industriearbeiterin, in: Bundesarbeitsblatt 1957, S. 454-468. Mitte 1961 waren 40,4% aller beschäftigten Frauen im verarbeitenden Gewerbe tätig, 23,7% im Handel, 15,7% im Dienstleistungsgewerbe, 8,4% in den Gebietskörperschaften und der Sozialversicherung, 3,9% in Organisationen ohne Erwerbscharakter, 3,2% im Verkehr und der Nachrichtenübermittlung, 2,7% in Kreditinstituten

2. Die Entwicklung des Arbeitsmarktes

295

die Zahl der weiblichen Selbständigen und Angestellten, die seit 1952 um + 72,3% zunahm. D e n Hauptanteil in dieser Gruppe stellten die weiblichen Angestellten, da die Anzahl der weiblichen Inhaber von Industriebetrieben in der Bundesrepublik sehr gering war. Damit bestätigte sich die bereits seit Jahrzehnten zu beobachtende Verlagerung der Frauenbeschäftigung von der Arbeiterin hin zu den Angestelltenberufen. 5 8 D i e absolut größten Anteile weiblicher Arbeitnehmer fanden sich in der Bekleidungsindustrie mit 83,8% und in der Tabakverarbeitenden Industrie mit 78,5% aller Beschäftigten. D i e Elektrotechnische Industrie dagegen hatte mit 127,0% seit 1952 vor der Maschinenbauindustrie mit 86,9% den höchsten Zuwachs an weiblichen Arbeitskräften zu verzeichnen. 1959, als die weibliche Erwerbstätigkeit immer geringere Zuwachsraten aufwies, wurden vom Deutschen Industrieinstitut Überlegungen angestellt, ob und wie noch mehr Frauen für den Arbeitsmarkt mobilisiert werden könnten. 5 9 Zu diesem Zweck wurden alle über fünfzehn Jahre alten Frauen, es handelte sich um 21,9 Millionen Frauen, 60 in vier Gruppen eingeteilt: verheiratete Frauen ohne Kinder (4,1 Millionen), verheiratete Frauen mit Kindern (8,4 Millionen), Witwen und Geschiedene ohne Kinder (2,4 Millionen) und Witwen und Geschiedene mit Kindern (1,5 Millionen). 61 Fortsetzung Fußnote von Seite 294 und im Versicherungsgewerbe, 1,2% im Baugewerbe, 0,5% in der Energieversorgung (einschließlich Bergbau) sowie 0,3% in der Land- und Forstwirtschaft. Einzelne Wirtschaftsabteilungen waren von der Frauenarbeit geradezu abhängig geworden. Ein Anteil von über 50% Frauen war in Organisationen ohne Erwerbscharakter anzutreffen, nämlich 67,3% Frauen. In den Dienstleistungsberufen waren es 56,8%, im Handel 50,2%. Zwischen 50 und 10% betrug der Frauenanteil bei den Kreditinstituten und im Versicherungsgewerbe (43,9%), bei den Gebietskörperschaften (35,8%), im verarbeitenden Gewerbe (30,6%), in der Land- und Forstwirtschaft (27,5%) sowie im Verkehr und in der Nachrichtenübermittlung (15,6%). Ein Anteil unter 10% verzeichneten die Energiewirtschaft (4,6%) und das Baugewerbe (4,4%). 58

Sozialbericht 1958, in: Bundesarbeitsblatt 1958, S. 133*-167*, hier: S. 139*. ADGB-BV/36 (Anlage zum Unternehmerbrief des Deutschen Industrieinstituts 1960, Nr. 37 vom 15. September 1960). Vgl. auch: Die Probleme erhöhter Frauenbeschäftigung, in: Monatshefte der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf 26, 1955, S. 32-37. 60 Von diesen waren 25,1% Ledige, 18,7% Verheiratete ohne Kinder, 38,4% Verheiratete mit Kindern, 10,9% Witwen und Geschiedene ohne Kinder und 6,9% Witwen und Geschiedene mit Kinder. 61 Von den 4,1 Millionen verheirateten Frauen ohne Kinder waren 29,4% erwerbstätig (12,0% als Selbständige oder mithelfende Familienangehörige und 17,4% in abhängiger Stellung). Von den 8,4 Millionen verheirateten Frauen mit Kindern waren 30,0% erwerbstätig (18,0% Selbständige oder mithelfende Familienangehörige und 12,0% in abhängiger Stellung). Von den 2,4 Millionen Witwen und Geschiedenen ohne Kinder waren 17,0% erwerbstätig (7,0% selbständig und 10,0% in abhängiger Stellung). Von den 1,5 Millionen Witwen und Geschiedenen mit Kindern waren 33,0% erwerbstätig (13,0% selbständig und 20,0% in abhängiger Stellung). 59

296

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Dabei stellte sich heraus, daß in jeder Gruppe mehr als zwei Drittel der Frauen nicht erwerbstätig waren. Das bedeutete aber nun nicht, daß alle diese Frauen dem Arbeitsmarkt zugeführt werden konnten. Denn die weitere Analyse der Zahlen ergab, daß ein erheblicher Prozentsatz der Frauen, und zwar in allen vier Gruppen, das 65. Lebensjahr erreicht und damit das erwerbsfähige Alter bereits überschritten hatte.62 Das Deutsche Industrieinstitut kam dann auch zu dem Ergebnis: „Von einer ausreichenden Arbeitskraftreserve der Frau kann nicht mehr gesprochen werden". 63 Und weiter hieß es in dem Bericht des Instituts: „Bei den Lösungsmöglichkeiten zur Beseitigung des Engpasses an Arbeitskräften werden materielle Vergünstigungen kaum von ausschlaggebender Bedeutung sein".64 Unberücksichtigt ließ das Institut die Fragen, inwieweit über eine Verbesserung des Arbeitsplatzes (insbesondere in der Industrie) und inwieweit über eine qualitative Berufsausbildung und bessere Aufstiegschancen die Bereitschaft der Frauen, eine Berufstätigkeit aufzunehmen, gegeben wäre. Diese Fragen wurden um so eingehender in den Gewerkschaften diskutiert. Denn noch immer war der Arbeitsschutz für Frauen unzureichend und noch immer verrichtete die Mehrzahl der beschäftigten Frauen untergeordnete Arbeiten.

3.

3.1.

Bemühungen der Gewerkschaften zur Verbesserung der Situation der erwerbstätigen Frau

Gründung der Hauptabteilung Frauen des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Am 14. Oktober 1949 fand in München unter Teilnahme von Vertretern aus Politik und Wirtschaft der Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) statt.65 Vorangegangen waren schwierige Verhandlungen, in denen die Interessen der 101 Einzelgewerkschaften koordiniert werden mußten. Gegenüber der Verfassung der Gewerkschaften in 62

Diese Tatsache ist auch die Erklärung dafür, daß die Gruppe der Witwen und geschiedenen Frauen ohne Kinder mit 17,0% die wenigsten Erwerbspersonen auswies, weil von ihnen weit mehr als die Hälfte über 65 Jahre alt war. Der mit 33,0% am höchsten liegende Prozentsatz der Erwerbstätigen bei den Witwen und Geschiedenen mit Kindern war einmal auf die Zugehörigkeit dieser Frauen zu den jüngeren Altersklassen, zum anderen aber darauf zurückzuführen, daß sie arbeiteten, um zur Erhöhung ihres Lebensstandards beizutragen. 63 ADGB-BV/36 (Anlage zum Unternehmerbrief, S. 2). 64 Ebd. 65 Protokoll. Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland München, Kongreßsaal des Deutschen Museums, 12., 13. und 14. Oktober 1949, Köln 1950.

3. Bemühungen der Gewerkschaften

297

der Weimarer Republik war der Deutsche Gewerkschaftsbund ein großer Fortschritt,66 doch gemesssen an ihren während des Zweiten Weltkriegs im Exil und dann nach Kriegsende entwickelten Vorstellungen67 kamen die Gewerkschaften mit ihrer Dachorganisation viel zu spät,68 um das sozioökonomische Gefüge Westdeutschlands noch entscheidend mitbestimmen zu können. 69 Zum Vorsitzenden wurde Hans Böckler gewählt,70 der zusammen mit dem Geschäftsführenden Bundesvorstand den Deutschen Gewerkschaftsbund leitete. Thea Harmuth gehörte als einzige Frau dem Geschäftsführenden Bundesvorstand an. Sie war zugleich Hauptabteilungsleiterin der Hauptabteilung (VIII) Frauen (ab 1954 war das Maria Weber) und damit für die Belange der berufstätigen Frau zuständig.71 Die Hauptabteilung Frauen nahm im Februar 1950 ihre Arbeit auf.72 Im Mittelpunkt standen zunächst organisatorische Fragen. Es galt, die bestehenden Landes-, Bezirks- und Ortsfachausschüsse sowie die Landes- und Bezirkssekretariate auszubauen und auf die Düsseldorfer DGB-Zentrale auszurichten. Dieser Vorgang war bis Ende 1950 weitgehend abgeschlossen. Ein Jahr später, am 8./9. November 1951, konstituierte sich der Bundes-Frauenausschuß des DGB in Hamburg, dem Vertreterinnen aus allen Landesbezirken sowie Vertreterinnen der dem DGB angeschlossenen Gewerkschaften angehörten. Der Bundes-Frauenausschuß tagte mehrmals im Jahr, in der Regel alle drei Monate, und diskutierte über Gesetzesvorhaben, organisatorische Fragen, aber auch über Maßnahmen, die zur Verbesserung der Lage der berufstätigen Frau führen konnten. 73 66

Zur Gewerkschaftsbewegung in der Weimarer Republik: Klein, Jürgen: Vereint sind wir alles? Untersuchungen zur Entstehung von Einheitgewerkschaften in Deutschland. Von der Weimarer Republik bis 1946/47, Hamburg 1972. " Grundlagen der Einheitsgewerkschaften. Historische Dokumente und Materialien. Hrsg. von Hans O. Hemmer und Martin Martiny, Köln 1977. 68 Zum organisatorischen Aufbau der Nachkriegsgewerkschaften: Organisatorischer Aufbau der Gewerkschaften 1945-1949. Bearb. von Siegfried Mielke, Köln 1987. 69 Vgl. vor allem die Kritik von: Pirkner, Theo: Die blinde Macht. Die Gewerkschaftsbewegung in Westdeutschland, 1945-1955. 2 Bde., München 1960; Schmidt, Eberhard: Die verhinderte Neuordnung. 1945-1952. 4. Aufl. Frankfurt 1973. 70 Zu Böckler: Borsdorf, Ulrich: Der Weg zur Einheitsgewerkschaft, in: Arbeiterbewegung an Rhein und Ruhr. Hrsg. von Jürgen Reulecke, Wuppertal 1974, S. 385— 413; ders.: Hans Böckler. Repräsentant eines Jahrhunderts gewerkschaftlicher Politik, in: Vom Sozialistengesetz zur Mitbestimmung. Hrsg. von Heinz Oskar Vetter. 2. Aufl. Köln 1976, S. 15-58. 71 ADGB-BV/59 (1. Sitzung des DGB-Frauenausschusses auf Bundesebene vom 6.-9. August 1950, S. 2). 72 Zur gewerkschaftlichen Frauenarbeit: Lippe, Angelika: Gewerkschaftliche Frauenarbeit. Parallelität ihrer Probleme in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland (1949-1979), Frankfurt 1983. 73 Jahres- und Geschäftsbericht 1950-1951. Hauptabteilung „Frauen" beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Hrsg. vom Deutschen Ge-

298

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Auf dem Gründungskongreß des DGB wurden unter anderem auch „Richtlinien für die Frauenarbeit im Deutschen Gewerkschaftsbund" verabschiedet. In diesen Richtlinien wurden die Gewerkschafterinnen aufgefordert, „bei der Verwirklichung aller vom Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes beschlossenen wirtschafts- und sozialpolitischen Grundsätze sowie der Forderungen für die erwerbstätigen weiblichen Arbeitnehmer" mitzuarbeiten. 74 Der Forderungskatalog, der sich an Staat und Wirtschaft richtete, bestand aus drei Punkten. Gefordert wurde zunächst einmal die Arbeitsplatzsicherung, also das Recht der Frau auf Arbeit. Zu diesem Zweck sollten Frauen neue Berufe erschlossen werden. Weiterhin sollte die berufliche Ausbildung gefördert, Lehrstellen bereitgestellt sowie gleiche Aufstiegsmöglichkeiten für Mann und Frau gesichert werden. Der zweite Punkt beinhaltete die Forderung nach gleichem Lohn für Mann und Frau bei gleichwertiger Arbeit und Leistung. Auf den letzten Punkt, den Ausbau des Arbeitsschutzes, legten die Gewerkschaften besonders großen Wert. So sollte nach ihrer Ansicht jede Arbeit verboten werden, die „der Konstitution der Frau unzuträglich" war. Aus diesem Grund sollten die bestehenden Arbeitsschutzbestimmungen überprüft und verbessert werden, vor allem der Mutterschutz und der Arbeitszeitschutz. Außerdem wurde verlangt, soziale Einrichtungen für die berufstätigen Mütter mit Kindergarten und Kinderhort zu schaffen und den Schutz für Heimarbeiterinnen und Hausgehilfinnen zu verbessern. 75

3.2.

Arbeitslosigkeit älterer Frauen und ihr Abbau durch Arbeitsbeschaffungsund Umschulungsmaßnahmen

Als die Gewerkschafterinnen begannen, sich im Rahmen der Richtlinien des Deutschen Gewerkschaftsbundes aktiv für die erwerbstätige Frau einzusetzen, befand sich die Frauenarbeitslosigkeit auf ihrem Nachkriegshöchststand. Ende Juni 1950 war annähernd eine halbe Million Frauen ohne Arbeit. 76 Auch in den folgenden zwei Jahren blieb trotz steigender Beschäftigungszahlen die weibliche Erwerbslosenquote konstant hoch. So

Fortsetzung Fußnote von Seite 297 werkschaftsbund, Bundesvorstand, Hauptabteilung „Frauen", Düsseldorf 1952, S. 54-63. 74 Die Richtlinien sind abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit 1945-1963. Hrsg. von Klaus-Jörg Ruhl, München 1988, S. 87-88. 75 Ebd. 76 Seidel, Richard: Frauen am Arbeitsmarkt, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1951, Nr. 2, S. 7-9.

3. Bemühungen der Gewerkschaften

299

wurden am 30. Juni 1952 456069 arbeitslose Frauen in der Bundesrepublik registriert, das waren nur 159 Frauen weniger als zwei Jahre zuvor. 77 Die regionalen Schwerpunkte der Frauenarbeitslosigkeit lagen in den Flüchtlingsländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern. 78 In diesen Ländern wurden industrielle Arbeitsmöglichkeiten für Frauen nur in begrenztem Umfang angeboten. Die Umsiedlung in Bezirke mit günstiger Wirtschaftsstruktur ließ sich aber nicht ohne weiteres durchführen. Das hing damit zusammen, daß auf dem Arbeitsmarkt in den industriellen Ballungszonen auch nur ein begrenztes Arbeitsangebot zur Verfügung stand. 79 Denn der Kräftebedarf konnte weitgehend aus den ortsansässigen Frauen gedeckt werden. Zudem schränkte in vielen Fällen die familiäre Bindung die Mobilität der Frauen ein, oder es war schwierig für Frauen aus Halbfamilien (alleinstehende Frauen mit Kindern), eine Wohnung zu bekommen. Erschwerend kam für viele Frauen hinzu, daß sie nur eingeschränkt wettbewerbsfähig waren. 80 Das galt vor allem für ältere Frauen, die aufgrund der vorherrschenden Auffassung, daß in der Regel die wirtschaftliche Existenz der Frau durch die Ehe gesichert sei, entweder keine Berufsausbildung aufzuweisen hatten oder den Beruf aufgegeben hatten, um ihren Hausfrauen-und Mutterpflichten nachzukommen. 81 Der Mangel an Berufserfahrung, handwerklicher Übung oder wissenschaftlicher Fortbildung beeinträchtigte je nach Art des Berufes die Leistungsfähigkeit für eine kürzere oder längere Anlaufzeit und erschwerte damit die Bemühungen um einen Arbeitsplatz. 82 Dabei fehlte die berufliche Qualifikation vielfach gerade jenen Frauen, die durch die Kriegsfolgen aus dem Bereich ihrer häuslichen Aufgaben auf den Arbeitsmarkt gedrängt wurden, und das waren insbesondere Kriegerwitwen und Flüchtlingsfrauen. 83 77

Maaßen, Paul-Josef: Entwicklung und Struktur der Arbeitslosigkeit von 1948— 1952. Zur Problematik der Arbeitslosenerhebung der Bundesanstalt, in: Bundesarbeitsblatt 1951, S. 603-608, hier: S. 604. 78 Die beschäftigten Arbeiter, Angestellten und Beamten sowie die Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland am 30. Juni 1950 nach Ländern, in: Bundesarbeitsblatt 1950, S. 286. 79 Molle, Fritz: Die Frauenarbeitslosigkeit im Bundesgebiet, in: Bundesarbeitsblatt 1951, S. 280-282, hier: S.281. 80 Tritz, Maria: Förderung der Frauenberufsarbeit ist notwendig, in: Bundesarbeitsblatt 1953, S. 27-28, hier: S. 27. 81 Maaßen, Paul-Josef : Die Berufslage der Arbeiter und Angestellten unter Berücksichtigung der älteren Angestellten und übrigen Arbeitnehmer (1950-1952), in: Bundesarbeitsblatt 1952, S. 391-398, hier: S. 391. 82 Tritz, Maria: Die Reserve der weiblichen Arbeitskräfte, in: Bundesarbeitsblatt 1955, S. 896-899, hier: S. 897. 85 Tritz, Maria: Beschaffung von Arbeitsplätzen für Kriegerwitwen, in: Bundesarbeitsblatt 1953, S. 73-74; Morawe, Christa: Die Probleme der wirtschaftlichen Eingliederung der weiblichen Vertriebenen und Zugewanderten, in: ebd. 1954, Nr. 1, S. 29-32.

300

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Einzelne Arbeitsämter machten den arbeitslosen Frauen die Arbeitssuche auch nicht gerade leicht, weil sie an die Vermittlungsfähigkeit arbeitloser Frauen andere Maßstäbe anlegten als bei arbeitslosen Männern. So wurden Frauen, die in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung arbeitslos geworden waren, Arbeiten zugewiesen, die ihrer bisherigen Berufsarbeit nicht entsprachen, oder es wurde versucht, sie ohne Rücksichtsnahme auf familiäre und persönliche Verhältnisse zur Arbeit in Haus- und Landwirtschaft zu vermitteln, auch dann, wenn ihnen ein Berufsschutz nach den Bestimmungen des Arbeitsvermittlungs- und Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVAVG) hätte zuerkannt werden müssen. Es wurden auch Fälle bekannt, daß Frauen die Arbeitslosenunterstützung vorenthalten wurde, wenn sie als Mutter Kinder zu versorgen hatten.84 Zunächst unternahm die konservativ-bürgerliche Bundesregierung nichts gegen die Frauenarbeitslosigkeit. Die existentiellen Probleme, die sich vor allem für ältere Frauen aus der Arbeitslosigkeit ergaben, wurden zwar erkannt, aber Hoffnung wurde allein auf die Eigendynamik der Sozialen Marktwirtschaft gesetzt.85 Bei einer expandierenden Wirtschaft, so wurde im Bundeswirtschaftsministerium argumentiert, werde die Arbeitslosigkeit bald kein Problem mehr sein. Deshalb müsse alles getan werden, um die Wirtschaftskraft zu stärken. Mit dieser Politik des Abwartens waren die SPD-Opposition und Teile der CDU/CSU nicht einverstanden, und sie setzten die Regierung unter Druck, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit einzuleiten.86 Zwischen 1950 und 1952 verabschiedete der Bundestag mehrere Gesetze, die länger- und kurzfristige Maßnahmen zur Dämpfung der Arbeitslosigkeit vorsahen. Zu den längerfristigen Maßnahmen gehörte die Umsiedlung von Flüchtlingen, unter denen die Arbeitslosigkeit am höchsten war, in die Industriegebiete, weiterhin die Förderung von Industrieansiedlungen in ländlichen Regionen. Diese Maßnahmen liefen relativ langsam an und waren - wie im Falle der Umsiedlung - auf Fortschritte im Wohnungsbau angewiesen.87 Kurzfristige Erfolge zeitigten die Arbeitsbeschaffungsprogramme von 1950 (Schwerpunktprogramm) und von 195188 sowie das Programm zur

84

Jahres- und Geschäftsbericht 1950-1951. Hauptabteilung Frauen beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Hrsg. vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Düsseldorf 1951, S. 21-22. 85 Siemering, Hertha: Frauenüberschuß und Frauenarbeit, in: Schmollers Jahrbuch 71, 1951, Heft 1, S. 13-32. 86 Schwarz, Hans-Peter: Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949-1957, Stuttgart 1981, S. 84-86. 87 HStA-NW 43/479 (Schreiben des Ministers für Wiederaufbau an Regierungspräsidenten betr.: Förderung von Gemeinschaftseinrichtungen vom 1. Juni 1950). 88 Das Arbeitsbeschaffungsprogramm der Bundesregierung für die finanzschwachen Länder, in: Bundesarbeitsblatt 1950, S. 290-291.

