Schiffskollision, höhere Gewalt und autonome Schifffahrt: Eine deutsch-französische Untersuchung [1 ed.] 9783161620461, 9783161621260, 3161620461

Die autonome Schifffahrt wirft zahlreiche juristische Fragen auf. Samuel Vuattoux-Bock setzt sich mit der Frage der Haft

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German Pages [214] Year 2023

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
A. Themenabriss
B. Darstellung der Problematik
C. Methodik der Dissertation
I. Grundsätzliche technische Erörterung
II. Rechtsgeschichtlicher Kontext
III. Rechtsvergleichung
Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext
A. Technischer Kontext
I. Klassifikation und Stufe der Autonomisierung der Schiffe
1. Bisherige Vorschläge einer Klassifikation
a) Wichtige Klassifikationen europäischer Institutionen und Unternehmen
aa) Klassifikation der Vereinten Nationen und der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
bb) Klassifikation des europäischen Projekts MUNIN
cc) Klassifikation des 55. Deutschen Verkehrsgerichtstages
dd) Klassifikation der Klassifizierungsgesellschaften
b) Klassifikation der International Maritime Organisation (IMO)
2. Kritik der Klassifikation der IMO und Vorschlag einer juristisch umfassenden Klassifikation
II. Grundlage der technischen Bedienung
1. Die autonome Brücke
a) Situational Awareness: Überwachung der externen Umgebung
b) Die Analyse der Wetterlage
c) Die Konkretisierung der Wahrnehmung durch die nautische Entscheidung
2. Der autonome Maschinenraum
3. Die residuale menschliche Teilnahme: die Landkontrollstation
III. Konkretisierung der autonomen Schifffahrt und Entwicklung ausgewählter Projekte
1. Das japanische Super-Bridge und die Tests der ABB in Asien
2. Das europäische Projekt MUNIN
3. Das AAWA-Projekt von Rolls-Royce
4. Die skandinavischen Projekte
5. Die Mayflower von IBM
6. Das Kieler Projekt CAPTN
B. Juristischer Kontext
I. Die aktuelle gesetzliche Regelung der autonomen Schifffahrt
1. Die Regelung der autonomen Schifffahrt auf internationaler Ebene
2. Die Regelung der autonomen Schifffahrt auf nationaler Ebene
a) Die Erfassung der autonomen Schifffahrt im französischen Recht
b) Die Regelung im deutschen Recht
II. Die Entwicklung der höheren Gewalt im See-und Schiffskollisionsrecht
1. Die Regelung und die Wurzeln der höheren Gewalt im Seerecht der Antike
a) Die Betrachtung der Ereignisse der höheren Gewalt im antiken griechischen Seerecht
aa) Keine besondere Regelung des Schiffszusammenstoßes
bb) Die höhere Gewalt im gräko-ägyptischen Frachtvertragsrecht
b) Die Betrachtung der Ereignisse höherer Gewalt im römischen Seerecht
aa) Lex Aquilia und Zusammenstoß von Schiffen
bb) Die höhere Gewalt in einer objektiven Haftung: das receptum nautarum
2. Die Entwicklung eines zweiten Modells: die post-römische Entwicklung des See- und Schiffskollisionsrechts (ca. 8.–19. Jahrhundert)
a) Die Fortsetzung des römischen Rechts im Mittelmeerraum
b) Die Roˆ les d’Ole´ron und die verringerten Effekte der höheren Gewalt
aa) Die Schadensverteilung zur Hälfte infolge der höheren Gewalt nach den Roˆ les d’Ole´ron
bb) Die erste Rezeption der Roˆ les d’Ole´ron in Europa
c) Die Verankerung der Schadensverteilung infolge höherer Gewalt durch das französische Königreich und die Deutsche Hanse
aa) Die ersten Schritte zum einheitlichen deutschen Schiffskollisionsrecht: die Hanse
bb) Meilenstein des französischen Seerechts: die Grande Ordonnance de la Marine
d) Die Rückkehr der römischen Systematik bezüglich der Zusammenstöße infolge höherer Gewalt
aa) Vom Erbe der Hanse in Preußen zu der gesamtdeutschen Kodifizierung
bb) Die Rückkehr des römischen Rechts durch die napoleonische Kodifizierung
e) Zwischenergebnis (8.–19. Jahrhundert)
3. Die Jahrhundertwende: die Vereinheitlichung des Seerechts
a) Die erste seerechtliche Vereinheitlichung: die höhere Gewalt und das Schiffskollisionsrecht
b) Eine alternative Formulierung der höheren Gewalt in der internationalen vertraglichen Haftung sowie besonderen deliktischen Haftung
4. Die Umsetzung der Rechtsvereinheitlichung in nationalen Rechten
a) Die Umsetzung des IÜZ in Frankreich und Deutschland
b) Die Rezeption des IÜZ in der DDR
5. Die Modernisierung des Seehandelsrechts
a) Formale Modernisierung in Frankreich: vom Gesetz zum (neuen) Gesetzbuch
b) Inhaltliche Modernisierung in Deutschland: die Seehandelsrechtsreform von 2013
III. Zwischenergebnis
C. Ergebnis des ersten Kapitels: ein passender Zeitpunkt für die juristische Betrachtung der autonomen Schifffahrt
Kapitel 2: Die autonome Schifffahrt: eine Herausforderung für das Institut der höheren Gewalt?
A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´): die Herausforderung der Digitalisierung
I. Die zeitliche Betrachtung der höheren Gewalt: vom Vorhersehen zum Programmieren
1. Der derzeitige Zeitpunkt: der Auftritt des Ereignisses
a) Der Auftritt als Grundsatz für die Auslegung
b) Der Ausschluss von späteren Ereignissen
c) Die Berücksichtigung vorheriger Geschehnisse
2. Die Hervorhebung früheren Verhaltens durch die neuen Gegebenheiten der künstlichen Intelligenz
II. Der Umfang einer „angemessenen“ Vorhersehbarkeit bei autonomen Schiffen
1. Die Außergewöhnlichkeit als Orientierung des Vorhersehbaren
2. Die Berücksichtigung der Gegebenheiten des Umfelds
a) Die Analyse des geographischen Kontexts
aa) Die objektive Lage
bb) Die Einbeziehung der konkreten Umstände
d) Mehr Möglichkeiten an Vorhersehbarkeit durch die autonome Schifffahrt
aa) Der Zugang zu zahlreichen Daten
bb) Die Analyse der Daten als Kern der Vorhersehbarkeit
3. Die Einbeziehung personenbezogener Gegebenheiten
a) Die menschliche Erfahrung als Grundlage
aa) Die Berücksichtigung der Maßstabsetzung der Rechtsprechung
bb) Gefährlichkeit, Vorhersehbarkeit und Erfahrung
b) Die Erstellung einer virtuellen Erfahrung
aa) Die Erzeugung eigener Erfahrung durch das maschinelle Lernen
bb) Die Verstärkung der Rolle der Wahrscheinlichkeit bei dem Vorhersehen durch den Einsatz von autonomen Schiffen
III. Ergebnis: der Mensch als Mindeststandard der Unvorhersehbarkeit bei autonomer Schifffahrt
B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´): die Herausforderung der Autonomisierung
I. Die Subjektivierung des Unvermeidbaren durch die Sorgfalt
1. Der Weg zu einer differenziert-objektiven Auslegung der Unvermeidbarkeit
a) Der Theorienstreit zum Begriff der Unvermeidbarkeit
b) Die Entwicklung des Sorgfaltsmodells gegenüber der technischen Autonomisierung
2. Der Doppelaspekt der „geeigneten Maßnahmen“
II. Die Bestimmung einer „geeigneten Maßnahme“ bei autonomen Schiffen
1. Der objektive Aspekt durch die Standardisierung und die Autonomisierung
a) Die Vorhersehbarkeit durch die Programmierung als Indiz der Unvermeidbarkeit
b) Die Seetüchtigkeit als Indiz der Unvermeidbarkeit
aa) Die Seetüchtigkeit des autonomen Schiffes
bb) Das autonome Schiff als seeuntüchtig per se?
2. Die nötige Berücksichtigung der Position des Schädigers gegenüber der des autonomen Schiffes
a) Die Wichtigkeit der angewandten Autonomiestufe
aa) Ferngesteuerte Schiffe: die Verbindung der höheren Gewalt mit dem Verschulden
bb) Überwachte autonome Schiffe: die Verbindung mit der Kausalität
cc) Vollautonome bzw. intelligente Schiffe und die Grenzen der geltenden Haftung
b) Erleichterte Beweisermittlung und Bewertung der Eignung der Maßnahmen durch die Datenerhebung und das Event Data Recording
c) Der Schutz durch das wirtschaftlich Zumutbare und das technisch Realisierbare
aa) Das technisch Realisierbare am Beispiel der neuen Piraten
bb) Das wirtschaftlich Zumutbare
III. Eine neue Frage der Autonomisierung: die Vermeidbarkeit der Konsequenzen und Dilemma-Situationen in der autonomen Schifffahrt
1. Das Gesicht der Dilemma-Situationen in der autonomen Schifffahrt
2. Die Regulierung der Dilemma-Situation als „Vermeidbarkeit der Konsequenzen“ im Sinne der höheren Gewalt?
IV. Ergebnis
C. Die äußere Herkunft: die Herausforderung der Technik
I. Die äußere Herkunft als Mittel der nötigen Abgrenzung zwischen Zufall und höherer Gewalt
1. Die Gleichsetzung von Zufall und höherer Gewalt in der herrschenden Meinung in Frankreich
2. Die Differenzierung des Zufalls und der höheren Gewalt durch eine Minderheit in Frankreich der deutschen Lehre folgend
3. Die Folge der Gleichsetzung von Zufall und höherer Gewalt in Frankreich für das gesamte Schiffskollisionsrecht
II. Die äußere Herkunft als Mittel der Erfassung technischer Entwicklungen in der Schifffahrt
1. Die materielle äußere Ursache als Antwort auf technische Ausfälle im französischen Recht
2. Die „psychologische“ äußere Ursache als Antwort für intelligente Schiffe
a) Das Versagen des intelligenten Systems als Realisierung der Betriebsgefahr
b) Der Auftritt des Ereignisses an Bord autonomer Schiffe: der Betriebskreis als Relikt der materiellen äußeren Ursache
aa) Die Piraterie als klassische Betriebsfremdheit
bb) Die Beziehung zwischen Infrastruktur und Schiff: das Versagen der Vernetzung autonomer Schiffe als neue Betriebsfremdheit?
III. Ergebnis
D. Ergebnis des zweiten Kapitels: ein flexibles Institut als Antwort auf die neuen Herausforderungen der autonomen Schifffahrt
Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime für die autonome Schifffahrt
A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt
I. Die Verschuldenshaftung für die Schiffskollision an Grenzen
1. Der Vorrang der seerechtlichen Verschuldenshaftung
2. Die schwierige Feststellung eines Verschuldens des Schiffes
3. Die Utopie des autonomen Schiffes als Haftungssubjekt
II. Die Grenze der bestehenden zivilrechtlichen und der verschuldensunabhängigen Haftung
1. Die ungleiche Beurteilung der analogen Anwendbarkeit der Tierhalterhaftung im französischen und deutschen Recht
2. Die Möglichkeit einer Haftung für sog. „digitale Verrichtungsgehilfen“
3. Die unsichere Produkthaftung für den Schiffbau im deutsch-französischen Kontext
a) Das besondere sachenrechtliche Regime eines Schiffes als irrelevant für die Anwendung der Produkthaftung
b) Die unterschiedlichen Anwendungsbereiche der Produkthaftung für eine gewerbliche Sache
c) Die schwierige Recherche eines Verschuldens für die deliktische Produkthaftung
III. Die Debatte über die Einführung einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt
1. Die rechtspolitische Realisierbarkeit einer verschuldensunabhängigen Haftung für die autonome Schifffahrt
a) Ein bereits bekannter Haftungsgrundsatz in der Seeschifffahrt
b) Über die Gefahr hinaus: die Haftung gemäß Art. 1242 Code civil als mögliche Inspirationsquelle?
aa) Die Problematik der Identifikation einer spezifischen Gefahr
bb) Die Unabhängigkeit von der Gefahr der französischen objektiven Sachhalterhaftung
cc) Die Eignung des Konzepts des „Strukturhalters“ (gardien de la structure)
2. Die Debatte um die juristisch-wirtschaftlichen Folgen einer objektiven Haftung
a) Die objektive Haftung als angebliches Hindernis für den Fortschritt
b) Die objektive Haftung als Anreiz für die technische und wirtschaftliche Entwicklung
3. Die Bedeutung einer transnationalen Regelung bei einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt
a) Die Rechtssicherheit durch die Rechtsvereinheitlichung
b) Die wirtschaftlichen Nebenwirkungen einer haftungsrechtlichen Vereinheitlichung
c) Die Anpassungsnotwendigkeit der bestehenden nationalen Regelung
IV. Vorschlag einer verschuldensunabhängigen Haftung
1. Zusammenstoß unter Beteiligung mindestens eines autonomen Schiffes
2. Zusammenstoß unter exklusiver Beteiligung autonomer Schiffe
3. Kollision zwischen einem autonomen Schiff und einem anderen Verkehrsteilnehmer als einem Schiff
V. Ergebnis: die objektive Haftung als angemessener Weg für die autonome Schifffahrt
B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt in einem möglichen objektiven Haftungsregime für die autonome Schifffahrt de lege ferenda
I. Die erforderliche Anwesenheit des Begriffs der höheren Gewalt in einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt
1. Die Abmilderungsfunktion der „höheren Gewalt“ als ihr wesentlicher Zweck
a) Aus juristischer Betrachtung
b) Aus ökonomischer Sicht
2. Die Anwesenheit des Begriffs der höheren Gewalt bei verschuldensunabhängigen Haftungen
II. Die Wichtigkeit der Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt
1. Das Modell der wörtlichen Verwendung für die Eindeutigkeit im nationalen Kontext
a) Die Unsicherheiten einer Umschreibung im nationalen Kontext am Beispiel der französischen seerechtlichen Gesetze von 1936 und 1966
b) Eine mögliche interne Diskrepanz durch die Vielzahl von Legaldefinitionen des Begriffs der höheren Gewalt am Beispiel der gesamten französischen Schuldrechtsreform
2. Das Modell der Legaldefinition
a) Die legistischen Vorteile der Methodik der Legaldefinition im internationalen Kontext
aa) Die Besonderheit der internationalen Rechtssetzung
bb) Die erfolgreiche Benutzung eines autonomen Begriffs in der Europäischen Union
b) Beispiele der Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt in trans- und supranationalem Kontext mit der Definitionslösung
aa) Die höhere Gewalt im UN-Kaufrecht
bb) Die höhere Gewalt in den Unidroit Principles of Commercial Contracts (PICC) 2016
cc) Die höhere Gewalt in den Principles of European Tort Law (PETL)
dd) Die höhere Gewalt in den seerechtlichen internationalen Übereinkommen
ee) Die etablierte Praxis der Definition von allgemein bekannten Begriffen in der internationalen Vertragsgestaltung
c) Eine passende Methodik für den Begriff der höheren Gewalt für die autonome Schifffahrt in einem trans- und supranationalen Kontext
aa) Die Übernahme des Definitionsmodells für den Begriff der höheren Gewalt in der autonomen Schifffahrt
bb) Die Auslassung des Zufalls in einer neuen Haftung für die autonome Schifffahrt
cc) Vorschlag einer Definition des Begriffs der höheren Gewalt im IÜZ
III. Die Effekte des Instituts der höheren Gewalt in einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt
1. Der vollständige Entlastungseffekt des Instituts der höheren Gewalt bei einer Schiffskollision
a) Der Grundsatz der vollständigen Entlastung bei höherer Gewalt
b) Der gescheiterte Versuch einer Teilentlastung bei höherer Gewalt durch die französische Rechtsprechung
2. Die einheitlichen Effekte der höheren Gewalt in der neuen objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt
a) Zusammenstoß unter Beteiligung mindestens eines autonomen Schiffes
b) Zusammenstoß unter exklusiver Beteiligung von autonomen Schiffen
c) Kollision zwischen einem autonomen Schiff und einem Verkehrsteilnehmer, der kein Schiff ist
IV. Ergebnis: das Institut der höheren Gewalt als zentraler Punkt der künftigen objektiven Haftung
C. Ergebnis des dritten Kapitels: „höhere Gewalt“ und objektive Haftung als rechtliche Zukunft für die autonome Schifffahrt
Kapitel 4: Ergebnis: die „höhere Gewalt“, ein vorteilhaftes und flexibles Instrument der Billigkeit im Dienst der juristischen Erfassung der autonomen Schifffahrt
Anhang: Zusammenfassung der Änderungs- bzw. Anpassungsvorschläge für Schiffskollision unter Beteiligung von autonomen Schiffen
A. Vorschlag einer Änderung des IÜZ
I. Änderung des Wortlauts des Art. 2 IÜZ : Art. 2 aline´a 1 modifie´ – Art. 2 Abs. 1 n.F
II. Legaldefinition der höheren Gewalt: Art. 2 aline´a 2 nouveau – Art. 2 Abs. 2 n.F
B. Neue objektive Haftung
I. Schiffskollision im Rahmen der Anwendung des IÜZ: Art. 2-1
II. Schiffskollision außerhalb des Anwendungsbereichs des IÜZ: Vorschlag einer internationalen Generalklausel für Schäden, die an Personen oder Sachen außerhalb der Anwendbarkeit des IÜZ verursacht worden sind
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 9783161620461, 9783161621260, 3161620461

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Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung herausgegeben von der

Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V.

89

Samuel Vuattoux-Bock

Schiffskollision, höhere Gewalt und autonome Schifffahrt Eine deutsch-französische Untersuchung

Mohr Siebeck

Samuel Vuattoux-Bock, geboren 1995; Studium der Rechtswissenschaft in Nancy (Master 2) und Kiel (LL.M.); 2022 Promotion (Kiel); Lehrbeauftragter für französische Rechtssprache an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. orcid.org/0000-0002-8636-9137

ISBN 978-3-16-162046-1 / eISBN 978-3-16-162126-0 DOI 10.1628/978-3-16-162126-0 ISSN 1861-5449 / eISSN 2569-426X (Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­nal­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Diese Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel im Wintersemester 2021/2022 als Dissertation angenommen. Neue Rechtsprechung und Literatur konnten bis August 2022 berücksichtigt werden. Zunächst danke ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Rudolf MeyerPritzl für die gute Betreuung meiner Dissertation und die akademische Freiheit, die er mir beim Verfassen dieser Arbeit gelassen hat sowie für das schnelle Erstellen des Erstgutachtens. Herrn Professor Dr. Michael Stöber möchte ich ebenfalls für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danken. Ebenfalls danke ich der Gesellschaft für Rechtsvergleichung e. V. und Professor Dr. Martin SchmidtKessel für die Aufnahme in die Schriftenreihe Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung. Ferner möchte ich mich bei Herrn Professor Dr. Eckart Brödermann, LL.M. und dem gesamten, großartigen Team der Hamburger Kanzlei Brödermann Jahn Rechtsanwaltsgesellschaft mbH für das große Vertrauen und die immer spannende Zusammenarbeit auf Augenhöhe bedanken. Ich durfte in den drei Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter zahlreiche Aspekte des deutschen und internationalen Rechts vertiefen und für meine Dissertation interessante, praxisorientierte Gespräche unter anderem mit Herrn Dr. Christoph Oertel, LL.M. führen. Ich möchte zudem Frau Marion Forfert aus Metz und Herrn Re´mi Mienville aus Nancy für die Hilfe beim Zugang zu den französischen Quellen danken. Nicht zuletzt möchte ich meinen Eltern, Pierre Vuattoux und Be´ne´dicte Vuattoux, geb. Gavouye`re, für ihre Liebe und vorbehaltlose Unterstützung und Aufopferungen bei jedem meiner bisherigen akademischen Schritte, sei es in Frankreich oder in Deutschland, danken. Meinem Ehemann, Herrn Hermann Alexander Bock, M.A., gebührt ein besonderer Dank für seine unbedingte Liebe, ermutigende Unterstützung und Geduld beim Korrekturlesen, während der (teilweise unter „Corona“-Bedingungen) Entstehung dieser Arbeit. Unsere spannenden Gespräche an der Kieler Förde oder am Esstisch und seine politik- und wirtschaftswissenschaftliche Meinung waren und bleiben ein unverzichtbarer „Blick auf das Große und Ganze“. Ihm und meinen Eltern sind diese Arbeit gewidmet. Kiel, im Dezember 2022

Samuel Vuattoux-Bock

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

A. Themenabriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

B.

Darstellung der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. I. II. III.

Methodik der Dissertation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsätzliche technische Erörterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgeschichtlicher Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6 7 7 8

Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Technischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Klassifikation und Stufe der Autonomisierung der Schiffe . . . . . . . . 1. Bisherige Vorschläge einer Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wichtige Klassifikationen europäischer Institutionen und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Klassifikation der Vereinten Nationen und der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt . . . . . . . . . . bb) Klassifikation des europäischen Projekts MUNIN . . . . . cc) Klassifikation des 55. Deutschen Verkehrsgerichtstages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Klassifikation der Klassifizierungsgesellschaften . . . . . . . b) Klassifikation der International Maritime Organisation (IMO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik der Klassifikation der IMO und Vorschlag einer juristisch umfassenden Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlage der technischen Bedienung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die autonome Brücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Situational Awareness: Überwachung der externen Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Analyse der Wetterlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Konkretisierung der Wahrnehmung durch die nautische Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 9 9 9 10 10 10 11 11 12 14 14 14 16 16

VIII

Inhaltsverzeichnis

2. Der autonome Maschinenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die residuale menschliche Teilnahme: die Landkontrollstation III. Konkretisierung der autonomen Schifffahrt und Entwicklung ausgewählter Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das japanische Super-Bridge und die Tests der ABB in Asien . . . 2. Das europäische Projekt MUNIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das AAWA-Projekt von Rolls-Royce . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die skandinavischen Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Mayflower von IBM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Kieler Projekt CAPTN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Juristischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die aktuelle gesetzliche Regelung der autonomen Schifffahrt . . . . . . 1. Die Regelung der autonomen Schifffahrt auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regelung der autonomen Schifffahrt auf nationaler Ebene a) Die Erfassung der autonomen Schifffahrt im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Regelung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklung der höheren Gewalt im Seeund Schiffskollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Regelung und die Wurzeln der höheren Gewalt im Seerecht der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Betrachtung der Ereignisse der höheren Gewalt im antiken griechischen Seerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine besondere Regelung des Schiffszusammenstoßes bb) Die höhere Gewalt im gräkoägyptischen Frachtvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Betrachtung der Ereignisse höherer Gewalt im römischen Seerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lex Aquilia und Zusammenstoß von Schiffen . . . . . . . . . bb) Die höhere Gewalt in einer objektiven Haftung: das receptum nautarum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entwicklung eines zweiten Modells: die post-römische Entwicklung des See- und Schiffskollisionsrechts (ca. 8.–19. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Fortsetzung des römischen Rechts im Mittelmeerraum b) Die Roˆles d’Ole´ron und die verringerten Effekte der höheren Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Schadensverteilung zur Hälfte infolge der höheren Gewalt nach den Roˆles d’Ole´ron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die erste Rezeption der Roˆles d’Ole´ron in Europa . . . . . c) Die Verankerung der Schadensverteilung infolge höherer Gewalt durch das französische Königreich und die Deutsche Hanse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. I.

17 18 19 19 20 20 21 22 22 23 23 23 24 25 27 28 29 29 29 30 31 31 32

34 34 35 35 36

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Inhaltsverzeichnis

aa) Die ersten Schritte zum einheitlichen deutschen Schiffskollisionsrecht: die Hanse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Meilenstein des französischen Seerechts: die Grande Ordonnance de la Marine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Rückkehr der römischen Systematik bezüglich der Zusammenstöße infolge höherer Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vom Erbe der Hanse in Preußen zu der gesamtdeutschen Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rückkehr des römischen Rechts durch die napoleonische Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis (8.–19. Jahrhundert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Jahrhundertwende: die Vereinheitlichung des Seerechts . . . . . a) Die erste seerechtliche Vereinheitlichung: die höhere Gewalt und das Schiffskollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eine alternative Formulierung der höheren Gewalt in der internationalen vertraglichen Haftung sowie besonderen deliktischen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Umsetzung der Rechtsvereinheitlichung in nationalen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Umsetzung des IÜZ in Frankreich und Deutschland . . . b) Die Rezeption des IÜZ in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Modernisierung des Seehandelsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formale Modernisierung in Frankreich: vom Gesetz zum (neuen) Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhaltliche Modernisierung in Deutschland: die Seehandelsrechtsreform von 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

37 38 39 39 41 41 42 42

44 45 46 47 48 48 49 51

C. Ergebnis des ersten Kapitels: ein passender Zeitpunkt für die juristische Betrachtung der autonomen Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 2: Die autonome Schifffahrt: eine Herausforderung für das Institut der höheren Gewalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´): die Herausforderung der Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die zeitliche Betrachtung der höheren Gewalt: vom Vorhersehen zum Programmieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der derzeitige Zeitpunkt: der Auftritt des Ereignisses . . . . . . . . . . a) Der Auftritt als Grundsatz für die Auslegung . . . . . . . . . . . . b) Der Ausschluss von späteren Ereignissen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Berücksichtigung vorheriger Geschehnisse . . . . . . . . . . . 2. Die Hervorhebung früheren Verhaltens durch die neuen Gegebenheiten der künstlichen Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Der Umfang einer „angemessenen“ Vorhersehbarkeit bei autonomen Schiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Außergewöhnlichkeit als Orientierung des Vorhersehbaren 2. Die Berücksichtigung der Gegebenheiten des Umfelds . . . . . . . . . a) Die Analyse des geographischen Kontexts . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die objektive Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Einbeziehung der konkreten Umstände . . . . . . . . . . . d) Mehr Möglichkeiten an Vorhersehbarkeit durch die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Zugang zu zahlreichen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Analyse der Daten als Kern der Vorhersehbarkeit 3. Die Einbeziehung personenbezogener Gegebenheiten . . . . . . . . . . a) Die menschliche Erfahrung als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Berücksichtigung der Maßstabsetzung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gefährlichkeit, Vorhersehbarkeit und Erfahrung . . . . . . b) Die Erstellung einer virtuellen Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Erzeugung eigener Erfahrung durch das maschinelle Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Verstärkung der Rolle der Wahrscheinlichkeit bei dem Vorhersehen durch den Einsatz von autonomen Schiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis: der Mensch als Mindeststandard der Unvorhersehbarkeit bei autonomer Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´): die Herausforderung der Autonomisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Subjektivierung des Unvermeidbaren durch die Sorgfalt . . . . . . 1. Der Weg zu einer differenziert-objektiven Auslegung der Unvermeidbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Theorienstreit zum Begriff der Unvermeidbarkeit . . . . . b) Die Entwicklung des Sorgfaltsmodells gegenüber der technischen Autonomisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Doppelaspekt der „geeigneten Maßnahmen“ . . . . . . . . . . . . . II. Die Bestimmung einer „geeigneten Maßnahme“ bei autonomen Schiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der objektive Aspekt durch die Standardisierung und die Autonomisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vorhersehbarkeit durch die Programmierung als Indiz der Unvermeidbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Seetüchtigkeit als Indiz der Unvermeidbarkeit . . . . . . . . aa) Die Seetüchtigkeit des autonomen Schiffes . . . . . . . . . . . . bb) Das autonome Schiff als seeuntüchtig per se? . . . . . . . . .

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B.

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2. Die nötige Berücksichtigung der Position des Schädigers gegenüber der des autonomen Schiffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Wichtigkeit der angewandten Autonomiestufe . . . . . . . . aa) Ferngesteuerte Schiffe: die Verbindung der höheren Gewalt mit dem Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Überwachte autonome Schiffe: die Verbindung mit der Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vollautonome bzw. intelligente Schiffe und die Grenzen der geltenden Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erleichterte Beweisermittlung und Bewertung der Eignung der Maßnahmen durch die Datenerhebung und das Event Data Recording . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Schutz durch das wirtschaftlich Zumutbare und das technisch Realisierbare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das technisch Realisierbare am Beispiel der neuen Piraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das wirtschaftlich Zumutbare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eine neue Frage der Autonomisierung: die Vermeidbarkeit der Konsequenzen und Dilemma-Situationen in der autonomen Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Gesicht der Dilemma-Situationen in der autonomen Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regulierung der Dilemma-Situation als „Vermeidbarkeit der Konsequenzen“ im Sinne der höheren Gewalt? . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die äußere Herkunft: die Herausforderung der Technik . . . . . . . . . . . . I. Die äußere Herkunft als Mittel der nötigen Abgrenzung zwischen Zufall und höherer Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gleichsetzung von Zufall und höherer Gewalt in der herrschenden Meinung in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Differenzierung des Zufalls und der höheren Gewalt durch eine Minderheit in Frankreich der deutschen Lehre folgend . . . . . 3. Die Folge der Gleichsetzung von Zufall und höherer Gewalt in Frankreich für das gesamte Schiffskollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . II. Die äußere Herkunft als Mittel der Erfassung technischer Entwicklungen in der Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die materielle äußere Ursache als Antwort auf technische Ausfälle im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die „psychologische“ äußere Ursache als Antwort für intelligente Schiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Versagen des intelligenten Systems als Realisierung der Betriebsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XII

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b)

Der Auftritt des Ereignisses an Bord autonomer Schiffe: der Betriebskreis als Relikt der materiellen äußeren Ursache . . . aa) Die Piraterie als klassische Betriebsfremdheit . . . . . . . . . bb) Die Beziehung zwischen Infrastruktur und Schiff: das Versagen der Vernetzung autonomer Schiffe als neue Betriebsfremdheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Ergebnis des zweiten Kapitels: ein flexibles Institut als Antwort auf die neuen Herausforderungen der autonomen Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime für die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt . . . . I. Die Verschuldenshaftung für die Schiffskollision an Grenzen . . . . . . 1. Der Vorrang der seerechtlichen Verschuldenshaftung . . . . . . . . . . 2. Die schwierige Feststellung eines Verschuldens des Schiffes . . . . . 3. Die Utopie des autonomen Schiffes als Haftungssubjekt . . . . . . . II. Die Grenze der bestehenden zivilrechtlichen und der verschuldensunabhängigen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die ungleiche Beurteilung der analogen Anwendbarkeit der Tierhalterhaftung im französischen und deutschen Recht . . . . . . 2. Die Möglichkeit einer Haftung für sog. „digitale Verrichtungsgehilfen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die unsichere Produkthaftung für den Schiffbau im deutschfranzösischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das besondere sachenrechtliche Regime eines Schiffes als irrelevant für die Anwendung der Produkthaftung . . . . . . . . b) Die unterschiedlichen Anwendungsbereiche der Produkthaftung für eine gewerbliche Sache . . . . . . . . . . . . . . c) Die schwierige Recherche eines Verschuldens für die deliktische Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Debatte über die Einführung einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die rechtspolitische Realisierbarkeit einer verschuldensunabhängigen Haftung für die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ein bereits bekannter Haftungsgrundsatz in der Seeschifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Über die Gefahr hinaus: die Haftung gemäß Art. 1242 Code civil als mögliche Inspirationsquelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Problematik der Identifikation einer spezifischen Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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bb) Die Unabhängigkeit von der Gefahr der französischen objektiven Sachhalterhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Eignung des Konzepts des „Strukturhalters“ (gardien de la structure) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Debatte um die juristisch-wirtschaftlichen Folgen einer objektiven Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die objektive Haftung als angebliches Hindernis für den Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die objektive Haftung als Anreiz für die technische und wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Bedeutung einer transnationalen Regelung bei einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtssicherheit durch die Rechtsvereinheitlichung . . . . b) Die wirtschaftlichen Nebenwirkungen einer haftungsrechtlichen Vereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Anpassungsnotwendigkeit der bestehenden nationalen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vorschlag einer verschuldensunabhängigen Haftung . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenstoß unter Beteiligung mindestens eines autonomen Schiffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenstoß unter exklusiver Beteiligung autonomer Schiffe 3. Kollision zwischen einem autonomen Schiff und einem anderen Verkehrsteilnehmer als einem Schiff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis: die objektive Haftung als angemessener Weg für die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt in einem möglichen objektiven Haftungsregime für die autonome Schifffahrt de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die erforderliche Anwesenheit des Begriffs der höheren Gewalt in einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . 1. Die Abmilderungsfunktion der „höheren Gewalt“ als ihr wesentlicher Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aus juristischer Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aus ökonomischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anwesenheit des Begriffs der höheren Gewalt bei verschuldensunabhängigen Haftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Wichtigkeit der Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt 1. Das Modell der wörtlichen Verwendung für die Eindeutigkeit im nationalen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Unsicherheiten einer Umschreibung im nationalen Kontext am Beispiel der französischen seerechtlichen Gesetze von 1936 und 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b)

Eine mögliche interne Diskrepanz durch die Vielzahl von Legaldefinitionen des Begriffs der höheren Gewalt am Beispiel der gesamten französischen Schuldrechtsreform . . . 2. Das Modell der Legaldefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die legistischen Vorteile der Methodik der Legaldefinition im internationalen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Besonderheit der internationalen Rechtssetzung . . . bb) Die erfolgreiche Benutzung eines autonomen Begriffs in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele der Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt in trans- und supranationalem Kontext mit der Definitionslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die höhere Gewalt im UN-Kaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die höhere Gewalt in den Unidroit Principles of Commercial Contracts (PICC) 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die höhere Gewalt in den Principles of European Tort Law (PETL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die höhere Gewalt in den seerechtlichen internationalen Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die etablierte Praxis der Definition von allgemein bekannten Begriffen in der internationalen Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eine passende Methodik für den Begriff der höheren Gewalt für die autonome Schifffahrt in einem trans- und supranationalen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Übernahme des Definitionsmodells für den Begriff der höheren Gewalt in der autonomen Schifffahrt . . . . . . bb) Die Auslassung des Zufalls in einer neuen Haftung für die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorschlag einer Definition des Begriffs der höheren Gewalt im IÜZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Effekte des Instituts der höheren Gewalt in einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der vollständige Entlastungseffekt des Instituts der höheren Gewalt bei einer Schiffskollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Grundsatz der vollständigen Entlastung bei höherer Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der gescheiterte Versuch einer Teilentlastung bei höherer Gewalt durch die französische Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 2. Die einheitlichen Effekte der höheren Gewalt in der neuen objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . a) Zusammenstoß unter Beteiligung mindestens eines autonomen Schiffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XV

b)

Zusammenstoß unter exklusiver Beteiligung von autonomen Schiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kollision zwischen einem autonomen Schiff und einem Verkehrsteilnehmer, der kein Schiff ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis: das Institut der höheren Gewalt als zentraler Punkt der künftigen objektiven Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Ergebnis des dritten Kapitels: „höhere Gewalt“ und objektive Haftung als rechtliche Zukunft für die autonome Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 4: Ergebnis: die „höhere Gewalt“, ein vorteilhaftes und flexibles Instrument der Billigkeit im Dienst der juristischen Erfassung der autonomen Schifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang: Zusammenfassung der Änderungs- bzw. Anpassungsvorschläge für Schiffskollision unter Beteiligung von autonomen Schiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Vorschlag einer Änderung des IÜZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Änderung des Wortlauts des Art. 2 IÜZ : Art. 2 aline´a 1 modifie´ – Art. 2 Abs. 1 n.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Legaldefinition der höheren Gewalt: Art. 2 aline´a 2 nouveau – Art. 2 Abs. 2 n.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Neue objektive Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schiffskollision im Rahmen der Anwendung des IÜZ: Art. 2-1 . . . . . II. Schiffskollision außerhalb des Anwendungsbereichs des IÜZ: Vorschlag einer internationalen Generalklausel für Schäden, die an Personen oder Sachen außerhalb der Anwendbarkeit des IÜZ verursacht worden sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung „Il y a dans la vie du marin une inde´pendance qui tient de l’absence de la terre ; on laisse sur le rivage les passions des hommes.“ F.-R. de Chaˆteaubriand, Me´moires d’OutreTombe, Livre VI

A. Themenabriss Die Digitalisierung stellt die „Vierte industrielle Revolution“1 dar. Sie ändert alle Aspekte des Lebens und der Wirtschaft. Dabei ist auch das Recht im Wandel. Die Digitalisierung ist ein verfassungsrechtliches Ziel in Deutschland2 und SchleswigHolstein hat die Digitalisierung 2014 als erstes Bundesland3 in seiner Verfassung4 verankert. Die französische Verfassung hingegen hat sich noch nicht unmittelbar mit diesem Thema beschäftigt. Allenfalls die Loi pour une Re´publique nume´rique5 hat den Bürger mit Hilfe digitalisierter Prozesse6 und des Internets in das institutionelle politische Leben einbezogen. Die Digitalisierung trifft darüber hinaus alle Aspekte des juristischen Lebens vom Familienrecht bis zum Steuerrecht.7 Auch das Verkehrsrecht steht im Mittelpunkt dieses Wandels. Das autonome Fahren ist ein zentraler Punkt der Mobilitätswende. Autonom fahrende Automobile bekommen allerdings mehr Aufmerksamkeit als autonome Schiffe. Zwar erscheinen autonome Personenkraftwagen „lebensnäher“ oder alltäglicher, hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung ist aber die „maritime Revolution“8 der

1

Dieser Begriff wird Schwab in seinem Buch „Die vierte industrielle Revolution“ (München 2016) zugerechnet. 2 Art. 91c GG; s. auch Härtel, LKV 2019, 49, 52. 3 Vgl. Härtel, LKV 2019, 49, 51. 4 Art. 14 Abs. 1 LV-SH: „Das Land gewährleistet im Rahmen seiner Kompetenzen den Aufbau, die Weiterentwicklung und den Schutz digitaler Basisdienste sowie die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an diesen.“ 5 Loi n° 2016-1321 du 7 octobre 2016 pour une Re´publique nume´rique. 6 Vgl. Bonnet/Türk, Les Nouveaux Cahiers du Conseil constitutionnel 2017, Heft Nr. 4, 13, 17. 7 S. z.B. Wendehorst, NJW 2016, 2609. 8 Meyer, Schiff & Hafen 2015, Heft Nr. 10, 52.

2

Einleitung

autonomen Schifffahrt vielleicht noch signifikanter.9 Autonome Schiffe sind in der Lage, ohne menschlichen Eingriff zu fahren, und können somit ohne Besatzung auf See verkehren. Die Handelsschifffahrt steht vor vielen wirtschaftlichen Herausforderungen. Die autonome Schifffahrt bietet hierbei zahlreiche Zukunftsvisionen an, um diese Herausforderungen zu bewältigen.10 Autonome Schiffe werden aber auch kritisiert und wecken Ängste. Die gesellschaftliche Akzeptanz spielt für den technischen Fortschritt eine große Rolle.11 Die Kritiken an der unbemannten, autonomen Schifffahrt beruhen hauptsächlich auf Regelungslücken.12 Die Erwartungen an die Klärung der juristischen Situation sind also in der Praxis groß und beanspruchen zugleich ein neues akademisches Forschungsfeld. Das Seehandelsrecht hat viele technische Veränderungen miterlebt: vom Segelzum Dampfschiff und Motorboot. Heute steht es vor einer neuen Entwicklung: der Autonomisierung des Schiffsbetriebs. Ähnlich wie beim Straßenverkehr stehen die Unfälle, also hier Zusammenstöße (französisch: abordage), im Mittelpunkt der Fragen. Die Regelungen der Schiffskollision sind seit 1910 durch ein internationales Übereinkommen13 (IÜZ) verankert. Die Bestimmungen der Art. 2 und 3 IÜZ – auf Französisch als offizieller Sprache verfasst – wurden wörtlich in das französische Recht (heute Art. L. 5131-3 Code des Transports) und das deutsche Recht (§ 734 a.F. HGB; heute § 570 HGB mit einer neuen Formulierung ohne den Verweis auf die höheren Gewalt seit 2013)14 übernommen. Diese Regelungen sehen eine Verschuldenshaftung vor:15 Verursacht ein Schiff einen Zusammenstoß mit einem anderen Verkehrsteilnehmer infolge eines

9

Vgl. Selzer, Hansa 156 (2019), 32, 33: erwarteter Marktwert autonomer Schiffe im Jahre 2023: 13,8 Milliarden USD. 10 Während die Handelsschiffe immer größer werden, besteht ein Personalmangel für die Mannschaften. Dieser wurde von der COVID-19-Pandemie und hierdurch notwendigen organisatorischen Veränderungen verstärkt, vgl. Charbonneau/Chaumette, Droit maritime franc¸ais 2020, 675; zudem stellt die Handelsschifffahrt eine erhebliche Quelle an CO2-Emissionen dar. Zahlreiche Projekte der autonomen Schifffahrt schlagen einen Wasserstoff- bzw. Elektrobetrieb vor, vgl. das Projekt der Universität Kiel https://captn.sh/wavelab/ (besucht am 26.8.2022); außer anders angegeben, ist das letzte Abrufdatum im Literaturverzeichnis zu entnehmen. 11 Vgl. Europäisches Parlament, Bericht über autonomes Fahren im europäischen Verkehrswesen, A8-0425/2018, S. 16. 12 S. ECOSOC, ECE/TRANS/2019/16, S. 9. 13 Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910, RGBl. 1913, 49. 14 Für die Binnenschifffahrt, dieselbe Formulierung: § 92a BinSchG; das französische Recht verweist in Art. L. 4131-1 Code des Transports auf die Anwendung des Übereinkommens zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen vom 15. März 1960, BGBl. 1972 II, 1008. 15 Diese Haftung ist als Lex specialis zu behandeln: für das französische Recht, Cour de cassation, chambre commerciale, 5.10.2010 – 08-19.408, Recueil Dalloz 2010, 2429; für das deutsche Recht Steingröver, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 570, Rn. 1.

A. Themenabriss

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Verschuldens, muss der Reeder die entstandenen Schäden ersetzen. Eine Ausnahme ist aber auch vorgesehen. Wurde das Ereignis durch höhere Gewalt, Zufall oder eine ungewisse Ursache verursacht, trägt jeder Beteiligte seinen eigenen Schaden. Die höhere Gewalt ist eines der bedeutendsten und ältesten Rechtsinstitute. Sie wird in Extremsituationen herangezogen, in denen das Beharren auf Pflichterfüllung durch eine Partei als ungerecht zu werten wäre. Der Betroffene kann nicht das Unmögliche leisten, so die Maxime impossibilium nulla obligatio, welche auch im französischen Recht bekannt ist: „a` l’impossible nul n’est tenu“. Trotz Quellen in der gemeinsamen Rechtsgeschichte wie dem Codex Hammurabi16 (ca. 18. Jahrhundert v. Chr.) oder dem griechischen und römischen Recht17 wurde das Institut der höheren Gewalt ausgeprägter in Frankreich als in Deutschland benutzt. Allein der französische Code civil umfasst siebzehn ausdrückliche Fälle der force majeure,18 während das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch nur drei ausdrückliche Fälle der „höheren Gewalt“ kennt.19 Zudem gilt die force majeure im französischen Recht als Generalklausel: Solange sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, kann sie als Haftungsausschlussgrund wirken.20 Trotz dieser besonderen Stellung der höheren Gewalt in der Systematik des französischen Rechts gab es bis 2016 keine Legaldefinition.21 Die Reform des Schuldrechts vom 10. Februar 201622 hat dies mit folgender Definition im neuen Art. 1218 Code civil korrigiert: „Es liegt höhere Gewalt in vertraglicher Angelegenheit vor, wenn ein Ereignis die Erfüllung der Leistung des Schuldners verhindert, wenn dieses Ereignis außerhalb der Kontrolle des Schuldners war, nicht angemessen anlässlich des Vertragsschlusses vorhergesehen werden konnte und dessen Effekte nicht durch geeignete Maßnahmen vermieden werden konnten“.23

Die Reform ist eine Verankerung der durch die Rechtsprechung24 entwickelten Merkmale: Unvorhersehbarkeit („nicht angemessen anlässlich des Vertrags16

Vgl. Eilers, S. 87. Alpes, S. 20–31; Brecht, S. 42, 69–82. 18 Artikel 1218, 1231-1, 1307-2, 1307-4, 1307-5, 1308, 1351, 1360, 1631, 1730, 1733, 1754, 1755, 1784, 1929, 1934, 1954 Code civil. 19 §§ 206, 484, 701 BGB. 20 Zumindest h.M., vgl. Antonmattei, S. 120. 21 Sie wurde lediglich zusammen mit dem Zufall (cas fortuit) in Art. 1148 a.F. Code civil erwähnt. 22 Ordonnance n° 2016-131 du 10 fe´vrier 2016 portant re´forme du droit des contrats, du re´gime ge´ne´ral et de la preuve des obligations. 23 „Il y a force majeure en matie`re contractuelle lorsqu’un e´ve´nement e´chappant au controˆle du de´biteur, qui ne pouvait eˆtre raisonnablement pre´vu lors de la conclusion du contrat et dont les effets ne peuvent eˆtre e´vite´s par des mesures approprie´es, empeˆche l’exe´cution de son obligation par le de´biteur“; Übersetzung des Verfassers ins Deutsche. 24 S. insbesondere für die vertragliche Haftung Cour de cassation, assemble´e ple´nie`re, 14.4.2006 – 02-11.168; für die deliktische Haftung Cour de cassation, assemble´e ple´nie`re, 14.4.2006 – 04-18.902. 17

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Einleitung

schlusses vorhergesehen werden konnte“), Unvermeidbarkeit („dessen Effekte nicht durch geeignete Maßnahmen vermieden werden konnten“) und die äußere Herkunft („ein Ereignis, das außerhalb der Kontrolle des Schuldners war“). Der parlamentarische Reformvorschlag der deliktischen Haftung von 202025 sieht eine kleine Abweichung vor. Der vorgeschlagene Art. 1253 erwähnt das Merkmal der Unvorhersehbarkeit nicht ausdrücklich: „In außervertraglichen Angelegenheiten ist die höhere Gewalt das Ereignis, dessen Eintritt oder Konsequenzen durch den Anspruchsgegner, oder die Person für die er zu vertreten hat, nicht mit angemessenen Maßnahmen vermieden werden konnte.“26

Die deutsche Rechtsprechung27 hat eine ähnliche Definition entwickelt: „Als höhere Gewalt ist anzusehen ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit von dem Betriebsunternehmer mit in den Kauf [sic] zu nehmen ist“.28

Hier sind die drei oben genannten Merkmale wiederzuerkennen. Der Begriff ist im speziellen Rechtsgebiet, wie dem Seehandelsrecht, stets mit Rücksicht sowohl auf die allgemeine Definition als auch auf die Besonderheiten des betroffenen Rechtsgebietes auszulegen.29 Da „der Begriff der ,höheren Gewalt‘ in den verschiedenen Rechtsgebieten und Anwendungsbereichen nicht völlig den gleichen Inhalt hat, ist seine Bedeutung nach dem rechtlichen Rahmen zu bestimmen, in dem er jeweils seine Wirkung entfalten soll“.30

Die Besonderheiten der autonomen Schifffahrt sowohl auf See als auch auf Binnenschifffahrtswegen müssen also die Auslegung leiten. Dabei kann die Digitalisierung der Schifffahrt eine neue Herausforderung für die Rechtsinstitution der höheren Gewalt darstellen. Die jetzige gesetzliche Lage bringt noch keine ausdrückliche Lösung dieser Herausforderung. Das französische Recht hat bisher lediglich allgemeine Regelungen verabschiedet, um der Entwicklung der autonomen Schifffahrt eine juristische Struk-

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Proposition de Loi n°678 portant re´forme de la responsabilite´ civile enregistre´e a` la pre´sidence du Se´nat le 29 juillet 2020. 26 „Il y a force majeure en matie`re contractuelle lorsqu’un e´ve´nement e´chappant au controˆle du de´biteur, qui ne pouvait eˆtre raisonnablement pre´vu lors de la conclusion du contrat et dont les effets ne peuvent eˆtre e´vite´s par des mesures approprie´es, empeˆche l’exe´cution de son obligation par le de´biteur“; Übersetzung des Verfassers ins Deutsche. 27 Z.B. RG, Urt. v. 8.1.1931 – 259/30 VI, JW 1931, 865; BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338, 339; für eine ausführliche Darstellung der Urteile des BGH sowie ausgewählte norddeutsche Gerichte s. Alpes, S. 62, Fn. 275. 28 RG, Urt. v. 8.1.1931 – 259/30 VI, JW 1931, 865. 29 Vgl. Montas, E´ve´nements de mer, in: Re´pertoire de droit commercial, Rn. 38. 30 EuGH, Urt. v. 11.7.1968 – 4-68.

A. Themenabriss

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tur zu geben. Sie betreffen z. B. in Art. L. 5121-3 Abs. 1 S. 3 Code des Transports die von einem anderen Schiff ferngesteuerte kleine Schiffe sowie seit Mai 2020 die Ermöglichung von Testgebieten.31 Die Anpassung der Haftung nach einer Schiffskollision, insbesondere im Falle höherer Gewalt, wurde bisher vom Gesetzgeber außer Acht gelassen. Nichtsdestotrotz schafft der Einsatz autonomer Schiffe eine neue Situation für die Feststellung der höheren Gewalt. Der Ausgangspunkt der Betrachtung eines Falles höherer Gewalt ist verändert. Die Eigenschaft der Vorausplanung eines algorithmischen Systems kann hier mehrere Schwierigkeiten bei der Ermittlung verursachen, ob ein Ereignis vorhergesehen werden konnte bzw. musste. Die Ausstattung des Schiffes und die passive Rolle des Menschen bei der Bedienung des autonomen Schiffes stellen auch die Vermeidbarkeit eines Ereignisses in Frage. Schließlich steht die jetzige Auslegung der äußeren Herkunft des Ereignisses im Mittelpunkt. Die technische und autonom funktionierende Ausstattung des Schiffes, die zufällig versagen kann, stellt eine Schwierigkeit bei der Abgrenzung des Zufalls und der „höheren Gewalt“ nach französischem Recht dar. Beide Begriffe sind in Frankreich seit dem 19. Jahrhundert als Synonyme behandelt worden.32 Während das französische Recht lediglich Fälle der höheren Gewalt zulässt (also streng von außen kommende Ereignisse),33 berücksichtigt das deutsche Recht sowohl Zufälle (also auch von innen kommende Ereignisse) als auch höhere Gewalt.34 Diese dogmatische Debatte über ihren Unterschied kann im Rahmen autonomer Systeme wieder aufgenommen werden. Die Zukunft der Haftung nach einem Zusammenstoß unter Beteiligung eines autonomen Schiffs steht im Mittelpunkt, insbesondere bei der Möglichkeit einer verschuldensunabhängigen Haftung. Die Verschuldenshaftung gelange an ihre Grenze.35 Eine objektive Haftung ist hinsichtlich der völkerrechtlichen Pflichten der Vertragsparteien der IÜZ grundsätzlich zulässig.36 Würde sich eine solche verschuldensunabhängige Haftung durchsetzen, wird und soll das Rechtsinstitut der höheren Gewalt weiter eine zentrale Rolle spielen. Es ist das traditionelle Mittel der Wiederherstellung eines Billigkeitsgefühls und begleitet regelmäßig

31

S. Arreˆte´ du 20 mai 2020 relatif aux modalite´s d’expe´rimentation de la navigation des engins flottants maritimes autonomes ou commande´s a` distance, JORF 30.5.2020; dieser arreˆte´ wurde als Folge des im Dezember 2019 verabschiedeten Gesetzes Loi n° 2019-1428 du 24 de´cembre 2019 d’orientation des mobilite´s, JORF 26.12.2019, erlassen. 32 S. z.B. Planiol, Bd. 2, S. 81; Ripert, S. 518; Rodie`re, S. 447; für eine Zusammenfassung der diversen Meinungen in Frankreich Boucard, Responsabilite´ contractuelle – violation de l’obligation, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 325. 33 Cour d’appel d’Aix-en-Provence, 11.4.1988, Droit maritime franc¸ais 1989, 26; Bourbonnais-Jaquard, S. 142; Montas, E´ve´nements de mer, in: Re´pertoire de droit commercial, Rn. 38. 34 Vgl. RhSchOG Köln, Urt. v. 7.5.1993 – 3 U 213/90, ZfB 1994, 1498; Waldstein/Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 92a BinSchG, Rn. 7. 35 Vgl. Etzkorn, S. 140; Ramming, RdTW 2017, 286, 291. 36 Vgl. Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 284.

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Einleitung

objektive Haftungen.37 Das Gerechtigkeitsgefühl zugunsten eines technischen Systems trägt zur gesellschaftlichen Akzeptanz solcher neuen Verkehrsmittel bei.

B. Darstellung der Problematik Die „höhere Gewalt“ hat durch ihre sehr lange historische Tradition viele technische Entwicklungen – insbesondere im Seeverkehr – überlebt. Sie wurde dank ihrer Flexibilität stets verwendet. Die Autonomisierung des Verkehrs stellt eine neue Herausforderung für das Rechtsinstitut dar. Die erste Problematik stellt sich de lege lata. Wie verhält sich der Begriff der höheren Gewalt zu der autonomen Schifffahrt? Was ist der Einfluss dieses Instituts auf die autonome Schifffahrt und der Einfluss autonomer Schifffahrt auf die höhere Gewalt? Die drei Merkmale der höheren Gewalt stehen vor Herausforderungen. Wie ist die Unvorhersehbarkeit in einer Welt der Erhebung und Bearbeitung einer erheblichen Menge an Daten zu verstehen? Ändert die Autonomisierung des Entscheidungsprozesses den Sinn der Unvermeidbarkeit? Was ist die Wirkung der Technik und der künstlichen Intelligenz auf die Auslegung einer „äußeren Herkunft“ und auf das Verhältnis zwischen Zufall und höherer Gewalt? Die zweite Problematik stellt sich de lege ferenda. Der Straßenverkehr, der noch schneller in seiner Geschichte von technischen Entwicklungen betroffen war, hat neue Regelungen ausgelöst. Die ersten Regelungen in Deutschland hinsichtlich autonomer Verkehrsmittel beziehen sich auf den Straßenverkehr.38 Sollte sich auch das Seerecht anpassen? Wäre eine verschuldensunabhängige Haftung vernünftig? In anderen Worten: Stößt das Verschuldensprinzip im Seerecht bei der autonomen Schifffahrt an seine Grenze? Wenn ja, was wäre der Platz der Rechtsinstitution der höheren Gewalt in einem neuen System? Zudem ist die Ausgestaltung einer neuen Regelung fraglich. Wäre, aufgrund der internationalen Dimension der Schifffahrt, eine transnationale Regelung nicht der effizientere Weg in einer digitalisierten und globalisierten Welt?

C. Methodik der Dissertation Die Dissertation gliedert sich in drei Kapitel: eine Kontextualisierung (Kapitel 1), eine Analyse der Rechtslage de lege lata (Kapitel 2) und eine Projektierung de lege ferenda (Kapitel 3). Um eine umfassende Auslegung des Begriffs der höheren Gewalt darzulegen, werden die drei Merkmale des Instituts nacheinander studiert und mit den aktuellen Herausforderungen der autonomen Schifffahrt

37 38

Vgl. besonders Art. 7:102 PETL. S. § 1a StVG.

C. Methodik der Dissertation

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gegenübergestellt. Zudem werden drei methodische Mittel in der Untersuchung eingesetzt.

I. Grundsätzliche technische Erörterung Die rechtlichen Auswirkungen eines technischen Fortschritts können nur dann gut verstanden und erfasst werden, wenn die technischen Aspekte erörtert sind. Dies ist wichtig, um die technischen Möglichkeiten zu erfassen sowie den rechtlichen Bedarf der Wirtschaft zu verstehen. Während sich die juristische Forschung noch am Anfang der Erfassung der autonomen Schifffahrt befindet, sind zunächst viele technische Berichte aus der Wirtschaft39 und den Fachzeitschriften für Schiffbau und Seeverkehr40 vorhanden und von großer Hilfe, um den Betrieb autonomer Schiffe zu verstehen. Es wird also eine grundsätzliche Erörterung der für die autonome Schifffahrt spezifischen technischen Ausstattung gemacht; allgemein bekannte Konzepte – wie „künstliche Intelligenz“ oder „Software“ – werden hier nicht gesondert behandelt.41

II. Rechtsgeschichtlicher Kontext Die höhere Gewalt hat eine lange Tradition in den modernen Rechtssystemen. Die Schifffahrt hat sich zudem als eines der ersten konkreten Anwendungsgebiete des Rechtsinstituts der höheren Gewalt im römischen und griechischen Recht erwiesen.42 Das Schiffskollisionsrecht wurde dann im Laufe der Rechtsgeschichte weiterentwickelt, insbesondere in Deutschland durch den Einfluss der Hanse43 im Ostseeraum und in Frankreich durch die Roˆles d’Ole´ron44 und die Grande Ordonnance de la Marine aus dem Jahr 1681 mit differenzierten Konsequenzen. Es ist also interessant, um die heutigen Entwicklungen verstehen zu können, die Ursprünge des Instituts und die Entwicklungen des Seehandelsrechts in der Rechtsgeschichte zu erörtern. Die Lösungen und dogmatischen Erkenntnisse der Ge-

39 Z.B. Bureau Veritas, Guidelines for autonomous shipping; Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249; Lloyd’s Register, Design Code for Unmanned Marine Systems; RollsRoyce, Remote and Autonomous Ships, The next Steps. 40 Bertram, Hansa 135 (1998), 16; Meyer, Hansa 155 (2018), 36; Meyer, Hansa 156 (2019), 40; Meyer, Hansa 157 (2020), 45; Schubert/Gluch/Baldauf/Simanski/Kurowski/Jeinsch, Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 2, 46; o.V., Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 1, 6; Meyer, Hansa 156 (2019), 34; Selzer, Hansa 156 (2019), 32; o.V., Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 5, 21; o.V., Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 5, 26; o.V., Schiff & Hafen 2020, Heft Nr. 3, 52; auch in der allgemeinen Presse, s. Amos, Autonomous boat makes oyster run, https://www.bbc.com/news/sci ence-environment-48216966. 41 Hierzu ausführlich s. z. B. Etzkorn, S. 61 ff. 42 Vgl. Brecht, S. 42, 69–82. 43 S. z.B. für die Hansestadt Lübeck LübRevStR 1586 VI 4, Art. 3; für das Hansische Recht ab 1614 HansSeeR Titel X, Art. 1 bis 3. 44 S. Krieger, S. 92.

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Einleitung

schichte können und müssen berücksichtigt und einbezogen werden. So kann auch eine ausgewogene Lösung erreicht werden.

III. Rechtsvergleichung Der Begriff der höheren Gewalt ist in Frankreich verbreiteter als in Deutschland und aufgrund der starken Verbindung des Autors mit dem französischen Recht wird diese Arbeit das französische Recht als Ausgangspunkt nehmen. Das deutsche Recht hat hinsichtlich einiger Fragen einen anderen Blickwinkel als das französische Recht. Es soll aber kein „klassischer“ Rechtsvergleich durchgeführt werden. Vielmehr werden das deutsche Recht und die deutschen Überlegungen herangezogen, um Erklärungen oder Erläuterungen zu Fragen oder Schwierigkeiten des französischen Rechts zu finden. Dabei wird eine dem transsystemism45 ähnliche Methode eingesetzt. Die Rechtsvereinheitlichung, insbesondere in der Europäischen Union, bedarf eher eines ergänzenden Rechtsvergleichs als einer konfrontierenden Auseinandersetzung, um effiziente und für alle Mitgliedstaaten passende Regelungen zu entwickeln.

45

S. dazu Bouabdallah, RIDC 66 (2014), 791; Zenati-Castaing, RIDC 69 (2017), 733.

Kapitel 1

Technischer und juristischer Kontext Die autonome Schifffahrt ist heute kein Traum mehr, sondern Wirklichkeit. Die Entwicklung der Mobilität findet in einem besonderen technischen (A.) und juristischen (B.) Kontext statt. Eine knappe Wiedergabe dieses Kontexts ist nötig, um zu verstehen, in welchem Rahmen die autonome Schifffahrt sich entwickelt bzw. sich entwickeln kann.

A. Technischer Kontext Um diese neue Technologie juristisch gut erfassen zu können, ist es angebracht, auf die konkrete Technik zu blicken. Ohne dieses Verständnis könnten weitere Betrachtungen und die juristische Wahrnehmung ihre Praxisnähe verlieren.

I. Klassifikation und Stufe der Autonomisierung der Schiffe Anders als bei autonomen Kraftfahrzeugen1 gibt es bei autonomen Schiffen noch keine umfassende, allgemeine Klassifikation der Autonomisierung. Verschiedene nationale und internationale Organisationen haben solche Klassifikationen im Rahmen von Arbeitsgruppen und Projekten entwickelt (1.). Diese Klassifikationen sind aber nicht immer für die juristische Betrachtung der autonomen Schifffahrt geeignet (2.). 1. Bisherige Vorschläge einer Klassifikation a) Wichtige Klassifikationen europäischer Institutionen und Unternehmen Vorschläge einer Einordnung der Schiffe je nach Grad der Autonomie wurden von mehreren europäischen bzw. transnationalen Institutionen entwickelt. Sie werden hier kurz vorgestellt.

1

S. z.B. Hey, S. 8 ff.; Kleinschmidt/Wagner, in: Oppermann/Stender-Vorwachs (Hrsg.), Autonomes Fahren – Rechtsfolgen, Rechtsprobleme, technische Grundlagen, 7, 18 ff.

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

aa) Klassifikation der Vereinten Nationen und der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (engl.: Economic and Social Council of the United Nations, ECOSOC; franz.: Conseil e´conomique et social des Nations Unies) hat in Zusammenarbeit mit der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) im Jahr 2018 eine sechsstufige Einordnung erstellt.2 Dem Bericht zufolge entspricht die entwickelte Autonomie-Einordnung folgender Klassifikation: – – – – – –

Stufe 0: Keine Automatisierung Stufe 1: Unterstützung für die Steuerung Stufe 2: Teilautomatisierung Stufe 3: Bedingte Automatisierung Stufe 4: Fortgeschrittene Automatisierung Stufe 5: Autonomie, d.h. vollständige Automatisierung

bb) Klassifikation des europäischen Projekts MUNIN Im Rahmen der Entwicklung eines autonomen Schiffes namens MUNIN (2012–2015) unter der Förderung der Europäischen Union3 wurde eine vierstufige Einordnung erstellt. Sie entspricht folgender Stufung,4 die die Bemannung als Maßstab nimmt: – – – –

Stufe 1: Bemanntes Schiff Stufe 2: Ferngesteuertes Schiff Stufe 3: Automatisiertes Schiff Stufe 4: Autonomes Schiff

cc) Klassifikation des 55. Deutschen Verkehrsgerichtstages Anlässlich des 55. Deutschen Verkehrsgerichtstages 2017 wurde von Jahn eine weitere Einordnung der Autonomiestufe vorgestellt.5 Sie entspricht folgender Stufung, ohne Einbeziehung der klassischen Schiffe: – – – –

Stufe 1: Ferngesteuertes Schiff Stufe 2: Überwachtes Schiff (sog. Fail to Safe) Stufe 3: Automatisiertes Schiff Stufe 4: Autonomes Schiff

2

S. ECOSOC, ECE/TRANS/2019/16, S. 5. Zu diesem Projekt s. u. Kap. 1.A.III.2. 4 Vgl. Fraunhofer Center for Maritime Logistics and Services, MUNIN – The Autonomous Ship, abrufbar unter http://www.unmanned-ship.org/munin/about/the-autonomus-ship/. 5 Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 252. 3

A. Technischer Kontext

11

– Stufe 5: Intelligentes Schiff dd) Klassifikation der Klassifizierungsgesellschaften Klassifizierungsgesellschaften spielen eine große Rolle in der Versicherung von Schiffen sowie in Gutachten für die Seetüchtigkeit von Schiffen beim Schiffbau sowie vor einer Reise. Zwei marktrelevante Unternehmen, das französische Bureau Veritas und das englische Lloyd’s Register, haben jeweils ihre eigene Klassifikation der Schiffsautomatisierung erstellt. Bureau Veritas übernahm 2017 eine fünfstufige Einordnung, die wie folgt lautet:6 – – – – –

Stufe 0: menschengesteuert Stufe 1: menschengeführt Stufe 2: menschendelegiert Stufe 3: menschenüberwacht Stufe 4: vollautonom

Das englische Lloyd’s Register hat sich für eine siebenstufige Einordnung unter dem Begriff Autonomy Level (AL) entschieden:7 – – – –

Stufe AL0: Handsteuerung Stufe AL1: Entscheidungsunterstützung an Bord Stufe AL2: Entscheidungsunterstützung an Bord und vom Land Stufe AL3: Aktiver Mensch in algorithmischer Schleife („Active Human in the loop“) – Stufe AL4: Mensch in algorithmischer Schleife („Human in the loop“) – Stufe AL5: Vollautonomie mit gelegentlicher Kontrolle – Stufe AL6: Vollautonomie b) Klassifikation der International Maritime Organisation (IMO) Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organisation, IMO) – Organ der Vereinten Nationen – hat auch eine Klassifikation während der 99. und 100. Sitzung des Ausschusses für Maritime Sicherheit (Maritime Safety Commitee, MSC) 2019 verabschiedet.8 Die IMO nutzt für autonome Schiffe die englische Abkürzung MASS (Maritime Autonomous Surface Ships). Die Klassifikation wurde wie folgt entwickelt:9

6

Bureau Veritas, Guidelines for autonomous shipping, S. 6. Lloyd’s Register, Design Code for Unmanned Marine Systems, S. 1. 8 S. IMO, MSC 99/22, S. 36, Ziff. 5.27.1. 9 Internationale Seeschifffahrtsorganisation, Autonomous shipping, abrufbar unter https://www.imo.org/en/MediaCentre/HotTopics/Pages/Autonomous-shipping.aspx, besucht am 26.8.2022; s. auch Bensoussan/Gazagne, S. 85. 7

12 – – – –

Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

Stufe 1: Entscheidungsunterstützung und automatisierte Vorgänge Stufe 2: Bemanntes ferngesteuertes Schiff Stufe 3: Unbemanntes ferngesteuertes Schiff Stufe 4: Vollautonomes Schiff

Die große Rolle der Besatzung erinnert hier an die Klassifikation des Projekts MUNIN der Europäischen Union. Sie soll als grundsätzliche Einordnung und Richtlinie für autonome Schiffe im Rahmen der späteren Überarbeitung der vorhandenen internationalen Übereinkommen der IMO gelten. 2. Kritik der Klassifikation der IMO und Vorschlag einer juristisch umfassenden Klassifikation Die Vielzahl an unterschiedlichen Klassifikationen zeigt die Schwierigkeit einer solchen Einordnung, die sowohl für die technischen Bereiche, einschließlich der maritimen Sicherheit, als auch für eine juristische Erfassung notwendig ist. Daher sind die Klassifikationen von MUNIN, Jahn und der Klassifizierungsgesellschaften aufgrund breiter Kategorien oder zweckspezifischer Kriterien für eine relevante juristische Betrachtung ungeeignet. Die Klassifikation der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt erscheint bisher die umfassendste Einordnung der autonomen Schifffahrt. Entscheidend ist bei solchen Klassifikationen die Rolle des Menschen gegenüber der Maschine bzw. dem autonomen Schiff. Die Klassifikation der IMO hingegen scheint andere Institutionen nicht überzeugt zu haben. Auch intern hat diese Klassifikation nicht den erwarteten Erfolg gehabt. Der Ausschuss für juristische Angelegenheiten (Legal Committee) beurteilt die Einordnung des MSC als juristisch nicht relevant und würde sogar eine zweistufige Einordnung als angemessener ansehen.10 Die verschiedenen Vorschläge für eine Klassifikation autonomer Schiffe für juristische Zwecke könnten in einem einheitlichen System zusammengefasst werden. Die Bemannung des Schiffes erscheint allerdings dabei kein gutes Kriterium, denn „autonom bedeutet nicht unbemannt“.11 Die eventuelle Bemannung des Schiffes ist vielmehr für die Abwägung der Erfüllung der Sorgfaltspflichten des Schädigers relevant. Die Rolle des Menschen gegenüber der des Schiffes erscheint juristisch bzw. haftungsrechtlich viel relevanter. Die Stufen dieses einheitlichen Systems könnten wie folgt bestimmt werden: – Stufe 0: klassisches Schiff12 Hier werden die bisherigen, nichtautonomen Schiffe erfasst, einschließlich der Schiffe, die bereits entscheidungsunterstützende Technik benutzen. Dies er10

S. IMO, LEG 106/16, S. 16, Ziff. 8.5; so auch bei Etzkorn lediglich mit einem Unterschied zwischen „klassisches Schiff“ und „autonomes Schiff“, s. Etzkorn, S. 57–58. 11 Selzer, Hansa 156 (2019), 32, 33. 12 S. auch für den Begriff Etzkorn, S. 57 f.

A. Technischer Kontext

13

fasst beispielsweise das Radar oder die Trackpilots (Hilfe bei der Einhaltung des Kurses).13 – Stufe 1: ferngesteuertes Schiff Hier wird die Führungstätigkeit von Land ausgeübt. Der Steuermann des Schiffes befindet sich in einer Landkontrollstation und steuert das Schiff anhand der auf dem Schiff gesammelten Informationen. – Stufe 2: einfaches autonomes Schiff Die Führungstätigkeit wird auf das Informationssystem des Schiffes übertragen. Der Grundsatz sind also die selbstständige Sammlung von Informationen, deren Analyse und die konsequente Handlung. Alle Aktionen des Schiffes werden überwacht und ggf. bewertet. Hier ist ein Eingriff des Menschen in der Landkontrollstation immer möglich, etwa in Form eines Notstopps, einer Geschwindigkeitsanpassung oder der Programmierung einer Routenabweichung.14 Allerdings können diese Aktionen bereits auch durch das Schiff selbst durchgeführt werden.15 – Stufe 3: vollautonomes Schiff Diese Autonomiestufe baut auf der Stufe 2 auf, lässt aber noch weniger Eingriffsmöglichkeiten des Menschen während der Fahrt zu. Der Mensch wird nur dann zum Eingriff aufgefordert, wenn eine Notsituation eintritt. Außer in Notfällen wird das Schiff der vorprogrammierten Route folgen, ggf. mit den erforderlichen geringen Anpassungen. Eine dauerhafte aktive Überwachung erfolgt nicht.16 – Stufe 4: intelligentes autonomes Schiff Hier ist die Eingriffsmöglichkeit eines Menschen sehr beschränkt, ähnlich wie bei der Stufe 3. Das Schiff ist in der Lage „zusätzlich auch selbständig eine Route zwischen Start- und Endpunkt unter Einbeziehung der logistischen Rahmenbedingungen, nautischer Gegebenheiten und der Wettersituation“17

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Trackpilots sind z.B. eine große Hilfe in der Binnenschifffahrt, vgl. ECOSOC, ECE/TRANS/2019/16, S. 5. 14 Routenabweichungen oder Geschwindigkeitsanpassungen können eintreten, um einen Zusammenstoß zu verhindern, aber auch um den Energieverbrauch anzupassen, s. z.B. Behling, Frank, Stena setzt auf Künstliche Intelligenz, abrufbar unter https://www.kn-online.de/ Kiel/Routensoftware-Stena-setzt-auf-Kuenstliche-Intelligenz (besucht am 26.8.2022). 15 ECOSOC, ECE/TRANS/2019/16, S. 5; Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 252. 16 Vgl. Komianos, TransNav 12 (2018), 335, 338. 17 Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 253.

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

erstellen zu können sowie ggf. durch maschinelles Lernen im Vorfeld nicht programmierte Aktionen bei Ereignissen auszuführen. Dieses Modell autonomer Schiffe ist zwar zum heutigen Zeitpunkt vorstellbar, aber noch weit entfernt von einem kurzfristigen tatsächlichen Einsatz.

II. Grundlage der technischen Bedienung Die technische Entwicklung hat die Geschichte der Schifffahrt geprägt, von rudimentären Ruderschiffen im frühen Ägypten bis zu sehr modernen Containerschiffen. Die Faszination für diese Entwicklung und diese Vielfalt hatte bereits die juristische Literatur des 20. Jahrhunderts beeindruckt, wie beispielsweise Ripert: „Nichts verschiedener von Formen, Größe, Antrieb als die Schiffe, die dem Handelsgesetzbuch unterliegen“.18 Autonome Schiffe benötigen, außer den klassischen Geräten eines gewöhnlichen Schiffes, wie z.B. „Radar, landseitige Verkehrsüberwachung und -lenkung, satellitengestützte Navigation und Wetterberatung“,19 zahlreiche neue Ausrüstungen. Das Schiff muss in der Lage eines „virtuellen“ Kapitäns an Bord sein. 1. Die autonome Brücke Der zentrale Teil eines autonomen Schiffes ist die sog. autonome bzw. intelligente Brücke.20 Diese wird die Aufgabe haben, einerseits die dynamische Umgebung zu analysieren (sog. „Situational Awareness“)21 (a)), die Naturereignisse wahrzunehmen (b)) und andererseits eine entsprechende Entscheidung zu treffen (c)). a) Situational Awareness: Überwachung der externen Umgebung Um die Umgebung zu erkennen und zu analysieren, braucht das Schiff zahlreiche Sensoren und Radare. Solche Mittel müssen eingebaut werden, da laut Regel 5 der internationalen Kollisionsverhütungsregeln (KVR, engl. COLREGs)22 „das Sehen und Hören“ als Mittel der Kollisionsverhütung eingesetzt werden müssen. Eine Erfüllung der Pflicht des „Sehens und Hörens“ durch ein nichtmenschliches System steht der Regel 5 KVR nicht entgegen, denn „die Anforderung ,sehen und hören‘ [wird] an das Fahrzeug und nicht an eine Person gestellt“.23 18

Ripert, S. 4: „Rien de plus varie´, comme formes, dimensions, modes de propulsion que les baˆtiments re´gis par le code de commerce“. 19 Steingröver, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., Vor. § 570, Rn. 9. 20 Vgl. Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 255; Fraunhofer Center for Maritime Logistics and Services, MUNIN’s Methodology, abrufbar unter http://www.unmannedship.org/munin/about/munins-methodology/. 21 Rylander/Man, S. 41. 22 Internationale Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See, BGBl. 1977 I, 816. 23 Tüngler/tho Pesch, RdTW 2017, 121, 125.

