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German Pages [287] Year 1981
John Boardman
Rotfigurige Vasen aus Athen Die archaische Zeit
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BAND 4
VERLAG PHILIPP VON ZABERN · MAINZ AM RHEIN
JOHN BOARDMAN
DIE ARCHAISCHE ZEIT
Ein Handbuch Übersetzt von FLORENS FELTEN
VERLAG PHILIPP VON ZABERN · MAINZ AM RHEIN
285 Seiten mit 528 Abbildungen Umschlagbild vom: Junger Barbitonspieler. Detail vom Außenfries einer Trinkschale des Brygosmalers. Würzburg, Martin-von-Wagner-Museum der Universität. Um 480 v. Chr. Umschlagbild hinten: Hockender Silen. Detail vom Außenfries einer Trinkschale des Epiktetos. Würzburg, Martin-von-Wagner-Museum der Universität. Um 520 v. Chr.
First published by Thames and Hudson, London, äs ÄTHENIAN RED FIGURE VASES: THE ARCHAIC PERIOD © Thames and Hudson 1975 •B für die deutsche Ausgabe 1981 Verlag Philipp von Zabern, Mainz ISBN 3-8053-0234-7 Satz: Studio Feldafing Karin Geiss Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Printed in West Germany by Philipp von Zabern.
INHALT
1 EINFÜHRUNG
7
2
DIE ERSTE GENERATION Die rotfigurige Technik; Erfindung und Experiment; die Pioniere; Schalenmaler; Aspekte des Vasenhandels
13
3
DIE SPÄTARCHAISCHEN MALER Der Kleophrades- und der Berliner Maler; andere Vasenmaler; Schalenmaler
98
4
MANIERISTEN UND ANDERE Manieristen; Vasenmaler; Schalenmaler
195
5
FORMEN UND DATEN
226
6
DIE VERZIERUNG Konventionen; Inschriften; Pflanzenmuster und Ornamente; Tiere und Fabelwesen
231
7
BILDER AUS DEM LEBEN 237 Alltagsleben; Kampf; öffentliche und private Unterhaltung; Sport; Handel und Gewerbe; Religion; historische Gestalten
8
MYTHOLOGISCHE BILDER Die Götter; Herakles; Theseus; andere Helden; der trojanische Sagenkreis; andere Gestalten
246
Abkürzungen
262
Anmerkungen und Bibliographie
263
Abbildungsverzeichnis
271
Index der Künstler und Gruppen
280
Index der mythologischen Themen
282
Gesamtindex
284
Kelchkrater, signiert von Euphronios. Ά)ά und Sarpedon. Siehe Abb. 22
1. Kapitel EINFÜHRUNG
Die Technik der rotfigurigen Vasenmalerei wurde gegen 530 in Athen erfunden — zu einer Zeit, als die schwarzfigurige Technik gerade ihren Höhepunkt überschritten hatte und als in der griechischen Welt von den westlichen Kolonien bis hinüber nach Ionien eine Reihe anderer bedeutender Vasenmalerateliers blühte. Gegen Ende der reichlich fünfzig Jahre, von denen in diesem Buch die Rede sein soll, existierte nur noch die rotfigurige Malerei Athens ats einziger bedeutender figürlicher Malstil auf griechischen Vasen, und ihre Maler hatten sich mit Problemen der Zeichnung auseinandergesetzt und Lösungen gefunden, die selbst die Vorstellungskraft früherer Künstler überstiegen. Daß dies seinen Einfluß auf den sozialen Status der Maler hatte, scheint aus den Informationen hervorzugehen, die uns die Pioniere liefern. Als einzigen Rivalen gab es in Athen die schwarzfigurige Technik, die weiterhin produktiv blieb, aber nach 500 rasch an Qualität verlor und nach 470 nicht mehr der Betrachtung wert ist — mit Ausnahme der Bilder auf Panathenäenvasen. Obwohl Athen, in erster Linie durch die hervorragenden, wenn auch stark fragmentierten Weihungen von der Akropolis, eine Hauptquelle für unsere Beurteilung der rotfigurigen Vasenmalerei darstellt, verdanken wir doch dem Exporthandel, vor allem nach Italien, die größte Anzahl vollständig erhaltener Vasen; die Beispiele sind demnach eher in den Museen Italiens und des Westens als in denen Griechenlands zu suchen. Die ungemein weite Verbreitung dieser Werke, die weit über die griechische Welt hinausreicht, hat auf Grund der genauen Datierbarkeit der griechischen Keramik wichtige historische Hinweise für nichtgriechische Kulturen mit sich gebracht; gleichzeitig liefert sie wertvolle Belege für den Keramikhandel Athens oder andere athenische Interessen. Wir werden in diesem Buch hin und wieder solche Themen berühren, in erster Linie aber geht es in dieser Arbeit um die Einblicke in die Tätigkeit einer Gemeinschaft von Handwerkern in einer größeren griechischen Stadt, um Informationen historischer, sozialer und mythologischer Art, die uns die figürlichen Bilder liefern können, und nicht zuletzt um die Eigenart des Werks der bedeutenderen Künstler. Der schwarzfigurige Maler Exekias (tätig zwischen 545 und 530) hatte das Handwerk der Vasenmalerei auf die Stufe der höheren Künste erhoben, und diesen Rang bewahrte es in den Händen einiger Maler der archaischen Zeit, bis ihm die Maler von Tafelbildern oder Wandgemälden den Rang abliefen.
Diese Aussagen und Eigenschaften versucht die vorliegende Arbeit zu dokumentieren und dem Studierenden und Kenner antiker Kunst oder dem Liebhaber vollendeter Zeichenkunst vor Augen zu führen. Sie bildet die Fortsetzung zu dem Handbuch über schwarzfigurige Vasen aus Athen, das 1974 erstmals erschienen ist (auf englisch; 1977 deutsche Ausgabe) (SVA); in gleicher Weise wie jenes versucht sie sowohl die Entwicklung des Stils darzustellen, wie auch eine Anleitung zu Verständnis und Genuß der Figurenszenen zu liefern. Einige Fragen sind bereits in S VA besprochen worden; sie brauchen hier nur kurz rekapituliert zu werden. Die Abbildungen sind zahlreich, wenn auch kleinformatig; sie wurden so ausgewählt, daß sie Stil, Formen und Dekoration so umfassend wie möglich illustrieren. Um die Qualität der besseren Vasen voll einschätzen zu können, muß sich der Leser an die Photographien in natürlicher Größe oder an die Vergrößerungen in teureren Kunstbüchern wenden — oder an die in öffentlichen Sammlungen zugänglichen Vasen selbst. Ich bringe Umzeichnungen von Vasenbildern, wenn dadurch Details oder ganze Szenen besser wiedergegeben werden können; darunter befinden sich unveröffentlichte Zeichnungen Beazleys, bei denen verdickte Bleistiftlinien die Anwendung von Konturen in „Relieflinie" anzeigen, was Photographien nicht leisten können. Einige der älteren Zeichnungen, die hier verwendet werden, erfüllen ihren Zweck, auch wenn sie im Detail fehlerhaft sein mögen. Die meisten auf Vasen dargestellten Figuren und Szenen lassen sich nicht vollständig und ohne Verzerrung in einer einzigen Photographie aufnehmen. Das bedeutet aber nicht einen grundsätzlichen Fehler in der Anlage der Vasenbilder, da ja in der Natur durch Bewegung der Augen und Hände das ganze Bild aufgenommen werden kann. Der Inhalt dieses Buches umfaßt die archaische Zeit bis hin zu den 70er Jahren des 5. Jahrhunderts; ein kurzer Ausblick behandelt einige archaische Stilvarianten, die bis in früh klassische Zeit hinabreichen. Diese Kapitel stützen sich notwendig stark auf die Arbeiten Sir John Beazleys, der sich im Laufe seines Lebens (er starb 1970) ein einmaliges internationales Ansehen erworben hatte und zur allgemein anerkannten Autorität auf diesem Gebiet geworden war, wie es bisher auf dem Gebiet der Altertumsforschung noch nie in gleicher Weise der Fall gewesen war. Ich bin selten von der Anordnung seiner Listen abgewichen, oder habe nur zögernd seine Schlüsse in Frage gestellt — Schlüsse, die er selbst angesichts neuer Funde oder Erkenntnisse immer wieder bereitwillig revidierte. In der klassischen Archäologie gibt es keinen Platz für Dogmen, für ein hartnäckiges Festhalten an bequemen Behauptungen, oder für die glatten kunsthistorischen Verallgemeinerungen, die vielleicht den Studierenden befriedigen können, nicht aber dem Material gerecht werden. Der Gegenstand verändert sich zu rasch. Einen nicht geringen Teil an Beazleys Brillanz pachte seine Bescheidenheit aus — Dummköpfe jedoch konnte er nicht ertragen. 8
Beazley hat in mehreren seiner frühen Aufsätze seit 1910 die Prinzipien für die Zuweisung von Vasen an bestimmte Maler demonstriert; sie beruhen auf Methoden, die von Morelli und anderen Gelehrten des 19. Jahrhunderts auf die italienische Malerei angewendet worden waren. Grundlage sind Beobachtung und Vergleiche von Details — in Anatomie und Kleidung —, die in Verbindung mit dem Studium von Pose, Komposition und des undefinierbaren Stils Zuweisungen an eigenwilligere Künstler selbst für Anfänger möglich machen. Wie objektiv ist das? Es mag den Anhänger der „Neuen Archäologie" nicht befriedigen, doch brauchen wir keineswegs schamhaft zu verschweigen, daß wir unsere Augen ebenso wirkungsvoll benützen können wie unsere technischen Geräte. Die Zusammenhänge innerhalb einer Gruppe von Vasen, die Beazley einer Hand zugewiesen hat, lassen sich durch Computeranalyse von Details (mögen sie auch subjektiv ausgewählt sein) aufzeigen. Die Mühen jedoch, die Zehntausende von athenischen Vasen für einen Computer aufzubereiten, um so die Maler zu entdecken, würden durch die Resultate nicht gerechtfertigt, auch wenn sich das für ein einzelnes Monument mit sich gleichförmig wiederholenden, aber von verschiedenen Händen stammenden Figuren machen läßt (wie bei den Reliefs von Persepolis, wo allerdings das Auge rascher zum gleichen Resultat kommen konnte). Es gibt andere Spezialprobleme bei der Forschung auf dem Gebiet der rotfigurigen Töpferarbeit, wo stärker mechanische Vergleiche möglich sein können. Hier helfen Töpfersignaturen und die Untersuchung der Profildetails, worin Professor Bloesch Pionierarbeit geleistet hat. Die Beziehungen von Töpfern zu Malern und die Kriterien, durch die sich Meister-SchülerVerhältnisse oder Werkstattbeziehungen bestimmen lassen, sind manchmal klar und manchmal nicht. Beazley hielt es für notwendig, darauf hinzuweisen, daß er „einen Unterschied zwischen einer Vase von einem Maler und einer Vase in seiner Art" mache; „und daß ,Art', ,Imitation', ,Nachfolge', .Schule', .Kreis', .Gruppe', .Einfluß', .Verwandtschaft' in meinem Wortschatz nicht Synonyme sind". Nicht jeder, der sich mit dieser Materie befaßt, wird imstande sein, all diesen Unterscheidungen zu folgen. Wenn das einem Maler zugewiesene spätere Werk Vergröberung in der Zeichnung zeigt, ist das dann als Anzeichen für die nachlassende Sehkraft eines älteren Mannes zu werten, oder bezeichnet es das Werk eines Schülers oder Nachahmers? Euphronios, der in seiner Jugend malte, arbeitete in späteren Jahren nur als Töpfer. Und er fühlte sich veranlaßt, eine Weihung für gute Gesundheit auf die Akropolis zu stiften. Das können wir aus Inschriften entnehmen. Haben andere ihren Pinsel weniger bereitwillig aus der Hand gelegt? Und überhaupt, wer war wichtiger in einer Werkstatt — der Maler oder der Töpfer? Der Töpfer braucht schließlich den festen Einbau eines Töpferofens für seine Arbeit, und zweifellos beherrschten viele oder sogar die meisten Künstler beide Tätigkeiten. Noch ein weiterer Punkt, auf den in diesem Buch und in S VA immer wie-
der Bezug genommen wird, soll hier erwähnt werden: der mögliche nichtathenische Beitrag zur Entwicklung der rotfigurigen Malerei in Athen. Im Hinblick auf den ostgriechischen Einfluß auf andere Kunstgattungen mag eine solche Verpflichtung gegenüber Ionien auch hier plausibel erscheinen, doch ist es unmöglich, dafür einen stilistischen Nachweis zu erbringen die einzige Ausnahme bilden da Mäander und Viereckmuster, die in Ostgriechenland auf eine alte Tradition zurückblicken können, während sie in der schwarzfigurigen Malerei selten sind. In der rotfigurigen Malerei aber treten sie, wie wir sehen werden, regelmäßig erst seit etwa 500 auf. Ebenso scheinen sich die Palmettenmuster einer genauen Definition zu entziehen. Man ist sich offenbar darüber einig, daß die Metöken-Bevölkerung am künstlerischen Leben Athens Anteil hatte, doch können wir keinen einzigen Maler ausmachen, dessen Ausbildung nicht vollständig nach athenischem Muster erfolgt zu sein scheint, auch wenn die Gefühlslage einiger Maler mit ausländischen Namen (wie Skythes) eine neue Auffassung anzudeuten scheint. Versuche, die allein auf Grund des Stils den Kleophrades-Maler zum Korinther machen wollen, können kaum überzeugen. Als interessanter könnten sich die Schreibweisen herausstellen — so beim ionisierenden GoluchowMaler, Eigenarten beim Buchstabieren des Phintias (der seinen Namen in der attischen Form Philtias schreiben kann) oder des Brygos-Malers (p statt ph wie der Skythe bei Aristophanes). Die Namen an sich sind vielsagend, und wenn wir sie in ihrer Gesamtheit sehen, lassen sie sich jenen Argumenten, die sich auf den nachweisbaren Gebrauch ausländischer Namen in einigen vornehmen griechischen Familien stützen, wirkungsvoll entgegensetzen. Wir haben in SVA und vorliegendem Buch über 125 Namen von Töpfern und Malern athenischer Vasen betrachtet. Von diesen tragen mindestens die Hälfte Namen, die (soweit sich das beurteilen läßt) für die Angehörigen Athener Familien sowohl der höheren wie der niedrigeren Klassen entschieden nicht angemessen sind. Manche nennen ein fremdes Land oder eine andere Rasse — Lydos, Skythes, Sikanos, Sikelos, Syriskos, Kolchos, Thrax, Kares, Mys; andere tragen Namen, die anderswo zuhause sind oder von fremden Namen abgeleitet sind — etwa Amasis, Brygos, Midas, Phintias, Ismenos, Makron und Herm-Namen, die in Ostgriechenland am gebräuchlichsten sind; bei einigen scheint es sich um Spitznamen oder angenommene Namen zu handeln — Epiktetos („ der Neuerworbene" — ein Sklavennamen), Pistoxenos („treuer Fremder" = Syriskos), Euenporos („guter Händler"), Onesimos („nutzbringend"), Paidikos („knabensüchtig"), Priapos, Smikros („klein"), Oreibelos (,,Bergsteiger"). Es ist jedoch schwierig, Kategorien aufzustellen, und dies sind nur Beispiele. Es ist hier nicht der Platz, Einzelerklärungen zu versuchen, noch ist bisher genügend darüber bekannt, wie oder wann Metöken oder Sklaven zu ihren Namen kamen oder diese wechselten. Wir wissen nur, daß es für sie einfacher war als für Bürger. Man fasse nur die Liste der Kalos-Namen von denselben Vasen ins Auge, unter denen sich kaum ein ein10
ziger Namen dieses Typs findet, um den Unterschied in Status und Herkunft zwischen den Künstlern und ihren Idolen zu beurteilen. Es handelt sich hier um eine Periode, in der wir — zum ersten Mal in der griechischen Kunst — literarische Hinweise auf das Werk und den Stil von Malern finden können — allerdings nicht von Vasen-, sondern von Wandmalern. Zwar ist der Haupteinfluß der großen Wandmaler auf die Vasenmalerei in nacharchaischer Zeit anzusetzen, doch gibt es ein paar späte Kommentare zu ihren Vorgängern. Plinius berichtet, daß vor Polygnot — also in spätarchaischer Zeit — der Maler Kimon aus Kleonai Verkürzung und Dreiviertelprofil (wenn Plinius den Ausdruck richtig versteht und wenn wir Plinius verstehen) und realistische Details in Gewand und Anatomie (Adern) einführte. Jene echte Verkürzung ganzer Glieder, die einem späten Kritiker bemerkenswert erschienen wäre, ist für die archaische rotfigurige Malerei nicht bezeichnend; also blieben entweder die Vasenmaler hinter Kimons Errungenschaften zurück oder wir datieren Kimon zu früh. Es hieß von ihm, er habe auf das Werk des Atheners Eumaros verbessernd eingewirkt, und manche wollen in diesem den Eumares erkennen, den Vater des athenischen Bildhauers Antenor, der zwischen 530 und 510 tätig war. Da uns jeder Bericht über größere Wandmalereien dieser Zeit in Athen fehlt, können wir auch nicht behaupten, daß Wandmalerei in irgendeiner Weise bereits ihren Einfluß ausübte. Doch neuere Entdeckungen archaischer griechischer Malereien in Gräbern in Italien (Paestum [-/.-/]) und Lykien (Elmali [-/.2]) sollte uns daran mahnen, daß wir gerade auf diesem Gebiet — der Malerei mit größeren Figuren und dem stärkeren Realismus vermittelnden hellen Hintergrund — mit bedeutsamen Fortschritten in der Komposition rechnen sollten. Wir wenden uns jedoch einer anderen Kunstgattung zu, um eine Erklärung dafür zu finden, wie es zur rotfigurigen Vasenmalerei kam.