3. Bemühungen der Gewerkschaften

301

Schaffung von Dauerarbeitsplätzen nach dem Soforthilfegesetz (Lastenausgleichsgesetz) von 1952.89 Insgesamt 550 Millionen DM wurden als Kredite für den Auf- und Ausbau von Betrieben in der gewerblichen Wirtschaft bereitgestellt. Dadurch sollten nicht nur Gebiete mit starker Arbeitslosigkeit entlastet werden, sondern auch von der Arbeitslosigkeit besonders betroffenen Personenkreisen geholfen werden. Aus diesem Grund wurden Regionen mit hoher Frauenarbeitslosigkeit, wie Wilhelmshaven, Kiel, Hamburg, Duisburg,90 bei der Zuteilung der Kredite vorrangig berücksichtigt.91 Bei der Durchführung des Programms zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen wurde den kreditnehmenden Betrieben, je nach ihrer Aufnahmekapazität, die Auflage erteilt, eine bestimmte Zahl von Frauen - vorzugsweise Frauen aus Halbfamilien - einzustellen. Diese Verpflichtung wurde in die Darlehnsverträge aufgenommen. Auf diese Weise konnten 70000 neue Arbeitsplätze für Frauen eingerichtet werden.92 Zu diesen Programmen kam noch das Sanierungsprogramm hinzu, das 1951 anlief. Auch bei der Durchführung dieses Programms wurde auf die Frauenarbeitslosigkeit Rücksicht genommen. 93 Im „Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter" (Schwerbeschädigtengesetz) vom 16. Juni 1953 wurde in § 8 eine besondere Bestimmung für die „Beschäftigung von Witwen und Ehefrauen der Kriegs- und Arbeitsopfer" aufgenommen.94 Danach wurden Einstellungen von Kriegerwitwen, die sich nicht allein und ohne Schwierigkeiten eine Stellung beschaffen konnten, auf die Einstellquote von Schwerbeschädigten angerechnet und zwar im Verhältnis 2:1. Das heißt: zwei Kriegerwitwen wurden für einen Schwerbeschädigten-Arbeitsplatz angerechnet. Das „Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge" (Bundesvertriebenengesetz) vom 19. Mai 1953 enthielt in § 77 eine Anweisung an die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, um den arbeitslosen Flüchtlingsfrauen zu helfen.95 Im Oktober 1952 führte die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung eine Sondererhebung durch, um sich ein Bild

Fortsetzung Fußnote von Seite 300 Gesetz über die Finanzierung eines Sofortprogramms zur Arbeitsbeschaffung im Rechnungsjahr 1951 vom 27. Dezember 1951 (Bundesgesetzblatt 1951, S. 1006). " Gesetz über den Lastenausgleich [Lastenausgleichsgesetz] vom 14. August 1952 (Bundesgesetzblatt 1952, S. 446-533). 90 Richter, Charlotte: Frauenarbeitsnot in Duisburg, Duisburg 1951. 91 Braun, Gerhard: Wege zur Bekämpfung der Frauenarbeitslosigkeit aus der Sicht eines Ruhr-Arbeitsamtes, in: Bundesarbeitsblatt 1953, S. 341-342. 92 Tritz: Förderung der Frauenarbeit, S. 27. 93 Ebd. 94 Bundesgesetzblatt 1953, S. 389-402. 95 Bundesgesetzblatt 1953, S. 201-221.

302

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

von der Verwendbarkeit der arbeitslosen Frauen zu machen.96 Zu diesem Zweck wurden die arbeitslosen Frauen in drei Gruppen eingeteilt: in die voll Verwendbaren, die beschränkt Verwendbaren und die nicht oder kaum Verwendbaren. Als Gründe für die Nicht-Verwendbarkeit galten: Überalterung, Körperbehinderung, gesundheitliche Schäden, geringe berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten, Arbeitsunwille, Charaktermängel (außer Arbeitsunwille), häusliche Bindungen und Schwangerschaft.97 Befragt wurden innerhalb der Bundesrepublik und Westberlin 520000 arbeitslose Frauen. Voll verwendungsfähig waren 308 000, beschränkt verwendungsfähig 186000, nicht oder kaum verwendungsfähig 26000. Bei der Auflistung der Verwendungsfähigkeit nach Altersklassen zeigte sich, daß 71,9% der unter 18 Jahre alten Frauen voll verwendungsfähig waren, während es unter den 45 bis 65 Jahre alten Frauen nur noch 34,6% waren. In der Gruppe der beschränkt Verwendungsfähigen nahm der Anteil der Frauen in den einzelnen Altersklassen allmählich von 26,1% (unter 18 Jahren) bis 52,5% (zwischen 45 und 65 Jahren) zu, ebenso in der Gruppe der nicht oder kaum Verwendungsfähigen, deren Anteil in der Gruppe der unter 18 Jahre alten Frauen bei 2% lag und bis auf 12,9% in der Gruppe der 45 bis 65 Jahre alten Frauen anstieg.98 Die Ergebnisse dieser Sonderuntersuchung flössen in die parlamentarischen Beratungen über das „Gesetz für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung" ein.99 Die Abgeordneten einigten sich, ausschließlich älteren Frauen, die über keine Berufskenntnisse verfügten, berufliche Bildungsangebote zur Verfügung zu stellen. Den Arbeitsämtern wurde die Möglichkeit eingeräumt, je nach Bedarf Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung und Umschulung aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung durchzuführen oder Einrichtungen fremder Träger zu unterstützen. Angeboten wurden offene Lehrgänge, Internatslehrgänge, betriebsgebundene Lehrgänge und Einzelschulung. Die offenen Lehrgänge fanden den größten Zuspruch, da sie optimal dem Schulungsbedürfnis erwachsener Menschen entsprachen. Die Internatslehrgänge setzten dagegen eine 94

Tritz, Maria: Aktuelle Fragen zur Frauenerwerbsarbeit, S. 8-9 (ADGB-BV/50 [Protokoll der Bundesfrauenausschußkonferenz in München am 8./9. Oktober 1953]). 97 Ebd. 98 Ebd. Die Sondererhebung machte auch deutlich, daß die Masse der arbeitslosen Frauen, die voll verwendungsfähig waren, kaufmännische Angestellte, Bedienstete des Gesundheitswesens, Verwaltungsangestellte und Hausgehilfinnen waren. Weiterhin wurde festgestellt, daß von 209000 Frauen nur 8.0% in der Lage waren, eine Erwerbstätigkeit in einer anderen Region aufzunehmen. 99 Gesetz zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge vom 24. August 1953 (Bundesgesetzblatt 1953, S. 1022-1025).

3. Bemühungen der Gewerkschaften

303

zeitweilige Trennung von der Familie voraus, die nur in den seltensten Fällen von Müttern akzeptiert wurde. Die betriebsgebundenen Lehrgänge hatten den Vorteil, neben der Aneignung spezieller Fähigkeiten gleich die Arbeitsatmosphäre in einem Betrieb kennenzulernen. Das Angebot in den Lehrgängen umfaßte kaufmännisches Rechnen, Betriebs- und Handelskunde, Einführung in die Bürotechnik, einfache Buchführung sowie Steno- und Maschinenschreiben. Da die Lehrgänge keine Handelsschule ersetzen konnten und wollten, wurden nur Grundbegriffe vermittelt, deren Aneignung den Teilnehmerinnen den Einstieg in den neuen Arbeitsalltag erleichtern und ihnen eine größere Sicherheit geben sollte. Ein Kursus war nach Ansicht der Arbeitsbehörden schon erfolgreich, wenn durch die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme erreicht wurde, daß die Teilnehmerinnen überhaupt erst vermittlungsreif geworden waren und ein Teil in einen Beruf vermittelt werden konnte.100 Die Arbeitsbeschaffungsprogramme und die Bildungsmaßnahmen kamen ausschließlich älteren Frauen zugute. Hilfe und Unterstützung brauchte aber auch die weibliche Jugend, vor allem die Schulabgängerinnen, unter denen die Arbeitslosigkeit recht hoch war.101 Anfang 1950 wurden in Nordrhein-Westfalen 27100 Mädchen gezählt, die keine Arbeit hatten. Das war etwa ein Drittel der weiblichen Arbeitslosen. Die Zahl setzte sich zusammen aus 10206 Lehrstellensuchenden und 16894 arbeitslosen Jugendlichen bis zu 25 Jahren (darunter 3334 unter 18 Jahren).102 Im wesentlichen waren zwei Gründe für die Arbeitslosigkeit verantwortlich. Zunächst einmal reichten die vorhandenen Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für Mädchen nicht aus, da der Berufsraum zu begrenzt und die Möglichkeiten in den einzelnen Wirtschafts- und Berufszweigen zu sehr eingeengt waren.103 Zum anderen wurde die Notwendigkeit einer dauernden Berufstätigkeit für Mädchen und Frauen nicht gesehen, das Recht des Mädchens auf Arbeit und Beruf zur Sicherung der Existenz und damit die Notwendigkeit einer geordneten Berufsausbildung

100

Böcking, Maria: Berufliche Bildungsmaßnahmen nach dem Gesetz für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Erfahrungen und Überlegungen zu ihrer Durchführung von seiten der Frauen Vermittlung, in: Bundesarbeitsblatt 1954, S. 325-336, hier: S. 325. 101 Vgl. zur Jugendarbeitslosigkeit Anfang der 50er Jahre die unter soziologischen Fragestellungen verfaßte zweibändige Aufsatzsammung: Arbeitslosigkeit und Berufsziel der Jugend. Hrsg. vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Erarb. von der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Jugendfragen unter wissenschaftlicher Leitung von Helmut Schelsky, Köln 1952. 102 HStA-NW 43/479 (Situationsbericht der weiblichen Berufsberatung, undatiert). 103 HStA-NW 43/479 (Wohnraumzuteilung für Zwecke der beruflichen Unterbringung von Jugendlichen - Runderlaß des Ministers für Wiederaufbau vom 28. März 1950).

304

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

von Wirtschaft und Gesellschaft nicht genügend erkannt und anerkannt.104

3.3.

Schlechte Aufstiegschancen für Frauen

Besonders schwer fiel die Aufgabe traditioneller Vorstellungen, denen zufolge die Frau auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter festgelegt war.105 So wurden zum Beispiel mit dem „Erlaß zur Förderung der Erziehung und Erwerbsfähigkeit Jugendlicher im Rahmen der Kriegsfolgehilfe" vom 14. Dezember 1950 durchaus Konsequenzen aus den Gegebenheiten gezogen, wie sie sich unmittelbar nach dem Krieg herausgebildet hatten. Denn in den Auslegungsrichtlinien zum Erlaß wurde festgestellt, daß die Mädchen eine „möglichst gute Ausbildung erhalten" müßten, um einen Beruf ergreifen zu können. Die Erfahrungen der letzten Jahre hätten nämlich gezeigt, „daß auch die Ehefrau nicht der Notwendigkeit zur Berufsarbeit enthoben ist im Falle, daß der Mann ganz, teilweise oder auch zeitweise als Ernährer der Familie wegfällt".106 Im gleichen Atemzug wurde aber betont, daß neben einer Berufsausbildung die Notwendigkeit bestünde, „jeder Frau eine Grundausbildung in Hauswirtschaft (mit Kochen, Nähen und allgemeiner Hauswirtschaft) und pflegerischen Fächern (mit Kranken- und Säuglingspflege) zu vermitteln".107 Denn jede Frau sei „neben dem Beruf in mehr oder minder starkem Ausmaß darauf angewiesen, sich um Hauswirtschaft und Familie zu kümmern". Die Auslegungsrichtlinien schlugen vor, „mit allem Nachdruck Gelegenheiten für die weibliche Jugend zur Ausbildung in hauswirtschaftlichen und pflegerischen Fächern zu schaffen" und in diesem Sinne die Vorschläge katholischer und evangelischer Mädchenverbände aufzugreifen, die Ausbildungslehrgänge anböten. 108 Hinter diesen scheinbar sinnvollen Ergänzungslehrgängen zur eigentlichen Berufsausbildung stand jedoch die Absicht, die Mädchen in die hauswirtschaftlichen Berufe umzuleiten: einerseits, um die Mädchen auf ihre spätere Rolle als Ehefrau und Mutter vorzubereiten, andererseits, um die Abwanderung aus diesen Berufen zu stoppen. Gegen diese einseitig auf typisch weibliche Berufe ausgerichtete Förderung der weiblichen Ju104 Enderle, Irmgard: Kritisches zum Frauen-Anteil an den Erwerbstätigen, in: Sozialer Fortschritt 1, 1952, Nr. 6, S. 146-147. 105 Jacobsohn, Christa: Familiengerechte Frauenarbeit - ein gesamtgesellschaftliches Zeitproblem, Berlin (Diss.) 1961, S. 135-138. 106 HStA-NW 43/479 (Auslegungs-Richtlinien zu dem Erlaß über Förderung der Erziehung und Erwerbsfähigung Jugendlicher im Rahmen der Kriegsfolgehilfe vom 14. Dezember 1950). 107 Ebd. 108 Vgl. dazu die Denkschrift des Nationalverbandes der katholischen Mädchenvereine vom Juli 1951: Vorschläge zur Behebung und Erleichterung der Arbeits- und Berufsnot der weiblichen Jugend (HStA-NW 43/749).

3. Bemühungen der Gewerkschaften

305

gendlichen sprachen sich mit allem Nachdruck die Gewerkschafterinnen aus. Sie forderten für Mädchen die freie Berufsauswahl entsprechend ihrer Neigung und ihren Fähigkeiten. Damit die Mädchen nicht schon in der Schule auf die typischen weiblichen Berufe festgelegt wurden, sollte sich nach den Vorstellungen der Gewerkschafterinnen der Unterricht in den Abschlußklassen der Schulen nicht auf Vorträge über einzelne Berufe beschränken, sondern durch praktischen Anschauungsunterricht ergänzt werden. Außerdem sollten, so die Gewerkschafterin Ingeborg Sommer, bereits in der Volksschule vor der Überleitung in weiterführende Mittel- und Oberschulen den Mädchen eingehende Erläuterungen über Voraussetzungen zu einem Beruf, über die Erfordernisse der entsprechenden Lehrzeit und über die Tätigkeit, die später geleistet werden mußte, gegeben werden.109 Dabei sollten auch alle Möglichkeiten des beruflichen Fortkommens behandelt werden, so daß die Mädchen schon möglichst früh umfassend unterrichtet waren. Industrie, Handwerk, Handel und Verwaltung sollten in diese Aufklärungsarbeit einbezogen werden, die jeweils im letzten Schuljahr wiederholt werden sollte. Weiterhin wurde vorgeschlagen, die bisher für Jungen und Mädchen getrennt durchgeführte Berufsberatung bei den Arbeitsämtern zusammenzulegen, damit die angebotenen Lehrstellen nicht nur den Jungen, sondern auch den Mädchen zur Kenntnis gelangten. Mit dieser Chancengleichheit sollte die bisher gehandhabte Praxis beseitigt werden, Mädchen erst dann in bestimmte Lehrstellen zu vermitteln, wenn alle männlichen Bewerber untergebracht oder nicht genügend vorhanden waren.110 Auch die Berufsschulausbildung für Mädchen war nach Ansicht der Gewerkschafterinnen reformbedürftig. Auf dem 2. Bundes-Frauenausschußkongreß im Mai 1952 brachte der DGB-Landesbezirksfrauenausschuß Nordrhein-Westfalen den Antrag ein, daß „auch den weiblichen Anlernlingen und Hilfsarbeitern - wie den männlichen - fachtheoretischer und fachpraktischer Unterricht erteilt wird". In der Begründung zu diesem Antrag wurde ausgeführt, daß der derzeitige Berufsschulunterricht von der irrigen Vorstellung ausgehe, daß der Beruf der Frau sich in hausfraulicher Tätigkeit erschöpfe, und daß es sich bei der außerhäuslichen Berufstätigkeit um ein kurzes Übergangsstadium handele.111 Diese Einstellung sei, so die Antragstellerinnen weiter, durch die Tatsa109

Sommer, Ingeborg: Berufswünsche und Berufschancen der Frau in der Wirtschaft, in: Die Wirtschaft braucht die Frau. Hrsg. von Ruth Bergholtz, Hamburg 1957, S. 106-124, hier: S. 113. 110 ADGB-BV/50 (Protokoll der Bundesfrauenausschußsitzung vom 27./28. März 1956, S. 12). 1,1 Antrag Nr. 17 zur 1. Bundes-Frauenkonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Protokoll des 1. Bundes-Frauenkongresses vom 27.-29. Mai 1952. Hrsg. vom Deutschen Gewerkschaftsbundes, Düsseldorf 1952, S. 7).

306

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

che, daß ein großer Teil der weiblichen Arbeitskräfte auch nach der Heirat in Wirtschaft und Verwaltung einen Beruf ausübe, längst überholt. Aus diesem Grund müßte den Mädchen in der Ausbildung Chancengleichheit eingeräumt werden. Konkret hieß das: theoretische und fachpraktische Fächer statt hauswirtschaftliche und bürgerkundliche Fächer. Die gewerkschaftlichen Vorschläge, die auch von der Arbeitsvermittlung unterstützt wurden, 112 fanden bei den Politikern ebenso wenig Widerhall wie bei der Wirtschaft. Und das bedeutete: Zwischen 1950 und 1954 ließen sich zwei Drittel der schulentlassenen Mädchen, die eine Lehrstelle antraten, in einem typisch weiblichen Beruf ausbilden. 113 Das waren die kaufmännischen oder Verwaltungsberufe, 114 die hauswirtschaftlichen Berufe sowie der Beruf der Damenschneiderin und der Friseuse. Unter diesen Berufen bevorzugten mehr als 50% der betreffenden Mädchen eine Anstellung als kaufmännische und Verwaltungsangestellte. 115 Die Vorstellung, daß diese Tätigkeit eine saubere Arbeit an erträglichen Arbeitsplätzen, eine größere finanzielle Sicherheit, geregelte Arbeitszeit und die Berufsbezeichnung „Angestellte" bot, war für die Wahl bestimmend. Überwiegend Mittelschulabsolventinnen waren an diesen Berufen interessiert.116 Bei der Wahl, sich in einem hauswirtschaftlichen Beruf oder als Damenschneiderin ausbilden zu lassen, war in den meisten Fällen mit ausschlaggebend der Wunsch, etwas zu lernen, was für den späteren eigenen Haushalt und für die eigene Familie verwertet werden konnte. 117 Der Beruf der Friseuse galt als krisenbeständig und bot Kontaktmöglichkeiten. Höchst unbeliebt bei der weiblichen Jugend waren Berufe wie Kranken112 Steinbrück, F.: Neue Frauenberufe. Ein Ratgeber für Frauen, die nach neuen Erwerbsmöglichkeiten suchen: Berichte über Erfahrungen und Erfolge von Frauen und Mädchen in neuartigen Berufen. Aufgrund von Erfahrungsberichten der Arbeits- und Länderarbeitsämter dargestellt, Hamburg 1950; Kadel, Elisabeth: Zur Berufserziehung der Mädchen, in: Bundesarbeitsblatt 1953, S. 747-748; Mohrmann, Hilda: Gedanken zur Berufsarbeit und zur Berufsbildung der Frau, in: dass. 1954, Nr. 23, S. 722-724. 1.3 Ergebnisse der Berufsberatungsstatistik in der Bundesrepublik Deutschland für das Berichtsjahr 1954/55, in: Beilage zu den Amtlichen Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1956, Nr. 6, S. 2-4. 1.4 Brendgen, Maria: Die Frau in den kaufmännischen Berufen, in: Bundesarbeitsblatt 1954, Nr. 13, S. 381-384 (Teil I), Nr. 19, S. 591-594 (Teil II). 115 Berufsausbildung. Aus der Arbeit der Industrie- und Handelskammern. Lehrlingszahlen und Prüfungsergebnisse. Berichtsjahr 1951. Hrsg. vom Deutschen Industrie- und Handelstag, Bonn o.J., S. 13. 116 Zur Berufswahl: Haack, Renate: Berufswunsch und Berufswahl in familiensoziologischer Sicht. Eine Untersuchung an Hand der Schülerkartei von 13 300 Mädchen, Köln (Diss.) 1958; Baensch, Monika: Zur Frage des Berufprestiges. Eine Untersuchung über die Prestigeordnung ausgewählter Frauenberufe unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Berufe, Erlangen (Diss.) 1960. 117 Steuer, E.: Hauswirtschaftliche Berufsausbildung, in: Bundesarbeitsblatt 1954, Nr. 11, S. 323-324.