A. Technischer Kontext

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Die Erfüllung der Pflichten wird durch eine Vernetzung von Sensoren möglich, um sowohl die Position,24 die Geschwindigkeit und Geschwindigkeitsänderungen als auch die Verkehrssituation (einschließlich Verkehrsdichte)25 zu bestimmen. Zum Beispiel das Schiff des Projekts „B Zero“ des Fraunhofer CML verfügt über ein sog. AutoLookout.26 Hier werden die anderen fahrenden bzw. nichtfahrenden Objekte (z.B. Holzstücke, Wrack) identifiziert und erkannt. Die Sammlung von Daten ist nicht nur wichtig, um ein Bild der Umgebung des Schiffes zu erstellen. Durch die Identifizierung anderer Schiffe (auch bis im genaueren Detail wie z.B. dem Antrieb) können bzw. müssen auch die Ausweichpflichten gemäß den KVR oder andere örtliche Regelungen eingehalten werden.27 Zum Beispiel muss ein Maschinenfahrzeug einem Segelfahrzeug ausweichen gemäß Regel 18 KVR.28 Diese Erkennung und Einordnung war am Anfang der Entwicklung von autonomen Schiffen eine sehr große Herausforderung,29 die heute dank der künstlichen Intelligenz und der Datenfusion überwunden werden kann.30 Zudem können einigen Systeme, wie das Automatic Sea Vision (ASV) von Sea On Line, die Bilder speichern. Dies kann nach einem Zusammenstoß sehr relevant sein, um die genaue Lage zu erkunden.31 Durch Kameras mit sehr hoher Auflösung können sogar Systeme laut RollsRoyce ein Bild der Umgebung darstellen, das „über die des menschlichen Auges [hinaus] geht“.32 Diese von Rolls-Royce eingesetzte Technik kann sowohl am Tag als auch in der Nacht dank Infrarottechnik sowie thermischer Erkennung benutzt werden. So sind beinahe alle Objekte in der Umgebung des Schiffes erkennbar, auch wenn sie nicht beleuchtet sind oder wenn das Wetter schlecht ist.33 Entscheidend ist allerdings dabei, dass die Kameras richtig positioniert sind. Im Falle von autonomen Schiffen mit menschlicher Eingriffsmöglichkeit (z.B. Stufe 2 und 3) können die Bilder in die Landkontrollstation in Echtzeit übertragen werden.34 Eine solche Sensorik ist also auch nötig, um die gesetzlichen bzw. internationalen Pflichten einzuhalten und somit Kollisionen zu vermeiden. 24 Hier werden insbesondere das Global Positioning System (GPS) sowie das Trägheitsnavigationssystem benutzt, vgl. Bensoussan/Gazagne, S. 20. 25 Vgl. für ein Beispiel der Abbildung der Verkehrsdichte auf Wasserwegen DNV VL, Study of the risks and regulatory issues of specific cases of MASS, Study for the European Maritime Safety Agency (EMSA), S. 29 ff. 26 S. Meyer, Hansa 157 (2020), 45. 27 Vgl. Perera/Murray, in: International Conference on Ocean, Offshore and Arctic Engineering 2019, 2 ff.; Örtliche Regelungen umfassen sowohl nationales Recht als auch örtlich begrenzte internationale Regelungen, vgl. für Letzteres z.B. die RheinSchPV. 28 Für eine Zusammenfassung der Vorfahrtregelung gemäß der KVR s. Bensoussan/Gazagne, S. 95, Schema Nr. 29. 29 Vgl. Bertram, Hansa 135 (1998), 16, 17. 30 S. Bensoussan/Gazagne, S. 22; Perera/Murray, in: International Conference on Ocean, Offshore and Arctic Engineering 2019, 3; Schubert/Gluch/Baldauf/Simanski/Kurowski/ Jeinsch, Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 2, 46, 47. 31 Vgl. Bourbonnais-Jaquard, S. 270; näher dazu s. u. Kap. 2.B.II.2.b). 32 Selzer, Hansa 156 (2019), 32. 33 Vgl. Bourbonnais-Jaquard, S. 268. 34 Vgl. Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 259.

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

b) Die Analyse der Wetterlage Die Erkennung und die Analyse der Wetterlage ist auch ein wichtiger Aspekt der Schiffssteuerung, um „schweres Wetter zu vermeiden und entsprechende Schlechtwetterzonen zu umfahren“.35 Die Analyse betrifft sowohl Wind, Regen und Gewitter als auch Wellen oder Eis.36 Es handelt sich um die Erkennung des tatsächlichen Wetters sowie die Antizipation späterer Wetterlagen dank des Zugriffs auf zahlreiche Datenbanken und deren Verarbeitung durch einen Algorithmus.37 Die Wellenanalyse kann auch zur Situational Awareness bzw. zu Kollisionsverhütungssimulationen dienen. Die Beobachtung durch Sensoren von hydrodynamischen Kräften kann zum Zweck der Erkennung der Bewegungen (z.B. Geschwindigkeitserhöhung, Rotation) anderer Schiffe benutzt werden.38 Zudem verursachen Wellen mögliche mittelbare oder unmittelbare Kursänderungen der verkehrenden Schiffe. Ein solches „Wetter-Routing“39 ist nötig sowohl, um eine Beschädigung des Schiffes bzw. der Ladung zu vermeiden, als auch, um den Verbrauch von Energie zu verringern. c) Die Konkretisierung der Wahrnehmung durch die nautische Entscheidung Anhand all dieser Informationen kann dann ein virtueller Offizier (z.B. im Projekt „B Zero“ namens AutoOOW: OOW steht für Officer on Watch, wachhabender Offizier)40 die Analyse des Navigationssystems umsetzen. Bei diesem virtuellen Kapitän bzw. Offizier handelt es sich um Software und Algorithmen.41 Der Algorithmus wird basierend auf einem grundsätzlichen Modell der bedingten Anweisung programmiert: „Wenn [Ereignis] dann [Handlung] sonst [Alternative]“.42 Tritt eine der programmierten Situationen ein, wird die entsprechende programmierte Handlung durchgeführt. So kann in einer gegebenen Situation eine geeignete vorhergesehene Entscheidung getroffen werden. Bisher waren automatisierte Entscheidungsprozesse auf den Autopiloten begrenzt. Der wachhabende Offizier gibt dabei die Route ein und regelt, wie der Autopilot auf Abweichungen reagieren muss. Der Autopilot stellt aber, im Gegensatz zu dem autonomen Schiff und seinem Algorithmus, keinen Ersatz zur Beobachtung der Umgebung dar.43 Es handelt sich lediglich um eine Hilfe zur 35

Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 257. Vgl. Meyer, Hansa 156 (2019), 40, 41. 37 S. Rylander/Man, S. 39. 38 S. Perera/Murray, in: International Conference on Ocean, Offshore and Arctic Engineering 2019, 6. 39 Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 257. 40 S. Meyer, Hansa 157 (2020), 45. 41 Vgl. Komianos, TransNav 12 (2018), 335, 336. 42 Vgl. Lang, Bausteine von Algorithmen, abrufbar unter https://www.inf-schule.de/algor ithmen/grundlagen/algorithmusbegriff/bausteine. 43 Vgl. Bourbonnais-Jaquard, S. 240. 36

A. Technischer Kontext

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Steuerung. Dabei muss der wachhabende Offizier jederzeit in der Lage sein den Autopiloten auszuschalten, um die effektive Steuerung zu übernehmen. Der Einsatz von Simulationen durch den Algorithmus ist ein wichtiges Werkzeug der Kollisionsverhütung. Dies betrifft nicht nur die spätere Entwicklung der Wetterlage, sondern auch die Simulation des Kurses bzw. der Kursänderung anderer Schiffe in der Umgebung. Software wie das sog. Advanced Ship Prediction kann den Kurs von anderen Schiffen simulieren und vorhersagen sowie ggf. ein Kollisionsrisiko identifizieren, die Wahrscheinlichkeit einer Kollision anhand Zeit- und Distanzmerkmalen ermitteln und eine entsprechende Änderung des eigenen Kurses durchführen.44 Weitere entwickelte Algorithmen sind sogar auf dem Modell der menschlichen Nervenzellen aufgebaut und können somit Erfahrungen sammeln und maschinelles Lernen leisten.45 Somit kann ein Schiff auf plötzliche oder für sein System noch unbekannte Situationen reagieren.46 Die technische Forschung wird sich bestimmt in die Richtung einer Verbesserung solcher Reaktionen entwickeln. Denn die richtige Analyse und Reaktion auf ein im Vorfeld ungeplantes Ereignis kann viele Kollisionen in maritimer Umgebung verhüten. Heute muss noch ein Mensch eine solche Situation selbst analysieren und darauf reagieren, was zu Fehlern führen kann (etwa wegen Missinterpretationen der Daten47 oder Müdigkeit des wachhabenden Offiziers).48 2. Der autonome Maschinenraum Ein anderer zentraler Teil eines autonomen Schiffes ist der autonome Maschinenraum.49 Dieser umfasst „ein technisches Konzept, bei dem die Haupt- und Hilfsaggregate für Antrieb, Energieerzeugung und sonstiger technischer Aufgaben an Bord so umfassend mit Automatisierungstechnik ausgestattet sind, dass ein sicherer und dauerhafter Betrieb ohne direkten menschlichen Eingriff an Bord möglich ist“.50

Zwei Aspekte sind hier wichtig. Zunächst wird eine Schnittstelle zwischen der autonomen Brücke und dem autonomen Maschinenraum geschaffen. So können die getroffenen Entscheidungen (Abweichung des Kurses, Bremsen, Rückwärtsfahrt usw.) auch in kritischen Situationen übermittelt und umgesetzt werden.51

44

S. Perera/Murray, in: International Conference on Ocean, Offshore and Arctic Engineering 2019, 34. 45 Vgl. Chatila, Dalloz IP/IT 2016, 284. 46 S. z.B. Wang/Zhang/Cong/Li/Zhang, Evolving Systems 10 (2019), 649, 652. 47 S. Bourbonnais-Jaquard, S. 278–279. 48 Vgl. Bourbonnais-Jaquard, S. 314 ff. 49 S. Fraunhofer Center for Maritime Logistics and Services, MUNIN’s Methodology, abrufbar unter http://www.unmanned-ship.org/munin/about/munins-methodology/. 50 Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 260. 51 Vgl. Meyer, Hansa 157 (2020), 45.

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

Zweitens werden zahlreiche Daten über die jeweiligen Antriebsanteile gesammelt, um Redundanz, Defekte oder Abnutzung zu erkennen.52 Man kann hier von einer „propriozeptiven Wahrnehmung“53 reden, also der Wahrnehmung der internen Umstände des Schiffes. Informationen können dann zu der Landkontrollstation übertragen werden, ggf. mit einem Hinweis bezüglich der Dringlichkeit eines Austauschs des entsprechenden Teils. Wenn das Schiff autonom, aber bemannt ist, können natürlich die entsprechenden Alarme und Hinweise auch unmittelbar an die Besatzung mitgeteilt werden. Die Wahrnehmung dient auch z.B. dem Brandschutz an Bord. Da die Brandgefahr eine wichtige Kritik an autonomen Schiffen darstellt,54 sollte die autonome unbemannte Schifffahrt die Möglichkeit bieten, Räume geschlossen zu halten und somit Brände besser zu bekämpfen.55 Sicherlich wird die Erhöhung der Zahl der Sensoren innerhalb des Schiffes die Sicherheit verbessern, indem genauere Informationen über den Zustand des Schiffes jederzeit verfügbar sind. Durch das maschinelle Lernen, mit dem Einsatz von Simulationen und Datenanalysen kombiniert, kann der Algorithmus auch sich selbst entwickeln, sodass er schneller und besser relevante bzw. dringende Defekte erkennen kann.56 3. Die residuale menschliche Teilnahme: die Landkontrollstation Die Landkontrollstation wird insbesondere die Schiffe der Stufe 1 fernsteuern und die Schiffe der Stufen 2 und 3 mit unterschiedlicher Intensität überwachen und in das System möglicherweise eingreifen können. Eine erhebliche Menge von Daten wird in Echtzeit durch Satelliten für jedes Schiff übertragen: Position, Kurs, Geschwindigkeit, Zustand usw. Die Verarbeitung der Daten wird je nach Stufe des betroffenen Schiffes unterschiedlich geführt. Bei ferngesteuerten Schiffen der Stufe 1 wird der Steuermann in der Landkontrollstation die vergleichbaren Tätigkeiten wie auch an Bord ausüben. Alle nötigen Informationen stehen ihm zur Verfügung. Daher sind die haftungsrechtlichen Fragen nicht erheblich anders als bei den heutigen Schiffen der Stufe 0. Bei den Stufen 2 und 3 können dann möglicherweise mehrere Schiffe von den Nautikern überwacht werden und die nötigen Handlungen bzw. Eingriffe durchführen. Wenn die nautische Informationsvermittlung unklar sein sollte, können die Mitarbeiter der Landkontrollstation dann in das System eingreifen und ggf. die Schiffe vorübergehend fernsteuern oder umprogrammieren.57

52

Vgl. Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 260; o.V., Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 5, 26. 53 Bensoussan/Gazagne, S. 21. 54 Z.B. Massac, Gazette de la Chambre arbitrale maritime de Paris 2020, Heft Nr. 51, 4, 5. 55 S. Chesneau, S. 71. 56 Vgl. Infopulse, Anomaly Detection, Real-time Equipment Monitoring, abrufbar unter https://www.infopulse.com/lp/anomaly-detection/, besucht am 26.8.2022. 57 Vgl. Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 261.

A. Technischer Kontext

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Bei autonomen Schiffen in ihrer fortgeschrittenen Form der Stufe 4 und teilweise für Schiffe der Stufe 3 kann die Überwachung durch künstliche Intelligenz erfolgen, sodass „vom Normalzustand abweichende technische und nautische Situationen erkannt und über Alarme angezeigt werden“.58 Nur dann, in solchen Notsituationen, wird eine menschliche Intervention erforderlich. Dies ermöglicht eine große Anzahl an Schiffen gleichzeitig zu überwachen.59 Mehrere organisatorische Lösungen sind für Landkontrollstationen und die Verarbeitung der Daten realisierbar. Jedes Schiff kann seine eigene Landkontrollstation haben und mit ihr seine Daten austauschen. Dies ist die Lösung, die bisher üblich erscheint.60 Die Schiffe könnten aber auch ihre Informationen an „zentrale“ Landkontrollstationen übermitteln,61 die eine Datenbank bilden würden und die Informationen weiter verteilen (entweder an die Schiffe selbst im Rahmen von vernetztem Verkehr oder an die jeweiligen einzelnen Landkontrollstationen). Diese vorteilhafte Alternative schafft Zugang zu mehr Informationen bezüglich des gesamten Verkehrs einer Region und kann somit ein besseres Bild der Situation ermöglichen. Besonders vorteilhaft und realisierbar ist diese Lösung für verhältnismäßig kurze und überschaubare Binnenwasserwege, wie z.B. auf dem Nord-Ostsee-Kanal. Die entsprechenden Entscheidungen der Schiffe ließen sich so verbessern.

III. Konkretisierung der autonomen Schifffahrt und Entwicklung ausgewählter Projekte Die Handelsschifffahrtsindustrie versucht seit dem Anfang des 21. Jahrhunderts und insbesondere in den 2010er Jahren durch zahlreiche Projekte autonome Schiffe zu konkretisieren. Hier werden nicht die früheren militärischen Projekte vorgestellt,62 sondern nur ausgewählte Projekte der Handelsmarine. 1. Das japanische Super-Bridge und die Tests der ABB in Asien Eines der ersten Projekte wurde in Japan bereits Ende der 1990er durchgeführt.63 Es handelte sich um ein autonomes Schiff mit einem Programm namens „SuperBridge“. Dieses autonome Schiff ist in einem Umfeld mit 16 anderen fahrenden Schiffen erfolgreich gefahren.64 58

Jahn, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 249, 261. Vgl. für ein Beispiel einer solchen Software o.V., Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 5, 26. 60 S. z.B. Fraunhofer Center for Maritime Logistics and Services, MUNIN’s Methodology, abrufbar unter http://www.unmanned-ship.org/munin/about/munins-methodology/; Selzer, Hansa 156 (2019), 32. 61 Für einen solchen Vorschlag s. bereits Bertram, Hansa 135 (1998), 16, 18. 62 Für eine kurze Vorstellung der relevanten militärischen Projekte s. Bensoussan/Gazagne, S. 74–75. 63 S. Bertram, Hansa 135 (1998), 16. 64 S. Bertram, Hansa 135 (1998), 16, 17. 59

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

Die Firma ABB, Spezialist der Automatisierung mit Sitz in Zürich, plant auch mehrere Projekte in Asien und im Pazifik-Raum. Nach dem erfolgreichen Test eines ferngesteuerten Schiffes im Jahr 2018, mithilfe einer umgebauten Fähre aus dem Jahr 2004 in Helsinki (Finnland),65 hat ABB verkündet mit der singapurischen Werft Keppel Offshore & Marine einen Vertrag geschlossen zu haben, um autonome Schlepper zu betreiben.66 Dies macht deutlich, dass Asien eine große Nachfrage an autonomen Schiffen auch außerhalb des militärischen Bereichs hat.67 2. Das europäische Projekt MUNIN Eines der bedeutsameren Projekte wurde von der Europäischen Union mit dem Projekt MUNIN (Maritime Unmanned Navigation through Intelligence in Networks)68 unterstützt. Dieses Projekt wurde zwischen 2012 und 2015 durchgeführt.69 Es hatte das Ziel der Untersuchung von Technik und Methoden für die interkontinentale autonome Schifffahrt.70 Die Studie hatte ein Schiff des Typs Handimax Bulk Carrier als Muster genommen.71 Diese erfolgreiche Idee hat zum Bau eines ferngesteuerten Prototyps mit einem System für die Erkennung meteorologischer Ereignisse, einer umfangreichen Sensorik und einem autonomen Kollisionsverhütungssystem geführt.72 Das Projekt bleibt eine Inspirationsquelle für anderen Konzepte. 3. Das AAWA-Projekt von Rolls-Royce Im Jahr 2015 hat auch die britische Firma Rolls-Royce ein Projekt namens AAWA (Advanced Autonomous Waterborne Applications) gestartet. Als das Projekt vorgestellt wurde, hat der Geschäftsführer von Rolls-Royce Marine, Michael Makinen, eine Revolution angekündigt: „As disruptive as the smart phone, the smart ship will revolutionise the landscape of ship design and operation“.73 65

S. Selzer, Hansa 156 (2019), 32, 33. S. Duchene, ABB signe un contrat a` Singapour pour des remorqueurs autonomes, abrufbar unter https://www.swissinfo.ch/fre/abb-signe-un-contrat-%C3%A0-singapour-pour-d es-remorqueurs-autonomes/45312516 (besucht am 26.8.2022). 67 Vgl. Selzer, Hansa 156 (2019), 32, 33. 68 Fraunhofer Center for Maritime Logistics and Services, About MUNIN, abrufbar unter http://www.unmanned-ship.org/munin/about/. 69 Komianos, TransNav 12 (2018), 335, 336. 70 Chesneau, S. 15. 71 S. Bensoussan/Gazagne, S. 76; der Handymax Bulk Carrier weist ca. 190 m Länge über alles und 33 m Breite über alles auf; für mehr Informationen s. die Beschreibung auf der Plattform Bulk carrier Guide, https://bulkcarrierguide.com/size-range.html (besucht am 26.8.2022). 72 S. Bensoussan/Gazagne, S. 76–77. 73 Rolls-Royce, Remote and Autonomous Ships, The next Steps, S. 4: „So disruptiv wie das Smartphone, wird das intelligente Schiff die Rahmenbedingungen des Schiffbaus und des Schiffsbetriebs revolutionieren.“ 66

A. Technischer Kontext

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Die Firma Rolls-Royce steht an der Spitze der technischen Entwicklung der autonomen Schifffahrt. 2019 hat sie in Kooperation mit dem Chiphersteller Intel74 und der finnischen staatlichen Reederei Finferries75 eine autonom fahrende Fähre namens „Falco“ in dem finnischen Archipel Turku76 fahren lassen. Die gesammelten Daten sind an eine Landkontrollstation 50 Kilometer entfernt übertragen und dort analysiert worden. Ein Nautiker konnte bei Bedarf in die Steuerung eingreifen.77 4. Die skandinavischen Projekte Der europäische Nord- und Ostseeraum ist heutzutage ein sehr innovatives Gebiet, in dem viele Tests unternommen werden. Im Jahr 2018 wurde zwischen den norwegischen Häfen von Porsgrunn, Larvik und Brevik ein 80 Meter langes autonomes Schiff in Einsatz gebracht: das Projekt Yara Birkeland (mit dem Spitznamen Tesla of the Seas).78 Eine vollautonome Fahrt war ursprünglich für 2020 geplant, wurde aber aufgrund der fehlenden Rechtslage auf 2022 verschoben.79 Dieses Projekt sieht, im Gegensatz z.B. zu AAWA mit einer Fähre aus dem Jahre 1993,80 den Bau eines neuen Schiffes mit Elektroantrieb vor.81 Andere umweltfreundliche Projekte wurden in Skandinavien getestet, wie das emissionsfreie unbemannte Projekt ReVolt der norwegischen Firma DNV GL,82 das autonome, aber bemannte Schiff Seashuttle von Samskip in Norwegen mit Wasserstoffantrieb83 oder das autonome Schiff Aker Arctic, das Eishindernisse umfahren kann.84 Umweltfreundliche und autonome Schiffe sind besonders attraktiv für Reisen bzw. Forschungsexpeditionen in extremen Umgebungen, wie beispielsweise in der Arktis. Hybride Systeme wurden allerdings auch im westlichen Teil der Nordsee erfolgreich eingesetzt: Die Firma Hushcraft hat 2019 die erste Lieferung von Austern zwischen der britischen Stadt West Mersea (Essex) und dem belgischen Hafen Ostende mithilfe eines autonomen Schiffes namens SEA-KIT verwirklicht.85 74 Kaufmann, Intel und Rolls-Royce haben ein selbstfahrendes Schiff entwickelt, abrufbar unter https://www.businessinsider.de/tech/intel-und-rolls-royce-haben-ein-selbstfahrendesschiff-entwickelt-2019–2/, besucht am 26.8.2022. 75 Vgl. o.V., Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 1, 6. 76 S. Selzer, Hansa 156 (2019), 32, 32. 77 S. Selzer, Hansa 156 (2019), 32, 32. 78 Vgl. Meyer, Hansa 155 (2018), 36, 37. 79 Vgl. Meyer, Hansa 155 (2018), 36, 38. 80 Vgl. o.V., Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 1, 6. 81 Vgl. Komianos, TransNav 12 (2018), 335, 338. 82 Vgl. Komianos, TransNav 12 (2018), 335, 337. 83 Meyer, Hansa 156 (2019), 34, 34. 84 Meyer, Hansa 156 (2019), 40, 41. 85 Amos, Autonomous boat makes oyster run, abrufbar unter https://www.bbc.com/news/ science-environment-48216966, (besucht am 26.8.2022); The Shipowners’ Club, Member Focus: Autonomous Vessels, abrufbar unter https://www.shipownersclub.com/member-focusautonomous-vessels/, (besucht am 26.8.2022).

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

5. Die Mayflower von IBM Ein wichtiger Meilenstein sollte die Fahrt der Mayflower im Juni 2021 zwischen dem englischen Hafen Plymouth und seinem amerikanischen Homonym werden. Die Überquerung des Atlantiks wurde ursprünglich im September 2020 geplant, um das 400. Jubiläum der Reise der Mayflower im Jahre 1620 zu feiern. Die Mayflower brachte die ersten britischen Siedler nach Amerika. Gebaut dank der Informationstechnologie von IBM, sollte das erste autonome Schiff den Atlantik kreuzen.86 Einige Tage nach der Abfahrt des Versuchsträgers Mitte Juni 2021 musste die Mayflower aufgrund technischer Probleme zurück nach Plymouth, Großbritannien, fahren. Danach wurden weitere Tests und Verbesserungen unternommen. Der zweite Versuch im April und Mai 2022 war erfolgreich.87 Das unbemannte, intelligente Schiff bekam einen Solarantrieb und wurde als Forschungsschiff benutzt. Es hat dafür zahlreiche Daten dank mehr als 50 Sensoren erheben, die nicht nur zum Zweck der Schifffahrt dienen, sondern auch die Analyse des Ozeans ermöglichen. 6. Das Kieler Projekt CAPTN Auch in Deutschland werden Projekte der Digitalisierung der Schifffahrt durchgeführt. Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat z.B. das sog. Projekt CAPTN (Clean Autonomous Public Transport) im Jahre 2018 initiiert. Es handelt sich um eine Kooperation zwischen der Wissenschaft (zahlreiche Lehrstühle der Universität, Fachhochschule und Kunsthochschule), der Wirtschaft (z.B. die German Naval Yards) und öffentlich-rechtlichen Körperschaften (z.B. Land Schleswig-Holstein, Stadt Kiel).88 Ziel ist ein Netz von umweltfreundlichen autonomen öffentlichen Verkehrsmitteln zu konzipieren (Bus und Fähre) und eine autonome Fähre für Kiel zu bauen. Das Projekt umfasst in vielen Unterprojekten zahlreiche Aspekte dieser innovativen Initiative: Design der Schiffe („VAIARO“), umweltfreundliche Technik und Schiffbau („WAVE LAB“), Testfelder („FÖRDEREAL“), Erneuerbare Energie und 5G-Netzversorgung („Förde 5G“).89 Die ersten Tests wurden 2019 erfolgreich durchgeführt,90 sodass ein Versuchsträger zunächst auf dem im Kieler 86

Näher zu dem Projekt IBM, Mayflower then and now, abrufbar unter https://newsroo m.ibm.com/then-and-now. 87 S. dazu die digitale Pressemitteilung von IBM vom 29.4.2022, abrufbar unter https:// newsroom.ibm.com/Mayflower-Autonomous-Ship-2022-Transatlantic-Crossing-AttemptNow-Underway. 88 Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, CAPTN Partners, abrufbar unter https://captn. sh/ueber-uns/. 89 S. im Detail Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, CAPTN Projekte, abrufbar unter https://captn.sh/projekte/. 90 Behling, Der Kapitän bleibt vorerst an Bord, abrufbar unter https://www.kn-online.de/ Kiel/Autonome-Faehre-in-Kiel-Der-Kapitaen-bleibt-vorerst-an-Bord, besucht am 26.8. 2022.

B. Juristischer Kontext

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Marinearsenal eingerichteten Testfeld verkehren wird. Dieser Versuchsträger wird die Erhebung noch weiterer Daten ermöglichen.

B. Juristischer Kontext Die Entwicklung der autonomen Schifffahrt erfolgt nicht nur abhängig von den technischen Rahmenbedingungen, sondern auch in einem gegebenen juristischen Kontext. Einerseits ist die Rechtslage für viele wirtschaftliche Akteure unklar und unsicher: Für 71 % der Teilnehmer der 81. Sitzung der Wirtschaftskommission für Europa des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen im Jahre 2019 stellte die fehlende rechtliche Grundlage ein Hindernis dar.91 Frankreich und Deutschland beginnen aber entsprechende Regelungen zu treffen (I.). Andererseits hat die „höhere Gewalt“, bedeutsames Institut des Privatrechts seit der Antike, im See- und Schiffskollisionsrecht immer eine wichtige Rolle gespielt (II.). Solche Institute könnten daher zeigen, dass die jetzige geltende Rechtslage sowohl eine Übergangsregelung als auch eine Grundlage für eine spätere Reform darstellen kann.

I. Die aktuelle gesetzliche Regelung der autonomen Schifffahrt 1. Die Regelung der autonomen Schifffahrt auf internationaler Ebene Die Mitglieder der Wirtschaftskommission für Europa des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen sehen die Einrichtung eines gesetzlichen Rahmens für die autonome Schifffahrt als eine Priorität für die weitere Entwicklung der Branche.92 Eine der größten juristischen Herausforderungen ist zunächst völkerrechtlicher Natur. In der Tat sollen zahlreiche internationale Übereinkommen angepasst werden, um die autonome Schifffahrt zu berücksichtigen.93 Dies gilt insbesondere z.B. für die Haag-Visby-Regeln (HVR),94 die sich auf die Bemannung beziehen (vgl. z.B. § 1 Buchst. b HVR). Andere internationale Übereinkommen benötigen hingegen keine dringende Anpassung, wie das FAL-Übereinkommen,95 oder brauchen sogar überhaupt keine,96 wie das Nairobi-Überein91

S. ECOSOC, ECE/TRANS/2019/16, S. 9. ECOSOC, ECE/TRANS/2019/16, S. 9. 93 Vgl. Europäisches Parlament, Bericht über autonomes Fahren im europäischen Verkehrswesen, A8-0425/2018, S. 13; s. auch Piette, Gazette de la Chambre arbitrale maritime de Paris 2018, Heft Nr. 47, 2; Tüngler/tho Pesch, RdTW 2017, 121. 94 Internationales Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über Konossemente in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 23. Februar 1968; das Protokoll wurde von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert, die wesentlichen Bestimmungen wurden aber durch das Zweite Seerechtsänderungsgesetz (BGBl. 1986 I, 1120) im HGB eingearbeitet. 95 Übereinkommen zur Erleichterung des Internationalen Seeverkehrs vom 9. April 1965, BGBl. 1967 II, 2434. 96 Vgl. Piette, Gazette de la Chambre arbitrale maritime de Paris 2018, Heft Nr. 47, 2. 92

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

kommen von 2007.97 In dieser Dissertation werden aber juristische Fragen nicht weiter vertieft, wie z.B. die Identifikation des „Reeders“ im Sinne des § 570 HGB98 oder, ob ein autonomes unbemanntes Schiff ein „Schiff“ im Sinne der völkerrechtlichen oder nationalen Regelungen ist.99 Hier wird der positiven Antwort der einheitlichen Literatur100 gefolgt, insbesondere weil das Internationale Übereinkommen vom 23. September 1910 (IÜZ)101 allenfalls keinen Bezug auf die Besatzung hat.102 Die IMO und ihr Legal Committee haben die notwendige, mühsame Arbeit begonnen, um alle internationalen seerechtlichen Instrumente an die autonome Schifffahrt anzupassen.103 Die COVID-19-Pandemie, die entsprechende Verschiebung sämtlicher Sitzungen sowie die Änderung der damit verbundenen dringenden Themen haben allerdings diese Arbeit verlangsamt. Nichtsdestotrotz hat die IMO im Juni 2020,104 gefolgt von der Europäischen Union im Oktober 2020,105 bereits operative Leitlinien für die verschiedenen Akteure der autonomen Schifffahrt, insbesondere für die öffentlich-rechtlichen Körperschaften, erlassen. So kann das rechtliche Vorgehen (wie z.B. die Regelung zum Test der Schiffe) koordiniert werden. 2. Die Regelung der autonomen Schifffahrt auf nationaler Ebene Auf nationaler Ebene haben die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland jeweils Initiativen ergriffen, um die Entwicklung der autonomen Schifffahrt zu fördern.

97 Internationales Übereinkommen von Nairobi vom 18. Mai 2007 über die Beseitigung von Wracks, BGBl. 2013 II, 530. 98 Hierzu s. nur Etzkorn, S. 97 ff. 99 Hierzu Daum/Boesch, RdTW 2018, 41; Paschke/Lutter, RdTW 2018, 242, 247 ff.; im franz. Recht Piette, Recueil Dalloz 2019, 899; Vuattoux-Bock, RdTW 2021, 456, 457; auch Hooydonk, Journal of international maritime Law 2014, 403, 406. 100 Vgl. Daum/Boesch, RdTW 2018, 41; Etzkorn, S. 95; Piette, Droit maritime franc¸ais 2017, 983; Piette, Recueil Dalloz 2019, 899; Ramming, RdTW 2017, 286, 289 ff.; Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 277; Hooydonk, Journal of international maritime Law 2014, 403, 406 ff. 101 Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910, RGBl. 1913, 49; näher zu der Entstehung des IÜZ s. u. Kap. 1.B.II.3.a). 102 Vgl. Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 277. 103 S. IMO, LEG 106/16, S. 15–18. 104 IMO, Interim Guidelines for MASS trials, MSC.1/Circ.1604. 105 EU-Operational Guidelines on trials of Maritime Autonomous Surface Ships (MASS), zumherunterladenunterhttps://transport.ec.europa.eu/transport-modes/maritime/maritimeautonomous-ships-and-shipping en (besucht am 26.8.2022).

B. Juristischer Kontext

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a) Die Erfassung der autonomen Schifffahrt im französischen Recht Ende des Jahres 2019 hat Frankreich ein Gesetz zur Mobilitätsplanung (Loi d’orientation des mobilite´s) verabschiedet.106 Die dort vorgesehenen Anweisungen an die Regierung gelten sowohl für die See- als auch die Binnenschifffahrt.107 Art. 135 dieses Gesetzes ermächtigt die Regierung, im Rahmen der Verordnungsbefugnis des Art. 38 der Verfassung vom 4. Oktober 1958 das Verkehrsgesetzbuch (Code des Transports) zu ändern. Ziele sind, laut Art. 135 III) Nr. 1, „die Navigation von schwimmenden Fahrzeugen und autonomen oder ferngesteuerten Schiffen zu ermöglichen, die Bedingungen für ihren Einsatz festzulegen, um die Sicherheit der Seeschifffahrt und der Umwelt zu gewährleisten, die entsprechenden Haftungs- und Versicherungsregelungen sowie die für das betreffende Personal geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften zu präzisieren und die Bedingungen festzulegen, unter denen die Nichteinhaltung dieser Vorschriften angestrebt, überwacht und bestraft wird“.108

Bisher waren in Art. L. 5121-3 Abs. 1 S. 3 Code des Transports lediglich die aus einem anderen Schiff ferngesteuerten unbemannten Schiffe geregelt.109 In diesem Rahmen hat zunächst die französische Regierung am 20. Mai 2020 einen arreˆte´ erlassen,110 welcher als „experimentelle Gesetzgebung“111 eingeordnet werden kann. Dadurch ermöglicht das französische Recht die Durchführung von Tests sowohl von ferngesteuerten als auch autonomen Schiffen. Der arreˆte´ gibt erstmals in Art. 2 Nr. 1 S. 1 eine Legaldefinition von „autonomen Maschinen“ (engins autonomes): „Autonome oder ferngesteuerte schwimmende Über- oder Unterwasserfahrzeuge, die über eine Manövrierfähigkeit an der Oberfläche verfügen und die in unterschiedlichem Maße ohne menschliche Interaktion betrieben werden können“.112 106 Loi n° 2019-1428 du 24 de´cembre 2019 d’orientation des mobilite´s, JORF 26.12.2019; s. näher zu den seerechtlichen Bestimmungen des Gesetzes Delebecque, AJ Contrats d’affaires 2020, 69. 107 S. z.B. Loi n° 2019-1428 du 24 de´cembre 2019 d’orientation des mobilite´s, JORF 26.12.2019, art. 135 X) Abs. 1: Das Wort „bateau“ bezeichnet ein „Binnenschiff“, während der Begriff „navire“ ein „Seeschiff“ benennt. 108 Loi n° 2019-1428 du 24 de´cembre 2019 d’orientation des mobilite´s, JORF 26.12.2019, art. 135 III) Nr. 1: „permettre la navigation d’engins flottants et de navires autonomes ou commande´s a` distance, de de´finir les conditions de leur utilisation pour pre´server la se´curite´ de la navigation maritime et l’environnement, de pre´ciser le re´gime de responsabilite´ et d’assurance correspondant ainsi que le droit du travail et le re´gime social applicables aux personnels concerne´s et de de´finir les conditions dans lesquelles la me´connaissance de ces dispositions est recherche´e, controˆle´e et sanctionne´e“. 109 Solche unbemannten ferngesteuerten Schiffe unterliegen einer Kennzeichenpflicht, Art. L. 5111-1-1 Code des Transports. 110 Arreˆte´ du 20 mai 2020 relatif aux modalite´s d’expe´rimentation de la navigation des engins flottants maritimes autonomes ou commande´s a` distance, JORF 30.5.2020. 111 Zu der experimentellen Gesetzgebung s. Kunz/Mona, S. 212. 112 „Les engins flottants de surface ou sous-marins autonomes ou commande´s a` distance, dote´s d’une capacite´ de manœuvre en surface, et qui, a` divers degre´s, peuvent eˆtre utilise´s sans interaction humaine.“

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

Für die Durchführung eines Tests sind zahlreiche Vorgaben, insbesondere für die Sicherheit, zu beachten. Der Betreiber des Testschiffes muss z.B. gemäß Art. 8 Nr. 2 Sicherheitspläne im Falle eines Abbruchs der Verbindung Land-Schiff erstellen. Der arreˆte´ listet auch die Risiken auf, die berücksichtigt und geplant werden müssen, insbesondere der Zusammenstoß, vgl. Anhänge 2 und 3. Durch diesen arreˆte´ wird auch die spätere Entwicklung der gesetzlichen Bestimmungen vorbereitet: Nach dem Test muss der Betreiber dem Seeamt (Pre´fecture maritime) Vorschläge bzw. Bemerkungen bezüglich des juristischen Rahmens (Cybersicherheit, Haftung usw.) gemäß Anhang 5 mitteilen. Durch eine Verordnung vom 13. Oktober 2021 ist die französische Regierung einen zweiten Schritt für die rechtliche Erfassung der autonomen Schifffahrt gegangen.113 Hier wird das Verkehrsgesetzbuch an bestimmten Stellen angepasst, um die Fahrt von autonomen und ferngesteuerten Schiffen ausdrücklich zu ermöglichen. Die Verordnung unterscheidet zwischen „Seedrohne“ (drone maritime) und „autonomem Schiff“ (navire autonome) und gibt jeweils eine neue Legaldefinition. Ein Seedrohne ist laut Art. L. 5000-2-2 Abs. 1 Code des Transports ein „schwimmendes Über- oder Unterwasserfahrzeug, das ferngesteuert oder durch eigenes Betriebssystem betrieben wird, ohne Personal, Passagiere oder Fracht an Bord und dessen technische Merkmale, einschließlich Größe, Leistung und Geschwindigkeitsbegrenzung, durch die Regelungsbefugnis der Regierung festgelegt sind“.114

Ein autonomes Schiff ist laut Art. L. 5000-2-1 Code des Transports „ein Schiff, das ferngesteuert oder durch seine eigenen Betriebssysteme betrieben wird, unabhängig davon, ob sich Seeleute an Bord befinden oder nicht“.115 Sobald das autonome Fahrzeug Fracht, Passagiere oder Besatzung hat bzw. eine gewisse Größe überschreitet, ist es also als autonomes Schiff zu behandeln. Die Verordnung konzentriert sich inhaltlich auf die Seedrohne, insbesondere bezüglich der Identifizierung,116 der Eigentumsverhältnisse117 und der Vorschriften zur Gewährleistung der ökologischen Sicherheit.118 Die haftungsrechtlichen

113

Ordonnance n°2021-1330 du 13 octobre 2021 relative aux conditions de navigation des navires autonomes et drones maritimes, JORF 14.10.2021; für eine umfangreiche Darstellung dieser Verordnung s. Vuattoux-Bock, RdTW 2021, 456. 114 „Engin flottant de surface ou sous-marin ope´re´ a` distance ou par ses propres syste`mes d’exploitation, sans personnel, passager ni fret a` bord, et dont les caracte´ristiques techniques, notamment les limites de taille, de puissance et de vitesse, sont de´finies par voie re´glementaire.“ 115 „Navire ope´re´ a` distance ou par ses propres syste`mes d’exploitation, qu’il y ait ou non des gens de mer a` bord.“ 116 Eine Seedrohne soll demnach registriert werden (Art. L. 5112-1-4 Code des transports) und ein Identifizierungsmerkmal tragen (Art. L. 5111-2-1 Code des Transports). 117 Die Vorschriften des Code des Transports sind ausdrücklich auf Seedrohnen anwendbar (Art. L. 5114-1 A Code des Transports). 118 Insbesondere Art. L. 5241-2-1 A ff. Code des Transports.

B. Juristischer Kontext

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Vorschriften für Zusammenstöße sind ausdrücklich nach Art. L. 5131-1 Abs. 2 Code des Transports für Seedrohnen und autonome Schiffe anwendbar, bleiben jedoch unverändert. Zusammenfassend stellt die Verordnung des 13. Oktober 2021 einen sehr allgemeinen Schritt für die Einordnung autonomer Schiffe im französischen Seehandelsrecht dar. Sie regelt aber vor allem ferngesteuerte Schiffe119 und hat die haftungsrechtlichen Fragen der autonomen Schifffahrt inhaltlich nicht angepasst. Viele Fragen der Haftung im Falle eines Zusammenstoßes mit Beteiligung eines autonomen Schiffes bleiben von dieser Verordnung unbeantwortet.120 Das Mobilitätsplanungsgesetz, der arreˆte´ und die Verordnung stellen also die ersten ausdrücklichen Erwähnungen und Regelungsrahmen autonom fahrender Schiffe dar. Interessanterweise, und obwohl der arreˆte´ vor den operativen Leitlinien der Europäischen Kommission veröffentlicht wurde, stimmen die beiden Dokumente überein. b) Die Regelung im deutschen Recht Die deutsche Bundesregierung hat sich zunächst für die rechtlichen Rahmenbedingungen moderner Infrastruktur entschieden. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur unterstützt seit 2018 „die Einrichtung von digitalen Testfeldern“.121 Dies verkörpert sich z.B. in der Eröffnung eines Testfeldes für die autonome Binnenschifffahrt an der Spree-Oder-Wasserstraße (SOW).122 Dieses neue Testfeld hat das „Ziel […], an Bord das technisch notwendige alltagstaugliche Equipment zu testen und in das digitale Management der Wasserstraße einzubinden“.123 Die erste Phase dieses Testfelds wurde 2020 trotz der COVID19-Pandemie abgeschlossen und die zweite Phase konnte beginnen. Testfelder betreffen übrigens auch das Land Schleswig-Holstein mit der Einrichtung eines Testfeldes für das Kieler Projekt CAPTN Future auf der Kieler Förde.124 Dies wird zahlreiche Probefahrten ermöglichen, um den aktuellen Prototyp zu verbessern und weiterzuentwickeln, aber auch den Bedarf an rechtlichen Regelungen zu untersuchen.

119 Z.B. Seeleute, die das Schiff fernsteuern, werden so behandelt, als ob sie an Bord des Schiffes wären, s. Art. L. 5511-3-1 Code des Transports. 120 Zu dieser Frage s. u. Kap. 3.A.I und II. 121 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in der Mobilität – Aktionsplan, S. 36. 122 Vgl. o.V., Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 5, 21. 123 O.V., Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 5, 21. 124 Vgl. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, CAPTN Förde Areal, abrufbar unter https://captn.sh/foerde-areal/; s. zu diesem Projekt oben Kap. 1.A.III.6.

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

Anders als bei autonomen Kraftfahrzeugen mit dem 2017 eingeführten § 1a StVG125 sowie den 2021 verabschiedeten §§ 1d bis 1l StVG126 regelt das Gesetz noch nicht ausdrücklich autonome Schiffe. Darum wäre eine Anpassung mindestens der verschiedenen nationalen Regelungen nötig, sowohl in der Seeschifffahrt127 als auch für die Binnenschifffahrt, da z.B. für Letztere die anwendbaren Regelungen aus dem Binnenschifffahrtsgesetz (BinSchG), Binnenschifffahrtsaufgabengesetz (BinSchAufgG), Bundeswasserstraßengesetz (WaStrG), aus der Binnenschifffahrtsstraßenordnung (BinSchStrO) und der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (RheinSchPV) von einem Kapitän und einer Besatzung ausgehen.128 Aufgrund der COVID-19-Pandemie haben sich die Arbeiten der Bundesregierung diesbezüglich verspätet.129 Die deutsche Bundesregierung hat aber bereits die wichtigsten Fragen identifiziert (z.B. Cybersicherheit, Datenschutz, Behandlung von Notsituationen), die aus ihrer Sicht einem Regelungsbedarf unterliegen.130 Die autonome Schifffahrt erfolgt also in einem juristischen Kontext, der noch keinen entwickelten Regelungsrahmen hat. Trotz dieser Situation soll überlegt werden, ob die aktuelle Rechtslage nicht eine Übergangsphase darstellen könnte, insbesondere durch juristische Institute, die extreme technische Entwicklungen in der Geschichte erlebt haben. Dies ist besonders der Fall bei der höheren Gewalt, die aus der antiken Zeit stammt und in verschiedenen Zeitperioden für sehr unterschiedliche Arten von Schiffen eingesetzt worden ist.

II. Die Entwicklung der höheren Gewalt im See- und Schiffskollisionsrecht „Die See ist für den Mensch keine natürliche Umwelt.“131 Auf der Basis dieses Prinzips ist das Seerecht gegründet und hat versucht, die Natur juristisch zu erfassen. Das Institut der höheren Gewalt dient insbesondere im Seerecht dazu, natürliche Ereignisse zu berücksichtigen. Da die höhere Gewalt ihren Ursprung bereits im Codex Hammurabi (18. Jahrhundert v. Chr.) findet,132 wird sie voraussichtlich auch weiterhin eine wichtige Rolle im Seerecht spielen. Die höhere Gewalt hat sich konzeptuell besonders im antiken Recht, vom griechischen zum 125

Achtes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes v. 16.6.2017, BGBl. 2017 I,

1648. 126 RegE, Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes – Gesetz zum autonomen Fahren, BT-Drs. 19/27439. 127 Vgl. Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages, Autonomes Fahren auf Wasserwegen und Schienen, WD 5-3000-071/18, S. 7. 128 Vgl. Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages, Autonomes Fahren auf Wasserwegen und Schienen, WD 5-3000-071/18, S. 9. 129 S. BT-Drs. 19/23468, S. 4. 130 S. insbesondere BT-Drs. 19/23468, S. 8; vgl. mit der Antwort auf eine ähnliche Frage 2018 BT-Drs. 19/3379, S. 2. 131 Delebecque, S. 1: „La mer n’est pas, pour l’homme, un milieu naturel.“ 132 S. Alpes, S. 20.

B. Juristischer Kontext

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römischen Recht entwickelt (1.). Nach dieser Periode begann eine Zeit der Paradigmenwechsel, in der gewaltige Naturereignisse andere Folgen für die Haftung des Schädigers hatten (2.). Ab dem 19. Jahrhundert erfolgte aber eine Rückkehr der römischen Tradition der höheren Gewalt im Schiffskollisionsrecht durch die Rechtsvereinheitlichung (3.), seine Umsetzung im nationalen Recht (4.) sowie durch die Modernisierung des Seerechts (5.). 1. Die Regelung und die Wurzeln der höheren Gewalt im Seerecht der Antike Die griechische und die römische Zivilisation haben sowohl aus militärischen als auch wirtschaftlichen Gründen die Wasserwege benutzt.133 Durch die zahlreichen Gefahren der See hatten zuerst die Seehändler besondere Haftungsregelungen entwickelt. a) Die Betrachtung der Ereignisse der höheren Gewalt im antiken griechischen Seerecht Die griechische Zivilisation hat sich durch die geographischen Herausforderungen der hellenistischen Peninsula über das Meer entwickelt. Die Insel Rhodos im Mittelmeer war ein gutes Beispiel für eine Gesellschaft mit einem prosperierenden Seehandel in der Antike.134 Ab ca. dem 2. Jahrhundert v. Chr. wurde die lex Rhodia de iactu135 entwickelt, die eine Regelung sowohl der See- als auch der Binnenschifffahrt bot.136 Das große Erbe der lex Rhodia ist ein an die höhere Gewalt angenähertes Institut: die Haverei (franz.: avarie commune). Nach dieser Regelung dürfen beispielsweise verschuldensfrei Waren aus der Ladung über Bord geworfen werden (sog. Seewurf), um das Schiff vor weiteren Schäden zu schützen. Ereignisse und Konsequenzen der großen Haverei sind insofern ähnlich denen der höheren Gewalt. Es handelt sich um erhebliche Naturereignisse (Sturm, mächtiger Wellengang) bzw. menschliche Ereignisse (Piratenüberfall), die den Schiffer von seiner Haftung befreien bzw. sie mindern kann. aa) Keine besondere Regelung des Schiffszusammenstoßes Besondere Regelungen im Schiffskollisionsrecht im antiken Griechenland sind aber in den heute noch vorhandenen Quellen unbekannt. Die Literatur vermutet lediglich, dass die lex Rhodia solche Ereignisse geregelt haben müsste, ohne dies beweisen zu können.137 Weitere Hinweise in den römischen Quellen (z. B. in den Digesten) sind ebenfalls nicht vorhanden. Die Erscheinungen des Konzepts der höheren Gewalt sind auf die große Haverei sowie den Frachtvertrag begrenzt.

133

Vgl. Meyer-Termeer, S. 3 und 147. S. Wagner, RIDA XLIV (1997), 357, 358. 135 D.14.2 (Paulus libro trigensimo quarto ad edictum). 136 S. Wagner, RIDA XLIV (1997), 357, 360. 137 So Rolin, S. 6.

134

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

bb) Die höhere Gewalt im gräko-ägyptischen Frachtvertragsrecht Die geographische Lage Ägyptens, durch den Nil geteilt, hatte auch die Schifffahrt in der hellenistischen Periode (ca. 332 v. Chr. – 30 v. Chr.) gefördert. Als „Hauptverkehrsader“138 des Landes führte der Nil nach Alexandria, einer der von den Griechen gegründeten „größten Hafenstädte im Mittelmeerraum“.139 Der Frachtvertrag hatte eine große Bedeutung für die Rolle des Instituts der höheren Gewalt innerhalb einer vertraglichen Haftung. Hierdurch wurden die Grundzüge eines Billigkeitsgefühls, das die höhere Gewalt in sich trägt, betont. Für die Haftung des Schiffers waren hier die vertraglichen Vereinbarungen auf den Papyri maßgeblich. Das Haftungsregime bestand aus einer objektiven Haftung:140 Der Schiffer haftete grundsätzlich für alle Verluste oder Beschädigungen der Ladung. Die Ladung musste σωος (heil) und πληρης (vollständig) ankommen.141 Die Haftung war also verschuldensunabhängig.142 Quelle zahlreicher Debatten war die Frage, ob für diese objektive Haftung ein Haftungsausschluss für höhere Gewalt (θεου βιαν) bestehen konnte.143 Die Fälle der höheren Gewalt gehören in der Tat zu den Gefahren in Ägypten, d.h. „äußere Ursachen, auf die der Schiffer keinen Einfluss ausüben kann, so dass sie einen Fall höherer Gewalt darstellen, wie z.B. sehr schlechte Wetterverhältnisse, eine Heuschreckenplage, ein Überfall von Piraten oder anderen feindlichen Personen oder ein Mangel des Schiffs, der dem Schiffer nicht vorgeworfen werden kann, jedoch zu Beschädigung oder Verlust der Ladung führt“.144

Meyer-Termeer hat die noch existierenden Papyri studiert und hat die verschiedenen Garantien ausgewertet, die vom Schiffer zu dieser Zeit übernommen wurden. Er hat die zahlreichen Klauseln aufgezählt, nach denen der Schiffer unbegrenzt haftete, auch im Falle höherer Gewalt. Diese Garantien waren beispielsweise die ακακουργτος απο πασης ναυτικης κακουργιας (der Schiffer haftete auch für natürliche Schadensursachen wie z. B. schlechtes Wetter)145 oder die καϑαρος (eine Haftung ohne Ausnahme für unreine Ladung z. B. infolge eines Sandsturms).146 Die Auslegung, dass für „höhere Gewalt“ auch gehaftet wird, entnimmt Meyer-Termeer der Tatsache, dass die genannten Klauseln keine ausdrückliche Ausnahme vorsahen.147 Die vorherige Studie derselben Quelle von Brecht erwies

138

Meyer-Termeer, S. 3. Meyer-Termeer, S. 3. 140 Vgl. Meyer-Termeer, S. 111 ff. 141 Brecht, S. 36. 142 Vgl. Brecht, S. 38. 143 S. z.B. Brecht, S. 69–82; Meyer-Termeer, S. 119–120; Seidl, S. 177. 144 Meyer-Termeer, S. 112. 145 Meyer-Termeer, S. 112–113. 146 Meyer-Termeer, S. 113. 147 S. Meyer-Termeer, S. 117. 139

B. Juristischer Kontext

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eine andere Auffassung: „Die heute herrschende Meinung [ist] im Recht, wenn sie annimmt, daß die Klausel […] eine Haftung für höhere Gewalt nach ihrem Wortlaut nicht umfassen soll.“148 Die Haftung umfasste zwar den niederen Zufall,149 nicht aber die Fälle von höherer Gewalt, die nicht auf ein menschliches Tun zurückzuführen waren (z.B. Naturereignisse).150 Die Analyse von Brecht zeigte jedoch Grenzen für menschliches Tun auf, die nicht vom Schiffer zu vertreten waren (etwa ein Piratenangriff).151 Er dehnte seine Analyse indes auf solche begrenzte Fälle aus. Seidl knüpfte an der Meinung von Brecht an: „Von solchen Vereinbarungen abgesehen findet aber die Haftung nach Gefahrenbeherrschung ihre Grenze an der höheren Gewalt.“152 Die Auslegung von Brecht scheint überzeugender. Die von Meyer-Termeer zitierten Klauseln haben den Zweck Ereignisse zu umfassen, die sonst in den meisten Fällen als höhere Gewalt bezeichnet werden könnten. Bei Übernahme von einer der oben genannten Garantien wurden diese Ereignisse Teil der Risikosphäre des Schiffers. In der Abwesenheit solcher Klauseln konnte er sich aber von seiner Gefahrenhaftung befreien, indem er diesen Fall der höheren Gewalt nachwies. Die Rechtsinstitution der höheren Gewalt diente also hier dem Billigkeitsgefühl in der Systematik der objektiven Haftung. Parallel zu der Entwicklung in Ägypten wurde auch ein besonderes Haftungssystem im römischen Recht geschaffen. b) Die Betrachtung der Ereignisse höherer Gewalt im römischen Seerecht Die Seeschifffahrt war erst ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. für Handelszwecke im römischen Einflussgebiet verbreitet.153 Die Risiken waren zu dieser Zeit insbesondere Piraten,154 aber auch Schiffbruch155 sowie Zusammenstöße, die aufgrund des damaligen Schiffbaus einen schnellen Untergang des Schiffes verursachen konnten. aa) Lex Aquilia und Zusammenstoß von Schiffen Die Zusammenstöße zwischen Schiffen waren dem allgemeinen deliktischen Recht unterstellt. Die Lex Aquilia fand dementsprechend Anwendung. Vor dieser Lex Aquilia war und bleibt die Lage der juristischen Betrachtung unklar und unbekannt.156

148

Brecht, S. 46. Brecht, S. 40. 150 Brecht, S. 41. 151 S. Brecht, S. 42. 152 Seidl, S. 177. 153 Vgl. Delebecque, S. 15; Meyer-Termeer, S. 147. 154 Vgl. Meyer-Termeer, S. 147. 155 Vgl. Meyer-Termeer, S. 172. 156 S. Rolin, S. 16.

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

Die Lex Aquilia unterschied laut den Digesten nach der Ursache des Zusammenstoßes. Wurde der Unfall aufgrund eines Verschuldens der Besatzung verursacht, so hatte der Geschädigte nach der Lex Aquilia einen Anspruch gegen den Eigentümer des Schiffes.157 Ein solcher Anspruch stand aber dem Geschädigten nicht zu, wenn „das Schiff einem so großen Sturm ausgesetzt gewesen [war], daß es dem Ruder nicht mehr gehorchte“.158 Diese Systematik hatte also zur Folge, dass der Schädiger im Falle gewaltiger Naturereignisse, also höherer Gewalt, nicht haftete. Der Wind musste so stark gewesen sein, dass er unbezwingbar war: „quem temperari non potuit“.159 Dies bedeutet in der Folge, dass jeder Schiffer seinen eigenen Schaden tragen musste.160 Dieses Prinzip wurde als „gerecht“ empfunden, denn allein das Tun eines Menschen soll juristische Konsequenzen haben und nicht das Ereignis der Natur.161 Dieses System findet sich im modernen Seehandelsrecht wieder, sowohl in den französischen und deutschen als auch internationalen Regelungen des Zusammenstoßes.162 Daher vermittelt Delebecque einen irreführenden Eindruck, wenn er behauptet, dass das römische Recht wenig Einfluss auf das moderne Seerecht hat.163 Die höhere Gewalt hat zudem im römischen Seerecht, ähnlich wie im griechischen Recht, eine Abmilderungsfunktion im Rahmen einer strengen Haftung. bb) Die höhere Gewalt in einer objektiven Haftung: das receptum nautarum Im Rahmen eines Frachtvertrags zwischen einem exercitor (nauta, Schiffer)164 und einem Absender haftete ursprünglich der Schiffer (d.h. der Reeder)165 für Vorsatz (dolus) und einfaches Verschulden (culpa).166 Dies bedeutet, dass die Haftung weder den niederen Zufall (casus) noch die höhere Gewalt (vis maior)167 umfasste. Diese relativ milde Haftung erklärt die Entstehung des sog. receptum nautarum durch ein Edikt des römischen Prätors um ca. 200 v. Chr.168 Es entstand damals ein Wunsch nach Zuverlässigkeit gegenüber den Seeleuten, die einen schlechten Ruf genossen.169 157

D. 9.2.29.4 (Ulpianus libro octavo decimo ad edictum). D. 9.2.29.4 (Ulpianus libro octavo decimo ad edictum); Übersetzung ins Deutsche aus Behrends u. a. (Hrsg.), Corpus iuris civilis, S. 754. 159 D. 9.2.29.4 (Ulpianus libro octavo decimo ad edictum). 160 Vgl. Rolin, S. 16–17. 161 Rolin, S. 18. 162 S. u. Kap. 1.B.II.3 und 4. 163 S. Delebecque, S. 15. 164 Vgl. Meyer-Termeer, S. 150. 165 Vgl. Städtler, S. 16. 166 Meyer-Termeer, S. 172. 167 Meyer-Termeer, S. 177; für eine Übersicht der verschiedenen Begriffe s. Alpes, S. 21–22. 168 Städtler, S. 15; die genaue Entstehung des Edikts ist nicht bekannt, aber die Literatur verständigt sich auf das 1. Jahrhundert v. Chr., vgl. Goldschmidt, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 3 (1860), 58, 80; Meyer-Termeer, S. 185. 169 S. Zimmermann, in: HKK, §§ 701–704 BGB, Rn. 4. 158

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Das Edikt war laut Ulpian wie folgt formuliert: „Nautae, caupones stabularii quod cuiusque salvum fore receperint nisi restituent, in eos iudicium dabo“,170 übersetzt: „Wenn Schiffer, Schenkwirte und Stallwirte dasjenige, für das sie zugunsten eines anderen die Gewähr der Obhut übernommen haben, nicht zurückgeben, werde ich eine Klage gegen sie gewähren.“171 Die Haftung ex recepto war eine zusätzliche Garantiehaftung, die zwingend neben dem Frachtvertrag stand.172 Diese Haftung war also unbegrenzt – d.h. eine Haftung auch für niederen Zufall173 – und wurde somit verschärft: „Er [haftete] vor der Einführung der exceptio Labeonis für alle Schäden, auch wenn sie durch höhere Gewalt entstanden waren.“174 Erst ab dem Juristen Marcus Antistius Labeo (gestorben zwischen 5 und 22 n. Chr.) wurde die Haftung des Schiffers im römischen Recht abgemildert: „at hoc edicto omnimodo qui receperit tenetur, etiam si sine culpa eius res periit vel damnum datum est, nisi si quid damno fatali contingit. inde Labeo scribit, si quid naufragio aut per vim piratarum perierit, non esse iniquum exceptionem ei dari“,175

übersetzt: „wohingegen nach diesem Edikt derjenige, der Sachen übernimmt, auf jeden Fall haftet, auch wenn ohne sein Verschulden die Sache untergegangen oder ein Schaden zugefügt worden ist, es sei denn, der Schaden ist durch höhere Gewalt eingetreten. Daher schreibt Labeo, wenn Güter durch Schiffbruch oder einen Überfall von Seeräubern verloren gegangen seien, sei es nicht unangemessen, dem Reeder eine Einrede zu gewähren.“176

Hier stellt man fest, dass die höhere Gewalt als Ausgleich für eine schärfere Haftung diente, die aus Billigkeitsgründen eingeführt worden ist.177 Die höhere Gewalt knüpfte übrigens laut Gaius an das griechische Recht an: „vis maior, quam Graeci θεουÄ βι αν appellant“.178 Dies führte Exner dazu anzunehmen, dass der Begriff θεουÄ βι αν ursprünglich ein technisch-seerechtlicher Begriff war.179 Zur Zeit Labeos wurden nur Schiffbruch und Piratenüberfall als zulässige Fälle der höheren Gewalt ausdrücklich und ausschließlich anerkannt.180 Erst nach Labeo haben die Prätoren (ca. ab der Regentschaft von Tiberius) durch die Entwicklung ihrer Rechtsprechung eine neue exceptio gegeben:181 Der Schiffer 170

D. 4.9.1 (Ulpianus libro quarto decimo ad edictum). Behrends u. a. (Hrsg.), Corpus iuris civilis, S. 458. 172 Goldschmidt, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 3 (1860), 58, 62. 173 Brecht, S. 84; Goldschmidt, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 3 (1860), 58, 81; vgl. Zimmermann, in: HKK, §§ 701–704 BGB, Rn. 3. 174 Meyer-Termeer, S. 172. 175 D. 4.9.3.1 (Ulpianus libro quarto decimo ad edictum). 176 Behrends u. a. (Hrsg.), Corpus iuris civilis, S. 461. 177 S. Zimmermann, in: HKK, §§ 701–704 BGB, Rn. 3; zu dieser Rolle der höheren Gewalt für die objektive Haftung s. u. Kap. 3.B.I. 178 D. 19.2.25.6 (Gaius libro decimo ad edictum provinciale). 179 S. Exner, S. 6, Fn. 3. 180 Meyer-Termeer, S. 197; Zimmermann, in: HKK, §§ 701–704 BGB, Rn. 3. 181 Meyer-Termeer, S. 197; vgl. auch Zimmermann, in: HKK, §§ 701–704 BGB, Rn. 3. 171

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

konnte sich sodann auf „damnum fatale“ berufen,182 wie z.B. ruina (Untergang) oder incendium183 (Brand). Dies führte dazu, dass zur Zeit Justinians die Haftung des Schiffers keine Fälle höherer Gewalt mehr umfasste.184 Es ist hier also interessant zu betonen, dass der Prätor sich für eine schärfere Haftung des Schiffers ausgesprochen hatte, aber sie dann aus Billigkeitsgründen mit dem Ausschluss der höheren Gewalt später abgemildert hatte. 2. Die Entwicklung eines zweiten Modells: die post-römische Entwicklung des See- und Schiffskollisionsrechts (ca. 8.–19. Jahrhundert) Nach dem Ende des Römischen Reichs 476 hat sich das Seehandelsrecht weiterentwickelt. Aufgrund des großen Einflusses des Oströmischen Reichs lebte das römische Recht im Mittelmeerraum fort (a)). Währenddessen entstanden aber auch Gewohnheiten, die das gesamte See- und Schiffskollisionsrecht prägten (b)). Dieses Erbe verbreitete sich dank des Einflusses der Hanse in Deutschland (c)) und der zentralen Macht des französischen Königsreichs, sodass die in der Neuzeit entstehenden Regelungen weitgehend dieses Erbe bis zum 19. Jahrhundert am Leben hielten (d)). a) Die Fortsetzung des römischen Rechts im Mittelmeerraum Das Oströmische Reich hat teilweise versucht das römische Seerecht weiter anzuwenden, das von der Lex rhodia de iactu inspiriert war.185 Das sog. „pseudorhodische“ Gesetz hatte das Prinzip des Verschuldens und des Zufalls behalten: Es bestand keine Klage für den Geschädigten, wenn der Zusammenstoß auf einer zufälligen Ursache beruhte. Die Fälle waren aber nicht mehr generell formuliert, sondern nahmen die Form einer Auflistung von Situationen an.186 Das römische Recht und die allgemeinen Regeln der Lex Aquilia wurden parallel in den italienischen Republiken weiter angewendet: Amalfi, Pisa, Genua und Venedig. Die höhere Gewalt und das Verschuldensprinzip prägten dort immer noch das Schiffskollisionsrecht.187 Im Mittelmeerraum ersetzten aber langsam die Gewohnheiten das römische Recht im engeren Sinne. Das „Seekonsulat“ (katalanisch: Consolat de mar), eine Kommentierung der Rechtsprechung des Seegerichts von Barcelona ab dem 13. Jahrhundert, hatte einen wichtigen Einfluss auf das Seehandelsrecht der Region. Die Kapitel 155 und 158 regelten den Fall, in dem ein Schiff ein anderes beschädigt. Der Schädiger hatte hier die Schäden zu ersetzen,188 es sei denn, dass 182

Städtler, S. 16. Goldschmidt, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 3 (1860), 58, 90. 184 Vgl. Meyer-Termeer, S. 197. 185 S. Rolin, S. 25. 186 S. Rolin, S. 27. 187 Vgl. Rolin, S. 33. 188 S. für die Texte auf Katalanisch mit einer Übersetzung ins Französische Pardessus, S. 174 ff. 183

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der Zusammenstoß von einem Sturm verursacht worden ist. In diesem Fall war kein Schadenersatz geschuldet. Auch wenn der Begriff „höhere Gewalt“ nicht ausdrücklich zu finden war, spricht die Beschreibung des (Natur-)Ereignisses eindeutig für das Institut: Die Beteiligten müssten laut Kapitel 158 alles in ihrer Macht und alles Mögliche getan haben, um die Schäden abzuwenden. Hier lässt sich eine Rezeption des römischen Rechts bzw. der Lex Aquilia feststellen. Und dies, obwohl das Seekonsulat auch neue Regeln geschaffen hat. Zum Beispiel im Fall eines gemeinsamen Verschuldens: Dann sollte die Schadensverteilung „ex aequo et bono“ erfolgen.189 Die Entwicklung der Gewohnheiten vollzog sich im Mittelalter auch nördlich des Mittelmeeres. b) Die Roˆles d’Ole´ron und die verringerten Effekte der höheren Gewalt Während die aus dem römischen Recht entstandenen Regelungen weiterhin im Mittelmeerraum galten, verfolgte das sogenannte Recht des Ozeans eine andere Richtung. Die höhere Gewalt führte nicht zu einem absoluten Entlastungseffekt, sondern lediglich zur Schadensumverteilung. aa) Die Schadensverteilung zur Hälfte infolge der höheren Gewalt nach den Roˆles d’Ole´ron Eine der ältesten Regelungen des Mittelalters war an der französischen Küste entstanden: die Roˆles d’Ole´ron. Konzipiert als eine Sammlung von früheren Gewohnheiten,190 sind diese Schifffahrtsvorschriften im Laufe des 13. Jahrhunderts entstanden.191 Hier hatte die höhere Gewalt lediglich mildere Konsequenzen. Die 15. Regel sah den Fall eines Zusammenstoßes zwischen zwei Schiffen vor, der aus Versehen passiert war, z.B. per Zufall. In dieser Konstellation wurden die Schäden zwischen den beiden Schiffen zur Hälfte geteilt.192 Dies sollte vermeiden, dass ein altes Schiff sich in den Weg eines neueren stellte und damit eine vollständige Entschädigung von dem anderen Schiff erhielt: „Ein altes Schiff [legte] sich gerne in den Weg eines besseren, wenn es alle Schäden aus dem Zusammenstoß ersetzt bekäme. Aber wenn es weiß, daß es zur Hälfte teilen muß, zieht es sich gern vom Wege des einlaufenden Schiffes zurück.“193

Hier stellt man fest, dass ein zufälliges Ereignis nicht mehr zu einer vollständigen Entlastung des Schädigers führte. Entweder lag ein Verschulden vor und der

189

S. Rolin, S. 39. Vgl. Delebecque, S. 15. 191 S. Krieger, S. 70. 192 Art. 15; Text wiedergegeben in Saint-Maur, S. 15. 193 „Et est rezon pour coy cest jutgement fut fet : si est que une vielle nef se meist voluntiers en la voie a` une meilore, si elle eust toz sons dommages, pour qui avoir l’autre nef ; mes quant ele set que ele i doit partir a la maite´, ele s’estrait voluntiers hors de le boihe“ ; deutsche Übersetzung aus Krieger, S. 92. 190

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Schädiger sollte die Schäden vollständig ersetzen, oder es lag kein Verschulden vor (d.h. zumindest Zufall) und die Schäden wurden zur Hälfte geteilt. Die römische Regelung der vollständigen Entlastung im Falle eines Ereignisses höherer Gewalt war also nicht mehr zu finden. bb) Die erste Rezeption der Roˆles d’Ole´ron in Europa Diese Regelung beeinflusste das Seerecht ganz Europas. Zunächst sind die Roˆles d’Ole´ron früh im englischen Black Book of the Admiralty194 rezipiert worden. Der vorsätzliche Schädiger musste hier wie gewohnt die Schäden ersetzen. Eine Verteilung der Schäden erfolgte dann, wenn der Zusammenstoß per Zufall verursacht war.195 Nur während einer kurzen Unterbrechung im 16. Jahrhundert (bis 1614)196 wurden die alten römischen Regeln wieder eingesetzt: Die höhere Gewalt entlastet vollständig den Schädiger. Rolin erklärt diese Unterbrechung aufgrund der vom römischen Recht geprägten Ausbildung der Anwälte, die vor dem Gericht der Admiralty tätig waren.197 Die gleiche Regelung war übrigens auch im Coutumier d’Ole´ron zu finden, einer Kompilation der tatsächlichen Gewohnheiten der französischen Insel von Ole´ron aus dem 14. Jahrhundert, Art. 8 (2). Die Roˆles d’Ole´ron wurden in Skandinavien und im Ostseeraum durch niederländische Sammlungen von Gewohnheiten rezipiert: die Ordonancie de cooplude unde scippers mit malkanderen holden an der Zuidersee (Niederlande) im 14. Jahrhundert oder eine Übersetzung der Roˆles im sog. Vonnesse von Damme an der flämischen Küste ebenfalls im 14. Jahrhundert.198 Deren Einfluss ging bis Norwegen und die Hansestadt Hamburg. Das Watterrecht, auch Visbysches Seerecht genannt, im 15. Jahrhundert stellte dann eine Zusammenfassung dieser beiden Texte im Ostseeraum dar199 und keinesfalls ein neu geschaffenes Rechtssystem.200 Die Roˆles d’Ole´ron prägten auch die zentral geschaffenen Regeln von Karl V. (1500–1558) in den Niederlanden durch eine Ordonnanz aus dem Jahre 1551. Art. 46 bis 48 der Ordonnanz regelten den Fall eines Zusammenstoßes – mit einer Differenzierung je nach Bewegungssituation jedes Schiffes (z.B. zwei Schiffe in Bewegung oder zwei Schiffe beim Ankern).201 In allen Fällen wurden die verursachten Schäden zur Hälfte zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger geteilt, sei es aufgrund eines fehlenden Verschuldens (Art. 46 und 47) oder eines Sturms (Art. 48). König Philipp II. (1527–1598) erließ 1563 eine zweite Ordonnanz, die die Ordonnanz von 1551 bestätigte. Rolin bestimmt die Systematik wie 194

Vgl. Rolin, S. 85. Vgl. Rolin, S. 88. 196 S. Rolin, S. 116. 197 Rolin, S. 117. 198 Landwehr, S. 14 f. 199 S. Landwehr, S. 15. 200 S. Rolin, S. 91. 201 S. Rolin, S. 100–101. 195

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folgt: „Wir können also die gesamte Systematik der Ordonnanzen zusammenfassen, indem wir sagen, dass die Verteilung stattfindet, wenn die Kollision die Folge von Zufall oder höherer Gewalt ist“.202 Die Roˆles d’Ole´ron und ihre Rezeption sind also einer der ersten Schritte der vorläufigen Abkehr Europas von dem römischen Schiffskollisionsrecht. Die Wurzeln der mittelalterlichen Gewohnheiten sind auch in den hanseatischen Rechten sowie im französischen Recht als solche zu finden. c) Die Verankerung der Schadensverteilung infolge höherer Gewalt durch das französische Königreich und die Deutsche Hanse Die Prägung der Roˆles d’Ole´ron wurde in Deutschland und Frankreich besonders durch zwei verschiedene Systeme gestärkt. Auf der einen Seite übte die Hanse, mit ihren jeweiligen Stadtrechten (insbesondere Lübeck und Hamburg), einen sehr großen Einfluss auf den Seeverkehr aus. Auf der anderen Seite prägte die zentrale absolute Macht von Ludwig XIV. das französische See- und Schiffskollisionsrecht langfristig. aa) Die ersten Schritte zum einheitlichen deutschen Schiffskollisionsrecht: die Hanse Die Roˆles d’Ole´ron bzw. die verschiedenen Sammlungen in Nord- und Ostsee beeinflussten das Seerecht der Hansestädte. Die Hanse wurde im 13. Jahrhundert infolge eines Bundes zunächst zwischen Kaufleuten und später zwischen der Stadt Lübeck und der Stadt Hamburg geboren.203 Das frühe lübische Stadtrecht enthielt bereits 1240 sowie 1299 eine Regel, die die Verteilung der Schäden zur Hälfte infolge des Zufalls vorsah.204 Hamburg hatte ebenfalls eine ähnliche Bestimmung in seinem Stadtrecht von 1292.205 Diese Regelungen waren im ganzen Ostseeraum durch die Übertragung der jeweiligen Stadtrechte an andere Städte vorhanden, wie z.B. das lübische Recht in Kiel 1232, Plön 1236 oder Wismar 1266 und das Hamburger Recht z.B. in Bremen im Laufe des 14. Jahrhunderts.206 Die späteren Rezesse des 14. und 15. Jahrhunderts änderten die Bestimmungen des Zusammenstoßes nicht, so dass das revidierte Lübecker Stadtrecht von 1586 die Bestimmungen von 1299 lediglich wiedergab,207 ebenso wie das in den Jahren 1497 und 1605 revidierte Hamburger Stadtrecht.208 202 Rolin, S. 101–102: „on peut donc re´sumer tout le syste`me des ordonnances en disant que le partage a lieu si la collision est l’effet du hasard ou de la force majeure.“ 203 Zur Entstehung und Geschichte der Hanse s. Ellmers, Hansische Geschichtsblätter 103 (1985), 3; Pagel, S. 23 ff.; Rolin, S. 56. 204 LübSchiffR 1240, Art. 131; LübSchiffR 1299, Art. 23. 205 HambSchiffR 1292, Art. 21. 206 S. Rolin, S. 59. 207 LübRevStR 1586 VI 4, Art. 3; s. auch Landwehr, S. 136. 208 Landwehr, S. 15–16; Rolin, S. 109.