Rotfiguriges Schalenfragment, photographiert m reflektiertem Licht, um die Umrißzeichnung zu zeigen: ,,Relieflinie' für Kontur und Hüfte, verdünnte Farbe für die übrigen anatomischen Details
11
1.1 Grabgemälde in Paestum
1.2 Grabgemälde in Elmali
1.3 Bemalte Stele aus Sounion
1.4 Fries des Sipbnierschatzhauses in Delphi
2. Kapitel DIE ERSTE GENERATION
Die rotfigurige Technik Nahezu hundert Jahre lang war jede Figurendekoration auf athenischen Vasen in „schwarzfiguriger" Technik ausgeführt worden. Das bedeutete schwarz aufgemalte Silhouetten mit eingeritzten linearen Details und zusätzlicher roter und weißer Deckfarbe für die Angabe von Einzelheiten bei Haar, Gewand oder des weiblichen Inkarnats. Den Ansprüchen Korinths hatte diese Technik sogar noch länger genügt, doch wirkte sie in vielerlei Hinsicht einengend, und in anderen Teilen Griechenlands — vor allem auf den Inseln und im Athen des 7. Jahrhunderts — hatte man Figuren in Umrißzeichnung bevorzugt, die oft mit reichem Farbauftrag geschmückt wurden. Wahrscheinlich lag es am erfolgreichen Keramikhandel Korinths, daß die Vorherrschaft der schwarzfigurigen Technik erhalten bleib, doch gerieten darum die Malweisen mit Umrißzeichnung keineswegs in Vergessenheit. Die hervorragendsten schwarzfigurigen Maler Athens waren im dritten Viertel des 6. Jahrhunderts tätig. Sie stießen zum Höhepunkt und zu den Grenzen dessen vor, was diese Technik leisten konnte. Fortschritt war unmöglich, der Niedergang unausweichlich — das erweist das folgende halbe Jahrhundert schwarzfiguriger Vasenmalerei. Das bedeutete jedoch nicht das Ende der Figurenmalerei auf Vasen, denn gegen 530 wurde in Athen eine Alternative, die „rotfigurige" Technik, erfunden, die diesem Handwerk wieder zu neuem Leben verhalf. Im Gegensatz zur schwarzfigurigen Malerei war das eine wesentlich athenische Errungenschaft, und so gut wie alle figürlich verzierten Vasen des 5. und 4. Jahrhunderts sind rotfigurige Vasen aus Athen, wenn wir von den durch Athen inspirierten süditalischen Schulen absehen, die in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts mit ihrer Produktion beginnen. Für den Betrachter ist leicht zu erkennen, wie sich diese Veränderung auswirkt. Rotfigurige Malerei ist die Umkehrung der schwarzfigurigen: Figuren und Muster werden ausgespart und behalten die Farbe des roten Tongrundes, wobei lineare Details aufgemalt werden und der Hintergrund schwarz abgedeckt wird, während vorher der Hintergrund unbemalt blieb, die Details eingeritzt und die Figuren schwarz aufgemalt wurden. Die Verfahrensweise läßt sich vielleicht am besten verdeutlichen, wenn wir die Herstellung einer rotfigurigen Vase beschreiben, bevor wir uns der Betrachtung 13
der Vor- und Nachteile und den Ursprüngen dieser Technik zuwenden. Der Töpfer übergibt dem Maler die Vase in trockenem, lederhartem, fast sprödem, aber noch ungebranntem Zustand. Der Maler kann dann die Umrisse der geplanten Dekoration mit einem stumpfen Instrument, das leichte Furchen hinterläßt, oder Holzkohle, die beim Brand der Vase herausbrennt, auf die Oberfläche des Gefäßes aufskizzieren. Diese Entwürfe werden anschließend durch Farbe oder andere Zurichtung der Oberfläche verdeckt, doch sind die Furchen gewöhnlich noch sichtbar [5] und liefern oft den Nachweis für Körperhaltungen oder Kompositionen, die dann beim Malen verändert wurden. Die Figuren werden dann mit einer Linie oder einem Streifen schwarzer Farbe umrissen, und anschließend trägt der Maler die Details ein, wobei geringfügigere Bereicherungen durch zusätzliche Farbe bis zum Schluß aufgespart werden. Schließlich wird der Hintergrund ausgefüllt. Pflanzen- und Einfassungsmuster sind bereits vorher aufgetragen worden — damit ist das Gefäß bereit zum Brand. Die übliche schwarzbraune Glanzfarbe erzielte keine ideale Wirkung, wenn feine Linien gezogen werden sollten; sie war ziemlich flüssig und bei einem feinen Strich blieb nur so wenig auf der Vase haften, daß sich als Resultat ein blasses Braun oder ein honigfarbener Ton, nicht aber tiefes Schwarz ergab. Das hatte auch den schwarzfigurigen Malern Schwierigkeiten bereitet, und bald nach der Mitte des 6. Jahrhunderts hatte man eine neue Farbmischung und neue Mittel des Auftrags entwickelt, die eine tiefschwarze, stolz über die Oberfläche der Vase aufragende „Relieflinie" ermöglichten. Die schwarzfigurigen Künstler benützen sie als Trennungslinie bei Zungenmustern oder für Speere und Stäbe. Die rotfigurigen Maler benützten sie — anfangs nur zögernd —, um die Umrisse der Figuren schärfer zu fassen (viele schwarzfigurige Maler bewerkstelligten dies durch Ritzung), da sonst die dünnere Farbe nicht immer klar definierte Ränder hinterließ, außerdem verwendeten sie sie für anatomische Details und solche der Gewänder. Doch erkannten sie auch bald den Wert jener Eigenschaft, die ursprünglich als Mangel der dünneren Farbe angesehen worden war — sie setzten sie weiterhin für untergeordnete lineare Details ein und konnten so ihre Figuren durch Linien unterschiedlicher Intensität differenzieren und Flächen in verdünnter Farbe oder mit Fleckeneffekten für Tierfelle gestalten (s. die Abb. auf S. 11). Die Relieflinie ist für die frühe rotfigurige Malerei so wichtig, daß wir hier — obwohl in diesem Band sonst keine Töpfertechniken besprochen werden sollen — ein Wort darüber sagen müssen. Die Experten haben sich lange den Kopf darüber zerbrochen, wie die Relieflinie aufgetragen wurde, da ihre Farbe sehr dick gewesen sein muß und sicherlich nicht leicht vom Pinsel ablief. Oft ist festzustellen, daß eine solche Linie als geschlossener Grat beginnt, dann aber mit einer Mittelfurche endet. Das spricht sicherlich für eine kräftige Borstenspitze, die reichlich mit sorgfältig zubereiteter Farbe 14
versehen ist. Solange diese Borste viel Farbe trägt, zeichnet sie einen geschlossenen Strich, leert sie sich, so fehlt an der Borstenspitze die nötige Farbe, um die fortlaufende Linie zu füllen, die die Spitze zieht. J.V. Noble, dem wir in bezug auf Erforschung und Darlegung griechischer Töpfertechniken so viel verdanken, hat an ein für diesen Zweck verwendetes Hohlnadelgerät gedacht. Doch die technische Fertigkeit der Griechen beruht auf Sorgfalt, nicht auf technischen Tricks. Die Hohlnadel würde eine sehr komplizierte Koordinierung von Druck und Bewegung verlangen und kann jenen Übergang von Grat zu Furche nicht befriedigend erklären. Auch fällt es schwer zu glauben, daß schwarzfigurige Maler ein solches Instrument erfunden hätten, nur um Einfassungsmuster und Speere zu zeichnen, und von einer Verwendung in einem anderen Handwerk wissen wir nichts. Es gab andere offenkundige Vorteile der neuen Technik. Mag auch der schwarzfigurige Gravierstift für miniaturistische Details leichter zu handhaben sein als der Pinsel, so gewährt dieser doch in allen anderen Hinsichten größere Freiheit. Die Figuren waren nun lebensähnlich — oder doch zumindest lebensnäher als die unrealistischen schwarzen Silhouetten, und sie hoben sich scharf umrissen von dem schwarzen Hintergrund ab. In anderen Kunstgattungen ließen sich die Forderungen tradierter Muster und anatomischer Plausibilität leichter miteinander in Einklang bringen, doch die kompromißlos zweidimensionale Qualität der schwarzfigurigen Malerei, die Frontal- und Profilpartien des menschlichen Körpers unvermittelt aneinanderfügte, konnte dem neuen Interesse keinesfalls ebenso wirkungsvoll entgegenkommen wie die Pinselarbeit, zumal wenn Linienzeichnung von unterschiedlicher Intensität eingesetzt werden konnte. Die Beschränkungen, die die neue Technik mit sich brachte, waren jedoch nicht unerheblich. Die einfache Unterscheidung der Geschlechter durch Schwarz-männlich und Weißweiblich ist nicht mehr möglich, und Haar- und Gewanddetails erweisen sich hier nicht immer als eindeutig, zumal die Tendenz vorherrscht, Götter und Heroen jugendlich und demzufolge bartlos darzustellen. Auch traten dadurch Anfangsschwierigkeiten auf, daß man die Dicke der Konturlinie nicht in Rechnung zog, die ja bei der Ausfüllung des Hintergrundes vom Körper abgezogen wird; so kommt es zu einigen unnatürlich dünnen Gestalten. Ohne Zusatzfarben und mit weniger ornamentalen Details werden Vorwürfe mit sich überschneidenden Figuren unübersichtlich, so kommt es zu der Tendenz, die Figuren voneinander getrennt zu halten. All das waren Beschränkungen, die für den Maler klar auf der Hand lagen und mit denen er auf verschiedenste Weise kämpfte und fertig wurde. Eine andere, die ihm nicht deutlich wurde, lag in der Wirkung des schwarzen Grundes, der jede Möglichkeit der Wiedergabe von Raumtiefe ausschloß; das bedeutete für dieses Handwerk, daß kein Versuch gemacht wurde, auch nur die einfachste Perspektive darzustellen. Die Figuren stehen wie im Rampenlicht auf einer schmalen Bühne. Wandmaler der klassischen Zeit wurden nicht in gleicher 15
Weise behindert, da sie einen weißen Hintergrund verwendeten, der ihnen Fortschritte ermöglichte; allerdings sind ihre Gemälde nur in antiken Berichten oder in römischen Kopien erhalten. Während des 6. Jahrhunderts mag es, soweit wir das beurteilen können, nicht allzu große Unterschiede im Aussehen der großen Gemälde und der schwarzfigurigen Vasenbilder gegeben haben. Die rotfigurige Malerei aber bedeutet einen entschiedenen Bruch mit den Maltraditionen; sie war, wie wir sehen werden, von anderer Seite her inspiriert. Zwar war in der Vasenmalerei des 6. Jahrhunderts in Athen immer wieder Umrißzeichnung praktiziert worden — zuletzt vom Amasis-Maler —, doch das Erscheinungsbild konturierter Figuren vor einem schwarzen Hintergrund war neuartig, auch wenn es ein paar kretische Vasen des mittleren 7. Jahrhunderts gibt, die diesen Effekt in primitiver Art vorwegnehmen. Es genügt vielleicht, die neuen Figuren unter dem Gesichtspunkt schlichter Wirklichkeitsnähe zu erklären — Fleisch ist eher blaßrot als schwarz; für den dunklen Hintergrund aber brauchen wir uns nur an eine verwandte Kunstform zu wenden, die immer in enger Verbindung mit der linearen Zeichnung gestanden hatte und möglicherweise von denselben Künstlern betrieben wurde — die Reliefplastik. Es war allgemeiner Brauch, den Reliefhintergrund dunkelrot oder -blau zu bemalen, während die Figuren die weiße Farbe des Marmors behielten und nur Gesichtszüge und Gewand durch Farbauflage hervorgehoben wurden. Rotfigurige Malerei ohne Zusatzfarben bringt die gleiche Wirkung. Flache Reliefskulptur war — besonders auf den Grabstelen — in Athen beliebt, und sie sollte später noch eine wichtigere Rolle als Bauschmuck einnehmen. In manchen Fällen handelte es sich dabei um kaum mehr als sorgfältige Linienzeichnung, die in flachem Relief hergestellt wurde, und bei einigen Stelen, bei denen die Figuren nur aufgemalt sind, wird wie bei den Reliefs der dunkle Hintergrund beibehalten [1.3]. Vom Siphnierschatzhaus in Delphi sind uns große Teile von vier Relieffriesen erhalten, die sich ziemlich genau in die Zeit knapp vor 525 datieren lassen und uns eine genaue Vorstellung von den Figurendarstellungen vermitteln, die zwanglos ihre Entsprechung auf den frühesten rotfigurigen Vasen finden [1.4]. Der Vergleich mit der Plastik mag jedoch noch tiefer gehen, und es ist vielleicht gerechtfertigt, in manchen Konventionen der rotfigurigen Malerei eine bewußtere Nachahmung von Reliefarbeiten zu erblicken. So scheint ein Großteil der linearen Detailzeichnung im Rotfigurigen eher den Kontur anzuzeigen als Flächen zu begrenzen: was der schwarzfigurige Maler mit geraden, sich überschneidenden Begrenzungslinien umreißen würde, das gibt der rotfigurige Maler durch gerundete Umrisse wieder. Augenfällige Beispiele sind die Wiedergabe von Bauchmuskeln, der Muskeldetails um die Knie und auf den Beinen, oder der Gebrauch von Hakenmotiven für die Angabe von Schlüsselbeinen oder Knöcheln, die wiederum Relieferhebungen markieren und von den schwarzfigurigen Malern selten verwendet worden waren. Man 16
hätte vielleicht Schattierungsversuche erwarten können, die Relief geben sollten, aber derartiges findet sich nur sehr selten und in ganz rudimentärer Form (zwischen den Bauchmuskeln des Antaios auf [23], oder bei dem Schildrand auf [268]). Wenn jedoch Palmettenblätter Mittelgrate zu zeigen beginnen, dann hat das die Wirkung, daß sie eher den Reliefanthemien auf Grabstelen oder in Architekturzusammenhängen gleichen, und wenn das Mittelblatt einer Palmette die sie umgebende Ranke überschneiden kann [JP./], so erhöht das den dreidimensionalen Eindruck. Zunehmende Beobachtung anatomischer Muster war immer mehr zum Charakteristikum der Plastik des 6. Jahrhunderts geworden, und zwar nicht zuletzt in der Reliefplastik, wo anspruchsvollere Posen und Kompositionen realisiert werden konnten als in der Freiplastik. Die Maler der rotfigurigen Technik beuteten diese neuen Errungenschaften in einer Weise aus, die dem schwarzfigurigen Maler versagt blieb; manchmal mag es sogar so scheinen, als hätten sie hier eine Führerrolle eingenommen, denn gerade auf Vasenbildern finden wir zum ersten Mal die genaue Beobachtung der Gewichtsverlagerung auf ein Bein und ihrer Auswirkung auf die Durchgestaltung des Körpers — jener Körperhaltung also, die eines der Hauptmerkmale für den Übergang von der Archaik zur Frühklassik in der Plastik werden sollte. Wir können hier also die Entwicklung eines Handwerks beobachten, das während einer entscheidenden Übergangsphase der griechischen Kunst die Avantgarde bildete. Es ist ein Glücksfall für die Historiker, daß zu dieser Zeit bedeutende Künstler den Entschluß faßten, sich im Athener Töpferviertel ihr Brot zu verdienen.
Erfindung und Experiment Der ANDOKIDES-MALER (von etwa 530 bis 515 tätig) ist der erste uns bekannte Maler, der die vollentwickelte rotfigurige Technik anwandte; seinen Namen hat er nach dem Töpfer erhalten, für den er arbeitete. Wir besitzen mindestens 14 Amphoren und zwei Schalen von seiner Hand, und die Hälfte von ihnen zeigt auch Bilder in schwarzfiguriger Technik — sechs Amphoren sind „Bilinguen" mit einem rotfigurigen Bild auf der einen und einem schwarzfigurigen auf der anderen Seite [2]; eine andere Amphora zeigt schwarzfigurige Malerei auf weißem Grund auf der Lippe [6]; die Außenseite einer Schale bedient sich beider Techniken, eine andere ist nur innen schwarzfigurig bemalt. Die schwarzfigurige Handschrift findet sich wieder auf einer Reihe rein schwarzfigurig bemalter Vasen, die Beazley dem Lysippides-Maler zugewiesen hat (SVA Abb. 163, 165—6). Er hat seine Meinung darüber, ob es sich hier tatsächlich um zwei oder nur um einen Künstler handelt, mehr als einmal geändert und sich schließlich für zwei Künstler entschieden — eine Lösung, die viele andere Forscher nicht recht akzeptieren konnten. Ein grundsätzliches Argument gegen diese Annahme liegt darin, 17
daß der erste rotfigurige Maler seine Karriere kaum sofort mit der neuen Technik begonnen haben kann. Überdies sind die frühesten rotfigurigen Bilder unseres Malers so weitgehend reine Umkehrungen der schwarzfigurigen, daß er von seiner Ausbildung her ein schwarzfiguriger Maler gewesen sein muß und nicht etwa ein Wandmaler, der wahrscheinlich auf hellem Hintergrund und ohne Detailritzung gearbeitet hätte. Die Schwierigkeiten beginnen, wenn wir Vergleiche anstellen zwischen ähnlichen Szenen, die in beiden Techniken ausgeführt wurden. Drei der bilinguen Amphoren zeigen in der Tat auf beiden Seiten die gleiche Szene. Bei der Bostoner Amphora mit Herakles und dem Stier ist die Entsprechung eng: [8] und S VA Abb. 764. Bei den anderen Vasen sind die Unterschiede so groß, daß entweder eine andere Hand angenommen werden muß, oder aber der Künstler absichtlich seine Spuren verwischte und Unterschiede betonte. Die rotfigurigen Bilder auf anderen Bilinguen entsprechen so genau den schwarzfigurigen Bildern des „Lysippides-Malers" (S VA Abb. 162—3), daß die Identität sicher scheint; der Andokides-Maler malte also tatsächlich schwarzfigurig — aber malte er auch alle schwarzfigurigen Bilder auf seinen Bilinguen? Wie bei allen solchen Problemen der Zuweisung ergibt sich die Antwort aus dem Studium der Details, der Themen und der Komposition. Was letztere angeht, so ist rein statistisch gesehen die Identität fast vollständig — die gleiche Vorliebe für bestimmte Heraklesszenen und die gleichen Darstellungsweisen (neue Schemata des Löwenkampfes: im Knien, im Liegen oder im Überwurf
[7; 10]; Herakles mit Kerberos; Herakles beim Gelage mit Athena: S VA Abb. 161—3). Was die Details der Zeichnung angeht, so ist die Antwort weniger klar. Viele Einzelheiten sind gleich — Helme, Bäume, Tiere, Ornamente —, doch die untergeordneten anatomischen Details, die so oft den Ausschlag bei der Zuweisung geben, bieten Probleme. Kniee sind bevorzugte Partien für die Ausprägung charakteristischer Darstellungsmuster. Im Schwarzfigurigen werden sie gewähnlich in schwellender Amorbogenform wiedergegeben — im Rotfigurigen durch zwei lange Haken [5, 9]. Bei [8] jedoch ähnelt die rotfigurige Zeichnung des Knies der schwarzfigurigen, und wenn wir den Unterschied der Technik in Betracht ziehen, wird die Abweichung verständlich. In der schwarzfigurigen Malerei bereitete es keine große Schwierigkeit, eine einzige kurze Linie einzuritzen, die viermal die Richtung 18
der Kurve ändert. Mit einem steifen Pinsel ist das fast unmöglich — daher das Aufsplittern des Musters in zwei lange Haken, die zudem der Darstellungsweise der Muskeln über und unter der Kniescheibe in der Reliefplastik recht ähnlich sind. War eine solche Lösung einmal gefunden, so konnten beide Versionen auf ein und derselben Vase auftreten. Ein weiterer Blick gilt den Ohren. Die schwarzfigurigen Ohren zeigen Ohrläppchen und Antitragus als zwei durchgezogene Kurven. Im Rotfigurigen kommt es wieder zum selben technischen Problem, so daß — obwohl die Ausdehnung des langen Ohrläppchens die gleiche ist — die Unterteilung gewöhnlich weggelassen oder nur geringfügig angedeutet wird [3], während die Innenzeichnung des Ohres aus kurzen Linien besteht. Das mag wie ein Verweilen bei Trivialitäten erscheinen, aber für einen Versuch, die Identität und die Leistung des Erfinders der rotfigurigen Technik herauszuarbeiten, bedarf es keiner Entschuldigung — und schließlich sind das Kriterien, auf denen Malerzuweisungen beruhen. Die Ornamente auf den Vasen sind noch durchweg schwarzfigurig, und der Einfluß der älteren Technik läßt sich am reichlichen Gebrauch von Dekormustern auf dem Gewand, an der Menge von Deckrot und an der freizügigen Verwendung von Ritzung zur Einfassung der schwarzen Haarflächen ablesen. Von Anfang an werden die aufgerissenen Augen der schwarzfigurigen Männer durch die für beide Geschlechter anwendbare Mandclform ersetzt; die Augen sind jedoch immer noch frontal, und die Pupillen rücken noch kaum nach vorne. Der Andokides-Maler ist sich offenbar nicht sicher, wieweit er von anatomischen Details Gebrauch machen soll. Vieles läßt er weg, doch auf der New Yorker Amphora — einer seiner frühesten Vasen — führt er uns ein vollständig ausgeführtes Muster der Bauchmuskulatur vor. Gewänder enden in s-förmig gekurvten Säumen und nicht in den engen Zickzackfalten der späteren rotfigurigen Malerei; Unsicherheiten erkennen wir noch darin, wie er Körperkonturen durch Gewänder durchscheinen läßt. Die bekleideten Männer des Andokides-Malers sind der Zeichenweise des schwarzfigurigen Meisters Exekias, m dem wir seinen Lehrer erkennen dürfen, noch nah verwandt. Er kopiert auch einige seiner Themen, etwa Aias und Achilleus beim Spiel: [2] und S VA Abb. 100. Wir können uns tragen, welche Rolle Exekias bei der Erfindung der rotfigurigen Malerei spielte. Was Techniken und Formen angeht, war er erfinderisch, doch seine schwarzfigurige Malerei geht nie so leicht in Umrißzeichnung über, wie das bei manchen seiner Zeitgenossen der Fall ist, und technische Neuerung muß nicht Hand in Hand mit hohem Künstlertum gehen. Die Themen des Andokides-Malers zeigen einen Wandel nicht so sehr in der Wahl der Objekte als vielmehr in der Stimmung: individuelle Figuren treten stärker in den Vordergrund. Sie reichen vom traditionellen Mythos — darunter Neuheiten wie der Herakles, der, ein Bündel Spieße haltend, einen Stier zum Opfer treibt — bis hin zu Genreszenen — etwa die Badenden auf D