3. Bemühungen der Gewerkschaften

307

pflegerin, Krankenschwester oder Kindergärtnerin. Obwohl in diesen Berufen Nachwuchsmangel herrschte 118 und somit ausreichende Ausbildungsmöglichkeiten bestanden, machten die Mädchen einen Bogen um diese Berufe. Abschreckend wirkte einmal die lange Arbeitszeit, zum anderen die persönliche Gebundenheit, und schließlich boten diese Tätigkeiten geringere Verdienstmöglichkeiten als die meisten Angebote in der Industrie. 119 Diese Verweigerung führte zu einem akuten Pflegenotstand in Krankenhäusern und Altersheimen. Politiker aller Parteien und verschiedene caritative und Hausfrauenverbände forderten daraufhin in Anlehnung an Praktiken während des Dritten Reiches die Einführung eines Pflichtjahres für Mädchen. Auf Protest der Frauenverbände und Gewerkschaften wurde von der Einführung eines Pflichtjahres abgesehen, das nach Ansicht seiner Gegner die freie Berufsübung der Mädchen behindere. 120 Der ständig größer werdende Bedarf der westdeutschen Wirtschaft an Arbeitskräften führte seit 1952 dazu, daß die Arbeitgeber bei der Besetzung von Arbeitsplätzen mehr als bisher die weibliche Arbeitskraft mit einkalkulierten. 121 So erklärten sich Industrie und Handwerk zu einer Ausweitung des Lehrstellenangebots für Mädchen bereit und schufen durch innerbetriebliche Umsetzungs- und Rationalisierungsmaßnahmen Arbeitsplätze für Frauen. Vor allem im Handwerk, dem die männlichen Fachkräfte von der Industrie abgeworben wurden, erhielten immer mehr Mädchen die Chance, eine Lehrstelle anzutreten, die bislang einem Jungen vorbehalten gewesen war 122 (vgl. dazu die Tabelle 25). Anfang 1955 waren von 568384 Lehrlingen und Anlernlingen im Handwerk 92578 weiblichen Geschlechts. Das waren 16% der Gesamtlehrlingszahl. Mädchen wurden ausgebildet zum Radio- und Fernsehtechniker (0,4% Anteil unter den Lehrlingen), zum Elektromaschinenbauer (0,1%), zum Elektro- und Fernmeldemechaniker

118

Die Frau im Beruf. Tatbestände, Erfahrungen, Vorschläge zu drängenden Fragen in der weiblichen Berufsarbeit und der Lebensgestaltung der berufstätigen Frau. Hrsg. von Heinrich Greeven, Hamburg 1954, S. 137. "' Protokoll des 1. Bundes-Frauenkongresses, S. 66. 120 A D G B - B V / 3 4 (Pfiichtjahr für Mädchen, undatierte Aufzeichnung). Als 1956 die Wehrpflicht eingeführt wurde, lebte die öffentliche Diskussion um das Pfiichtjahr für Mädchen wieder auf. Mit dem Hinweis auf das Gleichberechtigungsprinzip wurde für den Wehrdienst der Jungen ein Äquivalenz für die Mädchen gefordert. ( A D G B - B V / 3 4 [Gegen staatlichen Arbeitseinsatz der weiblichen Jugend, in: Nachrichtendienst der Bundespressestelle des D G B vom 22. Juli 1957]). Jahres- und Geschäftsbericht 1950-1951, S. 32-33. 121 Linhart, Elisabeth: Wirtschaftsentwicklung und Frauenerwerbstätigkeit, in: Die christliche Frau 45, 1956, S. 213-221. 122 A D G B - B V / 5 0 (Protokoll der Bundesfrauenausschußsitzung vom 27./28. Mai 1956, S. 12).

308

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Tabelle 25 Die Lehr- und Anlernlinge nach dem Geschlecht in der Bundesrepublik Deutschland (ohne Berlin) 1950-1960 Jahr insg.

Lehrlinge m.

w.

insg.

Anlernlinge m.

w.

210926 235497 266843 296318 336146 380431 413474 417995 419131

36903 45453 50783 57063 62835 65114 59456 53456 48028

5961 8345 8713 8440 10009 11080 10186 8405 7403

30942 37108 42070 48623 52826 54034 49270 45051 40625

(mit Saarland) 425 559 48719 424785 43029 39734 401936

7448 5921 4943

41271 37108 34791

100,0 123,2 137,6 154,6 170,3 176,4 161,1 144,9 130,1

100,0 140,0 146,2 141,6 167,9 185,9 170,9 141,0 121,2

100,0 119,9 136,0 157,1 170,7 174,6 159,2 145,6 131,3

(mit Saarland) 201,8 132,0 201,4 116,6 190,6 107,7

124,9 99,3 82,9

133,4 119,9 112,4

A. Grundzahlen (ohne Saarland) 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958

934023 980903 1085646 1 155765 1266295 1358452 1398684 1352889 1303739

723097 745406 818803 859447 930 149 978021 985210 934894 884608

1958 1959 1960

1322348 1262155 1 184039

896789 837370 782103

A. Indexzahlen (ohne Saarland) 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958

100,0 105,0 116,2 123,7 135,6 145,4 149,7 144,8 139,6

100,0 103,1 113,2 118,9 128,6 135,3 136,2 129,3 122,3

1958 1959 1960

141,6 135,1 126,8

124,0 115,8 108,2

100,0 111,6 126,5 140,5 159,4 180,4 196,0 198,2 198,7

(Quelle: Geschäftsbericht der Hauptabteilung Frauen im Bundesvorstand des DGB 1959-1961, Düsseldorf 1961, S. 15) (0,1%), weiterhin zum Fahrradmechaniker (0,06%), zum Feinoptiker (0,35%) und zum Chirurgiemechaniker (1,0%). 123 Für die Weiterbildung der jungen Arbeiterinnen wurde jedoch kaum etwas getan. 124 Obwohl einige Länder entsprechend den Vorschlägen der 123 Bigalke, H.: Berufsausbildung im Handwerk für Frauen, in: Die Wirtschaft braucht die Frau, S. 161-190, hier: S. 175-176, 180-182. 124 Schindler, Hans: Die ungelernte Arbeiterin. Ein Beitrag zur Erkenntnis der Berufs-, Berufsschul- und Freizeitsituation 15-18jähriger Mädchen in ungelernten Berufen, München (Diss.) 1957, S. 86-94. Zur beruflichen Situation der Industriearbeiterin: Wald, Renate: Junge Arbeiterin-

3. Bemühungen der Gewerkschaften

309

Gewerkschaften dazu übergegangen waren (zunächst als Modell in einigen Schulen, später verbindlich im Lehrplan vieler Berufsschulen), auch für junge Arbeiterinnen fachtheoretischen Unterricht und technische Unterweisung anzubieten, erhielt die Mehrzahl der ungelernten Arbeiterinnen durch den Berufsschulunterricht keine Hilfe für den Arbeitsalltag.125 Der größte Teil der Berufsschulzeit wurde für Unterricht in hauswirtschaftlichen Fächern verwandt. Die Industrie war an weiblichen Fachkräften nur in geringem Maß interessiert. Da die meisten Betriebe sich mehr und mehr auf Automation umstellten, waren nicht Fachkräfte, sondern ungelernte Arbeitskräfte gefragt. Um nicht-beschäftigte Frauen aus der sogenannten stillen Reserve für den Arbeitsprozeß zu gewinnen, dachten sich die Unternehmen eine ganze Reihe von Maßnahmen aus.126 So wurden ganze Betriebe oder einzelne Betriebsabteilungen in Bezirke verlegt, die bislang nur wenig Arbeitsmöglichkeiten für Frauen boten. Auch wurden die weiblichen Arbeitsplätze vermehrt; und mehr und mehr Frauen erhielten die Chance, Tätigkeiten zu übernehmen, die bisher Männer ausgeführt hatten.127 Der Schwerpunkt der Zunahme der Frauenarbeit in den Jahren 1954 bis 1956 lag in den Wirtschaftsabteilungen Handel-, Geld- und Versicherungswesen; es folgten das verarbeitende Gewerbe, die Dienstleistungen, die Eisen- und Metallverarbeitung mit ebenfalls hohen Zuwachsraten. Geringer war die Zunahme im öffentlichen Dienst, in der Hauswirtschaft und im Verkehrswesen. Soweit die industrielle Arbeit infrage kam, wurden die Frauen vor allem in denjenigen Wirtschaftszweigen beschäftigt, die Verbrauchsgüter erzeugten, weil hier in der Regel weniger Körperkraft erforderlich war als in den Wirtschaftszweigen der Produktionsgüterindustrie.128 Ende 1961 waren die Reserven des weiblichen Arbeitskräftepotentials nahezu erschöpft. So waren in der Schmuckwarenindustrie Überstunden und vermehrte Vergabe von Heimarbeit erforderlich, um den LieferverFortsetzung

Fußnote von Seite 308

nen. Eine Schilderung ihrer sozialen Situation, Köln (Diss.) 1959; Wurzbacher, Gerhard u.a.: Die junge Arbeiterin. Beiträge zur Sozialkunde und Jugendarbeit, München 1958. 125 Müller, Annelies: Zur Situation der gewerblichen Berufsausbildung der Mädchen, in: Frau und Arbeit 1958, Nr. 2, S. 3-6, hier: S. 5. Weiterhin: Splettstößer, Berta: Erziehung und Ausbildung der berufstätigen Mädchen, in: Bundesarbeitsblatt 1959, S. 573-576. 126 Salzmann, Walter: Die Frau als Arbeitskraft. Umfang, Bedeutung und Probleme der Frauenarbeit, in: Der Volkswirt 10, 1956, Nr. 35, S. 8-11; Zur gesellschaftlichen Situation der heutigen Frau. Arbeitsmarktpolitische Entwicklungstendenzen, in: Die Arbeitskammer 1957, Nr. 1/2, S. 17-21. 127 ADGB-BV/50 (Protokoll der Bundesfrauenausschußsitzung in Düsseldorf am 27./28. März 1956, S. 12-13). 128 Tritz, Maria: Die weiblichen Arbeitskräfte in der heutigen Wirtschaft, in: Die Wirtschaft braucht die Frau, S. 11.

310

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

pflichtungen rechtzeitig nachkommen zu können. In der Textilindustrie gingen Firmen dazu über, Frauen, auch Fachkräfte, in Teilzeitarbeit zu beschäftigen. 129 In der Bekleidungsindustrie gelang es kaum noch, für ausgeschiedene Arbeitskräfte Ersatz zu schaffen. In der lederverarbeitenden Industrie konnte der Mangel an Arbeitskräften oft nur dadurch gemildert werden, daß mithelfende Familienangehörige aus der Landwirtschaft vermittelt wurden. In den kaufmännischen und Verwaltungs- und Büroberufen blieben rund 10000 Stellen unbesetzt. Mit dem Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit ging jedoch nicht eine qualitative Ausweitung der Frauenarbeit einher. Die Mehrzahl der Frauen wurde nach wie vor mit nachgeordneten und einfachen Arbeiten beschäftigt. Das galt für alle Frauen, ganz gleich, ob sie als gewerbliche Arbeiterin, als Angestellte oder als Beamtin tätig waren. So waren im Februar 1958 von allen in der Industrie beschäftigten Frauen nur 9% Facharbeiter, aber 45% angelernte und 46% Hilfsarbeiter. 130 Die männlichen Beschäftigten setzten sich aus 50% Facharbeitern, 35% angelernten Arbeitern und 15% Hilfsarbeitern zusammen. 131 Die Gliederung der weiblichen Angestellten nach Lohngruppen (II-V) ergab folgendes Bild: in der höchsten Lohngruppe (II) waren von den Angestellten nur 2,7% weiblichen Geschlechts, in den Lohngruppen IV und V hingegen die überwiegende Mehrzahl (77,7%). Nicht anders sah es bei den in der Bundesverwaltung beschäftigten 84757 Frauen aus (davon 63440 bei der Bundespost). Im höheren Dienst befanden sich nur 115 Beamtinnen, das waren 1,2% der in dieser Laufbahn Beschäftigten, die Masse gehörte dem mittleren Dienst an, nämlich 30678 (13,4%). Als Angestellte im höheren Dienst waren 194 Frauen tätig, im einfachen Dienst jedoch

129

Zum Problem der Teilzeitarbeit: Biirkel, Dietrich: Halbtagsarbeit für Frauen in der Textilindustrie, in: Bundesarbeitsblatt 1953, S. 77-78; Glücksmann-Lüdy, Elisabeth: Zum Problem der Teilzeitbeschäftigung, in: Ausländische Sozialprobleme 3, 1953, Nr. 12, S. 125-128; Pohl, Kläre: Teilzeitarbeit für Frauen, in: Bundesarbeitsblatt 1955, S. 900-903; Möglichkeiten und Zweckmäßigkeit der Einrichtung von Teilzeitarbeit für Frauen in verschiedenen Berufen. Gutachten des Forschungsinstituts für Sozial- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Köln, Köln 1956 (HStA-NW 50/1009). 130 Je nach Leistungsanforderungen wird die industrielle Arbeit im allgemeinen in Facharbeit, angelernte und Hilfsarbeit unterteilt. Als Facharbeiterin gilt diejenige Frau, die eine abgeschlossene industrielle Lehre nachweisen kann. Die angelernte Arbeiterin hat in der Regel eine Anlernzeit von 1 bis 2 Jahren durchlaufen. Sie unterscheidet sich von der Facharbeiterin durch einen engeren Tätigkeitsbereich bzw. durch einen geringeren Umfang des Berufsinhaltes. Die Bezeichnung Hilfsarbeiterin (ungelernte Arbeiterin) ist Sammelbegriff für jene Arbeiterinnen, die Arbeiten ausführen, die entweder keine Vorkenntnisse erfordern oder nur solche, die in kurzer Zeit erlernbar sind. 131 A D G B - B V / 6 8 (RKW-Tagung in Frankfurt am 13./14. November 1958, S. 2).

3. Bemühungen der Gewerkschaften

311

51995 oder 62,9% der in dieser Laufbahnstufe registrierten Angestellten. 132 Es war also nicht die relativ kleine Zahl von Frauen mit qualifizierter Funktion, die die berufliche Stellung der Frau charakterisierte, viel entscheidender fiel die große Gruppe in einfachen bis mittleren Tätigkeiten ins Gewicht. Wenn es auch Unterschiede in einzelnen Berufen und Wirtschaftszweigen oder auch in regionaler Hinsicht gab, so muß für die Entwicklung der Frauenarbeit in den 50er Jahren generell festgestellt werden, daß ihre qualitative Entwicklung mit der quantitativen Ausweitung in keiner Weise Schritt hielt. 133 Und woran lag das? Teils an den Frauen selbst, die wenig Interesse an Berufsausbildung und Berufsaufstieg zeigten, weil sie die Ansicht vertraten, doch nur vorübergehend - bis zur Heirat - im Beruf zu sein.134 Die Arbeitgeber wiederum schränkten die weiblichen Verwendungsmöglichkeiten im voraus unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ein, und das berufliche Können und die Berufswünsche der Frauen wurden auch nur im Rahmen der von den Arbeitgebern vorgesehenen Begrenzung anerkannt. Zur Begründung dieses Sachverhaltes wurde von Arbeitgeberseite häufig darauf hingewiesen, daß die Frau in vielen Berufen dem Mann an Leistungsfähigkeit, insbesondere auf technischem Gebiet, nachstehe; auch sei ihre Berufstätigkeit in der Regel von kurzer Dauer, so daß eine lange Einführung und Vorbereitung auf qualifizierte Arbeiten nicht lohne. 135 Diese Auffassungen reflektierten alte Vorurteile, zum Teil waren sie in ihren betriebswirtschaftlichen Auswirkungen absichtlich überzogen, um die niedrigere Einstufung und Entlohnung der Frau zu rechtfertigen. Wenn behauptet wurde, daß es der Frau aufgrund ihrer spezifischen Veranlagung in der Regel an technischem Verständnis mangelt, dann wurde bei einem solchen Urteil viel zuwenig der Einfluß der Erziehung berücksichtigt. Wissenschaftliche Studien hatten längst den Beweis erbracht, daß Frauen durchaus über technische Begabungen verfügten. 136 Voraussetzung war allerdings eine entsprechende Ausbildung. 132 Ebd., S. 2a-3. Vgl. auch: Kapitain, Anna: Zur Berufssituation der Frau in gehobenen und leitenden Stellen, in: Bundesarbeitsblatt 1954, Nr. 5, S. 134-136. 133 Tritz: Die weiblichen Arbeitskräfte, S. 15-16. 134 Warum die meisten Frauen in untergeordneten Positionen arbeiteten und welche Wege erschlossen werden müßten, um ihnen nach entsprechender Ausbildung eine Beschäftigung in qualifizierter Arbeit zu sichern oder bei vorliegender Eignung den Aufstieg im Beruf in verantwortliche Tätigkeit zu ermöglichen, das war Mitte 1958 Gegenstand einer Befragung des Frauen-Arbeitskreises beim Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft (RKW). Dazu: RKW-Tagung in Frankfurt am 13./14. November 1958 (ADGB-BV/68). 135 Ebd., S. 16-17. 136 Zorell, Elisabeth: Die weibliche Entwicklung nach Leistung und Charakter, München (Diss.) 1949.

312

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Die Anstrengungen der Gewerkschaften, insbesondere der Gewerkschafterinnen, die weibliche Berufsausbildung zu verbessern sowie den Frauen den Aufstieg in qualifizierte Berufe zu ermöglichen, zeigten während der 50er Jahre keine nennenswerte Erfolge.137 Die Hauptabteilung Frauen des Deutschen Gewerkschaftsbundes kam dann auch in ihrem jährlichen Rechenschaftsbericht von 1962 zu dem Ergebnis: „Noch immer werden Mädchen benachteiligt, und beim beruflichen Aufstieg hat der Mann die größeren Chancen". 138 Erfolge konnten die Gewerkschaften aber in ihrem Bemühen vorweisen, eine bessere Arbeitsplatzgestaltung und bessere Arbeitsschutzmaßnahmen durchzusetzen. Dies geschah in enger Kooperation mit der Gewerbeaufsicht und den Politikern, die ebenso wie die Gewerkschaften ein Interesse daran hatten, daß die Gesundheit der erwerbstätigen Frau, insbesondere der Mütter, geschützt wurde. Und das war auch dringend nötig, denn immer mehr Frauen wurden durch die zumeist ungewohnte Tätigkeit in den Betrieben krank, teilweise sogar arbeitsunfähig.

4.

4.1.

Anstieg der Berufskrankheiten und Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes

Umfrageergebnisse der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände von 1961

Im Jahre 1951 entfielen in der Rentenversicherung der Arbeiter bei den Frauen 86,1% (bei den Männern 67%) aller Rentenzugänge auf Invaliditäts- oder Krankenrenten gegenüber nur 64,7% ( + 33,3%) bei den Frauen und 47,99 ( + 40%) bei den Männern im Jahre 1938.139 Auch die Krankheits- und Sterblichkeitsziffern der erwerbstätigen Frauen lagen höher als diejenigen der Männer. Sie überstiegen auch diejenigen der weiblichen Gesamtbevölkerung. Eine erhöhte Gefährdung durch Krankheiten, die zur Invalidität führten, bestand vor allem bei den 40 bis 50jährigen.140 I3

' Unsere Aufgaben für die nächsten drei Jahre, in: Frauen und Arbeit 1959, Nr. 10, S. 1-3. 138 Frauenarbeit. 1962-1964. Geschäftsbericht. Hrsg. vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Düsseldorf 1964, S. 36. 13 ' Schewe, Dieter/Zöllner, Detlev: Die vorzeitige Invalidität in der sozialen Rentenversicherung. Umfang, Entwicklung und Bestimmungsgründe, Berlin 1957, S. 44. 140 Kunigk, Else: Die Leistungsgrenzen der Frau in der Berufsarbeit und ihre Bedeutung für den Arbeitsschutz, in : Sonderdruck aus Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsschutz 1953, S. 96-105, hier: S. 101; dies.: Über die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Frauen bei der Transportarbeit. Referat

4. Berufskrankheiten und Arbeitsschutz

313

Die Zahlen, die von den Krankenkassen ermittelt wurden, waren so beunruhigend, daß die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Ende 1961 eine Untersuchung in 345 Industriebetrieben mit insgesamt 412000 Beschäftigten (das waren nahezu 6% der in der Industrie insgesamt tätigen Arbeitnehmer) durchführte, um sich ein Bild über Krankheitsgründe, Krankheitshäufigkeit und Krankheitsdauer bei Arbeitern und Angestellten zu machen. Die Ergebnisse wurden dabei nach Geschlecht, Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit und bestimmten Tätigkeitsgruppen der Arbeiter und Angestellten aufgeschlüsselt.141 In den erfaßten Betrieben ergab sich im Erhebungszeitraum (September bis November 1961) ein durchschnittlicher Krankenstand (Verhältnis von Kranken und Beschäftigten pro Kalendertag) von 6,5%; er lag bei den weiblichen Arbeitnehmern mit 8,1% um rund 40% höher als bei den Männern (5,8%). Dieser Unterschied ergab sich vorwiegend aus der größeren Krankheitshäufigkeit (Zahl der Krankheitsfälle im Monat auf je 100 Arbeitnehmer) der Frauen (13,9 Fälle) gegenüber den männlichen Arbeitnehmern (10,0 Fälle), während die Krankheitsdauer in beiden Arbeitnehmergruppen etwa gleich hoch lag (17,6 Tage je Krankheitsfall bei den Männern und 17,5 Tage bei den Frauen).142 Beachtliche Unterschiede im Krankenstand ergaben sich zwischen Arbeitern und Angestellten. Bei den Arbeitern lag der durchschnittliche Krankenstand mit 7,2% mehr als doppelt so hoch wie bei den Angestellten (3,5%). Besonders ausgeprägt war diese Tendenz zwischen den männlichen Arbeitern (6,5%) und den männlichen Angestellten (2,8%). Der höhere Krankenstand der weiblichen Arbeitnehmer kam dagegen bei den Arbeiterinnen mit + 33% weniger stark zum Ausdruck als bei den weiblichen Angestellten mit +95% gegenüber dem Krankenstand der Männer.143

4.2.

