Sammlung in der Praxis oft angewandter Verwaltungsgesetze und Verordnungen für Preußen: Band 1 [2. Ausgabe, Reprint 2021 ed.] 9783112399484, 9783112399477


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German Pages 1343 [1346] Year 1914

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Sammlung in der Praxis oft angewandter Verwaltungsgesetze und Verordnungen für Preußen: Band 1 [2. Ausgabe, Reprint 2021 ed.]
 9783112399484, 9783112399477

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Sammlung in -er Praxis oft angewandter

Uerwaltungs Gesetze und Verwaltungs-Verordnungen für Preußen.

Unter Lerückfichtigung aller bisherigen Aenderungen nach dem nunmehr gültigen Terte zufammengestellt und herausgegeben von

Professor Dr. Fritz Stier-Somlo.

2. Ausgabe. Sand I.

1914. Berlin, München, Leipzig. 3. Schweitzer Verlag ^Arthur Stilist).

Druck v. Dr. F. P. Datterer & Co. (Arthur Sellier), München-Freising.

Vorwort jur 1. Ausgabe. Die Besonderheit dieser Gesetzessammlung beruht darin, daß in einem einzigen Bande sowohl die preußischen als auch die Reichsgesetze staats- und verwaltungsrechtlichen Inhalts vereinigt werden, während andere Sammlungen eine in mancher Hinsicht nicht erwünschte Trennung vornehmen. Die Sammlung will der Praxis der preußischen Verwaltungs­ behörden, den Verwaltungsbeamten aller Rangstufen im Staate, in den Kommunen und anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften dienen; sie will ein Handbuch für alle jene Kreise sein, die beruflich in Beziehungen zum Staats- und BerwaltungSrechte des Reichs und Preußens stehen. Parlament und Preffe, Handel und Verkehr find ebenso beteiligt, wie daS Beamtentum. Der Umfang des Werkes ist durch das gesteckte Ziel be­ stimmt, zum erstenmale die für die preußische Praxis wichtigsten staatsund verwaltungsrechtlichen Gesetze in möglichster Vollständigkeit darzubieten und bei aller notwendig gewordenen Sorgfalt in der Auswahl dennoch den Rahmen lieber weiter als enger zu ziehen, um einem möglichst großen Kreise von Benutzern dienen zu können. Wer ermißt, daß eS sich um eine fast seit 120 Jahren andauernde preußische und eine mehr als 40 jährige Bundes- und Reichsgesetzgebung handelt, wird auch die Fülle deS Gesetzesstoffes erkennen und das Bestreben angebracht finden, hier daS Wesentliche, dieses aber auch vollständig wiederzugeben. Dies scheint um­ somehr berechtigt, als in den offiziellen Gesetzessammlungen, je nach der zeitlichen Folge des Erscheinens, Wichtiges und minder Wichtiges, Gelten­ des und durch die Rechtsentwicklung UeberholteS neben- und durcheinander zu stehen pflegt. Der Versuch, in der hier angegebenen Weise den RechtSstoff zu fichten, ihn in pragmatisch treuer und genauer Weise wiederzugeben, ist für Preußen besonders schwierig gewesen, da hier die ältere Gesetz­ gebung durch neuere Vorschriften an zahlreichen Stellen ganz oder teil­ weise verändert, zum Teil ohne ausdrückliche Kenntlichmachung materiell aufgehoben worden ist. Dies bezieht sich nicht nur auf Gesetze im Ganzen, sondern auch auf Gesetze in Einzelheiten, auf Paragraphen, Sätze, ja Worte einer einzelnen Vorschrift. Die textkritischen Untersuchungen deS Heraus­ gebers finden in der Art des Abdruck» ihren Niederschlag. Die Sammlung dürfte aber auch akademischen Zwecken dienen; sie könnte sich bei den wissenschaftlichen Prüfungen der preußischen Justiz- und Verwaltungsbehörden als nützlich bewähren, ähnlich wie jetzt schon die vom Kgl. Preußischen Justizministerium offiziell für PrüfungSzwecke ein­ geführten Sammlungen von Jaeger und Allfeld für das Bürgerliche Recht bzw. für das Strafrecht in Gebrauch find. Es mag darauf hingewiesen werden, daß in dem Jahre 1909 auch in Preußen schon für das erste juristische Examen (Referendarprüfung) die Abfassung von je drei Arbeiten unter Aufsicht (Klausurarbeiten) eingeführt worden ist, für deren Zwecke aber übersichtliche GefetzeSwerke unentbehrlich find.

IV

Vorwort.

ES ist unvermeidlich, daß man eS bei einem derartigen Unternehmen nicht Jedem recht machen kann; der eine hätte diese, der andere jene gesetz­ liche Bestimmung ausgenommen oder auSgelaffen gewünscht. ES konnte hier nur nach sorgfältigster Erwägung aller Umstände und mit Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden, übrigens recht breiten Raum verfahren werden. Auch daß bei der großen Anzahl von bis auf den letzten Buchstaben genau wiederzugebenden Gesetzesstellen kleine Irrtümer unterlaufen sein mögen, will der Herausgeber nicht von vornherein als unmöglich hinstellen. Doch muß er versichern, daß sowohl in diesem Punkte als auch in bezug aus die Auswahl der Literatur die denkbar größte Sorgfalt obgewaltet hat. Gewiß hat hier manchmal das freie Ermeßen Platz greifen müßen, doch war eS überall ein pflichtgemäßes. Möge auch diesem in seiner Art von den bestehenden Sammlungen verschiedenen Werke eine freundliche Auf­ nahme beschieden sein.

Bonn, im November 1911.

Professor Dr. Stier-Somlo.

Vorwort M 2. Ausgabe (mit dem ersten Nachtrag). Die Gesetzgebung auf dem Gebiete drS öffentlichen Rechts ruht nicht. Sie ist weit mehr als die auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts Wand­ lungen und Neuerungen ausgesetzt. Die 1912 erschienene „Sammlung in der Praxis oft angewandter Verwaltungsgesetze und Verwaltungsverordnungen für Preußen" bedarf deshalb einer Ergänzung durch die feit ihrem Entstehen veröffentlichten Rechtsnormen. Es sind aber außerdem noch einige vor dem Jahre 1912 ergangene Gesetze auf ausdrücklichen Wunsch des preußischen Justizministeriums ausgenommen worden, um den mannigfachen Bedürfnissen der täglichen Verwaltung, des akademischen Unterrichts und des Prüfungs­ wesens zu entsprechen. DaS Werk hat seinen Weg gemacht und wird ihn auch weiter ziel­ bewußt, insbesondere durch stete Auffrischung, verfolgen. Wie sehr es das Richtige getroffen hat, beweist nicht nur seine erfreuliche Verbreitung, sondern auch die Nachahmung, die von anderer Seite unternommen wurde durch Aneignung deS von mir zuerst durchgeführten Planes, die Verwaltungs­ gesetze in einem Bande zu bringen und die Gruppierung der Gesetze nach bestimmten innerlich zusammenhängenden Stoffen vorzunehmen. In dem vorliegenden Nachtrage sind die Einteilungen deS Hauptwerkes beibehalten worden; die Nummernfolge innerhalb der Gruppen schließt sich der Numerierung des Hauptwerkes an. Auch das wichtigste Schrifttum ist wieder verzeichnet worden. Cöln, den 10. März 1914.

Professor Dr. Stier-Somlo

IV

Vorwort.

ES ist unvermeidlich, daß man eS bei einem derartigen Unternehmen nicht Jedem recht machen kann; der eine hätte diese, der andere jene gesetz­ liche Bestimmung ausgenommen oder auSgelaffen gewünscht. ES konnte hier nur nach sorgfältigster Erwägung aller Umstände und mit Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden, übrigens recht breiten Raum verfahren werden. Auch daß bei der großen Anzahl von bis auf den letzten Buchstaben genau wiederzugebenden Gesetzesstellen kleine Irrtümer unterlaufen sein mögen, will der Herausgeber nicht von vornherein als unmöglich hinstellen. Doch muß er versichern, daß sowohl in diesem Punkte als auch in bezug aus die Auswahl der Literatur die denkbar größte Sorgfalt obgewaltet hat. Gewiß hat hier manchmal das freie Ermeßen Platz greifen müßen, doch war eS überall ein pflichtgemäßes. Möge auch diesem in seiner Art von den bestehenden Sammlungen verschiedenen Werke eine freundliche Auf­ nahme beschieden sein.

Bonn, im November 1911.

Professor Dr. Stier-Somlo.

Vorwort M 2. Ausgabe (mit dem ersten Nachtrag). Die Gesetzgebung auf dem Gebiete drS öffentlichen Rechts ruht nicht. Sie ist weit mehr als die auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts Wand­ lungen und Neuerungen ausgesetzt. Die 1912 erschienene „Sammlung in der Praxis oft angewandter Verwaltungsgesetze und Verwaltungsverordnungen für Preußen" bedarf deshalb einer Ergänzung durch die feit ihrem Entstehen veröffentlichten Rechtsnormen. Es sind aber außerdem noch einige vor dem Jahre 1912 ergangene Gesetze auf ausdrücklichen Wunsch des preußischen Justizministeriums ausgenommen worden, um den mannigfachen Bedürfnissen der täglichen Verwaltung, des akademischen Unterrichts und des Prüfungs­ wesens zu entsprechen. DaS Werk hat seinen Weg gemacht und wird ihn auch weiter ziel­ bewußt, insbesondere durch stete Auffrischung, verfolgen. Wie sehr es das Richtige getroffen hat, beweist nicht nur seine erfreuliche Verbreitung, sondern auch die Nachahmung, die von anderer Seite unternommen wurde durch Aneignung deS von mir zuerst durchgeführten Planes, die Verwaltungs­ gesetze in einem Bande zu bringen und die Gruppierung der Gesetze nach bestimmten innerlich zusammenhängenden Stoffen vorzunehmen. In dem vorliegenden Nachtrage sind die Einteilungen deS Hauptwerkes beibehalten worden; die Nummernfolge innerhalb der Gruppen schließt sich der Numerierung des Hauptwerkes an. Auch das wichtigste Schrifttum ist wieder verzeichnet worden. Cöln, den 10. März 1914.

Professor Dr. Stier-Somlo

Zystematisches Inhaltsverzeichnis. (Die Seiten deS Nachtrag- sind mit N bezeichnet.) Seite Vorwort....................................................................................................................... HI Systematische- Inhaltsverzeichnis.................................................................... V Chronologische- Inhalt-verzeichnis........................................................................... XII

I. Gruppe.

Lersassuug M Deutsche» Reich- und von Preuße«. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

14.

Reich-verfassung...................................................................................................... 1 Reich-tag-wahlgesetz................................................................................................. 20 Reichstag-wahlreglement..................................................................................... 23 Preußische Berfassungsurkunde.......................................................................... 30 Wahlverordnung für die 2. Kammer (Ges. v. 30. Mai1849) .... 47 Aenderung deS Wahlverfahrens (Ges. v. 29. Juni1893)......................... 51 Aenderung deS Wahlverfahrens (Ges. v. 28. Juni1906)......................... 52 Vermehrung der Abgeordneten zur 2. Kammer und Wahlbezirk-änderung (Ges. v. 28. Juni 1906)..................................................................................... 54 OberrechnungSkammer-Gesetz............................................................................... 56 KomptabilitätSgesetz................................................................................................ 61 Aenderung deS Wahlreglements v. 28.Mai 1870 (Bel.v. 4. Juni 1913) N 1 Berfassung Elsaß-LothringenS ..........................................................................N 2 Aenderung der Vorschriften über die Abnahme und Prüfung der Rech­ nungen (Ges. v. 22. März 1912) .............................................................. N 9 ReichSkontrollgesetz................................................................................................ N11

II. Gruppe.

Buu-eS- und Staatsangehörigkeit. Perfauenftan-. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Staatsangehörigkeit-gesetz................................. ................................................... 72 Gleichberechtigung der Konfessionen .............................................................. 76 Gothaer Vertrag...................................................................................................... 77 Eisenacher Uebereinkunft..................................................................................... 80 Personenstand-gesetz................................................................................................. 81 Aufhebung der polizeilichen BeschränkungenderEheschließung ... 99 Personenstand-gesetz für Reich-angehörige imAusland....................................... 100 Ausnahme neu anziehender Personen......................................................................104 Freizügigkeit-gesetz........................................................................................................105 Reich-- und StaatSangehörigkeitSgesetz ........................................................ N 13

III. Gruppe.

Berkuu-nug -er Gesetze. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Preußische Gesetzsammlung (Gründung)................................................................108 Preußische Gesetzsammlung (Verpflichtung zum Bezüge)....................................108 Publikation der Gesetze..................................................................................................109 Beginn der Gesetzeskraft . . •........................................................................... HO ltzekanntmachung landesherrlicher Erlasse durch die Amtsblätter . . . HO Erlaß betr. den Titel der Gesetzsammlung.......................................................... 112

IV. Gruppe.

Organisation und Zuständigkeit -er Staatsbehörde«. 1. Verfassung aller obersten Staatsbehörden.......................................................... 113 2. Ernennung deS Ministerii............................................................................................ 124

VI

Systematische- Inhaltsverzeichnis.

Seite 5. 4. 6. 5a. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Verbesserte Einrichtung der Provinzialbehörden (BO. v. 30. April 1816) 126 Einführung deS StaatSratS.......................................................................................132 Instruktion lur Geschäftsführung der Regierungen......................................... 137 Verbesserte Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden (BO. v. 26. Dezember 1808).......................................................................... 152 Geschäftsführung bei den Oberbehörden in Berlin......................................... 155 Instruktion für die Oberprästdenten........................................................ 156 Ges. über die allgemeine LandeSverwaltung..........................................................160 Zuständigkeit der Verwaltung-- und Verwaltungsgerichtsbehörden . . 194 BerwaltungSzwangSverfahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen 238 Ausführung-anweisung zur BO. über daS BerwaltungS-ZwangSverfahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen................................................................252 Gef. betr. Geschäftssprache der Behörden usw.......................................................... 278

V. Gruppe.

Polizei. 1. 2. 3. 4 5. 6. 7. 8.

9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

Zulässigkeit deS Rechtsweg- in bezug auf polizeiliche Verfügungen . . 281 Schutz der persönlichen Freiheit.........................................................................282 Polizeiverwaltung.....................................................................................................283 Belagerungszustand...............................................................................................286 Erweiterung deS Rechtswegs.............................................................................. 288 Polizeiverwaltung in den neu erworbenen LandeStellen (v. 1867) . . 291 Feld- und Forstpolizei................................................................................ 294 Polizeiliche Befugnisse deS Berliner Polizeipräsidenten in den Kreisen Teltow und Ntederbarnim...............................................................................311 Polizeiverwaltung in den Stadtkreisen Charlottenburg, Schöneberg,Rixdorf 313 Erweiterung deS LandeSpolizeibezirkS Berlin (v. 27. März 1907) . . 314 Erweiterung deS LandeSpolizeibezirkS Berlin (v. 7. März 1908) ... 315 Erweiterung deS LandeSpolizeibezirkS Berlin (o. 23. Juni 1909) . . 315 Polizeiliche Befugnisse deS Potsdamer PolizeidirettorS in Gemeinde- und GutSbezirken der Umgebung Potsdams.......................................................... 316 Aenderung von Familien- oder Geschlecht-namen (KabO. v. 15. April 1822) 317 Genehmigung von Namensänderungen (Erl. v. 12. Juli 1867) . . . 317 Polizeiliche Strafverfügungen wegen Uebertretungen......................................... 318 Landestrauer...................................................................................................................320 Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden 320 Polizeikostengesetz..................................................................................................................322 VI. Gruppe.

Verein--

Pressewesen.

1. ReichSpreßgesetz mit den noch geltenden Bestimmungen deS preußischen PreßgesetzeS...................................................................................................................326 2. ReichSvereinSgesetz ....................................................................................................... 332 VH. Gruppe.

venmtenrecht. 1. ReichSbeamtengesetz....................................................................................................... 338 2. Heranziehung der StaatSdiener zu den Kommunalabgaben in den neu erworbenen Landesteilen (v. 3. September 1867).................................. 365 3. Heranziehung der Beamten, Elementarlehrer und unteren Kirchendiener zur Gemeindeeinkommensteuer (v. 16. Juni 1909)................................... 368 4. Befähigung zum höheren Verwaltungsdienste..................................................... 369 5. Kautionen der Staatsbeamten................................................................................. 371 6. Aufhebung der Verpflichtung zur Bestellung von AmtSkautionen . . • 374 7. Haftung deS Staates und anderer Verbände für AmtSverletzungen von Beamten bei Ausübung der öffentlichen Gewalt ....... 374 7a. Haftung deS Reichs für seine Beamten................................................................ 376

Systematische- Inhalt-verzeichnis. Seite

8. Festsetzung und Ersatz der bei Kaffen und anderen Verwaltungen vor­ kommenden Defekte.................................................................................................. 378 9. Dienstvergehen der Richter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand.....................................................381 9a. Abänderung de- Gesetze- über Dienstvergehen der Richter und Einführung eine- EhrenratS für die Recht-anwälte bei dem Obertribunal (v. 26. März 1856)............................................. 394 9b. Abänderung der DiSziplinargesetze (v. 9. April 1879)............................. 396 10. Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten, die Bersetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand.....................................................401 11. Konflikte bei gerichtlichen Verfolgungen wegen Amt-- und Diensthandlungen 417 12. Disziplinarverfahren bei dem Oberverwaltung-gericht....................................418 13. RichterbesoldungSgesetz..................................................................................................419 14. Zahlung der Beamtenbesoldung und de- GnadenvierteljahreS . . . 421 15. Pensionierung der unmittelbaren Staat-beamten, sowie der Lehrer und Beamten an den höheren Unterricht-anstalten mit Ausschluß der Universitäten...................................................................................................................423 16. ReichSbeamtenhinterbliebenengesetz........................................................................... 434 17. Fürsorge für die Witwen und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten 439 VIII. Gruppe.

Milittrrecht. 1. 2. 3. 4. 6. 6. 7. 8. 9. 10.

Kriegsdienstverpflichtungsgesetz................................................................................. 444 Aenderung der Wehrpflicht (v. 11.Februar1888)............................................ 448 Aenderung der Wehrpflicht (v. 15. April1905).......................................... 457 Friedenspräsenzgesetz........................................................................................................458 OffizierSpensionSgesetz................................................................................................. 460 Mannschasten-Bersorgung-gesetz.................................................................................483 Militärhinterbliebenen-Gesetz.......................................................................................601 FriedenSpräsenzgesetz (v. 27. März 1911)............................................................ N 21 Flottengesetz (v. 27. Juni 1912)..............................................................................N 23 Aenderung der Wehrpflicht sv. 22. Juli 1913)..................................................N 25

IX. Gruppe.

Ksrnrmlimlrecht. A. Städterecht. 1. Städteordnung für die sieben östlichen Provinzen..................................................617 2 Städteordnung für die Rheinprovinz.................................................................... 546 3. Städteordnung für Westfalen......................................................................... . 570 4. Revidierte Hannoversche Städteordnung................................................................ 591 5. Städteordnung für die Provinz Hessen-Nassau.................................................... 617 6 Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden.................................. 643 7. Verfassung und Verwaltung der Städte und Flecken der Provinz SchleSwig-Holstein....................................................................................................... 671 8. Gemeinde-BersaffungSgesetz für Frankfurt a. M...................................................... 703 9. Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen.............................. 720 10. ZweckoerbandSgesetz ................................................................................................. 2306 11. ZweckoerbandSgesetz für Groß-Berlin................................................................... 2312 B. Ländgemeinderecht. 1. Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzender Monarchie 722 2. Landgemeindeordnung für die Provinz Heffen-Naffau....................... < 756 3. Landgemeindeordnung für die Provinz SchleSwig-tzolstein.............................. 791 4. Gemeindeordnung für die Rheinprovinz, in der Fassung deS Ges. v. 15. Mai 1856 823 5. Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen............................................... 850 6. Landgemeindeordnung für die Provinz Hannover......................................... 869 7. Hohenzollernsche Gemeindeordnung........................................................................... 882 8. Abänderung der Landgemeindeordnung für die ProvinzHannover . 2305

vm

Systematische» Inhaltsverzeichnis. Seite

1.

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

11.

C. Kreis- und Provinzialrecht. KreiSordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen..................................................... 916 KreiSordnung für die Provinz Hannover 949 KreiSordnung für die Provinz Hessen-Nassau 958 KreiSordnung für die Provinz Westfalen ...................... 963 KreiSordnung für die Rheinprovinz 968 KreiSordnung für die Provinz Schleswig-Holstein 973 Die Provinzialordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Branden­ burg, Pommern, Schlesien und Sachsen 977 KreiS- und Provinzialabgabengesetz......................................................... 995 Dotation der Provinzial- und KreiSverbünde 1004 Ausführung der g§ 5 und 6 deS Gesetzes vom 30. April 1873, bett. die Dotation der Provinzial- und KreiSverbünde 1005 Ueberweisung weiterer DotationSrenten an die Provinzialverbände . . 1016 D. Steuerrecht der Kommunen und Kommunalverbände. Kommunalabgabengesetz ............................................................ . 1021

1. 2 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.

E. Kommun aloeamtenrecht. Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten

1048

F. Fluchtliniengesetz. Gesetz bett. Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften

1055

X. Gruppe. Steuer- und Finauzrecht. Reichsschuldenordnung ....................................................... 1060 Einkommensteuergesetz 1065 Ergänzungssteuergesetz 1097 Aushebung direkter StaatSsteuern 1112 Gewerbesteuergesetz 1121 Besteuerung deS Gewerbebetriebs im Umherziehen 1140 Besteuerung deS Wanderlagerbetriebs ... 1149 Warenhaussteuer . 1152 ReichSerbschastSsteuergesetz 1157 Reichsstempelgesetz 1174 Wechselstempelgesetz 1214 Stempelsteuergesetz 1221 RG. bett. Aenderung im Finanzwesen 1282 Doppelsteuergesetz ............................. 1302 StaatSschuldbuchgesetz 1304 Zuwachssteuergesetz 1311 ReichSschuldbuchgesetz N 26 ReichSbesteuerungSgesetz N32 Aenderung d. Zündwarensteuergesetzes ..................... N 35 Wehrbetttagsgesetz A" 36 VO. über die für die Veranlagung deS WehrbeitragS zuständigen Behörden N 50 Besitzsteuergesetz N 51 Reichsstempelgesetz N 67 Ges. bett. Aenderungen im Finanzwesen (v. 3. Juli 1913) .... N 117 Anlegung von Sparkasienbeständen in Jnhaberpapieren N 120

XI. Gruppe. BerwaltuugSftreit- und Zwangsverfahren, Kampetenzgericht, Rechtsweg. 1. Verfahren der VerwaltungSgerichte und daS VerwaltungSftteilverfahren 1329 2. Disziplinarverfahren bei dem OberverwaltungSgericht......................... 1333

^Systematisches Inhaltsverzeichnis.

IX Seite

3. Kompetenztonflitte zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden 1334 4. Aenderung der Vorschriften über Kompetenztonflitte zwischen den Gerichten und Verwaltungsbehörden................................................................. 1338 XII. Gruppe. Agrarrecht.

1. Berteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstücksleilungen und die Gründung neuer Ansiedelungen in den Provinzen Preußen, Branden­ burg. Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen und Westfalen .... 1340 2. Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen............................................................................................... 1343 3. Rentengütergesetz................................................................................. 1346 4. Beförderung derErrichtung von Rentengütern........................................ 1347 5. Anerbenrecht bei Renten- undAnsiedelungsgütern...................................... 1352 6. Gründung neuer Ansiedelungen in den Provinzen Ostpreußen, West­ preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen und Westfalen........................................................................................... 1365 7. Maßnahmen zur Stärkung deS Deutschtums in den Provinzen West­ preußen und Posen........................................... 1371 8. Landwirtschaststammern......................................................................... 1375 9. BesitzbesestigungSgesetz..................................................................... N 122 10. Maßnahmen zur Stärkung deS Deutschtums in den Provinzen West­ preußen und Posen (Ges. vom 1. Juli 1902).......................... N 124 11. Maßnahmen zur Stärkung deS Deutschtums in den Provinzen West­ preußen und Posen (Ges. vom 28. Mai 1913).......................... N 125 12. Bereitstellung von Staatsmitteln zur Förderung der Landeskultur und der inneren Kolonisation........................................................ N 126 XIII. Gruppe. Bergrecht.

1. Allgemeine- Berggesetz für die Preußischen Staaten.............................. 1382 2. Knappschaftsgesetz .................................................... N 127 XIV. Gruppe. EuteignnngSrecht.

Enteignung von Grundeigentum............................................................ 1464 XV. Gruppe. Oefleuttiche Gesundheitspflege.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Schlachtvieh- und Fleischbeschaugesetz........................................................ 1479 Kahrungs- und Genußmittelgesetz........................................................ 1486 Zmpfgesetz.......................................................................................... 1489 Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten........................................... 1492 Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.................................................... 1502 Biehseuchengesetz.................................................................................. 1514 XVI. Gruppe. Fürsorgeerziehung.

Ves. über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger................................... 1533 XVII. Gruppe.

ArbeiterverficherungSrecht. (Siehe XXVII. Gruppe.)

X

systematisches Inhaltsverzeichnis. Seite XVHI. Gruppe.

Geverderecht. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Gewerbeordnung für daS Deutsche Reich.............................................................. 1538 Ausführungsanweisung zur Gewerbeordnung...................................................1639 Kinderschutzgesetz........................................................................................................... 1737 Weingesetz....................................................................................................................... 1745, Bauforderung-gesetz......................................................................................................1754 Stellenvermittlergesetz..................................................................................................... 1770 Aenderung der Gewerbeordnung (vom 27.Dezember 1911) . . . N 156 HauSarbeitgesetz.............................................................................................................N 16L XIX. Gruppe.

Handel-recht. 1. Ges. über die Handelskammern..............................................................................1774 2. Vankgesetz............................................................................................................................1783 3. Börsengesetz..................................................................................... 1804

XX. Gruppe.

AnSwandernngSwese«. 1. ReichSges. über daS AuSwanderungSwesen.........................................................1823 2. Preuß. Ges. betr. die Beförderung von Auswanderern................................. 1831 XXL Gruppe.

Gefirrderecht. 1. Gestndeordnung für sämtliche Provinzen der Preußischen Monarchie 1833 2. Gesindeordnung für die Rheinprovinz....................................................................1847 XXII. Gruppe.

Wasser- und Wegerecht. 1. Ges. über daS Deichwesen..........................................................................................1855 2. Quellenschutzgesetz...........................................................................................................1860 3. Ausbau der deutschen Wasserstraßen und die Erhebung von SchiffahrtSabgaben.................................................................................................................. N 169 4. Waflergesetz........................................................................................... N 180 5. Gesetz über die Reinigung öffentlicher Wege................................................... N 291

XXIII. Gruppe.

Lrmenrecht. 1. 2. 3. 4. 5.

UnterstützüngSwohnsitzgesetz.......................................................................................... 1869 WanderarbeitSstättengesetz ........................................................ 1881 Einwirkung von Armenunterstützung auf öffentliche Rechte.......................... 1882 AuSfG. zum UnterstützüngSwohnsitzgesetz..........................................................N 294 Bayer. Einführungsgesetz zum UnterstützüngSwohnsitzgesetz . ... N 316 XXIV. Gruppe.

Zagdrecht. 1. 2. 3. 4.

Jagdordnung................................................................................................................ 1883 Wildschongesetz.......................................................................................... 1904 Bogelschutzgesetz . 1909 Preuß. Fischereigesetz......................................................................................................1912 XXV. Gruppe.

Recht der LertehrSaustalte«. 1. Ges. über die Eisenbahnunternehmungen..............................................................1925 2. Ges. über Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen............................................. 1937 3. Telegraphenwegegesetz..................................................................................................... 1948

Systematische- Inhaltsverzeichnis.

XI Seite

XXVI. Gruppe.

Schnlrecht. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

VolkSschulunterhaltungSgefetz.................................................................................... 1953 SchulaufsichtSgesetz...........................................................................................................1979 BolkSschullehrerbesoldungSgesetz.............................................................................. 1980 BolkSschullehrerpensionSgesetz....................................................................................1998 Lehrerreliktengesetz...................................................................................................... 2005 Deklaration und Ergänzung deS 8 24 deS LehrerbesoldungSgesetzeS . N 317 XXVII. Gruppe.

ArbeiterverstchernngSgeseh. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

ReichSversicherungSordnung..........................................................................................2011 EinführungSgesetz zur ReichSversicherungSordnung........................................ 2285 Versicherungsgesetz für Angestellte.....................................................................N* 318 Angestelltenversicherung der Privatlehrer......................................................... N 376 Aufhebung deS HilfSkasiengesetzeS.......................................................................... N 377 Gesetz über die landwirtschaftliche Unfallversicherung................................... N 380 XXVIII. Gruppe.

Kolonial- und Konsularrecht. N 383 1. EchutzgebietSgesetz................................................................................................ 2. Organisation der BundeSkonsulate sowie die AmtSrechte und Pflichten der N 387 Bundeskonsuln................................................................................................ N 392 3. Gei. über die KonsulargerichtSbarkeit.........................................................

Nachtrag. 1 Abänderung der Landgemeindeordnung für die Provinz Hannover . . 2305 2. ZweckverbandSgesetz................................................................................................ 2305 3 ZweckverbandSgesetz für Groß-Berlin...................................................................2312 Gesamt-Sachregister (zu Hauptband und Nachtrag...............................................N 404

Chronologische; Inhaltsverzeichnis. (Die Seilen des Nachtrags sind mit N bezeichnet.)

Datum

Gesetz

Verbesserte Einrichtung der Provinzial-Polizei und Finanzbehörden Veränderte Verfassung aller obersten Staatsbehörden 1810, 27. Oktober Erscheinung und Verkauf der neuen Gesetzsammlung 1810, 27. Oktober Gesindeordnung für die altpreußischen Provinzen lblO, 8. November Erneuerung des Ministerii 1814, 3. Juni Verbesierte Einrichtung der Provinzialbehörden 1815, 30. April Einführung deS StaatSratS 1817, 20. März Instruktion zur Geschäftsführung der Regierungen 1817, 23. Oktober Geschäftsführung bei den Oberbehörden in Berlin 1817, 3 November Aenderung deS Familien- oder Geschlechtsnamens 1822, 15. April Instruktion für die Oberpräsidenten 1825, 31. Dezember EisenbahnunternehmungSgesetz 1838, 3. November Zulässigkeit des Rechtswegs in Beziehung auf poli­ 1842, 11. Mai zeiliche Verfügungen 1842, 31. Dezember I Aufnahme neuanziehender Personen Festsetzung und Ersatz der bei Kasten und anderen 1844, 24. Januar Verwaltungen vorkommenden Defekte ; Eesindeordnung für die Nheinprovinz 1844, 19. August ! Gemeindeordnung für die Rheinprovinz 1845, 23. Juli Publikation der Gesetze 1846, 3. April Deichwesen 1848, 28. Januar Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur zweiten 1849, 30. Mai Kammer Preußische Verfassungsurkunde 1850, 31. Januar Schutz der persönlichen Freiheit 1850, 12. Februar 1850, 11. März PoltzeiverwaltungSgesetz Dienstvergehen der Richter und die freiwillige Ver­ 1861, 7. Mai setzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand Gesetz über den Belagerungszustand 1851, 4. Juni Gothaer Vertrag 1851, 15. Juli Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten, die 1852, 21. Juli Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand Beförderung von Auswanderern 1853, 7. Mai Stüdteordnüng für die sieben östlichen Provinzen 1853, 30. Mai Eisenacher Uedereinkunst 1853, 11. Juli Konflikte bei gerichtlichen Verfolgungen wegen AmtS1854, 13. Februar und Diensthandlungen Stüdteordnüng für Westfalen 1856, 19. März Landgemeindeordnung für Westfalen 1856, 19. März Abänderungen des Gesetzes über Dienstvergehen der 1856, 26. März Richter und die Einführung eines Ehrenrats für die Rechtsanwälte bei dem Obertribunal

Seite

1808, 26. Dezember

15*2 113 108 1833 124 126 132 137 155 317 156 1925 281 104 378 1847 823 109 1855

47 30 282 -83

381 286 77

401 1831 517 80 417 571 850

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Chronologisches Inhaltsverzeichnis.

Datum

Gesetz

xni | Seite

Slädteordnung für die Rheinprovinz 646 Hannoversche Städteordnung 591 869 Landgemeindeordnung für Hannover 288 Erweiterung deS Rechtswegej 1382 Berggesetz > GemeindeverfaffungSgesetz für Frankfurt a. M. • 703 Erteilung der Genehmigung zu Namensänderungen I 317 Polizeiverwaltung in den neu erworbenen Landes- j 291 teilen : 1867, 23. September Heranziehung der StaatSdiener zu den Kommunal- ! 365 auslagen in den neuerworbenen Landesteilen ! FreizügigkeitSgesetz I 1867, 1. November 105 Organisation der Bundeskonsulate sowie die AmtS- ' 1867, 8. November N 387 rechte und Pflichten der Bundeskonsuln 1867, 9. November Kriegsdienstverpflichtungsgesetz 444 Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Ehe­ 1868, 4. Mai schließung 1 99 Verfassung und Verwaltung der Städte und Flecken 1869, 14. April der Provinz SchleSwig-Holstein 671 1869, 31. Mai 20 Reichstagswahlgesetz 1869, 21. Juni 1538 Gewerbeordnung Gleichberechtigung der Konfessionen i 76 1869, 3. Juli Handelskammergesetz ! 1774 1870, 24. Februar Personenstandsgesetz für Bundesangehörige im AuS- | 1870, 4. Mai 100 lande 23 ReichStagSwahlreglement 1870, 28. Mai 72 1870, 1. Juni StaalSangehörigkeilsgesetz AuSfG. z. Unterstützungswohnsitzgesetz > N 294 1871, 8. März 1 1871, 16. April Reichsverfassung ■ 1979 1872, 11. März SchulaufsichtSgesetz j 55 1872, 27. März Oberrechnung-kammer Pensionierung der unmittelbaren Staatsbeamten, der 1872, 27. März Lehrer und Beamten an den höheren Unterrichts- * 423 anstatten Bekanntmachung landesherrlicher Erlasse durch die 1872, 10. April 110 Amtsblätter KreiSordnung für Ost- und Westpreußen, Branden­ 1872, 13. Dezember burg, Pommern, Schlesien und Sachsen 916 Hallen der Gesetzsammlung und der Amtsblätter 168 1873, 10. März 371 Kautionen der Staatsbeamten 1873, 25. März 1004 Dotation der Provinzial- und Kreisverbände ■ 1873, 30. April Rechtskraft der durch die Gesetzsammlung verkündeten 1874, 16. Februar 110 Erlasse 1489 1874, 8. April Jmpigesetz j Paßgesetz ! 326 1874, 7. Mai 1912 1874, 30. Mai Fischereigesetz 1464 Enteignung von Grundeigentum 1874, 11. Juni 81 Personenstandsgesetz 1875, 6. Februar 1783 1875, 14. März Bankgesetz Provinzialordnung für Ost- und Westpreußen, , 1875, 29. Juni Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen j 977 Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen : 1875, 2. Juli in Städten und ländlichen Ortschaften j 1055 Verfassung der Verwaltungsgerichte und da- Ver- 1 1875, 3. Juli wallungsstreitverfahren 1856, 1858, 1859, 1861, 1865, 1867, 1867, 1867,

15. 24. 28. 24. 24. 25. 12. 20.

Mai Juni April Mai Juni März Juli September

XIV

Chronologisches Inhaltsverzeichnis.

Dalum

! i

1875, 8. Juli

1876, 3. Juli 1876, 25. August

: i

1876, 28. August 1879, 9. April 1879, 14. Mai 1879, 1. August

1880, 27 Februar 1880, 1. April 1882, 20. Mai

! i

:

1883, 23. April 1883, 30. Juli 1883, 1. August

1884, 1885, 1885, 1886,

6. Mai 7. Juni 6. Juli 26. April

1886, 1887, 1888, 1888, 1888, 1889, 1889,

31. Juli 30. Mai 11. Februar 22. März 26. Mai 8. Mai 12. Juni

1890, 1891, 1891, 1891,

27. Juni 8. Juni 24. Juni 3. Juli

1891, 1892, 1892, 1893, 1893, 1893, 1893, 1894, 1895, 1896, 1896, 1897, 1897, 1897, 1898,

7. Juli 4. Juli 28. Juli 29. Juni 14. Juli 14. Juli 14. Juli 30. Juni 31. Juli 8. Juni 22. Juni 9. Juni 4. August 4. August 7. Mär-

, | i ;

Ausführung der ßtz 5, 6 deS Gesetzes betr. Dotation der Provinzial- und Kreisverbände Besteuerung deS Gewerbebetriebs im Umherziehen Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstücksteilungen und die Gründung neuer Ansiedelungen Geschäftssprache der Behörden, Beamten und politischen Körperschaften deS Staats Abänderung der Bestimmungen der Disziplinargesetze Nahrungs- und Genußmittelgesetz Kompetenzkonsiikte zwischen Gerichten und BerwaltungSbehörden Besteuerung deS WanderlagerbetriebS Feld- und Forstpolizeigesetz Fürsorge für Witwen und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten Erlaß polizeilicher Strafverfügungen wegen UeberIrelungen Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung Zuständigkeit der Verwaltungs- und VerwaltungSgerichtSbehörden Kreisordnung für Hannover Kreisordnung für Hessen-Nassau Lehrerpensionsgesetz Beförderung deutscher Ansiedelungen in Westpreußen und Posen Kreisordnung für Westfalen Kreisordnung für die Rheinprovinz Aenderungen der Wehrpflicht Vogelschutzgesetz KreiSordnung für Schleswig-Holstein Disziplinarverfahren beim Oderverwaltungsgericht Uebertragung polizeilicher Befugnisse in den Kreisen Teltow und Niederbarnim an den Berliner Polizeipräsidenten Rentengütergesetz Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden Gewerbesteuergesetz Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Pro­ vinzen Beförderung der Errichtung von Rentengütern Landgemeindeordnung für Schleswig-Holstein

Kleinbahnengesetz Aenderung deS Wahlversahrens Aushebung direkter Staatssteuern Kommunalabgabengesetz ErgänzungSsteuergesetz Land wirtschasts kammern Stempelsteuergesetz Anerdenrecht bei Renten- und Ansiedelung-gütern Börsengesetz Auswanderungsgesetz Städteordnung für Hessen-Nassau Landgemeindeordnung für Hessen-Nassau Aufhebung der Verpflichtung zur Bestellung von Amiskautionen

1005 1140

. : 1340 ! , 278 1 396 , 1486 > 1334 1149 294 ! ! 439 ' 318 ' 160 , ' 194 949 958 < 1998 ' j 1343 ! 963 i 968 I 448 | 1909 i 973 ! 418 i i \ 311 1346 643 1121

1

, j ,

|

722 1347 791 1937 51 1112 1020 1097 1375 1221 1352 1804 1823 617 756

Chronologisches Inhaltsverzeichnis.

Datum

Gesetz

XV ! Seite

61 1898, 11. Mai ! KomptabilitätSgesey I Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten 1048 1899, 30. Juli 1899, 15. November BerwaltungSzwangSverfahren wegen Beitreibung von 238 Geldbeträgen 1899, 28. November Ausführungsanweisung zur VO., betr. das Ver­ waltungszwangsverfahren wegen Beitreibung von 252 Geldbeträgen 2005 1899, 4. Dezember Lehrerreliktengesetz 1948 1899, 18. Dezember Telegraphenwegegesetz 1060 1900, 19. März Reichsschuldenordnung N 392 Ges. über die KonsulargerichtSbarkeit 1900, 7. April 1479 Schlachlvieh- und Fleischbeschaugesetz 1900, 3. Juni 1900, 13. Juni Polizeiverwaltung in den Stadtkreisen Charlotten313 burg, Schöneberg, Rixdorf 1492 1900, 30. Juni Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten 720 1900, 30. Juni Bildung von Wählerabteilungen bei den Gerichten 1533 1900, 2. Juli Fürsorgeerziehung Minderjähriger 882 1900, 2. Juli Hohenzollersche Gemeindeordnung 1152 1900, 18. Juli Warenhaussteuer N 383 1900, 25. Juli Schutzgebietsgesetz 1338 Aenderung der Vorschriften über Kompetenzkonslikte 1902, 22. Mai Ueberweisung weiterer DotationSrenten an die Pro­ 1902, 2. Juni 1016 vinzialverbände Maßnahmen z. Stärkung des Deutschtums in den 1902, 1. Juli N 124 Prov Westpreußen und Posen 1737 1903, 30. März Kinderschutzgesetz 320 1903, 14. April Landestrauer 1639 1904, 1. Mai Ausführungsanweisung zur Gewerbeordnung 1904 1904, 14. Juli Wildschongesetz Gründung neuer Ansiedelungen in Ostpreußen. West­ 1904, 10. August preußen,Brandenburg, Pommern,Posen,Schlesien, 1365 Sachsen, Westfalen 457 Aenderung der Wehrpflicht ' 1905, 15. April 458 FriedenSpräsenzgesetz 1905, 15. April 1502 Bekämpsung übertragbarer Krankheiten 1905, 28. August 995 Kreis- und Prooinzialabgabengesetz 1906, 23. April 460 OifizierSpensionSgesetz 1906, 31. Mai 483 MannschastsversorgungSgesetz | 1906, 31. Mai 1157 ReichSerbschastSsteuergesetz 1906, 3. Juni 1065 Einkommensteuergesetz 1906, 19. Juni Aenderung der Vorschriften über daS Verfahren bei 1906, 28. Juni 52 den Wahlen zum Hause der Abgeordneten Vermehrung der Mitglieder deS HauseS der Abge­ 1906, 28. Juni ordneten und Aenderung der LandtagSwahl54 bezirke und Wahlorte 1953 Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen > 1906, 28. Juli Befähigung zum höheren Verwaltungsdienste I 369 1906, 10. August 112 1906. 24. November Aenderung des bisherigen Titels der Gesetzsammlung I 314 Erweiterung deS LandeSpolizeibezirkeS Berlin 1907, 27. März Reichsbeamtenhinterbliebenengesetz ! 434 1907, 7. Mai 501 Militärhinterbliebenengesetz 1907, 17. Mai 338 ReichSbeamtengesetz 1907, 18. Mai 419 Richterbesoldungsgesetz 1907, 29. Mai 1881 Wanderarbeitsstättengesetz ! 1907, 29. Juni 1883 Jagdordnung i 1907, 15. Juli

I. Gruppe:

Verfassung der Deiitidien Heidis und von Preußen. 1. NeiihSiersaisiiR.'' Geletz, betr. die Verfass««- des Teutsche« Reichs. B»m 16. April 1871. > Bundes ;Reichs>Geseh-Blatt 1871 S. 63 ff. i Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen rc. verordnen hiermit im Namen des Deutschen Reichs, nach er­ folgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:

1,

§ An die Stelle der zwischen dem Norddeutschen Bunde und den Großherzogthümern Baden und Hessen vereinbarten Berfassung des Deutschen Bundes (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1870. S. 627. ff.), sowie der mit den Königreichen Bayern und Württemberg über den Beitritt zu dieser Verfassung geschlossenen Verträge vom 23. u. 25. November 1870 (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1871. S. 9. ff. und vom Jahre 1870. S. 654. ff.) tritt die beigefügte

Berfaffungs-Urrunve für das Deutsche Reich. § 2. Die Bestimmungen in Art. 80. der in § 1. gedachten

Ver­ fassung des Deutschen Bundes (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1870. S. 647.), unter III § 8. des Vertrages mit Bayern vom 23. November 1870. (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1871. S. 21. ff.), in Art. 2. Nr. 6. des Ver­ trages mit Württemberg vom 25. November 1870. (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1870. S. 656.\ über die Einführung der im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze in diesen Staaten bleiben in Kraft. Tie dort bezeichneten Gesetze sind Reichsgesetze. Wo in denselben von dem Norddeutschen Bunde, dessen Verfassung,Gebiet, Mitgliedern oder Staaten, Jndigenat, verfassungsmäßigen Organen, Angehörigen, Beamten, Flagge usw. die Rede ist, sind das DeutscheReich und dessen entsprechende Beziehungenzu verstehen. Dasselbe gilt von denjenigen im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetzen, welche in der Folge in einem der genannten Staaten eingeführt werden.

§ 3. Die Vereinbarungen in dem zu Versailles am 15. November 1870. aufgenommenen Protokolle (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1870. 5. 650. ff.), in der Verhandlung zu Berlin vom 25. November 1870. (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1870. S. 657.), dem Schlußprotokolle vom 23. November 1870. (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1871. S. 23. ff.), sowie ') Literatur: 1. Systematische Werke: Sa6anb, Staatsrecht b. D. 9t., 4 Bde., 4. Ausl. 1901; i> erselbe, Deutsches Reichsstaatsrecht, 3. Ausl. 1907; ber­ iet 1> e, Staatsrecht bei Hinneberg, Die Kultur bet Gegenwart, ihre Entwicklung unb ihre Ziele 1906. — Zorn, Reichsstaatsrecht, 2. Ausl. 1895/97; berselbe, Die beuliche Reichsverfassung 1907. — Georg Meyer, Lehrbuch b. brutschen StR-, 6. Aufl. besorgt Anschütz 1905. — Arnbt, StR. b. D. Reichs 1901. — Bornhak, Gruubrist bes D. StR. 1907. — Löning, Grunbzügr bet Vers. b. D. Reichs, 2. Ausl. 1906.— Gesfcken, Dir Reichsverfasjung 1901. — v. Jagemann, D. b. Reichsrcrsassung 1904. — 2. Kommentare zur RV.: o. Seybel 2. Ausl. 1897; Arnbt 3. Ausl. 1907; v. Pröbst 3. Aufl. 1905: Keines e 1906; Rauchalles 1907. 21 i c r = S e .nie, Ve:wa.'um§^t;cr« für

1

2

I. Gruppe: Verfassung deS Deutsche» Reich- unb’ocn Preußen.

unter IV be§ Vertrages mit Bayern vom 23. November 1S7O (a. a. C. S. 21. ff.) werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrist und beigedrucktein kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin, den 16. April 1871. fötlbeim. Fürst von Bie-marck.

Verfassung des Deutschen Keichs. Seine Majestät bei König von Preußen im Namen des Norddeutschen Bundes, Seine Majestät der König von Bayern, Seine Majestät der König von Württemberg, Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden und Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen und bei Rhein für die südlich vom Main belegenen Theile des Großherzogtynms Hessen, schließen einen ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes. Dieser Bund wird den Namen Teutsches Reich sühren und wird nachstehende

Verfassung haben.

I. Bundesgebiet. Art. 1.

TaS Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preußen mit Lauenburg, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, MecklenburgSchwerin, Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershaujeu, Waldeck, Reuß älterer Linie, Reuß jüngerer Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe, Lübeck, Bremen und Hamburg?)

11. RtichSgtsetzgebung. Art. 2.

Innerhalb dieses Bundesgebietes übt das Reich das Recht der Gesetzgebung nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen. Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Krast durch ihre Verkündigung von Reichswegen, welche vermittelst eines Reichsgesetzblattes geschient. Sofern nicht in dem pnblizirten Gesetze ein anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Krast bestimmt ist, beginnt die letztere mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist.

Art. 3. Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Fndigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürgers eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate als Inländer zu be­ handeln und demgemäß zum sesten Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffent­ lichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staats­ bürgerrechtes und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter den1 ■ Vgl. Ijicju Rcichsges. v. 9. Juni 1871 die Vereinigung von Elsatz-Lvtdiingeu mit dem Teutschen Reiche betr. (R-H.-Bl. 1871 S. 212 ; Reichcgei. v. 15. Dcchr. 1890 dezügl. Helgoland iR.-E.-BI. 1890 S. 207': Preuß. Ges. v 18. Febr. 1891 (®S. Sill.

I^RtichSverfassung.

Art. 1—4.

3

selben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist. Kein Deutscher darf in der Ausübung dieser Besugniß durch die Obrigkeit seiner Heimath, oder durch die Obrigkeit eines anderen Bundes­ staates beschränkt werden. Diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aus­ nahme in den lokalen Gemeindeverband betreffen, werden durch den im ersten Absatz ausgesprochenen Grundsatz nicht berührt. Ebenso bleiben bis auf Weiteres die Verträge in Kraft, welche zwischen den einzelnen Bundesstaaten in Beziehung aus die Uebernahme von Auszuweisenden, die Verpflegung erkrankter und die Beerdigung verstorbener Staatsangehörigen bestehen. Hinsichtlich der Erfüllung der Militairpflicht im Verhältniß zu dem Heimathslande wird im Wege der Reichsgesetzgebung das Nöthige ge­ ordnet werden. Dem Auslande gegenüber haben alle Deutschen gleichmäßig Anspruch aus den Schutz des Reichs.

Art. 4. Der Beaufsichtigung Seitens des Reichs und der Gesetz­ gebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: 1) die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimaths- und Niederlassungs­ Verhältnisse, Staatsbürgerrecht, Paßwesen und Fremdenpolizei und über den Gewerbebetrieb, einschließlich des Versicherungswesens, soweit diese Gegenstände nicht schon durch den Artikel 3 dieser Verfassung erledigt sind, in Bayern jedoch mit Ausschluß der Heimaths- und Niederlassungs-Verhältnisse, desgleichen über die Kolonisation und die Auswanderung nach oußerdeutschen Ländern; 2) die Zoll- und Handelsgesetzgebung und die für die Zwecke des Reichs zu verwendenden Steuern: 3) die Ordnung des Maaß-, Münz- und Gewichtssystems, nebst Fest­ stellung der Grundsätze über die Emmission von fundirtem und unfundirtem Papiergelde; 4) die allgemeinen Bestimmungen über das Bankwesen; •5) die Erfindungspatente; t>) der Schutz des geistigen Eigenthums; 7) Organisation eines gemeinsamen Schutzes des Deutschen Handels im Auslande, der Deutschen Schiffahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung gemeinsamer konsularischer Vertretung, welche vom Reiche ausgestattet wird; 8i das Eisenbahnwesen, in Bayern vorbehaltlich der Bestimmung im Art. 46., und die Herstellung von Land- und Wasserstraßen im Interesse der Landesvertheidigung und des allgemeinen Verkehrs; 9) der Flößerei- und Schisfahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemein­ samen Wasserstraßen und der Zustand der letzteren, sowie die Fluß- und sonstigen Wasserzölle; desgleichen die Seeschifsahrtszeichen (Leuchtfeuer, Tonnen, Baken und sonstige Tagesmarken.) 10) das Post- und Telegraphenwesen, jedoch in Bayern und Württemberg nur nach Maßgabe der Bestimmung im Art. 52; ~

‘) Nach Gei. v. 3. März 1873 R.-G.-Bl. 1873 S. 471.

4

I. Gruppe: Verfassung deS Deutschen Reichs und von Preußen.

11) Bestimmungen über die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in Civilsachen und Erledigung von Requisitionen überhaupt; 12) sowie über die Beglaubigung von öffentlichen Urkunden; 13) die gemeinsame Gesetzgebung über das gesummte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahrens) 14) das Militairwesen des Reichs und die Kriegsmarine; 15) Maßregeln der Medizinal- und Veterinairpolizei; 16) die Bestimmungen über die Presse und das Vereinswesen?)

Art. 5. Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundes­ rath und den Reichstag. Die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend. Bei Gefetzesvorschlägen über das Militairwesen, die Kriegsmarine und die im Art. 35. bezeichneten Abgaben gibt, wenn im Bundesrathe eine Meinungs­ verschiedenheit stattsindct, die Stimme des Präsidiums den Ausschlag, weun sic sich für die Ausrechthaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht.

in. Bundesrath. Art. G. Der Bundesrath besteht aus den Vertretern glichet des Bundes, unter welchen die Stimmführung sich in vertheilt, daß Preußen mit den ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhesscn, Holstein, Nassau und Frankfurt............................... 17 Stimmen 6 führt, Bayern ............................... 4 Sachsen............................... 4 Württemberg........................ 3 Baden.................................... 3 Hessen..................................... 2 Mecklenburg-Schwerin . . 1 Sachsen-Weimar . . . Mecklenburg-Strelitz . . 1 1 Oldenburg ........................ Braunschweig .... o 1 Sachsen-Meiningen . . Sachsen-Altenburg . . . 1 1 Sachsen-Koburg-Gotha . . 1 Anhalt..................................... 1 Schwarzburg-Rudolstadt 1 Schwarzburg-Sondershausen Waldeck .............................. 1 1 Reuß älterer Linie . . . Reuß jüngerer Linie . . 1 Schaumburg-Lippe 1 Lippe .................................... 1 Lübeck.................................... 1 Bremen.............................. 1 Hamburg ..... 1

zusammen 58 Stimmen. *) Noch Ges. v. 20. Dezbr. 1873

für für für für für für für

das Landheer und die Festungen; das Seewesen; Zoll- und Steuerwescn; Handel und Verkehr; Eisenbahnen, Post- und Telegraphen; Justizwescn; Rechnungswesen.

In jedem dieser Ausschüsse werdeil außer dem Präsidium mindestens vier Bundesstaaten vertreten sein, und führt innerhalb derselben jeder Staat nur Eine Stimme. In dem Ausschuß für das Landheer und die Festungen hat Bayern einen ständigen Sitz, die übrigen Mitglieder desselben, sowie die Mitglieder des Ausschusses für das Seewesen werden vom Kaiser ernannt; die Mitglieder der anderen Ausschüsse werden von dem Bundes­ rathe gewählt. Die Zusammensetzung dieser Ausschüsse ist für jede Session des Bundesrathes resp, mit jedem Jahre zu erneuern, wobei die aus­ scheidenden Mitglieder wieder wählbar sind. Außerdem wird im Bundesrathe aus den Bevollmächtigten der König­ reiche Bayern, Sachsen und Württemberg und zwei, vom Bundesrathe alljähr­ lich zu wählenden Bevollmächtigten anderer Bundesstaaten ein Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten gebildet, in welchem Bayern den Vorsitz führt. Ten Ausschüssen werden die zu ihren Arbeiten nöthigen Beamten zur Verfügung gestellt.

Art. 9. Jedes Mitglied des Bundesrathes hat das Recht, in; Reichs­ tage zu erscheinen und muß daselbst aus Verlangen jederzeit gehört werden

6

I. Grupp»: Verfassung des Deutschen Reichs und von Preußen.

UM die Ansichten seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majorität des Bundesrathes nicht adoptirt worden sind. Niemand kann gleichzeitig Mitglied des Bundesrathes und des Reichstages sein.

Art. 10. Dem Kaiser liegt es ob, den Mitgliedern des Bundes­ rathes den üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren.

IV. Präsidium. Art. 11. Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu, welcher den Namen Deutscher Kaiser führt. Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Nainen des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung des Bundesrathes erforderlich, es sei denn, daß ein Angriff aus das Bundes­ gebiet oder dessen Küsten erfolgt. Insoweit die Verträge mit fremden Staaten sich auf solche Gegen­ stände beziehen, welche nach Art. 4. in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, ist zu ihrem Abschlüsse die Zustimmung des Bundesrathes und zu ihrer Gültigkeit die Genehinigung des Reichstages erforderlich.

Art. 12. Dem Kaiser steht es zu, den Bundesrath und den Reichstag zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen. Art. 13. Die Berufung des Bundesrathes und des Reichstages fiiibct alljährlich statt und kann der Bundesrath zur Vorbereitung der Arbeiten ohne den Reichstag, letzterer aber nicht ohne den Bnndesrath berufen werden.

Art. 14. Die Berufung des Bundesrathes muß erfolgen, svbalö sie von einem Drittel der Stimmenzahl verlangt wird.

Art. 15. Der Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der Ge­ schäfte steht dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist. Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere Mitglied des Bundes­ rathes vermöge schristlichcr Substitution vertreten lassen. Art. 16. Die ersorderlichen Vorlagen werden nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrathes im Namen des Kaisers an den Reichstag ge­ bracht, wo sie durch Mitglieder des Bundesrathes oder durch besondere von letzterem zu ernennende Kommissarien vertreten werden. Art. 17. Dem Kaiser steht die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Ueberwachung der Aussührung derselben zu. Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers werden im Namen des Reichs erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.

Art. 18. Der Kaiser ernennt die Reichsbeamten, läßt dieselben für das Reich vereidigen und verfügt erforderlichen Falles deren Entlassung. Den zu einem Reichsamte berufenen Statuten eines Bundesstaates stehen, sofern nicht vor ihrem Eintritt in den Reichsdienst im Wege der Reichsgesetzgebung etwas Anderes bestimmt ist, dem Reiche gegenüber die­ jenigen Rechte zu, welche ihnen in ihrem Heimathslande aus ihrer dienst­ lichen Stellung zugestanden hatten.

I. Reichsverfassung.

Art. 9—28.

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Art. 19. Wenn Bundesglieder ihre verfassungsmäßigen Bundes­ pflichten nicht erfüllen, können sie dazu im Wege der Exekution angehalten werden. Diese Exekution ist vom Bundesrathe zu beschließen und vom Kaiser zu vollstrecken.

V. Reichstag. Art. 20. Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor. Bis zu der gesetzlichen Regelung, welche im § 5. des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869. (Bundesgesetzbl. 1869 S. 115.) Vorbehalten ist, werden in Bayern 48, in Württemberg 17, in Baden 14, in Hessen südlich des Main 6 Abgeordnete gewählt, und beträgt demnach die Gesammtzahl der Abgeordneten 382?) Art. 21. Beamte ^bedürfen keines Urlaubs zunr Eintritt in den Reichstag. Wenn ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Reichsamt oder in einem Bundesstaat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Reichs- oder Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist, so verliert es Sitz und Stimme in dem Reichstag und kann seine Stelle in demselben nur durch neue Wahl wieder erlangen. Art. 22.

Die Verhandlungen des Reichstages sind öffentlich. Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.

Art. 23. Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Reichs Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem Bundcsrathe resp. Reichskanzler zu überweisen. Art. 24. Die Legislaturperiode des Reichstages dauert fünf2) Jahre. Zur Auflösung des Reichstags während derselben ist ein Beschluß des Bundesraths unter Zustimmung des Kaisers erforderlich.

Art. 25. Jin Falle der Auflösung des Reichstages müssen inner­ halb eines Zeitraumes von 60 Tagen nach derselben die Wähler und inner yalb eines Zeitraumes von 90 Tagen nach der Auflösung der Reichstag versammelt werden. Art. 26. Ohne Zustimmung des Reichstages darf die Vertagung desselben die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt werden. Art. 27. Der Reichstag prüst die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschästsgang und seine Disziplin durch eine Geschäfts-Ordnung und erwählt seinen Präsidenten, seinen Vizevräsidenten und Schristsührer. Art. 28?) Ter Reichstag beschließt nach absoluter Stimmen­ mehrheit. Zur Gültigkeit der Beschlußfassung ist die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder erforderlich. l) In Elsaß-Lothringen werden 15 Abgeordnete zum Reichstage gewählt (Reichsges., belr. die Einführung der Verf. des D. Reichs in Elsaß-Lothringen, v. 25. Juni 1873, §3; R -G.-Bl. L. 161). Die Gesamtzahl der Abgeordneten beträgt danach jetzt 397. J) Rach Ges. v. 19. März 1888 (R.-G.-Bl. S. 110). Abs. II dieses Art. aufgehoben durch Ges. v. 24. J-ebr. 1873 (R.-G.-Bl. S. 45).

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I. Gruppe: Verfassung bei Deutschen Reichs und von Preußen.

Art. 29. Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesammten Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. Art. 30. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Be­ rufes gethanen Aeußerungen gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden. Art. 31. Ohne Genehmigung des Reichstags kann kein Mitglied desselben während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn cs bei Ausübung der That oder im Laufe des nächstfolgenden Tages ergriffen wird. Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden erforderlich. Auf Verlangen des Reichstage? wird jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied desselben und jede Untersuchung?- oder Eivilhast für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben.

*) Art. 32. Die Mitglieder de? Reichstages dürfen al? solche keine Besoldung beziehen. Sic rrhalten eine Entschädigung nach Maß­ gabe des Gesetzes. VI. Zoll- imd Haudelswesen.

Art. 33. Deutschland bildet ein Zoll- und Handelsgebiet, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze. Ausgeschlossen bleiben die wegen ihrer Lage zur Einschließung in die Zollgrenze nicht geeigneten einzelnen Gebietstheile. Alle Gegenstände, welche im freien Verkehr eines Bundesstaates be­ findlich sind, können in jeden anderen Bundesstaat eingeführt und dürfen in letzterem einer Abgabe nur insoweit unterworfen werden, als daselbst gleichartige inländische Erzeugnisse einer inneren Steuer unterliegen.

Art. 34. Die Hansestädte Bremen und Hamburg mit einem dem Zweck entsprechenden Bezirke ihres oder des umliegenden Gebietes bleiben als Freihäfen außerhalb der gcmeinschastlichen Zollgrenze, bis sic ihre» Einschluß in dieselbe beantragen. Art. 35. Das Reich ausschließlich hat die Gesetzgebung über das gesammte Zollweseu, über die Besteuerung des im Bundesgebiete gewonnenen Salzes und Tabacks, bereiteten Branntweins und Bieres und aus Rüben oder anderen inländischen Erzeugnissen dargestellten Zuckers und Syrups, über den gegenseitigen Schutz der in den einzelnen Bundesstaaten erhobenen Verbrauchs­ abgaben gegen Hinterziehungen, sowie über die Maßregeln, welche in den Zollausschlüssen zur Sicherung der gemeinsamen Zollgrenze erforderlich sind. In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung des inländischen sBranntweins uiib2'] Bieres der Landcsgesetzgebung Vorbehalten. Die Bundesstaaten werden jedoch ihr Bestreben darauf richten, eine Ueber­ einstimmung der Gesetzgebung über die Besteuerung auch dieser Gegen­ stände herbeizuführen. J) Fassung nach dem RG. v. 21. Mai 1906 lR.-G-Bl. S. 467). Vorder lautete der Art.: Tie Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen. — Das zur Anwendung kommende Gesetz ist das vom 21. Mai 1906 (R.-G.-Bl. S. 44>S ff.), betr. die Gewährung einer Entschädigung an die Mitglieder des Reichstages. $) Das Sonderrecht bezüglich der Branntweinbesteuerung haben die erwähnten Staaten in der Folge aufgegeben. Vgl. Reichsges. v. 24. Juni 1887 (R.-G.-Bl. S. 253) § 47 u. spätere Aenderungen dieses Gesetzes.

1 Reichsverfasiung.

Sri. 29—39.

S

2lrt 36. Die Erhebung und Berwaltung der Zölle und Ver­ brauchssteuern (Art. 35.) bleibt jedem Bundesstaate, soweit derselbe sie bis­ her ausgeübt hat, innerhalb seines Gebietes überlassen. Ter Kaiser überwacht die Einhaltung des gesetzlichen Verfahrens durch Reichsbeamte, welche er den Zoll- oder Steuerämtern und den Tirektivbehörden der einzelnen Staaten, nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrathes für Zoll- und Steuerwesen, beiordnet. Tie von diesen Beamten über Mängel bei der Aussührung der gemeinichastlichen Gesetzgebung (Art. 35.) gemachten Anzeigen werden dem Bundesrathe zur Bezchlußnahme vorgelegt. Art. 37. Bei der Beschlußnahme über die zur Aussührung der gemeinschastlichen Gesetzgebung (Art. 35.) dienenden Verwaltungsvorichriiten und Einrichtungen gibt die Stimme des Präsidiums alsdann den Ausschlag, wenn sie sich für Aufrechthaltung der bestehenden Vorschrift oder Einrichtung ansspricht.

Art. 38. Der Ertrag dec Zölle und dec anderen in Art. 35. be­ zeichneten Abgaben, letzterer soweit sie der Reichsgesetzgebung unterliegen, stießt in die Rcichskasse. Dieser Ertrag besteht aus der gestimmten von den Zöllen und den übrigen Abgaben aufgekommenen Einnahme nach Abzug: 1) der auf Gesetzen oder allgemeinen Verwaltungsvorschristen beruhenden Steuervergütungen und Ermäßigungen, 2) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen, 3) der Erhebuiigs- und Verwaltungskosten, und zwar: a) bei den Zöllen der Kosten, welche an den gegen das Ausland gelegenen Grenzen und in dem Grenzbczirke für den Schutz und die Erhebung der Zölle erforderlich sind, b) bei der Salzsteuer der Kosten, welche zur Besoldung der mit Erhebung und Kontrolirnng dieser Steuer aus den Salzwerken beaustragten Beamten ausgewcndet werden, r) bei der Rübenzuckcrsteuer und Tabacksteuer der Vergütung, welche nach den jeweiligen Beschlüssen des Bundesrathes den einzelnen Bundesregierungen für die Kosten der Verwaltung dieser Stenern zu gewähren ist, (I) bei den übrigen Steuern mit funszehn Prozent der Gestimmt­ einnahme. Tic außerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze liegenden Gebiete tragen zu den Ausgaben des Reichs durch Zahlung eines Aversuins bei. Bayern, Württemberg und Baden haben an dem in die RcichStane stießcnden Ertrage der Steuern von Branntwein und Bier und an bein diesem Ertrage entsprechenden Theile des vorstehend erwähnten Aversums leinen Theil. Art. 39. Tie von den Erhcbungsbehörden der Bundesstaaten nach Ablauf eines jeden Vierteljahres aufzustellenden Luartal-Ertrakte ind die nach dem Jahres- und Bücherschlusse aufzustellenden Finalabschlüsse aber die im Laute des Vierteljahres beziehungsweise während des Rech­ nungsjahres fällig gewordenen Einnahmen an Zöllen und nach Art. 38.

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I Gruppe: Verfassung des Deutjchen Reichs und von Preußen.

zur Neichskasse fließenden Verbrauchsabgaben werden von den Tirektivbehörden der Bundesstaaten, nach vorangegangencr Prüfung, in Haupt­ übersichten zusammengestellt, in welchen jede Abgabe gesondert nachzuiveisen ist, und es werden diese Uebersichten an den Ausschuß des Bundesrathcs für das Rechnungswesen eingesandt. Der letztere stellt aus Grund dieser Uebersichten von drei zu drei Monaten den von der Kasse jedes Bundesstaates der Neichskasse schuldigen Betrag vorläufig sest und setzt von dieser Feststellung den Bundcsrath und die Bundesstaaten in Kenntniß, legt auch alljährlich die schließliche Fest­ stellung jener Beträge mit seinen Bemerkungen dem Bundesrathe vor. Der Bundesrath beschließt über diese Feststellung.

Art. 40. Die Bestimmungen in dem Zollvercinigungsvertrage vom 8. Juli 1867. bleiben in Kraft, soweit sic nicht durch die Vorschriften dieser Verfassung abgeändert sind und so lange sie nicht auf dem im Art. 7., beziehungsweise 78. bezeichneten Wege abgcändcrt werden.

VIL Eisenbahnwesen. Art. 41. Eisenbahnen, welche im Interesse der Vertheidigung Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs für nothwendig erachtet werden, können kraft eines Rcichsgesetzes auch gegen den Wider­ spruch der Bundesglieder, deren Gebiet die Eisenbahnen dnrch'chneiden, unbeschadet der tfandeshoheitsrechte, für Rechnung des Reichs angelegt oder an Privatunternehmer zur Ausführung konzessivnirt und mit dem Erpropriationsrechte ausgestattet werden. Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, sich den Anschluß neu angelegter Eisenbahnen auf Kosten der letzteren gefallen zu lassen. Die gesetzlichen Bestimmungen, welche bestehende» Eisenbahn-Unternehniungen ein Widerspruchsrccht gegen die Anlegung von Parallel- oder Konkurrenzbahnen einräumen, werden, unbeschadet bereits erworbener Rechte, für das ganze Reich hierdurch ausgehoben. Ein solches Widerspruchsrecht kann auch in den künftig zu ertheilenden Konzessionen nicht weiter ver­ liehen werden.

Art. 42. Die Bundesregierungen verpflichten sich, die Teutschen Eisenbahnen im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliche) Netz verwalten und zu diesem Behilf auch die neu herzustellenden Bahnen nach einheitlichen Normen anlegeu und ausrüsten zu lassen. Art. 43. Es sollen demgemäß in thunlichster Beschleunigung übereinstimmende Betriebseinrichtungen getroffen, insbesondere gleiche Bahn-. Polizei-Reglements eingeführt werden. Das Reich hat dafür Zorge zu tragen, daß die Eisenbahnverwaltungen die Bahnen jederzeit in einem die nöthige Sicherheit gewährenden baulichen Zustande erhalten iinb dieselben mit Betriebsmaterial so ausrüsten, wie das Verkehrsbedürfniß es erheischt.

Art. 44. Die Eisenbahnverwaltungen sind den durchgehenden Verkehr und zur Herstellung in Fahrplane nöthigen Personenzüge mit entsprechender desgleichen die zur Bewältigung des Güterverkehres

verpflichtet, die für einander greifender Fahrgeschwindigkeit, nöthigen Güterzüge

I. RrichSversasjung.

Art. 39—49.

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einzuführen, auch direkte Expeditionen im Personen- und Güterverkehr, unter Gestattung des Ueberganges der Transportmittel von einer Bahn auf die andere, gegen die übliche Vergütung einzurichten.

Art. 45. Dem Reiche steht die Kontrole über das Tarifwesen zu. Dasselbe wird namentlich dahin wirken: 1) daß baldigst aus allen Deutschen Eisenbahnen übereinstimmende Betriebsreglements eingeführt werden; 2) daß die möglichste Gleichmäßigkeit und Herabsetzung der Tarise erzielt, insbesondere, daß bei größeren Entfernungen für den Transport von Kohlen, Koaks, Holz, Erzen, Steinen, Salz, Roheisen, Düngungs­ mitteln und ähnlichen Gegenständen ein dem Bedürfniß der Land­ wirthschaft und Industrie entsprechender ermäßigter Tarif, und zwar zunächst thunlichst der Einpsennig-Tarif eingesührt werde. Art. 46. Bei eintretcnden Nothständen, insbesondere bei unge­ wöhnlicher Theuerung der Lebensmittel, sind die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, für den Transport, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsen­ früchten und Kartoffeln, zeitweise einen dem Bedürfniß entsprechenden, von dem Kaiser auf Vorschlag des betreffenden Bundesraths-Ausschusses fcstzustcllenden, niedrigen Spezialtaris einzuführen, welcher jedoch nicht unter den niedrigsten auf der betreffenden Bahn für Rohprodukte geltenden Satz herabgehen darf. Die vorstehend, sowie die in den Art. 42. bis 45. getroffenen Be­ stimmungen sind auf Bayern nicht anwendbar. Dem Reiche steht jedoch auch Bayern gegenüber das Recht zu. int Wege der Gesetzgebung einheitliche Normen für die Konstruktion und Ausrüstnng der für die Landesvertheidigung wichtigen Eisenbahnen aufzustcllen.

Art. 47. Den Anforderungen der Behörden des Reichs in Betreff der Benutzung der Eisenbahnen zum Zweck der Vertheidigung Deutschlands haben sämmtliche Eisenbahnverwaltungen unweigerlich Folge zu leisten. Insbesondere ist das Militair und alles Kriegsmaterial zu gleichen er­ mäßigten Sätzen zu befördern. VIII. Post- und Telegraphenwesen.

Art. 48. Das Postwesen und das Telegraphenwesen werden für das gesammte Gebiet des Deutschen Reichs als einheitliche StaatsverkehrsAnstaltcn eingerichtet und verwaltet. Die im Art. 4. vorgesehene Gesetzgebung des Reichs in Post- und Telegraphen-Angelegenheiten erstreckt sich nicht auf diejenigen Gegenstände, deren Regelung nach den in der Norddeutschen Post- und TelegraphenVerwaltung maßgebend gewesenen Grundsätzen der reglementarischen Fest­ setzung oder administrativen Anordnung überlassen ist. Art. 49. Die Einnahmen des Post- und Telegraphcnwesens und für das ganze Reich gemeinschaftlich. Die Ausgaben werden aus den gemeinschaftlichen Einnahmen bestritten. Die Uebcrschüsse fließen in die Reichsküsse (Abschnitt XII ).

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I. Truppe: Verfassung deS Deutschen Reichs und von Preußen.

Art. 50. Dem Kaiser gehört die obere Leitung der Post- und Telegraphenverwaltung an. Tie von ihm bestellten Behörden haben die Pflicht und das Recht, dafür zu sorgen, daß Einheit in der Organisation der Verwaltung und im Betriebe des Dienstes, sowie in der Qualifikation der Beamten hergestellt und erhalten wird. Dem Kaiser steht der Erlaß der reglementarischen Festsetzungen und allgemeinen administrativen Anordnungen, sowie die ausschließliche Wahr­ nehmung der Beziehungen zu anderen Post- und Telegraphenverwaltungen zu. Sämmtliche Beamte der Post- und Telegraphenverwaltung sind ver­ pflichtet, den Kaiserlichen Anordnungen Folge zu leisten. Diese Ver­ pflichtung ist in den Diensteid auszunehmen.

Die Anstellung der bei den Verwaltungsbehörden der Post und Telegraphie in den verschiedenen Bezirken erforderlichen oberen Beamten (z. B. der Direktoren, Räthe, Ober-Inspektoren), ferner die Anstellung der zur Wahrnehmung des Aufsichts- u. s. w. Dienstes in den einzelnen Be­ zirken als Organe der erwähnten Behörden sungirenden Post- und Tclegraphenbeamten (z. B. Inspektoren, Kontroleure) geht für das ganze Gebiet des Deutschen Reichs vom Kaiser aus, welchem diese Beamten den Diensteid leisten. Den einzelnen Landesregierungen wird von den in Rede stehenden Ernennungen, soweit dieselben ihre Gebiete betreten, Behufs der landes­ herrlichen Bestätigung und Publikation rechtzeitig Mittheilung gemacht werden. Die anderen bei den Verwaltungsbehörden der Post und Telegraphie ersorderlichen Beamten, sowie alle für den lokalen und technischen Betrieb bestimmten, mithin bei den eigentlichen Betriebsstellcn sungirenden Beamten u. s. w. werden von den betreffenden Landesregierungen angestellt. Wo eine selbstständige Landesposl- resp. Telcgraphenverwaltnng itidit besteht, entscheiden die Bestimmungen der besonderen Vertrüge.

Art. 51. Bei Ueberweisung des Ueberschusses der Postverwaltung für allgemeine Reichszwccke (Art. 49.) soll, in Betracht der bisherigen Ver­ schiedenheit der von den Landes-Postverwaltungcn der einzelnen Gebiete erzielten Reineinnahmen, zum Zwecke einer entsprechenden Ausgleichung während der unten sestgesetzten Uebcrgangszcit folgendes Verfahren be­ obachtet werden. Aus den Postüberschüssen, welche in den einzelnen Poübezirken während der fünf Jahre 1861. bis 1865. aufgekommen sind, wird ein durchschnittlicher Jahresüberschuß berechnet, und der Antheil, welchen jeder einzelne Postbezirk an dein für das gesammte Gebiet des Reichs sich darnach herausstellenden Postüberschusse gehabt hat, nach Prozenten fest­ gestellt.

Nach Maßgabe des auf diese Weise festgestellten Verhältnisses werden den einzelnen Staaten während der auf ihren Eintritt in die Ncichs-Ponverwaltung folgenden acht Jahre die sich für sie aus den im Reiche auf­ kommenden Postüberschüssen ergebenden Quoten aus ihre sonstigen Beitrüge zu Reichszwecken zu Gute gerechnet.

1. Reichsverfassung.

Art. 50—54.

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Nach Ablaus der acht Jahre hört jene Unterscheidung auf, und fließen die Postüberschüsse in ungeteilter Aufrechnung nach dem im Art. 49. enthaltenen Grundsatz der Reichskasse zu. Von der während der vorgedachten acht Jahre für die Hansestädte sich herausstellenden Quote des Postüberschusscs wird alljährlich vorweg die Hülste dem Kaiser zur Disposition gestellt zu dem Zwecke, daraus zunächst die Kosten sür die Herstellung normaler Posteinrichtungen in den Hansestädten zu bestreiten.

Art. 52. Die Bestimmungen in den vorstehenden Art. 48. bis 51. finden auf Bayern und Württemberg keine Anwendung. An ihrer Stelle gelten für beide Bundesstaaten folgende Bestimmungen. Dem Reiche ausschließlich steht die Gesetzgebung über die Vorrechte der Post und Telegraphie, über die rechtlichen Verhältnisse beider Anstalten zum Publikum, über die Portofreiheiten und das Posttarwesen, jedoch aus­ schließlich der reglementarischen und Tarif-Bestimmungen für den internen Verkehr innerhalb Bayerns, beziehungsweise Württembergs, sowie, unter gleicher Beschränkung, die Feststellung der Gebühren für die telegraphische Korrespondenz zu. Ebenso steht dem Reiche die Regelung des Post- und TelegraphenVerkehrs mit dem Auslande zu, ausgenommen den eigenen unmittelbaren Verkehr Bayerns, beziehungsweise Württembergs mit seinen dem Reiche nicht angehörenden Nachbarstaaten, wegen dessen Regelung eS bei der Be­ stimmung im Art. 49. des Postvertragcs vom 23. November 1867. bewendet. An den zur Reichskasse fließenden Einnahmen des Post- und Telcgraphenwesens haben Bayern und Württemberg keinen Theil.

IX. Marine «nd Schifffahrt.

Art. 53.') Die Kriegsmarine bco Reichs ist eine einheitliche unter dem Qberbesehl des Kaisers. Die Organisation und Zusammensetzung der­ selben liegt dem Kaiser ob, welcher die Offiziere und Beamten der Marine ernennt, und sür welchen dieselben nebst den Mannschaften eidlich in Pflicht zu nehmen sind. Der Kieler Hasen und der Jadehafen sind Reichskriegshäsen. Ter zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit zusammenhängenden Anstalten erforderliche Aufwand wird aus der Reichs­ kasse bestritten. Die gejammte seemännische Bevölkerung des Reichs, einschließlich des Maschinenpersonals und der Schiffshandwerker, ist vom Dienste im Land­ beere befreit, dagegen zum Dienste in der Kaiserlichen Marine verpflichtet. Art. 54. Die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten bilden eine einheitliche Handelsmarine. Tas Reich hat das Verfahren znr Ermittelung der Ladungsfähigkeit der Seeschiffe zu bestimmen, die Ausstellung der Meßbriefe, sowie der

v;. Abs V dieses Art. aufgeb. durch Art. I des Gcs. v. 26. Mai 1893 (N.-Z.-Ll. 3. 185), s. nun Art. II dieses Cescl.res.

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I. Gruppe: Verfassung der Deutschen Reichs und von Dreußen

Schiffscertificate zu regeln und die Bedingungen festzustellen, von welchen die Erlaubniß zur Führung eines Seeschiffes abhängig ist. In den Seehäfen und auf allen natürlichen und künstlichen Wasser­ straßen der einzelnen Bundesstaaten werden die Kauffahrteischiffe sämmt­ licher Bundesstaaten gleichmäßig zugelassen und behandelt. Die Abgaben, welche in den Seehäfen von den Seeschiffen oder deren Ladungen sür die Benutzung der Schififahrtsanstalten erhoben werden, dürfen die zur Unter­ haltung und gewöhnlichen Herstellung dieser Anstalten erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Auf allen natürlichen Wasserstraßen dürfen Abgaben nur für die Benutzung besonderer Anstalten, die zur Erleichterung des Verkehrs be­ stimmt sind, erhoben werden. Diese Abgaben, sowie die Abgaben für die Befahrung solcher künstlichen Wasserstraßen, welche Staatseigenthum sind, dürfen die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung der Anstalten und Anlagen erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Auf die Flößerei finden diese Bestimmungen insoweit Anwendung, als dieselbe aus schiffbaren Wasserstraßen betrieben wird. Auf fremde Schiffe oder deren Ladungen andere oder höhere Abgaben zu legen, als von den Schiffen der Bundesstaaten oder deren Ladungen zu entrichten sind, steht keinem Einzelstaate, sondern nur dem Reiche zu.

Art. 55.

Die Flagge der Kriegs- und Handelsmarine ist schwarz­

weiß-roth.

X. Konsulatwefen. Art. 56. Das gesammte Konsulatwesen des Deutschen Reichs steht unter der Aussicht des Kaisers, welcher die Konsuln, nach Vernehmung des Ausschusses des BundcSrathes für Handel und Verkehr, anstellt. In dem Amtsbezirk der Deutschen Konsuln dürfen neue Landes­ konsulate nicht errichtet werden. Die deutschen Konsuln üben für die in ihrem Bezirk nicht vertretenen Bundesstaaten die Funktionen eines Landes­ konsuls aus. Die sämmtlichen bestehenden Landeskonsulate werden auf­ gehoben, sobald die Organisation der Deutschen Konsulate dergestalt vollendet ist, daß die Vertretung der Einzelinteressen aller Bundesstaaten als durch die Deutschen Konsulate gesichert von dem Bundesrathe anerkannt wird.

XL ReichSkriegSwesev. Art. 57. Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Aus­ übung dieser Pflicht nicht vertreten lassen. Art. 58. Die Kosten und Lasten des gesammten Kriegswesens des Reichs find von allen Bundesstaaten und ihren Angehörigen gleich­ mäßig zu tragen, so daß weder Bevorzugungen, noch Prägravationcir einzelner Staaten oder Klaffen grundsätzlich zulässig find. Wo die gleiche Vertheilung der Lasten sich i" natura nicht her stellen läßt, ohne die öffent­ liche Wohlfahrt zu schädigen, ist die Ausgleichung nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit im Wege der Gesetzgebung fcstzustcllcn.

I. Reichsverfassung.

Sixt. 54—62.

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Art. 59?) Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre lang, in der Regel vom vollendeten zwanzigsten bis zum beginnenden achtund­ zwanzigsten Lebensjahre, dem stehenden Heere, die folgenden fünf Lebens­ jahre der Landwehr ersten Aufgebots und sodann bis zum 31. März des Kalenderjahrs, in welchem das neununddreißigste Lebensjahr vollendet wird, der Landwehr zweiten Aufgebots an. Während der Dauer der Dienstpflicht im stehenden Heere sind die Mannschaften der Kavallerie und reitenden Feldartillerie die ersten drei, alle übrigen Mannschaften die ersten zwei Jahre zum ununterbrochenen Dienste bei den Fahnen verpflichtet. In Bezug aus die Auswanderung der Reservisten sollen lediglich diejenigen Bestimmungen maßgebend sein, welche für die Auswanderung der Landwehrmänner gelten.

Art. 60. Die Friedens-Präsenzstärke des Deutschen Heeres wird bis zum . Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofern dieselben nicht privatrechtlicher Ratur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, werden auf Anrufen des einen Theils von dem Bundesrathe erledigt. Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Ver­ fassung nicht eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat aus Anrufen eines Theiles der Bundesrath gütlich auszugleichen oder, wenn das nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zur Er­ ledigung zu bringen.

Art. 77. Wenn in einem Bundesstaate der Fall einer Justiz­ verweigerung eintritt, und auf gesetzlichen Wegen ausreichende Hülfe nicht erlangt werden kann, so liegt dem Bundesrathe ob, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden Gesetzen des betreffenden Bundesstaates zu beurtheilende Beschwerden über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und darauf die gerichtliche Hülfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde Anlaß gegeben hat, zu bewirken. XIV. Allgemeine Bestimmungen.

Art. 78.

Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 14 Stimmen gegen sich haben. Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur Gesammtheit fest­ gestellt sind, können nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden. *) s. nun § 136 des Eerichtsvenan.-Ges. (R -G.Bl. 1898 L. 372).

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I. Gruppe: Verfassung des Deutschen Reichs und von Preußen.

2. NeiWMhlgksetz. Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutsche« Bundes?)

Bem 31. Mai 186S? (Bundes-Gesetzbl. 1869 S. 145).

§. 1. Wähler für den Reichstag des Norddeutschen Bundes^) ist jeder welcher das sünjundzwanzigste Lebensjahr zurückgelcgt hat, in dem Bundesstaate, wo er seinen Wohnsitz hat. §. 2. Für Personen des Soldatenstandes des Heeres und der Marine ruht die Berechtigung zum Wählen so lange, als dieselben fid) bei der Fahne befinden. §. 3. Von der Berechtigung zum Wählen sind ausgeschlossen: 1) Personen, welche unter Vormundschaft oder Curatel stehen; 2) Personen, über deren Vermögen Eoncurs- oder Fallitzustand gerichtlich eröffnet worden ist, und zwar während der Dauer dieses Concurs oder Fallit-Versahrens; 3) Personen, welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen ober Gemeinde-Mitteln beziehen, oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben; 4) Personen, denen in Folge rechtskräftigen Erkenntnisses der Vollgenu'; der staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist, für die Zeit der Entziehung, sofern sie nicht in diese Rechte wieder eingesetzt sind. Ist der Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte wegen politischer Vergehen oder Verbrechen entzogen, so tritt die Berechtigung zum Wählen wieder ein, sobald die außerdem erkannte Strafe vollstreckt oder durch Begnadigung erlassen ist.

§♦ 4. Wählbar zum Abgeordneten ist im ganzen Bundesgebietes jeder Norddeutsche'), welcher das snnsundzwanzigste Lebensjahr zurück gelegt und einem zum Bunde gehörigen Staate seit mindestens einem Jahre angehört hat, sofern er nicht durch die Bestimmungen in dem 3 von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossen ist.

K. 5. In jedem Bundesstaate wird aus durchschnittlich 100,0»" Seelen derjenigen Beoölkerungszahl, welche den Wahlen zum verfassung­ gebenden Reichstage zu Grunde gelegen hat, Ein Abgeordneter gewählt. Ein Ueberschuß von mindestens 50,000 Seelen der Gesammtbevölkerung eines Bundesstaats wird vollen 100,000 Seelen gleich gerechnet. In s. oben S. 1 Reichsversasiung §. 2 Abs. II. 8) Wahlreglemenl v. 28. Mai 1870 (B.-G.-Bl. S. 275, 4881 nebst Nachträgen (B.-G.-Bl. 1871 S. 35, R-G.-Bl. 1872 S. 38, 1873 S. 374), insbes. v. 28. April 1903, R.-G.Bl. 1903 S. 202, siehe unten Gruppe I, Nr. 3.

2. Reich-tagSwahlgesetz. §§ 1—9.

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einem Bundesstaate, dessen Bevölkerung 100,000 Seelen nicht erreicht, wird Ein Abgeordneter gewählt. Demnach betrügt die Zahl der Abgeordneten 297 und kommen auf Preußen 235, Sachsen 23, Hessen 3, Mecklenburg-Schwerin 6, SachsenWeimar 3, Mecklenburg-Strelitz 1, Oldenburg 3, Braunschweig 3, SachsenMeiningen 2, Sachsen-Altenburg 1, Sachsen-Coburg-Gotha 2, Anhalt 2, Schwarzburg-Rudolstadt 1, Schwarzburg-Sondershausen 1, Waldeck 1, Reich ältere Linie 1, Reuß jüngere Linie 1, Schaumburg-Lippe 1, Lippe 1, Lauenburg 1, Lübeck 1, Bremen 1, Hamburg 3?) Eine Bermehrnng der Zahl der Abgeordneten in Folge der steigenden Bevölkerung wird durch das Gesetz bestimmt.

6. Jeder Abgeordnete wird in einem besonderen Wahlkreise gewählt. Jeder Wahlkreis wird zum Zwecke der Stimmabgabe in kleinere Bezirke getheilt, welche möglichst mit den Ortsgemeinden zusammenfallen iollen, sofern nicht bei volkreichen Ortsgemeinden eine Unterabtheilung erforderlich wird. 3)lit Ausschluß der Erelaven müssen die Wahlkreise, sowie die Wahl­ bezirke räumlich abgegrenzt und thunlichst abgerundet sein. Ein Bundesgesetz wird die Abgrenzung der Wahlkreise bestimmen. Bis dahin sind die gegenwärtigen Wahlkreise beizubehalten, mit Aus­ nahme derjenigen, welche zur Zeit nicht örtlich abgegrenzt und zu einem räumlich zusammenhängenden Bezirke abgerundet sind. Diese müssen zum Zwecke der nächsten allgemeinen Wahlen gemäß der Vorschrift des dritten Absatzes gebildet werde». 1i. Wer das Wahlrecht in einem Wahlbezirke ausüben will, muß in demselben ober, im Falle eine Gemeinde in mehrere Wahlbezirke getheilt ist, in einem derselben zur Zeit der Wahl seinen Wohnsitz haben. Jeder darf nur an Einem Crtc wählen.

§♦ 8. In jedem Bezirke sind zuni Zwecke der Wahlen Listen anzulegen, in welche die zum Wählen Berechtigten nach Zu- und Vornamen, Alter, Gewerbe und Wohnort eingetragen werden. Diese Listen sind spätestens vier Wochen vor dem zur Wahl bestimmten Tage zu Jedermanns Einsicht auszulegen, und ist dies zuvor unter Hin­ weisung auf die Einsprachefrist öffentlich bekannt zu machen. Einsprachen gegen die Listen sind binnen acht Tagen nach Beginn der Auslegung bei der Behörde, welche die Bekanntmachung erlassen hat, anzubringen und innerhalb der nächsten vierzehn Tage zu erledigen, woraus die Listen ge­ schlossen werden. Nur diejenigen sind zur Theilnahme an der Wahl berechtigt, welche in die Listen ausgenommen sind. Bei einzelnen Neuwahlen, welche innerhalb eines Jahres nach der letzten allgemeinen Wahl stattfinden, bedarf es einer neuen Aufstellung und Auslegung der Wahllisten nicht. i). Die Wahlhandlung, sowie die Ermittelung des Wahlergebnisses und öffentlich. *i s. hiezu Art. 20 der Reichsoerfassung isstb Au in. 1 oben 5. 7.

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l. Gruppe - Verfassung der Deutschen Reichs und von Preußen

Tie Funktion der Vorsteher, Beisitzer und Protokollführer bei der Wahlhandlung in den Wahlbezirken und der Beisitzer bei der Erinittelung des Wahlergebnisses in den Wahlkreisen ist ein unentgeltliches Ehrenamt und kann nur von Personen ausgeübt werden, welche kein unmittelbares Staatsamt bekleiden.

10. Das Wahlrecht wird in Person durch verdeckte, in eine Wahlurne niederzulegende Stimmzettel ohne Unterschrift ausgeübt. Die Stimmzettel müssen von weißem Papier und dürfen mit keinem äußeren Kennzeichen versehen sein.

8. 11. Die Stimmzettel sind außerhalb des Wahllokals mit dem Namen des Candidaten, welchem der Wähler seine Stimme geben iuiU, handschriftlich oder im Wege der Vervielfältigung zu versehen. 8. 12. Die Wahl ist direkt. Sie erfolgt durch absolute mehrheit aller in einem Wahlkreise abgegebenen Stimmen. einer Wahl eine absolute Stimmenmehrheit sich nicht heraus, unter den zwei Candidaten zu wählen, welche die meisten erhalten haben. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Loos.

Stimmen­ Stellt bei so ist nur Stimmen

8« 13. Ueber die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wnhlzettel ent­ scheidet mit Vorbehalt der Prüfung des Reichstages allein der Vorstand des Wahlbezirkes nach Stimmenmehrheit seiner Mitglieder. Die ungültigen Stimmzettel sind zum Zwecke der Prüfung durch den Reichstag dem Wahlprotokoll beizufügen. Tie gültig befundenen bewahrt der Vorsteher der Wahlhandlung in dem Wahlbezirke so lange versiegelt, bis der Reichstag die Wahl definitiv gültig erklärt hat.

8« 14. Die allgemeinen Wahlen sind im ganzen Bundesgebiete') an dem von dem Bundespräsidium bestimmten Tage vvrznnchmen.

8. 15. Der Bundesrath ordnet das Wahlverfahren, soweit dasselbe nicht durch das gegenwärtige Gesetz festgestellt worden ist, durch ein einheit­ liches, für das ganze Bundesgebiet gültiges Wahlreglement.-) Dasselbe kann nur unter Zustimmung des Reichstages abgeändert werden. 8» 16. Die Kosten für die Druckformulare zu den Wahlprotokollen und für die Ermittelung des Wahlergebnisses in den Wahlkreisen werden von den Bundesstaaten, alle übrigen Kosten des Wahlversahrens werden von den Geineinden getragen.

8« 17. Die Wahlberechtigten haben das Recht, zum Betrieb der den Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten Vereine zu bilden und in geschlossenen Räumen unbewaffnet öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Die Bestimmungen der Landesgesetze über die Anzeige der Ver­ sammlungen und Vereine, sowie über die Ueberwachung derselben, bleiben unberührt. 8« 18. Das gegenwärtige Gesetz tritt bei der ersten nach dessen Ver­ kündigung stattfindcnden Neuwahl des Reichstages in Kraft. Don dem nämlichen Zeitpunkte an verlieren alle bisherigen Wahlgesetze für den Reichstag nebst den dazu erlassenen Ausjührungsgesetzen, Verordnungen und Reglements ihre Gültigkeit. ') s. oben S. 20 Sinnt. 1. *) s. oben S. 20 Sinnt. 2.

3. Reichstagswahlreglement.

23

§§ 1 u. 2.

3. MchstaMchreglmeit. Reglement zur Ausführung des Wahlgesetzes für de« Reichstag »es Norddeutsche« Bundes vom 31. Mai 1869. Sem 28. Mai 1870. In der Fasjung der

Bekanntmachung

des

Reichskanzlers

vom 28. April 1903.*) . Gruppe II, Nr. 1). *) Hierzu erging das Ges. betr. die Deklaration der Vers Urk. v. 31. Januar 1850 in Bezug aus die Rechte der mittelbar gewordenen deutschen Reichsfürsten und Grasen. Vom 10. Juni 1854 (GS. S. 363). •) Ges. zum Schutze der persönlichen Freiheit vom 12. Februar 1850 (GS. S. 45). (S. Gruppe V5). 4) StPO. §§ 102-111. -) StPO. §§ 99-101, RKO. § 121.

4. Verfassungsurkunde für den preußischen Staat.

Art. 1—18.

31

Art. 7. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden?) Ausnahmegerichte und außerordentliche Kommissionen sind unstatthaft.

Art. 8. Strafen können nur in Gemäßheit des Gesetzes ange­ droht oder verhängt werden.

Art. 9. Das Eigentum ist unverletzlich. Es kann nur auS Gründen des öffentlichen Wohles gegen vorgängige in dringenden Fällen wenigstens vorläufig festzustellende Entschädigung nach Maßgabe des Ge­ setzes^) entzogen oder beschränkt werden. Art. 10. Der bürgerliche Tod einziehung finden nicht statt.

und die Strafe der Vermögens­

Art. 11. Die Freiheit der Auswanderung^) kann wegen nur in Bezug auf die Wehrpflicht beschränkt werden. Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.

von

Staats

Art. 12. Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften (Art. 30. und 31.) und der gemeinsamen häus­ lichen und öffentlichen Religionsübung wird gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von denl religiösen Bekenntnisse?) Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen.

Art. 13. Die Religionsgesellschaften, sowie die geistlichen Gesell­ schaften, welche keine Korporationsrechte haben, können diese Rechte nur durch besondere Gesetze erlangen. Art. 14. Die christliche Religion wird bei denjenigen Einrichtungen des Staats, welche mit der Religionsübung im Zusammenhänge stehen, unbe­ schadet der im Art. 12. gewährleisteten Religionsfreiheit, zum Grunde gelegt. sArt. 15. Die evangelische und die römisch-katholische Kirche, sowie jede andere Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig und bleibt im Besitz und Genuß der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeits­ zwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds. Art. 16. Der Verkehr der Religionsgesellschaften mit ihren Oberen ist un­ gehindert. Die Bekanntmachung kirchlicher Anordnungen ist nur denjenigen Beschränk­ ungen unterworfen, welchen alle übrigen Veröffentlichungen unterliegen.^)

Art. 17. welchen dasselbe ergehen?)

Ueber das Kirchenpatronat und die Bedingungen, unter aufgehoben werden kann, wird ein besonderes Gesetz

(Art. 18. Das Erneuerungs-, Vorschlags-, Wahl- und Bestätigungsrecht bei Besetzung kirchlicher Stellen ist, soweit es dem Staat zusteht, und nicht auf dem Patronat oder besonderen Rechtstiteln beruht, aufgehoben. Auf die Anstellung von Geistlichen beim Militär und an öffentlichen Anstalten findet diese Bestimmung keine Anwendung.^) T) § 16 des GVG. 2) Vgl. insbesondere Ges. über die Enteignung von Grundeigentum vom 11. Juni 1874. (S. Gruppe XV). 8) Vgl. Art. 4 Ziff. 1 RV. 4) Siehe Reichsgesetz, betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürger­ licher und staatsbürgerlicher Beziehung, vom 3. Juli 1869 (BGBl. S. 292). 5) Aufgehoben durch Ges. vom 18. Juni 1875 (GS. S. 259). 6) Noch nicht ergangen. Es gilt Teil II Tit. 11 Abschn. 8 ALR. 7) Aufgehoben durch Ges. vom 18. Juni 1875 (GS. S. 259).

32

I. Grupp«: Vrrfassung des Deutschen Reich- und von Preußen.

Art. 19. Die Einführung der Zivilehe erfolgt nach Maßgabe eines besonderen Gesetzes, was auch die Führung der Zivilstandsregister regelt1)

Art. 20. Art. 21.

Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.

Für die Bildung der Jugend soll durch öffentliche Schulen genügend gesorgt werden. Eltern und deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflege­ befohlenen nicht ohne den Unterricht lasten, welcher für die öffentlichen Volksschulen vorgeschrieben ist.

Art. 22. Unterricht zu erteilen und Unterrichtsanstalten zu gründen und zu leiten, steht jedem srei, wenn er seine sittliche, wistenschaftliche und technische Befähigung den betreffenden Staatsbehörden nach­ gewiesen hat.

Art. 23. Alle öffentlichen und Privat-Unterrichts- und Erziehungs­ anstalten stehen unter der Aufsicht vom Staate ernannter Behörden. Die öffentlichen Lehrer haben die Rechte und Pflichten der Staatsdiener.

Art. 24. Bei der Einrichtung der öffentlichen Volksschulen sind die konfessionellen Verhältnisse möglichst zu berücksichtigen. Den religiösen Unterricht in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesellschaften. Die Leitung der äußeren Angelegenheiten der Volksschule steht der Gemeinde zu. Der Staat stellt unter gesetzlich geordneter Beteiligung der Ge­ meinden, aus der Zahl der Befähigten die Lehrer der öffentlichen Volksfchulen an. Art. 25. Die Mittel zur Errichtung, Unterhaltung und Er­ weiterung der öffentlichen Volksschule werden von den Gemeinden, und im Falle des nachgewiesenen Unvermögens, ergünzungsweise vom Staate aufgebracht. Die auf besonderen Rechtstilcln beruhenden Verpflichtungen Dritter bleiben bestehen. Der Staat gewährleistet demnach den Vvlksschullehrern ein festes, den Lokalverhältnisten angemessenes Einkommen. In der öffentlichen Volksschule wird der Unterricht unentgelt­ lich erteilt.

Art. 26. Das Schul- und Untcrrichtswesen ist durch Gesetz zu regeln. Bis zu anderweiter gesetzlicher Regelung verbleibt es hinsichtlich des Schul- und Unterrichtswesens bei dem geltenden Rechte?) Art. 27. Jeder Preuße hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern?) *) Ges. vom 9. März 1874 über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung. Jetzt gilt das Reichspersonenstandsges. vom 6. Februar 1875 (RGBl. S. 23). S. Gruppe II, Nr. 5. Diese Fassung erhielt der Artikel durch Ges. v. 10. Juli 1906 GS. S. 333). Bis dahin lautete er: „€in besonderes Gesetz regelt das ganze Unterrichtswesen/'' — Vgl. auch die Gruppe XXVII: Schulrecht. •) Reichsges. über die Presse vom 7. Mai 1874 (S. Gruppe VI, Nr. 1).

4. Verfassung-urkunde für den preußischen Staat. Art. 19—37.

33

Die Zensur darf nicht eingeführt werden; jede andere Beschränkung der Preßfreiheit nur im Wege der Gesetzgebung.

Art. 28. Vergehen, welche durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung begangen werden, find nach den allgemeinen Straf­ gesetzen zu bestrafen. Art. 29?) Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche auch in bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis der Verfügung des Gesetzes unterworfen sind. Art. 30. Alle Preußen haben das Recht, sich zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen?) in Gesellschaften zu vereinigen. Das Gesetzt) regelt, insbesondere zur Aufrechthaltung der öffent­ lichen Sicherheit, die Ausübung des in diesen, und in dem vorstehenden Artikel (29) gewährleisteten Rechts. Politische Vereine können Beschränkungen und vorübergehenden Ver­ boten tut Wege der Gesetzgebung unterworfen werden. Art. 31. Die Bedingungen, unter welchen erteilt oder verweigert werden, bestimmt daS Gesetz.

Korporationsrechte

Art. 32. Das Petitionsrecht steht allen Preußen zu. Petitionen unter einem Gesamtnamen sind nur Behörden und Korporationen gestattet. Art. 33. DaS Briefgeheimnis ist unverletzlich?) Die bei straf­ gerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen notwendigen Beschränk­ ungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen. Art. 34?) Alle Preußen sind wehrpflichtig. die Art dieser Pflicht bestimmt daS Gesetz.

Den Umfang und

Art. 35. Das Heer begreift alle Abteilungen des stehenden Heeres und der Landwehr?) Im Falle des Krieges kann der König nach Maßgabe des Gesetzes den Landsturm ausbieten. )

Art. 36. Die bewaffnete Macht kann zur Unterdrückung innerer Unruhen und zur Ausführung der Gesetze nur in den vom Gesetze bestinunten Fällen und Formen und auf Requisition der Zivilbehörde ver­ wendet werden. In letzterer Beziehung hat das Gesetz die Ausnahmen zu bestimmen.

Art. 37. Der Militärgerichtsstand des Heeres beschränkt sich auf Strafsachen und wird durch das Gesetz geregelt. Die Bestimmungen über die Militärdisziplin im Heere bleiben Gegenstand besonderer Verordnungen?) >l ,. B. 88 128, 129 StGB. *) Siehe die BO. vom 11. März 1850 (GS. S. 277) sog. preutz. Vereins» gesetz und ReichSvereinSgesetz v. 19. April 1908 (S. Gruppe VI, Nr. 3). •) Jetzt StGB. 88 299, 354, 355, 358. 4) Jetzt reichsrechtlich geregelt. Vgl. oben S. 14 f. 5) RMilG. vom 2. Mai 1874 (RGBl. S. "15) 8 39, MStGO. vom 1. Dez. 1898 (RGBl. S. 1189). Stier-So mlo, VerwaltungSgcsetze für Preußen. 3

34

I. Gruppe: Verfassung de- Deutschen Reich- und von Preußen.

Art. 38. Die bewaffnete Macht darf weder in noch außer Dienste beratschlagen oder sich anders, als auf Befehl versammeln. sammlungen und Vereine der Landwehr zur Beratung militärischer richtungen, Befehle und Anordnungen sind auch dann, wenn dieselbe zusammenberufen ist, untersagt.

dem Ver­ Ein­ nicht

Art. 39. Auf das Heer finden die in den Art. 5, 6, 29, 30 und 32 enthaltenen Bestimmungen nur insoweit Anwendung, als die militärischen Gesetze und Disziplinarvorschriften nicht entgegenstehen. Art. 40. Die Errichtung von Lehen ist untersagt. Der in bezug auf die vorhandenen Lehen noch bestehende Lehnsverband soll durch gesetz­ liche Anordnung aufgelöst werden?) Art. 41. Die Bestimmungen des Art. 40 finden auf Thron­ lehen und auf die außerhalb des Staates liegenden Lehen keine An­ wendung. 2*)1 Art. 42.3) Ohne Entschädigung bleiben aufgehoben, nach Maß­ gabe der ergangenen besonderen Gesetze?) 1. das mit dem Besitze gewisser Grundstücke verbundene Recht der Aus­ übung oder Uebertragung der richterlichen Gewalt (Titel VI der VerDiese Fassung beruht auf dem Gesetz vom 5. Juni 1852 (GS. S. 319) Art. 2. In der VU lautete der Art. 40: »Die Errichtung von Lehen und die Stiftung von Familien-Fideikommifien ist untersagt. Die bestehenden Lehen und FamilienFideikommisse sollen durch gesetzliche Anordnung in freies Eigentum umgestaltet werden. Auf Familien-Stiftungen finden diese Bestimmungen keine Anwendung/ ’) Diese Fassung gab dem Art. 41 das in der vorhergehenden Anm. gedachte Gesetz Art. 3. — Art 41 lautete ursprünglich in der Verfassungsurkunde: „Vorstehende Bestimmungen (Art. 40) finden auf die Thronlehen, das König­ liche HauS- und Prinzliche Fideikommiß, sowie auf die außerhalb deS Staats belegenen Lehen und die ehemals reichsunmittelbaren Besitzungen und Fideikommisse, insofern letztere durch daS deutsche BundeSrecht gewährleistet find, zur Zeit keine An­ wendung. Die Rechtsverhältnisse derselben sollen durch besondere Gesetze geordnet werden." 8) Art. 42 beruht auf Gesetz vom 14. April 1856 (GS. S. 353); Art 42 der BerfassungSurkunde vom 31. Januar 1850 lautete: „DaS Recht der freien Verfügung über daS Grundeigentum unterliegt keinen anderen Beschränkungen, als denen der allgemeinen Gesetzgebung. Die Teilbarkeit deS Grundeigentums und die Ablösbarkeit der Grundlasten wird gewährleistet. Für die todte Hand find Beschränkungen des Rechts, Liegenschaften zu erwerben und über sie zu verfügen, zulässig. Aufgehoben ohne Entschädigung sind: 1. die Gerichtsherrlichkeit, die gutsherrliche Polizei und obrigkeitliche Gewalt, sowie die gewissen Grundstücken zustehenden Hoheitsrechte und Privilegien: 2. die auS diesen Befugnissen, auS der Schutzherrlichkeit, der früheren Erbunter­ tänigkeit, der früheren Steuer- und Gewerbeverfassung herstammenden Ver­ pflichtungen. Mit den aufgehobenen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und Lasten weg, welche den bisherigen Berechtigten dafür oblagen. Bei erblicher Ueberlassung eines Grundstückes ist nur die Uebertragung deS vollen Eigentums zuläfiig; jedoch kann auch hier ein fester ablösbarer Zins Vorbehalten werden. Die weitere Ausführung dieser Bestimmungen bleibt besonderen Gesehen Vor­ behalten. 4) Vgl. Ges, betr. die Ablösung der Reallasten und die Regulierung der gurs­ herrlichen und bäuerlichen Verhältnisse vom 2. März 1850 (GS. S. 77).

4. Derfassungsurkunde für den preußischen Staat.

35

Art. 38—51.

sassungs-Urkunde) und die aus diesem Rechte fließenden Exemtionen und Abgaben; 2. die aus dem gerichts- und schutzherrlichen Verbände, der früheren Erbuntertänigkeit, der früheren Steuer- und Gewerbe-Berfassung her­ stammenden Verpflichtungen. Mit den aufgehobenen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und Lasten weg, welche den bisher Berechtigten dafür oblagen.

Titel III. vom Könige. Art. 43. Art. 44.

Die Person des Königs ist unverletzlich. 0

Die Minister des Königs sind verantwortlich. Alle Regierungsakte des Königs bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.

Art. 45. Dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt zu. Er ernennt und entläßt die Minister. Er befiehlt die Verkündigung der Gesetze und erläßt die zu deren Ausführung nötigen Verordnungen.

Art. 46. Art. 47.

Der König führt den Oberbefehl über das Heer. *)

Der König besetzt alle Stellen im Heere, sowie in den übrigen Zweigen des Staatsdienstes, sofern nicht das Gesetz ein Anderes verordnet.

Art. 48.3) Der König hat das Recht, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, auch andere Verträge mit fremden Regierungen zu errichten. Letztere bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der Kam­ mern, sofern es Handelsverträge sind oder wenn dadurch dem Staate Lasten oder einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegt werden.

Art. 49. Der König hat das Recht der Begnadigung und Straf­ milderung. Zugunsten eines wegen seiner Amtshandlungen verurteilten Ministers kann dieses Recht nur auf Antrag derjenigen Kammer auSgeübt werden, von welcher die Anklage ausgegangen ist. Der König kann bereits eingeleitete Untersuchungen nur auf Grund eines besonderen Gesetzes niederschlagen. Art. 50. Dem Könige steht die Verleihung von Orden anderen mit Vorrechten nicht verbundenen Auszeichnungen zu. Er übt das Münzrecht nach Maßgabe des Gesetzes/)

und

Art. 51. Der König beruft die Kammern und schließt ihre Sitzungen. Er kann sie entweder beide zugleich oder auch nur eine auslösen. Es müssen aber in einem solchen Falle innerhalb eines Zeitraums von sechzig Tagen nach der Auflösung die Wähler und innerhalb eines Zeitraums von neunzig Tagen nach der Auflösung die Kammern versammelt werden. ’) StGB. §§ 80, 94, 95, 98. 99. *) Vgl. RB Art 64 Abs. 1. •) Vgl. Art. 11 RV. 4) Jetzt Münzgesetz vom 9. Juli 187.3 (RGBl. S. 233) mit den Novellen v. 20. April 1874 (RGBl S. 35) u. v. 6. Januar 1876 (RGBl. S. 3), 1. Juni 1900 (RGBl. S. 250).

36

I. Gruppe: Verfassung bei Deutschen Reich« und von Preußen.

Art. 52. Der König kann die Kammern vertagen. Ohne deren Zustimmung darf diese Vertagung die Frist von dreißig Tagen nicht über­ steigen und während derselben Session nicht wiederholt werden.

Art. 53. Die Krone ist, den Königlichen Hausgesetzen gemäß, erblich in dem Mannsstamme des Königlichen Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge. Art. 54. Der König wird mit Vollendung des achtzehnten Lebensjahres volljährig. Er leistet in Gegenwart der vereinigten Kammern daS eidliche Ge­ löbnis, die Verfassung deS Königreichs fest und unverbrüchlich zu halten und in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren. Art. 55. Ohne Einwilligung beider Kammern kann der König nicht zugleich Herrscher fremder Reiche sein. Art. 56. Wenn der König minderjährig oder sonst dauernd ver­ hindert ist, selbst zu regieren, so übernimmt derjenige volljährige Agnat (Art. 53.), welcher der Krone am nächsten steht, die Regentschaft. Er hat sofort die Kammern zu berufen, die in vereinigter Sitzung über die Not­ wendigkeit der Regentschaft beschließen. Art. 57. Ist kein volljähriger Agnat vorhanden und nicht bereits vorher gesetzliche Fürsorge für diesen Fall getroffen, so hat das Staats­ ministerium die Kammern zu berufen, welche in vereinigter Sitzung einen Regenten erwählen. Bis zum Antritt der Regentschaft von feiten des­ selben führt das Staatsministerium die Regierung.

Art. 58. Der Regent übt die dem Könige zustehende Gewalt in dessen Namen aus. Derselbe schwört nach Einrichtung der Regentschaft vor den vereinigten Kammern einen Eid, die Verfassung des Königreichs fest und unverbrüchlich zu halten und in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren. Bis zu dieser Eidesleistung bleibt in jedem Falle das bestehende gesamte Staatsministerium für alle Regierungshandlungen verantwortlich. Art. 59. Dem Kron-Fideikommißfonds verbleibt die durch das Gesetz vom 17. Januar 1820. auf die Einkünfte der Domänen und Forsten angewiesene Rente.

Titel IV.

von den Ministern.

Art. 60. Die Minister, sowie die zu ihrer Vertretung abgeord­ neten Staatsbeamten haben Zutritt zu jeder Kammer und müssen ans ihr Verlangen zu jeder Zeit gehört werden. Jede Kammer kann die Gegenwart der Minister verlangen. Die Minister haben in einer oder der anderen Kammer nur dann Stimmrecht, wenn sie Mitglieder derselben sind. Art. 61. Die Minister können durch Beschluß einer Kammer wegen des Verbrechens der Verfassungsverletzung, der Bestechung und des Verrates angeklagt werden. Ueber solche Anklage entscheidet der oberste Gerichtshof der Monarchie in vereinigten Senaten. Solange noch zwei oberste Gerichtshöfe bestehen, treten dieselben zu obigem Zwecke zusammen.

4. BerfasfungSurkunde für btn preußischen Staat.

Art. 52—68.

37

Die näheren Bestimmungen über die Fälle der Verantwortlichkeit, über das Verfahren und über die Strafen werden einem besonderen Gesetze vorbehalten.')

Titel V.

Hou den Lämmern.*)

Art. 62. Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt. Die Uebereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetze erforderlich. Finanzgesetz-Entwürse und Staatshaushalts-Etats werden zuerst der zweiten Kammer vorgelegt; letztere werden von der ersten Kammer im ganzen angenommen oder abgelehnt. Art. 63. Nur in dem Falle, wenn die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit, oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Not­ standes es dringend erfordert, können, insofern die Kammern nicht ver­ sammelt sind, unter Verantwortlichkeit des gesamten Staatsministeriums, Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen werden. Dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen.

Art. 64. Dem Könige, sowie jeder Kammer, steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen. Gesetzesvorschläge, welche durch eine der Kammern oder den König verworsen worden sind, können in derselben Sitzungsperiode nicht wieder vorgebracht werden. Art. 65 bis 68?) Die Erste Kammer wird durch Königliche Anordnung gebildet, welche nur durch ein mit Zustimmung der Kammern zu erlassendes Gesetz abgeändert werden kann. *) „Die Erste Kammer wird fortan das Herrenhaus, die Zweite Kammer das HauS der Abgeordneten genannt." Ges. v. 30. Mai 1855 (GS. S. 316). Dies Gesetz ist noch nicht ergangen. Eine Ministeranklage gibt es daher in Preußen nicht. 8) Art. 65 bis 68 find aufgehoben durch Art. 2 des Gesetzes, betr. die Bildung der ersten Kammer, vom 7. Mai 1853 (GS. S. 181). Der vorstehend abgedruckte Text ist Art. 1 des bezeichneten Gesetzes. Die aufgehobenen Artikel lauteten:

Art. 65. Die erste Kammer besteht: a) aus den großjährigen Königlichen Prinzen; b) aus den Häuptern der ehemals unmittelbaren reichsständischen Häuser in Preußen — und auS den Häuptern derjenigen Familien, welchen durch König­ liche Verordnung daS nach der Erstgeburt und Linealfolge zu vererbende Recht auf Sitz und Stimme in der ersten Kammer beigelegt wird. In dieser Verordnung werden zugleich die Bedingungen festgesetzt, durch welche dieses Recht an einen bestimmten Grundbesitz geknüpft ist. DaS Recht kann durch Stell­ vertretung nicht auSgeübt werden und ruht während der Minderjährigkeit oder während eines Dienstverhältnisses zu der Regierung eines nichtdeutschen Staats, ferner auch solange der Berechtigte seinen Wohnsitz außerhalb Preußen hat; c) aus solchen Mitgliedern, welche der König auf Lebenszeit ernennt. Ihre Zahl darf den zehnten Teil der zu a. und b. genannten Mitglieder nicht übersteigen; d) aus neunzig Mitgliedern, welche in Wahlbezirken, die daS Gesetz feststellt, durch die dreißigfache Zahl derjenigen Urwähler (Art. 70), welche die höchsten direkten Staatssteuern bezahlen, durch direkte Wahl nach Maßgabe des Gesetzes gewählt werden;

38

I. Gruppe: Verfassung des Deutschen Reich- und von Preussen.

Die Erste Kammer wird zusammengesetzt aus Mitgliedern, der König mit erblicher Berechtigung oder auf Lebenszeit beruft.

welche

e) aus dreißig, nach Maßgabe deS Gesetzes von den GemeinderLten gemahlten Mitgliedern aus den größeren Städten des Landes. Die Gesamtzahl der unter a. bis c. genannten Mitglieder darf die Zahl bei­ unter d. und e. bezeichneten nicht übersteigen. Eine Auflösung der ersten Kammer bezieht sich nur aus die auS Wahl hervor­ gegangenen Mitglieder.

Art. 66. Die Bildung der ersten Kammer in der Art. 65 bestimmten Weise tritt am 7. August deS JahreS 1852. ein. Bis zu diesem Zeitpunkte verbleibt eS bei dem Wahlgesetze für die erste Kammer vorn 6. Dezember 1848.

Art. 67.

Die LegiSlatur-Periode der ersten Kammer ‘nnrb auf sechs Jahre

festgesetzt.

Art. 68. Wählbar zum Mitgliede der ersten Kammer ist jeder Preuße, der das vierzigste Lebensjahr vollendet, den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte infolge rechtskräftigen richterlichen Erkenntnisses nicht verloren und bereits fünf Jahre lang dem preußischen Staatsverbande angehört hat. Die Mitglieder der ersten Kammer erhalten weder Reisekosten noch Diäten. In Verfolg deS eingangs dieser Anm. 2 S. 37 erwähnten Gesetzes vom 7 Mai 1853 erging die jetzt geltende BO. wegen Bildnng der ersten Kammer, vorn 12. Oktober

1854 (GS. S. 541). § 1 Die erste Kammer bestehl: 1. aus den Prinzen Unsere- Königlichen Hauses, welche Wir, sobald sie in Ge­ mäßheit Unserer Hausgesetze die Großjährigkeit erreicht haben, in die erste Kammer zu berufen, UnS vorbehalten: 2. aus Mitgliedern, welche mit erblicher Berechtigung, 3 aus Mitgliedern, welche auf Lebenszeit von Uns berufen sind.

% 2 Mit erblicher Berechtigung gehören zur ersten Kammer: 1. die Häupter der fürstlichen Häuser von Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen; 2. die nach der deutschen BundcSakte vom 8. Juni 1815 zur Standschast berechtigten Häupter der vormaligen deutschen reichsständischen Häuser in Unseren Landen; 3. die übrigen nach Unserer Verordnung vom 3. Februar 1847 zur Herrenkurie des vereinigten Landtags berufenen Fürsten, Grafen und Herren. Außerdem gehören mit erblicher Berechtigung zur ersten Kammer diejenigen Personen, welchen daS erbliche Recht auf Sitz und Stimme in der ersten Kammer von UnS durch besondere Verordnung verliehen wird. Das Recht hierzu wird in der durch die DerleihungSurkunde festgesetzten Folgeordnung vererbt. $ 3. Als Mitglieder auf Lebenszeit wollen wir berufen: 1. Personen, welche UnS in Gemäßheit der folgenden Paragraphen präsentiert werden: 2. die Inhaber der vier großen Landesämter im Königreich Preußen; 3. einzelne Personen, welche Wir aus besonderem Vertrauen auSersehen. Aus denselben wollen Wir „Kronsyndici" bestellen, welchen Wir wichtige Rechts­ fragen zur Begutachtung vorlegen, imgleichen die Prüfung und Erledigung rechtlicher Angelegenheiten deS Hauses anvertrauen werden.

§ 4 Das Präsentationsrecht steht zu: 1. den nach Unserer Verordnung vom 3. Februar 1847 zur Herrenkurie des vereinigten Landtags berufenen Stiftern; 2. ’bem für jede Provinz zu bildenden Verbände der darin mit Rittergütern an gesessenen Grafen, für je einen zu Präsentierenden; 3. den Verbänden der durch ausgebreiteten Familienbesitz ausgezeichneten Ge­ schlechter, welche Wir mit diesem Recht begnadigen; 4. den Verbänden des alten und des befestigten Grundbesitzes; 5. einer jeden Landesuniverfität; 6. bcnjenigen Städten, welchen Wir dteses Recht besonders beilegen.

4. Verfassungsurkunde für den preußischen Staat.

Art. 68—71.

39

Art. 68. Die zweite Kammer besteht aus dreihundertundfünfzig*) Mitgliedern. Die Wahlbezirke werden durch das Gesetz festgestellt. Sie können aus einem oder mehreren Kreisen oder aus einer oder mehreren der größeren Städte bestehen. Art. 70?) Jeder Preuße, welcher das fünfundzwanzigste Lebens­ jahr vollendet hat und in der Gemeinde, in welcher er seinen Wohnsitz hat, die Befähigung zu den Gemeindewahlen besitzt, ist stimmberechtigter Urwähler. Wer in mehreren Gemeinden an den Gemeindewahlen teilzunehmen berechtigt ist, darf das Recht als Urwähler nur in Einer Gemeinde ausüben.

Art. 7L;2) Auf jede Vollzahl von zweihundertundfunfzig Seelen der Bevölkerung ist ein Wahlmann zu wählen Die Urwähler werden $ 5 Die von den Stiftern zu präjentfcrcnbcn Vertreter werden von den Mitgliedern derselben auS ihrer Mitte, die von den Universitäten zu präsentierenden von dem akademischen Senate aus der Zahl der ordentlichen Professoren, die von den Städten zu präsentierenden von dem Magistrate, oder in Ermangelung eines kollegialischen Vorstandes von den übrigen kommunalverfassungsmäßigen Vertretern der Stadt aus der Zahl der Magistratsmitglieder erwählt.

tz 6. Die näheren reglementarischen Bestimmungen wegen Bildung der Ver­ bände des alten nnd des befestigten Grundbesitzes (Landschaftsbezirke, § 4 Nr. 4) und wegen Ausübung des Präsentationsrechts (§ 4 Nr. 1 bis 6) werden von Uns er­ lassen. (S. die Verordnung vom 10. November 1865 (GS. S. 1077).] $ 7. Das Recht auf Sitz und Stimme in der ersten Kammer kann nur von preußischen Untertanen ausgeübt werden, welche sich im Vollbesitze der bürgerlichen Rechte befinden, ihren Wohnsitz innerhalb Preußens haben und nicht im aktiven Dienste eines außerdeutschen Staates stehen. Ferner ist dazu (außer bei den Prinzen Unseres Königlichen HauseSj ein Alter von dreißig Jahren erforderlich. $ 8. Das Recht der Mitgliedschaft der ersten Kammer erlischt bei denjenigen Mitgliedern, welche in Gemäßheit der §§ 4 bis 6 repräsentiert werden, mit dem Ver­ luste der Eigenschaft, in welcher die Präsentation erfolgt ist. § 9. Das Recht der Mitgliedschaft der ersten Kammer geht außer den Fällen der §§ 12 und 21 des Strafgesetzbuches (jetzt §§ 33, 34 StGB.) verloren, wenn die Kammer durch einen von Uns bestätigten Beschluß einem Mitgltede das Anerkenntnis unverletzter Ehrenhaftigkeit oder eines der Würde der Kammer entsprechenden Lebens­ wandels oder Verhaltens versagt.

§ 10. Wenn die Kammer mit Rücksicht aus eine gegen ein Mitglied eingeleitete Untersuchung oder aus sonstigen wichtigen Gründen der Ansicht ist, daß dem­ selben die Ausübung des Rechts aus Sitz und Stimme zeitweise zu untersagen sei, so ist zu dieser Maßregel Unsere Genehmigung erforderlich. g 11. Hat ein Mitglied der ersten Kammer daS Recht der Mitgliedschaft verloren, so wird, falls dieselbe auf erblicher Berechtigung beruht, wegen der Wahl eines anderen Mitgliedes der betreffenden Familie von UnS Bestimmung getroffen werden. Wenn ein solches Mitglied in Gemäßheit der tztz 4 bis 6 präsentiert worden ist, so werden Wir eine anderweitige Präsentation anordnen."

*) Jetzt 443 nach dem Ges. v. 28. Juni 1906 (GS. S. 313); Gruppe I, Nr. 8.

siehe unten

*) Die Art. 70—72 find bis zum Erlasse deS in Art. 72 in Aussicht gestellten Wahlgesetzes suspendiert. Es gilt daher noch die Verordnung vom 30. Ma i 1849 über die Ausführung der Wahl derAbgeordnetenzur 2. Kammer (GS. S. 205, siehe unten Gruppe I Nr. 5), zu der noch die Gesetze vom 29. Juni 1893 (GS. S. 103, siehe unten Gruppe I Nr. 6) und 28. Juni 1906 (GS. S. 318, siehe unten Gruppe I Nr. 7) hinzukommen.

40

1. Grupp«: Berfassung bei Deutschen Reichs und von Preutzen.

nach Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten Staatssteuern in drei Abteilungen geteilt, und zwar in der Art, daß auf jede Abteilung ein Dritteil der Gesamtsumme der Steuerbeträge aller Urwähler fällt. Die Gesamtsumme wird berechnet: a) gemeindeweise, falls die Gemeinde einen Urwahlbezirk für sich bildet; b) bezirksweise, falls der Urwahlbezirk aus mehreren Gemeinden zu­ sammengesetzt ist. Die erste Abteilung besteht auS denjenigen Urwählern, aus welche die höchsten Steuerbeträge bis zum Belaufe eines Dritteils der Gesamt­ steuer fallen. Die zweite Abteilung besteht aus denjenigen Urwählern, aus welche die nächst niedrigeren Steuerbeträge bis zur Grenze des zweiten Dritt­ teils fallen. Die dritte Abteilung besteht aus den am niedrigsten besteuerten Ur­ wählern, auf welche das dritte Dritteil fällt. Jede Abteilung wählt besonders und zwar ein Dritteil der zu wählen­ den Wahlmänner. Die Abteilungen können in mehrere Wahlverbände eingeteilt werde», deren keiner mehr als fünfhundert Urwähler in sich schließen darf. Die Wahlmänner werden in jeder Abteilung aus der Zahl der stimmberechtigten Urwähler des Urwahlbezirks ohne Rücksicht auf die Ab­ teilungen gewählt.

Art. 72. *)

Die Abgeordneten werden durch die Wahlmänner gewählt. Das Nähere über die Ausführung der Wahlen bestimmt das Wahl­ gesetz, welches auch die Anordnung für diejenigen Städte zu treffen hat, in denen an Stelle eines Teils der direkten Steuern die Mahl- und Schlacht­ steuer erhoben wird.

Art. 73. Die Legislatur-Periode des Hauses der Abgeordneten dauert fünf Jahre.e) Art. 74. Zum Preuße wählbar, der das bürgerlichen Rechte infolge »ertöten und bereits drei

Abgeordneten der zweiten Kammer ist jeder dreißigste Lebensjahr vollendet, den Vollbesitz rechtskräftigen richterlichen Erkenntnisses nicht Jahre dem preußischen Staatsverbande an­

gehört hat.') Der Präsident und die Mitglieder der Oberrechnungskammer können nicht Mitglieder eines der beiden Häuser des Landtags fein.4)

Art. 75. Die Kammern werden nach Ablauf ihrer LegislaturPeriode neu gewühlt. Ein Gleiches geschieht im Falle der Auflösung. In beiden Fällen sind die bisherigen Mitglieder wieder wählbar.

Art. 76.') Die beiden Häuser des Landtages der Monarchie werden durch den König regelmäßig in dem Zeitraum von dem Anfänge *) Vgl. S. 39 Anm. 2. *) Fassung des Gesetzes vom 277Mai 1888 (GS. S. 137), bis dahin drei Jahre. •) Vgl. die BO. vom 30. Mai 1849 § 29. *) Dieser zweite Absatz ist durch Gesetz vom 27. März 1872 (GS. S. 277) hinzugekommen. 6) Die jetzige Fassung beruht aus dem Gesetz vom 18. Mai 1857 (GS. S. 3697

4. Verfasfunglurkunde für den preußischen Staat.

Art. 71—83.

41

des Monats November jeden Jahres bis zur Mitte des folgenden Januar, und außerdem, so oft es die Umstände erheischen, einberusen.

Art. 77. Die Eröffnung und die Schließung der Kammern ge­ schieht durch den König in Person oder durch einen dazu von ihm beauf­ tragten Minister in einer Sitzung der vereinigten Kammern. Beide Kammern werden gleichzeitig berufen, eröffnet, vertagt und geschlossen. Wird eine Kammer aufgelöst, so wird die andere gleichzeitig vertagt.

Art. 78. Jede Kammer prüft die Legitimation ihrer Mitglieder und entscheidet darüber. Sie regelt ihren Geschäftsgang und ihre Dis­ ziplin durch eine Geschäftsordnung *) und erwählt ihren Präsidenten, ihre Vizepräsidenten und Schriftführer. Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in die Kammer. Wenn ein Kammermitglied ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist, so verliert es Sitz und Stimme in der Kammer und kann seine Stelle in derselben nur durch neue Wahl wieder erlangen. Niemand kann Mitglied beider Kammern sein. Art. 79. Die Sitzungen beider Kammern sind öffentlich. Jede Kammer tritt auf den Antrag ihres Präsidenten oder von zehn Mit­ gliedern zu einer geheimen Sitzung zusammen, in welcher dann zunächst über diesen Antrag zu beschließen ist. Art. 80. Keine der beiden Kammern kann einen Beschluß fassen, wenn nicht die Mehrheit der gesetzlichen Anzahl ihrer Mitglieder anwesend ist. Jede Kammer saßt ihre Beschlüsse nach absoluter Stimmenmehrheit, vorbehaltlich der durch die Geschäftsordnung für Wahlen etwa zu be­ stimmenden Ausnahmen. Das Herrenhaus kann keinen Beschluß fassen, wenn nicht mindestens sechzig der nach Maßgabe der Verordnung vom 12. Oktober 1854 (GS. S. 541—544) zu Sitz und Stimme berufenen Mitglieder anwesend sind?)

Art. 81. Jede Kammer hat für sich das Recht, Adressen an den König zu richten. Niemand darf den Kammern oder einer derselben in Person eine Bittschrift oder Adresse überreichen. Jede Kammer kann die an sie gerichteten Schriften an die Minister überweisen und von denselben Auskunft über eingehende Beschwerden verlangen. Art. 82. Eine jede Kammer hat die Befugnis, behufs ihrer Information Kommissionen zur Untersuchung von Tatsachen zu ernennen. Art. 83. Die Mitglieder beider Kammern sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie stimmen nach ihrer freien Ueberzeugung und sind an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. *) Siehe Geschäftsordnung des AbgH. vom 16. Mai 1876, des HerrenH. vom 15. 3uni 1892. *) Der zweite Absatz des Art. 80 ist durch Gesetz vom 30. Mai 1855 (GS. S. al6) hinzugefügt worden.

42

l. Gruppe: Berfassung de- Deutschen Reich- und von Preutzen.

Art. 84. Sie können für ihre Abstimmungen in der Kammer niemals, für ihre darin ausgesprochenen Meinungen nur innerhalb der Kammer auf den Grund der Geschäftsordnung (Art. 78) zur Rechenschaft gezogen werden?) Kein Mitglied einer Kammer kann ohne deren Genehmigung während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es bei Aus­ übung der Tat oder im Laufe des nächstfolgenden Tages nach derselben ergriffen wird. Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden notwendig. Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied der Kammer und eine jede UntersuchungS- oder Zivilhaft wird für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben, wenn die betreffende Kammer es verlangt. Art. 85. Die Mitglieder der zweiten Kammer erhalten aus der Staatskasse Reisekosten und Diäten nach Maßgabe des Gesetzes.-) Ein Verzicht hierauf ist unstatthaft. Titel VI.

Von -er richterlichen Gewalt.

Art. 86. Die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch unabhängige, keiner anderen Autorität als der deS Gesetzes unter­ worfene Gerichte ausgeübt?) Die Urteile werden im Namen des Königs ausgefertigt und vollstreckt. Art. 87. Die Richter werden vom Könige oder in dessen Namen auf ihre Lebenszeit ernannt. Sie können nur durch Richterfpruch aus Gründen, welche die Gesetze vorgesehen haben, ihres Amtes entsetzt oder zeitweise enthoben werden. Die vorläufige Amtssuspension, welche nicht kraft des Gesetzes eintritt, und die unfreiwillige Versetzung an eine andere Stelle oder in den Ruhestand können nur aus den Ursachen und unter den Formen, welche im Gesetze angegeben sind, und nur auf Grund eines richterlichen Beschlusses erfolgen. Auf die Versetzungen, welche durch Veränderungen in der Organisation der Gerichte oder ihrer Bezirke nötig werden, finden diese Bestimmungen keine Anwendung.

Art. 87 a. Bei der Bildung gemeinschaftlicher Gerichte für preußische Gebietsteile und Gebiete anderer Bundesstaaten sind Abweichungen von den Bestimmungen des Artikels 86 und des ersten Absatzes im Artikel 87 zulässig?) Art. 88. übertragen werden.

Art. 89.

[5)en Richtern dürfen andere besoldete StaalsÜmter fortan nicht Ausnahmen find nur auf Grund eines Gesetzes zulässig.?)

Die Organisation der Gerichte wird durch das Gesetz

bestimmt. *i 2) 8) 4) 5)

Jetzt StGB. § 11. Maßgebend ist jetzt Gesetz vom 24. Juli 1876 (GS. S. 345). Jetzt § 1 GVG. Art. 87a beruht auf Ges. vom 19. Februar 1879 (GS. S. 18). Aufgehoben durch Gesetz vom 30 April 1856 (GS. S. 297)

4. Verfassungsurkunde für den preußischen Staat.

Art. 84—97.

43

Art. 90. Zu einem Richteramte darf nur der berufen werden, welcher sich zu demselben nach Vorschrift der Gesetze befähigt hat. Art. 91. Gerichte für besondere Klassen von Angelegenheiten, ins­ besondere Handels- und Gewerbegerichte sollen im Wege der Gesetzgebung an den Orten errichtet werden, wo das Bedürfnis solche erfordert. Die Organisation und Zuständigkeit solcher Gerichte, das Verfahren bei denselben, die Ernennung ihrer Mitglieder, die besonderen Verhältnisse der letzteren und die Dauer ihres Amtes werden durch das Gesetz festgestellt. Art. 92.

Es soll in Preußen nur Ein oberster Gerichtshof bestehen.

Art. 93. Die Verhandlungen vor dem erkennenden Gerichte in Zivil- und Strafsachen sollen öffentlich sein. Die Oeffentlichkeit kann jedoch durch einen öffentlich zu verkündenden Beschluß des Gerichts aus­ geschlossen werden, wenn sie der Ordnung oder den guten Sitten Gefahr droht. In anderen Fällen kann die Oeffentlichkeit nur durch Gesetze be­ schränkt werden. Art. 94. Bei Verbrechen erfolgt die Entscheidung über die Schuld des Angeklagten durch Geschworene, insoweit ein mit vorheriger Zustinimung der Kammern erlassenes Gesetz nicht Ausnahmen bestimmt. Die Bildung des Geschworenengerichts regelt das Gesetz. *)

Art. 95. Es kann durch ein mit vorheriger Zustimmung der Kammern zu erlassendes Gesetz ein besonderer Gerichtshof errichtet werden, dessen Zuständigkeit die Verbrechen des Hochverrats und diejenigen Ver­ brechen gegen die innere und äußere Sicherheit des Staats, welche ihm durch das Gesetz überwiesen werden, begreift.*) Art. 96. Die Kompetenz der Gerichte und Verwaltungsbehörden wird durch das Gesetz bestimmt. Ueber Kompetenzkonflikte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden entscheidet ein durch das Gesetz be­ zeichneter Gerichtshof, b) Art. 97. Die Bedingungen, unter welchen öffentliche Zivil- und Militärbeamte wegen durch Ueberschreitung ihrer Amtsbefugnisse verübter Rechtsverletzungen gerichtlich in ,Anspruch genommen werden können, be*) Dieser Artikel ist infolge Gesetz vom 21. Mai 1852 (GS. S. 249) an die Stelle des ursprünglichen Art. 94 getreten, der lautete: „Bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, bei allen politischen Ver­ brechen und bei allen Preßvergehen, welche daS Gesetz nicht ausdrücklich auSnimmt, erfolgt die Entscheidung über die Schuld deS Angeklagten durch Geschworene. Die Bildung deS Geschworenengerichts regelt das Gesetz." *) Dieser Artikel ist durch daS Gesetz vom 21. Mai 1852 (GS. S. 249) neu gefaßt. Ursprünglich lautete er: „Es kann durch ein mit vorheriger Zustimmung der Kammern zu ertastendes Gesetz ein besonderer Schwurgerichtshof errichtet werden, besten Zuständigkeit die Verbrechen des Hochverrats und diejenigen schweren Verbrechen gegen die innere und äußere Sicher­ heit deL Staats, welche ihm durch das Gesetz überwiesen werden, begreift. Die Bil­ dung der Geschworenen bei diesem Gerichte regelt daS Gesetz." ’) Vgl. Gesetz vom 8. April 1847 (GS. S. 170), § 7 GDG., EG. zu dem­ selben § 17, Verordnung vom 1. August 1879 (GS. S. 573) über den Kompetenz­ gerichtshof.

44

I. Gruppe: Verfassung des Deutschen Reich« und von Preußen.

stimmt daS Gesetz. Eine vorgängige Genehmigung der vorgesetzten Dienst­ behörde darf jedoch nicht verlangt werden. ’)

Titel VII.

von -en nicht rum Vichterstande gehörigen Staatsbeamten.

Art. 98. Die besonderen Rechtsverhältnisse der nicht zum Richter­ stande gehörigen Staatsbeamten, einschließlich der Staatsanwälte, sollen durch ein Gesetz geregelt werden, welches, ohne die Regierung in der Wahl der ausführenden Organe zweckwidrig zu beschränken, den Staatsbeamten gegen willkürliche Entziehung von Amt und Einkommen angemessenen Schutz gewährt.8) Titel VIII.

von -en /inanren.

Art. 99. Alle Einnahmen und Ausgaben des Staats müssen für jedes Jahr im voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt.8) Art. 100. Steuern und Abgaben für die Staatskasse dürfen nur, soweit sie in den StaatshauShaltS-Etat ausgenommen oder durch besondere Gesetze angeordnet sind, erhoben werden.

Art. 101.

In betreff der Steuern können Bevorzugungen nicht

eingeführt werden. Die bestehende Steuergesetzgebung wird einer Revision unterworfen und dabei jede Bevorzugung abgeschafft.

Art. 102. Gebühren können Staats- oder Kommunalbcamte nur auf Grund des Gesetzes erheben. Art. 103. Die Aufnahme von Anleihen für die Staatskasse findet nur auf Grund eines Gesetzes statt. Dasselbe gilt von der Uebernahme von Garantien zu Lasten des Staats.

Art. 104. Zu Etats-Ueberschreitungen ist die nachträgliche Ge­ nehmigung der Kammern erforderlich. Die Rechnungen über den Staatshaushalts-Etat werden von der Ober-Rechnungskammer*) geprüft und festgestellt. Die allgemeine Rech­ nung über den Staatshaushalt jeden Jahres, einschließlich einer Uebersicht der Staatsschulden, wird mit den Bemerkungen der Ober-Rechnungskammer zur Entlastung der Staatsregierung den Kammern vorgelegt. Ein besonderes Gesetz wird die Einrichtung und die Befugnisse der Ober-RechnungSkammer bestimmen/) l) Vgl. Gesetz bett, die Konflikte bei gerichtlichen Verfolgungen wegen Amts- und Diensthandlungen vom 13. Februar 1854 (GS. S. 86), EG. z. GVG. § 11 und LVG. § 114. *) Gesetz betr. die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten vom 21. Juli 1852 (f. Gruppe VIII). ’) KomptabilitätSgesetz vom 11. Mai 1898 (s. Gruppe I Nr. 10). 4) Gesetz betr. die Oberrechnungskammer vom 27. März 1872 (s. Gruppei Nr. 9).

4. VerfassungSurkund« für den preußischen Staat.

Titel IX.

Art. 97—110.

45

von -en Gemeinden, Kreis-, Lefirks- und prooinnal-verbäudeu.

Art. 105. Die Vertretung und Verwaltung der Gemeinden, Kreise und Provinzen des preußischen Staates wird durch besondere Gesetze näher bestimmt.l) Allgemeine Bestimmungen.

Art. 106. Gesetze und Verordnungen sind verbindlich, wenn sie in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden sind. Die Prüfung der Rechtsgültigkeit gehörig verkündeter Königlicher Verordnungen steht nicht den Behörden, sondern nur den Kammern zu. Art. 107. Die Verfassung kann auf dem ordentlichen Wege der Gesetzgebung abgeändert werden, wobei in jeder Kammer die gewöhnliche absolute Stimmenmehrheit bei zwei Abstimmungen, zwischen welchen ein Zeitraum von wenigstens einundzwanzig Tagen liegen muß, genügt.

Art. 108. Die Mitglieder der beiden Kammern und alle Staats­ beamten leisten dem Könige den Eid der Treue und des Gehorsams und beschwören die gewissenhafte Beobachtung der Verfassung. Eine Vereidigung des HeereS auf die Verfassung findet nicht statt. Art. 109. Die bestehenden Steuern und Abgaben werden fort­ erhoben, und alle Bestimmungen der bestehenden Gesetzbücher, einzelnen Gesetze und Verordnungen, welche der gegenwärtigen Verfassung nicht zu­ widerlausen, bleiben in Kraft, bis sie durch ein Gesetz abgeändert werden.

Art. 110. Alle durch die bestehenden Gesetze angeordneten Be­ hörden bleiben bis zur Ausführung der sie betreffenden organischen Gesetze in Tätigkeit. *) Die Fassung be8 Artikels beruht auf dem Gesetz vom 24. Mai 1853 (GS. S. 228). Die ursprüngliche enthielt noch folgende Sätze: 1) lieber die innern und besondern Angelegenheiten der Provinzen, Bezirke, Kreise, und Gemeinden beschließen aus gewählten Vertretern bestehende Versammlungen, deren Beschlüsse durch die Vorsteher der Provinzen, Bezirke, Kreise und Ge­ meinden auSgeführt werden. Dar Gesetz wird die Fälle bestimmen, in welchen die Beschlüsse dieser Ver­ tretungen der Genehmigung einer höheren Vertretung oder der StaatSregierung unterworfen sind. 2| Die Vorsteher der Provinzen, Bezirk« und Kreise werden von dem Könige ernannt. Ueber die Beteiligung deS Staats bei der Anstellung der Gemeindevorsteher und über die Ausübung deS den Gemeinden zustehenden Wahlrecht» wird die Gemeindeordnung das Nähere bestimmen. 31 Den Gemeinden insbesondere steht die selbständige Verwaltung ihrer Gemeinde­ angelegenheiten unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht deS Staates zu. Ueber die Beteiligung der Gemeinden bei Verwaltung der OrtSpolizei be­ stimmt das Gesetz. Zur Ausrechthaltung der Ordnung kann nach näherer Bestimmung bei Gesetzes durch Gemeindebeschluß eine Gemeinde-Schutz- oder Bürgerwehr er­ richtet werden. 4) Die Beratungen der Provinzial-, Kreis- und Gemeindevertretungen find öffent­ lich. Die Ausnahmen bestimmt das Gesetz. Ueber die Einnahmen und Aus­ gaben muß wenigstens jährlich ein Bericht veröffentlicht werden.

46

I. Truppe: Verfassung bti Deutschen Reichs und von Preußen.

Art. 111. Für den Fall eines Krieges oder Aufruhrs können bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit die Artikel 5, 6, 7, 27, 28, 29, 30 und 36 der Verfassungs-Urkunde zeit- und distriktSweiie außer Kraft gesetzt werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz. Uebergarrgsbeftimmungeir.

Art. 112?) Art. 113.

Dor der erfolgten Revision des Strafrechts wird über Vergehen, welche durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung begangen werden, ein besonderes Gesetz ergehen.

Art. 114. [93t« zur Emanierung der neuen Gemeindeordnung bleibt ti bei den bisherigen Bestimmungen hinsichtlich der PolizeiverwaltungJ')

Art. 115. Bis zum Erlasse des im Art. 72 vorgesehenen Wahl­ gesetzes bleibt die Verordnung vom 30. Mai 1849, die Wahl der Ab­ geordneten zur zweiten Kammer betreffend, in Kraft. Art. 116. Die noch bestehenden beiden obersten Gerichtshöfe sollen zu einem einzigen vereinigt werden. Die Organisation erfolgt durch ein besonderes Gesetz. '') Art. 117. Auf die Ansprüche der vor Verkündigung der Ver­ fassungs-Urkunde etatsmäßig angestellten Staatsbeamten soll im Staats­ dienergesetz besondere Rücksicht genommen werden.

Art. 118. Sollten durch die für den deutschen Bundesstaat aus Grund des Entwurfs *) vom 26. Mai 1849 festzustellende Verfassung Abänderungen der gegenwärtigen Verfassung nötig werden, so wird der König dieselben anordnen und diese Anordnungen den Kammern bei ihrer nächsten Versammlung mitteilen. Die Kammern werden dann Beschluß darüber fassen, ob die vor­ läufig angeordneten Abänderungen mit der Verfassung des deutschen Bundes­ staats in Uebereinstimmung stehen.

Art. US. Das im Art. 54 erwähnte Königs, sowie die vorgeschriebene Vereidigung der aller Staatsbeamten, erfolgen sogleich nach der auf gebung vollendeten gegenwärtigen Revision dieser und 108).

eidliche Gelöbnis des beiden Kammern und dem Wege der Gesetz­ Verfassung (Art. 62

Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und bei­ gedrucktem Königlichen Jnsiegel. Gegeben Charlottenburg, den 31. Januar 1850.

(L. 8.)

Friedrich Wilhelm.

Gras v. Brandenburg, v. Ladenberg. v. Manteuffel, v. Strotha. v. d. Heydt, v. Rabe. Simons, v. Schleinitz. ') Dieser Artikel, der dahin lautete: ,BiS zum Erlaß des im Artikel 26 vorge­ sehenen Gesetzes bewendet eS hinsichtlich deS Schul» und Unterrichtswesens bei den jetzt geltenden gesetzlichen Bestimmungen", ist aufgehoben worden durch Ges. vom 10. Juli 1906 (GS. S. 333). *) Aufgehoben durch Gesetz vom 14. April 1856 (GS. S. 353). ’) Jetzt besteht nur noch dar Kammergericht *) Der Entwurf wurde nicht Gesetz.

5. DL. nomJ3O. Mai 1849 über die Ausführung der Wahl der Abg. rc. §§ 1—9.

47

5. $£. doi 30. Mii 1849 Über die Sisführmg der Mhl der Abgeerdiielkii zur zweiieii flammer. (GS. S. 205)

Wir Friedrich Wilhelm ic. rc. verordnen in Ausführung der Art. 67 bis 74 und auf Grund des Art. 105 der Verfassungsurkunde, auf den Antrag Unseres Staatsministeriums, daß statt des Wahlgesetzes für die Abgeordneten der zweiten Kammer vom 6. Dezember 1848 die nachfolgenden näheren Bestimmungen zur Anwendung zu bringen sind:

§ 1. Die Abgeordneten der zweiten Kammer werden von Wahlmännem in Wahlbezirken, die Wahlmänner von den Urwählern in Ur­ wahlbezirken gewählt. §§ 2 und

66

I. Gruppe: Verfassung bei Deutschen Reichs und von Preußen.

§ 26. In den dem Landtage vorzulegenden Spezial-Etats sind bei den betreffenden BesoldungssondS oder Fonds zur Remunerierling von Hilfsarbeitern die Einnahmen der Beamten aus Nebenämtern nachrichtlich mitzuteilen. K 27. Gebühren für die Erhebung von Staats-Einnahmen und für die Leistung von Staats-Ausgaben find nur von denjenigen Beträgen zu berechnen, welche für daS betreffende Etatsjahr als wirklich eingegangen beziehungsweise verausgabt nachgewiesen werden.

§ 28. Die Ueberlassung von Dienstwohnungen an Beamte ersolgt nach Maßgabe des Etats. § 29. Die Ueberlassung von Wohnungen und von anderen Nutzungen an den zur Verfügung deS Staates stehenden Gebäuden und Grundstücken, sowie von sonstigen Naturalbezügen an Beamte darf nur gegen Entgelt stattfinden, sofern nicht in den Spezial-Etats etwas anderes bestimmt ist. Die für Dienstwohnungen zu entrichtenden Vergütungen sind, soweit sie nicht gemäß der Bestimmung im § 4 Absatz 2 des Gesetzes vom 12. Mai 1873, betreffend die Gewährung von Wohnungsgeldzuschüssen an die unmittelbaren Staatsbeamten (Gesetz-Samml. S. 209), gegen den Wohnungsgeldzuschuß aufgerechnet werden, als Einnahmen nachzuweisen. § 30. Der Ausführung von Neubauten sowie von Reparatur­ bauten auf Kosten des Staates sind Bauanschläge zugrunde zu legen. Inwieweit hiervon abgesehen werden dars, bestimmt der Minister der öffentlichen Arbeiten und soweit eS sich um Bauten handelt, welche ohne besten Mitwirkung auszusühren sind, der zuständige Minister. Unter welchen Voraussetzungen, insbesondere bei welcher Höhe der Bausumme, die Bauanschläge der technischen Revision und Feststellung durch die höchste Baubehörde oder durch die Nachgeordneten Behörden unterliegen, ist Gegenstand Königlicher Anordnung. Mit den über die einzelnen Bauausführungen zu legenden Rechnungen sind der Ober-Rechnungskammer die erforderlichen bautechnischen Beläge vorzulegen. § 31. Alle für Rechnung des Staates angekauften beweglichen Gegenstände müsten bei der Rechnungslegung über die dafür verausgabten Geldbeträge entweder als vollständig verwendet oder in einer besonderen Naturalrechnung (§ 10 des Gesetzes vom 27. März 1872, betreffend die Einrichtung und die Befugnifle der Ober-Rechnungskammer, Gesetz-Samml. S. 278) in Einnahme oder, insofern sie aus Utensilien oder Gerätschaften bestehen oder zu Sammlungen gehören, als inventarisiert nachgewiesen werden. Werden bewegliche Gegenstände für die Zwecke eines anderen Etats­ fonds als desjenigen, aus welchem sie beschafft sind, abgegeben, so ist der Wert dieser Gegenstände, wenn er im einzelnen Falle insgesamt mehr als 3000 Mark beträgt, aus dem ersteren Fonds zu vergüten, sofern nicht in den Spezial-Etats etwas anderes bestimmt ist. Diese Vergütung findet nicht statt, wenn der Fonds, aus welchem die Beschaffung ersolgt ist, zur Beschaffung von Gegenständen der be-

10. Komptabilitätsgesetz. §§ 26—35

67

treffenden Art auch für die Zwecke desjenigen Fonds bestimmt ist, welchem die Werte der abgegebenen Gegenstände zugute gekommen sind. Auch dürfen Sammlungsstücke von einer staatlichen Sammlung an eine andere ohne Vergütung des Wertes abgegeben werden.

§ 32. Auf solche Fonds, welche im Etat ganz oder zu einem Teil als Dispositionsfonds, Fonds zu unvorhergesehenen Ausgaben oder unter einer sonstigen allgemeinen, die Ausgabezwecke nicht bestimmt an­ gebenden Bezeichnung zur Verfügung der Verwaltung gestellt sind, dürfen, sofern nicht in den Spezial-Etats etwas anderes bestimmt ist, keine Aus­ gaben angewiesen werden, welche unter einen anderen Etatstitel fallen. § 33. Ausgabebeträge, über welche seitens der Verwaltung beim Eintritt bestimmter Voraussetzungen oder eines bestimmten Zeitpunktes nicht weiter verfügt werden darf, sind, sofern sich diese Beschränkung nicht schon aus der Bezeichnung der Ausgabezwecke in den Etats ergibt, in den letzteren als künftig wegfallend zu bezeichnen. H 34. Ausgabebeträge der im § 33 bezeichneten Art sind von dem Zeitpunkte ab, mit welchem die Befugnis der Verwaltung zur Verfügung über dieselben aufhört, in den Rechnungen als Minderausgabe nachzuweisen. Dasselbe hat stattzufinden: 1. bei Diensteinkünften überzähliger Beamten mit dem Eintritt des Beamten in eine andere Stelle des Staatsdienstes bis auf Höhe der mit derselben verbundenen Besoldung oder sonstigen der Besoldung gleichstehenden Diensteinkünfte, 2. bei persönlichen Zulagen und sonstigen lediglich an die Person ge­ knüpften Diensteinkünsten in dem Maße, als der Beamte, welcher dieselben bezieht, erhöhte normalmäßige Diensteinkünfte erhält, sofern nicht in den Spezial-Etats etwas anderes bestimmt ist. In beiden Füllen bleibt der Mehrbetrag an Wohnungsgeldzuschuß, welcher einem Beamten infolge der Versetzung an einen Ort einer höheren Servisklasse zu gewähren ist, bei der Einziehung oder Kürzung als künftig wegfallend bezeichneter Diensteinkünfte außer Betracht.

§ 35. Sollen von einer Mehrzahl von Stellen einer Kategorie eine oder mehrere Stellen nach dem Abgänge der zeitigen Inhaber oder bei den nächsten innerhalb dieser Kategorie eintretenden ErledigungSfällen eingezogen werden, so ist für jede der einzuziehenden Stellen, 1. wenn in den Etats die Besoldungen für diese Kategorie nach einem Durchschnittssatz für jede Stelle ausgebracht sind, der Betrag dieses Durchschnittssatzes, 2. wenn die Besoldungen nach Dienstaltersstufen geregelt sind, der Be­ trag der Mindestbesoldung dieser Kategorie in den Etats als künftig wegfallend zu bezeichnen. Bleibt in dem Falle zu 1 bei einer Stellenerledigung die dadurch frei werdende Besoldung hinter dem Durchschnittssatze zurück, so ist der an dem letzteren fehlende Betrag einzuziehen, sobald und insoweit später über die Mindestbesoldung hinausgehende Beträge zur Erledigung kommen. In dem Falle zu 2 ist bei einer Stellenerledigung der Betrag der tatsächlich frei werdenden Besoldung einzuziehen.

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I. Gruppe: Verfassung bei Deutschen Reichs unb von Preußen.

§ 36. Verausgabte Beträge, welche der Staatskasse zurückerstattet werden, sind, wenn die Zurückerstattung erfolgt, solange die betreffenden Fonds noch offen sind, von der Ausgabe bei den letzteren wieder abzusetzen, bei späterer Zurückerstattung aber als Einnahmen zu verrechnen. K 37. Alle Verträge für Rechnung des Staates müssen auf voraufgegangene öffentliche Ausbietung gegründet Jein, sofern nicht Aus­ nahmen durch die Natur des Geschäfts gerechtfertigt oder durch den zu­ ständigen Minister für den einzelnen Fall oder für bestimmte Arten von Verträgen zugelassen werden. Mit Beamten, welche die Verwaltung selbst führen, oder an der­ selben beteiligt sind, dürfen in bezug auf diese Verwaltung Verträge nicht abgeschloffen werden. Ausnahmen dürfen nur durch den zuständigen Minister zugelassen werden. Die von den Behörden rechtsgültig abgeschlossenen Verträge dürfen zum Nachteil des Staates nachträglich weder aufgehoben noch abgeändert werden. Ausnahmen sind mit Königlicher Genehmigung zulässig und bedürfen, wenn der abgeschlossene Vertrag der Genehmigung des Landtages unterlegen hat, auch der Zustimmung des letzteren.

§ 38. Defekte dürfen, abgesehen von der Unmöglichkeit der Ein­ ziehung, nur auf Grund einer durch Königliche Bestimmung erteilten Ermächtigung niedergeschlagen werden. (Vgl. § 17 des Gesetzes vom 27. März 1872, betreffend die Einrichtung und die Befugnisse der OberRechnungskammer, Gesetz-Samml. S. 278). Die nicht zur Einziehung gelangten Beträge sind in der dem Land­ tage gemäß 8 47 dieses Gesetzes vorzulegenden Uebersicht von den StaatsEinnahmen und Ausgaben bei den betreffenden Etatstiteln summarisch mitzuteilen. Solange und soweit beide Häuser des Landtags zu stimmen, kann von dieser Mitteilung bezüglich einzelner Arten nicht zur Einziehung gelangter Beträge abgesehen werden. § 39. Der Abschluß der Kassenbücher für jedes Etatsjahr erfolgt bei der General-Staatskasse spätestens im dritten Monat nach dem Ab­ läufe des Etatsjahres, bei den übrigen Kassen zu entsprechend früheren, von dem zuständigen Minister und dem Finanzminister festzusetzenden Terminen. § 40. Bei keiner Kasse dürfen nach erfolgtem Jahresabschluß (§ 39) noch Einnahmen oder Ausgaben für Rechnung des abgelaufenen Etatsjahres gebucht werden. Ausgenommen hiervon sind die Buchungen zur Ausführung der Be­ stimmungen über die Verwendung von Ueberschüssen des Staatshaushalts. § 41. Vorschüsse, welche bis zum Jahresabschluß (8 39) nicht haben abgewickelt werden können, sind in einem Anhänge zu der Kaffen­ rechnung nachzuweisen. K 42. Haben Einnahmebeträge, welche nach Maßgabe der Be­ stimmungen im § 14 dem abgelaufenen oder einem früheren Etatsjahre angehören, bis zum Jahresabschluß nicht eingezogen werden können, so

10. KomptabilitSttgesetz

§§ 36—47.

69

sind dieselben für das abgelaufene Etatsjahr als Einnahme-Reste nachzu­ weisen und für das folgende EtatSjahr in Soll-Einnahme zu stellen. Ihre Vereinnahmung erfolgt demnächst für Rechnung desjenigen Etatsjahres, in welchem sie eingehen.

5 43.

Haben Ausgaben, welche nach Maßgabe der Bestimmungen im § 14 dem abgelaufenen Etatsjahre angehören, bis zum Jahresabschluß nicht geleistet werden können, so werden die zur Bestreitung derselben er­ forderlichen Betrüge, auch wenn dieselben unter Zusammenrechnung mit den wirklich geleisteten Ausgaben eine Etatsüberschreitung ergeben, reserviert und in das folgende Etatsjahr übertragen. Bestände, welche nach Reservierung der zu Restausgaben erforderlichen Beträge beim Jahresabschluß verbleiben, sind in der Rechnung als erspart »achzuweisen.

K 44.

Die Bestimmung im § 43 Absatz 2 findet keine Anwendung und es können die am Jahresschluste verbleibenden Bestände zur Verwendung in die folgenden Jahre übertragen werden: 1. bei denjenigen Ausgabefonds, bei welchen dies durch eine entsprechende Bestimmung in dem Spezial-Etat zugelassen ist, 2. bei allen Baufonds.

K 45.

Die auf Grund der Bestimmungen in den §§ 43 und 44 in das folgende Etatsjahr zu übernehmenden Betrüge sind für das abgeschlostene Etatsjahr als zu Restausgaben bestimmt, beziehungsweise als in das folgende Etatsjahr übergehender Bestand nachzuweisen und für das folgende Etatsjahr in Soll-Ausgabe zu stellen.

K 46.

Bei den übertragbaren Ausgabefonds (§ 44) können die aus dem Vorjahre übernommenen Mittel (§ 43 Absatz 1 und § 44) auch zu den Ausgaben des lausenden Etatsjahres und ebenso die Fonds des laufenden Etatsjahres auch zur Bestreitung solcher Ausgaben verwendet werden, welche nach Maßgabe der Bestimmungen im § 14 früheren Etats­ jahren angehören. Bei den nicht übertragbaren Fonds dürfen die zu Restausgaben reservierten Beträge nur zur Bestreitung der Restausgaben, für welche sie bestimmt sind, und nur bis zum Jahresabschluß für das folgende Etats­ jahr verwendet werden. Insoweit sie bis dahin nicht zur Verwendung gelangt sind, find sie in der Rechnung als erspart nachzuweisen; die etwa später noch erforderlich werdenden Zahlungen sind aus den Mitteln für daS lausende EtatSjahr zu leisten. Letzteres gilt auch bezüglich solcher Ausgaben, welche nach Maßgabe der Bestimmungen im § 14 früheren Etatsjahrcn angehören, zu deren Deckung aber Mittel nicht oder nicht in ausreichendem Maße reserviert worden sind.

§ 47.

Eine Uebersicht von den Staats-Einnahmen und Ausgaben eines jeden Etatsjahres ist dem Landtage im folgenden Etatsjahre vorzulegen. Dieser Uebersicht ist die gemäß § 19 Absatz 3 des Gesetzes vom 27. März 1872, betreffend die Einrichtung und die Befugnisse der OberRechnungskammer, (Gesetz-Samml. S. 278) dem Landtage vorzulegende Nachweisung der Etatsüberschreitungen und der außeretatsmäßigen Aus­ gaben beizufügen.

70

I. Gruppe: Verfassung des Deutschen Reichs und von Preutzen

Innerhalb derselben Frist sind dem Landtage vorzulegen:

1. Nachweisungen über die Verwendung derjenigen Zentralsonds, welche im Etat ganz oder zu einem Teil als Dispositionsfonds, Fonds zu unvorhergesehenen Ausgaben oder unter einer sonstigen allgemeinen, die Ausgabezwecke nicht bestimmt angebenden Bezeichnung zur Ver­ fügung der Verwaltung gestellt sind. Ausgenommen hiervon sind solche Fonds, deren Rechnungen der Revision durch die OberRechnungskammer nicht unterliegen. Solange und soweit beide Häuser des Landtags zustimmen, kann auch bezüglich anderer Fonds von der Vorlegung der vorbezeichneten Nachweisungen abgesehen werden. 2. eine Nachweisung von den als endgültig erspart zu löschenden Be­ trägen der durch besondere Gesetze zur Verfügung gestellten Kredite. Eine nachträgliche Verwendung der nach der Nachweisung zu 2 zu löschenden Beträge darf nicht erfolgen.

§ 48. In den von den Kassen zu legenden Rechnungen sind die Einnahmen und Ausgaben in derselben Anordnung nachzuweisen, in welcher sie in den Kassen-Etats (§ 10) aufgeführt sind.

§ 49. Die Kasfenrechnungen (§ 48) haben sowohl in ihren einzelnen Ansätzen als im Ganzen das bei dein Jahresabschluß festgestellte Ergebnis der Kassenbücher wiedcrzugeben. § 50. Die Kassenrechnungen werden der Regel nach für ein volles Etatsjahr gelegt. Ausnahmen sind nur mit Zustimmung der OberRechnungskammer zulässig. § 51. Die Kassenrechnungen sind vor der Einsendung an die Ober-Rechnungskammer durch die zuständigen Behörden einer Vorprüfung (Abnahme) zu unterziehen. Bei der Abnahme sind die Rechnungen und, soweit dies noch nicht geschehen ist, auch die Beläge rechnerisch zu prüfen und zu bescheinigen, sowie in formeller und materieller Hinsicht zu prüfen und mit den nötigen Erläuterungen und Bemerkungen, sowie den etwa noch fehlenden Be­ scheinigungen zu versehen. Das über die Abnahme der Rechnung aufzunehmende Protokoll ist mit der Rechnung an die Ober-Rechnungskammer einzusenden.

§ 52. Mit der gemäß der Bestimmung im Artikel 104 der Verfassungs-Urkunde dem Landtage vorzulegenden allgemeinen Rechnung über den Staatshaushalt eines jeden Jahres ist für jeden Verwaltungs­ zweig, für welchen mit dem Staatshaushalts-Etat ein Spezial-Etat fest­ gestellt ist, eine Spezialrechnung vorzulegen. Alle Einnahmen und Ausgaben sind in diesen Rechnungen nach den Kapiteln und Titeln des Etats nachzuweisen, und zwar in der all­ gemeinen Rechnung in derselben Weise, wie sie im StaatshauShalts-Etat, in den Spezialrechnuugen in derselben Weise, wie sie in den Spezial-Etats zum Ansatz gebracht sind. Anßeretatsmäßige Einnahmen und Ausgaben (§ 13 Absatz 2 und 3) sind unter zusätzlichen Abschnitten nachzuweisen.

10.

KomptabilitSttgesetz. §§ 47—56.

71

§ 53. Sowohl in der allgemeinen Rechnung als in den Spezial­ rechnungen (§ 52) sind bei den einzelnen Kapiteln und Titeln und bei den Schlußsummen je in einer besonderen Spalte nachzuweisen: I. bei den Einnahmen:

1. die aus dem Vorjahre übernommenen Einnahme-Reste (Soll nach der vorigen Rechnung); 2. der Einnahme-Ansatz des Etats (Soll nach dem Etat); 3. die nach Nr. 1 und 2 sich ergebende gesamte Soll-Einnahme; 4. die wirklich eingegangenen Einnahmen (Ist-Einnahme); 5. die verbliebenen Einnahme-Reste; 6. die nach Nr. 4 und 5 sich ergebende Summe; 7. das Mehr oder Weniger der Summe zu Nr. 6 gegen die Summe zu Nr. 3.

II. bei den Ausgaben: 1. die aus Grund der Bestimmungen in den §§ 43 bis 45 aus dem Vorjahre übernommenen Beträge (Soll nach der vorigen Rechnung); 2. der Ausgabe-Ansatz des Etats (Soll nach dem Etat); 3. die nach Nr. 1 und 2 sich ergebende gesamte Soll-AuSgabe; 4. die wirklich geleisteten Ausgaben (Ist-Ausgabe); 5. die auf Grund der Bestimmungen in den §§ 43 bis 45 in das folgende Etatsjahr zu übertragenden Beträge; 6. die nach Nr. 4 und 5 sich ergebende Summe; 7. das Mehr oder Weniger der Summe zu Nr. 6 gegen die Summe zu Nr. 3.

H 54. Die allgemeine Rechnung hat ferner nachzuweisen: 1. den nach der vorigen Rechnung übernommenen und den in die folgende Rechnung übergehenden Kasienbestand; 2. die Betriebsfonds.

§ 55 Die Bestimmungen im § 2 unter Nr. 4 und 5 und in den §§ 3 und 4 dieses Gesetzes sind spätestens durch den StaatShauSHalts-Etat, beziehungsweise die Spezial-Etats für das Jahr vom 1. April 1900/1901 zur Ausführung zu bringen. Im übrigen tritt dieses Gesetz mit dem 1. April 1899 in Kraft. § 56. Alle diesem Gesetze zuwiderlaufenden Bestimmungen früherer Gesetze und Verordnungen treten außer Kraft.

II. Gruppe:

Buntes* und Staats-Angehörigkeit. Personenstand 1. LtMSWehimgkeitSM.'! Geley über die Srwerb««g a»d de» Verlust der Bundes- und! Ltaatsangehörigkeit.

Bom 1. Juni 1870. (RGBl. S. 355, ReichSgef. zufolge Ges. vom 16. April 1871 § 2; abgeLndert durch Reichöges. v. 22. April 1871 RGBl. S. 87 und EG. z. BGB. Art. 41.)

§ 1. angehörigkeit Verlust?)

Die (Bundes-)Reichsangehörigkeit wird durch die Staats­ in einem Bundesstaate erworben und erlischt mit deren

§ 2. Die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate wird sortan nur begründet: 1) durch Abstammung (§ 3), 2) durch Legitimation (§ 4), 3) durch Berheirathung (§ 5), 4) sür einen (Norddeutschen) Deutschen durch Aufnahme und | ,8g ß s . 5) für einen Ausländer durch Naturalisation ) '88 *I"' Die Adoption hat für sich allein diese Wirkung nicht.

§ 3.

Durch die Geburt, auch wenn diese im Auslande erfolgt, erwerben eheliche Kinder eines (Norddeutschen) Deutschen die Staats­ angehörigkeit des Vaters, uneheliche Kinder einer (Norddeutschen) Deutschen die Staatsangehörigkeit der Mutter.

K 4. Ist der Vater eines unehelichen Kindes ein (Norddeutscher) Deutscher und besitzt die Mutter nicht die Staatsangehörigkeit des Vaters, so erwirbt das Kind durch eine den gesetzlichen Bestimmungen gemäst er­ folgte Legitimation die Staatsangehörigkeit des Vaters. § 5. Die Berheirathung mit einem «Norddeutschen) Deutschen begründet für die Ehefrau die Staatsangehörigkeit des Mannes. § 6. Die Aufnahme, sowie die Naturalisation (§ 2 Nr. 4 und 5) er­ folgt durch eine von der höheren Verwaltungsbehörde ausgefertiqte Urkunde.

§ 7. Die Aufnahme-Urkunde wird jedem Angehörigen eines anderen Bundesstaates ertheilt, welcher um dieselbe nachsucht und nachweist, daß er in dem Bundesstaate, in welchem er die Aufnahme nachsucht, sich niedergelassen habe, sofern kein Grund vorliegt, welcher nach den 88 2 bis 5 des Gesetzes über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 (Bundesgesetzbl. S. 55) die Abweisung eines Neuanziehenden oder die Versagung der Fortsetzung des Aufenthaltes rechtfertigt. *) Literatur: Kommentare z. Gesetze über die StAG. von Cahn 3. Aufl. Berlin 1908, Grill München 1901, Rauchalle« Anibach 1901. ') Abs. II aufgeh. durch §§ 9 u. 12 de« Ges. v. 22. April 1871 lR.-G -Bl S 89).

1. StaatSangehörigkeitsgesetz.

§§ 1—13.

73

§ 8. Die Naturalisations-Urkunde darf Ausländern nur dann er­ theilt werden, wenn sie 11 nach den Gesetzen ihrer bisherigen Heimath dispositionsfähig sind, es sei denn, daß der Mangel der DiSpositionSsähigkeit durch die Zustimmung des DaterS, des Vormundes oderKurators des Aufzunehmenden ergänztwird; 2) einen unbescholtenen Lebenswandel geführt haben; 3) an dem Orte, wo sie sich niederlassen wollen, eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen finden; 4) an diesem Orte nach den daselbst bestehenden Verhältnissen sich und ihre Angehörigen zu ernähren im Stande sind. Vor Ertheilung der Naturalisations-Urkunde hat die höhere Ver­ waltungsbehörde die Gemeinde, beziehungsweise den Armenverband desjenigen Ortes, wo der Aufzunehmende sich niederlassen will, in Beziehung auf die Erfordernisse unter Nr. 2, 3 und 4 mit ihrer Erklärung zu hören?) § 9.2) Eine von der Regierung oder von einer Central- oder höheren Verwaltungsbehörde eines Bundesstaates vollzogene oder bestätigte Be­ stallung für einen in den unmittelbaren oder mittelbaren Staatsdienst oder in den Kirchen-, Schul- oder Kommunaldienst aufgenommenen Aus­ länder oder Angehörigen eines anderen Bundesstaates vertritt die Stelle der Naturalisations-Urkunde, beziehungsweise Aufnahme-Urkunde, sofern nicht entgegenstehender Vorbehalt in der Bestallung ausgedrückt wird. Ist die Anstellung eines Ausländers im Bundesdienst erfolgt, so erwirbt der Angestellte die Staatsangehörigkeit in demjenigen Bundes­ staate, in welchem er seinen dienstlichen Wohnsitz hat. § 10. Die Naturalisations-Urkunde, beziehungsweise AufnahmeUrkunde, begründet mit dem Zeitpunkte der Aushändigung alle mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte und Pflichten. § 11. Die Verleihung der Staatsangehörigkeit erstreckt sich, in­ sofern nicht dabei eine Ausnahme gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau und aus diejenigen minderjährigen Kinder, deren gesetzliche Vertretung den. Aufgenommenen oder Naturalisirten kraft elterlicher Gewalt zusteht. Aus­ genommen sind Töchter, die verheirathet sind oder verheirathet gewesen sind?) § 12. Der Wohnsitz innerhalb eines Bundesstaates begründet für sich allein die Staatsangehörigkeit nicht. § 13. Die Staatsangehörigkeit geht fortan nur verloren: 1) durch Entlassung auf Antrag (§§ 14 ff.); 2) durch Ausspruch der Behörde (§§ 20 und 22); 3) durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande (§ 21); 4) bei unehelichen Kindern durch eine den gesetzlichen Bestimmungen gemäß erfolgte Legitimation, wenn der Vater einem anderen Staate angehört als die Mutter; *r$n brüte Abs. aufgeh. durch Ges. v. 22. April 1871 lR.-G.-Bl. S. 89). ’) Dgl. RG. betr Naturalisation von Ausländern, welche im Reichrdienste an­ gestellt find t>. 20. Dezbr. 1875 (R.-G -Bl. S. 324): »Ausländern, welche im Reichs­ dienst angestellt find, ein Diensteinkommen aus der Reichskasse beziehen und ihren dienstlichen Wohnfitz im Auslande haben, darf von demjenigen Bundesstaate, in welchem fie die Verleihung der Staatsangehörigkeit nachfuchen, die Naturalisationsurkunde nicht versagt werden." •) Fassung de« Art. 41 de« Einfi-Ges. z.BGB. v. 18. Aug. 1896 (R.-G.-Bl.S. 604,.

74

II. Truppe: Bunde«- und StaatS-Angehörigkeit. Personenstand.

5. bei einer (Norddeutschen) Deutschen durch Derheirathung mit dem Angehörigen eines anderen Bundesstaates oder mit einem Ausländer.

K 14. Die Entlassung wird durch eine von der höheren Ver­ waltungsbehörde des Heimathstaates ausgefertigte Entlassungs-Urkunde ertheilt.

8 14 a.1) Die Entlassung eines Staatsangehörigen, der unter elterlicher Gewalt oder Vormundschaft steht, kann von dem gesetzlichen Vertreter nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts beantragt werden. Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ist nicht erforderlich, wenn der Vater oder die Mutter die Entlassung für sich und zugleich kraft elterlicher Gewalt für ein Kind beantragt. Erstreckt sich der Wirkungs­ kreis eines der Mutter bestellten Beistandes auf die Sorge für die Person des Kindes, so bedarf die Mutter in einem solchen Falle der Genehmigung des Beistandes zu dem Antrag auf Entlassung des Kindes. 8 15. Die Entlassung wird jedem Staatsangehörigen ertheilt, welcher nachweist, daß er in einem anderen Bundesstaate die Staats­ angehörigkeit erworben hat. In Ermangelung dieses Nachweises darf sie nicht ertheilt werden:

1) Wehrpflichtigen, welche sich in dem Alter vom vollendeten siebenzchnten bis zum vollendeten fünf und zwanzigsten Lebensjahre befinden, bevor sie ein Zeugniß der Kreis-Ersatzkommission darüber beigebracht haben, daß sie die Entlassung nicht blos in der Absicht nachsuchen, um sich der Dienstpflicht im stehenden Heere oder in der Flotte zu entziehen; 2) Militairpersonen, welche zum stehenden Heere oder zur Flotte gehören. Offizieren des Beurlaubtenstandes und Beamten, bevor sie aus dem Dienste entlassen sind; 3) den zur Reserve des stehenden Heeres und zur Landwehr, sowie den zur Reserve der Flotte und zur Seewehr gehörigen und nicht als Offiziere angestellten Personen, nachdem sie zum aktiven Dienste ein­ berufen worden sind.

8 16.2) 8 17. Aus

anderen als aus den in den §§ 15 und 16 bezeichneten Gründen darf in Friedenszeiten die Entlassung nicht verweigert werden. Für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr bleibt dem Bundes­ präsidium der Erlaß besonderer Anordnung vorbehalten.

8 18. Die Entlassungs-Urkunde bewirkt mit dem Zeitpunkte der Aushändigung den Verlust der Staatsangehörigkeit. Die Entlassung wird unwirksam, wenn der Entlassene nicht binnen sechs Monaten vom Tage der Aushändigung der Entlassungs-Urkunde an feinen Wohnsitz außerhalb des Bundesgebietes verlegt oder die Staats­ angehörigkeit in einem anderen Bundesstaate erwirbt. *) Fassung nach Art. 41 Ziff. II de, Einf.-Ges. z. BGB. vom 18. Aug. 1896. lR.-G.-Bl. 6. 604).

') § 16 aufgehoben durch§8 9,12 b. Sesetze« v. 22. April 1871 (R.-T.-Bl. 6.89)

1. Staat-angehörigkeitigesetz. §§ 13—21.

75

5 19?) Die Entlassung erstreckt sich, insofern nicht dabei eine Aus­ nahme gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau und auf diejenigen Kinder, deren gesetzliche Vertretung dem Entlassenen kraft elterlicher Gewalt zusteht. Diese Vorschrift findet keine Anwendung auf Töchter, die verheirathet sind oder verheirathet gewesen find, sowie auf Kinder, die unter der elter­ lichen Gewalt der Mutter stehen, falls die Mutter zu dem Anträge auf Entlassung der Kinder nach § 14 a Abs. 2 Satz 2 der Genehmigung des Beistandes bedarf. § 20. (Norddeutsche) Deutsche, welche sich im Auslande aufhalten, können ihrer Staatsangehörigkeit durch einen Beschluß der Centralbehörde ihres HeimathSstaateS verlustig erklärt werden, wenn sie im Falle eines Krieges oder einer Kriegsgefahr einer durch das Bundespräsidium für das ganze Bundesgebiet anzuordnenden ausdrücklichen Aufforderung zur Rückkehr binnen der darin bestimmten Frist keine Folge leisten. § 21. (Norddeutsche) Deutsche, welche das Bundesgebiet verlassen und sich zehn Jahre lang ununterbrochen im Auslande aufhalten, verlieren dadurch ihre Staatsangehörigkeit. Die vorbezeichnete Frist wird von dem Zeitpunkte des Austritts auS dem Bundesgebiete oder, wenn der Aus­ tretende sich im Besitz eines Reisepapieres oder Heimathscheines befindet, von dem Zeitpunkte des Ablaufs dieser Papiere an gerechnet. Sie wird unterbrochen durch die Eintragung in die Matrikel eines Bundeskonsulats. Ihr Laus beginnt von Neuem mit dem auf die Löschung in der Matrikel folgenden Tage. Der hiernach eingetretene Verlust der Staatsangehörigkeit erstreckt sich zugleich auf die Ehefrau und auf diejenigen Kinder, deren gesetzliche Vertretung dem Ausgetretenen kraft elterlicher Gewalt zusteht, soweit sich die Ehefrau oder die Kinder bei dem Ausgetretenen befinden. Aus­ genommen sind Töchter, die verheirathet sind oder verheirathet gewesen finb?) Für (Norddeutsche) Deutsche, welche sich in einem Staate des Aus­ landes mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen aushalten und in demselben zugleich die Staatsangehörigkeit erwerben, kann durch Staats­ vertrag die zehnjährige Frist bis auf eine fünfjährige vermindert werden, ohne Unterschied, ob die Betheiligten sich im Besitze eines Reisepapieres oder HeimathSscheineS befinden oder nicht?) (Norddeutschen) Deutschen, welche ihre Staatsangehörigkeit durch zehn­ jährigen Aufenthalt im Auslande verloren und keine andere Staatsangehörig­ keit erworben haben, kann die Staatsangehörigkeit in dem früheren Heimathsstaate wieder verliehen werden, auch ohne daß sie sich dort niederlaffen. (Norddeutsche) Deutsche, welche ihre Staatsangehörigkeit durch zehn­ jährigen Aufenthalt im Auslande verloren haben und demnächst in das Gebiet des (Norddeutschen Bundes) Deutschen Reichs zurückkehren, erwerben die Staatsangehörigkeit in demjenigen Bundesstaate, in welchem sie sich ’) Fassung nach Art. 41 Ziff. III d. Einf.-Ges. z. BTB. v. 18. August 1896 (R -T.-Bl. S. 604). ') Fassung nach Art. 41 Ziff. IV d. Tinf.-Tes. z. BGB. v. 18. August 1896 (R.-T.-Bl. S. 604). *) Dgl. den Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde und den vereinigten Staaten von Nordamerika v. 22. Februar 1868 (R.-G.-Bl. S. 228).

76

II. Gruppe: Bunde!- und Staats-Angehörigkeit. Personenstand.

niedergelassen haben, durch eine von der höheren Verwaltungsbehörde ausge­ fertigte Ausnahme-Urkunde, welche auf Nachsuchen ihnen ertheilt werden muß.

§ 22. Tritt ein (Norddeutscher) Deutscher ohne Erlaubniß seiner Regierung in fremde Staatsdienste, so kann die Centralbehörde seines Heimathsstaates denselben durch Beschluß seiner Staatsangehörigkeit ver­ lustig erklären, wenn er einer ausdrücklichen Ausforderung zum Austritte binnen der darin bestimmten Frist keine Folge leistet.

§ 23. Wenn ein (Norddeutscher) Deutscher mit Erlaubnis seiner Regie­ rung bei einer fremden Macht dient, so verbleibt ihm seine Staatsangehörigkeit. § 24. Die Ertheilung von Ausnahme-Urkunden und in den Fällen des 8 15 Absatz 1 von Entlassungs-Urkunden erfolgt kostenfrei. Für die Ertheilung von Entlassungs-Urkunden in anderen als den im § 15 Absatz 1 bezeichneten Füllen darf an Stempelabgaben und Ausfertigungs­ gebühren zusammen nicht mehr als höchstens Ein Thaler erhoben werden.

§ 25. Für die beim Erlasse dieses Gesetzes im Auslande sich aufhal­ tenden Angehörigen derjenigen Bundesstaaten, nach deren Gesetzen die Staats­ angehörigkeit durch einen zehnjährigen oder längeren Aufenthalt int Auslande verloren ging, wird der Laus dieser Frist durch dieses Gesetz nicht unterbrochen. Für die Angehörigen der übrigen Bundesstaaten beginnt der Lauf der im § 21 bestimmten Frist mit dem Tage der Wirksamkeit dieses Gesetzes.

§ 26.

Alle diesem Gesetze zuwiderlaufenden Vorschriften werden

ausgehoben.

§ 27.

Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1871 in Kraft?)

2. Gesetz, belreffeiid die wWmchliMg der Äonfriütiiitn in büMlicher und sinntSdürgerllHer BMiW. v»m :i. Juli 1869.«) s'BGBl. S. 292.)

Einziger Artikel. Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekennt­ nisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden hierdurch aufgehoben. Insbesondere soll die Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein. *) Es ist eingeführt in Bayern durch Ges. vom 22. April 1871 § 9, in ElsaßLothringen durch Gei. v. 8. Januar 1873 lR.-G.-Bl. S. 51), Art. 2, in Helgoland durch BO. v. 22. März 1891 (R.-G.-Bl. 6. 21) Art I. 2) Reichsgesetz zufolge §2 des Ees. v. 16. April 1871 (Sir. 1 d. Sammt.), eingeführt in Bayern durch Ges. v. 22. April 1871 (BGBl. S. 87) § 2.

3. Gothaer Vertrag.

§§ 1—4.

77

3. Sothirr $trtt«i. Die Ueberemkuvft denttcher Bundesstaaten Wege« gegrutritiger Ueber­ nahme von AnSgewiesenen Gotha d. d. Den 15. Jnli 1851?) (Reg.-Bl. 1851 S. 1397, Weber IV S. 269.)

K 1. Jede der contrahirenden Regierungen verpflichtet flch, a) diejenigen Individuen, welche noch fortdauernd ihre Angehörigen (Unterthanen) sind, und b) ihre vormaligen Angehörigen (Unterthanen), auch wenn sie die Unter­ thanschaft nach der inländischen Gesetzgebung bereits verloren haben, so lange, als sie nicht dem andern Staate nach dessen eigener Gesetz­ gebung angehörig worden sind, aus Verlangen des andern Staates wieder zu übernehmen.

§ 2. Ist die Person, deren sich der eine der contrahirenden Staaten entledigen will, zu keiner Zeit einem der contrahirenden Staaten als Unterthan angehörig gewesen (§ 1), so ist unter ihnen derjenige zur Uebernahme verpflichtet, in dessen Gebiete der Auszuweisende a) nach zurückgelegtem 21ften Lebensjahre sich zuletzt 5 Jahre hindurch aufgehalten, oder b) sich verheirathet und mit seiner Ehefrau unmittelbar nach der Ehe­ schließung eine gemeinschaftliche Wohnung mindestens 6 Wochen inne gehabt hat, oder c) geboren ist. Die Geburt (c) begründet eine Verpflichtung zur Uebernahme nur dann, wenn keiner der beiden anderen Fälle (a und b) vorliegt. Tressen diese zusammen, so ist das neuere Verhältniß entscheidend. § 3. Ehefrauen sind in den Fällen des § 1 und 2, ihre Ueber­ nahme möge gleichzeitig mit derjenigen ihres Ehegatten oder ohne diese in Frage kommen, von demjenigen Staate zu übernehmen, welchem der Ehe­ mann nach § 1 oder 2 zugehört. Bei Wittwen und geschiedenen Ehefrauen ist, jedoch nur bis zu einer in ihrer Person eintretcnden, die Uebernahme-Verbindlichkeit begründenden Veränderung, daS Verhältniß des Ehemannes zur Zeit seines Todes und beziehungsweise der Ehescheidung maßgebend. Die Frage, ob eine Ehe vorhanden sei, wird im Falle des § 1 nach den Gesetzen desjenigen Staates beurteilt, welchem der Ehemann angehört; im Falle des § 2 aber nach den Gesetzen desjenigen Staates, wo die Ehe­ schließung erfolgt ist.

§ 4. Eheliche Kinder sind, wenn es sich um deren Uebernahme vor vollendetem 21sten Lebensjahre handelt, in den Fällen des § 1 und 2 nicht nach ihrem eigenen Verhältnisie, sondern nach dem des Vaters zu *) Näher erläutert in den Conferenzprotokollen vom 10. und 11. Juli 1851 (Weber IV S. 276 ff.) und den Schlußprotokollen vom 15. Juli 1851, 25. Juli 1854 und 29. Juli 1858 (Weber VI S. 273. 278, 281).

78

II. Grupp«: Bunde«- und Staatr-AngeHörigkeit.

Personenstand.

beurtheilen. Kinder, welche durch nachfolgende Ehe der Eltern legitimiit sind, werden den ehelich gebornen gleich geachtet.

§ 5. Uneheliche Kinder sind nach demjenigen UnterthanSverhültnisse zu beurtheilen, in welchem zur Zeit der Geburt derselben deren Mutter stand, auch wenn sich später eine Veränderung in diesem Verhältnisse der Mutter zugetragen hat. Gehörte die Mutter zur Zeit der Geburt ihres unehelichen Kindes keinem der contrahirenden Staaten als Unterthanin an, so entscheiden über die Verpflichtung zu seiner Uebernahine die Bestimmungen des § 2. Auch auf uneheliche Kinder findet die Vorschrift des zweiten Absatzes des 8 6 Anwendung.

§ 6. Ist keiner der tm § 2 gedachten Fälle vorhanden, so muß der Staat, in welchem der Heimathlose sich aufhält, denselben behalten. Doch sollen weder Ehefrauen noch Kinder unter 16 Jahren, falls sie einem anderen Staate nach § 1 oder 2 zugewiesen werden könnten, von ihren Ehemännern und beziehungsweise Eltern getrennt werden. § 7. Wenn diejenige Regierung, welche sich einer lästigen Person entledigen will, die Uebernahme derselben von mehreren deutschen Bundes­ staaten aus der gegenwärtigen oder einer anderen Uebereinkunst zu fordern berechtigt ist, so hat sie denjenigen Staat zunächst in Anspruch zu nehmen, welcher in Beziehung auf den Verpflichtungsgrund oder die Zeitfolge näher verpflichtet ist. Hat dieser Staat, auch nach vorgängigem Schriftwechsel der obersten Landesbehörden, die Uebernahine verweigert, so kann die ausweisende Regierung auch von demjenigen Staate, welcher nach gegenwärtiger Uebereinkunst hiernächst verpflichtet ist, die Uebernahme fordern und demselben die Geltendmachung seines Rechts gegen den vermeintlich näher verpflichteten Staat überlassen. § 8. Ohne Zustimmung der Behörde des zur Uebernahme ver­ pflichteten Staates darf diesem kein aus dem andern Staate ausgewiesenes Individuum zugeführt werden, es sei denn, daß a) der Rückkehrende sich im Besitze eines von der Behörde seines Wohn­ ortes ausgestellten Passes (Wanderbuches, Paßkarte), seit deffen Ab­ lauf noch nicht ein Jahr verstrichen ist, befindet, oder b) daß der Ausgewicsenc einem in gerader Richtung rückwärts liegenden dritten Staate zugehört, welchem er nicht wohl anders als durch das Gebiet des anderen contrahirenden Staates zugeführt werden kann. § 9. Sollte ein Individuum, welches von dem einen contrahirenden Staate dem andern zum Weitertransport in einen rückwärts liegenden Staat nach Maßgabe des § 8 Iit. b überwiesen worden ist, von dein letzteren nicht angenommen werden, so kann dasselbe in denjenigen Staat, aus welchein es ausgewiesi" worden war, wieder zurückgesührt werden.

§ 10. Die Ueberweisung der Ausgewiesenen geschieht in der Regel mittelst Transportes und Abgabe derselben an die Polizeibehörde des jenigen Ortes, wo der Transport als von Seiten des ausweisenden Staates beendigt anzusehen ist. Mit dem Ausgewiesenen werden zugleich die Beweis­ stücke, worauf der Transport conventionsmäßig gegründet wird, übergeben. In solchen Fällen, wo keine Gefahr zu besorgen ist, können einzelne Aus-

3. Gothaer Vertrag.

§§ 4—15.

79

gewiesene auch mittelst eines Passes, in welchem ihnen die zu befolgende Route genau vorgeschrieben ist, in ihr Vaterland gewiesen werden.

K 11. Die Kosten der Ausweisung trägt innerhalb seines Gebietes der ausweisende Staat. Wenn der Ausgewiesene, um seiner Heimath in einem dritten Staate zugeführt zu werden, durch das Gebiet eines anderen contrahirenden Theiles transportirt werden muß, so hat dem Letzteren der ausweisende Staat die Hälfte der bei dem Durchtransporte entstehenden Kosten zu erstatten. Muß der Ausgewiesene im Falle des § 9 in den Staat, aus welchem er ausgewiesen worden war, wieder zurückgebracht werde», so hat dieser Staat sämmtliche Kosten des Rücktransportes zu vergüten. § 12. Können die betreffenden Behörden über die Verpflichtung des Staates, welchem die Uebernahme angesonnen wird, sich bei dem darüber stattfindenden Schriftwechsel nicht einigen, und ist die Meinungsverschiedenheit auch im diplomatischen Wege nicht zu beseitigen gewesen, so wollen die betheiligten Regierungen den Streitfall zur schiedsrichterlichen Entscheidung einer dritten deutschen Regierung stellen, welche zu den Mitcontrahenten des gegenwärtigen Vertrages gehört. Die Wahl der um Abgabe des Schiedsspruches zu ersuchenden deutschen Regierung bleibt demjenigen Staate überlassen, der zur Uebernahme des Ausgewiesenen verpflichtet werden soll. An diese dritte Regierung hat jede der betheiligten Regierungen jedesmal nur eine Darlegung der Sachlage, wovon der andern Regierung eine Abschrift nachrichtlich mitzutheilen ist, in kürzester Frist einzusenden. Bis die schiedsrichterliche Entscheidung erfolgt, gegen welche von keinem Theile eine weitere Einwendung zulässig ist, hat derjenige Staat, in dessen Gebiete das auszuweisende Individuum beim Entstehen der Differenz sich befunden, die Verpflichtung, dasselbe in seinem Gebiete zu behalten.

§ 13. Gegenwärtige Uebercinkunft tritt vom 1. Januar 1852 an, und zwar dergestalt in Wirksamkeit, daß alle Fälle zweifelhafter Ueber­ nahme-Verbindlichkeit, welche bis zu diesem Zeitpunkte zwischen den beider­ seitigen Behörden noch nicht zur Erörterung gelangt, oder, falls dies bereits der Fall gewesen, bis eben dahin durch ein bündiges Anerkenntniß oder durch schiedsrichterliche Entscheidung noch nicht definitiv erledigt worden sind, nach den neu vereinbarten Bestimmungen beurtheilt werden sollen. Mit dem 1. Januar 1852 treten sämmtliche Vereinbarungen wegen der Uebernahme von Ausgewiesenen, welche bisher zwischen den contra­ hirenden Staaten bestanden, außer Kraft. § 14. Jedem contrahirenden Theile steht das Recht zu, ein Jahr nach der von ihm ausgesprochenen Kündigung von der gegenwärtigen Uebereinkunft zurückzutreten. § 15. Allen deutschen Bundesstaaten, welche die gegenwärtige Uebercinknnft nicht mit abgeschlossen haben, steht der Beitritt zu derselben offen. Dieser Beitritt wird durch eine die Uebereinkunft genehmigende und einer der contrahirenden Regierungen behufs weiterer Benachrichtigung der übrigen Contrahenten zu übergebende Erklärung bewirkt.

80

II. Gruppe: Bunde«- und StaatS-Angehörigkeit.

Personenstand.

4. Kiseiiiher llebermmsl. Eisenacher llebereinfnnft vom 11. Juli 1853 (GS. S. 877) zwischen Preuße« und mehrere« andere« deutschen Staate« wegen der VerVstega«g erkrankter and der Beerdig««- verstorbener gegenseitiger Staatsangehöriger.

8 1. Jede der kontrahierenden Regierungen verpflichtet sich, dafür zu sorgen, daß in ihrem Gebiete denjenigen hilfsbedürftigen Angehörigen anderer Staaten, welche der Kur und Verpflegung benötigt sind, diese nach denselben Grundsätzen, wie bei eigenen Untertanen, bis dahin zu­ teil werde, wo ihre Rückkehr in den zur Uebernahme verpflichteten Staat ohne Nachteil für ihre oder Anderer Gesundheit geschehen kann. § 2. Ein Ersatz der hierbei (§ 1) oder durch die Beerdigung er­ wachsenden Kosten kann gegen die Staatsgemeinde oder andere öffentlichen Kassen desjenigen Staates, welchem der Hilfsbedürftige angehört, nicht beansprucht werden.

8 3. Für den Fall, daß der Hülfsbedürstige oder daß andere privatrechtlich Verpflichtete zum Ersatz der Kosten imstande sind, bleiben die Ansprüche auf letzteren Vorbehalten. — Die kontrahierenden Regierungen sichern sich auch wechselseitig zu, auf Antrag der betreffenden Behörde die nach der Landesgesetzgebung zulässige Hilfe zu leisten, dainit denjenigen, welche die gedachten Kosten bestritten haben, diese nach billigen Ansätzen erstattet werden. 8 4. Gegenwärtige Uebereinkunst tritt mit dem 1. Januar 1854 in Kraft. Mit demselben Tage erlischt die Wirksamkeit derjenigen Ver­ abredungen, welche bisher über den gleichen Gegenstand zwischen einzelnen der kontrahierenden Regierungen bestanden haben. — Die Dauer der Wirksamkeit der gegenwärtigen Uebereinkunst wird zunächst aus den Zeit­ raum von drei Jahren verabredet. — Sie ist aber auf je weitere drei Jahre als in Kraft befindlich für jede der kontrahierenden Regierungen zu betrachten, welche nicht spätestens sechs Monate vor dem Abläufe der Gültigkeit der Uebereinkunst dieselbe gekündigt hat. 8 5. Allen deutschen Bundesstaaten, welche die gegenwärtige Uebereinkunst nicht mit abgeschlossen haben, steht der Beitritt zu derselben offen. — Dieser Beitritt wird durch eine die Uebereinkunst genehmigende und einer der kontrahierenden Regierungen behufs weiterer Benachrichtigung der übrigen Kontrahenten zu übergebende Erklärung bewirkt.

5. Ptrsonenstandsgesetz.

81

§§ 1—4.

5. PttsMllUMM?'! Reichsgektz vom 6. Februar 1875 über die Beurkundung des Personevftavdes and die Ehefchliehong. (R -G -Bl. 1875 S 23.) Abgeändert durch ES. ZPO. § 13 Nr. 6, Reiches, über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17 Mai 1898 § 186 R.-G -Bl. S. 189 und Art. 46 des EG. zum BGB.

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen. § 1. Die Beurkundung der Geburten, Heirathen und Sterbefälle erfolgt ausschließlich durch die vom Staate bestellten Standesbeamten niittels Eintragung in die dazu bestimmten Register. § 2. Die Bildung der Standesamtsbezirke erfolgt durch die höhere Verwaltungsbehörde. Die Standesamtsbezirke können aus einer oder mehreren Gemeinden gebildet, größere Gemeinden in mehrere Standesamtsbezirke getheilt werden. K 3. Für jeden Standesamtsbezirk ist ein Standesbeamter und mindestens ein Stellvertreter zu bestellen. Für den Fall vorübergehender Behinderung oder gleichzeitiger Erledigung des Amtes des Standesbeamten und der Stellvertreter ist die nächste Aufsichtsbehörde ermächtigt, die einstwcilige Beurkundung des Personenstandes einem benachbarten Standes­ beamten oder Stellvertreter zu übertragen. Die Bestellung erfolgt, soweit nicht im § 4 ein Anderes bestimmt ist, durch die höhere Verwaltungsbehörde. Geistlichen und anderen Religionsdienern darf das Amt eines Standes­ beamten oder die Stellvertretung eines solchen nicht übertragen werden.

§ 4. In den Standesamtsbezirken, welche den Bezirk einer Ge­ meinde nicht überschreiten, hat der Vorsteher der Gemeinde (Bürgermeister, Schultheiß, Ortsvorsteher oder deren gesetzlicher Stellvertreter) die Geschäfte des Standesbeamten wahrzunehmen, sofern durch die höhere Verwaltungs*) Literatur: HinschiuS, Komm. z. ReichSges. über die Beurkundung deS Personenstandes und die Eheschließung. 4. Aust. von Bosch an, Berlin 1909; Kruse, das Standesamt, 6. Ausl, von Wohlers, DaS Reichsgesetz v. 6. Februar 1875, Berlin 1902; Sartorius, Komm. z. Personenstandsgesetz, München 1902; DameS, Per­ sonenstand und Eheschließung, 3. Ausl. Ansbach 1900. ■') Vgl. Vorschriften deS Bundesrats zur Ausführung deS Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und der Eheschließung, Bekanntmachung des Reichs­ kanzlers vom 25. März 1899 tR.-G.-Bl. S. 225 u. Runderlaß d. preuß. Min. d. I. u. d. Just -M. v. 2. Juni 1899 (MinBl. S. 100). Elier-Sonllo, BenixiNun^Sjfeseye für Preukeu.

0

82

II. Gruppe: Bundes- und Staats-Angehörigkeit.

Personenstand.

/ behörde nicht ein besonderer Beamter für dieselben bestellt ist. Der Vor­ steher ist jedoch befugt, diese Geschäfte mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde anderen Gemeindebeamten widerruflich zu übertragen. Die Gemeindebehörde kann die Anstellung besonderer Standesbeamten beschließen. Die Ernennung der Standesbeamten erfolgt in diesem Falle durch den Gemeindevorstand unter Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. In der gleichen Weise erfolgt die Bestellung der Stellvertreter. Die durch den Gemeindevorstand ernannten besonderen Standes­ beamten und deren Stellvertreter sind Gemeindebeamte. § 5. Die durch die höhere Verwaltungsbehörde erfolgte Bestellung und Genehmigung zur Bestellung ist jederzeit widerruflich. § 6. Ist ein Standesamtsbezirk aus mehreren Gemeinden gebildet, so werden der Standesbeamte und dessen Stellvertreter stets von der höheren Verwaltungsbehörde bestellt. Ein jeder Vorsteher oder andere Beamte einer dieser Gemeinden ist verpflichtet, das Amt des Standesbeamten oder des Stellvertreters zu übernehmen. Die landesgesetzlichen Vorschriften, nach welchen den Vorstehern der aus mehreren Gemeinden gebildeten Verbände die gleiche Verpflichtung obliegt, werden hierdurch nicht berührt. § 7. Die etwa erforderliche Entschädigung der nach § 4 von den Gemeinden bestellten Standesbeamten fällt der Gemeinde zur Last. Die in 8 6 Absatz 2 und 3 bezeichneten Beamten sind berechtigt, für Wahrnehmung der Geschäfte des Standesbeamten von den zum Bezirk ihres Hauptamtes nicht gehörigen Gemeinden eine in allen Füllen als Pauschquantum sestzusetzende Entschädigung zu beanspruchen. Die Festsetzung erfolgt durch die untere Verwaltungsbehörde; über Beschwerden entscheidet endgültig die höhere Verwaltungsbehörde. Bestellt die höhere Verwaltungsbehörde andere Personen zu Standes­ beamten oder zu Stellvertretern, so fällt die etwa zu gewährende Ent­ schädigung der Staatskasse zur Last. § 8. Die sächlichen Kosten werden in allen Fällen von den Ge­ meinden getragen; die Register und Formulare zu allen Registerauszügen werden jedoch den Gemeinden von der Zentralbehörde des Bundesstaats kostenfrei geliefert.

§ V. In Standesamtsbezirken, welche aus mehreren Gemeinden ge­ bildet sind, wird die den Standesbeamten oder den Stellvertretern zu ge­ währende Entschädigung und der Betrag der sächlichen Kosten auf die einzelnen betheiligten Gemeinden nach dem Maßstabe der Seelenzahl vertheilt. § 10. Den Gemeinden im Sinne dieses Gesetzes werden die außer­ halb der Gemeinden stehenden Gutsbezirke, den Gemeindevorstehern die Vorsteher dieser Bezirke gleich geachtet.

§ 1L Die Aufsicht über die Amtsführung der Standesbeamten wird von der unteren Verwaltungsbehörde, in höherer Instanz von der

ö. Personenstandsgesetz. §§ 4—14.