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[4]. Diese sind auf ungewöhnliche Art wiedergegeben: der Grund ist nicht der übliche tonfarbene, sondern er ist vor der Bemalung weiß überzogen worden. Er benützte weißen Grund auch für die schwarzen Figuren auf der Lippe der New Yorker Amphora [6], doch in unserem Fall wirken die Figuren eher, als wären sie in schwarzfiguriger oder Sixscher Technik ausgeführt, obwohl sie doch in der neuen Art ausgespart sind. Wenn Vergleiche zwischen den Friesen des Siphnier-Schatzhauses und seinem Werk gerechtfertigt sind, dann muß er um 530 begonnen haben, rotfigurig zu malen. Mit Ausnahme der Budapester Schale, die früh anzusetzen ist [5], sind die meisten seiner Bilinguen später entstanden (um 520); sie zeigen eine bewußtere Gegenüberstellung der beiden konkurrierenden Malweisen, die auf der Schale in Palermo eindrucksvoll aufeinanderstoßen — dort wechseln die Techniken mitten in der Figur zwischen Körper und Schild (S V A Abb. 160). Es gibt noch andere Bilinguenmaler und Neuerer, die hier betrachtet werden müssen. Psiax [11 — 15] signiert zwei Alabastren, die Hilinos verfertigt hat, und seine Hand läßt sich auf anderen Vasen — einschließlich Amphoren — der Töpfer Andokides (eine Bilingue [14]) und Menon erkennen. Er zeigt mehr Interesse an kleineren Formaten. Er beginnt in den zwanziger Jahren des 6. Jahrhunderts zu malen und seine rotfigurigen Bilder stehen bereits jenseits der Experimentalphase; er zeigt Körperkonturen durch die Gewänder hindurch und legt weniger Wert auf Farbe und Muster. Die Pflanzenornamente auf seinen Vasen sind noch schwarzfigurig, gelegentlich aber auch bereits in frühester rotfiguriger Gestaltung mit Fächerpalmetten und spitzen Lotosblüten [12]. Seine Arbeiten sind einander in beiden Techniken sehr ähnlich, wobei die Ritzung im Schwarzfigurigen spröde und geziert wirkt. Er hat sich erst spät zum Rotfigurigen bekehrt und dekoriert eine schwarzfigurige Halsamphora für Andokides, bei der sich die Figurendarstellung jedoch auf den Hals beschränkt, während der schwarzgedeckte Körper eher der Art des neuen Stils zugerechnet werden könnte. Das schwarzfigurige Werk (SVA Abb. 168—71) hat manches von der fiebrigen Eleganz des Amasis-Malers, von dem Beazley meinte, er könne vielleicht sein Lehrer gewesen sein; dieser Effekt beruht jedoch zum Teil auf dem bewußten Versuch, einige der neuen rotfigurigen Eigenarten auf die ältere Technik zu übertragen. !n der rotfigurigen Malerei beherrschte er die Wiedergabe von Gewändern besser als die der Anatomie; dort übertreibt er die Bauchzeichnung seines zusammenbrechenden Kriegers [/5] und scheitert völlig an der Dreiviertelansicht, obwohl er versucht, den nachschleppenden Fuß in Frontalansicht zu drehen. Er benützt freizügig Ritzung für Haar und Waffen und Deckweiß für manche Details wie Schwänze oder Kränze; für die Wiedergabe einer Bogensehne greift er zu Reliefangabe. Bei Schwarzfigurigen Werken verwendet er weißen Grund, und er malt auch in Sixscher Technik (s. SVA S. 115 f.): gerade diese weißgrundigen Vasen zeigen an, daß er noch um 20
2-1,2 Bauchamphora (Typ A) des Andokides-Malers. Aias und Acbiüeus beim Spiel
3. l ~3 Bauchamphora (Typ A) des A ndokides-Malers
4 Bauchamphora (Typ A) des Andokides-Malers. Weißgrundige Figuren
Vorzeichnung
5.1-3 Schale des Andokides-Malers
6 Bauchamphora (Typ A) des Andokides-Malers. Weißgrundige Lippe
Rauchamphora (Typ A) des Andokides-Malers. Herakles und der Löwe
Bauchamphora (Typ A) des Andokides-Malers. Herakles treibt einen Stier zum Offer. H. 53,3
9. l Bauchamphota (Typ A) des AndokidesMalers. Herakles und die Amazonen
9.2 Rückseite von 9. l
10 Bauchamphora (Typ A) des Andokides-Malers. Herakles und der Löv
11 Bauchamphora (Typ A) des Psiax. Dionysos beim Gelage
12 Alabastron, von Psiax signiert
13 Schale des Psiax
14.1,2 Bauchamphora (Typ A) des Psiax. Artemis, Satyr und Dionysos
15 Schale des Psiax
16 Teller des Paseas. Herakles und Kerberos. Kr. 18,9
18 Votivtafel. Br. 7,3
17 Teller des Paseas
19 Schale. Dionysos
21 Oinochoe des GolucbowMalers. H. 21
510/500 tätig war. Vielleicht hat er nicht bis zum Schluß seiner Laufbahn an der rotfigurigen Technik festgehalten. Sein Themenrepertoire ist anspruchslos — er zeigt dionysische und apollinische Szenen, Krieger in Aktion oder beim Auszug, wobei er Bogenschützen besonders liebt [12, 13], Ein weiterer wichtiger Maler beider Techniken ist Paseas (der früher Kerberos-Maler hieß), dessen Blütezeit um 520/10 liegt [16, 17]. Sein rotfiguriges Werk — hauptsächlich auf Schalen und Tellern — zeigt die für Schalenmaler dieser Zeit kanonische Art; seine Figuren sind zierlich und haben ziemlich große Köpfe, oft mit hoch liegenden und weit nach vorne gerückten Augen. Er zeigt ein hartnäckiges Interesse an Farben und Mustern, wie das der Teller in Boston deutlich macht [16], dem er, vor Bekanntwerden seines wirklichen Namens, seinen Spitznamen verdankte (SVA S. 115 f.), oder auch der Teller in Oxford, auf dem Miltiades gepriesen wird (die Schrift läßt sich im Photo nicht festhalten). Hier haben manche Gelehrte versucht, den berittenen Bogenschützen in nördlicher Tracht [17] mit dem jüngeren Miltiades, dem späteren Sieger von Marathon, der in diesen Jahren in Thrakien tätig war, in Verbindung zu bringen. Miltiades wird nur hier als kalos bezeichnet, doch er war zu dieser Zeit kein Jüngling mehr und die Tracht ist nicht thrakisch, obwohl sie vielleicht in Athen als solche hingenommen worden wäre. Das schwarzfigurige Werk des Paseas findet sich auf weißgrundigen Tafeln, die für die Weihung auf der Athener Akropolis hergestellt wurden (SVA Abb. 172), und der Grund dafür, daß wir ihn hier nennen, liegt in seiner Verwendung der Farben und seiner Verwandtschaft mit Psiax. Auf einer rotfigurigen Tafel benützt auch er weißen Grund, jedoch nicht wie der Andokides-Maler für alle Figuren, sondern nur für die Frauen, die gerade derbe Liebesbeweise von den Männern erhalten; ihr Fleisch ist in der natürlichen roten Tonfarbe belassen. Das Thema mag für eine Votivtafel merkwürdig erscheinen, doch kehrt es auf einer Tafel von der Akropolis wieder [18], die eben dieselbe weiß-rot-Färbung der Geschlechter verwendet, jedoch den Hintergrund nicht schwarz abdeckt; sie ist etwas später entstanden. Dieser extreme Farbrealismus machte offenbar keine Mode, doch verfehlt er keineswegs dort seine Wirkung, wo, wie bei diesen Szenen, der Unterschied der Geschlechter ausschlaggebend und erregend ist. Man hätte vielleicht erwartet, daß in stärkerem Ausmaß mit reiner Umnßzeichnung auf rotem oder weißem Grund experimentiert worden wäre, doch eine ausgiebige Anwendung dieser Technik blieb dem 5. Jh. vorbehalten. Aus den Anfangsjahren der rotfigurigen Technik gibt es eine Schale in Adolphseck [19], die einfache Umrißzeichnung in der allerfrühesten rotfigurigen Art auf der Außenseite und ein gewöhnliches schwarzfiguriges Gorgoneion im Inneren autweist. Um einiges später ist die Schale in Gotha [5/] mit Umrißfiguren auf weißem Grund außen und rotfiguriger Malerei der Pioniergruppe im Inneren. Vereinzelte Experimente werden mit einem Schalenfragment in rotfiguriger Zeichnung auf korallenrotem statt schwar31
zem Grund faßbar (so zeigt sich ein paralleler Gebrauch zu jenem mit schwarzen Figuren auf der berühmten Schale des Exekias, SVA Abb. 104.3), und mit einer Tafel, die in ähnlicher Weise weißen Grund verwendet. Schließlich gibt es einige Beispiele primitiver rotfiguriger Malerei [20], manchmal auf bilinguen Vasen, die im übrigen nach Art der üblichen schwarzfigurigen Malerei des späten 6. Jahrhunderts dekoriert sind. Der Goluchow-Maler wird von Beazley dazugezählt, was ich wegen der groben Anatomie seiner Figuren auf Oinochoen [2l] und seiner Farbanwendung für richtig halte, wenn auch die Körperhaltungen den Pionieren einiges zu verdanken scheinen und manche Forscher ein späteres Datum für seine Arbeiten vorziehen. Er benützt auf seinen Vasen zwei Alphabete — das attische und das ionische der Kykladen —, ein Sachverhalt, der einer kurzen Überlegung wert ist. Vieles andere, das — in der Reliefplastik und Architektur — im Athen dieser Jahre entstand, ist nachweisbar vom Werk ionischer und inselgriechischer Künstler beeinflußt, und daß diese sich tatsächlich in Athen aufhielten, beweisen uns Basen mit Inschriften auf der Akropolis. Während des ganzen 6. Jahrhunderts hat es auch immer wieder Einwirkungen auf die Vasenmalerei gegeben. Ist etwa die rotfigurige Malerei auch eines der Geschenke des Ostens? Sie ist sicherlich nicht dort erfunden worden, und ihre Abhängigkeit von den Konventionen der schwarzfigurigen Malerei liegt auf der Hand. Der kosmopolitische Charakter des Athener Töpferviertels offenbart sich eher in der Übernahme von Gefäßformen oder Ornamenten, als in einem unmittelbaren Einfluß auf den Stil. Die Tradition der Vasenmalerei war um 530 in Athen zu fest verwurzelt und in ihrer Führerrolle in der ganzen griechischen Welt zu unumstritten, als daß sie einem radikalen Wandel durch fremde Anregung hätte Raum geben können. Wenn wir nicht-athenisches Blut für einige der Künstler vermuten oder sogar nachweisen können (s. Kapitel 1), so brauchen wir deshalb noch nicht nach typisch fremden Elementen in ihrer Kunst zu suchen.
Die Pioniere Die Maler der Pioniergruppe sind vielleicht die interessantesten von allen Malern, die je im Töpferviertel Athens tätig waren, und zwar nicht nur ihrer künstlerischen Verdienste wegen, sondern auch wegen ihrer Wesensart und ihrer Zusammengehörigkeit als Gruppe. Es scheint, als ob wir hier zum ersten Mal in der Geschichte der westlichen Kunst eine gezielte Bewegung, einen Zusammenschluß von Künstlern, fassen könnten. Da wir nicht mehr über sie wissen als das, was sich von ihren Vasen ablesen läßt, — es fehlt an jeglicher Unterstützung durch antike Schriftsteller —, dürfen wir die Rekonstruktion ihrer Laufbahnen, ihrer gemeinsamen Ziele, und sogar noch ihrer Rivalitäten als einen Triumph der archäologischen Forschung ansehen, auch 32
wenn es viele Archäologen gibt, die es vielleicht nicht als solchen anerkennen. Die Eigenarten, die sie von ihren Vorgängern und auch von vielen ihrer Nachfolger absetzen, lassen sich leicht bestimmen. Sie waren vollendete Künstler. Wenn Beazley Smikros einen „nicht guten Zeichner" nennt, so trifft das nur im Kontext dieser Gruppe zu. Obwohl ihre frühesten Werke nur etwa ein Jahrzehnt nach der Erfindung der rotfigurigen Malerei anzusetzen sind, dürfen wir nicht vergessen, daß die Erfinder und Experimentierer, wie sie im vorangehenden Abschnitt vorgestellt wurden, noch tätig waren. Doch während diese die „Mechanik" der neuen Technik weiterentwickelten, bemühten sich die Pioniere um das Wesen dessen, was die neue Technik zu leisten imstande war; sie verfeinerten sie im Zeichnungs- und Kompositionsdetail und erreichten so eine Qualität an Stimmungsgehalt und Erzählweise, die weit über das hinausführte, was ein Psiax oder Paseas realisieren konnte, und die auch einige Künstler der Folgezeit nur auf Teilgebieten weiterzuführen vermochten. Sie zogen es vor, große Gefäße zu bemalen — alle Varianten der Kratere, Amphoren vom Typus A, Psyktere und Hydrien —, aber sie dekorierten auch Schalen und Teller, wobei sie sich als ebenso vollendete Miniaturisten wie Großformatmaler erwiesen. Sie waren schreibfreudig und gesprächig. Sie signierten ihre Werke freizügig, gaben den Gästen bei den Symposien, die sie malten, Namen, streuten Mottos und Herausfordeningen ein, und ließen ihre Figuren sogar im Stil der modernen Cartoons sprechen. „Wie niemals Euphronios" („hos oudepote Euphronios") prahlt Euthymides auf [JJ.2] neben einer seiner anspruchsvolleren anatomischen Studien eines menschlichen Körpers in Bewegung, und sofort verspüren wir eine Atmosphäre der Rivalität zwischen avantgardistischen Künstlern. Euthymides war ein stolzer Mann, und er fügt seiner Signatur manchmal den Namen seines Vaters Pollias bei, in dem wir sicherlich den Bildhauer erkennen dürfen, dessen Signatur sich auf Basen von der Akropolis findet. Er selbst wird auf zwei Vasen aus dieser Gruppe, die keiner bestimmten Hand zugewiesen sind, gegrüßt („chaireto Euthymides"; „Euthymides chaire"), und eine trinkende Frau auf einer Vase des Phintias prostet ihm zu („soi tendi Euthymidei kaloi" [38.1]). Auf derselben Vase wird ein junger Mann, der eine Leier hält, als Euthymides ausgewiesen [35.2]. Unter den gegebenen Umständen scheint es falsch, eine Identifizierung abzulehnen, doch dürfen wir keine Porträtähnlichkeit erwarten. Smikros war ein Maler aus dieser Gruppe — unglücklicherweise ist sein Name alles andere als selten, aber er identifiziert sich selbst als Trinker auf einer seiner eigenen Vasen [J2.2], und so wird es wohl derselbe Mann sein, den Euphronios beim Gelage darstellt und ähnlich benennt [Kopfdetails, links]. Smikros wird auch in einem unverständlichen Motto (das offenbar eine Bemerkung von ihm festhält) auf einer Vase, die dem Euphronios nahesteht, genannt, und auf einer anderen wird er als kalos bezeichnet. Die Gruppe nimmt Anteil an der Be33
wunderung und am Interesse für die jugendlichen Schönheiten des Tages — Philiades, Antias und vor allem Leagros, für den eines der trinkenden Mädchen des Euphronios die Neige aus der Schale schleudert: „tin tande latasso [= latageo] Leagre" [27 links]. Die Familie des Leagros, des Lieblings der Gruppe, lebte im Demos Kerameis, so daß der Jüngling eine vertraute Gestalt auf Gesellschaften im Töpferviertel gewesen sein mag. Können wir bei einem „Smikros kalos" annehmen, daß einige unserer Künstler derselben feinen Gesellschaftsschicht angehörten? Unter den Athleten auf zwei Vasen des Euphronios wird einer (namentlich) als Phayllos bezeichnet, er tritt weiterhin auf einer Vase des Phintias und auf zwei weiteren auf (von denen eine von Euphronios stammt?) — sicherlich handelt es sich um den berühmten Phayllos von Kroton, der in Salamis kämpfte und drei Siege bei den Pythischen Spielen errang, und der auch in Athen bekannt genug war, um eine Statue auf der Akropolis zu erhalten. Ein Sosias arbeitete als Töpfer für die Gruppe, und ein Sosias oder Sosis wird auf Vasen des Phintias, Euphronios und anderer genannt. Wiederum ein Sosias wird auf einem Vasengraffito, das in der Athener Agora gefunden wurde, als Sodomit bezeichnet, doch die Zufälle der Erhaltung ersparen uns die Notwendigkeit, den Namen des Anklägers als Euphronios zu ergänzen, und überhaupt scheint das Graffito ausreichend jünger zu sein. Es gibt einige gemeinsame Stilmerkmale, die als bezeichnend für die besten Bilder der Jahre von 520 bis 500 gelten dürfen, und die sich unschwer zusammenfassen lassen. Einige von ihnen gelten in gleicher Weise für die gleichzeitigen Schalenmaler, von denen noch die Rede sein soll. Die Pioniere haben weitgehend das Interesse an der Farbe verloren, und nur Euphronios wendet noch beträchtliche Mühe auf für Gewandmuster in der Art des Andokides-Malers oder der schwarzfigurigen Maler. Dafür werden auf einigen der besten Vasen Reliefpunkte für die Angabe von Ringellocken, Trauben oder Pflanzenelemente in Figurenszenen eingesetzt, und Euphronios und Euthymides bringen korallenrote Bänder auf ihren Schalen. Die Ritzung der Haarkonturen stirbt aus, und die Anwendung der Relieflinie für die meisten Umrisse und die markanteren Angaben anatomischer Details oder der Gewandzeichnung gehört auf den besseren Vasen zum festen Bestand. Euthymides setzt — fast allzugern — die verdünnte Farbe für anatomische Effekte ein. Bei Gewändern wird der Kontrast zwischen verdünnter Farblinie und Relieflinie gut genützt, wobei die dünnen Linien in der Regel für die dicht beieinanderliegenden Wellenlinien bei Chitonoberteilen eingesetzt werden; Euthymides benützt verdünnte Linien jedoch auch neben den schweren Falten von Himatien und Röcken. Die Zickzack-Säume der Gewänder werden durch realistischere S-Kurven ersetzt, ohne daß sie dadurch auch nur im geringsten an der dekorativen Wirkung von gerafften oder sich öffnenden Falten verlieren. Die weitergeführte, von innen gesehene Saumlinie wird als einfache bogenförmige Kurve oder eine Reihe von Kurven 34
wiedergegeben. Die Augen senken sich in Richtung zum Tränenkanal hin und öffnen sich dort gelegentlich leicht, wobei die runde Pupille im Mittelpunkt oder knapp davor sitzt. Augenlider sind bei den besten Bildern unerläßlich. Variationen der Körperhaltung sind Gegenstand der individuellen Erfindungskraft. Es mag ausreichen, wenn wir bemerken, daß die Pioniere ihre Figuren agieren lassen wie sie wollen, ohne daß sie durch Technik oder Konventionen behindert werden, die die schwarzen Figuren der früheren Jahre zu einer puppenartigen Starrheit und Steifgliedrigkeit verurteilt hatten. In ihren Bildern sehen wir, wie Frontal- oder Rückenansicht eines sich drehenden Oberkörpers in einfacher Linienzeichnung plausibel wiedergegeben werden kann, wie Muskelangaben sogar in Ansätzen verkürzt dargestellt werden können, um diese Wirkung zu erhöhen. Ganze Glieder jedoch werden in ihrer vollen Länge wiedergegeben, mag dies nun in Profil- oder Frontalansicht oder in einem Versuch von Dreiviertelansicht geschehen; es kommt zu keiner wirklichen linearperspektivischen Verkürzung von Gliedern, obwohl durch das völlige Verdecken von Schienbein oder Schenkel bei liegenden Figuren oder durch Draufsicht oder Unteransicht von Füßen ein beachtlicher Ansatz zur Darstellung der dritten Dimension gemacht wird: etwa [27, 29, 5/.5J. Näher kommt man einer echten linearperspektivischen Verkürzung bei der Darstellung von Gegenständen wie Schilden. Die neuen Darstellungskonventionen für stehende Gestalten, die in Dreiviertelansicht oder gedreht erscheinen sollen, wobei ein Bein im Profil und das andere in Vorderansicht gezeigt wird, nehmen etwas vorweg (besonders dann, wenn das im Profil gezeigte Bein entlastet ist), was die Freiplastik erst eine Generation später versucht (mit dem „Kritiosknaben"). Bei der Betrachtung der Gestalt auf [24. l links] des Euphronios bemerkt man, wie er beginnt, die Verschiebung von Hüfte und Oberkörper zu beobachten, die eine solche Haltung hervorruft. Wieder stoßen wir auf ein Verbindungsglied zwischen linearer Zeichnung und Skulptur, diesmal mit der Rundplastik späterer Zeit, und es mögen sich Spekulationen darüber einstellen, in welch anderen Kunstgattungen diese Männer vielleicht noch tätig waren. Unter diesen Umständen berührt es merkwürdig, wenn wir beobachten, daß es den Künstlern weiterhin Schwierigkeiten bereitet, einen Profilkopf mit einem Torso in Frontalansicht zu verbinden: und besonders auch eine Mädchenbrust in Frontalansicht darzustellen — ein Problem, das heutzutage der unbegabteste Verfertiger von Wandgraffiti einfach durch einen Kreis und einen Punkt löst. Die Vasenmaler können sich noch nicht von der Profilansicht lösen, und wenn sie beide Brüste angeben, so können diese beide in dieselbe Richtung zeigen [27, 38.1], oder nach außen [38.1] oder nach unten, oder — und das ist wohl die unerfreulichste Lösung — nach innen. Pflanzenmuster bieten keine große Abwechslung. Euthymides und Phintias benützen noch gelegentlich alte schwarzfigurige Lotos-Palmetten-Ketten [40.2], wobei die Lotosblüten vollständig ausgedörrt sind, und dünne 35