Gründe für den Anstieg von Berufskrankheiten bei Frauen

Aus den ermittelten Zahlenangaben lassen sich noch weitere Besonderheiten ablesen. So waren die Fehlquoten der Frauen nicht nur regional und branchenspezifisch unterschiedlich, sondern wichen auch bei objektiv vergleichbaren Tätigkeitsmerkmalen erheblich voneinander ab, sogar in ProFortsetzung Fußnote von Seite 312 gehalten auf dem Kongreß für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin vom 27.-29. Oktober 1955 in München, S. 10—11 (BA-B 149/1697). Vgl. auch: Günther, Sven: Über die Arbeitsunfähigkeit der Industriearbeiterin, in: Bundesarbeitsblatt 1960, S. 572-574. 141 Spiegelhalter, Franz/Schnabel, Fritz: Die Struktur des Krankenstandes in der Industrie, in: Der Arbeitgeber 1962, Nr. 10, S. 302-307. 142 Ebd. 143 Ebd.

314

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

duktionsstätten desselben Unternehmens. Diese effidenten Charakteristika lassen sich mit sozial-psychologischen Belastungen, gesundheitlichen Schädigungen durch die Berufstätigkeit und Unfällen am Arbeitsplatz erklären, worüber weitere Erhebungen ein aufschlußreiches Bild ergaben. 144 Denn ein nicht zu unterschätzender Anteil der Berufskrankheiten war psychisch bedingt, und sie wurden hervorgerufen durch ein schlechtes Betriebsklima, durch persönliche Spannungen zu Vorgesetzten oder Arbeitskollegen und durch mangelnde Anerkennung der beruflichen Leistungen. 145 Dadurch wurden seelische Belastungen ausgelöst, die das körperliche Wohlbefinden stark beeinträchtigten und echte Krankheitserscheinungen bewirkten. Diese Symptome waren nicht geschlechtsspezifisch, sie traten bei Männern ebenso wie bei Frauen auf. 146 In anderen Fällen spielte das geringe Arbeitsinteresse eine maßgebende Rolle. So konnten die Personalchefs anhand ihrer Statistiken nachweisen, daß erwerbstätige Frauen, die in untergeordneter Position tätig waren, oder Ehefrauen, auf deren Arbeitsverdienst die Familie nicht unbedingt angewiesen war, eine höhere Fehlquote zu verzeichnen hatten, als qualifizierte Frauen oder Ehefrauen und Mütter, die mit ihrer Berufstätigkeit zur Sicherung des Familieneinkommens beitragen mußten. Als weitere Gründe für die Fehlquote der Frauen wurden angeführt: die unzureichende Lohnhöhe, die geringen betrieblichen Sozialleistungen sowie mangelnde Betriebsverbundenheit. 147 Eine der Hauptursachen für die Fehlquote der Frauen war jedoch in ihrer starken Beanspruchung durch häusliche Pflichten zu suchen, sei es, daß dringende Arbeiten im Haushalt erledigt werden mußten, sei es, daß kranke Angehörige zu pflegen oder Kinder zu versorgen waren. 148 Das galt für Ledige, die beispielsweise mit ihren alten Eltern zusammenlebten, ebenso wie für Ehefrauen oder Witwen mit Kindern. In anderen Fällen führte die doppelte Belastung durch Haushalt und Beruf zu einer allgemeinen Überbeanspruchung der Frau, die sie für Krankheiten anfälliger werden ließ. Diese Anfälligkeit wurde oft noch dadurch erhöht, daß die ,44 Sopp, Helmut: Was der Mensch braucht. Ein tiefenpsychologischer Exkurs über Erfüllung und Versagen im Beruf, Düsseldorf 1958, S. 53-72. 145 Hülsmann, Paul und Pilgram, J.: Bestgestaltung automatisierbarer Arbeitsformen der gewerblichen Frauenarbeit, in: Bundesarbeitsblatt 1955, Nr. 1, S. 21-24 (Teil I); 1955, Nr. 3, S. 86-88 (Teil II); Willms, Dorothee: Automation in Büro und Verwaltung. Ihre Auswirkungen auf weibliche Beschäftigte, in: Bundesarbeitsblatt 1961, Nr. 11, S. 348-394. 146 BA-B 149/1697 (Schreiben des staatlichen Gewerbearztes Rheinland-Pfalz an Bundesarbeitsminister betr. : Erhebungen über die Leistungsfähigkeit der Frau am Arbeitsplatz vom 17. August 1954). 147 Moers, Martha: Psychologie der arbeitenden Frau, in: Zentralblatt für Arbeitswissenschaft und Soziale Betriebspraxis 1956, Heft 10, S. 145-150. 148 BA-B 149/1697 (Schreiben des niedersächsischen Landesinstituts für Arbeitsmedizin und Gewerbehygiene an niedersächsischen Sozialminister betr. : Erhebungen über die Leistungsfähigkeit der Frau am Arbeitsplatz vom 20. August 1954).

4. Berufskrankheiten und Arbeitsschutz

315

Frau ihren Urlaub nicht zur Erholung, sondern zur Erledigung ihrer familiären Pflichten verwandte. Gegenüber der psychischen Belastung spielte die gesundheitliche Gefährdung der Frau durch die industrielle Arbeit keine unbedeutende, aber doch eine relativ untergeordnete Rolle (schon aufgrund der recht guten Arbeitsschutzbestimmungen), auch wenn einzelne Mediziner ein düsteres Bild von der starken Belastung des weiblichen Körpers durch die Berufsarbeit entwarfen. Im Vordergrund standen die unmittelbar aus der betreffenden Arbeit zu erklärenden Organschäden und -Veränderungen. Hierzu zählten vor allem die verschiedendsten statischen Muskelbelastungensschäden, die durch zu schweres Heben, ständiges Stehen und Sitzen, andauerndes Treten, häufiges Bücken, einseitige Zwangshaltungen und dergleichen hervorgerufen wurden und unter Umständen zu Fußleiden, zur Bildung von Krampfadern und Hängeleib, zu Wirbelsäulenveränderungen mit ständigen Kreuzbeschwerden, Rundrücken und Bandscheibenschäden, zu Bekkenbodensenkungen und Unterleibsentzündungen führten. 149 Hinzu kamen Infektions- und rheumatische Erkrankungen, die durch Staub und Schmutz sowie durch Lärm und Erschütterungen, aber auch durch kalte, zugige und feuchte Arbeitsplätze hervorgerufen wurden. 150 Diesen gesundheitlichen Gefahren waren zwar Männer und Frauen in gleicher Weise ausgesetzt, doch waren die Frauen aufgrund ihrer andersartigen Konstitution empfänglicher. 151 So traten bei ihnen häufiger als bei Männern Sehnenscheidenentzündungen auf (im Verhältnis 70 zu 30),152 da die typischen Frauenarbeitsplätze in der Regel solche mit starker Aufsplitterung der Arbeitsvorgänge in einzelne Teilverrichtungen waren, die zudem in rascher Abfolge stets wiederholt werden mußten. Auch Krampfaderbildung in den Beinen und im Becken infolge dauernden Stehens oder Sitzens war bei Frauen etwa dreimal häufiger anzutreffen als bei Männern. Nicht unbedeutend war die Zunahme der nervlich bedingten Gesundheitsschäden. Es handelte sich hierbei meist um organische nicht faßbare Störungen des vegetativen Nervensystems mit einer ganzen Reihe von subjektiv stark belastenden Beschwerden wie Müdigkeit, Gliederschwere, allgemeine Abgeschlagenheit, Schlaf- und Appetitlosigkeit, Schwindelgefühle, Kreislaufstörungen, Kopfschmerzen, Magen- und funktionelle Unterleibbeschwerden. Diese auch bei Männern zunehmend zu beobachten149 Flimm, Werner: Typische Erkrankungen der berufstätigen Frau, in: Frau und Beruf 1958, Nr. 3, S. 19-20. 150 BA-B 149/1697 (Schreiben des Arbeitsministers Baden-Württemberg an Bundesarbeitsminister betr.: Erhebungen über die Leistungsfähigkeit der Frau am Arbeitsplatz vom 21. August 1954). 151 Bönig: Entwicklung und Bedeutung der Frauenarbeit, Köln 1951, S. 12-21. 152 BA-B 149/1697 (Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge an Bundesarbeitsminister betr. : Erhebungen über die Leistungsfähigkeit der Frau am Arbeitsplatz vom 25. August 1954).

316

V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

den Erscheinungen waren zweifellos bei der Frau infolge ihres im ganzen labileren Nervensystems häufiger anzutreffen. 153 Nicht selten hatten erwerbstätige Frauen auch gewisse gesundheitliche Schäden ihrer eigenen Unvorsichtigkeit zuzuschreiben. So wurde in Betrieben beobachtet, daß viele Frauen bei Akkordarbeiten erstaunliche Spitzenleistungen erreichten und dabei wenig Rücksicht auf ihre körperlichen Kräfte nahmen, sich vielmehr selbst überforderten. 154 Dieser Umstand hing vor allem damit zusammen, daß Frauen oft auf ein Nahziel hin sparten, welches mit dem erhöhten Verdienst schneller erreicht werden sollte.155 Durch den Lohnanreiz wurden dabei Ermüdungs- und Übermüdungserscheinungen oft in einem Maße überkompensiert, daß es nach einiger Zeit zu erhöhter Reizbarkeit oder nervösen körperlichen Störungen und schließlich zu ernsten Krisen bis hin zu Nervenzusammenbrüchen kam. 156 Nur ein Drittel bis ein Viertel aller sich in den Betrieben ereignenden Unfälle waren auf technische Mängel zurückzuführen, während zwei Drittel aller Unfälle auf individuellen Versagensreaktionen beruhten, die körperlich oder psychisch bedingt waren oder ihren Grund in unzureichender individueller Eignung für die betreffende Arbeit hatten. 157 Ein besonderes Unfallrisiko war dabei keineswegs immer mit schwierigen oder technisierten Tätigkeiten verbunden. Denn ein menschliches Versagen trat nicht selten dort auf, wo ständig wiederholte, schematische Arbeiten mit großer Schnelligkeit oder scharfem Rhythmus ausgeführt werden mußten oder bei denen die Aufmerksamkeit nur gering und schwankend war. 158 Da dies zugleich die Arbeiten waren, bei denen am meisten Frauen eingesetzt waren, war die Frau in der industriellen Fertigung besonders unfallgefährdet. Unfälle hatten bei Frauen häufig ihre Ursache in Gefühlsausbrüchen und Affektreizungen, wodurch die automatischen Bewegungen in Unordnung gerieten und die Sorge um die eigene Sicherheit aufgehoben wurde. Überhaupt spielte die Unvorsichtigkeit bei Frauen bis hin zum Leichtsinn 153 Kleine, H.O.: Zivilisations- und Gesundheitsschäden der Frau. Vortrag auf dem Kongreß der Deutschen Zentrale für Volksgesundheit in Frankfurt am 27. Oktober 1960. 154 H S t A - N W 50/997 (Schreiben des Staatlichen Gewerbearztes an Arbeitsminister betr.: Gewerbeärztlicher Bericht zur Frage der Erkrankungen von Näherinnen vom 14. Juli 1950). 155 Tritz, Maria: Die Industriearbeiterin, in: Bundesarbeitsblatt 1957, Nr. 13, S. 454—468, hier: S. 463. 156 HStA-NW 50/997 (Schreiben des Gewerbeaufsichtsamtes Bielefeld an Arbeitsminister betr.: Erkrankungen von Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie vom 11. November 1950). 157 Hülsemann, Paul: Ein Beitrag über Versagungsreaktionen der berufstätigen Frau, in: Bundesarbeitsblatt 1953, Nr. 21, S. 679-681 (Teil I); 1954, Nr. 9, S. 2 9 2 293 (Teil II). 158 A D G B - B V / 5 9 (Niederschrift über die Arbeitstagung der in der gewerkschaftlichen Frauenarbeit tätigen Kolleginnen in Königswinter vom 28.-29. Juli 1951, S. 3).

4. Berufskrankheiten und Arbeitsschutz

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eine große Rolle. So wurden Schutzvorrichtungen und Bestimmungen über das Tragen von Schutzmitteln (Handschuhe, Brillen, Kopfschutz) häufig nicht beachtet, vor allem dann nicht, wenn die Arbeitnehmerinnen glaubten, ohne sie eine höhere Akkordleistung erzielen zu können. 159 Um die steigende Zahl an Unfällen und Berufskrankheiten einzudämmen, forderten die Gewerkschaften eine konzertierte Aktion von Betriebsräten, Betrieben und Gewerbeaufsichtsämtern. 160 Damit sollte erreicht werden, daß in den Betrieben mehr als bisher darauf geachtet wurde, daß die Unfallschutzbestimmungen eingehalten wurden. Denn der beste Arbeitsschutz taugte nichts, wenn die Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Schutzmaßnahmen ignorierten, sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus Ersparnisgründen. 161 Auch mußten die Betriebsleitungen dazu gebracht werden, daß das Arbeitsklima verbessert wurde. Das konnte über die Reorganisation des Arbeitsablaufs, der stärker Rücksicht auf die physiologische und psychologische Eigenart der Arbeitnehmerinnen nahm, erreicht werden, aber auch schon durch die Anpassung der Maschinen und Werkzeuge an die Konstitution der Frau oder durch eine freundlichere Gestaltung der Arbeitsräume.162 Wichtig waren auch die Betriebsbegehungen durch die Gewerbeaufsichtsbeamten, damit Überschreitungen im Unfallschutz ebenso geahndet werden konnten wie Überschreitungen der Höchstarbeitszeit.163 Es gelang den Gewerkschaften nicht, ein generelles Nacharbeitsverbot für Frauen durchzusetzen, aber die Ausnahmegenehmigungen konnten auf ein Mindestmaß reduziert werden. Erfolgreich waren sie jedoch in ihrem Bemühen, den Mutterschutz zu verbessern.

4.3.

Widerstände gegen den Ausbau des Mutterschutzes in den Nachkriegsjahren

Seit 1946 bemühten sich die Frauenabteilungen der Gewerkschaften um eine Verbesserung des Mutterschutzes, worunter sie speziell die Wiedereinführung der erhöhten Sozialleistungen nach dem Mutterschutzgesetz 159

HStA-NW 50/304-307 (Unterlagen zum Jahresbericht 1960, Gewerbeaufsichtsamt Aachen, Erhöhter Schutz für Frauen). 160 Verbesserung des Arbeitsschutzes. Eine Forderung des DGB für die berufstätige Frau, in: Frauen und Arbeit 1958, Nr. 10, S. 16, hier: S. 12. 161 Zu den Frauenarbeitsschutz-Bestimmungen: Frauenarbeitsschutz in der Metallwirtschaft. 2. überarb. Aufl. Frankfurt 1965; Weibliche Angestellte im Arbeitsrecht. Hrsg. von der Deutschen-Angestellten-Gewerkschaft, Hamburg 1965; Griill, Ferdinand: Das Arbeitsrecht der weiblichen Arbeitnehmer, Neuwied 1961. Zum Arbeitsschutz in den Vereinigten Staaten: Arbeitsschutz in den USA. Bericht der deutschen Teilnehmer an einer Studienreise der OEEC, München 1955. 162 Kunigk, Else: Moderne Probleme des Gesundheitsschutzes für die berufstätige Frau, in: Bundesarbeitsblatt 1953, S. 263-264. 163 Tritz: Die Industriearbeiterin, S. 464-465.

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V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

von 1942 verstanden. 164 Die Gewerkschafterinnen wiesen auf die schwierige Situation der erwerbstätigen Frauen hin, die aufgrund der geringen Wochenhilfe gezwungen wären, bis kurz vor ihrer Entbindung zu arbeiten und schon bald nach der Niederkunft ihre Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Es könne nicht im öffentlichen Interesse liegen, Gesundheit von Mutter und Kind zu gefährden. 165 Das Problem, das die Gewerkschafterinnen da ansprachen, war in den zuständigen Behörden durchaus bekannt, aber was fehlte, war Geld. Bis Kriegsende erhielten schwangere Frauen und Wöchnerinnen Wochenund Stillgeld, das nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) berechnet wurde. 166 Die Bestimmungen der RVO (§ 195) besagten, daß Schwangere und Wöchnerinnen, soweit sie einer Krankenkasse angehörten, ein Wochengeld für zehn Wochen (vier Wochen vor und sechs Wochen nach der Niederkunft) in Höhe des halben Durchschnittsverdienstes und auch nur dann, wenn bestimmte Wartezeiten erfüllt waren, beanspruchen konnten. Für stillende Mütter betrug das Stillgeld 75% des Durchschnittverdienstes und wurde für die Dauer von sechs Wochen bewilligt. Bei Frühgeburten wurde das Stillgeld für weitere sechs Wochen gewährt, dann betrug es aber nur noch 25% des Durchschnittsverdienstes. Nach dem Mutterschutzgesetz vom 17. Mai 1942 waren diese Leistungen erheblich ausgedehnt worden (MuSchG § 7).167 Danach konnten krankenversicherte Frauen, wenn sie nicht mehr als 300 RM monatlich verdienten, 168 für zwölf Wochen (sechs Wochen vor und sechs Wochen nach der Niederkunft) ein Wochengeld in Höhe des vollen Durchschnittslohnes der letzten dreizehn Wochen beanspruchen. Stillende Mütter erhielten den Durchschnittslohn für insgesamt acht Wochen nach der Niederkunft, nach Frühgeburten für zwölf Wochen. Die Mehrausgaben, also der Differenzbetrag zwischen dem Wochenund Stillgeld der Reichsversicherungsordnung und dem Wochen- und Stillgeld des Mutterschutzgesetzes, wurden den Krankenkassenträgern vom Reich ersetzt. Mit dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates entfielen die Erstattungszahlungen. Da die Krankenkassen aufgrund der angespannten finanziellen Lage nicht im Stande waren, die Mehrleistungen aus eigenen Mitteln zu übernehmen, stellten sie selbstän164 ADGB-BV/2 (Protokoll über die Sitzung des Frauenausschusses der britischen Zone vom 4.-5. September 1947 in Bielefeld, S. 2). 165 ADGB-BV/40 (Protokoll von der Sitzung des Zonenfrauenausschusses des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 23. und 24. Oktober 1948 im Bunte Haus bei Bielefeld, S. 2). 166 Peters, Horst: Die Geschichte der Sozialversicherung, Bad Godesberg 1959, S. 58-65. 167 Mutterschutzgesetz. Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (Reichsgesetzblatt 1942, S. 321). 168 Ausführungsverordnung zum Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mütter (Mutterschutzgesetz) vom 17. Mai 1942 (Reichsgesetzblatt 1942, S. 324).

4. Berufskrankheiten und Arbeitsschutz

319

dig oder erst nach A n o r d n u n g der Militärregierung die Zahlungen nach d e m Mutterschutzgesetz ein u n d berechneten das W o c h e n - u n d Stillgeld nach der Reichsversicherungsordnung. 1 6 9 D i e Proteste u n d Eingaben der Gewerkschafterinnen für eine Verbesserung der Mutterschutzleistungen blieben nicht o h n e Wirkung: der Länderrat der amerikanischen Z o n e ließ Mitte 1947 im Sozialpolitischen Ausschuß ein Änderungsgesetz ausarbeiten. 1 7 0 A m 13. August 1947 lag ein Gesetzentwurf vor, der den Ländern die Mehrkosten übertrug u n d darüber hinaus N a c h z a h l u n g e n für Geburten nach d e m 1. April 1945 gewährte. 171 G e g e n den letzten Passus wehrten sich mit Erfolg die Länderfinanzminister, 1 7 2 so daß am 7. Juni 1948 der Länderrat in seiner 32. Sitzung ein Änderungsgesetz zum Mutterschutzgesetz o h n e diese N a c h z a h l u n g s b e s t i m m u n g verabschiedete. 1 7 3 N o c h vor der Verabschiedung forderte der Länderrat über das Zentralamt für Arbeit die Länder der britischen Z o n e zur N a c h a h m u n g auf. 1 7 4 D i e britische K o n t r o l l k o m m i s s i o n signalisierte Bereitschaft, das Mutter-

169 In der amerikanischen Besatzungszone wies die Landesversicherungsanstalt Württemberg mit Erlaß vom 17. Juli/12. September 1945 die Krankenkassen an, die Wochengeldzahlung einzustellen. Eine ähnliche Anordnung erging am 21. August 1945 vom bayerischen Arbeitsministerium (Amtsblatt des Bayerischen Arbeitsministeriums 1946, Nr. 2, S. 21) und kurze Zeit später vom hessischen Staatsministerium, Abteilung Arbeit und Sozialfürsorge. Diese Anordnungen erfolgten mit Zustimmung der Militärregierung. In der britischen Besatzungszone stellte zunächst Westfalen im Juni 1945 die Leistungen nach § 7 (MuSchG) ein, es folgte Hamburg im August 1945. Mit Sozialversicherungsdirektive Nr. 4 „betr.: Krankenversicherung" (abgedruckt in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1, 1947, Nr. 1/2, S. 13) wurde bestimmt, alle Mehrleistungen der Krankenversicherung einzustellen (wozu auch die Mehrleistung nach dem Mutterschutzgesetz gehörte). Da einzelne Krankenkassen dennoch Leistungen nach § 7 ausbezahlten, ordnete die Manpower Division am 3. Mai 1946 die sofortige Einstellung der Leistungen an (BA-Z 40/218 [Schreiben Manpower Division an Regierungen der britischen Zone vom 3. Mai 1946] - abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 238)). Der Präsident des Landesarbeitsamtes Nord-Rheinprovinz gab die Anordnung der Militärregierung mit Erlaß vom 15. Juni 1946 bekannt (Mitteilungs- und Verordnungsblatt des Oberpräsidenten der Nord-Rheinprovinz 1946, Nr. 40 vom 17. Juli 1946, S. 239-240). 170 BA-Z 5/901 (Protokoll der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses vom 26. April 1947). 171 BA-Z 5/901 (Protokoll der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses am 13. August 1947; Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Wochen- und Stillgeld an erwerbstätige Mütter), Blatt 205. 172 BA-Z 1/1274 (Schreiben des hessischen Justizministers an Generalsekretariat des Länderrats am 1. September 1974; Schreiben des württembergisch-badischen Justizministers am 10. September 1947; Schreiben des Bremer Senators für Finanzen am 12. September 1947). 173 BA-Z 1/1274 (Protokoll der 32. Länderratssitzung vom 1. Juni 1948). 174 BA-Z 40/218 (Schreiben Zentralamt für Arbeit an Manpower Division vom 31. März 1948).