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iwheren Verwaltungsbehörde geübt, insoweit die Landesgesetze nicht andere Aussichtsbehörden bestimmen. Die Aufsichtsbehörde ist befugt, gegen den Standesbeamten War­ nungen, Verweise und Geldstrafen zu verhängen. Letztere dürfen für jeden einzelnen Fall den Betrag von einhundert Mark nicht übersteigen. Lehnt der Standesbeamte die Vornahme einer Amtshandlung ab. so kann er dazu auf Antrag der Betheiligten durch das Gericht angewiesen werden. Zuständig ist daS Gericht erster Instanz, in dessen Bezirk der Standesbeamte seinen Amtssitz hat. Das Verfahren und die Beschwerde­ führung regelt sich nach den Vorschriften, welche in Sachen der nicht­ streitigen Gerichtsbarkeit') gelten.

§ 12. Von jedem Standesbeamten sind drei Standesregister unter der Bezeichnung: Geburtsregister, Heirathsregister, Sterberegister zu führen.

K 13. Die Eintragungen in die Standesregister erfolgen unter fortlaufenden Numniern und ohne Abkürzungen. Unvermeidliche Zwischenräume sind durch Striche auszufüllen, die wesentlichen Zahlenangaben mit Buchstaben zu schreiben. Die auf mündliche Anzeige oder Erklärung erfolgenden Eintragungen sollen enthalten: 1. den Ort und Tag der Eintragung; 2. die Bezeichnung der Erschienenen; 3. den Vermerk des Standesbeamten, daß und auf welche Weise er sich die Ueberzeugung von der Persönlichkeit der Erschienenen verschafft hat; 4. den Vermerk, daß die Eintragung den Erschienenen vorgelesen und von denselben genehmigt ist; 5. die Unterschrift der Erschienenen und, salls sie schreibensunkundig oder zu schreiben verhindert sind, ihr Handzeichen oder die Angabe des Grundes, aus welchem sie dieses nicht beifügen konnten; 6. die Unterschrift des Standesbeamten.

Die auf schriftliche Anzeige erfolgenden Eintragungen sind unter AnÄvon Ort und Tag der Eintragung zu bewirken und durch die llnterdes Standesbeamten zu vollziehen. Zusätze, Löschungen oder Abänderungen sind am Rande zu veriuerleu und gleich der Eintragung selbst besonders zu vollziehen.

H 14. Von jeder Eintragung in das Register ist von dem Standes­ beamten an demselben Tage eine von ihm zu beglaubigende Abschrift in eilt Nebenregister einzutragen. Nach Ablauf des Kalenderjahres hat der Standesbeamte jedes Hauptnnd jedes Nebenregister unter Vermerkung der Zahl der darin enthaltenen

*) s. § 186 des ReichSges. über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts­ barkeit 6. 17. Mai 1898 (R.-S.-Bl. 6. 771).

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II. Gruppe: Bundes- und Staats-Angehörigkeit. Personenstand.

Eintragungen abzuschließen und das Nebenregister der Aufsichtsbehörde ein­ zureichen; die letztere hat dasselbe nach erfolgter Prüfung dem Gerichte erster Instanz zur Aufbewahrung zuzustellen.

Eintragungen, welche nach Einreichung des Nebenregisters in dem Hauptregister gemacht werden, sind gleichzeitig der Aufsichtsbehörde in be­ glaubigter Abschrift mitzutheilen. Die Letztere hat zu veranlassen, daß diese Eintragungen dem Nebenregister beigeschrieben werden.

§ 15. Die ordnungsmäßig geführten Standesregister (§§ 12 bis 14) beweisen diejenigen Thatsachen, zu deren Beurkundung sie bestimmt und welche in ihnen eingetragen sind, bis der Nachweis der Fälschung, der un­ richtigen Eintragung oder der Unrichtigkeit der Anzeigen und Feststellungen, auf Grund deren die Eintragung stattgefunden hat, erbracht ist. Dieselbe Beweiskraft haben die Auszüge, welche als gleichlautend mit dem Haupt- oder Nebenregister bestätigt und mit der Unterschrift und dem Dienstsiegel des Standesbeamten oder des zuständigen Gerichtsbeamten ver­ sehen sind. Inwiefern durch Verstöße gegen die Vorschriften dieses Gesetzes über Art und Form der Eintragungen die Beweiskraft aufgehoben oder ge­ schwächt wird, ist nach freiem richterlichen Ermessen zu beurtheilen.

§ 16. Die Führung der Standesregister und die darauf bezüglichen Verhandlungen erfolgen kosten- und stempelfrei. Gegen Zahlung der nach dem angehängten Tarife zulässigen Ge­ bühren müssen die Standesregister jedermann zur Einsicht vorgelegt, sowie beglaubigte Auszüge (§ 15) aus denselben ertheilt werden. In amtlichem Interesse und bei Unvermögen der Betheiligten ist die Einsicht der Re­ gister und die Ertheilung der Auszüge gebührenfrei zu gewähren. Jeder Auszug einer Eintragung muß auch die zu derselben gehörigen Ergänzungen und Berichtigungen enthalten. Zweiter Abschnitt.

Beurkundung der Geburten. § 17. Jede Geburt eines Kindes ist innerhalb einer Woche dem Standesbeamten des Bezirks, in welchem die Niederkunft stattgefunden hat, anzuzeigen. 1. 2. 3. 4. 5.

§ 18. Zur Anzeige sind verpflichtet: der eheliche Vater; die bei der Niederkunft zugegen gewesene Hebamme; der dabei zugegen gewesene Arzt; jede andere dabei zugegen gewesene Person; die Mutter, sobald sie dazu im Stande ist.

Jedoch tritt die Verpflichtung der in der vorstehenden Reihenfolge später genannten Personen nur dann ein, wenn ein früher genannter Ver­ pflichteter nicht vorhanden oder derselbe an der Erstattung der Anzeige verhindert ist.

5. PersonenstandSgeseh. §§ 14—25.

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§ 19. Die Anzeige ist mündlich von dem Verpflichteten selbst oder durch eine andere aus eigener Wissenschaft unterrichtete Person zu machen. § 20. Bei Geburten, welche sich in öffentlichen Entbindungs-, Hebammen-, Kranken-, Gefangen- und ähnlichen Anstalten, sowie in Kasernen ereignen, trifft die Verpflichtung zur Anzeige') ausschließlich den Vorsteher der Anstalt, oder den von der zuständigen Behörde ermächtigten Beamten. ES genügt eine schriftliche Anzeige in amtlicher Form.

K 21. Der Standesbeamte ist verpflichtet, sich von der Richtigkeit der Anzeige (§§ 17 bis 20), wenn er dieselbe zu bezweifeln Anlaß hat, in geeigneter Weise Ueberzeugung zu verschaffen.

§ 22. Die Eintragung des Geburtsfalles soll enthalten: 1. Vor- und Familiennamen, Stand oder Gewerbe und Wohnort des Anzeigenden; 2. Ort, Tag und Stunde der Geburt; 3. Geschlecht des Kindes; 4. Vornamen des Kindes; 5. Vor- und Familiennamen, Religion, Stand oder Gewerbe und Wohnort der Eltern. Bei Zwillings- oder Mehrgeburten ist die Eintragung für jedes Kind besonders und so genau zu bewirken, daß die Zeitfolge der verschiedenen Geburten ersichtlich ist. Standen die Vornamen des Kindes zur Zeit der Anzeige noch nicht fest, so sind dieselben nachträglich und längstens binnen zwei Atonalen nach der Geburt anzuzeigen. Ihre Eintragung erfolgt am Rande der ersten Eintragung. § 23. Wenn ein Kind todtgeboren oder in der Geburt verstorben ist, so muß die Anzeige spätestens am nächstfolgenden Wochentages ge­ schehen. Die Eintragung ist alsdann mit dem in § 22 unter Nr. 1 bis 3 und 5 angegebenen Inhalte nur im Sterberegister zu machen. § 24. Wer ein neugeborenes Kind findet, ist verpflichtet, hiervon spätestens am nächstfolgenden Tage Anzeige bei der Ortspolizeibehörde zu machen. Die letztere hat die erforderlichen Ermittelungen vorzunehmen und dem Standesbeamten des Bezirks von deren Ergebniß behufs Ein­ tragung in das Geburtsregister Anzeige zu machen. Die Eintragung soll enthalten die Zeit, den Ort und die Umstände des Auffindens, die Beschaffenheit und die Kennzeichen der bei dem Kinde vorgefundenen Kleider und sonstigen Gegenstände, die körperlichen Merk­ male de8 Kindes, sein vermuthliches Alter, sein Geschlecht, die Behörde, Anstalt oder Person, bei welcher das Kind untergebracht worden, und die Namen, welche ihm beigelegt werden.

K 25. Die Anerkennung eines unehelichen Kindes darf in das Geburtsregister nur dann eingetragen werden, wenn dieselbe vor dem s. hierzu Min. d I. v. 1. Juli 1874 (D.-Min.-Bl. S. 150), v. 20. Jan. 1875 V.-Min.-Bl. S. 34), v. 3. November 189*2 (a. a. O. S. 351). ’) „Wochentage" nach ReichSges. v. 14. April 1905 sR.-G.-Bl S. 251).

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II Gruppe: Bundes- und EtaatS-Rnaek>drigkeit.

Personenstand.

Standesbeamten oder in einer gerichtlich oder notariell aufgenommenen Urkunde erklärt ist.

K 26. Wenn die Feststellung der Abstammung eines Kindes erst nach Eintragung deS Geburtsfalles erfolgt oder die Standesrechte durch Legitimation, Annahme an Kindesstatt oder in anderer Weise eine Ver­ änderung erleiden, so ist dieser Vorgang, sofern er durch öffentliche Urkunden nachgewiesen wird, auf Antrag eines Betheiligten am Rande der über den Geburtssall vorgenommenen Eintragung zu vermerken.

K 27. Wenn die Anzeige eines Geburtsfalles über drei Monate verzögert wird, so darf die Eintragung nur mit Genehmigung der Auf­ sichtsbehörde nach Ermittelung deS Sachverhalts erfolgenDie Kosten dieser Ermittelung sind von demjenigen einzuziehen, welcher die rechtzeitige Anzeige versäumt hat. Dritter Abschnitt.

Erfordernisse der Eheschließung. Vierter Abschnitt.

Form und Nemknndnng der Eheschließung. 8 41. *) Für die Eheschließung sind die Vorschriften des Bürger­ lichen Gesetzbuchs maßgebend.-)

Die einschlägigen Vorschriften des Bürgerliche» Gesetz» buchs lauten:

8 1303. Ein Mann darf nicht vor dem Eintritte der Volljährigkeit, eine Uran darf nicht vor der Vollendung deS sechzehnten Lebensjahre- eine Ehe eingehen. Einer Frau kann Befreiung von dieser Vorschrift bewilligt werden.

8 1304. Wer in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, bedarf zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Ist der gesetzliche Vertreter ein Vormund, so kann die Einwilligung, wenn sie von ihm verweigert wird, auf Antrag des Mündels durch daS VormundschastSgericht erseht werden. DaS VormundschastSgericht hat die Einwilligung zu ersetzen, wenn die Eingehung der Ehe im Interesse deS Mündels liegt.

ß 1305. Ein eheliches Kind bedarf bis zur Vollendung deS einundzwanzigsten Lebensjahrs zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung deS Vaters, ein uneheliches Kind bedarf bis zum gleichen Lebensalter der Einwilligung der Mutter. An die Stelle deS Vater« tritt die Mutter, wenn der Vater gestorben ist oder wenn ihm die sich ans der Vaterschaft ergebenden Rechte nach § 1701 nicht zustehen Ein für ehe­ lich erklärtes Kind bedarf der Einwilligung der Mutter auch dann nicht, wenn der Vater gestorben ist. x) Tie §§ 28 bis 40, dann 42 und 43 sind aufgehoben nach Art 46 des Einf.-Ges. zum B. G.-B. (R.-G.-Bl 1896 S. 618). 2) Fassung nach Art. 46 des Einf.-Ges. zum B. G.-B. (R.-G.-Bl. 1896 S. 618).

5. Personenstand-gesetz.

§§ 25—41.

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Tem Tode deS Vater» ober der Mutter steht e8 gleich, wenn sie zur Abgabe einer Erklärung dauernd außer Stande find oder wenn ihr Aufenthalt dauernd un­ bekannt ist.

8 1306. Einem an Kindesstatt angenommenen Kinde gegenüber steht die Einwilligung zur Eingehung einer Ehe an Stelle der leiblichen Eltern demjenigen zu. welcher das Kind angenommen hat. Hat ein Ehepaar da« Kind gemeinschaftlich oder hat ein Ehegatte daS Kind deS anderen Ehegatten angenommen, so finden die Vorschriften deS § 1305 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2 Anwendung. Die leiblichen Eltern erlangen daS Recht zur Einwilligung auch dann nicht wieder, wenn da» durch die Annahme an Kindesstatt begründete Rechtsverhältniß aufgehoben wird.

g 1307. Die elterliche Einwilligung kann nicht durch einen Vertreter ertheilt werden. Ist der Vater oder die Mutter in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so ist die Zustimmung deS gesetzlichen Vertreters nicht erforderlich. g 1308. Wird die elterliche Einwilligung einem volljährigen Kinde ver­ weigert, so kann sie auf dessen Antrag durch daS Vormundschaftsgericht erseht werden. Da« Vormundschaftsgericht hat die Einwilligung zu ersetzen, wenn sie ohne wichtigen Grund verweigert wird. Vor der Entscheidung soll daS Vormundschaftsgericht Verwandte oder Ver­ schwägerte des Kindes hören, wenn eS ohne erhebliche Verzögerung und ohne unverhältnißmäßige Kosten geschehen kann Für den Ersatz der Auslagen gilt die Vor­ schrift deS ß 1847 Abs. 2. g 1309. Niemand darf eine Ehe eingehen, bevor seine frühere Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist. Wollen Ehegatten die Eheschließung wiederholen, so ist die vorgängige Nichtigkeitserklärung nicht erforderlich. Wird gegen ein Urtheil, durch daS die frühere Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist, die Nichtigkeitsklage oder die Restitutionsklage erhoben, so dürfen die Ehegatten nicht vor der Erledigung deS Rechtsstreits eine neue Ehe eingehen, eS fei denn, daß die Klage erst nach dem Ablaufe der vorgeschriebenen fünfjährigen Frist erhoben worden ist.

tz 1310. Eine Ehe darf nicht geschloffen werden zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern sowie zwischen Verschwägerten in gerader Linie. Eine Ebe darf nicht geschlossen werden zwischen Personen, von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft ge­ pflogen hat. Verwandtschaft im Sinne dieser Vorschriften besteht auch zwischen einem un­ ehelichen Kinde und dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater und dessen Ver­ wandten andererseits.

8 1311. Wer einen Anderen an KlndeSstatt angenommen hat, darf mit ihm oder dessen Abkömmlingen eine Ehe nicht eingehen, solange daS durch die Annahme begründete RechtSverhältniß besteht 8 1312. Eine Ehe darf nicht geschloffen werden zwischen einem wegen Ehe­ bruchs geschiedenen Ehegatten und demjenigen, mit welchem der geschiedene Ehegatte den Ehebruch begangen hat, wenn dieser Ehebruch in dem ScheidungSurtheil als Grund der Scheidung festgestellt ist. Bon dieser Vorschrift kann Befreiung bewilligt werden. 8 1313. Eine Frau darf erst zehn Monate nach der Auflösung oder Nichtig­ keitserklärung ihrer früheren Ehe eine neue Ehe eingehen, eS sei denn, daß sie in­ zwischen geboren hat. Von dieser Vorschrift kann Befreiung bewilligt werden. 8 1314. Wer ein eheliches Kind hat, daS minderjährig ist oder unter seiner Vormundschaft steht, darf eine Ehe erst eingeben, nachdem ihm das VormundschoftSgencht ein Zeugniß darüber ertheilt hat, daß er die im § 1669 bezeichneten Ver­ pflichtungen erfüllt hat oder daß sie ihm nicht obliegen.

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II. Gruppe: Bundes- und StaatS-Angehörigkeit.

Personenstand.

Ist im Falle der fortgesetzten Gütergemeinschaft ein antheilsberechtigter Ab­ kömmling minderjährig oder bevormundet, so darf der überlebende Ehegatte eine Ehe erst eingehen, nachdem ihm daS Vormundschastsgericht ein Zeugniß darüber ertheilt hat, daß er die im § 1493 Abs. 2 bezeichneten Verpflichtungen erfüllt hat oder daß sie ihm nicht obliegen.

8 1315. Militärpersonen und solche Landesbeamte, für die nach den Landesgesehen zur Eingehung einer Ehe eine besondere Erlaubniß erforderlich ist, dürfen nicht ohne die vorgeschriebene Erlaubniß eine Ehe eingehen. Ausländer, für die nach den Landesgesetzen zur Eingehung einer Ehe eine Erlaubniß oder ein Zeugniß erforderlich ist, dürfen nicht ohne diese Erlaubniß oder ohne dtejes Zeugniß eine Ehe eingehen. 8 1316. Der Eheschließung soll ein Aufgebot vorhergehen. Das Aufgebot verliert seine Kraft, wenn die Ehe nicht binnen sechs Monaten nach der Vollziehung des Aufgebots geschlossen wird. DaS Aufgebot darf unterbleiben, wenn die lebensgefährliche Erkrankung eiiucder Verlobten den Aufschub der Eheschließung nicht gestattet. Von dem Aufgebote kann Befreiung bewilligt werden.

tz 1317. Die Ehe wird dadurch geschlossen, daß die Verlobten vor einen: Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe mit einander eingehen zu wollen. Der Standesbeamte muß zur Entgegennahme der Etklärungen bereit sein. Diese Erklärungen können nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestim­ mung abgegeben werden. 8 1318. Der Standesbeamte soll bei der Eheschließung in Gegenwart von zwei Zeugen an die Verlobten einzeln und nach einander die Frage richten, ob sie die Ehe mit einander eingehen wollen, und, nachdem die Verlobten die Frage bejaht haben, aussprechen, daß sie kraft dieses Gesetzes nunmehr rechtmäßig verbundene Eheleute seien. Als Zeugen sollen Personen, die der bürgerlichen Ehrenrechte für verlustig erklärt sind, während der Zeit, für welche die Aberkennung der Ehrenrechte erfolgt ist, sowie Minderjährige nicht zugezogen werden. Personen, dir mit einem der Verlobten, mit dem Standesbeamten oder mit einander verwandt oder verschwägert find, dürfen als Zeugen zugezogen werden. Der Standesbeamte soll die Eheschließung in daS HeirathSregister eintrageu.

8 1319. Als Standesbeamter im Sinne des § 1317 gilt auch derjenige, welcher, ohne Standesbeamter zu sein, das Amt eines Standesbeamten öffentlich ausübt, es fei denn, daß die Verlobten den Mangel der amtlichen Befugniß bei der Eheschließung kennen. 8 1320.

Die Ehe

soll

vor

dem zuständigen Standesbeamten

geschlossen

werden.

Zuständig ist der Standesbeamte, in dessen Bezirk einer der Verlobten seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat keiner der Verlobten seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ist auch nur einer von ihnen ein Deutscher, so wird der zuständige Standesbeamte von der obersten Aufsichtsbehörde des Bundesstaats, dem der Deutsche angehört, und, wenn dieser keinem Bundesstaat angehört, von dem Reichskanzler bestimmt. Unter mehreren zuständigen Standesbeamten haben die Verlobten die Wahl.

8 1321. Auf Grund einer schriftlichen Ermächtigung deS zuständigen Standes­ beamten darf die Ehe auch vor dem Standesbeamten eines anderen Bezirkes geschlossen werden.

8 1322. Die Bewilligung einer nach den §§ 1303, 1313 zulässigen Befreiung steht dem Bundesstaate zu, dem die Frau, die Bewilligung einer nach § 1312 zulässigen Befreiung steht dem Bundesstaate zu, dem der geschiedene Ehegatte angehort. Für Deutsche, die keinem Bundesstaat angehören, steht die Bewilligung dem Reichskanzler zu.

5. Personenstandsgeseh.

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Die Bewilligung einer nach § 1316 zulässigen Befreiung steht dem Bundes­ staate zu, in dessen Gebiete die Ehe geschlossen werden soll. Ueber die Ertheilung der einem Bundesstaate zustehenden Bewilligung hat die Landesregierung zu bestimmen.

8 1323. 8 1324.

Eine Ehe ist nur in den Fällen der §§ 1324 bis 1328 nichtig.

Eine Ehe ist nichtig, wenn bei der Eheschließung die im § 1317 vorgcschriebene Form nicht beobachtet worden ist. Ist die Ehe in daS Heirathsregister eingetragen worden und haben die Ehe­ gatten nach der Eheschließung zehn Jahre oder, falls einer von ihnen vorher gestorben ist, bis zu besten Tode, jedoch mindestens drei Jahre, als Ehegatten mit einander gelebt, so ist die Ehe als von Anfang an gültig anzusehen. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn bei dem Ablaufe der zehn Jahre oder zur Zeit deS Todes des einen Ehegatten die Nichtigkeitsklage erhoben ist.

8 1325. Eine Ehe ist nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Ehe­ schließung geschäftsunfähig war oder sich im Zustande der Bewußtlosigkeit oder vor­ übergehender Störung der GeisteSthätigkeit befand. Die Ehe ist als von Anfang an gültig anzusehen, wenn der Ehegatte sie nach dem Wegfalle der Geschäftsunfähigkeit, der Bewußtlosigkeit oder der Störung der Geistesthätigkeit bestätigt, bevor sie für nichtig erklärt oder aufgelöst worden ist. Die Bestätigung bedarf nicht der für die Eheschließung vorgeschriedenen Form.

8 1326. Eine Ehe ist nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Ehe­ schließung mit einem Dritten in einer gültigen Ehe lebte. 8 1327. Eine Ehe ist nichtig, wenn sie zwischen Verwandten oder Ver­ schwägerten dem Verbote deS § 1310 Abs. 1 zuwider geschlossen worden ist.

8 1328. Eine Ehe ist nichtig, wenn sie wegen Ehebruchs nach § 1312 ver­ boten war. Wird nachträglich Befreiung von der Vorschrift deS § 1312 bewilligt, so ist die Ehe als von Anfang an gültig anzusehen. 8 1329. Die Nichtigkeit einer nach den §§ 1325 bis 1328 nichtigen Ehe kann, solange nicht die Ehe für nichtig erklärt oder aufgelöst ist, nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden. DaS Gleiche gilt von einer nach § 1324 nichtigen Ehe, wenn sie in daS Heirathsregister eingetragen worden ist. 8 1330. Eine Ehe kann nur in den Fällen der §§ 1331 bis 1335 und deS § 1350 angefochten werden. 8 1331. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der zur Zeit der Eheschließung oder im Falle deS § 1325 zur Zeit der Bestätigung in der Ge­ schäftsfähigkeit beschränkt war, wenn die Eheschließung oder die Bestätigung ohne Ein­ willigung seines gesetzlichen Vertreters erfolgt ist.

8 1332. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der bei der Eheschließung nicht gewußt hat, daß eS sich um eine Eheschließung bandle, oder dies zwar gewußt hat, aber eine Erklärung, die Ehe eingehen zu wollen, nicht hat ab­ geben wollen.

8 1333. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der sich bei der Eheschließung in der Person deS anderen Ehegatten oder über solche persönliche Eigenschaften des anderen Ehegatten geirrt hat, die ihn bei Kenntniß der Sachlage und bei verständiger Würdigung deS Wesen- der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden. 8 1334. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei Kenntniß der Sachlage und bei verständiger Würdigung deS Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden. Ist die Täuschung nicht von dem anderen Ehegatten verübt worden, so ist die Ehe nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung bei der Eheschließung gekannt hat. Aus Grund einer Täuschung über Vermögensverhältnifle findet die Anfechtung nicht patt.

90

II. Gruppe: Bundes- und StaatS-Angehörigkeit.

Personenstand.

8 1335. Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist.

der zur

8 1336. Die Anfechtung der Ehe kann nicht durch einen Vertreter erfolgen. Ist der anfechtungsberechtigte Ehegatte in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. ftür einen geschäftsunfähigen Ehegatten kann sein gesetzlicher Vertreter mit Genehmigung deS Vormundschaftsgerichts die Ehe anfechten. In den Fällen des § 1331 kann, solange der anfechtungsberechtigte Ehegatte in der Geschäftsfähigkeit be­ schränkt ist, nur sein gesetzlicher Vertreter die Ehe anfechten.

8 1337. Die Anfechtung der Ehe ist in den Fällen deS § 1331 ausgeschlossen, wenn der gesetzliche Vertreter die Ehe genehmigt oder der anfechtungsberechtigte Ehe­ gatte, nachdem er unbeschränkt geschäftsfähig geworden ist, die Ehe bestätigt. Ist der gesetzliche Vertreter ein Vormund, jo kann die Genehmigung, wenn sie von ihm ver­ weigert wird, auf Antrag des Ehegatten durch daS Vormundschaftsgericht ersetzt werden; daS Vormundschaftsgericht hat die Genehmigung zu ersetzen, wenn die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse deS Ehegatten liegt. In den Fällen der §§ 1332 bis 1335 ist die Anfechtung ausgeschlosien, wenn der anfechtungsberechtigte Ehegatte nach der Entdeckung deS Irrthums oder der Täuschung oder nach dem Aufhören der Zwangslage die Ehe bestätigt. Die Vorschriften deS § 1336 Abs. 1 gelten auch für die Bestätigung. 8 1338. Die Anfechtung ist nach der Auflösung der Ehe ausgeschlossen, eS fei denn, daß die Auflösung durch den Tod deS zur Anfechtung nicht berechtigten Ehe­ gatten herbeigesührt worden ist.

8 1339. Die Anfechtung kann nur binnen sechs Monaten erfolgen. Die Frist beginnt in den Fällen des § 1331 mit dem Zeitpunkt, in welchem die Eingehung oder die Bestätigung der Ehe dem gesetzlichen Vertreter bekannt wird oder der Ehegatte die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit erlangt, in den Fällen der §§ 1332 bis 1334 mit dem Zeitpunkt, in welchem der Ehegatte den Irrthum oder die Täuschung entdeckt, in dem Falle deS § 1335 mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört. Auf die Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der 83 -03, 206 entsprechende Anwendung, 8 1340. Hat der gesetzliche Vertreter eine- geschäftsunfähigen Ehegatten die Ehe nicht rechtzeitig angefochten, so kann nach dem Wegfalle der Geschäftsunfähigkeit der Ehegatte selbst die Ehe ui gleicher Weise ansechten, wie wenn er ohne gesetzlichen Vertreter gewesen wäre. 8 1341. Die Anfechtung erfolgt, solange nicht die Ehe aufgelöst ist, durch Erhebung der Anfechtungsklage. Wird die Klage zurückgenvmmen, so ist die Anfechtung als nicht erfolgt anzusehen. DaS Gleiche gilt, wenn die angefochtene Ehe, bevor fie für nichtig erklärt oder aufgelost worden ist, nach Maßgabe deS § 1337 genehmigt oder be­ stätigt wird. 8 1342. Ist die Ehe durch den Tod deS zur Anfechtung nicht berechtigten Ehegatten aufgelost worden, so erfolgt die Anfechtung durch Erklärung gegenüber dem Nachlaßgerichte; die Erklärung ist in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. DaS Nachlaßgericht soll die Erklärung sowohl demjenigen mittheilen, welcher im Falle der Gültigkeit der Ehe, als auch demjenigen, welcher im Falle der Nichtig­ keit der Ehe Erbe deS verstorbenen Ehegatten ist. Es hat die Einsicht der Erklärung Jedem zu gestatten, der ein rechtliches Jntereffe glaubhaft macht. 8 1343. Wird eine anfechtbare an nichtig anzusehen. Die Vorschrift des Die Nichtigkeit einer anfechtbaren worden ist, kann, solange nicht die Ehe anderweit geltend gemacht werden.

Ehe angefochten, so ist sie als von Anfang § 142 Abs. 2 findet Anwendung. Ehe, die im Wege der Klage angefochten für nichtig erklärt oder aufgelost ist, nicht

8 1344. Einem Dritten gegenüber können aus der Nichtigkeit der Ehe Ein­ wendungen gegen ein zwischen ihm und einem der Ehegatten vorgenommenes Rechts­ geschäft oder gegen ein zwischen ihnen ergangenes rechtskräftiges Urtheil nur hergeleitet

5. Personenstandsgesetz.

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werden, wenn zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts oder zur Zeit deS Eintritts der Rechtshängigkeit die Ehe für nichtig erklärt oder die Nichtigkeit dem Dritten be­ kannt war. Die Nichtigkeit kann ohne diese Beschränkung geltend gemacht werden, wenn sie auf einem Formmangel beruht und die Ehe nicht in daS Heirathsregister eingetragen worden ist.

8 1345. War dem einen Ehegatten die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschlietzung bekannt, so kann der andere Ehegatte, sofern nicht auch ihm die Nichtigkett bekannt war, nach der Nichtigkeitserklärung oder der Auflösung der Ehe verlangen, daß ihr Verhältniß in vermögensrechtlicher Beziehung, insbesondere auch in Ansehung der Unterhaltspflicht, so behandelt wird, wie wenn die Ehe zur Zeit der Nichtigkeits­ erklärung oder der Auflösung geschieden und der Ehegatte, dem die Nichtigkeit bekannt war, für allein schuldig erklärt worden wäre. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn die Nichtigkeit auf einem Form­ mangel beruht und die Ehe nicht in daS Heirathsregister eingetragen worden ist.

8 1346. Wird eine wegen Drohung anfechtbare The für nichtig erklärt, so steht das im § 1345 Abs. 1 bestimmte Recht dem anfechtungsberechtigten Ehegatten zu. Wird eine wegen Irrthums anfechtbare Ehe für nichtig erklärt, so steht dieses Recht dem zur Anfechtung nicht berechtigten Ehegatten zu, eS sei denn, daß dieser den Irr­ thum bei der Eingehung der Ehe kannte oder kennen mutzte. $ 1347. Erklärt der Ehegatte, dem daS im § 1345 bestimmte Recht -usteht, dem anderen Ehegatten, datz er von dem Rechte Gebrauch mache, so kann er die Folgen der Nichtigkeit der Ehe nicht mehr geltend machen; erklärt er dem anderen Ehegatten, datz eß bei diesen Folgen bewenden solle, so erlischt daß im g 1345 Abs. 1 bestimmte Recht. Der andere Ehegatte kann den berechtigten Ehegatten unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung darüber auffordern, ob er von dem Rechte Gebrauch mad)e. DaS Recht kann in diesem Falle nur bis zum Ablaufe der Frist ausgeübt werden.

I 1348. Geht ein Ehegatte, nachdem der andere Ehegatte für todt erklärt worden ist, eine neue Ehe ein, so ist die neue Ehe nicht deshalb nichtig, weil der für tobt erklärte Ehegatte noch lebt, eß sei denn, datz beide Ehegatten bei der Eheschlietzung wissen, daß er die Todeserklärung überlebt hat. Mit der Schlietzung der neuen Ehe wird die frühere Ehe aufgelöst. Sie bleibt auch dann aufgelöst, wenn die Todeserklärung in Folge einer Anfechtungsklage aufge­ hoben wird. 8 1349. Ist das Urtheil, durch daß einer der Ehegatten für todt erklärt worden ist, im Wege der Klage angefochten, so darf der andere Ehegatte nicht vor der Erledigung des Rechtsstreits eine neue Ehe eingehen, eß sei denn, datz die An­ fechtung erst zehn Jahre nach der Verkündung deß Urtheils erfolgt ist.

8 1350. Jeder Ehegatte der neuen Ehe kann, wenn der für todt erklärte Ehegatte noch lebt, die neue Ehe anfechten, eß sei denn, datz er bei der Eheschlietzung von dessen Leben Kenntniß hatte. Die Anfechtung kann nur binnen sechs Monaten von dem Zeitpunkt an erfolgen, in welchem der anfechtende Ehegatte erfährt, datz der für todt erklärte Ehegatte noch lebt. Die Anfechtung ist außgeschlosten, wenn der anfechtungßberechtigte Ehegatte die Ehe bestätigt, nachdem er von dem Leben deß für todt erklärten Ehegatten Kenntnitz erlangt hat, oder wenn die neue Ehe durch den Tod eines der Ehegatten aufgelöst worden ist.

8 1351. Wird die Ehe nach § 1350 von dem Ehegatten der früheren Ehe angefochten, so hat dieser dem anderen Ehegatten nach den für die Scheidung geltenden Vorschriften der §§ 1578 biß 1582 Unterhalt zu gewähren, wenn nicht der andere Ehegatte bei der Eheschließung wutzte, datz der für todt erklärte Ehegatte die Todes­ erklärung überlebt hat.

8 1352. Wird die frühere Ehe nach g 1348 Abs. 2 aufgelöst, so bestimmt sich die Verpflichtung der Frau, dem Manne zur Bestreitung deß Unterhalts eines gemeinschaftlichen Kindes einen Beitrag zu leisten, nach den für die Scheidung geltenden Vorschriften des § 1585.

92

II. Gruppe: Bunde», und Staat»-Angehörigkeit.

Pelsonenstand.

K 44?) Für die Anordnung des vor der Eheschließung zu er­ lassenden Aufgebots ist jeder Standesbeamte zuständig, vor dem »ach § 1320 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Ehe geschlossen werden darf?) § 45. Dor Anordnung des Aufgebots sind dein Standesbeamten (§ 44) die zur Eheschließung gesetzlich nothwendigen Erfordernisse als vor­ handen nachzuweisen. Insbesondere haben die Verlobten in beglaubigter Form beizubringcn: 1. ihre Geburtsurkunden, 2. die zustimmende Erklärung derjenigen, deren Einwilligung nach dem Gesetze erforderlich ist.

Der Beamte kann die Beibringung dieser Urkunden erlassen, wenn ihm die Thatsachen, welche durch dieselben festgestellt werden sollen, per­ sönlich bekannt oder sonst glaubhaft nachgewiesen sind. Auch kann er von unbedeutenden Abweichungen in den Urkunden, beispielsweise von einer verschiedenen Schreibart der Namen oder einer Verschiedenheit der Vor­ namen absehen, wenn in anderer Weise die Persönlichkeit der Betheiligten festgestellt wird. Der Beamte ist berechtigt, den Verlobten die eidesstattliche Ver­ sicherung über die Richtigkeit der Thatsachen abzunehmen, welche durch die vorliegenden Urkunden oder die sonst beigebrachten Beweismittel ihm nicht als hinreichend festgestellt erscheinen.

K 46.

DaS Aufgebot ist bekannt zu machen:

1. in der Gemeinde oder in den Gemeinden, woselbst die Verlobten ihren Wohnsitz haben; 2. wenn einer der Verlobten seinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb seines gegenwärtigen Wohnsitzes hat, auch in der Gemeinde seines jetzigen Aufenthalts; 3. wenn einer der Verlobten seinen Wohnsitz innerhalb der letzten sechs Monate gewechselt hat, auch in der Gemeinde seines früheren Wohnsitzes.

Die Bekanntmachung hat die Dor- und Familiennamen, den Stand oder das Gewerbe und den Wohnort der Verlobten und ihrer Eltern zu enthalten. Sie ist während zweier Wochen an dem Raths- oder Gemeindehaus?, oder an der sonstigen, zu Bekanntmachungen der Gemeindebehörde be­ stimmten Stelle auszuhängcn.

§ 47. Ist einer der Orte, an welchem nach § 46 das Aufgebot bekannt zu machen ist, im Auslande belegen, so ist ail Stelle des an diesem Orte zu bewirkenden Aushanges die Bekanntmachung auf Kosten des Antragstellers einmal in ein Blatt einzurücken, welches an dem aus­ ländischen Orte erscheint oder verbreitet ist. Die Eheschließung ist nicht vor Ablaus zweier Wochen nach dem Tage der Ausgabe der betreffenden Nuinmer des Blattes zulässig. ’) Die §§ 28 bis 40, dann 42 und 43 sind aufgehoben nach Art. 46 des Einj.Ges. zum B. G.-B. (R.-G.-Bl. 1896 S. 618). •) Fassung nach Art. 46 deS Einf.-Ges. zum B. G.-B. (R.-G.-Bl. 1896 S. 618)

5. Personenstandigesetz.

§§ 44—57.

93

Es bedarf dieser Einrückung nicht, wenn eine Bescheinigung der be­ treffenden ausländischen Ortsbehörde dahin beigebracht wird, daß ihr von dem Bestehen eines EhehindernisseS nichts bekannt sei.

§ 48. Kommen Ehehindernisse zur Kenntniß des Standesbeamten, so hat er die Eheschließung abzulehnen. § 49. Soll die Ehe vor einem anderen Standesbeamten als dem­ jenigen geschlossen werden, welcher das Aufgebot angeordnet hat, so hat der letztere eine Bescheinigung dahin auszustellen, daß und wann das Aufgebot vorschriftsmäßig erfolgt ist und daß Ehehindernisse nicht zu seiner Kenntniß gekommen sind.

§ 50. Der Standesbeamte soll ohne Aufgebot die Eheschließung nur vornehmen, wenn ihm ärztlich bescheinigt wird, daß die lebensgefähr­ liche Erkrankung eines der Verlobten den Aufschub der Eheschließung nicht gestattet. **) § 54?) Die Eintragung in das Heirathsregister soll enthalten, 1. Vor- und Familiennamen, Religion, Alter, Stand oder Gewerbe, Geburts- und Wohnort der Eheschließenden; 2. Vor- und Familiennamen, Stand oder Gewerbe und Wohnort ihrer Eltern; 3. Vor- und Familiennamen, Alter, Stand oder Gewerbe und Wohn­ ort der zugezogenen Zeugen; 4. die Erklärung der Eheschließenden; 5. den Ausspruch des Standesbeamten. Ueber die erfolgte Eheschließung ist den Eheleuten sofort eine Be­ scheinigung auszustellen. § 55. Ist eine Ehe für nichtig erklärt, ist in einem Rechtsstreite, der die Feststellung des Bestehens oder deS Nichtbestehens einer Ehe zwischen den Parteien zum Gegenstände hat, das Nicht bestehen der Ehe festgestellt, ist eine Ehe vor dem Tode eines der Ehegatten aufgelöst oder ist nach § 1575 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die eheliche Gemeinschaft aufgehoben, so ist dies am Rande der über die Eheschließung bewirkten Eintragung zu vermerken. Wird die eheliche Genieinschaft nach der Aushebung wiederhergestellt, so ist dies auf Antrag am Rande zu vermerken?) Fünfter Abschnitt.

Neurkulldung der Etnbefälle. § 56. Jeder Sterbefall ist spätestens am nächstfolgenden Wochentage dem Standesbeamten des Bezirks, in welchem der Tod erfolgt ist, anzuzeigen. § 57. Zu der Anzeige verpflichtet ist das Familienhaupt, und wenn ein solches nicht vorhanden oder an der Anzeige behindert ist, der­ jenige, in besten Wohnung oder Behausung der Sterbefall sich ereignet hat. ’) Fassung nach Art. 46 des Einf.-Ges. z. B. G.-B. (R-G.-Bl. 1896 S. 618). *) Die §§ 51 bis 53 find aufgehoben nach Art. 46 des Einf.-Ges z. B. G.-B. (R.-G.-Bl. 1896 S. 618).

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II Gruppe: Bunde«- und Staats-Angehörigkeit. 9ptr>cnciifii.r.b.

K 58.

Die §§ 19 bis 21 kommen auch in Beziehung aus die Anzeige der Sterbefälle zur Anwendung. Findet eine amtliche Ermittelung über den Todesfall statt, so er­ folgt die Eintragung auf Grund der schriftlichen Mittheilung der zustän­ digen Behörde.

§ 59.

Die Eintragung des Sterbefalles soll enthalten:

1. Vor- und Familiennamen, Stand oder Gewerbe und Wohnort des Anzeigenden; 2. Ort, Tag und Stunde des ersolgten Todes; 3. Lor- und Familiennamen, Religion, Alter, Stand oder Gewerbe, Wohnort und Geburtsort des Verstorbenen; 4. Vor- und Familiennamen seines Ehegatten, oder Vermerk, datz der Verstorbene ledig gewesen sei; 5. Vor- und Familiennamen, Stand oder Gewerbe und Wohnort der Eltern des Verstorbenen.

Soweit diese Verhältnisse unbekannt sind, ist dies bei der Eintragung zu vermerken.

§ 60.

Ob ne Genehmigung der Ortspolizeibehörde darf keine Be­ erdigung vor der Eintragung des Sterbefalles in das Sterberegister statt­ finden. Ist die Beerdigung dieser Vorschrift entgegen geschehen, so darf die Eintragung des Sterbesalles nur mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde nach Ermittelung des Sachverhalts erfolgen. Sechster Abschnitt.

»eurkundilng des Personenstandes der ans Lee befindlichen Personen. § 61. Geburten und Sterbefälle, welche sich auf Seeschiffen während der Reise ereignen, sind nach den Vorschriften dieses Gesetzes spätestens am nächstfolgenden Tage nach der Geburt oder dem Todesfall von dem Schiffer, unter Zuziehung von zwei Schiffsosfizieren oder anderen glaubhaften Personen, in dem Tagebuch zu beurkunden. Bei Sterbefällen ist zugleich die muthmaßliche Ursache des Todes zu vermerken.

§ 62.

Der Schiffer hat zwei von ihm beglaubigte Abschriften der Urkunden demjenigen Secmannsamte, bei dem es zuerst geschehen kann, zu übergeben. Eine dieser Abschriften ist bei dem Seemannsamte aufzu­ bewahren, die andere ist demjenigen Standesbeamten, in dessen Bezirk die Eltern des Kindes, beziehungsweise der Verstorbene ihren Wohnsitz haben oder zuletzt gehabt haben, behufs der Eintragung in das Register zuzufertigen.

§ 63.

Ist der Schiffer verstorben oder verhindert, so hat der Steuermann die in den §§ 61 und 62 dem Schiffer auferlcgten Ver­ pflichtungen zu erfüllen.

8 64.

Sobald das Schiff in den inländischen Hasen eingelaufen ist, in welchem cs seine Fahrt beendet, ist das Tagebuch der für den Standesbeamten des Hafenorts zuständigen Aufsichtsbehörde vorzulegen.

5. PersoneiistandSgesktz.

§§ 58—68.

Diese hat beglaubigte Abschrift der in das Tagebuch eingetragenen Standesurkunde dem Standesbeamten, in dessen Register der Fall gehört (§ 62), behufs Kontrolirung der Eintragungen zuzustellen. Siebenter Abschnitt.

Berichtigung der LtaudeSregister. 5 65. Die Berichtigung einer Eintragung in dem Standesregister kann nur auf Grund gerichtlicher Anordnung erfolgen. Sie geschieht durch Beischreibung eines Vermerks am Rande der zu berichtigenden Eintragung. $ 66. Für das Berichtigungsverfahren gelten die nachstehenden Vorschriften?) Tie Aufsichtsbehörde hat, wenn ein Antrag auf Berichtigung gestellt wird, oder wenn sie eine solche von Amtswegen für erforderlich erachtet, die Dethciligten zu hören und gecignetcnsalls eine Aufforderung durch ein öffentliches Blatt zu erlassen. Die abgeschlossenen Verhandlungen hat sie demnächst dem Gerichte erster Instanz vorzulegen. Dieses kann noch weitere thatsächliche Aufklärungen veranlassen und geeignetenfalls den Antragsteller auf den Prozeßweg verweisen. Im Uebrigen finden die für Sachen der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften Anwendung. Achter Abschnitt.

§ 67. Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher zu den religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung schreitet, bevor ihm nach­ gewiesen worden ist, daß die Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen sei, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark oder mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Geistliche oder der Religionsdiener im Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufschub nicht gestattenden Erkrankung eines der Verlobten zu den religiösen Feier­ lichkeiten der Eheschließung schreitet?)

§ 68. Wer den in den §8 17 bis 20, 22 bis 24, 56 bis 58 vorgeschriebenen Anzeigepflichten nicht nachkommt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertfüuszig Mark oder mit Haft bestraft. Die Strafverfolgung tritt nicht ein, wenn die Anzeige, obwohl nicht von den zunächst Ver­ pflichteten, doch rechtzeitig gemacht worden ist. Die bezeichnete Strafe trifft auch den Schiffer oder «Steuermann, welcher den Vorschriften der §§ 61 bis 64 zuwiderhandelt Die Standesbeamten sind außerdem befugt, die zu Anzeigen oder zu sonstigen Handlungen auf Grund dieses Gesetzes Verpflichteten hierzu durch Geldstrafen anzuhalten, welche für jeden einzelnen Fall den Betrag von fünfzehn Mark nicht übersteigen dürfen. l) s. tz 186 b. Gesetze- über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit lN.-G.-Bl. 1898 S. 771). ’) Nach Art. 46 b. Einf.-Ges. zum B. G.»B. v. 18. Aug. 1896 (R^-G.-Bl. S. 618).

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II. Kruppe: Bunde»- und StaatS-Angehörigkeit

Personenstand.

K 69. Ein Standesbeamter, welcher unter Außerachtlassung der in diesem Gesetze und in dem Bürgerlichen Gesetzbuches) gegebenen Vor­ schriften eine Eheschließung vollzieht, wird mit Geldstrafe bis zu sechs­ hundert Mark bestraft.

§ 70. Gebühren und Geldstrafen, welche in Gemäßheit dieses Gesetzes zur Einhebung gelangen, fließen, insoweit die Landesgesetze nicht ein Anderes bestimmen, den Gemeinden zu, welche die sächlichen Kosten der Standesämter (§§ 8, 9) zu tragen haben.

§ 71. In welcher Weise die Verrichtungen der Standesbeamten in Bezug auf solche Militärpersonen wahrzunehmen sind, welche ihr Stand­ quartier nicht innerhalb des Deutschen Reichs, oder dasselbe nach ein­ getretener Mobilmachung verlassen haben, oder welche sich auf den in Dienst gestellten Schiffen oder anderen Fahrzeugen der Marine befinden, wird durch Kaiserliche Verordnung bestimmt?) § 72. Für die Landesherren und die Mitglieder der landes­ herrlichen Familien, sowie der Fürstlichen Familie Hohenzollern erfolgt die Ernennung des Standesbeamte» und die Bestimmung über die Art der Führung und Aufbewahrung der Standesregister durch Anordnung des Landcshcrrn. In Betreff der Stellvertretung der Verlobten und in Betreff des Aufgebots entscheidet die Observanz, s) Im Ucbrigen werden in Ansehung der Mitglieder dieser Häuser die aus Hausgesetze» oder Observanz beruhenden Bestimmungen über die Er­ fordernisse der Eheschließung und über die Gerichtsbarkeit in Ehesachen nicht berührt. 8 73. Den mit der Führung der Standesregister oder Kirchen­ bücher bisher betraut gewesenen Behörden und Beamten verbleibt die Be­ rechtigung und Verpflichtung, über die bis zur Wirksamkeit dieses Gesetzes ein­ getragenen Geburten, Heirathen und Stcrbefälle Zeugniffe zu ertheilen. § 74. Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche 1. Geistlichen und Kirchendienern aus Anlaß der Einführung der bürger­ lichen Standesregister und der bürgerlichen Form der Eheschließung einen Anspruch aus Entschädigung gewähren; 2. bestimmten Personen die Pflicht zu Anzeigen von GeburtS- und Todesfällen auferlegen. Wo die Zulässigkeit der Ehe nach den bestehenden Landesgesetzen von einem Aufgebote abhängig ist, welches durch andere bürgerliche Be­ amte als die Standesbeamten vollzogen wird, vertritt dieses die Stelle des von den Standesbeamten anzuordnenden Aufgebots. § 75. Innerhalb solcher Grenzpfarreien, deren Bezirk sich in das Ausland erstreckt, bleibt das bestehende Recht für die Beurkundung der­ jenigen Geburten und Sterbesälle, sowie für die Form und Beurkundung •) Stach ülrt. 46 b. Einf.-Ges. zum B. iS.-S. v. 18. Aug 1896 (St.-G.-Bi. S. 618). ’) s. Kais. B. v. 4. Novbr. 1875 (R-G.-Bl. 6.313) dann Kais. V v. 20. Jan. 1879 tR.-G.-Bl. S. 5) und 20. Februar 1906 (R.-G.-Bl. S. 359). ’) Vgl. Einf.-Ges. zum B. G.-B. Art. 57.

5. Prrsonenstanbsgesetz.

§§ 69—78.

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derjenigen Eheschließungen maßgebend, für welche ein Standesbeamter nach den Borschristen des Bürgerlichen Gesetzbuchs') nicht zuständig, da­ gegen nach dem bestehenden Recht die Zuständigkeit des Geistlichen be­ gründet ist. Im Geltungsgebiet des preußischen Gesetzes vom 9. März 1874 ist unter dem bestehenden Recht dasjenige Recht zu verstehen, welches vor dem Inkrafttreten jenes Gesetzes maßgebend war.

K 76. In streitigen Ehe- und Berlöbnißsachen sind die bürger­ lichen Gerichte ausschließlich zuständig. Eine geistliche oder eine durch die Zugehörigkeit zu einem Glaubensbekenntniß bedingte Gerichtsbarkeit findet nicht statt. H 77. Wenn nach dem bisherigen Rechte aus beständige Trennung der Ehegatten von Tisch und Bett zu erkennen sein würde, ist fortan die Auflösung des Bandes der Ehe auszusprechen?) Ist vor dem Tage, an welchem dieses Gesetz in Kraft tritt, auf beständige Trennung von Tisch und Bett erkannt worden, so kann, wenn eine Wiedervereinigung der getrennten Ehegatten nicht stattgefunden hat, jeder derselben aus Grund des ergangenen Urtheils die Auflösung des Bandes der Ehe im ordentlichen Prozeßverfahren beantragen.

§ 78. Ehestreitigkeiten, welche in Bayern vor dem Tage, an welchem dieses Gesetz daselbst in Kraft tritt?) durch Zustellung des Beschlusses über Zulässigkeit der Klage anhängig geworden find, werden von dem mit der Sache befaßten Gericht bis zur rechtskräftigen Entscheidung nach Maßgabe der bisher geltenden Gesetze durchgeführt. Daselbst kann die Auflösung der Ehe aus Grund eines die beständige Trennung von Tisch und Bett verfügenden Urtheils geltend gemacht werden, nachdem das Gericht auf Anrufen eines Ehegatten in dem nach Artikel 675 Absatz 1 und 2 der Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 29. April 1869 vorgesehenen Verfahren die Auslösung des Bandes der Ehe ausgesprochen hat?) ') Nach Art. 46 b. Einf.-Ges. z. B. G.-B. v. 18. Aug. 1896 (R.-S.-Bl. S. 619). ’) f. hiezu Art. 201 Abs. 1 und Art. 202 beä Eini.-Gei. zum B. G.-B. sM.-G.-Bl. S. 647) sowie die §§ 1575 und 1576 des B. G.-B, welche lauten: § 1575. Der Ehegatte, der auf Scheidung zu klagen berechtigt ist. kann statt auf Scheidung auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft klagen. Beantragt der andere Ehegatte, datz die Ehe, falls die Klage begründet ist, geschieden wird, so ist auf Scheidung zu erkennen. Für die Klage auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft gelten die Vorschriften der §§ 1573, 1574. § 1576. Ist auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft erkannt, so kann jeder der Ehegatten auf Grund des Urtheils die Scheidung beantragen, es sei denn, dah nach der Erlassung des Urtheils die eheliche Gemeinschaft wieder hergestellt worden ist. Die Vorschriften der §§ 1570 bis 1574 finden keine Anwendung; wird die Ehe geschieden, so ist der für schuldig erklärte Ehegatte auch im ScheidungSurtheile für schuldig zu erklären. a) 1 Januar 1876. 4) Der III. Ads. ist aufgehoben durch § 13 Zisf. 6 deS Einf.-Ges. zur Z-P.-OIN -G.-Bl. 1877 S. 246). Stier - Sornlo Verwaltung-gesetze für Preußen.

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II. Gruppe: Bundes- und Staats-Angehörigkeit.

Personenstand.

§ 79. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1876 in Kraft. Es bleibt den Landesregierungen überlassen, das ganze Gesetz oder auch den dritten Abschnitt und § 77 im Verordnungswege früher einzuführen. K 80. Die vor dem Tage, an welchem dieses Geietz in Kraft tritt, nach den Vorschriften des bisherigen Rechts ergangenen Aufgebote behalten ihre Wirksamkeit.

§ 81. Auf Geburts- und Sterbesälle, welche sich vor dem Tage, an welchem dieses Gesetz in Kraft tritt, ereignet haben, an diesem Tage aber noch nicht eingetragen sind, findet das gegenwärtige Gesetz mit der Maßgabe Anwendung, daß der Lauf der vorgeschricbenen Anzeigcfristen mit dem Tage beginnt, an welchem dieses Gesetz in Kraft tritt. Ein Gleiches gilt für den Fall, daß auch nur die Vornamen eines Kindes an diesem Tage noch nicht eingetragen sind.

§ 82. Die kirchlichen Verpflichtungen in Beziehung auf Taufe und Trauung werden durch dieses Gesetz nicht berührt. § 83. Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestiminungen werden, soweit dieselben nicht durch eine vom Bundesrathe erlassene Ausführungs-Verordnung getroffen werden, von den einzelnen Landes­ regierungen erlassen. § 84. Welche Behörden in jedem Bnndesstaate unter der Be­ zeichnung: höhere Verwaltungsbehörde, untere Verwaltungsbehörde, Genreindebehörde, Gemeindevorstand, Gericht erster Instanz') zu verstehen sind, wird von der Zentralbehörde des Bundesstaates bekannt gemacht?) § 85. Durch dieses Gesetz werden die Bestimmungen des Gesetzes vom 4. Mai 1870, betreffend die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes von Reichsangehörigen im Auslande?) nicht berührt. Der Reichskanzler kann einem diplomatische» Vertreter oder einem Konsul des Deutschen Reichs die allgemeine Ermächtigung zur Vornahme aon Eheschließungen und zur Beurkundung der Geburten, Heirathen und Sterbefälle, wie für Reichsangehörige, so auch für Schutzgenossen ertheilen. Diese Vorschrift tritt mit dem 1. März 1875 in Kraft. *) s. § 69 deö ReichSges. über die Angel, der frei». Gerichtsbarkeit t>. 17. Mo> 1898 (R.-G-Bl. S. 771). Zuständig ist da« Amtsgericht. ') Bek. d. Min. d. I. u. d. Just.-M. v. 17. Oktober 1899 (AM in Bl. S. 188). •) ®. betr. die Eheschließung und die Beurkundung der Personenstände« von Bundesangehörige» im Auilande v. 4. Mai 1870 iBKBl. 599) nebst Art. 40 € bai Gesetz v. 3. April 1846: ObTrib. im JMB 1863, 254; jedenfalls durch das StGB.

IV. Gruppe:

Organisation an- Anständigkeit 6er Staatsbehörden.

1. SrrorlHung1' aber bit »ernnberte Strfaffung aln obersten LlMWrdrn. Bom 27. Ottober 181V?) (GS. 1811 S. 3.)

Schon unter dem 16. Dezember 1808 (Publikandnm, betr. die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden, GS. S. 361) haben Wir eine veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden für Unsere Monarchie, jedoch nur teilweise, festgesetzt. Die seitdem hinzugekommenen Erfahrungen mib die Ernennung eines Staatskanzlers veranlassen Uns jetzt, jener Verfassung vollständige Bestimmungen durch die gegenwärtige Verordnung zu geben. Wir ordnen einen Staatsrat^) an und werden teils in diesem Allerhöchstselbst. bei persönlicher Anwesenheit darin, teils aus Unserm Kabinett Unsere Befehle und Entscheidungen erlassen. Ten Vorsitz im Staatsrat fuhrt unter Unserm Befehl der Staatskanzler. Ter Staatsrat besteht: I. aus den Prinzen unseres Hauses, welche nach erreichtem achtzehnten Lebensjahre ihren Sitz darin nehmen können, II. aus dem Staatskanzler.)^) Er hat unter unsern Befehlen die Oberaufsicht und Kontrolle jeder Verwaltung ohne Ausnahme und steht insofern an der Spitze einer jeden, daß er: *) Die in zeitlicher Beziehung vor Nr. 1 erlassene Verordnung v v in 26 D e z e m d e r 1 80 8 ir ege n v er b e s s e r t e r E i nri chtun g der P r o v i nz ia lPolizei- u ii ö Finanzbehörden ist im Auszug unter Gruppe IV. Nr. 5 a (S. 152 ff.) hinter der Instruktion für die Regierungen vom 23. Oktober 1817, deren Beilage sie ist, obgedruckt. 2) Vgl. E. Meier, Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg 1881 S. 177 ff.; Max Lehmann, Frhr. vom Stein Bd. II (1903) 6. 603, 601; E. v. Meier, Französische Einflüsse auf die Staats» und Rechts­ entwicklung Preußens im 19. Jahrh. Bd. 2 (1908) S. 205 ff. Hierzu O. Hintze, Forschungen z. brandenburgischen und preuß. Geschichte Bd. 21 (1908) S. 313 ff. ; Max Lehmann, Die preußische Reform von 1808 und die franz. Revolution, Preuß. Jahrb. Mai 1908 Bd. 132 S. 211 ff.; E. von Meier, der Minister vom Stein, die franz. Revolution und der preußische Adel, 1908. 8) Vgl. aber auch die Verordnung vom 20. März 1817 (unter Gruppe IV, Nr. 4 ^S. 132 ff.). 4) Leit dem am 26. November 1822 erfolgten Ableben des Fürsten Hardenberg ist ein Staatskanzler nicht wieder ernannt worden. Die aus ihn bezüglichen Be­ stimmungen unter II find daher außer Rechtskraft.

‘c i I c i = -2 um(i?, Derwaltu-mSgesetze für Prenken.

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

1. Rechenschaft und Auskunft über jeden Gegenstand fordern und in jedem Fall Maßregeln und Anordnungen zu dem Zweck fuspendieren kann, um unsere Befehle darüber einzuholen, oder da, wo die Bestimmung des Staatsrats eintritt, diese zu veranlassen; 2. in außerordentlichen und dringenden Fällen oder wo Wir ihn besonders dazu beauftragen, zu verfügen befugt ist. Die Behörden müssen als­ dann die Anordnungen desselben, wofür er uns verantwortlich ist, befolgen. Im Kabinett ist er Unser erster und nächster Rat, im Staatsrat Präsident desselben. Uebrigens werden ihm folgende Geschäfte besonders übertragen: 1. Soll er die Ministerien des Innern und der Finanzen über­ nehmen, bis Wir für gut finden, beide Ministerien mit eigenen Ministern zu besetzen, jedoch, da der Staatskanzler die Leitung dieser Ministerien nur im allgemeinen und in Absicht ans wichtige Gegenstände übernehmen kann, dergestalt, daß die Hauptzweige derselben besonderen für die Ausführung verantwortlichen, dem Staatskanzler untergeordneten Chefs vertraut werden; 2. denjenigen Anteil an den Geschäften des auswärtigen Departe­ ments nehmen, welcher unten näher bestimmt werden wird. Ferner besorgt er: 3. die Angelegenheiten Unsers Königlichen Hauses und Unserer Familie. 4. die Verhandlungen mit den Ständen, insofern sic vor die höchste Behörde gehören; 5. die Angelegenheiten der höheren Polizei; 6. was die Thronlehen, die höchsten geistlichen Würden, als die bischöflichen Erbümter, höhere Hoschargen, Orden, Rang und Etikette rc. und andere Hossachen betrifft. Unmittelbar untergeordnet sind ihm 7. das Archiv, 8. die OberrechniingskammerIII. Aus den Staatsministcrn oder anderen Unserer Räte, die ChesS der Verwaltungszweige sind. Die Ministerien bestehen in dem: 1. Ministerium des Innern, 2. Ministerium der Finanzen, 3. Ministerium der Justiz, 4. Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, 5. Ministerium des Krieg? dep art em ent s?) *) Durch Kabinettsordre vom 3. November 1817 (®S. S. 298) ging aus dem Ministerium des Innern das für d e u Kultus, den öffentlichen Unter­ richt und das Medizinalwesen hervor, durch die vom 11. Januar 1819 (GS. S. 2l ist das Ministerium für die Angelegenheiten des Königs. Hauses, Hossachen und höher« Hofchargen gebildet worden. Durch Verordnung vom 2. Dezember 1817 (GS. S. 304) bezw. Allerh. Ertast vom 17. April 1848 (ES. S. 109) entstand das Ministerium sürHandel, Gewerbe undöffentliche Arbeiten und durch Allerh. Erlaß vom 25. Juni 1848 iGS. S. 159) das Ministerium für die landwirtschaftlichen Angelegenheiten, jetzt Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Auf Grund de» Allerh. Er­ löstes vom 7. August 1878 (GS. 1879 S. 25) ist ein besonderes Ministerium der östentlichen Arbeiten neben dem für Handel und Gewerbe geschaffen worden. — Ter Ausdruck .Departement* ist nicht zutreffend, da der .Ches des Kriegsdepartements" zu den Staatsministern zählt.

1. Verordnung über die verändert« Verfassung aller obersten Staatsbehörden.

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Das Ministerium des Innern hat folgende Abteilungen, deren jede einen besonderen Chef erhält, welche Sitz und Stimme im Staatsrat haben: a) für die allgemeine Polizei im ausgedehntesten Sinn, dazu auch das Medizinalwesen gehört; b) für die Gewerbe und den Handel; c) für den Kultus und öffentlichen Unterricht; d) für das Postwesen. Das Ministerium der Finanzen: a) für die sämtlichen Einkünfte des Staats; b) für das Generalkasfenwesen und die Geldinstitute. IV. Aus dem Staatssekretär. Er sorgt für die eigentliche Geschäftsführung des Staatsrats, führt während der Beratung das Protokoll darüber, und kontrasigniert die von dem Staatskanzler zu vollziehenden Beschlüsse. Auch ist er Präsident der Gesetz- und Oberexaminationskommission. V. Aus Mitgliedern, die Unser allerhöchstes Vertrauen dazu besonders berufen wird. Ihre Ernennung geschieht nicht auf Lebenszeit, sondern auf die von Uns bestimmte Frist, oder für einen bestimmten Gegenstand? Soweit Wir nicht Allerhöchstselbst bei persönlicher Anwesenheit im Staatsrat Unsere Befehle und Entscheidungen erteilen, geschieht solches aus Unserm Kabinett. In diesem haben beständigen Vortrag: 1. der Staatskanzler?) 2. ein Geheimer Kabinettsrat?) 3. in Militärsachen diejenigen Militärpersonen, welche Wir dazu bestimmen?)

In Absicht auf den Geschäftsgang hat folgende Einrichtung statt: 1. alle Sachen gehen gerade zu Unserer Höchsteigenen Eröffnung an Uns; 2. Wir werden sodann befehlen, waS etwa in einzelnen Fällen sogleich, es sei in Militär- oder Hof-*) oder Zivilsachen, darauf verfügt werden soll; 3. Alles übrige wird abgesondert:

A. in Militärsachen, a) allgemeine und solche, die Einfluß auf die Landesverwaltung haben, b) rein militärische Angelegenheiten; B. in Hof-*) und Zivilsachen. Die Militärsachen werden hierauf bei der Abteilung für solche, die Hof-*) und Zivilsachen bei derjenigen, welche für diese bestimmt und wobei der Geheime Kabinettsrat angestellt ist, in die Journale eingetragen. *) Gilt nicht mehr, ist jedoch zum Verständnisse deS Ganzen notwendig, deshalb abgedruckt. ') Vgl. S. 113 Anm. 4. s) Jetzt Zivil- und Militärkabinett «MilitärverordnungSblatt von 1883 S. 56), für das Reich besteht noch das Marinekabinett. 4) Die Hosfachcn gehören jetzt zur Zuständigkeit deS Ministers des Kgl. Hauscs. 8*

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

4. . . . Sachen, die ohne Verfügung von Uns an die Behörden übergeben werden, desgleichen solche, die bloß zum Bericht gehen, werden von dem Kabinettsrat sogleich mit der nötigen Versügung versehen . . .*) 5. Alle Konzepte der ergehenden Kabinettsbefehle werben bei dem­ jenigen entworfen, welcher den Vortrag darüber bei uns gehabt hat, . . . und die Reinschriften gelangen dann an Uns zu unserer Genehmigung und Vollziehung. Erfolgt diese, so werden sie von dem Kabinettsrat abgeschickt... 6.1) 7. Ueber den Abgang der Sachen werden ebenfalls Journale sowie die eingcführten Kabinettsordrebücher gehalten. 8.1) 9. Die. . . -Ltaatsminister ... tragen Uns wöchentlich einmal . . .*) vor, wie bisher. Aus Reisen begleiten Uns nach Unserer jedesmaligen Besliminnng diejenigen, welche wir dazu auserschen werden. Bei dem bloßen Wechsel Unseres Aufenthaltes in Berlin, Potsdam, Charlotteuburg rc. kommen die vorbenannten Personen zum Vortrag, so wie es vorhin bestimmt ist Der Staatsrat

hat keine Verwaltung."» Zu seinem Wirkungskreise gehören bloß: 1. alle Gesetze, Verfassungs- und Verwaltungsnormcn, io daß sämt­ liche Vorschläge zu neuen, oder zur Aushebung und Abänderung von vorhandenen durch ihn an Uns zur Sanktion gelangen mässen. Bei ge­ heimen diplomatischen Angelegenheiten, als Bündnissen und dergleichen, tritt jedoch an die Stelle des Staatsrats der Staatskanzler; 2. diejenigen Gegenstände, bei welchen ein gemeinschaftliches Interesse verschiedener Ministerien, aber keine Vereinigung zwischen ihnen stattfindet; 3. die jährlichen schriftlichen Darstellungen der Staatsminister von ihrer Verwaltung; 4. alle solche Gegenstände, welch: an den Staatsrat entweder durch schon bestehende oder noch erfolgende Gesetze, oder in einzelnen Fällen von Uns Allerhöchst Selbst gewiesen werden, und 5. diejenigen Gegenstände, bei welchen der Staatskanzler die Aus­ führung suspendiert hat, insofern sie überhaupt zum Geschäftskreise des Staatsrats gehören; dieses kann nur Sachen und nicht Personen betreffen, in Absicht der letzten gelangt es an Uns unmittelbar. Vorgetragen im Staatsrat werden alle zu seinem Wirkungskreise gehörigen Sachen, nachdem sie vorher an ihn abgegeben worden, von den betreffenden Staatsministern und Departementschcfs selbst, jedoch so, daß iijiicn von dem Staatskanzler ein nicht administrierendes Mitglied des Staatsrats als Korreferent beigeordnet werden kann. Nach erfolgter Beratung gibt die Mehrheit der Stimmen den Be­ schluß de? Staatsrats. Ist solche zweifelhaft, so wird von allen anwesenden Mitgliedern, die Prinzen und den Präsidenten eingeschlossen, mit gleichem *) Betrifft wie alle fortgelassenen Stellen die Tätigkeit des Staatskanzlers. 2) Seine Zuständigkeit ist in 5 Ziffern geordnet gewesen. Durch Berordnung vom 20. März 1817 (GS. S. 67) eingesührt, ist er als Verwaltungsbehörde nicht tätig gewesen. Vgl. unten S. 132.

1. Verordnung über die veränderte Verfassung aller obersten Staatsbehörden.

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Stimmrecht darüber gestimmt. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Staatskanzlers den Ausschlag. Den Vorsitz dabei führt der Staatskanzler; die übrige Geschäfts­ führung liegt dem Staatssekretär ob. Dieser faßt das Protokoll über die Beratung und den Beschluß ab. Der Beschluß wird Uns zur Entscheidung vorgelegt, und zwar inso­ fern eine Verwaltungsbehörde dazu Veranlassung gab, durch diese selbst. Bei Beschlüssen über Angelegenheiten, die der Staatskanzler suspen­ diert hat, und streitigen Gegenständen, bedarf es dieser Vorlegung nicht, wenn die betreffenden Ministerien sich dabei beruhigen. Der Staatsrat versammelt sich wöchentlich einmal und, wenn cs erforderlich ist, außerordentlich. Die Prinzen Unseres Hauses ausgenommen, dürsen die übrigen Mitglieder, insofern sie nicht durch Abwesenheit oder Krankheit abgehalten sind, darin nicht fehlen. Unter dem «taatsrat unmittelbar stehen: 1. Die G e s e tz k o m m i s s i o n für die gesamte Gesetzgebung. Sobald sie neu eingerichtet sein wird, soll Uns kein Vorschlag zu einem neuen Gesetz, oder zur Abschaffung, oder Veränderung eines vorhandenen eher vorgelegt werden, bevor sie nicht darüber mit ihrem Gutachten gehört worden ist?) 2. Die Lbcrexaininationskoinmission für sämtliche Zivil­ ministerien, welche durch Prüfung zu allen Rats- und ähnlichen Stellen auf gleichmäßige Tauglichkeit aller solcher Zivilbcamten hinwirken und darnach eingerichtet werden soll. In beiden Kommissionen sührt der Staatssekretär den Vorsitz und sammelt dadurch Resultate für seine Verhältnisse im Staatsrat?) Das Plenum der wissenschaftlich-technischen Depu­ tationen sämtlicher Ministerialdepartements. Dagegen stehen nicht unter dem Staatsrat, sondern unter dem Staatskanzler unmittelbar: 1. Die Oberrechnungskammer als vorzügliches Hilfsmittel bei seiner Oberaufsicht und obersten Kontrolle der Verwaltungsbehörden. Sie ist Revisionsbehörde für alle Rechnungen und Etats, über alle und jede landesherrlichen Fonds ohne Ausnahme?) 2. Das Archiv. Bei Stellenbesetzungen dieser sämtlichen Behörden werden von dem Staatsrat und Staatskanzler die für die Staatsminister geltenden Vor­ schriften beobachtet. Die Staatsminister und die Departementschefs.

Jeder Staatsministei?) führt die ihm anvertraute Verwaltung selb­ ständig unter unmittelbarer Verantwortlichkeit gegen Uns Allerhöchst *) Diese Funktion ist seit Einführung der Verfassung-urkunde vom 31. Januar 1850 im wesentlichen erledigt. *) Die Jeff. 2 ist heute ohn« Bedeutung. Bezüglich der Justizbeamten f. § 2 der Gerichtsverfassung-gesetze- vom 27. Januar 1877, bezüglich der Beamten der all­ gemeinen Landeeverwaltung da- Gesetz vom 11. März 1879 (GS. S. 160). •) Vgl. Gesetz vom 27. März 1872 (GS. S. 278), betr. die Einrichtung und die Befugnisse der Oderrechnung-kammer. S. oben S. 55. *) Bezüglich der Kompetenz de- Staat-ministerium«, daS au- dem Ministerpräsidenten, dessen Stellvertreter und den SlaatSmintsterii besteht und die

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

Selbst. Sie berichten darüber an Uns, imb erhalten von Uns die Befehl darüber. . . ?) Dem Chef des Departements für die allgemeine Polizei*- des Mini­ steriums des Innern müssen die übrigen Minister und Departementschefs*) für das statistische Bureau alljährlich die statistischen Nachrichten ihres Geschäftsbezirks mitteilen, und so wie er sie verlangt, beschaffen. Jeder Minister und Departementsches*) muß, insofern ein Gegenstand seiner Ver­ waltung in den Wirkungskreis anderer Minister oder Tepartementschefs*) einschlägt, mit diesen Rücksprache nehmen und gemeinschaftlich verfahren; können sie sich darüber nicht vereinigen, so gehört die Sache zum Staatsrat?) (Abs. 3 Veraltet.)

Die dem einen Ministerium oder Departement*) notwendigen oder nützlichen Nachrichten des andern teilt dieses ihm unaufgefordert mit. Die in jedem Departement angestellten vortragenden Räte haben bloß beratende Stimme, die Direktoren der einzelnen Unterabteilungen aber in solchen eine entscheidende. Die Minister verfügen in ihrer Verwaltung auf ihre Verantwort­ lichkeit, jedoch sind folgende Gegenstände an Unsere Allerhöchste Genehmigung gebunden, die also eingeholt werden muß: Einheit der Verwaltung Herstellen soll (Kab.O. vom 3. Juni 1814), bestimmt die Ver Ordnung vom 3. November 1817 (GS. S. 291) VIII: „Damit das gesamte Stoatsministerium das Ganze der Verwaltung stets über­ sehe, soll jeder Minister verpflichtet sein, von Zeit zu Zeit allgemeine Uebersichten der ihm anvertrauten Geschäftszweige zur Kenntnis des Ministeriums zu bringen; insonderheit aber sollen darin vorgetragen und beraten werden: 1. alle Entwürfe zu neuen Gesetzen und Abänderungen ohne Ausnahme, bevor sie an den Staatsrat gelangen; desgleichen Anordnungen, die ein allgemeines Interesse betreffen oder in der bestehenden Berfasiung etwa« verändern; 2. die VerwaltungSrechenschaften der Oberpräsidenten für das abgelausene Jahr; 3. die Verwaltungspläne derselben für daS kümtlge Jahr; 4. die monatlichen sogenannten Zeitungsberichte der Reglerungen; 5. periodische Uebersichten vom Zustande der Generalkassen; 6. die Etats der General- und Provinzlaihauptkassen, soweit sie die laufende Verwaltllng betreffen; auch die Militäretats; 7. abweichende Ansichten zwischen den einzelnen Ministern; 8. Militäreinrichtungen, insofern sie das Land angehören; 9. die Vorschläge wegen Anstellung der Oberpräsidenten. Regierungspräsidenten und derer der obern Justizkvllegien, der Direktoren, der Obersorstmeister und mit diesen gleichen Rang habenden Beamten; 10. die Vorschläge zu vortragenden Räten bei den Departements bleiben den diese leitenden Ministern überlasten; nur müssen sie sich, wenn eS einen in einem andern Departement angestellten oder unter demselben stehenden Beamten trifft, mit dem Chef desselben darüber vereinigen. Sie. der Staatskanzler, und Sie, die Minister, können durch die bei Ihnen angestellten Räte Vortrage im Ministerium halten lasten. Wie oft das Ministerium sich versammeln müsse, wird von dem Umfange der Geschäfte abhängen." Literatur: Zorn, Die staatsrechtliche Stellung des preutz. Gesamtmini­ steriums, 1892. Gneist, Die verfassungsmäßige Stellung deS preuß. Gesamt­ ministeriums, Verwaltungsarchiv Bd. III S. 433ff. Knischewsky, DaS preußische Gesamtmlnisterium 1902. ') Vgl. S. 116 Anm. 1. *) Vgl. S. 114 Anm. 1 a. E. •) Jetzt zum Staatsministerium.

1. Beiordnung über die veränderte Berfassung aller obersten Staatsbehörden.

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1. alle Gesetze, Verfassungs- und Verwaltungsnormen, es mag auf

neue,

oder Aufhebung und Abänderung der vorhandenen ankommen;‘)

[btt Antrag gelangt an Uns durch den Staatsrat;]

2. alle Hauptetats und Planes) 3. bei Verwendung der etatsmäßigen Fonds: ai neue Besoldungen und Besoldungszulagen, wenn 1. der Fall einen Rat ihres Departements oder eine neue Art von Dienern betrifft; 2. überhaupt Normalsätze für die Zahl der Diener und der höchste Besoldungssatz für solche vorgeschrieben sind, und eine Abänderung beabsichtigt wird; b) Pensionsbewilligungen, insoweit nicht schon bestimmte Grundsätze vorgeschrieben sind, oder eine Ausnahme davon bezweckt wird; c) Gnadengeschenke und außerordentliche Unterstützungen, soweit dazu bei Unsern Dienern die Gehaltsersparnisse, und in andern Fällen der jedem Departement ausgesetzte extraordinäre Fond nicht reichen, oder bestimmte Normalsummen überschritten werden; d'i Ausgaben, die durch Veränderung der Administration oder neue Anlagen verursacht werden, oder bei Aufstellung des Etats noch nicht in Anschlag gebracht sind. 4. Nicht etatsmäßige Administrationsausgaben, welche etatSmäßig gemacht werden sollen, in den Fällen, wenn a) Unsere Genehmigung schon bei etatsmäßigen erforderlich sein würde; b) oder sie auf einen Generaletat in Ansatz kommen sollen; ei oder die erhöhte Ausgabe nicht durch erhöhte Einnahme gedeckt wird. 5. Die Ernennung der Räte bei allen Departements- und Provinzial­ landeskollegien, sowie aller Diener, die teils höher, teils mit solchen in gleicher Kategorie, nicht bloß in gleichem Range stehen und deren Be­ stallungen zu vollziehen Wir Uns vorbehalten; 6. die Erteilung von Titeln, welche den Ratscharakter geben; 7. überhaupt größere Gnadenbewilligungen. Außerdem muß jeder Staatsminister und Chef der Abteilung') der Ministerien deS Innern und der Finanzen Uns vorlegen: 8. seine jährliche Hauptrechenschaft von seiner Verwaltung durch den Staatsrat (jetzt Staatsministerium) und zwar zu der Zeit, da er die Generaletatsentwürse einreicht; 9. einen halbjährigen Hauptkassenextrakt und Abschluß seiner Ver­ waltung; der . . . Finanzminister, jedoch monatlich. Jeder Minister und Chef einer Abteilung') verfügt an die ihm unter­ geordneten Behörden für sich allein, an andere nicht ohne Rücksprache und Gemeinschaft mit dem ihnen vorgesetzten Minister oder Departementschef.') Wir wollen, daß der bisher noch immer beibehaltene Kurialstil, welcher nichts anderes ist, als der Stil des gemeinen Lebens längst ver*) Jetzt VU. vom 31. Januar 1850 Art. 62, s. oben S. 37. 8) VU. Art. 99 und 104, s. oben S. 44. 8) Der Ausdruck ist gewählt, weil dem Staatskanzler die Leitung der Ministerien des Innern und der Finanzen übertragen war; schon vor 1822 gab eS hierfür be­ sondere Minister.

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IV. Gruppe: Oigonisation und Zuständigkeit der SlaaUtbehörden.

stoffener Zeiten, in allen seinen Abstufungen von Reskripten, Dekreten und dergleichen, wie Wir es längst beabsichtigt haben, durchgängig abgeschafft und von jeder Behörde im gegenwärtigen Stil des gemeinen Lebens sowohl an Obere als an die auf gleicher Stufe stehenden oder untergebenen Be­ hörden und Personen geschrieben und verfügt werde, wie es in den inchrstcn anderen Staaten geschieht, ohne der Autorität das mindeste zu vergebe». Unser Name soll nur Gesetzen, Verordnungen und Ausfertigungen vorgesetzt werden, die Wir Selbst vollziehen. Folgsamkeit und Achtung müssen sich die verwaltenden und urteilenden Behörden durch den bei ihnen herrschenden Geist, durch ihre Handlungsweise und, wenn es nötig ist, durch die ihnen zu Gebot stehenden Mittel zu verschaffen wissen, nicht durch veraltete leere Formen. Ter Name, welchen Wir einer jeden beilegen, reicht hin, Ge­ horsam und Ehrfurcht zu gebieten. Es versteht sich hiernach von selbst, daß der Königliche Titel auch nur in Eingaben an Uns Selbst statt­ finden dürfe. Das Ministerium des Innern

hat zu seinem Wirkungskreise alle Ausübungen der obersten Gewalt, insoweit sie nicht ausdrücklich den Ministerien der Finanzen, der Justiz, des Krieges, oder anderen Behörden beigelegt sind?) Namentlich gehören dahin: A. In der Abteilung der allgemeinen Polizei:

1. Die innere Staatsversassung und alle bisher zum innern Staats­ recht gerechneten Angelegenheiten, insonderheit die ständige Verfassung und was darauf Bezug tjat ;*) wobei jedoch die Verhandlungen mit den Ständen, insofern sie von der höchsten Behörde reffortieren, dem Staatskanzler') Vorbehalten bleiben; die Aufficht aus städtische und ländliche Korporationen; das Militärwesen nach den sür das Kriegsdepartement gegebenen Be­ stimmungen ; alles, was aus die Lehnsverbindung . . . und Veränderungen bei diesen Gegenständen Bezug hat; 2. die gesamte Sicherheitspolizei; 3. das Armenwesen, Arbeits- und Krankenhäuser und alle dahin gehörigen Anstalten, auch Witwenkaffen und ähnliche Institute; 4. die Polizei der ersten Lebensbedürsnisse, Magazine aller Art zur Abwendung des Mangels und der Teuerung; 5. alle öffentlichen Anstalten zur Bequemlichkeit und zum Vergnügen, auch die Theater, mit Ausnahme der in den Residenzen, welche in Absicht auf ihre Direktion von dieser und vom Hofe reffortieren; 6. (fortgejallen); 7. die Juden und Sektierer, jedoch nicht in Beziehung auf ihren Kultus, sondern bloß aus ihre Verfassung, . . . und ihren politischen Zustand; 8. die ganze Medizinalpolizei mit allen Anstalten des Staats für die Gesundheitspflege; jedoch verbleibt die äußere Einrichtung und die *) Auf die in einzelnen Punkten erfolgte anderweitige Abgrenzung des Geschäfts­ kreises der Ministerien kann im folgenden nicht erschöpfend eingegangen werden. *) Standessachen gehören jetzt zum Mtn. d. Kgl. Hauses, A. E vom 16. August 1854 (GS S. 516). •) Insoweit verwaltet.

1. Verordnung über di« veränderte Verfassung aller obersten Staatsbehörden.

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Verwaltung des Militärmedizinalwesens nebst der Pepiniere für die Militärärzte und deren Ernennung der Militärbehörde (jetzt ist das Kultusministerium zuständig); 9. die Mitaussicht aus die Provinzialregierungen, und die Konkurrenz bei der Besetzung derselben, mit den Abteilungen für die Gewerbe, für die öffentlichen Einkünfte, für das Generalkaffenwesen, für den Kultus und öffentlichen Unterricht. Die Initiative hat diejenige Abteilung, von welcher die zu besetzende Stelle vorzüglich ressortiert. Das Resultat wird dem .. . Minister des Innern und der Finanzen zur Genehmigung vorgelegt; 10. die Sammlung und Zusammenstellung aller statistischen Nachrichten; 11. die Zensur aller Schriften, welche nicht politischen Inhalts sind, jedoch behalten Wir Uns vor, wegen der Zensurfreiheit der gelehrten und wissenschaftlichen Institute besondere Bestimmungen festzusetzen?) An Unsere Genehmigung sind in dem Wirkungskreise der Abteilung für die allgemeine Polizei noch besonders gebunden: 1. außerordentliche ständische Versammlungen; 2. die Wahl ständiger Repräsentanten; 3. die Verleihung weltlicher Stistspräbenden;2) 4. die Besetzung der Oberbürgermeister- und Polizeidirigenteiistellen in allen größeren Städten;') 5. die Anstellung der Mitglieder bei der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen, der ersten Aerzte oder Direktoren bei größeren Medizinalinstituten in den Hauptstädten; auch der medizinischen Lehrer bei den Bildungsanstalten für das Medizinalpersonal, die nicht mit den Universitäten verbunden sind?) Unmittelbar unter dem Minister des Innern stehen; 1. die Provinzialregicrungen, insofern es das Ressort desselben betrifft; 2. die Stände und ihre Behörden, soweit dabei eine Aussicht des Staats eintritt, . . .; 3. der Polizeipräsident der Residenz Berlin; 4. die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen, welche das ausgehobene Oberkollegium medicum et sanitatis, auch medicochirurgicum vertritt;4) 5. die eigenen allgemeinen Bildungsanstalten für das Medizinal­ wesen ;4) 6. die Charitä in Berlin;4) 7. das statistische Bureau?) 8. Die Ministerien für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, für Handel und Gewerbe sowie das Ministerium für öffentliche Arbeiten haben zu ihrem Geschästskreise alles, waS auf den Gang der Gewerbe bei der Nation, also der Produktion, Fabri­ kation und den Handel Bezug hat. Namentlich gehören dahin: 1. die ganze landwirtschaftliche Polizei (wohin das Domänen- und ') s) *) 4) *)

BU. Ar,. 27, s. oben S. 32. Tom- und Fräuleinstifter. Jetzt nach Maßgabe der Städteordnungen. Jetzt Kultusministerium. Jetzt „Statistisches LandeSamt".

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

Domünenforstwesen selbst nicht gehört), alle Anstalten zur Beförderung der Landwirtschast, Gemeinheitsteilungen, Meliorationen, das Landgestüt­ wesen, letzteres jedoch nur in Hinsicht der Gewerbepolizei und gemeinschastlich mit dein Oberstallmeister;*) 2. die Polizei der Fabrikation, . . die Schauanftalten (jetzt Min. s. Handel u. Gew.); daS gesamte Bauwesen (jetzt Min. f. öffentl. Arbeiten) nnd das Münzwesen (jetzt Fin.-Min.), insofern es die Fabrikation und das Polizeiliche dabei angeht, gemeinschaftlich mit der Abteilung des Finanzministeriums für die Generalkassen und Geldinstitute, welche das Finanzielle dabei zu besorgen hat; 3. die Polizei des Handels im weitesten Umfange des Wortes, also alle Bestimmungen über den in- und ausländischen Handel, alle Anord­ nungen über den Verkehr mit inländischen Produkten, die Marktrechte. Taren, alle Anstalten und Meliorationen zur Beförderung des Handels (jetzt Min. f. Handel u. Gew.), die Sorge für die Seehäfen, Schiffbarmachung der Ströme, Anlegung von Kanälen, Chausseen und Landstraßen. (Jetzt Min. f. öffentl. Arbeiten.) 4. Die Mitaufsicht mit der oben erwähnten Abteilung des Finanz­ ministeriums auf die Geldinstitute, namentlich Bank, Seehandlung, die Geldinstitute und das Kreditwesen der Provinzen, Korporationen und Gemeinden, mithin auch auf die landschaftlichen Kreditsysteme, in gewerbe­ polizeilicher Rücksicht. Die Bank, die Seehandlung und alle Geldgeschäfte selbst leitet, insofern der Staat dabei konkurriert, jene Abteilung?)

5. Die Salzfabrikation, die Porzellanmanufaktur und alle sonst für Rechnung des Staats gehende Fabrikation. Die Salzeinkünfte werden bei dem Finanzministerium von der oben erwähnten Abteilung verwaltet. (Jetzt Min. f. Handel u. Gew.) 6. Das gesamte Berg- und Hüttenwesen, mit Inbegriff der Braun­ kohlen und des Toris aus Domänengründen und der Ausübung des Bergregals und der Bergpolizei, die landesherrlichen Gießereien, besonders des Geschützes und der Ammunition, der Gewehrsabriken nnd Pulver­ mühlen, in Konkurrenz mit dem Kriegsdepartement. (Jetzt Min. s. Handel u. Gew.) Zu unserer Genehmigung müssen die Minister außer den allgemeinen Gegenständen noch vorlegen: 1. alle Meliorationspläne; 2. gemeinschaftlich mit der Abteilung des Finanzministeriums für die Generalkassen und Geldinstitute alle die Münzarten und den Münz­ fuß, überhaupt das Geld und die öffentlichen Papiere betreffende neuen Vorschläge (zuständig heute nur der Finanzministerl;

3. die Anstellung der obern und Ratsstellen bei dem Salz-, Bergund Hütten-, auch Torfwesen und der Porzellanmanufaktur, wie auch der Mitglieder bei der technischen Gewerbe- . . . Deputation. *) Jetzt gehören auch die Domänen, Forsten und das Gestütwesen zum Min. f. Landwirtschaft. ’) Nur Privatbanken unterstehen aber heute dem Min. f. Handel u. Gew.

1. Verordnung über die veränderte Verfassung aller obersten Staatsbehörden.

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Unmittelbar unter den Ministern stehen: 1. die Regierungen in Absicht auf deren Ressort; 2. die technische Gewerbe- und Handelsdeputation, welche aus einigen Staatsbeamten, aus Gelehrten und Künstlern, Landwirten, Manusakturisten und Kaufleuten bestehen soll, und deren sich auch der Finanz­ minister bedienen kann (heute dieser allein); 3. (die technische Oberbaudeputotion ist fortgefallen).

Die Bauten bei Unsern Schlössern und Palais in und bei Berlin, Potsdam rc. gehören zum Hofmarschallamt, unter dessen alleinigem Befehl die Schloßbaukommission steht; 4. die Fabrikenkommissarien, die aber zunächst den Provinzial­ regierungen untergeordnet sind, auch der technischen Erwerbsdeputation dienen (heute Gewerberäte); 5. die Münze, gemeinschaftlich mit der erwähnten Abteilung des Finanzministeriums und nach den übrigen Bestimmungen (heute nur unter dem Fm.-Min.); 6. die Konsulate in Sachen der Gewerbepolizei (heute Reichssache, RB. Art. 48); 7. die Leitung des Salz-, Berg- und Hüttenwesens, dem ein Ober­ berghauptmann als Direktor vorgesetzt ist, unter dem die Oberbergämter stehen; 8. die Direktion der Porzellanmanufaktur. C. Das Ministerium der geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten hat zum Wirkungskreis alles, was als Religionsübung, Erziehung und Bildung für Wlssenschaft und Kunst ein Gegenstand der Fürsorge des Staats ist. Namentlich gehören dahin: . . . Es folgen detaillierte Vorschriften über den Vtirkungs- und Geschäftskreis dieses Ministerium», sowie desjenigen der Finanzen, der Justiz, der auswärtigen An> gelegenheilen und des Kriegs. Vgl. oben Sinnt. 1 auf S. 120.

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

2. £rbrt WM Ernennung des Uliniitcrii.'1 V»m 3. jnnt 1814. (®S

1814 S. 4U.,

Die jo glücklich veränderten Verhältnisse, welche dem Staate einen dauerhaften Frieden und eine beträchtliche Ausdehnung seiner Grenzen sichern, machen eine, jenen Verhältnissen angemessene und vollständige Organisation seiner inneren Verwaltung notwendig. Ich will daher den Ansang dazu, mittelst Besetzung der bisher vakanten Ministerien um so mehr machen, als das Interesse Meines Reiches und das von Europa Meine Rückkehr nach Berlin noch etwa verzögern wird, Ihre Gegenwart bei Meiner Person fortwährend erforderlich ist und das Ministerium mittlerweile, neben der Leitung der Geschäfte die erwähnte Organisation vorbereiten und den Plan Mir bei Meiner Rückkunft zur Entscheidung vorlegen kann. Ich hebe dieseinnach die nur für die Dauer des Krieges gestellten Militär-Gouvernements zwischen der russischen Grenze und der Weichsel, zwischen Weichsel und Oder, zwischen der Oder und Elbe, des­ gleichen das von Schlesien hiermit auf, und übertrage die Geschäfte der­ selben nach ihrer verschiedenen Beschaffenheit den Ministerien, den in den Militär-Divisionen anzustellenden koininandierenden Generalen und den ordentlichen Landes-Behörden. In den Provinzen links der Elbe bleiben die Militär-Gouvernements vorerst noch bestehen, jedoch unter der oberen Leitung der Ministerien und der kominanöierenden Generale, an die sie nach Beschaffenheit der Gegenstände zu berichten haben. Das Ministerium soll unter Ihrem Vorsitze bestehen, 1. aus dem der auswärtigen Angelegenheiten, 2. der Justiz, 3. der Finanzen und des Handels, 4. des Krieges, 5. der Polizei?) 6. des Inneren, sich wöchentlich einmal oder falls es nötig ist, mehrmals versammeln und allgemeine Gegenstände, desgleichen solche, wo die Ressorts ineinander greisen und eine gemeinschaftliche lleberlegung erforderlich ist, miteinander beraten. Ihre Verhältnisse als Staatskanzler bleiben im ganzen dieselben, wie sie in der Verordnung vom 27. Oktober 1810 bestimmt sind. Alle Berichte der Ministerii und der Minister an Mich werden Ihnen ohne Ausnahme zugeschickt, damit Sie die Uebersicht der ganzen Verwaltung behalten und nötigenfalls Mir Ihre Meinung darüber abgeben können. Sie legen Mir sodann, nach Beschaffenheit der Gegenstände, diese Berichte selbst vor und mä hen Mir entweder daraus Vortrag, oder überlassen l) Gerichtet an den Staatskanzler. Wegen dessen s. oben S. 113, Anm. 4. s) DaS Ministerium der Polizei wurte durch KO vom 11. Juni 1819, TS S. 2, mit dem Ministerium des Inneren wieder vereinigt.

2. Ordre wegen Ernennung des Ministeril.

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solches den Ministern oder den bei Meinem Militär- und Zivil-Kabinett angesiellten vortragenden Personen. . . .*) Es ist fortwährend Meine Absicht, daß der Staatsrat sobald als möglich in Aktivität komme und aus den Prinzen Meines Hauses, Ihnen als Präsidenten, den Staatsministern und den Personen, die Ich außerdem zu Mitgliedern desselben zu ernennen für gut finden werde, bestehen soll; jedoch soll derselbe keine Art der Lerwaltung führen, sondern nur über allgemeine Gesetze, nachdem solche vorher in der Gesetz-Kom­ mission geprüft worden sind,*) oder über besondere Gegenstände nach Meinem ausdrücklichen Befehl sich beraten. Ich halte Mir vor, über die Anordnung desselben, sowie über die der ständigen Verfassung und Repräsentation nach Meiner Rückkehr einen Beschluß zu fassen. Das Ministeriuin hat nicht nur nach den vorstehenden Grundzügen, sondern auch über eine völlig zweckmäßige Organisation der Provinzialund Lokal- sowie auch der untergeordneten Verwattungs- und Polizei­ behörden sein Gutachten abzugeben, vorzüglich aber zu beachten, daß jedes Ministerium seine eignen, von den übrigen unabhängigen Organe erhalte, damit eine rasche, durch unnütze Korrespondenz der Behörden nicht ge­ lähmte Ausführung der beschlossenen Maßregeln möglich toeroe, ferner, daß der Plan so einfach als möglich angelegt werde, damit aus der einen Seile unnützer Aufwand vermieden, aus der anderen aber die anzustcllenden Beamten nach einem zu entwersen-cn Normal-Etat hinreichend belohnt werden mögen. Tic letzten drei Lätze sind veraltet. 's Tiese Warte sind gegenstandslos, exüln:!.

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126

IV Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

3. Kkrortnnnj wegen verdeßerler 6iorii|tu«g der PminMlbehördeii. Sem 30. April 1815. (SS. S. 85.)

Bei der definitiven Besitznahme der mit Unserer Monarchie ver­ einigten Provinzen sind Wir zugleich darauf bedacht gewesen, den Pro­ vinzialbehörden in dem ganzen Umfange Unserer Staaten eine verein­ fachte und verbesserte Einrichtung zu geben, ihre Berwaltungsbezirke zweck­ mäßig einzuteilen und in dem Geschäftsbetriebe selbst mit der kollegialischen Form, welche Achtung für die Verfassung, Gleichförmigkeit des Verfahrens, Liberalität und Unparteilichkeit sichert, alle Vorteile der freien Benutzung des persönlichen Talents und eines wirksamen Vertrauens zu verbinden. Wir haben dabei alle älteren, durch Erfahrung bewährt gefundenen Einrichtungen bestehen lassen, und sind bei den hinzugefügten neueren Bestimmungen von dem Grundsätze ausgegangen, jedem Hauptadministra­ tionszweige durch eine richtig abgegrenzte kraftvolle Stellung der Unter­ behörden eine größere Tätigkeit zu geben, das schrijtliche Verfahren ab­ zukürzen, die minder wichtigen Gegenstände ohne zeitraubende Formen zu betreiben, dagegen aber für alle wichtigen Landesgeschäfte eine desto reifere und gründlichere Beratung eintreten zu lassen, um dadurch die in Unserer Kabinettsordre vom 3. Juni v. I.') über die neue Organisation der Ministerien angedeuteten Zwecke durch ein harmonisches Zusammenwirken aller Staatsbehörden desto gewisser zu erreichen. Demzufolge verordnen Wir:

§ 1.

1. Der preußische Staat wird in zehn*) Provinzen geteilt; 2. eine oder mehr Provinzen zusammengenommen werden eine Militärabteilung bilden, deren überhaupt fünf sein sollen (umiliet); 3. jede Provinz wird in zwei oder mehr Regierungsbezirke geteilt, deren überhaupt fünfundzwanzig (jetzt siebenunddreißig einschließlich Sigmaringen und Berlin) sein werden; 4. Die Einteilung in Provinzen und Regierungs­ bezirke wird dieser Verordnung besonders beigefügt. (Jetzt ohne Bedeutung.»

§ 2.

In jeder Provinz wird ein Oberpräsident die Verwaltung derjenigen allgemeinen Landesangelegenheiten führen, welche zweckmäßiger der Ausführung einer Behörde anvertraut werden, deren Wirksamkeit nicht auf einen einzelnen Regierungsbezirk beschränkt ist. *) Vgl. die vorhergehende Nr. 2. *) Bon diesen sind Kleve-Berg und Sroßherzogtum Niederrhein zur Nheinprovinz vereinigt; hinzutraten Schleswig-Holstein, Hannover, Hessen-Nassau. Die Vereinigung der Provinzen Ost- und Westpreutzen im Jahre 1829 ist seit 1877 wieder beseitigt, so daß jetzt zwölf Provinzen bestehen.

3. Verordnung weg. verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden. §§ 1—8.

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§ 3.

Zu diesen Gegenständen gehören: 1. alle ständischen Angelegenheiten, soweit der Staat verfassungs­ mäßig daraus einwirkt; 2. die Aussicht auf die Verwaltung aller öffentlichen Institute, die nicht ausschließlich für einen einzelnen Regierungsbezirk eingerichtet und bestimmt sind. Die Kreditsysteme find hiervon ausgenommen, da die Hauptdirek­ tionen derselben unmittelbar dem Minister sür Landwirtschaft, Do­ mänen und Forsten untergeordnet bleiben. 3. Allgemeine Sicherheitsmaßregeln in dringenden Fällen, soweit sie sich über die Grenze eines einzelnen Regierungsbezirks hinaus erstrecken; 4. alle Militärmaßregeln in außerordentlichen Fällen, in welche die Zivilverwaltung gesetzlich einwirkt, soweit sie die ganze Oberpräsidentur betreffen. Der Oberpräsident handelt in solchen Fällen gemeinschaftlich mit dem kommandierenden General der Militärdivifion (jetzt Armeekorps). 5. Die obere Leitung der Angelegenheiten des Kultus, des öffent­ lichen Unterrichts unb des Medizinalwesens in der Oberpräsidentur. Für diese wichtigen Zweige der inneren Verwaltung finden Wir nötig, am Hauptorte jeder Oberpräsidentur besondere Behörden zu bilden, in welchen der Oberpräsident den Vorsitz führen soll.

§ 4. Die Oberpräsidenten bilden keine Mittelinstanz zwischen den Ministerien und Regierungen, sondern sie leiten die ihnen anvertrauten Geschäfte unter ihrer besonderen Verantwortlichkeit als beständige Kommissarien des Ministeriums. Eine besondere Instruktion, welche die Lokalität jeder Provinz berücksichtigt, soll die Gegenstände, in welche die Wirksamkeit der Oberpräsidenten eingreift, noch näher auseinandersetzen. § 5. In jedem Regierungsbezirk besteht (der Regel nach ein OberlandeSgericht für die Verwaltung der Justiz und) eine Regierung sür die Landes­ polizei und für die Finanzangelegenheiten.

(Einige Regierungsbezirke werden indessen, vorerst vereint mit einem andern, ein Oberlandesgericht besitzen.)

[$ 6. Den Oberlandeigerichten verbleibt die gesamte Rechtspflege, dai Bormundschafts-, Privatlehns- und Hypothekwesen; die Abnahme der verfassungsmäßig üblichen Huldigungen bei Besitzerwerben und die Bekanntmachung der Gesetze, welche die Ergänzung und Berichtigung des Land- und Provinzialrecht» und der Gerichts­ ordnungen betreffen, oder sich auf den Geschäftsbetrieb bei den gerichtlichen Behörden beziehen. $ 7. Die Oberlandesgerichte werben hiernach für einen oder zwei Bezirke eingerichiet, welch« den Regierungen zugeteilt find, und der Justizminister soll dieserhalb da» Weitere unverzüglich ins Werk fetzen. Das Kammergericht zu Berlin soll sich über die Stadt Berlin und den Bezirk der Regierung zu Potsdam erstrecken.

$ 8. Wo die Lokalität es gestattet, soll das OberlandeSgericht feinen Sitz an dem Orte haben, welcher der Regierung zum Sitz angewiesen worden.)'). Berlin soll der Sitz des Kammergerichtes bleiben. *) Jetzt gilt bezüglich der Bildung der OberlandeSgericht« AG. z. GVG. vom 24. April 1878 (GS S. 2301 § 47 und Gesetz vom 4. März 1878 (SS. S. 109) § 13, ihre Zuständigkeit nach § 123 GAG und § 49 AG., s. auch Gesetz vom 21. Sept. 1899 (GS. 249) Art/130 VH.

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IV. Grupp«: Organisation und Zuständigkeit der Staatrbehörden

§ 9. Die den Regierungen zugeteillen Geschäfte der inneren Ver­ waltung werden von dem Regierungspräsidenten und in zwei Hauptabteilungen bearbeitet, die unter einem Präsidenten vereinigt sind, und nur bei Gegenständen, die eine gemeinschaftliche Beratung erfordern, zusammentreten und eine Behörde bilden. Die Direktoren und Räte beider Abteilungen heißen Regierungs­ direktoren (jetzt Oberregierungsräte) und Regierungsräte. » 10. Die bisherigen fünf Deputationen werden Landesökonomiekollegieu.^

aufgehoben,

desgleichen

die

§ 11 Die erste Hauptabteilung (jetzt der Regierungspräsi­ dent) bearbeitet sämtliche von den Ministern der auswärtigen Angelegen­ heiten, des Innern, des Kriegs und (der Polizei, in Gemätzheit der Ordre vom Juni 1811] für Handel UNd Gewerbe, der öffentlichen Arbeiten und für Landwirtschaft, Domänen und Forsten abhäugende Angelegenheiten. Sie (er) ist daher das Organ dieser Minister. § 12 Die Disziplin und Besetzung der Stellen rcssvrtiert vom Minister des Innern, mit Ausschluß derjenigen Räte, welche die zum Geschäftskreise des Polizeimiuisters gehörenden Angelegenheiten bearbeiten und vom Polizeiniiuistcr angestellt werden. (Ein Polizeiministcrium be­ steht nicht mehr.)

§ 13. Ter Regierungspräsident verwaltet: 1. die inneren Angelegenheiten der Landeshoheit, als: ständische, Verfassungs-, Landes-, Grenz-, Huldigungs-, (Abfahrt-und-ldsckMachen.Zmfür, Publikation her besetze durch das Amtsblatts;

2. die Landespolizei, als: die Polizei der allgemeinen Sicherheit, der Lebensmittel und andere Gegenstände; das Armenwesen, die Vorsorge zur Abwendung allgemeiner Beschädigungen, die Besscrungshüuser, die milden Stiftungen und ähnliche öffentliche Anstalten, die Aussicht aut Koinmunen und Korporationen, die keinen gewerblichen Zweck haben; 3. Die Militärsachen, bei denen die Einwirkung der Zivilverwaltung stattfindet, als Rekrutierung, Verabschiedung, Mobilmachung, Verpflegung, Märsche, Servis, Festungsbau. § 14. Ausgenommen von der Bearbeitung des Regierungs­ präsidenten sind: 1. die den Oberpräsidenten zugeteilten Gegenstände (§ 3); 2. die den Oberlandcsgerichten beigclegte Publikation der Gesetze (§ 6); *) 3. die Polizei der Gewerbe, mit Einschluß der Aussicht auf die Korporationen, die einen gewerblichen Zweck haben. (Jetzt nicht mehr ausgenommen.)

§ 15. Für die Kirchen- und Schulsachen besteht im Hauptort jeder Provinz ein Konsistoriums) (dessen Präsident der OderprSsident ist]. Dieses übt in Rücksicht auf die Protestanten die Konsistorialrechtc aus; [in Rücksicht aus die Römisch-Katholischen hat cs die landesherrlichen Rechte circa sacra zu verwalten. In Rücksicht aus alle übrigen ReUgionepartelen übt es diejenige Aufsicht aus, die der Staatszweck erfordert und die Gewissensfreiheit gestaltet.^

Dgl. die vorhergehende Anmerkung. 2) Von den Provinzialkonfistorien wurden die Provinzialschulkollegieu abgezweigt, KabO. vom 31. Dez. 1825 (GS 1826 S. 5).

3. Verordnung weg. verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden. §§ 9— 26.

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§ 16. Alle Unterrichts- und Bildungsanstalten stehen gleichfalls unter diesen Konsistorien mit Ausnahme der Universitäten, welche un­ mittelbar dem Ministerium der geistlichen Angelegenheiten unter­ geordnet bleiben. (Jeder Oberpräfident ist jedoch als beständiger KommissariuS dieses Ministeriums Kurator der Universität, die sich in der ihm anvertrauten Provinz befindet!

§ 17. In jedem Regierungsbezirk, worin kein Konsistorium besteht, ist eine Kirchen- und Schulkommission von Geistlichen und Schulmännern, die unter Leitung und nach Anweisung des Konsistoriums diejenigen Ge­ schäfte desselben besorgt, die einer nähern persönlichen Einwirkung bedürfen?)

§ 18. Die Direktion dieser .Kommission führt ein Mitglied der Regierung, welches im Regierungskollegium den Vortrag derjenigen Konsistorialangelegenheiten hat, die eine Mitwirkung der Regierungen er­ fordern. Diese Direktoren müssen wenigstens jährlich einmal im Konsi­ storium erscheinen, worin sie als Räte Sitz und Stimme haben, und einen allgemeinen Vortrag über die besonderen Verhältnisse der Konsistorial­ angelegenheiten ihres Regierungsbezirks machen?) § 19. Die Regierungsinstruktion enthält die nähern Bestimmungen über die Einwirkung der Regierung in den Schulsachen und deren Ver­ hältnisse gegen das Konsistorium der Oberpräsidenten (§ 15). § 29. Für die Medizinalpolizei besteht im Hauptort jeder Provinz ein Medizinalkollegium unter Leitung des Oberpräsidenten. li 21. In jedem Regierungsbezirk, worin kein Medizinalkollegium ist, besteht eine Samtätskommission von Aerzten, Chirurgen und Apothekern, die unter der Leitung und nach Anweisung des Medizinalkollegiums alle Geschäfte desselben besorgt, die einer näheren persönlichen Einwirkung bedürfen.

$ 22. Die Direktion dieser Kommission führt ein Mitglied der Regierung, welches die Medizinalangelegenheiten, die deren Einwirkung bedürfen, bei derselben zugleich bearbeitet und in dieser Eigenschaft in regelmäßiger Beziehung mit dem Medizinalkollegium der Provinz stehtJ

§ 23. Die Beschäftigungen des Medizinalrats und sein Verhältnis gegen die Regierung sowie gegen den Medizinalrat der Oberpräsidentur wird die Regierungsinstruktion ergeben. K 24. Die zweite Hauptabteilung (jetzt Finanzabteilung) der Re­ gierung verwaltet sämtliche Geschäfte, welche nach der Ordre vom 3. Juni 1814 der obern Leitung des Finanzministers anvertraut sind. Sie ist das Organ dieses Ministers. K 25.

Die

Disziplin

und

Besetzung

der

Stellen gehört dem

Finanzminister.

§ 26. Diese zweite (jetzt Finanz-)Abteilung der Regierung verwaltet: 1. das gesamte Staatseinkommen ihres Bezirks, insofern nicht für einzelne Zweige besondere Behörden ausdrücklich bestellt sind, namentlich für ') Jetzt Regierungsabteilung für Kirchen- und Schulwesen. 51 i. e r = 5 o :n (c, Brrwaltuilgsgesetze für Preußen.

9

130

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

die Bergwerks» und Salzangelegenheiten)'), also sämtliche Domänen,

ssäkularisierte

Täters Forsten, Regalien, Steuern, sAkzises und Zölle; 2. die Gewerbepolizei in Rücksicht aus Handel, Fabriken, Handwerk und gewerbliche Korporationen (jetzt Abteilung des Innern); 3. das Bauwesen, sowohl in Rücksicht auf Land- als Wasserbau (wie zu 2).

§ 27. Der Geschäftsbetrieb bei den beiden Abteilungen der Re­ gierung ist in allen Angelegenheiten, worin ein anderes nicht ausdrücklich festgesetzt wird, kollegialisch, doch so, daß jede Abteilung in der Regel ihre eigenen abgesonderten Vorträge hat. § 28. Der Präsident, unter dessen Vorsitz die beiden Abteilungen der Regierung vereinigt sind, ist das Organ des Staatsministeriuins, welches über seine Anstellung gemeinschaftlich an Uns berichtet. [§ 29. Der Polizeimunster und die zweite Sektion deS Ministeriums der aus­ wärtigen Angelegenheiten, deren Organ die erste Abteilung der Negierung ist, richten alle Verfügungen in Sachen ihres Ressorts an den Präfidenten. 8 30. So oft an die Regierung zu Präsidenten.^

der Kriegs- und der Justizminister in Sachen ihres Ressorts verfügen nötig haben, richten sie ihre Verfügungen an den

§ 31. Der Präsident bestimmt, wann und zu welchem Zweck beide Hauptabteilungen der Regierung zu gemcinsanier Beratung zusammen­ treten (§ 9). [§ 32 Dir Präsident der Regierung an dem Hauptvrt der Provinz ist ber jedesmalige Oberpräsident und führt diesen Titel (§ 2)]!)

§ 33. Die Organe, deren sich die erste Abteilung der Regierung zur Vollziehung ihrer Verfügungen bedient, sind die Landrüte.

K 34.

Jeder Kreis hat einen Landrat.

§ 35. Jeder Regierungsbezirk wird in Kreise eingeteilt. In der Regel soll die schon stattfindende Einteilung beibehalten werden. Wo jedoch keine Kreiseinteilung vorhanden oder die vorhandene für eine ge­ hörige Verwaltung unangemessen ist, soll mit möglichster Berücksichtigung früherer Verhältnisse eine angemessene Einteilung sofort bewirkt werden. § 36. Alle Ortschaften, die in den Grenzen eines KreiseS liegen, gehören zu demselben und sind der landrätlichen Aufsicht untergeordnet, doch sollen alle ansehnlichen Städte mit derjenigen Umgebung, die mit ihren städtischen Verhältnissen in wesentlicher Berührung stehen, eigene Kreise bilden.') (8 37. Die Organisationskommissarien müssen die hierzu geeigneten Städte in jedem Regierungsbezirk bestimmen und die Umgebung festjehen.j

§ 38. Der Polizeidirigent Stelle des Landrats.

in einer solchen Stadt vertritt die

[§ 39. Bis zu erfolgter Einteilung der Regierungsbezirke in Kreise behalten Wir Uns die Verordnung über die Organisation der Landräte und deren Instruktion vor *) Jetzt Min. f. Handel und Gew. 2) Jetzt LVG. § 17, s. Gruppe IV, Rr. 4. 8) Kreisordnungen §§ 3, 4, ZG. § 2, s. unter Gruppe IX, C.

3. Verordnung weg. verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden. §§ 26—45.

131

und setzen zugleich fest, daß die bisherigen Kreisbehörden, unter welchen Namen sie auch eingerichtet sind, bis zur vollständigen Organisation der Kreisverwaltung in Tätigkeit bleiben.]

§ 40. Die Organe der Finanz-Abteilung der Regierung sind: 1. die Landräte und die ihre Stelle vertretenden Polizeibehörden behufs der Aufsicht auf die direkte Steuererhebung [unb in Angelegenheiten der Gewerbepolizei]:

2. die für die einzelnen Zweige der Verwaltung des öffentlichen Einkommens angestellten Unterbehörden und Finanzbedienten; [3. die Baubedienten, Fabrikkommissarien und andere technische Beamte.]

§ 1. 2. 3.

41. Die Organe der Oberpräsidenten sind: die Regierungen; die Konsistorien (jetzt nur die Provinzialschulkollegien); die Medizinalkollegien.

§ 42. Die Organe der Konsistorien sind [bet Schulrat be« Regierungs­ die Geistlichen [unb Schulinspektoren.]*)

bezirk unb]

[S 48. Das Organ des Medizinalkollegiums ist der Medizinalrat des 9ie= gierungsbezirks, der sich wiederum der Landräte als seiner Organe bedient.]

§ 44. In Ansehung der Disziplin und der Anstellung ist jede llnterbehörde von derjenigen Hauptabteilung der Regierung abhängig, deren Organ sie ist. Die Landräte ressortieren jedoch ausschließlich von der ersten Haupt­ abteilung (jetzt vom Regierungspräsidenten). [# 45. landesgerichte Dienstalter.]

Die Präsidenten, Direktoren und Räte der Regierungen und Ober­ haben gleichen Rang. Der Vorrang gebührt eintretendenfalls dem

') Tie Schulinspektoren ressortieren jetzt von der Regierung.

132

IV Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

1. Strorbnung argen (finfiifjrung bts etaaßraß. Bo« 20. März 1817?) (GS. S. 67.)

Wir Friedrich Wilhelm rc. rc. haben in Unserer Verordnung vom 27. Oktober 1810, betr. die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden, die Bestimmungen gegeben, nach welchen die obere Verwaltung Unseres Staats [unter der Oberaussicht und Kontrolle des Staatskanzlers^j geführt werden soll. Späterhin haben Wir durch einen Kabinettsbefehl vom 3. Juni 1814 unter dem Vorsitz des Staatskanzlers ein Staats­ ministerium angeordnet und dabei seine Verhältnisse als solcher im ganzen unverändert gelassen, (insonderheit aber verordnet, daß alle Berichte des Ministerii und der Minister an Uns ihm ohne Ausnahme zugeschiekt werden sollen, damit er die Uebersicht der ganzen Verwaltung behalte und Uns nötigenfalls seine Meinung darüber abgeben könne. Wir haben ihm überlassen. Uns sodann nach Beschaffenheit der Gegen­ stände diese Berichte Selbst vorzulegen und Uns Vortrag daraus zu machen, oder solches den Ministern, oder den bei Unserm Militär- oder Zivilkabinett angestellten vor­ tragenden Personen zu übertragen.]’)

Alle diese Einrichtungen bestätigen Wir und wollen, daß sie auch fernerhin genau beobachtet werden. Wir setzen auch fest, daß jeder Staats­ minister mit dem Ende des Februars eine Darstellung seiner Verwaltung im abgelanseneu Jahre an Uns ablege (und bei dem Staat-kanzler «inreiches'j Wir wollen aber nunmehr auch den schon in der obenerwähnten Verordnung vom 27. Oktober 1810 und in Unserm Kabinettsbefehl vom 3. Jnni 1814 bestimmten Staatsrat in Wirksamkeit treten lassen, nachdem die Hindernisse jetzt gehoben sind, die sich derselben in den Begebenheiten der Zeit entgegengesetzt haben, und die Organisation der verwaltenden Be­ hörden so weit vorgeschritten ist, daß der Staatsrat den beabsichtigten Zweck erfüllen kann. Diesemnach setzen Wir folgendes hiermit fest: 1. Der Staatsrat wird den 30. März 1817 eröffnet und tritt von diesem Tage an in Wirksamkeit. Er wird feine Sitzungen in Unserm Königlichen Schlosse in der Residenzstadt Berlin halten. 2. Der versammelte Staatsrat ist für Uns die höchste beratende Be­ hörde; er hat durchaus keinen Anteil an der Verwaltung. Zu seinem Wirkungskreise gehören die Grundsätze, nach denen ver­ waltet werden soll, mithin: [») Alle Gesetze, Verfassung-- und Verwaltung-normen, Pläne über Verwaltungs­ gegenstände, durch welche di« Verwaltung-grundsätze abgeändert worden, und Beratungen über allgemeine Verwaltung-maßregeln, zu welchen die Ministerial-

*) Vgl. auch VO., betr. Vereinfachung der Beratungen des Staatsrats vom 6. Jan. 1848 (GS. S. 15), wonach der Staat-rat nur nach Bestimmung des Königs zusammentritl. Durch da» Jahr 1848 außer Wirksamkeit gesetzt, ist der Staatsrat durch Allerh. E- vom 12. Januar 1852 (Min.-Bl. S. 21) reaktiviert worden. In den Jahren 1881 und 1884 ist er zuletzt einberufen gewesen < Sozialgesetzgebung). ’) Bezieht sich auf den Staatskanzler. Wegen besten s. oben S. 113 Anm. 4.

133

4. Verordnung wegen Einführung des Staatsrats.

behörden verfassungsmäßig nicht autorisiert sind, dergestalt, daß sämtliche Vor­ schläge zu neuen oder zur Aufhebung, Abänderung und authentischen Deklaration von bestehenden Gesetzen und Einrichtungen durch ihn an Uns zur Sanktion gelangen müssen. Tie Einwirkung der künftigen Landesrepräsentanten bei der Gesetzgebung wird durch die infolge Unserer Verordnung vom 22 Mai 1815 auszuarbeitende Verfassungsurkunde näher bestimmt werden. b) Streitigkeiten über den Wirkungskreis der Ministerien.?)

c) Alle Gegenstände, welche durch schon mungen vor den Staatsrat gehören

bestehende gesetzliche Bestim­

B. Entsetzung beamten § 101 Tit. 10 T. II des Allg. Landr.)j?)

eine«

Staats-

d) Alle Sachen, welche Wir in einzelnen Fällen an den Staatsrat weisen werden, welches dem Befinden nach besonders in Absicht aus die von Unsern Untertanen eingehenden Beschwerden über die Ent­ scheidung der Ministerien geschehen wird. Wir werden jedesmal bestimmen, ob die Sache dem Staatsrat zur Entscheidung überlassen wird, oder ob Wir dessen Gutachten verlangen. ^Die auswärtigen Angelegenheiten sollen nur dann an den Staatsrat ge­ bracht werden, wenn Wir eS in wichtigen Fällen besonders verordnen.)*) 3. Den Vorsitz im Staatsrat werden Wir in solchen Fällen, wo Wir es für nötig erachten, Selbst sühren; [aufeetbcnt aber Haden Wir Unser» Staatekanzler bereite in der Verordnung vom 27. Oktober 1810 unter Unserm Befehl zum Präsidenten bestellt. Er wird diesemnach die Beratungen leiten.s

4. Der Staatsrat soll bestehen: I. Aus den Prinzen Unseres Hauses, sobald sie das achtzehnte Lebensjahr erreicht haben. II. Aus Staatsdienern, welche durch ihr Amt zu Mitgliedern deselben berufen sind; für jetzt nämlich: )er sSiaatskanzler unb] Präsident des Staatsrats; Unsere Feldmarschälle; lie die Verwaltung leitenden wirklichen Staatsminister; ier Ministerstaatssekretär, welcher die Feder im Staatsrat sühren, i)ie Protokolle und Gutachten desselben zu fassen und das Formelle les Geschäftsganges zu besorgen haben wird; der ©encralpoftnieiftcr ;]4) der Chef des Obertribunals;)8)

»er erste Präsident der Oberrechnungskammer; Inser Geheimer Kabinettsrat; ler den Vortrag in Militürsachen bei Uns habende Offizier; lie kommandierenden Generäle in Unsern Provinzen, jedoch nur lann, wenn sie jbesonder« berufen werden) in Berlin anwesend sind; die Oberpräsidenten in den Provinzen, jedoch ebenfalls nur dann, wenn sie in Berlin anwesend sind. III. Aus Staatsdienern, welchen Unser besonderes Vertrauen Sitz und Stimme im Staatsrat beilegt. Mr jetzt bestimmen Wir dazu die in der Anlage A aufgeführten Personen)')

!) a) 8) 4) :’) *)

Die Vorschriften zu a und b find aufgehoben. Veraltet. Vgl. jetzt Art. 3 Abs. 6, 4 3ist 7 und Art. 11 der ReichSverf. Neichsverf. Art. 4 Ziff. 10. Das Odertribunal ist aufgehoben. Veraltet.

134

4V. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

5. Diese bilden sämtlich das Plenum deS Staaterats und wvhnen den Sitzungen desselben regelmäßig bei, wenn sie nicht abwesend und durch unvermeidliche Abhaltung daran behindert werden. Solchenfalls müssen sie dem Präsidenten Anzeige davon machen. Keine Sitzung kann stattfinden, wenn nicht wenigstens fünfzehn Mit­ glieder, außer den Prinzen Unseres Hauses, zugegen sind. 6. Sämtliche Mitglieder des Staatsrats behalten ihre ihnen sonst in ihrem Dienstverhältnis beigelegten Titel. Rangverhältnisse werden im Staatsrat nicht beachtet. Ein jeder, außer den Prinzen Unseres Hauses, nimmt seinen Sitz, wo er einen Platz offen findet. Nur der Präsident hat einen bestimmten Platz, ihm zur Rechten bleibt einer für den jedesmal Vortragenden oder Sprechenden leer, und ihm zur Linken sitzt der Ministerstaatssekretür. Besondere Besoldungen für die Mitglieder des Staatsrats als solche, finden nicht statt. Dem Ministerstaatssekretär wird das nötige Hilfspersonal über­ wiesen werden.

7. Zur gründlichen Erörterung der bei dem Staatsrate vorkommenden Gegenstände und zur Vorbereitung derselben für das Plenum, wo keine anderen, als völlig zur Entscheidung instruierte Sachen vorkommen dürfen, wird der Staatsrat in sieben besondere Abteilungen zerteilt: [1) für die auswärtigen SIngelegentjeiten];x)

2. 3. 4. 5. 6. 7.

für für für für für für

das Kriegswesen; die Justiz; die Finanzen; den Handel und die Gewerbe; die Gegenstände der Ministerien des Innern und der Polizei; den Kultus und die öffentliche Erziehung.

Einer besonderen Abteilung für die Gesetze bedarf e8 nicht, da die erwähnten entweder einzeln, oder wenn eS der Gegenstand erfordert, zu­ sammentretend den Zweck der ehemaligen Gesetzeskommission erfüllen.

8. Jede dieser Abteilungen soll aus fünf Mitgliedern bestehen. Die Mitglieder sollen zum Teil nicht in dem Zweige der Verwaltung am gestellt sein, für deren Gegenstände die Abteilung bestimmt ist. Der erste im Range führt in der Abteilung den Vorsitz und leitet den Geschäfts­ gang. Er kann auf die Zuziehung fremder, nicht zum Staatsrat ge­ hörender Personen, als Staatsbeamte, Gelehrte, Kaufleute, Grundbesitzer, bei dem Präsidenten antragen und dieser kann sie anordnen. Sie haben aber keine Stimme, sondern werden nur immer über einzelne Gegen­ stände gehört. 9. Die für jetzt auf das Jahr 1817 zu Mitgliedern der sieben Abteilungen ernannten Personen erhellen aus der shier nicht abgebrurften] Anlage B. Wir behalten uns vor, sie zu Anfang eines jeden Jahres zu verändern oder zu bestätigen?) ') Bgl. oben 6. 133 Mnm. 3 *) Ziff. 9 ist veraltet.

4. Verordnung wegen Einführung de- Staat-rat«.

135

10. Die verwaltenden Staatsminister können in den Abteilungen, wo Sachen ihrer Verwaltungszweige vorkommen, gegenwärtig sein und müssen einen Rat aus ihrem Departement aus jeden Fall in die Ab­ teilung schicken, um über alles Auskunft zu geben. Weder dieser noch der Minister aber darf eine Stimme in der Abteilung führen. 11. Der Vorsitzende der Abteilung übernimmt entweder selbst den Vortrag der eingehenden Sachen oder gibt ihn einem seiner Mitarbeiter auf. Vor dem Vortrage müssen die Sachen bei sämtlichen Mitgliedern der Abteilung zirkulieren. 12. Nach vollständig gehaltenem Vortrage in der Abteilung wird über den Gegenstand gestimmt, wobei die Mehrheit der Stimmen ent­ scheidet. Der Vorsitzende hat, gleich den Mitgliedern der Abteilung, nur eine Stimme. 13. In den Abteilungen sührt entweder der Vorsitzende, oder das­ jenige Mitglied, dem er es zu übertragen für gut findet, das Protokoll und faßt die Gutachten und anderen schriftlichen Aufsätze. 14. Die Prüfungen und Gutachten der Abteilungen müssen bei minder erheblichen Gegenständen spätestens in vierzehn Tagen, bei wich­ tigen Sachen aber in vier Wochen beendigt und dem Präsidenten über­ geben sein. Wird längere Zeit erfordert, so sind ihm die Gründe an­ zuzeigen. 15. Der Präsident bestimmt, nach genommener Rücksprache mit dem Vorsitzenden der Abteilung, den Referenten, welcher das Gutachten der­ selben im Pleno des Staatsrats vortragen soll; das Gutachten muß aber jederzeit vollständig schriftlich abgefaßt sein. 16. Bevor das Gutachten in das Plenum gelangt, wird der Ent­ wurf zum Gesetz von dem Ministerstaatssekretär und einem vom Präsi­ denten zu bestimmenden Mitgliede der Justizabteilung in Absicht auf die Fassung geprüft, und Ausstellungen werden gemeinschaftlich mit der be­ treffenden Abteilung berichtigt. 17. Die Vorsitzenden der Abteilungen des Staatsrats sind berechtigt, die über einen Gegenstand bei den Minifterial- oder andern Behörden verhandelten Akten oder Nachrichten einzusordern, damit die Abteilung Kenntnis davon nehme. 18. Gehört ein zu erörternder Gegenstand vor mehrere Abteilungen, so ordnet der Präsident eine gemeinschaftliche Beratung an. 19. Die Prinzen Unseres Königlichen Hauses können zu keiner Ab­ teilung gehören. Sie sitzen und stimmen nur im Pleno deS Staatsrats. 20. Keine Sache kann im Staatsrate zur Erwägung kommen, die Wir demselben nicht Selbst zuweisen; jedoch sind die oben § 2 unter b und c hiervon ausgenommen, welche vom Präsidenten zum Vortrag gebracht und nach Befinden den Abteilungen zur Prüfung gegeben werden. 21. Der Präsident bestimmt die Reihenfolge, in welcher die Gegen­ stände und die Gutachten der Abteilungen zur Verhandlung vor den ver­ sammelten Staatsrat gebracht werden sollen. Der Ministerstaatssekretär unterrichtet hiervon die Mitglieder, besonders aber den betreffenden Depar­ tementsminister und den Referenten.

136

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

22. Ohne die Gegenwart des Präsidenten ist keine Sitzung des Staatsrats zulässig. In Behinderungsfällen werden wir ihm ein Mit­ glied als Präsident substituieren. In dringenden Fällen soll er dieses selbst zu tun befugt sein, bis unsere Bestimmung erfolgen kann. 23. sDa ei von den Arbeiten der Abteilungen abhängt, wie ost da« Plenum des Slaatsrales zusammenkommen muß, jo werden Wir solches Selbst durch den Prä­ sidenten zujammenberusen lassen ]

Die Abteilungen bestimmen ihre Versammlungen nach Maßgabe ihrer Geschäfte. 24. Die Referenten halten nach der vom Präsidenten bestimmten und von dem Ministerstaatssekretär vermerkten Reihenfolge ihre Vorträge im Pleno. Sind die Mitglieder der Abteilung in ihren Ansichten nicht übereinstimmend gewesen, so kann nach dem Dortrage ein Mitglied von der entgegengesetzten Meinung das Wort nehmen, die Gründe der Gegner gehörig erörtern iinb solche der Entscheidung des versainmelten Staats­ rats unterwerfen. Nach den Vorträgen der Mitglieder der Abteilung soll der Minister, zu dessen Verwaltung der Gegenstand gehört, das Wort haben. Ist man allgemein einig, so wird der Beschluß vom Ministerstaatssekretür zu Pro­ tokoll gefaßt. Sind aber abweichende Meinungen, so müssen diejenigen, welche solche auseinanderznsetzen wünschen, es dem Präsidenten anzeigen, welcher sodann die Reihenfolge, nach welcker ein jeder seine Stimme ab­ geben kann, bestimmen wird. Zuletzt faßt der Referent die verschiedeueil geäußerten Meinungen zusammen und stellt jeden streitig gebliebenen Gegenstand kurz und deutlich dar, worauf der Präsident abstimmen läßt. Die Mehrheit der Stimmen entscheidet. 25. Bei gleicher Anzahl der Stimmen auf beiden Seiten gibt der Präsident durch die seinige den Ausschlag, und die Gutachten oder Be­ schlüsse werden nach der vorhandenen Mehrheit der Stimmen im Staats­ rate abgesaßt. 26. Der Ministerstaatssekretär verzeichnet sie unter namentlicher Bemerkung der anwesenden Mitglieder in das Protokoll, welches von sämtlichen anwesenden Mitgliedern unterzeichnet wird. 27. Bei Vertretungsfällen muß das Protokoll dem Präsidenten nach­ träglich durch den Ministerstaatssekretär zur Unterschrift vorgelegt werden. 28. Wenn Wir nicht Selbst anwesend im Staatsrate entscheiden, wird Uns das Gutachten desselben durch Unsern Staatskanzler vorgelegt. Wir werden alsdann bestimmen, ob Wir den Beschluß des Staatsrats genehmigen oder die Genehmigung verweigern, oder solchen mit Be­ merkungen dem Staatsrate zur anderweitigen Beratung zurückgeben. Die Gutachten des Staatsrats [uub die entworfenen Gesetze und Ver­ ohne Ausnahme Unserer Bestätigung unterworfen und erhalten für die ausübenden Behörden nur dann Kraft, wenn Unsere Sanktion erfolgt ist. Jedes Gesetz wird vom sPräsidenten kontrasignierts'i und vom Ministerstaatssekretär beglaubigt. ordnungens ') sind

Sie Ziffern 29—32 sind veraltet.

') Dgl. jetzt Art. 62 VU ’) Vom verantwortlichen Minister gegengezeichnet Art. 44 VU.

5. Jnstrukt. z. Geschäftsführg. d. Regierungen i. d. Kgl. Preuß. Staaten. §§1-2.

137

5. Wrnklion zur GMüftSsühmg der WmiiM in den ctöniglirtj Preußischen Staaten. Som 23. Oktober 1817. (EL. S. 248.)

Wir Friedrich Wilhelm ec. rc. haben durch das Gesetz vom 30. April 1815 wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden nicht nur in der innern Einrichtung der Regierungen, sondern auch durch die darin verordnete Anstellung von Oberpräsidenten und Errichtung von Provinzialkonsistorien und Mediziualkollegien in der Stellung und in dem Wirkungskreise der Regierungen so wesentliche Abänderungen getroffen, daß Wir es nötig gefunden haben, die bisherige Dienstinstrnktion vom 26. Dezember 1808 einer genauen Durchsicht und Umarbeitung unter­ werfen zu lassen, und erteilen demnach, nach Vollendung derselben, den Regierungen, mit Hinweisung aus die heute von Uns vollzogenen Dienst­ instruktionen für die Oberpräsidenten, Konsistorien und Medizinalkollegien für die Zukunft folgende Anweisung zum Dienst. Abschnitt I.

von dem Geschäftskreise der Regierungen und ihrer Abteilungen?) § 1. (Allgemeine Bestimmun g.) Der Geschäftskreis der Regierungen erstreckt sich auf alle Gegenstände der innern Landesverwaltung, welche von (Unserm Staatslanzler), den Ministern der auswärtigen Angelegen­ heiten, des Innern, der geistlichen Angelegenheiten und des öffentlichen Unterrichts, des Kriegs, (der Polizei.) der Finanzen (und der Handels,] für Handel und Gewerbe, öffentliche Arbeiten und für Landwirt­ schaft, Domänen und Forsten abhängen, insoweit diese Gegenstände a) überhaupt von einer Territorialbehörde verwaltet werden können und b) für selbige nicht besondere Verwaltungsbehörden angeordnet oder sie andern Behörden ausdrücklich übertragen sind.

§ 2.

(Ressort der er st en Abteilung der Regierung, jetzt des Regierungspräsidenten.?) Von diesen Gegenständen ge*) Abgeändert durch die KabO. vom 31. Dezember 1825 ,GS. 1826 S 5 , die Geschäftsanweisung vom selben Tage und die Nr. 7 unten S. 156 ff. Vgl. jetzt § 18 LVG, der die Abteilung des Innern aufhebt und deren Geschäfte grundsätzlich dem Regierungspräsidenten zuweift. ’) Die KabO. vom 31. Dezember 1825 lit. D II halte an Stelle der ersten die Abteilung des Innern gesetzt. Bon der ersten Abteilung gingen die näher bezeich­ neten geistlichen und Schulangelegenheiten an eine „Abteilung für Kirchen- und Schulwesen" über. Ein Teil des Ressorts der bisherigeii zweiten Abteilung wurde zu Gegenständen der Abieilung des Innern, während für die auf das Staatseinkommen und Steuerwesen bezüglichen Angelegenheiten der bisherigen zweiten Abteilung zwei neue Abteilungen geschaffen wurden, die sür direkte Steuern, Domänen und Forsten und die für die Verwaltung der indirekten Steuern. Letztere ist jetzt erseht durch die Provinzial­ steuerdirektionen. Vgl. auch §§ 21—23, 25 LVG, unten S. 163 f.

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

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hören vor die erste Abteilung der Regierung (jetztvordenRegierungsPräsidenten): 1. die inneren Angelegenheiten der Landeshoheit, als: Verfassungs-, ständische, Landesgrenz-, Huldigungs-, sAbsahrts- undAbschoßiachen;)') ^Erteilung von Passen zu Reisen auherhalb Landes;)') Auslieferung fremder Untertanen; die Publikation der Gesetze und Verordnungen durch das Amtsblatt;

2. die gesamte Sicherheit- und Ordnungspolizei, mithin Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung; Vorbeugung und Stillung von Ausläufen; Ausmittelung und Ergreifung von Verbrechern; General­ visitationen ; Gefängnisse; Straf- und sKorrekl!on«.)')anstalten; Vorbeugung von Feuersbrünsten und polizeiwidrigen Bauten; Wiederherstellung der abgebrannten Gebäude, sLandarmenanstalten,)') Hospitäler und Armenwesen; und was sonst mit diesen Gegenständen zusammenhüngt; 3. Medizinal- und Gesundheitsangelegenheiten in polizeilicher Rück­ sicht, z. B. Verkehr mit Medikamenten; Verhütung von Kuren durch unbefugte Personen; Ausrottung von der Gesundheit nachteiligen Vor­ urteilen und Gewohnheiten: Vorkehrungen gegen ansteckende Krankheiten und Seuchen unter Menschen oder Tieren; [Aranfcn. und Irrenhäuser;)', Rettungsanstalten; Unverfälschtheit und Gesundheit der Lebensmittel u. s. w,;

4. die landwirtschaftliche Polizei, folglich alle Landeskulturangelegen­ heiten; sGemeiiiheitstkilungcn, Adbaue und Zerschlagung größerer Güter: Verwandlung von Diensten in Geldabgaben: Abfindung von Servituten;)') Vorstut, Entwässerung und Landesmeliorationen, insoweit diese Gegenstände nicht der zweiten (jetzt Finanz-)Abteilung der Regierung oder besonderen Behörden bei­ gelegt sind; 5. das gesamte Kommunalwesen, insoweit dem Staate eine Ein­ mischung darüber vorbehalten worden; seiner die Aussicht über alle Kor­ porationen, Gesellschaften, Verbindungen, öffentliche Institute und Anstalten, [sofern selbige nicht bloß einen gewerblichen Zweck haben)-); folglich auch Über die Brand- und andere Versicherungsanstalten und Gesellschaften; 6. [bie geistlichen Hub Schulangelegenheiten, mithin auch bie Aufsicht über die Kirchen, Schulen. Erziehungsanstalten und andere fromme und wohltätige Stiftungen und Anstalten und deren fundationSmäßige, innere sowohl als Vermögensverwaltung, ferner über literarische Gesellschaften, insoweit die Gegenstände der in Rede stehenden Kategorie nicht zu dem Ressort der Provinzialkonsistorien gehören. In Ansehung der geistlichen und Schulangelegenheiten bildet die erste Ab­ teilung, mit Inbegriff der bei ihr angestellten Geistlichen und Schulräte, die Kirchen» und Schulkommission der Regierung, deren Verhältnis in den §§ 18 und 31 näher bestimmt ist]*);

7. das Mennonisten- und Judenwejen, ^überhaupt die Angelegenheiten solcher Eingesessenen in ihrer bürgerlichen Beziehung, die wegen Verschiedenheit der Religionsmeinung nicht alle bürgerlichen Rechte und Pflichten haben]7*);* * 4 * * *) *) •) 4) 6) ®) 7)

Veraltet. Jetzt auf die Provinzen übergegangen, Dot.Ges. vom 8. Juli 1875 (GS. S. 497). Vgl. vorhergehende Rote. Jetzt Sache der Generalkommissionen, LVG. § 23, s. unten S. 164. Jetzt ist zuständig der Regierungspräsident ohne jede Einschränkung. Jetzt besteht als erste Abteilung die für Kirchen» und Schulsachen. Art. 12 VU.

5 Imtrukt. z Gejchäflsführg. d. Regierungen i. d. Kgl. Preuß. Staaten. §§ 2—4.

139

8. sämtliche Militärsachen, bei welchen eine Einwirkung der Zivil­ verwaltung stattfindet, als: Rekrutierung, Verabschiedung, Mobilmachung, Verpflegung, Märsche, Einquartierung, Servis und Festungsbau; Jnvalidenwesen u. s. w.: 9. Sammlung aller statistischen Nachrichten; ihr Ordnen und Zu­ sammenstellen zu Generalwerken; 10. die Zensur aller Schriften;') 11. die Aussicht und Verwaltung über die Jnstitutskasse*) bei der Regierung; 12. das Bauwesen, [insoweit es bei den Gegenständen vom Ressort der ersten Abteilung Dorfommt],

§ 3. (Ressort der [jweiten] Abteilung für direkte Steuern, Domänen und Forsten (Finanz-Abteilung).) Zu der [zweitens Abteilung der Regierung hingegen gehören: 1. sämtliche Angelegenheiten, welche sich auf das Staatseinkommen und das direkte Steuerwesen beziehen, oder die Verwaltung der Domänen, Forsten und Regalien betreffen, insofern für einzelne Zweige nicht besondere Verwaltungsbehörden ausdrücklich angestellt sind; [2. die gesamte Gewerbepolizei, folglich: a,i alle Gewerbe-, Fabriken-, Handels-, SchiffahrtS-, Gewerks- und Innungs­ sachen; Erteilung von Konzessionen, Dispensationen und Legitimationen ' in dieser Hinsicht, Freiheit deS Marktverkehrs, Anstalten zur Bildung geschickter Gewerksleute und Künstler, sowie die Aufsicht über alle Korporationen, Ge­ sellschaften und Anstalten, welche bloß einen gewerblichen Zweck haben; b) die Münz- Maß. und Gewichtspolizei, Brack- und Schauanstalten . . . c) die öffentliche Kommunikation, Land- und Wasserstraßen, Chauffeeanlagen, Strom-, Deich, und Brückenbauten, Fähren, Hafenbautcn, Lotsen und Seeleuchten]8);

3. die Forst- uud Jagdpolizei;^ [4. das gesamte Bauwesen in vorstehender Beziehung; 5. die Aufsicht und Verwaltung der Regierungshauptkasse; 6. daS gesamte Etats-, Kassen- und Rechnungswesen über die landesherrlichen Intraden und Ausgaben, soweit deren Verwaltung der Regierung überwiesen ist.]8)

§ 4. (Grundsatz in zweifelhaften Fallen.) Wenn dessen­ ungeachtet Zweifel entstehen, ob eine Sache zur ersten oder zweiten Ab­ teilung gehört, so entscheidet die vorgedachte Kabinettsordre vom 3. Juni 1814*) dergestalt, daß, wenn die Sache von dem Finanzministerium ressortiert, sie zur Finanz-Abteilung, von den übrigen Ministerien aber jedesmal [jur ersten Abteilung der Regierung] an den Regierungspräsi­ denten und die Kirchen- und Schulabteilung verwiesen werden soll. x) Jetzt Art. 27 VU. *) Eine besondere Jnstitutskasse besteht nicht mehr. 8) Jetzt ist zuständig der Regierungspräsident 4) Für Gemeinde, und Anstaltsforften ist der Regierungspräsident zuständig. Gesetz vom 14. August 1876 (GS. S. 373) §§ 4—6, Verordn, vom 24. Dezember 1816 (GS. 1817 S. 154) § 4. 5) Dle übrigens nicht „vorgedachte" Kab.O. vom 3. Juni 1814 kommt nicht mehr in Frage.

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

§ 5. (Verhältnis der beiden Abteilungen zueinander. Gemeinschaftliche Versammlung derselben. Ressort des Plenums.) Diese Sonderung der Regierung in zwei Abteilungen ist von Uns bloß zur Vereinsachung, Abkürzung und Erleichterung der Ge­ schäfte angeordnet worden. Jede Abteilung verfügt zwar in dem ihr an­ gewiesenen Geschäftskreise, sobald die Sache unbezweiselt ausschließlich dazu gehört, ohne Konkurrenz der andern; im Fall die Sache aber in das Ressort derselben ebenfalls eingreist, kann sie es nur mit ihrem Vorwissen und Einverständnis tun. Die Abteilungen bilden daher auch keine abge­ sondert voneinander für sich bestehende Behörden, sondern machen zusammen ein gemeinschaftliches Kollegium aus. In ihrer gemeinschaftlichen Ver­ sammlung müssen folgende Gegenstände vorgetragen und beraten werden: 1. alle Gesetzentwürfe und allgeineine neue Einrichtungen, die in Vorschlag gebracht werden sollen; 2. die Aufstellung der Grundsätze, nach welchen allgemeine Auflagen und Landeskosten ausgeschrieben und ausgebracht werden sollen, sofern darüber nicht schon Vorschriften vorhanden sind; 3. alle Berichte an die Ministerien, durch welche allgemeine Ver­ waltungsgrundsätze oder neue, das Allgemeine angehende Einrichtungen in Vorschlag gebracht werden, soivie die darauf eingehenden Entscheidungen; 4. die zu treffenden Einleitungen und Maßregeln wegen Ausführung neuer Gesetze, Verwaltungsgrundsätze und Normen, sobald sie nicht ganz ausschließlich den Wirkungskreis einer Abteilung angehen; 5. Abweichungen und Ausnahmen von bestimmten Vorschristen, wenn dazu wegen Gefahr im Verzüge nicht mehr höhere Genehmigung eingeholt werden kann (s. 8 8); 6. alle Suspensionen'! und unfreiwilligen Entlassungen von öffenllichen Beamten; 7. alle Anstellungen und Beförderungen von den bei beiden Ab­ teilungen unmittelbar angestellten Unterbeamten;*) 8. alle Gegenstände, bei denen beide Abteilungen interessiert sind, sofern sie sich darüber nicht haben vereinigen können; 9. alle Sache», welche von dem Präsidenten oder einem der Ab­ teilungsdirigenten «Oberregierungsrat) zum Plenum ge­ schrieben worden; 10. alle Verfügungen der Oberpräsidenten, sofern sie die Verwaltung der Regierung oder die Dicnstdisziplin im allgemeinen angehen; 11. Bed eutende Landesmeliorationen. 12 Erhebung von Kvmpetenzkonfliktcn und von Kon­ flikten bei gerichtlichen Verfolgungen wegen Amts- und T ienst Handlung en. Alle diese Gegenstände gelangen, der Regel nach, jedoch erst dann in das Plenum, wenn sie zu einem Hauptbeschluß reif sind. Die Vorbereitung dazu, sowie die Aufsicht über die nachherige Ausführung gehört derjenigen Abteilung an, in deren Ressort die Sache hauptsächlich einschlägt. ■) Vgl unten §§50,23 de« Diszipl ®. vom 21. Juli 1852, siehe unten Gruppe VII. *) Jetzt Sache de« Regierungspräsidenten, KabO. vom 31. Dezember 1825 (GS. 1826 S. 5) zu D VI.

5. Instrukt. j. Geschäft-führg. d. Regierungen i. d. Kgl. Preutz Staaten. §§ 5—8.

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Abschnitt II.

Von -en Lkfugnilsea und Obliegenheiten der Negierungen und ihrer Abteilungen in dem ihnen angewiesenen Geschäftskreise. a.

Allgemein für beide Abteilungen und deren Plenum geltend.

§ 6. (Verhältnis zu den Ober-, Provinzial-und Unter­ behörd en.) Das Dienstverhältnis der Regierungen zu den Ministern, zu den Oberpräsidenten, Konsistorien und Medizinalkollegien der Provinz ist durch das Gesetz vom 30. April 1815 und die [beult] den Oberpräsibentcn,1) den Provinzialkonsistorien und Medizinalkollegien erteilten In­ struktionen bestimmt, nach denen sich die Regierungen überall gehörig zu achten haben. Sie müssen den Verfügungen der ihnen vorgesetzten Ministerien und der in diesen angeordneten Abteilungen und Generalverwaltungen prompte und gebührende Folge leisten, und bleiben für die Verzögerung der Aussnhrung derselben verantwortlich. Den Regierungen sind wiederum die zu ihrem Ressort gehörigen Beamten und Behörden ihres Verwaltungsbezirks untergeordnet und zwar jeder Abteilung zunächst diejenigen, welche in ihrem besondern Geschäfts' kreise angestellt sind. K 7. (Allgemeine Vorschriften in Absicht der Amts­ führung der Regierungen.) Den Regierungen liegt die Verpflichtung ob, Unser landesherrliches Interesse, das Beste des Staats und das Ge­ meinwohl Unserer getreuen Untertanen bei der ihnen übertragenen Ver­ waltung überall gehörig wahrzunehmen. Sie müssen eifrigst bedacht sein, nicht allein allem vorzubeugen und alle? zu entfernen, was dem Staate und seinen Bürgern Gefahr oder Nachteil bringen kann, sondern auch daS Gemeinwohl derselben möglichst zu befördern und zu erhöhen. Sie müssen hierbei aber auch stets das Wohl des einzelnen nach Recht und Billigkeit beachten. Es muß daher bei allen ihren Ansichten, Vorschlägen und Maß­ regeln der Grundsatz leitend sein, niemanden in dem Genuß seines Eigen­ tums, seiner bürgerlichen Gerechtsame und Freiheit, solange er in den gesetzlichen Grenzen bleibt, weiter einzuschränken, als es zur Beförderung des allgemeinen Wohls nötig ist; einem jeden innerhalb der gesetzlichen Schranken die möglichst freie Entwickelung und Anwendung seiner Anlagen, Fähigkeiten und Kräfte in moralischer sowohl als physischer Hinsicht zu gestatten und alle dagegen noch obwaltenden Hindernisse baldmöglichst auf eine legale Weise hinwegzuräumen.

§ 8. (Fortsetzung.) Bei den einzelnen Geschäften und Anord­ nungen müssen von den Regierungen überall die bestehenden Gesetze und Vorschriften strenge beobachtet, und selbige nach ihrer Bekanntmachung, ohne daß eS dazu einer besondern Anweisung bedarf, soweit sie ihren Geschäftskreis betreffen, von ihnen sofort zur Anwendung und Ausführung gebracht werden. *) Heute gilt die Jnstr. f. b. Oberpräsidenten vom 31. Dezember 1825, s. unten S. 156 ff.

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigleit der Staatsbehörden.

Es ist auch ihre Pflicht, darauf zu sehe» und zu halten, daß den Gesetzen und Verordnungen überall gehörig nachgelebt werde. In allen Fällen, wo klare und bestimmte Gesetze und Vorschriften vorhanden sind, können die Regierungen aus eigener Macht das Nötige verfügen und ausführen, und es werden ihnen in dergleichen Fällen alle Anfragen sogar ausdrücklich untersagt. In zweifelhaften Fällen, welche dringend sind, haben die Regieruitgen gleichfalls ohne Anstand, im Geiste und nach Analogie der Gesetze, der Verfassung und angenommenen Verwaltungsgrundsätze, zu verfahren, darüber aber gleichzeitig höhern Orts zu berichten und, wenn die Sache nicht dringend ist, solches vorher zu tun, ehe sie handeln. Dasselbe ist in Füllen zu beobachten, wo es an bestimmten Gesetzen und Vorschriften ermangelt. Abweichungen und Ausnahmen von bestehenden Vorschriften dürfen sich die Regierungen nur aus höchst dringenden Veranlassungen, und wenn Gefahr im Verzüge vorhanden ist, erlauben, müssen aber gleichfalls sofort darüber berichten. Niemals können sie etwas verfügen, was einein ausdrücklichen Gesetze cntgegenlüuft. Die Bestimmung dieser Instruktion § 5 Nr. 5 versteht sich daher auch nur von solchen Vorschriften, welche nicht auf ausdrücklichen Landesgesetzen, sondern ministeriellen Verfügungen beruheit. Ebensowenig dürfen die Regierungen neue allgemeine Einrichtungen, Anlagen und Verfassungen oder Abänderungen der bestehenden vornehmen, ohne daß sie vorher höhere Genehmigung dazu einholen.

§ 9. (Verhältnis der Regierungen zu auswärtigen Behörden.) Die Regierungen sind ferner verpflichtet, auch gegen aus­ wärtige Behörden und Untertanen Unser landesherrliches Interesse gehörig wahrzunehmen und Unsern Untertanen in dieser Hinsicht den nötigen Beistand zu leisten, insoweit der Gegenstand zu dem ihnen übertragenen Wirkungskreise gehörtSie können in vorkommenden Fällen mit den auswärtigen Verwaltungsbehörden in Korrespondenz treten, ihnen die nötigen Eröffnungen machen und sich bei ihnen verwenden. Im Fall dieses aber fruchtlos ist, haben sie die Sache dem Departement der aus­ wärtigen Angelegenheiten anzuzeigen, dainit sie auf diplomatischen! Wege weiter verfolgt werden kann, nicht aber sich unmittelbar an die aus­ wärtigen Ministerien zu wenden. Es versteht sich von selbst, daß die Regierungen keine Vertrüge mit auswärtigen Behörden ohne Autorisation des erwähnten Departements und dessen Genehmigung abschließen dürfen. § 10. (Provisorische Maßregeln bei Berichterstat­ tungen.) In allen Fällen, wo die Regierungen berichten müssen, die Sache mag einen Gegenstand der inneren Verwaltung oder ein Verhältnis mit auswärtigen Behörden treffen, haben sie gleichwohl soweit die nötigen provisorischen Maßregeln zu nehmen und zu verfügen, daß bis zu Ein­ gang des Bescheides kein Nachteil entstehe.

§ 11. (Erek utive Gewalt der Regierungen. Ver­ hältnis zu den Gerichtsbehörden.) Die Regierungen sind befugt, ihren Verfügungen nötigenfalls durch gesetzliche Zwangs- und Strafmittel

5. Jnstrult. z. Geschäftsführg. d. Regierungen i. d. Kgl. Preuß. Staaten. §§ 8—12.

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Nachdruck zu geben und sie zur Ausführung zu bringen, ohne daß eine Exemtion darüber zulässig ist. Sie werden in dieser Hinsicht auf die­ jenigen Bestimmungen der Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808 ver­ wiesen, welche dieser Instruktion im Auszuge angehängt sind/) nach welchen sie überhaupt auch in den übrigen vorkommenden Fällen, namentlich bei [Polizei-, Finanz- unb] Dienstvergehungen zu verfahren haben, [wobei jedoch diejenigen Regierungen, in deren Verwaltungsbezirk annoch die unter der vorigen Landes­ herrschaft stattgefundene Gerichtsversassung besteht, bis dahin, daß eine andere von Uns angeordnet sein wird, ausgenommen werden.] [Allgemeine Verbote und Strafbestimmungen dürren aber sämtliche Regierungen nicht ohne höhere Genehmigung erlassen, es sei denn, daß das Verbot an sich schon durch ein Gesetz feststeht, in letzterem aber die Strafe nicht ausdrücklich bestimmt ist. 3ii diesem Falle können sie innerhalb der Grenzen der §§ 33, 35 und 240 Tit. 20 Tt. II des Allg. Landrechts die Strafe bestimmen und bekannt machen.]8)

Auch steht ihnen ohne Anfrage frei, schon bestehende Vorschriften von neuem in Erinnerung zu bringen und bekannt zu machen.

K 12. (Verhältnis zu den Regierungs- und Bezirks­ beamten.» Jede Abteilung der Regierung hat, unter den 8 5 Nr. 6 und 7 festgesetzten Modifikationen, die Anstellung, Disziplin, Beförderung, Entlassung und Pensionierung von den zu ihrem Ressort gehörigen Staatsbeamten und unter nachfolgenden Beschränkungen: 1. Die Anstellung steht der betreffenden Abteilung in Ansehung aller übrigen Beamten ihres Ressorts zu, mit Ausnahme: a> der Mitglieder des Kollegiums; b) aller Stellen, mit welchen der Rats- oder ein ähnlicher oder höherer Charakter verbunden ist; [c) der Superintendenten und der damit in gleichem oder höherem Range sich be­ findenden reformierten und katholischen Geistlichen; d) der Rektoren und Lehrer von Gymnasien, Lyzeen und gelehrten Schulen, von welchen zur Universität entlassen wirb;]8)

e) der Stellen von öffentlichen Medizinalbeamten, insofern deren Be­ setzung den Regierungen nicht besonders übertragen ist; f) der Oberbürgermeister in den großen Städten;*) g) der Rendanten bei den Hauptkassen der Regierungen: h) der Oberförster; i) der Bauinspektoren, Land- und Wasserbaumeister; |k) der Fabrikkommissarieu.]8) In diesen ausgenommenen Füllen muß jedesmal berichtet werden, [und zwar, soviel die unter c und d gedachten Stellen betrifft, von dem Konsistorium der Provinz, insofern demselben in seiner Dieustinstruktion nicht ein Besetzungsrecht darüber beigelegt ist.]8)

2. Bei den ihnen nachgelassenen Anstellungen müssen die Regierungen stets mit strenger Prüfung und Unparteilichkeit zu Werke gehen, mehr Tie Exekutivgewalt des Regierungspräsidenten ist jetzt durch das LVG. § 13*2 geregelt. DaS Polizeiverordnungsrecht steht jetzt dem Regierungspräsidenten zu. Vgl. §§ 136 ff. LVG. u. G. über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 §§ 11 u. 14. 3) Nur noch von Bedeutung für die Konsistorien und Provinzialschulkollegien. 4) Jetzt nach Maßgabe der Städteordnungen. 5) Jetzt der Gewerberäte, AE. vom 27. April 1891 (GS. S. 165) und 27. April 1898 (GS. S. 5).

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

auf Treue, Fleiß und Geschicklichkeit, als auf Dienstalter sehen und nur bei gleicher Würdigkeit dem letztern den Vorzug geben. Bei Besetzung von Forstbedienungen müssen sie aus Feldjäger und bei den übrigen Stellen auf Invaliden, auf in Wartegeld stehende Beamte und Subjekte, welche den Krieg freiwillig mitgemacht haben, vorzüglich Rücksicht nehmen, sowie auf diejenigen Subjekte, welche ihnen von Uns, [Don Unserm Staatikanzlers und von den Ministerien und Oberpräsidenten in einzelnen Füllen empfohlen werden. Es versteht sich von selbst, daß sie überall hierbei auch die Vorschrist des [Edikts vom 3. September 1814; Reichsgesetzes vom 9. November 1867') wegen der Militärpflicht gehörig beobachten müssen. Diejenigen Unterbedienten, deren Dienst keine Ausbildung erfordert, sondern größtenteils nur mechanisch ist, sind, soviel möglich, ant Kündigung anzustellen. [Ende Juni und Dezember reichen die Abteilungen der Negierungen jedem Minister eine Nachweisung der in seinem Ressort von ihnen angestellten Beamten ein, liir jede Abteilung des Ministeriums besonders.]2,

3. Bei denjenigen Stellen, wo den Regierungen das Besetzungsrecht znsteht, können sie auch den Abschied erteilen, wenn solcher ohne Pension nachgesucht wird: bei Pensionierungen müssen sie aber jedesmal berichten. [Unfreiwillige Entlassungen können ebensowenig ohne vorhergegangene Genehmi­ gung der Ministerien statlfinden, welche hierbei die bestehenden Vorschristen zu beob­ achten haben.)')

4. Gratifikationen und außerordentliche Belohnungen können die Regierungen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Präsidenten, als welchem darüber die Entscheidung beigelegt wird, auch nur aus ersparten Gehältern bis zur Höhe eines vicrteljäbrlichen Gehalts [und au« dem 5 16 ge­ dachten Sportklsondsl'i erteilen, sowie Gehaltserhöhungen bei den ihrer Be­ setzung überlassenen Stellen nur insoweit bewilligen, als dadurch der Etat nicht überschritten, auch derjenigen Dienstkategorie, zu welcher die Stelle, aus deren Gehalt die Erhöhung genommen werden soll, gehört, im ganzen nichts entzogen wird. 5. Veränderungen mit den Dienststellen selbst dürfen die Regierungen nicht ohne höhere Genehmigung vornehmen, auch ohne selbige keine Hilfs­ arbeiter aus Diäten oder Gehalt anstelle«, sofern die Diäten nicht ans vakanten Gehältern bestritten werden können. 6. Die Konduitenlisten sind der höher» Behörde nur von denjenigen Beamten einzureichen, zu deren Anstellung ihre Genehmigung erforderlich ist.

§ 13. (BefugnisseundObliege nheitender Regierungen bei Eingehung und Erfüllung von Verträgen.) Insoweit die Regierungen nach der jetzigen Instruktion frei und selbständig handeln können, insoweit sind sie auch berechtigt, ohne höhere Genehmigung Ver­ bindlichkeiten im Namen des Fiskus und anderer, unter ihrer Verwaltung stehender moralischer Personen zu übernehmen, Gerechtsamen derselben zu entsagen, Vergleiche und andere Verträge einzugehen und zu bestätigen. *) Vgl jetzt auch Gesetz, belr. Aenderung der Wehrpflicht, vom 15. April 1905 .). § 100. Der Kreis- (Stadt-) Ausschuß sührt die Aufsicht über die nach 88 9 und 10 des Fischereigesetzes vom 30. Mai 1874 gebildeten Genossenschaften. Behauptet die Genossenschaft, daß eine im Aussichtswege getroffene Verfügung dem Statute oder dem Gesetze widerspricht, so steht ihr inner­ halb zwei Wochen der Antrag auf mündliche Verhandlung im Verwaltungs­ streitverfahren zu. 8 101. Wird die Verpflichtung zur Teilnahme an den Lasten der nach den 88 9 und 10 a. a. O. gebildeten Genossenschaften, oder wird das Recht zur Teilnahme an den Auskünften aus der gemeinschaft­ lichen Fischereinutzung (§ 10 a. a. O.) bestritten, so hat hierüber der Genossenschaftsvorstand Bescheid zu erteilen. Gegen den Bescheid findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Kreis-(Stadt ) Ausschüsse statt. Die Entscheidung des Kreis-(Stadt-) Ausschusses ist vor­ läufig vollstreckbar. 8 102.

Der Entscheidung des Bezirksausschusses unterliegen: 1. Streitigkeiten über die Frage, ob ein Gewäffer als ein geschloffenes anzusehen ist (8 4 a. a. £).); 2. Klagen der Fischereiberechtigten oder Fischereigenossenschasten auf weitere Beschränkung oder gänzliche Aufhebung von Fischereiberechtigungen, welche auf die Benutzung einzelner bestimmter Fangmittel oder ständiger Fischereivorrichtungen gerichtet sind (8 5 Ziff. 2 a. a. £).). l) Vgl. Anm. zu § 95.

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

XV. Titel. Jagdpolizei.

§ 103. In Jagdpolizeisachen beschließt, soweit die Beschlußfassung nach bestehendem Rechte den Verwaltungsbehörden zusteht, unbeschadet der nachfolgenden Bestimmungen, der Landrat, in Stadtkreisen die Orts­ polizeibehörde. Gegen Beschlüffe dieser Behörden, durch welche Anordnungen wegen Abminderung des Wildstandes getroffen oder Anträge aus Anord­ nung oder Gestattung solcher Abminderung abgelehnt werden, findet statt der allgemeinen Rechtsmittel innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Bezirksausschuß statt- Der Beschluß des Bezirksausschusses ist endgültig. § 104. Der Kreisausschuß, in Stadtkreisen der Bezirksausschuß, beschließt, soweit die Beschlußfassung nach bestehendem Rechte den Ver­ waltungsbehörden zusteht, 1. über die Genehmigung zur Bildung mehrerer für sich bestehender Jagdbezirke aus dem Bezirke einer Gemeinde (Gemarkung, Feldmark); 2. über die Anordnung der Vereinigung mehrerer Gemeindebezirke (Gemarkungen, Feldmarken) zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirke gemäß § 6 der Verordnung, betr. das Jagdrecht und die Jagdpolizei im ehe­ maligen Herzogtum Nassau, vom 30. März 1867 (GS. S. 426) und § 8 des Lauenburgischen Gesetzes, betr. das Jagdrecht und die Jagdpolizei, vom 17. Juli 1872 (Offizielles Wochenblatt Nr. 42). Bestimmungen, wonach es zur Annahme eines Ausländers als Jagd­ pächters einer besonderen Genehmigung bedarf, finden aus Angehörige des Deutschen Reichs fortan keine Anwendung. § 105. Streitigkeiten der Beteiligten über ihre in dem öffentlichen Rechte begründeten Berechtigungen und Verpflichtungen hinsichtlich der Ausübung der Jagd, insbesondere über 1. Beschränkungen in der Ausübung des Jagdrechts auf eigenem Grund und Boden, 2. Bildung von gemeinschaftlichen Jagdbezirken, Anschluß von Grund­ stücken an einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk, oder Ausschluß von Grundstücken aus einem solchen, 3. Ausübung der Jagd auf fremden Grundstücken, welche von einem größeren Walde oder von einem oder mehreren selbständigen Jagd­ bezirken umschlossen sind, sowie die den Eigentümern der Grundstücke zu gewährende Entschädigung unterliegen der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren. Zuständig im Verwaltungsstreitverfahren ist in erster Instanz der Kreisausschuß, in Stadtkreisen der Bezirksausschuß.

§ 106. Auf Beschwerden und Einsprüche, betr. die von der Gemeindebehörde oder dem Jagdvorstande festgestellte Verteilung der Erträge der gemeinschaftlichen Jagdnutzung, beschließt die Gemeindebehörde bzw. der Jagdvorstand. Gegen den Beschluß findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Kreisausschusse, in Stadtkreisen bei dem Bezirksausschüsse statt.

9. Gesetz üb. die Zuständigkeit d. BerwaltungS- ic. Behörden. §§ 103—109.

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Die im ersten Absätze gedachte Feststellung bedarf keiner Genehmigung oder Bestätigung von feiten der Aufsichtsbehörde.

§ 107, Der Bezirksausschuß beschließt über die Verlängerung, Verkürzung oder Aufhebung der gesetzlichen Schonzeit, soweit darüber nach bestehendem Rechte im Verwaltungswege Bestimmung getroffen werden kann. Der Beschluß ist endgültig.

§ 108. Der Bezirksausschuß beschließt über die Erneuerung der aus den SchleSwigschen Westseeinseln bestehenden Konzessionen zur Errichtung von Vogekkojen, sowie über die Erteilung neuer Konzeffionen (§ 6 des Gesetzes vom 1. März 1873, GS. S. 27).

XVI. Titel. Gewerbepolizei. A. Gewerbliche Anlage«.

§ 109. Der Kreis-(Stadt-)Ausschuß, in den einem Landkreise angehörigen Städten mit mehr als 10000 Einwohnern der Magistrat (kollegialische Gemeindevorstand), beschließt über Anträge auf Genehmigung ztir Errichtung oder Veränderung gewerblicher Anlagen (§§ 16 bis 25 der Reichsgewerbeordnung vom [21. Juni 1869J), soweit konzessionspflichtige Anlagen der nachbezeichneten Art in Frage stehen: Gasbereitungs- und Gasbewahrungsanstalten, Anstalten zur Destil­ lation von Erdöl, Anlagen zur Bereitung von Braunkohlenteer, Stein­ kohlenteer und Koaks, Asphaltkochereien und Pechsiedereien, Glas- und Rußhütten, Kalk-, Ziegel- und GipSöfen, Metallgießereien, Hammerwerke, Schnellbleichen, Firnißsiedereien, Stärkefabriken, Stärkesyrupfabriken, Wachs­ tuch-, Darmsaiten-, Dachpappen- und Dachfilzfabriken, Darmzubereitungs­ anstalten, Leim-, Tran- und Seifensiedereien, Knochenbrennereien, Knochen­ darren, Knochenkochereien und Knochenbleichen, Hopfenschwefeldarren, ZubereitungSanstalten für Tierhaare, Talgschmelzen, Schlächtereien, Ger­ bereien, Abdeckereien, Strohpapierstoffabriken, Stauanlagen für Wassertrieb­ werke, Fabriken, in welchen Dampfkeffel oder andere Blechgefäße durch Vernieten hergestellt werden, Anstalten zum Imprägnieren von Holz mit erhitzten Teerölen, Kunstwollefabriken und DögraSfabriken, endlich Dampf­ kessel mit Ausnahme der für den Gebrauch auf Eisenbahnen bestimmten Lokomotiven und der zum Betrieb aus Bergwerken und Aufbereitungs­ anstalten bestimmten Dampfkeffel, Fabriken, in welchen Röhren auS Blech durch Vernieten hergestellt werden, Anlagen zur Erbauung eiserner Schiffe, zur Herstellung eiserner Brücken oder sonstiger eiserner Baukonstruktionen; Anlagen zur Destillation oder zur Verarbeitung von Teer und Teerwaffer; Anstalten zum Trocknen und Einsalzen ungegerbter Tierfelle; An­ lagen zur Herstellung von Gußstahlkugeln mittelst Kugelschrotmühlen (Kugelfräsmaschinen). Im Falle fernerer Ergänzung des VerzeichniffeS der konzefsionspflichtigen Anlagen gemäß § 16, letzter Absatz, der Reichsgewerbeordnung bleibt die Bestimmung darüber, für welche der in das Verzeichnis nach2 t i c r * 3 i? m l e, Vorwallim^sgesevc für Preußen,

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

träglich ausgenommenen Anlagen der Kreisausschuß (StadtauSschuß, Ma­ gistrat) zuständig ist, Königlicher Verordnung vorbehalten.

§ 110. Der Bezirksausschuß beschließt über Anträge aus Ge­ nehmigung zur Errichtung oder Veränderung gewerblicher Anlagen, soweit die Beschlußfassung darüber nicht nach § 109 dem Kreis-(Stadt-)Ausschusse (Magistrat) überwiesen ist. Der Bezirksausschuß beschließt ferner im Einvernehmen mit bettt zuständigen Oberbergamte über die Zulässigkeit von Wassertriebwerken, welche zum Betriebe von Bergwerken oder Ausbereitungsanstalten dienen (§ 59 Abs. 3 des Allg. Berggesetzes vom 24. Juni 1865, GS. S. 705). § 111. Der Bezirksausschuß beschließt auf Antrag der Ortspolizei­ behörde darüber, ob die Ausübung eines Gewerbes in Anlagen, deren Betrieb mit ungewöhnlichem Geräusch verbunden ist, an der gewählten Betriebsstätte zu untersagen oder nur unter Bedingungen zu gestatten ist (§ 27 der Reichsgewerbeordnung). § 112 Die Befugnis, gemäß § 51 der Reichsgewerbeordnung die fernere Benutzung einer gewerblichen Anlage wegen überwiegender Nachteile und Gefahren für das Gemeinwohl zu untersagen, steht dein Bezirksausschüsse zu.

§ 113. In den Fällen der §§ 109 bis 112 findet die Beschwerde au den Minister für Handel und Gewerbe statt. Sofern bei Stauanlagen Landeskulturinteressen in Betracht kommeir, ist der Minister für Landwirt­ schaft zuzuziehen. B. Gewerbliche KouzeMoneu.

K 114. Ueber Anträge auf Erteilung der Erlaubnis zum Betriebe der Gastwirtschaft oder Schankwirtschast, zum Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus, sowie zum Betriebe des Pfandleihgewerbes und zum Handel mit Giften (§§ 33, 34 der Reichsgewerbeordnung) beschließt der Kreis(Stadt-) Ausschuß. Mrd die Erlaubnis versagt, so steht dem Antragsteller innerhalb zwei Wochen der Antrag auf mündliche Verhandlung im Verwaltuugsstreitverfahren vor dem Kreis-(Stadt-) Ausschüsse zu. Ueber Anträge auf Erteilung der Erlaubnis zum Betriebe der Gast­ wirtschaft, zum Ausschenken von Branntwein oder von Wein, Bier oder anderen geistigen Getränken, sowie zum Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus, ist zunächst die Gemeinde- oder Ortspolizeibehörde zu hören. Wird von einer dieser Behörden Widerspruch erhoben, so dars die Erteilung der Erlaubnis nur auf Grund mündlicher Verhandlung im VerwaltuugSstreitverfahren erfolgen. Die Entscheidung des Bezirksausschusses ist endgültig. In den zu einem Landkreise gehörigen Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern tritt an die Stelle des Kreisausschusses der Magistrat (kollegialische Gemeindevorstand).

9. Gesetz üb. die Zuständigkeit d. Verwaltung«, re. Behörden. §§ 109—119.

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§ 115. Ueber die Anträge aus Erteilung: a) der Konzession zu Privatkranken-, Privatentbindungs- und Privat­ irrenanstalten (§ 30 Abs. 1 der Reichsgewerbeordnung), b) der Erlaubnis zu Schauspielunternehmungen (§ 32 a. a. O.) beschließt der Bezirksausschuß. Gegen den die Konzession (Erlaubnis) versagenden Beschluß findet innerhalb zwei Wochen der Antrag aus mündliche Verhandlung im Ver­ waltungsstreitverfahren statt. Für die iin Verwaltungsstreitverfahren in den Fällen zu a zu treffenden Entscheidungen sind die von den Medizinalaufsichtsbehörden innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit getroffenen allgemeinen Anord­ nungen über die gesundheitspolizeilichen Anforderungen, welche an die baulichen und sonstigen technischen Einrichtungen der unter a bezeichneten Anstalten zu stellen sind, maßgebend.

§ 116. Gegen Verfügungen der Ortspolizeibehörde, durch welche die Erlaubnis zum gewerbsmäßigen öffentlichen Verbreiten von Druck­ schriften (8 43 der Reichsgewerbeordnung) versagt, oder die nicht gewerbs­ mäßige öffentliche Verbreitung von Druckschriften (§ 5 des Reichsgesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874, RGBl. S. 65) verboten worden ist, findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Kreisausschusse, in Stadt­ kreisen und in den zu einem Landkreise gehörigen Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern bei dem Bezirksausschüsse statt. § 117?) Gegen Verfügungen der unteren Verwaltungsbehörden, butd) welche Reichsangehörigen [ber Legitimationsschein) die Legiti m ati on skarte: 1. zum Ankauf von Waren oder zum Aufsuchen von Warenbestellungen (8 44 der Reichsgewerbeordnung) oder 2. szum Gewerbebetrieb im Ilmherziehen (8 58 Rr. 1 und 2 der Reichs­ gewerbeordnung)) versagt worden ist, findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Be­ zirksausschüsse statt. Ueber Anträge wegen Erteilung von Wander­ gewerbescheinen beschließt der Bezirksausschuß. Gegen den versagenden Beschluß findet innerhalb zwei Wochen der Antrag auf mündliche Ver­ handlung im Verwaltungsstreitverfahren statt.

§ 118. In den Fällen der 8§ 115, 116 und 117 ist gegen die Endurteile des Bezirksausschusses nur das Rechtsmittel der Revision zulässig. § 119. Der Kreisausschuß, in Stadtkreisen und in den zu einem Landkreise gehörigen Städten mit mehr als 10000 Einwohnern der Bezirksausschuß, entscheidet aus Klage der zuständigen Behörde: 1. über die Untersagung des Betriebes der im 8 35 der Reichs­ gewerbeordnung und der im 8 37 a. a. O. gedachten Gewerbe; 2. über die Zurücknahme von Konzessionen zum Betriebe der Gastund Schankwirtschaft, zum Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus, sowie zum Betriebe des Pfandleihgewerbes und zum Handel mit Giften (8 53 a. a. O ). *) An Stelle de« § 44 GewO, in der früheren Fassung find die Vorschriiten der §§ 44, 44 a in der Fassung v. 1. Juli 1883 getreten.

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IV. Kruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

§ 120. Der Bezirksausschuß entscheidet auf Klage der zuständigen Behörde über die Zurücknahme: 1. der im vorstehenden §119 Nr. 2 nicht gedachten, im § 53 der Reichsgewerbeordnung aufgeführten Approbationen, Genehmigungen und Bestallungen, mit Ausnahme der Konzessionen der Markscheider; [2. der Konzessionen der Versicherungsunternehmer, sowie der Aus­ wanderungsunternehmer und Agenten;^') 3. der Konzessionen der Handelsmakler;8) 4. der Patente der Stromschiffer (§ 31 Abs. 3 der Reichsgewerbe­ ordnung) ; 5. der Prüfungszeugnisse der Hebammen (§ 30 Abs. 2 a. a. £).). § 121. Insofern durch Reichsgesetz bestimmt wird, daß außer den in §§ 114 bis 120 aufgeführten Gewerbetreibenden noch andere einer Konzession (Approbation, Genehmigung, Bestallung) zum Gewerbebetriebe bedürfen oder noch anderen Gewerbetreibenden der Gewerbebetrieb untersagt oder die ihnen erteilte Konzession zurückgenommen werden kann, so wird die zur Erteilung der Konzession, Untersagung des Gewerbebetriebes, bzw. Zurücknahme der Konzession zuständige Behörde durch Königliche Verordnung bestimmt?) \) Gegenstandslos geworden durch RG. über die privaten VersicherungSunteruedmungen v. 12. Mai 1901 (RGBl. S. 139) u. durch das RG über das Auswanderungswesen v. 9. Juni 1897 (RGBl. S. 463). 2) Tie Handelsmakler sind jetzt freie Gewerbetreibende. Vgl. Art. 13 des preuß. ÄG. z. BGB. v. 20. September 1899 sGS. S. 177). s; Auf Grund dieser Vorschrift sind die folgenden drei VO. ergangen.

1. Verordnung -nr Ausführung des ReichSgeseheS vom 1. Juli 1883, bett. Abänderung der Gewerbeordnung. Bom 31. Dezember 1883.

durch Zurücknahme entzogen

9. Gesetz üb. die Zuständigkeit d. DerwaltungS- rc. Behörden. §§ 120—122.

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c. OrtSftatute«.

K 122. Der Bezirksausschuß beschließt über die Genehmigung von Ortsstatuten, betr. gewerbliche Angelegenheiten (§ 142 der Reichsgewerbe­ ordnung und 8 57 Nr. 2 der Verordnung vom 9. Februar 1849, GS. S. 93.). worden ist, findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Bezirksausschufie statt, gegen besten Endurteile nur das Rechtsmittel der Revision zulästig ist.

# 3. Der Bezirksausschuß, im Stadtkreis Berlin der Polizeipräsident, be­ schließt über Anträge auf Genehmigung des im § 56 Abs. 4 a. a. O. vorgesehenen DruckschriftenverzeichnisteS. Gegen den versagenden Beschluß des Bezirksausschusses findet der Antrag aus mündliche Verhandlung im Verwaltungsstreitverfahren, gegen den versagenden Beschluß des Polizeipräsidenten die Klage bei dem Bezirksausschüsse innerhalb zwei Wochen statt. Gegen die Endurieile des Bezirksausschusses ist nur das Rechtsmittel der Revision zulässig. § 4. Der Kreisausschuß, in Stadtkreisen und in den zu einem Landkreise gehörigen Städten mit mehr als 10000 Einwohnern der Bezirksausschuß, entscheidet auf Klage der Ortspolizeibehörde a) über die Zurücknahme der Erlaubnis zu dem im § 33 a der Reichs-Gewerbe­ ordnung bezeichneten Gewerbebetrieb und über die Untersagung desselben, b) über die Zurücknahme der Erlaubnis, innerhalb des Gemeindebezirks des Wohnorts oder der gewerblichen Niederlassung den im § 42 b Abs. 1 a. a. O. bezeichneten Gewerbebetrieb auszuüben. c) über die Untersagung deS im § 42 b Abs. 1 a a. O. bezeichneten Gewerbebettiebes mit den im § 59 Ziffer 1 und 2 aufgesührten Erzeugnissen und Waren, falls eine solche Untersagung nach §42 b Abs. 3 zugelassen worden ist, (1) über die Untersagung des Gewerbebetriebes solcher Pfandleiher, welche den Gewerbebetrieb vor dem Inkrafttreten deS Gesetzes vom 23. Juli 1879 begonnen haben (§ 53 Abs. 3 Reichs-Gewerbeordnung), e) über die Untersagung des ohne Wandergewerbeschein zulässigen Gewerbe­ betriebes im Umherziehen (a. a. O. § 59 a\ # 5. Der Bezirksausschuß entscheidet auf Klage der Ortspolizeibehörde über die Zurücknahme des Wandergewerbescheins (§ 58 a. a. O.), der Ausdehnung desselben (§ 60 Abs 3 a. a. O.) und der Erlaubnis, bei dem Gewerbebetrieb im Umherziehen andere Personen von Ort zu Ort mitzusühren, in den Fällen des § 62 Abs. 2 a. a. O.

# Ü. Diese Verordnung tritt gleichzeitig mit dem Gesetz vom 30. Juli 1883 über die allgemeine Landesverwaltung (Gesetz-Samml. S. 195) in Kraft. 2. Berardrumg zar AaSführaag M Artikels 3 M iateraatisuale« vertrage- zar Unterdrückung des Branatweiahaadel- unter den Nordseestschern auf Hetzer See. Baur 20. Anguft 1894. (GS. S. 161). Ueber Anträge aus Erteilung der Konzession zum Verkauf von Mundvorrat und anderer zu ihrem Gebrauch dienender Gegenstände, abgesehen von spirituösen Getränken, an Fischer —

Art. 3 des internationalen Vertrages zur Unterdrückung des BranntweinHandels

unter den Nordseefischern auf hoher See vom

i89:i

(Reichs Gesetzbl. von 1894 S. 427) und § 2 des Gesetzes, betreffend die Aus­ führung dieses Vertrages vom 4. März 1894 iReichs-Gesetzbl. S. 151) —, sowie über die Zurücknahme dieser Konzession, beschließt der Landrat, in Stadtkreisen die Ortspolizeibehörde.

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

230

D.

Der Bezirksausschuß beschließt: 1. über die Genehmigung zur Erhöhung der bei der Aufnahme in eine Innung zu entrichtenden Antrittsgelder (§ 85 der Reichsgewerbeordnung); 2. über die Genehmigung zur Auflösung von Innungen (§ 93 a. a. O.).1) tz 123.

§ 124. Der Bezirksausschuß beschließt über die Genehmigung von Jnnungsstatuten und deren Abänderung (§ 92), § 84 der Reichs­ [§ 98 b a. a. O. in der Fassung deS Reichsgesetzes vom 18. Juli 1881 RGBl. S. 233.]

gewerbeordnung.

Gegen den, die Genehmigung versagenden Beschluß findet innerhalb zwei Wochen der Antrag auf mündliche Verhandlung im Derwaltungsstreitverfahren statt. Gegen die Entscheidung des Bezirksausschusses ist nur das Rechts­ mittel der Revision zulässig.

§ 125. Der Entscheidung des Bezirksausschusses unterliegen Streitigkeiten zwischen Ortsgemeinden und Innungen infolge der Auflösung Abs 4), § 98 a Abs. 5 der Reichsgewerbeordnung. (§ 103 a Abs. 3 deS Reichsgesetze« vom 18. Juli 1881). Jngleichen findet in den Fällen (des § 95 Abs. 1) der § 96 Abs. 7 und § 101 Abs. 4 der Reichsgewerbeordnung (und des § 104 Abs. 7 und s des Reichsgesetzes vom is. Juli 1881) innerhalb der gesetzlichen Frist von vier der letzteren gemäß (§ 94

Wochen gegen die dort erwähnten Entscheidungen die Klage bei dem Bezirksausschüsse statt.

§ 126. behörde

über

der

Aufsichtsbehörde

Der Bezirksausschuß entscheidet auf Klage der Aufsichts­ die Schließung einer Innung oder eines gemeinsamen

Jnnungsausschusses ([§ 103 des Reichsgesetzes vom 18. Juli 1881] 88 97, 102 100 c, 1001 Abs. 6 der Reichsgewerbeordnung in der Fassung vom 26. Juli 1900 (RGBl. S. 871). Nvcb VInm. 3 zu S. 228.

3. Verordnung znr AuSfnhrnng deS Reichsgesetzes, betr. die Abänderung der Gewerbe­ ordnung vom 30. Juni 1900. Bom 30. Juli 1900. (GS. S. 308). tz 1. Ueber Anträge auf Erteilung der Erlaubnis zum Betriebe des Gewerbes

eines Pfandvermitrlers, Gesindevermieters oder Stellenvermittlers beschließt der Lrcis(Stadt-)AuSschuß. Wird die Erlaubnis versagt, so steht dem Antragsteller innerhalb zwei Wochen der Antrag auf mündliche Verhandlung im BerwaltungSstreitverfahren vor dem Kreis-(Stadt»)AuSschusse zu. Die Entscheidung des Bezirksausschusses ist endgültig. In den zu einem Landkreise gehörigen Städten mit mehr alS 10000 Ein­ wohnern tritt an die Stelle deS Kreisausschusses der Magistrat (kollegialische Gemeindevorstand). ß 2. Der Kreisausschuß, in Stadtkreisen und in den zu einem Landkreise gehörigen Städten mit mehr als 10000 Einwohnern der Bezirksausschuß, entscheidet auf Klage der Ortspolizeibehörde: a) über die Zurücknahme der Erlaubnis zum Betriebe des Gewerbes eines Pfandvermittlers, GesindevermieterS oder Stellenvermittlers, b) über die Untersagung deS Gewerbebetriebes solcher Pfandvermittler. Gesinde­ vermieter und Stellenvermittler, welche vor dem 1. Oktober 1900 den Gewerbe­ betrieb begonnen haben (§ 53 Abs. 3 der Gewerbeordnung in der Fassung des Reichsgesetzes vom 30. Juni 1900). K 3. Diese Verordnung tritt am 1. Oktober 1900 in Kraft. *) Aufgehoben.

9. Gesetz üb di« Zuständigkeit t>. Verwaltung?- rc. Behörden. §§ 123 — 131.

231

Der Bezirksausschuß kann vor Erlaß des Endurteils nach Anhörung des Jnnungsvorstandes oder des gemeinsamen Jnnungsausschusses die vor­ läufige Schließung der Innung ober des gemeinsamen Jnnungsausschusses anordnen, welche alsdann bis zum Erlaß des Endurteils fortdauert. E. Märkte.

§ 127. Der Provinzialrat beschließt über die Zahl, Zeit und Dauer der Kram- und Viehmärkte. ®egen den Beschluß findet die Beschwerde an den Minister für Handel und Gewerbe statt.

K 128. Der Bezirksausschuß beschließt über die Zahl, Zeit und Dauer der Wochenmärkte, über die fernere Gestattung des herkömmlichen Wochenmarktverkehrs mit gewissen Handwerkerwaren von feiten der ein­ heimischen Verkäufer (§ 64 der Reichsgewerbeordnung), sowie darüber, welche Gegenstände außer den im § 66 a. a. O. aufgeführteil nach Orts­ gewohnheit und Bedürfnis im Regierungsbezirke überhaupt oder an ge­ wissen Orten zu den Wochenmarktsartikeln gehören. Die Festsetzungen über Zahl, Zeit und Dauer der Wocheiilnärkte erfolgen unter Zustimmung der Gemeindebehörden des Marktortes.

§ 129. Sofern bei Aufhebung von Märkten der in den 88 127 und 128 bezeichneten Art Entschädigungsansprüche von Atarktberechtigten in Frage kommen, bedürfen die bezüglichen Beschlüsse der Zustimmung des Ministers für Handel und Gewerbe. K 130. Der Bezirksausschuß beschließt über die Einführung neuer, sowie über die Erhöhung oder Ermäßigung oder anderweite Regulierung bestehender Marktstandsgelder (Gesetz vorn 26. April 1872, betr. die Er­ hebung von Marktstandsgeldern, GS. S. 513). Bei der Bestimmung des § 5 Abs. 2 des Gesetzes vom 26. April 1872 behalt es sein Bewenden. F. Oeftevtliche Schlachthäuser.

K 131.

Der Bezirksausschuß beschließt: 1. über die Genehmigung der auf Grund der 88 1 bis 4 des Ge­ setzes vom 18. Mürz 1868, betr. die Errichtung öffentlicher, ausschließlich zu benutzender Schlachthäuser (GS. S. 277), gefaßter Gemeindebeschlüsse, sowie über die Bestätigung von Verträgen zwischen einer Gemeinde und einem Unternehmer in betreff der Errichtung eines öffentlichen Schlacht­ hauses (§ 12 a. a. O.);

2. über die Entschädigungsansprüche der Eigentümer und Nutzungs­ berechtigten von Privatschlachtanstalten wegen des ihnen durch die Errichtung öffentlicher, ausschließlich zu benutzender Schlachthäuser zugefügten Schadens (88 9 bis 11 a. a. SD.). In den Fällen zu 1 findet die Beschwerde an den Minister für Handel und Gewerbe, in den Fällen zu 2 nur der ordentliche Rechtsweg gemäß 8 11 a. a. O. statt.

232

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

G. Kehrberirke.

§ 132.

Der Bezirksausschuß beschließt über die Einrichtung, Aus­ hebung oder Veränderung der Kehrbezirke für Schornsteinseger (§ 39 der Reichsgewerbeordnung).

H. Ablösung gewerblicher Berechtigungen.

§ 133.

Der Bezirksausschuß entscheidet über Anträge aus Ab­ lösung von Gewerbeberechtigungen und auf Entschädigung für aufgehobene Gewerbeberechtigungen. Gegen die Endurteile des Bezirksausschusses findet unter Ausschluß anderer Rechtsmittel nur die Berufung an das Oberverwaltungsgericht statt.

XVII. Titel.

Handelskammer«, kaufmännische Korporationen, Börse«.

§§ 134, 135?) § 136. Gegen

Beschlüsse des Vorstandes einer kaufmännischen Korporation über die Aufnahme, die Suspension oder die Ausschließung von Mitgliedern, die Gültigkeit der Vorstandswahlen, die Rechte und Pflichten der Mitglieder und die Verhängung von Ordnungsstrafen gegen Mitglieder findet, soweit nach dem Statut gegen dergleichen Beschlüsse der Rekurs an eine Behörde zulässig ist, an Stelle desselben innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Bezirksausschusie statt.

§ 137. Gegen Beschlüsse der Handelskammer oder des Vorstandes einer kaufmännischen Korporation, durch welche die Erlaubnis zum Besuche der, der Aussicht der Handelskammer oder kaufmännischen Korporation unterstellten Börse versagt, auf Zeit oder für immer entzogen, eine Beschwerde über unrichtige Ein-

schätzung zu den Börsenbeiträgen zurückgewiesen, oder über einen Handelsmakler eine Ordnungsstrafe verhängt wird, findet, soweit nach der Börsen- oder Maklerordnung gegen dergleichen Beschlüsse der Rekurs an eine Behörde zuläflig ist, an Stelle desselben innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Bezirksausschüsse statt.

§ 138. Gegen die Endurteile des Bezirksausschusses in den Fällen der 88 136 und 137 ist nur das Rechtsmittel der Revision zulässig. XVIII. Titel.

Feuerlöschwesen. § 139. Der Kreisausschuß beschließt, soweit die Vorschriften über das Feuerlöschwesen nicht entgegenstehen, über die Genehmigung und erforderlichenfalls über die Anordnung zur Bildung, Veränderung und Aufhebung von Verbänden mehrerer Landgemeinden oder Gutsbezirke behufs gemeinschaftlicher Anschaffung und Unterhaltung von Feuerspritzen (Spritzenverbänden). Ueber die gemeinschaftlichen Angelegenheiten jedes Spritzenverbandes, insbesondere über die Aufbringungsweise und die Verteilung der Kosten, *) Aufgehoben durch Handelskammergesetz v. 9. August 1897 (GS. S. 355).

9. Gesetz üb die Zuständigkeit d. Verwaltung«- ic. Behörden. §§ 132—144.

233

sind, soweit dies notwendig ist, die erforderlichen Festsetzungen durch ein unter den Beteiligten zu vereinbarendes Statut, welches der Bestätigung des KreisauSschufses bedarf, zu treffen. Kommt eine Vereinbarung über das Statut binnen einer von dem KreiSauSschufse zu bemeffenden Frist nicht zu stände, oder wird dem Statute die Bestätigung wiederholt versagt, so stellt der Kreisausschuß das Statut fest.

§ 140. Ueber die infolge Veränderung oder Aufhebung eines Spritzenverbandes notwendig werdende Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten beschließt der Kreisausschuß. Gegen den Beschluß findet innerhalb zwei Wochen der Antrag auf mündliche Verhandlung im Verwaltungsstreitverfahren statt. Streitigkeiten zwischen den beteiligten Gemeinden oder Gutsbezirken über ihre Berechtigung oder Verpflichtung zur Teilnahme an den Nutzungen bzw. Lasten des Spritzenverbandes unterliegen der Entscheidung des Kreis­ ausschusses im Verwaltungsstreitverfahren. XIX.

Titel.

Hilfskaffe«.

§ 141. Der Bezirksausschuß beschließt über Anträge auf Zulassung eingeschriebener Hilsskaffen (§ 4 des Reichsgesetzes über die eingeschriebenen Hilfökassen vom 7. April 1876, RGBl. S. 125). Gegen den die Zulassung versagenden Beschluß findet innerhalb zwei Wochen der Antrag auf mündliche Verhandlung im Derwaltungsstreitverfahren statt. Gegen die Entscheidung des Bezirksausschuffes ist nur das Rechts­ mittel der Revision zuläffig. § 142 Der Bezirksausschuß entscheidet aus Klage der Aufsichts­ behörde über die Schließung eingeschriebener Hilfskassen (§ 29 a. a. £).). Der Bezirksausschuß kann vor Erlaß des Endurteils nach Anhörung des Kassenvorstandes die vorläufige Schließung der Hilfskasie anordnen, welche alsdann bis zum Erlasse des Endurteils fortdauert. XX.

Titel.

Baupolizei.

§ 143. Der Bezirksausschuß beschließt über die Anwendung der in den Städten geltenden feuer- und baupolizeilichen Vorschriften bei Ge­ bäuden auf solchen zum platten Lande gehörigen Grundstücken, welche innerhalb der Städte oder im Gemenge mit städtischen bebauten Grund­ stücken liegen, gemäß den Vorschriften der Verordnung vom 17. Juli 1846 (GS. S. 399).

§ 144. Ueber die Anwendung der Bestimmungen der Verordnung vom 21. Dezember 1846, betr. die bei dem Bau von Eisenbahnen be­ schäftigten Handarbeiter (GS. 1847 S. 21), auf andere öffentliche Bau­ ausführungen (Kanal- und Chausseebauten rc.) gemäß § 26 der gedachten Verordnung beschließt:

234

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

1. insoweit es sich um Bauten der Kreise, Amts-, Wegeverbände oder Gemeinden handelt, der Regierungspräsident unter Zustimmung des Bezirksausschusses; 2. insoweit cs sich um Bauten des Provinzialverbandes handelt, der Obeipräsident unter Zustimmung des Provinzialrats; 3. sür den Stadtkreis Berlin der Oberpräsident.

§ 145. Ueber Dispense von Bestimmungen der Baupolizeiordnungen beschließt nach Maßgabe dieser Ordnungen der Kreisausschuß, in Stadt­ kreisen und in den zu einem Landkreise gehörigen Städten von mehr als 10000 Einwohnern der Bezirksausschuß, soweit die Angelegenheit nicht nach diesen Ordnungen zur Zuständigkeit anderer Organe gehört. Ver­ fügungen der letzteren unterliegen der Anfechtung nur im Wege der Be­ schwerde an die Aufsichtsbehörde, n Der Bezirksausschuß tritt in betreff der Zuständigkeit zur Erteilung von Dispensen in allen Fällen an die Stelle der Bezirksregierung, in Zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluß ist auch die zur Erteilung der Bauerlaubnis zuständige Behörde befugt, welcher der Beschluß zuzustellen ist. iv. Gegen den Beschluß des Bezirksausschusses iu erster Instanz findet die Beschwerde an den Minister der öffentlichen Arbeiten statt. 1

§ 146. Die §§17 und 18 des Gesetzes, bett, die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortichaften, vom 2. Juli 1875 (GS. S. 561) werden ausgehoben. Die Wahrnehmung der in den §§ 5, 8, 9 a. n. O. dem Kreisausschufse beigelegten Funktionen liegt für den Stadtkreis Berlin dein Minister der öffentlichen Arbeiten, für die übrigen Stadtkreise, sowie für die zu einem Landkreise gehörigen Städte mit mehr als 10 000 Ein­ wohnern dem Bezirksausschüsse ob. Die Bestätigung der Statuten nach den §§12 und 15 a. a. O. erfolgt sür den Stadtkreis Berlin durch den Minister des Innern. XXL

Xitel.

Dismembrationtz- und Aufiedelungsfachen.

§ 147. Die §§ 22 und 23 des Gesetzes vom 25. August 1876, bett, die Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstücksteilungen und die Gründung neuer Ansiedelungen in den Provinzen Preußen, Branden­ burg, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen und Westfalen (GS. S. 405), treten außer Kraft. § 148. Die in den §§ 1 bis 4 des Lauenburgischeu Gesetzes vom 4. November 1874, betr. die Gründung neuer Ansiedelungen im Herzogtum Lauenburg (Offizielles Wochenbl. S. 291), dem Laudrate zugewiesene Entscheidung über die Gestattung neuer Ansiedelungen ist von der Ortspolizeibehörde zu treffen. Gegen den Bescheid, welcher mit Gründen zu versehen und dem Antragsteller, sowie denjenigen, welche Widerspruch erhoben haben, zu

9. Gesetz üb. die Zuständigkeit d. Verwaltung-- :c. Behörden. §§ 144—152.

235

eröffnen ist, steht den Beteiligten innerhalb zwei Wochen die Klage im Verwaltungsstreitverfahren bei dem Kreisausschusse zu.

§ 149. Im Geltungsbereiche des Lauenburgischen Gesetzes vom 22. Januar 1876, bett, die Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstiickszerstückelungen (Offizielles Wochenbl. S. 11), tritt 1. an die Stelle der im § 12 Abs. 2 den Beteiligten und der Patronats­ behörde offen gehaltenen Beschwerde gegen die Lastenverteilung, innerhalb der dort bestimmten Frist von zwei Wochen, die Klage beim Kreisausschusse im Verwaltungsstreitversahren und, 2. an die Stelle der vorläufigen Festsetzung des Landrats über die Lastenverteilung (§ 16 a. a. O.) die vorläufige Festsetzung durch Beschluß des Kreisausschusses, gegen welchen eine Beschwerde nicht stattfindet. XXII. Titel.

Enteignuugssacheu. § 150. Die Befugnisse und Obliegenheiten, welche in dem Gesetze vorn 11. Juni 1874 über die Enteignung von Grundeigentum (GS. S. 221) den Bezirksregierungen (Landdrosteien) beigelegt worden sind, werden in den Fällen der §§ 15, 18 bis 20, 24 und 27 von dem Regierungs­ präsidenten, in den Fällen der §§ 3, 4, 5, 14, 21, 29, 32 bis 35 und 53 Abs. 2 von dem Bezirksausschüsse im Beschlußverfahren, in dem Stadtkreise Berlin von der ersten Abteilung des Polizeipräsidiums, wahrgenoininen. Auch gehen auf den Bezirksausschuß bzw. die erste Abteilung des Polizeipräsidiums in Berlin die nach den 88 142 ff. des Allg. Berg­ gesetzes vom 24. Juni 1865 (GS. S. 705) der Bezirksregierung zustehenden Befugnisse über. Gegen die in erster Instanz gefaßten Beschlüsse des Bezirksausschusses bzw. der ersten Abteilung des Polizeipräsidiums findet, soweit nicht der ordentliche Rechtsweg zulässig ist, innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Minister der öffentlichen Arbeiten statt. Bei der für die Erhebung der Beschwerde in § 34 des Gesetzes vom 11. Juni 1874 bestimmten Frist von drei Tagen behält es sein Bewenden.

K 151. Die nach § 53 Abs. 1 deS Gesetzes vom 11. Juni 1874 dem Landrate (in Hannover der betreffenden Obrigkeit) zugewiesene Ent­ scheidung ist durch Beschluß deS KreiS-(Stadt-)Ausschusses zu treffen. Der § 56 des gedachten Gesetzes tritt außer Kraft. § 152. Soweit nach den für Enteignungen im Interesse der Landeskultur im § 54 Nr. 1 des Gesetzes vom 11. Juni 1874 aufrecht erhaltenen Gesetzen, in Verbindung mit dem Gesetze über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883, der Regierungspräsident über die Enteignung Entscheidung zu treffen haben würde, beschließt der Bezirks­ ausschuß, jedoch — unbeschadet der Vorschriften im § 97 deS gegenwärtigen Gesetzes — mit Ausnahme der Enteignungen für die Zwecke von Deichen, welche einem Deichverbande angehören, und für die Zwecke der Sielanstalten in den Verbandsbezirken.

236

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

K 153. Der Bezirksausschuß beschließt endgültig vorbehaltlich deß ordentlichen Rechtsweges über die Feststellung der Entschädigung in den Fällen der 88 39 ff. des Reichsgesetzes vom 21. Dezember 1871, bett, die Beschränkungen des Grundeigentums in der Umgebung von Festungen «RGBl. S. 459). XXIII. Titel Personenstand und Staatsangehörigkeit. § 154. Die staatliche Aufsicht über die Amtsführung der

1

Standes­ beamten wird in den Landgemeinden und Gutsbezirken von dem Landrat als Vorsitzenden des Kreisausschusses, in höherer Instanz von dem Regierungs­ präsidenten und dem Minister des Innern, in den Stadtgemeinden von dem Regierungspräsidenten, in höherer Instanz von dem Oberpräsidenten und dem Minister des Innern, im Stadtkreise Berlin von dem Ober­ präsidenten und in höherer Instanz von dem Minister des Innern geführt.

IL

In dem Bezirke deS OberlandeSgerichts zu Köln bewendet es bei den dieserhald zur Zeit bestehenden Vorschriften.')

hi.

Die Festsetzung der Entschädigung für die Wahrnehmung der Ge­ schäfte des Standesbeamten in den Fällen des § 7 Abs. 2 des Reichsgesetzes vom 6. Februar 1875 (§ 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 8. März 1874) erfolgt in den Stadtgcmeinden durch die Gemeindevertretung, für die Landgemeinden durch Beschluß des Kreisausschufses. Beschwerden über die Festsetzung sind in beiden Fällen innerhalb zwei Wochen bei dem Bezirks­ ausschüsse anzubringen. Der Beschluß des Bezirksausschusses ist endgültig.

§ 155. Die durch das Reichsgesetz vom 1. Juni 1870 über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit (BGBl. S. 355) der höheren Verwaltungsbehörde beigelegten Befugnisse übt fortan der Regierungspräsident aus. Gegen den Bescheid des Regierungspräsidenten, durch welchen Ange­ hörigen eines anderen deutschen Bundesstaats oder einem früheren Reichs­ angehörigen die Erteilung der Aufnahmeurkunde, oder einem Preußischen Staatsangehörigen die Erteilung der Entlassungsurkunde in Friedenszeiten versagt worden ist (§§ 7, 15, 17 und 21 letzter Absatz a. a. O.), findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte statt.

XXIV. Titel. Steirerangelegenheiten.

$ 156.

(Aufgehoben durch EStG § 85 Abs. 4.)

XXV. Titel. Ergänzende, Uebergangs- und Schluffbestimmungev. § 157. Durch den in dem gegenwärtigen Gesetze vorgeschriebenen Beschwcrdezug an einen bestimmten Minister wird die in den bestehenden Vorschriften begründete Mitwirkung anderer Minister bei Erledigung der Beschwerde nicht berührt. ‘) Aufgehoben.

9. Gesetz üb. die Zuständigkeit b. Verwaltung», jc. Behörden. §§ 153—164.

237

K 158. Durch die den Behörden in diesem Gesetze beigelegten Besugnisse zur Entscheidung bzw. Beschlußfassung in Wegebausachen und in wasserpolizeilichen Angelegenheiten werden die der Landespolizeibehörde und dem Minister der öffentlichen Arbeiten nach §§ 4 und 14 des Gesetzes über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838 (®S. S. 505) und nach § 7 des Gesetzes vom 1. Mai 1865 (GS. S. 317) zustehenden Befugnisse in Eisenbahnangelegenheiten nicht berührt.