Knospen und Blüten-Friese. Gebräuchlicher sind offene schwarze Palmetten in Rankengeschlinge, umschrieben oder abwechselnd nach oben und unten gerichtet. Die rotfigurigen Pflanzenmuster sind ähnlich angeordnet (allerdings nicht alternierend) und zeigen offene Palmetten. Es gibt einige wenige andere Varianten, von denen manche an Architekturornamente erinnern — Palmetten in Herzen (Euthymides), leierförmige Voluten (Euphronios, Pezzino-Gruppe). Die Palmetten des Sosias-Malers (die bereits recht spät sind) zeigen spitze Blätter [SO]· Die Mittelblätter überdecken die Ranken nicht (bei Phintias geschieht es einmal [39.1]). Euphronios zeichnet den rotfigurigen Lotos mit scharfen Kelchblättern, einem schwertartigen Mittelblatt und zweiblättrigen Palmetten als Füllung [22], die Lotosblüten des Euthymides sind dagegen weniger kompakt. Der Name Lotos trifft mittlerweile nicht mehr zu, doch die Schalenmaler werden botanische Genauigkeit noch weitergehend außer acht lassen. Euphronios [22—30, Titelbild] (etwa 520—505) signierte mindestens sechs Vasen als Maler und zehn als Töpfer, die er in fortgeschrittenerem Alter und für andere Maler (vor allem Onesimos) verfertigt hat. Jede seiner erhaltenen Vasen ist als vollendet zu bezeichnen, und das liegt keineswegs daran, daß die Gelehrten nicht willens gewesen wären, auch unter geringeren Werken nach seiner Handschrift zu suchen. Er liebt große Kratere, besonders den Kelchkrater, dekorierte aber auch andere Formen, darunter Schalen für den Töpfer Kachrylion. Mit der Töpferei mag er zur gleichen Zeit begonnen haben wie mit der Malerei, obwohl die Signaturen fehlen und zwei seiner
Kelchkratere von Euxitheos angefertigt wurden. Man hat angenommen, daß ein neuerwachtes Interesse an Halsamphoren mit gedrehten Henkeln auf ihn zurückzuführen sei. Ohne Frage hat er die beiden Stücke, die erhalten geblieben sind, in ganz eigener Art dekoriert; sie weisen voraus auf die bedeutsamen Dekorationsweisen des frühen 5. Jahrhunderts: die eine zeigt einen schwarzen Körper und Bilder nur auf dem Hals, die andere je eine einzelne Figur ohne Standlinie im freien schwarzen Feld auf jeder Seite der Vase. Das ist eine Gestaltungsweise, die von anderen kopiert und vom Berliner Maler zur Vollendung gebracht wurde. Sein Stil ist „klassisch" für diese Periode und zeigt nur wenige offensichtliche Merkwürdigkeiten. Seine Köpfe sind tiefräumig von Vorder- bis Rück36
seile, mit klaren, ruhigen Zügen. Die Augen sind eher schmal und die sorgfältig gezeichneten, mit Wimpern versehenen Augen öffnen sich häufig am Tränenkanal. Die Lippenumrisse sind großzügig, und die Ohren haben schwere Ohrläppchen und, bei größeren Köpfen, sorgfältige Innenzeichnung. Haarkonturen werden geritzt oder ausgespart. Die Fingerspitzen, bei denen oft die Fingernägel angegeben sind, biegen sich stark nach oben durch; die Finger sind dünn und zerbrechlich. Innerhalb des Körpers markiert er gerne auch kleinere Flächen, wie die Muskeln neben der Kniescheibe. Die Knöchel werden als Dreiecke mit doppelter Vorderlinie wiedergegeben. Er liebt strukturiertes Ornament, etwa das Schwarz-Weiß auf gemusterten Mänteln, Amazonengewändern und Möbeln, oder die verdünnte Farbe auf Löwenfell oder Haar, wenn es in einzelnen Locken gemalt wird, oder auf der Schale bei [25]. Seine Meisterwerke, die Kratere, erweisen ihre Originalität in Thematik und Komposition. Auf dem Pariser Krater ist der Ringkampf zwischen Herakles und Antaios eine Neuschöpfung [23]. Herakles müßte den libyschen Riesen eigentlich in die Luft heben, um ihn von seiner ihn immer wieder mit neuer Kraft versorgenden Mutter Erde zu trennen, aber Euphronios bemüht sich, die großen Figuren auf einer großen Vase möglichst wirkungsvoll zur Geltung zu bringen, wobei er die zierliche Frisur des Herakles mit den Reliefringellöckchen und dem gepflegten Bart zu dem ungeschlachten Riesen mit rollenden Augen, gebleckten Zähnen, wildem Haar und Bart (anderen Darstellungen von Libyern merkwürdig ähnlich) in Kontrast setzt. Der rechte Arm des Giganten ist schon gelähmt, seine Finger sind kraftlos. Sein Bein, das unter ihm abgeknickt ist, läßt uns seine Fußsohle sehen — eine Ansicht, die Euphronios offenbar liebt. Man achte auf die Verwendung verdünnter Farbe für das Haar des Giganten, in den Furchen der Bauchmuskulatur, und beim Löwenfell. Die erregten Frauen sind wohl deswegen in reduziertem Maßstab wiedergegeben, weil sie weniger wichtig sind und weil sie in dem schmalen Fries aufrecht stehen müssen, kaum aber, weil der Künstler die Perspektive beherrschte. Der New Yorker Krater bietet mit seinen geflügelten Gestalten von Schlaf und Tod, die den Leichnam des Sarpedon vom Schlachtfeld vor Troja davontragen, eine weitere Erstfassung [22, Titelbild]. Auf dem Berliner Krater [24] zeigt Euphronios Studien von Körperhaltungen — hier sind sie gelungen, weniger allerdings auf einem weiteren Krater in Paris, der nur fragmentarisch erhalten ist und etwas unbeholfen posierende Zecher bringt, die über schlüpfrige Weinschläuche stolpern. Diese Art der Zeichnung kann die geplante Aktion des Tanzes, Kampfes oder Sports überzeugender einfangen als den zufälligen Sturz. Es gibt weitere großartige Interpretationen des Mythos — Herakles im Kampf mit den Amazonen auf einem Volutenkrater [29], oder mit Geryoneus auf einer Schale [26], oder die Götter beim Besuch von Peleus 37
und Thetis auf einer anderen. Aber das Alltagsleben brachte den Pionieren ebensoviele Anregungen für ihre Bilder, das können die Züchtigung — ich frage mich wofür — auf [30] und die Frauengesellschaft auf [27] bezeugen. Ein Mädchen trinkt hier auf Leagros, der von Euphronios auf einem Dutzend anderer Vasen gepriesen wird; sie gehören wohl dem Jahrzehnt von 515 bis 505 an. Die größte Gesellschaft von allen war auf einem Krater dargestellt, von dem sich Fragmente in München befinden: auf ihm wird Smikros genannt [Kopfdetails, links]. Smikros [31, 31] (etwa 510—500) signierte zwei Stamnoi und eine Strickhenkelamphora als Maler, und auf den beiden ersteren preist er die Schönheit des Antias. Das sind Vorlieben für Vasenformen und einen Knaben, die er unter den Pionieren mit Euphronios teilt. Ein weiterer Stamnos, ein Psykter und zwei Peliken werden ihm zugewiesen. Wenn die Assoziationen, die sich mit diesem Namen auf den Vasen verbinden, sich alle auf ein und denselben Mann beziehen, so hat es sich wohl um einen Playboy-Künstler gehandelt. Beazley nannte ihn einen „Nachahmer des Euphronios". Zwei Vergleichspunkte haben wir festgestellt, und es läßt sich noch seine Vorliebe für Muster und die Darstellung von Einzelfiguren im freien Feld auf seinen Amphoren hinzufügen. Die Unterschiede liegen — sehen wir von einem gewissen Mangel an Erfindungsgabe in der Komposition ab — in der Zeichnung, die zwar präzis ist, aber doch bei der Darstellung von Ohren flüchtig wird, knochenlose, unbeholfene Hände zeigt, und hier und dort für einen Kopf oder Körper Sorgfalt aufbringt, um dann flüchtig über Gewänder hinwegzugehen. Am besten sind ihm seine Satyrn gelungen mit ihren dichten Schnurrbärten und Barten, ihrer beginnenden Kahlheit und den Nasen, die eher gebrochen als knollig wirken.
Euthymides [33—37] ist der Rivale des Euphronios in der G r u p p e der Pioniere — ohne Zweifel aber war er auch sein Freund; vielleicht etwas jünger, war er kein Nachahmer, sondern Euphronios ebenbürtig an Erfindungskraft und zeichnerischem Können bei etwas unterschiedlicher Auffassung von seiner Kunst. Sein freundlich gemeintes „wie nie Euphronios" steht neben einem Glanzstück an linearer Anatomie [JJ.2], und seine freizügige und manchmal verschwenderische Verwendung von verdünnter Farbe für anatomische Details verleiht seinen Gestalten einen entschieden stärker 38
plastischen Charakter. Er bringt auch gerne Inschriften, nennt sich selbst siebenmal und seinen Vater (den Bildhauer Pollias) dreimal in Verbindung mit anderen Mottos und Legenden: offenbar ein extrovertierter Mann (vergleiche die Namen: Euthymides „guter Lebensgeist", Euphronios „guter Sinn"!) und wählerisch in seinen Neigungen — er bezeichnet Megakles als schön, identifiziert aber viele andere Zeitgenossen auf seinen Vasen (darunter Leagros, Phayllos, Smikythos, Sosias). Seine Gestalten sind schwerer und fleischiger als die des Euphronios. Gewöhnlich ritzt er den Umriß der Haare und vermeidet Reliefringellocken. Im allgemeinen stützt er sich mehr auf die Linie als auf das Ornament. Er zeichnet selten Augen mit Wimpern und bringt einfachere Ohren mit einem kurzen Strich oder Haken in der Mitte; das lockere Fleisch des Hodensacks wird als solches charakterisiert, die Füße sind lang und flach und die Finger gummiartig weich. Die Mäntel stehen in steifen Falten im Nacken in die Höhe. Bei den Pflanzenornamenten bringt er seltener Lotosblüten, wobei er ihre Einzelteile voneinander trennt. Er scheint für seine Bilder die große Bauchamphora (Typ A) dem Krater vorzuziehen, und der einzige Volutenkrater von seiner Hand beschränkt sich auf Figuren in der Halszone, nicht aber auf dem Bauch (s. dagegen Euphronios [29]). Seine Meisterwerke befinden sich in München. Auf [33] wappnet sich Hektor in Gegenwart seiner zuschauenden Eltern. Teile der Figuren dürfen häufig die Einfassung überschneiden (wie auf [J4]), doch wird hier die obere Begrenzung wenig glücklich durchbrochen. Nicht ganz perfekt ist auch die Art und Weise, wie Hektors Kopf im Profil sich mit dem Körper in Frontalansicht verbindet, doch auf der Rückseite werden stolz Dreiviertelansichten von hinten und vorne vorgeführt (wir hätten ihm ähnlichen Erfolg mit dem linken Bein des rechten Tänzers gewünscht). Der Anführer der Zecher befindet sich links und wird als „komarchos" ausgewiesen. Auf [34] wird eine mild protestierende Helena von Theseus davongetragen, Korone versucht, sie zurückzuziehen (ihr Namen und der der Helena wurden vom Künstler versehentlich ausgetauscht), und Peirithoos blickt sich nach der anderen Seite der Vase um, auf der ein alter Mann und zwei Mädchen entsprechend ihrem Alter und ihrem Geschlecht reagieren. Der Beitrag des Euthymides zur Gruppe der Strickhenkelamphoren mit Einzelfigurendarstellungen besteht in einem Satyrn und einem Jüngling. Bei den Ringkämpfern auf einem Psykter [36] bringt er seinen Versuch eines Beines in Dreiviertelansicht, die ihm jedoch mit der Umrißzeichnung in Frontalansicht, der verschobenen Kniescheibe und dem Fuß im Profil mißlingt. Gesichter von vorne waren bisher Grotesken vorbehalten geblieben, und sie gelingen auch weiterhin nur, wo verzerrte Züge verlangt werden wie bei dem Flötenspieler auf [35] (vgl. den Zecher des Euphronios auf [25]). Auch Euthymides hatte seine Nachahmer, und wir werden auf sie zurück39
kommen, doch gibt es auch meisterliche Maler, deren Werk mit dem seinen verwandt ist. Phintias [38—42] (etwa 525—510) wird wohl etwas älter gewesen sein, und wir haben sein schriftliches Kompliment für den jüngeren Mann bereits erwähnt. Er signierte sieben Vasen als Maler (uneinheitlich: Phintias, Phitias, Philtias, Phintis) und drei als Töpfer (zwei sind muschelförmige Gefäße, das andere eine Schale für einen qualitätvollen rotfigurigen Maler [49]). Er malt gezierter als Euthymides und liebt Relieflocken und Details wie Fingernägel, Knöchel, Fußsohlen, und gelegentlich ein Leitermuster entlang dem Brustbein. Wie Psiax ritzt er einige innere Muskeln und Gewandlinien, ohne sie zu malen. Verglichen mit Euthymides sind seine Figuren weniger überzeugend und lebhaft, auch sind die Gewänder steifer und lassen die schwingenden Falten vermissen. Er liebt es, Vasen zu zeichnen, und wir sehen in seinen Bildern von Symposien, Brunnenhausszenen und einmal von einem Vasengeschäft Studien einer Fülle von Vasenformen. Eine Schale, die er für Deiniades dekorierte, erinnert ein wenig an den frühen Epiktet [42]. [39] mit dem gelungenen Kentauren und dem überraschenden Angriff ist eine weitere signierte Schale. In diesem Maßstab zeichnet er wohl am besten. Seine anspruchsvolleren Arbeiten finden sich auf den großen Amphoren. Auf [41] retten Apollon und Artemis ihre Mutter Leto vor Tityos. Dieser war ein Gigant, und als solcher wird er in der schwarzfigurigen Malerei dargestellt, doch Phintias malt ihn kleiner als die Götter, die damit sowohl ihre Göttlichkeit wie auch die Statur auf ihrer Seite haben, und das schwächt die Erzählung. Doch mit einem Athleten auf der anderen Seite der Vase versucht er sich erfolgreich an einem Bein in Dreiviertelansicht. Seine Vase in Tarquinia bietet alle Möglichkeiten der Detailzeichnung an Locken, Koteletten, Augenwimpern und Fingernägeln [40]. Phintias zeichnet sich eher in Köpfen und Gewändern aus. Hypsis (etwa 510) signiert eine Hydria und auch eine Kalpis [43, 44] — die alte und die neue Version des Wasserkruges, die er beide auf seiner Kalpis vorführt [44], auf der Mädchen am Brunnen des Dionysos („krene Dionysia") Wasser holen. Seine Gestalten zeigen einiges von der Schwere des Euthymides, und sie sind ebenso gut komponiert, auch wenn sie nicht ganz so detailliert gezeichnet sind. Am besten sind seine sich wappnenden Amazonen; hier ist die Gruppe geschickt in das rechteckige Bildfeld eingepaßt, aber es gelingt dem Maler noch nicht, den Rücken der Trompeterin und ihren linken Arm zusammenzufügen. Der Dikaios-Maler [45-47] zeigt ebenfalls Anklänge an Euthymides, doch arbeitete er auch in schwarzfiguriger Technik und zeigt da einen gekonnten, wenn auch unruhigen Stil, der dem des Psiax nahekommt. Oft bringt er schwarzfigurige Pflanzenornamente auf seinen rotfigurigen Vasen, auf denen die schmallippigen und ausdruckslosen Figuren in Kompositionen beieinanderstehen, die an die langweiligeren schwarzfigurigen Bilder dieser Zeit erinnern; hin und wieder aber sehen wir einzelne Figuren, die 40
geradezu Kopien nach Euthymides zu sein scheinen. Besser gelingen ihm die Darstellungen des Trinkens und des Liebens auf einem Psykter und einer Kalpis. Hier läßt er eine gewisse Originalität in den Körperhaltungen erkennen. Diese beiden Gefäßformen werden für solche Studien zeitgenössischen Lebens bevorzugt. Es gibt noch einige weitere erwähnenswerte Einzelstücke, die hierher gehören. Phintias töpferte eine Schale, die ein anderer, nicht weniger talentierter Künstler dekorierte [49]. Gorgos töpferte eine andere, die im Innenbild einen Knaben mit einem Hasen zeigt [49]; im Stil ist sie der Phintiasschale sehr ähnlich. Außen trägt sie auf der einen Seite eine bemerkenswerte mythologische Szene, die ein gutes Gespür für dramatische Details beweist — Achilleus im Kampf mit Memnon, dessen Speer den Schild des Achilleus durchbohrt hat und damit außer Gefecht gesetzt ist; Memnons Mutter Eos hat in tiefer Sorge ihr Gewand zerrissen und voll Bestürzung ihre Brust entblößt. Ein Sosias wurde auf verschiedenen Vasen der PionierGruppe erwähnt. Der Töpfer Sosias verfertigte eine schöne Schale [50] für einen Maler, der der späten Pionierzeit angehört — den Sosias-Maler (etwa 510—500). Die Außenseite zeigt eine für diese Technik ungewöhnliche Ansammlung von Figuren mit Herakles, der in die Versammlung der olympischen Götter eingeführt wird; die Darstellung starrt von Details an Attributen und Gewändern. Unter einem Henkel befindet sich ein Kopf des Mondes (?) in Umrißzeichnung. Auf dem Innenbild verbindet Achilleus den Arm des Patroklos. Hier ist der Maler gänzlich vom Muster gefangen genommen — an Waffen, Kappe und den trivialsten Details der Anatomie. Patroklos, der auf seinem Schild sitzt und einen Fuß gegen die Bildeinfassung stemmt, bietet eine ungewöhnliche und frühe Studie der Verwirrung und des Schmerzes. Beide Männer sind in Spannung, und mit ihren großen Augen nimmt der Künstler die spätere genauere Wiedergabe des Auges vorweg, indem er es realistisch öffnet und die Pupille nach vorne rückt. Das zeigt, was geschehen kann, wenn ein Künstler einen Augenblick lang die erlernten Konventionen außer acht läßt und um sich schaut. Die Seltenheit solcher Vorkommnisse zeigt aber auch, welch geringfügige Rolle unmittelbare Beobachtung spielte. Der Sosias-Maler hellt die Bandage und die entblößten Zähne des Patroklos mit Weiß auf, und auf der Außenseite der Schale gibt er die Granatäpfel, die eine der Göttinnen hält, in Relief wieder. Auf anderen Vasen haben wir gesehen, daß die Pioniere Relief für Lockenangabe und gelegentlich für Pflanzenornamente einsetzen, in der Regel aber vermeiden sie Farbe und zusätzliche Reliefhilfen. Eine andere Vase, die in Geist und Stil ihrem Werk eng verwandt ist, läßt mehr Experimentierfreude erkennen — es ist die Schale in Gotba (um 500) [5i]. Im Innenbild werden der rotfigurige Liebhaber und sein Geliebter von einem Hund begleitet, der in Sixscher Technik gemalt ist — weiße Farbe auf schwarzem Grund, mit gemalten und geritzten Details. Auf der Außenseite sind die Symposiasten in Umrißzeich41
nung auf weißem Grund wiedergegeben; hinzu kommen schwarze Henkelpalmetten. Das sind Techniken, die von schwarzfigurigen Malern entwickelt worden waren, und wir können uns nun Gedanken darüber machen, ob die Pioniere jemals in der alten Technik gearbeitet haben. Den Dikaios-Maler können wir fast als einen Konvertiten von der alten zur neuen Technik bezeichnen, dessen Ausbildung nicht im Rotfigurigen erfolgte. Die einzigen Beispiele dafür, wie schwarzfigurige Arbeiten (oder solche in verwandten Techniken) der Pioniere aussehen könnten, finden wir dort, wo wir sie am ehesten erwarten dürfen: auf offiziellen Werken, bei denen die alte Technik vorgeschrieben oder angemessen war: auf Panathenäenvasen oder Votivtafeln für die Akropolis (s. auch unten bezüglich Arbeiten auf weißem Grund). Das Material ist bruchstückhaft und Sicherheit ist nicht zu gewinnen, aber zwei Tafeln mit Figuren in Umrißzeichnung und zum Teil Ritzung auf weißem Grund lohnen ein näheres Hinsehen. Die eine, mit einer Athena [52], ist von Pollias, dem Bildhauer und Vater des Euthymides, geweiht und läßt sich stilistisch mit den Werken seines Sohnes vergleichen. Die andere ist größer und zeigt einen anstürmenden Krieger mit einem Satyr als Schildzeichen, wie ihn Euthymides wiederholt verwendet, und der Beischrift „Megakles kalos". Der Name Megakles ist ausradiert und durch Glaukytes ersetzt worden, zweifellos nach dem Ostrakismos des Megakles im Jahre 486 v.Chr.: er wird sonst von Euthymides und Phintias gepriesen. Ganz abgesehen von möglichen eigenen schwarzfigurigen Arbeiten beeinflußten die Pioniere eine bedeutende Gruppe rein schwarzfiguriger Vasen der letzten Jahre des Jahrhunderts, indem sie für die Maler der Leagros-Gruppe Herausforderung und Vorbild waren (s. S VA S. 120 ff.).