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V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Schutzgesetz in seiner alten Form wieder aufleben zu lassen. 175 Da sich aber nur der Finanzminister Nordrhein-Westfalens mit der Übernahme der Mehrbelastungen einverstanden erkärte, 176 riet die Besatzungsmacht dem Zentralamt für Arbeit, auf bizonaler Ebene vom Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes ein Änderungsgesetz zu erlassen. Diesen Vorschlag griff der Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen auf und wandte sich an den Direktor der Verwaltung für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsgebiets mit der Bitte, „geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorschriften des § 7 (MuSchG) wieder in Kraft zu setzen". 177 Als Gewerkschaftsvertreter wenige Wochen später nachfragten, erhielten sie Kenntnis von einem Gesetzentwurf, der zu ihrer großen Verwunderung nicht eine Leistungsverbesserung vorsah, sondern Bestimmungen, die es den Arbeitgebern erlauben sollte, erwerbstätigen Frauen, die unter das Mutterschutzgesetz fielen, schon vier Wochen nach der Niederkunft zu kündigen, was bisher nur nach vier Monaten gestattet war (§ 6 MuSchG). 178 Hinter dieser arbeitgeberfreundlichen Regelung stand die Absicht, den Arbeitgebern die Möglichkeit einzuräumen, den Überhang an Arbeitskräften, der sich vor der Währungsreform in den Betrieben gebildet hatte, möglichst schnell abzubauen. Zu diesem Zweck war schon im 3. Währungsgesetz vom 27. Juni 1948 eine Bestimmung aufgenommen worden, 179 die es den Arbeitgebern erlaubte, Arbeitsverträge, die vor dem 21. Juni 1948 abgeschlossen worden waren, mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen aufzulösen. 180 Ausgenommen von dieser Regelung waren ausdrücklich Wöchnerinnen. Die Gewerkschaften protestierten; sie bestanden auf der Beibehaltung der Kündigungsfristen, wie sie im Mutterschutzgesetz festgelegt worden

175 BA-Z 40/218 (Schreiben Zentralamt für Arbeit an Generalsekretariat Länderrat vom 16. April 1948). 176 Mit Schreiben vom 23. April 1948 wandte sich der Präsident des Zentralamtes für Arbeit an die Arbeitsminister der vier Länder der britischen Zone und bat um Stellungnahme zu der Absicht, Leistungen nach § 7 (MuSchG) wieder zu gewähren (HStA-NW 37/717, Blatt 7). Bis Mitte November 1948 hatte nur der nordrheinwestfälische Finanzminister eine Stellungnahme abgegeben (HStA-NW 37/717 [Schreiben der Verwaltung für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsgebietes an Arbeitsminister der britischen Zone vom 16. November 1949], Blatt 25 - abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 238-239). 177 ADGB-BV/32 (Schreiben des Gewerkschaftsrats der vereinten Zonen an Verwaltung der Arbeit vom 27. Oktober 1948). 178 ADGB-BV/32 (Vertraulicher Vermerk vom 25. Januar 1949). ,7 ' Umstellungsgesetz vom 27. Juni 1948, in: Amtsblatt der Militärregierung 1949, Nr. 25, S. 862-874. 1,0 HStA-NW 45/1411 (Schreiben des nordrhein-westfälischen Arbeitsministers an die leitenden Gewerbeaufsichtsbeamten betr.: Kündigungsrecht nach dem 3. Währungsgesetz vom 29. November 1948).

4. Berufskrankheiten und Arbeitsschutz

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waren.181 Unterstützung fanden sie bei der SPD, die am 23. Juni 1949 einen Initiativantrag zur Wiederinkraftsetzung des § 7 und zur Sicherung des Kündigungsschutzes im Wirtschaftsrat einbrachte.182 Der SPD-Antrag führte dazu, daß der Hauptausschuß für Sozialpolitik und Arbeitsrecht des Wirtschaftsrats seinen Gesetzentwurf um die Leistungen nach § 7 (MuSchG) erweiterte. Dieses „Entgegenkommen" war, und so wurde es auch in Gewerkschaftskreisen gedeutet, eine nahezu leere Geste, ein Ablenkungsmanöver. Ein solches Gesetz hätte nicht die Situation der erwerbstätigen Frau und Mutter verbessert, sondern erheblich verschlechtert.183 Dennoch: Der Wirtschaftsrat verabschiedete am 19. Juli 1949 das Gesetz.184 Das letzte Wort im Streit um das Änderungsgesetz hatten die beiden Militärregierungen (Bipartite Control Office) und die verweigerten, zur Genugtuung der Gewerkschaften, dem Gesetz ihre Genehmigung.185 Die Arbeitgeber sahen trotzdem eine Möglichkeit, die Schutzfristen zu umgehen, da sie eine Lücke im Gesetz entdeckt hatten. Wenn sie nämlich einer Schwangeren oder Wöchnerin während der Schutzfrist kündigten, konnte das nicht verhindert werden, es sei denn, die Betroffene ging vor das Arbeitsgericht.186 Denn diejenige Stelle, die nach dem Mutterschutzgesetz eine Kündigung während der Schutzfrist gestatten, aber auch untersagen konnte, gab es nicht mehr: den Reichstreuhänder der Arbeit hatten die Alliierten 1945 abgeschafft. Bevor diese Rechtsunsicherheit weiteren 181

HStA-NW 50/1021 (Arndt, Agnes: Betrachtungen zum Mutterschutzgesetz. Rundfunksendung vom 23. November 1950). 182 Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. Wörtlicher Bericht über die 38. Vollversammlung am 23./24. Juni 1949 (Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947-1949, Bd. 3, S. 18071808) und Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. (Antrag der SPD-Fraktion: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 6 und zur Wiederinkraftsetzung des § 7 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter vom 24. Mai 1949, Nr. 1300 [Ebd., Bd. 6]). 183 ADGB-BV/32 (Schreiben der IG Chemie, Papier, Keramik an Deutschen Gewerkschaftsbund vom 22. Juni 1949). 184 Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (Wörtlicher Bericht über die 39. Vollversammlung am 19./20. Juli 1949 [Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947-1949, Bd. 3, S. 18971899]) und Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (Antrag des Ausschusses für Arbeit betr. : Gesetz zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Frau [Mutterschutzgesetz] vom 8. Juli 1949, Nr. 1428 [ebd., Bd. 6]). 185 Abschließender Bericht des Präsidenten des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes über die Gesetzgebung des Wirtschaftsrates, Frankfurt (7. September) 1949, S. 12. 186 Kündigung des Arbeitsverhältnisses der werdenden Mutter. § 6 Mu.Schutz-Ges. - § 123 GewO, in: Bundesarbeitsblatt 1950, S. 189-190; Gerichtsurteil in: Arbeitsrechtliche Praxis 1951, Nr. 5.

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V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Schaden anrichten konnte, übertrugen sich die Arbeitsminister der Länder die Zuständigkeit des früheren Reichstreuhänders der Arbeit. Somit bedurfte jede Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses von werdenden Müttern und Wöchnerinnen der Zustimmung des Arbeitsministeriums, vorausgesetzt, diese Frauen waren mit ihrer Kündigung nicht einverstanden.187

4.4.

Verabschiedung und Handhabung des Mutterschutzgesetzes von 1952

Das Gesetz war gescheitert, der Angriff der Arbeitgeber gegen die Kündigungsbeschränkungen abgewehrt, aber das Zentralproblem, die unzureichenden Wochengeldleistungen, war geblieben. Die SPD-Fraktion unternahm einen erneuten Anlauf: in der Bundestagssitzung vom 21. Oktober 1949 stellte sie einen Antrag, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, ein völlig neues Mutterschutzgesetz mit einem erweiteren persönlichen Geltungsbereich vorzulegen.188 Als die Bundesregierung keine Anstalten traf, diesem Antrag Folge zu leisten, zog die SPD die Initiative an sich und legte am 18. Juli 1950 dem Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der Mutter vor.189 Nach der 1. Lesung am 27. Juli 1950 wurde der Entwurf an den Ausschuß für Sozialpolitik verwiesen,190 der in achtzehn Ausschußsitzungen den SPD-Entwurf wesentlich abänderte und erweiterte.191 Der schließlich dem Bundestag vorgelegte Gesetzentwurf wurde am 12. Dezember 1951 einstimmig angenommen. 192 Der SPD-Entwurf, der aus vierzehn Paragraphen bestand, lehnte sich eng an die Mutterschutzgesetze von 1927 und 1942 an. Nach § 1, Abs. 1 sollte das Gesetz für alle erwerbstätigen Frauen in den Betrieben und den Verwaltungen, in der Hauswirtschaft, in der Land- und Forstwirtschaft 1,7 HStA-NW 50/1019 (Erlaß des nordrhein-westfälischen Arbeitsministers vom 30. Dezember 1949 betr.: Übergang der Zuständigkeiten der früheren Reichstreuhänder der Arbeit auf die Minister der Länder). 188 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 12. Sitzung vom 21. Oktober 1949, S. 273-274. 189 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 1182 (Antrag der Fraktion der SPD betr.: Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Mutter [Mutterschutzgesetz] vom 18. Juli 1950). 1.0 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 80. Sitzung vom 27. Juli 1950, S. 3003. 1.1 Der Deutsche Gewerkschaftsbund bildete eine eigene Kommission für das Mutterschutzgesetz und übersandte dem Bundestag seine Änderungsvorschläge (HStA-NW 50/1021 [Anlage zum Schreiben des Deutschen Gewerkschaftsbundes an die Mitglieder des Bundestages vom 19. Oktober 1950]). 1.2 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte. I. Wahlperiode. 180. Sitzung vom 12. Dezember 1951, S. 7518-7529.

4. Berufskrankheiten und Arbeitsschutz

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u n d für alle Heimarbeiterinnen gelten. Der Entwurf enthielt auch einen Passus über die Einrichtung v o n Kindertagesstätten, w o m i t einem W u n s c h der Gewerkschafterinnen entsprochen wurde. In den Ausschußsitzungen wurden starke B e d e n k e n erhoben, diejenigen Frauen, die in der Hauswirtschaft tätig waren, mit in den Geltungsbereich einzubeziehen. Einigung über die A u f n a h m e dieses Personenkreises k o n n t e schließlich nur unter der Voraussetzung erzielt werden, daß für Hausgehilfinnen u n d T a g e s m ä d c h e n in einzelnen Paragaphen Sonderreg e l u n g e n getroffen wurden. A u c h die v o n den Sozialdemokraten befürwortete Einbeziehung der Beamtin f a n d nach kontrover D i s k u s s i o n nicht die Mehrheit der Ausschußmitglieder. 1 9 3 Gestrichen wurde auch die Bes t i m m u n g über die Einrichtung v o n Kindertagesstätten, die nach Ansicht der Länder nicht in ein Mutterschutzgesetz, sondern in ein Jugendwohlfahrtsgesetz gehörten. 1 9 4 D a s Mutterschutzgesetz, 1 9 5 das schließlich den Bundestag passierte, galt für alle Frauen, die in e i n e m Arbeitsverhältnis standen (§ 1 a), auch für 193 Durch Runderlaß des Reichsinnenministers vom 12. Januar 1944 waren die Beamtinnen in das Mutterschutzgesetz von 1942 einbezogen worden. Die SPD-Fraktion wollte diese Regelung ausdrücklich in das neue Gesetz aufnehmen. Die Mehrheit der Ausschußmitglieder lehnte das ab mit der Begründung: Der Mutterschutz gehöre als Teil des Arbeitsschutzes zum Arbeitsrecht, dessen Bestimmungen nur für Personen gelten, die sich in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis befinden. Eine Ausdehnung des Geltungsbereiches des Gesetzes auf die Beamtin, die einmal in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zu ihrem Dienstherren stehe und zweitens nach dem Deutschen Beamtengesetz Anspruch auf Fürsorge und Schutz durch den Staat habe, sei unnötig (HStA-NW 50/1021 [Gemeinsame Ausschußsitzung von Sozialpolitik und Arbeit. Kurzprotokoll der Sitzung vom 26. Januar 1951, S. 4-5]). 194 HStA-NW 50/1021 (Schreiben des nordrhein-westfälischen Sozialministers an Bundesarbeitsminister vom 15. Januar 1951); ebd., (Gemeinsame Ausschußsitzung von Sozialpolitik und Arbeit. Kurzprotokoll der Sitzung vom 27. September 1950, S. 2; Sitzung vom 5. Oktober 1950, S. 4). 195 Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) vom 24. Januar 1942 (Bundesgesetzblatt 1952, S. 69). Teilabdruck in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 241-250. Und die Gesetzkommentare: Herschel, Wilhelm: Das Mutterschutzgesetz, in: Bundesarbeitsblatt 1952, Nr. 2, S. 73-75; Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) vom 24. Januar 1952. Kommentiert von Karl Meck und Paul Reich, Stuttgart 1952; Mutterschutzgesetz. Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) vom 24. Januar 1952. Kommentar von Emmi Theuerkauf, Köln 1954; Mutterschutz. Hrsg. vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Hauptabteilung Frauen, Düsseldorf 1962 (enthält auch Entscheidungen der zuständigen Gerichte sowie wesentliche Erlasse und Stellungnahmen des Bundesarbeitsministers und der Länderarbeitsminister). Weiterhin: Schroeder, Louise: Ein neues Mutterschutzgesetz, in: Sozialer Fortschritt 1, 1952, Nr. 6, S. 18-19; Butz, Hans: Das Mutterschutzgesetz in der Praxis. Systematische Übersicht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, Düsseldorf 1956; Braun, Heinrich: Mutterschutz in der Bundesrepublik. Entwicklung, Stand, Probleme. Eine sozialpolitische Studie, 1960.

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V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Heimarbeiterinnen (§ 1 b) sowie für Hausgehilfinnen (§ 2, Abs 1) und Tagesmädchen (§ 2, Abs. 2), was 1942 nicht der Fall gewesen war. Neu wurden die Beschäftigungsverbote geregelt. Nach der alten Regelung durfte eine Schwangere in den letzten sechs Wochen vor der Niederkunft nur dann nicht beschäftigt werden, wenn sie es verlangte. Das neue Gesetz verbot dem Arbeitgeber die Beschäftigung einer werdenden Mutter in den letzten sechs Wochen vor ihrer Niederkunft (§ 3, Abs. 2 b), es sei denn, daß sie sich ausdrücklich zur Arbeitsleistung bereit erklärte. Für Hausgehilfinnen und Tagesmädchen war die Dauer des Beschäftigungsverbotes auf vier Wochen verkürzt (§ 3, Abs. 2 a). Die Ausschußmitglieder waren der Ansicht, daß hauswirtschaftliche Arbeit leichter sei und sich eher dem Zustand der Schwangeren anpassen ließe als die Arbeit in einem gewerblichen Betrieb. Erst sechs Wochen nach der Niederkunft durfte die berufstätige Frau ihre Tätigkeit wieder aufnehmen; wenn sie stillte, verlängerte sich die Frist auf acht Wochen, für stillende Mütter nach Frühgeburten auf zwölf Wochen (§ 6, Abs. 1). Die Kündigung einer Erwerbstätigen während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Niederkunft war unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Niederkunft bekannt war oder innerhalb einer Woche nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wurde (§ 9, Abs. 1). In besonderen Fällen konnte „ausnahmsweise" das Arbeitsministerium eine Kündigung innerhalb der Verbotsfristen für zulässig erklären (§ 9, Abs. 2).196 Die Frauen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert waren, erhielten während der Schutzzeiten, in denen sie vor und nach der Niederkunft nicht beschäftigt werden durften, von der Krankenkasse, bei der sie versichert waren, ein Wochengeld in Höhe des Durchschnittverdienstes der letzten dreizehn Wochen bzw. der letzten drei Monate jedoch DM 3 für den Kalendertag (§ 13 Abs. 1). Soweit krankenversicherte Frauen stillten, erhielten sie ein Stillgeld von DM 0,75 bis zum Ablauf der 26. Woche nach der Niederkunft (§ 13, Abs. 5).197 Die Aufsicht über die Durchführung des Mutterschutzgesetzes wurde dem Gewerbeaufsichtsamt übertragen (§ 19, Abs. 1). Damit wirksame Kontrollen über die Beachtung des Mutterschutzes durchgeführt werden konnten, wurden die Arbeitgeber verpflichtet, jede Schwangere dem Gewerbeaufsichtsamt zu melden (§ 5, Abs. 1). Außerdem mußte in Betrieben, 196 Herschel, Wilhelm: Vom Wesen des Kündigungsschutzes der Mutter (§ 9 MuSchG), in: Arbeit und Recht 7, 1959, Nr. 9, S. 257-261. 197 Das Bundesfinanzministerium stemmte sich eine zeitlang dagegen, die Mehrkosten zu übernehmen. Um nicht kostenpflichtig zu werden, sollten die Krankenkassen belastet werden. Die Ausschußmitglieder traten „vorbehaltlos dafür ein, daß der Bund diese Mehrkosten zu übernehmen hat", wozu er sich schließlich auch bereit erklärte (HStA-NW 50/1021 [Gemeinsame Ausschußsitzung ... vom 27. September 1950, S. 2; Sitzung vom 5. Oktober 1950, S. 4]).

4. Berufskrankheiten und Arbeitsschutz

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in denen mehr als drei Frauen beschäftigt waren, der Gesetzestext deutlich sichtbar ausgehängt werden (§ 17, Abs. 2). Das Mutterschutzgesetz galt allgemein als ein gelungenes Sozialgesetz. „Dieses Gesetz ... stellt unzweifelhaft einen Fortschritt... dar", hieß es in einer Darstellung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. 198 Der Sozialplan der SPD sprach von dem „in seiner Art hervorragenden Mutterschutzgesetz von 1952".199 Und für den Rechtswissenschaftler G. Bulla war das „neue Mutterschutzgesetz ... ein begrüßenswerter sozialpolitischer Fortschritt auf dem Gebiete des Mutterschutzes".200 In der Praxis ergaben sich jedoch erhebliche Schwierigkeiten, die im wesentlichen durch die Arbeitgeber, teilweise auch durch Frauen, die nicht ausreichend über ihre Rechte und Pflichten Bescheid wußten, verursacht wurden.201 Das fing damit an, daß viele Unternehmen es absichtlich unterließen, dem Gewerbeaufsichtsamt die schwangeren Erwerbstätigen zu melden, so daß die Einhaltung der Schutzbestimmungen durch die Gewerbeaufsicht nicht überprüft werden konnte.202 In der Regel kamen große Betriebe ihrer Meldepflicht nach; das Handwerk erfüllte die Meldepflicht nur selten ; Land- und Forst- und Hauswirtschaft sowie Hotel- und Gaststättengewerbe beachteten die Meldepflicht so gut wie gar nicht.203 Im Durchschnitt wurden den Gewerbeaufsichtsämtern nur 40% der Mutterschutzfälle zur Kenntnis gebracht. In einzelnen Gewerbeaufsichtsbezirken lagen die Meldungen weit unter dem Durchschnitt. So wurden im Bezirk Paderborn nur 11% der Mutterschutzfälle gemeldet.204 Probleme gab es auch bei der Durchführung der Beschäftigungsbeschränkungen und -verböte, weniger in Betrieben, in denen eine große oder verhältnismäßig große Anzahl von Frauen arbeitete. Denn in größeren Unternehmen sorgte der Betriebsrat dafür, daß den Frauen, die ihre Schwangerschaft mitteilten, Arbeiten zugewiesen wurden, die ihrem besonderen Zustand angemessen waren.205 In Einzelfällen, dabei handelte es 1.8

Mutterschutz. Hrsg. vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Hauptabteilung Frauen, Düsseldorf 1962, S. 5. 1.9 Sozialplan für Deutschland. Auf Anregung des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vorgetragen von Walter Auerbach u.a., Berlin 1957, S. 33. 200 Bulla, G.A.: Das neue Mutterschutzgesetz (MuSchG) des Bundes, in: Recht und Arbeit 5, 1952, Nr. 1, S. 10-16, hier: S. 10. 201 Schulte Langforth, Maria: Das Mutterschutzgesetz in der Rechtsprechung (I.Teil), in: Bundesgesetzblatt 1953, Nr. 5, S. 140-141; (II. Teil), in: ebd., S. 404406; (III. Teil), in: ebd. 1954, Nr. 3, S. 83-85. 202 Braun: Mutterschutz in der Bundesrepublik, S. 78. 203 HStA-NW 50/304-307 (Unterlagen zum Jahresbericht 1960 - Gewerbeaufsichtsamt Düren). 204 HStA-NW 37/566 (Statistische Zusammenstellung von 1957), Blatt 120. 205 HStA-NW 37/167 (Gewerbeaufsichtsamt Dortmund, Jahresbericht 1954), Blatt 89.