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Der Rezess von 1614 – auch Hansisches Seerecht genannt209 – schuff ein allgemeines Schiffskollisionsrecht und die Lübecker und Hamburger Stadtrechte zumindest in deren Bestimmungen über das Schiffskollisionsrecht faktisch außer Kraft zu setzen.210 Die Kommentatoren sind gemeinsam der Meinung, dass dieser Rezess vom dänischen Seegesetz von 1561211 sowie von der niederländischen Ordonnanz von 1551 – insbesondere für ihre Kasuistik – beeinflusst worden ist.212 Der Grundsatz blieb aber derselbe in den Art. 1 bis 3 des 10. Titels: Wurde der Zusammenstoß „nich mit Willen, sondern unvorhersehens“ (HansSeeR Titel X, Art. 1), „aus Noth“ (HansSeeR Titel X, Art. 2) oder „im Sturm oder sonst durch anderer Unglück“ (HansSeeR Titel X, Art. 3) verursacht, dann wurden die Schäden zur Hälfte geteilt. Bei diesen Fällen sind der Zufall oder die höhere Gewalt klar erkennbar.213 Das 17. Jahrhundert stellte auch im französischen Königreich von Ludwig XIV. einen bedeutsamen Punkt in der Entwicklung des Seerechts dar. bb) Meilenstein des französischen Seerechts: die Grande Ordonnance de la Marine Die Grande Ordonnance touchant la Marine214 von August 1681 wird als „berühmtes Monument der Gesetzgebung“215 oder als „Meisterwerk der Gesetzgebung“216 bezeichnet und prägte das französische Seerecht erheblich. Der Text wurde erst im Jahre 2006 mit großem Bedauern in der Literatur217 aufgehoben.218 Die Systematik der Roˆles d’Ole´ron und das geltende Recht im Norden Europas beeinflussten diese Grande Ordonnance. Der „Sonnenkönig“ hatte den Anwalt Legras in die Niederlande geschickt, um sich über die dort geltenden seerechtlichen Regeln zu informieren.219 Der Verteilungsgrundsatz der Schäden im Falle eines verschuldenslosen Zusammenstoßes war dann im Buch III, Titel VII, Art. 10 enthalten: „Im Falle einer Kollision zwischen Schiffen auf dem Weg, in der Hafenbucht oder im Hafen, wird der Schaden gleichwertig von den Schiffen bezahlt, die dies getan haben und dies

209

S. z.B. Landwehr, S. 131. Vgl. Rolin, S. 109. 211 Insbesondere Kap. 55 bis 57. 212 S. Landwehr, S. 137; Rolin, S. 109 f. 213 Vgl. Rolin, S. 110–111. 214 Die Formulierung „Grande Ordonnance touchant la Marine“ ist der offizielle Name. Häufig gebraucht wird jedoch die verkürzte Formulierung „Grande Ordonnance de la Marine“. 215 Rolin, S. 124: „ce´le`bre monument le´gislatif“. 216 Landwehr, ZNR 1986, 113. 217 S. besonders stark Delebecque, S. 16; auch Bonassies, Droit maritime franc¸ais 2020, 195. 218 Ord. 2006-460 du 21.4.2006 relative a` la recodification du droit domanial, art. 7, II, 7°. 219 Vgl. Rolin, S. 124. 210

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erlitten haben.“220 Hier gab es keinen ausdrücklichen Verweis mehr auf ein zufälliges Ereignis. Der folgende Art. 11 sah aber den Fall eines verschuldeten Zusammenstoßes vor. In diesem Fall schuldete der Schädiger allein den Schadenersatz. Daher blieb die Anwendung des Art. 10 nur noch für Ereignisse des Zufalls oder der höheren Gewalt. So analysierte es auch der Kommentar von 1714 der Ordonnance, indem er den Art. 10 für Sturm, unabwendbare Ereignisse oder bloßen Zufall auslegte.221 Die Begründung in dem Kommentar gab die gewünschten abschreckenden Effekte der Verteilung der Schäden wieder, die in den Roˆles d’Ole´ron zu finden waren.222 Zudem war auch eine religiös-moralische Begründung gegeben, mit einem Verweis auf das biblische Buch des Exodus:223 „Wenn jemandes Ochse eines andern Ochsen stößt, daß er stirbt, so sollen sie den lebendigen Ochsen verkaufen und das Geld teilen und das Aas auch teilen“.224 d) Die Rückkehr der römischen Systematik bezüglich der Zusammenstöße infolge höherer Gewalt Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Kodifizierung. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich wurden die seerechtlichen Regelungen kodifiziert. Diese Kodifizierung wurde von der Wiederentdeckung des römischen Rechts und der Entwicklung der höheren Gewalt beeinflusst. aa) Vom Erbe der Hanse in Preußen zu der gesamtdeutschen Kodifizierung Das römische Recht wurde auf dem Gebiet der deutschen Staaten rezipiert. Das „Gemeine Recht“ war eine Fortsetzung der Digesten und ihrer Kommentare. Die Rezeption des römischen Rechts konzentrierte sich auf den Verschuldensgrundsatz und systematisierte die Entlastung für Fälle höherer Gewalt.225 Die Entwicklung war besonders relevant für die Binnenschifffahrt sowie für den Seefrachtvertrag. Das receptum nautarum wurde ebenfalls in das deutsche Recht rezipiert. Dies beeinflusste langfristig stärker die Einsicht des Begriffs der höheren Gewalt als ihre Effekte.226 Deshalb war die Regelung des Zusammenstoßes im Landrecht des Herzogtums Preußen von 1620 in Art. 4, § 2 des Titels XIX des Buches IV zu finden, nach dem kein Schadenersatz von dem Schädiger geschuldet wurde, wenn der Schaden „wieder [sic] seines Willens geschehen und er es wegen Wetter und Windes nicht

220

„En cas d’abordage de vaisseaux, le dommage sera paye´ e´galement par les navires qui l’auront fait et souffert, soit en route, en rade ou au port.“ 221 S. Anonymus, S. 308. 222 S. o. Kap. 1.B.II.2.b). 223 S. Anonymus, S. 308. 224 2. Mose 21, 35. 225 S. Alpes, S. 37 ff. 226 S. Zimmermann, in: HKK, §§ 701–704 BGB, Rn. 14 ff.

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hindern können [sic]“. Dies ist bemerkenswert, denn die Vorschriften des Schiffskollisionsrechts zählen zu den wenigen Regelungen, die nicht aus dem lübischen Recht stammten.227 Dieser Unterschied im Schiffkollisionsrecht zwischen dem Landrecht und dem Hansischen Recht führte zu widersprechenden Urteilen. August Hypolit Bone – Rat bei der Königlich Preußischen Admiralitäts- und Lizent-Kammer Königsberg – berichtete, dass Zusammenstöße in erster Instanz nach preußischem Recht beurteilt wurden, aber in höherer Instanz nach Hansischem Recht.228 Dies führte 1727 zur Etablierung eines einheitlichen Preußischen Seerechts. Nichtsdestotrotz hatte das Hansische Recht von 1614 als „letzte große Gesetzgebungswerk [der Hanse] diese überlebt“.229 Der Einfluss dieses Rechts galt nicht nur für die vier freien Städte des damaligen deutschen Reichs (Lübeck, Hamburg, Bremen und Frankfurt am Main), mit deren Oberappellationsgericht in Lübeck, sondern fand sich auch im preußischen Recht wieder. Das Preußische Seerecht von 1727 war eine Zusammenfassung des schwedischen, französischen und Hansischen Rechts.230 Dabei stellten die Bestimmungen aus dem Hansischen Recht von 1614 ca. 10 % dieses Gesetzes dar.231 Die Art. 21 bis 23 des Gesetzes sahen dann die Verteilung der Schäden zur Hälfte im Falle eines verschuldenslosen Zusammenstoßes vor. Die gleiche Regelung galt weiterhin im Preußischen Allgemeinen Landrecht (ALR), II 8 §§ 1911 ff.: Die Schäden wurden zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten geteilt, es sei denn, ein Verschulden wurde festgestellt, II 8 § 1923 i.V.m. § 1911 ALR. Die Regelung des § 1923 ALR, ähnlich wie bei dessen Vorgängern, zitierte ausdrücklich Wetterereignisse: „Werden zwey festliegende Schiffe durch Gewalt der Wellen, oder des Windes, dergestalt zusammen gestoßen, daß eines oder beyde gequetscht, gedrückt, oder sonst beschädigt worden: so finden die Vorschriften § 1911 Anwendung.“

Die römische Tradition setzte sich aber durch das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 (ADHGB) durch, das bis zum Inkrafttreten des Handelsgesetzbuchs am 1.1.1900 galt. Das ADHGB setzte das Hansische Seerecht von 1614 außer Kraft232 und übernahm die römische juristische Betrachtung von Zusammenstößen. Die Art. 736 und 737 sahen einen Verschuldensgrundsatz vor. Verursachte ein Schiff aufgrund eines Verschuldens der Besatzung einen Schaden an einem anderen Schiff, so musste der Schädiger ihm Ersatz leisten. Wenn aber kein Verschulden zu bejahen war – also wegen Zufall oder höherer Gewalt –, wurde kein Schadenersatz geschuldet:

227

Vgl. Landwehr, ZNR 1986, 113, 115, Fn. 4. Bone, S. 17; auch wiedergegeben in Landwehr, ZNR 1986, 113, 116. 229 Landwehr, S. 143. 230 Vgl. Landwehr, S. 146. 231 Vgl. Landwehr, S. 146. 232 S. Landwehr, S. 147.

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„Fällt keiner Person der Besatzung des einen oder des anderen Schiffs ein Verschulden zur Last, oder ist der Zusammenstoß durch beiderseitiges Verschulden herbeigeführt, so findet ein Anspruch auf Ersatz des dem einen oder anderen oder beiden Schiffen zugefügten Schadens nicht statt.“

Die römischen Bestimmungen aus den Digesten und der Lex Aquilia sind hier erkennbar.233 Das ADHGB stellte daher einen fundamentalen Bruch in der jahrhundertealten Tradition des Seeverkehrs auf der Ostsee dar: Das Rechtsinstitut der höheren Gewalt entlastete nun den Schädiger wieder vollständig. Das Handelsgesetzbuch (HGB) in seiner originalen Fassung von 1897 hat die Formulierung des ADHGB wörtlich in den §§ 734, 735 HGB übernommen. bb) Die Rückkehr des römischen Rechts durch die napoleonische Kodifizierung In Frankreich setzte sich ebenfalls – aber durch die einheitliche zentrale Organisation des Staates etwas früher – die römische Tradition durch. Dies ist interessant, denn die Grande Ordonnance von 1681 galt bis 2006, aber der Wortlaut wurde nicht mehr angewandt. Die Haftungsregel der Grande Ordonnance wurde laut Ripert von den Juristen nicht mehr verstanden und sie versuchten die Regel abzumildern.234 Die Praxis passte die Regel so an, dass sie keine Anwendung mehr finden sollte, wenn der Zusammenstoß infolge höherer Gewalt geschehen ist.235 Die Verteilung je zur Hälfte geschah nur noch im Falle eines verdächtigen Zusammenstoßes (abordage douteux). Die höhere Gewalt entlastete also faktisch den Haftenden vollständig. Der Code de commerce von 1807 nahm die römischen Prinzipien auf. Der Art. 407 Abs. 1 lautete: „Im Falle einer Kollision zwischen Schiffen wird, wenn das Ereignis ausschließlich zufällig war, der Schaden ohne Rückerstattung von dem Schiff getragen, das ihn erlitten hat.“236 Der Zufall sowie die höhere Gewalt erhielten wieder ihre Rolle als vollumfängliche Entlastungsgründe. Der Grundsatz der Schadenverteilung zur Hälfte blieb lediglich, wenn der Grund des Zusammenstoßes ungewiss war, Art. 407 Abs. 3 Code de commerce. e) Zwischenergebnis (8.–19. Jahrhundert) Das 19. Jahrhundert stellte eine wichtige Wende im Schiffskollisionsrecht in Bezug auf die Rolle und den Begriff der höheren Gewalt dar. Das römische Recht, das noch im Mittelmeerraum und im Gebiet des gemeinen Rechts galt, sah vor, dass die höhere Gewalt den Schädiger vollständig entlasten sollte. Aber durch den Einfluss verschiedener Gewohnheiten und die darauf folgenden Gesetze hatte sich im Nord- und Ostseeraum eine andere lange Tradition durchgesetzt: 233

Dazu s. o. Kap. B.II.1.b). S. Ripert, S. 22. 235 Ripert, S. 22. 236 „En cas d’abordage de navires, si l’e´ve´nement a e´te´ purement fortuit, le dommage est supporte´, sans re´pe´tition, par celui des navires qui l’a e´prouve´.“ 234

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

Die höhere Gewalt sollte nur noch den Schädiger partiell entlasten. Allein wegen der Durchsetzung des römischen Rechts und der Wiederaufnahme von dessen Lehren wurde die Verteilung der Schäden zur Hälfte aufgegeben. Dies geschah sowohl in Frankreich als auch in Deutschland. Diese Wende des Schiffskollisionsrechts setzte sich in der Rechtsvereinheitlichung des Seerechts fort bzw. durch und beeinflusste somit das heutige internationale und nationale Seerecht langfristig. 3. Die Jahrhundertwende: die Vereinheitlichung des Seerechts Am Anfang des 20. Jahrhunderts internationalisierte sich das Seerecht sowohl in seinen völkerrechtlichen (sog. Law of the Seas) als auch privatrechtlichen Aspekten. Da der Schiffsverkehr grenzüberschreitend ist, wurden Schritte für eine Rechtsvereinheitlichung unternommen. Das Schiffskollisionsrecht stellte dabei das erste Werk dieser Vereinheitlichung dar und konnte dadurch die Effekte der höheren Gewalt verankern (a)). Das Institut der höheren Gewalt setzte sich auch in verschiedenen besonderen Gebieten der deliktischen Haftung sowie der vertraglichen Haftung durch (b)). a) Die erste seerechtliche Vereinheitlichung: die höhere Gewalt und das Schiffskollisionsrecht Die Arbeit der Rechtsvereinheitlichung durch internationale Verträge im Seehandelsrecht hat bereits am Anfang des 20. Jahrhundert begonnen. Das im Jahr 1897 gegründete Comite´ Maritime International (CMI) mit Sitz in Antwerpen war an der Initiative zahlreicher Übereinkommen beteiligt. Sein erstes Werk war das Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910 (IÜZ).237 Es war das Ergebnis der ersten diplomatischen Seerechtskonferenz.238 Zahlreiche Staaten sind Vertragsparteien, darunter bereits seit 1913 Frankreich und Deutschland. Dieses Brüsseler Übereinkommen befasst sich ausschließlich mit der deliktischen Haftung.239 Das Übereinkommen findet im Falle von Zusammenstößen Anwendung, wenn alle beteiligten Schiffe Vertragsparteien angehören, Art. 12 Abs. 1 IÜZ. Davon ausgenommen sind Kriegsschiffe sowie Schiffe, die für öffentliche Dienste bestimmt sind, Art. 11 IÜZ. Gehören jedoch alle Beteiligten und das berufene Gericht demselben Staat an, findet das nationale Recht Anwendung, Art. 12 Abs. 2 Nr. 2 IÜZ.

237

Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910, RGBl. 1913, 49. 238 Vgl. Delebecque, S. 35. 239 Vgl. Sienknecht, S. 34; für die prozessualen Fragen s. Internationales Übereinkommen vom 10. Mai 1952 zur Vereinheitlichung von Regeln über die zivilgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen, BGBl. 1972 II, 663.

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Art. 2 Abs. 1 IÜZ beinhaltet eine Regelung, wenn der Zusammenstoß nicht durch das Verschulden eines Schiffes gemäß Art. 3 IÜZ verursacht worden ist: „Ist der Zusammenstoß durch Zufall oder höhere Gewalt herbeigeführt oder besteht Ungewissheit über seine Ursachen, so wird der Schaden von denen getragen, die ihn erlitten haben.“ Die römische Tradition, die nun in vielen europäischen Ländern Geltung bekommen hat, setzt sich auch auf der internationalen Ebene durch. Die höhere Gewalt – sowie der Zufall – entlasten den Schädiger vollständig: Jeder trägt lediglich seinen eigenen Schaden. Darüber hinaus – im Gegensatz zu dem damaligen Art. 407 Code de commerce – bewirkt die ungewisse Ursache auch diesen Effekt. Es gibt nun keinen verschuldenslosen Fall mehr, in dem die Schäden zur Hälfte geteilt werden. Diese Verteilung kommt nur noch im Falle eines gemeinsamen Verschuldens vor, Art. 4 IÜZ. Es muss hier betont werden, dass die französische Einflussnahme in der Formulierung der Texte wichtig war. Die Texte der internationalen seerechtlichen Übereinkommen waren (und sind teilweise immer noch) in französischer Sprache als offizieller Version verfasst.240 Die deutsche Version ist lediglich eine amtliche Übersetzung der nationalen Regierungen (etwa Deutschland, Österreich oder der Schweiz) für die Veröffentlichung im Gesetzblatt.241 Darüber hinaus kann der französische Einfluss im Wortlaut des Art. 2 IÜZ deutlich gesehen werden (der damals berühmte französische Professor Charles Lyon-Caen war zudem Vorsitzender der Subkommission für Fragen redaktioneller Art):242 Der Ausschluss ist für „Zufall oder höhere Gewalt“ formuliert. Die französische Literatur und die Rechtsprechung machen in der Tat keinen Unterschied zwischen den beiden Begriffen.243 Dies erklärt die Verbindung mit dem Wort „oder“244 („ou“), das in französischen Gesetzestexten bezüglich der höheren Gewalt üblich ist.245 Dieser Punkt ist von großer Relevanz, denn dieses Übereinkommen wurde manchmal wörtlich in die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen übersetzt,246 so auch in Deutschland. Dieser Text hat Einfluss auch innerhalb des internationalen Seerechts. Das Übereinkommen zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen vom 15. März 1960,247 Pendant für die Binnenschifffahrt 240

Vgl. Spaeth, S. 15. Für ein Beispiel der Veröffentlichung des Textes in offizieller französischer Version im Reichsgesetzblatt s. Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23. September 1910, RGBl. 1913, 49. 242 Sienknecht, S. 8; Charles-Le´on Lyon-Caen (1843–1935) war ordentlicher Professor und später Dekan der Pariser Universität, s. für mehr biographische Details z.B. Blondel, Revue internationale de l’Enseignement 1936, 45. 243 S. Spaeth, S. 143; s. dazu Kap. 2.C.I.1. 244 Vgl. Spaeth, S. 142–143. 245 S. z.B. Art. 1148 a.F. Code civil, Art. 1733 Code civil. 246 S. u. Kap. 1.B.II.4.a). 247 Übereinkommen zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen vom 15. März 1960, BGBl. 1972 II, 1008. 241

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

des IÜZ, ist dafür ein Beispiel. Sein Art. 2 Abs. 2 hat dieselbe wörtliche Formulierung: „Ist der Schaden durch Zufall oder höhere Gewalt herbeigeführt oder können seine Ursachen nicht festgestellt werden, so wird er von denjenigen getragen, die ihn erlitten haben.“ Das Übereinkommen ist im französischen Recht laut Art. L. 4131-3 Code des Transports unmittelbar anwendbar und die Formulierung findet sich ebenfalls wörtlich in § 92a BinSchG. b) Eine alternative Formulierung der höheren Gewalt in der internationalen vertraglichen Haftung sowie besonderen deliktischen Haftung Die vertragliche Haftung wird auch in internationalen Verträgen erfasst. Das internationale Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über Konnossemente (IÜK oder sog. Haagener Regeln) wurde z.B. am 28. August 1924 verabschiedet. Hier ist erneut die französischsprachige Version die einzige offizielle Fassung des Abkommens.248 Dieses Abkommen wurde im Jahr 1968 (sog. HaagVisby-Regeln, HVR)249 durch ein Protokoll leicht geändert. Hier ist die höhere Gewalt nicht wörtlich erwähnt, aber Art. 4 § 2 IÜK sieht Haftungsausschlüsse für den Schiffseigentümer vor. Die dort aufgelisteten Ereignisse erinnern an Fälle der höheren Gewalt: „b) aus Feuer, es sei denn durch eigenes Verschulden des Unternehmers verursacht; c) aus Gefahren oder Unfällen der See und anderer schiffbarer Gewässer; d) aus Naturereignissen; […] q) aus irgendeiner anderen Ursache, die nicht durch Verschulden des Unternehmers, seiner Agenten oder der in seinem Dienste stehenden Personen herbeigeführt ist“.

Eine solche Umformulierung oder die Beschreibung der Ereignisse höherer Gewalt sind in anderen internationalen Abkommen üblich. Für die Binnenschifffahrt gilt das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt vom 22. Juni 2001250 (CMNI) als Pendant der IÜK. Sein Art. 16 Abs. 1 sieht vor: „Der Frachtführer haftet für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung der Güter in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung oder durch Überschreitung der Lieferfrist entsteht, sofern er nicht beweist, dass der Schaden durch Umstände verursacht worden ist, die ein sorgfältiger Frachtführer nicht hätte vermeiden und deren Folgen er nicht hätte abwenden können.“

Der letzte Teil des Satzes schließt also die Haftung für höhere Gewalt aus, ohne sie ausdrücklich zu erwähnen.251

248

Rabe, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., Anhang I zu § 526 HGB, Rn. 1. Internationales Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über Konossemente in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 23. Februar 1968. 250 Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt vom 22. Juni 2001, BGBl. 2007 II, 298. 251 Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., Art. 16 CMNI, Rn. 15. 249

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Diese Beschreibung der höheren Gewalt ist auch für besondere deliktische Haftungen wie beispielsweise im Internationalen Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Bunkerölverschmutzung vom 23. März 2001252 (Bunkeröl-Übereinkommen) zu finden. Art. 3 Abs. 3 lautet: „Der Schiffseigentümer haftet nicht für Verschmutzungsschäden, wenn er nachweist, a) dass die Schäden durch Kriegshandlung, Feindseligkeiten, Bürgerkrieg, Aufstand oder ein außergewöhnliches, unvermeidliches und unabwendbares Naturereignis entstanden sind.“

Hier werden, nach der Auflistung von Beispielen der höheren Gewalt, klassische Eigenschaften der höheren Gewalt zitiert: Außergewöhnlichkeit, Unvermeidbarkeit und Unabwendbarkeit. Allerdings sind hier ausschließlich Naturereignisse ausdrücklich erwähnt. Dieses Vorgehen der Beschreibung statt der ausdrücklichen Erwähnung ist eine sichere Methode internationaler Texte. Dies vermeidet eine falsche Auslegung von Begriffen, die in einer Rechtskultur oder einem Rechtskreis eine besondere Bedeutung haben oder spezifische Assoziierungen von juristischen Konzepten erwecken.253 Diese Methode wird z.B. auch in den Texten von Unidroit eingesetzt, in denen neutrale Begriffe verwendet werden.254 So wird die Problematik des Unterschieds zwischen dem Zufall und der höheren Gewalt vermieden. Die Rechtsvereinheitlichung durch zahlreiche internationale Abkommen sowohl in deliktischen als auch vertraglichen Angelegenheiten hat also auch die höhere Gewalt erfasst. Die langfristige Verankerung der Konzeption der höheren Gewalt aus dem römischen Recht erfolgt durch diese internationalen Übereinkommen. Die Vereinheitlichung des Schiffskollisionsrechts und somit die Rolle der höheren Gewalt wird gefestigt, indem die Parteien des IÜZ die Regelungen in ihren nationalen Rechtsordnungen umsetzen.255 4. Die Umsetzung der Rechtsvereinheitlichung in nationalen Rechten Die Französische Republik und Deutschland – damals Deutsches Reich – waren bereits ab 1913 Parteien des IÜZ. Um Widersprüchlichkeiten zwischen dem nationalen (hier Art. 407 Code de Commerce und §§ 734, 735 HGB) und dem internationalen Recht zu vermeiden, wurden Änderungen vorgenommen. Denn das nationale Recht findet noch Anwendung bei Übereinstimmung zwischen der nationalen Angehörigkeit der beteiligten Schiffe und dem Staat der berufenen Gerichte. Die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg änderte dies nicht erheblich, da die Deutsche Demokratische Republik das IÜZ auch umgesetzt hatte. 252

Internationales Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Bunkerölverschmutzung vom 23. März 2001, BGBl. 2006 II, 579. 253 Vgl. Brödermann, IWZR 2019, 7, 17; näher zur Wichtigkeit der (internationalen) Rechtssetzung s. u. Kap. 3.B.II. 254 Vgl. dazu die offiziellen Kommentare der UPICC 2016, S. 251. 255 Vgl. Ripert, S. 23; Sienknecht, S. 4.

46

Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

a) Die Umsetzung des IÜZ in Frankreich und Deutschland Beide Staaten, Frankreich und Deutschland, haben sich entschieden, eine wörtliche Umsetzung des IÜZ durchzuführen. Die Französische Republik hat ihren Code de commerce durch ein im Jahr 1915 verabschiedetes Gesetz angepasst.256 Dieses Gesetz änderte die Formulierung des Art. 407. Die Bedeutung des Gesetzes von 1915 bezüglich der Grande Ordonnance von 1681 darf nicht überschätzt werden, wie dies in der französischen Literatur oftmals der Fall ist.257 Der Code de Commerce von 1807 hatte bereits den größten Paradigmenwechsel mit der Wiederaufnahme der römischen Tradition vollbracht. Der neue Art. 407 bekam durch das Gesetz von 1915 unter anderem einen Absatz 2 Satz 1, 1. Halbsatz, der die Formulierung des IÜZ wörtlich wiedergab: „Ist der Zusammenstoß durch Zufall oder höhere Gewalt herbeigeführt oder besteht Ungewissheit über seine Ursachen, so wird der Schaden von denen getragen, die ihn erlitten haben.“258 Die Anwesenheit des Zufalls und der höheren Gewalt in dem Wortlaut wurde von der Literatur als irrelevant empfunden: Beide Begriffe seien gleich zu verstehen und hätten denselben Effekt.259 Wir werden sehen, dass diese Meinung bezüglich der autonomen Schifffahrt von großer Bedeutung sein kann.260 Die einzige tatsächliche Neuigkeit war die Ergänzung der Vorschrift mit einem dritten Ereignis neben der höheren Gewalt und dem Zufall: der Ungewissheit der Ursache. Deutschland hatte bereits 1913 ein Gesetz zur Umsetzung des IÜZ verabschiedet.261 Dieses Gesetz änderte die §§ 734 ff. HGB. Die römische Tradition des ADHGB wurde in § 734 HGB erhalten: „Im Falle eines Zusammenstoßes von Schiffen findet, wenn der Zusammenstoß durch Zufall oder höhere Gewalt herbeigeführt ist oder Ungewißheit über seine Ursachen besteht, kein Anspruch auf Ersatz des Schadens statt, der den Schiffen oder den an Bord befindlichen Personen oder Sachen durch den Zusammenstoß zugefügt ist.“

Im Gegensatz zum ADHGB262 war diese Vorschrift nun aber positiv formuliert. Der französische Einfluss durch das IÜZ ist erkennbar: Die Formulierung „Zufall oder höhere Gewalt“ wurde ohne Rücksicht auf das deutsche Verständnis dieser beiden Begriffe übernommen. Bisher waren die deutschen Texte lediglich 256

Loi du 15 juillet 1915 modifiant les articles 407 et 436 du code de commerce, en vue de les mettre en harmonie avec les principes contenus dans la convention signe´e a` Bruxelles le 23 septembre 1910 et approuve´e par la loi du 2 aouˆt 1912, relativement a` la responsabilite´ en matie`re d’abordage, JORF 1916, 43. 257 S. z.B. Delebecque, S. 675; Ripert, S. 22. 258 „Si l’abordage est fortuit, s’il est duˆ a` un cas de force majeure, ou s’il y a doute sur les causes de l’accident, les dommages sont supporte´s par ceux qui les ont e´prouve´s.“ 259 S. z.B. Ripert, S. 23. 260 S. u. Kap. 2.C.I.3. 261 Gesetz über den Zusammenstoß von Schiffen sowie über die Bergung und Hilfsleistung in Seenot, RGBl. 1913, 90. 262 S. o. Kap. 1.B.II.2.d)aa).

B. Juristischer Kontext

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beschreibend (sie sprachen vom Wind und Wetter), sodass sich diese Frage nie wirklich gestellt hatte. Diese wörtliche Aufnahme wurde später jedoch als „irreführend“263 beschrieben. b) Die Rezeption des IÜZ in der DDR Alte Gesetze sowie die vom Deutschen Reich (bzw. der Weimarer Republik) unterzeichneten internationalen Übereinkommen galten in der Bundesrepublik ab ihrer Gründung gemäß Art. 123 GG fort. In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurden „die Vorschriften des HGB zwar nie ausdrücklich für geltendes Recht erklärt, galten aber jedoch in stillschweigender Anerkennung fort“.264 Die Fortgeltung einzelner vor 1945 in Kraft getretener internationaler Übereinkommen wurde erst 1959 rückwirkend vom Ministerium für auswärtige Angelegenheiten anerkannt.265 Dies gilt insbesondere für das IÜZ von 1910.266 Viele spätere internationale Übereinkommen enthielten eine Sperrklausel für die DDR: Der Beitritt oder die Ratifikation wurden ihr untersagt.267 Außerdem wurde das Seehandelsschifffahrtsgesetz (SHSG)268 am 5. Februar 1976 verabschiedet. Es setzte für das Gebiet der DDR das Vierte Buch des HGB (Seehandelsrecht) außer Kraft.269 Die oben dargestellte Regelung des HGB galt also in der Periode von 1949 bis 1976. Ab 1976 wurde sie durch neuformulierte Regeln ersetzt. Die deliktische Haftung beruht unter dem SHSG weiterhin auf dem Verschuldensprinzip, § 105 Abs. 1 SHSG. Die Haftung aus einem Zusammenstoß stützte sich ebenfalls auf das Verschuldensprinzip, § 106 Abs. 1 SHSG: „Bei einem Schiffszusammenstoß hat der Reeder den Schaden zu ersetzen, der den an Bord befindlichen Personen und Sachen sowie dem Schiff entstanden ist, wenn der Geschädigte nachweist, daß der Reeder oder die von ihm beim Betrieb des Schiffes eingesetzten Personen nicht alle Maßnahmen ergriffen haben, die vernünftigerweise gefordert werden konnten, um den Zusammenstoß abzuwenden.“

Trotz der Angehörigkeit der DDR zum IÜZ wich die Formulierung des § 106 SHSG deutlich von den Art. 2 und 3 IÜZ ab. Die höhere Gewalt oder der Zufall waren nicht mehr wörtlich zu finden. Die gestellten Anforderungen für den Nachweis eines Verschuldens gemäß § 106 SHSG ähnelten aber der höheren Gewalt – oder zumindest dem Zufall. Der § 106 Abs. 1 SHSG betonte insbesondere

263

Spaeth, S. 143. Meub, S. 6. 265 S. Bekanntmachung über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Übereinkommen vom 16.4.1959, GBl. 1959 I, 505. 266 Bekanntmachung über die Wiederanwendung multilateraler internationaler Übereinkommen vom 16.4.1959, GBl. 1959 I, 505, Nr. 2, mit Wirkung vom 27.9.1954. 267 S. Meub, S. 7. 268 GBl. 1976 I, 109 ff. 269 Vgl. Meub, S. 7. 264

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

die Unabwendbarkeit des Ereignisses, das den Zusammenstoß verursacht hatte: „alle Maßnahmen ergriffen haben, die vernünftigerweise gefordert werden konnten, um den Zusammenstoß abzuwenden“. Die Unvorhersehbarkeit des Ereignisses war dabei lediglich ein Indiz der Unabwendbarkeit. Die Abwesenheit des Kriteriums der äußeren Herkunft – zu finden beispielsweise im § 109 Abs. 3 Bst. a SHSG („Naturereignisse“) – sprach eher für den Zufall als für eine Beschränkung auf die alleinige höhere Gewalt. In der Mitte des 20. Jahrhunderts und nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden das See- und das Schiffskollisionsrecht erneut modernisiert. 5. Die Modernisierung des Seehandelsrechts Die schnelle Entwicklung der Technik und der Praxis der Schifffahrt hat zu einer Modernisierung der rechtlichen Instrumente sowohl in Frankreich (a)) als auch in Deutschland (b)) geführt. a) Formale Modernisierung in Frankreich: vom Gesetz zum (neuen) Gesetzbuch Die vertraglichen Bestimmungen wurden in Frankreich bereits 1936 reformiert, um das IÜK in das französische Recht umzusetzen.270 Dieses Gesetz wurde aufgrund der Umsetzung der Bestimmungen bezüglich der Haftungsausschlussgründe kritisiert. Das IÜK enthielt nicht ausdrücklich den Begriff force majeure. Die französische Literatur sprach daher von sog. cas excepte´s.271 Das Gesetz von 1936 hatte dies aber so umgesetzt, indem die Wörter force majeure sowie cas fortuit erschienen, Art. 4, 3°. Das französische Gesetz stand also de facto in einer unsicheren Situation gegenüber den internationalen Bestimmungen:272 Fraglich war, ob bei den cas excepte´s die Merkmale der höheren Gewalt vorliegen müssten.273 Die Rechtsprechung wendete – auch nach der Umschreibung dieser Bestimmungen – die höhere Gewalt im engeren Sinne weiterhin an.274 Daher hat der französische Gesetzgeber ab 1966 mehrere Gesetze verabschiedet, um das französische Seerecht zu modernisieren. Neben der Umformulierung der vertraglichen Bestimmungen,275 wurde ebenfalls ein Gesetz bezüglich des Schiffszusammenstoßes verabschiedet.276 Dieses Gesetz von 1967 nahm die Bestimmungen des Zusammenstoßes aus dem Code de Commerce heraus, indem die Art. 397 bis 429 sowie Art. 436 aufgehoben wurden.277 Dieser Transfer der Re270

Loi du 2 avril 1936 relative aux transports des marchandises par mer, JORF 1936, 4002. Vgl. Antonmattei, S. 120; Lemarie´, S. 61; Ripert, S. 597. 272 S. Antonmattei, S. 121. 273 Vgl. Antonmattei, S. 100; Lemarie´, S. 61. 274 S. z.B. Cour d’appel de Paris, 3.3.1971, Droit maritime franc¸ais 1971, 487. 275 Art. 27 Bst. d) Loi n° 66-420 du 18 juin 1966 sur les contrats d’affre`tement et de transport maritime, JORF 1966, 5206. 276 Loi n° 67-545 du 7 juillet 1967 relative aux e´ve´nements de mer, JORF 1967, 6867. 277 Art. 43 Loi n° 67-545 du 7 juillet 1967 relative aux e´ve´nements de mer, JORF 1967, 6867. 271

B. Juristischer Kontext

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gelung außerhalb des Code de commerce erfolgte aber ohne inhaltliche Änderung. Art. 2 des Gesetzes von 1967 gab die Formulierung des damaligen Art. 407 Abs. 2 S. 1 Code de Commerce in seiner Fassung des Gesetzes von 1915 wörtlich wieder. 2010 gab es eine neue Kodifizierung des gesamten Verkehrsrechts: Es wurde ein Code des Transports (Verkehrsgesetzbuch) verabschiedet.278 Dies hatte die Aufhebung der einzelnen Gesetze – im Rahmen der Schifffahrt insbesondere der Gesetze von 1966 und 1967 – zur Folge.279 Der Zusammenstoß ist seitdem in den Art. L. 5131-1 ff. Code des Transports geregelt. Der Begriff der höheren Gewalt ist immer noch zu finden: Art. L. 5131-3 Abs. 2 gibt die wörtliche Formulierung des Gesetzes von 1967 – also die Formulierung des Art. 407 Code de commerce in seiner Fassung des Gesetzes von 1915 – wieder. Die Modernisierung des französischen Schiffskollisionsrechts war also lediglich formal und 2010 eine bloße (Re-)Kodifizierung. Das deutsche Recht, mit einer späteren Modernisierung, hat indes substanzielle Änderungen erfahren. b) Inhaltliche Modernisierung in Deutschland: die Seehandelsrechtsreform von 2013 Die Bundesrepublik Deutschland hat eine größere Reform des Seehandelsrechts im Jahr 2013 durchgemacht,280 denn „das deutsche Seehandelsrecht wird allgemein als veraltet und schwer verständlich angesehen“.281 Durch das neue Gesetz sollte „ein zeitgerechtes, den heutigen wirtschaftlichen Bedingungen entsprechendes Recht bereitgestellt werden“.282 Diese Reform hatte nicht nur eine neue Nummerierung der seerechtlichen Paragrafen im Handelsgesetzbuch zur Folge, sondern auch zu inhaltlichen Änderungen geführt. Besonders betroffen war das Schiffskollisionsrecht in der Seeschifffahrt. Im neuen § 570 HGB (§ 734 a.F. HGB) ist der Verweis auf „höhere Gewalt“ und „Zufall“ im Falle eines Zusammenstoßes verschwunden. Bedeutet diese Änderung, dass der Reeder nun für die Fälle höherer Gewalt haftet? Laut dem Gesetzentwurf ist diese Frage zu verneinen. Die höhere Gewalt wurde in den neuen Text mit der Begründung nicht übernommen: „Denn in diesem Fall kann auch das

278 Ordonnance n° 2010-1307 du 28 octobre 2010 relative a` la partie le´gislative du code des transports, JORF 2010, 19645. 279 Ordonnance n° 2010-1307 du 28 octobre 2010 relative a` la partie le´gislative du code des transports, JORF 2010, 19645, Art. 7. 280 Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts vom 20. April 2013, BGBl. 2013 I, 831. 281 RegE, Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts vom 12.7.2012, BT-Drs. 17/10309, 1. 282 RegE, Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts vom 12.7.2012, BT-Drs. 17/10309, 1.

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

Verschulden nicht bewiesen werden.“283 Diese Begründung stand in Übereinstimmung mit der Meinung der Sachverständigengruppe.284 Diese Änderung, im Hinblick auf den Unterschied zwischen Zufall und höherer Gewalt, kann als bedauernswert angesehen werden. Bei einem Zufall (z.B. zufälliger Maschinenausfall) liegt kein Verschulden des Reeders bzw. der Besatzung vor.285 Dies stellt aber nicht sogleich einen Fall der höheren Gewalt dar, die einen Zurechnungsmechanismus enthält. Sollte die jetzige Norm weiterhin so ausgelegt werden, dass die höhere Gewalt und der Zufall den Reeder befreien würden? Die Sachverständigengruppe erwähnte ausschließlich die höhere Gewalt, während der Entwurf den Begriff des Zufalls vollständig außer Betracht lässt. Eine solche Auslegung scheint also denkbar. Diese Reform hätte eine gute Gelegenheit des deutschen Gesetzgebers dargestellt, um zu einer Verbesserung dieses Punktes zu führen. Eine Streichung des Zufalls im Gesetztext, aber mit der Erhaltung der höheren Gewalt, wie schon von Spaeth vorgeschlagen,286 wäre eine bessere und klarere Lösung gewesen. Zudem stützten sich die Motive der Streichung der höheren Gewalt lediglich auf die Verbindung zwischen der höheren Gewalt und dem Verschulden. Vielmehr bricht die höhere Gewalt bei einem Zusammenstoß die Kausalität ab.287 Ein geringes Verschulden kann zwar mit der höheren Gewalt koexistieren, aber sie unterbricht die Kausalkette zum Schaden. Ein Verschulden allein genügt nicht.288 Schließlich besteht jetzt ein Unterschied nicht nur zum IÜZ für transnationale Zusammenstöße, sondern auch zum Wortlaut der Regelung für die Binnenschifffahrt. In der Tat lautet § 92a BinSchG, der das im Jahr 1972 eingeführte289 Pendant des § 734 a.F. HGB ist: „Im Falle eines Zusammenstoßes von Schiffen besteht kein Anspruch auf Ersatz des Schadens, der den Schiffen oder den an Bord befindlichen Personen oder Sachen durch Zufall oder höhere Gewalt zugefügt worden ist oder dessen Ursachen ungewiß sind.“

Dieser Unterschied dient nicht einer besseren Verständlichkeit eines allgemeinen Schifffahrtsrechts. Einige Autoren halten aus diesen Gründen allerdings die binnenschifffahrtsrechtliche Norm auch für „überflüssig“.290

283 RegE, Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts vom 12.7.2012, BT-Drs. 17/10309, 122. 284 Abschlussbericht der Sachverständigengruppe zur Reform des Seehandelsrechts, S. 163. 285 Vgl. Waldstein/Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 92a BinSchG, Rn. 6. 286 Spaeth, S. 144. 287 Vgl. Bourbonnais-Jaquard, S. 140. 288 Vgl. RG, Urt. v. 25.10.1919 – I 64/19, RGZ 97, 13, 14; auch Hermanns, S. 38; Volkmar, S. 36. 289 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 15. März 1960 zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen sowie zur Änderung des Binnenschifffahrtsgesetzes und des Flößereigesetzes, BGBl. 1972 II, 1005. 290 Waldstein/Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 92a BinSchG, Rn. 1.

C. Ergebnis des ersten Kapitels

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III. Zwischenergebnis Das See- und Schiffskollisionsrecht und die höhere Gewalt haben zahlreiche technische Entwicklungen erlebt: von den einfachen Segelbooten der Römer bis zu den Dampfschiffen und den riesigen Containerschiffen. Die politischen, gesellschaftlichen und juristischen Entwicklungen haben ebenfalls eine entscheidende Rolle gespielt: Es ging nicht nur um die Frage, was „höhere Gewalt“ ist, sondern auch darum, was ihre Effekte sein sollen. Zwei Ansichten wurden konfrontiert. Auf der einen Seite die römische Lehre: Die höhere Gewalt entlastete vollständig den Schädiger. Auf der anderen Seite die Praxis der Gewohnheiten: Die höhere Gewalt bzw. gewaltige Naturereignisse führten zu einer gleichmäßigen Verteilung der Schäden. Nachdem die zweite Ansicht mehrere Jahrhunderte geherrscht hatte, hat sich die römische Lehre ab dem 19. Jahrhundert durchgesetzt – mithilfe der Rechtsvereinheitlichung. Die Gesetzgeber, sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene, werden sich langsam mit der neuen Regelung der autonomen Schifffahrt auseinandersetzen. Frankreich und Deutschland ermöglichen und regeln das Testen von autonomen Schiffen. Frankreich fing im Dezember 2019 mit der Loi d’orientation des mobilite´s und den darauf folgenden Regelungen an diese neue Art von Schiffsbetrieb zu regeln und in das geltende Recht umzusetzen.

C. Ergebnis des ersten Kapitels: ein passender Zeitpunkt für die juristische Betrachtung der autonomen Schifffahrt Die Entwicklung der autonomen Schifffahrt erlaubt bereits eine Klassifikation der verschiedenen Stufen von autonomen Schiffen: von der Stufe 0 als klassisches Schiff bis zur Stufe 4 als intelligentes vollautonomes Schiff. Das Ziel ist es, die menschliche Steuerung bei der nautischen Fahrt zu ersetzen. Die autonome Brücke (ein virtueller Kapitän und Offiziere) analysiert die Umgebung und trifft auf dieser Basis nautische Entscheidungen. Sie übermittelt diese Entscheidungen zum autonomen Maschinenraum (virtuelle technische Mannschaft), der die Entscheidungen umsetzt. Zu betonen ist aber, dass autonom nicht unbedingt unbemannt bedeutet: Eine verringerte Besatzung kann immer noch an Bord sein. Zudem werden die Schiffe vom Land entweder ferngesteuert oder überwacht. Die Autonomisierung der Schifffahrt ist stets in Bewegung. Dafür sprechen die zahlreichen Projekte und Tests, die durchgeführt wurden. Hier ist zudem interessant, dass viele Projekte (z.B. ReVolt, Tesla of the Seas, CAPTN Future) im Ostseeraum stattfinden. Daher wäre eine europäische juristische Betrachtung angebracht. Bis auf Russland und Norwegen sind sämtliche Küstenländer der Ostsee Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die nationalen Gesetzgeber scheinen aber derzeit mehr Interesse für den Straßenverkehr zu haben. Während die §§ 1a ff. StVG unmittelbar das autonome Fahren in Deutschland regeln, sind gesetzliche Erfassungen der Schifffahrt noch

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Kapitel 1: Technischer und juristischer Kontext

selten. Sie konzentrieren sich bisher fast ausschließlich auf das Ermöglichen von Testbereichen. Das Seerecht, „zwischen Tradition und Moderne“,291 ist sehr von alten Regeln geprägt, hat indes dennoch zahlreiche technische Fortschritte erlebt. Ein großes Risiko der autonomen Schifffahrt bleibt weiterhin der Zusammenstoß. Da der Mensch weniger tatsächliche Kontrolle über die Fahrt solcher Schiffe hat, stellt sich erneut die Frage der Betrachtung der höheren Gewalt bzw. des Zufalls. Inwiefern wird dieser neue Betrieb einen Einfluss auf die Auslegung der höheren Gewalt haben? Und was sind die Konsequenzen der heutigen Auslegung auf die Konzeption autonomer Schiffe? Dafür müssen wir alle einzelne Kriterien der höheren Gewalt studieren: die Unvorhersehbarkeit, die Unvermeidbarkeit und die äußere Ursache.

291

Paschke, in: Oetker HGB, 7. Aufl., Vorbemerkung zum Fünften Buch, Rn. 1.

Kapitel 2

Die autonome Schifffahrt: eine Herausforderung für das Institut der höheren Gewalt? Die autonome Schifffahrt sowie viele Aspekte der Digitalisierung des Privatrechts bringen zahlreiche Herausforderungen mit sich. Die zunehmende Rolle der Maschine bzw. des Computers dank der künstlichen Intelligenz hinterfragt die Auslegung und die Anwendung von klassischen Instituten des Rechts. Die höhere Gewalt ist stets ein Haftungsausschlussgrund für den Schädiger bei einem Schiffszusammenstoß. „Höhere Gewalt“ liegt vor, wenn das schädliche Ereignis unvorhersehbar und unvermeidbar ist und von außen kommt. Bei der höheren Gewalt wird die Digitalisierung der Schifffahrt zunächst eine Herausforderung für das Merkmal der Unvorhersehbarkeit der „höheren Gewalt“ (A.): Wie ist ein Computerprogramm, konzipiert für die Vorhersehbarkeit, hinsichtlich des Begriffs der höheren Gewalt zu beurteilen? Sodann stellt die Autonomisierung der Schiffe eine Herausforderung für das zweite Merkmal dar, die Unvermeidbarkeit (B.): Wie ist ein Verkehrsmittel, das ohne ein aktives menschliches Tun fahren kann, hinsichtlich des Begriffs der höheren Gewalt zu beurteilen? Schließlich stellt die eingesetzte Technik eine Herausforderung für das dritte Merkmal dar, die nötige äußere Herkunft des schädlichen Ereignisses (C.): Wie sind verschuldensloses technisches Versagen oder Vorgehen eines autonomen Schiffes angesichts des Begriffs der höheren Gewalt zu beurteilen?

A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´): die Herausforderung der Digitalisierung Die Digitalisierung stellt eine Herausforderung zunächst für das Merkmal der Unvorhersehbarkeit dar. Die Unvorhersehbarkeit ist lange, insbesondere für die vertragliche Haftung, ein zentrales Merkmal gewesen. Dies ist auch nach der Reform des französischen vertraglichen Schuldrechts noch der Fall: „ein Ereignis, […] das nicht angemessen anlässlich des Vertragsschlusses vorhergesehen werden konnte“,1 Art. 1218 Code civil. Die Unvorhersehbarkeit wird auch von den deutschen Gerichten verlangt, um das Vorliegen der höheren Gewalt bejahen

„E´ve´nement […] qui ne pouvait eˆtre raisonnablement pre´vu lors de la conclusion du contrat.“ 1

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

zu können: „ein Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist“.2 Das französische Deliktsrecht enthält aber zurzeit keine Definition des Begriffs der höheren Gewalt und verweist damit nicht auf die Unvorhersehbarkeit. Zwar berücksichtigt der aktuelle Reformvorschlag von 2020 in Art. 1253 nicht ausdrücklich die Unvorhersehbarkeit. Dies lässt sich indes erklären, denn die Unvorhersehbarkeit ist insbesondere bei der deliktischen Haftung ein Indiz der Unvermeidbarkeit und wäre somit kein selbstständiges Merkmal. Dies ergibt sich insbesondere aus den wichtigen Entscheidungen der Cour de cassation von 2006.3 In der Erwartung einer rechtskräftigen Definition des Begriffs der höheren Gewalt im französischen Deliktsrecht wird für das französische Recht die Definition des Art. 1218 Code civil berücksichtigt.4 Systeme mit einfacher, regelbasierter künstlicher Intelligenz können Entscheidungen treffen und diese umsetzen. Der Vorgang kann durch folgendes Schema dargestellt werden: „Wenn [Ereignis] dann [Handlung]“.5 Die Vorhersehbarkeit entspricht hier der juristischen Übersetzung des „Wenn“. Daher ist es wichtig dieses Merkmal auch einzeln zu studieren. Die „höhere Gewalt“ soll bei deliktischer Haftung zum Zeitpunkt des Auftritts des Ereignisses betrachtet werden. Die Besonderheit der Digitalisierung des Entscheidungsprozesses durch eine vorherige Programmierung zwingt zu einer Berücksichtigung der Vergangenheit (I.). Zudem ist der Maßstab der Vorhersehbarkeit die Angemessenheit (vgl. „raisonnablement“). Das Gebot einer differenziert-objektiven Bewertung der Angemessenheit führt bei autonomem Fahren zu einer vorherigen Berücksichtigung von externen und internen Gegebenheiten (II.).

I. Die zeitliche Betrachtung der höheren Gewalt: vom Vorhersehen zum Programmieren 1. Der derzeitige Zeitpunkt: der Auftritt des Ereignisses a) Der Auftritt als Grundsatz für die Auslegung Die Auslegung des Zeitpunkts der höheren Gewalt erfolgt differenziert zwischen der vertraglichen und der deliktischen Haftung. Art. 1218 Code civil verweist im französischen Vertragsrecht ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Auslegung: „ein Ereignis, […] das nicht angemessen anlässlich des Vertragsschlusses vorhergesehen werden konnte“.6 Es bedeutet insbesondere, dass der Schuldner nicht über 2

RG, Urt. v. 8.1.1931 – 259/30 VI, JW 1931, 865; BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338, 339. 3 Cour de cassation, assemble´e ple´nie`re, 14.4.2006 – 04-18.902. 4 Vgl. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 2. 5 S. für eine detaillierte Darstellung der verschiedenen Modelle Rollberg, S. 25 ff.; Timmermann/Gelbrich, NJW 2022, 25, 26. 6 „Qui ne pouvait eˆtre raisonnablement pre´vu lors de la conclusion du contrat“, Hervorhebung hinzugefügt.

A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´)

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seine Annahme des Vertragsangebots hinaus verpflichtet werden soll. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Er hat seine Annahme erteilt unter den Bedingungen, die während des Vertragsschlusses vorlagen. Eine Ausdehnung der Haftung z.B. des Verfrachters auf Ereignisse, die zum Vertragsschluss noch nicht vorhersehbar waren, könnte einen Verstoß gegen diese „goldene Regel“ des Vertragsrechts darstellen. Das Deliktsrecht gibt hingegen keinen ausdrücklichen Hinweis bezüglich des Zeitpunktes der Auslegung. Der französische Reformvorschlag berücksichtigt in Art. 1253 Abs. 2 nicht ausdrücklich die Unvorhersehbarkeit: „In außervertraglichen Angelegenheiten ist die höhere Gewalt das Ereignis, dessen Eintritt oder Konsequenzen durch den Anspruchsgegner, oder die Person für die er zu vertreten hat, nicht mit angemessenen Maßnahmen vermieden werden konnte.“7

Die vertragliche Haftung setzt einen vorausgesehenen Willen der Parteien voraus. Daher ist dieser Zeitpunkt maßgebend. Im Gegensatz dazu haben bei der deliktischen Haftung die Beteiligten per se keine Verabredungen getroffen. Der Auftritt des schädigenden Ereignisses ist also maßgebend.8 Tritt z.B. ein Sturm auf, ist dieser Moment maßgeblich für die Betrachtung der Unvorhersehbarkeit. Der Unterschied ist im französischen Recht besonders relevant, da die vertraglichen und die deliktischen haftungsrechtlichen Ansprüche nicht kumulierbar sind. Das deutsche Recht berücksichtigt in der Rechtsprechung ausdrücklich die Unvorhersehbarkeit.9 Die dogmatische Idee dahinter ist mit dem Prinzip „Treu und Glauben“ zu verbinden, ähnlich wie die juristische Maxime „impossibilium nulla obligatio est“ (französisch: „a` l’impossible nul n’est tenu“). Es kann keine Haftung festgestellt werden aufgrund eines unvorhersehbaren Ereignisses. Denn der Schädiger verhält sich angesichts eines konkreten Kontextes. War das Ereignis vorhersehbar, so soll er seine Konsequenzen mit seinem Verhalten in Kauf genommen haben. b) Der Ausschluss von späteren Ereignissen In der Kausalkette können spätere Ereignisse dazu geführt haben, dass die entstehenden Schäden unvorhersehbar wären. Es könnte also die Frage aufkommen, ob solche Ereignisse berücksichtigt werden könnten. Die Antwort der Rechtsprechung ist dabei klar: Der Auftritt des kausal relevanten Ereignisses (in unserem Beispiel der Sturm) ist maßgebend und ab7 „En matie`re extracontractuelle, la force majeure est l’e´ve´nement dont le de´fendeur ou la personne dont il doit re´pondre ne pouvait e´viter la re´alisation ou les conse´quences par des mesures approprie´es.“ 8 Vgl. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 62; Terre´/Lequette/Simler/ Che´nede´, S. 811. 9 RG, Urt. v. 8.1.1931 – 259/30 VI, JW 1931, 865; BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338.

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

schließend.10 Dies ist auch ein Unterschied zur vertraglichen Haftung im französischen Recht. Denn wenn das Ereignis zwar nicht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhersehbar war, es aber vor dem Eintritt der Leistungsstörung geschehen ist, kann das Ereignis als vorhersehbar gesehen werden. Deshalb erläutert die deutsche Literatur im Rahmen der vertraglichen Haftung (hier bezüglich eines Streiks) präziser: Das Ereignis soll nicht „zwischen der Annahme des Angebots und dem Beginn der Leistungsstörung“11 ersichtlich sein. c) Die Berücksichtigung vorheriger Geschehnisse Die Unvorhersehbarkeit wird in der modernen (französischen) Literatur zu Recht als Indiz der Unvermeidbarkeit des Ereignisses analysiert.12 Zwar legt das Gericht die Unvorhersehbarkeit zum Zeitpunkt des Auftritts aus. Aber in der Praxis soll das bedeuten, dass er das Verhalten berücksichtigen wird, das vor dem Ereignis geschehen ist. Die schnelle Entwicklung und der mögliche Überraschungseffekt des meteorologischen Geschehens zwingen den Schiffer zu einer langfristigen Planung und dauernder Aufmerksamkeit. Nur wenn er früh genug Elemente vorauszusehen versucht hat, kann er entsprechend das Ereignis abwenden. Die Analyse eines möglichen „verschuldenshaften Vorausplanens“ (faute de pre´vision) erfolgt also durch die Analyse des Verhaltens des Schädigers hinsichtlich seiner möglichen Vorhersehbarkeit bis zum Zeitpunkt des Ereignisses. Wurde das Ereignis zu irgendeinem Zeitpunkt in diesem Zeitraum vorhersehbar, wird dies nicht gleich bedeuten, dass keine „höhere Gewalt“ vorliegt. Denn die Vorhersehbarkeit ist lediglich ein Indiz der Vermeidbarkeit. Die Unvorhersehbarkeit entspricht dem Zeitraum bis zum Ereignis, während die Unvermeidbarkeit für das Verhalten während bzw. in der Folge des Ereignisses maßgebend ist. 2. Die Hervorhebung früheren Verhaltens durch die neuen Gegebenheiten der künstlichen Intelligenz Der Einsatz von modernen Instrumenten für die Schifffahrt verstärkt die Berücksichtigung von Verhalten vor dem Ereignis. Denn die autonome Brücke wird längst vor einem gewaltigen Ereignis programmiert, aber in Vorausplanung eines solchen. Die Ähnlichkeit mit einem Vertragsschluss ist groß: Die Menschen versuchen den Verlauf der Zukunft vorauszusehen, zu organisieren und zu kontrollieren. Die neuen Instrumente der künstlichen Intelligenz verstärken also die Analyse des Zeitraums zwischen der Programmierung und dem tatsächlichen Auftritt des Ereignisses. 10 S. z.B. RG, Urt. v. 10.11.1900 – I 246/00; Entscheidung ausführlich behandelt in Hermanns, S. 65–67. 11 Strohmaier, BB 1993, 2030, 2032. 12 S. Antonmattei, S. 56; Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 45; Lemarie´, S. 28.

A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´)

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Die Definition des Art. 1218 Code civil gibt als Maßstab der Vorhersehbarkeit die Angemessenheit („raisonnablement“) an. Dieses Wort, geprägt vom Gefühl der Billigkeit, führt zu der Beobachtung der Programmierung der angewendeten Software. Es setzt einen Standard für ein Verhalten, das längst vor dem Auftritt eines Ereignisses erfolgt.13 Die auf künstlicher Intelligenz basierenden Schiffe verwenden Simulationen. Sie werden anhand der erhobenen Daten erzeugt. Die Software wird eine Vielzahl von möglichen Situationen kreieren, die eintreten können. Dies kann z.B. den Verlauf der Fahrtrichtung anderer Verkehrsteilnehmer betreffen. Die autonome Brücke kann eine neue Strecke berechnen und somit eine Kollision verhindern.14 Ist das Schiff so ausgerüstet, dass es mögliche Kollisionen simulieren kann, müsste es diese Instrumente sogar anwenden, vgl. Regel 7 Bst. a) KVR. Dabei ist die deutsche Rechtsprechung im Rahmen des Straßenverkehrs interessant. Denn ein Fahrregelverstoß ist keine höhere Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG, weil er in sich nicht unvorhersehbar und nicht außergewöhnlich ist.15 Daher werden solche Simulationen umso hilfreicher, wenn sie auch mögliche Verstöße gegen den KVR berücksichtigen.16 Die Software kann aber auch meteorologische Entwicklungen erfassen. Sie kann den Einfluss des Windes auf die Wellen und deren Entwicklung berechnen, anhand der Daten der vorherigen Tage: Die Richtungsänderungen des Windes gelten in der Tat als gefährlicher als seine Stärke.17 Diese Berücksichtigung von Verhalten, die in diesem Zeitraum stattfinden, wird noch deutlicher bei der autonomen Schifffahrt. Dieser Punkt verkörpert auch die zahlreichen Fragen der Identifizierung des Haftenden. Denn bisher trägt der Reeder die Haftung im Falle eines Zusammenstoßes. Die Rolle des Herstellers, aufgrund der hohen technischen Anforderungen, nimmt aber bei autonomen Verkehrsmitteln zu. Daher sollte entweder der Hersteller einen Teil der Haftung übernehmen (auch durch Regressansprüche des Reeders) oder der Reeder auch dafür haften.18 Das Gericht, das über das Vorliegen der höheren Gewalt zu entscheiden hat, muss also jedes Tun des Programmierers und der Maschine selbst bis zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses betrachten. Die Frage des Inhalts der Pflicht zur Vorhersage bleibt aber offen.

13

Zu dem Inhalt der Angemessenheit, s. u. Kap. 2.A.II. Vgl. z.B. Perera/Murray, in: International Conference on Ocean, Offshore and Arctic Engineering 2019; dazu s. Kap. 1.A.II.1. 15 BGH, Urt. v. 15.11.1966 – VI ZR 280/64, VersR 1967, 138; OLG Schleswig, Beschl. v. 1.11.2017 – 7 W 39/17, r+s 2018, 153. 16 Für Beispiele einer solchen Integration s. Perera/Murray, in: International Conference on Ocean, Offshore and Arctic Engineering 2019; Wang/Zhang/Cong/Li/Zhang, Evolving Systems 10 (2019), 649, 650. 17 Vgl. Cherkaoui, Droit maritime franc¸ais 1991, 211. 18 Zu der Frage der Schwäche der heutigen Haftung(en) s. u. Kap. 3.A.I. und II. 14

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

II. Der Umfang einer „angemessenen“ Vorhersehbarkeit bei autonomen Schiffen Da die Rechtsinstitution der höheren Gewalt als Instrument der Wiederherstellung der Billigkeit dienen soll, haben die Literatur und die Rechtsprechung eine radikale Auslegung des Begriffs der Vorhersehbarkeit abgelehnt (1.). Daher müssen zwei verschiedene Sphären analysiert werden. Zunächst sollen die externen Merkmale des Ereignisses unvorhersehbar sein. Das autonome Schiff muss also solche Gegebenheiten erkennen können (2.). Die Gerichte werden auch interne, persönliche Merkmale berücksichtigen. Deshalb wird sich ein autonomes Schiff anpassen müssen (3.). 1. Die Außergewöhnlichkeit als Orientierung des Vorhersehbaren Die Unvorhersehbarkeit eines Ereignisses lässt sich seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts nicht absolut objektiv auslegen, d.h. für jedermann in jeder Situation, sondern ist durch den subjektiven Maßstab der Angemessenheit (raisonnable) zu betrachten. Die französische Literatur spricht von einer differenziert-objektiven Bewertung (appre´ciation in abstracto circonstancielle).19 Dies bedeutet, dass die Rechtsprechung die Unvorhersehbarkeit nicht als absolut betrachtet, sondern nur nach einer angemessenen Beurteilung. Die Angemessenheit richtet sich nach einem „normal vorausschauenden Menschen“ (personne normalement pre´voyante).20 Die Verwendung der Angemessenheit ist übrigens eine zunehmende Praxis des modernen Gesetzgebers.21 Das Konzept der Angemessenheit ermöglicht, dass Ereignisse als „höhere Gewalt“ bezeichnet werden können, da ansonsten alle Ereignisse abstrakt und absolut vorhersehbar sind: „Pour un esprit chagrin, tout peut toujours arriver.“22 Diese Analyse wurde in die Reform des französischen Vertragsrechts übernommen,23 Art. 1218 Code civil: „qui ne pouvait eˆtre raisonnablement pre´vu lors de la conclusion du contrat“. Im Rahmen der autonomen Schifffahrt sollte sich diese Auslegung nicht ändern. In der Tat sollen Ereignisse, die von einem Menschen vorhersehbar sind, auch für einen Algorithmus genauso vorhersehbar sein. Solche Ereignisse können als gewöhnlich betrachtet werden. Die Möglichkeit muss eingeräumt werden, Vertrauen in den normalen Verlauf der Sache zu haben.24

19

Vgl. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 49. Vgl. Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 811; dieses Modell hat im französischen Recht 2014 den bisherigen „bon pe`re de famille“ ersetzt, s. Antonmattei, S. 77; Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 16; Huet, Recueil Dalloz 2014, 505. 21 Vgl. Antonmattei, S. 45. 22 Julien, in: Le Tourneau/Bloch/Guettier/Giudicelli (Hrsg.), Droit de la responsabilite´ et des contrats, 665–742, 687. 23 Chantepie/Latina, S. 568. 24 Vgl. AG München, Urt. v. 19.7.2007 – 275 C 15658/07, NJW-RR 2008, 40; Buck-Heeb/ Dieckmann, in: Oppermann/Stender-Vorwachs (Hrsg.), Autonomes Fahren – Rechtsfolgen, 20

A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´)

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Die deutsche Literatur warnt ebenfalls vor den Risiken einer zu objektiven Auslegung. Sie erfasst den Begriff der Vorhersehbarkeit in Verbindung mit § 276 BGB, insbesondere mit dem Begriff der Fährlässigkeit.25 Die Vorhersehbarkeit soll hinsichtlich der zu erwartenden Sorgfalt eines objektiven Dritten26 ausgelegt werden. Die Literatur verwendet außerdem manchmal das Konzept des „ordentlichen Kaufmanns“.27 Die Literatur28 und die Rechtsprechung benutzen dabei das „Merkmal der Außergewöhnlichkeit“.29 Obwohl Spaeth behauptet, dass „die Frage der Außergewöhnlichkeit sich unabhängig vom Einzelfall [stellt]“,30 erfolgt eine eher präzise Betrachtung vor den Gerichten. Etwas kann „gewöhnlich“ oder „außergewöhnlich“ nur in einem besonderen Kontext sein. Lediglich der quantitative Aspekt des Ereignisses – wie etwa die Intensität, die Ausbreitung usw.31 – müsste berücksichtigt werden.32 Thibierge fasst die Position wie folgt zusammen: „Unter dem Deckmantel der Überprüfung dessen, was man vorhersagen konnte, beurteilen wir in Wirklichkeit das, was man vorhersagen musste“.33 Das „raisonnable“, die Angemessenheit, ist aufgrund des Billigkeitsgefühls (ähnlich des Instituts der höheren Gewalt) auch stark von dem Kontext geprägt.34 Daher müssen die Gegebenheiten, sowohl externe als auch interne, berücksichtigt werden. 2. Die Berücksichtigung der Gegebenheiten des Umfelds a) Die Analyse des geographischen Kontexts Der geographische Kontext ist ein zentraler Aspekt der Außergewöhnlichkeit. Die Anerkennung von Naturereignissen als „höhere Gewalt“ ist im Seehandel schwierig, denn „schlechtes Wetter und Stürme sind vorhersehbare Ereignisse in Seeangelegenheiten. Schiffe werden gebaut und müssen gesteuert werden, um sie zu bewältigen“.35 Die Betrachtung des Begriffs der höheren Gewalt im Seehandelsrecht gibt eigentlich die ganze Bedeutung der Außergewöhnlichkeit wieder. Rechtsprobleme, technische Grundlagen, 141, 154; vgl. auch Julien, in: Le Tourneau/Bloch/ Guettier/Giudicelli (Hrsg.), Droit de la responsabilite´ et des contrats, 665–742, 688. 25 Vgl. Strohmaier, BB 1993, 2030, 2032. 26 S. Schmid, in: Erman-BGB, 15. Aufl., § 651j, Rn. 4 und 7. 27 Strohmaier, BB 1993, 2030, 2032. 28 S. z.B. Exner, S. 69–70. 29 BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338, 339. 30 Spaeth, S. 141. 31 Vgl. Exner, S. 77. 32 Vgl. Antonmattei, S. 51–52. 33 Thibierge, S. 241: „sous couvert de ve´rifier ce que l’on pouvait pre´voir, on juge en re´alite´ ce que l’on devait pre´voir“. 34 Vgl. Perelman, Archives de philosophie du droit 23 (1978), 35, 42. 35 Tribunal de commerce de Marseille, 3.3.1995, Droit maritime franc¸ais 1996, 250: „le mauvais temps et la tempeˆte sont des e´ve´nements pre´visibles en matie`re maritime. Les navires sont construits et doivent eˆtre gouverne´s pour y faire face.“

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

aa) Die objektive Lage Die geographische Lage, in Kombination mit der Jahreszeit, muss z.B. berücksichtigt werden: „in der Bretagne ist ein von W-N-W kommender Sturm im Monat November keineswegs unvorhersehbar“,36 genauso wie ein Sturm im März an der Mittelmeerküste37 oder der Mistral in einem Hafen des Mittelmeeres.38 Es könnte angesichts der Rechtsprechung beinahe ein Zeitraum von Oktober bis März gebildet werden, in dem „normale“ Stürme grundsätzlich kein Fall der höheren Gewalt sind.39 Eine Entscheidung des Tribunal de premie`re instance von Casablanca lehnt sogar die höhere Gewalt ab, weil das Schiff „im Monat Dezember, wenn das Wetter immer schlecht ist“40 gefahren ist. Das Gleiche gilt auch in der deutschen Binnenschifffahrt. Die höhere Gewalt ist ausgeschlossen, wenn es im mitteldeutschen Kanalsystem zu Frost und Eisgang kommt. Denn solche Ereignisse sind dort üblich.41 Die tatsächlichen Schwierigkeiten, die ein bestimmtes Ereignis an einem autonomen Schiff verursachen kann, sind dabei unbeachtlich bezüglich der Vorhersehbarkeit. Nebel kann beispielsweise besonders schädlich sein, denn die eingebauten Kameras können dann keine Hindernisse auf See erkennen. Nebel ist aber fast systematisch als „höhere Gewalt“ verneint.42 Die Frage wird sich also vielmehr bezüglich der Unvermeidbarkeit stellen (z.B. der Bau anderer Instrumente wie Radar, Infrarotkameras usw.). Die Vorhersehbarkeit zeigt hier erneut ihre Eigenschaft als Indiz der Vermeidbarkeit und die Verbindung mit der Seetüchtigkeit.43 bb) Die Einbeziehung der konkreten Umstände Die Einbeziehung der Umstände ist der Ausdruck der Außergewöhnlichkeit par excellence. Das Ausmaß und die Plötzlichkeit des Sturms müssen dabei berück-

36 Cour d’appel de Rennes, 4.6.1973, Droit maritime franc¸ais 1974, 87: „En Bretagne, une tempeˆte venant du W-N-W n’est nullement impre´visible au mois de novembre“; auch Cour d’appel de Bordeaux, 9.10.1985, Droit maritime franc¸ais 1987, 134. 37 Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 15.4.1964, Bulletin civil II, 287: Gewöhnlichkeit eines Sturms im März an der Mittelmeerküste; allgemein an der Küste, Cour d’appel de Poitiers, 8.2.2000, La Semaine juridique 2002.IV, 1311. 38 Tribunal de commerce de Se`te, 19.7.1960, Recueil Dalloz 1961, 411. 39 Z.B. Cour d’appel d’Aix-en-Provence, 18.6.1985, Droit maritime franc¸ais 1987, 134: November; Cour d’appel de Paris, 3.3.1988, Droit maritime franc¸ais 1990, 146: Dezember; Tribunal de commerce de Marseille, 22.4.1988, Droit maritime franc¸ais 1989, 158: Februar. 40 Tribunal de premie`re instance de Casablanca, 2.10.1986, Revue Marocaine de Droit 1986, 288: „au mois de de´cembre au cours duquel le temps est toujours mauvais“; Hervorhebung hinzugefügt. 41 Vgl. OLG Breslau, ZfB 1941, 20; Entscheidung zitiert in Waldstein/Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 92a BinSchG, Rn. 10. 42 S. Bourbonnais-Jaquard, S. 141. 43 S. u. Kap. 2.B.II.1.b).

A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´)

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sichtigt werden. So kann ein Sturm in einer tropischen Region aufgrund seines großen Ausmaßes doch unvorhersehbar sein.44 Die Plötzlichkeit spielt dabei in der Auslegung auch eine Rolle. Während der Anstieg des Wasserspiegels im Hafen nicht ungewöhnlich ist, kann eine plötzliche Erhöhung unvorhersehbar sein.45 Im Gegensatz dazu würde der Vorfall eines Ereignisses die Feststellung der Unvorhersehbarkeit erschweren. So hat z.B. ein französisches Berufungsgericht (Cour d’appel) entschieden, dass ein Sturm nicht unvorhersehbar war, da ein solcher Wind bereits zwei Mal in der Dekade (!) geweht hat.46 Die Rechtsprechung zeigt somit, dass die Unvorhersehbarkeit nur ein bloßes Indiz der Unvermeidbarkeit ist. Denn sie hat z.B. entschieden, dass ein Schaden aufgrund eines außergewöhnlichen (exceptionnel) Sturms vom Schuldner bzw. Schädiger trotz seiner Unvorhersehbarkeit hätte abgewendet werden können.47 Diese Erkenntnis wurde überzeugend sowohl von Antonmattei als auch von Terre´ zusammengefasst.48 Es gibt demzufolge drei wichtige Indizien der Außergewöhnlichkeit: die Plötzlichkeit,49 die Wiederholung und die Seltenheit eines Ereignisses.50 Dies erklärt, warum ein Zyklon je nach den Umständen abwechselnd als vorhersehbar51 oder als unvorhersehbar52 bezeichnet werden kann. Das Programm eines autonomen Schiffes soll also an die Eigenschaften des Schiffes und das zu befahrende Gebiet angepasst werden: Soll ein Seeschiff z.B. zwischen Hamburg und Schanghai fahren, müsste es viel mehr bzw. andere Ereignisse voraussehen (zumindest deren Eintrittswahrscheinlichkeit) als ein Binnenschiff, das z.B. zwischen Paris und Rouen pendelt. d) Mehr Möglichkeiten an Vorhersehbarkeit durch die autonome Schifffahrt Die Digitalisierung ermöglicht den Zugang zu zahlreichen Daten in Echtzeit und deren Bearbeitung in ein paar Sekunden. Daher kann die Möglichkeit an tatsächlicher Vorhersehbarkeit vergrößert werden. Diese Fähigkeit wurde bereits 1957 von einem US-amerikanischen Gericht zusammengefasst: „A human being, no 44

S. z.B. Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 5.1.1994 – 92-13.863. Tribunal de commerce de Dunkerque, 26.12.1933, Revue internationale de Droit maritime Bd. 12, 83. 46 Cour d’appel de Pau, 28.4.2004 – 02/01508. 47 Vgl. Julien, in: Le Tourneau/Bloch/Guettier/Giudicelli (Hrsg.), Droit de la responsabilite´ et des contrats, 665–742, 693. 48 Antonmattei, S. 73; Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 811. 49 Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 6.1.1982 – 80-16.120: „l’effet des pluies, d’une abondance anormale, avait e´te´ aggrave´ par la soudainete´ et la violence des orages“. 50 Cour de cassation, chambre sociale, 19.5.1988 – 86-41948: „la Se`vre Nantaise, au niveau de la berge de laquelle l’employeur avait implante´ son usine, sortait re´gulie`rement de son lit, ont pu admettre que l’inondation n’avait pas pour les e´tablissements […] un caracte`re impre´visible“. 51 Z.B. Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 18.3.1998 – 95-22014. 52 Z.B. Cour de cassation, troisie`me chambre civile, 29.6.1988 – 86-13.926. 45

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

matter how efficient, is not a mechanical robot and does not possess the ability of a radar machine to discover danger before it becomes manifest“.53 Dies hat die Konsequenz, auf der einen Seite die maritime Sicherheit erhöhen zu können und auf der anderen Seite möglicherweise seltener von dem Haftungsausschluss der höheren Gewalt zu profitieren. Zwei Aspekte sind für eine solche Vorhersehbarkeit wichtig: der Zugang zu der Information (aa)) und die Analyse der erhobenen Daten (bb)). aa) Der Zugang zu zahlreichen Daten Am Anfang der neuen zwanziger Jahre besteht die Herausforderung eines unendlichen Zugangs zu einer fortwährend größer werdenden Menge an Daten.54 Die Kontrolle der Erhebung bzw. die Benutzung von Daten ist ein zentraler Punkt der künstlichen Intelligenz.55 Um beispielsweise Simulationen durchführen zu können oder um seine Umwelt beurteilen zu können, braucht das autonome Schiff Zugang zu Daten. Um die Stärke des Windes zu analysieren (und dann ggf. die entsprechende Reaktion anzuwenden), kann z.B. das Programm Zugang zum Deutschen Wetterdienst, zu Me´te´o France oder den Daten des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie haben. Diese Institutionen stellen aktuelle Messungen56 sowie Voraussagen57 für die kommenden Tage (in der Regel drei Tage) zur freien Verfügung. Dieser Aspekt ist wichtig, denn die französische Rechtsprechung hat bereits entschieden, dass ein von Me´te´o France vorausgesehener Sturm keine höhere Gewalt darstellt.58 Die deutsche Rechtsprechung vertritt auch diese Meinung.59

53

Court of Appeal of Louisiana, 18.2.1957 – 92 So. 2d 593 (La. Ct. App. 1957). Vgl. Larrie`re, Force majeure : disruption digitale annonce´e des crite`res?, abrufbar unter http://laloidesparties.fr/force-majeure-disruption-digitale, (besucht am 26.8.2022). 55 Vgl. Mazin-Pompidou, Sans maıˆtrise de la donne´e, l’intelligence artificielle n’est rien, abrufbar unter https://www.lesechos.fr/idees-debats/cercle/sans-maitrise-de-la-donnee-lintell igence-artificielle-nest-rien-130031, (besucht am 26.8.2022). 56 Z.B. Messungen des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie vom aktuellen Seegang in Nord- und Ostsee: https://www.bsh.de/DE/DATEN/Vorhersagen/vorhersagen node.html (besucht am 26.8.2022). 57 Seewetterbericht des Deutschen Wetterdienstes für die Nord- und Ostsee: https://www. dwd.de/DE/leistungen/seewetternordostsee/seewetternordostsee.html?nn=17570 (besucht am 26.8.2022); Seewetterbericht (Me´te´o marine) für den nahen Atlantik von Me´te´o France: http://www.meteofrance.com/previsions-meteo-marine/bulletin/large/proche-atlantique-etmanche-ouest (besucht am 26.8.2022). 58 Cour d’appel d’Aix-en-Provence, 16.9.1999, Droit maritime franc¸ais 2001, 611; auch Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 2.4.2009 – 07-22.005, Droit maritime franc¸ais 2009, 955. 59 Z.B. BGH, Urt. v. 10.4.1967 – II ZR 47/65, VersR 1967, 599, 600: Voraussagung und Warnung von starken Böen über Norddeich Radio. Norddeich Radio war ein bekannter Radiosender in Ostfriesland für Seeleute, der zwischen 1907 und 1998 Radioprogramme ausstrahlte. 54

A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´)

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Autonome Schiffe können ihre eigenen Daten durch zahlreiche Sensoren an Bord erheben. Solche Daten können noch präziser als allgemeine Voraussagen für ein gesamtes Gebiet sein. Durch solche Daten kann auch das autonome Schiff entsprechende Simulationen oder Wegänderungen durchführen – d.h. das Ereignis abwenden. Um eine größere Effizienz erreichen zu können, wäre dabei die Entwicklung vernetzter Schiffe hilfreich. Besser als eine unmittelbare Vernetzung zwischen Schiffen wäre eine mittelbare Vernetzung zu einer zentralen Station, die dann Daten an andere Schiffe überträgt.60 Eine solche Lösung würde die Ströme von Daten kanalisieren. Der Hamburger Hafen und das HVCC (Hamburg Vessel Coordination Center) führen z.B. seit März 2020 ein Digitalisierungsprojekt durch, welches einen Echtzeit-Datenaustausch und eine Vernetzung zwischen dem Hafen und den Kreuzfahrtschiffen ermöglicht.61 Dies dient hier einer präzisen Vernetzung der Schiffe über eine zentrale Station und somit Kurs- und Geschwindigkeitsänderungen der ein- und ausfahrenden Kreuzfahrtschiffe. Ein weiteres Beispiel ist die Möglichkeit in der Binnenschifffahrt die Veränderungen des Wasserstandes zu simulieren und vorherzusehen.62 Dies kann auch Relevanz im Rahmen des Begriffs der höheren Gewalt haben, denn eine solche Änderung des Wasserstandes wurde bereits als vorhersehbar analysiert.63 Hier könnte auch eine Erhöhung des Standards der Vorhersehbarkeit durch die Digitalisierung erfolgen. Während es im 19. und 20. Jahrhundert schwierig war das Wetter vorauszusagen, ist der Zugang zu solchen Daten heute einfach(er).64 Zwar werden Wetterberatungssoftwares bereits in den meisten Schiffen eingesetzt, aber sie waren bisher nur eine Hilfe zur Entscheidung. Heute sind die Wetterdaten indes keine alleinige Entscheidungshilfe mehr für autonome Schiffe ab der Stufe 2 und besonders 3, sondern dienen der Ersetzung der menschlichen Entscheidung. Wenn ein autonomes Schiff nur Zugang zu unpräzisen Datenbanken hat, könnte ein Verschulden in der Vorhersehbarkeit (hier in der Programmierung oder in der Seetüchtigkeit)65 festgestellt werden und somit wird die höhere Gewalt ausgeschlossen. Der bloße Besitz von Daten reicht aber nicht aus. Die Daten müssen plausibel analysiert werden.