§ 159. Die in den §§ 7 und 22 des Gesetzes über die Eisenbahn­ unternehmungen vom 3. November 1838 und nach § 9 des Gesetzes vom 1. Mai 1865 (GS. S. 317) der Bezirksregierung beigelegten Befugnisie gehen auf den Minister der öffentlichen Arbeiten über. In Streitsachen zwischen Eisenbahngesellschaften und Privatpersonen wegen Anwendung des Bahngeld- und des Frachttarifs (§ 35 des ersteren Gesetzes) entscheidet fortan der ordentliche Richter. K 160. In den Fällen der §§ 1, 18, 34, 44, 46, 47, 54 und 140 des gegenwärtigen Gesetzes, sowie des § 53 des Gesetzes, betr. die Bildung von Wassergenossenschasten, vom 1. April 1879 (GS. S. 297) ist die Zuständigkeit des Kreis-(Stadt-) Ausschusses, des BezirksauSschuffes und des Oberverwaltungsgerichts auch insoweit begründet, als bisher durch § 79 Tit. 14 T. II des Allg. Landr., bzw. §§ 9, 10 des Gesetzes über die Er­ weiterung des Rechtsweges Boni 24. Mai 1861 (GS. S. 241) oder sonstige bestehende Vorschriften der ordentliche Rechtsweg für zuläsiig erklärt war. Der Grundsatz, daß die Entscheidungen unbeschadet aller privatrechtlichcn Verhältnisse ergehen (§ 7 des Gesetzes über die allgemeine Landes­ verwaltung vom 30. Juli 1883), bleibt hierbei unberührt. § 161. Für den Stadtkreis Berlin ist der Bezirksausschuß auch in den Fällen der §§ 14, 17 Nr. 2 und 5, 41, 110, 111, 112, 123. 128, 130, 132, 145 und 154 Abs. 3 dieses Gesetzes zuständig. In den Fällen der §§ 115, 117, 124 und 141 beschließt für den Stadtkreis Berlin an Stelle des Bezirksausschusses der Polizeipräsident; gegen den versagenden Beschluß desselben findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Bezirksausschüsse statt.

§ 162. Maßgebend für die Berechnung der Einwohnerzahl einer Stadt ist in betreff der Bestimmungen dieses Gesetzes die durch die jedes­ malige letzte Volkszählung ermittelte Zahl der ortsanwesenden Zivilbevölkerung. § 163. Das gegenwärtige Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Gesetze über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 in Kraft. Bezüglich der vor diesem Zeitpunkte anhängig gemachten Sachen sind die Vorschriften deS § 154 Abs. 3 des letzteren Gesetzes maßgebend. § 164. Mit dem Tage des Inkrafttretens des gegenwärtigen Gesetzes kommt das Gesetz, betr. die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichtsbehörden rc-, vom 26. Juli 1876 (GS. S. 297) in allen seinen Teilen in Wegfall. Jngleichen treten mit dem gedachten Zeitpunkte alle mit den Vor­ schriften des gegenwärtigen Gesetzes in Widerspruch stehenden Bestimmungen außer Kraft.

238

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

10. Pemdmg, betreffend das KmattingSMnBdersahren veM Bkilrellmg Don Geldbeträgen. Som 15. Novemder 1899. (GS. S- 545.)

I. Allgemeine Bestimmungen.

§ 1. Die Zwangsvollstreckung wegen aller derjenigen Abgaben, Gefälle und sonstigen Geldbeträge, welche nach den bestehenden Vorschriften der Beitreibung im BerwaltungSzwangsverfahren unterliegen, erfolgt aus­ schließlich nach den Vorschriften dieser Verordnung. § 2. Inwieweit über die Verbindlichkeit zur Entrichtung der ge­ forderten Geldbeträge der Rechtsweg stattfindet, richtet sich nach den hier­ über bestehenden Vorschriften. Wegen vermeintlicher Mängel des Zwangsverfahrens, dieselben mögen die Form der Anordnung oder die der Ausführung oder die Frage be­ treffen, ob die gepfändeten Sachen zu den pfändbaren gehöre», ist dagegen, unbeschadet der besonderen Vorschriften über die Rechtsmittel im Falle der zwangsweisen Ausführung polizeilicher Verfügungen, nur die Beschwerde bei der vorgesetzten Dienstbehörde des Beamten zulässig, dessen Veriahren angefochten wird. K 3. Soweit nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes Dritte, insbesondere Erben, Ehegatten, Eltern oder Nießbraucher, kraft Gesetzes zu der Leistung oder zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet sind, kann das Zwangsversahren auch gegen diese Personen angeordnet werden. Die Vorschriften der 88 735 bis 749, 778, 779, 781 bis 784, 786 der Zivilprozeßordnung finden mit der Maßgabe entsprechende An­ wendung, daß die Anordnung des Zwangsverfahrens an die Stelle des nach den 88 735 bis 749 zur Zulässigkeit der gerichtlichen Zwangsvoll­ streckung erforderlichen oder genügenden vollstreckbaren Titels tritt. Durch die Geltendmachung der dem Erben nach §§ 2014, 2015 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zustehenden Einreden wird die Zwangsvoll­ streckung in den Nachlaß nicht gehemmt, wenn der beizutreibenden For­ derung das im 8 61.Nr. 2 oder 3 der Koukursordnung bezeichnete Vor­ recht zusteht. Wird seitens einer der im Abs. 1 benannten Personen die Verpflich­ tung zu der Leistung oder zur Duldung der Zwangsvollstreckung bestritten oder werden auf Grund der 88 781 bis 784, 786 der Zivilprozeßordnung Einwendungen erhoben, so entscheidet hierüber derjenige, für dessen Rech­ nung die Zwangsvollstreckung stattfindet. Gegen die den Widerspruch oder die erhobene Einwendung zurückweisende Entscheidung steht entweder die Beschwerde bei der vorgesetzten Aufsichtsbehörde oder innerhalb einer Aus­ schlußfrist von einem Monate nach der Zustellung die gerichtliche Klage zu. Die Anbringung des einen Rechtsmittels schließt das andere aus.

10. Verordn., bett, das VerwaltungszwangSverfahre» ic.

§§ 1—8.

239

Die Klage ist gegen denjenigen, für dessen Rechnung die Zwangsvoll­ streckung stattfindet, zu richten. Auf die Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Aufhebung bereits erfolgter Vollstreckungsmaßregeln finden die Vorschriften der §§ 769,770 der Zivilprozeßordnung entsprechende Anwendung.

§ 4 Diejenigen Behörden oder Beamten, welchen die Einziehung der der Beitreibung im DerwaltungszwangSverfahren unterliegenden Geld­ beträge zusteht, bilden die zur Anordnung und Leitung des Zwangsver­ fahrens zuständigen Vollstreckungsbehörden. Auf die Beamten der Korpo­ rationen, welche nach den bisherigen Vorschriften zur eigenen Zwangsvoll­ streckung nicht berechtigt sind, findet diese Bestimmung nicht Anwendung. Die Behörde, welcher die Einziehung einer gerichtlich erkannten Geld­ strafe obliegt, ist zugleich Vollstreckungsbehörde für die mit der Einziehung der Strafe verbundene Beitreibung der Kosten. Diese Beitreibung erfolgt nach den für die Beitreibung der Strafe geltenden Vorschriften. Fehlt es an einer nach den vorstehenden Vorschriften zuständigen Vollstreckungsbehörde, so hat die Bezirksregierung (Polizeipräsidium in Berlin) eine solche zu bestimmen. Den zuständigen höheren Verwaltungs- und den Aufsichtsbehörden ist es gestattet, die Funktionen der Vollstreckttngsbehörde selbst zti übernehmen.

§ 5. Muß eine Vollstreckungsmaßregel außerhalb des Geschäfts­ bezirkes der Dollstreckungsbehörde zur Attsführung gebracht werden, so hat die entsprechende Behörde desjenigen Bezirkes, in welchem die Ausführung erfolgen soll, auf Ersuchen der Vollstreckungsbehörde das Zwangsverfahren auszuführen. Insoweit von der ersuchten Behörde die Pfändung körper­ licher Sachen und deren Versteigerung ausgeführt wird, tritt diese an die Stelle der Vollstreckungsbehörde. § 6. Die Vollstreckungsbehörde hat das Zwangsverfahren durch die ihr beigegebenen Vollziehungsbeamten oder durch diejenigen Beamten, deren sie sich als solcher zu bedienen hat, auszuführen. Fehlt es derselben an solchen Beamten, so kann die Bezirksregierung (Polizeipräsidium in Berlin) eine andere Vollstreckungsbehörde bestimmen. Die Vollziehungsbeamten müssen eidlich verpflichtet werden. Die Ausführung der Zwangsvollstreckung wegen der in Angelegen­ heiten der Justizverwaltung beizutreibenden Geldbeträge findet durch die Gerichtsvollzieher statt; den Gerichtsvollziehern kann die Ausführung einer Zwangsvollstreckung auch in anderen Fällen übertragen werden. Die Gerichtsvollzieher haben an Stelle der Vorschriften der §§ 9, 10, 14, 15, 22 bis 31 die für den Zivilprozeß geltenden Vorschriften zu beobachten. § 7. Der Zwangsvollstreckung soll in der desjenigen, gegen welchen die Zwangsvollstreckung dreitätiger Zahlungsfrist vorhergehen. In Betreff tritt die Mitteilung der Kostenrechnung die Stelle

Regel eine Mahnung vorzunehmen ist, mit der Gerichtskosten ver­ der Mahnung.

§ 8. Gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Militärperson darf die Zwangsvollstreckung erst beginnen, nachdem von derselben die vorgesetzte Militärbehörde Anzeige erhalten hat. Der Dollstreckungsbehörde ist auf Verlangen der Empfang der Anzeige zu bescheinigen.

240

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

Soll die Zwangsvollstreckung gegen eine dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörende Person des Soldatenstandes in Kasernen und anderen militärischen Dienstgebäuden oder auf Kriegsfahrzeugen er­ folgen. so hat die Vollstreckungsbehörde die zuständige Militärbehörde um die Zwangsvollstreckung zu ersuchen. Die gepfändeten Gegenstände sind dem von der Vollstreckungsbehörde bezeichneten Beamten zu übergeben.

§ 9. Auf die Zustellungen finden die Vorschriften der Zivilprozeß­ ordnung über Zustellungen, die von Amtswegen erfolgen, mit folgenden Maßgaben entsprechende Anwendung. § 10. Dir Beglaubigung einer bei der Zustellung zu übergebenden Abschrift (§ 210 der Zivilprozeßordnung) ist nicht erforderlich. Die für Zustellungen zur Nachtzeit und an Sonntagen und allge­ meinen Feiertagen notwendige Erlaubnis (§ 188 a. a. O ) wird von der Vollstreckungsbehörde erteilt. Die Niederlegung des Schriftstücks im Falle des § 182 a. a. O. findet bei der Ortsbehörde oder der Postanstalt des Zustellungsorts statt. Die dem Gerichtsschreiber und Gerichtsdiener obliegenden Geschäfte werden von den dazu bestimmten Beamten wahrgenommen. § 11. In den Fällen der §§ 199 bis 201 der Zivilprozeßordnung erfolgt die Zustellung in der dort vorgeschriebenen Weise. Eine in einem anderen deutschen Staate zu bewirkende Zustellung erfolgt mittelst Ersuchens der zuständigen Behörde desselben. Die Zustellung wird durch das schriftliche Zeugnis der ersuchten Behörden oder Beamten, daß die Zustellung erfolgt sei, nachgewiesen. § 12. Ist der Aufenthalt des Schuldners unbekannt, so kann die Zustellung an denselben durch Anheftung des zuzustellenden Schriftstücks an der zu Aushängen der Vollstreckungsbehörde bestimmten Stelle erfolgen. Die Zustellung gilt als bewirkt, wenn seit der Anheftung zwei Wochen verstrichen sind. Aus die Gültigkeit der Zustellung hat es keinen Einfluß, wenn das Schriftstück von dem Orte der Anheftung zu früh entfernt wird. Diese Art der Zustellung ist auch dann zulässig, wenn bei einer im Auslande zu bewirkenden Zustellung die Befolgung der für diese bestehenden Vorschriften unausführbar ist oder keinen Erfolg verspricht oder wenn die Zustellung aus dem Grunde nicht bewirkt werden kann, weil die Wohnung einer nach den 88 18, 19 des Gerichtsverfassungsgesetzes der Gerichts­ barkeit nicht unterworfenen Person der Ort der Zustellung ist. § 13. Dem Schuldner und Dritten gegenüber wird der Voll­ ziehungsbeamte zur Vornahme der Zwangsvollstreckung durch den ihm er­ teilten und auf Verlangen einer beteiligten Person vorzuzeigenden schrift­ lichen Auftrag der Vollstreckungsbehörde ermächtigt. § 14. Der Vollziehungsbeamte hat die im § 758, mit Ausnahme deS Schlußsatzes, sowie in den 88 759, 762 der Zivilprozeßordnung dem Gerichtsvollzieher beigelegten Rechte und Pflichten. Die Bestimmungen des 8 761 a. a. O. finden mit der Maßgabe Anwendung, daß die Ortspolizeibehörde für die Erteilung der Erlaubnis zur Vornahme einer Vollstreckungshandlung zuständig ist.

10. Verordn., teil. ba8 BerwaltnngSzwangsvkrsahren rc.

§§ 8—19.

241

K 15. Die Aufforderungen und sonstigen Mitteilungen, welche zu den Vollstreckungshandlungen gehören, find von dem Vollziehungsbeamten mündlich zu erfassen und vollständig in das Protokoll auszunehmen. Kann die mündliche Ausführung nicht erfolgen, so hat die Vollftreckungsbehörde demjenigen, an welchen die Aufforderung oder Mitteilung zu richten ist, eine Abschrift des Protokolls zu übersenden.

§ 16. Die Kosten der Mahnung und der Zwangsvollstreckung sollen dem Schuldner zur Last; fie find zugleich mit dem zur Zwangs­ vollstreckung stehenden Ansprüche beizutreiben.

II. Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen. A. Allgemeine Bestimmungen.

§ 17. Die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen er­ folgt durch Pfändung. Sie darf nicht weiter ausgedehnt werden, als zur Deckung der beizutreibenden Geldbeträge und der Kosten der Zwangsvoll­ streckung erforderlich ist. Die Pfändung hat zu unterbleiben, wenn sich von der Verwertung der zu pfändenden Gegenstände ein Ueberschuß über die Kosten der Zwangsvollstreckung nicht erwarten läßt.

K 18. Gegen die Pfändung kann fich der Schuldner nur schützen, wenn derselbe entweder eine Fristbewilligung vorzeigt oder die vollständige Berichtigung des beizutreibenden Geldbetrags durch Quittung oder durch Vorlegung eines Postscheins nachweist, aus welchem sich ergibt, daß der beizutreibende Geldbetrag an die für die Einziehung zuständige Stelle eingezahlt ist. Zur Empfangnahme von Geldbeträgen ist der Vollziehungsbeamte nur nach Maßgabe des ihm erteilten schriftlichen Auftrags ermächtigt.

§ 19. Behauptet ein Dritter, daß ihm an dem gepfändeten Gegenstand ein die Veräußerung hinderndes Recht zustehe oder werden nach Maßgabe der §§ 772, 773 oder 774 der Zivilprozeßordnung Ein­ wendungen erhoben, so ist der Widerspruch gegen die Pfändung erforder­ lichenfalls im Wege der Klage geltend zu machen. Auf die Einstellung weiterer und die Aufhebung bereits erfolgter Vollstreckungsmaßregeln finden die Vorschriften der §§ 769, 770 der Zivilprozeßordnung Anwendung. Der Pfändung einer Sache kann ein Dritter, welcher sich nicht im Besitze der Sache befindet, auf Grund eines Pfand- oder Vorzugsrechts nicht widersprechen; er kann jedoch seinen Anspruch auf vorzugsweise Be­ friedigung aus dem Erlös im Wege der Klage geltend machen, ohne Rückficht darauf, ob seine Forderung fällig ist oder nicht. In den im Abs. 1 und 3 bezeichneten Fällen ist die Klage aus­ schließlich bei dem Gerichte zu erheben, in dessen Bezirke die Pfändung erfolgt ist. Wird die Klage gegen denjenigen, für dessen Rechnung die Zwangsvollstreckung stattfindet, und den Schuldner gerichtet, so sind diese als Streitgenossen anzusehen. 2 :1 c r - 3 c m l o, Lcrwrllttmgsgc'eye fiu PieuZcu.

16

242

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

§ 20. Wird ein Gegenstand auf Grund der Pfändung veräußert, so steht dem Erwerber wegen eines Mangels im Rechte oder wegen eines Mangels der veräußerten Sache ein Anspruch auf Gewährleistung nicht zu. § 21. Hat die Pfändung zu einer vollständigen Deckung der bei­ zutreibenden Geldbeträge nicht geführt oder wird glaubhaft gemacht, daß durch Pfändung eine vollständige Deckung nicht zu erlangen sei, so ist der Schuldner auf Antrag der für die Einziehung des Geldbetrags zuständigen Stelle verpflichtet, ein Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen, in Betreff seiner Forderungen den Grund und die Beweismittel zu bezeichnen, sowie den Offenbarungseid dahin zu leisten: daß er nach bestem Wissen sein Vermögen so vollständig an­ gegeben habe, als er dazu im Stande sei. Für die Abnahme des Offenbarungseids ist das Amtsgericht zu­ ständig, in dessen Bezirke der Schuldner seinen Wohnsitz oder in Er­ mangelung eines solchen seinen Aufenthaltsort hat; für das Verfahren gelten die Vorschriften der §§ 900 bis 915 der Zivilprozeßordnung; jedoch ist die Vorauszahlung der Verpflegungskosten nicht erforderlich, wenn die Leistung des Offenbarungseids wegen solcher Geldbeträge bean­ tragt ist, welche an den Staat zu entrichten sind. B. Zwangsvollstreckung in Körperliche Lachen.

§ 22. Die Pfändung der im Gewahrsame des Schuldners befind­ lichen körperlichen Sachen wird dadurch bewirkt, daß der Vollziehungs­ beamte dieselben in Besitz nimmt. Andere Sachen als Geld, Kostbarkeiten und Wertpapiere sind im Gewahrsame des Schuldners zu belassen, sofern nicht hierdurch die Be­ friedigung des Gläubigers gefährdet wird. Werden die Sachen im Gewahr­ same des Schuldners belasten, so ist die Wirksamkeit der Pfändung da­ durch bedingt, daß durch Anlegung von Siegeln oder auf sonstige Weise die Pfändung ersichtlich gemacht ist. Der Vollziehungsbeamte hat den Schuldner von der geschehenen Pfändung in Kenntnis zu setzen. § 23. Die vorstehenden Bestimmungen finden entsprechende An­ wendung auf die Pfändung von Sachen, welche sich im Gewahrsam eines zur Herausgabe bereiten Dritten befinden. § 24. Früchte, die von dem Boden noch nicht getrennt sind, können gepfändet werden, solange nicht ihre Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen erfolgt ist. Die Pfän­ dung darf nicht früher als einen Monat vor der gewöhnlichen Zeit der Reife erfolgen. Ein Gläubiger, der ein Recht auf Befriedigung aus dem Grund­ stücke hat, kann der Pfändung nach Maßgabe des § 19 Abs. 1 dieser Verordnung widersprechen, sofern nicht die Pfändung für einen im Falle der Zwangsvollstreckung in das Grundstück vorgehenden Anspruch erfolgt ist.

§ 25. Die in dem § 811 der Zivilprozeßordnung Sachen sind der Pfändung nicht unterworfen.

bezeichneten

10. Verordn., bett, dar Verwaltungizwangioersahren ic.

Die Vorschriften der §§ 812 und 813 finden entsprechende Anwendung.

der

§§ 20—32.

243

Zivilprozeßordnung

8 26. Die gepfändeten Sachen find auf schriftliche Anordnung der Vollstreckungsbehörde und zwar in der Regel durch den VollziehungSbeaniten öffentlich zu versteigern; Kostbarkeiten find vor der Versteigerung durch einen Sachverständigen abzuschätzen. Gepfändetes Geld hat der Vollziehungsbeamte an die Vollstreckungsbehörde abzuliefern; die Wegnahnte des Geldes durch den Vollziehungsbeamten gilt als Zahlung von Seiten des Schuldners.

8 27. Die Versteigerung der gepfändeten Sachen darf nicht vor Ablauf einer Woche seit dem Tage der Pfändung geschehen, sofern nicht der Schuldner sich mit einer früheren Versteigerung einverstanden erklärt oder dieselbe erforderlich ist, um die Gefahr einer beträchtlichen Wert­ verringerung der zu versteigernden Sache abzuwenden oder um unverhältnismäßige Kosten einer längeren Aufbewahrung zu vermeiden. Die Versteigerung erfolgt in der Gemeinde, in welcher die Pfändung geschehen ist. Zeit und Ort der Versteigerung sind unter allgemeiner Bezeichnung der zu versteigernden Sachen öffentlich bekannt zu machen. Auf Ersuchen der Vollstreckungsbehörde ist der Ortsvorsteher verpflichtet, der Versteigerung beizuwohnen oder einen Gemeinde- oder Polizeibeamten mit der Beiwohnung zu beauftragen. Die Vorschriften des § 18 finden auf die Versteigerung entsprechend Anwendung. 8 28. Bei der Versteigerung ist nach den Vorschriften der §§ 816 Abs. 4, 817 Abs. 1 bis 3, 818 der Zivilprozeßordnung zu verfahren. Die Empfangnahme des Erlöses durch den versteigernden Beamten gilt als Zahlung von Seiten des Schuldners.

8 29. Gold- und Silbersachen dürfen nicht unter ihrem Goldoder Silberwerte zugeschlagen werden. Wird ein den Zuschlag gestattendes Gebot nicht abgegeben, so kann der Verkauf aus freier Hand zu dem Preise bewirkt werden, welcher den Gold- oder Silberwert erreicht. 8 30. Gepfändete Wertpapiere find, wenn sie einen Börsen- oder Marktpreis haben, aus freier Hand zum Tageskurse zu verkaufen und, wenn fie einen solchen Preis nicht haben, nach den allgemeinen Bestim­ mungen zu versteigern. 8 31. Die getrennter Früchte nach der Trennung ziehungsbeamte die

Versteigerung gepfändeter, von dem Boden noch nicht ist erst nach der Reife zulässig. Sie kann vor oder der Früchte erfolgen; im letzteren Falle hat der Voll­ Aberntung bewirken zu laffen.

8 32 Lautet ein gepfändetes Wertpapier aus Namen, so ist die Vollstreckungsbehörde berechtigt, die Umschreibung auf den Namen des Käufers oder, wenn es sich um ein auf Namen umgeschriebenes Inhaber­ papier handelt, die Rückverwandlung in ein Jnhaberpapier zu erwirken und die hierzu erforderlichen Erklärungen an Stelle des Schuldners abzugeben.

244

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

8 33, Auf Antrag des Schuldners oder aus besonderen Zweck­ mäßigkeitsgründen kann die Vollstreckungsbehörde anordnen, daß die Ver­ wertung einer gepfändeten Sache in anderer Weise oder an einem anderen Orte, als in den vorstehenden Paragraphen bestimmt ist, stattzufindeii habe oder daß die Versteigerung durch eine andere Person als den Voll" ziehungsbeamten vorzunehmen sei.

$ 34. Zur Pfändung bereits gepfändeter Sachen genügt die in das Protokoll aufzunehmende Erklärung des Vollziehungsbeamten, daß er die Sachen zur Deckung der ihrer Art und Höhe nach zu bezeichnenden Geldbeträge pfände. Der Schuldner ist von der weiteren Pfändung in Kenntnis zu setzen. Ist die erste Pfändung im Auftrag einer anderen Dollstreckungü­ behürde oder durch einen Gerichtsvollzieher erfolgt, so ist dieser Vollslreckungsbehörde beziehungsweise dem Gerichtsvollzieher eine Abschrift des Protokolls zuzustellen. Eine entsprechende Verpflichtung hat der Gerichtsvollzieher, welcher im Wege der gerichtlichen Zwangsvollstreckung eine bereits im Auftrag einer Vollstreckungsbehörde gepfändete Sache pfändet. § 35. Wenn eine mehrfache Pfändung desselben Gegenstandes im Auftrage verschiedener Vollstreckungsbehörden oder im Auftrag einer Vollüreckungsbehörde und durch Gerichtsvollzieher stattgefunden hat, so be­ gründet ausschließlich die erste Pfändung die Zuständigkeit zur Ausführung der Versteigerung. Die Versteigerung erfolgt für alle beteiligten Gläubiger auf Betreiben eines Jeden derselben. Die Verteilung des Erlöses erfolgt nach der Reihenfolge der Psäin düngen oder, falls die sämtlichen Beteiligten über die Verteilung einver­ standen sind, nach der getroffenen Vereinbarung. Ist der Erlös zur Deckung der Forderungen nicht ausreichend und verlangt der Gläubiger, für welchen die zweite oder eine spätere Pfändung erfolgt ist, ohne Zustimmung der übrigen beteiligten Gläubiger eine andere Verteilung als nach der Reihenfolge der Pfändungen, so ist die Sachlage unter Hinterlegung des Erlöses demjenigen Amtsgericht, in desien Bezirke die Pfändung stattgefunden hat, anzuzeigen. Dieser Anzeige sind die auf das Verfahren sich beziehenden Schriftstücke beizufügen. Die Verteilung erfolgt nach Maßgabe der Vorschriften der §§ 873 bis 882 der Zivil­ prozeßordnung. In gleicher Weise ist zu verfahren, wenn die Pfändung für mehrere Gläubiger gleichzeitig bewirkt ist. C. Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte. § 36. Soll eine Geldforderung gepfändet werden, so hat die Voll­ streckungsbehörde durch schriftliche Verfügung dem Drittschuldner zu ver­ bieten, an den Schuldner zu zahlen. Zugleich hat die Vollstreckungsbehörde an den Schuldner durch schrift­ liche Verfügung das Gebot zu erlassen, sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere der Einziehung derselben, zu enthalten.

10. Verordn., bett, das BerwaltungSzwangiverfahren rc.

§§ 33—41.‘

245

Mit der Zustellung der Verfügung an den Drittschuldner ist die Pfändung als bewirkt anzusehen. Bon dieser Zustellung ist der Schuldner in Kenntnis zu setzen.

§ 37. Zur Pfändung einer Forderung, für welche eine Hypothek besteht, ist außer dem Pfändungsbeschlusse die Aushändigung des Hypo­ thekenbriefs an die Vollstreckungsbehörde erforderlich. Die Vorschriften des § 830 der Zivilprozeßordnung finden entsprechende Anwendung.

§ 38. Die Pfändung von Forderungen aus Wechseln und anderen Papieren, welche durch Indossament übertragen werden können, wird da­ durch bewirkt, daß der Vollziehungsbeamte diese Papiere in Besitz nimmt. § 39. Die gepfändete Geldforderung ist demjenigen, sür dessen Rechnung die Zwangsvollstreckung erfolgt, durch die Vollstreckungsbehörde zur Einziehung zu überweisen; dieselbe hat beglaubigte Abschriften der Ver­ fügung dem Schuldner und dem Drittschuldner zustellen zu lassen.

§ 40. Die Ueberweifung ersetzt die förmlichen Erklärungen des Schuldners, von welchen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes die Berechtigung zur Einziehung der Forderung abhängig ist. Bei Ueberweisung einer Forderung, sür welche eine Hypothek besteht, findet der § 837 der Zivilprozeßordnung entsprechende Anwendung. Der Ueberweisungsbeschluß gilt, auch wenn er mit Unrecht erlassen ist. zu Gunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber solange als rechtsbeständig, bis er aufgehoben wird und die Aufhebung zur Kenntnis deö Drittschuldners gelangt. Der Schuldner ist verpflichtet, die zur Geltendmachung der For­ derung nötige Auskunft zu erteilen und die über die Forderung vorhan­ denen Urkunden herauszugeben. Im Weigerungsfälle sind die Urkunden auf Anordnung der Dollstreckungsbehörde dem Schuldner durch den Voll­ ziehungsbeamten wegzunehmen. Werden die herauszugebenden Urkunden nicht vorgefunden, so kann von dem Schuldner die Ableistung des Offenbarungseids dahin, daß er die Urkunden nicht besitze, auch nicht wisse, wo dieselben sich befinden, gefordert werden. Das Gericht kann eine der Lage der Sache entsprechende Aenderung der vorstehenden Eidesnorm beschließen. Für die Zuständigkeit des Gerichts und das Verfahren finden die Vorschriften be8 § 21 entsprechende Anwendung. Befindet sich eine herauszugebende Urkunde im Gewahrsam eines Dritten, so ist demjenigen, für dessen Rechnung die Zwangsvollstreckung erfolgt, der Anspruch des Schuldners auf Herausgabe derselben nach Maßgabe des 8 39 zu überweisen. § 41. Auf Verlangen des Gläubigers hat der Drittschuldner binnen zwei Wochen, von der Zustellung der im § 36 Abs. 1 bezeichneten Verfügung an gerechnet, dem Gläubiger zu erklären: 1. ob und inwieweit er die Forderung als begründet anerkenne und Zahlung zu leisten bereit sei;

246

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

2. ob und welche Ansprüche andere Personen an die Forderung machen; 3. ob und wegen welcher Ansprüche die Forderung bereits für andere Gläubiger gepfändet sei. Die Aufforderung zur Abgabe dieser Erklärung kann in die vorge­ dachte Verfügung ausgenommen werden. Der Drittschuldner hastet dem Gläubiger für den aus der Nichterfüllung seiner Verpflichtung entstehenden Schaden. Die Bestimmungen der §§ 841 bis 843 der Zivilprozeßordnung finden Anwendung.

8 42. Schon vor der Pfändung kann die für die Einziehung zu­ ständige Stelle durch die Vollstreckungsbehörde dem Drittschuldner und dem Schuldner die Benachrichtigung, daß die Pfändung bevorstehe, zu­ stellen lassen mit der Aufforderung an den Drittschuldner, nicht an den Schuldner zu zahlen, und mit der Aufforderung an den Schuldner, sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere der Einziehung derselben, zu enthalten. Die Benachrichtigung an den Drittschuldner hat die Wirkung eines Arrestes (§ 930 der Zivilprozeßordnung), sofern die Pfändung der For­ derung innerhalb drei Wochen bewirkt wird. Die Frist beginnt mit dem Tage, an welchem die Benachrichtigung zugestellt ist. 8 43. Die Zwangsvollstreckung in Ansprüche, welche die Heraus­ gabe oder Leistung körperlicher Sachen zum Gegenstände haben, erfolgt nach den Vorschriften der §§ 36 bis 42 unter Berücksichtigung der nach­ stehenden Bestimmungen. 8 44. Bei der Pfändung eines Anspruchs, welcher eine bewegliche körperliche Sache betrifft, hat die Vollstreckungsbehörde anzuordnen, daß die Sache an den zu bezeichnenden Vollziehungsbeamten herauszugeben sei. Aus die Verwertung der Sache finden die Vorschriften über die Verwertung gepfändeter Sachen Anwendung.

8 45. Bei Pfändung eines Anspruchs, welcher eine unbewegliche Sache betrifft, hat die Vollstreckungsbehörde anzuordnen, daß die Sache an einen auf ihren Antrag vom Amtsgerichte der belegenen Sache zu be­ stellenden Sequester herauszugeben sei. Ist der Anspruch auf Uebertragung des Eigentums gerichtet, so hat die Auflaffung an den Sequester als Vertreter des Schuldners zu erfolgen. Mit dem Uebergange des Eigentums auf den Schuldner erlangt derjenige, für dessen Rechnung die Zwangsvollstreckung erfolgt, eine Sicherungs­ hypothek für seine Forderung. Der Sequester hat die Eintragung der Sicherungshypothek zu bewilligen. Die Zwangsvollstreckung in die herausgegebene Sache wird nach den für die Zwangsvollstreckung in unbewegliche Sachen geltenden Vor­ schriften bewirkt. 8 46. Der Pfändung sind nicht unterworfen: 1. die auf gesetzlicher Vorschrift beruhenden Alimentensorderungen und die nach § 844 deS Bürgerlichen Gesetzbuchs wegen der Ent­ ziehung einer solchen Forderung zu entrichtende Geldrente;

10. Verordn., betr. das Berwaltungszwangsverfahren rc.

§§ 41—47.

247

2. die fortlaufenden Einkünfte, welche ein Schuldner aus Stiftungen oder sonst auf Grund der Fürsorge und Freigebigkeit eines Dritten bezieht, insoweit der Schuldner zur Bestreitung des not­ dürftigen Unterhalts für fich, feinen Ehegatten und seine unver­ sorgten Kinder dieser Einkünfte bedarf; 3. die aus Kranken-, Hilfs- oder Sterbekaffen, insbesondere aus Knappschastskassen und Kaffen der Knappschaftsvereine, zu be­ ziehenden Hebungen; 4. der Sold und die Jnvalidenpensionen der Unteroffiziere und der Soldaten sowie die Unterstützungen an Familien der in den Dienst eingetretenen Mannschaften nach Maßgabe des Reichs­ gesetzes vom 28. Februar 1888 (Reichs-Gesetzbl. S. 59); 5. das Diensteinkommen der Militärpersonen, welche zu einem mobilen Truppenteil oder zur Besatzung eines in Dienst gestellten Kriegssahrzeugs gehören; 6. die Pensionen der Witwen und Waisen und die denselben aus Witwen- und Waisenkassen zukommenden Bezüge, die Erziehungs­ gelder und die Studienstipendien sowie die Pensionen invalider Arbeiter; 7. das Diensteinkommen der Offiziere, Militärärzte und Deckosfiziere, der Beamten, der Geistlichen sowie der Aerzte und Lehrer an öffentlichen Anstalten; die Pension dieser Personen nach deren Versetzung in einstweiligen oder dauernden Ruhestand sowie der nach ihrem Tode den Hinterbliebenen zu gewährende Sterbe- oder Gnadengehalt. Uebersteigen in den Fällen Nr. 6 und 7 das Diensteinkommen, die Pension oder die sonstigen Bezüge die Summe von fünfzehnhundert Mark für das Jahr, so ist der dritte Teil deS Mehrbetrags der Pfän­ dung unterworfen. Bei der Einziehung von kurrenten öffentlichen Abgaben, von Dis­ ziplinarstrafen und von solchen Zwangsstrafen, welche durch die vorgesetzte Dienstbehörde festgesetzt sind, finden die Vorschriften der Nr. 7 rücksichtlrch des Diensteinkommens und der Pension der Zivilbeamten, der Geistlichen sowie der Aerzte und Lehrer an öffentlichen Anstalten nicht Anwendung. Die nach § 843 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichtende Geldrente ist nur soweit der Psändung unterworfen, als der Gesamtbetrag die Summe von 1500 Mark für das Jahr übersteigt. Die Einkünfte, welche zur Bestreitung eines Dienstaufwandes be­ stimmt sind, und der Servis der Offiziere, Militärärzte und Militär­ beamten sind weder der Pfändung unterworfen, noch bei der Ermittelung, ob und zu welchem Betrag ein Diensteinkommen der Pfändung unterliege, zu berechnen. Bezüglich der Zulässigkeit der Pfändung des Arbeits- oder Dienst­ lohns verbleibt es bei den Bestimmungen des ReichSgesehes vom 21. Juni 1869 (Bundcs-Gesetzbl. 1869 S. 242 und 1871 S. 63).

§ 47. Die Vorschriften der §§ 851 ordnung finden entsprechende Anwendung.

und 852 der

Zivilprozeß­

248

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

§ 48. Ist eine Forderung auf Anordnung mehrerer Vollstreckungs­ behörden oder auf Anordnung einer Vollstreckungsbehörde und eines Ge­ richts gepfändet, so finden die Vorschriften der §§ 853 bis 856 der Zivil­ prozeßordnung entsprechende Anwendung. In Ermangelung eines nach §§ 853, 854 zuständigen Amtsgerichts findet die Hinterlegung bei der Hinterlegungsstelle desjenigen Amtsgerichts statt, in dessen Bezirke die Vollstreckungsbehörde, deren Pfändungsverfügung dem Drittschuldner zuerst zugestellt worden, ihren Sitz hat.

§ 49. Auf die Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte, welche nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Ver­ mögen sind, finden die vorstehenden Bestimmungen entsprechende Anwendung. Ist ein Drittschuldner nicht vorhanden, so ist die Pfändung mit dem Zeitpunkt als bewirkt anzusehen, in welchem dem Schuldner das Ge­ bot, sich jeder Verfügung über das Recht zu enthalten, zugestellt ist. Ein unveräußerliches Recht ist in Ermangelung besonderer Vor­ schriften der Pfändung insoweit unterworfen, als die Ausübung einem Anderen überlassen werden kann. Die Vollstreckungsbehörde kann bei der Zwangsvollstreckung in unver­ äußerliche Rechte, deren Ausübung einem Anderen überlassen werden kann, besondere Anordnungen erlassen. Sie kann insbesondere bei der Zwangs­ vollstreckung in Nutzungsrechte eine Verwaltung anordnen. In diesem Falle wird die Pfändung durch Uebergabe der zu benutzenden Sache an den Verwalter bewirkt, sofern sie nicht durch Zustellung der Pfändungs­ verfügung bereits vorher bewirkt ist. Ist die Veräußerung des Rechtes selbst zulässig, so kann auch diese Veräußerung unter der gleichen Voraussetzung von der Vollstreckungs­ behörde angeordnet werden. Auf die Zwangsvollstreckung in eine Reallast, eine Grundschuld oder eine Rentenschuld finden die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in eine Forderung, für welche eine Hypothek besteht, entsprechende Anwendung. Bezüglich der Zwangsverwaltung und Wiederverpachtung verpachteter Grundstücke und Gerechtsame behält es bei den besonderen Bestimmungen des § 42 der Verordnung vom 26. Dezember 1808 (Gesetz-Samml. von 1806 bis 1810 S. 464) und der Allerhöchsten Ordre vom 31. De­ zember 1825 (Gesetz-samml. für 1826 S. 5) sein Bewenden. § 50. Die Bestimmungen der §§ 858 bis 863 der Zivilprozeß­ ordnung finden entsprechende Anwendung.

§ 50 a. Um die Ausführung von Maßregeln der Zwangsvoll­ streckung in Forderungen und andere Vermögensrechte kann die Voll­ streckungsbehörde die entsprechende Behörde desjenigen Bezirkes, in welchem der Schuldner seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort hat, ersuchen. In diesem Falle tritt die ersuchte Behörde, soweit von ihr die Zwangsvollstreckung ausgeführt wird, an die Stelle der Vollstreckungs­ behörde?) *) Art. 50 a wurde eingeschaltet durch die VO. vom 18. März 1904. (GS. S. 36).

10. Verordn., betr. das BerwaltungszwangSverfahren rc.

§§ 48—54.

249

III. Zwangsvollstreckung in das nubewegliche Vermögen. § 51. Die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen erfolgt nach den für gerichtliche Zwangsvollstreckungen bestehenden Vor­ schriften. Die erforderlichen Anträge sind durch die Vollstreckungsbehörde zu stellen. Anträge auf Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung sind nur zulässig, sobald feststeht, daß durch Pfändung die Beitreibung des Geld­ betrags nicht erfolgen kann. Die Vollstreckbarkeit der Forderung und die Zulässigkeit der Zwangs­ vollstreckung nach Maßgabe des Abs. 2 unterliegen nicht der Beurteilung des Gerichts oder Grundbuchamts. In den besonderen Rechten der bestehenden Kreditverbände bei der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung der zu ihnen gehörigen oder von ihnen beliehenen Güter wird durch die Bestimmungen dieser Verord­ nung nichts geändert.

§ 52. Ist eine Sicherungshypothek eingetragen, so ist im Falle der Veräußerung des belasteten Grundstücks die Zwangsvollstreckung in Ansehung des Grundstücks gegen den Rechtsnachfolger zulässig. Die Vor­ schriften des § 3 Abs. 3 finden Anwendung.

iv. Arrest. § 53. Soweit ein Arrest zur Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen einer im Verwaltungszwangsversahren beizutreibenden Geldforderung zulässig ist, erfolgt die Vollziehung desselben unter entsprechender Anwen­ dung der Vorschriften dieser Verordnung. Die Vorschriften der Zoll- und Steuergesetze über die Beschlagnahme zoll- oder steuerpflichtiger Gegenstände werden hierdurch nicht berührt.

V. Koste« der Zwangsvollstreckung. § 54. Die Kosten des Verfahrens sind nach dem angehängten Tarif unter Beachtung der nachstehenden näheren Bestimmungen zu berechnen: a> Die Wertsklasse wird bei der Ausführung einer Versteigerung durch den Erlös der versteigerten Gegenstände, in allen anderen Füllen durch die Summe der von jedem einzelnen Schuldner ein­ zuziehenden Geldbeträge, einschließlich der rückständigen Kosten, bestimmt. b) Bei der Pfändung körperlicher Sachen sowie bei deren Versteigerung ist der Anspruch auf Gebühren begründet, sobald der Vollziehungs­ beamte die Ausführung des entsprechenden Auftrags begonnen hat. c) Die Gebühren müssen, auch wenn der Vollziehungsbeamte mehrere Zwangsmaßregeln in derselben Gemeinde an demselben Tage voll­ streckt hat, von jedem Schuldner besonders entrichtet werden. Die Kosten für die öffentliche Bekanntmachung und für die Versteigerung find jedoch, wenn mehrere Massen zusammengenommen werden, nur einmal nach der Gesamtsumme zu entrichten und unter die

IV. Truppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

250

d)

e) 1) g)

beteiligten Schuldner nach Verhältnis des au8 jeder Masse ge­ wonnenen Erlöses zu verteilen. Die durch die Zwangsvollstreckung verursachten baren Alislagen sind von dem Schuldner zu ersetzen; bei Verteilung der Trans­ portkosten und anderer baren Auslagen, welche mehrere Schuldner gemeinschaftlich zu tragen haben, ist aus die besonderen Umstünde, namentlich den Wert, den Umfang und das Gewicht der Gegen­ stände, billige Rücksicht zu nehmen. Neben den Gebühren findet der Ansatz von Reise- und Zehrungs­ kosten für den Vollziehungsbeamten nicht statt. Die Gebühren der zugezogenen Sachverständigen werden nach den für gerichtliche Schätzungen vorgeschriebenen Sätzen bestimmt. Die Gebühren des Vollziehungsbeamten kommen auch für andere, mit der Vornahme einzelner Vollstreckungshandlungen beauftragte Beamte in Ansatz.

Das Staatsministerium ist ermächtigt, eine Revision und ander­ weite Festsetzung des Tarifs vorzunehmen. Vorstehende Bestimmungen finden keine Anwendung, wenn die Zwangsvollstreckung durch einen Gerichtsvollzieher erfolgt. § 55. Die Gebühren des Vollziehungsbeamten und alle anderen Kosten der Zwangsvollstreckung werden von der Vollstreckungsbehörde aus den eingegangenen Geldern entnommen. Bei Unzulänglichkeit dieser Gelder werden, soweit für den einzelnen Fall nicht anderweite Bestimmungen maßgebend sind, zunächst die in An­ satz gebrachten Gebühren des Vollziehungsbeamten, sodann die übrigen Kosten der Zwangsvollstreckung berichtigt; soweit die letzteren aus den ein­ gegangenen Geldern nicht gedeckt werden, sind dieselben unbeschadet der bestehenden anderweiten Vorschriften von demjenigen zu tragen, für dessen Rechnung die Zwangsvollstreckung erfolgt. § 56. Diese Verordnung tritt gleichzeitig mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft. Die zur Ausführung derselben erforderlichen Anordnungen haben die beteiligten Ministerien gemeinschaftlich zu erlassen.

10. Verordn-, betr. das Berwallungszlvangsvcrsahren ic.

§§ 54—56.

251

Gebühreutarif. 11.

I.

III.

IV.

V.

15 300 3 150 biS bis bis bis bis 300 1000 16 150 3 Mark Mark Mark Mark Mark eiuschl. eiuschl. eiuschl eiuschl. eiuschl Df. M Vf jK Vf. M Pf. jK Pf.

VI.

VII.

1000 über bis 5000 5000 Mark Mark. eiuschl. A Vf- M Ps.

1

Für jede Mahnung, welche nicht mittelst der Post erfolgt ist*)............... ... Q Für die Pfändung körperlicher Sachen sowie für die Wegnahme der vom Schuldner herauszugebenden Urkunden, einschließlich der durch die Pfändung und Wegnahme der Urkunden heran* laßten Zustellungen............................

4.

5. (>

7.

8.

Wenn der Schuldner die Pfändung abwendet (§ 18), wird nur die Hälfte der Gebühren entrichtet. Für die öffentliche Bekanntmachung der Versteigerung durch Aushang und Ausruf.................................................. Für die Versteigerung sowie für den freihändigen Verkauf der gepfändeten Sachen, einschließlich der hierdurch veranlaßten Zustellungen................... Wenn derSchuldner die Versteigerung adwendet (§ 27 Abs. 3), wird nur die Hälfte der Gebühren entrichtet, jedoch nicht über 2 Mark 50 Pf. Pfändungs- und Versteigerungs­ kosten im Sinne der Bestimmungen zu Nr. 2 Abs. 2 und zu Nr. 4 Abs. 2 dürfen nur dann gefordert werden, wenn der Bollziehungsbeamte behufs Vornahme der Pfändung oder Ver­ steigerung sich an Ort und Stelle be­ geben hat. Für jede Abschrift eines Protokolls . . Für jede im Zwangsverfahren erforder­ liche Zustellung, welche nicht nach den Bestimmungen unter Nr. 2 und 4 un­ entgeltlich zu leisten ist...................... Gebühren der bei einer Pfändung zu­ gezogenen Zeugen...................... Gebühren des Aufbewahrers von ge­ pfändeten Sachen täglich................... Wenn die Ausbewahrung länger als 8 Tage dauert, werden von dem 9. Tage an nur die halben Gebühren bewilligt.

75

75

75

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:—

4 —

5 —

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— 20 — 40 — 20 — 20 — 10 — 20

3

5 - 15 — 30 —

— 10 — 10 — 10 — 10 — 10

1 20

2



2

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2—

— 40 — 50 — 50 — 50 — 50 — 30 — 50 — 75

1 —

1 50

Für Mitteilung von GerichtSkvftenrechnungen wird die Gebühr nicht entrichtet. Das durch der­ artige Mitteilung veranlagte Porto bleibt der Staatskasse zur Üasr.

252

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

11. ÄweiM der Fimnzimislers, zur Bnssiihrnng Her Berordnnng uom 15. «oimber 1899, 6tlr. bas BerwnltnngbMongsnerfnhren wegen Beitreibung non Geldbeträgen. Sem 28. «evember 1899. (®S. S. 545 u. «bgbnCBl. 1900 S. 44. i

Aus Grund der im § 56 der Verordnung vom 15. November 1*99, betreffend das Berwaliungszwangsversahren wegen Beitreibung von Geld­ beträgen (Ges.-Samml. S. 545), den beteiligten Ministerien erteilten Er­ mächtigung wird zur Ausführung dieser Verordnung nachstehendes vorgeschricben:

1. Allgemeine Bestimmungen. Art. 1. Anwendung der Verordnung. (Zu § 1.) Welche Geldleistungen der Beitreibung im Verwaltungszwangsversahren unterliegen, bestimmt sich liach den hierüber ergangenen allgemeinen und nach den in den einzelnen Landesteilen bestehenden besonderen Vorschriften.

Art. 2. Vollstreckung gegen Dritte. (Zu £ 3.i Neben dem ersten Schuldner oder an Stelle desselben kann dem Gläubiger, — sei es für die ganze, sei es für einen bestimmten Teil der Schuld — noch eine andere Person haftbar sein. Diese Haftung kann beruhen auf Vor­ schriften des öffentlichen Rechtes. So findet, wenn die Schuld als eine öffentliche Last auf einem Grundstücke ruht. — wie z. B. ein Grund- oder Gebäudesteuerbetrag — bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück die Einziehung des Betrags gegen jeden Besitzer des Grund­ stücks, neben dem ersten Schuldner also auch gegen jeden Besitznachfolger statt. Nach § 42 Abs. 4 des Ergänzungssteuergesetzes hasten z. B. ferner außer dem Veranlagten diejenigen Personen, deren Vermögen dem Veran­ lagten gemäß § 5 des genannten Gesetzes zugerechnet worden ist, für den auf dieses Vermögen entfallenden Teil der Ergänzungssteuer solidarisch. In allen diesen Fällen hat die Vollstreckungsbehörde die Zwangs­ vollstreckung gegen die anderweit hastenden Personen in derselben Weise, wie gegen den ersten Schuldner, zu bewirken. Art. 3. Die Haftung anderer Personen als des ersten Schuldners kann aber auch beruhen aus den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes. Soweit diese Haftung kraft Gesetzes eintritt, findet das Verwaltungszwangs­ verfahren auch gegen den Dritten statt; dagegen ist es ausgeschlossen, so­ weit die Haftung durch Rechtsgeschäft, z. B. Bürgschaft begründet ist. Art. 4. Kraft Gesetzes haften insbesondere: 1. die Erben und Nacherben, sowie die Erbschaftskäufer nach den Vor­ schriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Haftung für Nachlaß­ verbindlichkeiten ;

11. Anwtis. d. FinanzministerS, bktr. d. Verwaltungszwang-verf. rc. Art. 1—5.

253

2. der Ehemann für gewisse Schulden der Ehefrau (BGB. §§ 1388, 1459 Abs. 2, 1530 Abs. 2, 1549); sofern der gesetzliche Güterstand besteht, haftet der Mann namentlich persönlich während der Dauer feiner Verwaltung und Nutznießung für alle der Frau obliegenden öffentlichen Lasten mit Ausschluß der auf dem Vorbehaltsgute ruhenden Lasten und der außerordentlichen Lasten, die als auf den Stamm­ wert des eingebrachten Gutes gelegt anzusehen sind; der Vater oder die Mutter eines unter elterlicher Gewalt stehenden Kindes für gewiße Schulden des Kindes (BGB. §§ 1654, 1686); das zu 2 über die Haftung für öffentliche Lasten Bemerkte findet entsprechende Anwendung; 4. derjenige, welcher ein Vermögen durch Vertrag übernommen hat 11 e r = 5 u m l o, BcrwattungSgesetze für Preußen.

258

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Etaattbehörden.

dieses Verzeichnisses nach dem beigesügten Muster II auszufertigen istverschiedene Rückstände desselben Schuldners find in der Regel durch den­ selben Mahnzettel einzufordern.

Art. 22. Behändigung derMahnzettel. Die Behändigung der Mahnzettel an den Schuldner erfolgt durch den VollziehungS- oder einen anderen hiermit beauftragten öffentlichen Beamten oder durch Aufgabe zur Post. Im ersteren Falle hat der beauftragte Beamte den Mahnzettel dem Schuldner selbst oder einem erwachsenen Hausgenoffen desselben zu behän­ digen und wie solches geschehen, unter Angabe des Namens desjenigen, dem der Zettel behändigt worden, und des TageS der Behändigung in einem ihm bei Erteilung des Auftrags übergebenen Verzeichnisse der anzumahnenden Schuldner zu bescheinigen. Wird die Annahme verweigert oder kann die Behändigung wegen Abwesenheit eines zur Annahme Be­ rechtigten nicht erfolgen, so hat der Beamte die Behändigung durch An­ heften an die Tür der Wohnung des Schuldners oder durch Uebergabe des Mahnzettels an die Ortsbehörde zu bewirken, letztere hat alsdann die Mitteilung an den Schuldner zu veranlaffen. Der mit der Behändigung des Mahnzettels beauftragte Beamte ist zur Annahme von Zahlungen nur dann befugt, wenn ihm die Ermäch­ tigung hierzu von der Vollstreckungsbehörde ausdrücklich erteilt ist. In dem Mahnzettel ist anzugeben, ob bzw. bis zu welchem Betrage der be­ händigende Beamte zur Empfangnahme von Zahlungen ermächtigt ist. Die Behändigung durch Aufgabe zur Post geschieht in der Weise, daß der Mahnzettel in einem verschloffenen Briefumschläge unter der Adresse des Schuldners nach deffen Wohnorte zur Post gegeben wird. In diesem Falle wird die Behändigung mit der bescheinigten Aufgabe zur Post als bewirkt angesehen, selbst wenn die Sendung als unbestellbar zurück­ kommt. Die Bescheinigung der Aufgabe zur Post kann nur durch einen vereidigten Beamten geschehen. Art. 28. Bildet die für die Einziehung zuständige Stelle zugleich die Vollstreckungsbehörde, so hat dieselbe das Verfahren der Behändigung der Mahnzettel selbst zu leiten und namentlich unter Berücksichtigung der örtlichen oder der sonst in Betracht kommenden Verhültniffe zu bestimmen, ob die Behändigung der Mahnzettel durch den Vollziehungsbeamten oder durch Aufgabe zur Post geschehen soll. Hat jedoch der Schuldner nicht seinen Wohnsitz im Geschäftsbezirke der Vollstreckungsbehörde, so muß der Regel nach die Behändigung durch Ausgabe zur Post erfolgen. Geschieht die Behändigung durch den Vollziehungsbeamten, so ist demselben ein auf die sämtlichen anzumahnenden Schuldner bezüglicher, die Spalten 1, 3 bis 5 des Restverzeichniffes umfasiender Auszug zu übergeben; derselbe hat sodann in der Spalte 5 des Auszugs die erfolgte Behändigung durch den Vermerk „behändigt bent N. N. ant — ten.......... ", oder falls die Behändigung durch Anheften an die Tür bzw. durch llebergabe an die OrtSbehörde erfolgt ist, durch den Vermerk „angeheftet am — ten ", bzw. „dem Ortsvorsteher übergeben am ", zu bescheinigen.

11. Anweis. d. Finan-minister-, betr. d. BerwaltungSzwangsverf. ic. Art. 21—27.

259

Erfolgt die Behändigung durch Aufgabe zur Post, so muß der Be­ amte, welcher die Aufgabe bewirkt hat, dieselbe in der Spalte 5 des Rest­ verzeichnisses durck den Vermerk „auf die Post gegeben am — ten " bescheinigen.

Art. 24. Bildet dagegen die für die Einziehung zuständige Stelle nicht zugleich die Vollstreckungsbehörde, so muß die Behändigung der Mahn­ zettel entweder durch einen hiermit besonders beauftragten öffentlichen Beamten oder durch die in Gemäßheit deS § 4 Abs. 3 der Verordnung bestellte Vollstreckungsbehörde bewirkt werden. Die näheren Bestimmungen hierüber bleiben den zuständigen Behörden derverschiedenenRefforts Vorbehalten. Im ersteren Falle hat die für die Einziehung zuständige Stelle die von ihr ausgefertigten Mahnzettel nebst dem im Art. 23 Abs. 2 erwähnten Auszuge des Restverzeichniffes dem beauftragten Beamten mitzuteilen, welcher die Behändigung unter Beobachtung der daselbst gegebenen Vor­ schriften auszuführen und den mit den erforderlichen Bescheinigungen ver­ sehenen Auszug demnächst zurückzugeben hat. Soll die Behändigung der Mahnzettel durch die in Gemäßheit des § 4 Abs. 3 der Verordnung bestellte Vollstreckungsbehörde erfolgen, so muß die für die Einziehung zuständige Stelle die von ihr ausgesertigten Mahn­ zettel nebst ihrem Restverzeichnisse und dem Auszug aus letzterem der Vollstreckungsbehörde mitteilen, welche das weitere Verfahren zu veranlassen hat. In solchen Fällen hat die gedachte Stelle von allen auf die in dem Restverzeichnis aufgeführten Rückstände bei ihr eingehenden Zahlungen der Vollstreckungsbehörde unverzüglich Kenntnis zu geben. Art. 25. Mündliche Mahnung. Sofern in einzelnen Landes­ teilen die Ausfertigung oder Behändigung der Mahnzettel wegen Mangels geeigneter Beamten auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, können die Pro­ vinzialbehörden für ihren Geschäftsbereich ausnahmsweise die mündliche Mahnung durch den Vollziehungs- oder einen anderen hiermit besonders beauftragten öffentlichen Beamten gestatten. Dieselben haben in solchen Fällen zugleich darüber zu bestimmen, in welcher Weise die Ausführung der Mahnung zu bescheinigen ist.

Art. 26. Hinsichtlich der bei Gerichtskosten die Stelle der Mahnung vertretenden Kostenrechnungen werden die erforderlichen Anordnungen vom Justizminister erlaffen.

III. Zwangsverfahren.

A. Allgemeine Bestimmungen. Art. 27.

Einleitung des Zwangsverfahrens- Nachdem Ablaufe der Mahnungsfrist ist wegen der verbliebenen, in Spalte 7 des Restverzeichniffes einzutragenden Rückstände ohne Verzug das Zwangs­ verfahren einzuleiten. Die Vollstreckungsbehörde ist ohne ausdrückliche, für jeden einzelnen Fall zu erteilende Genehmigung der zur Bewilligung von Stundungen zuständigen Behörde, bzw. der Korporation, für deren Rech­ nung die Zwangsvollstreckung erfolgt, nicht ermächtigt, für die Einleitung des Zwangsverfahrens oder für einzelne Vollstreckungsmaßregeln Ausstand

17*

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IV. Grupp«: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden/

zu gewähren. Alle von der Vollsireckungsbehörde eigenmächtig gewährte Stundungen erfolgen auf alleinige Gefahr des verantwortlichen Beamten. Die von der zuständigen Behörde oder Korporation einem Schuldner nach Zustellung des Mahnzettels gewährte Stundung ist in Spalte 12 des Restverzeichnisses mit Angabe der Stundungsfrist zu vermerken. Die Namen derjenigen Schuldner, gegen welche wegen Zahlung des vollen Betrags der Rückstände das Zwangsverfahren nicht einzuleiten ist, find in dem Restverzeichnis mittelst Durchstreichens zu löschen, jedoch so, daß die Eintragungen vollständig lesbar bleiben.

Art. 28. Zustellun gen. (Zu 8 9—12.) Für die Zustellungen, soweit dieselben nicht durch Gerichtsvollzieher oder in Angelegenheiten der Justizverwaltung erfolgen, gelten die nachstehenden Borschriften: 1. Die Zustellung besteht, wenn eine Ausfertigung zugestellt werden soll, in deren Uebergabe, in den übrigen Fällen in der Uebergabe einer einfachen Abschrift des zuzustellenden Schriftstücks. 2. Die Zustellungen für nicht prozeßsähige Personen erfolgen an die gesetzlichen Vertreter derselben. Wer im Einzelfalle gesetzlicher Ver­ treter ist, richtet sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes. Im Allgemeinen erfolgen die Zustellungen für Minderjährige an den Vater, nach dem Tode desselben an die Mutter oder den Vor­ mund, Zustellungen für Geisteskranke, Verschwender oder sonst aus irgend einem Grunde unter Vormundschaft stehende Personen an den Vormund. Bei Behörden, Gemeinden und Korporationen sowie bei Vereinen, welche als solche klagen oder verklagt werden können, genügt die Zustellung an den Vorsteher. Bei mehreren gesetzlichen Vertretern, sowie bei mehreren Vor­ stehern genügt die Zustellung an einen derselben. 3. Die Zustellung für einen Unteroffizier oder einen Gemeinen des aktiven Heeres oder der aktiven Marine erfolgt an den Chef der zunächst vorgesetzten Kommandobehörde (Chef der Kompagnie, Es­ kadron, Batterie usw.). 4. Die Zustellung erfolgt an den Generalbevollmächtigten, sowie in den den Betrieb eines Handelsgewerbes betreffenden Angelegenheiten an den Prokuristen mit gleicher Wirkung, wie an den Adreffaten selbst. 5. Die Zustellungen können an jedem Ort erfolgen, wo die Person, welcher zugestellt werden soll, angetroffen wird. Hat die Person an diesem Ort eine Wohnung oder ein Geschäfts­ lokal, so ist die außerhalb der Wohnung oder des Geschäftslokals an sie erfolgte Zustellung nur gültig, wenn die Annahme nicht ver­ weigert ist. 6. Wird die Person, welcher zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung nicht angetroffen, so kann die Zustellung in der Wohnung an einen zu der Familie gehörenden erwachsenen Hausgenoffen oder an eine in der Familie dienende erwachsene Person erfolgen. Wird eine solche Person nicht angetroffen, so kann die Zustellung an den in demselben Hause wohnenden Hauswirt oder Vermieter erfolgen, wenn diese zur Annahme des Schriftstücks bereit find.

11. Anweis. b. Finanzminister«, bett. b. Berwaltung«zwangsverf. rc. Art. 27,28.

261

7. Ist die Zustellung nach diesen Bestimmungen nicht ausführbar, so kann sie dadurch erfolgen, daß das zu übergebende Schriftstück bei der Ortsbehörde oder Postanstalt des Zustellungsortes niedergelegt und die Niederlegung sowohl durch eine an der Tür der Wohnung zu befestigende schriftliche Anzeige, als auch, soweit tunlich, durch mündliche Mitteilung an zwei in der Nachbarschaft wohnende Per­ sonen bekannt gemacht wird. 8. Für Gewerbetreibende, welche ein besonderes GeschLftslokal haben, kann, wenn sie in dem Geschüftslokale nicht angetroffen werden, die Zustellung an einen darin anwesenden Gewerbegehilfen erfolgen. Wird ein Rechtsanwalt, ein Notar oder ein Gerichtsvollzieher in seinem Geschäftslokale nicht angetroffen, so kann die Zustellung an einen darin anwesenden Gehilfen oder Schreiber erfolgen. 9. Wird der gesetzliche Vertreter oder der Vorsteher einer Behörde, einer Gemeinde, einer Korporation oder eines Vereins, welchem zugestellt werden soll, in dem Geschäftslokale während der gewöhnlichen Geschäfts­ stunden nicht angctroffen oder ist er an der Annahme verhindert, so kann die Zustellung an einen anderen in dem GeschästSlokale an­ wesenden Beamten oder Bediensteten bewirkt werden. Wird der gesetzliche Vertreter oder der Vorsteher in seiner Woh­ nung nicht angetroffen, so finden die Bestimmungen zu Nr. 6 und 7 nur Anwendung, wenn ein besonderes Geschäftslokal nicht vorhanden ist. 10. Wird die Annahme oder Zustellung ohne gesetzlichen Grund ver­ weigert, so ist das zu übergebende Schriftstück am Orte der Zustellung zurückzulassen. 11. Zur Nachtzeit, sowie an Sonntagen und allgemeinen Feiertagen darf eine Zustellung nur mit Erlaubnis der Vollstreckungsbehörde erfolgen. Die Erlaubnis ist nur im Falle der Dringlichkeit der Zustellung zu erteilen. Die Nachtzeit umfaßt in dem Zeitraume vom 1. April bis 30. September die Stunden von 9 Uhr abends bis 4 Uhr morgens, in dem Zeitraume vom 1. Oktober bis 31. März die Stunden von 9 Uhr abends bis 6 Uhr morgens. Die Verfügung, durch welche die Erlaubnis erteilt wird, ist bei der Zustellung abschriftlich mitzuteilen. Eine Zustellung, bei welcher die vorstehende Bestimmung nicht beobachtet ist, ist gültig, wenn die Annahme nicht verweigert wird. 12. Ist bei einer Zustellung an den Vertreter mehrerer Beteiligter oder an einen von mehreren Vertretern die Uebergabe der Ausfertigung oder Abschrift eines Schriftstücks erforderlich, so genügt die Uebergabe nur einer Ausfertigung oder Abschrift. 13. Die die Zustellung veranlassende Behörde oder der hiermit beauftragte Beamte hat das zu übergebende Schriftstück in einem durch das Dienstfiegel verschloffenen, mit der Adresse der Person, an welche zugestellt werden soll, versehenen und mit einer Geschäftsnummer bezeichneten Briefumschläge dem Vollziehungsbeamten oder demjenigen anderen Beamten, welcher mit der Ausführung der Zustellung be­ auftragt ist, oder der Post zur Zustellung auSzuhändigen. Ob die Zustellung durch den Beamten oder durch die Poft zu wählen ist.

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IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

ist unter entsprechender Anwendung der im Art. 23 gegebenen Vor­ schriften zu bestimmen. Aus den Briefumschlag ist der Vermerk zu setzen: „Vereinfachte Zustellung". Die auf dem Briefumschlag angegebene GeschästSnummer ist in den Akten zu vermerken. 14. Ueber die Zustellung ist von dem zustellenden Beamten oder d-m Postboten eine Urkunde aufzunehmen. Dieselbe muß enthalten: a) Ort und Zeit der Zustellung, b) die Bezeichnung der Person, an welche zugestellt werden soll, c) die Bezeichnung der Person, welcher zugestellt ist; in den Fällen der Nr. 6, 8, 9 die Angabe des Grundes, durch welchen die Zustellung an die bezeichnete Person gerechtfertigt wird; wenn nach Nr. 7 verfahren ist, die Bemerkung, wie die darin enthaltenen Vorschriften befolgt sind, d) im Falle der Verweigerung der Annahme die Erwähnung, daß die Annahme verweigert und das zu abergebende Schriftstück am Orte der Zustellung zurückgelaffen ist, e) die Bemerkung, daß der seinem Verschlüsse, seiner Adresse und seiner Geschüstsnummer nach bezeichnete Briefumschlag übergeben ist. Auf dem letzteren ist der Tag der Zustellung zu vermerken; daß dies geschehen, ist in der Zustellungsurkunde anzugeben, f) die Unterschrift des die Zustellung vollziehenden Beamten.

Die Zustellungsurkunde ist der die Zustellung veranlassenden Behörde zu überliefern. Für die über die Zustellung aufzunehmenden Urkunden ist das an­ liegende Muster III zu benutzen.

Art. 29. Die Ersuchungsschreiben, welche bei Zustellungen in einem anderen deutschen Staate (8 11 Abs. 2 d. 33.), sowie bei Zustellungen an die im § 201 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Personen erforderlich werden, sind von der Vollstreckungsbehörde zu erlassen. Dagegen sind bei Zustellungen, welche mittelst Ersuchens des Reichskanzlers, des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, der Bundesstaaten oder der Konsuln oder Gesandten deS Reichs (§§ 199, 200 der Zivilprozeßordnung) bewirkt werden sollen, wegen des Erlasses der Ersuchungsschreiben die über den Geschäftsverkehr mit den genannten Beamten ergangenen allgemeinen Vor­ schriften zu beachten. Bei Zustellungen durch öffentlichen AuShang (§ 12 d. 33.) ist der Tag der Anheftung auf dem auSzuhängenden Schriftstücke zu vermerken.

Art. 30. Anlegung von Akten. Alle auf die Zustellungen bezüglichen Urkunden und Bescheinigungen sind, nachdem sie von der Voll­ streckungsbehörde hinsichtlich ihrer vorschriftsmäßigen Ausstellung geprüft und auf deren Anordnung erforderlichenfalls berichtigt bzw. vervollständigt worden sind, zu besonderen Akten zu bringen. Die letzteren sind nach der Reihenfolge des Restverzeichnisses anzulegen. Zu denselben sind auch alle im weiteren Verlause deS Zwangsverfahrens aufgenommenen Urkunden, Protokolle und Bescheinigungen, sowie alle Konzepte der ergangenen Ver­ fügungen, Mitteilungen usw. zu nehmen und bei den entsprechenden

11. Anweis. b. Finanzminister», bett. b. Berwaltung»zwang«verf. ic. Art. 28—34.

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Nummern des Restverzeichnisses einzuhesten. Die Akten, sowie die Rest­ verzeichnisse sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

Art. 31. Verbot von Vollstreckungshandlungen an kirchlichen Festtagen und am Sabbat. (Zu § 14.) Die Vollstreckungsbehörden werden angewiesen, Vollstreckungshandlungen gegen Angehörige einer christlichen Konfession an den nicht als allgemeine Feier­ tage anerkannten kirchlichen Festtagen dieser Konfession, sowie gegen Juden am Sabbat und an jüdischen Festtagen nur bei Gefahr im Verzug auSführen zu lasten.

B. ZwangSvollstreckimg in das bewegliche Vermögen. 1. Allgemeine Bestimmungen.

Art. 32. Verschiedene Arten der Pfändung. (Zu 8 17.) Bei der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen ist lediglich nach Zweckmäßigkeitsgründen zu bestimmen, welche Art der Pfändung ausgeführt werden, namentlich ob sich die letztere auf körperliche Sachen oder auf Forderungen und andere Vermögensrechte des Schuldners erstrecken soll. Auch können unter Beobachtung der Vorschrift deS § 17 Abs. 1 der Ver­ ordnung körperliche Sachen und Forderungen oder andere Vermögensrechte zu gleicher Zeit gepfändet werden. In der Regel ist diejenige Art der Pfändung zu wählen, welche voraussichtlich am sichersten und leichtesten zur Deckung der beizutreibenden Summe führen wird; an zweiter Stelle ist derjenigen Art der Pfändung der Vorzug zu geben, welche dem Schuldner am wenigsten nachteilig ist und den geringsten Betrag an Gebühren und Kosten verursacht. Art. 33. Ansprüche dritter Personen. (Zu § 19.) Wenn ein Dritter bezüglich des gepfändeten Gegenstandes bei der Vollstreckungs­ behörde Ansprüche anmeldet, welche im Falle ihrer Begründung der Deckung der beizutreibenden Summe aus dem Erlös entgegenstehen würden, so ist zu prüfen, ob die Pfändung anderer Gegenstände möglich ist, welche hin­ reichende Sicherheit gewähren und von dritten Personen nicht in Anspruch genommen werden. Treffen diese Voraussetzungen zu, so kann die Vollstreckungsbehörde, nachdem die anderweite Pfändung erfolgt ist, die Freigebung des erstgepsändeten Gegenstandes verfügen. Ist jedoch die Pfändung eines anderen Gegenstandes nicht möglich, so hat die DallstreckungSbehörde ohne Verzug demjenigen, für dessen Rech­ nung die Zwangsvollstreckung stattfindet, den Sachverhalt anzuzeigen und dessen Entscheidung abzuwarten. Bis die letztere erfolgt, ist, sofern die angemeldeten Ansprüche bescheinigt sind, von weiteren Vollstreckungsmaß­ regeln Abstand zu nehmen.

Art. 34. Wenn ein Dritter Ansprüche an dem gepfändeten Gegenstand im Wege der Klage geltend macht, so hat die Vollstreckungs­ behörde sich nach den etwa in Gemäßheit der §§ 769, 770 der Zivil­ prozeßordnung (8 18 Abs. 2 d. V.) ergehenden Anordnungen des Gerichts oder nach etwaigen Weisungen desjenigen, für dessen Rechnung die Zwangs-

264

IV. Gruppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

Vollstreckung erfolgt, zu richten, im übrigen aber dem Zwangsverfahren

weiteren Fortgang zu geben. Gegen die Vollstreckungsbehörde selbst kann die Klage nur in dem Falle gerichtet werden, wenn sie zur prozessualischen Vertretung desjenigen, für dessen Rechnung die Zwangsvollstreckung erfolgt, befugt ist. Steht der Vollstreckungsbehörde eine solche Befugnis nicht zu, so hat sie bei eigner Verantwortlichkeit auf die gegen sie angestellte Klage lediglich die Einrede der mangelnden gesetzlichen Vertretung vorzuschützen und die Verhandlung zur Hauptsache zu verweigern (ZPO. §§ 274, 275) zugleich hat die Voll­ streckungsbehörde in einem solchen Falle demjenigen, für dessen Rechnung die Zwangsvollstreckung erfolgt, von der Sachlage Kenntnis zu geben.

Art. 35. Offenbarungseid. (Zu § 21.) Der Antrag auf Leistung des Offenbarungseids behufs Offenlegung des Vermögens ist nur dann zu stellen, wenn ausreichende Gründe zu der Annahme berechtigen, daß der Schuldner Gegenstände seines Vermögens, um sie der Pfändung zu entziehen, verheimlicht. Zur Stellung des Antrags ist lediglich die für die Einziehung zu­ ständige Stelle befugt. Falls es sich um Geldbeträge handelt, welche an den Staat zu entrichten sind, bedarf es der Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde. Die mit der Einziehung beauftragte Behörde hat diese Genehmigung in den geeigneten Fällen nachzusuchen. Eine generelle Er­ teilung der Genehmigung ist nur ausnahmsweise zulässig, sofern nach dem pflichtniäßigen Ermessen der Aufsichtsbehörde ein Mißbrauch nicht zu be­ fürchten ist. 2. Pfändung körperlicher Sachen.

Art. 36. Pfändungsbefehl. (Zu §§ 13, 18 Abs. 2.) Der Auftrag zur Pfändung körperlicher Sachen wird dem Dollziehungsbeamten mittels eines von der Vollstreckungsbehörde nach anliegendem Muster IV auszufertigenden Pfändungsbefehls erteilt. In dem letzteren ist stets anzugeben, ob bzw. bis zu welchem Betrage der Vollziehungsbeamie bei Ausführung der Pfändung zur Empfangnahme von Zahlungen ermächtigt ist. Die Vollstreckungsbehörde hat auf Grund des in der Spalte 8a des Restverzeichnisses einzulragenden Vermerks die schleunige Ausführung des Pfändungsbefehls zu überwachen.

Art. 37. Abwendung der Pfändung. (Zu § 18.) Der Vollziehungsbeamte darf die Ausführung des Pfändungsbefehls lediglich in den Fällen des § 18 Abs. 1 der Verordnung unterlassen oder einschränken. Fristbewilligungen, in Folge deren die Pfändung auszusetzen ist, müssen von der Vollstreckungsbehörde ausgestellt sein; andere Frist­ bewilligungen hat der Vollziehungsbeamte nicht zu beachten. Die Voll­ streckungsbehörden haben sich bei der Erteilung von Fristbewilligungen streng nach der Vorschrift des Art. 27 zu richten. Die Vorzeigung eines Postscheins über die Absendung eines Geldbriefs ist zur Abwendung der Pfändung nicht geeignet. Im Falle, daß Teilzahlungen nachgewiesen oder an den Vollziehungs­ beamten geleistet werden, ist die Pfändung entsprechend zu beschränken.

11. Anweis. d. Finanzminister«, betr. d. Berwaltungszwangsverf. k. Art. 34—41.

265

Der Bollziehungsbeamte hat dem Schuldner über die von ihm ge­ leisteten Zahlungen Quittung zu erteilen.

Art. 38. Wenn der Pfändungsbefehl auf Grund der Bestim­ mungen des 8 18 Abs. 1 der Verordnung gar nicht ausgeführt wird, s, hat der Bollziehungsbeamte den Grund hierfür, sowie den Betrag der etwa von ihm in Empfang genommenen Zahlungen auf dem Pfändungsbefehle zu vermerken und den letzteren der Vollstreckungsbehörde sofort zurückzugeben. Art. 39. Ausführung der Pfändung. (Zu 83 22 bis 25.) Auf Grund des Pfändungsbefehls ist der Vollziehungsbeamte berechtigt, die in der Wohnung oder sonst im Gewahrsam des Schuldners befindlichen pfändbaren Sachen, soweit es zur Deckllng der beizutreibenden Rückstände und Kosten erforderlich ist, in Befitz zu nehmen. a) Auswahl der zu pfändenden Sachen.

Art. 40.

Unzulässig ist die Pfändung solcher Gegenstände, welche Zubehör eines Grundstücks sind, da sie nach dem 8 865 der Zivilprozeß­ ordnung die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen mit um­ faßt. Was Zubehör ist, bestimmt sich nach den 88 97 und 98 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Bei einem gewerblich benützten Gebäude sind e$ insbesondere die zu dem Betriebe bestimmten Maschinen und Gerätschaften, bei einem Landgute das zum Wirtschaftsbetriebe bestimmte Gerät und Vieh, die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, soweit sie zur Fortführung der Wirtschaft bis zu der Zeit erforderlich find, zu welcher gleiche oder ähn­ liche Erzeugnifie voraussichtlich gewonnen werden, und der vorhandene, auf dem Gute gewonnene Dünger. Solche Gegenstände, welche zwar nicht Zubehör eines Grundstück» sind, aus welche sich aber nach den 83 1120 bis 1122 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die auf dem Grundstücke haftenden Hypotheken erstrecken, unter­ liegen der Pfändung, solange nicht ihre Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen erfolgt ist. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch Anwendung auf die Erzeugnisse und Zubehörstücke einer Berechtigung, für welche die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften gelten, und ans das Zubehör eines in das Schiffsregister eingetragenen Schiffes.

Art. 4t. Alle Sachen, welche nach 8 8 l 1 der Zivilprozeßordnung der Pfändung nicht unterliegen, müssen unbedingt freigelassen werden. Ebenso sollen freibleiben diejenigen Gegenstände, hinsichtlich deren die Be­ stimmungen des 8 812 a. a. O. zutreffen.') Behufs der Feststellung der Unentbehrlichkeit der Sachen kann ein Sachverständiger zugezogen werden. *) Zu den der Pfändung nicht unterworfenen Sachen gehören ferner: a) die Inventarien der Posthaltereien (§ 20 Ges. über das Postwesen des deutschen Reichs vom 28. Ott. 1871 — RGBl. S. 347), b) die FahrbetriebSmittel der inländischen uiu ausländischen Eisenbahnen (Ges. vom 3. Mai 1886 — RGBl. S. 131 — und Art. 23 Abs. 5 des internationalen Uebereinkommens vom 14. Oft. 1890 — RGBl. 1892, S. 793 —), c) der der Dienstprümie der aus dem Dienste scheidenden Unteroffiziere gleich­ kommende Geldbetrag während der ersten drei Monate nach Auszahlung der Prämie (Art. 18 Abs. 3 des Ges. vom 22. Mai 1893 — RGBl. S. 171 —).

266

IV. Truppe: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

Im Falle be8 § 811 Nr. 4 der Zivilprozeßordnung und zur Pfändung von Früchten muß stets die Zuziehung eines landwirtschaftlichen Sach­ verständigen erfolgen, sofern anzunehmen ist, daß der Wert der zu pfändenden Gegenstände den Betrag von 300 Mark übersteigt. Bei einem geringeren Betrage hat die Zuziehung eines Sachverständigen einzutreten, wenn der Schuldner sie verlangt und dadurch weder eine Verzögerung der Zwangs­ vollstreckung eintritt noch unverhältnismäßig« Kosten entstehen. Der Sach­ verständige hat zu begutachten, ob die zu pfändenden Sachen zu den Gegenständen gehören, welche in § 811 Nr. 4 der Zivilprozeßordnung be­ zeichnet find, bzw. ob die gewöhnliche Zeit der Reife der zu pfändenden Früchte binnen einem Monate zu erwarten ist (§ 24 der Verordnung) und ob die Früchte ganz oder zum Teil zur Fortführung der Wirtschaft bis zu der Zeit erforderlich sind, zu welcher gleiche oder ähnliche Erzeugnisie vorauSsichllich gewonnen werden (ZPO. § 811 Nr. 4). Wegen Bezeich­ nung des Sachverständigen hat sich der Vollziehungsbeamte an den Gemeinde— (Guts-) Vorsteher zu wenden und, falls dieser nicht selbst die Verrich­ tungen als Sachverständiger übernimmt, die von ihm bezeichnete Person zuzuziehen. Insoweit für gewisse Grundstücke (größere Güter, bepsandbriefte Grundstücke) Sachverständige von der Aufsichtsbehörde im voraus bestimmt sind, hat der Vollziehungsbeamte hiernach zu verfahren. Im Falle der Verhinderung oder des Ausbleibens des Sachverständigen ist eine andere geeignete Perfon zuzuziehen, sofern eine Verzögerung der Zwangsvollstreckung nicht eintritt. Personen, welche mit dem Schuldner nahe verwandt oder verschwägert oder welche an der Sache beteiligt find, dürfen nicht zugezogen werden. Ist die Zuziehung nach Maßgabe dieser Vorschriften vergeblich versucht, so kann die Pfändung auch ohne Beteiligung eines Sachverstän­ digen erfolgen. Dem Sachverständigen ist auf Erfordern nach dem ortsüblichen Preise seiner Leistung eine Vergütung zu gewähren, deren Höhe die Voll­ streckungsbehörde bestimmt.

Art. 42. Solche Sachen, bei denen: a) hinsichtlich der Pfändbarkeit Zweifel bestehen oder Einwendungen des Schuldners erhoben werden, oder bezüglich deren b) ein Dritter persönlich oder nach Angabe des Schuldners Eigentums­ oder sonstige, der Verwendung des Erlöses zur Deckung des beizu­ treibenden Geldbetrags entgegenstehende Ansprüche erhebt, oder welche c) nach den angelegten Siegeln oder sonstigen Zeichen bereits von anderen Vollziehungsbeamten oder von Gerichtsvollziehern gepfändet worden find, müssen von der Pfändung freigelassen werden, salls die Pfändung anderer Sachen möglich ist, welche hinreichende Sicherheit gewähren und zu einer der zu a bis c gedachten Kategorien nicht gehören. Ist jedoch hiernach die Pfändung anderer Sachen nicht möglich, so sind der Regel nach auch die zu diesen Kategorien gehörigen Sachen zu pfänden. Auf Grund des hierüber in das Pfändungsprotokoll aufzunehmenden Vermerks hat alsdann in dem Falle zu a die Vollstreckungsbehörde über die Pfändbarkeit der Sache Bestimmung zu treffen und hiernach das weiter

11. Anwtis. d. Finanzminister«, b«tr. b. B«rwaltungSzwangsv«rf. ic. Art 41 —45.

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Erforderliche zu veranlassen. Der Schuldner, welchem die Entscheidung mitzuteilen ist, muß, wenn er von der ihm offenstehenden Beschwerde (8 2 Abs. 2 der Verordnung» Gebrauch machen will, dieselbe so zeitig anbringen, daß der Vollstreckungsbehörde die Sistierung der Versteigerung aufgegeben werden kann. In dem Falle zu b hat die Vollstreckungsbehörde nach Maßgabe der Vorschriften des Art. 33 Abs. 3 zu verfahren; in dem Falle zu c regelt sich das weitere Verfahren nach den Vorschriften der §§ 34, 35 der Verordnung. Im übrigen ist die Auswahl der zu pfändenden Sachen vorzugsweise nach den allgemeinen Regeln deS Art. 32 zu treffen, hierbei jedoch auf etwaige Wünsche deS Schuldners tunlichst Rücksicht zu nehmen. Bares Geld, Wertpapiere und Kostbarkeiten sind stets an erster Stelle zu pfänden. Die Pfändung von Vieh und von Früchten, welche von dem Boden noch nicht getrennt sind, ist möglichst zu vermeiden. b) Vollziehung der Pfändung.

Art. 43. Die Pfändung der im Gewahrsam des Schuldners be­ findlichen beweglichen körperlichen Sachen wird dadurch bewirkt, daß der Vollziehungsbeamte sie in Besitz nimmt. Art. 44. Andere als die im Art. 42 Abs. 5 genannten Gegen­ stände sind im Gewahrsam deS Schuldners zu belasten, sofern nicht hier­ durch die Befriedigung des Gläubigers gefährdet wird. In dem Pfändungs­ protokoll ist zu vermerken, daß der Schuldner zu der Aufbewahrung der gepfändeten Sachen sich verpflichtet hat. Der Vollziehungsbeamte hat an jeder in dem Gewahrsam des Schuldners belassenen gepfändeten Sache sein Amtsfiegel anzulegen. Auch ist eS gestattet, die gepfändeten Sachen in ein verschließ­ bares Behältnis zu legen oder in ein verschließbares Gelaß der Wohnung zu schaffen, das Behältnis oder Gelaß zu verschließen und den Verschluß durch Anlegung des AmtSsiegelS zu sichern. Kann die Anlegung des Amtssiegels an den in dem Gewahrsam des Schuldners belassenen gepfändeten Sachen nicht erfolgen, so muß die Pfändung durch andere unzweideutige Zeichen ersichtlich gemacht werden. Die Regierungen haben nach Anhörung der vorzugsweise beteiligten sonstigen Provinzialbehörden bestimmte PfändungSzeichen vorzuschreiben und solche öffentlich bekannt zu machen. Die Anlegung der Amtsfiegel oder die Anbringung anderer PfändungSzeichen muß auch erfolgen, wenn die zu pfändenden Sachen bereits in­ folge einer früheren Pfändung mit dem Siegel oder sonstigen Zeichen eines anderen Vollziehungsbeamten oder eines Gerichtsvollziehers versehen sind. Art. 45. Weigert sich der Schuldner, die Verpflichtung zur Auf­ bewahrung der gepfändeten Sachen zu übernehmen, oder erscheint auS einem sonnigen Grunde im Falle der Belassung der Sachen in dem Gewahrsam des Schuldners die Befriedigung deS Gläubigers gefährdet, so sind die Sachen aus dem Gewahrsam des Schuldners zu entfernen.

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IV. Eruppe: Otflamiation und Zuständigkeit der StaaKdehördeii.

Die im Art. 42 Abj. 5 bezeichneten Sachen sind im Falle der Pfändung stets aus dem Gewahrsame des Schuldners zu entfernen.

Art. 46. Die genaue Beachtung der Vorschriften der Art. 43 bis 45 ist für die Rechtsgültigkeit der Pfändung von besonderer Wichtig feit. Der gehörig vollzogenen Pfändung ist im § 804 der Zivilprozeß­ ordnung und im 8 5 des Ausführungsgesetzes zur Zivilprozeßordnung die Wirkung beigelegt, daß durch dieselbe der Gläubiger, für welchen sie voll­ zogen wird, ein Pfandrecht erwirbt und daß das durch eine frühere Pfändung begründete Pfandrecht demjenigen vorgeht, welches durch eine spätere Pfändung erworben wird. Für die Befriedigung des Gläubigers ist somit der Akt der Pfändung, sowohl was die Zeit als die gehörige Form anlangt, von entscheidender Bedeutung. Deshalb haben die Vollziehungsbeamtcn, um sich nicht selbst dem Regresse wegen eines begangenen Versehens auszusetzen, überall mit besonderer Vorsicht zu verfahren. Die Vollstrecknngsbehörden haben die genaue Beachtung der Vorschriften der Art. 43 bis 45 mit besonderer Sorgfalt zu überwachen. c) Anderweite Unterbringung und Erhaltung der gepfändeten Lachen.

Art. 47. Was die anderweite Unterbringung der aus dem Gewahrsam des Schuldners zu entfernenden gepfändeten Sachen bis zu deren Versteigerung betrifft, so müffen die im Art. 42 Abs. 5 bezeichneten Sachen nach der Pfändung unverzüglich an die Vollstreckungsbehörde ab­ geliefert werden, welche über die weitere Aufbewahrung Bestimmung zu treffen hat. Die Unterbringung anderer Sachen muß zwar in sicherer Weise, jedoch mit möglichster Kostenersparnis erfolgen. Der Vollziehungsbeamte muß sich auch die Erhaltung der gepfändeten Sachen in brauchbarem Zustande angelegen sein lassen und namentlich bei Sachen, welche leicht dein Verderben ausgesetzt sind, geeignete Vor­ kehrungen treffen. Können die gepfändeten Sachen ohne Verminderung ihres Wertes benutzt werden, oder liefern dieselben einen Ertrag, so ist auch in dieser Beziehung das Geeignete anzuordnen. Art. 48. Bei Pfändung von Vieh ist mit der nötigenfalls zur Aufsicht und Pflege zu bestellenden Person über die zu gewährende Ent­ schädigung eine Vereinbarung zu treffen; neben der Überlassung der ge­ pfändeten Viehstücke zum Gebrauch ober zur Nutzung ist eine Geldvergütung nur dann zu gewähren, wenn die aus dem Gebrauch oder aus der Nutzung erzielten Vorteile mit den übernommenen Verpflichtungen in keinem rich­ tigen Verhältniffe stehen. Bei der zu vereinbarenden Geldvergütung ist auf Angemessenheit und Ortsgebrauch gebührend Rücksicht zu nehmen.

Art. 49. Gepfändete, vom Boden noch nicht getrennte Früchte find stets unter die Aufsicht eines besonderen Wächters zu stellen; hiermit ist in der Regel der Gemeindefeldhüter, und nur wenn ein solcher nicht vorhanden oder wenn derselbe wegen persönlicher Beziehungen zu dem Schuldner oder wegen sonstiger erheblichen Gründe nicht geeignet erscheint,

11. Anweis. d. Iinanzminister-, bett. d. VerwaltungSzwangsvers. :c. Art 45—52.

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eine andere zuverlässige Person zu beauftragen. Ter bestellte Wächter hat außer der allgemeinen Beausfichtigung der Früchte namentlich auch für die Erhaltung der Pfändungszeichen, welche von dem Vollziehungsbeamten auf jedein Grundstücke, dessen Früchte gepfändet werden, anzubringen sind, zu sorgen. Alle nachteiligen Veränderungen, welche hinsichtlich der Früchte durch Naturereignisse oder durch Handlungen des Schuldners oder anderer Personen bewirkt worden sind, hat der Wächter unverzüglich zur Kenntnis der Vollstreckungsbehörde zu bringen.

Art. 50. Die mit den nach den Bestimmungen der Art. 48 und 49 zur Aussicht bestellten Personen getroffenen Vereinbarungen sind in das Pfändungsprotokoll oder in einen Nachtrag zu diesem aufzunehmen und von den Beteiligten zu unterzeichnen. Den Regierungen bleibt es überlassen, für die solchen Personen zu gewährenden Geldvergütungen bestimmte Sätze vorzuschreiben.

Art. 51. Ter Vollziehungsbeamte hat sich behuss Ausführung der in Art. 47 bis 49 bezeichneten Obliegenheiten erforderlichenfalls an die Ortsbehörde zu wenden, welche demselben Beihilfe zu leisten verpflichtet ist; namentlich hat derselbe, wenn ihm zur Aufbewahrung, Verpflegung oder Beausfichtigung der gepfändeten Sachen geeignete Personen nicht be­ kannt sind, die Ortsbehörde um die Benennung solcher Personen zu ersuchen, d) Pfändung-protokoll.

Art. 52. Ter Vollziehungsbeamte hat das nach 8 14 der Verord­ nung (§ 762 der Zivilprozeßordnung) erforderliche Protokoll unmittelbar nach der Pfändung an Ort und Stelle, nach Anleitung des vorliegenden Musters V, auszunehmen und hierbei folgendes zu beachten: 1. Jede gepfändete Sache ist nach ihrer Art und Beschaffenheit, in den erforderlichen Füllen, wie namentlich bei Waren, Früchten, Produkten und sonstigen Quantitäten nach Maß oder Gewicht so genau zu bezeichnen, daß die Möglichkeit einer Verwechselung mit anderen Sachen ausgeschlossen ist. Bei gepfändeten, vom Boden noch nicht getrennten Früchten sind außerdem die Grundstücke, auf welchen sie sich befinden, möglichst genau anzugeben. 2. Bei einer jeden gepfändeten Sache ist der von dem Vollziehungs­ beamten geschätzte Wert anzugeben.

3. Bei den im Gewahrsam des Schuldners belaffenen gepfändeten Sachen ist zu vermerken, daß sie mit dem Amtsfiegel oder mit dem sonstigen genau zu beschreibenden Pfändungszeichen versehen find. Sind die gepfändeten Sachen in ein verschloffeneS Behältnis gelegt oder in ein verschloffeneS Gelaß geschafft, so ist dieses mit dem Be­ merken anzuführen, daß der Verschluß des Behältnisses oder GelaffeS durch Anlegung des AmtsfiegelS gesichert ist.

4. Bei den aus dem Gewahrsam deS Schuldners zu entfernenden Sachen ist die Person, welcher dieselben zur Aufbewahrung, Ver­ pflegung oder Beaufsichtigung übergeben sind, oder übergeben werden sollen, zu benennen.

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IV. Grupp«: Organisation und Zuständigkeit der Staatsbehörden.

Hat der Vollziehungsbeamte die Sachen behufs Ablieferung an die VollstreckungSbehörde selbst an sich genommen, so ist dies zu bemerken. 5. Der Vollziehungsbeamte hat in dem Psändungsprotokoll unter Be­ obachtung der Bestimmungen deS Art. 60 Zeit und Ort der Ver­ steigerung sestzusetzen und dem Schuldner sowie den zur Aufbewahrung, Verpflegung oder Beaufsichtigung bestellten Personen mitzuteilen. 6. In dem zu benutzenden Formular sind die für den vorliegenden Fall nicht paffenden Stellen zu durchstreichen. Dagegen sind an geeigneter Stelle, erforderlichenfalls auch in Nachtragsverhandlungen alle Vor­ gänge, an den Schuldner gerichteten Aufforderungen und Mitteilungen, sowie die mit den zur Aufbewahrung, Verpflegung oder Beaufsich­ tigung bestellten Personen getroffenen Vereinbarungen auszuführen, welche nach den allgemeinen Vorschriften ke8 § 14 der Verordnung (§ 762 der Zivilprozeßordnung), sowie nach den besonderen Be­ stimmungen dieser Anweisung überhaupt der Protokollierung bedürfen. 7. Ueber die etwa stattgehabte Widersetzlichkeit des Schuldners muß immer eine besondere Verhandlung ausgenommen und den als Zeugen in Vorschlag zu bringenden Personen zur Unterschrift vorgelegt werden.

Art. 58. Ist bares Geld gepfändet worden, so hat der Voll­ ziehungsbeamte dem Schuldner sofort eine Abschrift des Pfändungsprotokolls, welche diesem als Beweis der Zahlung dient, zu behändigen.

Art. 54. Wenn sich bei der Ausführung des Pfändungsbefehls ergibt: a) daß der Schuldner gänzlich unpfändbar ist, oder daß sich b) die Pfändbarkeit desselben auf solche Sachen beschränkt, deren Ver­ steigerung einen Ueberschuß über die Kosten der Zwangsvollstreckung nicht erwarten läßt (§ 17 Abs. 2 der Verordnung) oder hinsichtlich deren die Voraussetzungen des § 812 der Zivilprozeßordnung vorliegen, so ist ein Protokoll nach anliegendem Muster VI aufzunehmen. In dem­ selben sind für den Fall zu b die vorhandenen pfändbaren Sachen nebst dem geschätzten Werte nachzuweisen; im übrigen bedarf es in beiden Füllen nicht der Aufzählung der im Besitze des Schuldners besindlichen, der Pfändung nicht unterworfenen Sachen. Art. 55. Der Vollziehungsbeamte hat das Psändungsprotokoll nebst etwaigen Nachtragsverhandlungen unmittelbar nach der Pfändung der Vollstreckungsbehörde zu übergeben. Diese hat den Inhalt des Protokolls sorgfältig zu prüfen und etwa erforderliche Berichtigungen des Verfahrens zu veranlaffen. 3. Verwertung der gepfändeten Sachen.

Art. 56. lZu 83 26 bis 33.) Sind Wertpapiere mit Börsen­ oder Marktpreis gepfändet, so ist deren Verkauf zum Tageskurse durch die RegierungS-Hauptkasse oder eine andere geeignete öffentliche Kasse oder ein Bankgeschäft zu bewirken und aus dem Erlöse die beizutreibende Summe zu decken. Art. 57. Hat der Schuldner geeignete Vorschläge über eine andere Weise der Verwertung der gepfändeten Sachen als durch Versteigerung

11. Anweis. d. Finanzministerr, betr. d. VerwaltungSzwangiverf. ic. Art. 52—61.

271

gemacht, oder sprechen überwiegende Zweckmäßigkeitsgründe für eine andere Weise der Verwertung (§ 33 der Verordnung), so hat die Vollstreckungs­ behörde unter Benachrichtigung des Schuldners das Erforderliche zu ver­ anlassen. Namentlich ist es gestattet, ausgedroschenes Getreide, Stroh, Heu, Lebensmittel und andere Gegenstände, welche einen gemeinen Marktwert haben, aus freier Hand für den letzten Marktpreis zu verkaufen.

Art. 58. Gepfändete Kostbarkeiten, namentlich Gold- und Silber­ sachen, Edelsteine und Gegenstände, die einen Kunstwert haben, hat die Dollstreckungsbehörde vor Erteilung des Auftrags zur Versteigerung durch einen Sachverständigen nach ihrem vollen Werte, Gold- und Silbersachen zugleich auch nach ihrem Metallwert abschätzen zu lassen; der geschätzte Wert ist unter dem Pfändungsprotokoll anzugeben. a) Auftrag zur Versteigerung.

Art. 59. Versteigerung. Die Bollstreckungsbehörde hat den Auftrag zur Versteigerung durch eine unter das Pfändungsprotokoll zu setzende, Zeit und Ort der Versteigerung, sowie die Person des beauftragten Beamten bezeichnende, zugleich auch etwaige besondere Versteigerungsbedin­ gungen festsetzende Verfügung zu erteilen. In der letzteren ist auch wegen der Ermächtigung des beauftragten Beamten zur Empfangnahme der bei­ zutreibenden Summe das Erforderliche zu vermerken

a) der Schutz der Personen und des Eigentums; b) Ordnung, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs aus öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen, Brücken, Ufern und Gewässern; der Marktverkehr und das öffentliche Feilhalten von Nahrungsmitteln ; d) Ordnung und Gesetzlichkeit bei dem öffentlichen Zusammensein einer größeren Anzahl von Personen; e) das öffentliche Interesse in Bezug auf die Aufnahme und Beherbergung von Fremden; die Wein-, Bier- und Kaffeewirtschasten und sonstige Einrichtungen zur Verabreichung von Speisen und Getränken; t) Sorge für Leben und Gesundheit; g) Fürsorge gegen Feuersgefahr und sonstige Unsicherheit bei Bauaus­ führungen, sowie gegen gemeinschüdliche und gemeingefährliche Hand­ lungen, Unternehmungen und Ereigniffe überhaupt; h) Schutz der Felder, Wiesen, Weiden, Wälder, Baumpflanzungen, Weinberge rc.; i) alles andere, was im besonderen Interesse der Gemeinden und ihrer Angehörigen polizeilich geordnet werden mich.

§ 7. Zu Verordnungen über Gegenstände der landwirtschaftlichen Polizei ist die Zustimmung der Gemeindevertretung, wo aber eine Gemeinde') §§ 7 und 24 Zust.G. 2) S. §§ 136 ff., 140 und 144 Abs. 2 LAG.

6. Verordn, üb. d. Polizeiverwaltung in d. neu erworb Landerteilen. §§ 4—17.

293

Vertretung zur Zeit nicht besteht, die der Gemeindeversammlung und für diejenigen Fälle, in welchen eS nach § 5 der Zuziehung der Amtsvertretung bedarf, deren Zustimmung erforderlich?)

§ 8. Bon jeder ortspolizeilichen Verordnung ist sofort eine Abschrift an die zunächst vorgesetzte Staatsbehörde einzureichen. K 9. Der Regierungspräsident ist befugt, jede ortspolizeiliche Vor­ schrift durch einen förmlichen Beschluß unter Angabe der Gründe außer Kraft zu setzen?)

§ 10. Die Bestimmung findet auch aus die Abänderung oder Auf­ hebung ortspolizeilicher Vorschriften Anwendung. K 11. Die Regierungspräsidenten sind befugt, für mehrere Gemein­ den ihres Verwaltungsbezirks oder für den ganzen Umfang desselben gültige Polizeivorschriften zu erlassen und gegen die Nichtbefolgung der­ selben Geldstrafen bis zu dem Betrage von dreißig Mark anzudrohen?) Der Minister des Innern hat über die Art der Verkündigung solcher Vor­ schriften, sowie über die Formen, von deren Beobachtung die Gültigkeit derselben abhängt, die erforderlichen Bestimmungen zu erlassen?) K 12. Die Vorschriften der Regierungspräsidenten (§ 11) können sich auf die int § 6 dieser Verordnung angeführten und alle anderen Gegenstände beziehen, deren polizeiliche Regelung durch die Verhältnisie der Gemeinden oder des Bezirks erfordert wird.

§ 13. Es dürfen in die polizeilichen Vorschriften (§§ 5 und 11) keine Bestimmungen ausgenommen werden, welche mit den Gesetzen oder den Verordnungen einer höheren Instanz im Widerspruch stehen. K 14. Der Minister des Innern ist befugt, soweit Gesetze nicht entgegenstehen, jede polizeiliche Vorschrift durch einen förmlichen Beschluß außer Kraft zu setzen. Die Genehmigung des Königs ist hierzu erforder­ lich, wenn die polizeiliche Vorschrift von dem Landesherrn oder mit dessen Genehmigung erlassen war?)

§ 15.

Die sPolizeirichter) Schöffengerichte haben, wenn jPolizeiüber Zuwiderhandlungen gegen polizeiliche Vorschriften (88 5 und 11) erkennen, nicht die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit, sondern nur die gesetzliche Gültigkeit jener Vorschriften nach den Bestimmungen der 88 5, 11 und 13 dieser Verordnung in Erwägung zu ziehen. richterj sie

§ 16. Für den Fall des Unvermögens des Angeschuldigten ist auf verhältnismäßige Haftstrafe zu erkennen. sDas höchste Maß derselben ist vier Tage statt drei Taler und vierzehn Tage statt zehn Taler.)')

§ 17. Die bisher erlassenen polizeilichen Vorschriften bleiben so lange in Kraft, bis sie in Gemäßheit dieser Verordnung aufgehoben werden. -•> 1 ‘. 5 )

Vgl. § 143 Abs. 1 LVG. Vgl. aber § 145 Abs. 1 LVG. Vgl. jetzt §§ 136, 137 Abs. 1, 138 Abs. 2, 142, 144 Abs. 1 LVG. S. 88 136 'ff., 140 und 144 Abs. 2 LVG. Jetzt 8 145 Abs. 2 LVG. Vgl. 8 28, 29 StrGB.

294

V. Gruppt: Polizei.

K 18. Die Polizeibehörden sind berechtigt, ihre polizeilichen Ver­ fügungen durch Anwendung von Zwangsmitteln durchzusetzen?) ES steht ihnen zu diesem Behufe die Befugnis zu, Strafandrohungen bis zu drei­ hundert Mark oder vier Wochen Gefängnis zu erlassen und zu vollstrecken. Die Regierungspräsidenten sind jedoch ermächtigt, die ihnen untergeord­ neten Polizeibehörden in der Höhe der Strafandrohungen aus ein geringeres Strafmaß zu beschränken. Wer es unterläßt, dasjenige zu tun, was ihm von der Polizeibehörde in der Ausübung dieser Befugnis geboten worden ist, hat zu gewärtigen, daß es auf seine Kosten zur Ausführung gebracht werde, vorbehaltlich der etwa verwirkten Strafe und der Verpflichtung zum Schadensersätze.

§ 19 (ist veraltet i. K 30. Alle dieser Verordnung entgegenstehenden Bestimmungen find aufgehoben. Dieselbe tritt mit dem Tage in Kraft, an welchem das sie enthaltende Stück der Gesetzsammlung in Berlin ausgegeben wird.

7. Feld- null FnrstPlizchesktz? $»m 1. April 1880. (GS S. 230.)

Lrker (teil. Strafbestimmungen.

K 1. Die in diesem Gesetz mit Strafe bedrohten Handlungen unter­ liegen, soweit dasselbe nicht abweichende Vorschriften enthält, den Bestim­ mungen des Strafgesetzbuchs. K 2. Für die Strafzumessung wegen Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz kommen als Schärfungsgründe in Betracht: 1. wenn die Zuwiderhandlung an einem Sonn- oder Festtage oder in der Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang begangen ist; 2. wenn der Zuwiderhandelnde Mittel angewendet hat, um sich nnkenntlich zu machen; 3. wenn der Zuwiderhandelnde dem Feld- oder Forsthüter, oder einem anderen zuständigen Beamten, dem Beschädigten oder dem Psändungsberechtigten seinen Namen oder Wohnort anzugeben sich ge­ weigert oder falsche Angaben über seinen oder seiner Gehilfen Namen oder Wohnort geinacht, oder aus Anrufen der vorstehend genannten Personen, stehen zu bleiben, die Flucht ergriffen oder sortgesetzt hat; 4. wenn der Täter die Aushändigung der zu der Zuwiderhandlung bestimmtenjsWcrkzeuge oder der mitgejührten Waffen verweigert hat: *) Literatur: Eichhorn in : „Die Preuß. Strafgesetze" erläutert von Groschusf, Eichhorn, DelinS, 2. Aust. 1904 S. 212 ff.; Rotering. Da« Feld- u. ForstPG. 2. Aust. 1908; v. Bülow-Sterneberg, desgl. 4. Muff. Berlin 1895; Daube, desgl. 4. Muff. Berlin 1900; v. Brauchitsch. Die neuen preuff. Berwaltungsgesetze Bd. 4, 5. Bearbeitung Berlin 1906; O lshausen, Strafgesetzbuch 8. Muff. Berlin 1908.

7. Feld- und Forstpolizeigesetz. §§ 1—7.

295

5. wenn die Zuwiderhandlung von drei oder mehr Personen in gemein­ schaftlicher Ausführung begangen ist; 6. wenn die Zuwiderhandlung im Rückfalle begangen ist.

§ 3. Im Rückfalle (§ 2 Nr. 6) befindet sich, wer, nachdem er aus Grund dieses Gesetzes wegen einer in demselben mit Strafe bedrohten Handlung im Königreiche Preußen vom Gerichte oder durch polizeiliche Strafverfügung rechtskräftig verurteilt worden ist, innerhalb der nächsten zwei Jahre dieselbe oder eine gleichartige strafbare Handlung, sei es mit oder ohne erschwerende Umstände, begeht. Als gleichartig gelten 1. die in demselben Paragraphen oder, falls ein Paragraph mehrere strafbare Handlungen betrifft, in derselben Paragraphennummer vorgesehenen Handlungen; 2. die Entwendung, der Versuch einer solchen und die Teilnahme (Mit­ täterschaft, Anstiftung, Beihilfe), die Begünstigung und die Hehlerei in Beziehung auf eine Entwendung. § 4. Die im § 57 Nr. 3 deS Strafgesetzbuchs bei der Verurteilung von Personen, welche zur Zeit der Begehung der Tat das zwölfte, aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatten, vorgesehene Straf­ ermäßigung findet bei Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz keine Anwendung. § 5. Für die Geldstrafe, den Wertsersatz (§ 68) und die Kosten, zu denen Personen verurteilt werden, welche unter der Gewalt, der Auf­ sicht oder im Dienste eines anderen stehen und zu dessen Hausgenossen­ schaft gehören, ist letzterer im Falle des Unvermögens der Verurteilten für haftbar zu erklären, und zwar unabhängig von der etwaigen Strafe, zu welcher er selbst auf Grund dieses Gesetzes oder detz § 361 Nr. 9 des Strafgesetzbuchs verurteilt wird. Wird festgestellt, daß die Tat nicht mit seinem Wissen verübt ist, oder daß er sie nicht verhindern tonnte, so wird die Haftbarkeit nicht ausgesprochen. Hat der Täter noch nicht das zwölfte Lebensjahr vollendet, so wird derjenige, welcher in Gemäßheit der vorstehenden Bestiinmung haftet, zur Zahlung der Geldstrafe, des WertSerjatzes und der Kosten als unmittelbar haftbar verurteilt. Dasselbe gilt, wenn der Täter zwar das zwölfte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte und wegen Mangels der zur Erkenntnis der Strafbarkeit seiner Tat erforderlichen Einsicht frei­ zusprechen ist, oder wenn derselbe wegen eines seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustandes straffrei bleibt. Gegen die in Gemäßheit der vorstehenden Bestimmungen als haftbar Erklärten tritt an die Stelle der Geldstrafe eine Freiheitsstrafe nicht ein. § 6. Entwendungen, Begünstigung und Hehlerei in Beziehung auf solche, sowie rechtswidrig und vorsätzlich begangene Beschädigungen 303 des Strafgesetzbuchs) und Begünstigung in Beziehung auf solche unterliegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nur dann, wenn der Wert des Entwendeten oder der angerichtete Schaden zehn Mark nicht übersteigt. § 7. Die Beihilfe zu einer nach diesem Gesetze strafbaren Ent­ wendung oder vorsätzlichen Beschädigung wird mit der vollen Strafe der Zuwiderhandlung bestraft.

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V. Gruppe: Polizei.

§ 8. Der Versuch der Entwendung, die Begünstigung und Hehlerei in Beziehung auf eine Entwendung, sowie die Begünstigung in Beziehung auf eine nach diesem Gesetze strafbare vorsätzliche Beschädigung werden mit der vollen Strafe der Entwendung beziehungsweise vorsätzlichen Beschä­ digung bestraft. Die Bestimmungen des § 257 Absatz 2 und 3 des Strafgesetzbuchs finden Anwendung. K 9. Mit Geldstrafe bis zu zehn Mark oder mit Hast bis zu drei Tagen wird bestraft, wer, abgesehen von den Fällen des § 123 des Strafgesetzbuchs, von einem Grundstücke, auf dem er ohne Befugnis sich befindet, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.?

§ 10. Mit Geldstrafe bis zu zehn Mark oder mit Haft bis zu drei Tagen wird bestraft, wer, abgesehen von den Fällen des § 36S Nr. 9 des Strafgesetzbuchs, unbefugt über Grundstücke reitet, karrt, fährt, Vieh treibt, Holz schleift, den Pflug wendet oder über Aecker, deren Be­ stellung vorbereitet oder in Angriff genommen ist, geht. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Der Zuwiderhandelnde bleibt straflos, wenn er durch die schlechte Beschaffenheit eines an dem Grundstücke vorüberführenden und zum ge­ meinen Gebrauch bestimmten Weges oder durch ein anderes auf dem Wege befindliches Hindernis zu der Uebertretung genötigt worden ist. § 11. Mit Geldstrafe bis zu zehn Mark oder mit Haft bis zu drei Tagen wird bestraft, wer außerhalb eingefriedigter Grundstücke sein Vieh ohne gehörige Aufsicht oder ohne genügende Sicherung läßt. Diese Bestimmung kann durch Polizeiverordnung abgeändert werden. Eine höhere als die vorstehend festgesetzte Strafe darf jedoch nicht an­ gedroht werden. Die Bestrafung tritt nicht ein, wenn nach den Umständen die Ge­ fahr einer Beschädigung Dritter nicht anzunehmen i|t 5 12. Mit Geldstrafe bis zu zehn Mark oder mit Haft bis zu drei Tagen wird der Hirt bestraft, welcher das ihm zur Beaufsichtigung anvertraute Vieh ohne Aufsicht oder unter der Aussicht einer hierzu un­ tüchtigen Person läßtK 13. Die Ausübung der Nachtweide, des Einzelhütens, sowie der Weide durch Gemeinde- und Genoffenschaftsheerden wird durch Polizei­ verordnung geregelt.

§ 14. Mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Hast tis zu vierzehn Tagen wird bestraft, wer unbefugt auf einem Grundstüte Vieh weidet. Die Strafe ist verwirkt, sobald das Vieh die Grenzen des Grund­ stücks, auf welchem es nicht geweidet werden darf, überschritten hat, sofern nicht festgestellt wird, daß der Uebertritt von der für die Beaufsichtigung des Viehes verantwortlichen Person nicht verhindert werden konnte. Die Bestimmung des Absatzes 2 findet, wo eine Verpflichtung z.ir

7. Feld- und Forstpolijeigesetz.

§§ 8—19.

297

Einfriedigung von Grundstücken besteht, oder wo die Einfriedigung landes­ üblich ist, keine Anwendung.

K 15. Geldstrafe von fünf bis zu einhundertundfünfzig Mark oder Haft tritt ein, wenn der Weidefrevel (§ 14) begangen wird 1. auf Grundstücken, deren Betreten durch Warnungszeichen verboten ist; 2. auf eingefriedigten Grundstücken, sofern nicht eine Verpflichtung zur Einfriedigung der Grundstücke besteht, oder die Einfriedigung der Grundstücke landesüblich ist; 3. auf solchen Dämmen und Deichen, welche von dem Besitzer selbst noch mit der Hütung verschont werden; 4. auf bestellten Aeckern oder auf Wiesen, in Gärten, Baumschulen, Weinbergen, auf mit Rohr bewachsenen Flächen, auf Weidenhegern, Dünen, Buhnen, Deckwerken, gedeckten Sandflächen, Graben- oder Kanalböschungen, in Forstkulturen, Schonungen oder Saatkämpen; 5. auf Forstgrundstücken mit Pferden oder Ziegen.

K 16. Ein wegen Weidefrevels rechtskräftig verurteilter Hirt kann von der Dienstherrschaft innerhalb vierzehn Tagen, von der rechtskräftigen Verurteilung an gerechnet, entlassen werden.

§ 17. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft: 1. wer eine rechtmäßige Pfändung (§77) vereitelt oder zu vereiteln versucht; 2. wer, abgesehen von den Fällen der §§ 113 und 117 des Straf­ gesetzbuchs, dem Pfändenden in der rechtmäßigen Ausübung seines Rechts (§ 77) durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet oder den Pfändenden während der rechtmäßigen Ausübung seines Rechts tätlich angreist; 3. wer, abgesehen von den Fällen der §§ 137 und 289 des Strafgesetz­ buchs, Sachen, welche rechtmäßig in Pfand genommen sind (§ 77), dem Pfändenden in rechtswidriger Absicht wegnimmt; 4. wer vorsätzlich eine unrechtmäßige Pfändung (§ 77) bewirkt.

§ 18. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundsünszig Mark oder mit Haft wird bestraft, wer Gartenfrüchte, Feldsrüchte oder andere Bodenerzeugnifle aus Gartenanlagen aller Art, Weinbergen, Obstanlagen, Baum­ schulen, Saatkämpen, von Aeckern, Wiesen, Weiden, Plätzen, Gewässern, Wegen oder Gräben entwendet. Liegen die Voraussetzungen des § 370 Nr. 5 des Strafgesetzbuchs vor, so tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein. § 19. Geldstrafe von fünf bis zu einhundertundsünszig Mark oder Haft tritt ein, wenn die nach § 18 strafbare Entwendung begangen wird 1. unter Anwendung eines zur Fortschaffung größerer Mengen geeig­ neten Gerätes, Fahrzeuges oder Lasttieres; 2. unter Benutzung von Aexten, Sägen, Messern, Spaten oder ähn­ lichen Werkzeugen; 3. aus einem umschlossenen Raume mittelst Einsteigens; 4. gegen die Dienstherrschaft oder den Arbeitgeber;

298

V. Gruppe: Polizei.

5. an Kien, Harz, Saft, Wurzeln, Rinde oder Mittel- (Haupt-) Trieben stehender Bäume, sofern die Entwendung nicht als Forstdiebstahl strafbar ist.

§ 20. Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten tritt ein, wenn die § 18 strafbare Entwendung begangen wird unter Mitführung von Waffen; aus einem umschlossenen Raume mittelst Einbruchs; dadurch, daß zur Eröffnung der Zugänge eines umschlossenen Raumes falsche Schlüssel oder andere zur ordnungsmäßigen Eröffnung nicht bestimmte Werkzeuge angewendet werden; 4. durch Wegnahme stehender Bäume, Frucht- oder Ziersträllcher, sofern die Entwendung nicht als Forstdiebstahl strafbar ist; 5. von dem Aufseher in dem seiner Aufsicht unterstellten Grundstücke. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe von fünf bis zu dreihundert Mark erkannt werden.

nach 1. 2. 3.

§ 21. Auf Gefängnisstrafe von einer Woche bis zu einem Jahre ist zu erkennen: 1. wenn im Falle einer Entwendung der Schuldige sich im dritten oder ferneren Rückfalle befindet; 2. wenn die Hehlerei gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begangen ist.

§ 22. Bei Entwendungen (§§ 18 bis 21) finden die Bestim­ mungen des § 247 des Strafgesetzbuchs entsprechende Anwendung. § 23. In den Füllen der §§ 18 bis 21 sind neben der Geld­ strafe oder der Freiheitsstrafe die Waffen (§ 20), welche der Täter bei der Zuwiderhandlung bei sich geführt hat, einzuziehen, ohne Unterschied, ob sie dem Schuldigen gehören oder nicht. In denselben Fällen können die zur Begehung der strafbaren Zu­ widerhandlung geeigneten Werkzeuge, welche der Täter bei der Zuwider­ handlung bei sich geführt hat, eingezogen werden, ohne Unterschied, ob sie dem Schuldigen gehören oder nicht. Die Tiere und andere zur Weg­ schaffung des Entwendeten dienende Gegenstände, welche der Täter bei sich führt, unterliegen nicht der Einziehung.

K 24. Mit Geldstrafe bis zu zehn Mark oder mit Hast bis zu drei Tagen wird bestraft, wer, abgesehen von den Fällen der IS und 30, unbefugt 1. das auf oder an Grenzrainen, Wegen, Tristen oder an oder in Grüben wachsende Gras oder sonstige Vichsutter abschneidct oder abrupst; 2. von Bäumen, Sträuchern oder Hecken Laub abpstückt oder Zweige abbricht, insofern dadurch ein Schaden entsteht. Die Verfolgung tritt nur aus Antrag ein. § 25. Mit Geldstrafe bis zu dreißig Mark oder mit Haft bis zu einer Woche wird bestraft, wer unbefugt 1. Dungstoffe von Aeckern, Wiesen, Weiden, Gürten, Obstanlagen oder Weinbergen aufsammelt; 2. Knochen gräbt oder sammelt; 3. Nachlese hält.

7. Feld- und Forstpolizkigcsetz.

§§ 19—30.

299

K 26. Mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Hast bis zu vierzehn Tagen wird bestraft, wer unbefugt 1. abgesehen von den Füllen des § 366 Nr. 7 des Strafgesetzbuch, Steine, Scherben, Schutt oder Unrat auf Grundstücke wirft oder in dieselben bringt; 2. Leinwand, Wäsche oder ähnliche Gegenstände zum Bleichen, Trocknen oder anderen derartigen Zwecken ausbreitet oder niederlegt; 3. tote Tiere liegen läßt, vergräbt oder niederlegt; 4. Bienenstöcke ausstellt.

§ 27. Mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen wird bestraft, wer unbefugt 1. abgesehen von den Fällen des § 50 Nr. 7 des Fischereigesetzes vom 30. Mai 1874, Flachs oder Hanf rötet; 2. in Gewässern Felle aufweicht oder reinigt oder Schafe wäscht; 3. abgesehen von den Füllen des § 366 Nr. 10 des Strafgesetzbuchs, Gewässer verunreinigt oder ihre Benutzung in anderer Weise er­ schwert oder verhindert. $ 28. Mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Hast bis zu vierzehn Tagen wird bestraft, wer unbefugt 1. fremde auf dem Felde zurückgelassene Ackergeräte gebraucht; 2. die zur Sperrung von Wegen oder Eingängen in eingefriedigte Grundstücke dienenden Vorrichtungen öffnet oder offen stehen läßt; 3. Gruben auf fremden Grundstücken anlegt. § 29. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft, wer, abgesehen von den Fällen des § 367 Nr. 12 des Strafgesetzbuchs, den Anordnungen der Behörden zuwider es unterläßt, 1. Steinbrüche, Lehm-, Sand-, Kies-, Mergel-, Kalk- oder Tongruben, Bergwerksschachte, Schürflöcher oder die durch Stockroden entstandenen Löcher, zu deren Einfriedigung oder Zuwerfung er verpflichtet ist, einzufriedigen oder zuzuwerfen; 2. Oeffnungen, welche er in Eisflächen gemacht hat, durch deutliche Zeichen zur Warnung vor Annäherung zu verwahren. § 30. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft, wer unbefugt 1. abgesehen von den Fällen des § 305 des Strafgesetzbuchs, fremde Privatwege oder deren Zubchörungen beschädigt oder verunreinigt oder ihre Benutzung in anderer Weise erschwert; 2. auf ausgebauten öffentlichen oder Privatwegen die Bankette be­ führt, ohne dazu genötigt zu sein (§ 10 Abs. 2), oder die zur Be­ zeichnung der Fahrbahn gelegten Steine, Faschinen oder sonstigen Zeichen entfernt oder in Unordnung bringt; 3. abgesehen von den Fällen des § 274 Nr. 2 des Strafgesetzbuchs, Steine, Pfähle, Tafeln, Stroh- oder Hegewische, Hügel, Gräben oder ähnliche zur Abgrenzung, Absperrung oder Vermessung von Grund­ stücken oder Wegen dienende Merk- oder Warnungszeichen, desgleichen Merkmale, die zur Bezeichnung eines Wafferstandes bestimmt sind,

300

V. Gruppe: Polizei.

sowie Wegweiser sortnimmt, vernichtet, umwirst, beschädigt oder un­ kenntlich macht; 4. Einfriedigungen, Geländer oder die zur Sperrung von Wegen oder Eingängen in eingesriedigte Grundstücke dienenden Vorrichtungen be­ schädigt oder vernichtet; 5. abgesehen von den Fällen des § 304 des Strafgesetzbuchs, stehende Bäume, Sträucher, Pflanzen oder Feldsrüchte, die zum Schutze von Bäumen dienenden Pfähle oder sonstigen Vorrichtungen beschädigt. Sind junge stehende Bäume, Frucht- oder Zierbäume oder Zier sträucher beschädigt, so darf die Geldstrafe nicht unter zehn Mark betragen.

5 31. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft, wer, abgesehen von den Füllen der §§ 321 „nd 326 des Strafgesetzbuchs, unbefugt das zur Bewässerung von Grundstücken dienende Wasser ableitet, oder Gräben, Wälle, Rinnen oder andere zur Ab- und Zuleitung des Wassers dienende Anlagen herstellt, verändert, be­ schädigt oder beseitigt. 5 32. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünszig Mark oder mit Haft wird bestraft, wer, abgesehen von den Fällen des § 308 des Strafgesetzbuchs, eigene Torfmoore, Haidekraut oder Bülten iin Freien ohne vorgängige Anzeige bei der Ortspolizeibehörde oder bei dem Orts­ vorstande in Brand setzt, oder die bezüglich dieses Brennens polizeilich angeordneten Vorsichtsmaßregeln außer Acht läßt.

8 33. Mit Geldstrafe bis zu dreißig Mark oder mit Haft dis zu einer Woche wird bestraft, wer, abgesehen von den Fällen des § 368 Nr. 11 des Strafgesetzbuchs, aus fremden Grundstücken unbefugt nicht jagd­ bare Vögel fängt, Sprenkel oder ähnliche Vorrichtungen zum Fangen von Singvögeln ausstellt, Vogelnester zerstört oder Eier oder Junge von Vögeln auSnimmt. Die Sprenkel oder ähnliche Vorrichtungen sind einzuziehen. § 34. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Hast wird bestraft, wer, abgesehen von den Fällen deS § 368 Nr. 2 des Strafgesetzbuchs, den zum Schutze nützlicher oder zur Vernichtung schädlicher Tiere oder Pflanzen erlassenen Polizeiverordnungen zuwiderhandelt.

§ 35. Mit Geldstrafe bis zu einhundert Mark oder mit Hatt bis zu vier Wochen wird bestraft, wer unbefugt 1. an stehenden Bäumen, an Schlaghölzern, an gefällten Stämmen, an aufgeschichteten Stößen von Torf, Holz oder anderen Walderzeugnisien das Zeichen des Waldhammers oder Rissers, die Stamm­ oder Stoßnummer oder die Loosnummer vernichtet, unkenntlich macht, nachahmt oder verändert; 2. gefällte Stämme oder aufgeschichtete Stöße von Holz, Torf oder Lohrinde beschädigt, umstößt oder der Stützen beraubt.

§ 36. Mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Hast bis zu vierzehn Tagen wird bestraft, wer unbefugt auf Forstgrundstücken

7. Feld- und Forstpolizeigefetz.

§§ 30—40.

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1. außerhalb der öffentlichen oder solcher Wege, zu deren Benutzung er berechtigt ist, mit einem Werkzeuge, welches zum Fällen von Holz, oder mit einem Geräte, welches zum Sammeln oder Wegschaffen von Holz, Gras, Streu oder Harz seiner Beschaffenheit nach bestimmt erscheint, sich aufhält; 2. Holz ablagert, bearbeitet, beschlägt oder bewaldrechtet; 3. Einfriedigungen übersteigt; 4. Forstkulturen betritt; 5. solche Schläge betritt, in welchen die Holzhauer mit dem Einschlagen oder Ausarbeiten der Hölzer beschäftigt, oder welche zur Entnahme des Abraums nicht sreigegeben sind. In den Fällen der Nr. 1 können neben der Geldstrafe oder der Hast die Werkzeuge eingezogen werden, ohne Unterschied, ob sie dem Schuldigen gehören oder nicht.

§ 37. Mit Geldstrafe bis zu einhundert Mark oder mit Hast bis zu vier Wochen wird bestraft, wer unbefugt auf Forstgrundstücken 1. zum Wiederausschlagen bestimmte Laubholzstücke aushaut, abspänt oder zur Verhinderung des Lohdentriebes (Stockausschlages) mit Steinen belegt; 2. Ameisen oder deren Puppen (Ameiseneier) einsammelt oder Ameisen­ haufen zerstört oder zerstreut.

§ 38. Mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark wird bestraft, wer aus einem fremden Walde Holz, welches er erworben hat, oder zu deffen Bezüge in bestimmten Maßen er berechtigt ist, unbefugt ohne Genehmigung des Grundeigentümers vor Rückgabe des Verabfolgezettels, oder an anderen als den bestimmten Tagen oder Tageszeiten, oder aus anderen als den bestimmten Wegen fortschafft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. § 39. Mit Geldstrafe bis zu einhundert Mark oder mit Hast bis zu vier Wochen wird bestraft, wer aus einem fremden Torfmoore oder Walde an Stelle der ihm vom Eigentümer durch Verabfolgezettel zugewiesenen Posten von Torf, Holz oder anderen Walderzeugniffen aus Fahrlässigkeit andere als die auf dem Verabfolgezettel bezeichneten Posten oder Teile derselben fortschafft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.

§ 40. Mit Geldstrafe bis zu einhundert Mark oder mit Haft bis zu vier Wochen wird bestraft, wer auf Forstgrundstücken oder Torf­ mooren als Dienstbarkeits- oder Nutzungsberechtigter oder als Pächter 1. unbefugt seine Berechtigung in nicht geöffneten Distrikten oder in einer Jahreszeit, in welcher die Berechtigung auszuüben nicht ge­ stattet ist, oder an anderen als den bestimmten Tagen oder Tages­ zeiten ausübt, oder sich anderer als der gestatteten WerbungSwerkzeuge oder Fortschaffungsgeräte bedient; 2. den gesetzlichen Vorschriften, oder Polizeiverordnungen, oder dem Her­ kommen, oder dem Inhalte der Berechtigung zuwider ohne Legiti­ mationsschein, oder ohne Ueberweisung von feiten der Forstbehörde

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V. Gruppe: Polizei.

oder des Grundeigentümers die Gegenstände der Berechtigung sich aneignet; 3. die zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit bei Ausübung von Berechtigungen erlassenen Gesetze oder Polizeiverordnungen übertritt. In den Fällen der Nr. 1 können neben der Geldstrafe oder der Hast die Werbungswerkzeuge eingezogen werden, ohne Unterschied, ob sie dem Schuldigen gehören oder nicht. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.

8 41. Mit Geldstrafe bis zu zehn Mark ober mit Haft bis zu drei Tagen wird bestraft, wer aus Forstgrundstücken bei Ausübung einer Waldnutzung den Legitimationsschein, den er nach den gesetzlichen Bor­ schristen oder Polizeiverordnungen, nach dem Herkommen oder nach dem Inhalt der Berechtigung losen muß, nicht bei sich führt. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 8 42. Mit Geldstrafe bis zu bis zu vier Wochen wird bestraft, wer berechtigter Walderzeugnisse, die er, ohne zu sein, lediglich zum eigenen Bedarf zu

einhundert Mark oder mit Haft als Dienstbarkeits- oder Nutzungs­ auf ein bestimmtes Maß beschränkt entnehmen berechtigt ist, veräußert.

8 43. Mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Hast bis zu vierzehn Tagen wird bestraft, wer den Gesetzen der Polizeiverordnnngen über den Transport von Brennholz oder unverarbeitetem Bau- oder Nutzholz zuwider handelt, oder den Gesetzen oder Polizeiverordnungen zuwider Brennholz oder unverarbeitetes Bau- oder Nutzholz in Ortschaften einbringt. Dies gilt insbesondere auch von Bandstöcken (Reisstäbenl jeder Holzart, birkenen Reisern, Korbruthen, Faschinen und jungen Nadelhölzern. Das Holz ist einzuziehen, wenn nicht der rechtmäßige Erwerb des­ selben nachgewiesen wird.

8 44. Mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Hatt bis zu vierzehn Tagen wird bestraft, wer 1. mit unverwahrtem Feuer oder Licht den Wald betritt oder sich dem­ selben in gefahrbringender Weise nähert; 2. im Walde brennende oder glimmende Gegenstände fallen läßt, iortwirft oder unvorsichtig handhabt; 3. abgesehen von den Fällen des § 368 Nr. 6 des Strafgesetzbuchs, im Walde oder in gefährlicher Nähe desselben im Freien ohne Erlaubnis des Ortsvorstehers, in dessen Bezirk der Wald liegt, in Königlichen Forsten ohne Erlaubnis des zuständigen Forstbeamten Feuer anzündet oder das gestattetermaßen angezündete Feuer gehörig zu beaufsichtigen oder auszulöschen unterläßt; 4. abgesehen von den Fällen des § 360 Nr. 10 des Strafgesetzbuchs, bei Waldbränden, von der Polizeibehörde, dem Ortsvorsteher oder deren Stellvertreter oder dem Forstbesitzer oder Forstbeamten zur Hilfe aufgefordert, keine Folge leistet, obgleich er der Aufforderung ohne erhebliche eigene Nachteile genügen konnte.

8 45. Mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft, wer im Walde oder in gefährlicher Nähe desselben

7. Feld- und Forstpolizeigeseh.

§§ 40—50.

303

1. ohne Erlaubnis des Ortsvorstehers, in dessen Bezirk der Wald liegt, in Königlichen Forsten ohne Erlaubnis des zuständigen Forstbeamten Kohlenmeiler errichtet; 2. Kohlenmeiler anzündet, ohne dem Ortsvorsteher oder in Königlichen Forsten dem Forstbeamten Anzeige gemacht zu haben; 3. brennende Kohlenmeiler zu beaufsichtigen unterläßt; 4. aus Meilern Kohlen auSzieht oder abführt, ohne dieselben gelöscht zu haben.

§ 46. Mit Geldstrafe von zehn bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft wird bestraft, wer den über das Brennen einer Waldfläche, das Abbrennen von liegenden oder zusammengebrachten Bodendecken und das Sengen von Rotthecken erlassenen polizeilichen Anordnungen zuwidcrhandelt. § 47. Wer in der Umgebung einer Waldung, welche mehr als einhundert Hektare in räumlichem Zusammenhänge umfaßt, innerhalb einer Entfernung von fünfundsiebzig Metern eine Feuerstelle errichten will, bedarf einer Genehmigung derjenigen Behörde, welche für die Erteilung der Genehmigung zur Errichtung von Feuerstellen zuständig ist. Vor der Aushändigung der Genehmigung darf die polizeiliche Bauerlaubnis nicht erteilt werden. § 48. Die Genehmigung der Behörde (§ 47) darf versagt oder an Bedingungen, welche die Verhütung von Feuersgefahr bezwecken, ge­ knüpft werden, wenn aus der Errichtung der Feuerstelle eine Feuersgesahr für die Waldung zu besorgen ist. Die Genehmigung darf nicht versagt werden, wenn die Feuerstelle innerhalb einer im Zusammenhänge gebauten Ortschaft, oder vom Wald­ eigentümer, oder in der Ausführung eines Enteignungsrechts errichtet werden soll; jedoch darf die Genehmigung an Bedingungen geknüpft werden, welche die Verhütung von Feuersgesahr bezwecken. § 49. Der Antrag auf Erteilung der Genehmigung ist dem Wald­ eigentümer, falls dieser nicht der Bauherr ist, mit dem Bemerken bekannt zu machen, daß er innerhalb einer Frist von einundzwanzig Tagen bei der Behörde (§ 47) Einspruch erheben könne. Der erhobene Einspruch ist von der Behörde (§ 47), geeignetenfalls nach Anhörung des Antragstellers und des Waldeigentümers, sowie nach Aufnahme des Beweises zu prüfen.

§ 50. Die Versagung der Genehmigung, die Erteilung der Genehmigung unter Bedingungen, sowie die Zurückweisung des erhobenen Einspruchs erfolgt durch einen Bescheid der Behörde, welcher mit Gründen zu versehen und dem Antragsteller, sowie dem Waldeigentümer zu eröffnen ist. Gegen den Bescheid steht dem Antragsteller, sowie dem Waldeigen­ tümer innerhalb einer Frist von [zehn Tagen) zwei Wochen die Klage im Verwaltungsstreitverfahren offen. Zuständig ist a) der Kreisausschuß, wenn der Bescheid von der Ortspolizeibehörde eines Landkreises, [ober in der Provinz Hessen-Naffau von dem Amtmann) erteilt worden ist;

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V. Gruppe: Polizei.

b) ^das Bezirksverwaltungsgericht, der Bezirksausschuß, wenn der Bescheid vom Landrat (Amtshauptmann, Oberamtmann) oder von der Orts­ polizeibehörde eines Stadtkreises, in der Provinz Hannover von der Polizeibehörde einer selbständigen Stadt erteilt worden ist.

§ 51. Wer vor Erteilung der vorgeschriebenen Genehmigung mit der Errichtung einer Feuerstelle beginnt, wird mit Geldstrafe bis zu einhundertundfünfzig Mark oder mit Haft bestraft. Auch kann die Behörde (§ 47) die Wetterführung der Anlage verhindern und die Weg­ schaffung der errichteten Anlage anordnen. § 52. Die Bestimmungen des Gesetzes vom 25. August 1876, be­ treffend die Berteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstücksteilungen und die Gründung neuer Ansiedelungen usw. (Gesetz-Samml. S. 405), werden durch das gegenwärtige Gesetz nicht berührt. Ist zu der Errichtung der Feuerstelle (§ 47) eine Ansiedelungs­ genehmigung erforderlich, so ist in dem Geltungsbereiche des vorstehend genannten Gesetzes das Verfahren nach den §§ 48 bis 50 des gegen­ wärtigen Gesetzes mit dem Verfahren nach den §§ 13 bis 17 des Ge­ setzes vom 25. August 1876 zu verbinden. Zweiter Titel.

Strafverfahren.

§ 53. Für die Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz sind di? Schöffengerichte zuständig. Die gesetzliche Befugnis der Ortspolizeibehörden zur vorläufigen Straffestsetzung beziehungsweise zur Verhängung einer etwa verwirkten Ein­ ziehung wird hierdurch nicht berührt. Das Amt des Amtsanwalts kann verwaltenden Forstbeaiilten über­ tragen werden. K 54. Die an die Stelle einer nicht beizutreibenden Geldstrafe eintretende Haft kann vollstreckt werden, ohne daß der Versuch der Bei­ treibung der Geldstrafe gegen den für haftbar Erklärten gemacht worden ist, sofern die Zahlungsunfähigkeit desselben gerichtskundig ist.

§ 55. Für das gerichtliche Verfahren gelten, soweit nicht in diesem Gesetze abändernde Bestimmungen getroffen sind, die Vvrschristen der Strafprozeßordnung über das Versahren vor den Schöffengerichten. K 56. Mehrere Strafsachen können, auch wenn ein Zusammen­ hang (88 3 und 236 der Strafprozeßordnung) nicht vorhanden ist, zlim Zwecke gleichzeitiger Verhandlung und Entscheidung verbunden werden.

§ 57. Die Hauptverhandlung kann auch in den Fällen der 88 20 und 21 dieses Gesetzes ohne Anwesenheit des Angeklagten erfolgen. K 58. Für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmi ttel der Berufung sind die Strafkammern zuständig; dieselben entsch eiben in der Besetzung mit drei Mitgliedern einschließlich des Vorfitzenden.

7. Feld- und Forstpolizeigesetz.

§§ 50—67.

305

§ 59. Die Revision gegen die in der Berufungsinstanz erlassenen Urteile findet nur statt, wenn eine der durch die §§ 20 und 21 dieses Gesetzes vorgesehenen strafbaren Handlungen den Gegenstand der Unter­ suchung bildet. § 60. Auf Zuwiderhandlungen gegen die im Interesse des Feldii nb Forstschutzes erlassenen Polizeiverordnungen findet das in diesem Ge­ setze vorgeschriebene Verfahren Anwendung. Steht mit einer der vorbezeichneten Zuwiderhandlungen oder mit einer Zuwiderhandlung gegen dieses Gesetz ein nach § 361 Nr. 9 des Strafgesetzbuchs strafbares Nichtabhalten von der Begehung strafbarer Verletzungen der Gesetze zum Schutze der Feldfrüchte und Forsten im Zu­ sammenhänge, so findet auch auf diese Uebertretung das in diesem Gesetze vorgeschriebene Verfahren Anwendung.

§ 61. In Fällen, wo nach diesem Gesetze die Verfolgung nur aui Antrag eintritt, ist die Zurücknahme des Antrags zulässig. Dritter Titel. Feld- und Forsthüter.

§ 62. Feldhüter (Forsthüter) im Sinne dieses Gesetzes sind die von einer Stadtgemeinde, von einer Landgemeinde oder von einem Grund­ besitzer für den Feldschutz l Forstschutz) angestellten Personen. Die Anstellung der Feldhüter (Forsthüter) bedarf der Bestätigung nach den für Polizeibeamte gegebenen Vorschriften und, soweit solche nicht bestehen, der Bestätigung des Landrats ((Amtshanptmamir), OberamtinannS). § 63. Die für den Feldschutz (Forstschutz) im Königlichen Dienst angeslellten Personen haben die Befugnisse der Feldhüter (Forsthüter). § 64. Den Gemeinden steht es frei, aus der Zahl ihrer Mit­ glieder Ehrenfeldhüter zu wählen. Die Wahl bedarf in den Landgemeinden der Bestätigung der Aiiisichtsbehörde. Die Ehrenfeldhüter sind zu allen dienstlichen Verrichtungen der Feldhüter befugt.

§ 65. Feldhüter, Ehrenfeldhüter oder Forsthüter müssen ein Tienstabzeichen bei sich führen und bei Ausübung ihres Amtes auf Ver­ langen vorzeigen.

§ 66. Feldhüter, Ehrenfeldhüter oder Forsthüter können für sämt­ liche in Einer Gerichtssitzung zu verhandelnden Feld- und Forstpolizei­ sachen, in welchen sie als Zeugen vernommen werden sollen, in dieser Sitzung durch einmalige Leistung dcS Zeugeneides im Voraus beeidet werden. Vierter Titel.

Schadensersatz «nd Pfändung.

§ 67. Der Anspruch auf Erstattung des durch eine Zuwiderhand­ lung gegen dieses Gesetz entstandenen Schadens ist im Wege des Zivil­ prozesses geltend zu machen. ? t ii v

in I e, $cm\ihunn£ac'etK nir P.euftcn.

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V. Grupp«: Polizei.

8 68. Erfolgt bei Entwendungen die Entscheidilng durch den Richter aus Grund der Hauptverhandlung, so hat der Richter auf ben Antrag des Beschädigten neben der Strafe die Verpflichtung des Schuldigen zum Ersatz des nach den örtlichen Preisen abzuschätzenden Wertes des Entwendeten an den Beschädigten auszusprechen. Für den Antrag kommen die Vorschriften der Strafprozeßordnung über den Antrag auf Zuerkennung einer Buße (§§ 443 bis 445) zur entsprechenden Anwendung. Durch den Antrag auf Wertsersatz wird der weitergehende Anspruch aus Schadensersatz nicht ausgeschlossen. 8 69. Bei Weidefreveln (§ 14) und, sofern es sich um liebertritt von Tieren handelt, bei Zuwiderhandlungen gegen den § 10 dieses Gesetzes und gegen den § 368 Nr. 9 des Strafgesetzbuchs hat der Be­ schädigte die Wahl, die Erstattung des nachweisbaren Schadens oder die Zahlung eines Ersatzgeldes zu fordern. Der Anspruch auf Ersatzgeld ist unabhängig von dem Nachweis eines Schadens. Mit der Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatzgeld erlischt das Recht auf Schadenserstattung. Ist aber der Anspruch auf Schadens­ erstattung erhoben, so kann bis zur Verkündung des Endurteils erster Instanz statt der Schadenserstattung das Ersatzgeld gefordert werden. Treten die Tiere in den Fällen der §§ 10 und 14 dieses Gesetzes oder im Falle des § 368 Nr. 9 des Strafgesetzbuchs zugleich auf die Grundstücke verschiedener Besitzer über, so wird das Ersatzgeld nur einmal erlegt. Dasselbe gebührt demjenigen Besitzer, welcher den Anspruch zuerst bei der Ortspolizei angebracht hat. Ist die Anbringung von mehreren gleichzeitig erfolgt, so wird das Ersatzgeld zwischen diesen gleich­ mäßig verteilt, den übrigen Besitzern verbleibt das Recht aus Schadenseriatz. 5 70.

Der Anspruch auf Ersatzgeld verjährt in vier Wochen. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem der Uebertritt der Tiere stattgefunden hat. Die Verjährung wird unterbrochen durch Erhebung der Klage auf Schadensersatz.

K 71.

Das Ersatzgeld beträgt,

1. wenn die Tiere betroffen werden auf bestellten Aeckern vor beendeter Ernte, künstlichen oder auf solchen Wiesen, oder mit Futterkräutcrn besäeten Weiden, welche der Besitzer selbst noch mit der Hütung verschont, oder die derselbe eingefriedigt hat, in Gärten, Baum­ schulen, Weinbergen, auf mit Rohr bewachsenen Flächen, auf Weidenhegern, Dünen, Dämmen, Deichen, Buhnen, Deckwerken, gedeckten Sandflächen, Graben- oder Kanalböschungen, in Forst­ kulturen, Schonungen oder Saatkämpen: a) für ein Pferd, einen Esel oder ein Stück Rindvieh 2,oo Mark, b) für ein Schwein, eine Ziege oder ein Schaf. . l,oo „ c) für eine GanS............................................................. 0,$o d) für ein Stück anderes Federvieh O,«o

7 Feld- und Forstpolizeigesetz.

307

§§ 68—77.

2. in allen anderen Fällen: a) für ein Pferd, einen Esel oder ein Stück Rindvieh b) für ein Schwein, eine Ziege oder ein Schaf. c) für ein Stück Federvieh

O.so O.so O,o«

72.

Ist gleichzeitig eine Mehrzahl von Tieren übergetreten, so Gesamtbetrag der nach dem 8 7l zu entrichtenden Ersatzgelder den Fällen des § 71 Nr. 1 für Pferde, Esel, Rindvieh, Schweine, Ziegen und Schafe ................................................. 60 Mark, für Federvieh 15 2. in den Fällen des § 71 Nr. 2 für Pferde, Esel, Rindvieh, Schweine, Ziegen und Schafe 15 für Federvieh 2 nicht übersteigen.

K 73. Die Ersatzgeldbeträge der §§ 71 und 72 können für ganze Kreise oder für einzelne Feldmarken auf Antrag der Kreisvertretung, in den Hohenzollernschen Landen aus Antrag der Amtsvertretung, durch Be­ schluß des BezirkSfratsMSschusteS bis auf daS doppelte erhöht oder bis auf die Hälfte ermäßigt werden. Der Beschluß des BezirkSsraislauSschusteS ist endgültig. 8 74. Der Anspruch auf Ersatzgeld kann in allen Fällen gegen den Besitzer der Tiere unmittelbar geltend gemacht werden. Mehrere Besitzer von Bieh, welches eine gemeinschaftliche Herde bildet, haften für das Ersatzgeld dem Beschädigten gegenüber solidarisch. § 75. Der Anspruch aus Ersatzgeld ist im Falle des § 69 Abs. 3 im Zivilprozesse zu verfolgen. In allen anderen Fällen ist der Anspruch bei der Ortspolizeibehörde anzubringen. Diese erteilt nach Anhörung der Beteiligten und Anstellung der erforderlichen Ermittelungen einen Bescheid. Werden dem Ansprüche auf Erfatzgeld gegenüber Tatsachen glaubhaft gemacht, aus welchen ein bett Anspruch ausschließendes Recht hervorgeht, so ist dem Beschädigten zu überlasten, seinen Anspruch im Wege des Zivilprozesies zu verfolgen. K 76. JDet Bescheid der Ortspolizeibehörde (§ 75) ist den Be­ teiligten zu eröffnen. Innerhalb einer Frist von fzehn Tagen) zwei Wochen nach der Eröffnung steht jedem Teile die Klage bei dem KreiSauSschuffe, in Stadtkreisen und in den zu einem Landkreise gehörigen Städten mit mehr als zehntausend Einwohnern bei dem Bezirksfv«rwaltung»g«richtt)ausschuffe zu. Auch hier findet die Vorschrift de8 letzten Satzes in § 75 Abs. 2 Anwendung. Die Entscheidungen des KreiSausschuffeS und des Bezirks fverwaltungigerichtrfauSschusieS sind endgültig.

K 77. Wird Vieh auf einem Grundstücke betroffen, auf welchem es nicht geweidet werden darf, so kann dasselbe auf der Stelle oder in unmittelbarer Verfolgung sowohl von dem Feld- oder Forsthüter, als auch voit dem Beschädigten oder von solchen Personen gepfändet werden, welche die Aussicht über das Grundstück führen oder zur Familie, zu den DienstSv*

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V. ©nippt: Polizei.

(tuten oder zu den auf dem Grundslücke beschäftigten Arbeitsleuten des Beschädigten gehören. In gleicher Weise ist bei Zuwiderhandlungen gegen den § 10 dieses Gesetzes und bei Zuwiderhandlungen gegen den § 368 Nr. 9 des Straf­ gesetzbuchs die Pfändung der Reit- oder Zugtiere oder des Viehes zulässig. § 78. Die gepfändeten Tiere hasten für den entstandenen Schaden oder die Ersatzgelder und für alle durch die Pfändung und die Schadens­ feststellung verursachten Kosten. Die gepfändeten Tiere müssen sofort freigegeben werden, wenn bei dem zuständigen Gemeinde- oder Gutsvorstande ein Geldbetrag oder ein anderer Pfandgegenstand hinterlegt wird, welcher den Forderungen des Beschädigten entspricht. § 79. Die Kosten für die Einstellung, Wartung und Fütterung der gepfändeten Tiere werden von der Ortspolizeibehörde festgesetzt. Durch Beschluß des BezirkSrai« ausschusses können für die Kreise des Bezirks mit Zustimmung der Kreisvertretungen, in den Hohenzollernschen Landen mit Zustimmung der Amtsvertretungen, allgemeine Wertsätze für die Einstellung, Wartung und Fütterung der gepfändeten Tiere festgesetzt werden. Ter Beschluß des Bezirks(ratssausfchusses ist endgültig. § 80. Der Pfändende hat von der geschehenen Pfändung Pinnen vierundzwanzig Stunden dem Gemeinde-, Gutsvorsteher oder der Orts­ polizeibehörde, in Städten der Ortspolizeibehörde Anzeige zu machen. Der Gemeinde- oder Gutsvorsteher oder die Polizeibehörde bestimmt über die vorläufige Verwahrung der gepfändeten Tiere. Ter Gemeinde- oder Gutsvorsteher hat von der erfolgten Pfändung sofort der Ortspolizeibehörde Anzeige zu machen. § 81. Ist die Anzeige (§ 80 Abs. D unterlassen, w kann der Gepfändete die Pfandstücke zurückverlangen. Der Pfändende hat in diesem Falle keinen Anspruch auf den Ersatz der durch die Pfändung ent­ standenen Kosten. § 82. Wird der Ortspolizeibehörde eine Pfändung angezeigt, so erteilt dieselbe sogleich oder nach einer schleunigst anzustellenden Ermittelung, unter Berücksichtigung der Höhe des Schadens, des Ersatzgeldes und der Kosten, einen Bescheid darüber, ob die Pfändung ganz oder teilweise auf­ recht zu erhalten oder aufzuheben, oder ob ein anderweit angebotenes Pfand anzunehmen ist. In dem Bescheide ist über die Art der ferneren Ver­ währung der gepfändeten oder in Pfand gegebenen Gegenstände Be­ stimmung zu treffen. Ist die Pfändung nur teilweise aufrecht erhalten, so sind die freigegebenen Pfandstücke dem Gepfändeten auf seine Kosten sofort zurückzugeben. § 83. Macht der Gepfändete Tatsachen glaubhaft, aus welchen die Unrechtmäßigkeit der Pfändung hervorgeht, so ist dem Beschädigten zu überlassen, seinen Anspruch im Wege des Zivilprozesses zu verfolgen. In diesem Falle hat die Polizeibehörde über die Verwahrung der gepfändeten Tiere oder über die Annahme und Verwahrung eines anderen

geeigneten Pfandes vorläufige Festsetzung zu treffen. setzung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Gegen diese Fest­

§ 84. Der Bescheid der Ortspolizeibehörde (§ 82) ist dem Be­ teiligten zu eröffnen. Innerhalb einer Frist von fzehn Tagens zwei Wochen nach der Eröffnung steht jedem Teile die Klage bei dem KreisauSschusse, in Stadtkreisen und in den zu einem Landkreise gehörigen Städten mit mehr als zehntausend Einwohnern bei dem Bezirks! verwaltungsgerichtefausschusse zu. Auch hier findet die Vorschrift des § 83 Abs. 1 Anwendung. Die Entscheidungen des Kreisausschuffes und des Bezirks>rwallungsgenchts!ausschuffes sind endgültig. § 85. Ist durch eine rechtskräftige Entscheidung die Pfändung aufrecht erhalten, so läßt die Ortspolizeibehörde die gepfändeten oder in Pfand gegebenen Gegenstände nach ortsüblicher Bekanntmachung öffentlich versteigern. Bis zum Zuschläge kann der Gepfändete gegen Zahlung eines von der Ortspolizeibehörde festzusetzenden Geldbetrages, sowie der Versteigerung?kosten die gepfändeten oder in Pfand gegebenen Gegenstände einlösen. § 86. Der Erlös aus der Versteigerung oder die eingezahlte Sulnme dient zur Deckung aller entstandenen Kosten, sowie der Ersatzgelder. Zur Deckung des Schadensersatzes dient der Erlös oder die ein­ gezahlte Summe nur, wenn der Anspruch darauf innerhalb dreier Monate nach der Pfändung geltend gemacht ist. Der nach Deckung der zu zahlenden Beträge sich ergebende Rest wird dem Gepfändeten zurückgegeben. Ist dieser seiner Person oder seinem Aufenthalte nach unbekannt, so wird der Rest der Armenkasse des Ortes, in welchem die Pfändung geschehen ist, ausgezahlt. Innerhalb dreier Monate nach der Auszahlung kann der Gepfändete den Rest zurückverlangen.

§ 87. Fordert der Beschädigte im Falle der Pfändung Ersatzgeld, io ist über diese Forderung und die Pfändung in demselben Verfahren zu verhandeln und zu entscheiden. § 88. Tic in §§ 49, 50, 76, 80, 84 erwähnten Fristen sind präklusivisch. .fünfter Titel.

Uebergaugs- und Schlutzbeftimmungeu. § 89. Das gegenwärtige Gesetz findet aus den Stadtkreis Berlin mit der Maßgabe Anwendung, daß die im gegenwärtigen Gesetze dem Bczirks^ratefausschusse zugewiesenen Obliegenheiten vom Oberpräsidenten wahrgenvlnmen werden. § 90. In den Hohenzollernschen Landen werden die dem Kreis­ ausschusse beigelegten Befugnisse vom Amtsausschuß |imb bis zur Einführung eines Bezirksrats die dem letzteren beigelegten Befugnisse von der Brzirksrezierung

wahrgcnommen.

8 91.

Für die übrigen Landesteile außerhalb des Geltungsbereiches der 'l'icriiiyaforbiiiing rem 29 Juni 1875 (Lesch-Lnmml. 3. 335> sonnten dis zur Ein-

310

V. Gruppe: Polizei.

führung von Kreisausschüssen, Bezirksverwaltungsgerichten und Bezirlsräten folgende besondere Bestimmungen zur Anwendung. 1. ES werden die in diesem Gesetze bezeichneten Verrichtungen a) deS KreiSauSschuffeS vom Landrate (Amtshauptmanne), in der Provinz Hannover in den Fällen der §§ 76 und 84 von der Landdrostei, b) deS BezirkSverwallungSgerichteS von der Bezirksregierung (Landdrostei), cj deS Bezirksrates von der Bezirksregierung (Landdrostei) wahrgenommen. 2. Hinsichtlich des Verfahrens, der Rechtsmittel und der Fristen zur Einlegung der Rechtsmittel in den Fällen der §§ 50, 76 und 84 finden die Vorschriften des Gesetzes vom 3. Juli 1875, betreffend die Verfassung der Verwaltungs­ gerichte und das Verwaltungsstreitversahren (Gesetz-Samml. S. 375), ent­ sprechende Anwendung. 4. Das Oberverwalt ungSgericht entscheidet im Falle des § 50 auf die Berufung gegen die von der Bezirksregierung (Landdrostei) in erster Instanz, sowie auf das Rechtsmittel der Revision gegen die von der Bezirksregierung (Landdrostei) in zweiter Instanz erlaffenen Endurteile l)

5 92. So lange in der Provinz Posen die gutsherrliche Polizei­ gewalt »och besteht, tritt für den Umsang derjenigen Rittergüter, in welchen der Besitzer die Ortspolizei selbst oder durch einen Stellvertreter verwaltet, in den Fällen der §§ 75, 82 und 83 dieses Gesetzes an die Stelle der Ortspolizeibehörde ein vom Landrat zu bestimmender Polizei-DistriktskommifsariuS. § 93. Für das weitere Verfahren in den am Tage deS In­ krafttretens dieses Gesetzes anhängigen Strafsachen finden die Vorschriften der §§ 8 ff. des EinsührungSgesetzes zur Strafprozeßordnung entsprechende Anwendung?)

§ 94. In der Rheinprovinz kann in den zu erlassenden Polizei­ verordnungen (§§ 11 und 13) 1. vorgeschrieben werden, wie die Einfriedigung, welche das Eindringen fremden Viehes zu verhindern geeignet ist und durch welche ein Grundstück von der Stoppclweide ausgeschlossen wird, beschauen sein muß; 2. die Ausübung der nicht ablösbaren Stoppelweide a) aus solchen Grundstücken, welche durch besondere Bearbeitung des Bodens in Wiesen umgewandelt sind, sowie auf solchen Wiesen, aus welchen zum Zweck ihrer Verbesserung ein künstlicher Um­ bau oder künstliche Ent- oder Bewässerungsanlagen ausgesührt oder in der Ausführung begriffen sind, untersagt, b) auf natürlichen Wiesen auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt werden. § 95.

Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1880 in Kraft.

$ 96. Mit diesem Zeitpunkte treten alle dem gegenwärtigen Ge­ setze entgegenstehenden gesetzlichen Bestimmungen außer Kraft. *) Der § 91 ist außer Geltung, nachdem in allen Landesteilen Kreis- mic Bezirksausschüsse eingeführt worden find. *) Abs. 2 des § 93 bezog sich auf die am Tage des Inkrafttretens dieses (tzefehes anhängigen Sachen und ist jetzt bedeutungslos.

8. Ersetz, betr. die Uebertragung polizeilicher Befugnisse

k.

§§ 1, 2.

311

Im besonderen treten außer Kraft alle Strafbestimmungen der Feld- und Forstpolizeigesetze. In Kraft bleiben: 1. die gesetzlichen Bestimmungen über den Bezug der verhängten Geld­ strafen ; 2. die gesetzlichen Bestimmungen über Pfändungen, soweit sie nicht durch die Vorschriften dieses Gesetzes betroffen werden; 3. alle das Rechtsverhältnis der Nutzungsberechtigten zu den Wald­ eigentümern betreffenden Gesetze, ausschließlich der darin enthaltenen Strafbestimmungen und Vorschriften über das Strafverfahren. Die vorläufige Verordnung vom 5. März 1843 über die Ausübung der Waldstreuberechtigung (Gesetz-Samml. S. 105) behält ihre Wirksam­ keit mit der Maßgabe, daß an die Stelle dec darin angedrohten Strafen und des Verfahrens die bezüglichen Vorschriften dieses Ge­ setzes treten; desgleichen bleibt die Verordnung, betreffend die Kon­ trolle der Hölzer, welche unverarbeitet transportiert werden, vom 30. Juni 1839 (Gesetz-Samml. S. 223), mit den im § 43 dieses Gesetzes enthaltenen Abänderungen fortbestehen. Bis zur Verkündung der nach § 13 zu erlassenden Polizeiverord­ nungen behalten die bisherigen Vorschriften über die Ausübung der Nacht­ weide, des Einzelhütens, sowie der Weide der Gemeinde- und Genoffen­ schaftsherden Geltung.

§ 97. Der Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten ist mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt.

8. Gesetz, tat. die llrtntroflino polizeilicher BesiMe in den Kreisen Ältoio nnd Merdnrnim, [sowie im Stabtkreise Wrloitendnrg? an den Polizeipräsidenten zn Perln. Born 12. Jmoi 1889.

d Iie»sch«»d!»»tze«. Sem 13. Februar 1854. . eine Berechtigung zur Aufnahme in das Lazarett mit 100 Mark. Pensionserhöhung.

§ 49.

Auf eine Pensionserhöhung im Betrage der Kriegszulage (8 12) haben diejenigen Offiziere der Kaiserlichen Marine Anspruch, welche entweder 1. durch im Dienste erlittenen Schiffbruch oder infolge einer militärischen Unternehmung aus einer dienstlichen Seereise oder 2. infolge außerordentlicher Einflüsse des Klimas während eines dienst­ lichen Aufenthalts in einem außereuropäischen Lande oder während einer dienstlichen Seereise peusionsberechtigt geworden find, falls nicht ihre Dienstbeschädigung eine Folge ihres Vorsatzes ist. Der Kaiser bestimmt, welche Unternehmung als eine militärische Unternehmung im Sinne deS Abs. 1 Nr. 1 anzusehen ist. Kriegszulage und Pensionserhöhung werden nicht nebeneinander gewährt. Der Anspruch auf Pensionserhöhung muß innerhalb zehn Jahren erhoben werden; der Lauf der Frist beginnt mit der Rückkehr in die Heimat oder mit der im Ausland erfolgten Entlaffung. Die Vorschriften des § 2 Abs. 2 und des 8 37 Abs. 1 finden auf die Pensionserhöhung entsprechende Anwendung.

476

vm. Gruppe: MilitSrrecht. Alterszulage.

8 50. Den im § 49 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Personen kann unter den Voraussetzungen des § 13 auch die Alterszulage gewährt werden. Aufrechterhaltung der Ansprüche aus dem Jnvalidenversicherungsgesetze.

8 51. Für die Deckosfiziere sind Verstümmelungszulage, Kriegs­ zulage, MterSzulage und Pensionserhöhung keine Bezüge im Sinne deS 8 48 Abs. 1 Nr. 2 deS JnvalidenversicherungSgesetzes vom 13. Juli 1899. Berechnung der Dienstzeit.

8 52. Den mit Pension aus dem Marinedienst ausscheidenden Offizieren der Kaiserlichen Marine wird, wenn sie vor dem Termine, der für den Beginn der zur Pension berechtigenden Dienstzeit vorgeschrieben ist, an Bord eines Schiffes der Kaiserlichen Marine, gleichgültig in welcher Ggenschaft, dienstlich eingeschifft gewesen sind, die im Marinedienste zu­ gebrachte Zeit vom Tage der ersten Einschiffung ab als zur Pension be­ rechtigende Dienstzeit angerechnet. 5 53. Die in der Kaiserlichen Marine auf einer Seereise in außer­ heimischen Gewässern bei ununterbrochenem Bordkommando zugebrachte Dienstzeit wird, sofern ihre Dauer mindestens sechs Monate beträgt, doppelt gerechnet. Hat eine Seereise von kürzerer Dauer sich als besonders schädigend und nachteilig für die Gesundheit der Schiffsbesatzung erwiesen, so kann die Dienstzeit mit Genehmigung des Kaisers doppelt gerechnet werden. Osfizieren der Kaiserlichen Marine, welche, ohne zur Besatzung eines Schiffes der Kaiserlichen Marine zu gehören, in den deutschen Schutzgebieten oder deren Hinterländern sich einschließlich der damit in Verbindung stehenden Reisen in außerheimischen Gewässern mindestens sechs Monate ohne Unterbrechung dienstlich aufgehalten haben, wird die dort zugebrachte Dienstzeit doppelt gerechnet. Ausgenommen von dieser Doppelrechnung ist die in solche Jahre fallende Dienstzeit, welche bereits als KriegSjahre zu erhöhtem Ansätze kommen. Außerheimisch sind die Gewässer, welche weder zur Ostsee noch zur Nordsee gehören, diese gerechnet bis zur Linie Dover-CalaiS, längs der Ostküste Englands bis zu 3 Grad Westlänge von Greenwich und bis zum Lreitenparallel von 60 Grad Nordbreite. 8 54. Die im § 18 Abs. 1 bezeichneten Freiheitsstrafen können mit Genehmigung deS Kaisers als Dienstzeit angerechnet werden. 8 55. Den mit Pension ausscheidenden Ingenieuren, Ober­ maschinisten und Maschinisten der Kaiserlichen Marine wird die Zeit, in welcher sie sich vor ihrer etatsmäßigen Anstellung ununterbrochen in einem VerkragSverhältnisse bei der Kaiserlichen Marine befunden haben, als Dienstzeit angerechnet, soweit sie nicht vor den Beginn deS achtzehnten Lebensjahres fällt.

5. OffizieripenfionSgesetz.

§§ 50—59.

477

Hat vor dem Beginne des achtzehnten Lebensjahrs eine dienstliche Einschiffung an Bord eines Schiffes der Kaiserlichen Marine stattgefundm, so wird die Zeit vom Tage der ersten Einschiffung ab gerechnet.

§ 56. Den Offizieren der Kaiserlichen Marine, welche früher der Handelsflotte angehört haben, wird die dort vom Beginne des achtzehnten Lebensjahres an zurückgelegte Fahrzeit zur Hälfte als zur Pension be­ rechtigende Dienstzeit angerechnet. Ruhen des Rechtes auf den Bezug der Pension und des

Pensionszuschusses.

§ 57. Wird ein pensionierter Deckoffizier nach Maßgabe des § 24 Nr. 3 als Beamter angestellt oder in der Eigenschaft eines Beamten be­ schäftigt, so ruht das Recht auf den Bezug der Pension und des PenfionSzufchusies, soweit sein Einkommen aus diesem Dienste unter Hinzurechnung der Pension den Betrag des früheren pensionsfähigen Diensteinkommens oder, sofern es für ihn günstiger ist, folgende Beträge übersteigt: bei einer Gesamt-Militär- und Zivildienstzeit von weniger als 21 Jahren bei einer solchen von wenigstens 21 „ 24 „ 27 „ „ „ 30 „ 33 „ u ,i ,, „ „ 36 „

3000 Mark, 3300 3600 „ 3900 „ 4100 „ 4300 „ 4500 „

Die Vorschriften des § 24 Nr. 3 Abs. 2 bis 5 finden Anwendung. b.

Offiziere einschließlich Ingenieure der Kaiserliche« Marine «ud Sanitätsoffiziere des Benrlanbtruftandes.

§ 58. Auf die Offiziere deS Beurlaubtenstandes sowie die ohne Pension ausgeschiedenen, zum aktiven Marinedienste vorübergehend wieder herangezogenen Offiziere finden die Vorschriften der §§ 49 bis 51, 53, 57, entsprechende Anwendung. C. Beamte.

§ 59. Auf die Marinebeamten finden die §§ 49, 50, 53, 56 Anwendung. Den Marinebeamten wird, wenn sie vor dem Termine, der für den Beginn der zur Pension berechtigenden Dienstzeit vorgeschrieben ist, an Bord eines Schiffes der Kaiserlichen Marine dienstlich eingeschifft gewesen sind, die im aktiven Marinedienst oder als Schiffsjunge zugebrachte Zeit vom Tage der ersten Einschiffung ab als zur Pension berechtigende Dienst­ zeit angerechnet. Die Kriegszulage nach § 12 und die Pensionserhöhung nach § 49 Abs. 1 betragen jährlich: 1200 Mark für die oberen Beamten, deren pensionSfähigeS Diensteinkommen nicht höher ist als der Durchschnitt auS

Vni. Gruppe: MilitSrrecht.

478

dem pensionsfähigen Diensteinkommen eines Korvettenkapitäns und dem eines Kapitänleutnants I. Klaffe; 720 Mark für die übrigen oberen Beamten; 300 Mark für die Unterbeamten.

v. Sonstige Vorschriften. Zuständigkeit und Rechtsweg.

5 60. Die Befugnisse, die im ersten Teile dieses Gesetzes der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents übertragen sind, werden für den Bereich der Kaiserlichen Marine von der obersten Marineverwaltungs­ behörde ausgeübt. Die Entscheidung der obersten Marineverwaltungsbehörde ist für die Beurteilung der vor Gericht geltend gemachten Ansprüche auch darüber maßgebend, ob die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 1, 2 erfüllt sind. Uebergangsvorschriften.

§ 61. Die Pensionsgebührnisse derjenigen vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes aus dem Marinedienst ausgeschicdenen Offiziere, welche im Dienste einen Schiffbruch erlitten oder an einer als Feldzug erklärten militärischen Unternehmung auf einer dienstlichen Seereise teilgenommen haben oder infolge einer solchen Unternehmung oder eines Schiffbruchs pensionsberechtigt geworden sind, sind nach den Vorschriften dieses Gesetzes seflzustellen unter Zugrundelegung des vor dem Ausscheiden bezogenen und nach den bisherigen Gesetzen anzurechnenden pensionsfähigen Ticust­ einkommens. Die Vorschrift des § 42 Abs. 2 findet auf die vor dem Jnkrasttreten dieses Gesetzes ausgeschiedenen Marinebeamten Anwendung, welche zur Zeit des Schiffbruchs oder der militärischen Unternehniung (Abs. 1) Beamte oder Anwärter aus eine Beamtenstellung in der Marineverwaltung gewesen sind. In den Fällen der Abs. 1, 2 findet die Vorschrift des 8 41 Nr. 2 Abs. 2 Anwendung. Die Vorschrift des § 41 Nr. 6 findet, insoweit sie auf § 37 Bezug nimmt, vom Inkrafttreten dieses Gesetzes ab auf die bereits pensionierten Offiziere, die Pensionserhöhung beziehen, Anwendung. Die PenfionSerhöhung der Unterbeamten ist nach § 59 Abs. 3 sestzusetzen. Dritter Teil.

Kaiserliche Schntztruppen itt den afrikanischen Schutzgebiete«. Allgemeine Vorschriften.

§ 62.

Die §§ 1 bis 44 finden aus die auS dem Reichsheer oder

der Kaiserlichen Marine übernommenen Offiziere der Kaiserlichen Schutz­ truppen mit den nachfolgenden Maßgaben entsprechende Anwendung.

5. OffizierspenfionSgesetz.

479

§§ 59—67.

Anspruch auf Pension.

K 63. Zur Begründung des Anspruchs auf Pension ist die dauernde Unfähigkeit zur Fortsetzung deS aktiven Militärdienstes in der Heimat er­ forderlich; Unfähigkeit zur Fortsetzung des aktiven Militärdienstes bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten allein begründet nicht den Anspruch auf Pension. Ein seine Pensionierung nachsuchender Osfizier der Kaiserlichen Schutztrilppen, welcher den Schutztruppen in den Schutzgebieten mindestens zwölf Jahre angehört hat, ist von dem Nachweise der Dienstunfähigkeit befreit. Bei der Berechnung dieses Zeitraums von zwölf Jahren findet keine Doppelrechnung statt.! Fristen.

§ 64. Ist die Dienstunfähigkeit die Folge einer Friedensdienst­ beschädigung, welche durch die besonderen Fährlichkeiten des Dienstes bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten verursacht worden ist, so kann die Dienstbeschädigung auch nach dem Ausscheiden festgestellt und der Anspruch auf Pension bis zum Ablaufe von zehn Jahren geltend genracht werden. Der Lauf der Frist beginnt mit der Rückkehr in die Heimat oder mit dem im Ausland erfolgten Ausscheiden. Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung. Pensionsfähiges Diensteinkommen.

Höhe des

Pensionszuschusses.

§ 65. Bei Bemessung der Höhe der Pension bleiben die für den Aufenthalt in Afrika festgesetzten Bezüge außer Betracht. Als pensions­ fähiges Diensteinkommen gelten die pensionssähigen Gebührnisse der Offiziere deS Reichsheeres oder der Kaiserlichen Marine, je nachdem der Offizier aus dem Reichsheer oder der Kaiserlichen Marine hervorgegangen ist, und zwar nach Maßgabe des Dienstgrads und der Dienststelle, welche der Osfizier in der Schutztruppe bekleidet hat. Der nach § 6 Abs. 5 für die ersten beiden Monate des Pensions­ bezugs zu gewährende Pensionszuschuß ist so zu bemefien, daß die im Falle eines Heimatsurlaubs während dieser Monate zu zahlenden Beträge erreicht werden. Tropenzulage.

§ 66. Aus eine Tropenzulage im Betrage der Kriegszulage (§ 12) haben diejenigen Offiziere der Kaiserlichen Schutztruppen Anspruch, welche entweder infolge außerordentlicher Einflüsse des Klimas während eines dienstlichen Aufenthalts in den Schutzgebieten oder infolge der besonderen Fährlichkeiten des Dienstes in den Schutzgebieten pensionsberechtigt geworden sind, falls nicht ihre Dienstbeschädigung eine Folge ihres Vorsatzes ist. Kriegszulage, Pensionserhöhung (§ 49) und Tropenzulage werden nicht nebeneinander gewährt. § 67. Die Tropenzulage derjenigen Offiziere, welche ohne Unter­ brechung länger als drei Jahre in den Schutzgebieten verwendet worden sind, steigt mit jedem weiteren vollen, wenn auch nicht im Anschluß an

480

Vlll. Gruppe: Militärrecht.

die frühere Dienstzeit in den Schutzgebieten geleisteten Dienstjahr um ein Sechstel bis zur Erreichung des Doppelbetrags. Eine Doppelrechnung von Dienstzeit findet hierbei nicht statt. Die Borschristen des § 64 und deS § 37 Abf. 1 finden auf die Tropenzulage entsprechende Anwendung.

$ 68. Auf Tropenzulage haben auch diejenigen Offiziere Anspruch, welche früher den Kaiserlichen Schutztruppen angehört haben und nach ihrem Wiedereintritt in daS Reichsheer oder in die Kaiserliche Marine innerhalb der im § 64 gegebenen Frist wegen der Folgen einer im Dienste bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten erlittenen Dienst­ beschädigung pensionsberechtigt geworden sind. Die Offiziere des Beurlaubtenstandes des Reichsheeres oder der Kaiserlichen Marine, die sich in den Schutzgebieten dauernd aushalten und daselbst bei den Kaiserlichen Schutztruppen Uebungen ableisten oder in Fällen von Gefahr zu notwendigen Verstärkungen der Kaiserlichen Schutz­ truppen herangezogen werden, haben keinen Anspruch auf Tropenzulage. Berechnung der Dienstzeit.

K 69. Die Dienstzeit bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten wird, sofern sie mindestens sechs Monate ohne Unterbrechung gedauert hat, doppelt gerechnet. Seereisen in außerheimischen Gewässern (§ 53 Abs. 5) rechnen hierbei der Verwendung in den Schutzgebieten gleich. Ausgenommen von dieser Doppelrechnung ist die in solche Jahre fallende Dienstzeit, welche bereits als Kriegsjahre zu erhöhtem Ansätze kommen. Die Dienstzeit bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzge­ bieten ist auch denjenigen Offizieren doppelt zu rechnen, welche aus den Kaiserlichen Schutztruppen in ihr früheres Dienstverhältnis zurücktreten und demnächst aus diesem pensioniert werden. Die im 8 68 Abs. 2 genannten Offiziere haben nur in den Fällen der 88 16 und 17 Anspruch aus höhere Anrechnung von Dienstzeit.

§ 70. Die im 8 18 Abs. 1 bezeichneten Freiheitsstrafen können mit Genehmigung des Kaisers als Dienstzeit angerechnet werden. § 71. Werden Offiziere nach dem Ausscheiden aus den Kaiserlichen Schutztruppen wegen der Folgen einer im Dienste bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten erlittenen Dienstbeschädigung pensions­ berechtigt, nachdem sie in das Reichsheer oder in die Kaiserliche Marine wieder eingetreten sind, so fällt die gesamte von ihnen erdiente Pension dem Pensionsfonds des Reichsheeres oder der Kaiserlichen Marine zur Last. Beamte der Kaiserlichen Schutztruppen.

§ 72. Für die DersorgungSansprüche der Beamten der Kaiserlichen Schutztruppen gelten, soweit die Beamten aus dem Reichsheer entnommen sind, die jeweilig für die Beamten deS Reichsheeres, und insoweit sie aus der Kaiserlichen Marine übernommen sind, die jeweilig für die Beamten der Kaiserlichen Marine gegebenen Borschristen mit folgenden Maßgaben:

5. OffizierspenfionSgefetz.

481

§§ 67—74.

1. Zur Begründung des Anspruchs auf Pension ist die dauernde Un­ fähigkeit zur Fortsetzung des Dienstes in der Heimat erforderlich; Unfähigkeit zur Fortsetzung des Dienstes in den Schutzgebieten allein begründet nicht den Anspruch aus Pension. 2. Als pensionsfähiges Diensteinkommen gelten die pensionsfähigen Gebührnisie der Beamten des Reichsheeres oder der Kaiserlichen Marine nach Maßgabe der Dienststellung und des Dienstalters, welche der Beamte in der Schutztruppe erreicht hat. Den Betrag dieser Ge­ bührnisse und den Betrag des pensionsfähigen Diensteinkommens bestimmt der Reichskanzler, wenn keine entsprechenden Stellungen im Reichsheer oder in der Kaiserlichen Marine bestehen. 3. Wo in jenen Vorschriften von dem Reiche, dem Reichsdienste, der Reichskasie, den Reichsfonds und anderen Einrichtungen des Reichs die Rede ist, sind daS betreffende Schutzgebiet und dessen entsprechende Einrichtungen zu verstehen. 4. Bei Berechnung der Dienstzeit wird dem Dienste in einem Bundes­ staate der Dienst in einem anderen Schutzgebiet oder der Reichsdienst gleichgestellt. 5. Hinsichtlich der Kürzung, Einziehung und Wiedergewährung der aus Schutzgebietsfonds zu zahlenden Pensionen hat der Bezug des Dienst­ einkommens aus Fonds eines anderen Schutzgebiets oder aus Reichs­ fonds dieselben rechtlichen Folgen, wie der Bezug eines Dienstein­ kommens aus Staatsfonds oder aus Fonds des betreffenden Schutz­ gebiets selbst. 6. Insoweit bei Bestimmungen und Entscheidungen eine Mitwirkung des Bundesrats vorgesehen ist, ist der Reichskanzler allein zuständig. 7. Der Reichskanzler bestimmt, inwieweit einem in den Ruhestand ver­ setzten Beamten der Kaiserlichen Schutztruppen die Kosten des Umzugs nach dem innerhalb des Reichs von ihm gewählten Wohnorte zu ge­ währen sind. 8. Die §§ 63 Abs. 2, 66 bis 69, 71 finden entsprechende Anwendung. Die Tropenzulage für die Unterbeamten beträgt 300 Mark und steigt entsprechend der Vorschrift des § 67.

Zuständigkeit und Rechtsweg.

§ 73. Die Befugnisse, die im ersten Teile dieses Gesetzes der obersten Militärverwaltungsbehörde oder nach den im § 72 bezeichneten Vorschriften der obersten Reichsbehörde zustehen, werden für den Bereich der Kaiserlichen Schutztruppen von der Kolonialzentralverwaltung ausgeübt. Tie Entscheidung der Kolonialzentralverwaltung ist für die Beur­ teilung der vor Gericht geltend gemachten Ansprüche darüber maßgebend, ob die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 erfüllt sind. UebergangSvorschristen.

§ 74. Der nach Maßgabe des gegenwärtigen Gesetzes zu zahlende Gesamtbetrag an Pensionsgebührnissen für die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes den Schutztruppen angehörenden Offiziere und Beamten Stic;-: 5 c in l o, Vcrw.ilkun^-Gesetze für Preußen.

31

482

VIH. Gruppe: MilitLrrecht.

dars nicht hinter der Summe derjenigen Beträge zurückbleiben, welche ihnen im Falle der Pensionierung zur Zeit des Inkrafttretens dieses Ge­ setzes zugestanden haben würden. Bei Ermittelung dieser Beträge ist das Dienstalter und der Dienstgrad zugrunde zu legen, welche die Offiziere und Beamten bei Fortsetzung ihres Dienstverhältnisses in der Heimat er­ reicht haben würden. Die PenfionSgebührniffe derjenigen vor dem Inkrafttreten dieses Ge­ setzes aus dem Schutztruppendienste, dem aktiven Militärdienst oder Marine­ dienst ausgeschiedenen Offiziere, welche bei den Kaiserlichen Schutztruppe it an einer als Feldzug erklärten militärischen Unternehmung teilgenommen haben oder infolge einer solchen Unternehmung pensionsberechtigt geworden find, find nach den Vorschriften dieses Gesetzes festzustellen unter Zugrunde­ legung des vor dem Ausscheiden bezogenen und nach den bisherigen Ge­ setzen anzurechnenden pensionsfähigen Diensteinkommens. Die Vorschrift des § 42 Abs. 2 findet auf die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ausgeschiedenen Beamten der Kaiserlichen Schutztruppen Anwendung, welche zur Zeit der militärischen Unternehmung (Abf. 2) Be­ amte oder Anwärter auf eine Beamtenstellung in der Schutztruppenverwaltung gewesen sind. In den Fällen der Abs. 2, 3 findet die Vorschrift des § 41 Nr. 2 Abs. 2 Anwendung. Die Vorschrift des § 41 Nr. 6 findet, insoweit sie auf § 37 Bezug nimmt, vom Inkrafttreten dieses Gesetzes ab auf die Tropenzulagen der bereits pensionierten Offiziere und Beamten Anwendung.

§ 75. Die Vorschriften des dritten Teiles dieses Gesetzes finden auf diejenigen Offiziere des Reichsheeres, der Kaiserlichen Marine und der Kaiserlichen Schutztruppen Anwendung, welche zwecks Verwendung in den Schutzgebieten bei Expeditionen, Stationen oder Polizeitruppcn zur Kolonialverwaltung kommandiert sind und durch den Dienst in den Schutz­ gebieten pensionsberechtigt werden. Schlußvorschrist.

§ 76. Die Pensionsgebührnisse derjenigen Personen, deren Bezüge nach den bestehenden Bestimmungen aus den Mitteln des Reichs-Invaliden fondS zu decken sind, werden auS dem Reichs-Jnvalidenfonds bestritten Dem Königreiche Bayern wird zur Bestreitung der gleichartigen Ausgaben, mit Ausnahme der infolge des Krieges 1870/71 erwachsenen, alljährlich eine Summe überwiesen, welche sich nach der Höhe des tat­ sächlichen Aufwandes für Angehörige deS Reichsheeres und deren Hinter­ bliebene im Verhältnisse der Kopfstärke des Königlich Bayerischen Militär­ kontingents zu jener der übrigen Teile des Reichsheeres bemißt. 8 77.

Dieses Gesetz tritt am 1. Juli 1906 in Kraft. Außer Kraft treten alsdann:

1. die bisherigen Militärpensionsgesetze, soweit sie

die Offiziere, Sanitäts­ offiziere, Beamten und die im § 35 bezeichneten Personen betreffen, mit Ausschluß der Vorschriften für Hinterbliebene;

6. Mannschafttversorgungsgeseh.

§ 1.

483

2. das Unfallfürsorgegesetz für Beamte und für Personen deS Soldaten­ standes vom 18. Juni 1901, soweit es die Offiziere, Sanitätsoffiziere und deren Hinterbliebene betrifft; 3. die Vorschriften des Gesetzes, betreffend die Kaiserlichen Schutztruppen in den afrikanischen Schutzgebieten und die Wehrpflicht daselbst, vom /18. 7. Juli 1896, soweit sie die Versorgung der Offiziere und Be­ amten regeln, mit Ausschluß der Vorschriften für Hinterbliebene.

6. Gesetz '> über die LechMW der Persom der IleterklOii de; Aeichsheeres, der MserUei Wanne nd der Kaiserlichen Schntztrn-pen. Sem 31. Mai 1906. (RGBl. S. 593.)

Erster Teil.

Retchsheer. Anspruch auf Rente.

§ 1. Die zur Klaffe der Unteroffiziere und Gemeinen gehörenden Personen des Soldatenstandes haben bei der Entlassung aus dem aktiven Dienste Anspruch auf eine Rente (Militärrente), wenn und solange ihre Erwerbsfähigkeit infolge einer Dienstbeschädigung aufgehoben oder um wenigstens zehn Prozent gemindert ist. Kapitulanten mit einer Dienstzeit von mindestens acht Jahren haben bei der Entlastung aus dem aktiven Dienste ohne Nachweis einer Dienst­ beschädigung Anspruch auf eine Rente, wenn und solange ihre Erwerbs­ fähigkeit infolge von Gesundheitsstörungen, die während der Dienstzeit ein­ getreten sind, aufgehobep oder um wenigstens zehn Prozent gemindert ist. Kapitulanten mit einer Dienstzeit von mindestens achtzehn Jahren haben beim Ausscheiden aus dem Dienste ohne den Nachweis verminderter Erwerbsfähigkeit Anspruch auf eine lebenslängliche Rente; im Falle der Doppelrechnung von Dienstzeit muß deren wirkliche Dauer mindestens zwölf Jahre betragen. Als Kapitulanten gelten diejenigen Unteroffiziere und Gemeinen, welche sich über die gesetzliche Dienstzeit hinaus zum aktiven Dienste ver­ pflichtet haben und in besten Ableistung begriffen find. Ferner rechnen i) Bearbeitung deS G. von Pf affe roth, Mahn, Berlin 1906; Romen, Sieber, Berlin 1907. — Stier»S o ml o, Die rechtliche Stellung des SoldatenstandeS in den sozialpolitischen Gesetzen. Archiv für Militärrecht 1910. 31*

484

Vni. Trupp«: Militärrecht.

zu den Kapitulanten im Sinne dieses Gesetzes die zur Klasse der Unter­ offiziere gehörenden Gehaltsempfänger, mit Einschluß der im Range der Unteroffiziere stehenden Verwalter bei dem Kadettenkorps. Fristen.

% 2. Der Anspruch auf Rente muß vor der Entlastung angemeldet werden, es sei denn, daß der Verlust oder die Minderung der Erwerbs­ fähigkeit die Folge einer Dienstbeschädigung ist. In diesem Falle kann der Anspruch angemeldet werden: 1. bei Friedensdienstbeschädigungen bis zum Ablaufe von zwei Jahren nach der Entlastung. Die Dienstbeschädigung muß vor der Entlastung festgestellt worden sein; 2. bei Kriegsverwundungen ohne Zeitbeschränkung; 3. bei sonstigen KriegSdienstbeschädigungen bis zum Ablaufe von zehn Jahren nach dem Friedensschlüsse. Beim Fehlen eines Friedensschluffes beginnt der Lauf der zehnjährigen Frist mit dem Schlüsse deS Jahres, in welchem der Krieg beendigt worden ist.

Von den im Abs. 1 Nr. 1, 3 aufgeführten Einschränkungen ist nur dann abzusehen, wenn der Nachweis erbracht worden ist, daß die Folgen einer Dienstbeschädigung erst nach der Entlastung bemerkbar geworden find oder daß der Verletzte von der Anmeldung seines Anspruchs durch außer­ halb seines Willens liegende Verhältnisse abgehalten worden ist. Die An­ meldung deS Anspruchs muß jedoch bis zum Ablaufe von drei Monaten erfolgt sein, nachdem die Folgen der Dienstbeschädigung bemerkbar geworden sind oder daS Hindernis für die Anmeldung weggefallen ist. Dienstbeschädigung.

K 3. Als Dienstbeschädigungen gelten Gesundheitsstörungen, welche infolge einer Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Aus­ übung des Dienstes eingetreten oder durch die dem Militärdienst eigen­ tümlichen Verhältnisse verursacht oder verschlimmert sind. Eine von dem Verletzten vorsätzlich herbeigeführie Gesundheitsstörung gilt nicht als Dienstbeschädigung.

Erwerbsunfähigkeit.

5 4. Bei der Beurteilung des Grades der Erwerbsunfähigkeit ist der von dem Verletzten vor seiner Einstellung in den Militärdienst auSgeübte Beruf zu berücksichtigen. Hat der Verletzte keinen besonderen Beruf ausgeübt, so erfolgt die Beurteilung nach der allgemeinen Erwerbsfähigkeit. Der Besitz des Zivilversorgungsscheins gemäß § 15 oder der Bezug der laufenden Geldentschädigung (§ 19) oder die Abfindung mit der ein­ maligen Geldentschädigung für den Zivilversorgungsschein (8 21) schließt die Berücksichtigung der beruflichen Erwerbsunfähigkeit auS. Das gleiche gilt bei dem Besitze des ZivilversorgungSscheinS gemäß § 16 oder des Anstellungsscheins (§ 17) mit dem Beginne der Anstellung oder Beschäftigung im Zivildienste (§ 36).

6. Mannschast-vtrsorgungSgesttz.

§§ 1—9.

485

Berechnung der Dienstzeit.

8 5. Die Dienstzeit wird vom Tage des Eintritts in den aktiven Militärdienst bis zum Ablaufe des Tages gerechnet, an welchem die Ent­ lassung erfolgt. Mit Genehmigung der obersten Militärverwaltungsbehörde deS Kontingents kann auch die Zeit angerechnet werden, welche im Militärdienst eines dem Reiche nicht angehörenden Staates zugebracht ist. Die Dienstzeit vor dem Beginne des achtzehnten Lebensjahrs wird nicht angerechnet; nur im Kriegsfälle wird die Dienstzeit vom Beginne des Krieges, beim Eintritt in den Militärdienst während des Krieges vom Tage des Eintritts ab gerechnet. Als Kriegszeit gilt die Zeit vom Tage der Mobilmachung, auf welche ein Krieg folgt, bis zum Tage der Demobilmachung. 8 6. Für jeden Krieg, an welchem ein Unteroffizier oder Ge­ meiner im Reichsheere teilgenommen hat, wird zu der wirklichen Dauer der Dienstzeit ein Jahr (Kriegsjahr) hinzugerechnet; jedoch ist für mehrere in ein Kalenderjahr fallende Kriege die Anrechnung nur eines KriegSjahrS zulässig. Unteroffizieren und Gemeinen, die sich in außereuropäischen Ländern mindestens ein Jahr ohne Unterbrechung dienstlich ausgehalten haben, wird die dort zugebrachte Dienstzeit doppelt gerechnet, falls eine solche Doppel­ rechnung den Beamten des Auswärtigen Amtes bewilligt ist. Ausgenommen von dieser Doppelrechnung ist die in solche Jahre fallende Dienstzeit, welche bereits als Kriegsjahre zu erhöhtem Ansätze kommen. 8 7. Der Kaiser bestimmt, wer als Teilnehmer an einem Kriege anzusehen ist, unter welchen Voraussetzungen bei Kriegen von längerer Dauer mehrere KriegSjahre anzurechnen sind und ob denjenigen Unter­ offizieren und Gemeinen Kriegsjahre anzurechnen sind, welche auf Befehl einem Kriege ausländischer Truppen beigewohnt haben; ferner welche militärische Unternehmung als ein Krieg im Sinne dieses Gesetzes anzu­ sehen und welche Zeit als Kriegszeit zu rechnen ist, wenn keine Mobil­ machung oder Demobilmachung stattgefunden hat. Für die Vergangenheit bewendet es bei den getroffenen Bestimmungen. 8 8. Von der Anrechnung als Dienstzeit ist die Zeit einer Frei­ heitsstrafe von mindestens einjähriger Dauer sowie die Zeit einer Kriegs­ gefangenschaft ausgeschlossen. Unter besonderen Umständen kann die Zeit der Freiheitsstrafe mit Genehmigung deS Kontingentsherrn, die Zeit der Kriegsgefangenschaft mit Genehmigung des Kaisers angerechnet werden. Betrag der Rente.

8 9.

Die Rente beträgt jährlich für die Dauer völliger Erwerbs­ unfähigkeit für: Feldwebel 900 Mark (Dollrente), Sergeanten.................................. 720 Unteroffiziere.................................. 600 Gemeine........................................540

vni. Gruppe: MilitLrrecht.

486

Für den Anspruch ist der Dienstgrad maßgebend, besten Gebührniste der Versorgungsberechtigte zuletzt bezogen hat. Die Rente betrügt für die Dauer teilweiser Erwerbsunfähigkeit den­ jenigen in Hundertsteln auszudrückenden Teil der Vollrente, welcher dem Maße der Einbuße an Erwerbsfähigkeit entspricht (Teilrente).

8 10. Die Vollrente erhöht sich für diejenigen Personen, welche im Etat als pensionsfähig bezeichnete LöhnungSzuschüffe oder Zulagen be­ ziehen, um ,5/ioo der zuletzt bezogenen Löhnungszuschüsse oder Zulagen. Für die zur Klaffe der Unteroffiziere gehörenden Gehaltsempfänger, mit Einschluß der im Range der Unteroffiziere stehenden Verwalter bei dem Kadettenkorps, beträgt die Vollrente ,5/ioo des nach Maßgabe der Vorschriften deS Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31. März 1873 festzuflellenden pensionsfähigen Diensteinkommens. Ist die Bollrente für Löhnungsempsänger desselben Dienstgrads höher, so wird diese gewährt. 8 11. Die Rente beträgt für Kapitulanten bei vollendeter acht­ zehnjähriger Dienstzeit (§ 1), unbeschadet des auf Grund der §§ 9, 10 etwa zustehenden höheren Anspruchs, 5o/ioo der Vollrente und steigt mit jedem weiteren Dienstjahr um 3/ioo der Vollrente bis auf ihren vollen Betrag. 5 12.

Die Rente ist in Monatsbeträgen zuzuerkennen. Die Monatsbeträge sind auf volle fünf Pfennig nach oben ab» zurunden.

Verstümmelungszulage.

8 13. Unteroffiziere und Gemeine, die durch Dienstbeschädigung in der nachstehenden Weise an der Gesundheit schwer geschädigt worden sind, haben für die Dauer dieses Zustandes neben dem Anspruch auf Rente, Anspruch auf Verstümmelungszulage. Die Verstümmelungszulage beträgt bei dem Verlust einer Hand, eines Fußes, der Sprache, deS GehörS auf beiden Ohren monatlich je 27 Mark und bei Verlust oder Erblindung beider Augen monatlich je 54 Mark. Die Verstümmelungszulage von je 27 Mark kann ferner bewilligt werden bei Störung der BewegungS- und Gebrauchsfähigkeit einer Hand, eines Armes, eines Fußes oder eines Beines, wenn die Störung so hoch­ gradig ist, daß sie dem Verluste des Gliedes gleich zu achten ist, bei Ver­ lust oder Erblindung eines Auges int Falle nicht völliger Gebrauchsfähig­ keit des anderen Auges, bei anderen schweren Gesundheitsstörungen, wenn sie fremde Pflege und Wartung nötig machen. Wird durch eine der vorstehend angegebenen Gesttndheitsschädigungen schweres Siechtum verursacht in dem Grade, daß der Verletzte dauernd an das Krankenlager gefesselt ist, oder besteht die Gesundheitsschädigung in Geisteskrankheit, so kann die einfache Verstümmelungszulage bis zum Be­ trage von 54 Mark monatlich erhöht werden. Die Verstümmelungszulage ist kein Bezug im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. 2 deS Jnvalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899.

6. Mannschastivtrsorgungigesttz.

§§ 9—20.

487

Kriegszulage.

§ 14. Unteroffiziere und Gemeine, deren Erwerbsfähigkeit infolge einer durch den Krieg herbeigeführten Dienstbeschädigung aufgehoben oder gemindert ist, haben neben dem Anspruch auf Rente Anspruch auf eine Kriegszulage. Diese beträgt monatlich 15 Mark. Aus die Gewährung der Kriegszulage finden die Vorschriften deS § 2 entsprechende Anwendung. Die Kriegszulage ist kein Bezug im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. 2 des JnvalidenversicherungSgesetzes vom 13. Juli 1899. Zivilversorgung.

§ 15. Kapitulanten erwerben durch zwölsjährige Dienstzeit den Anspruch auf den Zivilversorgungsschein, wenn sie zum Beamten würdig und brauchbar erscheinen. Eine Hinzurechnung von Kriegsjahren und eine Doppelrechnung von Dienstzeit (§ 6) findet hierbei nicht statt. § 16. Kapitulanten mit kürzerer als zwölfjähriger Dienstzeit, die wegen körperlicher Gebrechen im aktiven Dienste nicht mehr verwendet werden können und deshalb von der Militärbehörde entlassen werden, haben Anspruch auf den Zivilversorgungsschein, wenn sie zum Beamten würdig und brauchbar erscheinen. § 17. Den nicht zu den Kapitulanten gehörenden Unteroffizieren und Gemeinen kann auf ihren Antrag neben der Rente ein AnstellungSschein für den Unterbeamtendienst verliehen werden, wenn sie zum Be­ amten würdig und brauchbar erscheinen.

§ 18. Die mittleren, Kanzlei- und Unterbeamtenstellen bei den Reichs-, Staats- und Kommunalbehörden, bei den Versicherungsanstalten für die Invalidenversicherung sowie bei ständischen oder solchen Instituten, welche ganz oder zum Teil aus Mitteln des Reichs, Staates oder der Gemeinden unterhalten werden, jedoch mit Ausschluß des Forstdienstes, sollen nach Maßgabe der vom Bundesrate festzusetzenden allgemeinen Grundsätze vorzugsweise mit Inhabern des Zivilversorgungsscheins (Militär­ anwärter) und Inhaber des Anstellungsscheins besetzt werden. Diese Grundsätze sind dem Reichstage zur Kenntnisnahme vorzulegen. § 19. Die im § 15 bezeichneten Kapitulanten, denen der Zivil­ versorgungsschein wegen mangelnder Brauchbarkeit zum Beamten nicht er­ teilt wird, erhalten bei der Entlassung aus dem aktiven Dienste eine lau­ sende Geldentschädigung (Zivilversorgungsentschädigung) von 12 Mark monatlich. Wird ihnen der Anspruch auf den Zivilversorgungsschein wegen inangelnder Würdigkeit zum Beamten nicht zuerkannt, so kann die Zivilversorgungsentschädigung bewilligt werden, sofern sie nicht durch ihr Ver­ halten einen Mangel an ehrliebender Gesinnung bekundet haben. K 20. Die im § 15 bezeichneten Kapitulanten können bei der Entlassung und bis zum Abläufe von vier Jahren nach der Entlassung

488

Vin. Gruppe: MilitLrrecht

auS dem aktiven Militärdienst an Stelle des Scheines die Zivilversorgungs­ entschädigung von 12 Mark monatlich wühlen, sofern sie nicht in einer Stelle des Zivildienstes (§ 36) schon endgültig angestellt worden sind. Eine spätere Wahl der Zivilversorgungsentschädigung ist zulässig, sofern der Kapitulant wegen Unbrauchbarkeit aus dem Zivildienst ohne Zivil­ pension ausgeschieden ist. Die einmalige Wiederwahl des Zivilversorgungsscheins ist zulässig. DaS Wahlrecht erlischt mit dem Verluste der Würdigkeit zum Beamten.

8 21. Den im 8 15 bezeichneten Kapitulanten, welche auf den Zivilversorgungsschein oder auf die Zivilversorgungsentschädigung Anspruch haben, kann bei der Entlassung und bis zum Ablauf eines Jahres nach der Enüasiung aus dem aktiven Militärdienst auf ihren Antrag, gegen Verzicht auf den Schein und auf die Zivilversorgungsentschädigung, durch die oberste Militärverwaltungsbehörde des Kontingents eine einmalige Geldabfindung von 1500 Mark bewilligt werden, wenn sie für eine nütz­ liche Verwendung des Geldes Gewähr bieten. Soweit die ZivilversorgungSentschüdigung schon bezogen ist, sind die gezahlten Beträge auf die einmalige Abfindung anzurechnen. 8 22. Kapitulanten, welche die einmalige Geldabfindung gemäß 8 21 erhalten haben, sind zur Rückzahlung des Betrages verpflichtet, wenn sie in einer Stelle des Zivildienstes (§ 36) angestellt oder ohne Unter­ brechung länger als sechs Monate beschäftigt werden. Ein Anspruch aus Aushändigung deS Zivilversorgungsscheins entsteht erst nach völliger Rückzahlung der einmaligen Geldentschädigung. 8 23. Den im Zivilstaatsdienste sowie im Kommunal- und Jnstitutendienst usw. angestellten Militäranwärtern und forstversorgungs­ berechtigten Personen des Jägerkorps wird die Militärdienstzeit bei Er­ mittelung der Pension als pensionSfähige Dienstzeit nach Maßgabe des Reichsbeamtengesetzes oder doch mindestens soweit angerechnet, als die Zivildienstzeit nach den Vorschriften des Landesrechts angerechnet wird. Landesrechtliche Vorschriften, welche hinsichtlich der Anrechnung der Militärdienstzeit günstiger sind, bleiben unberührt. Bedingte Rente und Rentenzuschüsse.

8 24. Den in § 16 bezeichneten Kapitulanten, welche mit dem Zivilversorgungsschein entlasten werden, aber nicht alsbald im Zivildienst (8 36) Anstellung oder Beschäftigung finden, kann im Falle des BedürfniffeS eine Rente oder, falls sie eine solche beziehen, ein Rentenzuschuß bis zur Erreichung der Vollrente ihres Dienstgrads (8 9 Abs. 1) gewährt werden, jedoch längstens auf die Dauer eines Jahres von der Entlassung ab. 8 25. Unteroffizieren und Gemeinen, die wegen körperlicher Ge­ brechen auS dem aktiven Dienste entlassen werden und auf Rente keinen Anspruch haben, kann eine solche im Falle dringender Bedürftigkeit vor­ übergehend bis zum Betrage von 5O/ioo der Vollrente ihres Dienstgrads (8 9 Abs. 1) gewährt werden. Die erstmalige Gewährung ist nur bis zum Ablaufe von zwei Jahren nach der Entlastung zulässig.

6. MannschaftSversorgung-gksetz.

§§ 20—31.

489

Alterszulage.

§ 26. Erreicht daS jährliche Gesamteinkommen eines Empfängers der Kriegszulage (§ 14) nicht 600 Mark, so kann ihm vom ersten Tage des Monats ab, in welchem er das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet, eine Zulage (Alterszulage) bis zur Erreichung dieses Betrages gewährt werden. Die Zulage kann bereits früher gewährt werden, wenn dauernde völlige Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden ist. Die Alterszulage ist kein Bezug im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. 2 des Jnvalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Verfahren.

§ 27. Die Feststellung und Anweisung der Versorgungsgebührnifse erfolgt durch die oberste Militärverwaltungsbehörde des Kontingents; diese kann ihre Befugniffe auf andere Behörden übertragen, wenn sie ihr nicht durch dieses Gesetz ausdrücklich Vorbehalten sind. § 28. Der Grad der Erwerbsunfähigkeit (§ 4) wird sowohl für sich, als in seinem ursächlichen Zusammenhänge mit einer erlittenen Dienst beschädigung durch die dazu verordneten Militärbehörden festgestellt. Dem Verletzten steht es frei, Beweismittel beizubringen. Die auf Grund der Feststellungen getroffene Entscheidung ist dem Verletzten schriftlich mitzuteilen. § 29. Gegen die Entscheidung einer niederen Behörde kann bei der nächsthöheren zuständigen Behörde, an letzter Stelle bei der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents, Einspruch eingelegt werden. Für das geschäftliche Verfahren sind die von der obersten Militär­ verwaltungsbehörde des Kontingents zu erlaffenden Vorschriften maßgebend. Der Einspruch muß bis zum Ablaufe von drei Monate» nach Zu­ stellung der Vorentscheidung eingelegt werden. Die Form der Zustellung bestimmt die oberste MilitärverwaltungSbehörde des Kontingents. Jede Entscheidung muß die Bezeichnung der für den Einspruch zu­ ständigen Behörde sowie die Belehrung über die einzuhaltende Frist enthalten.

5 30. Die VersorgungSgebührnisse werden auf Antrag oder von Amts wegen anders festgesetzt oder entzogen, wenn in den Verhültniffen, welche für die Bewilligung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Ver­ änderung eintritt. Die Prüfung von Anträgen auf andere Festsetzung der VersorgungSgebührniffe findet alljährlich nur einmal statt. Die Militärbehörde kann bei Anmeldung eines höheren Anspruchs sowie in den Fällen der §§ 24, 25 von dieser Einschränkung absehen. § 31. Die VersorgungSgebührnisse werden von Amts wegen anders festgesetzt oder entzogen, sobald erwiesen ist, daß die Voraussetzungen, unter denen sie bewilligt worden waren, den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprochen haben. Die Vorschriften über die Anfechtung gerichtlicher Urteile bleiben unberührt.

490

VIII. Gruppt: Militärrecht.

Zahlung der Versorgungsgebührnisse.