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sich überwiegend um kleinere Betriebe, bedurfte es jedoch schwieriger Verhandlungen, ehe die Schwangeren auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt wurden.206 Häufig mußten Akkordarbeiten, die mit dem Mutterschutzgesetz nicht zu vereinbaren waren, verboten werden, wobei die Arbeitgeber vielfach nicht einsahen, daß die dauernde Überbelastung durch den Akkord die Schwangeren überanstrengten.207 In Tätigkeitsbereichen, wo Frauen viel stehen mußten, also in Wäschereien, Büglereien, Friseurbetrieben, im Gaststättengewerbe, aber auch dort, wo wenige Frauen beschäftigt waren, versuchten die Arbeitgeber die Erwerbstätigen, über den 5. Schwangerschaftsmonat hinaus als Vollkraft zu beschäftigen, obwohl Schwangere täglich nur vier Stunden stehen durften.208 Wenn das Gewerbeaufsichtsamt davon erfuhr, mußten Sitzmöglichkeiten bereitgestellt werden, oder die Frauen mußten unter Fortzahlung des Lohnes beurlaubt werden. Einfallsreichtum bewiesen die Arbeitgeber bei dem Versuch, sich ihrer schwangeren Mitarbeiterinnen zu entledigen209. Als Gründe für eine Kündigung während der Schutzfrist wurden Unsauberkeit, Unfreundlichkeit oder unentschuldigtes Fehlen vorgeschoben. 210 Aber auch moralische Gründe wurden angeführt,211 vornehmlich von kirchlichen Einrichtungen 206

H S t A - N W 50/1390-1391 (Schreiben des Arbeits- und Sozialministers an Regierungspräsidenten betr.: Gewerbeaufsicht; hier: Beschäftigungsverbot für werdende Mütter gemäß § 4 vom 19. Mai 1959). 207 H S t A - N W 37/566 (Statistische Zusammenstellung von 1957), Blatt 121. 208 Der Innungsverband für das nordrheinische Friseurhandwerk sprach sich generell d a f ü r aus, schwangeren Friseusen zu kündigen, u n d forderte eine Rechtsverordnung, daß die im Friseurhandwerk tätigen weiblichen Beschäftigten nicht unter die Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes fielen. Begründet wurde diese Forderung damit, daß eine Umbesetzung der Schwangeren nicht möglich sei u n d daß das Publikum es zumeist ablehnt, von „ h o f f e n d e n M ü t t e r n " behandelt zu werden. (HStA-NW 50/1018 [Schreiben des Innungsverbandes für das nordrheinische Friseurhandwerk an das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium vom 21. August 1953]). Das Arbeitsministerium lehnte diesen Vorschlag kategorisch ab, verwies aber auf die Möglichkeit, einen Antrag auf Erteilung einer Zulässigkeitserklärung zur Kündigung zu stellen. N a c h Ansicht des Arbeitsministeriums sollte dieser Hinweis kein Freibrief für die Kündigung von schwangeren Friseusen sein. Denn in jedem einzelnen Fall würden bei einem Antrag die Verhältnisse in den Betrieben eingehend überprüft (HStA-NW 37/1018 [Vermerk über eine Besprechung vom 1. September 1953]). 209 H S t A - N W 50/1018 (Jahresbericht 1952 des Gewerbeamts Coesfeld über Krankheitsverhütung: Beschäftigung von Frauen vor u n d nach der Niederkunft). Abgedruckt in : Frauen in der Nachkriegszeit, S. 250-251. 210 H S t A - N W 37/666 (Schreiben eines Zahntechnischen Laboratoriums an Gewerbeaufsichtsamt Recklinghausen vom 22. Februar 1954), Blatt 185. 211 HStA-NW 37/666 (Schreiben Karl B. an Gewerbeaufsichtsamt betr.: Genehmigung zur Kündigung meiner Landwirtschaftshelferin vom 27. November 1952), Blatt 85. Vgl. auch. Frauen in der Nachkriegszeit, S. 251-256 (Antrag eines Bundesministers auf Entlassung einer Sekretärin).

4. Berufskrankheiten und Arbeitsschutz

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der evangelischen Kirche,212 die wenig Nächstenliebe demonstrierten, wenn es darum ging, Geld einzusparen.213 Jährlich wurden in Nordrhein-Westfalen etwa 60000 Mutterschutzfälle registriert. Die Zahl der den Gewerbeaufsichtsämtern bekanntgewordenen Fälle, in denen eine Kündigung gegenüber einer Schwangeren beabsichtigt war, betrug etwa 6.000.214 In jedem einzelnen Fall hatte das Gewerbeaufsichtsamt über Annahme oder Ablehnung der Kündigung mit den streitenden Parteien zu reden, es sei denn, die Arbeitnehmerin ging gleich vor das Arbeitsgericht. Wenn der Vermittlungsversuch scheiterte, fiel dem Arbeitsministerium die Aufgabe zu, die Zulässigkeit der Kündigung zu prüfen und einen Entscheid zu treffen. Um dieses Verfahren zu beschleunigen, arbeitete das Bundesarbeitministerium eine „Handhabung" für den Dienstgebrauch in den Länderarbeitsministerien aus, in der die Gründe aufgelistet waren, die es dem Arbeitgeber unter Umständen gestatteten, eine Kündigung während der Schutzfrist auszusprechen.215 Das war der Fall bei Konkursen, bei der Stillegung einer Betriebsabteilung, bei Betriebseinschränkungen wegen Arbeitsmangel, bei saisonbedingten Einschränkungen oder Stillegungen, bei der Verlegung der Produktionsstätten. 216 Weiterhin durfte schwangeren Frauen gekündigt werden, die ihren Beruf „in besonders starkem Kontakt mit dem Publikum ausüben". Darunter fielen Verkäuferinnen, Zimmermädchen in Hotels, Vorführdamen und Platzanweiserinnen im Kino.217 Auch eine außereheliche Schwangerschaft, an der Mitarbeiter, Besucher, Eltern oder Kinder Anstoß nehmen könnten, war als Kündigungsgrund statthaft. Das galt insbesondere in den Erziehungsberufen, wie Kindergärtnerin, Lehrerin, aber auch um Arbeitskräfte, die in Kinderheimen, Jugendherbergen, Lehrlingsheimen, Jugendherbergen und Erziehungsanstalten, vor allem in Heimen für gefährdete Mädchen, beschäftigt waren.218 212

HStA-NW 37/672 (Schreiben einer evangelischen Kirchengemeinde an Landesarbeitsamt Dortmund vom 30. April 1955), Blatt 9. Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 256-261. 213 Um erst gar nicht Gefahr zu laufen, schwangere Frauen zu beschäftigen, ließ sich ein „alteingesessenes" Konfektionshaus in Dortmund im November 1953 von allen Betriebsangehörigen, auch von denen, die schon seit Jahren im Hause tätig waren, einen Anstellungsvertrag unterzeichnen, demzufolge drei Monate nach der Eheschließung das Arbeits- und Angestelltenverhältnis ohne Kündigung automatisch endete (HStA-NW 37/211 [Gewerbeaufsichtsamt Dortmund/Jahresbericht 1955], Blatt 97). Eine Schwangere, die beim Arbeitsgericht, klagte, wurde abgewiesen. Erst das Landesarbeitsgericht verwarf diese „Zölibatsklausel". 214 HStA-NW 50/1027 (Abteilung III Β an Referat I vom 21. Januar 1956). 215 HStA-NW 50/1027 (Anlage zum Schreiben des Bundesarbeitsministers vom 15. Juni 1953, „Handhabung des § 9, Abs. 2 MuSchG). 216 Ebd., S. 1-5, 7-8. 217 Ebd., S. 5. 218 Ebd., S. 6.

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Als weitere Kündigungsgründe wurden in der „Handhabung" aufgeführt: verminderte Arbeitsleistung wegen der Schwangerschaft, häufiges Fehlen wegen Krankheit und ungenügende Arbeitsleistungen. Auch der Diebstahl im Betrieb, insbesondere im Wiederholungsfall, war ein Kündigungsgrund sowie gröbliche und tätliche Beleidigung des Arbeitgebers, Beschädigung des Arbeitsmaterials, beharrliche Arbeitsverweigerung, längeres und häufiges unentschuldigtes Fehlen; 21 ' aber das waren auch Gründe, die ausreichten, einer Nichtschwangeren fristlos zu kündigen.220 Die Anträge auf Kündigung nach § 9 stiegen seit 1952 kontinuierlich an: von 210 (1952) über 255 (1953) auf 309 (1954). In der Mehrzahl der Fälle wurde dem Verlangen der Arbeitgeber entsprochen. So bestätigte 1954 das Arbeitsministerium in 222 Fällen die Kündigung, während nur 30 Kündigungen abgelehnt wurden.221 Diese scheinbar einseitige Behandlung wird jedoch durch die Tatsache relativiert, daß nur Extrem- und Sonderfälle an das Arbeitsministerium zur Entscheidung weitergeleitet wurden.222 Wenn einer Kündigung des Arbeitgebers zugestimmt wurde, erhielt die Schwangere automatisch eine Sonderunterstützung (nach § 13 MuSchG), die sich an ihrem bisherigen Verdienst orientierte.223 Sechs Jahre nach Verabschiedung des Mutterschutzgesetzes forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund eine umfassende Novellierung des Mutterschutzgesetzes. Der Wunsch nach einer Änderung und Ergänzung des Mutterschutzgesetzes mit dem Ziel, den bestehenden gesetzlichen Mutterschutz weiter auszubauen, war in erster Linie eine Reaktion auf Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes über die Mütter- und Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik und in anderen Ländern. Vor dem Ersten Weltkrieg war die Müttersterblichkeit im Deutschen 2,9

Ebd., S. 9-10. Die „Handhabung" sollte dem Sachbearbeiter bei seiner Entscheidung behilflich sein. Jedoch wurde nicht schematisch geurteilt. Es gibt genügend Beispiele in den Akten (HStA-NW 37/666), daß jedes Kündigungsbegehren nach individuellen Gesichtspunkten beurteilt wurde. 221 HStA-NW 85/106 (Aufstellung des Arbeitsministeriums von 1959). 222 Das Gewerbsaufsichtsamt Dortmund bearbeitete 1953 75 Anträge auf Zustimmung zur Kündigung oder auf Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung. Nur 10 wurden dem Arbeitsministerium zur Entscheidung weitergeleitet (HStA-NW 37/257 [Gewerbeaufsichtsamt Dortmund/Jahresbericht 1953], Blatt 73). Ein Jahr später stieg die Anzahl der Anträge auf 141, von denen lediglich 26 dem Arbeitsministerium bzw. dem Regierungspräsidenten zur Entscheidung vorgelegt wurden (HStA-NW 37/211 [Gewerbeaufsichtsamt Dortmund/Jahresbericht 1955], Blatt 98). 223 Richtlinien für die Berechnung des Wochengeldes und der Sonderunterstützung nach § 13 Abs. 1 und § 11 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit vom 29. November 1954, in: Mitteilungen des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Anlage 13/1955; Arning, Günther: Arbeitsverhältnis und Pflichtversicherung als Voraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen nach § 13 des Mutterschutzgesetzes, in: Bundesarbeitsblatt 1955, S. 682-685. 220

4. Berufskrankheiten und Arbeitsschutz

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Reich verhältnismäßig niedrig. Die Sterbeziffern stiegen aber während des Weltkrieges steil an und blieben vom Kriegsende bis 1929 mit 553 Müttersterbefällen auf lOOOOO Lebendgeborene ungefähr auf gleicher Höhe.224 Seit 1930 war eine rückläufige Tendenz zu beobachten. Diese Rückläufigkeit setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik fort. Sie erreichte 1958 mit etwa 118 Sterbefällen auf 100000 Lebendgeborene ihren bis dahin niedrigsten Stand.225 Im Vergleich zu anderen Ländern war die Müttersterblichkeit in der Bundesrepublik recht hoch. In Österreich waren es „nur" 90 Sterbefälle, in der Schweiz 76 ; in den Niederlanden wurden 60 Sterbefälle und in Dänemark 41 gezählt. Unter den Industrienationen überschritt nur Japan mit 170 Sterbefällen den Wert der Bundesrepublik.226 Unter Medizinern bestand zwar bald Übereinstimmung, daß aus dem internationalen Vergleich keine Schlußfolgerungen auf mangelhafte Verhältnisse in der Bundesrepublik gezogen werden könnten, da die einzelnen Länder mit unterschiedlichem Zahlenmaterial arbeiteten.227 Dennoch wurden die internationalen Vergleichszahlen in der öffentlichen Diskussion als Argumentationsstütze herangezogen, um eine weitere Verbesserung des Mutterschutzes herbeizuführen. Nachdem ein Arbeitskreis des Bundes-Frauenausschusses bereits im September 1958 Änderungsvorschläge erarbeitet hatte,228 legte der Deutsche Gewerkschaftsbund im Mai 1961 eine Novelle zum Mutterschutzgesetz vor.229 Ein Jahr später brachte die SPD-Fraktion einen Initiativantrag im Bundestag ein, der eine Verlängerung der Schutzfristen und das Verbot von Akkord- und Fließbandarbeit vorsah, weiterhin einen Anspruch auf ärztliche Vorsorgeuntersuchungen.230 Es dauerte dann noch bis August 1965, bevor der Bundestag ein Änderungsgesetz zum Mutterschutzgesetz verabschiedete.231 224

Wirtschaft und Statistik 1956, S. 20. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1962, Stuttgart 1962, S. 65. 226 Braun: Mutterschutz in der Bundesrepublik, S. 41. 227 Winkler, Karl-Otto: Arbeitshygienische Studie über werdende Mütter in einem Industriebetrieb, in: Zentralblatt für Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz 1963, S. 254-262, hier: S. 257; Läge, Helga: Die Industriefahigkeit der Frau. Ein Beitrag zur Beschäftigung der Frau in der Industrie, Düsseldorf 1962, S. 80-85. 228 ADGB-BV/50 (Protokoll der Bundesfrauenausschußsitzung vom 11./12. September 1958). 229 Vorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbundes für eine Novelle zum Mutterschutzgesetz vom Mai 1961, in: Mutterschutz. Hrsg. vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Düsseldorf 1962, S. 55-57. Abgedruckt in: Frauen in der Nachkriegszeit, S. 264-271. 230 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. IV. Wahlperiode. Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 562 (Antrag der Fraktion der SPD betr. : Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Mutterschutzgesetzes vom 29. Juni 1962). 231 Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) vom 24. Ja225

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V. Die berufstätige Frau im „Wirtschaftswunder" (1950-1963)

Gegen Ende der Ära Adenauer waren bei weitem nicht alle Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, wie sie in den Richtlinien von 1949 aufgestellt worden waren, erfüllt. Die berufliche Ausbildung für Mädchen ließ sehr zu wünschen übrig, und gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit erhielten Frauen auch nicht. Nicht einmal die Anzahl der Kindergartenplätze, die vornehmlich alleinstehenden berufstätigen Müttern zugute gekommen wäre, war wesentlich erhöht worden. Verbesserungen konnte der Deutsche Gewerkschaftsbund lediglich bei der Gestaltung von Frauenarbeitsplätzen verzeichnen, und mit der Verabschiedung des Mutterschutzgesetzes wurde der Schutz für erwerbstätige Frauen wesentlich ausgebaut. Vor allem gelang es aber nicht, die Vorurteile der Gesellschaft gegenüber der Frauenarbeit abzubauen, nicht einmal unter den Frauen selbst, die ihre Berufstätigkeit in der Mehrzahl nur als ein Übergangsstadium verstanden, das spätestens mit der Heirat ihren Abschluß fand. Obwohl immer mehr Frauen berufstätig wurden, blieb ihnen die Anerkennung weitgehend verwehrt. Somit blieben in ihrer Mehrzahl die erwerbstätigen Frauen, was sie auch schon vor 1945 gewesen waren: eine beliebig manövrierbare Arbeitskraftreserve. Es darf jedoch bei dieser insgesamt negativen Bilanz der Situation der erwerbstätigen Frau in den Nachkriegsjahren nicht übersehen werden, daß die jahrelangen Auseinandersetzungen um die Gleichberechtigung der Frau vor dem Hintergrund steigender weiblicher Erwerbstätigkeit und einer sich formierenden Frauenbewegung 232 zu einer öffentlichen Sensibilisierung - was die weibliche Berufstätigkeit betraf - führte, die aber erst in den 60er Jahren erste Verbesserungen für die Frauen brachte. 233

Fortsetzung

Fußnote von Seite 329

nuar 1952 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzgesetzes und der Reichsversicherungsordnung vom 24. August 1965 (Bundesgesetzblatt 1965, S. 912) und des Gesetzes zur Sicherung des Haushaltsausgleichs (Haushaltssicherungsgesetz) vom 20. Dezember 1965 (Bundesgesetzblatt 1965, S. 2065). Vgl. auch: Mutterschutzgesetz. Kommentar von Walter Hiersemann und Peter G. Meisel, Berlin 1966; Mutterschutzgesetz. Mutterschaftshilfe. Erläutert von Karl Welzel und Johannes Zmarzlik, Köln 1965. Zu den Mutterschutzbestimmungen der EG-Staaten: Mutterschutz in den sechs Ländern der EWG. Stand: 30. Juni 1965, Brüssel 1966. 232 Wiggershaus, Renate: Geschichte der Frauen und der Frauenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik nach 1945, Wuppertal 1979. 233 Brandt, Gisela u.a.: Zur Frauenfrage im Kapitalismus. 4. Auflage, Frankfurt 1979.