42
22 Kelchkrater, signiert von Euphronios, Schlaf und Tod tragen Sarpedon davon (s. Frontispiz). H. 45,8
23 Kelchkrater, signiert von Euphronios. Herakles und Antaios.
24.1—3 Kelchkrater des Euphronios
25 Kelchkrater des Euphronios
26.1,2 Schale, signiert von Euphronios. Außenseite: Herakles und Geryoneus
27 Psykter, signiert von Euphronios
28 Psykter des Euphronios. Tod des Pentheus
29 Volutenkrater des Euphronios. Herakles und die Amazonen
30.1,2 Halspelike des Euphronios
31 Halsamphora des Smikros
32.1 Stamnos, signiert von Smikros. H. 38,5
32.2 Detail von 32. l
33. l Bauchamphora (Typ A), signiert von Euthymides: Hektar, sich wappnend
33.2 Rückseite von 33. l
34.1,2 Baucbamphora (Typ A) des Euthymides. Theseus und Helena
55 Kalpis des Eutbymides
37 Halsamphorades Eutbymides
36 Psykter, signiert von Eutbymides
38.1,2 Hydria des Phintias. H. 51,5
39.1,2 Schale, signiert von Phmtias
40.1,2 Bauchamphora (Typ A), signiert von Phintias. Apollon und Herakles mit Dreifuß; Rückseite
41.1 Bauchamphora (Typ A) des Pbintias. Apollon, Artemis, Tityos und Leto
41.2 Rückseite von 41.1
42 Schale, signiert von Phintias. Herakles und Alkyoneus
43 Hydria, signiert von Hypsis. Amazonen
44 Kalpis, signiert von Hypsis
45 Bauchamphora (Typ A) des Dikaios-Malers
46 Kalpis des Dikatos-Malers
4 7 Psyk ter des Dikaios-Malers
48. l Schale, signiert von Gorgos. Achilleus und Memnon
48.2 Rückseite von 48.1. Er. 18
48.3 Innenbild von 48. l
49 Schale, von Phintias ah Töpfer signiert
50. / Schale des Sosias-Malers. Achilleus und Patroklos 50.2 Außenseite von 50.1. Einführung des Herakles in den Olymp
51.1 Schale; weißgrundig
51.2 Innenbild von 51.1
53 Tafel des Euthymides. Br. 52
52 Votivtafel des Euthymides
Schalenmaler Mindestens acht von zehn rotfigurigen Vasen, die uns von den Malern der ersten Generation nach der Erfindung der rotfigurigen Technik erhalten geblieben sind, sind Schalen. Der Andokides-Maler und die Pioniere hatten die größeren Gefäßformen bevorzugt, auf deren größerformatigen Figurenszenen die neuen Errungenschaften der Zeichnung am wirkungsvollsten vorgeführt und weiterentwickelt werden konnten. Viele Schalen der Pioniere sind große und prächtige Paradestücke — „Prachtschalen" —, die aber kaum Nachfolger fanden. Für gewöhnliche Handelszwecke ist die neue rotfigurige Technik gleichbedeutend mit Schalen. Diese zeigen nicht mehr die Vielfalt an Formen, wie wir sie bei den schwarzfigurigen Kleinmeistern antreffen. Die frühesten rotfigurigen Schalen gehören dem Typ A — „Augenschalen" an, so genannt wegen ihrer charakteristischen Dekoration (auch wenn es einige ohne Augen gibt und andererseits Augen nicht ausschließlich auf Schalen vom Typ A auftreten) —, eine Form, die vielleicht Exekias für die schwarzfigurige Technik erfunden hat, und die ihr ungebrochenes Körperprofil und das Dekorationsschema der Augen vielleicht von einer älteren Tradition in Ost-Griechenland her bezogen hat. Die frühen rotfigurigen Augenschalen haben die gleichen abgesetzten, hohen Füße wie ihre schwarzfigurigen Zeitgenossen (SVA Abb. 173, l 78); anfangs sehen diese von unten wie flache durchbohrte Scheiben aus (wie bei den Kleinmeisterschalen), werden dann aber bald zu hohlen, trompetenförmigen Füßen umgebildet, die innen schwarz ausgemalt sind. Die Entwicklung des Dekorationsschemas für rotfigurige Augenschalen ist von Beazley klar bestimmt worden. Sie erstreckt sich hauptsächlich über die zwanziger und zehner Jahre des 6. Jahrhunderts, doch gerät der Typus auch später nicht in Vergessenheit und lebt für eine kurze Weile in spätarchaischer Zeit fort (Colmar- und Antiphon-Maler); von schwarzfigurigen Malern wurde das Schema bis weit ins 5. Jahrhundert hinein weiter benützt. Die frühesten Beispiele sind meist Bilinguen mit der schwarzfigurigen Darstellung eines einfachen figürlichen Themas im Inneren und rotfigurigen Szenen auf der Außenseite. Es gibt auch rein rotfigurige Schalen, und bei ihnen allen besteht die Dekoration gewöhnlich aus einer einzelnen Figur zwischen den Augen und Palmetten an den Henkeln. Später können die Palmetten und Augen ihre Plätze tauschen („Palmetten-Augen-Schalen" wie [68]), wodurch der maskenartige Charakter zerstört wird, der schließlich völlig verloren geht, wenn die Augen selbst durch Tiere — gewöhnlich Sphingen oder geflügelte Pferde [93] — ersetzt werden. Die Palmetten auf den bilinguen Beispielen sind fast immer geschlossen und wirken wie gewaltige Fächer [61], doch später trennen und öffnen sich die Blätter, und während anfangs das Herz der Palmette oft rot ausgemalt war, wird es nun schwarz gefüllt, wobei ein kleiner Fleck im Zentrum aus61
gespart bleibt. Die Blätter sind selten mit einer Mittelrippe versehen. Eine Vielfalt von Lotosblüten oder -knospen kann hinzugefügt werden. Die Augen selbst verlieren allmählich ihren deutlich markierten Tränenkanal und werden am inneren Augenwinkel immer eckiger; der weiße Ring in der Pupille wird nun gerne weggelassen. Das Augenschema tritt in seiner späteren Form auch auf Schalen vom Typ B, wie [48], auf, bei denen der Kontur in einer fließenden Kurve bis hinunter zu einer flachen Stufe auf dem ausschwingenden Trompetenfuß durchläuft, während sich im Inneren der Schale knapp unterhalb der Lippe ein scharfer Grat befindet. Bei beiden Schalenformen können in zunehmendem Maße die Augen ganz fortgelassen werden; beide Seiten werden dann durch lange Figurenfriese mit oder ohne Henkelpalmetten gefüllt, oder die Dekoration bleibt auf das Innere der Schale beschränkt, während die Außenseite schwarz abgedeckt wird. Die Qualität der Töpferarbeit und der Glanzfarbe war in jenen Jahren immer besser geworden, und man konnte den Reiz glatter schwarzer Flächen in verstärktem Maße einsetzen und goutieren. Noch eine weitere Schalenform, die zunehmend beliebter wird, muß hier genannt werden: der Typ C. Sie hat eine konkave Lippe, die schärfer abgesetzt ist als bei einer schwarzfigurigen Bandschale, und der Kontur des Schalenkörpers läuft über den gedrungenen Stiel hinunter bis zu einem Profil auf dem relativ flachen Fuß. Manche Schalen haben diese Form des Fußes und Körpers, aber eine gerade Lippe. Der allgemeine Eindruck ist der einer größeren Schwere, die diese Schalen zum Gebrauch besser geeignet erscheinen läßt als die feinstieligen Beispiele. Schalen vom Typ C können sowohl innen wie außen dekoriert sein, häufiger jedoch sind sie nur innen bemalt, und sehr beliebt sind sie auch mit totaler Schwarzdeckung. Die wenigen Schalen, die von den Pionieren bemalt wurden, zeigen die Friesdekoration ohne Augen, bei der die Figurenkomposition besser zur Wirkung kommt. Sie sind jedenfalls später als die Hauptmasse der Augenschalen und zeigen Variationen der bei den Schalen üblichen Muster, so etwa das schwertartige Mittelblatt der Palmetten, das die sie umgebenden Ranken überschneidet, auf der Schale des Phintias [39]. Der eine oder andere der spezialisierten Schalenmaler widmete sich zeitweilig — und zwar nicht unbedingt zu Beginn ihrer Laufbahn — der Dekoration größerer Gefäße (Oltos, Epiktet), und einige geringere (oder weniger produktive) Künstler lassen sich unschwer zu dem Werk der Pioniere in Beziehung setzen. Im allgemeinen jedoch verlangten die Schalen eine andere Sprache, die sich weniger auf die Aussagekraft subtiler Detailzeichnung als auf ökonomische und wirkungsvolle Linienführung stützen mußte. Sie boten weniger Raum für die vorgegebenen mythologischen Szenerien und ihre Funktion ermunterte zur Darstellung von dionysischen oder Gelageszenen, in denen die neue Freiheit in der graphischen Wiedergabe von Körperhaltungen und Aktionen, wie es sie 62
bisher in der bildenden Kunst noch nicht gegeben hatte, voll ausgeschöpft wurde. Wir können an den Schalen ebenso gut ablesen, welche Möglichkeiten der neuen Technik für die Darstellung von Aktion und Emotion innewohnten. Es lassen sich nur wenige technische Besonderheiten beobachten. Der feine korallenrote Grund, der zum ersten Mal von Exekias in der schwarzfigurigen Malerei verwendet worden war, findet sich ähnlich bei Skythes auf der Außenseite von rotfigurigen Schalen; außerdem erscheint er auf bestimmten Partien einiger rein rotfiguriger Schalen, wo er gewöhnlich das Innere rund um das Tondo füllt, wie bei [26], und auf der Zone unterhalb der Figurenszene auf der Außenseite auftritt (und wenn es eine Lippe vom Typ C gibt, dann auch oberhalb). Er bereichert das Farbspektrum der Vase, blieb aber in archaischer Zeit Schalen und ein paar anderen kleinen Gefäßen vorbehalten. Die Schalenmaler benützten wie die Maler größerer Gefäße Reliefpunkte für die Angabe von Locken und Detailzeichnung in Relief bei Pflanzenornamenten und Weintrauben, doch bleibt das bei diesen kleinformatigen Bildern selten. Ganze Relieffiguren treten auf einer Schale des Euergides-Malers auf [/OO], die für die Weihung auf der Akropolis bestimmt war: Männer mit Pferden, wobei die Details in rotfiguriger Technik angegeben waren. Früher hatte es ostgriechische Schalen gegeben, die auf diese Weise dekoriert waren. Vergoldung wird manchmal auf kleineren Reliefdetails wie Kränzen oder ähnlichem eingesetzt. Oltos (etwa 525—500) ist wahrscheinlich der interessanteste unter den Schalenmalern [54—65], einmal wegen der Spannweite und langen Dauer seiner Tätigkeit, und dann auch wegen seines Könnens, das dem der Besten in dieser Kategorie kaum nachsteht. Er war ein viel beschäftigter Künstler, von dem wir wissen, daß er für mindestens 6 verschiedene Töpfer gearbeitet hat — unter ihnen für den Schalenspezialisten Kachrylion zu Beginn seiner Laufbahn, später für Euxitheos (der auch für Euphronios arbeitete), und für die Nikosthenes-Pamphaios-Werkstatt. Er nennt seinen Namen auf zwei Schalen, die von Euxitheos angefertigt wurden, aber es können ihm darüber hinaus weit über 100 Stücke zugeschrieben werden. Seine Verehrung für Memnon dauert seine ganze Laufbahn hindurch an, und kalos-Inschriften für ihn finden sich auf fast der Hälfte seiner Schalen. Seine früheren großen Vasen sind Amphoren von der charakteristischen Form, wie sie von der Nikosthenes-Pamphaios-Werkstatt für den etruskischen Markt hergestellt wurden [56]. Hinzu kommt ein Stamnos, der Herakles im Kampf mit Acheloos zeigt; dabei gibt er dem Ungeheuer statt des üblichen Stierhinterteils einen Fischleib und schildert sehr deutlich, wie ihm das Hörn abgebrochen wird [54]. Pamphaios brachte kleine plastische Hörner an den Henkeln des Gefäßes an, um das Thema zu unterstreichen. Später bemalt er andere Amphoren, eine von ihnen in ausgeprägterem Pionierstil für Euxitheos, die die neue Form des Typ C zeigt. Der Psykter [58] 63
ist eine heiter-dekorative Vase und zeigt kostümierte Delphinreiter, von denen jeder „auf einem Delphin" („epi delphinos") singt; setzte man diese Vase in einen Krater, so sah es aus, als schwämmen sie im Meer.