5 32. Die VersorgungSgebührnisse werden monatlich im voraus bezahlt. Die Zahlung beginnt, wenn der Anspruch vor der Entlassung aus dem Dienste angemeldet worden ist, mit dem ersten Tage deS auf die Entlastung folgenden Monats und bei den Empsängem von Gnadengehalt mit besten Wegfall. Ist der Anspruch erst nach der Entlassung aus dem Dienste ange­ meldet worden, so beginnt die Zahlung mit dem Monat, in welchein die Bedingungen für die Gewährung der Versorgungsgebührnisse erfüllt sind, frühestens mit dem Monat, in welchem die Anmeldung erfolgt ist. Das Gleiche gilt bei Anmeldung eines höheren Anspruchs. Eine Minderung oder Entziehung der VersorgungSgebührnisse (§ 30) tritt mit dem Ablaufe deS Monats in Wirksamkeit, in welchem der die Veränderung aussprechende Bescheid zugestellt worden ist. Erlöschen und Ruhen des Rechtes auf den Bezug der

VersorgungSgebührnisse.

§ 33. Das Recht auf den Bezug der VersorgungSgebührnisse erlischt: 1. mit dem Wiedereintritt in den aktiven Militärdienst; 2. durch rechtskräftige Verurteilung zu Zuchthallsstrafe wegen Hochverrats, Landesverrats, Kriegsverrats oder wegen Verrats militärischer Ge­ heimnisse. Das Recht auf den Bezug der Zivilversorgungsentschädigung erlischt außerdem in den Fällen des § 34. § 34. Der Zivilversorgungsschein erlischt, sobald der Inhaber ans dem Zivildienste (§ 36) mit einer Pension in den Ruhestand tritt. Er ist verwirkt, wenn gegen den Inhaber rechtskrästig auf eine Strafe erkannt worden ist, welche die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter von Rechts wegen zur Folge hat. Das Gleiche gilt von dem Anstellungsscheine.

K 35. Das Recht auf den Bezug der VersorgungSgebührnisse ruht: 1. solange der Versorgungsberechtigte nicht Reichsangehöriger ist; 2. wenn gegen den Versorgungsberechtigten wegen Hochverrats, Landes­ verrats, Kriegsverrats oder wegen Verrats militärischer Geheimnisse vor einem Zivilgerichte die öffentliche Klage erhoben oder im militär­ gerichtlichen Verfahren die Einleitung der Strafverfolgung angeordnet worden ist, solange der Versorgungsberechtigte sich im Ausland aus­ hält oder sein Aufenthalt unbekannt ist. Die einbchaltcnen Gebühr­ nisse werden ausbezahlt, wenn der Dersorgungsberechtigte rechtskräftig freigesprochen oder zu geringerer als Zuchthausstrafe verurteilt worden ist oder wenn dem strafgerichtlichen Verfahren wegen unzureichender Derdachtsgründe oder wegen mangelnder Strafbarkeit keine weitere Folge gegeben wird. § 36. DaS Recht auf den Bezug der Rente (§§ 9 bis 11) und der Gebührnisse aus den §§ 24, 25 ruht:

6. MannschasttversorgungSgesetz.

§§ 32—37.

491

1. solange der Rentenberechtigte sich in einem Jnvalideninstitut oder in einer militärischen Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalt befindet. Bei dem Aufenthalt in einer Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalt ist denjenigen Rentenberechtigten, welche die Ernährer von Familien sind, die Rente nach Bedürfnis ganz oder zum Teil zur Bestreitung des Unterhalts ihrer Familie zu gewähren; 2. bei vorübergehender Heranziehung zum aktiven Militärdienst in Höhe des gewährten Diensteinkommens; 3. während einer Anstellung oder Beschäftigung im Zivildienste nach Maßgabe folgender Vorschriften: a) es ruhen alle unter 81/ioo der Vollrente zuerkannten Rententeile; b) von höheren Renten ruhen außerdem alle 6O/ioo der Vollrente übersteigenden Rententeile; ci Renten, die Kapitulanten lediglich auf Grund des § 1 Abs. 3 zuerkannt worden sind, ruhen, soweit als Zivildiensteinkommen und nach § 9 bemessene Rente zusammen den jährlichen Betrag von 2000 Mark übersteigen. Rententeile, die sich aus der Er­ höhung der Vollrente gemäß §§ 10, 56 ergeben, bleiben hierbei außer Ansatz und ruhen nur nach der Vorschrift unter b; 4. neben dem Bezug einer im Zivildienst erdienten Pension, soweit als Zivilpension und zuerkannte Rente zusammen den in der zuletzt be­ kleideten Stelle erreichbaren HöchstpenfionSbetrag oder, wenn es für den Pensionär günstiger ist, soweit als die tatsächlich erdiente Zivil­ pension und die nach Nr. 3 b nicht ruhenden Rententeile zusammen den Betrag von 2000 Mark übersteigen. Der an den Pensionär nicht zu zahlende Rentenbetrag wird dem ZivilpensionSfondS erstattet. Als Zivildienst gilt jede Anstellung oder Beschäftigung als Beamter oder in der Eigenschaft eines Beamten im Reichs-, Staats- oder Kommunal­ dienste, bei den Versicherungsanstalten für die Invalidenversicherung, bei ständischen oder solchen Instituten, welche ganz oder zum Teil aus Mitteln des Reichs, Staates oder der Gemeinden unterhalten werden, oder in solchen zu den vorbezeichneten nicht gehörenden Zivilstellen, welche ganz oder zum Teil den Militäranwärtern und den Inhabern des Anstellungs­ scheins Vorbehalten sind, wenn und solange der Angestellte oder Beschäftigte durch diesen Dienst ein Einkommen bezieht.

Bei Berechnung des Zivildiensteinkommcns sind diejenigen Beträge, welche für die Bestreitung eines Dienstauswandes sowie zur Entschädigung für außergewöhnliche Teuerungsverhältniffe gewährt werden, nicht in An­ satz zu bringen; die Dienstwohnung ist mit dem pensionsfähigen oder sonst hierfür festgesetzten Werte, der Wohnungsgeldzuschuß oder eine dement­ sprechende Zulage mit dem pensionsfähigen Betrag oder, sofern er nicht pensionsfähig ist, mit dem Durchschnittssatz anzurechnen. Ist der wirkliche Betrag des Wohnungsgeldzuschusses oder der Zulage jedoch geringer, so ist nur dieser anzurechnen.

§ 37. Das Recht aus den Bezug der Zivilversorgungsentschädigung (§ 19) ruht in den Fällen, in welchen nach § 36 Nr. 3 das Recht auf den Bezug der Rente im Zivildienste ganz oder teilweise zu ruhen hat.

492

Vni. Gruppe: Militärrecht.

§ 38. Tritt das Erlöschen oder das Ruhen des Rechtes auf den Bezug der Versorgungsgebührnisse gemäß 88 33, 35, 36 Nr. 1, 2, 4 im Laufe eines Monats ein, so wird die Zahlung mit dem Ende des Monats eingestellt; tritt es am ersten Tage eines Monats ein, so hört die Zahlung mit dem Beginne des Monats auf. DaS Ruhen des Rechtes auf den Bezug der Versorgungsgebührnisse gemäß § 36 Nr. 3, § 37 beginnt mit dem Ablaufe von sechs Monaten vom ersten Tage des Monats der Anstellung oder Beschäftigung an gerechnet. Lebt daS Recht auf den Bezug der Versorgungsgebührnisse nach den 88 35 bis 37 wieder auf, so hebt die Zahlung mit dem Beginne des Monats an.

Anspruch der Hinterbliebenen.

$ 39. Hinterläßt ein Rentenempfänger eine Witwe oder eheliche oder legitimierte Abkömmlinge, so werden für die auf den Sterbemonat folgenden drei Monate (Gnadenvierteljahr) noch diejenigen Versorgungsgebührnifse bezahlt, welche dem Verstorbenen nach diesem Gesetze zu zahlen gewesen wären. Die Versorgungsgebührnisse werden im voraus in einer Summe bezahll.

An wen die Zahlung erfolgen soll, bestimmt die oberste Militär­ verwaltungsbehörde des Kontingents; die Befugnis zu solcher Bestimmung kann von ihr auf andere Behörden übertragen werden.

Die Zahlung kann mit Genehmigung dieser Behörden auch dann erfolgen, wenn der Verstorbene Verwandte der aufsteigenden Linie, Ge­ schwister, Geschwisterkinder oder Pflegekinder, deren Ernährer er ganz oder überwiegend gewesen ist, in Bedürftigkeit hinterläßt, oder wenn und soweit der Nachlaß nicht auSreicht, um die Kosten der letzten Krankheit und der Beerdigung zu decken. Ausschluß von der Pfändung und Besteuerung.

5 40. Die Versorgungsgebührnisse und der Anspruch der Kapitu­ lanten auf die in den Dienstvorschriften der Militärverwaltung ausgesetzte Dienstprämie find der Pfändung nicht unterworfen. DaS gleiche gilt für einen der Dienstprämie und der einmaligen Geldabfindung für den ZivilversorgungSschein (§ 21) gleichkommenden Geldbetrag bis zum Ablaufe von drei Monaten nach Auszahlung dieser Beträge. Die Vorschrift des 8 850 Abs. 4 der Zivilprozeßordnung findet auf die Dienstprämie ent­ sprechende Anwendung.

Wegen des Anspruchs deS MilitärfiSkuS auf Rückzahlung zu Unrecht erhobener Beträge ist die Pfändung von VerforgungSgebührniffen ohne Beschränkung zulässig; jedoch sind die für das Gnadenvierteljahr an Hinter­ bliebene zu zahlenden Versorgungsgebührnisse (8 39) der Pfändung nicht unterworfen.

Die Verstümmelungszulage, die Kriegszulage und die Alterszulage bleiben bei der Veranlagung zu den Steuern und anderen öffentlichen Abgaben jeder Art außer Ansatz.

6. Mannschast-versorgungtgesetz.

§§ 38—44.

493

Schadenersatz.

§ 41. Die nach Maßgabe dieses Gesetzes versorgungsberechtigten Personen haben aus dem Grunde einer Dienstbeschüdigung gegen die Militärverwaltung nur die auf diesem Gesetze beruhenden Ansprüche. Soweit den nach Maßgabe dieses Gesetzes versorgungsberechtigten Personen ein gesetzlicher Anspruch auf Ersatz des ihnen durch die Dienst­ beschädigung verursachten Schadens gegen Dritte zusteht, geht dieser An­ spruch im Umfange der durch dieses Gesetz begründeten Pflicht zur Ge­ währung von VersorgungSgebührniflen auf die Militärverwaltung über.

Rechtsweg.

§ 42. Wegen der Ansprüche aus diesem Gesetz ist der Rechtsweg mit folgenden Maßgaben zulässig; 1. Der Militärfiskus wird durch die oberste Militürverwaltungsbehörde des Kontingents vertreten. 2. Die Entscheidung der obersten Militärverwaltungsbehörde deS Kon­ tingents muß der Klage vorhergehen; das Klagerecht geht verloren, wenn gegen die Entscheidung einer der im § 29 angeführten Be­ hörden nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt oder wenn die Klage nicht bis zum Ablaufe von sechs Monaten nach Zustellung der Entscheidung der obersten Militürverwaltungsbehörde des Kontingents erhoben wird. Auf die Frist von sechs Monaten finden die Vorschriften der §§ 203, 206 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung.

Für die Ansprüche aus diesem Gesetze sind die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig.

§ 43. Für die Beurteilung der vor Gericht geltend gemachten Ansprüche sind die Entscheidungen der obersten Militürverwaltungsbehörde des Kontingents darüber maßgebend: 1. ob eine Gesundheitsstörung als eine Dienstbeschädigung anzusehen ist (§ 3); 2. ob eine Dienstbeschädigung als durch den Krieg erlitten anzusehen ist (§ 14); 3. ob Brauchbarkeit und Würdigkeit zum Beamten besteht (§§ 15 bis 17, 20). Ueber die im Abs. 1 Nr. 1 bis 3 genannten Fragen entscheidet innerhalb der obersten Militärverwaltungsbehörde deS Kontingents ein auS drei Offizieren oder Beamten der Heeresverwaltung gebildetes Kollegium endgültig.

Personen der freiwilligen Krankenpflege im Kriege.

§ 44. Die vorstehenden Vorschriften finden entsprechende Anwen­ dung aus das auf dem Kriegsschauplätze verwendete Personal der frei­ willigen Krankenpflege. Soweit diesen Personen nicht ein höherer militärischer Rang ver­ liehen ist, erhalten sie die Rente der Gemeinen.

494

Vni. Gruppe: Militärrecht. Uebergangsvorschriften.

K 45. Für die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes aus dem aktiven Militärdienst entlassenen Personen bleiben die bisherigen Gesetzes­ vorschriften mit folgenden Ausnahmen in Kraft: 1. Die VersorgungSgebührnisse der seft dem 1. April 1905 aus dem aktiven Militärdienst entlassenen Personen sind nach den Vorschriften dieses Gesetzes festzustellen. Die VersorgungSgebührnisse der versorgungsberechtigten Hinter­ bliebenen solcher Personen, die seit dem 1. April 1905 verstorben sind, denen aber, wenn sie beim Inkrafttreten dieses Gesetzes gelebt hätten, nach Maßgabe dieses Paragraphen höhere Versorgungsgebühr­ nisse zustehen würden, find unter Zugrundelegung der höheren VersorgungSsätze sestzustellen. Dasselbe gilt für die Versorgungsgebühr­ nisse der versorgungsberechtigten Hinterbliebenen von den seit dein 1. April 1905 im aktiven Dienste verstorbenen Personen. 2. Die VersorgungSgebührnisse derjenigen Friedensinvaliden, welche an einem der von den deutschen Staaten vor 1871 oder von dem Deutschen Reiche geführten Kriege teilgenommen haben, sind nach den Vorschriften dieses Gesetzes festzustellen. Den vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes aus dem Zivildienste mit einer Zivilpension auSgeschiedenen Invaliden ist der gegen die bisherige Pension nebst Dienstzulage bei Neufeststellung der Lersorgungsgebührnisse sich ergebende Mehrbetrag in Grenzen des § 36 Nr. 4 zu zahlen und auf die Zivilpension nicht anzurechnen. Nicht zu zahlende Rentenbeträge werden dem Zivilpensionsfonds nicht erstattet. 3. Die als halbinvalide anerkannten Kriegsinvaliden erhalten die KriegSzulage im Betrage von 15 Mark monatlich, auch kann ihnen unter den Voraussetzungen des § 26 die Alterszulage gewährt werden. 4. Die Vorschriften der §§ 27, 29 bis 36 Nr. 1, 2, §§ 37, 38, 40 finden auf die aus dem aktiven Militärdienste bereits entlassenen Personen entsprechende Anwendung. Die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erfolgten Pfändungen und Veranlagungen zu den Steuern und anderen öffentlichen Abgaben jeder Art werden hierdurch nicht berührt. Während der Anstellung oder Beschäftigung im Zivildienst ist die zuerkannte Militärpension nebst Dienstzulage soweit zu gewähren, als ihr Betrag nach der Vorschrift des § 36 Nr. 3 zu zahlen ist; für daS Ruhen der den Kapitulanten lediglich auf Grund achtzehn­ jähriger und längerer Dienstzeit zuerkannten Pension nebst Dienst­ zulagen gilt die Vorschrift im § 36 Nr. 3 c. 5. Die als verstümmelt oder pflegebedürftig anerkannten Invaliden er­ halten Verstümmelungszulage nach den Vorschriften des § 13 dieses Gesetzes. Neben dieser Zulage ist jedoch nur die nach den bisherigen Gesetzen für gänzliche Erwerbsunfähigkeit zustehende Pension zu gewähren. 6. Den nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes aus dem Zivildienst mit einer Beamtenpension ausscheidenden Invaliden ist die zuerkannte Militärpension nebst Dienstzulage soweit zu gewähren, als ihr Betrag nach der Vorschrift deS § 36 Nr. 4 neben dem Bezug einer Zivil­ pension zu zahlen ist.

6. Mannschaft»v«rsorgungsgisetz.

§§ 45—51.

495

7. Die Vorschriften des § 39 finden auf die Hinterbliebenen derjenigen Invaliden entsprechende Anwendung, deren Tod nach dem Inkraft­ treten dieses Gesetzes eintritt.

§ 46. Den nicht im 8 45 Nr. 1, 2 genannten Friedensinvaliden, die als gänzlich erwerbsunfähig anerkannt sind, kann im Falle der Be­ dürftigkeit eine Beihilfe bis zur Erreichung eines jährlichen Gesamtein­ kommens von 540 Mark gewährt werden. Unter den gleichen Voraussetzungen kann den als größtenteils er­ werbsunfähig zur Pension dritter Klasse und zum Zivilversorgungsschein anerkannten Friedensinvaliden, welche von dem Zivilversorgungsscheine wegen körperlicher Untauglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben, oder welche nur die Zulage für Nichtbenutzung des Zivilversorgungsscheins in Höhe von 9 Mark beziehen, eine jährliche Beihilfe bis zum Betrage von 144 Mark oder 36 Mark bewilligt werden. K 47. Die Vorschriften des § 45 finden auf die daselbst bezeich­ neten Personen nur insoweit Anwendung, als die nach den bisherigen Gesetzesvorschriften zustehende Versorgung nicht günstiger ist. Nachzahlungen für eine vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes liegende Zeit finden nicht statt. Anwendung von Vorschriften des zweiten und dritten Teiles dieses Gesetzes.

§ 48. Werden Unteroffiziere und Gemeine des Reichsheeres sowie die im § 44 bezeichneten Personen der freiwilligen Krankenpflege auf dienstlichen Seereisen oder in außereuropäischen Ländern verwendet, so finden auf sie die Vorschriften des zweiten Teiles dieses Gesetzes, werden sie gleich den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten verwendet, so finden auf sie die Vorschriften des dritten Teiles dieses Gesetzes entsprechende Anwendung.

Zweiter Teil.

Kaiserliche Marine. Allgemeine Vorschriften.

§ 49. Auf die Kaiserliche Marine finden die §§ 1 bis 47 und, falls Unteroffiziere oder Gemeine der Kaiserlichen Marine oder die im 8 44 bezeichneten Personen der freiwilligen Krankenpflege gleich den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten verwendet werden, auch die Vorschriften des dritten Teiles dieses Gesetzes mit den nachfolgenden Maßgaben entsprechende Anwendung. § 50. Zu den Personen der Unterklassen des Soldatenstandes im Sinne dieses Gesetzes gehören nicht die Deckoffiziere. Anspruch aus Rente.

§ 51. Die für Schiffe der Kaiserlichen Marine angestellten Per­ sonen gelten, sofern sie zu den Personen des Soldatenstandes zählen und

496

VIII. Gruppe: MilitLrrecht.

Angehörige des Deutschen Reiches find, als Kapitulanten im Sinne des 3 1 Abs. 4. Ihre Dienstzeit wird jedesmal vom Tage des Dienstantritts oder des Anschlusses an ein auSreisendeS Ablösungskommando bis zum Tage des Aufhörens de« Dienstes, bei Anschluß an ein heinikehrendeS Ablösungs­ kommando bis zum Tage des Abganges von dem Ablösungskommando berechnet. Die attive Militärdienstzeit wird auf die Gesamtdienstzeit an­ gerechnet; die Borschristen der 38 5, 53 finden hierbei entsprechende Anwendung.

§ 52. Schiffsjungen, deren Erwerbsfähigkeit durch Krieg oder durch Dienstbeschüdigung auf einer Seereise ausgehoben oder gemindert ist, werden wie Gemeine (Nichtkapitulanten) versorgt. Berechnung der Dienstzeit.

$ 53. Den Personen der Unterklaffen des Soldatenstandes, welche vor ihrem Eintritt in den aktiven Marinedienst zur Besatzung eines in Dienst gestellten Schiffes der Kaiserlichen Marine gehört haben, wird die Dienstzeit vom Tage der ersten Einschiffung an Bord eines Schiffes der Kaiserlichen Marine ab gerechnet. § 54. Die in der Kaiserlichen Marine auf einer Seereise in außer­ heimischen Gewässern bei ununterbrochenem Bordkommando zugebrachte Dienstzeit wird, sofern ihre Dauer mindestens sechs Monate beträgt, doppelt gerechnet. Hat eine Seereise von kürzerer Dauer sich als besonders schädigend und nachteilig für die Gesundheit der Schiffsbesatzung erwiesen, so kann die Dienstzeit mit Genehmigung des Kaisers doppelt gerechnet werden. Personen der Unterklassen der Kaiserlichen Marine, welche, ohne zur Besatzung eines Schiffes der Kaiserlichen Marine zu gehören, in den deutschen Schutzgebieten oder deren Hinterländern sich einschließlich der damit in Verbindung stehenden Reisen in außerheimischen Gewässern mindestens sechs Monate ohne Unterbrechung dienstlich ausgehalten haben, wird die dort

zugebrachte Dienstzeit doppelt gerechnet. Ausgenommen von dieser Doppelrechnung ist die in solche Jahr? fallende Dienstzeit, welche bereits als Kriegsjahre zu erhöhtem Ansatz kommen.

Diese Doppelrechnung ist ausgeschlossen bei Berechnung der Dienst­ zeit zwecks Erlangung des Anspruchs auf den Zivilversorgungsschein (§ 15). Außerheimisch sind die Gewässer, welche weder zur Ostsee noch zur Nordsee gehören, diese gerechnet bis zur Linie Dover—Calais, längs der Ostküste Englands bis zu 3 Grad Westlänge von Greenwich und bis zum Breitenparallel von 60 Grad Nordbreite.

§ 55. Die im 3 8 Abs. 1 bezeichneten Freiheitsstrafen können mit Genehmigung des Kaisers als Dienstzeit angerechnet werden. Betrag der Rente.

§ 56. Eine Erhöhung der Vollrente tritt außer in den Fällen des 3 10 Abs. 1 für die Kapitulanten der Kaiserlichen Marine ein:

6. MamischaftSversorgungigesetz.

497

§§ 51—62.

1. um ,5/ioo der beim Ausscheiden bezogenen Dienstalters- und Seefahr­ zulage soweit als die Erhöhung die Hälfte der Vollrentenbeträge des § 9 Abs. 1 nicht überschreitet, und 2. um 75/ioo der beim Ausscheiden bezogenen Fachzulage. Rentenerhöhung.

§ 57. Auf eine Rentenerhöhung im Betrage der Kriegszulage (§ 14) haben diejenigen Personen der Unterklassen der Kaiserlichen Marine Anspruch, welche entweder: 1. durch im Dienste erlittenen Schiffbruch oder infolge einer militärischen Unternehmung auf einer dienstlichen Seereise oder 2. infolge außerordentlicher Einflüsse des Klimas während eines dienst­ lichen Aufenthalts in einem außereuropäischen Lande oder während einer dienstlichen Seereise rentenberechtigt geworden sind, falls nicht die Verminderung ihrer Erwerbs­ fähigkeit eine Folge ihres Vorsatzes ist. Der Kaiser bestimmt, welche Unternehmung als eine militärische Unternehmung im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 anzusehen ist. Kriegszulagen und Rentenerhöhung werden nicht nebeneinander gewährt.

§ 58. Der Anspruch auf Rentenerhöhung ist innerhalb zehn Jahren anzumelden; der Lauf der Frist beginnt mit der Rückkehr in die Heimat oder mit der im Ausland erfolgten Entlastung. Die Vorschriften des § 2 Abs. 2 und des § 40 Abs. 3 finden aus die Rentenerhöhung entsprechende Anwendung. Die Rentenerhöhung ist kein Bezug im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. 2 des Jnvalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899.

Alterszulage.

§ 59. Den im § 57 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Personen kann unter den Voraussetzungen des § 26 auch die Alterszulage gewährt werden. Zuständigkeit und Rechtsweg.

§ 60. Die Befugnisse, die im ersten Teile dieses Gesetzes der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents übertragen sind, werden für den Bereich der Kaiserlichen Marine von der obersten Marinever­ waltungsbehörde auSgeübt. § 61. Die Entscheidung der obersten MarinevcrwaltungSbehörde ist für die Beurteilung der vor Gericht geltend gemachten Ansprüche auch darüber maßgebend, ob die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Nr. 1, 2 erfüllt sind. UebergangSvorschriften.

§ 62. Die Versorgungsgebührnisse derjenigen Friedensinvaliden, welche im Dienste an einem Schiffbruch oder an einer als Feldzug er­ klärten militärischen Unternehmung auf einer dienstlichen Seereise teilge­ nommen haben, sind nach den Vorschriften dieses Gesetzes festzustellen. Siier-Somlo, Verwaltung-gesetze für Preußen.

32

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VIII. Grupp«: Militärrecht.

Die Vorschrift deS § 45 Nr. 2 Abs. 2 findet hierbei Anwendung. Bei Berechnung des Teiles der Pension und der Dienstzulage, welcher den bereits anerkannten Invaliden der Kaiserlichen Marine im Falle des § 45 Nr. 4 Abs. 2 zu gewähren ist, ist nur die Vollrente aus 8 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 zugrunde zu legen, für Invalide, welche gemäß den Unsallfürsorgegesetzen für Beamte und für Personen des Soldaten­ standes vom 15. März 1886 oder vom 18. Juni 1901 anerkannt sind, dagegen die aus § 56 sich ergebende erhöhte Vollrente.

Dritter Teil.

Kaiserliche Schatztruppe« in de« afrikanischen Schntzgebiete«. Allgemeine Vorschriften.

§ 63. Die §§ 1 bis 48 finden auf die Personen der Unterklassen der Kaiserlichen Schutztruppen, welche 1. aus dem Reichsheer übernommen sind oder 2. ihrer aktiven Dienstpflicht bei den Kaiserlichen Schutztruppen Genüge leisten oder 3. aus dein Beurlaubtenstand in Fällen von Gefahr zu notwendigen Verstärkungen der Kaiserlichen Schutztruppen herangezogen werden oder 4. nach Ableistung ihrer aktiven Dienstpflicht in einem Schutzgebiet als Kapitulanten der Kaiserlichen Schutztruppe angehören, sowie auf die Personen der Unterklassen der Kaiserlichen Schutztruppen, welche aus der Kaiserlichen Marine übernommen sind, aus diese außerdem die 8854 bis 58 mit den nachfolgenden Maßgaben entsprechende Anwendung.

Fristen.

§ 64. Ist der Verlust oder die Minderung der Erwerbsfähigkeit die Folge einer Friedensdienstbeschädigung, welche durch die besonderen Fährlichkeiten des Dienstes bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutz­ gebieten verursacht worden ist, so kann die Dienstbeschädigung auch nach der Entlassung festgestellt und der Anspruch auf Rente bis zum Abläufe von zehn Jahren geltend gemacht werden. Der Lauf der Frist beginnt mit der Rückkehr in die Heimat oder mit der im Ausland erfolgten Entlassung. Tie Vorschrift des 8 2 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung. Berechnung der Dienstzeit.

§ 65. Die bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten zugebrachte Dienstzeit wird, sofern sie mindestens 6 Monate ohne Unter­ brechung gedauert hat, doppelt gerechnet. Seereisen in außerheimischen Gewässern (§ 54 Abs. 6) rechnen hierbei der Verwendung bei den Kaiser­ lichen Schutztruppen in den Schutzgebieten gleich.

6. Mannschaftsversorgungsgesttz.

§§ 62—69.

499

Ausgenommen von dieser Doppelrechnung ist die in solche Jahre fallende Dienstzeit, welche bereits als Kriegsjahre zu erhöhtem Ansätze kommen. Die Dienstzeit bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzge­ bieten ist auch für diejenigen Personen der Unterklassen doppelt zu rechnen, welche aus den Kaiserlichen Schutztruppen in ihr früheres Dienstverhältnis zurücktreten und demnächst aus diesem mit Anspruch auf Rente entlassen werden. Die im § 69 Abs. 2 aufgeführten Personen der Unterklassen haben nur im Falle der §§ 6 und 7 Anspruch auf höhere Anrechnung von Dienstzeit.

§ 66. Die im § 8 Abs. 1 bezeichneten Freiheitsstrafen können mit Genehmigung des Kaisers als Dienstzeit angerechnet werden. Tropenzulage.

K 67. Auf eine Tropenzulage haben diejenigen Personen der Unterklassen der Kaiserlichen Schutztruppen Anspruch, welche entweder in­ folge außerordentlicher Einflüsse des Klimas während eines dienstlichen Aufenthalts in den Schutzgebieten oder infolge der besonderen Fährlichkeiten des Dienstes in den Schutzgebieten rentenberechtigt geworden find, falls nicht die Verminderung ihrer Erwerbsfähigkeit eine Folge ihres Vorsatzes ist. Die Tropenzulage beträgt monatlich 25 Mark. Kriegszulage (§ 14), Rentenerhöhung (§ 57) und Tropenzulage werden nicht nebeneinander gewährt. Die Tropenzulage ist kein Bezug im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. 2 deS Jnvalidcnversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899.

§ 68. Sind Personen der Unterklassen der Kaiserlichen Schutz­ truppen in den Schutzgebieten länger als drei Jahre dienstlich verwendet worden, so steigt mit jedem weiteren vollen, wenn auch nicht im Anschluß an die frühere Dienstzeit in den Schutzgebieten geleisteten Dienstjahre die Tropenzulage um ein Sechstel bis zur Erreichung des Doppelbetrags. Eine Doppelrechnung von Dienstzeit findet hierbei nicht statt. Die Vorschriften der §§ 64 und 40 Abs. 3 finden auf die Tropen­ zulage entsprechende Anwendung. 5 69. Auf Tropenzulage haben auch diejenigen Personen der Unterklassen Anspruch, welche früher den Kaiserlichen Schutztruppen angehört haben und nach ihrem Wiedereintritt in das Reichsheer oder in die Kaiser­ liche Marine innerhalb der im § 64 festgesetzten Frist wegen der Folgen einer im Dienste bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten erlittenen Dienstbefchädigung rentenberechtigt geworden sind. Wehrpflichtige Reichsangehörige, die ihrer aktiven Dienstpflicht bei den Kaiserlichen Schutztruppen genügen, sowie in den Schutzgebieten sich dauernd aufhaltende Personen des Beurlaubtenstandes des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine, die in Fällen von Gefahr zu notwendigen Ver­ stärkungen der Kaiserlichen Schutztruppen herangezogen werden, haben keinen Anspruch auf Tropenzulage.

Vin. Gruppt: Militärrecht.

500

§ 70. Werden Personen der Unterklassen nach dem Ausscheiden aus den Kaiserlichen Schutztruppen wegen der Folgen einer im Dienste bei den Kaiserlichen Schutztruppen in den Schutzgebieten erlittenen Dienst­ beschädigung rentenberechtigt, nachdem sie in das Reichsheer oder in die Kaiserliche Marine wieder eingetreten sind, so fallen die gesamten VersorgungSgebührnisse dem PenfionSfondS des Reichsheeres oder der Kaiser­ lichen Marine zur Last. Zahlung der VersorgungSgebührnisse.

§ 71.

Scheiden Personen der Unterklassen aus den Kaiserlichen Schutztruppen mit Anspruch auf Rente auS, so beginnt die Zahlung der VersorgungSgebührnisse mit dem Ablaufe des auf den Monat der Ent­ lassung folgenden Vierteljahrs. Zuständigkeit und Rechtsweg.

§ 72. Die Befugnisse, die im ersten Teil dieses Gesetzes der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents übertragen find, werden für den Bereich der Kaiserlichen Schutztruppen von der Kolonialzentralverwaltung auSgeübt.

$ 73. Die Entscheidung der Kolonialzentralverwaltung ist für die Beurteilung der vor Gericht geltend gemachten Ansprüche auch darüber maßgebend, ob die Voraussetzungen deS § 67 Abs. 1 erfüllt sind. Uebergangsvorschristen.

8 74. Der nach Maßgabe des gegenwärtigen Gesetzes zu zahlende Gesamtbetrag an Versorgungsgebührnissen für die zur Zeit des Inkraft­ tretens dieses Gesetzes den Kaiserlichen Schutztruppen angehörenden Personen der Unterklassen darf nicht hinter der Summe derjenigen Beträge zurück­ bleiben, welche ihnen im Falle der Pensionierung zur Zeit deS Inkraft­ tretens dieses Gesetzes an Pension und Pensionserhöhung zugestanden haben würden. Bei Ermittelung dieser Beträge ist für Deckoffiziere daS Dienstalter und der Dienstgrad zugrunde zu legen, welche sie bei Fort­ setzung ihres Dienstverhältnisses in der Heimat erreicht haben würden. Die VersorgungSgebührnisse derjenigen Friedensinvaliden, welche an einer als Feldzug erklärten militärischen Unternehmung teilgenommen haben, sind nach den Vorschriften dieses Gesetzes festzustellen. Die Vorschrift deS § 45 Nr. 2 Abs. 2 findet hierbei Anwendung. Schlußvorschrift.

§ 75. Die VersorgungSgebührnisse derjenigen Personen, deren Be­ züge nach den bestehenden Vorschriften aus den Mitteln des Reichs-Jnvalidenfonds zu decken find, werden auS dem ReichS-JnvalidenfondS bestritten. Dem Königreiche Bayern wird zur Bestreitung der gleichartigen Aus­ gaben, mit Ausnahme der infolge des Krieges 1870/71 erwachsenen, all­ jährlich eine Summe überwiesen, welche sich nach der Höhe des tatsächlichen Aufwandes für Angehörige des Reichsheeres und deren Hinterbliebene im Verhältnisse der Kopsstärke des Königlich Bayerischen MilitürkontingentS zu jener der übrigen Teile des ReichSheereS bemißt.

7. Militärhinterblübenengtsetz. §§ 1, 2.

501

8 76. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1906 in Kraft. Außer Kraft treten alsdann: 1. die bisherigen Militärpensionsgesetze, soweit sie die Militärpersonen der Unterfloffen und die im § 44 bezeichneten Personen betreffen, mit Ausschluß der Vorschriften für Hinterbliebene; 2. daS Unfallfürsorgegesetz für Beamte und für Personen des Soldaten­ standes vom 18. Juni 1901, soweit es die Militärpersonen der Unter­ klassen und deren Hinterbliebene betrifft; 3. die Vorschriften deS Gesetzes, betreffend die Kaiserlichen Schutztruppen in den afrikanischen Schutzgebieten und die Wehrpflicht daselbst, vom 7./18. Juli 1896, soweit sie die Versorgung der Personen der Unter­ klassen regeln, mit Ausschluß der Vorschriften für Hinterbliebene.

Für das Königreich Bayern tritt § 23 erst mit dem Erlaß eines neuen Beamtenpensionsgesetzes in Kraft. Bis dahin werden die an den Pensionär gemäß § 36 Nr 4 nicht zu zahlenden Rentenbeträge den Zivil­ pensionsfonds nicht erstattet.

7. Mlilärhiiterbliedemiiesetz. Bern 17. Rai 1907?)

(RGBl. S. 214.) Erster Teil.

Reichshrer. I. Allgemeine Vertorgung.

A. Hinterbliebene von Offizieren einschließlich

Sanitäts­

offizieren des Friedenstandes.

§ 1. Die Witwen und die ehelichen oder legitimierten Kinder von Offizieren des Friedensstandes, welchen zur Zeit ihres Todes ein Anspruch auf lebenslängliche Pension aus der Reichskaffe im Falle der Versetzung in den Ruhestand zugestanden hätte, sowie die Witwen und die ehelichen oder legitimierten Kinder von verabschiedeten Offizieren deS Friedensstandes, welche eine lebenslängliche Pension aus der Reichskaffe zu beziehen hatten, erhalten Witwen- und Waisengeld. K 2. DaS Witwengeld besteht in vierzig vom Hundert derjenigen Pension, zu welcher der Verstorbene berechtigt gewesen ist oder berechtigt gewesen sein würde, wenn er am Todestag in den Ruhestand versetzt worden wäre. l) S ti er-Som lo. Die rechtliche Stellung des Soldatenstandes in den sozial­ politischen Gesetzen. Archiv für MilitLrrecht 1910.

502

VUL Gruppe: Militärrecht.

DaS Witwengeld soll jedoch, vorbehaltlich der im § 4 verordneten Beschränkung, mindestens 300 Mark und höchstens 5000 Mark betragen. Bei Berechnung deS Witwengeldes bleibt die PensionSbeihilse, die Verstümmelungszulage und die Alterszulage (8 7 Abs. 1, §§ 11, 13 des OffizierpenfionSgesetzeS vom 31. Mai 1906) stets, die Kriegszulage, die PenfionSerhöhung und die Tropenzulage (88 12, 49, 66, 67 ebenda) in dem Falle außer Betracht, daß die Witwe zu einer Kriegsversorgung berechtigt ist. Der Jahresbetrag des Witwengeldes ist nach oben so abzurunden, daß bei Teilung durch drei sich volle Markbetrüge ergeben.

5 3, Das Waisengeld beträgt jährlich: 1. für jedes Kind, dessen Mutier noch lebt und zur Zeit des Todes des Verstorbenen zum Bezüge von Witwengeld berechtigt war, ein Fünftel deS Witwengeldes; 2. für jedes Kind, dessen Mutter nicht mehr lebt oder zur Zeit des Todes des Verstorbenen zum Bezüge von Witwengeld nicht berechtigt war, ein Drittel des Witwengeldes. Der Jahresbetrag des Waisengeldes ist nach oben so abzurunden, daß bei Teilung durch drei sich volle Markbeträge ergeben.

§ 4. Witwen- und Waisengeld dürfen weder einzeln noch zusammen den Betrag der Pension übersteigen, zu welcher der Verstorbene berechtigt gewesen ist oder berechtigt gewesen sein würde, wenn er am Todestag in den Ruhestand versetzt worden wäre. Ergibt sich an Witwen- und Waisengeld zusammen ein höherer Betrag, so werden die einzelnen Sätze im gleichen Verhältnisse gekürzt. § 5. Nach dem Ausscheiden eines Witwen- oder Waisengeld­ berechtigten erhöht sich das Witwen- oder Waisengeld der verbleibenden Berechtigten von dem Beginne deS folgenden Monats an insoweit, als sie sich noch nicht im vollen Genusse der ihnen nach §§ 2 bis 4 gebührenden Beträge befinden.

§ 6. War die Witwe mehr als 15 Jahre jünger als der Ver­ storbene, so wird daS nach Maßgabe der 83 2, 4 berechnete Witwengeld für jedes angefangene Jahr deS Altersunterschieds über 15 bis einschließ­ lich 25 Jahre um 1/«o gekürzt. Nach fünfjähriger Dauer der Ehe wird für jedes angefangene Jahr ihrer weiteren Dauer dem gekürzten Betrag ’/io deS berechneten Witwengeldes solange hinzugesetzt, bis der volle Betrag wieder erreicht ist. Auf den nach 8 3 zu berechnenden Betrag deS Waisengeldes ist diese Kürzung deS Witwengeldes ohne Einfluß. 5 7. Liegen die Voraussetzungen einer Kürzung sowohl nach 8 4 als auch nach 8 6 vor, so ist zunächst das Witwen- und Waisengeld nach 8 4 und erst dann das Witwengeld nach 8 6 zu kürzen, demnächst aber der gemäß 8 6 gekürzte Betrag des Witwengeldes dem nach 8 4 gekürzten Waisengelde bis zur Erreichung des vollen Betrags zuzusetzen. § 8. Keinen Anspruch auf Witwengeld hat die Witwe, wenn die Ehe mit dem Verstorbenen innerhalb dreier Monate vor seinem Ableben

7- Militärhintttbliebenengeseh.

§§ 2—11.

503

geschlossen worden und die Eheschließung zu dem Zwecke erfolgt ist, um der Witwe den Bezug deS Witwengeldes zu verschaffen.

Keinen Anspruch auf Witwen- und Waisengeld haben die Witwe und die Hinterbliebenen Kinder, wenn der Verstorbene die Ehe erst nach der Pensionierung oder Stellung zur Disposition und, a) falls er int Heere oder in der Kaiserlichen Marine in einer mit Pensionsberechtigung verbundenen oder in einer im Militär- oder Marine-Etat für pensionierte Offiziere vorgesehenen Stelle Verwendung gefunden hat, nach dem Ausscheiden aus dieser Stelle, b) falls er mit einer mit Gehalt oder Dienstzulage verbundenen Offizier­ stelle in einem Jnvalideninstitute beliehen worden ist, nach dem Aus­ scheiden aus dieser Stelle geschlossen hat. Eine Ehe gilt nur dann als nach der Pensionierung oder Stellung zur Disposition geschlossen, wenn die Eheschließung nach dem Schluffe des Monats stattgefunden hat, in welchem das Ausscheiden aus dem Dienste erfolgt ist.

§ 9. Der Witwe und den ehelichen oder legitimierten Kindern eines Offiziers, dem, wenn er am Todestage verabschiedet worden wäre, auf Grund des § 7 Abs. 2 des Offizicrspensionsgesetzes eine Pension hätte bewilligt werden können, sowie der Witwe und den ehelichen oder legitimierten Kindern eines verabschiedeten Offiziers, der am Todestag eine nicht lebens­ längliche Pension zu beziehen hatte, kann durch die oberste Militärver­ waltungsbehörde des Kontingents Witwen- und Waisengeld bis zu der in den §§ 2 bis 7 angegebenen Höhe bewilligt werden. § 10. Stirbt ein Offizier, welchem im Falle der Pensionierung bei Berechnung der Pension die Anrechnung gewisser Zeiten auf die in Betracht kommende Dienstzeit nach § 15 Abs. 2, § 18 Abs. 2 des Offizier­ pensionsgesetzes hätte bewilligt werden dürfen, so kann eine solche Anrechnung auch bei Festsetzung des Witwen- und Waiscngeldes durch die oberste Militärverwaltungsbehörde des Kontingents zugelassen werden. B. Hinterbliebene von Offizieren einschließlich Sanitäts­ offizieren deS Beurlaubtenstandes und von den ausgeschie­ denen, zum aktiven Militärdienste vorübergehend wieder herangezogenen Offizieren.

§ 11. Der Witwe und den ehelichen oder legitimierten Kindem eines Offiziers des Beurlaubtenstandes, dem zur Zeit seines Todes ein Anspruch auf Pension aus der Reichskasse im Falle der Verabschiedung zugestanden hätte, sowie der Witwe und den ehelichen oder legitimierten Kindern eines verabschiedeten Offiziers des Beurlaubtenstandes, welcher eine Pension aus der Reichskasse zu beziehen hatte, kann durch die oberste MilitärverwaltungSbehörde deS Kontingents Witwen- und Waisengeld bis zu der in den §§ 2 bis 7 angegebenen Höhe bewilligt werden. Das Gleiche gilt für die Hinterbliebenen von Offizieren, die, ohne Pension ausgeschieden, zum aktiven Militärdienste vorübergehend wieder herangezogen worden sind, sowie für die Hinterbliebenen von Offizieren, die,

504

VM. Gruppe: Militirrecht.

mit Pension ausgeschieden, zum aktiven Militärdienste vorübergehend wieder herangezogen worden find, falls die Ehe nach dem Ausscheiden auS dem Friedensstande geschlossen worden ist. In den Fällen des Abs. 1 muß der Tod deS Verstorbenen durch die Dienstbeschädigung verursacht worden sein, welche zur Pensionierung deS Offiziers hätte führen können oder geführt hat.

G. Hinterbliebene von Militärpersonen der Unterklassen.

§ 12. Die Witwen und die ehelichen oder legitimierten Kinder von Militärpersonen der Unterklafien, die während der Zugehörigkeit zum aktiven Heere entweder infolge einer Dienstbeschädigung oder nach zehn­ jähriger Dienstzeit gestorben sind, erhalten Witwen- und Waisengeld. DaS Gleiche gilt für die Witwen und die ehelichen oder legitimierten Kinder von ehemaligen Militärpersonen der Unterklaffen, die 1. zur Zeit ihres Todes nach Ablauf mindestens achtzehnjähriger Dienstzeit eine Rente zu beziehen hatten, oder 2. infolge einer Dienstbeschädigung vor Ablaus von sechs Jahren nach der Entlassung aus dem aktiven Dienste gestorben sind. Die Dienstbeschädigung muß im Falle der Nr. 2 innerhalb der Fristen des § 2 des Mannschaftsversorgungsgesetzes festgestellt sein. § 13.

DaS Witwengeld beträgt jährlich 300 Mark. Dieser Betrag erhöht sich für die Witwen der Militärpersonen der Unterklassen mit mehr als fünfzehnjähriger Dienstzeit für jedes Jahr dieser weiteren Dienstzeit bis zum vollendeten vierzigsten Dienstjahr nm sechs vom Hundert. Dem hiernach berechneten Betrage des Witwengeldes treten für die Witwe einer der im § 10 Abs. 1 des Mannschaftsversorgungsgesetzes be­ zeichneten Personen, falls diese als Rentenempfänger verstorben ist, vierzig vom Hundert desjenigen Betrages hinzu, den der Verstorbene infolge der im 8 10 Abs. 1 ebenda vorgeschriebenen Erhöhung der Dollrente bezogen hat. Ist der Tod vor dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienste einge­ treten, so beträgt die Erhöhung des Witwengeldes 15/ioo der von dein Verstorbenen zuletzt bezogenen, im Etat als pensionsfähig bezeichneten LöhnungSzuschüsse oder Zulagen und steigt bei Witwen von Kapitulanten mit mehr als achtzehnjähriger Dienstzeit für jedes fernere Dienstjahr um 9/iooo bis höchstens 3 *7ioo dieser Löhnungszuschüsse oder Zulagen. Sofern sich bei Anwendung der Vorschriften deS Reichsbeamtenge­ setzes für die Witwe eines zur Klaffe der Unteroffiziere gehörenden Gehalts­ empfängers, mit Einschluß der im Range der Unteroffiziere stehenden Ver­ walter bei den Kadettenkorps ein höheres Witwengeld ergeben würde, ist dieses zu gewähren. Der Jahresbetrag des Witwengeldes ist nach oben so abzurunden, daß bei Teilung durch drei sich volle Markbeträge ergeben.

8 14. Die 88 3,6, 8 Abs. 1 und 810 finden mit der Maßgabe Anwen­ dung, daß an Stelle der im 8 10 erwähnten Paragraphen des Osfizierpensionsgesetzes 8 5 Abs. 2 und 8 8 Abs. 2 des Mannschaftsversorgungsgesetzes treten.

7. Militärhinlttblitbtnengrsetz.

§§ 11—17.

505

§ 15, Witwen- und Waisengeld dürfen weder einzeln noch zu­ sammen den Betrag der im § 9 der Mannschaftsversorgungsgesetzes für den betreffenden Dienstgrad festgesetzten Bollrente übersteigen. In Fällen deS § 13 Abs. 3 Satz 1 erhöht sich diese Grenze um den­ jenigen Betrag, von welchem die Erhöhung des Witwengeldes zu berechnen ist, in den Fällen deS § 13 Abs. 3 Satz 2 um 7i7*oo der von dem Ver­ storbenen zuletzt bezogenen im Etat als penfionsfähig bezeichneten LöhnungSzuschüffe oder Zulagen. Bei den Hinterbliebenen der im § 12 Abs. 2 Nr. 1 erwähnten Personen dürfen Witwen- und Waisengeld weder einzeln noch zusammen den Betrag der vom Verstorbenen bezogenen Rente übersteigen. Ergibt sich an Witwen- und Waisengeld zusammen ein höherer Be­ trag, so werden die einzelnen Sätze im gleichen Verhältnisse gekürzt. Nach dem Ausscheiden eines Witwen- oder Waisengeldberechtigten erhöht sich das Witwen- oder Waisengeld der verbleibenden Berechtigten von dem Beginne des folgenden Monats ab insoweit, als sie sich noch nicht im vollen Genusse der ihnen nach §§ 13, 14 gebührenden Beträge befinden. Liegen die Voraussetzungen einer Kürzung sowohl nach Abs. 1 als auch nach §§ 6, 14 vor, so ist zunächst das Witwen- und Waisengeld nach Abs. 1 und erst dann das Witwengeld nach §§ 6, 14 zu kürzen, demnächst aber der gemäß §§ 6, 14 gekürzte Betrag des Witwengeldes dem nach Abs. 1 gekürzten Waisengelde bis zur Erreichung des vollen Betrags zuzusetzen.

§ 16. Keinen Anspruch auf Witwen- und Waisengeld haben die Witwe und die Hinterbliebenen Kinder, wenn der Verstorbene die Ehe erst nach der Entlassung aus dem aktiven Militärdienst und, a) falls er zum Militärdienste wieder herangezogen worden ist, nach der Wiederentlassung, b) falls er in einem Jnvalideninstitut Aufnahme gefunden hat, nach dem Ausscheiden aus diesem geschlossen hat. D. Hinterbliebene von Beamten des Beurlaubtenstandes, von Personen, die gemäß §§ 34, 35 des OffizierpensionSgesetzes im Kriege als Heeresbeamte verwendet worden sind, und vonPersonen der freiwilligen Krankenpflege auf dem Kriegsschauplätze.

§ 17. Der Witwe und den ehelichen oder legitimierten Kindern 1. von Heeresbeamten des Beurlaubtenstandes, 2. von Personen, die nicht zu den Heereöbeamten des Beurlaubtenstandes gehören, aber während der Dauer eines Krieges bei dem Feld- oder Besatzungsheer als Heeresbeamte verwendet worden sind, kann, falls der Verstorbene zur Zeit seines Todes auf Grund der §§ 33, 34, 35 des Offizierpensionsgesetzes zu einer Pension im Falle seines Aus­ scheidens berechtigt gewesen sein würde oder eine Pension zu beziehen hatte, und falls der Tod durch Dienstbeschädigung verursacht worden ist, durch

506

vni. Grupp«: Militärrecht.

die oberste Militärverwaltungsbehörde des Kontingents Witwen- und Waisengeld bewilligt werden. Diese Borschrift findet entsprechende Anwendung aus die Hinterblie­ benen von Personen der freiwilligen Krankenpflege, falls der Tod infolge dienstlicher Verwendung auf dem Kriegsschauplätze vor Ablauf von sechs Jahren nach dem Friedensschluß eingetreten ist. Beim Fehlen eines Friedensschlusses beginnt der Lauf der Frist mit dem Schlüße des JahreS, in welchem der Krieg beendigt worden ist.

§ 18. Auf die Hinterbliebenen der im § 17 Abs. 1 erwähnten Personen finden die §8 2 bis 8" Abs. 1, § 10, auf die Hinterbliebenen von Personen der freiwilligen Krankenpflege finden § 13 Abs. 1, § 14, §15 Abs. 1, 4 bis 6 mit folgender Maßgabe Anwendung: 1. Witwen- und Waisengeld kann nur gewährt werden, wenn die Ehe der ersteren vor dem Ausscheiden aus dem aktiven Heere und der letzteren vor Beendigung ihrer Verwendung auf dem Kriegsschauplätze geschloßen ist. 2. DaS Witwengeld kann bis zu den aus vorstehenden Vorschriften sich ergebenden Sätzen gewährt werden, in keinem Falle darf es jedoch den Betrag von 3500 Mark übersteigen. II. Kriegsverforguug.

§ 19. Die Witwen und die ehelichen oder legitimierten Kinder der zum Feldheere gehörigen Offiziere, einschließlich Sanitätsoffiziere, Be­ amten und Militärpersonen der Unterklassen mit Einschluß der in den §§ 34, 35 des OsfizierpensionsgesetzeS erwähnten Personen und der auf dem Kriegsschauplätze verwendeten Personen der freiwilligen Krankenpflege, die 1. im Kriege geblieben oder infolge einer Kriegsverwundung gestorben sind, 2. eine sonstige Kriegsdienstbeschädigung erlitten haben und an ihren Folgen gestorben sind, erhalten Kriegswitwen- und KriegSwaisengeld, in dem Falle zu 2 jedoch nur, wenn der Tod vor Ablauf von 10 Jahren nach dem Friedensschluß oder dem im § 17 letzter Absatz Satz 2 angegebenen Zeitpunkt eingetreten ist. § 20.

DaS Kriegswitwengeld beträgt jährlich:

a) wenn die allgemeine Versorgung zusteht:

1. für die Witwe eines Offizieres bis zum Stabsoffizier einschließlich abwärts 2. für die Witwe eines Hauptmanns, Oberleutnants, Leutnants oder Feldwebelleutnants............................... 3. für die Witwe eines Feldwebels, Vizefeldwebels, eines Sergeanten mit der Löhnung eines Vizefeldwebels, eines Zugführers der freiwilligen Kriegskrankenpflege oder eines Unterbeamten mit einem pensionsfühigen Diensteinkommen von jährlich mehr als 1200 Mark 4. für die Witwe eines Sergeanten, Unteroffiziers, Zug­ führer-Stellvertreters oder Sektionsführers der frei­ willigen Kriegskrankenpflege oder eines Unterbeamten

1500 Mark, 1200

300





7. MilitLrhintnbliebenengesetz.

507

§§ 17—21.

mit einem pensionssähigen Diensteinkommen von jährlich 1200 Mark und weniger................................................. 5. für die Witwe eines Gemeinen oder einer jeden anderen Person des Unterpersonals der freiwilligen Kriegs­ krankenpflege ...................................................................

200 Mark,

100

b) wenn die allgemeine Versorgung nicht zusteht: 1. für die Witwe eines Generals oder eines Offiziers in Generalsstellung ....................................................... 2000 Mark, 2. für die Witwe eines Stabsoffiziers............................... 1600 „ 3. für die Witwe eines Hauptmanns, Oberleutnants, Leutnants, oder Feldwebelleutnants...............................1200 4. für die Witwe eines Feldwebels, Dizefeldwebels, eines Sergeanten mit der Löhnung eines VizefeldwebelS, eines Zugführers der freiwilligen Kriegskrankenpflege oder eines Unterbeamten mit einem pensionsfähigen Diensteinkommen von jährlich mehr als 1200 Mark 600 5. iür die Witwe eines Sergeanten, Unteroffiziers, Zug­ führer-Stellvertreters oder SektionssührerS der frei­ willigen Kriegskrankenpflege oder eines Unterbeamten mit einem pensionssähigen Diensteinkommen von jähr­ lich 1200 Mark und weniger............................................. 500 6. für die Witwe eines Gemeinen oder einer jeden anderen Person des Unterpersonals der freiwilligen Kriegs­ krankenpflege .......................................................................... 400 „ . Erreicht das Jahresgesamteinkommen der zu Kriegswitwengeld berech­ tigten Witwe 1. eines Generals oder eines Offiziers in Generals­ stellung nicht.......................................................................... 3000 Mark, 2. eines anderen Offiziers mit Ausnahme der Feldwebel­ leutnants nicht.................................................................... 2000 3. eines Feldwebelleutnants nicht...................................... 1500 „ so kann mit Genehmigung der obersten Militärverwaltungsbehörde deS Kontingents das Kriegswitwengeld bis zur Erreichung dieser Sätze er­ höht werden.

§ 21.

Das Kriegswaifengeld beträgt jährlich:

a) wenn die allgemeine Versorgung zusteht:

1. für jedes vaterlose Kind eines Generals oder eines Stabs­ offiziers in Generals- oder Regimentskommandeur-Stellung 150 Mark, eines anderen Offiziers.............................................................200 für jedes elternlose Kind eines Generals oder eines Stabsoffiziers in Generals- oder RegimentskommandeurStellung .....................................................................................225 eines anderen Offiziers............................................................ 300 2. für jedes vaterlose Kind einer Militürperson der Unter­ klassen, eines Angehörigen der freiwilligen Kriegskranken­ pflege oder eines Unterbeamten.................................................108

VIII. Knipp«: Militärisch:.

508

für jedes elternlose Kind einer Militärperson der Unter­ klassen, eines Angehörigen der freiwilligen KriegSkrankenpflege oder eines Unterbeamten................................................. 140 Mark; b) wenn die allgemeine Versorgung nicht zusteht:

1. sür jedes vaterlose Kind eines Offiziers......................... für jedes elternlose Kind eines Offiziers......................... 2. für jedes vaterlose Kind einer Militärperson der Unter­ klassen, eines Angehörigen der freiwilligen Kriegskranken­ pflege oder eines Unterbeamten........................................... 168 „ für jedes elternlose Kind einer Militärperson der Unter­ klassen, eines Angehörigen der freiwilligen Kriegskranken­ pflege oder eines Unterbeamten........................................... 240 „ . Dein elternlosen Kinde steht das Kind gleich, dessen Mutter zur Zeit des Todes seines Vaters zum Bezüge des Kriegswitwengcldes nicht berechtigt ist.

§ 22. Den Verwandten der aufsteigenden Linie der im § 19 erwähnten Personen kann unter den dort bestimmten Voraussetzungen für die Dauer der Bedürftigkeit ein Kriegselterngeld gewährt werden, wenn der verstorbene Kriegsteilnehmer a) vor Eintritt in das Feldheer oder b) nach seiner Entlassung auS diesem zur Zeit seines Todes oder bis zu seiner letzten Krankheit ihren Lebensunterhalt ganz oder überwiegend bestritten hat. Das KriegSelterngeld beträgt jährlich höchstens:

1. für den Vater und jeden Großvater, für die Mutter und jede Großmutter eines Offiziers ......................... 2. für den Vater und jeden Großvater, sür die Mutter und jede Großmutter einer Militärperson der Unter­ klassen, eines Unterbeamten oder eines Angehörigen der freiwilligen Kriegskrankenpflege...........................................

§ 23.

450 Mark,

250



.

Die Höhe der Kriegsversorgung richtet sich:

1. bei den Hinterbliebenen der Personen, die an dem Kriege als Personen des Soldatenstandes teilgenommen haben, nach dem militärischen Dienstgrade, den der Verstorbene zuletzt vor seinem Tode im aktiven Heere bekleidet hatte oder dessen Charakter ihm verliehen war, 2. bei den Hinterbliebenen der Personen, die an dem Kriege als Heeres­ beamte teilgenommen haben oder als solche verwendet worden sind, nach dem Diensteinkommen, das bei Berechnung des Ruhegehalts deS Verstorbenen zugrunde gelegt worden ist oder zugrunde zu legen gewesen sein würde, falls der Verstorbene am Todestag in den Ruhestand versetzt worden wäre, 3. bei den Hinterbliebenen der während der Dauer eines Krieges in Stellen von HeereSbeamten verwendeten Personen deS Soldatenstandes nach dem letzten militärischen Dienstgrade des Verstorbenen (Nr. 1)

7. Militärhinterbliebenrngesetz. §§ 21—27.

509

4. bei den Hinterbliebenen der im § 35 deS OffizierpensionSgesetzeS be­ zeichneten Personen nach dem Betrage, der gemäß den vom Bundesrate festgestellten Grundsätzen bei Berechnung deS Ruhegehalts des Verstorbenen zugrunde gelegt worden ist oder zugrunde zu legen gewesen sein würde, falls der Verstorbene am Todestag in den Ruhe­ stand versetzt worden wäre. Den Hinterbliebenen von solchen im § 35 deS Offizierpensionsgesetzes genannten Personen, denen kein höherer militärischer Rang verliehen worden ist, find die den Hinterbliebenen von Gemeinden zustehenden Sätze zu zahlen.

§ 24. Das Diensteinkommen oder der zu berücksichtigende Geld­ betrag der oberen Heeresbeamten und der im § 35 des OffizierpensionSgesetzes erwähnten Personen ist für die Höhe der Kriegsversorgung ihrer Hinterbliebenen dergestalt maßgebend, daß, je nachdem es dem pensions­ fähigen Diensteinkommen einer der im § 20 erwähnten Offizierdienstgrade bis zum Leutnant abwärts am nächsten gestanden hat, auch die für Hinter­ bliebene dieses Dienstgrads zustehenden Sätze gewährt werden. Steht das pensionsfähige Diensteinkommen eines oberen Heeresbeamten genau in der Mitte zwischen dem pensionsfähigen Diensteinkommen zweier Offizierdienstgrade, so wird die höhere Versorgung gewährt.

§ 25. Keinen Anspruch auf Kriegswitwengeld hat die Witwe, wenn die Ehe bei den Teilnehmern an den vor dem 1. April 1901 be­ endeten Feldzügen erst nach dem Jahre 1900, im übrigen erst nach Ablauf von 15 Jahren nach dem Friedensschluß oder dem im § 17 letzter Absatz Satz 2 angegebenen Zeitpunkt oder wenn die erst nach dem Friedensschluß oder diesem Zeitpunkt eingegangene Ehe innerhalb dreier Monate vor dem Ableben deS Ehegatten geschlossen und die Eheschließung zu dem Zwecke erfolgt ist, um der Witwe den Bezug des Kriegswitwengeldes zu verschaffen. § 26. Die Vorschriften der §§ 19 bis 25 finden auf die Hinter­ bliebenen der Teilnehmer an einer solchen militärischen Unternehmung, die gemäß § 17 deS OffizierpensionSgesetzeS und § 7 des MannschaftSversorgungSgesetzeS als ein Krieg anzusehen ist, entsprechende Anwendung. Durch die oberste Militärverwaltungsbehörde deS Kontingents kann eine den §§ 19 bis 25 entsprechende Kriegsversorgung gewährt werden: 1. den Hinterbliebenen von solchen nicht dem Feldheere zugeteilten An­ gehörigen des aktiven Heeres, die in der Zeit von der Mobilmachung bis zur Demobilmachung wegen des eingetretenen Krieges außer­ ordentlichen Anstrengungen oder Entbehrungen oder dem Leben und der Gesundheit gefährlichen Einflüssen ausgesetzt waren und infolge­ dessen vor Ablauf eines Jahres nach dem Friedensschluß oder dem im 8 17 letzter Absatz Satz 2 angegebenen Zeitpunkte gestorben sind, 2. den Hinterbliebenen von solchen Angehörigen des Heeres, die auf Befehl dem Kriege eines ausländischen Heeres oder einer ausländischen Marine beigewohnt haben -und infolgedessen vor Ablauf eines Jahres nach der Rückkehr vom Kriegsschauplätze gestorben sind. § 27. Den nicht nach § 19 versorgungsberechtigten Witwen von solchen Kriegsteilnehmern und von solchen im § 26 Abs. 1 genannten

510

VHI. Gruppe: MilitLrrecht.

Personen, die infolge einer durch den Krieg erlittenen Dienstbeschädigung penfionS- oder rentenberechtigt geworden find oder geworden sein würden, falls fie am Todestag aus dem aktiven Dienste in den Ruhestand versetzt worden wären, können Witwenbeihilfen in der Art gewährt werden, daß daS Jahresgesamteinkommen: 1. für die Witwe eines Generals oder eines Offiziers in Generalsstellung oder für die Witwe eines entsprechenden (§ 24) oberen Heeresbeamten höchstens 3000 Mark, 2. für die Witwe eines anderen Offiziers mit Ausnahme des Feldwebelleutnants oder für die Witwe eines anderen oberen Heeresbeamten höchstens .... 2000 „ 3. für die Witwe eines Feldwebelleutnants höchstens . 1500 4. für die Witwe einer der im § 20 b Nr. 4 genannten Personen höchstens..................................................................... 600 5. für die Witwe einer der im § 20b Nr. 5 genannten Personen höchstens..................................................................... 500 6. für die Witwe einer der im § 20 b Nr. 6 genannten Personen höchstens.............................................................. 400 beträgt. Die Vorschrift des § 25 findet entsprechende Anwendung.

in. Sonstige Vorschriften.

§ 28. Die Festsetzung des Witwen- uub Waisengeldes sowie der Kriegsversorgung und die Bestimmung darüber, an wen die Zahlung zu leisten ist, erfolgt durch die oberste Militärverwaltungsbehörde des Kontin­ gents, dem der Verstorbene zuletzt angehört hat, oder, wenn er einem Kontingente nicht angehört hat, durch die oberste Militärverwaltungs­ behörde des Kontingents, in dessen Bezirk er zuletzt gewohnt hat. Die oberste Militärverwaltungsbehörde kann diese Befugnisse aus andere Behörden übertragen. § 29. 1. Die Zahlung des Witwen- und Waisengeldes und der Gebührnifse aus der Kriegsversorgung beginnt mit dem Ablaufe der Zeit, für die Gnadengebührnisse (Gnadenvierteljahr, Gnadenmonat, Gnaden­ löhnung) gewährt sind, oder, wenn solche nicht gewährt sind, mit dem auf den Sterbetag folgenden Tage, für die nach dem Tode ihres Vaters ge­ borenen Waisen nicht früher als mit dem Tage ihrer Geburt. 2. Für die ersten zwei Monate des Bezugs von Witwen- und Waisen­ geld ist den Hinterbliebenen der im aktiven Dienste gestorbenen Personen des Soldatenstandes zu ihren Bezügen ein Zuschuß soweit zu gewähren, daß der Betrag deS Gnadrnmonats oder der Gnadenlöhnung erreicht wird. Haben die vorbezeichneten Hinterbliebenen keinen Anspruch auf Witwenund Waisengeld, so ist ihnen eine einmalige Zuwendung in Höhe deS zweifachen Betrags der Gnadengebührnisse zu gewähren. Wenn der Verstorbene Verwandte der aufsteigenden Linie, Geschwister, Geschwisterkinder oder Pflegekinder, deren Ernährer er ganz oder über­ wiegend gewesen ist, in Bedürftigkeit hinterläßt, oder wenn und soweit der Nachlaß nicht ausreicht, um die Kosten der letzten Krankheit und der Be-

7. Militärhinterblirbenengeseh.

§§ 27—31.

511

erdigung zu decken, kann mit Genehmigung der obersten Militärverwal­ tungsbehörde des Kontingents eine einmalige Zuwendung gewährt werden, sofern Gnadengebührnisse bewilligt worden sind. Die einmalige Zuwen­ dung darf den zweifachen Betrag der Gnadengebührniffe nicht überschreiten. Die oberste Militärverwaltungsbehörde kann ihre Befugnisse auf andere Behörden übertragen. 3. DaS Witwen- und Waisengeld und die Kriegsversorgung werden monatlich im voraus, die in diesem Paragraphen erwähnten Zuschüsse und Zuwendungen in einer Summe im voraus gezahlt. 4. Die Gebührnisse der allgemeinen Versorgung und die der Kriegs­ versorgung werden nebeneinander gewährt. 5. Bei Veränderung in der Höhe der bewilligten fortdauernden Ge­ bührnisse ist der veränderte Betrag vom ersten Tage des Monats an zu zahlen, der auf das die Veränderung verursachende Ereignis folgt.

§ 30, Das Recht auf den Bezug des Witwen- und WaisengeldeS und der Kriegsversorgung erlischt: 1. für jeden Berechtigten mit dem Ablaufe des Monats, in dem er sich verheiratet oder stirbt; 2. für jede Waise außerdem mit dem Ablaufe des Monats, in dem sie das 18. Lebensjahr vollendet.

5 31. Das Recht auf den Bezug des Witwen- und Waisengeldes und der Kriegsversorgung ruht, solange der Berechtigte nicht Reichsan­ gehöriger ist. Das Recht aus den Bezug des Witwen- und Waisengeldes ruht: 1. neben einer Versorgung, welche einem Hinterbliebenen aus einer Wieder­ anstellung oder Beschäftigung des Verstorbenen in einer der im § 24 des Offizierpensionsgesetzes und § 36 des Mannschaftsversorgungsgesetzes bezeichneten Stellen des Zivil- oder Gendarmeriedienstcs zusteht, in­ soweit das Witwen- und Waisengeld unter Hinzurechnung jener ander­ weiten Versorgung den Betrag überschreitet, den der Hinterbliebene nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu beziehen hätte, und zwar: a) sofern es sich um den Hinterbliebenen eines Offiziers handelt, unter Zugrundelegung desjenigen Betrags, welcher dem Verstorbenen ge­ mäß § 26 des Offizierpensionsgesetzes zu zahlen gewesen ist oder zu zahlen gewesen wäre, b) sofern es sich um den Hinterbliebenen einer Militärperson der Unterklassen handelt, falls der Verstorbene die im Zivildienste ver­ brachte Zeit auch im Militärdienste zurückgelegt hätte. Bei Feststellung des ruhenden Betrags ist das Einkommen der­ jenigen Stelle zugrunde zu legen, die der Verstorbene zuletzt im aktiven Heere bekleidet hat; 2. bei Anstellung oder Beschäftigung als Beamter oder in der Eigen­ schaft eines Beamten im Zivildienste im Sinne des § 24 des Offizier­ pensionsgesetzes und des § 36 des Mannschaftsversorgungsgesetzes, wenn das Diensteinkommen der Witwe 2000 Mark, das der Waise 1000 Mark übersteigt, und zwar in Höhe des Mehrbetrags.

512

VIII. Gruppe: Militärrecht. Bei Berechnung des Diensteinkommens findet § 24 Nr. 3 Abs. 3 deS OffizierpenfionSgesetzeS und § 36 Nr. 4 Abs. 3 des MannschastsversorgungSgesetzeS Anwendung.

f 32. Das Recht auf den Bezug des Witwengeldes ruht neben einer im Zivildienst im Sinne deS § 24 des Offizierpensionsgesetzes, § 36 des Mannschaftsversorgungsgesetzes erdienten Pension über 1500 Mark in Höhe deS Mehrbetrags. K 33. Tritt das Ruhen des Rechtes aus den Bezug von Witwenund Waisengeld und der Kriegsversorgung gemäß §§ 31, 32 im Lause eines Monats ein, so wird die Zahlung mit dem Ende deS Monats ein­ gestellt; tritt es am ersten Tage eines Monats ein, so hört die Zahlung mit dem Beginne des Monats auf. Bei vorübergehender Beschäftigung gegen Tagegelder oder eine andere Entschädigung beginnt das Ruhen des Rechtes auf den Bezug von Witwenund Waisengeld mit dem Ablaufe von sechs Monaten, vom ersten Tage deS Monats der Beschäftigung an gerechnet. Lebt dasRecht auf den Bezug von Witwen- und Waisengeld und die Kriegs­ versorgung wieder auf, so hebt die Zahlung mit dem Beginne des Monats an. § 34. Ist eine Person, deren Hinterbliebenen auf Grund dieses Gesetzes Witwen- und Waisengeld oder Kriegsversorgung zustehen würde oder bewilligt werden könnte, verschollen, so kann den Hinterbliebenen von der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents das Witwen- und Waisengeld oder die Kriegsversorgung auch schon vor der TodeSerllärung gewährt werden, wenn das Ableben des Verschollenen mit hoher Wahr­ scheinlichkeit anzunehmen ist. Den Tag, mit welchem die Zahlung des Witwen- und Waisengeldes oder der Kriegsversorgung beginnt, bestimmt in diesem Falle die oberste Militürverwaltungsbehörde des Kontingents.

§ 35. Wegen der Ansprüche aus diesem Gesetz ist der Rechtsweg mit folgenden Maßgaben zulässig: Die Entscheidung der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents muß der Klage vorhergehen; das Klagerecht geht ver­ loren, wenn die Klage nicht bis zum Ablaufe von sechs Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung erhoben wird. Hat gemäß § 28 eine andere Behörde Entscheidung getroffen, so tritt der Verlust deS Klagerechts auch dann ein, wenn gegen diese Entscheidung von den Beteiligten nicht bis zum Ablaufe von sechs Monaten nach der Zustellung Einspruch bei der obersten Militärver­ waltungsbehörde des Kontingents eingelegt ist. Auf die Frist von sechs Monaten finden die Vorschriften der §§ 203, 206 deS Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung. Die Form der Zustellung bestimmt die oberste Militärver­ waltungsbehörde des Kontingents. Für die Ansprüche aus diesem Gesetze sind die Landgerichte ohne Rücksicht aus den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig. § 36. Für die Beurteilung der vor Gericht geltend gemachten Ansprüche sind die Entscheidungen der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents darüber maßgebend:

7. Militärhinterbliebenengesrtz.

§§ 31—42.

513

1. ob eine Gesundheitsstörung als eine Dienstbeschädigung anzusehen, ob eine Dienstentschädigung durch den Krieg herbeigeführt ist; 2. ob der Tod mit den Folgen einer Dienstbeschüdigung zusammenhängt; 3. ob der Verstorbene zum Feld- oder Besatzungsheere gehört hat. Ueber die in Nr. 1 bis 3 genannten Fragen entscheidet innerhalb der obersten Militärverwaltungsbehörde das gemäß § 40 des Offizier­ pensionsgesetzes und 8 43 des Mannschaftsversorgungsgesetzes gebildete Kollegium des betreffenden Kontingents endgültig.

§ 37. Sind die in diesem Gesetze bezeichneten Personen, deren Hinterbliebenen ein Anspruch auf Versorgung zusteht, auf dienstlichen See­ reisen verwendet gewesen, so finden auf die Hinterbliebenen die Vorschriften des zweiten Teiles dieses Gesetzes, sind sie gleich den Kaiserlichen Schutz­ truppen in den Schutzgebieten verwendet gewesen, so finden auf sie die Vorschriften des dritten Teiles dieses Gesetzes entsprechende Anwendung. Zweiter Teil.

Kaiserliche Marine.

§ 38.

Auf die Hinterbliebenen von Angehörigen der Kaiserlichen Marine finden die §§ 1 bis 37 mit den nachfolgenden Maßnahmen ent­ sprechende Anwendung.

§ 39. Die Befugnisse, die im ersten Teile dieses Gesetzes der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents übertragen find, werden für den Bereich der Kaiserlichen Marine von der obersten Marine­ verwaltungsbehörde ausgeübt. § 40. Im Sinne dieses Gesetzes stehen den Offizieren die Deck­ offiziere der Kaiserlichen Marine vorbehaltlich der Vorschriften des § 43 gleich. K 41. Dem nach § 13,t berechneten Betrage des Witwengeldes treten für die Witwe einer der im § 56 des Mannschaftsversorgungsgefekes bezeichneten Personen, falls diese als Rentenempfänger verstorben ist, auch vierzig vom Hundert desjenigen Betrags hinzu, den der Verstorbene infolge der ebenda vorgeschriebenen Erhöhung der Vollrente bezogen hat. Ist der Tod vor dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienste eingetreten, so wird das Witwengeld auch um 15/ioo der von dem Verstorbenen zuletzt bezogenen Dienstalters-, Seefahr- und Fachzulagen erhöht und steigt weiter bei Witwen von Kapitulanten mit mehr als achtzehnjähriger Dienst­ zeit für jedes weitere Dienstjahr auch um 9/iooo bis höchstens 3o/ioo der zuletzt bezogenen Dienstalters-, Seefahr- und Fachzulagen. Die Kürzungsgrenze des § 15 Abs. 2 erhöht sich im Falle des Abs. 1 Satz 1 auch um denjenigen Betrag, welcher von der Dienstalters-, Seefahr- und Fachzulage bei der Berechnung der Erhöhung des Witwen­ geldes berücksichtigt ist, im Falle des Abs. 1 Satz 2 um ’5/«oo der von dem Verstorbenen zuletzt bezogenen Dienstalters-, Seefahr- und Fachzu­ lagen. Die durch Berücksichtigung der Dienstalters- und Seesahrzulage eintretende Erhöhung darf auch nicht 1k der Vollrentenbeträge übersteigen.

§ 42. Der Kaiser bestimmt, welche Angehörige der Kaiserlichen Marine den Angehörigen des Feldheeres gleichstchen. 33 t . c r - 5 ü in (o, VerwultuugSjlesetze für Preußen.

514

VIII. Gruppe: MilitSrrechr.

K 43. Für die Hinterbliebenen eines Deckoffiziers beträgt jährlich das Kriegswitwengeld (§ 20 a und b) 1200 Mark, für jedes vaterlose Kind..................................... 200 für jedes elternlose Kind..................................... 300 „ . Erreicht das Jahresgesamteinkommen der zu Kriegswitwengeld be­ rechtigten Witwe eines Deckoffiziers nicht 1500 Mark, so kann mit Ge­ nehmigung der obersten Marineverwaltungsbehörde das Kriegswitwengeld bis zur Erreichung dieses Satzes erhöht werden. Den nicht nach § 19 versorgungsberechtigten Witwen von solchen Deck­ offizieren, die infolge einer durch den Krieg erlittenen Dienstbeschädigung oder infolge einer der in § 26 Abs. 1, § 44 erwähnten Ursachen pensionsberechtigt geworden find oder geworden sein würden, falls sie am Todestag in den Ruhestand versetzt worden wären, können Witwenbeihilfen in der Art gewährt werden, daß daS Jahresgesamteinkommen (§ 27) 1500 Mark beträgt.

§44. DieVorschriftender8819bis25findenentsprechendeAnwondung: 1. auf die Hinterbliebenen der im Dienste durch Schiffbruch getöteten oder an den Folgen einer durch Schiffbruch erlittenen Dienstbeschudigung gestorbenen Angehörigen der Kaiserlichen Marine, sofern der Tod vor Ablauf von 10 Jahren nach der Rückkehr in die Heimat oder nach der im Ausland erfolgten Entlassung eingetreten ist; 2. auf die Hinterbliebenen derjenigen Angehörigen der Kaiserlichen Marine, welche infolge außerordentlicher Einflüsse des Klimas während einer dienstlichen Seereise vor Ablauf von 10 Jahren nach der Rückkehr in die Heimat oder nach der im Ausland erfolgten Entlassung ge= gestorben sind, sofern die Ehe zur Zeit der Seereise bestanden hat. K 45. Auf die nicht nach 8 44,i versorgungsberechtigten Witwen von solchen Angehörigen der Kaiserlichen Marine, die infolge einer durch Schiffbruch erlittenen Dienstbeschädigung pensions- und rentenberechtigt geworden sind oder geworden sein würden, falls sie am Todestag in den Ruhestand versetzt worden wären, finden die Vorschriften des 8 27 entsprechende Anwendung. $ 46. Für die Beurteilung der vor Gericht geltend gemachten Ansprüche sind die Entscheidungen der obersten Marineverwaltungsbehörde darüber maßgebend: 1. ob eine Dienstbeschädigung durch Schiffbruch oder durch außerordent­ liche Einflüsse des Klimas herbeigeführt ist; 2. ob der Tod mit den Folgen solcher Dienstbeschädigung zusammenhängt. Ueber die in Nr. 1 und 2 genannten Fragen entscheidet innerhalb der obersten Marineverwaltungsbehörde das gemäß 88 40, 45 des Osfizierpensionsgesetzes unb8§43,49beä MannschaftsversorgungsgesetzesgebildeteKollegium endgültig Dritter Teil.

Kaiserliche Schutztruppen iu den afrikanischen Schutzgebiete«. § 47. Auf die Hinterbliebenen von Angehörigen der Kaiserlichen Schutztruppen finden die 88 1 bis 37 entsprechende Anwendung.

mit den nachfolgenden Maßgaben

7. Militürhinterbliebenengesetz.

§§ 43—52.

515

K 48. Die Befugnisse, die im ersten Teile dieses Gesetzes der obersten MilitärvemaltungSbehörde des Kontingents übertragen sind, werden für den Bereich der Kaiserlichen Schutztruppen von der Kolonialzentral­ verwaltung ausgeübt.

$ 49. Die Vorschriften der §§ 19 bis 25 finden entsprechende Anwendung aus die Hinterbliebenen derjenigen Angehörigen der Kaiser­ lichen Schutztruppen, welche infolge außerordentlicher Einflüsie des Klimas während eines dienstlichen Aufenthalts in den Schutzgebieten oder infolge der besonderen Fährlichkeiten des Dienstes in den Schutzgebieten vor Ablauf von 10 Jahren nach der Rückkehr in die Heimat oder der im Schutzgebiet erfolgten Entlassung aus der Schutztruppe verstorben sind. § 50. Der in einem Schutzgebiete befindliche Nachlaß eines Schutz­ truppenangehörigen kann den Hinterbliebenen kostenfrei nach ihrem Wohnsitz innerhalb des Deutschen Reichs übersandt werden. Hinterbliebene, welche mit dem Schutztruppenangehörigen einen Haus­ stand bildeten, haben innerhalb eines Jahres nach dem Tode Anspruch auf freie Rückbeförderung in die Heimat.

H 51. Für die Beurteilung der vor Gericht geltend gemachten Ansprüche sind die Entscheidungen der Kolonialzentralverwaltung darüber maßgebend: 1. ob eine Dienstbeschädigung durch außerordentliche Einflüsse des Klimas oder durch die besonderen Fährlichkeiten des Dienstes in den Schutz­ gebieten herbeigeführt ist, und 2. ob der Tod mit den Folgen solcher Dienstbeschädigung zusammenhängt. Ueber die in Nr. 1 und 2 genannten Folgen entscheidet innerhalb der Kolonialzentralverwaltung das gemäß §§ 40, 62 des Offizierpensions­ gesetzes und §§ 43, 63 des Mannschaftsversorgungsgesetzes gebildete Kollegium endgültig. Uebergangsvorschristen.

§ 52. Vom Inkrafttreten dieses Gesetzes ab erhalten die Witwen und die Kinder von denjenigen bereits verstorbenen Offizieren, welche an einem der von deutschen Staaten vor 1871 oder von dem Deutschen Reiche geführten Kriege teilgenommen hatten, sofern ihnen nach den früheren Gesetzen Witwen- und Waisengeld zusteht und die Ehe schon zur Zeit des Kriege« bestanden hat, Witwen- und Waisengeld in demjenigen Betrage, der ihnen zu bewilligen gewesen sein würde, wenn bei der Berechnung der Pension des Verstorbenen der § 6 deS Offizierpensionsgesetzes zur Anwendung gekommen wäre. Unter den gleichen Voraussetzungen wird die Versorgung der Hinterbliebenen von Personen deS Soldatenstandes vom Feldwebel abwärts nach Maßgabe dieses Gesetzes festgesetzt. Auf die Witwen und Kinder der bereits verstorbenen gehaltsberechtigten Unteroffiziere, der Regi­ stratoren bei den Generalkommandos und der im Range der Unteroffiziere stehenden Verwalter bei den Kadettenkorps findet die Vorschrift des § 20 des Beamtenhinterbliebenengesetzes sinngemäße Anwendung, wenn die Be­ rechnung des Witwen- und Waisengeldes nach den Bestimmungen des Reichsbeamtengesetzes erfolgt ist.

516

VIII. Grupp«: Militärrecht.

8 53. Die Bezüge der Hinterbliebenen von Personen des SoldatenstandeS, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes verstorben sind, ruhen von diesem Zeitpunkt ab nur nach den Vorschriften deS §§ 31 bis 33 dieses Gesetzes. 8 54. Der den Hinterbliebenen der vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes verstorbenen Personen zu zahlende Betrag an Dersorgungsgebührnissen darf nicht hinter demjenigen zurückbleiben, welcher ihnen nach den früheren Gesetzen zusteht. Schlußvorschriften.

8 55. Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. April 1907 in Kraft Außer Kraft treten alsdann die bisherigen MilitürpensionSgesetze mit Einschluß der Bundesgesetze vom 14. Juni 1868 und 3. März 1870 (Bundes-Gesetzbl. für 1868 S. 335, für 1870 S. 39), des Schutztruppen­ gesetzes vom 7./18. Juli 1896 (Reichs-Gesetzbl. S. 653), soweit diese Gesetze die Versorgung der Hinterbliebenen betreffen; das Gesetz, betreffend die Fürsorge für die Witwen und Waisen von Angehörigen des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine, vom 17. Juni 1887 (Reichs-Gesetzbl- S. 237), soweit es die Personen des Soldatenstandes und ihre Hinterblieben be­ trifft; das Gesetz, betreffend den Erlaß der Witwen- und Waisengeld­ beiträge von Angehörigen der Reichszivilverwaltung, des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine, vom 5. März 1888 (Reichs-Gesetzbl. S. 65). soweit eS die Personen deS Soldatenstandes betrifft; das Gesetz, betreffend die Fürsorge für die Witwen und Waisen der Personen des Soldaten­ standes des Reichsheeres nnd der Kaiserlichen Marine vom Feldwebel ab­ wärts, vom 13. Juni 1895 (Reichs-Gesetzbl. S. 261); ferner das Gesetz wegen anderweiter Bemessung der Witwen- und Waisengelder vom 17. Mai 1897 (Reichs-Gesetzbl. S. 455), soweit es die Hinterbliebenen der Personen des Soldatenstandes betrifft. Die unter der Herrschaft der vorstehend aufgesührten Gesetze erklärten und nicht rechtsgültig widerrufenen Verzichte aus Witwen- und Waisengeld behalten auch mit bezug auf dieses Gesetz ihre Wirksamkeit.

8 56. Die Versorgungsgebührnisse derjenigen Personen, deren Bezüge nach den bestehenden Vorschriften aus den Mitteln des ReichSJnvalidenfonds zu decken sind, werden auS dem Reichs-Jnvalidensonds bestritten. 8 57. Die Bestimmungen dieses Gesetzes kommen in Bayern nach Maßgabe des Bündnisvertrags vom 23. November 1870 zur Anwendung. Dem Königreiche Bayern werd zur Bestreitung der Ausgaben hier­ für, mit Ausnahme der infolge des Krieges von 1870/71 erwachsenen, alljährlich eine Summe überwiesen, die sich nach der Höhe des tatsächlichen Aufwandes im Verhältnisse der Kopfstärke deS Königlich Bayerischen Militärkontingents zu der der übrigen Teile deS Reichsheeres bemißt.

IX. Gruppe.

Uommunalrecht A. Städterecht.

1. LMmdiW für die sechs'' iistlichm Pmiizm der Preußische» Rmrchie. Sem 30. Mei 1853.') (®S. S. 261.)

K 1. Die gegenwärtige Städteordnung soll in den bisher auf dem Provinziallandtage im Stande der Städte vertretenen Städten der Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien, Posen und Sachsen zur An­ wendung kommen, desgleichen in den im Stande der Städte nicht ver­ tretenen Ortschaften dieser Provinzen, in welchen bisher eine der beiden Städteordnungen vom 19. November 1808 und vom 17. März 1831 ge­ golten hat. In Ansehung derjenigen im Stande der Städte auf den Provinzial­ landtagen nicht vertretenen Ortschaften (Flecken), wo bisher weder eine dieser Städteordnungen gegolten, noch die ländliche Gemeindeverfafsung bestanden hat, bleibt die nähere Festsetzung ihrer Gemeindeverhältnisse, mit Berücksichtigung der Vorschriften im Titel VIII der gegenwärtigen Städte­ ordnung, der Bestimmung des Königs nach Anhörung des Provinzialland­ tages Vorbehalten. Wegen der Städte in Neuvorpommern und Rügen ergeht ein be­ sonderes Gesetz. Titel I.

Bo« de« Gr««dlagm der städtische« Verfass««-. G 2. Den städtischen Gemeindebezirk (Stadtbezirk) bilden alle die­ jenigen Grundstücke, welche demselben bisher angehört haben. Grundstücke, welche bisher noch keinem Gemeinde- oder selbständigen Gutsbezirke angehört haben, können nach Vernehmung der Beteiligten und nach Anhörung des Kreistages [unter Genehmigung bei Minister« bei *) Jetzt sieben, ba bie frühere Provinz Preußen in bie Provinzen Ostpreußen unb Westpreußen geteilt ist (Ges. v. 19. März 1877 GS. 107). *) Kommentare: Marcinow«ki-Hoffmann3. Aust. 1890, ©eitel 4. Aufl. 1905, Kappelmann 2. Aufl. 1908, Gerstmeher 1901; v. Brauchitsch, Berwaltungsgesetze Bb. m (15. Aufl.» 1902 S. 9ff., Lebermann 1902, Krueger 2. Aufl. 1905, Zelle 4. Aufl. 1903, Kotze 4. Aufl. 1905. Systematische Werke Schoen. Da« Recht der Kommunalverbände in Preußen 1897, Jeden«, Die Stadt­ verordneten 2. Aufl. 1905.

518

EC Gruppe: kommunalrecht.

A. Städterecht.

Innern) durch Beschluß des Bezirksausschusses') mit dem Stadtbezirk ver­ einigt werden.

Eine Vereinigung eines ländlichen Gemeinde- oder eines selbständigen Gutsbezirks mit einer Stadtgemeinde kann [nut unter Zustimmung der Ver­ tretungen der beteiligten Gemeinden, sowie des beteiligten Gutsbesitzers nach Anhörung des Kreistages mit Genehmigung de» Königs erfolgen) nach Anhörung der be­

teiligten Gemeinden und des Gutsbesitzers, sowie des Kreistages und des Bezirksausschusses mit Königlicher Genehmigung erfolgen, wenn die Be­ teiligten hiermit einverstanden sind. Wenn ein Einverständnis der Be­ teiligten nicht zu erzielen ist, so ist die Zustimmung derselben, sofern das öffentliche Interesse dies erheischt, im Beschlußverfahren durch den Bezirks­ ausschuß nach erfordertem Gutachten des Kreistages zu ersetzen. Gegen den auf Beschwerde ergehenden Beschluß deS ProvinzialratS steht dem Oberpräsidenten, wenn er das öffentliche Jntereffe durch denselben für ge­ fährdet erachtet, nach Maßgabe des § 123 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (GS. S. 195) die weitere Be­ schwerde an das Staatsministerium offen. Der mit Gründen zu versehende Beschluß deS Staatsministeriums ist dem Oberpräsidenten behufs Zustellung an die Beteiligten zuzufertigen?) Die Abtrennung einzelner [Grundstücke) Teile von einem Stadtbezirk und deren Vereinigung mit einem angrenzenden Landgemeinde- oder selbst­ ständigen Gutsbezirk, sowie die Abtrennung einzelner bisher zu einer anderen Landgemeinde oder zu einem selbständigen Gute gehörender Grund stücke und deren Vereinigung mit einem angrenzenden Stadtbezirk kann nach [Anhörung) erfordertem Gutachten deS Kreistages [mit Genehmigung des Mi­ nisters des Innern) durch Beschluß des Bezirksausschusses') vorgenommen werden, wenn außer den Vertretungen der beteiligten Gemeinden und den beteiligten Gutsbesitzern auch die Eigentümer jener Grundstücke darin ein­ willigen, oder wenn beim Widerspruche Beteiligter das öffentliche Jntereffe eS erheischt. [In Ermangelung der Einwilligung aller Beteiligten kann eine Ver­ änderung dieser Art in den Gemeinde- oder Gutsbezirken nur in dem Falle, wenn dieselbe im öffentlichen Interesse als notwendiges Bedürfnis sich ergibt, und alsdann nur mit Genehmigung de« König» nach Vernehmung der Beteiligten und nach An­ hörung des Kreistage« stattfinden.) Gegen den auf Beschwerde ergehenden Be­

schluß deS Provinzialrats steht dem Oberpräsidenten die weitere Beschwerde an das Staatsministerium nach Maßgabe deS dritten Absatzes offen. Ein öffentliches Jntereffe im Sinne des dritten und vierten Absatzes ist nur dann als vorliegend anzusehen, a) wenn Landgemeinden oder Gutsbezirke ihre öffentlich-rechtlichen Ver­ pflichtungen zu erfüllen außerstande sind. Bei Beurteilung dieser Frage sind Zuwendungen, welche Ge­ meinden und Gutsbezirken vom Staate oder größeren Kommunal­ verbänden zustehen, nicht als bestimmend zu erachten; b) wenn die Zersplitterung eines Gutsbezirks oder die Bildung von Kolonien in einem Gutsbezirke die Abtrennung einzelner Teile deL*) Vgl. § 8 Abs. 1 ZustG. 88 51, 121 LVG. *) Vgl. jetzt § 2 Abs. 3, 5-7 LGO.

1. Städteordnung f. d. sechs öftl. Provinzen d. Preuß Monarchie.

§§ 1—3.

519

selben und deren Zuschlagung zu einer oder mehreren Stadtgemeinden notwendig macht; c) wenn infolge örtlich verbundener Lage von Landgeineinden oder von Gutsbezirken oder Teilen derselben mit Stadtgemeinden ein erheblicher Widerstreit der kommunalen Interessen entstanden ist, besten Aus­ gleichung auch durch Bildung von Verbünden im Sinne der §§ 128 ff. der Landgemeindeordnung vom 3. Juli 1891 (GS. S. 233) nicht zu erreichen ist. In fallen vorstehenden Fällen ist der Beschluß de- Kreiitages vor Einholung der höheren Genehmigung den Beteiligten nachrichtlich mitzuteilens den vorstehend bezeichneten, der Königlichen Genehmigung unterliegenden Füllen ist vor deren Erwirkung der Beschluß des Bezirksausschusses oder des Provinzial­ rats, sowie das Gutachten des Kreistages den Beteiligten mitzuteilen. [$ßo und soweit infolge einer derartigen Veränderung eine Aureinanderseßung zwischen den Beteiligten sich als notwendig ergibt, ist solche im Verwaltung-wege zu bewirkens Ueber die infolge derartiger Veränderungen notwendig werdende

Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten beschließt der Bezirksausschuß vorbehaltlich der den Beteiligten gegeneinander zustehenden Klage im Ver­ waltungsstreitverfahren bei dieser Behörde. Bei dieser Auseinandersetzung sind erforderlichenfalls Bestimmungen zlir Ausgleichung der öffentlich-rechtlichen Interessen der Beteiligten zu treffen. Insbesondere können einzelne Beteiligte im Verhültniste zu anderen Beteiligten, welche für gewisse kommunale Zwecke bereits vor der Vereinigung für sich allein Fürsorge getroffen haben, oder solche Beteiligte, welche vor­ wiegend Lasten in die neue Gemeinschaft bringen, zu Vorausleistungen verpflichtet werden. Auch kann, wenn eine (Stadt- oder Land-) Gemeinde oder der Besitzer eines Gutsbezirks durch die Abtrennung von Grundstücken eine Erleichterung in öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen erfährt, der (Stadt­ oder Land-) Gemeinde, welcher, oder dem Gutsbezirke, welchem jene Grund­ stücke einverleibt werden, ferner der neuen Gemeinde oder dem neuen Guts­ bezirke, welche auS letzteren gebildet werden, eine Beihilfe zu den ihnen durch die Bezirksverändernng erwachsenen Ausgaben bis zur Höhe des der anderen (Stadt- oder Land-) Gemeinde oder dem Gutsbesitzer dadurch ent­ stehenden Vorteils zugebilligt werden. Im Falle der Vereinigung von Gemeinden geht das Vermögen derselben aus die neugebildete Gemeinde über, [löirb hierbei eine Ueber« inkunft der Beteiligten vermittelt, so genügt die Ge> nehmigung der Regierung; im Falle des Widerspruchs entscheidet der Minister des Innern.^)

Privatrechtliche Verhältnisse dürfen durch dergleichen Veränderungen niemals gestört werden. Eine jede solche Veränderung ist durch das Regierungs-Amtsblatt bekannt zu machen. Veränderungen, welche bei Gelegenheit einer Gemein­ heitsteilung vorkommen, unterliegen diesen Bestimmungen nicht.

§ 3. Alle Einwohner des Stadtbezirks, mit Ausnahme der servisberechtigten Militärpersonen des aktiven Dienststandes, gehören zur Stadt­ gemeinde. 'i Vgl. § 3 LEO.

520

DL Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

Als Einwohner werden diejenigen betrachtet, welche in dem Stadt­ bezirk nach den Bestimmungen des Gesetzes ihren Wohnsitz haben.

% 4. Alle Einwohner des Stadtbezirks sind zur Mitbenutzung der öffentlichen Gemeindeanstalten der Stadt berechtigt und zur Teilnahme an den städtischen Gemeindelasten nach den Vorschriften [biefes Gesetzes des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 (GS. S. 152) verpflichtet?) Die Bestimmungen besonderer Stiftungen, welche mit dergleichen städtischen Gemeindeanstalten verbunden sind, sowie die hinsichtlich solcher Anstalten auf besondern Titeln beruhenden Privatrechte werden hierdurch nicht berührt?) Wer, ohne in dem Stadtbezirke zu wohnen, daselbst Grundbesitz hat oder cm stehende- Gewerbe betreibt, ist dennoch verpflichtet, an denjenigen Lasten teilzunehmen, welche auf den Grundbesitz oder da- Gewerbe, oder auf da- au- jenen Quellen fließende Einkommen gelegt find. Dieselbe Verpflichtung haben juristische Personen, welche in dem Stadtbezirke Grundeigentum besitzen oder ein stehende- Gewerbe betreiben. Wo städtische Gemeindeabgaben durch Zuschläge zur Klassen- oder klassifizierten Einkommensteuer erhoben werden, müssen alle diejenigen, welche im Stadtbezirk sich auf­ halten, um dort ihren Unterhalt zu erwerben, sobald sie daselbst eine dieser Steuern zu entrichten haben, auch die gedachten Zuschläge zahlen. Wo eine Kommunalsteuer anderer Art eingeführt ist, find dergleichen Personen bei einem Aufenthalt von mehr al- drei Monaten im Stadtbezirk vom Ablauf de- dritten Monat- an zu jener Steuer beizutragen verpflichtet. Zu den auf den Grundbesitz oder auf da- stehende Gewerbe gelegten Lasten find auch die in § 3 erwähnten Militärpersonen verpflichtet, wenn sie im Stadtbezirk mit ®ninbcipcnhnn angesessen find oder ein stehende- Gewerbe treiben. Bon anderen direkten Gemetnde-Abgaben und Lasten find dieselben, mit Ausnahme der Militärärzte rückfichtlich ihre- Einkommen- au- einer ZivilpraxrS, frei; von Verbrauchs­ steuern bleiben nur die Militär-Speiseeinrichtungen und ähnliche Anstalten in dem bisherigen Umfange befreit. Inwieweit zu den Gemeinde-Abgaben und Lasten auch Waldungen herangezogen werden können, ist nach den besonderen Verhältnissen derselben zu den Gemeinden zu bemessen. Der Provinziallandtag hat darüber nähere Bestimmungen zu treffen, welche der Genehmigung de- König- bedürfen. Bi- zum Erlaß solcher Bestimmungen können Waldbefitzer zu den GemeindeAbgaben und Lasten in höherem Maße al- seither nicht herangezogen werden. Die im 8 2 de- Gesetze- vom 24. Februar 1850 (GS. S. 62) bezeichneten er­ trag-unfähigen oder zu einem öffentlichen Dienste oder Gebrauche bestimmten Grundstücke find nach Maßgabe der Kabinett-ordre vom 8. Juni 1834 (GS. S. 87), die Dienst­ grundstücke der Geistlichen, Kirchendiener und Elementarschullehrer aber überhaupt von oen Gemeindeauflagen befreit. Zeitweilige Befreiungen von Gemeindeabgaben und Leistungen für neu bebaute Grundstücke find zulässig. Alle sonstigen, nicht persönlichen Befreiungen können von den Stadtgemeinden ab­ gelöst werden, und hören auf, wenn die Entschädigung festgestellt und gezahlt ist; bis dahin bestehen dieselben in ihrem bisherigen Umfange fort, erstrecken sich jedoch nur auf den gewöhnlichen Zustand, nicht auf außerordentliche Leistungen. Die Befreiung und der Anspruch auf Entschädigung erlöschen, wenn sie in Städten, wo die Gemeindeordnung vom 11. März 1850 bereit- eingeführt ist, nicht binnen Jahresfrist nach deren Einführung bei dem Gemeindevorstand (Magistrat) angemeldet find, und in den anderen Städten nicht binnen Jahresfrist nach Einführung der gegenwärtigen Städteordnung bei demselben angemeldet werden. Die Entschädigung wird zum zwanzigfachen Betrage de- Jahre-werte- der Befreiung nach dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre vor der Verkündigung dieser Städteordnung geleistet. Vgl. 8 96 Abs. 5 KAG. *) Die hiernach in der StO. folgenden Abs. 3—15 find durch das KAG. ersetzt. Vgl. auch ZustG. § 18.

1. StLdteordnung f. d. sechs östl. Provinzen d. Preuß. Monarchie.

§§ 3—5.

521

Steht ein anderer Entschädigungsmaßstab durch speziellen Rechtstitel fest, so hat es hierbei sein Bewenden. Der Einschädigungsbetrag wird durch Schiedsrichter, mit Ausschluß der ordentlichen Rechtsmittel, festgestellt; von diesen wird der eine von dem Besitzer deS bisher befreiten Grundstücks, der andere von der Gemeindevertretung er­ nannt. Der Obmann ist, wenn sich die Schiedsrichter über besten Ernennung nicht ver­ ständigen können, von der Aufsichtsbehörde zu ernennen. Die Geistlichen, Kirchendiener und Elementarschullehrer bleiben von den direkten persönlichen Gemeindeabgaben hinsichtlich ihres Diensteinkommens insoweit befreit, als ihnen diese Befreiung zur Zeit der Verkündigung der Gemeindeordnung vom 11. März 1850 zustand. Geistliche und Schullehrer bleiben von allen persönlichen Gemeinde­ diensten, soweit dieselben nicht auf ihnen gehörigen Grundstücken lasten, befreit; Kirchen­ diener insoweit, als ihnen diese Befreiung zur Zeit der Verkündigung der Gemeinde­ ordnung vom 11. März 1850 zustand. Alle übrigen persönlichen Befreiungen find ohne Entschädigung aufgehoben. Wegen der Besteuerung deS Diensteinkommens der Beamten find die Vorschriften des Gesetzes vom 11. Juli 1822 (GS. S. 184) und der Kabinettsordre vom 14. Mai 1832 (GS. S. 145) anzuwenden. Durch die in diesen Gesetzen bestimmten Geldbeiträge find die Beamten zugleich von persönlichen Diensten frei. Sind fie jedoch Besitzer von Grundstücken, oder be­ treiben sie ein stehendes Gewerbe so müssen fie die mit diesem Grundbesitz resp. Ge­ werbe verbundenen persönlichen Dienste entweder selbst, oder für den Fall der Ver­ hinderung durch Stellvertreter seiften.]1)

5 5. Das Bürgerrecht besteht in dem Rechte zur Teilnahme an den Wahlen, sowie in der Befähigung zur Uebernahme unbesoldeter Aemter in der Gemeindeverwaltung und zur Gemeindevertretung. Jeder selbständige Preuße erwirbt dasselbe, wenn er seit einem Jahre 1. Einwohner deS Stadtbezirks ist und zur Stadtgemeinde gehört (§ 3), 2. keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfangen, 3. die ihn betreffenden Gemeindeabgaben bezahlt hat und außerdem 4. entweder: a) ein Wohnhaus im Stadtbezirk besitzt (§ 16), oder b) ein stehendes Gewerbe selbständig als Haupterwerbsquelle und in Städten von mehr als 10000 Einwohnern mit wenigstens zwei Gehilfen selbständig betreibt, oder c) zur [ttajfifeierten] Einkommensteuer (veranlagt ist.) oder d) [an Klassensteuer einen Jahresbetrag von mindestens vier Talern entrichtet. In den mahl« und schlachtsteuerpflichtigen Städten find statt besten die Ein­ wohner von dem Magistrat nach den Grundsätzen der Klastensteuerveranlagung

einjuschätzen.) zu einem fingierten Normalsteuersatze von vier Mark ver­ anlagt ist oder ein Einkommen von mehr als 660 Mark bis 900 Mark bezieht; [er können jedoch auch die Stadtbehörden beschließen, an die Stelle de« Klassensteuersatzei von mindesten- vier treten zu lasten, welcher beträgt: in Städten von weniger al« 10000 in Städten von 10000 bis 50000 in Städten von mehr al- 50000

Talern

ein

jährliche- Einkommen

Einwohnern 200 Rtlr., Einwohnern 250 Rtlr., Einwohnern 300 Rtlr.)

Steuerzahlungen, Einkommen, Haus- und Grundbesitz der Ehefrau werden dem Ehemann, Steuerzahlungen, Einkommen, Haus- und Grund­ besitz der minderjährigen, beziehungsweise der in elterlicher [väterlicher) Gewalt deS BaterS*) befindlichen Kinder dem Bater angerechnet. 1 > Bgl. Zuständigkeit-gesetz § 18. -) § 1626 BGB. u. AG. v. 20 Sept. 1899 (GS. S. 177) Art 69 § 4.

522

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Stäbterecht.

In den Füllen wo ein Haus durch Vererbung auf einen anderen übergeht, kommt dem Erben bei Berechnung der Dauer des einjährigen Wohnsitzes die Besitzzeit des Erblassers zugute. Als selbständig wird nach vollendetem vierundzwanzigsten Lebensjahre ein jeder betrachtet, der einen eigenen Hausstand hat, sofern ihm nicht das Dersügungsrecht über sein Vermögen oder dessen Verwaltung durch [richterliches Erkenntnis richterlichen Beschluß entzogen ist. Inwiefern über die Erlangung des Bürgerrechts von dem Magistrat eine Urkunde (Bürgerbrief) zu erteilen ist, bleibt den statutarischen Anord­ nungen vorbehalten. § 6. Verlegt ein Bürger seinen Wohnsitz nach einer anderen Stadt, so kann ihm das Bürgerrecht in seinem neuen Wohnort, wenn sonst die Erfordernisse zur Erlangung desselben vorhanden sind, von dem Magistrate im Einverständnisse mit der Stadtverordneten-Versammlung (§ 12) schon vor Ablauf eines Jahres verliehen werden. Diese Bestimmungen finden auch auf den Fall Anwendung, wenn der Besitzer eines, einen besonderen Gutsbezirk bildenden Gutes oder ein stimmberechtigter Einwohner einer Landgemeinde seinen Wohnsitz nach einer Stadt verlegt. Der Magistrat ist, im Einverständnis mit der StadtverordnetenVersammlung, befugt, Männer, welche sich um die Stadt verdient gemacht haben, ohne Rücksicht aus die oben gedachten besonderen Ersordernisse, das Ehrenbürgerrecht zu erteilen, wodurch keine städtischen Verpflichtungen entstehen. § 7. Wer infolge rechtskräftigen Erkenntnisses der bürgerlichen Ehre verlustig geworden ([§ 12 bet Strafgesetzbuches)) (§§ 32 bis 35 des Reichsstrafgesetzbuches), verliert dadurch für die im Urteil bestimmte Zeit auch das Bürgerrecht und die Befähigung, dasselbe zu erwerben?) [$ßem durch rechtskräftiges Erkenntnis die Ausübung der bürgerlichen Ehrei^ rechte untersagt ist (§ 21 deS Strafgesetzbuches), der ist während der dafür in dem Erkenntnisse festgesetzten Zeit von der Ausübung des Bürgerrechts ausgeschlossen.)

Ist gegen

einen Bürger wegen eines Verbrechens [bie Versetzung ui oder wegen eines Vergehens, welches [bie Untersagung der Ausübung) die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte nach sich ziehen [mu6 ober) kann, [bie Verweisung an bar Strafgericht ausgesprochen) das Hauptversahren eröffnet oder [ist betreibe zur gerichtlichen Haft gebracht) die Unter­ suchungshaft verfügt, so ruht die Ausübung des ihm zustehenden Bürger­ rechts so lange, bis die gerichtliche Untersuchung beendigt ist. DaS Bürgerrecht geht verloren, sobald eines der zur Erlangung des­ selben vorgeschriebenen Erfordernisse bei dem bis dahin dazu Berechtigten nicht mehr zutrifft. Verfällt ein Bürger in Konkurs, so [verliert er baburch bar) ruht sein Bürgerrecht bis zur Beendigung des Verfahrens; [bie Befähigung, dasselbe ben Anklagestand.)

roiebet zu erlangen, kann ihm, wenn er bie Befriedigung seiner Gläubiger nachweist von ben Stabtbehörben verliehen werben.)

l) Abs. 2 gilt nicht mehr.

1. Slädteordnung f. d. sechs östl. Provinzen d. Preuß. Monarchie.

§§ 5—12.

523

K 8. Wer in einer Stadt seit einem Jahre mehr als einer der drei höchstbesteuerten Einwohner sowohl an direkten Staats-, als an Ge­ meindeabgaben entrichtet, ist, auch ohne im Stadtbezirk zu wohnen, oder sich daselbst aufzuhalten, berechtigt, an den Wahlen teilzunehmen, falls bei ihm die übrigen Erfordernisse dazu vorhanden sind. Dasselbe Recht haben juristische Personen, wenn sie in einem solchen Maße in der Gemeinde besteuert sind?) § 9. Die Stadtgemeinden sind Korporationen; denselben steht die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten nach näherer Vorschrift dieses Ge­ setzes zu.

K 10. In den Städten wird ein Magistrat (kollegialischer Ge­ meindevorstand) und eine Stadtverordneten-Bersammlung gebildet, welche nach näherer Vorschrist dieses Gesetzes dieselben vertreten. Der Magistrat ist die Obrigkeit der Stadt und verwaltet die städtischen Gemeindeangelegenheiten. Die Ausnahmen bestimmt Titel VIII.

§ 11. Jede Stadt ist befugt, besondere statutarische Anordnungen zu treffen 1. über solche Angelegenheiten der Stadtgemeinde, sowie über solche Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder, hinsichtlich deren das gegenwärtige Gesetz Verschiedenheiten gestattet, oder keine ausdrücklichen Bestimmungen enthält; 2. über sonstige eigentümliche Verhältnisse und Einrichtungen, insbeson­ dere hinsichtlich der den gewerblichen Genoflenschaften bei Einteilung der stimmfähigen Bürger und bei Bildung der Wahlversammlungen und der städtischen Vertretung zu gewährenden angemesienen Berück­ sichtigung. Dergleichen Anordnungen bedürfen der Bestätigung [her Regierung) des Bezirksausschusses?) Titel II.

Bon der Zusammensetzung und Wahl der StadtverordnetenVersammlung. § 12 Die Stadtverordneten-Dersammlung besteht aus zwölf Mit­ gliedern in Stadtgemeinden von weniger als 2500 Einwohnern, 5000 Einwohner, aus 18 in Gemeinden von 2500 bis „ 21 5001 „ 10000 30 10001 „ 20000 „ 36 20001 „ 30000 „ 42 30001 „ 50000 „ 48 50001 „ 70000 ff ff „ 54 70001 „ 90000 „ 60 90001 „ 120000 *) Vgl. § 5 deS Ges. wegen Aufhebung direkter Staatssteuern v. 14. Juli 1893 (GS. S. 119). ’) § 16 Abs. 3 ZustG.

524

IX. Grupp«: Kommunalrecht.

A. Stidterecht.

In Gemeinden von mehr als 120000 Einwohnern treten für jede weiteren 50000 Einwohner sechs Stadtverordnete hinzu. Wo die Zahl der Stadtverordneten bisher eine andere gewesen ist, verbleibt es bei dieser Zahl, bis durch statutarische Anordnung, welcher überhaupt abweichende Festsetzungen über die Zahl der Stadtverordneten Vorbehalten werden, eine Aenderung getroffen ist.

§ 13?) Zum Zwecke der Wahl der Stadtverordneten werden die stimmfähigen Bürger (§§ 5 bis 8) nach Maßgabe der von ihnen zu ent­ richtenden direkten [Steuern (Gemeinde-, Kreis-, Bezirks*, Provinzial- und Staats­ abgaben in drei Abteilungen geteilt. In den Städten, wo die Mahl- und Schlachtsteuer besteht, werden diejenigen stimmfähigen Bürger, welche zur Staatseinkommensteuer nicht herangezogen werden, von dem Magistrat nach den Grundsätzen der Klassensteuerveran­ lagung eingeschätzt und der Betrag, welcher danach als Klassensteuer zu zahlen sein würde, bei den vorstehend gedachten Steuern mitberechnet. Doch können auch die Stadt­ behörden in den gedachten Städten beschließen, die Bildung der drei Abteilungen nach Maßgabe des Einkommens der stimmfähigen Bürger zu bewirken. Die erste Abteilung besteht aus denjenigen, auf welche die höchsten Beträge bis zum Belauf eines Drittels deS Gesamtbetrages der Steuer aller stimmfähigen Bürger fallen, oder welche das höchste Einkommen bis zum Belauf eines Drittels des Gesamt­ einkommens aller stimmfähigen Bürger besitzen. Die übrigen stimmfähigen Bürger bil­ den die zweite und dritte Abteilung; die zweite reicht bis zum zweiten Drittel der Gesamtsteuer, beziehungsweise deS Gesamteinkommen- aller stimmfähigen Bürger.)

Staat-, Gemeinde-, Kreis- und Provinzialsteuern in drei Abteilungen geteilt, und zwar in der Art, daß auf jede Abteilung ein Dritteil der Gesamtsumme der Steuerbeträge aller Wähler fällt. Für jede nicht zur Staatseinkommensteuer veranlagte Person ist an Stelle dieser Steuer ein Betrag von drei Mark zum Ansätze zu bringen. Wo direkte Gemeindesteuem nicht erhoben werden, tritt an deren Stelle die vom Staate verlangte Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer. Personen, welche vom Staate zu einer Steuer nicht veranlagt sind, wählen stets in der dritten Abteilung. Verringert sich insolgedessen die auf die erste und zweite Abteilung entfallende Gesamtsteuersumme, so findet die Bildung dieser Abteilungen in der Art statt, daß von der verbleibenden Summe auf die erste und zweite Abteilung je die Hälfte entfällt. In die erste beziehungsweise zweite Abteilung gehört auch derjenige, besten Steuerbetrag [ober Einkommens nur teilweise in das erste beziehungs­ weise zweite Dritteil füllt. Steuern, die für Grundbesitz oder Gewerbebetrieb in einer anderen Gemeinde entrichtet werden, sowie die Steuern für die im Umherziehen betriebenen Gewerbe sind bei der Bildung der Abteilungen nicht anzurechnen. Kein Wähler kann zweien Abteilungen zugleich angehören. Läßt sich weder nach dem Steuerbetrage [ober Einkommens, noch nach der alphabetischen Ordnung der Namen bestimmen, welcher unter mehreren Wählern zu einer bestimmten Abteilung zu rechnen ist, so entscheidet da« Los. •) Die jetzt gültige hier allein wiebergegebene Fassung des Paragraphen ergibt fich auS dem Ges. betr. die Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen v. 30. Juni 1900 (GS. S. 185) § 1 vgl. unten Gruppe IX, a, Nr. 9.

1. StLbteorbnung f. b.

sechs östl. Provinzen b. Preuß Monarchie. §§ 12—18.

525

Jede Abteilung wählt ein Drittel der Stadtverordneten, ohne dabei an die Wähler der Abteilung gebunden zu sein.

§ 14, Gehören zu einer Abteilung mehr als fünfhundert Wähler, so kann die Wahl derselben nach dazu gebildeten Wahlbezirken geschehen. Enthält eine Stadtgemeinde mehrere Ortschaften, so kann dieselbe mit Rücksicht hierauf in Wahlbezirke eingeteilt werden. Die Anzahl und die Grenzen der Wahlbezirke, sowie die Anzahl der von einem jeden derselben zu wählenden Stadtverordneten, werden nach Maßgabe der Zahl der stimmfähigen Bürger von dem Magistrat festgesetzt'). Ist eine Aenderung der Anzahl oder der Grenzen der Wahl­ bezirke oder der Anzahl der von einem jeden derselben zu wählenden Stadt­ verordneten wegen einer in der Zahl der stimmfähigen Bürger eingetretenen Aenderung oder aus sonstigen Gründen erforderlich geworden, so hat der Magistrat die entsprechende anderweitige Festsetzung zu treffen, auch wegen des Ueberganges au8 dem alten in das neue Verhältnis das Geeignete anzuordnen. Der Beschluß des Magistrats bedarf der Bestätigung von Aussichts wegen. § 15. Bei Stadtgemeinden, welche mehrere Ortschaften enthalten, kann [tie Regierung) der Bezirksausschuß nach Verhältnis der Einwohner­ zahl bestimmen, wie viel Mitglieder der Stadtverordneten-Versammlung aus jeder einzelnen Ortschaft zu wählen sind.

K 16. Die Hälfte der von jeder Abteilung zu wählenden Stadt­ verordneten muß aus Hausbesitzern (Eigentümern, Nießbrauchern und solchen, die ein erbliches Besitzrecht haben) bestehen. § 17. Stadtverordnete können nicht sein: 1. diejenigen Beamten und die Mitglieder derjenigen Behörden, durch welche die Aussicht des Staats über die Städte ausgeübt wird (§ 76);

2.

die Mitglieder des Magistrats und alle besoldeten Gemeindebeamten; die Ausnahmen bestimmen §§ 72 und 73; 3. Geistliche, Kirchendiener und Elementarlehrer; i. die richterlichen Beamten, zu denen jedoch die technischen Mitglieder der Handels-, Gewerbe- und ähnlicher Gerichte nicht zu zählen sind; 5. Die Beamten der Staatsanwaltschaft; 6. die Polizeibcamten. Vater und Sohn, sowie Brüder dürfen nicht zugleich Mitglieder der Stadtverordneten-Versammlung sein. Sind dergleichen Verwandte zugleich erwählt, so wird der ältere allein zugelassen.

§ 18. Die Stadtverordneten werden auf sechs Jahre gewählt. Jedoch verliert die Wahl ihre Wirkung, sobald einer der Fälle eintritt, in denen nach den Bestimmungen im 8 7 der Gewählte des Bürgerrechts verlustig geht oder von der Ausübung desselben für eine gewisse Zeit aus­ geschlossen wird. Tritt einer der Fälle ein, in denen nach jenen Bestim­ mungen die Ausübung des Bürgerrechtes ruhen muß, so ist der Gewählte *) Vgl. zu Abs. 2 unb 3 ben § 6 be» in der Sinnt, zu § 13 erwähnten Gesetze-.

526

IX. Gruppe: Aommvnaltecht.

A. Stidterecht.

zugleich von der Teilnahme an den Geschäften der StadtverordnetenBersammlung einstweilen bis zum Austrage der Sache ausgeschlossen. Alle zwei Jahre scheidet ein Drittel der Mitglieder auS und wird durch neue Wahlen ersetzt. Die das erste und zweite Mal Ausscheidenden werden sür jede Abteilung durch daS LoS bestimmt').

§ 19. Eine Liste der stimmfähigen Bürger, welche die erforderlichen Eigenschaften derselben nachweist, wird von dem Magistrat geführt und alljährlich im Juli berichtigt. Die Liste wird nach den Wahlabteilungen und im Falle des § 14 nach den Wahlbezirken eingeteilt. § 201). Vom 1. bis 15. Juli schreitet der Magistrat zur Be­ richtigung der Liste. Vom 15. bis 30. Juli wird die Liste in einem oder mehreren zu öffentlicher Kenntnis gebrachten Lokalen in der Stadtgemeinde offengclegt. Während [biefer Seit] der Dauer der Auslegung der Wählerliste kann jedes Mitglied der Stadtgemeinde gegen die Richtigkeit der Liste bei dem Magistrat [Einwenbungen] Einspruch erheben. Die Stadtverordneten-Versammlung hat darüber bis zum 15. August zu beschließen; [bet Beschluß bebatf bet Zustimmung des Magistrats; versag! biefer Sie Zustimmung, so ist nach Vorschrift des § 36 zu verfahren. Ist in diesem Falle über tue Einwenbungen von bet Regierung entschieben, jo finbet eine Berufung an letztere von feiten beijenigen, welcher die Einwendungen erhoben hat, nicht weiter statt; in allen anbereit Fällen steht demselben innerhalb zehn Tagen nach Mitteilung bei Beschlusses der Stadtverordneten der Rekurs an die Regierung zu, welche binnen vier Wochen ohne Zulassung einer weiteren Berufung entscheidet.]

Der Beschluß bedarf keiner Genehmigung oder Bestätigung von feiten des Gemeindevorstandes oder der Aufsichtsbehörde. Gegen den Beschluß findet die Klage im VerwaltungSstreitversahren statt. Die Klage steht auch dem Gemeindevorstande zu. Die Klage hat keine ausschiebende Wirkung. Zuständig in erster Instanz im VerwaltungSstreitversahren ist der Bezirksausschuß. Die Gemeindevertretung beziehungsweise der Gemeinde­ vorstand können zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verwaltungsstreit­ verfahren einen besonderen Vertreter bestellen. Soll der Name eines einmal in die Liste aufgenommenen Einwohners wieder ausgestrichen werden, so ist ihm dieses acht Tage vorher von dem Magistrate unter Angabe der Gründe mitzuteilen.

§ 21. Die Wahlen zur regelmäßigen Ergänzung der Stadt­ verordneten-Versammlung finden alle zwei Jahre im November statt. Bei dem zunächst vorhergehenden wöchentlichen Hauptgottesdienst ist aus die Wichtigkeit dieser Handlung hinzuweisen. Die Wahlen der dritten Abtei­ lung erfolgen zuerst, die der ersten zuletzt. Außergewöhnliche Wahlen zum Ersätze innerhalb der Wahlperiode ausgeschiedener Mitglieder müssen angeordnet werden, wenn die Stadt­ verordneten-Versammlung oder der Magistrat oder [die Regierung] der ') § 10 Abs. 1 Nr. 1 unb Abs. 2, §§ 11, 21 Zust.G. und Stier-Som lo. Der verwaltungsrechtliche Schutz deS Bürger- und Einwohnerrechts, Berlin 1904.

1. StSdteordnung f. d. sechs östl. Provinzen d Pnuß. Monarchie. §§ 18—25.

527

Bezirksausschuß durch Beschluß^) eS für erforderlich erachten. Der Ersatz­ mann bleibt nur bis zum Ende derjenigen sechs Jahre in Tätigkeit, auf welche der AuSgeschiedene gewählt war. Alle ErgänzungS- und Ersatzwahlen werden — unbeschadet der Bor­ schrist im zweiten Absätze des § 14 — von denselben Abteilungen und Wahlbezirken vorgenommen, von denen der Ausgeschiedene gewählt war. Ist die Zahl der zu wählenden Stadtverordneten nicht durch drei tellbar, so ist, wenn nur einer übrig bleibt, dieser von der zweiten Abteilung zu wählen. Bleiben zwei übrig, so wühlt die erste Abteilung den einen und die dritte Abteilung den andern. Die in den §§ 19—21 bestimmten Termine können durch statuta­ rische Anordnungen abgeündert werden.

K 22. Der Magistrat hat jederzeit die nötige Bestimmung zur Ergänzung der erforderlichen Anzahl von Hausbesitzern (§ 16) zu treffen. Ist die Zahl der Hausbesitzer, welche zu wählen sind, nicht durch die Zahl der Wahlbezirke teilbar, so wird die Verteilung auf die einzelnen Wahlbezirke durch das Los bestimmt. Mit dieser Beschränkung können die ausscheidenden Stadtverordneten jederzeit wieder gewählt werden. § 23. Vierzehn Tage vor der Wahl werden die in der Liste (§§ 19 und 20) verzeichneten Wähler durch den Magistrat zu den Wahlen mittelst schriftlicher Einladung oder ortsüblicher Bekanntmachung berufen. Die Einladung oder Bekanntmachung muß das Lokal, die Tage und die Stunden, in welchen die Stimmen bei dem Wahlvorstande abzugeben sind, genau bestimmen. § 24*). Der Wahlvorstand besteht in liebem Wahlbezirk) den ein­ zelnen Wahl-, Abstiinmungsbezirken oder Gruppen aus dem Bürgermeister [ober einem von diesem ernannten Stellvertreter als Vorsitzenden) und aus zwei von der Stadtverordneten-Bersammlung gewählten Beisitzern; für den Vor­ sitzenden werden von dem Bürgermeister und für [jeben] die Beisitzer [wirb] von der Stadtverordneten-Dersammlung [ein Stellvertreter gewählt) je ein oder mehrere Vertreter auS der Zahl der stimmfähigen Bürger bestellt.

$ 25. Jeder Wähler muß dem Wahlvorstande mündlich und laut zu Protokoll erklären, wem er seine Stimme geben will. Er hat so viele Personen zu bezeichnen, als zu wählen sind. Werden die Ersatzwahlen mit den Ergänzungswahlen in ein und demselben Wahlakte verbunden, so hat jeder Wähler getrennt zunächst so viele Personen zu bezeichnen, als zur regelmäßigen Ergänzung der Stadtverordneten-Bersammlung, und so­ dann so viele Personen, als zum Ersätze der innerhalb der Wahlperiode allSgeschiedenen Mitglieder zu wählen sind*). Nur die in § 8 erwähnten juristischen oder außerhalb des Stadt­ bezirks wohnenden, höchstbesteuerten Personen können ihr Stimmrecht durch ') Vgl. § 12 Nr. 2 ZustG., § 43 LVG. 2) Die Abänderungen ergeben sich aus § 6 Abs. 2 deS zu tz 13 oben zitierten Gesetzes. 3i Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes vom 1. März 1891 (GS. S. 20).

528

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. StSdierecht.

Bevollmächtigte ausüben. Die Bevollmächtigten müssen selbst stimmfähige Bürger sein. Ist die Vollmacht nicht in beglaubigter Form ausgestellt, so entscheidet über die Anerkennung derselben der Wahlvorstand endgültig.

$ 26. Gewählt sind diejenigen, welche bei der ersten Abstimmung die meisten Stimmen und zugleich absolute Stimmenmehrheit (mehr als die Hälfte der Stimmen) erhalten haben. Wenn sich bei der ersten Abstimmung nicht für so viel Personen, als zu wählen sind, die absolute Stimmenmehrheit ergeben hat, wird zu einer zweiten Wahl geschritten. Der Wahlvorstand stellt die Namen derjenigen Personen, welche nächst den gewählten die meisten Stimmen erhalten haben, so weit zu­ sammen, daß die doppelte Zahl der noch zu wählenden Mitglieder erreicht wird. Diese Zusamenstellung gilt alsdann als die Liste der Wählbaren. Zu der zweiten Wahl werden die Wähler durch eine, das Ergebnis der ersten Wahl angebende Bekanntmachung des Wahlvorstandes sofort oder spätestens innerhalb 8 Tagen aufgefordert. Bei der zweiten Wahl ist die absolute Stimmenmehrheit nicht erforderlich. Unter denjenigen, die eine gleiche Anzahl von Stimmen erhalten, gibt das Los den Ausschlag. Wer in mehreren Abteilungen oder Wahlbezirken gewählt ist, hat zu erklären, welche Wahl er annehmen will. K 271). Die Wahlprotokolle sind vom Wahlvorstande zu unter­ zeichnen und vom Magistrate aufzubewahren. Der Magistrat hat das Ergebnis der vollendeten Wahlen sofort bekannt zu machen. Gegen [bai stattgehabte Wahlverfahrens die Gültigkeit der Wahlen kann von jedem stimmfähigen Bürger innerhalb [zehn Tagen nach der Bekannt­ machung bei der Regierung Beschwerde erhoben werdens zwei Wochen nach Bekannt­ machung des Wahlergebnisses bei dem Gemeindevorstande Einspruch er­ hoben werden. Bei erheblichen Unregelmäßigkeiten (hat die Regierung) sind die Wahlen [auf erfolgte Beschwerde oder von Amt- wegen innerhalb zwanzig Tagen nach der Be lanntmachung durch eine motivierte Entscheidung) für ungültig ZU erklären.

Für einen Ungültigkeitsgrund ist es nicht zu erachten, wenn die der betreffenden geistlichen Behörde anheimzugebende Hinweisung auf die Wichtig­ keit der Wahl (§ 21) unterblieben ist. Die Stadtverordneten beschließen über die Gültigkeit der Wahlen zur Gemeindevertretung. Einsprüche gegen die Gültigkeit dieser Wahlen sind innerhalb zwei Wochen nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses bei dem Magistrate zu erheben. Gegen den Beschluß der Stadtverordneten findet binnen zwei Wochen die Klage bei dem Bezirksausschüsse statt. Die Klage steht auch dem Magistrat zu. Sie ist direkt bei dein Bezirksausschuffe anzubringen. Die Klage hat keine ausschiebende Wirkung; jedoch dürfen Ersatz­ wahlen vor ergangener rechtskräftiger Entscheidung nicht vorgenommen *) Wegen der Abänderungen vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. § 21 ZustG., § 63 LVG.

2, §

11

1. Tlädteordnung f. d. sechs östl. Provinzen d. Preug. Monarchie.

§§ 25—30.

529

werben. Der Magistrat sowohl, wie die Stadtverordneten können zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verwaltungsstreitversahren einen besonderen Lertreter bestellen.

K 28. Die bei der regelmäßigen Ergänzung neugewählten Stadt­ verordneten treten mit dem Anfang des nächstfolgenden Jahres ihre Ver­ richtungen an; die Ausscheidenden bleiben bis zur Einführung der neu­ gewählten Mitglieder in Tätigkeit. Ter Magistrat hat die Einsührung der Gewählten und deren Ver­ pflichtung durch Handschlag an Eidesstatt anzuordnen. Titel III.

Bon der Zusammensetzung und Wahl des Magistrats. K 29. Der Magistrat besteht aus dem Bürgermeister, einem Bei­ geordneten oder zweiten Bürgermeister als dessen Stellvertreter, einer An­ zahl von Schössen (Stadtrüten, Ratsherrn, Ratsmännern) und, wo das Bedürfnis es erfordert, noch aus einem oder mehreren besoldeten Mit­ gliedern (Syndikus, Kämmerer, Schulrat, Baurat rc.). Es gehören zum Magistrat in Stadtgemeinden von weniger als 2 500 Einwohnern 2 Schöffen, 2 500 bis 10000 4 „ lOOül „ 30 000 6 8 30 001 „ 60000 60001 „ 100 000 10 Bei mehr als 100 000 Einwohnern treten für jede weiteren 50 000 Ein­ wohner zwei Schöffen hinzu. Wo die Zahl der Mitglieder des Magistrats bisher eine andere ge­ wesen ist, verbleibt es bei dieser Zahl, bis durch statutarische Anordnung, welcher überhaupt abweichende Festsetzungen über die Zahl dec Magistrats­ mitglieder vorbehalten werden, eine Aenderung getroffen ist.

§ 30. Mitglieder des Magistrats können nicht sein: 1. diejenigen Beamten und die Mitglieder derjenigen Behörden, durch welche die Aussicht des Staats über die Städte ausgeübt wird (§ 76); 2. die Stadtverordneten, ingleichen Gemeindeunterbeainte und in Städten über 10000 Seelen die Gemeindecinnehmer (§ 56 Nr. 6); 3. Geistliche, Kirchendiener und Lehrer an öffentlichen Schulen; 4. die richterlichen Beamten, zu denen jedoch die technischen Mitglieder der Handels-, Gewerbe- und ähnlicher Gerichte nicht zu zählen find; 5. die Beamten der Staatsanwaltschaft; 6. die Polizeibeamten. Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwiegersohn, Brüder und Schwäger dürfen nicht zugleich Mitglieder des Magistrats sein. Entsteht die Schwägerschaft im Laufe der Wahlperiode, so scheidet dasjenige Mitglied aus, durch welches das Hindernis herbeigeführt worden ist. Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwiegersohn, sowie Brüder dürfen nicht zugleich Mitglieder des Magistrats und der StadtverordnetenVersammlung sein. 2 ic r - S v in l o, LerwnlrunF^escys für Preussen.

34

530

IX. Gruppe: Kornnunalrecht.

A. StLdterech!.

Personen, welche die in dem Gesetze vom 7. Februar 1835 (GS. S. 18) bezeichneten Gewerbe betreiben, können nicht Bürgermeistcr sein.

§ 31. Der Beigeordnete und die Schössen (§ 29) werden aus sechs Jahre, der Bürgermeister und die übrigen besoldeten Magistratsmitglicder dagegen auf zwölf Jahre von der Stadtverordneten-Versammlung gewählt. Auch können Beigeordnete mit Besoldung angestellt werden, und erfolgt in diesem Falle deren Wahl gleichfalls auf zwölf Jahre. Alle drei Jahre scheidet die Hülste der Schöffen aus und wird durch neue Wahlen ersetzt. Die das erste Mal Ausscheidenden werden durch das Los bestimmt. Die Ausscheidenden können wieder gewählt werden. Wegen der außergewöhnlichen Ersatzwahlen kommt die Bestimmung des § 21 zur Anwendung.

§ 32. Für jedes zu wählende Mitglied des Magistrats wird be­ sonders abgestimmt. Die Wahl erfolgt durch Stimmzettel. Wird die absolute Stimmenmehrheit bei der ersten Abstiinmung nicht erreicht, so werden diejenigen vier Personen, auf welche die meisten Stimmen gefallen sind, auf eine engere Wahl gebracht. Wird auch hierdurch die absolute Stimmenmehrheit nicht erreicht, so findet unter denjenigen zwei Personen, welche bei der zweiten Abstimmung die meisten Stimmen erhalten haben, eine engere Wahl statt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. § 33.') Die gewählten Bürgermeister, Beigeordneten, Schöffen und besoldeten Magiftratsmitglieder bedürfen der Bestätigung. Tie Be­ stätigung steht zu: 1. dem Könige hinsichtlich der Bürgermeister und Beigeordneten in Städten von mehr als 10000 Einwohnern; 2. [ber Regierung) dem Regierungspräsidenten hinsichtlich der Bürgermeister und Beigeordneten in Städten, welche nicht über 10000 Einwohner haben, sowie hinsichtlich der Schöffen und der besoldeten Magistrats­ mitglieder in allen Städten ohne Unterschied ihrer Größe. Die Bestätigung kann von dem Regierungspräsidenten nur unter Zustimmung des Bezirksausschusses versagt werden. Lehnt der Bezirks­ ausschuß die Zustimmung ab, so kann dieselbe auf den Antrag des Re­ gierungspräsidenten durch den Minister des Innern ergänzt werden. Wird die Bestätigung von dem Regierungspräsidenten unter Zu­ stimmung des Bezirksausschusses versagt, so kann dieselbe auf Antrag des Gemeindevorstandes oder der Gemeindevertretung von dem Minister des Innern erteilt werden. Wird die Bestätigung versagt, so schreitet die StadtverordnetenVersammlung zu einer neuen Wahl. Wird auch diese Wahl nicht be­ stätigt, so ist [bie Regierung) der Regierungspräsident berechtigt, die Stelle einstweilen auf Kosten der Sadt kommissarisch verwalten zu lassen. Dasselbe findet statt, wenn die Stadtverordneten die Wahl ver­ weigern oder den nach der ersten Wahl nicht Bestätigten wieder erwählen sollten. ■) Vgl. § 13 Abs. 1-3 ZustG.

]. Stäbleorbnung f. b. sechs östl. Provinzen b. Preuß. Monarchie.

§§ 30—37.

531

Die kommissarische Verwaltung dauert so lange, bis die Wahl der Stadtverordneten-Versammlung, deren wiederholte Vornahme ihr jederzeit zusteht, die Bestätigung des Königs beziehungsweise [bet Regierung) des Re­ gierungspräsidenten erlangt hat.

§ 34. Die Mitglieder des Magistrats werden vor ihrem Amts­ antritt durch den Bürgermeister in öffentlicher Sitzung der Stadtverordnetcn-Versammlung in Eid und Pflicht genommen; der Bürgermeister wird vom Regierungspräsidenten oder einem von diesem zu ernennenden Kommissar in öffentlicher Sitzung der Stadtverordneten-Versammlung vereidet. Magistratsmitgliedern, welche ihr Amt mindestens neun Jahre mit Ehren bekleidet haben, kann in Uebereinstimmung mit der StadtverordnetenVersammlung von dem Magistrat das Prädikat „Stadtältester" verliehen werden. Titel IV.

Von den Versammlungen und Geschäfte« der Stadt­ verordnete«. § 35. Die Stadtverordneten-Versammlung hat über alle Gemeinde­ angelegenheiten zu beschließen, soweit dieselben nicht ausschließlich dem Magistrate überwiesen sind. Sie gibt ihr Gutachten über alle Gegenstände ab, welche ihr zu diesem Zwecke durch die Aufsichtsbehörden vorgelegt werden. Ueber andere als Gemeindeangelegenheiten dürfen die Stadt­ verordneten nur dann beraten, wenn solche durch besondere Gesetze oder in einzelnen Fällen durch Aufträge der Aufsichtsbehörde an sie gewiesen sind. Die Stadtverordneten sind an keinerlei Instruktion oder Aufträge der Wähler oder der Wahlbezirke gebunden.

§ 36. Die Beschlüsse der Stadtverordneten bedürfen, wenn sie solche Angelegenheiten betreffen, welche durch das Gesetz dem Magistrate zur Ausführung überwiesen sind, der Zustimmung des letzteren. Versagt dieser die Zustimmung, so hat er die Gründe dieser Versagung der Stadtverordneten-Versammlung mitzuteilen. Erfolgt hierauf keine Verständigung, zu deren Herbeiführung sowohl von dem Magistrate als den Stadtver­ ordneten die Einsetzung einer gemeinschaftlichen Kommission verlangt werden kann, so [ist bie Entscheibung bet Regierung einzuholen) beschließt der Bezirks­ ausschuß über die hervorgetretene Meinungsverschiedenheit, wenn von einem Teile auf Entscheidung angetragen wird und zugleich die Angelegenheit nicht auf sich beruhen bleiben kann. Die Stadtverordneten-Versammlung darf ihre Beschlüsse in keinem Falle selbst zur Ausführung bringen?) § 37. Die Stadtverordneten-Versammlung kontrolliert die Ver­ waltung. Sie ist daher berechtigt, sich von der Ausführung ihrer Be­ schlüsse und der Verwendung aller Gemeindeeinnahmen Ueberzeugung zu verschaffen. Sie kann zu diesem Zwecke von dem Magistrat die Einsicht der Akten verlangen und Ausschüsse aus ihrer Mitte ernennen, zu welchen der Bürgermeister ein Mitglied des Magistrats abzuordenen befugt ist. ') Vgl. §§ 15, 17 Nr. 1 ZustG.

532

IX. Gruppe: Kommunalrechi.

A. Slädlerecht.

§ 38. Die Stadtverordneten-Derfammlung wühlt jährlich einen Vorsitzenden, sowie einen Stellvertreter desselben und einen Schriftführer, sowie einen Stellvertreter desselben, aus ihrer Mitte; doch kann auch die Stelle des Schriftführers ein von den Stadtverordneten nicht aus ihrer Mitte gewählter, in öffentlicher Sitzung hierzu von dem Bürgermeister vereideter Protokollführer vertreten. Diese Wahlen erfolgen in dem § 32 vorgeschriebenen Verfahren. Die Stadtverordneten versammeln sich, so oft es ihre Geschäfte erfordern. Der Magistrat wird zu allen Versammlungen cingeladen und kann sich durch Abgeordnete vertreten lassen. Die Stadtverordneten können verlangen, daß Abgeordnete des Magistrats dabei anwesend sind.' Der Magistrat muß gehört werden, so ost er es verlangt. § 39. Die Zusammcnberufung der Stadtverordneten geschieht durch den Vorsitzenden, sie muß erfolgen, sobald es von einem Viertel der Mit­ glieder oder von dem Magistrat verlangt wird.

§ 40. Die Art und Weife der Znsammenberufung wird ein- für allemal von der Stadtverordneten-Versammlung festgestellt. Die Zusammenberufung erfolgt unter Angabe der Gegenstände der Verhandlung; mit Ausnahme dringender Fälle muß dieselbe wenigstens zwei freie Tage vorher statthaben.

§ 41. Durch Beschluß der Stadtverordneten können auch regel­ mäßige Sitzungstage festgesetzt, es müssen jedoch auch dann die Gegenstände der Verhandlung, mit Ausnahme dringender Fälle, mindestens zwei freie Tage vorher den Stadtverordneten und dem Magistrat angczeigt werden. § 42. Tie Stadtverordneten-Versammlung kann nur beschließen, wenn mehr als die Hälste der Mitglieder zugegen ist. Eine Ausnahme hiervon findet statt, wenn die Stadtverordneten, zum zweiten Male zur Verhandlung über denselben Gegenstand zusammenberufen, dennoch nicht in genügender Anzahl erschienen sind. Bei der zweiten Zusammenberufung muß auf diese Bestimmung ausdrücklich hingewiesen werden.

K 43. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Wer nicht mitstimmt, wird zwar als anwesend betrachtet, die Stimmenmehrheit wird aber lediglich nach der Zahl der Stimmenden sestgestellt. § 44. An Verhandlungen über Rechte und Verpflichtungen der Stadtgemeinde darf derjenige nicht teilnehmen, dessen Interesse mit dem der Gemeinde in Widerspruch sieht. Kann wegen dieser Ausschließung eine beschlußfähige Versammlung nicht gehalten werden, so hat der Magistrat, oder, wenn auch dieser aus dem vorgedachten Grunde einen gültigen Beschluß zu fassen nicht befugt ist, [bie Aussichtsbehörbej der Bezirks­ ausschuß für die Wahrung des Gemeindeinteresses zu sorgen und nötigen­ falls einen besonderen Vertreter für die Stadtgemeinde zu bestellen. Sollte ein Prozeß der Stadtgemeinde gegen alle oder mehrere Mit­ glieder des Magistrats aus Veranlassung ihrer Anitsführung notwendig

1. Städteordnung f. d. sechs öftl. Provinzen d. Preutz. Monarchie. §§ 38—49.

533

werden, so hat [bie Regierung) der Regierungspräsident') auf Antrag der Stadtverordneten-Versammlung zur Führung des Prozesses einen Anwalt zu bestellen.”)

§ 45. Die Sitzungen der Stadtverordneten sind öffentlich. Für einzelne Gegenstände kann durch besonderen Beschluß, welcher in geheimer Sitzung gefaßt wird, die Oeffentlichkeit ausgeschlossen werden. Die Sitzungen dürfen nicht in Wirtshäusern oder Schenken gehalten werden. § 46. Der Vorsitzende leitet die Verhandlungen, eröffnet und schließt die Sitzungen und handhabt die Ordnung in der Versammlung. Er kann jeden Zuhörer aus dem Sitzungszimmer entfernen lassen, welcher öffentliche Zeichen des Beifalls oder des Mißfallens gibt oder Unruhe irgend einer Art verursacht.

§ 47. Die Beschlüsse der Stadtverordneten-Versammlung und die Namen der dabei anwesend gewesenen Mitglieder sind in ein besonderes Buch einzutragen. Sie werden von dem Vorsitzenden und wenigstens drei Mitgliedern unterzeichnet. Dem Magistrat müssen alle Beschlüffe der Stadtverordneten, auch diejenigen, welche ihm durch das Gesetz zur Ausführung nicht überwiesen sind, mitgeteilt werden. § 48. Den Stadtverordneten-Versammlungen bleibt überlassen, unter Zustimmung des Magistrats eine Geschäftsordnung abzufassen und darin Zuwiderhandlungen der Mitglieder gegen die zur Aufrechthaltung der Ordnung gegebenen Vorschriften mit Strafe zu belegen; diese Strafen können nur in Geldbußen bis zu [fünf Talernj fünfzehn Mark und bei mehrmals wiederholten Zuwiderhandlungen in der auf eine gewisse Zeit oder für die Dauer der Wahlperiode zu verhängenden Ausschließung autz der Versammlung bestehen. Versagt der Magistrat seine Zustimmung, so tritt das im § 36 vorgeschriebene Verfahren ein.3)

K 49. Die Stadtverordneten beschließen über die Benutzung des Gemeindeverinögens; die Deklaration vom 26. Juli 1847 (GS- S- 327) bleibt dabei maßgebend. Neber das Vermögen, welche? nicht der Gemeindekorporation in ihrer Gesamtbeit gehört, kann die Stadtverordneten-Versammlung nur insofern beschließen, als sie dazu durch Willen der Beteiligten oder durch sonstige Rechttztitel berufen ist. Auf bae Vermögen der Korporationen und Stiftungen haben die zur Stadtgemeinde gehörenden Einwohner (§ 3) als solche, und auf das­ jenige Vermögen, welches bloß den Hausbesitzern oder anderen Klassen der Einwohner gehört, haben andere Personen keinen Anspruch. Die Ansehung der Verwaltung und Verwendung des Vermögens der Stiftungen bewendet es bei den ftiftungSmäßigen Bestimmungen. •; 9tc||. § 17 Nr. 2 ZustG. ') Bal. 8 7 b iidbft. ') Vgl. 88 10. 11, 21 ZustG.

534

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

Soweit es hierbei auf den Begriff von Bürger ankommt, sind die Be­ stimmungen des gegenwärtigen Gesetzes (§ 5) an sich selbst nicht maßgebend.

K 50. Die Genehmigung [bei Regierung; des Bezirksausschusses, in dem Falle zu 2 des Regierungspräsidenten?) ist erforderlich 1. zur Veräußerung von Grundstücken und solchen Gerechtsamen, welche jenen gesetzlich gleichgestellt sind; 2. zur Veräußerung oder wesentlichen Veränderung von Sachen, welche einen besonderen wissenschaftlichen, historischen oder Kunstwert haben, namentlich von Archiven; 3. zu Anleihen, durch welche die Gemeinde mit einem Schuldenbestand belastet, oder der bereits vorhandene vergrößert wird, und 4. zu Veränderungen in dem Genusse von Gemeindenutzungen (Wald, Weide, Heide, Torfstich und dergleichen). % 51. Die freiwillige Veräußerung von Grundstücken usw. (§ 50 Nr. 1) darf nur im Wege der Lizitation aus Grund einer Taxe stattfinden. Zur Gültigkeit der Lizitation gehört: 1. einmalige Bekanntmachung durch das Amtsblatt des Regierungsbezirks und die für Bekanntmachungen des Magistrats üblichen öffentlichen Blätter; 2. eine Frist von sechs Wochen von der Bekanntmachung bis zum Lizitationstermine, und 3. Abhaltung dieses Termins durch eine Justiz- oder Magistratsperson. Das Ergebnis der Lizitation ist der Stadtverordneten-Versammlung mitzuteilen und kann nur mit deren Genehmigung der Zuschlag erteilt werden. In besonderen Füllen kann [bie Regierung; der Bezirksausschuß') auch den Verkauf aus freier Hand, sowie einen Tausch gestatten, sobald (sie] er sich überzeugt, daß der Vorteil der Gemeinde dadurch gefördert wird. Für [bie Hypothikenbehörbe; das Grundbuchamt genügt zum Nachweise, daß der Vorschrift dieses Paragraphen genügt worden, die Bestätigung des Vertrages durch [bie Negierung; den Bezirksausschuß?). K 528). s^Durch Gemeindebeschluß kann die Erhebung eines Einzugsgeldes an­ geordnet und von dessen Entrichtung die Niederlassung in der Gemeinde (§ 4 des Gesetzes vom 31. Dezember 1842, Nr. 2317) abhängig gemacht werden.

!) Vgl. §§ 16 Abs. 1, 3 und 7 Abs. 2 ZustG.; § 43 Abs. 3 LVG 2) § 16 Abs 3, § 7 Abs. 2 ZustG.. § 43 Abs. 3 LVG. 8) $ 52, der die Erhebung von Einzug«-, Hausstand«- und Einkanfsgeldern regelte, ist ausgehoben und ersetzt durch Gesetz, betr. das städtische Einzugs-, Bürgerrechts- und Einkaufsgeld vom 14. Mai 1860 (GL. L. 237). sDie aus die Erhebung von Einzugsgeld bezüglichen Bestimmungen des Ges. (§ 2 Ziff. 1, §§ 3. 4, 5 Ziff. 1 und 2) sind aufgehoben, Ges. vom 2. März 1867 (GL. 361). Tas Bürgerrechts- und Einkaussgeld ist in Geltung geblieben und wird auch durch da« KAG. nicht berührt, daselbst § 96 Abs. 7]. Der Wortlaut ist folgender: § 1 Tie Vorschriften in dem § 52 der Ltädte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Monarchie vom 30. Mürz 1853, in dem § 51 der Städte-Ordnung für bie Provinz Westfalen vom 19. März 1856 und im § 48 der Städte-Ordnung für die Rheinprovinz vom 15. Mai 1856 wegen Erhebung eines Einzugsgeldes, eines Hausstands- oder Eintrittsgeldes und eines Einkaufs­ geldes werden hierdurch aufgehoben. An Stelle derselben treten nachstehende Be­ stimmungen (§§ 2—10). § 2.

Die Stadtgemeinden sind befugt, auf Grund von Gemeindebeschlüssen,

1. Ltädteordnung f. d. sechs östl. Provinzen d. Preuß. Monarchie.

§§ 49—52.

535

Außerdem kann von allen, sowohl von den Neuanziehenden, als von denen, welche der Gemeinde bereits angehörig find, bei der Begründung eines selbständigen Hausstandes eine Abgabe (Eintritts- oder Hausstandsgeld) gefordert und von deren Entrichtung die Teilnahme an dem Bürgerrecht (§ 5) abhängig gemacht werden. Die Teilnahme an den Gemeindenutzungen (§ 50 Nr. 4) kann außerdem von der Entrichtung einer jährlichen Abgabe, und anstatt oder neben derselben von Ent­ richtung eines Einkaussgeldes abhängig gemacht werden, durch deren Entrichtung aber die Ausübung deS Bürgerrecht- niemals bedingt wird. Alle derartigen Beschlüsse bedürfen der Genehmigung der Regierung. Die mit dem Befitze einzelner Grundstücke verbundenen oder auf sonstigen besonderen Rechts­ titeln beruhenden Nutzungsrechte find den Bestimmungen dieses Paragraphen nicht unterworfen. Beamte, welche infolge dienstlicher Versetzung ihren Aufenthalt im Stadtbezirke nehmen, find zur Entrichtung des Einzugsgeldes und des Hausstandsgeldes nicht verbunden.]

welche die Genehmigung des Bezirksausschusses sZustG. § 16 Abs. 3, für Berlin ist der ObPr. zuständig § 7 Abs. 2 und LVG. § 43 Abs. 3] erhalten haben, die Entrichtung von: (1.), 2. Bürgerrechtsgeld bei Erwerb des Bürgerrecht- (§ 5 der Städte-Ordnung), 3. EinkausSgeld anstatt oder neben einer jährlichen Abgabe für die Teilnahme an den Gemeindenutzungen (§ 50 Nr. 4, § 49 Nr. 4 und § 46 Nr. 4 der betreffenden Städte-Ordnungen) anzuordnen. Einzugs ge l d. (§§ 3, 4). § 5. [§ 5 ist bezüglich des Einzugsgeldes Ziff. 1, 2 aufgehoben, dagegen mit Ziff. 3 und 4 insoweit in Kraft geblieben, als in § 7 Abs. 2 bezüglich deS Bürgerrechtsgeldes darauf Bezug genommen wird]. Befreit vom Einzugsgelde find: (1., 2.); 3. die unmittelbaren und mittelbaren Staatsbeamten, die Lehrer und die Geistlichen, welche gemäß dienstlicher Verpflichtung ihren Wohnsitz in der Stadt nehmen; 4. Militärpersonen, die 12 Jahre im aktiven Dienststande sich befunden haben, bei der ersten Niederlassung, sowie die unter Nr. 3 genannten Personen bei der ersten Verlegung des Wohnsitze- nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienste.

Bürgerrechtsgeld. § 6. In denjenigen Städten, in welchen ein Bürgerrechtsgeld eingeführt ist, darf vor dessen Berichtigung das Bürgerrecht nicht ausgeübt werden. Ab­ stufungen in dem Betrage der Abgabe sind statthaft. Wo zurzeit ein Hausstandsgeld erhoben wird, tritt bis zu anderweitiger Feststellung das Bürgerrechtsgeld mit gleichem Betrage an dessen Stelle. Die Verpflichtung zur Entrichtung desselben tritt aber erst mit dem Zeitpunkte des Erwerbes des Bürgerrechts ein. § 7. Das Bürgerrechtsgeld darf in derselben Gemeinde von niemandem zweimal erhoben werden. Es gilt in dieser Beziehung das bisherige Hausstands­ geld dem Bürgerrechtsgelde gleich. Die in § 5 Nr. 3 und 4 genannten Personen find in den dort erwähnten Füllen auch von der Entrichtung des Bürgerrechtsgeldes befreit. Einkaufsgeld.

§ 8. Die Verpflichtung zur Zahlung des Einkaufsgeldes, sowie der dem­ selben entsprechenden jährlichen Abgabe ruht, so lange auf die Teilnahme an den Gemeindenutzungen verzichtet wird.

A l l g e m e i n e B e st i m m u n g e n. § 9. Hinsichtlich der Verjährung und der Reklamationen findet das Gesetz vom 18. Juni 1840 fDa das KAG. an dem bestandenen Recht nichts geändert hat, beträgt die Einspruchsfrist ein Jahr, OVG. vom 20. Oktober 1897, Bd. 33 5. 12. Das Verfahren wird durch ZustG. § 18 Abs. 3 bestimmt], jedoch nur mit der

536

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

§ 53?) [Soweit die Einnahmen nach dem städtischen Vermögen nicht hinreichen, um die durch das Bedürfnis oder die Verpflichtungen der Gemeinde erforderlichen Geldmittel zu beschaffen, können die Stadtverordneten die Ausbringung von Gemeinde­ steuern beschließen. Diese sönnen bestehen: I. In Zuschlägen zu den Staatssteuern, wobei folgende Bestimmungen gelten: 1 die Steuer für den Gewerbebetrieb im Umherzieben darf nicht belastet werden; 2. bei den Zuschlägen zur klassifizierten Einkommensteuer muß jedenfalls das außerhalb der Gemeinde belegene Grundeigentum außer Berechnung bleiben; 3. die Genehmigung der Regierung ist erforderlich: a) für alle Zuschläge zur Einkommensteuer; b) für Zuschläge zu den übrigen direkten Steuern, wenn der Zuschlag entweder fünfzig Prozent der Staatssteuern übersteigen oder nicht nach gleichen Sähen auf diese Steuern verteilt werden soll. Zur Freilassung oder geringeren Belastung der letzten Klassensteuerstufe bedarf es dieser Genehmigung nicht; c) für Zuschläge zu den direkten Steuern. II. In besonderen direkten oder indirekten Gemeindesteuern, welche der Genehmigung der Regierung bedürfen, wenn sie neu eingeführt, erhöht oder in ihren Grundsätzen verändert werden sollen. Bei besonderen Kommunal-Einkommensteuern ist jedenfalls die sub 12 erwähnte Beschränkung maßgebend. Tie bestehenden direkten Kommunal-Einkommensteuern werden einer erneuten Prüfung und Genehmigung der Regierung unterworfen. In den über die Erhebung von Kommunalsteuern zu erlassenden, von der Regierung zu genehmigenden Regulativen können Ordnungsstrafen gegen die Kontravenienten bis auf Höhe von zehli Talern angeordnet werdens K 54'). Die Gemeinde kann durch Beschluß der Stadtverordneten zur Leistung von Diensten (Hand- und Spanndiensten) behufs Ausführung von Gemeindecnbeilen ver­ pflichtet werden; die Dienste werden in Geld abgeschätzt, die Verteilung geschieht imri) dem Maßstabe der Gemeindeabgaben oder in deren Ermangelung nach dem Maßstabe der direkten Steuern. — Abweichungen von dieser Verteilungsart bedürfen der Genehmigilng der Regierung. Tie Tienste können, mit Ausnahme von Notfällen, durch taugliche Stellvertreter abgeleistet oder nach der Abschätzung an die Gemeindekasse bezahlt werdens

§ 55* Tie in bezug auf Behandlung der Gemeindewaldungen für die einzelnen Landesteile erlassenen Geietze und Bestimmungen bleiben in Kraft, bis ihre Abänderung im gesetzlichen Wege erfolgt sein wird. Titel V.

Bon den Geschäften des Magistrats.

§ 56. Der Magistrat hat als Ortsobrigkeit und Gemeinde­ verwaltungsbehörde insbesondere folgende Geschäfte: Maßgabe Auwendung, daß die nicht zur Hebung gestellterl [Ginjim«»], Bürgerrechts­ oder Einkaufsgelder erst in zwei Jahren nach Ablauf desjenigen Jahres, ut welchem die Zahlungsverbindlichkeit entstanden ist, verjähren. TaS Gesetz vom 11. Juli 1822 sowie die Kabinettsordre vom 14. Mai 1832 [betrifft Heranziehung der Staatsdiener zu ben Gemeindelasteni sind auf die ge­ nannten Abgaben nicht anwendbar.

§ 10. Die auf Grund der aufgehobenen Paragraphen der Städte» Ordrungen erlassenen oder älteren noch geltenden Regulative bleiben in Kraft, soweit ne den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht widersprechen. § 11. Diese Bestimmungen sind auch in denjenigen Ortschaften (blecken) zur Anwendung zu bringen, welche auf Grund des § 1 Abs. 2 der Städtk-Or^i'ung vom 30. Mai 1853 eine der letzteren nachgebildete Ortsvcrfassung besitzen, welche ihnen die Erhebung eines lElnzugs- oder Hausnandsgcldcr cber] Einkaufsgeldes gestaltet.

*) §§ 53, 54 sind erseht durch das KAG.

1. Slädieordnung

f.

d. sechs östl. Provinzen b. Preutz. Monarchie.

§§ 53—56.

537

1. die Gesetze und Verordnungen, sowie die Verfügungen der ihm vor­ gesetzten Behörden auszuführen; 2. die Beschlüsse der Stadtverordneten-Versammlung vorzubereiten und, sofern er sich mit demselben einverstanden erklärt, zur Ausführung zu bringen. Ter Magistrat ist verpflichtet, die Zustimmung und Ausführung zu versagen, wenn von den Stadtverordneten ein Beschluß gefaßt ist, welcher deren Befugnisse überschreitet, gesetz- und rechtswidrig ist, das Staatswohl oder das Gemeindeinteresse verletzt. In Fällen dieser Art ist nach den Bestimmungen im §15 des Zuständigkeitsgesetzes beziehungsweise § 36 zu verfahren; 3. die städtischen Eemeindeanstalten zu verwalten und diejenigen, für welche besondere Verwaltungen eingesetzt sind, zu beaufsichtigen; 4. die Einkünste der Stadtgemeinde zu verwalten, die auf dem Etat oder besonderen Beschlüssen der Stadtverordneten beruhenden Ein­ nahmen und Ausgaben anzuweisen und das Rechnungs- und Kassen­ wesen zu überwachen. Von jeder regelmäßigen Kassenrevision ist der Stadtverordneten-Versammlung Kenntnis zu geben, damit sie ein Mit­ glied oder mehrere abordnen könne, um diesem Geschäfte beiwohnen zu können; bei außerordentlichen Kasscnrevisionen ist der Vorsitzende oder ein von demselben ein- für allemal bezeichnetes Mitglied der Stadtverordneten-Versammlung zuzuziehen; 5. das Eigentum der Stadtgemeinde zu verwalten und ihre Rechte zu wahren; 6. die Gemeindebeamten, nachdem die Stadtverordneten darüber ver­ nommen worden, anzustellen und zu beaufsichtigen. Die Aufstellung erfolgt [iotofit es sich nicht um vorübergehende Dienstleistungen handelt, auf Sehenden; diejenigen Unterbenmten, welche nur zu mechanischen Dienstleistungen bestimmt find, können jedoch aus Kündigung angenommen werden ] nach Matzgäbe des Gesetzes, betreffend die Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten, vom 30. Juli 1899 (GS. S. 141). Die von den Gemeindebeamten zu leistenden Kautionen bestimmt der Magistrat nach Anhörung der Stadtverordneten-Versammlung. In Städten bis zu 10000 Einwohnern (§ 30 Ziff. 2) können die Ge­ schäfte des Gemeindeeinnehmers nach Vernehmung der StadtverordnetenVersammlung und mit Zustimmung sder Regierung) des Bezirksaus­ schusses dein Kämmerer übertragen weiden. 7. die Urkunden und Akten der Stadtgemeinde aufzubewahren; 8. die Stadtgemeinde nach außen zu vertreten und namens derselben mit Behörden und Privatpersonen zu verhandeln, den Schriftwechsel zu führen und die Gemeindeurkunden in der Urschrift zu vollziehen. Die Ausfertigungen der Urkunden werden namens der Stadtgemeinde von dein Bürgermeister oder seinem Stellvertreter gültig unterzeichnet; werden in denselben Verpflichtungen der Stadtgemeinde übernommen, so muß noch die Unterschrift eines Magistratsmitgliedes hinzukommen; in Fällen, wo die Genehmigung der Aufsichtsbehörde ersorderlich ist, muß dieselbe in beglaubigter Form der gedachten Ausfertigung bei­ gefügt werden;

538

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

9. die städtischen Gemeindeabgaben und Dienste nach den Gesetzen und Beschlüssen aus die Verpflichteten zu verteilen und die Beitreibung zu bewirken.

§ 57. Der Magistrat kann nur beschließen, wenn mindestens die Hülste, in Stadtgemeinden, welche mehr als 10000 Einwohner haben, mindestens ein Drittel seiner Mitglieder zugegen ist. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmen­ gleichheit ist die Stimme des Vorsitzenden entscheidend. Den Vorsitz führt der Bürgermeister oder sein Stellvertreter. Der Vorsitzende ist verpflichtet, wenn ein Beschluß des Magistrats dessen Befugnisse überschreitet, gesetz­ öder rechtswidrig ist, das Staatswohl oder daS Gemeininteresfe verletzt, die Ausführung eines solchen Beschlusses zu beanstanden [unb die Entschei­ dung der Regierung einzuholen^?) Der Beigeordnete nimmt auch außer dem Falle der Stellvertretung an den Verhandlungen und Beschlüssen teil. Bei Beratung über solche Gegenstände, welche das Privatinteresse eines Mitgliedes des Magistrats oder seiner Angehörigen berühren, muß dasselbe sich der Teilnahme an der Beratung und Abstimmung enthalten, auch sich während der Beratung aus dem Sitzungszimmer entfernen. § 58. Der Bürgermeister leitet und beaufsichtigt den ganzen Ge­ schäftsgang der städtischen Verwaltung. In allen Fällen, wo die vorherige Beschlußnahme durch den Magistrat einen nachteiligen Zeitverlust verursachen würde, muß der Bürgermeister die dem Magistrat obliegenden Geschäfte vorläufig allein besorgen, jedoch dem letzteren in der nächsten Sitzung behufs der Bestätigung oder ander­ weitigen Beschlußnahme Bericht erstatten. Zur Erhaltung der nötigen Disziplin steht dem Bürgermeister das Recht zu, den Gemeindebeamten Geldbußen bis zu [brei Talern) neun Mark und außerdem den unteren Beamten Arreststrafen bis zu drei Tagen auf­ zulegen (§§ 15, 19 und 20 des Gesetzes vom 21. Juli 1852, GS. S. 465)?)

§ 59. Zur dauernden Verwaltung oder Beaufsichtigung einzelner Geschäftszweige, fowie zur Erledigung vorübergehender Aufträge können besondere Deputationen entweder bloß aus Mitgliedern des Magistrats, oder aus Mitgliedern beider Gemeindebehörden, oder aus letzteren und aus stimmfähigen Bürgern gewählt werden. Zur Bildung gemischter Deputationen aus beiden Stadtbehörden ist der übereinstimmende Beschluß beider erforderlich. Zu diesen Deputationen und Kommissionen, welche übrigens in allen Beziehungen dem Magistrate untergeordnet sind, werden die Stadtver­ ordneten und stiminfähigen Bürger von der Stadtverordneten-Versainmlung gewählt, die Magistratsmitglieder dagegen von dem Bürgermeister ernannt, welcher auch unter letzteren den Vorsitzenden zu bezeichnen hat. Durch statutarische Anordnung können nach den eigentümlichen ört­ lichen Verhältnissen besondere Festsetzungen über die Zusammensetzung der bleibenden Verwaltungsdeputationen getroffen werden. *; Vgl. § 15 Abs. 1 Stift®. 4) Vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 2 baselbst; § 42 LVG. in Verbinbung mit § 7 ZustG.

1. Stäbteorbnung f. b. sechs vstl. Provinzen b. Preuh. Monarchie.

§§ 56—64.

539

§ 60. Städte von größerem Umfange oder von zahlreicherer Be­ völkerung werden von dem Magistrat nach Anhörung der Stadtverordneten in Ortsbezirke geteilt. Jedem Bezirk wird ein Bezirksvorsteher vorgesetzt, welcher von den Stadtverordneten aus den stimmfähigen Bürgern des Bezirks auf sechs Jahre erwählt und vom Magistrat bestätigt wird. In gleicher Weise wird für den Fall der Verhinderung des B^irksvorstehers ein Stellvertreter desselben angestellt. Tie Bezirksvorsteher sind Organe des Magistrats und verpflichtet, seinen Anordnungen Folge zu leisten, ihn namentlich in den örtlichen Ge­ schäften des Bezirks zu unterstützen. § 61. Jedes Jahr, bevor sich die Stadtverordneten-Bersammlung mit dem Haushaltsetat beschäftigt, hat der Magistrat in öffentlicher Sitzung derselben über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten einen vollständigen Bericht zu erstatten. Tag und Stunde werden wenigstens zwei freie Tage vorher in der Gemeinde bekannt gemacht. § 62. Der Bürgermeister hat nach näherer Bestimmung des Ge­ setzes folgende Geschäfte zu besorgen: I. wenn die Handhabung der Ortspolizei nicht Königlichen Behörden übertragen ist: 1. die Handhabung der Ortspolizei; 2. die Verrichtung eines Hilfsbeamten der (gerichtlich«!, Polizei) Staats­ anwaltschaft ; 3. die Verrichtung eines (Polizeianwalts) Amtsanwalts, vorbehaltlich der Befugnis der Behörde, in den Fällen 2 und 3 andere Beamten mit diesen Geschäften zu beauftragen. Dem Bürgermeister am Sitze eines Gerichts kann die Ver­ tretung der sPüiizeianwaltschast^ Amtsanwaltschaft bei dem Gericht auch für die übrigen Gemeinden des Gerichtsbezirks gegen ange­ messene Entschädigung übertragen werden, in deren Hinsicht nähere Bestimmungen vorbehalten bleiben. II. Alle örtlichen Geschäfte der Kreis-, Bezirks-, Provinzial- und all­ gemeinen Staatsverwaltung, namentlich auch das Führen der Personen­ standsregister, sofern nicht andere Behörden dazu bestimmt sind. Einzelne dieser unter I und II erwähnten Geschäfte können mit Ge­ nehmigung [ber Regierung) des Regierungspräsidenten 1) einem anderen Magistratsmitgliede übertragen werden.

§ 63. In betreff der Befugnis der Stadtbehörden, ortspolizeiliche Verordnungen zu erlassen, kommen die darauf bezüglichen Gesetze zur An­ wendung. Titel VI.

Von de« Gehälter« uud Penfioueu.

§ 64. Der Normaletat aller Besorgungen wird vom Magistrat entworfen und von den Stadtverordneten festgesetzt. Dgl. §§ 18, 42 LVG , §7 ZustlN.

540

IX. Gruppe: Kommunalrecht

A. Atäkterecht.

Ist ein Normal-Besoldungsetat überhaupt nicht oder nur für einzelne Teile der Verwaltung festgestellt, so werden die in solcher Weise nicht vor­ gesehenen Besoldungen vor der Wahl festgesetzt. Hii'.sichtlich der Bürgermeister und der besoldeten Magistratsmitglieder unterliegt die Festsetzung der Besoldung in allen Fällen der Genehmigung [bet Regierung) des Bezirksausschusses. [Tie Regierung) Der Regierungs­ präsident ist ebenso befugt als verpflichtet, zu verlangen, daß ihnen die zli einer zweckmäßigen Verwaltung angemessenen Besoldungsbeträge bewilligt werden. Den Beigeordneten, insofern ihnen nicht eine Besoldung beigelegt ist (§ 31), können mit Genehmigung [bet Regierung des Bezirksausschusses feste Entschädigungsbeträge bewilligt werden. Schöffen und Stadtverordnete erhalten weder Gehalt noch Remuneration und ist nur die Vergütung barer Auslagen zulässig, welche für sie aus der Ausrichtung von Aufträgen entstehen.

§ 65. Den Bürgermeistern »nd den besoldeten Mitgliedern des Magistrats sind, sofern nicht mit Genehmigung [btt aitgientng] des Bezirksausschusses') eine Vereinbarung wegen der Pension getroffen ist, bei ein­ tretender Dienstunfühigkeit, oder wenn sie nach abgelaufener Wahlperiode nicht wieder gewählt werden, folgende Pensionen zu gewähren: i/4 des Gehalts nach 6 jähriger Dienstzeit, V» „ „ „ 12 [2/s des Gehalts nach 21 jähriger Dienstzeit^-)

Vom vollendeten zwölften Dienstjahre ab dis zum vierundzwanzigsten Dienst­ jahre steigt die Pension alljährlich um 1/«o des Gehalts Die [auf Lebenszeit) übrigen, nicht nur nebenamtlich oder aus Probe, zu vorübergehenden Dienstleistungen oder zur Vorbereitung angestellten besoldeten Gemeiildebeamten erhalten, insofern nicht mit [btm Btamrtn[ Ge­ nehmigung des Bezirksausschusses ein anderes [uerabtebet worben) festgesetzt ist, bei eintretender Tienstunsähigkeit Pension nach denselben Grundsätzen, welche bei den unmittelbaren Staatsbeamten zur Anwendung kommen, wobei Artikel III des Gesetzes vom 31. März 1882, betreffend die Abänderung des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 (GS. 1882 S. 133), in'vweit er nicht durch das Gesetz vom l. Mürz 1891 (GS. S. 19) abgeändert ist, unberührt bleibt. Als pensionssühige Dienstzeit wird, unbeschadet der über die Anrechnung der Militürdienstzeit bei Militäranwärtern und sorstversorgungsberecktigten Personen des Jügerkorps geltenden Bestimmungen und in Ermangelung anderweiter Festsetzungen nur die Zeit berechnet, welche der Beamte in dem Dienste der betreffenden Gemeinde zugebracht hat. Die Bestimmungen des Gesetzes vom 31 März 1882, betreffend die Abänderung des Pensionsgesetzes vom 27. Mürz 1872 (GS. 1882 S. 1331, in betreff der Beamten, welche das 65. Lebensjahr vollendet haben, können durch Orts­ statut auch für Kommunalbeamte in Kraft gesetzt werden. i Ueber die ^ensionscinsprückie der Bürgermeister, der besoldeten Magistratsmitglieder und übrigen besoldeten Gemeindebeamten entscheidet in streitigen Fällen die Regierung. Gegen den Beschluß der Negierung, soweit derselbe sich nicht aus bie 2at-

Bgl. § 16 ZustG. 2) Der folgende Text ist durch daS KBG. § 12 geändert worden.

1. Städteordnung f. d. sechs östl. Provinzen d. Preutz. Monarchie.

§§ 64—67.

541

jache der Tiensiunsähigkeit oder darauf bezieht, welcher Teil dtS DiensteinkrmmenS alt Gehalt anzusehen sei, findet die Berufung auf richterliche Entscheidung statt. Ungeachtet der Berufung find die festgesetzten Beträge vorläufig zu zahlen.]

Das Recht aus den Bezug der Pension

sfällt fort oder] ruht sin. wenn und solange ein Pensionär im Staats- oder [Semtinbt.] Kommunaldienste ein Diensteinkommen oder eine neue Pension [ttroitbt] bezieht, swelche mit] insoweit als der Betrag des neuen Einkommens unter ^Zurechnung der ersten] Hinzurechnung der zu­ vor erdienten Pension [jein früheres Einkommen übersteigens den Betrag des von dem Beamten vor der Pensionierung bezogenen Diensteinkommens übersteigt. Der Bezirksausschuß beschließt über streitige vermögensrechtliche Ansprüche der Kommunalbeamten aus ihrem Dienstverhältnisse, insbesondere über Ansprüche auf Pension. Die Beschlußsassung ersolgt, soweit sie sich auf die Frage erstreckt, welcher Teil des Diensteinkommens bei Feststellung der Pensionsansprüche als Gehalt anzusehen ist, vorbehaltlich der den Be­ teiligten innerhalb zwei Wochen bei dem Bezirksausschuß gegeneinander zustchenden Klage im Berwaltungsstreitverfahren. Im übrigen findet gegen den in erster oder auf Beschwerde in zweiter Instanz ergangenen Beschluß binnen einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Zustellung desselben die Klage im ordentlichen Rechtswege statt. Die Beschlüsse sind vorläufig vollstreckbar. In dem durch Zustündigkeitsgesetz § 20 Abs. 1 Nr. 3 vorgesehenen Verjähren bezüglich der Entfernung aus dem Amte ist entstehenden Falles auch über die Tatsache der Dienstunfähigkeit der Bürgermeister, Beigeord­ neten, Magistratsmitglieder und sonstigen Gemeindebeamten, der letzteren unbeschadet der Vorschrift des Schlußsatzes im zweiten Absätze dieses Para­ graphen, Entscheidung zu treffen.

’l'ie]

soweit, als der Pensionierte

durch

anderweite Anstellung],

Titel VII.

Don dem Gemeiudehaushatte. § 66. Ueber alle Ausgaben, Einnahmen und Dienste, welche sich im voraus bestimmen lassen, entwirft der Magistrat jährlich, spätestens im Oktober einen Haushaltsetat. Das Rechnungsjahr für den GemeindehauShalt beginnt mit dem 1. April und schließt mit dem 31. Mürz. Mil Zustimmung der Stadtverordneten kann die Etatsperiode bis auf drei Jahre ver-

Der Beschlußfassung der Gemeindebehörden bleibt überan Stelle des Rechnungsjahres eine Periode von zwei oder drei Rechnungsjahren treten zu lassen.1) Der Entwurf wird acht Tage lang, nach vorheriger Verkündigung, in einem oder mehreren von dem Magistrat zu bestimmenden Lokalen zur Einsicht aller Einwohner der Stadt offen gelegt und alsdann von den Stadtverordneten festgestellt. Eine Abschrift des Etats wird sofort der Aufsichtsbehörde cingereicht. länijert werden.!

lassen,

§ 67. Der Magistrat hat dafür zu sorgen, nach dein Etat geführt werde. lj Vgl. § 95 KAG.

daß der Haushalt

542

IX. Truppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

Ausgaben, welche außer dem Etat geleistet werden sollen, der Genehmigung der Stadtverordneten.

§ 68.

bedürfen

[Xie Gemeindeabgaben und die Geldbeträge der Dienste (§ 52) sowie]l»

die Abgaben für die Teilnahme an den Nutzungen (§ 52) und die sonstigen Gemeindegefälle werden von den Säumigen im SteuererekutionSwege bei­ getrieben.

§ 69. Die Jahresrechnung ist von dem Einnehmer vor dem 1. Mai des folgenden Jahres zu legen und dem Magistrat einzureichen. Dieser hat die Rechnung zu revidieren und solche mit seinen Erinnerungen und Bemerkungen den Stadtverordneten zur Prüfung, Feststellung und Ent­ lastung vorzulegen. § 70. Die Feststellung der Rechnung muß vor dem 1. Oktober bewirkt sein. Der Magistrat hat der Aufsichtsbehörde sofort eine Abschrift des Feststellungsbeschlusses vorzulegen. Durch statutarische Anordnungen können auch andere Fristen, als vorstehend für die Legung und Feststellung der Rechnung bestimmt sind, festgesetzt werden. § 71. Ueber alle Teile des Vermögens der Stadtgemeinde hat der Magistrat ein Lagerbuch zu führen. Die darin vorkommenden Ver­ änderungen werden den Stadtverordneten bei der Rechnungsabnahme zur Erklärung vorgelegt. Titel VIII.

Vor» der Einrichtung der städtischen Verfasturrg ohne kollegialische« Gemeindevorstand für Städte, welche nicht mehr als 2500 Einwohner haben. § 72. In Städten von nicht mehr als 2500 Einwohnern kann auf Antrag der Gemeindevertretung unter Genehmigung [der Regierung) des Bezirksausschusses") die Einrichtung getroffen werden, daß 1. die Zahl der Stadtverordneten bis aus sechs vermindert, und 2. statt des Magistrats nur ein Bürgermeister, welcher den Vorsitz in der Stadtverordneten-Versammlung mit Stimmrecht zu führen hat, und zwei oder drei Schöffen, welche den Bürgermeister zu unterstützen und in Verhinderungsfällen zu vertreten haben, gewühlt werden.

§ 73. Wird eine Einrichtung nach Maßgabe der Bestiminung unter 2 in § 72 getroffen, so gehen alle Rechte und Pstichten, welche in den Vorschriften des Titel 1—VII dem Magistrat beigelegt sind, aus den Bürgermeister mit denjenigen Modifikationen über, welche sich als not­ wendig daraus ergeben, daß der Bürgermeister zugleich stimmberechtigter Vorsitzender der Stadtverordneten-Versammlung ist. Demselben steht insonderheit ein Recht der Zustimmung zu den Beschlüssen der Stadtver­ ordneten nicht zu; er ist aber in den im zweiten Satze unter 2 des § 56 ') Dgl. 88 90, 96 Abs. 7 KAG. ') Dgl. § 16 Abs. 3 ZustG.

1. Stäbleorbnung f. d. sechs öfil. Provinzen b. Preuß. Monarchie.

§§ 67—75.

543

bezeichneten Fällen die Ausführung der Beschlüsse der StadtverordnetenDersammlung zu beanüanden *) und, wenn diese bei nochmaliger Beratung bei ihrem Beschlusse beharrt, [bie Entscheibung ber Regierung einzuholens die Beschlußfaffung des Bezirksausschusses herbeizusühren verpflichtet, soweit nicht das im § 15 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs­ und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 vorgesehene Ver­ fahren eintritt. — Im übrigen finden bei den Städten, welche die gedachte Einrichtung angenommen haben, die Vorschriften der Titel I—VII gleich­ falls. jedoch mit der Maßgabe Anwendung, daß die Schöffen zugleich Stadtverordnete sein können und daß es genügt, wenn die Beschlüsse der Stadtverordneten-Versammlung (§ 47) nur von dem Vorsitzenden und einem Mitgliede unterzeichnet werden. Titel IX.

Bo« der Verpflichtung zur Annahme von Stellen «nd von dem Ausscheiden aus denselben wegen Verlust des Bürgerrechts. § 74. Ein jeder stimmfähiger Bürger ist verpflichtet, eine unbe­ soldete Stelle in der Gemeindeverwaltung oder Vertretung anzunehmen, sowie eine angenommene Stelle mindestens drei Jahre lang zu versehen. Zur Ablehnung oder zur früheren Niederlegung einer solchen Stelle berechtigen nur folgende Entschuldigungsgründe: 1. anhaltende Krankheit; 2. Geschäfte, die eine häufige oder lange dauernde Abwesenheit mit sich bringen; 3. ein Alter über sechzig Jahre; 4. die früher stattgehabte Verwaltung einer unbesoldeten Stelle für die nächsten drei Jahre; 5. die Verwaltung eines anderen öffentlichen Amtes; 6. ärztliche oder wundärztliche Praxis; 7. sonstige besondere Verhältnisse, welche nach dem Ermessen der Stadt­ verordneten-Versammlung eine gültige Entschuldigung begründen. Wer sich ohne einen dieser Entschuldigungsgründe weigert, eine unbe­ soldete Stelle in der Gemeindeverwaltung oder Vertretung anzunehmen oder die noch nicht drei Jahre lang versehene Stelle ferner zu versehen, sowie derjenige, welcher sich der Verwaltung solcher Stellen tatsächlich ent­ zieht, kann durch Beschluß der Stadtverordneten auf drei bis sechs Jahre der Ausübung des Bürgerrechts verlustig erklärt und um ein Achtel bis ein Viertel stärker zu den direkten Gemeindeabgaben herangezogen werden. sDiejer Beschluß bebarf ber Bestätigung ber Aufstchtsbehörbe (§ 76). s')

§ 75. Wer eine das Bürgerrecht voraussetzende Stelle in der Verwaltung oder Vertretung der Stadtgemeinde bekleidet, scheidet aus derselben aus, wenn er des Bürgerrechts verlustig geht; im Falle des ruhenden Bürgerrechts tritt die Suspension ein (§ 7). *i Bgl. § 15 baselbst *) Aufgehoben burch § 11 Abs. 1 ZustG.

544

IX. Gruppe: Kommunalrechl.

A. Städlerecht.

Die zu den bleibenden Derwaltungsdeputationen gewählten stimm­ fähigen Bürger (§ 59) und andern von der Stadtverordneten-Verfammlung auf eine bestimmte Zeit gewählten unbesoldeten Gemeindebeamten, zu denen jedoch die Schöffen nicht zu rechnen sind, können durch einen überein­ stimmenden Beschluß des Magistrats und der Stadtverordneten auch vor Ablauf ihrer Wahlperiode von ihrem Amte entbunden werden?)

Titel X.

Vou der Oberaufsicht über die Stadtverwaltung. 8 76.8) Die Aufsicht des Staates über die städtischen Gememdeangelegenheiten wird, soweit nicht durch die Vorschriften dieses Gesetzes ein anderes ausdrücklich bestimmt ist. von der Regierung, in den höheren Instanzen von dem Oberpräsidenten und dem Minister des Innern auSgcüdt. Beschwerden über Entscheidungen in Gemeindeange­ legenheiten müssen in allen Instanzen innerhalb einer Präklusivfrist von vier Wochen nach der Zustellung oder Bekanntmachung der Entscheidung eingelegt werden, insofern nicht die Einlegung des Rekurses durch dieses Gesetz an andere Frist geknüpft ist. (§ 20).

8 77/) Wenn die Stadtverordneten einen Beschluß gefaßt haben, welcher deren Befugnisse überschreitet, gesetz- und rechtswidrig ist, oder das Slaatswohl verletzt, so ist die Aufsichtsbehörde ebenso befugt als verpflichtet, den Vorstand der Lladtgemeinde zur vorläufigen Beanstandung der Ausführung zu veranlassen. Dieser hat hiervon die Stadtverordneten zu benachrichtigen und über den Gegenstand des Beschlusses sofort an die Regierung zu berichten. Die Regierung hat sodann ihre Entscheidung unter An» führung der Gründe zu geben.

8 78/) Wenn die Stadtverordneten es unterlassen oder verweigern, die der Gemeinde gesetzlich obliegenden Leistungen auf den Haushaltsetat zu bringen oder außer^ ordentlich zu genehmigen, so läßt die Regierung, unter Anführung des Gesetzes, die Eintragung in den Etat von Amts wegen bewirken oder stellt beziehungsweise die außerordentliche Ausgabe fest.

§ 79. Durch Königliche Verordnung auf den Antrag des Staats­ ministeriums kann eine Stadtverordneten-Verfammlung aufgelöst werden. Es ist sodann eine Neuwahl derselben anzuordnen und muß diese binnen sechs Monaten vom Tage der Auflösungsverordnung an erfolgen. Bis zur Einführung der neugewühlten Stadtverordneten sind deren Ver­ richtungen durch [befonbtn von dem Minister des Innern zu bestellende Koinmissarien) den Bezirksausschuß als Beschlußbehörd?) zu besorgen. § 80. In betreff der Dienstvergehen der Bürgermeister, der Mitglieder des Vorstandes und der sonstigen Gemeindebeamten kommen die darauf bezüglichen Gesetze zur Anwendung?) Titel XI.

Ausführungs- und Uebergangsbestimmungen. §81. Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen stimmungen werden von dem Minister des Innern getroffen. ') а) ’) *) б) ®)

Vgl. §§ 10, 21, 21 ZustG. § 63 LVG. Ersetzt durch § 7 ZustG. Ersetzt durch § 15 a. a O. Ersetzt durch § 19 a a. O. Vgl. § 17 Nr. 3 ZustG, § 43 LVG. Vgl. § 20 Abs. 1 und 4 ZustG.

Be-

1 Städteordnung f. d. sechs öftl. Provinzen b. Preuß. Monarchie.

§§ 75—85.

545

8 «2. In Städten, wo die Einführung der Gemeindeordnung vom 11. März 1850 bereits beendigt ist, tritt die gegenwärtige Städte­ ordnung sogleich nach ihrer Verkündigung in Kraft und an die Stelle der Gemeindeordnung; die auf Grund der letzteren gewählten Bürgermeister, Beigeordneten, Schöffen und alle anderen besoldeten und unbesoldeten Ge­ meindebeamten, sowie die Mitglieder des Gemeinderats, diese als Stadt­ verordnete. verbleiben jedoch in ihren Stellen bis zum Ablaufe der Periode, für welche sie gewählt worden sind, und behalten, soweit sie eine besoldete Stelle bekleiden, ihre bisherigen Besoldungen und Pensionsansprüche. § 83. In Städten, wo die Einführung der Gemeindeordnung vom 11. Mürz 1850 bis zur Einsetzung des Gemeinderats gediehen ist, bleiben die Mitglieder desselben in ihren Stellen als Stadtverordnete bis zum Ablause der Periode, für welche sie gewählt worden sind; im übrigen ist, sowohl dort, als in allen anderen Städten, für welche diese Städte­ ordnung noch gegeben ist (§ 1), nach den Vorschriften derselben mit der Einführung der städtischen Verfassung und Verwaltung zu verfahren. § 84. Die seitherigen nichtgewählten und nicht ausdrücklich auf Kündigung angestcllten Oberbürgermeister und Bürgermeister, welche bei Einführung der gegenwärtigen Städtcordnung weder in ihren Aemtern und Einkünften belassen, noch anderweitig mit gleichem Einkommen angestellt werden, haben, sofern nicht für diesen Fall bereits früher eine andere verbindliche Bestimmung getroffen worden ist, einen Anspruch auf Pension. Diejenigen dieser Beamten, welche auf Kündigung angestellt sind, von welcher jedoch obscrvanzmäßig niemals oder doch nur aus besonderen Gründen Gebrauch gemacht worden ist, sind den lebenslänglich angestellten Beamten gleichzusetzen, wenn nicht einer der Gründe eintritt, aus welchen die Kündigung vorbehalten ist. Bloß vorläufig und kommissarisch ohne Zeitbestimmung angestellten Beamten steht dieser Anspruch erst nach sechs­ jähriger Dienstzeit zu. Wenn ein solcher Beamter demnächst von der Stadt für dieselbe Stelle auf Zeit gewählt worden ist, so wird seine Dienst­ zeit, behufs der Feststellung seiner Pensionsberechtigung, von der Zeit des Eintritts in die kommissarische Dienstleistung gerechnet. Die Pension beträgt nach kürzerer als zwölfjähriger Dienstzeit V«, nach zwölf'- oder mehr als zwölfjähriger Dienstzeit 1i», nach vierundzwanzig­ jähriger Dienstzeit 2/s des seitherigen reinen Diensteinkommens. Was als solches au zusehen, wird im Verwaltungswege endgültig festgesetzt. Die Pension fällt insoweit fort und ruht, als der Pensionierte durch ander­ weitige Anstellung im Staats- oder Gemeindedienst ein Einkommen oder eine neue Pension erwirbt, welche mit Zurechnung der ersten Pension sein früheres Einkommen übersteigen. Die Pensionen werden von den Stadt­ gemeinden, in welchen die Beamten gegenwärtig angestellt sind, geleistet. Alle vorstehend nicht bezeichneten Gemeindebeamten sind in ihren Aemtern und Einkünften zu belassen und behalten ihre bisherigen Pensions­ ansprüche.

§ 85

ist jetzt gegenstandslos.

5 :: c r* 5 o m 111, VcrwallunIegcseye für l'reuscn.

35

546

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

2. LlSdlmdiiW für die MiWmi»;.'' Sem 15. Mai 1 >.'»26) im ganzen Umfange des Regierungsbezirks Wiesbaden, mit Ausnahme der Stadt Frankfurt a. M., zur Anwendung. § 53. Durch übereinstimmenden Beschluß der Stadtverordneten­ versammlung und des Magistrats kann unter hinzutrctender Genehmigung des Bezirksausschusses Bürgervermögen in Kämmereivermögen umgewandelt werden, jedoch mit der Einschränkung, daß Nutzungsrechte, welche nicht sämtlichen, sondern nur einzelnen Bürgern oder Gemeindeangehörigen als

5. Städkordnung für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 49—57.

631

solchen zustehen, den Berechtigten wider ihren Willen nicht entzogen oder geschmälert werden dürfen. In Ansehung der Verwaltung und Verwendung des Vermögens der Stiftungen bewendet es bei den stiftungsmäßigen Bestimmungen. So­ weit es hierbei auf den Begriff „Bürger" ankommt, sind die Bestimmungen dieses Gesetzes (§ 5) an sich nicht maßgebend.

§ 54. Die Teilnahme an den Gemeindenutzungen regelt sich, un­ beschadet der aus Verleihungsurkunden oder vertragsmäßigen Festsetzungen sich ergebenden Abweichungen nach dem bisherigen Rechte mit der Maß­ gabe, daß an Stelle der Gemeindebürger die Gemeindeangehörigen treten. Soweit hiernach der Maßstab für die Teilnahme an diesen Nutzungen nicht feststeht, erfolgt die Verteilung nach dem Verhältnisse, in welchem die Gemeindeangehörigen zu den Gemeindelasten beitragen.

§ 55. Auf Einsprüche, betreffend 1. das Recht zur Teilnahme an den Nutzungen und Erträgen des Gemeindevermögens, 2. die besonderen Rechte einzelner örtlicher Teile des Stadtbezirks oder einzelner Klaffen der Gemeindeangehörigen in Ansehung der zu Nr. 1 erwähnten Ansprüche, beschließt der Magistrat. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt. Der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren unterliegen des­ gleichen Streitigkeiten zwischen Beteiligten über ihre in dem öffentlichen Rechte begründete Berechtigung zu den im Absätze 1 bezeichneten Nutzungen. Einspruch und Klage haben keine aufschiebende Wirkung. K 56. Zur Veräußerung oder wesentlichen Veränderung von Sachen, welche einen besonderen wirtschaftlichen, historischen oder Kunstwert haben, namentlich von Archiven, ist die Genehmigung des Regierungspräsidenten erforderlich. Zur Veräußerung von Grundstücken oder solchen Gerechtigkeiten, welche jenen gesetzlich gleichgestellt sind, zu eittieitigkn Verzichtleistungen und Schenkungen, welche den Bestand des Grundvermögens (§ 52 Abs. 2) verringern, zu Anleihen, durch welche die Gemeinde mit einem Schuldenbestande belastet oder der vorhandene vergrößert wird, zur neuen Belastung der Gemeindeangehörigen ohne gesetzliche Ver­ pflichtung, zu Veränderungen in dem Genusse von Gemeindcnutzungen bedarf es der Genehmigung des Bezirksausschusses,

§ 57. Tie freiwillige Veräußerung von Grundstücken und ihnen gesetzlich gleichstehenden Gerechtigkeiten (§ 56 Abs. 2) darf der Regel nach nur im Wege des öffentlichen Meistgebots auf Grund einer Taxe stattfinden. Zur Gültigkeit einer solchen Veräußerung gehört: 1. einmalige Bekanntmachung durch das Aintsblatt des Regierungsbezirks und die für Bekanntmachungen des Magistrats üblichen öffentlichen Blätter.

632

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Stadterecht.

2. eine Frist von mindestens zwei Wochen von der Bekanntmachung bis zum Derkaufstermine und 3. die Abhaltung der Verkaufsverhandlung durch eine Justiz- oder Ma­ gistratsperson. DaS Ergebnis der Verkaufsverhandlung ist der Stadtverordneten­ versammlung mitzuteilen; der Zuschlag kann nur mit deren Genehmigung erfolgen. In besonderen Fällen kann der Bezirksausschuß den Verkauf aus freier Hand, sowie einen Tausch gestatten. Für die Eintragung im Grundbuche (Stockbuche) genügt zum Nach­ weise, daß der Vorschrift dieses Paragraphen entsprochen worden ist, die Bestätigung des Vertrages durch den Bezirksausschuß.

§ 58. Durchs Ortsstatut kann die Entrichtung von 1. Bürgerrechtsgeld bei Erwerb des Bürgerrechts, 2. Einkaufsgeld anstatt oder neben einer jährlichen Abgabe für die Teil­ nahme au den Gemeindenutzungen eingeführt werden. Jedoch darf den bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes im Genusse von Gemeindenutzungen stehenden Berechtigten für den weiteren Bezug des ihnen seither zugekommenen Anteils ein Einkaufsgeld nicht auferlegt werden. Wo Bürgerrechtsgeld oder Einkaussgeld bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes besteht, bleibt es bis zur anderweiten statutarischen Regelung in Geltung. Von der Zahlung des Bürgerrechtsgeldes sind befreit die unmittel­ baren und mittelbaren Staatsbeamten, die Lehrer und Geistlichen, welche gemäß dienstlicher Verpflichtung ihren Wohnsitz in der Stadt nehmen, Militärpersonen, welche sich zwölf Jahre im aktiven Dienststande befunden haben, bei der ersten Niederlassung, sowie die vorerwähnten Personen bei der ersten Verlegung des Wohnsitzes nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienste. Wird die Entrichtung des Bürgerrechtsgeldes eingeführt, so darf vor besten Berichtigung das Bürgerrecht nicht ausgeübt werden. Abstufungen in dem Betrage des Bürgerrechtsgeldes sind statthaft. Das Bürgerrechtsgeld darf innerhalb derselben Gemeinde von niemandem zweimal erhoben werden. Durch die Entrichtung des Einkaufsgeldes wird die Ausübung des Bürgerrechts nicht bedingt. Die Verpflichtung zur Zahlung des Einkaufs­ geldes, sowie der Abgabe für die Teilnahme an den Gemeindenutzungen ruht, solange auf diese Teilnahme verzichtet wird. Unberührt von den vorstehenden Bestimmungen bleiben die mit dem Besitze einzelner Grundstücke verbundenen oder auf besonderen Rechtstiteln beruhenden Nutzungsrechte. Im Falle der Umwandlung des Bürgervermögens oder eines Teiles desselben in Kämmereivermögen (§ 53) kann die Zurückerstattung des­ jenigen Teiles des Einkaufsgeldes, welcher durch den Bezug der Nutzungen noch nicht vergütet ist, verlangt werden.

5. Städeordnung für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 57—61.

633

§ 59. Auf die Erhebung des Bürgerrechtsgeldes, des Einkaufs­ geldes und der Abgabe (§ 58) finden hinsichtlich der Rechtsmittel, der Rachforderungen und Verjährungen, sowie der Kosten und der Zwangs­ vollstreckung die einschlagenden Vorschriften des fünften, achten und neunten Titels hes ersten Teiles des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 (GS. S. 152) sinngemäß Anwendung. § 60. Die besonderen Bestimmungen über die Verwaltung der Gemeindewaldungen, insbesondere auch die Vorschrift des § 116 Äbs. 2 der Kreisordnung für die Provinz Hessen-Nafiau, werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Fünfter Titel

Geschäfte des Magistrats.

§ 6t. Der Magistrat hat als Obrigkeit und Gemeindeverwaltungs­ behörde insbesondere folgende Geschäfte: 1. die Gesetze und Verordnungen, sowie die Verfügungen der ihm vor­ gesetzten Behörden auszuführen, 2. die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung vorzubereiten und, sofern er sich mit ihnen einverstanden erklärt, zur Ausführung zu bringen. Der Magistrat ist verpflichtet, die Zustimmung und Ausführung zu versagen, wenn von den Stadtverordneten ein Beschluß gefaßt ist, welcher das Gemeinwohl oder das Gemeindeintereste verletzt. In Fällen dieser Art ist nach den Bestimmungen im § 39 zu verfahren. 3. die städtischen Gemeindeanstalten zu verwalten und diejenigen, für welche besondere Verwaltungen eingesetzt sind, zu beaufsichtigen, 4. die Einkünfte der Stadtgemeinde zu verwalten, die auf dem Etat oder besonderen Beschlüssen der Stadtverordneten beruhenden Einnahineu und Ausgaben anzuweisen und das Rechnungs- und Kasten­ wesen zu überwachen. Von der regelmäßigen Kassenrevision ist der Stadtverordneten­ versammlung Kenntnis zu geben, damit sie ein Mitglied oder mehrere abordnen kann, um diesem Geschäfte beizuwohnen; bei außerordentlichen Kassenrevisionen ist der Vorsitzende oder ein von ihm ein- für allemal bezeichnetes Mitglied der Stadtverordnetenversammlung zuzuzieheu, 5. das Eigentum der Stadtgemeinde zu verwalten und ihre Rechte zu wahren, 6. die Gemeindebeamten nach Anhörung der Stadtverordnetenversamm­ lung anzustellen und sie zu beaufsichtigen. Die Anstellung der nicht lediglich zu vorübergehenden oder zu mechanischen Dienstleistungen berufenen Gemeindebeamten erfolgt auf Lebenszeit. Abweichungen von diesem Grundsätze können durch Orts­ statut oder in einzelnen Fällen mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde festgesetzt werden. In Ansehung der bei städtischen Betriebsverwal­ tungen angestellten Beamten findet der Grundsatz der Anstellung auf Lebenszeit nur insoweit Anwendung, als die Stadtgemeinde dies beschließt.

634

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

Die von den Gemeindebeamten zu leistenden Kautionen be­ stimmt der Magistrat nach Anhörung der Stadtverordnetenversammlung. In Städten bis zu 10000 Einwohnern (.§ 33 Abs. 1 Nr. 2) können die Geschäfte des Gemeindeeinnehmers nach Anhörung der Stadtverordnetenversammlung und mit Zustimmung des Bezirksaus­ schusses dem Kümmerer (§ 32) übertragen werden,

7. die Urkunden und Akten der Stadtgemeinde aufzubewahren, 8. die Stadtgemeinde nach außen zu vertreten und in ihrem Namen mit Behörden und Privatpersonen zu verhandeln, den Schriftwechsel zu führen und die Gemeindeurkunden in der Urschrift zu vollziehen. Die Ausfertigungen der Urkunden werden Namens der Stadt­ gemeinde von dem Bürgermeister oder seinem Stellvertreter gültig unterzeichnet; werden in den Urkunden Verpflichtungen der Stadt­ gemeinde übernommen, so muß noch die Unterschrift eines MagistratSmiigliedes hinzukommen; in Fällen, wo die Genehmigung der Auf­ sichtsbehörde erforderlich ist, muß die Genehmigung in beglaubigter Form der gedachten Ausfertigung beigefügt werden.

§ 62. Der Magistrat kann nur beschließen, wenn mindestens die Hälfte seiner Mitglieder zugegen ist. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmen­ gleichheit ist die Stimme des Vorsitzenden entscheidend. Den Vorsitz führt der Bürgermeister oder sein Stellvertreter. Der Vorsitzende ist verpflichtet, die Ausführung eines solchen Beschlusses abzu­ lehnen, welcher das Gemeinwohl oder das Genieindeinteresse erheblich ver­ letzt. In Füllen dieser Art beschließt der Bezirksausschuß über die zwischen dem Vorsitzenden und dem Magistratskollegium entstandene Meinungs­ verschiedenheit, wenn von einem Teile aus Entscheidung angetragcn wird und die Angelegenheit nicht auf sich beruhen kann. Die Beigeordneten nehmen auch außer dem Falle der Stellver­ tretung an den Verhandlungen und Beschlüssen teil. Bei der Beratung und Abstimmung über solche Gegenstände, welche ein Mitglied des Magistrats, seine Ehefrau, Geschwister oder Verwandten oder Verschwägerten der in § 33 Abs. 2 bezeichneten Art berühren, darf dieses Mitglied nicht zugegen sein. Wird aus diesem Grunde der Magistrat beschlußunfähig, so hat der Bezirksausschuß für die Wahrung des Gemeinde­ interesses zu sorgen und nötigenfalls einen besonderen Vertreter für die Stadtgemeinde zu bestellen. § 63. Der Bürgermeister leitet und beaufsichtigt den Geschäfts­ gang der städtischen Verwaltung. Würde die vorherige Bcschlußnahme durch den Magistrat einen nachteiligen Zeitverlust verursachen, so muß der Bürgermeister die dem Magistrate obliegenden Geschäfte vorläufig allein besorgen und dem Magistrate in der nächsten Sitzung behufs der Bestätigung oder anderweitigen Beschlußnahme Bericht erstatten. Dem Bürgermeister steht das Recht zu, den Gemeindebeamten (8 61 Nr. 6) Geldstrafen bis zu neun Mark, den unteren Beamten auch Arrest-

5. Städteordnung für die Provinz Hessen.Nassau.

§§ 61—67.

635

strafen bis zu drei Tagen aufzulegen (§§ 15, 19 und 20 des Gesetzes vom 21. Juli 1552, GS. S. 4b5). Gegen die Strafverfügungen des Bürgermeisters findet innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Regierungspräsidenten und gegen den auf die Beschwerde ergehenden Beschluß des Regierungspräsidenten inner­ halb zwei Wochen die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte statt.

§ 64. Zur dauernden Verwaltung oder Beaufsichtigung einzelner Geschäftszweige, sowie zur Erledigung vorübergehender Aufträge können besondere Kommissionen entweder aus Mitgliedern des Magistrats oder aus Mitgliedern beider Gemeindebehörden oder aus letzteren und austimmfähigen Bürgern gewählt werden. Zur Bildung gemischter Kom­ missionen aus beiden Stadtbehörden ist der übereinstimmende Beschluß beider erforderlich. Zu diesen Kommissionen, welche in allen Beziehungen dem Magistrate untergeordnet sind, werden die Stadtverordneten und stimmfähigen Bürger von der Stadtverordnetenversammlung, die Magistratsmitglieder von dem Magistrate gewählt. Der Bürgermeister hat unter den Magistratsmit­ gliedern der Kommissionen den Vorsitzenden zu bezeichnen, insofern er nicht selbst den Vorsitz übernimmt. Durch statutarische Anordnungen können nach den eigentümlichen örtlichen Verhältnissen besondere Festsetzungen über die Zusammensetzung bleibender Kommissionen getroffen werden. § 65. Städte von größerem Umsange oder von zahlreicherer Be­ völkerung können von dem Magistrate nach Anhörung der Stadtverordneten­ versammlung in Ortsbezirke geteilt werden. Jedem Bezirke wird ein Bezirksvorsteher vorgesetzt, welcher von der Stadtverordnetenversammlung aus den stimmfähigen Bürgern des Bezirks auf sechs Jahre erwählt und vom Magistrate bestätigt wird. In gleicher Weise wird für den Fall der Verhinderung des Bezirksvorstehcrs ein Stellvertreter bestellt. Die Bezirksvorsteher sind Organe des Magistrats und verpflichtet, seinen Anordnungen Folge zu leisten, ihn namentlich in den örtlichen Geschäften des Bezirks zu unterstützen. Ueber die Gültigkeit der Wahlen der Bezirksvorsteher, sowie über­ haupt solcher Gemeindebeamten, welche der Bestätigung nicht bedürfen, beschließt der Bezirksausschuß. § 66. Vor Beratung des städtischen Haushaltsetats hat der Ma­ gistrat der Stadtverordnetenversammlung in öffentlicher Sitzung über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten einen vollstän­ digen Bericht zu erstatten. Tag und Stunde werden wenigstens zwei Lage vorher öffentlich bekannt gemacht.