Zusammenfassung Die Kriegseinwirkungen führten zu einer starken Bevölkerungsverschiebung. Wegen der Zerstörungen in den Großstädten wurden die Überlebenden ebenso wie die Flüchtlinge aus dem Osten in die ländlichen Regionen umgeleitet. Die in den Städten verbliebene Bevölkerung litt sehr unter der Wohnungsnot, die wiederum die Ausbreitung von Krankheiten begünstigte. Die Produktionsaufnahme in der Industrie, die weit weniger Schaden durch den alliierten Luftkrieg zu verzeichnen hatte als zunächst angenommen, wurde von der britischen Besatzungsmacht im Gegensatz zu den Amerikanern absichtlich verzögert und kam dann auch nur sehr langsam in Gang. Es ergaben sich jedoch bald Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Arbeitskräften, da ein Großteil der männlichen Bevölkerung in den ländlichen Regionen untergekommen war oder sich noch in Kriegsgefangenschaft befand. In dieser Notlage griffen die Unternehmen auf die weibliche Bevölkerung in den Städten zurück. Die Industriebetriebe setzten Frauen auf fast allen Positionen ein. Das führte dazu, daß es schließlich kaum noch einen Beruf gab, in dem Frauen nicht beschäftigt waren, was nicht einmal während des Zweiten Weltkrieges vorgekommen war. Frauen gingen arbeiten, weil sie entweder allein standen oder als Kriegerwitwen keine Kriegspension erhielten, deren Auszahlung von der britischen Militärregierung eingestellt worden war. Verheiratete Frauen nahmen jedoch nur dann eine Berufstätigkeit auf, wenn der Ehemann kriegsversehrt oder krank war; ansonsten waren sie mit der Beschaffung von Nahrungsmitteln (Hamstern, Schwarzmarkt) beschäftigt. Dem Eindringen der Frau in typische Männerberufe standen die Arbeitsbehörden äußerst reserviert gegenüber. Sie waren von Anbeginn darum bemüht, den Arbeitsschutzgesetzen Geltung zu verschaffen und das vom Alliierten Kontrollrat erlassene Gesetze über den Einsatz von Frauen im Bau- und im Baunebengewerbe (Trümmerfrauen) durch einschränkende Maßnahmen abzumildern. Dahinter stand die Befürchtung, die ungewohnten, teils körperlich schweren Arbeitsbedingungen könnten die Reproduktionsfähigkeit der Frau gefährden und weiter: die Frauen, die bewiesen, daß sie durchaus in der Lage waren, auch die den Männern vorbehaltenen Arbeiten auszuführen, könnten ein Anrecht auf den männlichen Arbeitsplatz anmelden. Die Gewerbeaufsicht konzentrierte ihre Kontrollarbeit insbesondere auf das Bau- und Baunebengewerbe, da hier verhältnismäßig viele Frauen einen Arbeitsplatz gefunden hatten, der von den Männern im allgemeinen abgelehnt wurde. Aus Personalmangel konnte die Gewerbeaufsicht aber nur einen Teil der Unternehmen kontrollieren und bei Überschreitungen auf die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen drängen. Nicht selten

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hielten die Unternehmen aus Ersparnisgründen die Schutzbestimmungen nicht ein. Da die Frauen auf bislang ungewohnten Arbeitsplätzen beschäftigt wurden, forderten die Frauenabteilungen der Gewerkschaften einen verbesserten Arbeitsschutz, und sie sprachen sich dafür aus, den Frauen den eingenommenen Arbeitsplatz zu belassen. Traditionelle Vorbehalte gegenüber der Frauenarbeit standen diesen Forderungen ebenso entgegen wie fehlende Haushaltsmittel, um insbesondere die Schutzbestimmungen zu verbessern. Es wurde jedoch ein Hausarbeitstag für erwerbstätige Frauen eingeführt, der es den Frauen ermöglichte, einmal im Monat einen bezahlten freien Tag zu beanspruchen, um persönliche Angelegenheiten zu erledigen. Nach der Währungsreform nahm die Bereitschaft vieler Frauen, eine Berufstätigkeit aufzunehmen, weiter zu ; jetzt erschienen immer mehr verheiratete Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die mit ihrem Verdienst der Familie halfen, die durch den Krieg erlittene soziale Deklassierung zu überwinden. Gleichzeitig entledigten sich die Unternehmen ihres Arbeitskräfteüberhangs, vor allem der unqualifizierten (weiblichen) Arbeitskräfte, um besser für den Wettbewerb gerüstet zu sein. Da sich der Anstieg der Arbeitslosigkeit (bei wachsender Industrieproduktion) in Grenzen hielt, brauchte die nordrhein-westfälische Regierung nicht mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen dagegenhalten. Seit der Jahreswende 1948/49 stieg die Arbeitslosigkeit unter Frauen immer mehr an, obwohl sie im Vergleich zur Männerarbeitslosigkeit geringer ausfiel. Der Konkurrenzkampf zwischen Männern und Frauen um einen Arbeitsplatz verschärfte sich daraufhin. Die Frauen wurden dabei eindeutig benachteiligt, als verschiedene Unternehmen dazu übergingen, Frauen zu entlassen und die freigewordenen Arbeitsplätze mit zurückgekehrten Kriegsgefangenen zu besetzen. Bemühungen der Gewerkschafterinnen, den Frauen den Arbeitsplatz zu sichern, blieben auch jetzt ohne Resonanz. So stemmten sich die traditionsbewußten Handwerksbetriebe gegen die Aufnahme von weiblichen Lehrlingen, und in der Berufsberatung besaßen die Jungen gegenüber den Mädchen weiterhin Vorteile. Die Arbeitsbehörden beteiligten sich an dem Verdrängungsprozeß, indem sie verstärkt die Unternehmen aufforderten, Frauen von typischen Männerarbeitsplätzen abzulösen. Jedoch ließen sie Ausnahmen gelten, wenn den betroffenen Frauen keine Ersatzarbeitsplätze angeboten werden konnten. Anfang der 50er Jahre, als die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik ihren Nachkriegshöchststand erreichte, waren kaum noch Frauen auf Männerarbeitsplätzen anzutreffen. Damit war ein Zustand erreicht, der weitgehend den Vorstellungen der Arbeitsbehörden entsprach. Seit Ende der 40er Jahre nahm die öffentliche Kritik an der weiblichen Berufstätigkeit zu. Den berufstätigen Frauen wurde vorgeworfen, an der Krise der Nachkriegsfamilie mit Schuld zu sein. Um den Verfall der Insti-

Zusammenfassung

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tution Familie aufzuhalten, entwickelte die katholische Kirche eine Art Rechristianisierungsprogramm, das über die Wiederbelebung christlicher Werte die Familie stabilisieren sollte. Im Zusammenspiel mit den nach 1950 entstandenen Familienverbänden und dem 1954 eingerichteten Bundesministerium für Familienfragen versuchte sie einerseits mit propagandistischen Mitteln ein familienfreundliches Klima zu schaffen, und sie war andererseits über die Einführung von Kinderbeihilfen bemüht, die (verheirateten) Frauen mit Kindern vom Zwang der Erwerbstätigkeit zu befreien. Erfolge konnte die konservativ-katholische Aktion mit einem deutlichen Anstieg der Ehen und Geburten verzeichnen. Als gescheitert müssen jedoch die Bemühungen bewertet werden, die weibliche Berufstätigkeit einzuschränken. Die Kindergeldzahlungen waren viel zu gering und kamen überdies viel zu spät, um Frauen von der Berufsaufnahme abzuhalten. Die Bereitschaft der Frauen, eine Berufstätigkeit aufzunehmen, wurde durch die Unternehmen gefördert, was die konservativen Familienschützer nicht verhindern konnten, auch wenn sie wiederholt Kritik an der Sozialen Marktwirtschaft äußerten. Während katholische Kirche und Arbeitgeber in der Frage der weiblichen Erwerbstätigkeit unterschiedliche Standpunkte vertraten, gab es weitgehende Übereinstimmung in der Frage der Gleichberechtigung, die verhindert werden sollte. Während die Kirche die (rechtliche) Dominanz des Mannes in der hierarchisch-patriarchalischen Familie als Garant für eine stabile Familie interpretierte, wehrten sich die Arbeitgeber gegen die Gleichberechtigung der Frau, um der weiblichen Arbeitskraft weiterhin weniger Lohn als ihren männlichen Arbeitskollegen bezahlen zu können. Nach heftigen parlamentarischen Auseinandersetzungen um das Familienrechtgesetz (Gleichberechtigungsgesetz) wurde den Frauen zwar die Gleichberechtigung im öffentlich-rechtlichen Bereich zugestanden, aber in der Praxis, wenn überhaupt, nur unvollkommen realisiert. Das galt insbesondere für die Lohnfrage. Die Bemühungen der Gewerkschafterinnen, die Tariflöhne von Männern und Frauen anzugleichen, wenn gleiche Leistungs- und Arbeitsbedingungen vorlagen, scheiterten auch am Widerstand der männlichen Gewerkschaftsvertreter, die sich in den Verhandlungen mit den Arbeitgebern, denen daran gelegen war, die Tariflöhne für Frauen niedrig zu halten, stärker für die Männer- als für die Frauenbelange einsetzten. Der Kompromiß, der schließlich mit der Umstrukturierung des Lohngefüges zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt wurde, brachte den berufstätigen Frauen nur unwesentliche Verbesserungen. Mit Arbeitbeschaffungsprogrammen versuchte die Bundesregierung Anfang der 50er Jahre die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, wobei insbesondere älteren Frauen die Möglichkeit zur Berufsaufnahme ermöglicht werden sollte. Zu diesem Zweck wurden spezielle Lehrgänge für die be-

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rufsunerfahrenen Frauen eingerichtet, um sie „vermittlungsreif" zu machen. Den weiblichen Schulabgängerinnen wurde trotz gewerkschaftlicher Vorschläge nicht geholfen, weil die vorhandenen Ausbildungskapazitäten und Arbeitsmöglichkeiten für Mädchen nicht ausreichten und weil Wirtschaft und Gesellschaft die weibliche Berufsausbildung als solche nicht anerkannten. Somit unterblieb auch die Ausweitung des weiblichen Berufsraums. Als jedoch dem Handwerk gegen Ende der 50er Jahre die qualifizierten Fachkräfte von der Industrie abgeworben wurden, fand sich das Handwerk bereit, weibliche Lehrlinge verstärkt einzustellen. Während des „Wirtschaftswunders" begannen die Unternehmen, sich der weiblichen Arbeitskraftreserve zu bedienen. Mit dem Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit ging jedoch nicht eine qualitative Ausweitung der Frauenarbeit einher, da die traditionellen Vorbehalte gegenüber der weiblichen Erwerbstätigkeit (die von den Konservativen gefördert wurden) nicht überwunden werden konnten, und die Unternehmen auch kein Interesse an qualifizierten weiblichen Arbeitskräften hatten, da die automatisierten Betriebe im wesentlichen mit angelernten Kräften auskamen. Die Vorschläge der Gewerkschafterinnen, die weibliche Berufsausbildung zu verbessern und den Frauen den Aufstieg in qualifizierte Berufe zu erleichtern, stieß folglich auf Ablehnung. Jedoch gelang es ihnen, den Frauenarbeitsschutz, insbesondere den Mutterschutz, auszubauen, was durchaus im Interesse aller gesellschaftlichen Gruppierungen lag, da der Krankenstand und die Müttersterblichkeit unter den erwerbstätigen Frauen als Folge der ungewohnten Berufsarbeit besorgniserregend anstieg. Obwohl immer mehr Frauen in den 50er Jahren eine Berufstätigkeit aufnahmen, blieb ihnen die gesellschaftliche Anerkennung vorenthalten. Denn die Rolle der Frau wurde weiterhin als Ehefrau und Mutter definiert. Da die meisten Frauen ihre Berufstätigkeit nur als Übergangsstadium bis zur Heirat verstanden oder als einen Beitrag zur Erhöhung des Familienlohns, besaßen sie nur ein geringes Interesse daran, ihre berufliche Position zu verbessern. Die Geringschätzung der eigenen Berufsarbeit kam den Arbeitgebern entgegen, die daran interessiert waren, Frauen nur mit nachgeordneten Positionen zu betrauen. Erst in den 60er Jahren setzte ein allmähliches Umdenken ein, als die Gesellschaft begann, den Stellenwert der Frauenerwerbstätigkeit höher einzustufen, und als die Frauen begannen, sich zu ihrer eigenen Leistungsfähigkeit zu bekennen.

Verzeichnis der Tabellen Tabelle

1 Frauen im Bau- und im Baunebengewerbe (Erwerbspersonen nach Berufen und sozialer Stellung) Tabelle 2 Frauenerwerbstätigkeit 1882-1939 Tabelle 3 Berufstätige Frauen (Arbeiter, Angestellte und Beamte) in Nordrhein-Westfalen sowie Anzahl der weiblichen Arbeitslosen und der offenen Stellen für Frauen 1938 (ohne Beamte), 1941,1946-1950 Tabelle 4 Berufe ohne Frauenanteile, Oktober 1946 (in Klammern die Berufsgruppennummern) Tabelle 5 Berufstätige Frauen (Arbeiter, Angestellte und Beamte) in Nordrhein-Westfalen nach Wirtschaftsgruppen 1938 (ohne Beamte), 1946-1947 Tabelle 6 Durchschnittliche Stundenverdienste in Rpf. bzw. Pf. in der gewerblichen Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen 1946-1949 Tabelle 7 Durchschnittliche Wochenverdienste in RM bzw. D M in der gewerblichen Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen 1946-1949 Tabelle 8 Produktionsniveau und Zuwachsraten der westdeutschen Industrie 1948-1950 (1936 = 100) Tabelle 9 1. Beschäftigte Arbeiter, Angestellte und Beamte in NordrheinWestfalen (1948-1950) 2. Die Anzahl der Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen 3. Die Anzahl der Offenen Stellen in Nordrhein-Westfalen . . . . Tabelle 10 Berufstätige Frauen (Arbeiter, Angestellte und Beamte) in Nordrhein-Westfalen nach Wirtschaftsgruppen 1948-1950 T a b e l l e n Eheschließungen, Geborene, Geburtenüberschuß 1870-1945 . . . Tabelle 12 Gegenüberstellung der familienpolitischen Ausgangspositionen im Jahre 1953 und der Situation im Jahre 1963 Tabelle 13 Eheschließungen, Geborene, Geburtenüberschuß 1938, 1946-1963 Tabelle 14 Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern mit Kindern unter 14 Jahren 1950, 1957 und 1962, in 1000 (1950 = 100) . . Tabelle 15 Bruttostundenverdienste männlicher und weiblicher Arbeiter in der Industrie 1954-1957 (in Pfg.) Tabelle 16 Durchschnittliche bezahlte Wochenarbeitszeit, Bruttostunden- und -Wochenverdienste der Arbeiter in der Industrie einschl. Baugewerbe in der Bundesrepublik (ohne Saarland) 1950-1958 Tabelle 17 Entwicklung der Tariflöhne im Tarifbereich Metallindustrie Niedersachsen 1950-1960 (in % der Facharbeiterlöhne) Tabelle 18 Anstieg des Produktionsindex von 1950 auf 1951 (1936 = 100) . . . Tabelle 19 Die wirtschaftliche Entwicklung von 1950-1953 (vierteljährlich) . Tabelle 20 Entwicklung des Nettoproduktionswertes der Industrie (in Preisen von 1950) nach Zweigen in der Bundesrepublik (ohne Saarland und Berlin), 1950-1962 Tabelle 21 Entwicklung der Wohnbevölkerung und der Erwerbspersonen im Bundesgebiet 1950-1959 (Jahresdurchschnitt) Tabelle 22 Wohnbevölkerung im Bundesgebiet nach Wirtschaftsbereichen und Geschlecht (Stand: 13. September 1950) Tabelle 23 Erwerbstätige im Bundesgebiet nach Wirtschaftsbereichen und Stellung im Beruf (Oktober 1958) Tabelle 24 Erwerbsquote und Arbeitsnehmerquote im Bundesgebiet 1950— 1959 (Jahresdurchschnitt) Tabelle 25 Die Lehr- und Anlernlinge nach dem Geschlecht in der Bundesrepublik Deutschland (ohne Berlin) 1950-1960

36 44

49 50

51 87 88 95

99 103 158 190 195 197 273

274 278 282 282

285 287 289 289 292 308

Abkürzungsverzeichnis ADGB Alfu Alu AVAVG AZO BA BAG BD A BGB BKD BV CCG/BE CDU CSU CVJM DAG DDR DGB DFV DP EKD ESBM FDP FU (BP-Z) GB/BHE GG HStA IAO IG KPD MuSchG NSDAP ÖTV RBG RGO RKW RVO SPD UIOF WV

Akten des Deutschen Gewerkschaftsbundes Arbeitslosenfürsorgenunterstützung Arbeitslosenunterstützung Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Arbeitszeitordnung Bundesarchiv Koblenz Bundesarbeitsgericht Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände Bürgerliches Gesetzbuch Bund der Kinderreichen Deutschlands Bundesvorstand Control Commission for Germany-British Element Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union in Bayern Christlicher Verein Junger Männer Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Deutsche Demokratische Republik Deutscher Gewerkschaftsbund Deutscher Familienverband Deutsche Partei Evangelische Kirche in Deutschland (Industrie der) Eisen-, Stahl-, Blech- und Metallwaren Freie Demokratische Partei Föderalistische Union (Bayernpartei-Zentrum) Gesamtdeutscher Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechten Grundgesetz Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Internationale Arbeitsorganisation Industriegewerkschaft Kommunistische Partei Deutschlands Mutterschutzgesetz Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Reichsbeamtengesetz Reichsgewerbeordnung Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft Reichsversicherungsordnung Sozialdemokratische Partei Deutschlands Union Internationale des Organismes Familiaux Weimarer Verfassung

Quellen und Literatur I. Quellen (unveröffentlichte Quellen) A. Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf ( = HStA). 1. 2. 3. 4. 5.

Ministerpräsident (NW 22, 158). Innenministerium (NW 34, 113). Kultusministerium (NW 19). Ministerium für Wiederaufbau (NW 9). Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (NW 6, 7, 37, 38, 41, 42, 43, 45, 47,49, 50, 52,61,62, 85). 6. Berufsverbände (RW 177). 7. Nachlässe (RWN 126, 164). B. Archiv des Deutschen Gewerkschaftsbundes Düsseldorf ( = ADGB). 1. Zonensekretariat/Britische Zone (BV). 2. Gewerkschaftsrat der vereinigten Zonen (BV). 3. Abteilung Frauen beim Bundesvorstand (BV) C. Bundesarchiv Koblenz ( = BA). 1. Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebiets (Z 1). 2. Der Zonenbeirat der britisch besetzten Zone (Z 2). 3. Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets (Z 4). 4. Parlamentarischer Rat (Z 5). 5. Zentralamt für Ernährung und Wirtschaft in der britisch besetzten Zone/Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Vereinigten Wirtschaftsgebiets (Z 6). 6. Büro der Ministerpräsidenten des amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsgebiets (Z 12). 7. Kirchliche Hilfsstelle München (Z 18). 8. Zentralamt für Arbeit in der britischen Zone (Z 40). 9. Deutscher Städtetag (B 105). 10. Bundesministerium des Innern (B 105). 11. Notgemeinschaft umsiedlungswilliger Heimatvertriebener (B 125). 12. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (B 149). 13. Bundesministerium für Familienfragen (B 153). 14. Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (B 191). 15. Bund Kinderreicher und Junger Familien Deutschlands (B 195). 16. Bundesvereinigung deutscher Frauen verbände/Deutscher Frauenrat (B 211). 17. Deutscher Akademikerinnenbund (B 232). 18. Kleine Erwerbungen (Kl. Erw. 721). 19. Nachlässe (Maria-Elisabeth Lüders, James Pollock, Luise Rehling, Elisabeth Schwarzhaupt). 20. Partei- und Verbandsdrucksachen-Sammlung (ZSg 1). D. Bundesarchiv/Zwischenarchiv St. Augustin/Hangelar ( = BA). 1. Bundesministerium des Innern (B 106). 2. Bundesministerium der Justiz (B 141). 3. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (B 149).

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Quellen und Literatur

II. Quellen (veröffentlichte Quellen) A. Dokumentensammlungen, Gesetzestexte, Protokolle, Statistiken, Umfragen. Amtsblatt des Kontrollräte in Deutschland. Ergänzungsblatt Nr. 1-19, Berlin o.J. Amtsblatt der Militärregierung Deutschland. Britisches Kontrollgebiet. o.O. 1945— 1949. Analyse der westdeutschen Arbeitslosigkeit. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn 1952. Arbeit und Arbeitspolitik. Die geltenden Rechtsvorschriften der Westzonen. Im Auftrage der Verwaltung für Arbeit hrsg. von Valentin Siebrecht, Frankfurt 1948. Die Arbeiter und Angestellten nach Beruf und Alter sowie die Lehrlingshaltung in der Bundesrepublik Deutschland am 31. Oktober 1950. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn o.J. Die beschäftigten Arbeiter, Angestellten und Beamten in der Bundesrepublik Deutschland 1938 und 1951. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Bonn o.J. Arbeitsblatt für die britische Zone. Hrsg. vom Zentralamt für Arbeit Lemgo, Minden 1947-1948. Arbeitsblatt. Hrsg. von der Verwaltung für Arbeit Frankfurt, Stuttgart 1949. Arbeitsrechtliche Entscheidungen. Sonderausgabe des Arbeitsblatts für die britische Zone 1, 1948, Nr. 1-3. Arbeitsschutz. Hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit, Stuttgart 1956. Arbeitszeitordnung nebst Ausführungs- und Durchführungsbestimmungen sowie die Vorschriften über Sonntagsarbeit und Lohnzahlung an Feiertagen. Kommentar von J. Denecke, München 1950. Die Berufs- und Altersgliederung der Arbeiter und Angestellten sowie der selbständigen Berufstätigen und der Heimarbeitskräfte in der britischen Zone am 30. September 1947. Hrsg. vom Zentralamt für Arbeit in der britischen Zone, Lemgo 1948. Bevölkerung und Wirtschaft 1872-1972. Hrsg. vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden 1972. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Bonn 1951-1963. Bundesarbeitsblatt (BAB1.). Hrsg. vom Bundesminister für Arbeit, Bonn 1950-1963. Bundesgesetzblatt (BGBl.). Hrsg. vom Bundesminister der Justiz. Teil I, Bonn 1949-1963. Bundes-Statut des Familienbundes der Deutschen Katholiken (16.10.1953), München 1953. Butz, Hans-Heinz: Das Mutterschutzgesetz in der Praxis. Systematische Übersicht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, Düsseldorf 1956 ( = Schriftenreihe „Der Betrieb"). Die C D U / C S U im Parlamentarischen Rat. Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion. Eingel. und bearb. von Rainer Salzmann, Stuttgart 1981 ( = Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Band 2). Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1982. Verfaßt und bearb. von Peter Schindler. Hrsg. vom Presse- und Informationszentrum des Deutschen Bundestages. 3. durchgesehene Auflage, Baden-Baden 1984. Denkschrift über die zur Anpassung des geltenden Familienrechts an den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) erforderlichen Gesetzesänderungen. Teil I—III, Bonn 1952. Denkschrift des Deutschen Frauenrings zum Kabinettsentwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen

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Quellen und Literatur

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Die Reform der Sozialpolitik durch einen Sozialplan, in: Verhandlungen auf der Sondertagung in Berlin. 18. und 19. April 1952. Hrsg. von Gerhard Albrecht, Berlin 1952 ( = Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Neue Folge, Band 4). Reich-Hilweg, Ines: Männer und Frauen sind Gleichberechtigt. Der Gleichberechtigungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 GG) in der parlamentarischen Auseinandersetzung 1948-1957 und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1953-1975, Frankfurt 1979. Reinicke, Dietrich/Schwarzhaupt, Elisabeth: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau nach dem Gesetz vom 18. Juni 1957, Stuttgart 1957. Richter, Charlotte: Frauenarbeitsnot in Duisburg, Duisburg 1951 ( = Mercator-Gesellschaft, Schriftum, Band 2). Scheffler, Erna: Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im Wandel der Rechtsordnung seit 1918, Frankfurt 1970. Schelsky, Helmut: Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung und Deutung einer empirisch-soziologischen Tatbestandsaufnahme. 5. Auflage, Stuttgart 1967. Scherer, Alice: Die Frau. Wesen und Aufgabe, Freiburg 1951 ( = Wörterbuch der Politik, Heft 6). Schindler, Hans: Die ungelernte Arbeiterin. Ein Beitrag zur Erkenntnis der Berufs-, Berufsschul- und Freizeitsituation 15-18jähriger Mädchen in ungelernten Berufen, München (Diss.) 1957. Schmälzle, Udo F. : Ehe und Familie im Blickpunkt der Kirche. Ein inhaltsanalytisches Forschungsprogramm zu Zielwerten in deutschen Hirtenbriefen zwischen 1915 und 1975, Freiburg 1979 ( = Freiburger Theologische Studien, Band 113). Schmidt, Norbert: Die Berufstätigkeit der Frau als soziologisches Problem, Stuttgart (Diss.) 1960. Schmucker, Helga: Die ökonomische Lage der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Tatbestände und Zusammenhänge, Stuttgart 1961 ( = Soziologische Gegenwartsfragen, Neue Folge, Band 12). Schreiber, Wilfrid: Kindergeld im sozio-ökonomischen Prozeß. Familienlastenausgleich als Prozeß zeitlicher Kaufkraft-Umschichtung im Individual-Bereich, Stuttgart 1964 ( = Sozialtheorie und Sozialpolitik, Band 1). Schrievers, Ursula von: Die industrielle Frauenarbeit, ihre Entwicklung und ihre Auswirkungen, Marburg (Diss.) 1946. Schubert, Doris: Frauen in der deutschen Nachkriegszeit. Band 1: Frauenarbeit 1945-1949. Quellen und Materialien, Düsseldorf 1984 ( = Geschichtsdidaktik, Band 12). Schultheis, Franz: Sozialgeschichte der französischen Familienpolitik, Frankfurt 1988 ( = Forschungsberichte des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialplanung, Band 14). Schwab, Karl Heinz: Ehe und Familie im Lichte des Gleichberechtigungsgesetzes, Erlangen 1958 ( = Erlangener Universitätsreden, Neue Folge, Heft 4). Schwanecke, Inge Beate: Die Gleichberechtigung der Frau unter der Weimarer Reichsverfassung, Heidelberg (Diss.) 1977. Schwanse, Peter: Beschäftigungsstruktur und Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 1963, Berlin 1965 ( = Sonderhefte, Nr. 74). Senfft, Heinrich: Die Haus- und Berufsarbeit der Ehefrau bei Gleichberechtigung der Geschlechter, Tübingen (Diss.) 1956. Siebrecht, Valentin: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik in der Nachkriegszeit, Stuttgart 1956 ( = Bücherei für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Sonderband I) . Sons, Hans-Ulrich: Gesundheitspolitik während der Besatzungszeit. Das öffentliche Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen 1945-1949, Wuppertal 1983

350

Quellen und Literatur

( = Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Band 7). Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum Kontinuitätsproblem. Hrsg. von Werner Conze und Rainer Lepsius, Stuttgart 1983 ( = Industrielle Welt, Band 34) . Speck, Otto : Kinder erwerbstätiger Mütter. Ein soziologisch-pädagogischer Gegenwartsproblem, Stuttgart 1956. Stein, Bernhard: Der Familienlohn. Probleme einer familiengerechten Einkommensgestaltung, Berlin 1956 ( = Soziale Schriften, Heft 5). Steinbrück, F.: Neue Frauenberufe. Ein Ratgeber für Frauen, die nach neuen Erwerbsmöglichkeiten suchen: Berichte über Erfahrungen und Erfolge von Frauen und Mädchen in neuartigen Berufen, Hamburg (1950). Stree, Walter: Die Gleichberechtigung der Männer und Frauen im Arbeitsleben, Kiel (Diss.) 1953. Stremitzer, Leda: Die wirtschaftliche Bedeutung der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Mit besonderer Berücksichtigung von Frauenentlohnung, Hamburg (Diss.) 1955. Stübner, Gabriele: Der Kampf gegen den Hunger 1945-1950. Die Ernährungslage in der britischen Zone Deutschlands, insbesondere in Schleswig-Holstein und Hamburg, Neumünster 1984. Thurnwald, Hilde: Gegenwartsprobleme Berliner Familien, Berlin 1948. Uebe, Wolfgang: Industriestruktur und Standort. Regionale Wachstumsunterschiede der Industriebeschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland 1950— 1962, Stuttgart 1967 ( = Prognos Studien, Nr. 1). Die Vertriebenen in Westdeutschland. Ihre Eingliederung und ihr Einfluß auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Geistesleben. 3 Bände, Kiel 1959. Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Kapitulation und Grundgesetz. Hrsg. von Josef Becker u.a., München 1979. Wald, Renate: Junge Arbeiterinnen. Eine Schilderung ihrer sozialen Situation, Köln (Diss.) 1959. Wander, Hilde: Bevölkerung, Arbeitspotential und Beschäftigung im britisch-amerikanischen Besatzungsgebiet, Kiel 1948. Was soll ich werden? Von Frauenberufen im Dienste von Familie, Volk und Kirche. Hrsg. vom Erzbischöflichen Seelsorgeamt für Jungmädchen und Jungfrauen, Düsseldorf 1946. Weber, Adolf: Arbeitsbeschaffung nach der Geldreform. Bericht über eine Aussprache führender Sachkundiger, München 1948 ( = Bayerns Wirtschaft, Heft 4). Weichmann, Elsbeth: Die Frau in der Wirtschaft. Entwicklung der deutschen Frauenarbeit von 1946 bis 1951. Eine statistische Übersicht, Wiesbaden (1951). Weiler, Rudolf: Wirtschaftswachstum und Frauenarbeit, Wien 1962 ( = Schriftenreihe der Katholischen Sozialakademie, Band 2). Weston, Judith D.: Geschlecht und Arbeitswelt: Berufstätige Frauen in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik, 19491961, Freiburg (Mag.-Arbeit) 1994. Wiggershaus, Renate: Geschichte der Frauen und der Frauenbewegung. In der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik nach 1945, Wuppertal 1979. Willms, Angelika: Die Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit im Deutschen Reich. Eine historisch-soziologische Untersuchung, Nürnberg 1980 ( = Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung). Wingen, Max: Familienpolitik. Ziele, Wege und Wirkungen, Paderborn 1964. Winkler, Dörte: Frauenarbeit im „Dritten Reich", Hamburg 1977 ( = Historische Perspektiven, Band 9).

Quellen und Literatur

351

Die Wirtschaft braucht die Frau. Hrsg. von Ruth Bergholtz, Darmstadt 1956 ( = Lebendige Wirtschaft, Band 13). Wirtschaftspolitik im britischen Besatzungsgebiet 1945-1949. Hrsg. von Dietmar Petzina und Walter Euchner, Düsseldorf 1984 ( = Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Band 12). Wirtschaftsprobleme der Besatzungszonen. Hrsg. vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin 1948. Wöhrmann, Albertus: Das Problem der Gleichheit im Arbeitsrecht, Würzburg (Diss.) 1961. Wolf, Ernst u.a.: Scheidung und Scheidungsrecht. Grundlagen der Ehescheidung in Deutschland. Untersucht an Hand der Statistiken, Tübingen 1959. Wurzbacher, Gerhard: Leitbilder gegenwärtigen deutschen Familienlebens. Methoden, Ergebnisse und sozialpädagogische Folgerungen einer soziologischen Analyse von 164 Familienmonographien. 2. Aufl. Stuttgart 1954. Wurzbacher, Gerhard u.a.: Die junge Arbeiterin. Beiträge zur Sozialkunde und Jugendarbeit, München 1958. Zehn Jahre Familienbund der Deutschen Katholiken, 1953-1963, München 1963. Ziegler, Albert: Das natürliche Entscheidungsrecht des Mannes in Ehe und Familie. Ein Beitrag zur Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau, Heidelberg 1958 ( = Sammlung Politela, Band 11). Zimmermann, Christa-Esther: Die Frau und die weibliche Erwerbstätigkeit in der industriellen Gesellschaft, Mannheim (Diss.) 1958.

Personenregister Adenauer, Konrad, Oberbürgermeister von Köln, CDU-Politiker, Bundeskanzler 25 (Anm. 3), 37 (Anm. 43), 148, 168, 236, 243, 244, 245, 245 (Anm. 178). Achinger, Hans, Sozialwissenschaftler 141, 151, 164, 176 (Anm. 233), 183 Amelunxen, Rudolf, Oberpräsident der Provinz Westfalen, CDU-Politiker 26 (Anm. 5), 38 Arndt, Adolf, SPD-Politiker, Abgeordneter des Bundestags 261 (Anm. 258) Arnold, Karl, CDU-Politiker, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen 69 Attlee, Clemens, britischer Premierminister 30 (Anm. 22) Aubel, Cilly von, Schriftstellerin 150 (Anm. 116) Barth, Karl, protestantischer Theologe 232 (Anm. 130), 233 Bauer, Franz, Frauenarzt 178 Becker, Max, FDP-Politiker, Abgeordneter des Parlamentarischen Rats 212 Beitzke, Günther, Rechtswissenschaftler 256 Benisch, Regierungspräsidentin 228 (Anm. 111) Bergsträsser, Ludwig, SPD-Politiker, Abgeordneter des Parlamentarischen Rats 205, 209, 221, 222 Beveridge, Sir William, britischer Arbeitsminister 30 (Anm. 22) Beyer, Lucie, SPD-Politikerin, Abgeordnete des Bundestags 256 (Anm. 239) Beykirch, Gewerkschafterin 278 (Anm. 333) Bismarck, Klaus von, Leiter des Sozialreferats der Evangelischen Kirche Westfalens 150 (Anm. 116) Blücher, Franz, FDP-Politiker, Vizekanzler 243 Böckler, Hans, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes 297 Böhler, Wilhelm, Domkapitular 239, 239 (Anm. 159), 243 Bosch, Wilhelm, Rechtswissenschaftler 231, 239, 239 (Anm. 160), 240, 249 (Anm. 199), 256

Brendgen, Margarete, Mitarbeiterin des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen 63 (Anm. 147), 113, 114, 115 Bulla, Günter, Rechtswissenschaftler 325 Dehler, Thomas, FDP-Politiker, Abgeordneter des Parlamentarischen Rats, Bundesjustizminister 210, 223, 225, 237, 237 (Anm. 150), 238, 239 (Anm. 156), 241, 242, 242 (Anm. 170), 243, 244, 247, 250 Dibelius, Otto, Bischof, Ratsvorsitzender der E K D 236 Doetsch, Ernst, Mitglied des Arbeitsausschusses „Familie und Sozialpolitik" der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt 151 (Anm. 119) Dölle, Hans, Rechtswissenschaftler 256 Döpfner, Julius, Bischof 137, 138, 142 Donath, Martin, Präsident der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen 145 (Anm. 91) Enderle, Irmgard, Gewerkschafterin 63 (Anm. 147) Erhard, Ludwig, CDU-Politiker, Direktor der Wirtschaftsverwaltung der Bizone, Bundeswirtschaftsminister 84, 199,219 Ermecken, Gustav, katholischer Theologe 239, 239 (Anm. 158) Fecht, Hermann, CDU-Politiker, Abgeordneter des Parlamentarischen Rats 214, 214 (Anm. 52), 215 Finckenstein, Eva Gräfin, G D B / B H E Politikerin, Präsidentin des Bundes der Kinderreichen Deutschlands 146, 150 (Anm. 116) Fischer-Erling, Josepha, Leiterin der katholischen Beratungsstelle für Eheund Familienfragen 150 (Anm. 116) Frings, Joseph, Kardinal, Erzbischof 140, 235, 239 (Anm. 156), 240, 247 Füllenbach, Wilhelm, Oberbürgermeister von Düsseldorf 25 (Anm. 3) Fuchs, Hans, Oberpräsident der NordRheinprovinz 25, 25 (Anm. 4), 26, 37

Personenregister Gethmann, Rechtsanwältin 228 (Anm. 111) Greeven, Heinrich, protestantischer Theologe 232 (Anm. 212) Greiss, Robert, Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände 172 (Anm. 212) Hagemeyer, Maria, Oberlandesgerichtsrätin im Bundesjustizministerium 233, 234, 238 Halbfell, August, SPD-Politiker, Leiter des Generalreferats Arbeit der westfälischen Provinzregierung, nordrhein-westfálischer Arbeitsminister 37 (Anm. 41), 39 Hall, Joseph, Präsident des Familienbundes der Deutschen Katholiken 150 (Anm. 116) Harmsen, Hans, Sozialwissenschaftler 150 (Anm. 116) Harmuth, Thea, Gewerkschafterin, Hauptabteilungsleiterin im Deutschen Gewerkschaftsbund 297 Heck, Bruno, CDU-Politiker, Bundesfamilienminister 153 Heinemann, Gustav, CDU-Politiker, nordrhein-westfälischer Justizminister 76 Heukelum, Gerhard van, bremischer Senator für Arbeit 163, 165, 165 (Anm. 180, 181) Heuss, Theodor, FDP-Politiker, Abgeordneter des Parlamentarischen Rats 215, 215 (Anm. 56), 224 Hitler, Adolf, NSDAP-Politiker, Reichskanzler 33 (Anm. 33), 146, 161 Höffner, Joseph, Sozialwissenschaftler 150 (Anm. 116), 164, 171, 172 (Anm. 212), 173 (Anm. 219), 183 Hotes, Rechtsanwältin 228 (Anm. 111) Hueck, Alfred, Rechtswissenschaftler 270 Hutter, Hans, Präsident des Familienbundes der Deutschen Katholiken 142 (Anm. 76) Innes, Elisabeth, Gewerkschafterin 75, 123 (Anm. 158) Jaeger, Lorenz, Erzbischof 136 Jessen, Arnd, Wirtschaftswissenschaftler 182

353

Karsten, Dorothea, Leiterin des Fachreferats Frauenangelegenheiten im Bundesinnenministerium 226 (Anm. 104) Kaufmann, Theophil, CDU-Politiker, Abgeordneter des Parlamentarischen Rats 212 Keller, Michael, Bischof 184 Kinsky, Otto, Kulturreferent des Bundes der Kinderreichen Deutschlands 146 (Anm. 96) Kirchhoff, Heinz, Frauenarzt 178 Knef, Hildegard, Schauspielerin 192 Krauss-Flatten, Notarin 228 (Anm. 111) Kuchtner, Edeltraut, CSU-Politikerin, Abgeordnete des Bundestags 256 (Anm. 239) Kiill, Hans, SPD-Politiker, Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags 72 Lehr, Robert, CDU-Politiker, Abgeordneter des Bundestags 227 Lenz, Otto, Staatssekretär im Bundeskanzleramt 243 Lepinski, Franz, Mitglied des Arbeitsausschusses „Familie und Sozialpolitik" der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt 151 (Anm. 119) Lüders, Maria-Elisabeth, FDP-Politikerin, Abgeordnete des Bundestags 247 (Anm. 189, 190), 254, 256 MacArthur, Douglas, amerikanischer Oberbefehlshaber in Korea 280 Mackenroth, Hans, Mitglied des Arbeitsausschusses „Familie und Sozialpolitik" der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt 151 (Anm. 119) Malthus, Thomas Robert, anglikanischer Geistlicher 157 (Anm. 141) Mangoldt, Hermann von, CDU-Politiker, Abgeordneter des Parlamentarischen Rats 209,210,211,212,214, 214 (Anm. 52), 215 (Anm. 54), 222, 223, 225 Maßfeiler, Franz, Ministerialrat im Bundesjustizministerium 238 Maué, Robert, Oberverwaltungsrat 150 (Anm. 116) Menzel, Walter, SPD-Politiker, nordrhein-westfälischer Innenminister 119

354

Personenregister

Moers, Maria, Psychologin 128, 129 Mueller, Albert, Mitglied des Arbeitsausschusses „Familie und Sozialpolitik" der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt 151 (Anm. 119) Münchmeyer, Friedrich, Präsident der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen 145 (Anm. 91), " 150 (Anm. 116) Muthesius, Hans, Wirtschaftswissenschaftler, Mitglied des Arbeitsausschusses „Familie und Sozialpolitik" der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt 151 (Anm. 119), 183 Nadig, Frieda, SPD-Politikerin, Abgeordnete des Parlamentarischen Rats bzw. des Bundestags 208, 210, 211, 212, 222, 224, 227, 256 Neundörfer, Ludwig, Wirtschaftswissenschaftler 141, 150 (Anm. 116), 151, 183 Neumayer, Fritz, FDP-Politiker, Bundesjustizminister 250 Nipperdey, Hans, Rechtswissenschaftler 271 Nopitsch, Antoine, Leiterin des Berufsverbandes evangelischer Fürsorgerinnen 150 (Anm. 116) Nuffel, G. J. van, Mitbegründer und Generalsekretär des Deutschen Familienverbandes 139 Oeter, Ferdinand, Schriftleiter der Ärztlichen Zeitschrift 141, 151, 168, 173 (Anm. 219) Ollenhauer, Erich, SPD-Politiker und Parteivorsitzender 248 Osterloh, Heinrich, Oberkirchenrat 240 Paulus, Apostel 232, 233 (Anm. 130) Plotzke, Urban, Pater 136 Raiser, Ludwig, Rechtswissenschaftler 207 (Anm. 24) Ranke, Hansjürg, Oberkirchenrat 235, 240 Rhee, Syngnam, südkoreanischer Präsident 280, 281 Richter, Norbert, Mitglied des Arbeitsausschusses „Familie und Sozialpolitik" der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt 151 (Anm. 119)

Riffel, Thomas, Mitglied des Arbeitsausschusses „Familie und Sozialpolitik" der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt 151 (Anm. 119) Schäffer, Fritz, CSU-Politiker, Bundesfinanzminister 170, 243 Schelsky, Helmut, Soziologe 141 Scheuble, Julius, Leiter der Abteilung Arbeit der Nordrhein-Provinz 37 (Anm. 41) Schmid, Carlo, SPD-Politiker, Abgeordneter des Parlamentarischen Rats 212, 220, 224 Schmidt, Friedrich Heinrich, Regierungsrat im Reichsarbeitsministerium 71 Schräge, Josef, CDU-Politiker, Abgeordneter des Parlamentarischen Rats 220 Schreiber, Winfried, Geschäftsführer des Bundes katholischer Unternehmer 165 Schumacher, Friedrich Karl, protestantischer Theologe 240 Schwarzhaupt, Elisabeth, CDU-Politikerin, Abgeordnete des Bundestags 253, 254, 256, 257 Seibert, Elisabeth, SPD-Politikerin, Abgeordnete des Parlamentarischen Rats 208,211,212,213,215 (Anm. 56), 224 Semmler, Johannes, CSU-Politiker, Direktor der Wirtschaftsverwaltung der Bizone 219 Sommer, Ingeborg, Gewerkschafterin 305 Speck, Otto, Soziologe 176 (Anm. 233) Spliedt, Franz, SPD-Politiker, Mitglied des britischen Zonenbeirats 38, 69 (Anm. 172) Springe, Christa, Mitglied des Arbeitsausschusses „Familie und Sozialpolitik" der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt 151 (Anm. 119) Stein, Edith, Nonne 194 Stein, Henrike, Frauenreferentin des Deutschen Gewerkschaftsbundes 105 (Anm. 77, 84) Storch, Anton, CDU-Politiker, Bundesarbeitsminister 164, 234 Strauß, Walter, CDU-Politiker, Abgeordneter des Parlamentarischen Rats 215

Personenregister Thiele, Grete, KPD-Politikerin, Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Landtags bzw. Bundestags 72, 269 noma, Richard, Staats- und Verwaltungswissenschaftler 206, 207, 209 Traeder, Margarete, Frauenreferentin der Gewerkschaft IG Metall 105 (Anm. 84) Tritz, Maria, Referentin für den Fraueneinsatz des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen 48 (Anm. 84), 68 Truman, Harry, amerikanischer Präsident 280 Umstaetter, Franz, Präsident des Deutschen Familienverbandes 139,150 (Anm. 116) Weber, Helene, CDU-Politikerin, Abgeordnete des Parlamentarischen Rats bzw. des Bundestags 208, 208 (Anm. 26), 214, 214 (Anm. 52), 215 (Anm. 56), 223, 256, 264, 269 Weber, Hermann, CDU-Politiker, Abgeordneter des Bundestags 246, 249

355

Weber, Maria, Gewerkschafterin, Hauptabteilungsleiterin im Deutschen Gewerkschaftsbund 297 Welter, Emmi, Präsidentin der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen 145 (Anm. 91) Wessel, Helene, Zentrums-Politikern, Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Landtags 72 Wilrodt, Hermann, Präsident des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen 94 (Anm. 46) Winkelheide, Bernhard, CDU-Politiker, Abgeordneter des Bundestags 148 Wolf, Ernst, protestantischer Theologe 232 (Anm. 130), 233 Wiilker, Gabriele, Mitglied des Arbeitsausschusses „Familie und Sozialpolitik" der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt 151 (Anm. 119) Wuermeling, Franz-Josef, CDU-Politiker, Bundesfamilienminister 151, 152, 155, 155 (Anm. 132), 156, 183, 186 (Anm. 274), 189, 192, 254, 261 Wurzbacher, Gerhard, Soziologe 254, 255, 255 (Anm. 233, 234)