Die schwarzfigurigen Innenbilder der frühen Schalen des Oltos [61] erinnern an den Antimenes-Maler. Seine rotfigurigen Schalenbilder zeichnen sich — einige Paradestücke auf größeren Schalen ausgenommen — durch kluge Ökonomie der Linienführung in der anatomischen Zeichnung und durch eine lange gebogene Stirn-Nasenlinie und schmale Lippen aus, die den Eindruck selbstgefälliger Heiterkeit erwecken. Die Füße sind lang und schlank und die Ohren haben die Form einer einfachen Schnecke. Ebenso wie Phintias füllt auch Oltos bisweilen seine Schalenfriese mit großen liegenden Figuren. Bei Pflanzenmustern bevorzugt er spezifische Lotostypen, die von Palmettenblättern gekrönt werden, oder auch einfachere Formen mit unverzierten, ballonartigen Mittelstücken (auf Schalen). Gelegentlich sind die Palmettenblätter spitz oder zeigen eine Mittelrippe, und ein paar Rundbilder füllt er nur mit Palmetten (wie auch Psiax). Bei seinen größeren Schalen, die er für Euxitheos malt, setzt er Pflanzenornamente unter die Figuren [55], wie das auch Euphronios machte. Jene Schale, von der hier Details abgebildet sind, zeigt eine meisterhafte und eigenwillige Darstellung einer Götterversammlung im Olymp mit ausdrucksstarker Detailschilderung in Gestik, Blick und Gewändern. Dennoch ermöglichen die lebhaften Krieger- und Athletengestalten auf den Augenschalen eine bessere Einschätzung seiner Individualität. Sonst gehören seine Lieblingsthemen — sehen wir von dionysischen und gelegentlichen obszönen Szenen ab — dem heroischen Bereich an; sie bewegen sich um Herakles, Theseus und Troja. Oltos liefert auf einer niedrigeren Ebene in mancher Hinsicht ein Verbindungsglied oder ein Element der Kontinuität zwischen den frühesten Malern der rotfigurigen Technik — nach Beazley war er möglicherweise ein Schüler des Andokides-Malers — und den Pionieren. Unser nächster Schalenmaler, Epiktetos [66-78, Umschlagbild] (etwa 520-490), hat einen ähnlichen Hintergrund, da er noch zu Anfang seiner Laufbahn einen Kelchkrater für den Töpfer Andokides bemalte; anschließend scheint er es jedoch vorgezogen zu haben, sich auf kleinere Gefäße zu spezialisieren, darunter auch Teller 64
[77, 78, Umschlag], eine Form, die in archaischer Zeit beliebt war und ebenso von Paseas und Psiax sowie von anderen Schalenmalern dekoriert wurde. Er arbeitete für verschiedene Töpfer, unter ihnen Hischylos und die Nikosthenes-Pamphaios-Werkstatt, und signierte freizügig — fast die Hälfte der knapp über 100 erhaltenen Gefäße. Ein Hipparchos (wahrscheinlich nicht der Hipparchos — die Vasen scheinen zu spät und der Mann ist zu alt oder bereits tot) war sein Lieblingsknabe. Er signiert einen Teller sowohl als Töpfer wie auch als Maler (um ihn auf der Akropolis zu weihen) — demnach war er ein vielseitiger Mann —, und er arbeitete auf einer Schale mit dem Euergides-Maler zusammen. Seine frühesten Schalen sind bilingue Augenschalen wie [66], doch sind sie fortgeschrittener als die ersten Schalen des Oltos — keine zeigt rote Palmettenherzen —, und er zögert nicht, die Relieflinie einzusetzen. Er war ein Meister des Kreisbildes — am einprägsamsten sind seine Tondi und Teller, und er bevorzugt Schalen, die nur im Inneren dekoriert werden. Die Delikatesse und Genauigkeit der Linienführung selbst bei seinen miniaturistischen Arbeiten zeigt, wie weit man trotz der Kürze der Zeit seit den ersten Versuchen des Andokides-Malers in der Beherrschung des Pinsels vorangekommen ist. Seine schwarzfigurigen Arbeiten verraten eine Sicherheit und Disziplin, die nur wenige Maler der alten Technik noch aufbringen konnten [66]; seine rotfigurigen Bilder zeigen eine erlesene Ausgewogenheit zwischen Linie und Detail, wobei Farbe und Ornament nur zurückhaltend eingesetzt werden. Köpfe und Glieder sind richtiger proportioniert als bei Oltos, und er benützt die gedämpfte hellere Farbe, wo sich andere auf die Relieflinie
stürzen. Seine Figuren haben die plastische Überzeugungskraft, die wir bei den besten frührotfigurigen Malern sehen, und Beazleys vielzitiertes Lob „man kann nicht besser zeichnen, man kann nur anders zeichnen" ist für diesen größten Zeichner der frührotfigurigen Vasenmalerei durchaus keine Übertreibung. Er war jedoch kein Kind von Traurigkeit. Mythologische Szenen bringt er selten, und dann auch kaum besonders originell. Seine Darstellungen des Alltäglichen jedoch, von Bürgern beim Spiel, im Bett oder an der Tafel (für die Griechen, die sich bei Gastmählern auf Betten ausstreckten, ist das dasselbe), sein Beitrag zur Entwicklung des Satyrs als eines psychologischen Substituts des Mannes und dazu noch eine Vielzahl neuer erotischer 65
Darstellungen bedeuten einen beträchtlichen Fortschritt gegenüber dem, was in der schwarzfigurigen Malerei (wir denken an den Amasis-Maler) begonnen hatte. Sie führen eine charakteristische Stimmung in die Thematik der griechischen Kunst ein, die nicht weniger bedeutsam ist als die neue Erzählweise der Pioniere. Seine Rundbilder sind beachtenswert: ein beliebtes Thema für die Anwendung der Ästhetik der Geometrie in der Komposition. In der schwarzfigurigen Malerei hatte man sich gerne der einfachen, im Knielaufschema sich bewegenden Figur bedient, um solche Felder zu füllen. Nun zieht man raffinierte Variationen knieender, hockender oder sitzender Figuren heran, wobei Handlung und Thema je nach Bedarf abgewandelt werden. So begegnen wir derselben gebückten, sich drehenden Gestalt als Minotauros [70] und als Sich-Selbstbefriedigenden — einmal ist es ein Mann mit Nachttopf, das anderemal ein Mädchen mit Diidos [71]. Pferdehahnreiter sind in der griechischen Kunst häufiger als Hahnreiter, und auf dem Teller in Castle Ashby [Umschlagbtld] lag Epiktet vielleicht daran, in seiner Studie von Vogel und Knabe das Element des Monströsen auszuschalten. Das Ende seiner Karriere bleibt dunkel. Einmal malt er für Python (auf einer Schale der schwarzfigurigen chalkidisierenden Form [75]), der sonst für den spätarchaischen Künstler Douris töpferte, und man meint, er sei hier stilistisch von Douris beeinflußt worden; und einmal malt er für Pistoxenos, einen Töpfer, der für frühklassische Maler tätig war. Ich bezweifle, daß er sehr viel länger als bis gegen 490 gearbeitet haben kann, und sein Name wird uns im nächsten Kapitel noch mehr Probleme aufgeben. Wir können hier noch ein paar weitere, vor allem frühe, Schalenmaler anreihen, deren Werk in verschiedenem Grade mit dem Epiktets verwandt ist. Pheidippos (etwa 525—515), der vielleicht ausschließlich für den Töpfer Hischylos gearbeitet hat, malte hauptsächlich bilingue Augenschalen, wobei er mollige kleine Athleten mit Hühnerbrust bevorzugt, die er in flüssiger Kurvenlinie zeichnet und mit winzigen Ohren ausstattet — es sind gefällige, anspruchslose Bilder [79, 80]. Der Thaliarchos-Maler wurde als der Maler der Deckel einiger Puderdosen identifiziert [81]. Der Bowdoin-Augen-Maler bringt etwas flüchtigere, aber lebhafte Versionen der Athleten [82], Krieger und Komasten, wie sie die besseren früheren Schalenmaler zeigen, während der Scheurleer-Maler [84] solche Figuren mit in Proportionen und Details weniger sicherer Hand wiedergibt. Der Delos-Maler [83] besitzt mehr vom linearen Können des Oltos und Pheidippos und zeigt eine besonders feine Hand bei den schwarzfigurigen Tondi. Der Winchester-Maler gleicht sein schwaches Zeichentalent manchmal durch Witz aus [85]. Der HischylosMaler schließlich, der nach dem Töpfer benannt ist, der auch Epiktet und Pheidippos beschäftigt hatte, liefert mit einer Schale ein gutes Beispiel für ausführliches Palmettengeschlinge an den Henkeln und für spannungsvolle und gelungene Figuren; mit der richtigen Verkürzung eines Schildes jedoch 66
kommt er immer noch nicht zurande, sondern verbindet eine Profilansicht mit einer Teil-Frontalansicht [86]. Seine Handschrift läßt sich auch auf einer größeren Vase erkennen, die eine neue Form zeigt — einem Glockenkrater. Skythes (etwa 520-505), „der Skythe", ist ein Einzelgänger [88-91]. Er signiert vier Schalen, und man hat ihm etwa 20 weitere und zwei Ständer zugewiesen. Sein Lieblingsknabe ist Epilykos. Seine Bilinguen sind nicht von der üblichen Art, sondern zeigen rotfigurige Bilder im Inneren und schwarzfigurige Bilder auf korallenrotem Grund auf der Außenseite — wir kennen drei davon. Im Gegensatz zur Mehrheit der griechischen Künstler scheint sich Skythes bewußt als Komiker zu geben. Es lohnt sich immer, Beaziey zu zitieren und er wird in diesem Buch oft zitiert werden; von Skythes sagt er, daß er „Menschen absichtlich schlimmer zeichnet als sie sind". Wir können hinzufügen, daß seine Götter nicht besser sind als seine Menschen — Heros und Schurke können gleich brutal aussehen — etwa Theseus, der, wie die Klippe andeutet, wohl Skiron bestraft [90]. Selbst seine Tiere zeigen einen kecken Charme, doch vor allem lassen seine ausdrucksvollen individuellen Gesichter seinen ausgefallenen Humor erkennen. Seine Zeichenweise ist zwar nicht anspruchsvoll, aber doch immer gekonnt und dem Standard entsprechend. Wenn er von Geburt oder Herkunft ein Ausländer war, der in Athen seine Ausbildung erhalten hatte, so mag sein Bild vom Athener Leben und Mythos durchaus so anders gewesen sein, daß es in seinem Werk spürbar wurde. Skythen waren den Athenern seit etwa zwanzig Jahren vertraut. Wenn sein Name nicht wirklich seine Herkunft angibt, so wird es zumindest ein Spitzname gewesen sein, der eine ziemlich extravagante Lebensanschauung bezeichnet. Zwei schwarzfigurige Tafeln auf der Akropolis sind von einem Skythes signiert, bei dem es sich fast sicher um denselben Künstler handelt, der hier etwas ehrfürchtiger gestimmt ist. Beaziey überlegte sich, ob der Pedieus-Maler etwa in Wirklichkeit der späte Skythes sei. Beide rühmen den Epilykos (der nebenbei als Athlet auf einer Vase des Phintias auftritt) und die Stimmung ist die gleiche [92], doch der Pedieus-Maler ist eher gröber und geschmackloser. Nikosthenes und sein jüngerer Partner und Nachfolger Pamphaios schufen eine wichtige Gruppe schwarzfiguriger Vasen, von deren Formen viele für Athen neu waren, da sie hauptsächlich für den Auslandsmarkt bestimmt waren (SVA S. 71 ff.). Ihr rotfiguriges Werk ist weniger interessant, doch töpferte Pamphaios Amphoren vom nikosthenischen Typ für Oltos [56], und es gibt ein paar große Kantharoi und eine merkwürdige Ausgußschale [98]. Sowohl Oltos wie Epiktet arbeiteten für sie, doch der Maler, der regulär für sie malte, ist der Nikosthenes-Maler (nicht derselbe Mann wie der schwarzfigurige „Maler N"). Er bemalt [93—8] Standard-Augenschalen, die jedoch nicht besonders früh sind, einige Palmetten-Augenschalen und Schalen mit Friesdarstellungen, von denen die beste jene Schale in London mit der Darstellung von Schlaf und Tod ist, die ihm ursprünglich den Namen 67
gegeben hatte. Es existiert auch eine rotfigurige nikosthenische Pyxis [97]. Sein Stil ist lebhaft und hinreichend gut, die Figuren sind eher schwer und gelegentlich schlecht proportioniert; sie füllen den Raum auf altmodische, schwarzfigurige Art und halten an schwarzfigurigen Nebenornamenten fest. Andere Produkte dieser Werkstatt, die noch bis mindestens 510 tätig war, machten ihren Weg auf Grund origineller, aber derber Themen [99], die kümmerlich, dafür aber sehr deutlich ausgeführt sind. Der Euergides-Maler [100—104] (etwa 515 — 500) ist nach dem Töpfer benannt, für den er am häufigsten arbeitete (er malte auch für Chelis). An einer Schale war er zusammen mit Epiktetos tätig, wobei er die Außenseite dekorierte, und er teilt die Bewunderung Epiktets für Hipparchos, sonst aber hat er mit dem älteren Meister einzig den Themenbereich gemein. Seine beste Arbeit befindet sich anscheinend auf einer Schale, die er für die Weihung auf der Akropolis verfertigte [ίΟί]; sie zeigt Athena neben einem Vasenmaler, der gerade eine auf einer Töpferscheibe stehende Schale innen ausmalt, und neben Metallhandwerkern. Das wirkt wie eine ausdrückliche Weihung von selten des Malers, oder noch wahrscheinlicher des Töpfers Euergides, der nebenher vielleicht auch Metallarbeiten ausführte. Die entsprechenden Handwerksviertel in Athen lagen dicht beieinander, und beide Berufe verlangten Umgang mit Brennöfen. Wir haben bereits auf seine ungewöhnliche Schale von der Akropolis hingewiesen, die zum Teil in Relief ausgeführte Figuren aufweist, und von seiner Hand stammen vielleicht auch zwei bemerkenswerte halbzylindrische Ständer (sie kopieren eine etruskische Form, die sich in diesem Fall jedoch nicht für die Nikosthenes-Werkstatt nachweisen läßt), die Sphingen [103] und eine geflügelte Göttin tragen, deren Köpfe vollplastisch gearbeitet sind, während der Rest rotfigurige, Sixsche und Umriß-Technik vereint. Für diesen Maler sind das Paradestücke. Seine übrigen Schalen sind nicht besonders früh — es sind keine Augenschalen darunter (es sei denn, das Werk des Delos-Malers wäre als sein Frühwerk zu verstehen, was Beazley erwogen hat) —, und er liebt Tiere neben den Henkeln (geflügelte Pferde, Greifen, Sphingen). Die Ausführung schwankt dabei beträchtlich: wir sehen Bilder, die eher wie ungeschickte Kopien wirken und daneben sorgfältige Wiederholungen von Repertoirethemen. Wie bei vielen dieser zweitklassigen, aber produktiven Maler verrät sich sein begrenztes Können durch mißglückte oder fehlende Detailangaben etwa bei Ohren und Händen, oder bei der Körperangabe durch Gewänder hindurch, aber auch durch einige merkwürdige Proportionen, etwa bei seinen Flachköpfen. Der Epeleios-Maler [105-106] imitiert den Epiktetos in ähnlicher Weise; einige seiner Schalen wirken sogar wie grobe Kopien nach dem Meister. Sein Stil ist im allgemeinen beträchtlich schwächer als der des Euergides-Malers, und vielleicht war er älter, da er einige Augenschalen mit Fächerpalmetten dekoriert. Auf [106] findet sein Satyr Terpon, daß „der Wein süß" sei („hedus hoinos").
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Ein paar Schalen in der Art des Euergides-Malers, und die eine oder andere von ihm selbst, tragen recht ungewöhnliche Inschriften, die nur ein einziges Wort umfassen. Eine lautet „paidikos", was im Kontext der Vase eher ..knabenhaft" als „kindisch" bedeuten muß: die andere lautet „prosagoreuo" — „ich grüße [dich]". Sie treten auch auf einer Reihe von Alabastren auf, die stilistisch nahe verwandt sind. Auf einem davon steht „paidikos" zusammen mit „epoiesen", als handle es sich um den Namen des Töpfers, doch dürfte es wohl eher ein Spitzname sein. In dieser Gruppe der PaidikosAlabastra (etwa 520—500) zeigen die besten Exemplare weißen Grund und die Signatur des Töpfers Pasiades. Bemalt hat er sie jedoch nicht, da er auf einer anderen Vase als Maler signiert (auf einer weißgrundigen Lekythos). Dieser Pasiades-Maler ist um einiges besser als der Euergides-Maler, dem er aber im übrigen sehr nahe steht (auch in seiner Bewunderung für Hipparchos); der Reiz des archaischen Details wird auf den hübschen, schlanken Gefäßen, die er bemalt, nicht durch den schwarzen Grund totgeschlagen. Der Rest der Gruppe, der hauptsächlich rotfigurige Bilder zeigt, ist gröber. Die Darstellung auf dem Alabastron [107] ist in der Photographie „abgerollt". In diesem Überblick über die Schalenmaler ließen sich nicht ohne weiteres größere Töpfer-Maler-Gruppen herausschälen. Manche Maler waren unstet, und manche Töpfereien waren vielleicht große Unternehmen. Töpfersignaturen jedenfalls sind nun noch seltener und für Töpferzuweisungen auf Grund der Form ist die Forschung noch nicht soweit fortgeschritten, wie das bei den Malerzuweisungen der Fall ist. Demnach sind hier keine klaren Trennungen möglich, und wir können nur dankbar sein, wenn sich Maler-, Töpfer- und kalos-Inschriften bei einiger Übereinstimmung von Stil und Thema oft genug wiederholen, um zumindest zeitweilige Strömungen im Athener Töpferviertel aufzudecken. Ein paar weitere Töpfer und ihr Einsatz von Malern verdienen eigene Erwähnung. Hermaios signierte vier Schalen als Töpfer und sein Hermaios-Maler [108—110] war — allerdings wohl später — für den Töpfer Kachrylion tätig. Er ist ein guter Maler mit ziemlich schwerköpfigen, schläfrig wirkenden Figuren, deren Körperbeschaffenheit an Oltos erinnert. Gewisse Züge wie die Doppelränder an den Chitonoberkanten erinnern an Maler größerer Gefäße, ja sogar an die Pioniere. Kachrylion beschäftigte auch den Oltos, und er verfertigte die beiden großen Schalen des Euphronios. Er muß ein einflußreicher Mann gewesen sein, um über soviele Spitzenmaler verfügen zu können. Chelis war ein weiterer wichtiger Töpfer; er arbeitete in der Zeit von 5 10 bis 500. Obwohl nur wenige Signaturen erhalten sind, waren doch unter seinen Malern Oltos und der Euergides-Maler. Zwei seiner Signaturen erscheinen auf Schalen des Chelis-Malers [ 1 1 1 ] , von denen die eine zum Teil Oltos mitbemalt hat. Der Thalia-Maler arbeitete ebenfalls sowohl für Oltos wie auch für Kachrylion, begann jedoch seine Laufbahn früher. Manchmal 69
erweist er sich als guter Künstler, und seine beste Arbeit findet sich auf einer Schale in Berlin [//2], die im Inneren Studien der Selbstliebe zeigt — ein Knabe und ein Mädchen bei der Selbstbefriedigung — und einen Liebesakt, der durch einen Pantoffel (den das Mädchen betätigt) gewürzt wird. Die Szene ist mit der größten Sorgfalt ausgeführt, wobei Reliefhaarlocken eingesetzt und raffinierte Positionen vom Maler fast bewältigt werden. Es sind noch ein paar andere Maler zu nennen, die vor allem im letzten Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts tätig waren, aber noch in der Tradition der frühen Schalenmaler arbeiten und die neue Freiheit und Atmosphäre vermissen lassen, die das Werk einiger der zeitgenössischen Künstler, die im nächsten Kapitel betrachtet werden sollen, auszeichnen. Beazley war nicht sicher, ob der Epidromos-Maler ( [ 1 1 3 , 144]: so benannt nach einem häufig wiederholten Lieblingsnamen) die Frühphase des Apollodoros [116—118], der seinen Namen auf zwei Schalen hinterlassen hat, darstelle. Die charakteristischen Gesichtszüge mit den kleinen tiefsitzenden Augen und den langen Nasenlinien, wie auch beispielsweise einige Barte έ la Bernard Shaw lassen das als durchaus möglich erscheinen. Manche Figuren wirken in ihrer Haltung und Proportionierung manieriert [ί-Ζέ>]. Einige der frühen Schalen zeigen eine Doppellinie mit breitem Zwischenraum um das Innenbild — ein Zug, der sonst nicht für frühe Entstehung spricht. Auch der ElpinikOS-Maler ist ein Kandidat für die Identifizierung mit Apollodoros; er malt eigenwillige Rundbilder — so die Theseus-Sinis-Gruppe [-Π5] oder einen Profilkopf des Mondes in einer tongrundigen Scheibe. Der Ambrosios-Maler („auch wenn er schlecht ist, ist er doch nie langweilig" — Beazley) kann seine summarische Zeichenweise vielleicht durch den unmittelbaren Schwung seiner Figuren wettmachen; bei der Anlage von Posituren und Kompositionen erweist er sich als nicht ungeschickt. Ich zeige hier seine ernsthafteren Werke — ein Knabe beim Fischen mit einer Krebsreuse und einem scheuen Oktopus, und mythische Themen [119—21]. Der Maler der Agora-Cbairias-Schalen hat eine Vorliebe für stramme Mädchen [122] und zeigt bei ihrer Darstellung ein Geschick, das sehr charakteristisch und für diese Zeit ungewöhnlich ist. Andere lassen sich weniger leicht charakterisieren, bringen aber einige recht erfreuliche Bilder und Themen: der Kuß-Maler [ 1 2 3 ] , der Schreiner-Maler (Carpenter Painter) [124], der Salting-Maler [125]. Der Hegesiboulos-Maler ist ebenso wie Skythes ein Komödiant; seinen Namen hat er nach dem Töpfer der New Yorker Schale mit dem müden alten Hebräer und seinem Hund erhalten [126]. Ein paar von diesen Malern waren zweitrangig. Von den drittrangigen, Beazleys „Coarser Wing", haben wir die Nikosthenes-Pamphaios-Werkstatt ihrem Verdienst nach erwähnt und im Anschluß an den Euergides-Maler die vielen Schalen aus dem Umkreis des Epeleios-Malers. Von anderen braucht nicht viel gesprochen und noch weniger abgebildet zu werden [127, 128]. Sie kopieren die qualitätvolleren Maler und folgen im allgemeinen dem 70