§ 67. Der Bürgermeister hat nach näherer Bestimmung der Gesetze folgende Geschäfte zu besorgen: I. wenn die Handhabung der Ortspolizei nicht Königlichen Behörden übertragen ist: 1. die Handhabung der Ortspolizei, vorbehaltlich der Bestimmungen der 28 und 29 der Kreisordnung für die Provinz Hessen-Nassau,

636

IX. Gruppe: Aommunalrecht.

A. Städterecht.

2. die Verrichtung eines Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft nach Maß­ gabe des § 153 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877 (RGBl. S. 41) und der auf Grund desselben erlassenen besonderen Bestimmungen, 3. die Verrichtungen eines Amtsanwalts bei dem Amtsgerichte, welches in der Stadt seinen Sitz hat, gegen Entschädigung aus Staats­ mitteln nach Maßgabe der Vorschriften der §§ 64 und 65 des Preußischen AuSsührungsgesetzes zum Deutschen Gerichtsverfassungs­ gesetze vom 24. April 1878 (GS. S. 230), sofern nicht eine andere Person mit diesem Amte betraut wird; II. alle örtlichen Geschäfte der Kreis-, Bezirks-, Provinzial- und allgemeinen Staatsverwaltung, namentlich auch die Standesamtsgeschäfte nach Maßgabe der Bestimmungen des Reichsgesetzes vom 6. Februar 1875 (RGBl. S. 23), sofern nicht ein besonderer Beamter hierfür bestellt ist. Die Staudesamtsgeschäfte können mit Genehmigung des Ober­ präsidenten, andere der unter I, 1 und 2 und II erwähnten Geschäfte können mit Genehmigung der Regierungspräsidenten einem anderen Magistratsmitgliede übertragen werden. In Ansehung der Obliegenheiten des Bürgermeisters bezüglich der Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit bewendet es bei den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen. Sechster Titel.

Feld- u«d Ortsgerichte «nd Feldgefchworeue. § 68. Wegen der Zusammensetzung und der Zuständigkeit

des Feldgerichts im Gebiete des vormaligen Herzogtums Nassau und des früheren Amtes Homburg, sowie des Ortsgerichts und der Feldgeschworeuen in den ehemals Großherzoglich Hessischen Gebietsteilen bewendet es bei den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen mit der Maßgabe, daß das in letzteren vorgesehene Vorschlagsrecht der Gemeinde, sowie der Gemeinde­ vertretung und des Gemeindevorstandes für das Amt der FeldgerichtSschöffeu und der Feldgeschworenen der Stadtverordnetenversammlung zusteht.

Siebenter Titel.

Besoldungen «nd Pensionen. § 69. Der Normaletat aller Besoldungen wird von dem Magistrate entworfen und von der Stadtverordnetenversammlung festgesetzt. Ist ein solcher Etat überhaupt nicht oder nur für einzelne Teile der Verwaltung sestgestellt, so werden die nicht vorgesehenen Besoldungen vor der Wahl festgesetzt. Die Bürgermeister in Städten von mehr als 1200 Einwohnern er­ halten eine Besoldung. Den Bürgermeistern in Städten von nicht mehr als 1200 Einwohnern und den Beigeordneten können, sofern ihnen nicht mit Genehmigung des Bezirksausschusses eine Besoldung besonders beigelegt worden ist, feste Entschädigungsbeträge bewilligt werden. Hinsichtlich der Bürgermeister, der Beigeordneten und der besoldeten Magistratsmitglieder unterliegt die Festsetzung der Besoldungen und der

5. Städttordnuug für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 67—74.

637

En tfchädigungsbeträge in allen Fällen der Genehmigung des Bezirks­ ausschusses. Der Regierungspräsident kann verlangen, daß die zu einer zweckmäßigen Verwaltung angemessenen Besoldungs- und Entschädigungs­ beträge bewilligt werden. Schöffen und Stadtverordnete erhalten nur die Vergütung barer Auslagen, welche ihnen aus der Ausrichtung von Aufträgen entstehen.

§ 70. Den besoldeten Bürgermeistern, Beigeordneten und übrigen Mitgliedern des Magistrats sind, sofern nicht mit Genehmigung des Bezirksausschusses eine Vereinbarung wegen der Pension getroffen ist, bei eintretender Dienstunsähigkeit, oder wenn sie nach abgelaufener Wahlperiode nicht wieder gewühlt werden, folgende Pensionen zu gewähren: ein Viertel der Besoldung nach sechsjähriger Dienstzeit, die Hälfte der Besoldung nach zwölfjähriger Dienstzeit, [jroei Drittel der Besoldung nach vierundzwanzigjähriger Dienstzeit.)')

K 71. Die aus Lebenszeit angestellten besoldeten Gemeindebeamten erhalten, insofern nicht ein anderes mit Genehmigung des Bezirksausschuffes vereinbart worden ist, bei eintretender Dienstunsähigkeit Pension nach den für die unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Grundsätzen. Unberührt bleibt der Artikel III des Gesetzes vom 31. März 1882, insoweit er nicht durch das Gesetz, betreffend die Ausdehnung einiger Be­ stimmungen des Gesetzes vom 31. März 1882 wegen Abänderung des Pcnsionsgesetzes vom 27. März 1872 auf unmittelbare Staatsbeamte, vom 1. März 1891 (GS. S. 19) abgeändert ist.

§ 72. Die Pension fällt fort oder ruht insoweit, als der Pensionierte durch anderweitige Anstellung im Staats- oder Gemeindedienste ein Ein­ kommen oder eine neue Pension erwirbt, welche mit Zurechnung der ersten Pension sein früheres Einkommen übersteigen. § 73. Die Witwen und Waisen der besoldeten Bürgermeister, Beigeordneten und übrigen Magistratsmitglieder sowie derjenigen Gemeinde­ beamten, welche mit Pensionsberechtigung angestellt gewesen sind, erhalten, falls nicht ein anderes mit Genehmigung des Bezirksausschusses vereinbart worden ist, Witwen- und Waisengeld nach den für die Witwen und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Vorschriften unter Zugrundelegung des von dem Beamten im Augenblicke des Todes erdienten Pcnsionsbetrages. Aus das Witwen- und Waisengeld kommen diejenigen Bezüge in Anrechnung, welche von öffentlichen Witwen- und Waisenanstalten gezahlt werden, insoweit die Stadtgemeinde die Einkaussgelder und Beitrüge geleistet hat.

§ 74. Ueber streitige Pensionsansprüche der besoldeten Bürgermeister, Beigeordneten, sonstigen Magistratsmitglieder und der übrigen besoldeten Gemeindebeamten, sowie über streitige Ansprüche der Hinterbliebenen dieser Beamten auf Witwen- und Waisengeld, beschließt der Bezirksausschuß, und zwar, soweit der Beschluß sich darauf erstreckt, welcher Teil des Dienst*) Vgl. § 12 KBG.

638

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. StLdterecht.

einkommens bei Feststellung dieser Ansprüche als Besoldung anzusehen ist, vorbehaltlich der den Beteiligten gegeneinander zustehenden Klage im Verwaltungsstreitverfahren, im übrigen vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges. Der Beschluß ist vorläufig vollstreckbar.

§ 75. Ueber die Tatsache der Dienstunfähigkeit der besoldeten Bürgermeister, Beigeordneten, Magistratsmitglieder und sonstigen Gemeinde­ beamten ist entstehendenfalls in dem durch § 91 Abs. 1 Nr. 2 bezüglich der Entfernung aus dem Amte vorgeschriebenen Verfahren zu entscheiden. Achter Titel.

Gemei«deha«shalt.

§ 76. Ueber die Ausgaben und Einnahmen, welche sich im voraus bestimmen lassen, entwirft der Magistrat jährlich, spätestens im Januar, einen Haushaltsetat. Mit Zustimmung der Stadtverordneten kann die Etatsperiode bis auf 3 Jahre verlängert werden. Der Entwurf wird acht Tage lang, nach vorheriger Verkündigung, in einem oder mehreren von dem Magistrate zu bestimmenden Räumen zur Einsicht der Gemeindeangehörigen offen gelegt und alsdann von den Stadtverordneten festgestellt. Eine Abschrift des festgestellten Etats wird sofort der Aufsichtsbehörde eingereicht. § 77. Der Magistrat hat dafür zu sorgen, daß der Hansbalt nach dem Etat geführt wird. Ausgaben, welche außer bem Etat geleistet werden sollen, bedürien der Genehmigung der Stadtverordneten. § 78. Gemeindegefälle, aus welche nicht schon § 90 des Kommunalabgabengesehes vom 14. Juli 1893 Anwendung findet, werden von den Säumigen im Derwaltungszwangsverfahren beigetrieben. § 79. Die Jahresrechnung ist von dem Stadtrechner binnen vier Wochen nach dem Schluffe des Etatsjahres aufzustellen und dem Magistrate einzureichen, welcher sie zu prüfen und mit seinen Erinnerungen den Stadtverordneten zur Feststellung und Entlastung vorzulegen hat. Die Feststellung der Rechnung muß vor Ablauf von neun Monaten nach dem Schluffe des Etatsjahres bewirkt sein. Der Magistrat hat der Aufsichtsbehörde sofort eine Abschrift des Feststcllungs- und Entlastungsbeschlusses vorzulegen. § 80. Durch statutarische Anordnungen können andere Fristen für die Legung und Feststellung der Rechnung festgesetzt werden. § 81. Ueber alle Teile des Vermögens der Stadtgemeinde hat der Magistrat ein Lagerbuch zu führen. Veränderungen werde» den Stadtverordneten bei der Rechnungsabnahme mitgeteilt. § 82 Der Bezirksausschuß beschließt: 1. über die Art der gerichtlichen Zwangsvollstreckung wegen Geldsorderungen gegen Stadtgemeinden (§ 15 zu 4 des Einführungsgesetzes zur

5. Städteordnung für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 74—85.

639

Deutschen Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877, RGBl. S. 244), 2. über die Feststellung und den Ersatz der Desekte der Gemeindebeamten nach Maßgabe der Verordnung vom 24. Januar 1844 (GS. S. 52); der Beschluß ist vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges endgültig.

Neunter Titel.

Einrichtung der städtischen Verfassung ohne Magistrat. K 83. Wenn die Stadtverordnetenversammlung nach zweimaliger, mit einem Zwischenräume von mindestens acht Tagen vorgenommener Be­ ratung daraus anträgt, kann mit Genehmigung des Bezirksausschusses die Einrichtung getroffen werden, daß statt des Magistrats ein Bürgermeister, welcher auch den Vorsitz in der Stadtverordnetenversammlung mit Stimm­ recht zu sühren hat, ein Beigeordneter als dessen Stellvertreter und zwei oder drei Schöffen, welche den Bürgermeister zu unterstützen haben, gewählt werden.

§ 84. In dem Falle des § 83 gehen alle Rechte und Pflichten, welche in dem ersten bis achten Titel dem Magistrate beigelegt sind, auf den Bürgermeister mit den Maßgaben über, welche sich als notwendig daraus ergeben, daß der Bürgermeister zugleich stimmberechtigter Vor­ sitzender der Stadtverordnetenversammlung ist. Dem Bürgermeister steht insonderheit ein Recht der Zustimmung zu den Beschlüssen der Stadtverordneten nicht zu; er ist aber in den im zweiten Absätze der Nummer 2 des 8 61 bezeichneten Fällen verpflichtet, die Aus­ führung der Beschlüffe der Stadtverordnetenversammlung abzulehnen und, wenn die Versammlung bei nochmaliger Beratung bei ihrem Beschlusse beharrt, die Beschlußfassung des Bezirksausschusses zu beantragen. Im übrigen finden die Vorschriften des ersten bis achten Titels mit der Maßgabe Anwendung, daß die Schöffen zugleich Stadtverordnete sein können, und daß es genügt, wenn die Beschlüsse der Stadtverordneten­ versammlung (§ 50) von dem Vorsitzenden und einem Mitgliede unter­ zeichnet werden. Zehnter Titel.

Verpflichtung zur Uebernahme städtischer Aemter «nd Ausscheiden ans solchen Aemtern wegen Verlustes des Bürgerrechts. K 85. Jeder stimmfähige Bürger ist verpflichtet, ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Stadtgemeinde zu übernehmen, sowie ein übernommenes Amt mindestens drei Jahre lang zu versehen. Zur Ablehnung oder früheren Niederlegung eines solchen Amtes berechtigen folgende Entschuldigungsgründe: 1. anhaltende Krankheit; 2. Geschäfte, die eine häufige oder lange dauernde Abwesenheit vom Wohnorte mit sich bringen;

640

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

3. das Alter von sechzig Jahren; 4. die Verwaltung eines unmittelbaren Staatsamtes; 5. sonstige besondere Verhältnisse, welche nach dem Ermessen der Stadt­ verordnetenversammlung eine endgültige Entschuldigung begründen.

Wer ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Stadtgemeinde während der vorgeschriebenen regelmäßigen Amtsdauer ver­ sehen hat, kann die Uebernahme desselben oder eines gleichartigen Amtes für die nächsten drei Jahre ablehnen. Wer sich ohne einen der vorbezeichneten Entschuldigungsgründe weigert, ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Stadt­ gemeinde zu übernehmen oder das übernommene Amt drei Jahre hindurch zu versehen, sowie derjenige, welcher sich der Verwaltung eines solchen Amtes tatsächlich entzieht, kann durch Beschluß der Stadtverordneten für den Zeitraum von drei bis sechs Jahren der Ausübung des Bürgerrechts verlustig erklärt und um ein Achtel bis ein Viertel stärker zu den direkten Gemeindeabgaben herangezogen werden. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt, welche auch dem Magistrate zusteht.

§ 86. Der Verlust des Bürgerrechts hat das Ausscheiden aus einem dieses Recht voraussetzenden Amte zur Folge, im Falle des ruhenden Bürgerrechts tritt die vorläufige Enthebung vom Amte ein. (§§ 7 und 9). Die zu bleibenden Verwaltungskommissionen gewählten stimmfähigen Bürger (§ 64) und andere von der Stadtverordnetenversammlung aus eine bestimmte Zeit gewählte unbesoldete Gemeindebeamte, zu denen jedoch die Schöffen nicht zu rechnen sind, können durch einen übereinstimmenden Beschluß des Magistrats und der Stadtverordneten vor Ablauf ihrer Wahlperiode von ihrem Amte entbunden werden. Elfter Titel.

Aufsicht des Staates.

§ 87. Die Aufsicht des Staates über die Verwaltung der städtischen Gemeindeangelegenheiten wird in erster Instanz von dem Regierungs­ präsidenten, in höherer und letzter Instanz von dem Oberpräsidenten geübt, unbeschadet der gesetzlich geordneten Mitwirkung des Bezirksausschusses und des Provinzialrates. Beschwerden bei den Aufsichtsbehörden in städtischen Gemeinde­ angelegenheiten sind in allen Instanzen innerhalb zwei Wochen anzubringen. § 88. Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung oder des Magistrats, welche deren Befugnisse überschreiten oder die Gesetze verletzen, hat der Magistrat (Bürgermeister», entstehendenfalls auf Anweisung der Aufsichtsbehörde, mit aufschiebender Wirkung, unter Angabe der Gründe zu beanstanden. Gegen die Verfügung des Magistrats (Bürgermeisters) steht der Stadtverordnetenversammlung (dem Magistrate) die Klage im Verwaltungsstreitverfahren zu. Aus anderen, als den vorstehend angegebenen Gründen sind die

5 Stäbteorbnung für bie Provinz Hessen-Nassau

§§ 85—92.

Aufsichtsbehörden nicht befugt, eine Beanstandung der Beschlüsse Stadtverordnetenversammlung oder des Magistrats herbeizuführen.

641 der

§ 89. Unterläßt oder verweigert eine Stadtgemeinde die ihr ge­ setzlich obliegenden, von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zuständig­ keit festgestellten Leistungen auf den Haushaltsetat zu bringen oder außer­ ordentlich zu genehmigen, so verfügt der Regierungspräsident unter Anführung der Gründe die Eintragung in den Etat oder die Feststellung der außerordentlichen Ausgabe. Gegen die Verfügung des Regierungspräsidenten steht der Gemeinde die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte zu. § 90. Auf den Antrag des Staatsministeriums kann durch Königliche Verordnung eine Stadtverordnetenversammlung aufgelöst werden. Es ist sodann eine Neuwahl anzuordnen; diese muß binnen sechs Monaten vom Tage der Auslösungsverordnung an erfolgen. Bis zur Einführung der neugewählten Stadtverordneten steht die Beschlußfassung in den zur Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung gehörigen Angelegenheiten dem Bezirksausschüsse zu.

§ 91. In betreff der Dienstvergehen der Bürgermeister, Bei­ geordneten, Magistratsmitglieder und sonstigen Gemeindebeamten kommen die Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Juli 1852 (GS. S. 465) mit folgenden Maßgaben zur Anwendung: 1. gegen die Bürgermeister, Beigeordneten und Magistratsmitglieder, sowie gegen die sonstigen Gemeindebeamten kann an Stelle der Bezirlsregierung und innerhalb des ihr nach jenem Gesetze zustehenden Ordnungsstrafrechts der Regierungspräsident Ordnungsstrajen sestjetzen. Gegen die Strafverfügungen des Regierungspräsidenten findet innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Oberpräsidenten, gegen den auf die Beschwerde ergehenden Beschluß des Oberprüsidentcn innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte statt. 2. In dem Verfahren auf Entfernung aus dem Amte wird von dem Regierungspräsidenten oder dem Minister des Innern die Einleitung des Verfahrens verfügt und der Untersuchungskommissar ernannt; an die Stelle der Bezirksregierung und des Disziplinarhofes tritt als entscheidende Disziplinarbehörde erster Instanz der Bezirksausschuß; an die Stelle des Staatsministeriums tritt das Oberverwaltungsgericht; den Vertreter der Staatsanwaltschaft ernennt bei dem Bezirksausschüsse der Regierungspräsident, bei dem Oberverwaltungsgerichte der Minister des Innern. Gegen Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung findet ein Disziplinarverfahren nicht statt. § 92. Zuständig in erster Instanz ist im Derwaltungsstreitversahren für die in dieser Städteordnung vorgesehenen Fülle, sofern nicht im ein­ zelnen anders bestimmt ist, der Bezirksausschuß. Die Frist zur Anstellung der Klage beträgt in allen Fällen zwei Wochen. Die Stadtverordnetenversammlung, sowie der Magistrat können zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verwaltungsstreitverfahren einen besonderen Vertreter bestellen. lier-Svmlv, VerwultunziSgefevc für Preußen.

642

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterechl.

Zwölfter Titel.

Ausführrings-, Nebergangö- und Schlntzbestimmungen. § 93. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1898 in Kraft. Mit diesem Zeitpunkte treten in den im § 1 Abs. 1 bezeichneten Städten alle entgegenstehenden Bestimmungen im vierten Titel des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Berwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 (GS. S. 237), soweit sie nicht bereits auf Grund der Städteordnung vom 8. Juni 189 l (GS. S. 107) ihre Geltung ver­ loren haben, außer Kraft. Rechte und Pflichten, welche auf besonderen Titeln des öffentlichen Rechts beruhen, bleiben insoweit in Kraft, als diese Titel von den bis­ herigen allgemeinen und besonderen gesetzlichen Vorschriften, Ordnungen, Gewohnheitsrechten und Observanzen abweichende Bestimmungen enthalten. Eine solche Abweichung wird nicht vermutet.

§ 94. Die bei Verkündigung dieses Gesetzes bestehenden, von ihm abweichenden Ortsstatuten, allgemeinen Gewohnheitsrechte und Observanzen bleiben, soweit das Gesetz ortsstatutarische Regelung zuläßt, unbeschadet der Bestimmung des § 96 Abs. 4 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 einstweilen, längstens auf drei Jahre, in Kraft. § 95. Soweit Lehranstalten, mit Einschluß der Volksschulen die Eigenschaft von Gemeindeanstalten beiwohnt, kommen in deren Ansehung die Bestimmungen dieses Gesetzes nur unter den Einschränkungen zur Anwendung, welche sich aus den für diese Anstalten geltenden besonderen Rechtsnormen ergeben. Dieses findet sinnentsprechende Anwendung auch bezüglich des Wege­ baues und anderer Veranstaltungen der Gemeinden, über die besondere Gesetze erlassen sind.

§ 96. In denjenigen Städten des Regierungsbezirks Wiesbaden, in welchen die Städteordnung vom 8. Juni 1891 gilt, bleiben die Mit­ glieder des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung bis zum Abläufe ihrer Wahlperiode in Tätigkeit. Eine nach dem gegenwärtigen Gesetze in der Mitglicderzahl dieser Körperschaften erforderliche Aenderung tritt allmählich bei Vornahme der regelmäßigen Ergänzungswahlen ein. In den übrigen im § 1 Abs. 1 bezeichneten Städlen bleiben die bei Verkündigung dieses Gesetzes bestehenden Gemeindevorstände und Gemeindevertretungen bis zur Einführung der auf Grund dieses Gesetzes einzurichtenden Gemeindevorstände und zu wählenden Stadtverordneten­ versammlungen in Tätigkeit und nehmen deren Obliegenheiten wahr.

§ 97. Die erstmaligen Wahlen für die Stadtverordnetenversamm­ lungen in den Städten, in welchen die Städteordnung vom 8. Juni 1891 nicht gilt, sind nach Maßgabe des gegenwärtigen Gesetzes schon vor dessen Inkrafttreten und so zeitig vorzunehmen, daß die gewählten Stadtverordneten am 1. April 1898 in ihr Amt eingeführt werden können. Der Regierungspräsident bestimmt für dieses erste Mal nach Lage der Vorarbeiten den Zeitraum, innerhalb dessen die Offenlegung der Liste

6. StLdteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden.

§ 1.

643

der Stimmberechtigten (§ 22 Abs. 2) stattzufinden hat, sowie den Zeit­ punkt, bis zu welchem aus die gegen die Richtigkeit der Liste erhobenen Einsprüche zu beschließen ist (Abs. 3 und 4 ebendaselbst). Die Wahlperiode der aus der erstmaligen Wahl hervorgegangenen Stadtverordneten (Abs. 1) wird so berechnet, als wenn sie mit dem An­ fänge des Jahres 1898 begonnen hätte.

§ 98. Die in den §§ 14 und 32 vorgesehenen statutarischen Anordnungen, sowie die nach § 83 zulässige Einrichtung können schon vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes getroffen werden. K 99. Die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes im Amte befindlichen Oberbürgermeister, Bürgermeister und deren besoldete Stell­ vertreter bleiben bis zum Ablaufe ihrer Amtsperiode, die Gemeinderechner (Gemeinderechnungssuhier) und die sonstigen besoldeten Gemeindebeamten nach Maßgabe ihrer Anstellungsbedingungen im Amte. Aus die vorbezeichneten Beamten siaden die Bestimmungen in den §§ 69 bis 74 nur insoweit Anwendung, als nicht für sie günstigere Be­ dingungen festgesetzt sind, bei welchen cs in diesem Falle bewendet.

§ 100. Der Minister des Innern ist mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt.

6. LMmdimg für dm tiMmBczirk MMden. Bo« 8. Zuui 1891.')') (ES. S. 107.)

§ 1. Die gegenwärtige Städteordnung kommt in den Städten Wiesbaden, Biebrich-Mosbach, Homburg v. d. Höhe, Ems, Höchst, Lim­ burg, Oberlahnstein, Rödelheim, Diez, Oderursel und Rüdesh.im zur Anwendung-I In den übrigen im § 22 der Kreisordnung für die Provinz HessenNassau vom 7. Juni 1885 ((55. S. 193) bezeichneten Stadt­ gemeinden des Regiciungsbezirks Wiesbaden, mit Ausnahme der Stadt Frankfurt a M., erfolgt deren Einführung auf übereinstimmenden Beschluß des Gemcindevarstandes und der Genieindevertretung nach Anhörung deS Provinziallandtages durch Königliche Verordnung. Diese SlO. ist durch VO. v. 6. Februar 1893 (GS. S. 7) eingeführt in den Stadtgemeinden Dillenburg. Ellville, Hachenburg, Hadamar. Herborn. Idstein, Langenschwalbach. Montabaur. Nederlahnslein und WoUdurg; durch BO. v. 14. Januar 1895 (GS. S. 9) in den Sladtgememden Braudach. Kronberg, Friedrichsdorf, Geisenheim, Halger, Hoiheim, Königstein. 9hiHüU und Usingen. *) Bgt. die SlO. f. Hessen-Nassau oben S. 617 § 1 und §§ 93, 96, 97 oben S. 612.

644

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Slädlerecht.

Titel I.

Bon den Grundlage» der städtische« Dcrfastuug. § 2. Ten städtischen Gemeindebezirk (Stadtbezirk) bilden alle

die­ jenigen Grundstücke, welche demselben bisher angehört haben. Grundstücke, welche bisher noch keinem Gemeindebezirke angehört haben, können nach Vernehmung der Beteiligten und nach Anhörung des Kreistages durch Beschluß des Bezirksausschusses mit dem Stadtbezirke ver­ einigt werden. Eine Vereinigung eines ländlichen Gemeindebezirks mit einer Stadt­ gemeinde kann nur unter Zustimmung der Vertretungen der beteiligten Gemeinden nach Anhörung des Kreistages mit Genehmigung des Königs erfolgen. Die Abtrennung einzelner Grundstücke von einem Stadtbezirke und deren Vereinigung mit einem angrenzenden Gemeindebezirke, sowie die Ab­ trennung einzelner zu einer anderen Gemeinde gehörender Grundstücke und deren Vereinigung mit einem angrenzenden Stadtbezirke kann nach An­ hörung des Kreistages durch Beschluß des Bezirksausschusses vorgenommen werden, wenn außer den Vertretungen der beteiligten Gemeinden auch die Eigentümer jener Grundstücke darin einwilligen. In Ermangelung der Einwilligung aller Beteiligten kann eine Veränderung dieser Art in den Gemeindebezirken nur in dem Falle, wenn dieselbe im öffentlichen Interesse als notwendiges Bedürsnis sich ergibt und alsdann nur mit Genehmigung des Königs nach Vernehmung der Beteiligten und nach Anhörung des Kreistages stattfinden. In allen vorstehenden Fällen ist der Beschluß des Kreistages vor Einholung der höheren Genehmigung den Beteiligten nachrichtlich mitzuteilenUeber die infolge einer derartigen Veränderung notwendig werdende Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Gemeinden beschließt der BefirksanSschuß vorbehaltlich der den letzteren gegeneinander zustehenden Klage im Verwaltungsstreitvcrfahren. Privatrechtliche Verhältnisse dürfen durch dergleichen Veränderungen niemals gestört werden. Eine jede solche Veränderung ist durch das Amtsblatt bekannt zu machen. Veränderungen, welche bei Gelegenheit einer Gemeinheitsteilung vorkommen, unterliegen diesen Bestimmungen nicht. Streitigkeiten über die bestehenden Grenzen der Stadtbezirke unter­ liegen der Entscheidung im Verwaltungsstreitversahren. Ueber die Festsetzung streitiger Grenzen beschließt vorläufig, sofern es das öffentliche Interesse erheischt, der Bezirksausschuß. Bei dem Beschlusse behält es bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verwaltungsstreitversahren sein Bewenden.

§ 3. Alle Einwohner des Stadtbezirks, mit Ausnahme der servis­ berechtigten Militärpersonen des aktiven Dienslstandes, gehören zur Stadt­ gemeinde. Als Einwohner werden diejenigen betrachtet, welche in dem Stadt­ bezirk nach den Bestimmungen der Gesetze ihren Wohnsitz haben.

6. Städteordnung für den Regierung-bezirk Wiesbaden.

§§ 2—4.

645

K 4. Alle Einwohner des Stadtbezirks sind zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtungen und Anstalten der Stadt berechtigt und zur Teil­ nahme an den städtischen Gemeindelasten nach den Borschristen dieses Ge­ setzes verpflichtet. Die Bestimmungen besonderer Stiftungen, welche mit solchen städtischen Einrichtungen und Anstalten verbunden sind, sowie die hieran bestehenden aus besonderen Titeln beruhenden Privatrechte werden hierdurch nicht berührt. Wer, ohne in dem Stadtbezirke zu wohnen, daselbst Grundbesitz hat, oder ein stehendes Gewerbe betreibt, ist dennoch verpflichtet, an denjenigen Lasten teilzunehmen, welche auf den Grundbesitz oder das Gewerbe gelegt sind. Dieselbe Verpflichtung haben juristische Personen, welche in dem Stadtbezirke Grundeigentum besitzen oder ein stehendes Gewerbe betreiben.

Im Weiteren kommen bei der Gemeindebesteuerung neben dem § 8 des Reichsgesetzes über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 (BundesGesetzbl. S. 55) die Vorschriften des Gesetzes, betreffend Ergänzung und Abänderung einiger Bestimmungen über Erhebung der auf das Einkommen gelegten direkten Kommunalabgaben, vom 27. Juli 1885 (Gesetz-Samml. S. 327), die §§ 1 bis 7 und 9 bis 13 der Verordnung, betreffend die Heranziehung der Staatsdiener zu den Kommunalauflagen in den neu er­ worbenen Landesteilen, vom 23. September 1867 (Gesetz-Samml. S. 1648) in Verbindung mit dem Gesetze, betreffend die Heranziehung von Militär­ personen zu Abgaben für Gemeindezwecke, vom 29. Juni 1886 (GesetzSamml. S. 181) zur Anwendung. Die zur Stadtgemarkung gehörigen Waldungen unterliegen den auf den Grundbesitz gelegten Gemeindeabgaben und Lasten, jedoch, soweit es sich um Stadtgemeinden im vormaligen Herzogtum Nassau handelt, vor­ behaltlich der aus dem Nassauischen Gesetze vom 27. September 1849, betreffend die Gehalte der Förster, folgenden Maßgabe. Die dem Staate gehörigen, zu einem öffentlichen Dienste oder Ge­ brauche bestimmten Liegenschaften und Gebäude, die Königlichen Schlösser, sowie die im 8 4 zu 6 und d des Gesetzes vom 21. Mai 1861, betreffend die anderweite Regelung der Grundsteuer (Gesetz-Samml. S. 253), im Artikel I des Gesetzes vom 12. Mär; 1877 (Gesetz-Samml. S. 19) und im § 3 ;u 2 bis 6 des Gesetzes vom 21. Mai 1861, betreffend die Ein­ führung einer allgemeinen Gebäudesteuer (Gesetz-Samml. S. 317), be­ zeichneten Grundstücke und Gebäude, ingleichen die Dienstgrundstücke der Geistlichen. Kirchendiener und Elementarschullchrer sind von den Gemeinde­ auflagen befreit. Neu erbaute oder vom Grunde aus wieder aufgebaute Gebäude unter­ liegen der Gemeindesteuerpflicht von dem Zeitpunkte ab, in welchem die­ selben zur Staatsgebäudesteuer herangezogen werden. Sonstige auf einem besonderen Rechtstitel beruhende Befreiungen einzelner Grundstücke von den Gemeindeabgaben bleiben in ihrem bis­ herigen Umfange sortbestehen. Die Gemeinde ist jedoch berechtigt, diese Befreiungen durch Zahlung des zwanzigfachen Jahreswertes derselben nach dem Durchschnitte der letzten zehn Jahre vor dem 1. Januar desjenigen Jahres, in welchem die Ablösung beschlossen wird, abzulösen. Steht ein

646

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Slädterecht.

anderer Entschädigungsmaßstab durch besondere Rechtstitel fest, so hat es hierbei sein Bewenden. Abgesehen von den aus der Verordnung vom 23. September 1867 (Gesetz-Samml. S. 1648) sich ergebenden Gemeindesteuerprivilegien, sind alle übrigen persönlichen Befreiungen ohne Entschädigung aufgehoben. Auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend: 1. das Recht zur Mitbenutzung der öffentlichen Gemeindeanstalten, 2. die Heranziehung oder die Veranlagung zu den Gemeindelasten, beschließt der Gemeindevorstand (Magistrat). Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitver­ fahren statt. Der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren unterliegen desgleichen Streitigkeiten zwischen Beteiligten über ihre in dem öffentlichen Rechte be­ gründete Verpflichtung zu den Gemeindelasten. Einsprüche gegen die Höhe von Gemeindezuschlägen zu den direkten Staatssteuern, welche sich gegen den Prinzipalsatz der letzteren richten, sind unzulässig. Die Beschwerde und die Einsprüche, sowie die Klage haben keine ausschiebende Wirkung.

5 5. Das Bürgerrecht besteht in dem Rechte zur Teilnahme an den Wahlen, sowie in der Befähigung zur Uebernahme unbesoldeter Aemter in der Gemeindeverwaltung und zur Gemeindevertretung. Jeder selbständige Preuße erwirbt dasselbe, wenn er feit einem Jahre 1. Einwohner des Stadtbezirks ist und zur Stadtgemeinde gehört (§ 3), 2. keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfangen, 3. die ihn betreffenden Gemeindeabgaben gezahlt hat und außerdem 4. entweder a.) ein Wohnhaus im Stadtbezirke besitzt (§ 16), oder b) von seinem im Stadtbezirke belegenen Grundbesitze einen Haupt­ grundsteuerbetrag von sechs Mark oder mehr entrichtet, oder c) zur Staatseinkommensteuer oder zu einem fingierten Normalsteuer­ satze von mindestens vier Mark veranlagt ist. Steuerzahlungen, Einkommen, Haus- und Grundbesitz der Ehefrau werden dem Ehemann, Steuerzahlungen, Einkommen, Haus- und Grund­ besitz der minderjährigen, sowie der in väterlicher Gewalt befindlichen Kinder dem Vater angerechnet. In den Fällen, wo ein Haus durch Vererbung auf einen anderen übergeht, kommt dem Erben bei Berechnung der Dauer des einjährigen Wohnhausbesitzes die Besitzzeit des Erblassers zugute. Als selbständig wird nach vollendetem vierundzwanzigsten Lebens­ jahr ein jeder betrachtet, der einen eigenen Hausstand hat, sofern ihm nicht das Versügungsrecht über sein Vermögen oder dessen Verwaltung durch richterliches Erkenntnis entzogen ist. Inwiefern über die Erlangung des Bürgerrechts von dem Magistrat eine Urkunde (Bürgerbrief) zu erteilen ist, bleibt den statutarischen An­ ordnungen Vorbehalten.

6. Slädteordnung für ben RrgierungSbrzirk Witsdaben.

§§ 4—9.

647

§ 6. Verlegt ein Bürger seinen Wohnsitz nach einer anderen Stadt, so kann ihm das Bürgerrecht in seinem neuen Wohnort, wenn sonst die Erfordernisse zur Erlangung desselben vorhanden sind, von dem Magistrate im Einverständnisse mit der Stadtverordnetenversammlung (§ 12) schon vor Ablauf eines Jahres verliehen werden. Diese Bestimmungen finden auch auf den Fall Anwendung, wenn der Besitzer eines einen besonderen Gutsbezirk bildenden Gutes oder ein stimmberechtigter Einwohner einer Landgemeinde seinen Wohnsitz nach einer Stadt verlegt. Der Magistrat ist im Einverständnis mit der Stadtverordneten­ versammlung befugt, Männern, welche sich um die Stadt verdient gemacht habe», ohne Rücksicht auf die oben gedachten besonderen Erfordernisse, daS Ehrenbürgerrecht zu erteilen, wodurch keine städtischen Verpflichtungen entstehen. § 7. Wer durch rechtskräftiges Erkenntnis der bürgerlichen Ehren­ rechte verlustig gegangen ist, verliert dadurch dauernd die von ihm bisher bekleideten Aemter in der Gemeindeverwaltung und Gemeindevertretung, sowie für die im Urteile bestimmte Zeit das Bürgerrecht überhaupt und die Fähigkeit, dasselbe zu erwerben. Die rechtskräftig erfolgte Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter hat den dauernden Verlust der bisher bekleideten Aemter in der Gemeindeverwaltung und Gemeindevertretung, sowie für die im Urteile be­ stimmte Zeit die Unfähigkeit zur Uebernahme solcher Aemter zur Folge. Ist gegen einen Bürger wegen eines Verbrechens oder eines Ver­ gehens, welches die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zur Folge haben kann, das Hauptverfahren eröffnet, oder die Anklage erhoben, oder ist derselbe zur gerichtlichen Hast gebracht, so ruht die Ausübung des ihm zustehenden Bürgerrechts so lange, bis daS Strafverfahren beendet ist. Verfällt ein Bürger in Konkurs, so ruht die Ausübung des Bürger­ rechts auf so lange bis das Verfahren beendet ist. Das Bürgerrecht geht verloren, sobald eines der zur Erlangung des­ selben vorgeschriebenen Erfordernisse bei dem bis dahin dazu Berechtigten nicht mehr zutrifft. Denjenigen Personen, welche vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes oder vor Einführung dieser Städteordnung in der bezüglichen Ge­ meinde das Bürgerrecht nach Maßgabe der bis zu diesem Zeitpunkte in Geltung gewesenen gesetzlichen Bestimmungen erworben haben, verbleibt das­ selbe, auch wenn bei ihnen die im zweiten Absätze des § 5 unter Position 4 bezeichneten Bedingungen nicht vollständig zutreffen. § i$. Wer in einer Stadt seit einem Jahre mehr als einer der drei höchstbesteuerten Einwohner sowohl an direkten Staats- als an Ge­ meindeabgaben entrichtet, ist, auch ohne im Stadtbezirke zu wohnen, oder sich daselbst aufzuhalten, berechtigt, an den Wahlen teilzunehmen, falls bei ihm die übrigen Erforderniffe dazu vorhanden sind. Dasselbe Recht haben juristische Personen, wenn sie in einem solchen Maße in der Gemeinde besteuert sind.

§ 9. Die Gemeindevertretung beschließt auf Beschwerden und Ein­ sprüche, betreffend den Besitz oder den Verlust des Bürgerrechts, insbesondere

648

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

des Rechts zur Bekleidung einer den Besitz des Bürgerrechts voraussetzenden Stelle in der Gemeindeverwaltung oder Gemeindevertretung. Der Beschluß der Gemeindevertretung bedars keiner Genehmigung oder Bestätigung von feiten des Gemeindevorstandes oder der Aufsichts­ behörde. Gegen den Beschluß der Gemeindevertretung findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt, welche auch dem Gemeindevorstande zusteht. Sie hat keine aufschiebende Wirkung.

K 10. Die Stadtgemeinden sind Korporationen; denselben fieht die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten nach näherer Vorschrift dreies Gesetzes zu. In den Städten wird ein Magistrat fkollegialischer Gcmeindevorstand) und eine Stadtverordnetenversammlung gebildet, welche nach näherer Vor­ schrift dieses Gesetzes dieselben vertreten. Der Magistrat ist die Obrigkeit der Stadt und verwaltet die städtischen Gemeindeangelegenheiten. Die Ausnahmen bestimmt Titel IX.

§ 11. Jede Stadt ist befugt, besondere statutarische Anordnungen zu treffen, 1. über solche Angelegenheiten der Stadtgemeinden, sowie über solche Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder, hinsichtlich deren das gegen­ wärtige Gesetz Verschiedenheiten gestattet, oder keine ausdrücklichen Be­ stimmungen enthält; 2. über sonstige eigentümliche Verhältnisse und Einrichtungen. Dergleichen Anordnungen bedürfen der Bestätigung desBezirksausschnües.

Titel II.

Bo« der Zusammensetzung und Wahl der Stadt: verordnetenversammluug. § 12. Die Stadtverordnetenversammlung besteht aus zwölf Bitt­ gliedern in L>tadtgemeinden von weniger als 2500 Einwohnern, aus 18 in Gemeinden von 2500 bis 5 000 Einwohnern, 10000 5001 „ 24 „ 10001 „ 20000 30 „ 20001 „ 30000 36 „ 42 „ 30 001 „ 50000 50001 „ 70 000 48 „ 70 001 „ 90 000 54 „ 90001 „ 120000 60 „ In Gemeinden von mehr als 120 000 Einwohnern treten für icbe weiteren 50000 Einwohner sechs Stadtverordnete hinzu. Durch statutarische Anordnung können abweichende Festsetzungen über die Anzahl der Stadtverordneten getroffen werden.

§ 13. Zum Zweck der Wahl der Stadtverordneten werden die stimmfähigen Bürger (§§ 5 bis 8) nach Maßgabe der von ihnen zu ent­ richtenden direkten Staatssteuern lGrund-, Gebäude-, Einkommen- unb Gewerbesteuer, mit Ausschluß der Steuer vom Gewerbebetriebe im Umber­ ziehen) in drei Abteilungen geteilt.

G. StSdteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden.

§§ 9—17.

649

Die erste Abteilung besteht aus denjenigen, auf welche die höchsten Beträge bis zum Belauf eines Drittels des Gesamtbetrages der Steuer aller stimmfähigen Bürger fallen. Tie übrigen stimmfähigen Bürger bilden die zweite und dritte Abteilung; die zweite reicht bis zum zweiten Drittel der Gesamtsteuer aller stimmfähigen Bürger. In die erste und in die zweite Abteilung gehört auch derjenige, dessen Steuerbetrug nur teilweise in das erste oder in das zweite Dritteil fällt. Steuern, die für Grundbesitz oder Gewerbebetrieb in einer anderen Gemeinde entrichtet werden, sowie die Steuern für die im Umherziehen betriebenen Gewerbe, sind bei der Bildung der Abteilungen nicht anzurechncn. Kein Wähler kann zweien Abteilungen zugleich angehören. Läßt sich weder nach dem Steuerbetrage, noch nach der alphabetischen Ordnung der Namen bestimmen, welcher unter mehreren Wählern zu einer bestimmten Abteilung zu rechnen ist, so entscheidet das Los. Jede Abteilung wählt ein Drittel der Stadtverordneten, ohne dabei an die Wähler der Abteilung gebunden zu sein.

§ 14. Gehören zu einer Abteilung mehr als fünfhundert Wühler, so kann die Wahl derselben nach dazu gebildeten Wahlbezirken geschehen. Enthält eine Stadtgemeinde mehrere Ortschaften, so kann dieselbe mit Rück­ sicht hierauf in Wahlbezirke eingeteilt werden. Die Anzahl und die Grenzen der Wahlbezirke, sowie die Anzahl der von einem jeden derselben zu wählenden Stadtverordneten werden nach Maßgabe der Zahl der stimmsähigen Bürger von dem Magistrat festgesetzt. Ist eine Aenderung der Anzahl oder der Grenzen der Wahlbezirke oder der Anzahl der von einem jeden derselben zu wählenden Stadt­ verordneten wegen einer in der Zahl der stimmfähigen Bürger eingetretenen Aenderung oder aus sonstigen Gründen erforderlich geworden, so hat der Magistrat die entsprechende anderweitige Festsetzung zu treffen, auch wegen des Ueberganges aus dem alten in das neue Verhältnis das Geeignete anzuordnen. Der Beschluß des Magistrats bedarf der Bestätigung von Aufsichts wegen. § 15. Bei Stadtgemeindcn, welche mehrere Ortschaften enthalten, kann durch Beschluß des Bezirksausschusses nach Verhältnis der Einwohner­ zahl bestimmt werden, wieviel Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung aus jeder einzelnen Ortschaft zu wählen sind. § 16. Die Hälfte der von jeder Abteilung zu wählenden Stadt­ verordneten muß aus Hausbesitzern (Eigentümern, Nießbrauchern und solchen, die ein erbliches Besitzrecht haben) bestehen.

§ 17. Stadtverordnete können nicht sein: 1. diejenigen Beamten und die Mitglieder derjenigen Behörden, durch welche die Aufsicht des Staates über die Städte auSgeübt wird (§ 78), 2. die Mitglieder des Magistrats und alle besoldeten Gemeindebeamten, die Ausnahmen bestimmen §§ 74 und 75, 3. Geistliche, Kirchendiener und Elementarlehrer, 4. die richterlichen Beamten, zu denen jedoch die technischen Mitglieder der Handels-, Gewerbe- und ähnlicher Gerichte nicht zu zählen sind,

650

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterccht.

5. die Beamten der Staatsanwaltschaft, 6. die Polizeibeamten. Vater und Sohn, sowie Brüder, dürfen nicht zugleich Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung sein. Sind dergleichen Verwandte zu­ gleich erwählt, so wird der ältere allein zugelassen.

§ 18. Die Stadtverordneten werden auf sechs Jadre gewählt. Je­ doch verliert jede Wahl ihre Wirkung, sobald einer der Fälle eintritt, in denen nach den Bestimmungen im § 7 der Gewählte des Bürgerrechts verlustig geht oder von der Ausübung desselben für eine gewisse Zeit aus­ geschlossen wird. Tritt einer der Fülle ein, in denen nach jenen Bestimmungen die Ausübung des Bürgerrechts ruhen mutz, so ist der Gewählte zugleich von der Teilnahme an den Geschäften der Stadtverordnetenversammlung einstweilen bis zum Austrage der Sache ausgeschlossen. Alle zwei Jahre scheidet ein Dritteil der Mitglieder aus und wird durch neue Wahlen ersetzt. Die das erste und zweite Mal Ausscheidenden werden für jede Abteilung durch das Los bestimmt. § 19. Eine Liste der stimmfähigen Bürger, welche die erforderlichen Eigenschaften derselben nachweist, wird von dem Magistrat geführt und alljährlich im Juli berichtigt. Die Liste wird nach den Wahlabteilungen und im Falle des 8 14 nach den Wahlbezirken eingeteilt.

§ 20. Vom 1. bis 15. Juli schreitet der Magistrat zur Berich­ tigung der Liste. Vom 15. bis zum 30. Juli wird die Liste in einem oder mehreren zu öffentlicher Kenntnis gebrachten Räumen in der Stadtgemeinde offen gelegt. Während dieser Zeit kann jedes Mitglied der Stadtgemeinde gegen die Richtigkeit der Liste bei dem Magistrate Einwendungen erheben. Die Stadtverordnetenversammlung hat darüber bis zum 15. August zu beschließen. Der Beschluß bedarf keiner Genehmigung oder Bestätigung von feiten des Magistrats oder der Aufsichtsbehörde. Soll der Name eines einmal in die Liste aufgenommenen Ein­ wohners wieder ausgestrichen werden, so ist ihm dieses acht Tage vorher von dem Magistrate unter Angabe der Gründe mitzuteilen. Gegen den Beschluß der Stadtverordnetenversammlung in betreff der Richtigkeit der Wählerliste findet die Klage im Verwaltungsstreitversahren statt, welche auch dem Magistrate zusteht. Sie hat keine ausschiebende Wirkung. § 21. Die Wahlen zur regelmäßigen Ergänzung der Stadt­ verordnetenversammlung finden alle zwei Jahre im November statt. Die Wahlen der dritten Abteilung erfolgen zuerst, die der ersten zuletzt. Außergewöhnliche Wahlen zum Ersätze innerhalb der Wahlperiode ausgeschiedener Mitglieder müssen angeordnet werden, wenn die Stadt­ verordnetenversammlung oder der Magistrat es sür erforderlich erachten, oder wenn der Bezirksausschuß dies beschließt. Der Ersatzmann bleibt nur bis zum Ende derjenigen sechs Jahre in Tätigkeit, auf welche der Ausgeschiedene gewählt war.

6. Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden.

§§ 17—26.

651

Alle Ergänzung?- oder Ersatzwahlen werden — unbeschadet der Vor­ schrift im zweiten Absätze des 8 14 — von denselben Abteilungen und Wahlbezirken vorgenommen, von denen der Ausgeschiedene gewählt war. Jit die Zahl der zu wählenden Stadtverordneten nicht durch drei teilbar, so ist, wenn nur einer übrig bleibt, dieser von der zweiten Abteilung zu wählen. Bleiben zwei übrig, so wählt die erste Abteilung den einen und die dritte Abteilung den anderen. Die in den §§ 19 bis 21 bestimmten Termine können durch statutarische Anordnungen abgeändert werden.

§ 22. Der Magistrat hat jederzeit die nötige Bestimmung zur Ergänzung der erforderlichen Anzahl von Hausbesitzern (§ 16) zu treffen. Ist die Zahl der Hausbesitzer, welche zu wählen sind, nicht durch die Zahl der Wahlbezirke teilbar, so wird die Verteilung auf die einzelnen Wahlbezirke durch das Los bestimmt. Mit dieser Beschränkung können die ausscheidenden Stadtverordneten jederzeit wieder gewühlt werden. § 23. Vierzehn Tage vor der Wahl werden die in der Liste (§8 19 und 20) verzeichneten Wähler durch den Magistrat zu den Wahlen mittelst schriftlicher Einladung oder ortsüblicher Bekanntmachung berufen. Die Einladung oder Bekanntmachung muß den Raum, die Tage und die Stunden, in welchen die Stimmen bei dem Wahlvorstande abzu­ geben sind, genau bestimmen.

§ 24. Der Wahlvorstand besteht in jedem Wahlbezirke aus dem Bürgermeister oder einem von diesem ernannten Stellvertreter als Vor­ sitzenden und aus zwei von der Stadtverordnetenversammlung gewählten Beisitzern. Für jeden Beisitzer wird von der Stadtverordnetenversammlung ein Stellvertreter gewählt.

H 25. Jeder Wähler muß dem Wahlvorstande mündlich und laut zu Protokoll erklären, wem er seine Stimme geben will. Er hat so viele Personen zu bezeichnen, als zu wählen sind. Werden die Ersatzwahlen mit den Ergänzungswahlen in einem und demselben Wahlakte verbunden, so hat jeder Wühler getrennt zunächst so viele Personen zu bezeichnen, als zur regelmäßigen Ergänzung der Stadtverordnetenversammlung, und sodann so viele Personen, als zum Ersätze der innerhalb der Wahlperiode ansgejchiedenen Mitglieder zu wählen sind. Nur die in 8 8 erwähnten juristischen oder außerhalb des Stadt­ bezirks wohnenden, höchstbesteuerten Personen können ihr Stimmrecht durch Bevollmächtigte ausüben. Die Bevollmächtigten müssen selbst stimmfähige Bürger sein. Ist die Vollmacht nicht in beglaubigter Form ausgestellt, so entscheidet über die Anerkennung derselben der Wahlvorstand endgültig. § 26. Gewählt sind diejenigen, welche bei der ersten Abstimmung die meisten Stimmen und zugleich absolute Stimmenmehrheit (mehr als die Hülste der Stimmen) erhalten haben. Wenn sich bei der ersten Abstimmung nicht für so viel Personen, als zu wählen sind, die absolute Stimmenmehrheit ergeben hat, wird zu einer zweiten Wahl geschritten.

652

IX Gruppe: Kommunalrecht.

A. Slädterecht.

Der Wahliwrstand stellt die Namen derjenigen Personen, welche nächst den gewählten die meisten Stimmen erhalten haben, soweit zu­ sammen, daß die doppelte Zahl der noch zu wählenden Mitglieder erreicht wird. Diese Zusammenstellung gilt alsdann als die Liste der Wählbaren. Zu der zweiten Wahl werden die Wähler durch eine das Ergebnis der ersten Wahl angebende Bekanntmachung des Wahlvorstandes sofort oder spätestens innerhalb acht Tagen ausgesordert. Bei der zweiten Wahl ist die absolute Stimmenmehrheit nicht erforderlich. Unter denjenigen, die eine gleiche Anzahl von Stimmen erbalten haben, gibt das Los den Ausschlag. Wer in mehreren Abteilungen oder Wahlbezirken gewählt ist, hat jit erklären, welche Wahl er annehmen will.

§ 27. Die Wahlprotokolle sind vom Wahlvorstande zu unterzeichnen und vom Magistrate aufzubewahren. Der Magistrat hat das Ergebnis der vollendeten Wahlen sofort bekannt zu machen. Gegen das stattgehabte Wahlverfahren kann von jedem stimmfähigen Bürger innerhalb zwei Wochen nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses bei dem Magistrate Einspruch erhoben werden. Ueber die Gültigkeit der Wahlen beschließt die Stadtverordneten­ versammlung. Gegen den Beschluß der Stadtverordnetenversammlung findet die Klage im Verwaltungsftreitverfahren statt, welche auch dem Magistrate zusteht. Sie hat keine aufschiebende Wirkung; jedoch dürfen Neuwahlen zum Ersätze für solche Wahlen, welche durch Beschluß der Stadtverordneten­ versammlung für ungültig erklärt worden sind, vor ergangener rechts­ kräftiger Entscheidung nicht vorgenommen werden.

§ 28. Die bei der regelmäßigen Ergänzung neugewählten Stadt­ verordneten treten mit dem Anfang des nächstfolgenden Jahres ihre Ver­ richtungen an; die Ausscheidenden bleiben bis zur Einführung der neu­ gewählten Mitglieder in Tätigkeit. Der Magistrat hat die Einführung der Gewählten und deren Ver­ pflichtung durch Handschlag an Eides Statt anzuordnen. Titel III.

Bon der Zusammensetzung und Wahl des Magistrats. K 29. Der Magistrat besteht aus dem Bürgermeister, einem oder mehreren Beigeordneten als dessen Stellvertretern, einer Anzahl von Schöffen (Stadträten, Ratsherren, Ratsmännern), und wo das Bedürfnis es erfordert, noch aus einem oder mehreren besoldeten Mitgliedern (Syn­ dikus, Kämmerer, Schulrat, Baurat rc.). Es gehören zum Magistrat in Stadtgemeinden von weniger als

2500 Einwohnern 2 2500 bis 10000 4 10001 „ 30000 G 30001 „ 60000 8 60001 „ 100000 10

chösfen,

6. Städteordnung für btn Regierungübezirl Wiesbaden.

§§ 26—33.

653

Bei mehr als 100000 Einwohnern treten für jede weiteren 50000 Einwohner zwei Schöffen hinzu. Durch statutarische Anordnung können abweichende Festsetzungen über die Anzahl der Magistratsmitglieder getroffen werden.

§ 30. Mitglieder des Magistrats können nicht sein: 1. diejenigen Beamten und die Mitglieder derjenigen Behörden, durch welche die Aufsicht des Staates über die Städte ausgeübt wird (§ 78), 2. die Stadtverordneten, ingleichen Gemeindeunterbeamte und in Städten über 10000 Seelen die Gemeindeeinnehmer (§ 56 Nr. 6), 3. Geistliche, Kirchendiener und Lehrer an öffentlichen Schulen, 4. die richterlichen Beamten, zu denen jedoch die technischen Mitglieder der Handels-, Gewerbe- und ähnlicher Gerichte nicht zu zählen sind, 5. die Beamten der Staatsanwaltschaft, 6. die Polizeibeamten. Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwiegersohn, Brüder und Schwäger dürfen nicht zugleich Mitglieder des Magistrats sein. Entsteht die Schwägerschaft ini Laufe der Wahlperiode, so scheidet dasjenige Mitglied aus, durch welches das Hindernis herbeigeführt worden ist. Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwiegersohn, sowie Brüder dürfen nicht zugleich Mitglieder des Magistrats und der Stadtverordneten­ versammlung sein. Personen, welche das Gewerbe der Gast- oder Schankwirtschaft betreiben, können nicht Bürgermeister sein.

§ 31. Die Beigeordneten und die Schöffen (§ 29) werden auf sechs Jahre, der Bürgermeister und die übrigen besoldeten Magistrats­ mitglieder dagegen auf zwölf Jahre von der Stadtverordnetenversammlung gewählt. Auch können Beigeordnete mit Besoldung angestellt werden, und erfolgt in diesem Falle deren Wahl gleichfalls auf zwölf Jahre. Alle drei Jahre scheidet die Hälfte der Schöffen aus uud wird durch neue Wahlen ersetzt. Tie das erstemal Ausscheidenden werden durch das Los bestimmt. Die Ausscheidenden können wieder gewühlt werden. Wegen der außergewöhnlichen Ersatzwahlen kommt die Bestimmung § 21 zur Anwendung. Die Wahl des Bürgermeisters und der übrigen besoldeten Magistratsuiitglieder kann auch aus Lebenszeit erfolgen. § 32. Für jedes zu wühlende Mitglied des Magistrats wird besonders abgestimmt. Die Wahl erfolgt durch Stimmzettel. Wird die absolute Stimmenmehrheit bei der ersten Abstimmung nicht erreicht, so werden diejenigen vier Personen, auf welche die meisten Stimmen gefallen sind, auf eine engere Wahl gebracht. Wird auch hierdurch die absolute Stimmenmehrheit nicht erreicht, so findet unter denjenigen zwei Personen, welche bei der zweiten Abstimmung die meisten Stimmen erhalten haben, eine engere Wahl statt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. § 33. Die gewählten Bürgermeister und Beigeordneten, sowie die besoldeten Magistratsmitglicder bedürfen der Bestätigung. Die Bestäti­ gung steht zu:

654

XI. Gruppe: Kommunalrccht.

A. Städterecht.

1. dem Könige hinsichtlich der Bürgermeister und Beigeordneten in Städten von mehr nl8 10000 Einwohnern; 2. dem Regierungspräsidenten hinsichtlich der Bürgermeister und Bei­ geordneten in Städten, welche nicht über 10000 Einwohner haben, sowie hinsichtlich der besoldeten Magistratsmitglieder in allen Städten ohne Unterschied ihrer Größe. Die Bestätigung kann von dem Regierungspräsidenten nur unter Zustimmung des Bezirksausschusses versagt werden. Lehnt der Bezirks­ ausschuß die Zustimmung ab, so kann dieselbe aus Antrag des Regierungs­ präsidenten durch den Minister des Innern ergänzt werden. Wird die Bestätigung von dem Regierungspräsidenten unter Zustimmung des Bezirksausschusses versagt, so kann dieselbe aus Antrag des Magistrats oder der Stadtverordnetenversammlung von dem Minister des Innern erteilt werden. Wird die Bestätigung versagt, so schreitet die Stadtverordnetenver sammlung zu einer neuen Wahl. Wird auch diese Wahl nicht bestätigt, so ist der Regierungspräsident berechtigt, die Stelle einstweilen aus Kosten der Stadt kommissarisch verwalten zu lassen. Dasselbe findet statt, wenn die Stadtverordneten die Wahl verweigern, oder den nach der ersten Wahl nicht Bestätigten wieder erwählen sollten. Die kommissarische Berwaltung dauert solange, bis die Wahl der Stadtverordnetenversammlung, deren wiederholte Vornahme ihr jederzeit zusteht, die Bestätigung des Königs oder des Regierungspräsidenten er: langt hat.

K 34. Die Mitglieder des Magistrats werden vor ihrem Amts­ antritt durch den Bürgermeister in öffentlicher Sitzung der Stadtverordneten­ versammlung in Eid und Pflicht genommen; der Bürgermeister wird vom Regierungspräsidenten oder einem von diesem zu ernennenden Kom­ missar in öffentlicher Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vereidet. Magistratsmitgliedern, welche ihr Amt mindestens neun Jahre mit Ehren bekleidet haben, kann in Uebereinstimmung mit der Stadtverordneten­ versammlung von dem Magistrate das Prädikat „Stadtültester" ver­ liehen werden.

Titel IV. Von den Versammlungen und Geschäften der Stadtverordneten. § 35. Die Stadtverordnetenversammlung hat über alle Gemeinde­ angelegenheiten zu beschließen, soweit dieselben nicht ausschließlich dem Magigrate überwiesen sind. Sie gibt ihr Gutachten über alle Gegen­ stände ab, welche ihr zu diesem Zwecke durch die Aussichtsbchörden vor­ gelegt werden. Ueber andere als Gemeindeangelegenheiten dürfen die Stadtverordneten nur dann beraten, wenn solche durch besondere Gesetze oder in einzelnen Füllen durch Aufträge der Aufsichtsbehörde an sie gewiesen sind. Die Stadtverordneten sind an keinerlei Instruktionen oder Aufträge der Wähler oder der Wahlbezirke gebunden.

6. Ltädtcordnuiig für den Regierungsbezirk Wiesbaden.

§§ 33—42.

655

§ 36. Die Beschlüsse der Stadtverordneten bedürfen, wenn sie solche Angelegenheiten betreffen, welche durch das Gesetz dem Magistrate zur Ausführung überwiesen sind, der Zustimmung des letzteren. Versagt dieser die Zustimmung, so hat er die Gründe dieser Versagung der Stadt­ verordnetenversammlung mitzuteilen. Erjolgt hieraus keine Verständigung, zu deren Herbeiführung sowohl von dem Magistrate als den Stadtver­ ordneten die Einsetzung einer gemeinschaftlichen Kommission verlangt werden kann, so beschließt der Bezirksausschuß über die entstandene Meinungs­ verschiedenheit, wenn von einem Teile auf Entscheidung angetragen wird, und zugleich die Angelegenheit nicht aus sich beruhen bleiben kann. Die Stadtverordnetenversammlung darf ihre Beschlüsse in keinem Falle selbst zur Ausführung dringen. § 37. Die Stadtverordnetenversammlung überwacht die Verwaltung. Sie ist daher berechtigt, sich von der Ausführung ihrer Beschlüsse und der Verwendung aller Gemeindeeinnahmen Ueberzeugung zu verschaffen. Sie kann zu diesem Zwecke von dem Btagistrate die Einsicht der Akten ver­ langen, und Ausschüsse aus ihrer Mitte ernennen, zu welchen der Bürger­ meister ein Mitglied des Btagistrats abzuordnen befugt ist.

§ 38. Die Stadtverordnetenversammlung wählt jährlich einen Vor­ sitzenden, sowie einen Stellvertreter demselben, und einen Schriftführer, sowie einen Stellvertreter desselben, aus ihrer Mitte; doch kann auch die Stelle des Schriftführers ein von den Stadtverordneten nicht aus ihrer Mitte gewählter, in öffentlicher Sitzung hierzu von dem Bürgermeister vereideter Protokollführer vertreten. Diese Wahlen erfolgen in dem § 32 vorgeschriedenen Verjähren. Die Stadtverordneten versammeln sich, so ost es ihre Geschäfte erfordern. Der Magistrat wird zu allen Versamnllungen eingeladen und kann sich durch Abgeordnete vertreten lassen Die Stadtverordneten können verlangen, daß Abgeordnete des Magistrats dabei anwesend sind. Der Magistrat muß gehört werden, so oft er es verlangt.

§.39. Tie Zusammenberusung der Stadtverordneten geschieht durch den Vorsitzenden; sie muß erfolgen, sobald es von einem Viertel der Mit­ glieder oder von dem Magistrate verlangt wird. § 40. Die Art und Weise der Zusammenberusung wird ein- für allemal von der Stadtoerordnetenoersammlung sestgestellt. Die Zusammenberusung erfolgt unter Angabe der Gegenstände der Verhandlung; nut Ausnahme dringender Fälle muß dieselbe wenigstens zwei freie Tage vorher statihaben. § 41. Durch Beschluß der Stadtverordneten können auch regel­ mäßige Sitzungstage festgesetzt, es müssen jedoch auch baun die Gegen­ stände der Verhandlung mit Ausnahme dringender Fülle mindestens zwei freie Tage vorher den Stadtverordneten und dem Magistrate angezeigt werden.

§ 42. Die Stadtverordnetenversammlung kann nur beschließen, wenn mehr als die Halste der Mitglieder (t) 12) zugegen ist. Eme Aus­ nahme hiervon findet statt, wenn die Stadtverordneten, zum zweitenmale

656

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

zur Verhandlung über denselben Gegenstand zusammenberufen, dennoch nicht in genügender Anzahl erschienen sind. Bei der zweiten Zusammen­ berufung mutz aus die Bestimmung ausdrücklich hingewiesen werden. 8 43. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Wer nicht mit­ stimmt, wird zwar als anwesend betrachtet, die Stimmenmehrheit wird aber lediglich nach der Zahl der Stimmenden sestgestellt.

§ 44. An Verhandlungen über Rechte und Verpflichtungen der Stadtgemeinde darf derjenige nicht teilnehmen, dessen Interesse mit dem der Gemeinde in Widerspruch steht. Kann wegen dieser Ausschließung eine beschlußfähige Versammlung nicht gehalten werden, so hat der Magi­ strat, oder, wenn auch dieser aus dem vorgedachten Grunde einen gültigen Beschluß zu fasten nicht befugt ist, der Bezirksausschuß für die Wahrung des Gemeindeinteresses zu sorgen und nötigenfalls einen besonderen Ver­ treter für die Stadtgemeinde zu bestellen. Sollte ein Prozeß der Stadtgemeinde gegen alle oder mehrere Mit­ glieder des Magistrats aus Veranlassung ihrer Aintsführung notwendig werden, so hat der Regierungspräsident auf Antrag der Stadtverordneten­ versammlung zur Führung des Prozesies einen Anwalt zu bestellen. § 45. Die Sitzungen der Stadtverordneten sind öffentlich. Für einzelne Gegenstände kann durch besonderen Beschluß, welcher in geheimer Sitzung gefaßt wird, die Oeffentlichkeit ausgeschlossen werden. Die Sitzungen dürfen nicht in Wirtshäusern oder Schenken gehalten werden. § 46. Der Vorsitzende leitet die Verhandlungen, eröffnet und schließt die Sitzungen und handhabt die Ordnung in der Versammlung. Er kann jeden Zuhörer aus dem Sitzungszimmer entfernen lassen, welcher öffentliche Zeichen des Beifalls oder des Mißfallens gibt oder Unruhe irgend einer Art verursacht.

K 47. Die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung und die Namen der dabei anwesend gewesenen Mitglieder sind in ein besonderes Buch einzutragen. Sie werden von dem Vorsitzenden und wenigstens drei Mitgliedern unterzeichnet. Dem Magistrate müssen alle Beschlüsse der Stadtverordneten, auch diejenigen, welche ihm durch das Gesetz zur Ausführung nicht überwiesen sind, mitgeteilt werden. 8 48. Den Stadtverordnetenversammlungen bleibt überlassen, unter Zustimmung des Magistrats eine Geschäftsordnung abzufassen und darin Zuwiderhandlungen der Mitglieder gegen die zur Aufrechterhaltung der Ordnung gegebenen Vorschriften mit Strafen zu belegen; diese Strafen können nur in Geldbußen bis zu fünfzehn Mark und bei mehrmals wiederholten Zuwiderhandlungen in der auf eine gewisse Zeit oder für die Dauer der Wahlperiode zu verhängenden Ausschließung aus der Ver­ sammlung bestehen. Versagt der Magistrat seine Zustimmung, so tritt das im § 36 vorgeschriebene Verfahren ein.

6. Stlbteorbnuno für bei: Rk^ierungSdezirk Wiksbaben.

§§ 42—51.

657

Die Stadtverordnetenversammlung beschließt über die Strafen, welche gegen ihre Mitglieder wegen Zuwiderhandlungen gegen die Geschäftsordnung zu verhängen sind. Der Beschluß bedarf keiner Genehmigung oder Be­ stätigung des Magistrats oder der Aussichtsbehörde. Gegen diesen Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitversahren statt, welche auch dem Magistrate zusteht.

K 49. Die Stadtverordneten beschließen über die Benutzung des Gemeindevermögens. Sie haben darüber zu wachen, daß das Grundstocks­ vermögen in seinem Bestände erhalten und nicht zur Bestreitung laufender Bedürfnisse verwendet werde. Hat eine Verminderung des Grundstocks­ vermögens durch Verwendung zu lausenden Ausgaben ausnahmsweise stattgefunden, so ist für alsbaldige Ergänzung desselben Sarge zu tragen. In Ansehung der Verwaltung und Verwendung des Vermögens der Stiftungen bewendet es bei den stistungsmäßigen Bestimmungen. Soweit es hierbei aus den Begriff „Bürger" ankommt, sind die Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes (§ 5) an sich selbst nicht maßgebend. Auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend das Recht zur Teilnahme an den Nutzungen und Erträgen des Gemeindevermögcns, beschließt der Magistrat. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreit­ versahren statt. Der Entscheidung im Verwaltungsstreitversahren unterliegen des­ gleichen Streitigkeiten zwischen Beteiligten über ihre in dem öffentlichen Rechte begründete Berechtigung zu den vorbezeichneten Nutzungen. Die Beschwerden und die Einsprüche sowie die Klage haben keine aufschiebende Wirkung.

§ 50. Zur Veräußerung oder wesentlichen Veränderung von Sachen, welche einen besonderen wissenschaftlichen, historischen oder Kunstwert haben, namentlich von Archiven, ist die Genehmigung des Regierungspräsidenten erforderlich. Zur Veräußerung von Grundstücken und solchen Gerechtsamen, welche jenen gesetzlich gleichgestellt sind, zu Anleihen, durch welche die Gemeinde mit einem Schuldenbestand belastet, oder der bereits vorhandene vergrößert wird, und zu Veränderungen in dem Genusse von Gemeindenutzungen (Wald, Weide, Haide. Torfstich und dergleichen) bedars es der Genehmigung des Bezirksausschusses.

§ 51. Die freiwillige Veräußerung von Grundstücken usw. (§ 50 Abs. 2. darf nur im Wege der Lizitation auf Grund einer Taxe stattfinden. Zur Gültigkeit der Lizitation gehört: 1. einmalige Bekanntmachung durch das Amtsblatt des Regierungsbezirks und die für Bekanntmachungen des Magistrats üblichen öffentlichen Blätter, 2. eine Frist von sechs Wochen von der Bekanntmachung bis zum Lizitationstermine und 3. Abhaltung dieses Termins durch eine Justiz- oder Magistratsperson. Das Ergebnis der Lizitation ist der Stadtverordnetenversammlung mit­ zuteilen, und kann nur mit deren Genehmigung der Zuschlag erteilt werden. 3tier = Somlo, i:crn>altung?geicBc für Preußen.

42

658

IX. Gruppt: Kommunalnchr.

A. Siädlerecht.

In besonderen Fällen kann der Bezirksausschuß auch den Verlaus aus freier Hand, sowie einen Tausch gestatten, sobald er sich überzeugt, daß der Vorteil der Gemeinde dadurch gesördert wird. Für die Hypothekenbehörde genügt zum Nachweise, daß der Vor­ schrift dieses Paragraphen genügt worden, die Bestätigung des Vertrages durch den Bezirksausschuß.

§ 52. Durch Gemeindebeschluß, welcher der Genehmigung des Bezirksausschusses bedarf, kann die Entrichtung von 1. Bürgerrechtsgeld bei Erwerb des Bürgerrechts (§ 5), 2. Einkaufsgeld anstatt oder neben einer jährlichen Abgabe für die Teil­ nahme an den Gemeindenutzungen angeordnet werden. Wo Bürgerrechtsgeld oder Einkaufsgeld bei Inkrafttreten des gegen­ wärtigen Gesetzes oder bei Einführung dieser Städteordnung in den bezüg­ lichen Gemeinden besteht, bleibt dasselbe bis zur anderweitigen statutarischen Regelung in Geltung. Von der Zahlung des Bürgerrechtsgeldes sind, unbeschadet der Be­ stimmung im zweiten Satze des zweiten Absatzes des § 13 der Reichs­ gewerbeordnung, befreit die unmittelbaren und mittelbaren Staatsbeamten, die Lehrer und Geistlichen, welche gemäß dienstlicher Verpflichtung ihren Wohnsitz in der Stadt nehmen, Militärpersonen, welche sich zwölf Jahre im aktiven Dienststande befunden haben, bei der ersten Niederlassung, sowie die vorher erwähnten Personen bei der ersten Verlegung des Wohn­ sitzes nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienste. Wird die Ent­ richtung eines Bürgerrechtsgeldes cingesührt, so darf vor dessen Berichtigung das Bürgerrecht nicht ausgcübt werden. Abstusungen in dem Betrage der Abgabe sind statthast. Sie darf innerhalb derselben Gemeinde von Niemandem zweimal erhoben werden. Durch die Entrichtung des Einkauisgeldes wird die Ausübung des Bürgerrechts niemals bedingt. Die Verpflichtung zur Zahlung des Einkaufsgeldes, sowie der demselben entsprechenden Abgabe ruht, so lange aus die Teilnahme an den Gemeindenutzungen verzichtet wird. Hinsichtlich der Verjährung und der Reklamationen findet das Gesetz vom 18. Juni 1840, in Verbindung mit dem Gesetze vom 12. April 1*82 (S. 297), jedoch nur mit der Maßgabe Anwendung, daß die nicht zur Hebung gestellten Bürgerrechts- und Einkaussgelder erst in zwei Jahren, nach Ablauf desjenigen Jahres, in welchem die Zahlungsverbindliclckeit entstanden ist, verjähren. In Ansehung der Beschwerden und Einsprüche gegen die Heran­ ziehung oder die Veranlagung zu diesen Abgaben, sowie bezüglich der Rechtsmittel kommen die desfallsigen, die Gemeindelasten überhaupt be­ treffenden Bestimmungen zur Anwendung (§ 4 Abs. 10 dis 12 und 14). Unberührt vvn den vorstehenden Bestimmungen bleiben die mit bcm Besitze einzelner Grundstücke verbundenen oder auf sonstigen besonderen Rechtstiteln beruhenden Nutzungsrechte.

§ 53. hinreichen,

um

Soweit die Einnahmen aus dem städtischen Vermögen nicht die durch das Bedürfnis oder die Verpflichtungen der

6. StSdtrordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden,

§§ 51—54.

659

Gemeinde erforderlichen Geldmittel zu beschaffen, können die Stadt­ verordneten die Ausbringung von Gemeindesteuern beschließen. Diese können bestehen: I. in Zuschlägen zu den Staatssteuern, wobei folgende Bestimmungen gelten: 1. die Steuer für den Gewerbebetrieb im Umherziehen darf nicht belastet werden; 2. die Genehmigung des Bezirksausschusses ist erforderlich: a) für Zuschläge zu den direkten Steuern, wenn der Zuschlag entweder fünfzig Prozent der Staatssteuern übersteigen, oder nicht nach gleichen Sätzen auf diese Steuern verteilt werden soll. Das Einkommen von nicht mehr als 900 Mark kann, wenn die Deckung des Bedarfes der Gemeinde ohne dessen Belastung gesichert ist, von der Heranziehung zu den Genieindeabgaben ganzfreigelassen oder dazu mit einem geringeren Prozentsätze als das höhere Einkommen herangezogen werden. Tie Freilassung der Geineindeangehörigen, deren Einkommen nicht mehr als 900 Mark betrügt, muß erfolgen, wenn dieselben im Wege der öffentlichen Armenpflege eine fort­ laufende Unterstützung erhalten. Soweit hiernach eine Heranziehung von Personen mit einem Einkommen von nicht mehr als 900 Mark stattfindet, erfolgt deren Veranlagung zu den auf das Einkommen ge­ legten direkten Gemeindesteuern auf Grund nachstehender fingierter Steuersätze:

bei einem Jahreseinkommen Don mehr als

— 420 Mark 660 „

bis einsHlietzlich

Jahressteuer ’/'» Prozent des ermittelten steuerpstichliaen Ei» kommens bis zum Höchstdetrage von

420 Mark 660 „ 900

l,2o Mark

b) für Zuschläge zu den indirekten Steuern;

II. in besonderen direkten oder indirekten Gemeindesteuern, welche der Ge­ nehmigung des Bezirksausschusses bedürfen, wenn sie neu eingesührt, erhöht, oder in ihren Grundsätzen verändert werden sollen. Bezüglich der Vermeidung von Doppelbesteuerungen kommen die desfallsigen Bestimmungen des Gesetzes vom 27. Juli 1885 (GL>. S. 327) zur Anwendung. In den über die Erhebung von Kommunalsteuern zu erlassenden, von dem Bezirksausschüsse zu genehmigenden Regulativen können Ordnungs­ strafen gegen den Kontravenienten bis aus Höhe von dreißig Mark an­ geordnet werden.

§ 54. Die Gemeinde kann durch Beschluß der Stadtverordneten zur Leistung von Dieilstcn (Hand- und Spanndiensten) behufs Ausführung 42*

660

IX. Gruppe: Kommunalrechl.

A. Sludleiecht.

von Gemeiildearbciten verpflichtet werde:«; die Dienste werden an Geld abgeschätzt, die Verteilung geschieht nach dem Maßstabe der Gemeindeabgaben oder in deren Ermangelung nach dem Maßstabe der direkten Steuern. — Abweichungen von dieser Verteilungsort bedürfen der Genehmigung des Bezirksausschusses. Die Ticuste können, mit Ausnahme von Notfällen, durch taugliche Stellvertreter abgcleiftet oder nach der Abschätzung an die Gemeindekasse bezahlt werden. Soweit es sich um die Ausbringung der Gemeindeadgaben und Dienste handelt, steht aus Gründen des öffentlichen Interesses gegen den auf Beschwerde ergehenden Beschluß des Provinzialrats dem Vorsitzenden des letzteren die Einlegung der weiteren Beschwerde an die Minister des Innern und der Finanzen zu. Hierbei finden die Bestimmungen des 8 123 des Gesetzes über die allgemeine Laudesverwaltung vom 30. Juli 1883 Anwendung. Die Bestätigung (Genehmigung) von Gemeindebeschlüssen, durch welche besondere direkte oder indirekte Gemeindesteuern neu eiugeführt oder in ihren Grundsätzen verändert werden, bedarf der Zustimmung der Minister des Innern und der Finanzen.

K 55. Hinsichtlich der Verwaltung der Gemeindewaldungen bewendet es bei den bestehenden Bestimmungen, insbesondere auch des §116 (Abs. 2) der Kreisordnung für die Provinz Hessen-Nassau. Titel V.

Bon den Geschäfte« des Magistrats.

§ 56. Der Magistrat hat als Ortsobrigkeit und Gemeinde­ verwaltungsbehörde insbesondere folgende Geschäfte: 1. die Gesetze und Verordnungen, sowie die Versügnngen der ihm vor­ gesetzten Behörden auszusühren, 2. die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung vorzubereiten und. sofern er sich mit denselben einverstanden erklärt, znr Ausführung zu bringen. Der Magistrat ist verpflichtet, die Zustimmung und Ausführung zu versagen, wenn von den Stadtverordneten ein Beschluß gefaßt ist, welcher das Staalswohl oder das Gemeindeinteresse verletzt- In Fällen dieser Art ist nach den Bestimmungen im § 36 zu verfahren, 3. die städtischen Gcmeindeanstaiten zu verwalten und diejenigen, sür welche besondere Verwaltungen eingesetzt sind, zu beaufsichtigen, 4. die Einkünfte der Stadtgemeinde zu verwalten, die auf dem Eat oder besonderen Beschlüssen der Stadtverordnete:, beruhenden Einnahmen und Ausgaben anzuweise» und das Nechnungs- und Kassenwesen zu überwachen. Don jeder regelmäßigen Kassenrevision ist der Stadt­ verordnetenversammlung Kenntnis zu geben, damit sie ein Mitglied oder mehrere abordnen könne, um diesem Geschäfte beizuwohnen; bei außerordentlichen Kassenrevisionen ist der Vorsitzende oder ein von deniselben ein- für allemal bezeichnetes Mitglied der Stadtverordneten­ versammlung zuzuziehen,

6. Slädteordnung für den Rezierungrbe;irk Wiesbaden.

§§ 54—57.

661

5. das Eigentum der Stadtgemeinde zu verwalten und ihre Rechte zu wahren, 6. die Gemeindebeamten, nachdem die Stadtverordneten darüber ver­ nommen worden, anzustellen und zu beaufsichtigen. Die Anstellung erfolgt, so weit es sich nicht um vorübergehende Dienstleistungen handelt, aus Lebenszeit; diejenigen Unterbcamten, welche nur zu mechanischen Dienstleistungen bestimmt sind, können jedoch auf Kündigung angenommen werden. Der Grundsatz der Anstellung auf Lebenszeit findet in Ansehung der Beamten und Bediensteten der Kur- und Badeverwaltung nur insoweit Anwendung, als die Gemeinde dieses für einzelne Fälle be­ sonders beschließt. Für die übrigen Zweige der städtischen Berwaltung wird durch Ortsstatut festgesetzt, welche Kategorien von Bediensteten als Gemeindebeamte im Sinne der vorhergehenden Bestimmungen zu betrachten sind. Die von den Gemeindebeamten zu leistenden Kautionen bestimmt der Magistrat nach Anhörung der Stadtverordnetenversammlung. In Städten bis zu 10 000 Einwohnern (§ 30,2) können die Geschäfte des Gemeindeeinnehmers nach Vernehmung der Stadtverordneten­ versammlung und mit Zustimmung des Bezirksausschusses dem Kämmerer übertragen werden, 7. die Urkunden und Akten der Stadtgemeinde aufzubewahren, 8. die Stadtgemeinde nach Außen zu vertreten und Namens derselben mit Behörden und Privatpersonen zu verhandeln, den Schriftwechsel zu sühren und die Gemeindeurkunden in der Urschrift zu vollziehen. Die Ausfertigungen der Urkunden werden Namens der Stadtgemeinde von dem Bürgermeister oder seinem Stellvertreter gültig unterzeichnet; werden in denselben Verpflichtungen der Stadtgemeinde übernommen, so muß noch die Unterschrift eines Magiflratsmitgliedes hinzukommen; in Fällen, wo die Genehmigung der Aufsichtsbehörde erforderlich ist, muß dieselbe in beglaubigter Form der gedachten Ausfertigung bei­ gefügt werden, 9. die städtischen Gemeindeabgaben und Dienste nach den Gesetzen und Beschlüssen aus die Verpflichtungen zu verteilen und die Beitreibung zu bewirken.

§ 57. Der Magistrat kann nur beschließen, wenn mindestens die Hälfte seiner Mitglieder zugegen ist Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmen­ gleichheit ist die Stimme des Vorsitzenden entscheidend. Den Vorsitz führt der Bürgermeister oder sein Stellvertreter. Der Vorsitzende ist verpflichtet, wenn ein Beschluß des Magistrats das Staatswohl oder das Gemeinde­ interesse verletzt, die Ausführung eines solchen Beschlusses abzulehnen. In Füllen dieser Art beschließt der Bezirksausschuß über die zwischen dem Vorsitzenden und dem Magistratskollegium entstandene Meinungsverschieden­ heit. wenn von einem Teile aus Entscheidung angetragen wird, und zugleich die Angelegenheit nicht aus sich beruhen bleiben kann. Die Beigeordneten nehmen auch außer dem Falle der Stellvertretung an den Verhandlungen und Beschlüssen teil.

662

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städlerecht.

Bei Beratungen über solche Gegenstände, welche das Privatintereffe eines Mitgliedes des Magistrats oder seiner Angehörigen berühren, darf dasselbe bei der Beratung und Abstimmung im Sitzungszimmer nicht anwesend sein.

K 58. Der Bürgermeister leitet und beaufsichtigt den ganzen Geschäftsgang der städtischen Berwaltung. In allen Fällen, wo die vorherige Beschlußnahme durch den Magistrat einen nachteiligen Zeitverlust verursachen würde, muß der Bürgermeister die dem Magistrat obliegenden Geschäfte vorläufig allein besorgen, jedoch dem letzteren in der nächsten Sitzung behufs der Bestätigung oder ander­ weitigen Beschlußnahme Bericht erstatten. Zur Erhaltung der nötigen Disziplin steht dem Bürgermeister das Recht zu, den Gemeindcbeamten Geldbußen bis zu neun Mark und außer­ dem den unteren Beamten Arreststrasen bis zu drei Tagen aufzulegen (§§ 15, 19 und 20 des Gesetzes vom 21. Juli 1852, G-L. S. 465). Gegen die Strafverfügungen des Bürgermeisters findet innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Regierungspräsidenten und gegen den auf die Beschwerde ergehenden Beschluß des Regierungspräsidenten inner­ halb zwei Wochen die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte statt. § 59. Zur dauernden Verwaltung oder Beaufsichtigung einzelner Geschäftszweige, sowie zur Erledigung vorübergehender Aufträge können besondere Deputationen entweder bloß aus Mitgliedern des Magistrats, oder aus Mitgliedern beider Gemeindebehörden, oder aus letzteren und aus stimmfähigen Bürgern gewählt werden. Zur Bildung gemischter Deputationen aus beiden Stadtbehörden ist der übereinstimmende Beschluß beider erforderlich. Zu diesen Deputationen und Kommissionen, welche übrigens in allen Beziehungen dem Magistrate untergeordnet sind, werden die Stadt­ verordneten und stimmfähigen Bürger von der Stadtverordnetenversammlung gewählt, die Magistratsmitglieder dagegen von dem Bürgermeister ernannt, welcher auch unter letzteren den Vorsitzenden zu bezeichnen hat. Durch statutarische Anordnungen können nach den eigentümlichen örtlichen Verhältnisien besondere Festsetzungen über die Zusammensetzung der bleibenden Verwaltungsdeputationen getroffen werden.

K 60. Städte von größerem Umfange oder von zahlreicherer Bevölkerung werden von dem Magistrat nach Anhörung der Stadtver­ ordneten in Ortsbezirke geteilt. Jedem Bezirke wird ein Bezirksvorsteher vorgesetzt, welcher von den Stadtverordneten aus den stimmfähigen Bürgern des Bezirks auf sechs Jahre gewählt und vom Magistrat bestätigt wird. In gleicher Weise wird für den Fall der Verhinderung des Bezirksvorstehers ein Stellvertreter desselben angestellt. Die Bezirksvorsteher sind Organe des Magistrats und verpflichtet, seinen Anordnungen Folge zu leisten, ihn namentlich in den örtlichen Geschäften des Bezirks zu unterstützen. Ueber die Gültigkeit der Wahlen der Bezirksvorsteher, sowie über­ haupt solcher Gemeindebeamten, welche der Bestätigung nicht bedürfen,

6. Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden.

beschließt, soweit Bezirksausschuß.

die

Beschlußfassung

§§ 57—64.

der Aufsichtsbehörde

zusteht,

663 der

K 61. Jedes Jahr, bevor sich die Stadtverordnetenversammlung mit dem Haushalts-Etat beschästigt, hat der Magistrat in öffentlicher Sitzung derfelben über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde­ angelegenheiten einen vollständigen Bericht zu erstatten. Tag und Stunde werden wenigstens zwei freie Tage vorher in der Gemeinde bekannt gemacht. § 62. Der Bürgermeister hat nach näherer Bestimmung der Gesetze folgende Geschäfte zu besorgen: I. wenn die Handhabung der Ortspolizei nicht Königlichen Behörden übertragen ist: 1. die Handhabung der Ortspolizei, 2. die Verrichtung eines Hilssbeamten der Staatsanwaltschaft nach Maßgabe des § 153 des Gerichtsverfassnngsgesehes vom 27. Januar 1877 (Reichs-Gesetzbl. S. 41) und der aus Grund desselben erlassenen besonderen Bestimmungen, 3. die Verrichtungen eines Amtsanwaltes bei dem Amtsgerichte, welches in der bezüglichen Stadt seinen Sitz hat, gegen ent­ sprechende Entschädigung aus Staatssonds nach Maßgabe der Vorschriften der §§ 64 und 65 des Preußischen Ausführungs­ gesetzes zum Deutschen Gerichtsversassungsgesetze vom 24. April 1878 (GS. S. 230), sofern nicht eine andere Person mit diesem Amte betraut wird; H. alle örtlichen Geschäfte der Kreis', Bezirks-, Provinzial- und all­ gemeinen Staatsverwaltung, namentlich auch die Standesamtsgeschäfte nach Maßgabe der einschlagenden Bestimmungen des Reichsgesetzes vom 6. Februar 1875 (Reichs-Gesetzbl S. 23) sofern nicht ein be­ sonderer Beamter für dieselben bestellt ist. Einzelne dieser unter I 1 und 2 und II erwähnten Geschäfte können nut Genehniigung des Regierungspräsidenten, hinsichtlich der Standesamtsgeichäfte des Öberprüsideuten, einem anderen Magistratsmitgliede übertragen werden. In Ansehung der Obliegenheiten des Bürgermeisters bezüglich der Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit bewendet es bei den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen.

§ 63. Verordnungen Anwendung.

In Betreff der Befugnis der Stadtbehdrden, ortspolizeiliche zu erlassen, kommen die darauf bezüglichen Gesetze zur

Titel VI.

Bo« dem Feld- uud Ortsgerichte und Feld geschworenen. § 64. In Ansehung der Zusammensetzung und der Zuständigkeit des Feldgerichts im Gebiete des vormaligen Herzogtums Nassau und deS früheren Amtes Homburg, sowie des Ortsgerichts und der Feldgeschworenen in den zum Regierungsbezirke Wiesbaden gehörigen ehemals Großherzoglich

664

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Slädterechl.

Hessischen Gebietsteilen bewendet es bei den bestehenden gesetzlichen Bestiminnngen mit der Maßgabe, daß das in den letzteren vorgesehene Bor­ schlagsrecht der Gemeinde, sowie der Gemeindevertretung und des Gemeinde­ vorstandes sür büü Amt der Feldgerichtsschösfen und der Feldgeschworcnen aus die Stadtverordnetenversammlung übergeht. Titel VII.

Bon den Gehältern und Penfionen.

§ 65.

Der Normal-Etat aller Besoldungen wird von dem Magistrat entworfen und von den Stadtverordneten festgesetzt. Ist ein Normalbesoldungs-Etat überhaupt nicht oder nur sür einzelne Teile der Verwaltung sestgestellt, so werden die in solcher Weise nicht vor­ gesehenen Besoldungen vor der Wahl festgesetzt. Hinsichtlich der Bürgermeister und der besoldeten Magistratsmitglieder unterliegt die Festsetzung der Besoldungen in allen Fällen der Genehmigung des Bezirksausschusses. Der Regierungspräsident ist ebenso befugt wie ver­ pflichtet, zu verlangen, daß ihnen die zu einer zweckmäßigen Verwaltung angemessenen Bewldungsbeträge bewilligt werden. Den Beigeordneten, insofern ihnen nicht eine Besoldung besonders beigelegt ist (§ 31), können mit Genehmigung des Bezirksausschusses teste Entschädigungsbeträge bewilligt werden. Schöffen und Stadtverordnete erhalten weder Gehalt noch Remuneration, und ist nur die Vergütung barer Auslagen zulässig, welche für sie aus der Ausrichtung von Aufträgen entstehen.

§ 66. Den Bürgerineistern und den besoldeten Mitgliedern des Magistrats sind, sofern nicht mit Genehmigung des Bezirksausschusses eine Vereinbarung wegen der Pension getroffen ist, bei eintretender DienstUnfähigkeit, oder wenn sie nach abgelaufener Wahlperiode nicht wieder ge­ wählt werden, folgende Pensionen zu gewähren: ein Viertel des Gehalts nach sechsjähriger Dienstzeit, einhalb des Gehalts nach zwölfjähriger Dienstzeit, szwei Triltel des GehaU« nach vierundzwanzigjährigkr Tieiistzeitj *)

Tie auf Lebenszeit angestellten besoldeten Gemeindebeamten erhalten, insofern nicht mit dem Beamten ein Anderes verabredet worden ist, bei eintretender Dienstunfähigkeit Pension nach den für die unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Grundsätzen. Unberührt bleibt der Artikel Hl des Gesetzes vom 31. März 1882, insoweit derselbe nicht durch das Gesetz, betreffend die Ausdehnung einiger Bestimnuuigen des Gesetzes vom 31. März 1882 wegen Abänderung des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 auf mittelbare Staatsbeamte, vom 1. März 1891 iGesetz-Saminl. S. 19) abgeändert ist. Die Pension fällt fort oder ruht insoweit, als der Pensionierte durch anderweitige Anstellung im Staats- oder Gemcindedienste ein Einkommen oder eine neue Pension erwirbt, welche mit Zurechnung der ersten Pension sein früheres Einkommen übersteigen. *) Pgl. § 12 KBE.

6. Släbteordnung für beit Regierungsbezirk Wiesbaden.

§§ 64—71.

665

Ueber streitige Pensionsansprüche der Bürgermeister, der besoldeten Magistratsmitglieder und der übrigen besoldeten Gemeindebeamten beschließt der Bezirksausschuß, und zwar, soweit der Beschluß sich darauf erstreckt, welcher Teil des Diensteinkommens bei Feststellung der Pensionsansprüche als Gehalt anzusehen ist, vorbehaltlich der den Beteiligten gegen einander zustehendcn Klage im Verwaltungsstreitverfahren, im übrigen vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges. Der Beschluß ist vorläufig vollstreckbar. Ueber die Tatsache der Dienstunsähigkeit der Bürgermeister, Bei­ geordneten, Magistratsmitglieder und sonstigen Gemeindebeamten ist entstkheudenfalls in dem durch § 82 Absatz 1 Nr. 2 bezüglich der Entfernung aus dem Amte vorgefchriebenen Verfahren Entscheidung zu treffen. Titel VIII.

Bo« dem Gemeindehaushalte. § 67. Ueber alle Ausgaben, Einnahmen und Dienste, welche sich im Voraus bestiinmen lassen, entwirft der Magistrat jährlich, spätestens im Oktober, oder wenn das Etatsjahr auf die Zeit vom 1. April bis zum 31. Mürz des nächsten Jahres gelegt ist, spätestens im Januar einen Haushalts-Etat. Mit Zustimmung der Stadtverordneten kann die EtatSperiode bis auf drei Jahre verlängert werden. Der Entwurf wird acht Tage lang, nach vorheriger Verkündigung, in einem oder mehreren von dem Magistrate zu bestimmenden Räumen zur Einsicht aller Einwohner der Stadt offen gelegt und alsdann von den Stadtverordneten sestgestellt. Eine Abschrift des Etats wird sofort der Aufsichtsbehörde eingereicht.

§ 68. Der Magistrat hat dafür zu sorgen, daß der Haushalt nach dem Etat geführt werde. Ausgaben, welcher außer dem Etat geleistet werden sollen, bedürfen der Genehmigung der Stadtverordneten. § 69. Die Gemcindeabgaben und die Geldbeträge der Dienste (§ 54), sowie die Abgaben für die Teilnahme an den Nutzungen (§ 52) und die sonstigen Gemeindegefälle werden von den Säumigen im Ver­ waltungszwangsverfahren beigetrieben.

§ 70. Die Jahresrechnung ist von dem Stadtrechner binnen vier Monaten nach dem Schluffe des Etatsjahres aufzustellen und dem Ma­ gistrate einzureichen, welcher sie zu prüfen und mit seinen Erinnerungen den Stadtverordneten zur Prüfung, Feststellung und Entlastung vorzu­ legen hat. Die Feststellung der Rechnung muß vor Ablauf von neun Monaten nach dem Schluffe des Etatsjahres bewirkt sein. Der Magistrat hat der Aufsichtsbehörde sofort eine Abschrift des Feststellungsbeschlusses vorzulegen. § 71. Durch statutarische Anordnungen können auch andere Fristen, als vorstehend für die Legung und Feststellung der Rechnung bestimmt sind, festgesetzt werden.

666

IX Gruppe: Aemmunalrtdjt.

A. Stödtcrecht.

§ 72. Ueber alle Teile des Vermögens der Stadtgemeinde hat der Magistrat ein Lagerbuch zu führen. Tie darin vorkommenden Ver­ änderungen werden den Stadtverordneten bei der Rechnungsabnahme zur Erklärung vorgelegt. § 73. Der Bezirksausschuß beschließt: 1. über die Art der gerichtlichen Zwangsvollstreckung wegen Geld­ forderungen gegen Stadtgemeinden (§ 15 zu 4 des Einiührungsgesetzes zur Deutschen Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877, ReichsGesetzbl. S. 244), 2. über die Feststellung und den Ersatz der Defekte der Gemeindebeamten nach Maßgabe der Verordnung vom 24. Januar 1844 iGesetz-Samml. S. 52); der Beschluß ist vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges end­ gültig.

Titel IX. Vor» der Einrichtung der städtischen Bersastnng ohne kollegialischen Gemeindevorstand für Städte, welche nicht mehr als 2500 Einwohner haben.

K 74. In Städten von nicht mehr als 2500 Einwohnern kann auf Antrag der Gemeindevertretung unter Genehmigung des Bezirks­ ausschusses die Einrichtung getroffen werden, daß 1. die Zahl der Stadtverordneten bis auf sechs vermindert, und 2. statt des Magistrats nur ein Bürgermeister, welcher den Vorsitz in der Stadtverordnetenversammlung mit Stimmrecht zu führen hat, und zwei oder drei Schöffen, welche den Bürgermeister zu unterstützen und in Verhinderungsfällen zu vertreten haben, gewählt werden. K 75. Wird eine Einrichtung nach Maßgabe der Bestimmung unter 2 in § 74 getroffen, so gehen alle Rechte und Pflichten, welche in den Vorschriften der Titel I bis VII dem Magistrat beigelegt sind, auf den Bürgermeister mit denjenigen Modifikationen über, welche sich als not­ wendig daraus ergeben, daß der Bürgermeister zugleich stimmberechtigter Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung ist. Demselben steht in­ sonderheit ein Recht der Zustimmung zu den Beschlüssen der Stadtver­ ordneten nicht zu; er ist aber in den im zweiten Satze unter 2 des 8 56 bezeichneten Fällen verpflichtet, die Ausführung der Beschlüsse der Stadt­ verordnetenversammlung abzulehnen, und, wenn diese bei nochmaliger Be­ ratung bei ihrem Beschlusse beharrt, die Beschlußfassung des Bezirksausschuffes zu beantragen. Im übrigen finden bei den Städten, welche die gedachte Einrichtung angenommen haben, die Vorschriften der Titel I bis VII gleichfalls, jedoch mit der Maßgabe Anwendung, daß die Schöffen zugleich Stadtverordnete sein können, und daß es genügt, wenn die Beschlüsse der Stadtverordneten­ versammlung (§ 47) nur von dem Vorsitzenden und einem Mitgliede meterzeichnet werden.

6. Slübttorbnung für den Regierungsbezirk Wiesbaben.

§§ 72—78.

667

Titel X.

Do« der Berpstichtung zur Annahme von Stellen «ud von dem Ausscheiden aus denselben wegen Verlustes des Bürgerrechts. K 76. Ein jeder stimmfähiger Bürger ist verpflichtet, eine unbe­ soldete Stelle in der Gemeindeverwaltung oder Vertretung anzunehmen, sowie eine angenommene Stelle mindestens drei Jahre lang zu versehen. Zur Ablehnung oder zur früheren Niederlegung einer sochen Stelle berechtigen nur folgende Entschuldigungsgründe: 1. anhaltende Krankheit; 2. Geschäfte, die eine häufige oder lange dauernde Abwesenheit mit sich bringen; 3. ein Alter über sechzig Jahre: 4. die früher stattgehabte Verwaltung einer unbesoldeten Stelle für die nächsten drei Jahre; 5. die Verwaltung eines anderen öffentlichen Amtes; 6. ärztliche und wundärztliche Praxis; 7. sonstige besondere Verhältnisse, welche nach dem Ermessen der Stadtverordnetenversammlung eine gültige Entschuldigung begründen. Wer sich ohne einen dieser Entschuldigungsgründe weigert, eine un­ besoldete Stelle in der Gemeindeverwaltung oder Vertretung anzunehmen oder die noch nicht drei Jahre lang versehene Stelle ferner zu versehen, sowie derjenige, welcher sich der Verwaltung solcher Stellen tatsächlich ent­ zieht, kann durch Beschluß der Stadtverordneten auf drei bis sechs Jahre der Ausübung des Bürgerrechts verlustig erklärt und um ein Achtel bis ent Viertel stärker zu den direkten Gemeindeabgaben herangezogen werden. Dieser Beschluß bedarf keiner Genehmigung oder Bestätigung vonseiten des Magistrats oder der Aufsichtsbehörde. Gegen denselben findet die Klage in; Derwaltungsstreitverfahren statt, welche auch dem Magistrate zusteht.

§77. Wer eine das Bürgerrecht voraussetzende Stelle in der Ver­ waltung oder Vertretung der Stadtgemeinde bekleidet, scheidet uuS der­ selben aus, wenn er des Bürgerrechts verlustig geht; im Falle des ruhenden Bürgerrechts tritt die Suspenfion ein (§ 7). Die zu den bleibenden Verwaltungsdeputationen gewählten stimm­ fähigen Bürger (§ 59) und anderen von der Stadtverordnetenversammlung aus eine bestimmte Zeit gewählten unbesoldeten Gemeindebeamten, zu denen jedoch die Schöffen nicht zu rechnen sind, können durch einen überein­ stimmenden Beschluß des Magistrats und der Stadtverordneten auch vor Ablauf ihrer Wahlperiode von ihrem Amte entbunden werden. Tfitel XI.

Do« der Oberaufstcht über die Stadtverwaltung. § 78. Die Aufsicht des Staates über die Verwaltung der städtischen Gemeindeangelegenheiten wird in erster Instanz von dem Regierungspräsi­ denten, in höherer und letzter Instanz von dem Oberpräsidenten geübt,

668

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

unbeschadet der in den Gesetzen geordneten Mitwirkung des Bezirksausschusses und des Provinzialrates. Beschwerden bei den Aufsichtsbehörden in städtischen Gemeindeangelegenheiten sind in allen Instanzen innerhalb zwei Wochen anzubringen.

§ 79. Beschlüsse ixr Stadtverordnetenversammlung oder des 3Diagistrats, welche deren Befugnisse überschreiten oder die Gesetze verletzen, bat der Magistrat (Bürgermeister), entstehendenfalls aus Anweisung der Autsichtsbehörde, mit aufschiebender Wirkung, unter Angabe der Gründe zu beanstanden. Gegen die Verfügung des Magistrats (Bürgermeisters) neht der Stadtverordnetenversammlung (dem Magistrate! die Klage im Ver­ waltungsstreitoerfahren zu. Aus anderen als den vorstehend angegebenen Gründen sind die Auifichtsbehörden nicht befugt, eine Beanstandung der Beschlüsse der Statnverordnetenversammlung oder des Magistrats herbeizusühren. § 80. Unterläßt oder verweigert eine Stadtgemeinde, die ihr ge­ setzlich obliegenden, von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zu­ ständigkeit festgestellten Leistungen auf öen Haushalts-Etat zu bringen ooer außerordentlich zu genehmigen, so verfügt der Regierungspräsident unter Anführung der Gründe die Eintragung in den Etat oder die Feststellung der außerordentlichen Ausgabe. Gegen die Verfügung des Regierungspräsidenten steht der Gemeinde die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte zu.

H 81. Durch Königliche Verordnung auf den Antrag des Staaioministeriums kann eine Stadtverordnetenversammlung aufgelöst werden. Es ist sodann eine Neuwahl derselben anzuordnen und muß diese binnen sechs Monaten vom Tage der Auflösungsverordnung an erfolgen. Bis zur Einführung der neugewählten Stadtverordneten steht die Beschlnßfasiung in den zur Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung gehörigen Angelegenheiten dem Bezirksausschüsse zu. § 82. In Betreff der Dienstvergehen der Bürgermeister, Bei­ geordneten, Magistratsmitglieder und sonstigen Gemeindebeamten koinmen die Bestimmungen des Gesetzes voin 21. Juli 1852 (G.-S. S. 465) mit folgenden Maßgaben zur Anwendung:

1.

Gegen die Bürgermeister, Beigeordneten und Magistratsmitglieder, sowie gegen die sonstigen Gemeindebeamten kann an Stelle der Be­ zirksregierung und innerhalb des derselben nach jenem Gesetze znstehenden Ordnungsstrafrechts der Regierungspräsident Ordnungsstraten festsetzen. Gegen die Strafverfügungen des Regierungspräsidenten findet innerhalb zwei Wochen die Beschwerde au den Oberpräsidenten, gegen den aus die Beschwerde ergehenden Beschluß des Oberpräsidenten findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Oberverwaltungs­ gerichte statt. 2. In dem Verfahren auf Entfernung aus dem Amte wird die Einleitung des Verfahrens von dem Regierungspräsidenten oder dem Minister des Innern verfügt und von demselben der Untersuchungskommissar ernannt; an die Stelle der Bezirksregierung und des DisziplinarhoieS

6. StLdteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden.

§§ 78—86.

669

tritt als entscheidende Disziplinarbehörde erster Instanz der Bezirks­ ausschuß; an die Stelle des Staatsministerrums tritt das Oberverwaltungsgcricht; den Bertreter der Staatsanwaltschaft ernennt bei dem Bezirksausschüsse der Regierungspräsident, bei dem Oberverwaltungs­ gerichte der Minister des Innern. Gegen Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung findet ein Disziplinarversahren nicht statt.

K 83. Zuständig in erster Instanz ist im Verwaltungsstreitverfahren für die in dieier Slädteordnung vorgesehenen Fälle, sofern nicht im Einzelnen anders bestimmt ist, der Bezirksausschuß. Die Frist zur Anstellung der Klage beträgt in allen Füllen zwei Wochen. Die Stadtverordnetenversammlung, sowie der Magistrat können zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verwaltungsstreitverfahren einen besonderen Vertreter bestellen. Gegen die Entscheidung des Bezirksausschusses in den Fällen des § 4 Absatz 10 unter 2 ist nur das Rechtsmittel der Revision zulässig. Titel XII.

Ausführungs- und Uebergangsbestimmunge«. § 84. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1891 in

Kraft. Mit diesem Zeitpunkte oder mit der Einführung dieser Städteordnung gemäß der Bestimmung im zweiten Absätze des § 1 treten für die be­ treffenden Gemeinden alle entgegenstehenden gesetzlichen Bestimmungen, so­ wie die Vorschriften im vierten Titel des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 außer Kraft. Ter Minister des Innern trifft die zur Ausführung des Gesetzes er­ forderlichen Anordnungen.

§ 85. Die bisherigen Gemeindebehörden und die zur Zeit bestehenden Gemeindevertretungen bleiben bis zur Einführung der aus Grund des gegen­ wärtigen Gesetzes einzurichtenden Gemeindebehörden und zu wühlenden Ge­ meindevertretungen in Wirksamkeit. 8 86. Alsbald nach der Veröffentlichung dieses Gesetzes durch die Gesetz-sammlung ist nach Maßgabe der Bestimmungen desselben in den im ersten Absätze des § 1 genannten Städten die Vornahme der Wahlen für die städtischen Körperschaften zu bewirken. Bei der Wahl der Stadtverordneten werden für dieses Mal die Ob­ liegenheiten des Magistrats von dem bisherigen Gemeindevorstande, diejenigen der Stadtverordnetenversammlung von der bisherigen Gemeindevertretung wahrgenommen. Die Berichtigung der Liste der stimmfähigen Bürger (§ 19, § 20 Absatz 1 dieser Städteordnung) fällt für das erste Mal mit deren Aufstellung zusam men. Ter Regierungspräsident bestimmt nach Maßgabe des Fortschreitens der Vorarbeiten den Zeitraum, innerhalb dessen die Offenlegung der Liste (§ 20 Absatz 2 a. a. O.) stattfinden wird, sowie den Zeitpunkt, bis zu welchem

670

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

die Stadtverordnetenversammlung über die gegen die Richtigkeit der Liste erhobenen Einwendungen zu beschließen hat- (Absatz 3 und 4 ebendaselbst). Die desfallsige Anordnung ist durch das Regierungsamtsblatt, sowie in ortsüblicher Weise bekannt zu machen. Bis zum Ablause des Etatsjahres 1891/92 bleiben die bisherigen Etats in Geltung und werden die bisherigen Gemeindeabgaben forterhoben. Die Bestimmungen im Absätze 2, 3, 4 und 5 dieses Paragraphen finden bei demnächstiger Einführung dieser Städteordnung in anderen Städten des Regierungsbezirkes Wiesbaden sinngemäße Anwendung.

§ 87. Die im § 18 dieser Städteordnung für die Wahl und die Ergänzung der Stadtverordnetenversammlung festgesetzten Perioden von sechs und zwei Jahren werden für das erste Mal in Ansehung der im ersten Absätze des § 1 genannten Städte vom 1. Januar 1892 ab, in Ansehung aller anderen Städte, in welchen diese Städteordnung eingesührt werden wird, vom Anfänge des Jahres ab berechnet, welches aus dasjenige Jahr folgt, in dem die bezügliche Königliche Verordnung erlassen werden wird. § 88. Den zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes oder bei Einführung dieser Städteordnung in der bezüglichen Gemeinde im Amte befindlichen Bürgermeistern und Beigeordneten sind, falls sie nicht ander­ weit zu einem ihrer bisherigen dienstlichen Stellung entsprechenden be­ soldeten Amte in der Gemeindeverwaltung mit einem ihrer früheren Be­ soldung mindestens gleichstehenden Diensteinkommen berufen werden, ihre bisherigen Besoldungen für die Restdauer ihrer gegenwärtigen Amtsperiode fortzugewähren. Die übrigen besoldeten Gemeindebeamten verbleiben nach Maßgabe der Bestimmungen ihres Anstellungsvertrages im Amte.

7. Gesetz, belr. die Vers. d. Städte d./Prov. Schleswig-Holstein. §§ 1—4.

671

7. Wetz, bett, die NtrHiing unö Pcm»il»ag der ölbdle mb Flecke» der Provinz SGeMjg-tzolstei»? V-m 14. April 1869. (GL. L. 589).

Erster Titel.

Bon der Stadtgemeinde, dem Bürgerrechte und dem Ortsstatute. § 1. Jede Stadtgemeinde bildet eine Korporation, welcher die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten nach näherer Vorschrist dieses Ge­ setzes zustebt. Die Stadtgemeinde wird durch einen Magistrat (kollegialischen Gemeindevorstands und eine Stadtverordnetenversammlung nach den Be­ stimmungen dieses Gesetzes, beziehentlich mit den aus Tit. XI sich ergebenden Maßgaben vertreten. Stadtbezirk.

§ 2.*) Den städtischen Gemeindebezirk «Stadtbezirk) bilden alle die­ jenigen Grundstücke, welche demselben bisher angehört haben. Die Bezeichnung der einzelnen Bestandteile des Stadtbezirks und der hinsichts ihrer Zugehörigkeit zu dem letzteren etwa bestehenden besonderen Verhältnisse bleibt dem Ortsstatute Vorbehalten. § 3.3) Auf die Bereinigung solcher Grundstücke und Bezirke mit dem Stadtbezirke, welche demselben bisher nicht angehört haben, sowie ans die Abtrennung einzelner Grundstücke von dem Stadtbezirke finden die, für gleichartige Veränderungen in Landgemeindebezirken getroffenen Bestimmnngtn sdes § 1 der Verordnung vom 22. Sepieinder 1867, bett, die Load» getneindeverianungen in den Herzogtümern Schleswig und Holstein (GS. S. 1603)]

(§§ 2 bis 4 der Landgemeindeordnung vom 4. Juli 1892) Anwendung.3) Stadtgemeinde.

§ 4?) Alle Einwohner des Stadtbezirks, mit Ausnahme der servis­ berechtigten Militärpersonen des aktiven Dienststandes, gehören zur Stadt­ gemeinde. Als Einwohner werden diejenigen betrachtet, welche in dem Stadt­ bezirke nach den Bestimmungen der Gesetze ihren Wohnsitz haben. *) Krüger, Organisation cer Selbstverwaltung in der Provinz SchleswigHolstein 1889; Kommentar von Haase, Ergänzungsband der neuen preuß. Verw.Gesetze von Brauchitsch, 2. Auil. 1893; Gerstmeyer, Städteordnung für die Provinz Schleswig-Holstein 1900. ') Abj. 1 = Abs. 1 § 2 öStO. 8) 3- hierzu §§ 8. 9 ZustG. *) § 4 = § 3 öStO.; nur heißt es im Äbs. 2 „der Gesetze" statt „des Gesetzes".

672

IX. Gruppe: Kommunalrech!.

A. Stüdlerecht.

Rechte und Pflichten der Temcindeangeh örigen.

§ 5. Alle Gemeindeangehörigen 4) sind, unbeschadet der durch Stiftungen und sonstige privatrechtliche Titel begründeten besonderen Ver­ hältnisse, einerseits zur Mitbenutzung derjenigen öffentlichen Anstalten, welche der Stadtgememde als solcher angehören, und zum Mitgenusse der Ertrüge des Stadtvermögens (§§ 19 bis 21) berechtigt, andererseits zur Teilnahme an den städtischen Gemeindelasten nach Vorschrift dieses Gesetzes verpflichtet. Bürgerrecht.

§ 6. Das Bürgerrecht besteht in dem Rechte zur Teilnahme an den Gemeindewahlen, sowie in der Befähigung zur Uebernahme unbesoldeter Aemter und Funktionen in der Gemeindeverwaltung und Gemeindevertretung. Erwerb desselben.

§ 7. Jeder im Vollbesitze der bürgerlichen Ehrenrechte befindliche männliche Angehörige des Deutschen Reiches erwirbt das Bürgerrecht, wenn er seit einem Jahre 1. zur Stadtgemeinde gehört (§ 4), 2. selbständig ist; als selbständig im Sinne dieses Gesetzes werden Personen, welche minderjährig sind, oder unter einer die Dispositions­ befugnis beschränkenden Kuratel, oder im Hause und Brote anderer stehen, oder eine nach ihren« achtzehnteir Lebensjahre empfangene öffentliche Armen­ unterstützung nicht zurückerstattet haben, nicht angesehen. 3. die ihm obliegenden Gemeindeabgaben bezahlt hat, und außerdem 4. entweder a) im Gcmeindebezirk ein Wohnhaus von einem iin Ortsstatute näher z«l bestimmenden Minimalsteuerwert besitzt, oder b) ein stehendes Gewerbe — über dessen Art und Umfang das Orts­ statut Näheres bestimmen kann — selbständig betreibt oder c) ein Einkommen bezieht, welches nach den Grundsätzen des Einkommen­ steuergesetzes geschätzt, einen bestimmten im Lokalstatute näher sestzusetzenden Betrag erreicht, dessen Minimalsatz nicht unter sechshundert Mark und nicht über fünfhundert Mark jährlich normiert werden darf. Das Ortsstatut kann, anstatt eines solchen Minimalcinkommeus, auch die Entrichtung eines entsprechenden Einkommensteuersatzes ii'tr genügend erklären?)

§ 8. Jir bezug aus den Erwerb und die Ausübung des Bürger­ rechts werden Grundeigentum, Einkommen und Steuerzahlungen der Ehe­ frau und der in elterlicher Gewalt des Vaters befindlichen Kinder dem Ehemann, beziehentlich dem Vater angerechnet. Von dem Vorhandensein einer einjährigen Dauer der im § 7 Nr. 1 bis 4 ausgeführten Eriordernisse kann durch Beschluß der städtischen Kolle­ gien in einzelnen Fällen dispensiert werden.

') §§ 14, 76 EStG.

7. Gesetz, betr. d. Vers. d. Städte d. Prov. Schleswig-Holstein. §§ 5—11.

673

Geht ein Haus durch Vererbung auf einen anderen über, so kommt dem Erben bei Berechnung der Dauer des einjährigen Wohnhausbesitzes die Besitzzeit des Erblassers zugute. Uebernahme städtischer Stellen.

§ 9. Jeder Bürger ist verpflichtet, nicht nur einzelne Aufträge in städtischen Verwaltungsangelegenheiten, sondern auch eine unbesoldete Stelle (Amt'! in der Gemeindeverwaltung und Gemeindevertretung zu übernehmen und mindestens sechs Jahre lang zu versehen?) K 10. Zur Ablehnung oder früheren Niederlegung einer solchen unbesoldeten Stelle im Magistrat oder in dem Stadtverordnetenkollegium berechtigen nur folgende Gründe: 1. anhaltende Krankheit, 2. Geschäfte, die eine häufige oder lange andauernde Abwesenheit mit sich bringen, 3. ein Alter von über sechzig Jahren, 4. die bereits erfolgte sechsjährige Wahrnehmung der betreffenden oder einer anderen unbesoldeten Stelle für die nächsten sechs Jahre, 5. die Verwaltung eines anderen öffentlichen Amtes, sowie ärztliche und wundärztliche Praxis, 6. sonstige besondere Verhältniffe, welche nach dem Ermessen der städtischen Kollegien eine gültige Entschuldigung begründen. Jede solche Ablehnung oder Niederlegung ist mit den dafür geltend zu machenden Gründen dem Magistrate schriftlich vorzutragen und über die Genehmigung von der Stadtverordnetenversammlung alsbald gemein­ schaftlich Beschluß zu fassen. [3m Falle sich beide Kollegien darüber nicht einigen können, entscheidet die Regierung endgültig ebenso wenn der Ablehnende über einen die Ablehnung verwerfenden Beschluß beider Kollegien an die Regierung rekurriert, war spätestens binnen zehn Tagen nach erhaltener 'Mitteilung derselben geschehen muß.)

In gleicher Weise ist, im Falle der Ablehnung anderer Stellen oder Aufträge in der städtischen Verwaltung, über die Triftigkeit der AblehnungSgründe zu befinden, auch kann das Ortsstatut hierüber und über die Folgen unbegründeter Ablehnung besondere Bestimmungen treffen. Weigert sich ein Bürger, ohne gültig bejundene Entschuldigungs­ gründe, eine ihm durch Wahl angetragene unbesoldete Stelle im Magistrats­ oder Stadtverordnetenkollegium anzunehmen oder die noch nicht sechs Jahre lang versehene Stelle ferner zu versehen, oder entzieht er sich tatsächlich der Verwaltung derselben, so kann er durch gemeinschaftlichen Beschluß beider städtischen Kollegien auf drei bis sechs Jahre des Bürgerrechts verlustig erklärt und um ein Achtel bis ein Viertel stärker zu den Gemeinde­ abgaben herangezogen werden. sDieser Beschluß bedarf der Bestätigung der .Regierung.]1)

Ehrenbürgerrecht.

§ 11. Das Ehrenbürgerrecht kann der Magistrat nach gemein­ schaftlichem Beschlusse beider Stadtkollegien solchen Männern, die sich um die Stadt besonders verdient gemacht haben, auch ohne Zutreffen der im *)l§to 3iff. 3, II, 21 3uft®. Stier-Somle, Lcrwaltungsgcseye für Preugen.

674

IX. Truppe: Kommunalrechi.

A. Städterecht.

§7 Nr. t, 3, 4 erwähnten Erfordernisse erteilen. städtische Verpflichtungen nicht begründet.

Dadurch

werden

Verlust und Ruhen des Bürgerrechts.

K 12.

Das Bürgerrecht geht verloren: 1. durch Wegfall einer derjenigen Erfordernisse, welche das Bürger­ recht bedingen (§ 7), sofern nicht nach § 13 ein bloßes Ruhen in der Ausübung des Bürrerrechts eintritt; 2. durch Konkurs; (doch kann dem Gemeinschuldner nach voller oder akkordmäßiger Befriedigung seiner Gläubiger das Bürgerrecht durch Be­ schluß beider städtischen Kollegien wieder verliehen werden ]

H 13. Wem durch rechtskräftiges Erkenntnis die bürgerlichen Ehren­ rechte aberkannt worden sind, der ist während der im Erkenntnisse fest­ gesetzten Zeit von der Ausübung des Bürgerrechts ausgeschloflen. Ist gegen einen Bürger wegen eines Verbrechens die Versetzung in den Anklagezustand, oder wegen eines Vergehens, welches den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nach sich ziehen mnß oder kann, die Verweisung an das Strafgericht ausgesprochen, oder ist derselbe zur gerichtlichen Haft gebracht, so ruht die Ausübung des Bürgerrechts, bis die gerichtliche Untersuchung bezw. die Hast beendigt ist.

§ 14. Der Verlust des Bürgerrechts zieht den destnitiven Verlust der das Bürgerrecht als Bedingung voraussetzenden Stellen und Aemter, das Ruhen des Bürgerrechts aber die Suspension von denselben nach sich?) Bürgerbrief.

§ 15. Ob über die Erwerbung des Bürgerrechts vom Magistrate eine Urknnde (Bürgerbrief) zu erteilen ist, bestimmt das Lokalstatut Für die Ausstellung des Bürgerbriefes kann eine angemessene Ausfertigungsgebühr erhoben werden. Die Erhebung einer besonderen Abgabe sür den Erwerb des Bürger­ rechts oder aus Anlaß dieses Erwerbes (Bürgerrechtsgeld u. bergt.) ist dagegen unzulässig. B ü rgerrolle.

§ 16. Ueber alle vorhandenen Bürger Verzeichnis (Bürgerrolle) zu führen.

hat

der Magistrat

ein

O r t s st a t u t.

K 17. Nach Maßgabe der in diesem Gesetz enthaltenen allgemeinen Vorschriften ist für jede ein,elne Stadt ein besonderes Ortsstatut abzu­ fassen. Dasselbe muß die nöligen Festsetzungen über alle Punkte enthalten, für welche nach diesem Gesetze nähere statutarische Bestimmungen erfor­ derlich sind. Ueber andere die städtische Versassung und Verwaltung betretende Punkte, hinsichtlich deren das gegenwärtige Gesetz Verschiedenheiten gestattet *) §§ 10 3m- 3, 11, 21 Zusl.-iv.

7. Gesetz, betr. die Berf. b. Städte d. Prov. Schleswig-Holstein. §§ 11—22.

675

oder keine ausdrücklichen Bestimmungen enthält, kann das Statut Fest­ setzungen treffen, welche den bestehenden Gesetzen nicht widersprechen.

K 18. Das Ortsstatut ist durch gemeinschaftlichen Beschluß beider städtischen Kollegien festzustellen und bedarf der Bestätigung des Bezirks­ ausschusses [bä Regierung). Das nämliche gilt für spätere Abänderungen einzelner Statuts­ bestimmungen?) Zweiter Titel.

Bon dem Stadtvermögen, den Gememdenntzunge« und Gemeiudeleistungen. Stadtvermögen. § 19. Das zu gemeinsamen städtischen Zwecken bestimmte Ver­ mögen, welches der Stadtgemeinde als solcher gehört, heißt das Stadt­ vermögen. Ueber die zum Stadtvermögen gehörigen Immobilien hat der Magistrat ein besonderes Verzeichnis (Lagerbuch) zu führen, welches jedesmal mit dem Gemeindehaushaltsentwurf und der Jahresrechnung der Stadtverordneten vorzulegen ist.

§ 20. Ueber die Art der Benutzung des Stadtvermögens haben die städtischen Kollegien gemeinschaftlich zu beschließen. In betreff der besonderen Verwaltung einzelner kommunaler — oder auch nur genossenschaftlicher, jedoch der kommunalen Verwaltung unter­ stellter — Vermögensobjekte, Kassen, Stiftungen und Anstalten kann das Ortsstatut Näheres bestimmen. Teilnahme an den Gemein de Nutzung en.

K 21. Die den Gemeindemitgliedern zustehende Teilnahme an den Gemeindenutzungen (§§ 5, 2o) kann, soweit der Anspruch auf dieselbe nicht aus besonderen Nechtstiteln beruht, nach Maßgabe des Ortsstatuts von der Entrichtung einer jährlichen Abgabe, und anstatt oder neben der­ selben von der Entrichtung eines Einkauisgeldes abhängig gemacht werden, durch deren Entrichtung aber die Ausübung des Bürgerrechtes niemals bedingt wird?) Gemeindelei st ungen.

K 22. Die Stadtgemcinde ist zu allen Leistungen verbunden, welche das städtische Bedürfnis erfordert, oder welche ihr durch besondere Gesetze auferlegt sind?) Insoweit zu denselben die Einkünfte aus dem Stadtvermögen nicht ausreichen, haben sämtliche Mitglieder der Stadtgemeinde Geldbeiträge und persönliche Dienste auf die Art und in dem Umfange zu leisten, wie *) Dgl. § 16 Ads. 3 ZuttG. *) S. § 18 ZustG. ') § 2 fta®.

676

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A.

Städterecht.

solches in dem Ortsstatute oder durch besondere Gemeindebeschlüsse (§§ 72, 73) näher bestimmt wird. Die behufs der Niederlassung oder Aufenthaltsnahme in dem Stadt­ bezirk neu anziehenden Personen können gleich den der Gemeinde bereits angehörigen Einwohnern zu den Gemeindelasten herangezogen werden, wenn die Dauer ihres Aufenthaltes den Zeitraum von drei Monaten übersteigt?)

§ 23. Wer, ohne in dem Stadtbezirke zu wohnen, daselbst Grund­ besitz hat oder ein stehendes Gewerbe betreibt, ist verpflichtet, an denjenigen Lasten teilzunehmen, welche auf den Grundbesitz oder das Gewerbe, oder das aus jenen Quellen fließende Einkommen gelegt sind. Dieselbe Verpflichtung trifft juristische Personen, welche in dem Stadt­ bezirk Grundeigentum besitzen oder ein stehendes Gewerbe betreiben?» Befreiungen. a) persönliche.

§ 24. Ueber die Verpflichtung der Staatsdiener und der Hinter­ bliebenen derselben zu persönlichen Abgaben und Leistungen an die Gemeinde entscheidet die Verordnung, betreffend die Heranziehung der Staaisdiener zu den Kammunalauslagen in den neu erworbenen Landesteilen vom 23. September 1867 lGS. S. 1648).') Alle übrigen persönlichen Befreiungen, mit Einschluß der im § 12 der Verordnung vom 23. September 1867 noch aufrecht erhaltenen, bestehen nur noch für die Dauer der Genußberechtigung der gegenwärtig im wohlerworbenen Besitze der Immunität befindlichen Personen und erlöschen alsdann ohne Entschädigung. Von allen Gemeindelasten befreit sind?) b) dingliche.

1. die Dienstgrundstücke der Geistlichen, Kirchendiener und Elementarlehrer, 2. die zu einem öffentlichen Dienste oder Gebrauche bestimmten Grundstücke. Diese Befreiungen gelten jedoch nur so lange, als die, die Befreiung begründende Eigenschaft der gedachten Immobilien sortdauert.

§ 25. Alle sonstigen, nicht persönlichen Befreiungen können von der Stadtgemeinde abgelöst werden und hören aus, wenn die Entschädigung festgestellt und gezahlt ist; bis dahin bestehen dieselben in ihrem bisherigen Umfange fort, erstrecken sich jedoch nur auf den gewöhnlichen Zustand, nicht auf außerordentliche Leistungen. Die Befreiung und der Anspruch auf Entschädigung erlöschen, wenn sie nicht binnen Jahresfrist nach Einführung dieser Städteordnung bei dem Magistrate angemeldet oder in den zurzeit geltenden Ortsstatuten bereits sestgestellt worden sind. Die Entschädigung wird zum zwanzigfachem *) •; •) *)

§ 60 KAG. 8 33 Ads. 1 Ziff. 2 und 3 KAG. 88 41, 42 KAG. 8 40 KAG.

7. Gesetz, bett, die Vers. d. Städte d. Prov. Schleswig-Holstein. §§ 22—29.

677

Betrage des Jahreswertes der Befreiung nach dem Durchschnitte der letzten zehn Jahre vor dem 1. Januar desjenigen Jahres, in welchem die Ablösung von den städtischen Kollegien beschlossen wird, geleistet. Steht ein anderer Entschädigungsmaßstab durch speziellen Rechtstitel sest, so hat es hierbei sein Bewenden. Der Entschädigungsbetrag wird durch Schiedsrichter mit Ausschluß der ordentlichen Rechtsmittel festgestellt, von diesen wird der eine von dem Besitzer des bisher befreiten Grundstücks, der andere von den städtischen Kollegien ernannt. Der Obmann ist, wenn sich die Schiedsrichter über dessen Ernennung nicht verständigen können, von der Aufsichtsbehörde zu ernennen.

§ 26. In betreff der temporären Befreiungen von Gemeinde­ leistungen, welche einzelnen Grundbesitzern wegen Bauten bewilligt werden dürfen, ist im Ortsstatut das Nähere zu bestimmen. Diejenigen Hausbesitzer, welche bis zur Einführung dieses Gesetzes Baufreiheiten in einer größeren Ausdehnung bewilligt sind, haben die ihnen zugestandenen Befreiungen in vollem Umfange ungeschmälert zu genießen. Außerdem können durch Kommunalbeschluß temporäre Befreiungen oder Ermäßigungen von Gemeindelasten auch im Falle einer Erweiterung des Stadtbezirks (§ 3) für die zugeschlagenen Grundstücke und deren Be­ wohner bewilligt werden?) § 27. Abgesehen von den in den §§ 24 und 26 erwähnten Aus­ nahmen können persönliche oder dingliche Befreiungen von allgemeinen Gemeindeleistungen fernerhin nicht erworben werden, insbesondere auch nicht durch Verjährung?) Dritter Titel.

Bo» dem Magistrate.

K 28. Der Magistrat bildet ein Kollegium und besteht aus dem Bürgermeister (oder Oberbürgermeister), einem Beigeordneten «oder zweiten Bürgermeister), als dessen regelmäßigem Stellvertreter, und aus mehreren Ratsverwandten (Stadträten, Ratsherrn, Senatoren), über deren Zahl, Titel und etwaige besondere Funktionen «, Syndikus, Kämmerer rc.) für jede Stadt in dem Ortsstatute das Nähere bestimmt wird. Das Amt des Beigeordneten kann von einem Ratsverwandten mit versehen werden. Ein Teil der Stellen der Ratsverwandten, ebenso die Stelle des Bei­ geordneten, kann nach Festsetzung des Statuts besoldet sein, auch können für unbesoldete Magistratsämter festbestimmte Entschädigungen für Dienst­ unkosten im Statute ausgesetzt werden.

§ 29. Mitglieder des Magistrats können nicht sein?) 1. diejenigen Beamten und die Mitglieder derjenigen Behörden, durch welche die Aussicht des Staates über die Stadt ausgeübt wird, ') Vgl. jetzt §§ 24 Abs. 2, 26 Abs. 3 und 4, 34 «AG. ’) Vgl. KAG. §§ 20—22, 24 Abs. 2, 40 f. •> Ziffer 1. — § 30 öStD.

678

IX. Gruppt: Kommunalrrcht.

A. StSdterecht.

2. die Stadtverordneten und die Gemeindeunterbeamten, 3. Geistliche, Kirchendiener und Lehrer an öffentlichen Schulen?) 4. die richterlichen Beamten, zu denen jedoch die technischen Mitglieder der Handels-, Gewerbe- und ähnlicher Gerichte nicht zu zählen sind, 5. die Beamten der Staatsanwaltschaft, 6. die Polizeibeamten, zu 5 und 6 jedoch unbeschadet der nach §§ 89, 90 von Magistratsper­ sonen zu versehenden Funktionen. Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwiegersohn, Brüder und Schwäger, sowie offene Handelsgesellschafter dürfen nicht zugleich Mit­ glieder des Magistrats sein. Entsteht die Schwägerschast oder Geschäftsassoziation im Laufe der Wahlperiode, so scheidet im ersten Falle dasjenige Mitglied, durch welches das Hindernis herbeigeführt worden ist, im anderen Falle das den Lebens­ jahren nach ältere Mitglied aus.

§ 30. Der erste Bürgermeister und die besoldeten Magistrats­ mitglieder werden auf zwölf Jahre gewühlt; jedoch kann, infolge Beschluffes der städtischen Kollegien, zu diesen Stellen die Wahl auch aus Lebenszeit erfolgen. Die unbesoldeten Magistratsmitglieder werden auf sechs Jahre gewählt. In bestimmten Zeiträumen scheidet je ein Teil der unbesoldeten Ratsverwandten auS und wird durch neue Wahlen ersetzt, worüber im Ortsstatute das Geeignete festzusetzen ist?) Die Ausscheidenden können wieder gewählt werden. Außergewöhnliche Wahlen zum Ersätze innerhalb der sechsjährigen Wahlperiode ausgeschiedener Mitglieder müssen angeordnet werden, wenn der Magistrat oder die Stadtverordnetenversammlung oder der Bezirks­ ausschuß durch Beschluß?) es sür erforderlich erachten. Der Ersatzmann bleibt bis zum Ende derjenigen sechs Jahre in Tätigkeit, ans welche der Ausgeschiedene gewählt war?)

§ 31. Sämtliche Mitglieder des Magistrats werden von der wahlberechtigten Bürgerschaft (§ 37) in gleichem Verfahren, wie solches für die Wahl der Stadtverordneten vorgeschrieben ist (§§ 42 bis 45), gewählt. Die Wahl erfolgt für jede einzelne Stelle aus je drei Kandi­ daten, welche zu diesem Behufe von einer gemeinschaftlichen Kommission der beiden städtischen Kollegien präsentiert werden. Diese Kommission wird aus sämtlichen vorhandenen Mitgliedern des Magistrats und aus einer gleichen Zahl durch die Stadtverordnetenversammlung zu bestimmender Mitglieder der letzteren gebildet. Die Wahl der drei Kandidaten durch die gemeinschaftliche Kommission geschieht mittels Stimmzettel nach absoluter Stimmenmehrheit. Wird eine solche bei der ersten Abstimmung nicht erreicht, so ist mit der Abstimmung über diejenigen Personen, welche die meisten Stimmen gehabt haben, Ziffer 3., 4.. 5., 6., —• öStO. Vgl. § 12 Nr. 2 ZustG. •) Abs. 4 — § 21 91 bi. 2 öStO.

7. Gesetz, bett. b. Sers. b. SlSbte b. Ptov Schleswig-Holstein. g§ 29-36.

679

unter jedesmaliger Ausscheidung eines Kandidaten so lange fortzusahren, bis die absolute Stimmenmehrheit erzielt ist. Im Falle der Stimmen­ gleichheit entscheidet das Los. Bei gleichzeitiger Erledigung mehrerer Stellen ist für jede Stelle eine besondere Präsentation und Wahl vorzunehmen. Ob mit Rücksicht auf besondere örtliche Verhältnisse einzelne Mit­ glieder des Magistrats von einem bestimmten Wahlbezirke zu wählen find, kann Gegenstand besonderer ortsstatutarischer Bestimmung sein.

§ 32. Ter Bürgermeister und der Beigeordnete bedürfen der Be­ stätigung. In Städten von mehr als zehntausend Einwohnern steht diese dem Könige, in kleineren Städten dem Regierungspräsidenten') zu. § 33. Wird die Bestätigung versagt, so wird zu einer neuen Wahl geschritten. Wird auch diese nicht bestätigt, oder die Vornahme der Wahl verweigert, io ist der Regierungspräsident berechtigt, die Stelle einstweilen auf Kosten der Stadt kommissarisch verwalten zu lassen, bis eine zur Be­ stätigung geeignete Wahl getroffen ist?) § 34. Die Mitglieder des Magistrats werden vor ihrem Amts­ antritte durch den Bürgermeister in öffentlicher Sitzung der Stadtkollegien in Eid und Pflicht genommen. Ter Bürgermeister wird von einem Kommiffarius des RegierungSprästdenten in ebensolcher Sitzung vereidet.

Vierter Titel. Bon der Stadtverordnetenversammlung. Zusammensetzung der Versammlung. § 35. Die Stadtverordneten, deren Anzahl für jede Stadt nach Verhältnis ihrer Größe und nach dem Umfange der städtischen Verwaltung in dem Ortsstatute näher zu bestimmen ist, aber niemals weniger als sechs noch mehr als dreißig betragen darf, werden von den Bürgern der Stadt durch direkte Wahl gewählt. Sie müssen zur Halste aus Besitzern eines zum Stadtbezirke ge­ hörigen Hauses «Eigentümern, Nießbrauchern und solchen, die ein erbliches Besitzrecht haben) bestehen. Der Magistrat hat jederzeit für die Ergänzung dieser Zahl durch die geeigneten Anordnungen zu sorgen. K 36. Die Stadtverordneten werden auf sechs Jahre gewählt. Alljährlich scheidet ein Sechsteil derselben aus und wird durch neue Wahlen ersetzt. Bis das Alter im Mandat entscheiden kann, entscheidet das Los über den Austritt. Ist die Anzahl der Stadtverordneten durch die Zahl sechs nicht teilbar, so ist über die Ordnung des Ausscheidens in dem Ortsstatute das nähere zu bestimmen, jedoch dergestalt, daß die ganze Anzahl im Laufe von sechs Jahren ausscheidet. Hierzu § 13 ZustG. *) Vgl. § 14 ZustG

680

[IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

Wahlbefähigung.

§ 37. Wahlberechtigt zur Wahl der Stadtverordneten ist jeder Bürger, welcher nicht nach Maßgabe dieses Gesetzes von der Ausübung des Bürgerrechts ausgeschlossen ist.1)

§ 38. Ein jeder Bürger, welcher nach § 37 zur Ausübung des Wahlrechts befugt ist, ist zum Stadtverordneten unter der aus § 35 Abs. 2 sich ergebenden Beschränkung wählbar. Jedoch können Stadtverordnete nicht fein:2)

1. diejenigen Beamten und die Mitglieder derjenigen Behörden, durch welche die Aufsicht des Staates über die Stadt geübt wird; 2. die Mitglieder des Magistrats und alle besoldeten Gemeindebeamten;2) 3. Geistliche, Kirchendiener und Elementarlehrer; 4. die richterlichen Beamten, zu denen jedoch die technischen Mitglieder der Handels-, Gewerbe- und ähnlicher Gerichte nicht zu zählen sind; 5. die Beamten der Staatsanwaltschaft; 6. die Polizeibeamten.

Für Rechtsanwälte und Notarien ist zur Annahme der Wahl als Stadtverordneter die Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde nicht er­ forderlich?) Vater und Sohn, sowie Brüder, dürfen nicht zugleich Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung sein. Sind dergleichen Verwandte gleich­ zeitig gewählt, so wird der ältere allein zugelassen. Vater und Sohn, sowie Brüder, dürfen auch nicht zugleich der eine Magistratsmitglied, der andere Stadtverordneter sein. Jeder abgehende Stadtverordnete ist sogleich wieder wählbar, insofern die hierzu erforderlichen Eigenschaften fortdauern. Sollten besondere örtliche Verhältnisse es erfordern, daß die Wähl­ barkeit durch die Wohnung in einem bestimmten Teile der Stadt bedingt werde, so können die diesfälligen näheren Bestimmungen im Ortsstatute getroffen werden. Wahlbezirke.

§ 39. In denjenigen Städten, für welche solches nach der Größe derselben oder wegen anderer örtlicher Verhältnisse zweckmäßig befunden werden sollte, kann die Wahl der Stadtverordneten in gesonderten Wahl­ bezirken, in welche die ganze Stadt einzuteilen ist, vorgenommen werden, und zwar entweder so, daß jeder Bezirk eine bestimmte Anzahl Stadt­ verordneter selbständig zu wühlen hat, oder so, daß nur die Abstimmung bezirksweise vorgenommen wird, jeder Stadtverordnete aber von der ge­ samten Bürgerschaft zu wählen bleibt. Die Bestimmung hierüber, sowie die näheren Festsetzungen über die Abgrenzung der Wahlbezirke, beziehent0 ') ’) 4)

88 io Ziff. 1 und 11 ZustG. Ziffer 1. = § 17 Nr. 1 ÖSIO. Ziffer 3., 4., 5., 6. = § 17 Nr. 3-6 öStO. Abs. 3 = § 17 Abs. 2 SStO.

7. Gesetz, betr. d. Vers. d. Städte b. Prov. Schleswig-Holstein. §§ 37—41.

681

lich über die Zahl der in einem jeden derselben zu wählenden Stadt­ verordneten sind aus ortsstatutarischem Wege zu treffen.1)

Wahlversahren.

§ 40. Behufs der von der Bürgerschaft vorzunehmenden Wahlen wird die Bürgerrolle (§ 16) alljährlich vom Magistrate in der Zeil vom 1. bis 15. Juli einer generellen Berichtigung unterworfen, und vom 15. bis 30. Juli in einem oder mehreren, zur öffentlichen Kenntnis gebrachten Lokalen in der Stadtgemeinde ausgelegt. Während dieser Zeit kann jeder Beteiligte gegen die Richtigkeit der Lifte bei dem Magistrate Einspruch erheben. Die Stadtverordnetenversammlung hat darüber bis zum 15. August die Entscheidung zu treffen, welche dem Reklamanten schriftlich mit­ zuteilen ist. Auch nach der jährlichen Feststellung der Bürgerrolle kann der Name eines Einwohners wegen neuer, den Nichtbesitz des Bürgerrechts oder den Verlust der Ausübung desselben dartuender Tatsachen gestrichen oder aus Antrag des Beteiligten wegen später erfolgten Erwerbs des Bürgerrechts eingetragen werden. Die beabsichtigte Streichung des Namens, sowie die Ablehnung des Antrages aus Eintragung ist dem Beteiligten unter An­ gabe der Gründe vom Magistrate mitzuteilen. Der Beteiligte kann hiergegen binnen zehn Tagen Einspruch erheben, über welchen von der Stadtverordnetenversammlung zu beschließen ist?)

§ 41. Die Wahlen zur regelmäßigen Ergänzung des Stadtver­ ordnetenkollegiums finden alljährlich im November statt. Das Ortsstatut kann jedoch über diesen, sowie über die im § 40 an­ geordneten alljährlichen Termine abändcrnde Bestimmungen treffen?) Außergewöhnliche Wahlen zum Ersätze der innerhalb der Wahlperiode auSgeschiedenen Mitglieder müssen angeordnet werden, wenn die Stadt­ verordnetenversammlung oder der Magistrat oder der Bezirksausschuß durch Beschluß1) es für erforderlich erachten. Ter Ersatzmann bleibt nur bis zum Ende derjenigen Wahlperiode in Tätigkeit, aus welche der Ausgeschiedene gewählt war. Alle Ergänzungs­ und Ersatzwahlen werden, unbeschadet der Vorschrift im zweiten Absatz des § 39, wenn der zu ersetzende Stadtverordnete von einem besonderen *; Hierzu vgl. Art. I Nr. 1 des Ges. Dom 1. Mürz 1891 (GS. 5. 20): Ist eine Aenderung der Anzahl oder der Grenzen der Wahlbezirke oder der Anzahl der von einem jeden derselben zu wählenden Stadtverordneten wegen einer in der Zahl der stimmfähigen Bürger eingetretenen Aenderung oder aus sonstigen Gründen er­ forderlich geworden, so hat der Magistrat die entsprechende anderweitige Festsetzung zu treffen, auch wegen bei Uebergangi aus dem alten in dai neue Verhältnii das Geeignete anzuordnen. Der Beschluß bei Magistrats bedarf der Bestätigung von Aufstchti wegen. Vgl. auch Gesetz, betr. die Aenderung bei Wahlverfahrens, vom 29. Juni 1893 (GS. S. 103) §§ 4-6. ’) Jetzt ZustG §§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 11, 21. ’) Abs. 3 und Satz 1 von Abs. 4 = § 21 Abs. 2 östO. Nur heißt ei »bis zum Ende derjenigen Wahlperiode". *) § 12 Nr. 2 ZustG.

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IX. Grupp«: Kommunalrecht.

A. StLdterecht.

Wahlbezirke selbständig gewählt war im Gegensatze steht, der Teilnahme an der Beratung und Beschlußfassung sich zu enthalten. Kann infolge solcher Verhinderung ein gültiger Gemeindebeschluß wegen Nichtbeschlußfühigkeit des Stadtverordnetcnkollegiums (§ 52 ad 1) nicht gefaßt werden, so hat der Magistrat, oder wenn dieser selbst aus dein vorgedachten Grunde einen gültigen Beschluß zu fassen nicht befugt ist (§ 49), der Bezirksausschuß*) für die Wahrung des Gemeindeinteresses zu sorgen und nötigenfalls einen besonderen Vertreter für das behinderte städtische Kollegium oder beide Kollegien zu bestellen. Sollte ein Prozeß der Stadtgemeinde gegen den Bürgermeister, gegen dessen Stellvertrer oder gegen alle oder mehrere Mitglieder des Magistrat­ aus Veranlassung ihrer Amtsführung notwendig werden, so hat der Bezirks­ ausschuß, falls infolgedessen ein Gemeindebeschluß nicht gefaßt werden kann, auf Antrag der Stadtverordnetenversammlung einen Vertreter der Gemeinde zur Führung des Prozesses zu ernennen. Auflösung des Stadtverordnetenkollegiums.

§ 65. Durch Königliche Verordnung auf Antrag des Staats­ ministeriums kann ein Stadtvecordnetenkollegium ausgelöst werden. Es ist sodann eine Neuwahl desselben anzuordnen und muß diese binnen drei Monate vom Tage der Auslösungsverordnung erfolgen. Bis zur Einführung der neugewählten Stadtverordneten hat der Magistrat die laufenden Geschäfte allein zu sichren.*) Kommissionen.

§ 66. Für einzelne Verwaltungszweige, insonderheit solche, welche einer fortdauernden Beaufsichtigung und Kontrolle oder der Mitwirkung an Ort und Stelle bedürfen, z. B. für das Rechnungs-, HebungS- und Kassenwesen, für Bausachen, Hafensachen, Einqnartierungssachen, für die Aufsicht über die städtischen Ländereien, Wege, Straßen, Wasserleitungen usw. können von den beiden Stadtkollegien gemeinschaftlich besondere blei­ bende städtische Kommissionen gebildet werden, deren Wirkungskreis im allgemeinen auf Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse der städtischen Kollegien beschränkt, übrigens aber in dem Ortsstatute näher festzustellen ist. § 67. Die speziellen Bestimmungen über die Zusammensetzung der einzelnen Kommissionen bleiben dem Ortsstatute Vorbehalten, wobei jedoch davon auszugehen ist: *) Vgl. § 17 Ziff. 2 ZustG. ') Vgl. § 17 Ziff. 3 ZustG. Stier-So mto, Äerwalnrncs-geseye für Breuszen.

4-1

690

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

1. daß eine jede Kommission bestehen muß: a> aus einem oder mehreren Mitgliedern des Magistrats, welche dieser ernennt, b) aus einem oder mehreren Stadtverordneten, welche in der statutarisch oder durch Gemeindebeschluß bestimmten Zahl von der Stadt­ verordnetenversammlung dazu gewählt werden; 2. daß tunlichst auch andere Bürger den Kommissionen als Mit­ glieder beigeordnet werden, was durch gemeinschaftlichen Auftrag beider Kollegien zu erfolgen hat. Werden zu vorübergehenden, der gemeinschaftlichen Beschlußnahme beider Kollegien nicht unterliegenden Zwecken, z. B. zur Vollziehung ein­ zelner obrigkeitlicher Anordnungen und dergleichen, vom Magistrate Kom­ missionen angeordnet, so hängt deren Zusammenhang lediglich von seinem Ermessen ab.

§ 68. Die einzelnen Kommissionen haben die ihnen nach dem Beschlusse beider Kollegien vom Magistrate erteilten Aufträge auszuführen, und sind, insofern Zweige des städtischen Einnahme- und Ausgabewesens zu ihrem Geschäftskreise gehören, die entsprechenden Vereinnahmungen und Ausgaben anzuweisen befugt, hingegegen auch dafür verantwortlich, daß alle betressenden Einnahmen gehörig erhoben und keine Ausgaben geleistet werden, welche nicht durch einen ordnungsmäßigen Beschluß der städtischen Kollegien oder eine nach Maßgabe dieses Gesetzes ergangene ergänzende Entscheidung der Aufsichtsbehörde gerechtfertigt sind. Ueber die Verwendung der städtischen Geldsummen, welche sie nach dem Beschlusse der städtischen Kollegien ohne besondere Vorfrage in den ihnen anvertrauten Zweigen der Verwaltung verwenden dürfen, haben sie gehörig Rechnung abzulegen. § 69. Alle Kommissionen sind dem Magistrate untergeordnet. Dem Magistrate liegt es ob, dieselben mit leitenden Anordnungen zu ver­ sehen, ihre Geschäftsführung zu kontrollieren und dahinzusehen, daß sic innerhalb der ihnen angewiesenen Grenzen ihre Obliegenheiten genau ersüllen. Beschwerden gegen das Verfahren der Kommissionen sind bei dem Bürgermeister anzubnngcn, welcher solche nach der aus diesem Gesetze und dem Ortsstatute sich ergebenden Zuständigkeit dem Magistrate, bezw. den beiden städtischen Behörden zur Entscheidung vorlegt. § 70. Zur näheren Ordnung der Geschäftstätigkeit der Kommissionen in einzelnen Verwaltungszweigen, insbesondere hinsichts des Bauwesens, der Verpachtungen usw., ebenso über die Zulässigkeit der Beteiligung von Mitgliedern der städtischen Kollegien und Kommissionen an der Ausführung kommunaler Bau- und ähnlicher Arbeiten können besondere Bestimmungen im Ortsstatute getrosten werden.

Genehmigung der Gemeindebeschlüsse

sdurch die Regierung.

§ 71. Die Gemeindebeschlüsse (§ 52) bedürfen zu ihrer Wirksam­ keit, außer den in dem Gesetze besonders dahin gewiesenen Fällen, der Genehmigung des Bezirksausschusses/) wenn sie betreffen: In dem Falle zu 2. deS Regierungspräsidenten.

7. Gesetz, betr. d. Vers. d. Städte d. Prov. Schleswig-Holstein. §§ 67—72.

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1. die Deräußerng von Grundstücken und solchen Gerechtsamen, welche jenen gesetzlich gleichgestellt sind; der Bezirksausschuß ist entstehendensalls befugt, die Formen vorzuschreiben, in denen die Veräußerung statt­ finden soll; die Genehmigung ist nicht erforderlich zu der im Wege der öffentlichen Lizitation erfolgenden Wiederveräußerung von Grundstücken, welche von der Gemeinde als schadenleidender Gläubigerin im Konkurse oder infolge des Exekutionsverfahrens wegen rückständiger Gemeindeabgaben erworben sind;') 2. die Veräußerung oder wesentliche Veränderung von Sachen, welche einen besonderen wissenschaftlichen, historischen oder Kunstwert haben, namentlich von Archiven;') 3. Anleihen, durch welche die Gemeinde mit einem Schuldenbestande belastet oder der bereits vorhandene vergrößert wird; 4. Veränderungen in dem Genusse von Gemeindenutzungen; 5. außerordentliche Benutzungen des Stadtvermögens, welche die Substanz selbst angreifen, z. B. Waldabtrieb außer forstmäßiger Bewirtfchaftung; ingleichen Schenkungen, welche die Substanz des Stadtvermögens verringern; 6. Gemeindesteuern und Dienste nach Maßgabe der folgenden Paragraphen?)

§ 72. Die Zulässigkeit der Gemeindesteuern und das Erfordernis der [Regierung^.] Bezirksausschußgeneh migung zu denselben (§71 Nr. 6) unterliegt folgenden näheren Bestimmungen?) Die Gemeindesteuern können bestehen: I. in Zuschlägen zu den Staatssteuern mit folgenden Maßgaben: 1. die Steuer für den Gewerbebetrieb im Umherziehen darf nicht belastet werden; *2. bei Zuschlägen zur Klassen- und Einkommensteuer mutz derjenige Teil des besteuerten Gesamteinkommens, welcher auS dem in einer anderen Gemeinde gelegenen Grundbesitz oder aus dem in einer anderen Gemeinde betriebenen stehenden Gewerbe fließt und in dieser letzeren Gemeinde einer besonderen Gemeindebesteuerung gemäß § 23 unterworfen ist, bis auf Höhe dieses Steuerbetrages von den Zuschlägen in der Gemeinde deS Wohnortes freigelassen werden. Einkommen auS solchem Grundeigentum, welches einen besonderen GutSbezirk bittet oder Einkommen aus den von dem Vorstande eines solchen GutSdezirkS in demselben betriebenen gewerblichen Unternehmungen muß außer Berechnung gelassen werden. In den vorgedachten Fällen aber bleibt daS volle, auS auswärtigem Grund­ besitze oder Gewerbebetriebe nicht fließende Einkommen und mindestens eine im OrtSstatute näher festzusetzende, jedoch nicht über fünfundzwanzig Prozent zu bestimmende Quote des Gesamteinkommens, unverkürzt der Wohnsitzgemeinde steuerpflichtig; 3. die Genehmigung (der stegicrunfl] des Bezirksausschusses ist erforderlich; a) für Zuschläge zu den direkten Steuern, wenn der Zuschlag entweder fünfzig Prozent der Staatssteuern übersteigt oder nicht nach gleichen Sätzen aus diese Steuern verteilt werden soll. Zur Freilassung oder geringeren Belastung der Gewerbesteuer und der letzten Klassensteuerstufe bedarf es jedoch dieser Genehmi­ gung nicht; b) für Zuschläge zu den indirekten Steuern; II in besonderen direkten oder indirekten Gemeindesteuern. Diese bedürfen der Genehmigung [bcr Regierung deS Bezirksausschusses, wenn sie neu eingeführt, erhöht oder in ihren Grundsätzen verändert werden sollen. Die

Ziffer 2 und 3 = § 50 Nr. 2 und 3 öStO. *) Zehtunterliegen Gemeindebeschlüsse über diese Angelegenheiten der Genehmigung deS Regierungspräsidenten, § 16 Abs. 1 ZustG. 8) Ziff 6 ist jetzt aufgehoben durch § 96 Abs. 5 KAG. 4) Maßgebend ist jetzt das KAG.

692

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

Genehmigung von Gemeindebeschlüssen, durch welche besondere direkte oder indirekte Gemeindesteuern neu eingeführt oder in ihren Grundsätzen verändert werden, bedarf der Zustimmung der Minister des Innern und der Finanzen. Die Bestimmungen unter I, 2 kommen auch bei besonderen Gemeindesteuern in Anwendung. sTte zur Zeit bestehenden Gemeindesteuern find nach Bestimmung der Regierung soweit fie vorstehenden Grundsätzen nicht entsprechen, der Abänderung zu unterwerfens Gegen Uebertretungen der über die Erhebung von Gemeindesteuern nach Kommunalbeschluß zu erlassenden, von [ber Regierung) dem Bezirksausschuß zu genehmigen­ den Regulative können durch besondere, gleicher Genehmigung bedürfende Verordnung Strafen bis auf Höhe von s,ehn Salem] dreißig Mark, vorgesehen werden; solche Ver­ ordnungen find in der Form der ortspolizeilichen Verordnungen zu erlassen. $ 73. Die Verteilung von Gemeindediensten (§ 22) geschieht in der Regel unter gleichzeitiger Abschätzung in Gelde nach dem Maßstabe der Gemeindesteuern oder in deren Ermangelung nach dem Maßstabe der direkten Staatssteuern. Abweichungen von dieser Verteilungsart bedürfen der Genehmigung [bei Regierung) des Bezirksaus­ schusses. Tie Dienste können durch taugliche Stellvertreter abgeleistet oder, mit Aus­ nahme von Notfällen, in dem abgeschätzten Geldwerte an die Gemeindekasse bezahlt werden, sofern die städtischen Kollegien nicht ein anderes beschließen?)

Gemeindewaldungen.

§ 74. Die in bezug auf die Behandlung der Gemeindewaldungen gesetzlich bestehenden Borschristen werden durch gegenwärtiges Gesetz nicht berührt. Städtische Unterbeamte. § 75. Die städtischen Unterbeamten werden, nachdem die Stadt­ verordneten darüber vernommen worden, vom Magistrate angestellt, ver­ eidigt und eingesührt. Die Stadtkassierer und die sonstigen städtischen Beamten, welche Hebungen oder sonstige wichtige Angelegenheiten zu besorgen haben und welche im Ortsstatute näher zu bezeichnen sind, werden von beiden Stadt­ kollegien dergestalt gewählt, daß der Magistrat drei Bewerber präsentiert, die Stadtverordneten einen derselben nach relativer Stimmenmehrheit wählen, bei einer ungeachtet zweimaligen Abstimnmng stattfindenden Stimmengleichheit aber der Magistrat entscheidet. Die Wahl ersolgt aus Lebenszeit. [Sie übrigen Unterbeamten werden für die wichtigeren, im Ortiftolute näher zu bezeichnenden Posten auf Lebenszeit, für vorübergehende oder untergeordnete Dienst­ leistungen auf Kündigung angestellt?)

Es können jedoch die bei Einführung dieses Gesetzes bereits auf Kündigung angestellten Unterbeamten aller Art von der Stadtkomniune auf Kündigung beibehalten werden. Der Stadtkassierer muß wegen der ihm obliegenden Hebungen Kaution leisten. Die Höhe und Art der Bestellung derselben ist im Ortestatute näher zu bestimmen, ebenso ob und welche Sicherheit von anderen Gemeinde­ beamten zu leisten ist. *) Maßgebend ist jetzt daS KAG. *) Jetzt aufgehoben durch § 25 KBG., s. dessen §§ 8—10.

7. Gesetz, betr. d Vers. b. Städte b. Pro». Schleswig-Holstein. §§ 72—78.

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Siebenter Titel.

Bo« den Gehälter« ««d Penfioue«. Gehälter und andere Dienstbezüge.

K 76. Die Gehälter und sonstigen Dienstbezüge aller städtischen Beamten sind, soweit sie nicht in gesetzlich statthasten, sür einzelne Dienst­ geschäfte von den Beteiligten zu erhebenden Gebühren l Sporteln) bestehen, aus der Stadtkasse zu gewähren. Aus Staatsmitteln finden dazu, abgesehen von den im § 79 vorgesehenen vorübergehenden Entschädigungen und den für Ausrichtung besonderer staatlicher Aufträge (§ 59) etwa künftig aus­ drücklich bewilligten Vergütungen, keinerlei Zuschüsse weiter statt. Dies gilt auch in Betreff der Polizeimeister, sofern solche nicht nach Erlaß dieses Gesetzes gemäß § 89 als besondere staatliche Polizeibehörden ausdrücklich übernommen oder neu angestellt werden. K 77. Der Normaletat aller Besoldungen wird vor Einführung dieser Städteordnung (§ 100) durch Gemeindebeschluß festgesetzt, unbeschadet der Genußrechte der bereits Angestellten. Hinsichtlich der Bürgermeister und der besoldeten Magistratsmitglieder unterliegt die Festsetzung der Besoldungen der Genehmigung des Bezirks­ ausschusses. Spätere Aenderungen sind jedesmal vor der neuen Wahl zu der betreffenden Stelle in gleicher Weise festzustellen. Pensionen.

K 78. Den aus eine bestimmte Amtsperiode angestellten Bürger­ meistern und besoldeten Mitgliedern des Magistrats sind, sofern nicht mit Genehmigung des Bezirksausschuffes eine besondere Vereinbarung wegen der Pension getroffen ist, bei eintretender Dienstunsühigkeit') oder wenn sie nach abgelausener Wahlperiode nicht wieder gewählt, bezw. die Bürger­ meister und Beigeordneten nicht wieder bestätigt werden, folgende Pensionen zu gewähren: */< des Gehalts nach öjähriger \ '/„ 12 „ } Dienstzeit. ......................................... „]«) J Als pensionsfähiges Gehalt werden nur die fixierten Besoldungsbetrüge, einschließlich etwaiger Naturalgenüsse und fester persönlicher Ge­ haltszulagen, nicht aber Entschädigungen für Dienstunkosten, steigende und fallende Dienstemolumente für besondere Amtsverrichtungen, oder sonstige lediglich akzidentielle Dienstgenüsse gerechnet?) [S)ie auf Lebenszeit angestellten besoldeten Gemeindebeamten erhalten, in Er­ mangelung besonderer Vereinbarung, bei eintrelender Dtenstunsähigkeit Pension nach denselben Grundsätzen, welche bei den unmittelbaren Staatsbeamten zur Anwendung kommen, unter Zugrundelegung des im Dienste der Stadt erworbenen Dienstalters. Ueber die PenfionSansprüche der Bürgermeister und aller anderen besoldeten städtischen Beamten entscheidet in streitigen Fällen die Regierung. Gegen den Beschluß

'iDgl. 8 20 ZustG. e) Vgl. jedoch jetzt § 14 KBG. 8i Das Folgende ist aufgehoben durch § 25 KBG.; vgl. jetzt dessen §§ 12, 14 15.

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Llädterecht.

der Regierung, soweit derselbe sich nicht aus die Tatsache der Tlenstunfähigkeit bezieht, findet binnen Jahresfrist die Berufung auf richterliche Entscheidung, mit Ausschluß weiterer Beschwerden im Verwaltungswege statt. Ungeachtet der Berufung sind die festgesetzten Betrüge vorläufig zu zahlens

Die Pension fällt fort oder ruht insoweit, als der Pensionierte durch anderweitige Beschäftigung oder Anstellung im Staats- oder Ge­ meindedienste ein Einkommen oder eine neue Pension erwirbt, welche mit Zurechnung der ersten Pension sein früheres Einkommen übersteigen. Sämtliche Pensionen städtischer Beamten, mit alleiniger Ausnahme der bereits aus der Staatskasse bewilligten, werden aus der Stadtkasie bestritten.

Bereits angestellte Beamte.

§ 79. Die in den §§ 76 bis 78 bestimmte Verpflichtung der Stadtgemeinden zur Bestreitung der Besoldungen und Pensionen erleiden hinsichts der bei Einführung dieses Gesetzes in den Kommunen bereits fest angestellten Beamten eine Ausnahme dahin, daß diesen Beamten die ihnen aus Staatsmitteln zugesicherten Besoldungsanteile und die nach § 45 der Verordnung vom 26. Juni 1867 über die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung in Schleswig und Holstein (GS. S. 1073) zu ge­ währenden Einkommensentschädigungen insoweit aus der Staatskasie fort­ zuzahlen sind, als nötig ist, um den etwaigen Ueberschuß der gesamten, diesen Beamten persönlich zustehenden Diensteinkünfte über den von der Kommune zur Zeit, beziehentlich nach der neuen Gehälterregelung (§ 77) künstighin zu leistenden Besoldungsbetrag zu decken. Auch hat der Staat nach demselben Maßstabe zur Pensionierung der gedachten Beamten ein­ tretendenfalls beizutragen. Denjenigen Beamten, welche früherhin als nicht gelehrte Ratsverwandte ohne Pensionsberechtigung angestellt sind, erwächst durch die Bestimmungen dieses und der vorhergehenden Paragraphen kein derartiges Recht. Achter Titel.

BesondereBestimmuuge« hiufichts des städtische« Haushalts. Haushaltungsplan.

K 80. Ueber alle Ausgaben und Einnahmen der Kommune, welche sich im voraus bestimmen lassen und die zur Herstellung des Gleichgewichts aufzubringenden Gemeindeleistungen ist jährlich, spätestens im dritten Monate vor dem Beginne des Rechnungsjahres, ein möglichst vollständiger Voranschlag (Haushaltungsplan) vom Magistrate zu entwerfen. (Durch ly«mcindebeschluß kann die AujchlagSperiode büf aus 3 Jahre verlängert werden (')

Der entworfene Anschlag ist nach vorgängiger Bekanntmachung vierzehn Tage lang öffentlich zur Einsicht aller Gemeindeangehörigen auszulegcn. Letzteren steht es frei, binnen dieser Frist Bemerkungen über den Anschlag bei dem Magistrate schriftlich einzubringen, welcher demnächst behufs der Feststellung des Haushaltsplanes einen gemeinschaftlichen Be*) Ersetzt durch § 95 Abs. 2 KAG.

7. Gesetz, betr. d. Vers. d. Städte b. Prvv. Schleswig-Holstein. §§ 78—85.

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schluß beider Kollegien herbeizuführen hat. Eine Abschrift des festgestellten Planes ist sofort dem Regierungspräsidenten einzureichen und der wesent­ liche Inhalt desselben aus die in jeder Stadt übliche Weise durch den Druck zu veröffentlichen.

H 81. Der Magistrat hat dafür zu sorgen, daß der Haushalt nach dem sestgestellten Plane geführt wird. Ausgaben, welche außer dem HauShaltungsplane geleistet werden sollen, bedürfen der Genehmigung beider städtischen Kollegien.

§ 82?) § 83. Der

Magistrat hat darüber zu wachen, daß die einzelnen Kassen und das Hebungswesen sich fortwährend in vorgeschriebener Ordnung befinden, zu diesem Zwecke auch von Zeit zu Zeit und mindestens einmal im Jahre Kassenrevisionen anzustellen. Zu diesen Revisionen sind eines oder mehrere, zu Anfang jedes Jahres von dem Stadtverordnetenkollegium zu bezeichnende Mitglieder des letzteren oder ebenso zu bestimmende Stellvertreter zuzuziehen. Die näheren Bestimmungen über da? Hebungs- und Kaffenwesen bleiben dem Ortsstatute Vorbehalten.

§ 84. [Tie Gemeindeumlagen, die Geldbeträge für die Dienste (§ 73), sowie)') die Abgaben für die Teilnahme an den Nutzungen (§ 21) und die sonstigen öffentlichen Gemeindegesälle werden von den Säumigen im Steuerexekutionswege beigetrieben (Verordnung vom 15. November 1899 über das VerwaltungszwangSversahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen sGS. S. 545]). Hinsichts der [Reklamationen)'! Nachforderungen und der Verjährung bezüglich [aller) derartiger öffentlicher Gemeindegesälle findet das Gesetz über die Verjährungsfristen bei öffentlichen Abgaben voin 18. Juni 1840 (GS. S. 140), sowie bezüglich des Einkaufsgeldes (§ 21) das Gesetz vom 14 Mai 1860 § 9 (GS. S. 237) Anwendung. Reklamationen wegen Kommunalabgaben, welche vor Publikation des gegenwärtigen Gesetzes entrichtet worden sind, sowie Nachforderungen wegen Abgaben aus dieser Zeit müssen bei Verlust des Anspruchs, binnen Jahres­ frist nach der Publikation dieses Gesetzes geltend gemacht werden. Für die zur Zeit dieser Publikation vorhandenen Kommunatabgabenrückslande beginnt die im § 8 des Gesetzes vom 18. Juni 1840 festgesetzte vierjährige Verjährungsfrist mit dem 1. Januar 1870. Geineinde- (Stadt-) Rechnung.

§ 85. Das Rechnungsjahr wird mit dem Kalenderjahr in Ueber­ einstimmung gebracht?) Die Gemeinderechnung wird von der Stadtkasse alljährlich, zu der im Ortsstatute näher zu bestimmenden Zeit geschlossen und in der vorschriitsmäßigen Form bei dem Magistrate eingeliefert. *) ') ') 4!

Ersetz! durch § 19 ZustG. Vgl. jetzt § 90 KAG. Vgl. ßtz 69, 70 KAG., 8 18 Ziff. 2 ZustG. Abgeäiwerl durch 8 95 KAG.

696

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

Die Rechnung wird demnächst durch eine von den beiden städtischen Kollegien einznsetzende Revisionskommission geprüft, deren Zusammensetzung das Ortsstatut näher bestimmt. Tie von dieser Kommission gezogenen Ausstellungen werden dem Kassierer und nötigenfalls auch den betreffenden städtischen Kommissionen zur Beantwortung mitgeteilt und ist diese späteüens binnen vier Wochen bei dem Bürgermeister einzureichen. Der Bürgermeister hat die revidierte Rechnung mit den Erinnerungen und Gegenerklärungen den Stadtkollegien zur Prüfung, Feststellung und Entlastung vorzulegen. Auch die Feststellung und Entlastung der Gemeinderechnungen ver­ gangener Jahre, soweit sie noch nicht erfolgt sein sollte, ist durch die Stadtkollegien zu bewirken.

§ 86. Die Feststellung der Rechnung muß fortan in der orts­ statutarisch zu bestimmenden Frist, spätestens jedoch binnen Jahresfrist nach dem Schlüsse des Rechnungsjahres erfolgen. Der Magistrat hat dem Regierungspräsidenten sofort eine Abschrift des Feststellungsbeschlusses vorzulegen. Jahresbericht.

§ 87. Jedes Jahr, bevor der Haushaltsplan sestgestellt wird i§ SO), hat der Magistrat in öffentlicher Sitzung der städtischen Kollegien über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten einen voll­ ständigen Bericht zu erstatten, welcher demnächst aus ortsübliche Weise zur öffentlichen Kunde zu bringen ist. Neunter Titel-

Verwaltung der kirchlichen, Schul- und Armeuaugelegenheiteu, der Polizei und besonders ausgetrageuer staatlicher Geschäfte.

§ 88. Nach dem Zwecke dieses Gesetzes wird durch dasselbe in Ansehung der Verwaltung der kirchlichen, Schul- und Armenangelegenheiten nichts geändert. § 89. Die örtliche Polizeiverwaltung wird in Gemäßheit der Ver­ ordnung vom 20. September 1867 zGS. S. 1529) und des § 59 dieses Gesetzes von dem Bürgermeister, beziehentlich bei dessen Verhinderung von dem Beigeordneten geführt, kann aber auch einem anderen Mitgliedc des Magistrats von dem Regierungspräsidenten übertragen werden. Diejenigen von der Gemeinde anzustellenden Polizeibeamten, welche nur zu mechanischen Dienstleistungen verwendet werden, bedürfen der Be­ stätigung des Regierungspräsidenten nicht. Dem Minister des Innern steht mit den in der vorgedachten Ver­ ordnung, namentlich in §§ 2 und 3, bezeichneten Maßgaben die Be­ fugnis zu, in Festungen oder in Städten von mehr als 10 000 Ein­ wohnern die Sicherheitspolizei, insbesondere die Versolgung von Kriminalund Polizeivergehen, einer besonderen Staatsbehörde oder einem besonderen

7. Gesetz, betr. d. Vers. b. Städte d Prov. Schleswig-Holstein. §§ 85—91.

697

Staatsbeamten zu übertragen. Aus dringenden Gründen kann zeitweilig dieselbe Einrichtung auch auf andere Zweige der Ortspolizei ausgedehnt und ganz oder teilweise auch in Städten anderer Kategorie eingeführt werden?) In« Falle der Teilung der Ortspolizei normiert ein von dem Minister festzusetzendes Regulativ die Grenzen der Kompetenz. Allgemeine Verordnungen der Ortspolizeibehörde Md vor ihrem Erlaß mit den städtischen Behörden zu beraten. [3ft ein Einverständnis nicht zu erreichen, so gebührt die Entscheidung der Regierung.j')

Die Kosten der örtlichen Polizeiverwaltung sind [mit Ausnahme der Gehälter der von der Sttmtsregierung im Falle der Ausübung obiger Befugnis des Ministers des Innern angestellten besonderen Beamtens Don den Gemeinden ZU

bestreiten?) Die Nutzungen der örtlichen Polizeiverwaltung, einschließlich der von der Ortspolizeibehörde festgesetzten Geldbußen, Konfiskate und Exekutivstrafen stehen der Gemeinde zu. Soweit jedoch in Ansehung gewisser Uebertretungen besondere Vorschriften bestehen, wonach die verwirkten Geldbußen und Kon­ fiskate gewissen Personen oder Anstalten zufließen sollen, behält es dabei sein Bewenden?»

§ 90. Der Regierungspräsident ist befugt, dem Bürgermeister auch folgende Geschäfte ohne besondere Vergütung zu übertragen: [1. wenn die Handhabung der Ortspolizei nicht einer besonderen staatlichen Be­ hörde beigelegt ist, die Verrichtungen eines Hilfsbeamten der gerichtlichen Polizei4 l .*- * und die eines AmtsanwaltS;^) dem Bürgermeister am Sitze eines Polizeigerichls kann die Vertretung der Amts­ anwaltschaft bei dem Gerichte auch für andere, beziehentlich für sämtliche Gemeinden des Polizeigerichtsbezirks gegen angemessene, von den betreffenden Gemeinden nach Ver­ hältnis der Einwohnerzahl zu gewährende und durch die Regierung festzusetzende Ent­ schädigung übertragen werden.]

2. alle örtlichen Geschäfte der Kreis-, Provinzial- und allgemeinen Staatsverwaltung, [namentlich auch bas Führen bkr Perionenstanbsregister.fi> sofern nicht andere Behörden dazu bestimmt sind. Die Befugitis und Verpflichtung des Beigeordneten, den Bürger­ meister zu vertreten, erstreckt sich auch auf die unter [1 unb] 2 erwähnten Geschäfte; es können aber auch diese Geschäfte durch Anordnung des Re­ gierungspräsidenten oder mit Genehmigung desselben einem anderen Magistratsmitgliede oder einem sonstigen Gemeindebeamten übertragen werden

Zehnter Titel.

Von der Oberaufficht über die Stadtverwaltung. 5 91. [Die Aussicht bei Staates über bie städtischen Gemeindeangelegen hetten wird von der Regierung geübt. Gegen die Entscheidungen der Staatsbehörden, insofern l) § 1 des Gesetzes, betr. den Erlaß polizeilicher Strafverfügungen wegen Ueber­ tretungen, vom 23. April 1883 (GS. S. 65). ■) S. jetzt 88 143, 144 LVG. •) Jetzt Polizeikostengesetz vom 3. April 1908 (GS. S. 87). 4i Der hier nicht abgedruckte letzte Absatz ist ersetzt durch § 36 KrO. § 153 GVG. *) AG. z. GVG. §§ 63, 64. *) Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes vom 6. Februar 1875 §8 4-6.

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

A. Städterecht.

dieselben nicht nach diesem Gesetze oder dem OrtSstatute endgültige sind, geht der Rekurs an die Regierung und gegen die Entscheidungen der Regierung, sofern diese nicht nach gegenwärtigem Gesetze endgültige find, schließlich an den Oberpräsi)enten. Der Rekurs mutz in allen Instanzen innerhalb einer Präklusivfrist von vier Wochen nach der Zustellung oder Bekanntmachung der Entscheidung eingelegt werden, insofern er nicht durch diese- Gesetz an andere Fristen geknüpft ist,]1)

§ 92. Die Aufsichtsbehörden des Staates find berechtigt und ver­ pflichtet, darauf zu halten, daß die Verwaltung der städtischen Gemeinde­ angelegenheiten den Gesetzen und namentlich dieser Städteordnung gemäß geführt werde. (Insbesondere haben sie, wenn von den städtischen Kollegien oder von einem derselben ein Beschluß gefaßt ist, welcher ihre Befugnisie überschreitet oder sonst gesetz. widrig ist. oder da- Staat-wohl verletzt, die Beanstandung solcher Beschlüsse durch den Bürgermeister (§ 61 Almea 2) anzuordnen und über die Ausführung de- Beschlusses demnächst zu entscheiden, sofern die städtischen Kollegien auf eine mit Gründen ver­ sehene Aufforderung den betreffenden Beschluß nicht selbst zurücknehmen. Ueber die Nützlichkeit oder Zweckmäßigkeit der innerhalb ihrer Kompetenz in der städtischen Verwaltung getroffenen Maßregeln steht im übrigen die Ausübung dieses Beanstandung-rechts der Aufsichtsbehörde keine Kognition zu.)')

§ 93. [3n betreff der Dienstvergehen der Bürgermeister. Magistratsmitglieder und anderer Gemeindebeamten kommen die darauf bezüglichen Gesetze nach Bestimmung der Verordnung vom 23. September 1867 (GS. S. 1613) zur Anwendung.)') Elfter Titel.

Bo» der Einrichtung der Gemeiudeverfassuug ohne kollegialifche« Gemeindevorstand für kleinere Städte «nd für Flecke«. Einfachere Städteverfasfulng.

K 94.

Der städtischen Verfassung kann durch Gemeindebeschluß, welcher nur nach zweimaliger mit einem Zwischenraum von vierzehn Tagen vorgenommener öffentlicher Beratung gefaßt werden darf und der Be­ stätigung des Bezirksausschusses unterliegt, die nachfolgende einfachere Ein­ richtung gegeben werden. 1. Die Ortsobrigkeit und aussührende Gemeindebehörde bildet anstatt des Magistratskollegiums ein Bürgermeister (erster Ortsvorsteher), welchen zwei oder drei Ratmänner (zweiter, dritter, vierter Ortsvorsteher) nach näherer Bestimmung des Ortsstatuts in den Amtsgeschästen zu unterstützen und 99 (GS. S. 545). § 37. Beschwerden und Einsprüche gegen die Heranziehung oder die Veranlagung zu den direkten Gemeindeabgaben sind innerhalb drei Monaten vom Tage der Bekanntmachung der zur Erhebung gelangenden Zuschlagsprozentsätze, der Benachrichtigung über den zu entrichtenden Ab­ gabebetrag oder der beendeten Auslegung der Hebeliste (§ 34) ab gerechnet und Ansprüche auf Zurückzahlung zuviel erhobener indirekter Gemeinde­ abgaben sind binnen Jahresfrist, vom Tage der Versteuerung ab gerechnet, be: dem Gemeindevorsteher «nzubringen. Bezüglich der Nachforderung von Gemeindeabgaben und der Ver­ jährung der Rückstände finden die hinsichtlich der Staatssteuern geltenden Bestimmungen sinngemäße Anwendung.

§ 38. Aus Beschwerden und Einsprüche, bctr. die Heranziehung oder die Veranlagung zu den Gemeindelasten, beschließt der Gemeindevorsteher. Gegen den Beschluß findet die Klage im VerwaltungSstreitverfahren statt. Der Entscheidung im Verwaltungsstreitversahren unterliegen des­ gleichen Streitigkeiten zwischen Beteiligten über ihre in dem öffentlichen Rechte begründete Verpflichtung zu den Gemeindelasten. Einsprüche gegen die Höhe von Gemeindezuschlügen zu den direkten Staatssteuern, welche sich gegen den Prinzipalsatz der letzteren richten, sind unzulässig. Die Ermäßigung des Prinzipalsatzes (§ 34 la) hat die Er­ mäßigung der Gemeindezuschläge von selbst zur Folge. Die Beschwerden und die Einsprüche, sowie die Klage haben keine aufschiebende Wirkung. Dritter Abschnitt.

Gememdrglieder, deren Rechte und Dichten.

K 39. Gemeindeglicder sind alle Gemeindeangchörigen, welchen das Gemeinderecht zusteht. Eine Liste der Gemeindeglieder, welche deren nach § 41 erforderliche Eigenschaften nachweist, und der sonstigen Stimmberechtigten (§ 45) wird von dem Gemeindevorsteher geführt und alljährlich im Monate Januar berichtigt. ') §§ 29 bi« 35 ersetzt durch KAG. *) §§ 36 bis 38 find nach Erlaß beS KAG. nur in Kraft geblieben, insoweit § 73 der Landgeineindeordn ung in Ansehung der EinkaufSgelder und anderer daselbst aufgeführten Abgaben auf fie Bezug nimmt.

1. Landgtinemdrordn. f. d. sieben östl. Prov d. Monarchie.

§§ 28—42.

727

§ 40,

Das Gemeinderecht umfaßt: 1. das Recht zur Teilnahme an dem Stimmrechte in der Gemeinde­ versammlung oder, wo die letztere durch eine gewählte Gemeindevertretung ersetzt ist, zur Teilnahme an den Gemeindewahlen. 2. das Recht zur Bekleidung unbesoldeter Aemter in der Verwaltung und Vertretung der Gemeinde.

§ 41. Tas Gemeinderecht steht jedem selbständigen Gemeindean­ gehörigen zu, welcher Angehöriger des Deutschen Reiches ist und die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt, seit einem Jahre in dem Gemeindebezirke seinen Wohnsitz hat, keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfängt, die auf ihn entfallenden Gemeindeabgaben gezahlt hat und außerdem entweder a) ein Wohnhaus in dem Gemeindebezirke besitzt, oder b) von seinem gesamten innerhalb des Gemeindebezirks belegenen Grundbesitze zu einem Jahresbetrag von mindestens 3 Mark an Grund und Gebüudesteuer vom Staate veranlagt ist, oder c) zur Staatseinkommensteuer veranlagt ist oder zu den Ge­ meindeabgaben nach einem Jahreseinkommen von mehr als 660 Mark in Gemäßheit des § 38 des Kommunaladgabengesetzes vom 14. Juli 1893 herangezogen wird. Steht ein Wohnhaus im (geteilten oder ungeteilten) Miteigentum mehrerer, so kann das Gemeinderecht auf Grund dieses Besitzes nur von einem derselben ausgeübt werden. Falls die Miteigentümer sich über die Person des Berechtigten nicht einigen können, ist derjenige, welcher den größten Anteil besitzt, befugt, das Gemeinderecht auszuüben; bei gleichen Anteilen bestimmt sich die Person des Berechtigten durch das Los, welches durch die Hand deS Gemeindevorstehers gezogen wird. Steuerzahlungen und Grundbesitz der Ehefrau werden den» Ehemanne, Steuerzahlungen und Grundbesitz der in elterlicher Gewalt des Vaters befindlichen Kinder werden dem Vater angerechnet. In den Fällen, wo ein Wohnhaus durch Vererbung auf einen anderen übergeht, kommt dem Erben bei Berechnung der Dauer des einjährigen Wohnsitzes die Besitzzeit des Erblassers zugute. Die Uebertragung unter den Lebenden an Ver­ wandte in absteigender Linie steht der Vererbung gleich. Als selbständig wird nach vollendetem vierundzwanzigsten Lebensjahre ein jeder betrachtet, welcher einen eigenen Hausstand hat, sofern ihm nicht das Verfügungsrecht über die Verwaltung seines Vermögens durch richter­ lichen Beschluß entzogen ist. Inwiefern über die Erlangung des Gemeinderechts von dem Ge­ meindevorsteher eine Urkunde zu erteilen ist, bleibt den statutarischen An­ ordnungen Vorbehalten.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

§ 42. Verlegt ein Gemeindeglied seinen Wohnsitz in eine andere Landgemeinde, so kann ihm das Gemeinderecht, sofern im übrigen die Voraussetzungen zu dessen Erlangung vorliegen, von dem Gemeindevor-

728

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

steher im Einverständnisse mit der Gemeindeversammlung (Gemeindever­ tretung) schon vor Ablauf eines Jahres verliehen werden. Ein Gleiches findet statt, wenn der Besitzer eines selbständigen Gutes (§ 122) seinen Wohnsitz in eine Landgemeinde verlegt.

§ 43. Das Gemeinderecht und die unbesoldeten Gemeindeäinler gehen verloren, sobald eines der im § 41 unter Nr. 1 und 6 vorgeschrie­ benen Ersordernisse nicht mehr zutrifft oder der Wohnsitz in dem Gemeinde­ bezirke aufgegeben wird. Wer durch rechtskräftiges Erkenntnis der bürgerlichen Ehrenrechte verlustig gegangen ist, verliert dadurch dauernd die bisher von ihni be­ kleideten Aemter in der Gemeindeverwaltung und der Gemeindevertretung und für die im Urteile bestimmte Zeit das Gemeindestimm- und Wahl­ recht, sowie die Fähigkeit, dasselbe zu erwerben und Gemeindeämter zu bekleiden. Die rechtskräftig erfolgte Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter hat den dauernden Verlust der bisher bekleideten Aemter in der Gemeindevertretung, sowie für die im Urteile bestimmte Zeit die Unfähigkeit zur Bekleidung solcher Aemter zur Folge. Die Verurteilung zur Zuchthausstrafe hat den Verlust der Gemeinde­ ämter und die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung solcher Aemter zur Folge. $ 44.

Die Ausübung des Gemeinderechts (§ 40) ruht, 1. wenn gegen ein Gemeindeglied wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens, welches die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zur Folge haben kann, das Hauptversahren eröffnet, oder dasselbe zur gericht­ lichen Haft gebracht ist, so lange bis das Strafverfahren beendet ist; 2. wenn ein Gemeindeglied in Konkurs verfällt, bis zur Beendigung des Verfahrens; 3. wenn ein Gemeindeglied Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfängt, während sechs Monate nach dem Empfang der Unter­ stützung, sofern es nicht früher die empfangene Unterstützung erstattet; 4. wenn ein Gemeindeglied die auf dasselbe entfallende» Gemeinde­ abgaben nach Mahnung durch den Steuererheber nicht gezahlt hat, bis zur Entrichtung derselben. Bekleidet ein solches Gemeindeglied unbesoldete Gemeindeämter, oder ist dasselbe Abgeordneter nicht angesessener Stimmberechtigter (§ 48’, so ist der Kreisausschuß berechtigt, die Wahl eines kommissarischen Vertreters anzuordnen.

K 45. Wer, ohne im Gemeindebezirke einen Wohnsitz zu haben, in demselben seit einem Jahre ein Grundstück besitzt, welches wenigstens den Umfang einer die Haltung von Zugvieh zur Bewirtschaftung erfordernden Ackernahrung hat, oder auf welchem sich ein Wohnhaus, eine Fabrik oder eine andere gewerbliche Anlage befindet, die dem Werte einer solchen Ackernahrung mindestens gleichkommen, ist ebenfalls stimmberechtigt, wenn bei ihm die im § 41 unter Nr. 1, 2, 4 und 5 bezeichneten Voraus­ setzungen vorhanden sind. Jngleichen steht das Stimmrecht juristischen Personen, Aktiengesell­ schaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerkschasten, eingetragenen

1. Lanbgemeinbeorbn. f. b. sieben östl. Prov. b. Monarchie.

§§ 42—48.

729

Genossenschaften und dem Staatsfiskus zu, sofern dieselben Grundstücke von dem bezeichneten Umfange in dem Gemeindebezirke besitzen. Frauen und nicht selbständige Personen (§41 Abs. 5) sind, wenn der ihnen iin Gemeindebezirke gehörige Grundbesitz zum Stimmrechte be­ fähigt, stimmberechtigt, sofern bei ihnen die im § 41 unter 1 bis 5 be­ zeichneten Voraussetzungen vorliegen.

§ 46. In der Ausübung des Stimmrechts, zu welchem der Grund­ besitz befähigt, werden vertreten: 1. Minderjährige durch ihren Vater, Stiefvater, Personen, welche unter Vormundschaft oder Pflegschaft stehen, durch ihren Vormund oder Pfleger; steht die elterliche Gewalt der Mutter zu oder wird sie von dieser ausgeübt (§§ 1684 ff. BGB », oder ist der Vormund oder Pfleger eine Frau, so erfolgt die Vertretung durch ein Gemeindeglied;l) der Stiefvater ist vor dem Vormund zur Vertretung berufen, 2. Ehefrauen durch ihren Ehemann, 3. großjährige Besitzer vor vollendetem vierundzwanzigsten Lebens­ jahre, unverheiratete Besitzerinnen (abgesehen von den Fällen unter Nr. 1) und Witwen durch Gemeindeglieder, 4. juristische Personen, einschließlich des Staatssiskus, sowie die übrigen im zweiten Absatz des § 45 bezeichneten Personengesamtheiten durch ihre versassungsmäßigen Organe, Repräsentanten oder General­ bevollmächtigte, sowie durch Pächter und Nießbraucher der zur Teilnahme am Stimmrechte befähigenden Grundstücke, oder durch Gemeindeglieder. Auswärts wohnende Stimmberechtigte, welche das vierundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt haben, und auswärts wohnende Vertreter Stimm­ berechtigter können das Stimmrecht persönlich ausüben, sind aber befugt, sich durch männliche Gemeindeglieder vertreten zu lassen. § 47. Zur Ausübung des Stimmrechtes durch Vertreter (§ 46) ist erforderlich, daß 1. der Vertreter sich im Besitze der Deutschen Reichsangehörigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte befindet, das vierundzwanzigste Lebens­ jahr zurückgelegt hat und keine Arinenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfängt, sowie außerdem, daß 2. der Vater die elterliche Gewalt besitzt, 3. der Stiefvater das zum Stimmrechte befähigende Grundstück bewirtschaftet.

§ 48. Der Regel nach steht jedem eiilzelnen Stimmberechtigten eine Stimme in der Gemeindeversammlung, jedoch mit folgenden Maß­ gaben, zu: 1. Mindestens zwei Drittel sämtlicher Stimmen müssen aus die mit Grundbesitz angesessenen Mitglieder der Gemeindeversammlung (§41 Abs. 1 unter 6 a und b) entfallen. Uebersteigt die Anzahl der nicht angesessenen Gemeindeglieder (a. a. O. unter 6 c) den dritten Teil der Gesamtzahl der Stimmen der Mitglieder der Gemeindeversammlung, so haben die ersteren ihr Stimm recht durch eine jenem Verhältnisse entsprechende Anzahl von Art. 69 § 4 Abs. 2 Ausf.-G. z. BSS.

730

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Abgeordneten auszuüben, welche sie aus ihrer Mitte auf die Dauer von sechs Jahren wählen. 2. Denjenigen Besitzern, welche von ihrem im Gemeindebezirke belegenen Grundeigentume zu einem Jahresbetrage von 20 bis ausschließlich 50 Mark an Grund- und Gebäudesteuer vom Staate veranlagt sind, sind je zwei, denjenigen Besitzern, welche von diesem ihrem Grundeigentume zu einem Jahresbetrage von 50 bis ausschließlich 100 Mark veranlagt sind, je drei, und denjenigen Besitzern, welche zu 100 Mark oder mehr veran­ lagt sind, je vier Stimmen beizulegen. Aus Antrag des Kreisausschusses können durch Beschluß des Provinzial­ landtages die vorstehenden Sätze erhöht oder, höchstens jedoch um die Hälfte, ermäßigt werden; auch kann Grundbesitzern, welche zu den im ersten Ab­ satz erwähnten Steuersätzen vom Staate veranlagt sind, eine größere Zahl von Stimmen, jedoch nicht über drei, vier und fünf Stimmen, beigelegt werden. Den Gewerbetreibenden der dritten Gewerbesteuerklasse sind zwei Stimmen, den Gewerbetreibenden der zweiten Gewerbesteuerklasse sind drei Stimmen und den Gewerbetreibenden der ersten Gewerbesteuerklasse sind vier Stimmen beizulegen. Für den Fall der Erhöhung der Zahl der Stimmen der Grund­ besitzer sind die im vorstehenden Absätze beigelegten Stimmen entsprechend dem Schlußsätze des Abs. 2 zu erhöhen. 3. Kein Stimmberechtigter darf in der Gemeindeversammlung mehr als ein Drittel der Gesamtzahl der Stimmen führen. Vierter Abschnitt.

Gemeindevertretung.

§ 49. In denjenigen Landgemeinden, in welchen die Zahl der Stimmberechtigten mehr als 4U beträgt, tritt mit dem Zeitpunkte, wo die Liste der Stimmberechtigten diese Zahl nachweist (§ 39 Abs. 2) an die Stelle der Gemeindeversammlung eine Gemeindevertretung. Die Landgemeinden sind berechtigt und, falls der Kreisausschuß auf Antrag Beteiligter oder im öffentlichen Interesse dies beschließt, verpffichtet, auch bei einer geringeren Anzahl von Stimmberechtigten eine Gemeinde­ vertretung im Wege ortsstatutarischer Anordnung einzuführen. Die Gemeindevertretung besteht aus dem Gemeindevorsteher und den Schöffen, sowie den gewählten Gemeindeverordneten, deren Zahl min­ destens das Dreifache der Zuerstgenannten betragen muß. Die Zahl kann durch Ortsstatut auf 12, 15, 13 ober böchstens 24 erhöht werden.

§ 50. Zum Zwecke der Wahlen der Gemeindevcrordneten werden die jämtlichen Stimmberechtigten einer Landgemeinde nach Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten Staats-, Gemeinde-, Kreis- und Provinzialsteuern mit Ausschluß der Steuer für den Gewerbebetrieb im Umherziehen in drei Abteilungen geteilt, und zwar in der Art, daß aus jede Abteilung ein Drittel der Gesamtsumme der Steuerbeträge aller Wähler füllt. Steuern, welche für Grundbesitz oder Gewerbebetrieb in

1. Landgemeindeordn. f. b. sieben östl. Prov. b. Monarchie.

§§ 48—52.

731

einer anderen Gemeinde entrichtet werden, sind bei Bildung der Abteilungen nicht anzurechnen. Für jede nicht zur Staatseinkommensteuer veranlagte Person ist an Stelle dieser Steuer ein Betrag von 3 Mark zum Ansätze zu bringen. Wo direkte Gemeindesteuern nicht erhoben werden, tritt an deren Stelle die vom Staate veranlagte Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer. Personen, welche vom Staate zu einer Steuer nicht veranlagt sind, wählen stets in der dritten Abteilung. Berringert sich infolge dessen die auf die erste und zweite Abteilung entfallende Gesamtsteuersumme, so findet die Bildung dieser Abteilungen in der Art statt, daß von der verbleibenden Summe auf die erste und zweite Abteilung je die Hälfte entfällt. Niemand kann zwei Abteilungen zugleich angehören; in die erste oder zweite Abteilung gehört auch derjenige, dessen Steuerbetrag nur teil­ weise in das erste oder zweite Drittel fällt. Unter mehreren einen gleichen Steuerbetrag entrichtenden Wählern entscheidet Lebensalter und erforder­ lichenfalls das Los darüber, wer von ihnen zu der höheren Abteilung zu rechnen ist. Jede Abteilung wühlt aus der Zahl der Stimmberechtigten ein Drittel der Gemeindeverordneten, ohne dabei an die Wähler der Abteilung gebunden zu sein. Auch die nach § 46 zur Stellvertretung berechtigten Personen sind wählbar, können aber nur so lange Gemeindeverordnete sein, als die Stellvertretung dauert.

K 51. Gehören zu einer Abteilung mehr als 500 Wühler, so kann die Wahl nach dazu gebildeten Wahlbezirken geschehen. Die Anzahl und die Grenzen der Wahlbezirke, sowie die Anzahl der in einem jeden zu wählenden Gemeindeverordneten werden nach Maßgabe der Zahl der Stimmberechtigten von dem Gemeindevorsteher (Gemeindevorstandc) festgesetzt. Enthält eine Gemeinde mehrere Ortschaften, so kann der KreisauSschuß auf Antrag des Gemeindevorstehers (Gemeindevorstandes) nach Berhältnis der Zahl der Stimmberechtigten jeder Abteilung anordnen, wie­ viel Gemeindeverordnete aus jeder einzelnen Ortschaft von jeder in Betracht kommenden Abteilung zu wühlen sind. Ist eine Aenderung der Anzahl oder der Grenzen der Wahlbezirke oder der Anzahl der in einem jeden derselben zu wählenden Gemeinde­ verordneten wegen einer in der Zahl der stimmberechtigten Gemeindeglieder eingetretenen Aenderung oder aus sonstigen Gründen erforderlich geworden, so hat der Gemeindevorsteher (Gemeindevorstand) die entsprechende ander­ weite Festsetzung zu treffen, auch wegen des Ueberganges aus dem alten in das neue Verhältnis das Geeignete anzuordnen. Diese Festsetzung be­ darf der Bestätigung des Kreisausschusses.

§ 52 Mindestens zwei Drittel der Mitglieder der Gemeindever­ tretung müssen Angesessene (8 41 Nr. 6a und b, § 45) sein. Die Zahl der Gemeindeverordnetcn, welche hiernach aus der Mitte der Nichtangesessenen gewählt werden können, wird auf die drei Abtei­ lungen gleichmäßig verteilt. Ist diese Zahl nicht durch drei teilbar, so kann, wenn die Zahl eins übrig bleibt, die zweite Abteilung aus der Zahl

732

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landzemeinderecht.

der Nichtangesessenen einen Geineindeverordneten mehr wählen als die beiden anderen; bleibt die Zahl zwei übrig, so kann die erste Abteilung den einen, die dritte Abteilung den anderen wählen. Sind in einer Abteilung mehr nicht angesessene Genleindeverordnete gewählt, als hiernach zulässig ist, so gelten diejenigen, welche die geringste Stimmenzahl erhalten haben, als nicht gewählt. Bei gleicher Stimmenzahl entscheidet das Los. Bei den zum Ersatz derselben anzuordnenden Neuwahlen sind nur die auf Angesessene entfallenden Stimmen gültig.

§ 53.

Als Gemeindeverordnete sind nicht wählbar: 1. diejenigen Beamten und die vom Staate ernannten Mitglieder derjenigen Behörden, durch welche die Aufsicht des Staates über die Ge­ meinden ausgeübt wird, 2. die besoldeten Gemeindebeamten, 3. die richterlichen Beamten, 4. die Beamten der Staatsanwaltschaft und die Polizeierckutivbeainten, 5. Geistliche, Kirchendiener und Volksschullehrer, 6. Frauen. Vater und Sohn dürfen nicht zugleich Gemeindeverordnete derselben Gemeinde sein. Sind Vater und Sohn zugleich gewählt, so wird nur der Vater als Gemeindeverordneter zugelassen.

§ 54. Die Gemeindeverordneten werden auf sechs Jahre gewählt. Alle zwei Jahre scheidet aus jeder Abteilung ein Drittel der Gemeinde­ verordneten aus und wird die Gemeindevertretung durch neue Wahlen ergänzt. Ist die Zahl der Ausscheidenden nicht durch drei teilbar, io wird die Reihenfolge der Abteilungen, in welcher die Ausscheidung je eines der Uebrigbleibenden erfolgt, durch das Los bestimmt. Die das erste und zweitemal Ausscheidenden werden für jede Abteilung durch das Los be­ stimmt. Die Ausscheidenden sind wieder wählbar. Außergewöhnliche Wahlen zum Ersätze innerhalb der Wahlperiode ausgeschiedener Gemeindeverordneten müssen angeordnet werden, wenn die Gemeindevertretung ober der Gemeindevorsteher es für erforderlich erachten oder wenn der Kreisausschuß dies beschließt. Der Ersatzmann bleibt nur bis zum Ende der Wahlperiode des AuSgeschiedenen in Wirksamkeit. Auch bei Ergäuzungs- und Ersatzwahlen ist bezüglich bet Wählbar­ keit von Nichtangesessenen nach den Grundsätzen des § 52 zu verfahren. § 55. Die nach § 39 Abs. 2 zu führende Liste wird der Wahl zu Grunde gelegt und nach Wahlabteilungen, im Falle des § 51 Abs. 1 außerdem nach Wahlbezirken, ein geteilt. § 56. In dem Zeiträume vom 15. bis 30. Januar erfolgt die Auslegung der Liste in einem vorher zur öffentlichen Kenntnis zu bringen­ den Raume. Während dieser Zeit kann jeder Stimmberechtigte gegen die Richtig­ keit der Liste bei dem Gemeindevorsteher Einspruch erheben. Soll der Name eines einmal in die Liste aufgenommenen Stimm­ berechtigten wieder gelöscht werden, so ist dieses demselben unter Angabe der Gründe acht Tage vorher durch den Gemeindevorsteher mitzuteilen.

1. Landgemeindeordn. f. d. sieben östl. Prov. d. Monarchie.

§ 57.

§§ 52—64.

733

Die Wahlen der dritten Abteilung erfolgen zuerst, die der

ersten zuletzt.

§ 58. Die Wahlen zur regelmäßigen Ergänzung der Gemeinde­ vertretung finden alle zwei Jahre im März statt. Alle Ergänzung?- und Ersatzwahlen werden, unbeschadet der Vorschrift im § 51, von denselben Abteilungen vorgenommen, von welchen der Ausgeschiedene gewählt war. § 59. Eine Woche vor dem Wahltage werden die in der Wähler­ liste (§ 55) verzeichneten Wähler durch den Gemeindevorsteher mittels orts­ üblicher Bekanntmachung zu den Wahlen berufen. Die Bekanntmachung muß den Raum, den Tag und die Stunden, in welchen die Stimmen bei dem Wahlvorstande abzugeben sind, genau bezeichnen.

§ 60. Der Wahlvorstand besteht aus dem Gemeindevorsteher oder einem von dem letzteren zu seinem Stellvertreter ernannten Schöffen und zwei von der Wahlversammlung gewählten Beisitzern. § 61. Jeder Wähler muß dem Wahlvorstande mündlich zu Pro­ tokoll erklären, wem er seine Stimme geben will. Er hat so viele Per­ sonen zu bezeichnen, als zu wählen sind. Bezüglich der Stellvertretung bei der Wahl kommen die Be­ stimmungen im § 46 zur Anwendung.

§ 62. Gewählt sind diejenigen, welche bei der ersten Abstimmung die meisten Stimmen und zugleich mehr als die Hälfte der Stimmen er­ halten haben. Hat sich bei der ersten Abstimmung eine unbedingte Stimmenmehr­ heit nicht ergeben, so werden von denjenigen Personen, welche die meisten Stimmen erhalten haben, so viele aus eine engere Wahl gebracht, daß die doppelte Anzahl der noch zu wählenden Mitglieder erreicht wird. Bei der zweiten Wahl ist die unbedingte Stimmenmehrheit nicht erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Zu der engeren Wahl werden die Wähler durch eine das Ergebnis der ersten Wahl angebende Bekanntmachung des Wahlvorstandes sofort oder spätestens innerhalb einer Woche aufgefordert. Die engere Wahl findet nach denselben Vorschriften wie die erste statt. Tritt bei derselben Stimmengleichheit ein, so entscheidet das durch die Hand des Wahlvorstehers zu ziehende Los. Wer in mehreren Abteilungen oder Wahlbezirken zugleich gewählt ist. hat zu erklären, welche Wahl er annehmen will. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf eine nach § 52 er­ forderlich werdende Neuwahl Anwendung.

K 63. Die Wahlprotokolle sind von dem Wahlvorstande zu unter­ zeichnen und von dem Gemeindevorsteher aufzubewahren. Der letztere hat das Ergebnis der Wahlen sofort in ortsüblicher Weise bekannt zu machen. Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahlen zur Gemeindevertretung sind innerhalb zwei Wochen nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses bei dem Gemeindevorsteher anzubringen. § 64. Die bei der regelmäßigen Ergänzung neu gewählten Ge­ meindeverordneten treten an dem der Wahl folgenden 1. April ihr Amt

734

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderechi.

an; die Ausscheidenden bleiben bis zur Einführung der neu gewählten Mitglieder in Tätigkeit. Die Gewählten werden von dem Gemeindevor­ steher in die Versammlung der Gemeindevertretung eingesührt und durch Handschlag verpflichtet.