60 Zu einem solchen Vorschlag vgl. bereits Bertram, Hansa 135 (1998), 16, 18; s. auch o.V., Schiff & Hafen 2019, Heft Nr. 5, 26. 61 S. o.V., Schiff & Hafen 2020, Heft Nr. 4, 46. 62 S. Förster, Künstliche Intelligenz soll Binnenschifffahrt verbessern, abrufbar unter htt ps://binnenschifffahrt-online.de/2020/04/featured/14240/kuenstliche-intelligenz-soll-binnens chifffahrt-helfen/?utm source=CleverReach&utm medium=email&utm campaign=29-04 -2020+Binnenschifffahrt+News+der+Woche+30.04.2020&utm content=Mailing 119591 42, (besucht am 26.8.2022). 63 Vgl. Waldstein/Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 92a BinSchG, Rn. 8. 64 Vgl. Cherkaoui, Droit maritime franc¸ais 1991, 211. 65 Zu der Beziehung zwischen Seetüchtigkeit und höherer Gewalt s. u. Kap. 2.B.II.1.b).

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

bb) Die Analyse der Daten als Kern der Vorhersehbarkeit Wenn die autonome Brücke die Daten gesammelt hat, muss sie sich noch ein Bild ihres Umfeldes machen und dafür die Daten verarbeiten. Der erste Schritt ist die Auswahl von relevanten Daten. Wenn die Brücke hunderte bis tausende verschiedene Messungen bekommt, sind diese nicht in vollem Umfang unmittelbar relevant für die aktuelle Fahrt. Zudem muss eine Hierarchie in den Daten geschaffen werden: Eine Abweichung aufgrund von besonderen Wellen, um Energie zu sparen, soll nicht in eine gefährlichere Situation führen. Dies ist die Schwierigkeit des maritimen Paradoxes der autonomen Schifffahrt: Die Seeschifffahrt ist per se gefährlich66 und unvorhersehbar im gewöhnlichen Sinne; gleichzeitig soll ein System solche Ereignisse vorhersehen. Der Umgang mit externen Informationen zur Wetterlage wurde bereits von der Rechtsprechung entschieden. Auch wenn die Wetterberichte keine absoluten, besonderen Ereignisse vorhersehen, „hatte die Schiffsführung die Pflicht, ihre eigenen Wahrnehmungen der örtlichen Wetterzeichen sorgfältig auszuwerten“.67 Dies würde im Rahmen eines autonomen Schiffes bedeuten, dass ein bloßer Zugang zu Wetterdatenbanken nicht ausreicht, um die höhere Gewalt festzustellen. Dieser Zugang ist zwar nötig, aber nicht ausreichend: Die künstliche Intelligenz des Schiffes muss sich ein zusätzliches Bild durch die eigenen Sensoren verschaffen. Die Analyse der Daten muss also vollständig erfolgen: Sowohl externe als auch interne Daten müssen berücksichtigt werden. Die Sensorik eines autonomen Schiffes hat auch für technische Probleme Relevanz. Wenn die Sensoren entweder zu der autonomen Brücke oder der Landkontrollstation eine Meldung senden, dass ein Defekt eintreten könnte, so würde für den Zufall die Unvorhersehbarkeit eines solchen Ereignisses entfallen. Der Kreis von unvorhersehbaren Ereignissen verkleinert sich durch die noch größere Sensorik eines autonomen Schiffes. Es werden also nur die Ereignisse übrigbleiben, die defektlos von den Sensoren nicht erkannt werden konnten. Die Analyse der Daten muss aber immer noch im Rahmen der Angemessenheit, des „raisonnable“, erfolgen. Eine unmögliche Vorhersehbarkeit kann auch nicht von einer Maschine verlangt werden. Dies kann z.B. bei der Simulation der Entwicklung eines Sturms der Fall sein. Es kann nur eine angemessene Simulation verlangt werden, aber z.B. keine Vorhersage eines Sturms für mehr als fünf Tage im Voraus. Diese fünf Tage stellen eine von einem öffentlichen Wetterdienst erstellte, zuverlässige Vorhersagedauer für ein solches Ereignis dar.68 Weitere Simulationen von Entwicklungen wären nach aktuellen wissenschaftlichen Standards nicht zuverlässig. 66

Die Gefährlichkeit der Seeschifffahrt ist ein Merkmal der Abgrenzung von der Binnenschifffahrt nach französischem Recht, s. Cour de cassation, chambre des requeˆtes, 13.1.1919, Recueil Sirey 1920, 349. 67 OLG Hamburg, Urt. v. 17.12.1964 – 6 U 104/65, Hansa 102, 1504. 68 Me´te´o France, Comment pre´voit-on le temps?, abrufbar unter https://meteofrance.com/ magazine/meteo-questions/comment-prevoit-le-temps.

A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´)

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Hier kann sich aber die Frage stellen, ob von der Software das Vorhersehen von sog. freak waves (französisch: vagues sce´le´rates) verlangt werden könnte. Dies sind sehr hohe (bis dreißig Meter), plötzlich auftretende und gewalttätige Wellen.69 Solche Wellen sind in der Regel unvorhersehbar. Die französische Marine (Marine nationale) hat indes 2012 mit einem Unternehmen ein Programm namens SAVaS konzipiert und getestet, mit dem solche Wellen „vorausgesehen“ werden könnten.70 Es handelt sich hierbei eigentlich nicht um eine reine Vorhersage, sondern das Programm identifiziert risikoreiche Zonen in einem Zeitraum von sieben Tagen und aktualisiert seine Daten alle drei Stunden.71 Somit sinkt das Risiko solchen Wellen entgegenzufahren. Wird also dann die Rechtsprechung diesen technischen Fortschritt so interpretieren, dass ein „ordentlicher digitaler Schiffer“ freak waves vorhersehen musste? Dies wäre zum heutigen Zeitpunkt eher zu verneinen. Das genannte Programm kann die freak waves immer noch nicht wirklich vorhersehen, sondern nur eine risikoreiche Zone abbilden. Die französische Rechtsprechung hatte entschieden, dass ein bloßes prozentuales Risiko nicht die Vorhersehbarkeit darstellen kann.72 Ein autonomes Schiff ohne dieses System wäre also nicht schuldhaft. Die Frage könnte sich höchstens stellen, wenn das Schiff ein solches System bereits integriert hat. Hier würde eher die Vermeidbarkeit des Ereignisses in Frage stehen, da eine eventuelle Umfahrt möglich gewesen wäre: In der Zone sollte man solche Wellen erwarten. Dies muss aber, wie später beschrieben,73 hinsichtlich des wirtschaftlichen Kontextes (z.B. die Bedeutung einer Umfahrt nach Größe der abgebildeten Zone) beurteilt werden. Allerdings ist die Entwicklung der Technik rasant, einschließlich der freien Marktverfügbarkeit. 3. Die Einbeziehung personenbezogener Gegebenheiten Die deutsche Rechtsprechung definiert die höhere Gewalt als ein „nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares“74 Ereignis. Diese ausdrückliche Einbeziehung des menschlichen Faktors in die Definition der höheren Gewalt in

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Vgl. Lemarie´, S. 93; Vanel, Me´tro 29.11.2012, Heft Nr. 2317, 14; um sich ein gutes Bild einer solchen Welle zu machen, s. „Die große Welle vor Kanagawa“, ca. 1829–1833, des japanischen Künstlers Hokusai (ein Exemplar befindet sich im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg). 70 Direction ge´ne´rale de l’Armement, Vague sce´le´rate : la DGA et une PME pre´sentent une 1re mondiale, abrufbar unter https://www.ixarm.com/fr/Vague-scelerate-la-DGA-et-unePME). 71 Noveltis, Pre´vision des vagues sce´le´rates et extreˆmes, abrufbar unter https://www.novelti s.fr/references/prevision-des-vagues-scelerates-et-extremes/. 72 S. Cour d’appel de Douai, 6.2.2003, Revue de Jurisprudence de droit des Affaires 2004, 526. 73 S. u. Kap. 2.B.II.2.c). 74 RG, Urt. v. 8.1.1931 – 259/30 VI, JW 1931, 865; s. auch BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338; Hervorhebung hinzugefügt.

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

Deutschland bringt einen interessanten Blickwinkel in die Entwicklung der Unvorhersehbarkeit gegenüber der Rolle der Maschine. Denn diese menschliche Erfahrung kann als Grundlage für die Software dienen (a.). Die fortgeschrittenen Maschinen sind darüber hinaus in der Lage eigene „virtuelle“ Erfahrungen zu entwickeln (b). a) Die menschliche Erfahrung als Grundlage Hier erfolgt die Einbeziehung der persönlichen Umstände (circonstances) in der Auslegung in abstracto.75 Die Berücksichtigung der menschlichen Erfahrung umfasst zwei Aspekte. Zunächst hat die Rechtsprechung einen wichtigen Rahmen gebildet, indem sie juristische und praxisnahe Definitionen der Ereignisse gegeben hat (aa)). Die Erfahrung bedeutet auch die Berücksichtigung gefährlicher Situationen, Orte oder Verhalten (bb)). aa) Die Berücksichtigung der Maßstabsetzung der Rechtsprechung Die bereits existierende Rechtsprechung muss berücksichtigt werden. Sie gibt in der Tat einen praxisnahen Rahmen, um wissen zu können, welche Ereignisse vorhergesehen werden müssen. Werden Ereignisse, die bereits als vorhersehbar beurteilt worden sind, nicht von der Planung des Algorithmus erfasst, könnte die „höhere Gewalt“ nicht bejaht werden. Es würde an dieser Stelle eine verschuldete mangelhafte Vorhersehbarkeit (faute de pre´vision) darstellen.76 Die französische Rechtsprechung hat beispielsweise entschieden, dass ein bloßer Wellengang77 oder Sturm78 im maritimen Sektor keinen Fall der höheren Gewalt darstellt, anders als bei einem Zyklon.79 Die deutsche Rechtsprechung hat ähnlich der französischen entschieden: Ein Wirbelsturm80 oder ein Orkan81 können beispielsweise zu höherer Gewalt zählen. Für eine Programmierung des Algorithmus reichen aber die Begriffe „Orkan“ oder „bloßer Wellengang“ nicht. Hier müssen die jeweiligen fachlichen Definitionen berücksichtigt werden. Ansonsten kann eine Analyse durch den Algorithmus nicht oder schlecht erfolgen. Die Maßstäbe der Meteorologie und deren Anwendung durch die Rechtsprechung sind bzw. sollen dabei maßgeblich sein. Als Beispiel kann ein Seegang als „kleiner Wellengang“ bezeichnet werden, wenn 75 Vgl. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 58; die Auslegung „in abstracto circonstancielle“ erfolgt aber, wie bereits dargestellt, auch bei der Berücksichtigung der externen Umstände, s. o. Kap. 2.A.II.2. 76 Zu der faute de pre´vision Antonmattei, S. 56 f.; s. auch Exner, S. 70. 77 Cour de cassation, chambre commerciale, 14.2.1956, La Semaine juridique 1956.II, 9214. 78 Cour d’appel de Poitiers, 8.2.2000, La Semaine juridique 2002.IV, 1311. 79 Cour de cassation, chambre commerciale, 19.6.1951, Recueil Dalloz 1951, 717. 80 Vgl. im Rahmen eines Reisevertrags mit Flug BGH, Urt. v. 23.9.1982 – VII ZR 301/81, BGHZ 85, 51. 81 OLG Hamburg, ZfB 1979, 240.

A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´)

67

die Wellen geringer als zwei Meter hoch zu erwarten sind.82 Ein „Orkan“ oder Sturmzyklon hat z.B. Winde stärker als 12 Bft.83 Verallgemeinert kann selten ein Sturm mit einer Stärke unterhalb von 10 Bft. als höhere Gewalt anerkannt werden.84 Hier sind also besonders die Naturereignisse betroffen, da sie „das deutlichste Beispiel“85 der höheren Gewalt darstellen. bb) Gefährlichkeit, Vorhersehbarkeit und Erfahrung Ein wichtiges Mittel der Analyse der Vorhersehbarkeit ist die Einbeziehung der konkreten Erfahrung der Seeleute, wie es sich bereits in den Roˆles d’Ole´ron finden lässt.86 Dies entspricht auch der „menschlichen Erfahrung“ der deutschen Definition der höheren Gewalt.87 Dabei kann auch das Sammeln von Erfahrungen von Kapitänen oder Lotsen hilfreich sein, um vorhersehbare Ereignisse zu erfassen.88 Denn die Rechtsprechung legt die Unvorhersehbarkeit anhand der Eigenschaften des Schädigers aus, um den Sorgfaltsmaßstab ggf. zu erhöhen.89 Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Rechtsprechung gegenüber autonomen Schiffen dieselbe Haltung haben wird und die autonome Brücke als „virtuellen“ Kapitän ansieht. Die (aus der Erfahrung) bekannte Gefährlichkeit oder Sicherheit eines Ortes kann z.B. eine Rolle spielen. Das Hanseatische Oberlandesgericht hat entschieden, dass der Nord-Ostsee-Kanal kein besonders gefährlicher Ort ist: „Der Nord-Ostsee-Kanal bedient seit Jahrzehnten jährlich Zehntausende von Schiffen. In den letzten Jahren hat die jährliche Benutzung durchweg mehr als 80.000 Schiffe betragen. Die mithin sehr geringe Anzahl von nur vier Schiffsunfällen im Laufe von mehr als 40 Jahren seit Errichtung der Bunkeranlage ist ein Zeichen dafür, daß die Anlage nicht an exponierter Stelle steht“.90

Würde dies aber bedeuten, dass ein Unfall auf dem Nord-Ostsee-Kanal außergewöhnlich wäre? Dies muss verneint werden. In der Tat wäre das Ergebnis (der Unfall) zwar statistisch außergewöhnlich, aber hier ohne Zusammenhang mit der konkreten Ursache. Ein anderes Beispiel ist der 555. Rheinkilometer bei der berühmten Loreley. Hier ist die Gefährlichkeit des Ortes nicht nur eine von Hein-

82

Vgl. Cherkaoui, Droit maritime franc¸ais 1991, 211. Vgl. Cherkaoui, Droit maritime franc¸ais 1991, 211. 84 Vgl. Cour d’appel de Montpellier, 20.10.1965, Droit maritime franc¸ais 1966, 339; Antonmattei, S. 75; s. auch AG Hannover, Urt. v. 31.8.1957 – 11 C 545/57, VersR 1959, 552, bezüglich eines Plakats, das vom Wind abgerissen wurde. 85 Ripert, S. 597. 86 Dazu s. o. Kap. 1.B.II.2.b). 87 RG, Urt. v. 8.1.1931 – 259/30 VI, JW 1931, 865; BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338. 88 Vgl. Bertram, Hansa 135 (1998), 16. 89 Vgl. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 59. 90 OLG Hamburg, Urt. v. 17.12.1964 – 6 U 104/65, Hansa 102, 1504, 1506. 83

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

rich Heine verewigte Legende,91 sondern auch eine Wirklichkeit.92 Das Risiko eines Zusammenstoßes ist dort bekannt und daher aus Erfahrung vorhersehbar.93 Die französische Rechtsprechung hat darüber hinaus entschieden, dass die Strömung in einem Hafen aus Erfahrung bekannt und daher vorhersehbar ist.94 Die Bekanntheit eines Ortes für spezielle Ereignisse wird auch von der Rechtsprechung berücksichtigt95 oder auch das von den Schiffern gesammelte allgemeine Wissen spielt eine Rolle: „die ,Bar‘ an der Küste Afrikas ist keine unvorhersehbare Tatsache, sondern ein allen Schiffern wohlbekanntes Phänomen“.96 Die negativen Reaktionen einiger Kapitäne auf die autonome Schifffahrt stützen sich auf die lange Erfahrung, die die Seeleute haben, und die Vielzahl von Situationen, die sie erlebt haben.97 Die Einbeziehung solcher Erfahrungen in das Programm würde eine besondere Sorgfalt des Programmierers und des Reeders darstellen. Die Maschine kann, wie bereits erwähnt, über den menschlichen Maßstab hinausgehen. Die Technik ist zwar heutzutage am Anfang, aber die Herstellung einer virtuellen Erfahrung wird sich als möglich erweisen. b) Die Erstellung einer virtuellen Erfahrung Die künstliche Intelligenz ermöglicht ein maschinelles Verhalten, das sich dem Menschen annähert bzw. annähern will. Die Maschine ist somit in der Lage, eine eigene Erfahrung zu machen (aa)). Die Maschine setzt aber auch Berechnungen von Wahrscheinlichkeiten ein. Solche Berechnungen sollen den Eintritt eines schädlichen Ereignisses vorhersehen und haben somit Ähnlichkeiten mit der Erfahrung der Seeleute (bb)). aa) Die Erzeugung eigener Erfahrung durch das maschinelle Lernen Die fortgeschrittenen Maschinen sind in der Lage sich an die menschliche Nervenstruktur anzunähern und somit ihre eigene Erfahrung abzubilden. Es ist das sog. maschinelle Lernen:

91

Heine, Die Lorelei, 1824. S. z.B. Maile, Die Loreley lockt noch immer in den Untergang, abrufbar unter https:// www.pnp.de/nachrichten/ratgeber/reise und urlaub/reiseberichte/278725 Die-Loreley-loc kt-noch-immer-in-den-Untergang.html. 93 S. RhSchOG Köln, Urt. v. 20.3.2018 – 3 U 209/13 BSchRh, Rn. 20. 94 S. z.B. Cour d’appel de Rennes, 20.1.1969, Droit maritime franc¸ais 1969, 618. 95 Cour d’appel de Paris, 15.2.1985, Gazette du Palais 1985, 249: Bekanntheit der Region für starke Böen. 96 Cour de cassation, chambre commerciale, 21.1.1959, Bulletin des Transports et de la Logistique 1959, 70: „La barre sur les coˆtes d’Afrique n’est pas un fait impre´visible, mais un phe´nome`ne bien connu de tous les navigateurs“. 97 S. besonders intensiv mit einer langen Aufzählung Massac, Gazette de la Chambre arbitrale maritime de Paris 2020, Heft Nr. 51, 4. 92

A. Die Unvorhersehbarkeit (impre´visibilite´)

69

„Statt Maschinen statisch zu programmieren, wollen wir Techniken einsetzen, mit deren Hilfe unsere Computer ein Verhalten aus Daten lernen. Diese Daten stellen die Erfahrungen dar, welche die Maschine macht.“98

Angewandt auf autonome Schiffe kann sich das System ein Bild des Gewöhnlichen für ein Gebiet machen, wie z.B. die gewöhnlichen Strömungen auf einer Strecke, die es oft gefahren ist, oder die durchschnittliche Stärke des Windes. Die Maschine kann auch aus ihren eigenen Fehlern lernen. Hat das System in einem gegebenen Umfeld eine Entscheidung getroffen und hat diese zu einem Schaden oder einem Fehlverhalten geführt, kann das System für ein nächstes Mal eine andere bzw. bessere Entscheidung treffen. Deshalb ist eine hohe Zahl von Testfahrten wichtig, um diese Erfahrungen zu sammeln.99 Eine Situation ist aber denkbar, in der ein Fehler schon einmal aufgetreten ist. Wenn sie ein zweites Mal auftritt, wird die Bejahung der Unvorhersehbarkeit schwierig. Der Einsatz des maschinellen Lernens würde einen weiteren Schritt in die Richtung eines nicht-anthropozentrischen Sorgfaltsmaßstabs – wie von Wagner vorgeschlagen100 – darstellen. Denn die Maschine würde sich von der originalen Programmierung (die immer einen menschlichen Ursprung hat) langfristig emanzipieren. bb) Die Verstärkung der Rolle der Wahrscheinlichkeit bei dem Vorhersehen durch den Einsatz von autonomen Schiffen Die französische Rechtsprechung hat die Vorhersehbarkeit viel mehr anhand der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses als anhand der Möglichkeit des Vorhersehens ausgelegt.101 Und dies, obwohl einige Entscheidungen ausdrücklich die Rolle einer bloßen prozentualen Wahrscheinlichkeit abgelehnt haben.102 Die Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ereignisses ist aber der Kern des menschlichen Entscheidungsprozesses,103 insbesondere bei der Kollisionsverhütung auf See. Bourbonnais-Jaquard stellt mehrere Modelle der Kollisionsverhütung vor, in denen der Mensch im Mittelpunkt steht.104 Das Modell von Rasmussen stützt sich auf die Bewertung der Situation von „sehr gefährlich“ bis zu „sehr sicher“ anhand der jeweiligen Bewegungen der Schiffe, der Umgebung und der Einhaltung der KVR.105 Das Modell zeigt die wichtige, tat98 99

Frochte, S. 14. Vgl. aus technischer Sicht Wang/Zhang/Cong/Li/Zhang, Evolving Systems 10 (2019),

649. 100

Wagner, VersR 2020, 717, 728. S. z.B. Cour de cassation, chambre commerciale, 12.11.1969, La Semaine juridique 1971.II, 16791; schon Cour de cassation, chambre des requeˆtes, 4.5.1842, Recueil Dalloz 1842.I, 222. 102 S. z.B. Cour d’appel de Douai, 6.2.2003, Revue de Jurisprudence de droit des Affaires 2004, 526. 103 Vgl. Rümelin, S. 13 f. 104 Bourbonnais-Jaquard, S. 291–297. 105 S. Bourbonnais-Jaquard, S. 292–294. 101

70

Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

sächliche Rolle der Wahrscheinlichkeit in der Vorhersehbarkeit – und dadurch der Vermeidbarkeit – eines Zusammenstoßes. Das Entscheidungsmodell des Systems sollte nicht anders sein. Es ist sogar nah am technischen Aufbau des autonomen Systems. Ein Orientierungswerkzeug könnten die Veröffentlichung und Wahrscheinlichkeitsrechnungen der Klassifizierungsgesellschaften sein, z.B. von Bureau Veritas. Und dies nicht nur in Bezug auf Naturereignisse, sondern auch technisches Versagen. Beispielsweise hat das Versagen des IT-Systems eines Schiffes mit der Konsequenz des Untergangs des Schiffes laut Bureau Veritas106 eine Wahrscheinlichkeit von 10–3 pro Schiff pro Jahr. Dies bedeutet, dass dies in einer Flotte von 1.000 Schiffen einmal pro Jahr geschehen kann.107 Als Vergleich hat eine schlechte Sichtbarkeit mit der Konsequenz eines Zusammenstoßes eine Wahrscheinlichkeit von 10 pro Schiff pro Jahr,108 also kann einmal im Monat für ein Schiff eintreten.109 Die konkrete Wahrscheinlichkeit kann durch Simulationen und Data Fusion an Bord berechnet werden. Diese Berechnungssysteme könnten also von großer Wichtigkeit sein, sowohl für die Vorhersehbarkeit als auch für die Vermeidbarkeit. Die Simulation stellt dabei eine neue Art von Vorhersehbarkeit dar bzw. setzt die Orientierung der Vorhersehbarkeit nach der Wahrscheinlichkeit fort. Eine Simulation sieht nicht die tatsächlichen Ereignisse voraus. Sie berücksichtigt alle möglichen Situationen, um einen Überraschungseffekt eines Ereignisses zu vermeiden und dementsprechend reagieren zu können.

III. Ergebnis: der Mensch als Mindeststandard der Unvorhersehbarkeit bei autonomer Schifffahrt Eine anthropozentrische Auslegung der Vorhersehbarkeit im Rahmen der höheren Gewalt bleibt derzeit bei der autonomen Schifffahrt wichtig. Zwar ist „ein digitales System kein Mensch“,110 aber die Programmierung wird bisher immer noch von einem Menschen erzeugt. Somit beherrscht der Mensch noch die Maschine. Die Maschine ist noch kein komplett unabhängiges System. Eine dogmatische Brücke zwischen dem Menschen und der Maschine ist aber möglich. Der anthropozentrische Maßstab soll zunächst der Mindeststandard bei der Auslegung der Unvorhersehbarkeit sein.111 Deshalb müssen bereits ent106

Bureau Veritas, Guidelines for autonomous shipping, S. 12. Bureau Veritas, Guidelines for autonomous shipping, S. 13; für eine Größenordnung: Maersk betrieb 2019 708 Schiffe, darunter 307 im eigenen Eigentum, s. A.P. Moller-Maersk, Annual Report 2019, S. 40. 108 Bureau Veritas, Guidelines for autonomous shipping, S. 12. 109 Bureau Veritas, Guidelines for autonomous shipping, S. 13. 110 Wagner, VersR 2020, 717, 728. 111 Vgl. auch Bodungen/Hoffmann, NZV 2016, 503, 505; Borges, CR 32 (2016), 272, 276; Gomille, JZ 71 (2016), 76, 77; Schrader, DAR 2016, 242, 246; Thöne, S. 200; Vladeck, Wash. L. Rev. 89 (2014), 117, 130; Wagner, AcP 217 (2017), 707, 734. 107

B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´)

71

schiedene Fälle berücksichtigt sowie externe objektive geographische Gegebenheiten einbezogen und die menschliche Erfahrung der Seeleute beachtet werden. Die Gerichte werden mit Sicherheit prüfen, ob das autonome Schiff diesen Mindeststandard garantieren konnte. So ist auch die Position des Maritime Safety Commitee der IMO bezüglich der Beschaffenheit angepasster Regelungen: „at least the same degree of safety […] as provided by the relevant instrument“.112 Da das autonome Schiff über menschliche Möglichkeiten hinausgehen kann, ist zudem eine Erhöhung des Maßstabs möglich. Ähnlich wie bei der Berücksichtigung der persönlichen Erfahrung des Schädigers heute wird die konkrete Ausstattung des Schiffes beachtet. Dies erfasst die mögliche eigene Erfahrung des Schiffes durch maschinelles Lernen oder die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten und die Durchführung von Simulationen anhand der erhobenen Daten. So kann teilweise die „Begrenztheit menschlicher Einsicht“113 überwunden werden. Die Erhöhung des Standards aufgrund des Einsatzes von künstlicher Intelligenz wird durch die juristische Angemessenheit ausgeglichen. Dies dient dazu, dass der bloße Einsatz eines autonomen Schiffes nicht zu einer unangemessenen Haftung führen könnte. Es ist zwar eine Erhöhung, aber keine erhebliche Verschärfung der Standards der höheren Gewalt zu erwarten. Die „Angemessenheit“ hat darüber hinaus den Vorteil, dass sie sich an die Entwicklung der Technik anpassen kann.114 Im Laufe des Algorithmus kommt nach der Bestimmung des „Wenn“ der Einsatz des „Dann“.

B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´): die Herausforderung der Autonomisierung Das zweite klassische Merkmal der „höheren Gewalt“ ist laut Art. 1218 Code civil die Unvermeidbarkeit des Ereignisses, formuliert wie folgt: „dont les effets ne peuvent eˆtre e´vite´s par des mesures approprie´es“. Der Reformentwurf des Deliktsrechts in Art. 1253 Abs. 2 nutzt eine sehr ähnliche Formulierung: „dont ceuxci ne pouvaient e´viter ni la re´alisation ni les conse´quences par des mesures approprie´es“. Diese letzte Formulierung ähnelt der deutschen Definition, die jedoch präziser ist. Demnach ist es ein Ereignis, das „nach Sachlage vernünftigerweise mit der zu erwartenden Sorgfalt nicht verhütet werden oder unschädlich gemacht werden kann“.115

112

Interim Guidelines for MASS trials, MSC.1/Circ.1604, Anhang 1, S. 1. Rümelin, S. 12. 114 Vgl. Perelman, Archives de philosophie du droit 23 (1978), 35, 42. 115 BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338; s. bereits RG, Urt. v. 8.1.1931 – 259/30 VI, JW 1931, 865. 113

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

Das Merkmal der Unvermeidbarkeit ist zentral für den Begriff der höheren Gewalt und stellt sogar deren „Kern“ dar.116 Die Unvermeidbarkeit allein konnte vor 2006 zur Feststellung der höheren Gewalt führen.117 Das französische Recht verwendet mehrere Begriffe, die die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´) beschreiben. Das Ereignis soll unüberwindbar (insurmontable) und unabwendbar (ine´vitable) sein.118 Die Autonomisierung der Schifffahrt weist besonders die drei Komponenten der Definition der Unvermeidbarkeit im Rahmen der höheren Gewalt auf. Zunächst stellt sich die Frage des Maßstabs für die Auswahl der Maßnahmen, um das Ereignis zu vermeiden. Da die Haftung nach einem Schiffszusammenstoß auf dem Verschuldensprinzip beruht, gibt die deutsche Definition ein Indiz: die Sorgfalt (I.). Zweitens stellt sich die Frage der Natur der „geeigneten Maßnahmen“ und deren Auswahl. Die Maßnahmen werden zwar von einer Maschine durchgeführt, nach der Analyse der konkreten Situation, aber diese Maßnahmen werden in der Regel bereits vorher eingeplant – von einem Menschen (II.). Schließlich stellt sich bei autonom fahrenden Verkehrsmitteln häufig die Frage der sog. Dilemma-Situationen: der Auswahl zwischen den Maßnahmen, die auf jeden Fall zu Schäden führen werden. Da die Unvermeidbarkeit auch auf der Unvermeidbarkeit der Konsequenzen des schädlichen Ereignisses beruht, stellt sich auch diese Frage im Rahmen der autonomen Schifffahrt (III.).

I. Die Subjektivierung des Unvermeidbaren durch die Sorgfalt Die Auslegung der Unvermeidbarkeit ist Quelle von strittigen Meinungen. Die Widerstandsmacht des Menschen ist aber von den Umständen abhängig. Deshalb hat die Auslegung dieses zentralen Merkmals der höheren Gewalt einen langen Weg zu einer Subjektivierung verfolgt (1.). Die Mischung objektiver und subjektiver Auslegungsmittel findet sich in der französischen Definition des Begriffs der höheren Gewalt: die „geeigneten Maßnahmen“ (2.). 1. Der Weg zu einer differenziert-objektiven Auslegung der Unvermeidbarkeit Die Literatur setzte sich ab dem 19. Jahrhundert mit der Debatte auseinander, ob die Unvermeidbarkeit objektiv oder subjektiv ausgelegt werden sollte. Die Literatur, aber vor allem die Rechtsprechung hat sich auf einen Kompromiss geeinigt: eine differenziert-objektive Auslegung (a)). Das Sorgfaltsmodell, das daraus entsteht, stützt sich bisher auf den Menschen. Die Autonomisierung benötigt einen neuen Kompromiss in der Auslegung (b)).

116

Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 811. S. z.B. Cour de cassation, premie`re chambre civile, 6.11.2002 – 99-21.203. 118 S. dazu Jourdain, Recueil Dalloz 2006, 1577, 1582; Weick, ZEuP 2014, 281, 310. 117

B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´)

73

a) Der Theorienstreit zum Begriff der Unvermeidbarkeit Der französische Art. 1218 Code civil spricht nicht unmittelbar an, wie das Verhalten des Betroffenen beurteilt werden muss. Der Vorschlagstext der Reform des Deliktsrechts löst bisher diese Unsicherheit nicht. Der Text spricht nur von „geeigneten Maßnahmen“ (mesures approprie´es). Das deutsche Recht – insbesondere die Rechtsprechung – ist hier klarer und gibt eine Orientierung: „auch durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann“.119 Die Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers stellt also den Maßstab dar. Der Einsatz der Sorgfalt dient als „ethische Grundlage“120 der Rechtsinstitution der höheren Gewalt: gegen eine zu radikale Situation eine gerechte Lösung schaffen. Die Auslegung der Unvermeidbarkeit eines Ereignisses hat zu einer Auseinandersetzung in der deutschsprachigen Literatur geführt. Exner hat z.B. die Meinung vertreten, dass die Unvermeidbarkeit objektiv ausgelegt werden sollte: „Der Zufall muss seiner Art so sein, dass Menschenkräfte dagegen nicht aufkommen.“121 Die abstrakte Unabwendbarkeit soll ihm zufolge hier für einen ersten Unterschied zwischen bloßem Zufall und „höherer Gewalt“ sorgen. Diese objektive Theorie wird von Alpes wie folgt zusammengefasst: „Diesem Gedanken sollte es entsprechen, wenn der Rezipient stets für Verlust und Beschädigung haftete, solange seine Schuldlosigkeit nicht völlig offenkundig und unbezweifelbar war. Dies wiederum sollte nur anzunehmen sein, wenn die Ursache von außen und augenscheinlich stärker wirkte als normale schädigende Ereignisse.“122

Diese Ansicht wurde mit der subjektiven Theorie konfrontiert. Vertreten von Goldschmidt,123 verlangt diese Auffassung, dass das Ereignis bloß „durch äußerste Sorgfalt nicht vermieden werden kann“.124 Die höhere Gewalt wird also hinsichtlich der „konkreten Unabwendbarkeit“125 beurteilt. Diese Ansicht, die heute sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung vorherrscht, wird auch in Frankreich vertreten. Das Instituts der höheren Gewalt stellt ein Mittel gegen zu strenge Lösungen, „eine Korrektur“, dar.126 Zwar liegen hier Ähnlichkeiten mit der Verneinung eines Verschuldens vor. Aber es „ist an dem wesentlich erhöhten Sorgfaltsmaßstab zu erkennen, dass die subjektive Theorie höhere Gewalt enger versteht als die bloße Verneinung haftungsbegründenden Verschul-

119

RG, Urt. v. 8.1.1931 – 259/30 VI, JW 1931, 865, Hervorhebung hinzugefügt. Antonmattei, S. 45. 121 Exner, S. 12 und 74; wobei er im Detail nicht eine so strenge Betrachtung einnimmt und selbst einige Gedanke relativiert, s. z.B. S. 31. 122 Alpes, S. 47–48. 123 Goldschmidt, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 3 (1860), 58; s. auch Alpes, S. 46 ff. 124 Städtler, S. 14. 125 Städtler, S. 22. 126 Vgl. Antonmattei, S. 45. 120

74

Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

dens“.127 Exner hatte die Grenze seiner objektiven Betrachtung auch erkannt: „Es gibt nichts an sich Unabwendbares noch Unwiderstehliches; […] Das Unvermeidliche ist eben ein wesentlich Relatives.“128 Daher ist eine differenziert-objektive Bewertung (appre´ciation in abstracto cate´gorielle) ähnlich wie im Rahmen der Unvorhersehbarkeit geboten.129 Eine solche Betrachtung stellt die „rationelle Grenze“130 dar, die für Exner durch eine Individualisierung der Unvermeidbarkeit nicht möglich ist zu konstruieren. Diese Mischung von objektiven und subjektiven Auslegungselementen war die Praxis der französischen Rechtsprechung. Sie sprach von „normaler“ Unvermeidbarkeit.131 Die deutsche Rechtsprechung hat hier das Konzept der Sorgfalt in einer „Vereinigungstheorie“ benutzt.132 Die richterliche Praxis führt zu der Entwicklung eines Modells, eines Standards.133 Das Vermitteln der künstlichen Intelligenz zwischen dem Menschen und der Durchführung der Maßnahme kann einen neuen Entwicklungsschritt darstellen. b) Die Entwicklung des Sorgfaltsmodells gegenüber der technischen Autonomisierung Die Beurteilung der Sorgfalt muss einem Referenzmodell entsprechen. Lange herrschte im französischen Recht das Modell des „bonus pater familias“, „le bon pe`re de famille“.134 Über die Ablehnung im gegenwärtigen Recht dieses Begriffs hinaus135 ist dieses Modell aber noch abstrakt und muss verfeinert werden. Der Standard muss „der Vielfalt der menschlichen Unternehmen“136 angepasst werden, insbesondere im Rahmen des Begriffs der höheren Gewalt.137 Deshalb wurde im Straßenverkehrsrecht der „normale Autofahrer“ oder der „ordentliche Schiffer“ in der Schifffahrt als Referenz genommen.138 Die Mischung der Bewertung in abstracto mit Rücksicht auf die besonderen Umstände bedeutet, dass durch das Ereignis „nicht nur der Einzelne, sondern auch der Durchschnittliche überfordert werden“.139 Dies bedeutet konkret, dass der Schä127

Alpes, S. 47. Exner, S. 16. 129 Vgl. Antonmattei, S. 76 ff.; Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 74. 130 S. Exner, S. 17. 131 S. z.B. Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 6.7.1960, Bulletin civil II, 439: „qu’il n’avait pu normalement pre´voir ni surmonter.“ 132 Meder, JZ 49 (1994), 485, 487. 133 Antonmattei analysiert die Unvorhersehbarkeit und die Unvermeidbarkeit als „juristische Standards“, s. Antonmattei, S. 43 ff. 134 S. auch im deutschen Recht Rümelin, S. 19. 135 S. die obige Skizzierung, Kap. 2.A.II.1. 136 Antonmattei, S. 77. 137 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.7.1968 – 4-68. 138 Vgl. Antonmattei, S. 77; s. auch z.B. § 498 Abs. 2 S. 1 HGB mit dem Ausdruck „ordentlicher Verfrachter“. 139 Städtler, S. 23. 128

B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´)

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diger nicht „Übermensch, Tarzan, Aste´rix, Tim, Superman, Rambo oder der Comte de Monte-Christo“140 oder „der Superfahrer“141 sein muss. Rümelin drückt es auch in der früheren deutschen Literatur wie folgt aus: „Man wird einen gewöhnlichen nicht deshalb zum Ersatz verurteilen, weil dieser oder jener berühmte Chirurg die Operation besser ausgeführt hätte.“142 Der „menschliche Maßstab“143 in seiner Komplexität und Vielfalt soll die Betrachtung der Unvermeidbarkeit leiten. Der menschliche Maßstab kann aber durch die Autonomisierung der Schiffssteuerung in Frage gestellt werden. Die Rechtsprechung in Deutschland hatte bereits die Sorgfaltsauslegung anlässlich eines Zusammenstoßes zwischen einem Dampfschiff und einem Segelschiff präzisiert. Das Reichsgericht hatte entschieden, dass die Führung des Dampfschiffes mit den besonderen Gegebenheiten des entgegenkommenden Segelschiffes (Abhängigkeit vom Wind, mögliche zufällige Kursänderung, usw.) rechnen müsste.144 Das Konzept der Sorgfalt dient dem Gerechtigkeitsgefühl und bietet eine hohe, langfristige Flexibilität. Bei der technischen Entwicklung erfolgte bisher keine Änderung der Natur des Maßstabs. Denn der Mensch behielt seine zentrale Rolle in der Steuerung des Schiffes. Die Autonomisierung kann aber das Subjekt des Sorgfaltsmaßstabs ändern. Wagner schlägt einen nicht-anthropozentrischen Maßstab vor, denn „autonome Systeme machen jedoch andere Fehler und verursachen andere Unfälle als Menschen“.145 Bei autonomen Systemen muss unterschieden werden. Für Systeme, die auf einer fixierten Programmierung beruhen, ist ein anthropozentrischer Maßstab noch angemessen, denn die Maschine führt die vorhergesehenen Maßnahmen durch. Sie wurden von einem Menschen (dem Hersteller bzw. dem Programmierer) ausgewählt. Die Frage wird also sein, ob die Maßnahmen für die Bewältigung des Ereignisses für ein autonomes Schiff geeignet waren. Dies gilt auch für eventuell nötige Updates des Programms und seine Wartung. Wenn jedoch das Schiff mit maschinellem Lernen ausgestattet ist und sich selbst weiterentwickelt, kann ein maschinenbezogener Maßstab angemessener erscheinen. Diese Frage teilt sich in zwei Fragen auf. Erstens: Hat ausschließlich der Einsatz maschinellen Lernens ohne weitere Schutzmechanismen die Vermeidbarkeit des Ereignisses verhindert? Hier geht es also um den Kausalzusammenhang. Zweitens: Entspricht die getroffene Entscheidung der „äußersten gebotenen Sorgfalt“? Nur im Rahmen dieser zweiten Alternative ist die Meinung von Wagner vertretbar. Ähnlich wie bei der Unvorhersehbarkeit sollte der mensch-

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Malaurie/Ayne`s/Stoffel-Munck, S. 546. Rebler, SVR 2011, 246, 247. 142 Rümelin, S. 24. 143 Rodie`re, S. 444. 144 RG, Urt. v. 5.4.1902 – I 420/01, HGZ 1902, Nr. 94; s. für eine nähere Behandlung der Entscheidung Hermanns, S. 72. 145 Wagner, VersR 2020, 717, 728; vgl. teilweise auch Thöne, S. 203. 141

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liche Maßstab den Mindeststandard darstellen. Darüber hinaus muss es einen zeitgemäßen Standard für die Maschine geben. Der Maßstab wird sich also an den Standard der autonomen Schifffahrt anpassen. Zumindest Fahrlässigkeit wird mit Sicherheit festgestellt, wenn das schädigende Schiff nicht der „normalen“ Ausstattung eines autonomen Schiffes entsprechen wird. Deshalb sind die Verbindungen zwischen Unvermeidbarkeit und Seetüchtigkeit groß.146 Die differenziert-objektive Auslegung findet sich in den zwei Aspekten einer „geeigneten Maßnahme“ wieder. 2. Der Doppelaspekt der „geeigneten Maßnahmen“ Das Kriterium der „geeigneten Maßnahmen“ entspricht dem Handeln des jetzt identifizierten Referenzmodells.147 Die Anwendung des „Modells“ ist also mit der Beantwortung folgender Frage verbunden: Was hätte ein „ordentlicher Schiffer“ in derselben Situation gemacht? Die Beurteilung folgt somit einer zweistufigen Prüfung. Zuerst wird angesichts der Umstände beurteilt, was der Haftende hätte machen müssen. Dies entspricht einem eher objektiven Ansatz des Verhaltens. Hier wird das mögliche, fiktive148 Verhalten des Referenzmodells beobachtet und dient als Maßstab. Um diesen Ansatz, der in der Prüfung streng sein kann, abzumildern, wird zweitens angesichts der konkreten Umstände beurteilt, was der Haftende hätte machen können. Hier werden verschiedene Aspekte des konkreten Kontexts bewertet, die „Einfluss auf die Auslegung des Standards [haben]“.149 Welche der objektiven Mittel zur Abwendung des Ereignisses standen verschuldenslos tatsächlich zur Verfügung? Hier sind die Aspekte der älteren Lehre des Begriffs der höheren Gewalt zu erkennen, für die das Verschulden und die höhere Gewalt sich gegenseitig ausschließen.150 Fahrlässigkeit und höhere Gewalt bzw. Zufall werden oft zusammengebracht.151 Denn „aus der Definition lässt sich somit ableiten, dass die Fahrlässigkeit sich aus den Elementen der Vorhersehbarkeit der Gefahr und der Vermeidbarkeit eines schädigenden Ereignisses zusammensetzt“.152 Dieser Doppelaspekt findet sich auch in der deutschen Definition der höheren Gewalt wieder. Der BGH spricht von der „äußerste[n] nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende[n] Sorgfalt“.153 Auf der einen Seite wird ein be-

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S. näher dazu unten Kap. 2.B.II.1.b). Vgl. Antonmattei, S. 78 ff. 148 Vgl. Antonmattei, S. 79. 149 Antonmattei, S. 71. 150 Vgl. Städtler, S. 20; s. auch bei der Seehandelsrechtsreform von 2013 die Gründe des Abschieds der höheren Gewalt im neuen § 570 HGB, RegE, Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts vom 12.7.2012, BT-Drs. 17/10309, 212. 151 S. z.B. Strohmaier, BB 1993, 2030; auch mit dem Zufall Seitz, S. 81 ff. 152 Seitz, S. 81. 153 S. BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338. 147

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stimmtes Verhalten des Haftenden erwartet. Das Gericht subjektiviert diese Stellung jedoch auf der anderen Seite gleich: Die Auslegung erfolgt „nach der Sachlage“ und die Erwartung entspricht dem Vernünftigen. Die zwei wichtigen Aspekte dieser geeigneten Maßnahmen sind eine gute Orientierung für die Bestimmung dieser Maßnahmen im Rahmen der autonomen Schifffahrt.

II. Die Bestimmung einer „geeigneten Maßnahme“ bei autonomen Schiffen Sowohl die Definition des Art. 1218 als auch die mögliche zukünftige Version des Art. 1253 Code civil stützen sich auf das Erfordernis von „geeigneten Maßnahmen“ (mesures approprie´es), um das Ereignis abzuwenden. Diese Formulierung entspricht den zwei Aspekten der Auslegung der Unvermeidbarkeit. Zunächst soll objektiv analysiert werden, welche Maßnahmen der Schädiger hätte treffen müssen. Dieser objektive Aspekt ist von der Standardisierung und durch die Autonomisierung der Systeme hervorgehoben (1.). Aber „diese Art der Argumentation läuft nicht darauf hinaus, abstrakt zu urteilen, ohne die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen“.154 Daher soll sodann analysiert werden, welche Maßnahmen der Schädiger hätte treffen können. Dieser Aspekt ist im Rahmen der autonomen Schifffahrt von zunehmender Bedeutung (2.). 1. Der objektive Aspekt durch die Standardisierung und die Autonomisierung Die Standardisierung und die Autonomisierung der technischen Verkehrsmittel dienen der Hervorhebung des objektiven Aspekts „geeigneter Maßnahmen“. Die Funktion der Unvorhersehbarkeit als „Indiz der Unvermeidbarkeit“ wird durch die autonome Schifffahrt betont, wie sie bereits in der französischen Literatur verstanden wird155 (a)). Im Rahmen der autonomen Schifffahrt könnte aber ein zweites Indiz aus dem seerechtlichen Vertrag helfen, um die Eignung des Schiffes gegenüber einem Ereignis der höheren Gewalt zu beurteilen: die Seetüchtigkeit (b)). a) Die Vorhersehbarkeit durch die Programmierung als Indiz der Unvermeidbarkeit Die Verbindung zwischen der Vorhersehbarkeit und der Vermeidbarkeit findet sich in den französischen Begriffen wieder. Der Terminus ine´vitable, der auch verwendet wird, bedeutet, dass es keinen anderen Weg gab, als dem Ereignis entgegenzutreten.156 154

Dejean de la Baˆtie, S. 3. S. z.B. Antonmattei, S. 56, Rn. 74; Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 45. 156 S. insbesondere Jourdain, Recueil Dalloz 2006, 1577, 1582; Weick, ZEuP 2014, 281, 310. 155

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Die Unvermeidbarkeit betrachtet nicht nur die Maßnahme (d.h. das „Dann“ des regelbasierten Algorithmus), sondern auch die Eigenschaften der Maßnahmen (den Umfang des „Dann“). Dabei tritt der Programmierer bzw. die Programmierung in die Haftungskette wieder ein, denn „auch ein sehr hoch entwickelter Intelligenter Agent ist allerdings immer nur so intelligent wie seine Programmierung“.157 Es bestehen also grundsätzlich für den Programmierer zwei Möglichkeiten. Er kann im Voraus entscheiden, welche genauen Maßnahmen für ein gegebenes Ereignis geeignet sind. Dies entspricht einem regelbasierten Algorithmus („wenn … dann“) und setzt eine erweiterte Vorhersehbarkeit des Programmierers voraus: Er muss nicht nur viele Möglichkeiten von Ereignissen vorhersehen, sondern auch die geeignete Antwort auswählen. Hier drückt sich besonders stark die Verbindung zwischen Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit aus. Die zweite Möglichkeit ist die Programmierung eines komplexeren Algorithmus. Das System, das mit einem gegebenen Ereignis konfrontiert wird, wird eine Auswahl von Maßnahmen zur Verfügung haben (sog. „probabilistisch-adaptive Problemlösung“).158 Hierdurch wird die Besonderheit der künstlichen Intelligenz erkennbar: Das System wird die Maßnahme auswählen, die konkret am besten geeignet ist. Zum Beispiel können für einen angekündigten Sturm mehrere Möglichkeiten der Reaktion bestehen: Das Schiff kann im Auslaufhafen bleiben oder eine Abweichung der Route berechnen und/oder eine Meldung an die Landkontrollstation zwecks der Sicherung der Ladung senden. Dabei wird der Maschine durch ihre Simulationskraft geholfen. Sie ist in der Lage innerhalb weniger Sekunden hunderte Situationen zu simulieren, um die beste Maßnahme auswählen zu können. Durch maschinelles Lernen kann zudem das System lernen, welche Maßnahme sich am besten für ein gegebenes Ereignis eignet. Dies setzt aber eine Art Ausbildung der Software voraus, indem sie von ihren eigenen Fehlern bzw. Erfolgen lernen und das Vorgehen anderer Maschinen bzw. Menschen in derselben Situation beobachten kann. Das Programm wird sich also in diesem Fall selbst weiterentwickeln, um sich zu verbessern. Durch den sehr hohen Wert von autonomen Schiffen und deren Ladung wäre es wünschenswert, dass die Systeme mit maschinellem Lernen erstmals nur in gesonderten Testschiffen eingesetzt werden, um eine Mindestsicherheit zu gewährleisten.159 Als Orientierung bei der Programmierung wird die Erfahrung der Seeleute von großer Wichtigkeit sein, um geeignete Maßnahmen für ein gegebenes Ereignis zu identifizieren. Denn die Programmierer sind selbst in aller Regel keine erfahrenen Seefahrer. Hier spielt der Ausdruck der „Normalität“ der zu erwartenden Sorgfalt eine große Rolle. Bei der Programmierung wird eine Vorgehens157

Gleß/Weigend, ZStW 126 (2014), 561, 563. Thöne, S. 201. 159 S. für solche Tests als Beispiel Wang/Zhang/Cong/Li/Zhang, Evolving Systems 10 (2019), 649. 158

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weise erfolgen, die im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung von einem Gericht höchstwahrscheinlich auch durchgeführt wird. Es wird das häufigste Verhalten in einer vergleichbaren Situation recherchieren,160 um determinieren zu können, was getan werden musste. Dieses Vorgehen erfolgte z.B. für einen Sturm, von dem viele Schiffe betroffen wurden, da „es inkonsequent [wäre], ein Ereignis als vorhersehbar und überwindbar zu bezeichnen […], wenn viele Schiffer nicht dessen Konsequenzen entfliehen konnten“.161 Eine Beurteilung nach einer sachgemäßen Maßnahme ist ebenso möglich.162 Ein ähnliches Vorgehen wurde auch von deutschen Gerichten verfolgt. Friedemann berichtet von einem Fall, der ca. 1929–1930 entschieden wurde.163 Drei Dampfer (aus Deutschland, Jugoslawien und Frankreich) sind im Hafen von Algier zusammengestoßen, weil die Festmacherleinen des jugoslawischen Dampfers durch einen Sturm gebrochen waren. Die höhere Gewalt wurde aber hier verneint, da „außer dem Dampfer ,Tr.‘ kein anderes Seeschiff gelegentlich dieses Unfalles weder durch Wind, Seegang oder Dünung losgerissen ist“.164 Die zunehmende Autonomisierung des Schiffes führt zu der anwachsenden Stärke eines anderen Konzepts der Seeschifffahrt als Indiz der Vermeidbarkeit: der Seetüchtigkeit. b) Die Seetüchtigkeit als Indiz der Unvermeidbarkeit Da die Seetüchtigkeit (französisch: „navigabilite´“), sowohl im französischen als auch im deutschen Recht, auch die Besatzung umfasst,165 besteht diesbezüglich für die autonome Schifffahrt ein Regelungsbedarf.166 Im Folgenden wird auf diesen Aspekt nicht eingegangen und von einer Änderung dieses Maßstabs ausgegangen. aa) Die Seetüchtigkeit des autonomen Schiffes Die Frage der Wahl und der Eigenschaften des Schiffes ist ein zentrales Merkmal der seerechtlichen vertraglichen Haftung. Der Verfrachter ist sowohl nach französischem Recht, Art. L. 5422-6 Code des Transports, als auch nach deutschem Recht, § 485 HGB, verpflichtet ein seetüchtiges Schiff zur Verfügung zu stellen.

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Vgl. Antonmattei, S. 79. Cour d’appel de Rouen, 29.2.1972, Recueil Dalloz 1973, 87: „il serait illogique de qualifier de pre´visible et de surmontable un e´ve´nement aux conse´quences duquel n’ont pu e´chapper de nombreux marins“. 162 Vgl. Antonmattei, S. 80. 163 Entscheidung leider ohne weitere nähere Angabe, Friedemann, S. 15–21. 164 Friedemann, S. 16–17; s. auch für eine ähnliche Situation mit derselben Lösung Cour d’appel de Pau, 28.4.2004 – 02/01508. 165 Delebecque, S. 622, „Armement“ bezeichnet die Besatzung; Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 498 HGB, Rn. 31. 166 So auch Piette, Gazette de la Chambre arbitrale maritime de Paris 2019, Heft Nr. 48, 2. 161

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In der Definition der Seetüchtigkeit kann man bereits die enge Verbindung zwischen Seetüchtigkeit und dem Institut der höheren Gewalt erahnen: „Fähigkeit, die See zu halten und die Gefahren der Seeschifffahrt, soweit sie nicht ganz außergewöhnlicher Art sind, zu überstehen.“167 Der Bezug zu der Unvorhersehbarkeit für die Beurteilung der Seetüchtigkeit ist darüber hinaus auch zu finden.168 Die sog. relative Seetüchtigkeit, oder auch die Reisetüchtigkeit, bezieht sich ferner auf die „zu erwartenden konkreten Anforderungen der bevorstehenden Reise“.169 Ein solcher konkreter Bezug ist, wie bereits dargestellt, auch Teil der Auslegung der Unvorhersehbarkeit im Rahmen der höheren Gewalt.170 Neben der kommerziellen und administrativen Seetüchtigkeit ist die Seetüchtigkeit auch nautisch: Das Schiff muss in so einem Zustand sein, dass es den „Gefahren des Meeres entgegentreten kann“.171 Dies betrifft die Struktur des Schiffes, aber auch sein Zubehör wie die Maschine, das Radar und alle anderen technischen Einrichtungen.172 Zum Beispiel wäre die Abwesenheit des „notwendigen Safety Management System (SMS) ein Indiz für die fehlende Seetüchtigkeit“.173 Bei autonomen Schiffen betrifft dies auch z.B. das Informationssystem einschließlich seiner Version und dessen Updates.174 Die Rechtsprechung bezüglich der Aktualität und der Vollständigkeit der vorhandenen Seekarten ist mit der Verbindung der autonomen Brücke des autonomen Schiffes mit digitalen Seekartendatenbanken bzw. GPS ohne besondere Schwierigkeiten auf der autonomen Schifffahrt übertragbar. Deren Fehlen oder Unbrauchbarkeit kann die Reiseuntüchtigkeit begründen.175 Hier gilt für die Beurteilung der Seetüchtigkeit der Stand der Technik und der Wissenschaft als Maßstab.176 Dieser ist allerdings mit dem der (deliktischen) Produkthaftung vergleichbar.177 Die Seetüchtigkeit bildet demzufolge eine enge Verbindung mit dem Sorgfaltsmaßstab im Rahmen der höheren Gewalt:

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Schaps/Abraham, S. 152, Hervorhebung hinzugefügt; OLG Hamburg, Urt v. 23.10.1893, HGZ 1893, 294: allgemeine Seetüchtigkeit gegen Brandgefahr; auch Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 485 HGB, Rn. 6; Ballin, S. 21–22. 168 S. dazu Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 485 HGB, Rn. 7. 169 Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 485 HGB, Rn. 7; auch BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 60/94, NJW 1995, 1831; BGH, Urt. v. 26.10.2006 – I ZR 20/04, BGHZ 169, 281, 285. 170 S. o. Kap. 2.A.II.1 und 2. 171 Piette, Affre`tement maritime, in: Re´pertoire de droit commercial, Rn. 56. 172 Vgl. Ballin, S. 22; Piette, Affre`tement maritime, in: Re´pertoire de droit commercial, Rn. 56. 173 Pötschke, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 485, Rn. 6; Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 485 HGB, Rn. 34. 174 Vgl. Piette, Gazette de la Chambre arbitrale maritime de Paris 2019, Heft Nr. 48, 2. 175 OLG Hamburg, Beschl v. 20.6.2006 – 6 U 222/05; Seeamt Stralsund, Spruch v. 23.2.1882, OSA 3, 696, 698: veraltete Karte seit 10 Jahren; Kaiserliches Oberseeamt, Entscheidung v. 8.9.1882, OSA 4, 270; Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 485 HGB, Rn. 23. 176 Vgl. Ballin, S. 47; Pötschke, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 485, Rn. 6. 177 S. dazu Wagner, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 823, Rn. 840.

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„Somit kommt dem Begriff der ,allgemein anerkannten Regeln der Technik‘ eine zentrale Bedeutung zu. Dies sind Regeln, die wissenschaftlich als theoretisch feststehend und richtig anerkannt sind, in der Praxis bei nach aktuellem Kenntnisstand ausgebildetem Personal üblicherweise bekannt sind und sich aufgrund längerer praktischer Erfahrung bewährt haben.“178

Technische Probleme könnten so ausgelegt werden, dass sie die Haftung des Verfrachters bzw. Reeders auslösen können. Der Verfrachter bzw. Reeder muss somit vor der Abfahrt des Schiffes sorgfältig kontrollieren, ob das Schiff seetüchtig ist. Dies spielt also auch eine Rolle im Rahmen des Zufalls – der z.B. im IÜZ ein Haftungsausschlussgrund ist, da der Zufall ein technisches Versagen umfassen kann.179 Die Verbindung dieses vertraglichen Konzepts der Seetüchtigkeit mit der Analyse des Begriffs der höheren Gewalt im Seedeliktsrecht wird durch die technische Standardisierung verstärkt. Hier ist bereits die Beziehung zwischen „höherer Gewalt“ und Kausalität zu erkennen. Die höhere Gewalt wird infolge eines Zusammenstoßes kaum bejaht werden können, wenn ein seetüchtiges Schiff das Ereignis hätte überstehen können.180 Darauf zielt auch Lemarie´ ab, wenn er sagt, dass Seeuntüchtigkeit die höhere Gewalt ausschließt.181 Das Reichsgericht hatte 1894 eine Verbindung zwischen dem Beweis eines Falles der höheren Gewalt (hier ein Brand) und der Seeuntüchtigkeit des betroffenen Schiffes hergestellt.182 Ein US-amerikanisches Gericht in Richmond, Virginia, hatte ebenfalls 1929 aufgrund der festgestellten Seetüchtigkeit des Schiffes die höhere Gewalt bejaht.183 Die Einhaltung von gesetzlichen bzw. aus der Praxis festgelegten Standards wurde außerdem von der französischen Rechtsprechung als Indiz der Unvermeidbarkeit verstanden, wenn Schäden trotzdem eingetreten sind.184 Solche Standards, etwa von der IMO, sind im Rahmen der Kontrolle der Seetüchtigkeit vorhanden, z.B. bezüglich der Ausrüstung.185 Die Seetüchtigkeit als Indiz der Unvermeidbarkeit erscheint als ein Schritt in die Richtung eines maschinenbezogenen Sorgfaltsmaßstabs, der von Wagner gewünscht ist.186 Denn die Standardisierung autonomer Systeme dient dieser einheitlichen Analyse über den Stand der Technik. Daher muss der Reeder, mithilfe 178

Hübner, DuD 35 (2011), 56. Dazu s. u. Kap. 2.C.II. 180 Vgl. z.B. eine ähnliche Regelung bei § 498 Abs. 2 S. 2 HGB; dazu Bahnsen, in: Rabe/ Bahnsen, 5. Aufl., § 498 HGB, Rn. 117–118. 181 S. Lemarie´, S. 71. 182 RG, Urt v. 17.3.1894, HGZ 1894, 151. 183 Circuit Court of Appeals, 4th Circuit, 14.1.1929 – 30 F.2d 862; mit einer nicht so direkten Erwähnung s. auch Cour de cassation, premie`re chambre civile, 27.6.2018 – 16.16-882, Droit maritime franc¸ais 2019, 232. 184 S. z.B. Cour de cassation, chambre commerciale, 27.2.2007 – 05-14.304; bereits Cour de cassation, troisie`me chambre civile, 11.5.1994 – 92-16.201. 185 Vgl. Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 498 HGB, Rn. 24. 186 S. Wagner, VersR 2020, 717, 728. 179

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

seiner Vertreter, die Seetüchtigkeit seines Schiffes vor der Abfahrt, aber auch nach der Abfahrt kontrollieren, denn „See- und Ladungstüchtigkeit müssen während der gesamten Zeit der Obhut des Verfrachters bestehen“.187 Bei autonomen Schiffen äußert sich dieser Aspekt durch ihre Netzverbindung, die notwendige Updates unterwegs ermöglicht, und diese Verbindung könnte somit möglicherweise einen Zusammenstoß verhindern. Zwar ist klassischerweise der Reiseantritt der maßgebliche Zeitpunkt für die Seetüchtigkeit eines Schiffes. Die mögliche Aktualisierung der künstlichen Intelligenz aus der Ferne erfordert aber die Berücksichtigung von späteren Ereignissen, die einen Einfluss auf die Seetüchtigkeit haben. Denn klassischerweise hat der Verfrachter auch für nachträgliche Seeuntüchtigkeit einzustehen, wenn diese durch sorgfältige nautisch-technische Maßnahmen hätte vermieden werden können.188 Dieser letzte Punkt zeigt erneut die Verbindung in der Analyse des Begriffs der höheren Gewalt und der Seetüchtigkeit. Diese Kontrolle bei autonomen Schiffen muss also die Mangelfreiheit der technischen Einrichtungen (Informatik, autonome Brücke und Verbindung mit Maschinenraum) prüfen und sicherstellen, dass die Sensorik ebenfalls mangelfrei189 und für die konkret geplante Fahrt geeignet ist.190 Das autonome Schiff seetüchtig zu halten ist auf jeden Fall eine geeignete Maßnahme im Sinne der höheren Gewalt und umgekehrt würde die Seeuntüchtigkeit des Schiffes vor dem schädlichen Ereignis eher die höhere Gewalt ausschließen. bb) Das autonome Schiff als seeuntüchtig per se? Eine andere Frage könnte im Rahmen der autonomen Schifffahrt aufkommen. Es könnte argumentiert werden, dass die Konsequenzen eines Ereignisses nicht vermieden werden konnten, weil das Schiff autonom war. Wäre es nicht autonom bzw. unbemannt, hätte das Ereignis keine schädlichen Konsequenzen gehabt. Hier ist wiederum der Kausalitätszusammenhang wichtig. Bei dem heutigen Verhältnis (insbesondere dem hohen Preis solcher Schiffe) könnte tatsächlich die Unvermeidbarkeit verneint werden, da dem Verfrachter bzw. dem Reeder andere Möglichkeiten zugestanden hätten, nämlich der Einsatz eines klassischen Schiffes oder eines Schiffes mit einer niedrigen Autonomiestufe. Eine solche Entscheidung müsste aber vorsichtig getroffen werden und der Kausalzusammenhang stets streng nachgewiesen werden.191 Wenn die autonome Schifffahrt sich aber deutlich entwickelt und verbreitet, könnte sich der umgekehrte Fall ergeben: Die Konsequenzen des Ereignisses konnten nicht vermieden werden, weil das Schiff nicht autonom war. In anderen

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Herber, S. 250. Vgl. Ballin, S. 174. 189 Vgl. Pötschke, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 485, Rn. 7. 190 Vgl. Pötschke, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 485, Rn. 5; auch Herber, S. 250. 191 So auch Etzkorn, S. 135. 188

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Worten stellt sich dann die Frage: Kann die bewusste Entscheidung für ein klassisches Schiff die Unvermeidbarkeit ausschließen? Denn das Haftungsrecht entwickelt sich mit anderen Aspekten der Gesellschaft. Beispielsweise erfüllen vormals vorwerfbare Verhaltensweisen später nach relevanten technischen Entwicklungen den geltenden Sorgfaltsmaßstab.192 Zu dieser Frage kann wiederum keine radikale Antwort gegeben werden. Der Kausalzusammenhang muss stets streng nachgewiesen werden. Der Ausschluss des „Faktors Mensch“ bei einem autonomen Schiff und dadurch die von den Herstellern versprochene Erhöhung der Sicherheit und die Vermeidung von menschlichen Fehlern könnten eventuell dafürsprechen. Die Mechanismen der „wirtschaftlichen Zumutbarkeit“ werden hier aber eine angemessene Betrachtung einbringen: Es kann nicht vom Schuldner verlangt werden, dass er sich ruiniert, um ein autonomes Schiff einzusetzen.193 Je mehr sich die autonome Schifffahrt entwickelt, desto mehr solcher Fragen werden sich stellen. Der Sorgfaltsmaßstab wird auch die Praxis berücksichtigen:194 Ist der Einsatz eines autonomen Schiffes für eine gegebene Reise üblich? War die angewandte bzw. ausgewählte Autonomiestufe üblich oder für die Reise oder die Situation geeignet? Oder umgekehrt: Ist der Einsatz eines klassischen Schiffes in einer solchen Situation üblich bzw. angebracht? Viele Fragen wird sich der Reeder vor dem Einsatz stellen müssen, denn das Gericht wird nachträglich195 die Situation so analysieren und recherchieren, um zu erkennen, was der Reeder hätte tun müssen. 2. Die nötige Berücksichtigung der Position des Schädigers gegenüber der des autonomen Schiffes Die autonome Schifffahrt beleuchtet den zweiten Aspekt der richterlichen Analyse: Was hätte der Schädiger tun können, um die Konsequenzen des Ereignisses zu vermeiden? Denn das Haftungssubjekt wird, je nach angewandter Autonomiestufe, nicht immer volle Kontrolle über das Schiff haben196 (a)). Die Beweisermittlung des Verlaufs des Ereignisses sowie das Verhalten des Haftenden werden aber durch die Technik des Event Data Recording (EDR) vereinfacht (b)). Die subjektive Analyse des Vermeidbaren verwendet darüber hinaus Mittel zum Schutz des Billigkeitsgefühls der Rechtsinstitution der höheren Gewalt. Die deutsche Rechtsprechung nutzt sowohl das technisch Realisierbare als auch das wirtschaftlich Zumutbare (c)).

192

Vgl. Bar, Bd. 2, S. 342, mit dem Beispiel des Autos und der Pferdekutschen; vgl. auch für Schiffe mit der Entwicklung von Holz- und Stahlschiffen Ballin, S. 47–48. 193 S. u. Kap. 2.B.II.2.c)bb). 194 Vgl. für die Wichtigkeit der Praxis bei dem Maßstab der Seetüchtigkeit gegenüber der Technik Pötschke, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 485, Rn. 6. 195 Zur nachträglichen Analyse des Zufalls bzw. der höheren Gewalt s. bereits Rümelin, S. 6. 196 So auch Etzkorn, S. 340 ff. mit der Bestimmung des relevanten Zeitpunkts.

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

a) Die Wichtigkeit der angewandten Autonomiestufe aa) Ferngesteuerte Schiffe: die Verbindung der höheren Gewalt mit dem Verschulden Der Stand der Technik und die gesellschaftliche Akzeptanz von autonomen Schiffen erlauben bereits den Einsatz von ferngesteuerten Schiffen. Hier könnte der Schuldner seine Haftung nicht mit der Begründung verweigern, dass das Schiff unbemannt wäre. Ein Mensch, der das Schiff steuert, sitzt zwar nicht an Bord, er hat jedoch immer noch die Kontrolle über die Fahrt. Es handelt sich um die Schiffe der Stufe 1. Hier wird voraussichtlich kein erheblicher Unterschied mit dem jetzigen Haftungsregime beim Zusammenstoß entstehen. Denn die Steuerungsschritte werden immer noch von einem Menschen durchgeführt. Die Autonomie des Schiffes ist begrenzt. Das Verschuldensprinzip ist anwendbar, denn es wird weiterhin möglich sein, nach einem Verschulden der Verantwortlichen für die Schiffssteuerung zu suchen.197 Ferngesteuerte Schiffe und der anwendbare Verschuldensgrundsatz betreffen lediglich die Überlegungen der Sachverständigengruppe anlässlich der Reform von 2013, den Begriff der höheren Gewalt aus dem Gesetzestext zu streichen.198 Dieser Schritt war eine etwas veraltete Auslegung des Konzepts der höheren Gewalt. Antonmattei hat in der französischen Literatur überzeugend gezeigt, dass die Verbindung zwischen höherer Gewalt und Kausalität genauso wichtig ist wie die Verbindung mit dem Verschulden.199 Autonome Schiffe betonen diesen Standpunkt. bb) Überwachte autonome Schiffe: die Verbindung mit der Kausalität In den höheren Stufen – 2 und 3 bzw. entsprechend 4 – wird die Unvermeidbarkeit durch die Reaktion der Landkontrollstation beurteilt. Hier kann eine ähnliche Auslegung wie im autonomen Straßenverkehr nach § 1b Abs. 2 Nr. 1 StVG erfolgen. Das System wird eine Meldung ausgeben, dass z.B. eine technische Störung vorliegt oder eine besonders schlechte, spätere Wetterlage erkannt wurde. Die Landkontrollstation ist aufgefordert eine Entscheidung zu treffen bzw. die getroffene Entscheidung zu überprüfen. In einer solchen Situation würden zwei Konstellationen aufkommen. Zuerst, wenn der Schiffsüberwacher rechtzeitig eine Entscheidung getroffen hat, aber schädliche Konsequenzen trotzdem eingetreten sind, dann ist die Unvermeidbarkeit nicht ohne Weiteres zu bejahen. Es soll eine zweite Prüfung erfolgen, ob die Entscheidung mit aller Sorgfalt getroffen worden ist.

197

Vgl. Ramming, RdTW 2017, 286, 290. S. Abschlussbericht der Sachverständigengruppe zur Reform des Seehandelsrechts, S. 163. 199 S. Antonmattei, S. 147 f. 198

B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´)

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Wenn hingegen die Landkontrollstation nicht – rechtzeitig – reagiert hat, hat dies auch nicht ohne Weiteres zu bedeuten, dass die Unvermeidbarkeit zu verneinen sei. Hier zeigt sich die starke Verbindung zwischen höherer Gewalt und Kausalität. Die höhere Gewalt soll die Kausalität zwischen dem Verhältnis des Schädigers und dem schädlichen Ereignis unterbrechen.200 Es soll hier beurteilt werden, ob die schädlichen Konsequenzen auch bei sorgfältigem Verhalten des Schädigers eingetreten wären. Die deutsche Rechtsprechung hat dabei klar ausgedrückt, dass „das Verschulden für sich allein eine Vermutung für den betreffenden Kausalzusammenhang nicht begründet“.201 Die Cour d’appel von Montpellier vertrat in einer Entscheidung auch diese Meinung bezüglich der Anwendung des Autopiloten.202 Denn seine zu späte Ausschaltung hatte eine wesentliche Rolle bei dem Zusammenstoß gespielt und schloss somit kausal die höhere Gewalt oder den Zufall aus. Die französische Rechtsprechung war bezüglich einer möglichen Koexistenz eines Mitverschuldens des Schuldners (contribution au dommage) und der höheren Gewalt im Laufe des 20. Jahrhundert gespalten. Damals herrschte für eine gewisse Zeit die Äquivalenztheorie und ließ die Mitwirkung beider, des Schuldners und der „höheren Gewalt“, zu.203 Eine solche Analyse führte zu Ergebnissen, bei denen die höhere Gewalt nur einen Teil der Haftung ausgeschlossen hat. Das war z.B. der berühmte französische Fall des Passagierschiffes Lamoricie`re.204 Das Schiff ist aufgrund eines Sturms zwischen Marseille und Algier gesunken. Die Cour de cassation hat festgestellt, dass der Reeder seine Haftung nur teilweise ausschließen konnte, weil der Untergang des Schiffes i.H.v. 4/5 wegen eines starken Sturms (höhere Gewalt) und i.H.v. 1/5 wegen Kohle schlechter Qualität verursacht wurde. Diese von der Cour de cassation 1957 bestätigte Lösung205 der sog. force majeure partielle206 blieb nicht ohne Kritik.207 Diese Lösung entspricht allerdings nicht der Verteilung der Schäden zwischen den Beteiligten an einem Zusammenstoß im Mittelalter und während eines Teils der Neuzeit.208 Denn die Verteilung erfolgte damals nicht aufgrund des gleichzeitigen Vorliegens eines Verschuldens und eines Falles der höheren Gewalt, sondern nur aufgrund der Abwesenheit eines Verschuldens. Die Ansicht der Rechtsprechung wurde später aufgegeben und der Adäquanztheorie gefolgt:209 Höhere Gewalt liegt nur dann 200

Antonmattei, S. 145; Bourbonnais-Jaquard, S. 140. RG, Urt. v. 25.10.1919 – I 64/19, RGZ 97, 13, 14. 202 Cour d’appel de Montpellier, 28.4.2015 – 13/07573. 203 Vgl. Antonmattei, S. 147. 204 Cour de cassation, chambre commerciale, 19.6.1951, Recueil Dalloz 1951, 717. 205 Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 13.3.1957, Recueil Dalloz 1957. J, 73, „Houille`res du Bassin du Nord“. 206 Dieser Begriff ist nicht mit der force majeure temporaire des Art. 1218 Abs. 2 Code civil zu verwechseln. Die force majeure temporaire ist zeitlich begrenzt, während die force majeure partielle den Umfang der Haftung begrenzt. 207 S. z.B. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 90. 208 S. Kap. 1.B.II.2.b) und c). 209 S. z.B. Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 15.6.1977 – 76-11.225; Cour de 201

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vor, wenn das von außen kommende Ereignis der „echte“ (kausale) Grund der schädlichen Konsequenzen ist. Die französische Rechtsprechung hatte z.B. entschieden, dass der plötzliche Auftritt von Nebel einen Fall der höheren Gewalt dargestellt hat, aber der Zusammenstoß kausal von dem – auch vorliegenden – Verschulden (Fahrlässigkeit) des Kapitäns verursacht wurde.210 Das deutsche Recht wendet ebenfalls die Adäquanztheorie an. Demnach sind „alle Ursachen irrelevant anzusehen, die nur unter höchst ungewöhnlichen, selbst für einen optimalen Betrachter unvorhersehbaren Umständen geeignet sind, den Schaden herbeizuführen“.211 Es erfolgt also eine „wertende Betrachtung“.212 Dies wurde im deutschen Seerecht insbesondere im Rahmen des Zufalls bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts angewendet, da er auch nach § 734 a.F HGB. bzw. § 92a BinSchG ein Ausschlussgrund war bzw. ist. Dies hatte z.B. das Seeamt Hamburg 1930 nach dem Zusammenstoß zwischen einem Motorschoner und einem Dampfer vor dem Eintritt in den Nord-Ostsee-Kanal in Brunsbüttel entschieden.213 Die jeweiligen Haftungen der Beteiligten wurden nicht festgestellt, da es sich um „eine Verkettung unglücklicher Umstände“214 handelte und weil ein eventuelles Verschulden „nach Ansicht des Seeamts nicht causal [sic] für die hier in Frage stehende Kollision gewesen sei“.215 Dies bedeutet aber auch, dass die Besatzung keine Rolle in der Kausalkette (also ohne jegliche Verschulden)216 haben darf, um den Zufall bzw. die höhere Gewalt bejahen zu können.217 Im Falle eines autonomen, jedoch überwachten Schiffes würde dies bedeuten, dass das Unterlassen der Schiffsüberwacher keine schädliche Konsequenz ohne das außergewöhnliche Ereignis gehabt hätte. Es ist allerdings anders, wenn die schädlichen Konsequenzen durch ein Handeln der Landkontrollstation (z.B. zumutbare Abweichung der Route) verhindert werden konnten. Die vom deutschen Gesetzgeber getroffenen Regelungen im Rahmen des autonomen Straßenverkehrs geben hier eine interessante Ergänzung, § 1b Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 StVG. Greger erläutert diese Regelung wie folgt: „Hatte der Fahrzeugführer nicht unverzüglich eingegriffen, obwohl er vom System dazu aufgefordert worden war, muss er beweisen, dass der Unfall auch durch sein Eingreifen nicht verhindert worden wäre.“218

cassation, deuxie`me chambre civile, 26.4.1990 – 88-19.820; Montas, Droit maritime franc¸ais 2009, 476. 210 Tribunal de Commerce de Rouen, 20.8.1954, Droit maritime franc¸ais 1955, 689; s. auch Bourbonnais-Jaquard, S. 145, und die dort zitierten Entscheidungen. 211 Looschelders, § 45 Rn. 13. 212 Looschelders, § 45 Rn. 13. 213 Seeamt Hamburg, Spruch v. 15.2.1930, OSA 25, 393. 214 Seeamt Hamburg, Spruch v. 15.2.1930, OSA 25, 393, 399. 215 Friedemann, S. 25. 216 S. Exner, S. 81. 217 S. Waldstein/Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 92a BinSchG, Rn. 6. 218 Greger, NZV 2018, 1, 2.