54 Stamnos des Oltos. Herakles und Acheloos. H. 27,5
55. i —3 Schale, signiert von Oltos. Zeus; Aphrodite; Athena
56 Nikosthenische Amphora des Oltos. Cbirnn mit Acbilleus als Kind. II 37
57.1,2 Raucbamphora (Typ C) des Oltos Briseis und Acbilleus. H. 40
58.1,2 Psykter des Oltos. H. 30,2
59 Schale des Oltos. Poseidon
60 Schale des Oltos
61. l Schale des Oltos Nereide. Br. 32
61.2 Innenbild von 61. l Hermes
62 Schale des Oltos. Peleus und Atalante
65 Schale des Oltos. Herakles im Kampf gegen Kyknos
66.1,2 Schale, signiert von Epiktetos. H. 13,5
67.1,2 Schale, signiert von Epiktetos
68 Schale, signiert von Epiktetos
69 Schale, signiert von Epiktetos
70 Schale des Epiktetos. Minotauros. Br. 11
71 Schale des Epiktetos
T2 Schale des Epiktetos. Herakles und die Kentauren
75. / Chalkidisierende Schale, signiert von Epiktetos. Herakles und Busiris
75.2 Innenbild von 75.1
76 Schalenskyphos des Epiktetos. H. 9,5
77 Teller, signiert von Epiktetos. Br. 19,4
78 Teller, signiert von Epiktetos. Br. 18,7
79 Schale des Pheidippos
80 Schale des Pheidippos
8l
Pyxisdeckel des Thaliarchos-Malers. Br. 4
82 Schale des Bowdoin-Augen-Malers (Namensvase)
84 Schale des Scheurleer-Malers 85.1,2 Schale des Winchester-Malers (Namensvase)
86 Schale des Htscbylos-Malers
88 Schale des Skythes. Hermes
87 Glockenkraterfrg. des Hischylos-Malers. H. 17
89 Schale, signiert von Skythes. Herakles und Eurysteus
90.1,2 Schale signiert von Skythes. Tbeseus und Skiron
91 Schale des Skythes
92 Schale des Pedieus-Malers
93.1,2 Schale des Nikostbenes-Malers. Br. 32,5
94 Schale des Nikosthenes-Malers. Wagen der Athena; Herakles, Apollon und der Dreifuß
95 Schale des Nikosthenes-Malers. Herakles und Alkyoneus
96 Schale des Nikosthenes-Malers Hermes und Rinder
97 Nikostbeniscbe Pyxis des Nikosthenes-Malers 98 A usgußschale des Nikosthenes-Malers. H. 12
99.1,2 Kantharos, von Nikosthenes als Tapfer signiert
100 Schalenfrg. mit Reliefdekor des Euergides-Aialers (?)
101 Schale des Euergides-Malers. Töpfer und Metallarbeiter
102 Schale des Euergides-Malers
103 Ständer des Euergides-Malers (?). H. 26,2
104 Schale des Euergides-Malers. Herakles und der Löwe
105 Schale des Epeleios-Malers
106 Schale des Epeleios-Malers
107 Alabastron des Pasiades-Malers; weißgrundig
108 Schale des Hermaios-Malers 109 Schale des Hermaios-Malers
110 Schale des Hermaios-Malers. Dionysos
111 Schale des Chelis-Malers
112 Schale des Thalia-Malers
113 Schale des Epidromos-Malers
114 Schale des Epidromos-Malers
Schale des Elpinikos-Malers. Theseus und Sinis
116 Schale des Apollodoros
1Π
Schale des Apollodoros
118 Schale des Apollodoros. Theseus und Minotauros
119 Schale des Ambrosios-Malers
120 Schale des Ambrosios-Malers. Hephaistos
121 Schale des Amhrosios-Malers. Messos und Deianeira. Br. 9,9 122 Schale des Malers der Agora-Chairias-Schalen 123 Schale des Kuß-Malers (Namensvase) 124 Schale des Schreiner-Malers (Namensvase) 125 Schale des Saltmg-Malers
126 Schale des Hegesiboulos-Malers. Korallenroter Grund um das Innenbild
127 Schale des Poseidon-Malers. Pyrrhiscber Tanz
128 Schale des Pithos-Malers. Jüngling beim Symposion
Themenbereich Epiktets, wobei sie Routinestücke von Satyrn oder Jünglingen mit Gefäßen oder Weinschläuchen oder auch einzelne Kriegerfiguren wiederholen. Der Pithos-Maler und andere erreichen mit solchen Bildern auf Schalen vom Typ C, die nur innen dekoriert werden, einen Grad der Abstraktion, der nach der Disziplin der meisten Bilder dieser Jahre fast wieder einen eigenen Reiz besitzt [128]. Doch sind rotfigurige Werke von dieser Qualität im Verhältnis weit seltener als schwarzfigurige.
Aspekte des Vasenhandels Die Bedeutung der Vaseninschriften mit „epoiesen" („hat gemacht") und „egrapsen" („hat gemalt") für die Bestimmung der Namen von Töpfern, Geschäftsbesitzern und Malern wurde in SVA 11 f. besprochen, und einige Charakteristika der Inschriften auf rotfigurigen Vasen werden später zur Sprache kommen. Für diese und die folgende Periode tritt hier ein eingehendes Studium der Töpferarbeit der signierten und unsignierten Vasen ergänzend hinzu — ein Feld, auf dem vor allem Prof. Bloesch gearbeitet hat. Wir können allerdings bisher nicht sagen, daß sich unser Bild vom Leben im Töpferviertel dadurch schon wesentlich verändert hätte. Jetzt, wo die Malersignaturen häufiger werden, wird es deutlich genug, daß Maler von einem Töpfer zum anderen überwechseln konnten und das auch häufig taten, so daß eine auf Töpfertraditionen beruhende Darstellung vielleicht nicht unbedingt mit einem Überblick übereinstimmen muß, der sich auf Malertraditionen stützt. Signaturen jeder Art bleiben selten, aber wir können beobachten, daß etwa 30 Prozent früharchaischer Vasen mit Malerinschriften auch Töpfersignaturen tragen, während nur 15 Prozent der Vasen mit Töpfersignaturen auch von Malern signiert sind (es sind 22 Prozent, wenn wir Nikosthenes und Pamphaios nicht miteinbeziehen: insgesamt geht es um knapp 200 Signaturen). Während verschiedene Töpfer sowohl schwarzfigurige wie auch rotfigurige Maler heranzogen, oder wie Andokides von der schwarzfigurigen zur rotfigurigen Technik überwechselten, fällt es auf, daß die besten Töpfer seit etwa 520 sich entweder auf rotfigurige oder auf schwarzfigurige Vasen spezialisierten, nicht aber beide Gattungen produzierten. Ein weiteres Element der Spezialisierung liegt, wie bereits angemerkt, in der Tatsache, daß für die rotfigurige Malerei vor allem die Gefäßform der Schale herangezogen wird. Das bedeutete, daß die meisten vollständigen Tafelservices notwendig weitgehend oder teilweise schwarzfigurig gewesen sein müssen (mit Ausnahme der von den Pionieren bemalten Geschirre); das gilt bis zu den Jahren um 500, wo man begann, in umfangreicherem Maßstab nun auch größere Formen in der neuen Technik zu dekorieren. Der Grund für diese Spezialisierung ist nicht recht klar. Es mag beispielsweise an der ungleich96
mäßigen Nachfrage auf überseeischen Märkten gelegen haben — vor allem in Etrurien, das für uns die wichtigste Quelle für vollständig erhaltene frührotfigurige Vasen bleibt. Ohne Frage waren frührotfigurige Gefäße außerhalb Athens besonders in Etrurien begehrt, wo man auf jeden Fall dazu neigte, nur die besseren Vasen heranzuholen. Andere Märkte, wie jene der Griechen Süditaliens, Griechenlands selbst und wohl sogar Athens — sehen wir von denen ab, die Weihungen für größere Heiligtümer lieferten — waren konservativer in ihrem Geschmack; hier setzte man sogar bis ins 5. Jahrhundert hinein mehr von den billigeren schwarzfigurigen Vasen um. Da man sich im Töpferviertel jener Zeit durchaus der Bedeutung des etruskischen Marktes bewußt war und dafür spezielle Methoden entwickelt hatte, ist es durchaus möglich, daß bis zu einem gewissen Grad der Grund für das Überwiegen rotfiguriger Schalen hier zu suchen ist. Die Pioniervasen, die in ihren Inschriften die enge Verbindung zwischen den Künstlern dieser Gruppe und der Athener Gesellschaft widerspiegeln, gingen ebenfalls in erster Linie nach Etrurien, wo der Sinn der Inschriften unverständlich bleiben mußte, ebenso wie die lokale Bedeutung der kalos-Namen, die die Schönheiten des Tages priesen. Man hat das damit erklären wollen, daß viele Vasensätze für bestimmte Festmähler bestellt wurden, an denen sie bewundert werden konnten, und daß man sie anschließend über einen Markt für Ware aus zweiter Hand nach Etrurien abgestoßen hat. Das verleiht den kalos-Namen und aktuellen Anspielungen mehr Sinn, aber es ist auch möglich, daß die Vasen lange Zeit im Töpferviertel öffentlich ausgestellt waren, bevor sie verkauft oder zum Verschiffen ausgewählt wurden; und oft sehen wir, daß ein Maler in seinen kalos-Inschriften Anhänglichkeit an einen bestimmten Jüngling zeigt, während wir doch größere Abwechslung erwarten müßten, wenn es sich um Aufträge unterschiedlicher Besteller handeln würde. Und wenn der kalosName den Kunden bezeichnen sollte, so müßten wir längerlebige kalosNamen erwarten.
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3. Kapitel DIE SPÄTARCHAISCHEN MALER
Die erste Generation der rotfigurigen Künstler erforschte nahezu alle Möglichkeiten, die die rotfigurige Malerei zu bieten hatte. Die Folgezeit brachte — wenn wir einmal von der Entwicklung in der Anwendung des weißen Grundes bei bestimmten Vasen absehen —, im großen und ganzen eine Vereinfachung der Technik mit sich und ist im übrigen durch die realistischere Zeichenweise von Details und Körperhaltungen und durch eine zunehmende Beherrschung der rein linearen Wiedergabe dreidimensionaler Gegenstände charakterisiert. Hand in Hand damit geht eine bezeichnende neue Ausweitung der Thematik von Figurenszenen, in der sich in viel stärkerem Maß ein Bruch mit der schwarzfigurigen Tradition dokumentiert, und die zunehmende Absatzmöglichkeit für athenische rotfigurige Malerei in Griechenland und auch im Westen. Die Verwendung von Farbe und Mustern auf Gewändern, wie sie aus der schwarzfigurigen Technik übernommen wurde, stirbt nun aus, obwohl gelegentlich Vergoldung oder Reliefdetail — etwa bei Relieflocken im Haar — auftreten kann. Die Relieflinie bleibt sowohl für Umrisse wie auch für den Kontrast zu verdünnter Farbe bei Gewändern und Anatomie wichtig, wobei nun jedoch die besseren Maler bei ihrer Anwendung für Umrisse behutsamer vorgehen, während die geringeren Maler für ihre Figurenzeichnung ein schwächeres Gemisch verwenden, das zwar gute schwarze Linien zuwege bringt, den Körper und die Frische der wahren Relieflinie jedoch vermissen läßt. An die Stelle der Aufmerksamkeit für geringere Details der Anatomie (Ohren, Augenwimpern, Kniescheiben usw.), die zur Identifikation des Werks der einzelnen Pioniere beigetragen hatte, tritt nun ein verstärktes Interesse an Haltung und Komposition der ganzen Figur. Verkürzung bleibt in der Hauptsache immer noch auf die Wiedergabe von Gegenständen (Schilde), Torsen und nur sehr selten von Köpfen in Dreiviertelansicht (hier in der Regel mit wenig Erfolg) beschränkt. Es gibt ein paar gute verkürzte Ansichten von Füßen — im Unterschied zu einfachen Vorderansichten —, aber ganze Glieder werden immer noch in ihrer vollen Länge gezeichnet, wobei nur eine Verlagerung der Muskellinie oder Kniescheibe darauf hinweist, daß es sich nicht um einfache Frontal- oder Profilansichten handelt. Verdünnte Farbe wird manchmal für Schattierung eingesetzt, etwa bei Schilden [268], doch hat man den Effekt noch nicht richtig begriffen. Die ganz feinen Gewänder werden durch vielfache Faltenbündel 98
mit zierlichen Zickzacksäumen wiedergegeben, doch im allgemeinen sind nun die Formationen weniger eckig — außer unter dem Pinsel der einfallslosen Maler. Oft überziehen dicht nebeneinandergesetzte Linien in schwarzer, nicht verdünnter Farbe die Chitone. Manchmal helfen sie, die Körperformen auszudrücken, allerdings nicht sehr glücklich, wenn sie zur Spitze einer Brust hinlaufen, statt diese zu umschreiben. Auf den großflächigen Mänteln beginnen sich diese Linien zu langen Bögen und schließlich zu Haken und kleinen v-förmigen Häkchen aufzulösen, die die hängenden gebrochenen Kurven ausdrücken sollen. Während dieser Periode öffnen sich die Augen naturgetreu, und die Pupillen rücken nach vorne; viele Maler reservieren die rundlicheren Glotzaugen für die — ernsthaft oder spöttisch gemeinte — Wildheit bei Satyrn und bei Herakles. Untergeordnete Dekoration macht in Charakter und Bedeutung einen Wandel durch. Schwarze Ornamente sind nun selten — alles ist rotfigurig. Es gibt ein geringes Repertoire an Pflanzenornamentbändern für die größeren Vasen und die gelegentlich auftretenden besonders kunstvoll dekorierten Schalen: umschriebene Palmetten, die aufrecht stehen oder auf der Seite liegen können, oder schräge Palmettenpaare. Manche Maler behalten die Palmettengeschlinge an den Henkeln bei (z.B. Douris). Manche fügen noch exotische Lotosblüten hinzu. Schaleninnenbilder werden nun wieder ornamental eingefaßt — durch Mäander oder Quadratmuster, die auch als Grundlinien oder Einfassungen auf größeren Vasen oder Lekythen auftreten können. Diese Details vermitteln oft wertvolle Hinweise für die Identifizierung von Malern oder Werkstätten. Während des ersten Viertels des 5. Jahrhunderts muß die Produktion von rotfigurigen Vasen im Vergleich zu ihrer langsamen und auf Spezialisten beschränkten Anlaufszeit etwa auf das Doppelte angewachsen sein. Das volle Spektrum der Gefäßformen wird nun in dieser Technik dekoriert. Es treten keine wichtigen neuen, sondern nur Verfeinerungen alter Formen auf, so etwa die zierlichen kleinen Nolanischen Halsamphoren, oder es kommt zu Veränderungen in den Proportionen. Ohne Frage spezialisieren sich die Maler in stärkerem Maße, und die Maler großer Gefäße und die Schalenmaler stellen nun klar von einander geschiedene, wenn auch einander nicht völlig ausschließende Gruppen dar. Die Trennung geht sicher mehr auf die Töpfer zurück, die die Maler beschäftigten, denn bei ihnen ist eine ähnliche Spezialisierung offenkundig. Die Bindung eines Malers an einen Töpfer ist keineswegs unlösbar, zumal wenn es sich um den Beginn einer Laufbahn handelt, doch gibt es einige dauerhafte Verbindungen — so Douris mit Python, Makron mit Hieron, Brygos mit seinem Maler. Die meisten Künstler, vor allem die Töpfer, sind nun eher zurückhaltender mit ihren Signaturen, doch besteht in einigen Fällen der Verdacht auf antike Fälschungen von Signaturen (Epiktetos, Douris). 99
Was die Thematik der Vasenbilder angeht, so liegt die deutlichste Veränderung in der Anzahl und Vielfalt von Genreszenen, die keineswegs auf Symposien und Palaistradarstellungen beschränkt bleiben. Die mythologischen Szenen zeigen eine weit größere Mannigfaltigkeit. Viele Repertoireszenen werden aufgegeben und nicht durch neue Konventionen ersetzt, sondern durch originelle Kompositionen, die in der Regel eine kurze Blütezeit innerhalb eines Ateliers erleben oder für einzelne Maler charakteristisch sind, deren eigene Neigungen sich nun leichter feststellen lassen — etwa die Vorliebe des Kleophrades-Malers für Troja. In diesen Jahren etablierte sich in Athen die neue Verfassung, die Kleisthenes nach dem Sturz der Tyrannis des Peisistratos und seiner Söhne gegeben hatte. Dieser Wechsel von der Tyrannis zu einer Staatsform, die fast als Demokratie zu bezeichnen ist, wird in der Kunst wahrscheinlich nur durch einen Wandel in der Mythensymbolik markiert (s. Kap. 8). Im Jahre 490 wurden die Perser bei Marathon geschlagen, und die ungeheure Beliebtheit, die Nike (Sieg) seit dieser Zeit auf athenischen Vasen genoß, steht sicherlich in Verbindung damit. In den Jahren 480 und 479 eroberten und plünderten die Perser Athen. Diese Tatsache an sich scheint möglicherweise nicht mehr bewirkt zu haben, als daß die Töpfer ebenso wie andere Bürger und Handwerker dazu gezwungen waren, ihre Quartiere wiederaufzubauen, doch können wir vielleicht im Werk sensiblerer Künstler wie etwa des Kleophrades-Malers einen dem Mythos entspringenden Kommentar dazu entdecken. Es gibt andere Wandlungen oder Neuerungen in der Thematik, die jedoch eher der nächsten Periode angehören. Sie stehen nur indirekt im Zusammenhang mit den Perserkriegen und spiegeln eher Athens neuen Herrschaftsgedanken wider. Es waren bewegte und aufregende Jahre für die Vasenmaler, und es ist traurig, daß uns nur ein paar spärliche Einblicke in das Neuland möglich sind, auf das sich ihre Bildhauerzeitgenossen begaben. Hier erleben wir archaische Kunst in ihrer vollen Blüte. Was folgt, ist Nostalgie und die nüchternere Neuschöpfung des Klassizismus.