§ 65. Die Gemeindeglieder sind verpflichtet, unbesoldete Aemter in der Verwaltung und der Vertretung der Gemeinde zu übernehmen, sowie ein angenommenes Amt mindestens drei Jahre lang zu versehen. Zur Ablehnung oder früheren Niederlegung solcher Aemter berech­ tigen folgende Entschuldigungsgründe: 1. anhaltende Krankheit, 2. Geschäfte, welche eine häufige oder lange dauernde Abwesenheit vom Wohnorte mit sich bringen, 3. das Alter von sechzig Jahren, 4. die Verwaltung eines unmittelbaren Staatsamtes. 5. sonstige besondere Verhältnisse, welche nach dem Ermessen der Gemeindevertretung oder, wo eine solche nicht besteht, des Gemeinde­ vorstehers eine gültige Entschuldigung begründen. Wer ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder in der Ver­ tretung der Gemeinde während der vorgeschriebenen regelmäßigen Amts­ dauer versehen hat, kann die Uebernahme desselben oder eines gleichartigen für die nächsten drei Jahre ablehncn. Wer sich ohne einen der vorbezeichneten Entschuldigungsgründe weigert, ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde zu übernehmen oder das übernommene Amt drei Jahre hindurch zu ver­ sehen, sowie derjenige, welcher sich der Verwaltung solcher Aemter tat­ sächlich entzieht, kann für einen Zeitraum von drei bis sechs Jahren der Ausübung seines Rechts auf Teilnahme an der Verwaltung und Vertretung der Gemeinde für verlustig erklärt und um ein Achtel bis ein Viertel stärker als die übrigen Gemeindeangehörigen zu den Gemeindeabgaben herangezogen werden. § 66. Die Gemeindevertretung, wo eine solche nicht besteht, der Gemeindevorsteher, beschließt, 1. auf Beschwerden und Einsprüche, betr. den Besitz oder den Ver­ lust des Gemeinderechts, die Zugehörigkeit zu einer bestimmien Klasse von Stimmberechtigten, die Wählbarkeit zu einer Stelle in der Gemeindevcrverwaltung oder Gemeindevertretung, die Ausübung des Stimmrechts durch einen Dritten, sowie über die Richtigkeit der Gemeindewählerliste, 2. über die Gültigkeit der Wahlen zur Gemeindevertretung, 3. über die Berechtigung der Ablehnung oder Niederlegung einer Stelle in der Gemeindeverwaltung oder Gemeindevertretung, sowie über die Nachteile, welche gegen Gemeindeglieder wegen Nichterfüllung der ihnen nach diesem Gesetze obliegenden Pflichten zu verhängen sind. § 67. Die Beschlüsse der Gemeindevertretung und des Gemeinde­ vorstehers in den Fällen des § 66 bedürfen keiner Genehmigung oder Bestätigung von Seiten des Gemeindevorstehers oder der Aufsichtsbehörde. Gegen die Beschlüsse findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren

1. Landgemeindeordn. f. d. sieben östl. Prov. d. Monarchie.

§§ 61—71.

735

statt, welche, wenn der Beschluß von der Gemeindevertretung gefaßt ist, auch dein Gemeindevorsteher zusteht. Die Klage hat in den Fällen des § 66 unter 1 und 2 keine auf­ schiebende Wirkung, jedoch dürfen Neuwahlen zum Ersatz für solche Wahlen, welche durch Beschluß der Gemeindevertretung oder des Gemeindevorstehers für ungültig erklärt worden sind, vor ergangener rechtskräftiger Entschei­ dung nicht vorgenommen werden.

Fünfster Abschnitt.

Gemeindevermögen. § 68. Im Eigentum der Landgemeinden stehen sowohl diejenigen Bestandteile des Gemeindevermögens, deren Erträge für die Zwecke des Gemeindehaushalts bestimmt sind (Gemeindevermögen im engeren Sinne), wie auch diejenigen Vermögensgegenstände, deren Nutzungen den Gemeinde­ angehörigen ober einzelnen derselben vermöge dieser ihrer Eigenschaft zu­ kommen (Gemeindegliedervermögen, Allmenden, Gemeinheiten). Im weiteren kommen die Bestimmungen der Deklaration einiger Vorschriften des Allgemeinen Landrechts und der Gemeinheitsteilungs­ ordnung vom 7. Juli 1821, betr. das nutzbare Gemeindevermögen, vom 26. Juli 1847 (GS. S. 327) zur Anwendung. § 69. Das den Zwecken des Gemeindehaushalts gewidmete Ver­ mögen darf nur dann in Gemeindegliedervermögen umgewandelt werden, wenn die Gemeinde schuldenfrei ist und durch eine solche Veränderung weder die Einführung neuer Gemeindeabgaben, noch auch die Erhöhung bestehender für absehbare Zeit erforderlich wird. Hinsichtlich der Verwaltung der Gemeindewaldungen bewendet es bei den bestehenden Bestimmungen, im besonderen dem Gesetze vom 14. August 1876 ustanden. Auf weitere Vergütigungen hat die Gemeinde keinen Anspruch.

§ 96. Die Beziehungen zwischen dem Besitzer des Schulzeugntes und dritten Personen werden von den Vorschriften dieses Gesetzes nicht berührt. In keinem Falle können jedoch Grundstücke, Gerechtigkeiten oder Dezreiungen, welche dem Schulzengute, wenngleich mit Beziehung auf die dem Besitzer znstehende Verwaltung des Schulzenamtes, von Dritten, insbesondere von dem Landesherr» oder von Gerichts- oder Gutsherren, sei es bei der Fundation des Schulzengutes oder später, ohne ausdrücklichen Vorbebalt des Widerrufs verlieben worden sind, sowie die etwa an Stelle der ver­ liehenen Gerechtigkeiten und Freiheiten getretenen Landabfindungen oder sonstigen Entschädigungen von den Verleihern oder deren Rechtsnachfolgern in Anspruch genommen oder zurückgefordert werden. Dieselben verbleiben vielmehr dem Schulzengutsbesitzer auch nach Aushebung der mit dem Schnlzengnte verbundenen Amtsvcrwaltung. § 97. Tie nach den §§ 94 und 95 etwa erforderliche Auseinander­ setzung zwischen der Gemeinde und dem Schulzengutsbesitzer wird durch einen von dem Kreisausschusse zu ernennenden Komissarius bewirkt. Der über die Auseinandersetzung aufzunehmende Rezest unterliegt der Prüfung und Bestätigung dcS Kreisausschusses. § 98. Entstehen bei dem Auseinandersetzungsversahren (§ 97) Strem gleiten darüber, ob mit einem Grundstücke die Verpflichtung zur Verwaltung des Schulzenamtes verbunden ist, oder ob und welche Grund­ stücke, Gerechtigkeiten, Vorrechte oder Befreiungen der in den §§ 94 und 95 gedachten Art zurückzugewähren oder aufzuheben sind, oder wird die Vollziehung des Rezesses von den Beteiligten verweigert, oder die Be­ stätigung (§ 97 Abs. 2) von dem Kreisausschusse versagt, so sind die Verhandlungen zum weiteren Verfahren und zur Entscheidung an die betrefiende Anseinandersetzungsbehördc (Generalkomniission) abzugeben.

1. Lanbgemeinbeorbn. f. b. sieben östl. Prov. b. Monarchie. §§ 93—104.

743

Gegen die Entscheidung der Eeneralkommission findet die Berusung an das ÖberlandeSkulturgericht statt, welches endgültig entscheidet.') Bor der Entscheidung in erster und zweiter Instanz ist das Gut­ achten des Kreisausschusses einzuholen und den Beteiligten zur Erklärung mitznteilen.

§ 99. Ist das Auseinandersetzungsverfahren zufolge § 98 auf die Auseinandersetzungsbehörde übergegangen, so steht dieser Behörde auch die Ausnahme, Prüfling und Bestätigung des Rezesses zu.

§ 100. In betreff des Verfahrens (§§ 97 bis 99), sowie der Wirkung und Ausführung der Rezesse, gelten die hinsichtlich der Ablösung der Reallastcn und der Regulierung der gutsherrlichcn Verhältnisse be­ stehenden Vorschriften. § 101. Zu den Kosten, welche die Ausführung der in diesem Ge­ setze den Kreisausjchüssen und deren Kommissarien übertragenen Geschäste verursacht, haben die Gemeinden und die Schulzengutsbesitzer nicht beiznlragen. Für das Verfahren bei den Auseinandcrsetzungsbehörden gelten die sür dieselben bestehenden Kostenbestinimungen.

Achter Abschnitt. Geschälte der Gemeindeversammlung und Gemeindevertretung.

§ 102. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung» hat über alle Genieindeangclegenheiten zu beschließen, soweit diese nicht durch das Gesetz dem Gemeindevorsteher (Gemeindevorstand) ausschließlich überwiesen sind. Ueber andere Angelegenheiten darf die Gemeindeversamnilung (Gemcindevertretungl nur dann beraten, wenn solche durch besondere Gesetze oder in einzelnen Fällen durch Aufträge der Aufsichtsbehörde an sie ge­ wiesen sind. Wo eine Gemeindevertretung besteht, sind- die Gemeindeverordneten ar. Icinerlci Instruktion oder Austräge der Wähler gebunden.

§ 103. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) überwacht die Verwaltung; sie ist berechtigt, sich von der Ausführung ihrer Beschlüffe, von dem Eingänge und der Verwendung aller Einnahmen der Gemeinde­ kaste, sowie von der gehörigen Ausführung der Gemeindearbeiten Ueber­ zeugung zu verschaffen; sie darf jedoch ihre Beschlüsse niemals selbst zur Ausführung bringen. § 104. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) ist zusainnicnzuberufen, so oft ihre Geschäste es ersordern. Die Zusammenberufung erfolgt unter Angabe der Gegenstände der Beratung durch den Gemeindevorsteher; sie muß erfolgen, wenn cs von einem Viertel der Mitglieder verlangt wird. Die Art und Weise der Zusammenberufung wird durch die Orts­

ei § 23 LVG. unb Gesetz vom 18. Februar 1880 (GS S. 591, betr. bne Ver» fiihTcn in Auseiiwnbersetzungsangelegenheiteii.

744

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Verfassung bestimmt. Mit Ausnahme dringender Fälle müssen zwischen der Zusammenberufung und dem Verhandlungstermine mindestens zwei Tage frei bleiben. Die Versammlungen sollen in der Regel nicht in Wirtshäusern oder Schenken abgehalten werden.

§ 105. Für die Gemeindevertretung können durch Beschluß der­ selben regelmäßige Sitzungstage festgesetzt werden; es müssen jedoch auch dann die Gegenstände der Beratung, und zwar mit Ausnahme dringender Fälle mindestens zwei Tage vorher, den Mitgliedern der Versammlung angezeigt werden.

§ 106. Die Gemeindeversammlung ist beschlußfähig, wenn mehr als ein Drittel der stimmberechtigten Gemeindeglieder anwesend ist. Für die Gemeindevertretung bedarf es der Anwesenheit von niehr als der Hälfte der Mitglieder derselben. In beiden Fällen bedarf es bei der Vorladung des Hinweises darauf, daß die Nichtanwesenden sich den gesüßten Beschlüssen zu unterwerfen haben. Wird die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zum zmeitcnmale zur Beratung über denselben Gegenstand znsammenberusen, io sind die erschienenen Mitglieder ohne Rücksicht auf ihre Anzahl beschlußfähig. Bei der zweiten Zusammenbcrufung muß auf diese Bestimmung aus­ drücklich hingewiesen werden. § 107. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gejagt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Die der Stimm­ abgabe sich enthaltenden Mitglieder werden zwar als anwesend betrachtet, die Stimmenmehrheit wird jedoch lediglich nach der Zahl der abgegebenen Stimmen festgestellt. § 108. An Verhandlungen über Rechte und Verpflichtungen der Gemeinde darf derjenige nicht teilnehmen, dessen Interesse mit dem der Gemeinde im Widersprüche steht. Kann wegen dieser Ausschließung ei» gültiger Beschluß nicht gefaßt werden, so beschließt an Stelle der Gemeinde­ versammlung (Gemeindevertretung) der Kreisausschnß. § 109. Bei den Sitzungen der Gemeindeversammlung (Gemeinde­ vertretung) findet beschränkte Oeffentlichkeit statt. Denselben können als Zuhörer alle zu den Gemeindeabgaben herangezogenen männlichen groß­ jährigen Personen beiwohnen, welche sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden und Gemeindeangehörige (§ 7) oder Stimmberechtigte auf Grund des § 45 Abs. 1 oder Vertreter von Stimmberechtigten (S 46 Nr. 1, 2 und 4) sind. Für einzelne Gegenstände kann durch besonderen Beschluß, welcher in geheimer Sitzung gefaßt wird, die Oefientlichkeit aus­ geschlossen werden. Das Ortsstatut kann Bestimmung darüber treffen, daß die Sitzungen mit Angabe der Tagesordnung in ortsüblicher Weile vorher bekannt zu machen sind. § 110. Der Vorsitzende leitet die Verhandlungen, eröffnet und schließt die Sitzungen und handhabt die Ordnung in der Versammlung. Er kann jeden Zuhörer, welcher Störung irgend welcher Art ver­ ursacht, aus dem Sitzungszimmer entfernen lassen.

1. Landgemeindeordn. f. d. sieben östl. Prov. d. Monarchie. §§ 104—115.

745

8 111. Die Beschlüsse der Gemeindeversammlung (Gemeindever­ tretung) sind in ein besonderes Buch einzutragen und von dem Borfitzenden sowie wenigstens zwei stimmberechtigten Mitgliedern der Versammlung zu unterzeichnen.

K 112. Durch OrtSstatut kann bestimmt werden, daß unentschul­ digtes Ausbleiben aus den Versammlungen der Gemeindevertretung, sowie ordnungswidriges Benehmen in diesen Versammlungen oder in der Gemeinde­ versammlung für das betreffende Mitglied eine in die Gemeindekasse fließende Geldstrafe von 1 bis 3 Mark nach sich ziehen, und daß im Wiederholungsfälle, nach Lage der Sache, Ausschließung aus der Ver­ sammlung auf eine gewisse Zeit, bis auf die Dauer eines Jahres, verhängt werde. Ueber die Verhängung dieser Strafen beschließt die Gemeindever­ tretung (Gemeindeversammlung). Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt. Die Klage steht auch dem Gemeinde­ vorsteher zu.

§ 113. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) beschließt über die Verwaltung und Benutzung des Gemeindevermögens (§ 68 ff.). § 114. Zur Veräußerung oder wesentlichen Veränderung von Sachen, welche einen besonderen wissenschaftlichen, historischen oder Kunst­ wert haben, ist die Genehmigung des Regierungspräsidenten erforderlich. Zur Veräußerung von Grundstücken oder sonstigen Gerechtigkeiten, welche den Grundstücken gesetzlich gleichgestellt sind, zu einseitigen Verzichtleistungen und Schenkungen, zu Anleihen, durch welche die Gemeinde mit einem Schuldenstande belastet oder der vorhandene vergrößert wird, zur neuen Belastung der Gemeindeangehörigen ohne gesetzliche Ver­ pflichtung, zu Veränderungen im Genusse der Gemeindenutzungen bedarf es der Genehmigung des Kreisausschusses. 8 115. Die Veräußerung von Grundstücken darf der Regel nach nur im Wege des öffentlichen Meistgebots stattfinden. Zur Gültigkeit einer solchen Veräußerung gehört: 1. die Vorlegung eines beglaubigten Auszuges aus der Gruudstcuermutterrolle, 2. eine ortsübliche Bekanntmachung, 3. die einmalige Bekanntmachung durch das für die amtlichen Be­ kanntmachungen des Landrats bestimmte Blatt iKreisblatt), 4. eine Frist von vier Wochen von der Bekanntmachung bis zum Verkaufstermine, 5. die Abhaltung der Verkaufsverhandlung durch den Gemeindevor­ steher oder einen Justizbeamten. Der im Abs. 2 unter Nr. 3 vorgeschriebenen Bekanntmachung be­ darf es nicht, wenn der Grundsteuerreinertrag des Grundstücks 6 Mark nicht übersteigt. Liegt diese Voraussetzung (Abs. 3) vor, oder erachtet der Kreisaus­ schuß den Vorteil der Gemeinde für gewahrt, so kann ein Verkauf aus freier Hand oder ein Tausch stattfinden.

746

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeindirecht.

Das Ergebnis des Verkaufes ist in allen Fällen der Gemeindever­ sammlung (Gemeindevertretung) mitzuteilen; der Zuschlag kann nur mit deren Genehmigung erteilt werden. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf Verkäufe von Real­ berechtigungen Anwendung, wobei außerdem die Aufnahme einer Taxe in allen Fällen notwendig ist. Für die Eintragung im Grundbuche genügt zum Nachweise, daß der Vorschrift dieses Paragraphen genügt worden ist, die Bestätigung des Vertrages durch den Kreisausschuß.

§ 116. Die Verpachtung von Grundstücken und Gerechtsamen der Gemeinden muß im Wege des öffentlichen Meistgebots geschehen. Ausnahmen hiervon können durch den Kreisausschuß gestattet werden. Neunter Abschnitt.

Besoldete Gemeiudebeamte, deren Gehälter und Pensionen. § 117. Die Landgemeinden sind befugt, die Anstellung besoldeter Gcmeindebeamten für einzelne Dienstzweige oder Dienstverrichtungen zu beschließen.

§ 118. Die Austellungs-, Besoldungs- und Pensionsverhältnisse der Beamten der Landgemeinden, sowie die Ansprüche der Hinterbliebenen dieser Beamten auf Witwen- und Waisengeld können durch Ortsstatut geregelt werden. Kommt ein derartiges Statut in größeren Landgemeinden, für welche nach ihren besonderen örtlichen Verhältnissen ein Bedürfnis orts­ statutarischer Regelung (Absatz 1) besteht, insbesondere städtischen Vororten, Jndustrieorten, Badeorten rc., nicht zustande, so kann auf Antrag der Aufsichtsbehörde der Kreisausschuß beschließen, ob und inwieweit die Be­ stimmungen der §§ 8 bis 10 und 12 bis 15 des Gesetzes, betr. die An­ stellung und Versorgung der Kommunalbeamten, vom 30. Juli 1899 (GS. S. 141) auf die Beamten oder einzelne Klassen der Beamten der­ selben entsprechende Anwendung zu finden haben. Bei Anwendung der vorgedachten Bestimmungen tritt an die Stelle des Bezirksausschusses der Kreisausschuß. Der Beschluß des Kreisausschusses bleibt so lange in Geltung, bis durch Ortsstatut (Absatz 1) eine anderweite Regelung ge­ troffen ist. Auf Antrag der Beteiligten oder der Aufsichtsbehörde beschließt der Kreisausfchuß über die Festsetzung der Besoldung und sonstigen Dienstbe­ züge der Landgemeindebeamten. Der Kreisausfchuß beschließt über streitige vermögensrechtliche An­ sprüche der Kommunalbeamten aus ihrem Dienstverhältnisse, insbesondere über Ansprüche auf Besoldung, Reisekostenentschädigung, Pension sowie über streitige Ansprüche der Hinterbliebenen der Beamten auf Gnaden­ bezüge oder Witwen- und Waisengeld. Die Beschlußfassung erfolgt, so­ weit sie sich auf die Frage erstreckt, welcher Teil des Diensteinkommens bei Feststellung der Pensionsansprüche als Gehalt anzusehen ist, vorbehaltlich der den Beteiligten innerhalb zwei Wochen gegeneinander zustehenden Klage

1. ßonbgtmeinbeotbn. f. b. sieben Sill. Proo. b. Monarchie. §§ 115—120.

747

tm Verwaltungssireitverfahren. Im übrigen findet gegen den in erster oder auf Beschwerde in zweiter Instanz ergangenen Beschluß binnen einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Zustellung desselben die Klage im ordentlichen Rechtswege statt. Die Beschlüsse sind vorläufig vollstreckbar.')

Zehnter Abschnitt.

Gemeindchaushalt. § 119. Ueber alle Einnahmen und Ausgaben, welche sich im voraus veranschlagen lassen, entwirft der Gemeindevorsteher (Gemeinde­ vorstand» für das Rechnungsjahr oder für eine längere, von der Gemeinde­ versammlung (Gemeindevertretung) festzusetzende Rechnungsperiode, welche jedoch die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen darf, einen Voranschlag. Der Entwurf ist während zwei Wochen nach vorheriger Bekannt­ machung in einem von der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zn bestimmenden Raume zur Einsicht aller Gemeindeangehörigen auszulegen. Nach Ablauf dieser Frist erfolgt die Feststellung des Voranschlages durch die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung). Diese Feststellung ist vor Beginn des neuen Rechnungsjahres oder der neuen Rcchnungsperiode zu bewirken. Der Gemeindevorsteher hat eine Abschrift des festgesetzten Voranschlages dem Vorsitzenden des Kreisaus­ schusses einzureichen. Der Gemeindehaushalt ist nach dem Voranschläge zu führen. Alle Eemeindeeinkünfte müssen zur Gemeindckasse gebracht werden. Ausgaben, welche außerhalb des Voranschlages geleistet werden sollen, oder über deren Verwendung besondere Beschlußfassung Vorbehalten ist, sowie Neberschreitungen des Voranschlages bedürfen der vorherigen Genehmigung der Ge­ meindeversammlung (Gemeindevertretung). Durch Beschluß des Kreisausschusscs kann einzelnen Gemeinden die Festsetzung eines Voranschlages nachgelassen werden, wenn deren Verhältnisse dies unbedenklich erscheinen lassen. § 120. Ueber alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinde muß ein nach Vorschrift angelegtes Gemeinderechnungsbuch geführt werden. Tie Gemeinderechnung ist binnen drei Monaten nach dem Schlüsse des Rechnungsjahres der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zur Prüfung, Feststellung und Entlastung vorzulegen. Wo ein besonderer Gemeindceinnehmer bestellt ist, erfolgt die Ein­ reichung der Rechnung zunächst an den Gemeindevorsteher (Gemeindevorftanb», welcher sie einer Vorprüfung zu unterziehen und, mit seinen Erinnerungen versehen, der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) vvrzulegen hat. Die Feststellung der Rechnung muß innerhalb drei Monaten nach Vorlegung der Gemeinderechnung bewirkt sein. Nach erfolgter Feststellung ist die Rechnung während eines Zeit­ raumes von zwei Wochen zur Einsicht der Gemeindeangehörigen auszulegen.

') Fassung gemäß §§ 7, 18 KGB

748

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Dem Vorsitzenden des Kreisausschusses ist eine Abschrift des Feststellungsbeschlusses sofort einzureichen. Dem KreiSausschusse liegt die Revision der Gemeinderechnungen ob. welche alljährlich bei mehreren Gemeinden des Kreises zu erfolgen hat.

§ 121.

Der Kreisausschuß beschließt: 1. an Stelle der Aujsichtsbehörde über die Feststellung und den Er­ satz der bei Kassen und anderen Verwaltungen der Landgemeinden vor­ kommenden Defekte nach Maßgabe der Verordnung vom 24. Januar 1884 (GS. S. 52). Der Beschluß ist vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges endgültig; 2. über die Art der gerichtlichen Zwangsvollstreckungen wegen Geld­ sorderungen gegen Landgemeinden (8 15 zu 3 des Einführungsgesetzes zur deutschen Zivilprozeßordnung vom (RGBl. S. ^).

Dritter Titel.

Selbständige (Sntsbezirke.

K 122.

Für den Bereich eines selbständigen Gutsbezirkes ist der Besitzer des Gutes zu den Pflichten und Leistungen, welche den Gemenideu für den Bereich ihres Gemeindebezirkes im öffentlichen Interesse gesetzlich obliegen, mit den hinsichtlich einzelner dieser Leistungen aus den Gesetzen solgenden Maßgaben verbunden. Auf Beschwerden und Einsprüche, betr. die Heranziehung oder die Veranlagung von Grundbesitzern und Einwohnern eines Gutsbezirkes zu den öffentlichen Lasten desselben, finden die Bestimmungen im 8 3S dieses Gesetzes sinngemäße Anwendung?)

§ 123. Ter Besitzer eines selbständigen Gutes hat insbesondere die in den 8§ 90 und 91 aufgesührten obrigkeitlichen Befugnisse und Pflichten entweder in Person oder durch einen von ihm zu bestellenden, zur Uebernahme des Amtes als Gutsvorsteher befähigten Stellvertreter auszuüben. Der letztere muß seinen beständigen Aufenthalt im Gutsbezirle oder in dessen unmittelbarer Nähe haben. Es können jedoch auch außer dem im 8 86 Abs. 4 vorgesehenen Falle seitens des Besitzers des Gutes sämtliche oder einzelne Gutsvorstchergeschäfte an den Vorsteher einer benachbarten Gemeinde unter beider Zustimniung gegen eine angemessene Entschädigung übertragen werden. Ehefrauen werden rücksichtlich der angeführten Rechte und Pflichten durch ihren Ehemann, Kinder unter elterlicher Gewalt des Vaters durch diesen, unter Vormundschaft oder Pflegschaft stehende Personen durch ihre» Vormund oder Pfleger vertreten.

§ 124.

Die Bestellung eines Stellvertreters muß erfolgen, wenn: 1. das Gut unverheirateten oder verwitweten Besitzerinnen, einer juristischen Person, einer Aktiengesellschaft, einer Kommanditgesellschaft aus Aktien, einer Berggewerkschast oder einer eingetragenen Genossenschaft ge-

') §§ 69, 70, 75 KAG.

Landgemeindeordn. f. d. sieben östl. Prov. d. Monarchie. §§ 120—128.

749

hört, oder wenn mehrere Besitzer sich nicht darüber einigen, wer von ihnen die Geschäfte des Gutsvorstehers wahrnehmen soll, oder wenn die elterliche Gewalt über den Besitzer der Mutter zusteht, oder von dieser ausgeübt wird, oder wenn der Vormund oder Pfleger des Besitzers eine Frau ist, 2. der Gutsbesitzer kein Angehöriger des Deutschen Reichs ist, 3. derselbe nicht seinen beständigen Aufenthalt im Gutsbezirke oder in dessen unmittelbarer Nähe hat oder 4. wegen Krankheit oder aus anderen in seiner Person liegenden Gründen außerstande ist, die Pflichten eines Gutsvorstehers zu erfüllen. Auf den Antrag des Gutsbesitzers kann ein Stellvertreter für den ernannten Gutsvorsteher bestellt werden, welcher in Fällen der Behinderung des letzteren die Gutsvorstehergeschäfte wahrzunehmen hat. Für die von dem Hauptgute entfernt belegenen Teile eines selbst­ ständigen Gutsbezirkes kann von dem Kreisausschusse die Bestellung be­ sonderer Stellvertreter angeordnet werden, sofern dies für eine ordnungs­ mäßige örtliche Verwaltung erforderlich ist.

§ 125. Der Gutsbesitzer, sowie dessen Stellvertreter werden in der Eigenschaft als Gutsvorsteher von dem Landrate bestätigt. Die Be­ stätigung kann nur unter Zustimmung des Kreisausschufles versagt werden. Der Gutsvorsteher wird vor seinem Amtsantritte von dem Land­ rate oder in dessen Auftrage von dem Amtsvorsteher (Distriktskommissarius) vereidigt.

K 126. Unterläßt der Besitzer des Gutes in den im § 124 an­ gegebenen Fällen oder wenn ihm die Bestätigung als Gutsvorsteher ver­ sagt worden ist, die Bestellung eines Stellvertreters, oder befindet er sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte, oder ist er in Konkurs ver­ fallen, so steht dem Landrate unter Zustimmung des Kreisausschusses die Ernennung des Stellvertreters aus Kosten des Besitzers zu?) § 127. Ueber die Festsetzung der dem stellvertretenden Gutsvor­ steher in den Fällen des § 126 zu gewährenden Vergütung beschließt der Kreisausschnß. Vierter Titel.

Verbindung nachbarlich belesener Gemeinden «nd selb­ ständiger Gutsbezirke behufs gemeinsamer Wahrnehmung kommunaler Angelegenheiten. § 128. Landgemeinden und Gutsbezirke können mit nachbarlich belegenen Landgemeinden oder Gutsbezirken zur Wahrnehmung einzelner kommunaler Angelegenheiten nach Anhörung der beteiligten Gemeinden und Gutsbesitzer durch Beschluß des Kreisausschusses verbunden werden, wenn die Beteiligten damit einverstanden sind. Wenn ein Einverständnis der Beteiligten nicht zu erzielen ist, kann, sofern das öffentliche Interesse dies erheischt, die Bildung eines solchen *) Dgl. § 121 LBG

750

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Verbandes durch den Oberprüsidenten erfolgen, nachdem die Zustimmung der Beteiligten im Beschlußverfahren durch den Kreisausschuß ersetzt worden ist. Vorstehende Bestimmungen finden auf die Fälle der Veränderung der Verbünde in ihrer Zusammensetzung sowie der Auflösung derselben sinn­ gemäße Anwendung.

§ 129. Bei der Bildung dieser Verbände ist auf die sonst be­ stehenden Verbünde (Amtsbezirke, Kirchspiele, Schul-, Wegebau-, Armen­ verbände usw.) tunlichst Rücksicht zu nehmen. Es können diesen Verbänden auf ihren Antrag mit Königlicher Ge­ nehmigung die Rechte öffentlicher Körperschaften beigclegt werden.

§ 130. Ueber die infolge einer solchen Verbindung oder infolge einer Aenderung der Zusammensetzung oder einer Auflösung der Verbände notwendig werdende Regelung der Verhältnisse zwischen den Beteiligten be­ schließt der Kreisausschuß vorbehaltlich der denselben gegeneinander zustehenden Klage im Verwaltungsstreitverfahren. Bei dieser Regelung sind erforderlichenfalls Bestimmungen zur Aus­ gleichung der öffentlich-rechtlichen Interessen der Verbandsmitglieder zu treffen. Insbesondere können einzelne Gemeinden oder Gutsbezirke zu Vor­ ausleistungen verpflichtet werden, wenn diejenigen, mit welchen sie ver­ bunden werden sollen, für gewisse Verbandszwecke bereits vor der Ver­ bindung für sich allein in genügender Weise Fürsorge getroffen haben oder aus anderen Gründen nur einen geringeren Vorteil von der Ver­ bindung haben. § 131. Die nach Maßgabe des § 128 gebildeten Verbände sind berechtigt, die Ausführung der in ihrem gemeinsamen Interesse liegenden Maßnahmen und Veranstaltungen auf gemeinsame Kosten zu beschließen. Sie bilden in den Fällen, wo die Fürsorge für die öffentliche Armenpflege von ihnen übernommen oder ihnen auferlegt wird, Gesamtarmenverbände im Sinne des § 12 des Gesetzes vom 8. März 1871 (GS. S. 130). Auf die bereits bestehenden Gesamtarmenverbände finden die Bestimmungen dieses Titels fortan sinngemäße Anwendung. Im übrigen werden die Rechtsverhältnisse der Verbände durch ein Statut geregelt, welches von den Beteiligten im Wege freier Vereinbarung festzustellen ist und der Bestätigung des Kreisausschusses unterliegt. § 132.

Das Statut muß enthalten: 1. die Bezeichnung derjenigen Gemeinden und selbständigen Guts­ bezirke, welche den Verband bilden, 2. die Bezeichnung der von dem Verbände wahrzunehmenden An­ gelegenheiten, 3. die Benennung des Verbandes und die Angabe des Ortes, wo dessen Verwaltung geführt wird, 4. die Festsetzung der Art und Weise, in welcher über die gemein­ samen Angelegenheiten des Verbandes Beschluß gefaßt wird, 5. eine Bestimmung über die Wahl oder die sonstige Art der Be­ rufung des Verbanosvorstehers, sowie über die Vertretung des Verbandes nach außen,

1. Landgemeindeordn. f. d. sieben östl. Prov. b. Mvnarchie. §§ 128—137.

751

6. die Bestimmung des Maßstabes für die Berteilung der Beiträge zu den gemeinsamen Ausgaben auf die Verbandsmitglieder. Das Statut ist durch das Regierungsamtsblatt und das Kreisblatt (§ 115 Nr. 3) zur öffentlichen Kenntnis zu bringen. Außerdem bleibt es der Beschlußfassung der einzelnen Verbände überlassen, weiter noch die Bekanntmachung des Statuts auf anderem Wege anzuordnen.

§ 133. Verbandsvorsteher können nur solche Personen sein, bei welchen die Voraussetzungen zur Uebernahme des Amtes als Gemeinde- oder Gutsvorsteher vorliegen. Vertreter von Gemeinden können nur die zur Uebernahme des Amtes als Gemeindeverordneter in denselben befähigten Personen sein. Selbständige Gutsbezirke werden durch den Besitzer des Gutes, im Falle des § 124 zu 1, 2 und 4 und § 126 durch den Stellvertreter des­ selben vertreten. § 134. Die Wahl des Verbandsvorstehers bedarf, wenn der Ge­ wählte nicht zugleich Gemeinde-, Guts- oder Amtsvorsteher ist, der Be­ stätigung durch den Landrat unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des § 84 dieses Gesetzes. Wird gegen die Gültigkeit der Wahl eines Verbandsvorstehers, welcher nach der vorstehenden Bestimmung einer besonderen Bestätigung nicht be­ darf, Einspruch erhoben, so entscheidet hierüber die Versammlung der Verbandsmitglieder. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreiiverfahren statt.

§ 135. Den einzelnen Gemeinden bleibt die Ausbringung ihrer Anteile an den gemeinsamen Ausgaben nach Maßgabe ihrer Verfassung überlassen. § 136. Auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend 1. das Recht zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtungen und An­ stalten des Verbandes, 2. die Heranziehung der einzelnen Gemeinden und selbständigen Guts­ bezirke zu den Beiträgen sür Verbandszwecke, beschließt der Verbandsvorsteher. Die Rechtsmittel und das Verfahren regeln sich nach §§ 9 und 38 dieses Gesetzes und den §§ 69 und 70 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893.f

§ 137. Kommt ein Statut durch freie Vereinbarung der Be­ teiligten nicht zustande, so ist dasselbe nach Anhörung der letzteren durch den Kreisausschuß festzusetzen. Hierbei kommen folgende Grundsätze zur Anwendung: Der Verband wird in seinen Angelegenheiten durch den Verbands­ ausschuß und den Verbandsvorsteher vertreten. Der letztere ist die aus­ führende Behörde. Der Verbandsausschuß, welcher über alle Angelegenheiten des Ver­ bandes zu beschließen hat, besteht aus Vertretern sämtlicher zu dem Ver­ bände gehörigen Gemeinden und Gutsbezirke. Jede Gemeinde und jeder Gutsbezirk ist wenigstens durch einen Abgeordneten zu vertreten.

752

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Die Vertretung der Landgemeinden in dem Verbandsausschusse er­ folgt durch den Gemeindevorsteher, die Schöffen und, wenn deren Zahl nicht ausreichen sollte, durch andere von der Gemeinde zu wählende Ab­ geordnete. Die Zahl der von jeder Gemeinde zu entsendenden Vertreter, sowie der jedem Gutsbezirke einzuräumenden Stimmen bemißt sich nach dem Gesamtbeträge der zu dem Zeitpunkte der Feststellung des Statuts in den Gemeindebezirken und von den Gutsbesitzern zu entrichtenden direkten Staats­ steuern unter Mitberücksichtigung der staatlich veranlagten Steuern, sowie der gemäß § 36 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 zu ermittelnden Einkommensteuersätze der in § 33 Ziff. 2 bis 4 a. a. O bezeichneten, der Gemeindeeinkommensteuerpflicht in den bezüglichen Ge­ meinden unterliegenden *) Personengesamtheiten, juristischen und physischen Personen. Der Verbandsausschuß wählt aus seiner Mitte einen Verbandsvor­ steher und einen Stellvertreter desselben auf die Zeitdauer von sechs Jahren nach den für die Wahl des Gemeindevorstehers geltenden Vorschristen (§§ 76 ff.) mit der Maßgabe hinsichtlich des § 77, daß der Verbands­ ausschuß aus seiner Mitte einen Wahlvorsteher wählt und von der Wahl von zwei Beisitzern Abstand nehmen kann. Die Verteilung der gemeinsamen Ausgaben erfolgt nach den im zweiten Satze des ersten Absatzes im § 59 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 *) für die Verteilung der Gemeindeabgaben vorge­ schriebenen Grundsätzen, sofern nicht auf Grund des § 130 eine andere Festsetzung stattfindet.

§ 138. Die Bestimmungen der §§ 128 bis 137 finden auch aui die Verbindung von Landgemeinden oder Gutsbezirken mit Stadtgeiueinden sinngemäße Anwendung mit den Maßgaben, daß an die Stelle des Kreisausschusies der Bezirksausschuß, an die Stelle des Landrats der Regierungs­ präsident tritt, und daß die Vertretung der Stadtgemcinden in den Ver bandsausschüssen durch den Bürgermeister, den Beigeordneten (zweiten Bürgermeister), sonstige Magistratsmitglieder und erforderlichensalls dnrcb andere von der Stadtgemeinde zu wählende Abgeordnete erfolgt. Fünfter Titel.

Aufsicht des Staates.

§ 139. Tie Aufsicht des Staates über die Verwaltung der An gelegenheiten der Landgemeinden, Gutsbezirke und Gemeindeverbände tTit. IV: wird unbeschadet der in den Gesetzen geordneten Mitwirkung des Kreis­ ausschusses und des Bezirksausschusses in erster Instanz von dem Landratc als Vorsitzenden des Kreisausschufses, in höherer und letzter Instanz von dem Regierungspräsidenten geübt. Beschwerden bei den Aufsichtsbehörden in den vorbezeichneten An­ gelegenheiten sind in allen Instanzen innerhalb zwei Wochen anzubringen. ') 8 96 Abs. 6 KAG.

1. Landgemeindeordn. f. d. siebtn östl. Prov. b. Monarchie. §§ 137—143.

753

K 140.

Beschlüsse der Gemeindeversammlung, der Gemeindeverwelche deren Befugnisse überschreiten oder die Gesetze verletzen, hat der Gemeinde- oder Verbands­ vorsteher entstehendensallS, auf Anweisung der Aufsichtsbehörde, mit auf­ schiebender Wirkung unter Angabe der Gründe zu beanstanden. Gegen die Verfügung des Gemeinde-(Verbands-)vorsteherS steht der Gemeindever­ sammlung (der Gemeindevertretung, der Versammlung der Derbandsmitglieder) die Klage im Verwaltungsstreitverfahren zu. Die Aufsichtsbehörde ist nicht befugt, aus anderen als den vor­ stehend angegebenen Gründen eine Beanstandung von Beschlüssen der Gemeindeversammlung, der Gemeindevertretung oder des Gemeindeverbmdes herbeizuführen. lrclung oder der Gemeindeverbände (Tit. IV),

§ 141. Unterläßt oder verweigert eine Landgemeinde, ein Guts­ bezirk oder ein Gemeindeverband (Tit. IV) die ihnen gesetzlich obliegenden, von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit festgestellten Leistungen auf den Voranschlag zu bringen oder außerordentlich zu ge­ nehmigen, so verfügt der Landrat unter Anführung der Gründe die Ein­ tragung in den Voranschlag oder die Feststellung der außerordentlichen Ausgabe. Gegen die Verfügung des Landrats steht der Gemeinde, dem Besitzer des Gutes, sowie dem Verbände die Klage bei dem Bezirksausschüsse zu. § 142. Durch Königliche Verordnung kann eine Gemeindevertretung aufgelöst werden. Es ist sodann binnen sechs Wochen, vom Tage der Aujlösungsverordnung ab gerechnet, eine Neuwahl anzuordnen. Bis zur Einführung der neugewählten Gemeindeverordneten beschließt an Stelle der Gemeindevertretung der KreiSausfchuß. § 143. Bezüglich der Dienstvergehen der Gemeindevorsteher, der Schöffen, der Gutsvorsteher und der Verbandsvorsteher sowie der sonstigen Beamten der Landgemeinden, Gutsbezirke und Gemeindeverbünde kommen die Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Juli 1852 (GS. S. 463) mit folgenden Maßgaben zur Anwendung: 1. Die Befugnis, gegen diese Beamten Ordnungsstrafen zu ver­ hangen, steht dem Landrate, und im Umfange des den Provinzialbehörden beigelegten Ordnungsstrafrechts dem Regierungspräsidenten zu. Gegen die Strafverfügungen des Landrats findet innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Regierungspräsidenten, gegen die Straf­ verfügungen des Regierungspräsidenten innerhalb gleicher Frist die Be­ schwerde an den Oberpräsidenten statt. 2. Gegen den auf die Beschwerde in den Fällen zu 1 in letzter In­ stanz ergehenden Beschluß deS Regierungspräsidenten oder des Ober­ präsidenten findet die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte statt. 3. In dem Verfahren auf Entfernung aus dem Amte wird die Ein­ leitung des Verfahrens von dem Landrate oder von dem Regierungs­ präsidenten verfügt, und von denselben der Untersuchungskommifsür und der Vertreter der Staatsanwaltschaft ernannt. Als entscheidende Dis­ ziplinarbehörde erster Instanz tritt an die Stelle der Bezirksregierung der Kreisausschuß; an die Stelle des Staatsministeriums tritt das Ober€ t i c t = $ e in I e, Berwalultt,irgefetze für Preußin.

48

754

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht

Verwaltungsgericht. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei dem Obcrverwaltungsgericht wird von dem Minister des Innern ernannt. In dem vorstehend zu 3 vorgesehenen Verfahren ist entstehendensaUs auch über die Tatsache der Dienstunfähigkeit der ländlichen Gemeinde­ beamten Entscheidung zu treffen.

§ 144. Zuständig in erster Instanz ist im Verwaltungsstreitverfahren für die in diesem Gesetze vorgesehenen Fälle, sofern nicht im ein­ zelnen ein anderes bestimmt ist, der Kreisausschuß. Die Frist zur An­ stellung der Klage beträgt in allen Fällen zwei Wochen. Die Gemeindeversanimlung, die Gemeindevertretung, der Gemeinde­ vorstand und der Gemeindeverband (Tit. IV) können zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verwaltungsstreitversahren einen besonderen Vertreter bestellen.

§ 145. Aus Gemeindeverbände, denen eine Stadtgemeinde an­ gehört (§ 138), finden an Stelle der §§ 139, 140, 141, 143, 144 die entsprechenden Vorschriften sür Stadtgemeinden (88 7, 15, 19, 20, 21 des Gesetzes über die Zuständigkeit der VerwaltungS- und Verwaltungs­ gerichtsbehörden vom 1. August 1883, GS. S. 237) sinngemäße Anwendung. Sechster Titel.

Ausführungsr und Uebergangsbestimmungen. K 146. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. April

1892 in Kraft. Mit diesem Zeitpunkt treten alle entgegengesetzten Bestimmungen, insbesondere die 88 18 bis 78 T. II Tit. 7 des Allg. Landr., das Gesetz, betr. die Landgcmeindeverfassungen in den sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie, vom 14. April 1856, die §§ 22 bis 45, sowie der § 53 der Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 in der Fassung vom 19. März 1881 und die 88 24 bis 37 des Gesetzes über die Zu­ ständigkeit der VerwaltungS- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 für die im 8 1 genannten Provinzen außer Kraft. Die Bestunmungen der 88 51, 51a und 55a Abs. 2 der Kreisordnung bleiben auch fernerhin in Kraft. Rechte und Pflichten, welche auf besondereil Titeln des öffcntlicheil Rechts beruhen, bleiben insoweit in Kraft, als diese Titel von den bis­ herigen allgemeinen und besonderen gesetzlichen Vorschrijten, Ordnungen, Gewohnheitsrechten und Observanzen abweicheilde Bestimmungen enthalten. Eine solche Abweichung wird nicht vermutet.

§ 147. Die bei Verkündigung dieses Gesetzes bereits bestehenden Ortsstatuten, allgemeinen Gewohnheitsrechte und Observanzen bleiben, so­ weit dieses Gesetz ortsstatutarische Regelung zuläßt, unbeschadet der Be­ stimmung in Abs. 2, einstweilen, längstens auf drei Jahre, in Kraft. Bis zum Inkrafttreten eines Kommunalsteuergesetzes, längstens aber bis zum 1. April 1897, können die bei Verkündigung dieser Landgemeinde­ ordnung für Verteilung der Gemeindeabgaben statutarisch oder observanz-

1. Landzemeaideordn. s. d fiebcu östl. Prov d. Monarchien §§ 143—149.

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mäßig bestehenden Maßstäbe durch Beschluß der Gemeinde mit Genehmi­ gung des Kreisausschusses ausrecht erhalten werden.

§ 148. Soweit den Volksschulen die Eigenschaft von Gemeinde­ anstalten beiwohnt, kommen in Ansehung derselben die Bestimmungen dieses Gesetzes nur unter den aus den besonderen Gesetzen über die Volksschule sich ergebenden Einschränkungen zur Anwendung. K 149. Der Minister des Innern erläßt die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen. Wegen der Vorbereitung für die notwendig werdenden Neuwahlen ist alsbald nach der Verkündigung des Gesetzes Anordnung zu treffen. Die Vollmacht der bisherigen Mitglieder der bestehenden Gemeindever­ tretungen erlischt mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes; doch bleiben dieselben bis zur Einführung der neugewählten Gemeindeverordneten im Amte. Die zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes im Amte befindlichen Gemeindevorsteher, Schöffen und sonstigen gewählten Gemeindebeamten verbleiben in demselben bis zum Ablauf ihrer Wahlperiode. Jmgleichen verbleiben im Amte die besoldeten Gemeindebeamten nach Maßgabe ihres Austellungsvertrages. Denjenigen Gemeindeangehörigen, welche zurzeit des Inkrafttretens dieies Gesetzes von einem Einkommen von mehr als 660 Mark bis aus­ schließlich 900 Mark zur Staatssteuer eingeschätzt und zu den Gemeinde­ lasten herangezogen sind, steht in derjenigen Gemeindeversammlung, welche erstmalig über die Freilassung der im § 13 erwähnten Personen von den Gemeindelasten zu beschließen hat, ein Stimmrecht nach Maßgabe des S 48 Nr. 1 zu. Diese Beschlußfassung ist unmittelbar nach dem Inkraft­ treten des Gesetzes herbeizuführen. Diese Bestimmung findet auf die Wahle» in die Gemeindevertretung sinngemäße Anwendung.

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IX. Gruppe: Ävmmunalrcchi.

B. Lantgemeii-derecht.

r. LMgmMmdmiig für die Prodi»; Heffe«-ÜI»N». B»> 4. August ls9o Mark an Grund- und Gebüudcstcuer vom Staate veranlagt sind, haben je zwei, diejenigen Besitzer, welche von diesem ihrem Grundeigentume zu einem Jahresbetrage von 50 bis ausschließlich 100 Mark zur Grund- und Gebäudesteuer veranlagt sind, haben je drei, und die­ jenigen Besitzer, welche zu einem Jahresbetrage von 100 Mark oder mehr veranlagt sind, haben je vier Stimmen in der Gemeinde­ versammlung. Aus Antrag des Kreisausschusses können durch Beschluß des Provinziallandtages die erwähnten Sätze erhöht oder, höchstens jedoch nm die Hälfte, ermäßigt werden; auch kann Grundbesitzern, welche zu den im ersten Absätze erwähnten Steuersätzen veranlagt sind, eine größere Zahl von Stimmen, jedoch nicht über 3, 4 und 5 Stimmen, beigelegt werden. Den Gewerbetreibenden der dritten Gewerbesteuerklasse sind 2 Stimmen, den Gewerbetreibenden der zweiten Gewerbesteuerklasse sind 3 Stimmen und den Gewerbetreibenden der ersten Gewerbe­ steuerklasse sind 4 Stimmen beizulegen. Für den Fall der Erhöhung der Zahl der Stimmen der Grund­ besitzer sind die im vorstehenden Absätze beigelegten Stimmen ent­ sprechend dem Schlußsätze des Absatzes 2 zu erhöhen. 3. Kein Stimmberechtigter darf in der Gemeindeversammlung mehr als ein Drittel der Gesamtzahl der Stimmen führen. Vierter Abschnitt.

Hemeindeoertretuug. (Gemeindeausschuß,

Bürgerausschuß.)

§ 20. In denjenigen Landgemeinden, in welchen die Zahl der Stimmberechtigten mehr als 40 beträgt, tritt mit dem Zeitpunkte, wo

764

IX. Grupp«: Kommuiialrecht.

B. Landgkmeinderkcht.

die Liste der Stimmberechtigten diese Zahl nachweist (§ 9 Abs. 2), an die Stelle der Gemeindeversammlung eine Gemeindevertretung (Gemeindeansschuß, Bürgerausschuß). Die Landgemeinden sind berechtigt und, falls der Kreisausschutz auf Antrag Beteiligter oder im öffentlichen Interesse dies beschließt, verpflichtet, auch bei einer geringeren Anzahl von Stimmberechtigten eine Gcmeindeoertretung im Wege ortsstatutarischer Anordnung einzuführen. Die Gemeindevertretung besteht aus dem Bürgermeister, den Schöffen (8 45) und den gewählten Gemeindeverordneten. Die Zahl der Gemeinde­ verordneten beträgt das Dreifache der erstgenannten (Bürgermeister und Schöffen), kann jedoch durch Ortsstatut auf 12, 15, 18, 21 oder 24 erhöht werden. In denjenigen Landgemeinden, in welchen ein kollegialischer Gemeinde­ vorstand eingeführt ist (§ 45 Abs. 5), besteht die Gemeindevertretung außer dem Bürgermeister oder feinem Stellvertreter als Vorsitzenden (8 59 Abs. 2) nur aus gewählten Gemeindcverordneten und zwar: aus 12 in Gemeinden mit nicht mehr als 2 500 Einwohnern, aus 18 in Gemeinden von mehr als 2500 Einwohnern. Durch Ortsstatut kann die Zahl der Mitglieder von 12 auf 15 oder 18 und von 18 auf 21 oder 24 erdöht werden.

K 21. Für die Wahlen der Genieindeverordneten werden die sämt­ lichen Stimmberechtigten, mit Ausnahme der in § 16 Absatz 3 auf­ geführten, nach Maßgabe der von ihnen in der Gemeinde zu entrichtende» direkten Staatssteuern (Einkommen- und Ergänzungssteuer), Gemeinde-, Kreis-, Bezirks- und Provinzialsteuern in drei Abteilungen geteilt und zwar in der Art, daß auf jede Abteilung ein Drittel der Gesamtsumnie der Steuerbeträge aller Wühler fällt. Die im § 16 Absatz 3 ausgesührten Stimmberechtigten sind nach erfolgter Bildung der Wählerabteilungen derjenigen Abteilung zuzuteilen, welcher sie nach der Höhe der ihnen an­ zurechnenden Steuerbeträge angehören. Bei der Bildung der Wählerabteilungen kommen Steuern für die im Umherziehen betriebenen Gewerbe nicht in Anrechnung. Wo direkte Gemeindesteuern nicht erhoben werden, treten an deren Stelle die vom Staate veranlagten Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern. Für jede nicht zur Staatseinkommensteuer veranlagte Person ist an Stelle dieser Steuer ein Betrag von drei Mark zum Ansätze zu bringen. Wähler, welche vom Staate zu einer Steuer nicht veranlagt sind, wählen in der dritten Abteilung. Verringert sich infolge deffen die auf die erste und zweite Abteilung entfallende Gefomtsteuersumme, so findet die Bildung dieser Abteilungen in der Art statt, daß von der übrig bleibenden Summe auf die erste und zweite Abteilung je die Hälfte entfallt. In die erste oder zweite Abteilung gehört auch derjenige, dessen Steuerbetrag nur teilweise in das erste oder zweite Drittel fällt. Kein Wähler kann zwei Abteilungen zugleich angehören. Läßt sich bei gleichen Steuerbeträgen nicht entscheiden, welcher unter mehreren Wählern zu einer bestimmten Abteilung zu rechnen ist, so gibt die alpha­ betische Ordnung der Familiennamen, bei gleichen Namen das Los den Ausschlag.

2 Satibflfrntincitorbnurg für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 20—24.

765

Jede Abteilung wählt aus der Zahl der Stimmberechtigten ein Drittel der Gemeindeverordneten, ohne dabei an die Wähler der Abteilung gebunden zu sein. Die nach § 17 zur Stellvertretung berechtigten Personen sind wähl­ bar. können aber nur so lange Gemeindeverordnete sein, als die Stell­ vertretung dauert.

K 22. Für die Abteilung, in welcher mehr als 500 Wähler vor­ handen sind, können Wahlbezirke gebildet werden. Die Anzahl und die Grenzen der Wahlbezirke, sowie die Anzahl der in einem jeden zu wählenden Geincindeverordneten werden nach Maßgabe der Zahl der Stimmberechtigten von dein Gemeindevorstande festgesetzt.

Ist eine Aenderung der Anzahl oder der Grenzen der Wahlbezirke oder der Anzahl der in einem jeden zu wählenden Gemeindeverordneten wegen einer in der Zahl der stimmberechtigten Gemeindeglieder eingetretenen Aenderung oder aus sonstigen Gründen erforderlich geworden, so hat der Gcmeindevorstand die entsprechende anderweite Festsetzung zu treffen, auch wegen des Uebergangs aus dein alten in das neue Verhältnis das Geeignete anzuordnen. Diese Festsetzung bedarf der Bestätigung des KreiSauSschusseS. Enthält eine Gemeinde mehrere Ortschaften, so kann der Kreisausschuß auf Antrag des Gemeindevorstandes nach Verhältnis der Zahl der Stimmberechtigten anordnen, wieviel Gemeindeverordnete aus jeder einzelnen Ortschaft in einer jeden Abteilung zu wählen sind.

§ 23. Mindestens zwei Drittel der Mitglieder der Gemeindever­ tretung müssen Angesessene oder Vertreter von Angesessenen fein (§ 11 Absatz 1 Nr. 6a und b, § 16). Die Zahl der Gemeindeverordneten, welche hiernach aus der Mitte der Nichtangesessenen gewählt werden können, wird auf die drei Abteilungen gleichmäßig verteilt. Ist diese Zahl nicht durch drei teilbar, so kann, wenn die Zahl 1 übrig bleibt, die zweite Abteilung aus der Zahl der Nichtangesessenen einen Gemeindeverordneten mehr wählen, als die beiden anderen; bleibt die Zahl 2 übrig, so kann die erste Abteilung den einen, die dritte Abteilung den anderen wählen. Sind in einer Abteilung mehr nicht angesessene Gemeindeverordnete gewählt, als hiernach zulässig ist, so gelten diejenigen, welche die geringste Stimmenzahl erhalten haben, als nicht gewählt. Bei gleicher Stimmen­ zahl entscheidet das Los. Bei den zu deren Ersätze anzuordnenden Neuwahlen sind nur die aui Angesessene oder Vertreter von Angesessenen entfallenden Stimmen gültig. § 24. Gemeindeverordnete können nicht sein: 1. diejenigen Beamten und die vom Staate ernannten Mitglieder der­ jenigen Behörden, durch welche die Aufsicht des Staates über die Gemeinden ausgeübt wird, 2. die besoldeten Beamten der Gemeinde, die richterlichen Beamten, zu welchen jedoch die technischen Mitglieder der Handels-, Gewerbe- und ähnlicher Gerichte nicht zu zählen sind, 4. die Beamten der Staatsanwaltfchast und die Polizeibeamten, 5. die Geistlichen, Kirchendiener und Volksschullehrer.

766

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwiegersohn dürfen nicht zugleich Gemeindeverordnete derselben Gemeinde sein. Sind solche Ver­ wandte oder Verschwägerte zugleich gewählt, so wirb der ältere allein zu­ gelassen. Entsteht die Schwügerschast im Laufe der Wahlperiode, io scheidet der Schwiegersohn aus.

K 25. Die Gemcindeverordneten werden ans sechs Jahre gewühlt. Alle zwei Jahre scheidet ein Drittel der Gemeindevvrordneten aus jeder Abteilung aus und wird die Gemeindevertretung durch neue Wahlen ergänzt. Ist die Zahl der Ausscheideilden nicht durch drei teilbar, so wird die Reihenfolge der Abteilungen, in welcher diese Ausscheidung nattfindet, durch das Los bestimmt. Ebenso werden die das erste und das zweite Mal Ausscheidenden durch das Los bestimmt. Die Ausscheidcnden sind wieder wählbar. Außergewöhnliche Wahlen zum Ersätze innerhalb der Wahlperiode ausgeschiedener Gemeindeverordneten müssen angeordnet werden, wenn die Gemeindevertretung und der Gemeindevorstand es für erforderlich erachten, oder wenn der Kreisausschuß dies beschließt. Der Ersatzmann bleibt nur bis zuin Ende der Wahlperiode des Ausgeschiedenen in Wirksamkeit. Bei Ergänzungs- und Ersatzwahlen ist bezüglich der Wählbarkeit von Nichtangesessenen nach den Grundsätzen des § 23 zu verfahren. § 26. Der Wahl wird die nach § 9 Absatz 1 zu führende Liüe zugrunde gelegt, welche nach den Wahlabteilungen und im Falle des H 22 nach den Wahlbezirken einzuteilen ist.

H 27. In der Zeit vom 15. bis 30. Januar erfolgt die Aus­ legung der Liste (§ 26) in einem vorher zur öffentlichen Kenntnis zu bringenden Raunie. Während dieser Zeit kaun jeder Stimmberechtigte gegen die Richtig­ keit der Liste bei dem Gemeindevorftande Einspruch erheben, aus welcheii bis zum 15. Februar zu beschließen ui (§ 37 Abj. 1 Nr. 1). Soll der Name eines einmal in die Liften aufgenoinmcnen Stnnmberechtigteu wieder gelöscht werden, so ist dem Stimmberechtigten von deni Geineiudevvrstande dies acht Tage vorher unter Angabe der Gründe mitzuteilen. 8 2«. Tic Wahlen her dritten Abteilung sind zuerit, die der ersten zuletzt vorzunehuicu. § 29. Die Wahlen zur regelinäßigen Ergänzung der Gemeinde­ vertretung finden alle zwei Jahre im März statt. Die Ergänzungs- und Ersatzwahlen werden von denselben Abteilungen und Wahlbezirken (§ 22) vorgenommen, von welchen der Ausscheidendc gewählt war. § 30. Eine Woche vor dem Wahltage werden die in der Lifte (£ 26) verzeichneten Wähler durch den Bürgermeister mittelst ortsüblicher Bekanntmachung zu den Wahlen berufen. Die Bekanntmachung muß den Raum, den Tag und die Stunden, in welchen die Stimmen bei dem Wahlvorstande abzugeben sind, genau bezeichnen. § 31. Der Wahlvorstand besteht in jedem Wahlbezirke aus dem Bürgermeister oder einem von diesem zu feinem Stellvertreter ernannten

2. Landgkmeindeordnung für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 24—36

767

Schöffen als Vorsitzenden und aus zwei von der Wahlversammlung ge­ wählten Beisitzern, von welchen der Vorsitzende einen zum Schriftführer ernennt.

§ 32. Jeder Wähler muß dem Wahlvorstande mündlich zu Protokoll erklären, wem er seine Stimme geben will. Er hat so viele Personen zu bezeichnen, als zu wählen sind. Bezüglich der Stellvertretung bei der Wahl kommen dieBestimmnngen im § 17 zur Anwendung. § 33. Gewählt sind diejenigen, welche bei der ersten Abstimmung die meisten Stimmen und zugleich mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhalten haben. Hat sich eine solche Stiminenmehrheit bei der ersten Abstimmung nicht ergeben, so werden von denjenigen Personen, welche die meisten Stimmen erhalten haben, so viele aus eine engere Wahl gebracht, daß die doppelte Anzahl der noch zu wählenden Gemeindeverordneten erreicht wird. Ist die Auswahl der hiernach zu engerer Wahl zu bringenden Personen zweifelhaft, weil auf zwei oder mehrere die gleiche Stimmenzahl gefallen ist, so entscheidet zwischen diesen das durch die Hand des Vorsitzenden zu ziehende Los. Zn der engeren Wahl werden die Wähler durch eine das Ergebnis der ersten Wahl mitteilende Bekanntmachung des Wahlvorstandes sofort oder spätestens innerhalb einer Woche in ortsüblicher Weise aufgeforder!. Die engere Wahl findet nach denselben Vorschriften, wie die erste Wahl statt. Jedoch ist bei der engeren Wahl die absolute Stimmenmehr­ heit (Abs. 1) nicht erforderlich; tritt bei ihr Stimmengleichheit ein, so ent­ scheidet das durch die Hand des Vorsitzenden zu ziehende Los. Wer in mehreren Abteilungen oder Wahlbezirken zugleich gewählt ist, hat zu erklären, welche Wahl er annehmen will. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf eine nach § 23 erforderlich werdende Neuwahl Anwendung. § 34. Die Wahlprotokolle sind von dem Wahlvorstande zu unter­ zeichnen und von dem Gemeindevorstande aufzubewahren. Der Letztere hat das Ergebnis der Wahlen sofort in ortsüblicher Weise bekannt zu machen. Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahlen zu der Gemeindever­ tretung sind innerhalb zwei Wochen nach Bekanntmachung des Wahl­ ergebnisses bei dem Gemeindevorstande anzubringen.

§ 35. Die bei der regelmäßigen Ergänzung neugewählten Gemeinde­ verordneten treten an dem der Wahl folgenden 1. April ihr Amt an; die Ausscheidenden bleiben bis zur Einführung der neu gewählten Mit­ glieder in Tätigkeit. Die Gewählten werden von dem Bürgermeister in die Gemeindevertretung cingesührt und durch Handschlag verpflichtet.

§ 36. Jedes stimmfähige Gemeindeglied ist verpflichtet, ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde zu über­ nehmen, sowie ein übernommenes Amt mindestens drei Jahre lang zn versehen.

768

IX. Gruppt: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Zur Ablehnung oder früheren Niederlegung berechtigen folgende Entschuldigungsgründe:

eines solchen Amtes

1. anhaltende Krankheit,

2. Geschäfte, welche eine häufige oder lange dauernde Abwesenheit Dom Wohnorte mit sich bringen, 3. das Alter von sechzig Jahren, 4. die Verwaltung eines unmittelbaren Staatsamtes,

5. sonstige besondere Verhältnisse, welche nach dem Ermessen derGemeindevertretung oder, wo eine solche nicht besteht, des Gemeindevorstandes eine gültige Entschuldigung begründen. Wer ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde währeud der vorgeschriebenen regelmäßigen Amtsdauer versehen hat, kann die Uebernahme desselben oder eines gleichartigen Amtes für die nächsten drei Jahre ablehnen. Wer sich ohne einen der vorbezeichneten Entschuldigungsgründe weigert, ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde zu übernehmen oder das übernommene Amt drei Jahre hindurch zu ver­ sehen, sowie derjenige, welcher sich der Verwaltung eines solchen Amtes tatsächlich entzieht, kann sür einen Zeitraum von drei bis sechs Jahren der Ausübung seines Rechts auf Teilnahme an der Verwaltung und Ver­ tretung der Gemeinde für verlustig erklärt und um ein Achtel bis ein Viertel stärker als die übrigen Gemeindeangehörigen zu den Gemeinde­ abgaben herangezogen werden.

§ 37. Die Gemeindevertretung, wo eine solche nicht besteht, Gemeindevorstand, beschließt

der

1. auf Einsprüche, betreffend den Besitz oder den Verlust des Gemeinde­ rechts, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse von Stimmberech­ tigten, die Wählbarkeit zu einem Amte in der Verwaltung oder Ver­ tretung der Gemeinde, die Ausübung des Stimmrechts durch einen Dritten, sowie über die Richtigkeit der Gemeindewählerliste,

2. über die Gültigkeit der Wahlen zur Gemeindevertretung, 3. über die Berechtigung der Ablehnung oder Niederlegung eines Amtes in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde, sowie über die Nachteile, welche gegen Gemeindeglieder wegen Nichterfüllung der ihnen nach diesem Gesetze obliegenden Pflichten zu verhängen find. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt, welche, wenn er von der Gemeindevertretung gefaßt ist, auch dem Gemeindevorstande zusteht. Die Klage hat in den Fällen unter 1 und 2 keine ausschiebende Wirkung, jedoch dürfen Neuwahlen zum Ersatz sür solche Wahlen, welche durch Beschluß der Gemeindevertretung oder des Gemeindevorstandes sür ungültig erklärt worden sind, vor ergangener rechtskräftiger Entscheidung nicht vorgenommen werden.

2. Landgemeindeordnung für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 36—41.

769

Fünfter Abschnitt.

Gemeiudeorrmögcu.

§ 38. Im Eigentume der Landgemeinden stehen sowohl diejenigen Bestandteile des Gemeindevermögens, deren Erträge für die Zwecke deS Gemeindehaushalts bestimmt sind (Ortsvermögen, Gemeindevermögen im engeren Sinne), wie auch diejenigen Vermögensgegenstünde, deren Nutzungen den Gemeindeangehörigen oder einzelnen von ihnen vermöge dieser ihrer Eigenschaft zukommen (Gemeindegliederverinögen, Allmenden, Gemeinheiten). Die Gemeindebehörden haben darüber zu wachen, daß das Grund­ vermögen (Grundstockvermögen) in seinen« Bestände erhalten und nicht zur Bestreitung lausender Bcdürsnisse verwendet werde. Hat eine Verminderung des Grundvermögens zu laufenden Ausgaben ausnahnisweise stattgefunden, so ist für seine alsbaldige Ergänzung Sorge zu tragen. Im weiteren kommen die Bestimmungen des 8 5 der Verordnung, betreffend die Ablösung der Servituten, die Teilung der Gemeinschaften, und die Zusainmenlegung der Grundstücke für das vormalige Kurfürsten­ tum Hessen, vom 13. Mai 1867 (Gesetz Sammt. S. 716) im ganzen Umfange des Regierungsbezirks Kassel und diejenigen des § 3 der Gemeinheitsteilungsmdnung vom 5. April 1869 (Gesetz-Samml. S. 526) im ganzen Umfange des Regierungsbezirks Wiesbaden zur Anwendung. § 39. Gemeindegliedervermögen kann unter hinzutretender Ge­ nehmigung des KreisausschusieS in Ortsvermögen umgewandelt werden, jedoch mit der Einschränkung, daß Nutzungsrechte, welche nicht sämtlichen, sondern nur einzelnen Gemeindegliedern oder Gemcindeangehörigen als solchen zustehen, durch Gemeindebeschluß den letzteren wider ihren Willen nicht entzogen oder geschmälert werden dürfen. In Ansehung der Verwaltung und Verwendung des Vermögens von Stiftungen bewendet es bei den stiftungsmäßigen Bestimmungen. Soweit es hierbei auf den Begriff „Bürger" ankommt, sind die Bestimmungen dieses Gesetzes an sich nicht maßgebend (§§ 9 und 11). § 40. Tie Teilnahme an den Gemeindenutzungen regelt sich, un­ beschadet der aus Lerleihungsurkunden oder vertragsmäßigen Festsetzungen sich ergebenden Abweichungen, nach dem bisherigen Rechte mit der Maßgabe, daß an Stelle der Gemeindebürger die Gemeindeangehörigen treten. Soweit hiernach der Maßstab für die Teilnahme an diesen Nutzungen nicht feststeht, erfolgt die Verteilung nach dem Verhältnisse, in welchem die Ge­ meindeangehörigen zu den Gemeindelasten beitragen.

§ 41.

Auf Einsprüche, betreffend

1. das Recht zur Teilnahme an den Nutzungen und Ertrügen des Gemeindevermögens, 2. die besonderen Rechte einzelner örtlicher Teile des Gemeindebezirks oder einzelner Klassen der Gemeindeangehörigen in Ansehung der zu Nummer 1 erwähnten Ansprüche, beschließt der Gemeindevorstand. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt.

Skter-Lvmlo, VerwaltungsFeietze für Preußen.

49

770

IX. Mruppt: Kommunalrecht

B. Landgemeinderecht.

Der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren unterliegen desgleichen Streitigkeiten zwischen Beteiligten über ihre in dem öffentlichen Rechte be­ gründete Berechtigung zu den im Absätze 1 bezeichneten Nutzungen. Einspruch und Klage haben keine aufschiebende Wirkung.

§ 42. Durch Ortsstatut kann für die Teilnahme an den Gemeinde­ nutzungen die Entrichtung eines zu deren Werte in einem angemeffenen Verhältnisse stehenden Einkaufsgeldes anstatt oder neben einer jährlichen Abgabe eingeführt werden. Jedoch dars den bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes im Genusse von Gemeindenutzungen stehenden Berechtigten für den weiteren Bezug des ihnen seither zugekommenen Anteils ein Einkaufsgeld nicht auferlegt werden. Wo Einkaufsgeld bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes besteht, bleibt eS bis zur anderweiten statutarischen Regelung in Geltung. Durch die Entrichtung des Einkaussgeldes wird die Ausübung des Gemeinderechtes nicht bedingt. Die Verpflichtung zur Zahlung des Einkaufsgeldes sowie der Abgabe für die Teilnahme an den Gemeindenutzungen ruht, so lange auf diese Teilnahme verzichtet wirdUnberührt von diesen Bestimmungen bleiben die mit dem Besitze einzelner Grundstücke verbundenen oder auf besonderen Rcchtstitcln beruhenden Nutzungsrechte. Im Falle der Umwandlung des Gemeindegliedervermögens oder eines Teiles desselben in Orlsvermögen (§ 38) kann die Zurückerstattung des­ jenigen Teiles des Einkaussgeldes, welcher durch den Bezug der Nutzungen noch nicht vergütet ist, verlangt werden.

§ 43. Aus die Erhebung des Einkaufsgeldes und der jährlichen Abgaben (§ 42) finden bezüglich der Rechtsmittel, der Nachsorderungeu und Verjährungen, sowie der Kosten und der Zwangsvollstreckung die ein schlagenden Vorschriften des fünften, achten und neunten Titels des Kommunalabgabengesetzcs vom 14. Juli 1893 (Gesetz-Samml. S. 152) sinn­ gemäß Anwendung. § 44. Die besonderen Bestimmungen über die Verwaltung der Gemeindewaldungen, insbesondere auch die Vorschrift des 8 HO Absatz 2 der Kreisordnung für die Provinz Hessen-Nassau vom 7. Juni 1885 (GesetzSamml. S. 193), werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Sechster Abschnitt.

Verwaltung der Land gemeinden.

§ 45. An der Spitze der Verwaltung der Landgenleinde steht der Bürgermeister. Dem Bürgermeister stehen zwei Schöffen zur Seite, welche ihn in den Amtsgeschäften zu unterstützen und in Behinderungsfällen nach der unter ihnen von der Aufsichtsbehörde festzusetzenden Reihenfolge zu ver­ treten haben. Durch Ortsstatut kann die Zahl der Schöffen auf höchstens sechs ver­ mehrt werden.

2. Landgemeindeordnung für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 41—47.

771

Wo dem Bürgermeister nur zwei Schöffen zur Seite stehen, ist ein Stellvertreter zu wählen, welcher in Behinderungssällen eines der beiden Schöffen für diesen eintritt. In Landgemeinden mit mehr als 500 Einwohnern wird ein kollegialischer Gemeindevorstand < Gemeinderat) gebildet, welcher aus dem Bürger­ meister, aus einem Beigeordneten als dessen Stellvertreter und in Gemeinden von nicht mehr als 2500 Einwohnern aus 3 Schöffen, von mehr als 2500 Einwohnern aus 5 Schöffen besteht. Wenn jedoch die Gemeindevertretung nach zweimaliger, mit einem Zwischenräume von mindestens acht Tagen vorgenommener Beratung darauf anträgt, kann mit Genehmigung des Kreisausschusses von der Bildung eines kollegialischen Gemeindevorstandes (Gemeinderates) abgesehen werden. In den kleineren Landgemeinden kann durch Ortsstatut ein kollegialischer Gemeindevorstand, welcher aus dem Bürgermeister, aus einem Beigeordneten als dessen Stellvertreter und aus zwei Schöffen besteht, ein­ geführt werden. Unter Gemeindevorstand ist in Gemeinden mit kollegialischem Ge­ meindevorstande der Gemeinderat, in den übrigen Gemeinden der Bürger­ meister zu verstehen.

§ 46. Der Bürgermeister und die Schöffen werden von der Ge­ meindeversammlung (Gemeindevertretung) gewühlt. In Gemeinden mit kollegialischem Gemeindevorstande werden der Bürgermeister und der Bei­ geordnete von dem Gemeinderate und der Gemeindevertretung in gemein­ schaftlicher Sitzung gewählt. In letzterem Falle ist die Versammlung be­ schlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten anwesend ist. In beiden Fällen beschränkt sich die Wahl aus Gemeindemitglieder. In Landgemeinden mit mehr als 1200 Einwohnern kann die Ge­ meindevertretung die Wahl eines besoldeten Bürgermeisters beschließen. Die Wahl eriolgt alsdann auf die Dauer von zwölf Jahren und ist nicht auf Gemeindeglieder beschränkt. 3in übrigen wird der Bürgermeister auf acht Jahre gewählt. Der Beigeordnete und die Schöffen werden auf die Dauer von sechs Jahren gewählt. Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwiegersohn, Großvater und Enkel. Brüder und Schwäger dürfen nicht gleichzeitig Bürgermeister, Beigeordneter und Schöffen sein. Die Aussichtsbehörde ist befugt, hiervon Ausnahmen zuzulassen. Entsteht die Schwägerschast im Laufe der Wahlperiode, so scheidet derjenige aus. durch welchen das Hindernis herbeigejührt worden ist. Das Amt eines Beigeordneten und Schöffen ist mit einem besoldeten Gemeindeainte unvereinbar. Personen, welche das Gewerbe der Gast- und Schankwirtschaft be­ treiben. können nicht Bürgermeister sein. Die Aufsichtsbehörde ist befugt, hiervon Ausnahmen zuzulassen. § 47. Bezüglich der Einladung der Mitglieder der Gemeinde­ versammlung, der Gemeindevertretung, des Gemeinderats (§ 46 Abs. 1) zur Wahl kommen die Vorschriften des § 30 zur Anwendung.

772

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderechl.

§ 48. Der Wahlvorstand besteht aus dem Bürgermeister oder dessen Stellvertreter als Vorsitzenden und aus zwei von der Versammlung zu wählenden Beisitzern. Der Vorsitzende ernennt einen der Beisitzer zum Schriftführer. Erforderlichenfalls kann jedoch auch eine nicht zur Wahlversammlung ge­ hörige Person zum Schriftführer ernannt werden. § 49. Während Beratungen stattfinden, werden. Ausgenommen vorstandes, welche durch § 50.

der Wahlhandlung dürfen im Wahlraume weder noch Ansprachen gehalten, noch Beschlüsse gefaßt hiervon sind Beratungen und Beschlüsse des Wahl­ die Leitung des Wahlgeschüfts erforderlich werden.

Jede Wahl erfolgt in einem

besonderen Wahlgange durch

Stimmzettel.

§ 51. Die Wähler werden in der Reihenfolge, in welcher sie in der Wählerliste aufgefuhrt sind, aufgerufen. Die Aufgerufenen legen ihre Stimmzettel uneröffnet in die Wahlurne. Findet die Wahl durch die Gemeindeversammlung statt, so wird das Stimmrecht nach Maßgabe der Bestimmungen des § 19 ausgeübt. Die nach der Eröffnung, jedoch vor dem Schlüsse der Wahlhandlung erscheinenden Wähler können noch an der Abstimmung teilnehmen. Sind keine Stimmen mehr abzugeben, fo erklärt der Wahlvorstand die Wahl für geschlossen; der Vorsitzende nimmt die Stimmzettel einzeln aus der Wahlurne und verliest die darauf verzeichneten Namen, welche von einem durch den Vorsitzenden zu ernennenden Beisitzer laut gezählt werden. § 52 Ungültig sind diejenigen Stimmzettel, 1. welche nicht von weißem Papier oder welche mit einem äußeren Kenn­ zeichen versehen sind, 2. welche keinen ober keinen lei baren Namen enthalten, 3. aus welchen die Person des Gewählten nicht unzweifelhaft zu er­ kennen ist, 4. aus welchen mehr als ein Name oder der Name einer nicht wählbaren Person verzeichnet ist, 5. welche einen Protest oder Vorbehalt enthalten. Ungültige Stimmzettel werden als nicht abgegeben betrachtet. Ueber die Gültigkeit der Stimmzettel entscheidet vorläufig der Wahlvorstand. Die Stimmzettel sind dem Wahlprotokolle beizusügen und so lange aufznbewahren, bis über die gegen das Wahlversahren erhobenen Einsprüche rechtskräftig entschieden ist.

§ 53. Als gewählt ist derjenige zu betrachten, welcher bei der ersten Abstimmung mehr als die Hälfte der gültig abgegebenen Stimmen erhalten hat. Ergibt sich bei der ersten Abstimmung diese Stimmenmehrheit nicht, so kommen bei der sofort vorzunehmenden zweiten Abstimmung diejenigen zwei Personen, welche im ersten Wahlgange die meisten Stimmen erhalten haben, auf die engere Wahl. Haben mebr als zwei Perjonen die höchste oder zweithöchste Stimmenzahl in der Weife erhalten, daß auf sie eine gleiche Stimmenzahl entfallen ist, so entscheidet das durch die Hand des Vorsitzenden zu ziehende Los darüber, wer auf die engere Wahl zu bringen

•2. Landgemeindeordnung für die Provinz Hessen-Naffau.

§§ 48—59.

773

ist. Bei dem zweiten Wahlgange sind außer den im § 52 angegebenen auch diejenigen Stimmzettel ungültig, welche den Namen einer nicht zur engeren Wahl stehenden Person enthalten. Als gewühlt ist derjenige zu be­ trachten, welcher die meisten Stimmen erhalten hat. Bei Stimmengleichheit entscheidet das durch die Hand des Vorsitzenden zu ziehende Los. Die Wahlprotokolle sind von dem Wahlvorstande zu unterzeichnen. § 54. Der Vorsitzende des Wahlvorstandes hat die Gewählten von der aus sie gefallenen Wahl mit der Ausforderung in Kenntnis zu setzen, sich über die Annahme der Wahl innerhalb längstens einer Woche zu er­ klären. Von demjenigen, welcher hierüber keine Erklärung abgibt, wird angenommen, daß er die Wahl ablehne. § 55. Die gewählten Bürgermeister und Beigeordneten, sowie die Schöffen in denjenigen Landgemeinden, in welchen ein kollegialischer Ge­ meindevorstand nicht besteht, bedürfen der Bestätigung durch den Landrat. Die Bestätigung kann nur unter Zustimmung des Kreisausschusses versagt werden. Dieser Zustimmung bedarf es auch dann, wenn der Wahl die Bestätigung wegen Mängel des Verfahrens versagt wird. Lehnt der KreisauSschuß die Zustimmung ab, so kann sie auf den Antrag des Landrats durch den Regierungspräsidenten ergänzt werden. Wird die Bestätigung von dem Landrate unter Zustimmung des KreiSausschuffes versagt, so steht binnen zwei Wochen dem Wahlkörper die Be­ schwerde an den Regierungspräsidenten zu, bei dessen Bescheide es verbleibt. Wird die Bestätigung versagt, so ist eine Neuwahl anzuordnen. Er­ hält auch diese die Bestätigung nicht, so ernennt der Landrat unter Zu­ stimmung des Kreisausschusses, in der Regel aus der Zahl der Gemeinde­ glieder, einen Stellvertreter aus so lange, bis eine erneuerte Wahl die Be­ stätigung erlangt hat. Dasselbe findet statt, wenn keine Wahl zustande kommt. Die Bestiminungen dieses Paragraphen finden auch auf andere ge­ wählte Gemeindebeamte Anwendung, deren Wahl der Bestätigung bedarf.

§ 5ti. Der Bürgermeister, der Beigeordnete und die werden vor ihrem Amtsantritte vonjdem Landrate vereidigt.

Schöffen

§ 57. Die unbesoldeten Bürgermeister und Beigeordneten Haden den Ersatz ihrer baren Auslagen und die Gewährung einer mit ihrer amt­ lichen Mühewaltung in billigem Verhältniffe stehenden Entschädigung von der Gemeinde zu beanspruchen. Die Schöffen haben ihr Amt in der Regel unentgeltlich zu ver­ walten und nur den Ersatz barer Auslagen von der Gemeinde zu be­ anspruchen.

K 58. Ueber die Festsetzung der baren Auslagen und der Ent­ schädigung der Bürgermeister und der stellvertretenden Bürgermeister, sowie über die baren Auslagen der Schöffen beschließt der KreisauSschuß auf Antrag der Beteiligten oder der Aufsichtsbehörde. § 59. Der Bürgermeister ist die Obrigkeit der Gemeinde und führt deren Verwaltung.

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IX. Gruppe: Kommunalrecht. B. Landgemeinderecht.

Der Bürgermeister führt in der Gemeindeversammlung (Gemeinde­ vertretung) den Vorsitz mit vollem Stimmrechte. Hat die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung» einen Beschluß gefaßt, welcher nach Ansicht des Bürgermeisters das Gemeinwohl oder das Gemeindeintereste erheblich verletzt, so ist der Bürgermeister verpflichtet, die Ausführung des Beschlusses auszusetzen und, wenn die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) bei nochmaliger Beratung bei ihrem Beschlusse be­ harrt, innerhalb zwei Wochen die Entscheidung des Kreisausschusses eiit= zuholen. Insbesondere liegen dem Bürgermeister folgende Geschäfte ob:

1. die Gesetze und Verordnungen, sowie die Verfügungen der ihm vor­ gesetzten Behörden auszusühren, 2. die Beschlüsse der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) vor­ zubereiten, 3. die Beschlüste der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung), sofern er sie nicht beanstandet (§112) oder deren Ausführung aussetzt (Abs. 3) — diejenigen über die Benutzung des Gemeindevermögens (§ 77) nach Beratung mit den Schössen —, zur Ausführung zu bringen und demgemäß die lausende Verwaltung bezüglich des Vermögens und der Einkünfte der Gemeinde, sowie der Gemeindeanstalten, für welche eine besondere Verwaltung nicht besteht, zu führen, und diejenigen Gemeindeanstalten, für welche besondere Verwaltungen eingesetzt sind, zu beaufsichtigen,

4. die aus dem Gemeindevoranschlage (§ 89) oder auf Beschlüsten der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) beruhenden Einnahmen und Ausgaben anzuweisen und das Rechnungs- und Kastenwesen zu beaufsichtigen, 5. die Gemeindebeamten anzustellen und zu beaufsichtigen; über die Neu­ errichtung von Stellen beschließt die Gemeindeversammlung (Gemeinde­ vertretung),

6. die Urkunden und Akten der Gemeinde aufzubewahren, 7. die Gemeinde nach Außen zu vertreten und in ihrem Namen mit Be­ hörden und Privatpersonen zu verhandeln. Urkunden über Rechtsgeschäfte, welche die Gemeinde gegen Dritte verbinden sollen, ingleichen Vollmachten, müsten unter Anführung des betreffenden Gemeindebeschlustes und der dazu etwa erforderlichen Ge­ nehmigung oder Entschließung der zuständigen Aufsichtsbehörde im Namen der Gemeinde von dem Bürgermeister und einem der Schöffen unterschrieben und mit dem Gemeindesiegel versehen sein. Eine der vorstehenden Bestimmung gemäß ausgestellte Vollmacht ist auch bann ausreichend, wenn die Gesetze sonst eine gerichtliche oder Notariats­ vollmacht erfordern. Zu dem Nachweise, daß von einer Gemeinde bei der Erwerbung oder Veräußerung von Grundstücken oder diesen gleichstehenden Ge­ rechtsamen die den Gemeinden gesetzlich vorgeschriebenen besonderen Formen beobachtet sind, genügt eine Bescheinigung des Landrats als Vorsitzenden des KreisausschusteS.

2. Landgtmeindeordnung für die Provinz Hesien-Nasfau.

§§ 59—62.

775

§ 60. Wo ein kollegialischer Gemeindevorstand iGe mein berat) be­ steht (§ 45 Abs. 5.), hat dieser die in den §§ 59 Nr. 2 bis 4, 62, 89 und 91 erwähnten Befugnisse des Bürgermeisters wahrzunehmen und die Gemeindebeamten anzustellen (§ 59 Nr. 5). Die Beschlüsse des Gemeinderates werden nach Stimmenmehrheit und unter Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern gefaßt. Bei Stimmen­ gleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Den Vorsitz sührt der Bürgermeister, welcher hierin durch den Beigeordneten und, wenn auch dieser behindert ist, durch eines der übrigen Mitglieder des Gemeinderates in der Neihensolge ihres Dienstalters, bei gleichem Dienstalter ihres Lebensalters, vertreten wird. Bei der Beratung und Abstimmung über solche Gegenstände, welche ein Mitglied des Gemeinderates, seine Ehefrau, seine Schwestern oder Ver­ wandten oder Verschwägerten der in § 46 Abs. 4 bezeichneten Art berühren, darf dieses Mitglied nicht zugegen sein. Wird hierdurch der Gemeinderat beschlußunfähig, so entscheidet der Bürgermeister allein; kann auch dieser aus dem angeführten Grunde nicht entscheiden, so tritt an dessen Stelle der Kreisausschuß. Ergibt sich die Beschlußunsähigkeit aus anderen Gründen, so hat der Bürgermeister eine zweite Sitzung anzuberaumen; wird auch in dieser keine Beschlußfähigkeit erreicht, so hat der Bürgermeister allein hinsichtlich der auf der Tagesordnung stehenden Gegenstände Anordnung zu treffen. Der Bürgermeister ist — unbeschadet der Vorschrift des 8 H2 — verpflichtet, in den Fällen, in welchen ein Beschluß des Gemeinderates das Gemeindewohl oder Gemeindeinteresse erheblich verletzt, die Ausführung des Beschlusses auszusetzen, und, wenn der Gemeinderat bei nochmaliger Be­ ratung bei seinem Beschlusse beharrt, innerhalb zwei Wochen die Entscheidung des Kreisausschusses einzuholen. Dem Gemeinderate bleibt es überlasien, regelmäßige Sitzungstage fesizusetzen. Die Zusammenberufung des Gemeinderates muß erfolgen, wenn sie von einem Viertel der Mitglieder verlangt wird.

8 61. Der Bürgermeister leitet und beaufsichtigt den Geschäftsgang der Gemeindeverwaltung. Wenn die Beschlußnahme durch den Gemeinderat einen nachteiligen Zeitverlust verursachen würde, hat der Bürgermeister die dem Gemeinderate obliegenden Geschäfte vorläufig allein zu besorgen, dem letzteren jedoch in der nächsten Sitzung behufs Bestätigung oder anderweiter Beschlußnahme Bericht zu erstatten.

§ 62. Landgemeinden von größerem Umfange oder von zahlreicherer Bevölkerung können von dem Bürgermeister nach Anhörung der Gemeinde­ vertretung in Ortsbezirke geteilt werden. Jedem Bezirke wird ein Bezirksvorsteher vorgesetzt, welcher von der Gemeindevertretung aus den stimmfähigen Gemeindegliedern des Bezirks auf sechs Jahre gewählt und von dem Bürgermeister bestätigt wird. In gleicher Weise wird für den Fall der Verhinderung des Bezirksvorstehers ein Stell­ vertreter bestellt.

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Die Bezirksvorsteher sind Organe des Bürgermeisters und verpflichtet, seinen Anordnungen Folge zu leisten, ihn namentlich in den örtlichen Ge­ schäften des Bezirks zu unterstützen. Ueber die Gültigkeit der Wahlen der Bezirksvorsteher, sowie überhaupt solcher Gemeindebeamten, welche der Bestätigung nicht bedürfen, beichliesit der Kreisausschuß.

§ 63. Der Bürgermeister hat ferner nach näherer Bestimmung der Gesetze folgende Geschäfte zu besorgen: I. wenn die Handhabung der OrtSpolizei nicht Königlichen Behörden übertragen ist: 1. die Handhabung der Ortspolizei vorbehaltlich der Bestimmungen des § 64 dieses Gesetzes und der §§ 28 und 29 der Kreisordnung vom 7. Juni 1885, 2. die Verrichtung eines Hilssbeamten der Staatsanwaltschaft nach Maßgabe des § 153 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877 (Reichs-Gesetzbl. S. 41) und der auf Grund desselben erlassenen besonderen Bestimmungen, 3. die Verrichtungen eines Amtsanwaltes bei dem Amtsgerichte, welches in dem bezüglichen Orte seinen Sitz hat, gegen Ent­ schädigung aus Staatsmitteln nach Maßgabe der 64 und 65 des Preußischen Ausführungsgesetzes zum Deutschen Gerichts­ verfassungsgesetze vom 24. April 1878 (Gesetz-Samml. S. 230), sofern nicht eine andere Person mit diesem Amte betraut wird; n. alle örtlichen Geschäfte der Kreis-, Bezirks-, Provinzial- und all­ gemeinen Staatsverwaltung, namentlich auch die Standesamtsgeschäste nach Maßgabe der Bestimmungen des Reichsgesetzes vom 6. Februar 1875 (Reichs-Gesetzbl. S. 23), sofern nicht ein besonderer Beamter hierfür bestellt ist. In denjenigen Gemeinden, in welchen ein kollegialischer Gemeinde­ vorstand (Gemeinderat) eingeführt ist, können die Standesamtsgeschäfte mit Genehmigung des Oberprüsidenten, andere der unter I, 1 und 2 und II erwähnten Geschäfte mit Genehmigung des Regierungspräsidenten einem anderen Mitgliede des Gemeinderates übertragen werden. In Ansehung der Obliegenheiten des Bürgermeisters bezüglich der Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit bewendet es bei den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen.

Siebenter Abschnitt. Gemeinschaftlicht Grlspolneibcsirlie. K 64. Dem Minister des Innern steht die Befugnis zu, im Ein­ vernehmen mit dem Kreisausschusse Landgemeinden und selbständige Guts­ bezirke nach Anhörung der Beteiligten zu einem gemeinschaftlichen Orts­ polizeibezirke zu vereinigen, wenn dies das öffentliche Interesse erheischt. In einem solchen Bezirke wird die Ortspolizei nach Maßgabe des 8 63 I von demjenigen der beteiligten Bürgermeister und Gutsvorsteher, beziehungsweise seinem gesetzlichen Stellvertreter, geführt, welcher hiermit

2. Landgemeindeordnung für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 62—67.

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von dem Minister des Innern betraut wird. Die übrigen Bürgermeister und Gutsvorsteher eines gemeinschaftlichen Ortspolizeibezirks haben jedoch das Recht und die Pflicht, da. wo die Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit ein sofortiges Einschreiten notwendig macht, das dazu Erforderliche vorläufig anzuordnen und ausführen zu lassen. Der Beitrag der einem gemeinschaftlichen Ortspolizeibezirke angehörenden Landgemeinden und selbständigen Gutsbezirke zu den Kosten der örtlichen Polizeiverwaltung wird in Ermangelung einer Einigung unter den Beteiteiligten von dem Kreisausschusse festgesetzt. Die auf Grund des § 8 Abs. 1 der Gemeindeordnung für die Städte und Landgemeinden des vormaligen Kurfürstentums Hessen vom 23. Oktober 1834 gebildeten Bürgermeistereibezirke bleiben als gemeinschaftliche Orts­ polizeibezirke bestehen. Sie können jedoch, ebenso wie andere gemeinschaft­ liche Ortspolizeibezirke, wenn das öffentliche Jntereffe ihr Fortbestehen nicht mehr erheischt, auf demselben Wege, wie die Bildung gemeinschaftlicher Ortspolizeibezirke erfolgt, wieder aufgelöst werden. Ueber die hierbei etwa notwendig werdende Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Land­ gemeinden und Gutsbezirken beschließt in Ermangelung einer Einigung unter ihnen der Kreisausschuß, vorbehaltlich der den Beteiligten gegen­ einander zustehenden Klage im Berwaltungsstreitverfahren. Achter Abschnitt,

.selb- und Ortsgerichte nnb Feldgeschworeue. § 65. In Ansehung der Zusammensetzung und der Zuständigkeit deS Feldgerichts im Gebiete des vormaligen Herzogtums Nassau, deS früheren Amtes Homburg und in den Landdorffchaften des früheren Ge­ bietes der vormaligen freien Stadt Frankfurt, sowie des Ortsgerichts und der Feldgeschworenen in den ehemals Großherzoglich Hessischen Gebiets­ teilen bewendet eS bei den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen mit der Maßgabe, daß daS in den letzterem vorgesehene Borschlagsrecht der Gemeinde und des Gemciiidevorstandes für das Amt der Feldgerichtsschöffen und der Feldgeschworenen der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung t zusteht. Neunter Abschnitt.

Geschäfte der Gemeindeversammlung und der Gemeindevertretung (des Gemeindcausschulles, Sürgerausschullcs). 8 66. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) hat über alle Gemeindeangelegenheiten zu beschließen, soweit diese nicht durch daS Gesetz dem Bürgermeister (Gemeinderate) ausschließlich überwiesen sind. Ueber andere Angelegenheiten darf die Gemeindeversammlung (Ge­ meindevertretung) nur dann beraten, wenn solche durch Gesetz oder Auftrag der Aufsichtsbehörde an sie gewiesen sind. Die Gemeindeverordneten sind an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. K 67. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) überwacht die Verwaltung; sie ist berechtigt, sich von der Ausführung ihrer Beschlüsse,

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

von dein Eingänge und der Verwendung aller Einnahmen der Gemeindelasse, sowie von der gehörigen Ausführung der Gemcindcarbeiten Ueber­ zeugung zu verschaffen. Die Gemeindeversammlung lGemeindevertretung) darf ihre Beschlüsse in keinem Falle selbst zur Ausführung bringen.

§ 68. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) ist zufammenzuberusen, so oft ihre Geschäfte es erfordern. Die Zusammenberusung erfolgt in ortsüblicher Weise unter Angabe der Gegenstände der Beratung durch den Bürgermeister; sie muß erfolgen, wenn es von einem Viertel der Mitglieder verlangt wird. Mit Ausnahme dringender Fälle müssen zwischen der Zusammen­ berufung und dem Verhandlungstermine mindestens zwei Tage frei bleiben. Die Versammlungen sollen in der Regel nicht in Wirtshäusern oder Schänken abgehalten werden. K 69. Die Gemeindevertretung kann regelmäßige Sitzungstage festjetzen; es müssen jedoch auch dann die Gegenstände der Beratung, mit Ausnahme dringender Fülle, mindestens zwei Tage vorher den Mitgliedern der Versammlung angezeigt werden.

§ 70. Die Gemeindeversammlung ist beschlußfähig, wenn mehr als ein Drittel der Stimmberechtigten anwesend ist. Für die Gemeindevertretung bedarf es zur Beschlußfähigkeit der Anwesenheit von mehr als der Hälfte ihrer Mitglieder. In beiden Füllen bedarf es bei der Vorladung des Hinweises darauf, daß die Nichtanwesenden sich den gefaßten Beschlüssen zu unterwerfen haben. Wird die Gemeindeversammlung lGemeindevertretung) zum zweiten Male zur Beratung über deiiselben Gegenstand zusammenberufen, so fiiib die erschienenen Mitglieder ohne Rücksicht aus ihre Anzahl beschlußfähig. Bei der zweiten Zusammenberufung muß auf diese Bestimmung ausdrücklich hingewiejen werden.

K 71. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Die der Stimm­ abgabe sich enthaltenden Mitglieder werden zwar als anwesend betrachtet, die Stimmenmehrheit wird jedoch lediglich nach der Zahl der abgegebenen Stimmen festgestellt. § 72. Bei der Beratung und Abstimmung über Rechte und Ver­ pflichtungen der Gemeinde darf dasjenige Mitglied der Gemeiiideverjammlung (Gemeindevertretung), dessen Interesse mit dem der Gemeinde im Widerspruche steht, nicht zugegen sein. Wird die Versammlung aus diesem Grunde beschlußunfähig (8 70), so beschließt an Stelle der Gemeindever­ sammlung (Gemeindevertretung) der Gemeinderat, wo ein solcher nicht besteht, der Kreisausschuß.

§ 73. In den Gemeinden, in welchen ein kollegialischer Gemeinde­ vorstand lGemeinderat) eingesührt ist, wird dieser zu allen Versammlungen der Gemeindevertretung eingeladen und kann sich durch Abgeordnete ver­ treten lassen.

2. Landgemtindeordnung für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 67—78.

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Die Gemeindevertretung kann verlangen, daß Abgeordnete des Ge­ meinderates bei ihren Beratungen anwesend sind; die Abgeordneten deS Geineinderates müssen gehört werden, so oft sie es verlangen. Bei den Sitzungen der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) findet beschränkte Oeffentlichkeit statt. Den Sitzungen können als Zuhörer alle zu den Gemeindeabgaben herangezogenen männlichen großjährigen Personen beiwohnen, welche sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden und Gemeindeangehörige (§ 7) oder Stimmberechtigte auf Grund des § 16 Absatz 1 oder Vertreter von Stimmberechtigten (§17 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4) sind. Für einzelne Gegenstände kann durch besonderen Beschluß, welcher in geheimer Sitzung gefaßt wird, die Oeffentlichkeit aus­ geschlossen werden. Durch Ortsstatut kann bestimmt werden, daß die Sitzungen mit Angabe der Tagesordnung in ortsüblicher Weise vorher öffentlich bekannt zu machen sind.

§ 74. Der Vorsitzende leitet-bie Verhandlungen, eröffnet und schließt die Sitzungen und handhabt die Ordnung in der Versammlung. Er kann jeden Zuhörer, welcher Störung verursacht, aus dem Sitzungs­ zimmer entfernen lassen. K 75. Die Beschlüsse der Gemeindeversammlung (Gemeindever­ tretung) sind in ein besonderes Buch einzutragen und von dem Vorsitzenden, sowie wenigstens zwei stimmberechtigten Mitgliedern der Versammlung zu unterzeichnen. K 76. Durch Ortsstatut kann bestimmt werden, daß unentschuldigtes Ausbleiben aus den Versammlungen der Gemeindevertretung, sowie ord­ nungswidriges Benehmen in diesen Versammlungen oder in der Gemeinde­ versammlung für das betreffende Mitglied eine in die Gemeindekaffe fließende Geldstrafe von einer bis drei Mark nach sich ziehen, und daß im Wiederholungsfälle nach Lage der Sache Ausschließung aus der Ver­ sammlung auf eine gewisse Zeit bis aus die Dauer eines Jahres verhängt werde. Ueber die Verhängung dieser Strafen beschließt die Gemeinde­ vertretung oder die Gemeindeversammlung. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitversahren statt. Die Klage steht auch dem Bürgermeister (Gemeinderate) zu. K 77. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) beschließt über die Verwaltung und Benutzung des Gemeindevermögens (§§ 38 ff.).

§ 78. Zur Veräußerung oder wesentlichen Veränderung von Sachen, welche einen besonderen wissenschaftlichen, historischen oder Kunstwert haben, ist die Genehmigung des Regierungspräsidenten erforderlich. Zur Veräußerung von Grundstücken oder solchen Gerechtigkeiten, welche den Grundstücken gesetzlich gleichgestellt sind, zu einseitigen Verzichtleistungen und Schenkungen, welche den Bestand des Grundvermögens (§ 38 Abs. 2) verringern, zu Anleihen, durch welche die Gemeinde mit einem Schuldenstande belastet oder der vorhandene vergrößert wird, zur neuen Belastung der Gemeindeangehörigen ohne gesetzliche Ver­ pflichtung,

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

zu Veränderungen im Genusse der Gemeindenutzungen, zur Anstrengung eines Rechtsstreites bedarf es der Genehmigung des Kreisausschusses. § 79. Die freiwillige Veräußerung von Grundstücken darf der Regel nach nur im Wege des öffentlichen Meistgebotes stattfinden. Zur Gültigkeit einer solchen Veräußerung gehört: 1. die Vorlegung eines beglaubigten Auszuges aus der Grundsteuermutterrolle, 2. eine ortsübliche Bekanntmachung, 3. die einmalige Bekanntmachung durch das für die amtlichen Bekannt­ machungen des Landrats bestimmte Blatt (Kreisblatt), 4. eine Frist von mindestens zwei Wochen von der Bekanntmachung bis zum Verkaufstermine, 5. die Abhaltung der Verkaufsverhandlung durch den Bürgermeister oder einen Justizbeamten. Der im Absätze 2 unter Nr. "3 vorgeschriebenen Bekanntmachung bedarf es nicht, wenn der Grundsteuerreinertrag des Grundstücks 6 Mark nicht übersteigt. Liegt die Voraussetzung (Abs. 3) vor, oder erachtet der Kreisaus­ schuß den Vorteil der Gemeinde für gewahrt, so kann ein Verkaui aus freier Hand oder ein Tausch stattfinden. DaS Ergebnis der Verkaufsverhandlung ist in allen Fällen der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) mitzuteilen: der Zuschlag kann nur mit deren Genehmigung erfolgen. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch aus Verkäufe von Real berechtigungen Anwendung, wobei außerdem die Aufnahme einer Taxe ui allen Fällen notwendig ist. Für die Eintragung im Grundbuche (Stockbuche) genügt zum Nach­ weise. daß der Vorschrift dieses Paragraphen entsprochen worden ist. die Bestätigung des Vertrages durch den Kreisausschuß.

§80. Die Verpachtung von Grundstücken und Gerechtigkeiten der Gemeinden muß im Wege des öffentlichen Meistgebotes geschehen. Aus­ nahmen hiervon können durch den Kreisausschuß gestattet werden.

Zehnter Abschnitt.

Sesoldungen und Pensionen. § 81. Die Landgemeinden sind befugt, die Anstellung besoldeter Gemeindebeamten für einzelne Dienstzweige oder Dienstverrichtungen zu beschließen. Ueber die Besoldungs- und Pensionsverhältnisse dieser Beamten kann durch Ortsstatut Bestimmung getroffen werden.

§ 82. Hat eine Gemeinde die Wahl eines besoldeten Bürger­ meisters beschlossen (§ 46 Abs. 2), so kann die Aufsichtsbehörde verlangen, daß die zu einer zweckmäßigen Verwaltung angemessenen Besoldungsbeträge bewilligt werden.

2. Landgemtindtvrdnung für die Provinz Htsstn-Nasiau.

§§ 78—88.

781

§ 83. Auf Antrag der Beteiligten oder der Aufsichtsbehörde be­ schließt der Kreisausschuß über die Festsetzung der Besoldungen und Dienst­ bezüge der Bürgerinelster und sonstigen Gemeindebeamten. § 84?) Den besoldeten Bürgermeistern sind, sofern nicht mit Ge­ nehmigung des Kreisausschusses eine Vereinbarung wegen der Pension getroffen ist, bei eintretender Dienstunsühigkeit, oder wenn sie nach abgelausener Wahlperiode nicht wieder gewählt werden, folgende Pensionen zu gewähren: ein Viertel der Besoldung nach sechsjähriger Dienstzeit, die Hälfte der Besoldung nach zwölsjähriger Dienstzeit, zwei Drittel der Besoldung nach vierundzwanzigjühriger Dienstzeit.

§ 85?) Die auf Lebenszeit angestellten besoldeten Geineindebeamten erhalten, sofern nicht mit Genehmigung des Kreisausschusscs ein anderes vereinbart worden ist, bei eintretcnder Dienstunfähigkeit Pension nach den für die unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Grundsätzen. Unberührt bleibt der Artikel III des Gesetzes vom 31. Mürz 1882 (Gcsetz-Samml. S. 133), soweit er nicht durch das Gesetz, betreffend die Ausdehnung einiger Bestimmungen des Gesetzes vom 31. Mürz 1882 wegen Abänderung des Pensionsgesetzes vom 27. Mürz 1872 aus mittelbare Staatsbeamte, vom 1. März 1891 (Gejetz-Samml. S. 19) abgeändert ist. § 86. Die Pension fällt fort oder ruht insoweit, als der Penfionirte durch anderweitige Anstellung im Staats- oder Gemeindedienste ein Einkommen oder eine neue Pension erwirbt, welche mit Zurechnung der ersten Pension sein früheres Einkommen übersteigen.

§ 87. Die Witwen und Waisen der besoldeten Bürgermeister, sowie derjenigen Gemeindebeamten, welche mit Pensionsberechtigung angeslellt gewesen sind, erhalten, falls nicht ein anderes mit Genehmigung dcS Kreisausschusses vereinbart worden ist, Witwen- und Waijengeld nach den für die Witwen und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Vorschrijlen unter Zugrundelegung des von dem Beamten im Augenblicke des Todes erdienten Pensionsbetragcs. Aus das Witwen- und Waisengeld kommen diejenigen Bezüge in Anrechnung, welche von öffentlichen Witwen- und Waiscnanstalten gezahlt werden, insoweit die Gemeinde die Eiukaufsgelder und Beiträge geleistet hat.

§ 88. Ueber streitige Pensionsansprüche der besoldeten Bürger­ meister und der übrigen besoldeten Gemeinbebeamten, sowie über streitige Amprüche der Hinterbliebenen dieser Beamten auf Witwen- und Waisen­ geld beschließt der Kreisausschuß, und zwar, soweit der Beschluß sich darauf erstreckt, welcher Teil des Diensteinkoinmens bei Feststellung dieser Ansprüche als Besoldung anzusehen ist, vorbehaltlich der den Beteiligten gegeneinander zusteheuden Klage im Verwaltungsstreitversahren, im übrigen vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges. Ter Beschluß ist vorläufig vollstreckbar.

782

IX. Grupp«: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Elfter Abschnitt.

Gemeindehaushalt. § 89. Ueber die Einnahmen und Ausgaben, welche sich im voraus veranschlagen lasten, entwirft der Bürgermeister für das Rechnungsjahr oder für eine längere, von der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) festzusetzende Rechnungsperiode, welche jedoch die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen darf, einen Voranschlag. Der Entwurf ist während zwei Wochen nach vorheriger Bekannt­ machung in einem von der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zu bestimmenden Raume zur Einsicht aller Gemeindeangehörigen auszulegen. Nach Ablaus dieser Frist erfolgt die Feststellung des Voranschlages durch die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung). Diese Feststellung ist vor Beginn des neuen Rechnungsjahres oder der neuen Rechnungsperiode zu bewirken. Der Bürgermeister hat eine Abschrift des festgesetzten Voranschlages dem Vorsitzenden des Kreisaus­ schusses einzureichen. Der Gemeindehaushalt ist nach dem Voranschläge zu führen. Alle Gemeindeeinkünfte müssen zur Gemeindekasse gebracht werden. Ausgaben, welche außerhalb des Voranschlages geleistet werden sollen, oder über bereit Verwendung besondere Beschlußfassung Vorbehalten ist, sowie Ueberschreitungen des Voranschlages bedürfen der Genehmigung der Gemeinde­ versammlung (Gemeindevertretung). Durch Beschluß des Kreisausschnstes kann einzelnen Gemeinden die Festsetzung eines Voranschlages erlassen werden, wenn deren Verhältnisse dies unbedenklich erscheinen lassen. § 90. Zur Führung des Gemeinderechnungs- und Kassenwesens ist ein Gemeindebeamter als Gemeinderechner anzustellen, welcher der Be­ stätigung durch den Landrat nach Maßgabe des § 55 bedarf und vor seinem Amtsantritte von dem Landrate vereidigt wird. Der Gemeinderechner darf mit dem Bürgermeister in der in 8 46 Absatz 4 bezeichneten Art weder verwandt noch verschwägert sein. Tritt eine solche Verwandtschaft oder Schwägerjchast während der Amtszeit eines Gemeinderechners ein, so hat dieser sein Amt niederzulegen. Die Auf­ sichtsbehörde ist befugt, hiervon Ausnahinen zuzulassen. Der Gemeinderechner hat auf Verlangen eine genügende Sicherheit zu stellen, wogegen ihm der Anspruch aus eine mit seiner Amtstätigkeit in billigem Verhältnisse stehende Besoldung zukommt. Die Festsetzung der Höhe der Besoldung, sowie der Höhe und Form der Sicherheitsleistung unterliegt der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. In Landgemeinden, deren Verhältnisse dies unbedenklich erscheinen lassen, kann mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde von der Anstellung eines besonderen Gemeindebeamten als Gemeinderechner abgesehen werden.

§ 91. Ueber die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden sind nach näherer Vorschrift der Aufsichtsbehörde die erforderlichen Rechnungs­ und Kastenbücher zu führen. Die Gemeinderechnung ist von dem Gemeinderechner binnen sechs

2. Lcmdgemtindeordnung für die Provinz Hessen-Nasiau.

§§ 89—95.

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Wochen nach dem Schlüsse des Rechnungsjahre« dem Bürgermeister einzu­ reichen, welcher sie einer Vorprüfung zu unterziehen und, mit seinen Er­ innerungen versehen, binnen weiteren sechs Wochen der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) vorzulegen hat. Die Feststellung der Gemeinderechnung muß innerhalb sechs Monate nach deren Vorlegung bewirkt sein. Wad) erfolgter Feststellung ist die Rechnung während eines Zeit­ raumes von zwei Wochen zur Einsicht der Gemeindeangehörigen auszulegen. Dem Vorsitzenden des Kreisausschusses ist eine Abschrift des Fest­ stellungsbeschlusses sofort einzureichen. Tie im zweiten und vierten Absätze bestimmten Fristen können durch die Aufsichtsbehörde verlängert werden.

§ 92. Dem Kreisausschusse liegt die jährliche Nachprüfung der Gemeinderechnungen ob.

§ 93. Der Kreisausschuß beschließt: 1. über die Feststellung und den Ersatz der bei Kassen- und anderen Verwaltungen der Landgemeinden vorkommenden Defekte nach Maß­ gabe der Verordnung vom 24. Januar 1844 (Gesetz-Samml. S. 52). Der Beschluß ist vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges endgültig; 8. über die Art der gerichtlichen Zwangsvollstreckungen wegen Geld­ forderungen gegen Landgemeinden (§ 15 zu 4 des Einführungsgesetzes zur Deutschen Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877, ReichsGesetzbl. S. 244). Dritter Titel.

Selbständige Gnlsbezirke im Regierungsbezirke Cassel. § 94. Für den Bereich eines selbständigen Gutsbezirkes ist der Besitzer des Gutes zu den Pflichten und Leistungen, welche den Gemeinden für den Bercick) ihres Gemelndebczirkes im öffentlichen Interesse gesetzlich obliegen, mit den hinsichtlich einzelner dieser Leistungen aus den Gesetzen folgenden Maßgaben verbunden.

§ 95. Der Besitzer eines selbständigen Gutes hat insbesondere die in dem 8 63 aufgesührten obrigkeitlichen Befugnisse und Pflichten entweder in Person oder durch einen von ihm zu beitellenden, zur Uebernahme des Amtes als Gutsvorsteher befähigteir Stellvertreter auszuübeu. Der letztere muß seinen beständigen Aufenthalt im Gutsbezirke oder in dessen Nähe haben. Es können jedoch seitens des Besitzers des Gutes sämtliche oder ein­ zelne Gutsoorstehergejchüste an den Bürgermeister einer benachbarten Ge­ meinde oder den Vorsteher eines benachbarten Gutsbezirkes unter deren Zustimmung gegen eine angemessene Entschädigung übertragen werden. Ehefrauen werden rücksichtlich der angeführten Rechte und Pflichten durch ihren Ehemann, Kinder unter väterlicher Gewalt durch ihren Vater und bevormundete Personen durch ihren Vormund oder Pfleger vertreten.

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IX. Grupp«: Kommunalrechl.

B. Landgemeindrrecht.

§ 96. Die Bestellung eines Stellvertreters muß erfolgen, 1. wenn das Gut unverheirateten oder verwitweten Besitzerinnen, einer juristischen Person, einer Aktiengesellschaft, einer Kommanditgesellschast auf Aktien, einer Berggewerkschaft, einer eingetragenen Genossen­ schaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gehört, oder wenn mehrere Besitzer sich nicht darüber einigen, wer von ihnen die Geschäfte des Gutsvorstehers wahrnehmen soll, 2. wenn der Vormund oder Pfleger (§ 95 Abs. 3) eine Frau ist, 3. wenn der Gutsbesitzer kein Angehöriger des Deutschen Reichs ist, oder nicht seinen beständigen Aufenthalt im Gutsbezirke oder in besten Nähe hat oder wegen Krankheit oder aus anderen in seiner Person liegenden Gründen außerstande ist, die Pflichten eines Gutsvorstehers zu erfüllen. Auf den Antrag des Gutsbesitzers kann ein Stellvertreter für den ernannten Gutsvorsteher bestellt werden, welcher in Fällen der Behinderung des letzteren die GutSvorstehcrgcschäste wahrzunchmen hat. Für die von dem Hauptgute entfernt belegenen Teile eines selbständigen Gutsbezirkes kaun von dem Kreisausschusse die Bestellung besonderer Stell­ vertreter angeordnet werden, sofern dies jür eine ordnungsmäßige örtliche Verwaltung erforderlich ist.

§ 97. Der Gutsbesitzer, sowie dessen Stellvertreter werden in der Eigenschast als Gutsvorsteher von dem Baudrate bestätigt. Die Bestätigung kann nur unter Zustimmung des Kreisausschusses versagt werden. Lehnt der Kreisausschuß die Zustimmung ab, so kann sie auf den Antrag des Landrats durch den Regierungspräsidenten ergänzt werden. Wird die Bestätigung von dem Landrate unter Zustimmung des Kreisausschusses verjagt, so steht dem Gutsbesitzer binnen zwei Wochen die Beschwerde an den Regierungspräsidenten zu, bei dessen Bescheide es verbleibt. Ter Gutsvorsteher wird vor seinem Amtsantritte von dem Laudrate vereidigt. H 98. Unterläßt der Besitzer des Gutes in den im § 96 ange­ gebenen Füllen oder wenn ihm die Bestätigung als Gutsvorstcher verjagt worden ist, die Bestellung eines Stellvertreters, oder befindet er sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte, oder ist er in Konkurs verfallen, so steht dem Landrate unter Zustimmung des Kreisausschusses die Bestellung des Stellvertreters auf Kosten des Besitzers zu.

§ 99. Ueber die Festsetzung der dem stellvertretenden Gutsvorsteher in den Füllen des § 98 zu gewährenden Vergütung beschließt der KreiSausschuß. Vierter Titel.

Verbindung nachbarlich belesener Gemeinde» und selb: ständiger Gutsbezirke zur gemeinsamen Wahrnehmung kommunaler Augelegenhriten. § 100. Landgemeinden und Gutsbezirke können mit nachbarlich belegenen Landgemeinden oder Gutsdezirkcn zur Wahrnehmung einzelner

2. Landgemeindeordnung für die Provinz Hessen-Nassau.

§§ 96—104.

785

kommunaler Angelegenheiten durch Beschluß des KreiSausschufses verbunden werden, wenn die Beteiligten damit einverstanden sind. Wenn ein Einverständnis der Beteiligten nicht zu erzielen ist, kann, sofern das öffentliche Interesse dies erheischt, die Bildung eines solchen Verbandes durch den Oberpräsidenten erfolgen, nachdem die Zustimmung der Beteiligten im Beschlußversahren durch den Kreisausschuß ersetzt worden ist. Vorstehende Bestimmungen finden aus die Fälle der Veränderung der Verbände in ihrer Zusammensetzung sowie ihrer Auflösung sinngemäß Anwendung.

§ 101. Bei der Bildung dieser Verbände ist auf die sonst be­ stehenden Verbände (Bürgermeistereibezirke, Kirchspiele, Schul-, Wegebau-, Armenverbünde usw.) tunlichst Rücksicht zu nehmen. Es können diesen Verbänden auf ihren Antrag mit Königlicher Ge­ nehmigung die Rechte öffentlicher Körperschaften beigelegt werden. § 102. Ueber die infolge einer solchen Verbindung oder infolge einer Aenderung der Zusammensetzung oder einer Auflösung der Verbände notwendig werdende Regelung der Verhältnisse zwischen den Beteiligten beschließt der Kreisausschuß vorbehaltlich der ihnen gegeneinander zu­ stehenden Klage im Verwaltungsstreitversahren. Bei dieser Regelung sind erforderlichenfalls Bestimmungen zur Aus­ gleichung der öffentlich-rechtlichen Interessen der Verbandsmitglieder zu treffen. Insbesondere können einzelne Gemeinden oder Gutsbezirke zu Vor­ ausleistungen verpflichtet werden, wenn diejenigen, mit welchen sie verbunden werden sollen, für gewisse Verbandszwecke bereits vor der Verbindung für sich allein in genügender Weise Fürsorge getroffen haben oder aus anderen Gründen nur einen geringeren Vorteil von der Verbindung haben. § 103. Die nach Maßgabe des § 100 gebildeten Verbände sind berechtigt, die Ausführung der in ihrem gemeinsamen Jntereffe liegenden Maßnahmen und Veranstaltungen aus gemeinsame Kosten zu beschließen. Sie bilden in den Füllen, wo die Fürsorge für die öffentliche Armenpflege von ihnen übernommen oder ihnen auferlegt wird, Gesamtarmenverbände im Sinne des § 12 des Gesetzes vom 8. März 1871 (Gesetz-Sammt. S. 130). Auf die bereits bestehenden Gesamtarmenverbände finden die Bestimmungen dieses Titels fortan sinngemäß Anwendung. Im übrigen werden die Rechtsverhältnisse der Verbände durch ein Statut geregelt, welches von den Beteiligten im Wege freier Vereinbarung sestzustellen ist und der Bestätigung des Kreisausschusses unterliegt. § 104. Das Statut muß enthalten: 1. die Bezeichnung derjenigen Gemeinden und selbständigen Gutsbezirke, welche den Verband bilden, 2. die Bezeichnung der

von dem Verbände wahrzunehmenden Ange­ legenheiten, 3. die Benennung des Verbandes und die Angabe des Ortes, wo deffen Verwaltung geführt wird, klier-Somlo, BerwaltungSgesetze für Preuße«.

M

786

IX. Truppe: Kommunalrechl.

B. Landgemeinderecht.

4. die Festsetzung der Art und Weise, in welcher über die gemeinsaineil Angelegenheiten des Verbandes Beschluß gefaßt wird, 5. eine Bestimmung über die Wahl oder die sonstige Art der Berufung des Verbandsvorstehers, sowie über die Vertretung des Verbandes nach Außen, 6. die Bestimmung des Maßstabes für die Verteilung der Beiträge zu den gemeinsamen Ausgaben auf die Verbandsmitglieder. Das Statut ist durch das Regierungsamtsblatt und das Kreisblatt (8 79 Abs. 2 Nr. 3) zur öffentlichen Kenntnis zu bringen. Dem Ver­ bände bleibt die Bekanntmachung des Statuts auf noch anderem Wege überlassen.

5 105. Verbandsvorsteher können nur solche Personen sein, bei welchen die Voraussetzungen zur Uebernahme des Amtes als Bürgermeister oder Gutsvorsteher vorliegen. Vertreter einer Gemeinde können nur die zur Uebernahme des Amtes als Gemeindeverordneter in der Gemeinde befähigten Personen sein. Selbständige Gutsbezirke werden durch den Besitzer des Gutes, im Falle der §§ 96 Nr. 1 bis 3 und 98 durch dessen Stellvertreter vertreten. 8 106. Die Wahl des Verbandsvorstehers bedarf, wenn der Ge­ wählte nicht zugleich Bürgermeister oder Gutsvorsteher ist, der Bestätigung durch den Landrat nach Maßgabe des § 55. Wird gegen die Gültigkeit der Wahl eines Verbandsvorstehers, welcher nach der vorstehenden Bestimmung einer besonderen Bestätigung nicht be­ darf, Einspruch erhoben, so entscheidet hierüber die Versammlung der VerbandSmitglieder. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungs­ streitverfahren statt. 8 107. Den einzelnen Gemeinden bleibt die Aufbringung ihrer Anteile an den gemeinsamen Ausgaben nach Maßgabe ihrer Verfassung überlasten. K 108. Auf Einsprüche, betreffend: 1. das Recht zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtungen und An­ stalten des Verbandes, 2. die Heranziehung der einzelnen Gemeinden und selbständigen Guts­ bezirke zu den Beiträgen für Verbandszwecke, beschließt der Verbandvorsteher. Die Rechtsmittel und das Verfahren regeln sich nach 8 8 dieses Gesetzes und den 8§ 69 und 70 des Kommunal­ abgabengesetzes vom 14. Juli 1893.

8 109. Kommt ein Statut durch freie Vereinbarung der Be­ teiligten nicht zustande, so ist es nach Anhörung der letzteren durch den Kreisausschuß festzusetzen. Hierbei gelten folgende Grundsätze: Der Verband wird in seinen Angelegenheiten durch den Verbandsausschuß und den Verbandsvorsteher vertreten. Der letztere ist die aus­ führende Behörde. Der Verband-ausschuß, welcher über alle Angelegenheiten des Ver­ bandes zu beschließen hat, besteht aus Vertretern sämtlicher zu dem Ver-

2. Landgrmeindeordnung für die Provinz Hrffen-Nanau.

§§ 104—110.

787

bände gehörigen Gemeinden und Gutsbezirke. Jede Gemeinde und jeder Gutsbezirk ist wenigstens durch einen Abgeordneten zu vertreten. Die Vertretung der Landgemeinden in dem Verbandsausschusse ersolgt durch den Bürgermeister, den Beigeordneten, die Schöffen und, wenn deren Zahl nicht ausreichen sollte, durch andere von der Gemeindeversammlung «Gemeindevertretung) zu wählende Abgeordnete. Die Zahl der von jeder Gemeinde zu entsendenden Vertreter, sowie der jedem Gutsbezirke einzuräumenden Stimmen bemißt sich nach dem Gesamtbeträge der zu dem Zeitpunkte der Feststellung de8 Statutes in den Gemeindebezirken und von den Gutsbesitzern zu entrichtenden direkten Staats­ steuern unter Mitberücksichtigung der vom Staate veranlagten Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer, sowie der gemäß § 36 Abs. 2 des Kom munalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 zu ermittelnden Einkommen­ steuersätze der in § 33 unter Nr. 2, 3 und 4 a. a. O. bezeichneten, der Gemeindeeinkommensteuerpflicht in den bezüglichen Gemeinden unterliegenden Personengesamtheiten, juristischen und natürlichen Personen. Wenn hiernach einem Gutsbesitzer oder den Vertretern einer Gemeinde mehr als die Hälfte der Stimmen in deni Verbandsausschusse zusteht, so können die andern dem Verbände angehörenden Gutsbesitzer oder Gemeinden gegen einen mit ihrer oder ihrer Vertreter Abstimmung im Widerspruche stehenden Beschluß des Verbandsausschusses die Entscheidung des Kreisaus­ schusses anrufen, welcher alsdann endgültig beschließt. Die Berufung des Verbandsvorstehers ist entweder in der Weise zu regeln, daß der Verbandsausschuß aus seiner Mitte den Verbandsvorsteher und einen Stellvertreter für ihn auf die Dauer von acht Jahren wählt, oder in der Weise, daß einer der beteiligten Bürgermeister und Guts­ vorsteher oder dessen gesetzlicher Vertreter zum Verbandsvorsteher und ein anderes bestimmt zu bezeichnendes Mitglied des Verbandsausschusses zum Stellvertreter für ihn von Amts wegen bestellt wird. Für die Wahl des Vcrbandsvorstehers und seines Stellvertreters gelten die Vorschriften über die Wahl des Bürgermeisters (§§ 47 ff.) mit der Maßgabe hinsichtlich des § 48, daß der Verbandsausschuß aus seiner Mitte einen Wahlvorsteher wählt und von der Wahl von zwei Beisitzern Abstand nehmen kann. Die Verteilung der gemeinsamen Ausgaben erfolgt, sofern nicht ein anderer Maßstab auf Grund des § 102 festgesetzt ist oder sich nach den örtlichen Verhältnissen oder hergebrachter Gewohnheit als angemessen ergibt, nach den im zweiten Satze des ersten Absatzes des § 59 des Kommunal­ abgabengesetzes vom 14. Juli 1893 für die Verteilung der Gemeindeab­ gaben vorgeschriebenen Grundsätzen.

§ 110. Die Bestimmungen der §§ 100 bis 109 finden auf die Verbindung von Landgemeinden oder Gutsbezirken mit Stadtgemeinden sinngemäß Anwendung mit der Maßgabe, daß an die Stelle des KreisausschuffeS der Bezirksausschuß, an die Stelle deS Landrats der Regierungs­ präsident tritt, und daß die Vertretung der Stadtgemeinden in den VerbandSausschüffen durch den Bürgermeister, den Beigeordneten, sonstige Magistratsmitglieder und erforderlichenfalls durch andere von der Stadt­ verordnetenversammlung zu wählende Abgeordnete erfolgt.

788

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Fünfter Titel.

AuMcht deA Stnates.

K 111. Die Aufsicht des Staates über die Verwaltung der An­ gelegenheiten der Landgemeinden, Gutsbezirke und Gemeindeverbände (vierter Titel) wird unbeschadet der gesetzlich geordneten Mitwirkung des KreiSauSschufseS und des Bezirksausschusses in erster Instanz von dem Landrate als Vorsitzenden des KreisausschusseS, in höherer und letzter Instanz von dem Regierungspräsidenten geübt. Beschwerden bei den Aufsichtsbehörden in den vorbezeichneten An­ gelegenheiten sind in allen Instanzen innerhalb zwei Wochen anzubringen.

§ 112. Beschlüsse des Gemeinderates, der Gemeindeversammlung, der Gemeindevertretung oder der Gemeindeverbände (vierter Titel), welche deren Befugnisie überschreiten oder die Gesetze verletzen, hat der Bürger­ meister, der Gemeinderat, der Verbandsvorsteher, entstehendenfallS auf An­ weisung der Aufsichtsbehörde, mit aufschiebender Wirkung unter Angabe der Gründe zu beanstanden. Gegen die Verfügung des Bürgermeisters, des Gemeinderates, des Derbandsvorstehers steht dem Gemeinderate, der Gemeindeversammlung, der Gemeidevertretung, der Versammlung der Ver­ bandsmitglieder die Klage im Verwaltungsstreitverfahren zu. Die Aufsichtsbehörde ist nicht befugt, aus anderen als den vorstehend angegebenen Gründen eine Beanstandung von Beschlüssen des Gemeinderates, der Gemeindeversammlung, der Gemeindevertretung oder des Gemeinde­ verbandes herbeizuführen.

§ 113. Unterläßt oder verweigert eine Landgemeinde, ein Guts­ bezirk oder ein Gemeindeverband (vierter Titel) die ihnen gesetzlich ob­ liegenden, von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit fest­ gestellten Leistungen auf den Voranschlag zu bringen oder außerordentlich zu genehmigen, so verfügt der Landrat unter Anführung der Gründe die Eintragung in den Voranschlag oder die Feststellung der außerordentlichen Ausgabe. Der Gemeinde, dem Besitzer des Gutes, dem Verbände steht gegen die Verfügung des Landrats die Klage bei dem Bezirksausschüsse zu. K 114. Durch Königliche Verordnung kann eine Gemeindevertretung aufgelöst werden. Es ist sodann binnen sechs Wochen, vom Tage der Auflösungsverordnung ab gerechnet, eine Neuwahl anzuordnen. Bis zur Einführung der neugewählten Gemeindeverordneten beschließt an Stelle der Gemeindevertretung der Kreisausschuß. § 115. Bezüglich der Dienstvergehen der Bürgermeister, der Bei­ geordneten, der Schöffen, der Gutsvorsteher und der Verbandsvorsteher, sowie der sonstigen Beamten der Landgemeinden, Gutsbezirke und Gemeindeverbände kommen die Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Juli 1852 (Gesetz-Samml. S. 463) mit folgenden Maßgaben zur Anwendung: 1. Die Befugnis, gegen diese Beamten Ordnungsstrafen zu verhängen, steht dem Landrate und im Umfange des den Provinzialbehörden bei­ gelegten Ordnungsstrafrechts dem Regierungspräsidenten zu.

2. ßanbgtmtinbtorbnung für bie Provinz Hessen-Nassau.

§§ 111—119.

789

Gegen die Strafverfügungen des Landrats findet innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Regierungspräsidenten, gegen die Straf­ verfügungen des Regierungspräsidenten innerhalb gleicher Frist die Beschwerde an den Oberpräfideuten statt. 2. Gegen den auf die Beschwerde in den Fällen zu 1 in letzter Instanz ergehenden Beschluß des Regierungspräsidenten oder des Oberpräsidenten findet die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte statt. 3. In dem Verfahren auf Entfernung auS dem Amte wird von dem Landrate oder dem Regierungspräsidenten die Einleitung des Ver­ fahrens verfügt und der Untersuchungskommifsar und der Vertreter der Staatsanwaltschaft ernannt. Als entscheidende Disziplinarbehörde erster Instanz tritt an die Stelle der Bezirksregierung der Kreis­ ausschuß; an die Stelle des Staatsministeriums tritt das Ober­ verwaltungsgericht. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei dem Oberverwaltungsgerichte wird von dem Minister des Innern ernannt. In dem vorstehend zu 3 vorgesehenen Verfahren ist entstehendenfalls auch über die Tatsache der Dienstunfähigkeit der Gemeindebeamten Entscheidung zu treffen.

§ 116. Zuständig in erster Instanz ist im Verwaltungsstreit­ verfahren für die in diesem Gesetze vorgesehenen Fälle, sofern nicht im einzelnen ein anderes bestimmt ist, der Kreisausschuß. Die Frist zur Anstellung der Klage beträgt in allen Fällen zwei Wochen. Die Gemeindeversammlung, die Gemeindevertretung, der Gemeinde vorstand und der Gemeindeverband (vierter Titel) können zur Wahr­ nehmung ihrer Rechte im Derwaltungsstreitverfahren einen besonderen Ver­ treter bestellen. § 117. Auf Gemeindeverbünde, denen eine Stadtgemeinde angehört (§ 110), finden an Stelle der §§ 111, 112, 113, 115, 116 die Vorschriften der §§ 87, 88, 89, 91, 92 der Städteordnung für die Provinz Heffen-Nassau sinngemäß Anwendung. Sechster Titel.

AitMhruirgs-, Nebergarrgs- und Schlutzbestimmungen. § 118. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1898 in Kraft. Mit diesem Zeitpunkt treten alle entgegenstehenden Bestimmungen, auch die Bestimmungen im fünften Titel des Gesetzes über die Zuständig­ keit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 (Gesetz-Samml. S. 237) und in den §§ 34 bis 40 der Kreis­ ordnung für die Provinz Heffen-Naffau, außer Kraft. Rechte und Pflichten, welche auf besonderen Titeln des öffentlichen Rechts beruhen, bleiben insoweit in Kraft, als diese Titel von den bis­ herigen allgemeinen und besonderen gesetzlichen Vorschriften, Ordnungen, Gewohnheitsrechten und Observanzen abweichende Bestimmungen enthalten. Eine solche Abweichung wird nicht vermutet-

§ 119. Die bei Verkündung dieses Gesetzes bestehenden, von ihm abweichenden Ortsstatuten, allgemeinen Gewohnheitsrechte und Observanzen

790

IX. Gruppe. Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

bleiben, soweit dies Gesetz ortsstatutarische Regelung zuläßt, unbeschadet der Bestimmung deS § 96 Absatz 4 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893, einstweilen, längstens auf drei Jahre, in Kraft. Dies gilt auch bezüglich der auf Grund des 8 8 der Gemeinde­ ordnung für die Städte und Landgemeinden Kurhesiens vom 23. Oktober 1834 gebildeten Bürgermeistereibezirke, abgesehen von ihrem Fortbestehen als gemeinschaftliche Ortspolizeibezirke (§ 64).

§ 120. Soweit Lehranstalten einschließlich der Volksschule die Eigenschaft von Gemeindeanstalten beiwohnt, kommen in deren Ansehung die Bestimmungen dieses Gesetzes nur unter den Einschränkungen in An­ wendung, die sich aus den für die Anstalten geltenden besonderen Rechts­ normen ergeben. Dies findet sinnentsprechende Anwendung auf den Wegbau und andere Veranstaltungen der Gemeinden, über welche besondere Gesetze erlassen sind. § 121. Die erforderlichen Wahlen von Gemeindeverordneten und Abgeordneten zur Gemeindeversammlung (§ 19 Nr. 1) sind nach Maß­ gabe dieses Gesetzes schon vor dessen Inkrafttreten vorzubereiten und int Mürz 1898 zu vollziehen. § 122. Die bei der Veröffentlichung dieses Gesetzes im Amte befindlichen Mitglieder der seitherigen Gemeindevertretungen und Gemeinde­ vorstände (§ 38 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883) bleiben, abgesehen von den Bürgermeistern, Schultheißen und Gemeindevorstehern, bis zur Ein­ führung der nach Maßgabe dieses Gesetzes gewählten Gemeindeverordneten und bis zum Amtsantritte der gewählten Schöffen in Tätigkeit und nehmen deren Obliegenheiten wahr. Die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes im Amte befindlichen Bürgermeister (Schultheiß?, Gemeindevorsteher) bleiben bis zum Ablaufe ihrer Wahlperiode, die Gemeinderechner und sonstigen besoldeten Gemeinde­ beamten nach Maßgabe ihrer Anstellungsbedingungen im Amte.

§ 123. Der Minister des Innern ist mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt.

3. ßanbgemeinbtorbnung für bie Provinz Schleswig-Holstein. §§ 1, 2.

791

3. £anbgemciniieoriinung für die Prodi«; LGeSioigDIftei«. Vom 4. Z«li 1892. lGefetz-Samml. S. 155)

Erster Titel.

Allgemeine Bestimmungen. § 1. Die gegenwärtige Landgemeindeordnung findet in der Provinz Schleswig-Holstein hinsichtlich der Landgemeinden und selbständigen Guts­ bezirke Anwendung. Landgemeinden kann die Annahme der Stüdteordnung und Stadt­ gemeinden die Annahme der Landgemeindeordnung auf ihren Antrag nach Anhörung des Kreistages und Provinziallandtages durch Königliche Verordnung gestattet werden.

§ 2. Die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes vorhandenen Landgemeinden und Gutsbezirke bleiben in ihrer bisherigen Begrenzung unter den nachfolgenden Maßgaben bestehen: 1. Grundstücke, welche noch keinem Gemeinde- oder Gutsbezirke angehören, sind, sofern nicht ihre Eingemeindung in einen Stadtbezirk geeignet erscheint, nach Vernehmung der Beteiligten durch Beschluß des Kreisausschusses mit einer Landgemeinde oder einem Gutsbezirke zu ver­ einigen. Aus solchen Grundstücken kann, soweit dies nach ihrem Um­ fange und ihrer Leistungsfähigkeit angezeigt erscheint, mit Königlicher Genehmigung ein besonderer Gemeinde- und Gutsbezirk gebildet werden. -. Landgemeinden und Gutsbezirke, welche ihre öffentlich-rechtlichen Ver­ pflichtungen zu erfüllen außerstande sind, können durch Königliche Anordnung aufgelöst werden. Die Regelung der kommunalen Ver­ hältnisse der Grundstücke derselben erfolgt nach Maßgabe der Vor­ schriften in Nr. 1. 3. Landgemeinden und Gutsbezirke können mit anderen Gemeinde- oder Gutsbezirken nach Anhörung der beteiligten Gemeinden und Guts­ besitzer, sowie des Kreisausschnsses mit Königlicher Genehmigung ver­ einigt werden, wenn die Beteiligten hiermit einverstanden sind. Wenn ein Einverständnis der Beteiligten nicht zu erzielen ist, so ist die Zustimmung derselben, sofern das öffentliche Interesse dies erheischt, im Beschlußverfahren durch den Kreisausschuß zu ersetzen. Gegen den auf Beschwerde ergehenden Beschluß des Bezirksausschusses steht den Beteiligten und nach Maßgabe des § 123 des Gesetzes über die all­ gemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (Gesetz-Samml. S. 195) ') Kommentare: Haase, Die GemeinbeverfassungSgesetze für bie Provinz SchleswigHolstein, 2. Auflage, Berlin 1893 (ErgänzungS-Banb zu von Brauchitsch, Die neuen preußischen Verwaltungögesetze; Sch ei ff. Die Lanbgemeinbeorbnung für SchleswigHolstein. Schleswig 1906; Gerstmeyer, beSgl., Berlin 1905.

792

IX. Gruppe: Kommunalrecht. B. Landgemeinderecht.

dem Vorsitzenden deS Bezirksausschusses die weitere Beschwerde an den Provinzialrat zu. Erachtet der Oberpräsident das öffentliche Interesse durch den Beschluß deS Provinzialrats für gefährdet, so steht dem­ selben in der gleichen Weise (§ 123 a. a. O.) die Beschwerde an das Staatsministerium offen. Der mit Gründen zu versehende Beschluß deS Staatsministeriums ist dem Oberpräsidenten behufs Zustellung an die Beteiligten zuzusertigen. Unter den gleichen Voraussetzungen und in der gleichen Weise können Gutsbezirke in Landgemeinden unb Landgemeinden in Gutsbezirke durch Königlichen Erlaß umgewandelt werden. Wird eine leistungsunfähige Gemeinde einem leistungsfähigen Gutsbezirk zugelegt, so bleibt letzterer als solcher bestehen, sofern der Gutsbesitzer dies beantragt. 4. Die Abtrennung einzelner Teile von einem Gemeinde- oder Guts­ bezirke und deren Vereinigung mit einem anderen Gemeinde- oder Gutsbezirke kann, wenn die beteiligten Gemeinden und Gutsbesitzer sowie die Besitzer der betreffenden Grundstücke einwilligen, oder wenn beim Widerspruche Beteiligter das öffentliche Interesse es erheischt, durch Beschluß des KreiSausschusses erfolgen. Gegen den auf Be­ schwerde ergehenden Beschluß des Bezirksausschusses steht den Beteiligten und dem Vorsitzenden des Bezirksausschusses die weitere Beschwerde an den Provinzialrat und gegen den Beschluß des Provinzialrats dem Oberpräsidenten die fernere Beschwerde an das Staatsministerium nach Maßgabe der Nr. 3 offen. Soll aus den abgetrennten Grund­ stücken ein neuer Gemeinde- oder Gutsbezirk gebildet werden, so ist die Königliche Genehmigung erforderlich. 5. Ein öffentliches Interesse im Sinne der Nr. 3 und 4 ist nur dann als vorliegend anzusehen, a) wenn Landgemeinden oder Gutsbezirke ihre öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen außerstande sind. Bei Beurteilung dieser Frage sind Zuwendungen, welche Gemeinden und Gutsbezirken vom Staate oder größeren Kommunal­ verbänden zustehen, nicht als bestimmend zu erachten, b) wenn die Zersplitterung eines Gutsbezirks oder die Bildung von Kolonien in einem Gutsbezirke die Abtrennung einzelner Teile desselben oder dessen Umwandlung in eine Landgemeinde oder dessen Zuschlagung zu einer oder mehreren Landgemeinden not­ wendig macht, c) wenn infolge örtlich verbundener Lage mehrerer Landgemeinden oder von Gutsbezirken oder Teilen derselben mit Landgemeinden ein erheblicher Widerstreit der kommunalen Interessen entstanden ist, deffen Ausgleichung auch durch Bildung von Verbänden im Sinne der §§ 128 ff. nicht zu erreichen ist. 6. Die vorstehenden Bestimmungen finden in den Füllen, in welchen cs sich um die Vereinigung einer Landgemeinde oder eines Gutsbezirks mit einer Stadtgemeinde, um die Abtrennung einzelner Teile von einem Stadtbezirke und deren Vereinigung mit einem Landgemeinde­ oder Gutsbezirke, sowie um die Abtrennung einzelner Teile von einem

3. Landgrmeindrordnung für die Provinz Schleswig-Holstein. 88 2—4.

793

Landgemeinde- oder Gutsbezirke und deren Vereinigung mit einem Stadtbezirke handelt, sinngemäße Anwendung mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Beschlußfassung des Kreisausschusses nach erfordertem Gutachten des Kreistages die Beschlußfassung deS Bezirksausschusses tritt. 7. In den vorstehend bezeichneten, der Königlichen Genehmigung unter­ liegenden Fällen ist vor deren Erwirkung der Beschluß des Kreis­ ausschusses, des Bezirksausschusses oder des Provinzialrats, sowie das Gutachten deS Kreistages den Beteiligten mitzuteilen. 8. Jede Bezirksveränderung ist durch das Regierungsamtsblatt zu ver­ öffentlichen. § 3. Ueber die infolge einer Veränderung der Grenzen der Land­ gemeinden und Gutsbezirke notwendig werdende Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten beschließt der Kreisausschuß, soweit aber hierbei Stadt­ gemeinden in Betracht kommen, der Bezirksausschuß, vorbehaltlich der den Beteiligten gegeneinander zustehenden Klage im Verwaltungsstreitverfahren bei diesen Behörden. Bei dieser Auseinandersetzung sind erforderlichenfalls Bestimmungen zur Ausgleichung der öffentlich-rechtlichen Interessen der Beteiligten zu treffen. Insbesondere können einzelne Beteiligte im Verhältnis zu anderen Beteiligten, welche für gewisse kommunale Zwecke bereits vor der Ver­ einigung für sich allein Fürsorge getroffen haben, oder solche Beteiligte, welche vorwiegend Lasten in die neue Gemeinschaft bringen, zu Voraus­ leistungen verpflichtet werden. Auch kann, wenn eine Gemeinde oder der Besitzer eines Gutsbezirks durch die Abtrennung von Grundstücken eine Erleichterung in öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen erfährt, der Gemeinde, welcher, oder dem Gutsbezirke, welchem jene Grundstücke einverleibt werden, ferner der neuen Gemeinde oder dem neuen Gutsbezirk, welche aus letzterem gebildet werden, eine Beihilse zu den ihnen durch die Bezirksveränderung erwachsenden Ausgaben bis zur Höhe des der anderen Gemeinde oder dem Gutsbesitzer dadurch entstehenden Vorteils zugebilligt werden. Im Falle der Vereinigung von Gemeinden geht das Vermögen derselben auf die neugebildete Gemeinde über.

§ 4. Streitigkeiten über die bestehenden Grenzen der Gemeindeund Gutsbezirke, sowie über die Eigenschaft einer Ortschaft als Land­ gemeinde, oder eines Gutes als selbständigen Gutsbezirk unterliegen der Entscheidung des KreisauSschusseS, soweit hierbei Stadtgemeinden in Betracht kommen, des Bezirksausschusses. Diese Behörden beschließen vorläufig über die im ersten Absätze bezeichneten Angelegenheiten, sofern das öffentliche Interesse eS erheischt. Bei dein Beschlusse behält es bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Ver­ waltungsstreitverfahren sein Bewenden.

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht

Zweiter Titel. Landgemeinde«.

Erster Abschnitt.

Rechtliche Stellung der Landgemeinden. § 5. Landgemeinden sind öffentliche Körperschaften; es steht ihnen das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu.

§ 6. Die Landgemeinden sind zum Erlasse besonderer statutarischer Anordnungen über solche Angelegenheiten der Gemeinde, hinsichtlich deren das Gesetz Verschiedenheiten gestattet oder auf ortsstatutarische Regelung verweist, sowie über solche Angelegenheiten, deren Gegenstand nicht durch Gesetz geregelt ist, befugt. Die statutarischen Anordnungen bedürfen der Genehmigung des KreisauSschuffes. Zweiter Abschnitt.

Gemeindeangehörige, deren Rechte und Pflichten. § 7. Angehörige der Landgemeinde sind mit Ausnahme der n icht angesessenen servisberechtigten Militärpersonen des aktiven Dienststandcs diejenigen, welche innerhalb des Gemeindebezirks einen Wohnsitz haben. Einen Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes hat jemand an einem Orte, an welchem er eine Wohnung unter Umständen inne hat, die aus die Absicht dauernder Beibehaltung einer solchen schließen lassen.

§ 8. Die Gemeindeangehörigen sind zur Mitbenutzung der öffent­ lichen Einrichtungen und Anstalten der Gemeinde nach Maßgabe der für dieselben bestehenden Bestimmungen berechtigt und zur Teilnahme an den Gemeindeabgaben und Lasten nach dem Vorschriften dieses Gesetzes verpflichtet. § 9. Auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend das Recht der Mitbenutzung der öffentlichen Gemeindeanstaltcn, beschließt der Gemeinde­ vorsteher (Gemeindevorstand). Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahrcn statt. Die Beschwerden und die Einsprüche sowie die Klage haben keine aufschiebende Wirkung?) § 28. Besitzer selbständiger Güter, welche für ursprünglich bäuerliche, zu ihren Gütern eingezogene, der örtlichen Lage nach aber gegenwärtig nicht mehr erkennbare Grundstücke (wüste Hufen) der Gemeindeabgabepflicht in einer Landgemeinde unterliegen, haben die von ihnen bisher entrichteten Gemeindeabgaben und Lasten in dem Betrage, wie derselbe sich in dem Durchschnitte der letzten fünf Jahre vor dein Inkrafttreten des gegen­ wärtigen Gesetzes unter Weglassung des höchsten und des niedrigsten Jahres­ betrages berechnet, entweder fortzuleisten oder durch Zahlung des zwanzig­ fachen JahreSwerteS dieses Betrages abzulösen. Im Fall des Streits ist zum Zweck einer billigen Ausgleichung wie im 8 3 zu verfahre». *) Zu §§ 10 bi« 27 vgl. KAG., da« diese Bestimmungen ersetzt bat.

3. Landgemeindrordnung für di« Provinz ZchleSwig-Holstein. §§ 5—39.

795

§ 29.') Tie Geistlichen und Volksschullehrer bleiben bezüglich ihres Diensteinkommens, einschließlich des Ruhegehaltes, von den direkten per­ sönlichen Gemeindeabgaben, sowie von allen persönlichen Gemeindediensten, soweit dieselben nicht aus ihnen gehörigen Grundstücken lasten, befreit, Kirchendiener nur insoweit, als ihnen solche Befreiungen bisher zuge­ standen haben. § 36.*) Die baren Gemeindeabgaben und die Gebühren unterliegen im Falle nicht rechtzeitiger Entrichtung der Beitreibung im Verwaltungs­ zwangsverfahren gemäß der Verordnung vom 15. November 1899 (GesetzSamml. S. 545). Wo Naturaldienste zu leisten sind, ist der Gemeindevorsteher bei Säumnis der Pflichtigen befugt, die Dienste durch Dritte leisten und die entstehenden Kosten von den ersteren im Verwaltungszwangsverfahren bei­ treiben zu lassen. § 37. Beschwerden und Einsprüche gegen die Heranziehung oder die Veranlagung zu den direkten Gemeindeabgaben sind innerhalb drei Monaten, vom Tage der Bekanntmachung der zur Erhebung gelangenden Zuschlagsprozentsätze, der Benachrichtigung über den zu entrichtenden Abgabebetrag oder der beendeten Auslegung der Hebeliste (§ 34) ab gerechnet, und Ansprüche auf Zurückzahlung zuviel erhobener indirekter Gemeinde­ abgaben sind binnen Jahresfrist, vom Tage der Versteuerung ab gerechnet, bei dem Gemeindevorsteher anzubringen. Bezüglich der Nachforderung von Gemeindeabgaben und der Ver­ jährung der Rückstände finden die hinsichtlich der Staatssteuern geltenden Bestimmungen sinngemäße Anwendung. § 38. Auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend die Heranziehung oder die Veranlagung zu den Gemeindelasten, beschließt der Gemeindevorsteher. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt. Der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren unterliegen desgleichen Streitigkeiten zwischen Beteiligten über ihre in dem öffentlichen Rechte begründete Verpflichtung zu den Gemcindelasten. Einsprüche gegen die Höhe von Gemeindezuschlägen zu den direkten Staatssteuern, welche sich gegen den Prinzipalsatz der letzteren richten, sind unzulässig. Die Ermäßigung des Prinzipalsatzes (§ 34 la) hat die Er­ mäßigung der Gemeindezuschlüge von selbst zur Folge. Die Beschwerden und die Einsprüche, sowie die Klage haben keine ausschiebende Wirkung. Dritter Abschnitt.

Gemeindeglieder, deren Rechte und pflichten. § 39. Gemeindeglieder sind das Gemeinderecht zusteht.

alle Gemeindeangehörigen,

welchen

88 30—35 find ersetzt durch das KAG. ’) 88 36—38 find nach Erlaß des KAG. nur in Kraft geblieben, insoweit § 73 der LGO. in Ansehung der Einkaufsgelder und anderer daselst aufgeführten Abgaben auf sie Bezug nimmt.

796

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Land gemein bericht.

Eine Liste der Gemeindeglieder, welche deren nach § 41 erforderliche Eigenschaften nachweist, und der sonstigen Stimmberechtigten (§ 45) wird von dem Gemeindevorsteher geführt und alljährlich im Monate Januar berichtigt.

8 40. DaS Gemeinderecht umfaßt: 1. Das Recht zur Teilnahme an dem Stimmrechte in der Gemeinde­ versammlung oder, wo die letztere durch eine gewählte Gemeinde­ vertretung ersetzt ist, zur Teilnahme an den Gemeindewahlen, 2. das Recht zur Bekleidung unbesoldeter Aemter in der Verwaltung und Vertretung der Gemeinde. 8 41. Das Gemeinderecht steht jedem selbständigen Gemeinde­ angehörigen zu, welcher 1. Angehöriger des Deutschen Reiches ist und 2. die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt, 3. seit einem Jahre in dem Gemeindebezirke feinen Wohnsitz hat, 4. keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfängt, 5. die auf ihn fallenden Gemeindeabgaben gezahlt hat und außerdem 6. entweder a) ein Wohnhaus in dem Gemeindebezirke besitzt, oder b) von seinem gesamten innerhalb des Gemeindebezirks belegeneu Grundbesitze zu einem Jahresbetrag von mindestens 3 Mark an Grund- und Gebäudesteuer vom Staate veranlagt, oder c) zur Staatseinkommensteuer veranlagt ist oder zu den Gemeinde abgaben nach einem Jahreseinkommen von mehr als 600 Mark in Gemäßheit deS § 38 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 herangezogen wird. Steht ein Wohnhaus im (geteilten oder ungeteilten) Miteigentum mehrerer, so kann das Gemeinderecht auf Grund dieses Besitzes nur von einem derselben ausgeübt werden. Falls die Miteigentümer sich über die Person des Berechtigten nicht einigen können, ist derjenige, welcher den größten Anteil besitzt, befugt, das Gemeinderecht auszuüben; bei gleichen Anteilen bestimmt sich die Person des Berechtigten durch das Los, welches durch die Hand des Ge­ meindevorstehers gezogen wird. Steuerzahlungen und Grundbesitz der Ehefrau werden dem Ehemanne, Steuerzahlungen und Grundbesitz der in väterlicher Gewalt befindlichen Kinder werden dem Vater angerechnet. In den Fällen, wo ein Wohnhaus durch Vererbung auf einen anderen übergeht, kommt dem Erben bei Be rechnung der Dauer des einjährigen Wohnsitzes die Besitzzeit des Erblassers zugute. Die Uebertragung unter den Lebenden an Verwandte in absteigender Linie steht der Vererbung gleich. Als selbständig wird nach vollendetem 24. Lebensjahre ein jeder betrachtet, welcher einen eigenen Hausstand hat, sofern ihm nicht das Ver­ fügungsrecht über die Verwaltung seines Vermögens durch richterlichen Beschluß entzogen ist. Inwiefern über die Erlangung des Gemeinderechts von dem Gemeinde­ vorsteher eine Urkunde zu erteilen ist, bleibt den statutarischen Anordnungen Vorbehalten.

3. Lanbgemeindtordnung für bie Provinz Schleswig-Holstein. §§ 39—45.

797

§ 42

Verlegt ein Gemeindeglied seinen Wohnsitz in eine andere Landgemeinde, so kann ihm das Gemeinderecht, sofern im übrigen die Voraussetzungen zu dessen Erlangung vorliegen, von dem Gemeindevorsteher im Einverständnisse mit der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) schon vor Ablauf eines Jahres verliehen werden. Ein gleiches findet statt, wenn der Besitzer eines selbständigen Gutes (§ 122) seinen Wohnsitz in eine Landgemeinde verlegt.

§ 43.

Das Gemeinderecht und die unbesoldeten Gemeindeämter gehen verloren, sobald eines der im § 41 unter Nr. 1 und 6 vorgeschrie­ benen Erfordernisse nicht mehr zutrifft oder der Wohnsitz in dem Gemeinde­ bezirke aufgegeben wird. Wer durch rechtskräftiges Erkenntnis der bürgerlichen Ehrenrechte verlustig gegangen ist, verliert dadurch dauernd die bisher von ihm be­ kleideten Aemter in der Gemeindeverwaltung und der Gemeindevertretung, und für die im Urteile bestimmte Zeit daS Gemeindestimm- und Wahl­ recht, sowie die Fähigkeit, dasselbe zu erwerben und Gemeindeämter zu bekleiden. Die rechtskräftig erfolgte Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter hat den dauernden Verlust der bisher bekleideten Aemter in der Gemeindeverwaltung und Gemeindevertretung, sowie für die im Urteile bestimmte Zeit die Unfähigkeit zur Bekleidung solcher Aemter zur Folge. Die Verurteilung zur Zuchthausstrafe hat den Verlust der Gemeinde­ ämter und die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung solcher Aemter zur Folge.

K 44.

Die Ausübung des Gemeinderechts (§ 40) ruht, 1. wenn gegen ein Gemeindeglied wegen, eines Verbrechens oder eines Vergehens, welches die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zur Folge haben kann, das Hauptverfahren eröffnet, oder dasselbe zur gerichtlichen Haft gebracht ist, so lange, bis das Strafverfahren beendet ist; 2. wenn ein Gemeindeglied in Konkurs verfällt, bis zur Beendigung des Verfahrens; 3. wenn ein Gemeindeglied Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfängt, während sechs Monate nach dem Empfang der Unterstützung, sofern es nicht früher die empfangene Unterstützung erstattet; 4. weiln ein Gemeindeglied die auf dasselbe entfallenden Gemeindeabgaben nach Mahnung durch den Steuererheber nicht gezahlt hat, bis zur Entrichtung derselben. Bekleidet ein solches Gemeindeglied unbesoldete Gemeindeämter, oder ist dasselbe Abgeordneter nicht angesessener Stimmberechtigter (§ 48), so ist der Kreisausschuß berechtigt, die Wahl eines kommissarischen Vertreters anzuordnen.

5 45.

Wer, ohne im Gemeindebezirke einen Wohnsitz zu haben, in demselben seit einem Jahre ein Grundstück besitzt, welche- wenigstens den Umfang einer die Haltung von Zugvieh zur Bewirtschaftung erfordernden Ackernahrung hat, oder auf welchem sich ein Wohnhaus, eine Fabrik ober eine andere gewerbliche Anlage befindet, die dem Werte einer solchen Acker-

798

IX. Gruppe: Kommunalrech!.

B. Landgemeinderecht.

Nahrung mindestens gleichkommen, ist ebenfalls stimmberechtigt, wenn bei ihm die im 8 41 unter Nr. 1, 2, 4 und 5 bezeichneten Voraussetzungen vorhanden find. Jngleichen steht das Stimmrecht juristischen Personen, Aktiengesell­ schaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerkschaften, ein­ getragenen Genofienschaften und dem Staatsfiskus zu, sofern dieselben

Grundstücke von dem bezeichneten Umfange in dem Gemeindebezirke besitzen. Frauen und nicht selbständige Personen (§ 41 Absatz 5) sind, wenn der ihnen im Gemeindebezirke gehörige Grundbesitz zum Stimmrechte be­ fähigt, stimmberechtigt, sofern bei ihnen die im § 41 unter 1 bis 5 be­ zeichneten Voraussetzungen vorliegen.

8 46. In der Ausübung des Stimmrechtes, zu welchem der Grundbefitz befähigt, werden vertreten: 1. Minderjährige durch ihren Vater, Stiefvater, Personen, welche unter Vormundschaft oder Pflegschaft stehen, durch ihren Vormund, andere Bevormundete durch ihren Vormund oder Pfleger; steht die elter­ liche Gewalt der Mutter zu oder wird sie von dieser ausgeübt, (§§ 1684 ff. BGB.), oder ist der Vormund oder Pfleger eine Frau, so erfolgt die Vertretung durch ein Gemeindemitglied (Art. 69 8 4 Abs. 2 AussG. z. BGB); der Stiefvater ist vor dem Vormunde zur Vertretung berufen, 2. Ehefrauen durch ihren Ehemann, 3. großjährige Besitzer vor vollendetem 24. Lebensjahre, unverheiratete Besitzerinnen (abgesehen von den Fällen unter Nr. 1) und Witwen durch Gemeindeglieder, 4. juristische Personen, einschließlich des Staatsfiskus, sowie die übrigen im zweiten Absatz des 8 45 bezeichneten Personengesamtheiten durch ihre verfassungsmäßigen Organe, Repräsentanten oder Generalbevoll­ mächtigte, sowie durch Pächter oder Nießbraucher der zur Teilnahme am Stimmrechte befähigenden Grundstücke, oder durch Gemeindeglieder. Auswärts wohnende Stimmberechtigte, welche das 24. Lebensjahr zurückgelegt haben, und auswärts wohnende Vertreter Stimmberechtigter können das Stimmrecht persönlich ausüben, sind aber befugt, sich durch männliche Gemeindeglieder vertreten zu laffen.

8 47. Zur Ausübung des Stimmrechtes durch Vertreter (8 46) ist erforderlich, daß 1. der Vertreter sich im Besitze der Deutschen ReichSangehörigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte befindet, das 24. Lebensjahr zurückgelegt hat und keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfängt, sowie außerdem, daß 2. der Vater die väterliche Gewalt besitzt, 3. der Stiefvater daS zum Stimmrechte befähigende Grundstück bewirt­ schaftet. 8 48. Der Regel nach steht jedem einzelnen Stimmberechtigten eine Stimme in der Gemeindeversammlung, jedoch mit folgenden Maß­ gaben, zu:

3. Landgemeindtvrdnung für die Provinz Schleswig-Holstein §§ 45—49.

799

1. Mindestens zwei Drittel sämtlicher Stimmen müssen auf die mit Grundbesitz angesessenen Mitglieder der Gemeindeversammlung (§41, Absatz 1 unter 6 a und b) entfallen. Uebersteigt die Anzahl der nicht angesessenen Gemeindeglieder (a. a. O. unter 6 c) den dritten Teil der Gesamtzahl der Stimmen der Mitglieder der Gemeindeversammlung, so haben die ersteren ihr Stimmrecht durch eine jenem Verhältnisse entsprechende Anzahl von Abgeordneten auszuüben, welche sie aus ihrer Mitte auf die Dauer von sechs Jahren wühlen. 2. Denjenigen Besitzern, welche von ihrem im Gemeindebezirke belegenen Grundeigentume einen Jahresbetrag von 20 bis ausschließlich 50 Mark an Grund- und Gebäudesteuer entrichten, find je 2, denjenigen Be­ sitzern, welche von diesem ihrem Grundeigentume einen Jahresbetrag von 50 bis ausschließlich 100 Mark entrichten, je 3, und denjenigen Besitzern, welche 100 Mark oder mehr entrichten, je 4 Stimmen bei­ zulegen. Aus Antrag des Kreisausschusses können durch Beschluß des Provinziallandtagcs die vorstehenden Sätze erhöht oder, höchstens je­ doch um die Hälfte, ermäßigt werden; auch kann Grundbesitzern, welche die im ersten Absätze erwähnten Steuersätze entrichten, eine größere Zahl von Stimmen, jedoch nicht über 3, 4 und 5 Stimmen, beigelegt werden. Den Gewerbetreibenden der dritten Gewerbesteuerklasse sind 2 Stimmen, den Gewerbetreibenden der zweiten Gewerbesteuerklasse sind 3 Stimmen und den Gewerbetreibenden der ersten Gewerbesteuer­ klasse sind 4 Stimmen beizulegen. Für den Fall der Erhöhung der Zahl der Stimmen der Grund­ besitzer sind die im vorstehenden Absätze beigelegten Stimmen ent­ sprechend dem Schlußsatz des Absatzes 2 zu erhöhen. 3. Kein Stimmberechtigter darf in der Gemeindeversammlung mehr als ein Drittel der Gesamtzahl der Stimmen führen.

Vierter Abschnitt.

Gemeindevertretung.

K 49. In denjenigen Landgemeinden, in welchen die Zahl der Stimmberechtigten mehr als 40 beträgt, tritt mit dem Zeitpunkte, wo die Liste der Stimmberechtigten diese Zahl nachweist (§ 39 Absatz 2), an die Stelle der Gemeindeversammlung eine Gemeindevertretung. Die Landgemeinden sind berechtigt und, falls der Kreisausschuß auf Antrag Beteiligter oder im öffentlichen Interesse dies beschließt, verpflichtet, auch bei einer geringeren Anzahl von Stimmberechtigten eine Gemeinde­ vertretung im Wege ortsstalutarischer Anordnung einzuführen. Die Gemeindevertretung besteht aus dem Gemeindevorsteher, dessen Stellvertreter — wenn mehrere Stellvertreter vorhanden sind, dem ersten Stellvertreter — und gewählten Gemeindeverordneten, deren Zahl mindestens 6 betragen muß, durch Ortsstatut aber auf 9, 12, 15, 18, 21 oder höchstens 24 erhöht werden kann.

800

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

§ 50. Zum Zwecke der Wahlen der Gemeindeverordneten werden die sämtlichen Stimmberechtigten einer Landgemeinde nach Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten Steuern (Gemeinde-, Kreis-, Provinzialund Staatssteuern mit Ausschluß der Steuer für den Gewerbebetrieb im Umherziehen) in drei Klassen geteilt, und zwar in der Art, daß auf jede Klaffe ein Drittel der Gesamtfumme der Steuern fällt. Steuern, welche für Grundbesitz oder Gewerbebetrieb in einer anderen Gemeinde entrichtet werden, kommen hierbei nicht in Betracht. Niemand kann zwei Klassen zugleich angehören; in die erste oder zweite Klasse gehört auch derjenige, dessen Steuerbetrag nur teilweise in das erste oder zweite Drittel fällt. Unter mehreren einen gleichen Steuer­ betrag entrichtenden Wählern entscheidet das Lebensalter und erforder­ lichen Falles das Los darüber, wer von ihnen zu der höheren Klasse zu rechnen ist. Jede Klasse wählt aus der Zahl der Stimmberechtigten ein Drittel der Genieindeverordneten, ohne dabei an die Wähler der Klasse gebunden zu sein. Auch die nach § 46 zur Stellvertretung berechtigten Personen sind wählbar, können aber nur so lange Gemeindeverordnete sein, als die Stellvertretung dauert. § 51. Gehören zu einer Klasse mehr als 500 Wähler, so kann die Wahl nach dazu gebildeten Wahlbezirken geschehen. Die Anzahl und die Grenzen der Wahlbezirke, sowie die Anzahl der in einem jeden zu wühlenden Gemeindeverordneten werden nach Maßgabe der Zahl der Stimmberechtigten von dem Gemeindevorsteher(Gemeindevorstande) festgesetzt. Enthält eine Gemeinde mehrere Ortschaften, so kann der Kreisausschuß auf Antrag des Gemeindevorstehers lGemeindevorstandes) nach Verhältnis der Zahl der Stimmberechtigten jeder Klasse anordnen, wieviel Gemeinde­ verordnete aus jeder einzelnen Ortschaft von jeder in Betracht kommenden Klasse zu wühlen sind. Ist eine Aenderung der Anzahl oder der Grenzen der Wahlbezirke oder der Anzahl der in einem jeden derselben zu wählenden Gemeinde­ verordneten wegen einer in der Zahl der stimmberechtigten Gemeindeglieder eingetretenen Aenderung oder aus sonstigen Gründen erforderlich geworden, so hat der Gemeindevorsteher (Gemeindevorstand) die entsprechende ander­ weite Festsetzung zu treffen, auch wegen des Ueberganges aus dem alten in das neue Verhältnis der Geeignete anzuordnen. Diese Festsetzung bedarf der Bestätigung des Kreisausschusses.

§ 52. Mindestens zwei Drittel der Mitglieder der Gemeindeververtetung müssen Angesessene (§ 41 Nr. 6 a und b, § 45) sein. Die Zahl der Gemeindeverordneten, welche hiernach aus der Mitte der Nichtangesessenen gewählt werden können, wird auf die drei Klassen gleichmäßig verteilt. Ist diese Zahl nicht durch drei teilbar, so kann, wenn die Zahl 1 übrig bleibt, die zweite Klasse aus der Zahl der Nichtangeseffenen einen Gemeindeverordneten mehr wählen, als die beiden anderen; bleibt die Zahl 2 übrig, so kann die erste Klasse den einen, die dritte Klaffe den anderen wählen. Sind in einer Klaffe mehr nichtangeseffene Gemeindeverordnete ge­ wühlt, als hiernach zulässig ist, so gelten diejenigen, welche die geringste

3. Landgemeindeordnung für die Provinz Schleswig-Holstein. §§ 50—56.

801

Stimmenzahl erhalten haben, als nicht gewählt. Bei gleicher Stimmenzahl entscheidet das Los. Bei den zum Ersatz derselben anzuordnenden Neuwahlen sind nur die aus Angesessene entfallenden Stimmen gültig.

§ 53.

Als Gemeindeverordnete find nicht wählbar: 1. diejenigen Beamten und die vom Staate ernannten Mitglieder der­ jenigen Behörden, durch welche die Aussicht des Staates über die Ge­ meinden ausgeübt wird, 2. die besoldeten Gemeindebeamten, 3. die richterlichen Beamten, 4. die Beamten der Staatsanwaltschaft und die Polizei-Exekutivbeamten, 5. Geistliche, Kirchendiener und Volksschullehrer, 6. Frauen. Vater und Sohn dürfen nicht zugleich Gemeindeverordnete derselben Gemeinde sein. Sind Vater und Sohn zugleich gewählt, so wird nur der Vater als Gemeindeverordneter zugelassen.

§ 54.

Die Gemeindeverordneten werden auf sechs Jahre gewählt. Es scheidet, wenn die Zahl der Gemeindeverordneten sechs beträgt, alle drei Jahre aus jeder Klasse die Hälfte, wenn die Zahl der Gemeindever­ ordneten größer ist, alle zwei Jahre aus jeder Klasse ein Drittel der Ge­ meindeverordneten aus und wird die Gemeindevertretung durch neue Wahlen ergänzt. Ist die Zahl der Ausscheidenden nicht durch drei teilbar, so wird die Reihenfolge der Klassen, in welcher die Ausscheidung je eines der Nebrigbleibenden erfolgt, durch das Los bestimmt. Die das erstemal Ausscheidenden werden für jede Klasse durch das Los bestimmt. In gleicher Weise ist, wenn die Zahl der Gemeindeverordneten mehr als sechs beträgt, hinsichtlich der das zweitemal Ausscheidenden zu verfahren. Die Aus­ scheidenden sind wieder wählbar. Außergewöhnliche Wahlen zum Ersätze innerhalb der Wahlperiode ausgeschiedener Gemeindeverordneten müssen angeordnet werden, wenn die Gemeindevertretung oder der Gemeindevorsteher es für erforderlich erachten, oder wenn der Kreisausschuß dies beschließt. Der Ersatzmann bleibt nur bis zum Ende der Wahlperiode des Ausgeschiedenen in Wirksamkeit. Auch bei Ergänzungs- und Ersatzwahlen ist bezüglich der Wählbar­ keit von Nichtangesessenen nach den Grundsätzen des § 52 zu verfahren.

§ 55.

Die nach § 39 Absatz 2 zu führende Liste wird der Wahl zugrunde gelegt und nach Wahlklassen, im Falle des § 51 Absatz 1 außer­ dem nach Wahlbezirken, eingeteilt.

§ 56.

In dem Zeitraume vom 15. bis 30. Januar erfolgt die Auslegung der Liste in einem vorher zur öffentlichen Kenntnis zu bringenden Raume. Während dieser Zeit kann jeder Stimmberechtigte gegen die Richtig­ keit der Liste bei dem Gemeindevorsteher Einspruch erheben. Soll der Name eines einmal in die Liste aufgenommenen Stimm­ berechtigten wieder gelöscht werden, so ist dieses demselben unter Angabe der Gründe acht Tage vorher durch den Gemeindevorsteher mitzuteilen. Stier,3omlo, ScnvattunfligefcBe für Preußen.

51

802

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

§ 57.

B. Landgemeinderecht.

Die Wahlen der dritten Klasse erfolgen zuerst,

die der

ersten zuletzt.

§ 58. Die Wahlen zur regelmäßigen Ergänzung der Gemeinde­ vertretung finden gemäß 8 54, alle zwei oder drei Jahre im März statt. Alle Ergänzungs- und Ersatzwahlen werden, unbeschadet der Vorschrift in § 51, von denselben Klassen vorgenommen, von welchen der Ausgeschiedene gewählt war. § 59. Eine Woche vor dem Wahltage werden die in der Wähler­ liste (§ 55) verzeichneten Wähler durch den Gemeindevorsteher mittelst orts­ üblicher Bekanntmachung zu den Wahlen berufen. Die Bekanntmachung muß den Raum, den Tag und die Stunden, in welchen die Stimmen bei dem Wahlvorstande abzugeben sind, genau bezeichnen. § 60. Der Wahlvorstand besteht aus dem Gemeindevorsteher oder seinem Stellvertreter nnd zwei von der Wahlversammlung gewählten Beisitzern.

§ 61. Jeder Wähler muß dem Wahlvorstande mündlich zu Pro­ tokoll erklären, wem er seine Stimme geben will. Er hat so viele Per­ sonen zu bezeichnen, als zu wählen sind. Bezüglich der Stellvertretung bei der Wahl kommen die Bestimmungen im 8 46 zur Anwendung. § 62. Gewählt sind diejenigen, welche bei der ersten Abstimmung die meisten Stimmen und zugleich mehr als die Hälfte der Stimmen er­ halten haben. Hat sich bei der ersten Abstimmung eine unbedingte Stimmenmehrheit nicht ergeben, so werden von denjenigen Personen, welche die meisten Stimmen erhalten haben, so viele aus eine engere Wahl gebracht, daß die doppelte Anzahl der noch zu wählenden Mitglieder erreicht wird. Bei der zweiten Wahl ist die unbedingte Stimmenmehrheit nicht erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Zu der engeren Wahl werden die Wähler durch eine das Ergebnis der ersten Wahl angebende Bekanntmachung des Wahlvorstandes sofort oder spätestens innerhalb einer Woche aufgefordert. Die engere Wahl findet nach denselben Vorschriften, wie die erste statt. Tritt bei derselben Stimmengleichheit ein, so entscheidet das durch die Hand des Wahlvorstehers zu ziehende Los. Wer in mehreren Klassen oder Wahlbezirken zugleich gewählt ist, hat zu erklären, welche Wahl er annehmen will. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf eine nach 8 52 er­ forderlich werdende Neuwahl Anwendung.

§ 63. Die Wahlprotokolle sind von dem Wahlvorstande zu unter­ zeichnen und von dem Gemeindevorsteher auszubewahren. Der Letztere hat das Ergebnis der Wahlen sofort in ortsüblicher Weise bekannt zu machen. Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahlen zur Gemeindevertretung sind innerhalb zwei Wochen nach Bekanntmachung des Wahlergebnisies bei dem Gemeindevorsteher anzubringen.

3. ßanbfltmtinbeorbnung für bi« Provinz Schleswig-Holstein. §§ 57—67.

803

§ 64. Die bei der regelmäßigen Ergänzung neu gewählten Ge­ meindeverordneten treten an dem der Wahl folgenden 1. April ihr Amt an; die Ausscheidenden bleiben bis zur Einführung der neu gewählten Mitglieder in Tätigkeit. Die Gewählten werden von dem Gemeindevorsteher in die Versammlung der Gemeindevertretung eingeführt und durch Hand­ schlag verpflichtet. § 65. Die Gemeindeglieder sind verpflichtet, unbesoldete Aemter in der Verwaltung und der Vertretung der Gemeinde zu übernehmen, sowie ein angenommenes Amt mindestens drei Jahre lang zu versehen. Zur Ablehnung oder früheren Niederlegung solcher Aemter berechtigen folgende Entschuldigungsgründe: 1. anhaltende Krankheit, 2. Geschäfte, welche eine häufige oder lange dauernde Abwesenheit voin Wohnorte mit sich bringen, 3. das Alter von sechzig Jahren, 4. die Verwaltung eines unmittelbaren Staatsamtes, 5. sonstige besondere Verhältnisse, welche nach dem Ermessen der Gemeinde­ vertretung oder, wo eine solche nicht besteht, des Gemeindevorstehers eine gültige Entschuldigung nicht begründen. Wer ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder in der Vertretung der Gemeinde während der vorgeschriebenen regelmäßigen Amtsdauer ver­ sehen hat, kann die Uebernahme desselben oder eines gleichartigen für die nächsten drei Jahre ablehnen. Wer sich ohne einen der vorbezeichneten Entschuldigungsgründe weigert, ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde zu übernehmen oder das übernommene Amt drei Jahre hindurch zu ver­ sehen, sowie derjenige, welcher sich der Verwaltung solcher Aemter tatsächlich entzieht, kann für einen Zeitraum von drei bis sechs Jahren der Ausübung seines Rechtes auf Teilnahme an der Verwaltung oder Vertretung der Ge­ meinde für verlustig erklärt und um ein Achtel bis ein Viertel stärker als die übrigen Gemcindeangehvrigen zu den Gemeindeabgaben herangezogen werden. § 66. Die Gemeindevertretung, wo eine solche nicht besteht, der Gemeindevorsteher beschließt 1. auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend den Besitz oder den Ver­ lust des Gemeinderechtes, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse von Stimmberechtigten, die Wählbarkeit zu einer Stelle in der Ge­ meindeverwaltung oder Gemeindevertretung, die Ausübung des Stimm­ rechtes durch einen Dritten, sowie über die Richtigkeit der Gemeinde­ wählerliste, 2. über die Gültigkeit der Wahlen zur Gemeindevertretung, 3. über die Berechtigung der Ablehnung oder Niederlegung einer Stelle in der Gemeindeverwaltung oder Gemeindevertretung, sowie über die Nachteile, welche gegen Gemeindeglieder wegen Nichterfüllung der ihnen nach diesem Gesetze obliegenden Pflichten zu verhängen sind.

§ 67. Die Beschlüsse der Gemeindevertretung und des Gemeinde­ vorstehers in den Fällen des § 66 bedürfen keiner Genehmigung oder Be­ stätigung von feiten des Gemeindevorstehers oder der Aufsichtsbehörde. 51«

804

IX. Trupp«: Kommunalrecht.

B. Landgemtinderecht.

Gegen die Beschlüsse findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt, welche, wenn der Beschluß von der Gemeindevertretung gefaßt ist, auch dem Gemeindevorsteher zusteht. Die Klage hat in den Fällen des § 66 unter 1 und 2 keine auf­ schiebende Wirkung, jedoch dürsen Neuwahlen zum Ersätze für solche Wahlen, welche durch Beschluß der Gemeindevertretung oder des Gemeindevorstehers für ungültig erklärt worden find, vor ergangener rechtskräftiger Entscheidung nicht vorgenommen werden.

Fünfter Abschnitt.

Gemeindeoermögen.

K 68. Im Eigentume der Landgemeinden stehen sowohl diejenigen Bestandteile des Gemeindevermögens, deren Erträge für die Zwecke des Gemeindehaushaltes bestimmt sind (Gemeindevermögen im engeren Sinne), wie auch diejenigen Vermögensgegenstände, deren Nutzungen den Ge­ meindeangehörigen oder einzelnen derselben vermöge dieser ihrer Eigenschaft zukommen (Gemeindegliedervermögen, Allmenden, Gemeinheiten). (Absatz 2 fällt fort.).

§ 69. Das den Zwecken des Gemeindehaushaltes gewidmete Ver­ mögen darf nur dann in Gemeindegliedervermögen umgewandelt werden, wenn die Gemeinde schuldenfrei ist und durch eine solche Veränderung weder die Einführung neuer Gemeindeabgaben noch auch die Erhöhung bestehender für absehbare Zeit erforderlich wird. Hinsichtlich der Verwaltung der Gemeindewaldungen bewendet es bei den bestehenden Bestimmungen. Gemeindegliedervermögen kann unter hinzutretender Genehmigung des Kreisausschusses in Gemeindevermögen im engeren Sinne umgcwandelt werden, jedoch mit der Einschränkung, daß Nutzungsrechte, welche nicht den sämtlichen, sondern nur einzelnen Gemeindegliedern oder Einwohnern, als solchen, zustehen, durch Gemeindebeschluß den letzteren wider ihren Willen nicht entzogen oder geschmälert werden dürfen. § 70. Zur Teilnahme meindeangehörigen unter den aus Festsetzungen und hergebrachter und Einschränkungen berechtigt. Teilnahme an diesen Nutzungen dem Verhältnisse, in welchem die Lasten beitragen.

an den Gemeindenutzungen sind die Ge­ den Verleihungsurkunden, vertragsmäßigeil Gewohnheit sich ergebenden Bedingungen Soweit hiernach der Maßstab für die nicht feststeht, erfolgt die Verteilung nach Gemeindeanqehöriqen zu den kommunalen

§ 71. Auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend 1. das Recht zur Teilnahme an den Nutzungen und Erträgen des Ge­ meindevermögens, 2. die besonderen Rechte einzelner örtlicher Teile des Gemeindebezirks oder einzelner Klassen der Gemeindeangehörigen in Ansehung der zu Nr. 1 erwähnten Ansprüche, beschließt der Gemeindevorsteher (Gemeindevorstand). Gegen den Beschluß findet die Klage im VerwaltungSstreitverfahren statt.

3. Landgrmeindeordnung für die Provinz Schleswig-Holstein. §§ 67—75.

805

Der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren unterliegen desgleichen Streitigkeiten zwischen Beteiligten über ihre in dem öffentlichen Rechte be­ gründete Berechtigung zu den im Absatz 1 bezeichneten Nutzungen. Die Beschwerden und die Einsprüche sowie die Klage haben keine aufschiebende Wirkung.

§ 72. Die Landgemeinden sind befugt, auf Grund von Gemeindebeschlüffen, welche der Genehmigung des Kreisausschuffes unterliegen, für die Teilnahme an den Gemeindenutzungen die Entrichtung eines zu deren Werte in einem angemessenen Verhältnisse stehenden Einkaufsgeldes anstatt oder neben einer jährlichen Abgabe anzuordnen. Durch die Entrichtung des Einkaufsgeldes wird die Ausübung des Gemeinderechtes nicht bedingt. Die Verpflichtung zur Zahlung des Einkaufsgeldes sowie der Abgabe für die Teilnahme an den Gemeindenutzungen ruht, so lange auf diese Teilnahme verzichtet wird. § 73. Hinsichtlich der Beitreibung der Einkaufsgelder und der jährlichen Abgaben für die Teilnahme an den Gemeindenutzungen im Ver­ waltungszwangsverfahren, der Einsprüche und Beschwerden sowie der Klage in Betreff der Heranziehung oder der Veranlagung zu diesen Abgaben, etwaiger Nachsorderung derselben und der Verjährung der Rückstände finden die in den §§ 36 bis 38 enthaltenen Bestimmungen sinngemäße Anwendung, jedoch mit der Maßgabe, daß die nicht zur Hebung gestellten Einkaufs­ gelder erst in zwei Jahren nach Ablauf desjenigen Jahres, in welchem die Zahlungsverbindlichkeit entstanden ist, verjähren. Sechster Abschnitt. Verwaltung der Landgemeinden.

§ 74. An der Spitze der Verwaltung der Landgemeinde steht der Gemeindevorsteher (Lehnsmann). Dem Gemeindevorsteher steht ein Stellvertreter zur Seite, welcher ihn in beit Amtsgeschäften zu unterstützen und in Behinderungsfällen zu vertreten hat. Durch Ortsstatut kann die Zahl der Stellvertreter auf höchstens sechs vermehrt werden. Wo die Zahl der Stellvertreter nach der bisherigen Ortsverfassung zwei oder mehr, aber nicht mehr als sechs betragen hat, verbleibt es hierbei bis zu anderweiter ortsstatutarischer Festsetzung. In größeren Gemeinden kann durch Ortsstatut ein aus dem Ge­ meindevorsteher und den Stellvertretern bestehender kollegialischer Gemeinde­ vorstand eingeführt werden. § 75. Der Gemeindevorsteher und die Stellvertreter werden von der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) aus der Zahl der Ge­ meindemitglieder auf sechs Jahre gewählt. Nach dreijähriger AmtSdauer kann der Gemeindevorsteher auf weitere neun Jahre gewählt werden. In Gemeinden mit mehr als 2 000 Einwohnern und in den Koogs-

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IX. Grupp«: Aommunalrecht.

B. Landg«meinder«cht.

gemeinden des Kreises Tondern kann die Gemeindevertretung die Anstellung eines besoldeten Gemeindevorstehers beschließen. Die Wahl desselben er­ folgt aus die Dauer von zwölf Jahren und ist nicht beschränkt auf die Gemeindeglieder. Vater und Sohn, sowie Brüder dürfen nicht gleichzeitig Gemeinde­ vorsteher und Stellvertreter sein. K 76. Bezüglich der Einladung der Mitglieder der Gemeindever­ sammlung (Gemeindevertretung) zur Wahl kommen die Vorschriften des § 59 zur Anwendung. § 77. Der Wahlvorstand besteht aus dem Gemeindevorsteher oder dessen Stellvertreter, als Vorsitzenden, und aus zwei von der Gemeinde­ versammlung (Gemeindevertretung) zu wählenden Beisitzern. Der Vor­ sitzende ernennt einen der Beisitzenden zum Protokollführer. Erforder­ lichen Falles kann jedoch auch eine nicht zur Wahlversammlung gehörige Person zum Protokollführer ernannt werden. § 78. Während der Wahlhandlung dürfen im Wahlraume weder Beratungen stattfinden, noch Ansprachen gehalten, noch Beschlüsse gefaßt werden. Ausgenommen hiervon sind Beratungen und Beschlüsse des Wahl­ vorstandes, welche durch die Leitung des Wahlgeschäftes erheischt werden.

§ 79. Stimmzettel.

Jede Wahl erfolgt in einem besonderen Wahlgange durch

§ 80. Die Wähler werden in der Reihenfolge, in welcher sie in der Wählerliste aufgeführt sind, aufgerufen. Die Aufgerusencn legen ihre Stimmzettel uneröffnet in die Wahlurne. Findet die Wahl durch die Gemeindeversammlung statt, so wird das Stimmrecht nach Maßgabe der Bestimmungen des § 48 ausgeübt. Die nach der Eröffnung, jedoch vor dem Schlüsse der Wahlhandlung erscheinenden Wühler können noch an der Abstimmung teilnehmen. Sind keine Stimmen mehr abzugeben, so erklärt der Wahlvorstand die Wahl für geschlossen; der Vorsitzende nimmt die Stimmzettel einzeln aus der Wahlurne und verliest die darauf verzeichneten Namen, welche von einem durch den Vorsitzenden zu ernennenden Beisitzer laut gezählt werden.

§ 81. Ungültig sind diejenigen Stimmzettel, 1. welche nicht von weißem Papier oder welche mit einem äußeren Kenn­ zeichen versehen sind, 2. welche keinen oder keinen lesbaren Namen enthalten, 3. aus welchen die Person des Gewählten nicht unzweifelhaft zu erkennen ist, 4. auf welchen mehr als ein Name oder der Name einer nicht wähl­ baren Person verzeichnet ist, 5. welche einen Protest oder Vorbehalt enthalten. Alle ungültigen Stimmzettel werden als nicht abgegeben betrachtet. Ueber die Giltigkeit der Stimmzettel entscheidet vorläufig der Wahlvorstand. Die Stimmzettel sind dem Wahlprotokolle beizufügen und so lange aufzubewahren, bis über die gegen das Wahlverfahren erhobenen Ein­ sprüche rechtskräftig entschieden ist.

3. Landgemeindeordnung für die Provinz Schleswig-Holstein. §§ 75—86.

807

K 82 Als gewühlt ist derjenige zu betrachten, welcher bei der ersten Abstimmung mehr als die Hälfte der gültig abgegebenen Stimmen erhalten hat. Ergibt sich bei der ersten Abstimmung diese Stimmenmehrheit nicht, so kommen bei der sofort vorzunehmenden zweiten Abstimmung diejenigen zwei Personen, welche im ersten Wahlgange die meisten Stimmen erhalten haben, auf die engere Wahl. Haben mehr als zwei Personen die höchste oder zweithöchste Stimmenzahl in der Weise erhalten, daß auf sie eine gleiche Stimmenzahl entfallen ist, so entscheidet da8 durch die Hand deS Vorsitzenden zu ziehende Los darüber, wer aus die engere Wahl zu bringen ist. Bei den? zweiten Wahlgange sind außer den im § 81 angegebenen ferner auch alle diejenigen Stimmzettel ungültig, welche den Namen einer nicht zur engeren Wahl stehenden Person enthalten. AlS gewählt ist derjenige zu betrachten, welcher die meisten Stimmen erhalten hat. Bei Stimmengleichheit entscheidet das durch die Hand des Vorsitzenden zu ziehende Los. Die Wahlprotokolle sind von dem Wahlvorstande zu unterzeichnen. K 83. Der Vorsitzende des Wahlvorstandes hat die Gewählten von der auf sie gefallenen Wahl mit der Aufforderung in Kenntnis zu setzen, sich über die Annahme oder Ablehnung der Wahl innerhalb läng­ stens einer Woche zu erklären. Von demjenigen, welcher hierüber keine Erklärung abgibt, wird angenommen, daß er die Wahl ablehne. § 84. Die gewählten Gemeindevorsteher bedürfen der Bestätigung durch den Landrat. Vor der Bestätigung ist der Amtsvorsteher mit seinem Gutachten zu hören. Die Bestätigung kann nur unter Zustimmung des KreisauSschusieS versagt werden. Dieser Zustimmung bedarf cs auch dann, wenn der Wahl die Bestätigung wegen formaler Mängel des Verfahrens versagt wird. Wird die Bestätigung versagt, so ist eine Neuwahl anzuordnen. Erhält auch diese die Bestätigung nicht, so ernennt der Landrat unter Zu­ stimmung des Kreisausschusses einen Stellvertreter auf so lange, bis eine erneuerte Wahl die Bestätigung erlangt hat. Dasselbe findet statt, wenn keine Wahl zustande kommt. Die Bestimmungen deS Paragraphen finden auch auf andere gewählte Gemeindebeamte Anwendung, deren Wahl der Bestätigung bedarf.

§ 85. Die Gemeindevorsteher und die Stellvertreter werden vor ihrem Amtsantritte von dem Landrate oder in seinem Auftrage von dem Amtsvorsteher vereidigt. § 86. Die Gemeindevorsteher haben den Ersatz ihrer baren Aus­ lagen und die Gewährung einer mit ihrer amtlichen Mühewaltung in billigem Verhältnisse stehenden Entschädigung zu beanspruchen. Die Ausbringung derselben liegt der Gemeinde ob. Alle fortlaufenden Geld- und Naturalbeiträge des Gutsherrn zur Remuneration des Gemeindevorstehers fallen fort. ^Absätze 4, 5 und 6 fallen fort.]

Die Stellvertreter haben ihr Amt in der Regel unentgeltlich verwalten und nur den Ersatz barer Auslagen zu beanspruchen.

zu

808

IX. Gruppe: Kommunalrecht. B. Landgememderechl.

H 87. Ueber die Festsetzung der baren Auslagen und der Ent­ schädigung der Gemeindevorsteher und der kommissarischen Gemeindevor­ steher, sowie über die baren Auslagen der Stellvertreter beschließt der Kreisausschuß auf Antrag der Beteiligten. r 88. Der Gemeindevorsteher ist die Obrigkeit der Landgemeinde und führt deren Verwaltung. Der Gemeindevorsteher führt in der Gemeindeversammlung (Gemeinde­ vertretung) den Vorsitz mit vollem Stimmrechte. Hat die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) einen Beschluß gefaßt, welcher nach der Ansicht des Gemeindevorstehers das Gemeinwohl oder das Gemeindeinteresse verletzt, so ist der Gemeindevorsteher verpflichtet, die Ausführung des Beschlusses auszusetzen und, wenn die Gemeindever­ sammlung (Gemeindevertretung) bei nochmaliger Beratung bei ihrem Beschluß beharrt, innerhalb zwei Wochen die Entscheidung des KreiSausschufseS einzuholen. Insbesondere liegen dem Gemeindevorsteher folgende Geschäfte ob: 1. die Gesetze und Verordnungen, sowie die Verfügungen der ihm vor­ gesetzten Behörden auszuführen, 2. die Beschlüsse der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) vor­ zubereiten, 3. die Beschlüsse der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung), sofern er dieselben nicht beanstandet (§ 140) oder deren Ausführung aussetzt (Abs. 3), zur Ausführung zu bringen und demgemäß die laufende Verwaltung bezüglich des Vermögens und der Einkünfte der Gemeinde, sowie der Gemeindeanstalten, für welche eine besondere Verwaltung nicht besteht, zu führen und diejenigen Gemeindeanstalten, für welche besondere Verwaltungen eingesetzt sind, zu beaufsichtigen, 4. die aus dem Gemeindevoranschlage oder auf Beschlüssen der Gemeinde­ versammlung (Gemeindevertretung) beruhenden Einnahmen- und Aus­ gaben anzuweisen und das Rechnungs- und Kastenwesen, soweit er eS nicht selbst führt, zu beaufsichtigen. 5. die Gemeindebeamten, nachdem die Gemeindeversammlung (Gemeinde­ vertretung) darüber beschlossen hat, anzustellen und zu beaufsichtigen, unbeschadet der Bestimmungen deS § 117 Absatz 2, 6. die Urkunden und Akten der Gemeinde aufzubewahren, soweit hiermit nicht ein besonderer Beamter beauftragt ist, 7. die Gemeinde nach außen zu vertreten und namenS derselben mit Behörden und Privatpersonen zu verhandeln, Urkunden über Rechtsgeschäfte, welche die Gemeinde gegen Dritte verbinden sollen, ingleichen Vollmachten, müsten unter An­ führung deS betreffenden Gemeindebeschlusses und der dazu etwa er­ forderlichen Genehmigung oder Entschließung der zuständigen Aufsichts­ behörde im Namen der Gemeinde von dem Gemeindevorsteher unter­ schrieben und mit dem Gemeindesiegel versehen sein. Eine der vor­ stehenden Bestimmung gemäß ausgestellte Vollmacht ist auch dann ausreichend, wenn die Gesetze sonst eine gerichtliche oder Notariats­ vollmacht erfordern.

3. Landgemeindeordnung für di« Provinz Schleswig-Holstein. §§ 87—101.

809

Zu dem Nachweise, daß von einer Gemeinde bei der Erwerbung oder Veräußerung von Grundstücken oder denselben gleichstehenden Gerechtsamen die den Gemeinden gesetzlich vorgeschriebenen besonderen Formen beobachtet find, genügt eine Bescheinigung des Landrats als Vorsitzenden des Kreisausschusses; 8. die Gemeindeabgaben und Dienste nach den Gesetzen und den Beschlüfien der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) aus die Verpflichteten zu verteilen und wegen deren Einziehung oder Aus­ führung die erforderlichen Anordnungen zu treffen.

§ 89, Wo ein kollegialischer Gemeindevorstand eingeführt ist (§ 74 Absatz 6), können demselben die in den §§ 9, 51, 71, 88 Nr. 2 bis 4 und 8, 119 und 120 erwähnten Befugnisse durch das Ortsstatut übertragen werden. Die Beschlüsse des Gemeindevorstandes werden nach Stimmenmehr­ heit und unter Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Den Vorsitz führt der Gemeindevorsteher. Ueber dessen Vertretung in Behinderungs­ fällen hat das Ortsstatut Bestimmungen zu treffen. Betrifft der Gegenstand der Verhandlung einzelne Mitglieder des Gemeindevorstandes oder deren Verwandte und Verschwägerte in auf- und absteigender Linie oder bis zum dritten Grade der Seitenlinie, so dürfen dieselben an der Beratung und Entscheidung nicht teilnehmen. Wird hierdurch der Gemeindevorstand beschlußunfähig, so entscheidet der Gemeinde­ vorsteher allein. Tritt die Beschlußunfähigkeit aus anderen Gründen ein, so hat der Gemeindevorsteher eine zweite Sitzung anzuberaumen; ergibt sich auch in dieser keine Beschlußfähigkeit, so hat der Gemeindevorsteher allein hinsichtlich der auf der Tagesordnung stehenden Gegenstände Anordnung zu treffen. § 90, Der Gemeindevorsteher ist, sofern er nicht zugleich selbst das Amtsvorsteheramt bekleidet, das Organ des Amtsvorstehers für die Polizeiverwaltung. fAbsah 2 fällt fort.] 1.

2. 3.

4.

Der Gemeindevorsteher hat vermöge dessen das Recht und die Pflicht: der vorläufigen Festnahme und Verwahrung einer Person nach den Vorschriften des § 127 der Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich vom 1. Februar 1877 (Reichs-Gesetzbl. S. 258) und des §6 des Gesetzes zum Schuhe der persönlichen Freiheit vom 12. Februar 1850 (Gesetz-Samml. S. 45), die unter Polizeiaufsicht stehenden Personen zu beaufsichtigen, die ihm von dem Amtsvorsteher, der Staats- oder Amtsanwaltschast aufgetragenen polizeilichen Maßregeln auszuführen und Verhandlungen aufzunehmen, die vorgeschriebenen Meldungen über neu anziehende Personen ent­ gegenzunehmen.

Siebenter Abschnitt.

Aushebung der mit dem besitze gewisser Grundstücke verbundenen fte» rechtigung und Verpflichtung mr Verwaltung des Achulrenamtes. [§§ 92 bis 101 fallen fort.]

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IX. Grupp«: Aommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Achter Abschnitt.

Geschäfte -er Gemein-eversammlnng und Gemeindevertretung. K 102. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) hat über alle Gemeindeangelegenheiten zu beschließen, soweit diese nicht durch daS Gesetz dem Gemeindevorsteher (Gemeindevorstand) ausschließlich überwiesen sind. Ueber andere Angelegenheiten darf die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) nur dann beraten, wenn solche durch besondere Ge­ setze oder in einzelnen Fällen durch Aufträge der Aufsichtsbehörde an fit gewiesen sind. Wo eine Gemeindevertretung besteht, sind die Gemeindeverordneten an keinerlei Instruktion oder Aufträge der Wähler gebunden.

§ 103. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) über­ wacht die Verwaltung; sie ist berechtigt, sich von der Ausführung ihrer Beschlüsse, von dem Eingänge und der Verwendung aller Einnahnen der Gemeindekafse, sowie von der gehörigen Ausführung der Gemeindearbeiten Ueberzeugung zu verschaffen; ^sie darf jedoch ihre Beschlüsse niemals selbst zur Ausführung bringen. § 104. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) ist zu­ sammenzuberufen, so oft ihre Geschäfte eS erfordern. Die Zusammenberusung erfolgt unter Angabe der Gegenstände der Beratung durch den Gemeindevorsteher; sie muß erfolgen, wenn es von einem Viertel der Mitglieder verlangt wird. Die Art und Weise der Zusammenberusung wird durch die Orts­ verfassung bestimmt. Mit Ausnahme dringender Fälle müssen zwischen der Zusammenberusung und dem Verhandlungstermine mindestens zwei Tage frei bleiben. Die Versammlungen sollen in der Regel nicht in Wirtshäusern oder Schänken abgehalten werden. § 105. Für die Gemeindevertretung können durch Beschluß der­ selben regelmäßige Sitzungstage festgesetzt werden; es müssen jedoch auch dann die Gegenstände der Beratung, und zwar mit Ausnahme dringender Fälle mindestens zwei Tage vorher den Mitgliedern der Versammlung angezeigt werden. § 106. Die Gemeindeversammlung ist beschlußfähig, wenn mehr als ein Drittel der stimmberechtigten Gemeindemitglieder anwesend ist. Für die Gemeindevertretung bedarf es der Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder derselben. In beiden Fällen bedarf es bei der Vorladung des Hinweises daraus, daß die Nichtanwesenden sich den gefaßten Beschlüssen zu unterwerfen haben. Wird die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zum zweiten male zur Beratung über denselben Gegenstand zusammenberufen, so sind die erschienenen Mitglieder ohne Rücksicht auf ihre Anzahl beschlußfähig. Bei der zweiten Zusammenberusung muß auf diese Bestimmung ausdrücklich hingewiesen werden.

§ 107. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Die der

3. ßanbgemttnbeorbnung f. b. Provinz Schleswig-Holstein. §§ 102—114.

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Stimmabgabe sich enthaltenden Mitglieder werden zwar als anwesend betrachtet; die Stimmenmehrheit wird jedoch lediglich nach der Zahl der abgegebenen Stimmen festgestellt.

K 108. An Verhandlungen über Rechte und Verpflichtungen der Gemeinde darf derjenige nicht teilnehmen, dessen Interesse mit dem der Gemeinde im Widerspruche steht. Kann wegen dieser Ausschließung ein gültiger Beschluß nicht gefaßt werden, so beschließt an Stelle der Gemeinde­ versammlung (Gemeindevertretung) der Kreisausschuß. § 109. Bei den Sitzungen der Gemeindeversammlung (Gemeinde­ vertretung) findet beschränkte Oeffentlichkeit statt. Denselben können als Zuhörer alle zu den Gemeindeabgaben herangezogenen männlichen groß­ jährigen Personen beiwohnen, welche sich im Besitz der bürgerlichen Ehren­ rechte befinden und Gemeindeangehörige (§ 7) oder Stimmberechtigte auf Grund des § 45 Absatz 1 oder Vertreter von Stimmberechtigten (§ 46 Nr. 1, 2 und 4) sind. Für einzelne Gegenstände kann durch besonderen Beschluß, welcher in geheimer Sitzung gefaßt wird, die Oeffentlichkeit aus­ geschlossen werden. Das Ortsstatut kann Bestimmung darüber treffen, daß die Sitzungen mit Angabe der Tagesordnung in ortsüblicher Weise vorher bekannt zu machen sind. § 110. Der Vorsitzende leitet die Verhandlungen, eröffnet und schließt die Sitzungen und handhabt die Ordnung in der Versammlung. Er kann jeden Zuhörer, welcher Störung irgendeiner Art verursacht, aus dem Sitzungszimmer entfernen lassen.

§ 111. Die Beschlüsse der Gemeindeversammlung (Gemeindever­ tretung» sind in ein besonderes Buch einzutragen und von dem Vorsitzenden, sowie wenigstens zwei stimmberechtigten Mitgliedern der Versammlung zu unterzeichnen. § 112. Durch Ortsstatut kann bestimmt werden, daß unentschnldigtes Ausbleiben aus den Versammlungen der Gemeindevertretung, sowie ordnungswidriges Benehmen in diesen Versammlungen oder in der Gemeindeversammlung für das betreffende Mitglied eine in die Gemeinde­ kasse fließende Geldstrafe von 1 bis 3 Mark nach sich ziehen, und daß im Wiederholungsfälle, nach Lage der Sache, Ausschließung aus der Ver­ sammlung aus eine gewisse Zeit, bis auf die Dauer eines Jahres, ver­ hängt werde. Ueber die Verhängung dieser Strafen beschließt die Ge­ meindevertretung (Gemeindeversammlung). Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitversahren statt. Die Klage steht auch dem Gemeindevorsteher zu.

K 113. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) beschließt über die Verwaltung und Benutzung des Gemeindevermögens (§§ 68 ff.). K 114. Zur Veräußerung oder wesentlichen Veränderung von Sachen, welche einen besonderen wissenschaftlichen, historischen oder Kunst­ wert haben, ist die Genehmigung des Regierungspräsidenten erforderlich. Zur Veräußerung von Grundstücken oder solchen Gerechtigkeiten, welche den Grundstücken gesetzlich gleichgestellt sind, zu einseitigen Verzichtleistungen und Schenkungen,

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IX. Gruppt: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

zu Anleihen, durch welche die Gemeinde mit einem Schulden­ stande belastet, oder der vorhandene vergrößert wird, zur neuen Belastung der Gemeindeangehörigen ohne gesetzliche Verpflichtung, zu Veränderungen im Genusie der Gemeindenutzungen bedarf es der Genehmigung des Kreisausschusses.