B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´)

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Eine ähnliche gesetzliche Lösung wäre auch auf die autonome Schifffahrt übertragbar und für diese sinnvoll. Die Lösung gilt auch entsprechend, wenn das Schiff zwar autonom, aber nicht unbemannt unterwegs ist. Hier kann die Besatzung unverzüglich sorgfältige Maßnahmen ergreifen wie den Ersatz eines technischen Teils. cc) Vollautonome bzw. intelligente Schiffe und die Grenzen der geltenden Haftung Bei vollautonomen bzw. intelligenten Schiffen (Stufe 4, teilweise 3) ist die Antwort schwieriger. Denn in der Regel kann weder ein Verschulden noch die Gelegenheit, das Ereignis bei seinem Auftritt abzuwenden, nachgewiesen werden. Die Unmöglichkeit, das Ereignis vermeiden zu können, wird sich oft in der Programmierung finden. Kann der Reeder im Schiff eingreifen, wird er das Ereignis nicht vermeiden können, und somit sollte das Vorliegen der höheren Gewalt bezüglich der Unvermeidbarkeit bejaht werden. Dies gilt aber ausschließlich für eine unverschuldete Verhinderung des Eingriffs. Sollte diese Unmöglichkeit die Folge eines technischen Defekts sein, wird sich die Frage der äußeren Ursache stellen. Die höhere Gewalt wird dann meistens ausgeschlossen – im Gegensatz zum Zufall.219 b) Erleichterte Beweisermittlung und Bewertung der Eignung der Maßnahmen durch die Datenerhebung und das Event Data Recording Im Rahmen seines Vortrags vor dem Verein deutscher Seeschiffer zu Hamburg über die höhere Gewalt im Seerecht betonte der Kapitän Friedemann, dass es sehr wichtig sei, dass „die Schiffstagebuch-Eintragungen fortlaufend und möglichst erschöpfend vorgenommen werden und nichts Wichtiges unerwähnt lassen“.220 Denn, so Exner: „Ich kann die schönsten Rechte haben und bleibe doch, wenn ich den Beweis jener Thatsachen [sic] nicht aufbringen kann, auf den guten Willen des Verpflichteten gestellt.“221

Die Digitalisierung der Seeschifffahrt trifft auch das nautische Tagebuch, das eine Pflicht des Kapitäns nach § 479 Abs. 2 HGB im deutschen Recht und nach Art. L. 5412-7 Code des Transports (sog. journal de mer) im französischen Recht ist. Durch die Vielzahl von erhobenen Daten speichert das Schiff langfristig alle Fahrtdaten. Im Rahmen der Autonomisierung der Verkehrsmittel hat der sog. Event Data Recorder (Ereignisdatenspeicher, EDR) eine zentrale Rolle gewonnen. Die Speicherung kann unter anderem den Zweck verfolgen, die angewendete Autonomiestufe nach einem Unfall bestimmen zu können.222 Der deutsche Ge219

S. näher dazu unten Kap. 2.C.II. Friedemann, S. 42. 221 Exner, S. 40. 222 Vgl. Schmid/Wessels, NZV 2017, 357, 358.

220

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setzgeber hat deshalb diesen EDR im Rahmen des autonomen Straßenverkehrs als gesetzliche Pflicht in § 63a Abs. 1 StVG bestimmt: „Kraftfahrzeuge gemäß § 1a speichern die durch ein Satellitennavigationssystem ermittelten Positions- und Zeitangaben, wenn ein Wechsel der Fahrzeugsteuerung zwischen Fahrzeugführer und dem hoch- oder vollautomatisierten System erfolgt. Eine derartige Speicherung erfolgt auch, wenn der Fahrzeugführer durch das System aufgefordert wird, die Fahrzeugsteuerung zu übernehmen, oder eine technische Störung des Systems auftritt.“

Die Daten können dazu dienen, den Verlauf des Zusammenstoßes zu rekonstruieren, einen möglichen äußeren Eingriff zu identifizieren oder sogar den Kausalzusammenhang zwischen einem technischen Versagen bzw. einem Naturereignis und dem Zusammenstoß zu erkennen. Dies ist besonders relevant, da viele Schiffe bereits EDR-Systeme (auch VDR, Voyage Data Recorder) haben.223 Auch wenn die Regelung des Straßenverkehrsrechts funktional (noch) nicht im Wasserwegeverkehr gilt, ist die Implementierung eines solchen Instruments an Bord autonomer Schiffe im Rahmen des nautischen Tagebuchs wünschenswert. Zuerst könnte dieses Instrument seitens des Schädigers den Beweis von außergewöhnlichen Ereignissen erleichtern, da das Schiff viele präzise Daten aus seinem Umfeld gesammelt hat. Seitens des Geschädigten könnte es aber auch den Beweis erleichtern, dass das System eine Landkontrollstation benachrichtigt hat und ggf. eine Aufforderung für die Übernahme der Steuerung erteilt hat sowie, ob ein Eingriff noch möglich war.224 Dies ist insbesondere zutreffend, wenn eine gesamte Vernetzung der Schiffe mit einheitlichen (öffentlichen) Landkontrollpunkten vorhanden ist. Im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung könnten die relevanten Daten (d.h. zumindest der involvierten Schiffe) dem Gericht zur Verfügung gestellt werden – ähnlich wie im Straßenverkehrsrecht gemäß § 63a Abs. 2 bis 5 StVG. Die Relevanz dieser Technologie ist also enorm im Rahmen einer Rechtsstreitigkeit.225 Die Erhebung der Daten und deren Zugänglichkeit würden die Untersuchungsarbeiten erheblich erleichtern.226 Bisher ist die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) in Deutschland für Schiffszusammenstöße zuständig.227 Sie muss die Ursache des Unfalls untersuchen, darf allerdings dabei keine Feststellung bezüglich des Verschuldens treffen.228 Die Digitalisierung kann eine der größten Schwierigkeiten des Schiffszusammenstoßes überwinden, denn „charakteristisch für jede Schiffskollision war und ist die Unmöglichkeit der Rekonstruktion des exakten Geschehensablaufs“.229 Die Autonomisierung ermöglicht diese Rekonstruktion. 223

Vgl. Bourbonnais-Jaquard, S. 134. Zum letzteren, vgl. Etzkorn, S. 342 ff. 225 Vgl. auch Bourbonnais-Jaquard, S. 134; Etzkorn, S. 139. 226 Für die Erleichterung des Beweises im Rahmen des autonomen Straßenverkehrs s. Lutz, S. 27 ff. 227 Vor 2002 waren die Seeämter zuständig, vgl. Steingröver, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., Vor. § 570, Rn. 36. 228 S. Steingröver, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., Vor. § 570, Rn. 41. 229 Hermanns, S. 108. 224

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Die „Rekonstruktion der genauen Umstände“230 wird daher dem Gericht ermöglichen, die Situation besser erfassen zu können. Somit kann er auch die verschiedenen Maßnahmen bewerten, die zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes zur Verfügung gestanden hätten. Kombiniert mit den möglichen Simulationen, die von dem Schiff vor dem Unfall berechnet wurden, kann sich das Gericht ein gutes Bild vom Verhalten des Schädigers machen. Er kann beurteilen, ob der Schädiger etwas anderes hätte machen können, und somit entscheiden, ob die getroffene Maßnahme tatsächlich geeignet war. Diese Daten sind also auch von hoher Relevanz für die Bewertung eines Ereignisses als „höhere Gewalt“. c) Der Schutz durch das wirtschaftlich Zumutbare und das technisch Realisierbare Insbesondere die deutsche Rechtsprechung hat einen interessanten Mechanismus entwickelt, um strenge Auslegungen der Vermeidbarkeit zu verhindern. Zuerst trifft das Vermeidbare die Grenze des technisch Realisierbaren. Es kann nicht das Unmögliche verlangt werden (aa)). Die Rechtsprechung kombiniert diesen Aspekt mit der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Maßnahme. Nur zumutbare Maßnahmen sind auch geeignet (bb)). Beide Aspekte sind von hoher Relevanz im Rahmen der autonomen Schifffahrt. aa) Das technisch Realisierbare am Beispiel der neuen Piraten Die Piraten waren in der Geschichte der Schifffahrt eine der größten Gefahren231 und haben lange einen typischen Fall der „nicht naturgegebenen“232 höheren Gewalt dargestellt. Der Schiffer haftete nur für seine eigenen Leute, d.h. nicht für die Piraten.233 Deshalb sind „Handlungen dritter Personen“234 auch Fälle der höheren Gewalt. Auch wenn die Piraterie im 21. Jahrhundert abgenommen hat – 162 Fälle im Jahre 2019 gegenüber 201 Fällen im Jahre 2018235 –, soll die autonome unbemannte Schifffahrt noch mehr gegen die Piraterie schützen. In der Tat ist heute das Ziel von Piraten vorrangig die Entführung der Besatzung anstelle der Übernahme der Ladung.236 Cyberangriffe werden aber durch die technische Ausstattung autonomer Schiffe immer noch möglich sein: Durch die technische Ausstattung können die Piraten die genaue Position von Schiffen bzw. hochwertige Ladungen identifizieren und sie ggf. durch die Fernsteuerung entführen oder beispielsweise die Ladung durch Drogen ersetzen.237 Politisch motivierte Piraterie

230

Etzkorn, S. 140. Vgl. Meyer-Termeer, S. 147. 232 Wagner, RIDA XLIV (1997), 357, 368. 233 Vgl. Meyer-Termeer, S. 120. 234 BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338, 339. 235 O.V., Schiff & Hafen 2020, Heft Nr. 3, 52. 236 S. z.B. die Steigerung von Besatzungsentführung im Golf von Guinea, o.V., Schiff & Hafen 2020, Heft Nr. 3, 52; vgl. auch Piette, Droit maritime franc¸ais 2017, 983. 237 Vgl. Lasmoles, Droit maritime franc¸ais 2019, 771. 231

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

existiert ebenfalls, wie etwa die Entführung eines Schiffes zwecks diplomatischen Drucks oder von terroristischen Gruppen.238 Im Falle eines eventuellen physischen Angriffs würden mehrere „geeignete Maßnahmen“ zur Verfügung stehen. Das Schiff kann einerseits ferngesteuert werden. Somit kann ggf. die zuständige Wasserschutzpolizei kontaktiert und/ oder das Schiff in den nächsten (Militär-)Hafen umgeleitet werden.239 Eine andere mögliche Maßnahme kann eine physische Anwesenheit an Bord sein, wie z.B. von Sicherheitskräften bzw. bewaffneten Wachleuten. Dies würde beispielsweise nach französischem Recht nicht die Eigenschaft „unbemannt“ berühren, da Sicherheitskräfte nicht als Besatzung im juristischen Sinne betrachtet werden, gemäß Art. L. 5511-3 Abs. 1 i.V.m Art. L. 5511-1 3° Code des Transports. Das deutsche Recht nach der Seehandelsrechtsreform von 2013 schließt ebenfalls die Wachleute von der Definition der Besatzung nach §§ 480 bzw. 478 HGB aus.240 Die Digitalisierung wird indes auch für widerrechtliche Handlungen benutzt und so ändert sich die Piraterie. Cyberangriffe können ebenso gegen ein autonom fahrendes Schiff durchgeführt werden. Solche Angriffe auf das IT-System von Schiffen sind wegen tatsächlicher Vorfälle241 grundsätzlich vorhersehbar und somit ist das sog. Cyber Risk Management (Cyber-Risikomanagement) zu integrieren.242 Es stellt sich gleichwohl die Frage, ob ein solcher Überfall vermeidbar sein kann. Die Frage ist also, ob die Benutzung bzw. die Nichtbenutzung einer speziellen Abwehrsoftware die höhere Gewalt bejahen oder ausschließen kann. Hier muss zwischen zwei Ausgangssituationen unterschieden werden. Erstens wird bei „einfachen“ bzw. bereits bekannten Angriffen (Ransomware,243 einfache Malware, Phishing,244 Spoofing245 usw.) sicherlich die höhere Gewalt ausgeschlossen werden.246 Es gab einen geeigneten Weg zur Abwehr des Ereignisses (hier der Hack). Auch vor der Benutzung autonomer Schiffe waren Cyberangriffe üblich, 238

S. dazu Lagoni, in: FS Rauschning, 501, 525 ff. Vgl. World Maritime News, Smart Ships Are Coming!, abrufbar unter https://worldmaritimenews.com/archives/218365/interview-smart-ships-are-coming/, (besucht am 26.8. 2022). 240 Vgl. Herber, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 480, Rn. 8; zur voherigen Lösung s. BGH, Urt. v. 29.6.1951 – I ZR 27/51, BGHZ 3, 34 = NJW 1952, 64; Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 480 HGB, Rn. 32. 241 S. für Beispiele Daum, RdTW 2018, 361, 362; Lasmoles, Droit maritime franc¸ais 2019, 771. 242 S. Guidelines of the International Maritime Organisation on Cyber Risk Management, MSC-FAL.1/Circ.3, S. 2–6. 243 S. Kochheim, S. 876: „Malware, die das angegriffene System verändert […] und für die Wiederherstellung ein Lösegeld fordert“. 244 S. Kochheim, S. 870: „Ausspähen (Abfischen) von Kontozugangsdaten […] und ihr missbräuchlicher Einsatz“. 245 S. Kochheim, S. 887: „Vortäuschung einer fremder Identität unter Nutzung technischer Mittel. Änderung […] der Betreiber- und Standortdaten in Netzwerkkomponenten“; vgl. auch Daum, RdTW 2018, 361, 362. 246 Vgl. auch Lootgieter, Droit maritime franc¸ais 2015, 976. 239

B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´)

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aufgrund der bereits weitgehenden Nutzung von technischen und netzbasierten Ausstattungen. Die Analysestandards sollten sich also mit autonomen Schiffen nicht ändern und könnten sich sogar erhöhen. Im zweiten Falle, bei komplexeren Angriffen oder dem Einsatz neuer Mittel, könnte die Lösung anders aussehen. Die Cyberpiraten sind oft deutlich weiterentwickelter als die vorliegenden Sicherheitsmaßnahmen.247 Dies bedeutet, dass für solche neuen Angriffstypen noch keine entwickelte bzw. verfügbare Software vorhanden ist. Daher fehlen „geeignete Maßnahmen“. Die Analyse muss sich also auf den konkreten Angriff konzentrieren und auf die Frage, ob eine Software überhaupt existiert hätte. Zudem muss stets noch der Kausalzusammenhang geprüft werden: Wären der Angriff und die Konsequenzen des Angriffes auch mit eingesetzter Software zu vermeiden gewesen? Allerdings kann für einfache Angriffe, die zu einem Zusammenstoß führen können, der Schutz gegen die Cyberpiraten auch die Seetüchtigkeit des Schiffes ausdrücken.248 Somit würde dieser Schutz als Maßstab und Indiz der Vermeidbarkeit des Ereignisses dienen.249 Die höhere Gewalt erscheint also bei autonomer Schifffahrt auf extreme Fälle der Piraterie begrenzt. Anhand des Beispiels der Cyberpiraterie erweist sich das Merkmal des technisch Realisierbaren als ein wichtiges Mittel der subjektiven Auslegung der Vermeidbarkeit. Andere Beispiele könnten genannt werden, insbesondere bei der langfristigen Vorhersage und der Bewältigung meteorologischer Ereignisse. Mögliche radikale und ungerechte Lösungen, die durch die Kriterien des technisch Realisierbaren auftreten könnten, werden aber durch das wirtschaftlich Zumutbare abgemildert. bb) Das wirtschaftlich Zumutbare Die deutsche Rechtsprechung nutzt in ihrer Definition des Begriffs der höheren Gewalt ein flexibles Mittel, um zu strenge, radikale Lösungen zu verhindern. Das Ereignis soll „mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln“250 vermeidbar sein. Die Maßnahme ist also nur dann geeignet, wenn sie den Schädiger nicht in den Ruin geführt hätte. Die Definition der höheren Gewalt im schweizerischen Transportrecht enthält ebenfalls einen präziseren Verweis als im französischen Recht: „ohne den ganzen Betrieb und die wirtschaftliche Ertragsfähigkeit der Unternehmung in Frage zu stellen.“251 Wenn eine strenge objektive Betrachtung erfolgen würde, sollte der Reeder alle denkbaren technisch realisierbaren Maßnahmen planen, egal zu welchem

247

Vgl. Lasmoles, Droit maritime franc¸ais 2019, 771. Vgl. erwähnt Lootgieter, Droit maritime franc¸ais 2015, 976. 249 Zur Seetüchtigkeit als Indiz der Unvermeidbarkeit s. o. Kap. 2.B.II.1.b). 250 RG, Urt. v. 8.1.1931 – 259/30 VI, JW 1931, 865; BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338. 251 Favre/Wick, S. 298. 248

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

Preis, beispielsweise eine erhebliche Umleitung des Schiffes um mehrere hundert Kilometer, einen deutlich längeren Aufenthalt in einem Hafen – der eine hohe Vertragsstrafe verursacht – oder das Besorgen von technologisch sehr fortgeschrittener Software. Viele solcher Lösungen verursachen erhebliche Kosten. Dies ist noch deutlicher bei der autonomen Schifffahrt. Viele Softwares und Programme sind heute entwickelt bzw. in der Entwicklungsphase. Ihr tatsächlicher Einsatz in der allgemeinen Praxis ist aufgrund der noch jungen Technologie teuer. Das technisch Realisierbare ist noch nicht unbedingt wirtschaftlich tragbar. Die Bestimmung des wirtschaftlich Zumutbaren erweist sich als schwierig. Weick fasst die Bedenken so zusammen: „Damit begibt man sich auf ein unsicheres Terrain. Soll das auf das einzelne Unternehmen, auf die ganze Branche oder gar die gesamte Volkswirtschaft bezogen werden?“252 Diese Unsicherheiten würden, so Weick, für die Ablehnung der Kriterien im Rahmen der Rechtsinstitution der höheren Gewalt sprechen.253 Diese Grenze erscheint aber im Gegensatz dazu im Sinne der höheren Gewalt. Die höhere Gewalt ist ein flexibler Begriff, der sich an die technischen und sozioökonomischen Entwicklungen der Gesellschaft anpassen kann.254 Der Begriff des wirtschaftlich Zumutbaren soll in Abwägung zwischen objektiver und subjektiver Analyse erfolgen. Dabei sollte erneut eine zweistufige Prüfung stattfinden. Zuerst soll die Zumutbarkeit mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des differenziert-objektiven Modells verglichen werden. Ein solcher Vergleich geschieht bereits in anderen Rechtsgebieten, z.B. im Rahmen der Zuführung unwägbarer Stoffe gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB. Dort hat die Auslegung „aufgrund auch insoweit differenziert-objektiven Maßstabs (,Benutzer dieser Art‘) ohne Rücksicht auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Benutzers“255 zu erfolgen. Um wiederum zu strenge Lösungen zu verhindern, soll aber eine subjektivere Grenze gesetzt werden. Zweitens soll die Vermeidbarkeit sich dann „innerhalb der Grenzen der wirtschaftlichen Existenzmöglichkeit des Unternehmens halten“.256 Dem Schädiger abzuverlangen, dass er sich ruiniert, um zu versuchen das schädliche Ereignis abzuwenden, wäre unverhältnismäßig. Es würde nicht dem Sinn des Instituts der höheren Gewalt entsprechen, d.h. eine radikale Situation rechtlich abmildern. Diese Lösung hat in der deutschen Rechtsprechung eine lange Tradition.257

252

Weick, ZEuP 2014, 281, 310. S. Weick, ZEuP 2014, 281, 310. 254 Vgl. Antonmattei, S. 48. 255 Brückner, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 906, Rn. 102. 256 Piontek, in: Filthaut/Piontek/Kayser, 10. Aufl., § 1 HPflG, Rn. 178. 257 S. insbesondere RG, Urt v. 23.3.1888 – II 28/88, RGZ 21, 13, 17; vgl. auch Rümelin, S. 36: „jedes Frachtschiff durch ein den Räubern in allen Fällen überlegenes Kriegsschiff begleiten“ zu lassen, wäre zwar realisierbar, würde aber nicht „den wirtschaftlichen Ertrag“ berücksichtigen. 253

B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´)

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Es wird hier allerdings betont, dass die wirtschaftliche Zumutbarkeit im Sinne der Unmöglichkeit verstanden sein soll. Eine bloße wirtschaftliche Erschwerung der Leistung, d.h. mit noch erträglich höheren Kosten, reicht nicht aus. Hier kann man Parallelen mit der vertraglichen Haftung, insbesondere im französischen Recht, erkennen. Nach der Einführung des Art. 1195 im Code civil, der einen ähnlichen Mechanismus enthält, wie ihn der deutsche § 313 BGB vorsieht, stellt die entstehende Unmöglichkeit die Abgrenzung zwischen „höherer Gewalt“ und Störung der Geschäftsgrundlage dar.258 Dieser Standpunkt liefert auch eine Orientierung bei der Analyse des wirtschaftlich Zumutbaren. Wenn die Investition nur eine Erhöhung der Kosten repräsentiert hätte, liegt keine höhere Gewalt vor. Wenn aber die Investition eine ernste unmittelbare Gefährdung der Aktivitäten des Haftenden bedeutet hätte, kann die „höhere Gewalt“ bejaht werden. Die wirtschaftliche Zumutbarkeit ist demzufolge auch mit der Seetüchtigkeit verknüpft. Die verkehrsübliche Ausstattung eines Schiffes – die dem Schiff seine Seetüchtigkeit gibt – unterliegt nicht dieser Grenze. Denn diese Investitionen sind zu tragen und entsprechen der zu erwartenden Sorgfalt.259 Bei Investitionen und Ausstattungen, die darüber hinausgehen, ist diese wirtschaftliche Zumutbarkeit einzuhalten. Ein Gericht könnte dementsprechend nicht einem Schädiger vorwerfen, dass für ihn unzumutbare Mittel abstrakt zur Verfügung gestanden hätten. Je größer die Reederei wird, desto höher kann die Grenze des Zumutbaren sein. Die Verbindung mit der Seetüchtigkeit garantiert hier wiederum die Flexibilität der höheren Gewalt gegenüber dem technischen Fortschritt. Ein Beispiel im Rahmen der autonomen Schifffahrt ist die bereits dargestellte Software, die freak waves vorhersehen könnte.260 Diese hoch entwickelte Software bedeutet erhebliche Kosten, sodass sie bisher nur die Marine zum Zweck der Verteidigung nutzen konnte. Es wäre hier unverhältnismäßig dem Schädiger vorzuwerfen, dass er dieses existierende Mittel nicht erworben und eingebaut hätte. Eine solche Investition, die bisher nicht zu der Seetüchtigkeit gehört, wäre demzufolge unzumutbar. Die Wichtigkeit und die Notwendigkeit dieses komplexen Schutzmechanismus aus der Mischung von objektiven und subjektiven Maßstäbe werden durch die autonome Schifffahrt verstärkt. Die Flexibilität dieser Kriterien garantiert aber auch die Anpassung an die rasanten technischen Entwicklungen innerhalb der autonomen Schifffahrt und die schnelle Verfügbarkeit von Technologien.

258

Ancel, Impre´vision, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 3. Vgl. Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 485 HGB, Rn. 18; auch Ballin, S. 89. 260 S. o. Kap. 2.A.II.2.b)bb).

259

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

III. Eine neue Frage der Autonomisierung: die Vermeidbarkeit der Konsequenzen und Dilemma-Situationen in der autonomen Schifffahrt Die Autonomisierung der Schifffahrt ermöglicht geplante, vom Menschen unabhängige Entscheidungen. Tritt ein Fall der höheren Gewalt auf und ist dieser unvermeidbar in seinem Auftreten, stellt sich die Frage der schädlichen Konsequenzen. Unter Dilemma-Situation versteht man eine moralisch-ethische Wahl zwischen verschiedenen Konsequenzen eines nicht mehr abwendbaren Unfalles:261 z.B. eine kleine oder eine große Gruppe von Menschen zu töten bzw. zu verletzen. Der große Unterschied bei der Bewältigung solcher ethischen Dilemmata im Vergleich zu der bisherigen Lage liegt darin, dass die von der Maschine getroffene Entscheidung „weder ein Reflex noch reflexartig“262 ist. Es ist also zuerst fraglich, ob Dilemma-Situationen überhaupt in der autonomen Schifffahrt auftreten können (1.). Die französische Definition des Begriffs der höheren Gewalt setzt die Vermeidbarkeit der Konsequenzen des Ereignisses voraus. Es ist also fraglich, ob eine Regulierung der Dilemma-Situationen der Feststellung der höheren Gewalt dient (2.). 1. Das Gesicht der Dilemma-Situationen in der autonomen Schifffahrt Die rechtliche Auseinandersetzung mit der Frage der Dilemma-Situationen in der deutschen Literatur hat fast ausschließlich den autonomen Straßenverkehr mit einer Verbindung mit dem § 34 StGB – dem rechtfertigenden Notstand – umfasst.263 Dilemma-Situationen sollten laut Paschke und Lutter aufgrund der Eigenschaften der Schifffahrt fast kaum auftreten.264 Die autonome Schifffahrt wird aber auch Dilemma-Situationen zu bewältigen haben. Denn die heutige, neuere Entwicklung der autonomen Schifffahrt bezieht sich auf die Personenschifffahrt. Zahlreiche Projekte planen den Einsatz autonomer Schiffe für die Beförderung von Passagieren.265 Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein autonomes Schiff ohne Passagiere mit einem nicht-autonomen Passagierschiff zusammenstößt. Daher könnten auch Situationen mit einem nicht mehr vermeidbaren Zusammenstoß, der (tödliche) Verletzungen impliziert, auftreten. Die Ausgangssituation in Verbindung mit einem Schiffszusammenstoß wäre folgende: Es tritt ein Fall der höheren Gewalt ein (z.B. ein nicht voraussehbarer Sturm, dessen Eintritt unvermeidbar ist). Das schädigende Schiff kann auswählen, ob es gegen ein sich rechts von ihm befindliches Schiff stößt oder gegen ein Schiff, welches sich auf seinem neuen Kurs befindet. 261

Vgl. Neumann, in: Zehn Jahre ZIS, 393, 395. Feldle, S. 212. 263 S. nur Feldle, S. 103 ff.; Neumann, in: Zehn Jahre ZIS, 393, 395; Ungern-Sternberg, BRJ 12 (2019), 97; Weber, NZV 2016, 249. 264 S. Paschke/Lutter, RdTW 2018, 242, 245. 265 S. o. Kap. 1.A.III. 262

B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´)

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Um die Schäden abzuwägen, stehen im Grundsatz zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Erstens könnte der Einbau eines Zufallsgenerators in Betracht kommen, da er somit eine dem Menschen ähnelnde Entscheidung treffen würde.266 Dies erscheint aber als „eine Kapitulation des Rechts“.267 Die Auswahl der Schäden durch Zufall wurde bereits von der frühen amerikanischen maritimen Rechtsprechung abgelehnt.268 In diesem Fall haben Seeleute nach dem Schiffbruch des amerikanischen Schiffes „William Brown“, als eines der Rettungsboote zu sinken drohte, Passagiere über Bord geworfen. Die Auswahl der geopferten Passagiere erfolgte durch willkürliche, zufällige Entscheidungen. Es verbleibt also lediglich eine ethische Auswertung und Hierarchisierung der Optionen. Sind menschliche Leben oder Verletzungen im Spiel, können die ethischen Überlegungen des Straßenverkehrs herangezogen werden. Sie werden im Folgenden nur grundsätzlich dargestellt. Der Schutz des Menschen und dessen Leben stellen die höchsten Werte dar. Diese hohe Wertung ist – wie das deutsche Grundgesetz in Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 betont – unantastbar.269 Zum Zweck der Kollisionsverhütung dürfte also kein autonomes System so vorprogrammiert werden, dass es Passagierschiffe opfern würde, um eine Ladung – auch von hohem finanziellem Wert – zu schützen. Dies gilt selbstverständlich unabhängig von der Qualität, dem Alter oder Geschlecht der Passagiere270 oder unabhängig davon, ob es sich um wohlhabende Kreuzfahrtgäste oder illegale Migranten handelt.271 Der Einbau von Algorithmen, die Leben wertend hierarchisieren würden – analog der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Luftsicherheit,272 – wäre unzulässig. Auch niedrige körperliche Schäden dürfen nicht aufgrund eines hohen wirtschaftlichen Interesses gerechtfertigt werden.273 Schiffszusammenstöße können aber auch lediglich materielle Schäden verursachen, insbesondere durch den Verlust der Ladung. Die Wertekollision zwischen Gütern wurde von Feldle im Rahmen des autonomen Straßenverkehrs bewertet. Hier gilt: „Bei der Kollision gleichartiger Vermögensinteressen ist die numerisch höhere Summe in der Regel schutzwürdiger.“274 Eine solche Abwägung wurde für die Güter – entgegen der Abwägung für das Leben – vom BGH anerkannt.275 Für 266

Vgl. Feldle, S. 208. Feldle, S. 210. 268 Circuit Court E.D. Pennsylvania, 22.4.1842 – Case No. 15,383. 269 Vgl. Feldle, S. 111. 270 Vgl. Ungern-Sternberg, BRJ 12 (2019), 97, 99. 271 Eine solche Argumentationslinie findet sich auch bei der Seenotrettung. Art. 9 Abs. 1 S. 2 der EU-VO 656/2014 sieht vor, dass die Seenotrettung „ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit oder den Status einer solchen Person oder die Umstände, unter denen die Person aufgefunden wird“ erfolgt. 272 BVerfG, Urt. v. 15.2.2006 – 1 BvR 357/05, BVerfGE 115, 118 = NJW 2006, 751. 273 BGH, Urt. v. 13.3.1975 – 4 StR 28/75, WKRS 1975, 11938. 274 Feldle, S. 139. 275 S. z.B. BGH, Urt. v. 13.11.1958 – 4 StR 199/58, BGHSt 12, 299, 304. 267

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

die autonome Schifffahrt würde dies bedeuten, dass die Ladung von niedrigerem Wert geopfert werden dürfte. Dies würde natürlich voraussetzen, dass die autonomen Schiffe durch Datenerhebung und Vernetzung in der Lage sind, die Ladung entgegenfahrender Schiffe erkennen und bewerten zu können. Feldle behauptet jedoch, dass bei solchen Kollisionen mit Gütern „keine ethischen Bedenken“276 bestünden. Es gibt jedoch besondere Güter, bei denen die gebundenen Risiken für die Allgemeinheit deutlich höher als deren wirtschaftlicher Wert sind. Das sind z.B. petrochemische Ladungen. Ethische Bedenken gegenüber Umweltschäden können im 21. Jahrhundert nicht außer Acht gelassen werden. Dies gilt insbesondere für die Beförderung solcher Ladungen auf See. Die Einbeziehung ethischer Fragen zwischen Recht und Umwelt lässt sich in der ethisch-ökologischen Bewegung der Rechtsphilosophie erkennen, die sich bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat.277 Viele am Anfang des 21. Jahrhunderts geschaffene Normen verfolgen das Ziel, die Verantwortlichkeit der Wirtschaft für ökologische Konsequenzen zu erhöhen.278 Das Seeschifffahrtsrecht kennt, beispielsweise durch internationale Übereinkommen, Regelungen zum Schutz der Umwelt.279 Autonome Schiffe dürften in Dilemma-Situationen, die ausschließlich Güter einbeziehen, dementsprechend den Verlust der am wenigsten umweltschädlichen Ladung wählen, ohne Beachtung des wirtschaftlichen Wertes der Ladungen. Darüber hinaus kann eine letzte Situation vorliegen: Ein unbemanntes Schiff mit einer für die Umwelt nicht schädlichen Ladung könnte so programmiert werden, dass es sich im Falle einer Dilemma-Situation selbst opfert. Nur in dieser ethischen Konstellation – aus Sicht des Schädigers – könnte eine gerechtfertigte Opferung erfolgen. Sind alle beteiligten Schiffe bemannt (im weiteren Sinne, d.h. mit Personen an Bord), kann jedoch nicht die Eigenopferung verlangt werden.280 Eine ähnliche Lösung erscheint im Rahmen der Großen Haverei gemäß Art. L. 5133-2 ff. Code des Transports sowie § 588 HGB möglich. Die Große Haverei erlaubt dem Kapitän Gegenstände des Schiffes oder der Ladung zu opfern, um einer großen Gefahr zu entgehen, und sieht eine Verteilung des Schadens zwischen den Beteiligten vor. Dabei sind allerdings sämtliche Maßnahmen, die lediglich die „Minderung eines unabwendbaren Schadens zum Ziel haben“,281 keine Fälle der Großen Haverei. Personen sowie das Passagiergepäck sind dar276

Feldle, S. 139. Vgl. Oppetit, S. 88 f.; Schröter, S. 18 ff. 278 S. z.B. Art. 1246 Code civil (geschaffen von Loi n° 2008-757 du 1er aouˆt 2008 relative a` la responsabilite´ environnementale et a` diverses dispositions d’adaptation au droit communautaire dans le domaine de l’environnement, JORF 2008, 12361); diese Bewegung ging in südamerikanischen Ländern sogar bis zu einer verfassungsrechtlichen Personifizierung der Natura als Rechtssubjekt, s. dazu Mauras, RIDC 72 (2020), 506. 279 Insbesondere Internationales Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Bunkerölverschmutzung vom 23. März 2001, BGBl. 2006 II 579. 280 Vgl. Neumann, in: Zehn Jahre ZIS, 393, 398; Ungern-Sternberg, BRJ 12 (2019), 97, 100. 281 Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 588 HGB, Rn. 25. 277

B. Die Unvermeidbarkeit (irresistibilite´)

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über hinaus von dem Anwendungsbereich der Großen Haverei ausgeschlossen.282 Eine vollständige Analogie besteht daher nicht, da das Eintreten eines Schadens bei Dilemma-Situationen sicher ist. Dilemma-Situationen und ihre mögliche Regulierung kommen also auch in der Schifffahrt in Betracht. Fraglich bleibt jedoch, ob der Einbau (bzw. der Nichteinbau) von entsprechenden Algorithmen die Konsequenzen eines Falles der höheren Gewalt vermeidbar macht. 2. Die Regulierung der Dilemma-Situation als „Vermeidbarkeit der Konsequenzen“ im Sinne der höheren Gewalt? Die Legaldefinition des Begriffs der höheren Gewalt im französischen Recht sieht nicht nur die Unvermeidbarkeit des Ereignisses selbst, sondern auch dessen Konsequenzen vor, Art. 1218 Abs. 1 Code civil sowie Art. 1253 Abs. 2 des Gesetzesvorschlags von 2020. Die Dilemma-Situation trifft genau auf die Fälle zu, in denen der Eintritt des Ereignisses bereits unvermeidbar ist. Das Dilemma betrifft die Konsequenzen des Ereignisses und die Frage, ob der eine oder der andere Schaden ein milderer Eingriff in die Rechts- und Gesellschaftsordnung darstellen würde. Es könnte dann argumentiert werden, dass der Einbau eines Algorithmus, der Dilemma-Situationen löst, für die Feststellung der höheren Gewalt notwendig ist. Dies muss indes verneint werden. Die Dilemma-Situation setzt auf jeden Fall Schäden voraus. Der Sinn des Rechtsinstituts der höheren Gewalt ist es ein Gerechtigkeitsgefühl wiederherzustellen, wenn der Haftende keine juristische und tatsächliche Kontrolle über das Ereignis und seine Konsequenzen hat. Anders formuliert: ob er in der Lage war, überhaupt Schäden zu vermeiden. Da die höhere Gewalt die Kausalverbindung unterbricht, sind alle Schäden von der höheren Gewalt verursacht. Das Gericht wird nachträglich analysieren, ob der eingetretene Schaden vermeidbar war. Eine bejahende Antwort zu dieser Frage kann sich dogmatisch nicht darauf stützen, dass andere Schäden hätten verursacht werden können. Der Einbau eines solchen Algorithmus könnte dazu führen, dass die Programmierung mehr Wert darauf legt, Schadenstypen zu regulieren (und sie dann bewusst zu verursachen), statt zu versuchen, überhaupt Schäden zu vermeiden. Schließlich ist folgende Situation zu betrachten. Ein unbemanntes Schiff mit einer für die Umwelt nicht schädlichen Ladung könnte so programmiert werden, dass es sich im Falle einer Dilemma-Situation eher selbst opfert. Nur in dieser Konstellation – aus Sicht des Schädigers – könnte eine gerechtfertigte Opferung erfolgen. Im Hinblick auf die höhere Gewalt könnte allein dies die Unvermeidbarkeit der Konsequenzen beeinflussen. Denn das Schiff hätte sich z.B. in eigene Gefahr (z.B. Untergang ohne Zusammenstoß, Strandung) bringen müssen, da282

S. Art. L. 5133-14 Code des Transports; Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 588 HGB, Rn. 5.

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

mit es den Zusammenstoß vermeidet. Die Rechtsprechung hat aber im Rahmen der höheren Gewalt, soweit bekannt, nie entschieden, dass die Vermeidbarkeit der Konsequenzen ein solches Selbstopfer darstellen könnte. Die Analyse der ethischen Dilemmata hebt auch hervor, dass diese Selbstopferung nicht verlangt werden kann.283 Dies sollte bei autonomen Schiffen nicht anders sein. Deshalb ist das Kriterium des wirtschaftlich Zumutbaren der deutschen Rechtsprechung für den Begriff der höheren Gewalt wichtig.284 Denn die Selbstopferung – z.B. Untergang mit Totalverlust – würde dieser Zumutbarkeit nicht entsprechen. Darüber hinaus würde eine solche Pflicht die Attraktivität eines autonomen Schiffes für den Reeder verringern und somit kontraproduktiv erscheinen.285 Die Lösung von Dilemma-Situationen könnte also auf den menschlichen Reflex zurückgreifen. Dies kann erreicht werden, indem das Schiff in einer solchen Situation eine Meldung erteilt, so dass ein Mensch wieder die Entscheidung treffen kann.

IV. Ergebnis Die Unvermeidbarkeit ist bisher ein zentrales Merkmal des Begriffs der höheren Gewalt. Sie dient die Abmilderung radikalen Situationen. In der französischen Definition ist das Gebot von „geeigneten Maßnahmen“ zentral. Es ist jedoch die präzisere, richterliche deutsche Definition, die eine Orientierung bei der Auslegung des Begriffs gibt. Die Autonomisierung der Schiffe ändert die Entscheidungsprozesse. Daher ist eine Anpassung der Betrachtung der Unvermeidbarkeit eines Ereignisses nötig. Diese Anpassung bedeutet nicht, dass andere bzw. neue Kriterien geschaffen werden müssen, sondern, dass die Einzelheiten der autonomen Schifffahrt in der aktuellen Auslegung berücksichtigt werden müssen. Eine differenziert-objektive Auslegung der Sorgfalt bleibt der Maßstab. Wenn die Unvermeidbarkeit analysiert wird, müssen also zwei Aspekte berücksichtigt werden. Zunächst muss sie objektiv ausgelegt werden. Was hätte der Schädiger tun müssen? Hierzu dienen bei der autonomen Schifffahrt insbesondere zwei Indizien: die Vorhersehbarkeit und die Seetüchtigkeit. Die Verbindung zwischen Seetüchtigkeit und Vermeidbarkeit ist die Folge der Standardisierung und dient somit einer objektiven, aber auch anpassungsfähigen Auslegung, insbesondere für die zu erwartende Sorgfalt. Eine subjektivere Ansicht muss allerdings dann erfolgen. Was hätte der Schädiger konkret tun können? Die Autonomisierung der Schifffahrt verpflichtet zu der Berücksichtigung der angewandten Autonomiestufe. Die Frage der Unter-

283

Vgl. Neumann, in: Zehn Jahre ZIS, 393, 398. Dazu s. o. Kap. 2.B.II.2.c)bb). 285 Vgl. Bonnefon/Shariff/Rahwan, Science 2016, 1573, 1575 f.; auch Ungern-Sternberg, BRJ 12 (2019), 97, 100. 284

C. Die äußere Herkunft: die Herausforderung der Technik

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brechung der Kausalität durch die höhere Gewalt wird umso deutlicher, je höher die Autonomie wird – zumindest wegen der Schwierigkeiten des Nachweises der Kausalität zwischen einem mit der höheren Gewalt koexistierenden Verschulden und den Schäden. Dabei könnte die Datenerhebung während der Fahrt helfen. Die deutsche Rechtsprechung gibt zudem Orientierungspunkte für die Sorgfalt bei Anwendung hochtechnischer Schiffe. Die zu erwartende Sorgfalt ist innerhalb der Grenzen des technisch Realisierbaren und des wirtschaftlich Zumutbaren einzuhalten. Die französische Definition des Begriffs der höheren Gewalt und die erforderliche Vermeidbarkeit der Konsequenzen des Ereignisses verbinden die autonome Schifffahrt auch mit der Frage von Dilemma-Situationen. Die mechanische Auswahl durch eine künstliche Intelligenz der am wenigsten schädlichen Konsequenzen stellt erhebliche ethische Dilemmata dar, die auch eine ökologische Dimension haben können. Der Einsatz bzw. der Nichteinsatz solcher Algorithmen sollte jedoch bei der Frage der Unvermeidbarkeit der Konsequenzen im Rahmen der höheren Gewalt nicht berücksichtigt werden. Dies soll gleichwohl nicht heißen, dass sie nicht eingesetzt werden müssten, um umweltschädliche oder humanitäre Schädigungen zu vermeiden. Die Entwicklung der Technik stellt Fragen für das dritte Merkmal: die äußere Ursache. Denn dieses in Frankreich strittige Merkmal ist für den Unterschied zwischen Zufall und höherer Gewalt bei technischen Störungen von hoher Wichtigkeit.

C. Die äußere Herkunft: die Herausforderung der Technik Art. 1218 Code civil legt als drittes Merkmal des Begriffs der höheren Gewalt die äußere Herkunft des Ereignisses fest: „e´ve´nement e´chappant au controˆle du de´biteur“. Die künftige Definition in Art. 1253 für das Deliktsrecht soll dieselbe Formulierung übernehmen. Der Vorentwurf des Justizministeriums von 2017 sollte dieses Merkmal zwar nicht berücksichtigen, nach Kritik der Literatur286 hat der Gesetzesvorschlag von 2020 jedoch die äußere Herkunft übernommen. Die deutsche richterliche Definition sieht auch dieses Merkmal vor: „ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis“.287 Die Frage des Verhältnisses eines technischen Versagens mit dem Rechtsinstitut der höheren Gewalt stellt sich insbesondere seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit der Mechanisierung der Produktion. Denn ein technisches Versagen lässt sich nicht unbedingt auf ein

286

Z.B. Oudot, L’article 1253: c’est Teffaine qu’on assassine!, abrufbar unter https://web. archive.org/web/20180727125757/http://reforme-obligations.dalloz.fr/2016/07/11/larticle-12 53-cest-teffaine-quon-assassine/. 287 RG, Urt. v. 8.1.1931 – 259/30 VI, JW 1931, 865.

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

menschliches Verschulden zurückführen. Das schädliche Ergebnis kann die Folge einer zufälligen Situation sein. Ob eine zufällige Situation gleich höhere Gewalt ist, kann zweifelhaft sein. Und dies, obwohl die französische Literatur teilweise immer noch streitet, ob die äußere Herkunft ein unabhängiges Merkmal ist.288 Ein Grund dafür ist die Gleichstellung des Zufalls (cas fortuit) und der „höheren Gewalt“ (force majeure), weil sie dieselben Rechtsfolgen haben.289 Der Einsatz von autonomen bzw. unbemannten Schiffen stellt diese Frage erneut. Die Zurückhaltung des Menschen im Betrieb eines solchen Schiffes lässt mehr Platz für technische Versagen und diese Versagen sind durch die sehr umfangreiche technische Ausstattung zumindest statistisch wahrscheinlicher. Es gibt gleichwohl Zufälle, die keine höhere Gewalt sind. Da die internationalen und deutschen Texte, sowohl im IÜZ (Art. 2) als auch im BinSchG (§ 92a), noch auf beides, Zufall und höhere Gewalt, verweisen, ist es hier wichtig, diese Begriffe anhand des Merkmals der äußeren Herkunft abzugrenzen (I.). Wenn höhere Gewalt und Zufall nicht abgegrenzt sind, können technische Versagen womöglich die Haftung des Reeders ausschließen. Das externe Merkmal des Instituts der höheren Gewalt kann dann zwei Gruppen von Ereignissen erfassen. Die klassische materielle Auslegung der äußeren Herkunft schließt rein technische Versagen vom Begriff der höheren Gewalt aus. Eine „psychologischere“, rechtliche Auslegung umfasst darüber hinaus alle Ereignisse, die sich im Einflussbereich des Schädigers befinden. So können Fehlentscheidungen der künstlichen Intelligenz von der dogmatischen Auslegung der Rechtsinstitution der höheren Gewalt erfasst werden (II.).

I. Die äußere Herkunft als Mittel der nötigen Abgrenzung zwischen Zufall und höherer Gewalt Das französische und das deutsche Recht verstehen die Begriffe cas fortuit (vgl. Zufall) und force majeure (vgl. höhere Gewalt) unterschiedlich. Die französische herrschende Lehre setzt die beiden Begriffe gleich (1.), während ein Teil der Literatur, der deutschen Lehre folgend, eine Differenzierung versucht hat (2.). Diese grundsätzliche Diskrepanz hat erhebliche Folgen für das Schiffskollisionsrecht aufgrund der damals prominenten Rolle der französischen Lehre in der internationalen Gesetzgebung (3.).

288 Vgl. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 26; s. letztens die Position, dass die äußere Herkunft doch als Merkmal der höheren Gewalt gilt, Jourdain, Revue trimestrielle de droit civil 2020, 895; a.A. z.B. Aubry/Rau/Esmein/Ponsard/Dejean de la Baˆtie, Bd. 6, S. 708. 289 Vgl. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 5.

C. Die äußere Herkunft: die Herausforderung der Technik

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1. Die Gleichsetzung von Zufall und höherer Gewalt in der herrschenden Meinung in Frankreich Das Merkmal der äußeren Herkunft wurde in Frankreich lange bestritten: Stellt es ein unabhängiges Merkmal des Begriffs der höheren Gewalt dar? Die äußere Herkunft war bzw. ist nicht systematisch in der Rechtsprechung zu finden. Der Avocat ge´ne´ral pre`s la Cour de cassation Herr de Gouttes konstatierte in seinem Avis, dass die „,Äußerlichkeit‘ nicht länger eine notwendige Bedingung für die höhere Gewalt“ sei. Die beiden wichtigen Urteile der Cour de cassation vom 14.4.2006,290 die endgültig über die Merkmale der höheren Gewalt entscheiden sollten, schweigen allerdings über diese Frage. Es wurde daher abgeleitet, dass der Meinung des Generalanwalts gefolgt wurde. Trotz Zweifel der Literatur über diese angebliche Ablehnung der Äußerlichkeit291 hat der Bericht an den Präsidenten der Republik anlässlich der Reform des Schuldrechts im Jahre 2016 ausdrücklich Position bezogen.292 Die Äußerlichkeit sollte demnach kein Merkmal der force majeure sein. Diese Meinung widerspricht jedoch dem Wortlaut des Textes. Die Formulierung „e´ve´nement e´chappant au controˆle du de´biteur“ spricht eindeutig für eine „psychologische“ Konzeption der äußeren Ursache.293 Diese Unsicherheit in Bezug auf den Platz des Merkmals hat Folgen für die Analyse des Zufalls und der höheren Gewalt in der französischen Literatur. Der Ausgangspunkt der französischen Analyse des cas fortuit und der force majeure befindet sich insbesondere in den Art. 1147 a.F. und 1148 a.F. Code civil. Dort wurden beide Begriffe nebeneinander benutzt. Eine solche Verwendung findet sich auch an anderen Stellen im Code civil wie z.B. in Art. 1733. Dies ist auch im Übrigen der Fall für das Schiffskollisionsrecht in den verschiedenen Regelungen und letztendlich in Art. L. 5131-1 Code des Transports. Die französische Literatur ist also davon ausgegangen, dass die beiden Begriffe als synonym zu betrachten sind: „il est visible que le Code civil a employe´ les deux expressions indiffe´remment“.294 Die Autoren, wie z.B. Rodie`re, stützen sich auf die Tatsache, dass weder bei Pothier295 noch in den Vorarbeiten zum Code civil

290

Cour de cassation, assemble´e ple´nie`re, 14.4.2006 – 02-11.168; Cour de cassation, assemble´e ple´nie`re, 14.4.2006 – 04-18.902. 291 Vgl. Chantepie/Latina, S. 565–566; Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 28; teilweise auch Jourdain, Revue trimestrielle de droit civil 2020, 895; Oudot, L’article 1253: c’est Teffaine qu’on assassine!, abrufbar unter https://web.archive.org/web/2018072712 5757/http://reforme-obligations.dalloz.fr/2016/07/11/larticle-1253-cest-teffaine-quon-assassi ne/. 292 Rapport au Pre´sident de la Re´publique relatif a` l’ordonnance n° 2016-131 du 10 fe´vrier 2016 portant re´forme du droit des contrats, du re´gime ge´ne´ral des obligations et de la preuve des obligations. 293 S. dazu unten Kap. 2.C.II.2. 294 Carbonnier, S. 2204. 295 Die Werke und insbesondere der Traite´ des Obligations (1761) von Pothier (1699–1772) haben die Redakteure des Code civil stark inspiriert, s. Hilaire, S. 75 f.

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

Indizien einer Differenzierung zu finden sind.296 Darüber hinaus argumentiert die herrschende Lehre, dass eine Differenzierung ohne praktische Anwendung und „irrelevant“297 sei, denn die Rechtsfolgen seien identisch. Der Unterschied sei also „rein theoretisch“.298 Diese Meinung ist noch aktuell herrschend.299 Deshalb war bzw. ist der Begriff der äußeren Ursache im französischen Recht ohne große Bedeutung. Es ist aber interessant zu beobachten, dass die Debatte über die Äußerlichkeit besonders nach der Veröffentlichung der Arbeit von Exner300 und seiner Übersetzung ins Französische am Ende des 19. Jahrhundert von Seligman301 intensiver geführt wurde. Die Wichtigkeit der Äußerlichkeit wird Exner zugerechnet, denn er ist nach seiner Untersuchung der römischen Haftung ex recepto zu dem Ergebnis gekommen, dass sich „für den Begriff der höheren Gewalt das Kriterium der äußeren Provenienz [ergibt]“.302 Viele französische Autoren scheinen jedoch die These von Exner falsch interpretiert zu haben. Dies ist beispielsweise der Fall bei Planiol. Er hatte sogar die Meinung vertreten, dass die Äußerlichkeit den Zufall kennzeichnen sollte, während die Unvermeidbarkeit die „höhere Gewalt“ charakterisieren sollte.303 Nur die Ablehnung der Theorie von Exner und des Merkmals der äußeren Ursache könnte der Analyse der bisherigen Wortverwendung im Code civil entsprechen.304 Nur eine Minderheit der Literatur, aufgrund der in Deutschland vertretenen Meinung, bekannte sich für eine Trennung der Konzepte im französischen Privatrecht. Diese Meinung wird aber lediglich im französischen öffentlichen Recht erfolgreich. 2. Die Differenzierung des Zufalls und der höheren Gewalt durch eine Minderheit in Frankreich der deutschen Lehre folgend Wie bereits dargestellt, hat die Veröffentlichung der Übersetzung des Werks von Exner die Debatte um die äußere Herkunft in Frankreich verstärkt. Das deutsche Recht macht eine Unterscheidung zwischen höherer Gewalt und Zufall. Exner folgend hatte auch Rümelin diese Unterscheidung vertreten. Für ihn spielt ebenso die Realisierung einer Betriebsgefahr innerhalb des Betriebskreises des Schädi-

296

Vgl. Rodie`re, S. 447; auch Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 2, S. 674 ff.; Morcos, S. 187 ff. 297 Ripert, S. 23. 298 Ripert, S. 593. 299 Vgl. Etzkorn, S. 310; Kaden, RabelZ 31 (1967), 607, 622; für eine Zusammenfassung s. Boucard, Responsabilite´ contractuelle – violation de l’obligation, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 325. 300 S. insbesondere Exner, S. 59 ff. 301 Exner/Seligman, insbesondere ab S. 93 ff. 302 Exner, S. 59. 303 S. Planiol, Bd. 2, S. 81. 304 S. beispielsweise H. Mazeaud/L. Mazeaud/J. Mazeaud, Bd. 2, S. 720.

C. Die äußere Herkunft: die Herausforderung der Technik

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gers eine wichtige Rolle bei dieser Abgrenzung.305 Er spricht zu Recht von einer „Machtsphäre des Unternehmers“.306 Nur der 22. Deutsche Juristentag 1893 folgte dieser Ansicht nicht, denn er verlangte die komplette Ablehnung des Begriffs der höheren Gewalt.307 Die Analysen Exners und Rümelins beruhten auch auf dem Standpunkt des römischen Rechts nach der exceptio Labeonis. Denn der Schiffer musste für die Handlungen seiner eigenen Leute haften, nicht aber für die anderer Dritter (z.B. Piraten).308 Rümelin formulierte eine Definition des Zufalls: „ein von dem Schuldner nicht zu vertretender Umstand.“309 Diese Definition herrscht immer noch im heutigen deutschen Recht vor.310 Genau betrachtet lässt sich aber diese Definition besser mit der höheren Gewalt vereinbaren: „Zufall liegt also nur vor, wenn auf beiden Seiten kein Verschulden gegeben ist“.311 Denn der Mechanismus der Zurechnung – das Vertretenmüssen – ist genau nach der These von Exner das, was die höhere Gewalt und den Zufall unterscheidet. Nicht nur eine physische Äußerlichkeit (z.B. ein Verschulden innerhalb des Betriebskreises), sondern auch kein vorliegender Zurechnungsgrund sind erforderlich: „Das Ereignis bleibt aber auch ein ,Zufall‘, wenn eine der Parteien es zu vertreten hat.“312 Daher hatten Schaps und Abraham ihre Definition des Zufalls im Seerecht auf das Verschulden gestützt: „Ein Ereignis, das vom Handelnden nicht verschuldet ist und von ihm auch bei Anwendung der allgemein erforderlichen Aufmerksamkeit nicht vorausgesehen werden konnte.“313

Lorenz fasst den Unterschied zusammen: „Zufall und höhere Gewalt sind zu unterscheiden. Zufall liegt vor, wenn keinen der Beteiligten ein Verschulden trifft; höhere Gewalt erfordert dagegen ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch bei äußerster nach Lage der Sache zu erwartender Sorgfalt nicht verhindert werden konnte“.314

Nur wenige Gelehrte vertraten die Meinung Exners in Frankreich. Josserand, der die Thesen von Exner in Frankreich verbreitet hat, entwickelte – zu Recht – eine 305

S. Rümelin, S. 28 ff. Rümelin, S. 37. 307 S. Verhandlungen des 22. Deutschen Juristentages – Sitzungsberichte, S. 121. 308 Dazu s. o. Kap. 1.B.II.1.b)bb). 309 Rümelin, S. 21. 310 S. z.B. Feldmann, in: Staudinger, Stand: Oktober 2019, § 287 BGB, Rn. 10; Rabe, in: Rabe, 4. Aufl., § 734 HGB, Rn. 2; Schmidt-Kessel/Kramme, in: PWW, 15. Aufl., § 287 BGB, Rn. 3; Waldstein/Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 92a BinSchG, Rn. 6; a.A. Stadler, in: Jauernig, 18. Aufl., § 287 BGB, Rn. 2. 311 Hirsch, Jura 25 (2003), 42, 45. 312 Hirsch, Jura 25 (2003), 42, 45; vgl. auch Esser, S. 70, Fn. 3. 313 Schaps/Abraham, S. 1018. 314 Lorenz, in: BeckOK BGB, 55. Aufl., Stand: 1.8.2020, § 276, Rn. 36, Hervorhebung im Original vorhanden; s. auch Tuhr, Bd. 2, S. 496. 306

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

Abgrenzung zwischen den beiden Begriffen des Zufalls und der höheren Gewalt. Er betonte auch die Verbindung dieser Differenzierung mit der äußeren Herkunft: „C’est ce rapport de connexite´ qui est de´cisif, c’est lui qui caracte´rise le cas fortuit et qui est exclusif de la force majeure.“315 Er machte demnach einen Unterschied in der Rechtsnatur (diffe´rence de nature) und keinen Intensitätsunterschied (diffe´rence de degre´).316 Auch Demolombe hatte bereits vor Exner den Unterschied eigentlich richtig erahnt: Der cas fortuit sollte ein Tun des Menschen sein, während die force majeure ein Ereignis der Natur sein sollte.317 Denn zu seiner Zeit war die – materielle – Äußerlichkeit nur durch Naturereignisse denkbar. Die äußere Herkunft war ein latentes Merkmal. Exner hatte gezeigt, dass angesichts der Entwicklung der Technik und der Eisenbahn „der Begriff ,Elementargewalt‘, ,Naturereignisse‘ […] also als technischer nicht haltbar“318 ist. Der Meinung von Josserand wurde im französischen Privatrecht leider nicht gefolgt.319 Es ist indes interessant zu beobachten, dass das französische öffentliche Recht den Zufall und die höhere Gewalt unterscheidet. Im Rahmen der Gefährdungshaftung haben sowohl die Literatur320 als auch die Rechtsprechung321 den cas fortuit als Ereignis mit innerlicher Herkunft bezeichnet und ihn somit von der höheren Gewalt trennt. Hauriou fasste dieses Ergebnis wie folgt zusammen: „Das zufällige Ereignis liegt jenseits der menschlichen Vorstellungskraft, aber es hängt mit der Funktionsweise des Unternehmens oder der Abteilung zusammen; in einer Fabrik ist es beispielsweise die Explosion eines Kessels, in einem Bergwerk die Entzündung von Grubengas; höhere Gewalt ist wiederum ein unvorhergesehenes Phänomen, aber darüber hinaus ist es außerhalb des Unternehmens oder der Abteilung.“322

Hier sind die Kriterien von Exner und Rümelin klar zu erkennen: die Realisierung einer Betriebsgefahr innerhalb des Betriebskreises. Radouant hatte auch eine neue Auslegung der äußeren Ursache der höheren Gewalt vertreten. Er plädierte für eine „psychologische“ äußere Ursache. Diese neue Auslegung ist mit der Zurechnung zu verbinden, der „Machtsphäre des Unternehmers“ von Rümelin. Antonmattei wird endgültig am Ende des 20. Jahrhunderts diese Meinung in Frankreich bestätigen und verankern.323 Die Reform des französischen Schuldrechts 2016 sowie die künftige Reform des Haftungs-

315

Josserand, S. 538. S. Josserand, S. 540. 317 S. Demolombe, Bd. XXIV, S. 543. 318 Exner, S. 16. 319 S. nur z.B. Colin/Capitant/Julliot de la Morandie`re, Bd. 2, S. 90; für eine scharfe Kritik an Josserand s. Rodie`re, S. 448. 320 S. Hauriou, Recueil Sirey 1912, 161; s. auch Fornacciari/Chauvaux, Exone´rations ou atte´nuations de responsabilite´ – cas fortuit, in: Re´pertoire de la responsabilite´ de la puissance publique, Rn. 39. 321 Z.B. Conseil d’Etat, 10.5.1912 – Req. 33336, Recueil Lebon 1912, 549. 322 Hauriou, Recueil Sirey 1912, 161. 323 Antonmattei, S. 39. 316

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rechts übernehmen für die Definition der force majeure diesen Standpunkt: „e´chappant au controˆle du de´biteur“. Hier ist ebenfalls zu betonen, dass ähnliche Formulierungen in transnationalen Texten wiederzufinden sind, etwa im UNKaufrecht,324 in den Unidroit Principles of Commercial Contracts 2016325 oder sogar im IÜK.326 Zwar sind diese Normen unabhängig vom nationalen Recht zu interpretieren, ihre Haftungssystematik beruht aber im Gegensatz zum französischen Recht auf der Sphärentheorie.327 Daher muss der Schädiger für alle schädigenden Umstände innerhalb seiner Risiko- und Machtsphäre haften.328 Die Ähnlichkeiten mit der modernen Konzeption der äußeren Ursache sind hierbei erkennbar. Die jüngste französische Rechtsprechung tendiert auch zu der Argumentation der Zurechnung (imputabilite´) in Verbindung mit dem Begriff der höheren Gewalt. So wurde die Sperrung und Bestrafung einer iranischen Bank durch den Staat nicht als Fall der höheren Gewalt aufgrund der fehlenden äußeren Herkunft beurteilt.329 Denn die Sperrung ist lediglich aufgrund des Verhaltens der Bank verhängt worden, „unabhängig davon, ob das Verhalten als ein Verschulden angesehen wird“.330 Jourdain sieht in dieser Entscheidung sowohl das Anerkenntnis der Rolle der äußeren Herkunft für die höhere Gewalt als auch die Verbindung mit der Zurechnung: „il est certain que la condition d’exte´riorite´ exprime une exigence de base sans laquelle la force majeure ne saurait eˆtre retenue, a` savoir que l’e´ve´nement ou la circonstance alle´gue´e ne soit pas imputable au de´fendeur“.331

Erstaunlich ist es aber, dass demnach der cas fortuit und die force majeure weiterhin nicht unterschieden werden. Dass die Abgrenzung zwischen dem Zufall und der höheren Gewalt nur von einer Minderheit der Literatur vertreten wird, hat auch Konsequenzen für die seerechtlichen Bestimmungen und demzufolge für die autonome Schifffahrt de lege lata. Sie sind von der französischen Literatur geprägt.

324

Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980, BGBl. 1989 II, 586, Art. 79. 325 Unidroit Principles of Commercial Contracts 2016, Art. 7.1.7. 326 Internationales Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über Konossemente in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 23. Februar 1968, Art. 4 Abs. 2 Bst. q. 327 Vgl. Brödermann, BLJ 2018, 79, 80. 328 Vgl. Kleinheisterkamp, in: Vogenauer, Art. 7.1.7, Rn. 6 ff. 329 Cour de cassation, assemble´e ple´nie`re, 10.7.2020 – 18-18.542. 330 Jourdain, Revue trimestrielle de droit civil 2020, 895. 331 Jourdain, Revue trimestrielle de droit civil 2020, 895.

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

3. Die Folge der Gleichsetzung von Zufall und höherer Gewalt in Frankreich für das gesamte Schiffskollisionsrecht Die Nichtabgrenzung des Zufalls und der höheren Gewalt im französischen Recht hat Auswirkungen auf das deutsche sowie internationale Schiffskollisionsrecht, sowohl in der See- als auch in der Binnenschifffahrt. Das IÜZ von 1910 wurde als offizielle Version in französischer Sprache und unter wissenschaftlicher Leitung von französischen Professoren – nämlich Professor Lyon-Caen – verfasst.332 Die Redaktion des Textes des Art. 2 Abs. 1 IÜZ übernimmt die ehemalige Formulierung des Code civil: „Force majeure ou cas fortuit“. Die wörtliche Um- und Übersetzung im deutschen Recht scheint den fundamentalen dogmatischen Unterschied zwischen dem französischen und dem deutschen Recht nicht zu berücksichtigen. Besonders relevant ist der Unterschied für eine technische, verschuldenslose Panne des Schiffes, die den Zusammenstoß verursacht. Denn das französische Recht schließt solche Ereignisse von der Haftungsbefreiung aufgrund fehlender äußerer Ursache aus.333 Die deutsche Rechtsprechung differenziert aber weiterhin zwischen Zufall und höherer Gewalt, insbesondere im Rahmen des § 92a BinSchG, das auch nach 2013 dieselbe Formulierung wie das französische Recht enthält.334 Eine vollständige Vereinheitlichung des Schiffskollisionsrechts ist also daran gescheitert, dass das französische Recht nicht den Zufall und die höhere Gewalt anhand der äußeren Ursache abgrenzt. Die deutsche Seehandelsrechtsreform von 2013 hat diese Zersplitterung des Rechts weiter vertieft. Denn im neuen § 570 HGB sind die höhere Gewalt und der Zufall nicht mehr zu finden. Diese Streichung wurde mit dem Argument begründet, dass die höhere Gewalt „naturgemäß“335 ein Verschulden ausschließt. Dabei ist aber der Zufall nicht erwähnt. Wie bereits dargestellt, ist die höhere Gewalt mehr als die Verschuldenslosigkeit.336 Die Verschuldenslosigkeit entspricht eigentlich der Definition des Zufalls. Klar ist, dass die Merkmale der Fahrlässigkeit und des Zufalls sehr nah beieinander liegen.337 Die äußere Herkunft wird indes lediglich bei der höheren Gewalt verlangt. Und diese kann sich unabhängig von einem Verschulden oder einer Fahrlässigkeit feststellen lassen. Die Reform von 2013 hat sich also, ohne diese Berücksichtigung der Abgrenzung zwischen Zufall und höherer Gewalt im deutschen Recht, zwar der französischen Lehre

332

Vgl. Sienknecht, S. 8; zur Entstehung des IÜZ s. auch oben Kap. 1.B.II.3.a). Vgl. Cour d’appel d’Aix-en-Provence, 11.4.1988, Droit maritime franc¸ais 1989, 26; Bourbonnais-Jaquard, S. 142; Montas, E´ve´nements de mer, in: Re´pertoire de droit commercial, Rn. 38. 334 Vgl. Waldstein/Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 92a BinSchG, Rn. 7. 335 Abschlussbericht der Sachverständigengruppe zur Reform des Seehandelsrechts, S. 163; die Übertragung dieses Standpunkts der deutschen Literatur führt dazu, dass Art. 2 IÜZ lediglich eine „deklaratorische Wirkung“ habe, s. Etzkorn, S. 310. 336 S. o. Kap. 2.B.I.1. 337 Spezifisch dazu s. Seitz, S. 81 ff.; s. auch oben Kap. 2.B.I.2. 333

C. Die äußere Herkunft: die Herausforderung der Technik

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angenähert, aber auch für Unklarheiten gesorgt. Denn die Formulierung der binnenschifffahrtsrechtlichen Bestimmungen bleibt z.B. unberührt. Somit besteht das Risiko einer internen und internationalen Spaltung des Schiffskollisionsrechts. Anstatt einer vollständigen Streichung der beiden Begriffe Zufall und höhere Gewalt in § 570 n.F. HGB hätte besser eine wahre rechtspolitische Entscheidung zwischen den Begriffen erfolgen müssen. Spaeth hatte bereits 1970 auf diese Situation für das deutsche Recht hingewiesen: „Soll nämlich bloßer Zufall zur Entlastung genügen, so ist die Hinzufügung ,… oder höhere Gewalt‘ unnötig; soll dagegen nur ,höhere Gewalt‘ befreien, so ist die Danebenstellung von ,Zufall‘ falsch“.338 Der deutsche Gesetzgeber – sowohl von 1913 als auch von 2013 – hat also den Unterschied, der vom deutschen Recht zwischen Zufall und höherer Gewalt stets gemacht wird, außer Acht gelassen. Denn zwischen Zufall und höherer Gewalt soll es „kein Alternativverhältnis […], wie dies beispielsweise der Code civil bis 2016 vorsah“339 geben. Die autonome Schifffahrt und die wichtige Rolle von technischen Einrichtungen an Bord anstelle des Menschen werden für den Zufall relevant. Ein verschuldensloses, defektloses Versagen einer technischen Komponente des Schiffes kann zu einem Zusammenstoß führen. De lege lata wird dies einen Zufall darstellen, aber keine höhere Gewalt. Die Auslegung der äußeren Herkunft wird umso größer, je mehr sich der Mensch passiv und extern gegenüber der Maschine verhält.

II. Die äußere Herkunft als Mittel der Erfassung technischer Entwicklungen in der Schifffahrt Die faktische Begrenzung des Haftungsausschlusses im französischen Recht auf die „höhere Gewalt“ bei einer Schiffskollision betont die notwendige Abgrenzung zwischen Zufall und höherer Gewalt bei autonomen Schiffen. Denn nur Ereignisse, die eine externe Herkunft haben, können den Reeder von seiner Haftung nach französischem Recht befreien. Beim Einsatz autonomer Schiffe treten zwei Problemkreise auf. Zuerst können technische Ausfälle eintreten und somit einen Zusammenstoß verursachen. Da der Ausfall nicht unbedingt auf einem Verschulden des Reeders beruht, dient die klassische physische Äußerlichkeit der Abgrenzung der „höheren Gewalt“ und des Zufalls (1.). Der Einsatz künstlicher Intelligenz bzw. intelligenter Ausstattungen kann auch zu verschuldenslosen und defektlosen schädigenden Entscheidungen führen. Da der Mensch bei der Entscheidung nur eine passive Rolle spielt, dient die moderne „psychologische“ äußere Ursache der Beurteilung der höheren Gewalt (2.).

338 339

Spaeth, S. 144. Seitz, S. 122.

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

1. Die materielle äußere Ursache als Antwort auf technische Ausfälle im französischen Recht Die klassische Analyse der externen Ursache bezieht sich auf den räumlichen Kontext. Die äußere Herkunft muss verneint werden, solange sich der Ursprung des Ereignisses materiell auf eine beteiligte Sache oder eine Person zurückführen lässt.340 Dies war z.B. lange die Haltung in Frankreich, um einen Streik als „höhere Gewalt“ zu verneinen, da der Streik materiell aus dem Unternehmen des Schuldners kommt.341 Das Gleiche gilt z.B. für das deutsche Straßenverkehrsrecht. Da lediglich die höhere Gewalt den Halter von seiner Haftung gemäß § 7 Abs. 2 StVG befreien kann, sind fehlerhafte technische Ausfälle von autonom fahrenden Autos nicht als befreiend anzusehen.342 Durch den großen Einsatz technischer Komponenten an Bord autonomer Schiffe, sowohl im Maschinenraum als auch bei der autonomen Brücke, stellen sich Fragen der Beurteilung der höheren Gewalt zumindest statistisch öfter. Aufgrund der Nichtabgrenzung zwischen Zufall und höherer Gewalt im französischen Recht sollte die französische Rechtsprechung ihre Position nicht erheblich ändern. Trotz der Anwesenheit des cas fortuit im Wortlaut des Art. L. 5131-3 Abs. 1 Code des Transports wird ein verschuldensloses, technisches Versagen nicht als Fall der höheren Gewalt oder des cas fortuit anerkannt. Ein plötzlicher Maschinenausfall eines Schiffes wurde z.B. nicht als befreiender zufälliger Zusammenstoß beurteilt.343 Der Reeder musste dementsprechend haften, obwohl er kein Verschulden zu vertreten hat. Die französische Rechtsprechung hatte diese Lösung besonders im Rahmen des Straßenverkehrs entwickelt. Bis zur sog. Loi Badinter von 1985,344 die die Rechtsinstitution der höheren Gewalt als Haftungsausschlussgrund ablehnt (Art. 2), haben die Richter zahlreiche zufällige Ereignisse von der höheren Gewalt ausgeschlossen. Diese Lösungen sind auf das Seerecht übertragbar, denn die höhere Gewalt im Seerecht entspricht der allgemeinen Definition.345 Die Rechtsprechung hatte z.B. als Fall der höheren Gewalt den Sprung eines Schraubbolzen346 oder den Bruch der Spurstange347 verneint. Das französische Recht geht schlussendlich davon aus, dass ein technischer Defekt immer aufgrund einer fehlenden Wartung des Schiffes eintritt.348 340 S. Cour de cassation, chambre civile, 16.6.1896, Recueil pe´riodique et critique mensuel Dalloz 1897, 433. 341 Z.B. Cour de cassation, premie`re chambre civile, 7.3.1966, La Semaine juridique 1966.II, 14878. 342 Vgl. Hinze, S. 34. 343 S. Cour d’appel d’Aix-en-Provence, 11.4.1988, Droit maritime franc¸ais 1989, 26. 344 Loi n° 85-677 du 5 juillet 1985 tendant a` l’ame´lioration de la situation des victimes d’accidents de la circulation et a` l’acce´le´ration des proce´dures d’indemnisation, JORF 1985, 7584. 345 Vgl. Montas, E´ve´nements de mer, in: Re´pertoire de droit commercial, Rn. 38. 346 Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 6.3.1959, Gazette du Palais 1959.II, 12. 347 Cour de cassation, chambre des requeˆtes, 22.1.1945, Recueil Sirey 1945.I, 57. 348 Vgl. Bourbonnais-Jaquard, S. 142.