Der Kleophrades- und der Berliner Maler Das sind die zwei großen Vasenmaler des frühen S.Jahrhunderts und, man darf wohl sagen, die beiden größten rotfigurigen Künstler, deren Werk und Laufbahn wir beurteilen können. Ihre Leistungen und ihre sehr verschiedenen Eigenschaften lassen sich wahrscheinlich am besten durch „Vergleich und Gegensatz" bestimmen. Von Beazley, der ihnen mehrere Monographien und Aufsätze gewidmet hat, stammen einige treffende Vergleiche. Vom Kleophrades-Maler sagt er, man könne seine Malweise in gewisser Weise florentinisch, die des Berliner Malers sienesisch nennen; im KleophradesMaler sieht er den „Maler der Kraft", im Berliner Maler den „Maler der 100
Anmut". Man braucht den Vergleich nur über die Kategorien der Zeichenweise oder der Stimmung hinaus zur Betrachtung der Thematik und der Perioden höchster Aktivität und des stärksten Einflusses weiterzuführen, um den Gegensatz sowohl in der intellektuellen Kraft wie im spezifischen Künstlertum der beiden Maler klarer zu erkennen. Wir wollen sie daher zuerst zusammen, dann aber beider Werdegang getrennt betrachten. Beide Künstler hatten — wie könnte es anders sein — in der Schule der Pioniere des späten 6. Jahrhunderts gelernt und sind eher der Vorbildhaftigkeit des Euthymides und Phintias verpflichtet als dem eher akademischen und wohl älteren Euphronios. Der Kleophrades-Maler bleibt, was Stil und Stimmung angeht, den Pionieren näher, seine Figuren sind schwer vor Kraft und wirken in der statischen Komposition seiner Wappnungs- und Palaistraszenen sowie in ihrer Intensität des Kampfes oder Tanzes noch archaisch. Die Figuren des Berliner Malers sind zarter gezeichnet, mit feinerem und zurückhaltenderem Gebrauch der Relieflinie bei Umrissen; er konzentriert sich mehr auf das Individuelle oder schöpft stärker aus seiner spezifischen Begabung, zwei Figuren in einem Umriß zu verbinden, anstatt umfangreichere Gruppen zusammenzustellen. Der Kleophrades-Maler scheint den Pionieren auch in seiner Hauptschaffenszeit und in seiner Bevorzugung großer Kratere, die auch sie mit Vorliebe dekoriert hatten, näherzustehen, während der Berliner Maler ein etwas anders gerichtetes Interesse an Kraterformen (darunter Glocken- und Kolonettenkratere) und ein noch viel größeres an kleinen Vasen zeigt — vor allem an Amphoren, auf denen sich der größte Teil seines Spätwerkes findet. Vergleichen wir ihre Laufbahnen unter dem Gesichtspunkt der Beliebtheit von Gefäßformen, so ist die Übereinstimmung keineswegs vollständig, und das läßt sich sicherlich nur teilweise mit der konservativen Einstellung des Kleophrades-Malers (oder seiner Auftraggeber) erklären. Bei der Auswahl der Themen beginnen beide — und dabei bleibt es bis zu einem gewissen Grad — mit einer Vorliebe für die traditionellen dionysischen, Komos- oder Palaistraszenen, wobei sich der Berliner Maler in seinem späteren Werk in stärkerem Maß trivialen Genrebildern widmet. Doch selbst in den dionysischen Szenen besteht ein Unterschied: die Satyrn des Kleophrades-Malers sind geil und gespannt, während die des Berliner Malers allenfalls eine Augenbraue hochziehen; und bei den übrigen Mythen wird der Unterschied noch deutlicher. Der Berliner Maler ist kein Neuerer. Er widmet sich den Olympiern und, in durchaus konservativer Art, den attischen Lieblingen — Athena und Herakles, Demeter und Triptolemos, Nike; zusätzlich bringt er ein recht breites Spektrum an mythischen Repertoireszenen, bei denen sein Beitrag eher in der Delikatesse der Figurenstudien als in der Originalität der Erzählweise besteht. Die Repertoireszenen des KleophradesMalers stehen dem Bilderschatz der Pioniere nahe, doch bereichert er diesen durch eine Reihe von neuartigen Studien trojanischer Szenen, die hauptsäch101
lieh auf die Ilias zurückgehen; diese Bilder scheinen das zu vollenden, was Exekias in seinem einfühlsamen Verständnis dafür, wie der Mythos als Spiegel des Lebens dienen kann, hatte anklingen lassen. Während der Berliner Maler auf spezifische Weise introspektiv gestimmt ist — wobei er uns gestattet, seine Freude an einer perfekten Linie oder einem isolierten Stimmungsbild zu teilen —, fordert uns der Kleophrades-Maler auf, in einer Weise über den Zwiespalt von Mann und Held nachzudenken, wie es sonst kein anderer griechischer Vasenmaler tut: er ist ein kraftvoller Intellektueller, eher ein Dichter der Bühne als des Salons — und viele werden wohl zustimmen, daß wir nirgends dem Wesen des klassischen Griechenlands näher kommen als in seiner Bühnendichtung mit ihrem Humor, ihrem Pathos und ihrer Erforschung des Menschlichen mit Hilfe des Mythos; das ist-eine Tradition, die mit den homerischen Gedichten beginnt, und die sowohl unseren Maler wie auch seinen Zeitgenossen Aischylos inspiriert hat. Die statuarische Kraft seiner Gestalten hat manche Gelehrte dazu bewogen, in ihm einen Mann zu sehen, der auf der Peloponnes, vielleicht in Korinth, gelernt hat, aber sein Frühwerk in Athen ist durchaus im Stil der Pioniere; wenn er später vorausahnen läßt, was die frühklassische Plastik auf der Peloponnes leisten wird, so spiegelt sich darin wohl nur die Geburt eines neuen Stils — eines Stils, den die Athener Bildhauer nur selten verwirklichten und den die Athener Vasenmaler deshalb nie so entwickelten, wie es die peloponnesischen Künstler konnten. Doch das gehört auf ein anderes Blatt, und wir wollen nun dazu übergehen, die Laufbahnen der beiden Künstler getrennt zu betrachten. Der Kleophrades-Maler [129—42] ist nach dem Töpfer benannt, dessen Signatur auf einer seiner beiden Schalen in Paris erscheint, die zu den größten uns bekannten Schalen gehören: sie sind über 50 cm breit. Die Signatur läßt sich (allerdings keineswegs mit Sicherheit) so ergänzen, daß wir aus ihr entnehmen können, daß der Töpfer Kleophrades der Sohn des großen schwarzfigurigen Töpfer/Malers Amasis war; sein Name erscheint nur noch ein einziges Mal auf einer schönen, von Douris bemalten Schale. Der Eigenname des Kleophrades-Malers stellt uns vor ein Problem. Er war ein schweigsamer Künstler, der vielleicht erst spät schreiben lernte, denn auf seinen Frühwerken schreibt er manchmal sinnloses Zeug zusammen, und er nennt auch keine hübschen Knaben, sondern schreibt ein anonymes kalos oder kalos ei („du bist schön"). Sein Kitharode, der aus dem Epos rezitiert „wie einst in Tiryns", stellt eine Ausnahme dar [/J5]. Doch auf einer Vase, einer späten und unbedeutenden Pelike [142], lesen wir zweimal „Epiktetos egraphsen" - damit ist er zum Epiktetos II geworden. Eine ähnliche Doppelsignatur hat man auf einer Amphora vermutet, die seinem Frühstil nahesteht. Es gibt keinen Zweifel über die Malerzuweisung der Pelike, aber wir haben guten Grund anzunehmen, daß Epiktetos I, der Schalenmaler, zumindest bis 490 tätig war — sollen wir also glauben, daß zwei Männer namens Epiktetos gleichzeitig in Athen malten und signierten? Oder vielleicht, daß 102
der spätere Meister erst dann signierte — und zwar gleich zweimal auf einer Vase (eine Reklame, die in dieser Zeit ohne Parallele bleibt) — als sein Namensvetter nicht mehr malte und sein eigener Stil verfiel? Antike Fälschung bleibt eine Möglichkeit der Erklärung, und wir brauchen dabei nicht auch nach stilistischer Fälschung im modernen Sinne zu suchen. Ich bezweifle die Identifizierung, kann mir allerdings nicht recht denken, wie es zu der Signatur kam. Seine Malerlaufbahn beginnt um 505 und endet kurz nach 475, und es wurden ihm über 100 Vasen zugeschrieben. Die Vasenformen, die er bemalte, entsprechen denen der Pioniere, später verlegt er sich mehr auf Peliken, Stamnoi und Kalpiden. Sein Frühwerk läßt sich leicht mit dem Werk seines Meisters Euthymides verwechseln, besonders seine Amphoren vom Typ A mit ihren schwarzfigurigen Ornamenteinfassungen [129], die berühmte Spitzamphora in München [/-?2] und eine weitere, die kürzlich von Berlin angekauft wurde. Einer seiner Volutcnkratere stellt durch seine zwei Friese auf dem Hals ein U n i k u m dar. Seine besten Arbeiten entstehen nach 500; dazu gehören die Schalen in Paris [Kopfdetails, links], die Herakles und Theseus feiern, und mehrere Kelchkratere, doch kommt es auch in den achtziger Jahren und später noch zu Meisterwerken (s. auch den StiefelMaler). Seine rotfigurigen Ornamente bleiben in der Hauptsache auf aufrechte Palmetten, einschließlich alternierender, oder schräge Palmettenpaare beschränkt, Lotosblüten sind sehr selten. Als Einfassungs- oder Grundlinien-
Ornament liebt er das einfache Schlüsselmuster oder den Mäander, der durch Kästchen oder Kreuzplatten eher gegliedert als unterbrochen wird (wie beim Berliner Maler), und er verwendet auch gerne andere Mäanderformen, die aus sich kreuzenden Mäandern gebildet oder aus T-Zeichen zusammengesetzt sind [132, 133]. Er hatte auch gelernt, schwarzfigurig zu malen, und verwendete diese Technik für Nebenfriese auf einigen seiner frühen Amphoren und auf einer späteren Loutrophoros, einer rituellen Form, auf der die alte Technik angemessen war [/4/]. Er dekorierte einige Panathenäische Amphoren, ein paar Standard-Amphoren des späten 6. Jahrhunderts und vielleicht eine Grabtafel in schwarzfiguriger Technik. Eine späte Schale zeigt einen Figurenfries um das Innenbild — eine Bereicherung, der man gelegent103
lieh auch im Werk anderer Maler (z.B. Douris) oder auch bereits im Schwarzfigurigen begegnen kann. Seine Figurenzeichnung zeigt einige charakteristische Züge, besonders wenn wir sie mit der des Berliner Malers vergleichen. Er fährt mit der Ritzung der Haarkonturen fort, längst nachdem die meisten anderen Maler das aufgegeben hatten, doch ist er nicht auf sie fixiert. Die Ohren seiner frühen Figuren weisen einen markanten Vorsprung auf (Ohrläppchen und Tragus), der später zu einem engeren Kreis vereinfacht wird. Die Augen öffnen sich bald im inneren Winkel, wobei die Pupille beträchtlich nach vorne gerückt ist; oft wird sie als brauner — nicht schwarzer — Kreis mit Punkt gezeichnet. Die Nasenflügel zeigen oft eine volle S-Kurve, und die Lippen können gelegentlich umrissen sein, was ihnen dann einen leicht geringschätzigen Ausdruck verleiht. Der sich weit zurückbiegende Haken der Schlüsselbeine der Pioniere weicht geraden Linien, wobei kleinere Figuren manchmal eine ausgeprägte halbkreisförmige Mulde an der Verbindungsstelle aufweisen. Brustwarzen werden ignoriert, die Linie von Nabel zu Scham ist gewöhnlich schwarz, nicht braun. Knöchel werden als einfache Haken wiedergegeben, und obwohl er vor Verkürzungen außer bei Bauchmuskulaturangaben oder bei Schilden zurückschreckt, beobachtet er doch gut jede Art von entlastetem Stand. Die Schwere seiner Figuren macht sie nicht unbeweglich, obwohl es bei dem dionysischen Fest auf [/-?2] eher das exquisite Detail ist, das uns anspricht, als irgendwelche Leichtfüßigkeit seitens der zum größten Teil allzu üppig gekleideten Teilnehmer. Hier zeigt er jedoch seine Geschicklichkeit im Gebrauch der verdünnten Farbe und der Pinselarbeit bei Haar und Gewand. Anfangs zieht er dionysische und Komosszenen, später Genre- und Athletenszenen vor, wobei er nach außen gerichtete („Kelch") Kompositionen besonders liebt. Sein mythologischer Szenenvorrat stammt aus dem Repertoire der Pioniere, einschließlich des Interesses für Herakles und Theseus; seine besondere Leistung aber liegt in der Behandlung trojanischer Szenen. Seine Darstellungen der geläufigen Szenen sind immer neuartig, manche aber sind vielleicht seine eigenen Erfindungen — z.B. die Rettung der Aithra oder der trauernde Achill — und andere sind möglicherweise einmalig. Zu letzteren gehören wohl der dramatische Austausch von Geschenken zwischen Hektor und Aias und vielleicht der zwischen Glaukos und Diomedes. Auf der großen Vivenzio-Hydria (so benannt nach ihrem ersten Besitzer) [735], wird die Eroberung Trojas dargestellt wie nie zuvor und auch nie danach: nicht nur die Grausamkeit — Frevel, Mord, Vergewaltigung, Verzweiflung —, sondern auch der Mut — wie sich die Trojanerin mit ihrem Stößel wehrt (die einzigen beherzten Aktionen erfolgen hier durch die Trojaner); auch die Befreiung — die alte Aithra, die ganz verwirrt ist bei der Befreiung durch ihre Enkel; und Hoffnung — Aineias entkommt mit seinem Vater und seinem Sohn — werden geschildert. Die beiden letzten Szenen 104
entfernen sich von den Schrecken, die zwischen ihnen liegen, das Ganze ist ein Kommentar zu der Aufregung und den Ausschreitungen, die die Eroberung einer großen Stadt mit sich bringt. Im Jahre 480 und im darauffolgenden Jahr hatten die Athener ihre Heimat verlassen und von Salamis aus ihre Stadt brennen sehen, nachdem die Perser sie angezündet hatten. Diese Vase verkörpert vielleicht nicht die erste, sicher aber auch nicht die letzte Gelegenheit, bei der die Zerstörung Trojas als Beispiel für die Schrecken des Krieges diente: ein primitiver Akt des Sieges und der Rache, den Griechen hier ausüben, auch wenn er sich nur in der mythischen Geschichte ereignet hatte — ein Akt aber, auf den von Homer an kein Grieche besonders stolz zu sein schien, und auf den man immer wieder zurückkam, so, wie wir es vielleicht mit Dresden, Coventry oder Hiroshima tun. Kein anderer griechischer Vasenmaler kommt dem nahe, und die Monumentalmaler können es kaum besser gemacht haben. Dem Berliner Maler [143—61, 383] werden mittlerweile fast 300 Vasen zugeschrieben, von denen die meisten (Beazleys „frühe") den Jahren von etwa 500 bis 480 angehören. Der Anfang seiner Laufbahn gibt Probleme auf, auf die wir zurückkommen werden, und gewisse Züge in seiner Malerei haben bei manchen Gelehrten den Eindruck erweckt, er archaisiere bewußt; sein späteres Werk ist dagegen entschieden langweiliger und findet sich hauptsächlich auf Nolanischen Amphoren und Lekythen, die bis in die sechziger Jahre hinabreichen. Bei diesen späteren Arbeiten [158, 160] fragte sich Beazley, ob sie nicht zu einem Großteil Imitationen oder Schülerarbeiten seien, aber sie zeigen, auch wenn der Charme verloren ist, keineswegs einen zögernden Strich, und wer kopiert schließlich den abflauenden Stil eines Meisters? Er ist äußerst zurückhaltend mit kalos-Namen, und es haben sich keine Töpfersignaturen auf Vasen gefunden, die mit Sicherheit seiner Hand zuzuschreiben sind. Das Dekorationsschema, das er besonders liebt — auf jeder Seite der Vase eine Einzelfigur, selbst dann, wenn sich die Aktion fortsetzt (Perseus und Gorgo, Zeus und Ganymed, Herakles und Apollon: [153, 150, 145]), und eine auffällige Beschränkung des untergeordneten Ornaments —, spiegelt sich in den Gefäßformen wider, die er mit Vorliebe bemalt. Es sind Amphoren: selten Bauchamphoren, obwohl sich seine besten Arbeiten hier auf Beispielen vom Typ A finden [144, 146], und eine Amphora vom Typ C [/52];gewöhnlich Halsamphoren [148, 149], besonders die kleineren einschließlich der späteren Nolanischen [-/60], und die frühen Amphoren der Panathenäischen Form [145, 151, 153], die sonst verhältnismäßig selten sind. Seine Kratere sind oft in derselben strengen Weise dekoriert; dazu gehören auch einige Volutenkratere, deren Körper sonst schwarz abgedeckt ist. Das ausgezeichnete Beispiel [154] zeigt allerdings eine ausführlichere Gruppe. Hier nimmt die neue Vorliebe für Glokken- [/50] und Kolonettenkratere ihren Ausgang, und ebenso das Interesse an Stamnoi, unter denen ein paar merkwürdig langhalsige Formen auftreten. 105
Er bemalt Peliken [143} und Hydrien, Kalpiden und — ziemlich überraschend — selbst Lekythen und schlanke Oinochoen, aber auch diese können sich zu Studien von Einzelfiguren eignen. Seine ausführlicheren Kompositionen finden sich auf Krateren, Stamnoi, einem Dinos und in einem Ausnahmefall auf einer Halsamphora, die eine bewegte Amazonomachie zeigt [149]. Seine Pflanzenornamente kennen nur wenig Abwechslung — es sind säuberlich umschriebene Palmetten, die auf seinem frühesten Werk in der alten Art schwarz gemalt sind, und Lotosblüten, deren kantige Mittelstücke sich nach und nach zu dreiblättrigen Palmetten mit verlängertem Mittelblatt auflösen. (Diese Pflanzenornamente treten auch auf sonst ganz schwarzen Vasen auf: bei der Gruppe der floralen Nolanischen Amphoren, die aus seiner Schule, vom Eucharides-Maler und vom Dutuit-Maler stammen.) Seine Mäandereinfassungen und Grundlinienornamente jedoch sind charakteristisch; dort wird der Mäander durch in Kästchen gestellte X- (Andreaskreuz) oder Schachbrettmuster in einzelne Einheiten, die oft nur aus zwei Mäanderfeldern bestehen, zerteilt und vollständig unterbrochen. Das kopieren nur wenige seiner Zeitgenossen, und dann auch nur selten. Seine Technik ist makellos — „die Linien sind dünn, gleichmäßig und fließend, weder trocken wie bei Douris, noch saftig, dick und stark wie bei Kleophrades" (Beazley).
Seine Haarlinien sind ausgespart, Reliefkonturen werden sparsam bei Gesichtern eingesetzt, doch treffen wir auf Haarlocken und detaillierte Wimpernzeichnung in Relieftechnik bei sorgfältiger ausgeführten Werken wie [146]. Was die Anatomie angeht, so zeigt er keine ausschließlich für ihn gültigen Eigenarten, doch liebt er Punktrosetten für Brustwarzen, schräghängende Genitalien auch bei Frontalansichten, Dreicckmuster in der linearen Detaillierung auf Hüfte, Brust und Bauch, und blondhaarige Knaben (Apollon, Ganymed [150]). Ganze Glieder werden immer noch nicht verkürzt, doch Füße in Dreiviertelansicht von vorn oder hinten und die realistische Verteilung der Bauchmuskulatur rechts und links der Mediane bei sich drehenden Körpern beherrscht er gut. Die Frauen tragen Ohrringe, die als Kreis mit Punkt gezeichnet werden, und bei den Gewändern gibt es nur wenige Extravaganzen. Auf Mänteln sehen wir lange Wellenlinien oder lang106
129.1 Bauchamphora (Typ A) des Kleophrades-Malers. Kriegers Abschied mit Eingeweideschau
129.2 Rückseite von 129.1
130 Kelchkrater des Kleophrades-Malers. Rückführung des Hephahtos. H. 43,8
131.1,2 Kelchk raterfrgte des Kleophrades-Malers
132.1 Spitzamphora des Kleophrades-Malers. H. 56
132.2 Detail der Rückseite von 132.1
133 Kelchkrater des Kleophrades-Malers
134 Volutenkrater des Kleophrades-Malers. Psychostasia
135 Kalpis des Kleophrades-Malers. Aineias und Anchises; Aias und Kassandra; Tod des Priamos, Andromacbe (?); Befreiung der Aitbra
136 Kalpis des Kleopbrades-Malers
137 Stamnos des Kleophrades-Malers. Theseus und Prokrustes
138 Halsamphora des Kleophrades Malers. Rhapsode. H. 47 139 Skypbosfrg. des Kleopbrades-Malers. Iris und Kentauren
140 Halsamphora des Kleophrades-Malers
141 Loutrophoros des KleopbradesMalers. Prothesis. H. 81
142 Pelike des Kleophrades-Malers (mit dem Namen Epiktetos signiert) H. 32
143 Pelike des Berliner Malers (?). Tod des Aigisthos
145 Panathenäiscbe Amphora des Berliner Malers. Herakles
144 Baucbamphora (Typ A) des Berliner Malers
146.1 Rückseite von 146.2. Herakles
146.2 Bauchamphora (Typ A) des Berliner Malers. Athena. H. 79
147 Kalpis des Berliner Malers. Europa
148 Halsamphora des Berliner Malers
149 Halsamphora des Berliner Malers. Herakles und die Amazonen 150 Glockenkrater des Berliner Malers. Ganymed. H. 33
151 Panathenäische Amphora des Berliner Malers. H. 48,5
153 Panathenäische Amphora des Berliner Malers. Gorgo
152.1 Bauchamphora (Typ C) des Berliner Malers. Trainer. H. 42
152,2 Rückseite von 152.1. Kitharode
154 Volutenkrater des Berliner Malers. Demeter und Triptolemos
155 Stamnos des Berliner Malers. Herakles als Säugling und die Schlangen
158 Halsamphora des Berliner Malers. Helena und Menelaos
157 Hydria des Berliner Malers. Apollon. H. 52
156 Hydria des Berliner Malers. Herakles und Nereus
160 Nolanische Amphora des Berliner Malers. Atbena
159 Lekythos des Berliner Malers. Nike
161 Oinochoe des Berliner Malers. Nike und Jüngling
gezogene Kurven abwechselnd von links und von rechts in brauner Farbe. Bei kompletter Kleidung finden wir ein gleichmäßiges Fortschreiten von archaischen Faltenbündeln zu gleichmäßig die Fläche überziehenden Vertikalfalten oder zu frühklassischen senkrechten Faltengruppen mit waagerechtem, aber gewelltem Saum. Bei seinem späteren Werk lassen vor allem die Gewänder erkennen, daß der alternde Berliner Maler solchen Symptomen des untergehenden archaischen Zeitalters gegenüber nicht immun war, die wir als „Manierismus" bezeichnen und die wir im nächsten Kapitel betrachten wollen. Zu seiner Themenauswahl braucht nicht viel mehr gesagt zu werden. Wo Aktion gefordert wird, da zeigen sich seine Figuren sicher, elegant, und nur auf den frühesten, noch fast pionierartigen Vasen (wenn diese überhaupt von seiner Hand sind) leidenschaftlich bewegt [/4J]. Seine sensiblen Tierstudien, wie sie sonst mit Ausnahme von Pferdebildern in der rotfigurigen Malerei nicht gerade häufig vorkommen, sind bemerkenswert [J