K 115. Die Veräußerung von Grundstücken darf der Regel nach nur im Wege des öffentlichen Meistgebotes stattfinden. Zur Gültigkeit einer solchen Veräußerung gehört: 1. die Vorlegung eines beglaubigten Auszuges aus der Grundsteuer­ mutterrolle, 2. eine ortsübliche Bekanntmachung, 3. die einmalige Bekanntmachung durch das für die amtlichen Bekannt­ machungen des Landrats bestimmte Blatt (Kreisblatt), 4. eine Frist von vier Wochen von der Bekanntmachung bis zum Ver­ kaufstermine, 5. die Abhaltung der Verkaufsverhandlung durch den Gemeindevorsteher oder einen Justizbeamten. Der im Absatz 2 unter Nr. 3 vorgeschriebenen Bekanntmachung bedarf es nicht, wenn der Grundsteuerreinertrag des Grundstücks 6 Mark nicht übersteigt. Liegt diese Voraussetzung (Absatz 3) vor, oder erachtet der Kreis­ ausschuß den Vorteil der Gemeinde für gewahrt, so kann ein Verkauf aus freier Hand oder ein Tausch stattfinden. Das Ergebnis des Verkaufes ist in allen Fällen der Gemeindever­ sammlung (Gemeindevertretung) mitzuteilen; der Zuschlag kann nur mit deren Genehmigung erteilt werden. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf Verkäufe von Real­ berechtigungen Anwendung, wobei außerdem die Ausnahme einer Taxe in allen Fällen notwendig ist. Für die Eintragung im Grundbuche genügt zum Nachweise, daß der Vorschrift dieses Paragraphen genügt worden ist, die Bestätigung des Vertrages durch den Kreisausschuß.

8 116. Die Verpachtung von Grundstücken und Gerechtsamen der Gemeinden muß im Wege des öffentlichen Meistgebotes geschehen. Aus­ nahmen hiervon können durch den Kreisausschuß gestattet werden. Neunter Abschnitt.

Sesoldete Gemein-ebeamte, deren Gehälter und Pensionen.

§ 117. Die Landgemeinden sind befugt, die Anstellung besoldeter Gemeindebeamten für einzelne Dienstzweige oder Dienstverrichtungen zu beschließen. Wo die Anstellung von Gemeindebeamten bisher auf Grund der Wahl der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) erfolgt ist, kann durch OrtSstatut (Gemeindestatut) dieses Verfahren auch ferner beibehalten werden.

3 Landgrmeindeordnung f. d. Provinz Schlerwig-Holstein. §§ 114—120.

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5 118. Ueber die Gehalts- und Pensionsverhältnisse dieser Beamten kann durch OrtSstatut Bestimmung getroffen werden. Auf Antrag der Beteiligten beschließt der KreisauSschuß über die Fest­ setzung der Besoldungen und sonstigen Dienstbezüge von Gemeindebeamten. Ueber streitige Pensionsansprache der besoldeten Gemeindebeamten beschließt der Kreisausschuß, und zwar, soweit der Beschluß sich darauf erstreckt, welcher Teil des Diensteinkommens bei Feststellung der Pensions­ ansprüche als Gehalt anzusehen ist, vorbehaltlich der den Beteiligten gegen einander zustehenden Klage im Verwaltungsstreitverfahren, im übrigen vorbehaltlich detz ordenllichen Rechtsweges. Der Beschluß ist vorläufig vollstreckbar?) Zehnter Abschnitt. Gemeiudehaushalt.

§ 119. Ueber alle Einnahmen und Ausgaben, welche sich im Voraus veranschlagen lassen, entwirft der Gemeindevorsteher (Gemeindevorstand) für das Rechnungsjahr oder für eine längere, von der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) festzusetzende Rechnungsperiode, welche jedoch die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen darf, einen Voranschlag. Der Entwurf ist während zwei Wochen nach vorheriger Bekannt­ machung in einem von der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zu bestimmenden Raume zur Einsicht aller Gemeindeangehörigen auszulegen. Nach Ablauf dieser Frist erfolgt die Feststellung des Voranschlages durch die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung). Diese Feststellung ist vor Beginn des neuen Rechnungsjahres oder der neuen Rechnungsperiode zu bewirken. Der Gemeindevorsteher hat eine Abschrift deS festgesetzten Voranschlages dem Vorsitzenden des Kreisausschusses einzureichen. Der Gemeindehaushalt ist nach dein Voranschläge zu führen. Alle Gemeindeeinkünfte müssen zur Gemeindekasse gebracht werden. Ausgaben, welche außerhalb des Voranschlages geleistet werden sollen, oder über deren Verwendung besondere Beschlußfassung vorbehalten ist, sowie Ueberschreitungen des Voranschlages bedürfen der vorherigen Genehmigung der Gemeinde­ versammlung (Gemeindevertretung). Durch Beschluß deS Kreisausschusses kann einzelnen Gemeinden die Festsetzung eines Voranschlages nachgelassen werden, wenn deren Verhält­ nisse dies unbedenklich erscheinen lassen. § 120. Ueber alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinde muß ein nach Vorschrift angelegtes Gemeinderechnungsbuch gesührt werden. Die Gemeinderechnung ist binnen drei Monaten nach dem Schluffe des Rechnungsjahres der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zur Prüfung, Feststellung und Entlastung vorzulegen. Wo ein besonderer Gemeindeeinnehmer bestellt ist, erfolgt die Ein­ reichung der Rechnung zunächst an den Gemeindevorsteher (Gemeindevor­ stand), welcher sie einer Vorprüfung zu unterziehen und, mit seinen l) Agl. jetzt §§ 7, 18 KBG.

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Erinnerungen versehen, der Geineindeversammlung (Gemeindevertretung) vorzulegen hat. Die Feststellung der Rechnung muß innerhalb drei Monaten nach Vorlegung der Gemeinderechnung bewirkt sein. Nach erfolgter Feststellung ist die Rechnung während eines Zeitraumes von zwei Wochen zur Einsicht der Gemeindeangehörigen auszulegen. Dem Vorsitzenden des Kreisausschusses ist eine Abschrift des Fest­ stellungsbeschlusses sofort einzureichen. Dem Kreisausschusse liegt die Revision der Gemeinderechnungen ob, welche alljährlich bei mehreren Gemeinden des Kreises zu erfolgen hat.

§ 121. Der Kreisausschuß beschließt: 1. an Stelle der Aufsichtsbehörde über die Feststellung und den Ersatz der bei Kassen und anderen Verwaltungen der Landgemeinden vor­ kommenden Defekte nach Maßgabe der Verordnung vom 24. Januar 1844 (Gesetz-Samml- S. 52). Der Beschluß ist vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges endgültig; 2. über die Art der gerichtlichen Zwangsvollstreckungen wegen Geldfordcrungen gegen Landgemeinden (§ 15 zu 4 des Einsührungsgesetzes zur Deutschen Zivilprozeßordnung vom

, Reichs-Gesetzbl.

S- A. Elfter Abschnitt.

Sesondere Seltimmungen für die Kreise Husum, Norderdithmarschrn * und Züdcrdithmarschen.

§ 121». Die in den Kirchspielslandgemeinden der Kreise Husum, Norderdithmarschen und Süderdithmarschen bestehenden Dorsschaften und Bauerschaften bleiben als öffentliche Körperschaften für diejenigen kommunalen Zwecke bestehen, welchen sie bisher gedient haben, oder welche von ihnen, unter Zustimmung der Kirchspielslandgemeinde und unter Bestätigung des Bezirksausschusses, werden übernommen werden. Die bisherige Verfassung dieser Körperschaften erleidet nur dahin eine Abänderung und Ergänzung, daß die §§ 7, 8, 9, 10, 13, 39 bis einschließlich 67 der Landgemeindeordnung auch auf die Dorfschasten uiib Bauerschaften mit der Maßgabe sinngemäß Anwendung finden, daß der Beschluß der Kirchspielslandgemeinde über die Heranziehung von Gemeinde­ abgabepflichtigen mit einem Einkommen von nicht mehr als 900 Mark zu den Gemeindeabgaben auch für die Heranziehung dieser Personen von ihrem Einkommen zu den Dorfschafts- und Bauerschaftsabgaben ohne weiteres rechtsverbindlich ist. Der Dorsschasts- und der Bauerschaftsvorsteher ist für die in den 88 90 und 91 der Landgemeindeordnung bezeichneten polizeilichen Geschäfte Hülfsbeamter des Gemeindevorstehers der Kirchspielslandgemeinde. § 121 d. In den Kirchspielslandgemeinden der Kreise Husum, Norderdithmarschen und Süderdithmarschen tritt an die Stelle der Gemeinde­ versammlung eine Gemeindevertretung.

3. Landgemeindeordnung f. d. Provinz Schleswig-Holstein. §§ 120—122.

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§ 121 e. Die Gemeindevertretung der Kirchspielslandgemeinden im Kreise Süderdithmarschen besteht aus dem Gemeindevorsteher, dem Stell­ vertreter — wenn mehrere Stellvertreter vorhanden sind, dem ersten Stell­ vertreter — desselben und aus den Vorstehern der Bauerschaften. Außerdem kann durch Gemeindestatut der Kirchspielslandgemeinde Bauerschaften, welche in der Einwohnerzahl und in der Steuerkraft her­ vorragen, eine weitere Vertretung in der Gemeindevertretung der Kirch­ spielslandgemeinde durch die Wahl eines oder mehrerer Gemeindeverordneten gewährt werden. Die Höchstzahl der Mitglieder der Gemeindevertretung unterliegt nicht der im § 49 Absatz 3 der Landgemeindeordnung vorgeschriebenen Beschränkung. Auf die Wahl der Gemeindeverordneten finden die für die Wahl der Gemeindevorsteher in den §§ 75 bis 83 der Landgemeindeordnung getroffenen Bestimmungen sinngemäß Anwendung. Die Wahl erfolgt auf sechs Jahre. Außergewöhnliche Wahlen zum Ersätze innerhalb der Wahl Periode ausgeschiedener Gemeindeverordneten müssen angeordet werden, wenn die Gemeindevertretung oder der Gemeindevorsteher es für erforderlich erachten, oder wenn der Kreisausschuß dies beschließt. Der Ersatzmann bleibt nur bis zum Ende der Wahlperiode deS Ausgeschiedenen in Wirksamkeit. § 121 d. In den Kreisen Norderdithmarschen und Husum kann jede Kirchspielslandgemeinde durch Statut die Bestimmung treffen, daß die Gemeindeverordneten, sämtlich oder zum Teil, von den Dorfschaften zu wählen sind. In diesem Falle gelten die Bestimmungen des § 121 c Absatz 3 und 4. Auch ist jede Kirchspielsgemeinde dieser beiden Kreise befugt, die Bildung der Gemeindevertretung nach den im § 121c für die Kirchspiels­ landgemeinden des Kreises Süderdithmarschen getroffenen Bestimmungen durch Statut zu beschließen.

§ 121 e. Für die Fortbildung der einstweilen ungeändert bleibenden Verfasiung der im Kreise Husum innerhalb der Kirchspielslandgemeinden neben den Dorfschaften bestehenden selbständigen Köge sind durch Kreisstatut Normativbestimmungen zu erlassen. Der Koogsvorsteher (Deichvogt) ist als solcher Mitglied der Kirch­ spielslandgemeindevertretung und Hülfsbeainter des Gemeindevorstehers der Kirchspielslandgemeinde für die in den §§ 90 und 91 bezeichneten poli­ zeilichen Geschäfte. § 121 f. Für die Gemeinde Helgoland, Kreises Süderdithmarschen, bleibt es bis auf weiteres bei der gegenwärtigen Gemeindeverfaffung. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Landgemeindeordnung für Helgoland wird durch Königliche Verordnung bestimmt. Dritter Titel.

Selbständige Gutsbezirke. 8 122.

Für den Bereich eines selbständigen Gutsbezirks ist der Besitzer deS Guts zu den Pflichten und Leistungen, welche den Gemeinden

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IX. Gruppe: Kommuualrecht. B. Landgemeinderecht.

für den Bereich ihres Gemeindebezirks im öffentlichen Jnterefse gesetzlich obliegen, mit den hinsichtlich einzelner dieser Leistungen auS den Gesetzen folgenden Maßgaben verbunden. Auf Beschwerden und Einsprüche, betreffend die Heranziehung oder die Veranlagung von Grundbesitzern und Einwohnern eines Gutsbezirks zu den öffentlichen Lasten desselben, finden die Bestimmungen im § 38 dieses Gesetzes sinngemäße Anwendung.

§ 123. Der Besitzer eines selbständigen Guts hat insbesondere die in den §§ 90 und 91 aufgesührten obrigkeitlichen Befugnisse und Pflichten entweder in Person oder durch einen von ihm zu bestellenden, zur Uebernahme des Amts als Gutsvorsteher befähigten Stellvertreter aus­ zuüben. Der letztere muß seinen beständigen Aufenthalt im Gutsbezirke oder in dessen unmittelbarer Nähe haben. ES können jedoch auch außer dem im § 86 Absatz 4 [fortgtfaiien] vorgesehenen Falle seitens des Besitzers des Guts sämtliche oder einzelne Gutsvorstehergeschäfte an den Vorsteher einer benachbarten Gemeinde unter Beider Zustimmung gegen eine angemessene Entschädigung übertragen werden. Ehefrauen werden rücksichtlich der angeführten Rechte und Pflichten durch ihren Ehemann, Kinder unter väterlicher Gewalt durch ihren Vater und bevormundete Personen durch ihren Vormund oder Pfleger vertreten. § 124. Die Bestellung eines Stellvertreters niuß erfolgen, wenn: 1. das Gut unverheirateten oder verwitweten Besitzerinnen, einer juristischen Person, einer Aktiengesellschaft, einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, einer Berggewerkschast oder einer eingetragenen Genossenschaft gehört, oder wenn mehrere Besitzer sich nicht darüber einigen, wer von ihnen die Geschäfte des Gutsvorstehers wahrnehmen soll, 2. der Gutsbesitzer kein Angehöriger des Deutschen Reichs ist, 3. derselbe nicht seinen beständigen Aufenthalt im Gutsbezirke oder in dessen unmittelbarer Nähe hat oder 4. wegen Krankheit oder auS anderen in seiner Person liegenden Gründen außer Stande ist, die Pflichten eines Gutsvorstehers zu erfüllen. Auf den Antrag des Gutsbesitzers kann ein Stellvertreter für den ernannten Gutsvorsteher bestellt werden, welcher in Füllen der Behinderung des letzteren die Gutsvorstehergeschäste wahrzunehmen hat. Für die von dem Hauptgute entfernt belegenen Teile eines selb­ ständigen Gutsbezirkes kann von dem Kreisausschusse die Bestellung be­ sonderer Stellvertreter angeordnet werden, sofern dies für eine ordnungs­ mäßige örtliche Verwaltung erforderlich ist.

K 125. Der Gutsbesitzer, sowie dessen Stellvertreter werden in der Eigenschaft als Gutsvorsteher von dem Landrate bestätigt. Die Bestätigung kann nur unter Zustimmung des Kreisausschusses versagt werden. Der Gutsvorsteher wird vor seinem Amtsantritte von dem Landrate oder in dessen Auftrage von dem Amtsvorsteher vereidigt.

§ 126. Unterläßt der Besitzer des Gutes in den im § 124 ange­ gebenen Fällen oder wenn ihm die Bestätigung als Gutsvorsteher versagt worden ist, die Bestellung eines Stellvertreters, oder befindet er sich nicht

3. ßanbflemeinbeorbnung f. b. Provinz SchleSwig-Holstem. §§ 122—131.

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im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte, oder ist er in Konkurs verfallen, so steht dem Landrate unter Zustimmung des KreiSauSschusses die Ernennung des Stellvertreters auf Kosten des Besitzers zu.

§ 127 Ueber die Festsetzung der dem stellvertretenden Gutsvor­ steher in den Fällen des § 126 zu gewährenden Vergütung beschließt der Kreisausschuß. Vierter Titel.

Verbindung nachbarlich belesener Gemeinden «nd selb­ ständiger Gutsbezirke behufs gemeinsamer Wahrnehmung kommunaler Angelegenheiten. § 128. Landgemeinden und Gutsbezirke können mit nachbarlich belegenen Landgenieinden oder Gutsbezirken zur Wahrnehmung einzelner kommunaler Angelegenheiten nach Anhörung der beteiligten Gemeinden und Gutsbesitzer durch Beschluß des Kreisausschusses verbunden werden, wenn die Beteiligten damit einverstanden sind. Wenn ein Einverständnis der Beteiligten nicht zu erzielen ist, kann, sofern das öffentliche Interesse dies erheischt, die Bildung eines solchen Verbandes durch den Oberpräsidcntcn erfolgen, nachdem die Zustimmung der Beteiligten im Beschlußverfahren durch den Kreisausschuß ersetzt worden ist. Vorstehende Bestimmungen finden aus die Fälle der Veränderung der Verbünde in ihrer Zusammensetzung sowie der Auslösung derselben sinngemäße Anwendung.

§ 129. Bei der Bildung dieser Verbände ist auf die sonst bestehenden Verbünde «Amtsbezirke, Kirchspiele, Schul-, Wegebau-, Armcnverbände usw.) tunlichst Rücksicht zu nehmen. Es können diesen Verbänden auf ihren Antrag mit Königlicher Ge­ nehmigung die Rechte öffentlicher Körperschaften bcigelegt werden. § 139. Ueber die infolge einer solchen Verbindung oder infolge einer Aenderung der Zusammensetzung oder einer Auslösung der Verbünde notwendig werdende Regelung der Verhältnisse zwischen den Beteiligten beschließt der Kreisausschuß vorbehaltlich der denselben gegen einander zustehenden Klage im Verwaltungsstreitverfahren. Bei dieser Regelung sind erforderlichenfalls Bestimmungen zur Aus­ gleichung der öffentlich-rechtlichen Interessen der Verbandsmitglieder zu treffen. Insbesondere können einzelne Gemeinden oder Gutsbezirke zu Vorausleistungen verpflichtet werden, wenn diejenigen, mit welchen sie ver­ bunden werden sollen, für gewisse Verbandszwecke bereits vor der Ver­ bindung für sich allein in genügender Weise Fürsorge getroffen haben oder aus anderen Gründen nur einen geringeren Vorteil von der Verbindung haben. § 131. Die nach Maßgabe des § 128 gebildeten Verbände sind berechtigt, die Ausführung der in ihrem gemeinsamen Interesse liegenden Maßnahmen und Veranstaltungen auf gemeinsame Kosten zu beschließen. Sie bilden in den Fällen, wo die Fürsorge für die öffentliche Armenpflege von ihnen übernommen oder ihnen auferlegt wird, Gesamtarmenverbände Slier-Somlo, Verwaltung-gesetze für Preußen.

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IX. Gruppe: Kommunatrechl.

B. Landgemeinderecht.

im Sinne des § 12 des Gesetzes vom 8. März 1871 (Gesetz-Samml. S. 130). Auf die bereits bestehenden Gcsamtarmcnverbände finden die Bestimmungen dieses Titels fortan sinngemäße Anwendung. Im übrigen werden die Rechtsverhältnisse der Verbände durch ein Statut geregelt, welches von den Beteiligten im Wege freier Vereinbarung festzustellen ist und der Bestätigung des Kreisausschusses unterliegt.

§ 132. Das Statut muß enthalten: 1. die Bezeichnung derjenigen Gemeinden und selbständigen Gutsbezirke, welche den Verband bilden, 2. die Bezeichnung der von dem Verbände wahrzunehmenden Angelegen­ heiten, 3. die Benennung des Verbandes und die Angabe des Ortes, wo dessen Verwaltung geführt wird, 4. die Festsetzung der Art und Weise, in welcher über die gemeinsamen Angelegenheiten des Verbandes Beschluß gefaßt wird, 5. eine Bestimmung über die Wahl oder die sonstige Art der Berufung des Verbandsvorstehers, sowie über die Vertretung des Verbandes nach außen, 6. die Bestimmung des Maßstabes für die Verteilung der Beiträge zu den gemeinsamen Ausgaben auf die Verbandsmitglieder. Das Statut ist durch das Regierungsamtsblatt und das Kreisblatt (§115 Rr. 3) zur öffentlichen Kenntnis zu bringen. Außerdem bleibt es der Beschlußfassung der einzelnen Verbände überlassen, weiter noch die Bekanntmachung des Statuts auf anderem Wege anzuordnen. § 133. Verbandsvorsteher können mir solche Personen sein, bei welchen die Voraussetzungen zur llebernahme des Amts als Gemeinde- oder Gutsvorstcher vorliegcn. Vertreter von Gemeinden können nur die zur llebernahme des Amts als Gemeindcverordneter in denselben befähigten Personen sein. Selbständige Gutsbezirke werden durch den Besitzer des Gutes, i.n Falle des § 124 zu 1, 2 und 4 und § 126 durch den Stellvertreter bc'»selben vertreten.

§ 134. Die Wahl des Verbandsvvrstehers bedarf, wenn der Gewählte nicht zugleich Gemeinde-, Guts- oder Amtsvorstcher ist, der Be­ stätigung durch den ltandrat unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des § 84 dieses Gesetzes. Wird gegen die Gültigkeit der Wahl eines Verbandsvorstehers, welcher nach der vorstehenden Bestimmung einer besonderen Bestätigung nicht bedarf, Einspruch erhoben, so entscheidet hierüber die Vcrsammliing der Verbands Mitglieder. Gegen den Beschluß findet die Klage im Vcrwaltungssireitverfahren statt. § 135. Den einzelnen Gemeinden bleibt die Ausbringung ihrer Anteile an den gemeinsamen Ausgaben nach Alaßgabe ihrer Verfassung überlassen. § 130. Aus Beschwerden und Einsprüche, betreffend 1. das Recht zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichlungeil und An­ stalten des Verbandes,

3. ßanbgemeinbeorbnung f. b. Provinz Lchleswig-Holstein. tztz 131—138.

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2. die Heranziehung der einzelnen Gemeinden und selbständigen Guts­ bezirke zu den Beiträgen für Verbandszwecke, beschließt der Derbandsvorsteher. Die Rechtsmittel und das Verfahren regeln sich nach §§ 9 und 38 dieses Gesetzes und den §§ 69, 70 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893. § 137. Kommt ein Statut durch freie Vereinbarung der Be­ teiligten nicht zustande, so ist dasselbe nach Anhörung der letzteren durch den Kreisausschuß festzusetzen. Hierbei kommen folgende Grundsätze zur Anwendung: Der Verband wird in seinen Angelegenheiten durch den Verbands­ ausschuß und den Verbandsvorsteher vertreten. Der letztere ist die aus. führende Behörde. Der Verbandsausschuß, welcher über alle Angelegenheiten des Ver­ bandes zu beschließen hat, besteht aus Vertretern sämtlicher zu dem Ver­ bände gehörigen Gemeinden und Gutsbezirke. Jede Gemeinde und jeder Gutsbezirk ist wenigstens durch einen Abgeordneten zu vertreten. Die Vertretung der Landgemeinden in dein Verbandsausschusse erfolgt durch den Gemeindevorsteher, die Stellvertreter und, wenn deren Zahl nicht ausreichen sollte, durch andere von der Gemeinde zu wählende Abgeordnete Die Zahl der von jeder Gemeinde zu entsendenden Vertreter, sowie der jedem Gutsbezirke einzuräumenden Stimmen bemißt sich nach dem Gesamtbeträge der zu dem Zeitpunkte der Feststellung des Statutes in den Gemeindebezirken und von den Gutsbesitzern zu entrichtenden direkten Staatssteuern unter Mitberücksichtigung der staatlich veranlagten Steuern, sowie der gemäß § 36 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes zu ermittelnden Einkomlnensteuersätze der im 8 33 3 ff. 2 bis 4 a. a. O. bezeichneten, der Gemeindeeinkommensteuerpslicht in den bezüglichen Gemeinden unter­ liegenden^ Personengesamtheiten, jimftiid)cii und physischen Personen. Der Verbandsausschuß wählt aus seiner Mitte einen Verbandsvor­ steher imb einen Stellvertreter desselben mii die Zeitdauer von sechs Jahren nach den sür die Wahl des Gemeindevorstehers geltenden Vorschriften (88 76 ff.) mit der Maßgabe hinsichtlich des 8 77, daß der Verbands­ ausschuß aus seiner Mitte einen Wahlvorsteher wählt und von der Wahl von zwei Beisitzern Abstand nehmen kann. Die Verteilung der gemeinsamen Ausgaben erfolgt nach den im zweiten Sahe des ersten Absatzes im 8 39 des Kommunalabgabengesetzes für die Verteilung der Gemeindeabgaben vorgeschriebenen Grundsätzen, sofern nicht auf Grund des 8 130 eine andere Festsetzung statlfindet. § 138. Die Bestimmungen der 88 128 bis 137 finden auch auf die Verbindung von Landgemeinden oder Gutsbezirken mit Stadtgemeinden sinngemäße Anwendung mit den Maßgaben, daß an die Stelle des Kreisausjchnsses der Bezirksausschuß, an die Stelle des Landrats der Regierungs­ präsident tritt, und daß die Vertretung der Sladtgemeinden in den Verdandsaussch.'ssen durch den Bürgermeister, den Beigeordneten (zweiten Bürgermeister), sonstige Magistratsmitglieder und erforderlichenfalles durch andere von der Stadtgemeinde zu wählende Abgeordnete erfolgt. ’) § 96 Abs. 6 KM.

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Fünfter Titel.

Aufficht des Staates.

§ 139. Die Aussicht des Staates über die Verwaltung der Angelegenkeiten der Landgemeinden, Gutsbezirke und Gemeindeverbände (Titel IV) wird unbeschadet der in den Gesetzen geordneten Mitwirkung des Kreisausschusses und des Bezirksausschusses in erster Instanz von dem Landrate als Vorsitzenden des Kreisausschusses, in höherer und letzter Instanz von dem Regierungspräsidenten ausgeübt. Beschwerden bei den Aufsichtsbehörden in den vorbezeichneten An­ gelegenheiten sind in allen Instanzen innerhalb zwei Wochen anzubringen. § 140. Beschlüsse der Gemeindeversammlung, der Gemeindevertretung oder der Gemeindeverbände (Titel IV), welche deren Befugnisse überschreiten oder die Gesetze verletzen, hat der Gemeinde- oder Verbandsvorsteher, entstehendenfallcs aus Anweisung der Aufsichtsbehörde, mit ausschiebender Wirkung unter Angabe der Gründe zu beanstanden. Gegen die Verfügung des Gemeinde- (Verbands-) Vorstehers steht der Gemeindeversammlung (btt Gemeindevertretung, der Versammlung der Verbandsmitglieder) die Klage im Verwaltungsstreitversahren zu. Die Aufsichtsbehörde ist nicht befugt, auS anderen als den vorstehend angegebenen Gründen eine Beanstandung von Beschlüssen der Gemeinde­ versammlung, der Gemeindevertretung oder des Gemeindeverbandcs herbeizusühren. § 141. Unterläßt oder verweigert eine Landgemeinde, ein Guts­ bezirk oder ein Gemeindeverband (Titel IV) die ihnen gesetzlich obliegenden, von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit sestgestelltcn Leistungen auf den Voranschlag zu bringen oder außerordentlich zu ge­ nehmigen, so versügt der Landrat unter Anführung der Gründe die Ein­ tragung in den Voranschlag oder die Feststellung der außerordentlichen Ausgabe. Gegen die Versügung des Landrats steht der Gemeinde, deni Besitzer des Gutes, sowie dem Verbände die Klage bei dem Bezirksausschüsse zu. § 142. Durch Königliche Verordnung kann eine Gemeindevertretung ausgelöst werden. Es ist sodann binnen sechs Wochen, vom Tage der Aujlöjungsverordnung ab gerechnet, eine Neuwahl anzuordnen. Bis zur Ein­ führung der neugewähllen Gemeindcverordneten beschließt an Stelle der Geineindevertretung der Kreisausjchuß.

K 143. Bezüglich der Dienstvergehen der Gemeindevorsteher und deren Stellvertreter, der Schöffen, der Gutsvorsteher und der Verbands­ vorsteher, sowie der sonstigen Beaniten der Landgemeinden, Gutsbezirke und Gemeindeverbünde kommen die Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Juli 1852 (Gcsetz-Samml. S. 463) mit folgenden Maßgaben zur An­ wendung : 1. Die Befugnis, gegen diese Beaniten Ordnungsstrafen zu verhängen, steht dem Landrate, und im Umfange des den Provinzialbehörden beigelegten Ordnungsstrasrechtes dem Regierungspräsidenten zu.

3. Laiidgrmeiildeordnung f. d. Provinz Schleswig-Holstein. §§ 139—146.

821

Gegen die Strafverfügungen des Landrats findet innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Regierungspräsidenten, gegen die Strafversügungen des Regierungspräsidenten innerhalb gleicher Frist die Beschwerde an den Oberpräsidenten statt. 2. Gegen den auf die Beschwerde in den Fällen zu 1 in letzter Instanz ergehenden Beschluß des Regierungspräsidenten oder des Oberpräsidenten findet die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte statt. 3. In dem Bersahren aus Entfernung aus dem Amte wird die Ein­ leitung des Verfahrens von dem Landrat oder von dem Regierungs­ präsidenten verfügt, und von denselben der Untersuchungskommissar und der Vertreter der Staatsanwaltschaft ernannt. Als entscheidende Disziplinarbehörde erster Instanz tritt an die Stelle der Bezirks­ regierung der Kreisausschuß; an die Stelle des Staatsministeriums tritt das Oberverwaltungsgericht. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei dem Oberverwaltungsgericht wird von dem Minister des Innern ernannt. In dem vorstehend zu 3 vorgesehenen Verfahren ist entstehenden Falles auch über die Tatsache der Dienstunfähigkeit der ländlichen Ge­ meindebeamten Entscheidung zu treffen.

§ 144. Zuständig in erster Instanz ist im Verwaltungsstreitver­ fahren für die in diesem Gesetze vorgesehenen Fälle, sofern nicht im Ein­ zelnen ein Anderes bestimmt ist, der Kreisausschuß. Die Frist zur An­ stellung der Klage beträgt in allen Füllen zwei Wochen. Die Gemeindeversammlung, Gemeindevertretung, der Gemeindevorstand und der Gemeindeverband (Titel IV) können zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verwaltungsstreitverfahren einen besonderen Vertreter bestellen. § 145. Aus Gemeindeverbände, denen eine Stadtgemeinde ange­ hört (3 138), finden an Stelle der §§ 139, 140, 141, 143, 144 die entsprechenden Vorschriften für Stadtgemeinden (§§ 7, 15, 19, 20, 21 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungs­ gerichtsbehörden vom 1. August 1883 sGesetz-Sammt. S. 237]) sinngemäße Anwendung. Sechster Tit^e'l.

Ausführmrgs- «ud Uebergaugsbestimumrrgeu. § 146. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. April

1893 in Kraft. Mit diesem Zeitpunkte treten alle entgegenstehenden Bestimmungen, insbesondere — unbeschadet der Vorschriften in Titel II Abschnitt 11 dieses Gesetzes — die Verordnung vom 22. September 1867, betreffend die Landgemeindeversassungen im Gebiete der Herzogtümer Schleswig und Holstein (Gesetz-Samml. S. 1603), das Laueuburgische Gesetz vom 2. No­ vember 1874, betreffend die Verfassung der Landgemeinden im Kreise Herzogtum Lauenburg (Osfiz. Wochenbl. S. 279), die §§ 22 bis 31 sowie der § 41 der Kreisordnung vom 26. Mai 1888 (Gesetz-Samml. S. 139), die Kreisstatuten für die Fortbildung der KirchspielSverfassungen in den Kreisen Norderdithmarschen und Süderdithmarschen vom 84

822

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

beziehungsweise vom .Vgjiarj 1888 und die §§ 24 bis 37 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltung?- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom i. August 1883 für die Provinz Schleswig-Holstein außer Kraft. Die Bestimmungen der §§ 38, 39 und 45 Absatz 2 der Kreisordnung bleiben auch sernerhin in Kraft. Rechte und Pflichten, welche aus besonderen Titeln des öffentlichen Rechtes beruhen, bleiben insoweit in Krait, als diese Titel von den bis­ herigen allgemeinen oder besonderen gesetzlichen Vorschriften, Ordnungen, Gewohnheitsrechten und Observanzen abweichende Bestimmungen enthalten. Eine solche Abweichung wird nicht vermutet.

§ 147. Die bei Verkündigung dieses Gesetzes bereits bestehenden Ortsstatuten, allgemeine Gewohnheitsrechte lind Observanzen bleiben, soweit dieses Gesetz ortsstatutarische Regelung zuläßt, unbeschadet der Bestimmung in Absatz 2, einstweilen, längstens auf drei Jahre, in Krast. Bis zum Inkrafttreten eines Kommunalsteuergesetzes, längstens aber bis zum 1. April 1897, können die bei Verkündigung dieser Laudgeineindeordnung für Verteilung der Gemeindeabgaben statutarisch oder observanz­ mäßig bestehenden Maßstäbe durch Beschluß der Gemeinde mit Genehmigung des Kreisausschusses ausrecht erhalten werden.

§ 148. Soweit den Volksschulen die Eigenschaft von Gemeinde­ anstalten beiwohnt, kommen in Ansehung derselben die Bestimmungen dieses Gesetzes nur unter den aus den besonderen Gesetzen über die Volks­ schule sich ergebenden Einschränkungen zur Anwendung. § 149. Der Minister des Innern erlaßt die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen. Wegen der Vorbereitungen für die notwendig werdenden Neuwahlen ist alsbald nach der Verkündigung des Gesetzen Anordnung zu treffen. Die Vollmacht der bisherigen Mitglieder der bestehenden Gemeindevertretungen erlischt mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes; doch bleiben dieselben bis zur Einführung der neugewählten Gemeindeverordneten im Amte. Tie zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes im Amte befindlichen Gemeindevorsteher, Stellvertreter und sonstigen gewählten Gemeindebeamten verbleiben in demselben bis zum Ablaus ihrer Wahlperiode, soweit sie aber auf Lebenszeit gewählt sind, für die nächsten sechs Jahre. Jngleichen ver­ bleiben im Amte die besoldeten Gemeindebeamlen nach Maßgabe ihres Anstcllungsvertrages. Denjenigen Gemeindeangehorigen, welche zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes nach einem Jahreseinkommen von mehr als 600 Mark bis einschließlich 900 Mark zu den Gemnndeabgaben herangezogen sind, steht in derjenigen Gemeindeversammlung, welche erstmalig über die Freilassung der im § 13 erwähnten Personen von den Gemeindelasten zu beschließen hat, ein Stimmrecht nach Maßgabe des § 48 Nr. 1 zu. Diese Bestimmung findet auf die Wahlen in die Genwindevertretung sinngemäße Anwendung.

4. ®tmtinbtorbnung für bie Rheinprovinz.

§£ 1—3.

823

1. Gmkiidkordniig für ditWnMinz'" vom 23. Juli 1845 l8L. c. 523) unter WWlW dcs Gesches dm 15. Mii 1858, Ihr. die Gkmcindeüersüssnng in der Aheindrodinz'» (GS. S. 435).

Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen re. rc. verordnen über die Verfassung und Verwaltung derjenigen Gemeinden in der Rheinprovinz, in welchen die Städteordnung vom 15. Mai 1856 (ES. S. 406) nicht ein gesuhlt wird?) nach Vernehmung Unserer getreuen Ltände, aus den Antrag Unseres Staatsministeriums, was folgt:

Erster Titel.

Bon den Gemeinden und Bürgermeistereien überhaupt «nd der Grundlage ihrer Verfassung. § 1. Alle diejenigen Orte (Stabte4), Dörfer, Weiler, Bauerschaften, pvnnschaften, Kirchspiele usw.), welche für ihre Kommunalbedürfnisse gegenwärtig einen eigenen Haushalt haben, es sei auf den Grund eines besonderen Etats oder einer Abteilung des Bürgermeistercietats, sollen fortan eine Gemeinde unter emem Gemeindevorsteher bilden.

§ 2. Orte, welche srüherhin besondere Gemeinden bildeten, gegen­ wärtig aber mit anderen zu einem Haushalte verbunden sind, können als eigene Gemeinden wieder hergestellt werden, wenn sic noch erhebliche be­ ton dere Interessen haben und zwei Drittel der zur Ausübung deS Eemeinderecbts befähigten Gemeindeglieder des Ortes (Artikel 11 Gesetz vom 15. Mai 1856; 33, 36) in einer zn diesem Zwecke unter dem Vorsitze des Bürgermeisters abzuhaltenden Gemeindeversammlung sich dafür er­ klären. Ter Oberpräsident hat hierüber auf den Bericht [bet Regierung) des Regierungspräsidenten (§ 18 LVG.) zn entscheiden; es muffen aber, bevor für die Wiederherstellung entschieden wird, die zur Ausübung deS Gemcinderechts befähigten Gemeindeglieder der übrigen beteiligten Ortschasteii in einer unter dem Vorsitze des Bürgermeisters abzuhaltenden Versammlung ebenfalls mit ihrer Erklärung gehört werden. § 3. Zur Gemeinde gehören alle Einwohner des Gcmeindebezirks und zu letzteren! alle innerhalb dessen Grenzen liegenden Grundstücke?)«) ') Kommentar von Richarb Schmibt, 3. Auslage 1907. ') - GAersG. •) vier wiebergegcben mit ben burch bas LVG., bar Zust.-Ges. unb bte Rhein. 11 rC beiuirften Aenberungcn «) Vgl. Rhein. KrO. §§ 21 Abs. 1, 37. *) Vgl. Zust -Ges. § 26. ’) Als Wohnsitz im Zinne — — btr Gemeinbeorbnung für bic Rheinprovinz vom 23. Juli 1845 (GZ. Z. 523) unb bett Gesetzes, detreffenb bte Gemeinbeveriassung in ber Rheinprovinz, vom 15. Mai 1856 (GS. L>. 435) ist derjenige Ort anzusehen,

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

§ 4. Einzeln gelegene Besitzungen, welche noch keiner Genteinde angehören, müssen mit einer angrenzenden Gemeinde vereinigt werden'; der (OberprSsideni] Kreisausschuß (§ 25 Abs. 1 ZustG.) hat hierüber nach Anhörung der Beteiligten und des Gemeinderats der betreffenden Gemeinde zu beschließen.

§ 5.

(Jehl gilt folgender Art. 3 des Gesetzes vom 15. Mai 1856]:

Die Verhältnisse der vormals unmittelbaren Deutschen Reichsstande in Beziehung aus das Gemeindewesen bleiben besonderer Regulierung nach Maßgabe der Verordnung vom 12. November 1855 (GS. S. 6881 vorbehalten?)

§ 6. Außer den Fällen der §§ 2 und 4 können Veränderungen in den Gemeindeverbänden nur mit Unserer unmittelbaren Genehmigung vorgenommen werden. Die zur Ausübung des Gemeinderechts befähigten Gemeindeglieder der beteiligten Gemeinden sind hierüber zuvor in einer unter dem Vorsitze des Bürgermeisters abzuhaltenden Versammlung mit ihrer Erklärung zu hören?)

§ 7. Mehrere Gemeinden bilden einen Verwaltungsbezirk (Bürger­ meisterei) unter einem Bürgermeister; die Bürgermeisterei kann auch aus einer Gemeinde bestehen, wenn diese von dem Umsange ist, nm den Zwecken einer Bürgermeisterei^für sich allein zu genügen. $ 8. Die Bürgermeisterei bildet zugleich in Ansehung solcher An­ gelegenheiten, welche für alle zu der Bürgermeisterei gehörige Gemeinden ein gemeinschaftliches Interesse haben, einen Kommunalverband mit den Rechten einer Gemeinde. Welche Angelegenheiten Gegenstand des Bürgermeisterei-Kommunalverbandes sein sollen, wird, soweit sie nicht durch gesetzliche Vorschrift besonders bestimmt sind, durch Beschluß der Bürger­ meistereiversammlung (§ 109) unter Genehmigung [bet Regierung] des Kreisausschusses (§ 31 Abs. 1 ZustG ) festgestellt.

§ 9. Die Bürgermeistereien sollen in ihrer bisherigen Begrenzung beibehalten werden; es bleibt jedoch Vorbehalten, soweit die gegenwärtigen Bezirke nicht zweckmäßig befunden werden, die erforderlichen Abänderungen zu treffen. (Diese können nur mit Genehmigung bei Ministers be« Innern auf ben mit bem Gutachten bes Overpräsidenten begleiteten Bericht bet Regierung erfolgen. bis beteiligten Bürgermeistereiversammlungen unb die Kreisstände müssen darüber zu­ vor mit ihrer Erklärung gehört werden.] Diese Abänderung der Landbürger­

meistereien (§ 25 Abs. 2 ZustG.) erfolgt fortan durch den Minister des Innern im Einvernehmen mit dem Bezirksausschüsse nach vorheriger An­ hörung der Beteiligten und des Kreistages?)

§ 10. (Bei Veränderungen, welche jetzt oder künftig in den Gemeinde- ober Bürgermeistereibezirken vorgenommen werden, ist die Regulierung der Verhällinsse, nach Vernehmung der Beteiligten, im Verwaltungswege durch btt Regierung zu Me­ in welchem jemand eine Wohnung unter Umständen inne hat, welche auf die Absicht der dauernden Beibehaltung einer solchen schließen lassen. Gesetz vom 30. Juni 18X1 (®S. S 307). S. auch § 1 EStG., § 33 KAG. *) Diese Regulierung ist inzwischen erfolgt. *i Vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 der rh. StO. So rh. KrO. § 22; vgl. auch § 26 ZustG

4. Gemeindeordnung für die Rheinprovinz.

§§ 4—13.

825

wirten, gegen deren Entscheidung der Rekurs an den Oberpräfidenten stattfindet. Ob und wie weit gegen diese Entscheidung die Berufung auf den Rechtsweg statlfinden kann, ist nach den bestehenden Gesetzen zu beurteilen ] liebst die infolge einet

Betändetung bet Grenzen bet Landgemeinden ober Bürgermeistereien in der Rheinprovinz notwendig werdende Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten beschließt der Kreisausschuß, vorbehaltlich der den letzteren gegeneinander zuktehenden Klage im Verwaltungsstreitverfahren?) Eine jede solche Veränderung der Gemeinde- oder Bürgermeisterei­ bezirke ist durch das Amtsblatt bekannt zu machen.

§ 11. Abs 1. Wo eigentümliche Verhältnisse einzelner Gemeinden oder Landesteile es nötig machen, können zur Ergänzung und näheren Bestim­ mung der Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes besondere Statuten und Dorfordnungen erlassen werden, worüber, je nachdem diese Verhältnisse nur in einzelnen Gemeinden oder in sämtlichen Gemeinden einer oder mehrerer Bürgermeistereien vorkommen, die beteiligten Gemeinderäte oder Bürger­ meistereiversammlungen (§§ 44 und 109) zu beschließen haben. Art. 4 des GVerfG. anstatt des zweiten Satzes im § 11 GemL).:

Solche Statuten und Dorfordnungen dürfen den Bestiminungen der Gesetze nicht widersprechen. Sie unterliegen der Bestätigung des (OberPräsidenten) Kreisausfchusses (§ 31 Abs. 1 ZustG.). (An der althergebrachten Wirksamkeit der im ostrheinischen Teile des Regierungs­ bezirks Koblenz noch bestehenden Schöffen- und Feldgerichte wird durch gegenwärtige Ordnung nichts geändert.]*)

Zweiter Titel.

Bo» den Gemeinde«. Erster Abschnitt,

von den Gemeindegliedern, deren Rechten und Pflichten. § 12. Mitglieder der Gemeinden sind: 1. sämtliche selbständige Einwohner derselben mit Ausnahme der servisberechtigten Militürpersonen des aktiven Dienst­ standes (Art. 5 GVerfG.). 2. alle, welche mit einem Wohnhause in der Gemeinde angesessen sind, und 3. diejenigen, welche das Gemeinderecht besonders erlangt haben (§ 36). Als mit einem Wohnhause angesessen wird derjenige angesehen, auf dessen Namen das Hans in der [(Mnmbfteueriniitterrofle ] stGrundsteuergesttz für die "westlichen Provinzen vom 21. Januar 1839 § 14)] Gebäudesteuerrolle (Gesetz betreffend die Einführung einer allgemeinen Gebäudesteuer, 21. Mai 1861 — GS. S. 317) eingetragen ist.

§ 13. Inwiefern die Gemeinden neu anziehenden Personen die Niederlassung zu gestatten haben, ist nach den hierüber bestehenden be­ sonderen Vorschriften zu beurteilen?) ') *) uom 21. ’)

ZustG. § 25 Abs. 4. Vgl. auch § 37 Abs. 1 ZustG. Aufgehoben durch das preußische Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Sepember 1899, Art. 123, 121. Vgl. Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 (BGBl. S. 55).

826

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

14 und Art. 6 GVerfG. ist aufgehoben.^

§ 15.

Die Mitglieder der Gemeinde nehmen an den gemeinsamen Rechten und Pflichten der Gemeinden teil, unter folgenden näheren Be­ stimmungen :

§ 16. Tie Teilnahme an den Wahlen und an den öffentlichen Geschäften der Gemeinde (das Gemeinderecht) steht nach näherer Vorschrift des zweiten Abschnitts nur 1. den Meistbeerbten (Meistbesteuerten) (§ 33] Art. 11 des Gesetzes vom 15. Mai 1856; § 35 und) 2. denjenigen zu, welchen dasselbe besonders verliehen worden ist (§ 36). § 17. In Ansehung der Teilnahme der einzelnen Gemeindeglieder an den Nutzungen des Gemeindevermögens wird in den bestehenden Rechts­ verhältnissen durch gegenwärtige Gemeindeordnung, vorbehaltlich der im § 18 getroffenen Bestimmungen nichts geändert.

§ 18. Für die Teilnahme an den Gemeindenutzungen ic Regierung] den Kreisausschuß (§ 31 Abi. 1 ZustG.) festgesetzt. An Stelle bes K 19 gilt § 34 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 3 und 5 ZustG. 8 20. Auf das Vermögen der Korporationen und Stiftungen, fowie auf dasjenige, welches einzelnen Klassen von Einwohnern angehört, haben die Mitglieder der Gemeinde als solche keinen Anspruch.

§ 21. Die Gemeinde ist zu allen Leistungen verpflichtet, das Gcmeindebedürsnis erfordert.

welche

§ 22. Insofern zu diesen Leistungen die Einkünfte aus dem Ge­ meindevermögen und die sonst den Gemeinden nach den Gesetzen zustehendcn Einnahmen nicht hinreichen, sind alle einzelne Gcmeindeangehörige (§§ 3 und 12) nach Maßgabe des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 zu Geldbeiträgen und Diensten (wozu jedoch fünft» und handwerksmäßige Arbeiten nicht gebären,] verpflichtet. [$$ 23 lüib 24 sind aufgehoben durch § 95 Abs. 5 KAG ] § 25. Alle Gemeindeabgaben, insonderheit auch die nach § 18 zu erhebenden Gemeindetaxen und Einkaufsgelder, sind, beim Mangel freiwilliger Leistung, im Steuerexekutionswege beizutreiben. Die Rollen werden von: Bürgermeister (Art. 9 GVerfG.) für vollstreckbar erklärt.') § 26. (8 22)

Tie Bcitragspflicht erstreckt sich auch aus die

der einzelnen Gemeindeangehörigen Verzinsung und Abtragung bereits

’) Vgl. § 90 KAG. und VO. vom 15. November 1899 betreffend das VerwaltungsZwangsverfahren.

4. Vcmeindeordiiuiig für die Rkeinvroviiiz.

§§ 14—32.

827

vorhandener Schulden der Gemeinde, und es bedarf dieserhalb keiner be­ sonderen Bekanntmachung an die neu eintretenden Mitglieder; die Bestim­ mungen, welche in Ansehung der Besitzer der von der französischen Regierung verkauften Domänen durch das Gesetz wegen des Schuldenwesens der Ge­ meinden in den Landesteilen des linken Rheinufers und in der Stadt Wesel vom 7. März 1822 § 33 getroffen worden sind, verbleiben jedoch in Krait. Bei Veränderungen des Gemeindebezirks durch Zuschlagung einzeln gelegener Besitzungen, oder durch Einverleibung einer anderen Gemeinde oder eines Teiles derselben, wird in den bestehenden Schuldverhält­ nissen und in der Verbindlichkeit, zur Verzinsnug und Abtragung der schon vorhandenen Schulden bcizulragen, nichts geändert.

27 ist § 28. § 29.

o-ifa.choDen biirch § 60 KAG.)

[-In bis Stelle Dieser Borschrist traten §§ 42, 68 Abs. 6 KAG.)

(Wegen der Lesteuerung des Tiensteinkvmmens der Beamten sollen i ie Vorschriften des Gesetzes vom 11. Mai 1822 und der Ordre vom 14. Mai 1832 i’.i’uepjanbt treiben.|

In Ansehung der Geistlichen und Schullehrer verbleibt es beNeuenden Verordnungen.

bei den

Alt. Hi ?lbj 1 GVenG.:

Die Geistlichen und Elementarschullehrer sind von allen direkten Gemeindeabgaben hinsichtlich ihres Diensteinkommens und ihrer Dienst­ grundstücke, ingleichen von allen persönlichen Gemeindediensten, soweit die­ selben nicht auf ihnen gehörigen Grundstücken lasten, befreit, Kirchendiener insoweit, als ihnen die Befreiung zur Zeit der Verkündigung der Gemeinde­ ordnung vom 11. Marz 1850 zustand?»

§ 30. Wo bisher nach gesetzlicher Vorschrift einzelne Klassen der Gemeiudemitglieder oder einzelne Abteilungen des Gemeindebezirks zur Befriedigung solcher Bedürfnisse, welche nur diese Klassen oder Abteilungen betreuen, besondere Geldbeiträge oder Dienste geleistet haben, behält es dabei sein Bewenden?) § 31.

Etz Gilt nur noch b-r folgende Absatz:

Denjenigen Staatöwaldungen, welche seither von den nach dem Grundsteuerfusie verteilten Gemeindelasten befreit gewesen sind, verbleibt fernerhin diese Befreiung; dagegen bleibt auch das Regulativ vom 17. November 1841 wegen Heranziehung der Staatswaldungen zum Wegebau fortbestehen.

8 32. (Dingliche Befreiungen, welche außer den im § 31 erwähnten jetzt nod) bestehen, werden nach ihrem bisherigen Umfange solange anerkannt, bis sie von der Gemeinde abgelöst sind, erstrecken sich jedoch nur auf den gewöhnlichen Zustand, nicht auf außerordentliche Leistungen.)') Der Ablösungsbetrag wird durch Schiedsrichter festgesetzt; von diesen erwählt einen der Besitzer des bisher befreiten Grundstücks und den andern der Gemeinderat; der Obmann wird nach Vorschrift des § *>1 bestellt. ') An Stelle des § 29 Abs. 1 ist § 41 KAG. bezw. die VO. vom 23. Septun her 1867 getreten. Zu Abs. 2 find dieselben Vorschriften, sowie §§ 24 k und > 68 Ads. 6 KAG., endlich das Ges. v. 16. Juni 1909 zu beachten. 2) Vgl. § 34 Nr. 3 ZustG. s) Vgl. § 21, 40 Abs. 3 KAG.

IX. Gruppe: Kommunalrecht. B. Landgemeinderecht.

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Durch den Ausspruch der Schiedsrichter wird unabänderlich jestgesteltt, welchen Geldwert die Befreiung im gewöhnlichen Laufe der Dinge, nach einem Durchschnitte von foebn] drei Jahren,') jährlich gehabt hat. Sobald die Gemeinde den zwanzigfachen Betrag des ermittelten Jahresquantums an den Beteiligten bar gezahlt hat, hört die Befreiung auf. Neue dingliche Befreiungen können von der Gemeinde ebensowenig erteilt werden, als [bauetnbe] persönliche Befreiungen. Zweiter Abschnitt.

Von dem Hemeinderechte (Sürgerrrchte) und den Meistbeerbteu.

(§§ 33

und 34) bezw. Art. 11 des GDerfG. vom 15. Mai 1856 : Zur Teilnahme an den öffentlichen Geschäften der Gemeinde ie Gemeinschaft, ohne Nachteil für den andern Teil, fortbesteheu kann. § 4. Mehrere Gemeinden nebst den, den Gemeinden gleichgestellten Gütern (§ 3» bilden einen Verwaltungsbezirk (Amt), welchem ein Amt­ mann vorsteht; doch kann das Amt auch aus Einer Gemeinde bestehen. Wo und insofern künftig die Amtseinrlchtung entbehrlich befunden werden möchte, kann deren Aufhebung auf dem im § 12 wegen des Erlasses statutarischer Anordnungen für die Provinz oder einzelne Landesteile vor­ geschriebenen Wege erfolgen.

8 5. Das Amt kann zugleich in Ansehung solcher Angelegenheiten, welche für alle zu demselben gehönge Gemeinden ein gemeinschaftliches Interesse haben, einen KviNinunalverbaud mit den Rechten einer Gemeinde bilden. Welche Ange egenhelten Gegenstände des Aintskommuualverbandes sein sollen, darüber hat, sofern sie nicht durch gesetzliche Vorschrift besonders bestimmt sind, die Amtsverjammluug (8 75) unter Genehmigung des Ixiüiibrtito] Kreisausschusses zu beschließen; doch ist, wenn eine Angelegenheit bisher nicht zu dieseu Gegenständen gehört hat, die ZustininiMig der Ge­ meinden und der Besitzer der den Gemeinden gleichgestellten Güter erforderlich. Auch für einzelne bestimmte Angelegenheiten, bei welchen mehr als eine, abei nicht alle Eiuzelngemeinden eilies Amtes ein gemeinschaftliches Interesse haben, tanti mit Zustimmung der beteiligten Gemeinden und Besitzer der den Gemeinden gleichgestellten Güter ein besonderer Verband gebildet werden. Diese Angelegenheiten gehöre.i alsdann zum Geschäfts­ kreise des Amtsmanlies und der Amtsversammlung; jedoch haben die Ver­ treter der nicht beteiligten Gemeinden darüber nicht mitzubeschließen.

§ (>♦ Grundstücke, welche bisher noch keinem Gemeinde- oder selb­ ständigen Gutsbeürk angehört haben, müssen nach Vernehmung der Belj § 25 Abs. 3 ZustG. 3) Vlufqehoben durch § 31 Abs. 5 ZustG. •) § 31 Abs. 1 ZustG.

852

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

teiligten [unb nach Anhörung des Kreistages durch den Oberpräfidenten] durch Beschloß des Kreisausschussis'i mit einem Gemeinde- oder Gutsbezirke ver­ einigt werden. Eine Vereinigung eines ländlichen Gemeinde- oder eines selbständigen Gutsbezirks mit einem andern kann nur unter Zustimmung der Ver­ tretungen der beteiligten Gemeinden, sowie des beteiligten Gutsbesitzers nach Anhörung des [finietagte] KieisausfchusseS') Genehmigung des Königs erfolge». Die Abtrennung einzelner Grundstücke von einem Gemeinde- oder selbständigen Gutsbezirk und deren Vereinigung mit einem angrenzenden anderen, kann [nach Anhörung M firei$tagt8 mit läenebmigung des DberpräfibentenJ durch Beschluß des Kreisausschusses') vorgenommen werden, wenn außer den Vertretern der beteiligten Gemeinden und den beteiligten Gutsbesitzern auch die Eigentümer jener Grundstücke darin einwilligen. In Ermangelung der Einwilligung aller Beteiligten kann eine Veränderung dieser Art in den Gemeinde- und Gutsbezirken nur in dem Falle, wenn dieselbe im öffentlichen Interesse als notwendiges Bedürfnis sich ergibt, und alsdann nur mit Genehmigung des Königs, nach Vernehmung der Beteiligten und nach Anhörung des [fkrietagte] Kreisausichufses') stattfinden. Zur Bildung eines selbständigen Gemeindebezirks aus solchen Trenn­ stücken ist in allen Fällen die Genehmigung des Königs, nach vorgängiger Vernehmung der Beteiligten und des [fireietagr#] Kreisausschusses') einzuholen, [vut ein Rittergut die zu einem solchen erforderlichen Eigenschaften 3) ver­ loren, io kann eS wenn sich ein seibnandige« (Sut desselben Eigentümers in der Nähe befindet, auch wider den Willen des letzteren mit diesem Gute zu einem Verbände vereinigt werden.]')

§ 7. Die Veränderung oder Auflösung eines Amtsbezirks, bzw. Bildung eines Amtes aus einer Gemeinde oder mehreren Gemeinden und den Gemeinden gleichgestellten Gütern [sann, wenn die Vertretungen der betet» ligtkii Gemeinden und Atmler und die Besitzer der beteiligten seldstündigen. den Ge­ meinden gleichgestellten Güter darin einwilligen, unter Bestätigung deS Oderpräsidenten, in Ermangelung dieser Einwilligung über nur nach Vernehmung de« Provinziallandtage«, mit Genehmigüng deS Königs vorgenommen Werben] erfolgt durch bei! Muttster

des Innern im Einvernehmen mit bem Bezirksausschüsse nach vorheriger Anhörung ber Beteiligten und des Kreistages?)

§ 8. Bon ben Beschlüssen des (Kreistages] Kreisausschusses *) in ben Fallen ber §§ 3 unb 6 ist ben Beteiligten vor Einholung ber Königlichen Genehmigung Mitteilung zu machen. § 9. Wo unb insoweit infolge von Veränderungen in Gemeinde-, Guts' ober Amtsbezirken (§§ 3, 6 unb 7) eine Auseinandersetzung als nötig sich ergibt, [ist solche im Verwaltungswege zu bewirken. Wird hierbei eine Uebereinkunft unter den Beteiligten vermittelt, so genügt die Genehmigung der Regierung, im Falle deS Widerspruchs entscheidet der Oderpräsident.] beschließt darüber bei

Kreisausschuß vorbehaltlich ber ben Beteiligten gegeneinanber zustehenben Klage, welche innerhalb zwei Wochen bei bem Kreisausschusse anzubringen x) § 25 Abs. 1 u. 3 ZustG. ') Wests. KrO. § 23. ■) Wests. KrO. 8 22.

5. Landgememdeordnung für die Provin; Weükalen.

§§ 6—15.

853

ist. Privatrechtliche Lerhältnisse dürfen durch dergleichen Veränderungen niemals gestört werden.

§ 10. Jede Bildung einer neuen Gemeinde, eines selbständigen Gutsbezirks oder eines neuen Amtsbezirks, sowie jede Veränderung in den Gemeinde-, Guts-, oder Amtsbezirken ist durch das Amtsblatt bekannt zu machen.

§ 11. Veränderungen in den Gemeinde- oder Gutsbezirken, welche bei Gelegenheit einer Gemeinheitsteilung vorkommen, unterliegen den Be­ stimmungen der §§ 6 und 9 nicht?) § 12. In Ergänzung der Gemeindeordnung können wegen aller solcher auf daS Gemeindewesen bezüglichen Angelegenheiten, in Hinsicht deren die gegenwärtige Gemeindeordnung keine Bestimmungen enthält, nähere Festsetzungen aber für die ganze Provinz oder einzelne Landesteile sich als nötig ergeben, durch Beschluß des Provinziallandtages, mit Genehmigung des Königs, statutarische Anordnungen getroffen werden. Dieselben dürfen jedoch den Bestimmungen der Gemeindeordnung nicht widersprechen.

§ 13. Jede Gemeinde und jedes Amt ist besugt, durch Beschluß der Gemeinde- oder Amtsversammlung mit Genehmigung des [Oberpräiibenten]*) Kreisausschusses statutarische Anordnungen zn treffen: 1. wegen derjenigen Gegenstände, in Hinsicht deren die gegenwärtige Gemeindeordnung auf das Gemeinde- oder Amtsstatut verweist (§§ 15, 24, 25, 26, 27, 28, [58] und 75, [Nr. 3]; und 2. wegen eigentümlicher Verhältnisse und Einrichtungen der Gemeinde oder des Amtes. Diese statutarischen Anordnungen dürfen den Bestimmungen der gegenwärtigen Gemeindeordnung und des Provinzialstatuts nicht widersprechen. Hinsichtlich der vorstehend unter 1 erwähnten Gegenstände hat bis dahin, daß darüber durch statutarische Anordnungen bestimmt sein wird, der [Oberpräsidkitt] Kreisausschuß *) nach Vernehmung der Gemeinde- oder Amtsversanimlung die erforderlichen Festsetzungen zu treffen.

§ 14. Mitglieder der Gemeinde sind: 1. alle nach § 2 zur Gemeinde gehörende selbständige Einwohner, und 2. alle diejenigen, welche im Gemeindebezirke mit einem Wohnhause angesessen sind. § 15. Zur Teilnahme an den öffentlichen Geschäften der Gemeinde (Gemeinderecht) sind nur diejenigen Mitglieder der Gemeinde berechtigt, welche I. preußische Untertanen und selbständig sind, und II. seit einem Jahre 1. keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfangen, 2. die sie betreffenden Gemeindeabgabcn gezahlt haben, und 3. a) in dem Gemeindebezirke mit einem Wohnhause angesessen find und von ihren daselbst gelegenen Grundbesitzungen [einen Hauptgrundsteuer­ betrag von mindesten« zwei Talern entrichten] zu einem Jahresbetrage *) § 26 ZustG •) § 31 «bf. 1 ii. 2 Zust«.

854

IX

Gruppe: Kommunalrecht.

B. Laudgemeinderecht.

von mindestens sechs Mark an Grund- und Gebäudesteuer ver­ anlagt finb ;1) doch kann dieser Satz, wo besondere Ortsverhältnisse es nötig machen, ausnahmsweise mit Genehmigung des [Obexprafibciiteii] Kreisausschusses ') geringer festgesetzt werden, oder b) ihren Wohnsitz im Gemeindebezirke haben und außerdem entweder zur Einkommensteuer oder [mit einem Jahresbetrage von mindestens wer Talern zur Klassensteuer] zu einem fingierten Normalsteuersatze von vier Mark veranlagt sind oder ein Einkommen von mehr als 660 Mark bis 900 Mark beziehen.-h [Wo eigentümliche Verhältnisse solches be­ sonders wünschenswert machen, kann durch das Gemeindestatut an Stelle des vorgedachten Klassensteuerbetrages ein geringerer Betrag als Bedingung der Teilnahme am Gemeinderccht festgestellt werden; jedoch darf derselbe keinenfalls weniger als zwei Taler betrogen.] Steuerzahlungen und Grundbesitz der Ehefrau werden dem Ehemanne, Steuerzahlungen und Grund­ besitz der minderjährigen, bezw. der unter väterlicher Gewalt be­ findlichen Kinder, dem Vater angerechnet.

§ 16. Wer in einer Gemeinde seit einem Jahre mehr als einer der drei höchstbesteuerten Einwohner, sowohl an direkten Staats- als an Gemeindeaögaben entrichtet, ist, auch ohne im Genieiiidebezirk zu wohnen oder mit entern Wohnhause angesessen zu sein, zum Stimm- und Wahl­ recht berechtigt, falls bei ihm die übrigen Erfordernisse dazu vorhanden find. Eben dies gilt von juristischen Personen, wenn sie in einem solchen Maße in der Gemeinde besteuert sind. § 17. Als selbständig (§ 14 Nr. 1 und § 15, I) wird derjenige angesehen, welcher das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet und einen eigenen Hausstand hat, sofern ihm das Recht, über sein Vermögen zu ver­ fügen und dasselbe zu verwalten, nicht durch richterliches Erkenntnis ent­ zogen ist. Inwiefern für nicht selbständige Personen und für Frauenspersonen, welche ein Wohnhaus besitzen, eine Stellvertretung stattfinden kann, ist im § 20 bestimmt. § 18. Wer ein Wohnhaus in einer Gemeinde besitzt, dem kommt bei Berechnung der Dauer des einjährigen Wohnsitzes oder Ansässigkeit die Besitzzeit des Erblassers zugute. Die Uebertragung unter den Lebenden an Verwandte in absteigender Linie steht der Vererbung gleich. § 19. Verlegt ein stimmberechtigtes Gemeindemitglied seinen Wohnsitz in eine andere Getneiude, so kann ihm das Gemeinderecht, wenn sonst die Erfordernisse zu dessen Erwerbung vorhanden sind, durch den Gemeindevorsteher im Einverständnisse mit der Gemeindeversammlung schon vor Ablauf von einem Jahre verliehen werden. Ein Gleiches findet statt, wenn der Besitzer eines selbständigen Gutes (§ 3) seinen Wohnsitz in eine Gemeinde verlegt. 0 Ges. wegen Aushebung direkter Staatssteuern vorn 14. Juli 5. 119) 8 5. a) § 31 Abs. 1 u. 2 ZustG. ’) EinkornrnensteuerG. 88 77, 92.

1993 (GS.

5. Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen.

§§ 15—23.

855

§ 20, Befindet sich ein Wohnhaus im Besitze einer Frauensperson oder einer unter väterlicher Gewalt oder Vormundschaft stehenden Person, und würde dieselbe, ihren übrigen Verhältnissen nach, zur Teilnahme am Gemeinderechte befähigt sein, so ist die Ausübung dieses Rechts durch Stellvertreter dahin gestattet, daß eine Ehesrau durch ihren Ehemann, eine unverheiratete oder verwitwete Frauensperson durch einen stimmberechtigten Eingesessenen, eine unter väterlicher Gewalt stehende Person durch den Vater und eine unter Vormundschaft stehende Person durch den Vormund vertreten werden kann. Der Ehemann, Vater und Vormund muß, um zu dieser Stellvertretung befugt zu sein, die im § 15 Nr. I vorgeschriebenen Eigenschaften besitzen und seinen Wohnsitz in der Gemeinde haben. Außer dieser Vertretung können die außerhalb der Gemeinde wohnenden Gemeindemitglieder, sofern sie mindestens [fünf Taler Grundsteuer von ihrer Brjitznng zahlen,] zu einem Jahresbetrage von 15 Mark an Grund- und Ge­ bäudesteuer veranlagt sind, sich durch ein stimmberechtigtes Mitglied der Gemeinde vertreten lassen; hierzu sind auch die in § 16 erwähnten juristischen oder außerhalb des Gemeindebezirks wohnenden höchstbesteuerten Personen berechtigt.

§ 21?) § 22.

Wer infolge rechtskräftigen Erkenntnisses [ber oürgerüchen Ehre die bürgerlichen Ehrenrechte ver­ loren hat?) verliert dadurch während der im Urteil bestimmten Zeit auch das Gemeinderecht (§ 15) und die Befähigung, dasselbe zu erwerben. verlustig geworden (§ 12 der Strafgesetzbuch«))

['Itbj. 2 girr nicht mcf)t'.]*2)

Ist gegen ein stimmberechtigtes Gemeindemitglied wegen eines Ver­ brechens, wegen dessen auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, die Versetzung in den Anklagestand ausgesprochen, oder wegen eines Vergehens, welches [bie Untersagung der Ausübung) den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nach sich ziehen [muß oder) kann, [bie Verweisung an dos Strafgericht ausgesprochen,) das Hauptversahren eröffnet oder ist [derselbe dasselbe zur gerichtlichen Haft gebracht, so ruht die Ausübung des ihm znstehenden Gemeinderechts so lange, bis die gerichtliche Untersuchung be­ endet ist. Verfällt ein stimmberechtigtes Gemeindemitglied in Konkurs, so [verliert es dadurch das Gemeinderecht; die Befähigung, dasselbe wieder zu kann ihm nach Beendigung des Konkursverfahrens von den Gemeindebehörden werden, jedoch dem Handelsmann, Schiffsrheder oder Fabrikbesitzer erst nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand,) ruht sein Gemeinderecht bis

erlangen, verliehen erfolgter

zur Be­ endigung des Konkursverfahrens. Das Gemeinderecht geht verloren, sobald eines der zur Erlangung desselben vorgeschriebenen Erfordernisse bei dem bis dahin dazu Berechtigten nicht mehr zutrifft.

§ 23. Die Gemeinde wird in ihren Angelegenheiten durch die Gemeindeversammlung und durch den Gemeindevorsteher vertreten; der Gemeindevorsteher ist die ausführende Behörde. Aufgehoben durch § 23 der westf. KrO. vom 31. Juli 1886. 2) §§ 32 bis 36 RStrGB.

856

JX. Gruppe: ^kommunalrecht.

B. Landgememderecht.

K 24. Die Gemeindeversammlung besteht, wenn die Zahl der stimm­ berechtigten Gemeindrmitglieder achtzehn übersteigt, aus Gemeindeverordneten, insofern bei einer größeren Zahl der stimmberechtigten Gemeindeinitglieder nicht durch das Gcmeindestatut die Bildung einer gewählten Gemeinde­ vertretung ausgeschlossen ist. § 25. 1. Wo die Gemeindeversammlung aus sämtlichen stimmberech­ tigten Gemeindemilgliedern besteht, soll den Besitzern [bet im § 21 bejeidjneten Güler unb aufeetbem1]) aller derjenigen Güter, [von benen minbesleu« fünfunb-fiebenzig Taler Hauptgrunbsteuer entrichtet Wirb.] die zu einem Jahresbetrage von 225 Mark an Grund- und Gebäudesteuer veranlagt sind, im Verhältnisse deS Umfanges ihres Besitztums zu dem der übrigen stimmberechtigten Ge­ meindemitglieder eine größere Anzahl von Stimmen nach näherer Bestim­ mung des Geineindestat uts beigelegt werden; 2. wo eine Beteiligung der nicht mit einem Wohnhause angesessenen [Haffen] steuerpflichtigen Einwohner an das Stimmrecht stattfindet (3 15). darf ihnen höchstens ein Drittel der Stimmen in der Gemeindeversamm­ lung beigelcgt werden; die näheren Festsetzungen hierüber hat das Gemeindestatut zu treffen?) § 26.

Die [®emeinbeDeiotbneten bestehen:] Gemeindevertretung besteht: [a) au« ben Besitzern derjenigen im (Semeinbenerbanbe besiublichen Güter, welche in der Rittergutvmalrikel eingetragen fiub, unb] b)] auS 6 bis 18 gewählten Gemeindeverordneten, deren Wahl auf je sechs Jahre ersolgt. Die Zahl derselben in den einzelnen Gemeinden wird durch das Gemeindestatut festgesetzt. Alle zwei Jahre scheidet ein Drittel der gewählten Gemeindeverordneten auS, die Ausscheidenden sind wieder wählbar. Die das erste und zweite Mal Ausscheidenden werden für jede Abteilung durch das Los bestimmt. Außergewöhnliche Wahlen zum Ersatz innerhalb der Wahlperiode ausge­ schiedener Mitglieder sind vom Amtmann') anzuordnen. Der Ersatzmann bleibt nur bis zum Ende der Wahlperiode in Tätigkeit, für welche der Ausgeichiedene gewählt war. [Die unter lit. a erwähnten Gutsbesitzer können sich nach Vorschrift be« § 21 vertreten lasse».],

§ 27.

[Zum Behuf der Wahlen der Gemeindeverordneten werden die ftirnmderechtiqten Gerneindernitglieder, mit Ausnahme der im § 26 unter lit. a erwähnten Gutsbesitzer, nach Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden Staatssteuern (Grund-, Klaffen», Einkommen» und Gewerbesteuer, mit Ausschluß der Steuer für den Gewerbe­ betrieb im Umherziehen) und Gemeindesteuern in drei Klassen geteilt, und zwar in der Art, daß auf jede Klasse ein Dritteil der Gesamtsumme der Steuern entfällt;) Für

die Wahlen der Gemeindeverordneten werden die stimmberechtigten ®e-meindemitglieder nach Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten Staats-, Gemeinde-, Kreis- und Provinzialsteuern in drei Abteilungen ge­ teilt, und zwar in der Art, daß aus jede Abteilung ein Dritteil der Ge­ samtsumme der Steuerbeträge aller Wähler entfällt/) Steuern, welche für Grundbesitz und Gewerbebetrieb in einer anderen Gemeinde entrichte! Wests. KrO. § 23 Abs. 1. *) Vgl. § 27 Nr. 1 Ans. 2 und § 28 ZustG. •) Au Stelle des Amtmanns beschließt der Kreisaus^chuß f§ 32 Ziff. 2 ZustG ). 4) Ges vom 29. Juni 1*93 (GS. S. 103).

5. Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen.

§§ .24—28.

857

werden, und die Steuern für den Gewerbebetrieb im Umherziehen *) kommen hierbei nicht in Berechnung?) Niemand kann zwei [filafün] Abteilungen zugleich angehören; in die erste, bzw. zweite [Rinne] Abteilung gehört auch derjenige, dessen Steuer­ betrag nur teilweise in das erste, bzw. zweite Drittel fällt. Unter mehreren, einen gleichen Steuerbetrag entrichtenden Wühlern entscheidet das Los dar­ über, wer von ihnen ;u der höheren Abteilung zu rechnen ist. Jede [Klasse] Abteilung hat ein Drittel der Gemeindeverordneten zu wählen, ohne jedoch an die Wühler der [Klasse] Abteilung gebunden zu sein. Abweichende Bestimmungen zum Zwecke fester und dauernder Ab­ grenzung der Wahl[klassen]abteilungen bleiben dem Gemeindestatnt Vor­ behalten.')

§ 28.

Die Wahlen der Gemeindeverordncten erfolgen unter Leitung des Amtmanns?) derselbe kann sich aber durch den Gemeindevorstand ver­ treten lassen. Die Wahlen zur regelmäßigen Ergänzung der Gemeindeverordneten finden alle zwei Jahre im November statt. Alle Ergünzungs- und Ersatzwahlen') werden von denselben Abtei­ lungen vorgenommen, von denen die Ausgeschiedenen gewählt waren. Ist die Zahl der zu wählenden Gemeindeverordneten nicht durch drei teilbar, so ist, wenn nur einer übrig bleibt, dieser von der zweiten Abteilung zu wählen. Bleiben zwei übrig, so wählt die erste Abteilung den einen und die dritte Abteilung den andern. Der Wahltermin ist vier Wochen vorher nach der in der Gemeinde gewöhnlichen Publikationsart bekannt zu machen und zugleich ein Verzeichnis der stimmberechtigten Gemeindeglieder zur Einsicht der Beteiligten anszulegen. Reklamationen gegen dasselbe') machen die spätere Wahlhandlung nur dann ungültig, wenn erst nachher eine solche Abänderung des Ver­ zeichnisses verfügt wird, durch welche der Gewählte die absolute Stimmen­ mehrheit verliert. Jeder Wähler hat dem Wahlvorsteher mündlich und vernehmlich zu Protokoll zu erklären, wem er feine Stimme geben will. Er hat so viele Personen zu bezeichnen, als zu wählen sind. Als erwählt ist derjenige zu betrachten, welcher die absolute Stimmen­ mehrheit sür sich hat. Wo die absolute Mehrheit fehlt, sind von den­ jenigen Kandidaten, welche die meisten Stimmen für sich haben, so viele ans eine engere Wahl zu bringen, als die doppelte Zahl der noch zu Wählenden beträgt. Bei der zweiten Wahl ist die absolute Stimmen­ mehrheit nicht erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Das Ergebnis der Wahl ist sofort bekannt zu machen; [gegen da« stattgehabte Wahlveriahren kann innerhalb zehn Tagen nach der Bekanntmachung bei dem Landrat Beschwerde erhoben werden: bei erheblichen Unregelmäßigkeiten hat derselbe aus erhobene Beschwerde oder von Amts wegen innerhalb weiterer vierzehn Tage durch eine motivierte Entscheidung die Wahl für ungültig zu erhärtn]*) *) *) •) *) •) *)

Ges. vom 29. Juni 1893 (GS. S. 103). Das erwähnte Gesetz enthält auch die jetzt maßgebenden Versahrensvorschriften. Vgl. oben § 13 Nr. 2. § 29 der KiO. Siehe § 32 Ar 2 ZustG. Vgl. jept § 26 Abi. 1 ii. 2 und § 28 Zun(6

858

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Nähere über abweichende Bestimmungen bleiben dem Gemeindestatut vorbehalten.

§ 29. Die Zahl der aus den fllassenjsteuerpflichtigen, mit einem Wohnhause nicht angesessenen Einwohnern (§ 15, II Nr. 3, litt, b) zu wählenden Geineindeverordneten darf höchstens ein Drittel der Gesamtzahl der gewählten Gemeindeverordncten betragen. Ist eine gleichmäßige Ver­ teilung dieser Zahl ans die einzelnen Wahljttasienfabteilungeu nicht möglich, so erfolgt die Ausgleichung durch das Los. Ist die Zahl der aus diesen Einwohnern Gewählten größer, so müssen diejenigen, welche die wenigsten Stimmen gehabt haben, zurücktreten.

§ 30. Gemeindeverordnete können nicht sein: 1. diejenigen Beamten unb die Mitglieder derjenigen Behörden, durch welche die Aussicht des Staates über die Gemeinden ausgeübt wird; 2. die nicht zum Gemeindevorstande gehörenden Gemeindebeamten; 3. die richterlichen Beamten; 4. die Beamten der Staatsanwaltschaft und die Polizeibeamten, mit Ausnahme der Amtmänner; 5. Geistliche, Kirchendiener und Elementarlehrer. Vater und Sohn, sowie Brüder, dürfen nicht zugleich Gemeindeverorduete derselben Gemeinde sein; sind dergleichen Verwandte zugleich gewählt, so wird der ältere allein zugelassen. [£)ie Bestimmungen dieses Paragraphen finden auf diejenigen keine Anwendung, welche nach § 26 lit. a vermöge ihres Gutsbesitzes zu den Gemeindeverordneten gehörens

Die Gemeindeverordneten werden bei ihrer Einführung in das Amt durch Handschlag verpflichtet.

§ 31. Der Gemeindevorsteher führt in der Gemeindeversammlung den Vorsitz mit vollem Stimmrechte und bei Stimmengleichheit mit ent­ scheidender Stimme. Ter Amtmanii kaun, so oft er es für gut findet, den Vorsitz darin übernehmen; es gebührt ihm hierbei bei Stimmengleichheit die entscheidende Stimme, außerdem aber kein Stimmrecht. Derselbe ist verpflichtet, die Beratungen über den Haushaltsetat und die Rechnungen zu leiten; er hat die Hebelisten für vollstreckbar zu erklären?) Ihm müssen, wenn er nicht selbst den Vorsitz in der Gemeindever­ sammlung geführt hat, deren Beschlüsse vor der Ausführung vorgelegt werden. Wenn demnächst nicht innerhalb acht Tagen nach erlangter Kenntnis seitens des Amtmanns der Beschluß beanstandet (§ 37) worden, so kann die Ausführung erfolgen. Auf diejenigen Beschlüsse, für welche eine höhere Bestätigung ausdrücklich vorgeschrieben ist, findet diese Bestimmung keine Anwendung.

§ 32. Die Gemeindeversammlung hat, ohne daß ihre Mitglieder an Instruktionen oder Aufträge gebundeu sind, über alle Gemeindeange­ legenheiten zu beschließen, soweit diese nicht durch das Gesetz dem Gemeinde­ vorstande ausschließlich überwiesen sind. Ueber andere Angelegenheiten darf die Gemeindeversammlung nur dann beraten, wenn solche durch besondere gesetzliche Vorschriften, oder in einzelnen Fällen durch Aufträge der Aus*) Vgl. 88 65, 66, 96 Abs. 5 KAG.

5. Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen.

§§ 28—37.

859

sichtsbehörde (§ 80) an sie gewiesen sind. Die Gemeindeversammlung kontrolliert die Verwaltung und ist ebenso berechtigt als verpflichtet, sich von der Ausführung ihrer Beschlüsse und der Verwendung aller Geld­ einnahmen sowie von der gehörigen Ausführung der Gcmeindearbeiten rc. Ueberzeugilng zu verschaffen; sie darf aber ihre Beschlüsse niemals selbst nasführen. § 33. An Verhandlungen über Rechte und Verpflichtungen der Ge­ meinde darf derjenige nicht teilnehmen, dessen Interesse mit dem der Gemeinde im Widerspruch steht. Kann wegen dieser Ausschließung ein gültiger Beschluß nicht gefaßt werden, so [t>at der Landrut für die Wahrung des (Semeinbeiiitereije» zu sorgen und nötigenfalls einen besonderen Vertreter für die Gemeinde zu bestellens beschließt an Stelle der Gemeindeversammlung der

Kreisausschnß?)

§ 34. Die Gemeindeversammlung kann nur beschließen, wenn inehr als die Hälfte und wenigstens drei der gehörig eingeladenen Mitglieder mit Einschluß des Vorsitzenden zugegen sind. Eine Ausnahme hiervon findet statt, wenn die Gemeindeversammlung, zum zweiten Male zur Ver­ handlung über venselden Gegenstand znsammenbernsen, dennoch nicht in gehöriger Anzahl erschienen ist. Bei der zweiten Zusammenberusung muß auf diese Bestimmung ausdrücklich hingewiesen werden. In welcher Art die Einladung der Mitglieder zu der Gemeindeversammlung zu bewirken ist, wird durch Beschluß der Gemeindeversammlung unter Genehmigung des [tianfcruts] Kreisausschusses bestimmt?) Die Zusammenberusung erfolgt unter Angabe der Gegenstände der Verhandlung; mit Ausnahme dringender Fälle muß dieselbe wenigstens zwei freie Tage vorher statthaben. Durch Beschluß der Gemeindeversanimlung können auch regelmäßige Versammlungstage festgesetzt, es müssen jedoch auch dann die Gegenstände der Verhandlung, mit Ausnahme dringender Fälle, zwei freie Tage vorher der Gemeindeversammlung angezeigt werden. Die Sitzungen dürfen nicht in Wirtshäusern oder Schenken abge­ halten werden. § 35. Die Beschlüsse der Gemeindeversammlung werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Wer nicht mitstiinmt, wird zwar als anwesend betrachtet, die Stimmenmehrheit wird aber lediglich nach der Zahl der Stimmenden festgestellt. § 36. Die Beschlüsse der Gemeindeversammlung und die Namen der dabei anwesend gewesenen Mitglieder sind in ein besonderes Buch ein­ zutragen und von dem Vorsitzenden und wenigstens einem Mitgliede zu uitterzeichnen.

§ 37. Hat die Gemeindeversammlung einen Beschluß gefaßt, welcher ihre Befugnisse überschreitet, gesctz- oder rechtswidrig ist, das Staatswohl oder das Gemeindeinteresse verletzt, so hat der Gemeindevorsteher oder der Amtmann von Amts wegen oder auf Geheiß der Aufsichtsbehörde (§ 80) die Ausführung einstweilen zu beanstanden und über den Gegenstand des

860

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Beschlusses die Entscheidung der Aujsichtsbehörde sofort einzuholen.') War der Amtmann bei der Abfassung eines solchen Beschlusses nicht anwesend, so muß er vorab eine nochmalige Beratung der Sache unter seinem Vor­ sitze veranlassen und eine Zurücknahme des Beschlusses versuchen.

§ 38. Die Wahl des Vorstehers und dessen Stellvertreters erfolgt aus der Zahl der stimmberechtigten Gemeindemitglieder durch die Gemeinde­ versammlung auf sechs Jahre. Nach dreijähriger Dienstzeit kann der Gemeindevorsteher durch die Gemeindeversammlung auf zwölf Jahre gewählt werden. Die Wahl bedarf der Bestätigung durch den Landrat, welche nur unter Zustimmung des Kreisausschusses versagt werden kann?) Wird die Bestätigung derselben versagt, so schreitet die Gemeindeversammlung zu einer neuen Wahl, wird auch diese nicht bestätigt, so [fteni dem Landrate die Ernennung des Vorstehers, resp des Stellvertreters aus die Tauer von höch^ens sechs Jahren zu. Dieses Recht steht dem Landrate auch für den Fall zu. wenn die Gemeinde Versammlung die Wahl verweigern sollte.) ernennt der Landrat unter Zustimmung

des Kreisausschusses einen Stellvertreter auf so lange, bis eine erneute Wahl die Bestätigung erlangt hat. Dasselbe fiildet statt, wenn keine Wahl zustande kommt. Der Gemeindevorsteher und dessen Stellvertreter werden von dem Landrat oder in seinem Auftrage von dem Amtmann vereidigt?)

K 39. Vorsteher können nicht sein: 1. die von der Staatsregierung ernannten Mitglieder der Aufsichtsbehörde; 2. Geistliche und Lehrer an öffentlichen Schulen; 3. die Mitglieder des Richterstandes und die Beamten der Staats anwaltschaft; 4. die Polizeibeamten; 5. die zum stehenden Heere und die zu den Landwehrstämmen gehörenden Personen; 6. Personen, welche die in dem Gesetze vom 7. Februar 1835 (GS. S. bezeichneten Gewerbe betreiben?)

§ 40. Der Gemeindevorsteher hat nur auf Entschädigung für Dienst unkosten Anspruch, welche vom (Landrai) Kreisausschusse^) nach Vernehmung der Gemeindeversammlung festgesetzt wird. Ueber Beschwerden wegen dieser Festsetzung entscheidet [hie Regierung Dem Stellvertreter wird nur Erstattung barer Auslagen gewährt. nach Anhörung des Kreistage«) der Bezirksausschuß?)

§ 41. Der Gemeindevorsteher hat unter der Aufsicht des Amtmanns die Gemeindeangelegenheiten zu verwalten und die Orlspolizei zu handhaben: er ist für alle Angelegenheiten, welche zum Geschäftskreise des Amtmanns gehören (§ 74), dessen Organ und Hilssbehörde, er ist zugleich Hilfsbeamter ') §§ 29 u. 33 Nr. 1 ZustG. ’) § 25 Wests. KrO. § 25 Wests KrO. *) Vgl. die Anm. zu § 30 Wests. StO. °) § 32 Nr. 4 ZustG. *1 LVG. § 121.

5. Lundgemeindeordnung für die Provinz Westfalen.

861

§§ 37—44.

der gerichtlichen Polizei und kann mit den Funktionen der fPolizei)AmtSanwaltschaft beauftragt werden?) [Xie Besitzer im Gemeindeverbande befindlicher, in der Rittergutsmatrikel ein­ getragener Rittergüter sind jedoch indezug auf die Polizeiaufsicht dem Amtmann un­ mittelbar untergeordnet. Auch in eigentlichen Kommunalsachen ist der Vorstiher zur Erlassung von Zwangsversügungen gegen dieselben nicht befugt, sondern mutz solche bei dem Amtmann in Antrag bringen.?)

§ 42. Wo der Umfang der Gemeinde es nötig macht, können für einzeln? Teile derfelben, [nadj ^Bestimmung de» ßanbrat».] auf Belchlutz des .Kreisausschusses,') Torfs- oder Bauerschaftsvorsteher bestellt werden, welche in dem ihnen angewiesenen Bezirke wohnhaft sein müssen. Wegen der Wahl, bezw. Ernennung, Qualifikation und Amtsdauer derselben gelten die wegen der Gemeindevorsteher erteilten Vorschriften. Die Doris- und Bauerschaftsvorsteher sind Organe des Gemeindevorstehers und verpflichtet, seinen Anordnungen Folge zu leisten, ihn namentlich in den örtlichen Ge­ schäften ihres Bezirks zu unterstützen.

§ 43. Insoweit zum Dienste der Gemeinde Unterbeamte und Diener erforderlich sind, werden diese, wemt sie bloß zu mechanischen Dienst­ leistungen bestimmt sind, von dem Amtmann [sonst aber von dem Landrat) ernannt4) Ueber die Würdigkeit der anzustellenden Personen ist die Gemeinde­ versammlung zuvor mit ihrer Erklärung zu hören. Auf andere Beamte der Landgemeinden finden die Bestimmungen wegen der Wahl und Bestätigung des Gemeindevorstehers (§ 38) Anwendung.4) § 44. [Der Elementarerheber der direkten Steuern versieht in der Regel gegen eine besondere Remuneration die Stelle des Gemeiiideeiiinehmers. Remuneration und Kaution wird für dösen Fall nach Vernehmung der Gemeinde­ versammlung durch die Regierung festgesetzt .]*) [Mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde tanr]‘) Es Mllß für einzelne oder

mehrere Gemeinden

ein

besonderer

Gemeindeeinnchmer

bestellt

weiden.

[Tie Ernennung derselben, die Feststellung der Remuneration und) Wegen d. r Wahl

und Bestätigung dieses Beamten, sowie wegen der Festsetzung der Besoldung desselben kommen tue Vorschriften der 38, 40 zur Anwendung?) Die Festsetzung der Kaution erfolgt durch den Landrat nach Anhörung der gutachtlichen Vorschläge der beteiligten Gemeindeversammlungen. Die Kaution darf nicht unter dem Satze bleiben, welchen das Gesetz für die Erheber der Staatssteuern vorschreibt. Ter Gemeindceinitehmer erhält, insofern nicht mit demselben ein anderes verabredet worden ist, bei eintretender Dienstunsähigkeit Pension nach denselben Grundsätzen, welche bei den unmittelbaren Staatsbeamten zur Anwendung kommen. [Ueber die Pensionsansprüche entscheidet in streitigen Fällen die Regierung. Gegen den Beschluß der Regieiung, soweit derselbe sich nicht aut die Tatsache der Dienstunfähigkeit oder daraus bezieht, welcher Teil des Dienst-

•) *) •) «) •) •)

§ 143 GVG. rtusgehoben durch Wests. KrO. § ZustG. § 32 Nr. 3 Jetzt gilt Wests. KrO. § 25 Abs Vgl § 32 Nr. 3 ZustG. u. Ges. Jetzt gilt Wests. KrO. § 25 Abs.

23 Abs. 1.

3. v. 14. Juli 1893 (GS. 6. ;119) § 11. 3.

IX. Gruppe: Kommunalrecht. B. 8anbgeineinberedjt.

862

eiukommens als Gehalt anzusehen sei, findet Berufung auf richterliche Entscheidung statt. Ungeachtet der Berufung sind die festgesehten Beträge vorläufig zu zahlen.pl Die Pension fällt fort, oder ruht insoweit, als der Pensionierte durch anderweitige Anstellung im Staats- oder Gemeindedienste ein Einkommen oder eine neue Pension erwirbt, welche, mit Zurechnung der ersten Pension, sein früheres Einkommen übersteigen.

§ 45. § 46.

Alle Gemeindeeinkünste müssen zur Gemeiudekasse fließen.

In jeder Gemeinde wird ein Haushaltsetat von dem Ge­ meindevorsteher in Gemeiitschaft mit dem Amtinann entworfen, durch Beschluß der Gemeindeversammlung festgestellt, dem Landrate eingereicht, und danach der Haushalt geführt (§ 49).

Der entworfene Haushaltsetat muß von der Beratung in der Ge­ meindeversammlung in einem von derselben zu bestimmenden Lokale, zur Einsicht aller Einwohner der Gemeinde vierzehn Tage lang offen gelegt werden. Die Etatsperiode darf drei Jahre nicht überschreiten.

§ 47. Ausgaben, welche außer dem Etat zu leisten sind, bedürfen außer der Bewilligung der Genieindcversammlung der Genehmigung des [ßanbuitsä] Kreisausschusses?) § 48. Die Jahresrechnung ist von dem Einnehmer vor den: 1. Mai 3) des folgenden Jahres zu legen und dem Gemeindevorsteher einzureicheu. Dieser hat die Rechnung gemeinschaftlich mit dem Amtinann zu revidieren und solche mit seinen Erinnerungen und Bemerkungen der Gemeindeversammlung zur Prüfung, Feststellung und Entlastung vorzulegen. Nach erfolgter Feststellung der Rechnung wird dieselbe während vierzehn Tagen zur Einsicht der Gemeindeinitglieder offen gelegt. Dem Landrat ist sofort eine Abschrift des Feststellungsbeschlusses einzureichen?» § 49. Der Gemeindevorsteher hat unter Mitwirkung des Amt­ manns die Einkünfte der Gemeinde zu verwalten, die auf dem Etat oder besonderen Gemeinderatsbeschlüssen beruhenden Einnahmen und Ausgaben anzuwsisen und das Rechnungs- und Küssenwesen zu überwachen. [§ 50. Unterläßt ober verweigert eine Gemeindeversammlung, die Aufbringung der Mittet zu beschließen, welche zur Erfüllung der der Gemeinde obliegenden Leistungen nötig sind, so hat der Landrat den Betrag derselben festzusetzen und die Gemeinde zu dessen Entrichtung nötigenfalls im Wege administrativer Exelution anzuhalten.

§ 51. Die Gemeindeversammlung beschließt über die Benutzung des Gemeindevermögens; es bleiben dabei jedoch die Vorschriften der Deklaration vom 26. Juli 1817 in betreff des nutzbaren Gemeindevcrvermögens maßgebend. § 52. hinsichtlich

") ’) ’) 4i 6)

In Ansehung des Vermögens von Korporationen, sowie der Teilnahme der einzelnen Gemeindeglieder oder gewisser

I-tzt gilt § 36 Abs. 3 ZustG.; vgl. auch § 32 Nr. 4 und 5 daselbst. § 31 Abs. 1 ZustG. Atzt 1. August nach KAG. § 95. S. auch 8 32 Ziff. 5 ZustG. § 50 ist durch § 35 ZustG. ersetzt. Vgl. auch §§ 37, 33 Nr. 4 daselbst

5. Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen.

§§ 44—53.

863

Klassen derselben oder einzelner Abteilungen des Gemeindebezirks an den Nutzungen des Gemeindevermögens und der diesem Teilnahmerechte gegen­ überstehenden Lasten wird in den bestehenden Rechtsverhältnissen durch die Bestimmungen der §§ 51 und 56 nichts geändert?) In Ansehung der Verwaltung und Verwendung des Vermögens der Stiftungen bewendet es bei den stiftungsmäßigen Bestimmungen.

§ 53. Die Genehmigung [bet Regierung] des Kreisausschusses,2) in dem unter Nr. 2 erwähnten Falle des Regierungspräsidenten?) ist erforderlich: 1. zur Veräußerung sowie zu der auf einem lästigen Titel beruhenden Erwerbung von Grundstücken und von solchen Gerechtsamen, welche jenen gesetzlich gleichgestellt sind; 2. zur Veräußerung oder wesentlichen Veränderung von Sachen, welche einen besonderen wissenschaftlichen, historischen oder Kunstwert haben, insbesondere von Archiven oder Teilen derselben?) 3. zu Anleihen, durch welche die Gemeinde mit einem Schuldenbestand belastet oder der bereits vorhandene vergrößert wird; 4. zu Veränderungen in dem Genusse von Gemeindenutzungen (Wald, Weide, Torf rc.). Die freiwillige Veräußerung von Grundstücken darf der Regel nach nur im Wege des öffentlichen Mefftgebots stattfinden. Zur Gültigkeit des Verkaufs aber gehört: 1. die Vorlegung eines beglaubigten Auszuges aus dem Grundsteuer­ kataster anstatt der Taxe; 2. eine öffentlich auszuhängende Ankündigung; 3. einmalige Bekanntmachung durch das Amtsblatt der Regierung oder durch ein im Kreise erscheinendes Blatt; 4. eine Frist von sechs Wochen von der Bekanntmachung bis zum Verkaufstermm; 5. Abhaltung des Verkaufstermins durch eine Justizperson, den Amt­ mann oder den Vorsteher. Wenn der Katastralertrag des Grundstücks nicht [zwei Talers sechs Mark übersteigt, so bedarf es der unter 3 vorgeschriebenen Bekannt­ machung nicht. Bei Veräußerung von Gebäuden, welche nur nach der Grundfläche besteuert sind [(§ 21 des Krundsteuerqesetzes vom 21. Januar 1839)] (§ 1 des Gesetzes betr. die anderweite Regelung der Grundsteuer, vom 21. Mai 1861 [®S. S. 253] und § 3 des Gesetzes, betr. die Einführung einer allgemeinen Gebäudesteuer, vom 21. Mai 1861 sGS. S. 317] ist, so­ fern sie für sich allein und nicht als Zubehör eines Gutes veräußert werden, eine Taxe auszunehmen. Das Ergebnis des Verkaufs ist in allen Füllen der Gemeindever­ sammlung mitzuteilen, und kann nur mit deren Genehmigung der Zuschlag erteilt werden. In besonderen Fällen kann [die Regierung] der Kreisausschuß den Verkauf aus freier Hand sowie einen Tausch gestatten, sobald [sie] er sich überzeugt, daß der Vorteil der Gemeinde dadurch gefördert wird. *) Vgl. § 34 Nr. 1 ZuftG. -) 8 30 Abf. 1 und § 31 Abs. 1 ZuftG.

864

IX. Gruppe': Kommunalrtcht.

B. Lanbgemeinderecht.

Die vorstehenden Bestimmungen finden auch aus Realberechtigungcn Anwendung, wobei die Aufnahme einer notwendig ist. Für die Hypotbekenbehörde genügt zum Nachweise, schrift dieses Paragraphen genügt worden, die Bestätigung durch [bie Regierung den Kreisausschuß.')

Derkäuse von Taxe jedesmal

daß der Vor­ deS Vertrages

§ 54. Verpachtungen von Grundstücken und Gerechtsamen der Gemeinde müssen öfientiidi an den Meistbietenden geichebcn; Ausnahmen hiervon sind nur mit Genehmigung des [Carbrate] Kreisausschusses') gestattet. § 55. Bei Verwaltung der Gemeindewaldungen sind die Ver­ ordnung vom 24. Dezember 1816 und die in Gemäßheit derselben er­ lassenen Reglements zu beachten.') [§ 56 ist aufgehoben turd) Geietz vom 24 Juni 1861 (®S. S. 446), bal durch Gesetz Dom 2. März 1867 (GS. S. 361) abgcäutnrt worden ist.] [§ 57 und 58 sind aufgehoben durch § 96 Abs. 6 KAG ]

8 59. Alle zur Gemeinde gehörigen Einwohner sind zu den Gemeindebedütsnissen beizutragen verpflichtet; betrifft aber das Bedürfnis nur das Juteresse e nzelner Klassen von Gemeindegliedern oder einzelner für sich bestehender Abteilungen des GeineindebezirkS, so leisten auch nur diese die zur Befriedigung desselben nötigen Geldbeiträge und Dienste 88 60-63?)

8 64.') Denjenigen Staatswaldungen, welche seither von den nach dem Grundsteuersuße verteilten Gemeiudelasten befreit gewesen sind, bleibt ferner­ hin diese Befretuug; dagegen bleibt auch das Regu'attv vom 17. Novem­ ber 1841 wegen Heranziehung von Staatswaldungen zum Wegebau fort­ bestehen.

8 65. Urkunden, durch welche die Gemeinde verpflichtet werden soll, imgleichen Prozcßvollmachtcn, müssen von dem Amtmann und dem Gemeindevorsteher voll zogen werden/) Tie Genehmigung der Aufsichtsbehörden ist in denjenigen Fällen, in welchen solche gesetzlich notwendig ist, in beglaubigter Form beizusügen. Ist der Amtmann zugleich Gemeindevorsteher, so inuß statt des letzteren der Stellvertreter unterzeichnen. 8 66. Bei städtischen Gemeinden (8 1) treten folgende besondere Bestimmungen ein: 1. Die auswärts wohnenden Hausbesitzer werden nicht zu den Gemeinde­ mitgliedern, sondern zu den Forensen gerechnet. ') § 30 Abs. 1 und 2 sowie 8 31 Abs. 1 ZustG.; Preuß. AGjBÄB. Art. 6 §§ 1 unb 2. Art. 7 §§ 1 unb 3, Art 12 8 2. •) Aufgehoben durch «AG § 96 Abs 5, 19, 41, 42, 68 Abs. 6; Kgl. BO. v. 23. Sept. 1867 (GS. S. 1648); Ges. v. 16. Juni 1909 (GS S. 489). •) Bon biesem Paragraphen gilt nur btt hier abgebruckte Abs. 2, für die übrigen gilt die vorhergehende Anm. «) Dgl 8 26 Wests. KrO. Abs. 1—3.

5. ßanbgemeinbeorbnung für bie Provinz Westfalen.

865

§§ 53—70.

Das Gemeinde- (Bürger-) Recht kann nicht durch Stellvertretung auSgeübt werden; doch finden auch hier wegen der juristischen und aus­ wärts wohnenden höchstbesteuerten Personen der § 8 der Städteordnung und die auf denselben bezüglichen Bestimmungen im § 25 daselbst Anwendung. 2. Die Stadtgemeinde wird überall durch eine Gemeinde- «Stadt-) Ver­ ordnetenversammlung vertreten, und muß mindestens die Hälfte der Mitglieder aus Hausbesitzern bestehen. 3. Bei Bildung der Klassen zum Behuf der Wahl der Gemeinde(Stadt-) Verordneten (§ 27) find auch die juristischen und auswärts wohnenden höchstbesteuerten Personen (Nr. 1) nach Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden Steuern, welche der Gesamtsumme der Steuern der Bürger beizurechnen, zu berücksichtigen. 4. Für einzelne Stadtteile können nach Vorschrist des § 42 Bezirks­ vorsteher (Rott- oder Viertelmeister) bestellt werden 5. Bei Anstellung der zum Dienste der Stadt ersorderlichen Unterbeamten und Diener find die Vorschriften wegen der zur Zivilversorgung be­ rechtigten Militärpersonen zu beachten.

§ 67. Die Besitzer der den Gemeinden gleichgestellten Güter (§ 3) sind für den Bereich derselben, gleich den Gemeinden, zu allen Pflichten und Leistungen verbunden, welche den Gemeinden nach den Gesetzen ob­ liegen. Der Besitzer eines solchen Guts hat die Verpflichtung, die AmtSverrichtungen des Gemeindevorstehers ohne Entschädigung für Dienstunkosten zu besorgen; er ist jedoch befugt, für Abwesenheits- und Verhinderungsfälle einen Stellvertreter auf seine Kosten zu bestellen, welcher dem Landrat zur Genehmigung präsentiert und auf dessen Verlangen, wenn eS im Dienstinteresie nötig befunden wird, wieder entlassen werden muß. Der Gutsbesitzer muß einen solchen Stellvertreter bestellen, wenn er die ge­ dachten Amtsverrichtungen selbst wahrzunehnien nicht imstande oder ge­ eignet tfi.1)

K 68. Diejenigen Lasten, welche im öffentlichen Interesse nach § 67 den gedachten Gütern obliegen, sind von dem Gutsbesitzer und auf (Fest. fltOung bc. Nachdem verschiedene Aenderungen des Gesetzes über die Landgeineiiidcn vom 4. Mai 1852 für erforderlich erachtet sind, so erlassen Wir unter versassungslnäßiger Zustimmung der allgemeinen Ständeversammlung wegen dieses Gegenstandes das folgende Gesetz: l) § 33 Nr. 3 ZustG. ') Jetzt § 36 ZustG. und § 27 Abs. 3 Wests. ÄrD. vom 31. Juli 1886. ’) West. KrO. § 99. 4) Ausführungs-Ministerialbekanntmachung vom 28. April 1859 (Hann. GS. S. 409). Gostkowski, Gemeindeverfassungsgesetze für die Provinz Hannover, Er­ gänzungsband zu Brauchitsch, Neue Preuß. Verwaltungsgesetze 1891.

870

IX. Grupp«: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

I. Allgemeines.

K 1. Gegenstand dieses Gesetzes sind die öffentlichen Verhältnisse der Landgemeinden?)*)^ K 2. Das Gesetz begreift unter Landgemeinden auch diejenigen Städte, Vorstädte und Flecken, auf welche die Städteordnung nach § 4 derselben nicht Anwendung findet. !) Landesverfassungsgesetz vom 6. August 1840 (Hann. GS. S. 141) §54: Zur Bildung einer Gemeinde, wie überhaupt einer jeden Korporation, wenn diese auch nicht von der Regierung ausgeht, gehört die Genehmigung des Oberpräfidenten. Ohne diese sann auch eine bestehende Gemeinde ihren Gemeindeverband weder durch Aufnahme anderer Gemeinden erweitern, noch durch Bildung neuer Gemeinden verändern, noch ihre Gemeindeverfassung eigenmächtig abändern. 2) Hannoversches Gesetz, betr. die Abänderung des § 12 deS Gesetzes vom 5. Sep­ tember 1848 über verschiedene Aenderungen des Landesverfassungsgesetzes, vom 28. April 1859 (Hann. GS. S. 389): Zeder Landeseinwohner, jedes Grundstück und jedes HauS muß in Beziehung aus die öffentlichen Verhältnisse einer Gemeinde angehören. Wenn jedoch die Grundstücke größerer Domanial-, Kloster- und sonstiger Güter und Höfe mit Einschluß der Hauptwohn- und Wirtschaftsgebäude mit denen anderer Mitglieder einer Gemeinde nicht im Gemenge liegen — einzelne kleinere, dann der be­ treffenden Gemeinde anzuschließende Flächen vorbehältlich —, oder wenn von jenen Gütern und Höfen mindestens die Hälfte der Gemeindelasten getragen wird, und außerdem in dem ersten oder zweiten Falle die Vereinigung eines solchen Gutes oder Hofes mit der Gemeinde für eine gute Gemeindeverwaltung nicht zweckmäßig ist, so sind solche von dem Anschluß auf Antrag des einen oder andern Teils auszunehmen, oder ist der schon geschehene Anschluß an eine Gemeinde, falls derselbe seit dem 1. März 1848 stattgefunden hat, wieder aufzuheben. Ist dagegen die Verbindung bereits vor dem 1. März 1848 erfolgt, so kann die Aufhebung nur auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten angeordnet werden. Sind größere Domanial-, Kloster- und sonstige Güter und Höfe nach dem 1. März 1848 auf übereinstimmenden Beschluß der Beteiligten oder in Gemäßheit der vorstehenden Bestimmungen von dem Anschlüsse an eine Gemeinde ausgenommen oder wieder davon getrennt, so kann eine solches Gut usw. später nur unter Zustimmung der Beteiligten einer einzelnen Gemeinde angeschlossen werden. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch von größeren unbebauten Grundbesihungen Die ansgenommenen Güter, Höfe und unbebauten Grundbefitzungen sind jedo jedenfalls einem Verbände mehrerer Gemeinden beizulegen, falls ein solcher vorhanden ist, oder zweckmäßig gebildet werden kann. Da« SUmmverhältnis der Mitglieder der Gemeinden soll durch die Gesetzgebung festgestellt werden. ’) Bekanntmachung des Hannoverschen Ministeriums des Innern, betr. daS Gesetz vom 28. April 1859 wegen Aenderung des § 12 deS Vcrfassungsgesetzes vom 5. September 1848, vom 28. April 1859 (Hann. GS. S. 391): 1. Anträge aus Ausnahme einer Domäne, eines Gutes, HofeS oder einer unbebauten Grundbesitzung van dem Anschlüsse an eine Gemeinde oder auf Wiederaufhebung eines bestehenden Anschlusses sind bei dem Landrate anzubringen, in besten Bezirke die betreffende Domäne, das betreffende Gut ?c. gelegen ist. 2. Der Latldrat hat über solchen Antrag die beteiligte Gemeinde oder, wenn der Antrag von der Gemeinde ausgeht, den Vertreter der betreffenden Domäne be­ ziehungsweise den Eigentümer des betreffenden Gutes :c. zu vernehmen und über da« Vorhandensein der im Gesetze bestimmten Voraussetzungen die etwa noch er­ forderlichen Ermittelungen zu veranlassen, sodann aber die Verhandlungen dem Regierungspräsidenten vorzulegen. 3. Die Entscheidung steht dem Oberpräsidenten zu. Bei Eröffnung derselben ist den Beteiligten eine Frist für die Verfolgung einer etwaigen Berufung an den Muuster des Innern vorzuschreiben.

6. Landgemeindeordnung für die Provinz Hannover.

Die eigentümlichen Verhältnisse geregelt werden.

§§ 1—7.

871

derselben werden jedoch besonders

II. Stimmrecht. K 3. Wenn in einer Gemeinde eine Stimmordnung gültig besteht, so bleibt es dabei, solange nicht Aenderungen nach den folgenden Bestimmungen seslgestellt werden.

§ 4. Jeder in eine Gemeinde durch Anschluß von Grundbesitz oder Aushebung von Exemtionen neu Eintretende, dem eine seinen Lerhältnissen entsprechende Stelle in der bestehenden Stiinmordnung angewiesen werden kann (§ 52 des Landesverfassungsgesetzes), muß letztere anerkennen, kann aber im entgegengesetzten Falle verlangen, daß die in den §§ 8 u. ff. auf­ gestellten Grundsätze über das Stimmrecht zur Anwendung kommen. Gleiche Befugnis hat jedes Gemeindemitglied, wenn die bestehende Stiinmordnung zu dem Beitragsverhältnisse für die Gemeindelasten und dem Interesse des betreffenden Gemeindegliedes an den Gemeindeangelegen­ heiten in erheblichem Mißverhältnisse steht. Außerdem können Aenderungen der bestehenden Stimmordnung durch Beschluß der Gemeinde mit Genehmigung des Kreisausschusses festgestellt werden. Anträge aus Aenderung der Stimmordnung sind bei dem Gemeinde­ vorstande anzubringen. Dieser hat darüber einen Beschluß der Gemeinde zu veranlassen?) § 5. Besteht eine gültige Stimmordnung nicht, oder ist eine solche nur vorläufig eingesührt, so ist von den Behörden eine endschastliche Feststellnng derselben, daher zunächst ein Beschluß der Gemeinde, herbeizuführen. Ueber die Herbeiführung und ersorderlichensalles Anordnung einer Ergänzung oder Abänderung der in Ansehung der Gemeindelasten oder des Genieindestimmrechts bestehenden Lrtsversassung beschließt der Kreisausichuß.2)

K G. Wer sich durch einen Gemeindebeschluß wegen des Stimm­ rechts verletzt erachtet, kann sich mit seiner Beschwerde an den Landrat wenden, welcher die Beschlußfassung des Kreisausschusses herbeizusühren hat.

§ 7. Die Entscheidung ist unter Berücksichtigung der bestehenden Verhältnisse nach den Grundsätzen der nachstehenden §§ 8—18 abzugeben. *) Laiidesversasjungsgejetz vom 6. August 1840 (Haun. (SS. S. 141) § 52; Denjenigen, welche durch den Anschluß an eine Gemeinde ober durch Aushebung von Exemtionen in die Lasten der Gemeinde mit eintreten, soll ein ihrer Konkurrenz zu bieten Lasten, ihrem Interesse an den Gemeindeangelegenheiten unb ihren Verhältnissen zn anderen Mitgliedern der Gemeinde entsprechendes Stimmrecht beigelegt werden, '.'lud) sollen die Besitzer ganzer Güter befugt jein, solches durch Bevollmächtigte auszuüben. Die etwaige Besugnis anderer Gemeindemitglieder, insbesondere der Besitzer der ovenerwähnteii Güter in ihrer Eigenschast als Besitzer pflichtiger Besitzungen, das Stimmrechl in der Gemeinde durch Bevollmächtigte ausüben zu lasten, wird durch die vor­ stehenden Bestimmungen nicht verändert. *) ZnstG §31.

872

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

§ 8. Als stimmberechtigt gelten: 1. Alle, welche in der Gemeinde ein Gut, einen Hof, oder ein für sich bestehendes Wohnhaus eigentümlich oder nießbräuchlich besitzen (vgl. § 13). 2. Alle Männer, welche in der Gemeinde einen WohnsitzZhaben und in derselben einen eigenen Haushalt führen, sofern sie a) im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte, b) sonst unbescholten, c) selbständig find. Wegen des Stimmrechts der Ausmärker vgl. § 65.

§ 9. Als beschälten gelten diejenigen, welche wegen eines nach der öffentlichen Meinung entehrenden Verbrechens oder Vergehens bestraft oder zur Untersuchung gezogen sind, ohne völlig sreigcsprochen oder außer Ver­ folgung gesetzt zu sein. Außerdem können Personen, welche durch unsittliche Handlungen sich der öffentlichen Achtung verlustig gemacht haben, oder wegen eines pein­ lichen, wenn auch nicht entehrenden Verbrechens zur Untersuchung gezogen und nicht völlig sreigcsprochen oder außer Verfolgung gesetzt sind, auf An­ trag der Gemeinde ihres Stimmrechts verlustig erklärt werden. Solchen Personen, wie den Bescholtencn, kann auf Antrag der Ge­ meinde das Stimmrecht wieder verliehen werden. 1. 2. 3. 4. 5.

K 10. Als unselbständig gelten: Minderjährige, diejenigen, welche unter Kuratel stehen, diejenigen, welche in Kost und Lohn stehen, diejenigen, welche im Konkurs befangen sind, diejenigen, welche öffentliche Armenunterstützungen erhalten oder letzten Jahre vor der Abstimmung erhalten haben.

im

§ 11. Die Ausübung des Stimmrechts setzt voraus, daß das be­ treffende Gemeindemitglied zu den Gemeindelasten, sofern solche Vorkommen, beiträgt, und mit seinen Beiträgen dazu nicht im Rückstände ist. Auch kann durch Gemeindebeschluß mit Genehmigung des Kreisaus­ schusses sestgestellt werden, daß gewisse Klassen der Gemeindemitglieder zu den Gemeindelasten nicht beizutragen haben; in welchem Falle das Stimm­ recht dieser Klassen ruht, sofern und solange deren Mehrheit damit ein­ verstanden ist. K 12. Das auf dem Grundbesitze beruhende Stimmrecht (§ 8 Nr. 1) kann nach den in den folgenden Paragraphen enthaltenen Regeln in Person oder durch Bevollmächtigte, das Stimmrecht der Nichtansässigen (§ 8 Nr. 2) dagegen nur in Person ausgeübt werden. K 13. Die persönliche Ausübung des Stimmrechts ist auch bei dem auf Grundbesitz beruhenden stimmrechte dadurch bedingt, daß der Besitzer im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte (§8 Nr. 2 a) und sonst unbescholten (ebendaselbst b) ist.

6. Landgemeindtordnung für die Provinz Hannover.

§§ 8—17.

873

§ 14. Unter väterlicher Gewalt, Vormundschaft oder Kuratel stehende Personen, welche vermöge Grundbesitzes Stimmrecht haben, sind hinsichtlich dieses Stimmrechts durch den Vater, Vormund oder Kurator zu vertreten. Bei den unter Jnterimswirtschast stehenden Höfen haben die Interims­ wirte das Stimmrecht zu üben. § 15. Als Bevollmächtigte sind zulässig: 1. Personen, die für sich Stimmrecht in der Gemeinde haben; 2. die Pächter oder Verwalter der betreffenden Güter, sofern sie im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte, sonst unbescholten und selbständig find. Verwalter sind jedoch zulässig, 'auch wenn ifie in Kost und Lohn stehen. Gutsbesitzer, Stellbesitzer und stellbesitzende Witwen können sich außer­ dem durch volljährige Söhne vertreten lassen, auch wenn diese in Kost und Lohn oder unter väterlicher Gewalt stehen. Auch kann durch Gemeinde­ beschluß mit Genehmigung des Kreisausschusses bestimmt werden, daß und inwieweit Verwandte auch übrigens als Bevollmächtigte zugelassen werden sollen. Es wird jedoch auch in diesen Fällen vorausgesetzt, daß die Ver­ treter im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte und sonst unbescholten sind.

K 16. Jeder Bevollmächtigte kann nur einen Abwesenden vertreten. Ausnahmen können durch Gemeindebeschluß mit Genehmigung des Kreisausschuffes zugelassen werden.

§ 17. Behufs Bestimmung des Stimmverhältnisses der stimm­ berechtigten Gemeindeglieder soll regelmäßig eine Klasseneinteilung statt­ finden. Die Grundlage sür diese Einteilung bilden die verschiedenen Klassen der in der Gemeinde vorhandenen Höfe und Güter. Die Nicht­ ansässigen bilden, soweit sie nicht unter Berücksichtigung ihrer Konkurrenz zu den Gemeindelasten einer dieser Klassen einzureihen find, die unterste Klasse. Das Stimmgewicht der Mitglieder der einzelnen Klaffen ist unter Berücksichtigung der Konkurrenz zu den Gemeindelasten und des Interesses an den Gemeindeangelegenheiten zu bemessen. Jedoch gelten folgende Ein­ schränkungen : 1. Das Stimmrecht eines einzelnen Gemeindegliedes darf in der Regel nicht mehr als ein Drittel desjenigen der sämtlichen Gemeindemitglieder betragen. Wenn jedoch ein einzelnes Gemeindemitglied die Hälfte oder mehr aller Gemeindelasten trägt, so ist demselben aus dessen An­ trag ein Stimmrecht bis zur Hälste zu verleihen. Auch ist ein ein­ zelnes Gemeindemitglied, welches mehr als die Hälste aller Gemeinde­ lasten trägt, berechtigt, gegen Uebernahme der alleinigen Bestreitung aller Gemeindelasten die Einräumung des ausschließlichen Stimmrechts in der Gemeinde zu verlangen, insofern und solange die Mehrheit der übrigen Gemeindemitglieder damit einverstanden ist. 2. Regelmäßig soll das Stimmgewicht derjenigen Grundbesitzer, deren in der Gemeinde belegener Grundbesitz so groß ist, daß er zur Bewirt­ schaftung zwei Pferde oder mehr erfordert, überwiegen. 3. Die Stimmenzahl der Nichtansässigen dars ein Drittel derjenigen der Grundbesitzer nicht übersteigen.

874

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

8 18. Der Beschlußnahme durch Gemeindeabstimmung nach den vorstehenden und den in Abschnitt IV und V enthaltenen Bestimmungen unterliegen nur die Gemeindeangelegenheiten. Auch muß die Angelegenheit die ganze Gemeinde, nicht bloß einzelne Mitglieder oder einzelne Klassen von Mitgliedern angehen. 8 19. Ueber Privatrcchte einzelner Mitglieder oder einzelner Klassen von Mitgliedern kann durch Gemeindeabstimmung nicht bestimmt werden. Gemeindebeschlüsse, durch welche besondere Bestimmungen sür einen Teil der Gemeindeglieder (z. B. die Spannhaltenden oder Häuslinge) ge­ troffen werden, gelten nur dann, wenn die Mehrheit der dadurch Betroffenen dafür ist. (Vergleiche oben § 11.)

8 2ü Bei Samtgemeinden muß besonders festgestellt werden, ob in den Angelegenheiten, für welche die Verbindung besteht, durch die Samt­ gemeinde abgestimmt werden, oder den einzelnen Bestandteilen (Orts­ gemeinden, Gütern rc.) eine Stimme zustehen soll. DaS Stimmgewicht der einzelnen Bestandteile ist alsdann nach Maßgabe des Beitragsverhält­ nisses zu den gemeinsamen Lasten oder zu den gesamten direkten Landes­ steuern zu regeln.

8 21. Aus Angelegenheiten, für welche besondere gesetzliche Bestim­ mungen über das Stimmrecht bestehen (Gemeinheitsteilungen, Verkop­ pelungen rc.) beziehen sich die vorstehenden Regeln nicht. III. Gemeindebeamten?)

8 22. In jeder Gemeinde muß ein Vorsteher und ein Beigeordneter zu seiner Unterstützung und Vertretung sein. Größere Gemeinden können mehrere Vorsteher und Beigeordnete haben. Vorsteher und Beigeordnete sind Gemeindebeamte?8 23. Daneben können zur Wahrnehmung einzelner Geschäfte «Rechnungsführung, Forstverwaltung usw.) besondere Anstellungen erfolgen. Die Verhältnisse dieser Angestellten sind im einzelnen Falle festzustellen. 8 24. Ferner sind Gcmeindediener (Nachtwächter/ Feldhüter, Boten) nach Bedürfnis mit Kündigungsvorbehalt anzunehmen. 8 25. Nicht wählbar zu Gemeindebeamten sind solche Personen, welche die oben unter 8 8 Nr. 2 als Bedingungen des Stimmrechts Nicht­ ansässiger angegebenen Eigenschaften nicht sämtlich besitzen oder sonst nach gesetzlicher Bestimmung zu öffentlichen Aemtern unfähig sind. Dgl. auch KBG. vom 30. 3uh 1899 (®S. S- 141). ’) LonderversassuiigSgesetz vom 6. August 1840 «Hann. GS. S. 141) § 58 (in der Fassung des § 5 der Verordnung vom 1. August 1855 — Hann. GS. S. 165;: Die städtischen Obrigkeiten und deren Mitglieder, wie auch die Beamten der Land­ gemeinden sind zur Verwaltung der Gemeindesachcn, sowie zur Besorgung der ihnen durch Gesetz, Verfassung oder Herkommen oder von den höheren Behörden übertragenen Landesangelegenheiten in ihrer Gemeinde verpflichtet. In Fällen, wo ein Gemeinde­ beamter die Erfüllung dieser Verpflichtungen vermöge seiner Eigenschaft als Gemeinde­ beamter ablehxen zu können vermeint, entscheidet hierüber die Aufsichtsbehörde.

6. Landgemeindeordnung für die Provinz Hannover.

§§ 18—39.

875

Jedoch können Pächter und Verwalter, welchen in Vertretung der betreffenden Güter ein Stimmrecht in der Gemeinde zusteht fs. oben § 15), mit Genehmigung des Landrats auch ohne Wohnrecht in der Gemeinde zu Gemeindebeamten gewählt werden.

§ 26. Die nach 8 20 des Gesetzes vom 5. September 1848 er­ forderliche obrigkeitliche Bestätigung der Wahl der Gemeindebeamten ist zu versagen, wenn dem Gewählten 1. eine der zur Wählbarkeit erforderlichen Eigenschaften (s. den vorigen Paragraphen) oder -. die zu dem Amte nötige Befähigung mangelt.') K 27. Die Bestätigung kann versagt werden, wenn der Gewählte wegen eines anderen, als der oben unter § 9 bezeichneten Verbrechen in Untersuchung gewesen ist, ohne völlig freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt zu sein, oder wenn er mit Werkhausstrase bestraft ist, sowie auch wegen naher Verwandtschaft unter den Gemeindebeamten.

§ 28. Tritt nach angetretenem Amt einer der vorstehend bezeichneten Mängel ein, so ist der Landrat verpflichtet, beziehungsweise berechtigt, den Gemeindebeamten zur Niederlegung des Amtes anzuhalten. § 29. Gast- und Schenkwirte sind in der Regel als Gemeindebeamte nicht zuzulassen. §§ 30—33 sind fortgefallen. § 34. Die Gemeindebeamten sind von dem Landrate zu beeidigen. § 35. Die Gemeindebeamten haben ihre Aemter als Ehrenämter zu betrachten. Sie können jedoch für nötige Wege außerhalb des Gemeindebezirks eine angemessene Vergütung in Anspruch nehmen. Statt derselben kann eine müßige Besoldung durch Gemeindebeschluß ausgesetzt und, wo sie besteht, beibehalten werden.

§ 36. Die Gemeindebeamten haben sür Besorgungen in Gemeinde­ angelegenheiten Gebühren von den Beteiligten nicht zu beziehen. § 37. Den Aufsichtsbehörden gebührt die Disziplinargewalt über die Gemeindebeamten und die Gemeindediener (§ 24), sowie auch über etwaige sonstige Angestellte der Gemeinden (§ 23) nach Maßgabe des Ge­ setzes, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 21. Juli 1852 § 20 Abi. 2 und 3: Di« Landgemeinden liiiD berechtigt, ihre Gemeindebeamten mit Vorbehalt obrigkeitlicher Bestätigung zu wählen. welche Bestätigung ohne — noch zu bestimmende — gesetzliche Gründe nicht zu versagen ist. Gröbere hergebrachte Rechte der Landgemeinden sollen jedoch hierdurch nicht be­ einträchtigt werden. ’) Dgl. auch ZustG. § 36.

876

IX. Gruppt: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

§ 40. Die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten geschieht durch den Vorsteher. Inwieweit derselbe dabei die Beschlußsassunq der Gemeindeversammlung oder des Gemeindeausschusses zu veranlassen hat, bestimmen die 88 41 und 52. IV. Gemeindeversammlung.

§ 41. Die Versammlung der sämtlichen stimmberechtigten Gemeinde­ glieder (Gemeindeversammlung) hat mitzuwirken: 1. bei Veränderungen im Gemeindebezirke; 2. bei Veränderungen in der Versassung der betreffenden Geineinde, namentlich in dem Stimmrechte; 3. [bei Feststellung von Strafbestimmungen (§ 71)];

4. bei Veränderungen in dem Bestände des Gemeindevermögens; 5. bei Veränderungen in der Benutzungsart des Gemeindevermögens. Verpachtungen oder Verkäufe dürsen unter der Hand nur in Gemäßheit von Beschlüssen der Gemeindeversammlung vorgenommen werden: 6. bei Anleihen aus den Kredit der Gemeinden; 7. bei Gemeindeprozessen und bei Vergleichen in Gemeindeangelegenheiten ; 8. bei Einführung neuer Gemeindeabgaben oder Leistungen; 9. bei Aenderungen in dem Verteilungsfuße der Gemeindeabgaben oder Leistungen; 10. bei Ausnahme neuer Gemeindemitglieder; 11. bei Anstellung und Kündigung von Gemeindedienern (8 24), sowie von etwaigen sonstigen Angestellten der Gemeinde (8 23); 12. bei dem Gemeinderechnungswesen nach Maßgabe der im Verwaltungs Wege zu treffenden Anordnungen?)!

K 42. Die Beschlüsse der Gemeindeversammlung bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Bestätigung des Kreisausschusses: 1. bei Veränderungen in dem Gemeindebezirke; 2. bei Veränderungen in der Verfassung der betreffenden Gemeinde und im Stimmrechte; 3. [bei Feststellung von Strafbestimmungen];

4. bei freiwilligen Veräußerungen, wodurch der Bestand des Gemeinde­ vermögens verändert wird: 5. bei Anleihen auf den Kredit der Gemeinden; 6. bei Uebernahme bleibender Lasten; 7. bei Einführung neuer Gemeindeabgaben oder Leistungen; 8. bei Aenderungen in dem bestehenden Verteilungsfuße der Gemeindeabgaben oder Leistungen; 9. bei Anstellung von Gemeinderechnnngssührern und sonstigen Angestellten, außer den Gemeindebeamten und den Gemeindedienern. Die erfolgte Bestätigung ist der Gemeinde bekannt zu machen?] ‘) Dgl. noch § 29 ZustG. Vgl. noch ZustG. §§ 25, 26, 30, 31, 37.

6. Londgemeindtvrdnung für die Provinz Hannover.

§§ 40—48.

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K 43. Gültige Beschlüsse können in Gemeindeversammlungen nur gesaßt werden, wenn entweder 1. sämtliche stimmberechtigte Gemeindemitglieder wirklich versammelt sind, oder 2. die Versammlung unter allgemeiner Angabe des Zweckes in der Ge­ meinde entweder zeitig Haus bei Haus angesagt oder in herkömmlicher Weise bekannt gemacht ist. Auswärtige, welche Stimmrecht in der Gemeinde haben, müssen behufs Entgegennahme dieser Bekanntmachungen am Orte Bevollmächtigte bestellen. (Vgl. §§ 65 und 67.) § 44. Die Beschlüsse sind nach Mehrheit der Stimmen zu fassen. Mitglieder, welche sich nicht einfinden, werden nicht mitgezählt. Es kann jedoch ein gültiger Beschluß nur gefaßt werden, wenn mindestens ein Drittel der vorhandenen Stimmen in der Versammlung vertreten ist.

§ 45. Der Vorsteher kann die Gemeindemitglieder zu den Ge­ meindeversammlungen bei Geldbuße bis zu drei Mark laden und bei gleicher Strafe das unzeitige Weggehen aus der Versammlung oder sonstige Un­ gebühr darin verbieten, auch für den Fall, daß die Ungebühr für die Ver­ handlungen störend werden sollte, den Urheber derselben aus der Ver­ sammlung verweisen. Der Gemeindeausschuß und, wo ein solcher nicht besteht, der Ge­ meindevorsteher hat über die Strafen zu beschließen; dieselben sind, sofern nicht gegen den Beschluß die Klage im Verwaltungsstreitverfahren erhoben wird, einzuziehen. § 46. Bei den Wahlen der Gemeindebeamten ist eine Mehrheit erforderlich, welche die Hälfte der abgegebenen Stimmen überschreitet (ab­ solute Mehrheit). Ergibt sich solche nicht, so ist die Wahl in der Art zu wiederholen, daß nur die bei der vorhergehenden Abstimmung Benannten ferner wählbar bleiben, und von diesen derjenige ausscheidet, aus welchen die geringste Stimmenzahl gefallen ist. Sind deren mehrere, so bestimmt das Los den Ausscheidenden. Ist auf diese Weise absolute Mehrheit nicht zu erreichen, so wählt der Landrat unter den beiden zuletzt Gewühlten.

§ 47. Bei den Wahlen der Mitglieder des Gemeindeausschusses (88 51 u. f.), der Gemeindediener und der sonstigen Angestellten gilt der­ jenige als gewählt, welcher die meisten Stimmen erhalten hat, wenn diese auch nicht die Hälfte überschreiten (relative Mehrheit). Bei Stimmengleichheit ist die Abstimmung zu wiederholen. Wird dadurch Mehrheit nicht erlangt, so entscheidet das Los. Die Abstimmung ist ebenfalls zu wiederholen, wenn der, welcher die meisten Stimmen erhalten hat, nicht ein Drittel derselben in sich vereinigt. Bei der wiederholten Abstimmung entscheidet aber dann unbedingt die relative Stimmenmehrheit oder das Los. § 48. Außer bei Wahlen hat der Gemeindebeamte, welcher die Verhaydlung leitet, im Falle der Stimmengleichheit eine entscheidende Stimme.

878

IX. Grupp«: Kommunalrech!.

B. Landgememderrcht.

§ 4t), Haben Unordnungen bei der Abstimmung jtattgehabt oder ergeben sich Zweisel dabei, so ist die Abstimmung nötigenfalls unter Leitung des Landrats, zu wiederholen. Ist ein gültiger Beschluß nicht zu erreichen, so ist der Kreisausschuß befugt, einstweilen, soweit nötig, mit Anordnung einzutreten. § 50. Die vorstehenden Bestimmungen über Fassung von Ge­ meindebeschlüssen (§§ 43 u. f.i, die in der Gemeinde geltenden, im Ver­ waltungswege näher festzustellenden Grundsätze über das Stimmrecht, so­ wie die Bestimmungen über die Vertretung der Gemeinden durch einen Ausschuß (siehe §§ 51 u. f.) gelten auch bei den von den Gemeinden zu errichtenden Syndikaten in Rechtsangelegenheiten der Gemeinde. Die Entscheidung der Frage, ob ein Rechtsstreit geführt werden soll, und die Wahl der Syndiken erfolgt jedoch unter Leitung des Landrats. Bei der Wahl entscheidet absolute Stimmenmehrheit. Die Vollmacht ist von dem Gemeindevorsteher und dem oder den Beigeordneten zu unterschreiben und von dem Landrate zu beglaubigen. In eiligen Fällen können die Gemeindebeamten ohne Errichtung eines Syndikats handeln. V. Gemeindeausschuß.

§ 51. In größeren Gemeinden kann auf Antrag der Gemeinde nach näheren, im Verwaltungswege zu treffenden Anordnungen ein Ausschuß (Gemeinderat) gebildet werden, der durch Gemeindebeschluß (vgl. jedoch § 42 Nr. 2) wieder beseitigt werden kann. § 52. Dieser vertritt in der Regel die Stelle der Gemeindcveisammlung, namentlich in den Fällen der §§ 41 und 42. Es können je­ doch auch da, wo jetzt schon Ausschüsse bestehen oder künftig errichtet werden, einzelne der im § 41 aufgeführten Gegenstände, namentlich die daselbü unter den Nummern 2, 6, 8 und 9 benannten, der Beschlußnahme der Gemeindeversammlung Vorbehalten werden?» § 53. Die Ausschußmitglieder werden von den stimmberechtigten Gemeindegliedern gewählt (siehe jedoch § 54 >. Die Wahl soll in der Regel nach Abteilungen geschehen, für welche die in der Gemeinde bestehenden Stiinmrechtsklassen als Anhalt dienen, und zwar in der Weise, daß das Stimmverhültnis im Ausschüsse dem in der Gemeinde bestehenden tunlichst entspricht.

K 54. Den Eigentümern derjenigen Domanial-, Kloster- oder sonstigen Güter und Höfe, von deren iin Gemeindebezirke belegenen Grund­ besitze wenigstens 150 Mark jährlich Grundsteuer entrichtet werden, ins­ besondere auch den seit dem 1. März 1848 angeschlossenen, kann, nach An­ hörung der Gemeindeversammlung insofern ihnen nicht schon nach dem § 53 im Gemeindeausschusse eine angemessene selbständige Stimmberechtigung zuteil wird, ein ihrem Stimm- und Beitragsverhältnisse entsprechendes Stimmrecht in dem Ausschüsse beigelegt werden. Das Ltimmrecht solcher Güter bzw. Höfe soll jedoch gegen den ') Zu'tG. 88 27, 29, 37.

6. Landgemeindeordnung für die Provinz Hannover.

§§ 49—60.

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Widerspruch der übrigen Gemeindemitglieder ein Drittel der Stimmen der sämtlichen Ausschußmitglieder nicht übersteigen. Ist eine größere Zahl solcher Güter in der Gemeinde vorhanden, als die hiernach zulässige Stimmenzahl, so sind zwei oder mehrere Güter in der Art zu verbinden, daß ein Vertreter für sie erscheint, oder es ist eine wechselnde Vertretung für je drei Jahre zu bestimmen. Die Besitzer der betreffenden Güter haben sich hierüber zunächst zu einigen. In Er­ mangelung einer Einigung hat der Kreisausschuß das Geeignete zu bestimmen. Das Stimmrecht der Güter kann durch Bevollmächtigte nach den im § 15 gegebenen Regeln ausgeübt werden.

% 55. Wählbar zu Ausschußmitgliedern (siehe oben § 53) sind nur diejenigen, bei welchen die als Bedingungen der Wählbarkeit zu Ge­ meindebeamten vorgeschriebenen Eigenschaften zutreffen. Tritt daran später ein Mangel ein, so muß das betreffende Mitglied aus dem Ausschuffe ausscheiden. $ 56. Die Mitglieder des Ausschusses bedürfen weder der Be­ stätigung noch der Genehmigung des Landrats.

§ 57. Die Bestimmungen für Gemeindebeamte über Annahme und Ablehnung der Wahl und über die Vergütung usw. in den §§ 31, 32, 33, 35 Abs. 1 und 2 und 36 gelten auch für die Ausschußmitglieder. § 58. Die Mitglieder des Ausschusses haben in versammelter Ge­ meinde oder im versammelten Ausschüsse mittelst Handschlags in die Hand deS Vorstehers zu geloben, daß sie das Beste der Gemeinde getreu wahr­ nehmen wollen. § 59. Die Bestimmungen der §§ 43 u. f. gelten, soweit sie An­ wendung finden, auch für die Abstimmungen in den Gemeindeausschüssen. ES kann aber ein gültiger Beschluß nur gefaßt werden, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder versammelt ist. VI. Gemeindevermögen und Genieindelasten.

§ 60. Zum Gemeindevermögen gehört alles, was der Gemeinde als solcher zusteht. Verschieden vom Gemeindevermögen ist das Vermögen, welches den Gemeindegliedern oder einzelnen Klassen derselben oder sonstigen Genossen­ schaften zusteht?) ') Hannoversche- Gesetz, verschiedene Aenderungen des Landesverfassungsgesetzes betr., vom 5. September 1848 (Hann. GS. S. 261) § 17: Den Gemeinden und den Verbänden mehrerer Gemeinden steht das Recht zu, ihr Vermögen selbst zu verwalten. Die Oberausficht der Verwaltungsbehörde über die Vermögensverwaltung, sowie über die Verteilung und Verwendung der Gemeindeabgaben und Leistungen darf sich nicht weiter erstrecken, al« dahin, daß da« Vermögen erhalten und bei Anordnung und Verteilung der Gemeindeabgaben angemessene, auch die Rechte der übrigen Landes­ einwohner und das allgemeine Wohl mchr verletzende Grundsätze befolgt werden. Auch steht der Verwaltungsbehörde die Entscheidung von Beschwerden zu, welche gegen die Gemeindeverwaltung erhoben werden. Die Einführung neuer und die Abänderung bestehender BeitragSverhältnisse in

880

IX. Grupp«: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

§ 61. Entsteht Streit darüber, ob etwas Gemeindevermögen oder GenossenschastSvermögen, oder ob und wieweit das Verfügungsrecht der Gemeinde über ersteres durch Rechte von Gemeindemitgliedern beschränkt sei, so ist von den Verwaltungsbehörden nach fruchtlos versuchter Güte, unter Vorbehalt des Rechtsweges, einstweilige Anordnung über die Nutzung und Verwaltung zu treffen. § 62. Sind bisher auS dem Genoffenschastsvermögen Verwendungen für die Gemeindelasten erfolgt, so ist ein jenen entsprechender Teil dieses Vermögens zu gleichem Zwecke auszuscheiden, oder das Vermögen mit einer entsprechenden Rente oder Leistung zu belasten. Auch hierüber haben zunächst die Verwaltungsbehörden, unter Vor­ behalt der richterlichen Enscheidung über die Verpflichtung der Genoffenschast, zu entscheiden. Bei Verbänden mehrerer Gemeinden ist daS ausgeschiedene Vermögen oder die Rente oder Leistung nur für die besonderen Lasten derjenigen Gemeinden zu verwenden, für welche die Verwendungen bisher geschehen sind.

§ 63. Wird der in den §§ 61 und 62 vorbehaltene Rechtsweg betreten, so hat die Verwaltungsbehörde die gehörige Geltendmachung der Ansprüche und Verteidigungsmittel der Gemeinde zu überwachen und äußerstenfalls durch eigene Bestellung eines Gemeindeanwalts (Aktors) zu bewirkend) K 64. Gebäude und Grundstücke, die unmittelbar zu Zwecken des Staates, der Kirche oder Schule dienen, sind zu Gemeindesteuern nicht pflichtig, sofern sie es nicht schon vor dem Gesetze vom 5. September 1848 waren. Sind Wohnungen in solchen Gebäuden, so unterliegen sie der Ge­ meindebesteuerung nach Maßgabe der Wohnräume.

§ 65. Auswärtige, welche in einem Gemeindebezirke unbebaute Grundstücke besitzen (Ausmärker), sind nach der Bestimmung des § 13 des Gesetzes vom 5. September 1848 zu den Lasten der betreffenden Gemeinde heranzuziehen. Sie haben, wenn dies geschieht, in den betreffenden An­ gelegenheiten ein Stimmrecht nach Maßgabe des Beitragsverhältnisses.') Beziehung auf Abgaben und Leistungen der Gemeinden oder Gemeindeverbänd« kann, unter Beobachtung der darüber bestehenden RechtSgrundsähe, durch Gemeindebeschluh, jedoch nur unter Bestätigung der oberen Verwaltungsbehörden geschehen. Die Oberaufsicht der Verwaltungsbehörden soll kostenfrei geschehen.

*) Siehe aber auch ZustG. § 34. *) Hannoversches Gesetz, verschiedene Aenderungen des Landesverfassungsgesetzes betr., vom 5. September 1848 (Hann. GS S. 261) § 13: Jedes Mitglied einer Gemeinde, sowie jedes zu solcher gehörige Haus oder Grund­ stück muh zu den aus den öffentlichen Verhältniffen der Gemeinde entspringenden Lasten verhältniSmähig beitragen. Wenn ein Anschluh von Domänen, Gütern, Häuser» oder sonstigen Besitzungen an eine Gemeinde oder an einen Gemeindeverbänd stattfindet, so können gegenseitig, ohne vorgängige Vereinbarung unter den Beteiligten über Ausgleichung oder Ent­ schädigung, keine Lasten übertragen werden, welche lediglich zur Erfüllung früherer, au« der Zeit vor der Vereinigung herrührenden Verbindlichkeiten dienen und deren Vorteile den neu «intretenden Mitgliedern nicht zustatten kommen. Kommt jedoch unter den Beteiligten über diese Ausgleichung der Entschädigung keine Vereinbarung zustande

6. ßanbgemeinbtorbnung für bie Provinz Hannover.

§§ 61—84.

881

K 66. Tas Gesetz vom 5. Julius 1856, betreffend die Heranziehung der Geistlichen und Lehrer zu Staats- und Gemeindelasten, wird durch die vorstekcnden Bestimmungen nicht geändert?)

§ 67. Auswärtige, welche im Gemeindebezirke pflichtig sind, müssen aus Verlangen des Gemeindevorstandes Bevollmächtigte am Orte bestellen, an welche die Gemeinde sich wegen der Beitrüge oder Dienste halten kann. Der Landrat kann eine Ausnahme von dieser Pflicht in den Fällen zulassen, wo sür die anstandlose Leistung der Beiträge und Dienste ander­ weit gesorgt wird. «Vgl. jedoch § 43 a. E.)

§ 68. Rückständige Gemeindeabgaben sind im Verwaltungswege beizutreiben. Die Beitreibung geschieht, vorbehältlich näherer Bestimmung, auf Anordnung des Gemeindevorstandes durch den Gemeindediener und, wenn im einzelnen Falle von dem Pflichtigen Widerspruch gegen die Forderung bei dem Landrate erhoben wird, durch diesen. VII. Polizeiliche Rechte der Gemeinden.

§ 69. Die den Gemeinden zustehende Teilnahme an der Hand­ habung der Polizei (§ 20 des Gesetzes vom 5. September 1848) begreift die Orts- und Feldmarkspolizei im Gemeindebeziik?) § 70. Diese Teilnahme ist unter Aussicht der Verwaltungsbehörden durch die Gemeindebcamten mit Hilfe der dazu geeigneten Gememdediener unter Mitwirkung der vom Staate angestellten Polizeiosfizianten auszuüben. Kraft dieses Aufsichtsrechts sind die Verwaltungsbehörden befugt, auf Anrufen oder von Amts wegen die Anordnungen der Gemeindebeamten auf­ zuheben, abzuändern oder durch eigene Anordnungen zu ersetzen. Die §§

71—82

gelten nicht mehr.

VIII. Vereinigung mehrerer Gemeinden.

§ 83. Tie Regierung ist befugt, im Falle des Bedürfnisses die Vereinigung mehrerer Gemeinden zu einem Verbände behujs Bestreitung der außerordentlichen Armenlast nach Anhörung der beteiligten Gemeinden zu verfügen. IX. Schluß best im mungen.

§ 84.

Das Gesetz über Landgemeinden vom 4. Mai 1852 wird

aufgehoben. so erfolgt Entscheidung des Kreisausschusjes (ZustG. § 25). Dagegen haben bie neu Hlnzutrelkndkn zu den übrigen Lasten der Gemeinde, soweit diese aus deren öffentlichen Verhältnissen entspringen, verhältnismäßig beizutragen. l) Vgl. § 24 Abs. 1 k, § 41 KAG. und Verordnung vom 23. September 1867 (GS. S. 1648) § 1. *) Hannoversche« Gesetz, verschiedene Aenderungen deS LandcsverfassungSgesetzeS betr, vom 5 September 1848 (Hann. GS. S. 261) § 20: Den Landgemeinden steht, unter Oberaufsicht der Verwaltungsbehörden. die eigene Verwaltung ihres Vermögens, die Regelung ihrer übrigen inneren Grmeindeverhältnisse und der ihnen obliegenden Gemeindelasten zu. El i er-So Illi o, Dcrwaltungs^csctzc für Preuvcn.

882

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

7. HoheizMcrnW GemeiidcordmU Bi« 2. Juli 1900. (@S. S. 189.)

Erster Titel.

Allgemeine Bestimmungen. § 1. Diese Gemeindeordnung findet auf alle Stadt- und Land­ gemeinden der Hohenzollernschen Lande Anwendung. Stadtgemeinden sind die Gemeinden Sigmaringen und Hechingen. Landgemeinden können aus ihren Antrag nach Anhörung der Amts­ versammlung und des Kommunallandtags durch Königliche Verordnung zu Stadtgcmeinden erklärt werden. § 2. Die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes vorhandenen Gemeinden bleiben in ihrer bisherigen Begrenzung unter den nachfolgenden Maßgaben bestehen: 1. Grundstücke, welche noch keinem Gemeindebezirk angehören und ab­ gesonderte Gemarkungen (Waldungen, Hosgüter und so fort mit eigener Markung) find, soweit nicht ihre gänzliche oder teilweise Eingemeindung in einem Stadtbezirk geeignet erscheint (§ 2 Nr. 6), nach Vernehmung der Beteiligten durch Beschluß des Anitsausschusses mit einer oder mehreren Landgemeinden zu vereinigen. Aus solchen Grundstücken und abgesonderten Gemarkungen kann, soweit dies nach ihrem Umsang und ihrer Leistungssähigleit angezeigt erscheint, mit Königlicher Ge­ nehmigung ein besonderer Gemeindebezirk gebildet werden. 2. Landgemeinden, welche ihre öffentlich rechtlichen Verpflichtungen zu er­ füllen außerstande sind, können durch Königliche Anordnung auf­ gelöst werden. Tie Regelung der kommunalen Verhältnisse ihrer Grundstücke erfolgt nach Maßgabe der Vorschriften unter Nr. l. 3. Landgemeinden und solche Einzelortschasten in zusammengesetzten Ge­ meinden (§ 102), welche eine besondere Gemarkung oder besonderes Gemeindevermögen haben, können mit anderen Kemeindebezirken nach Anhörung der Beteiligten sowie des Amtsausschusscs mit Königlicher Genehmigung vereinigt werden, wenn die Beteiligten hiermit ein­ verstanden sind. Läßt sich ein Einverständnis der Beteiligten nicht erzielen, so ist ihre Zustimmung, sofern daS öffentliche Znteresse dies erheischt, im Beschlußverfahren durch den Amtsautzschuß zu ersehen. Gegen den auf Beschwerde ergehenden Beschluß des Bezirksausschusses steht den Beteiligten und nach Maßgabe des § 123 des Gesetz s über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (Gesetz^Samml. S. 19ö) dem Vorsitzenden des Bezirksausschusses die weitere Beschwerde an den Minister deS Innern zu. Der mit Gründen zu versehende Beschluß deS Ministers des Innern ist dem Regierungspräsidenten behufs Zustellung an die Beteiligten zuzusertigen.

7. Hohrnzollrrnscht Gemeindeordnung.

§§ 1—3.

883

4. Die Abtrennung einzelner Teile von einem Landgemeindebezirk und deren Vereinigung mit einem anderen Landgemeindebezirk kann, wenn die beteiligten Gemeinden sowie die Besitzer der betreffenden Grund­ stücke einwilligen, oder wenn beim Widersprüche Beteiligter das öffent­ liche Interesse es erheischt, durch Beschluß des Amtsausschusses er­ folgen. Gegen den auf Beschwerde ergehenden Beschluß deS Bezirks­ ausschusses steht den Beteiligten und dem Vorsitzenden des Bezirks­ ausschusses die weitere Beschwerde an den Minister des Innern nach Maßgabe der Nr. 3 offen. Soll aus den abgetrennten Grundstücken ein neuer Gemeindebezirk gebildet werden, so ist die Königliche Ge­ nehmigung erforderlich.

5. Ein öffentliches Interesse im Sinne der Nr. 3 und 4 liegt nur dann vor, a) wenn Landgemeinden ihre öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen außerstande sind. Bei Beurteilung dieser Frage sind Zuwendungen, welche Gemeinden vom Staate oder größeren Kommunalverbänden zu­ stehen, nicht als bestimmend zu erachten; b) wenn infolge örtlich verbundener Lage mehrerer Landgemeinden oder von Teilen derselben mit Landgemeinden ein erheblicher Widerstreit der kommunalen Interessen entstanden ist. 6. Die vorstehenden Bestimmungen finden in den Fällen, in denen es sich um die Vereinigung von Grundstücken, welche noch keinem Gemeindebezirk angehören, einer abgesonderten Gemarkung oder von Teilen einer solchen oder einer Landgemeinde (Einzelortschaft Nr. 3) mit einer Stadtgemeinde, um die Abtrennung einzelner Teile von einem Stadtbezirk und deren Vereinigung mit einem Landgemeinde­ bezirke sowie um die Abtrennung einzelner Teile von einem Land­ gemeindebezirk und deren Vereinigung mit einem Stadtbezirke bandelt, sinngemäße Anwendung mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Beschlußfassung des Amisausschusses nach erfordertem Gutachten der Amtsversammlung die Beschlußfassung des Bezirksausschusses tritt.

7. In den vorstehend bezeichneten, der Königlichen Genehmigung unter­ liegenden Fällen ist vor deren Erwirkung der Be'chluß des Amts­ ausschusses, des Bezirksausschusses oder des Ministers des Innern sowie das Gutachten der Amtsversammlung den Beteiligten mitzuteilen. 8. Jede Bezirksveränderung ist durch das Regierungsamtsblatt zu ver­ öffentlichen.

K 3. Ueber die infolge einer Veränderung der Grenzen der Ge­ meinden notwendig werdende Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten beschließt der Amtsausschuß, soweit hierbei Stadtgemeinden in Betracht kommen, der Bezirksausschuß, vorbehaltlich der den Beteiligten gegen einander zustehenden Klage im Verwaltungsstreitverjahren bei diese» Behörden. Bei der Auseinandersetzung sind ersvrderlichensalls Bestimmungen zur Ausgleichung der öffentlich-rechtlicheii Interessen der Beteiligten zu treffen. Insbesondere können einzelne Beteiligte im Verhältnisse zu anderen Beteiligten, welche für gewisse kommunale Zwecke bereits vor der Ver­ bs'

884

IX. Gruppe: Kommmialrecht.

B. Laudgemeinderecht

einigung für sich allein Fürsorge getroffen haben, oder solche Beteiligte, welche vorwiegend Lasten in die neue Gemeinschaft bringen, zu Voraus­ leistungen verpflichtet werden. Auch kann, wenn eine Gemeinde durch die Abtrennung von Grundstücken eine Erleichterung in öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen erfährt, der Gemeinde, welcher jene Grundstücke einverleibt werden, oder der neuen Gemeinde, welche aus letzteren gebildet wird, eine Beihilfe zu den ihnen durch die Bezirksveränderungen erwachsenden Aus­ gaben bis zur Höhe des der anderen Gemeinde dadurch entstehenden Vor­ teils zugebilligt werden.

§ 4. Streitigkeiten über die bestehenden Grenzen der Gemeindebezirke sowie über die Eigenschaft einer Ortschaft als Gemeinde unterliegen der Entscheidung des Amtsausschusies, soweit hierbei Stadtgemeinden in Betracht kommen, des Bezirksausschusses. Diese Behörden beschließen vorläufig über die im ersten Absätze be­ zeichneten Angelegenheiten, sofern das öffentliche Jntereffe es erheischt. Bei dem Beschlusse behält es bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Ver­ waltungsstreitverfahren sein Bewenden. Zweiter Titel.

Verfassung der Gemeinden. Erster Abschnitt.

Rechtliche Skllung der Gemeinden. § 5. Tie Gemeinden sind öffentliche Körperschaften. Es steht ihnen das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten nach den Vor­ schriften dieses Gesetzes zu. K 6. Die Gemeinden sind zum Erlasse statutarischer Anordnungen über solche Angelegenheiten der Gemeinde befugt, hinsichtlich deren das Gesetz Verschiedenheiten gestattet oder aus ortsstatutarische Regelung ver­ weist, sowie über solche Angelegenheiten, deren Gegenstand nicht durch Gesetz geregelt ist. Die Entwürse zu den statutarischen Anordnungen sind vor dem end­ gültigen Beschlusse der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zur öffentlichen Kenntnis in der Gemeinde zu bringen, jedem Kemeindegliede (8 9 »steht frei, innerhalb der nächsten zwei Wochen, vom Tage nach der Veröffentlichung an gerechnet, bei dein Gemeindevorstand Einwendungen zu erheben, welche dieser der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zur Beschlußfassung vorzulegen hat. Die statutarischen Anordnungen bedürfen der Genehmigung des AmtsauSschusses (Bezirksausschusses § 103).

Zweiter Abschnltt. Grincindeangehörige, deren Rechte und Pflichten. § 7. Angehörige der Gemeinde sind mit Ausnahme der nicht an­ gesessenen, servisberechtigten Militärpersonen des aktiven Dienststandes die­ jenigen, welche innerhalb des Gemeindebezirkes einen Wohnsitz haben.

7. Hohtnzollernsche Gemeindeordnung.

§§ 3—11.

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Einen Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes hat jemand an dem Orte, an welchem er eine Wohnung unter Umstünden inne hat, die auf die Absicht dauernder Beibehaltung einer solchen schließen lassen.

§ 8. Die Gemeindeangehörigen sind nach Maßgabe der bestehenden Bestimmungen zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtungen und An­ stalten der Gemeinde berechtigt und zur Teilnahme an den Gemeindelasten verpflichtet. Die Bestimmungen besonderer Stiftungen, welche mit solchen Ge­ meindeeinrichtungen und Anstalten verbunden sind, sowie die hieran be­ stehenden, aus besonderen Teilen beruhenden Privatrechte werden hierdurch nicht berührt. Auf Einsprüche, betreffend das Recht zur Mitbenutzung der öffent­ lichen Gemeindeanstalten, beschließt der Gemeindevorstand. Gegen den Be­ schluß findet die Klage im Verwaltungsstreitversahren statt. Einspruch und Klage haben keine aufschiebende Wirkung. Dritter Abschnitt. Gemeindeglieder, deren Rechte und pflichten.

§ 9. Eemcindeglieder (Bürger) sind alle Gemeindeangehörigen (§ 7) welchen das Gemeinderecht (Bürgerrecht) zusteht. Eine Liste der Gemeindeglieder, welche deren nach All erforderliche Eigenschaften nachweist, und der sonstigen Stimmberechtigten (§ 16) wird von dem Gemeindevorstande geführt und alljährlich im Monate Januar berichtigt. § 10. Das Gemeinderecht besteht in dem Rechte zur Teilnahme an der Gemeindeversammlung und an den Gemeindewahlen sowie in der Be­ fähigung zur Bekleidung unbesoldeter Aemter in der Verwaltung und Ver­ tretung der Gemeinde.

§ 11. Tas Gemeinderecht wird von jedem männlichen selbständigen Gemeindeangehörigen erworben, welcher 1. Angehöriger des Deutschen Reichs ist, 2. die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt, 3. seit zwei Jahren in dem Gemeindebezirk einen Wohnsitz hat, 4. keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfängt, 5. die schuldigen Gemeindeabgaben gezahlt hat und außerdem 6. entweder a) ein Wohnhaus in dem Gemeindebezirke besitzt, oder b) von seinem innerhalb des Gemeindebezirkes belegenen Grundbesitze zu einem Jahresbetrage von mindestens zwei Mark an Grund-, Gefäll- und Gebäudesteuer vom Staate veranlagt ist, oder c) zur Staatseinkommensteuer oder zu einem fingierten Normalsteuer­ satze von mindestens vier Mark veranlagt ist oder, falls eine Ver­ anlagung zu einem fingierten Steuersätze nicht erfolgt ist, ein Einkommen von mehr als 660 Mark hat. Steht ein Wohnhaus im (geteilten oder ungeteilten) Miteigentume Mehrerer, so kann das Gemeinderecht auf Grund dieses Besitzes nur von

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IX. Grupp«: Kommunalrrcht.

B. Landgkm«inder«cht.

einem unter ihnen auSgeübt werden. Falls die Miteigentümer sich über die Person des Berechtigten nicht einigen können, ist derjenige, welcher den größten Anteil besitzt, befugt, das Gemeinderecht auszuüben, bei gleichen Anteilen bestimmt sich in diesem Falle die Person des Berechtigten durch das LoS, welches durch die Hand des Bürgermeisters (§ 54) gezogen wird. In den Fällen, wo ein Wohnhaus durch Vererbung auf einen anderen übergeht, kommt dem Erben bei Berechnung der Dauer des zweijährigen Wohnsitzes die Besitzzeit des Erblassers zugute. Tie Uebertragung unter Lebenden an Verwandte in absteigender Linie steht der Ver­ erbung gleich. Steuerzahlungen, Einkommen und Grundbesitz der Ehefrau werden dem Ehemanne, Steuerzahlungen, Einkommen und Grundbesitz der unter elterlicher Gewalt des Vaters befindlichen Kinder werden dem Vater an­ gerechnet. Als selbständig wird betrachtet, wer das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat und einen eigenen Hausstand besitzt, sofern ihm nicht das VersügungSrecht über sein Vermögen oder dessen Verwaltung durch richter­ lichen Beschluß entzogen ist. Inwiefern über die Erlangung des Gemeinderechts von dem Gemeinde­ vorstand eine Urkunde zu erteilen ist, bleibt den statutarischen Anordnungen Vorbehalten.

§ 12. Verlegt ein Gemeindemitglied seinen Wohnsitz nach einer anderen Gemeinde, so kann ihm in seinem neuen Wohnorte das Ge­ meinderecht, wenn sonst die Voraussetzungen zu dessen Erlangung vorhanden find, von dem Gemeindevorstand im Einverständnisse mit der Gemeinde­ versammlung (Gemeindevertretung) schon vor Ablauf von zwei Jahren ver­ liehen werden. H 13. Das Gemeinderecht und die unbesoldeten Gemeindeämter gehen verloren, sobald der Wohnsitz in dem Gemeindebezirk aufgegeben wird oder eines der im 8 11 Abs. 1 unter Nr. 1 und 6 vorgeschriebenen Erfordernisse nicht mehr zutrifft. Sie verbleiben jedoch demjenigen, bei welchem die im § 11 Abs. 1 unter Nr. 6 vorgeschriebene Voraussetzung deshalb nicht mehr vorhanden ist, weil er seinen Grundbesitz, unter Vor­ behalt von Altenteilen, Leibgedingen oder sonstigen Leistungen, an seine Abkömmlinge oder andere Personen verteilt oder übergeben hat. Wer durch rechtskräftiges Erkenntnis der bürgerlichen Ehrenrechte ver­ lustig gegangen ist, verliert dadurch dauernd die bisher von ihm bekleideten Aemter in der Verwaltung und Vertretung der Gemeinde und für die im Urteile bestimmte Zeit das Gemeindestimm- und Wahlrecht sowie die Fähig­ keit, es zu erwerben und Gemeindeämter zu bekleiden. Die rechtekräftig erfolgte Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter hat den dauernden Verlust der bisher bekleideten Aemter tu der Verwaltung und Vertretung der Gemeinde sowie für die im Urteile bestimmte Zeit die Unsähigkeit zur Bekleidung solcher Aemter zur Folge. Die Verurteilung zur Zuchthausstrafe hat den Verlust der Gemeinde­ ämter und die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung solcher Aemter zur Folge.

7. Hobenzollernsche (Semeinbtorbnung. §§ 11—17.

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K 14. Wer beim Inkrafttreten dieses Gesetzes das Bürgerrecht be­ sitzt, verliert eS nicht aus dem Grunde, weil bei ihm die im § 11 Abs. 1 unter Nr. 6 bezeichnete Bedingung nicht zutrifft. § 15. Die Ausübung des Gemeinderechts ruht, 1. wenn gegen ein Gemeindeglied gerichtliche Haft verfügt oder wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens, welches die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zur Folge haben kann, das Hauptverfahren eröffnet ist, so lange bis das Strafverfahren beendet ist; 2. wenn ein Gemeindeglied entmündigt ist, bis zur Wiederaufhebung der Entmündigung; 3. wenn ein Gemeindeglied in Konkurs verfällt, bis zur Beendigung deS Verfahrens; 4. wenn ein Gemeindeglied Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfängt, während sechs Monate nach dem Empfange der Unter­ stützung, sofern es nicht früher die empfangene Unterstützung erstattet; 5. wenn ein Gemeindeglied die schuldigen Gemeindeabgaben innerhalb vier Wochen nach erfolgter Mahnung durch den Steuererheber nicht gezahlt hat, vom Abläufe dieser Frist bis zur Entrichtung der Abgaben. Wenn ein solches Gemeindeglied unbesoldete Gemeindeämter be­ kleidet oder Abgeordneter nicht angesessener Stimmberechtigter (§ 19) ist, kann der Amtsausschuß (Bezirksausschuß 8103) die Wahl eines kommissarischen Vertreters anordnen.

§ 16. Wer in einem Gemeindebezirk, ohne dort einen Wohnsitz zu haben, seit zwei Jahren ein Grundstück besitzt, welches wenigstens den Um­ fang einer die Haltung von Zugvieh zur Bewirtschaftung erfordernden Ackernahrung hat, oder auf welchem sich ein Wohnhaus, eine Fabrik oder eine andere gewerbliche Anlage befindet, die dem Werte einer solchen Acker­ nahrung mindestens gleichkommen, ist ebenfalls stimmberechtigt, wenn bei ihm die ihm § 11 Äbs. 1 unter Nr. 1, 2, 4 und 5 bezeichneten Voraus­ setzungen vorhanden sind. Jngleichen steht das Stimmrecht juristischen Personen, Aktiengesell­ schaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerkschaften, eingetragenen Genossenschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und dem Staats­ fiskus zu, sofern sie seit zwei Jahren Grundstücke von dem bezeichneten Umfang in dem Gemeindebezirke besitzen. Frauen sowie unter Vormundschaft oder Pflegschaft stehende und andere nicht selbständige Personen (§ 11 Abs. 5) sind stimmberechtigt, wenn bei ihnen die im § 11 Abs. 1 unter Nr. I bis 6rr beziehungsweise 9 b bezeichneten Voraussetzungen vorliegen.

§ 17. In der Ausübung des Stimmrechts, zu welchem der Grund­ besitz befähigt, werden vertreten: 1. Minderjährige durch ihren Vater oder Stiefvater, Personen, welche unter Vormundschaft oder Pflegschaft stehen, durch ihren Vormund oder Pfleger; steht die elterliche Gewalt der Mutter zu oder wird sie von dieser ausgeübt (§§ 1684, 1685 Bürgerliches Gesetzbuch), oder ist der Vormund oder Pfleger eine Frau, so findet die Vertretung

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IX. Gruppt: Kommunalrecht.

B. Landgtmeindrrecht.

durch ein Gemeindeglied statt; der Stiefvater ist vor dem Vormunde zur Vertretung berufen, 2. Ehefrauen durch ihren Ehemann, 3. großjährige Besitzer vor vollendetem vierundzwanzigsten Lebensjahr, unverheiratete Besitzerinnen (abgesehen von den Fällen unter Nr. 1) und Witwen durch Gemeindeglieder, 4. juristische Personen, einschließlich des Staatsfiskus, sowie die übrigen im 8 16 Abs. 2 bezeichneten Personengesamtheiten durch ihre ver­ fassungsmäßigen Organe, Repräsentanten oder Generalbevollmächtigte sowie durch Pächter oder Nießbraucher der zur Teilnahme am Stimm­ rechte befähigenden Grundstücke oder durch Gemeindeglieder. Auswärts wohnende Stimmberechtigte, welche das vierundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt haben, und auswärts wohnende Vertreter Stimm­ berechtigter können das Stimmrecht persönlich ausüben, sind aber befugt, fich durch Gemeindeglieder vertreten zu lassen. Der Fürst von Hohenzollern, der Fürst zu Fürstenberg sowie der Fürst von Thurn und Taxi? können sich je durch ein Mitglied ihrer Familie oder durch einen ihrer in den Hohenzollernschen Landen ange­ stellten Beamten oder einen ihrer in der Gemeinde wohnhaften Pächter vertreten lassen.

K 18. Zur Ausübung des Stimmrechts durch Vertreter (§ 17) ist erforderlich, daß 1. der Vertreter sich im Besitze der Teutschen Reichsangehörigkcit und der bürgerlichen Ehrenrechte befindet, das vierundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat und keine Armcnnnterstützung aus öffentlichen Mitteln empfängt sowie außerdem, daß 2. der Vater die elterliche Gewalt besitzt, 3. der Stiefvater das zum Stimmrechte befähigende Grundstück bewirt­ schaftet.

§ 19. Jedem einzelnen Stimmberechtigten steht eine Stimme in der Gemeindeversammlung mit der Maßgabe zu, daß mindestens zwei Drittel sämtlicher Stimmen aus die mit Grundbesitz angesessenen Mitglieder der Gemeindeversammlung (§11 Abs. 1 Nr. 6a und b, § 16) entfallen müssen. Uebersteigt die Anzahl der nicht angesessenen Gemeindeglieder (§11 Abs. 1 Nr. 6 c) den dritten Teil der Gesamtzahl der Stimmen der Mitglieder der Gemeindeversammlung, so haben die ersteren ihr Stimm­ recht durch eine jenem Verhältnis entsprechende Anzahl von Abgeordneten auszuüben, welche sie aus ihrer Mitte auf die Dauer von sechs Jahren wählen. Vierter Abschnitt.

Gemeindevertretung (öürgerausschuk).

K 20. In den Städten tritt an die Stelle sammlung eine Gemeindevertretung (Bürgerausschuß). in denjenigen Landgemeinden, in welchen die Zahl der mehr als dreißig beträgt, mit dein Zeitpunkte, wie die berechtigten diese Zahl nachweist. (§ 9 Abs. 2).

der Gemeindever­ Dasselbe geschieht Stimmberechtigten Liste der Stimm­

7. Hohenzollkriische ©emeinbeorbnuiij.

t§ 17—21.

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Die Gemeindevertretung besteht aus bent Bürgermeister, den Schöffen 54) und beit gewählten Gemeinbeverorbneten. Die Zahl bet Gemeinbeverorbneten beträgt bas Dreifache ber erstgenannten (Bürgermeister unb Schöffen), kann jcbock burch Ortsstatut auf 12 ober 15 erhöht werben. In bknjenigen Gemeinben, in welchen ein kollegialiscker Gemeinbevorstanb eingeführt ist (§ 54 Abs. 5), besteht bie Gemeinbcvertretung außer beut Bürgermeister ober seinem Stellvertreter als Borsitzenben (§ 68 Abs. 2) nur aus gewählten Gemeinbeverorbneten unb zwar: aus 9 in Gemeinben mit nicht mehr als 1000 Einwohner, aus 12 in Gemeinben mit mehr als 1000 Einwohnern. Durch Ortsstatut kann bie Zahl ber Mitglieber von 9 auf 12 unb von 12 auf 15 erhöht werben. Außerbem ist ber Fürst von Hoheuzollern Mitglieb ber Gemeinbevertretung in benjenigen Gemeinben, in welchen sein Grunbbesitz mehr als ein Viertel ber Gemeinbegrunbfläche umfaßt. Er kann sich hierbei gemäß den Bestimmungen im § 17 Abs. 3, § 18 Nr. 1 vertreten lassen. Soweit bem Fürsten von Hoheuzollern hiernach bie Mitgliebschast in ber Gemeinbevertretung zusteht, ruht sein Recht zur Teilnahme an beu Wahlen ber Gemeinbeverorbneten.

§ 21. Für bie Wahlen ber Gemeinbeverorbneten werben, unbeschabet ber Bestimmung im Abs. 5 bes § 20, bie sämtlichen Stimm­ berechtigten, nach Maßgabe ber von ihnen in ber Gemeinbe zu eutrichtenben birekten Staatssteueru (Einkommen- unb Ergänzungssteuer), Ge­ meinbe-, Amts- unb LanbeSkommunalabgaben in brei Abteilungen geteilt. Es besteht 1. bei Gemeinben mit mehr als 2000 Einwohnern bie erste Abteilung aus ben Höchstbesteuerten unb umfaßt bas erste Neuntel ber Stimmberechtigten, bie zweite Abteilung aus ben Mittclbesteuerten unb umfaßt bie zwei folgenben Neuntel, bie britte Abteilung aus ben Minbestbesteuerteit unb umfaßt bie übrigen sechs Neuntel; 2. bei Gemeinben mit nicht mehr als 2000 Einwohnern entsprechenb bie erste Abteilung aus bem ersten Sechstel, bie zweite Abteilung aus ben zwei folgenben Sechsteln, die britte Abteilung aus ben übrigen brei Sechsteln ber Stimm­ berechtigten. Steuern für bie im Umherziehen betriebenen Gewerbe kommen nicht in Anrechnung. Wo direkte Gemeinbesteuern nicht erhoben werben, treten an bereit Stelle bie vom Staate veranlagten Grunb-, Gefäll-, Gebäube- unb Gewerbesteuern. Läßt sich bei gleichen Steuerbeträgen nicht entscheiben, welcher unter mehreren Wählern zu einer bestimmten Abteilung zu rechnen ist, so giebt bie alphabetische Orbnung ber Familiennamen, bei gleichen Namen baS Los ben Ausschlag. Läßt sich bie Zahl ber Stimmberechtigten nicht burch 9 ober 6 teilen, so werben bie Uebrigbleibenben ber brüten Abteilung zugezählt.

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IX. Gruppt: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Jede Abteilung wählt aus der Zahl der Stimmberechtigten ein Drittel der Gemeindeverordneten, ohne dabei an die Wähler der Abteilung gebunden zu sein. Die nach § 17 zur Stellvertretung berechtigten Personen sind wähl­ bar, können aber nur so lange Gemeindeverordnete sein, als die Stell­ vertretung dauert.

§ 22. Für eine Abteilung, in welcher mehr als 500 Wähler vor­ handen sind, können Wahlbezirke gebildet werden. Die Anzahl und die Grenzen der Wahlbezirke sowie die Anzahl der in einem jeden zu wählenden Gemeindeverordneten werden nach Maßgabe der Zahl der Stimmberech­ tigten von dein Gemeindevorstande festgesetzt. Ist eine Aenderung der Anzahl oder der Grenzen der Wahlbezirke oder der Anzahl der in einem jeden zu wählenden Gemeindeverordneten wegen einer in der Zahl der stimmberechtigten Gemeindeglieder einge­ tretenen Aenderung oder aus sonstigen Gründen erforderlich geworden, so hat der Gemeindevorstand die entsprechende anderweite Festsetzung zu treffen, auch wegen des UebergangeS aus dem alten in das neue Verhältnis das Geeignete anzuordnen. Diese Festsetzung bedarf der Bestätigung des Amtsausschusses (Bezirksausschusses § 103). In zusammengesetzten Gemeinden (§ 102) kann der Amtsausschuß (Bezirksausschuß) aus Antrag deS Gemeindevorstandes nach Verhältnis der Zahl der Stimmberechtigten anordnen, wieviel Gemeindeverordnete auS jeder einzelnen Ortschaft in einer jeden Abteilung zu wählen sind.

K 23. Mindestens zwei Drittel der Mitglieder der Gemeinde­ vertretung müssen Angesessene oder Vertreter von Angesessenen sein (§11 Abs. 1 Nr. 6a und b, § 16). Die Zahl der Gemeindeverordneten, welche hiernach aus der Mitte der Nichtangesessenen gewählt werden können, wird auf die drei Abteilungen gleichmäßig verteilt. Ist die Zahl nicht durch drei teilbar, so kann, wenn die Zahl 1 übrig bleibt, die zweite Abteilung aus der Zahl der Nicht­ angesessenen einen Gemeindeverordneten mehr wählen, als die beiden anderen; bleibt die Zahl 2 übrig, so kann die erste Abteilung den einen, die dritte Abteilung den anderen wählen. Sind in einer Abteilung nicht mehr angesessene Gemeindeverordnete gewählt, als hiernach zulässig ist, so gelten btcjenigeu, welche die geringste Stimmeuzahl erhalten haben, als nicht gewählt. Bei gleicher Stimnienzahl entscheidet das Los. Bei den zu deren Ersätze anzuordnenden Neuwahlen sind nur die auf Angeseffene oder Vertreter von Angesessenen entfallenden Stimmen gültig.

§ 24. Gemeindeverordnete können nicht sein: 1. diejenigen Beamten und die vom Staate ernannten Mitglieder der­ jenigen Behörden, durch welche die Aussicht des Staates über die Gemeinden ausgeübt wird, 2. die besoldeten Beamten der Gemeinde, 3. die richterlichen Beamten, zu welchen jedoch die technischen Mitglieder der Handels-, Gewerbe- und ähnlicher Gerichte nicht zu zählen sind,

7. Hohenzollernsch« Gemeindeordnung.

§§ 21—29.

891

4. die

Beamten der Staatsanwaltschaft und die Polizeibeamten, 5. die Geistlichen, Kirchendiener und Volksschullehrer. Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwiegersohn dürfen nicht zugleich Gemeindeverordnete derselben Gemeinde sein. Sind solche Ver­ wandte oder Verschwägerte zugleich gewählt, so wird der ältere allein zu­ gelassen. Entsteht die Schwägerschast im Laufe der Wahlperiode, so scheidet der Schwiegersohn aus.

§ 25. Die Gemeindeverordneten werden aus sechs Jahre gewählt. Alle zwei Jahre scheidet ein Drittel der Gemeindeverordneten aus jeder Abteilung aus und wird die Gemeindevertretung durch neue Wahlen er­ gänzt. Ist die Zahl der Ausscheidenden nicht durch drei teilbar, so wird die Reihenfolge der Abteilungen, in welcher diese Ausscheidung stattfindet, durch das LoS bestimmt. Ebenso werden die das erste und das zweite Mal AuSscheidenden durch das Los bestimmt. Die Ausscheidenden sind wieder wählbar. Außergewöhnliche Wahlen zum Ersätze innerhalb der Wahlperiode ausgeschiedener Gemeindeverordneten müssen angeordnet werden, wenn die Gemeindevertretung oder der Gemeindevorstand es für erforderlich erachten, oder wenn der Ämtsausschuß (Bezirksausschuß § 103) dies beschließt. Außerdem sind zur Erreichung der vorgeschriebenen Anzahl von Gemeinde­ verordneten — unbeschadet der Vorschrift des § 37 Abs. 3 — Ersatz­ wahlen vorzunehmeu, ehe zu den der Gemeindevertretung nach § 55 Abs. 1 und 2 dieses Gesetzes, Artikel I § 17 Abs. 1 und 2, § 57 des Gesetzes, betreffend die Abänderung und Ergänzung der Hohenzollernschen Amts­ und Landesordnung, obliegenden Wahlen oder Beschlußfassungen geschritten wird. Der Ersatzmann bleibt nur bis zum Ende der Wahlperiode des Ausgeschiedenen in Wirksamkeit. Bei Ergünzungs- und Ersatzwahlen ist bezüglich der Wählbarkeit von Nichtangesessenen nach den Grundsätzen des § 23 zu verfahren.

§ 26. Der Wahl wird die nach § 9 Abs. 2 zu führende Liste zugrunde gelegt, welche nach den Wahlabteilungen und im Falle deS § 22 nach den Wahlbezirken einzuteilen ist. § 27. In der Zeit vom 15. bis 30. Januar erfolgt die Aus­ legung der Liste (§ 26) in einem vorher zur öffentlichen Kenntnis zu bringenden Raume. Während dieser Zeit kann jeder Stimmberechtigte gegen die Richtig­ keit der Liste bei dem Genieiudevorstand Einspruch erheben, auf welchen bis zum 15. Februar zu beschließen ist (§ 37 Abs. 1 Nr. 1). Soll der Name eines einmal in die Liste ausgenommenen Stiinmberechtigten wieder gelöscht werden, so ist dem Stimmberechtigten von dem Gemeiudevorstande dies acht Tage vorher unter Angabe der Gründe mit­ zuteilen.

§ 28. Die Wahlen der dritten Abteilung sind zuerst, die der ersten zuletzt vorzunehmen. § 29. Die Wahlen zur regelmäßigen Ergänzung der Gemeinde­ vertretung finden alle zwei Jahre im März statt. Die Ergänzungs- und

892

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Ersatzwahlen werden von denselben Abteilungen und Wahlbezirken vorgenommen, von welchen der Ausscheidende gewählt war.

22.)

§ 30. Mindestens acht Tage vor dem Wahltage werden die in der Liste (§ 26) verzeichneten Wähler dmch den Bürgermeister mittelst ortsüblicher Bekanntmachung zu den Wahlen berufen. Tie Bekannt' machung muß den Raum, den Tag und die Stunden der Wahlen genau bezeichnen. Tie Bekanntmachung muß in den drei letzten Tagen vor dem Wahl­ tage wiederholt werden. § 31. Der Wahlvorstand besteht in jedem Wahlbezirk aus dein Bürgermeister oder einem von diesem zu seinem Stellvertreter ernannten Schöffen als Vorsitzenden und aus zwei von der Gemeindevertretung lBürgerausschuß, Gemeindeversammlung) gewählten Beisitzern, von welchen der Vorsitzende einen zum Schristsührer ernennt. § 32. Tie Wahlen ersolgen durch Stimmzettel, auf welchen jeder Wähler so viele Personen zu bezeichnen hat, als zu wählen sind. Stimmzettel, welche nicht von weißem Papier, oder welche mit einem äußeren Kennzeichen versehen sind, oder welche mehr Namen, als Personen zu wählen sind, enthalten, sind ungültig. Stimmzettel sind ferner inso­ weit ungültig, als sie Proteste oder Vorbehalte oder die Namen nicht wählbarer Personen enthalten oder die Personen der Gewählten nicht unzweiselhuft erkennen lassen; sie sind nicht deshalb ungültig, weil sie nicht die Namen aller zu Wählenden enthalten. Ueber die Gültigkeit der Stimmzettel entscheidet vorläufig der Wahl­ vorstand. Die Stimmzettel werden dem Wahlprotokolle beigesügt und so lange aufbewahrt, bis über die gegen das Wahlverfahren erhobenen Ein­ sprüche rechtskräftig entschieden ist. Bezüglich der Stellvertretung bei der Wahl kommen die Bestim­ mungen im § 17 zur Anwendung. § 33. Gewählt sind diejenigen, welche bei der ersten Abstimmung die meisten Stimmen und zugleich mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhalten haben. Hat sich eine solche Stimmenmehrheit bei der ersten Abstimmung nicht ergeben, so werden von denjenigen Personen, welche die meisten Stimmen erhalten haben, so viele auf eine engere Wahl gebracht, daß die doppelte Anzahl der noch zu wählenden Gemeindeverordneten erreicht wird. Ist die Auswahl der hiernach zu engerer Wahl zu bringenden Personen zweifelhaft, weil auf zwei oder mehrere eine gleiche Stimmenzahl gefallen ist, so entscheidet zwischen diesen das durch die Hand des Vorsitzenden zu ziehende Los. Zu der engeren Wahl werden die Wähler durch eine das Ergebnis der ersten Wahl mitteilende Bekanntmachung des Wahlvvrstandes sofort oder spätestens innerhalb einer Woche in ortsüblicher Weise aufgefordert. Die engere Wahl findet nach denselben Vorschriften wie die erste Wahl statt. Jedoch ist bei der engeren Wahl die absolute Stimmen­ mehrheit (Abs. 1) nicht erforderlich; tritt bei ihr Stimmengleichheit ein, so entscheidet das durch die Hand des Vorsitzenden zu ziehende Los.

7. Hohenzollernsche Gemeindeordnung.

Wer ist, hat zu Die erforderlich

§§ 29—37.

893

in mehreren Abteilungen oder Wahlbezirken zugleich gewählt erklären, welche Wahl er annehmen will. vorstehenden Bestimmungen finden auch auf eine nach § 23 werdende Neuwahl Anwendung.

K 34. Die Wahlprotokolle sind von dem Wahlvorstande zu unter­ zeichnen und von dem Gemeindevorstand aufzubewahren. Der letztere hat das Ergebnis der Wahlen sofort in ortsüblicher Weise bekannt zu machen. Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahlen zur Gemeindevertretung sind innerhalb zwei Wochen nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses bei dem Gemeindevorstand anzubringen.

§ 35. Die bei der regelmäßigen Ergänzung neugewählten Ge­ meindeverordneten treten an dem der Wahl folgenden 1. April ihr Amt an; die Ausscheidenden bleiben bis zur Einführung der neugewühltcn Mit­ glieder in Tätigkeit. Die Gewählten werden von dem Bürgermeister in die Gemeindevertretung eingesührt und durch Handschlag verpflichtet. K 3t». Jedes stimmfähige Gemeindeglicd ist verpflichtet, ein un­ besoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde zu übernehmen sowie ein übernommenes Amt mindestens drei Jahre lang zu versehen. Zur Ablehnung oder früheren Niederlegung eines solchen Amtes berechtigen folgende Entschuldigungsgründe: 1. anhaltende Krankheit, 2. Geschäfte, welche eine häufige oder lange dauernde Abwesenheit vom Wohnorte mit sich bringen, 3. das Alter von 60 Jahren, 4. die Verwaltung eines unmittelbaren Staatsamts, 5. sonstige besondere Verhältnisse, welche nach dem Ermessen der Ge­ meindevertretung oder, wo eine solche nicht besteht, des Gemeinde­ vorstandes eine gültige Entschuldigung begründen.

Wer ein »»besoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde während der vorgeschriebenen regelmäßigen Amtsdauer versehen hat, kann die Uebernahme desselben oder eines gleichartigen Amtes für die nächsten drei Jahre ablehnen. Wer sich ohne einen der vorbezeichneten Entschuldigungsgründe weigert, ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde zu übernehmen oder das übernommene Amt drei Jahre hin­ durch zu versehen, sowie derjenige, welcher sich der Verwaltung eines solchen Amtes tatsächlich entziebt, kann sür einen Zeitraum von drei bis sechs Jahren der Ausübung seines Rechtes auf Teilnahme an der Verwaltung und Vertretung der Gemeinde für verlustig erklärt und um ein Achtel bis ein Viertel stärker als die übrigen Gemeindeangehörigen zu den Ge­ meindeabgaben herangezogen werden

K 37. Die Gemeindevertretung, wo eine solche nicht besteht, der Gemeindevorstand, beschließt 1. aus Einsprüche, betreffend den Besitz oder den Verlust des Gemeinde­ rechts, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse von Stimm-

894

IX. Grupp«: Kommunalrecht.

B. Londgemeinderecht.

berechtigten, die Wählbarkeit zu einem Amte in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde, die Ausübung des Stimmrechts durch einen Tritten, sowie über die Richtigkeit der Gemeindewählerliste, 2. über die Gültigkeit der Wahlen zur Gemeindevertretung, 3. über die Berechtigung der Ablehnung oder Niederlegung eines Amtes in der Verwaltung oder Vertretung der Gemeinde sowie über die Nachteile, welche gegen Gemeindemitglieder wegen Nichterfüllung der ihnen nach diesem Gesetz obliegenden Pflichten zu verhängen sind. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt, welche, wenn er von der Gemeindevertretung gefaßt ist, auch dem Gemeindevorstande zusteht. Die Klage hat in den Fällen unter 1 und 2 keine aufschiebende Wirkung, jedoch dürfen Neuwahlen zum Ersätze für solche Wahlen, welche durch Beschluß der Gemeindevertretung oder des Gemeindevorstandes für ungültig erklärt worden sind, vor ergangener rechtskräftiger Entscheidung nicht vorgenommen werden. Fünfter Abschnitt.

Gemeindeoermögeu. § 38. Im Eigentums der Gemeinden stehen sowohl diejenigen Bestandteile des Gemeindevermögens, deren Erträge für die Zwecke des Gemeindehaushalts bestimmt sind (Gemeindevermögen im engeren Sinne), wie auch diejenigen Bermögensgegenliände, deren Nutzungen einer be­ stimmten Klasse der Gemeindeangehörigen (Allmandberechtigte) vermöge dieser ihrer Eigenschast zukommen (Allmandgut). Die Gemeindebehörden haben darüber zu wachen, daß das Gruudstockverniögen in seinem Bestand erhalten und nicht zur Bestreitung laufender Bedürfnisse verwendet werde. Hat eine Verminderung des Grundstock­ vermögens zu laufenden Ausgaben ausnahmsweise stattgefunden, so ist für seine alsbaldige Ergänzung Sorge zu tragen. § 39. Die Teilnahme an den Allmandnutzungeir und die Art ihrer Ausübung regelt sich, unbeschadet der aus Verleihungsurkunden oder vertragsmäßigen Festsetzungen sich ergebenden Abweichungen, nach dem bis­ herigen Rechte mit den aus den folgenden Bestimmungen sich ergebenden Maßgaben.

§ 40. Allmandbercchtigt in einer Gemeinde ist: 1. wer beim Inkrafttreten dieses Gesetzes nach den Bestimmungen deS bisherigen Rechtes das Gemeindebürgerrecht besitzt, 2. wer nach den Vorschriften dieses Abschnitts daS Allmandrecht in der Gemeinde durch Geburt oder Aufnahme erwirbt. DaS Allmandrecht ist durch den Besitz des Gemeinderechts (§ 10) nicht bedingt. Niemand kann in mehreren Gemeinden zugleich allmandbercchtigt sein. § 41. Durch Geburt erwerben das Allmandrecht: 1. eheliche Kinder in der Gemeinde, in welcher ihr Vater, uneheliche in der Gemeinde, in welcher ihre Mutter zur Zeit ihrer Geburt all-

mandberechtigt war; ist im ersteren Falle der Bater vor der Geburt des Kindes verstorben, so wird das Allmandrecht in der Gemeinde erworben, in welcher der Later zur Zeit seines Todes allmandberechtigt war; 2. legitimierte, noch nicht zwanzig Jahre alte Kinder in der Gemeinde, in welcher der Later zur Zeit des Legitimationsakts allmandberechtigt war, wogegen ein etwa durch die Mutter erworbenes Allmandrecht erlischt.

§ 42. Zum Antritte des durch Geburt erworbenen Allmandrechts wird zugelassen, wer selbständig (8 11 Abs. 5) ist und die im 8 11 Abs. 1 unter Nr. 1 bis 5 genannten Erfordernisse erfüllt. Ausgeschlossen von dem Antritt ist, wer unter Polizeiaussicht gestellt ist, aus die Dauer der­ selben, und wer zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrase verurteilt ist, für die Dauer der Verbüßung und die aus duselbe folgenden drei Jahre. Während der Dauer einer strafrechtlichen Untersuchung wegen solcher straf­ barer Handlungen, welche die vorgenannten Folgen nach sich ziehen können, darf ein Antritt des Allmandrechts nicht stattsinden. Lor der Zulassung ist ein Antrittsgeld von zwanzig Mark in die Gemeindekaffe zum Grundstockvermögen zu zahlen. Die vorstehenden Absätze finden auf weibliche Personen keine An­ wendung; dieselben können das durch Geburt erworbene Allmandrecht erst antreten, wenn sie sich mit einem in der Gemeinde Allmandberechtigten verheiratenEine allmandberechtigte männliche Person kann im Falle der Ehe mit einer nicht bereits in der Gemeinde allmandberechtigten Frau diese und ihre in die Ehe gebrachten ehelichen Kinder unter 21 Jahren gegen Zahlung der im § 43 Abs. 3, § 46 bestimmten Ausnahmegelder in das Allmandrecht einkausen. Aus den Antritt des Allmandrechts seitens der eingekausten Kinder finden die vorstehenden Absätze Anwendung. §43. Die Ausnahme unter die Allmandberechtigten einer Gemeinde kann jede männliche Person verlangen, welche 1. das Borhandensein der im 8 42 Abs. 1 für den Antritt des ange­ borenen Allmandrechts ausgesührten Voraussetzungen und 2. den Besitz eines Vermögens im Werte von wenigstens 1000 Mark nachweist und 3. ein Ausnahmegeld von 200 Mark zum Grundstockvermögen entrichtet. Bei der Berechnung des nachzuweisenden Vermögens kommt nur der nach Abzug der Schulden, Ausnahmegelder sowie des Wertes der Kleider und Leibwäsche verbleibende Besitz in Betracht. Das Vermögen der Ehefrau wird demjenigen des Auszunehmeiiden angerechnet. Ter Ausgenommene kann im Falle der Ehe mit einer nicht bereits in der Gemeinde allmandberechtigten Frau die Ausnahme der Frau und der etwa vorhandenen noch nicht 21 Jahre alten ehelichen Kinder, mögen dieselben in der Ehe erzeugt oder von einem Elternteil in die Ebe gebracht fein, verlangen. Für die Ehefrau ist ein Ausnahmegeld von 100 Mark, für jedes der Kinder ein solches von 10 Mark zum Grundsiockver mögen

896

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

zu entrichten. Auf den Antritt des Allmandrechts seitens der aufgenommenen Kinder findet § 42 Abs. 1 bis 3 Anwendung.

8 44.

Der Gemeindevorstand beschließt über die Anträge auf Zu­ lassung des Antritts (§ 42) oder aus Aufnahme unter die Allmandberechligten (§ 43) vorbehaltlich der im § 51 bezeichneten Rechtsmittel. Der Zeitpunkt des Antritts beziehungsweise der Ausnahme richtet sich im Falle der Zulassung nach der Anbringung des Antrags bei dem Gemeinde­ vorstande.

§ 45.

In die verfügbaren Allmandteile rücken entstehendenfalles die zum Antritte zugelassenen und aufgenommcnen Allmandberechtigten der Gemeinde nach der Zeitfolge des Antritts beziehungsweise der Ausnahme ein; bei gleicher Berechtigung entscheidet das «durch den Bürgermeister zu ziehende Los.

§ 46.

Durch Ortsstatut (§ 6) können die Bestimmungen des § 42 Abs. 2, des § 43 Abs. 1 Nr. 2 und 3 und Abs. 3 dahin abgeändert werden, daß das Antrittsgeld bis auf einen Betrag von 5 Mark herab­ gemindert und daß der Wert des nachzuweiscnden Vermögens in den Grenzen zwischen 1000 und 4000 Mark, das Ausnahmegeld (§ 43 Abs. 1 Nr. 3) zwischen 100 und 1400 Mark und in dem durch Abs. 1 Nr. 3 in Berbindung mit Abs. 3 des § 43 bestimmten Verhältnisse auch das Aufnahmegeld für Ehefrau und «Kinder entsprechend and rweitig sestgesetzt wird. Auch können durch das Ortsstatut die im § 42 Abs. 4 und im § 43 Abs. 3 behandelten Fälle in anderer Weise geordnet werden. Die für die Ehesrau und die Kinder festgesetzten Aufnahmegelder können im Verhältnisse zu dem für den Ehegatten befiehungsweise Vater bestimmten Ausnahmegelde durch das Ortsstatut ermäßigt werden. In dem Ortsstatute kann auch über Art, Wert und Größe der Allmandteile, über Art und Dauer der Benutzung, insbesondere die perio­ dischen Neuverteilungen bei geteilter Nutzung, über das Gesamtmaß der Allmandnutzungen, insbesondere der zur Verteilung bestimmten -Quote deS Holzertrags der Gemeindewaldungen sowie über andere, nicht in diesem Gesetz anderweit geregelte Fragen der Teilnahme an den Allmandnutzungen Bestimmung getroffen werden. Dabei soll in der Regel als Mindestgröße eines landwirtschaftlichen Allmandteils, je nachdem es sich um Accker und Wiesen oder um Gärten und Krautländereien handelt, ein Umfang zwischen 4 und 16 a, beziehungsweise 2 und 8 a, und als Mindestgröße einer Holz­ gabe ein Maß zwischen 1 und 2 Raummetern festgesetzt werden. Zum Erlasse eines Ortsstatuts über die in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Gegenstände bedarf es der Zustimmung von zwei Dritteln sowohl der anwesenden Mitglieder der Gemeindeversammlung (Gemeinde­ vertretung), als auch der im Genusse befindlichen Allmandberechtigten. Ueber die im Abs. 1 bezeichneten Gegenstände erläßt, wenn ein Orts­ statut darüber nicht zustande kommt, im Falle des Bedürsnisses der Amts­ ausschuß (Bezirksausschuß § 103) die erforderlichen Bestimmungen, welche vorbehaltlich anderweitiger Fristbestimmung solange in Geltung bleiben, bis durch Ortsstatut eine anderweite Regelung getroffen ist.

7. Hohtnzollernschk Gemeindeordnung.

897

§§ 43—50.

Die Genehmigung der Ortsstatute (§ 6 Abs. 3) kann auf eine von nornherein zu bestimmende Frist beschränkt werden.

§ 47. Tie Allmandnutzungen am Gemeindewalde dürfen lediglich in der Teilnahme am Ertrag oder Erlöse deS Holzes bestehen; bei ver­ ringertem nachhaltigen Ertrage hat eine verhältnismäßige Herabsetzung der Holzgaben zu erfolgen. § 48. Tie im § 40 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Allmandberechtigten behalten das Allmaudrecht nach Maßgabe des bisherigen Rechtes. Sie tonnen die Teilnahme nach dem neuen Rechte verlangen. Dasselbe gilt für die allmandberechtigten Ehefrauen und Witwen derselben. Auf den Antritt des Allmandrechts seitens der im § 40 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Berechtigten finden die Vorschriften der §§ 42 ff. Anwendung. Aus die in dem ehentaligen Fürstentume Hohenzollern-Hechingen noch bestehenden Hosstattrechte und sonstigen mit dem Besitz eines Hauses oder Hofes verknüpften oder nach dessen Größe bestimmten Bürgernutzungen finden die Bestimmungen der §§ 109 ff. des Hohenzollern-Sigmaringifchen Gesetzes über das Gemeindebürger- und Beisitzrecht vom 5. August 1837, beziehungsweise der Novelle vom 9. April 1847, mit der Maßgabe Anncnbung, daß die dort erwähnten Fristen von dem Tage an zu rechnen sind, an welchem daS gegenwärtige Gesetz in Wirksamkeit tritt. § 41). Der Gemeindevorstand kann wegen einer der Beitreibung im Verwaltungszwangsversahren unterliegenden Forderung der Gemeinde gegen einen Allmandberechtigten dessen Stufungen zugunsten der Gemeinde nach fruchtloser Mahnung bis zur Tilgung der Schuld und der Kosten entsprechend beschränken oder entziehn. Das gleiche gilt hinsichtlich der Allmandnutzungen solcher Berechtigter, welche — abgesehen von Fällen vorübergehender Hilfsbedürftigkeit — im Wege der öffentlichen Armenpflege ans Mitteln der Gemeinde unterstützt werden, sür die Dauer der Unterstützung.

§ 50. Tas Allmandrecht der Frau in der Gemeinde ruht während der Dauer einer Ehe. Tas Allmandrecht ruht ferner, wenn der Berechtigte seinen Wohnsitz aus der Gemeinde verlegt oder sich länger als ein Jahr außerhalb der Geiueinde aujhalt. Durch Ortsstatut kann bestimmt werden, daß der Allmandnutzen oder ein Teil auch während der Abwesenheit de8 Berechtigten gewährt wird, wenn er seine, eine eigene Haushaltung bildende Familie in der Gemeinde zurückläßt. Für den Fall der Wohnsitzverlegung kann ferner durch Ortsstatut dem Berechtigten die Zahlung eines jährlichen An­ erkennungsgeldes von 2 bis 10 Mark mit der Bedingung vorgejchrieben werden, daß bei nicht rechtzeitiger Zahlung das Allmandrecht erlischt. Auf die nach diesem Absätze zu erlassenden Ortsstatute finden die Vorschriften des § 46 Abs. 3 Anwendung. Die im 8 40 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Berechtigten einschließlich der Ehefrauen und Witwen behalten das Allmandrecht nach Maßgabe des bis­ herigen Rechtes, auch wenn sie ihren Wohnsitz oder Aufenthalt außerhalb der Gemeinde haben oder nehmen. Sie können die Teilnahme nach dem neuen Rechte verlangen. Stier-Som lo, VcrwaliunaS§esetze für Preußen.

57

898

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landzemeinderecht.

Das Allmandrecht in der Gemeinde erlischt durch die Erlangung des AllmandrechtS in einer anderen Hohenzollernschen Gemeinde.

§ 51. Auf Einsprüche, betreffend das Recht zur Teilnahme an deit Nutzungen und Erträgen des Allmandguts beschließt der Gemeindevorstand. Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt. Der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren unterliegen des­ gleichen Streitigkeiten zwischen Beteiligten über ihre in dem öffentlichen Rechte begründete Berechtigung zu den im Abs. 1 bezeichneten Nutzungen und Erträgen. Einspruch und Klage haben keine aufschiebende Wirkung.

§ 52. Auf die Erhebung des Antrittsgeldes und der Aufnahme­ gelder (88 42, 43, 46) finden bezüglich der Rechtsmittel, der Rückforderungen und Verjährungen sowie der Kosten und der Zwangsvollstreckung die ein­ schlagenden Vorschriften des fünften, achten und neunten Titels deS KommunalabgabengesetzeS vom 14. Juli 1893 (Gesetz-Samml. S. 152) sinngemäße Anwendung (8 97). K 53. Die besonderen Bestimmungen über die Verwaltung Gemeindewaldungen werden durch dieses Gesetz nicht berührt.

der

Sechster Abschnitt.

.Verwaltung der Hemcindrn.

54. An der Spitze der Verwaltung der Gemeinde steht der Bürgermeister. Dem Bürgermeister stehen zwei Schössen zur Seite, welche ihn in den Amtsgeschäften zu unterstützen und in Behinderungsfällen nach der unter ihnen von der Aufsichtsbehörde festzusetzenden Reihenfolge zu ver­ treten haben. Durch Ortsstatut kann die Zahl der Schöffen auf höchstens vier ver­ mehrt werden. Wo dem Bürgermeister nur zwei Schöffen zur Seite stehen, ist ein Stellvertreter zu wählen, welcher in Behinderungsfällen eines der beiden Schöffen für diesen eintritt. In Gemeinden mit mehr als 300 Einwohnern wird ein kollegialifcher Gemeindevorstand (Gemeinderat) gebildet, welcher aus dem Bürgermeister, aus einem Beigeordneten als dessen Stellvertreter und in Landgemeinden aus drei Schöffen, in den Städten aus fünf Schöffen (Stadträten» besteht. Wenn jedoch die Gemeindevertretung einer Landgemeinde nach zweimaliger, mit einem Zwischenräume von mindestens acht Tagen vorgenommener Be­ ratung darauf anträgt, kann mit Genehmigung des Amtsausschusses von der Bildung eines kollegialischen Gemeindevorstandes (Gemeindcratsi ab­ gesehen werden. In den kleineren Gemeinden kann durch Ortsstatut ein kollegialischer Gemeindevorstand, welcher aus dem Bürgermeister, aus einem Beigeordneten als deffen Stellvertreter und aus zwei Schöffen besteht, eingeführt werden. Unter Gemeindevorstand ist in Gemeinden mit kollegialischem Ge-

7. Hohenzollrrnsche Gemeindeordnung.

899

§§ 50—58.

meindevorstande der Gemeinderat, in den übrigen Gemeinden der Bürger­ meister zu verstehen.

§ 55. Der Bürgermeister, der Beigeordnete und die Schöffen werden in Gemeinden mit nicht mehr als 1000 Einwohnern von den sämtlichen Stimmberechtigten, in den übrigen Gemeinden von der Geineindevertretung, und zwar, soweit nach den Borschristen dieses Gesetzes ein kollegialischer Gemeindevorstand gebildet ist, unter Zutritt desselben gewählt. Im letzteren Falle ist die gemeinschaftliche Versammlung beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten anwesend ist. Die Wahl beschränkt sich auf Gemeindeglieder; indeffen kann in Landgemeinden mit nicht mehr als 500 Einwohnern die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) auch dem Bürgermeister einer benachbarten Gemeinde unter Zustimmung der Ge­ meindeversammlung (Gemeindevertretung) der Letzteren die Mitverwaltung deS Bürgermeisteramts übertragen. In Gemeinden mit mehr als 1000 Einwohnern kann die Gemeinde­ vertretung die Wahl eines besoldeten, pensionsberechtigten (§ 89) Bürger­ meisters beschließen. Die Wahl erfolgt alsdann auf die Dauer von zwölf Jahren und ist nicht auf Gemeindeglieder beschränkt. Im übrigen wird der Bürgermeister auf acht Jahre gewählt. Der Beigeordnete und die Schöffen werden auf die Dauer von sechs Jahren gewühlt. Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwiegersohn, Großvater und Enkel. Brüder und Schwäger dürfen nicht gleichzeitig Bürgermeister, Bei­ geordneter und Schöffen sein. Die Aufsichtsbehörde ist befugt, hiervon Aus­ nahmen znzulassen. Entsteht die Schwägerschaft im Laufe der Wahlperiode, so scheidet derjenige aus, durch welchen das Hindernis herbeigesührt worden ist. DaS Amt eines Beigeordneten und Schöffen ist mit einem besoldeten Gemeindeamt unvereinbar. Personen, welche das Gewerbe der Gast- und Schankwirtschaft be­ treiben, können nicht Bürgermeister sein. Die Aufsichtsbehörde ist befugt, hiervon Ausnahmen zuzulassen. § 56. Den durch die Stimmberechtigten zu vollziehenden Wahlen (8 55 Abs. 1) wird die nach § 9 Abs. 2 zu führende Liste zugrunde gelegt. Bezüglich der Einladung der Stimmberechtigten, der Gemeindevertretung, des Gemeinderats zur Wahl kommen die Vorschriften des § 30 zur An­ wendung. § 57. Der Wahlvorstand besteht aus dem Bürgermeister oder dessen Stellvertreter als Vorsitzenden und aus zwei von der Wahlversammlung zu wählenden Beisitzern. Der Vorsitzende ernennt einen der Beisitzer zum Schriftführer. Ersorderlichensalles kann jedoch auch eine nicht zur Wahl­ versammlung gehörige Person zum Schriftführer ernannt werden. § 58. Während der Wahlhandlung dürfen im Wahlraume weder Beratungen stattftnden, noch Ansprachen gehalten, noch Beschlüsie gefaßt werden. Ausgenommen hiervon sind Beratungen und Beschlüsse des Wahl­ vorstandes, welche durch die Leitung des Wahlgeschäfts erforderlich werden. 57*

900

IX. «Kruppe: Kommunalrecht.

§ 59.