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Die deutsche Rechtsprechung hat dagegen verschuldenslose Defekte als Zufall anerkannt und somit den Reeder bzw. den Eigner des Schiffes von seiner Haftung befreit. Sie hat z.B. im Rahmen des Binnenschifffahrtsrechts und des § 92a BinSchG entschieden, dass ein „zufällige[r] Ausfall des Ruders, der Maschine oder gar eine elektronische Fehlfunktion“349 als Zufall zu beurteilen sind.350 Dies setzt aber voraus, dass der Schiffseigner bzw. der Reeder vor der Fahrt sein Schiff sorgfältig geprüft hat (Tauglichkeit, guter Zustand, keine fehlerhafte Bedienung)351 und z.B. die Warnanlage im Falle eines Ausfalls des Autopiloten aktiviert ist, um eine rechtzeitige Übernahme zu ermöglichen.352 Zusammenfassend wird ein zufälliger technischer Ausfall den Reeder von seiner Haftung befreien, wenn er zusätzlich die Kriterien der Unvorhersehbarkeit und der Unvermeidbarkeit erfüllt. Die technischen Versagen erstrecken sich auf die Softwarefehler (engl. Bugs). Da die Softwares und Programme Teil des Schiffes sind, würden sie höchstens – nach der deutschen Interpretation – einen Zufall darstellen. Voraussetzung ist hier auch, dass ein Softwarefehler nicht die Folge z.B. einer falschen Bedienung oder der Unterlassung der nötigen, vom Hersteller gesendeten Updates ist. In diesen Fällen könnte die Seetüchtigkeit verneint werden und dies somit die Entlastung aus diesem Grund verhindern.353 Das Vorliegen der höheren Gewalt wäre aber auf jeden Fall ausgeschlossen, mangels externem Verhältnis mit dem schädigenden Objekt (das Schiff). Anderes gilt beim heutigen Stand der Rechtsprechung, wenn die Softwarefehler ihren Ursprung außerhalb des Machtbereichs des Schuldners haben.354 Wenn das französische Recht weiterhin den Zufall und die höhere Gewalt nicht abgrenzt, werden die Entlastungen der Haftung gemäß Art. L. 5131-3 Code des Transports höchstwahrscheinlich seltener vorkommen. Denn die Unfälle werden statistisch häufiger auf einem technischen Ausfall beruhen, da sich der Mensch während der Fahrt passiv verhält. Dagegen wird im deutschen Recht die Rechtsprechung weiterhin wahrscheinlich solche Ausfälle als Zufall anerkennen und somit die Befreiung des Reeders von seiner Haftung ermöglichen. Die autonome Schifffahrt zeigt deutlich die heutige Gefahr einer Spaltung des Rechts in seiner transnationalen Dimension, trotz Gültigkeit eines internationalen Abkommens, das von französischen und deutschen Gerichten unterschiedlich ausgelegt wird. Mit dem heutigen Wortlaut der Normen werden in Frankreich technische Ausfälle fast nie die Entlastung der Haftung ermöglichen, während in Deutschland die gleichen Ereignisse häufiger eine solche Entlastung zulassen.

349

Waldstein/Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 92a BinSchG, Rn. 7. Vgl. RhSchOG Köln, Urt. v. 7.5.1993 – 3 U 213/90, ZfB 1994, 1498. 351 S. Bemm/Waldstein, § 1.08, Rn. 12. 352 RhSchOG Köln, Urt. v. 19.10.1990 – 3 U 173/88, ZfB 1991, 1313. 353 Zur Seetüchtigkeit als Indiz der Unvermeidbarkeit des Ereignisses, s. o. Kap. 2.B.II.1.b). 354 Vgl. Cour de cassation, troisie`me chambre civile, 17.2.2010 – 08-20.943. 350

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

Wären die Normen nur auf die „höhere Gewalt“ begrenzt, werden die technischen Ausfälle nicht mehr einen Haftungsausschluss mangels materiellen äußeren Ursache erlauben. Eine rechtspolitische Entscheidung zwischen Zufall und „höherer Gewalt“ erscheint also notwendig. 2. Die „psychologische“ äußere Ursache als Antwort für intelligente Schiffe Die Literatur und schließlich der Gesetzgeber haben ihre Ansicht der externen Ursache entwickelt. Exner vertrat die strenge Ansicht der rein materiellen äußeren Herkunft. Alle Ursachen, die materiell oder im Betrieb gefunden wurden, können nicht als „höhere Gewalt“ anerkannt werden.355 Die sog. „psychologische“ äußere Ursache ergänzt also die materielle, indem sie die Analyse verfeinert. Sie wurde in Frankreich insbesondere von Antonmattei am Ende des 20. Jahrhunderts vertreten und gewann dank ihm einen bedeutsamen Platz in der Beurteilung des Begriffs der höheren Gewalt. Art. 1218 Code civil übernahm 2016 die Analyse durch die Formulierung „außerhalb der Kontrolle des Schuldners“. So macht es auch, nach Kritik der Literatur,356 Art. 1253 Abs. 2 des Gesetzesvorschlags für eine Reform des französischen Deliktsrechts. Die Methodik der Zurechnung findet sich auch in der speziellen seerechtlichen Normen des Konnossements. Art. L. 5422-12 Nr. 3 Code des Transports – der sich selber an den Art. 4 Abs. 2 Buchst. q IÜK anschließt – schließt die Haftung des Verfrachters aus, wenn die Schäden an der Ladung aufgrund von „faits constituant un e´ve´nement non imputable au transporteur“ eingetreten sind.357 Die europäische Rechtsprechung nutzt auch diese Ansicht.358 Die deutsche richterliche Definition des Begriffs der höheren Gewalt liefert an dieser Stelle eine interessante Erläuterung durch das Konzept des „Betriebsrisiko“,359 wie Hauriou in Frankreich dies bereits 1912 meinte.360 Die Betriebsfremdheit wird in der deutschen Literatur als ein „selbständiges Ereignis, das, ohne durch die Betriebsgefahr ausgelöst worden zu sein, in den Betriebskreis hineinwirkt“361 definiert. Diese moderne Analyse der äußeren Herkunft bringt Antworten auf die Herausforderung neuer Technik. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz, die aus Perspektive des Schädigers materiell unabhängig und sogar manchmal selbst-

355

S. Exner, S. 61. S. z.B. Oudot, L’article 1253: c’est Teffaine qu’on assassine!, abrufbar unter https://web. archive.org/web/20180727125757/http://reforme-obligations.dalloz.fr/2016/07/11/larticle-12 53-cest-teffaine-quon-assassine/. 357 Das französische Recht verlangt hier den Beweis der höheren Gewalt entgegen dem IÜK, s. Lemarie´, S. 74–75; Piette, Transports maritimes, in: Re´pertoire de droit commercial, Rn. 114. 358 EuGH, Urt. v. 9.2.1984 – 284/82, BeckRS 2004, 72924, Leits. 1. 359 Vgl. BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338. 360 S. Hauriou, Recueil Sirey 1912, 161; mehr dazu s. o. Kap. 2.C.I.2. 361 Städtler, S. 70. 356

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ständig ist, kann als Teil der Betriebsgefahr beurteilt werden (a)). Diese Externalität intelligenter Systeme wird durch den Betriebskreis erfasst. Denn so intelligent und teilweise unabhängig das System sein mag, darf es nicht als Dritte behandelt werden (b)). Mit diesen Kriterien werden verschuldenslose Versagen oder gar bewusste selbstständige Entscheidungen des Systems aus dem Kreis des Instituts der höheren Gewalt ein- oder ausgeschlossen. a) Das Versagen des intelligenten Systems als Realisierung der Betriebsgefahr Die französische Lehre der höheren Gewalt stützt ihre ergänzende Analyse der äußeren Ursache auf die Zurechnung eines Ereignisses („e´chappant au controˆle du de´biteur“ in Art. 1218 Code civil sowie Art. 1253 des Reformvorschlags; vgl. Art. 1147 a.F. „qui ne peut lui eˆtre impute´e“). Dieser Zurechnungsmechanismus bei der höheren Gewalt wurde, wie bereits erwähnt, in der deutschen Rechtsprechung und Literatur besonders einleuchtend entwickelt. Durch den Begriff der Realisierung der Betriebsgefahr ist es „nicht notwendig […], dass das Ereignis räumlich von außen in den Betrieb eingreifen muss“.362 Es handelt sich also um alle Gefahren, Unfälle und schädlichen Fehlfunktionen, die „von dem Betriebsunternehmer mit in Kauf zu nehmen [sind]“.363 Es hat hier also oft eine inklusive Funktion. Die Analyse führt dazu, Ereignisse in die Machtsphäre des Unternehmers einzuschließen. Das heißt, dass der Unternehmer auch Ereignisse zu vertreten hat, die nicht abwendbar waren. Nur die Ereignisse, die keinen Zusammenhang mit dem Betrieb haben, sind nicht vom Unternehmer zu vertreten.364 Das Konzept der Betriebsgefahr findet sich früh im deutschen Rechtssystem, nämlich in § 25 des Preußischen Gesetzes über die Eisenbahnunternehmungen vom 3.11.1838.365 Eine analoge Auslegung wie bei der Haftung der Bahn ist für den Begriff der Betriebsgefahr möglich. Es sind demnach unter Betriebsgefahr „Ereignisse, die […] mit dem Bahnbetrieb oder seinen Einrichtungen […] in ursächlichem Zusammenhang stehen“366 zu verstehen. Der Betrieb wird indes oft weit ausgelegt,367 insbesondere aufgrund der Häufigkeit der Unfälle und der Nähe der Bahn mit Passagieren. Betriebsgefahren in der Schifffahrt können z.B. Unfälle mit der Ladung bzw. Ladungsstellen (Kran, Container, Gepäck), außergewöhnlich starke Geräusche oder starke Lichtstrahlung sein.368 Es sind dann alle Unfälle bzw. Ereignisse, die 362

Piontek, in: Filthaut/Piontek/Kayser, 10. Aufl., § 1 HPflG, Rn. 160. BGH, Urt. v. 23.10.1952 – III ZR 364/51, BGHZ 7, 338, 339. 364 Vgl. z.B. Volkmar, S. 78–79. 365 Preuß. GS 1838, 505. 366 Kaufmann, in: Geigel Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 26, Rn. 30. 367 Vgl. Burmann/Jahnke, DAR 2016, 313, 314. 368 Für Beispiele vgl. Burmann/Jahnke, DAR 2016, 313, 314, 315, allerdings für den Autobetrieb. Diese Beispiele sind dennoch gut auf den Schiffsbetrieb (insbesondere von Handelsschiffen) übertragbar. 363

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

in einem ersten Schritt unabhängig von einem Verschulden dem Betreiber zugerechnet werden können. Es sind also – das ist der Sinn der „psychologischen“ äußeren Ursache – Gefahren, die entweder per se dem Betrieb angehören oder von dem Betreiber auch stillschweigend – wirtschaftlich – akzeptiert wurden. Eine Fehlfunktion des autonomen Schiffes (z.B. technische Panne der autonomen Brücke oder des autonomen Maschinenraums) ist dementsprechend nicht nur materiell-räumlich dem Schiff zuzurechnen, sondern auch eine Verwirklichung der Betriebsgefahr.369 Der Unternehmer muss mit einem solchen Versagen rechnen. Die Tatsache, dass die von der Fehlfunktion betroffenen Manöver vom System durchgeführt worden sind, ändert nicht die Verwirklichung der Gefahr. Die autonome Schifffahrt macht die Orientierung der Haftung für Zusammenstöße in die Richtung einer Gefährdungshaftung spürbar. Denn ein technisches Versagen kann auch verschuldenslos auftreten. Diese Problematik wurde dank der bereits bestehenden verschuldensunabhängigen Haftung nach § 7 StVG im Rahmen des autonomen Straßenverkehrs ohne erhebliche Schwierigkeiten gelöst. Die autonome Schifffahrt befindet sich vielleicht dementsprechend vor einem Haftungsmodellwechsel – oder zumindest vor einer nötigen rechtspolitischen Entscheidung. Diese „psychologische“ Analyse des Begriffs der höheren Gewalt ist noch wichtiger im Rahmen einer schädlichen Entscheidung der künstlichen Intelligenz, die defektlos auftreten würde. Das Schiff an sich wird hier selbstständig die Manöver entscheiden und durchführen. Der Mensch ist dementsprechend besonders passiv. Dank der „psychologischen“ Analyse der höheren Gewalt kann eine defektlose plötzliche Fehlentscheidung der künstlichen Intelligenz als Realisierung der Betriebsgefahr analysiert werden. Eine solche Lösung wurde bereits in Deutschland im Rahmen des Bahnbetriebs entwickelt: „Der Betriebsunternehmer haftet deshalb, ohne sich auf höhere Gewalt berufen zu können, für alle Folgen des ordnungsgemäßen Betriebs.“370 Die Realisierung einer Betriebsgefahr reicht aber an sich nicht aus. Denn das schädliche Ereignis muss auch außerhalb des Betriebskreises wirken, d.h. einen Kausalzusammenhang mit den Schäden haben. b) Der Auftritt des Ereignisses an Bord autonomer Schiffe: der Betriebskreis als Relikt der materiellen äußeren Ursache Der Betriebskreis spielt in der deutschen Erläuterung der äußeren Ursache eine wichtige Rolle. Dieser Betriebskreis ist der Ausdruck der materiellen externen Herkunft, indem ein räumlicher bzw. kausaler Zusammenhang verlangt wird.371 Exner formuliert diese Überlegung wie folgt: Von der „höheren Gewalt“ sind ausgeschlossen 369

Vgl. Buck-Heeb/Dieckmann, in: Oppermann/Stender-Vorwachs (Hrsg.), Autonomes Fahren – Rechtsfolgen, Rechtsprobleme, technische Grundlagen, 141, 144 f. 370 Piontek, in: Filthaut/Piontek/Kayser, 10. Aufl., § 1 HPflG, Rn. 170. 371 Vgl. Burmann/Jahnke, DAR 2016, 313, 315; Esser, S. 112.

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„alle sogenannten Betriebsunfälle im weitesten Sinne […], die ihren Ursprung und Verlauf innerhalb des Betriebskreises der mit der Obhut über das Gut betrauten Unternehmung genommen haben; […] dergleichen ist niemals vis maior, weil innere Unfälle schon als solche einen illiquiden Sachverhalt darstellen“.372

Die Modernisierung dieses Verständnisses bedeutet, dass der Betriebskreis nicht zu eng zu betrachten ist,373 sondern auch im Sinne des Vertretenmüssens, ähnlich wie im deutschen § 278 BGB. Die Betriebsfremdheit ist dann nicht nur physischräumlich anzusehen, sondern auch rechtlich. Dies ist ein beachtlicher Ausdruck der Zurechnung, die von Art. 1147 a.F. Code civil angedeutet war. So sind vom Begriff der höheren Gewalt alle Ereignisse ausgeschlossen, die rechtlich „in der Machtsphäre des Unternehmers entstehen“.374 Im Umkehrschluss kann hier also oft eine exklusive Funktion beobachtet werden. Die Analyse führt dazu, Ereignisse von der Machtsphäre des Unternehmers auszuschließen. aa) Die Piraterie als klassische Betriebsfremdheit Im Rahmen der autonomen Schifffahrt hat dies eine besondere Relevanz im Falle einer – ggf. widerrechtlichen – Handlung Dritter im Betrieb. Eine Analogie der autonomen Brücke kann hier zum Kapitän oder zur Besatzung gemacht werden: „Unfälle, die durch Handlungen der beim Betrieb angestellten oder tätigen Personen verursacht sind, können grundsätzlich nicht als höhere Gewalt betrachtet werden“.375 Dies stellt einen weiteren und ähnlichen Ausdruck der Zurechnungsnorm des § 278 BGB bzw. § 831 BGB dar. Man haftet für seine Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen. Auch ein personifiziertes autonomes System würde daher dem Personenkreis der §§ 480, 478 HGB zugerechnet und die mögliche Haftung des § 570 HGB begründen. Daher kann ein Ausfall des Systems rechtlich keine äußere Ursache darstellen, denn es ist Teil des Betriebskreises. Ein Ausfall – ungeachtet aus welchem Grund – hat nicht „von außen“ gewirkt. Ähnlich wie Sabotageakte bei der Bahn376 gehören Piratenakte nicht dem Betriebskreis an, hier in Überstimmung mit der herrschenden Auslegung seit dem römischen Recht.377 Die Ausgangssituation ist folgende: Die Kontrolle eines autonomen Schiffes wird von „Cyberpiraten“ übernommen. Als Folge dieses Angriffs stößt das Schiff mit einem anderen zusammen. Die „psychologische“ äußere Herkunft zeigt hier ihre Wichtigkeit. Durch eine rein materielle Analyse würde die Betriebsfremdheit und demzufolge die externe Ursache verneint. Das Schiff hat den Zusammenstoß materiell verursacht.

372

Exner, S. 59. Bereits angedeutet von Exner, S. 63. 374 Rümelin, S. 37. 375 Vgl. Kaufmann, in: Geigel Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 26, Rn. 32. 376 S. Kaufmann, in: Geigel Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 26, Rn. 31. 377 S. zur Piraterie im römischen Recht Kap. 1.B.II.1.b) sowie zu rechtlichen Implikationen der Piraterie in der autonomen Schifffahrt für die Vermeidbarkeit Kap. 2.B.II.2.c)aa). 373

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

Eine solche Lösung würde aber als ungerecht empfunden. Mithilfe der exklusiven Wirkung des Zurechnungsmechanismus kann sich der Reeder jedoch entlasten – vorausgesetzt, dass die anderen Merkmale der höheren Gewalt vorliegen. Die Piraten stehen und handeln nicht unter der Verantwortlichkeit des Reeders und somit aus dem Betriebskreis heraus.378 Die Stimmen in der französischen Literatur, die Cyberangriffe nicht als Fälle der höheren Gewalt anerkennen wollen, stützen sich nicht auf das externe Merkmal, sondern vielmehr auf eine oft fehlende Unvorhersehbarkeit und/oder Unvermeidbarkeit.379 bb) Die Beziehung zwischen Infrastruktur und Schiff: das Versagen der Vernetzung autonomer Schiffe als neue Betriebsfremdheit? Jedes autonome Schiff soll mit Internet und externen Datenbanken vernetzt sein. Zudem kann es auch entweder mit den anderen Schiffen oder mit einer zentralen Stelle vernetzt werden. Dies gilt auch für ferngesteuerte Schiffe, die über eine Verbindung mit der Landkontrollstation verfügen. Die Frage stellt sich also, ob das Versagen einer externen Vernetzungsstelle einen Fall der höheren Gewalt darstellen kann. Eine Konstellation ist z.B. die, in der die Infrastruktur privatrechtlich kraft Vertrages über eine Internet- oder Satellitenverbindung mit dem Bertreiber verbunden ist. Ramming erwähnt eine Analogie mit Art. 40 CIM für die Bahnbeförderung, lehnt diese aber ab.380 Demnach wird der „Infrastrukturbetreiber zum Erfüllungsgehilfen des Beförderers erklärt“.381 Er gehört also zum Betriebskreis und somit wäre ein Ereignis innerlich. Dies gilt aber auch, wenn der Beförderer keine unmittelbare vertragliche Beziehung mit dem Infrastrukturverantwortlichen hat.382 Dies gälte insbesondere für ferngesteuerte Schiffe. Denn in den meisten Fällen werden solche Schiffe von Landkontrollstationen gesteuert, die nicht dem Reeder gehören und die zeitgleich mehrere Schiffe steuern. Mangels ausdrücklicher Vorschrift sollte die Analogie laut Ramming nicht gemacht werden. Sowohl die internationalen als auch die nationalen Vorschriften im Rahmen von Schiffszusammenstößen verweisen auf ein Verschulden „des Schiffes“. Die französischen Texte sprechen ebenfalls von einem Verschulden „du navire“. Somit wäre in diesem Fall, de lege lata, kein unmittelbares Verschulden des Reeders nachweisbar.383 Der Wortlaut der Haftungsnorm begrenzt den Betriebskreis. Um

378

Für eine ähnliche Meinung im Straßenverkehrsrecht, Müller-Hengstenberg/Kirn, S. 329; vgl. auch Hey, S. 31; Hinze, S. 35; Pütz/Maier, r+s 2019, 444, 445. 379 S. z.B. Lootgieter, Droit maritime franc¸ais 2015, 976. 380 S. Ramming, RdTW 2017, 286, 291. 381 Freise, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., Art. 40 CIM, Rn. 8. 382 S. insbesondere OLG Hamm, Urt. v. 11.6.2015 – 6 U 145/14, NZV 2016, 370, 371: Zusammenstoß zwischen einer Privatbahn und einem Pkw wegen Nachlässigkeit der Deutschen Bahn; vgl. auch Piontek, in: Filthaut/Piontek/Kayser, 10. Aufl., § 1 HPflG, Rn. 160. 383 Vgl. Ramming, RdTW 2017, 286, 291; Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 284.

C. Die äußere Herkunft: die Herausforderung der Technik

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Klarheit zu schaffen, wäre hier eine Reform bzw. eine rechtspolitische Entscheidung des (internationalen) Gesetzgebers wünschenswert. Im Hinblick auf den Begriff der höheren Gewalt und die äußere Ursache des Ereignisses muss differenziert werden. Auf der einen Seite, wenn der Reeder Einfluss auf die Infrastruktur ausüben kann, sollte hier eine Zurechnung möglich sein.384 Auf der anderen Seite, wenn er dagegen keinen Einfluss ausüben kann, sollte eine Zurechnung eines Ausfalles schwieriger werden. Zwar können solche Ereignisse als Teil der Betriebsgefahr angesehen werden. Es liegt aber bei einer Netzverbindung ein Unterschied vor. Denn wenn der Ausfall der Verbindung aufgrund einer Fehlfunktion an Bord erfolgt (z.B. Sendungs- oder Empfangssystem), ist die Betriebsfremdheit ohne Zweifel zu verneinen. Ein Versagen der Verbindung, das seitens der Landkontrollstation erfolgt, ist indes aufgrund des möglichen Monopols (z.B. durch eine öffentlich-rechtliche Stelle) unvermeidbar385 und gehört dem Betriebskreis im engeren Sinne nicht an. Der Reeder hat hier keinen Einfluss auf das Ereignis386 und der Ausfall kann ihm nicht ohne Weiteres zugerechnet werden. Hier wäre zudem eine Analogie zum Streik möglich. Die äußere Herkunft wird dort bejaht, wenn der Schuldner keinen rechtlichen und tatsächlichen Einfluss auf den Streik hat und/oder die Streikenden nicht seinem Betriebskreis angehören. Eine Fluggesellschaft hat z.B. den Streik von Fluglotsen oder Grenzbeamten nach § 278 BGB nicht zu vertreten.387 Eine andere Analogie besteht in der französischen Rechtsprechung bezüglich Ausfällen der Informationstechnologie bei Banküberweisungen. Der Mieter durfte sich auf die höhere Gewalt berufen, nachdem seine Miete aufgrund eines EDV-Ausfalls bei der Bank nicht rechtzeitig eingegangen war.388 Dieses Ereignis war ihm äußerlich, da er keine Kontrolle auf die Einrichtungen der Bank hatte bzw. haben konnte. Solche Lösungen sind hier übertragbar. Sind die anderen Merkmale der höheren Gewalt erfüllt, sollte sich der Reeder im Falle eines Zusammenstoßes auf „höhere Gewalt“ berufen können.

III. Ergebnis Die autonome Schifffahrt hebt die wichtige Bedeutung des dritten Merkmals der höheren Gewalt hervor, die äußere Herkunft, die von der französischen Lehre teilweise abgelehnt wird. Diese Wichtigkeit ist eng mit der Abgrenzung des Zufalls und der höheren Gewalt verbunden. Denn die äußere Herkunft ist das Kri384 Darüber hinaus könnte auch ein Verschulden für die Auswahl des Betreibers in Betracht kommen. 385 Anders kann es im Falle der Möglichkeit einer freien Auswahl sein, wenn diese nicht sorgfältig getroffen worden ist. 386 Vgl. Lemarie´, S. 32. 387 Vgl. Tonner, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 651h, Rn. 54. 388 Cour de cassation, troisie`me chambre civile, 17.2.2010 – 08-20.943.

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Kapitel 2: Autonome Schifffahrt und höhere Gewalt

terium, das die beiden Konzepte abgrenzt. Die Ablehnung der französischen Lehre von der äußeren Herkunft sowie die daraus folgende Nichtabgrenzung des Zufalls und der höheren Gewalt haben erhebliche Konsequenzen im deutschen Seehandelsrecht durch das in französischer Sprache verfasste internationale Recht gehabt. Die Seehandelsrechtsreform von 2013 hat beide Begriffe von § 570 HGB (§ 734 HGB a.F.) gestrichen, ohne Rücksicht auf die Abgrenzung des Zufalls und der höheren Gewalt im deutschen Recht. Da die deutsche Rechtsprechung beide Ereignisse als Entlastungsgrund zulässt, hat diese Reform Rechtsunsicherheit geschaffen, sowohl auf der nationalen als auch der internationalen Ebene. Das Rechtsinstitut der höheren Gewalt erlaubt jedoch, durch das Merkmal der äußeren Herkunft, die Analyse von tatsächlichen Problemen der autonomen Schifffahrt. Dank der traditionellen, materiellen Betrachtung der äußeren Herkunft können rein technische Ausfälle vom Begriff der höheren Gewalt ausgeschlossen werden. Die moderne Analyse der äußeren Herkunft – die „psychologische“ oder rechtliche – erlaubt, Ereignisse der autonomen Schifffahrt in den Kreis der höheren Gewalt einzubeziehen. Das ist der Fall bei Cyberangriffen und unter Umständen bei Ausfällen der Netzinfrastruktur. Dieselbe Analyse ermöglicht aber, intelligente Systeme und deren defektlose Ausfälle oder falsche Entscheidungen zu erfassen. Solche Ereignisse sind kein Fall der höheren Gewalt, da sie der Realisierung einer Betriebsgefahr entsprechen, und somit fehlt es der höheren Gewalt an der äußeren Herkunft.

D. Ergebnis des zweiten Kapitels: ein flexibles Institut als Antwort auf die neuen Herausforderungen der autonomen Schifffahrt Die höhere Gewalt, als ein ausgewogener, wandelbarer389 und wertender Begriff,390 kann bereits dank einer Anpassung ihrer Betrachtung viele Antworten auf die heutigen Herausforderungen geben. Die Maßstäbe und Anforderungen für die Bewertung eines unvorhersehbaren Ereignisses werden sich erhöhen, indem das menschliche Referenzmodell einen Mindeststandard darstellen wird. Negative Auswirkungen dieser Erhöhung werden dank des Maßstabs des Angemessenen (raisonnable) verhindert. So wird die Herausforderung der Digitalisierung gemeistert. Die Auslegung der Unvermeidbarkeit ist ebenso flexibel, um Antworten auf die Autonomisierung der Entscheidungsprozesse zu geben. Die Standardisierung, die mit den autonomen Schiffen vollzogen ist, wird durch die objektive Analyse der höheren Gewalt erfasst. Die Seetüchtigkeit – Konzept des vertraglichen Seehandelsrechts – wird einen hilfreichen Beitrag leisten. Die verschiede-

389 390

Antonmattei, S. 10 ff. Vgl. Looschelders, § 45 Rn. 13.

D. Ergebnis des zweiten Kapitels

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nen anwendbaren Autonomiestufen werden ihrerseits durch die subjektive Analyse und die Sorgfalt erfasst. Dabei werden allerdings, wie bei der höheren Gewalt gewohnt, zwei Schranken der Angemessenheit Anwendung finden. Der Sorgfaltsmaßstab soll einerseits die technische Realisierbarkeit und andererseits die wirtschaftliche Zumutbarkeit berücksichtigen. So wird die Herausforderung der Autonomisierung gemeistert. Die autonome Schifffahrt und die hochentwickelte Technik beweisen aber vor allem, sowohl aus dogmatischer als auch praktischer Perspektive, die Wichtigkeit der äußeren Herkunft für den Begriff der höheren Gewalt. Die autonome Schifffahrt zeigt das Erfordernis der Abgrenzung zwischen Zufall (unverschuldetes, unvorhersehbares und unvermeidbares Ereignis) und höherer Gewalt (nicht zu vertretendes, unvorhersehbares, unvermeidbares und von außen kommendes Ereignis). Ein plötzlicher technischer Ausfall wird ohne großen Aufwand als Zufall beurteilt werden können. Er wird aber nicht den Status der „höheren Gewalt“ erreichen können. Dies ist besonders in einer deutsch-französischen Perspektive relevant: Dasselbe Ereignis – ein Zufall – kann nach französischem Recht nicht entlastend wirken, während es den Reeder nach deutschem Recht (zumindest nach den internationalen und binnenschiffrechtlichen Vorschriften) von seiner Haftung befreit. Vielmehr hat die moderne Betrachtung der äußeren Herkunft der höheren Gewalt, wie besonders im deutschen Recht durchgeführt, eine doppelte Wirkung gegenüber technischen Einrichtungen und deren Konsequenzen. Sie schließt defektlose Ausfälle von der höheren Gewalt aus, als Realisierung der Betriebsgefahr. Sie schließt jedoch solche Ereignisse ein, die zwar psysisch-räumlich das Schiff berühren, aber rechtlich nicht dem Reeder zurechenbar sind: die Cyberangriffe und unter Umständen die Ausfälle von Netzinfrastrukturen. So wird die Herausforderung der Technik gemeistert. Die autonome Schifffahrt und ihre juristische Erfassung stehen aber vor einer anderen Herausforderung. Gesetzgeber, sowohl in Frankreich und in Deutschland als auch auf internationaler Ebene, wollen diese Verkehrswende neu regeln. Daher stellt sich die Frage des Platzes der höheren Gewalt in einem neuen Haftungsregime, insbesondere einer objektiven Haftung.

Kapitel 3

Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime für die autonome Schifffahrt Die objektive Haftung wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt, um das Problem des schwierigen Beweises eines Verschuldens nach einem Unfall im Rahmen der Industrialisierung der Produktion zu lösen. Denn viele Unfälle wurden durch eine Maschine verursacht, wobei keine Fehler bei der Beschaffung oder der Wartung der Maschine begangen werden dürfen.1 Die Verschuldenshaftung hatte ihre Grenze gefunden. Auch in der Schifffahrt stellt die Frage des Beweises im Falle eines Unfalles und der Kontrolle der Verfrachtung auf See eine Quelle von Unsicherheiten dar.2 Die umfangreiche Technik in der autonomen Schifffahrt erschwert ebenfalls erheblich die Feststellung eines eventuellen Verschuldens des Reeders.3 Die Einführung einer objektiven Haftung wird in der seehandelsrechtlichen Debatte regelmäßig diskutiert. Die Idee einer strengen – oder strengeren – Haftung des Reeders ergibt sich aus den Umständen von gefährlichen, weiten und langen Reisen. Dies hat zum receptum nautarum des römischen Rechts geführt.4 Exner berichtet, dass die „Commission zur Ausarbeitung und Vorlage des Entwurfes eines allgemeinen Handelsgesetzbuches“ darauf bestanden hat, dass die Fluss- und Seeschiffer weiterhin nach dem receptum haften, also dem Seerecht unterliegen und nicht dem allgemeinen Handelsrecht. Denn man hätte „kein Mittel […], ihre Tätigkeit und Sorgfalt zu kontrollieren“.5 Diese Überlegungen werden durch die Möglichkeit einer Reform erneut geäußert. Wäre eine objektive Haftung für die autonome Schifffahrt geeignet? Die Literatur weist dazu eine gespaltene Meinung auf, die sowohl juristische als auch wirtschaftliche Argumente vorbringt (A.). Sollte de lege ferenda eine objektive Haftung in Betracht kommen, so muss der Begriff der höheren Gewalt eine zentrale Rolle haben. Die Flexibilität dieses Instituts in der Rechtsgeschichte verbindet sich mit seinem Sinn und Zweck: einem Ausgleich radikaler Situationen (B.). Durch die Entwicklung und die Analyse der höheren Gewalt kann ein neues Haftungsregime entstehen.

1

Vgl. auch Exner, S. 82. Vgl. Exner, S. 46–49. 3 S. Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 277. 4 S. dazu oben Kap. 1.B.II.1.b)bb). 5 Exner, S. 36–37.

2

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

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A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt Die heutige seerechtliche Literatur, insbesondere in Deutschland, erwähnt die Möglichkeit eines neuen Modellwechsels bezüglich der Haftung nach einer Schiffskollision. Dabei wird eine objektive, verschuldensunabhängige Haftung vertreten.6 Diese Vorschläge sind in der Schwäche der bestehenden, heute geltenden Verschuldenshaftung sowohl nach französischem Recht als auch nach deutschem Recht verankert (I.). Die existierenden verschuldensunabhängigen Haftungen des Zivilrechts zeigen aber ebenfalls Grenzen auf, um eine unmittelbare analoge Anwendung zu ermöglichen (II.). Die Einführung einer neuen verschuldensunabhängigen Haftung für die autonome Schifffahrt ist sowohl rechtspolitisch als auch wirtschaftlich strittig (III.). Nichtsdestotrotz kann ein verschuldensunabhängiges Haftungssystem entwickelt werden, das sich von den erfolgreichen objektiven Haftungen in anderen Rechtsbranchen inspirieren lässt (IV.).

I. Die Verschuldenshaftung für die Schiffskollision an Grenzen Die heute geltenden Haftungen, die auf Schiffskollisionen Anwendung finden können, zeigen Schwächen, wenn es um die Erfassung der Besonderheiten der autonomen Schifffahrt geht. Die seerechtliche Haftung nach einer Schiffskollision beruht auf dem Verschuldensgrundsatz. Der Einsatz autonomer Schiffe mit einer passiven Rolle des Menschen erschwert den Nachweis eines Verschuldens. Bei vielen Aspekten zeigt die heutige Haftungssystematik Schwächen. Dies wird besonders durch den Vorrang der seerechtlichen Verschuldenshaftung verstärkt (1.). Durch die Zurückhaltung des Menschen unmittelbar vor einem Zusammenstoß mit Beteiligung eines autonomen Schiffes ist die Feststellung eines Verschuldens besonders schwierig (2.). Die Behandlung des intelligenten Systems als Haftungssubjekt ist aber eine utopische Lösung (3.). 1. Der Vorrang der seerechtlichen Verschuldenshaftung Der Code civil sieht in Art. 1242 Abs. 1 (Art. 1384 a.F. Code civil) eine verschuldensunabhängige Haftung vor, wenn eine Sache Schäden verursacht (sog. „Responsabilite´ du fait des choses“). Der Halter („gardien“) muss Ersatz leisten, ungeachtet dessen, ob er ein Verschulden begangen hat. Diese Haftung ist ebenfalls unabhängig von der Gefährlichkeit der Sache.7 6

S. Ramming, RdTW 2017, 286, 291; Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 284–285. 7 Cour de cassation, chambres re´unies, 13.2.1930, Recueil pe´riodique et critique mensuel Dalloz 1930, 1957; Grynbaum, Responsabilite´ du fait des choses inanime´es, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 134 ff.; Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 1061; dazu s. unter Kap. 3.A.III.1.b)bb).

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

Für Schäden, die von einem Schiff verursacht worden sind, muss hier unterschieden werden. Für eine Schiffskollision, d.h. eine Kollision, die die Voraussetzungen der Art. L. 5131-3 Code des Transports erfüllt,8 schließt die Sonderregelung des Art. L. 5131-3 Code des Transports die Anwendung des Art. 1242 Abs. 1 Code civil aus.9 Die Schiffskollisionsregeln sind eine Lex specialis, auch für die Binnenschifffahrt.10 Deshalb ist der Verschuldensgrundsatz bei solchen Umständen zentral. Die Eigenschaft als Lex specialis der seerechtlichen Haftung findet sich im Übrigen auch im deutschen Recht, durch den Vorrang des § 570 HGB vor §§ 823 ff. BGB,11 wobei diese Eigenschaft im deutschen Recht, aufgrund der Anwendung des Verschuldensgrundsatzes auch in den §§ 823 ff. BGB, weniger relevant ist. Für Schäden, die von einem Schiff an einer anderen Person oder Sache verursacht wurden (z.B. einem Passanten auf festem Boden oder einem Anleger), wird im französischem Recht jedoch die verschuldensunabhängige Haftung aus Art. 1242 Abs. 1 Code civil anwendbar.12 Dementsprechend muss der Anspruchsgegner kein Verschulden nachweisen und der Halter (d.h. der Reeder)13 wird für die Schäden einstehen.14 Das deutsche Recht wird hier nicht zum gleichen Ergebnis kommen. Im Falle einer unverschuldeten Kollision, die einen solchen Schaden verursacht, wird der Anspruch des Geschädigten gemäß den Vorschriften des BGB15 mangels Beweis eines Verschuldens des Schädigers abgewiesen.16 Daher könnte die französische verschuldensunabhängige Haftung als Inspiration für künftige Haftungsregime dienen.17

8

Insbesondere die Qualifikation der Beteiligten als „navire“. Cour de cassation, chambre commerciale, 21.1.1952, Droit maritime franc¸ais 1952, 242; Cour de cassation, chambre commerciale, 5.10.2010 – 08-19.408, Recueil Dalloz 2010, 2429; ´ ve´nements de mer, in: Re´pertoire de droit comBourbonnais-Jaquard, S. 107 f.; Montas, E mercial, Rn. 10 ff. 10 S. Cour de cassation, chambre commerciale, 5.11.2003 – 02-10.486, Bulletin civil IV, 178: Kollision zwischen zwei Wassermotorrädern. 11 Vgl. Steingröver, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 570, Rn. 1. 12 S. z.B. Cour de cassation, chambre commerciale, 19.6.1951, Recueil Dalloz 1951, 717: für verstorbene Passagiere; Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 23.1.1959, Recueil Dalloz 1959, 281; Cour de cassation, chambre mixte, 4.12.1981 – 79-14.207, Recueil Dalloz 1982, 365; Cour d’appel de Paris, 4.7.1956, Recueil Dalloz 1956, 685; Montas, E´ve´nements de mer, in: Re´pertoire de droit commercial, Rn. 24 ff.; Rodie`re, Recueil Dalloz 1957, 171, 172. 13 Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 23.1.1959, Recueil Dalloz 1959, 281; Rodie`re, Recueil Dalloz 1957, 171, 173: Der Kapitän, als Erfüllungsgehilfe des Reeders, kann nicht zugleich Halter sein. 14 Vgl. auch Oertel, S. 186–188. 15 Steingröver, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 570, Rn. 67: auch für sich an Bord befindliche Personen. 16 Vgl. Schaps/Abraham, S. 1019. 17 S. u. Kap. 3.A.III.1.b). 9

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

121

2. Die schwierige Feststellung eines Verschuldens des Schiffes Die Haftung nach einer Schiffskollision beruht de lege lata auf dem Verschuldensgrundsatz. Art. L. 5131-3 Abs. 1 Code des Transports übernimmt die Regelung und die wörtliche Formulierung des Art. 3 IÜZ: „Si l’abordage est cause´ par la faute de l’un des navires, la re´paration des dommages incombe a` celui qui l’a commise.“ Das deutsche Recht stützt sich auch auf den Verschuldensgrundsatz in § 570 S. 2 HGB: „Die Ersatzpflicht tritt jedoch nur ein, wenn den Reeder jenes Schiffes oder eine in § 480 genannte Person ein Verschulden trifft.“ Das Vorliegen eines Verschuldens ist also wesentlich in der Systematik der Haftung für Schiffskollisionen. Ein Gericht darf keine Haftung feststellen ohne den Beweis eines Verschuldens.18 Die autonome Schifffahrt spiegelt die komplizierte Anwendung und die begrenzte Effizienz einer verschuldensabhängigen Haftung für digitalisierte Rechtsobjekte wider. Bei ferngesteuerten Schiffen kann die verschuldensabhängige Haftung oft auf ein menschliches Verhalten zurückgeführt werden. Der Unterschied besteht nur darin, dass der Kapitän bzw. die Besatzung nicht an Bord sind. Das deutsche Recht, das ausdrücklich die Anwesenheit einer Besatzung an Bord verlangt, bedarf lediglich einer Anpassung. Sie könnte auch durch einen Entsprechungsansatz – ähnlich wie in § 1 Abs. 2 S. 3 LuftVG für die unbemannte Luftfahrt – erfolgen.19 Somit wird das Haftungsregime hier nicht erheblich verändert.20 Dies ist aber für autonome, unbemannte Schiffe im engeren Sinne (ab Stufe 3) anders. Der Rückgriff auf das Vorliegen eines Verschuldens eines Menschen i.S.d. § 480 HGB sowie der Kausalzusammenhang dieses Verschuldens mit dem Schaden werden erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich. Die Texte knüpfen an einem Verschulden „du navire“ (Art. L. 5131-3 Abs. 1 Code des Transports, Art. 3 IÜZ), „des Schiffes“ an. Eine mögliche Auslegung dieser Personifikation des Schiffes ist, davon auszugehen, dass ein anormales Verhalten des Schiffes ohne menschlichen Anknüpfungspunkt möglich wäre. Diese These wurde vor allem von dem niederländischen Juristen Cleveringa entwickelt und vertreten.21 Er sah darin ein Mittel der Gerechtigkeit für das Opfer: Das Opfer hat Anspruch auf Entschädigung aufgrund eines offensichtlichen Fehlverhaltens des Schiffes, während er keinen Anspruch hätte, wenn nicht unbedingt menschliches Verschulden vorliegt.22 Eine solche Auslegung führt zudem zu einer Erleichterung der Beweislast des Opfers. Ein anormales Verhalten des

18 Cour de cassation, chambre commerciale, 12.5.1987 – 84-15.812, Droit maritime franc¸ais 1988, 734. 19 S. Ramming, RdTW 2017, 286, 290; a.A. jedoch Etzkorn, S. 113. 20 Vgl. Hooydonk, Journal of international maritime Law 2014, 403, 421. 21 Cleveringa, S. 375 ff.; für eine französischsprachige Vorstellung der Meinung Cleveringas s. Bourbonnais-Jaquard, S. 108. 22 Vgl. dazu Bourbonnais-Jaquard, S. 108–109.

122

Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

Schiffes ist einfacher zu beweisen als ein Verschulden eines Mannschaftsmitgliedes.23 Die französische Literatur hat eine solche Auslegung abgelehnt: „Der Fehler des Schiffes […] ist in Wirklichkeit ein menschlicher Fehler.“24 Die höchste Rechtsprechung vertritt ebenfalls diese Meinung, indem sie stets den Nachweis eines menschlichen Verschuldens verlangt, sei es vom Reeder selbst, vom Kapitän oder von der Besatzung.25 Das IÜZ und das deutsche Recht nehmen ebenfalls diesen Standpunkt ein.26 § 570 S. 2 HGB verweist ausdrücklich auf das Verschulden des Reeders oder einer der in § 480 HGB genannten Person, d.h. der Schiffsbesatzung i.S.d. § 478 HGB oder eines Lotsen. Die anthropozentrische Auslegung des Wortlauts führt dazu, dass alle Handlungen der Maschine von der Anwendung des Textes auszuschließen sind. Ein selbstständiger „subjektiver Vorwurf“27 ist dabei ohne vollständige rechtliche Personifizierung des Schiffes schwierig. Die Qualifikation eines Verhaltens als Verschulden kann dann nur über den Umweg des Verschuldens eines Menschen erfolgen. Für autonome, unbemannte Schiffe ist ein Verschulden der Besatzung per se unmöglich. Nur der Reeder kann für die Schäden verantworten. Die Analyse des Begriffs der höheren Gewalt de lege lata zeigt die neuen Sorgfaltspflichten (zumindest für die Begründung der Fahrlässigkeit), die bei der autonomen Schifffahrt entstehen können. Die Benutzung der Seetüchtigkeit kann hierzu auch einen wichtigen Beitrag leisten. Viele Defekte der Schiffe werden aber auf einer fehlerhaften Programmierung der Software beruhen. Ist dieser Fehler für den Reeder nicht erkennbar, trifft ihn kein Verschulden. Der Hersteller bzw. der Programmierer – sofern er nicht zur Reederei gehört – stellt hierbei keine sonstige Hilfsperson oder Beteiligte am Schiffsbetrieb nach § 478 Var. 4 HGB28 sowie keinen Verrichtungsgehilfen (franz. „pre´pose´“) dar, für die der Reeder einzustehen hätte,29 ungeachtet dessen, ob er nach der allgemeinen zivilrechtlichen Haftung der Art. 1242 Abs. 4 Code civil bzw. § 831 BGB oder der seerechtlichen Haftung des Art. L. 5131-3 Abs. 1 Code des transports bzw. § 570 S. 2 HGB i.V.m. § 480 HGB haften würde. Durch die schädigenden Programmierungsfehler „stößt [das Verschuldensprinzip] hier endgültig an seine Grenzen“.30 Die Anwendung einer Verschuldenshaftung für autonome Schiffe könnte also nur in begrenzten Fällen Erfolg finden. Besonders relevant wird die Reaktion auf eine Alarmmeldung. Wird eine menschlich besetzte Einrichtung hinsichtlich ei-

23

Vgl. Bourbonnais-Jaquard, S. 110. Montas, E´ve´nements de mer, in: Re´pertoire de droit commercial, Rn. 39: „La faute du navire de´signe en re´alite´ une faute humaine.“ 25 S. insbesondere Cour de cassation, chambre commerciale, 1.3.1994 – 92-10.244. 26 Zum IÜZ, s. Etzkorn, S. 302. 27 Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 277. 28 Vgl. mit einem Vergleich mit dem Bunkeröllieferant Etzkorn, S. 113. 29 Vgl. Ramming, RdTW 2017, 286, 291; der Hersteller ist auch kein Kapitän i.S.d. § 478 HGB, vgl. Etzkorn, S. 104–105; für eine ähnliche Lösung für Werften, Herber, S. 177. 30 Ramming, RdTW 2017, 286, 291; vgl. auch Etzkorn, S. 140. 24

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

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nes Versagens bzw. eines technischen Problems alarmiert, und bleibt dieser Alarm folgenlos, könnte ein Verschulden seitens des Reeders festgestellt werden.31 Für die Aspekte der autonomen Schifffahrt, die im Verantwortungsbereich des Reeders stehen, kann oft nur Fahrlässigkeit – mithilfe der Seetüchtigkeit32 – festgestellt werden. Diese Feststellung zeigt auch die Eignung einer objektiven Haftung, die mehr auf einem Zurechnungsmechanismus als auf einem Verschulden beruht. Einige Stimmen der Literatur haben eine andere Lösung vorgeschlagen. Gestützt auf den Wortlaut „Verschulden eines Schiffes“ wurde die Idee des autonomen Schiffes als Haftungssubjekt entwickelt. 3. Die Utopie des autonomen Schiffes als Haftungssubjekt Der Wortlaut des Art. 3 IÜZ bzw. des Art. L. 5131-3 Code des Transports, ein Verschulden „des Schiffes“, gibt Anhaltspunkte für eine moderne Lösung der Haftungsproblematiken der Digitalisierung. Das Schiff könnte vollständig personifiziert werden, um für seine eigenen Fehlentscheidungen einzustehen. So lautet zumindest die Meinung, die von Institutionen33 und vereinzelt in der juristischen Literatur34 vertreten wird. Diese Lösung stünde aber im Widerspruch zu der fundamentalen Teilung des Zivilrechts zwischen Personen und Sachen.35 Labbe´e bringt das überzeugende Argument, dass zwar juristische Personen als Fiktion des Rechts existieren.36 Sie finden aber z.B. keinen Platz im Verzeichnis des Code civil, wo es nur um die Frage der (natürlichen) Personen geht. Darüber hinaus ist „die juristische Person ein Vehikel […], durch das der Mensch handelt, während sich die digitale Person, vermittelt durch fortschreitende Autonomisierung, gerade von diesem emanzipiert“.37

Die grundlegende Teilung soll bestehen: Roboter und a fortiori unkörperliche, integrierte Systeme und Intelligenz sind und bleiben Sachen, Werke des Menschen. Das Argument, dass eine solche sog. „E-Person“ einen Schadensausgleich garantieren sollte, erscheint ebenfalls nicht überzeugend. Aus welchem Vermö-

31 Vgl. Ramming, RdTW 2017, 286, 291; a.A. Etzkorn, S. 113–114: die Verschuldenshaftung sei nach § 823 Abs. 1 BGB und nicht nach § 570 HGB anwendbar. 32 S. o. Kap. 2.B.II.1.b). 33 S. z.B. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik, 2015/2103(INL), Rn. 59 f); a.A. BT-Drs. 19/23700, S. 73. 34 S. z.B. Bensoussan, Recueil Dalloz 2017, 2044. 35 Vgl. auch Bensamoun/Loiseau, Dalloz IP/IT 2017, 239; Bouteille-Brigant, Les Petites Affiches 2018, Heft Nr. 62, 7. 36 Labbe´e, Recueil Dalloz 2019, 1719. 37 Thöne, S. 182.

124

Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

gen sollte sie die Schäden ausgleichen? Lediglich durch einen Fonds oder eine Pflichtversicherung wäre dies realisierbar.38 Denn „nur Menschen [können] haftpflichtig werden […], während auch Sachen haftpflichtbegründend sein können“.39 Dies bedeutet, dass die Schaffung einer E-Person zumindest überflüssig wäre. Das nun mit E-Persönlichkeit ausgestattete Schiff würde in der Praxis haftungsbegründend bleiben, während z.B. der Reeder haftungspflichtig bliebe. Die Schöpfung einer E-Person würde darüber hinaus aufgrund des erforderlichen erheblichen Paradigmenwechsels nicht der Akzeptanz der neuen Regelungen dienen. Zudem würde eine solche Lösung einer zumindest europäischen Vereinheitlichung entgegenstehen.40 Der zweite Widerspruch ist mit technischen Aspekten verbunden. Denn „ein sehr hoch entwickelter intelligenter Agent ist allerdings immer nur so intelligent wie seine Programmierung“.41 Dies bedeutet, dass „Schäden [… auf] Probleme zurückzuführen [sind], die keineswegs aus vorsätzlichem oder fahrlässigem Verhalten eines absolut autonom handelnden KI-Systems hervorgehen, sondern menschliches Handeln erkennen lassen“.42

Die Abhängigkeit der Maschine bzw. des Systems vom Menschen stellt zum jetzigen Stand der Technik ein rechtliches Hindernis für die Anerkennung einer Rechtspersönlichkeit dar.43 Nach der Meinung Teubners könnte eine eigene Persönlichkeit nur dann vergeben werden, wenn das autonome System eigene Ziele mit eigenen Mitteln verfolgen könnte.44 Die Problematik des Erkennens eines Verschuldens im Rahmen der künstlichen Intelligenz kann dementsprechend auch nicht über den Umweg einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit vollständig gelöst werden. Darüber hinaus verweist Scheufen auf die wirtschaftlichen Risiken einer solchen Lösung, die mit einer Senkung des Sorgfaltsniveaus verbunden sein kann.45

II. Die Grenze der bestehenden zivilrechtlichen und der verschuldensunabhängigen Haftung Um die Problematik einer schwachen Verschuldenshaftung zu lösen, kämen die bereits bestehenden objektiven Haftungen des Deliktsrechts in Betracht. Sie könnten durch eine analoge Anwendung eine Lösung sein. Eine unmittelbare Anwendung solcher Haftungen stößt aber wiederum an Grenzen, insbesondere

38

Vgl. auch Hey, S. 208. Koch, S. 114. 40 Vgl. Schaub, JZ 72 (2017), 342, 346. 41 Gleß/Weigend, ZStW 126 (2014), 561, 563. 42 Scheufen, Wirtschaftsdienst 99 (2019), 411, 412. 43 Vgl. Kainer/Förster, ZfPW 2020, 275, 298. 44 S. Teubner, AcP 218 (2018), 155, 162. 45 S. Scheufen, Wirtschaftsdienst 99 (2019), 411, 412; so auch Thöne, S. 183. 39

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

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aus einer deutsch-französischen Perspektive. Dies ist z.B. der Fall bei der Tierhalterhaftung (1.). Auf Basis des Modells der Haftung für Verrichtungsgehilfen haben Gelehrte die Entwicklung einer Haftung für „digitale Verrichtungsgehilfen“ in Betracht gezogen (2.). Schließlich weist auch die Produkthaftung Grenzen in einem deutsch-französischen Kontext auf (3.). 1. Die ungleiche Beurteilung der analogen Anwendbarkeit der Tierhalterhaftung im französischen und deutschen Recht Eine diskutierte analoge Anwendung einer bestehenden Systematik ist die der Haftung des Tierhalters. Sowohl das französische Recht in Art. 1243 (Art. 1385 a.F.) Code civil46 als auch das deutsche Recht in § 833 BGB sehen eine solche Haftung vor. Das französische Recht legt dabei eine objektive, verschuldensunabhängige Haftung fest, die dem Modell der Haftung des Sachhalters entspricht.47 Ein Verschulden des Halters ist dementsprechend irrelevant und ein schädliches Tun des Tieres ausreichend.48 Die Entlastungsmöglichkeiten des Halters sind nach französischem Recht die drei klassischen Lösungen: die höhere Gewalt (force majeure), das Mitverschulden (faute de la victime) und die Handlung eines Dritten (fait d’un tiers).49 Die Autonomie eines selbstfahrenden Systems, die Möglichkeit es zu „erziehen“ und ihm Befehle zu geben, ähneln den Eigenschaften eines Tieres. Die Entwicklung der Technik führt dazu bzw. kann dazu führen, dass autonome Systeme ihren eigenen Willen äußern können. Dieser eigene Wille des Tieres war der entscheidende Aspekt, der zur Entstehung einer Tierhalterhaftung geführt hat.50 Der Halter hat keine vollständige Kontrolle über die Sache.51 Daher hat das französische Recht entschieden, dass der Einfluss eines Menschen auf das Verhalten des Tieres keine Rolle spielen sollte.52 Deshalb wurde eine analoge Anwendbarkeit dieser Haftung für autonome Systeme in Betracht gezogen. Eine Analogie zwischen beweglichen Sachen und Tieren erfolgte im Übrigen auch nach US-amerikanischem Recht.53 Das französische Recht eignet sich besonders gut für diese Analogie. Die objektive Haftung unterscheidet nicht je nach Benutzung des Tieres54 und gilt 46 Der Reformvorschlag von 2020 sieht keine gesonderte Vorschrift für den Tierhalter mehr vor, sondern lediglich eine entsprechende Anwendung der objektiven Halterhaftung für Sachen im künftigen Art. 1242 Abs. 5. 47 Vgl. Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 1058, Rn. 986. 48 Julien, Responsabilite´ du fait des animaux, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 32. 49 Julien, Responsabilite´ du fait des animaux, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 34. 50 Kannowski, in: HKK, § 831–839a BGB, Rn. 33. 51 Trotz der letzten Entwicklungen des Zivilrechts durch die Einführung des Art. 515-14 im Code civil und des § 90a im BGB unterliegen die Tiere weiterhin dem Sachenrecht. 52 Vgl. Koch, S. 30. 53 Superior Court, San Francisco County, California, 18.12.2002 – 2002 WL 31833731; dazu Walton, AI & Law 18 (2010), 217. 54 Julien, Responsabilite´ du fait des animaux, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 9 ff.

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

sogar auch, wenn das Tier der tatsächlichen Kontrolle des Halters entzogen ist.55 Für autonome Schiffe im engeren Sinne (Stufe 4 und teilweise 3) wäre eine analoge Anwendung relevant. Diese objektive Haftung würde die Autonomie erfassen, ohne zugleich dem Schiff eine Rechtspersönlichkeit zu geben. Die relevante französische Literatur hält die entsprechende Anwendung der Haftung des Tierhalters bei autonomen Robotern für „gut geeignet“56 und „sinnvoll“.57 Wenn diese Analogie im deutschen Recht zum Teil auch befürwortet wird,58 so wird sie aber auch regelmäßig abgelehnt.59 Diese Ablehnung beruht hauptsächlich auf dogmatischen und materiell-rechtlichen Argumenten. Die materiellrechtlichen Bedenken stützen sich auf den im Jahr 1908 eingeführten60 § 833 S. 2 BGB. Laut dem Wortlaut findet die Haftung keine Anwendung, wenn der Schaden von einem Tier verursacht wird, „das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist“. Diese Formulierung soll den Einsatz künstlicher Intelligenz im gewerblichen Verkehr – wie es für die autonome Schifffahrt der überwiegende Fall sein wird – ausschließen.61 Es ist zu betonen, dass die vermeintliche Hürde des deutschen Rechts keine unüberwindbare dogmatische ist. Das französische Recht sieht z.B. einen solchen Haftungsausschluss nicht vor. Die deutsche Literatur nennt jedoch überzeugendere Argumente moralischer Art. Der Mensch und Tiere haben eine höhere Würde, die eine künstliche Intelligenz nicht erreichen wird.62 Die Tierhalterhaftung würde zudem auf dem instinktiven Verhalten des Tieres beruhen, während hingegen den „autonomen digitalen Systemen gerade ihre Autonomie im Sinne einer Fähigkeit zum rationalen Entscheiden zwischen Verhaltensoptionen“63 zugesprochen wird. Darüber hinaus sollte das typische Risiko eines autonomen Systems seltener bei dem Halter verortet sein, sondern bei dem Hersteller, sodass eine vollständige Analogie nicht möglich ist. Die Tierhalterhaftung, auch wenn sie nicht unmittelbar analog angewendet werden könnte,64 stellt eine mögliche Inspirationsquelle für eine eigenständige Haftung dar.

55

S. z.B. Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 27.9.2001 – 00-10.208. Courtois, Dalloz IP/IT 2016, 287. 57 Mendoza-Caminade, Recueil Dalloz 2016, 445. 58 S. z.B. Brunotte, CR 33 (2017), 583, 586; Zech, in: Intelligente Agenten und das Recht, 163, 195 ff.; Sosnitza, CR 32 (2016), 764, 772; Zech, ZfPW 2019, 198, 215. 59 Z. B. Börding/Jülicher/Röttgen/Schönfeld, CR 33 (2017), 134, 140; Etzkorn, S. 238. 60 S. Kannowski, in: HKK, § 831–839a BGB, Rn. 40. 61 Vgl. Borges, NJW 2018, 977, 981; Wagner, VersR 2020, 717, 731. 62 S. Gruber, in: Robotik und Gesetzgebung, 139, 157; vgl. auch in der französischen Literatur Wada, Les Petites Affiches 2018, Heft Nr. 257–258, 7. 63 Wagner, VersR 2020, 717, 731. 64 Auch aufgrund derTatsache, dass § 833 BGB nicht analogiefähig sei, vgl. nur Etzkorn, S. 237. 56

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

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2. Die Möglichkeit einer Haftung für sog. „digitale Verrichtungsgehilfen“ Eine zweite Analogie bekommt deutlich mehr Zustimmung in der Literatur.65 Die autonomen Systeme könnten als „digitale Verrichtungsgehilfen“66 angesehen werden. So würde dann die Haftung des Geschäftsherrn Anwendung finden können. Wiederum sind die deutschen und französischen Standpunkte unterschiedlich. Das französische Recht sieht eine Haftung des Geschäftsherrn („commettant“) für seine Gehilfen („pre´pose´“) gemäß Art. 1242 Abs. 5 Code civil (Art. 1384 Abs. 5 a.F. Code civil) vor. Diese Haftung setzt ein Verschulden des Gehilfen,67 oder zumindest ein rechtswidriges Verhalten,68 voraus. Der Geschäftsherr kann sich lediglich durch den Beweis eines Falles der höheren Gewalt oder ein Mitverschulden des Geschädigten entlasten.69 Der Beweis der Abwesenheit eines Verschuldens des Gehilfen ist kein Entlastungsgrund im engeren Sinne, sondern die Ablehnung der Anwendung der Haftung.70 Ein solcher Beweis hat keine Auswirkung auf das Verhältnis Geschäftsherr-Geschädigter. Insoweit ist eine unmittelbare Analogie im französischen Recht aufgrund des schwierigen Beweises eines Verschuldens des Systems ohne Erfolg.71 Das deutsche Recht sieht die Analogie dieser Haftung gemäß § 831 BGB anders. Denn hier wird der Geschäftsherr für alle rechtswidrige Handeln seiner Gehilfen haften, ohne dass ein Verschulden des Gehilfen nachgewiesen werden müsste.72 In diesem Zusammenhang kann sich der Geschäftsherr entlasten, indem er alle gebotenen Sorgfaltspflichten in der Auswahl, Überwachung und Anleitung der Gehilfen eingehalten hat. Diese in der Literatur formulierten Überlegungen bezüglich dieser Entlastungsmöglichkeit beruhen interessanterweise auf ähnlichen Bemerkungen,73 die hier bezüglich der Benutzung der Seetüchtigkeit im Rahmen der höheren Gewalt gemacht wurden.74 Die analoge Anwendung des § 831 BGB erscheint also dem überwiegenden Teil der relevanten Literatur als wünschenswert,75 auch wenn sie gelegentlich mit der Aufforderung zum Verzicht der Entlastungsmöglichkeit des § 831 Abs. 1 S. 2 BGB verbunden ist.76 Etzkorn 65

Allerdings für eine Anwendung des § 831 Abs. 1 BGB ablehnend Etzkorn, S. 224. Begriff aus Teubner, AcP 218 (2018), 155, 190. 67 Vgl. Julien, Responsabilite´ du fait d’autrui, in: Re´pertoire de droit civil, 132. 68 Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 1129, Rn. 1064 ff. 69 Vgl. Julien, Responsabilite´ du fait d’autrui, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 142. 70 S. Julien, Responsabilite´ du fait d’autrui, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 142. 71 Vgl. auch Courtois, Dalloz IP/IT 2016, 287. 72 Vgl. BGH, Urt. v. 12.7.1996 – V ZR 280/94, NJW 1996, 3205, 3207; Denga, CR 34 (2018), 69, 75; Wagner, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 831, Rn. 34. 73 Zech, ZfPW 2019, 198, 211; s. auch allgemein zur Sorgfalt Wagner, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 831, Rn. 40 ff. 74 S. o. Kap. 2.B.II.1.b). 75 Z.B. Denga, CR 34 (2018), 69, 75 ff.; Riehm, ITRB 2014, 113, 114; Teubner, AcP 218 (2018), 155, 193; Zech, in: Intelligente Agenten und das Recht, 163, 190; a.A. Etzkorn, S. 224. 76 S. Wagner, VersR 2020, 717, 736. 66

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

lehnt allerdings diese Analogie ab und weist auf die Schwierigkeiten der Identifizierung der Gehilfen hin.77 Das deutsche78 Seehandelsrecht sieht in § 480 HGB eine noch stärkere Haftung des Reeders für die Mitglieder der Besatzung vor. Für den Reeder ist diese sogenannte adjektizische Haftung verschuldensunabhängig79 und hat keine mit § 831 Abs. 1 S. 2 BGB vergleichbare Entlastungsmöglichkeit.80 Sie schließt allerdings nicht die Haftung nach § 831 BGB aus.81 Die schuldhafte Beschädigung fremder Rechtsgüter durch ein Besatzungsmitglied genügt also, um die Haftung des Reeders – ohne eigenes Verschulden – zu begründen.82 Die Anwendung dieser Haftung auf autonome Schiffe wurde de lege lata abgelehnt, da das Schiff als solches nicht Teil der Schiffsbesatzung ist.83 Die Systematik der adjektizischen Haftung erscheint aber als relevante Inspirationsquelle für die Entwicklung des Haftungsrechts de lege ferenda, mit dem Schiff als möglicher digitaler Besatzung. Über die Problematik der Personifizierung durch diese Analogie eines autonomen Systems hinaus stellt die Haftung für (digitale) Verrichtungsgehilfen eine Inspirationsquelle für eine neue Haftung in der autonomen Schifffahrt dar. Hier ist die Haftung des Geschäftsherrn keine objektive Haftung, sondern basiert auf einem vermuteten Verschulden. Eine unmittelbare analoge Anwendung für die autonome Schifffahrt ist im Übrigen de lege lata nicht möglich. 3. Die unsichere Produkthaftung für den Schiffbau im deutschfranzösischen Kontext Ein wichtiges Instrument könnte eine Haftung auf Herstellerebene sein. So sollte der Halter bzw. Nutzer einer Sache nicht haften, sondern der Hersteller z.B. für eine fehlerhafte Programmierung. Die Produkthaftung wurde als Umsetzung der Richtlinie 85/374/EWG84 im nationalen Recht eingeführt. Sie ist in Frankreich in den Art. 1245 ff. Code civil und in Deutschland im Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) geregelt. Die juristische Literatur hat sich besonders für ihre Anwendung bei autonom fahrenden Autos interessiert.85 77

Etzkorn, S. 223–224, 233. Gemäß Art. L. 5412-1 Code des Transports haftet der Reeder in Frankreich nach den allgemeinen Bestimmungen des Art. 1242 Abs. 5 Code civil; hierzu s. Delebecque, S. 177. 79 Vgl. Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 480 HGB, Rn. 1; Waldstein, in: Waldstein/ Holland, 5. Aufl., § 3 BinSchG, Rn. 2. 80 Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 480 HGB, Rn. 12; Herber, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 480, Rn. 1. 81 Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 480 HGB, Rn. 12–13; Herber, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., § 480, Rn. 2. 82 BGH, Urt. v. 12.12.1957 – II ZR 88/57, BGHZ 26, 152 = NJW 1958, 220; Bahnsen, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., § 480 HGB, Rn. 12; s. Waldstein, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 3 BinSchG, Rn. 2. 83 S. insbesondere Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 286. 84 Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, 85/374/EWG. 85 S. z.B. Akyurek, Lexbase Hebdo e´dition prive´e 2019, Heft Nr. 783, N8900BXW; Be´vie`78

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

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Verschiedene Fragen der Effizienz bzw. der Auslegung der Produkthaftung für autonome Systeme wurden bereits ausführlich in der Literatur behandelt. Hier wird nur auf besondere Aspekte der Anwendung für die autonome Schifffahrt, in einer deutsch-französischen Perspektive, hingewiesen. a) Das besondere sachenrechtliche Regime eines Schiffes als irrelevant für die Anwendung der Produkthaftung Die Anwendung der Produkthaftung setzt zunächst ein Produkt im Sinne des Gesetzes voraus. Art. 1245-2 S. 1 Code civil definiert ein Produkt als „tout bien meuble, meˆme s’il est incorpore´ dans un immeuble, y compris les produits du sol, de l’e´levage, de la chasse et de la peˆche“. So besagt es auch § 2 ProdHaftG: „jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet“. Zwar unterliegen Schiffe einem besonderen sachenrechtlichen Regime,86 das an unbewegliche Sachen erinnert. Ein Schiff ist aber gemäß Art. 531 Hs. 1 Code civil ausdrücklich eine bewegliche Sache.87 Das deutsche Produkthaftungsrecht findet ebenfalls Anwendung, ungeachtet der Anwendung sachenrechtlicher Normen.88 Somit ist auch eine Software als Produkt bzw. Teil eines Produkts i.S.d. Art. 1245-7 Code civil und § 4 Abs. 1 S. 1 Var. 3 ProdHaftG unproblematisch.89 b) Die unterschiedlichen Anwendungsbereiche der Produkthaftung für eine gewerbliche Sache Durch eine unterschiedliche Umsetzung der Produkthaftungsrichtlinie im französischen und deutschen Recht kann es zu einer Diskrepanz in der Anwendbarkeit dieser Haftung für die autonome Schifffahrt kommen. Art. 1245-1 Abs. 1 Code civil macht keinen Unterschied bezüglich der Nutzungszwecke des Produkts. Es ist also unerheblich, ob der Nutzer – der Ge-

re-Boyer, Dalloz IP/IT 2020, 159; Borges, NJW 2018, 977, S. 980 ff.; Dume´ry, Revue Lamy de droit civil 2019, Heft Nr. 174, 45; Kreutz, in: Oppermann/Stender-Vorwachs (Hrsg.), Autonomes Fahren – Rechtsfolgen, Rechtsprobleme, technische Grundlagen, 177; Feldle, S. 195 ff.; Fleck/Thomas, NJOZ 2015, 1393, 1396; Greger, NZV 2018, 1, S. 4 ff.; Hans, GWR 2016, 393, 395; Hey, 90 ff.; Hinze, S. 94 ff.; Idrac, Dalloz IP/IT 2018, 572; Josseaume, Gazette du Palais 2015, Heft Nr. 274, 5; Koch, VersR 2018, 901; Lutz, NJW 2015, 119; Schmid/Wessels, NZV 2017, 357; Schrader, NJW 2015, 3537; Schrader, DAR 2016, 242; Wagner, AcP 217 (2017), 707; Zech, ZfPW 2019, 198. 86 S. z.B. im französischen Recht die Möglichkeit einer Hypothek eines Schiffes, Art. 2398, 2399 Code civil i.V.m. Art. 241 Code des douanes und im deutschen Recht insbesondere die Übereignung von Schiffen nach § 929a BGB. 87 Der Wortlaut schließt sowohl Schiffe („navires“) als auch Binnenschiffe („bateaux“) ein. 88 Vgl. Lutter, RdTW 2017, 281, 282; Wagner, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 2 ProdHaftG, Rn. 9. 89 Vgl. z.B. Wagner, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 2 ProdHaftG, Rn. 21.

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

schädigte – Verbraucher oder Unternehmer ist.90 Das deutsche Recht dagegen begrenzt die Anwendbarkeit der Produkthaftung für Sachschäden in § 1 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG: „Im Falle der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist.“

Diese Begrenzung würde bei Sachschäden infolge einer Schiffskollision Anwendung finden. Bezogen auf die Seehandelsschifffahrt stellt das deutsche Recht eine erhebliche Begrenzung der Anwendbarkeit der Produkthaftung: „Schäden, die ein autonomes Schiff, z. B. durch Kollision, an diesen Sachen verursacht, fallen deshalb nicht unter das ProdHaftG.“91 Es verbleiben also lediglich unter dem Produkthaftungsgesetz „Sachschäden an privaten Yachten, Sportbooten oder an privatem Umzugsgut.“92 Eine Anwendung der Produkthaftung wird nur dann in Frage kommen, wenn erstens das schädigende Schiff ein autonomes Schiff ist und zweitens das geschädigte Schiff zu einem privaten Zweck benutzt wird. In der heutigen Verbreitung der Technologie von autonomen Schiffen, die derzeit fast ausschließlich in der Handelsschifffahrt bzw. zu gewerblichen Zwecken geplant sind, sind zusammenfassend drei Kollisionstypen ausgeschlossen: Erstens alle Beteiligten sind autonome Schiffe. Zweitens der Geschädigte ist ein autonomes Schiff. Drittens der Schädiger ist ein autonomes Schiff und der Geschädigte ein Handelsschiff. Dieser Kontrast zwischen der französischen und der deutschen Rechtsordnung lässt sich durch den Spielraum erklären, der den Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Richtlinie gegeben wurde. Der französische Gesetzgeber wollte die Produkthaftung in „Einklang mit der Grundlage der Herstellerverantwortung“93 bringen. Wichtig ist dort das Inverkehrbringen eines defekten Produkts, ungeachtet der tatsächlichen Benutzung. Diese Erweiterung im französischen Recht im Vergleich zur Richtlinie wurde vom EuGH als europarechtskonform beurteilt.94 Beim heutigen Stand des Marktes autonomer Schiffe wären Harmonisierungsversuche wünschenswert, um ein einheitliches Regime der Produkthaftung für autonome Schiffe zu gewährleisten, und dies unabhängig von dem anwendbaren Recht durch Regelungen des internationalen Privatrechts.

90 Caille´, Responsabilite´ des produits de´fectueux, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 37; Witz/Wolter, RIW 1998, 832, 834. 91 Lutter, RdTW 2017, 281, 284; s. auch Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 288. 92 Lutter, RdTW 2017, 281, 285 ; so auch Etzkorn, S. 188. 93 Caille´, Responsabilite´ des produits de´fectueux, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 37. 94 EuGH, Urt. v. 4.6.2009 – C-285/08, EuZW 2009, 501.

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c) Die schwierige Recherche eines Verschuldens für die deliktische Produkthaftung Der Geschädigte behält, neben dem Anspruch aus dem ProdHaftG oder den Art. 1245 ff. Code civil, einen Anspruch über die klassische Produzentenhaftung des Art. 1242 Abs. 1 Code civil oder des § 823 Abs. 1 BGB.95 Die Konkurrenz der Ansprüche ist allerdings begrenzt. Der Geschädigte muss ein vom Defekt unabhängiges Verschulden nachweisen.96 Nur so kann diese Konkurrenz europarechtskonform wirken.97 Wie bereits dargestellt, ist diese Feststellung eines Verschuldens aber besonders schwierig im Kontext des Einsatzes von künstlicher Intelligenz. Deshalb ist die Literatur der Meinung, insbesondere in Frankreich, dass die spezielle Produkthaftung der Art. 1245 ff. Code civil für autonome Systeme und künstliche Intelligenz besonders geeignet ist.98 Die Konkurrenz der Ansprüche ist im Rahmen der autonomen Schifffahrt für das deutsche Recht besonders relevant.99 Durch die deliktische Produzentenhaftung fallen die gewerblich eingesetzten geschädigten Schiffe wieder in den Anwendungsbereich. Zudem erfolgt bei der deliktischen Produzentenhaftung eine Beweislastumkehr für Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler zugunsten des Herstellers.100 Der Geschädigte soll lediglich die Schäden und den Kausalzusammenhang nachweisen, während der Hersteller sich mit dem Nachweis seiner pflichtgemäß erfüllten Sorgfalt entlasten kann.101 Jedoch haftet der Hersteller nicht für Produktteile und die Haftung des Reeders für technische Defekte ist schwieriger nachzuweisen.102 Somit kann sich der Hersteller trotz Beweislastumkehr von seiner Haftung gelegentlich relativ einfach entlasten. Der schwierige Verschuldensbeweis sowie die Zurückweisung von reinen Vermögensschäden103 führen also zu einem hohen Risiko des Scheiterns der Ansprüche.104 Zumindest stellt die deliktische Produzentenhaftung des deutschen Rechts keine einwandfreie Alternative zu der Produkthaftung aus dem ProdHaftG dar.

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Für das französische Recht gemäß Art. 1245-17 Abs. 1 Code civil; vgl. dazu CalaisAuloy, in: Me´langes Viney, 201, 207; für das deutsche Recht gemäß § 15 Abs. 2 ProdHaftG. 96 Cour de cassation, chambre commerciale, 26.5.2010 – 08-18.545. 97 EuGH, Urt. v. 25.4.2002 – C-52/00, Recueil Dalloz 2002, 1670; zur Entwicklung des französischen Rechts diesbezüglich s. Caille´, Responsabilite´ des produits de´fectueux, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 101 ff. 98 S. z.B. Courtois, Dalloz IP/IT 2016, 287; G’sell, Dalloz IP/IT 2020, 153. 99 Ausführlich hierzu, s. Etzkorn, S. 141–183. 100 S. Lutter, RdTW 2017, 281, 285. 101 Vgl. Lutter, RdTW 2017, 281, 286; Riehm, Recueil Dalloz 2007, 2749: der Autor erhebt allerdings Bedenken bezüglich der Konformität dieses Systems mit dem europäischen Recht. 102 Vgl. Lutter, RdTW 2017, 281, 286. 103 Vgl. Wilhelmi, in: Erman-BGB, 16. Aufl., § 823, Rn. 36. 104 So auch Lutter, RdTW 2017, 281, 286.

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

III. Die Debatte über die Einführung einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt Die mögliche Einführung einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt und somit der Verzicht auf den Verschuldensgrundsatz löst eine intensive Debatte aus. Sowohl juristische dogmatische Argumente (1.) als auch juristisch-wirtschaftliche Argumente werden angeführt (2.). Darüber hinaus soll die Einführung eines solchen Haftungsgrundsatzes die grenzüberschreitende Dimension der Schifffahrt berücksichtigen (3.). 1. Die rechtspolitische Realisierbarkeit einer verschuldensunabhängigen Haftung für die autonome Schifffahrt a) Ein bereits bekannter Haftungsgrundsatz in der Seeschifffahrt Die Haftung aus Schiffskollision ist traditionell eine Verschuldenshaftung. So ist auch die allgemeine deliktische Haftung aus Art. 1240 Code civil und den §§ 823 ff. BGB konstruiert. Das moderne See- und Binnenschifffahrtsrecht sieht aber in besonderen Fällen verschuldensunabhängige Haftungen vor. Dies trifft neben einigen vertragsrechtlichen Bestimmungen105 auch spezielle deliktische Haftungen. Gefährdungshaftungen wurden insbesondere für gefährliche Ladungen und ihre ökologisch schädlichen Folgen eingeführt. Dies war die Folge mehrerer Naturkatastrophen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie z.B. der Havarie der Erika im Jahr 1999.106 Der Schiffseigentümer haftet verschuldensunabhängig für Ölverschmutzungsschäden gemäß Art. 3 Abs. 1 des internationalen Übereinkommen von 1992 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden (OlHÜ)107 und für Bunkerölverschmutzungen gemäß Art. 3 Abs. 1 des internationalen Übereinkommen von 2001 über die zivilrechtliche Haftung für Bunkerölverschmutzungsschäden.108 Das französische und das deutsche Recht haben demzufolge ebenfalls nationale Regelungen getroffen, die auch das Modell einer Gefährdungshaftung in Art. L. 5122-25 ff. Code des Transports und § 2 Abs. 1 ÖlSG übernehmen. Die deutsche objektive Haftung zur Änderung der Wasserbeschaffenheit gemäß § 89 WHG ist zudem auf die Binnenschifffahrt anwendbar.109 105

S. beispielsweise Art. 8 CMNI, § 491 Abs. 5 HGB (Durchführung von Anweisungen ohne Vorliegen des Seefrachtbriefs), § 500 HGB (unerlaubte Verladung auf Deck). 106 S. Cour de cassation, chambre criminelle, 25.9.2012 – 10-82938; zu der Entstehung der diversen internationalen Übereinkommen s. Herber, RabelZ 34 (1970), 223. 107 BGBl. 1994 II, 1150. 108 Internationales Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Bunkerölverschmutzung vom 23. März 2001, BGBl. 2006 II, 579. 109 Vgl. BGH, Urt. v. 29.11.1979 – III ZR 101/77, NJW 1980, 943; RhSchOG Köln, Urt. v. 23.6.1967 – 3 U 5/67, VersR 1967, 872, 874; Herber, VersR 1982, 405, 407; Rau, in: Geigel Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 24, Rn. 19.

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

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Eine objektive Haftung gilt auch für den Wrackeigentümer. Er muss gemäß Art. 10 Abs. 1 des Nairobi-Übereinkommens110 alle Kosten, „die für die Lokalisierung, Markierung und Beseitigung des Wracks […] anfallen“, bezahlen.111 Diese Haftung für die Kosten „entsteht ohne Rücksicht auf ein Verschulden“112 und „das Übereinkommen schafft somit eine verschuldensunabhängige Haftung des Schiffseigentümers, um der von diesem Schiff oder seiner Ladung ausgehenden Gefahr ein Ende zu setzen“.113

Im französischen Recht findet allerdings die objektive Sachhalterhaftung des Art. 1242 Abs. 1 Anwendung,114 d.h. ohne Rücksicht auf die Gefährlichkeit des Wracks. Die hohe Zahl von Unfällen mit Beteiligung von Sportbooten hatte in den 1970er Jahren115 die Debatte über die Einführung einer Gefährdungshaftung für solche schnellen Schiffe provoziert. Das Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts Unidroit hatte demzufolge in den Jahren 1977–1980 einen Entwurf für eine Gefährdungshaftung durch Sportboote entwickelt. Das Projekt wurde verabschiedet „trotz massiver Gegenwehr u.a. des deutschen Vertreters“.116 Es blieb aber ohne Folge im nationalen Recht. Es herrscht also in Deutschland keine Gefährdungshaftung für solche Schiffe, auch nicht in der Binnenschifffahrt,117 auch wenn dies zu „bedauern“118 sein mag. Das französische Recht wendet, insbesondere bei Verletzungen an Schwimmern, die objektive Sachhalterhaftung des Art. 1242 Abs. 1 Code civil an. b) Über die Gefahr hinaus: die Haftung gemäß Art. 1242 Code civil als mögliche Inspirationsquelle? Eine objektive, verschuldensunabhängige Haftung ist nicht immer Synonym einer Gefährdungshaftung. Das französische Recht ist dafür ein gutes Beispiel.

110 Internationales Übereinkommen von Nairobi vom 18. Mai 2007 über die Beseitigung von Wracks, BGBl. 2013 II, 530. 111 Für eine umfangreiche Analyse des Übereinkommens und seiner Umsetzung im deutschen Recht, s. Ramming, RdTW 2014, 129. 112 Ramming, RdTW 2014, 129, 141. 113 Delebecque, S. 118. 114 Delebecque, S. 117. 115 Vgl. Klein, VersR 1978, 197. 116 Paul, VersR 1982, 1133. 117 Vgl. RhSchOG Karlsruhe, Urt. v. 19.4.2002 – 1 U 1/02 RhSch, NZV 2003, 185; Kürschner, NZV 2007, 20, 23; s. auch im österreichischen Recht OGH Wien, Beschl. v. 22.4.2010 – 2 Ob 33/10g, BeckRS 2010, 25862. 118 RhSchOG Karlsruhe, Urt. v. 19.4.2002 – 1 U 1/02 RhSch, NZV 2003, 185.

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

aa) Die Problematik der Identifikation einer spezifischen Gefahr Eine Gefährdungshaftung setzt auf folgende Systematik: Wer – rechtmäßig – eine Gefahr in den Verkehr bringt, muss dafür einstehen. „Grundgedanke einer jeden Gefährdungshaftung ist es, daß eine Person, die eine Gefahrenquelle betreibt und beherrscht und den Nutzen aus ihrem Betrieb zieht, alle typischen Schäden ersetzen soll, die Dritten aus diesem Betrieb entstehen.“119

Die Gefährdungshaftung ist dementsprechend verschuldensunabhängig. Sie soll dem Schutz des Geschädigten dienen, indem er den manchmal schwierigen Beweis eines Verschuldens überwinden kann.120 Eine Gefährdungshaftung setzt aber das Vorliegen einer besonderen Gefahr voraus, etwa aufgrund der Wahrscheinlichkeit von Unfällen, der Schutzbedürftigkeit des Opferkreises oder des besonderen Vorteils des Betreibers.121 Die Schäden wurden aufgrund der besonderen Gefährlichkeit der Sache verursacht, ohne dass der Sachhalter durch einen hohen Maßstab an Sorgfalt dies hätte vermeiden können.122 Laut der deutschen Literatur wäre die Einführung einer verschuldensunabhängigen Haftung für autonome Systeme oft in der Form einer Gefährdungshaftung möglich.123 Dafür sollte aber de lege ferenda eine spezifische Gefahr identifiziert werden. Diese Gefahr wäre im Fall autonomer Systeme ein „Autonomierisiko“.124 Das System wäre, aufgrund seiner Entscheidungsautonomie, unvorhersehbar.125 Teubner warnt aber vor einer Gefährdungshaftung, wie sie heute konzipiert wird. Denn „Zurechnungsgrund ist nicht der Einsatz eines Objekts erhöhter Gefahr, sondern das rechtswidrige Verhalten des Algorithmus, den der Prinzipal rechtmäßig zu eigenen Nutzen eingesetzt hat.“126

Der Einsatz autonomer Systeme, auch selbstlernenden Fähigkeiten, ist nicht an sich gefährlich. Eine Gefährdungshaftung lässt sich dann rechtfertigen, wenn der Einsatz der Sache mit großer Wahrscheinlichkeit hohen Schaden verursachen kann.127 Dementsprechend sollte lediglich ein rechtswidriger Einsatz autonomer Systeme eine Haftung begründen.128 Die Verbindung zwischen Sachhalterhaf-

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Cosack, VersR 1992, 1439. Vgl. auch Cosack, VersR 1992, 1439. 121 Vgl. Bar, Bd. 2, S. 344; Frommhold, S. 135. 122 Vgl. Oertel, S. 28. 123 Gruber, in: Robotik und Gesetzgebung, 139, 140; Ramming, RdTW 2017, 286, 291; Teubner, AcP 218 (2018), 155, 191; Wagner, VersR 2020, 717, 734; Zech, JZ 68 (2013), 21; Zech, in: Intelligente Agenten und das Recht, 163, 191; Zech, ZfPW 2019, 198, 214. 124 Vgl. Castets-Renard, Recueil Dalloz 2020, 225; Teubner, AcP 218 (2018), 155, 163 ff.; Zech, in: Intelligente Agenten und das Recht, 163, 191; so auch Etzkorn, S. 356. 125 Zech, in: Intelligente Agenten und das Recht, 163, 191. 126 Teubner, AcP 218 (2018), 155, 192. 127 Vgl. Zech, JZ 68 (2013), 21, 25; vgl. auch Art. 5:101(3) PETL. 128 Teubner, AcP 218 (2018), 155, 193. 120

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

135

tung und Gefährdungshaftung erscheint laut Koch typisch für die deutsche Auslegung. Dort werde „menschliches Fehlverhalten haftpflichtrechtlich umgedeutet in die Verwirklichung von Sachgefahren“,129 wo eigentlich nur Unglück im Betriebsablauf stattgefunden hat.130 Deshalb ist die Erfassung der autonomen Schiffe durch eine reine Sachgefahr begrenzt. Diese Überlegungen der deutschen Literatur zeigen die quasi-systematische Assoziierung der objektiven Haftung mit der Gefährdungshaftung. Auch einige Vorschläge von Generalklauseln beruhen auf einer Gefährlichkeit der eingesetzten Sache.131 Dies ist auch der Ausgangspunkt der Gefährdungshaftung gemäß Art. 5:101(1) der Principles of European Tort Law (PETL): „Wer eine außergewöhnlich gefährliche Aktivität setzt, haftet ohne Verschulden für jene Schäden, die von der Aktivität verursacht werden und für das von ihr ausgehende Risiko charakteristisch sind.“ bb) Die Unabhängigkeit von der Gefahr der französischen objektiven Sachhalterhaftung Die französische verschuldensunabhängige Sachhalterhaftung gemäß Art. 1242 Abs. 1 Code civil geht nicht von der Gefährlichkeit der Sache aus.132 Die objektive Haftung benötigt ebenfalls keinen „vice inhe´rent a` la chose“ (innerlichen Sachmangel), um Anwendung zu finden.133 Die Generalklausel für die Sachhalterhaftung ist dabei eine Besonderheit in Europa und stellt somit „eine strikte Haftung sui generis“134 dar. Sie könnte auch eine Inspirationsquelle der künftigen Haftung für autonome Systeme darstellen. Hier würde die Problematik der Identifizierung der Gefahr sowie ihrer angeblichen Realisierung entfallen. Allein die Qualifikation als Sachhalter und die Mitwirkung der Sache zum Schaden sind ausreichend. Darüber hinaus ist diese Haftung nach französischem Recht von einer eventuellen eigenen Bewegungskraft unabhängig.135 Die Haftung entspricht einer „intellektuellen Macht“136 über die Sache. 129

Koch, S. 96. Vgl. Esser, S. 31. 131 S. etwa Zech, JZ 68 (2013), 21, 27; für eine Darstellung dieses Systems de lege lata in Europa s. Oertel, in: L’harmonisation internationale du droit, 279, 288; auch Cosack, VersR 1992, 1439. 132 Cour de cassation, chambres re´unies, 13.2.1930, Recueil pe´riodique et critique mensuel Dalloz 1930, 1957; Bar, Bd. 2, S. 345; Grynbaum, Responsabilite´ du fait des choses inanime´es, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 134; Koch, S. 24; Oertel, in: L’harmonisation internationale du droit, 279, 287; Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 1061. 133 Vgl. insbesondere Cour de cassation, chambres re´unies, 13.2.1930, Recueil pe´riodique et critique mensuel Dalloz 1930, 1957. 134 Wagner, in: Grundstrukturen des europäischen Deliktsrechts, 189, 288. 135 Vgl. Grynbaum, Responsabilite´ du fait des choses inanime´es, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 133. 136 Lambert-Faivre, Revue trimestrielle de droit civil 1998, 1. 130

136

Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

Koch äußerte sich bereits 1992 für eine verschuldensunabhängige Sachhalterhaftung beruhend auf dem Modell des französischen Rechts.137 Eine solche rechtspolitische Änderung hätte den Vorteil, dass eine gesonderte Gefahr und ihre Realisierung nicht zu suchen wären. Auch wenn seine Analyse nicht die Unabhängigkeit einer Eigendynamik der Sache berücksichtigte,138 spielt es bei autonomen Schiffen keine relevante Rolle, da die Eigendynamik ohne unmittelbares Tun eines Menschen ein Merkmal solcher Schiffe ist. Wagner erkannte ebenfalls die besondere Eignung des französischen Rechts und dieser Generalklausel in diesem Zusammenhang: „Das französische Recht kann deshalb auf neue technische Entwicklungen und rechtspolitische Herausforderungen sehr viel flexibler reagieren als das deutsche und das englische Recht.“139

cc) Die Eignung des Konzepts des „Strukturhalters“ (gardien de la structure) Ein klassischer Unterschied des französischen Sachhalterhaftungsrechts könnte sogar benutzt werden, um die Autonomie der Sache erfassen zu können. Das französische Haftungsrecht unterscheidet zwischen dem „Strukturhalter“ (gardien de la structure) und dem „Verhaltenshalter“ (gardien du comportement). Während der eine für die Sache als solche (der Eigentümer der Sache) haftet, haftet der andere nur für das Verhalten der Sache (der tatsächliche Halter der Sache, z.B. der Mieter).140 Das französische Recht entwickelte diesen Unterschied insbesondere für Sachen, „bei denen der Halter nicht in der Lage ist, den Schaden, den sie verursachen können, zu kontrollieren“.141 Es wurde sogar für eine Sache, die „eine Dynamik [hat], die eventuell gefährlich sein kann“142 benutzt. Der Unterschied wurde auch für nicht intrinsische gefährliche Sachen verwendet.143 Die Abgrenzung der zwei Arten von Haftung hat den Vorteil, „dass bei Sachen, deren Kontrolle wegen ihrer technischen Kompliziertheit dem Eigentümer nicht möglich ist, auch der Fabrikant in diese Haftung miteinbezogen wird“.144

137

Zusammenfassend Koch, S. 184. S. Koch, S. 134 ff. 139 Wagner, in: Grundstrukturen des europäischen Deliktsrechts, 189, 286. 140 Ausführlich dazu s. Aubry/Rau/Esmein/Ponsard/Dejean de la Baˆtie, Bd. 6, S. 702 ff.; Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 2, S. 225 ff. 141 Grynbaum, Responsabilite´ du fait des choses inanime´es, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 206. 142 Grynbaum, Responsabilite´ du fait des choses inanime´es, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 206; s. auch Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 5.6.1971 – 70-10.668, Bulletin civil II, 204; Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 24.5.1984 – 83-10.342, Bulletin civil II, 95. 143 Z.B. Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 14.1.1999 – 97-11.527: Einkaufswagen. 144 Gotthardt, in: Deliktsrecht in Europa, 45. 138

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

137

Die Verwendung der Abgrenzung eignet sich dementsprechend sehr gut für autonome Systeme. Im Falle des Einsatzes künstlicher Intelligenz wäre der Verhaltenshalter der Programmierer bzw. der Hersteller, die z. B. Updates und Ähnliches zu Verfügung stellen. So könnten z.B. die eventuellen Anwendungsschwierigkeiten der Produkthaftung umgangen werden.145 Deshalb sollte de lege ferenda, um Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen, der Strukturhalter haften.146 In diesem Fall wäre die Haftung bei dem Strukturhalter (z.B. dem Reeder) konzentriert.147 Dies würde allerdings keineswegs einen Regressanspruch ausschließen. Das französische Modell würde also die grundsätzliche Abwesenheit einer intrisischen Gefährlichkeit der autonomen Schiffe überwinden. Es würde zudem die Problematik der schwierigen Suche eines Verschuldens umgehen. Wagner sprach sich allerdings gegen eine „super-strikte Haftung“148 französischer Art aus. Teubner zeigt indes die Grenzen eines Autonomierisikos, das einer Gefahr im Sinne einer Gefährdungshaftung entsprechen würde.149 Die rechtsdogmatische Erkenntnis des französischen Rechts ist hier, dass eine verschuldensunabhängige Haftung nicht unbedingt auf einer technischen Gefährlichkeit beruhen muss. Sie kann auch auf einer rechtlichen Gefährlichkeit, d.h. der haftungsrechtlichen Unsicherheit nach eingetretenen Schäden einer bestimmten Sache, beruhen. 2. Die Debatte um die juristisch-wirtschaftlichen Folgen einer objektiven Haftung Die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gefährdungshaftung wurden bereits ausführlich untersucht.150 Im Folgenden werden die relevanten Argumente aufgeführt und insbesondere ihre Zusammenhänge mit der Entwicklung der autonomen Schifffahrt dargestellt. a) Die objektive Haftung als angebliches Hindernis für den Fortschritt Eine verschuldensunabhängige Haftung soll ein Mittel der präventiven Schadensund Sicherheitssteuerung darstellen.151 Zugleich sind in der Literatur viele Bedenken gegen die Einführung einer objektiven Haftung zu finden. Sie sei ein Hindernis für die technische und wirtschaftliche Entwicklung.152 145

S. dazu oben Kap. 3.A.II.3. G’sell, Dalloz IP/IT 2020, 153. 147 Zu diesem Effekt der Abgrenzung s. Grynbaum, Responsabilite´ du fait des choses inanime´es, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 203. 148 Wagner, VersR 2020, 717, 734. 149 Teubner, AcP 218 (2018), 155, 191 ff. 150 S. z.B. in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung; Endres, Ökonomische Grundlagen des Haftungsrechts. 151 Zech, JZ 68 (2013), 21, 23. 152 Ausführlicher zu den Konsequenzen der Haftungsgestaltung für ökomische Prozesse s. Adams, S. 36 ff.; Blaschczok, S. 141 ff.; Cosack, VersR 1992, 1439. 146

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

Solche Argumente sind bereits in der 1930er Jahren in Frankreich zu finden, als die Frage einer verschärften Haftung für die Unfälle im Straßenverkehr gestellt wurde. Eine objektive Haftung sei „katastrophal für die Versicherer“.153 Einige Juristen und Anwälte hatten sich vehement für die Einhaltung des bestehenden Haftungsregimes eingesetzt.154 Diese Debatte fand bereits im Jahr 1906 auch in Deutschland im Reichstag statt. Dort warnte der Reichstagsabgeordnete Karl Mommsen (1861–1922) vor den schlechten Auswirkungen für die Automobilindustrie bei einer strengeren Haftung und dem „wirtschaftliche[n] Ruin“155 der Autobesitzer. Diese Argumente werden immer noch bezüglich einer objektiven Haftung für die künstliche Intelligenz benutzt. Lutz geht davon aus, dass eine Gefährdungshaftung einen hohen Verkaufspreis der Fahrzeuge verursachen würde und die Auswirkungen für die Industrie unvorteilhaft wären.156 G’sell betont ebenfalls, dass die Kosten einer Versicherung eines autonomen Systems im Falle eines verschärften Haftungsregimes erheblich und „prohibitiv“157 werden. Solche Analysen beruhen auf einer ökomischen Analyse des Rechts, nach welcher das Recht ein effizient wirtschaftliches Ziel verfolgen müsste.158 Für Bessermann reichen die heutigen Regelungen der Haftung völlig aus und die Verabschiedung neuer Gesetze würde nur das gesamte Haftungssystem unverständlicher machen. Eine ethische Vorgehensweise wäre ihm zufolge zu bevorzugen.159 Ein anderes zentrales Argument ist das Verschwinden des präventiven Effekts der objektiven Haftung. Der Hersteller hätte z.B. keinen Anreiz besonders sichere Verkehrsmittel zu bauen.160 Der Schädiger würde nicht mehr dafür belohnt, dass er sich Mühe gegeben hätte, Unfälle zu vermeiden.161

153

Socie´te´ d’e´tudes le´gislatives, Commission charge´e d’apporter des modifications a` l’art. 1384 C.civ, relatif a` la responsabilite´ du fait des choses, Bulletin de la socie´te´ d’e´tudes le´gislatives 1932, 84, 89. 154 S. z.B. Socie´te´ d’e´tudes le´gislatives, Commission charge´e d’apporter des modifications a` l’art. 1384 C.civ, relatif a` la responsabilite´ du fait des choses, Bulletin de la socie´te´ d’e´tudes le´gislatives 1932, 84, 85. 155 Stenographische Berichte der 89. Sitzung des Reichstags, Sonnabend den 28. April 1906, 11. Legislaturperiode, S. 2744. 156 S. Lutz, NJW 2015, 119, 121; s. auch Zech, in: Intelligente Agenten und das Recht, 163, 200. 157 G’sell, Dalloz IP/IT 2020, 153; vgl. auch in Deutschland Waldstein/Holland, in: Waldstein/Holland, 5. Aufl., § 92a BinSchG, Rn. 19. 158 Vgl. Oertel, S. 34. 159 S. Bessermann, Dalloz IP/IT 2020, 170. 160 Vgl. Hey, S. 211; Seitz, S. 100. 161 Vgl. Oertel, S. 40; Seitz, S. 100.

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

139

b) Die objektive Haftung als Anreiz für die technische und wirtschaftliche Entwicklung Die Einführung einer objektiven Haftung bzw. die Verschärfung des Haftungsregimes führt aber nicht unbedingt zu einer Senkung des vorhandenen Sicherheitsniveaus oder zu einer Verlangsamung des technischen Fortschritts. Zunächst dient eine schärfere Haftung einer gesellschaftlichen Akzeptanz dieser neuen Verkehrsmittel.162 Die gesellschaftliche Akzeptanz ist ein sehr wichtiger Aspekt, der den technischen Fortschritt beschleunigen kann.163 Dieser Aspekt, der insbesondere für den autonomen Straßenverkehr benutzt wurde, gilt auch für die autonome Schifffahrt. Der Eigentümer eines (autonomen) Schiffes ist regelmäßig nicht der unmittelbare Benutzer des Schiffes. Zum Beispiel ist der Zeitchartervertrag (L. 5423-10 ff. Code des Transports; § 557 HGB) ein besonderer seerechtlicher Vertrag, der einer Überlassung des Schiffes an einen Verfrachter dient. Die Sorge der Handelsleute um ihr Schiff und ihre Ladung und die Unmöglichkeit einer unmittelbaren Kontrolle haben die Verschärfung bzw. das Behalten der strengen römischen Haftung ex recepto begründet.164 Durch eine eventuelle objektive Haftung des Reeders bei Nutzung eines autonomen Schiffes könnte die gesellschaftliche Akzeptanz bei den maritimen Akteuren steigen – und vielleicht sogar schnell, wenn sich die Versprechen von hoher Sicherheit solcher Schiffe tatsächlich konkretisieren. Die objektive Haftung hat sich bisher in der Rechtsgeschichte nicht wirklich als ein Hindernis des technischen Fortschritts gezeigt,165 sondern vielmehr dem „zivilisatorische[n] Fortschritt“166 gedient. Oertel hat in seiner Dissertation eine sehr genaue und überzeugende Untersuchung der wirtschaftlichen Konsequenzen einer objektiven Haftung im Vergleich zu einer Verschuldenshaftung durchgeführt. Er zeigt, dass der künftige Schädiger auch bei einer objektiven Haftung einen Anreiz zur Unfallverhütung hat. Er wird so lange Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit seines Produkts ergreifen, bis ihre Kosten die erwarteten Ersparnisse übersteigen: „Übersteigen die Präventionskosten die Vorteile durch verhinderte Unfälle, so ist es für den Anspruchsgegner günstiger, diese Vorsichtsmaßnahmen nicht zu treffen und stattdessen dem Geschädigten Schadenersatz zu bezahlen.“167

Oertel betrachtet sehr überzeugend das Verhalten des Geschädigten. Er müsste auch bei einer objektiven Haftung einen Anreiz haben, sich vorsichtig zu ver-

162

Vgl. Bensamoun/Loiseau, Dalloz IP/IT 2017, 239; s. auch Bar, Bd. 2, S. 345. Vgl. Europäisches Parlament, Bericht über autonomes Fahren im europäischen Verkehrswesen, A8-0425/2018, S. 16. 164 Vgl. Exner, S. 37. 165 Vgl. Hey, S. 225. 166 Meder, JZ 49 (1994), 485, 490. 167 Oertel, S. 40; s. auch Hey, S. 224; Seitz, S. 100; Wagner, in: Grundstrukturen des europäischen Deliktsrechts, 189, 289. 163

140

Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

halten. Daher sollte ein Mitverschulden bei der objektiven Haftung eingeführt werden.168 Zudem besteht kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen der Wahl einer objektiven Haftung und der Behinderung des wirtschaftlichen Wachstums:169 Eine objektive Haftung kann auch die wirtschaftliche Aktivität des Geschädigten beeinflussen und schützen.170 Dieses Argument würde besonders Anwendung bei der autonomen Schifffahrt finden. Denn es handelt sich nicht nur um die wirtschaftliche Tätigkeit des Eigentümers des Schiffes, sondern auch des Vertragspartners, dem die Ladung gehört, sowie der anderen Reeder, die gewöhnliche Schiffe betreiben. Das Gleiche gilt auch für die angebliche Erhöhung der Versicherungsprämien. Oertel zeigt, dass sie nicht unbedingt erhöht werden – zumindest nicht in einem erheblichen Umfang.171 Die Versicherung vereinbart häufig Höchstbeträge und Selbstbeteiligungssummen sowie bedingt den Versicherungsschutz durch besondere Sicherheitsinspektionen.172 Eine automatische und erhebliche Erhöhung der Beträge – auch für Kaskoversicherungen173 – ist nicht gegeben. Denn „die Versicherungswirtschaft ist es gewohnt, mit neuen Technologien umzugehen. Der Umstand, dass es noch keinerlei Schadenserfahrung gibt, ist für Versicherer per se kein Grund, Risiken als unversicherbar anzusehen.“174

3. Die Bedeutung einer transnationalen Regelung bei einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt Ramming stellt die Haftungslücke der IÜZ hinsichtlich autonomer Schiffe fest und ist der Meinung, dass in einer nationalen Lösung „ohne Verstoß gegen das ZusÜSee [IÜZ] eine Gefährdungshaftung eingeführt werden“175 könnte. In der Tat geht der IÜZ in seiner heutigen Fassung von einem Verschulden aus – wie übrigens auch die nationalen Regelungen. Es wäre aber sowohl juristisch als auch wirtschaftlich vorteilhaft, wenn eine neue Haftung für die autonome Schifffahrt durch eine trans- und supranationale Lösung geschaffen würde.

168

S. Oertel, S. 41. Vgl. auch Cosack, VersR 1992, 1439. 170 Vgl. Oertel, S. 33. 171 S. Oertel, S. 33–34. 172 Vgl. Oertel, S. 33. 173 Vgl. Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 289. 174 Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 290. 175 Ramming, RdTW 2017, 286, 292; auch Etzkorn, S. 348; s. auch insbesondere für die Beibehaltung des Art. 2 IÜZ Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 285. 169

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

141

a) Die Rechtssicherheit durch die Rechtsvereinheitlichung176 Die Schifffahrt beruht besonders stark auf dem grenzüberschreitenden Verkehr. Stoßen Schiffe zusammen, kommen mehrere Elemente in Betracht, die auf Externalitäten hinweisen, wie z.B. der geographische Deliktsort oder die Staatsangehörigkeit der Beteiligten. Die autonome Schifffahrt wird diese Situation nicht ändern. Vielmehr wird sich voraussichtlich die Globalisierung der Marktwirtschaft mithilfe der Digitalisierung weiterentwickeln. Wird eine neue objektive Haftung für die autonome Schifffahrt geschaffen, so soll sie auch auf internationaler Ebene gelten. Das Seehandelsrecht ist bereits weitgehend harmonisiert und eine Rechtssetzung durch internationale Instrumente ist üblich.177 Es sollte dementsprechend keinen großen Widerstand der Nationalstaaten geben178 und jedenfalls kein Austritt des IÜZ – wie von Etzkorn erwähnt179 – denkbar und wünschenswert. Um eine vollständige Rechtsvereinheitlichung zu garantieren, müssen jedoch die Parteien im Falle einer nötigen Umsetzung in die nationale Rechtsordnung eine Formulierung wählen, die nicht nur formell, sondern auch materiell-rechtlich zum selben Ergebnis führt.180 Wenn nationale Normen behalten werden, die denselben Anwendungsbereich haben, können aber immer noch komplexe kollisionsrechtliche Instrumente des internationalen Privatrechts und damit verbundene Risiken bestehen.181 Eine bloße Rechtsvereinheitlichung, die mit einer nationalen Umsetzung verbunden ist, trägt das Risiko einer abweichenden Auslegung der Normen. Denn die kollisionsrechtlichen Normen verweisen auf die interne Rechtsordnung des Staates.182 Nur seltene Umsetzungen internationaler Regelungen schließen die Anwendung der Regelungen des internationalen Privatrechts aus.183 Ein solcher Mechanismus wäre für die Haftung nach einem Schiffszusammenstoß im Rahmen der autonomen Schifffahrt ggf. wünschenswert.

176

Näher zur Methode und Auslegung sowie zur Verbindung der Rechtsvereinheitlichung mit der Rechtssicherheit s. insbesondere Brödermann, IWZR 2019, 7, 8 ff.; Gruber, S. 20 ff. und 61 ff.; Jarass, S. 41 ff.; Linhart, S. 32 ff.; Neuhaus/Kropholler, RabelZ 45 (1981), 73; Starck, in: Woher kommt das Recht?, 369; Wahl, in: Beiträge zur Rechtsforschung, 298, 302 ff.; Zweigert, RabelZ 16 (1951), 387; Zweigert/Kötz, S. 24 ff. 177 Zur Übersicht der Entwicklung im Rahmen des Schiffkollisionsrechts s. oben Kap. 1.B.II.3; s. ergänzend auch, s. Carbone, in: Recueil des cours de l’acade´mie de droit international prive´ de la Haye, S. 83 ff. 178 A.A. Etzkorn, S. 372. 179 Etzkorn, S. 372. 180 Vgl. insbesondere Linhart, S. 251. 181 Vgl. als Beispiel den Renvoi und seine Risiken, Cachard, S. 308 ff.; auch Brödermann/ Rosengarten, S. 29 ff. 182 Vgl. Gruber, S. 49 ff.; Jarass, S. 43 ff.; Neuhaus/Kropholler, RabelZ 45 (1981), 73, 77. 183 Z.B. Art. 2 des Einheitlichen Gesetzes über den internationalen Kauf beweglicher Sachen, BGBl. 1973 I, 856, sowie die meisten Übereinkommen der HCCH.

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

b) Die wirtschaftlichen Nebenwirkungen einer haftungsrechtlichen Vereinheitlichung Zudem kann eine Rechtsvereinheitlichung, zumindest auf europäischer Ebene, wirtschaftliche Vorteile erzeugen. Beschließt ein Land eine strengere Regelung für autonome Schiffe als in benachbarten Länder, kann dies zu einer Abschreckung der Reedereien führen. Wenn z.B. ein Zusammenstoß in Bremerhaven zu einer objektiven Haftung führen würde, aber zu einer Verschuldenshaftung in Rotterdam, besteht das Risiko, dass deutsche Häfen nicht mehr bevorzugt angelaufen werden.184 Der Erfolgsort ist für die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO vorrangig maßgebend, wenn die Kollision innerhalb der nationalen Hoheitsgewässer erfolgt.185 Entgegen dem deutschen Recht, das bei Kollisionen in ausländischen Gewässern zwischen Schiffen mit ausschließlich deutscher Flagge angewendet wird,186 gilt nach der französischen Rechtsprechung die lex loci delicti auch dann, wenn nur französische Schiffe – bzw. ausländische Schiffe in französischen Gewässern – beteiligt sind.187 Die Lösung des deutschen Rechts – die auch einer Anwendung des Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO entspricht – würde daher im Falle eines Alleinganges des deutschen Gesetzgebers den Abschreckungseffekt gegen deutsche Häfen und gegen eine Schiffsregistrierung in Deutschland verstärken. Ein Alleingang des französischen Gesetzgebers, auch wenn er keinen erheblichen Abschreckungseffekt gegen die Flaggen hätte, hätte jedenfalls einen negativen Effekt auf die Attraktivität der französischen Häfen und Gewässer. Dasselbe gilt für Kollisionen auf hoher See. Da hier eine lex loci delicti naturgemäß fehlt, stützen sich sowohl das französische als auch das deutsche internationale Privatrecht hauptsächlich auf das Flaggenrecht oder den gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten. Kollidieren Schiffe, die demselben Staat angehören, findet das Recht dieses Staates Anwendung.188 Das Gleiche gilt, wenn die Parteien im selben Staat ansässig sind, gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO.189 Wenn sie aber verschiedenen Staaten angehören und sofern diese Staaten nicht alle Parteien des IÜZ sind,190 tendieren die Literatur und die Rechtsprechung aus praktischen Gründen dazu die lex fori anwenden zu wollen.191 Alleingänge der nati184

S. Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 295. Vgl. Rabe, in: Rabe/Bahnsen, 5. Aufl., Vor. § 570 HGB, Rn. 24 ff.; auch Etzkorn, S. 390 ff. 186 BGH, Urt. v. 2.2.1961 – II ZR 164/59, BGHZ 34, 22 = Rev. crit. DIP 1961, 728. 187 Cour de cassation, chambre civile, 16.5.1888, Recueil pe´riodique et critique mensuel Dalloz 1888, 305. 188 Vgl. Cordier, Abordage maritime international, in: Re´pertoire de droit international, Rn. 20; Steingröver, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., Vor. § 570, Rn. 15. 189 S. Carbone, in: Recueil des cours de l’acade´mie de droit international prive´ de la Haye, S. 223; Etzkorn, S. 398. 190 In dieser Situation gilt das IÜZ, Art. 1. 191 Cour de cassation, chambre civile, 9.3.1966, Revue critique de droit international prive´ 185

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

143

onalen Gesetzgeber würden also die Attraktivität der jeweiligen Rechtsordnungen beeinflussen, denn der Abschreckungseffekt würde auch im Falle einer Vereinbarung zum anwendbaren Recht nach der Kollision (wie etwa durch Art. 14 Rom II-VO) gelten. Um einen fairen Wettbewerb in der Europäischen Union zu gewährleisten, erscheint eine Harmonisierung der Haftung innerhalb der Union im Falle einer objektiven Haftung für Kollisionen mit der Beteiligung von autonomen Schiffen sinnvoll.192 Ein solcher Schritt würde die Europäische Union in der globalen maritimen Wirtschaft stärken, denn „eine gelungene regionale Rechtsvereinheitlichung verschafft schließlich ein größeres Gewicht im internationalen Wettbewerb der Rechtsordnungen, als sie ein bloß nationales Recht, namentlich eines kleineren Staates, zu besitzen pflegt“.193

Die Europäische Union hat die Kompetenz im Rahmen der Verkehrssicherheit auf dem Gebiet der Europäischen Union – sowohl für die See- als auch die Binnenschifffahrt, Art. 91 Abs. 1 Bst. c i.V.m. Art. 100 Abs. 1 und 2 AEUV und könnte auch Regelungen im Rahmen einer Versicherungspflicht einführen.194 Besser wäre es natürlich, wenn die Regelung auf internationaler Ebene entstehen würde, z.B. durch ein Protokoll zum IÜZ. Ein solches Protokoll wäre ein Zeichen der Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, die Herausforderungen der Digitalisierung und die stetige Globalisierung der Wirtschaft gemeinsam zu bewältigen. c) Die Anpassungsnotwendigkeit der bestehenden nationalen Regelung Sollte eine Rechtsvereinheitlichung erfolgen, müssen die bestehenden nationalen Regelungen, die die internationalen Übereinkommen ggf. umsetzen sollen, angepasst werden. Wie bereits erwähnt, ist die Gefährdung der Einheit der Schiffskollisionsregime durch eine fehlerhafte Übersetzung auch in der nationalen Umsetzung erfolgt. Zwar sind bzw. waren die nationalen Vorschriften (vgl. § 704 a.F. HGB, Art. L. 5131-3 Code des Transports) eine wörtliche Übernahme der Bestimmungen des Art. 2 IÜZ. Doch genau durch die exakte Übernahme einer fehlerhaften Übersetzung des Übereinkommens ist die Diskrepanz in den nationalen Rechtsordnungen verankert.

1966, 636; RG, Urt. v. 18.11.1901 – I 237/01, RGZ 49, 182, 187; LG Bremen, Urt. v. 8.2.1962 – O 355/1959, IPRspr 1964/65, Nr. 59b; Carbone, in: Recueil des cours de l’acade´mie de droit international prive´ de la Haye, S. 218 ff.; Steingröver, in: MüKo-HGB, 4. Aufl., Vor. § 570, Rn. 26; a.A. Etzkorn. S. 399–400, der eine Anknüpfung nach dem (Geschäfts-)Sitz des Geschädigten bevorzugt. 192 Vgl. auch Schwampe, in: 55. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 275, 295. 193 Neuhaus/Kropholler, RabelZ 45 (1981), 73, 77. 194 So z. B. Etzkorn, S. 334.

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

Jegliche Änderung des internationalen Übereinkommens muss zu einer Anpassung der nationalen Bestimmungen führen. Dabei muss die inhaltliche Formulierung und Bedeutung des Übereinkommens am besten durch nationale Konzepte übersetzt werden. Auch wenn die Methodik des internen Verweises zwischen Normen in der Rechtssetzung zu vermeiden ist,195 kann das Beispiel des französischen Binnenschifffahrtsrechts von Bedeutung sein. Art. L. 4131-1 Code des Transports verweist für Schiffskollisionen zwischen Binnenschiffen (bateaux) auf die unmittelbare Anwendung des Übereinkommens zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen vom 15. März 1960. So garantiert das französische Recht eine Übereinstimmung der Binnenschiffskollisionsregime, unabhängig vom anwendbaren (nationalen oder internationalen) Recht.

IV. Vorschlag einer verschuldensunabhängigen Haftung Die objektive, verschuldensunabhängige Haftung erscheint also aus verschiedenen Gründen als eine angemessene Lösung für die Zusammenstöße unter Beteiligung autonomer Schiffe. Ein neues Haftungssystem kann an dieser Stelle vorgeschlagen werden. Die Voraussetzungen und Folgen dieser Haftung müssen von der konkreten Kollisionssituation abhängen, da die Schutzbedürfnisse der Verkehrsteilnehmer unterschiedlich sind.196 In einem zweiten Schritt ergänzt die höhere Gewalt alle Haftungskonstellationen.197 1. Zusammenstoß unter Beteiligung mindestens eines autonomen Schiffes Die erste Kollisionskonstellation ist der Zusammenstoß zwischen mindestens einem autonomen Schiff und mindestens einem „klassischen“ (entsprechend Stufe 0) Schiff. Das autonome Schiff (d.h. sein Reeder) wird verschuldensunabhängig haften. Der Reeder des klassischen Schiffes ist somit von dem möglicherweise schwierigen Verschuldensbeweis entlastet. Es ist hier nicht die Frage, wie z. B. von Etzkorn befürwortet, eine allgemeine objektive Haftung für Schiffskollision einzuführen.198 Die Haftung kann aber aus wirtschaftlichen Effizienz- und Billigkeitsgründen nicht ohne Rücksicht auf das Verhalten des klassischen (d.h. nicht autonomen und bemannten) Schiffes erfolgen. Dies würde den Reeder des autonomen Schiffes ggf. in eine unbillige Situation bringen, indem er den vollständigen Schaden,

195 Vgl. die Empfehlung Nr. I. 1.1(4) im Aktivitätsbericht vom 5.11.1979 der Arbeitsgruppe „Sprache“ der Salzburger-Kommission IV, wiedergegeben von Panagl, in: Theorie der Rechtssetzung, 41, 60. 196 Vgl. in diesem Sinne auch die sog. „kleine Lösung“ bei Etzkorn, S. 336 ff., die auch „auf das Merkmal des Verschuldens“ verzichtet, ders, S. 338. 197 S. u. Kap. 3.B.II. 198 S. die sog. „mittlere Lösung“, Etzkorn, S. 350 ff.

A. Die Frage einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt

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trotz Verschuldens des anderen Schiffes, ersetzen müsste. Daher sollte sich der Reeder mit dem Beweis eines Mitverschuldens des klassischen Schiffes bis zu 100 % entlasten können. Eine solche Verteilung der Schäden, je nach Höhe des Verschuldens, ist bereits in nationalen199 wie auch internationalen200 Texten vorgesehen. Die Erstreckung dieser Lösungen auf diesen Kollisionstyp wäre damit gerechtfertigt und denkbar. 2. Zusammenstoß unter exklusiver Beteiligung autonomer Schiffe Die zweite Konstellation ist die Kollision ausschließlich zwischen autonomen Schiffen. Alle Reeder haften nach dem grundsätzlichen Modell verschuldensunabhängig. Hier muss folgende Problematik gelöst werden. Alle Schiffe haften aus demselben Grund – die Teilnahme am Zusammenstoß – verschuldensunabhängig. Somit ist der Beweis eines Verschuldens nicht möglich, um eine Verteilung der Haftung oder vollständige Entlastung durch ein Mitverschulden zu bestimmen. Da die vorgeschlagene Haftung aber mit einer Haftung für vermutetes Verschulden vergleichbar ist, könnte hier auch eine Analogie mit bestehenden Regelungen bei Mitverschulden geführt werden. Wenn das Verhältnis der Schwere des vorliegenden Verschuldens nicht festgestellt werden kann, sind die Schäden zu gleichen Teilen verteilt. Dies entspricht dem Mechanismus des Mitverschuldens im französischen (Art. L. 5131-4 Code des Transports), deutschen (§ 571 Abs. 1 S. 2 HGB)201 und internationalen Recht (Art. 4 Hs. 2 IÜZ). Zudem bestehen ähnliche Mechanismen im französischen Recht bei der Verteilung der Haftung im Straßenverkehrsrecht: Bei Beteiligung mehrerer Autos, die alle ein Verschulden treffen, oder wo kein Verschulden festgestellt werden kann, sind die Schäden im Innenverhältnis zwischen den Schädigern zu gleichen Teilen (a` parts viriles) zu verteilen.202 Der rechtsgeschichtliche Ursprung dieser Regeln, insbesondere für das Seehandelsrecht, lässt sich im alten Recht der Roˆles d’Ole´ron und deren Übernahme sowohl in das Recht der Hansestädte als auch Frankreichs und der Niederlande wiederfinden.203 3. Kollision zwischen einem autonomen Schiff und einem anderen Verkehrsteilnehmer als einem Schiff Die dritte Schadenskonstellation ist die Kollision zwischen einem autonomen Schiff und einem Geschädigten, der nicht unter den Begriff „Schiff“ im Sinne des

199 Deutsches Recht § 571 Abs. 1 S. 1 HGB; französisches Recht: L. 5131-4 Abs. 1 S. 1 Code des Transports. 200 Art. 4 IÜZ. 201 Zum Verhältnis zwischen § 254 BGB und § 571 HGB, s. Etzkorn, S. 247 ff. 202 Vgl. Oudot, Responsabilite´ des accidents de la circulation, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 283, und die dort zahlreiche genannte Entscheidungen. 203 Dazu s. o. Kap. 1.B.II.2.b) ff.

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Schiffskollisionsrechts fällt. Hier ist am Beispiel Frankreichs und Deutschlands, wie bereits dargestellt,204 eine Diskrepanz festzustellen. Während nach französischem Recht der Reeder verschuldensunabhängig haften wird (Art. 1242 Abs. 1 Code civil), muss nach deutschem Recht ein Verschulden nachgewiesen werden (§§ 823 ff. BGB). Die französische Generalklausel der Sachhalterhaftung könnte für die autonome Schifffahrt für solche Schäden als Modell genommen werden. Sie hat den Vorteil, den Geschädigten – z.B. einen Schwimmer – zu schützen. Er müsste kein Verschulden des Schiffes nachweisen. Der Halter des Schiffes – voraussichtlich der Reeder – wird verschuldensunabhängig haften. Dem französischen Modell soll zudem für die Wirkung des Mitverschuldens des Geschädigten gefolgt werden. Das Mitverschulden des Geschädigten soll nur dann dem Schädiger ermöglichen, sich vollständig zu entlasten, wenn das Mitverschulden die Merkmale der höheren Gewalt erfüllt. Ansonsten kann ein solches Mitverschulden lediglich eine partielle Entlastung ermöglichen. Diese Auffassung des geltenden französischen Rechts205 ist im Gesetzesvorschlag von 2020 für eine Reform des französischen Deliktsrechts übernommen worden, Art. 1253 Abs. 1. Folgt aber die objektive Haftung für autonome Schiffe de lege ferenda einer strengen Systematik zum Schutz derjenigen, die nicht am Schiffsverkehr teilnehmen, sollte lediglich ein Verschulden des Geschädigten, das die Merkmale der höheren Gewalt erfüllt, den Schädiger entlasten können. Es könnte sogar einer Minderheit der französischen Literatur gefolgt werden, die einen Verzicht auf die höhere Gewalt fordern, wenn der Geschädigte körperliche Schäden erlitten hat.206 Die drei Konstellationen werden mit der Rechtsinstitution der höheren Gewalt begleitet, um eine optimale gerechte Lösung darstellen zu können.

V. Ergebnis: die objektive Haftung als angemessener Weg für die autonome Schifffahrt Die Forderungen der Literatur für eine Erneuerung des vorhandenen Haftungsregimes für Schiffskollisionen unter Beteiligung autonomer Schiffe sind nicht unbegründet. Der Verschuldensgrundsatz stößt, infolge der zunehmenden Autonomie der Schiffe und der künstlichen Intelligenz, an seine Grenzen. Die Einführung einer objektiven Haftung hat oft im Laufe des technischen Fortschritts dafür gesorgt, dass Beweisschwierigkeiten umgangen werden konnten. Und somit wurde der Schutz des Geschädigten gestärkt. Allerdings könnte diese Pro-

204

S. o. Kap. 3.A.I.1. und 2. Vgl. Grynbaum, Responsabilite´ du fait des choses inanime´es, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 239; Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 1099. 206 Vgl. z.B. Grynbaum, Responsabilite´ du fait des choses inanime´es, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 244. 205

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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blematik nicht durch die Schaffung einer Rechtspersönlichkeit zugunsten des intelligenten Systems als solche gelöst werden. Die vorhandenen verschuldensunabhängigen Haftungen de lege lata zeigen ebenfalls Schwächen. Für einige Haftungen erscheinen diese Schwächen besonders im deutsch-französischen Kontext. Dies gilt sowohl für die Tierhalterhaftung und die Haftung für (digitale) Verrichtungsgehilfen als auch für die Produkthaftung. Die Besonderheit der Benutzung autonomer Schiffe betont die begrenzte Anwendung der Produkthaftung im deutschen Recht: Sie schließt Schäden aus, die an einer gewerblichen Sache verursacht worden sind. Somit entsteht ein erheblicher Unterschied zum französischen Recht, der wegen des nach deutschem Recht angewandten Verschuldensgrundsatzes nicht durch deliktische Produzentenhaftung aufgelöst werden kann. Eine objektive Haftung erscheint also ein angemessener Weg, um eine effiziente Haftung zu gewährleisten. Die französische Generalklausel der Sachhalterhaftung hebt die mögliche Unabhängigkeit einer objektiven Haftung mit der intrinsischen Gefährlichkeit der Sache hervor. Vielmehr bietet das Konzept des Strukturhalters eine interessante Perspektive des Haftungsrechts für autonome Systeme. Zudem gibt es, im Gegensatz zu der manchmal vertretenen Meinung, keinen Ansatzpunkt für eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts durch die Einführung einer objektiven Haftung. Vielmehr würde sie höchstwahrscheinlich die gesellschaftliche Akzeptanz fördern. Ein Modell für eine künftige objektive Haftung für die autonome Schifffahrt kann also entwickelt werden. Sie soll die Kollisionssituation berücksichtigen. Bei einem Zusammenstoß von autonomen Schiffen sollen die zu ersetzenden Schäden in gleichem Maße zu verteilen sein. Wenn autonome Schiffe und klassische Schiffe zusammenstoßen, dann soll im Grundsatz das autonome Schiff verschuldensunabhängig haften, es sei denn, der Reeder kann ein (Mit-)Verschulden des Geschädigten nachweisen. Schließlich kann die französische Sachhalterhaftung ein Modell für alle anderen Schäden sein, die von einem autonomen Schiff verursacht worden sind. Bei einer objektiven Haftung soll aber das Institut der höheren Gewalt eine große Rolle spielen. Sie ist ein Mittel der Gerechtigkeit und des Ausgleiches gegen eine zu strenge absolute Lösung. Daher soll der Begriff der höheren Gewalt einen Platz in einem System der objektiven Haftung haben.

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt in einem möglichen objektiven Haftungsregime für die autonome Schifffahrt de lege ferenda Sollte es eine objektive Haftung für die autonome Schifffahrt im Rahmen von Schiffskollisionen geben, wird und muss das Institut der höheren Gewalt eine zentrale Rolle als Entlastungsgrund haben. Anders als bei der deutschen Seehan-

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

delsrechtsreform von 2013 muss der Begriff der höheren Gewalt eine Entlastungsrolle, klassisch für die objektive Haftung, wieder ausdrücklich erhalten (I.).207 Die Entwicklung des französischen und des deutschen Schiffskollisionsrechts hat die Schwierigkeiten der Umsetzung von flexiblen Begriffen in den nationalen Rechtsordnungen belegt. Deshalb ist die Rechtssetzung der „höheren Gewalt“ von großer Relevanz (II.). Schließlich soll die Rechtsinstitution der höheren Gewalt als vollständiger Entlastungsgrund in diesem potentiellen neuen Haftungsregime wirken (III.).

I. Die erforderliche Anwesenheit des Begriffs der höheren Gewalt in einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt Das Rechtsinstitut der höheren Gewalt trägt eine dogmatische Abmilderungsfunktion in sich, die rechtliche und wirtschaftliche Erklärungen hat (1.). Diese Funktion ist die Erklärung ihrer Anwesenheit in manchen (objektiven) Haftungen (2.). 1. Die Abmilderungsfunktion der „höheren Gewalt“ als ihr wesentlicher Zweck a) Aus juristischer Betrachtung Das Institut der höheren Gewalt hat den Sinn und Zweck, gegen eine radikale Situation zu wirken. Die Parteien eines Vertrages oder die Teilnehmer am Verkehr vertrauen in einen besonderen Verlauf der Zukunft. Sie sehen Situationen voraus oder verhalten sich so, dass sie schadensfrei an ihrem Ziel ankommen. Ist diese Situation gestört, soll die höhere Gewalt „der Störung entgegenwirken“.208 Der Schuldner einer unmöglich gewordenen Leistung wird befreit. Der faktische, aber rechtlich unschuldige Schädiger wird deshalb nicht haften. Ohne die Rechtsinstitution der höheren Gewalt würde die Anwendung der Haftungsregel unbillig erscheinen. Exner spricht hier von der Verletzung des „Billigkeitsgefühls“209 und von einem „Widerspruch zwischen der Wirkung des Gesetzes und seiner ratio“.210 Daher soll die höhere Gewalt auch nicht eine „vorteilhafte Alternative“211 für eine Partei schaffen. Das ist der Sinn der im Jahr 2016 erfolgten Einführung des Konzepts der temporären höheren Gewalt in Art. 1218 Abs. 2 Code civil212 oder der Hemmung der Verjährung gemäß § 206 BGB.213 Die objektive Haftung, indem sie verschuldensunabhängig wirkt, könnte zu ungerechten, exzessiven214 und unbilligen Situationen führen. Exner wies darauf 207

So auch Etzkorn, S. 358. Antonmattei, S. 181. 209 S. Exner, S. 53. 210 Exner, S. 53. 211 Antonmattei, S. 181. 212 Vgl. bereits für eine Verallgemeinerung dieses Konzepts Antonmattei, S. 181. 213 S. dazu Alpes, S. 126. 214 Vgl. Adams, S. 196: „Exzesshaftung“. 208

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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hin, dass „diese Haftung vielmehr den Zweck hat, den Schuldigen immer zu treffen, nicht aber den Unschuldigen“.215 Bereits im römischen Recht wurde das Institut der höheren Gewalt als Entlastungsgrund eingeführt. Die damalige Haftung ex recepto des Reeders war verschuldensunabhängig. Sie wurde aber über die Jahrhunderte für bestimmte Ausnahmefälle (Schiffsbruch, Piraterie) als eine „grelle Unbilligkeit“216 empfunden. Daher wurde die sog. exceptio Labeonis, die Grenze der Haftung bei höherer Gewalt, eingeführt217 und später zu anderen Haftungen erweitert.218 Der Wille nach der Wiederherstellung der Gerechtigkeit hat ebenfalls dazu geführt, dass das französische Recht die Einrede der höheren Gewalt in das Schiffskollisionsrecht wieder einführte.219 Die Anwesenheit des Rechtsinstituts der höheren Gewalt als Abmilderung einer (ggf. strengeren) Haftung ist also eine „Grundregel der Gerechtigkeit“,220 die „auf der Vernunft basiert“.221 Gerade bei objektiven bzw. Gefährdungshaftungen ist die höhere Gewalt der Ausdruck der „sozial gerechte[n] Abgrenzung des übernommenen und zu verantwortenden Betriebskreises mit seinen eigenen typischen Risiken gegen die nicht betriebsbedingten Schadensursachen“.222

Nur in sehr begrenzten Fällen ist die höhere Gewalt ausgeschlossen. Dies ist z.B. der Fall des Art. 2 der sog. Loi Badinter,223 die die Unfälle im Straßenverkehr regelt. Hier vollzog der französische Gesetzgeber diesen Ausschluss aufgrund eines besonderen rechtspolitischen Wunschs, die Opfer (insbesondere Fußgänger und Radfahrer) zu schützen.224 Die enge Begleitung der Rechtsinstitution der höheren Gewalt mit verschuldensunabhängigen Haftungen zeigt die Unabhängigkeit von „höherer Gewalt“ und Verschulden voneinander. Vielmehr hat die höhere Gewalt Folgen für die Kausalität. Bei einer objektiven Haftung kann sich der Schädiger nicht entlasten, indem er die Abwesenheit eines Verschuldens nachweist. Er kann sich jedoch mit dem Nachweis eines Falles der höheren Gewalt entlasten.225

215

Exner, S. 53. Exner, S. 53. 217 Vgl. z.B. Zimmermann, in: HKK, §§ 701–704 BGB, Rn. 3; s. näher dazu oben Kap. 1.B.II.1.b)bb). 218 Vgl. Exner, S. 54. 219 Ripert, Bd. 3, S. 22; dazu s. oben Kap. 1.B.II.4.a). 220 Vgl. Meder, JZ 49 (1994), 485, 491; Ripert, Bd. 3, S. 22. 221 Antonmattei, S. 180. 222 Esser, S. 112. 223 Loi n° 85-677 du 5 juillet 1985 tendant a` l’ame´lioration de la situation des victimes d’accidents de la circulation et a` l’acce´le´ration des proce´dures d’indemnisation, JORF 1985, 7584. 224 Vgl. Rapport n° 225 de M. Franc¸ois COLLET, fait au nom de la commission des lois du Se´nat, de´pose´ le 3 avril 1985, S. 22. 225 Vgl. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 16. 216

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

Im Falle der Einführung einer objektiven Haftung infolge eines Zusammenstoßes mit Beteiligung autonomer Schiffe würde das Instituts der höheren Gewalt weiterhin ihre Rolle spielen. Sie wird ggf. gegen die Entstehung einer unbilligen Situation wirken. Zumindest muss sie im Wortlaut der Texte zu finden sein. Dies gilt insbesondere für das deutsche Recht. Eine Wiedereinführung des Begriffs der höheren Gewalt im Seehandelsrecht wäre zumindest aus rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Gründen wünschenswert und sogar erforderlich. Denn die höhere Gewalt bei objektiver Haftung hat auch ökonomische Folgen. b) Aus ökonomischer Sicht Das Institut der höheren Gewalt dient und fördert die wirtschaftliche Entwicklung und den technischen Fortschritt. Sie ist eines der Mittel, das eine objektive Haftung ohne negative wirtschaftliche Folgen gewährleistet. Laut Seitz: „Die höhere Gewalt führt dazu, dass gerade im Bereich der Gefährdungshaftung auch gefährliche Tätigkeiten ergriffen werden, die volkswirtschaftlich gewünscht sind.“226

Die Rechtsinstitution der höheren Gewalt ist dementsprechend auch besonders für neue und sich entwickelnde Technologien geeignet: „In Rechtsgebieten, die eine Gefährdungshaftung vorsehen, werden Maßnahmen, die den Eintritt eines Schadens mit Sicherheit verhindern, oftmals nicht verfügbar sein.“227

Die „höhere Gewalt“ verhindert somit, sowohl bei vertraglicher als auch bei deliktischer Haftung, dass ein unangemessener Sorgfaltsstandard vom Schuldner bzw. Schädiger verlangt wird. Wenn die objektive Haftung eine Verhaltenssteuerungswirkung haben soll, wäre die Zurechnung von Schäden, die dem Schädiger fremd sind, ohne Sinn und Wirkung für diese Verhaltenssteuerung.228 2. Die Anwesenheit des Begriffs der höheren Gewalt bei verschuldensunabhängigen Haftungen Zumindest seit dem Code civil von 1804 sorgt das Institut der höheren Gewalt im französischen Recht für die Entlastung des Schädigers, wenn er objektiv haftet. Insbesondere der Sachhalter, aber auch z.B. der Tierhalter, können sich mit dem Beweis eines Falles der höheren Gewalt entlasten, gemäß Art. 1242 Abs. 5 Code civil.229 Das französische Recht profitierte darüber hinaus von der allgemeinen Wirkung des Art. 1148 a.F. Code civil bis 2016, der im vertraglichen und deliktischen Recht galt.

226

Seitz, S. 119; vgl. auch Meder, JZ 49 (1994), 485, 490. Seitz, S. 119. 228 Vgl. Seitz, S. 120. 229 Vgl. Grynbaum, Responsabilite´ du fait des choses inanime´es, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 224. 227

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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Da die objektiven Haftungen im deutschen Recht in ihren Anwendungsbereichen begrenzter sind, besteht kein allgemeiner Entlastungsgrund für höhere Gewalt. Nichtsdestotrotz ist die systematische Anwesenheit des Instituts zu beobachten. Als eines der ersten Gesetze, die eine objektive Haftung und die höhere Gewalt im Rahmen der Industrialisierung aufweisen, stellt das Haftpflichtgesetz (HPflG) ein Modell dar. Es entstand 1977230 als Nachfolger des preußischen Gesetzes über Eisenbahn-Unternehmungen von 1838 sowie des Reichshaftpflichtgesetzes von 1871.231 Gemäß § 1 Abs. 2 HPflG kann sich der Bahnunternehmer auf einen Fall der höheren Gewalt berufen. Die höhere Gewalt stellt also hier eine besondere Entlastungsmöglichkeit des Bahnunternehmens dar, das sonst verschuldensunabhängig nach § 1 Abs. 1 HPflG haftet. Das Straßenverkehrsrecht ist ebenso ein weiteres Beispiel für die Rolle der höheren Gewalt im Rahmen einer objektiven Haftung. Das französische Recht schließt aus rein rechtspolitischen Gründen232 die höhere Gewalt als möglichen Entlastungsgrund aus. Das deutsche Recht hingegen hat sich – auf Basis des Modells des HPflG – für den Erhalt des Begriffs der höheren Gewalt entschieden. § 7 Abs. 2 StVG sah bis 2002 eine Entlastungsmöglichkeit wegen eines „unabwendbaren Ereignisses“ und heute ausdrücklich wegen höherer Gewalt vor. Die Umschreibung des Wortlauts zugunsten der höheren Gewalt wurde mit der Begründung verabschiedet, dass eine strenge Haftung nur Entlastungsgründe zulassen kann, die hohe Anforderungen haben.233 Das „unabwendbare Ereignis“ war mit dem Zufall in Verbindung zu setzen,234 sodass Entlastungen infolge von technischem Versagen zugelassen wären.235 Die höhere Gewalt mildert also die objektive Haftung des Fahrzeughalters des § 7 Abs. 1 StVG. Zahlreiche europäische Rechtsordnungen (etwa Polen, Griechenland oder die Niederlande)236 sehen ebenfalls die Entlastung des Fahrers durch die höhere Gewalt vor. Die objektiven Haftungen, die die Umwelt schützen müssen, sehen ebenfalls eine Entlastungsmöglichkeit für höhere Gewalt vor. Der Anlageninhaber haftet zwar verschuldensunabhängig nach § 1 UmweltHG. Er kann sich aber von seiner Haftung entlasten, wenn die Schäden durch ein Ereignis der höheren Gewalt verursacht wurden, § 4 UmweltHG. Sehr interessant im Bereich einer objektiven 230

Haftpflichtgesetz, BGBl. 1977 I, 1577. Gesetz betreffend die Verbindlichkeit zum Schadenersatz für die beim Betriebe von Eisenbahnen, Bergwerken etc. herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen – Reichshaftpflichtgesetz, RGBl. 1871, 207. 232 S. o. Kap. 3.B.I.1.a). 233 S. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 14/7752, S. 30. 234 Vgl. Meder, JZ 49 (1994), 485, 489. 235 Vgl. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 14/7752, S. 30; König, in: Hentschel/König/Dauer, 45. Aufl., § 7 StVG, Rn. 37. 236 Für einen Überblick der Regelungen in Europa vgl. Hering, S. 35 ff.; Kadner Graziano/ Oertel, ZVglRWiss 107 (2008), 113, 126, Fn. 79; Oertel, S. 71. 231

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

Haftung für Umweltschäden ist auch die Haftung für Ölverschmutzung auf See. Art. III Abs. 2 Bst. a ÖlHÜ sieht eine Entlastungsmöglichkeit für einige Ereignisse vor, insbesondere Krieg und Naturereignisse, solange sie einen Fall der höheren Gewalt darstellen (außergewöhnlich, unvermeidlich und unabwendbar). Das Gleiche gilt im Rahmen der Haftung aus dem Bunkeröl-Übereinkommen nach seinem Art. 3 Abs. 3 Bst. a. Diese beiden letzten objektiven Haftungen, die keinen identifizierten Anspruchsgegner persönlich schützen sollen, sondern die Allgemeinheit, illustrieren hervorragend die Erforderlichkeit des Begriffs der höheren Gewalt bei objektiven Haftungen. Die Anwesenheit des Instituts der höheren Gewalt ist rechtspolitisch bzw. rechtsdogmatisch geboten. Die ausgeübte Tätigkeit der Beförderung von umweltschädlichen Substanzen ist gefährlich. Daher muss der Beförderer verschuldensunabhängig haften. Auf hoher See können aber Ereignisse eintreten, die von dieser Tätigkeit unabhängig sind. So soll die Rechtsinstitution der höheren Gewalt den Beförderer schützen, sodass er – ohne Verschulden – für ein fremdes Ereignis nicht haften soll. Die Anwesenheit des Begriffs der höheren Gewalt ist dort auch dementsprechend wirtschaftlich notwendig. Die Versorgung der Industrie (insbesondere in Europa) muss über diese Art von Beförderung stattfinden. Sie ist angesichts des heutigen Stands der Industrie und der Ölbeförderung unverzichtbar. So sorgt das Institut der höheren Gewalt dafür, dass schädliche Unfälle nicht ohne Ersatz bleiben, aber auch dafür, dass die Haftung nicht unbillig im Rahmen einer wichtigen Tätigkeit wirkt. Eine Übertragung auf autonome Schiffe ist durchaus möglich. Der Betrieb von autonomen Schiffen – abgesehen von der eventuellen Anerkennung einer „Autonomiegefahr“ – ist nicht an sich gefährlich. Die französische Sachhalterhaftung zeigt, dass eine objektive Haftung nicht unbedingt an die Gefährlichkeit der Sache gebunden ist. Sie zeigt aber auch, dass die höhere Gewalt ein wichtiges Mittel der Widerherstellung eines Billigkeitsgefühls ist. Da sich die autonome Schifffahrt noch an ihrem Anfang befindet, ist die Anwesenheit des Begriffs der höheren Gewalt auch aus rechtsökonomischen Gründen unverzichtbar. So sollte die weitere Entwicklung dieser Technik (die immer mehr Sicherheit gewährleisten soll) ermöglicht werden.

II. Die Wichtigkeit der Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt Ebenso wie ihre Anwesenheit ist auch die Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt wichtig. Insbesondere im Rahmen von internationalen Texten ist es erforderlich, eine Formulierung auszuwählen, die nicht zu einer unterschiedlichen Anwendung führt. Ein Beispiel solcher Konsequenzen ist sicherlich Art. 2 IÜZ, der in Frankreich und in Deutschland eine unterschiedliche Auslegung bekommt. Zwei grundsätzliche Modelle stellen sich gegenüber. Zunächst kann der Begriff („force majeure“ oder „höhere Gewalt“) ohne Weiteres verwendet werden (1.). Das hinter dem Begriff stehende Konzept kann auch in Form einer Definition benutzt werden (2.).

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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1. Das Modell der wörtlichen Verwendung für die Eindeutigkeit im nationalen Kontext Das erste Modell für eine Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt ist die wörtliche Verwendung, also hier „force majeure“ oder „höhere Gewalt“. Der Text weist unmittelbar auf das Institut hin. Dieses Modell entspricht der traditionellen Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt im heutigen Zivilrecht. Der Begriff „force majeure“ findet sich im französischen Recht, z.B. in 18 Artikeln des Code civil. Das BGB folgt auch überwiegend dieser legistischen Tendenz (vgl. z.B. § 206 BGB). Der § 7 Abs. 2 StVG wurde sogar 2002 umgeschrieben, sodass darin heute die höhere Gewalt anstelle des „unabwendbaren Ereignisses“ zu finden ist. Der ausdrückliche Verweis auf das Institut hat verschiedene Konsequenzen. Die wörtliche Verwendung eines Begriffs hat im nationalen Kontext den Vorteil der Eindeutigkeit. Das Konzept, das vom Gesetzgeber gemeint war, bedarf keiner weiteren Erklärung. Bezogen auf den Begriff der höheren Gewalt bzw. der „force majeure“ ist dieser ein Fachbegriff und sind seine rechtlichen Konsequenzen dem Gericht bekannt und der Begriff bereitet keine Anwendungsschwierigkeiten. Das Gericht behält durch die Auslegungskriterien einen Spielraum.237 Es besteht in diesem Fall keine erhebliche Diskrepanz zwischen der Vorstellung des Rechtssetzers und der des Normadressaten bzw. -anwenders. Dies dient einer guten juristischen Kommunikation.238 Fraglich ist, ob eine andere Methode angemessener wäre, wenn Begriffe sowohl einen fachlichen Sinn als auch einen gewöhnlichen Sinn hätten. Dies ist z.B. der Fall des Ausdrucks „höhere Gewalt“: Er hat eine juristische Bedeutung und wird ebenfalls in der Standardsprache benutzt.239 Die „höhere Gewalt“ ist hier ein Beispiel von Präsuppositionen: Ein Fachbegriff setzt ein besonderes Verständnis von ihm voraus.240 Der Fachbegriff der höheren Gewalt ist aber im nationalen Recht (sowohl in Deutschland als auch besonders stark in Frankreich) lang genug etabliert, so dass es zu keiner erheblichen Divergenz des gewöhnlichen und des fachlichen Sinnes kommt. Für den Begriff der höheren Gewalt wäre die Verwendung einer Legaldefinition im nationalen Recht eine Quelle von Unsicherheiten. Denn eine Legaldefinition ist dann überflüssig, wenn sie „durch unbestimmtere Begriffe umschrieben wird“.241 Wird seitens des Gesetzgebers versucht, für juristisch bereits bekannte Begriffe eine Definition zu geben, kann dies gerade zu Rechtsunsicherheit führen.

237

Vgl. Danis-Fantoˆme, in: Me´langes Viney, 275, 282. Vgl. Panagl, in: Theorie der Rechtssetzung, 41, 48. 239 Vgl. dazu Alpes, S. 15. 240 Vgl. Panagl, in: Theorie der Rechtssetzung, 41, 48. 241 Holzinger, in: Theorie der Rechtssetzung, 276, 288.

238

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

a) Die Unsicherheiten einer Umschreibung im nationalen Kontext am Beispiel der französischen seerechtlichen Gesetze von 1936 und 1966 Ein gutes Beispiel ist die Umsetzung der Befreiungsmöglichkeiten des Verfrachters von seiner vertraglichen Haftung im französischen Recht. Das Gesetz von 1936242 setzte die Bestimmungen des Art. 4 Abs. 2 IÜK um. Frankreich hatte sich zunächst – entgegen dem Wortlaut des IÜK – für die Übernahme des Begriffs „force majeure“ entschieden. Um die Diskrepanz zwischen der französischen Umsetzung und dem Wortlaut des IÜK zu beseitigen, wurde 1966243 ein Gesetz verabschiedet, welches das Konzept der sog. „cas excepte´s“ im französischen nationalen Recht einführte (heute im Art. L. 5422-12 Code des transports zu finden). Dadurch ist der Begriff „force majeure“ verschwunden. Ab 1966 sind aber durch diese gewählte Umformulierung zahlreiche Unsicherheiten sowie ein grundsätzlicher Streit bei der Auslegung entstanden. Rodie`re war z.B. der Meinung, dass die neue Formulierung von 1966 der des Gesetzes von 1936 entsprach.244 Delebecque beklagt, dass der französische Text – und sogar das internationale Übereinkommen – sich nicht an die „höhere Gewalt“ hält.245 Die starke Prägung des Konzepts der höheren Gewalt im französischen Recht hat dazu geführt, dass jeder einzelne „cas excepte´“ gegenüber des Instituts der höheren Gewalt analysiert wurde. Die Rechtsprechung hat somit eine mühsame Differenzierung entwickelt. Auf der einen Seite gibt es Ereignisse, die die Merkmale der höheren Gewalt zeigen sollen (etwa Gefahren der See, franz. pe´rils de mer; Act of God; lock-out und Streik) und auf der anderen Seite gibt es Ereignisse, bei denen es nicht nötig ist, solche Merkmale nachweisen zu müssen (z.B. verborgene Mängel; Gewichtszunahme der Ladung).246 Die Meinung in der Literatur entwickelt sich jedoch in die Richtung einer Unabhängigkeit dieser cas excepte´s vom Begriff der höheren Gewalt.247 b) Eine mögliche interne Diskrepanz durch die Vielzahl von Legaldefinitionen des Begriffs der höheren Gewalt am Beispiel der gesamten französischen Schuldrechtsreform Bis 2016 beinhaltete das französische Recht keine Legaldefinition des Begriffs der höheren Gewalt, trotz ihrer häufigen Verwendung. Im Rahmen der Schuldrechts242

Loi du 2 avril 1936 relative aux transports des marchandises par mer, JORF 1936, 4002. Loi n° 66-420 du 18 juin 1966 sur les contrats d’affre`tement et de transport maritime, JORF 1966, 5206. 244 Rodie`re/Du Pontavice, S. 348. 245 S. Delebecque, S. 619. 246 Für eine ausführliche Analyse jeden Grundes gegenüber der höheren Gewalt s. Lemarie´, S. 70 ff.; vgl. auch Raison, Droit maritime franc¸ais 2018, 993; sowie die Studie des Masters Droit des Espaces et des activite´s maritimes der Universite´ de Bretagne Occidentale, Jhrg. 2004–2005, veröffentlicht in: Droit maritime franc¸ais 2005, 908. 247 S. z.B. Piette, Transports maritimes, in: Re´pertoire de droit commercial, Rn. 112–114; Sentenac, Droit maritime franc¸ais 2020, 935. 243

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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reform von 2016 hat der französische Gesetzgeber zunächst in Art. 1218 Abs. 1 Code civil eine Definition des Begriffs der höheren Gewalt festgelegt. Somit sollte die Definition der Debatte um ihre Voraussetzungen ein Ende setzen. Dies wurde aber nur teilweise erreicht. Die Auslegung dieser neuen Definition ist nicht vollständig klargestellt. Diese Legaldefinition hat eigentlich nicht das Ziel „eine[r] Klarstellungsfunktion“248 erreicht. Somit könnte diese Legaldefinition als überflüssig angesehen werden. Denn die Begriffe dieser Definition (z.B. „raisonnablement pre´vu“, „mesures approprie´es“) bedürfen ebenfalls einer eigenen Auslegung, die sich auf den bisherigen Versuch der Rechtsprechung, die Konturen des Begriffs der höheren Gewalt zu bestimmen, stützt. Durch die begrenzte Wirkung des Code civil auf die französische nationale Rechtsordnung könnte es dann fraglich erscheinen, ob die Einführung einer Legaldefinition erforderlich war und ist. Diese Frage wurde durch den Gesetzesvorschlag von 2020 für eine Reform des französischen Deliktsrechts besonders intensiviert. Dieser Vorschlag schlägt ebenfalls in einem zukünftigen neuen Art. 1253 Code civil eine (ähnliche, aber nicht dieselbe) Definition für die deliktische Haftung vor: „En matie`re extracontractuelle, la force majeure est l’e´ve´nement e´chappant au controˆle du de´fendeur ou de la personne dont il doit re´pondre, et dont ceux-ci ne pouvaient e´viter ni la re´alisation ni les conse´quences par des mesures approprie´es.“

Diese Vielzahl von Definitionen innerhalb derselben Rechtsordnung kann aber auch zur Spaltung der Rechtsprechung und zu wechselseitigen Einflüssen führen.249 Bisher galt die richterliche Definition des Begriffs der höheren Gewalt für das gesamte Privatrecht. Sollte der vorgeschlagene Art. 1253 so verabschiedet werden, besteht die Gefahr einer auseinandergehenden Auslegung des Instituts. Der Abs. 3 dieses künftigen Artikels gibt sogar Anhaltspunkte für eine solche eventuelle Zersplitterung, indem er ausdrücklich auf die Koexistenz einer anderen Legaldefinition für die vertragliche Haftung verweist. Durch die bisherige allgemeine einheitliche Auslegungsmethodik des Begriffs der höheren Gewalt im französischen Recht können in der Zukunft Konflikte entstehen. Soll z.B. für das seerechtliche Schiffskollisionsrecht die allgemeine Definition der deliktischen Haftung oder gar eine neue gebietsspezifische Definition bzw. Auslegung entwickelt werden? Kann oder muss die höchstrichterliche Auslegung im Rahmen des Art. 1218 Code civil auch für die des Art. 1253 berücksichtigt werden? Dieses Beispiel zeigt die Überflüssigkeit von einigen Umschreibungen von allgemein bekannten Begriffen im nationalen Recht, wenn diese keine neue Bedeutung mit sich bringen250 oder einen gebietsbezogenen Sinn haben sollen. Für einen bekannten Begriff ohne Legaldefinition wird es dann die Aufgabe der 248

Holzinger, in: Theorie der Rechtssetzung, 276, 288. Vgl. Danis-Fantoˆme, in: Me´langes Viney, 275, 280. 250 Holzinger, in: Theorie der Rechtssetzung, 276, 288.