B. Landgemeinderecht.

Jede Wahl erfolgt in einem besonderen Wahlgange durch

Stimmzettel

§ 60. Die Wähler werden in der Reihenfolge, in welcher sie in der Wählerliste aufgeführt sind, aufgerufen. Tie Aufgerufenen legen ihre Stimmzettel uneröffnet in die Wahlurne. Die nach der Eröffnung, jedoch vor dem Schluffe der Waklhandlung erscheinenden Wühler können noch an der Abstimmung teilnehmen. Sind keine Stimmen mehr abzugeben, so erklärt der Wahlvorstand die Wahl für geschlossen; der Vorsitzende nimmt die Stimmzettel einzeln aus der Wahlurne und verliest die darauf verzeichneten Namen, welche von einem durch den Vorsitzenden zu ernennenden Beisitzer laut gezählt werden. § 61. Ungültig sind diejenigen Stimmzettel, 1. welche nicht von weißem Papier oder welche mit einem äußeren Kenn­ zeichen versehen sind, 2. welche keinen oder keinen lesbaren Namen enthalten, 3. aus welchen die Person des Gewählten nicht uuzweifelhast zu er­ kennen ist, 4. aus welchen mehr als ein Name oder der Name einer nicht wählbaren Person verzeichnet ist, 5. welche einen Protest oder Vorbehalt enthalten. Ungültige Stimmzettel werden als nicht abgegeben betrautet. Ueber die Gültigkeit der Stimmzettel entscheidet vorläufig der Wahlvorstand. Die Stimmzettel sind dem Wahlprotokolle beizusügen und so lange aufzubewahren, bis über die gegen das Wahlocrfahrcn erhobenen Einsprüche rechtskräftig entschieden ist. Bezüglich der Stellvertretung bei der Wahl durch die Stimm­ berechtigten (§ 55 Abs 1) kommen die Bestimmungen be§ § 17 zur An­ wendung. § 62. Als gewählt ist derjenige zu betrachten, welcher bei der ersten Abstimmung mehr als die Hälfte der gültig abgegebenen Stimmen erhalten hat. Ergibt sich bei der ersten Abstimmung diese Stiinmenmehrheit nicht, so kommen bei der sofort vorzunehmenden zweiten Abstimmung diejenigen zwei Personen, welche im ersten Wahlgange die meisten Stimmen erhalten haben, aus die engere Wahl. Haben mehr als zwei Personen die höchste oder zweithöchste Stimmenzahl in der Weise erhalten, daß auf sie eine gleiche Stimmenzahl entfallen ist, so entscheidet das durch die Hand des Vorsitzenden zu ziehende Los darüber, wer auf die engere Wahl zu bringen ist. Bei dem zweiten Wahlgange sind außer den im § 61 angegebenen auch diejenigen Stimmzettel ungültig, welche den Namen einer nicht zur engeren Wahl stehenden Person enthalten. Als gewählt ist derjenige zu betrachten, welcher die meisten Stimmen erhalten hat. Bei Stimmengleich­ heit entscheidet das durch die Hand deS Vorsitzenden zu ziehende Los. Die Wahlprotokolle sind von dem Wahlvorstande zu unterzeichnen.

§ 63. Der Vorsitzende des Wahlvorstandes hat die Gewählten von der auf sie gefallenen Wahl mit der Aufforderung in Kenntnis zu setzen,

7. Hohenzollernsch« Gemeindeordnung.

§§ 59—68.

901

sich über die Annahme der Wahl innerhalb längstens einer Woche zu er­ klären. Bon demjenigen, welcher hierüber keine Erklärung abgibt, wird angenommen, daß er die Wahl ablehne.

§ 64. Die gewählten Bürgermeister und Beigeordneten sowie die Schöffen in denjenigen Gemeinden, in welchen ein kvllegialischer Gemeinde­ vorstand nicht besteht, bedürfen der Bestätigung durch die Aufsichtsbehörde. Die Bestätigung kann nur unter Zustimmung des Amtsausschusses (Bezirksausschusses § 103) versagt werden. Dieser Zustimmung bedarf es auch dann, wenn der Wahl die Bestätigung wegen Mängel des Berfahrens versagt wird. Lehnt der Amtsausschuß die Zustimmung ab, so kann sie aus den Antrag des Oberamtmanns durch den Regierungspräsidenten ergänzt werden. Wird die Bestätigung von dem Oberamtmann unter Zustimmung des Amtsausschusses versagt, so steht binnen zwei Wochen dem Wahlkörper die Beschwerde an den Regierungspräsidenten zu, bei dessen Bescheid es ver­ bleibt. Hinsichtlich der Städte tritt an die Stelle des Amtsausschusses, des Oberamtmanns und des Regierungspräsidenten der Bezirksausschuß, Re­ gierungspräsident und Minister des Innern. Wird die Bestätigung versagt, so ist eine Neuwahl anzuordnen. Erhält auch diese die Bestätigung nicht, so ernennt die Aufsichtsbehörde unter Zu­ stimmung des Amtsausschusses (Bezirksausschusses) in der Regel aus der Zahl der Gemeindeglieder einen Stellvertreter auf so lange, bis eine erneute Wahl die Bestätigilng erlangt hat. Dasselbe findet statt, wenn keine Wahl zustande kommt. Die Bestimmungen dieses Paragraphen finden auch auf andere ge­ wählte Gemeindebeamte Anwendung, deren Wahl der Bestätigung bedarf. § 65. Der Bürgermeister, der Beigeordnete und die Schöffen werden vor ihrem Amtsantritte von der Aufsichtsbehörde vereidigt. § 66. Die unbesoldeten Bürgerineister und die Beigeordneten haben den Ersatz ihrer baren Auslagen und die Gewährung einer mit ihrer amt­ lichen Mühewaltung in billigem Verhältnisse steheilden Entschädigung von der Gemeinde zu beanspruchen. Die Schöffen haben ihr Amt in der Regel unentgeltlich zu ver­ walten und nur den Ersatz barer Auslagen von der Gemeinde zu be­ anspruchen.

§ 67. lieber die Festsetzung der baren Auslagen und der Ent­ schädigung der Bürgermeister und der stellvertretenden Bürgermeister sowie über die baren Auslageii der Schöffen beschließt der Amtsausschuß (Be­ zirksausschuß 8 103) auf Antrag der Beteiligten oder der Aufsichtsbehörde.

§ 68. Der Bürgermeister ist die Obrigkeit der Gemeinde und führt deren Verwaltung. Der Bürgermeister führt in der Gemeindeversammlung (Gemeinde­ vertretung) den Vorsitz mit vollem Stiinmrechte. Hat die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) einen Beschluß gefaßt, welcher nach Ansicht des Bürgermeisters das Gemeinwohl oder daS Gemeindeinteresse erheblich verletzt, so ist der Bürgerineister verpflichtet, die

902

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Ausführung des Beschlusses auszusetzen, und wenn die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) bei nochmaliger Beratung bei ihrem Beschlusse beharrt, innerhalb zwei Wochen die Entscheidung des Amtsausschusses (Bezirks­ ausschusses § 103) einzuholen. Insbesondere liegen dem Bürgermeister jolgende Geschäfte ob: 1. die Gesetze und Verordnungen sowie die Verfügungen der ihm vorgesetzten Behörden auszusühren, 2. die Beschlüsse der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) vor­ zubereiten, 3. die Beschlüsse der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung), sofern er sie nicht beanstandet (§ 104) oder deren Ausführung aussetzt (Abs. 3) — diejenigen über die Benutzung des Gemeindevermögens (§ 83) nach Beratung mit den Schöffen —, zur Ausführung zu bringen und demgemäß die laufende Verwaltung bezüglich des Vermögens und der Einkünfte der Gemeinde sowie der Gemeindeanstalten, für welche eine besondere Verwaltung nicht besteht, zu führen und diejenigen Gemeinde­ anstalten, für welche besondere Verwaltungen eingesetzt sind, zu be­ aufsichtigen, 4. die auf dem Gemeindevoranschlage (§ 92) oder aus Beschlüssen der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) beruhenden Einnahmen und Ausgaben anzuweisen und das Rechnungs- und Kassenwesen zu beaufsichtigen; der Bürgermeister hat monatlich eine ordentliche und alljährlich wenigstens eine außerordentliche Revision der Gemeindekasse vorzu­ nehmen; von jeder regelmäßigen Kassenrevision ist der Gemeiudever sammlung (Gemeindevertretung) Kenntnis zu geben, damit sie ein Mitglied oder mehrere abordnen kann, um diesem Geschäfte beizu­ wohnen; bei außerordentlichen Kassenrevisionen ist ein von der Ge­ meindeversammlung (Gemeindevertretung) ein für allemal bezeichnetes Mitglied derselben zuzuziehen; 5. die Gemeiudebeamten anzustellen und zu beaufsichtigen; über die Reu­ errichtung von Stellen beschließt die Gemeindeversamnilung (Gemeinde­ vertretung), 6. die Urkunden und Akten der Gemeinde aufzubewahren, 7. die Gemeinde nach außen zu vertreten und in ihrem Namen mit Behörden und Privatpersonen zu verhandeln. Außerdem bildet, unbeschadet der Vorschrift des Artikels 124 des Preußischen Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit vom 21. September 1899 (Gesetz-Samml. S. 249), der Bürgermeister oder sein Stellvertreter mit den Schöffen da8 Feldgericht, welches zur Einsetzung von Mark- und Grenzsteinen nach Maßgabe des bis­ herigen Rechtes zuständig ist. Urkunden über Rechtsgeschäfte, welche die Genieinde gegen Dritte verbinden sollen, ingleichen Vollmachten, müssen unter Anführung des betreffenden Gemeindebeschlusses und der dazu etwa erforderlichen Geneh­ migung oder Entschließung der zuständigen Aufsichtsbehörde im Namen der Gemeinde von dem Bürgermeister und einem der Schöffen unter­ schrieben und mit dem Gemeindesiegel versehen sein. Eine der vorstehenden

7. Hohrnzollernsche ©emeinbeotbnung.

§§ 68—71.

903

Bestimmung gemäß ausgestellte Vollmacht ist auch dann ausreichend, wenn die Gesetze sonst eine gerichtliche oder Notariatsvollmacht erfordern. Zu dem Nachweise, daß von einer Gemeinde bei der Erwerbung oder Veräußerung von Grundstücken oder diesen gleichstehenden Gerechtsamen die den Gemeinden gesetzlich vorgeschriebenen besonderen Formen beobachtet sind, genügt eine Bescheinigung der Aufsichtsbehörde.

§ 69. Wo ei» kollegialischer Gemeindevorstand lGemeinderat) besteht (§ 54 Abs. 5), hat dieser die in dem § 68 Nr. 2 bis 4, den §§ 92 und 94 erwähnten Befugnisse des Bürgermeisters wahrzunehmen und die Gemcindebeamten anzustellen (§ 68 Nr. 5). Die Beschlüsse des Gemeinderats werden nach Stimmenmehrheit und unter Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern gefaßt. Bei Stimmen­ gleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Den Vorsitz führt der Bürgermeister, welcher hierin durch de» Beigeordneten und, wenn auch dieser behindert ist, durch eines der übrigen Mitglieder des Gemeinderats in der Reihenfolge ihres Dienstalters, bei gleichem Tienstalter ihres Lebens­ alters, vertreten wird. Bei der Beratung und Abstimmung über solche Gegenstände, welche ein Mitglied des Gemeinderats, seine Ehefrau, seine Schwestern oder Ver­ wandten oder Verschwägerten der im § 55 Abs. 4 bezeichneten Art be­ rühren, darf dieses Mitglied nicht zugegen sein. Wird hierdurch der Gemeinderat beschlußunfähig, so entscheidet der Bürgermeister allein; kann auch dieser aus dem angeführten Grunde nicht entscheiden, so tritt an dessen Stelle der Amtsausschuß (Bezirksausschuß § 103). Ergibt sich die Beschlußunsühigkeit aus anderen Gründen, so hat der Bürgermeister eine zweite Sitzung anzuberaumen; wird auch in dieser keine Beschlußfähigkeit erreicht, so hat der Bürgermeister allein hinsichtlich der auf der Tagesordnung stehenden Gegenstände Anordnung zu treffen. Ter Bürgermeister ist — unbeschadet der Vorschrift des § 104 — verpflichtet, in de» Fälle», in welchen ein Beschluß des Gemeinderats das Gemeinwohl oder das Gemeindeintcresse erheblich verletzt, die Ausführung des Beschlusses auszusetzen und, wenn der Gemeinderat bei nochmaliger Beratung bei seinem Beschlusse beharrt, innerhalb zwei Wochen die Ent­ scheidung des Amtsansschusses (Bezirksausschusses) einzuholen. Dem Gemeinderate bleibt es überlassen, regelmäßige SitzungStage scstzusetzen. Die Zusammenberufung des Gemeinderats muß erfolgen, wenn sie von einem Viertel der Mitglieder verlangt wird.

§ 70. Ter Bürgermeister leitet und beaufsichtigt den Geschäfts­ gang der Gemeindeverwaltung. Wenn die Beschlußnahme durch den Gemeinderat einen nachteiligen Zeitverlust verursachen würde, hat der Bürgermeister die dem Gemeinderat obliegenden Geschäfte vorläufig allein zu besorgen, dem letzteren jedoch in der nächsten Sitzung behufs Bestätigung oder anderweiter Beschlußnahme Bericht zu erstatten. K 71. Der Bürgermeister hat ferner nach näherer Bestimmung der Gesetze folgende Geschäfte zu besorgen:

904

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

I. wenn die Handhabung der Ortspolizei nicht Königlichen Behörden übertragen ist: 1. die Handhabung der Ortspolizei, jedoch unbeschadet der über die Verwaltung einzelner Zweige derselben durch andere Behörden be­ stehenden Bestimmungen, 2. die Verrichtung eines Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, 3. die Verrichtungen eines Amtsanwalts bei dem Amtsgerichte, welches in dem bezüglichen Orte seinen Sitz hat, gegen Entschädigung aus Staatsmitteln, sofern nicht eine andere Person mit .diesem Amte betraut wird;!

II. alle örtlichen Geschäfte der Amtskommunal-, Landeskommunalund allgemeinen Staatsverwaltung, namentlich auch die Standesamtsgeschäfte, sofern nicht ein besonderer Beamter hierfür bestellt ist. In denjenigen Gemeinden, in welchen ein kollegialischer Gemeinde­ vorstand (Gemeinderat) eingeführt ist, können die unter I, 1 und 2 und II erwähnten Geschäfte mit Genehmigung des Regierungspräsidenten einein anderen Mitglieds des Gemeinderats übertragen werden. Siebenter Abschnitt.

Geschäfte der Gemeindeversammlung und der Gemeindcvertretung (Lürgeraugschuk). § 72. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) hat über alle Gemeindeangelegenheiten zu beschließen, soweit diese nicht durch das Gesetz dem Bürgermeister (Gemeinderate) ausschließlich überwiesen sind. Ueber andere Angelegenheiten darf die Gemeindeversammlung (Ge­ meindevertretung) nur dann beraten, wenn solche durch Gesetz oder Auf­ trag der Aufsichtsbehörde an sie gewiesen sind. Die Gemeindeverordneten sind an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. § 73.

Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) überwacht

die

Verwaltung; sie ist berechtigt, sich von der Ausführung ihrer Beschlüsse, von dem Eingang und der Verwendung aller Einnahmen der Gemeinde­ kasse sowie von der gehörigen Ausführung der Gemeindearbeiten Ueber­ zeugung zu verschaffen. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) darf ihre Beschlüsse in keinem Falle selbst zur Ausführung bringen.

§ 74. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) ist zu­ sammenzuberufen, so oft ihre Geschäfte es erfordern. Die Zusammenberufung erfolgt in ortsüblicher Weise unter Angabe der Gegenstände der Beratung durch den Bürgermeister; sie muß erfolgen, wenn es von einem Viertel der Mitglieder verlangt wird. Mit Ausnahme dringender Fälle müssen zwischen der Zusammen­ berufung und dem Verhandlungstermine mindestens zwei Tage frei bleiben. Die Versammlungen sollen in der Regel nicht in Wirtshäusern oder Schänken abgehalten werden.

7. Hohenzollernjche töemeindeordiiung.

§§ 71—SO.

905

§ 75. Die Gemeindevertretung kann regelmäßige Sitzungstage festsetzen; es müssen jedoch auch dann die Gegenstände der Beratung, mit Ausnahme dringender Fälle, mindestens zwei Lage vorher den Mitgliedern der Versammlung angezeigt werden.

K 76. Die Gemeindeversammlung ist beschlußfähig, wenn mehr als ein Drittel der Stimmberechtigten anwesend ist. Für die Gemeindevertretung bedarf es zur Beschlußfähigkeit der Anwesenheit von mehr als der Hälfte ihrer Mitglieder. Wird die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zum zweiten Male zur Beratung über denselben Gegenstand zusammenberufen, so sind die erschienenen Bkitglieder ohne Rücksicht auf ihre Anzahl beschlußfähig. Bei der zweiten Zusammenberufung muß auf diese Bestimmung ausdrück­ lich hingewiesen werden/'" § 77. Die Beschlüsse werden, unbeschadet der Vorschrift im § 46 Abs. 3, nach Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Die der Stimmabgabe sich enthaltenden Mitglieder werden zwar als anwesend betrachtet, die Stimmenmehrheit wird jedoch lediglich nach der Zahl der abgegebenen Stimmen festgestcllt. § 78. Bei der Beratung und Abstimmung über Rechre und Ver­ pflichtungen der Gemeinde dar) dasjenige Mitglied der Gemeindeversamm­ lung (Gemeindevertretung), dessen Interesse mit dem der Gemeinde im Widerspruche steht, nicht zugegen sein. Wird die Dersanimlung ans diesem Grunde beschlußunfähig (§ 76), so beschließt an Stelle der Gemeinde­ versammlung (Gemeindevertretung) der Gemeindcrat, wo ein solcher nicht besteht, der Amtsausschuß (Bezirksausschuß § 103).

§ 79. In den Gemeinden, in^welchen ein kollegialischer Gemeinde­ vorstand (Gemeinderat) eingeführt ist, wird dieser zu allen Versammlungen der Gemeindevertretung eingeladen und kaun sich durch Abgeordnete ver­ treten lassen. Die Gemeindevertretung kann verlangen, daß Abgeordnete des Gemcinderats bei ihren Beratungen anwesend sind; die Abgeordneten des GemeinderatS müssen gehört werden, so ost sic es verlangen. Bei den Sitzungen der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) findet beschränkte Öeffentlichkeit statt. Den Sitzungen können als Zuhörer alle zu den Gemeindeabgaben herangezogenen männlichen großjährigen Personen beiwohnen, welche sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden und Gemeindeaugehörige (8 7) oder Stimmberechtigte auf Grund des 8 16 Abi. 1 oder Vertreter von Stimmberechtigten (?) 17 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4) sind. Für einzelne Gegenstände kann durch besonderen Beschluß, welcher in geheimer Sitzung gefaßt wird, die Oefsinitlichkeit aus­ geschlossen werden. Durch Ortsstatut kann bestimmt werden, daß die Sitzungen mit Angabe der Tagesordnung in ortsüblicher Weise vorher öffentlich bekannt zu machen sind/

§ 80. Der Vorsitzende leitet die Verhandlungen, eröffnet und schließt die Sitzungen und handhabt die Ordnung in der Versammlung.

906

IX. Gruppe: Kommuiialrkchl

Er kann jeden Zuhörer, Sitzungszimmer entfernen lassen.

welcher

B. Landgemeiliderecht.

Störung

verursacht,

aus

dem

§ 81. Die Beschlüsse der Gemeindeversammlung (Gemeindever­ tretung) sind in ein besonderes Buch einzutragen und von dem Vorsitzenden sowie wenigstens zwei stimmberechtigten Mitgliedern der Versammlung zu unterzeichnen.

K 82. Durch Ortsstatut kann bestimmt werden, daß unentschul­ digtes Ausbleiben aus den Versammlungen der Gemeindevertretung sowie ordnungswidriges Benehmen in diesen Versammlungen oder in der Ge­ meindeversammlung für das betreffende Mitglied eine in die Gemeinde­ kasse fließende Geldstrafe von einer bis drei Mark nach sich ziehen und daß im Wiederholungsfälle nach Vage der Sache Ausschließung aus der Versammlung auf ein gewisse Zeit bis aus die Dauer eines Jahres ver­ hängt werde. Ueber die Verhängung dieser Strafen beschließt die Gemeinde­ vertretung oder die Gemeindeversammlung- Gegen den Beschluß findet die Klage im Verwaltuugsftreitverfahren statt- Die Klage steht auch dem Bürgermeister (Gemeinderate' zu. K 83. Die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) beschließt über die Verwaltung und Benutzung des Gemeindevermögens (§§ 38 ff.).

§ 84. Zur Veräußerung oder wesentlichen Veränderung von Sachen, welche einen besonderen wissenschaftlichen, historischen oder Kunst­ wert haben, ist die Genehmigung des Regierungspräsidenten erforderlich. Zur Veräußerung von Grundstücken oder solchen Gerechtigkeiten, welche den Grundstücken gesetzlich gleichgestellt sind, zu einseitigen Verzichtleistungen und Schenkungen, welche den Bestand des Grundstockvermögens (§ 38 Abs. 2i verringern, zu Anleihen, durch welche die Gemeinde mit einem Schulden­ stande belastet oder der vorhandene vergrößert wird, zur neuen Belastung der Gemeindeangehörigen ohne gesetzliche Verpflichtung, zur Anstrengung eines Rechtsstreits bedarf es der Genehmigung des Amtsausschusses (Bezirksausschusses § 103). K 85. Die freiwillige Veräußerung von Grundstücken darf der Regel nach nur im Wege des öffentlichen Meistgebots stattfinden. Zur Gültigkeit einer solchen Veräußerung gehört: 1. die Vorlegung eines beglaubigten Auszugs aus dem Besitz- und Steuerheft (Besitzstandsurkunde), 2. eine ortsübliche Bekanntmachung, 3. eine Frist von mindestens einer Woche von der Bekanntmachung bis zum Verkaufstermine, 4. die Abhaltung der Verkaufsverhandlung durch den Bürgermeister oder einen Justizbeamten. Erachtet der Anitsausschuß (Bezirksausschuß § 103) den Vorteil der Gemeinde für gewahrt, so kann ein Verkauf aus freier Hand oder ein Tausch stattfinden. Das Ergebnis der Verkaufsverhandlung ist in allen Fällen der

7. Hohenzollernsche ©tmeinbtorbnung.

§§ 80—90.

907

Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung > mitzuteilen; der Zuschlag kann nur mit deren Genehmigung erfolgen. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf Verkäufe von Real­ berechtigungen Anwendung, wobei außerdem die Ausnahme einer Taxe in allen Fällen notwendig ist. Für die Eintragung im Grundbuche genügt zum Nachweise, daß der Vorschrift dieses Paragraphen entsprochen worden ist, die Bestätigung des Vertrags durch den Amtsausschuß (Bezirksausschuß).

§ 80. Die Verpachtung von Grundstücken und Gerechtigkeiten der Gemeinden muß im Wege des öffentlichen Meistgebots geschehen. Aus­ nahmen hiervon können durch den Amtsausschuß (Bezirksausschuß § 103) gestattet werden. Achter Abschnitt.

Anstellung und Versorgung der Hemeiudedeamten.

K 87. DaS Gesetz, betreffend die Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten, vom 30. Juli 1899 (Gesetz-Samml. S. 141) wird hinsichtlich der Beamten der Stadt- und Landgemeinden (§ 1) mit den aus den solgenden Bestimmungen sich ergebenden Maßgaben sinngemäß eingesührt. § 88 Die Besoldungen der städtischen Beamten werden vor ihrer Wahl oder Anstellung von der Gemeindevertretung festgesetzt. Hinsichtlich der besoldeten Bürgermeister und der etwa sonst noch gegen Gehalt angestellten Mitglieder des städtischen Gemeindevorstandes unterliegt die Festsetzung der Besoldung in allen Fällen der Genehmigung des Bezirksausschusses. Der Regierungspräsident kann verlangen, daß ihnen die zu einer zweckmäßigen Verwaltung angemessenen Besoldungs­ beträge bewilligt werden.

K 81). Den nach § 55 Abj. 2 gewühlten besoldeten und pensions­ berechtigten Bürgermeistern in Stadt- und Landgemeinden sind, sosern nicht mit Genehmigung des Bezirksausschusses (Amtsausschusses § 103) ein anderes festgesetzt ist, bei eintrctender Dienstunsähigkeit, oder wenn sie nach abgelaufener Wahlperiode nicht wieder gewählt werden, folgende Pensionen zu gewähren: ,ä/6o der Besoldung nach sechsjähriger Dienstzeit, so/so der Besoldung nach zwölfjähriger Dienstzeit, **/«o der Besoldung nach vierundzwanzigjühriger Dienstzeit.

Nach zwölsjähriger Dienstzeit steigt die Pension mit jedem weiter zurückgelegten Dienstjahr um ‘/so bis jzum Höchstbetrage von "/so der Besoldung.

§ 90. Das Recht auf den Bezug der Pension ruht, wenn und solange ein Pensionär im Staats- oder Kommunaldienst ein Diensteinkommen oder eine neue Pension bezieht, insoweit als der Betrag des neuen Ein­ kommens unter Hinzurechnung der zuvor erdienten Pension den Betrag

908

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht,

des von dem Beamten vor der Pensionierung bezogenen Diensteinkommens übersteigt.

§ 91. Die Witwen und Waisen der pensionsberechtigten StadtBürgermeister, der sonstigen pensionsberechtigten Beamten der Stadt­ gemeinden und der besoldeten Bürgermeister der Landgemeinden erhalten, falls nicht ein anderes mit Genehmigung des Bezirksausschusses (Amts­ ausschusses) festgesetzt ist, Witwen- und Waisengeld nach den für die Witwen der unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Vorschriften unter Zugrunde­ legung des von dem Beamten im Augenblicke des Todes erdienten Pensionsbetrags. Dabei tritt an die Stelle der für das Witwengeld bei un­ mittelbaren Staatsbeamten vorgeschriebenen Höchstsätze der Höchstsatz von 2000 Mark.! Neunter Abschnitt.

Gemeindchaushalt. § 92. Ueber die Einnah menJmd Ausgaben, welche sich im voraus veranschlagen lassen, entwirft der Bürgermeister für das Rechnungsjahr oder für eine längere, von der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) festzusetzende Rechnungsperiode, welche jedoch die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen darf, einen Voranschlag. Der Entwurf ist während zwei Wochen nach vorheriger Bekannt­ machung in einem von der Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung) zu bestimmenden Raume zur Einsicht aller Gemeindeangehörigen auszulegen. Nach Ablauf dieser Frist erfolgt die Feststellung des Voranschlags durch die Gemeindeversammlung (Gemeindevertretung). Die Feststellung bedarf in Landgemeinden der Genehmigung des Amtsausschusses. Die Festellung ist vor Beginn des neuen Rechnungsjahrs oder der neuen Rechnungsperiode zu bewirken. In Stadtgemeinden hat der Bürger­ meister eine Abschrift des festgesetzten Voranschlags dem Regierungs­ präsidenten einzureichen. Der Gemeindchaushalt ist nach dem Voranschläge zu führen. Alle Gemeiudeeinkünste müssen zur Gemeindekasse gebracht werden. Ausgaben, welche außerhalb des Voranschlags geleistet werden sollen, oder über deren Verwendung besondere Beschlußfassung Vorbehalten ist sowie Ueberschreitungen des Voranschlags bedürfen der Genehmigung der Gemeindever­ sammlung (Gemeindevertretung). Durch Beschluß des Amtsausschusses kann einzelnen Gemeinden die Festsetzung eines Voranschlags erlassen werden, wenn deren Verhältnisse dies unbedenklich erscheinen lassen. § 93. Zur Führung des Gemeinderechnungs- und Kastenwesens ist in den Stadtgemeinden und, wenn die Verhältnisse es erfordern, in Landgemeinden ein Gemeindebeamter als Gemeinderechner anzustellen, welcher der Bestätigung durch die Aufsichtsbehörde nach Maßgabe des § 64 bedarf und vor seinem Amtsantritte von derselben vereidigt wird. Der Gemeinderechner darf mit dem Bürgermeister in der im § 55 Abs. 4 bezeichneten Art weder verwandt noch verschwägert sein. Tritt eine

7. Hohenzollernsche Gemeindeordnung. §§ 90—97.

909

solche Verwandtschaft oder Schwägerschast während der Amtszeit eines Gemeinderechners ein. so hat dieser sein Amt niederzulegen. Die Auf­ sichtsbehörde ist befugt, hiervon Ausnahmen zuzulassen. Der Gcmeindercchner hat auf Verlangen eine genügende Sicherheit zu stellen. Tie Festsetzung der Höhe seiner Besoldung sowie der Höhe und der Form der etwaigen Sicherheitsleistung unterliegt der Genehmigung der Auisichisbehörde. Die Bestellung eines Gemeinderechners, mag derselbe die Eigenschaft eines Genieindebeamten haben oder nicht, erfolgt in allen Fällen durch den Geineinderat oder, wo ein solcher nicht besteht, durch den Bürgermeister unter Zustimmung der Schöffen.

K 94. Ueber die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinde sind nach näherer Vorschrift der Aufsichtsbehörde die erforderlichen RechnungSund Kassenbücher zu führen. Die Gemeinderechnung ist von dem Gemeinderechner binnen drei Monaten nach dem Schluffe des Rechnungsjahrs dem Bürgermeister einzmeichen, welcher sie einer Vorprüfung zu unterziehen und, mit seinen Erinnerungen versehen, binnen weiteren sechs Wochen der Gemeindever­ sammlung (Gemeindevertretung) vorzulegen hat. Tie Feststellung der Gemeinderechnung muß innerhalb sieben Monaten nach deren Vorlegung bewirkt sein. Nach ersolgter Feststellung ist die Rechnung während eines Zeit­ raums von zwei Wochen zur Einsicht der Gemeindeangehörigen auszulegen. Der Aussichtsbehörde ist eine Abschrift deS Feststellungsbeschlusses sofort eiiizureichen. Die im zweiten und vierten Absätze bestimmten Fristen können durch die Aufsichtsbehörde verlängert werden.

§ 95. Dem Amtsauoschusse liegt die jährliche Nachprüfung der Rechnungen in den Landgemeinden ob. § 96. Ter Amtsausschuß (Bezirksausschuß § 103) beschließt: über die Feststellung und den Ersatz der bei Kassen- und anderen Verwaltungen der Gemeinden vvrkommenden Defekte nach Maßgabe der Verordnung vom 24. Januar 1844 (Gesetz-Sammt. S. 52). Ter Beschluß ist vorbehaltlich des ordentlichen Rechtswegs endgültig; 2. über die Art der gerichtlichen Zwangsvollstreckungen wegen Geld­ forderungen gegen Gemeinden 8 15 zu 4 des Ausführungsgesetzes zur Deutschen Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877, ReichSGcsetzbl. S. 244 in der Fassung des Reichsgesetzes vom 17. Mai 1898, Artikel II Nr. 3a/3 (Reichs-Gesetzbl.^S. 332). I

Zehnter Abschnitt.

Gemeiudcabgabeu.j

§ 97. Samml.

Das Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893 (GesetzS. 152) und das Gesetz, betreffend die Abänderung und Er-

910

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht

gänzung einiger Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes, vom 30. Juli 1895 (Gesetz-Samml. S. 409) treten für die Hohenzollerischen Lande hin­ sichtlich der Gemeindeabgaben mit den aus den folgenden Bestimmungen sich ergebenden Maßgaben sinngemäß in Kraft. 8 98. An Stelle des § 2 Abs. 1 Satz 1, be8 § 24 Abs. 1 lit. a und c, des § 28 Abs. 1, der §§ 32. 40 Abs. 2, des § 42 Abt. 1. der 83 58, 89 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes treten nachstehende Dor­ schriften : I. § 2 Abs. 1 Satz 1. Die Gemeinden dürfen von der Befugnis, Steuern zu erheben, nur insoweit Gebrauch machen, als die sonstigen Einnahmen, insbesondere ans dem Gemeindevermögen, aus Auflagen auf die Allmandnutzungen (§ Bai, aus Gebühren, Beiträgen und vom Staate oder weiteren Kommunalver­ bänden den Gemeinden überwiesenen Mitteln zur Deckung ihrer Ausgaben nicht auSreichen. II. § 24 Abs- 1 lit. a und c. a) der Königlichen und Fürstlich Hohenzollernschen Schlösser einschließlich der zugehörigen Nebengebäude, Hojräume und Gärten: c) der dem Staate, dem Landeskoininnnalverbande, den Amtsverbänden. den Gemeinden oder sonstigen koiniNimalen Berbändekt gehörigen Grundstücke und Gebäude, sofern sie zu einem öffentlichen Them'te oder Gebrauche bestimmt sind. III. § 28 Abs. 1. Den Gemeindeabgaben vom Gewerbebetrieb unterliegen die inner halb der Gemeinde betriebenen, nach den bisherigen Bestiinmungeii der Gewerbesteuer unterworfenen Gewerbe einschließlich derjenigen des Staates und der Reichsbank. IV. 8 32. Erstreckt sich ein Gewerbebetrieb über mehrere Gemeiiidebezirke uiio werden besondere Gewerbesteuern umgelegt, so hat die Veranlagung nur nach Maßgabe des in der Gemeinde gelegenen Teiles des Gewerbebetriebs zu erfolgen, bei besonderen Gewerbesteuern nach dem Ertrag unter sinn­ gemäßer Anwendung der in den §§ 47, 48 getroffenen Bestimmungei.. V. § 40 Abs. 2. Soweit indessen die Mitglieder des Hohenzollernschen Fürstenhauses und die zu Nr. 2 und 3 genannten Personen tu der Gemeinde Grund­ vermögen, Handels- ober gewerblichen Anlagen einschließlich der Berg­ werke, haben, Handel ober Gewerbe ober außerhalb einer Gewerkschaft Bergbau betreiben ober als Gesellschafter an dem Unternehmen einer Ge­ sellschaft mit beschränkter Haftung beteiligt sind, erstrecken sich die Be­ freiungen (Abs. 1) nicht auf das ihnen aus diesen Quellen zuftießende Einkommen. Auch bleiben die Befreiungen tu bett Füllen zu Nr. 2 und 3 ausgeschlossen, sofern in den betreffenden Staaten Gegenseitigkeit nicht gewährt wird.

7. Hohenzollernsch« Gemeindeordnung.

§§ 97—101.

911

VI. 8 42 Abs. 1. Hinsichtlich der Heranziehung der Militärpersonen zu den aus das Einkommen gelegten Gemeindeabgaben kommen neben der im § 41 ange­ zogenen Verordnung die Gesetze vom 29. Juni 1886 (Gesetz-Samml. S. 181) und 22. April 1892 (Gesetz-Samml. S. 101) zur Anwendung.

VII. § 58. Die Bestimmungen der §§ 54, 56 und 57 finden auf die Steuern von Bauplätzen (§ 27 Abs. 2) keine Anwendung.

VIII. § 89 Satz 1. Die Kosten der Veranlagung und Erhebung der Abgaben fallen, insoweit hierüber nicht durch Artikel IX des Gesetzes, betreffend die Um­ gestaltung der direkten Staatssteuern in den Hohenzollernschen Landen, anderweitige Bestimmung getroffen ist, der Gemeindekaffe zur Last.

§ 99. Nicht in Kraft treten § 24 Abs. 1 lit. k, § 26 Abs. 3 und 4, 8 28 Abs. 2, 8 30 Abs. 3, 8 31 Abs. 1 Nr. 2, §§ 76, 96 Abs. 1. 3 und 7 a. a. O. Im 8 44 tritt an Stelle des Grundsteuerreinertrages das Grundsteueckapital; das Verhältnis (Abs. 2) ist durch den zuständigen Minister im Falle des Bedürfniffes für das Steuerjahr endgültig festzustellen und öffentlich bekannt zu machen. § 100.

Der 8 24 a. a. O. erhält folgenden Schlußabsatz. Den Steuern von Grundbesitz (§§ 24 bis 27) ist auch die Steuer von Gesällen, einschließlich der staatlichen Gefälle zuzu­ rechnen, deren Objekte sich nach den bisherigen Vorschriften be­ stimmen. Die Gefällsteuer ist hinsichtlich des Verhältnisses der Steuerarten zueinander (8§ 54 ff.) der Grundsteuer gleichzustellen.

§ 101. Hinter die 8§ 3 und 21 a. a. O. werden 88 3 a, beziehungsweise 21a eingeschaltet:

nachstehende

I. § 3 a. Die jährlichen Auflagen auf die Allmandnutzungen werden nach dem einen Betrag von 20 Mark übersteigenden Jahreswerte der Nutzungen und zwar bis zu einem Höchstbetrage von einem Fünftel dieses Mehrwertes veranlagt. Der Höchstsatz ist zu erheben, bevor nach Maßgabe des 8 2 Steuern in der Gemeinde gefordert werden dürfen. Zahlungspflichtig sind alle Allmandberechtigten vom ersten Tage des auf den Beginn der Nutzungen folgenden Monats an bis zum Abläufe des Monats, in welchem die Nutzungen beendigt sind. Die Vorschriften der 8§ 61 bis 63, 65 Abs. 2 bis 4, der §§ 66, 69, 70, 84, 88 bis 90 gelten sinnentsprechend auch für die Auflagen auf die Allmandnutzungen. II. 8 21a.

Hinsichtlich der Heranziehung des Königlich Württembergischen und des Großherzoglich Badischen Staatsfiskus wegen der von diesen betriebenen Eisenbahnunternehmungen bewendet es bei den Staatsverträgen vom 3. März 1865 (Gesetz-Samml. S. 921, 930).

912

IX. Gruppe: Kommunalrecht

B. kandgemeinverecht.

Elster Abschnitt.

Zusammeugesetzte Gemeinden.

§ 102. In den Gemeinden, welche Einzelortschaften mit besonderem Vermögen oder besonderer Gemarkung umfassen, beschließt die Gemeinde­ versammlung (Gemeindevertretung) insoweit nur über Angelegenheiten, welche den gesamten Gemeindeverband betreffen. Hinsichtlich des besonderen Ortschastsvermögens oder der besonderen Gemarkung in den Einzelortfchasten tritt die aus sämtlichen Gemeindcgliedcrn (§ 9) der Einzelortschaft bestehende Ortsversammlung an die Stelle der Gemeindeversammlung (Ge­ meindevertretung). Die Veränderung der Grenzen von besonderen Gemarkungen inner­ halb einer zusammengesetzten Gemeinde kann unter der Voraussetzung des Einverständnisses der Beteiligten durch Beschluß des Amtsausschusses (Be­ zirksausschusses § 103) erfolgen. Gehört zum besonderen Ortschaftsvermögen auch Allmandgut, so finden in bezug auf dieses die Bestimmungen §§ 39 ff. entsprechende An­ wendung. Dem Bürgermeister lkollegialischen Gemeindevorstande) der zusammen­ gesetzten Gemeinde liegt die Verwaltung auch in den Einzelortichaften mit der Maßgabe ob, daß dem Bürgernieister in den Ortsverjamiulungen außerhalb seines Amtssitzes ein Stimmrecht nicht zustcht. Dritter Titel.

Aufsicht des Staates.

§ 103. Die Aussicht des Staates über die Verwaltung der An­ gelegenheiten der Städte wird in erster Instanz von dem Regierungs­ präsidenten, in höherer Instanz von dem Minister des Innern, die Aussicht über die Verwaltung der Angelegenheiten der Landgemeinden in erster Instanz von dem Oberamtmann, in höherer und letzter Instanz von dem Regierungspräsidenten geübt, unbeschadet der gesetzlich geordneten Mitwirkung des Bezirksausschusses, soseril es sich um Städte, und des Amtsausschusses, sofern es sich um Landgemeinden handelt. Beschwerden bei den Aujsichtsbehörden in den vorbezeichneten Ange­ legenheiten sind in allen Instanzen innerhalb zwei Wochen anzubringen. § 104. Beschlüsse des Gemeinderats, der Gemeindeversammlung oder der Gemeindevertretung, welche deren Befugnisse überschreiten oder die Gesetze verletzen, hat der Bürgermeister beziehungsweise der Gcmeinderat, entstehendensills auf Anweisung der Aufsichtsbehörde, mit aufschiebender Wirkung unter Angabe der Gründe zu beanstanden. Gegen die Verfügung des Bürgermeisters beziehungsweise des Gemeinderats steht dem Gemeinde­ rate, der Gemeindeversammlung, der Gemeindevertretung die Klage im Berwaltungsstreitversahren zu. Die Aussichtsbehörde ist nicht befugt, auS anderen als den vorstehend angegebenen Gründen eine Beanstandung von Beschlüssen deS Gemeinderats, der Gemeindeversammlung oder der Gemeindevertretung herbeizusühren.

7. Hohenzollernsche Gemeindeordnung.

913

§§ 102—107.

§ 105. Unterläßt oder verweigert eine Gemeinde die ihr gesetzlich obliegenden, von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit festgestellten Leistungen aus den Voranschlag zu bringen oder außerordentlich zu genehmigen, so verfügt die Aufsichtsbehörde unter Anführung der Gründe die Eintragung in den Voranschlag oder die Feststellung der außerordent­ lichen Ausgabe. Ter Gemeinde steht gegen die Verfügung die Klage zu und zwar der Stadtgemeinde bei dem Oberverwaltungsgerichte, der Landgemeinde bei dem Bezirksausschüsse. § 106. Durch Königliche Verordnung kann eine Gemeindevertretung ausgelöst werden. Es ist sodann binnen sechs Wochen, vom Tage der Auflöiungsverordnung ab gerechnet, eine Neuwahl anzuordnen. Bis zur Ein­ führung der neugewählten Gemeindeverordneten beschließt an Stelle der Gemeindevertretung der Bezirksausschuß (Amtsausschuß § 103).

§ 107. Bezüglich der Dienstvergehen der Bürgermeister, der Bei­ geordneten, der Schöffen sowie der sonstigen Gemeindebeamten kommen die Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Juli 1852 (Gesetz-Sammt. S. 465) mit folgenden Maßgaben zur Anwendung: I. In Stadtgemeinden:

1. An Stelle der Bezirksregicrung und innerhalb des ihr nach jenem Gesetze zustehenden Ordnungsstrafrechts kann der Regierungspräsident Ordnungsstrafen sestsetzen. Gegen die Strafverfügungen des Regierungspräsidenten findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte statt. 2. In dem Verfahren auf Entfernung aus dem Amte wird die Einleitung des Verfahrens von dem Regierungspräsidenten verfügt und von dem­ selben der Untersuchungskommissar ernannt; an die Stelle der Be­ zirksregierung tritt als entscheidende Disziplinarbehörde erster Instanz der Bezirksausschuß, an die Stelle des Staatsministeriums das Oberx Verwaltungsgericht; den Vertreter der Staatsanwaltschaft ernennt bei dem Bezirksausschüsse der Regierungspräsident, bei dem Oberverwaltungs­ gerichte der Minister des Innern.

II. In Landgemeinden: 1. Die Befugnis, gegen die im Abs. 1 genannten Beamten Ordnungs­ strafen zu verhängen, steht dem Oberamtmann und im Umfange deS den Provinzialbehörden beigelegten Ordnungsstrasrechts dem Regierungs­ präsidenten zu. Gegen die Strafverfügungen des Oberamtmanns findet inner­ halb zwei Wochen die Beschwerde an den Regierungspräsidenten statt. Gegen die Strafverfügungen des Regierungspräsidenten und dessen auf Beschwerde in den Fällen des vorigen Satzes ergehenden Beschluß findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Oberverwaltungs­ gerichte statt. 2. In dem Verfahren auf Entfernung aus dem Amte wird von dem Obrraintmann oder dem Regierungspräsidenten die Einleitung des Stler-§omlo, DerwaltungSFesetze für Preuften.

58

914

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

B. Landgemeinderecht.

Verfahrens verfügt und der Untersuchungskommissar und der Vertreter der Staatsanwaltschaft ernannt. Als entscheidende Disziplinarbehörde erster Instanz tritt an die Stelle der Bezirksregierung der Amts­ ausschuß; an die Stelle des Staatsministeriums tritt das Oberverwaltungsgericht. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei dein Oberverwaltungsgerichte wird von dem Minister des Innern ernannt. In dem unter I und II zu 2 vorgesehenen Verfahren ist entstehenden falls 'auch über die Tatsache der Dienstunsähigkeit der Gemeindebeamten Entscheidung zu treffen.

§ 108. Zuständig in erster Instanz ist im Verwaltungsstreil­ verfahren für die in diesem Gesetze vorgesehenen Fülle, sofern nicht im einzelnen ein anderes bestimmt ist, in Angelegenheiten der Stadtgemeinden der Bezirksansschuß, in Angelegenheiten der Landgemeinden der AmtSauSschuß. Die Frist zur Anstellung der Klage beträgt in allen Fällen zwei Wochen. Die Gemeindeversammlung, die Gemeindevertretung und der Ge­ meindevorstand können zur Wahrnehmung ihrer Rechte im BerwaltnngSstreitverfahren einen besonderen Vertreter bestellen. Vierter Titel.

Airsführuugs-, Uebergangs- und Schluftbestimmungen.

K 109.

Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1901 in Kraft. Mit diesem Z itpunkte treten alle entgegenstehenden Bestimmungen, auch die Bestimmungen im vierten und fünften Titel des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 (Gesetz-Samml. S. 237) außer Kraft. Rechte und Pflichten, welche aus besonderen Titeln des öffentlichen Rechtes beruhen, bleiben insoweit in Kratt, als diese Titel von den bis­ herigen allgemeinen und besonderen gesetzlichen Vorschriften, Ordnungen, Gewohnheitsrechten und Observanzen abweichende Bestimmungen enthatten. Eine solche Abweichung wird nicht vermutet.

§ 110. Die bei Verkündigung dieses Gesetzes bestehenden, von ihm abweichenden Ortsstatuten, allgemeinen Gewohnheitsrechte und Observanzen bleiben, soweit dies Gesetz ortsstatutarische Regelung zuläßt, unbeschadet der Bestimmung des § 96 Abs. 4 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893, einstweilen, längstens aus drei Jahre, in Kraft. § 111. Soweit Lehranstalten einschließlich der Volksschule die Eigenschaft von Gemeindeanstalten beiwohnt, kommen in deren Ansehung die Bestimmungen dieses Gesetzes nur unter den Einschränkungen in An­ wendung, die sich aus den für die Anstalten geltenden besonderen Rechts­ normen ergeben. Dies findet sinnentsprechende Anwendung auf den Wegebau lind andere Veranstaltungen der Gemeinden, über welche besondere Gesetze er­ lassen sind.

7. Hohenzolltrnsche Gemeindeordnung.

§§ 108—114.

915

§ 112. Die erforderlichen Wahlen von Gemeindeverordneten und Abgeordneten zur Gemeindeversammlung (§ 19), Beigeordneten und Schöffen, sind nach Biaßgabe dieses Gesetzes schon vor dessen Inkrafttreten vorzu­ bereiten und tunlichst im März 1901 zu vollziehen. § 113. Tie Vollmacht der Mitglieder der bestehenden Bitrgerkollegien endigt mit der Einführung der Neugewählten in ihr Amt. Die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes im Amte befindlichen Bürgermeister (Stadtschultheiß, Vögte) bleiben bis zum Ablauf ihrer Wahl­ periode oder Anstellung, die Gemeinderechner und sonstigen besoldeten Ge­ meindebeamten nach Maßgabe ihrer Anstellungsbedingungen, jedoch un­ beschadet der Bestimmungen im achten Abschnitte des zweiten Titels, im Amte. § 114. Der Minister des Innern, im Umfange der Bestimmungen über Gemeindeabgaben der Minister des Innern und der Finanzminister, sind mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt.

916

IX. Grupp«: Kommunalrecht.

C. Kreis- und Provinzialrecht.

C. Kreitz- und Provinzialrecht.

1. SrtiSorimung für die Prcmzeii Lst- uni) Nkstvrcußku, Bmdcudurg, liummtrn, Lchleßm md Luchsen. Bom 13. Dezember 1872.

In der Fassung des Gesetzes vom 1. Marz 1881. (GS. S. 155.)*)*)

Erster Titel.

Don den Grundlagen der Kreisverfaffuug. Erster Abschnitt,

von dem Umfange und der Legreuzung der Artist.

§ 1. Die Kreise bleiben in ihrer gegenwärtigen Begrenzung als Verwaltungsbezirke bestehen.

8 2. Jeder Kreis bildet nach näherer Vorschrift dieses Gesetzes einen Kommunalverband zur Selbstverwaltung seiner Angelegenheiten mit Rechten einer Korporation. Veränderung der Kreisgrenzen und Bildung neuer Kreise.

8 3. Die Veränderung bestehender Kreisgrenzen und die Bildung neuer, sowie die Zusammenlegung mehrerer Kreise erfolgt durch Gesetz. Der Bezirksausschuß') beschließt über die infolge einer solchen Ver­ änderung notwendig werdende Auseinandersetzung zwischen den beteiligten *) Literatur: Kolisch, Die Kreisordnungen für den preuß. Staat 1894-; Brauchitf ch, BerwaltungSgesetze Bd. II (1906). 18. Aust.; Schoen, Da« Recht der Kommunalverbände in Preußen 1897 S. 361 ff.; Lindemann, Die Kreis», ProvmzialStädte» und Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen 1901. *) Für die übrigen Provinzen sind außer Pofen besondere Kreisordnungen er­ lassen; für die Provinz Hannover am 6. Mar 1884 (GS. S. 181), für die Provinz Hessen-Nassau am 7. Juni 1885 (GS. S. 193), für die Provinz Westfalen am 31. Juli 1886 lGS S. 217), für die Rheinprovinz am 30. Mai 1887 (GS. S. '209), für die Provinz Schleswig-Holstein am 26. Mai 1888 (GS. S. 139). Da sie sich im wesent­ lichen an die östl. Kreisordnungen anschließen. werden sie in dieser Sammlung nicht wörtlich abgedruckt, doch werden in diesem Werte die Abweichungen von der östl. KrO. besonders angegeben. In Posen gilt noch die Kreisordnung für daS Grobherzogtum Posen vom 20. Dezemder 1828 (GS. 1829 S. 3) mit den durch das Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung und die Zuständigkeit der VerwaltungS- und Verwaltungsgerichtsbehörden in der Provinz Posen vom 19. Mai 1889 (GS. S. 108) bewirkten Aenderungen. •) LVG. § 153.

1. flreiüorbnung für die Provinzen Ost- u. Westpreuhen ic.

§§ 1—7.

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Kreisen, vorbehaltlich der den letzteren gegeneinander innerhalb zwei Wochen *) zustehenden Klage bei dem Bezirksausschusses) Veränderungen solcher Gemeinde- oder Gutsbezirksgrenzen, welche zugleich Kreisgrenzen sind, sowie die Vereinigung eines Grundstückes, welches bisher einem Gemeinde- oder Gutsbezirke nicht angehörte, mit einem in einem anderen Kreise belegenen Gemeinde- oder Gutsbezirke, ziehen die Veränderung der betreffenden Kreisgrenzen, wo die Kreis- und Wahl­ bezirksgrenzen zusammenfallen, auch die Veränderung der letzteren ohne weiteres nach sich. Eine jede Veränderung der Kreisgrenzen ist durch das Amtsblatt bekannt zu machen.

Ausscheiden der großen Städte aus den Kreisverbänden.

§ 4. Städte, welche mit Ausschluß der aktiven Militärpersonen eine Einwohnerzahl von mindestens 25 OOO Seelen haben und gegenwärtig einem Landkreise angehören, sind befugt, für sich einen Kreisverband, Stadtkreis (§ 169), zu bilden und zu diesem Behufe aus dem bisherigen Kreisverbande auszuscheiden. Auf den Antrag der Stadt wird dieselbe durch den Minister deS Innern für ausgeschieden erklärt. Durch Königliche Verordnung kann nach Anhörung des Provinzial­ landtages auch Städten von geringerer Einwohnerzahl auf Grund besonderer Verhältnisse das Ausscheiden aus dem bisherigen und die Bildung eines eigenen Kreisverbandes gestattet werden. Es ist jedoch zuvor in allen Fällen eine Auseinandersetzung darüber zu treffen, welchen Anteil die ausscheidende Stadt an dem gemeinsamen Aktiv- und Passivvermögen des bisherigen Kreises, sowie etwa an fort­ dauernden Leistungen zu gemeinsamen Zwecken der beiden neuen Kreise zu übernehmen hat.") § 5. Privatrechtliche Verhältnisse werden durch Veränderungen der Kreisgrenzen (§§ 3, 4) nicht berührt. Zweiter Abschnitt.

von drn Kreisangehörigen, ihren Hechten und pflichten.

8 6. Angehörige des Kreises sind, mit Ausnahme der nicht ange­ l'ebenen servisberechtigten Militärpersonen des aktiven Dienststandes alle diejenigen, welche innerhalb des Kreises einen Wohnsitz haben. Rechte der Kreisangehörigen.

§ 7.

Die Kreisangehörigen sind berechtigt: 1. zur Teilnahme an der Verwaltung und Vertretung des Kreises nach näherer Vorschrift dieses Gesetzes, 2. zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtungen und Anstalten des. Kreises nach Maßgabe der für dieselben bestehenden Bestimmungen

*) § 2 Zust». •) LVG. § 153. *•' Ser hier nicht abgebrurfte Abs. 5 ist ersetzt durch § 2 ZustG.

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreis- und Provinzialrecht.

Pflichten der Kreisangehörigen. a) Verpflichtung zur Annahme von unbesoldeten Aemtern. (Gründe der Ablehnung, Folgen einer ungerechtfertigten Ab lehnung.)

§ 8. Die Kreisangehörigen sind verpflichtet, unbesoldete Aemter in der Verwaltung und Vertretung des Kreises zu übernehmen. Zur Ablehnung oder zur früheren Niederlegung solcher Aemter be­ rechtigen folgende Entschuldigungsgründe: 1. anhaltende Krankheit; 2. Geschäfte, die eine häufige oder lange dauernde Abwesenheit vom Wohnorte mit sich bringen; 3. das Alter von 60 Jahren; 4. die Verwaltung eines unmittelbaren Staatsamtes; 5. sonstige besondere Verhältnisse, welche nach dem Ermessen des Kreis­ tages eine gültige Entschuldigung begründen. Beträgt die Amtsdauer mehr als drei Jahre, so kann das Amt nach Ablauf von drei Jahren niedergelegt werden. Wer ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung des Kreises während der vorgeschriebenen regelmäßigen Amtsdauer versehen hat, kann die Uebernahme desselben oder eines gleichartigen für die nächsten drei Jahre ablehnen. Wer sich ohne einen der vorbezeichneten Entschuldigungsgründe weigert, ein unbesoldetes Amt in der Verwaltung oder Vertretung des Kreises zu übernehmen oder das übernommene Amt drei Jahre hindurch zu versehen, sowie derjenige, welcher sich der Verwaltung solcher Aemter trotz vorher­ gegangener Aufforderung seitens des Kreisausschusses tatsächlich entzieht, kann durch Beschluß des Kreistages für einen Zeitraum von drei bis sechs Jahren der Ausübung seines Rechtes auf Teilnahme an der Vertretung und Verwaltung des Kreises für verlustig erklärt und um ein Achtel bis ein Viertel stärker, als die übrigen Kreisangehörigen, zu den Kreisabgaben herangezogen werden. Gegen den Beschluß des Kreistages findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Bezirksausschusses statt. §§ 9—19 [fortgefaUen und ersetzt durch das Kreis- und ProvinzialabgabenG. vvm 23. April 1906 Abschnitt l.J Dritter Abschnitt

Äreisstatuten und Reglements. § 20. Jeder Kreis ist befugt: 1. zunl Erlasse besonderer statutarischer Anordnungen über solche An­ gelegenheiten des Kreises, hinsichtlich deren das gegenwärtige Gesetz Verschiedenheiten gestattet (§§ 104 Abs. 2, 108 Abs. 1 und 109), oder das Gesetz auf statutarische Regelung verweist, sowie über solche Angelegenheiten, deren Gegenstand nicht durch Gesetz geregelt ist; ') ZustG. § 2.

1. KreiSordnnng für bie Proviiizen Ost- u. Wtstpreußkn rc.

§§ 8—48.

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2. zum Erlasse von Reglements über besondere Einrichtungen des Kreises. Die Kreisstatuten und Reglements sind durch das Kreisblatt und, wo ein solches nicht besteht, durch das Amtsblatt auf Kosten des Kreise­ bekannt zu machen.

Zweiter Titel.

Don der Gliederung und den Aemtern des Kreises. Erster Abschnitt.

Allgemeine Sekimmungen. Gliederung des Kreises.

§ 21. Die Kreise, mit Ausnahme der Stadtkreise (§§ 4 und 169), zerfallen in Amtsbezirke, beziehungsweise in Stadt- und Amtsbezirke. Die Amtsbezirke bestehen aus einer oder mehreren Landgemeinden oder aus einem oder mehreren Gutsbezirken, beziehungsweise aus Land­ gemeinden und Gutsbezirken. An der Spitze der Verwaltung des Kreises steht der Landrat, an der Spitze der Verwaltung des Amtsbezirks der Amtsvorsteher, an der Spitze der Verwaltung der Genieinde der Gemeindevorsteher. Für den Bereich eines selbständigen Gutsbezirks führt der Gutsvorsteher die dem Gemeindevorsteher obliegende Verwaltung. Der zweite Abschnitt dieses Gesetzes (Von dem Gemeindevorsteher und dem Schönenamte, sowie von der Ortsverwaltung der selbständigen Gutsbezirke, §§ 22 bi» 35), sowie der dritte Abschnitt (Aufhebung der mit dem Besitze gewisser Grund­ stücke verbundenen Berechtigung und Verpflichtung zur Verwaltung des Schulzen­ amtes, §§ 33 bis 15) ist durch die ösil. LGO. § 143 aufgehoben worden.!

Vierter Abschnitt,

von den Amtsbknrllen und dem Amte der Amtsoorlteher. der gutsherrlicheu polizrioerwaltung.

Aufhebung

§ 46.

Die Polizei wird im Namen des Königs auSgeübt. Die gntsherrlicke Polizeigewalt ist aufgehoben. Amtsbezirke.

§ 47. Behufs Verwaltung der Polizei und Wahrnehmung anderer öffentlicher Angelegenheiten wird jeder Kreis, mit Ausschluß der Städte, in Amtsbezirke geteilt. Bistdujng der A'mtsbezi'rke.

§ 48. Für die Bildung der Amtsbezirke gelten folgende Grundsätze: 1. Jeder Amtsbezirk soll tunlichst ein räumlich zusammenhängendes und abgerundetes Flächengebiet umfassen, dessen Größe und Einwohnerzahl

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IX. Gruppe: Kommunalrecht

6. Kreis- und Provinzialrecht.

dergestalt zu bemessen ist, daß einerseits die Erfüllung der durch das Gesetz der Amtsverwaltung auserlegten Ausgaben gesichert, anderer­ seits die Unmittelbarkeit und die ehrenamtliche Ausübung der ört­ lichen Verwaltung nicht erschwert wird. 2. Gemeinden, welche eine den Bestimmungen des Gesetzes entsprechende Amtsverwaltung aus eigenen Kräften herzustellen vermögen, sind, wenn nicht die örtliche Lage die Zuschlagung anderer Gemeinde- oder Gutsbezirke notwendig macht, aus ihren Antrag zu einem Amtsbezirke zu erklären. 3. Gutsbezirke von abgesonderter Lage, welche ohile wesentliche Unter­ brechung ein räumlich zusammenhängendes Gebiet von erheblichem Flächeninhalte umsassen, können auf Antrag ohne Rücksicht auf ihre Einwohnerzahl unter den übrigen Voraussetzungen der Nummern 1 und 2 zu Amtsbezirken erklärt werden. 4. Alle übrigen Gemeinden und Gutsbezirke werden zu Amtsbezirken vereinigt. Insbesondere sollen Gemeinden und Gutsbezirke, welche eine örtlich verbundene Lage haben, zu einem und demselben Amts­ bezirke gehören. Bei Abgrenzung der zusammengesetzten Amtsbezirke ist möglichst daraus zu achten, daß die innerhalb der Kreise belegenen Verbände (Kirchspiele, Schulverbände, Wegebaubezirke usw.) nicht zerrissen werden.

§ 49.

Die Bildung der Amtsbezirke, sowie die etwa erforderliche Abänderung derselben erfolgt nach Anhörung der Beteiligten, auf Vorschlag des nach diesem Gesetze gewählten Kreistages, durch den Minister des Innern. Die Revision und endgültige Feststellung, sowie jede spätere Ab­ änderung der Amtsbezirke erfolgt durch den Minister des Innern im Ein­ vernehmen mit dem Bezirksausschusses nach vorheriger Anhörung der Be­ teiligten und des Kreistages. Die endgültige Feststellung der Amtsbezirke darf erst nach Ablauf einer öffentlich bekannt zu machenden angemessenen Frist stattfindcn. Veränderungen solcher Gemeinde- oder Gutsbezirksgrenzen, welche zugleich Amtsbezirksgrenzen sind, ziehen die Veränderung der letzteren ohne weiteres nach sich.

§ 49

a. Dem Minister des Innern') steht die Befugnis zu, im Einvernehmen mit dem Bezirksausschüsse') ländliche Gemeinde- und Guts­ bezirke, welche innerhalb der Feldmark einer zu einem Landkreise gehörigen Stadt belegen sind oder unmittelbar an dieselbe angrenzen, bezüglich der Verwaltung der Polizei nach Anhörung der Beteiligten und des Kreis­ tages mit dem Bezirke der Stadt zu vereinigen, sofern dies im öffentlichen Interesse notwendig ist. In Ermangelung einer Einigung unter den Beteiligten wird der Beitrag der betreffenden Landgemeinde, beziehungsweise des betreffenden Gutsbezirkes zu den Kosten der städtischen Polizeiverwaltung von dem Be­ zirksausschuss?) festgesetzt. '>8 6 ZustG. ') LBG. § 153.

1. Kreisordnung für die Provinzen Oft- u. Westpreußen ic.

§§ 48—51a.

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Der Minister des Innern kann im Einvernehmen mit dem Bezirks­ ausschüsse'« in den Fällen des ersten Absatzes gleichzeitig die Ausscheidung der betreffenden Landgemeinden und Gutsbezirke aus dem Amtsbezirke, welchem sie bisher angehörten, aussprechen. Ueber die hierdurch notwendig werdende Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten beschließt der Kreis­ ausschuß. Gegen den Beschluß findet innerhalb zwei Wochen der Antrag auf mündliche Verhandlung im Verwaltungsstreitverfahren statt.

Organe der Amtsverwaltung.

§ 50. Die Organe der Amtsverwaltung in den Amtsbezirken sind nach näherer Vorschrift dieses Gesetzes der Amtsvorsteher und der Amtsausschuß. Amtsausschuß.

§ 51.

Für

die

Bildung

des

Amtsausschusses

gelten

folgende

Bestimmungen:

1. In den zusammengesetzten Amtsbezirken besteht der Amtsausschuß aus Vertretern sämtlicher zum Amtsbezirke gehörigen Gemeinden und selb­ ständigen Gutsbezirke. Jede Gemeinde und jeder Gutsbezirk ist wenigstens durch einen Abgeordneten zu vertreten. Die Vertretung der Gemeinden erfolgt zunächst durch den Ge­ meindevorsteher, sodann durch die Schöffen und, wenn auch deren Zahl nicht ausreicht, durch andere von der Gemeinde zu wählende Mitglieder. Die Zahl der von jeder Gemeinde zu entsendenden Vertreter, sowie der jedem Gutsbezirk einzuräumenden Stimmen wird mit Rücksicht auf die Steuerleistungen und die Einwohnerzahl durch ein nach Anhörung der Beteiligten auf den Vorschlag des Kreisausschusses von dem Kreistage zu erlassendes Statut geregelt. Beschwerden gegen dieses Statut unterliegen der endgültigen Beschlußfassung des Bezirksausschusses. Vertreter einer Gemeinde oder eines Gutsbezirkes bei dem Amts­ ausschusse können nur Personen sein, welche die im § 96 unter a und b bezeichneten Eigenschaften besitzen. 2. In denjenigen Amtsbezirken, welche nur aus einer Gemeinde bestehen, nimmt die Gemeindeversammlung beziehungsweise Gemeindevertretung die Geschäfte des Amtsausschnsses wahr. 3. In denjenigen Amtsbezirken, welche nur»aus einem Gutsbezirke be­ stehen, fällt der Amtsausschuß weg.

5 51 a. Gegen das zum Zwecke der Wahl eines Abgeordneten zum Amtsausschusse (§ 51 Nr. 1) stattgehabte Wahlversahren kann jedes Mit­ glied der Wahlversammlung innerhalb zwei Wochen Einspruch bei dem Vorsitzenden des Wahlvorstandes erheben. Die Beschlußfassung über den Einspruch, über welchen die Beteiligten vorab zu hören sind, steht dem Amtsausschusse zu. ■) § 6 ZustG.

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IX. Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreis- und Provinzialrecht.

Im übrigen prüft der Amtsausschuß die Legitimation seiner Mit­ glieder von Amts wegen und beschließt darüber. Jede Wahl verliert dauernd oder vorübergehend ihre Wirkung, wenn sich ergibt, daß die für die Wählbarkeit vorgeschriebenen Bedingungen nicht vorhanden gewesen sind, oder wenn diese Bedingungen gänzlich oder zeit­ weise aushören. Das Gleiche gilt in bezug aus die unmittelbar aus dem Gesetze beruhende Mitgliedschaft des Amtsausschusses. Der Amtsausschuß hat darüber zu beschließen, ob einer der gedachten Fälle eingetreten ist. Gegen die nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmungen gefaßten Beschlüsse des Amtsausschusses findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Kreisausschusse statt. Dieselbe steht auch dem Amtsvorsteher zu. Tie Klage hat keine aufschiebende Wirkung; jedoch dürfen Ersatzwahlen vor rechtskräftiger Entscheidung nicht vorgenommen werden. Für das Streitverfahren kann der Amtsausschuß einen besonderen Vertreter bestellen.

§ 52. Zu den Befugnissen des Amtsausschusses gehört: 1. die Kontrolle sämtlicher und die Bewilligung derjenigen Ausgaben der Amtsverwaltung, welche vom Amtsbezirke aufgebracht werden (§§ 69 und 70 Abs. 4); 2. die Beschlußfassung über diejenigen Polizeivervrdnungen, welche der Amtsvorsteher unter Mitwirkung des Aintsausschusses zu erlassen befugt ist (§ 62); 3. die Aeußerung über Abänderung des Amtsbezirkes (§ 49); 4. die Bestellung, sowie die Wahl besonderer Kommissionen oder Kommisiarien zur Vorbereitung und Ausführung von Beschlüssen des Aintsausschusses; 5. die Beschlußfassung über sonstige Angelegenheiten, welche der Amts­ vorsteher aus dem Kreise seiner Amtsbesugnisse dem Amtsausschusse zu diesem Zwecke unterbreitet.

§ 53 sist durch § 146 vstl. LGO. aufgehoben, ersetzt durch die Bestimmungen der §§ 128—138 über Bildung von Zweckverbänden j. § 54. Der Amtsvorsteher beruft den Amtsausschuß und führt den Vorsitz mit vollem Stimmrechte. Die Sitzungen des Amtsausschusses sind öffentlich. Für einzelne Gegenstände kann durch einen in geheimer Sitzung zu fassenden Beschluß die Oeffentlichkeit ausgeschlossen werden. Der Amtsausschuß kann nur beschließen, wenn inehr als die Hülste der Mitglieder anwesend ist. Eine Ausnahme hiervon findet statt, wenn die Mitglieder, zum zweiten Male zur Verhandlung über denselben Gegen­ stand berufen, dennoch nicht in beschlußfähiger Anzahl erschienen sind. Bei der zweiten Beratung muß auf diese Bestimmung ausdrücklich hin­ gewiesen werden. Die Beschlüsse des Amtsausschusses werden nach Mehrheit der Stimmen gefaßt. Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt. § 54 a. Beschlüsse des Amtsausschusses, welche dessen Befugniffe überschreiten oder die Gesetze verletzen, hat der Amtsvorsteher, entstehendenfalles ans Anweisung der Aufsichtsbehörde, unter Angabe der Gründe, mit ausschiebender Wirkung zu beanstanden.

1. KreiSordnmig für die Provinzen Ost- u. Westpreußen rc.

§§ 51 a—56.

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Gegen die Verfügung des Amtsvorstehers steht dem Amtsausschusse innerhalb einer Frist von zwei Wochen die Klage bei dem Kreisausschnsse zu. Zur Wahrnehmung seiner Rechte im Verwaltungsstreitversahren kann der Amtsausschuß einen besonderen Vertreter wählen.

§ 55. Für die nach näherer Vvrschrist dieses Gesetzes den Ge­ meinden und Gutsbezirken gemeinsamen Angelegenheiten stehen dem Amtsvcrbande die Rechte einer Korporation zu. Die Korporation wird nach außen durch den Amtsvorsteher vertreten. Urkunden, welche das Amt verpflichten sollen, sind von dem Amts­ vorsteher und mindestens einem Mitgliede des Amtsausschusses unter An­ führung des betreffenden Beschlusses des Amtsausschusses M vollziehen.

§ 55 a. Beschlüsse der Amtsverbände, betreffend die Veräußerung von Grundstücken oder Jmmobiliarrechten, oder die Ausnahme von An­ leihen, durch welche der Amtsverband mit einem Schuldenbestande belastet, oder der bereits vorhandene Schuldenbestand vergrößert werden würde, be­ dürfen der Bestätigung des Kreisausschusses. Ohne diese Genehmigung sind die bezeichneten Rechtsgeschäfte nichtig. Zur Ausnahme von Anleihen durch den Amtsausschuß ist die Zusümmung sämtlicher zu dem Amtsbezirke gehörigen Gemeinden und Guts­ bezirke notwendig. § 55 b. Der Kreisausschuß beschließt an Stelle der Aussichtsbehörde:

1. über die Art der gerichtlichen Zwangsvollstreckung wegen Geld­ forderungen gegen Amtsverbände (§ 15 zu 4 des Einführungsgesetzes zur Deutschen Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877, ReichsGesetzbl. S. 244); 2. über die Feststellung und den Ersatz der bei Kassen und anderen Verwaltungen der Amtsverbände vorkommenden Defekte nach Maß­ gabe der Verordnung vom 24. Januar 1844 (Gesetz-Sammt. S. 52); 3. über die verweigerte Abnahme oder Entlastung von Rechnungen der rechnungsführenden Beamten. Der Beschluß zu 2 und 3 ist, vorbehaltlich des ordentlichen Rechts­ weges, endgültig.

§ 55 c.1) Beschwerden bei den Aufsichtsbehörden in Angelegen­ heiten der Amtsverbände sind in allen Instanzen innerhalb zwei Wochen anzubringen. Amtsvorsteher.

a) Berufung desselben. § 56. Der Amtsvorsteher wird von dem Oberpräsidenten ernannt. Die Ernennung erfolgt auf Grund von Vorschlägen des Kreistages, in welche aus der Zahl der Amtsangehörigen die zu Amtsvorstehern be­ fähigten Personen aufzunehmen sind. Lehnt ein Kreistag die Aufforderung des Oberpräsidenten zur Ver­ vollständigung dieser Vorschläge ab, so hat der Provinzialrat auf Antrag *) Der Abs. 1 ist aufgehoben durch § 5 ZustG.; Abs. 2 im Text.

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C. Kreis- und Provinzialrecht.

des Oberprüsidenten darüber zu beschließen, ob und welche Personen nach­ träglich in die Vorschlagsliste auszunehmen sind. Die Ernennung erfolgt auf sechs Jahre. Der Amtsvorsteher wird von dem Landrate vereidigt. In denjenigen Amtsbezirken, welche nur auS einer Gemeinde oder einem selbständigen Gutsbezirke bestehen, ist der Gemeinde- bezw. Guts­ vorsteher zugleich Amtsvorsteher.

b) Stellvertretung desselben.

§ 57. Für jeden Amtsbezirk wird nach den für die Ernennung deS Amtsvorstehers geltenden Bestimmungen (§ 56) ein Stellvertreter des letzteren ernannt. Ist der Amtsvorsteher an der Wahrnehmung seiner Amtsgeschäfte verhindert, so hat der Stellvertreter dieselben zu übernehmen; der Landrat ist hiervon zu benachrichtigen, sobald die Verhinderung länger als drei Tage dauert. Erledigt sich das Amt des Amtsvorstehers, so tritt bis zur Ernennung seines Nachfolgers der Stellvertreter für ihn ein. Findet sich im Amtsbezirke keine zur Ernennung als Stellvertreter geeignete Person, so hat der Kreisausschuß die Stellvertretung einstweilen einem der benachbarten Amtsvorsteher, oder, nach vorherigem Einvernehmen mit der städtischen Vertretung, dem Bürgermeister einer benachbarten Stadt zu übertragen. Eine gleiche Anordnung erfolgt für den Fall des gleich­ zeitigen Abganges oder der gleichzeitigen Behinderung des Amtsvorstehers und seines Stellvertreters. Ist der Amtsvorsteher bei der Erledigung eines Amtsgeschästes per­ sönlich beteiligt, so hat der Kreisausschuß den Stellvertreter oder einen der benachbarten Amtsvorsteher, beziehungsweise Bürgermeister, damit zu betrauen. In den Gemeinden, welche einen eigenen Amtsbezirk bilden, vertritt nach der Bestimmung des Kreisausschusses einer der Schöffen den Gemeinde­ vorsteher in seiner Eigenschaft als Amtsvvrsteher. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist der Beschluß des Kreis­ ausschusses endgültig. Bestellung kommissarischer Amtsvorsteher.

5 58. Ist nach der Erklärung des Kreistages für einen Amtsbezirk weder eine zum Amtsvorsteher geeignete Person zu ermitteln, noch die zeit­ weilige Wahrnehmung der Amtsverwaltung durch den Vorsteher eines be­ nachbarten Amtsbezirks oder durch den Bürgermeister einer benachbarten Stadt tunlich, so bestellt der Oberpräsident auf Vorschlag des KreisauSschusseS einen kommissarischen Amtsvorsteher. Für die Uebernahme der Verwaltung eines benachbarten Amtsbezirkes durch einen Bürgermeister ist die Zustimmung der städtischen Vertretung erforderlich. Sofern die Verhältnisse eS gestatten, kann ein kommissarischer AmtSvorsteher mit der Verwaltung zweier oder mehrerer Amtsbezirke gleichzeitig beauftragt werden.

1. Kreisordnung für die Provinzen Ost» u. Westpreutzen rc.

§§ 56—65.

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Obliegenheiten des Amtsvorstehers.

§ 59. Der Amtsvorsteher verwaltet: 1. die Polizei, insbesondere die Sicherheits-, Ordnungs-, Sitten-, Gesnndheits-, Gesinde-, Armen-, Wege-, Wasser-, Feld-, Forst-, Fischerei-, Gewerbe-, Bau-, Feuerpolizei usw., soweit sie nicht durch besondere Gesetze dem Landrate oder anderen Beamten übertragen ist; 2. die sonstigen öffentlichen Angelegenheiten des Amtes nach näherer Vorschrist dieses Gesetzes. Unter der nach Ziffer 1 dem Amtsvorsteher übertragenen Wasser­ polizei ist die Strom-, Schisfahrts- und Hasenpolizei nicht begriffen.

§ 60. Der Amtsvorsteher hat das Recht und die Pflicht, da, wo die Erhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit sein Einschreiten notwendig macht, das Erforderliche anzuordnen und ausführen zu lassen. § 61. Der Kreisausschuß bestimmt endgültig denjenigen AmtSvorsteher, beziehungsweise Bürgermeister, welcher die in Bezug auf die öffentlichen Wege notwendigeit Anordnungen zu treffen hat, wenn die Be­ teiligten verschiedenen Amtsbezirken, beziehungsweise Amts- und Stadtbezirken angehören. Diese Bestimmung findet gleichmäßig Anwendung auf die in Vorflnts- und anderen polizeilichen Angelegenheiten zu treffenden Anordnungen. § 62. Das durch die §§ 5 ff. des Gesetzes vont 11. März 1850 (Gesetz-Samml. S. 265) der Ortspoltzeibehörde für den Umfang einer Gemeinde erteilte Recht zum Erlaß von Polizeistrafverordnungen wird auf den Amtsvorsteher mit der Maßgabe übertragen, daß er nicht nur für den Umfang einer einzelnen Gemeinde oder eines einzelnen Guts­ bezirks, sondern auch für den Umfang mehrerer Gemeinden oder Guts­ bezirke und für den Umfang des ganzen Amtsbezirks unter Zustimmung des Amtsausschusses, auch im Falle des § 7 des Gesetzes, derartige Ver­ ordnungen zu erlassen befugt ist. Versagt der Amtsausschuß die Zustimmung, so kann dieselbe auf Antrag des Amtsvorstehers durch Beschluß des Kreisausschusses ergänzt werden. Der Beschluß ist endgültig. § 63. Der Amtsvorsteher hat in den seiner Verwaltung anheim­ fallenden Angelegenheiten das Recht der vorläufigen Straffestsetzung, nach den Vorschriften des Gesetzes vom 23. April 1883 (Gesetz-Samml. S. 65).

§ 64.') D ienstliche Stellung

der Gemeinde-

und Gutsvorstände,

sowie der Gendarmen zu dem Amtsvorsteher.

§ 65. Die Gemeinde- und Gutsvorsteher sind verbunden, den An­ weisungen und Aufträgen des Amtsvorstehers, welche derselbe in Gemäßheit seiner gesetzlichen Befugnisse in Dienstangelegenheiten an sie erläßt, nach*) Fortgesallen durch GVG. §§ 25 ff., 143 ff.

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C. Kreis- und Provinzialrecht.!

zukommen, und können hierzu von ihm unter Anwendung der den Orts­ polizeibehörden nach § 132 des Gesetzes über die allgemeine Landesver­ waltung vom 30. Juli 1883 (Gesetz-Samml. S. 195) zustehenden Zwangs­ mittel, mit Ausnahme der Haststraje, angehalten werden. Ein Ordnungs­ strafrecht steht dem Amtsvorsteher gegen die Gemeinde- und Gutsvorsteher nicht zu. Die Gendarmen haben den Requisitionen des Amtsvorstehers in poli­ zeilichen Angelegenheiten zu genügen. Der Dienstaujsicht des Amtsvorstehers unterliegen sie nicht.

Dienstliche Stellung des Amtsvorstehers zu dem Landrate und dem Kreisausschuß.

§ 66. Der Landrat und der Kreisausschuß sind befugt, sür die Geschäite der allgemeinen Landes- und Kreiskommunalverwaltung, sowie bei Beaufsichtigung der Kommunalangelegenheiten der zu dem Amtsbezirke gehörigen Gemeinden und Gutsbezirke die vermittelnde und begutachtende Tätigkeit des Amtsvorstehers in Anspruch zu nehmen. K 67. Der Kreisausschuß beschließt über Beschwerden gegen 23er fügungen der Amtsvorsteher in nicht polizeilichen Angelegenheiten. Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Amtsvorsicher führt der Landrat als Vorsitzender des Kreisausschusses. Dien st vergehen des Anitsvorstehers.

§ 68. Bezüglich der Dienstvergehen der 2lmtsvorsteher finden die Bestimmungen des Gesetzes vom 21. Juli 1852, betreffend die Dienst­ vergehen der nichtrichterlichen Beamten (Gesetz-Samml. S. 465), mit folgenden Maßgaben Anwendung: 1. Ueber die Verhängung von Ordnungsstrafen gegen die Amtsvorsteher beschließt im Umfange des den Provinzialbehörden beigelegten Ordnungs­ strafrechtes der Kreisausschuß und im Umfange des dem Minister bei­ gelegten Ordnungsstrasrechtes der Regierungspräsident. Dem Land­ rate steht das Recht zur Verhängung von Ordnungsstrafen gegen die Amtsvorsteher nicht zu. Gegen den Beschluß des Kreisausschusses findet innerhalb zwei Wochen die Beschwerde an den Bezirksausschuß, gegen die Strafver­ fügungen des Regierungspräsidenten innerhalb gleicher Frist die Be­ schwerde an den Oberprüsidenten statt. Gegen den auf die Beschwerde ergehenden Beschluß des Bezirks­ ausschusses beziehungsweise des Oberpräsidenten findet innerhalb zwei Wochen die Klage bet dem Oberverwaltungsgerichte statt.

2. In dem auf Entfernung aus dem Amte gerichteten Verfahren wird die Einleitung des Disziplinarverfahrens von dem Landrate ober von dem Regierungspräsidenten verfügt und von demselben der Untersuchungskommissar, sowie der Vertreter der Staatsanwaltschajt sür die erste Instanz ernannt.

1. fireieorbmutg für die Provinzen Cft» u. Weiiprcußen ic. §§ 65—70 a.

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Di: entscheidende Behörde erster Instanz ist der Kreisausschutz, die entscheidende Behörde zweiter Instanz das Oberverwaltungsgericht. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei dem Oberverwaltungsgerichte wird von dem Minister des Innern ernannt. Kosten der Amtsverwaltung.

§ 69. Der Amtsvorsteher ist berechtigt, eine Amtsunkostenentschädigung zu beanspruchen, welche nach Anhörung der Beteiligten von dem Kreis­ ausschusse als ein Pauschquantum festgesetzt wird. In gleicher Weise erfolgt die Festjetzung der einem kommissarischen Amisvorsteher zu gewährenden Remuneration.

§ 70. Als Beitrag zu den Kosten der Amtsverwaltung überweist der Staat den Kreisen diejenigen Summen, welche er infolge des gegen­ wärtigen Gesetzes durch das Eingehen der Königlichen Polizeiverwaltungen, durch den Wegfall der Schulzenremunerationen und anderer Polizciverwaltungskosten an den im Ztaatshaushaltsetat für das Jahr 1873 für ebengenannte Zwecke veranschlagten Ausgaben fernerhin ersparen wird. sDie Verteilung des für jede Provinz fcstzustellenden Betrages auf die einzelnen Kreise erfolgt nach Maßgabe des Bedürfnisses durch die Provinzialvertretung, beziehungsweise durch eine von dieser zu erwählende KommissionI Der Gcsamtbeitrag, den der Staat nach Absatz l zu den Kosten der Amtsverwaltung zu leisten hat, wird den Landkreisen der Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen zu einer Hälste nach dem Maßstabe des Flächeninhalts, zur anderen Hälfte nach dem Maßstabe der durch die Zählung vom 1. Dezember 1871 festgestellten Zahl der Zivilbevölkerung überwiesen. Außerdem wird der Staat sür die den Kreisen beziehungsweise Amts­ bezirken durch die Wahrnehmung von Geschäften der Staatsverwaltung er­ wachsenden Ausgaben besondere Fonds überweisen. Das hierüber zu er­ lassende Gesetz *) wird über den Betrag und die Verteilung dieser Fonds nähere Anordnungen treffen. Soweit die Kosten der Amtsverwaltung durch die vom Staate über­ wiesenen Betrüge ihre Deckung nicht finden, trägt dieselbe das Amt. In den zusammengesetzten Amtsbezirken gilt für die Aufbringung der Verwaltungskvsten in Ermangelung citier Vereinbarung unter den Be­ teiligten der nach Maßgabe dieses Gesetzes in dem Kreise für die Kreis­ abgaben sestgestellte Maßstab. § 70 a. Aus Beschwerden und Einsprüche, betreffend: 1. das Recht zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtungen und An­ stalten des Amtsbezirkes, 2. die Heranziehung oder die Veranlagung zu den Kosten der Amts­ verwaltung oder zu anderen Amtsabgaben, beschließt — in zusammengesetzten Amtsbezirken — der Amtsausschuß. Beschwerden und Einsprüche der zu 2 gedachten Art sind innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Bekanntmachung der Abgabebeträge ’) Vgl. die DototionSgejetze vom 30. April 1873 und 8. Juli 1875.

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IX. Gruppt: Kommunalrecht.

C. Kreit- und Provinzialrecht.

bei dem Amtsvorsteher anzubringen. Einsprüche gegen die Höhe von Amts­ zuschlägen zu den direkten Staatssteuern, welche sich gegen den Prinzipal­ satz der letzteren richten, sind unzulässig. Gegen den Beschluß des Amtsausschusses findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem KreisauSschusse statt. Hierbei finden die Vorschriften des § 19 Absatz 3 Satz 2 Anwendung. Die Beschwerden und die Einsprüche, sowie die Klage, haben keine ausschiebende Wirkung.

§ 71. In denjenigen Gemeinden und Gutsbezirken, welche einen Amtsbezirk für sich bilden, werden die Kosten der Amtsverwallung gleich den übrigen Kommunalbedürfnissen ausgebracht. Solche Amtsbezirke haben keinen Anspruch auf die vom Staate gewährten Fonds.

§ 72. Unterläßt oder verweigert ein Amtsverband, die ihm ge­ setzlich obliegenden, von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zu­ ständigkeit festgestellten Leistungen auf den Haushaltsetat zu bringen oder außerordentlich zu genehmigen, so verfügt der Landiat unter Anführung der Gründe die Eintragung in den Etat, beziehungsweise die Feststellung der außerordentlichen Ausgabe. Gegen die Verfügung des Landrats steht dem Amtsverbande inner­ halb zwei Wochen die Klage bei dem Bezirksausschüsse zu. Zur Aus­ führung der Rechte des Amtsverbandes kann der Amtsausjchuß einen be­ sonderen Vertreter bestellen. Einnahmen aus Geldbußen und Konfiskaten.

% 73. Die von den Amtsvorstehern in Gemäßheit des Gesetzes vom 23. April 1883 (Gesetz Samml. S. 65) endgültig festgesetzten Geld­ bußen und Konfiskate, sowie die von denselben festgesetzten Exckutivgeldbußen werden — soweit nicht in Ansehung gewisser Ucbertretringen be­ sonders bestimmt ist, wohin die durch dieselben verwirkten Geldbußen oder Konfiskate fließen sollen — zur Amtskasse, beziehungsweise zu den Kassen der einen eigenen Amtsbezirk bildenden Gemeinden und Guttzbczirke vereinnahmt und zur Deckung der Kosten der Amtsverwaltung mitverwendet. Fünfter Abschnitt.

Von dem Amte des Laudrats.

Landrat. a) Ernennung desselben,

s 74.

Der Landrat wird vom Könige ernannt. Der Kreistag ist befugt, für die Besetzung des erledigten Landrats­ amtes geeignete Personen, welche seit mindestens eiuenl Jahre dein Kreise durch Grundbesitz oder Wohnsitz angehören, in Vorschlag zu bringen. Geeignet zur Bekleidung der Stelle eines Landrais sind diejenigen Personen, welche

1. die Befähigung zum höheren VerwaltungS- oder Justizdienste erlangt haben, oder

1. Kreisordnung für die Provinzen Ost- u. Westpreutzen rc.

§§ 70—83.

929

2. dem Kreise seit mindestens einem Jahre durch Grundbesitz oder Wohn­ sitz angehören und zugleich mindestens während eines vierjährigen Zeitraumes, entweder a) als Referendare im Vorbereitungsdienste bei den Gerichten und Ver­ waltungsbehörden oder b) in Selbstverwaltungsämtern des betreffenden Kreises, deS Bezirkes oder der Provinz, — jedoch nicht lediglich als Stellvertreter oder als Mitglieder von Kreiskommissionen tätig gewesen sind.

Auf den Zeitraum von vier Jahren kann den zu 2d bezeichneten Personen eine Beschästigung bei höheren Verwaltungsbehörden bis zur Dauer von zwei Jahren in Anrechnung gebracht werden. b) St ellvert retung desselben.

§ 75. Behufs Stellvertretung des Landrates werden von dem Kreistage aus der Zahl der Kreisangehörigen zwei Kreisdeputierte auf je sechs Jahre gewählt. Dieselben bedürfen die Bestätigung deS Ober­ präsidenten. Sie sind von dem Landrate zu vereidigen. Für kürzere Verhinderungsfälle kann der Kreissekretär als Stellver­ treter eintreten. c) Amtliche Stellung desselben. § 76. Der Lindrat führt als Organ der Staatsregierung die Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung im Kreise und leitet als Vor­ sitzender des Kreistages und des KreisausschuffeS die Kommunalverwal­ tung des KreiseS. d) Rechte und Pflichten desselben.

§ 77. Soweit die Rechte und Pflichten des Landrats nicht durch das gegenwärtige Gesetz abgeändert sind, behält es bei den darüber be­ stehenden Vorschriften auch ferner sein Bewenden. Demgemäß hat der Landrat auch ferner die gesamte Polizeiver­ waltung im Kreise und in dessen einzelnen Amtsbezirken, Gemeinden und Gutsbezirken zu überwachen. § 78.

Ersetzt durch § 142 LVG.f

Sechster Abschnitt.

von dem Zwangsverfahren der Behörden des Kreises. §§ 79

bis

83

Ersetzt durch §§ 127 ff., 132 ff. LVG.f.

5 [; c r; 5 e m I c, PcrwallunFSs.eseye für Preuven.

59

930

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreis- und Provinzialrecht.

Dritter Titel.

Von der Vertretung und Verwaltung des Kreises. Erster Abschnitt.

Von der Zusammensetzung des Kreistages. Zahl der Mitglieder des Kreistages.

§ 84. Die Kreisversammlung (Kreistag) besteht in Kreisen, welche unter Ausschluß der im aktiven Militärdienste stehenden Personen 25000 oder weniger Einwohner haben, aus 25 Mitgliedern. In Kreisen mit mehr als 25000 bis zu 100 000 Einwohnern tritt für jede Bollzahl von 5000 und in Kreisen mit mehr als 100 000 Einwohnern für jede über die letztere Zahl überschießende Dollzahl von 10 000 Einwohnern je ein Vertreter hinzu. Bildung von Wahlverbänden für die Wahl der Kreistags­ abgeordneten.

§ 85. Zum Zwecke der Wahl der Kreistagsabgeordneten werden Wahlverbände gebildet, und zwar: der Wahlverband der größeren ländlichen Grundbesitzer, der Wahlverband der Landgemeinden und der Wahlverband der Städte. In Kreisen, in welchen keine Stadtgemcinde vorhanden ist, scheidet der Wahlverband der Städte aus. Für Kreise, welche nur aus einer oder mehreren Städten bestehen, gelten die Vorschriften der §§ 169 und 171 bis 175 dieses Gesetzes. drei a) b) c)

Bildung des Wahlverbandes der größeren ländlichen Grundbesitzer.

§ 86. Der Wahlverband der größeren ländlichen Grundbesitzer besteht aus allen denjenigen zur Zahlung von Kreisabgaben verpflichteten Grundbesitzern, mit Einschluß der juristischen Personen, Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, welche von ihrem gesamten, auf dem platten Lande innerhalb des Kreises belegenen Grundeigentums [bcn] mit dem Betrage von mindestens 225 Mark [an] zur Grund- und Gebäudesteuer [entrichten, beziehungsweise zu entrichten haben würden, wenn sie nach Maß­ gabe der Gesetze vom 21. Mai 1861 (Gesctz-Samml. S. 253 und 317) zur Grund- beziehungsweise Gebäudesteuer veranlagt wären] veranlagt sind?) Nach Erlaß der Provinzialordnung bleibt den Provinzialvertretungen überlassen, für ihre Provinz oder auch für einzelne Kreise derselben den Betrag von 225 Mark auf den Betrag von 300 Mark zu erhöhen oder bis auf den Betrag von 150 Mark zu ermäßigen. Für einzelne Kreise der Provinz Sachsen darf diese Erhöhung bis zu dem Betrage von 450 Mark erfolgen. ’) G. wegen Aufhebung direkter Staatssteuern v. 14. Juli 1893 (GS. S. 119) § 5 Abs. 1.

1. Kreisordnung für die Provinzen Ost- u. Wefipreuhen ic

§§ 84—90.

931

Dem Wahlverbande der größeren ländlichen Grundbesitzer treten diejenigen Gewerbetreibenden und Bergwerksbesitzer hinzu, welche wegen ihrer auf dem platten Lande innerhalb des Kreises betriebenen gewerblichen Unternehmungen in den Klassen I oder II1) der Gewerbesteuer mit einem Steuerbetrage von 300 Mark veranlagt sind (§ 14 Absatz 4). Bildung des Wahlverbandes der Landgemeinden.

§ 87.

Der Wahlverband der Landgemeinden umfaßt: 1. sämtliche Landgemeinden des Kreises; 2. sämtliche Besitzer selbständiger Güter mit Einschluß der juristischen Personen, Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, welche nicht zu dem Verbände der größeren Grundbesitzer (§ 86) ge­ hören ; 3. diejenigen Gewerbetreibenden und Bergwerksbesitzer, welche wegen ihrer auf dem Platten Lande innerhalb des Kreises betriebenen gewerblichen Unternehmungen in den Klassen I oder II1) unter einem Steuerbetrage von 300 M veranlagt sind. Bildung des Wahlverbandes der Städte.

§ 88.

Der Wahlverband der Städte umfaßt die Stadtgemeinden

des Kreises?)

Verteilung der Kreistagsabgeordneten auf die einzelnen Wahlverbände.

§ 89. Die nach § 84 dieses Gesetzes jedem Kreise nach Maß­ gabe seiner Bcvölkerungsziffer zustehende Zahl von Kreistagsabgeordneten wird auf die drei Wahlverbände der größeren Grundbesitzer, der Land­ gemeinden und der Städte nach folgenden Grundsätzen verteilt: 1. Die Zahl der städtischen Abgeordneten wird nach dem Verhältnisse der städtischen und ländlichen Bevölkerung, wie dasselbe durch die letzte allgemeine Volkszählung fcstgestellt worden ist, bestimmt. Die Zahl der städtischen Abgeordneten darf die Hälfte, und in denjenigen Kreisen, in welchen nur eine Stadt vorhanden ist, ein Drittel der Gesamtzahl aller Abgeordneten nicht übersteigen. 2. Von der nach Abzug der städtischen Abgeordneten übrig bleibenden Zahl der Kreistagsabgeordneten erhalten die Verbände der größeren Grundbesitzer und der Landgemeinden ein jeder die Hälfte.

§ 90. Bleibt die vorhandene Zahl der in dem Wahlverbande der größeren Grundbesitzer Wahlberechtigten (8 86) in einem Kreise unter der ihrem Verbände nach § 89 zukommenden Abgeordnetenzahl, so wählt dieser Verband nur so viele Abgeordnete, als Wähler vorhanden sind, und fällt die demselben hiernach abgehende Zahl von Abgeordneten dem Wahlver­ bande der Landgemeinden zu. *) G. wegen Aufhebung direkter Staatssteuern D. 14. Juli 1893 (SS. S. 119) § 5 Abi. 1. ’) Nach G. v. 6. Juli 1900 (SS. S. 147) in den Kreisen Teltow und Nieder­ barnim auch die Landgemeinden mit mehr als 6000 Einwohnern.

932

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreis- und Provinzialrecht.

Verteilung der vom Wahlverbande der Landgemeinden zu wählenden Abgeordneten aus die einzelnen Wahlbezirke.

§ 91. Zum Zwecke der Wahl der von dem Verbände der Land­ gemeinden zu wählenden Abgeordneten werden, unter möglichster Anleh­ nung an die Amtsbezirke, in räumlicher Abrundung und nach Maßgabe der Bevölkerung Wahlbezirke gebildet, deren jeder die Wahl von einem bis zwei Abgeordneten zu vollziehen hat. Verteilung der vom Wahlverbande derStädte zu wählenden Abgeordneten aus die einzelnen Stadtgemeinden, bezie­ hungsweise Bildung von Städtewahlbezirken.

§ 92. Die Zahl der vom Wahlverbande der Städte überhaupt zu wählenden Kreistagsabgeordneten wird auf die einzelnen Städte des Kreises nach Maßgabe der Seelenzahl verteilt. Sind in einem Kreise mehrere Städte vorhanden, auf welche hier­ nach nicht je ein Abgeordneter fällt, so werden diese Städte behufs der Wahl mindestens eines gemeinschaftlichen Abgeordneten zu einem Wahl­ bezirke vereinigt. Ist in einem Kreise neben anderen großen Städten nur eine Stadt vorhanden, welche nach ihrer Seelenzahl nicht einen Abgeordneten zu wählen haben würde, so ist derselben gleichwohl ein Abgeordneter zu überweisen. Ausgleichung der sich bei der Verteilung der Kreistags­ abgeordneten ergebenden Bruchteile.

§ 93. Ergeben sich bei den nach Maßgabe der §§ 89 bis 92 des Gesetzes vorzunehmenden Berechnungen Bruchteile, so werden dieselben nur insoweit berücksichtigt, als sie 1lt erreichen oder übersteigen. llebersteigen sie 1li, so werden sie für voll gerechnet, kommen sie V* gleich, so bestimmt das Los, welchem der bei der Verteilung beteiligten Wahlverbände und Wahlbezirke, beziehungsweise welcher Stadtgememde der Bruchteil für voll gerechnet werden soll. Vollziehung der Wahlen in den Wahlverbänden der größeren Grundbesitzer.

§ 94. Zur Wahl der von dem Wahlverbande der größeren Grund­ besitzer zu wählenden Kreistagsabgeordneten treten die zu diesem Verbände gehörigen Grundbesitzer, Gewerbtreibenden und Bergwerksbesitzer in der Kreisstadt unter dem Vorsitze des Landrats zusammen. § 95. Bei dem Wahlakte hat jeder Berechtigte nur eine Stimme. Auch als Stellvertreter können Personen, welche bereits eine Stimme führen, ein ferneres Stimmrecht nicht ausüben. Ausgenommen sind die im § 97 Nr. 7 bezeichneten Vertreter.

§ 96. Das Recht zur persönlichen Teilnahme an den Wahlen (§ 94) steht vorbehaltlich der nachfolgenden besonderen Bestimmungen (§ 97) denjenigen Grundbesitzern, Gewerbtreibenden und Bergwerks­ besitzern zu, welche

1. firtiiorbnung für die Provinzen Ost- u. Westpreußen

k.

§§ 91—97.

933

a) Angehörige des Deutschen Reiches und selbständig sind. Als selbständig wird derjenige angesehen, welcher das 21. Lebens­ jahr vollendet hat, sofern ihm das Recht, über sein Vermögen zu verfügen und dasselbe zu verwalten, nicht durch gerichtliche Anord­ nung entzogen ist; b> sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden. Das Wahlrecht geht verloren, sobald eins der vorstehenden Erforder­ nisse bei dem bis dahin Wahlberechtigten nicht mehr zutrifft. Es ruht während der Dauer eines Konkurses, serner während der Dauer einer ge­ richtlichen Untersuchung, wenn dieselbe wegen Verbrechen oder wegen solcher Vergehen, welche den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nach sich ziehen müssen oder können, eingeleitet oder wenn die gerichtliche Haft verfügt ist.

§ 97.

Durch Stellvertretung können sich an den Wahlen beteiligen:

1. der Staat durch einen Vertreter aus der Zahl seiner Beamten, seiner Domänenpüchter oder der ländlichen Grundbesitzer des Kreises; 2. juristische Personen, Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften aus Aktien durch einen Pächter oder mit Generalvollmacht versehenen Administrator eines im Kreise belegenen größeren Gutes, oder durch einen Vertreter aus der Zahl der ländlichen Grundbesitzer des Kreises; Korporationen sind befugt, sich nach Maßgabe ihrer Statuten oder Verfassungen vertreten zu lassen;

3. Eltern durch ihre Söhne, welchen sie die Verwaltung selbständiger Güter dauernd übertragen haben; 4. unverheiratete Besitzerinnen durch Vertreter aus der Zahl der länd­ lichen Grundbesitzer des Kreises;

5. die Mitglieder regierender Häuser durch ein Mitglied ihrer Familie oder einen Vertreter aus der Zahl ihrer Beamten, ihrer Gutspächter oder der ländlichen Grundbesitzer des Kreises;

6. die gemeinschaftlichen Besitzer eines größeren Grundeigentums (§ 86) durch einen Mitbesitzer beziehungsweise die Teilnehmer eines gewerb­ lichen Unternehmens durch einen derselben; 7. Ehefrauen, sowohl groß- wie minderjährige, können durch ihren Ehe­ mann, Kinder unter väterlicher Gewalt durch ihren Vater, bevor­ mundete Personen durch ihren Vormund oder Pfleger vertreten werden. Wird die Vormundschaft oder Pflegschaft von weiblichen Personen gesührt, so kann deren Vertretung nach Maßgabe der Be­ stimmung unter 4 erfolgen,

insofern die unter Nr. 2 genannten Berechtigten im Deutschen Reiche ihren Sitz haben und die unter Nr. 3 bis 7 genannten Berechtigten Angehörige des Deutschen Reiches sind und sich im Genusse der bürgerlichen Ehren­ rechte befinden. Die Vertreter, mit Ausnahme der unter Nr. 7 bezeichneten, müssen in dem Kreise entweder einen Wohnsitz haben oder in demselben Grund­ eigentum besitzen. Außerdem gelten für die Vertreter die Grundsätze, welche der § 96 für die Wahlberechtigung vorschreibt.

934

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreis- und Provinzialrecht.

Vollziehung der Wahlen in den Wahlbezirken des Der bände« der Landgemeinden.

§ 98. In jedem Wahlbezirke des Wahlverbandes der Land­ gemeinden wird die Wahlversammlung gebildet: 1. durch Vertreter der einzelnen Landgemeinden; 2. durch die Besitzer der in dem Bezirke liegenden selbständigen Güter, welche nicht zu den größeren Grundbesitzern (§ 86) gehören; 3. durch diejenigen Gewerbtreibenden und Bergwerksbesitzer, welche wegen ihrer aus dem platten Lande innerhalb des Kreises betriebenen ge­ werblichen Unternehmungen in den Klassen 1 und II der Gewerbe­ steuer mit einem Steuerbetrag von weniger als 300 M veranlagt sind?) Aus die in den Nr. 2 und 3 erwähnten Wahlberechtigten finden die Bestimmungen der §§ 95 bis 97 Anwendung.

§ 99. Befinden sich in einem Wahlbezirke zwei oder mehrere Güter (§ 98 Nr. 2), deren jedes zu weniger als 60 M Grund- und Gebäudesteuer veranlagt ist, so werden die Besitzer derselben nach Anordnung des Kreisausschusses dergestalt zu Gesamt- (Kollektiv-) Stimmen vereinigt, daß auf jede Stimme, soweit möglich, ein Grund- und Gebäudesteuer­ betrag von 60 M entfällt. Der Kreisausschuß regelt die Art, in welcher das Kollektivstimmrecht ausgeübt wird. 1. 2. 3. 4. 5.

§ 100. Die Vertretung der Landgemeinden erfolgt bei Gemeinden: von weniger als 400 Einwohnern durch einen Wahlmann, von 400 und weniger als 800 Einwohnern durch zwei, von 800 und weniger als 1200 Einwohnern durch drei, von 1200 und weniger als 2000 Einwohnern durch vier, von 2000 und weniger als 3000 Einwohnern durch fünf Wahl­ männer, und für jede fernere Vollzahl von 1000 Seelen durch einen ferneren Wahlmann.

Die Wahlmänner der Landgemeinden werden von der Gemeinde­ versammlung, in denjenigen Landgemeinden aber, in welchen eine gewählte Gemeindevertretung besteht oder eingesührt wird, von der letzteren und dem Gemeindevorstande aus der Zahl der stimmberechtigten Gemeinde­ mitglieder durch absolute Stimmenmehrheit gewählt. Die Wahlen erfolgen nach näherer Vorschrift des diesem Gesetze bei gefügten Wahlreglements. Ausgeschlossen von der Teilnahme an der Wahl in der Gemeindeversammlung sind diejenigen, welche zum Wahlverbande der größeren Grundbesitzer gehören.

§ 101. Befinden sich in einem Wahlbezirke zwei oder mehrere Gemeinden, deren jede weniger als 60 M Grund- und Gebäudesteuer entrichtet und weniger als 100 Einwohner zählt, so werden dieselben nach Anordnung des KreiSauSschusseS in gleicher Weise, wie die Besitzer der im § 99 gedachten Güter, zu Gesamt- (Kollektiv-) Stimmen vereinigt. *) Vgl. Anm. 1 zu § 86.

1. Kreitordnung für die Provinzen Ost- u. Westpreußen ic. §§ 98—106.

935

§ 102. Wer als Besitzer eines selbständigen Guts, als Gewerbtreibender oder Bergwerksbesitzer zur Teilnahme an den Wahlen im Ver­ bände der Landgemeinden persönlich berechtigt ist (§ 98 Nr. 2 und 3), darf die auf ihn gefallene Wahl als Wahlmann einer Landgemeinde ab­ lehnen. Nimmt er die Wahl an, so ist er zur Ausübung seines persön­ lichen Wahlrechts nicht befugt. Dagegen wird durch die Ausübung eines Wahlrechts als Wahlmann einer Landgemeinde die Ausübung des persönlichen Wahlrechts im Ver­ bände der größeren Grundbesitzer nicht ausgeschlosien.

§ 103. Die Vertreter der Gemeinden des Wahlbezirks, die Besttzer der zu dem letzteren gehörigen selbständigen Güter und die wahl­ berechtigten Gewerbetreibenden und Bergwerksbesitzer treten unter der Leitung des Landrats oder in dessen Auftrage eines Amtsvorstehers an dem von dem Kreisausschusse zu bestimmenden Wahlorte behufs der Wahl der Kreistagsabgeordneten zusammen. Vollziehung der Wahlen in den Städten bzw. Städtewahl­ bezirken.

H 104. Die Wahl der städtischen Kreistagsabgeordneten erfolgt in denjenigen Städten, welche für sich einen oder mehrere Abgeordnete zu wählen haben, durch den Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung, beziehungsweise das bürgerschastliche Repräsentantenkollegium, welche zu diesein Behufe unter dem Vorsitze des Bürgermeisters zu einer Wahl­ versammlung vereinigt werden. In denjenigen Städten, welche mit anderen Städten des Kreises zu einem Wahlbezirke vereinigt sind, haben der Magistrat und die Stadt­ verordneten beziehungsweise die bürgerschaftlichen Repräsentanten in ver­ einigter Sitzung auf je 250 Einwohner einen Wahlmann zu wählen. Durch statutarische Anordnung des Kreistages kann jene Zahl erhöht werden. Die Wahlmänner des Wahlbezirks treten unter Leitung des Land­ rats an dem von dem KreiSauSschusse zu bestimmenden Wahlorte zur Wahl der Abgeordneten zusammen.

§ 105. Die nach den vorstehenden Bestimmungen vorzunehmenden Wahlen erfolgen nach näherer Vorschrift des diesem Gesetze beigesügten Wahlreglements. Wählbarkeit zum Wahlmanne und zum Kreistagsabgeordneten.

§ 106. Wählbar zum Mitglieds des Kreistages und beziehungs­ weise zum Wahlmanne ist: 1. im Wahlverbande der Städte jeder Einwohner der im Kreise belegenen Städte, welcher sich im Besitze des Bürgerrechts befindet;

2. in den Wahlverbänden der größeren Grundbesitzer, sowie der Land­ gemeinden, ein jeder seit einem Jahr in dem Kreise angesessene länd­ liche Grundbesitzer, sowie ein jeder, welcher in einer Versammlung dieser Verbände ein Wahlrecht ausübt und seit einem Jahre in dem Kreise einen Wohnsitz hat.

938

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreis- und Provinzialrecht.

Für die Wählbarkeit zum Wahlmanne und zum Abgeordneten gelten die im § 96 für die Wahlberechtigung gegebenen Bestimmungen. Dauer der Wahlperiode der Kreistagsabgeordneten.

§ 107.

Die Kreistagsabgeordneten werden auf sechs Jahre gewählt. Alle drei Jahre scheidet die Hälfte der Abgeordneten eines jeden Wahlverbandes aus und wird durch neue ersetzt. Ist diese Zahl nicht durch zwei teilbar, so scheidet das erste Mal die nächstgrößere Zahl aus. Die das erste Mal Ausscheidenden werden durch das Los bestimmt, welches der Landrat auf dem Kreistage zu ziehen hat. Die Ausscheidenden können wiedergewählt werden.

Ergänzungs- und Ersatzwahlen der Kreistagsabgeordneten

§ 108. Die Wahlen zur regelmäßigen Ergänzung des Kreistages finden alle drei Jahre im Monat November statt, sofern nicht durch statutenmäßige Anordnung seitens des Kreistages ein anderer Termin be­ stimmt wird. Die Wahlen in dem Verbände der Landgemeinden erfolgen vor den Wahlen in dem Verbände der größeren Grundbesitzer. Ergänzungs- und Ersatzwahlen werden von denselben Wahlverbänden, Stadtgemeinden und Wahlbezirken vorgenommen, von denen der Aus­ scheidende gewählt war. Wo in städtischen oder ländlichen Wahlbezirken die Wahl von Wahlmännern durch dieses Gesetz vorgeschrieben ist (§§ 100 und 104), erfolgt dieselbe aufs neue vor jeder Wahl, mit Ausnahme der Ersatz­ wahlen, bei welchen die früheren Wahlmänner fungieren. Der Ersatzmann bleibt nur bis zum Ende derjenigen sechs Jahre in Tätigkeit, für welche der Ausgeschiedene gewählt war. Einführung der Kreistagsabgeordneten.

§ 109. Die bei der regelmäßigen Ergänzung neugewählten KreistagSabgeordneten treten, sofern nicht durch statutarische Anordnung ein anderer Termin bestimmt wird, ihr Amt mit dem Ansange des nächstfolgenden Jahres an; die Ausscheidenden bleiben bis zur Einführung der neugewählten Mitglieder in Tätigkeit. Die Einführung der Gewählten erfolgt durch den Dorfitzenden des Kreistages. Ausstellung von Verzeichnissen der Wahlberechtigten.

§ 110. Für jeden Kreis werden alle drei Jahre vor jeder neuen Wahl der Kreistagsabgeordneten: 1. ein Verzeichnis der zum Wahlverbande der größeren Grundbesitzer gehörigen Grundbesitzer, Gewerbtreibenden und Bergwerksbesitzer unter Angabe der in dem § 86 enthaltenen Merkmale, 2. ein Verzeichnis der zum Wahlverbande der Landgemeinden gehörigen Besitzer selbständiger Gutsbezirke und wahlberechtigten Gewerbtreibenden und Bergwerksbesitzer unter Angabe der in den §§ 87, 98 und 99 enthaltenen Merkmale,

1. KreiSordnung für die Provinzen Ost- u. Westpreußen rc. §§ 106—112a.

937

3. ein Verzeichnis der Landgemeinden unter Angabe der Zahl der von jeder einzelnen Gemeinde oder von den zu einer Kollektivstimme ver­ einigten Gemeinden zu wählenden Wahlmänner (§ 100 und 101) durch den Kreisausschuß ausgestellt und durch das Kreisblatt, oder, wo ein solches nicht besteht, durch das Amtsblatt zur öffentlichen Kenntnis gebracht. Anträge auf Berichtigung diejes Verzeichniffes sind binnen einer Frist von vier Wochen nach Ausgabe des Blattes, durch welches das Verzeichnis veröffentlicht worden ist, bei dem Kreisausschusse anzubringen, welcher dar­ über beschließt. Gegen den Beschluß findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Bezirksausschüsse statt. Aufstellung des Verteilungsplanes.

§ 111. Die Verteilung der Kreistagsabgeordneten auf die einzelnen Wahlverbände (§§ 89 und 90), die Bildung von Wahlbezirken für die Landgemeinden und die zum Verbände derselben gehörigen selbständigen Gutsbezirke, Gewerdtreibenden und Bergwerksbesitzer, sowie die Verteilung der Abgeordneten der Landgemeinden auf dieselben (§ 91), ingleichen die Verteilung der städtischen Abgeordneten auf die einzelnen Städte, beziehungs­ weise die Bildung von Städtewahlbezirken (§ 92), erfolgt aus den Vor­ schlag des Kreisausschusses durch den Kreistag und ist durch das Kreis­ beziehungsweise Amtsblatt zur öffentlichen Kenntnis zu bringen. § 112. Die nach den Vorschriften des § 111 sestgestellte Verteilung der Abgeordneten bleibt das erste Mal für drei Jahre, sodann für einen Zeitraum von je zwölf Jahren maßgebend. Nach dessen Ablauf wird sie durch den Kreisausschuß einer Revision unterworfen und der Beschluß des Kreistages über die etwa nach Maßgabe der Vorschriften der §§ 84, 89 bis 93 notwendigen Abänderungen eingeholt. In der Zwischenzeit erfolgt eine Revision nur: 1. wenn die Zahl der Städte des Kreises sich vermehrt oder vermindert, oder wenn eine Stadt in Gemäßheit des 8 4 aus dem Kreisverbande ausscheidet. In diesen Fällen ist alsbald eine anderweite Verteilung der Abgeordneten auf die einzelnen Wahlverbünde und eine Neuwahl sämtlicher Kreistagsabgeordneten vorzunehmen; 2. wenn die Zahl der Berechtigten in dem Verbände der größeren Grund­ besitzer sich dergestalt vermehrt oder vermindert, daß nach § 90 die Zahl der diesem Verbände zukommenden Abgeordneten eine größere oder geringere wird, als bei der letzten Verteilung. In diesem Falle ist vor den nächsten regelmäßigen Ergänzungswahlen (§ 108) von dem Kreistage eine Berichtigung des Verteilungsplans vorzunehmen und sind sodann nach diesem berichtigten Verteilungsplan die erforder­ lichen Ergänzungs- beziehungsweise Neuwahlen zu vollziehen. § 112 a. Gegen die von dem Kreistage gemäß 88 111 und 112 wegen Verteilung der Kreistagsabgeordneten gefaßten Beschlüffe steht den Beteiligten innerhalb einer Frist von zwei Wachen nach Ausgabe des Blattes, durch welches die Verteilung bekannt gemacht worden ist, die Klage bei dem Bezirksausschüsse zu.

938

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreis, und Provinzialrecht.

Gegen die Endurteile des Bezirksausschusses findet sowohl in diesen, wie in den Fällen des § 110 Abs. 2 nur das Rechtsmittel der Revision statt.

Entscheidung über die Gültigkeit der Wahlen der KreiStagSabgeordneten.

§ 113. Gegen das zum Zwecke der Wahl der Kreistagsabgeordneten stattgehabte Wahlverfahren kann jedes Mitglied einer Wahlversammlung innerhalb zwei Wochen Einspruch bei dem Vorsitzenden des Wahlvorstander erheben. Die Beschlußfassung über den Einspruch, über welchen die Be­ teiligten vorab zu hören sind, steht dem Kreistage zu. Im übrigen prüft der Kreistag die Legitimation seiner Mitglieder von Amtswegen und beschließt darüber. Jede Wahl verliert dauernd oder vorübergehend ihre Wirkung, wen« sich ergibt, daß die für die Wählbarkeit vorgeschriebenen Bedingungen nicht vorhanden gewesen sind, oder wenn diese Bedingungen gänzlich oder zeit­ weise aufhören. Der Kreistag hat darüber zu beschließen, ob einer dieser Fülle eingetreten ist. Gegen die nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmungen gefaßten Beschlüße findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Bezirksausschüsse statt. Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung; jedoch dürfen bis zur rechtskräftigen Entscheidung Ersatzwahlen nicht stattfinden. Für das Streitverfahren kann der Kreistag einen besonderen Ver­ treter bestellen. Die Namen der Gewählten sind durch das Kreis- beziehungsweise Amtsblatt bekannt zu machen.

§ 114. Reisekosten.

Die

Kreistagsabgeordneten erhalten weder Diäten noch

Zweiter Abschnitt,

von den Versammlungen und Geschäften des Kreistages.

Geschäfte des Kreistages. s) Im allgem einen.

§ 115. Der Kreistag ist berufen, den Kreiskommunalverband zu vertreten, über die Kreisangelegenheiten nach näherer Vorschrift dieses Ge­ setzes, sowie über diejenigen Gegenstände zu beraten und zu beschließen, welche ihm zu diesem Behufe durch Gesetze oder Königliche Verordnungen überwiesen sind oder in Zukunft durch Gesetz überwiesen werden. b) Im besonderen.

§ 116. Insbesondere ist der Kreistag befugt: 1. nach Maßgabe des § 20 statutarische und reglementarische Anordnungen zu treffen; 2. zu bestimmen, in welcher Weise Staatsprästationen, welche kreisweise auszubringen sind, und deren Ausbringungsweise nicht schon durch das Gesetz vorgeschrieben ist, repartiert werden sollen.

1. Kreisordnung für di« Provinzen Ost- u. Westpreußm rc. §§ 112a—118.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

939

Bei der Bestimmung in § 5 Nr. 3 des Gesetzes wegen der Kriegsleistungen vom 11. Mai 1851 (Gesetz-Samml. S. 362) behält es sein Bewenden; Ausgaben zur Erfüllung einer Verpflichtung oder im Interesse des Kreises zu beschließen und zu diesem Behufe über das dem Kreise gehörige Grund- beziehungsweise Kapital­ vermögen zu verfügen, Anleihen aufzunehmen und die Kreis­ angehörigen mit Kreisabgaben zu belasten; innerhalb der Vorschriften der §§ 10 bis 18 den Verteilungs- und Aufbringungsmaßstab der Kreisabgaben zu beschließen; den Kreishaushaltsetat festzustellen und hinsichtlich der Jahresrechnung Decharge zu erteilen (§§ 127 und 129); die Grundsätze festzustellen, nach welchen die Verwaltung des dem Kreise gehörigen Grund- und Kapitalvermögens, sowie der Kreis­ einrichtungen und -Anstalten zu erfolgen hat; die Einrichtung von Kreisämtern zu beschließen, die Zahl und Be­ soldung der Kreisbeamten zu bestimmen; die Wahlen zum Kreisausschufle (§ 130) und zu den durch das Gesetz für Zwecke der allgemeinen Landesverwaltung angeordneten Kommissionen zu vollziehen, sowie besondere Kommissionen und Kommiflare für Kreiszwecke zu bestellen (§ 167). Für die Vollziehung dieser Wahlen gelten die Vorschriften des diesem Gesetze beigesügten Reglements. Gegen das stattgehabte Wahl­ verfahren kann jedes Mitglied des Kreistages bis zum Schlüsse des Kreistages Einspruch bei dem Vorsitzenden erheben. Die endgültige Beschlußfassung über den Einspruch steht dem Kreistage zu;

9. Gutachten über alle Angelegenheiten

abzugeben, die ihm zu diesem Behufe von den Staatsbehörden überwiesen werden; 10. die durch Gesetz oder Königliche Verordnung (§ 115) ihm übertragenen sonstige Geschäfte wahrzunehmen. Verfügung überFondS einzelner Kreisteile.

K 117. Ueber Fonds, welche der Gesamtheit des platten Landes oder der Städte gehören, steht den KreistagSabgeordneteu des platten Landes beziehungsweise der Städte die Verfügung allein zu. Insbesondere haben diejenigen Fonds, welche in der Kur- und Neu­ mark Brandenburg aus den Kontributionsüberschüssen angesammelt sind, die Kreistagsabgeordneten des platten Landes allein zu verfügen. Berufung des Kreistags und Leitung der Verhandlungen auf demselben.

§ 118. Der Landrat beruft die Kreistagsabgeordneten zum Kreis tage durch besondere Einladungsschreiben, unter Angabe der zu verhandelnden Gegenstände, führt auf demselben den Vorsitz, leitet die Verhandlungen und handhabt die Ordnung in der Versammlung. In Behinderungssällen übernimmt der dem Dienst- beziehungsweise Lebensalter nach älteste an­ wesende Kreisdeputierte den Vorsitz.

940

IX Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreir- und Prooinzialrecht.

Mit Ausnahme dringender Fälle, in welchen die Frist bis zu drei Tagen abgekürzt werden darf, muß die Einladung sämtlichen Kreistags­ abgeordneten mindestens 14 Tage vorher zugestellt werden. Gegenstände, die nicht in die Einladung zum Kreistage ausgenommen sind, können zwar zur Beratung gelangen, die Fassung eines bindenden Beschlusses über die­ selben dars jedoch erst auf dem nächsten Kreistage erfolgen. Anträge von Kreistagsabgeordneten auf Beratung einzelner Gegen­ stände sind bei dem Landrate anzubringen und in die Einladung zum nächsten Kreistage aufzunehmen, insofern sie vor Erlaß der Einladungs­ schreiben eingehen. Der Landrat ist verpflichtet, jährlich wenigstens zwei Kreistage anzuberaumen, außerdem aber ist er hierzu berechtigt, so oft es die Geschäfte erfordern. Die Zufammenberufung des Kreistages muß er­ folgen, sobald dieselbe von einem Viertel der Kreistagsabgeordneten oder von dem Kreisausschusse verlangt wird. Don einem jeden anzusetzenden Kreistage hat der Landrat dem Re­ gierungspräsidenten unter Einsendung einer Abschrift des Einladungsschreibens Anzeige zu machen. Abfassung besonderer Propositionen für den Kreistag und Zustellung derselben an die Kreistagsmitglieder.

§ 119. Soll auf dem Kreistage Beschluß gefaßt werden: 1. über die Festsetzung des Abgabenverteilungsmaßstabes in Gemäßheit des § 12,') 2. über Mehr- und Minderbelastungen einzelner Kreisteile in Gemäßheit des § 13,') 3. über solche Gegenstände, welche Kreisausgaben notwendig machen, die nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung des Kreises beruhen, so ist ein ausführlicher Vorschlag zu dem Beschlusse, welcher über a) den Zweck desselben, b) die Art der Ausführung, c) die Summe der zu verwendenden Kosten, d) die Ausbringungsweise das Nötige enthält, von dem Kreisausschusse auszuarbeiten und jedem Ab­ geordneten mindestens 14 Tage vor Abhaltung des Kreistages schriftlich zuzustellen. Die Frist darf bis zu drei Tagen abgekürzt werden, wenn einem Notstände vorgebeugt oder abgeholfen werden soll. Oesfentlichkeit der Kreistagssitzungen.

§ 120. Die Sitzungen des Kreistages sind öffentlich. Für einzelne Gegenstände kann durch einen in geheimer Sitzung zu fassenden Beschluß der Versammlung die Oeffentlichkeit ausgeschlossen werden. Beschlußfähigkeit des Kreistages.

§ 121.

Der Kreistag kann nur beschließen, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Eine Ausnahme hiervon findet statt, wenn die Mitglieder deS Kreistages, zum zweiten Male zur Verhandlung über denselben Gegenstand berufen, dennoch nicht in beschlußfähiger Anzahl

’) Vgl. jetzt Kr - u. ProvAbgG. §§ 1—20.

1. Kreisordnung für die Provinzen Ost- u. Westpreutzen ic

§§ 118—126.

941

erschienen sind. Bei der zweiten Zusammenberufung mutz auf diese Be­ stimmung ausdrücklich hingewiefen werden.

Ausschluß von den Verhandlungen des Kreistages wegen persönlichen Interesses.

§ 122. An Verhandlungen über Rechte und Verpflichtungen des Kreises darf derjenige nicht teilnehmen, dessen Interesse mit dem des Kreises in Widerspruch steht. Teilnahme der Mitglieder des Kreisausschusfle S an den Kreisversammlungen.

§ 123. Die Mitglieder des Kreisausschusses, welche nicht Mitglieder des Kreistages sind, werden zu den Versammlungen des Kreistages ein­ geladen und haben in denselben beratende Stimme. Fassung der Kreisbeschlüsse nach einfacher und zwei Drittel Stimmenmehrheit.

§ 124. Die Beschlüsse des Kreistages werden nach Mehrheit der Stimmen gefaßt. Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt. Zu einem Beschlusse, durch welchen eine neue Belastung der Kreis­ angehörigen ohne eine gesetzliche Verpflichtung oder eine Veräußerung vom Grund- oder Kapitalvermögen des Kreises bewirkt oder eine Veränderung des festgestellten Verteilungsmaßstabes für die Kreisabgaben (§ 12) ein­ geführt werden soll, ist jedoch eine Stimmenmehrheit von mindestens zwei Drittel der Abstiinmenden erforderlich. Abfassung und Veröffentlichung der Kreistagsprotokolle.

§ 125. Ueber die Beschlüsse des Kreistages ist eine besondere Ver­ handlung auszunehmen, in welcher die Namen der dabei anwesend ge­ wesenen Mitglieder aufgeführt werden müssen. Diese Verhandlung wird von dem Vorsitzenden und von wenigstens drei Mitgliedern des Kreistages vollzogen, welche zu diesem Behufe von der Versammlung vor dem Be­ ginne der Verhandlung zu bestimmen und in letzterer aufzuführen sind. Ueber die Wahl eines Protokollführers und die Formen der Ver­ handlungen bestimmt im übrigen die von dem Kreistage zu beschließende Geschäftsordnung. Der Inhalt der Kreistagsbeschlüsse ist, sofern der Kreistag nicht in einem einzelnen Falle etwas anderes beschließt, in einer von dem Kreis­ tage zu bestimmenden Weiie zur öffentlichen Kenntnis zu bringen. Dem Regierungspräsidenten ist eine Abschrift des Protokolls ein­ zureichen. Abfassung von Petitionen und Eingaben des Kreistages.

§ 126. Petitionen und Eingaben, welche namens des Kreistages in bezug auf die seiner Beschlußnahme unterliegenden Angelegenheiten 115 unb 116) überreicht werden sollen, müssen auf dem Kreistage selbst beraten und vollzogen werden. Daß dies geschehen, ist in dergleichen Eingaben ausdrücklich zu bemerken.

942

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreis- und Provinzialrecht.

Dritter Abschnitt. Von dem Kreishaushalte.

Aufstellung

und

Feststellung

des

Kreishaushalts-Etats.

§ 127. Ueber alle Einnahmen und Ausgaben, welche sich im voraus bestimmen lassen, entwirft der Kreisausschuß jährlich einen Haus­ haltsetat, weicher von dem Kreistage festgestellt und demnächst in der­ selben Weise, wie die Kreistagsbeschlüsse, veröffentlicht wird. Bei Vorlage des Haushaltsetats hat der Kreisausschutz dem Kreis­ tage über die Verwaltung und den Stand der Kreiskommunalangelegen­ heiten Bericht zu erstatten. Eine Abschrift des Etats und des Verwaltungsberichtes wird nach erfolgter Feststellung des ersteren sofort dem Regierungspräsidenten überreicht. Ausgaben, welche außer dem Etat geleistet werden sollen, bedürfen der Genehmigung des Kreistages. Revision der Kreiskommunalkasse.

§ 128. Die Kreiskommunalkasse mutz an einem bestimmten Tage in jedem Monate regelmäßig und mindestens einmal im Jahre außer­ ordentlich revidiert werden. Die Revisionen werden von dem Vorsitzenden des Kreisausschusses vorgenommen. Bei den außerordentlichen Revisionen ist ein von dem Kreisausschusse zu bestimmendes Mitglied desselben zuzuziehen. § 128 a. Der Bezirksausschuß beschließt, an Stelle der Aufsichts­ behörde, über die Feststellung und den Ersatz von Defekten der Kreis­ beamten nach Maßgabe der Verordnung vom 24. Januar 1844. Der Beschluß ist, vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges, endgültig.

Legung,

Feststellung und Entlastung der Jahres­ rechnung. § 129. Die Jahresrechnung ist von dem Rendanten der Kreiskommunalkasse innerhalb der ersten vier Monate nach Schluß des Rech­ nungsjahres zu legen unb dem Kre.sausjchusse einzureichen. Dieser hat die Rechnungen zu revidieren, solche mit seinen Erinnerungen und Be­ merkungen dem Kreistage zur Prüfung, Feststellung und Entlastung ein­ zureichen und demnächst einen Rechnungsauszug zu veröffentlichen. Der Kreistag ist befugt, diese Prüfung durch eine hiermit zu beauftragende Kommission bewirken zu lassen. Eine Abschrift des Feftstcllungsbeschlusscs ist sofort dem Regierungs­ präsidenten vorzulegen.

Prüfung,

Vierter Abschnitt,

von dem Kreisausschnitt, seiner Jusammrusrtzung und seinen Geschäften in der Kreiskommunal und allgemeinen tändesvrrwaltnng. Die Stellung des Kreisausschusses im allgemeinen.

§ 130. Zum Zwecke der Verwaltung der Angelegenheiten des Kreises und der Wahrnehmung von Geschäften der allgemeinen LandeSverwaltung wird ein KreiSausfchuß bestellt.

1. Kreiiordnung für die Provinzen Ost- u. Westpreußen ic.

§§ 127—134. 943

Die Zusammensetzung desselben.

§ 131, Der Kreisausschuß besteht aus dem Landrate und sechs Mitgliedern, welche von der Kreisversammlung aus der Zahl der Kreis­ angehörigen mit absoluter Stimmenmehrheit gewählt werden. Für die Wählbarkeit gelten die im § 96 für die Wahlberechtigung gegebenen Be­ stimmungen. Geistliche, Kirchendiener und Elementarlehrer können nicht Mitglieder deS Kreisausschusses sein; richterliche Beamte, zu denen jedoch die tech­ nischen Mitglieder der Handels-, Gewerbe- und ähnlicher Gerichte nicht zu zählen sind, nur mit Genehmigung des vorgesetzten Ministers. Bestellung eines Syndikus.

§ 132. Der Kreistag kann nach Bedürfnis einen Syndikus be­ stellen, welcher die Befähigung zum höheren Richteramte besitzt. Derselbe nimmt an den Sitzungen mit beratender Stimme teil. Amtsdauer,

Vereidigung und Dienstvergehen schußmitglieder.

der

Aus­

§ 133. Die Wahl der Ausschußmitglieder erfolgt auf sechs Jahre mit der Maßgabe, daß bei Ablauf der Wahlperiode die Mitgliedschaft im Ausschüsse bis zur Wahl des Nachfolgers sortdauert. Alle zwei Jahre scheidet ein Drittel der Mitglieder aus. Die das erstemal Ausscheidenden werden durch das Los bestimmt. Die Ausgeschiedenen können wieder­ gewählt werden. Jede Wahl verliert ihre Wirkung mit dem Aufhören einer der für die Wählbarkeit vorgeschriebenen Bedingungen. Der Kreis­ ausschuß hat darüber zu beschließen, ob dieser Fall eingetreten ist. Gegen den Beschluß des Kreisausschusses findet innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Bezirksausschüsse statt. Die Klage sieht auch dem Vorsitzenden des Kreisausschusses zu. Dieselbe hat keine aufschiebende Wirkung; jedoch dürfen bis zur rechtskräftigen Entscheidung Ersatzwahlen nicht stattfinden. Für das Streitverfahren kann der Kreisausschuß einen besonderen Ver­ treter bestellen. Die Ausschußmitglieder werden vom Vorsitzenden vereidigt. Sie können nach Maßgabe der Bestimmungen des § 39 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung im Wege des Disziplinarverfahrens ihrer Stellen enthoben werden.

DieGeschäfte des Kreisausschusses in der Kreiskommunalund in der allgemeinen Landesverwaltung. § 134.

Der Kreisausschuß hat:

1. die Beschlüsse des Kreistages vorzubereiten und auszuführen, soweit damit nicht besondere Kommissionen, Kommissorien oder Beamte durch Gesetz oder Kreistagsbeschluß beauftragt werden; 2. die Kreisangelegenheiten nach Maßgabe der Gesetze und der Beschlüsse des Kreistages, sowie in Gemäßheit des von diesem festzustellenden Kreishaushalts-Etats zu verwalten;

944

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreis, und Provinzialrecht.

3. die Beamten des Kreises zu ernennen und deren Geschäftsführung zu leiten und zu beaufsichtigen. Hinsichtlich der Besetzung der Kreisbeamtenstellen mit Militär­ invaliden gilt das Gesetz, betreffend die Besetzung der Subaltern- und Unterbeamtenstellen in der Verwaltung der Kommunalverbände mit Militäranwürtern, vom 21. Juli 1892 ; hinsichtlich der Dienstvergehen der Kreisbeamten finden die Bestimmungen des § 68 mit der Maß­ gabe Anwendung, daß das Recht zur Verhängung von Ordnungs­ strafen auch dem Landrate znsteht; 4. sein Gutachten über alle Angelegenheiten abzugeben, welche ihm von den Staatsbehörden überwiesen werden; 5. diejenigen Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung zu führen, welche ihm durch Gesetz übertragen werden.

§ 135.

sFortgesallrnj.

Der Landrat als Vorsitzender des Kreisausschusses.

§ 136. Ter Landrat leitet und beaussichtigt den Geschäftsgang deS Ausschusses und sorgt für die prompte Erledigung der Geschäfte. Der Landrat beruft den Kreisausschuß und führt in demselben den Vorsitz mit vollem Stimmrechte. Ist der Landrat verhindert, so geht der Vorsitz auf seinen Stellvertreter über. Ist dies der Kreissekretär. so führt nicht dieser, sondern das hierzu vom Ausschüsse gewählte Mitglied den Vorsitz.

§ 137. Der Landrat führt die lausenden Geschäfte der dem Aus­ schüsse übertragenen Verwaltung. Er bereitet die Beschlüsse des Ausschusses vor und trägt für die Ausführung derselben Sorge. Er kann die selb­ ständige Bearbeitung einzelner Angelegenheiten einem Mitgliede de8 Kreis­ ausschusses übertragen. Er vertritt den Kreisausschuß nach außen, verhandelt namens des­ selben mit Behörden und Privatpersonen, führt den Schriftwechsel und zeichnet alle Schriftstücke namens des Ausschusses. Urkunden über Rechtsgeschäfte, welche den Kreis gegen Dritte ver­ binden sollen, ingleichen Vollmachten, müssen unter Anführung des be­ treffenden Beschlusses des Kreistages beziehungsweise Kreisausschusses von dem Landrate und zwei Mitgliedern des Kreisausschusses, beziehungsweise der mit der Angelegenheit betrauten Kommission unterschrieben und mit dem Siegel des Landrats versehen sein. Das Verjähren vor dem Kreisausschusse.

§ 138. Die Anwesenheit dreier Mitglieder mit Einschluß des Vorsitzenden genügt für die Beschlußfähigkeit des Kreisausschusses. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt. Ist eine ge­ rade Zahl von Mitgliedern anwesend, so nimmt das dem Lebensalter nach jüngste gewählte Mitglied an der Abstimmung keinen Anteil.

§ 139. Betrifft der Gegenstand der Verhandlung einzelne Mit­ glieder des Kreisansschnsscs oder deren Verwandte und Verschwägerte in auf- oder absteigender Linie oder bis zu dem dritten Grade der Seiten-

1 Krtisordnung für bie Provinzen Ost- u. Westpreuhen rc.

§§ 134—169.

945

linie, so dürfen dieselben an der Beratung und Entscheidung nicht teilnehinen. Ebensowenig dürsen die Mitglieder des Kreisausschusses bei der Beratung und Entscheidung solcher Angelegenheiten mitwirken, in welchen sie in anderer als öffentlicher Eigenschaft ein Gutachten abgegeben haben oder in anderer als öffentlicher Eigenschaft tätig gewesen sind. Wird dadurch ein Kreisausschuß beschlußunfähig, so erfolgt, soweit es sich um Kreiskommunalangelegenheiten handelt, die Beschlußfassung durch den Kreistag?)

§§ 140 bis 163. sErseht durch §§ 50-126 LBG.j. § 164. Soweit die eigenen Einnahmen deS Kreisausschusses und die vom Staate hierzu nach § 70 zu überweisenden Beiträge nicht aus­ reichen, werden die Kosten, welche die Geschäftsverwaltung desselben ver­ ursacht, von dem Kreise getragen. Die Mitglieder des Kreisausschusses erhalten eine ihren baren Aus­ lagen entsprechende Entschädigung. Ueber die Höhe derselben beschließt der Kreistag.

§ 165. § 166.

(Hortgefallen infolge der §§ 50—126 LAG.)

Im übrigen wird der Geschäftsgang bei den Kreisaus­ schüssen durch ein von dem Minister des Innern zu erlassendes Regulativ geordnet.

Fünfter Abschnitt.

Von den Lreiskommisliouen. § 167. Für die unmittelbare Verwaltung und Beaufsichtigung einzelner Kreisinstitute, sowie für die Besorgung einzelner Kreisangelegen­ heiten kann dcr Kreistag nach Bedürfnis besondere Kommissionen oder Kommissare aus der Zahl der Kreisangehörigen bestellen, welche ebenso, wie die durch das Gesetz für Zwecke der allgemeinen Landesverwaltung angeordneten Kommissionen, ihre Geschäfte unter der Leitung des Land­ rats besorgen. Der Landrat ist befugt, jederzeit den Beratungen der Kreiskom­ missionen beizuwohnen und dabei den Vorsitz mit vollem Stimmrechte zu übernehmen, soweit nicht hierüber hinsichtlich der für Zwecke der allge­ meinen Landesverwaltung angeordneten Kommissionen etwas anderes ge­ setzlich bestimmt ist. § 168. Ueber die Gewährung von Diäten und Reisekosten an die Mitglieder der Kreiskommissionen zu bestimmen, bleibt dem Kreistage überlassen. Vierter Titel.

Bon de« Stadtkreise«. § 169. In denjenigen Kreisen, welche nur aus einer Stadt be­ stehen (Stadtkreise), werden die Geschäfte des Kreistages und des Kreis*) Vgl. § 62 Avs. 3, § 116 LVG. 2 lier - Soinl O, Verwaltun^sgesetze für Preußen.

946

IX. Gruppe: Kommunalrecht.

C. Kreis- und Provinziolrecht.

«usfchuffeS, die des letzteren, soweit sich dieselben aus die Verwaltung der Kreiskommunalangelegenheiten beziehen, von den städtischen Behörden nach den Vorschriften der Städteordnung wahrgenommen. Die Bestimmungen des zweiten Abschnittes des ersten Titels finden auf Stadtkreise keine Anwendung.

§ 170. In den Stadtkreisen tritt an die Stelle des Kreisausschusies zur Wahrnehmung von Geschästen der allgemeinen Landesverwal­ tung in den durch die Gesetze bezeichneten Fällen der nach den Vorschriften der §§ 37 ff. des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung gebildete Stadtausichuß?) Fünfter Titel.

Von der Oberaufsicht über die Kreisverwaltung. Genehmigung der Kreistagsbeschlüsse.

§ 176. Beschlüsse des Kreistages, welche solgende Angelegenheiten betreffen: 1. statutarische Anordnungen nach Maßgabe des § 20 Nr. 1, [2 3.

Mehr- oder Mmderbelanung einzelner Kreisleile (§ 13), eine Belastung der Kr-isanuehöngen durch Kreisadguden über 50 Prozent (Nesomtuufkommens der direkten Lloatssteuern.j

M

4. Veräußerungen von Grundstücken und Jmmobiliarrechten des Kreises, 5. Anleihen, durch welche der Kreis mit einem Schuldenbestande belastet oder der bereits vorhandene Schuldenbestand vergrößert werden würde, sowie die Uebernahme von Bürgschasten auf den Kreis, 6. eine neue Belastung der Kreisangehörigen ohne gesetzliche Verpflichtung, insosern die aufzubringenden Leistungen über die nächsten süns Jahre hinaus sortdauern sollen, bedürfen in den Fällen zu 1 der landesherrlichen Genehmigung, in den Fällen zu 2 der Bestätigung des Ministers des Innern, in den Fällen zu 3 der Bestätigung des Ministers des Innern und der Finanzen, in den übrigen Fällen der Bestätigung des Bezirksausschusses. Ohne die vorgeschriebene Bestätigung sind die betreffenden Beschlüffe deS Kreistages nichtig. Aufsichtsbehörden.

§ 177. Die Aussicht des Staates über die Verwaltung der An gelegenheiten der Landkreise wird von dem Regierungspräsidenten, in höherer und letzter Instanz von dem Oberpräsidenten geübt, unbeschadet der in den Gesetzen geordneten Mitwirkung des Bezirksausschusses und des Pro­ vinzialrates. Beschwerden an die Aufsichtsbehörde in Kreisangelegenheiten sind in allen Instanzen innerhalb zwei Wochen anzubnngen.

§ 177 a. Die Aufsichtsbehörden haben mit den ihnen in den Ge­ setzen zugewiesenen Mitteln darüber zu wachen, daß die Verwaltung den •) Tie besonderen Bestimmungen für den Stadtkreis Magdeburg §§ 171—175 find veraltet ’i Ersetzt durch Kr.» u. ProvAbgG. § 9 Nr 4, 5.

1. Nreiiiordnung für die Provinzen Ost- u. Westpreußen rc.

§§ 169—182.

947

Vorschriften der Gesetze gemäß geführt und in geordnetem Gange er­ halten werde. Die Aufsichtsbehörden sind zu dem Ende befugt, über alle Gegen­ stände der Verwaltung Auskunft zu erfordern, die Einsendung der Akten, insbesondere auch der Haushaltsetats und der Jahresrechnungen zu ver­ langen, sowie Geschäfts- und Kassenrevisionen an Ort und Stelle zu ver­

anlassen.

§ 178 Beschlüsse des Kreistages, der Kreiskommissionen, sowie in Kommunalangelegenheiten des Kreises gefaßte Beschlüsse des KreiSauSschussls, welche deren Befugnisse überschreiten oder die Gesetze verletzen, hat der Landrat, entstehendei.falles aus Anweisung der Aufsichtsbehörde, unter Angabe der Gründe, mit ausschiebender Wirkung zu beanstanden. Gegen die Versügung des Landrats steht dem Kreistage, der Kreis­ kommission beziehungsweise dem Kreisausschusse innerhalb zwei Wochen die Klage bei dem Bcziiksausschusse zu. Dieselben können zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verwaltungsstreitverfahren einen besonderen Vertreter bestellen. Auflösung

des Kreista ges durch Königliche Verordnung.

§ 179. Auf den Antrag des Staatsministeriums kann ein Kreis­ tag durch Königliche Verordnung aufgelöst werden. Es sind sodann Neu­ wahlen anzuordnen, welche binnen sechs Monaten, vom Tage der Auflösung «n, erfolgen müssen. Im Falle der Auflösung eines Kreistages bleiben die von demselben gewählten Mitglieder deS Kreisausschusses und der Kreiskommissionen so lange in Wirksamkeit, bis der neu gebildete Kreistag die erforderlichen Neuwahlen vollzogen hat. Zwangsweise Etatisierung gesetzlicher Leistungen durch die Regiern ng.

§ 180. Unterläßt oder verweigert ein Kreis, die ihm gesetzlich ob­ liegenden, von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit fest­ gestellten Leistungen aus den Haushaltsctat zu bringen oder außerordentlich zu genehmigen, so verfügt der Regierungspräsident, unter Angabe der Gründe, die Eintragung in den Etat, beziehungsweise die Feststellung der außer­ ordentlichen Ausgaben?) Sechster Titel.

Besondere Bestimmungen für die Provinz Sachse«. § 181. Für den Umfang der in der Provinz Sachsen belegenen Grafschaften Wernigerode, Stolberg-Stolberg mit dem vornialigen Amte Heringen, und Stolberg Roßla mit dem vormaligen Amte Kelbra kommt dieses Gesetz mit den Maßgaben dieses Gesetzes vom 18. Juni 1876 (GesetzSam ml. S. 245) zur Anwendung.

§ 182

(ist aufgehoben].

1)i Ter nicht abgcbrutfte letzte Absatz ist ersetzt durch § 4 ZustG.

948

Grupp« IX: Kommunalrecht.

C. Kreis- und Provinzialrecht.

Siebenter Titel.

Allgemeine, Uebergangs- und Airsführrrngsbestimmungen. § 183. Bis zu einer anderweiten Beschlußfassung der Provinzial­ vertretungen tritt an die Stelle des im § 86 sestgestellten Betrages von 225 M Grund- und Gebäudesteuer für die Kreise der Provinz Sachsen der Betrag von 300 M und für die Kreise des Regierungsbezirks Stralsund der Betrag von 750 M.

§ 184. Für die ersten nach Maßgabe dieses Gesetzes vorzunehmenden Verteilungen und Wahlen der Kreistagsabgeordneten sind die dem KreisauSschusse beziehungsweise dem Kreistage übertragenen Befugnisse von dem Landrate wahrzunehmen. Jngleichen liegt für diese ersten Wahlen dem Landiate die Prüfung der Wahlprotokolle an Stelle des Kreisausschusses ob.

K 185. Für jeden Kreis wird die erfolgte Bildung der Amts­ bezirke und die Ernennung der Amtsvorsteher durch eine von dem Oberprüfilmten durch das Amtsblatt zu erlassende Bekanntmachung zur öffent­ lichen Kenntnis gebracht. Bis zu dinem Zeitpunkte bleiben die rücksichtlich der örtlichen Polizeiverwallung bestehenden Vorschriften in Kraft. § 18k». Tie Amtstätigkeit der jetzigen Gemeindevorsteher und Schöffen erlischt am 30. Juni 1874. Die schon jetzt gewählten Gemeindevorsteher und Schöffen bleiben jedoch in Funktion bis zum Ablauf der in dem gegen­ wärt gen Gesetze vorgeschrie! enen sechsjährigen Amtsdauer, vom Tage ihrer Bestätigung gerechnet, ioiern nicht eine Gemeinde eine frühere Wahl aus­ drücklich beantragt.

§§ 187 K 199.

bis

198

[finb fortgefalle ns

4

Alle dem gegenwärtigen Gesetze zuwiderlaufenden Bestim­ mungen werden ausgehoben und treten, mit Vorbehalt der Vorschriften der §§ 12, 185 und 186, mit dem 1. Januar 1*74 außer Kraft. Die bis­ herigen kreisständischen Kommissionen bleiben bis zur anderweitigen Beschluß­ nahme des Kreistages über ihren Fortbestand und ihre Zusammensetzung in Wirksamkeit.

K 200. Der Minister des Innern ist mit der Ausführung des gegenwärtigen Gesetzes beauftragt und erläßt die tperm erforderlichen An­ ordnungen und Instruktionen. •; Vgl. LVG §§ 28ff

2. Kreisordnung für die Provinz Hannover.

§§ 1—20.

949

L. Nreisordmg für die Provinz Hannover. Sem 6. Mai 1884. (GS. S. 181).')

Erster Titel.

Von den Grundlage« der Kreisverfaffuug. Erster Abschnitt.

Von dem Umfange und der Segrevrung der Lreise. K 1. An die Stelle der bisherigen Kreise und Amtsbezirke treten als Verwaltungsbezirke die in der Anlage A bezeichneten Kreise. Aus denselben werden, unter Abänderung der Ziffer III der *) An­ lage zum Artikel 2 der Verordnung vom 14. September 1867 (GesetzSamml. S. 1482), die Wahlbezirke für die Wahlen zum Hause der Abgeordneten gebildet, welche, nebst den Wahlorten und der Zahl der in jedem Bezirke zu wählenden Abgeordneten, das unter B anliegende Ver­ zeichnis ergibt. Die neue Abgrenzung der Wahlbezirke findet zuerst bei der ersten, nach dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes erfolgenden Neuwahl des Hauses der Abgeordneten Anwendung. § 2.') Jeder Kreis bildet nach näherer Vorschrift dieses Gesetzes einen Kommunalverband zur Selbstverwaltung seiner Angelegenheiten mit den Rechten einer Korporation. Der Kreiskommunalverband ist ein Wegeverband im Sinne des § 30 des Hannoverschen Gesetzes über Geineindewcge und Landstraßen vom 28. Juli 1851 (Hannoversche Gesetz-Samml. S. 141).

§3 = 83 öKrO. § 4 = § 4 öKrO., nur ist im Abs. 1 der § 101 der Hann. KrO. in bezug genommen.

§§ 5-8 =- 88

5-8 öKrO.

§§ 9—19 sind ersetzt durch das Kreis- und ProvinzialabgabenG. vom 23. April 1906 (GS. S. 159) 88 1-20. § 20 = 8 20 öKrO., nur sind hier die 88 60 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 65 in bezug genommen. ') Im folgenden werden nur die Abweichungen von der vollständig abgedruckten öKrO. wiedergegeben. *) Hier nicht obgedruckt. ') Satz 1 = § 2 öKrO.

956

IX. Gruppt: Kommunalrecht.

C. Kreis» und Provinzialrecht.

Zweiter Titel.

Bo» der Gliederung und de» Aemter« des Kreises. Erster Abschnitt.

Allgemeine ßellimmungen. Gliederung des Kreises.

§ 21. Die Kreise, mit Ausnahme der Stadtkreise (§§ 4 und 101), bestehen aus Stadtgemeinden, Landgemeinden und Gutsbezirken (vom Gemeindeverbande ausgenommene selbständige Besitzungen; Hannoversches Gesetz vom 28. April 1859 — Hannoversche Gesetz-Sam ml. S. 389). An der Spitze der Berwaltung des Kreises steht der Laildrat, an der Spitze der Verwaltung der Gemeinde der Gemeindevorsteher. Für den Bereich eines selbständigen Gutsbezirkes führt der Gutsvorsteher die dem Gemeindevorsteher obliegende Verwaltung?) Zweiter Abschnitt.

Von dem Amte des Landrates und von der Elrtspolijeioerwaltnng. § 22 § 23.

a) Ernennung desselben — § 74 öKrL.

b) Stellvertretung desselben — 8 75 öKrL. ci

Amtliche

S.tellung

desselben.

8 24. Der Landrat sührt als Organ der Staatsregierung, vor behältlich der Vorschriften in den §§ 27 bis 30, die Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung und die örtliche Polizeiverwaltung im Kreise beziehungs­ weise die Aufsicht über die letztere, soweit dieselbe anderen Behörden ober Beamten übertragen ist. (Vergl. jedoch § 25.) Er leitet als Vorsitzender des Kreistages und des Kreisausschusses die Kommunalverwaltung des Kreises. § 25.

Die Einsührung des Institutes der Amtsvorsteher nach Mast­

gabe der betreffenden Bestimmungen der Kreisordnung vom

wi"

(Gesetz-Samml. 1881 S. 155) in der Provinz kann aus Antrag des Pro­ vinziallandtages durch Königliche Verordnung erfolgen. d) Rechte und Pflichten desselben.

K 26. Der Landrat tritt an die Stelle des und des Amtshauptmanns.

Krershauptmanns

8 27. In den Städten, auf welche die Hannoversche revidierte Städteordnung vom 24. Juni 1858 (Hannoversche Gesetz-Samml. S. 1 41) Anwendung findet, behält es bei den bestehenden Vorschriften hinsichtlich der Verwaltung der Polizei und der Wahrnehmung der Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung sein Bewenden. Diese Vorschriften finden jedoch in den Städten Wunstorf, Eldagsen *) Der letzte Satz entspricht bem § 21 Abs. 3 öKrO. n. E.

KrtiSordnung für die Provinz Hannover.

§§ 21—30.

951

Neustadt a. R„ Münder, Pattensen, Bodenwerder, Moringen, Burgdorf, Gifhorn, Winsen a. d. L., Lüchow, Dannenberg, Otterndorf, Quakenbrück, Melle und Esens, sowie in den Gemeinden, welche, nachdem dies Gesetz in Kraft getreten sein wird, zur städtischen Verfassung übergehen, fortan mit der Maßgabe Anwendung, daß die Aufsicht über die Polizeiverwal­ tung und die Wahrnehmung der Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltnng dem Landrate zustehen. Zur Mitwirkung bei der letzteren sind die Magistrate gleich den Gemeindevorstehern verpflichtet.

§ 28. 1. Die auf die Zuständigkeiten der Verwaltungs- und Lerwaltungsgerichtsbehörden in Städten mit mehr als 10 000 Ein­ wohnern bezüglichen Bestimmungen in den §§ 127 und 128 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (Gesetz-Samml. €. 195) und in anderen Gesetzen finden auf die im ersten Absatz des § 27 bezeichneten Städte, soweit sie nicht im Absatz 2 desselben Para­ graphen ausgenommen sind, ohne Rücksicht auf deren Einwohnerzahl Anwendung. 2. Gegen die von dem Landrate als Ortspolizeibehörde ausgehen­ den Verfügungen, durch welche die Erlaubnis zum gewerbsmäßigen öffent­ lichen Verbreiten von Druckschriften (§ 43 der Reichsgewerbeordnung) ver­ sagt oder die nicht gewerbsmäßige öffentliche Verbreitung von Druckschriften

Gegenstand der Besteuerung



Nr.

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Berechnung der Stempelabgabe

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vom Werte des Gegenstandes des Geschäfts, und zwar In Abstufungen oon zu 4a 1: 0,20 Mark, „ 4a 2: 1,00 „ „4a 3: 0,30 „ 4a 4: 0,20 „ „ 4b: 0,40 „ für je 1000 Mark oder einen Bruchietl dieses Betrage. Bei Berechnung der Ab­ gabe im einzelnen Falle sind mindestens 10 Pf. in Ansatz zu bringen und höhere Pfennigberräge der­ art nach eben bin abzuruntcn, Mb sie durch 10 teilbar 'in*. Ter Werl oce Gegenstandes wird nach dem verein­ barten Kauf- oder Lieferungspreise, sonst durch den minleren Börsen- oder Marktpreis am Tage des Abschlusses be­ stimmt. Tie zu den Wertpapieren ge­ hörigen Zins- und Gewinnanteilscheine bleiben bei Berech­ nung der Abgabe außer Betracht. AuSländischeWerte sind nach den Vor­ schriften wegen Er­ hebung des WectOelftempels uinjulechnen.

10. Reichsstempelgesetz.

1

1203

Tarif.

2

4

3 Steu Ist einem der Vertragschließenden ein Wahlrecht oder die Befugnis eingeräumt, innerhalb bestimmter Grenzen den Umfang der Leistung zu bestimmen, so wird die Stempelsteuer nach dem höchstmöglichen Werte des Gegenstandes des Geschäfts berechnet. Ist die Leistung nicht bis zu den bestimmten Grenzen erfolgt, so wird nach Ausführung des Geschäfts die gezahlte Stempelsteuer bis auf den der wirklichen Leistung entsprechenden Betrag erstattet. (3) Bei Geldforderungen ist der aus der stempelpflichtigen Urkunde erfichtliche Geldbetrag, bei Kurs habenden Wertpapieren der Tageskurs als Wert anzusehen. (4) Die Umrechnung der in anderer als Reichswährung angegebenen Summen erfolgt nach den für die Erhebung des Wechselstempels vom Bundesrate festgesetzten Mittelwerten und, insoweit solche nicht bestimmt worden find, nach dem laufenden Kurse. (6) Der Wert des Besitzes einer Sache ist in der Regel dem Werte der Sache gleich zu achten. Der Wert eines Pfandrechts oder der Sicherstellung einer Forderung richtet fich nach dem Betrage der Forderung; hat der Gegenstand de« Pfandrechts einen geringeren Wert, so ist dieser maßgebend. Der Wert einer Grunddienstbarkeit wird durch den Wert, welchen

12. St«mpelst«uergesetz. §§ 5—7.

1225

dieselbe für das herrschende Grundstück hat, und wenn der Betrag, um welchen sich der Wert des dienenden Grundstücks durch die Dienstbarkeit mindert, größer ist, durch diesen Betrag bestimmt. i '?•lösuugssumme bei Remeuschulden;

der Summe, kür welche die Post verpfändet wird, wenn diese Summe geringer ist als die Summe oder der Kavualwcrt oder die Ablösuugs'umme der verpfändeten Post, sonn der letz­ teren Summe oder de» Kavüalwertes oder der Ablösungs­ summe.

12. Stempelsteuergesetz.

Stempeltaris.

Steuersatz

Berechnung

Hun­ dert Mark i Pf.

Stempelabgabe

Gegenstand der Besteuerung

(68.)

einer Frist von einem Monat eine Beschei­ nigung der Zollbehörde darüber vorgelegt wird, daß die durch § 3 deS Reichsstempel' gesetzes vorgeschriebene vorläufige Anmeldung der Versteuerung erfolgt ist. sofern innerhalb dreier Monate vom Tage der Vorlegung dieser Bescheinigung aus einem als beglaubigte Abschrift herzustellenden Formulare der Teil­ schuldverschreibungen seitens der zuständigen Steuerabstempelungsstelle die Vorlegung und die nach dem Reichsstempelgesetz erfolgte Ver­ steuerung der sämtlichen, die Hypothek er­ schöpfenden Teilschuldverschreibungen beschei­ nigt ist und dem Grundbuchamte die Be­ scheinigung der Zollbehörde binnen weiterer vier Wochen vorgelegt wird.

59. tl) Sicherstellung vou Rechten, Beurkundungen darüber, wenn der Wert der sichergestellten Rechte 600 Mark nicht übersteigt . . . 1200 , „ „ ........................ 10000 , „ „ ........................ bei einem höheren Betrage........................ (-) Aus Höchstbetragshypotheken im Sinne des § 1190 des Bürgerlichen Gesetzbuchs finden die vorstehenden Steuersätze gleichfalls Anwendung. (3) Der Stempel darf in keinem Falle den für die Beurkundung des sicherzustellenden Rechtes zur Erhebung gelangenden Stempel übersteigen. W Ist der Wert der sicherzustellenden Rechte nicht schätzbar........................................................... (•') Befreit sind: a) Urkunden über Dienstkautionen der Beamten öffentlicher Behörden; b) in Schuldverschreibungen zur Sicherheit der Schuldverpflichtung vom Schuldner abgegebene Erklärungen; c) Urkunden über Sicherstellung der Vor­ münder (§ 58 der Bormundschaftsordnung vom 5 Juli 1875, Gesetzsamml. S. 431).

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X. Gruppe: Steuer- und Finenzrrcht.

Steuersatz Gegenstand der Besteuerung

(60.)

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61.

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(2) Wenn in obigen Verleihungen meh­ rere Seilenverwandle mit ausgenommen werden, so wird für jeden Seilenverwandlen die volle Taxe besonder- erhoben. (3) Die vorstehend festgesetzten Beträge werden auch erhoben, wenn eine Standeserhöhung au- Anlaß oder bei Gelegenheit einer Adoption oder Legitimation statt­ findet. (4) Für Anerkennung und Bestätigung einer von einem auswärtigen Fürsten ver­ liehenen StandeSerhöhung eines Inländers werden die obigen Sätze erhoben. (b)^FÜr die Verleihung de- preußischen Adels an einen ausländischen Adligen kommt die Hälfte de- für die Verleihung der betreffenden Adelsstufe vorgeschriebenen Stempel- in Ansatz. (6) Für sonstige nachträgliche Aende­ rungen oder Ergänzungen der bezüglich einer StandeSerhöhung getroffenen Be­ stimmungen wird, sofern keine anderen Vor­ schriften Anwendung finden, ein Fünftel deS Steuersätze- für die betreffende StandeSerhöhung in Ansatz gebracht; (i) Wappenvermehrungen und Wappenän­ derungen ein Achtel der Sätze zu a. (2) Erfolgt die Wappenvermehrung und Wappenänderung in Verbindung mit einer Standeserhöhung, so kommt außerdem der für letztere vorgesehene Stempelbetrag zur Erhebung; Erhebung eines Inbegriffs von Gütern zu einer'Standesherrschaft, einem Herzog­ tum oder einem Fürstentume . . . . Verleihung des Patents für einen Kammerjunker , , Kammerherrn . . . . _ sofern letzterer vorher Kammerjunker war für die Verleihung von Titeln an Privat­ personen Geheimer Kommerzienrat . . . Kommerzienrat........................... — Geheimer KommissionSrat . . . . — Kommissionsrat........................... — im übrigen........................... . . —

Statute» von Gesellschaften, Vereinen usw., f GesellschastSverträge Buchstaben e.

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Berechnung der Btempelcibqabe

1273

Slkmprllaris.

Laufende N r.

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12. Sitmpelstkuergeletz.

Steuersatz

Gegenstand der Besteuerung

62. Strafbescheide der Finanzbehörden, sofern die Strafe, einschließlich des Wertes der eingezo­ genen Gegenstände. 15 Mart übersteigt

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1



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Pf.

50

63. Taaschvcrlrägr, f. KausvertrLge. 64. Taxe« van 6rnubft6(ftn, insofern sie wegen eines Privatinteresses unter Aufsicht einer öffentlichen Behörde ausgenommen werden.......................... 65. Testamente, s. Verfügungen von Todes wegen.

66 Verfügungen von Todes wegen, einschließlich der Erbverträge sowie der im § 2301 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Schenkungsversprechen, Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnisse: 1. (i) wenn der Wert des Gegenstände- beträgt: nicht mehr als 1000 Mark..................... mehr als 1000 Mark, aber nicht mehr alS 10000 Mark.......................................... mehr als 10000 Mark, aber nicht mehr als 20 000 Mark..................................... mehr alS 20000 Mark, aber nicht mehr als 50000 Mark.......................................... mehr als 60000 Mark, aber nicht mehr als 200000 Mark.......................................... mehr alS 200000 Mark, aber nicht mehr als 300000 Mart..................................... mehr alS 300000 Mark, aber nicht mehr als 500000 Mart..................................... mehr als 500000 Mark.......................... (2) Für die Stempelberechnung bei einer gemeinschaftlichen Verfügung ist der Gesamt­ betrag des Werte- beider Verfügungen maß­ gebend. (3) Für die Wertberechnung ist der Zeit­ punkt der Fälligkeit der Stempelsteuer maß­ gebend. Soweit die Stempelverwendung unter amtlicher Überwachung stattsindet sind der Wertberechnung die Angaben des Steuer­ pflichtigen zu Grunde zu legen. Die Vor­ schriften des § 7 dieses Gesetzes finden vor Eröffnung der Verfügung keine Anwendung ; 2. wenn die Verfügungen von TodeS wegen lediglich Anordnungen nicht vermögensrecht­ licher Art. Nachträge, Ergänzungen und Er­ läuterungen zu letztwilligen Verfügungen enthalten............................................................... Befreiungen: 1. Verträge und Erklärungen aller Art, die lediglich den Widerruf, die Zurücknahme oder die Aufhebung einer Verfügung von Tode-

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Berechnung der Stempelabgabe

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1274

(66.)

X. Gruppt: Steuer« und Finanzrecht.

Steuersatz Gegenstand der Besteuerung

1

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kaufmännische, s. Schuld­

(2) Bei Rentenversicherungen wird der Kaufpreis und in Ermangelung eines sol­ chen der zehnfache Betrag der Rente alS Versicherungssumme angesehen. (3) Werden bei Versicherungen gleicher Art von demselben Versicherer mehrere Urkunden für dieselbe Person ausgestellt, so berechnet sich die Stempelabgabe nach dem Gesamtbeträge der versicherten Summe.

Pf.

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68. < 0 Verleihungen vesBergwertLeigentumS,Urkunden darüber (§g 22 ff. des Allgemeinen Berggesetzes für die Preußischen Staaten vom 24. Juni 1866 — Gesetzsamml. S. 705 —)............................ (2) Bei geringerem Werte des Bergwerkseigentums kann der Stempel bis aus 100 Mark er­ mäßigt werden.

70. 0) Versicherungsverträge, auch in der Form von Policen und deren Verlängerungen, wenn sie betreffen: a) (!) Leben-- und Rentenversicherungen, ein­ schließlich der Versicherungen auf den Le­ bensfall (Altersversorgung, Aussteuer, Militärdienst und dergleichen), ....

Stempelabgabe

1

67. 0) vergleiche...................................................... (2) Ist jedoch durch den Vergleich ein unter den Parteien bisher nicht in stempelpflichtiger Form zustande gekommenes Rechtsgeschäft an­ erkannt oder im wesentlichen aufrecht erhalten oder ein anderweites Rechtsgeschäft neu be­ gründet worden, so ist zu dem Vergleiche, wenn diese Geschäfte nach dem gegenwärtigen Tarif einem höheren als dem für Vergleiche verordn neten Stempel unterworfen sind, dieser höhere Stempel zu verwenden. (3) Befreit sind die von Schiedsmännern und Gewerbegerichten aufgenommenen Vergleiche, so­ fern nicht die Voraussetzungen des vorher­ gehenden Absatzes Anwendung finden.

69. verpstichtrmgsscheiue, verschreibungen II.

der

vom Hun­ den Mark

wegen oder einzelner in solchen Verfügungen enthaltenen Anordnungen betreffen; 2. die im § 2249, § 2250 oder § 2251 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und im § 44 des ReichSmilitärgesetzes bezeichneten Testamente.

Berechnung

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ter versicUcncn Sum­ me in Wh (tu fangen von 10 Pfg. für je 200 Mark oder einen Bruaneil i?tcic6 2ktrngco.

12. Stempelsteuergesetz.

1275

Stempeltaris.

Steuersatz

Gegenstand der Besteuerung

(4) Befreit sind Versicherungen, bei wel­ chen die versicherte Summe den Betrag von 3000 Mark nicht übersteigt; b) (i) Unfall- und Haftpflichtversicherungen .

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Pf.

des Gesamtbetrages der verabredeten Prämlen rn Abstu­ fungen von 10 Pfg. für je 20 Mark oder einen Bruchteil die­ ses Betrages.

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(2) Befreit sind Versicherungen, bei denen i die verabredeten Jahresprämien den Be­ trag von 40 Mark nicht übersteigen; c) C1) Versicherungen gegen andere Gefahren (Feuer-, Hagel-, Biehversicherungen usw.) für jed?s Jahr der Bersicherungsdauer . /,0 0,,

(2) Jeder Bruchteil eines Bersicherungsjahres kommt bei der Versteuerung als ein volles Jahr in Betracht. (3) Ist im Versicherungsverträge bestimmt, daß die Versicherung, falls keine Kündigung erfolgt, sich für einen ferneren Zeitraum verlängert, so ist für die auf diese Weise eintretenden tatsächlichen Verlängerungen ebenfalls der in dieser Tarisstelle vorgeschriebene Stempel zu verwenden. Die Stempel, die in diesen Fällen nach­ träglich erforderlich werden, sind zu der ursprünglichen Urkunde oder einer Urkunde über Verlängerung des Versicherungsvertrag- binnen zwei Wochen nach dem Eintrifte der Verlängerung zu verwenden. Der Finanzminifter ist ermächtigt, Hinsichtlich der vor dem Inkrafttreten dieses GesetzeS errichteten Versicherungsverträge und Policen eine Fristverlängerung eintreten zu lassen. . H. bis einschließ­ lich 270 v. H. dieses Betrages, 28 v. H. bei einer Wcrtsteigerung von mehr als 270 v. H. bis einschließ­ lich 280 v. H. dieses Betrages, 29 v. H. bei einer Wertsteigerung von mehr als 280 v. H. bis einschließ­ lich 290 v. H. dieses Betrages, 30 v. H bei einer Wertsteigerung von mehr als 290 v. H. dieses Betrages. Die Steuer ermäßigt sich für jedes vollendete Jahr des für die Steuerberechnung maßgebenden Zeitraums um eins vom Hundert ihres Betrages. Ist das Grundstück vor dem 1. Januar 1900 erworben, so betrügt die Ermäßigung für die Zeit bis zum 1. Januar 1911 eineinhalb vom Hundert jährlich. Steuerbeträge, die im ganzen unter zwanzig Mark bleiben, werden nicht erhoben.

§ 29. Die Entrichtung der Zuwachssteuer liegt demjenigen ob, dem das Eigentum an dem Grundstück vor dem die Steuerpflicht be­ gründenden Rechtsvorgange zustand. Mehrere Steuerpflichtige hasten als Gesamtschuldner. Kann die Steuer von dem Veräußerer nicht beigetrieben werden, so haftet der Erwerber für die Steuer bis zum Betrage von zwei von Hundert des VerüußerungspreifeS. Diese Bestimmung findet keine An­ wendung beim Erwerb im Wege der Zwangsversteigerung. Die Haftung fällt fort, sobald der Veräußerer einen entsprechenden Betrag gezahlt oder fichergestellt hat. K 39. Von der Steuerpflicht (§ 29 Avs. 1) befreit sind: 1. der Landesfürst und die Landesfürstin; 2. das Reich; 3. die Bundesstaaten und Gemeinden (Gemeindeverbünde), in deren Bereich das Grundstück sich befindet; 4. Vereinigungen aller Art, welche ohne Erwerbszwecken zu dienen, satzungsgemäß sich mit innerer Kolonisation, Arbeiteransiedelung, Grundentschuldung oder Errichtung von Wohnungen für die minder­ bemittelten Klassen befassen, falls sie den zur Verteilung gelangenden Reingewinn auf eine höchstens vierprozentige Verzinsung der Kapital­ einlagen beschränken, den Mitgliedern, Geschäftsführern oder sonstigen

16. Zuwachisteuergeseh.

§§ 28—34.

1319

Beteiligten auch nicht in anderer Form besondere Vorteile gewähren, bei Auslosung, Austritt eines Mitglieds oder für den Fall der Auf­ lösung nicht mehr als den Nennwert ihrer Anteile zufichern und bei der Auflösung den etwaigen Rest ihres Vermögens für die vorbe­ zeichneten Zwecke bestimmen. Ob diese Voraussetzungen zutreffen, ent­ scheidet der BundeSrat. Er ist auch ermächtigt, solchen Vereinigungen der vorbezeichneten Art Steuerfreiheit zuzubilligen, die eine höchsten» fünfprozentige Verzinsung der Kapitaleinlagen gewähren.

8 31. Durch die Landesgesetzgebung können Ausnahmen von der Bestimmung der Ziffer 1 des § 30 zugunsten der Gemeinden (Gemeinde­ verbände) gemacht werden. Wo solche landesgesetzliche Bestimmungen bereits bestehen, behält eS dabei sein Bewenden. G 32. Gehen dem Eintritt der Steuerpflicht mehrere aufeinander­ folgende Rechtsgeschäfte der int § 5 bezeichneten Art voraus (§ 27), so haften die an einem dieser RechtSvorgänge als Veräußerer Beteiligten für die Steuer neben dem Steuerpflichtigen als Gesamtschuldner. Im Ver­ hältnis der Beteiligten zueinander haftet jeder Veräußerer für die Steuer nur in der Höhe, in der er hasten würde, wenn der Uebergang auf Grund des von ihm geschloffenen Veräußerungsgeschäfts erfolgt wäre.

Ist die Vornahme des steuerpflichtigen Rechtsvorganges unter Mit­ wirkung eines Bevollmächtigten oder durch die Tätigkeit eines Vermittlers mit der Maßgabe erfolgt, daß diesen der einen gewiffen Betrag über­ steigende Teil des Preises verbleibt, so haftet für den auf den Mehrerlös entfallenden Teil der Steuer neben dem Veräußerer als Gesamtschuldner derjenige, dem der Mehrerlös zukommt.

Liegt der die Haftung begründende Rechtsvorgang vor dem Inkraft­ treten dieses Gesetzes, so finden die Vorschriften der Abs. 1, 2 keine An­ wendung.

8 33. Jeder, der nach den Vorschriften des § 32 Abs. 1 für die Entrichtung der Abgabe haftet, ist berechtigt, innerhalb eines Monats nach Vornahme des die Haftpflicht begründenden Rechtsvorganges die Fest­ setzung und Erhebung der Abgabe von dem Wertzuwachse zu beantragen, der bis zu dem die Haftpflicht begründenden Rechtsvorgang entstanden ist. Bei der nächsten Versteuerung bemißt sich die Abgabe nach dem Steuersätze, der bei Einrechnung diese« Wertzuwachses anzuwenden wäre.

8 34. Ist im Falle des § 5 das steuerpflichtige Rechtsgeschäft nichtig oder aufgehoben, so ist nach näherer Bestimmung des Bundesrats die Abgabe auf Antrag zu erlassen. Dasselbe gilt, wenn wegen Nicht­ erfüllung der Vertragsbedingungen das Rechtsgeschäft rückgängig gemacht oder das Eigentunt zurückübertragen wird. Ferner ist in den Fällen der Preisminderung nach §§ 459, 460 des Bürgerlichen Gesetzbuch« der VeräußerungSpreis entsprechend zu erinäßigen und die Steuer entsprechend zurückzuzahlen. Wird das Grundstück auf den bisherigen Eigentümer wieder über­ tragen, so kann nach näherer Bestimmung des BundeSratS die Abgabe

1320

X. Elruppe: Steuer- und Finanzrecht

erlassen werden. Die Abgabe muß erlassen werden, wenn die Rücküber­ tragung innerhalb zweier Jahre seit der Veräußerung erfolgt. Wird die Steuer erlassen, so gilt die Veräußerung im Sinne dieses Gesetzes als nicht erfolgt.

K 35. Für die Verwaltung und Erhebung der Zuwachssteuer ist der Bundesstaat zuständig, in welchem sich das Grundstück befindet. Die Verwaltung der Zuwachssteuer erfolgt durch die von der Landes­ regierung hierzu bestimmten Stellen.

5 36. Die Reichsbevollmächtigten für Zölle und Steuern üben in Ansehung der Ausführung dieses Gesetzes dieselben Rechte und Pflichten aus, die ihnen bezüglich der Zölle und Verbrauchssteuern beigelegt sind In Staaten, in denen die Geschäfte der Oberbehörde für die Zu­ wachssteuer anderen Behörden als den Zolldirektivbehörden übertragen sind, werden der Umfang und die Art der Tätigkeit der Reichsbevollmächtigten vom Reichskanzler im Einvernehmen mit der beteiligten Bundesregierung geregelt. Unter Zustimmung des Bundesrats kann der Reichskanzler die Wahrnehmung der Geschäfte der Reichsbevollmächtigten, soweit die Aus­ führung dieses Gesetzes in Betracht kommt, anderen Beamten übertragen.

5 37. Jeder steuerpflichtige Rechtsvorgang und, sofern eine Preis­ erhöhung eintritt, jedes Rechtsgeschäft der int § 5 bezeichneten Art ist binnen einer Frist von einem Monat der zuständigen Steuerbehörde (§ 35 Abs. 2) anzumelden. Die Verpflichtung hierzu trifft den Veräußerer und den Erwerber. Sind mehrere Veräußerer oder Erwerber vorhanden, so trifft die Verpflichtung jeden von ihnen. Sie gilt in gleicher Weise für die gesetzlichen Vertreter. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Verpflichtete von dem steuerpflichtigen Rechtsvorgang oder von dem Rechtsgeschäfte Kenntnis erhält. Einer Anmeldung bedarf es nicht, wenn vor Ablauf der Frist die Auflaffung oder Eintragung stattgefunden hat. Sind mehrere Personen zur Erstattung der Anmeldung verpflichtet, so wird durch die von einem Verpflichteten bewirkte Anmeldung der Anzeigepflicht der übrigen genügt. % 38. Den Steuerbehörden haben nach näherer Bestimmung des BundeSratS Mitteilung zu machen 1. die Grundbuchämter von den Eintragungen des Eigentumsüberganges von Grund­ stücken in das Grundbuch; 2. die Registergerichte und -behörden von Eintragungen in das Handels- und Genoffenschastsregister und von Einreichungen zum Handelsregister, soweit sie in Verfolg eines steuerpflichtigen Rechtsvorganges Dorgenommen werden; 3. allgemein die Behörden und Beamten des Reichs, Staates und der Gemeinde sowie die Notare

16. Juwach-steuergesetz.

§§ 34—43.

1321

a) von allen von

ihnen beurkundeten Rechtsvorgängen, die den Uebergang des Eigentums an inländischen Grundstücken zum Gegenstände haben oder zu den im 8 5 bezeichneten Rechts­ geschäften gehören; b) von allen Fällen der Erhebung der Abgabe auf Grund der Tarifnummer 11 deS Reichsstempelgesetzes.

Die Landesregierungen find ermächtigt, im Einverständnisie mit dem Reichskanzler die Mitteilungspflicht anderen als den in Ziff. 1 und 2 genannten Stellen zu übertragen.

8 39. Auf Verlangen der Steuerbehörde und innerhalb einer von ihr zu bestimmenden angemessenen Frist hat der gemäß § 37 zur An­ meldung verpflichtete Veräußerer dem Amte eine Zuwachssteuererklürung einzureichen, welche die für die Steuerpflicht und die Steuerbemeflung in Betracht kommenden Umstände ersehen läßt. Die Steuererklärung ist unter der Versicherung zu erstatten, daß die Angaben nach bestem Wißen und Gewißen gemacht sind.

8 40. Trägt die Steuerbehörde Bedenken, die Angaben in der Steuererklärung als richtig anzunehmen, so teilt sie dem Steuerpflichtigen die beanstandeten Punkte unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Gegenerklärung mit. Erfolgt innerhalb der gesetzten Frist keine Gegen­ erklärung oder führen die Verhandlungen nicht zu einer Einigung, so ist die Steuerbehörde befugt, nach näherer Bestimmung der Landesregierung die erforderlichen Ermittelungen selbständig vorzunehmen und danach die Steuer zu erheben. Die Kosten der Ermittelungen fallen dem Steuerpflichtigen zur Last, wenn sie zu einer endgültigen Steuerfestsetzung führen, die den nach den Angaben des Steuerpflichtigen veranlagten Abgabebetrag um mehr als ein Drittel übersteigt. 8 41. Die Behörden, Beamten und Notare haben den Steuer­ behörden jede zur Ermittelung der Abgabe dienliche Hilfe zu leisten und insbesondere auf Verlangen die Einsicht in die Verhandlungen zu gestatten, die sich auf die für die Steuerbemeflung maßgebenden Vorgänge beziehen. 8 42. Personen, die als Veräußerer oder Erwerber oder als Ver­ treter eines von diesen an dem steuerpflichtigen Rechtsvorgange teilhaben, find verpflichtet, auf Verlangen der Steuerbehörde über die Tatsachen, die für die Veranlagung der Abgabe von Bedeutung sind, Auskunft zu geben und die hierüber in ihrem Besitze befindlichen Urkunden vorzulegen. DaS gleiche gilt von den an früheren steuerpflichtigen Vorgängen beteiligten Personen.

8 43. Ist die Zuwachssteuer berechnet, so erteilt die Steuerbehörde einen Steuerbescheid, der die Person des Steuerpflichtigen, den Betrag der Zuwachssteuer, deren Berechnungsgrundlagen und die von der Steuererklärung abweichenden Punkte, ferner die zulässigen Rechtsmittel, die für diese fest­ gesetzten Fristen sowie die Behörden, bei denen sie anzubringen find, an­ gibt und zugleich die Anweisung zur Entrichtung der Steuer innerhalb

1322

X. Gruppe: Steuer- und Finanzrecht.

einer zu bestimmenden Frist enthält. Monat betragen.

Die Frist muß mindestens

einen

§ 44. Gegen den Steuerbescheid sind als Rechtsmittel zulässig: 1. die Beschwerde, soweit sie nicht landeSrechtlich auSgeschlosien wird; 2. das Berwaltungsstreitverfahren oder ein durch die Landesgesetzgebung geordnetes anderweites Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, und wenn ein verwaltungsgerichtliches Verfahren nicht besteht oder landes­ rechtlich ausgeschlossen wird, der Rechtsweg. Ob durch die Erhebung der Beschwerde seitens des Steuerpflichtigen daS Verwaltungsstreitverfahren oder der Rechtsweg für ihn ausgeschlossen wird, oder ob daS DerwaltungSstreitverfahren oder das anderweite Ver­ fahren vor den Verwaltungsgerichten oder der Rechtsweg erst nach Er­ ledigung der Beschwerde und der weiteren Beschwerde zulässig ist, richtet sich nach den landesrechtlichen Vorschriften.

8 45. Die Beschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat seit der Zustellung des Bescheids bei der Steuerbehörde anzubringen. Verspätete Beschwerden find zuzulaffen, wenn die Steuerbehörde zu der Annahme gelangt, daß der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Der Beschwerdebescheid hat anzugeben, bei welcher Behörde und innerhalb welcher Frist die weitere Beschwerde einzulegen ist. Die Beschwerde und die weitere Beschwerde haben keine ausschiebende Wirkung. Das Beschwerdeverfahren regelt der Bundesrat.

8 46. Für die Fristen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sowie für die Frist, in der die gerichtliche Klage zu erheben ist, sind die landesrechtlichen Vorschriften maßgebend. Sind für die Frist zur Er­ hebung der gerichtlichen Klage landesrechtliche Vorschriften nicht getroffen, so muß die Klage binnen einer Frist von einem Monat erhoben werden: die Frist beginnt mit der Zahlung oder Stundung der Steuer Ueber die Frage, ob Stundung gemäß § 48 eintreten soll, entscheidet endgültig die Steuerbehörde. Auf den Lauf der im Abs. 1 bezeichneten Fristen finden die für die Verjährung geltende» Vorschriften der §§ 203, 206, 207 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung. Für die gerichtliche Klage sind ohne Rücksicht auf den Wert deStreitgegenstandeS ausschließlich die Landgerichte zuständig. Für die Ver­ handlung und Entscheidung letzter Instanz ist das Reichsgericht zuständig. 8 47. Dem Grundstückseigentümer ist auf Antrag sür sein Grund­ stück oder sür Grundstücksteile von der Steuerbehörde ein Bescheid über die bis dahin feststellbaren Berechnungsgrundlagen zu erteilen. Der Be­ scheid unterliegt den gegen den Steuerbescheid gegebenen Rechtsmitteln. Die in dem Bescheide getroffenen Festsetzungen sind für die spätere Ver­ anlagung maßgebend. Für die Erteilung des Bescheides ist eine Gebühr von */i vom Tau­ send des Erwerbspreises, mindestens aber von zwanzig Mark zu entrichten;

16. Zuwachtsteurrgtsetz.

§§ 43-53.

1323

außerdem fallen dem Antragsteller die Kosten deS RechtsmittelversahrenS zur Last.

K 48. In Fällen, in denen die sofortige Einziehung der Steuer mit erheblichen Härten verbunden sein würde, ist die Steuer nach näherer Bestimmung de- Bundesrats, nötigenfalls gegen Sicherheitsleistung, zu stunden, auch die Entrichtung in Teilbeträgen zu gestatten. Die Be­ willigung kann zurückgenommen werden, insoweit deren Voraussetzungen wegfallen. K 49. Ist der Steuerpflichtige ein Deutscher, so ist zum Zwecke der Einziehung der Zuwachssteuer die Zwangsversteigerung eines Grund­ stücks ohne seine Zustimmung nicht zulässig. K 50. Die Nichterfüllung der gesetzlichen Pflicht zur Einreichung der Zuwachssteueranmeldung oder -erklärung (§§ 37, 39) unterliegt einer Geldstrafe bis zum vierfachen Betrage der Zuwachslteuer. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, der wiffentlich unrichtige An­ gaben macht, die geeignet find, zu einer Verkürzung der Steuer zu führen. Eine Bestrafung findet jedoch nicht statt, wenn der Verpflichtete vor erfolgter Strafanzeige oder bevor eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet worden ist, aus freien Stücken die Erfüllung der im Abs. 1 erwähnten Verpflichtungen nachholt oder seine Angaben berichtigt.

K 51. Ist nach dem obwaltenden Umständen anzunehmen, daß die rechtzeitige Erfüllung der Verpflichtung nicht in der Absicht Unter­ lasten worden ist, die Zuwachssteuer zu hinterziehen, oder daß die un­ richtigen Angaben nicht in dieser Absicht gemacht worden sind, so tritt an die Stelle der im § 50 vorgesehenen Strafe eine Ordnungsstrafe bis zu sechshundert Mark. Für andere, als die im § 50 und im Abs. 1 bezeichneten Zuwider­ handlungen gegen die Vorschriften dieses Gesetzes oder die zu seiner Aus­ führung erlassenen Bestimmungen tritt eine Ordnungsstrafe bis zu ein­ hundertfünfzig Mark ein. K 52.

Die Einziehung der Zuwachssteuer erfolgt unabhängig von

der Bestrafung.

K 53. Die Strafe trifft jeden, der eine der in den §§ 50, 51 vorgesehenen Zuwiderhandlungen begeht. Die Strafe ist bei offenen Handelsgesellschaften, Kommanditgesell­ schaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien gegen die zur Vertretung berechtigten Gesellschafter, bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung gegen die Geschäftsführer, bei Genoffenschaften, Aktiengesellschaften und sonstigen rechtsfähigen Vereinen gegen die Vorstandsmitglieder nur im einmaligen Betrage, jedoch unter Haftung jedes einzelnen als Gesamtschuldner festzu­ setzen. Ebenso ist in anderen Fällen zu verfahren, in denen mehrere Personen gemeinschaftlich oder als Vertreter eines Beteiligten sich strafbar gemacht haben. Die Vorschrift des Abs. 2 Satz 1 findet entsprechende Anwendung im Verhältnis des Vollmachtgebers zum Bevollmächtigten, der innerhalb

1324

X Gruppe: Steuer- und Finanzrecht.

der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vollmachtgeber« eine Handlung vornimnit, die eine strafbare Zuwiderhandlung enthält.

8 54. Hinsichtlich des Verwaltungsstrafverfahrens, der Straf­ milderung und des ErlafleS der Strafe im Gnadenwege sowie hinsichtlich der Strafvollstreckung und der Verjährung der Strafverfolgung kommen, auch für die Gebietsteile außerhalb der Zollgrenze, die sich auf die Zoll­ strafen beziehenden Vorschriften zur Anwendung. Die Landesregierung ist ermächtigt, zu bestimmen, daß an die Stelle der Hauptzollämtcr und ZollDirektivbehörden andere Staatsbehörden treten. Die Steuerbehörden haben in den Fällen der 83 50, 51 den für die Strafverfolgung zuständigen Behörden Mitteilung zu machen. Die festgesetzten Geldstrafen fallen der Staatskasse des Bundesstaats zu, von dessen Behörden die Strafentscheidung getroffen ist.

8 55. Die Umwandlung einer nicht beizutreibenden Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe findet nicht statt. Auch ist, wenn der Verurteilte ein Deutscher ist, die Zwangsversteigerung eines Grundstücks ohne seine Zu­ stimmung nicht zulässig. 8 56. Das Verwaltungsverfahren in Zuwachssteuerangelegenheiten ist — abgesehen von dem Rechtsmittel- und Strafverfahren — kosten-, gebühren- und stempelfrei, soweit nicht in den §§ 40 Abs. 2, 47 Abs. 2 etwas Abweichendes bestimmt ist. 8 57. Der Anspruch auf die Zuwachssteuer verjährt in zehn Jahren. Die Frist beginnt mit dem Schluffe des Jahres, in welchem der Anspruch auf die Steuer entstanden ist; im Falle der Sicherheitsleistung (§ 48) nicht vor Ablauf des JahreS, in welchem die Sicherheit erlischt.

8 58. Von dem Ertrage der Zuwachssteuer erhält das Reich fünfzig vom Hundert. Weitere zehn vom Hundert erhalten, sofern nicht die Landesgesetzgebung eine andere Bestiinmung trifft, die Bundesstaaten als Entschädigung für die Verwaltung und Erhebung der Steuer. Vierzig vom Hundert fließen den Gemeinden oder Gemeindeverbänden zu, in deren Bereiche das Grundstück sich befindet. Die Regelung zwischen Gemeinden und Gemeindeverbänden, soweit diesen nach den Bestimmungen der Landesgesetzgebung ein Besteuerungsrecht zusteht, so­ wie in Ansehung von Grundstücken, die keiner Gemeinde angehören, erfolgt durch die Landesgesetzgebung. Bis zum Erlasse des Landesgesetzes fließen die vierzig vom Hundert den Gemeinden zu, in deren Bereiche das Grundstück sich befindet; in Ansehung von Grundstücken, die keiner Ge­ meinde angehören und in den Fällen, in denen bisher ein Gemeinde­ verband Zuwachsstcuer erhoben hat, erfolgt bis dahin die Regelung durch die Landesregierung. 8 59. Die Gemeinden (Gemeindeverbände) sind berechtigt, mit Genehmigung der Landesregierung durch Satzung zu bestimnien, daß zu dem Anteil, der ihnen nach 8 58 von dem Ertrage der Steuer zufließt, für ihre Rechnung Zuschläge erhoben werden. Die Zuschläge sind nach Hundertteilen zu berechnen; sie dürfen im einzelnen Falle einhundert vom Hundert des der Gemeinde (Gemeinde-

16. ZuwachSsteuergesetz.

§§ 53—63.

1325

verbände) zufließenden Betrags nicht übersteigen. Die Zuschläge dürfen für die verschiedenen Grundstacksarten und nach der Dauer des für die Steuer­ erhebung maßgebenden Zeitraums verschieden festgesetzt werden. Reichssteuer und Zuschlag dürfen zusammen dreißig vom Hundert der Wertsteigerung nicht übersteigen.

K 60. Erreicht in Gemeinden (Gemeindeverbänden), in denen eine Zuwachssteuer vor dem 1. April 1909 beschlossen und vor dem 1. Januar 1911 in Kraft getreten war, deren Anteil am Ertrage der Zuwachssteuer gemäß 8 58 nicht den auf Grund der vor dem 1. April 1909 beschlossenen Satzung erzielten jährlichen Durchschnittsertrag, so ist ihnen bis zum 1. April 1915 der Unterschied aus dem auf das Reich entfallenden Anteil an dem in der Gemeinde (dem Gemeindeverbande) auskommenden Ertrage zuzuweisen; von dem aberschießenden Betrage fallen dem Reiche fünf Sechstel, dem Bundesstaat ein Sechstel zu. Das gleiche gilt für Gemeinden (Gemeinde­ verbände), in denen die Satzung vor dem 1. Januar 1911 mit Wirkung über den 1. April 1909 zurück in Kraft getreten ist. Statt der Zuweisung des Unterschieds kann den Gemeinden (Gemeindeverbänden) auf Antrag nach Bestimmung des Reichskanzlers für die Dauer des bezeichneten Zeitraums an Stelle der Vorschriften dieses Ge­ setzes die bisherige Satzung weiterhin mit der Maßgabe belassen werden, daß der Ertrag den Gemeinden (Gemeindeoerbänden) in Höhe des vor dem 1. April 1911 erzielten Durchschnittsertrags zufließt und der über­ schießende Betrag an das Reich abzuführen ist. Die Festsetzung deS DurchschnittsertragS erfolgt durch den BundeSrat.

K 61. Für diejenigen Gebietsteile eines Bundesstaats, in denen eine besondere Gemeindeverfassung nicht vorhanden ist, finden die in den 88 58 bis 60 für Gemeinden getroffenen Vorschriften auf den Bundes­ staat Anwendung. Die Vorschriften des 8 60 erstrecken sich auch auf die Bundesstaaten mit der Maßgabe, daß überall an die Stelle der Satzung das Landes­ gesetz tritt. # 62. Die Steuerpflicht nach Maßgabe dieses Gesetzes erstreckt fich auch auf RechtSvorgünge, die nach dem 31. Dezember 1910 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes stattgefunden haben. Die Vorschriften des 8 29 Abs. 2, 3 finden keine Anwendung. AlS Zeitpunkt des Eintritts der Steuerpflicht und als Beginn der Anmeldepflicht (§ 37) gilt der Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes. Ist auf Grund der im 8 72 Abs. 2 mit Wirkung vom 1. Januar 1911 aufgehobenen Vorschriften eine Zuwachssteuer bereits entrichtet, so wird sie dem Steuerpflichtigen erstattet oder, soweit für denselben Rechts­ vorgang Zuwachssteuer nach diesem Gesetz zu erheben ist, auf deren Be­ trag angerechnet.

K 63. Die Besteuerung unterbleibt, wenn die Urkunde über das DeräußerungSgeschäft, das zu dem Eigentumsübergange führte, vor dem 1. Januar 1911 in öffentlich beglaubigter Form errichtet oder bei einer Behörde eingereicht war.

1326

X. Gruppe: Steuer- und Finanzrecht.

G 64. Betrifft ein steuerpflichtiger Rechtsvorgang Grundstücke, die von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften aus Aktien oder Gesell­ schaften und Bereinigungen der im § 3 bezeichneten Art nach dem 31. März 1905 erworben sind, so tritt bei Erwerbsvorgängen, die vor dem 1. Januar 1911 erfolgt sind, an die Stelle des Erwerbspreises der Wert, sofern dieser um mehr als fünfundzwanzig vom Hundert hinter dem angegebenen Er­ werbspreise zurückbleibt und sich nicht aus den Umständen ergibt, daß die höhere Bemeffung des Erwerbspreises keine Steuerersparung bezweckt.

5 65. Hat vor dem 1. Januar 1911 eine Auseinandersetzung gemäß § 7 Ziffer 3 stattgefunden, so bleibt die Steuerpflicht für die Zeit vor der Auseinandersetzung auf den Antest des Erwerber« beschränkt. Diese Vorschrift findet entsprechende Anwendung, wenn die Zuweisung an einen Erben unter Anrechnung auf den Erbtest auf letztwilliger Verfügung von Todes wegen beruht und der Erbteil vor dem 1. Januar 1911 einge­ treten ist. Hat einer von mehreren Abkömmlingen gemäß § 7 Ziffer 4 von seinen Eltern, Großeltern oder Voreltern vor dem 1. Januar 1911 gegen Entgelt ein Grundstück erworben, so bleibt für die Zeit vor dem Erwerb die Steuerpflicht aus den Anteil beschränkt, der dem Erwerber als gesetz­ liches Erbteil ohnehin angefallen sein würde. Ist von dem Anteil des Erwerbers für die Zeit vor dem 1. Januar 1911 eine Zuwachssteuer bereits entrichtet, so wird diese Steuer aus die nach diesem Gesetze zu entrichtende Abgabe angerechnet.

§ 66. Der Bundesrat erläßt die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen und ist berechtigt, die nach diesem Gesetze fällige Abgabe auch über den Anteil des Reichs hinaus aus Billigkeits­ gründen zu erlaffen. Er ist auch ermächtigt: 1. RechtSvorgänge für steuerpflichtig zu erklären, die eS — ohne unter 83 1, 5 zu fallen — einem anderen ermöglichen, über das Grundstück wie der Eigentümer zu verfügen; 2. für solche Fälle über die Berechnung des Wertzuwachses Bestim­ mungen zu treffen, die von den §§ 8 bis 27 abweichen.

Die vom Bundesrate gemäß Abs. 2 getroffenen Anordnungen find dem Reichstag, wenn er versammelt ist, sofort, andernfalls bei seinem nächsten Zusammentreten vorzulegen. Sie find mit Wirkung von ihrem Inkrafttreten ab außer Kraft zu setzen, soweit der Reichstag dies verlangt.

H 67.

Abs. 3 des 3 85 des Reichsstempelgesetzes erhält folgende

Faffung:

Die Entgegennahme der Auflassung oder, wenn diese nicht vor dem Grundbuchrichter erfolgt, die Eintragung des neuen Eigentümers im Grundbuch kann nach dem Ermeffen des Gerichts von einer vor­ gängigen Sicherheitsleistung für den Abgabenbetrag abhängig gemacht werden. Ueber Erinnerungen gegen die Anordnung der Sicherheits­ leistung wird im Aufsichtsweg entschieden.

16. Zilwach1steu«rg«setz.

§§ 64—70.

1327

G 68. Der § 89 des Reichsstempelgesetzes vom 15. Juli 1909 (ReichS-Gesetzbl. S. 833) erhält mit Wirkung vom 1. Oktober 1909 ab folgende Fassung: Bon Grundstücken, die auf Grund von Borschriften gebunden find, die nach den Artikeln 57, 58, 59 des Einführungsgesetzes zum Bürger­ lichen Gesetzbuch von den Borschriften des Bürgerlichen- Gesetzbuchs unberührt bleiben, ist an Stelle der Abgabe nach Tarifnummer 11 eine jährliche Abgabe von '/so vom Hundert des Wertes zu entrichten. Die Ermittelung des Wertes findet nach den Bestimmungen des 8 16 des Erbschaftssteuergesetzes vom 3. Juni 1906 (ReichS-Gesetzbl. S. 620) in dreißigjährigen Zeitabschnitten statt. Der erste dreißigjährige Abschnitt beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem das Grundstück der Bindung unterworfen wird, und sofern dieser vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes liegt, mit den« 1. Oktober 1909. Für die Zeit vom 1. Oktober 1909 bis zum 13. Juni 1914 wird zu der im Abs. 1 vorgesehenen Abgabe ein Zuschlag von '/so vom Hundert des ermittelten Wertes jährlich erhoben. Die Abgabe ruht auf dem Grundstück und güt als öffentliche Last im Sinne des 8 10 Ziffer 3 des Gesetzes über die Zwangsver­ steigerung und Zwangsverwaltung. Grundstücke, zu deren rechtsgültiger Veräußerung weder eine landes­ herrliche oder sonstige Genehmigung noch die Zustimmung von Familien­ mitgliedern oder Dritten erforderlich ist und deren BeräußerungSerlöS nach den gesetzlichen oder hauSverfaffungSmäßigen oder stiftungsmäßigen Bestimmungen der freien Verwendung unterliegt, gelten nicht als gebunden im Sinne der Vorschriften dieses Paragraphen. Bon der Abgabe befreit sind der LandeSfürst und die Landesfürstin.

K 69. An die Stelle des 8 90 des Reichsstempelgesetzes treten folgende Borschriften: Bei Veräußerungen, die in die Zeit bis zum 30. Juni 1914 fallen, wird zu der in Tarifnummer 11 vorgesehenen Abgabe von '/vom Hundert des Kaufpreises ein Zuschlag von einhundert vom Hundert erhoben. Nach dem 30. Juni 1914 wird der Steuersatz in Tarifnummer 11 von drei zu drei Jahren durch den BundeSrat einer Nachprüfung unterzogen. Uebersteigt innerhalb des dreijährigen Zeitraums der durchschnittliche JahreSanteil des Reichs am Ertrage der Zuwachs­ steuer den Betrag von fünfundzwanzig Millionen Mark, so ist der Steuersatz in Tarifnummer 11 mit Wirkung vom Beginn des der Feststellung folgenden Rechnungsjahres für die folgenden drei Jahre nach näherer Bestimmung des Bundesrats entsprechend herabzusetzen. Die Borschristen deS Abs. 2 finden auf die Abgabe nach 8 89 Anwendung. Insoweit die Abgabe für eine Zeit bezahlt ist, für welche die Herabsetzung eintritt, ist vom Reiche entsprechender Rück­ ersatz zu leisten. § 70. Die Befreiungsvorschrift am Schluffe der Tarifnummer 11 deS Reichsstempelgesetzes wird dahin abgeändert:

1328

X Gruppe: Steuer- und Finanzrecht.

Befreit find auf Antrag: 1. Grundstücksübertragungen der in a und d dieser Tarifnummer be­ zeichneten Art, wenn der stempelpflichtige Betrag bei bebauten Grund­ stücken 20 000 Mark, bei unbebauten Grundstücken 5000 Mark nicht überschreitet. Erwirbt dieselbe Person von demselben Veräußerer durch verschiedene RechtSvorgänge mehrere Grundstücke oder Grund­ stücktsteile, so find die Uebertragungen steuerpflichtig, wenn der Wert zusammen die angegebenen Beträge übersteigt, und die Umstände er­ geben, daß der Erwerb zum Zwecke der Ersparung der Steuer in mehrere RechtSvorgänge zerlegt worden ist. WaS im Sinne dieser Vorschrift als bebautes und unbebautes Grundstück anzusehen ist, be­ stimmt sich nach dem § 1 be8 Zuwachssteuergesetzes. Die Steuerfreiheit tritt nur ein, wenn weder der Erwerber und sein Ehegatte im letzten Jahre ein Einkommen von mehr als 2000 Mark gehabt haben, noch einer von ihnen den Grundstückshandel gewerbsmäßig betreibt. Wird fefigestellt, daß der Erwerb für Rech­ nung eines Dritten erfolgt, so ist die Steuerfreiheit nur zu gewähren, wenn die Voraussetzungen für die Befreiung auch in der Person des Dritten vorliegen. Beurkundungen von Uebertragungen der Rechte eines befreiten Erwerbers werden in betreff der Stempelpflichtigkeit auch dann wie Beurkundungen von Veräußerungen behandelt (a Abs. 2 Satz 1 dieser Tarifnummer), wenn der erste Erwerber das VeräußerungSgeschäst erweislich auf Grund eines VollmachtsaustragS oder einer Geschäfts­ führung ohne Auftrag für einen Dritten abgeschloffen hat und die Uebertragung der Rechte dieses ersten Erwerbers an den Dritten erfolgt. 2. Eigentumsveränderungen, denen fich die Beteiligten aus Gründen des öffentlichen Wohles zu unterwerfen gesetzlich verpflichtet sind. G 71. Die Anmerkung zur Tarifnummer 11 des ReichSstempelgesetzeS erhält in Abs. 1 folgende Fassung: Stempelabgaben unter fünfzig Pfennig werden nicht erhoben. Höhere Beträge, welche nicht ohne Bruch durch zehn teilbar sind, werden auf den nächst höheren durch zehn teilbaren Betrag abge­ rundet; Stempelbeträge über fünf Mark, welche nicht ohne Bruch durch fünfzig teilbar find, werden auf den nächst höheren durch fünfzig teilbaren Betrag abgerundet.

K 72. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1911 in Kraft. Die Vorschriften der Landesgesetze und die Satzungen der Gemeinden und Gemeindeverbände, welche die Besteuerung des Zuwachses bei der Ver­ äußerung von Grundstücken betreffen, treten mit Wirkung vom 1. Januar 1911 außer Kraft, soweit sie nicht gemäß § 60 aufrecht erhalten werden. Die vor dem 1. Januar 1911 eingetretenen Rechtsvorgänge und die im 8 63 bezeichneten Fälle des EigentumSübergangeS unterliegen auch dann nach diesen Gesetzen und Satzungen der Zuwachssteuer, wenn das Ver­ fahren zur Feststellung der Steuer erst nach dem Inkrafttreten dieses Ge­ setzes zum Abschluß kommt.