249

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

Rechtsprechung sein, einen Begriff so auszulegen, dass er anpassungsfähig ist. Diese Arbeit gefährdet im nationalen Kontext die Rechtssicherheit aber kaum oder nur begrenzt. Eckert hat dieses Phänomen mit der richterlichen Entwicklung anhand der Definition des Begriffs der höheren Gewalt in Deutschland sehr einleuchtend illustriert.251 Eine knappe Verwendung eines Begriffs bedeutet nicht zwingend eine erhebliche Rechtsunsicherheit und umgekehrt bedeutet eine lange Umschreibung nicht zwingend eine zweifelsfreie Auslegung. Der legistische Umgang mit bekannten Begriffen ist indes im internationalen Kontext mit einer viel größeren Aufmerksamkeit durchzuführen. Dort wird das Modell der Legaldefinition viel relevanter. 2. Das Modell der Legaldefinition Ein anderes Modell für die Rechtssetzung ist die Benutzung einer Legaldefinition. Dieses Modell zeigt zahlreiche Vorteile im internationalen Kontext aufgrund der vorhandenen sprachlichen und sachrechtlichen Unterschiede (a)). Diese Technik wurde in vielen Instrumenten der Rechtsvereinheitlichung für die Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt benutzt (b)) und wirkt somit als eine passende Methode für die Rechtssetzung dieses Begriffs für die autonome Schifffahrt (c)). a) Die legistischen Vorteile der Methodik der Legaldefinition im internationalen Kontext aa) Die Besonderheit der internationalen Rechtssetzung Das Formulierungsrisiko von Regelungen im Rahmen von trans- bzw. supranationalen Rechtsinstrumenten ist nicht zu unterschätzen.252 Denn für solche Regelungen, die die Vereinheitlichung als Ziel haben, „ist der Akzent grundsätzlich stärker auf Festigkeit der Regeln als auf Flexibilität zu legen“.253 Die Benutzung von Legaldefinitionen trägt, wie dargestellt, das Risiko eines stilistisch schweren Textes durch die überflüssige Definition eines bekannten Begriffs, wenn die Definition keine neue Erklärung bringt. Dies ist bei Texten der Fall, die Anwendung in verschiedenen Rechtsordnungen finden und von Gerichten verschiedener Länder ausgelegt werden. Die Verwendung einer Legaldefinition verhindert die Ausübung einer gewissen „Definitionsmacht“254 der nationalen Gerichte. Hingegen bindet eine Legaldefinition durch Verwendung eines Begriffs die Gerichte in einem festgelegten Rahmen.255 Um das Ziel einer Rechtseinheit erzielen zu können, darf der internationale Ge-

251

Eckert, in: Sprache – Recht – Geschichte, 313, 325 ff. Vgl. Posch, in: Theorie der Rechtssetzung, 255, 262; auch Linhart, S. 207–208. 253 Kropholler, S. 244. 254 Eckert, in: Sprache – Recht – Geschichte, 313, 317. 255 Vgl. Schilcher, in: Gesetzgebung, 35, 66. 252

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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setzgeber somit der gerichtlichen Auslegung nicht zu viel Spielraum geben, um die Rechtssicherheit garantieren zu können. Zudem ist die juristische Sprache nicht von nationalspezifischen, „kulturspezifische[n]“256 juristischen Wahrnehmungen losgelöst. Hinter einem gleichen Wort oder seiner wörtlichen Übersetzung findet sich möglicherweise eine andere Konzeption des Begriffs.257 Bei der Verwendung solcher Begriffe „besteht die Gefahr, daß der staatliche Richter den in seiner heimischen Rechtsprache geläufigen Begriff im Sinne der lex loci versteht, so daß die Rechtszersplitterung bestehen bleibt“.258

Der internationale Gesetzgeber sollte daher auf solche Begriffe ohne eine eigene Definition verzichten.259 Mit einer Legaldefinition eines bestimmten Begriffs werden sich die Gerichte, auch wenn sie einen Ermessensspielraum haben, bemühen, um im gesetzten Rahmen zu bleiben.260 Dafür ist der Begriffs der höheren Gewalt das typische Beispiel. Das Institut ist grundsätzlich in vielen Rechtsordnungen unter verschiedenen Begriffen bekannt, wie z.B. „force majeure“ in Frankreich, „Act of God“261 oder ebenfalls „force majeure“262 im englischen Recht oder „forza maggiore“263 in Italien. Diese Begriffe decken, auch wenn sie eine sprachliche Übersetzung voneinander sind, nicht dieselbe juristische Bedeutung ab. Der Begriff Act of God erfasst beispielsweise lediglich Naturereignisse264 und ist somit enger als die deutsche „höhere Gewalt“ oder die französische „force majeure“.265 Aus diesen Gründen gefährdet eine Verwendung des Begriffs ohne Weiteres spätestens durch die Übersetzung der Norm in die verschiedenen Sprachen die Rechtssicherheit.266 Die Übersetzung des Art. 2 IÜZ aus dem Französischen ins Deutsche, aber auch in andere Sprachen (die englische Version benutzt z.B. den Ausdruck accidental or caused by force majeure), ohne Rücksicht auf die nationalbezogenen Konzeptionen zu

256

Rovere, in: Handbuch Sprache im Recht, 310, 312. Vgl. mit verschiedenen Beispielen Chatillon, RIDC 54 (2002), 687, 692 ff.; Mincke, ARSP 77 (1991), 446, 458; zum unterschiedlichen Verständnis des Begriffs der höheren Gewalt im Civil Law und Common Law s. Katsivela, ULR 12 (2007), 101. 258 Kropholler, S. 247. 259 Vgl. Kropholler, S. 246. 260 Vgl. Kropholler, S. 322. 261 S. Transco Plc v Stockport Metropolitan Borough Council [2003] UKHL 61 (19 November 2003); bereits Rylands v Fletcher [1868] UKHL 1 (17 July 1868). 262 Für die erste Verwendung in der Rechtsprechung s. Lebeaupin v Richard Crispin and Company [1920] 2 KB 714; dazu s. Alpes, S. 142; Weick, ZEuP 2014, 281, 293. 263 Der Begriff ist lediglich in Art. 1785 Nr. 2 Codice civile zu finden; eine dem französischen Recht ähnelnde Definition ist in Art. 1218 Codice civile enthalten. 264 S. z.B. Alpes, S. 145; Buckley, in: Clerk & Lindsell on torts, 1271, Rn. 20–93; Weick, ZEuP 2014, 281, 293. 265 Zur Frage der Übereinstimmung der französischen force majeure und der englischen force majeure-Klausel s. Treitel, Rn. 12–17. 266 So auch Kropholler, S. 246. 257

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

nehmen, ist ein gängiges Beispiel einer fehlerhaften internationalen Rechtssetzung, die bisher nie korrigiert wurde.267 Eine Definition des Begriffs der höheren Gewalt ist deshalb im internationalen Kontext günstiger als die Verwendung eines bekannten und mit eigener Bedeutung versehenen Begriffs.268 Kropholler fasst die Besonderheit des internationalen Kontexts der Rechtssetzung zusammen: „Legislatorische Definitionen […] sind deshalb im allgemeinen erwünscht, selbst wenn sie den Text schwerfälliger werden lassen als ein vergleichbares autonomes Gesetz, das sich zur Abkürzung der gängigen nationalen Rechtsterminologie bedienen kann“.269

bb) Die erfolgreiche Benutzung eines autonomen Begriffs in der Europäischen Union In sehr begrenzter Ausnahme kann die Verwendung eines Begriffs ohne weitere Erklärung auch im trans- und supranationalen Kontext Erfolg finden. Gesetzliche, gesetzesähnliche Texte und richterliche Begriffe270 in der Europäischen Union stellen hierbei ein Modell dar. Innerhalb der 27 Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gilt ein Konzept auch dann als einheitlich im Sinne des europäischen Rechts, wenn gewählte Wörter und nationale Institute übereinstimmen. Dies hat das EuGH in einer Entscheidung des Jahres 1982 klar ausgedrückt: „Sodann ist auch bei genauer Übereinstimmung der sprachlichen Fassungen zu beachten, dass das Gemeinschaftsrecht eine eigene, besondere Terminologie verwendet. Im Übrigen ist hervorzuheben, dass Rechtsbegriffe im Gemeinschaftsrecht und in den verschiedenen nationalen Rechten nicht unbedingt den gleichen Gehalt haben müssen.“271

Eine solche Lösung lässt sich unter anderem durch die Gleichwertigkeit aller Sprachfassungen einer Norm in der Europäischen Union, vgl. Art. 55 Abs. 1 EUV sowie Art. 358 AEUV, erklären. Der Rückgriff auf eine offizielle Sprache und ggf. die nationale Bedeutung eines Begriffs ist daher nicht möglich. Die Europäische Union empfiehlt deshalb in einem gemeinsamen Leitfaden des Rates, der Europäischen Kommission sowie des Europäischen Parlaments, dass „bei juristischen Fachausdrücken auf Begriffe verzichtet werden sollte, die zu eng an die nationalen Rechtsordnungen gebunden sind“.272 Die „höhere Gewalt“ bzw. der Ausdruck „force majeure“ gehört, angesichts seiner großen Bedeutung zumindest in Frankreich, sicherlich zu diesen Begriffen. 267

S. z.B. Kropholler, S. 321; näher zu der Konsequenzen s. o. Kap. 2.C.I.3. Vgl. Kropholler, S. 322. 269 Kropholler, S. 248. 270 Zu der sprachlichen Praxis des Europäischen Gerichtshofes s. Luttermann, in: Handbuch Sprache im Recht, 486, 495 ff. 271 EuGH, Urt. v. 6.10.1982 – C-283/81, Rn. 19. 272 Gemeinsamer Leitfaden des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission für Personen, die an der Abfassung von Rechtstexten der Europäischen Union mitwirken, S. 19. 268

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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Der Verzicht auf eine Legaldefinition eines in den nationalen Rechtsordnungen bekannten Begriffs ist vor allem deshalb in der Europäischen Union so erfolgreich, weil die europäische Rechtsordnung eine eigene und hierarchisierte Gerichtsbarkeit hat. Der EuGH hat gemäß Art. 19 Abs. 1 EUV die Aufgabe der Kontrolle und der Auslegung sowohl des primären als auch des sekundären Europarechts.273 Somit ist der EuGH in der Lage, die Auslegung eines Textes und die Bedeutung eines Begriffs zu harmonisieren und sogar zu vereinheitlichen. b) Beispiele der Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt in trans- und supranationalem Kontext mit der Definitionslösung aa) Die höhere Gewalt im UN-Kaufrecht Ein Beispiel der Rechtssicherheit im internationalen Rechtsverkehr durch eine Definition eines weltweit bekannten Instituts ist das CISG. Art. 79 Abs. 1 CISG gibt eine eigene Definition dieses Haftungsausschlusses: „Eine Partei hat für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.“

Dieser Artikel ist inspiriert von mehreren Rechtsinstituten unterschiedlicher Rechtsordnungen: der französischen force majeure, aber auch z.B. der deutschen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB.274 Die CISG hat aber ihren eigenen Wirkungs- und Auslegungskreis gemäß Art. 7 Abs. 1 CISG. Art. 79 Abs. 1 CISG soll dementsprechend unabhängig von seinen Einflüssen ausgelegt werden.275 Der Ausdruck force majeure oder „höhere Gewalt“ wurde bewusst nicht benutzt, „um jede Assimilation der Bestimmung mit irgendeinem nationalen Gesetz bei ihrer Anwendung zu vermeiden“.276 Die Merkmale des Instituts der „höheren Gewalt“ sind in ihrer eigenen Art erkennbar. Dieser Haftungsausschlussgrund ist dennoch bei der Auslegung nicht immer der höheren Gewalt im Sinne des nationalen Rechts – z.B. im Sinne der französischen „force majeure“ – gleichzusetzen.277

273

S. Schwarze/Wunderlich, in: Schwarze EU-Kommentar, 4. Aufl., Art. 19 EUV, Rn. 30. Vgl. für die Hinweise zu nationalen ähnlichen Bestimmungen Schwenzer, in: Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, 7. Aufl., Art. 79 CISG, Rn. 4, Fn. 8. 275 Allerdings, für ein Beispiel des Rückgriffs auf das US-Recht als Orientierung für die Auslegung des Art. 79 CISG, s. US District Court, Northern district of Illinois, East. Div., 6.7.2004 – 03 C 1154; vgl. auch zur Möglichkeit der Berücksichtigung interner Vorschriften Magnus, in: Staudinger, Stand: Juli 2017, Art. 7 CISG, Rn. 13. 276 Audit, Vente internationale, in: Re´pertoire de droit international, Rn. 191. 277 Audit, Vente internationale, in: Re´pertoire de droit international, Rn. 100; Fischer, S. 220 f. 274

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

bb) Die höhere Gewalt in den Unidroit Principles of Commercial Contracts (PICC) 2016 Die Principles for international commercial contracts 2016 (PICC) von Unidroit nehmen eine ähnliche Position ein. Art. 7.1.7(1) lautet: „Artikel 7.1.7 (Höhere Gewalt) (1) Eine Nichterfüllung durch eine Partei ist entschuldigt, wenn sie nachweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluß in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.“

Die Redaktion dieses Artikels gibt also eine eigene Definition des Begriffs der höheren Gewalt. Die offiziellen Kommentare der PICC278 weisen darauf hin, dass „der Begriff ,höhere Gewalt‘ gewählt [wurde], weil er in der internationalen Geschäftspraxis weithin bekannt ist“.279 Nichtsdestotrotz ist die Regelung „jedoch nicht identisch mit einer dieser Doktrinen [höhere Gewalt, Unmöglichkeit]“.280 Diese Stellung der PICC illustriert die von Holzinger vertretene Ansicht zum Definitionsmodell: Eine Definition ist insbesondere dann geboten, „wenn ein Wort verschiedene Bedeutung haben kann“.281 Der Einfluss der PICC in der internationalen Gesetzgebung ist nicht zu unterschätzen. Neben der Übernahme der Definition der höheren Gewalt in ähnlichem Umfang z.B. in der französischen Schuldrechtsreform von 2016 dienen die PICC als Modell für andere transnationale Normen. Dies ist z.B. der Fall des Art. 7/7 des Draft Uniform Act on Contracts der OHADA (Organisation pour l’harmonisation en Afrique du droit des affaires). Die enge Beteiligung von Unidroit an diesem Draft hat zu einer wörtlichen Übernahme der Regelung des Art. 7.1.7 PICC geführt.282 Darüber hinaus dienen auch die PICC als Auslegungshilfe und Ergänzung der Bestimmungen der CISG.283

278 Die offiziellen Kommentare der Version 2016 sind lediglich in englischer und französischer Sprache verfügbar: https://www.unidroit.org/fr/principes-d-unidroit-2016/languesofficielles/francais-dispositions (besucht am 26.8.2022). 279 S. offizielle Kommentare der UPICC 2016, S. 251; Übersetzung ins Deutsche durch den Verfasser; so auch Kleinheisterkamp, in: Vogenauer, Art. 7.1.7, Rn. 4. 280 Offizielle Kommentare der UPICC 2016, S. 251; auch Kleinheisterkamp, in: Vogenauer, Art. 7.1.7, Rn. 3. 281 S. Holzinger, in: Theorie der Rechtssetzung, 276, 288. 282 Zu den Interaktionen von Unidroit und den Projekten des OHADA s. Fontaine, ULR 9 (2004), 573. 283 Vgl. Magnus, in: Staudinger, Stand: Juli 2017, Art. 7 CISG, Rn. 14; für Beispiele s. z.B. Cour d’appel de Grenoble, 23.10.1996, Revue critique de droit international prive´ 1997, 756, 760; ICC Court of Arbitration Paris, 12.1997 – 8817.

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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cc) Die höhere Gewalt in den Principles of European Tort Law (PETL) Das von der Literatur entwickelte Modell der Principles of European Tort Law (PETL) entscheidet sich bezüglich des Begriffs der höheren Gewalt für einen Mittelweg. Der Art. 7:102 Abs. 1 lit. a PETL anerkennt die „force majeure“ als Entlastungsgrund für die strikte Haftung. Allerdings geben die PETL durch einen Zusatz in Klammern eine eigene Auslegung des Begriffs der höheren Gewalt in ihrem Sinne. Es handelt sich hier lediglich um natürliche Ereignisse („force of nature“). Dies entspricht also eher dem englischen „Act of God“. Die Verwendung des Begriffs „force majeure“ ist somit nur ein „zusätzliches, weithin bekanntes Stichwort. Der Bedeutungsinhalt wird durch den vor der Klammer stehenden Ausdruck ,force of nature‘ abgesteckt, wodurch Missverständnisse weitgehend vermieden werden dürften“.284

Zudem ist eine weitere Orientierung in Art. 7:102 Abs. 1 PETL gegeben: „if the injury was caused by an unforeseeable and irresistible a) force of nature (force majeure), or b) conduct of a third party“.285 Der hervorgehobene Halbsatz verfeinert die Auslegung der Eigenschaften der nachstehenden Ereignisse, ohne auf den Rückgriff auf eine nationale Vorschrift angewiesen zu sein. dd) Die höhere Gewalt in den seerechtlichen internationalen Übereinkommen Neben dem IÜZ benutzen zahlreiche seerechtliche internationale Übereinkommen Haftungsausschlüsse infolge von Ereignissen der höheren Gewalt. Dabei verwenden sie alle eine eigene Legaldefinition. Im Bereich der seerechtlichen vertraglichen Haftung sieht z.B. Art. 4 § 2 IÜK Haftungsentlastungsgründe zugunsten des Verfrachters. Darunter sind einerseits gemäß Art. 4 § 2 Lit. c. IÜK die Gefahren der See und andererseits gemäß Art. 4 § 2 lit. q IÜK eine „Ursache, die nicht durch Verschulden des Unternehmers, seiner Agenten oder der in seinem Dienste stehenden Personen herbeigeführt ist“ zu finden. Zudem sieht Art. 4 § 2 lit. d ebenfalls eine Haftungsentlastung im Falle eines „Act of God“ vor. Dieser Ausdruck wurde in der französischen Version mit „acte de Dieu“ und in der deutschen Version mit „Naturereignisse“ übersetzt. Insbesondere die französische Version des Textes hat also besonders viel Wert darauf gelegt, die Formulierung „force majeure“ zu vermeiden, obwohl alle diese aufgelisteten Ereignisse an das Rechtsinstitut der höheren Gewalt erinnern. Die erste Umsetzung dieses Textes mit der Formulierung „force majeure“ durch den französischen Gesetzgeber und die daraus folgende dogmatische Debatte286 zeigen die Wichtigkeit von eigenen Begriffen und Umformulierungen in diesem Rahmen. 284

Koziol, JB 130 (2008), 230, 240. Hervorhebung hinzugefügt. 286 S. o. Kap. 3.B.II.1.a). 285

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

Ähnliche Umformulierungen sind auch in der besonderen seerechtlichen Haftung entstanden. So sieht der Art. III Abs. 2 lit. a ÖlHÜ einen Haftungsausschluss für „Kriegshandlung, Feindseligkeiten, Bürgerkrieg, Aufstand oder ein außergewöhnliches, unvermeidliches und unabwendbares Naturereignis“ vor. Das Rechtsinstitut der höheren Gewalt, auch wenn hier auf den Act of God begrenzt, ist zu erkennen. Dieselbe wörtliche Formulierung lässt sich auch in Art. 3 Abs. 3 lit. a BunkÖlÜ sowie in Art. 10 Abs. 1 lit. a WBÜ finden. ee) Die etablierte Praxis der Definition von allgemein bekannten Begriffen in der internationalen Vertragsgestaltung Die Praxis der Definition findet sich auch in der privatrechtlichen Vertragsgestaltung. Diese angloamerikanische Praxis wurde weitgehend in Europa übernommen.287 Der Vertrag beginnt demnach regelmäßig mit den Definitionen der wichtigsten Begriffe des nachliegenden Vertrages. Diese Begriffe müssen mit Rücksicht auf diese Definitionen der Parteien ausgelegt werden. Die Definition der „höheren Gewalt“ in Verträgen ist durchaus sehr wichtig geworden, um das Risiko der Ungenauigkeiten des Begriffs zu vermeiden.288 So können die Parteien ein Ereignis als Fall der höheren Gewalt einstufen, obwohl es nicht objektiv als solche zu beurteilen wäre.289 Allerdings kann die Übernahme vorformulierter Klauseln auch risikoreich werden, wenn die Auswahl zwischen den zahlreichen Modellklauseln verschiedener Institutionen (z.B. ICC, Formularbücher usw.) ohne Rücksicht auf die Rechtsordnungen der Parteien erfolgt.290 Denn im Falle von Unklarheiten oder Regelungslücken wird das Gericht die vertraglichen Bestimmungen anhand des nationalen anwendbaren Rechts auslegen. Deshalb empfiehlt sich für ihre Formulierung eine Verbindung der Klausel mit dem anwendbaren Recht.291 Als Beispiel einer force majeure-Musterklausel kann die entsprechende ICCMusterklausel genannt werden: „,Höhere Gewalt‘ bedeutet das Eintreten eines Ereignisses oder Umstands (,Ereignis höherer Gewalt‘), das eine Partei daran hindert, eine oder mehrere ihrer vertraglichen Verpflichtungen aus dem Vertrag zu erfüllen, wenn und soweit die von dem Hindernis betroffene Partei (,betroffene Partei‘) nachweist, dass: a) dieses Hindernis außerhalb der ihr zumutbaren Kontrolle liegt; und b) es zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in zumutbarer Weise nicht vorhergesehen werden konnte; und c) die Auswirkungen des Hindernis-

287

Vgl. Testu, 33.06. Vgl. Alpes, S. 68. 289 Allerdings behält das Gericht bei einer Enumeration einen Ermessensspielraum, vgl. Cour d’appel de Paris, 28.2.1990, Revue trimestrielle de droit civil 1990, 669; auch Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 107; Klauseln mit inklusiver Wirkung sind nur zwischen Unternehmern zulässig, s. Cour de cassation, chambre commerciale, 8.7.1981 – 79-15.626. 290 S. Plate, RIW 2007, 42, 43. 291 Vgl. Plate, RIW 2007, 42, 43. 288

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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ses von der betroffenen Partei nicht in zumutbarer Weise hätten vermieden oder überwunden werden können“ (Version ICC März 2020).

Die COVID-19-Pandemie hat das Phänomen der eigenen Definition noch verstärkt. „Corona-Klauseln“, die im Wesentlichen gesonderte force majeure-Klauseln sind, sind üblich geworden.292 Die Parteien können in diesem Rahmen etwaige spätere behördliche Maßnahmen oder gar eine spätere „Welle“ des Virus (oder einer anderen vergleichbaren Epidemie) als „höhere Gewalt“ einstufen. So entsteht für die Parteien Flexibilität und Rechtssicherheit. Danis-Fantoˆme weist darauf hin, dass eine „Kontraktualisierung der gesetzlichen Technik“293 nicht stattfinden dürfe, da der Gesetzgeber in einer ganz anderen Situation als die Vertragsparteien ist und somit nicht auf das Einverständnis eines anderen angewiesen sei.294 Wenn es aber um die Gestaltung einer transnationalen Regelung geht, ist es relevant, auf die internationale Vertragspraxis hinzuweisen. Denn sie hat aufgrund der Vielfalt der Vertragspartner und deren Rechtsordnungen sowie Rechtstraditionen einen hohen Standard bei einer flexiblen, jedoch klaren Vertragsgestaltung erreicht.295 c) Eine passende Methodik für den Begriff der höheren Gewalt für die autonome Schifffahrt in einem trans- und supranationalen Kontext Aus der Erkenntnis der Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt im internationalen Kontext durch eine eigene Legaldefinition ist es möglich, zwei Schlussfolgerungen für die autonome Schifffahrt zu ziehen. Erstens im Falle des Einsatzes eines autonomen Schiffes für die Durchführung eines Frachtvertrags. Hier bietet sich die Regelung der „höheren Gewalt“ durch die Parteiautonomie im Frachtvertrag an. Die daraus folgende vertragliche Haftung wird dadurch an Rechtssicherheit gewinnen. Die Parteien können somit entscheiden, welche Ereignisse, die das autonome Schiff betreffen, den Verfrachter von seiner Haftung befreien können. Zweitens soll der internationale Gesetzgeber eine Legaldefinition des Begriffs der höheren Gewalt für die seerechtliche deliktische Haftung geben. Hier kann die Beteiligung an einer Schiffskollision die Feststellung der höheren Gewalt herausfordern. Wenn ein neues Haftungssystem für die autonome Schifffahrt auf internationaler Ebene geschaffen wird, soll der Gesetzgeber die Gelegenheit nutzen, um das Regime der höheren Gewalt für die Schiffskollision zu klären. Das Definitionsmodell kann hierbei eine hilfreiche Leistung erbringen. Definitionen sind, wie bereits erwähnt, besonders gut geeignet für internationale Übereinkom-

292

Vgl. Kenfack, Recueil Dalloz 2020, 2185; zu der Notwendigkeit einer force majeureKlausel mit Einbeziehung von Pandemien und behördlichen Maßnahmen s. Beyer/Hoffmann, NJOZ 2020, 609, 613; Wagner, ZEuP 2020, 531, 533. 293 Danis-Fantoˆme, in: Me´langes Viney, 275, 283. 294 Danis-Fantoˆme, in: Me´langes Viney, 275, 283. 295 Vgl. auch Cornu, in: Me´langes Vincent, 77, Rn. 36.

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

men mit heterogenen Vertragsstaaten, um sich auf den Inhalt eines Konzepts zu verständigen.296 aa) Die Übernahme des Definitionsmodells für den Begriff der höheren Gewalt in der autonomen Schifffahrt Um eine effiziente Antwort auf die Herausforderungen sowohl der Digitalisierung als auch der Globalisierung der Handelsbeziehungen zu geben, ist eine internationale Regelung der autonomen Schifffahrt nötig. Für Schiffskollisionen profitiert die Schifffahrt bereits von einem supranationalen Instrument: dem IÜZ von 1910. Während seine Bestimmungen grundsätzlich auf die autonome Schifffahrt anwendbar wären, löst die autonome Schifffahrt einen Anpassungsund Umformulierungsbedarf aus. Die Benutzung der Begriffe „cas fortuit ou force majeure“ und von wörtlichen Übersetzungen („Zufall oder höhere Gewalt“) in Art. 2 IÜZ wird sich als gefährlich für die autonome Schifffahrt in einem internationalen Kontext erweisen. Bereits heute besteht eine umfangreiche Rechtszersplitterungsgefahr durch eine fehlerhafte Rechtssetzung. Daher sollte das Modell der Legaldefinition übernommen werden. Die autonome Schifffahrt würde somit die Gelegenheit einer sicheren Rechtsvereinheitlichung geben. Die Rechtssicherheit, die daraus entstehen wird, dürfte der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akzeptanz der autonomen Schifffahrt dienen. Für eine Umschreibung im IÜZ bestehen drei grundsätzliche Wege. Erstens könnte der Begriff der höheren Gewalt in der Präambel zum IÜZ definiert werden und könnte für alle Situationen, die in diesem Übereinkommen geregelt sind, gelten. Der kleine Umfang dieses Übereinkommens und die einmalige Benutzung des Rechtsinstituts der höheren Gewalt in Art. 2 weisen aber auf die Überflüssigkeit einer solchen allgemeinen, mit dem Regelungsinhalt abgesonderten Definition hin. Auch im Falle eines Protokolls, das eine objektive Haftung für autonome Schiffe einführen würde, wäre dies unerheblich. Denn das Institut der höheren Gewalt wird bei allen Kollisionssituationen wirken, sodass Art. 2 IÜZ selbst als Generalklausel dienen kann. Zweitens könnte auf die ausdrückliche Verwendung der Begriffe in Art. 2 Abs. 1 IÜZ verzichtet werden. Die Ausdrücke „cas fortuit ou force majeure“ bzw. z.B. „Zufall oder höhere Gewalt“ könnten von einer Definition ersetzt werden. Diese Lösung könnte zu einem „wenig elegant[en]“297 langen Satz führen. Auch wenn dieser letzte Punkt im internationalen Kontext weniger erheblich ist,298 besteht aber eine Alternative: ein Mittelweg. Dieser Mittelweg könnte sich in Art. 2 IÜZ durch einen zusätzlichen Absatz manifestieren, der die Funktion der Legaldefinition ausfüllen könnte. Dadurch 296

Cornu, in: Me´langes Vincent, 77, Rn. 36. Alpes, S. 171. 298 Vgl. Kropholler, S. 248. 297

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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wird der Bedarf an Rechtssicherheit erfüllt, ohne dass der Regelungsinhalt durch eine komplizierte und lange Formulierung unmittelbar abgeschwächt wird. Diese Lösung erscheint angemessen für die Entwicklung eines Protokolls zum IÜZ. Mit der letzten Lösung wird aber ein anderer Klärungsbedarf entstehen, nämlich die Streichung des Zufalls als Entlastungsgrund im Sinne des IÜZ. bb) Die Auslassung des Zufalls in einer neuen Haftung für die autonome Schifffahrt Die Schaffung einer objektiven verschuldensunabhängigen Haftung wird und soll dazu führen, dass lediglich die „höhere Gewalt“ die Haftung des Schädigers entlasten darf.299 Wie bereits dargestellt, hat die Nichtabgrenzung zwischen Zufall und höherer Gewalt im französischen Recht zur Ungenauigkeit und Rechtszersplitterung bezüglich der Haftung nach einer Schiffskollision geführt. Die deutsche Seehandelsrechtsreform von 2013 hat viele Fragen bezüglich des Zufalls offengelassen, insbesondere durch die Diskrepanz zwischen dem neuen § 570 HGB und dem Wortlaut des Art. 2 IÜZ und des § 92a BinSchG. Im Rahmen einer objektiven Haftung wurden auch in der französischen Literatur Argumente für den Ausschluss des Zufalls („cas fortuit“) vorgebracht. Der Zufall soll eine Entlastungsmöglichkeit für ordentliche Fälle darstellen. Dagegen bietet die Rechtsinstitution der höheren Gewalt eine Entlastungsmöglichkeit für außerordentliche Fälle. Wenn die Haftung besonders streng sein soll, z.B. im Rahmen einer objektiven Haftung (etwa aufgrund der Gefährlichkeit der Tätigkeit), soll nur die „höhere Gewalt“ den Schädiger entlasten können.300 Der Schädiger soll außerhalb (faktisch und/oder juristisch) der Sphäre des schädlichen Ereignisses bleiben. Diese Graduierung der Entlastung findet sich in der französischen Theorie der „obligation de moyen“ und „obligation de re´sultat“ wieder.301 Bei einer „obligation de moyen“ muss der Schädiger bzw. Schuldner302 lediglich nachweisen, dass er alles versucht hat, um seine (Sorgfalts-)Pflicht zu erfüllen. Das tatsächliche Ergebnis ist dabei unbeachtlich.303 Hingegen ist bei einer „obligation de re´sultat“ lediglich das Ergebnis relevant.304 Die Bemühungen des Schuldners bzw. des 299 So auch Etzkorn, S. 358, allerdings mit Begründung, dass der Zufall „keinen eigenen Anwendungsbereich“ habe und somit „ein Mehrwert für die Rechtsfolgen […] nicht ersichtlich“ sei. 300 Spaeth, S. 56. 301 Die Theorie wurde von Rene´ Demogue geschaffen, Demogue, S. 536 ff.; ausführlicher zur Entstehungsgeschichte s. Terre´/Lequette/Simler/Che´ne´de´, S. 905–906. 302 Die Theorie gilt sowohl für die vertragliche als auch die deliktische Haftung, vgl. Picod, Obligations, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 79. 303 Vgl. Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 906–907. 304 Vgl. Picod, Obligations, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 82; Terre´/Lequette/Simler/ Che´nede´, S. 912 ff.

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

Schädigers sind hier unbeachtlich. Er haftet also verschuldensunabhängig.305 In diesem dualen System können sowohl der Zufall als auch die höhere Gewalt den Schuldner einer „obligation de moyen“ befreien, während nur die „höhere Gewalt“ den Schuldner der „obligation de re´sultat“ befreien kann.306 Es ist allerdings interessant, dass Boucard in diesem Kontext richtigerweise die höhere Gewalt und den Zufall abgrenzt, was in der französischen Literatur selten zu finden ist.307 Der Betrieb von autonomen Schiffen ist ein weiteres Beispiel der Nichteignung des Zufalls für die Haftung nach einer Schiffskollision. Denn viele plötzliche (z.B. technische) Ereignisse an Bord autonomer Schiffe, die keine verschuldensgeprägte Ursache haben, könnten als Zufall eingeordnet werden. Dies hat auch richtigerweise Ramming im Rahmen der autonomen Schifffahrt erkannt. Für ihn soll eine verschuldensunabhängige Kollisionshaftung „auf den Ausfall bzw. die Fehlfunktion von Netzen bei ferngesteuerten Schiffen sowie Programmierungsfehler bei autonom fahrenden Schiffen“308 begrenzt sein. Diese Ereignisse sind keine Fälle der höheren Gewalt, da es an der äußeren Herkunft mangelt. Es sind Ereignisse des Zufalls. Dies ist der Grund, warum sie nicht den Reeder von seiner (verschuldensunabhängigen) Haftung befreien sollten. Die Auslassung des Zufalls aus der Haftung sollte aber eine bewusste Entscheidung des (internationalen) Gesetzgebers sein. Wie bereits dargestellt, haben die nationalen Gerichte ohne unmittelbare Tätigkeit des Gesetzgebers ein breites Ermessen für die Auslegung der Begriffe. Die französische Rechtsprechung könnte daher schnell auf die alte Konzeption des Begriffs „Zufall oder höhere Gewalt“ zurückgreifen, während die deutsche Rechtsprechung weiterhin die beiden Konzepte abgrenzen würde. Mit einer Definition des Begriffs der höheren Gewalt, die das Merkmal der äußeren Herkunft sicherstellt und somit den Zufall zurückweist, kann auch eine einheitliche Regelung für autonome Schiffe erfolgen. Die Definition der „höheren Gewalt“ dient einer anderen Tätigkeit der Rechtsprechung im Rahmen ihrer Auslegungs- und Definitionsaufgabe, die Qualifikation: „Wenn die Konturen eines Rechtsbegriffs durch eine Definition klar bestimmt sind, wird es für das Gericht offensichtlicher sein, zu sagen, ob die Tatsache oder Handlung, die er qualifiziert, diesem Rechtsbegriff entspricht oder nicht.“309

Durch die Definition des Begriffs der höheren Gewalt und die Eingrenzung der erforderlichen Merkmale kann das Gericht klar zwischen Zufall und höherer Gewalt unterscheiden. Das Ausmaß an Technik, das mit der Benutzung von künstlicher Intelligenz an Bord von autonomen Schiffen einhergeht, verlangt die 305 S. z.B. Cour de cassation, premie`re chambre civile, 16.2.1988 – 86-14.918, Bulletin civil I, 42; vgl. auch Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 908. 306 Vgl. Boucard, Responsabilite´ contractuelle – violation de l’obligation, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 356; Terre´/Lequette/Simler/Che´nede´, S. 908. 307 Vgl. Kap. 2.C.I.1. 308 Ramming, RdTW 2017, 286, 292. 309 Danis-Fantoˆme, in: Me´langes Viney, 275, 286.

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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Begrenzung des Spektrums der Haftungsentlastung auf die „höhere Gewalt“. Ansonsten könnten plötzliche unverschuldete technische Ausfälle regelmäßig zur Haftungsentlastung führen.310 Dementsprechend würde der Art. 2 Abs. 1 IÜZ wie folgt lauten: Si l’abordage est duˆ a` un cas de force majeure, ou s’il y a des doutes sur les causes de l’abordage, les dommages sont supporte´s par ceux qui les sont e´prouve´s. [Deutsche Version] Ist der Zusammenstoß durch höhere Gewalt herbeigeführt oder besteht Ungewissheit über seine Ursache, so wird der Schaden von denen getragen, die ihn erlitten haben.

cc) Vorschlag einer Definition des Begriffs der höheren Gewalt im IÜZ Für eine Definition des Begriffs der höheren Gewalt bei Schiffskollisionen, die auch die Besonderheiten der autonomen Schifffahrt berücksichtigt, könnten zunächst andere seerechtliche internationale Übereinkommen als Inspiration dienen. Wie bereits dargestellt, bestehen große Ähnlichkeiten, sogar manchmal exakte Übereinstimmungen, zwischen den Umschreibungen des Instituts der höheren Gewalt. Sie sind aber auf das englische Modell des „Act of God“ gestützt, d.h. auf Naturereignisse begrenzt. Eine Übernahme dieser Lösung ist hier nicht möglich. Die äußere Herkunft der höheren Gewalt bei Ereignissen, die autonome Schiffe betreffen können, ist nicht auf die Gewalt der Natur begrenzt. Cyberangriffe finden beispielsweise ihre Ursache außerhalb der Risiko- und Kontrollsphäre des Schädigers, sie sind aber keine Ereignisse der Natur. Das Gleiche gilt für die höhere Gewalt i.S.d. Art. 7:102 PETL. Die UPICC 2016 können hingegen, aufgrund ihrer rechtsvergleichenden Entstehung, eine gute Inspirationsquelle darstellen, auch im Rahmen des Deliktsrechts. Kombiniert mit den Erkenntnissen, die aus dem vorstehenden deutschfranzösischen Rechtsvergleich entstehen, könnte man eine für die (autonome) Schifffahrt angemessene Definition erzielen. Die höhere Gewalt könnte in einem neuen Art. 2 Abs. 2 IÜZ wie folgt definiert werden:311 Au sens de la pre´sente disposition, la force majeure de´signe un e´ve´nement e´chappant au controˆle du de´fendeur ou de la personne dont il doit re´pondre, qui ne pouvait eˆtre raisonnablement pre´vu et surmonte´, tant dans sa re´alisation que dans ses conse´quences, par des mesures approprie´es appre´cie´es au regard de la diligence requise dans une situation similaire.

310

Dieser Punkt zeigt die Einfluss eines möglichen Nebeneinanderstehens von „Zufall“ und „höherer Gewalt“ auf die Rechtsfolge, entgegen der Ansicht z. B. von Etzkorn, S. 358. 311 Da die offizielle Sprache des IÜZ die französische Sprache ist, wird der Vorschlag auf Französisch gemacht, begleitet von einer deutschen Übersetzung. Die deutschen Begriffe orientieren sich an der Rechtsprechung des RG und des BGH und vor allem dem Wortlaut des deutschen black-letter der UPICC 2010 (Art. 7.1.7.).

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

[Deutsche Übersetzung] Höhere Gewalt im Sinne dieses Artikels ist ein Ereignis, das außerhalb des Einflussbereichs des Beklagten oder demjenigen liegt, für den er einzustehen hat, und das in seinem Eintritt und seinen Folgen durch angemessene Maßnahmen, gemessen an der in einer vergleichbaren Situation äußersten erforderlichen Sorgfalt, vernünftigerweise nicht vorhergesehen und überwunden werden konnte.

Durch diese Definition des Begriffs der höheren Gewalt im Sinne des IÜZ wird das angerufene Gericht, das die Bestimmungen des IÜZ anzuwenden hat, einen Rahmen für seine Auslegung finden. Mit dieser Umschreibung (die mit der Streichung des Zufalls kombiniert ist) bietet der Text eine höhere Rechtssicherheit und wird mit einer größeren Wahrscheinlichkeit die tatsächliche Rechtseinheit erreichen. Sie bietet aber zugleich die nötige Flexibilität, die das Institut der höheren Gewalt braucht. Ohne Flexibilität könnten die Abmilderungsfunktion und die Anpassungsfähigkeit der Rechtsinstitution der höheren Gewalt gefährdet werden. Die Übernahme bzw. die Änderung des Art. 2 IÜZ muss zudem zu einer Änderung bzw. Anpassung der nationalen Umsetzungen führen. Ansonsten wäre eine vollständige und effiziente Rechtsvereinheitlichung nicht gelungen.312

III. Die Effekte des Instituts der höheren Gewalt in einer objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt Sollte sich der (ggf. internationale) Gesetzgeber für eine objektive Haftung im Rahmen der autonomen Schifffahrt entscheiden, wird und soll sie, wie dargestellt, die „höhere Gewalt“ berücksichtigen. Die Effekte des Instituts der höheren Gewalt müssen dabei klar definiert sein. Zunächst soll, anders als im alten Recht z.B. in der Hanse, die „höhere Gewalt“ weiterhin den Schädiger vollständig entlasten. Diese Regelung war in der Seeschifffahrt, insbesondere in Frankreich, das Ergebnis einer langen Entwicklung der Rechtsprechung (1.). Die differenzierte Haftung je nach Art der Schiffe, die an der Kollision beteiligt sind, lässt sich aus den verschiedenen Schutzbedürfnissen der Beteiligten rechtfertigen. Hingegen muss die Rechtsinstitution der höheren Gewalt bei jeder Situation einheitliche Effekte erhalten, um einerseits die Klarheit der Normsystematik zu gewährleisten und andererseits die Billigkeit des Mechanismus der höheren Gewalt zu bewahren (2.).

312

Dazu und zu einem Vorschlag für eine Übereinstimmung mit den internationalen Vorschriften s. Kap. 3.A.IV.

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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1. Der vollständige Entlastungseffekt des Instituts der höheren Gewalt bei einer Schiffskollision Die Rechtsinstitution der höheren Gewalt kann klassischerweise zwei Arten von Effekten haben. Antonmattei benennt eine klare Dichotomie: Die „höhere Gewalt“ hat einen Entlastungseffekt313 und einen Konservierungseffekt.314 Der Konservierungseffekt gewährleistet die Geltendmachung eines Anspruchs, indem die höhere Gewalt z.B. die Verjährung dieses Anspruchs hemmt.315 Der Entlastungseffekt wirkt insbesondere in einem Haftungskontext: Die höhere Gewalt wird den Schädiger bzw. den Schuldner von seiner Haftung entlasten. Im Rahmen der Schiffskollision, also im besonderen Deliktsrecht, dient die höhere Gewalt der Entlastung des Schädigers von seiner Haftung. Obwohl er eigentlich hätte haften müssen, wird er dies nicht. a) Der Grundsatz der vollständigen Entlastung bei höherer Gewalt Das französische Recht betrachtet klassischerweise316 das Institut der höheren Gewalt als einen Entlastungsgrund mit vollständiger Wirkung nach dem „Allesoder-nichts“-Prinzip.317 Für die vertragliche Haftung erwähnt der Art. 1218 Code civil, der die Legaldefinition des Begriffs der höheren Gewalt gibt, diesen Effekt nicht.318 Dies wird erst in Art. 1231-1 Code civil geregelt: „Der Schuldner ist gegebenenfalls zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder wegen Verzugs zu verurteilen, wenn er nicht nachweist, dass die Erfüllung durch höhere Gewalt verhindert wurde.“

Der Gesetzesvorschlag für die Reform des französischen Deliktsrechts von Juli 2020 erwähnt allerdings auch nur mittelbar diesen Effekt der höheren Gewalt. Er kann lediglich durch die Formulierung des Art. 1253 Abs. 1 des Reformentwurfs von 2020 erkannt werden. Das Mitverschulden des Geschädigten und die Handlung eines Dritten sind nur dann vollständig entlastend, wenn sie den Kriterien der höheren Gewalt entsprechen:319 „Die Handlung eines Dritten oder des Geschädigten sind vollständig entlastend, wenn sie die Merkmale der höheren Gewalt aufweisen.“ Es ist hier allerdings anzumerken, dass die Formulierung von derjenigen des Vorentwurfs von März 2017 abweicht. Der „cas fortuit“ (als Syn313

S. Antonmattei, S. 143 ff. S. Antonmattei, S. 187 ff. 315 Vgl. im deutschen Recht § 206 BGB; dazu s. insbesondere Alpes, S. 111 ff.; im französischen Recht Art. 2234 Code civil; dieser Effekt lässt sich auch in transnationalen Texten finden, z.B. Art. 10.8(1) Unidroit Principles 2016; Art. 10:101 PETL. 316 S. z.B. Cour de cassation, chambre des requeˆtes, 19.8.1878, Recueil pe´riodique et critique mensuel Dalloz 1879.I, 215. 317 S. z.B. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 87. 318 Vgl. dazu Chantepie/Latina, S. 573. 319 Vgl. auch im geltenden Recht Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 87. 314

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

onym der höheren Gewalt) ist nicht mehr in Art. 1253 Abs. 1 aufgelistet. Überraschend wäre aber angesichts der Tradition und der Rechtsprechung, dass die höhere Gewalt auch kein eigenständiger Entlastungsgrund mehr wäre. Zudem gilt im französischen Recht das Prinzip der Totalreparation („principe de re´paration inte´grale du pre´judice“).320 Nach diesem Prinzip sollen sämtliche Schäden – und ausschließlich die Schäden („tout le pre´judice et rien que le pre´judice“) – ersetzt werden.321 Dieses Prinzip wird im Gesetzesvorschlag von 2020 wiederholt, um in einem künftigen Art. 1258 Code civil verankert zu werden: „Der Schaden wird vollständig ersetzt. Der Zweck des Ersatzes ist es, den Geschädigten so weit wie möglich in die Lage zu versetzen, in der er sich befunden hätte, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre, so dass für ihn kein Schaden oder Gewinn entsteht.“

Die Cour de cassation hat den vollständigen Entlastungseffekt des Instituts der höheren Gewalt mit diesem Grundsatz ausdrücklich 1970 in Verbindung gebracht: „Der Halter der Sache, die der Schaden verursacht hat, außer wenn er ein Ereignis höherer Gewalt nachweist, das völlig entlastend ist, ist im Verhältnis zum Geschädigten zum vollständigen Schadenersatz verpflichtet.“322

Das Gleiche gilt im Rahmen der besonderen deliktischen Haftung bei einer Schiffskollision. Die „höhere Gewalt“ entlastet den Schädiger vollständig von seiner Haftung.323 Das deutsche Recht verbindet ebenfalls die Wirkung der Rechtsinstitution der höheren Gewalt mit dem Prinzip der vollständigen Entlastung und Reparation. Dort wird sie zudem klar mit der Theorie der unteilbaren Kausalität in Verbindung gebracht.324 b) Der gescheiterte Versuch einer Teilentlastung bei höherer Gewalt durch die französische Rechtsprechung Insbesondere in Bezug auf Naturereignisse und Schifffahrt hatte die Rechtsprechung,325 teilweise einem Teil der Literatur folgend, versucht den Grundsatz der Totalreparation zu überwinden. Insbesondere die Entscheidung der Cour de cassation im Jahre 1951,326 Lamoricie`re, hat zu diesem Versuch beigetragen. Ein Passagierschiff war infolge 320

Dieses Prinzip gilt auch im deutschen Recht, s. Looschelders, § 43 Rn. 4; Wagner, in: MüKo-BGB, 8. Aufl., § 823, Rn. 86; es ist auch in transnationalen Texten zu finden, s. z.B. Art. 74 CISG; Art. 7.4.2(1) UPICC 2016; Lisbon Rules 1987, Rule D. 321 Näher zum Prinzip im französischen Recht s. Brun, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 157 ff.; zum Bereicherungsverbot im deutschen Recht vgl. Looschelders, § 43 Rn. 5. 322 Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 4.3.1970 – 67-11.136. 323 Vgl. auch Bourbonnais-Jaquard, S. 139. 324 Vgl. Städtler, S. 89 ff. 325 Vgl. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 89, und die dort zahlreichen zitierten Entscheidungen. 326 Cour de cassation, chambre commerciale, 19.6.1951, Recueil Dalloz 1951, 717.

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

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eines Sturms zwischen Marseille und Algier gesunken. Die Cour de cassation hatte festgestellt, dass der Reeder seine Haftung nur teilweise ausschließen konnte, weil der Untergang des Schiffes i.H.v. 4/5 wegen des Sturms (höhere Gewalt) und i.H.v. 1/5 wegen defekter Kohle (Verschulden des Reeders) verursacht wurde. Diese Lösung der „force majeure partielle“ wurde dann von der Cour de cassation 1957, in der Entscheidung „Houillie`res du Nord“,327 bestätigt. Hier wurde also der Äquivalenztheorie gefolgt: Jedes Ereignis enthält einen Kausalzusammenhang mit dem Schaden und muss entsprechend berücksichtigt werden. Dieser Position wurde insbesondere im Rahmen von Schiffsunglücken gefolgt.328 Die Lösung, über die dogmatische Überlegung der Äquivalenztheorie hinaus, hatte den verstärkten Schutz des Geschädigten zum Zweck. So würde ihm zumindest ein Bruchteil seiner Schäden ersetzt.329 Eine solche Lösung verstößt, wie bereits dargestellt, gegen das Prinzip der Totalreparation. Die Literatur war gegenüber den Entscheidungen, die die „force majeure partielle“ anerkannt haben, sehr kritisch.330 Die Teilbarkeit der Kausalität wurde z.B. vehement zurückgewiesen.331 Zudem wurde darauf hingedeutet, dass die höhere Gewalt und ein Verschulden sich gegenseitig ausschließen müssen. Ansonsten würde man bei der Prüfung der höheren Gewalt eine verdeckte Verschuldensprüfung durchführen.332 Die schwierige Bestimmbarkeit der Haftungsanteile ist eine weitere nicht unerhebliche Kritik an den Entscheidungen.333 Allerdings ist diese letzte Kritik von geringerer Bedeutung. Das Schiffskollisionsrecht sieht z.B. bereits eine Verteilung der Schäden nach dem Maß des Verschuldens im Falle eines Mitverschuldens des Geschädigten vor, Art. L. 5131-4 Abs. 1 Code des Transports bzw. § 571 Abs. 1 HGB. Die Ansicht der Rechtsprechung wurde daher später aufgegeben und es wurde der Adäquanztheorie gefolgt:334 Es liegt „höhere Gewalt“ nur dann vor, wenn das von außen kommende Ereignis der „echte“ (kausale) Grund der schädlichen Konsequenzen ist. Wenn diese Voraussetzung bejaht wird, kann das Institut der höheren Gewalt nur zu einer vollständigen Entlastung des Schädigers führen.

327

Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 13.3.1957, Recueil Dalloz 1957. J, 73. Cour de cassation, chambre commerciale, 19.6.1951, Recueil Dalloz 1951, 717; s. auch Cour de cassation, chambre commerciale, 14.2.1973 – 71-11.861; s. bereits auch Cour de cassation, chambre des requeˆtes, 22.2.1910, Gazette du Palais 1910, 245. 329 Vgl. Gre´au, Force majeure, in: Re´pertoire de droit civil, Rn. 90. 330 A.A. die Anmerkung von Radouant zu Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 13.3.1957, Recueil Dalloz 1957. J, 73. 331 Vgl. Städtler, S. 100. 332 S. Städtler, S. 102. 333 Vgl. z.B. Städtler, S. 101; Anmerkung Radouant, unter Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 13.3.1957, Recueil Dalloz 1957. J, 73, 75. 334 S. z.B. Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 15.6.1977 – 76-11.225; Cour de cassation, deuxie`me chambre civile, 26.4.1990 – 88-19.820. 328

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

2. Die einheitlichen Effekte der höheren Gewalt in der neuen objektiven Haftung für die autonome Schifffahrt Wie dargestellt, gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die objektive Haftung de lege ferenda, je nach Kollisionskonstellation, differenziert wirkt.335 Die allgemeine und einheitliche Wirkung des Instituts der höheren Gewalt im Haftungsrecht als vollständiger Entlastungsgrund soll aber dabei erhalten bleiben. Die Lösung der Verteilung zur Hälfte der Schäden aus dem alten Recht, die das Vorliegen eines außergewöhnlichen Falles und die Unmöglichkeit des Nachweises eines Verschuldens gleichgestellt hat, ist nicht mehr für die Effekte der höheren Gewalt relevant. Die ökonomischen und beweisrechtlichen Hintergründe, die diese Verteilung gerechtfertigt hatten, sind heute besser für die Begründung der Einführung einer objektiven Haftung geeignet. Die Rechtsinstitution der höheren Gewalt wird hier – einheitlich – die strikte Haftung de lege ferenda mildern. Im Folgenden werden die vorgeschlagenen Lösungen mit den jeweiligen Effekten der höheren Gewalt kurz einzeln angesprochen. a) Zusammenstoß unter Beteiligung mindestens eines autonomen Schiffes De lege ferenda wurde für die Konstellation eines Zusammenstoßes zwischen mindestens einem autonomen Schiff und einem klassischen Schiff eine objektive Haftung des autonomen Schiffes mit der Möglichkeit einer Abmilderung bzw. Entlastung durch das Mitverschulden vorgeschlagen.336 Um mögliche extreme Situationen abzumildern, können sich hier alle Beteiligten zusätzlich mit der „höheren Gewalt“ entlasten. Das autonom fahrende Schiff kann somit nachweisen, dass die höhere Gewalt die Kausalität zwischen seinem Schiff und den Schäden unterbrochen hat. Die Autonomie des Schiffes steht nicht im Zusammenhang mit der Schadensverursachung. Es ist zu betonen, dass das Mitverschulden des Geschädigten nicht den Merkmalen des Instituts der höheren Gewalt entsprechen sollte, um sie zulassen zu können. Sonst könnte die wirtschaftliche Wirkung der Einführung des Mitverschuldens nur selten eintreten.337 Der Reeder des klassischen Schiffes soll sich aber auch durch die höhere Gewalt von seinem eventuellen Mitverschulden entlasten können. Wurde der Zusammenstoß durch „höhere Gewalt“ verursacht, so kann er sich von dieser Haftung entlasten. Dies dient ebenfalls dem Zweck der Wiederherstellung der Billigkeit. Zudem dient dies, für das klassische Schiff, der Einheitlichkeit seines Haftungsregimes, unabhängig von dem Anspruchsgegner. Der Schädiger haftet aufgrund eines Verschuldens und kann sich durch die höhere Gewalt entlasten. 335

S. o. Kap. 3.A.IV. S. Kap. 3.A.IV. 1 337 Zu der wirtschaftlichen Wirkung des Mitverschuldens bei einer objektiven Haftung s. Kap. 3.A.III.2.b). 336

B. Die Gestaltung und der Platz des Begriffs der höheren Gewalt

173

b) Zusammenstoß unter exklusiver Beteiligung von autonomen Schiffen De lege ferenda sollte im Falle des Zusammenstoßes mit exklusiver Beteiligung autonomer Schiffe eine objektive Haftung entstehen, die zu einer gleichmäßigen Verteilung der Schäden führen sollte.338 Das Institut der höheren Gewalt soll hier die Beteiligten in eine Situation stellen, in der jeder seinen eigenen Schaden tragen soll. Die „höhere Gewalt“ wird die Beteiligten von den jeweiligen gegenseitigen Ansprüchen entlasten. Sie hat die Kausalität zwischen dem Betrieb des autonomen Schiffes und der Kollision unterbrochen. Dementsprechend gibt es keinen Grund, die Schäden zwischen den Beteiligten zu verteilen. Vielmehr soll jeder die eigenen Kosten in die extreme Situation der höheren Gewalt tragen. Bei Zusammenstößen – ohne höhere Gewalt – ist die Verteilung der Schäden aufgrund der Solidarität zwischen den Betreibern von autonomen Schiffen angesichts dieser Tätigkeit gerechtfertigt. Hat hingegen die höhere Gewalt den Zusammenstoß verursacht, soll die Haftung unabhängig von der Eigenschaft des Schiffes beurteilt werden. Denn wenn diese Eigenschaft eine aktive Rolle in der Verursachung des Schadens gespielt hat, wird in der Regel die höhere Gewalt nicht bejaht. c) Kollision zwischen einem autonomen Schiff und einem Verkehrsteilnehmer, der kein Schiff ist De lege ferenda könnte eine objektive Haftung des autonomen Schiffs, im Falle einer Kollision bzw. Beschädigung einer Sache (z.B. Anleger) oder eines Verkehrsteilnehmers, der nicht als Schiff qualifiziert werden kann (z.B. Schwimmer, Paddler), auf dem Modell der französischen Sachhalterhaftung, die bereits anwendbar ist, beruhen. Auch hier wäre eine erste Entlastung durch das Mitverschulden des Geschädigten möglich.339 Darüber hinaus wird hier auch – ähnlich dem französischen Modell – eine Entlastung mit dem Beweis eines Falles der höheren Gewalt möglich. Wie in den beiden anderen Konstellationen besteht kein Grund für den Halter des Schiffes zu haften, wenn die Kollision aufgrund extremer Ereignisse der höheren Gewalt verursacht wurde. In einem solchen Fall werden sowohl der Schädiger als auch der Geschädigte den eigenen Schaden tragen.

IV. Ergebnis: das Institut der höheren Gewalt als zentraler Punkt der künftigen objektiven Haftung Die Rechtsinstitution der höheren Gewalt ist auch aus rechtshistorischen und rechtsdogmatischen Gründen eng mit der objektiven Haftung verbunden. Sie dient in allen Situationen als Abmilderung strenger und absoluter haftungsrecht-

338 339

S. Kap. 3.A.IV. 2 S. Kap. 3.A.IV. 3.

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Kapitel 3: Die höhere Gewalt in einem neuen Haftungsregime

licher Ergebnisse und stellt ein Billigkeitsgefühl der rechtlichen Lösung wieder her. Daher muss ihr Platz auch in einem künftigen Haftungssystem gewährleistet werden. Dabei muss aber, aufgrund der intrinsischen internationalen Besonderheit der Schifffahrt, die Rechtssetzung des Begriffs der höheren Gewalt sorgfältig beachtet werden. Dies zeigt die heutige Formulierung dieses Entlastungsgrundes insbesondere im IÜZ de lege lata: Die Anwesenheit ausdrücklicher Begriffe im internationalen Kontext ohne Rücksicht auf die jeweiligen nationalspezifischen Verständnisse des Instituts führt zu Diskrepanzen in deren Auslegung und gefährdet somit die gezielte Rechtsvereinheitlichung. Der künftige Gesetzgeber – zumindest für die trans- und supranationale Ebene – sollte daher das Definitionsmodell verwenden und sich dabei auch vom Zufall („cas fortuit“) distanzieren. Bei der hohen technischen Autonomisierung der Schiffe würde sonst ein solcher Entlastungsgrund zu häufig eintreten. Bei der künftigen objektiven Haftung für autonome Schiffe soll weiterhin das Institut der höheren Gewalt den Schädiger vollständig von seiner Haftung entlasten. Dies bedeutet im vorgeschlagenen Regime, dass die Beteiligten einer Schiffskollision bei höherer Gewalt ihren eigenen Schaden tragen sollen.

C. Ergebnis des dritten Kapitels: „höhere Gewalt“ und objektive Haftung als rechtliche Zukunft für die autonome Schifffahrt Die heutigen Haftungsgrundsätze stoßen beim Einsatz autonomer Schiffe und deren Beteiligung an Zusammenstößen an ihre Grenzen. Der Verschuldensgrundsatz zeigt seine Schwäche bei dem schwierigen Beweis eines Verschuldens des Reeders. Darüber hinaus ist ein Transfer des Haftungssubjekts auf das Schiff selbst als „E-Person“ keine dogmatisch gerechtfertigte Lösung. Die heutige verschuldensunabhängige Haftung ist auch nur begrenzt einsetzbar, aber ihr Aufbau und ihre Systematik können eine wichtige Inspirationsquelle für die Haftung bei autonomen Schiffen werden. Dies ist insbesondere durch den deutsch-französischen Rechtsvergleich feststellbar. Eine vereinheitlichte objektive Haftung ist sowohl juristisch als auch wirtschaftlich gerechtfertigt. Sie könnte hier differenziert, je nach Kollisionskonstellation (ausschließlich autonome Schiffe, autonome Schiffe und klassische Schiffe, autonome Schiffe und Dritter), wirken, aber stets mit der Möglichkeit einer vollständigen Entlastung durch die Rechtsinstitution der höheren Gewalt. Die Stärke und die Flexibilität des Instituts der höheren Gewalt haben zur Folge, dass die Effekte der höheren Gewalt im Seerecht dieselben bleiben können. Die internationale Dimension der Schifffahrt benötigt eine sorgfältige transnationale Regelung. Dabei können sowohl juristische als auch wirtschaftliche Vorteile entstehen – insbesondere im Rahmen der Kompetenzen der Europäischen Union und der Weiterführung der europäischen Integration.

Kapitel 4

Ergebnis: die „höhere Gewalt“, ein vorteilhaftes und flexibles Instrument der Billigkeit im Dienst der juristischen Erfassung der autonomen Schifffahrt Die autonome Schifffahrt ist eine Technologie, die nicht nur den Wandel der Handelsschifffahrt provoziert, sondern auch den Wandel des (See-)Rechts. Die Hochtechnologie entwickelt sich rasant und ist in der Lage, durch den Einsatz von autonomer Brücke und autonomem Maschinenraum die menschliche Entscheidungen und Steuerung zu ersetzen. Dieser Ersatz erfolgt progressiv, von der Stufe 0 (klassisches Schiff) bis Stufe 4 (vollautonomes intelligentes Schiff). Gleichwohl ist zu betonen, dass die Autonomisierung nicht unbedingt eine Abwesenheit der Bemannung bedeuten muss. Die Entwicklung der Technik erlaubt, in zahlreichen Projekten voranzukommen, und Forscherteams sind heute in der Lage, fahrende, autonome Schiffe anzubieten. Dementsprechend fängt erst jetzt – mit großer Verzögerung im Vergleich zum autonom fahrenden Fahrzeuge im Straßenverkehr – der Gesetzgeber an, Regeln zu entwickeln. Die rechtshistorische Entwicklung des Konzepts der höheren Gewalt im Seehandelsrecht darf dabei nicht vergessen werden, denn die Schifffahrt hat bereits viele gewaltige technische Entwicklungen erlebt. Solange keine vollständige Anpassung der bestehenden Regeln bzw. eine Einführung neuer Regeln erfolgt ist, soll die Rechtslage de lege lata mit der autonomen Schifffahrt gegenübergestellt werden. Der Schiffszusammenstoß wird besonders relevant. Die heutige Haftung ist verschuldensabhängig, mit der Möglichkeit einer Entlastung durch den Beweis eines Falles der höheren Gewalt. Die passive Rolle des Menschen bei der Steuerung und im Entscheidungsprozess erfordert eine Anpassung der Analyse der Rechtsinstitution der höheren Gewalt. Die autonome Schifffahrt zeigt erneut die Flexibilität des Begriffs. Mit dem Menschen als Ausgangspunkt der Analyse wird sich die Beurteilung des Vorliegens der höheren Gewalt anpassen müssen, ggf. mit Hilfe anderer seerechtlicher Institute wie z.B. der Seetüchtigkeit. Die Gegenüberstellung der höheren Gewalt und der autonomen Schifffahrt leuchtet die Problematik der jetzigen Betrachtung der Beziehung zwischen Zufall und höherer Gewalt und insbesondere deren Gleichstellung nach französischem Privatrecht ein. Aufgrund des Wortlauts, wörtlich vom Französischen ins IÜZ übertragen und in der deutschen Umsetzung übersetzt, ist eine Diskrepanz der zulässigen Entlastungsgründe zwischen Deutschland und Frankreich entstanden. Die moderne Analyse der äußeren Her-

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Kapitel 4: Ergebnis

kunft der höheren Gewalt betont hier die Wichtigkeit der Begrenzung der Entlastungmöglichkeit auf den Begriff der höheren Gewalt. Die heutige Verschuldenshaftung sowie die bereits bestehende objektive Haftung, die auf die Schifffahrt Anwendung finden, zeigen ihre Grenzen. Der Beweis eines Verschuldens beruht noch sehr auf einem zurechenbaren (menschlichen) Tun. Da die Zurechnung eines Verhaltens einer Maschine (sog. E-Person) utopisch und derzeit nicht wünschenswert erscheint, spricht der heutige Kontext für die Einführung einer objektiven Haftung. Diese ist sowohl juristisch als auch ökonomisch vernünftig. Das französische Recht und die französische Sachhalterhaftung zeigen die Möglichkeit einer objektiven, verschuldensunabhängigen Haftung, die nicht unbedingt auf einer spezifischen Gefahr beruht. Deshalb erscheint eine solche Lösung realisierbar. Sie könnte dabei in einem skalierten, differenzierten System umgesetzt werden, je nach konkreter Kollisionssituation: Stoßen ausschließlich autonome Schiffe zusammen, so werden die Schäden in gleicher Höhe zwischen den Beteiligten verteilt, etwa analog dem Modell der Haftung im mittelalterlichen System, es sei denn, der Zusammenstoß wurde durch „höhere Gewalt“ verursacht. Dann werden die eigenen Schäden von den jeweiligen Beteiligten selbst getragen. Stößt jedoch ein autonomes Schiff mit einem klassischen Schiff zusammen, so haftet das autonome Schiff weiterhin verschuldensunabhängig, mit zwei Entlastungsmöglichkeiten: dem Mitverschulden des Geschädigten und der höheren Gewalt. Schließlich dient wiederum das geltende französische Recht als Modell für die Haftung in folgender Konstellation: Das autonome Schiff verursacht einen Schaden einem Dritten, der nicht unter die seerechtlichen bzw. binnenschifffahrtrechtlichen Leges speciales fällt (etwa eine Sache, ein Schwimmer u.Ä.). Hier wird ebenfalls der Reeder des autonomen Schiffes verschuldensunabhängig haften, auch mit zwei Entlastungsgründen: dem Mitverschulden des Geschädigten für die Schäden an Sachen und der höheren Gewalt. Bei der Einführung eines neuen Systems ist die Internationalität der Rechtssetzung überaus wichtig. Denn die Schifffahrt und insbesondere die Entwicklung der autonomen Schifffahrt sind per se transnational. Daher sollte die neue Haftung im Form eines Protokolls zum IÜZ erfolgen oder zumindest durch eine Verordnung der Europäischen Union. Dabei sollte in dem Verweis auf ausdrückliche Begriffe verzichtet und dem Definitionsmodell gefolgt werden. So werden Umsetzungs- und Auslegungsfehler aufgrund des länderspezifischen Verständnisses von Rechtsbegriffen vermieden. Darüber hinaus, wenn die nationale Rechtsordnung auf einer eigenen Formulierung bestehen sollte, sollte besonders auf die Formulierung des Textes geachtet werden, um Diskrepanzen mit dem internationalen Text zu verhindern. So kann eine höhere Rechtssicherheit garantiert werden. Eine wörtliche Übersetzung ist nicht unbedingt eine gute Umsetzung. Die COVID-19-Pandemie hat die Priorität einer Reform des Rechts der autonomen Schifffahrt in den Hintergrund gedrängt. Die Reform muss nun aber zügig erfolgen, um die erforderliche Rechtssicherheit für die zahlreichen Akteure

Kapitel 4: Ergebnis

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der Forschung und der Schiffbauindustrie zu schaffen. Das Recht, dank seiner Institute mit einer Jahrhunderte alten Tradition, die über 2000 Jahre technischen Fortschritt miterlebt haben, ist für die Vierte industrielle Revolution bereit.

Anhang: Zusammenfassung der Änderungs- bzw. Anpassungsvorschläge für Schiffskollision unter Beteiligung von autonomen Schiffen Der Text wird in der offiziellen Sprache des IÜZ erstellt (Französisch) mit einer Übersetzung ins Deutsche.

A. Vorschlag einer Änderung des IÜZ I. Änderung des Wortlauts des Art. 2 IÜZ : Art. 2 aline´a 1 modifie´ – Art. 2 Abs. 1 n.F. Si l’abordage est duˆ a` un cas de force majeure, ou s’il y a des doutes sur les causes de l’abordage, les dommages sont supporte´s par ceux qui les sont e´prouve´s. [Deutsche Übersetzung] Ist der Zusammenstoß durch höhere Gewalt herbeigeführt oder besteht Ungewissheit über seine Ursachen, so wird der Schaden von denen getragen, die ihn erlitten haben.

II. Legaldefinition der höheren Gewalt: Art. 2 aline´a 2 nouveau – Art. 2 Abs. 2 n.F. Au sens de la pre´sente disposition, la force majeure de´signe un e´ve´nement e´chappant au controˆle du de´fendeur ou de la personne dont il doit re´pondre, qui ne pouvait eˆtre raisonnablement pre´vu et surmonte´, tant dans sa re´alisation que dans ses conse´quences, par des mesures approprie´es appre´cie´es au regard de la diligence requise dans une situation similaire [Deutsche Übersetzung] Höhere Gewalt im Sinne dieses Artikels ist ein Ereignis, das außerhalb des Einflussbereichs des Beklagten oder der Person, für die er einzustehen hat, liegt, und das in seinem Eintritt und seinen Folgen durch angemessene Maßnahmen, gemessen an der in einer vergleichbaren Situation äußersten erforderlichen Sorgfalt, vernünftigerweise nicht vorhergesehen und überwunden werden konnte.

B. Neue objektive Haftung

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B. Neue objektive Haftung I. Schiffskollision im Rahmen der Anwendung des IÜZ: Art. 2-1 En cas d’abordage entre navires autonomes exclusivement, les dommages sont supporte´s a` parts e´gales. En cas d’abordage entre au moins un navire autonome et au moins un navire conventionnel, il incombe au navire autonome de re´parer les dommages cause´s. Le navire autonome peut s’exone´rer de sa responsabilite´ a` hauteur de la faute prouve´e du navire conventionnel. Les dispositions du pre´sent article trouvent application dans la limite de l’article 2 de la pre´sente convention. [Deutsche Übersetzung] Im Falle eines Zusammenstoßes ausschließlich zwischen autonomen Schiffen wird der Schaden zu gleichen Teilen getragen. Im Falle eines Zusammenstoßes zwischen mindestens einem autonomen Schiff und mindestens einem klassischen Schiff hat das autonome Schiff für die entstehenden Schäden verschuldensunabhängig zu haften. Das autonome Schiff kann bis zur Höhe des nachgewiesenen Verschuldens des klassischen Schiffes von seiner Haftung befreit werden. Die Bestimmungen dieses Artikels sind innerhalb der Grenzen des Artikels 2 dieses Übereinkommens anzuwenden.

II. Schiffskollision außerhalb des Anwendungsbereichs des IÜZ: Vorschlag einer internationalen Generalklausel für Schäden, die an Personen oder Sachen außerhalb der Anwendbarkeit des IÜZ verursacht worden sind Les dommages cause´s par un navire autonome aux personnes ou choses non soumis aux dispositions de la pre´sente Convention doivent eˆtre re´pare´s par lui. Le navire autonome peut s’exone´rer de sa responsabilite´ en cas de force majeure ou, partiellement, en cas de faute de la victime. [Deutsche Übersetzung] Schäden, die ein autonomes Schiff an Personen oder Sachen verursacht, die nicht unter die Bestimmungen dieses Übereinkommens fallen, sind von ihm zu ersetzen. Das autonome Schiff kann von seiner Haftung im Falle höherer Gewalt oder, teilweise, im Falle eines Mitverschuldens des Geschädigten befreit werden.

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Register Algorithmus –  siehe auch Dilemma-Situation –  siehe auch Maschinelles Lernen – Programmierer  57, 78, 137 – Unvermeidbarkeit  78, 95 – Vorhersehbarkeit  54 Angemessenheit  58 f., 64 Äußere Herkunft  99–115 – Ablehnung in Frankreich  101 f., 105 – Betriebsgefahr  102, 111 f. – Betriebskreis  102, 112 f. – materiell  108–110. – psychologisch  110–115 – Zufall  100–107 Außergewöhnlichkeit  58 f. Betriebsgefahr, siehe Äußere Herkunft Betriebskreis, siehe Äußere Herkunft Cas fortuit, siehe Zufall COLREGs  14, 57 Cyberangriff, siehe Piraterie Daten, siehe Unvorhersehbarkeit Dilemma-Situation  94–98 – Umwelt  96 – Zufallsgenerator  95 e-Person  123 f. Ereignis, schädigendes – siehe auch Frost –  siehe auch Nebel –  siehe auch Sturm –  siehe auch Wellen – Auftritt  54–56, 70 – außergewöhnlich  59, 61 Erfahrung – menschliche  66–68, 78 – virtuelle  68–70

Extériorité, siehe Äußere Herkunft Force majeure, siehe Höhere Gewalt Freak waves, siehe Wellen Frost  60 Haftung –  siehe auch Produkthaftung –  siehe auch Tierhalterhaftung –  siehe auch Verschulden – Gehilfe  122, 127 f. – Hersteller  57, 137 Haftung, objektive –  siehe auch Sachhalterhaftung – Debatte  137–140 – spezifische Gefahr  133–135 – Vorschlag  144–146, 172 f. Haftung, seerechtliche  119–123 Hanse  37–40, 145, 168 Höhere Gewalt –  siehe auch Äußere Herkunft –  siehe auch Unvermeidbarkeit –  siehe auch Unvorhersehbarkeit – Abgrenzung zum Zufall  50, 101–105, 165 – act of God  157 – Beweis  87 – Definition  3 f., 54, 154–156, 159, 167 f. – Effekte  168–173 – Formulierung  153–163, 167 f. – Mitverschulden  85 – objektive Haftung  150–152, 172 f. – PETL  161 – Rechtssetzung  153–163, 167 f. – römisches Recht  31–34, 118, 149 – Seetüchtigkeit  80 f. – Streichung  49 f., 106 f. – technisches Versagen  87, 106, 108 – Unidroit  45, 105, 160

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Register

– Verschulden  103, 105, 149 – Zweck  148–150 Imprévisibilité, siehe Unvorhersehbarkeit Infrastruktur  114 f. –  siehe auch Landkontrollstation International Maritime Organisation  11 f., 24 Internationales Privatrecht  142 f. Irresistibilité, siehe Unvermeidbarkeit IÜZ – Einfluss  43–46 – Entstehung  42 f. – f ranzösische Einfluss  43, 106 – Reform  141, 164, 167 f. – Übersetzung  43, 106, 157, 164 – Umsetzung, 46–48, 106 Kausalität  55, 75, 83–86, 149 Klassifizierungsgesellschaft  11, 70 Künstliches Intelligenz, siehe Algorithmus KVR, siehe COLREGs Landkontrollstation  18 f., 84 f., 114 Maschinelles Lernen  68 f., 75, 78 Mitverschulden  85, 140, 145 f. MUNIN, siehe Projekte Nebel  60 Piraterie  89–91, 113 Produkthaftung  128–131 Projekte – AAWA  20 – ABB  19 f. – B Zero  15 f. – CAPTN  22, 26 – IBM  22 – Mayflower  22 – MUNIN  10, 20 – ReVolt  21 – Rolls-Royce  20 f. – Yara Birkenland  21 Rechtsvereinheitlichung – Sprache  156–158 – Vorteil  141 f., 163

Rôles d’Oléron  35–38, 67, 145 Sachhalterhaftung  133–137, 146 Schadenersatz, Verteilung 36–40, 145, 168, 170 f. Schiff, autonom – Algorithmus, siehe Algorithmus – Autonomiestufe  9–13, 84, 87 – Definition  25 f. – Gefahr  134, 152 – neue Haftung  144, 172 – Projekte, siehe Projekte – Qualifikation als Schiff  24 – Seetüchtigkeit  79–83 – Technik  14–19, 80 Schiff, ferngesteuert  84 Schiff, klassisch  144 f., 172 Seedrohne  26 Seetüchtigkeit, siehe auch Unvermeidbarkeit Simulation  17, 57, 62–64, 70 Sorgfalt, siehe Unvermeidbarkeit Stand der Technik, siehe Unvermeidbarkeit Sturm – außergewöhnlich  60 f. – Vermeidbarkeit  79 – Vorhersehbarkeit  60 f., 66 Technisches Versagen  64, 70, 81, 87, 106, 108 f., 112 –  siehe auch Zufall Testbereich  26 f. Tierhalterhaftung  125 f. Unvermeidbarkeit  71–99 –  siehe auch Dilemma-Situation – Autonomiestufe  84 – Begriff  72–75 – Beweis  87–89 – geeignete Maßnahme  76–93 – Normalität  79 – Piraterie  89–91 – Programmierung  78 – Seetüchtigkeit  79–83, 93 – Sorgfalt  73–76, 80, 83 – Stand der Technik  80, 89–91 – wirtschaftlich Zumutbare  91–93 Unvorhersehbarkeit  53–71

Register –  siehe auch Erfahrung – Daten  62–65 – Probabilität  65, 69, 70 – Programmierer  57, 66 – Zeitpunkt  54, 55–57 Updates  80, 82, 137 Verschulden –  siehe auch Mitverschulden – des Schiffes  114, 121, 123 – Schwierigkeiten  119–124 – und höhere Gewalt  103, 105, 149 Voyage Data Recorder  87–89

197

Wellen  65, 93 Zufall – Abgrenzung zur höheren Gewalt  50, 101–105, 165 – technisches Versagen  87, 106, 108 f., 166 – Übersetzung  43, 106 – und äußere Herkunft  100–107 – Unterschied mit cas fortuit  101–105